Fünf staubige � Wagen � Es war im Mai 1867, als ich meine Brüder zu suchen begann. Im September hörte ich dann in El Pa...
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Fünf staubige � Wagen � Es war im Mai 1867, als ich meine Brüder zu suchen begann. Im September hörte ich dann in El Paso, daß sie vor einigen Tagen aus Mexiko gekommen und sich in Maggi Persons Etablissement für längere Zeit niedergelassen hätten. Maggi Persons Etablissement lag in River Bend am Rio Grande. Es hatte damals einen sagenhaften Ruf. Dort gab es die schönsten Mädchen auf fünfhundert Meilen in der Runde. Daß meine Brüder sich dort ein paar schöne Tage machten, hielt ich für angemessen, denn ich hatte eine hohe Meinung von ihnen, was ihre Männlichkeit betraf. So ritt ich nach River Bend; es waren ja nur siebenundfünfzig Meilen, und die schaffte ich auf meinem guten Red sozusagen in einem Sitz. Ich ritt die ganze Nacht durch und paßte gut auf, daß die Apachen mich nicht erwischten. Am nächsten Vormittag klopfte ich an Maggi Persons noble Tür mit dem Bronzeklopfer … Der vorliegende Roman erschien in dieser Reihe bereits als Band 197 und im Western-Bestseller als Band 883.
Über der Tür war ein Fenster im oberen Stockwerk. Dieses Fenster öffnete sich, und der graue Lockenkopf einer dicken Frau sah auf mich herab. »Junge«, sagte sie grollend, »doch nicht jetzt. – Wenn du dich nicht schleichst, gieß ich meinen Topf über dir aus.« Nein, diese Maggi Person war jetzt keine Lady. Aber das konnte man wohl von ihr auch nicht erwarten nach einer langen Nacht mit meinen Brüdern im Haus. Und so lüftete ich meinen alten Hut, zeigte mein Lächeln und sagte artig: »Ma’am, ich weiß, daß es eine verdammte Zumutung ist, aber ich suche meine vier Brüder. Sie sollen hier in diesem wunderschönen Paradies sein. Wollen Sie mich zu ihnen lassen?« Sie starrte einige Atemzüge lang zu mir nieder. Dann fragte sie: »Du bist auch einer der Swarthouts? – Ach ja, das hätte ich gleich erkennen sollen. Doch du bist so stoppelbärtig, staubig und verschwitzt. Du bist also wirklich einer der Swarthouts?« »Ich bin Ty Swarthout«, sagte ich. »Und Sie entschuldigen sicher die Störung, Ma’am, ja?« Wieder lächelte ich sanft. Sie aber verschwand für einen Moment im Innern des Raumes. Als sie wieder zum Vorschein kam, war dies nicht unten an der Tür, wie ich hoffte, sondern wieder oben am Fenster. Sie hatte auch etwas mitgebracht – ihren Topf, den sie wahrscheinlich immer unter dem Bett stehen hatte. Aber dann machte sie einen Fehler. Sie keifte los, bevor sie ihn ausleerte. Und ihr Keifen erschreckte meinen Red, der auch nach siebenundfünfzig Meilen noch nicht zu müde war, wie eine erschrockene Katze zur Seite zu springen. So entkam ich dem Guß.
Und dann hörte ich eine Menge Beleidigungen. Heiliger Rauch, was war nur aus meinen Brüdern geworden? Das mußten ja ganz schlimme Strolche und Säufer sein, Wilde, die nur rohes Fleisch fraßen und dergleichen mehr. Ich hörte gar nicht mehr länger zu, sondern zog meinen Red herum und ritt aus der Gasse wieder auf die einzige Hauptstraße zurück. Wahrscheinlich hatten meine Brüder dieses Etablissement ziemlich stark beansprucht und nicht genug bekommen von den Sünden dieser Erde. Und irgendwann hatte es dann Krach gegeben mit anderen Gentlemen, die ins Haus wollten, aber von meinen Brüdern wieder rausgeworfen wurden. So etwa mußte es gewesen sein, wie ich Maggis Flüchen entnehmen konnte. Sie brüllte mir noch nach: »Zur Hölle mit euch Affen! – Oder man müßte euch Ringe durch die Nasen ziehen und nur in Käfigen der Menschheit vorführen! – Zur Hölle mit euch Swarthout-Brüdern!« Sie tat zumindest mir Unrecht. Aber was konnte ich schon dagegen tun? Ich war nun sehr neugierig auf meine Brüder. Immerhin hatte ich sie volle drei Jahre nicht gesehen. Nun, ich fand meine vier Brüder einige Häuser weiter. Sie lungerten auf der Veranda eines Saloons herum, rauchten Zigarren, und jeder hatte ein Bierglas in der Hand. Frische Luft hatten sie offensichtlich nötig, denn sie sahen ziemlich mitgenommen aus – so, als hätten sie drei Tage und drei Nächte ohne Pause gefeiert. Ben war mein ältester Bruder. Er mußte jetzt dreißig Jahre zählen. Er war schwarzbärtig und wirkte bärenhaft. Er erkannte mich zuerst. Er grinste sofort schief und stieß den neben ihm stehenden Jim an. Ich hörte ihn heiser sagen: »He, Jim, sieh dir mal diesen
Hombre an – kennst du den?« Nun sah auch Jim zu mir her. Jim war knochig wie ein Maultier, aber auch er war schwarzhaarig wie wir alle. Als er grinste, sah es aus, als zeigte ein Maultier tückisch die Zähne. »Ja, den kenn’ ich«, nickte er. »Das ist unser Kleiner, den wir in Colorado bei Mom gelassen haben. Was will der hier?« Nun waren natürlich auch Art und Joe aufmerksam geworden. Sie alle starrten mich an wie ein Kalb mit zwei Köpfen. Joe sagte nach einer Weile: »Wahrhaftig, dies ist Moms Liebling. – Aber warum ist er nicht mehr bei ihr und sorgt für sie, so wie wir es abgemacht haben? He!« Ich saß im Sattel meines braven Red und sah sie nur an. Ja, sie waren älter geworden – aber auch härter. Nein, sie waren keine Cowboys mehr. Das sah ich gleich. Ihre Revolver trugen sie recht tief – jedenfalls anders als durchschnittliche Cowboys. Ein Wolfsrudel mochte die gleiche Ausstrahlung haben wie meine vier älteren Brüder. Ich begriff schnell, daß sie Revolverschwinger waren. Und dann kam Bens Frage: »Ty, was ist mit Mom?« Ich nahm erst meinen Hut ab. Und noch bevor ich das erste Wort sprach, nahmen auch sie ihre Hüte herunter. »Sie wachte an einem schönen Morgen nicht mehr auf«, sagte ich. »Besser kann eine alte und kranke Frau gar nicht sterben. Ich ließ einen schönen Sarg machen und kaufte ein Grab unter einem schönen Baum. – Und dann suchte ich euch.« Damit hatte ich alles gesagt. Ich setzte meinen Hut wieder auf und stieg endlich von meinem Red. Denn er hatte es verdient, getränkt zu werden. Er schwitzte ein wenig und war staubig wie ich. Meine vier Brüder starrten in ihre halbleeren Biergläser, mit deren Inhalt sie wahrscheinlich ihren Kater loszuwerden
gedachten. Doch nun hatte ich ihnen einen Schock versetzt, der sie verdammt munter machte. Ich wußte, sie dachten jetzt an unsere Mom. Damals, vor dem Krieg, als sie daheim in Texas so schlimm krank geworden war, daß sie Blut hustete, da hatte uns der Doc gesagt, daß wir sie bald verlieren würden, wenn wir mit ihr nicht in ein anderes Land gingen. »Wohin?« fragten wir damals fünfstimmig. Und da erklärte er es uns. Also gingen wir mit unserer kranken Mom nach Colorado in die gesunde und trockene Höhenluft. Wir kauften in der Nähe einer Stadt ein kleines Haus mit Garten und machten es Mom sehr bequem. Dann wollten wir das Los entscheiden lassen, wer von uns bei ihr bleiben und sich um sie kümmern sollte. – Aber da verlangte sie, daß ich, ihr jüngster Sohn Tyrone, bei ihr bleiben solle. Diesem Wunsch fügten wir uns. Ich selbst hatte alle Hände voll zu tun, um Mom das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Die Arztkosten waren nicht gering; sie machten zumeist jeden Monat so viel aus, wie zwei Cowboys daheim in Texas verdienten. Aber ich hatte auch noch eine Pflegerin besorgt und mußte den Unterhalt für uns drei bestreiten. Meine vier Brüder schickten zwar manchmal Geld, doch das reichte längst nicht. Zum Glück wurde damals in Colorado überall Gold gefunden. Und so fand ich immer wieder Verdienstmöglichkeiten, zumeist als bewaffneter Begleitmann von Gold- und Geldtransporten. Das brachte für mich den höchsten Lohn – und ich hatte zwischen den Fahrten stets einige Tage Pause und konnte mich um Mom kümmern. Ich spürte eine gewisse Enttäuschung über meine Brüder. Die hatten bei Maggi Person eine Menge Geld auf den Kopf
gehauen und eine wilde Feier hinter sich. Wenn sie mir die Hälfte von diesem Geld für Mom geschickt hätten, würde ich ihr … Aber nein, Mom war ja schon lange tot. Doch das konnten meine Brüder nicht wissen. Sie hätten mir Geld schicken müssen, bevor sie hier bei Maggi Person die große Feier machten. Als ich mit meinen Gedanken soweit war, fragte Jim: »Kleiner, hast du noch das Geld bekommen, welches wir vor zwei Wochen von El Paso abschickten? – Jeder von uns tat hundert Dollar in den Topf. Hast du es noch bekommen?« »Nein«, sagte ich und war froh, daß sie an Mom gedacht hatten. »Ich suche euch schon seit Mai«, sagte ich. »Und nur durch Zufall hörte ich in El Paso, daß ihr in Mexiko gewesen seid.« »Ja, wir halfen Juarez ein wenig«, grinste Art. »Stell dir vor, Kleiner, Ben war sogar Major. – Hay, war das ein Leben! Zu unserem Regiment gehörten etwa siebenhundert barfüßige Soldaten, mehr als vierhundert Frauen und Mädchen und eine Menge Kinder. – Wenn wir loszogen …« Er kam nicht weiter, sondern wurde von Jim unterbrochen. »Er hat auch kein Geld«, sprach Jim dazwischen. »Versteht ihr, unser Kleiner hat auch kein Geld!« Mich ärgerte es schon eine Weile, daß sie mich immer wieder ›Kleiner‹ nannten. Dabei war ich größer als sechs Fuß und wog um die neunzig Kilo, ohne auch nur ein Gramm überflüssiges Fleisch auf den Knochen zu haben. Ich sagte: »Nennt mich nicht immer Kleiner. Die Zeiten sind vorbei. Ich hab’ es ziemlich hart gehabt in Colorado. Sie wollten Mom und mich sogar aus dem Haus vertreiben und in unserem Garten nach Gold graben. – Wir waren mitten im Goldrun. Ich hatte alle Hände voll zu tun, um Mom den schönen Garten zu erhalten.« Nun sahen sie mich schärfer an, und jetzt erkannten sie, daß ich ein Mann geworden war, der es auch mit ihnen aufnehmen
konnte. Ich war nicht mehr ihr kleiner Bruder. Auch in den letzten sechs Monaten hatte ich eine Menge erlebt, indes ich überall nach ihnen suchte. Sie nickten plötzlich. Ben sagte: »Richtig, Ty, du bist kein Kleiner mehr. Das sehen wir jetzt. – Hast du wirklich kein Geld mehr, so daß wir uns wenigstens ein Frühstück kaufen können, bevor wir losreiten?« Ich zögerte keine Sekunde mit dem Kopfschütteln. Denn irgendwie war ich plötzlich verbiestert. Ja, ich besaß noch ein paar Dollars, denn ich hatte sehr sparsam gelebt und vor einigen Wochen in Tucson ein paar Pferde zugeritten, was mir pro Pferd fünf Dollar einbrachte. Aber ich wollte das Geld nicht meinen Brüdern geben. Ich war zu wütend auf sie. Sollten sie doch mal knurrende Mägen spüren nach ihren Ausschweifungen. »Ich bin blank wie ihr«, murrte ich. Sie standen noch einige Sekunden lang still da, sahen mich an. Vielleicht spürten sie auch, daß ich von ihnen enttäuscht war, und trauten mir zu, daß ich sie absichtlich hungern ließ. Aber sie sprachen kein Wort mehr über Geld, sondern setzten ihre Hüte auf und tranken die Biergläser leer. Sie stellten sie auf eine Fensterbank und pafften stärker an ihren Zigarren. Ben steckte den Kopf durch das offene Fenster in den Schankraum und rief dem Mann hinter der Bar zu: »He, wir zahlen später, wenn wir wiederkommen!« Dann gingen wir. Ich folgte ihnen, meinen Red an den langen Zügeln hinter mir herziehend. Irgendwie wirkten meine Brüder plötzlich sehr entschlossen. Wir gingen zum Mietstall, und auch dort sagte Ben, daß sie zahlen würden, wenn sie wiederkämen. Der Stallmann sah meine Brüder nur schräg an. Oh, er wußte genau, daß er Ärger bekommen hätte, würde er meinen Brüdern keinen Kredit eingeräumt haben. Wir ließen unsere Pferde am Brunnen nochmals saufen,
füllten auch unsere Wasserflaschen und ritten los. River Bend blieb hinter uns – und ich hatte das Gefühl, als wären die Leute von River Bend froh, uns los zu sein. * Drei Stunden später brieten wir in einer Senke unter Bäumen das Fleisch eines Bullkalbs. Auch Wasser war in der Nähe. Meine Brüder hatten auch noch etwas Kaffee. Ich steuerte Mehl und Zucker bei. Wir alle lagen im Schatten und warteten, bis das Fleisch gar wurde. Der Kaffee und die Pfannkuchen waren schon fertig. Art drehte den Braten über der Glut. Wir alle waren mürrisch und müde – ja, auch ich, denn ich war die ganze Nacht geritten und hatte auch noch kein Frühstück bekommen. Jetzt aber war es höchste Zeit für ein Mittagessen. Art probierte den Braten. Er schnitt ein Stück davon ab und kaute. »Ja, jetzt geht’s«, sagte er dann. »Jetzt könnt ihr euch die Bäuche vollschlagen wie tausend Indianer nach einem Blizzard, wenn ihnen eine Büffelherde in den Weg gerät.« Wir erhoben uns und holten unsere Messer. Da hörten wir Hufschlag. Reiter kamen. Meine Brüder wurden sofort wachsam. Doch sie schnitten sich dennoch jeder ein Stück Fleisch ab. Auch ich tat es. Wir kauten schon und beruhigten den schlimmsten Hunger, als die drei Reiter herangeritten kamen. Sie sahen das Bullkalb, das wir getötet und dem wir die besten Stücke herausgeschnitten hatten. Es waren drei harte Burschen, keine gewöhnlichen Cowboys. Ich hielt sie sofort für Reiter, die für Revolverlohn arbeiten. Da schüttelte Ben den Kopf, und nun wirkte er nicht nur stur
und bärenhaft, sondern auch gefährlich. »Drei Dollar wäre ein fairer Preis«, sagte er. »Denn erst bei der Kansasbahn zahlt man zwischen zehn und fünfzehn Dollar für einen ausgewachsenen Longhorn-Stier. Ist hier vielleicht die Kansasbahn?« In seiner Stimme war ein kaum merkliches Grollen. Und dann biß er wieder vom saftigen Fleisch ab und kaute. Die drei Reiter waren gewiß nicht dumm, wirklich nicht. Doch sie fühlten sich zu sehr auf dieser Weide als die ›Hausherren‹, und überdies vertrauten sie auf ihre Revolverschnelligkeit. Sie überschätzten sich und hielten uns für Sattelstrolche, weil wir so ungepflegt und mitgenommen aussahen. Das ließ sie falsch reagieren. Denn ihr Sprecher sagte nun barsch: »Ihr verdammten Fleischdiebe, wir werden euch gleich klarmachen, auf wessen Weide ihr seid.« »Na, dann fangt mal an damit«, sagte Jim. Und Art, der sich gerade ein weiteres Stück Fleisch abschnitt, kicherte wie über einen guten Witz. »Ja, habt nur keine Angst vor uns bösen Onkels. – Macht uns mal richtig klar, auf wessen Weide wir sind. – Haut ran, Jungens!« Jetzt wußten es die drei Weidewächter dieser Ranch ganz genau: Wir hatten keine Angst vor ihnen, obwohl sie gewiß mehr als ein Dutzend Reiter herbeiholen konnten. Ich konnte ihnen ansehen, wie sie erschraken und endlich begriffen, daß wir keine vergammelten Sattelstrolche waren, sondern gefährliche Sattelwölfe. Mir schmeckte trotz des immer noch vorhandenen Hungers das Fleisch nicht mehr. Auch der zusammengerollte Pfannkuchen, den ich in der anderen Hand hielt, kam mir nun wie ein feuchter Fußlappen vor. Denn ich begriff, was aus meinen vier Brüdern geworden
war. Ja, sie waren Sattelwölfe, die sich nahmen, was sie brauchten. Aber war ich nicht daran schuld? Hätte ich ihnen nicht in River Bend für zwei Dollar ein gutes Essen kaufen können? Für zwei Dollar wären wir alle satt geworden. Verdammt, ich wollte vortreten und fünf Dollar für das tote Bullkalb bieten. Denn fünf Dollar zu opfern, dies erschien mir sehr viel vernünftiger zu sein als das, was sonst gewiß kommen mußte. Doch es war zu spät. Einer der drei Weidewächter hielt sich für schnell mit dem Colt und ließ sich dadurch täuschen, daß wir ja alle Fleisch, zusammengerollte Pfannkuchen oder Kaffeebecher in den Händen hielten und zumeist kauten, daß uns nur so die Ohren wackelten. Er schnappte die Waffe heraus. Ja, er war schnell, das mußte man ihm schon lassen. Doch wir hatten Jim. Und Jim war schon als kleiner Junge stets in allen Dingen schneller als sonst wer gewesen. Jims Reflexe waren die eines Wildkaters, der in der Wüste Mäuse fangen muß. Jim ließ seinen Kaffeebecher fallen und schnappte ebenfalls den Colt heraus. Er war etwas schneller und schoß auch sofort. Und wieder wußte ich etwas mehr über meine Brüder, begriff, wie sehr sie sich in den vergangenen Jahren verändert hatten. Und dennoch – ganz verloren konnten sie noch nicht sein. Denn Jim hätte den Narren auch vom Pferd schießen können. Da war ich ganz sicher. Er tat es jedoch nicht. Die Kugel streifte nur den Oberarm des Mannes, sie wirkte etwa wie ein Schwerthieb, und der Mann ließ die Waffe fallen. Zugleich kreischte mein Bruder Joe los wie ein angreifendes Pumaweibchen. Es war ein uralter Apachentrick. Damit konnte man auch das zuverlässigste Pferd verrückt machen, das bei
Gewehr- und Revolverfeuer kaum die Ohren bewegte. Auch diese drei Gäule wurden verrückt. Sie überschlugen sich fast. Und die Reiter purzelten aus den Sätteln wie Anfänger. Als sie am Boden lagen, wußten sie, daß sie verloren hatten. Und sie wußten auch, mit wem sie sich angelegt hatten wegen eines Bullkalbes. Bens Stimme klang immer noch grollend und bärenhaft, als er sagte: »Und nun will ich es euch mal genau erklären, Amigos. – Paßt schön auf, und laßt euch kein Wort entgehen. Denn der gute Onkel sagt nichts zweimal. – Also, wir hatten einfach Hunger, versteht ihr? – Und in River Bend nahmen uns Maggi Person und deren Girls zu sehr aus. – Seid ihr vielleicht noch nie in solch einem Laden ausgenommen worden? – He? – Bis zu unserem nächsten Job müssen wir noch ein verdammtes Stück reiten. Ja, wir schlachteten dieses Bullkalb. – Na schön, was macht das schon? Wollt ihr deshalb Streit mit uns?« Sie fluchten nur als Antwort, aber sie wagten nichts mehr. Sie hatten begriffen, da sie keine Chance hatten. Auch ich hatte das begriffen. Meine Brüder waren Revolvermänner. * Es interessierte mich natürlich, wohin wir ritten. Doch ich wollte nicht fragen. Ich machte mir natürlich so meine Gedanken über meine vier Brüder. Früher war ich stets stolz gewesen auf sie. Nun machte ich mir Sorgen. Wir ritten gegen Abend aus dem Rio Grande Valley heraus und stetig bergauf in die San-Andreas-Kette hinein. Gesprochen wurde nicht viel – auch nicht später im Camp, in dem wir die Nacht verbrachten. Fleisch hatten wir jetzt genug.
Als wir am anderen Morgen mürrisch aufbrachen, bezwang ich meinen Stolz. Ich fragte Joe, wohin wir ritten. Joe deutete nach Nordosten. »Wir suchen fünf staubige Wagen«, sagte er. »Bald werden wir auf einen Wagenweg stoßen, der von den San-AndreasBergen zu den Sacramentos führt. – Auf diesem Weg fahren fünf Frachtwagen – große Dinger mit Anhängern. Jeder Wagen wird von acht starken Maultieren gezogen. Und alle sind beladen mit wertvoller Fracht, Handelsware, die man in den Goldgräber-Camps fast mit Gold aufwiegt. – Diese fünf Wagen wollen wir einholen.« Ich staunte. Und dann kam mir ein böser Verdacht. Ich sah Joe scharf an. »Und dann?« Er grinste, denn er durchschaute mich. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, Ty, Banditen sind wir noch nicht«, sagte er. * Wir ritten den ganzen Tag. Unser Hunger wurde immer grimmiger. Ja, wir glichen wahrhaftig einem hungrigen Wolfsrudel, das einer Fährte folgt, an deren Ende es fette Beute erhofft. Fünf staubige Wagen … Was mochte es mit ihnen für eine Bewandtnis haben? Dies beschäftigte mich Stunde um Stunde. Aber erst spät in der Nacht bekam ich eine Antwort – und diese auch nicht sogleich. Zuerst sahen wir die Feuer in der Nacht. Als wir nahe genug heran waren, erkannten wir im Feuerschein auch die hellen Wagenplanen aus festem Segeltuch. Ja, da standen fünf staubige Wagen mit Anhängern zu einer
Wagenburg vereint. Wir wurden bald schon von einem Wächter angerufen. Und von dort, wo die etwa fünfzig starken Maultiere und ein paar Pferde in einem großen Seil-Korral gehalten wurden, kam ein Reiter herüber. »Wir sind’s nur«, sagte Ben zu dem Wächter. »Wir wollen zu Bill Eller.« Wir durften passieren. Und an einem der Feuer stießen wir dann auf Bill Eller. Er hockte auf einem Offiziers-Klappstuhl unter dem Vordach eines Offizierszeltes. Außer dem Feuer brannte auch noch eine Laterne. In ihrem Lichtschein grinste er uns an. Er war ein alter Bursche, einer von der Sorte, die einem alten und zerzausten Jagdfalken gleicht. Und neben ihm … O Leute, euch wäre es wie mir ergangen! Auch ihr alle hättet die Luft angehalten, wenn ihr das Girl neben diesem Bill Eller gesehen hättet. Der Feuerschein beleuchtete sie. Ob das die Tochter des alten Falken war? Dies fragte ich mich, indes ich sie betrachtete. Wahrscheinlich spürte sie meinen Blick, denn sie sah mir plötzlich fest in die Augen. Ja, sie hatte einen sehr geraden und ruhigen Blick, so wie ein Girl, das gewöhnt ist, mit Männern umzugehen, unter ihnen zu leben. Ich begriff, daß sie mich prüfte und dabei auf ihren Instinkt ›lauschte‹ – oder wie man das sonst nennen will. Im Feuer- und Laternenschein leuchteten ihre Augen grün. Ja, es waren Katzenaugen, sie waren leicht schräg gestellt. Ihr Haar war dunkel. Sie trug es lang und offen über Rücken und Schultern. Sie war gewiß nicht mehr als mittelgroß. Ihr Alter? Nun, ich war fünfundzwanzig, also fünf Jahre jünger als mein ältester Bruder Ben. Dieses grünäugige Girl neben dem alten Falken mochte vier
Jahre jünger sein als ich. Indes hörte ich meinen Bruder Ben fragen: »Mister Eller, gilt Ihr Angebot noch? Oder haben Sie es sich anders überlegt?« Dieser Bill Eller sah nun erst mich an, bevor er antwortete. »Ist das auch einer von euch Swarthouts?« »Das ist unser jüngster Bruder Ty«, erwiderte Ben. »Der war die ganze Zeit bei unserer Ma in Colorado. Nun ist sie tot. Deshalb stieß er vor zwei Tagen zu uns. Wir sind jetzt fünf.« Bill Eller nickte mir zu. Ich aber zog vor dem Girl neben ihm den Hut und machte eine Verbeugung. »Dies ist Linda«, sagte Bill Eller, »die Tochter meiner Schwester. Mein Schwager und ich waren Partner bis vor einem Jahr.« Er verstummte hart, und ich wußte sofort, daß er den letzten Satz aus einem besonderen Grund zu mir gesprochen hatte. Er wandte sich wieder an Ben. »Ja, mein Angebot gilt noch«, sagte er. »Fünfhundert Dollar müßte ich dort oben bezahlen – für jeden Wagen hundert. Ich würde sie lieber euch zahlen, wenn ihr vor uns hinauf reitet und aufräumt. – Es ist mir nicht gleich, wem ich die fünfhundert Dollar zahle.« Ich verstand nichts. Doch meine Brüder nickten, als wüßten sie genau Bescheid. »Wenn uns Ihr Koch noch ein paar Happen machen könnte …« begann Joe. Aber mehr brauchte er nicht zu sagen. Denn Bill Eller rief auch schon zum benachbarten Feuer hinüber: »He, Barney, sieh zu, daß du unsere Gäste sattbekommst!« Das war alles. Wir waren entlassen. Aber wir konnten ja auch nicht länger herumstehen. Denn wir mußten unsere Pferde versorgen. Das war wichtig in diesem Land nach einem endlos langen Ritt. Als wir uns später beim Feuer des Koches einfanden, hatte
dieser für uns eine Menge in den Pfannen und Töpfen. Er war auch nicht mürrisch über die Mehrarbeit mitten in der Nachthälfte, sondern bediente uns freundlich, so, als wären wir seine eigenen Gäste. Als wir dann auch noch zum Nachtisch Kaffee und Apfelkuchen bekamen, hatte ich plötzlich das Gefühl, eine Henkersmahlzeit zu vertilgen. Ich wandte mich an meine kauenden Brüder. »Wollt ihr mir nicht endlich sagen, um was es hier geht? Ich weiß nur, daß wir fünfhundert Dollar verdienen können. Aber was müssen wir dafür tun?« Ja, ich war schon wieder recht verbiestert. Denn ich ärgerte mich darüber, daß diese vier sturen Büffel nichts sagten, sondern nur kauten und schluckten. Dabei zahlte uns dieser Bill Eller gewiß nicht für eine Kleinigkeit fünfhundert Dollar. Meine Brüder sahen sich an und nickten sich zu. »Richtig«, sagte Jim, »dem lieben Ty müssen wir alles hoch erklären. Der muß wissen, in was er mit uns reitet. – Nicht wahr, Ty?« In seiner Stimme war ein Klang, so, als hätte er nicht Ty, sondern Kleiner gesagt. Ich sagte nichts, nickte nicht mal, wartete nur. Und da erklärte Ben es mir. Er deutete mit dem Kuchenstück über die Schulter in die blaue Sternennacht. »Dort oben auf dem Alvarez-Paß«, sagte er, »sitzen die Mahouns. Der Weg zum Paß hinauf wurde einst von den Spaniern gebaut. Denn auf der anderen Seite gibt es eine Menge Gold- und Silberminen, in denen die Spanier ihre Sklaven arbeiten ließen. Aber irgendwann gab es einen großen Aufstand. Auch warfen die Minen wohl nicht mehr genügend Gewinn ab. – Jedenfalls hatten die Spanier die Nase voll und verschwanden. Der Weg zerfiel. Es kamen ein paar
Steinlawinen nieder. – Alles ruhte sozusagen. Ja, man vergaß sogar den alten Weg der Spanier über den Alvarez-Paß.« Nun machte Ben eine Pause und nahm sich ein neues Stück Apfelkuchen vom Blechteller. Wir alle kauten. Erst nach einer Weile sagte Ben fast widerwillig: »Nun – wie das so ist – ein alter Goldsucher kroch irgendwann über den Paß und schlug eine neue Ader an. Andere Gold- und Silbersucher kamen. Auch sie hatten Glück, zum Teil sogar in den alten Minen. – Es kamen dann Hunderte – schließlich Tausende. Und es waren zuvor die Mahouns gekommen. Sie hatten den alten Spanierweg wieder passierbar gemacht für Fahrzeuge und betrachteten den Weg als ihre Privatstraße. Sie bauten oben am Paß ein Gasthaus und kassierten von Anfang an Zoll. – Von Mister Eller wollen sie für jeden vollen Wagen Handelswaren hundert Dollar, zusammen also fünfhundert Dollar. – Vor einem Jahr protestierte Bill Ellers Schwager und Partner dort oben am Paß mit dem Colt gegen diese Wegelagerei. Er wurde von den Mahouns erschossen. – Und jetzt ist es so, daß wir uns fünfhundert Dollar verdienen können, wenn Bill Eller sie nicht an die Mahouns zahlen muß. – Hast du alles gut verstanden, mein jüngerer Bruder?« Er sagte nicht Kleiner. Aber die Art, wie er ›jüngerer Bruder‹ aussprach, war so, als hätte er Kleiner gesagt. Wollten sie mich ärgern? Ich schluckte es wie den Kuchen. »Wir reiten also hinauf und kämpfen die Mahouns nieder?« Da nickten meine vier Brüder. »Er ist ein echter Swarthout«, sagte Lee, »denn er ist nicht dumm. Der kapiert nur dann nicht, wenn man in einer anderen Sprache zu ihm spricht. Ja, wir reiten hinauf und machen sie klein. Dafür gibt es fünfhundert Dollar – für jeden staubigen Wagen hundert.« Ich wußte Bescheid.
Jawohl, es gab keinen Irrtum mehr. Meine Brüder waren Revolvermänner, die für Geld kämpften. Man konnte sie anwerben, ihre Revolverhilfe kaufen. Ja, so war es. Ich blickte über die Schulter, als jemand von hinten neben mich trat. Es war der alte Falke Bill Eller. »Ich reite mit euch.« * Es war noch Nacht, als wir sattelten und uns auf die Pferde schwangen. Aber es war eine helle Nacht. Man konnte meilenweit sehen. Bill Eller führte uns. Ich dachte an das Mädchen Linda. Ob sie schlief? Ich glaube es nicht. Unser Abreiten hatte einige Geräusche verursacht. Die Frachtfahrer und deren Helfer hatten sich überall hinter den Wagen in ihren Decken bewegt. Einer hatte halblaut gerufen: »Ja, gebt es den Hundesöhnen – gebt es ihnen!« Aber niemand von uns gab ihm eine Antwort. Ich ritt als letzter Reiter. Und ich begriff jetzt schon den Unterschied zwischen Revolvermännern und einem Mann wie Bill Eller. Er wollte Rache, Vergeltung, Genugtuung. Wir aber kannten die Mahouns gar nicht. Sie hatten uns nichts getan. Dennoch ritten wir jetzt zu ihnen, um sie niederzukämpfen – für Geld. * Wir ritten fast zwei Stunden. Die Frachtwagen würden gewiß
einen halben Tag oder noch länger brauchen. Als im Osten das erste Grau hochkam, waren wir so ziemlich oben. Als wir anhielten, sagte Bill Eller: »Das ist die letzte Biegung. Dann geht es geradeaus quer über die Wasserscheide. Bis zu den Häusern ist es nicht weit. Die Mahouns haben uns gewiß schon gehört. Jeder Hufschlag schallt herauf, und sie haben Tag und Nacht einen Wächter auf den Felsen. Der hat längst schon eine reitende Mannschaft gemeldet. Wie wollt ihr vorgehen?« »Das wird sich finden«, sagte mein Bruder Ben und ritt weiter. Wir folgten ihm, und schon hinter der Biegung wurden wir angerufen. Eine heisere Stimme rief aus den Felsen: »Weit genug! Wer seid ihr?« Wir hielten an, bildeten eine lose Traube im Schatten der Felsen, aus denen die Stimme drang. »Ach, wir wollen nur über den Paß«, erwiderte Ben. »Was sagen dir schon unsere Namen, Bruder? Willst du Geld kassieren? Kostet das was hier oben? Na, was müssen wir denn zahlen? Wir haben es eilig, Amigo!« In Bens Stimme war ein ungeduldiges Drängen, und irgendwie konnte es so sein für den Paßwächter, daß wir vor einem Aufgebot flüchteten und es deshalb so eilig hatten, über den Paß zu kommen. Der Mann zwischen den Felsen schwieg eine Weile. Er überlegte wohl noch. Ich sah mich indes um. Wenn ich in die Richtung blickte, in die wir reiten wollten, sah ich das Haus mit den Stallungen und Schuppen. Die Gebäude waren alle aus Bruchsteinen gemauert, und davon gab es ja hier oben genug. Ein Licht brannte. Vielleicht war es die Gaststube, aus deren Fenstern Lichtbahnen fielen.
Ein Mann kam von dort herüber. Er hielt etwas in den Händen, was ich für eine Schrotflinte hielt. Der Mann in den Felsen rief plötzlich: »He, Gus! Sieh sie dir mal an! Sieh sie dir genau an! Ich habe sie vor meiner Schrotflinte.« Der Mann kam näher und erwiderte nur mit einem knappen Ruf. Wir warteten weiter, scheinbar geduldig und friedlich. Aber ich wußte, daß wir etwas unternehmen mußten, bevor der zweite Mann heran war mit seiner Schrotflinte. Ich starrte zu den Felsen hinauf, versuchte, etwas zu erkennen – und erkannte dann auch den Kopf des Mannes, der den sich nähernden Mann Gus gerufen hatte. Es ging dann plötzlich los. Meine Brüder und auch Bill Eller warteten nicht länger mehr. Colts begannen zu krachen – drei, vier. Auch Bill Eller schoß. Die Schrotflinte des Paßwächters krachte. Die Bleiladungen prasselten zwischen uns. Auch ich spürte, wie es mich traf. Einen Moment lang wollte mich Panik erfassen. Doch ich bekam mich schnell wieder unter Kontrolle. Denn ich war nicht schlimm getroffen worden. Der Wächter kam nun aus den Felsen – kopfüber kippte er herunter und rollte dann vor die Hufe unserer tanzenden Pferde, von denen ja auch welche vom Schrot getroffen worden waren. Wir ritten endlich an. Denn der andere Mann, Gus, hatte sich zur Flucht gewandt. Dabei brüllte er wie ein ganzer Indianerstamm, um die anderen Mahouns zu wecken. Als wir ihm auf unseren galoppierenden Pferden zu nahe kamen, wandte er sich, hielt an und schoß beide Läufe ab. Wieder spürte ich den Treffer einer Schrotkugel. Aber dann fiel auch dieser Mann. Wir alle hatten von unseren Pferden aus auf ihn geschossen – auch ich, ja, auch ich. Denn
ich war jetzt mit dabei und kämpfte. Aus dem Haus liefen nun brüllende Männer. Sie hatten ihre Waffen mitgebracht und feuerten auf uns. Es wäre besser für sie gewesen, wenn sie im Haus geblieben wären, um sich dort zu verteidigen. Aber das wollten und konnten sie nicht. Sie wußten zwei von sich draußen und wollten ihnen zu Hilfe kommen. Wir warfen uns von den Pferden, und das konnten wir alle so gut wie Comanchen, von denen wir uns das Reiten ja damals daheim in Texas als Jungens schon abgesehen hatten. Ich landete geduckt, verhielt und schoß meinen Colt leer. Pulverdampf hüllte mich ein. Staub wirbelte. Die Revolver und Gewehre krachten. Männerstimmen brüllten. Die Hölle war los hier oben im Paßsattel. Und es war nichts mehr aufzuhalten, gar nichts mehr. Dann wurde es still. Ich kniete am Boden und lud meinen Colt. Es ging mir nicht schnell genug. Ohne einen geladenen Colt kam ich mir schutzlos vor. Trotzdem zwang ich mich zur Sorgfalt. Endlich war ich fertig. Staub und Pulverdampf hatten sich verzogen. Wir sahen, was wir angerichtet hatten – ja, wir sahen es. Der Kampf war vorbei. Wir hatten die Mahouns niedergekämpft. Plötzlich hatte ich Angst um meine Brüder. Denn es wurde mir klar, daß wir diesen Kampf gewiß nicht ohne eigene Verluste gewonnen hatten. Und so erhob ich mich und setzte mich in Bewegung. Neben mir tat mein Bruder Ben das gleiche. Er hinkte stark. Also mußte es ihn am Bein erwischt haben. Auch ich hinkte. Meine Wade schmerzte, und ich spürte Wundschmerz in der Seite und hoch in der rechten Schulter. Das alles waren Schrotkugeln. Sie hatten keine große Durchschlagskraft, steckten in Fleisch oder
Muskeln. Es würde schmerzhaft sein, sie herauszuschneiden. Und man mußte die Wunden gut desinfizieren. Ein glatter Durchschuß war manchmal besser als solch eine Schrotkugel. Als ich den ersten Gegner erreichte, setzte dieser sich stöhnend am Boden auf. Er sah zu mir empor und verdrehte seine Augen. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz und Anstrengung. »Ihr Hundesöhne«, knirschte er, »oh, ihr Hundesöhne, was hattet ihr für ein Glück.« Ich hätte ihm sagen können, daß es nicht nur Glück war, weil meine Brüder ja Revolvermänner waren. Aber was hatte das für einen Sinn? Der Mann legte sich stöhnend wieder auf die Seite und verfluchte uns weiterhin. Ich ging weiter. Und ich sah nun auch Jim, Art und Joe. Sie hatten es alle überstanden. Dies schien mir wahrhaftig ein Wunder zu sein. Denn wir waren doch alle in das Feuer unserer Gegner geritten, dann abgesprungen und ihnen zu Fuß entgegengetreten. Hatten wir nur schneller und besser geschossen – oder war es Glück? Meine Brüder waren jedoch alle getroffen. Ich sah es jetzt. Sie bewegten sich mehr oder weniger mühsam. Wir gingen von einem Gegner zum anderen. Sie alle lebten. Doch sie waren sehr viel schwerer getroffen als wir. Vielleicht würden welche von ihnen sterben. Mir fiel Bill Eller wieder ein. Als ich mich suchend umwandte, sah ich ihn kommen. Er bewegte sich mit letzter Kraft. Er war schwerer getroffen als wir Swarthout-Brüder. Und dennoch bewegte er sich suchend umher. Ich begriff, daß er einen bestimmten Mann suchte, und so ging ich zu ihm und stützte ihn, so gut ich konnte. Wir erreichten einen unserer Gegner, der am Boden lag und
wie tot wirkte. Doch als wir bei ihm waren, öffnete er die Augen und versuchte sich aufzusetzen. Es gelang ihm nicht. Bill Eller wollte nun wieder auf die Knie. Ich ließ ihn los, blieb aber bei ihm stehen. Eller atmete stöhnend. Er starrte auf den anderen Mann nieder. »Du bist doch Phil Hondolee, der Revolvermann der Mahouns?« fragte Bill Eller. Der Sterbende – ja, er war ein sterbender Mann – nickte und flüsterte dann: »Und du bist Bill Eller, dessen Schwager ich vor einem Jahr erschießen mußte.« »Richtig«, knirschte Bill Eller. »Und jetzt stirbst du selbst. Ich habe es euch zurückgezahlt – alles! Ihr kassiert keinen Zoll mehr hier oben – nie wieder! Und ihr schießt auch keine Männer mehr tot, nur weil diese zu stolz sind, um zu zahlen an Wegelagerer. Ihr seid alle!« »Sicher, Bill Eller – sicher. Aber du auch, denke ich. Was hat es dir denn eingebracht außer der Rache? He! Den Tod?« Er konnte nicht mehr auf Antwort warten. Denn er starb nun. Ich wollte Bill Eller wieder auf die Beine helfen. Doch er konnte ebenfalls nicht mehr. Ich sah, daß er bewußtlos wurde. Und so legte ich ihn auf den Rücken neben den Toten. Als ich mich aufrichtete, fragte ich mich: Ja, was hatte er davon außer seiner Rache? Lohnte sich ein Sterben für die Rache? War er ein Narr? Ich sah mich nach meinen Brüdern um. Waren auch sie Narren? Wir hatten für hundert Dollar pro Mann gekämpft. Und jeder hätte getötet werden können – jeder. Zum Teufel, was für ein mieser Job war es doch, ein Revolvermann zu sein. *
Die nächste Stunde pflegten wir unsere Wunden. Auch für die geschlagenen Mahouns taten wir, was wir konnten. Doch mit Bill Eller war es fast aus. Das wurde uns klar, nachdem wir ihn ins Haus gebracht und seine Wunde versorgt hatten. Vielleicht würde er nicht mal mehr aufwachen. Er hatte schon eine Menge Blut verloren. Jener Phil Hondolee, mit dem er zuletzt gesprochen hatte und der ihn sterbend verhöhnte, war der erste Tote. Bill Eller und noch ein anderer Mann der Mahoun-Sippe würden ihm folgen. Das war so gut wie sicher. Ben und Jim holten mir dann drei Schrotkugeln heraus. Sie ließen die Wunden noch etwas bluten und gossen reichlich Whisky hinein. Es war starker Whisky, der im Gasthaus der Mahouns reichlich vorhanden war. Die Sonne schien längst, als wir fertig waren. Nun konnten wir warten, unsere Wunden pflegen, ausruhen. Seit einer Stunde wußten wir, daß die Mahouns nicht allein hier oben hausten. Es war auch eine Frau hier auf der Paßhöhe. Sie kam plötzlich von irgendwoher zum Vorschein. Es war eine starkknochige, herbgesichtige Frau mit grauen Haarsträhnen. Sie sah uns trotzig an. Irgendwo hatte sie sich versteckt gehalten. Aber dann hatte sie wohl in ihrem Versteck mitbekommen, daß wir die Überlebenden nicht totschlugen, sondern versorgten. Nun tauchte sie plötzlich auf. Jim sagte: »Tante, kannst du ein Frühstück machen?« »Ihr könnt verrecken«, erwiderte sie. »Wenn ich euch ein Frühstück machte, würde ich Wolfsgift hineintun.« Sie sagte es so böse, daß wir ihr das zutrauten und alle unseren Joe ansahen, der am wenigsten abbekommen hatte.
»Ja, ja, ich mach’ schon«, sagte Joe und ging in die Küche. Die Frau sah uns aus schmalen Augen an. »Darf ich mich um meine Leute kümmern?« »Ja, wenn du uns sagst, wer du bist und in welcher Beziehung du zu den Mahouns stehst«, erwiderte Ben. Er saß auf der Bank vor dem Haus und hatte sein verwundetes Bein auf einem Stuhl liegen. Um seinen Kopf trug er einen Verband. »Ach, ich bin nur Laura Henderson«, sagte sie. »Ich bin mit keinem der Mahouns und auch nicht mit ihren Vettern, den Sacketts, verwandt. Ich bin nur hier, weil sie sonst alle in ihrem Dreck umgekommen wären.« Sie ging ins Haus. Wir sagten nichts. Was sollten wir auch sagen? Sie wäre als Frau dem Alter nach nur für Bac Mahoun passend gewesen. Alle anderen Männer hier oben waren zu jung für sie, selbst wenn sie hübsch und ansehnlich gewesen wäre. Aber das war sie nicht. Art, der fortgewesen war, kam nun zurück. Er war eine Viertelstunde geritten, denn auch er war zweimal von Schrotkugeln verwundet. Er saß ziemlich mühsam ab. Dann sagte er: »Dieser Kerl, den wir aus den Felsen schossen und dessen Schrot wir zuerst bekamen – er ist tot. Ich habe ihn zwischen den Felsen liegenlassen. Bill Ellers Fahrer können ihn mitbringen.« Er kam auf die Veranda und setzte sich zu uns. Wir waren erschöpft. Unsere Wunden schmerzten. Unsere Nerven schienen wund zu sein. Ich betrachtete meine vier Brüder der Reihe nach. Jeder war mit sich beschäftigt. Sie versuchten, sich zu entspannen. Nur so konnten sie das Geschehen verarbeiten und mit sich klarkommen. Verdammt, wie konnte ich Ben, Jim, Art und Joe auf einen anderen Weg führen? Denn das mußte ich tun.
* Es war nicht so, daß wir uns nun behaglich wie nach einem vollbrachten Werk zum üppigen Frühstück niederließen – nein, so abgestumpft waren wir nicht. Daß wir was essen mußten, war primitives Bedürfnis. Wir hatten Hunger, verloren mehr oder weniger viel Blut und mußten neue Säfte und Kräfte bekommen. Einige von uns würden Wundfieber bekommen und dann keinen Appetit mehr haben. Deshalb aßen wir also, stopften in uns hinein, was ging, und tranken eine Menge Kaffee, so, als könnte sich dieser in Blut verwandeln. Nun waren wir noch mitgenommener im Aussehen. Zuvor wirkten wir wie Satteltramps. Nun war unsere Kleidung von unserem Blut besudelt. Verdammt, wir konnten neue Hemden und Hosen gebrauchen. Eigentlich mußte in Bill Ellers Frachtwagen für uns solches Zeug vorhanden sein. Denn schließlich war sein Wagenzug ein fahrender Handels-Store. Als wir mit dem Frühstück fertig waren, hörten wir Hufschlag. Ein Reiter kam auf dem gleichen Weg heraufgeritten, den auch wir gekommen waren. Bald darauf sahen wir ihn. Es war kein Mann – es war jene Linda, Bill Ellers Nichte, die mir so gut gefallen hatte. Ihr Pferd schwitzte, so sehr hatte sie es angetrieben herauf zur Wasserscheide. Sie hatte die Ungewißheit nicht länger ausgehalten. Ich erhob mich, hinkte von der Veranda, um ihr das Pferd zu halten. Doch sie war schnell aus dem Sattel. Ihr brauchte man nicht zu helfen. Dieses Girl konnte reiten und mit dem Pferd
umgehen wie eine Indianerin. Sie band das Tier auch selbst an. Und indes suchten ihre Blicke unablässig nach dem Onkel. Aber sie konnte ihn nicht sehen Bill Eller lag ja bewußtlos im Haus. »Wo ist er?« fragte sie kehlig. Man sah ihr an, daß sie ein Girl war, das auch kämpfen konnte. »Drinnen im Haus«, sagte ich. »Ja, es hat ihn ziemlich schwer erwischt, Miß Linda. Sie müssen sich Sorgen machen.« Nun sah sie mich fest an. Ich erwiderte ihren Blick. Weil sie schon auf der untersten Verandastufe stand, waren unsere Augen etwa in gleicher Höhe. Ich erkannte Sorge und Angst in ihrem Blick. Sie mußte ihren Onkel sehr lieben. Als sie hineinging, folgte ich ihr. Auch Art kam nach, denn auch er war noch einigermaßen gut zu Fuß. Wir hatten Bill Eller drinnen auf ein Ledersofa gelegt, welches von irgendwoher die Reise bis zu diesem Ort heil überstanden hatte und ein wahres Prunkstück der Zivilisation war. Dort lag Bill nun schon eine Weile. Wir hatten ihn auch versorgt, so gut wir konnten. Das Girl sah es mit einem Blick. Sie sah auch, daß sie nichts mehr tun konnte. Ich murmelte: »Vielleicht wacht er noch einmal auf. Aber mehr können Sie nicht erwarten, Miß Linda.« Wieder sah sie mich an, diesmal von unten herauf, denn sie war einen vollen Kopf kleiner als ich. In ihrem Blick war Unglaube. Sie konnte sich noch nicht damit abfinden, daß es mit ihrem Onkel zu Ende war auf dieser Welt. »Warum habt ihr nicht besser aufgepaßt?« fragte sie scharf, und sie wußte sicherlich, wie ungerecht sie war. Aber ihr
Schmerz war so stark, daß sie so ungerecht sein mußte. Ich verstand das sofort. Doch mein Bruder Art murrte: »Miß, er war kein kleines Kind, auf das man aufpassen muß. Er war ein erfahrener Mann, ein Boß – und er wollte mitkämpfen. Er hatte es auf diesen Phil Hondolee abgesehen, der Ihren Vater getötet haben soll. Er hat Phil Hondolee auch geschafft, denn Hondolee ist tot. Doch machen Sie uns keine Vorwürfe. Bill Eller hat diesen Kampf gewollt. Er hat uns dafür angeworben und ist mit uns geritten. Als wir zu kämpfen begannen, mußte jeder auf sich selbst aufpassen.« Er verstummte ärgerlich. Obwohl ihm dieses Girl gewiß nicht weniger gut gefiel als mir, war er wütend geworden. Vielleicht hätte es sogar Streit zwischen ihr und ihm gegeben – aber in diesem Moment stöhnte Bill Eller leise. Wir sahen auf ihn nieder. Da schlug er die Augen auf. Das Girl ließ ihn etwas Wasser trinken, in welches wir etwas Whisky getan hatten. Bill Eller brauchte dennoch eine Weile, bis er klar bei Verstand war und auch die Erinnerung wiederkam. »Onkel Bill – oh, Onkel Bill«, sagte Linda. Mehr konnte sie nicht sagen, denn es schnürte ihr die Kehle zu. Laura Henderson kam aus den anderen Räumen, wo die Mahouns und ihr Vetter Lot Sackett lagen. Sie sah, daß Bill Eller bei Bewußtsein war, und trat näher. »Was hast du denn jetzt davon, Mister?« fragte sie herb. »Du hast über uns alle Unglück gebracht – auch über dich.« Aber wir beachteten diese Frau gar nicht. Sie zog sich auch wieder zurück. Meine anderen Brüder kamen nun herein. Sie hatten uns reden hören und wollten erfahren, was Bill Eller zu sagen hatte. Vielleicht dachten sie auch an das Geld, welches er uns schuldete. Ja, wir hatten fünfhundert Dollar von ihm zu
bekommen. Wir brauchten das Geld. Bill Eller sah uns alle der Reihe nach an – zuletzt mich. Dann sagte er schlicht: »Es ist aus mit mir. Aber es geht wohl alles mal zu Ende.« Nach diesen Worten schloß er die Augen. Er verfiel sichtlich. Wir glaubten schon, daß er wieder bewußtlos war. Doch dann öffnete er noch einmal die Augen. »Linda – dein Vater und ich waren wie Brüder. Deshalb mußte ich seinen Tod rächen. Jetzt bist du allein mit fünf staubigen Wagen, Linda. Das kann nicht gut ausgehen in diesem Land. Du würdest schon im ersten Camp alles verlieren. Deshalb vererbe ich euch alles zu gleichen Teilen. Eine Hälfte des Gewinnes gehört den Swarthouts – die andere Hälfte dir, Linda. Und wenn ihr klug seid, dann baut ihr das Geschäft aus. Wenn ihr wollt, könnt ihr die größte fahrende Handels-Company werden im ganzen Südwesten. – Jungens, wenn ihr Linda helft, ist das auch für euch die große Chance. Aber ihr müßt fair und redlich sein. Habt ihr mich alle verstanden?« Er verbrauchte bei dieser Frage seine letzte Kraft, und es war ohnehin schon als Wunder anzusehen, daß er noch so deutlich und zusammenhängend sprach. Er machte seine Augen zu und atmete langsam aus. Und dann war er tot. Ich nahm eine Decke, die neben dem Sofa auf einem Schemel lag, faltete sie auseinander und deckte ihn damit zu. Linda aber sah uns der Reihe nach an. »Tut mir leid«, murmelte Joe. »Es war Schicksal, daß nun auch er hier oben auf dem Paß sterben mußte«, sagte Art bedauernd. »Er wollte den Kampf – und wir halfen ihm«, knurrte Jim, als wolle er sich entschuldigen. Ben aber sagte: »Miß, er hat uns zwar außer Ihnen zu seinen Erben gemacht und uns die Hälfte seines Handelsgeschäftes
vermacht, doch wir verzichten natürlich. Sie sind die alleinige Erbin. Und Sie sind uns nur insgesamt fünfhundert Dollar schuldig.« * Es wurde früher Nachmittag. Hier oben auf dem Paßsattel war es nicht so heiß wie unten in den Canyons, in die nun die Sonne mit aller Kraft knallte. Linda blieb noch eine Weile drinnen bei ihrem toten Onkel. Die andere Frau kam einmal heraus und ging mit einem Eimer drüben zur Felswand, wo ein Wasserfall in einer Felsspalte verschwand. Sie holte Wasser, betrachtete uns mit einem schiefen Blick und ließ deutlich erkennen, wie sehr sie uns haßte. Obwohl sie es bei den Mahouns und Sacketts bestimmt nicht gut hatte, sondern ihnen nur den Dreck wegräumen und sie versorgen mußte, hielt sie zu ihnen. Später kam Linda heraus. Wir alle sahen sie an. Sie hatte geweint, das konnte man noch sehen. Doch nun war sie beherrscht und hatte sich unter Kontrolle. Sie blieb auf der Veranda stehen und blickte in die Richtung, aus der ihr Wagenzug kommen mußte. Man konnte ihn noch nicht sehen, doch die ersten Geräusche waren zu hören. In einer halben Stunde mußte er hier oben sein und den Tieren gewiß eine mehrstündige Rast gönnen. Wenn der Koch dann schnell in Gang kam, würden wir noch am Nachmittag ein Essen bekommen. Und solange wollten wir gewiß nicht bleiben. Linda trug einen geteilten Reitrock aus Rehleder. Sie wandte sich uns mit einem Ruck zu. »Ich brauche eure Hilfe«, sagte sie und sah mich an, so, als könnte ich ihr besonderer Fürsprecher werden.
Wir staunten sie an. Da stampfte sie sogar mit dem Fuß auf. »Ich bin kein Wagenzugführer«, sagte sie. »Und mit diesen für mich fremden Fuhrleuten und Maultiertreibern kann ich nicht mehr umgehen – oder noch nicht wieder. Ich lebte in den letzten Jahren mit meiner Mutter in Nogales. Dort hatten wir unser Haus. – Als mein Vater getötet wurde, erlitt meine Mutter einen Herzanfall. Sie starb. Dies ist seit vielen Jahren wieder meine erste Fahrt mit einem Frachtwagenzug. Onkel Bill wollte mich gar nicht mitnehmen. Jetzt ist er tot. Ich bestehe darauf, daß ihr sein Erbe annehmt und wir eine Handels-Company gründen. Ja, ich will euch zu Partnern. Er ist mit euch geritten, um mit euch gegen seine Feinde zu kämpfen. Er hat euch bezahlt. Jetzt ist er tot. Und ihr seid ihm Treue schuldig.« Sie sprach die letzten Worte fast barsch. Sie bot uns die Partnerschaft an, uns, die wir Revolverschwinger waren. Damit mußten meine Brüder erst fertig werden. Ich auch. Ben nickte. »Wir werden darüber beraten, Linda.« * Well, wir entschieden uns für Linda – und den Wagenzug. Für meine Brüder war es wohl so etwas wie ein letzter Rettungsanker, eine letzte Möglichkeit, den rauchigen Trail doch noch ohne Kugelloch im Balg zu verlassen. Der Wagenzug war schon abgefahren, als wir SwarthoutBrüder noch zögerten. »Einer von uns sollte doch noch mal nach den Mahouns sehen«, murmelte Ben. Aber weder er noch meine anderen Brüder rührten sich. So verließ ich mein Pferd, neben dem ich schon stand, und
hinkte hinein in das Haus. Laura Henderson stand in der großen Wohnhalle, die zugleich auch Gastraum war. »Ich will sie noch einmal sehen«, sagte ich. Da deutete sie auf eine Tür. »Sie liegen dort drinnen«, sagte sie. »Geh nur, Revolverschwinger, geh nur!« Im ersten Zimmer lag Bac Mahoun. Er war ein Bursche wie Bill Eller, und er war ein Pirat, der sich hier oben seine Burg baute, ein Raubritter. Nun lag er im Bett und stöhnte. Als er mich sah, starrte er mich an. Dann sagte er gepreßt: »Ihr habt es uns mächtig besorgt, mein Junge. Bill Eller hat sich gute Schießer besorgt, prächtige Schießer! Ihr habt uns kleingemacht, wirklich kleingemacht. Aber …« Er mußte nun erst neue Kraft sammeln und Luft holen. Und seine dunklen, harten Augen brannten in seinem hohlwangigen und stoppelbärtigen Falkengesicht. Nach einer Weile sagte er: »Aber ihr hättet uns töten müssen – uns alle! Denn sobald wir wieder reiten können, werden wir euch auf der Fährte reiten. Hast du verstanden, Junge? Ihr werdet bald immerzu über die Schulter sehen müssen. Denn wir knallen euch ab. Wir jagen euch zur Hölle!« Nun konnte er nicht mehr weiter. Er hatte seine Kraft verbraucht. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Denn sein Haß war so stark, daß es sinnlos war, jetzt mit ihm vernünftig reden zu wollen. Ja, dieser Bac Mahoun hatte jetzt schon die Hölle in sich. Ich ging zur Tür und wandte mich dort noch einmal um. Da fand er doch noch die Kraft zu einigen Worten. »Fünf staubige Wagen sind leicht zu finden«, sagte er. »Und wir finden sie.«
Ich ging hinaus. Und ich wußte, daß es für uns wahrhaftig besser gewesen wäre, wenn wir sie alle getötet hätten. Doch das hatten wir nicht tun können. Es wäre Mord gewesen, und Mörder waren wir nicht, zwar Revolverschwinger, die solange kämpften, wie der Gegner kämpfen konnte, doch keine Killer. Ich ging ins nächste Zimmer. Dort lagen – wie ich inzwischen wußte – die Brüder Tage und Gus Mahoun, Bac Mahouns Söhne. Auch sie waren schwer angeschossen. Einer war jedoch wach und starrte mich an. »Du bist doch einer von den Schuften, die Bill Eller sich kaufte?« fragte er heiser. »Gut, daß ich dich noch einmal sehen kann. Ich merke mir dein Gesicht genau. Irgendwann sehen wir uns wieder. Dann geb’ ich dir das heiße Blei zurück, dir und deinen Brüdern. Euch Swarthouts finden wir!« Sein Haß war nicht schwächer als der seines Vaters. Ich ging wortlos, aber ich hatte mir auch sein Gesicht und das seines im Fieber liegenden Bruders genau angesehen. Ich ging nun ins nächste Zimmer. Hier lag einer von Bac Mahouns Neffen, Lot Sackett. Aber er lag im Fieber. Er starrte mich an und wußte nicht, wer ich war. »Wasser«, verlangte er. »Wasser.« Ich sah neben seinem Bett einen Becher. Es war Tee darin. Ich hob mit einer Hand seinen Kopf und ließ ihn einen Schluck trinken – und die ganze Zeit hatte ich Furcht davor, daß er mich erkennen und mir ins Gesicht spucken würde. Doch er erkannte mich nicht. Sein Fieber war stärker. Ich merkte mir auch sein Gesicht. Dann ging ich hinaus. Meine Brüder warteten immer noch. Sie sahen mich schweigend an. »Sie hassen uns«, sagte ich zu ihnen. »Sie werden sich auf
unsere Fährte setzen und eines Tages Revanche haben wollen. Ihr solltet hineingehen und euch ihre Gesichter ansehen. Wir haben in ihnen Todfeinde, die auch ihr wiedererkennen können solltet.« Sie dachten über meine Worte nach. Dann nickten sie und hinkten hinein. Sie alle bewegten sich mühsam. Und gewiß hatten sie mehr oder weniger Schmerzen und Wundfieber. Das Reiten gleich würde ihnen schwerfallen. Aber sie waren keine Narren. Sie gingen hinein. Ich wartete. Linda war schon mit dem Wagenzug weg. Ich war aber nicht allein. Laura Henderson stand auf der Veranda und betrachtete mich hart. Ich erwiderte ihren Blick. Dann saß ich auf und ritt weg. Ich konnte den Blick dieser Frau nicht länger ertragen. Meine Wunden schmerzten. Dennoch ritt ich schnell, um die fünf staubigen Wagen einzuholen. Ich überholte sie dann. Die Fahrer gingen zu Fuß hinter ihren Gespannen in Höhe des Vorderrades. Ihre Gehilfen achteten besonders auf die Bremsen der Anhänger, in denen sich immerhin auch mehr als eine Tonne Ladung befand. Diese Anhänger durften niemals schneller werden als der mehr als doppelt so lange Vorderwagen. Und solch ein Wagen mit Achtergespann und Anhänger war fast vierzig Yards lang von den Nasen der Führungstiere bis hinten zur Bremskurbel. Der Weg war schlecht. Es war ein Wunder, wie die Fahrer auf diesem Weg solche Ungetüme fahren konnten. Ja, es war eine großartige Leistung. Ich kam irgendwie an allen fünf Wagen vorbei und sah Linda vor mir. Sie ritt weit voraus an der Spitze. Sie wandte kurz den Kopf und betrachtete mich prüfend. Ich fragte: »Stört es Sie, Linda, wenn ich neben Ihnen reite?« »Nein«, sagte sie, »solange Sie nicht versuchen, sich an mich
heranzumachen. Denn dazu bin ich nicht in Stimmung. – Und überhaupt hängt mir das schon zum Hals raus. Fast jeder Mann zwischen siebzehn und siebzig versucht mir beizubringen, daß er für mich das Beste sei, was ich jemals bekommen könnte. Ich kenne nun schon alle Tricks. Die meisten Männer sind auch nicht sehr einfallsreich.« »Vielleicht wäre ich es«, sagte ich. »Aber ich glaube Ihnen aufs Wort, Linda, daß Ihnen jeder Mann nachstellt. Und wenn Sie in den Spiegel sehen, dann müßten Sie das doch begreiflich finden?« Sie lächelte und sah mich wieder an. »Ty, Sie sind anders als Ihre Brüder«, stellte sie dann fest. »Das liegt wahrscheinlich daran, daß Sie bei Ihrer Mutter lebten. Ihre Brüder sind so hart, so entschlossen und …« Sie fand nicht mehr die richtigen Worte, aber ich wußte, was sie sagen wollte. Meine Brüder waren Revolvermänner, die schon mehr als einmal getötet hatten und eigentlich vom Schicksal früher oder später zum Untergang verurteilt waren. Konnten sie sich retten? Vermochten fünf staubige Wagen die Wende herbeizuführen? * Wir brauchten noch fünf Tage, um von der San-Andreas-Kette hinüber in die Sacramento Mountains zu gelangen und den Sacramento Canyon zu erreichen, in dem Sacramento City lag, was aber kaum eine Stadt zu nennen war. Sacramento war ein wildes Camp. Wir hatten uns in diesen fünf Tagen und Nächten gut erholt, aber wir Swarthouts besaßen ja schon immer eine gute Heilhaut. Mit unseren Fahrern hatten wir ein gutes Verhältnis. Aber das
war ganz logisch, denn sie fühlten sich von uns beschützt. Sie waren nur für ihre Wagen angeworben und verantwortlich dafür, daß der Wagenzug rollte und die wertvollen Zugtiere gut versorgt wurden. Selbstverständlich konnten sie auch kämpfen, und das hätten sie bei einem Apachenangriff oder bei Banditenüberfällen gewiß auch getan. Dennoch fühlten sie sich sicherer unter dem Schutz von fünf Revolvermännern. Mit Linda kamen meine Brüder gut aus – und zwischen Linda und mir, da war etwas, was man nicht so klar beschreiben konnte. Ich hatte mich mächtig in sie verliebt, dies gestand ich mir schon bald ein. Wir redeten oft miteinander, indes wir Steigbügel an Steigbügel ritten. Manchmal, wenn ich Nachtwache hatte, kam sie zu mir, um mit mir zu reden. Doch ich versuchte nicht, sie zu küssen. Oh, ich hatte begriffen, daß sie zu der Sorte gehörte, die erst den Richtigen an sich heranließ. Irgendwann hatte sie mal eine böse Erfahrung gemacht mit einem Mann. Seitdem war sie ein gebranntes Kind. Das spürte ich deutlich. Irgendwann hatte sie mal einem Mann vertraut, und vielleicht hatte dieser es leicht gehabt. Nun aber fürchtete sie sich vor einem zweiten Irrtum. Und so mußte ich Geduld haben. Die Dämmerung kam schon von Osten herangezogen, als wir die Lichter der Goldgräberstadt aufleuchten sahen. Zuvor schon hatten wir im Canyon rechts und links des Wagenweges viele Camps gesehen, Claims, Minen. Am Creek standen die Waschanlagen. Und Goldwäscher saßen zu Hunderten am Creek. Meile um Meile fuhren wir. Reiter und Wagen kamen uns entgegen oder überholten uns.
Männer kamen von den Claims und von den Minen an den Canyonhängen herüber, um etwas zu kaufen. Doch wir hielten nicht an. Die Fahrer riefen manchmal: »Wir schlagen das HandelsCamp auf wie immer! Wir bleiben eine volle Woche bei Sacramento City! Ihr könnt in Ruhe alles kaufen. Wir laufen nicht weg mit dem Zeug, welches wir mühsam genug herfahren mußten.« Und dann hielten wir einige Steinwürfe entfernt von Sacramento City an. Zwei oder drei unserer Fahrer kannten den Platz, denn sie waren auch im vorigen Jahr mit Bill Eller hier. Wir schlugen diesmal das Camp sorgfältiger auf. Diesmal brauchten wir auch keine Wagenburg zu bilden. In der Nähe der Goldgräberstadt gab es gewiß keine Apachen oder Banditen. Als unsere Feuer und die Laternen brannten, kamen einige Reiter. Einer trug den Blechstern eines Marshals von Sacramento. Er blieb im Sattel. Seine Begleiter verhielten hinter ihm. Er sah sich um, griff vor Linda an den Hut und pfiff offenbar anerkennend durch die Zähne. Er war kaum älter als ich, und sicherlich war er ein Revolverschwinger. Doch das mußte ein Marshal in solch einem wilden Camp ganz gewiß auch sein. Sonst konnte er sich nicht behaupten. Er fragte nach dem Boß und fügte hinzu: »Sind das nicht die fünf Wagen von Bill Eller, der alle drei Monate herkommt?« »Mein Onkel kann nicht mehr kommen«, sagte Linda. »Der ist gestorben. Wenn Sie etwas Geschäftliches wollen, Mister, dann …« »Ich bin Marshal Chip Duane«, sagte er, »und ich bin hier, um die Verkaufssteuer zu kassieren. Der Stadtrat hat das beschlossen. Unsere Geschäftsleute merken natürlich in ihren Kassen, daß ein fahrender Handels-Store gekommen ist. Sie
können deshalb nicht soviel Steuern zahlen wie sonst. Und so muß die Stadt diesen fahrenden Handels-Store um Ausgleich bitten. Es geht nicht, daß ihr hier unseren Geschäftsleuten vor der Stadtgrenze Konkurrenz macht und nicht mal Steuern zahlt. Diese Stadt braucht Steuern. Sie hat eine Menge Ausgaben.« Was er sagte, klang ganz vernünftig. Dagegen ließ sich eigentlich gar nichts sagen. Aber dann fragte Linda: »Nun, was müssen wir zahlen?« Er schwieg drei Sekunden lang. Und plötzlich wußte ich, daß jetzt ein ›Hammer‹ kommen würde. Die Reiter, welche hinter diesem Chip Duane verhielten, wirkten plötzlich lauernd und angespannt. Ich konnte es wittern. Ich stand an der hinteren Ecke eines Wagens. Mein Blick suchte die Brüder. Und auch diese waren gut verteilt. Das war wie zufällig, doch jetzt glaubte ich nicht mehr daran. Meine Brüder waren zu erfahren. Die Frachtfahrer und deren Helfer waren fast alle mit unseren Gespannen zum Creek hinunter. Denn die Tiere brauchten sorgfältigste Betreuung. Und dann hörten wir den Town Marshal lässig sagen: »Nun, die Stadt will euch nicht ausplündern, sondern fair sein. Wir wissen natürlich, daß ihr sehr wertvolle Waren bringt. Aber es läßt sich überall leicht noch etwas draufschlagen. Na, ihr sollt für jeden Wagen tausend Dollar zahlen. So will es der Stadtrat.« Seine Stimme wurde zuletzt sehr hart, metallisch und präzise. Wir aber wußten es nun. Dort in der Stadt ›regierte‹ offenbar eine Banditenbande. Es konnte nicht anders sein, denn schon fünfzig Dollar für jeden Wagen wären viel gewesen. Tausend Dollar – also zusammen fünftausend, dies war
Wegelagerei, nichts anderes. Und so schwiegen wir eine Weile, indes dieser ›Marshal‹ und seine Begleiter auf unsere Reaktion warteten. Sie fühlten sich sehr sicher, ja geradezu großartig und, obwohl nur gut ein halbes Dutzend, nahezu unüberwindlich. Denn hatten sie nicht eine ganze Minen- und Goldgräberstadt im Rücken, ein rauhes Camp, in dem sie herrschten? Daran hatten sie sich gewöhnt. Und so kam ihnen nicht in den Sinn, daß sie hier etwas anderes bekommen könnten als Geld. Ben lachte plötzlich leise. »Fünf staubige Wagen – und fünftausend Dollar Verkaufssteuer …« sagte er. »Ihr macht es wirklich billig mit uns. Und was ist, wenn wir nicht zahlen können oder nicht zahlen wollen – wenn wir einfach wieder abfahren und auf das Geschäft hier verzichten?« Sie saßen nun etwas überrascht in den Sätteln. Seine Frage verblüffte sie. Aber dann sagte ihr Anführer, der ja den Blechstern eines Town Marshals trug: »Dafür ist es zu spät. Ihr müßt jetzt zahlen. Oder wir beschlagnahmen alles hier. Ihr seid hergekommen, um Handel zu treiben, und habt auch hier das Camp aufgeschlagen. Jetzt müßt ihr zahlen.« »Nun, dann zahlen wir!« Ben rief es scharf. Es war ein Kommando. Und als ich sah, daß meine Brüder ihre Revolver zogen, um nicht mit Geld, sondern mit heißem Blei zu zahlen, da zog auch ich. Einer meiner Brüder stieß den wilden Pumaschrei aus. Es war wieder der alte Apachentrick, der auch das frömmste Pferd in einen bockenden Teufel verwandelte. Deshalb waren die Reiter, von denen ja einige ihre Revolver schußbereit hielten, plötzlich im Nachteil.
Auf bockenden Pferden konnte man nicht mehr sicher schießen. Wir gaben es ihnen. Natürlich schossen sie zurück. Und da war es also wieder – jenes Revolverschwingen und Schießen. Revolvermänner im Kampf, das waren wir. Deshalb konnten wir vor dem harten Rudel aus Sacramento City auch nicht kneifen. Aber dann war es vorbei. Es war sofort klar, daß wir gewonnen hatten. Der Pulverrauch verzog sich. Ich sah mich nach meinen Brüdern um. Ben, Jim und Art standen noch. Aber Joe taumelte rückwärts, bis er sich gegen einen der Wagen lehnen konnte. Ich rief: »Joe!« »Macht nur weiter – macht nur weiter«, erwiderte er. »Mir geht es noch ganz gut! Macht nur weiter!« Ich fragte mich, was er wohl meine. Denn der Kampf war doch vorbei. Was meinte er mit Weitermachen? Wir gingen hinüber, bewegten uns plötzlich ohne Absprache. Der Town Marshal war tot. Den hatte jemand von uns mitten ins Herz geschossen. Noch ein zweiter Mann war tot. Aber zwei lagen mit gebrochenen Knien unter ihren Pferden – und einen hatte der durchgehende Gaul am Steigbügel – aus dem er nicht mehr den Fuß herausziehen konnte – in einen Dornbusch geschleift. Zwei weitere Kerle waren ziemlich schwer verwundet. Die hatten Kugellöcher. Unsere Frachtfahrer und deren Helfer – bis auf wenige – kamen nun herbeigelaufen. Sie hatten die Maultiere am Creek unter spärlicher Bewachung zurückgelassen und kamen, uns zu helfen. Doch es war alles schon vorbei – so dachte ich.
Dabei fing es erst an. Dies wurde mir klar, als meine Brüder den stöhnenden Hombre aus dem Stachelbusch zogen, nachdem sie seinen Fuß aus dem Steigbügel befreiten. Sie stellten ihn auf die Füße und hielten ihn. Ben fragte: »Amigo, wer ist der große Boß in diesem MistCamp? Wer hat dort das Kommando? Wer schickt euch, ihr verdammten Banditen?« Der Mann war voller Schmerzen, denn er hatte Dutzende von Dornen im Fleisch. Er war vor Wut und Haß wie von Sinnen. Deshalb überlegte er seine Worte nicht. Er stöhnte knirschend: »Oh, ihr Schufte, dafür werdet ihr teuer bezahlen! Das könnt ihr mit Carlo Duane nicht machen. – Ihr habt seinen Bruder vom Pferd geschossen – und uns … Aaaaaah, jetzt wird Carlo Duane ein starkes Aufgebot schicken. Das macht euch klein. Die hängen euch! Aufhängen werden sie euch! Carlo Duane und die anderen Jungens werden euch schon klarmachen, mit wem ihr euch da eingelassen habt, ihr Schweine!« Er war nicht mehr zurechnungsfähig, deshalb auch seine Beleidigungen. Mein Bruder Ben schlug ihm kräftig links und rechts ins Gesicht. Nun kam der Bursche wieder ›zu sich‹. Sein Verstand holte ihn endlich ein. Ja, jetzt begann er zu denken. »Wo finden wir denn diesen Carlo Duane?« fragte Ben. »Ist das ein Bruder dieses Town Marshals, der in Wirklichkeit auch nur ein Strauchdieb war? Wo finden wir Carlo Duane?« Unser Gefangener sagte nichts außer einem einzigen Wort, nämlich: »Bullenmist!« Mein Bruder Ben schlug unseren Gefangenen nicht mehr. Aber er sagte zu uns: »Werft ihn wieder in den Dornenbusch!« Das schien auch mir sehr grausam.
Doch inzwischen hatte ich ebenfalls zu denken begonnen. Bens Frage nach Carlo Duane, der offenbar in Sacramento City der Boß war, hatte mich dazu angeregt. Und plötzlich begriff ich die Sache. Nun wußte ich genau, was mein Bruder Joe gemeint hatte, obwohl er doch angeschossen war und gewiß andere Sorgen haben mußte. Wir waren in Eile. Wir mußten weitermachen. Denn wir mußten den Leitwolf aus dem Rudel herausschießen. Unser Gefangener hatte uns ja schon gedroht, daß dieser Carlo Duane, der offenbar ein Bruder des Town Marshals war, ein starkes Aufgebot schicken würde. Dieses Aufgebot würde wahrscheinlich der ganze große Rest der Banditenbande sein, die Sacramento City beherrschte. Und darauf konnten wir natürlich nicht warten. Wir mußten diesen Dingen zuvorkommen. Ich staunte, wie meine Brüder das sofort begriffen hatten. Aber das war eine Erfahrungssache. Sie waren nun mal Revolvermänner, die dieses Problem wahrscheinlich schon mehr als einmal vor sich hatten. Sie mußten einem großen Rudel den Leitwolf nehmen. Wir packten den Gefangenen und wollten ihn in den Dornenbusch werfen. Aber er hatte noch vom erstenmal, als ihn das Pferd hineinschleifte, genug. Er wußte, daß es diesmal noch schlimmer würde für ihn. Und so ächzte er: »Nein – nein – hört auf!« »Wo also finden wir den Boß von euch Strauchdieben?« fragte Ben sanft. »In der Paradiesvogel-Halle!« sagte er knirschend. »Die ist sicher groß«, kicherte Art und gab ihm eine Kopfnuß. »Wo ist er in dieser Bird-Hall …« »Sicherlich am runden Pokertisch in der Ecke neben der Treppe nach oben«, knirschte der Bursche, dem die Dornen
sicherlich starke Schmerzen bereiteten. Es war ein Busch, dessen Stacheln eine wie Feuer brennende Substanz absonderten. »Und wie sieht er aus? Sag es uns richtig, Amigo!« Bens Stimme war von gnadenloser Härte. »Beim Poker trägt er einen Kneifer auf der Hakennase.« * Ja, es war ein wildes und böses Camp. Wir hörten und sahen es rechts und links auf den Gehsteigen, wo sich die durstigen Goldgräber, Silbersucher und Minenarbeiter drängten, wo vor den Lokalen die Anreißer standen und durch all den Lärm die Vorzüge ihrer Lokale priesen. Wir sahen Schlägereien, Betrunkene, die nicht mehr laufen konnten, Reiter, Fahrzeuge jeder Sorte. Und aus fast allen Lokalen klang Lärm, tönte Musik. Die Paradisebird Hall fanden wir leicht, denn sie war das größte Tingeltangel in diesem Camp der tausend Sünden. Wir hielten an, stiegen ab und gingen hinein. Unsere Revolver hatten wir unterwegs schon geladen. Wir gingen an der langen Bar entlang, vor der die durstigen Männer zwei oder drei Glieder tief standen. Auf der Bühne tanzten sechs Honeys zur Musik und sangen dazu. Mein Bruder Ben wandte sich zu mir. Ich machte einen schnellen Schritt, um neben ihn zu treten. »Du deckst uns den Rücken, Ty«, sagte er. Ich blieb am Ende des Schanktisches stehen und tat so, als wüßte ich noch nicht, ob ich meinen Drink im Stehen oder an einem der Tische nehmen wollte. Dabei sah ich mich um, scheinbar, um einen freien Platz zu finden.
Doch ich versuchte, herauszufinden, wo die Hauspolizisten standen, die Rauswerfer. Und wenn dieser Carlo Duane hier ein großer Mann war, der die ›Wilde Horde‹ befehligte, dann würde er auch Leibwächter haben. Das alles war mir klar. Jetzt erst warf ich einen Blick zur Ecke unter der Treppe. Ja, dort war ein großer runder Tisch, ein Pokertisch, an dem ein halbes Dutzend Spieler saß. Und einer hatte schütteres Haar, eine Hakennase und trug einen Kneifer. Er sah wie ein magerer Geier aus. Ich hörte nicht, was Ben zu ihm sagte. Doch dann sprangen drei der Mitspieler auf und aus der Schußlinie. Dieser Carlo Duane aber und noch zwei andere Männer, sprangen auf, um die Revolver besser ziehen zu können. Dann krachten auch schon die Schüsse. Meine Brüder hatten den Kampf begonnen, jedoch die Gegner aufspringen und zu den Waffen greifen lassen. Ich konnte nicht länger den Kampf beobachten, denn meine Aufgabe war klar und einfach genug. Ich mußte alles in der Umgebung im Auge behalten. Und das tat ich auch. Mir entging so leicht nichts. Eine Menge Leute warfen sich unter die Tische. Die Girls rannten kreischend von der Bühne. Und ein paar Kerle tauchten von irgendwoher auf, die nach den Colts griffen, dann aber irgendwie erkannten, daß schon alles vorbei war und sie zu spät kamen, um noch eine Chance zu haben. Nur einer wollte eingreifen – nur ein einziger Narr. Der wollte es oben von der Galerie mit einem Gewehr versuchen. Es war ein kurzläufiger Henrykarabiner, und damit konnte man auf kurze Entfernung ganz hübsch was loslassen. Ich traf ihn mit der ersten Kugel. Er kippte über die Brüstung und fiel auf die Tanzfläche. Dann war es nur noch still.
In diese Stille klang meines Bruders Stimme: »Ihr müßt schon entschuldigen, Leute, daß wir die schöne Feier stören. – Aber wir gehören zum fahrenden Handels-Store vor der Stadt. Man wollte uns ausplündern und schickte ein paar Banditen, von denen einer sogar einen Blechstern trug. – Und damit nicht noch mehr Banditen kommen, um uns den Wagenzug abzunehmen, haben wir uns gleich an den Boß gewandt. – Hat jemand noch Fragen?« Es biß uns allen der Pulverrauch in Nasen und Augen. Und man hörte das Stöhnen Verwundeter. Der Mann, der von oben heruntergefallen war, rollte auf den Rücken und streckte alle Glieder von sich. Aber niemand sagte etwas. Und so gingen wir. Ben und Jim hinkten. Art und ich hatten nichts abbekommen. Wir kamen draußen unbehelligt auf die Pferde und ritten wieder aus der Stadt. Aber es hatten sich auch draußen viele Menschen angesammelt. Eine Stimme rief uns von irgendwoher nach: »Diese Stadt wird euch noch ein Denkmal setzen, Jungens! Ihr habt es diesen Pfeifen hier gezeigt, wie einfach es ist, sich gegen ein Rudel zu behaupten. Ihr habt es allen Pfeifen gezeigt, die sich die Taschen leeren ließen!« Als der Rufer verstummte, klangen noch weitere zustimmende Rufe. Denn es waren hinter uns genügend Augen- und Ohrenzeugen aus der Paradisebird Hall gekommen, die schon sagen konnten, was geschehen war. Wir schwiegen und ritten aus der Stadt. Erst draußen in der Nacht hielten wir an. Wir hatten noch eine Viertelstunde bis zum Wagencamp. Dennoch luden wir erst die Waffen nach. Ich brauchte nur eine einzige Patrone nachzuladen – doch ich hatte mit meinem einzigen abgefeuerten Schuß einen Mann getötet. In meinem Magen war ein flaues Gefühl.
* Als wir ins Camp kamen, war von Joe nichts zu sehen. Doch das Zelt war schon aufgestellt für Linda. Die Laterne brannte darinnen. Wir begriffen sofort, daß man Joe in Lindas Zelt geschafft hatte. Als wir absaßen, kam Linda heraus. Unsere Frachtfahrer und deren Helfer standen im Camp verteilt. Sie schwiegen und warteten. Die Stille kam uns sofort unheimlich vor. Dann hörten wir Linda sagen: »Er ist tot – Joe ist tot.« Ihre Stimme zitterte vor Bitterkeit. Und wir, die wir inzwischen abgesessen waren, standen still da. Ich hörte meinen Bruder Art sagen: »Jetzt ist es also passiert. – Das Glück dauert nicht ewig, und es gibt für uns alle ein Schicksal, dem wir nicht entkommen können – auch nicht mit Hilfe von fünf staubigen Wagen.« Er sprach die letzten Worte verächtlich, bitter, so, als wären diese fünf Frachtwagen unseres fahrenden Handels-Store der letzte Dreck dieser Erde. Ich verstand ihn, und gewiß verstanden ihn auch Ben, Jim und Art. Wir hatten uns von der Teilhaberschaft an diesem fahrenden Store viel erhofft. Meine Brüder wollten weg von ihrem bisherigen Leben. Aber auch hier bei dieser Stadt mußten sie letztlich wie Revolvermänner handeln. Es gab keine andere Möglichkeit. Und dies hatte der sterbende Bill Eller wahrscheinlich ziemlich genau vorausgesehen. Sonst hätte er uns nicht zu Partnern seiner Nichte gemacht. Er wollte Linda eine Leibwache verschaffen, fünf Beschützer. Und nun war Joe tot.
Verdammt noch mal, in mir stieg der Zorn hoch. Aber was konnte Linda dafür? Ich folgte meinen Brüdern in das Armeezelt. Joe lag auf einem Offiziers-Feldbett. Im Zelt war es eng. Wir spürten unseren Atem, rochen unseren Schweiß. Eine Weile sahen wir auf Joe nieder. Er wirkte recht friedlich. Man konnte denken, daß er nur schlief und gleich seine Augen öffnen würde. Plötzlich sagte Ben: »Ja, es ist alles Schicksal.« Dann ging er hinaus. Seine Stimme war leise und heiser, so, als drücke ihm eine unsichtbare Hand die Kehle zu. »Er ist der erste von uns«, sagte Jim. »Joe, vielleicht hast du es im Jenseits besser als wir. – So schön ist diese verdammte Erde gar nicht.« Nun ging auch er. Art und ich verharrten noch. Dann sah Art mich an. »Vielleicht schaffen wir es doch mit Hilfe dieser fünf staubigen Wagen«, murmelte er. »Aber wir müssen noch einmal alles überdenken. – Auf jeden Fall würde sich Joe im Jenseits darüber freuen, wenn wir es schafften.« Er ging Ben und Jim nach. Ich zögerte noch. Ich stand am Fußende von Joes Lager und sah auf ihn nieder. Nur wenige Tage war ich nach langer Trennung mit ihm zusammengewesen. Linda trat neben mich. »Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Ihr habt euren Bruder verloren, weil mein Onkel mir Schutz geben wollte und euch deshalb das Angebot machte. – Von mir aus soll dieser Wagenzug zum Teufel gehen.« »Nein«, sagte ich. »Es ist alles Schicksal. Meine Brüder sagten es schon, und ich glaube ebenfalls daran. Männer müssen ihren Weg gehen. Frauen auch. Und wir gehen diesen
Weg gemeinsam. – Für uns Swarthouts sind diese fünf Wagen eine große Chance. – Joe würde auf uns niederspucken, gäben wir jetzt auf!« Sie sah mich aus großen Augen an. Nun schob sie ihre Hände in die meinen. »Ich möchte euch ja so gern helfen – wie eine Schwester«, sagte sie. * Noch in dieser Nacht kam eine Abordnung von Handwerkern und Geschäftsleuten zu uns ins Camp. Sie kamen, um sich zu bedanken. Denn es war wirklich so gewesen, daß die Duane-Brüder mit einer Bande von Revolverschwingern diese Stadt beherrschten. Sie hatten auch alle Spieler, Rauswerfer und Barmänner zu einer Gilde vereint, die sie befehligten. Und der Boß in Sacramento City war Carlo Duane. Wer ihm in den Weg geriet, dem stieß bald etwas zu. Bald hatten die Bürger der Stadt, die Handwerker und Geschäftsleute keine Anführer mehr. Niemand von ihnen hatte noch den Mut zum Widerstand. Wer aufmuckte, dem stieß etwas zu. Dem wurde der Laden zerschlagen – oder scheinbar Betrunkene bedrohten ihn und seine Familie. Man zerschoß ihm in der Nacht die Fensterscheiben oder legte gar einen Brand an sein Haus. Es gab für eine wilde Horde, die diese Stadt beherrschen wollte, viele Möglichkeiten. Denn eine Hammelherde ist immer verloren, wenn die Wölfe ihr die Leithammel nehmen. Dann hofft jeder Hammel, daß ihn das Unglück nicht treffen wird, und verhält sich passiv. Dies alles wurde uns klar, nachdem wir die Bürger von Sacramento hörten. Doch was sie uns sagten, dies konnte unsere Bitterkeit nicht
lindern. Denn Joe war tot. * Am nächsten Tag begruben wir Joe auf dem Friedhof von Sacramento City. Dann ritten meine Brüder in die Stadt, um – wie sie sagten – sich zu besaufen. Ich wußte, daß ich sie nicht zurückhalten konnte. Sie waren in den letzten Jahren irgendwie anders geworden als ich. Denn ich konnte mich nicht besaufen. Ich mußte klaren Kopf behalten und nachdenken. Und überdies wollte ich bei Linda bleiben. Denn wir hatten ja auch alle Hände voll zu tun. Schließlich waren wir hergekommen, unsere Waren zu verkaufen. Jeder unserer Wagen war nun ein kleiner Store. In einem gab es Eisenwaren, angefangen von der Mausefalle bis zum Schraubstock und natürlich alle nur denkbaren Werkzeuge. In einem anderen Wagen waren Haushalts- und Kochgeräte. Dann hatten wir Stoffe, Kleidung, Wäsche, Schuhe und Stiefel, ja sogar moderne Frauenkleider, die uns die Girls aus den Tingeltangels abkauften. Wir verkauften Rosinen, Dörrobst, Whisky, Tabakwaren, Kartenspiele, Nähnadeln, Hufeisen und Nägel jeder Größe. Und natürlich hatten wir auch Waffen und Munition anzubieten. Unsere Frachtfahrer und deren Helfer fungierten jetzt als Storegehilfen. Linda und ich aber mußten überall sein. Ich kam zwischen Mittag und Abend gar nicht mehr zum Nachdenken. Erst in der Nacht beendeten wir unseren Verkauf. Ich saß zum Abendessen bei Linda unter dem Vorzelt. Sie lächelte mich an. »Ty, ich danke dir, daß du bei mir geblieben bist«, sagte sie.
»Warum tatest du das?« Es war eine schlichte Frage. Dabei sah sie mich fest an. Und ich begriff, daß sie eine ehrliche Antwort haben wollte. »Nun«, sagte ich, »es ist wohl so, daß ich mehr als meine rechte Hand für dich geben würde, Linda.« Sie senkte ihren Blick, starrte auf den Teller und aß nur noch mechanisch. Ich sah im Laternenschein, daß ihre Wangen dunkler zu werden schienen unter ihrer ohnehin gebräunten Haut. Erst nach einer Weile hob sie ihren Blick. »War das eine Liebeserklärung, Ty?« Ich nickte. »Ja, das war es wohl«, erwiderte ich. »Ich kann es leider nicht so vollendet sagen, wie man es manchmal in Büchern lesen kann.« Sie nickte. »Ich hab’ schon mal einem Mann vertraut«, sagte sie dann. »Ich mochte dich vom ersten Augenblick an, Ty – das war damals, als ihr in unser Camp kamt und Ben zu meinem Onkel sagte, daß du nun zu ihnen gestoßen seist, weil eure Mom tot sei. Ja, da mochte ich dich schon. – Doch ich kämpfte dagegen an. Ich wollte keinem Mann mehr vertrauen und …« Sie sprach nicht weiter – und plötzlich erkannte ich ihre Hilflosigkeit. »Wir haben Zeit«, sagte ich. »Eines Tages wirst du wissen, daß du mir vertrauen und auf mich bauen kannst. Auf diesen Tag werde ich warten. – Es lohnt sich für mich.« Sie sah mich seltsam an. »Aber vielleicht will ich nicht solange warten«, sagte sie. »Vielleicht halte ich das nicht aus und wage es noch einmal, so wie eine Schwimmerin, die sich in einen Fluß stürzt, der sie mit seiner Strömung weit abwärts tragen wird. Denn das Leben ist wie ein Fluß. Manchmal schwimmt man nicht gut genug – oder man treibt auf Stromschnellen zu. – Ich habe Angst vor
einer Enttäuschung. – Aber ich weiß, daß ich nicht lange warten kann.« »Dann vertrau mir«, sagte ich. »Und wenn du willst, dann erzähl mir was von dem Mann, der dich enttäuschte.« Sie lächelte nun nicht mehr. Ihr Blick war nach innen gekehrt. Und ich wußte, sie sah jetzt Bilder der Erinnerung. »Er kam nach El Paso«, sagte sie. »Dort wohnte ich mit meiner Mutter, während mein Vater mit Bill Eller diesen Wagenzug-Store zu allen abgelegenen Camps führte und manchmal Monate fort blieb. – Ich wollte hinaus in die Welt. Ich wollte die großen Städte sehen. Ich war mündig und nicht arm. Denn ich hatte von der Schwester meiner Mutter mehr als zehntausend Dollar geerbt.« Sie machte eine kleine Pause. Und plötzlich stocherte sie nicht mehr im Teller herum, sondern aß wieder mit gutem Appetit. Dies war irgendwie typisch für sie. Sie aß wieder mit Appetit. Also hatte sie innerlich etwas überwunden und war wieder bereit. Sie schloß plötzlich mit den Worten: »Er war ein Spieler, der gut aussah und glänzende Manieren hatte. Er war aus gutem Haus und hatte eine vorzügliche Bildung. Vielleicht waren seine Eltern wahrhaftig drüben in Europa ein Grafenpaar auf einer Burg, wie er mir einmal sagte. – Aber er war ein Spieler. Als das Geld alle war, verließ er mich. Das war in New Orleans. Er ließ mich im Hotel allein, und er hatte nicht mal die Rechnung bezahlt. Die mußte ich abarbeiten. – Ich war schließlich froh, daß er immer wieder eine Ausrede gefunden hatte, mich nicht zu heiraten.« Sie machte wieder eine Pause. »Nun weißt du alles, Ty.« »Ich würde dich nie verlassen«, sagte ich. Sie sagte nichts. Aber später dann, nach dem Essen, da nahm sie meinen Arm. Wir wanderten im Mond- und Sternenschein zum Creek
hinunter. Unsere beiden Campwächter befanden sich im Moment drüben im großen Seilkorral bei unseren Maultieren und Reitpferden. Ich dachte einen Moment an meine drei Brüder, die sich gewiß in Sacramento City schon schlimm betrunken hatten. Hoffentlich machten sie keinen Ärger. Aber dann vergaß ich sie, denn Linda ging an meinem Arm. Unsere Körper berührten sich manchmal. Drüben von der wilden Stadt her kam ständig ein summendes Brausen, welches zusammengesetzt war aus tausend Geräuschen. Ja, dort drüben war eine wilde Stadt. Aber hier am Creek war Ruhe und Frieden. Ich nahm Linda in meine Arme. Sie legte ihre Hände um meinen Nacken, preßte sich an mich. Und dann küßten wir uns, daß uns der Atem knapp wurde. * Es war schon Mitternacht, als ich Linda zum Zelt zurückbrachte. Wir küßten uns. Aber bevor sie sich abwandte, sagte sie: »Deine Brüder … Sie haben kein Mädchen gefunden wie du. – Was macht ihr Leben lebenswert? Solltest du vielleicht nach ihnen sehen?« Ich nickte nur stumm. Da verschwand sie. Ich ging zu dem Wagen, unter dem meine Deckenrolle lag. Aber ich dachte jetzt stark an meine Brüder. Sie waren überfällig. Ob sie wieder eine Feier machten wie damals in Maggi Persons Etablissement, eine Feier, die drei Tage und drei Nächte dauerte?
Ich dachte an Lindas Worte. Ja, was machte meinen drei Brüdern das Leben noch lebenswert? Ich ging zu unseren Seilkorrals hinüber. Der Wächter kam zu mir. »Ich reite noch mal nach Sacramento«, sagte ich und nahm meinen Sattel. »Sicher«, sagte der Mann, »ich würde auch mal nach meinen Brüdern sehen.« Ich kam knapp eine Stunde nach Mitternacht in die Stadt, und als ich noch überlegte im Sattel meines Pferdes, wo ich meine drei Brüder suchen sollte, kam ein Mann vom Gehsteig herunter und trat zu mir an das Pferd. »He, Sie sind doch einer von den Swarthout-Brüdern, die den Wagenzug herbrachten und hier aufräumten?« Ich nickte. »Wenn Sie Ihre Brüder suchen«, sagte der Mann, »dann müssen Sie zum Oriental. Dort sind sie. – Ich glaube, die haben genug Feuerwasser. – Sind die schlimm mit zuviel Feuerwasser?« Ich beantwortete seine Frage nicht. Denn ich wußte ja selbst nicht, ob sie schlimm waren im Vollrausch. Nun, ich fand Ben, Jim und Art an einem Tisch im Oriental, von dem aus sie die Bauchtänzerin genau betrachten konnten. Sie hatte dort, wo sonst der Nabel war, einen funkelnden Stein, der aber wahrscheinlich nur Glas war. Und diesen funkelnden Stein ließ sie nun gewissermaßen kreisen. Ich sah zum ersten Male einen Bauchtanz zu den Klängen einer orientalischen Musik – aber ich war überzeugt, daß die Tänzerin wirklich Klasse war. Meine Brüder waren das auch, und sie waren so schlimm betrunken, daß sie fast von den Stühlen fielen. Dennoch staunten sie mit offenen Augen und offenen Mündern.
Art bewegte sogar seinen Kopf im gleichen Rhythmus, wie die Tänzerin ihren Bauch kreisen ließ. »Mann, o Mann, wie macht die das?« fragte Jim, indes ich schon bei ihnen am Tisch stand. Und weil die Tänzerin nun in ihre Reichweite kam, beugte Ben sich vor und versuchte, mit einem Zeigefinger den bunten Glasstein aus dem Nabel zu grapschen. Aber die Tänzerin schlug ihm auf die Hand und wandte ihm ihr wackelndes Hinterteil zu. Da lachten nicht nur meine Brüder. Und dabei hatten wir vor etwa vierzehn oder fünfzehn Stunden unseren Bruder Joe begraben. Doch meine Brüder waren lustig. Offenbar war es ihnen doch mit Hilfe des Feuerwassers geglückt, für eine Weile Vergessen zu finden. Ich setzte mich zu ihnen. Sie starrten mich zuerst an wie einen Fremden. »Aaaah, da ist ja unser Kleiner«, sagte Art und beugte sich vor. »Na, dann schlag mir doch eins in die Fresse, weil ich Kleiner gesagt habe«, forderte er. Ben und Jim lachten. Ich erkannte jetzt erst, daß sie zwar betrunken, doch in ihnen die Hölle war. Nein, sie waren ganz und gar nicht vergnügt, und ihr Lachen war nicht lustig. Sie waren immer noch nicht betrunken genug. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, dir hau ich nicht in die Fresse, Art, wenn du Kleiner zu mir sagst. – Nein! Von mir aus kannst du mich Kleiner nennen, so oft du magst. – Wenn es dir Spaß macht … He, ich bin hergekommen, um euch zu holen. Kommt, reiten wir heim!« Sie starrten mich an. Dann sagte Jim: »Habt ihr gehört, was er sagte, der Kleine? – Wir sollen mit ihm heimreiten. – Wo ist denn unser Heim? – He, Kleiner, wo sind wir denn zu Hause? Sind das diese fünf
staubigen Wagen?« »Ja«, sagte ich. »Die fünf staubigen Wagen sind unsere Heimat. – Sie sind die Aufgabe, die wir uns gestellt haben. – Jawohl! Kommt heim!« Sie saßen plötzlich nachdenklich da. Man konnte ihnen ansehen, wie sie sich mit ihren benebelten Hirnen mühten, nachzudenken und Klarheit zu bekommen. Und irgendwie schafften sie es auch, nüchterner zu werden. Ihre Energie verdrängte eine Menge der Trunkenheit. Sie sahen mich plötzlich anders an. Und nun wirkten sie nicht einfach nur verbittert, sondern fast bösartig. Ben schob seine Unterlippe vor. »Wir könnten diese Stadt übernehmen«, sagte er. »Wir könnten die Duane-Bruder ablösen. Ihre Handlanger würden auch für uns arbeiten. So ist das doch immer im Rudel der wilden Horde. Die Leitwölfe wechseln. Und das Rudel folgt, solange die Jagd gut ist. – Ja, wir könnten diese Stadt übernehmen.« Ich erschrak. Jetzt wußte ich, über was sie die ganze Zeit nachgedacht hatten, indes sie sich betranken. Sie wollten diese Stadt übernehmen und waren vielleicht der Meinung, daß sich Joes Tod dann gelohnt hätte. Aber ich schüttelte heftig den Kopf. »Darüber müssen wir noch reden«, sagte ich. »Aber zuerst will ich noch mit euch trinken. Ich habe noch keinen Tropfen getrunken seit der Beerdigung. – Jetzt will ich mich mit euch besaufen und vergessen.« »Besaufen kannst du dich mit uns«, sagte Ben. »Wenn wir wollen, gehören uns auch diese Bauchtänzerinnen aus dem Orient. – Denn dann machen wir hier den Laden zu und schmeißen alle raus. – Das alles können wir machen. Doch vergessen würden wir dann immer noch nicht, daß unser Joe tot ist. – Nein, vergessen können wir erst, wenn wir so blau
sind, daß wir wie tot umfallen. – Also los, besaufen wir uns weiter. Irgendwann muß es wohl klappen.« Eines der Animiermädchen, die allesamt in durchsichtige Gewänder gehüllt waren wie die Haremsdamen in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht, brachte eine neue Flasche und schenkte ein. Als wir tranken, wußte ich, daß ich nicht viel trinken mußte, um meine drei Brüder unter den Tisch zu bringen. Und letzteres war nötig. Anders würde ich sie hier nicht herausbekommen. * Als ich den Creek erreichte, hielt ich an. Ben war der einzige meiner Brüder, der noch im Sattel saß. Art und Jim hatte ich quer über ihre Pferde legen müssen. So hatte ich sie aus der Stadt gebracht. Und nun warf ich sie in den Creek. Der war nicht tief. Sie konnten nicht ertrinken, wenn ich nur darauf achtete, daß sie nicht auf den Bäuchen lagen. Der Creek war kalt, denn er kam von irgendwoher aus den Bergen tief aus der Erde. Meine Brüder wollten wieder herauskriechen, und sie stießen seltsame Laute aus, ja, sie quiekten sogar wie kleine Schweinchen, so sehr betrunken waren sie. Erst allmählich wurden sie nüchtern. Sie begannen zu frieren. Ben sagte nach einer Weile mit heiserer Stimme, die schon fast völlig nüchtern klang: »Jetzt ist es genug, Bruderherz! – Jetzt ist es verdammt genug, Tyrone!« Da ließ ich sie endlich aus dem Creek kriechen. Sie taten es und hockten dann am Ufer. Sie alle mußten sich mehrmals übergeben, denn sie schluckten eine Menge Wasser während der Badekur.
Da hockten sie nun, husteten, schnauften, stöhnten und begannen mich dann immer mehr zu verfluchen. »Wir sollten ihm das zurückzahlen – mit Zinsen«, knurrte Art böse. »Wo kommen wir denn hin, wenn unser Kleiner mit uns ungestraft solche Dinge machen darf? He, dem geben wir’s!« Er erhob sich, trat breitbeinig auf mich zu und versuchte es dann mit einem weit hergeholten Schwinger, den ich leicht abducken konnte, so daß Art sich im Kreise drehte und umfiel, getragen vom eigenen Schwung. Er setzte sich auf und knurrte: »Es geht wohl noch nicht.« Wir verharrten und schwiegen. Unser Wagencamp war nicht weit, vielleicht vier oder fünf Steinwürfe entfernt. Man mußte dort eine Menge von unseren Lauten und Geräuschen gehört haben. Aber das war mir gleich. Ich hatte mir die tiefste Stelle des flachen Creeks aussuchen müssen. Aber dann kam jemand herüber vom Camp. Es war Linda. Sie brachte eine volle Kaffeekanne und Becher. Kein einziges Wort sagte sie, als sie mir alles übergab. Und dann ging sie wieder. Sie war prächtig und hatte genau begriffen, was zu tun war. Ich brachte meinen Brüdern den starken Kaffee. Er war so stark, daß wahrscheinlich sogar eine Bleikugel nicht auf den Boden der Kanne gefallen wäre. Die Brüder schlürften ihn dankbar vom heißen Becherrand. Starker und heißer Kaffee war genau das, was sie brauchten. Wir schwiegen lange, und ich goß noch einmal nach. Schließlich sagte Ben: »Na schön, du hast uns dort rausgeholt, bevor wir zu betrunkenen Wilden wurden. – Du hast uns auch wieder nüchtern bekommen. Und was nun? – Zu was sollte das gut sein?« Art und Jim knurrten zustimmend zu seinen Worten. Ich nahm mir Zeit mit der Antwort.
Doch dann sagte ich: »Joe ist für den freien Handel mit unseren fünf staubigen Wagen gestorben. – Er hat dafür gekämpft. Und jetzt dürfen wir ihn nicht enttäuschen.« Ich machte eine Pause. Dann gab ich meiner Stimme die ganze Eindringlichkeit, zu der ich überhaupt fähig war. Und ich sagte: »Ihr wart zum Untergang verurteilt. Revolverschwinger sind alle zum Untergang verurteilt. Es kommt keiner davon. – Auch ich wäre nicht davongekommen, weil ich bei euch geblieben wäre. Denn ich gehörte ja nun wieder zu euch.« Wieder machte ich eine Pause. Aber dann sagte ich hart und knapp: »Vielleicht sind wir das mit diesen fünf staubigen Wagen auch. – Und dennoch ist es die große Chance. Wir tun redliche Dinge und vollbringen eine echte Pionierleistung. Wir versorgen abgelegene Teile des Landes mit Waren. Es ist gut, Saatgut und Pflüge zu Siedlern zu bringen, Fallen zu den Trappern – und Medizin zu Kranken. – Tausend Dinge bringen wir in die Wildnis hinaus, in der es keine Läden gibt. – Und wenn wir uns eigene Fracht- und Postlinien schaffen, wenn wir Verträge machen mit Städten und Siedlungen …« Ich sprach nicht weiter, denn es schien mir plötzlich sinnlos zu sein, noch weiter mit Worten auf meine Brüder einzuwirken. Sie mußten ja selbst genug Vorstellungskraft besitzen. Sie mußten auch fühlen, wie ich es meinte. Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte Ben langsam: »Der Kleine will, daß wir etwas aufbauen – und nicht immer nur zerstören oder vernichten. Habt ihr das auch so begriffen wie ich?« Art und Jim nickten. »Der ist ja auch die ganze Zeit bei Mom gewesen«, murmelte Jim. »Der muß ja noch anders denken können als wir.« Sie erhoben sich.
Und sie sagten nichts mehr. Doch ich wußte, daß ich sie wieder auf den Weg gebracht hatte, den wir ja schon gemeinsam ein Stück geritten waren. Es war der Weg jener fünf staubigen Wagen, die uns zum Schicksal werden sollten. * Wir blieben noch drei Tage und drei Nächte bei der Gold- und Silberstadt Sacramento City. Wir verkauften alles, was wir in den Wagen hatten, bis zum letzten Hufnagel, der letzten Nähnadel, der letzten Patrone und allerletzten Rosine. Als Linda Kasse machte, waren wir bei ihr im Zelt. Sie sagte: »Da alle Waren, die wir im Wagenzug hatten, bar bezahlt waren, sind wir schuldenfrei. – Aber wenn wir unseren Wagenzug wieder neu mit all den Dingen beladen wollen, brauchen wir eine Menge Geld von diesem hier.« Sie deutete auf die Eisenkiste und die beiden großen Ledersäcke. »Es sind 47.357 Dollar«, sagte sie. »Selbst wenn wir wieder sehr teure und wertvolle Ware einkaufen, haben wir einen Reingewinn von etwa zehntausend Dollar.« »Und warum ist dann dein Vater nicht reich geworden?« fragte Jim etwas kritisch, nachdem wir lange gestaunt hatten. Sie lächelte. »Wir haben ein schönes Haus in El Paso«, sagte sie. »Auch Land und etwas Vermögen auf der Bank. – Doch reich wurden wir nicht, weil mein Vater und Onkel Bill dreimal in all den Jahren ihren Wagenzug verloren – zweimal durch Indianer und einmal durch sogenannte Guerillas der Union. – Sie mußten also immer wieder von vorn anfangen. – Es ist leicht, in einer großen Stadt unter dem Schutz des Gesetzes einen GeneralStore zu führen. – Doch es ist schwer, mit einem fahrenden Store ins weite Land zu fahren. – Ich könnte das allein nicht
schaffen. – Wollen wir weiter gemeinsam dieses Geschäft betreiben?« Wir nickten nur. Am nächsten Tag fuhren wir los. Unsere Gespanne hatten jetzt nur leere Wagen zu ziehen. Und unsere Fahrer hatten schon den größten Teil ihres Lohnes und eine gute Prämie erhalten. Alle waren zufrieden. Nur auf unser Geld mußten wir aufpassen. Denn jeder einigermaßen eingeweihte Bursche konnte sich ausrechnen, daß wir unsere Waren nicht verschenkt hatten. Also mußten wir den ganzen Erlös für unsere Waren bei uns haben. Das war für so manche Banditenbande eine unvorstellbar große Summe. Wir mußten also vorsichtig sein. * Unser Ziel war Santa Fe. Denn wie uns Linda sagte, war das Lager in El Paso leer. Wir konnten unseren fahrenden Store also nicht in El Paso neu ausrüsten. Dies hätten wir nur für billige Dinge gekonnt, die aus Mexiko kamen. Wir aber wollten Waren, die mehr Gewinn einbrachten. Und da war es nun mal so, daß eine Wolfsfalle mehr einbrachte als ein Sack Maismehl. Und eine kleine Handpumpe und ein paar Rohre für die Küche einer Ranch oder Farm, die brachten mehr Gewinn als ein Stapel Ponchos oder Decken. Wir wollten also Werkzeuge, Waffen, Uhren, Knöpfe, Schmuck, Nägel, Stoffe in Ballen, Schnaps, Tabak, Geschirr, Spielkarten, Musikinstrumente, Brillen, Ferngläser, Gürtelschnallen, Schuhe, Sättel, Geschirre, Ketten – aah, ich könnte noch tausend Dinge aufzählen, die wir in Santa Fe bekommen konnten. Denn nach Santa Fe kamen die ganz großen Wagenzüge von Kansas, wo es ja schon eine Eisenbahn gab. Diese Wagenzüge waren oft hundert bis zweihundert Wagen stark, und sie führten
gegen die Indianer sogar Feldgeschütze mit, ja selbst Wagenzüge von mehr als dreihundert Wagen waren keine Seltenheit. Die Kiowas machten es diesen Wagenzügen schwer, und so manchen schnappten sie. Das alles wußten meine Brüder, denn sie waren weit genug herumgekommen. Und so waren wir mit unserem leeren Wagenzug und dem vielen Geld nach Santa Fe unterwegs, um einzukaufen. Und Santa Fe wurde zu einem wichtigen Neubeginn. Denn in Santa Fe lernten wir Abe Brownmaker kennen. * Er kam mit zwei Begleitern und sah uns eine Weile zu, wie wir beim Lagerhaus der Kansas-Santa-Fe-Transport-Company allerlei Dinge kauften und aufluden. Offenbar besprach er sich dann mit seinen Begleitern. Und als wir im Schatten des Lagerhauses eine Pause machten und die selbstgedrehten Zigaretten anrauchten, da kamen sie zu uns. Er sah aus wie ein Prediger und hatte einen weißen Backenund Kinnbart, wie ihn die Pilgrims bevorzugten. Er war schon fast ein alter Mann. Doch seine hellen Augen waren wach, klug und wirkten jung. »Darf ich fragen, wohin ihr das alles bringt?« Wir grinsten. Dann sagte Ben: »Dorthin, wo es am meisten gebraucht wird und wo wir die besten Preise dafür nehmen können. Da ist uns kein Weg zu mühsam.« Er sprach den letzten Satz irgendwie stolz. Und wir nickten, denn auch wir spürten diesen Stolz. Das saß uns nun schon tief im Kern. Wir waren kein HandelsWagenzug, der auf guten Wegen fuhr. Dort hatten sich längst
schon die großen Frachtlinien etabliert. Nein, wir waren zu vergleichen mit einem Handelsschiff, welches verlassene Inseln und verborgene Häfen ansteuerte und dabei oft genug zwischen gefährlichen Riffen hindurchmanövrieren mußte. Ja, wir waren stolz darauf. »Ich bin Abe Brownmaker«, sagte der Mann mit dem weißen Pilgrimbart und stellte uns die beiden anderen Männer vor, die wie Farmer wirkten. Doch sie waren gewiß keine armen Farmer. Denn ihre derbe Kleidung war von bestem Stoff. Sie hatten goldene Uhrketten über den Bäuchen. Sie wirkten hart, genügsam, redlich, und man sah ihnen an, daß sie mit harter Arbeit wohlhabend geworden waren. Ben stellte uns vor. Linda kam mit einer Liste aus dem Lagerhaus. »Wollen wir auch ein Klavier mitnehmen?« Dann erst sah sie die Fremden. »Das ist unsere Teilhaberin«, sagte Ben. »Linda Gillespie. Ihr Onkel …« »Von Bill Eller und dessen Partner Gillespie hörten wir schon«, unterbrach Abe Brownmaker. »Dieses Unternehmen hat einen guten Ruf, und deshalb kamen wir her zu Ihnen, nachdem wir Sie schon seit gestern beobachteten. Wir haben Ihnen einen Vorschlag zu machen, einen geschäftlichen Vorschlag.« Wir sahen uns an. Dann sagte Ben: »Wir hören, Mister.« Der deutete nach Westen. »Zweihundertsiebenundfünfzig Meilen von hier liegt Brownsville«, sagte er. »Das ist eine hübsche Stadt. Ich führte vor dem Krieg einen Wagenzug dorthin. Und es kamen noch viele Verwandte und Freunde der Erstsiedler nach. Nun gibt es rings um Brownsville noch einige größere Siedlungen. Das ganze Umland ist voller Farmen und Ranches. Mehr als tausend Menschen leben bereits in diesem Gebiet. In wenigen
Jahren sind es wahrscheinlich zwanzigtausend.« »Wie schön«, sagte Ben. »Wollen Sie Frachten gefahren haben? Dann muß ich Sie enttäuschen. Wir sind keine Frachtfahrer, sondern betreiben einen fahrenden Handelsstore. Wir sind Kaufleute und Frachtfahrer zugleich.« Er nickte. »Wir möchten eine Fracht- und Postlinie von Santa Fe nach Brownsville«, sagte er. »Sie könnten bei uns in Brownsville einen Wagenhof, ein Lagerhaus, eine Posthalterei und einen Store errichten und betreiben. Und Ihre Wagen brauchten niemals leer nach Santa Fe zurückzufahren. Im Gegenteil, wir hätten eine Menge Erzeugnisse zu transportieren – unsere Ernten, handwerkliche Erzeugnisse, von Sätteln angefangen bis zu Töpferarbeiten. Wir stellen auch erstklassige Dauerwurst und Räucherwaren her.« Wir staunten. Und selbst ich – der ich doch in Handelsdingen recht unerfahren war – begriff die große Chance. Aber war es eine Chance? Gab es da nicht irgendwo einen Haken, der krummer als ein Hundebein war? Es gab an jeder Sache einen Haken. Das wußte ich längst. Als ich mit meinen Gedanken soweit war, hörten wir Ben auch schon fragen: »Und wo ist der Haken, Mister Brownmaker? Es gibt doch einen – oder? Was Sie soeben sagten, ist zu prächtig, um ohne Haken zu sein, an dem man sich reißen könnte.« Er grinste – und nun konnten wir sehen, daß er trotz seiner predigerhaften und väterlich wirkenden Art ein harter Bursche war, der keine Wohltaten zu verschenken hatte. Denn es war nun mal so im Leben, daß man für alles einen Preis zahlen mußte. Auch seine Begleiter grinsten, doch anders als er. Sie grinsten mehr verlegen, so, als wollten sie sich jetzt schon für ein Ansinnen entschuldigen. Er aber sagte: »Sicher, es gibt immer einen Haken –
eigentlich sogar gleich zwei.« »Dann lassen Sie hören, Mister«, forderte Ben ruhig und kühl. »Und dann werden wir sehen.« »Ihr Reingewinn darf nicht höher als fünf Prozent sein bei normalen Spitzenlöhnen und normalen Unkosten. Wir sind der Meinung, daß sich jeder Kapitaleinsatz mit fünf Prozent ausreichend rentiert. Sie müssen also jedes Jahr Ihre Buchführung von einem Rechnungsprüfer kontrollieren lassen. Das wäre der erste Haken, Mister Swarthout.« »Und der zweite, Mister Brownmaker?« Ben fragte es noch eine Spur kühler – und nicht nur er, sondern wir alle ahnten, daß jetzt erst der wirklich eklige und gefährliche Haken gezeigt werden würde. »Der zweite Haken – das sind Leo Mannerhan und Pat Carradine. Diese beförderten bisher unsere Frachten, und sie wurden jedes Jahr teurer, weil sie glaubten, wir wären von ihnen abhängig. Wir hatten im vergangenen Jahr keinen Verdienst mehr, weil die Frachtgebühren zu hoch waren. Wir haben Mannerhan und Carradine gekündigt. Nun wollen sie uns gewissermaßen aushungern. Und wer an ihrer Stelle für uns fährt, wird Ärger mit ihnen bekommen.« Nun wußten wir es genau. Er hatte es ohne Umschweife gesagt. Jetzt wußten wir auch, warum er gerade zu uns gekommen war. Das geschah nicht so sehr, weil Bill Eller und Lindas Vater einen guten Ruf hatten auf tausend Meilen in der Runde. Nein, dieser alte Fuchs hatte von uns Swarthout-Brüdern gehört, die Linda zu Partnern hatte. Wahrscheinlich hatte er sogar schon von den Ereignissen in Sacramento City gehört. Und deshalb wollte er uns. Dennoch war sein Angebot fair. Das wurde uns klar. Denn wir konnten eine feste Fracht- und Postlinie errichten und mit einer Stadt und einem sich bildenden County Verträge abschließen. Wir konnten einen Wagenhof, ein Handelslager
und einen Store errichten. Und fünf Prozent Reingewinn war ein faires Angebot. Wir sahen uns an. Dann sagte Ben zu ihm und seinen beiden Begleitern: »Kommen Sie morgen wieder, Mister Brownmaker. Dann werden wir Ihnen sagen können, ob wir wollen oder nicht.« Er nickte nur und ging. Aber bei Linda hielt er noch einmal an. »Es würde Ihnen in Brownsville gefallen, Miß Gillespie«, sagte er. »In unserer Stadt gibt es mehr Frauen als anderswo. Denn es waren alles komplette Familien, die damals dort ankamen und aufzubauen begannen. Bei uns gibt es Frauen und Mädchen im rechten Verhältnis zu Männern und Jungens. Brownsville ist keine Grenzstadt. Bei uns gibt es viel Wasser. In unseren Gärten blüht und grünt es. Es wird überall gesungen – und jeder ist freundlich und wohlwollend zum Nachbarn. Kommen Sie wenigstens mal hin, Miß Gillespie.« Sie nickte nur stumm. Dann ging er mit seinen Begleitern davon – ein alter Mann, der genau wußte, was er wollte, ein gewiß auch harter und vorausschauender Mann, aber sicherlich auch ein fairer. Diesen Eindruck hatte ich. Wir waren nun allein. Unsere Fahrer und deren Gehilfen waren drüben in der Schmiede und bei den Korrals. All unsere Maultiere mußten beschlagen werden. Zwei der Anhänger bekamen neue Achsen. Und drei unserer Reserveräder mußten neue Eisenreifen haben. Sie hatten alle reichlich zu tun. Wir Swarthout-Brüder waren mit Linda allein. Unser Koch war drüben im Camp bei seinen eisernen Öfen. »Dieser alte Kater will unsere Colts«, sagte Art trocken. »Das ist immer wieder so«, nickte Jim. »Wir sollen immer wieder mit unseren Colts die Kastanien aus dem Feuer holen. Es hat sich herumgesprochen, daß wir Swarthout-Brüder für
jede Revolverhilfe gekauft werden können.« Seine Stimme wurde zuletzt bitter. Ben und ich sagten nichts. Aber Linda sprach: »Ja, auch Onkel Bill hat euch gekauft. Dann war er mit euch geritten. Und jetzt seid ihr meine Partner. War er fair oder nicht?« »Er war fair«, erwiderte Ben. »Und du meinst, daß auch dieser Abe Brownmaker fair ist, Linda?« Sie nickte heftig. »Das spüre ich ganz sicher«, sagte sie. »Hier spüre ich es!« Sie tippte gegen ihre Herzgegend. Und wir sahen uns wieder an und wußten nicht, wie wir uns entscheiden sollten. »Denken wir mal bis zum Abend darüber nach«, sagte Ben schließlich. »Und dann stimmen wir ab, nachdem wir noch einmal darüber gesprochen haben.« Damit waren wir einverstanden. Wir machten weiter und entschlossen uns sogar, das Klavier zu kaufen und mitzunehmen, welches Linda in der Lagerhalle entdeckt hatte. Jeder von uns klimperte ein wenig auf den Tasten herum, aber keiner von uns konnte spielen. »Ob es dort, wohin wir es mitnehmen wollen, überhaupt Leute gibt, die das Ding spielen können?« fragte Jim. Und da sahen wir uns schon wieder fragend an. Denn wohin wollten wir denn von hier aus fahren? Nach Sacramento City zurück, wo wir so gute Geschäfte gemacht und unseren Bruder Joe auf dem Friedhof zurückgelassen hatten? Oder … * Barney, unser Koch, hatte uns allen noch ein gutes Essen bereitet unter dem Schutzdach in unserem Wagen-Camp, obwohl er wußte, daß wir alle in die Stadt gehen oder reiten
würden, um dort noch etwas Spaß zu haben. Und da hockten wir also nun. Auch unsere Fahrer und deren Gehilfen waren jetzt vollzählig im Camp. Doch sie hatten nichts mit unseren Entscheidungen zu tun. Ihr Job war es, die Wagen zu fahren. Alles sonst lag bei uns. Niemand von uns sagte was. Und dennoch wußten wir alle, daß wir nur noch wenige Minuten Aufschub hatten, denn gleich mußten wir uns entscheiden. Und schließlich war es soweit. »Habt ihr alle nachgedacht?« fragte Ben. »Linda?« »Ich bin dafür«, sagte sie sofort, »wenn alles stimmt, was Brownmaker sagte. Wenn wir ein aufblühendes Land versorgen können und unsere eigene Fracht- und Postlinie haben mit festen Häusern und Stationen – wenn wir einen Store haben, nun, dann gibt es für uns alle reichlich zu tun. Wollt ihr eine größere Chance?« Ben sah von ihr auf mich. »Ich denke wie sie«, sagte ich. »Ja, es ist eine Chance. Denn irgendwann wird es nirgendwo mehr Möglichkeiten geben, eigene Fracht- und Postlinien einzurichten. Auch die Zeit der fahrenden Handels-Stores ist bald vorbei. Wir alle bekommen feste Plätze, entweder hier oder am anderen Ende unserer Linie. Das ist doch logisch – oder?« Sie sahen Linda und mich seltsam an, ganz so, als bedauerten sie etwas. Dann sagte Jim: »Ich bin dagegen. Ich will nicht noch mal meinen Colt vermieten. Ich will es nicht mehr.« Art nickte sofort. »Ja, ich will auch nicht. Ich will diesen Leuten in Brownsville nicht diesen Leo Mannerhan und diesen Pat Carradine vom Hals schaffen. Denn darauf läuft es ja wohl hinaus – oder?« Da nickte auch Ben.
»Ihr seid überstimmt«, sagte er zu Linda und mir. »Denn ich denke wie Jim und Art. Ich will nicht etwas anfangen, wobei ich mir auch schon gleich Feinde mache. Dieser Leo Mannerhan und dieser Pat Carradine sind sicherlich keine Zwerge.« Damit war alles gesagt. Meine drei Brüder standen vom Feuer auf, um sich ihre Pferde zu holen und in die alte Pueblostadt zu reiten. Sie hätten auch gut zu Fuß gehen können, denn wir befanden uns ja schon am Stadtrand. Aber sie waren nun mal Reiter, die keine hundert Schritte gingen, wenn sie ein Pferd reiten konnten. Ich blieb mit Linda allein zurück. »Es tut mir leid«, sagte ich. »Aber vielleicht ist es besser so. Du hast doch ein Haus in El Paso geerbt. Eines Tages kehrst du dorthin zurück, wenn du einen festen Platz haben möchtest.« Sie sah mich an. »Würdest du dort mit mir leben?« Ich nickte. »Überall«, sagte ich. »Und du würdest mich auf der Stelle heiraten, Ty?« »Sobald du dir sicher wärst, daß du mir vertrauen kannst, Linda.« Sie nickte. »Vielleicht sollten wir es schon morgen tun«, sagte sie. »Schon wegen dir, Ty. Denn eines Tages werden deine Brüder ihres Weges reiten, weil sie das Kämpfen hassen, weil sie es leid sind – und weil sie für fünf staubige Wagen nicht kämpfen wollen wie für einen Boß. Mein Vater und mein Onkel haben auch immer wieder kämpfen müssen. Denn dort, wo sie hinfuhren, gab es kein Gesetz, keine Sicherheit. Aber deine Brüder sind müde geworden. Der Tod von Joe war für sie eine Warnung. Sie wollen nicht mehr kämpfen. Vielleicht ist das gut für sie.« Wahrscheinlich hatte sie recht.
* Ich schlief unter dem Wagen, der dicht neben Lindas Zelt stand. Kurz nach Mitternacht kroch ich aus meinen Decken, um noch einmal einen Rundgang zu machen. Einer von den Fahrern sollte bei den Wagen und ein anderer beim Maultierund Pferde-Korral wachen. Den Mann bei unseren Wagen fand ich. Er stand an einem Hinterrad, rauchte Pfeife und starrte zum Mond hinauf. »Ob dort oben Menschen leben?« fragte er mich. »Das weiß ich auch nicht«, murmelte ich und ging zum Korral hinüber. Es war ein von Trockenmauern eingezäunter Korral. Denn Langholz war hier viel zu knapp. Die Steinmauern waren ursprünglich sicherlich schon von den Sklaven der alten Spanier errichtet und dann nur immer wieder ausgebessert worden. Der Eingang zum Korral war jedoch durch zwei lange Stangen abgesperrt. Und hier hätte ich auch den Wächter finden müssen. Und die Stangen waren entfernt worden. Daß die Tiere noch nicht herausgewandert waren, war fast schon ein Wunder. Also mußten die Stangen vielleicht erst vor wenigen Sekunden entfernt worden sein. Ich zog meinen Colt und duckte mich zugleich. Denn ich hatte ganz plötzlich das Gefühl von Gefahr. Ich glitt durch den Eingang in den Korral hinein. Und da sprangen sie mich an – von zwei Seiten. Weil sie leise sein wollten, versuchten sie es mit den Messern. Doch ich mußte nicht leise sein, im Gegenteil, ich konnte und wollte laut werden.
Ich sprang weiter in den Korral hinein, so daß ich ihnen erst einmal entkam und sie mich nicht zwischen sich bekommen konnten. Dann wirbelte ich herum. Ich sah, wie sie verhielten und mit ihren Messern ausholten, um sie mir in den Leib zu werfen. Da schoß ich. Denn ich wollte solch ein Ding nicht in den Balg bekommen. Ich wollte leben. Und zwei Messerwerfer waren gewiß nicht weniger gefährlich als ein Revolvermann mit schußbereitem Colt. Ich schoß also. Und da fielen sie. Einer warf noch das Messer, doch es streifte nur mein Ohr. Das rinnende Blut spürte ich erst später. In unserem Camp wurde es lebendig. Ich brauchte mich um nichts mehr zu kümmern, denn die Frachtfahrer und Helfer kamen. Auch Linda kam. Wir betrachteten die beiden Messerwerfer. Es waren Mexikaner. Ich hatte blitzschnell schießen müssen. Deshalb waren sie tot. Das war Zufall. Wirklich. Sie hätten ebensogut beide auch nur leicht verwundet werden können. Ich konnte meine Schüsse nicht sorgfältig zielen, sondern nur reflexhaft schießen. Und so waren sie tot. Wir fanden dann auch unseren Korral-Wächter. Sie hatten ihn von hinten erstochen, also keine Gnade gekannt. In mir war eine kalte Wut. Als Linda mir dann ein Pflaster über das blutende Ohr klebte, dachte ich darüber nach, was es mit diesem zum Glück vereitelten Raub unserer Tiere für eine Bewandtnis haben mochte.
Das waren keine gewöhnlichen Pferdediebe, die sich mal an Maultieren versuchen wollten. Nein! Solche Burschen hätten es draußen in der Wildnis versucht, wo sie in der Nacht gewiß viele verschwiegene Pfade benutzen konnten, die wir nicht kannten. Wirklich, Leute, ich dachte schon bald an diesen Leo Mannerhan und an Pat Carradine, die vielleicht schon wußten, daß wir ihnen das Geschäft verderben könnten, wenn wir morgen mit diesem Abe Brownmaker einen Vertrag machten. * Es war schon in der dritten Morgenstunde, als Ben und Art unseren Jim ins Camp bei den Lagerhallen brachten. Zuerst glaubte ich, daß Jim nur betrunken wäre. Doch dann hörte ich sein Stöhnen. So stöhnte kein betrunkener Mann – nein, mit Jim mußte was anderes sein. Ich trat zu Ben und Art, die Jim neben das Feuer gelegt und dieses wieder zum helleren Brennen gebracht hatten. Nun konnte ich sehen, was mit Jim passiert war. Der war entweder unter eine Stampede geraten – oder man hatte versucht, ihn mit Fäusten oder Knüppeln totzuschlagen. Anders konnte es nicht sein. »Wir müssen ihn auf eine Decke legen«, sagte Ben. »Dann müssen wir ihn völlig ausziehen und alles an ihm überprüfen. Es wird gut sein, ihn mit Schnaps einzureiben, damit er nicht zu steif und verkrampft bleibt für die nächsten Tage. Aber zuerst brauchen wir heißes Wasser, viel heißes Wasser.« »Dafür sorge ich«, sagte Barneys Stimme, denn auch der Koch und unser Campwächter waren aufgetaucht. »Wie kann ich helfen?« fragte Lindas Stimme. »Ihr solltet ihn vielleicht ins Zelt bringen«, sagte sie. »Die Nacht ist jetzt sehr kalt, nicht wahr?« Wir sahen Linda an.
Ihr Gesicht schien unter der gebräunten Haut bleich zu sein. Wir erkannten das selbst im Feuerschein. »Wenn wir mit ihm fertig sind«, sagte Ben, »würden wir ihn gern in dein Zelt legen, Linda. Wir danken dir. Denn er ist sehr krank. Sie haben ihn fast totgeschlagen. Ja, es wäre gut, wenn er bei dir im Zelt liegen könnte und du dich um ihn kümmern würdest, Linda.« Sie biß sich auf die zitternde Unterlippe. Doch sie nickte heftig. Dann machten wir uns an die Arbeit. In mir war kalte Wut. Ich fragte: »Wer hat ihn so zerschlagen? Wer hat das getan?« »Dreimal darfst du raten, Ty, mein Guter«, knirschte Ben. Und Art sagte: »Die bringen wir um. Nur ruhig, Brüder, nur ruhig, ganz ruhig bleiben. Wir finden diese Schufte. Ja, wir finden sie und schicken sie in die Hölle!« In Arts Stimme lag ein Schwur, und ich wußte, daß er innerlich gar nicht ruhig war und am liebsten gebrüllt hätte mit aller Kraft. In Art war die Hölle. Ben erklärte mir dann alles mit wenigen Worten. »Es war in einer kleinen Bodega. Der Wein dort war gut. Und auch die Mädchen waren süß und feurig. Es war ein schönes Fest für uns alle, jawohl! Aber dann mußte Jim mal raus auf den Hof. Und da müssen sie auf ihn gelauert haben. Sie müssen ihm gleich halb den Schädel eingeschlagen haben, bevor seine Augen sich an die Dunkelheit im Hof gewöhnt hatten. Es brannte dort nur eine trübe Laterne. Ja, sie haben auf einen von uns gelauert, um es ihm zu geben. Es war reiner Zufall, daß Jim zuerst mal hinten rausging. Es hätten ebensogut auch Art oder ich sein können.« Nun wußte ich es also. Ich dachte sofort an die beiden Kerle, die unsere Maultiere stehlen wollten. Sie lagen noch dort bei der Mauer, und ich hätte den Marshal
schon längst benachrichtigt, wenn ich mich aus unserem Camp fortgetraut hätte. Aber das wagte ich nicht. Wir waren ja nur wenige Männer hier. Auch unsere Fahrer und deren Helfer befanden sich irgendwo in den Lokalen der Stadt. Ich erzählte Ben und Art nun ebenfalls alles mit wenigen Worten. Sie und Linda hielten inne mit ihren Bemühungen um Jim. Jeder von uns überlegte. Dann sagte Ben schlicht: »Das paßt alles gut zusammen. Es ist immer wieder der gleiche Stil. Gewalt, nichts anderes als nackte Gewalt. Jetzt wissen wir, was Leo Mannerhan und Pat Carradine für Burschen sind. Sie haben Abe Brownmaker und dessen beide Begleiter beobachten lassen. Als die mit uns hier verhandelten, konnten sie sich leicht alles zusammenrechnen. Und dann handelten sie auch schon. Sie wollten uns die Maultiere stehlen lassen und uns zusätzlich noch dadurch warnen, daß sie einen von uns halbtot schlagen ließen. Ja, es ist eine Warnung, nicht mit Abe Brownmaker und Brownsville ins Geschäft zu kommen. Wir sollten begreifen, was uns ein Vertrag mit dem Brownsville County einbringen würde. Klar?« Wir nickten. Ja, es war alles klar, Jim brauchte gar nicht aufzuwachen, um es uns zu erklären. Wir waren sicher, daß die Kerle, die ihn so zerschlugen, ihm auch sagten, warum sie das taten. Jim mußte die Warnung erhalten haben zur Weitergabe an uns. Doch das war nicht mehr nötig. Wir wußten jetzt schon Bescheid. Als wir Jim in Lindas Zelt auf das Offiziersfeldbett legten, ging schon die Sonne auf. Unsere Fahrer und deren Helfer waren aus der Stadt zurückgekehrt. Der heutige Tag sollte ein Ruhetag sein. Denn unsere Wagen waren voll bis auf wenige Dinge. Morgen wollten wir aufbrechen zu einer neuen Handelsfahrt.
Ich hatte einen der Helfer zum Marshal geschickt. Wir standen beim Feuer und tranken den heißen Kaffee, als der Marshal mit einem zweiten Mann herangeritten kam. Er blieb im Sattel, indes ich ihm alles berichtete und ihn dann zu den beiden Toten führte. Er sah sie sich vom Sattel aus an. »Ja«, sagte er, »diese da sind zwei böse Pilger. Die sind bekannt. Ich lasse die Leichen abholen. Die Leichenschau ist um elf Uhr vormittags. Bringen Sie alle Zeugen mit, die Sie haben. Dann ist alles binnen weniger Minuten erledigt. Ihr seid doch die Swarthout-Brüder?« »Yes, Marshal«, sagte ich. Er nickte. »Abe Brownmaker war bei mir«, sprach er vom Pferd nieder, und er war ein großer, starkknochiger Mann mit lockigen Haaren, die er lang trug. »Er will euch dazu bewegen, von hier aus die Versorgung für das ganze Brownsvillegebiet zu übernehmen. Es wohnen redliche Leute dort. Ich hörte, daß einer von euch in der vergangenen Nacht im Hof einer Bodega schlimm zerschlagen wurde. Nehmt nur nicht das Gesetz hier in Santa Fe in eure Hand.« »Nein«, sagte ich. »Nur wenn man uns angreift, werden wir uns wehren.« Er nickte und ritt davon. Ben und Art standen immer noch beim Feuer. Art reichte mir den Kaffeebecher zurück, den er mir abgenommen hatte. »Der weiß ziemlich gut Bescheid«, sagte ich zu ihnen und meinte den Marshal. »Er hat mich freundlich gewarnt, in Santa Fe keinen Ärger zu machen.« Art grinste; es war ein blitzendes Zähne-zeigen unter seinem schwarzen Schnurrbart, den er wie eine Sichel um die Mundwinkel herumhängen hatte. »Wir werden schon herausfinden«, sagte er, »wo wir Leo Mannerhan und Pat Carradine stellen können. Wir finden das
heute noch heraus, darauf kannst du wetten. Und dann ist es gleich, wo wir sie umbringen – hier in Santa Fe oder an einem anderen Ort.« Ich sah Ben an. Der nickte zu Arts Worten. * Es ging Jim so schlecht, daß wir einen Arzt kommen ließen, der ihn noch mal untersuchte. Doch wir hatten alles getan für ihn, was getan werden konnte. Der Doc nähte nur zwei tiefe Risse, die wir mit Pflaster zugeklebt hatten. Sonst konnte er auch nichts tun. »Innere Verletzungen hat er offenbar nicht«, sagte er tröstend und fuhr mit seinem leichten Wagen wieder davon, nachdem er fünf Dollar kassierte. Noch bevor ich mit Linda und unserem Campwächter zur Leichenschau ging – die drei Toten waren inzwischen vom Leichenbestatter abgeholt worden, und unser Mann würde heute bei Sonnenuntergang ein Begräbnis bekommen –, kam Abe Brownmaker mit den beiden anderen Männern, um sich die Antwort zu holen. Auch er war offensichtlich schon informiert, denn er sagte: »Wie ich hörte, hattet ihr hier einige Schwierigkeiten, und einer von euch wurde in der Stadt halbtot geschlagen. Nun, da brauche ich mir für Brownsville wohl keine Hoffnung zu machen, nicht wahr?« Auch ich sah Ben und Art an, die mich und Linda gestern noch mit Jim überstimmt hatten. Nun aber schüttelten sie die Köpfe. »Falsch, Mister Brownmaker«, sagte Ben dann ruhig. »Wir wären gern einem Kampf aus dem Wege gegangen. Aber inzwischen wurden wir angegriffen. Ein paar Narren glaubten, uns einschüchtern zu können. Doch sie bewirkten das
Gegenteil. Sie forderten uns heraus. Wir kommen nach Brownsville, Mister, und sehen uns dort alles an. Wenn alles so ist, wie Sie uns sagten, können wir einen Vertrag machen. Und dann hat das Brownsville County eine Fracht- und Postlinie, auf die es sich verlassen kann.« Er sah uns an, dieser Abe Brownmaker. Und er erkannte, was in uns war. Aber er sagte nichts mehr. Er nickte nur. Dann drückte er uns die Hände und ging mit seinen Begleitern. In seinem Schweigen lag jedoch sehr viel mehr Einverständnis und Respekt, als es andere Männer mit vielen Worten hätten zum Ausdruck bringen können. * Nach Chuck Daniels’ Beerdigung – er war von den Pferde- und Maultierdieben erstochen worden – kehrten wir ins Camp zurück. Es war von drei unserer Männer bewacht worden, die durch Losentscheid dazu bestimmt wurden. Wahrscheinlich hätten wir das Camp sogar unbewacht lassen können, denn es war ja noch heller Tag. Unsere Gegner würden gewiß auch erst einmal abwarten, ob wir ihre drastischen Warnungen beachteten. Jim ging es etwas besser. Er war nicht mehr bewußtlos oder in einem Dämmerzustand, doch hatte er gewiß böse Schmerzen überall. Denn diese vielen Blutergüsse, Schwellungen, Risse, die schmerzten gewiß schlimm. Überdies war er auch am ganzen Körper verkrampft. Seine Rippen waren angeknickt von Fußtritten. Er sprach nicht viel. Wir wußten, daß er sich schämte, wie ein Hund verprügelt worden zu sein. Sein Stolz ließ ihn fast daran ersticken.
Er hielt auch zumeist die Augen geschlossen, so, als schäme er sich, diese Welt, in der er so gedemütigt wurde, noch einmal anzusehen. Wir konnten nicht viel für ihn tun. Und schon gar nicht durften wir ihm Mitleid zeigen oder ihn bedauern. Er mußte allein damit fertig werden. Aber obwohl wir nicht darüber sprachen, wußte jeder von uns, daß Jim wahrscheinlich einen Knacks fürs ganze Leben bekommen hatte, selbst wenn er wieder gesund werden würde. Es würde ihm gehen wie einem Hund, der so schlimm verprügelt wurde, daß er, falsch und tückisch, nur noch aus dem Hinterhalt jemand an die Beine fährt. Ja, so konnte es mit Jim leicht kommen. Als es dunkel wurde, ritten Ben und Art in die Stadt. Ich versuchte nicht, sie zurückzuhalten. Das hätte ich nicht gekonnt. Aber ich wäre gern mit ihnen geritten und hätte mit ihnen nach Leo Mannerhan und Pat Carradine gesucht. Doch jemand von uns mußte im Camp bleiben. Auch wollte ich Linda und Jim nicht allein lassen. Von Jim wußten wir inzwischen, daß ihn die Burschen – es waren zumindest vier gewesen, die ihn so schrecklich zerschlugen – wirklich gewarnt hatten davor, daß wir nach Brownsville fuhren und eine Fracht- und Postlinie einrichteten. Wir wußten also genau, daß alles von jenen Männern ausging, die wegen zu hoher Frachtraten ihr Frachtgeschäft mit Brownsville verloren. Sie hatten den Fehler gemacht, sich für konkurrenzlos zu halten, oder sie glaubten, jede Konkurrenz abwürgen zu können. Ben und Art suchten nach Leo Mannerhan und Pat Carradine. Irgendwo mußten sie sein in Santa Fe oder der Umgebung. Sie mußten ja auch Frachtwagen haben wie wir. Vielleicht hatten sie sogar einen festen Platz, einen Wagenhof, ein Heim. Nun, Ben und Art bekamen das heraus. Dessen war ich sicher. Sie hatten sich auch von Linda Geld geben lassen, um,
wie sie sagten, irgendwelche Leute ›schmieren‹ zu können, damit sie ihnen etwas verrieten. Als es Nacht war, kam Linda zu mir unter den Wagen. Sie hatte noch einmal in ihrem Zelt nach Jim gesehen. Doch nun lag sie bei mir. Ihr Körper war warm und geschmeidig. Ihre Küsse waren die einer liebenden Frau, die bereit war, ihrem Mann alles zu geben. »Wann heiraten wir?« fragte ich sie. »Morgen«, erwiderte sie. »Wir reiten einfach zur Mission hinüber und lassen uns von einem der Padres trauen. Wir machen das, indes unsere Wagen nach Westen fahren. Dann holen wir sie bald wieder ein.« * Ben und Art kamen im Morgengrauen zurück. Sie konnten nur noch eine gute Stunde schlafen. Doch auch ich hatte wenig Schlaf bekommen. Immer wieder hatte ich Linda verlassen, um meine Runde zu machen. Die beiden anderen Wächter hatten Schrotflinten. Aber es geschah nichts. Als wir uns zum Frühstück am Feuer versammelten, gossen meine Brüder und ich eine Menge starken Kaffee in uns hinein. Und mehrmals sah ich Ben und Art fragend an. Schließlich sagte Ben: »Ja, wir wissen, wo wir die Hundesöhne wahrscheinlich finden werden. Wir fanden auch einen Mann, der nachsieht und uns Bescheid geben wird. Dann reiten wir hin und geben es ihnen.« Ich nickte und schluckte. Ja, ich war zufrieden. Linda hatte bisher geschwiegen. Nun sagte sie: »Wir reiten jetzt hinüber zur Mission und bitten einen Padre, uns zu trauen. Wollt ihr die Trauzeugen sein?« Sie sahen uns an. Ich spürte, daß sie sich mit uns freuten. Ja, das konnte ich genau fühlen. Ich sah es auch in ihren Augen.
Aber es war auch noch etwas anderes da – ein Bedauern, so, als begriffen sie, daß es für sie so etwas nicht mehr geben konnte – oder als bedauerten sie, daß ich so sehr viel anders war. Sie aber glaubten an nichts mehr, und sie tobten sich dann in Etablissements wie jenem von Maggi Person aus. Irgendwie spürten sie, daß sie zum Untergang verurteilt waren. Ich spürte das nicht. Ich hoffte auf die Zukunft. Und so unterschied uns das, obwohl wir Brüder waren. Aber dies alles begriff ich erst später. * Eine knappe Stunde später waren wir Mann und Frau. Nun hieß Linda Swarthout wie wir alle. Sie verwahrte die Urkunde in ihrer Satteltasche. Ben und Art küßten sie auf den Mund – und wieder spürte ich, daß sie sich auch so etwas gewünscht hatten die ganze Zeit, so etwas, wie ich bekommen hatte, ein gutes Mädchen als Frau. Wir holten dann bald schon unsere fünf staubigen DoppelMervile-Frachtwagen wieder ein – und alle Fahrer und Helfer riefen uns Glückwünsche zu. Erst jetzt begriff ich richtig, daß wir verheiratet waren. Und Hochzeit hatten wir ja schon in der vergangenen Nacht gefeiert, Linda und ich. Jawohl, unter dem Wagen. Fünf staubige Wagen fuhren nach Westen. Und wir Swarthouts ritten im Sattel. Unseren Jim hatten wir gut gebettet. Aber ihm wäre alles recht gewesen. Er klagte nicht und sprach nur, wenn er Antwort auf Fragen gab. Bis Brownsville sollten es 257 Meilen sein. Vielleicht stimmte das – vielleicht auch nicht. Der Wagenweg war nicht besonders gut. Wir waren ja schon in Santa Fe ziemlich hoch, aber jetzt fiel das Land etwas ab.
Wir mußten die Mateo Mountains nach Norden zu in einem Bogen umfahren. Bevor uns die Bergketten die Sicht versperrten, sahen wir noch den gewaltigen Klotz der Enchanted Mesa. An diesem ersten Tag schafften wir etwa 23 Meilen. Das war eine ganze Menge auf diesem Wagenweg. Und wenn wir berücksichtigten, daß unsere Wagen bis auf das letzte zumutbare Kilo beladen waren, durften wir zufrieden sein. Geld hatten wir kaum noch. Wir hatten alles in Waren investiert und würden hoffentlich guten Gewinn machen in Brownsville County. Nun, es gibt von diesem Tag, der folgenden Nacht und den beiden nächsten Tagen und Nächten nichts zu berichten, was erzählenswert wäre. Halt – etwas doch – fast hätte ich das vergessen. Jim wurde langsam gesund und konnte schon am zweiten Tag, als wir für die Nacht anhielten, allein aus dem Wagen klettern. Es bereitete ihm Schmerzen. Er stöhnte leise. Und dennoch wollte er sich nicht mehr herausheben lassen, wollte nicht länger mehr hilflos sein. Wir staunten nicht – nein, wir taten so, als wäre es ganz selbstverständlich, daß er wieder auf den Beinen war. * Als wir dann nach dem vierten Tag das Camp bezogen hatten und es Nacht geworden war, kam ein Reiter zu uns. Er tauchte plötzlich auf und fragte nach Ben und Art. Ich folgte ihm zu ihnen, denn sie standen am Feuer und warteten, daß der Koch das Essen fertig haben würde. Es gab Grits and Red Eye Gravy, ein Maisgericht mit Schinken. Damit hatte sich unser Barney sehr viel Mühe gemacht. Deshalb mußten wir auch noch etwas warten.
Als Ben unseren Besucher sah, sagte er: »Aaaah, Concho. – Na?« Der Mann blieb im Sattel, obwohl er das Essen riechen konnte. Er sagte: »Zwölf Meilen von hier – das Licht in der Nacht. Das ist die alte Spanish-Bit-Station. Dort sind sie. Sie haben einige Wagen bei sich, dazu ein knappes Dutzend Männer, aber zumeist Frachtfahrer. – Sie warten auf euch. Aber vorher bekommen sie noch Verstärkung.« Das war alles, was der Mann sagte. Ben trat zu ihm und reichte ihm eine Handvoll ZwanzigDollar-Goldstücke. »Danke, Concho«, sagte er. »Und nun sag uns noch einmal genau, wie sie aussehen. Damit wir sie unter den anderen herausfinden können.« Concho brauchte nicht lange zu überlegen. »Mannerhan ist schwarzbärtig«, sagte er. »Er hat stets eine lange Maultierpeitsche zusammengerollt bei sich. Pat Carradine ist rothaarig.« Nach diesen Worten ritt Concho wieder in die Nacht. Ich sah meine Brüder an. »Reiten wir gleich los?« Sie sahen mich im Feuer- und Laternenschein an und schüttelten den Kopf. »Du nicht«, sagte Ben dann. »Du bleibst bei Linda.« Es traf mich wie ein Schlag, wie eine eiskalte Abweisung. Er hätte auch sagen können: »Du machst nicht mehr mit. Du bist verheiratet und gehörst nicht mehr zu uns Revolvermännern.« Er sagte es nicht. Doch ich spürte, daß er und Art so dachten. Doch da trat Linda zwei Schritte näher. »Er wird mit euch reiten«, sagte sie bestimmt. »Ich bin nicht seine Frau geworden, um ihn von euch wegzuziehen. Er ist ein Swarthout – und ich bin es auch geworden. Er wird mit euch reiten.«
Da sagten sie nichts mehr. Erst nach einer Weile murmelte Ben: »Also gut, legen wir uns schlafen. Wir können bis Mitternacht schlafen. Es hat keinen Sinn, daß wir uns die ganze Nacht um die Ohren schlagen. Wir müssen einigermaßen ausgeruht sein und gute Reflexe haben.« * Als Linda mich weckte, wurde mir bewußt, daß ich doch geschlafen hatte, obwohl ich zuerst geglaubt hatte, dies nicht zu können in dieser Nacht. Sie sagte: »Ben und Art satteln die Pferde.« Da erhob ich mich, um mich zu beeilen. Ich hielt nur einen Moment inne, um sie zu küssen. Sie war meine Frau – und sie war schön. Warum ritt ich fort, um zu kämpfen? Ich schüttelte alle anderen Gedanken ab. Als ich mein Pferd sattelte, kam Ben zu mir. »Wir werden uns von Jim verabschieden«, sagte er. Jim schlief schon seit der vergangenen Nacht nicht mehr in Lindas Zelt. Dort hatte ich geschlafen seit gestern. Wir gingen dorthin, wo wir Jims Schlafplatz wußten. Auch sein Pferd war dort angebunden gewesen. Aber wir fanden weder Jim noch sein Pferd. Und da wußten wir auch schon Bescheid. Jim, der ein großer Schweiger geworden war, hatte nur zugehört und sich dann zurückgezogen, als Concho alles gesagt hatte. Aber nun hatte er gehandelt. Und er ritt schon wieder im Sattel. Das mußte ihm höllische Schmerzen bereiten. Doch wie sollte er sonst hinkommen zu Mannerhan und Carradine?
Daß er zu diesen wollte, war uns sofort klar. Es konnte nicht anders sein. Nun erst begriffen wir richtig, wie schlimm Jims Stolz verletzt worden war, als ihn die Kerle wie einen Hund verprügelten und er nicht die geringste Chance hatte, sich wie ein Mann zu wehren. Er konnte gar nicht kämpfen, weil ihn schon der erste Schlag mit einem Knüppel kampfunfähig gemacht hatte. Er hatte alles ertragen müssen wie ein sich windender Wurm. Und die Tage danach, da er hilflos war und die Schmerzen spürte, mußten dann fast noch schlimmer für ihn gewesen sein. Jetzt war er unterwegs, um Rache zu nehmen. Und er wollte sie allein nehmen. Ganz allein! Als wir aufsaßen, kamen die Fahrer zu uns. Einer meldete: »Er muß eine Schrotflinte mitgenommen haben. Meine doppelläufige Schrotflinte ist weg. Und ein anderer Fahrer meldete: »Er muß eine dieser Kisten mit Preßpulverstangen aus dem Wagen gehoben und geöffnet haben. Er hat etwa zwei Dutzend dieser Sprengstoffstangen mitgenommen.« Wir saßen einige Sekunden still in den Sätteln unserer sich unruhig unter uns bewegenden Pferde, die ganz genau unsere Unruhe und Spannung spürten. Die Tiere waren bereit, auf Schenkeldruck anzuspringen. Aber wir saßen noch still. Denn die Erkenntnis war scharf und erschreckend. Jim war in einen Krieg gezogen, in einen Ein-Mann-Krieg. Er wollte Leo Mannerhan und Pat Carradine vernichten, dazu alles, was sie besaßen. Und er wollte das allein tun. Wozu hätte er sonst diesen Sprengstoff mitgenommen? Es waren braune, kerzengroße Dinger, aus deren Enden eine Lunte ragte. Man konnte sie in die Bohrlöcher schieben und in den Minen oder beim Straßenbau Felsgestein damit wegsprengen.
Jim hatte zwei Dutzend dieser Dinger bei sich. Wahrscheinlich würde er die Lunten sehr kurz abbeißen und eine Zigarre rauchen, an deren Glühpunkt sich die Lunten gut anzünden ließen. Dies alles begriffen wir binnen dreier Sekunden. Dann ritten wir los. Aber wir wußten, daß der Vorsprung unseres Bruders zu groß war. Helfen würden wir ihm nicht mehr können. Wenn wir bei ihm ankamen, würde sich schon alles abgespielt haben. * Concho hatte die Entfernung ziemlich genau geschätzt, als er uns sagte, wo die Mannerhan-Carradine-Company zwischen Santa Fe und Brownsville ihre Mittelstation hatte. Wir ritten einen Canyon hinunter, dann wieder hinauf, kamen über einen kleinen Paß und sahen das Tal zu unseren Füßen. Feuer brannten dort. Und Detonationen waren zu hören. Schüsse krachten in der Nacht. Unser Bruder kämpfte also noch. Er war jetzt dabei, Rache zu nehmen. Wir hatten unsere Pferde schon fast zuschanden geritten. Die Tiere konnten kaum noch galoppieren. Doch wir trieben sie noch einmal an. Zum Glück ging es bergab ins Tal hinunter und unten an einem Creek entlang. Was wir aus der Ferne brennen sahen, waren Frachtwagen, Schuppen, Werkstätten, eine Scheune mit Heu und anderen Futtervorräten, das Wohnhaus und die Quartiere der Fahrer und Helfer. Wir fanden Männer, die tot oder verwundet waren. Und dann fanden wir auch Jim.
Einige Reiter hatten bei unserem Kommen die Flucht ergriffen, waren in die Nacht gejagt irgendwohin. Da sie das Land sehr viel besser kannten als wir und weil unsere Pferde restlos erschöpft waren, so daß es sinnlos war, eine Verfolgung aufzunehmen, ließen wir sie reiten. Wir hatten ja in der nächsten Minute auch ganz andere Sorgen. Denn wir fanden endlich Jim. Und der war schon fast tot. Ja, er würde gleich sterben. Dies erkannten wir sofort. Er lag am Boden und grinste verzerrt, als wir bei ihm niederknieten. »Den Schuften hab’ ich es heimgezahlt«, stöhnte er. »Aber sie sind weg. Sie sind beide angeschossen, doch sie sind weg, als sie den Hufschlag eurer Pferde hörten. Ich hab’ sie also für euch aufheben müssen.« Er grinste noch einmal bitter. Und dann starb er. Wir wollten das zuerst gar nicht glauben, hofften, daß er nur mal verschnaufte und deshalb die Augen schloß. Aber dann beugte sich Ben tiefer über ihn, faßte ihn an die Halsschlagader. »Er ist tot«, sagte er dann heiser. Da kauerten wir nun bei unserem toten Bruder. Rings um uns brannte es überall. Das war die Zerstörung, die er noch angerichtet hatte. Er mußte furchtbar gewütet haben. Aber er war tot. Und die Männer, die er vernichten wollte, hatten bei unserem Kommen verwundet die Flucht ergriffen. Er erwischte nur die kleinen Handlanger. »Diese verdammten Wagen«, sagte Art, und es klang wie eine Anklage. Ja, er klagte die fünf staubigen Wagen an, die Bill Eller uns und Linda vererbt hatte. Nun war auch der zweite Swarthout nicht zuletzt wegen
dieser Wagen gestorben. Bill Eller war ein kluger Bursche gewesen. Zuerst, da hatte er uns für Revolverlohn eingekauft, sich unserer Colts versichert. Als er im Sterben lag, mußte er uns mehr bieten, damit wir bei der Stange blieben. Er schenkte uns einen hohen Anteil – und wir zahlten nun mit einem weiteren Swarthout dafür. Auch ich verspürte ein kurzes Gefühl des bitteren Hasses auf die Wagen, die uns immer wieder zu kämpfen zwangen. Aber dann verdrängte ich dieses Gefühl. Nein, so konnte man die Dinge nicht sehen. Diese Wagen waren tote Dinge. Sie konnten nichts dafür, daß wir gezwungen waren, mit ihnen dorthin zu fahren, wo es mit der Versorgung mit Waren und Gütern haperte und es noch keine Sicherheit gab und andere Männer uns bekämpften. Nein, die Wagen waren tote Dinge. Wir hatten uns ganz einfach einen gefährlichen Job ausgesucht. Lindas Vater und auch Bill Eller waren bei Ausübung ihres Jobs gestorben. Meine bitteren Gedanken wurden unterbrochen. Denn ich hörte Ben sagen: »Wir müssen sie erwischen. Denn wenn wir das nicht fertigbringen, dann …« Er sprach gar nicht weiter. Das brauchte er auch nicht. Denn wir konnten uns selbst alles vorstellen. Schon damals, als Bill Eller starb, hatten wir uns Feinde gemacht, nämlich die Mahouns, die wir niederkämpften. Ich erinnerte mich plötzlich wieder scharf an die Mahouns, die den Alvarez-Paß blockiert hatten und einen zu hohen Preis für die Passage verlangten. Wir hatten sie uns dann noch einmal angesehen, diese Mahouns, die verwundet in ihrem Haus lagen und von Laura Henderson betreut wurden wie von einer Tante. Ob sie inzwischen wieder gesund geworden waren und nun
nach uns suchten? Dies fragte ich mich heiß. Und da begriff ich, warum Ben und Art der Meinung waren, daß wir Mannerhan und Carradine nicht entkommen lassen durften. Es wurden sonst unserer Feinde zu viele. »Also reiten wir«, sagte ich. »Dort in den Korrals sind frische Tiere. Holen wir uns welche, und reiten wir!« Da sahen sie mich im Feuerschein seltsam an – fast mitleidig, so, als ob ich dumm wäre und sie das bedauerten. »Du bleibst bei unseren verdammten fünf staubigen Wagen und bringst die mit Linda nach Brownsville!« Das sagte Ben hart. Es gab keinen Widerspruch, denn auch Art nickte heftig. Ich sah mich um. Sie hatten mir jetzt eine Menge aufgebürdet. Ich würde allein sein mit dem toten Jim inmitten der vielen Brände, und es gab auch noch andere Tote, aber auch Verwundete. Die Wagen konnten erst gegen Mittag hier eintreffen. Erst in etwa zwei Stunden ging die Sonne auf. Wahrscheinlich würde Linda den Wagen vorausreiten. Ja, Linda würde früher kommen. Ich sah meinen Brüdern Ben und Art nach, die zum Korral gingen, in dem einige Pferde waren. Es gab auch einen großen Maultier-Korral. Natürlich hatte Jim beide Korrals unbehelligt gelassen. Ben und Art würden auf Menschenjagd gehen. Darauf verstanden sie sich gewiß nicht gut, wenn diese Menschen Todfeinde waren und es ums eigene Überleben ging. Ich hatte nun nur noch zwei Brüder. Joe und Jim waren tot. Wie lange würden wir anderen noch leben? *
Ich hatte schon einige Gräber ausgehoben – eines für Jim – und drei für seine von ihm niedergekämpften Gegner. Unter einem Schutzdach, welches nicht mit abgebrannt war und auch nicht von den Sprengstoffstangen zerstört wurde, lagen oder hockten noch fünf Verwundete. In ihnen saß noch der Schock. Jim hatte eine Sprengstoffstange durch das Fenster in ihr Quartier geworfen. Auch beim Wohnhaus von Mannerhan und Carradine tat er das. Und er schoß auf alles, was sich bewegte. So war es gewesen. Nun, Linda kam also. Als sie den toten Jim sah, weinte sie still. Ich deckte Jim wieder zu. Dann nahm ich sie in die Arme. Sie zitterte am ganzen Körper. »Deine Brüder – oh, deine Brüder, Ty. Diese fünf staubigen Wagen bringen ihnen Unglück. Es war falsch …« »Wer kann das sagen«, unterbrach ich sie hart. »Wer kann vorher wissen, was falsch oder richtig ist? Linda, meine Brüder sind Revolvermänner. Für sie waren die Kugeln schon gegossen. Sie waren früher oder später zum Untergang verurteilt. Auch bei Ben und Art sehe ich das jetzt so. Es ist ihr Schicksal, dem sie nicht entrinnen können. Sie kämen auch ohne die Wagen an die Reihe.« Meine Worte sprudelten nur so heraus. Ich erkannte plötzlich, wie bitter meine Stimme klang. Denn meine Worte waren ja nichts anderes als eine Anklage gegen das Schicksal. Als Teilhaber unseres Handelszuges wollten meine Brüder in eine bessere Zeit. Aber nun waren schon zwei von ihnen im Jenseits. War dort die bessere Zeit? Ich trocknete Lindas Tränen. Dann gingen wir hinüber zu den Verwundeten und
Verletzten. Einer sah mich haßerfüllt an und sagte: »Deine beiden Brüder werden in eine Falle reiten. Und dann kommen Mannerhan und Carradine zurück und geben es dir.« Ich sagte nichts darauf. Zu was wäre es gut gewesen? Der Haß brachte schon viel Unglück über die Menschen. Wir kümmerten uns um die Verwundeten und füllten auch die Wassertröge bei den Korrals mit Wasser. Alles hier war nun abgebrannt. Es roch überall nach Feuer. Linda und ich hockten uns in den Schatten eines Felsens. Hier, am Fuß dieses Felsens, hatte ich auch die Gräber gegraben. Es war eine sehr schwere Arbeit für einen Mann. Hacke und Spaten fand ich irgendwo. Die Müdigkeit kroch wie Blei durch meine Glieder. In zwei oder drei Stunden würde unser Wagenzug hier sein. Dann würden wir Jim begraben. Sollte ich den Tag verfluchen, an dem wir von River Bend zu Bill Eller geritten waren, um fünfhundert Dollar zu verdienen? Aber wie konnte ich das? Denn sonst hätte ich doch Linda nicht kennengelernt. * Wir kamen drei Tage später nach Brownsville. Und schon den ganzen Tag, als wir den Paß niederfuhren, hatten wir einen weiten Ausblick auf das mächtige Tal, von dem aus Canyons weiter in Nebentäler führten. Es war ein herrliches Land mit viel Grün. Es gab überall Creeks und kleine Seen. An den Hängen wuchs der Wald empor. Was mochte es weiter nördlich und westlich der Berge geben? Dies hatte ich mich gefragt und mir auch schon bald eine
Antwort geben können. Denn dort weiter im Nordwesten lag die ›Bunte Wüste‹, durch die man in das Land des großen Colorado-Plateaus gelangte; ins Land der mächtigen MogollonMesa, in dem einst die Tonto-Apachen lebten. Ich war schon mal im Fort Apache gewesen, auf der Suche nach meinen Brüdern, und hatte mich zum Tonto-Becken gewandt. Von dort aus sah ich den gewaltigen Rim des Mogollon-Landes. Well, Brownsville und die weitere Umgebung der Stadt konnten wirklich nur von Santa Fe her versorgt werden. Vom großen Colorado-Plateau oder durch die »Bunte Wüste« konnte niemand mit Waren kommen. Auch nicht aus dem Tonto-Becken herauf. Es war wirklich so, daß eine Fracht- und Postlinie von und nach Santa Fe das einzig Mögliche war. Wir trafen erst kurz vor Sonnenuntergang bei Brownsville ein, aber es kamen viele Bürger aus der Stadt, um uns willkommen zu heißen. Auch Abe Brownmaker und seine beiden Begleiter waren wieder dabei. Sie hatten ihre Frauen mitgebracht, die sich sofort um Linda kümmerten. Es schien uns allen so, als wären wir heimgekommen. Und dabei sahen wir das hier alles zum erstenmal. Wir hatten alle Hände voll zu tun, unser Handels-Camp aufzuschlagen. Ich hatte natürlich auch zu berichten. Es wurde Mitternacht, als Abe Brownmaker und einige Männer, die zum Bürgerrat gehörten, unser Feuer verließen und zur Stadt zurückgingen. Ich hatte berichtet. Und wir hatten miteinander geredet. Und dabei wurde uns klar, warum diese Leute so sehr mit einer neuen Fracht- und Postlinie ins Geschäft kommen wollten. Denn als wir unsere Preise für die verschiedensten Waren nannten, da stellte es sich heraus, daß Mannerhan und
Carradine sehr viel teurer waren, manchmal fast doppelt so teuer wie wir, obwohl wir einen fairen Preis für alles forderten. Mannerhan und Carradine hatten diese Preise immer höhergeschraubt von Jahr zu Jahr und geglaubt, ihr Monopol rücksichtslos ausnützen zu können. Und meine Brüder Ben und Art waren nun schon vier Tage hinter ihnen her. Ob sie vielleicht schon in eine Falle geritten und tot waren wie Jim und Joe? Das Warten und die Ungewißheit machten mich verrückt. Aber ich konnte nicht weg. Ich hatte hier alle Hände voll zu tun. Ich war plötzlich der Boß und mußte alle Entscheidungen ohne meine Brüder treffen. Linda war mir eine große Hilfe. Zwei weitere Tage und Nächte vergingen. Wir hatten schon eine Menge Waren verkauft. Unsere Kunden waren durchweg nette und freundliche Leute. Sie kamen manchmal zwanzig Meilen weit aus irgendwelchen Nebentälern. Die Stadt stellte uns ein kleines dreiräumiges Haus zur Verfügung, in dem wir unser Büro einrichten und auch Linda wohnen konnte. Ich selbst kam als Wagenboß kaum aus unserem Camp heraus. Wenn doch nur meine Brüder kommen würden. Dies dachte ich immer wieder. * Ben und Art kamen drei Tage später, als die Sonne sank. Sie waren also sieben Tage lang auf der Fährte gewesen. Sie kamen ins Camp geritten, als wir gerade die Tagesarbeit beendeten. Wir hatten die nun leeren Wagen fertiggemacht für die Rückfahrt nach Santa Fe. Und es gab für uns schon eine
Menge Fracht zu befördern. Denn die Leute hier waren auf vielen Gebieten fleißige Handwerker. Als sie absaßen, sah ich ihnen schon an, daß die Jagd erfolglos gewesen war. Art trug einen Verband unter dem zerfetzten Ärmel. Sie tranken erst einmal eine Menge vom starken Kaffee. Dann nahmen sie von Barney die gefüllten Teller, hockten sich nieder und begannen zu essen, als wäre dies seit vielen Tagen die erste Mahlzeit. Wahrscheinlich war das auch wirklich so. Linda kam aus der Stadt. Sie hatte den leichten Wagen voller Pakete und Post, die sie in unserem Büro annahm. Sie begrüßte Ben und Art mit Küssen auf die Wange, und ihre Augen wurden etwas feucht, so sehr freute sie sich, sie heil wiederzusehen. Inzwischen hatten meine Brüder auch den ärgsten Hunger gestillt. »Wir haben sie nicht erwischt«, sagte Ben. »Die sind erfahren. Sie kennen das Land besser als wir. Das macht viel aus. Sie legten uns sogar mit einigen Hombres einen Hinterhalt. – Wir mußten erst mal aufgeben, weil es uns an allen Dingen fehlte: an Munition, Proviant – und auch an Reservepferden. Sie hatten nämlich auch bessere Pferde als wir und dazu noch Reservetiere. Es gab überall in diesem Land verborgene Camps, in denen Geächtete leben, zu denen Mannerhan und Carradine gute Verbindungen haben. Wir werden uns hier besser ausrüsten und die Jagd wieder aufnehmen. Das muß sein.« Die letzten Worte sprach er sehr ernst. Ich zuckte zusammen. Denn mir wurde klar, daß ich nun unsere Fracht- und Postlinie zwischen Santa Fe und Brownsville allein aufbauen mußte. Das war nicht so einfach, denn ich hatte ja keine Erfahrungen, wußte nur das, was ich bisher unterwegs lernte.
Zum Glück hatten wir gute Männer. Und ich selbst war ein Mann, der mit anderen Männern gut auskam. Die Fahrer und deren Helfer mochten mich. Sie mochten auch Linda. Wir waren eine Gemeinschaft geworden. Vielleicht konnte ich alles schaffen, was meine beiden Brüder mir zumuteten. Und Fehler – nun, Fehler machte jeder Mensch einmal. Es kam nur darauf an, aus den Fehlern zu lernen. Denn nur Dummköpfe machen zweimal den gleichen Fehler. Art deutete mit der Gabel auf mich. »Wie ist es hier?« fragte er schlicht. »Hat dieser Abe Brownmaker uns in Santa Fe alles richtig erzählt – oder gab es hier eine Enttäuschung?« »Nein«, sagte ich. »Wir kommen in Gang. Es sind alles redliche Männer in einer redlichen Stadt. Sie brauchen uns, wie wir sie brauchen. Und es ist Fairneß auf beiden Seiten. Leben und Lebenlassen, dies ist die beiderseitige Grundtendenz. Wir bekommen ein Grundstück dicht bei der Stadt gegenüber der Schmiede. Wir können dort den Wagenhof bauen mit allen nötigen Gebäuden. In einem kleinen Haus haben wir vorerst das Büro und eine Wohnung für Linda und mich. Morgen wollen wir mit allen fünf Wagen nach Santa Fe. Wir haben volle Ladung. Sogar zwanzig Fässer mit Pökelfleisch sind dabei und … ach, ich kann das alles gar nicht aufzählen, was wir mitnehmen. Sie haben weiter vermittelt. Einen ganzen Wagen mußten wir mit erstklassig gegerbten Häuten beladen und …« Wieder brach ich ab, denn es wäre zuviel aufzuzählen gewesen. Dieses Land hier stellte schon sehr viele Dinge her und mußte sie zu den Märkten bringen. Und nur dann, wenn das klappte, konnte diese Stadt mit ihrem Umland leben. Es war alles gut für uns. Wenn es nur nicht Mannerhan und Carradine gegeben hätte,
die wir aus dem Geschäft gestoßen hatten und die das verlorene Monopol wieder mit Gewalt zurückerobern wollten. * Diese Nacht lagen Linda und ich lange wach. Und beide dachten wir immer wieder dasselbe. Morgen mußte ich Linda verlassen und die fünf Wagen nach Santa Fe bringen. Oh, wir spürten, daß diese Fahrt nach Santa Fe und zurück uns gewiß den endgültigen Durchbruch oder aber den Untergang bringen würde. »Jeder Tag ohne dich wird mir wie eine Ewigkeit vorkommen«, flüsterte Linda an meiner Schulter. Sie hatte ihren Kopf darauf gebettet. Wenn sie ihn drehte, konnte sie mir einen Kuß auf die Wange hauchen. Und das tat sie auch jetzt wieder. Ich hielt sie fest im Arm. Ja, morgen würde ich Abschied nehmen müssen für etwa zwei Wochen. Denn früher konnte ich aus Santa Fe nicht zurück sein. Würde ich alles richtig machen? Nicht nur ich, sondern auch Linda wußte, daß zwischen Brownsville und Santa Fe jetzt ständig Gefahren auf uns lauern würden, solange Mannerhan und Carra-dine noch frei herumritten. Unser Bruder Jim hatte sie zu hart bestraft für das, was sie ihm antun ließen. Nun würden sie uns bestrafen wollen. Es ging ums nackte Überleben. Aber unsere fünf Wagen mußten fahren. Das war unser Job. Ich mußte in Santa Fe auch eine Postkutsche kaufen, einen Fahrer finden und etwa alle dreißig Meilen Pferdewechselstationen einrichten, für die ich Stationsleute anzuwerben hatte.
Wie konnte ich das alles schaffen, ohne die Hilfe meiner Brüder? Dies fragte ich mich immer wieder. Und ich machte Pläne, legte mir das Konzept zurecht, nach dem ich vorgehen wollte. Die Gedanken begannen zu kreisen. Ich begriff, daß ich mich verrückt zu machen begann. Es ging mir wie einem Kandidaten vor einem großen Examen. So war es für mich. Aber dann wurde mir wieder Lindas körperliche Nähe voll bewußt. Sie war nun in meinem Arm und mit ihrem Kopf auf meiner Schulter eingeschlafen. Ihr Atem war ruhig. Sie vertraute mir und fühlte sich bei mir sicher. Warum sollte ich mir nicht selbst ebenso vertrauen? Ich würde schon alles richtig machen und mich als Boß einer Post- und Frachtlinie bewähren. Unsere Männer mochten mich. Mit allen kam ich gut aus. Einige wollten sogar ihre Frauen und Familien nach Santa Fe oder Brownsville nachkommen lassen und dort mit ihnen seßhaft werden, wenn wir von nun an für immer auf dieser Route blieben. Und andere Männer würden vielleicht ebenfalls Familien gründen. Ich dachte an meine Brüder. Diese würden morgen schon wieder auf Jagd gehen – auf Menschenjagd, die wie eine Treibjagd sein würde. Es kam darauf an, ob Mannerhan und Carradine uns mit ihren Männern früher erwischten als wir sie. Ja, darauf kam es an. Ich schlief endlich ein. Plötzlich war auch ich ganz ruhig geworden. * Wir kamen die ersten drei Tage gut voran – und immerzu war Lindas Bild vor meinen Augen, spürte ich ihren Abschiedskuß.
Aber es war dennoch nicht so, daß ich wie ein Träumer durch das Land zog mit unseren fünf staubigen Wagen. Fünf staubige Wagen, die sich langsam, aber stetig hinter je acht starken Maultieren bewegten, die bergauf und bergab zogen – manchmal knarrend und quietschend, bis die Fahrer ihren Helfern zubrüllten, daß sie, zum Teufel, endlich schmieren sollten. Und manchmal, wenn die Steigungen zu stark waren, ließen wir den jeweils nachfolgenden Wagen stehen und spannten dessen Achtergespann vor das vordere, so daß solch ein Doppelwagen von sechzehn Tieren gezogen wurde. Es war immer ein beeindruckendes Bild. Da mühten sich Männer und Tiere, da wurde gebrüllt, geflucht, mit den Peitschen geknallt. Da stampften und schnauften die Tiere oder sie schrien so, wie nur Maultiere schreien können. Da war ein ständiger Kampf ums Vorankommen, ein Symbol unbändigen Willens. Und über allem wirbelte der Staub, senkte sich, wurde wieder aufgewirbelt. Solch ein Wagenzug, der durch wildes Land zog, war eine starke Kraft, war Mut, Ausdauer, Zuversicht. Ich war von Tag zu Tag stolzer, diesen Wagenzug zu führen. Und ich mochte die Männer, die sich da mit Gespannen und Fahrzeugen mühten, immer mehr. Es waren Burschen von besonderer Art: Frachtwagenführer. Am vierten Tag erreichten wir dann den Ort, an dem Mannerhans und Carradines Siedlung stand, das Hauptquartier ihres Unternehmens, mit dem sie glaubten, ein ganzes County erpressen zu können. Wir erreichten den Ort, den unser Bruder Jim kleingemacht hatte und wo er von uns beerdigt worden war. Bei den Trümmern und verkohlten Resten wurde gearbeitet. Zwei Wagen waren abgestellt, und etwa ein halbes Dutzend
Männer war offensichtlich dabei, aufzuräumen und den Anfang eines Wiederaufbaues vorzubereiten. Indes meine Männer mit unseren Wagen weiter nach Osten fuhren und bald schon den Beginn des Paßanstiegs erreichen würden, ritt ich hinüber. Zwei der Männer traten mir entgegen. Sie waren scharfgesichtig, wachsam, hatten harte, mißtrauische Augen und trugen ihre Revolver ziemlich tief, so daß ich mir denken konnte, zu welcher Gilde sie gehörten. Aber sie hatten auch gearbeitet, wie ich an ihren schmutzigen Armen und der ebenfalls beschmutzten Kleidung sehen konnte. Sie starrten mich feindselig an, sagten kein Wort. Offensichtlich wußten sie ganz genau, wer ich war. Ich nickte ihnen zu und sagte dann: »Dies hier ist kein guter Job für euch.« »Sooooo – warum denn nicht?« Einer fragte es gedehnt. Aber ich blieb ganz ruhig. »Denkt mal nach«, sagte ich. »Brownsville will die Mannerhan- und Carradine-Company nicht mehr. Und schon einmal hat nur einer von uns Swarthouts diesen Ort hier kleingemacht. Mannerhans und Carradines Männer mußten hier mit ausbaden, was ihre Bosse sich einbrockten. Wenn sie sich wieder mit uns anlegen, seid ihr hier vielleicht wieder an der Reihe. Deshalb ist dies kein guter Job für euch.« Ich wandte mein Pferd und ritt den Wagen nach. Einer der beiden Männer rief mir nach. »Aber einer von euch Swarthouts ist dort begraben, nicht wahr? Einen hat es schon erwischt. Der macht hier nichts mehr klein!« Ich wandte mich nicht zurück, um etwas zu erwidern. Ich ritt weiter, und ich wußte jetzt Bescheid. Der Krieg war da. Mannerhan und Carradine bauten sogar wieder auf. Das bedeutete nichts anderes, als daß sie ihres Sieges sicher waren.
Ich machte mir plötzlich große Sorgen, und so ritt ich schneller und überholte die Wagen. Der Wagenweg stieg langsam zum Paß an. Ein Stück weiter oben kamen die ersten Kehren. Dieser Paß war leicht zu sperren. Sollte Carradine und Mannerhan mit ihren Revolverschwingern dort auf uns warten? Aber wo waren dann meine Brüder? Letztere hatten drei Tage und drei Nächte Zeit gehabt, um nach unseren Gegnern zu suchen. Als es Abend wurde und wir fast schon oben waren auf dem Bergsattel, dessen Wasserscheide den Paß bildete, da wußte ich es. Der Paß war besetzt. Ich ritt meinen Wagen weit voraus und war sehr wachsam. Ich sah dann vor mir das Aufblitzen eines Mündungsfeuers und hörte fast zu gleicher Zeit auch den Knall. Die Kugel sollte gewiß meine Brust durchschlagen. Doch mein Pferd nahm in diesem winzigen Moment, als der Schütze abdrückte, seinen Kopf hoch, so, wie es Pferde oftmals tun. Es bekam die Kugel in die Stirn, und es fiel unter mir. Ich machte, daß ich aus dem Sattel kam. Es gab keine Deckung rechts und links, die ich schnell genug erreichen konnte. So blieb mir nichts anderes übrig, als mich hinter das Pferd zu werfen. Am liebsten wäre ich in den Boden gekrochen. Doch das ging nicht, denn er war zu hart und steinig. Das war es also. Der Krieg ging weiter. Und ich hatte getötet werden sollen. Es ging also wirklich um Leben und Tod. Es gab keine Gnade. Das Gewehr schoß nun wieder. Die Kugel schlug in das Tier. Es war ein Büffelgewehr, eine Sharps-Büchse, mit der man auch noch auf dreihundert Yards einen ausgewachsenen
Büffelbullen fällen konnte. Die Kugel hätte ein mächtiges Loch in meine Brust gerissen. Nun hatte mein Pferd eine zerschmetterte Stirn. Es war nicht mein Red, sondern ein anderes Tier. Und es hatte mir das Leben gerettet durch seine Kopfbewegung. War das Schicksal? Sollte ich noch nicht sterben wie meine Brüder Joe und Jim? Es wurde mir klar, wie schnell es doch vorbei sein konnte. Aber was nun? Der Paß war blockiert. Wir saßen fest. Wir konnten nicht mal unsere Wagen wenden, um abwärts zu fahren. Denn ein Wenden war nur auf der Wasserscheide des Bergsattels möglich. Aber da würden Pferde und Fahrer in die Schußlinie des Büffelgewehres geraten. Wir saßen fest. Was war zu tun? Nichts konnte ich tun, solange es noch hell genug war. Ich mußte mich an den Boden pressen und konnte froh sein, daß sich der Schütze keinen höheren Standort suchte. Denn dann hätte er vielleicht ein Stück von mir anvisieren können. Ich mußte warten, darauf hoffen, daß die Nacht dunkel wurde – und dann mußte ich hin, um für uns den Weg freizukämpfen. Ja, das war meine Aufgabe. Ich war der Boß. Von meinen Fahrern konnte ich nicht verlangen, daß sie in heißes Blei rannten. Ich mußte kämpfen. Wie viele Gegner würde ich haben? Waren es überhaupt Mannerhan und Carradine? Hatten sie viele Revolverschwinger bei sich? War die Übermacht zu groß? Wo waren meine Brüder? All diese Fragen waren in mir, indes ich mich hinter dem Pferdekadaver an den Boden preßte. Als ich einmal meine Stellung verändern wollte, damit mir die Glieder nicht einschliefen, krachte wieder das Gewehr. Die Kugel fetzte durch meinen Hemdkragen, der im Nacken etwas
abstand. Ich blieb liegen. Wenn es doch bald Nacht wäre. Dies dachte ich immer wieder. * Als im Westen das Rot erlosch und von Osten her die blauen Schatten der Nacht gekommen waren, da erhob ich mich und nahm dem toten Tier den Sattel ab. Schritte näherten sich. Es waren meine Frachtfahrer. Einer sagte: »Wir haben unsere Gewehre und Schrotflinten mitgebracht. Natürlich helfen wir dir, Boß, diesen Paß freizukämpfen. Wir geben es den Hundesöhnen. Und es ist uns gleich, ob wir gegen Apachen oder weiße Schufte kämpfen.« »Nein«, sagte ich sofort. »Ihr werdet ja hier nicht persönlich angegriffen, so daß ihr um euer Leben kämpfen müßt. Man hat eure Wagen nur gestoppt, und ich hoffe, daß Mannerhan und Carradine da sind und sie niemand bei sich haben. Ich hoffe, daß dieser Krieg unter uns Revolvermännern ausgetragen wird. Geht zu euren Wagen zurück, und wartet dort auf mein Zeichen.« »Was für ein Zeichen?« »Ich werde einen trockenen Sagebusch anzünden.« Nach diesen Worten zögerte ich einige Sekunden. Aber dann begriff ich, daß es kein Zögern mehr geben konnte. »Nehmt meinen Sattel mit«, sagte ich. »Und zieht das tote Pferd aus dem Weg. Und wenn …« Ich verstummte. Denn ich wollte sagen: ›… ich es nicht schaffen sollte, dann grüßt meine Frau. Sagt ihr, daß ich bis zuletzt an sie dachte. Und grüßt meine Brüder.‹ Aber ich schwieg.
Ich wollte nicht an das Schlimmste denken. Ich ging davon, ließ sie zurück. Die Nacht war jetzt am dunkelsten. Bald würden die Sterne am Himmel klarer durch den Dunst kommen. Und der Mond kam gewiß auch bald über die Berge und schickte dann sein Silberlicht zur Erde nieder. Ich ging mit dem Gewehr in der Hand. Und auch meinen Colt würde ich schnell ziehen können. Wieviel Gegner würde ich haben? Ich wich etwas nach rechts aus, denn ich wollte natürlich nicht in schnurgerader Linie von meinem toten Pferd her angreifen. Auch waren drüben unterhalb des Steilhanges rechts vom Bergsattel Felsen, große Steine, Dornengebüsch. Dort konnte ich mit einem Sprung Deckung finden. Ich kam etwa zweihundert Yards weit. Dann ging es los. Doch anders, als ich dachte. Bis dort, wo ich meine Gegner vermutete, waren es noch gut hundert Yards. Und dort begann nun der große Krach. Es waren wieder Detonationen von Sprengstoffstangen. Jemand warf dort mit diesen Dingern umher. Schüsse krachten. Männer brüllten, fluchten. Es herrschte von einer Sekunde zur anderen ein schlimmes Durcheinander. Für mich war sofort klar, daß meine beiden Brüder Ben und Art eingegriffen hatten. Sie ließen mich nicht allein – im Gegenteil, sie hatten wahrscheinlich nur darauf gelauert, daß der Wagenzug angegriffen wurde. Der Wagenzug war ihr Köder. Sie mußten aus einer der Schluchten hier oben oder von den Bergen herunter zum Paßsattel gekommen sein. Ich beeilte mich nun, näher heranzukommen. Doch ich kam zu spät. Das wurde mir sofort klar. Denn es wurde still hier im Paßsattel. Hufschlag entfernte sich, verklang, und dieses Verklingen des Hufschlages hörte sich an, als wenn die Reiter
in eine Schlucht geritten wären in wilder Flucht. Es roch nach verbranntem Pulver. Staub wirbelte auf. Zwischen den Felsen klang das Stöhnen eines Mannes. Ich glitt hinüber. Sein Stöhnen klang stärker. Dann hustete er. An diesem Husten starb er fast. Ich fand ihn nun und hockte mich bei ihm nieder. Die Luft hier roch stark nach verbranntem Sprengstoff, nach Staub und verbrannten Büschen. Ich begriff, daß hier eine von diesen Preßpulverstangen explodiert war. Ich richtete erst meinen Revolver auf den Stöhnenden Mann. Dann fragte ich: »Bist du Mannerhan oder Carradine?« Aber der Mann hörte mich nicht. Er stöhnte und hustete weiter. Ich streckte meine Hand aus, berührte ihn. Da stöhnte er stärker. Es hatte ihn also schlimm erwischt. Er sagte mit letzter Kraft: »Ich höre nichts – ich sehe nichts – aaah, mich erschlug der Blitz. Der Blitz machte mich kaputt.« Und dann atmete er aus. Als ich mich über ihn beugte, sah ich das Büffelgewehr. Ja, es war eine Sharps-Büchse. Er war also der Bursche, der mich umbringen wollte. Doch nun war er tot, nicht ich. Wo mochten meine Brüder sein? Ich erinnerte mich aber daran, daß ich meinen Fahrern das Zeichen zu geben versprach. Und so suchte ich einen trockenen Sagebusch und hielt ein Zündholz daran. Er flammte sofort auf, brannte wie Zunder. Ich war hell beleuchtet. Wäre noch einer unserer Feinde hier gewesen, er hätte mich mit einem einzigen Schuß erwischen können bei gutem Büchsenlicht. Doch es war niemand mehr da. Meine Brüder – oh, ich war sicher, daß nur sie es gewesen sein konnten – hatten die Wegelagerer verjagt und jagten diese noch in der Nacht. Ob sie diesmal Erfolg hatten?
Denn wenn sie Mannerhan und Carradine jetzt wieder nicht bekommen konnten, so würde der Krieg weitergehen. Ich machte mich daran, ein Feuer anzuzünden und genügend brennbares Zeug zu sammeln, damit die Wagen einen Orientierungspunkt hatten. Ich hörte sie schon kommen. Ihre Geräusche waren unverkennbar. Die Maultierpeitschen knallten wieder wie Schüsse. Und die Stimmen der Fahrer riefen. Ja, sie kamen. Der Paß war frei. Meine Brüder waren zur Stelle gewesen, als wir sie brauchten. * In der zweiten Morgenstunde kamen meine Brüder zurück. Sie kündigten sich unseren Wächtern durch Zuruf an – und dieses Rufen machte auch mich wach. Denn ich hatte mich für zwei Stunden hingelegt, weil ja jeder Mensch mal schlafen muß. Ich stand am Feuer, als sie herangeritten kamen. Ja, es waren Ben und Art. Sie hatten noch einen Mann bei sich. Es war jener Concho, der schon einmal die Gegner ausspioniert hatte. Damals hatte Jim gehört, was dieser Concho uns meldete, und war uns dann zuvorgekommen. Die Brüder nickten mir zu. Concho aber sah mich nur ruhig an. Es war keine Feindschaft, aber auch keine Zuneigung oder Freundlichkeit in seinem Blick. Alles blieb tief in ihm verborgen. Ich begriff, daß er einer dieser Burschen war, die keine Freundlichkeit erwarteten und auch keine zu vergeben hatten. Ben und Art hatten ihn offensichtlich als Scout angeworben. Sie kannten dieses Land einfach nicht gut genug. Sie saßen nun ab, nahmen aus den Händen unseres Koches
die vollen Kaffeetassen. Dann zogen wir uns aus dem Bereich des Feuerscheins zurück. »Die haben dir eingeheizt, Ty, nicht wahr?« fragte Art. »Ich hatte Glück«, meinte ich, »nichts anderes als Glück. Das Pferd fing mit der Stirn die Kugel auf.« Sie fluchten leise. Wahrscheinlich dachten sie dann wie ich an Linda. Denn Ben sagte: »Du bleibst ihr erhalten, Ty. Nur das zählt, nur das.« Er machte eine Pause und trank die Tasse leer. »Es waren sicherlich Mannerhan, Carradine und zwei oder drei andere Hombres. Wir verloren ihre Fährte in der Nacht. Es war auch zu gefährlich, ihnen zu folgen. Na, wir erwischen sie schon – vielleicht morgen. Barney, bekommen wir noch was zu essen?« »Zu jeder Tages- und Nachtzeit, Ben«, sagte unser Koch. Ben wandte sich wieder an mich. »Ihr seid gut vorangekommen«, sagte er. »Wir erwarteten euch eigentlich erst morgen am Vormittag hier am Paß. Sonst hätte der Bursche nicht auf dich schießen können. Wir wären vor ihm hier gewesen.« Mehr sagte er nicht. Ich ließ sie allein und legte mich wieder hin. Mit einer schlaflosen Nacht war mir gewiß nicht geholfen. In zwei Stunden mußte ich wieder frisch sein und den Wagenzug weiter nach Santa Fe führen. * Als wir aufbrachen, stand die Sonne noch nicht hoch genug, um den Tau trocknen zu können; sie warf nur ein paar Strahlenbündel aus dem Verborgenen gen Himmel. Auch meine Brüder und Concho waren schon wieder in den Sätteln. Ben und Art winkten mir zu, bevor sie in einer Schlucht verschwanden.
Sie waren wieder auf der Fährte. Hoffentlich hatten sie Glück. Nun, es gibt von dieser Fahrt nach Santa Fe eigentlich nichts mehr zu berichten. Denn alles verlief ohne weitere Zwischenfälle. In Santa Fe begann meine Arbeit eigentlich erst richtig. Ich hatte unheimlich viele Dinge zu erledigen, Verbindungen anzuknüpfen, die verschiedensten Geschäftsbeziehungen herzustellen und tausend Kleinigkeiten zu beachten. Aber irgendwie ergab sich alles von selbst, nachdem ich erst einmal damit angefangen hatte. Und Leute, die mit mir zum erstenmal zu tun hatten, empfahlen mich weiter. Auch der Marshal von Santa Fe half mir verschiedentlich. Irgendwie wuchs ich in diesen Tagen über mich hinaus und entdeckte in mir selbst Fähigkeiten, von denen ich bisher keine Ahnung hatte. In diesen Tagen wurde ich reifer, auch selbstbewußter. Es fiel mir immer leichter, Entscheidungen zu treffen. Denn eines begriff ich in diesen Tagen: Ein Mann mußte immer wieder Entscheidungen treffen. Wenn er an sich glaubte und nur nüchtern genug überlegte, dann konnte er sich gar nicht falsch entscheiden. Und so brachte ich in diesen Tagen eine Menge in Gang. Linda und meine Brüder würden mit mir zufrieden sein. Ich mietete am Stadtrand ein Haus, zu dem Stallungen, ein großer Hof und ein paar Korrals gehörten. Ich warb Männer an, kaufte Pferde ein und erstand auch eine schon ziemlich alte, doch noch voll gebrauchstüchtige Kutsche. Ich schickte andere Männer mit Gespannpferden fort. Sie hatten auch Wagen mit Werkzeugen und Bauholz bei sich und würden Relaisstationen errichten, bei denen unsere Postkutsche jeweils ein frisches Gespann erhielt. Dann kaufte ich ein, um unsere fünf Doppelwagen zu beladen.
Ich hatte lange Listen mitbekommen von den Leuten in Brownsville und der weiteren Umgebung. Tausende verschiedenster Dinge mußte ich beschaffen. Natürlich halfen mir meine Männer, so gut sie konnten. Aber es dauerte eine ganze Woche, bis ich zu ihnen sagen konnte: »Morgen brechen wir auf nach Brownsville. Macht die Wagen fertig zum Aufbruch bei Sonnenaufgang.« An diesem späten Nachmittag ging ich noch einmal in die Stadt. Denn ich wollte noch für Linda ein Geschenk kaufen. Eigentlich hatte ich es mir schon zurücklegen lassen, wollte jedoch erst abwarten, ob ich mit unserem Geld auskommen würde. Denn das hatte ich mir zum Grundsatz gemacht: keine Schulden. Nichts auf Kredit kaufen. Ich wollte, daß unser Geschäft in jeder Beziehung fest auf den Füßen stand. Und überdies bekam ich bei Barzahlung überall beträchtliche Vergünstigungen. Anstatt für Kredite Zinsen zu zahlen, machte ich bei Barzahlung noch mehr Gewinn. Ich wußte, daß viele Kaufleute und Unternehmer nicht so ihre Geschäfte abwickelten. Doch ich war ja noch kein Kaufmann oder Unternehmer. Ich fühlte mich eigentlich noch als Lehrling und mußte noch eine Menge lernen. Gewiß hatte ich auch in den letzten Tagen Fehler gemacht, war übervorteilt worden und hatte Federn gelassen. Nun, ich ging also in die Stadt, um mir bei einem Goldschmied ein wunderschönes Armband, dazu eine passende Halskette und Ohrringe, abzuholen. Als ich ins Stadtinnere kam, wurde es dunkel. Überall fielen Lichtbahnen aus Fenstern und Türen. Einige Reiter saßen vor einem Saloon ab. Der herausfallende Lichtschein machte sie für mich gut erkennbar. Mein Schritt stockte jäh. Ein Mann, der hinter mir ging, prallte gegen mich. »He«, machte er, selbst erschrocken, weil er auflief.
»Entschuldigen Sie«, murmelte ich und sah ihn gar nicht an, als er an mir vorbeiging. Ich sah auf die Reiter, welche da absaßen. Denn ich kannte sie. Ich kannte sie alle. In meinem Magen war ein flaues Gefühl. Ich mußte mühsam schlucken. Denn was ich sah, wirkte auf mich wie ein heftiger Schock. Damals, auf dem Alvarez-Paß, als wir die Mahouns und die Sacketts niedergekämpft hatten und Bill Eller gestorben war, da war ich als erster Mann in das Haus der Mahouns gegangen, um mir ihre Gesichter zu merken. Ich hatte sie mir gut eingeprägt. Nun erkannte ich sie. Die Worte des alten Bac Mahoun fielen mir wieder ein. Wort für Wort kamen sie mir jäh in den Sinn. »Ihr hättet uns töten müssen – uns alle! Denn sobald wir wieder reiten können, werden wir auf eurer Fährte reiten. Hast du verstanden, Junge? – Ihr werdet bald immerzu über die Schulter sehen müssen. Denn wir knallen euch ab. Wir jagen euch zur Hölle. Fünf staubige Wagen sind leicht zu finden. Und wir finden sie.« Das waren die Worte von Bac Mahoun. Ich sah ihn und seine beiden Söhne Tage und Gus eben absitzen. Bei ihnen war Lot Sackett. Nur die Frau, die sie betreut hatte, Laura Henderson hieß sie wohl, fehlte jetzt. Sie gingen in den Saloon, durstig und staubig nach einem langen Ritt. Ich aber wußte, daß sie nicht zufällig hier auftauchten. Sie waren unserer Fährte gefolgt und würden ihr weiter folgen bis nach Brownsville. Heiliger Rauch! Wir hatten noch alle Hände voll mit Leo Mannerhan und Pat Carradine zu tun und bekamen nun noch mehr Ärger auf den Hals.
Was sollte ich tun? Ich hatte soeben Glück gehabt. Wäre ich nur drei oder vier Schritte weiter gewesen, würde ich mich im Lichtschein des Saloons befunden haben. Dann hätten mich die Mahouns wahrscheinlich erkannt. Und dann … Ich ging endlich weiter im Strom der Passanten. Ich machte schnell meine Einkäufe, doch es war keine Freude mehr in mir, daß ich Linda beschenken konnte. Es sollte mein nachträgliches Hochzeitsgeschenk sein. Aber was nützten ihr ein Armband mit Halskette und Ohrringen, wenn ich tot war? Ich hatte plötzlich Furcht, daß mich diese vier Männer hier in Santa Fe schnell finden, angreifen und töten würden. Und so machte ich, daß ich ins Camp zurückkam. Die Nacht war hell geworden. Ich hatte meilenweite Sicht. Ich fand meine Männer noch am Feuer versammelt. Sie hatten sich noch nicht niedergelegt. »Ich möchte sofort aufbrechen«, sagte ich. »Ihr tätet mir einen großen Gefallen, wenn ihr auf eure Nachtruhe verzichten würdet. Ich möchte in einer Stunde aufbrechen. Einverstanden?« Das war meine Art, mit den Männern umzugehen. Ich war höflich zu ihnen. Aber sie wußten, daß ich verdammt hart und gefährlich werden konnte. Deshalb rechneten sie mir meine höfliche Art besonders hoch an. Denn ich hätte sie jetzt auch mit derben Worten hochjagen können. Sie erhoben sich sofort bereitwillig. Einer sagte für alle: »Sicher, Boß, sicher! Diese Nacht ist schön hell und wird recht kühl. Da ist es besser, in der Hitze zu rasten!« Dann gingen sie an die Arbeit. Unser Camp geriet in Bewegung.
Knapp eine Stunde später fuhren wir auch schon los. Ich dachte an meine Brüder. Die ganzen Tage hier in Santa Fe hatte ich immer wieder an sie gedacht. Wie mochte es ihnen inzwischen ergangen sein? Ritten sie immer noch vergebens hinter unseren Feinden her? Oder waren sie in eine Falle geraten und längst tot? Alles war möglich. Auch ich mußte mich mit meinen Männern vorsehen. Wenn ich diesen Wagenzug verlor, war alles aus. Wir brauchten das Geld, welches wir in Brownsville für die eingekauften Waren bekommen würden. Ich ritt in dieser Nacht nicht nur an der Spitze der Wagen. Nein, ich blieb manchmal auch zurück und sicherte nach hinten. Aber die Mahouns würden wohl noch einige Tage brauchen, bis sie in Santa Fe alles über uns Swarthout-Brüder und meine junge Frau herausgefunden hatten. * Meine Brüder kamen drei Tage später in der Nacht. Sie wirkten müde und ausgebrannt. Concho war immer noch bei ihnen. »Mannerhan und Carradine sind spurlos verschwunden«, sagte Ben. »Aber ihre Leute bauen alles wieder auf, was Jim zerstörte. Wir können und wollen sie nicht daran hindern. Denn wenn alles wieder aufgebaut ist, müssen sich Mannerhan und Carradine doch mal blicken lassen – oder?« Ich nickte. Art deutete auf Concho und sagte: »Concho meint, daß Mannerhan und Carradine damals in der Nacht verwundet wurden und sich in ein Loch verkrochen haben, um die Wunden zu lecken. Aber sie werden zum Vorschein kommen. Wir wünschten, wir könnten ihr Versteck finden. Was war in
Santa Fe?« Ich berichtete es ihnen. Und da sahen sie sich nur stumm an, sagten nichts mehr. Sie blieben nicht lange im Camp, rüsteten sich nur neu aus mit notwendigen Dingen und ritten wieder fort. Ich lauschte noch lange, nachdem der Hufschlag ihrer Tiere schon längst verklungen war. Gern wäre ich mit ihnen geritten, denn ich hatte irgendwie ihre bittere Resignation schon spüren können. Wohin mochten sie jetzt reiten? Suchten sie jetzt immer noch nach Mannerhan und Carradine? Oder ritten sie jetzt nach Santa Fe den drei Mahouns und Lot Sackett entgegen. Verdammt, warum konnte ich nicht mit ihnen reiten? Aber ich hatte meine Aufgabe. Ich konnte in dieser Nacht nicht richtig schlafen. Meine Gedanken bewegten sich ständig im Kreis. Aber das war ja wohl verständlich. Wir fuhren am anderen Tage weiter in Richtung Brownsville. Als wir zum ehemaligen Hauptquartier der Mannerhan- und Carradine-Company kamen, hatte sich dort eine Menge verändert. Aus dem halben Dutzend Männer war fast ein Dutzend geworden. Sie hatten schon sehr viel wieder aufgebaut. Und dies bedeutete, daß Mannerhan und Carradine noch längst nicht aufgegeben hatten. Wir zogen an der kleinen Siedlung vorbei. Am Abend erreichten wir unsere zweite Relaisstation. Die Männer, die ich schon vor Tagen vorausgeschickt hatte, waren fleißig gewesen. Dies sah man sofort. Sie hatten Korrals gebaut, einen Schuppen, und waren nun beim Bau des Stationshauses. Morgen mußte die erste Postkutsche hier durchkommen und ihr Gespann wechseln. Hoffentlich ging alles gut.
Vielleicht war es dumm und leichtsinnig von mir, Männer hier zu stationieren, Pferde zu halten und eine Überlandpost fahren zu lassen, solange wir noch damit zu rechnen hatten, daß Mannerhan, Carradine, die Mahouns und Lot Sackett unsere Skalpe haben wollten. Denn sie konnten leicht alles zerstören, was wir aufbauten. * Die Überlandkutsche kam nicht am nächsten Tag. Sie hätte an diesem Morgen durchkommen müssen, denn sie sollte bei heller Nacht am Abend zuvor in Santa Fe losfahren. Auf diesem Wagenweg brauchte sie für zwölf Meilen etwa eine Stunde, und sie sollte hier auf dieser Station zum vierten Male ihr Gespann wechseln nach zwölf Stunden Fahrt. Wir brachen mit unseren Wagen bei Sonnenaufgang auf wie immer. Aber ich blickte immer wieder zurück und folgte dem Wagenweg mit meinen Blicken, soweit ich sehen konnte. Die Kutsche kam nicht, obwohl es inzwischen Vormittag geworden war. Da hielt ich es nicht mehr aus. Ich wußte plötzlich, daß etwas passiert sein mußte mit unserer ersten Postkutschenfahrt von Santa Fe nach Brownsville. Ich dachte wieder an Mannerhan, Carradine, die Mahouns und Lot Sackett. Ich mußte zurück, das war mir endlich klar. Und so sagte ich dem Vormann der Fahrer Bescheid und wendete mein Pferd. Es war an diesem Vormittag noch ausgeruht, denn die Wagen zogen ja langsam, und ich war bisher nur wenige Male in leichtem Trab geritten, zumeist nur im Schritt. Jetzt ließ ich es zwar nicht galoppieren, dafür aber traben. Und ich war angefüllt mit Unruhe. Warum kam die erste Kutsche nicht?
Ich hätte bei der Station, die wir heute bei Sonnenaufgang verlassen hatten, mein Pferd gegen ein frisches Tier eintauschen können – doch es lohnte sich nicht. Ich hielt nur an, um Fragen zu stellen. Doch man hatte nichts von der überfälligen Kutsche gehört. Und so ritt ich weiter. Die Männer beim Hauptquartier der Mannerhan-CarradineCompany spähten zu mir herüber, als ich vorüberritt. Ich erreichte einige Meilen weiter unsere nächste Relaisstation. Es war nun schon später Nachmittag. Mein Pferd war etwa fünfzig Meilen gelaufen. Ich mußte es jetzt doch wechseln. Auch in dieser Station wußte man nichts über die Kutsche. Ich blieb weiter auf dem Wagenweg. Und im letzten Licht des Tages fand ich dann die Kutsche. * Ihre Räder waren zerschlagen. Eines der Pferde war erschossen worden. Es lag noch im Geschirr. Wahrscheinlich hatten die Banditen auf diese Weise die Kutsche gestoppt. Die anderen Pferde waren weggetrieben Ich sah es an den Spuren. Es gab noch andere Spuren, Fußspuren. Sie stammten gewiß vom Fahrer und einem halben Dutzend Fahrgästen, die nicht bei der Kutsche geblieben waren, sondern irgendwohin marschierten. Vielleicht gab es eine Farm oder eine Ranch in der Nähe, zu der der Fahrer nun die Passagiere brachte. Anders konnte es nicht sein. Verdammt, was sollte ich tun? Als ich mich das fragte, sah ich einen Reiter kommen. Es war Concho. Er kam aus der Richtung, in der Santa Fe lag. Warum kam er allein? Wo waren meine Brüder?
Ich zwang mich zur Ruhe und wartete bei der Kutsche. Noch war ich abgesessen, lehnte mit einer Schulter an meinem Pferd und rauchte eine Zigarette. Concho kam herangeritten, legte seine Hände über das Sattelhorn und sah auf mich nieder. In seinem dunklen Gesicht regte sich nichts. Nur seine Augen funkelten. »Was ist mit meinen Brüdern?« Er ließ mich auf die Antwort warten, schien mich zu prüfen. Dann sagte er: »Deine Brüder … Nun, als sie von dir hörten, daß ein paar alte Feinde von euch in Santa Fe eingetroffen waren, hatten sie wohl Sorge, daß diese sich mit Mannerhan und Carradine vereinigen könnten. Denn sie hätten natürlich in den Saloons erfahren, daß ihr die Mannerhan- und CarradineCompany ausgebootet habt. – Na, wir ritten also hin.« Er machte eine Pause, blickte auf die Postkutsche und spähte dann in die Runde. Doch es wurde jetzt so schnell dunkel, daß bald nirgendwo mehr etwas zu erkennen war über Steinwurfweite hinaus. Er drehte sich eine Zigarette, zündete sie an und machte drei tiefe Züge. »Sie trafen sich im Taos Saloon«, sprach er dann weiter. »Die Mahouns und auch dieser Lot Sackett zogen sofort ihre Waffen. – Doch sie waren nicht schnell genug. Deine Brüder waren schneller, und deshalb konnten sie zwei der Gegner von den Beinen schießen, bevor sie selbst getroffen wurden.« Wieder machte er eine Pause, um genußvoll zu rauchen. Ich wollte ihn anbrüllen, ihm sagen, daß er mich nicht so sehr auf die Folter spannen sollte. Aber dann fiel mir noch rechtzeitig ein, daß er zumindest zur Hälfte ein Indianer war. Wegen Mangel an Selbstbeherrschung würde er mich verachten. Und ich brauchte seine Achtung. So blieb ich ruhig und wartete. Er nickte plötzlich leicht, so, als würde er anerkennen, daß
ich ein Mann mit Selbstbeherrschung sei, ein Bursche, der sich unter Kontrolle hielt. Er sprach weiter: »Aber sie wurden nur verwundet und konnten weiter gegen die Mahouns kämpfen. Es standen noch der alte Geier und dieser Lot Sackett, der wohl sein Neffe war. Der Kampf war nun ausgeglichen, obwohl deine Brüder verwundet waren. Sie hörten nicht einen Moment mit dem Schießen auf. – Und sie überlebten. – Nun liegen sie in einem Hotelzimmer. Die Wirtin versorgt sie, und der Doc versprach, jeden Tag nach ihnen zu sehen. – In ein paar Wochen können sie vielleicht wieder in die Sättel klettern – aber erst in einigen Wochen. Du bist verdammt allein, Ty Swarthout. – Und du hast eine ganze Menge am Hals, nicht wahr?« Ich schluckte und nickte. »Das hab’ ich wohl«, sagte ich. Aber dann kam ich zur Sache. »Die Fußspuren des Fahrers und der Fahrgäste führen dorthin«, sagte ich. »Was ist in dieser Richtung?« »Die Walker Ranch«, erwiderte er. »Dort bekommen sie einen Wagen. Es sind nur drei oder vier Meilen über die Hügel.« Ich nickte zufrieden und deutete in die andere Richtung. »Die fünf Kutschpferde wurden in diese Richtung getrieben«, sagte ich. Da grinste er in der Dunkelheit. »Willst du sie wiederhaben?« »Und dazu die Kerle, die das taten«, erwiderte ich. Er drückte die Zigarettenkippe am Sattelknauf aus und sah dann eine Weile in der Nacht auf mich. »Deine Brüder sind schon Klasse«, sagte er. »Die gewannen gegen vier Mann, von denen jeder ein Revolvermann war. – Wie gut bist du denn, Ty Swarthout?« »Komm mit mir«, sagte ich, »dann wirst du es sehen. – Führe mich durch dieses mir noch fremde Land. Die Fährte der
Pferde würde ich allein verfolgen können. Doch ich möchte in keinen Hinterhalt reiten. – Na?« Er nickte überraschend schnell. »Ja«, sagte er, »ich möchte wirklich sehen, ob du Mannerhan und Carradine schaffen kannst.« * Ich folgte ihm durch die Nacht, und er schien sich mit geschlossenen Augen auszukennen. Wir ritten die ganze Nacht. Und wir achteten nicht auf die Fährte der gestohlenen fünf Pferde. Concho schien ganz genau zu wissen, wohin er zu reiten hatte. Ich vertraute mich wortlos seiner Führung an. Als es Tag wurde, hatten wir eine gute Position auf der Terrasse eines Hügels. Wir blickten auf eine Hütte hinunter, zu der einige Korrals und ein Schuppen gehörten. In den Korrals waren Pferde, wahrscheinlich auch jene der Postkutsche. Concho sagte: »Dort unten lebt Snake-Pete Maffit, und er war schon immer ein Pferdedieb. Einmal hing er schon. Doch der Ast brach, bevor der Strick ihn umbrachte.« Ich spürte eine Enttäuschung, denn ich hatte geglaubt, am Ende der Fährte Mannerhan und Carradine finden zu können. Aber war das nicht ein wenig zu einfach? Bisher hatte ich Mannerhan und Carradine noch nie gesehen. Ich war da sehr auf Concho angewiesen. Concho starrte auf die Hütte. »Ich war mit deinen Brüdern schon zweimal hier, doch stets war Pete allein. Dies hier kann auch eine Falle sein. – Verstehst du, sie haben die Pferde vielleicht absichtlich hergetrieben, in der Hoffnung, daß ihr der Fährte folgt, jedoch bei Tag. Ich bin auf gut Glück hergeritten. Und deshalb sind wir um Stunden zu früh hier. – Die können sich nicht ausrechnen, daß wir der Fährte bei Nacht folgten. Wir hätten diese Fährte dann ihrer Meinung nach verlieren müssen. – Aber ich kannte Snake-
Petes Versteck schon immer. Hierher bringt er stets gestohlene Pferde, deren Brandzeichen er ändern muß. Die frischen Zeichen müssen erst richtig vernarben. Vorher kann er sie nicht zum Verkauf bringen.« Er machte eine Pause. Dann aber klang seine Stimme hart und pulvertrocken. »Ich denke, daß Mannerhan und Carradine dort in der Hütte sind. Am späten Vormittag werden sie sich in den Hinterhalt legen und Snake-Pete und die Pferde als Köder benutzen. Sie wissen noch nicht, daß deine Brüder gar nicht kommen können, weil sie krank in Santa Fe darniederliegen. – Wenn sie dich erledigen können, Ty Swarthout, werden sie bald Bescheid wissen, daß sie nur nach Santa Fe reiten müssen, um deine Brüder leicht …« »Schon gut«, knirschte ich. »Aber du kannst wetten, Concho, daß sie nicht mehr von hier fortreiten werden, sollten sie dort in der Hütte sein.« Er sah mich von der Seite her an. »Mal sehen«, sagte er lässig, »mal sehen, was du kannst, Ty Swarthout.« Mehr sagte er nicht. Aber es war Skepsis in seiner Stimme – und vielleicht sogar ein Anflug von Mitleid in seinen Augen. Ich wandte mein Interesse wieder der Hütte zu. Dort kam jetzt Rauch aus dem Kamin. Wer auch dort drinnen sein mochte, er war aufgestanden, um Kaffee zu kochen und Frühstück zu machen. Wahrscheinlich mußte er auch Wasser vom Brunnen holen. Ja, es gab einen Brunnen genau zwischen der Hütte und den Korrals, in denen sich die Tiere befanden. Wenn die Wassertröge in den Korrals leer sein sollten, dann würde der Mann wahrscheinlich auch Wasser hinschleppen müssen. Bis zur Hütte waren es etwa hundert Yards, zu den Korrals
weniger. Wir hatten hier auf der Hügel-Terrasse einen wirklich guten Platz. Concho hatte also bestens geführt. Es kam nur noch darauf an, ob Mannerhan und Carradine bei Snake-Pete waren. Aber Concho war da wohl sehr sicher. Und auch mir leuchtete inzwischen ein, daß dies hier eine Falle war, die allein nur deshalb nicht zuschnappen konnte, weil wir zu früh gekommen waren und die Kerle dort nicht einkalkulierten, daß wir die ganze Nacht ritten, weil wir uns gar nicht die Mühe machten, die Fährte der gestohlenen Pferde zu verfolgen. So lagen also die Dinge. Ich sah nun einen Mann herauskommen. Er war barfuß, trug nur eine Hose und ein zerlöchertes Unterhemd, doch einen Colt vorn im Hosenbund. Der Mann hatte einen hölzernen Eimer bei sich und ging zum Brunnen. »Das ist Snake-Pete«, sagte Concho. »Der steht sonst bestimmt nicht so früh auf und holt Wasser – der nicht. Der ist so faul wie eine Katze in der Sonne nach einer kalten Nacht. Der hat Gäste, die er versorgen muß.« Mir wurde klar, daß Concho etwas gegen Snake-Pete hatte. Aber ich fragte nicht danach. Es war mir gleich. Meine Gedanken waren ganz und gar darauf ausgerichtet, wie ich in die Hütte kommen konnte. Denn mir war klar, daß dies jetzt eine einmalige Chance war, den Krieg zu beenden. Meine Brüder waren wochenlang hinter Mannerhan und Carradine hergewesen, ohne jeden Erfolg. Und jetzt lagen sie angeschossen in Santa Fe, weil uns eine alte Fehde eingeholt hatte. Wenn ich die beiden Kerle dort in der Hütte nicht erledigen konnte, würden wir verlieren. Denn dann erledigten sie mich. Und meine Brüder in Santa Fe waren jetzt wehrlos. Aber waren Mannerhan und Carradine dort in der Hütte? Das
war die Frage. Es blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten. Irgendwann mußten sich doch auch andere Männer dort unten zeigen, sollten überhaupt welche vorhanden sein. Concho deutete hinüber zum Ende der Hügelterrasse. »Dort ist eine Rinne«, sagte er. »Wenn hier mal ein Unwetter niedergeht, kommt das Wasser aus den Bergen darin herunter. In diesem kleinen Arroyo könntest du bis hinter den Schuppen kommen. Willst du?« »Langsam«, sagte ich und grinste zurück, »nur immer langsam. Ich warte lieber noch ein wenig, bis ich dort unten etwas klarer sehe.« Er lachte nur leise. Aber wir brauchten nicht sehr lange zu warten, etwa nur solange, wie man hintereinander zwei Zigaretten rauchen konnte. Dann kam dieser Snake-Pete wieder heraus. Diesmal hatte er ein Gewehr bei sich. Als ich es sah, wußte ich auch schon Bescheid, was hier geplant war. Denn Snake-Pete hatte eine Sharps bei sich, ein Ding also, mit dem man auch noch auf mehr als dreihundert Yards einen starken Büffelbullen fällen konnte. Concho kicherte neben mir. Dann sagte er: »Wetten, daß er raufkommt, weil er von hier oben das beste Schußfeld hat?« »Da wette ich nicht«, sagte ich. Und dann warteten wir in guter Deckung. Unsere Pferde waren ebenfalls gut verborgen in einer Hügelfalte. Wir konnten beruhigt warten, zumal Snake-Pete selbst beim Heraufklettern so viel Lärm machte, daß er damit alle anderen Geräusche übertönte. Mir war klar, wie es geplant war. Die Hombres dort unten in der Hütte, die hatten gut geschlafen und waren beim Frühstück. Und weil sie sich ausrechneten, daß nun doch bald die Verfolger kommen
könnten und das Spiel dann beginnen würde, steckten sie sich schnell noch einen Trumpf in den Ärmel. Dieser Trumpf sollte Snake-Pete mit der Sharps sein. Mein Trumpf aber war besser. Er hieß Concho, und er hatte mich früher hergebracht. Aber die Burschen erwarteten ja nicht mich, sondern meine beiden Brüder. Snake-Pete war nun oben und suchte sich einen guten Platz, von dem aus er möglichst bequem gutes Schußfeld nach unten haben würde. Ich trat hinter dem roten Felsen hervor, der als Deckung diente und der von grünem Gebüsch umgeben war, welches einen wunderschönen Farbkontrast zum Rot des Felsens bildete. »Hallo, Pete«, sagte ich. Er zuckte zusammen und wandte sich halb. Dann verharrte er. Denn ich hielt meinen Revolver schußbereit. Er aber hätte die lange Flinte herumschwingen müssen. Er atmete langsam aus. Dann lehnte er die Sharps vorsichtig neben sich an einen kniehohen Stein. »Na schön«, sagte er, »was soll es denn sein?« Nun erst tauchte Concho neben mir auf. Petes Blick weitete sich einen Sekundenbruchteil – wurde dann schmal. »Oh, du Hundesohn hast ihn hergeführt, Concho«, sagte er. »Warum eigentlich bist du mein Feind? Müßten nicht gerade wir zusammenhalten?« »Ich bin kein Pferdedieb«, sagte Concho. »Und ich stehle einem Freudenmädchen nicht die Ersparnisse, so wie du es bei der roten Elly im Paradiesvogelkäfig getan hast. Nein, wir gehören nicht zur gleichen Sorte, die zusammenhalten müßte, Pete – wir nicht.« Er wandte sich an mich. »Ich nehme ihn dir ab, Ty Swarthout«, sagte er. »Ich passe auf ihn auf, solltest du jetzt hinunter wollen.«
Er wandte sich an Pete. »In deiner Hütte sitzen doch jetzt Mannerhan und Carradine beim Frühstück – oder?« Pete sagte nichts. Er schluckte erst hart und nickte dann. Ich sah Concho und Pete noch einmal an. Dann machte ich mich auf den Weg. Und ich staunte nur einen Moment darüber, wie selbstverständlich ich das tat. Dabei konnte es leicht möglich sein, daß ich dort unten starb. * Leo Mannerhan und Pat Carradine saßen noch beim Frühstück in der Hütte, als ich durch die Hintertür eintrat. Sie schauten gar nicht zu mir her, sondern starrten zur offenen Vordertür hinaus. Denn aus der Richtung, in die sie blickten, mußten die Verfolger der Pferdediebe kommen. Der schwarzbärtige Mannerhan sagte über die Schulter: »Zum Teufel, Pete, warum bist du immer noch hier unten? Du solltest doch mit der Sharps auf die Terrasse hinauf und …« Nun erst wandte er den Kopf und blickte über die Schulter. »He, wer ist das denn?« fragte er. Nun wandte auch der rothaarige Carradine den Kopf. Er kaute noch. Beide erhoben sich. Aber das war mir recht so. »Das ist bestimmt dieser Ty Swarthout«, sprach Carradine. »Sind deine Brüder dort draußen?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin allein«, sagte ich und steckte meinen Revolver in die Halfter zurück. »Ihr habt jetzt die große Chance«, sprach ich weiter. »Entweder ihr hört für immer auf mit dem Krieg – oder wir tragen es jetzt aus.« Sie glaubten mir. Doch sie blieben mißtrauisch.
Da sagte ich es ihnen: »Meine Brüder sind ausgefallen. Eine alte Fehde holte sie ein. Meine Brüder liegen angeschossen in Santa Fe.« Sie erhoben sich langsam, und sie trugen ihre Revolver. Und dann waren es nur noch wenige Sekunden bis zu ihrem unheilvollen Entschluß. Vielleicht war es dumm, zwei solchen Banditen eine Chance zu geben, auf jeden Vorteil zu verzichten. Aber ich konnte nicht anders. Ich war kein Killer. Ich konnte selbst Todfeinde, deren dritter Mann mich aus dem Hinterhalt mit einer Sharps abgeschossen hätte, nicht gnadenlos töten. Ich konnte es einfach nicht. Ich mußte – obwohl sie zu zweit gegen mich standen – ihnen die Wahl lassen. Denn sie konnten jetzt immer noch aufgeben. »Die Bürger von Brownsville haben sich gegen euch entschieden«, sagte ich. »Was wollt ihr da denn noch erreichen?« »Alles!« Carradine zischte es. Und es war das Zeichen. Sie zogen. Und ich beeilte mich, nicht von ihnen geschlagen zu werden. Carradine war sogar schneller als ich. Seine Kugel brannte über eine meiner Rippen. Aber dann schoß ich ihm ins Herz. Ich bekam dann die zweite Wunde, weil auch Mannerhan mich traf. Er hatte ja Zeit genug bekommen, da ich mich erst mit Carradine schoß. Doch ich hatte mir fest vorgenommen, stehenzubleiben und zu schießen. Mich holte auch diese Kugel nicht von den Beinen. Ich schoß ganz ruhig und sah, wie auch diese Kugel voll traf. Die Hütte war nun voll Pulverrauch. Ich mußte husten. Dabei spürte ich den bösen Schmerz der Wunden.
Ich taumelte hinaus ins Freie. Aber dann fiel ich. Es war mir, als hörte ich noch einen Schuß. Dann wurde alles dunkel um mich. Ich fiel in bodenlose Tiefe. * Als ich erwachte, lag ich auf einem Lager. Und mein Bart war viele Tage alt. Concho war bei mir und sprach zu mir, gab mir auch etwas zu trinken. Aber ich konnte nichts sagen. Ich schlief wieder ein. Irgendwann erwachte ich wieder, diesmal begriff ich schon mehr. Ich lebte, war ziemlich schlimm angeschossen und wurde von Concho versorgt. Er sagte mir, daß Carradine und Mannerhan tot wären – und er selbst hätte Snake-Pete erschießen müssen, weil dieser zum Gewehr griff, als er ihn mal einen Moment nicht im Auge behielt, sondern zu mir hinunterblickte. Das war, als ich aus der Hütte kam und draußen umfiel. Ich schlief bald wieder ein, nachdem ich einige Löffel Suppe geschluckt hatte. Von nun an ging es mir allmählich besser. ENDE
Auch für die nächste Woche ist Ihnen Ihre Unger-Lektüre sicher! Band 707 dieser beliebten und erfolgreichen Westernreihe trägt den Titel:
Sunshine Benny Er war nur ein Satteltramp, aber mit seiner Hilfe wagte die schöne Rancherin den Kampf gegen den machtbesessenen Großrancher …