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Fred McMason
Panoga – der Meeresgott
Gegen Mittag war die Wolkenwand noch hell, die tief im Westen an ...
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Seewölfe 735 1
Fred McMason
Panoga – der Meeresgott
Gegen Mittag war die Wolkenwand noch hell, die tief im Westen an der Kimm stand. Am Nachmittag des 18. Februar 1600 nahm die Bank an Mächtigkeit zu und färbte sich von einem schmutzigen Violett ins Schwarze. Die beiden holländischen Fleuten „Wilhelm van Oranien“ und „Harlingen“ standen zu diesem Zeitpunkt etwa fünfzig Meilen nördlich von der Insel Java. Als Vorläufer der Niederländisch-Ostindischen Kompanie befanden sich die beiden Fleuten von den Gewürzinseln der Molukken schwerbeladen auf dem Weg nach Amsterdam. Sie hatten noch die Javasee vor sich, den Indischen Ozean und den Atlantik ein Törn, der bis zum Zielhafen noch ein paar Monate dauern würde. Beide Fleuten hatten Nelkenpfeffer, Zimt, Ingwer, Vanille und Muskatnüsse geladen. Die Ladung versprach, ein lohnendes Geschäft zu werden. Doch die beiden Fleuten erreichten nie ihren Zielhafen … Die Hauptpersonen des Romans: Groenteboer– sein Schiff, die Fleute „Harlingen“, wird auf einem Riff vom Sturm zerschlagen. Mapuki – der Stammesälteste der Insulaner auf Jombang findet am Strand eine große Holzfigur und erkennt in ihr voller Ehrfurcht Panoga, den Meeresgott. Tefara – sein Töchterchen entspricht dem Schönheitsideal des Stammes: Sie ist mächtig dick und wabbelig. Edwin Carberry – der Profos gerät in heilige Not, weil ihn Mapuki mit Tefara vermählen will. Der Kutscher – ist nicht nur ein guter Koch und Feldscher, sondern auch ein sehr listiger Mensch. Philip Hasard Killigrew– hat zwar die lobenswerte Absicht, jedem Ärger aus dem Weg zu gehen, aber gegen Sturheit kämpft er vergebens.
1. Mit dem bisherigen Verlauf konnte Kapitän Groenteboer ganz zufrieden sein. Die Verhandlungen auf den Molukkeninseln waren so gut gelaufen, daß der offiziellen Gründung einer Gesellschaft und der damit angeschlossenen Faktoreien nichts mehr im Wege stand. In spätestens zwei Jahren würde es diese Kompanie geben. Sie würde damit ein Handelsmonopol erwerben, wie es nur die Portugiesen oder Spanier hatten. Das bedeutete wirtschaftlichen Aufschwung und unglaubliche Profite, Handelsspannen, von denen Groenteboer nie zu träumen gewagt hätte. Kehrten er und der Kapitän der „Wilhelm van Oranien“ zurück, würden sie
persönlich von Moritz von Nassau ausgezeichnet und geehrt werden. Im Geiste sah Groenteboer diese Ehrung immer wieder vor sich, und er hatte auch schon oft mit Jens van Aacheren, dem Kapitän der anderen Fleute, darüber gesprochen. Natürlich würde auch die Mannschaft nicht leer ausgehen, denn sie hatte einen beträchtlichen Teil zum Gelingen beigetragen. Groenteboer war ein massiger, hellblonder und bärtiger Mann mit hellen grauen Augen und einem gesunden Verstand. Ein hervorragender Kaufmann und Taktiker war er ebenfalls. Das hatte die beschwerliche Reise zu den Gewürzinseln bewiesen. Die große Freude und Zufriedenheit war allerdings durch etwas ein wenig betrübt.
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Und dieses Etwas stand wie hingenagelt an der westlichen Kimm und rührte sich nicht. Es war eine Wolkenbank, und beim bloßen Anblick dieser Erscheinung wußte der erfahrene Kapitän, daß sie ihnen noch eine Menge Kummer bereiten würde. Vorsichtshalber Land anlaufen? No, Mijnheer, das war nicht drin, nicht wegen eines bevorstehenden Sturmes. Die beiden Fleuten waren von guten Baumeistern auf Kiel gelegt worden, von Männern, die ihr Handwerk verstanden. Sie knüppelten selbst bei dickem Wind nur so durch die See, daß es eine Freude war, auf ihnen zu segeln. Außerdem hatte man vor einer Mütze voll Wind keine Angst. Land war auch nicht zu sehen. Groenteboer schätzte, daß sie etwa auf halber Höhe von Java waren, der Insel der Feuerberge, vermutlich mindestens fünfzig Meilen nördlich, wenn die Karten stimmten. Er stand mit untergeschlagenen Armen auf dem Achterdeck und sah das seitlich versetzte Kielwasser der „Wilhelm van Oranien“. Vom Achterdeck winkte ihm Jens van Aacheren öfter mal gutgelaunt zu. Groenteboer winkte zurück, aber er wurde das unruhige Gefühl nicht los, das ihn seit kurzem erfaßt hatte. Er hatte schon so viele Stürme abgeritten, daß er sie nicht mehr zählen konnte, und doch war diesmal alles ganz anders, obwohl bisher lediglich eine Wolkenbank am Himmel zu sehen war. Scherzhaft, in Wirklichkeit aber, um seine Unsicherheit zu verbergen, deutete er mit der Hand zu den Wolken und blies dabei die Wangen auf. Zeigte van Aacheren sich ebenfalls besorgt? Natürlich nicht. Der kleine und drahtige Kerl mit der tiefen Stimme winkte mit beiden Händen verächtlich ab. Wahrscheinlich sah er die Wolkenbank als eine einzige Herausforderung an, in die sie mitten hineinsegelten. Da lachte auch Groenteboer, allerdings etwas gekünstelt. „Ich unternehme einen Rundgang“, sagte er zu dem Ersten Offizier Cornelis Hertog.
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Hertog, ebenfalls ein bulliger Mann mit verkniffenem und fast düsterem Gesicht, nickte bedächtig. Er kannte das. Immer wenn Groenteboer seine Rundgänge unternahm, inspizierte er das Schiff aus dem einzigen Grund, weil er wußte, daß ihnen bald etwas bevorstand. Lange genug hatte der Kapitän die Wolkenbank auf ihrem Kurs gemustert. Jetzt wollte er sich vergewissern, ob das Schiff in tadellosem Zustand war. Groenteboer winkte Rochus van Traa, dem vollbärtigen und drahtigen Schiffszimmermann, der ihn begleiten sollte. „Was gibt es, Cap?“ fragte der bärtige Mann. Sie nannten ihn immer Cap, vom Moses bis zum Ersten Offizier. Groenteboer deutete zu der Wolkenbank, die fast unmerklich immer schwärzer wurde und bereits einen beträchtlichen Teil der westlichen Kimm ausfüllte. Man sah sie nicht wachsen – sie dehnte sich von innen heraus immer weiter aus, und wenn man nach einer Weile wieder hinsah, war sie größer und mächtiger geworden. „Alle Verschalkungen überprüft, Rochus?“ „Alles dicht, Cap.“ „Dann frage ich dich, warum es hier nach Pfeffer und Vanille riecht. Die Gewürze befinden sich in wasserdichten Fässern, über das Deck bläst ein leichter Wind, trotzdem kann man meilenweit riechen, was wir geladen haben.“ „Das Holz, Cap“, sagte Rochus van Traa bedächtig. „Der starke Geruch der Gewürze dringt allmählich durch das Holz und wird immer intensiver. Der Geruch wird noch stärker werden. Wenn wir in Amsterdam in den Hafen einlaufen, werden alle sieben Provinzen nach den Gewürzen duften.“ „Ja, wenn!“ entfuhr es dem Kapitän unwillkürlich. Er spürte, daß seine Nackenmuskeln verkrampft waren und ihm ein kühler Schauer über den breiten Rücken lief. Für einen winzigen Augenblick hatte er eine fürchterliche Vision wie in einem Alptraum. Er sah, wie der Bug der „Harlingen“ steil aus dem Wasser stieß.
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Das Schiff schüttelte sich und flog in einem wilden Trümmerregen auseinander wie ein Spielzeug. „Wenn?“ fragte Rochus. „Es wird noch ein paar Monate dauern. Was hast du, Cap, ist dir nicht gut?“ „Godverdomme“, murmelte Groenteboer. Zusammen mit dem Schiffszimmermann sah er die Verschalkungen nach und überprüfte alles genau, obwohl er wußte, daß auf den kleinen, drahtigen Mann absoluter Verlaß war. „Wir werden in ein Unwetter geraten“, sagte er, als sie das Vorschiff erreichten. Den Schiffszimmermann ließ das kalt. „Na und, Cap? Seit sich die spanische Armada in alle Winde zerstreut hat, sind wir Holländer die Lehrmeister im Schiffbau geworden. Unsere Fleuten sind die stabilsten Schiffe, die es gibt. Die reiten selbst vollbeladen jeden Sturm ab.“ „Das weiß ich“, knurrte Groenteboer. „Deshalb muß ich mich auch vergewissern, daß alles seine Ordnung hat.“ Vom Bug aus blickte der Holländer in die See. Unter dem Bugspriet befand sich die Galionsfigur, die sich mit breiter Brust der anrollenden Dünung entgegenwarf. Diese Galionsfigur stellte einen riesigen Kerl dar, einen muskelbepackten Mann mit Narben und einem ziemlich wüsten Gesicht. Der Kerl blickte grimmig in die See, und er hatte ein stark ausgeprägtes Kinn wie ein Amboß. Die Figur symbolisierte Kraft, Ausdauer und Stärke. Die ewig anrollende See hatte tiefe Narben in das Gesicht geschnitten und gekerbt, doch sie war nicht kleinzukriegen. Der Künstler, von dem sie geschaffen worden war, hatte es verstanden, diesem Gesicht Leben einzuhauchen, und eben jene Narben, die den Zahn der Zeit und der Verwitterung darstellen sollten. Die Figur klammerte sich mit der linken Hand am Schiff fest und reckte die Rechte, zur Faust geballt, drohend in die See, als wolle sie alle zerschmettern. Schon von weitem entstand der Eindruck eines Berserkers, der sich erbarmungslos
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vorankämpft und nichts fürchtet, selbst wenn das Meer ihn zu ertränken droht. Groenteboer sah lange und nachdenklich auf die Figur hinunter. Der Bug hob sich, tauchte wieder ein und die riesige Pranke der Figur donnerte in die Welle, um sie zu zerteilen und ihr die Kraft zu nehmen. Triefendnaß tauchte die Faust wieder aus dem Wasser auf und hämmerte auf die nächste Woge ein. Und so ging das ewig weiter. Der Kerl schien zu leben und über eine ungebrochene Kraft zu verfügen. Je höher die See ging, desto entschlossener und wilder schien sein kantiges Gesicht mit dem riesigen Kinn zu werden. Die Wand füllte jetzt beinahe den gesamten Horizont aus. Sie war noch schwärzer geworden. In ihrem Zentrum aber war ein dunstiges und rotglühendes Auge zu erkennen – das Auge eines lauernden Dämonen, das nichts Gutes verhieß. * Am späten Nachmittag ging die See hoch. Groenteboer hatte Blinde und Oberblinde wegnehmen lassen. An den drei anderen Masten standen noch alle Segel. Beide Fleuten segelten über Backbordbug liegend mit Steuerbordhalsen bei nordöstlich einfallendem Wind. Sie segelten Westkurs, um über Batavia die Sundastraße zu erreichen. Von dort aus, wenn sie die Westecke Javas passiert hatten, sollte es in den Indischen Ozean sehen. Dort gedachten die beiden Kapitäne, auf Mauritius Trinkwasser und Proviant zu ergänzen, dann die Südspitze Afrikas zu runden und den langen Törn über den Atlantik zu segeln. Die Sonne war hinter feinen Gespinsten verschwunden wie eine Spinne in ihrem Netz. Sie hatte kaum noch Leuchtkraft und schien sich vor der Wolkenfront zu verstecken. Zur Zeit herrschte ein eigenartiges Zwielicht. Die westliche Kimm
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verschmolz mit Wasser und Luft zu einer kompakten Masse, die keinen Unterschied mehr zeigte. Dort zeigte jetzt auch das Meer diese eigentümliche Farbe, die nicht grau und nicht schwarz war. Achteraus herrschte gespenstisch aufgehellte Dämmerung. Der Himmel hatte keine klar definierbare Farbe, und das Meer schloß sich diesem seltsamen Gemisch an und schien nach oben zu fließen. Vor der „Harlingen“ bewegte sich in ewigem Auf und Ab ein zerfließender Schatten mit Segeln, die ins Diffuse verzerrt waren. Selbst die Gestalten auf dem Achterdeck waren in ihren Konturen unscharf und nur schlecht zu unterscheiden. Die Dünung war höher geworden. Bei jedem Eintauchen des Bugs stoben Wasserschleier an Deck und wehten bis nach achtern. Rudergänger, Offiziere und der Kapitän hatten feuchte Gesichter. Aus dem Bart des Schiffszimmermanns troff das Salzwasser. Mann- und Strecktaue wurden über Deck gespannt. Der Wind blies härter. In den oberen Luftschichten war ein Heulen und Jaulen zu hören. „Wo stehen wir jetzt?“ fragte Groenteboer. Die Frage war an einen hageren blonden Mann gerichtet, der die hellblauen Augen zusammenkniff und in die Wasserschleier blickte, die nun pausenlos über Deck brachen. Der Blonde, langaufgeschossen und mit schmaler Nase, war Hendrik, der Zweite Offizier, der sich als hervorragender Navigator auf vielen Reisen bewährt hatte. Die Seekarten hatte er unten in der Kapitänskammer ausgebreitet, wo sie nicht naß wurden und eine Laterne brannte. Er war nur für einen kurzen Sprung an Deck erschienen. „Knapp hundert Meilen nördlich von Java und etwa dreißig Meilen vor der Inselgruppe, den Karimundjawa, wenn meine Berechnungen stimmen.“
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„Hundert Meilen?“ fragte Groenteboer ungläubig. „Ich denke, wir sind nur etwa fünfzig Meilen vom Land entfernt.“ „Nee Cap“, erwiderte Hendrik im breiten, knarzenden Dialekt der Overijssel-Provinz. „Wir stehen hundert Meilen querab. Vielleicht zehn Meilen weniger, mehr nicht.“ „Verdomme!“ Groenteboer wußte, daß die Insel Java hier eine nördliche, weit ins Meer springende Ausbuchtung hatte und sich die Entfernung zur Insel schon in ein paar Stunden beträchtlich vergrößern würde, denn da ging die Landnase tief nach Süden zurück. Die Insel anzulaufen, war also unsinnig, denn der Sturm würde sie in jedem Fall überraschen. Der Weg nach Norden war ihnen ebenfalls verbaut. Bis zur Südküste der Insel Borneo waren es gleich ein paar hundert Meilen. Die einzige Hoffnung, doch noch Schutz zu suchen, boten die Karimundjawas, vorausgesetzt, man segelte nicht an ihnen vorbei. Es war eine kleine Inselgruppe, die besonders bei Nacht, Sturm und Abdrift leicht zu verfehlen war. Dreißig Meilen noch, überlegte er. Mindestens sechs Stunden würde sie das kosten, doch bis dahin war es längst Nacht und alles stockfinster. In dem diffusen Licht blitzte es vor ihnen auf. Zuerst war es ein heftig flackerndes Licht, dann wurde es ruhiger. Auf der „Wilhelm van Oranien“ war die Hecklaterne entzündet worden, deren milchiger Schein alles nur noch gespenstischer erscheinen ließ. Fast gleichzeitig wurde auch noch im Fockmast eine Laterne entzündet und ins Want gehängt. Jens van Aacheren beleuchtete sein Schiff, um der „Harlingen“ bei Finsternis den Weg zu weisen. „Setzt ebenfalls die Lichter“, befahl Groenteboer. „In jedes Leewant eine Laterne, damit wir uns nicht aus den Augen verlieren.“ Bald darauf erstrahlte auch die „Harlingen“ in milchig-trübem Schein und zog den Lichtschleier wie Dunst hinter sich her,
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wenn wieder Brecher über das Deck stäubten. Groenteboer sah nach den Segeln. Sie standen voll und unter solch starkem Druck, daß sich die Masten durchbogen und die Rahen überlaut knarrten. Er wollte alles Tuch bis auf zwei Sturmsegel wegnehmen lassen, doch zuerst blickte er zu der anderen Fleute, um zu sehen, was van Aacheren tat oder tun würde. Der tat jedoch gar nichts, vielleicht aus dem Grund, weil er Groenteboer imponieren wollte. Der Kerl riskierte mitunter Kopf und Kragen, während Groenteboer bedächtiger und überlegter war. Was nutzte ihm ein Imponiergehabe, wenn dabei Schiff und Mannschaft zum Teufel gingen! Nahm er jetzt die Segel weg, würde er sich später – wenn alles gut gegangen war – ein paar ironische Bemerkungen anhören müssen, und das im Tonfall eines Mannes, der meist alles besser wußte und dessen Fleute ein klein wenig schneller war als die „Harlingen“. Van Aacheren hätte auf der Reise sicherlich eine ganze Woche Vorsprung mit seinem schnelleren Schiff herausgeschunden, allerdings auch mit dem Risiko, daß ihm die Segel um die Ohren flogen oder die Rahen und Spieren an Deck krachten. Sie hatten jedoch vereinbart, daß sie zusammenbleiben wollten, und daran hielt sich selbst van Aacheren, der manchmal ein Schlitzohr war. Die Wolkenwand war jetzt überall, nur im Westen war sie besonders pechschwarz, während im Osten noch schwefliges Gelb zu sehen war. Etwas später zuckte ein gewaltiger Blitz aus der Bank, eine dicke Linie, die im Zickzackkurs über den Himmel lief und ihn wie ein glühendes Schwert spaltete. Der erwartete Donner blieb aus, oder er war im Tosen der immer höher gehenden Dünung nicht zu hören. Hohe Brecher überrollten jetzt das Deck. Wer von achtern nach vorn mußte oder umgekehrt, konnte sich nur noch zwischen den Mann- und Strecktauen bewegen und
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mußte sich wie ein Affe anklammern, um nicht über Bord gespült zu werden. Und immer noch hatte van Aacheren alles Zeug stehen. Lediglich die beiden Blindesegel hatte er seit einer Weile wegnehmen lassen. Das Tosen und Jaulen wurde lauter. Ein zweiter Blitz, noch gewaltiger und wilder, zerriß den Himmel und bahnte sich irgendwo in der Finsternis einen Weg nach unten ins Meer. „Godverdomme, ist der denn verrückt?“ fluchte Groenteboer. „Er muß doch endlich das Tuch bergen!“ Cornelis Hertog grinste verkniffen. „De Duivel moge deze vervloekte Idioot halen!“ rief er aufgebracht. Das war bester Groninger Slang, und er hörte sich so an, als würden alte Windmühlen knarren. „Er wartet darauf, bis wir das Tuch wegnehmen, Cap. Der Kerl will sehen, wer die besseren Nerven hat.“ „Er!“ brüllte der Kapitän. „Er natürlich hat die besseren Nerven! Idioten haben immer gute Nerven. Holt das Zeug runter, verdammt, und laßt nur die kleine Fock und das Großmarssegel stehen. Keiner sagt euch, daß ihr euch beeilen müßt!“ Die Kerle flitzten nur so auf ihre Positionen, um das Tuch aufzupacken, denn es sah ganz danach aus, als ginge es ihnen in den nächsten Minuten ernsthaft an den Kragen, wenn die Segel stehenblieben. Mit dem Hinweis, daß es gar nicht eilig sei, meinte Groenteboer genau das Gegenteil. Es wurmte ihn mächtig, daß van Aacheren immer noch so tat, als sei das eine Spazierfahrt, und es wurmte ihn noch mehr, als seine Segel endlich geborgen waren. Denn genau jetzt schickte van Aacheren sich an, ebenfalls seine Segel aufzutuchen. Der Kerl hatte wahrhaftig die besseren Nerven, und er hatte es ihm wieder mal gezeigt. Natürlich würde er später schnoddrig behaupten, er habe nur aufgetucht, damit Groenteboer nicht hoffnungslos zurückfiel oder sich in dem Sturm verirrte.
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Cornelis Hertog schien seine Wut zu teilen, denn er hob drohend die Faust und zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen. Der Wind beutelte sie jetzt mit wilder Kraft. Dunkle Seen türmten sich auf, mit wildschäumenden Kämmen, die sich brachen und das Deck überrollten. Längst waren sie alle naß bis auf die Knochen. Auch die Verständigung ließ zu wünschen übrig. Der brüllende Wind fetzte ihnen die Worte von den Lippen, kaum daß sie gesprochen waren. Sie mußten schon laut schreien, um in dem Tosen und Lärmen überhaupt etwas zu verstehen. Rasmus stieg jetzt voll ein. Als der Wind drehte und mehr von achtern einfiel, entstanden die gefährlichen Kreuzseen, die die Fleute hart durchschüttelten. Vor ihnen tanzte die andere Fleute wie ein großer Korken auf dem Wasser. Ihr Lichtschein verschwand in einem tiefen Wellental und war für etliche Augenblicke nicht mehr zu sehen. Erst wenn sie glaubten, die Fleute würde nie mehr auftauchen, erschien der glosende Schimmer in der Schwärze, erhob sich in riesige Höhen und wurde wieder in die Tiefe gerissen. Die Sturmsegel, unter denen sie jetzt liefen, knattern wild im unbarmherzig tobenden Wind. Das Schiff ächzte, knarrte und knackte in allen Verbänden. Immer wieder lauschte Groenteboer nach verdächtigen Geräuschen tief im Bauch des Schiffes. Aber die Fässer waren gut verzurrt und rissen sich nicht los. Am wilden Knattern der Segel aber merkte er, daß der Sturm sie bald zerfetzen würde. Dann blieb ihnen nichts weiter übrig, als vor Topp und Takel zu lenzen und sich dahin treiben zu lassen, wohin es dem Meeresgott gefiel. Sie trieben jetzt schon in einer Schwärze, die keinen Anfang und kein Ende hatte. Eine schwere Nacht stand ihnen bevor, und die mußten sie auf See abreiten, denn nirgendwo war Land in Sicht. 2.
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In dieser Nacht bereute Groenteboer, nicht doch Land angelaufen zu haben. Zumindest hätten sie dichter unter Land gehen müssen. Die Sturmsegel waren nur noch knatternde Fetzen in einem brüllenden Wind und fast haushohen Wellen. Trotz der Dunkelheit war es um sie her weiß. Die See schäumte und brodelte wie ein Hexenkessel. Längst hatten sie jegliche Orientierung verloren. Durch die Schwärze zuckten immer wieder endlos lange Blitze, doch der wilde Donner ging im Brüllen der See unter. Es fiel auch kein einziger Tropfen vom Himmel. Sie lenzten jetzt vor Topp und Takel. Brecher jagten über das Deck, überrollten die Fleute, drückten sie unter Wasser, bis ihnen die Luft wegblieb und sie Salzwasser schluckten. Ab und zu tauchte weit vor ihnen der Lichtschimmer auf – die Hecklaterne der „Wilhelm van Oranien“. Es war das einzige Licht, das noch an Deck brannte. Die anderen Laternen hatten See und Wind längst zerschmettert. Auf der „Harlingen“ brannte auch nur noch achtern Licht. Die restlichen Lampen waren von schweren Brechern zerschlagen worden. Nur noch Groenteboer und Hertog befanden sich auf dem Achterdeck. Die anderen hatte der Kapitän nach unten geschickt, um im Toben der Elemente keinen Mann zu verlieren. Eine Stunde später war das Hecklicht der anderen Fleute plötzlich verschwunden. Groenteboer hielt vergebens nach dem Lichtschimmer Ausschau. Die See hatte ihn einfach verschluckt. Er glaubte, irgendwo weit voraus ein Krachen und Bersten zu hören, aber das konnte genauso gut Donner oder ein besonders schwerer Brecher sein, der gegen das Vorschiff donnerte und dort etwas zerstört hatte. Vielleicht war die Blinde samt ihrer Takelage über Bord gegangen.
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„Siehst du das Licht noch?“ brüllte Groenteboer aus voller Lungenkraft seinen Ersten an. Der war ein ziemlich schweigsamer Mensch, und so schüttelte er nur den Kopf, bis ihm einfiel, daß es der Kapitän bei dieser Finsternis nicht bemerken konnte. „Nein, nichts zu sehen!“ schrie er zurück, ebenfalls so laut wie er konnte. „Dann hat die See seine Lampe zerschmettert!“ brüllte Groenteboer. Ein Brecher tobte über sie hinweg. Sie hatten sich angeleint, sonst wären sie längst über Stag gegangen. Jetzt mußten sie die Luft anhalten, um nicht zu ersticken. Erst nach einer Ewigkeit konnten sie wieder klar denken. Sofort suchte Groenteboer nach der anderen Fleute. Nichts zu sehen, kein Licht mehr. Nur eine Woge rollte achtern heran, die in der Finsternis deutlich zu erkennen war. Man mußte schon den Kopf in den Nacken legen, um die gewaltige Schaumkrone zu erkennen, die da heranwalzte. Groenteboer fiel noch auf, daß jetzt auffallende hohe Kaventsmänner heranrasten, weitaus höhere als zuvor und auch viel mehr. Irgendwo in der Nähe mußte es eine Untiefe geben, denn die Wassermassen benahmen sich ganz anders als auf hoher See. Damit waren seine Gedanken auch schon abgeschnitten, und das für ihn typische „Godverdomme“ blieb ihm in der Kehle stecken. Der Kaventsmann donnerte nicht auf das Achterdeck, um alles unter seinen Wassermassen zu begraben. Im letzten Augenblick, dicht hinter dem Heck, brach sich die Welle. Mit einem urweltlichen Brüllen wurde die Fleute hochgehoben und mit unbändiger Kraft nach vorn geworfen. Ein kurzer Ritt auf einer Höllenwoge folgte. Dann waren da nur noch Bersten, Krachen, Splittern und ein gewaltiger Schlag, der sich nach einer Explosion anhörte. Groenteboer und Hertog wurden in ihren Leinen fast stranguliert, als das Schiff so
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urplötzlich gebremst wurde. Der Erste Offizier verlor durch den Anprall das Bewußtsein. Groenteboer wurde es schwarz vor Augen, doch er fing sich schnell wieder. Die Wucht des Anpralls knickte die Masten. Fock, Großmast und Besan stürzten samt des laufenden und stehenden Gutes zusammen. Der Rumpf der Fleute wurde von vorn bis achtern aufgerissen. Planken flogen davon, starke Balken wurden zerschmettert. Innerhalb weniger Sekunden war die „Harlingen“ nur noch ein armseliges Wrack, das in den Riffen hing. Aus dem Rumpf des todwunden Schiffes waren Schreie zu hören. Männer taumelten durch eingedrückte Schotten an Deck und begriffen nicht, was soeben passiert war. Ein neuer Brecher donnerte über die „Harlingen“ hinweg und riß ein paar Decksleute erbarmungslos mit sich. Sie verschwanden in der kochenden See und wurden nie mehr gesehen. Ihre entsetzten Schreie verhallten im brausenden Sturm. Das Schiff hing auf der Backbordseite, zerschlagen, zertrümmert, mit zersplitterten Masten und Spieren, Rahen und Tauwerk, das ein wüstes Knäuel bildete. Völlig fassungslos und geschockt fummelte Groenteboer seine Leine auf und befreite auch Hertog, der gerade wieder zu sich kam. Der Erste Offizier begriff überhaupt nicht, was geschehen war. Völlig benommen klammerte er sich an einem Strecktau fest. Weitere Brecher schäumten auf und stiegen an der Backbordseite hoch. Sie waren jetzt nicht mehr so entsetzlich wild. Die vorgelagerten Riffe bremsten sie ab und nahmen ihnen einen Teil ihrer gewaltigen Kraft. In der ringsum aufblitzenden See konnte Groenteboer erkennen, daß sein Schiff auf einem aus dem Wasser ragenden Korallenriff hing, das immer wieder von Brechern umtost und umspült wurde. Er sah auch, daß er auf einem Wrack stand, einem Wrack, dessen traurige Überreste
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der Sturm zerfetzte, bis keine Planke mehr auf der anderen war. Sie hatten die dreißig Meilen bis zu den Karimundjawa geschafft, aber auf eine Art, mit der niemand gerechnet hatte. Sie mußten die vorgelagerten Korallenbänke der Inseln erwischt haben. Männer schwankten auf ihn zu, schreiende Stimmen drangen an sein Ohr. Er hörte sie nur wie aus weiter Ferne. Jemand brachte erstaunlicherweise eine Laterne an Deck und hielt sie mit einer Hand vor der Brust. Groenteboer sah in fassungslose und entsetzte Gesichter, in denen das Grauen stand. Um sich herum sah er nur Trümmer, zerfetzte Schanzkleider, einen aufgerissenen Teil der Kuhl mit hochgebogenen und zerfetzten Planken, Maststümpfe, Tauwerk, Rahen und Spieren. Es war ein einziger Trümmerhaufen. Und natürlich war die kostbare Gewürzladung beim Teufel. Aber die nutzte ihnen in der jetzigen Situation nichts mehr. Er hob die Schultern, ließ sie entmutigt wieder fallen, wollte etwas sagen und brachte vorerst doch keinen Ton über die Lippen. Alles war hoffnungslos in dieser entsetzlichen Nacht. Seine Zukunftspläne waren ausgeträumt. Sie hingen hilflos auf dem Riff und mußten immer wieder um ihr Leben bangen, wenn Brecher herantobten und mit ihrer wilden Wucht das Wrack erschütterten und weiter zerfetzten. Er fuhr herum, als in der Dunkelheit Steuerbord voraus ein Licht aufflackerte, erlosch, dann wieder aufflackerte. Hart schluckend, erkannte er das andere Schiff, die „Wilhelm van Oranien“. Es waren nur Umrisse zu sehen, aber aus diesen Umrissen konnte er alles erkennen. Die andere Fleute war ebenfalls in die Riffe gelaufen, aber .es hatte sie offenbar nicht so schwer erwischt wie sie selbst. Wenn er sich nicht täuschte, schien sie zwischen zwei Riffen regelrecht gekeilt zu sein. Sie lag auch viel höher, und die tosenden Brecher erreichten nur hin und wieder das
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Deck. Sie hämmerten pausenlos dagegen, und jedes Mal war ein dumpfes Dröhnen zu hören. „Das ist unsere einzige Rettung“, sagte Rochus van Traa, zu der anderen Fleute zeigend. „Mit unserem Schiff können wir nichts mehr anfangen, Cap, das ist hinüber, endgültig und für immer.“ „Ja, das ist hinüber“, wiederholte Groenteboer leise und wußte nicht mal, was er überhaupt sagte. Er war noch wie betäubt und konnte das Unglück nicht fassen. Er holte tief Luft und schloß die Augen. Ein Schrei riß ihn wieder hoch. „Das Vorschiff!“ brüllte jemand. Eine Welle überrollte gerade das Riff, schäumte am Vorschiff hoch und verschlang es. Das Kreischen von berstendem Holz war zu hören. Ein gewaltiger Ruck ging gleichzeitig durch das Wrack, Die See holte sich einen Teil des Vorschiffes. Sie hatte den Bug mit der Galionsfigur zerschmettert und trug große Teile jetzt davon mit sich fort. Im Dunkel der Nacht verschwanden sie auf Nimmerwiedersehen. Unter ihren Füßen krachte es beängstigend laut. Zwei Planken barsten mit diesem furchterregenden und gräßlichen Geräusch. Sie hinterließen ein klaffendes Loch. Von der anderen Fleute wurde herübergebrüllt, aber niemand verstand auch nur ein Wort. Jedenfalls wußten die da drüben, daß der „Harlingen“ das gleiche Schicksal widerfahren war. Groenteboer sah hilfesuchend zu der Fleute hinüber. „Nicht mehr lange, und wir saufen ab“, sagte er mit belegter Stimme. „Unsere einzige Rettung ist die ‚Wilhelm'. Aber die ist für uns so weit entfernt wie der Mond.“ So ungefähr stimmte das, was er sagte. Sie konnten keine Jolle zu Wasser bringen und die anderen drüben ebenfalls nicht. Schwimmend war die Fleute schon gar nicht zu erreichen. Sturm und Wellen würden jeden Schwimmer in die Riffe schmettern und töten.
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Die Lage war hoffnungslos, zumal das Wrack jetzt immer mehr zerstört wurde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die „Harlingen“ in ihre Bestandteile auflöste. Weitere Laternen wurden entzündet. Beim schwachen Schein des Lichtes wurde das Ausmaß der Katastrophe nur noch schlimmer. Ein neuer Brecher donnerte heran, schlug an die Bordwand und riß ein paar Planken mit sich. Im Wasser sah der Kapitän eine Gestalt treiben. Im ersten Augenblick hielt er sie für einen Mann, dann erkannte er die Galionsfigur. Der kantige Kerl aus Hartholz trieb mit drohend emporgereckter Faust zwischen den Riffen hindurch. Eine Welle stellte ihn aufrecht hin, und es sah unheimlich aus, wie er mit erhobener Faust aus dem Meer aufzutauchen schien. Die nächste Welle trieb ihn an den Rumpf, und da hörte es sich an, als klopfe er an die Planken. Einen Augenblick später verschwand er. „Sind noch welche unten?“ fragte Groenteboer. Im Schein der Laternen zählte er seine Mannschaft. Er zählte bis einundzwanzig und schluckte hart. „Keine mehr, alle sind an Deck“, sagte der Zimmermann. „Mein Gott, das ist ja furchtbar.“ Auf dem zerstörten Schiff begannen sie mit der Suche nach überlebenden, doch sie fanden nur einen toten Decksmann, der sich zwischen zwei geborstenen Planken verfangen hatte und ertrunken war. Die anderen Männer hatte das Meer geholt. Groenteboer setzte sich auf die Kuhlgräting und vergrub das Gesicht zwischen den Händen. * In der Nacht schlugen die Brecher das Schiff kurz und klein. Das Meer wühlte sich durch den riesigen Spalt am Bug und fraß das Holz Stück für Stück. Auch achtern, wo sich die Kapitänskammer befand, gähnte ein
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riesiges Loch, das sich alle Augenblicke vergrößerte. Die Fleute fiel buchstäblich auseinander. Zwei Männer sprangen in ihrer Angst in das kochende Wasser, um schwimmend die andere Fleute zu erreichen, die noch intakt schien. Ein berstender Schlag erschütterte das Schiff, als ein neuer Kaventsmann herantobte. Er riß einen Teil des Schanzkleides mit sich und zerschmetterte die Jolle. Trümmer flogen ihnen um die Ohren. Sie kauerten sich zu einem Häuflein zusammen und erwarteten das Ende. ' Um sie her trieben die Fässer mit den kostbaren Gewürzen, aber niemand hatte einen Blick dafür. Was waren schon ein paar Fässer gegen ihr Leben! Eine Laterne verlöschte zischend, auch die nächste holte ein Brecher. Sie konnten sich jetzt nur noch an dem Lichtschein der „Wilhelm van Oranien“ orientieren. In das Heulen des Windes mischte sich ein Schrei. Planken gaben krachend nach und zogen zwei weitere Männer in die Tiefe. Groenteboer war so hilflos wie nie zuvor in seinem Leben. Tief erschüttert mußte er mit ansehen, wie das Meer einen nach dem anderen holte und mit sich riß. In den Riffen hatten die Männer keine Chance, sich irgendwo festzuklammern. Die meisten wurden von dem heftigen Anprall augenblicklich zerschmettert. Das Häuflein wurde immer kleiner. Blitze zuckten schmetternd durch die Nacht. Sie hörten jetzt erstmals auch den Donner rollen. Wie Geschützfeuer klang es. Wenn ein Blitz den Himmel zerriß, starrten sie sich gegenseitig in die verzerrten und leichenblaß scheinenden Gesichter, in denen die bange rage stand, wie lange es wohl noch dauern würde, bis die See auch den letzten Mann geholt hatte. Wieder ein krachender und berstender Schlag, der das Tosen der Brecher und den brüllenden Donner überlagerte. Ein Teil des Achterschiffes sackte weg, wie von einer Breitseite getroffen. Holzbrocken tauchten ins Wasser und
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wurden von den anrollenden Wogen wieder hochgeschleudert. Abermals verschwanden zwei Männer in den brüllenden Fluten. „Wir müssen hinüber!“ rief Cornelis Hertog. „Das Schiff besteht nur noch aus Einzelteilen. Irgendwie müssen wir versuchen, zu den anderen zu gelangen.“ „Wir werden an den Riffen zerschmettert wie die anderen auch!“ rief Groenteboer. „Solange wir noch etwas Holz um uns haben, sind wir einigermaßen sicher und können uns festklammern.“ „Und was ist danach, Cap?“ „Ich weiß nicht. Vielleicht flaut der Sturm ein wenig ab. Ich überlasse diese Entscheidung aber euch selbst. Wer will, kann es versuchen. Aber wir können niemanden anleinen, weil wir kein Tauwerk mehr haben.“ Ein paar erklärten zaghaft, daß sie nicht länger an Bord bleiben wollten und das Risiko eingehen würden, die andere Fleute zu erreichen. Einer der Männer richtete sich aus seiner kauernden Stellung auf und ließ sich an der zerfetzten Bordwand hinunter. Sie sahen ihn nie wieder. Gerade überschwemmte ein Brecher das Deck, da tauchte er noch einmal auf, stieß einen Schrei aus und wurde über das abgesackte Achterschiff geschleudert. Irgendwo im Dunkel der Nacht verschwand er. Die Angst saß ihnen im Nacken, die Angst vor den großen Kaventsmännern, die sich wie Gebirge auftürmten und alles überrollten. Jedesmal, wenn eine solche Riesenwalze herandonnerte, klammerten sie sich mit allen Kräften irgendwo fest, um nicht über Bord gerissen zu werden. Die Riffe nahmen den großen Brechern nur einen Teil ihrer Kraft, doch die genügte, um auch den Rest zu zerschmettern. Groenteboer fand sich übergangslos im Wasser wieder. Holzstücke trafen seinen Schädel. Er merkte nicht, daß er schrie. Neben ihm klatschte ein anderer Körper ins Wasser. Er konnte nicht erkennen, wer es war. Er mußte um sein Leben kämpfen,
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als gefährliche Strudel ihn hin und her zerrten, immer wieder unter Wasser drückten und ihm die Luft aus den Lungen preßten. Einmal hörte er an der Stimme, daß es Hendrik war, der Zweite Offizier. Irgendwo in einem Wasserwirbel, schon sehr weit entfernt von der zerstörten Fleute, fand Groenteboer ein großes Holzstück, an das er sich verzweifelt klammerte. Sehr schnell trieb er mit dem Wrackstück ab und merkte nicht, daß es die Galionsfigur war, an der er fast leblos hing. * Nur insgesamt elf Männer fanden in dieser entsetzlichen Nacht Rettung und erreichten mehr tot als lebendig die Fleute, wo sie an Bord gehievt und provisorisch versorgt wurden. Die „Harlingen“ wurde völlig zerschmettert. Ihre Trümmer waren in weitem Umkreis verstreut. Da war keine Planke mehr auf der anderen geblieben. Die „Wilhelm van Oranien“ hatte noch Glück im Unglück gehabt. Obwohl auch schwer beschädigt, saß sie zwischen zwei Riffen fest. Die Brecher erreichten zwar die Bordwände, richteten aber keinen größeren Schaden mehr an. Gegen Morgen begann der Sturm allmählich abzuflauen. Erst jetzt ließ sich das ganze Ausmaß der Katastrophe überblicken. Jens van Aacheren und der Erste, Joop Hoorn, inspizierten mit düsteren Mienen das Schiff. Begleitet wurden sie von den beiden Schiffszimmerleuten Jan Laan und Rochus van Traa, dem es gelungen war, mit zehn anderen Männern in der Nacht das Schiff zu erreichen. Von Groenteboer und seinem Ersten Offizier war nichts zu sehen, sosehr sie auch die See mit dem Spektiv absuchten. Überall trieben nur Holztrümmer und ein paar Fässer herum, die sich zwischen die Korallenriffe verirrt hatten. Zum erstenmal sahen sie jetzt auch das Riff im Licht der aufgehenden Sonne.
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Es waren gewaltige Zacken, die aus dem Wasser ragten und eine lange Barriere bildeten. Tief im Westen entdeckten sie schließlich ein paar verstreut liegende Inseln. Sie waren gerade noch an der Kimm zu erkennen. „Ausgerechnet hier mußten wir auflaufen!“ fluchte van Aacheren. „Weit und breit ist die See wie leergefegt, und wir suchen uns genau diese gottverdammte Stelle aus!“ „An der Kimm sind Inseln zu sehen“, sagte der Erste, der dickbäuchig war, einen grauen Kinnbart hatte und verschlagen wirkte. „Da kann es vielleicht Hilfe geben.“ „Hilfe – wie denn? Von ein paar Kannibalen etwa, die noch in Einbäumen über das Wasser fahren? Die Inseln in dieser Ecke kannst du vergessen. Wir haben nur die Hoffnung, dort Trinkwasser und ein paar Nüsse zu finden, um nicht elend zu krepieren.“ Der Erste blickte auf die einzige Jolle, die ihnen noch geblieben war. Sie faßte sechs Mann und war bestenfalls eine Nußschale. Die große Jolle hatten überkommende Brecher kurz und klein geschlagen. Die Inspektion zog sich von achtern nach vorn hin, und das Ergebnis war ziemlich niederschmetternd. In den Räumen stand Wasser, das zum Glück nicht mehr höher stieg, weil die Fleute wie in einer riesigen Wanne lag, an Backbord und Steuerbord von den rasiermesserscharfen Korallen aufgeschlitzt. Auf diesen Korallen saß die „Wilhelm van Oranien“ unverrückbar fest. „Da werden wir wohl auf den nächsten Sturm warten müssen“, sagte van Aacheren mißmutig. „Der muß allerdings noch heftiger blasen als heute Nacht, sonst gelangen wir nie vom Riff herunter. Aber wir werden in der Zwischenzeit versuchen, die Leckagen abzudichten. Wird das zu schaffen sein?“ wandte er sich fragend an die Zimmerleute. Beide nickten etwas zaghaft.
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„Ein paar Korallenspitzen gucken durch den Rumpf bei der Bilge“, erwiderte Rochus van Traa. „Wenn es uns gelingt, sie tief genug abzuschlagen, könnten wir das Schiff schon abdichten. Aber das wird eine mühselige Plackerei mit Einsatz aller Leute.“ „Damit sind wir noch nicht vom Riff.“ „Natürlich nicht. Das schaffen wir auch nicht. Wir müssen später erst mal tauchen, um zu sehen, wie der Schiet von unten aussieht. Und dann kann uns die nächste Welle erneut voraus zwischen die Riffe setzen, und alles fängt wieder von vorn an.“ „Wie schön“, sagte der Kapitän grimmig. „Aber wir haben wohl keine andere Wahl.“ „Keine, Cap.“ Van Aacheren ließ einen ellenlangen Fluch vom Stapel und starrte auf die zerfetzten Segel, die der Sturm in Streifen gerissen hatte. Natürlich hätten sie die schon lange vorher wegnehmen müssen, aber das erwähnte er mit keinem Wort. Groenteboer hätte ihm wahrscheinlich kräftig die Leviten gelesen, doch der Kapitän der anderen Fleute war vermutlich ertrunken. Sie inspizierten weiter. Soweit das auf den ersten Blick zu erkennen war, hatte auch der Proviant unter dem plötzlichen Wassereinbruch gelitten. Ebenso waren ein paar große Trinkwasserfässer beim Aufprall auf die Riffe geplatzt und zerborsten. Ihr Inhalt vermischte sich mit dem eingedrungenen Seewasser. Auch Fässer mit Gewürzen waren beschädigt, aber von Gewürzen allein konnten sie ohnehin nicht leben. Die Ladung war jetzt zweitrangig geworden. Zuerst ging es um das nackte Überleben, und das würde schon schwierig genug werden. Von außen sah man der Fleute die Beschädigungen kaum an. Gewiß hatte der Sturm sie kräftig gerupft und ramponiert, Segel zerfetzt, Tauwerk gebrochen und etliche Planken kurz und klein geschlagen.
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Im Innern aber stand das Wasser, und das war viel schlimmer. Schon das Abdichten würde äußerst schwierig werden. Van Aacheren hoffte noch auf die Ebbe, die das Wasser aus dem Schiff ziehen würde, doch der Wasserspiegel sank nicht mehr weiter, bestenfalls noch ein paar Daumenbreiten, dann war Schluß. „Nichts mit Ebbe“, sagte Joop Hoorn. „Das Abdichten müssen wir unter Wasser vornehmen. Da werden die betreffenden Leute aber viel Spaß an der Sache haben, Cap.“ „Den werden wir alle haben“, versicherte der Kapitän. „Du wirst dich auch daran beteiligen, damit jeder etwas davon hat.“ Nach der Inspektion versammelten sie sich wieder an Deck. Wie es bisher aussah, war die Lage ziemlich hoffnungslos, zumal es mit der Reparatur und dem Abdichten allein nicht getan war. Deshalb blickte van Aacheren wieder zur Kimm, wo die kleinen Inseln zu erkennen waren. „Das sind die Karimundjawa“, erklärte er leise und nachdenklich. „Wie gesagt, Hilfe haben wir von dort nicht zu erwarten, falls es da überhaupt Bewohner gibt. Wir haben jedoch noch eine andere kleine Hoffnung.“ Der Erste rieb seinen Bart und sah van Aacheren von unten her lauernd und mit verkniffenen Augen an. „Und die wäre, Cap?“ „Wir hängen auf einer Route, die von vielen unserer Landsleute befahren wird.“ „Viele?“ unterbrach der Erste höhnisch. „Wir sind so ziemlich die ersten in dieser Ecke, und soviel mir bekannt ist, befindet sich auf den Molukken nur noch die ‚Groningen'. Bis die hier ist, können Wochen oder Monate vergehen, und dann ist noch lange nicht gesagt, daß sie auch unsere Route nimmt.“ „Es gibt hier auch noch Portugiesen“, sagte der Kapitän. „Und fast alle steuern diesen Kurs über Batavia. Sie segeln an den Karimundjawa-Inseln vorbei, passieren den rauchenden Vulkan und gehen von dort aus in den indischen Ozean. Somit
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besteht also durchaus Hoffnung, daß man uns hier sichtet.“ „Portugiesen würden uns ganz bestimmt nicht helfen, und sogar unsere Landsleute bringen es nicht fertig, die Fleute vom Riff zu holen. Wir sitzen hier bis in alle Ewigkeit fest.“ „Du warst noch nie ein Optimist“, sagte der Kapitän abfällig. „Du siehst immer nur schwarz. Aber ich habe keine Lust mehr, für nichts und wieder nichts herumzuquatschen. Wir gehen an die Arbeit, und zwar sofort. Das bringt euch Kerle auch auf andere Gedanken. Stellt ein paar Arbeitsgruppen zusammen!“ Im Weggehen sagte Joop Hoorn zu dem kahlköpfigen Profos Piet Bloom mit dem gewaltigen Schnauzbart: „Wenn hier wirklich mal ein Eimer vorbeitörnt, sollte man nicht lange um Hilfe bitten und ihn einfach übernehmen. Jeder ist sich schließlich selbst der Nächste, oder?“ Der kräftige Mann mit dem durchdringenden und stechenden Blick grinste hinterhältig. „Das ist wirklich eine gute Idee, Mijnheer. Darüber sollte man wahrhaftig gründlich nachdenken, falls uns nicht doch noch ein Sturm von diesem verdammten Riff weht.“ Sie grinsten sich verschwörerisch zu und gingen auseinander. Ein paar Männer wurden zum Tauchen eingeteilt, um sich eine genauere Übersicht über die Unterwasserschäden und deren Behebung zu verschaffen. 3. Groenteboer trieb inzwischen mit dem Wrackstück durch die Nacht. Das Ding rollte im Wasser, drückte ihn unter und schlug ihm einmal so hart an den Schädel, daß er fast das Bewußtsein verlor. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, war halb betäubt und benommen und ließ sich von der saugenden Strömung treiben. Immer weiter ging es, mal im Kreis, dann wieder ein Stück irgendwohin, bis ihn ein Brecher packte und hart überrollte. Da wurde er wieder wach und munter, aber sein Verstand funktionierte immer noch
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nicht so richtig. Es war wie in einem Zwischenstadium aus Traum und Wachsein. In weiter Ferne sah er ein Licht blinken. Zuerst hielt er es für einen Stern, aber das Licht tauchte immer wieder zwischen hohen Wellenbergen auf, zuckte hin und her und schien auf der Wasseroberfläche wie ein Irrlicht zu tanzen. Viel später begriff er, daß es eine Laterne der anderen Fleute war, deren zuckendes Licht er sah. Groenteboer begann zu brüllen. Er schrie aus Leibeskräften, schluckte Wasser und erbrach sich. Die Angst, von den anderen nicht bemerkt zu werden, aktivierte alle seine Lebensgeister. Er legte sich auf das Wrackstück und begann mit den Händen in die Richtung zu paddeln, wo er das schwache Leuchten sah. Stundenlang ging das so. Das Licht kam nicht näher. Er hatte .eher das Gefühl, als fiele er immer weiter zurück. In dieser Nacht war er so einsam wie nie zuvor in seinem Leben. Heulen und Tosen umfingen ihn, Brüllen und Rauschen, das kein Ende zu nehmen schien und bis in alle Ewigkeit anhalten würde. Die erbarmungslose See malträtierte seinen Körper und ließ ihn trotz der Wärme unmerklich erstarren und klamm werden. Er wußte nicht, wie lange er bereits in der aufgewühlten See trieb. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren und verspürte nur eine Mattigkeit, die größer und größer wurde. Da war das Licht weg – wie ausgelöscht. Vergeblich hielt er danach Ausschau. Nichts mehr, alles war dunkel, stockfinster. Kein Mond zeigte sich am nächtlichen Himmel, kein Stern beleuchtete seinen einsamen Weg. Er hatte nicht mehr die Kraft zum Fluchen. Sein „Godverdomme“ blieb ihm im Hals stecken, der trocken und ausgedörrt war. Groenteboer döste einmal ein, schrak aber sofort wieder hoch, als sich das Trümmerstück unter ihm wegdrehte und zu rotieren begann.
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Er versuchte herauszufinden, von welchem Teil des Schiffes es wohl stammen mochte. Es ließ sich jedoch nicht einordnen, so sehr er auch überlegte. Die Zeit verging unendlich langsam. Hohe Wellen trugen ihn immer weiter fort, doch die Brecher schäumten nicht mehr so wild und gingen allmählich in eine langrollende Dünung über. Irgendwann begann es zu dämmern. Fahles Licht tauchte am Horizont auf, das schnell heller wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatten Groenteboer bereits die Kräfte verlassen. Seine Muskeln waren verkrampft, seine Hände zitterten. Die Anstrengung war zuviel gewesen. Immer wieder mußte er erneut Halt suchen, denn das Wrackstück hatte die unangenehme Eigenschaft, sich ständig zu drehen, und so entglitt es immer wieder seinen zupackenden Händen. Jetzt konnte er endlich auch erkennen, an was er sich die ganze Nacht über geklammert hatte. Es war die Galionsfigur der havarierten „Harlingen“, der Kerl mit der drohend vorgereckten Faust und dem gewaltigen Kinn, den er schon einmal in der See treibend gesehen hatte. Ein schwaches Lächeln legte sich um Groenteboers Lippen, das jedoch schnell wieder erstarb. Er blickte zum Himmel, der immer noch bedeckt war. Der Wind trieb dunkle Wolken vor sich her. Die Sonne mußte jetzt gerade an der östlichen Kimm stehen. Als eine langrollende Dünung ihn wieder hochhob, sah er sich schnell nach allen Seiten um. In weiter Ferne erkannte er zweierlei. Dicht unter der westlichen Kimm waren verstreut liegende Inseln zu erkennen. Sie sahen wie winzige Perlen in einem riesigen Teich aus. Diese Inseln befanden sich tief im Westen. Weiter nördlich aber erkannte er die Silhouette eines Schiffes, das in die Riffe gelaufen war. Sein Herz tat einen schnellen Sprung. Da verschwand das Bild wieder vor seinen Augen, und er glitt in ein tiefes Wellental.
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Der Wind hatte nicht gedreht, er wehte immer noch beständig aus östlicher Richtung. Also mußte eine Strömung dafür verantwortlich sein, daß er sich jetzt tiefer im Süden befand. Etwa fünf Meilen schien die „Wilhelm van Oranien“ von ihm entfernt zu sein, wie er schätzte. Viel zu weit, um sie schwimmend zu erreichen, zumal seine Kraftreserven erschöpft waren. Aber versuchen wollte er es trotzdem. Er legte sich bäuchlings auf den hölzernen Kerl und begann mit den Händen zu rudern, bis er nicht mehr konnte. Enttäuscht und verzweifelt mußte er feststellen, daß er seinem Ziel überhaupt nicht nähergerückt war. Offenbar war die Strömung zu stark, die ihn in südwestliche Richtung driften ließ. Er brüllte seine Wut, Enttäuschung und Verzweiflung mit letzter Kraft hinaus. Da vorn war die Rettung, da lag das Schiff, von dem er meinte, es fast mit den Händen greifen zu können. „Verflucht noch mal!“ schrie er. „Seht ihr mich denn nicht? Ihr müßt mich doch sehen!“ Die nächste Woge hob ihn hoch und stieß ihn wieder in ein tiefes Tal. Der Rhythmus war immer derselbe, ein ewiges Auf und Ab, und jedesmal sah er dabei die Fleute auf dem Riff. Einmal entdeckte er Trümmerstücke, die von der „Harlingen“ stammen mußten. Es war ein großer Teil des achterlichen Schanzkleides, wie er sah. Auch ein Faß trieb vorbei. Er sah nur den oberen Teil davon. Erregt hielt er nach dem großen Trümmerstück Ausschau. Es tauchte ach wieder auf einer Welle auf, war aber mindestens hundert Yards von ihm entfernt. Groenteboer überlegte, ob er wagen sollte, den Holzkerl zu verlassen, um das Trümmerstück schwimmend zu reichen. Er traute es sich nicht mehr zu. Aber da drüben konnte er ausruhen, und sie würden ihn vielleicht auch eher entdecken. Es war eine einmalige Chance,
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denn die Galionsfigur bot keinen guten Halt. Er überlegte sehr lange und sehr gründlich. Immerhin war eine Entscheidung zu treffen, von der sein Leben abhing. Drüben konnte er sich bequem ausstrecken, neue Kräfte sammeln und vielleicht ein Holzstück losbrechen, das er als provisorisches Ruder benutzen konnte. Ohne Zweifel würde er damit die Fleute erreichen. Auf diesem hölzernen Monstrum aber auf keinen Fall. Das gab schließlich den Ausschlag. Neue Hoffnung keimte in ihm auf, der Wille zum Leben war wieder da, und für Augenblicke spürte er keinerlei Erschöpfung mehr. Er ließ die Galionsfigur los und glitt ins Wasser. So ruhig wie nur möglich begann er zu schwimmen, doch nach ein paar Zügen erfaßte ihn plötzlich Panik. Er sah das Trümmerstück nicht mehr, und er entdeckte es auch nicht, als ihn eine Welle hochhob. Erst als sie ihn wieder absetzte, erkannte er das Treibholz. Es schien noch weiter entfernt zu sein, als er angenommen hatte, und er fragte sich beklommen, ob er es wohl schaffen würde. Eine weitere Welle setzte die Galionsfigur in Bewegung. Vom Kamm her schoß sie wie ein Rachegott auf ihn zu, die gewaltige Faust weit und drohend vorgereckt. Der schwere Kerl raste auf ihn los, als wolle er ihn dafür strafen, daß er sich von ihm getrennt hatte. Groenteboer hob abwehrend die Hände vors Gesicht, um der gewaltigen Faust zu entgehen. Er schaffte es nicht mehr. Die Faust krachte voller Wucht an seinen Schädel. Der Schlag war so hart, daß er augenblicklich das Bewußtsein verlor. Groenteboers Leidensweg war beendet, obwohl die Rettung nur ein paar Meilen entfernt war. Mit vorüber geneigtem Kopf versank er lautlos in der Tiefe. Der Mann aus Holz aber trieb weiter und glitt in der Dünung auf und ab. Mit dem Strom driftete er langsam nach Westen in Richtung der vielen kleinen Inseln.
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Der starke Sturm hatte auch auf der Karimundjawa-Insel Jombang Verwüstungen angerichtet. Die meisten Hütten der Insulaner hatte der Wind davon geblasen, doch sie wurden rasch wieder aufgebaut. Diesen Sturm kannten die Insulaner, weil er sie mit hartnäckiger Regelmäßigkeit heimsuchte. Er brauste mindestens achtmal im Jahr über die Inselgruppe und riß die leicht gebauten Hütten mit sich fort. Eines Tages, so berichteten die alten Legenden, würde der Meeresgott Panoga erscheinen und sie vor den Stürmen bewahren und beschützen. So hatte es Mapuki, der Insel-Papalagi erzählt, und er hatte es wiederum von seinem Vater gehört. Seit Generationen warteten sie auf Panoga, doch er erschien nicht. Noch niemand hatte ihn gesehen, obwohl er schon lange in ihren Vorstellungen herumgeisterte. Groß sollte er sein, mit emporgereckter Faust, die Meer und Sturm Einhalt gebot und sie damit bannte. Einen Meeresgott mußten sie jedoch haben, und so hatten sie ersatzweise einen großen Hai präpariert und am Strand der Insel aufgestellt. Er lag auf einem Balkengerüst und drohte mit weitaufgesperrtem Maul und scharfen Zähnen aufs Meer hinaus. Leider erwies er sich als unzuverlässig, denn er war eben nicht Panoga. Aber eine Gottheit, die sie nicht beschützte, taugte auch nicht viel, und so mußte der Hai sich böse Verwünschungen, Flüche oder Beleidigungen anhören. Riß der Sturm die Hütten fort, ließen die Insulaner ihre Wut an dem provisorischen Gott aus und verprügelten ihn, denn ein Gott, der die Wünsche nicht erfüllte, mußte dafür büßen. So war es auf allen Karimundjawa-Inseln, und so war es auch auf der zweihundert Seelen zählenden Insel Jombang.
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Heute war die Strafe für den Gott fällig, der sie so schmählich im Stich gelassen hatte. Nichts hatte er getan, um sie zu schützen, absolut nichts. Er lag nur faul auf seinem Holzgerüst und glotzte aufs Wasser. Der Papalagi war verständlicherweise von wilder Wut erfüllt, und so zog er mit einer ganzen Meute aus, um den vergeßlichen Tunichtgut für sein Faulenzerleben zu bestrafen. Dafür hatten sie extra biegsame Stöcke, um ihm die Flausen auszutreiben. Mapuki ging um die Lagune herum, gefolgt von Toriki, dem zweitältesten Mann, von Tako und mehr als zwei Dutzend anderen, die mit grimmigen Gesichtern zum Strand marschierten. Der grauhaarige Papalagi schwang schon seinen Stock und ließ ihn prüfend durch die Luft pfeifen. Ha, das war ein Geräusch, das diesen verdammten Faulenzer schon von weitem erschrecken würde! Sie schritten schneller aus, bis sie die Stätte erreichten, wo das Holzgerüst stand. Es befand sich zwischen vier Palmen, und da lag der Haigott faul und träge herum. Der Sturm hatte ihm eine Kokosnuß ins riesige, klaffende Maul geweht, und er sah etwas lächerlich aus. Mapuki blieb vor ihm stehen und funkelte ihn aus seinen kohlschwarzen Augen drohend an. Den biegsamen Stock hielt er wohlweislich hinter seinem Rücken verborgen. Mapuki verneigte sich vor dem Haigott, wie es auch die anderen taten. „Du hast nichts getan, um uns zu helfen!“ rief er klagend. „Der Sturm hat das Meer aufgewühlt und unsere Hütten zerstört! Kannst du mir sagen, warum du wieder nichts unternommen hast?“ Der Haigott schwieg sich aus und narrte aus seinen eingetrockneten tückischen Augen. weiter aufs Meer hinaus. Er hat sich mit Kokosnüssen vollgefressen“, sagte Toriki. „Das hat ihn faul und träge werden lassen. Was
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kümmern ihn unsere Hütten? Es interessiert ihn gar nicht.“ „Wir haben ihm Opfer gebracht –Fleisch, Bananen, Krebse, Fische und Mangos“, klagte der Papalagi. „Er hat unsere Opfer genommen wie selbstverständlich. Nur eine kleine Gegenleistung hat er nicht erbracht. Du bist ein fauler und träger Meeresgott!“ schrie er plötzlich. Der Hai glotzte nach wie vor aufs Meer hinaus. Da stieg in dem Papalagi die Wut hoch. Blitzschnell holte er das biegsame, Stöckchen hinter seinem Rücken hervor und drosch damit auf den Hai ein. Die Schläge waren so laut, daß sie in der ganzen Lagune und auch der Bucht zu hören waren. Jetzt stürzten sich auch die anderen auf den nachlässigen Wächter und droschen ihm ihre Stöcke auf das gefräßige Maul. „Ich werde dich lehren, Uns um die Opfergaben zu betrügen!“ kreischte der Papalagi empört. „Wir füttern dich, damit du das große Wasser beruhigst, wir verehren dich und beten dich an, aber du lachst uns nur aus. Jetzt nimm auch deine Strafe in Empfang!“ Brüllend und schimpfend stürzte sich die ganze Meute auf den Haigott und malträtierte ihn mit den Stöcken. Einer der aufgebrachten Männer schlug ihm sogar eine halbe Flosse ab. Sie tobten sich gründlich aus, hieben immer wieder zu und versicherten ihm, er werde es noch bereuen, wenn er sich nicht endlich ändere und vernünftig werde. Ja, beim nächsten Mal, wenn er sie wieder so schmählich hinterging, würden sie ihm den Bauch aufschlitzen. Der Haigott nahm das alles mit stoischer Gelassenheit hin. Endlich hatten sich die Männer abreagiert. Jetzt trafen nur hoch böse und drohende Blicke den Haigott, der doch ziemlich mitgenommen wirkte. Mapuki nahm ihm die Kokosnuß aus dem Maul und warf sie ins Wasser. Dann hob er noch einmal die Faust und schüttelte sie, während er dem Hai drei klatschende Schläge aufs Maul versetzte.
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„Sieh dich vor! Eines Tages taucht Panoga auf, und dann können wir auf Faulenzer wie dich verzichten.“ „Ganz recht!“ rief Toriki. „Mit den Opfergaben ist es vorerst zu Ende. Du wirst eine Weile darben müssen, bis wir alles wieder aufgeräumt haben.“ Sie verneigten sich vor dem Haigott und gingen davon. Der thronte jetzt wieder einsam und reichlich zerfleddert auf seinem Holzgestell. Sie hatten ihn ziemlich übel gerupft. Ihr Weg führte sie wieder an der Lagune vorbei zur Bucht und von dort zu den Hütten. Die Rache war vollzogen, wie der Papalagi zufrieden erkannte. Der Meeresgott hatte sie bestraft, indem er nichts getan hatte, und dafür hatten sie ihn bestraft. So war die Gerechtigkeit wiederhergestellt. Am Strand der Bucht blieb Mapuki plötzlich stehen und blickte aufmerksam ins Wasser. Er setzte seinen farbenprächtigen Kopfschmuck mit den bunten Federn ab und rieb sich die Augen. „Da schwimmt etwas“, sagte er leise. „Dort vorn, wo der kleine Felsen im Wasser steht.“ Die anderen blieben stehen. Ihre Blicke folgten der ausgestreckten Hand des Papalagis. Dicht bei dem. kleinen Felsen schwamm wirklich etwas. Die Wellen verbargen den Gegenstand mitunter, gaben ihn aber immer wieder frei. Die Sonne schien grell aufs Wasser, was dazu führte, daß das Ding im Wasser teilweise hell glitzerte. Wieder einmal verschwand es hinter dem kleinen Felsen, und so etwas wie eine Hand ragte für einen kurzen Augenblick aus dem Wasser. Den Papalagi hatte jetzt die Neugier gepackt. Er watete ein paar Schritte ins Wasser, bis seine nackten Beine von den kleinen Wellen umspült wurden. Den Kopf weit vorgestreckt, versuchte er, den Gegenstand zu erkennen. Die anderen zuckten zusammen, als er einen gellenden Schrei ausstieß, sich an die
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Brust griff, wo sein Herz saß, und jeden Augenblick zusammenzubrechen drohte. Sofort stürzten sich die anderen Männer ins Wasser. Der Papalagi sah aus, als würde er jeden Augenblick sterben. Vielleicht war es ein Schwächeanfall, was in seinem Alter niemanden wundern würde. Als sie bei ihm waren, hatte sich sein Körper seltsam verkrümmt. Seine Hand deutete ins Wasser, wo- bei jegliche Farbe aus seinem Gesicht gewichen war. Er sagte nur ein einziges Wort. „Panoga!“ Dieses Wort war wie ein urgewaltiger Schrei und hallte durch die ganze Bucht. Was die Männer dann erblickten, ließ sie erstarren. Keiner war eines Wortes mächtig. 4. Das Wort „Panoga“ mußte auf der ganzen Insel gehört worden sein, denn kurze Zeit später versammelten sich alle an der Bucht und sahen ungläubig zu, was da geschah. Im Wasser, schon kurz vor dem Strand, schwamm Panoga, und er sah genauso aus, wie die alten Legenden berichteten. Er war groß und von athletischer Figur. In sein Gesicht hatten Meer und Wind unzählige Narben gekerbt. Auch auf seinem ungewöhnlich breiten Brustkorb waren Narben zu sehen. Die rechte Hand war zu einer gewaltigen Faust geballt, die drohend aus dem Wasser ragte. Sein Blick war grimmig und wild auf die Leute am Strand gerichtet, die ehrfürchtig und schweigend vor ihm zurückwichen. Sein Kinn verriet die wilde Entschlossenheit, Meer und Sturm zu bezwingen oder beiden Einhalt zu gebieten, damit sie nicht mehr so fürchterlich über die Inseln tobten. Der Papalagi sank in die Knie, wobei er zu Panoga blickte und die Hände zum Himmel hob. „Die alten Legenden werden wahr!“ rief er ergriffen aus. „Ich habe es immer gewußt, daß Panoga eines Tages aus dem Meer
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auftauchen wird! Begrüßt ihn jetzt, wie es sich für einen Gott geziemt!“ Zuerst sanken alle stumm auf die Knie und wagten kaum, Panoga anzublicken, der immer noch halb im Wasser lag. Sie beteten leise mit murmelnden Lippen, fast unhörbar. Eine kleine Welle warf Panoga weiter an den Strand. Er lag jetzt bäuchlings da und blickte wildentschlossen genau in die Gesichter der Insulaner. Seine Faust zeigte herausfordernd in den Sand. Da löste sich die ungeheure Spannung, und ein wilder Jubel brandete auf, ein Geschrei, das die ganze Insel erbeben ließ. Mapuki erhob sich feierlich und breitete die Arme aus. „Er ist da“, verkündete er. „Er ist zu uns aufgetaucht aus dem Meer, wie es die Legende berichtet. Wir dürfen uns glücklich schätzen. Unsere Ahnen haben vergeblich auf ihn gewartet und unsere Urahnen ebenfalls. Aber zu uns ist er gekommen, und jetzt wird alles gut. Kein Sturm wird mehr unsere Hütten zerstören, und keine Wellen werden die Insel überschwemmen, denn Panoga wird sie bändigen.“ „Panoga wird sie bändigen!“ schrie die Menge in wilder Ekstase. Und wieder flogen die Arme zum Himmel, und Schreie der Entzückung hallten über die Bucht. Mit wiederum sehr feierlichen Schritten und Tränen in den Augen bewegte sich der Papalagi vorsichtig ins Wasser. Voller Scheu berührte er die nasse Gottheit. Ja, das war ein Monstrum von einem Gott, beileibe keine schöne Gottheit, aber das sollte sie auch gar nicht sein, sonst würde sie nicht abschreckend auf die Elemente wirken. Sie mußte grimmig dreinblicken, um den Zweck zu erfüllen. Noch einmal berührte Mapuki den Meeresgott. Für ihn war es selbstverständlich, daß er nach langen Zeiten direkt vom Meeresgrund aus unergründlicher Tiefe aufgestiegen war und sich diese Insel gesucht hatte. So berichteten es auch die alten Legenden.
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Der Gott fühlte sich steinhart und kühl an. Seine Augen schienen zu leben und aufmerksam alles zu beobachten. „Wir müssen ihm einen geweihten Platz in der Bucht geben“, sagte der Papalagi, „einen Platz, an dem er sich wohlfühlen und direkt aufs Meer blicken kann. Helft mir, ihn an Land zu bringen, damit er nicht wieder in die Fluten zurücksteigt.“ Natürlich dürften ihn vorerst nur die Ältesten berühren und tragen. Alle anderen sahen ehrfürchtig dem Schauspiel zu. Sehr behutsam wurde Panoga angehoben. Er -war so schwer, daß vier Männer an ihm zu schleppen hatten. Sie keuchten laut, als sie ihn endlich aus dem Wasser hatten und vorsichtig auf den Sand legten. Mit stolzgeschwellter Brust sah sich der Papalagi nach einem geeigneten Platz um. Sie durften keine Zeit verlieren, um Panoga aufzustellen. Er konnte nicht den ganzen Tag hier im Sand herumliegen, sonst wurde er womöglich zornig. „Hier“, sagte er herrisch und deutete zu einer Stelle in der Mitte, der Bucht. Dort gab es einen Palmenhain, und genau davor sollte Panoga seinen Platz erhalten. Er hatte von hier aus einen Überblick auf das gefräßige Meer und konnte über drei Himmelsrichtungen wachen. Aber' seine drohend erhobene Faust mußte nach Osten zeigen, von wo die wilden Stürme fast regelmäßig heranrasten. Große Steine wurden augenblicklich zu einem Fundament zusammengetragen, das Mapuki sorgfältig in Augenschein nahm. Sand wurde zur Seite geschoben und die Steine aufgesetzt, bis zwischen ihnen eine große Lücke blieb. Der Papalagi war mit dem Werk zufrieden und nickte mehrmals vor sich hin. Diese Stelle war genau richtig. Jetzt durften auch die anderen mit anpacken, um Panoga in die Lücke zwischen den großen Steinen zu stellen. Mapuki schritt um ihn herum und zeigte immer wieder andere Positionen an, zu denen sie ihn drehen mußten. Erst nach einer Weile war er zufrieden.
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„So bleibt er stehen“, verkündete er. „Füllt jetzt die Grube mit Steinen auf und streut Sand darüber.“ Alle beteiligten sich mit einem wahren Feuereifer an der Arbeit, und sie berührten Panoga dabei scheu und vorsichtig. Er überragte selbst den allergrößten von ihnen noch um zwei Kopflängen. Die Grube füllte sich mit am Strand herumliegenden Steinen. Danach versuchten sie, den Gott zu bewegen. Er stand da und rührte sich nicht. Wie mit der Erde verwachsen schien er zu sein. Zwei starke Männer konnten ihn nicht ins Wanken bringen. „So ist es gut“, lobte Mapuki, „so wird er hier für alle Zeiten stehen bleiben und über uns wachen.“ Er schritt um die Figur herum und betrachtete sie noch einmal ausgiebig von allen Seiten. Dabei entdeckte er seltsame Zeichen auf der Rückseite des Gottes. Er rief die Ältesten und zeigte ihnen die Zeichen, aber die vermochte niemand zu entziffern. „Ein Zauberspruch“, sagte Mapuki. „Es ist ein Zauberwort, das nur Panoga allein kennt. Die Geister des Meeres und der Stürme sind darin gebannt.“ Wieder gingen laute Schreie der Verzückung durch die Menge. Der Jubel war grenzenlos und wollte kein Ende nehmen. Panoga, der Meeresgott, würde ihr ganzes Leben von nun an ändern. „Wir werden ein Fest veranstalten“, sagte der Papalagi voller Stolz. „Das Fest wird drei Tage dauern und zu Ehren Panogas abgehalten werden. Bereitet die Gruben für die Erdferkel vor. Wir werden sie mit heißen Steinen füllen und die Ferkel in Bananenblättern dämpfen.“ Die Freude wurde noch größer. Sie alle wußten, daß es ein großes und unvergessenes Fest werden würde, ein Fest zu Ehren Panogas. Sie umtanzten die hölzerne Figur und stimmten einen fröhlichen Gesang an.
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Fast eine Stunde ging das so. Dann trat der Papalagi vor den neuen Gott und verbeugte sich tief. „Wir stehen tief in deiner Schuld und bitten dich um Verzeihung, daß wir dem Haigott gehuldigt haben. Er war ein schlechter und fauler Gott, der nichts tat, um uns zu beschützen. Du aber, Panoga, bist stark und groß und hast gewaltige Kräfte. Mit deiner Hilfe werden wir den nichtsnutzigen Haigott vertreiben.“ „Ja, wir vertreiben ihn!“ schrie die Menge. „Jetzt gleich, Mapuki, denn er ist es nicht wert, neben Panoga zu stehen!“ „So soll es sein“, verkündete der Papalagi. „Er ist es wirklich nicht wert und hat uns nur verhöhnt. Folgt mir!“ Ein paar blieben bei Panoga zurück, auch Tefara, die in den neuen Gott buchstäblich verliebt war. Tefara galt als die schönste Frau der Insel und verkörperte hier auf Jombang das Idealmaß. Sie wog soviel wie drei normale Männer zusammen und war von allen heiß begehrt. Panoga wirkte gegen sie schon fast schmächtig. Sie trug einen schreiend bunten Sarong, in dem ebenfalls bequem drei Männer Platz gefunden hätten. Unverwandt blickte sie auf Panoga und seufzte etwas wehmütig. Das war ein Mann! So ganz nach ihrem Geschmack. Aber er war ein Meeresgott, und ein Gott war für sie unerreichbar. Leider, leider, dachte Tefara und seufzte wieder ein bißchen. Wenn er doch nur aus Fleisch und Blut wäre ... Inzwischen waren die anderen weitergezogen und erreichten den trägen Haigott auf seinem hölzernen Gestell. Mapuki musterte ihn verächtlich von allen Seiten. „Er sieht wirklich nicht schön aus“, sagte er. „Eher kann man ihn gräßlich nennen mit seinem großen Maul und den vielen Zähnen. Ich glaube, wir begehen keinen Frevel, wenn wir ihn jetzt für immer und alle Zeiten verstoßen. Oder glaubst du, daß es ein Frevel ist, Toriki?“ „Wir brauchen ihn nicht mehr“, sagte Toriki ebenfalls verächtlich.
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„Was hat er denn für uns getan? Er hat uns mehr Schaden zugefügt als Gutes getan.“ „So ist es!“ riefen die Männer entschlossen. „Er hat sich auf unsere Kosten gemästet und vollgefressen. Wir haben Panoga. Einen anderen Gott brauchen wir nicht.“ Einer nahm seinen Bogen und jagte Hai einen Pfeil in den weitgeöffeten Rachen. Die anderen warfen sich voller Zorn gegen das hölzerne Gestell, bis es ins Wanken geriet und schließlich unter lautem Gepolter umstürzte. Der große Hai landete im Sand, woraufhin alle in ein schreckliches Gelächter ausbrachen. Mit ihren hölzernen Lanzen rückten sie dem alten Gott zuleibe. Er hatte jetzt endgültig ausgedient. Sie hieben auf ihn ein, schlitzten ihn auf und warfen mit Speeren und Lanzen nach ihm. Mit Äxten aus Stein hieben sie ihn schließlich in große 3e Stücke, die sie nach allen Seiten schleuderten. Als von dem Haigott nur noch Fetzen übrig waren, lachten sie ihn aus, rissen die Arme hoch und begannen zu tanzen. Danach kehrten sie zu Panoga zurück, um ihm zu huldigen. Auf Jombang herrschte eine solche Ausgelassenheit, daß der Papalagi sich nicht entsinnen konnte, sein Volk jemals so fröhlich gesehen zu haben. Noch am selben Tag wurde alles für das große Fest vorbereitet, in dem Panoga der Mittelpunkt sein würde, denn alles drehte sich einzig und allein um ihn. Die jungen Männer und Frauen hoben Gruben aus und fingen die Erdferkel ein, um sie zu schlachten. Die älteren Frauen bereiteten die Getränke vor, trugen die vielen Früchte zusammen und richteten das Gemüse. Jeder war pausenlos beschäftigt und hatte alle Hände voll zu tun. Über allem aber wachte der Papalagi und achtete darauf, daß das Fest auch nach dem strengen Ritual ablief, wie es üblich war. Tefara wand einen großen Kranz mit herrlichen bunten Blüten, den später Panoga tragen sollte. Immer wenn sie an
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ihn dachte, entfloh ihr ein wohliger Seufzer, und ein kribbelnder Schauer rann über ihren großzügig ausgestatteten Körper. * Die Schebecke der Arwenacks segelte über Steuerbordbug hart in der See liegend mit Backbordhalsen. Der Wind wehte gleichmäßig aus fast nördlicher Richtung. Sie befanden sich auf Ostkurs in halber Höhe der Insel Java. Irgendwo an der südlichen Kimm mußte jetzt der Ort Pekalongan liegen, wenn die Berechnungen Dan O'Flynns stimmten. Daran zweifelte Philip Hasard Killigrew jedoch nicht. Dan erledigte die Navigation mit traumwandlerischer Sicherheit. Er hatte sich buchstäblich zum Spezialisten entwickelt, wie der Seewolf neidlos anerkennen mußte, und er konnte auf diesem Gebiet jedem etwas vormachen. Sie hielten so weit von der Insel der Feuerberge ab, daß das Land nicht mehr zu sehen war. Es bestand immer noch die Möglichkeit, daß in diesem Seegebiet Portugiesen auftauchten, und gerade von denen waren sie hinlänglich bedient. Die letzte Begegnung lag knapp hinter ihnen. Diese letzte Begegnung mit den Portus war auch der Anlaß zu einer kleinen Feier an Deck. Sie feierten einen Sieg, den sie sich redlich verdient hatten. Der Seewolf ließ seine Mannen gewähren, solange es nicht ausartete, und das schien nicht der Fall zu sein. Natürlich klopfte der Profos Edwin Carberry wieder mal große Sprüche, wie das meist der Fall war. Die ganze Bande hielt sich mittschiffs auf, wo ein kleines Fäßchen an Deck stand. Einige standen mit Mucks in den Händen herum, andere hatten sich auf die Grätings gesetzt oder hockten einfach an Deck, wo sie Old O'Flynn zuhörten, der wieder eine seiner unerschöpflichen „EmpressGeschichten“ zum Besten gab.
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Der Alte mit dem Holzbein und dem verwitterten Granitgesicht war bester Laune. Das rührte vielleicht auch daher, daß die Kerle ihm willig zuhörten und nicht über ihn lästerten, wie sie das öfter mal taten. Smoky war ohnehin ein begeisterter Zuhörer, schon aus dem Grund, weil er selbst gern ein bißchen Spökenkiekerei betrieb. Carberry zweifelte etliches an, und der Kutscher grinste nur still vor sich hin, wenn der Alte mal wieder loslegte. Aber jetzt mußte er ihn doch ein wenig bremsen. „Na, na, na“, sagte der Kutscher freundlich. „Du willst uns doch wohl nicht weismachen, daß man die längst untergegangene Stadt Haithabu noch immer sehen kann. Die hat es mal in der Wikingerzeit um das Jahr eintausend herum gegeben. Und da kann ich mir nicht vorstellen, daß da unten auf den Wiesen unter Wasser immer noch Kühe herumlaufen und grasen. Das ist ein bißchen happig, Donegal.“ „Na klar, da laufen Kühe herum, mit silbernen Glocken um den Hals. Ich hab sie selbst läuten hören. Auch die Glocken von dem untergegangenen Vineta habe ich schon gehört.“ Der Admiral nickte dazu bekräftigend und stieß sein Holzbein an Deck, was soviel bedeutete, daß niemand daran zu zweifeln hätte. „Der Kutscher hat immer was zu meckern“, sagte der Profos und nahm einen Schluck aus seiner Muck. „Der weiß alles besser, weil er ein studierter Büffel ist. Prost!“ Und der Profos nahm noch einen Schluck. „Der eine bildet sich weiter, der andere säuft lieber“, erwiderte der Kutscher ungerührt. „Warum säufst du eigentlich?“ „Haha! Das hab ich von meiner Amme. Die nahm auch immer gern einen zur Brust“, erwiderte Carberry trocken. Als den Kerlen die Doppeldeutigkeit seiner Worte bewußt wurde, begannen sie bis zu den Ohren zu grinsen. „Außerdem kriegt man vom Hängen Durst“, setzte der Profos hinzu. „Wenn
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man den Strick um den Hals hat, mein lieber Kutscher, dann wird einem der Hals verdammt trocken, und man hat eine Menge nachzuholen, wenn man noch einmal davongekommen ist.“ Der Profos spielte damit auf den gestrigen Tag an, als sie das portugiesische Kriegsschiff versenkt hatten. Dabei waren er und sechs andere Seewölfe den Portus in die Hände gefallen und konnten erst im allerletzten Augenblick von den anderen befreit werden. Immerhin hatten sie Dom Alfonso de Albuquerque eine schwere Niederlage zugefügt, denn er war gleich auf einen Schlag sieben Schiffe losgeworden. So hatte der Profos seinen Hals noch einmal aus der Schlinge ziehen „Verstehe ich ja“, meinte der Kutscher versöhnlich. „Ihr habt wirklich hart gekämpft und euer Bestes gegeben. Cui honorem, honorem.“ Carberrys Stirn furchte sich, sein Lammkinn schob sich weiter vor, und seine Augen blitzten bedrohlich auf. „Ehre, wem Ehre gebührt“, sagte der Kutscher hastig, weil der Profos gleich wieder losböllern wollte, um sich über den „lateinischen Kram“ aufzuregen. „Ach so“, sagte Carberry dann: „Nun ja, alle diese Sprüche verstehe ich ja doch nicht. Schon gut, Kutscher.“ „Und es gibt diese Kühe doch“, brabbelte Old O'Flynn, der sich nicht aus der Ruhe bringen ließ. „Sie grasen unter Wasser auf saftigen Weiden und gehen abends in die Ställe. Auch die Menschen kann man deutlich erkennen.“ „Schwimmen die denn unter Wasser?“ fragte Smoky neugierig. „Nein, die bewegen sich ganz normal, so wie wir. Sie gehen spazieren. Oder sie arbeiten. Die ganze Stadt ist noch zu sehen.“ „Wie kann man denn unter Wasser spazieren gehen oder arbeiten?“ wollte der Decksälteste wissen. „Da kriegt man doch keine Luft.“ „Weiß ich auch nicht. Aber irgendwie geht es, sonst würden sie ja nicht da sein, oder?“
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Smoky fand das durchaus logisch. „Klar, sonst können sie ja nicht da sein“, murmelte er. „Dann wären sie schon längst ersoffen.“ „Dein Törn als Ausguck beginnt, Smoky“, sagte Ben Brighton. Er stand auf dem Achterdeck neben Hasard, nahm hin und wieder das Spektiv ans Auge und suchte die See ab. Die Javasee um sie her war wie leergefegt. Nicht mal Fischerboote waren zu sehen. Smoky erhob sich seufzend und bedauerte, daß er jetzt nicht mehr mitkriegte, was Old Donegal noch alles zum besten gab. Also stieg er zu dem tonnenförmigen Ausguck auf und löste den rothaarigen Iren Higgy ab. Old O'Flynn gab die nächste Geschichte zum besten, und er trug so dick auf, daß die meisten allmählich Zahnschmerzen kriegten. Auf der „Empress“, so behauptete er, seien sie einmal, als sie vor einer Lagune lagen, von achthundert Knochenmännern angegriffen worden, die dort schon seit Ewigkeiten gelegen hätten. Sie stammten alle von untergegangenen Schiffen und hätten im Nu die „Empress“ erobert, indem sie das Schiff mit ihren Knochenhänden einfach festhielten. „Und dann?“ fragte Paddy Rogers fassungslos und entgeistert. Old Donegal blickte etwas verlegen auf die Planken. „Ja, dann“, murmelte er, und das Licht der Erkenntnis begann bereits zu leuchten, „dann nahm ich die Säge vom Schiffszimmermann und sägte das Schanzkleid ab. Das hielten sie dann in ihren dürren, ausgebleichten Fingern, und wir konnten endlich ganz schnell verschwinden.“ „Mann, was ein Glück ihr hattet“, sagte Ferris Tucker und verbarg nur mühsam das Grinsen. „Da sei nur froh, daß der Zimmermann seine Säge gerade nicht verlegt hatte.“ „Oh, wir hatten zwei Sägen an Bord“, erklärte Old Donegal. „Achthundert Knochenmänner sind eigentlich ein bißchen viel“, meinte Luke
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Morgan. „Bist du sicher, daß es so viele waren?“ „Na ja, nicht so ganz. So genau zählt man das ja nicht, zumal uns das Grauen in den Knochen steckte. Können auch gut und gern neunhundert gewesen sein.“ „Der hat ja heute wieder was drauf“, sagte Don Juan auf dem Achterdeck kopfschüttelnd. „Wenn Donegal mal anfängt, dann übertreibt er so gewaltig, daß einem wirklich das Grauen in den Knochen steckt.“ Die haarsträubende Geschichte des Old Donegal wurde unterbrochen, als Smoky mit der Hand nach Osten deutete. „Land voraus, wahrscheinlich eine Inselgruppe!“ rief er. „Liegt genau auf Kurs!“ Feine Striche waren an der Kimm zu sehen. Etwas später ließen sich deutlich Inseln unterscheiden. „Sind die Inseln in der Karte eingezeichnet?“ fragte Hasard. „Nein“, erwiderte Dan. „Hier gibt es einen winzigen Punkt, weiter ist nichts angegeben. Erst tiefer im Osten gibt es ein oder zwei weitere Inseln. Wahrscheinlich sind sie unbewohnt.“ „Wir bleiben auf Kurs und lassen die Inseln an Steuerbord liegen“, sagte Hasard zu Pete Ballie, der am Ruder stand. „Aye, Sir. Das sieht aber nicht nach ein paar Inseln aus, das scheint ein ganzer Pulk von Inseln zu sein.“ „Tatsächlich“, sagte Hasard verblüfft. „Die wachsen regelrecht wie Perlen aus dem Meer.“ Immer mehr Inseln tauchten jetzt auf, manche malerisch und sehr klein wie grüne Punkte in der See, andere langgezogen mit einsamen Stränden und hohen Kokospalmen. Es erübrigte sich, die Inseln an Steuerbord liegen zu lassen, denn sie zogen sich bis zur Kimm nach Norden. Wieder waren die typischen Bienenkörbe zu sehen – Inseln, die als kleiner Berg aus dem Wasser ragten und verblüfft an Bienenkörbe erinnerten. Jeder dieser Bienenkörbe hatte eine Landzunge mit
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herrlich weißem Strand und ein paar Palmen darauf. In großer Höhe nisteten ganze Kolonien weißgrauer Seevögel, die sich von dem vorbeisegelnden Schiff nicht stören ließen. Fischerboote waren nicht zu sehen. Es gab auf den kleinen Landzungen auch keine Hütten, was Hasard nicht weiter wunderte, denn die „Bienenkörbe“ hatten kein Trinkwasser. Eventuelle Bewohner waren ausschließlich auf Regenwasser angewiesen. Etliche Inseln wurden passiert. Keine Menschenseele zeigte sich. Die Inseln schienen noch von der Urzeit her unberührt zu sein. Aber dann gab es doch eine Überraschung, als sie weiter nach Osten vorstießen. 5. Jung Hasard hatte den Ausguck übernommen, und sein Bruder Philip gesellte sich dazu. Sie palaverten ein bißchen, hielten dabei aber scharf nach allen Seiten Ausschau. Als an Steuerbord wieder eine Insel auftauchte, eine große diesmal, die sich noch nicht überblicken ließ, stieß Hasard seinen Bruder an. „Sieh mal durch den Kieker, Phil. Die Insel scheint bewohnt zu sein. Oder irre ich mich?“ Phil nahm das Spektiv entgegen und blickte in die von Hasard angegebene Richtung. Er sah einen endlos langen Strand, dahinter eine tief eingeschnittene Bucht und hinter der Bucht wieder glitzerndes Wasser wie von einer kleinen Lagune. Kokospalmen versperrten ihm teilweise die Sicht, die auf einer weit ins Meer reichenden Huk standen. Aber hinter den Palmenhainen bewegte sich etwas, das erkannte er ganz deutlich. „Da rennen wahrhaftig Leute herum“, sagte er nachdenklich, den Kieker wieder absetzend. „Die scheinen völlig durch den Wind zu sein. Krabbeln herum wie aufgeregte Ameisen.“ „Haben die Herren
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Söhne vielleicht etwas zu melden?“ fragte Hasard. „Aye, Sir“, sagte Jung Hasard. „Wir wollten uns aber erst mal Gewißheit verschaffen, Sir. Man soll sich ja gründlich überzeugen, bevor man was meldet.“ „Eine durchaus löbliche Ansicht“, tönte der Profos. „Und was haben die Lordschaften entdeckt?“ „Die Insel an Steuerbord ist bewohnt, daran besteht kein Zweifel. Boote sind von hier aus nicht zu sehen, aber hinter der Landzunge spielen offenbar ein paar Eingeborene verrückt. Entweder klopfen sie sich gegenseitig durch, oder sie tanzen.“ „Immerhin ein gravierender Unterschied“, murmelte Hasard. „Obwohl bei manchen beides zur Lebensfreude zählt.“ Daß bei seinen Worten rein zufällig sein Blick den Profos traf, veranlaßte Edwin Carberry zu einem dezenten Räuspern. „Ich bin nun wirklich kein guter Tänzer“, sagte er bescheiden. Hasard nahm das andere Spektiv und blickte hindurch. Carberry schaute ihn gespannt an und sah, wie sich ein verstohlenes Lächeln um die Lippen des Seewolfes legte, ein eigentümliches Lächeln, das große Belustigung auszudrücken schien. „Ist was, Sir?“ fragte er neugierig. „Da ist tatsächlich etwas los, nur kann ich wirklich noch nicht unterscheiden, ob die Leutchen sich prügeln oder tanzen. Jedenfalls springen sie wie verrückt herum.“ „Wir können ja ein bißchen dichter an die Insel heransegeln“, schlug Carberry vor. „Dich hat wohl die Neugier gepackt, was?“ „Wissenschaftlicher Forschungsdrang“, behauptete Carberry. „Wenn sie sich wirklich klopfen, könnten wir ja ein bißchen mit ...“ „Mitklopfen etwa?“ fragte Hasard. Carberry verbesserte sich rasch. „Ein bißchen schlichten, meinte ich, Sir. Den Leuten mit frommen Worten erklären, daß es sich nicht geziemt, aufeinander loszuprügeln.“
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Hasard unterdrückte gerade noch einen Hustenanfall. Ausgerechnet der Profos mußte das sagen! Zumal der doch so gern anderen etwas mit „frommen Worten“ verklarte. „Ein bißchen näher können wir ja heran“, sagte er. „Es interessiert mich ebenfalls, was die da so treiben.“ Pete Ballie legte Ruder, bis die Schebecke näher auf die große Bucht zuhielt. Den Arwenacks bot sich gleich darauf ein seltsames Bild. Der Strand war von einer Meute Insulaner bevölkert, die offenbar ein Fest feierten, wie es den Anschein hatte. Mehr als hundert Personen waren am Strand versammelt, und die tobten, kreischten, rannten und brüllten herum, als habe sie was gestochen. Um die Schebecke kümmerte sich niemand. Sie schienen das heransegelnde Schiff nicht mal zu bemerken, so beschäftigt waren sie. Hasard versuchte, den Grund herauszufinden, doch vorerst gelang es ihm nicht. Die Meute brüllte auf, wie bei einem Freudengeheul, lief zusammen, kreischte und schrie, und stob wieder auseinander. Das seltsame Schauspiel wiederholte sich. Wie Jung Hasard schon gesagt hatte, waren die Leutchen völlig durch den Wind. „Sieht nach einem rituellen Kult aus“, meinte der Spanier Don Juan de Alcazar. „Sie beten offenbar eine Gottheit an, aber viel mehr kann ich auch nicht erkennen.“ Der Palmenhain verbarg viel von ihren Blicken. Aber das Freudengeheul war bis weit hinaus aufs Meer zu hören. „Ja, so sieht es aus“, sagte Hasard nachdenklich. „Da wird ein ganz großes Fest gefeiert.“ Weiter hinten in der Bucht waren Hütten zu erkennen, einfache Hütten, gedeckt mit Bananenblättern. Ein paar Kokospalmen waren kräftig vom Sturm gerupft worden, und noch weiter hinten waren Reste von Hütten zu sehen, die der Wind flachgelegt hatte. Die Arwenacks hatten von diesem Sturm auch noch etwas abgekriegt, ihn aber gut
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überstanden. Hier mußte er jedoch ziemlich übel gehaust haben. „Vielleicht feiern sie jetzt ein Fest er Dankbarkeit, daß der Sturm noch etwas übriggelassen hat“, sagte Haard. Don Juan nickte und sah wieder zu der Meute hinüber, die sich jeweils um einen ganz bestimmten Punkt versammelte. Dort glaubte er auch, so etwas wie eine größere Statue zu erkennen. „Könnte das ein Götze sein?“ fragte Ben Brighton. „Oder ist es etwa schon wieder ein portugiesischer Padrao, diese verdammten Wappensäulen, die sie überall aufstellen, um damit kundzutun, daß das Land von jetzt ab ihnen gehört?“ „Nach einem Padrao sieht das Ding eigentlich nicht aus. Der wird auch nur höchst ungern angebetet. Eher schlagen die Insulaner um die Wappensäulen einen großen Bogen.“ Er wollte noch etwas hinzufügen, doch jetzt schwieg die johlende Meute plötzlich. In ihrem Eifer hatten sie die Schebecke nicht bemerkt, doch jetzt wurden sie aufmerksam. Über der Insel lag auf einmal eine gespenstische Stille, eine Ruhe, als jegliches Leben schlagartig erstorben. Hasard erkannte einen hochgewachsenen Mann, von dem er auf Anhieb wußte, daß er der Inselälteste oder Papalagi war. Der Mann war farbenprächtig herausgeputzt und erinnerte an einen Häuptling, ähnlich jenen, wie sie auch in der Südsee anzutreffen waren. Alle drehten sich jetzt um und blickten zu der Schebecke, die langsam auf die Bucht zuglitt. Fast übergangslos hob das Geschrei wieder an. Der Papalagi winkte ihnen zu, die anderen winkten und johlten. Es schienen harmlose und friedliche Leute zu sein, nur eben ein bißchen verrückt geworden durch ein unbekanntes Ereignis. „Sie wollen offenbar, daß wir vor Anker gehen“, sagte Dan O'Flynn. „Sieht jedenfalls nach einer Einladung aus.“
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Der Papalagi winkte jetzt mit beiden Händen. Die anderen johlten begeistert und schwenkten die Arme. Wortfetzen flogen ihnen zu, die sie nicht verstanden, aber die Stimmung der Insulaner war ausgesprochen heiter und fröhlich. Mit den Händen vollführten sie Bewegungen, als wollten sie die Arwenacks heranlocken. Die grinsten alle bis an die Ohren, besonders als sie noch ein paar Inselschönheiten entdeckten, und winkten zurück. „Wir könnten hier Trinkwasser bunkern“, sagte Carberry eifrig. „Haben wir noch genug“, entgegnete Hasard mit unbewegtem Gesicht. „Oder Früchte vielleicht.“ „Haben wir auch noch.“ „Dann vielleicht frisches Fleisch.“ Der Profos ließ nicht locker. „Kriegen wir hier nicht“, sagte Hasard. „Aber frische Fische haben sie.“ „Können wir uns ebenfalls selbst fangen.“ Der Profos schluckte hart und überlegte krampfhaft, was sie hier noch alles kriegen könnten. „Mehr fällt dir nicht ein?“ fragte Hasard. „Kokosöl vielleicht“, sagte der Profos strahlend: „Davon haben wir so gut wie nichts mehr.“ Hasard sah den Profos sehr aufmerksam an, „Das ist wirklich ein handfestes Argument, Ed. Natürlich, Kokosöl haben wir kaum noch, und das brauchen wir dringend, das ist absolut lebenswichtig. Zu was brauchen wir das eigentlich?“ „Ja, ähhhm – nun, wir brauchen das unbedingt, und das gibt's nur auf den Inseln. Später hängt wahrscheinlich alles mal davon ab, ob wir noch Kokosöl haben. Wenn nicht, gehen wir erbärmlich zugrunde.“ „Du bist wirklich das Salz der Erde“, sagte Hasard. „Damit hast du der ganzen Mannschaft das Leben gerettet, und das werden wir dir natürlich nie vergessen.“ „Danke, Sir. Ich werde mich auch als frommer Pilger erweisen.“
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Der Profos schickte einen gottergebenen Blick zum Himmel, der so dankbar war, daß Hasard befürchtete, gleich würde über Edwin Carberry ein Heiligenschein schweben. Hasard ließ die Bucht mit den freundlichen Leuten anlaufen, worauf das Gejohle am Strand wieder lauter wurde. Schnell warf er einen Blick auf das Ungetüm zwischen den Palmen am Strand. Er sah nur eine große Holzfigur, die anscheinend der Mittelpunkt der allgemeinen Aufregung war. Vermutlich handelte es sich um eine Art Meeresgott, wie ihn viele Insulaner am Strand aufstellten, um die Elemente zu beruhigen, Auf vielen Inseln fand dieser Götzenkult mehrmals im Jahr statt. Wie es schien, waren sie gerade in eine derartige Periode geraten. „Hoffentlich erleben wir hier nicht eine unangenehme Überraschung“, ließ sich Old Donegal vernehmen. „Ich finde, wir sind etwas zu leichtsinnig, Sir. Diese freundlichen Leutchen könnten uns die Köpfe abhacken und nur darauf warten, um ihre Fleischkessel zu füllen. So bald wir an Land sind, fallen sie über uns her. Wäre ja nicht das erste Mal, daß wir so was erleben.“ „Das stimmt, Donegal“, erwiderte der Seewolf ernst. „Das fasse ich diesmal ganz bestimmt nicht als Unkerei auf, zumal wir gerade in letzter Zeit üble Erfahrungen gesammelt haben. Wir werden uns schon in acht nehmen und gut aufpassen.“ Irgendwelche Waffen konnte Hasard bei den Eingeborenen nicht entdecken, obwohl das nicht viel besagte. Die Rahruten auf der Schebecke wurden abgefiert, was von den Insulanern mit einem Freudengeheul begrüßt wurde. Nur Old O'Flynn war dabei immer noch etwas mulmig zumute. Er sagte zwar nichts, aber er dachte daran, daß dies vielleicht ein Triumphgeheul sein könnte, weil die Insulaner d mit genau das erreicht hatten, was wollten. Der Alte schaute skeptisch und äußerst mißtrauisch drein, als der Anker gesetzt wurde.
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Als die große Jolle ausgeschwenkt wurde, gingen mindestens drei Dutzend Insulaner ins Wasser und stimmten ihr Gejohle an. Bis zur Brust standen sie darin und wirkten ausgelassen und fröhlich. Die Drehbassen der Schebecke zeigten zum Strand – wie zufällig, doch das nahm niemand der Insulaner zur Kenntnis, oder sie wussten ganz einfach nichts damit anzufangen. Vielleicht waren gerade die Arwenacks die ersten Weißen, die sie zu sehen kriegten. Hasard enterte mit sechs Mann ab in die Jolle. Sven Nyberg und Bill pullten, doch kräftige Hände ergriffen die Jolle und zogen sie die letzten Yards einfach weiter. Hasard beobachtete mißtrauisch jede Bewegung, als Hände nach ihm griffen und eine Schöne ihm einen kleinen Blumenkranz umhängte. Sie lächelte den Seewolf verführerisch an. Am Strand stiegen sie aus wurden sofort von der Meute umringt, die fröhlich drauflosschnatterten. Der Papalagi trat breit grinsend näher und umarmte einen nach dem anderen wie alte Freunde. „Jombang!“ rief er. „Jombang!“ Seine Hände vollführten dabei eine alles umfassende Bewegung. „Das heißt sicher Willkommen“, sagte Dan O'Flynn. Die Arwenacks riefen ebenfalls „Jombang!“ und grinsten dabei freundlich nach allen Seiten. Dieses „Jombang“ war der Auftakt zu allgemeiner Heiterkeit und zum ersten Mißverständnis. Die Insulaner grinsten bis an die Ohren, schlugen sich auf die Schenkel und lachten laut. „Scheint wohl doch etwas anderes zu bedeuten“, meinte Hasard im Kreis der fröhlichen und lachenden Gesichter. Er blickte den Papalagi an, der ebenfalls bis zu den Ohren grinste. „Jombang?“ fragte er.
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Der Papalagi wies aus den Sand, auf die Insel, einfach auf alles, was sich in der Nähe befand. „Jombang“, sagte er, aber trotzdem grinste er wieder. Er fand es wohl erheiternd, daß die Arwenacks nicht begriffen, was er meinte. Er holte noch einmal weit aus und zeigte auf die Inseln, von Norden nach Süden und von Osten nach Westen. „Kepulauan Karimundjawa“, sagte er und nickte mehrmals dazu. „Ah, jetzt habe ich verstanden“, sagte der Seewolf erleichtert. „Kepulauan heißt Inselgruppe oder Insel. Demnach heißt also das Gebiet in dem wir uns befinden Karimundjawa und diese Insel hier Jombang. Jetzt ist mir alles klar.“ Es folgte ein Kauderwelsch von Worten, das die Arwenacks hinlänglich von anderen Inseln kannten. Große Verständigungsschwierigkeiten gab es nicht. Sie hatten bereits Erfahrungen gesammelt und konnten sich gut verständigen, nachdem das erste Mißverständnis ausgeräumt war. Das zweite sollte allerdings bald folgen. Den verblüfften Arwenacks wurden Bananen gebracht, aufgeschlagene Kokosnüsse und andere Früchte. In der Bucht dampfte an etlichen Stellen die Erde. Dort wurde Fleisch auf heißen Steinen gegart und gedämpft. Die Gruben waren zu erkennen, die mit Erde und Bananenblättern abgedeckt waren. Der Papalagi zeigte auf sich. „Mapuki“, sagte er stolz. „Mapuki, Papalagi.“ „Ich Hasard“, sagte der Seewolf grinsend. Bei all den fröhlichen Gesichtern konnte er sich das Grinsen einfach nicht verkneifen. „Ichasard“, wiederholte der Papalagi, was wiederum zu Heiterkeitsausbrüchen führte. „Nur Hasard.“ „Nurhasard“, wiederholte Mapuki. Das große Grinsen ging weiterhin um. „Verdammt noch mal“, sagte Bill lachend. Der Papalagi zeigte auf ihn. „Verdammt noch mal“, sagte er andächtig. Damit hatten die ersten schon ihre Namen weg. Bill hieß einfach „Verdammtnochmal“, und daran konnte er nichts mehr ändern.
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„Sagt besser nur eure Vornamen, sonst nichts“, empfahl Hasard. „Ich bin Dan“, sagte der Navigator und zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen. Die Reaktion erfolgte auch prompt, als der Papalagi nickte, „Ichbindan“, sagte er feierlich. „Das kann ja heiter werden!“ brüllte Sven Nyberg. Er wollte sich gerade vorstellen und „Sven“ sagen, aber es war schon zu spät. Jedenfalls verfügte der Papalagi über ein gutes Gedächtnis, zeigte auf ihn und nickte dann ebenfalls. „Kannjaheißerwerden“, sagte er laut. Der Däne kriegte sich nicht mehr ein vor Lachen, zumal der Papalagi statt heiter „heißer“ gesagt hatte. Damit hatte auch Sven seinen Namen weg, und es versprach, hier ganz lustig zu werden, wenn das so weiterging. Auf der Schebecke drängten sich die Arwenacks und reckten die Köpfe. Der Profos hatte den längsten Hals und war schon ganz wild darauf, an Land gehen zu dürfen. „Holt die anderen“, sagte Hasard. „Aber laßt ein paar Männer zur Bewachung zurück.“ „Gesundes Mißtrauen ist immer gut“, meinte Bill, der sich umdrehte und zur Jolle ging, um die anderen zu holen. „Ich glaube aber eher, wir werden uns hier prächtig amüsieren.“ „Ja, das hat ganz den Anschein.“ Mapuki rückte seinen prächtigen Kopfputz zurecht und starrte dem blonden Mann nach, der zur Jolle ging. Die Blonden erregten hier ganz besondere Aufmerksamkeit, wie Hasard feststellte. Offenbar hatte man noch nie Männer mit hellblonden Haaren gesehen. „Nurhasard“, sagte Mapuki, mit der Hand weiter nach rechts zum Strand deutend. „Panoga zeigen. Mapuki Panoga zeigen.“ „Versteht das jemand?“ fragte der Seewolf hilflos. „Was, bei allen Geistern, ist Panoga?“ Ichbindan grinste wieder. Er konnte es sich nicht verkneifen.
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„Wahrscheinlich meint er die Figur am Strand, um die sie vorhin alle herumgetanzt sind.“ „Könnte sein. Dann sehen wir sie uns mal an.“ Sehr feierlich schritt der Papalagi voran. Die Menge folgte ihm ebenso schweigend, ohne zu johlen oder zu brüllen. Auf Jombang verstummten schlagartig alle Geräusche. Hasard fragte sich, was es mit diesem Panoga auf sich haben mochte, dessen unmittelbarer Nähe sich die Insulaner wie wild gebärdeten. Er wollte Dan etwas fragen, unterließ es aber, als er das Gesicht des Papalagi sah. Das wirkte jetzt ernst und feierlich wie eine aus Stein gehauene Maske. Alle Ehrfrucht dieser Welt in den Augen Mapukis. Er streckte ebenso feierlich die Hand aus und zeigte auf die Figur. „Panoga!“ Seine Stimme klang wie ein Hauch, und er neigte vor der hölzerne Gestalt scheu den Kopf. Zum ersten Male sahen die Arwenacks den Grund der Freude. Hasard sagte kein Wort, aber der Anblick des hölzernen Kerls war wie ein Keulenschlag. Zwischen den Palmen stand eine Figur, aus bester Eiche geschnitzt, die Jahrhunderte überdauerte. Diese Figur blickte wild und grimmig über die Bucht, als wollte sie alles fressen, was ihr in den Weg geriet. Unverkennbar war auch die drohende Haltung des grimmigen Mannes, der die rechte Hand zur Faust geballt hatte und damit aufs Wasser drohte. Der Kerl sah wirklich furchterregend aus. Hasard spürte deutlich, wie sich sein Magen verkrampfte. Ein Gelächter wollte ihm explosionsartig aus der Kehle, doch er unterdrückte es mühsam. Mit zuckenden Lippen sah er seine Kerle an, die seltsam starre Gesichter hatten und in unmöglicher Haltung herumstanden, um den hölzernen Burschen besser begutachten zu können.
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„Du meine Güte, das kann doch wohl nicht wahr sein“, murmelte der Seewolf. Dieser Kerl, der da vor ihnen thronte, konnte gut und gern ein Zwillingsbruder von Edwin Carberry sein. Er war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten - als hätte der Profos dem Bildhauer als Modell gedient. Da stimmten sogar die Narben überein, da stimmte überhaupt alles, von dem gewaltigen Kreuz bis zur Breite des riesigen Brustkasten. Selbst die Hose, die er trug, hätte die von Ed sein können, eine Leinenhose, grob aus dem Holz geschnitzt. Hasard mußte sich eingestehen, daß er selten so dämliche Gesichter gesehen hatte. Da standen sie nun, seine Mannen, und blickten völlig verstört auf das Profosungeheuer. Der Kerl sah aus, als würde er jeden Augenblick zum Leben erwachen, den Profoshammer schwingen und auf einen unsichtbaren Gegner losstürmen. Der Papalagi und ein paar seiner engeren Gefolgsleute zuckten erschrocken zusammen. Hasard konnte sein Lachen nicht mehr halten. Die Situation war einfach zu komisch. Er hielt sich beide Hände vor den Bauch und begann laut und ungeniert zu lachen. Sollte Mapuki von ihm denken, was er wollte. Es ging einfach nicht anders. Dan O'Flynn prustete los. Sven Nyberg fiel vor Lachen in den Sand, und die anderen krümmten sich vor berstender Heiterkeit. Hier stand er, der Profos, fast leibhaftig, mit seinem ungeheuren Rammkinn und den vielen Narben. Selbst das ausgeprägte Kinn war angriffslustig vorgereckt. „Jetzt erwecken wir denselben Eindruck wie die Insulaner“, sagte Hasard und lachte wieder. „Auf der Schebecke werden sie uns für verrückt halten.“ Das Gelächter wiederholte sich. Sie konnten sich lange Zeit nicht beruhigen. Irgendwie tat Hasard der Papalagi leid, denn der wußte absolut nicht, was er von dem höllischen Gelächter halten sollte. Er sah ratlos von einem zum anderen, grinste ein bißchen, starrte Carberrys Kopie an und zuckte unbehaglich mit den Schultern.
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Sein Grinsen wirkte allerdings sehr gequält. „Wenn Ed den Kerl hier sieht, dann schnappt er über!“ rief Bill. Sven hatte inzwischen acht weitere Mannen von der Schebecke geholt, und jetzt war Luke Morgan unterwegs, um auch die anderen noch zu holen. Der Profos war noch nicht dabei, und so wußte er auch nichts von seinem Glück. Carberry hörte nur das homerisch brüllende Gelächter und wäre am liebsten gleich zum Strand geschwommen. Inzwischen umringten immer mehr Arwenacks die Statue und kamen aus dem Staunen und Lachen nicht heraus. Der Strand hallte wider von dem irrsinnig anmutenden Gelächter. Matt Davies und Smoky wanden sich bereits in Krämpfen am Boden, während Mac Pellew das Gesicht verzog, als habe man ihm einen faulen Fisch unter die Nase gehalten. Hasard drehte sich lachend um und sah der Jolle entgegen. Dort pullten Luke und Gary Andrews, und der kleine Luke Morgan verriß vor lauter Gelächter den Riemen, grapschte danach, stand von der Ducht auf und landete prompt im Wasser. Das Gelächter nahm zu, wahnsinnig, fast unmenschlich hallte es über die Bucht. „Das, das darf nicht wahr sein“, wimmerte Smoky. „Der ist dem Profos wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten.“ Der Papalagi stand mit einem ausgesprochen dummen Gesichtsausdruck neben der brüllenden Horde, sah den im Bach paddelnden Luke Morgan, verstand immer noch nichts und begann schließlich auch zu grinsen, bis aus dem Grinsen ein Lachen wurde. Allerdings wirkte es so, als leide der Papalagi unter üblen Zahnschmerzen. Das war der Augenblick, als die Jolle auf den Strand glitt, und der Profos Edwin Carberry als erster heraussprang. Entschlossen marschierte er auf die Gruppe zu, die sich immer noch vor Lachen bog. 6.
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„Seid ihr alle übergeschnappt?“ böllerte er los. „Was ist denn hier los, was, wie?“ Als sie den Profos sahen, benahmen sie sich abermals wie Verrückte. Smoky zeigte mit dem Finger auf ihn, brüllte dann los und kugelte sich in den Sand, wo er mit Bauchschmerzen liegenblieb. Die anderen hieben sich auf die Schenkel und wieherten wie kranke Gäule. Hasard, Don Juan und Dan traten schweigend zur Seite, um Carberry auch den seltsamen Anblick zu gönnen, denn der Profos blickte noch nicht richtig durch. Er hatte nicht die geringste Erklärung für das immer wieder wild aufbrandende Gelächter. Der große Augenblick kam, auf den sie alle mit Spannung warteten. Der Profos blickte jetzt auf die Holzfigur, schluckte hart, riß die Augen auf und stierte sie sich fast aus dem Schädel. Sein kantiges Gesicht mit dem Rammkinn war ein einziges Fragezeichen. Die Kerle stierten ihrerseits den Profos feixend an. Smoky hatte sich wieder aufgerappelt, blieb aber in gekrümmter Haltung stehen und deutete erneut auf den Profos. „Na, Mister Carberry“, prustete er los. „Ist dir noch nichts aufgefallen?“ Selten hatten sie ihren Profos so gesehen, wie er dastand mit zuckenden Lippen, immer wieder schluckend und verstört auf das Bildnis starrend. „Das – das bin ja ich“, murmelte er kläglich und mit fast versagender Stimme. „Ich, äh, das gibt's doch gar nicht, bei allen Teufelsschwänzen.“ Das neu aufbrausende Gelächter erstarb jedoch schlagartig, als Carberry vor seinem hölzernen Ebenbild stand. Jetzt erst hatte ihn der Papalagi gemustert. Seine Aufmerksamkeit hatte sich bisher auf die anderen beschränkt, doch jetzt sahen er und die anderen Insulaner den Profos an. Mapuki stieß ein Röcheln aus. Er öffnete den Mund und kriegte ihn nicht wieder zu. Er stierte den Profos an, schnappte nach Luft, griff sich ans Herz und fiel vor Schreck und Aufregung in den Sand, wie
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es ihm schon einmal beim Anblick der Holzfigur passiert war. Hasard sprang hinzu, um dem Papalagi auf die Beine zu helfen. Der hatte die Augen verdreht und sah ganz käsig aus. Als der Seewolf ihn ein bißchen schüttelte, kam er wieder zu sich. Sein erster Blick fiel auf Carberry, und da erwischte es ihn wieder. Er stieß noch einen Schrei der Verzückung aus und wurde ohnmächtig. Hasard hielt ihn schweigend in seinen Armen. Carberrys Futterluke klappte laut hörbar zu. Er sah sich fassungslos um. Seine Augen waren groß wie Marmorkugeln und drohten ihm aus dem Kopf zu fallen. Die Insulaner sanken in den Sand, fielen plötzlich auf die Knie, wie von einer großen Sense niedergemäht. Nur das leise Rauschen der Wellen war noch zu hören, die wispernd und raunend an den Strand liefen. Sonst herrschten Totenstille und Bewegungslosigkeit. Zur Zeit hatte der Profos nur noch wenig Ähnlichkeit mit der hölzernen Statue. Er grinste dämlich, sah ratlos auf die gebeugten und im Sand hingestreckten Körper und blickte dann hilflos zum Seewolf. Er wußte wirklich nicht, was er sagen sollte. Die merkwürdige Situation verschlug ihm für ein paar Minuten glatt die Sprache. Dann hallte ein Ruf über die Insel, erst murmelnd, dann lauter anschwellend, bis er wie Brausen in der Luft hing. „Pa-no-ga!“ Der Papalagi erwachte aus seiner kataleptischen Erstarrung, fiel vor Carberry auf die Knie und rief ebenfalls: „Panoga!“ „Immer ich“, sagte der Profos schluckend und anklagend zugleich. „Einmal war ich die Verkörperung von Schiwa, und jetzt bin ich Panoga, oder wie der Kerl heißt. Was soll das überhaupt?“ „Du bist wieder mal eine Gottheit“, sagte Hasard. „Mir würde das auch langsam zum Halse heraushängen, aber hier hat wohl der Zufall ein wenig nachgeholfen.“ „Wer, zum Teufel, ist der Macker?“ fragte der Profos hilflos und sah seinen hölzernen Doppelgänger mißtrauisch an.
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„Panoga natürlich, wer immer das sein mag“, erklärte Don Juan grinsend. „Offensichtlich ist dieser Panoga eine ...“ Er konnte nicht weiterreden, denn der Papalagi berührte Carberry scheu, sah ihm in die Augen und kniete sich wieder in den Sand. Die Menge tat schweigend das, was auch Mapuki tat. Sie betete den Profos an und murmelte gleich darauf Worte in einem hellen Singsang. Carberry blieb unbeweglich stehen. Er schluckte so heftig, als säßen ihm große Seegurken im Hals – oder Seeigel, die er einfach nicht herunterkriegte. „Ich hab ein ganz beschissenes, mulmiges Gefühl“, sagte er heiser. „Wir sollten von hier schleunigst verschwinden, Sir, ehe die mich zu ihrem Wetter- oder Regengott hochloben.“ „Du hast doch rumgetönt, daß wir unbedingt die Insel anlaufen sollen“, entgegnete Hasard ungerührt. „Jetzt bleiben wir auch vorerst hier und warten die weitere Entwicklung der Dinge ab. Hier kannst du mal so richtig den frommen Pilger spielen, Mister Panoga.“ Der Profos zuckte heftig zusammen. Er war mit der Entwicklung der Dinge gar nicht einverstanden, und ihm schwante daher nichts Gutes. Aus den hinteren Reihen der murmelnden Schar lösten sich zwei junge Frauen. Sie hielten girlandenartige Blütenkränze in den Händen. Tief gebeugt näherten sie sich dem Profos, bis sie vor ihm waren. Zarte Finger bewegten sich scheu nach oben, um ihm die Girlanden umzuhängen. Er mußte sich tief bücken. Anschließend hatte er zwei prächtige Gebinde um den muskulösen Hals hängen. Sein Doppelgänger erhielt ebenfalls zwei Blumengebinde. „Mir ist, als schaute ich in einen Spiegel“, sagte der Profos, „Wie kann man eine Figur nur so schnitzen, daß sie aussieht wie ich? Der: Schnitzer muß mich jedenfalls gekannt haben.“ „Ein Zufall“, erwiderte der Seewolf, „nichts als ein Zufall.“ „Und wie gelangt dieser Panoga hierher?“
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Hasard sah nachdenklich zu dem hölzernen Riesen. „Juan wollte das vorhin gerade erklären. Es handelt sich um eine Galionsfigur, daran gibt es keinen Zweifel. Irgendwann muß sie hier auf dieser Insel angeschwemmt worden sein. Ich nehme an, daß man sie zum Meeresgott erkor en hat, daher auch die Aufstellung dicht am Wasser. Die Figur soll die Insulaner vor Wind und Wetter beschützen.“ „Bin ich vielleicht ein Meeresgott?“ fragte der Profos. „Jetzt offenbar schon. Die Leute hier nehmen an, daß erst die Figur geschickt wurde, um sie auf das Erscheinen des richtigen Gottes vorzubereiten, der ja jetzt ebenfalls erschienen ist. So jedenfalls deute ich das. Eine andere Erklärung habe ich nicht.“ „Wie, zum Teufel, soll das weitergehen?“ „Auch das weiß ich nicht“, erwiderte Hasard. „Wir sollten uns die Figur mal etwas näher anschauen. Vielleicht erhalten wir einen Hinweis, woher sie stammt.“ Niemand hinderte sie, als sie dicht vor die Figur traten. Ferris Tucker deutete grinsend auf das Rammkinn. „Gute Arbeit“, lobte er. „Der Bursche ist aus bester Eiche und hat einst einen Bug geziert. Ich nehme an, daß es sich um eine holländische Galionsfigur handelt.“ „Und was stellt sie dar? Galionsfiguren stellen doch immer etwas dar und werden nicht ohne Grund geschnitzt.“ „Vermutlich einen Wassergeusen“, äußerte Ferris nachdenklich. „Dafür spricht die erhobene Faust. Wollen mal sehen, ob wir einen Hinweis auf das Schiff oder die Herkunft finden.“ „Das heißt also“, sagte der Seewolf, „daß hier irgendwo in der Nähe ein holländisches Schiff gesunken ist, das die Galionsfigur verloren hat.“ „Das könnte der Fall sein“, meinte Ferris, „sie kann aber auch im Sturm verlorengegangen sein. Man müßte herausfinden, wann die Figur hier angeschwemmt wurde.“
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Bevor sie den vor Ehrfurcht erstarrten Papalagi aber fragten, sahen sie sich noch einmal die Figur an. Erst von vorn, dann von der Seite und schließlich nahmen sie die Rückseite in Augenschein. Für den Schiffszimmermann Ferris Tucker war es nicht schwer, auf Anhieb die richtige Stelle zu finden. „Aus Holland, wie ich gesagt habe. Harlingen steht da eingeritzt. Also heißt das Schiff ,Harlingen`, von dem es stammt. Wahrscheinlich ist es eine Fleute. Natürlich kann sie auch im Sturm gesunken sein“, setzte er hinzu. „Die Inseln hat der Sturm ja in den letzten Tagen ziemlich hart gerupft.“ Ferris befühlte die Figur ein bißchen, drückte hier und drückte da, bis er schließlich nickte. „Lange ist es noch nicht her, Sir, daß die Figur hier angeschwemmt wurde. Das Holz ist noch schwer und naß, obwohl sie jetzt nicht mehr mit Seewasser in Berührung kommt. Demnach kann sie nur seit ein paar Tagen hier stehen.“ „Panoga“, sagte der Papalagi zaghaft zu Carberry, wobei er sich wieder verneigte. „Da, Tefara!“ Dem Profos war es mehr als peinlich, hier als Gottheit betrachtet zu werden, und er dachte vergeblich darüber nach, wie er die Insulaner davon abbringen sollte. Er drehte sich in die Richtung um, die der Papalagi ihm Diesmal hätte ihn fast der Schlag getroffen. Er sah ein unglaublich fettes Weib, das ihm einen schmachtenden Blick zuwarf und ihn so liebestoll anstarrte, daß ihm das Herz in die Hosen rutschte. Wahrhaftig, er hatte wirklich keine Angst, der Profos, aber diese Inselschönheit hatte es offenbar auf ihn abgesehen, und damit war der Inselhäuptling wohl auch noch einverstanden. „Sie ist die schönste Frau von der Insel.“ Sinngemäß drückte es der Papalagi so aus, und so verstanden sie es War dem Profos schon genug beklommen zumute, so wuchs seine Unsicherheit jetzt noch, als das Mädchen auf ihn zuwalzte
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und vor Verzückung einen lauten Seufzer nach dem anderen ausstieß. Sie trug einen schreiend bunten Sarong, und der Profos gelangte zu der bestürzenden Feststellung, daß in diesem Sarong gut und gern Big Old Shane, Paddy Rogers und er selbst Platz gehabt hätten. Die Schöne hatte Unterarme, die noch dicker waren als Carberrys Oberschenkel. Sie hatte eigentlich keine Figur, denn niemand wußte so recht, wo ihre Hüften anfingen oder endeten. Das war eine riesige Tonne mit wurstförmigen Extremitäten und einem Kopf, der direkt aus dem Oberkörper zu wachsen schien. Als sie sich einmal geziert umdrehte, um den neuen Gott von ihrer fülligen Schönheit zu überzeugen, sah der verstörte und verwirrte Profos einen Achtersteven, um den sie jeder Elefant beneidet hätte. „Panoga!“ schrie sie ekstatisch, schluchzte laut auf, ließ ein paar Tränen aus ihren in Fettpolstern versunkenen Äuglein fließen und fiel mit ihrem ganzen Gewicht dem Profos zu Füßen. Carberry hatte das Gefühl, als erschüttere ein kurzes Erdbeben die Insel. Mit gehetzten Blicken sah er zu seinen Kameraden, aber die grinsten so infam und hinterhältig, daß er sie am liebsten erwürgt hätte. Alle grinsten, auch Philip Hasard Killigrew, dem schon etwas zu schwanen begann. Hilflos starrte der Profos auf den Fleischberg im Sand und wünschte sich hundert Meilen fort, denn eins war sicher: Irgendetwas hatte der Papalagi mit ihm und diesem Dickerchen vor. Aber was nur? fragte er sich immer wieder verzweifelt. Der Papalagi verklarte ihnen jetzt umständlich, daß Tefara seine Tochter sei und von jedem Mann auf der Insel heiß begehrt werde. Aber der Richtige sei für sie erst jetzt erschienen. „Der meint doch nicht etwa mich?“ fragte der Profos tonlos. Er sah den Papalagi an, dann wieder das monströse Töchterchen. Die beiden waren wie Tag und Nacht. Der Papalagi dürr, hager und lang mit grauen Haaren unter seinem Kopfschmuck. Tefara, wie die Inselschönheit genannt
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wurde, war dagegen so fett, daß Carberry sich eingestehen mußte, noch nie so eine dicke Frau gesehen zu haben. Sie mußten sie regelrecht gemästet haben, um das angestrebte Idealgewicht zu erreichen. „Klar meint er dich“, erwiderte Dan O'Flynn mit einem niederträchtigen Grinsen. „Wahrscheinlich will der Obermacker, daß du sein Töchterchen zum Eheweib nimmst und für immer auf der Insel bleibst, damit sie ihren Meeresgott jeder Zeit bei sich haben.“ Zum erstenmal seit langer Zeit wurde Carberry so bleich wie eine getünchte Wand. Das anfangs noch dämliche Grinsen war ihm längst vergangen, und er warf abermals einen hilfesuchenden Blick in die Runde. „Oh, Mackileinchen“, sagte der Profos zu Mac Pellew. „Du bist doch so ein großer Frauenheld. Wäre das nicht was für dich? Ich meine, du bist doch ein toller Kerl und so. Ich verspreche dir zehn Fässer Rum, wenn du dich ein bißchen mit der Tante abgibst und sie mir vom Hals hältst.“ Mac Pellew sah aus, als habe ihm jemand einen Hammer über den Schädel geschlagen. „Du spinnst wohl!“ kreischte er. „Du bist hier schließlich der große Panoga. Ich bin nur ein mickriger Prielwurm gegen dich. Gib dem Dickerchen lieber ein Küßchen, damit wir was zu lachen haben.“ „Dich bring ich um, du Affenarsch“, knurrte der Profos erbittert. „Du bist die längste Zeit mein Freund gewesen.“ Zum Glück flog in diesem Augenblick Sir John von der Schebecke los und nahm Kurs auf das Land. An Bord war es dem bunten Schreihals offenbar zu langweilig geworden. Carberry tat so, als sei er jetzt eifrig mit dem Vogel beschäftigt, um den er sich unbedingt kümmern mußte. * Sir John, der bunte Aracanga-Papagei, war offenbar genauso hinterhältig wie die
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anderen Arwenacks, so jedenfalls erschien es Edwin Carberry. Die Krachente flog diesmal nicht wie gewöhnlich auf seine Schulter, um sich dort niederzulassen, sondern nahm Kurs auf die Galionsfigur, die offenbar seine Neugier geweckt hatte. Er flog auf die Schulter des hölzernen Wassergeusen, lüpfte den Achtersteven und ließ respektlos etwas fallen. Dann zwickte Sir John den Holzprofos ins Ohr. Er zwickte noch einmal, als keine Reaktion erfolgte, und begann dann zu zetern. „Rübenschweine! Dreimal verschnittener Hornochse! Laß die Mutter sausen, Gevatter!“ Nach einem weiteren ordinären Fluch strich Sir John ab und nahm Kurs auf einen tamariskenähnlichen Baum am Strand. Dort hockten zwei Kakaruas mit dunklen Federn und gewaltigen Schopfhauben. Es waren fast schwarze Kakadus mit starken Krummschnäbeln, die wegen ihres Geschreis Kakarua genannt wurden. Diese beiden Vögel wollte Sir John jetzt mal aus der Nähe betrachten. In dem Baum flogen gleich darauf die Fetzen – oder genauer gesagt: die Federn stoben durch die Luft, als Sir John die beiden Kakaruas von den Sitzplätzen verjagen wollte oder ihnen ganz einfach zu nahe geriet. Gellendes Kreischen war zu hören, rote, grüne, schwarze und orangefarbene Federn flogen durch die Luft. Für Carberry war das ein willkommener Anlaß zur Flucht. Er sah noch, daß vier ausgewachsene Insulaner dem Dickerchen wieder auf die säulenartigen Beine halfen. Sie hatten schwer damit zu tun und plagten sich sehr. Der Papalagi sah ihm nach, offenbar ein wenig befremdet, aber das interessierte Carberry nicht im geringsten. Mapuki war tatsächlich etwas irritiert, denn Panoga grinste mitunter so merkwürdig, wie es ein Meeresgott ganz sicher nicht tat. Auch pflegten die seiner Meinung nach keinen Kakaruas nachzujagen. Trotzdem lag ein glückliches
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Leuchten auf seinem Gesicht, wenn er den neuen Gott sah. Natürlich stand außer Frage, daß der jetzt hierbleiben würde. Inzwischen befand sich Carberry unter der Tamariske und lockte Sir John mit lieblichen Sprüchen. Aber der kämpfte noch mit den beiden anderen Schreihälsen und verlor dabei ein paar weitere Federn. „Nurhasard“, sagte Mapuki in seinem Kauderwelsch. „Panoga nicht Vogel jagen, wir tun das.“ Carberry drehte sich um, immer in der ängstlichen Erwartung, dem schmachtenden Blick der Dicken zu begegnen. Sie stand jetzt an den Stamm einer Palme gelehnt und blickte ihn an. Ihr Blick war so heiß, daß dem Profos der Schweiß auf die Stirn trat. Er wandte sich schnell an den Seewolf. „Was heißt hier Nurhasard?“ fragte er. „Ein Mißverständnis, Ed. Mit der Verständigung klappt es nur etwas schleppend, und als ich mich vorstellte, da hatte ich gleich meinen Namen weg, weil ich sagte, er solle mich nur Hasard nennen. Er zog das aber gleich zu einem Wort zusammen. Dan heißt zum Beispiel ,Ichbindan`, und Bill wird ,Verdammtnochmal’ genannt. Sven hat den schönen Namen ,Daskannjaheißerwerden‘.“ „Sind die denn hier alle bescheuert, Sir?“ flüsterte der Profos. „Ich werde das lausige Gefühl nicht los, daß mich der Papalagi mit der Dicken verkuppeln will. Du mußt das unbedingt verhindern, Sir.“ „Noch ist nichts passiert“, erwiderte Hasard gelassen. „Immerhin ist die Dicke die Tochter des Häuptlings, und da kannst du dich ihr gegenüber nicht ausgesprochen unfreundlich verhalten, ohne die Gastfreundschaft zu verletzen. Laß jetzt deinen Sir John da oben hocken und begib dich in unsere Mitte. Ich werde nachher versuchen, dem Papalagi den Unsinn mit dem Meeresgott auszureden.“ „Ich will aber kein so'n dickes Mädchen“, sagte der Profos störrisch. „Sie mag ja ganz nett sein, aber sie wiegt dreimal mehr als ich, und das sind mir mindestens
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dreihundert Pfund zuviel. Die Kerle haben vielleicht eine Vorstellung von Schönheit.“ „Hier gelten eben andere Maßstäbe.“ „Ich will aber meine eigenen.“ Mapuki, Toriki und Tako näherten sich ihnen wieder. Auch die anderen Insulaner strömten zusammen und umringten „Panoga“, der sich zu einem gequälten Lächeln durchrang. Weiter hinten walzte auch wieder die Inselschöne mit ihrem beachtlichen Gewicht heran. Sie bombardierte den Profos abermals mit feurigen Blicken. Der wäre jetzt am liebsten ausgekniffen, doch dann hatte er plötzlich eine andere Idee. „Wie wär's denn, Sir, wenn ich ein bißchen verrückt spiele? Ich benehme mich einfach wie ein Geisteskranker. Das wird den Obermacker vielleicht davon abhalten, mich weiter anzubeten.“ „Manchmal benimmst du dich auch wirklich so“, sagte der Kutscher grinsend. „Aber deiner Autorität als Profos würde das sicher eine Menge Abbruch tun. Bleib lieber vernünftig und so, wie du nun mal bist. Im übrigen warten wir ganz einfach die Entwicklung der Dinge ab.“ „Ganz meine Ansicht“, sagte Hasard. 7. Sir John, der immer noch zeterte und kreischte und hoch über ihnen in dem Baum hockte, kapitulierte jetzt. Er hatte genug von den beiden Krakeelern, flatterte los und irrte ein wenig hilflos herum, bis er sich Tefara als Ziel erkor. Im Sturzflug jagte er auf sie zu und ließ sich auf ihren Schultern nieder, was die Dicke entzückt zur Kenntnis nahm. Sie warf dem Profos Kußhändchen zu und rückte näher. Allerdings strengte sie das Gehen sehr an, und so schnaufte sie, keuchte und seufzte. Sir John wechselte abermals den Kurs und flog jetzt zu seinem Herrn und Meister Edwin Carberry. Auf dessen Schulter ließ er sich nieder. Das war für den Papalagi wiederum ein Zeichen, daß eine Verbindung zwischen
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seiner Tochter und Panoga bestand. Der Vogel bekundete beiden seine Sympathie und zeigte dadurch an, daß die beiden wohl zusammengehörten. „Großes Fest!“ rief der Papalagi. „Alle jetzt feiern! Feiern Erscheinen von Panoga! Meer haben Panoga geschenkt Panoga jetzt bleiben auf Jombang! Neuer Meergott nimmt Frau, alle glücklich!“ „Beim heiligen Bimbam“, ächzte Carberry. „Genau das habe ich befürchtet. Aber die Posse läuft ohne mich, darauf könnt ihr euch verlassen.“ Aber das war der Profos schon eingekeilt von einer Menge, die ihn jetzt endlich einmal direkt aus der Nähe sehen und befühlen wollte. „Schiwa-Carberry-Panoga!“ brüllte Mac Pellew begeistert, als der Profos in der Menge fast zu ersticken drohte. „Das muß dir doch runtergehen wie warmes Öl.“ In der Menge wurde der eingekeilte Profos weiter in Richtung Lagune geschoben, wo die Erdgruben dampften, Rauch aus dem Boden drang und ein paar lange niedrige Tafeln errichtet waren. Fleißige Hände hatten alles vorbereitet. Die Tafeln quollen nur so über von Früchten, gebackenen. Fischen, Krabben, Krebsen und anderem Getier, das aus dem Meer stammte. Auch für Getränke hatten sie reichlich gesorgt. In halbierten Kokosnüssen befanden sich Säfte, Palmwein und vergorene Kokosmilch. Feierlich wurde Carberry ans obere Ende der ersten Tafel geleitet, wo er auf dem Boden Platz nehmen mußte. Der Papalagi setzte sich zu seiner Rechten an die Tafel. Seine Tochter Tefara nahm links vom Profos Platz und ließ ihr beachtliches Gewicht in den Sand plumpsen. „Ist das hier etwa schon das Hochzeitsmahl?“ fragte Carberry mißtrauisch. Er sah sich argwöhnisch nach allen Seiten um, schielte dann auf die Flüssigkeit in den Kokosschalen und war drauf und dran, Fersengeld zu geben. Tefara starrte ihn unverwandt an. Ihr breites und aufgequollen wirkendes Gesicht war dem Profos ganz. nahe.
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Die Mannen nahmen es erheitert. zur Kenntnis. Da stand der Papalagi auf und gebot mit einer Handbewegung dem Murmeln und Geflüster Einhalt. Tiefe Stille herrschte. Mapuki hielt eine Rede, in der er sich immer mehr ereiferte. „Was sagt er?“ fragte der Profos. Er fragte den Kutscher, weil der ein studierter Mann war und er annahm, der wisse auch jetzt Bescheid. „Keine Ahnung“, antwortete der Kutscher. „Da kann ich nur annähernd raten.“ „Dann rate doch mal. Mir wäre wesentlich wohler, wenn ich wüßte, was der Macker den Leuten jetzt verklart. Vielleicht gibt er gerade meine Hochzeit bekannt, und ich weiß nicht mal was davon,“ Mapuki unterstrich seine Worte mit vielen Gesten, zeigte mal aufs Meer hinaus, dann wieder auf Carberry und die anderen, die den neuen Gott zur Insel gebracht hatten. Er redete fast eine Stunde lang, beschwor die alten Legenden und war außer sich vor Freude, daß sie sich endlich erfüllt hatten. „Er redete wahrscheinlich von Panoga, wie der hier angeschwemmt wurde, und daß er dann leibhaftig erschien“, meinte der Kutscher. „Das ist aber nur eine logische Kombination. Vielleicht verklart er den anderen auch gerade, daß sie dich opfern werden.“ „Warum habe ich nur nie Jombangisch gelernt“, knurrte der Profos. „Dann wüßte ich wenigstens, welcher Kurs hier anliegt.“ Immer wenn er ein paar Worte sagte, blickten alle Augen auf ihn, und die Dicke war so entzückt, daß sie fast in Ohnmacht fiel. Sie rückte dem verstörten Profos auch immer dichter auf die Pelle, bis der fast unter der flachen Tafel hockte. Zum Glück war die Rede des Papalagi nach einer guten Stunde zu Ende. Er forderte die Leute jetzt zum Zugreifen auf, und damit nahm das Fest seinen Anfang. Carberry wollte ebenfalls zugreifen, doch das ließ die Dicke nicht zu. Sie suchte die besten Brocken für ihn aus, und unter dem Gegrinse der anderen Arwenacks wurde Edwin Carberry gehätschelt und gefüttert. Er brauchte nur noch zu schlucken, alles
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andere nahm ihm die Inselschönheit liebevoll ab. „Die hat vor, mich ebenfalls zu mästen“, knirschte der Profos zwischen zwei Bissen, die ihm in den Mund geschoben wurden. „Soll sie doch lieber Paddy füttern, der verträgt viel mehr.“ Er zeigte verzweifelt zu Paddy Rogers, doch das nahm Tefara nicht zur Kenntnis. Für sie gab es nur einen Mann – und das war Panoga, der jetzt leibhaftig neben ihr saß. Hasard sah dem Treiben anfangs belustigt zu. Nach einer Weile wurde er jedoch immer nachdenklicher. Mädchen hatten sich um seine Mannen geschart, aber das war nur natürlich. Ihm bereitete eine andere Entwicklung doch langsam Sorgen. „Wird wohl etwas schwierig wer den, hier heil herauszugelangen“, sagte er zu Don Juan. „Wir würden diese friedlichen Leutchen ganz sicher verprellen, wenn wir sang- und klanglos absegeln. Was für uns mehr ein Spaß ist, hat für sie religiöse Bedeutung. Sie nehmen die Sache mit dem Meeresgott anscheinend sehr ernst, und sie wollen Ed offenbar auf alle Fälle hierbehalten. Was meinst du, Juan?“ „Es könnte Ärger geben, fürchte ich“, erwiderte der Spanier. „Wir müssen versuchen, den Häuptling davon zu überzeugen, daß alles ein Mißverständnis ist und vor allem, daß die Figur von einem Schiff stammt.“ „Das dürfte wohl etwas schwierig werden. Gegen eine alte Überlieferung oder Legende kommen wir nicht an. Die Insulaner haben eine ganz andere Mentalität als wir.“ „Vorerst müssen wir den Dingen ihren Lauf lassen, Sir. Es ist bald Abend, und die Feier geht vermutlich die ganze Nacht weiter. Wir sollten den morgigen Tag abwarten.“ „Uns wird nichts anderes übrigbleiben.“ Der Papalagi ließ ein paar anmutige Mädchen auftreten, die halbnackt Tänze vorführten. Die Tänzerinnen fackelten nicht lange und schnappten sich die Arwenacks, die ebenfalls mittanzen mußten.
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Den Papalagi faszinierten dabei besonders die blondhaarigen Seewölfe, die er sehr nachdenklich musterte. Ein ausgesucht schönes und sehr schlankes Mädchen schickte er zu dem Schweden Stenmark, ein weiteres zu dem Rudergänger Pete Ballie, eine dritte Schönheit mußte neben Gary Andrews Platz nehmen. Bob Grey kriegte eine Tänzerin zugewiesen, und .auch die übrigen Blonden wurden versorgt. Diese Männer wählte Mapuki ganz bewußt aus, die anderen waren in ihren Entscheidungen frei. Der Papalagi hielt wieder eine Rede, von der kein Arwenack etwas verstand, und nahm danach Platz. Jetzt traten Krieger auf, bewaffnet mit scharfen Holzspeeren und Masken. Sie tanzten am seichten Ufer der Lagune und führten ihre Tänze vor, wobei sie mit den Speeren wild um sich stießen, bis Hasard befürchtete, sie würden sich gegenseitig massakrieren. Danach wurde Panoga gehuldigt. Die Dicke legte ihm die Hand auf die Pranke, und diese Pranke verschwand völlig unter den fleischigen Händen. Wie hypnotisiert blickte sie den Profos an. Carberry war, vollgestopft bis obenhin. Er kriegte keinen Bissen mehr herunter. Dafür trank er alles, was nach Alkohol roch, bis er nach und nach einen glasigen Blick kriegte. „Die Feier geht wahrscheinlich tagelang weiter“, sagte der Kutscher, „und es sieht so aus, als soll hier eine Art Massenhochzeit abgehalten werden. Wie wär's denn, wenn wir uns morgen mit ein paar Fässern Rum und Wein revanchieren, Sir?“ „Willst du das etwa noch begießen?“ fragte der Seewolf bissig, „damit wir womöglich noch mehr Ärger kriegen?“ „Eher umgekehrt, Sir. Die Leute werden von dem ungewohnten Zeug ziemlich schnell berauscht sein. Das ist natürlich nicht die feine englische Art, aber während sie ihren Rausch ausschlafen, können wir uns unauffällig empfehlen.“
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„Haben wir denn eine andere Wahl?“ fragte Hasard seufzend. „Das ist natürlich sehr undankbar, aber andererseits können wir nicht auf unsere Männer verzichten. Wir müssen wirklich zu einer kleinen List greifen.“ Kurz vor der Dämmerung wurden am Strand Feuer entfacht. Das Fest ging weiter, die ganze Nacht durch. Ein paar Arwenacks hauten sich einfach in den Sand und schliefen. Ein paar andere verschwanden unauffällig mit den Schönheiten und tauchten erst gegen Morgengrauen wieder auf. Der Profos lag im Sand und ratzte, bewacht von Tefara, die kein Auge von ihm ließ. * Am anderen Morgen, Hasard hatte nur für ein oder zwei Stunden geschlafen, nahm er den Papalagi zur Seite. Die Mannen waren bereits ausnahmslos wach. Manche blickten ein bißchen verkatert drein, doch da gab es schon wieder gebackenes Fleisch von den Erdferkeln, und das ließ sie munter werden. Hasard und ein paar andere gingen mit dem Papalagi zum Strand, wo die Galionsfigur stand und grimmig aufs Meer blickte. Gestenreich, geduldig und kauderwelschend versuchte der Seewolf, das Mißverständnis aufzuklären. „Dieser Holzmann, den ihr euren Meeresgott nennt“, sagte er sinngemäß, „ist der Glücksbringer von einem Schiff. Dieses Schiff ist hier irgendwo gesunken oder hat die Figur verloren. Sie hängt immer unter dem Bug eines Schiffes.“ Um das zu demonstrieren, zeigte er zum Bug der Schebecke und unterstrich das gestenreich. „Es ist kein Gott, Mapuki, verstehst du das?“ Mapuki sah nichts am Bug der Schebecke und verstand es natürlich nicht. „Panoga – kein Gott!“ schrie Hasard den Papalagi an, als der absolut nichts kapierte.
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„Dieser Holz-Panoga ist für euch, aber der andere ist ein Mann aus Fleisch und Blut, und der gehört auf das Schiff dort drüben.“ „Panoga – Meeresgott, uns beschützen. So sagen die alten Legenden. Panoga wird kommen, Panoga ist erschienen, richtiger Panoga jetzt auch hier, wie Legenden sagen.“ „Das ist nur eine zufällige Ähnlichkeit!“ rief Hasard. „Panoga gut“, sagte Mapuki stur. „Panoga immer hierbleiben, schönes Weib nehmen, Tochter von Papalagi. Und immer auf Insel bleiben. Ihr habt Panoga gebracht, Panoga Geschenk von andere Götter.“ „Herr im Himmel“, sagte Hasard erschüttert. „Panoga muß wieder mit aufs Schiff. Wir müssen ihn mitnehmen.“ Mapuki wies auf die Holzfigur. „Ihr den Panoga nehmen, anderen nicht.“ Dem Profos richteten sich bereits die Haare auf, als er das hörte. Da war wieder das mulmige Gefühl, das ihn nicht mehr losließ, genau wie Tefara, die sich wie selbstverständlich an seiner Seite bewegte, als sei sie bereits sein trautes Eheweib. „Das geht nicht“, sagte Hasard und zwang sich zur Ruhe. „Andere mit Götterhaar auch hierbleiben“, erklärte Mapuki unbeirrt. Der Kerl blieb stur und uneinsichtig. Er wollte es einfach nicht wahrhaben und klammerte sich an die alte Legende, die eben das und das besagte. „Panoga bleiben hier“, sagte der Papalagi jetzt sehr nachdrücklich. „Wenn nicht, werden Zorn der anderen Götter runterfallen und alles zerstören, auch großes Kanu.“ Bei seinen Worten wies er zu der Schebecke, und der Blick seiner Augen begann tückisch zu werden. „Da sitzen wir ja fein in der Tinte“, sagte Ben Brighton. „Wir müssen wohl doch so tun, als gäben wir nach. Und dann bedienen wir uns der List des Kutschers, um jedem weiteren Ärger aus dem Weg zu gehen.“ „Was spricht große Mann?“ fragte Mapuki. Auf seiner Stirn hatte sich eine steile Falte
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gebildet, und seine Lippen waren schmal. Seine Laune war nicht mehr die beste. „Großer Mann sagt, alles ist gut“, beschwichtigte Hasard. „Panoga wird hierbleiben.“ „Legende hat recht. Alles gut. Panoga bleiben hier, Männer mit Götterhaar auch. Wir gleich feiern große Verbindung.“ „Das kann doch nicht euer Ernst sein“, flüsterte Carberry mit zuckenden Lippen. „Ihr wollt mich an die Dicke verhökern? Und ich soll den Ehemann von diesem Wabbelpudding spielen? Oh, da kennt ihr mich aber ...“ „Halt die Klappe“, sagte Hasard grob. „Noch bist du nicht verheiratet. Bleibe weiterhin freundlich, wir werden schon einen Ausweg aus der Klemme finden.“ Der Blick des Papalagi wurde plötzlich starr. Er öffnete den Mund und blickte fassungslos aufs Meer hinaus. „Da sind Langboote“, sagte Dan O'Flynn. „Offenbar sind die von der anderen Insel drüben unter der Kimm.“ Hasard blickte sich um. Im Eifer der Unterhaltung hatte niemand die Boote bemerkt, die sich jetzt der großen Bucht näherten. Es waren vier Langboote, etwa noch eine knappe Meile entfernt, die zügig gepaddelt wurden. In den Langbooten waren Gestalten zu erkennen, Krieger, wie es den Anschein hatte. Hochgereckte Speere waren zu sehen, die innen an den Bordseiten in die Luft ragten. „Sondong-Krieger“, sagte Mapuki wütend. „Sind von Sondonginsel ganz drüben.“ „Was wollen die hier?“ fragte der Seewolf. „Wollen Panoga holen“, sagte Mapuki tonlos. „Kennen auch Legende und wissen, daß Panoga hier. Haben Fest beobachtet.“ „Sind das eure Feinde?“ „Nur wenn Panoga wollen“, lautete die Antwort. „Heute nacht beobachten unsere Insel.“ „Das dürfte wohl einigen Ärger geben“, sagte Hasard. „Vor allem, wenn sie jetzt Panoga noch sehen. Du setzt am besten mit ein paar anderen zur Schebecke über, Ed.“
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Damit war der Papalagi überhaupt nicht einverstanden. „Panoga bleiben hier“, bestimmte er zornig. „Er uns gegen Sondong-Männer beschützen.“ Hasard kommandierte ein paar andere Männer in die Jolle, unter anderem auch Ben und Dan O'Flynn. „Ihr greift mit ein paar Warnschüssen ein, wenn es hier Krach geben sollte. Ihr seht die Entwicklung selbst, oder ihr wartet auf mein Zeichen.“ Die Männer liefen zu der Jolle und legten ab, um zur Schebecke zu pullen. „Werden sie euch angreifen?“ fragte Hasard. „Wollen Panoga, aber Mapuki nicht geben her Panoga.“ „Gebt ihm doch die Holzfigur“, schlug Hasard vor. „Dann lassen sie euch in Ruhe.“ Mapuki schüttelte hartnäckig den Kopf. „Strand-Panoga Seele von andere Panoga. Nicht geben her.“ „Na ja, ein bißchen ungerecht wäre das schon“, murmelte Hasard so vor sich hin. „Ihr gebt den Holzkerl ab, wir nehmen. Ed wieder mit, und am Ende habt ihr gar nichts.“ „Was sagen Nurhasard?“ „Nichts. Panoga soll sich verstecken und erst später erscheinen, wenn die Krieger böse werden. Vielleicht kriegen sie dann Angst und verschwinden wieder.“ „Gut, Panoga verstecken.“ Carberry atmete erleichtert auf, sich in den Kokospalmenhain zurückziehen zu können. Da würde auch die Dicke zwangsläufig von ihm ablassen müssen. Ziemlich eilig verschwand et in dem Gebüsch zwischen den Palmen. „Himmel, Arsch und Wackelpudding“, knurrte er erbost. „Hätten wir die Insel nur nie angelaufen. Ich muß wieder mal den letzten Dorftrottel spielen.“ So meckerte der Profos vor sich hin, aber niemand hörte ihn, und das war auch gut so, denn es waren ein paar recht unfeine Wörter darunter, die einem Meeresgott nicht zustanden.
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Inzwischen war eins der Langboote bis auf zwei Kabellängen heran. Die drei anderen blieben bewegungslos in der Bucht liegen. Hasard sah zur Schebecke hinüber. Dort standen alle auf ihrem Posten und waren bereit, sofort ein paar Warnschüsse abzufeuern, falls die Sondong-Krieger wild wurden. 8. Noch im flachen Wasser sprangen ein halbes Dutzend braunhäutige Gestalten heraus und gingen auf den Strand zu. Ihre hölzernen Speere hielten sie in Brusthöhe vor sich. Der Anführer oder Stammesälteste watete mit verkniffenem Gesicht weiter, bis er im Sand stand. Schluckend starrte er auf die Galionsfigur. Dann ging er in die Knie und murmelte leise Worte vor sich hin. Die anderen, die ihm gefolgt waren, warfen sich ebenfalls in den Sand und murmelten. Der Schebecke gönnten sie nur einen flüchtigen Blick, und auch den Seewolf mit ein paar anderen Arwenacks beachteten sie nicht. Der andere Insel-Papalagi trug ebenfalls einen Kopfschmuck aus bunten Federn und eine knielange bunte Hose. Sonst war er nackt. Nur auf der Brust befand sich eine dunkle Tätowierung. Nach einem ehrfürchtigen Blick zu der Holzfigur ging er auf Mapuki zu und blieb drohend vor ihm stehen. Hasard verschränkte die Arme über der Brust und versuchte, aus dem Disput etwas herauszuhören, der sich jetzt entspann. Die beiden Häuptlinge redeten sich in Eifer. Die Debatte wurde immer hitziger und wilder. „Sondong-Leute wollen Panoga!“ schrie der Papalagi. „Sagen, Panoga muß zur anderen Insel!“ „Panoga ist aber hier im Meer geboren worden“, sagte Hasard. „Also gehört er auch euch.“ Mapuki verklarte das dem anderen, doch der gab nicht nach. Er bestand darauf, daß
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Panoga in eins der Boote gebracht werden sollte, um auf der anderen Insel aufgestellt zu werden. Die beiden Häuptlinge gerieten sich ernsthaft in die Haare. Ihr Geschrei wurde immer lauter, wilder und bösartiger. Zwei Hitzköpfe waren aneinandergeraten. Um den Papalagi versammelten sich jetzt seine eigenen Krieger, und als die Männer in den Langbooten das sahen, pullten sie entschlossen zum Strand und sprangen mit ihren Speeren ins Wasser. „Da braut sich was zusammen“, sagte Hasard. „Nicht mehr lange, und sie gehen aufeinander los – und alles wegen einer verdammten, lächerlichen Holzfigur!“ „Wir sollten einen Warnschuß abfeuern lassen“, schlug Don Juan vor. „Möglicherweise kühlen sich dann die Gemüter ein bißchen ab. Sollen wir das Zeichen geben?“ „Wir warten noch einen Augenblick, Juan. Ich greife hier nur ungern ein.“ „Verstehe ich, aber es wird bald verteufelt ernst.“ Jetzt waren auch die anderen Krieger heran, und beide Parteien standen sich feindselig gegenüber. Die Männer von Sondong, sie sahen genauso aus wie die Insulaner von Jombang, warfen sich zuerst der Gottheit zu Füßen, murmelten Worte in einer unbekannten Sprache und schritten erst dann zur Tat, als sie dem Meergott gehuldigt hatten. Der Kreis wurde enger. Ein paar rückten vor und unternahmen Anstalten, sich an Panoga zu vergreifen. Sie wollten den Holzgott aus seiner Verankerung reißen. Im Nu gab es ein Handgemenge. Leute des Papalagi stürzten sich brüllend auf die anderen, um den Gott zu verteidigen. Da drehte der Seewolf sich um und gab das Zeichen, indem er die linke Hand hochhob. Ben Brighton hatte von der Schebecke aus alles genau beobachtet, aber in stoischer Ruhe abgewartet. Zwei Drehbassen waren auf den Strand gerichtet, aber so geschwenkt, daß sie weit vor den Booten ins Wasser zielten.
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An der einen stand Al Conroy, an der anderen Jung Hasard mit seinem Bruder Philip. „Eine Drehbasse Feuer frei“, sagte Ben Brighton, als der Seewolf die Hand hob und sich zu ihnen umdrehte. Al Conroy zündete den Hinterlader. Mit einem brüllenden Knall entlud sich die Drehbasse und spuckte ein kleines Geschoß aus. Aus dem Rohr tobte eine rötliche Flammenzunge, und der Donner rollte brüllend über die Bucht. Die Kugel schlug dicht vor den Booten ins Wasser. Eine Fontäne blühte in der See auf und stieg zwei Yards in die Höhe, bis sie mit einem leisen Zischen zusammenfiel. Die Hitzköpfe erstarrten vor Schreck. Einer hatte die Hand erhoben, als wollte er Mapuki eine scheuern. Als er den lauten Knall hörte und die Säule im Wasser aufspringen sah, blieb seine Hand wie erstarrt in der Luft hängen. Das Gesicht des Mannes war schreckverzerrt. Auch die anderen bewegten sich nicht mehr. Nur einer drehte den Kopf und sah voller Angst zur Holzfigur, als habe die den gewaltigen Donner ausgelöst. Stille herrschte wieder mal auf der Insel. Selbst der Papalagi war zur Salzsäule erstarrt und blickte aus großen Augen furchtsam auf das Wasser. Sehr lange hielt die Erstarrung jedoch nicht an. Wildes Geschrei begann. Abermals wurde die Herausgabe der Holzfigur verlangt. Der Papalagi keifte jetzt wie ein Waschweib, und das unterbrochene Handgemenge wurde fortgesetzt. Zwei Krieger gingen aufeinander los und schlugen sich die Fäuste an die Schädel. Einer der Sondong-Leute ging zu Boden und wälzte sich im Sand. Hasard gab abermals das Zeichen, damit auch die zweite Drehbasse abgefeuert wurde. Offenbar hielt die Wirkung nicht lange an, wie er bereits gemerkt hatte. Eine Flammenzunge leckte von der Schebecke herüber. Gleichzeitig mit ihr erklang auch der brüllende Donner. Diesmal stieg die Wassersäule nur ein paar Yards entfernt vor dem Strand auf. Die
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Fontäne überschüttete die Hitzköpfe mit einem kleinen Schwall Wasser. Sie fuhren herum und starrten zu Panoga, der die Faust wild emporreckte. Abermals versuchten sie herauszufinden, was den Donner verursachte. Sie standen mit den Rücken zur Schebecke und sahen die Feuerzunge nicht. „Verdammt sture Büffel“, sagte Hasard. „Sie erstarren bei jedem Schuß bis zur Bewußtlosigkeit, aber gleich darauf geht es wieder zur Sache. Sie schieben den Donner wohl auf Panoga.“ „Da können wir feuern, solange wir wollen“, äußerte der Spanier. „Die Kerle halten nur die Luft an und sind anschließend noch versessener auf die Holzfigur.“ „Weil sie sich das nicht erklären können. Ich möchte hier aber kein Blutvergießen. Bleib hier stehen, Juan, ich gebe Ed Bescheid. Der soll sich der Sache annehmen. Bin gespannt, wie die Reaktion darauf bei den anderen ist.“ „Ich wüßte auch keine andere Möglichkeit“, sagte Don Juan. „Aber wir sollten es wirklich versuchen, sonst müssen wir ernsthaft eingreifen, bevor sie sich gegenseitig totschlagen.“ Hasard schob sich, unbeachtet von den Streithähnen, langsam in die Büsche, wo sich Carberry versteckt hielt. Er fand den Profos stehend an eine Palme gelehnt. Zwischen den Büschen hindurch konnte er gut erkennen, was sich ein paar Yards weiter am Strand abspielte. „Was jetzt?“ fragte Carberry. „Da haben wir uns bis an den Hals in den Mist geritten, und wie gelangen wir da wieder raus? Die reißen sich gleich wegen einer dämlichen Legende die Köpfe ab.“ „Ja, nicht mal die Warnschüsse bringen sie zur Vernunft. Die einen wollen die Figur haben, die anderen verteidigen sie notfalls mit ihrem Leben. Hier hilft nur noch ein Trick. Ich glaube, du solltest mal dazwischen gehen, Ed.“ „Mit bloßen Fäusten gegen die vielen Kerle? Na gut, ich habe in der Beziehung keine Angst, aber was versprichst du dir davon, Sir?“
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„Eine ganze Menge. Du erscheinst einfach wie die leibhaftige Verkörperung dieses Panoga, mitdrohend emporgestreckter Faust und dementsprechend grimmigem Gesicht. Von mir aus kannst du auch laut brüllen oder einem der Hitzköpfe den Profoshammer zu kosten geben. Wenn die merken, daß der Meeresgott leibhaftig geworden ist, sollte sie das kalte Grausen packen.“ Carberry grinste amüsiert. „Dann bin ich wieder mal der Retter und habe die Wabbeltante am Hals.“ „Das werden wir bestimmt verhüten“, versprach Hasard. „Ich gehe jetzt wieder zurück.“ „In Ordnung, Sir.“ Hasard gesellte sich wieder zu den Streithähnen, als sich der Papalagi mit vor Zorn hochrotem Kopf an ihn wandte. „Nurhasard, Sondong-Männer wollen Panoga. Oder uns alle töten. Wir jetzt begehen Krieg.“ „Panoga wird euch beistehen und die anderen in die Flucht schlagen. Sag ihnen das!“ Der Disput ging weiter, und der Häuptling des anderen Stammes blickte nach den Worten ehrfürchtig zu der Figur. Aber gerade deshalb, weil Panoga diese unvorstellbare Macht verkörperte, wollte er ihn unbedingt haben. Die Krieger hoben jetzt ihre Speere. Da trat Edwin Carberry auf den Plan. * Der Profos tauchte plötzlich wie aus dem Nichts auf. Er hatte sich zur anderen Seite hinübergeschlichen und zeigte sich von links. Die rechte Hand zur gewaltigen Faust gebannt, mit grimmig verzerrtem Gesicht und wild funkelnden Augen erschien er plötzlich vor den Sondong-Leuten. Bei den Arwenacks löste die Aktion ein lautloses Gelächter aus, aber bei den fremden Insulanern schien eine Bombe einzuschlagen. Der Häuptling erstarrte mitten in seiner Bewegung. Er nahm ganz sicher an, daß
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Panoga zum Leben erwacht sei und sich fürchterlich rächen werde. Alle blickten jetzt in die Richtung. Nicht einer sah zu der Holzfigur hin, denn die war ihrer Meinung sowieso nicht mehr da und hatte sich verwandelt. Carberry schien die Szene nunmehr zu genießen. Er stürmte vor und stieß ein brüllendes „Ar-we-nack“ aus, einen so wilden Schrei, daß er selbst den Seewölfen in die Knochen fuhr. „Panoga!“ kreischte einer voller Angst. Rückwärtsgehend taumelte der ins Wasser und fiel vor Schreck der Länge nach hin. Drei weitere Kerle rannten schreiend davon, stießen in ihrer Angst zusammen und überschlugen sich im Sand. Im Nu war der Teufel los, denn „Panoga“ erteilte ihnen jetzt eine göttliche Lehre und scheute sich nicht, den Profoshammer nachhaltig einzusetzen, damit die Kerle endlich merkten, daß der Spaß ein Ende hatte. Carberry war mitten unter. den kreischenden und fassungslosen Gestalten. Die drohend emporgereckte Faust schwang nach unten, kreiste aus der Schulter heraus und schlug zu. Der Profoshammer krachte dem Kerl ans Kinn, hob ihn hoch, und die Wucht schleuderte ihn zwei Yards weiter ins Wasser. Ein zweiter flüchtete mit allen Anzeichen des nackten Entsetzens. Er rannte brüllend ins Wasser und warf seinen Speer fort. Ein paar Krieger fielen stumm auf die Knie und erwarteten das Ende. Da war nur noch Brüllen und Schreien zu hören. Der Papalagi genoß die Szene und fühlte sich selbst wie ein unbesiegbarer Gott. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah genüßlich zu, wie ein Krieger nach dem anderen von der gewaltigen Faust getroffen wurde und davonflog. Hasard und Don Juan wandten ihre Gesichter ab. Sie konnten sich das Lachen nicht mehr verkneifen. Carberry senste mit der Faust weiter, packte auch mal einen der im Sand
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liegenden Krieger und warf ihn schwungvoll ins Wasser. Innerhalb kürzester Zeit lagen ein halbes Dutzend vor Angst wimmernder Kerle am Strand. Dann blieb der Profos ganz plötzlich stehen, die Faust hochgereckt, als sei er selber erstarrt. Er nahm genau die Haltung ein, die auch der Holzmann hatte. Die Krieger erfaßte ein unbeschreibliches Grauen. Sie blieben stehen oder liegen, schlossen vor Angst die Augen und erwarteten ihren sicheren Tod. Der Profos nutzte den Augenblick verschwand hinter dem Gebüsch und den Palmen und tauchte schließlich direkt vor der Statue auf. Er wirkte als sei er ihr soeben entstiegen. Für die Sondong-Leute war das einfach zuviel. Sie schrien wild durcheinander und versuchten, ihre Boote zu erreichen. Da trat Carberry mit hölzernen Schritten vor, bewegte sich erst steif und ungelenk über den Strand und begann dann zu laufen. Hasard sah deutlich, daß dem Profos Tränen in den Augen standen. Er hatte wahrscheinlich Bauchschmerzen vor Lachen. Der Erfolg war überwältigend. Die genervten Krieger flitzten nur so ins Wasser, verfolgt von einem racheschnaubenden Meergott, der ihnen noch ein ganzes Stück ins Wasser nachstürmte und dabei wild und grimmig die Faust schüttelte. Er erreichte auch noch eins der Langboote, packte mit beiden Händen zu und schüttelte es voller Zorn. Die paar Kerle darin sprangen entsetzt kreischend auf die andere Seite. Das Langboot kenterte, und die Männer wurden ins Wasser geschleudert. Kein einziger Krieger war jetzt mehr am Strand zu sehen. Etliche standen bis zum Hals im Wasser und wollten nur noch fort. Carberry schleuderte ihnen ihre eigenen Speere nach.
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Anschließend ging er zu der Figur zurück und verschwand mit einem schnellen Satz in den Büschen. Für die Sondong-Leute sah es jetzt so aus, als sei der Meergott wieder zurückverwandelt. Ihre Gesichter waren grauenhaft verzerrt, als sie zu den Paddeln griffen und sie ins Wasser droschen, als sei der Satan persönlich hinter ihnen her. Wie ein Spuk huschten sie davon und glitten gleich darauf weit draußen über die See. Keiner von ihnen blickte auch nur einmal zurück. Punkten gleich, wurden sie schnell kleiner. Sie hörten auch nicht mehr das wilde Gelächter, das am Strand aufbrandete und kein Ende nehmen wollte. „Ich krieg mich nicht mehr ein“, sagte Carberry jammernd, weil ihn die Bauchmuskeln schmerzten. „Bei denen qualmten ja buchstäblich die Paddel, so eilig hatten sie es. Das war mal so ganz nach meinem Geschmack. Himmel, hatten die die Hosen voll.“ „Die werden auch dann nicht mehr aufkreuzen, wenn wir längst verschwunden sind“, sagte Hasard lachend. „Diese unblutige Tour hat sie mehr erschüttert als ein Kampf auf Leben und Tod. Solange Panoga hier am Ufer steht, wird sich niemand auf die Insel wagen.“ Die Punkte verschwanden in der Ferne. „Das Problem haben wir gelöst“, sagte der Profos zufrieden, zog aber gleich darauf ein bekümmertes Gesicht. „Jetzt haben wir noch das andere am Hals.“ Er deutete unmerklich mit dem Rammkinn zu dem Papalagi, der mit stolzgeschwellter Brust heranstelzte. Im Schlepptau hatte er seine dicke Tochter, die den Profos derart verzückt anblickte, als befände sie sich bereits im siebenten Himmel. Da mußte Edwin Carberry wieder mal hart schlucken. „Ja, was wird jetzt?“ murmelte Hasard. „Nun, wir werden das eben mit List und Tücke lösen, falls du es dir nicht doch
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überlegst und heiraten willst. Man wird dich hier sehr verwöhnen.“ „Ja, das glaube ich“, sagte der Profos mit grimmiger Miene. Der Papalagi ging vor Carberry stumm in die Knie, Tränen der Erleichterung und der Zufriedenheit in den Augen. Das Töchterlein ließ sich ebenfalls vor Edwin fallen und plumpste wie ein Mehlsack zu Boden, der daraufhin erzitterte. „Panoga!“ schrien sie alle durcheinander. „Panoga hat uns beschützt und wird uns immer beschützen!“ So ähnlich klang es jedenfalls, wenn Hasard das richtig deutete. Carberry wurde wieder wie ein Held gefeiert und mit Blumenkränzen und Girlanden behängt, bis er unter der Last fast zusammenbrach. Als Tefara seine Beine umklammerte und ihn von unten herauf ansah, da wünschte sich der Profos, lieber mit weiteren fünfzig Kriegern zu kämpfen. Denen würde er eher das Fürchten beibringen, als diesen Riesenpudding loszuwerden. „Jetzt großes Fest für Panoga“, verkündete der Papalagi ehrfurchtsvoll. „Für Panoga und Tefara. Panoga groß, stark, kräftig, werden haben viele Kinder, auch groß, stark, kräftig. Ganze Insel voll PanogaKinder.“ „Na, dann bist du ja eine Weile beschäftigt“, sagte der Kutscher feixend. „Du kannst ja so viele PanogaWindelpisserchen auf Stapel legen, bis du eine eigene Mannschaft hast, um uns nachzusegeln. Du weißt ja, wo wir zu finden sind. Immer quer durch den Pazifischen Ozean, ein Stückchen über Land und dann um die Ecke.“ „Ihr habt gut quasseln“, fluchte der Profos. „Ihr habt den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen. Den Teufel werde ich tun! Hier gibt's keine kleinen Panogas, mit Sicherheit nicht.“ „Aber wir tun jetzt so als ob“, sagte Hasard. „Diese Leute sind durch dein Eingreifen geschützt. Sie haben ihren Wassergott und werden von den anderen in
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Ruhe gelassen. Insofern hast du also doch eine gute Tat vollbracht.“ Der Papalagi klatschte in die Hände und bedeutete vier kräftigen Männern, sein liebes Töchterchen aufzuhieven. Sie folgte dem Profos wie ein Hündchen; allerdings wie ein sehr dickes und fettes Hündchen, das aus eigener Kraft kaum noch laufen konnte. „Jetzt feiern großes Fest!“ rief sie. Der Profos folgte der ganzen Meute mit etwas weichen Knien. 9. Dem Papalagi war es verdammt ernst, sein Töchterchen mit Panoga zu vermählen. Dabei interessierte ihn nicht im geringsten, ob Panoga auch wollte. Auch die anderen wurden nicht gefragt, ob sie nun Stenmark oder sonst wie hießen. Der Papalagi bestimmte, und so hatte alles nach seinen Wünschen zu laufen. „Große Feier“, sagte Hasard zu Mapuki, „muß auch mit Wein, Bier und Rum gefeiert werden. Das gehört dazu.“ Er hatte bereits drei Fäßchen Rum mit der Jolle an den Strand bringen lassen, und eins der Fäßchen war zu einem Probeschluck geöffnet. Jetzt landete die Jolle mit den anderen Getränken – drei großen Fässern Bier und zwei mittelgroßen Fässern Rotwein. „Da siehst du mal, was wir uns deine Hochzeit kosten lassen“, sagte der Kutscher grinsend. „Und du darfst nicht mal mitschlucken.“ „Na sicher, und ob ich mitschlucke“, widersprach der Profos. „Dann wirst du auch die Folgen zu tragen haben“, warnte der Kutscher. „Wenn du zuviel schluckst, dann pennst du irgendwo oder irgendwann ein, und wir anderen verholen in den Pazifik. Aber bitte – das ist ja deine Angelegenheit. Außerdem läßt sich mit einer besoffenen Mannschaft ein Schiff schlecht segeln.“ „Ah, ich verstehe“, murmelte Carberry. „Dann werde ich ausnahmsweise darauf verzichten.“ „Eine löbliche Absicht.“
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Hasard zapfte eine Muck voll Bier und ließ den Papalagi von dem Getränk kosten, nur so probehalber. Mapuki trank begierig. Aber das Bier entsprach wohl doch nicht so seinem Geschmack, und so gab ihm Hasard eine Muck voll Rotwein. Die ging dem Papalagi schon besser runter, und als er den Rum probierte, verdrehte er die Augen und süffelte gleich noch einen. Dieser Rum war genau das richtige für ihn, wie er versicherte, und das rote Zeug schmeckte ebenfalls hervorragend. Die Fässer wurden weiter zum Strand hinaufgebracht, wo vor der Lagune das Fest der Hochzeit steigen sollte. Ausnahmslos alle waren jetzt auf der Insel am Strand versammelt. Das Fest begann mit einer langen Rede des Papalagi, und dann trat ein Priester auf den Plan, der jedenfalls so aussah, als sorge er hier für das Seelenheil. Er murmelte leise Worte vor sich hin, breitete einen Blumenteppich aus und hockte sich darauf. „Bin ich mit der Tante etwa schon verheiratet?“ fragte Carberry entsetzt. Hasard konnte ihn in dieser Hinsicht jedoch beruhigen. „Noch lange nicht. Das ist wohl so eine Art Vorzeremonie. Jetzt werden wir erst mal einen zur Brust nehmen.“ Der Kutscher und Mac verteilten Mucks, in die wesentlich mehr hineinging als in die halbierten Kokosnußschalen. Zwischendurch wurde wieder gegessen, und immer wieder füllten die beiden Köche reichlich die Mucks nach. Den Arwenacks schenkten sie statt Rum aber nur Dünnbier ein, und sie füllten die Mucks auch nur zu einem kleinen Teil. Immer wieder prosteten sie dem Papalagi und seinem sonderbaren Priester zu, bis es später Nachmittag wurde. „Mann, kann der Obermacker saufen“, sagte Carberry zu Hasard. „Wenn das so weitergeht, sind wir doch noch geliefert. Der Kerl verträgt unglaubliche Mengen.“ „Ja, das bereitet mir ebenfalls Sorgen. Wir werden ihm nur noch reinen Rum einschenken.“
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Ein paar der jungen Männer tranken schon seit langem nicht mehr. Sie hatten sich schattige Plätzchen gesucht, wo sie ihr Nickerchen hielten. Einer nach dem anderen nippelte unmerklich ab. Nach einer Weile streckte auch der Priester alle viere von sich und legte sich auf seine Blumenmatte, wo er laut und ungeniert schnarchte. Carberry reichte Tefara höchstpersönlich eine Muck voll Rum. Er hatte den Verdacht, daß sie das Zeug heimlich ausgoß, aber zu seinem großen Erstaunen erwies sich der Wonneproppen als äußerst trinkfest. Bei jedem Schluck blickte sie ihm tief in die Augen und stieß ihr leises Seufzen aus. So allmählich kriegte auch der Papalagi eine schwere Zunge. Er wackelte mit dem Oberkörper hin und her und sah alles doppelt. Aber offenbar gefiel ihm das, wie zwei Panogas vor seinen Blicken hin und her tanzten und sich immer wieder verschoben. Dem Profos wurde angst und bange. Der Kerl soff Unmengen in sich hinein, obwohl er das scharfe Zeug gar nicht gewohnt war. Und auch die dicke Tochter hielt tapfer mit. „Hoffentlich reichen unsere Vorräte”, sagte Carberry besorgt. „Wenn die so weiterschlucken, haben wir bald selbst nichts mehr.“ „Die fallen schon noch um“, versicherte Ben Brighton. „Wir müssen sie nur immer wieder animieren. Die meisten der jungen Burschen sind längst im Paradies.“ Der Papalagi stand taumelnd auf und wollte wieder eine seiner endlosen Reden halten. Carberry reichte ihm schnell eine Muck und ließ ihn hochleben. Aus den Augenwinkeln sah er dabei, wie das Töchterlein des Papalagi sanft zur Seite kippte und entschlummerte. Kur ihr riesiger Busen hob und senkte sich noch. „Panoga!“ schrie der Papalagi lallend. „Pan-panoogaaahh! Große Gott fallen vom Meer!“
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„Götter fallen meist vom Himmel“, murmelte der Profos. Der Papalagi sang jetzt laut und falsch, hielt sich an der Muck fest und wackelte rammdösig über den Strand. Dort grölte er so laut, daß man es bis zur anderen Insel hören mußte. Aber noch stand er da, schwankend wie ein Rohr im Winde, hielt die Muck hoch und trank, bis sie leer war. Dann kippte er um, nachdem er laut nach Panoga gebrüllt hatte. Jung Hasard und Philip trugen die fast leeren Fässer bereits zur Jolle und brachten sie an Bord. „Am besten, einer nach dem anderen verschwindet jetzt unauffällig“, sagte Hasard. „Schlendert ein wenig herum und verholt euch an Bord.“ Carberry kümmerte sich um den Papalagi, der lallend, grölend und völlig betrunken wieder aufstand und nach einer neuen Muck verlangte. Der Profos füllte sie und nahm gleich selbst einen kräftigen Zug. „Man sollte diesem Kerlchen den Profoshammer verpassen“, sagte er, „sonst fällt er nie um.“ „Der hält sich nicht mehr lange“, meinte Luke Morgan. Ein paarmal fuhr die Jolle zur Schebecke und brachte Männer hinüber, die alles klar zum Auslaufen machten. Als nur noch eine Handvoll Arwenacks an Land war, taumelte der Papalagi zu der Galionsfigur. Er wollte sich verneigen, fiel dabei aber kopfüber in den Sand und blieb reglos liegen. „Na endlich“, sagte der Profos erleichtert. „Morgen war für ihn vielleicht alles nur ein Traum, und er wird uns vergessen. Immerhin hat er ja noch den Holzkerl. Und ein Panoga sollte genügen.“ Der Strand war abgeräumt. Sie hatten keine Spuren hinterlassen und auch die Mucks mitgenommen. Nichts mehr deutete auf ihre Anwesenheit hin. überall aber sahen sie langgestreckte Gestalten, die ihren Rausch ausschliefen und nicht sobald erwachen würden. Die Segel wurden gesetzt. Dann hievten sie den Anker und nahmen die Jolle an Bord.
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Es fing bereits zu dunkeln an, als die Schebecke langsam Fahrt aufnahm und die offene See ansteuerte. „Einen großartigen Sieg haben wir ja nicht gerade errungen“, sagte der Seewolf, „und mit Ruhm haben wir uns auch nicht bekleckert. Aber was sollten wir anderes tun? Die netten Leutchen hätten uns ja nie mehr losgelassen.“ Der Wind füllte die Segel, und das Land hinter ihnen wurde rasch kleiner und schmolz in der Dunkelheit zusammen, bis es nur noch als schwacher Strich zu sehen war.
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„Achtet auf Treibholz oder Wrackstücke“, sagte der Seewolf noch. „Es kann sein, daß hier in der Nähe ein Holländer gesunken ist. Und paßt auch auf Riffe auf.“ „Und wenn ihr eine Galionsfigur seht, dann fischt sie auf und zerschlagt sie zu Kleinholz“, fügte der Profos hinzu. „Ich möchte an der nächsten Insel nicht wieder so eine Pleite erleben.“ Die Schebecke setzte ihren Kurs nach Osten fort...
ENDE