Franco Solo Band 06
Der Milliardencoup
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Franco Solo Band 06
Der Milliardencoup
scanned by AnyBody corrected by moongirl Alle bei COUNTER MOB wußten es, vor allem Franco Solo: Sie standen vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Die Mafia hatte zu ihrem entscheidenden Schlag ausgeholt - sie würde einen der größten Rüstungsbetriebe der Welt übernehmen. Franco Solo kochte vor Wut. Wenn der Mafia dieser Milliarden-Coup gelang, dann hatte COUNTER MOB seinen Kampf endgültig verloren. Franco Solo begann seinen einsamen, verbissenen Kampf. Er mußte die Mafia an ihrem Vorhaben hindern, ihre Pläne durchkreuzen. Und dann traf er auf Julie, auf jenes Mädchen, das die Schlüsselfigur in diesem Poker auf Leben und Tod war... Erich Pabel Verlag KG Februar 1978
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Franco Solo spürte das Gewicht der schweren Waffe kaum. Der Schaft schmiegte sich glatt an seine Wange. In der Kälte des Morgens fühlte sich das Holz warm an. Die Büchse lag gut in seiner Hand. Er preßte sein Auge an die weiche Gummimanschette des starken Zielfernrohrs. Stark vergrößert wanderte der westliche Hang des Tals über sein Blickfeld. Schmale Grate, Risse, hier und da ein dürrer Strauch, der seine Wurzeln wie Klammern in den Fels krallte. Und dann fesselte das Wild seinen Blick. Der Gewehrlauf kam zur Ruhe, schwebte reglos über dem Abgrund. Mit angehaltenem Atem betrachtete Franco das Tier. Jetzt hatten auch die anderen das Wild erspäht. Ein Fuß scharrte, Franco spürte eine Berührung an seiner linken Schulter. Rechts neben sich hörte er das erregte Atmen des Kongreßabgeordneten aus Kansas. Das Dickhornschaf stand auf einem kaum sichtbaren Vorsprung. Mißtrauisch spähte es herüber. Das scheue Tier schien die tödliche Gefahr zu ahnen, aber noch reagierte es nicht, noch hatte es die Drohung nicht erkannt. Die Entfernung bis zu der kleinen Gruppe in der Felsenkanzel hoch über dem Grund der Schlucht betrug eine halbe Meile. Ein Stein löste sich unter einem Fuß, kollerte bis zur Kante und stürzte dann in die Tiefe. Der breite braune Kopf mit dem mächtigen, gebogenen Gehörn bewegte sich ein wenig. Franco sah ein großes braunes Auge unter einem knöchernen Wulst. „Schießen Sie!" zischte eine Stimme an Francos Ohr. Die Stimme gehörte Tibor J. Durrance aus Kansas. „Worauf warten Sie, zum Teufel?" Franco atmete langsam aus. Das Bild im Sichtfeld des Zielfernrohrs zitterte unmerklich. Ohne die Waffe abzusetzen, sagte er: „Diese Tiere stehen unter Naturschutz." „Schießen Sie! Ich will es! Rathbone hat es versprochen!" -2-
Rathbone, dachte Franco, ist ein geldgieriger Schurke. Die leichte Berührung an seiner linken Schulter verstärkte sich. Dann hörte er Julies leise, flehende Stimme. „Bitte, nicht!" Sie klang so entsetzt, daß ihr Unterton Franco verwirrte. „Tun Sie endlich was!" keuchte Durrance. „Los! Wofür sind wir sonst mitten in der Nacht aus den Schlafsäcken gekrochen? Rathbone wird Sie feuern!" Rathbone, dachte Franco, immer wieder Rathbone ... „Bitte ..." Franco zögerte. Dort drüben stand ein Tier. Schön und groß, wie die Landschaft selbst, wie das Land, in das es ge hörte. Nur ein Tier. Was spielte es für eine Rolle, wenn er es für seinen Job opferte? Ein wenig Spaß für die Leute, die in die Bergwildnis kamen und für die er den Führer spielte. Er preßte den Schaft an seine Schulter, richtete den Lauf wieder aus. Das Dickhornschaf äugte direkt ins Objektiv. Unter Francos Achseln brach der Schweiß aus, rann wie Eiswasser an den Rippen hinab. Er hob den Lauf um den Bruchteil eines Zolls. Sein Zeigefinger krümmte sich. Dann spürte er den harten Rückschlag. Brüllend brach das Geschoß aus dem Lauf, der schmetternde Knall zerriß die atemlose Stille über dem Felsental. Tibor Durrance schrie triumphierend auf. Das Bild vor Francos Auge zerplatzte unter den Schwingungen des Laufes. Franco brachte die Waffe zur Ruhe, starrte durch das Glas. Über dem rechten Hörn des Dickhornschafes zersplitterte eine Felsnadel. Franco sah die Steinbrocken über den Kopf des Bocks wirbeln. Das Tier warf sich herum. Einen Moment schien es, als stürzte es über den Grat in die Tiefe. Doch die kleinen Hufe gaben dem scheinbar so plumpen -3-
Körper einen einwandfreien Halt. Behende sprang das Wild über den Sims, und während das Echo des Schusses noch donnernd zwischen den Felswänden hin und her geworfen wurde, verschwand es in einer dunklen Felsspalte. Der Triumphschrei des Kongreßabgeordneten ging in ein wütendes Knurren über. Franco setzte das Gewehr ab. In diesem Moment brach die Sonne über den östlichen Grat, und wie Kaskaden farbigen Wassers stürzte das Licht über die Westflanke in die Tiefe und ließ die Farben der Gesteinsschichten aufleuchten. Geblendet schloß Franco die Augen. Der Tag war erwacht.
* Als er die Augen wieder öffnete, sah er Julies schmales Gesicht vor sich. Ihre rauchgrauen Augen schienen sich mit einem Schleier überzogen zu haben, wie zum Schutz vor dem Entsetzlichen, das sie beinahe hätten mit ansehen müssen. Die feingeformte Unterlippe zitterte noch. Julie strich mit einer Hand über das maisgelbe Haar, das unter dem schwarzen Kopftuch hervorquoll. Franco lächelte. Hinter ihm schnaubte Tibor Durrance. „Sie haben ihn angestoßen!" fauchte der Mann. „Sie sind schuld, nur Sie!" Franco drehte sich langsam um. „Gar nichts hat sie getan", sagte er scharf. „Ich habe danebengeschossen. Das ist alles." Die anderen Teilnehmer des morgendlichen Trips in die Wildnis der Bitterroot Range - außer Julie und Tibor noch drei Männer - schienen die Erklärung ihres Führers zu akzeptieren, schließlich war dieses keine Jagdgesellschaft, auch wenn Rathbone dem Politiker aus Kansas entsprechende Zusagen gemacht hatte. Rathbone wußte auch, warum. Das Gewehr führte Franco nur deshalb mit sich, weil es hier oben Pumas und -4-
Bären gab, die recht lästig sein konnten, wenn sie sich den Hütten näherten. Nick Leoni, ein undurchsichtiger Typ aus Indiana, machte eine beschwichtigende Handbewegung, die jedoch Tibors Zorn nur noch mehr anfachte. Er schnappte nach Luft, sein breites Gesicht rötete sich. Er hatte sich nicht rasiert, als sie um drei Uhr, bei völliger Finsternis, von den Blockhütten des Berglagers aufgebrochen waren, und stachelige Borsten bedeckten das fleischige Kinn. Die kleinen Augen nahmen einen stechenden Ausdruck an. „Das glaube ich nicht!" bellte er. Franco hielt das schwere Gewehr quer vor seiner Brust. Mit einer plötzlichen Bewegung, deren Heftigkeit ihn selbst überraschte, warf er es dem anderen zu. „Versuchen Sie es doch selbst!" sagte Franco mit unüberhörbarer Schärfe in der Stimme. Seine blauen Augen sahen den Mann starr an. Durrance fing die Waffe auf. Es war ein Reflex. Er krümmte sich zusammen und machte einen halben Schritt rückwärts, der ihn gefährlich nahe an den drohenden Abgrund führte. Allan Stark hielt Tibors Arm fest. Durrance schüttelte die Hand ab, und Stark errötete. Er war ein junger Anwalt aus Tibor Durrances Kanzlei in Topeka, Kansas. Er galt als Tibors rechte Hand. Eine Hand offenbar, die mehr herumgestoßen und getreten wurde als ein mexikanischer Dorfköter. Franco tat der Mann leid. Die anderen beiden Teilnehmer des Trips sahen in eine andere Richtung. Tibor Durrance hatte ein rotes Tuch um seinen stämmigen Hals geschlungen. Die olivgrüne Parka stand offen und gestattete einen Blick auf den mächtigen Bauch. Jetzt zerrte Durrance das Tuch aus seinem Pullover. Das Gewehr rutschte dabei aus den angewinkelten Armen. Durrance knurrte wütend, als er es fester packte. Er wischte über die vollen Lippen und trat -5-
von einem Bein auf das andere. Er mußte zu einem Entschluß kommen. Er hatte sich selbst in eine Situation gebracht, aus der er sich nur schwer wieder herausmanövrieren konnte, wenn er sein Gesicht nicht ganz verlieren wollte. Franco nahm das Gewehr wieder an sich. Ihm war nicht daran gelegen, die Konfrontation auf die Spitze zu treiben. Er hatte sich zu einer scharfen Reaktion hinreißen lassen und den Mann damit verärgert. Er hatte seinen Job gefährdet, obwohl Tibor Durrance nicht das eigentliche Objekt war, weshalb COUNTER MOB, jene geheime Regierungsstelle, ihn in dieses Camp geschmuggelt hatte. Aber er, Franco, hatte eben nicht anders gekonnt. In seinen Augen war Durrance ein Politiker, der im Begriff stand, sich an die Mafia zu verkaufen. Für Geld und Macht; es war das alte Spiel. „Gehen wir weiter", sagte Franco knapp. Er streckte eine Hand aus, um Julie behilflich zu sein. Julie nahm die Hand. Mit ihrer anderen hielt sie die Kamera fest, die schußbereit vor ihrer Brust baumelte. Julie Conrad gehörte zu Tibors Troß. Genau wie Stark. Nur mit dem Unterschied, daß sie nicht seine Angestellte war. Julie war promovierte Psychologin. Sie hatte drei Jahre lang bei Callup in der Meinungsforschung gearbeitet. Jetzt leitete sie Tibor Durrances Wahlkampagne. Durrance wollte Senator seines Staates in Washington werden. Um jeden Preis, wie Franco vermutete. Mit Hilfe ausgeklügelter Wahlkampftechniken und mit Unterstützung der Mafia, die den einflußreiche n Abgeordneten vor ihren Karren zu spannen gedachte. Julie - Franco lächelte ihr zu. Er spürte ihre warme Hand in der seinen, ihren festen Griff. Sie war ein zähes Persönchen. Schlank, sportlich und in Topform. Franco glaubte nicht, daß sie viel Zeit im Bikini - oder auch ohne - faul am Rand eines -6-
Swimmingpools verbrachte. Sie paßte eher auf den Sportplatz oder auf die Skipiste, auf den Tennis- oder Squash-Platz, wenn sie nicht gerade arbeitete, was sie sogar auf Rathbones Gästeranch, der Blue Sky of Montana, im Übermaß tat. Während Durrance sich entspannte und Kräfte für den bevorstehenden Wahlkampf sammelte, arbeitete Julie an seinen Reden, stellte Pläne für den optimalen Einsatz aller Helfer auf, bastelte an den Bonmots, die ihr Schützling später in Fernsehinterviews von sich geben würde und die so spontan klingen sollten, als habe er sie soeben erst erdacht. Julie mußte hart arbeiten. Eigentlich schade, dachte Franco bedauernd. Er wußte, daß Durrance scharf auf sie war. Ihm waren die hungrigen Blicke nicht entgangen, mit denen der Politiker das Girl förmlich verschlang. Aber er wußte auch, daß Durrance bisher bei ihr abgeblitzt war. Franco wußte es daher so genau, weil es ihm gelungen war, eine Wanze im Apartment des Abgeordneten unten auf der Ranch zu plazieren, und weil er gestern erst, bevor sie zu der Bergtour aufgebrochen waren, eine von Rathbones Miezen aus Tibors Apartment hatte huschen sehen. Rathbones Girls konnten sich sehen lassen. Seine Kundschaft hatte nicht nur einen auserlesenen Geschmack und höchste Ansprüche, sondern auch das nötige Kleingeld, um sich das Beste leisten zu können. Nein, unten in der Guest Ranch spielte sich nichts ab. Und hier oben im Camp erst recht nicht. Die beiden Hütten waren zu klein, und jeder beobachtete jeden. Franco war jedoch nicht als Tibor Durrances Tugendwächter nach Montana gegangen. Das Sexualleben des Politikers ging niemanden etwas an. Durrance hatte es nach drei gescheiterten Ehen aufgegeben, nach einer neuen Dauerpartnerin zu fahnden. Er konzentrierte sich auf seine Karriere und auf männliche Zerstreuung wie Jagen, Fischen und Bergsteigen, während er seine sexuellen Bedürfnisse bei sorgsam arrangierten Schäferstündchen befriedigte, die dem Mann die Illusion ließen, auch er habe etwas zu der Anziehung auf die betreffende -7-
Partnerin beigetragen, und nicht nur die Dollars, die Allan Stark, vorher oder nachher, der Gespielin zusteckte. Sie stiegen durch eine enge, mit Geröll übersäte Rinne steil nach oben. Tibor Durrance hielt sich gut, das mußte Franco zugeben. Der Politiker war ein Mann, der nicht so schnell aufgab. Allan Stark dagegen keuchte bald und fiel hinter Nick Leoni zurück. Den Schluß der kleinen Gruppe bildete ein verwittert aussehender Typ unbestimmbaren Alters, der erst vor wenigen Tagen auf der Ranch eingetroffen war. Rathbone schien ihn gut zu kennen. Der Mann war demnach ein Stammgast. Vielleicht ein Industrieller aus dem Osten oder ein Journalist, der hier seine Ferien verbrachte. Franco kannte nur seinen Namen - Claude Couraut. Er war noch nicht dazu gekommen, ihn überprüfen zu lassen. Von der Ranch aus wollte er nicht mit Colonel Warner telefonieren, und bis zum nächsten Telefon, es befand sich an der Tankstelle kurz vor dem nächsten Ort, einem Kaff namens Gönner, waren es mehr als zwanzig Meilen über eine unbefestigte Straße. Wenn Franco sich einfach für eine Stunde von der Ranch entfernt hätte, hätte er vielleicht den Argwohn gerade der Leute erregt, auf deren Vertrauen oder zumindest Arglosigkeit es bei seinem Job ankam. Ja, er war wieder einmal auf sich allein gestellt. Die Informationen, über die er verfügte, waren bemerkenswert dürftig, der Job nicht scharf umrissen, die Anweisungen schwammig. Bis auf eine. Auf Rathbones exklusiver Gästeranch, das wußte COUNTER MOB, sollten Verträge von weitreichender Bedeutung geschlossen werden. Von Bedeutung nicht nur für die Mafia, sondern auch für die Vereinigten Staaten von Amerika. -8-
Die Mafia streckte ihre Hände nach dem einen großen Geschäft aus, in dem sie bisher noch nicht hatte Fuß fassen können. Das Rüstungsgeschäft stellte eine der letzten Bastionen dar, die man bisher vor dem Zugriff dieser sonst übermächtigen Verbrecherorganisation hatte schützen können. Doch das viele Geld aus den illegalen Unternehmungen suchte ständig nach lukrativer und vor allem legaler Wiederanlage. COUNTER MOB hatte erfahren, daß einer der bedeutendsten Rüstungskonzerne in die Kontrolle der Mafia zu geraten drohte. George H. Whitman, Mehrheitsaktionär des bedeutendsten Aluminiumkonzerns des Staates Kansas, war vor einigen Wochen gestorben. Sein Bruder Lawrence, alleiniger Erbe der Aktien im Wert mehrerer hundert Millionen, hatte kein Interesse daran, eine Verantwortung über ein solches Industrieimperium zu tragen. Er war bereit, seinen Anteil zu verkaufen. Beauftragte der Mafia hatten Lawrence Whitman daraufhin sofort unter ihre Fittiche genommen, bevor der träge Regierungsapparat hätte reagieren können. Niemand kannte den Aufenthaltsort dieses Mannes. Niemand sollte ihn an seine nationalen Verpflichtungen erinnern können, bevor die Verträge unterschrieben und besiegelt waren. Die Mafia hatte einen Strohmann an der Hand, einen Topmanager, der bereits eine Holding verwaltete, in der mehrere Mafia-Familien ihre legalen Firmen eingebracht hatten. Der Whitman-Konzern würde die Holding krönen und es ihr ermöglichen, den Verteidigungshaushalt der führenden Nation der westlichen Welt anzuzapfen. Wer wäre besser geeignet, ein solches Geschäft unter Dach und Fach zu bringen, als Tibor J. Durrance, Kongreßabgeordneter und Anwalt aus Topeka, Kansas, Mitglied des Rüstungsausschusses? Ein allem Anschein nach integrer Mann. Zur Einstimmung gewährte man sich noch ein paar -9-
ungestörte Tage der Entspannung in Montanas wildromantischer Bergwelt. Auf Kosten der Mafia-Holding, versteht sich. In den nächsten Tagen sollten die Unterhändler der Holding und die Vertreter des verkaufswilligen Lawrence Whitman auf der Blue Sky Ranch eintreffen. Die Blue Sky schien sauber zu sein. Jedenfalls gab es weder in den Unterlagen von COUNTER MOB noch anderer Regierungsstellen einen Hinweis darauf, daß die Anlage vielleicht einem Mafioso gehörte oder von einer ,Familie' kontrolliert wurde. Man schien peinlich darauf bedacht zu sein, jeden verdächtigen Anschein zu vermeiden. Aber Franco war überzeugt, daß es in den Bergen und auch auf der Ranch bereits von den smarten Jungs mit den harten Gesichtern und den schweren Waffen wimmelte, die darüber zu wachen hatten, daß nichts den Abschluß des großen Geschäftes störte. Für die Mafia ging es um Milliarden. Für Tibor Durrance ging es um einen Sitz im Senat und um Macht und Einfluß. Für Franco Solo handelte es sich um einen Job ohne einen faßbaren, sichtbaren Gegner. Klar und unmißverständlich war nur die eine Anweisung gewesen, die Colonel Warner von COUNTER MOB ihm gegeben hatte, bevor er das Ranger Camp in den Bergen Colorados verließ, wo er sich auf den Job in Montana vorbereitet hatte. „Sorgen Sie dafür, daß das Geschäft nicht zustande kommt", hatte der Colonel gesagt. Er hatte nicht gelächelt, hatte Franco nicht einmal Glück oder Erfolg für den Job gewünscht.
* Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kamen sie wieder bei den Hütten an. Auf dem kleinen Platz vor dem langgestreckten -10-
Blockhaus, in dem die Küche, der Aufenthaltsraum und die vier Schlaf räume untergebracht waren, stand ein Wagen. Franco erkannte sofort einen der Pickups mit Vierradantrieb, der unten auf der Ranch stationiert war. Nur mit diesen Fahrzeugen war es möglich, die schmalen, geröllübersäten Wege in den Bergen zu befahren wenn überhaupt. Auf der kleinen Ladefläche lag jedoch weder eine Ausrüstung noch Proviant. Die Gruppe kam aus einem engen Hohlweg. Julie Conrad ging neben Allan Stark. Durrance und Leoni schritten schweigend nebeneinander her, während Claude Couraut nach wie vor die Nachhut bildete. Sie waren erschöpft und ausgehungert. Leoni deutete auf die dünne Rauchfahne, die verheißungsvoll aus dem Kamin stieg und vom leichten Wind, der über die Klippe herabfiel, zerfasert wurde. Franco fühlte eine unbestimmte Unruhe. Er ging schneller. Es war nicht vorgesehen, daß noch mehr Leute ins Bergcamp heraufkamen. Die Blockhütte bot nur Platz für maximal acht Personen. Franco und Tom Harrigan, der Mann, der ständig bis zum Einbruch des Winters hier oben lebte, die Hütte in Ordnung hielt und für die Gäste kochte, schliefen ohnehin im Vorratsschuppen, da Julie, weil sie die einzige weibliche Teilnehmerin des Trips war, eins der vier Schlafzimmer für sich beanspruchte. Es würde eng werden, wenn Rathbone noch mehr Gäste heraufgeschickt haben sollte. Durrance zog ein mürrisches Gesicht. Seit dem Morgen hatte es sich nicht mehr aufgehellt. Stark und auch Julie hatten es immer wieder versucht, und auch Leoni und Couraut, aber die beiden hatten es bald aufgegeben und miteinander eine lebhafte Unterhaltung angefangen. Aus den Gesprächsfetzen, die Franco mitbekommen hatte, hatte er erfahren, daß Leoni als -11-
Geschäftsführer einer Fleischfabrik in Chicago arbeitete, während Couraut ein waschechter Drehbuchschreiber aus Hollywood war, der hier auf neue Eindrücke hoffte. Franco stieß die Tür zur Hütte auf. Der große Hauptraum war mit rohen Möbeln und dicken Tierfellen ungemein gemütlich eingerichtet. Vor dem mächtigen Kamin hantierte Tom Harrigan mit seinen Fleischspießen. Auf dem Buffetwagen standen bunt angerichtete Salate, Getränke und frisches Obst bereit. Tom grinste breit, als er Franco erkannte. „Ihr kommt gerade zurecht! In zwanzig Minuten habe ich alles fertig. Deine Schäfchen können sich gerade noch etwas frisch machen und die Smokings anziehen." Toms Sommersprossen tanzten. Er war ein Mann, der sich wohl hier oben fühlte. „Bitte", sagte Franco zu seiner Gruppe. „In einer Viertelstunde ist das Dinner fertig." Durrance blieb neben Franco stehen. „Ich will zurück auf die Ranch", sagte er barsch. „Rufen Sie den Hubschrauber." „Es wird gleich dunkel sein", gab Franco zu bedenken. „Ein Flug wäre nur zu verantworten, wenn dringende Gründe vorliegen. Ein Unfall, zum Beispiel." „Sagen Sie Rathbone, diesem Geier, er kann mir tausend verdammte Gründe auf die Rechnung schreiben!" Die dann von einem Konto der Mafia bezahlt wird, dachte Franco bitter. „Überlegen Sie es sich doch bitte, Sir", sagte Franco ruhig. Julie und Stark sahen ihren Boß an, während Leoni und Couraut soeben in ihrem gemeinsamen Zimmer verschwanden. „Wenn Sie nicht wollen, zum Teufel, lassen Sie mich mit Rathbone reden!" Franco zuckte die Achseln. Er zog das Hochleistungsfunkgerät aus seiner Parka, schaltete es ein, zupfte -12-
die Antenne heraus. „Hier. Versuchen Sie Ihr Glück, Sir", sagte er steif. Er ging zu Tom Harrigan. „Ärger?" fragte Tom. Er hatte borstiges rotes Haar, auf das er besonders stolz war, weil es sichtbar Kunde von seiner schottischen Abstammung gab. „Weiß ich noch nicht", gab Franco zurück. „Mr. Durrance will sich heute noch abholen lassen." Tom zog den Mund in die Breite. „Rathbone schickt keinen Hubschrauber, wenn es dunkel ist." „Hoffen wir's", sagte Franco. „Haben wir Besuch?" „Yeah", machte Tom gedehnt. „Kam vor 'ner Stunde oder so plötzlich angebraust. Hochnäsiger Laffe. Sagte, er wollte sich auf eigene Faust die Gegend ansehen. Ganz allein. Nur er und seine Büchse. Wenn du mich fragst, Joe", - für diesen Job in Montana hatte Franco sich den Namen Joe Rosso zugelegt - „hat der Kerl nie und nimmer die Absicht, durch die Berge zu kriechen! Schau dir nur mal seine Schuhe an!" „Wo steckt er jetzt?" „Im Schuppen natürlich. Hier haben wir ja keinen Platz mehr. Ich kann deinen Kunden ja nicht zumuten, noch weiter zusammenzurücken." Leoni und Couraut teilten sich ohnehin schon ein Zimmer. Franco drehte sich wortlos um und schob sich an Durrance und seinem Gefolge vorbei zur Tür. Der Politiker schimpfte aufgebracht ins Funkgerät. Rathbone schien sich jedoch auf nichts einlassen zu wollen, wie Franco mit einer gewissen Genugtuung feststellte. Mit großen Schritten überquerte Franco den Platz zwischen der Blockhütte und dem Schuppen, in dem er und Tom Harrigan schliefen. In der Hütte waren die Vorräte untergebracht; aber auch der Generator und verschiedene Ausrüstungsgegenstände, -13-
die für längere Bergtouren benötigt wurden. Franco zog die Tür auf. Helles Licht flutete ihm entgegen. Seine Augen huschten durch den kahlen Raum, in dem sich Tom Harrigan, zwischen Kisten voller Konserven, Papptellern und Reinigungsmitteln, so etwas wie ein Zuhause eingerichtet hatte. Francos Blick blieb auf einem hageren Mann mit hohlen Wangen und dichtem braunem Haar hängen, der versuchte, ein Klappbett aufzustellen. Das Gestell mußte er im Schuppen gefunden haben. „Kann ich Ihnen helfen?" fragte Franco laut. Der Mann hob den Kopf. Er reagierte weder erschreckt noch verwundert oder überrascht. Er lächelte und richtete sich langsam auf. Er war ziemlich groß. Franco musterte den neuen Gast, ohne das schwere Gewehr abzustellen, das er immer noch in der Hand hielt. „Sie sind sicher Rosso", sagte der Hagere. Er stellte das Bettgestell an die Wand, kletterte über seinen Rucksack und eine Repetierbüchse mit kurzem Lauf, dann reichte er Franco die Hand. Sie war kühl, ihr Druck fest. Ein schneller Blick klopfte Franco ab. „Ich glaube, ich hätte mich doch lieber anmelden sollen", sagte er dann. „Jetzt sind Sie hier", entgegnete Franco vage. Er zog die Tür hinter sich zu.
* Der Fremde trug eine neue Jägerjacke mit großen aufgesetzten Taschen, enge Jeans und halbhohe Schuhe, die ebenfalls neu zu sein schienen. Es waren keine Schuhe, die sich zum Bergsteigen eigneten. Es handelte sich um ganz normale Wanderschuhe. „Wenn Sie so nett sein wollen", der Neuankömmling deutete -14-
auf das Klappbett, „dieses Ding klemmt irgendwo ..." Franco entlud das Gewehr. Die Patronen steckte er in seinen Rucksack, dann stellte er das Gewehr neben sein Bett, legte den Rucksack ab und baute dann das Klappbett auf. Er schob es an die dünne Trennwand zum größeren Lagerraum. „Sie können auch im Lager schlafen, wenn Sie lieber allein sein wollen", bot Franco an. „Harrigan und ich gehen erst spät schlafen." „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, bleibe ich lieber hier." Franco hob die Schultern. „Wie Sie wollen, Mister ..." „Oh, verzeihen Sie! Ich bin Nat Keller aus New Orleans. Ich war noch nie in den Bergen." Er grinste hohlwangig. „Der rothaarige Koch da drüben scheint nicht viel von Burschen zu halten, die aus dem Süden kommen und in die Berge steigen, ohne vorher die Gebrauchsanweisung gelesen zu haben." Franco mußte unwillkürlich lächeln. „Machen Sie sich nichts draus, Mr. Keller. Tom ist schon ein eigenartiger Kauz. Aber er paßt hierher. Und wenn er von den Sonntagstouristen nicht viel hält, dann liegt das vermutlich daran, daß er schon zu viele gesehen hat, die man mit Hubschraubern oder Hunden, an Seilen oder wie auch immer, wieder herunterbringen mußte. Manche von ihnen in Blechsärgen." Keller ließ sich auf die Kante des Bettrahmens niedersinken. Er starrte zwischen seine Füße, ließ die schmalen Hände herabhängen. „Ich habe mir vielleicht doch zuviel zugemutet", gestand er. „Die Fahrt hier herauf war ein einziger Alptraum. Rathbone hatte doch recht." Rathbone wird seinen Gast gewarnt haben, vermutete Franco, aber mehr auch nicht. Rathbone knöpfte seinen Gästen wahre Raubritterpreise für jede Dienstleistung ab. Für die Miete, die der Pickup kostete, konnte Rathbone sich vermutlich schon einen neuen Wagen kaufen. Und trotzdem wunderte er sich über Rathbone, daß er den Mann überhaupt hatte fahren lassen. Einen -15-
Mann, der über keinerlei Bergerfahrung zu verfügen schien, durfte man doch nicht allein losziehen lassen! Nicht einmal mit einem geländetüchtigen Fahrzeug. Keller mußte Rathbone ganz schön zugesetzt haben. „Kennen Sie ihn? Ich meine Rathbone?" fragte Franco beiläufig. Während er seine Jacke auszog und die Stiefel abstreifte, ließ er seine Augen über seine Sachen wandern, die auf dem Feldbett lagen. Sein eigentliches Gepäck lag jedoch unter dem Bettgestell. „Nein, ich bin zum ersten Mal hier oben. Ein Geschäftsfreund aus New Orleans hat mich ne ugierig gemacht. Er kommt jedes Jahr hierher. Er hat so lange von der Blue Sky Ranch geschwärmt, daß ich es einfach auch versuchen mußte." „Wie heißt Ihr Freund?" fragte Franco. „Vielleicht kenne ich ihn?" Keller lächelte. Etwas kühl und ein wenig spöttisch, wie es Franco vorkam. „Sie sind erst ein paar Wochen hier, Rosso. Mein Freund kommt immer im Frühjahr. Sie können ihn nicht kennen." Franco nickte gleichmütig. Der andere hatte ihm eine Abfuhr erteilt. Keller mußte sich ziemlich ausführlich mit Rathbone unterhalten haben. Franco schlug den Schlafsack zurück und zog die Reisetasche unter der Pritsche hervor, die er auf das Bett stellte. Keller redete weiter. Vielleicht wollte er die Spannung, die zwischen den beiden Männern zu knistern begann, ein wenig abbauen. „Rathbone scheint jedenfalls etwas übrig zu haben für die Freunde seiner Gäste. Sonst nimmt er wohl nicht jeden." Nein, das tat Rathbone nicht. Rathbone suchte sich seine Gäste unter denen aus, die sich von der Preisliste nicht abschrecken ließen. -16-
Franco betrachtete seine Reisetasche. Sein Herz machte einen schmerzhaften Sprung. Die Zeichen waren untrügerisch. Jemand hatte sich während seiner Abwesenheit an seinen Sachen zu schaffen gemacht. Ein Profi. Tom Harrigan schied aus. Tom war kein Mann, der sich um andere Leute kümmerte oder um das, was sie in ihrem Gepäck hatten. Blieb Nat Keller. Interessant, dachte Franco. Er hatte jedoch keine verräterischen Gegenstände mit herauf gebracht. Jedenfalls keine, die er in der Reisetasche ließ. Seine Luger und die Munition steckten im Rucksack, den er während der Tour getragen hatte. Die wenigen elektronischen Spielzeuge, die er mit ins Bergcamp gebracht hatte, trug er in unauffälligen, eigens dafür angefertigten Fächern in seinem Gürtel. Nein, nichts, was Keller hätte entdecken können, war geeignet, Francos wahre Identität oder die wahren Gründe für seine Anwesenheit auf der Blue Sky zu verraten. Und dennoch fühlte er sich beunruhigt. Wer war Keller? Hatte man unten in der Ranch die Wanzen entdeckt, die Franco dort in den verschiedenen Apartments versteckt hatte? Die Geräte waren nicht aktiviert, solange er sie nicht überwachen konnte. Es handelte sich um modernste Apparate, die man nur dann mit den entsprechenden Geräten aufspüren konnte, wenn sie eingeschaltet waren und auch sendeten. Aber immerhin, es war nicht ausgeschlossen, daß vor dem Eintreffen der Verhandlungskommissionen eine sorgfältige Durchsuchung aller Räume stattgefunden und daß man eine der Wanzen entdeckt hatte. War Keller deshalb hier? Franco drehte sich um. Keller sah schnell zur Seite. Er hatte Franco also beobachtet. Er hatte sich mit Rathbone über Franco unterhalten. Über die anderen Angestellten auch? Alle anderen waren seit vielen Jahren auf der Blue Sky Ranch beschäftigt. -17-
Nur der Bergführer war neu, weil der andere, Francos Vorgänger, in einer dringenden Familienangelegenheit nach Kanada reisen mußte, wo seine Angehörigen lebten. Überflüssig zu erwähnen, daß COUNTER MOB die Ursache für die „dringende Familienangelegenheit" war. Franco wechselte seine Kleidung. Er zog saubere Jeans und einen dunklen Pullover an. Den Rucksack räumte er bis auf die Luger und die Munition aus. Mit dem Rucksack in der Hand verließ er den Schuppen, nachdem er Keller gesagt hatte, daß das Essen in wenigen Minuten drüben in der Blockhütte serviert werden würde. Draußen war es inzwischen vollends dunkel geworden. Franco versteckte den Rucksack in einem Hohlraum zwischen den Brennholzstapeln an der Seitenwand des Schuppens. Dort kauerte er sich nieder und wartete, bis Keller die Hütte verließ und zum Blockhaus hinüberging. Franco grinste dünn, als er blitzschnell in den Schuppen zurückkehrte. Mal sehen, dachte er, wie Mr. Keller reagierte, wenn Franco nicht zum Dinner erschien.
* Er lehnte die Tür nur an und achtete darauf, daß der Riegel nicht einschnappte. Ohne das Licht anzuschalten, suchte er seine Taschenlampe. Er ließ ihren Lichtkegel kurz über Kellers Gepäck wandern, ohne es jedoch anzurühren. Er war sicher, daß er kaum etwas Aufschlußreiches finden würde. Er knipste die Lampe wieder aus und stellte sich an die Tür. Er hielt sein Ohr an den schmalen Spalt zwischen Tür und Rahmen und wartete mit angehaltenem Atem. Als er ein leises Scharren draußen auf der hölzernen Stufe hörte, spannte er seine Muskeln. Er zählte langsam bis zehn, -18-
dann warf er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen das Holz. Die Tür flog nach außen. Mit voller Wucht krachte sie gegen einen Schädel. Franco sprang über die Schwelle. Er sah einen Schatten. Eine Gestalt, die sich krümmte. Stöhnend preßte Nat Keller eine Hand an die getroffene Stirn. Mit einem Satz war Franco bei ihm. „Sie sind es?" fragte er scheinbar überrascht, als er ihm von nahem ins Gesicht sah. „Verzeihen Sie, Mr. Keller ... Ich konnte ja nicht ahnen ... Ich habe nur meine Taschenlampe geholt", stammelte Franco zerknirscht. Er ließ die Lampe kurz aufblitzen, dann packte er Kellers Arm. „Habe ich Sie verletzt?" Er drückte seine Schulter unter Kellers linke Achsel, mit der freien Hand strich er wie zufällig an Kellers Gürtel entlang. Er war nicht überrascht, als er den Umriß einer flachen Pistole in einer Gürtelhalfter hinten an Kellers Hose spürte. „Zum Teufel!" keuchte Keller mit Schmerz in der Stimme. „Brechen Sie immer wie ein Tornado durch die Türen?" „Nein, nur wenn ich's besonders eilig habe. Wollte doch noch was von Tom Harrigans Super-Barbecue mitbekommen! Kommen Sie, ich helfe Ihnen!" Keller schüttelte Francos Hand unwillig ab. „Es ist gut", sagte er abweisend. „Es geht schon." Keller steuerte die Blockhütte an. Franco ließ ihn einen Schritt vorgehen, ehe er fragte: „Wollten Sie nicht in die Hütte?" Er grinste, als der andere stehenblieb. Keller machte eine vage Handbewegung. „Ach, die Zigaretten ... Ich nehme an, daß es im Blockhaus auch welche gibt." „Sie können welche von mir haben", sagte Franco, der zufrieden einen Punkt für sich verbuchte. Hinter Keller betrat er das Blockhaus. -19-
Die übrigen Gäste scharten sich bereits um das Büffet. Julie und Leoni sahen herüber. Julies Augen weiteten sich etwas, als sie die mächtige Beule bemerkte, die auf Kellers Stirn erblühte. Leoni grinste, widmete sich jedoch rasch wieder seinem Essen. „Meine Damen, meine Herren, darf ich Sie mit Mr. Keller bekannt machen? Mr. Keller, das ist Dr. Julie Conrad. Die Herren sind Mr. Stark, Mr. Leoni, Mr. Durrance und Mr. Couraut. Bitte, greifen Sie zu, die Blue Sky Ranch of Montana wünscht Ihnen einen guten Appetit." Seine Worte hatten wohl ein wenig spöttisch geklungen, denn Julie lächelte und warf ihm einen verwirrenden Blick unter halb gesenkten Lidern hervor zu. Franco nahm das Funkgerät wieder an sich, das seinen einzigen Kontakt zur Ranch und damit zur Außenwelt darstellte. Rathbone hatte Durrance abblitzen lassen, vermutete er. Andernfalls hätte der Politiker jetzt etwas davon erwähnt, daß der Hubschrauber kommen würde. Franco schaufelte Salat auf einen Teller und füllte ein Glas mit kalifornischem Rotwein. Tom zog einen langen Spieß mit großen Brocken Steakfleisch aus dem Kamin. „Laß es dir schmecken, Joe", sagte er augenzwinkernd. „Es ist genug da. Auch für die niederen Angestellten." „Der Hubschrauber kommt morgen mittag", sagte Durrance laut. „Meine Mitarbeiter kehren mit mir zur Ranch zurück. Rathbone läßt Ihnen ausrichten, Sie sollten hier oben bleiben, solange Ihre Anwesenheit erforderlich ist." Solange ein Gast im Bergcamp bleiben wollte, mußte auch Franco oben ausharren. Er lächelte und nickte etwas angespannt. Wenn er seinen Job erledigen wollte, mußte er versuchen, ständig in der Nähe des Politikers zu bleiben. „Ich werde mitfliegen", erklärte Leoni. „Ich fühle mich den Strapazen doch nicht so recht gewachsen." Er schob einen Fleischbrocken in seinen Mund, kaute und sprach mit vollem -20-
Mund weiter. „Ich werde es mit den Pferden versuchen." Er grinste. Franco sah Claude Couraut, den Drehbuchautor, an. Der Mann verstand die Frage in Francos Blick auf Anhieb, aber er deutete sie falsch. Seine Augen begannen zu leuchten. Rasch wandte Franco den Blick ab. Beim Essen wollte keine interessante Unterhaltung in Gang kommen, und Franco gab sich auch keine sonderliche Mühe. Er stellte schließlich seinen Teller und das geleerte Glas auf die Ablage vor der Spülmaschine auch diesen Komfort gab es hier oben in 8600 Fuß Höhe unterhalb des Trapper Peak - und verließ die Hütte. Es war kühl geworden. Die Luft roch nach Herbst. Tief unterhalb der Steilwand, die den Platz um das Camp nach Norden hin begrenzte, erkannte er die dunkle Masse eines Kieferngehölzes. Mit lautlosem Flügelschlag glitt ein Nachtvogel herauf, strich nah an Franco vorbei. Er zündete eine Zigarette an. Langsam atmete er den Rauch ein. Er setzte sich auf die Bank neben der Tür unter das Dach. Er suchte nach einer Möglichkeit, zusammen mit Durrance zur Ranch zurückzukehren. Als die vordere Hüttentür geöffnet wurde, wandte er den Kopf. Der Schatten eines mittelgroßen Mannes fiel über die Veranda. Franco erkannte den Drehbuchautor. Couraut hielt zwei Gläser in den Händen. Mit dem Ellbogen zog er die Tür ins Schloß, dann kam er auf Franco zu. Er setzte sich neben ihn auf die Bank, rückte mit einem Ruck zur Seite, bis seine Hüfte gegen Francos stieß. Franco rutschte eine Handbreit weiter nach rechts. Der andere folgte prompt. „Ich habe gesehen, daß Sie nichts zu trinken mitgenommen haben, Joe", sagte Couraut. Seine Stimme klang ein wenig belegt. Er drückte Franco ein Glas in die Hand. Süßlicher -21-
Geruch stieg in die Nase des Mafiajägers. Franco wollte nicht unhöflich sein, deshalb nippte er an dem Drink. „Es ist ein italienischer Likör", erklärte Couraut. „Ich mag ihn gern auf Eis. Schmeckt er Ihnen, Joe?" „Pst!" machte Franco scharf. „Was ist denn?" fragte der andere erschreckt. „Bären", flüsterte Franco. „Sie kommen oft zur Hütte. Man muß immer aufpassen. Wenn sie sich angegriffen fühlen, können sie sehr unangenehm werden." Couraut zog erschreckt die Luft ein. „Aber man muß doch etwas gegen sie unternehmen!" hauchte er dann. „Abschießen darf man sie nicht", entgegnete Franco. Er sah das verwitterte Gesicht des Drehbuchschreibers neben sich in der Dunkelheit schweben, und er konnte förmlich spüren, wie einsam dieser Mann war. „Aber machen Sie sich keine Sorgen", fuhr er dann beschwichtigend fort, „sie kommen nicht näher heran, solange sich so viele Menschen wie heute im Camp aufhalten. Aber wenn sie wissen, daß nur wenige Menschen hier sind, kommen sie sogar am hellichten Tag, um die Abfallhaufen zu durchwühlen. Tom Harrigan kann Ihnen haarsträubende Geschichten erzählen, Mr. Couraut." Franco nahm sich vor, Tom entsprechend zu instruieren. Natürlich gab es Bären in diesem Teil der Bitterroot Range, und gelegentlich überfielen sie sogar einsam gelegene Camps - aber nicht im Herbst, wenn die Natur den Speisezettel für diese großen Raubtiere noch recht großzügig ausstattete. „Und ich hatte irgendwie gehofft", begann Couraut, verstummte jedoch, ohne den Satz zu beenden. „Ja?" meinte Franco. „Ach, nichts weiter. Ich liebe die Einsamkeit", sagte der Mann an Francos Seite leise. „Aber in gewissen Abständen wird sie -22-
zur Qual. - Joe, ich darf Sie doch so nennen? Joe, ich hatte gehofft, daß Sie und ich ... Ach, es spielt keine Rolle. Ich nehme an, Sie verstehen mich auch so." „Ich glaube, ja", gab Franco zurück. „Ich will Sie nicht verletzen, Mr. Couraut, aber ich möchte lieber offen sein - ich bin kein Mann, der diese Art von Zweisamkeit liebt." „Ja, ich verstehe Sie, Joe." Couraut stand auf. „Verzeihen Sie." „Da gibt es nichts zu verzeihen, Mr. Couraut", erklärte Franco in neutralem Tonfall. Couraut nahm Francos Glas, in dem das Eis langsam schmolz. Er blieb einen Moment nachdenklich stehen, dann sagte er: „Wegen mir brauche n Sie die Bären nicht zu bemühen, Joe." Franco glaubte zu hören, wie der andere lächelte. „Ich fliege mit den anderen zur Ranch zurück."
* Franco blieb draußen sitzen, bis es ihm zu kalt wurde. Er holte seine Parka aus dem Schuppen, zog sie an und kehrte zur Blockhütte zurück, um nach den Gästen zu sehen. Tom Harrigan hatte noch in der abgeteilten Küche zu tun. Als Franco ihm seine Hilfe anbot, wies er ihn barsch zurück. Julie saß mit einem Buch in der Ecke neben dem Kamin. Couraut und Nat Keller spielten Schach. Nick Leoni kam gerade aus seinem Zimmer. Er sah in die Runde, zögerte, setzte sich dann in einen Sessel und zog eine Zeitschrift aus dem Ständer. Tibor Durrance gab Allan Stark einen Wink. Der Politiker verschwand in seinem Zimmer, und Stark eilte hinter seinem Chef her. Franco wußte, daß Stark sogar hierherauf Akten mitgenommen hatte. „Gute Nacht", sagte Franco laut. Er verließ die Blockhütte -23-
und unternahm einen Rundgang. Die hintere Tür war noch nicht abgeschlossen. Tom ließ sie meistens geöffnet. Er kontrollierte die Fenster. Alle Läden waren fest verschlossen. Er stand da und zögerte einen Moment. Er mußte wissen, was Durrance und Stark miteinander zu besprechen hatten, aber er mußte sicher sein, nicht von Keller entdeckt zu werden. Keller stellte einen Unsicherheitsfaktor für Franco dar, ganz gleich, ob der Mann ein Mitglied der Mafia war oder nicht. Keller würde sich wundern, weshalb Franco nicht im Schuppen war. Franco lief über den Platz und betrat die Hütte. Er zog den Anorak aus, machte sein Bett zurecht, wartete ungeduldig. Es dauerte nicht lange, bis er Keller hörte, der über die Stufe stolperte und dann gegen die Tür krachte. Franco öffnete ihm die Tür. Kellers Augen blickten etwas trübe, und eine Alkoholfahne wehte in Francos Gesicht. Keller hatte nicht viel getrunken, das hätte Franco bemerkt, aber die ungewöhnte Höhe verstärkte die Wirkung des Alkohols und ließ den Körper anders reagieren als üblich. Keller zog sich schnell aus und ließ sich auf das Klappbett fallen. Er verfolgte Francos Bewegungen mit den Augen, als der seinen Anorak vom Haken nahm und ihn wieder anzog. „Schlafen Sie gut", sagte Franco lächelnd. „Ich treibe mich noch ein wenig draußen herum." „Viel Spaß, und fallen Sie nicht die Klippe runter", murmelte Keller. Er rollte sich in seine Decken und legte sich auf die Seite. „Sie können ruhig das Licht ausmachen." Franco schaltete das Licht aus und verließ die Hütte. Er drückte die Tür zu und stellte ein Holzscheit aufrecht dagegen. Wenn Keller die Tür von innen öffnete, würde das Scheit umfallen und ein Geräusch erzeugen, das in der nächtlichen Stille weit zu hören sein mußte. Tom Harrigan, das wußte Franco, würde noch gut eine Stunde in der Blockhütte -24-
beschäftigt sein, um alles für den nächsten Morgen vorzubereiten. Franco flitzte zum Blockhaus. Er öffnete zwei Fächer seines Gürtels und zog zuerst das winzige Kontaktmikrofon heraus, das, zur besseren Übertragung der Schallwellen, mit einem Saugfuß aus elastischem Kunststoff versehen war. Er steckte das dünne Kabel in die Buchse und verband es mit dem kleinen Ohrlautsprecher, den er in sein Ohr schob. Geduckt schlich er an der Hauswand entlang, bis er das Fenster von Tibor Durrances Zimmer erreichte. Er preßte das Mikrofon gegen die Lade. Der Druck auf den Saugfuß schaltete das Mikrofon ein. Sofort hörte Franco das volle Organ des Politikers, der seinem Mitarbeiter verschiedene Telegramm- und Fernschreibtexte diktierte. Die Qualität der Übertragung war nicht sehr gut. Das Mikrofon war für glatte Betonmauern oder Glasscheiben, allenfalls für gehobelte Holzwände geeignet, nicht jedoch für massive, gerundete Fichtenbohlen. Immerhin konnte er heraushören, daß die Verträge zwischen dem Whitman-Konzern und der Mafia-Holding nicht Gegenstand der Texte waren, die Durrance diktierte. Franco horchte erst auf, als Durrance sein Diktat beendete und der junge Jurist eine Frage stellte. „Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, Sir", sagte Stark. „Na, was denn?" „Ich finde es ganz gut, daß wir morgen schon zurückfliegen. Dann können wir die Verträge in der Whitman-Sache noch einmal durchgehen." „Da gibt es nichts mehr ..." Den Rest des Satzes verstand Franco nicht. Durrance schien im Raum umherzuwandern, während Stark offenbar in der Nähe des Fensters stand. -25-
„Sir, ich halte einige Paragraphen ..." „Sie scheinen mich nicht zu verstehen, Allan, ich werde die Verträge nicht ausfertigen oder, soweit sie bereits formuliert sind, nicht zur Verfügung stellen." „Sir! Aber ich ..." „Schweigen Sie, Allan. Ich habe nachgedacht. Ich bin endlich dahintergekommen, wer ... Ich lasse mich nicht zum Handlanger einer verdammten Verbrecherbande degradieren ..." „Aber Mr. Durrance! Es steckt soviel Arbeit in diesen Verträgen! Tag und Nacht ..." „Ich danke Ihnen für Ihren Einsatz, Allan. Sie kommen mit mir nach Washington ... Sie sollen dabeisein, wenn ich dem Untersuchungsausschuß mein Wissen offenbare ... Ich werde nicht zulassen ..." Durrance stand jetzt offenbar in einer Raumecke. Franco hörte nicht mehr, was der Kongreß abgeordnete sagte. Er nahm das Mikrofon ab, als er hörte, wie Allan Stark den Raum verließ. Tibor J. Durrance stieg aus. Das war eine kleine Sensation, auch wenn diese Tatsache allein völlig bedeutungslos war. Durrance war nur ein Vermittler. Die Mafia würde einen neuen Mann mit einwandfreiem Background und untadeligem Ruf kaufen. Die Bande verlor nur Zeit, sonst nichts. Aber COUNTER MOB gewann einen Aufschub. Vielleicht gelang es, Lawrence Whitmans Aufenthaltsort herauszufinden. Er, Franco, würde den Colonel informieren müssen, und zwar bald. Er schlich weiter. Nacheinander lauschte er in jedes der vier Zimmer hinein. Durrance, Julie und Stark hatten jeweils einen Raum für sich allein. Nur Leoni und Couraut mußten sich das größte Zimmer, es lag auf der Ecke, teilen. Franco lauschte am Fenster dieses Raumes. Es war still hinter der Lade. Franco preßte das Mikrofon an den Schlagladen vor Allan -26-
Starks Schlafzimmer. Franco versuchte bereits seit Tagen, herauszufinden, ob und mit wem dieser junge Mann sich heimlich traf. Unten auf der Ranch hatte er mit Hilfe der Wanze in Starks Apartment kurze Gesprächsfetzen aufgenommen, die jedoch keine Identifizierung zugelassen hatten. Franco vermutete, daß Stark mit jemandem außerhalb des Kreises um Durrance in Verbindung stand. Aber mit wem? Colonel Warner hatte zu verstehen gegeben, daß auch das FBI und die Abwehrorgane des Pentagon versuchen würden, das Geschäft zu vereiteln. Da hörte er unterdrückte Stimmen. Allan Stark hatte tatsächlich Besuch! „... macht nicht mit!" Franco preßte das Mikrofon gegen das Holz. Stark informierte jemanden über die letzten Äußerungen seines Chefs! Franco hörte einen scharfen Laut, ein Wort oder eine Frage. Er suchte eine glatte Stelle, auf die er das Mikrofon pressen konnte. „Ich glaube nicht ... nichts zu machen, nein ... alles versucht ..." Wer war der andere? Keller schlief im Schuppen. Tom Harrigan und Tibor Durrance schieden aus naheliegenden Gründen aus. Blieben nur noch Julie, Nick Leoni und Claude Couraut, der Drehbuchautor. Franco wartete darauf, daß Starks Besucher - oder seine Besucherin - erneut das Wort ergriff. Seine Sinne waren so auf die schwachen Geräusche hinter den Bohlen konzentriert, daß er überrascht herumwirbelte, als der scharf gebündelte Lichtkegel einer Taschenlampe in seine Augen stach. Er zuckte zur Seite, aus der Schußrichtung. Mit der Hand verbarg er das kleine Mikrofon. Das dünne Kabel wurde von seinem Arm verdeckt. -27-
Der Lichtstrahl folgte ihm, klebte an ihm wie eine zähe Chemikalie. „Was machen Sie hier? Lauschen Sie etwa?" Die Frage klang scharf. Franco atmete behutsam auf. Er hatte Julies Stimme erkannt.
* Doch zum Aufatmen bestand zunächst kein Grund. Julie Conrad war betroffen und mißtrauisch. Sie kam näher heran, ohne die Lampe zu senken. Franco hob die linke Hand und beschirmte seine Augen. Dabei hielt er den Kopf so, daß der Ohrhörer nicht zu sehen war. „Machen Sie das Licht aus", bat er. „Ich laufe Ihnen nicht davon." „Sie haben gelauscht!" wiederholte Julie. „Aber Julie! Was hätte ich schon hören können?" „Das weiß ich auch nicht", gab die Psychologin zu. Immerhin senkte sie den Lichtstrahl, so daß der Kegel einen Kreis von zehn Zoll Durchmesser aus dem harten, felsigen Boden schnitt. Franco zog den Ohrlautsprecher aus seinem Ohr und rollte mit einer Hand den Draht ein. Er stopfte alles in seine Hosentasche. „Wollen Sie noch etwas frische Luft schnappen?" erkundigte er sich dann, sich bemühend, das Girl auf andere Gedanken zu bringen. Er drehte sich halb herum und machte einen Schritt auf sie zu. Julie blieb stehen. Sie ließ sich nicht ablenken. „Haben Sie gelauscht?" wiederholte sie ihre Frage. Sie leuchtete die dicken Stämme ab, aus denen die Hüttenwand bestand, und besonders aufmerksam betrachtete sie das fest verschlossene Fenster. „Das ist Mr. Starks Zimmer, nicht wahr?" -28-
„Ich glaube schon", murmelte Franco. „Was hofften Sie zu hören?" Franco seufzte. Sie war schon sehr hartnäckig. „Nun, ich wollte wissen, ob er mit Ihnen ..." Julie zog erschreckt die Luft ein. Die Lampe erlosch. In derselben Sekunde klatschte ihre Hand an seine Wange. Es knallte laut. Franco hörte ihre schnellen Schritte. Sie wollte davonlaufen. Mit ein paar langen Sprüngen hatte er sie eingeholt. Er packte ihre Schulter, hielt sie fest, wirbelte sie herum. „Nicht dorthin!" sagte er. „Es gibt zwar ein Geländer, aber bei Nacht wäre ich doch vorsichtig. Zweihundert Fuß ..." „Ich will erst wissen, warum Sie ..." Franco drehte das Girl herum und schob es zurück. Die Leute glauben doch immer das Unwahrscheinliche, dachte er. Oder nein, korrigierte er sich. Hätte sie ihm etwa geglaubt, wenn er gesagt hätte, er sei der Beauftragte einer geheimen Regierungsstelle, die das illegale Treiben des organisierten Verbrechertums bekämpfte? Wahrscheinlich nicht. Da erschien es schon glaubhafter, wenn er sich als Spanner ausgab. Oder wenn er noch einmal die armen Bären bemühte. „Lassen Sie mich los, oder ich schreie!" fauchte Julie. Ihre Fäuste trommelten gegen seine Brust. Einmal schrammte die Taschenlampe in ihrer Hand über seine Kinnspitze, und der Schmerz zuckte durch den Kiefer bis in den Hinterkopf. „Seien Sie doch vernünftig!" bat er. „Natürlich habe ich nicht gelauscht!" Sie stellte immerhin ihre Gegenwehr ein, und Franco ließ ihre Schulter los. Als er einfach losmarschierte, ging sie neben ihm her. Sie schritten über das ebene Plateau auf die Steilwand zu, die das Camp nach Südosten hin begrenzte. „Ich habe nur die Schlagläden kontrolliert", erklärte er. „Das -29-
tue ich immer, wenn ich hier oben bin. Nachts kommen oft Bären bis ans Haus." Insgeheim leistete er den Tieren Abbitte, weil er sie nun scho n zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden als Schreckgestalten bemühte. „Und noch öfter kommen ganz plötzlich Stürme auf. Wenn die Läden dann nicht gesichert sind, gibt es einen fürchterlichen Krach. Zufrieden, Doktor?" „Nennen Sie mich nicht Doktor, Mr. Rosso!" „Verzeihen Sie, Miß Conrad." „Gute Nacht", sagte sie dann steif. Franco begleitete sie bis zur Vordertür. Als sie im Haus verschwunden war, kehrte er an seinen Lauschposten zurück. Doch wer immer Allan Stark besucht hatte, er hatte das Zimmer des jungen Anwalts inzwischen verlassen. Franco horchte noch einmal an den anderen Fenstern, und als er nichts Verdächtiges aufnahm, ging er zum Schuppen hinüber. Er zog seinen Rucksack mit der Luger aus dem Stapel Brennholz, dann trat er an die Tür. Er bückte sich, um das Scheit wegzunehmen, das er dort deponiert hatte, um vor Überraschungen durch Nat Keller sicher zu sein. Aber er griff ins Leere. Das Holz war nicht mehr da.
* Franco verharrte einen Moment reglos in gebückter Haltung, während seine Gedanken rasten. Gut sieben Minuten, vielleicht etwas länger, hatte er sich mit Julie Conrad aufgehalten. Dennoch war er überzeugt, daß er das Geräusch des umfallenden Holzscheits gehört hätte, falls Nat Keller auf den Gedanken verfallen sein sollte, den Schuppen noch einmal zu verlassen. Tom Harrigan, dachte er dann aufatmend, doch die -30-
Erleichterung, die er bei dem Gedanken an den Koch und das Mädchen für alles empfand, hielt nur eine Sekunde vor. Er hätte Toms Schritte hören müssen. Er ließ die Lampe aufblitzen. Seine Befürchtungen sah er bestätigt, als er das Scheit nicht entdecken konnte. Es war verschwunden. Oder weggeworfen worden. Vielleicht über den Rand der Klippe, oder es befand sich wieder bei dem anderen Holz unter dem Schutz des überhängenden Daches. Franco knipste die Lampe aus. Seine Kopfhaut kribbelte. Da hatte sich jemand verdammt viel Mühe gegeben, um nicht bemerkt zu werden, dachte er. Er zog die Luger und preßte sich neben der Tür an die Wand. Behutsam hob er den Riegel an, zog die Tür auf. Zoll um Zoll bewegte er sie nach außen. Hinter der Tür gähnte es schwarz. Franco wartete, bis die Furcht, die hart und schwer wie ein Stein in seinem Magen lag, sich auflöste. Dann sprang er mit einem Panthersatz ins Innere des Schuppens, rollte über die linke Schulter ab, kam wieder auf die Füße und warf sich sofort nach rechts, bis er mit der Schulter die Trennwand berührte. Das Holz knackte. Franco hielt die Luger in der erhobenen Hand. Er ließ den Arm hin und her wandern, fest entschlossen, ohne zu zögern, das tödliche Blei auf die Reise zu schicken, falls die Drohung Gestalt annehmen sollte. Als nichts geschah und nichts auf die Anwesenheit eines anderen Menschen hindeutete, ließ er die Lampe für einen Sekundenbruchteil aufblitzen. Seine Augen nahmen das Bild auf und gaben es ans Hirn weiter, das es wie eine Fotografie speicherte, während sein Körper seine Position veränderte, sich in die Ecke neben einem vollgestopften Regal kauerte. Jetzt erst tastete das Gehirn das Bild ab. Francos Bett war leer gewesen. -31-
Nat Kellers Pritsche ebenfalls. Franco kroch zur Tür. Er zog sie zu, dann erst richtete er sich auf und legte den Lichtschalter um. Die Deckenbeleuchtung flammte auf. Am anderen Ende des Schuppens wummerte der Generator, der die Batterien neu auflud. Der Raum war leer. Franco, der geneigt war, an einen Streich Kellers zu glauben, mit dem der hagere Halunke ihn und seine Reaktionen testen wollte, durchsuchte die Vorrats- und Getränkeregale, den Geräteteil und sogar den Kühlraum und die Gefriertruhen. Er fand bergeweise Konserven und Whisky, Frischfleisch und Arzneimittel, Schneeschuhe und Seile. Tausenderlei Dinge, aber er fand keine Spur von Nat Keller. Dabei verfügte der verdammte Schuppen weder über ein Fenster noch eine zweite Tür oder ein loses Brett, durch das Keller den Bau unbemerkt hätte verlassen können. Als er die Tür klappen hörte, raste er in den vorderen Raum. Tom Harrigan starrte ihn verwundert an, als er aus dem dunklen Lagerraum tauchte. Franco hatte die Luger rechtzeitig unter seinem Pullover in den Hosenbund geschoben. „Willst du Rathbones Whiskyvorräte plündern? Oder suchst du etwas zu lesen? Es ist alles da." „Ich suche Mr. Keller", sagte Franco. Tom Harrigan lachte. „Zwischen Konserven und Ersatzbatterien? Joe, Mr. Keller macht eine Nachtwanderung!" Franco riß die Augen auf. Er sah an Tom vorbei. Ein Teil von Kellers Ausrüstung fehlte. Auch die doppelläufige Bockbüchsflinte und der Rucksack. „Woher weißt du das? Hast du ihn gesehen?" „Nein. Mr. Leoni hat ihn getroffen." „Wann?" Franco zwang sic h dazu, ruhig zu bleiben und den rothaarigen Schotten nicht anzuschreien. -32-
„Ich bin ihm eben gerade begegnet, als ich herüberging. Mr. Leoni sagte, er habe gerade Mr. Keller getroffen. Mr. Keller hat ihm gesagt, daß er gern des Nachts draußen ist. Er will versuchen, eine Wildkatze zu schießen." „Hat Mr. Leoni gesagt", stellte Franco fest. „Genau." Tom gähnte. „Mann, bin ich froh, daß ihr morgen wieder weg seid! Da habe ich wenigstens meine Ruhe." Franco hörte nicht auf Toms Monologe. Er zog seine festen Bergstiefel an. Aus dem Geräteabteil holte er eine Rolle Kletterseil und ein Bündel Kletterhaken samt Schnappringen und Hammer. Tom sah ihm mit großen Augen zu, wie er die Ringe und den Hammer an seinem Gürtel befestigte und dann den Anorak darüberzog. Das Seil schlang er locker um seine Schulter. „Was hast du vor?" erkundigte er sich. „Ich bin nachts auch gern draußen", behauptete Franco. „Noch ein Verrückter!" stöhnte Tom. „Sei leise, wenn du zurückkommst. Ich brauche meinen Schlaf." Franco nickte. Er spürte den Druck der Luger an seiner Hüfte. Er drehte sich so, daß Tom nicht sehen konnte, wie er die schwere Pistole in eine der verschließbaren Taschen des Anoraks steckte. Bevor er die Hütte verließ, knipste er das Licht aus. „Du kannst es gleich wieder anmachen", sagte er zu Tom. „Es ist nur, damit sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen." Wenige Minuten später trat er in die kühle Nacht hinaus.
* Er strich um das Blockhaus wie ein Wolf. Mit dem kleinen Mikrofon lauschte er in die vier Zimmer hinein. Das empfindliche Instrument blieb nahezu stumm. Franco konnte annehmen, daß die Gäste in ihren Betten lagen - bis auf Nat -33-
Keller. Franco stand eine Weile reglos hinter der Blockhütte. Er spielte mit dem Gedanken, Mr. Leoni einen Besuch abzustatten. Dem Mann die Mündung der Luger ins Ohr zu drücken und ihn zu fragen, wo er Nat Keller zuletzt gesehen und was er mit ihm gemacht hatte. Doch er verwarf den Gedanken wieder. Ein solches Vorgehen würde nichts einbringen. Im Gegenteil. Franco würde dem anderen, gleich, wer er sein mochte und wessen Interessen er vertrat, nur verraten, daß er nicht Joe Rosso, ein einfacher Bergführer, war. Zuerst mußte er feststellen, was mit Keller geschehen war. Und wo er steckte. Franco zog einen weiten Halbkreis um die Anlage. Das Camp lag auf einem Plateau, etwa vierzig Yards vom Fuß einer mehr als sechshundert Fuß senkrecht in den Himmel ragenden Granitklippe entfernt. Franco durchstöberte zuerst das dürre Gestrüpp, das sich auf dem Erosionsgeröll am Fuß der Klippe ausbreitete. Als er dort keine Spuren fand, die einen Hinweis auf den Verbleib Kellers gegeben hätten, beschäftigte er sich mit den beiden Wegen, über die man den Platz erreichen beziehungsweise verlassen konnte. Von unten wand sich in engen Schleifen der schmale Sims herauf, den Keller mit dem Pickup benutzt hatte. Von der anderen Seite des Plateaus aus führte ein enger Hohlweg, den man eher eine Rinne nennen mußte, steil bergan. Hier nahmen die Bergtouren in die Umgebung des Camps ihren Ausgang. Franco ging davon aus, daß Keller nicht den Weg abwärts benutzt hatte. Deshalb untersuchte er zunächst den Einstieg in die Rinne. Denn wenn Keller tatsächlich, wie Leoni Tom Harrigan gegenüber behauptet hatte, zu einer nächtlichen Tour aufgebrochen war, dann mußte er diesen Hohlweg passiert haben. -34-
Aus den Felsen auf der rechten Seite brach ein dünnes Rinnsal glasklaren Wassers hervor. Es lief über das Plateau, wo es eine breite Lache bildete und wie ein dunkler Fleck vor dem Einstieg in die Rinne lag, ehe es etwas weiter über den Klippenrand in der Tiefe verschwand. Mit der Lampe in der Hand untersuchte Franco den Streifen, der sich dunkel und naßglänzend von seiner hellbraunen Umgebung abhob. Der felsige Boden hielt kaum die Spur eines menschlichen Fußes, aber die Lache war so breit, daß selbst ein Mann von der Größe Kellers sie nicht mit einem Schritt überwinden konnte. Kellers Fuß hätte einen feuchten Abdruck jenseits des Wasserstreifens hinterlassen müssen. Franco setzte seinen Fuß in das flache Rinnsal und machte dann ein paar Schritte. Wie Stempelabdrücke war der Umriß der Schuhsohle sichtbar, und zwar dreimal sehr deutlich, dann erst löschte der Gesteinsstaub die Feuchtigkeit von der Schuhsohle. Keller war hier nicht gegangen. Franco untersuchte den Rand der Klippe, hinter der es steil in die Tiefe ging. Schwach hörte er das Brausen des Wildbaches, der unten über die Sohle gurgelte. In der Schlucht wuchsen verschiedene Kiefernarten, und dort, wo der Canyon sich verbreiterte, bedeckten sattgrünes Gras und bunte Bergblumen den Grund. Franco hatte manchmal am Geländer gestanden und in die Tiefe geschaut. Jeden Gast, der ins Bergcamp kam, zog es unweigerlich an diese Stelle. Hier verbrachte er, je nach Temperament, mehrere Stunden, um den Anblick der Tiefe auszukosten. Schaudernd die meisten, ergriffen alle. Das Geländer bestand aus glattgehobelten Fichtenstämmen, die auf stämmigen, vier Fuß hohen Pfosten ruhten. Diese Pfosten waren tief in Löcher gerammt worden, die man mühselig in den harten Fels gebohrt hatte. Das Geländer sollte verhindern, daß jemand bei Nacht über den Rand der Klippe -35-
stürzte. Franco leuchtete die Kante ab. Auf Händen und Füßen kroch er an ihr entlang. Sie war ausgewaschen, spröde und bröckelig. Franco spürte den Sog der Tiefe, ihre Kälte, aber er achtete nicht auf die Gefahr, die sie signalisierte. An der Bruchkante gediehen einige Moosarten und unscheinbare Flechten. Es hatte seit vielen Wochen nicht mehr geregnet, und eine dünne graubraune Staubschicht hatte die Pflanzen überzogen. Zoll für Zoll suchte Franco die Kante und den Geländerbalken ab. Bis er eine Stelle fand, wo ein Schuh die Staubschicht auf dem Moos zerstört und ein anderer den spröden, ausgetrockneten Pflanzenteppich sogar zerrissen hatte. Franco richtete sich auf. Er lehnte sich an das Geländer wie jemand, der die Aussicht genoß. Er schob den Fuß so weit vor, wie es ging, und er leuchtete ihn an. Der Abstand zwischen dem Fuß und der moosbewachsenen Kante war um einige Zoll zu groß, um ihn auf diese Weise zu erreichen. Franco atmete flach. Er befand sich an einer Stelle, wo ein Pfosten aus dem Grund ragte. Er leuchtete die Stelle an, wo der Querbalken mit dem Stützpfeiler verzapft war. An der Verbindungsstelle hatten sich Stoffasern verfangen. Franco schaltete die Lampe wieder aus. Er befestigte sie an seinem Gürtel, und während er seine Ausrüstung überprüfte, lauschte er zur Blockhütte hinüber. Niemand war auf ihn aufmerksam geworden. Er befestigte das Kletterseil am Pfosten. Er duckte sich, kroch unter dem Geländer her, packte das Seil und schlang es um seinen rechten Schenkel. Wieder spürte er den mächtigen Sog der unsichtbaren Tiefe, -36-
und er zögerte einen Moment. Während er noch die Universität von Colorado besuchte, hatte er mit einigen Kommilitonen häufig Ausflüge in die Berge unternommen, vorwiegend in die wild zerklüftete, unzugängliche Sawatch Range, wo er Berge wie den Mount Yale und den Mount Elbert bezwungen hatte. Beide über vierzehntausend Fuß hoch. Er hatte geglaubt, einige Kenntnisse in diesem Sport zu besitzen. Bis Colonel Warner ihn in das geheime Ranger Camp beorderte, das COUNTER MOB in den Rockys eingerichtet hatte und wo Männer wie er, die sich dem Kampf gegen das organisierte Verbrechertum verschrieben hatten, auf spezielle Einsätze vorbereitet wurden. Erst dort hatte er erfahren, was es hieß, auf sich allein gestellt eine senkrecht in die Tiefe fallende Wand hinab- und anschließend wieder hinaufzusteigen. Beim sportlichen Bergsteigen war er nie allein gewesen. Bei seinem Kampf gegen die Mafia war er stets allein. Die Überlebenstechniken, die die Ausbilder von COUNTER MOB ihren Agenten vermittelten, gingen stets davon aus, daß der Betroffene in der Stunde der Gefahr allein war. Wenn er es nicht war, war der andere sein Mörder. Franco atmete ein paarmal tief durch, dann ließ er sich entschlossen zehn, fünfzehn Fuß in die Tiefe gleiten.
* Er schwebte über dem Abgrund. Er war allein mit seinen Urängsten. Seine Sinne vermochten ihm kein zuverlässiges Bild seiner Umgebung zu vermitteln. Er konnte nicht einmal richtig die Hand vor Augen sehen. Er sah nach oben, wo er undeutlich gegen den helleren, sternenübersäten Himmel die Kante erkennen konnte. Er -37-
versetzte seinen Körper in leichte Schwingungen, bis er mit einer ausgestreckten Hand die Felswand berühren konnte. Beim vierten oder fünften Anlauf gelang es ihm, seine Finger in eine enge Spalte zu krallen. Mit den Füßen fand er vorübergehend Halt auf einem Felszacken. Er trieb vier Mauerhaken in zwei nah beieinander liegende Spalten. Er hängte die Karabiner ein und zog das herabhängende Ende des Seils hindurch, das er in einem der Schnappringe verknotete. Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht auf die Haken. Sie hielten. Sollte jemand das Ende des Seils, das er oben um den Pfosten geschlungen hatte, durchschneiden, so würde Franco dennoch sicher in der Wand hängen, unerreichbar für jeden, der nicht, wie Franco, in die Wand stieg. Franco ließ sich jetzt langsam in die Tiefe gleiten. Das Seil rutschte um seinen rechten Schenkel, und Franco hatte dabei ein sicheres Gefühl. Ein Erfolg der Ausbildung, die er mitgemacht hatte. Er hatte kein Gefühl für die Tiefe. Er sah gelegentlich nach oben, sah die Kante ferner und ferner zurückbleiben, sah sie als scharfen Grat gegen den klaren Himmel Montanas. Unmerklich zunächst hatte der Wind aufgefrischt. Er heulte leise in den Schrunden und Rissen, erfaßte den einsamen Mann am frei über dem Grund der Schlucht schwebenden Seil und versetzte ihn in lange Schwingungen. Wie ein Pendel. Als Franco zum erstenmal gegen die Felsen geworfen wurde, stellte er die Beine rechtwinklig auf. Seine Schuhe scharrten über den Fels. Die Granitwand war jetzt sehr nah und nicht mehr so steil. Bald mußte Franco sich dauernd abstützen. Hartes Geäst von den genügsamen Pflanzen, die in den engen Spalten Halt fanden, kratzte über seinen Körper. Seine Arme hatten längst zu zittern begonnen. Sein rechtes Bein, dessen Schenkel das Gewicht des ganzen Körpers tragen mußte, war abgestorben. Er -38-
keuchte. Stoßweise fauchte der Atem aus seinem Mund. Die Feuchtigkeit fing das schwache Sternenlicht ein und machte den Atem selbst so tief noch sichtbar. Franco ließ sich etwas schneller hinabgleiten. Am lauter werdenden Rauschen des Wildbaches konnte er hören, daß er bald die Sohle der Schlucht erreichen mußte. Der Pflanzenwuchs wurde dichter. Hier und da ragten scharfkantige Zacken aus der Felswand. Schließlich rutschte Franco über die schräge Sohle am Fuß der Wand. Er lockerte die Schlinge um seinen Schenkel. Er landete auf einem lockeren Geröllhaufen. Das lose Gestein gab unter seinen Füßen nach. Franco versuchte, das Seil fester zu packen und sich daran festzuhalten, aber seine steifen, gefühllos gewordenen Finger bekamen es nicht in den Griff. So schlitterte er inmitten einer grollenden Steinlawine den Hang hinunter. Die rasante Abwärtsfahrt endete unvermittelt in einem dichten Gestrüpp. Keuchend blieb Franco liegen. Es war kalt, aber sein Körper hatte sich mit Schweiß bedeckt. Hart hämmerte das Herz gegen die Rippen. Er blieb liegen, bis er seine Hände und die Beine wieder spürte, obwohl die Arme jetzt unkontrollierbar zitterten. Unbeholfen löste er die Lampe von seinem Anorak. Er sah zuerst nach oben, ehe er sie anknipste und ihren Strahl über die Geröllhalde wandern ließ. Das Ende des Seils hatte er bei seiner Talfahrt verloren, doch als er es jetzt nur wenige Schritte von seinem Standort entfernt herabbaumeln sah, kroch er hinüber und schlang das lose Ende um seine Hüfte. Er packte das Seil, zog es straff, dann bewegte er sich mit kurzen Sprüngen, am Seil hängend und sich mit den Füßen immer wieder abstoßend, über das Geröll. Er leuchtete das Gestein ab, wobei er den Streifen gleichzeitig sorgfältig absuchte. Dabei arbeitete er sich in Schlangenlinien -39-
auf das dichte Gestrüpp zu. Als er auf dem Geröll keine Spuren entdecken konnte, drang er in das Unterholz ein. Er stöberte einige Tiere auf, die protestierend die Flucht ergriffen. Die Äste, die Zweige und das trockene Laub warfen tanzende Schatten. Schon nach wenigen Zoll versickerte das Licht, es herrschte wieder undurchdringliche Finsternis. Franco glaubte schon, den Abstieg umsonst unternommen zu haben, als ein helles Blitzen seine Augen erreichte. Der Kegel der Taschenlampe war über eine glatte, spiegelnde Fläche gestrichen. Franco ließ den Strahl zurückwandern, und er hielt inne, als es im Licht grellmetallisch aufleuchtete. Er wühlte sich durch das Gestrüpp und kniete neben dem Gegenstand nieder, der das Licht blitzend reflektierte. Was das Licht zurückwarf, war der Verschluß einer doppelläufigen Bockbüchsflinte. Das matte, brünierte Metall der Läufe glänzte ölig. Franco erkannte die Waffe sofort wieder. Sie gehörte Nat Keller. Franco berührte sie nicht. Er wühlte sich tiefer in das Unterholz. Er brauchte nicht lange zu suchen. Er fand Nat Keller nicht weit von der Stelle entfernt, wo das Gewehr aufgeschlagen war. Stumm hockte er neben der Leiche und leuchtete das im Tode erstarrte Gesicht an.
* Schließlich drückte er die Lider über die gebrochenen Augen. Der Schädel war beim Absturz zertrümmert worden. Nackenwirbel, die rechte Schulter und beide Arme schienen -40-
mehrfach gebrochen zu sein. Die Umgebung der Aufschlagstelle war voller Blut. Das Blut glänzte noch, der Körper war noch warm. Nat Keller hatte etwas getrunken. Das würden die Zeugen später zu Protokoll geben. Dann war Keller auf die Idee gekommen, durch die Nacht zu streifen. Weil er das Gelände noch nicht kannte, er hatte es nicht einmal bei Tageslicht erkunden können, weil er erst gegen Abend im Camp eingetroffen war, hatte er das Geländer zu spät gesehen. Er hatte den Halt verloren und war in die Tie fe gestürzt. So etwa würde die Begründung des Leichenbeschauers lauten, wenn er sein Urteil fällte - Tod durch Unfall. Nur Franco wußte es besser. Keller kannte die Berge nicht. Er hatte Franco gegenüber zu verstehen gegeben, daß ihn die Fahrt herauf ins Camp mitgenommen hatte. Und Franco hatte sogar einen Beweis dafür, daß Keller ermordet worden war. Der Mörder hatte das Holzscheit von der Tür genommen und weggestellt. Es war ein dumpfer Zorn, der Francos Brust wie mit einer Klammer zusammenschnürte. Warum? fragte er sich. Warum hatte Nat Keller sterben müssen? Hatte der Mörder ihn vielleicht mit Franco verwechselt, als er in den Schuppen eindrang und den ahnungslos Schlafenden mit dem Griff einer Pistole bewußtlos schlug? Unsinn, dachte Franco. Spätestens als er sein Opfer ankleidete, um die Vorspiegelung eines Unfalls perfekt zu machen, müßte er seinen Irrtum erkannt haben. Franco tastete Kellers Hüfte ab. Die Pistole steckte in der Halfter. Franco öffnete den Anorak und untersuchte die Taschen. Alles stimmte. Der Mörder hatte nichts vergessen. Die Kleidung, die Pistole, die zweifellos auf Keller registriert war, und selbst das Gewehr, ohne das ein Mann in den Bergen selten, und bei Nacht schon gar nicht, unterwegs war, lag in der Nähe. -41-
Er fand Kellers schmale Brieftasche in einem schwer zugänglichen Fach des Anoraks. Im Schein der Taschenlampe untersuchte er ihren Inhalt. Er fand dreihundert Dollar in bar, mehrere Kreditkarten auf den Namen Frederic Random und ein Etui. Er klappte es auf. Auf der einen Seite steckte ein Bronzeabzeichen unter einem durchsichtigen Plastikstreifen. US Government stand auf dem Stern. Auf der anderen Seite steckte eine Ausweiskarte aus elastischem, nahezu unzerstörbarem Material, in das ein Foto des Toten eingebettet war. Darunter stand wieder der Name Frederic Random. Der kleingedruckte Text neben dem Foto verschleierte die Funktion des Ausweisinhabers eher, als daß seine Tätigkeit deutlich bezeichnete: „Der Inhaber dieses Ausweises führt Ermittlungen im Auftrag der Bundesregierung durch. Alle US-Behörden sind gehalten, ihn bei der Erfüllung seiner Aufgabe mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu unterstützen." Den Schluß bildeten ein Siegel sowie eine Postleitzahl und eine Postfachnummer. Franco kannte die Bedeutung dieser Zahlen. Sie bezeichneten das Pentagon. Keller-Random hatte für den Abschirmdienst des Verteidigungsministeriums gearbeitet. Sie hatten ihn direkt in sein Verderben laufen lassen. Sie hatten zu spät geschaltet. Sie hatten sich nicht mit dem Justizministerium abgestimmt, und sie hatten ihren Mann nicht genug auf seinen Einsatz vorbereitet. Ein Mann wie KellerRandom kannte sich vielleicht mit Spionen und Saboteuren aus, vielleicht hatte er Erfolge in der Terrorbekämpfung zu verzeichnen. Hier war er jedoch auf einen Gegner gestoßen, dessen Entschlossenheit und Grausamkeit er unterschätzt hatte. Die ewig mißtrauischen Mafiosi hatten ihn sofort durchschaut, weil er die Spielregeln nicht kannte. -42-
Aber diejenigen, die ihn losgeschickt hatten, hätten es wissen müssen. Franco suchte seine Taschen nach Zigaretten ab. Er hatte keine mitgenommen. Aber in Kellers Anorak steckte eine Packung. Franco holte sie heraus. Er rauchte die Zigarette hinter der hohlen Hand. Seine Finger zitterten noch. Wenn er es doch gewußt hätte, dachte er verzweifelt ... Ja, was wäre dann gewesen? Hätte er den Babysitter für ihn spielen sollen? Franco fluchte verhalten, verstummte sogleich wieder, als ihm die Anwesenheit des Toten bewußt wurde. Wer hatte ihn getötet? Tibor Durrance schied aus, ebenso Harrigan und natürlich auch Julie. Stark war kein Mann der Tat, ihm schien auch jedes Motiv zu fehlen. Claude Couraut kam ebenfalls nicht in Frage. Der Drehbuchautor war echt. Rathbone kannte ihn. Leoni war das Schwein, das Keller-Random getötet hatte. Ohne zu zögern. Vermutlich verfügte Leoni über einen Empfänger, über den er seine Anweisungen bekam. Franco hatte Nick Leoni beobachtet. Er hatte diesen Mann nicht für einen Killer gehalten. Wahrscheinlich hatte Franco mit dieser Einschätzung auch recht, obwohl die Leiche am Fuß der Klippe das Gegenteil zu beweisen schien. Franco war jedoch sicher, daß Nick Leoni ursprünglich nur einen Auftrag gehabt hatte - Tibor Durrance nicht aus den Augen zu lassen. Der Mord an dem Abwehrmann aus Washington stellte eine Sondermaßnahme dar. Die Gegenseite hätte so schnell keinen Profi heraufschicken können, wenn sie keinen Verdacht erregen wollte. Für Leoni dagegen konnte die Gelegenheit nicht günstiger sein. Einen Unfall zu arrangieren stellte einen entschlossenen Mann hier oben vor keine unüberwindlichen Probleme. Sie schalteten so verdammt schnell und prompt ... Dabei schien Kellers Tod überflüssig gewesen zu sein, denn -43-
Durrance hatte bereits erklärt, daß er die Verträge und die endgültigen Verhandlungen nicht mehr behandeln würde. Tief atmete Franco den Rauch ein, bis sich seine Nerven beruhigten und die Gedanken sich klärten. Der erste Zorn war unvernünftig. Niemandem war geholfen, wenn er, Franco, jetzt mit Leoni abrechnete. Und mehr noch - er durfte niemandem mitteilen, daß er Keller gefunden hatte. Keller mußte hier liegenbleiben, bis andere ihn vermißten und eine Suchaktion starteten. Denn Nat Keller gehörte nicht zu Francos Gruppe. Er war auf eigene Faust ins Bergcamp gekommen. Es war hart, aber nicht zu ändern. Keller ging Franco nichts an. Franco hatte seinen Job, und nichts durfte die Aufgabe gefährden. Franco drückte die Zigarette sorgfältig aus. Er blies die Asche fort und schob die Kippe unter losen Schutt. Dann verwischte er alle Spuren, die er hinterlassen hatte, und er wischte auch seine Fingerprints von der Brieftasche, die er daraufhin wieder in Kellers - oder Randoms - Anorak verstaute. Er sah auf die Uhr, und er erschrak, als er sah, daß die Nacht schon bald vorüber war. Dann machte er sich an den mühseligen Aufstieg. Als er das Plateau erreichte, war er zu Tode erschöpft. Blutrot erschien die Sonne über einem Felseneinschnitt im Osten und übergoß die Berge mit ihrem kalten Licht.
* Der Helicopter kam nach dem Lunch herauf. Fairchild-Hiller nur vier Passagiere faßte, mußte er fliegen, um alle Mitglieder aus Francos Gruppe Ausrüstung zur Ranch zu bringen. Franco half dem Piloten, das Gepäck zu verladen. -44-
Da der zweimal und die Für den
ersten Flug teilte er Durrance, Couraut und Julie ein. Er selbst flog eine Stunde später zusammen mit Stark und Leoni. Sie hockten in der engen Kabine auf ihren Rucksäcken, sahen aneinander vorbei. Die Maschine hob ab. Der Pickup, in dem Nat Keller heraufgekommen war, wurde rasch kleiner. Urplötzlich, es war ein atemberaubender Moment, schien das Land unter der Kanzel jäh abzusacken, als der Pilot die Maschine über die Felskante steuerte. Der FH 1100 schwebte über der tiefen Schlucht, auf deren Grund der Geheimagent des Pentagon mit zerschmetterten Knochen lag. Niemand hatte nach ihm gefragt. Außer Couraut. Franco hatte die Schultern gehoben, und Tom Harrigan hatte sich eingeschaltet und die Version wiederholt, die er von Nick Leoni hatte. Leoni hatte geschwiegen. Leoni hockte Franco gegenüber. Franco sah den Mann an. Leonis papierdünne Lider waren halb über die leicht hervorquellenden Augen gesunken. Die Hände, sie wirkten durch die kurzen Finger etwas plump, hingen zwischen den Knien herab. Die Haut war gelblich und mit braunen Flecken übersät, zwischen denen die geschwollenen Adern deutlich zu erkennen waren. Nick Leoni bemerkte Francos forschenden Blick. Er leckte sich die spröden Lippen und setzte zu einer Frage an, die jedoch im Lärm der Rotoren unterging. Der Hubschrauber folgte knatternd dem Verlauf der tiefen Schlucht und schwebte dann an der Ostflanke des Trapper Peak abwärts. Schroffe, wie Obsidian glänzende Felsen glitten an der gläsernen Kanzel vorbei. „Tolle Landschaft!" schrie Leoni. Stark nickte, erleichtert, daß überhaupt jemand das lastende Schweigen durchbrach. Franco sah nach draußen. Der Haß auf den Mörder schnürte ihm die Kehle zu. Er konnte seinen -45-
Anblick nicht mehr ertragen. Tief unter der Kanzel öffnete sich das Land. Dunkle Kiefernwälder bedeckten die Hänge und füllten Täler und Schluchten. Nur hier und da schnitten schmale Wege in die Wälder oder ragten die wuchtigen Beobachtungskanzeln der Feuertürme über die Gipfel. In einem weiten Tal, das von einem glitzernden, glasklaren 'Fluß in zwei gleiche Teile zerschnitten wurde, lag die Blue Sky Ranch of Montana wie ein Juwel auf heller grüner Seide. Die Flächen der beiden Swimmingpools schimmerten wie Saphire im grünen Gras. Selbst aus dieser Höhe konnte Franco die schlanken Körper der Mädchen erkennen, die wie Delphine durch das klare Wasser glitten und sich den Männern zur Schau stellten, die am Rand standen und sich die Gefährtinnen für das Dinner und die Stunden danach aussuchten. Einer der Pools konnte bei schlechtem Wetter innerhalb weniger Minuten in eine heizbare Halle mit gläserner Kuppel verwandelt werden. Am Südende des Tals tummelten sich die Pferde in ihren Koppeln. Beaufsichtigt von mehreren Cowboys, die eigentlich ausgebildete Reitlehrer waren und gleichzeitig Gäste, die Lust zum Reiten hatten, betreuten. Mehrere Reiter galoppierten durch die Bahn. Eine andere Gruppe kehrte von einem Tagesausflug zurück. Die Pferde durchquerten gerade den Fluß. Es war eine bildschöne Anlage. Das Hauptgebäude war im Ranchstil errichtet. Es bestand aus mächtigen Fichtenstämmen und war von den Gästehäusern, den Werkstatt- und Freizeithütten umgeben. Es bildete ein nach Westen hin offenes Hufeisen. In dem Innenhof, der bei schlechtem Wetter ebenfalls mit einer gläsernen Kuppel überdacht werden konnte, standen mehrere gemauerte Grillplätze und ein überdimensionaler Kamin. Der Südflügel war als stilechter Saloon eingerichtet -46-
mit Mahagonibar und Spielräumen, in denen abends und nachts hohe Beträge umgesetzt wurden. Auf einem schlanken Turm drehte sich ein Windrad in der frischen Brise, die durch das Tal strich. Die Gästeapartments lagen in insgesamt acht zweigeschossigen Blockhütten mit jeweils zwölf abgeschlossenen Apartments, die mit allem Komfort eingerichtet waren. Die Girls, offiziell fungierten sie als Gesellschafterinnen, wohnten im Nordflügel des Haupthauses. Sie verfügten dort über zwei eigene Ausgänge, so daß diskrete Begegnungen zu nahezu jeder Tagesund Nachtzeit möglich waren. Die Sportanlagen befanden sich fast ausnahmslos auf der Ostseite des Tals. Es gab sechs Tennisplätze, eine Go-KartBahn, den Rodeoplatz, den Betonkasten für das Squash-Spiel, einen Schießstand und andere, vielseitig nutzbare Anlagen. Ja, und natürlich, auf künstlich angelegten Hügeln, einen Golfplatz mit achtzehn Löchern. Der Helicopter stieß herab. Minuten später setzte die Maschine sanft auf dem betonierten Platz nördlich des Haupthauses auf. Ein Pickup mit offener Ladefläche fegte von den Garagen her auf den Landeplatz zu, wo er den knallroten Dodge mit der großen Fahrer- und Personenkabine hart zum Stehen brachte. Ein Mann, der wie fast alle Angestellten der Ranch wie ein Cowboy gekleidet war, sprang heraus und rannte geduckt unter den noch wirbelnden Rotorblättern her. Er öffnete die Kabinentür, spähte grinsend herein und reichte dem ersten Passagier die Hand. Es war Nick Leoni. Leoni sprang aus der Kabine. Er deutete auf seinen Rucksack, dann ging er einfach davon. Der Cowboy würde ihm das Gepäck in sein Apartment stellen. Allan Stark lächelte Franco verlegen an, als er heraussprang. „Tut mir irgend wie leid", sagte er. „Ich wäre gern noch ein paar -47-
Tage oben geblieben. Und Julie ebenfalls. Aber so ist er nun mal." Er verzog das Gesicht. Franco lächelte mechanisch. Du falscher Hund, dachte er. Er sah hinter Leoni her, der im Haupthaus verschwand. Dort gab es nicht nur die gutsortierte Bar, sondern auch mehrere Münztelefone, die Franco für seine Zwecke jedoch nicht als sicher betrachtete. Wenn die Mafia diese Ranch als Verhandlungsort ausgesucht hatte, dann hatte sie auch dafür gesorgt, daß die Telefonleitungen überwacht werden konnten. Schon vorgestern hatte Franco aus der Luft mehrere Campmobile an der Straße von Conner herauf gesehen, und eins stand sogar unter einem überhängenden Felsen, nur drei Meilen von der Ranch entfernt. Franco wartete, bis Lennie, so hieß der Bursche in der Cowboykluft, alles Gepäck auf den Pickup geladen hatte, dann wandte er sich dem Piloten zu. „Danke, Sid", sagte er. Der Pilot nahm die Sonnenbrille ab und starrte Franco verwundert an. „Was hast du gesagt?" erkundigte er sich. „Danke. Sagt man das etwa nicht unter euch Luftkutschern?" „Ich hör's nur so selten", seufzte Sid. „Und dann ausgerechnet von einem Makkaroni!" Franco lächelte flüchtig, als er sich neben Lennie auf die vordere Bank schwang. Allan Stark war hinten eingestiegen. „Rathbone will dich sprechen", sagte Lennie zu Franco. Er gab dem Wagen die Sporen, raste das kurze Stück auf das Haupthaus zu, wo er hart bremste und Franco aussteigen ließ. Mit gemischten Gefühlen betrat Franco das Haus. Er durchquerte die Halle. Er kam an dem Gang vorbei, an dem die Telefonkabinen lagen. Wider Erwarten waren sie leer. Franco konnte einen Blick in die Bar werfen, wo trotz der frühen Stunde kaum ein Platz an der langen Theke frei war. Nick Leoni hielt ein kleines Glas in der Hand. Er schnupperte an der öliggelben Flüssigkeit, dann kippte er den Drink in seinen -48-
Mund. Er stellte das Glas auf die Theke und bedeutete dem Mixer, es neu zu füllen. Vielleicht war es sein erster Mord, dachte Franco. Wenn du ihn vergessen willst, mußt du dich zu Tode saufen. Tibor Durrance und Julie konnte er nicht entdecken. An ihrer Stelle bemerkte er mehrere neue Gesichter. Einige von ihnen gefielen Franco ganz und gar nicht. Franco Solo lief die breite Treppe zur oberen Galerie hinauf, wo Rathbones Office im Zwischengeschoß über der Halle lag.
* Rathbone hockte hinter seinem Schreibtisch, dessen Platte mit Büffelleder überzogen war. Rathbone blickte nicht auf, als Franco die Tür hinter sich ins Schloß drückte. Der Raum verfügte über zwei Fenster. Eins ging nach Süden, das andere nach Osten. Auf dem Rodeo-Platz führten einige Reiter ihre verwegenen Kunststücke vor. Durch das Südfenster konnte Franco die eisbedeckten Grate des Trapper Peak unter dem klaren blauen Himmel erkennen. „Guten Tag, Mr. Rathbone", sagte er. Der Besitzer der Blue Sky blickte auf. Er hatte einen eiförmigen Schädel mit spiegelnder Glatze und abstehenden Ohren. Er trug ein buntgewürfeltes Cowboyhemd und enge Jeans, deren Röhrenbeine in handgearbeiteten hochhackigen Reitstiefeln steckten. Von den anderen Angestellten der Blue Sky wußte Franco, daß Rathbone noch nie auf einem Pferd gesessen hatte. Mit einer ärgerlichen Handbewegung schob Rathbone die Papiere zur Seite. Er starrte Franco aus wäßrigen Augen an, blickte zu dem Kurzwellenempfänger hinüber, der empfangsbereit in einem offenen Regal stand. -49-
„Was war da oben los? Mr. Durrance äußerte sich sehr ungehalten." „Es war ihm zu anstrengend da oben. Und wahrscheinlich auch zu langweilig", antwortete Franco. „Ich habe es anders verstanden", schnappte Rathbone. „So?" „Mr. Durrance hat sich über Sie beschwert. Sie seien nicht auf seine Wünsche eingegangen. Rosso, ich habe Ihnen ..." „Hat er gesagt, welche Wünsche das waren?" „Nein, das spielt auch keine Rolle." „Ich sollte ein Dickhornschaf abschießen", sagte Franco trotzdem. Rathbone sah seinen „Bergführer" lauernd an. „Und? Haben Sie's getan?" „Wenn ich's getan hätte, könnte es Sie die Lizenz kosten, Mr. Rathbone. Die Ranch befindet sich mitten in einem Naturpark. Ich habe nicht getroffen." „Das war vielleicht richtig, vielleicht unklug. Männer wie Mr. Durrance sind ganz besondere Gäste. Mr. Durrance hat erklärt, daß er vorzeitig abreisen werde. Das bedeutet einen großen Verlust für die Ranch. Soll ich Ihnen den Betrag nennen, Rosso?" „Sie können ihn von meiner Gage abziehen, Mr. Rathbone." Durrance reiste nicht ab, weil Franco das Dickhornschaf verfehlt hatte. Franco kannte den wahren Grund. Durrance wollte sich nicht vor den Karren der Mafia spannen lassen. Doch das konnte er Rathbone natürlich nicht verraten. „Oder wollen Sie mich feuern?" fragte Franco, als Rathbone höhnisch grinste. Rathbones Gesicht rötete sich ein wenig. Das Blut überschwemmte die Haut unter der Glatze und fiel dann in die abstehenden Ohren. Er zog die Oberlippe hoch und krauste die Nase wie ein gereizter Hund. -50-
„Morgen fliegen Sie mit einer neuen Dreiergruppe ins Bergcamp. Zwei Herren und eine Dame. Die Leute sind nicht sehr bergerfahren. Riskieren Sie also nichts, aber vermitteln Sie den Gästen die Illusion, als ob sie irgend etwas Schwieriges, Gefahrvolles vollbringen." „Ja, Sir", sagte Franco. Er sah Rathbone an, der sich wieder mit seinen Papieren zu beschäftigen begann. Er drehte sich um und ging zur Tür. Er war entlassen. Vielleicht konnte er einen Wagen nehmen und nach Gönner fahren. Er mußte Colonel Warner sprechen. Ihn informieren. Und er, Franco, mußte wissen, wer Nick Leoni in Wirklichkeit war. „Ach, Rosso!" rief Rathbone. Franco hatte bereits den Türgriff in der Hand. Er blickte über die Schulter zurück. „Sie könnten sich beim Dinner schon mit den Herrschaften bekanntmachen." „Ja, Sir", sagte Franco. Aus war es mit dem schnellen Trip nach Conner. „Und noch etwas - was macht Mr. Keller? Kommt er zurecht?" „Ich hoffe es, Sir. Sie hätten ihn nicht allein heraufkommen lassen sollen." „Was wollen Sie damit sagen?" fragte Rathbone flach. Die Muskeln an seinem Hals spannten sich. „Er hat eine Nachtwanderung unternommen." „Ja, und?" „Er ist ein Greenhorn, Mr. Rathbone." „Das zu beurteilen ist wohl nicht Ihre Sache, Rosso! Er kommt also zurecht. Mehr wollte ich nicht wissen." „Das habe ich nicht gesagt, Mr. Rathbone. Ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Ich weiß nur von Tom, daß er eine Nachtwanderung unternehmen wollte." Rathbone stülpte die Unterlippe vor, lutschte sie dann zwischen seinen Zähnen. Die wäßrigen Augen bekamen einen -51-
unruhigen Ausdruck. Wenn Keller-Random sich dem Besitzer der Blue Sky gegenüber ausgewiesen hatte, bekam Rathbone jetzt das große Muffenklappern. Wenn der Geheimagent sich zu erkennen gegeben hatte, und daran zweifelte Franco nicht, weil Rathbone ihm sonst den Wagen nicht überlassen hätte, konnte dem Eierkopf Kellers Interesse an den Gästen und den Angestellten, die noch nicht lange auf der Ranch beschäftigt waren - was nur für Franco zutraf - nicht entgangen sein. Der alte Geier befand sich jetzt in der Klemme. Keller-Random hatte sich garantiert eingehend nach dem angeblichen Bergführer erkundigt. Und jetzt war er überfällig, der Bergführer stand etwas abgespannt vor seinem Boß. „Noch etwas, Sir?" erkundigte sich Franco. Rathbones Gesicht spannte sich. „Nachtwanderung, sagten Sie? Wann ist er aufgebrochen?" „Das weiß ich nicht. Da müssen Sie Tom Harrigan fragen. Ich hatte mit meinem Haufen genug zu tun! Ein aufgeblasener Politiker, ein schwuler Serienschreiber ..." „Es ist gut, Rosso, ja? Okay, okay, Keller wollte unbedingt auf eigene Faust in die Berge. Gut, gut, Sie können nichts dafür. Aber so, wie ich die Sache sehe, ist er überfällig, oder sind Sie anderer Ansicht?" „Nein, Sir. Aber vielleicht ist er inzwischen wieder aufgetaucht", meinte Franco. „Rufen Sie Tom an!" Rathbone deutete auf das Funkgerät. Franco stellte es auf die Frequenz des Bergcamps ein. Nach einer Weile hörte er Tom. „Was is'n los?" fragte der Schotte verdrossen. „Ist Keller wieder da?" „Nein, Joe. Ich mache mir Sorgen ..." Rathbone sprang auf. Er trat neben Franco und riß ihm das Mikrofon aus der Hand. „Tom! Wo, zum Teufel, kann er -52-
stecken?" „Ich weiß es nicht, Mr. Rathbone." „Ist der Wagen da?" „Ja, Sir, der Wagen steht vorm Haus." „Hat Mr. Keller eine Ausrüstung bei sich?" „Ja, das heißt, ich glaube es wenigstens ..." „Ja, zum Teufel!" brüllte Rathbone. „Weißt du es denn nicht?" „Nicht genau, Sir. Leoni hat ihn zuletzt gesehen." „Tom, sag mir sofort Bescheid, wenn er wieder auftaucht. Sofort, hörst du?" „Ja, Sir. Ich kann ihn ja suchen ..." „Auf keinen Fall!" Rathbone sah aus dem Fenster. Blaue, durchsichtige Schatten sickerten ins Tal. „Heute hat es keinen Zweck mehr. Bevor ich morgen die neue Gruppe hinauflasse, schicke ich einen Suchtrupp." Er sah an Franco vorbei. Er traute ihm nicht. Franco hatte einen heimlichen Blick ins Gästebuch geworfen. Ihm war eine Diskrepanz aufgefallen in den Informationen, die er über Leoni besaß. Er hatte gehört, daß Leoni aus Indiana stammte. Unterwegs, während des gestrigen Trips, hatte Leoni dem Drehbuchautor erzählt, er sei der Manager einer Fleischwarenfabrik in Chicago. Chicago lag jedoch im Staate Illinois. Die Eintragung im Gästebuch klärte den scheinbaren Widerspruch. Als Wohnort Leonis war hier Hammond, Chicago East. angegeben, und Ost-Chicago lag im Nachbarstaat Indiana. „Sie sollten Leoni fragen, ob Keller eine vollständige Ausrüstung bei sich hatte", schlug Franco vor. „Das werde ich auch tun", versicherte Rathbone grimmig. „Ganz bestimmt." Er starrte aus dem Fenster in die schroffen Berge. -53-
„War Mr. Leoni schon mal hier?" erkundigte sich Franco beiläufig. Rathbone lachte bellend auf. „Er kommt hierher, seit es die Blue Sky gibt! Seit zehn Jahren ..." Seit zehn Jahren ... Franco schluckte. War er einem Hirngespinst zum Opfer gefallen? „In diesem Jahr ist er sogar schon zum zweitenmal hier. Sonst kommt er immer im Frühjahr ..." Das war die Erklärung. Leoni war Mafioso, daran gab es für Franco keinen Zweifel. Er hatte es innerhalb des Verbrechersyndikats zu einem angesehenen Posten gebracht. Er managte eine Fleischwarenfabrik. Er besaß vermutlich ein hübsches Haus und eine weniger hübsche Frau, ein paar gut erzogene Kinder. Aber er schuldete der Ehrenwerten Gesellschaft noch einen Gefallen. Irgendwann bekam jeder die Rechnung. Irgendein großer Capo hatte Nick Leoni in der Hand. Als in der Commissione nun das große, das ganz große Geschäft diskutiert wurde, erinnerte sich dieser Capo an einen Burschen namens Leoni, der Stammgast in einer einsam gelegenen Gästeranch in den Bergen Montanas war. So also war man auf die Blue Sky gekommen ... Und als dann ein Regierungsagent auf der Bildfläche erschien, hatte Leoni einen Mordauftrag bekommen. Und ihn auch ausgeführt. Francos Mund war trocken. Es wäre interessant zu erfahren, wie viele „Freunde" Nick Leonis sich auf der Ranch aufhielten. Aber er konnte den Glatzkopf schlecht danach fragen, ohne dessen Argwohn weiter anzufachen. „Ist noch was?" drang Rathbones Stimme in Francos Hirn. „He, Rosso, träumen Sie?" -54-
„Nein, Sir, ich träume nicht", sagte Franco leise. Er ging hinaus.
* Draußen stieß er auf Julie. Unter dem breit ausladenden Dach der Veranda hatte sie ihre Kamera auf einem Stativ aufgebaut. Sie stand gebückt da, das Hinterteil herausgestreckt, und peilte durch den Sucher den Trapper Peak an, der im rötlichen Schein der Abendsonne leuchtete. „Ein schöner Anblick", sagte Franco aufrichtig, und er meinte nicht nur das runde Hinterteil der Psychologin. Sie betätigte gelassen den Auslöser, ehe sie sich aufrichtete und Franco ansah. Ihre Augen funkelten, und sie hatte das Kinn angriffslustig vorgeschoben. „Ich glaube, Sie sind doch ein Mann, der andere Menschen belauert. Gestern haben Sie an der Hütte gelauscht, jetzt schleichen Sie sich an mich heran wie ein Indianer ..." Franco sah sich beunruhigt um. Zwei Männer kamen gerade an ihm vorbei. Burschen, die sich nicht für Julie interessierten. Was sie in Francos Augen verdächtig machte. Männer, die an einen Job zu denken schienen. Sie verschwanden im Haus. Franco spürte, wie ein dünner Schweißfilm auf seiner Stirn erschien. „Sie sehen nicht gut aus", stellte Julie fest. Sie betrachtete ihn sehr aufmerksam. Franco brachte ein Grinsen zustande. „Ich habe letzte Nacht kaum geschlafen", sagte er, was noch eine Übertreibung darstellte. „War es so aufregend ..." Sie verstummte rasch, als sie die -55-
stumme Warnung in seinen Augen erkannte. „Wir sehen uns sicher noch", sagte er kühl und ging an ihr vorbei. Franco bewohnte ein winziges Apartment in einem Doppelbungalow südlich des Ranchhauses. Es lag unter dem Dach, verfügte immerhin über ein Bad und einen kleinen Balkon, von dem aus er den Trapper Peak und das Tal des Great Rock Creek einsehen konnte. Lennie hatte den Rucksack und die Reisetasche in den Vorraum gestellt. Franco holte die Luger aus dem Geheimfach der Reisetasche. Er schob sie unter das Kopfkissen seines Bettes, ehe er sich auszog und sich unter die Dusche stellte. Er drehte das heiße Wasser auf, wartete, bis seine Haut dampfte und sich rötete, dann schreckte er sich mit kaltem Wasser ab. Er fühlte sich jetzt etwas frischer. Frisch genug, um den kleinen Mehrkanalempfänger betriebsbereit zu machen. Mit diesem Gerät konnte er die Abhörgeräte in den verschiedenen Apartments über ein Funksignal einschalten und die Räume abhören. Er vergewisserte sich noch einmal, daß die Tür zum Flur verschlossen war, und nachdem er sein eigenes Apartment mit einem Panoramaempfänger nach verbogenen Lauscheinrichtungen abgesucht hatte, setzte er die Sende- und Empfangskombination in Betrieb. Nacheinander lauschte er in die verschiedenen Räume hinein, die er mit seinen Wanzen gespickt hatte. Durrance, Stark und Julie bewohnten das ganze Obergeschoß einer der geräumigeren Blockhütten östlich des Haupthauses, unmittelbar vor dem großen Swimmingpool. Franco hatte je eine Wanze in Durrances, Starks und Leonis Apartment versteckt, außerdem hatte er vier weitere Räume, deren Bewohner ihm irgendwie bemerkenswert vorgekommen waren, in die elektronische Überwachung einbezogen. -56-
Nacheinander ging er auf die verschiedenen Frequenzen. Aus einem Apartment hörte er eine Frau, die ununterbrochen mit schriller Stimme auf jemanden einredete. Die Frau beklagte sich bei einem offenbar stummen Zuhörer, daß er sie gegen ihren Willen in diese Wildnis verschleppt habe und daß sie doch besser nach Reno oder Las Vegas gefahren wären, wie sie es immer vorgeschlagen hätte. Franco beschloß, dieses Apartment zu vergessen. Der ursprüngliche Gast schien ausgezogen zu sein. In Leonis Quartier herrschte Stille. Aber der Mörder war da. Franco konnte ihn atmen hören. Sender und Empfänger waren außerordentlich empfindlich. Stark hämmerte auf einer Schreibmaschine. Tibor Durrance telefonierte mit seiner Kanzlei in Topeka. Er beauftragte einen seiner Angestellten, ihm Flugtickets nach Washington zu besorgen und Termine mit dem Staatssekretär im Department of Justice sowie mit einem hohen Beamten des Pentagon und dem Vorsitzenden des Rüstungsausschusses zu machen und danach die Abflugzeit in das Open-Flight-Ticket zu setzen. Durrance machte also Ernst. Er stieg aus. Franco legte sich auf sein Bett. Er spürte jetzt die Müdigkeit in allen Knochen. In der vergangenen Nacht hatte er keine Minute geschlafen. Statt dessen war er zweihundert Fuß tief in eine Wand hinabgestiegen und wieder hinaufgeklettert. Er ließ den Empfänger auf die Frequenz der Wanze im Zimmer des Politikers stehen und behielt den Hörer im Ohr. Im Unterbewußtsein nahm er die Geräusche aus dem einhundertzwanzig Yards entfernten Apartment wahr. Er schlief ein. Die Schatten krochen aus den Ecken und füllten den Ra um. Franco entspannte sich, auch wenn seine Sinne eine Reihe von Eindrücken verarbeiteten, indem sie alles Unwichtige -57-
aussortierten. Franco schoß erst mit einem Satz aus dem Bett, als der Schrei in seinem Ohr explodierte. Er riß das Empfangsgerät vom Nachttisch und schnellte ans Fenster.
* Hell leuchteten die Umrisse der Fenster und bezeichneten die Lage der verschiedenen Blockhütten. Das Eis des Trapper Peak schimmerte silbern vor dem samtenen Himmel. Franco preßte den kleinen Hörer fester in sein Ohr. Er hatte zuerst einen Ruf und dann den lauten Schrei gehört. Jetzt herrschte Stille. Was war dem Schrei vorangegangen? Francos Hirn hatte alle Geräusche gespeichert. Während er sich in fliegender Eile anzog, ließ er die verschiedenen Eindrücke noch einmal an seinem inneren Ohr vorbeiziehen. „... es dauert nur ein paar Minuten, Julie, kommen Sie doch eben mal herüber ..." Durrance, der ins Telefon sprach. Julie schien zu zögern. „Bitte", drängte der Politiker. „Ich habe mir die Fotos für die Plakate angesehen. Ich möchte Ihre Meinung hören ..." Durrance hatte den Hörer aufgelegt. Was war dann geschehen? Danach hatte er einen erstaunten Ruf und danach den Schrei gehört, der rasch erstickte. Wie unter einer Hand, die sich auf einen Mund legte. Wo war Julie? War sie schon in Durrances Apartment? Franco schlüpfte in die Turnschuhe. Er schaltete den Empfänger nacheinander auf die anderen Kanäle. In Leonis Apartment rauschte die Dusche. Die Frau sprach immer noch mit schriller Stimme auf -58-
jemanden ein, der hin und wieder matte Grunzlaute ausstieß. In Allan Starks Zimmer lärmte der Fernseher. Franco schaltete zu Tibors Apartment zurück. Wasser rauschte. Franco stutzte. Wieso badete der Politiker, wenn er seine Wahlkampfmanagerin erwartete? Franco riß den Hörer aus seinem Ohr. Er schnappte die Luger, sprang zur Tür. Dort besann er sich. In dieser Hütte waren außer ihm noch mehrere Angestellte der Ranch untergebracht. Sportlehrer und Trainer. Zwei von ihnen hörte er im Flur miteinander reden. Franco öffnete die Fenstertür des Balkons. Er trat hinaus. Sein Kopf berührte beinahe das tiefhängende Dach. Er trat ans Geländer, sah hinunter. Die Luger hatte er bereits unter dem Pullover im Hosenbund verstaut. Er packte jetzt das Geländer. Entschlossen flankte er hinüber. Er fiel, landete im weichen Gras, federte den Aufprall ab, jagte sofort los. Ein dunkler Schatten. Wie ein Puma, der eine Gazelle verfolgte. Deutlich sichtbar lag das Haus, in dem Durrance und seine beiden Begleiter untergebracht waren, vor dem lichtüberfluteten Geländer mit den beiden Swimmingpools. Er hörte das fröhliche Lachen der Girls, aufspritzendes Wasser, wenn ein Körper hineinklatschte. Vom Patio des Ranchhauses wehte würziger Fleischduft herüber. Franco hatte nicht auf die Uhr gesehen. Er schätzte, daß es ha lb zehn war, vielleicht etwas später. Das Barbecue begann abends erst um zehn. Wer früher Hunger bekam, konnte sich an der Bar oder in der Halle oder auch in seinem Apartment jederzeit einen Imbiß servieren lassen. Franco steuerte die Südseite der Hütte an, die im Schatten lag. Er sah die hellen Rechtecke der Fenster im Obergeschoß und den Umriß des schmalen umlaufenden Balkons. Die Fenstertür zum Apartment des Politikers war geschlossen, -59-
die Jalousie herabgelassen. Franco kletterte auf den Holzstapel unter dem Balkon. Seine Hände suchten noch nach einem Halt an der Regenrinne oder an der Hausecke, da hörte er das Krachen einer zuschlagenden Tür, einen gellenden Schrei und einen heftigen Fall. Der Schrei riß jäh ab.
* Julie Conrads Füße versanken in dem weic hen Teppich, der den Flur bedeckte. Am Ende des Ganges hing der präparierte Kopf eines Braunbären an der Wand. Julie sah dem Vieh in die Glasaugen und schnitt ihm eine Fratze. Die Grimasse galt Tibor Durrance. Der Anruf des Politikers hatte sie im unpassendsten Moment erreicht. Sie hatte eine Stunde geschlafen und sich danach geduscht. Als Durrance sie dann anrief, hatte sie sich gerade angezogen und begonnen, sich ein wenig zurechtzumachen - das lange Haar kämmen und bürsten, die Wimpern ein wenig dunkler nachziehen, mehr nicht. Aber für sie war es wichtig. Heute war vielleicht ihr letzter Abend hier draußen, und sie hatte sich vorgenommen, ihn auszukosten. Die grandiose Bergwelt hatte sie gepackt. Sie war in Texas geboren und aufgewachsen, und sie hatte ge glaubt, es gebe auf der ganzen Welt nichts Größeres und Einmaligeres als Texas. Dabei bestand Texas nur aus Wüsten, staubigen Weiden, Hitze und lärmenden, eingebildeten und rauflustigen Viehtreibern. Und aus Öl und Dollars. Erst hier in Montana hatte sie begriffen, daß es auch noch etwas anderes gab als Texas. Vor der Tür zu Tibors Apartment blieb sie stehen. Sie holte noch einmal tief Luft, klemmte die Mappe, in der sie noch mehr -60-
Fotos von Tibor hatte, fester unter den Arm. Sie trug einen knielangen Rock aus kariertem Wollstoff, flache Schuhe und einen leichten hellbeigen Kaschmirpullover. Das maisgelbe Haar hatte sie mit einem einfachen blauen Band zu einem Zopf geflochten. Sie war bereits neunundzwanzig, aber sie wußte genau, daß sie es mit ihrer schlanken, sportlichen Erscheinung und dem etwas eckigen Gesicht mit den ausdrucksvollen grauen Augen jederzeit mit den jungen Dingern da draußen aufnehmen konnte. Sie nannten sich Gesellschafterinnen. Julie lächelte. Außer Busen und Pos hatten sie nichts zu bieten. Und ob sie mit denen auch noch das Richtige anfangen konnten, stand dahin. Nachher am Barbecue und später an der Bar, das wußte Julie ganz genau, würde sie die Blicke der Männer auf sich ziehen. Sie klopfte. Etwas zu leise, wie ihr schien. Aber was machte das schon! Tibor Durrance erwartete sie schließlich. Sie drehte den Knauf und öffnete die Tür. Sie hörte das Wasser rauschen, und sie runzelte die Stirn. Zögernd blieb sie stehen, nachdem sie über die Schwelle getreten war. Durrance kam doch nicht etwa auf dumme Gedanken? Beklommen sah sie in Richtung Badezimmer. Sie erinnerte sich an eine ähnliche Szene vor einigen Jahren, damals war sie trotz ihres Psychologiestudiums noch sehr naiv gewesen, als sie der Creative Director einer Werbeagentur, bei der sie ein Praktikum absolvierte, in sein pompöses Büro beordert hatte. Das Büro war eine richtige Wohnung mit einem großen Hauptraum, einer Kochnische, Schlafzimmer und Bad gewesen. Die schwere Doppeltür war hinter ihr ins Schloß gefallen und zugeschnappt. Aus dem angrenzenden Bad war der Creative Director auf sie zugekommen, mit nichts am Leib als einem lüsternen Grinsen. Sie hatte sich herumgeworfen und den schrecklichsten Augenblick ihres Lebens durchgemacht, als sie bemerkte, daß der Türöffner fehlte. Nur mit knapper Not war sie damals einer Vergewaltigung entgangen ... Sie vergewisserte sich, daß sie das Apartment jederzeit wieder -61-
verlassen konnte, ehe sie auf die angelehnte Badezimmertür zuging. Sie zog sie ein Stück auf. Man muß Gefahren oder Ängste bewußt durchstehen. Psychologie für Anfänger. Doch was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gerinnen. Wasser schwappte über den Rand der Badewanne. In der Wanne lag Tibor Durrance. Nackt, mit dem Gesicht nach unten. Obwohl er sich nicht mehr bewegte, drückte der Mann, der mit einer Gesäßhälfte auf dem Wannenrand hockte, seinen Kopf unter Wasser. Die Hand lag in Durrances Genick. Sie steckte in einem schwarzen Lederhandschuh und bildete einen entsetzenerregenden Kontrast zu der bleichen schlaffen Haut. Julie konnte nicht verhindern, daß ein scharfer Laut über ihre Lippen brach. Sie war ein mutiges Persönchen, aber sie begriff nicht sofort, daß hier ein Unfall gestellt wurde. Der Mann schnellte herum. Er starrte Julie an. Aus seltsam blassen, seelenlosen Augen, die wie Glaskugeln in flachen Höhlen lagen. Julie begriff schlagartig, daß sie dem Tod in die Augen sah. Bevor der Schreck und das Entsetzen sie zu lähmen vermochten, warf sie sich auf dem Absatz herum. Sie raste zur Tür, packte den Griff, drehte ihn herum. Die Tür öffnete sich. Die Mappe mit den Fotos fiel zu Boden. Doch der Mörder war schneller. Er warf sich mit der Schulter gegen das Türblatt. Es gab einen lauten Knall, als sie wieder ins Schloß schlug. Hände streckten sich nach Julie aus, nach ihrem Hals. Die schwarzen Lederhandschuhe trieften noch vor Nässe und erinnerten Julie daran, daß es diese Hände gewesen waren, die Tibor Durrances Gesicht unter Wasser gedrückt hatten. Da stieß Julie einen gellenden Schrei aus. Der Mörder zögerte nicht. Er schmetterte Julie eine Faust an die Schläfe. -62-
Der brutale Hieb schleuderte sie quer durch den Raum. Sie prallte gegen eine Wand, wo sie bewußtlos zu Boden sank.
* Der Schrei klang kaum gedämpft durch die geschlossenen Scheiben. Es war der Schrei einer Frau, die sich dem Tod gegenübersah. Franco schnellte von dem Holzstapel aus in die Höhe. Seine Finger bekamen die Kante des Balkons zu fassen. Über ihm krachte etwas gegen die Wand. Das Holz dröhnte. Franco schwang sich auf den Balkon, wand sich unter dem Geländer durch, richtete sich geduckt auf. In diesem Augenblick erlosch das Licht in Tibor Durrances Apartment. Franco Solo warf sich mit der Schulter gegen die leichte Tür. Das Holz zerbarst mit einem explosionsartigen Laut. Glas splitterte, Scheiben klirrten. Franco hechtete in den dunklen Raum. Ins Ungewisse, noch ehe der Scherbenregen aufhörte. Die Jalousie stürzte herab, Franco arbeitete sich aus den biegsamen Lamellen heraus. Er war gegen einen Sessel geprallt. Über sich sah er einen Schatten. Den riesenhaften Umriß eines scheinbar sehr großen Mannes. Der Mann packte den Sessel, schwang ihn hoch über seinen Kopf, um Francos Schädel zu zertrümmern. Blitzartig warf sich der Mafiajäger zur Seite. Der Boden erzitterte, als das schwere Möbelstück zerschellte. Franco hatte sich auf den Rücken gewälzt und die Beine angezogen. Jetzt schoß er die Füße ab. Sie prallten gegen Schenkel. Franco hörte einen erstickten Schmerzensschrei, und er sah den Schatten taumeln, mit den Armen durch die Luft rudern. -63-
Sofort war Franco wieder auf den Beinen. Er sprang über den zerstörten Sessel, duckte sich, als ein Gegenstand heranflog. Es handelte sich um eine Tischlampe. Der schwere Fuß streifte Francos Schulter, das Anschlußkabel wickelte sich um seinen Hals. Ein stechender Schmerz ging vo n der Schulter aus und rann mit dem Blutstrom durch seinen Körper. Der andere kam wieder näher heran. Ein wilder Fausthieb krachte vor Francos Brust und schleuderte ihn zurück. Der Mafiajäger blieb jedoch auf den Beinen. Er zog sich etwas zur Seite zurück, damit er gegen das hellere Rechteck der Fenstertür keine scharfe, erkennbare Silhouette abgab. Er riß die Luger unter seinem Pullover hervor. Der Daumen fuhr über den Spannabzug. Der andere hatte das Geräusch gehört. Es ließ ihn in Deckung gehen. Der Scha tten verschwand einfach. „Julie!" rief Franco unterdrückt. „Julie!" Er bekam keine Antwort. Dabei war er sicher, daß er ihren Schrei gehört hatte. Im Bad rauschte noch das Wasser. Julie, dachte er, um Gottes willen, ihr durfte nichts zugestoßen sein. Vielleicht hatte sie fliehen können, während er durch das Fenster brach. Er bewegte sich vorsichtig im Kreis. Er kannte das Apartment, schließlich hatte er hier die Wanze in die Fuge der Deckentäfelung gesteckt. Aber der andere kannte den Raum ebenfalls. Plötzlich setzte sich der Tisch, wie von Geisterhand berührt, in Bewegung. Das schwere Möbelstück flog auf Franco zu. Er blockte es mit einer Hand ab, sprang zur Seite. Da wurde er niedergerissen. Ein Knie bohrte sich in seinen Leib, nahm ihm den Atem. Er fiel, keuchte, saugte gierig nach Luft, während noch krampfartige Schmerzen seinen Körper zusammenzogen. Er hörte ein schwaches Wimmern, leichte Schritte draußen auf dem Balkon. Er kroch zur Flurtür, öffnete sie. Leer lag der -64-
Gang vor ihm, schwach erhellt von einigen Wandlampen. Er drückte sie wieder ins Schloß. Mechanisch schob er den Riegel vor. Er schaltete kurz das Licht an. Julie lag an der Wand neben der Balkontür. Ihr Gesicht war geschwollen, die Haut über einer Wange von einem brutalen Hieb aufgerissen. Franco löschte das Licht wieder. Mit zwei Sätzen war er neben dem Mädchen. Er hob ihren Kopf, spürte ihren flatternden Atemzug, fühlte den Schauder, den sie unter seiner Hand empfand. Er trug sie vorsichtig bis in die Nähe der zertrümmerten Fenstertür. Im schwachen Licht, das hereinfiel, sah Franco, wie ihre Augenlider flatterten, wie sie ihn anblickte, ihn aber nicht gleich erkannte. Franco hielt ihren Kopf. „Ich bin's, Joe", sagte er leise. „Es ist alles in Ordnung." „Mr. Durrance ..." sagte sie leise. Tibor Durrance! Franco hätte ihn beinahe vergessen, so froh war er, daß Julie noch lebte. Er stürzte zur Badezimmertür. Das Wasser lief bereits über den Rand und floß über den Boden. Kleidungsstücke schwammen darin. In der Wanne schwamm Tibor Durrance, mit dem Gesicht nach unten.
* O Gott, dachte Franco. Er platschte durch das Wasser, schob die Luger in den Hosenbund, griff ins Wasser, packte den schweren Körper unter den Achseln und hievte ihn heraus. Mit dem Körper schwappte noch mehr Wasser über, ehe der Flüssigkeitsspiegel in der Wanne schlagartig absank. Das Wasser klatschte voll über Francos Hosenbeine und Schuhe. Er wuchtete den schweren Körper vollends aus der Wanne -65-
und legte ihn einfach zu Boden, zwischen Wanne und WCSchüssel. Er bückte sich, preßte sein Ohr auf die nackte Brust und stieß die Finger in die Halsgrube. Kein Herzschlag. Tibor Durrance, Kongreßabgeordneter und Mitglied des Rüstungsausschusses, war tot. Der Mörder hatte ihn wahrscheinlich mit einem Handkantenschlag, der keine Spur hinterließ, betäubt, ehe er ihn in die Wanne legte. Später hätte er den Toten das kurze Stück zum Swimmingpool getragen und hineingeworfen. Tod durch Ertrinken. Zwei Unfälle innerhalb kurzer Zeit. Tragisch, aber etwas anderes wäre kaum zu beweisen gewesen. Wieder einmal hatte die Mafia schnell und erbarmungslos zugeschlagen. Aber dieses Mal, das schwor Franco, kamen sie nicht durch mit einem Mord. Zuerst war Julie dem Mörder in die Quere gekommen, dann er, Franco. Jetzt konnten sie den Tod des Politikers, der sich nicht vor ihren Karren spannen lassen wollte, nicht mehr als Unfall verkaufen. Julie hatte den Mörder gesehen. Julie ... O Gott, Julie! Bis die Polizei eintraf, schwebte sie in höchster Gefahr. Auch danach noch, aber dann würden sich Fachleute um sie kümmern. Er sprang durch die Tür. Jemand klopfte draußen an die Eingangstür. „Mr. Durrance! Mr. Durrance!" Das war Allan Stark, der seinen Chef zum Essen abholen wollte. Franco blieb regungslos stehen, bis Stark abzog. Von dem jungen Anwalt konnte Franco keine Hilfe erwarten. Stark hatte sich selbst an die Mafia verkauft. Julie stöhnte. Franco huschte zu ihr, kniete neben ihr nieder. Sie berührte die aufgeplatzte Haut, wo die Faust des Mörders sie -66-
getroffen hatte. Franco half ihr beim Aufstehen. Taumelnd stand sie da, klammerte sich an ihm fest. „Mr. Durrance ..." stammelte sie. „Er ist tot, Julie. Haben Sie den Mörder gesehen?" Sie nickte heftig, wollte etwas sagen. Da hörte Franco ein Geräusch. Er legte ihr eine Hand über den Mund. „Pst!" machte er, und sie preßte entsetzt die Lippen aufeinander. Draußen, auf dem Balkon, der sich um die ganze Blockhütte herumzog, schlich sich jemand an. Sie reagierten verdammt schnell. Franco trug Julie über Scherben und zertrümmerte Möbelstücke nach vorn. Allan Stark hatte das Klopfen längst aufgegeben und war verschwunden. Vielleicht konnten sie vorne noch hinaus. Er mußte Julie verbergen, bis die Männer des County Sheriff heraufkamen. Er zog den Riegel zurück und brachte seinen Mund nah an Julies Ohr. „Gehen Sie in Starks Apartment. Schließen Sie sich ein und machen Sie kein Licht! Warten Sie an der Wand neben dem Fenster auf mich. Ich komme wahrscheinlich über den Balkon. Ich klopfe zweimal kurz und nach einer Pause noch einmal. Machen Sie dann sofort auf. Los, gehen Sie jetzt!" Stark ließ seine Zimmertür unverschlossen. Franco wußte es. Er öffnete die Tür einen Spalt. Für einen Moment stand Julie in einer Lichtbahn, deutlich zu erkennen für den Mann, der in diesem Moment den Rahmen der gegenüberliegenden Balkontür füllte. Der Mann war gedrungen und breitschultrig. Er trug eine eng anliegende dunkle Hose und einen ebensolchen Pullover. Sein Bild brannte sich in Francos Hirn. Der Mörder? Oder sein Komplice? Sie hatten zweifellos schon ein ganzes Kommando auf der Ranch. Franco fielen die Campmobile wieder ein. Er kam jedoch nicht dazu, Betrachtungen über Kampfauftrag und Kampfstärke des Gegners anzustellen. Er sah einen -67-
Gegenstand in der Hand des Gedrungenen. Der längliche, kantige Umriß löste eine Reihe von Reflexen in Francos Hirn aus. Er stieß Julie durch den Türspalt hinaus und drückte die Tür sofort wieder zu. Er riß seine Luger heraus, sprang gleichzeitig zur Seite. Im gleichen Moment hämmerte die Maschinenpistole in den Fäusten des Breitschultrigen los. Die erste Salve stanzte eine Reihe fasriger Löcher in die Tür, durch die Licht fiel. Dann tanzten die Kugeln über die Wand, rasten auf Franco zu. Francos Hand schnellte hoch. Der Hammer der Waffe war noch gespannt. Mechanisch schob Franco die Sicherung nach vorn. Dann schoß er. Die Maschinenpistole verstummte und segelte durch die Luft. Der Schütze warf die Arme hoch. Die Wucht, mit der die große Kugel in seine Brust gedrungen war, schleuderte den Mann gegen das Geländer. Er kippte nach hinten über und verschwand wie ein Spuk.
* Franco huschte über den Gang. Spätestens die MPi- Salven mußten Menschen anlocken. Aber außer Julie und ihm hielten sich keine anderen Personen mehr in diesem Teil des Hauses auf. Die Gäste versammelten sich in diesen Minuten beim abendlichen Barbecue. Sie hatten dadurch vielleicht noch ein paar Sekunden. Er drückte gegen die Tür zu Starks Zimmer. Sie war abgeschlossen. Er klopfte das vereinbarte Signal. Dabei fiel ihm ein, daß sie ihn über den Balkon erwartete. „Julie!" rief er scharf. „Machen Sie auf! Ich bin's! Joe!" -68-
Die Tür ging auf. Er zwängte sich durch den engen Spalt in den dunklen Raum, schloß und verriegelte die Tür sofort. Er spürte die Frau neben sich. Er berührte ihre Schulter. Ihre Haltung versteifte sich, aber dann lockerte sie ihre Muskeln, und ihr ganzer Körper begann zu zittern und zu zucken. Er nahm sie einfach in seine Arme, hielt sie fest und strich mit einer Hand über ihren Kopf. In der anderen hielt er noch die Luger. „Haben Sie keine Angst", sagte er leise. „Sie brauchen keine Angst zu haben." Er log, um sie zu beruhigen. Die nächsten Minuten, vielleicht die kommende halbe Stunde, konnten verteufelt hart werden. Denn jeder Mann, den die Bande hier zur Verfügung hatte, würde sie jetzt suchen. Julie und den Mann, der dem Mädchen so überraschend zu Hilfe gekommen war. Denn Julie hatte den Mörder gesehen. Oder war der Mörder bereits tot? Hatte er, Franco, ihn erwischt? „Wie sah der Mann aus?" fragte er. Mit einem Ohr lauschte er in den Flur hinaus. Irgendwo wurden Stimmen laut. Julie Conrad erschauerte. „Ich ... ich habe ihn nur kurz gesehen ..." „Würden Sie ihn wiedererkennen?" „O ja! Ganz sicher! Diese Augen ... Er war groß, vielleicht noch größer als Sie, und sehr schlank ..." „Nicht gedrungen? Breitschultrig?" „Nein." Das klang ganz entschieden. Nein, Franco hatte nicht den Mörder des Politikers erwischt. Es wäre einfacher gewesen, dachte er, denn dann brauchten die anderen Julie nicht zu jagen. Er preßte sein Ohr gegen die Tür. Er hörte ratloses Gemurmel. Jemand klopfte. Franco rührte sich nicht. Julie legte ihren Kopf an seine Schulter. Er atmete flach. Der Knauf bewegte sich. Dann gellte ein Schrei durch den Gang. Jemand hatte den Leichnam gefunden. -69-
„Was ist hier los?" schaltete sich eine barsche Stimme ein. „Bitte, verlassen Sie das Haus. Bitte, gehen Sie, es darf nichts angerührt werden. Ja, die Polizei wird umgehend verständigt werden ..." Franco zog Julie zum Fenster. Auch hier war die Jalousie herabgelassen. Er konnte den Helicopterplatz sehen und ein Stück vom vorderen Swimmingpool, dessen Umrandung jetzt verlassen dalag. Aber jetzt, in diesem Augenblick, hetzten zwei dunkel gekleidete Gestalten um die Ecke der gegenüberliegenden Hütte. Im nächsten Moment entschwanden sie Francos Blicken im toten Winkel unterhalb des Balkons. Großer Gott, dachte er entsetzt. Sie hetzten das Girl wie einen Hasen bei einer Treibjagd! Sie hatte ja keine Chance! Er zog sie mit sich zum Telefon. Sie würde keine Sekunde allein bleiben, jedenfalls nicht im Augenblick. Der Schock war noch zu groß für sie. Im Dunkeln hakte er seinen Zeigefinger in die Wählscheibe. Er kannte die Nummer, mit der er Rathbones Büro direkt anwählen konnte. Er wählte zweimal die Eins. Sofort wurde der Hörer abgenommen. „Ja? schnappte der Besitzer der Blue Sky Ranch of Montana. Franco sagte nichts. Ein Instinkt warnte ihn. Noch hatte ihn niemand erkannt, noch wußte niemand, daß er es war, der die Augenzeugin unter seine Fittiche genommen hatte. Das konnte wichtig sein und ihm die Bewegungsfreiheit verschaffen, die er vielleicht bald und sehr dringend brauchte. „Wer ist da, zum Teufel? Kann mir, verdammt noch mal, endlich jemand sagen, was da draußen vorgeht?" Franco legte die Hand über die Sprechmuschel und drückte den Hörer an Julies Ohr. Für sie konnte sich die Lage nicht verschlimmern, wenn sie sich meldete. Doch nicht einmal -70-
Rathbone durfte wissen, wer bei ihr war. „Sagen Sie ihm, er soll den Sheriff alarmieren!" zischte er in Julies Ohr. „Aber er soll es sofort tun! Jede Sekunde ist wichtig!" Er nahm die Hand von der Muschel und drückte Julies Schulter. Sie schluckte. „Mr. Rathbone! Holen Sie den Sheriff! Schnell! Man hat Mr. Durrance ermordet! Um Gottes willen, schnell ..." Julie verstummte, ließ den Hörer sinken, sah Franco an. Er sah ihr helles, unnatürlich bleiches Gesicht mit den dunklen Augenhöhlen darin. „O Gott, jemand war bei ihm!" flüsterte sie. „Er wollte wissen, wo ich bin!" Franco nahm ihr den Hörer aus der Hand, lauschte, und als er nur ein leichtes Schnarren hörte, drückte er die Gabel nieder und wählte dann sofort noch einmal Rathbones Office an. Wieder wurde sofort abgehoben. Aber dieses Mal hörte er nicht Rathbones zornige Stimme, sondern eine flache, kalte Stimme, die klang, als spräche ihr Besitzer über Polareis. „Ja? Wer ist da?" Franco preßte die Lippen aufeinander. Dann legte er den Hörer auf die Gabel. Er huschte noch einmal ans Fenster. Im Schatten des Hubschraubers bemerkte er eine Bewegung. Bewaffnete Mafiosi. Sie dachten an alles. Sie hatten den Hubschrauber, und sie hatten Rathbones Office besetzt. Sie hatten die Ranch in der Hand. Sie brauchten nur die beiden Münztelefone in der Halle des Haupthauses zu zerstören, dann ging kein Gespräch hinaus, das sie nicht kontrollieren und unterbrechen konnten. Sie würden nicht eher die Polizei hereinlassen, bis sie Julie erledigt hatten. Und ihn, Franco Solo, natürlich auch. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie Julie und ihn aufstöberten. Sie waren bereits im Haus. Zum erstenmal dämmerte es Franco, daß sie in der Falle -71-
saßen.
* „Joe, was können wir tun?" „Ich weiß es noch nicht." Ihre Stimme klang überraschend fest, als sie fragte: „Man will auch mich ... töten, nicht wahr? Weil ich den Mörder gesehen habe. Und weil es wie ein Unfall aussehen sollte." Franco schwieg. „Wer steckt dahinter, Joe? Und warum?" „Die Mafia", erklärte Franco. „O mein Gott! Warum? Um Gottes willen, Joe! Warum?" „Sie hatten geglaubt, Durrance in der Tasche zu haben. Aber sie haben sich geirrt. Durrance wollte aussteigen, als er erkannte, wer sie waren und weshalb sie ihn, ausgerechnet ihn, gekauft hatten. Und mehr noch er wollte sich bestimmten Regierungsstellen anvertrauen." „Joe, ich verstehe ... Die Verträge! Es geht um die Verträge! Sagen Sie bloß, die Mafia will die Whitman-Werke kaufen?" „Die Aktienmehrheit, Julie. Aber das ist dasselbe. Die anderen Anteile hätte sie im Laufe der Zeit schon bekommen. Diese Leute haben Erfahrung." Er spürte Julies Blick und die Frage darin, aber er beantwortete sie nicht. Schließlich formulierte sie die Frage. „Joe - wer sind Sie?" „Fragen Sie nicht, Julie. Die Antwort könnte Sie bestürzen." „Das glaube ich nicht, Joe. - Was machen wir jetzt?" Franco wußte es nicht. Sie waren auf Hilfe von außen angewiesen. Doch die würde lange, vielleicht zu lange, auf sich warten lassen. Zwölf Stunden mindestens. Vielleicht aber auch drei Tage, wenn die Kerle es geschickt anstellten und keinen -72-
Argwohn erregten, wenn sie Anrufe von draußen entgegennahmen. Er mußte Julie hier herausbringen. „Wir kommen nicht heraus, nicht wahr?" flüsterte sie. Sie hatte die herrischen Stimmen draußen im Gang gehört. Die Gangster hatten die Gäste vertrieben. Unter wüsten Schlägen zersplitterte eine Zimmertür. „Sie dringen in mein Zimmer ein!" hauchte Julie entsetzt. Er drückte sie an sich und hielt sie fest. In der Rechten lag die Luger. Wie lange würde er sich zur Wehr setzen können? Er spähte aus einem Spalt in der Jalousie nach draußen. Fieberhaft suchte er nach einem Ausweg, nach einer Fluchtmöglichkeit. Der Helicopter wurde bewacht, die Wagen in der großen Garage zweifellos ebenfalls. Was war mit den Pferden? Unsinn, was sollten er und Julie mit Pferden anfangen? Wie weit würden sie kommen? Er starrte unverwandt nach draußen. Behutsam zog er die Jalousie halb in die Höhe. Er öffnete die Fenstertür einen Spalt und steckte seinen Kopf hinaus. Sofort zog er ihn wieder zurück. An der Ecke stand einer von ihnen. Ein Typ mit MPi. Aus den Fenstern der anderen Räume fiel Licht über den Balkon. Sie würden keine zwei Schritte weit kommen. Geräuschlos schloß er das Fenster wieder. Wie viele mochten sie sein? Sechs Mann? Oder acht oder bereits zehn? Rathbone war entmachtet. Er konnte nicht mehr den anspruchsvollen Gastgeber mimen, der sich seine Gäste aussuchte. Jetzt kamen die Hitmen. Die Kerle mit den schnellen Eisen. Hinzu kamen noch ein paar Typen, die vo rnehm auftraten und über Empfehlungen von Leoni hereingekommen waren. Der Mann, der Durrance getötet hatte. Dann vielleicht noch ein Leutnant oder sogar ein Capo, Leute, die wie Industrielle oder Professoren aufzutreten verstanden. Was sie teilweise ja auc h waren. -73-
Aber sie konnten nicht alle Häuser und Apartments zugleich durchsuchen und unter Kontrolle halten. Er drückte Julies Schulter, schob sie an die Wand neben dem Fenster. Draußen schlugen sie die nächste Tür ein. Noch eine Minute, dann war Starks Zimmer an der Reihe. Er nahm den Telefonhörer ab. Franco wählte die Nummer des gegenüberliegenden Apartments. Er hatte gehört, daß dort ein oder zwei Kerle herumstöberten. „Ja?" schrie eine Stimme. „Ist der Boß da?" fragte Franco leise und undeutlich. „Nein. Wer ist denn da? Kannst du nicht lauter sprechen?" „Nein, verdammt! Sonst hört mich ja ... Sag dem Boß Bescheid, schnell! Sie sind bei den Pferden! Beeilt euch, ich bleibe hier ..." Er legte einfach auf. Gespannt warteten die beiden Verfolgten auf die Reaktion der Gangster. Franco fletschte die Lippen zu einem bösen Grinsen, als er den Kerl, mit dem er am Telefon gesprochen hatte, nach einem Knilch namens Carlo brüllen hörte. Carlo hieß also der Boß, der den Einsatz hier leitete. Das war gut zu wissen. Carlo antwortete aus einem anderen Raum. Carlo und der Kerl, dem Franco etwas vorgemimt hatte, palaverten einen Moment miteinander, dann gellte ein schriller Pfiff durchs Haus. Franco peilte aus dem Fenster. Insgeheim hatte er gehofft, daß auch die Wache vom Helicopter abgezogen würde, doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Kerle hatten zwei Probleme. Sie mußten Julie jagen und den unbekannten Mann, der sie beschützte, und sie mußten um jeden Preis verhindern, daß irgend jemand den Sheriff alarmierte, bevor sie hier alles geregelt hatten. -74-
Plötzlich herrschte Stille im Blockhaus. Unten sprang ein Motor an. Sie hatten sich einen der Pickups geholt. Der Wagen dröhnte davon. Franco öffnete die Tür. Es war möglich, daß Carlo nicht auf den faulen Trick mit dem Anruf hereingefallen war und jetzt nur darauf wartete, daß er und Julie ihre Nasen aus dem Schlupfwinkel steckten. Der Flur lag leer vor ihnen. Franco zerrte Julie hinter sich her. Als sie an ihrer Zimmertür vorbeikamen, blieb Franco stehen. Die Tür war zur Hälfte zersplittert. Im Raum herrschte ein wüstes Durcheinander. Julies flacher Lederkoffer lag geöffnet mitten im Raum. Franco holte den Koffer. Wahllos stopfte er verschiedene Kleidungsstücke und herumliegende Akten hinein. Im Vorbeigehen schnappte er noch Julies schwere Fototasche, dann rannten sie weiter. Im Untergeschoß schaltete er das Licht aus, ehe er aus der Tür peilte. Das Windrad reckte sich in den klaren Nachthimmel. Es bewegte sich langsam. Franco konnte in den hell erleuchteten Patio blicken, wo Kellner umherliefen und die Köche vor den glühenden Grillfeuern hantierten. Am Salatbuffet drängten sich die verwirrten Gäste. Sie wußten, daß irgend etwas vor sich ging, aber sie konnten nicht ahnen, daß sie alle Gefangene waren. Oder Geiseln. Es war auch besser für sie. Franco wollte schon loslaufen, als er über sich ein Geräusch auf dem hölzernen Boden des Balkons hörte. Er zuckte zurück, drückte Julie in den tiefen Schatten neben dem Eingang und stellte das Gepäck ab. Er hatte den Wachtposten vergessen. Sie hatten doch einen Mann zurückgelassen. Er huschte wieder die Treppe ins Obergeschoß hinauf. -75-
Geduckt schlich er durch ein verwüstetes Zimmer. Die Fenstertür zum Balkon stand offen. Franco erreichte die Tür. Er verharrte reglos im Rahmen, hielt den Atem an. Als sich nichts rührte, wagte er sich hinaus. Der Gangster stand vorn an der Ecke und peilte zum Patio hinüber. Die Maschinenpistole lag in seiner rechten Armbeuge, die Hand unter dem Verschluß. Franco schlich sich an den Mann heran. Er zog die Luger, packte sie am Lauf. Eine Bohle knackte unter Francos Gewicht. Der Mann wirbelte herum, die MPi beschrieb einen Bogen. Franco sprang vor. Er drückte den Arm des Gangsters mit der linken Schulter in die Höhe, riß das Knie hoch, und als der Kerl sich zusammenkrümmte, schlug er mit dem Kolben der Luger zu. Der Mann sackte zusammen. Franco packte den rechten Arm am Handgelenk, hielt ihn fest, um zu verhindern, daß die MPi doch noch losratterte. Vorsichtig wand er die Waffe aus den verkrampften Fingern. Er steckte die Luger wieder ein, behielt die MPi in der Hand. Er flankte einfach über das Geländer. Wie ein Schatten tauchte er vor Julie auf, die erschreckt den Atem einzog. Er zog sie um das Haus herum, nachdem er das Gepäck wieder aufgenommen hatte. Dort, an der Ostseite des Tals war es dunkel. Er rannte mit dem Mädchen durch das hohe Gras. Sie konnte verdammt schnell laufen. Er mußte immerhin noch den Koffer und die Fototasche schleppen. Die MPi schleuderte er irgendwann in ein Gestrüpp. In einem weiten Bogen näherten sie sich der Doppelhütte, in der Francos kleines Apartment lag. Er blieb einmal stehen, um die Lage zu peilen. Er sah die Lichtfinger eines Scheinwerferpaares über den unebenen Weg tanzen, der zu den -76-
Pferdekoppeln führte. Er grinste. Er führte Julie ins Haus, schob sie die Treppe hinauf, brachte sie in sein Zimmer. Als er aufatmend die Tür hinter sich schloß, begann das Telefon zu läuten.
* Er ließ es dreimal schnarren, ehe er abhob. Undeutlich, mit scheinbar schlaftrunkener Stimme, meldete er sich. Sie kontrollierten jetzt vermutlich jeden Mann, der auf der Ranch wohnte. Er war überrascht, als er Rathbones Stimme erkannte. „Joe, kommen Sie in mein Office. Sofort." „Chef, ich habe schon geschlafen ..." „Ziehen Sie sich an. Beeilen Sie sich." Rathbone legte auf. Franco warf hastig die nasse Hose und die Schuhe ab. Er betrachtete sich im Spiegel. Sein Gesicht hatte keine Schrammen abbekommen, nur an der Schulter, wo der Mörder ihn mit dem Lampenfuß erwischt hatte, bildete sich ein blauer Fleck. Schnell zog er trockene Sachen an. Julie hockte stumm auf dem Bett. „Wir kommen hier nicht heraus, nicht wahr?" stellte sie fest. „Vertrauen Sie mir", bat Franco. Er stopfte die nassen verräterischen Sachen in einen Wäschebeutel, steckte die Luger in den Hosenbund, besann sich, warf die Waffe aufs Bett. Julie sah die schwere Pistole stumm an. Franco stellte den Mehrkanalempfänger auf den Nachttisch und legte den Ohrhörer daneben. Auf diese Weise sah das Gerät wie ein ganz normales Radio aus. „Was haben Sie vor?" erkundigte sich Julie. „Ich muß mich unten sehen lassen", antwortete er. Er sah, wie sich ihre Augen angstvoll weiteten. -77-
„Sie dürfen mich nicht mit Ihnen und ... der Sache da drüben in Verbindung bringen, Julie! Ich werde einen Ausweg finden. Aber dafür brauche ich Bewegungsfreiheit." Sie nickte tapfer, aber sie hatte Angst. Hier war sie nicht sicher. Das wußte niemand besser als Franco Solo. Die Gangster würden ihre Kreise immer weiter ziehen. Irgendwann im Laufe der Nacht würden sie auch diese Hütte dur chsuchen. Er sah sich um. Das Apartment lag am Ende eines kurzen Flurs unter dem Dach einer der kleineren Blockhütten. Weder das kombinierte Wohn- und Schlafzimmer noch das Bad boten eine einigermaßen sichere Versteckmöglichkeit für einen ausgewachsenen Menschen. Er öffnete die Tür zum Flur. Sein Blick fiel auf die Kofferkammer. Er öffnete die dünne Tapetentür. In der winzigen Kammer befanden sich außer verschiedenen Reinigungsutensilien und leeren Koffern der elektrische Durchlauferhitzer und die Wasserpumpe, die für den nötigen Druck auf den Leitungen sorgte. Hinter dem Gestell mit der Pumpe und dem Durchlauferhitzer hatte sich eine dunkle Nische gebildet, in der nahezu undurchdringliche Finsternis herrschte. Konnte er Julie zumuten, sich dort zu verstecken? Sie hatte keine andere Wahl. Franco kroch in die Kammer. Es gab eine Lampe. Er zog an der Schnur, und die Birne leuchtete grell auf. Rechts bemerkte Franco eine etwa vier Fuß lange und anderthalb Fuß hohe Klappe. Er schob verstaubtes Gerumpel zur Seite, dann hakte er den Riegel auf. Die Klappe fiel ihm entgegen. Er sah Licht und zwei Beine, die über einen Bettrand hinabbaumelten. Es waren Julies Beine! Die Klappe diente als direkter Zugang zur Kofferkammer. Wer den Raum bewohnte, konnte seine Koffer unter dem Bett her in den Verschlag schieben. -78-
Franco kroch zurück. Er stapelte Eimer und eine nicht mehr benötigte Trittleiter vor der Klappe auf, so daß sich dort ein Hohlraum bildete, in dem Julie, wenn auch nicht bequem, so aber doch sicher aufgehoben war. Dann lockerte er die Birne in ihrer Fassung und verschloß die Kammer mit dem Schlüssel, den er in dem Schloß steckenließ. Er kehrte in sein Apartment zurück und erklärte Julie, wo sie sich verstecken sollte, wenn sie verdächtige Geräusche hörte. Sie nickte. Sie hatte verstanden, und sie wußte, daß es um Leben und Tod ging. Sie klopfte den Staub von Francos Hose und Pullover. Ihr Gesicht war sehr ernst. Franco starrte aus dem Fenster. Von den Korrals jagte der Pickup mit den Gangstern heran. Sie hatten gemerkt, daß sie einem Bluff aufgesessen waren. Um so hartnäckiger und nachdrücklicher würden sie jetzt ihre Suche nach Julie und dem Mann, der einen der ihren umgelegt hatte, betreiben. Wenn sie den anderen fanden, den Franco mit einem genau dosierten Hieb in den Nacken für Stunden ins Reich der Träume geschickt hatte, würde sich ihr Zorn ins Unermeßliche steigern. Dazu würde die Angst vor dem unbekannten Gegner kommen. Franco drückte Julie die Luger in die Hand. Er knipste die Leselampe an. „Können Sie mit so einer Waffe umgehen?" Julie lächelte mit angespannten Lippen. „Ich bin Texanerin", sagte sie, als ob das alles erklärte. Was auch der Fall war. In Texas, so geht die Mär, kommen die Babys bereits mit Schußwaffen auf die Welt. Er lächelte. Franco nahm den Wäschebeutel an sich. Er würde ihn unterwegs in den Abfallcontainer stopfen. Er löschte das Licht. Bevor er hinausschlüpfte, drückte er noch einmal Julies Schulter. Er schloß die Tür ab und steckte den Schlüssel ein.
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* Als Franco den Patio erreichte, bewegt e er sich langsamer, gelassener. Die abendliche Grillparty lief weiter, wenn auch mit halber Kraft. Die Nachricht von Tibor Durrances Tod mußte sich inzwischen herumgesprochen haben. Die Gäste aßen und tranken, aber ihre Gespräche klangen gedämpft. Sie konnten sich noch kein Bild machen. Die vielen Fremden verwirrten sie. Der Pickup mit den Gangstern dröhnte vorbei. Köpfe ruckten herum, starrten dem Wagen nach, auf dessen quadratischer Ladefläche sich vier oder fünf Figuren in schwarzen Anzügen drängten. Der Pickup stoppte vor dem Haus, in dem Durrance gestorben war, die Männer sprangen herab und schwärmten erneut aus. Franco trat an die fahrbare Bar. Er goß einen Hauch Gin in ein hohes Glas, schaufelte Eis hinein und füllte mit Tonic auf. Als er den Drink hinunterstürzte, merkte er erst, wie durstig er war. „He, Joe!" rief ihn jemand von hinten an. Franco erkannte Nico, einen der Kellner. „Der Boß hat nach dir gefragt." „So?" Franco füllte noch einmal Tonic über das Eis. „Ich würde gleich raufgehen", sagte Nico. „Weißt du eigentlich, was das Durcheinander zu bedeuten hat? Ich habe da was von einem Verrückten läuten gehört. Wir sollen alle beim Ranchhaus bleiben." Franco lächelte dünn. So erklärten sie also den Wirbel. Gar nicht einmal so ungeschickt, dachte er. Ein Verrückter, ein Amokläufer. Das erklärte den oder die Toten und die Männer, die ihn jagten. „Ich habe nichts gesehen und gehört", behauptete Franco. „Ich habe gepennt." „Du hast es gut!" Nico verdrehte die Augen. Franco grinste. Er hatte Claude Couraut bemerkt, der den schwarzhaarigen -80-
Kellner mit schmachtenden Blicken verfolgte. „Halt dich sauber", sagte Franco. Er schob sich durch die Gäste und betrat das Haus durch eine der weit geöffneten Glastüren. Hier drinnen war es kühler als im Patio, wo die Infrarotstrahler eingeschaltet waren. Er warf einen Blick in die Bar. Die Theke war bis auf den letzten Platz belegt. Allan Stark hing schlapp auf einem Hocker. Vor ihm stand eine halbleere Flasche Whisky. Aus leeren, geröteten Augen starrte der junge Anwalt auf seine zitternden Hände. Franco blieb stehen. Er spürte ein dumpfes Pochen an seinen Schläfen. Allan Stark hatte als erster erfahren, daß Durrance die Abschlußverhandlungen nicht mehr leiten wollte, und Stark hatte sein Wissen sofort weitergegeben. An Leoni. Hatte Stark gewußt, was er tat? Hatte er Leoni auch verraten, daß sein Chef sich sogar an den Untersuchungsausschuß des Justizministers und an andere Regierungsstellen wenden wollte? Wenn das der Fall war, hatte Allan Stark das Todesurteil über seinen Chef gesprochen. Franco drehte sich ruckartig um, dann rannte er die Treppe ins Zwischengeschoß hinauf. Er klopfte kurz an die Tür zu Rathbones Office, und ohne das „Herein" abzuwarten, stieß er sie auf und trat über die Schwelle. Er blieb sofort stehen, lächelte, während er die Szene blitzschnell in sich aufnahm. Rathbone lehnte am Regal, das eirunde Gesicht zu einer grämlichen Grimasse verzogen. Hinter dem Schreibtisch des Besitzers der Blue Sky thronte jetzt Nick Leoni. Leoni schien sich in seiner Rolle ebenfalls nicht sonderlich wohl zu fühlen. Neben Leoni stand ein weiterer Mann, von dem eine energische Ausstrahlung ausging, die Franco wie etwas Körperliches spüren konnte. Der Mann hatte eine große, kühn -81-
gebogene Nase, dünnes, angegrautes Haar, dunkle Gesichtshaut und einen Haufen Brillanten an den Fingern, der Krawatte und den Manschettenknöpfen. Diesen Mann hatte Franco bereits unter den Gästen bemerkt. Er war vor drei oder vier Tagen auf der Ranch eingetroffen. Begleitet von zwei Burschen, die als sein Chauffeur und sein Butler auftraten. Franco erinnerte sich auch an den Namen dieses Mannes - Marco Benedict. Seine Anwesenheit in diesem Raum bewies, daß er der Obermacher war. Der Mann, der die geplante Transaktion zum Abschluß bringen sollte. Benedict mußte ein Capo sein. Einer der ganz Großen. Hinter Franco krachte die Tür ins Schloß. Er hatte halb und halb mit einer Falle gerechnet, deshalb schaffte er es, nicht allzu heftig zu reagieren, nur erstaunt. Er drehte sich halb herum und sah in das Gesicht eines plattnasigen Clowns, der sich hinter der offenen Tür versteckt hatte. Rathbone hätte ihn unter normalen Umständen nicht einmal mit einer persönlichen Empfehlung des Präsidenten der Vereinigten Staaten auf die Ranch gelassen. Franco vermutete, daß er einen der Gangster vor - beziehungsweise hinter - sich hatte, die in einem der Campmobile außerhalb der Blue Sky auf ihren Einsatzbefehl gewartet hatten. Plattnase befingerte Franco sehr geschickt und sehr schnell von oben bis unten. „He, was soll das!" protestierte Franco. „Lassen Sie das!" Er wich zurück. Plattnase grinste und knuffte Franco freundschaftlich ins Kreuz. Franco stolperte und hätte den Halt verloren, wenn der andere ihn nicht gestützt hätte. Franco keuchte. Noch einmal versuchte er, so zu tun, als wollte er den Kerl abschütteln. „Lassen Sie ihn, Joe", sagte Rathbone überraschend ruhig und gefaßt. „Es hat keinen Zweck." „Er ist sauber, Sir", meldete der Gorilla respektvoll. -82-
Der Mann mit der kühnen Nase verzog keine Miene. Nur die grauen Augen wanderten kühl an Franco hinab und wieder hinauf. Nick Leoni warf dem Capo einen nichtssagenden Blick zu, dann räusperte er sich. Seine vorquellenden Augen richteten sich auf Franco, dann fielen die Lider halb herab. Mit seiner gelben fleckigen Hand deutete er auf einen Stuhl. „Setzen Sie sich, Joe", sagte er leise. „Setzen Sie sich." Franco ignorierte die Aufforderung. Er sah Rathbone an. „Sie haben mich rufen lassen, Sir?" „Tun Sie, was er sagt", knurrte Rathbone angewidert. „Ich will mit der Geschic hte nichts zu tun haben." „Danke für Ihr Entgegenkommen, Paul", sagte Leoni ohne Sarkasmus. Franco grinste Leoni an. „Haben Sie dem alten Geier den Laden abgekauft?" fragte er munter. Er nahm endlich Platz, weil er die Konfrontation nicht unnötig verschärfen wollte. „Wo waren Sie. Joe?" fragte Leoni. „Wo ich war?" Franco lachte. „Wie meinen Sie das, Mr. Leoni?" Er ahnte, wie der Hase lief. Oder laufen sollte. „Wörtlich", entgegnete der andere. „Da müssen Sie schon deutlicher werden, Mr. Leoni! Mr. Rathbone, was hat das zu bedeuten? Ist das hier ein Verhör? Weshalb ist Mr. Benedict hier? Und der da?" Franco deutete mit dem Daumen über die Schulter. Prompt bekam er einen Schlag in den Rücken versetzt, der ihn vom Stuhl schleuderte. Er sprang auf, ballte die Hände zu Fäusten, starrte Plattnase wütend an. „Joe!" sagte Rathbone scharf. „Seien Sie vernünftig!" „Sagen Sie das dem da! Und Ihrem Freund Leoni!" „Regen Sie sich wieder ab, Joe", sagte Leoni. -83-
Rathbone meldete sich wieder zu Wort. „Ich nehme an, Sie wissen, was mit ..." „Schweigen Sie, Paul!" Leoni klappte die Lider auf. „Am besten, er sagt uns, wo er war und was er getan hat. Sagen wir, in der letzten Stunde." „Da habe ich geschlafen. Ich war nämlich müde." Weshalb er müde war, verriet er nicht. „War das alles? Kann ich jetzt gehen?" Er stand neben dem Stuhl. Er spürte Plattnases feuchten Atem im Genick. Eine mächtige Pranke legte sich auf seine Schulter und drückte ihn auf den Sitz zurück. „Sie haben also kein Alibi", stellte Leoni scheinheilig fest. „Das ist bedauerlich, wirklich, sehr bedauerlich." Franco lachte. „Wofür brauche ich ein Alibi, zum Teufel? Ich habe niemanden umgebracht." Die Anwesenden sahen einander betreten an. Leoni räusperte sich. „Mr. Durrance ist ermordet worden", sagte er. Franco schoß in die Höhe. „Was?" Wieder drückte der Gorilla ihn nieder. „Nein, das glaube ich nicht! Mr. Rathbone, sagen Sie, daß es nicht wahr ist." „Es stimmt, Joe", gab Rathbone zu. „Leider ... Nick, ich meine Mr. Leoni, bezieht sich auf die Auseinandersetzung, die Sie und Mr. Durrance oben im Camp hatten ... Und Mr. Durrance hat mir ja selbst erzählt, daß er und Sie ..." Er verstummte hilflos. Franco sprang wieder auf. Dieses Mal wand er sich rechtzeitig unter der Pranke des Leibwächters weg. Er sprang vor und stemmte die Fäuste auf den Schreibtisch. „Beschuldigen Sie mich etwa, Mr. Durrance ermordet zu haben? Mr. Leoni! Sie wissen, daß es kein Streit war! Durrance hatte sich geärgert, weil ich den Bock nicht getroffen habe ..." -84-
„Beruhigen Sie sich, Joe. Niemand ... Ach, ich weiß es auch nicht." Er fuhr mit der Hand über sein Gesicht. Franco richtete sich auf. „Ich habe nichts zu befürchten. Ich nehme an, daß die Polizei bald eintreffen wird. Ich halte mich zur Verfügung." Er drehte sich um, ging zur Tür. Plattnase grinste selig. Er hatte einen Wink bekommen. Er durfte noch einmal seine Kraft demonstrieren. Franco war auch nur ein Mensch. Demütigungen hinzunehmen sind nicht jedermanns Sache. Er rammte dem Kerl eine Faust in den Magen. Es war ein Schlag, der unbeholfen und keineswegs profihaft aussah. Aber die Wirkung war verheerend. Plattnase brach in die Knie und fiel dann aufs Gesicht. Stöhnend rollte er zur Seite, dann übergab er sich.
* Die beiden Mafiosi blickten einander betroffen an. In Rathbones wässerigen Augen erschien ein kleines, schadenfrohes Glitzern, das jedoch schnell wieder verschwand. „Er soll die Finger von mir lassen!" schrie Franco empört. „Das war ein sauberer Schlag." Zum ersten Mal machte Marco Benedict den Mund auf. Franco hatte die Stimme schon einmal gehört. Vorhin, als er von Starks Zimmer aus hier angerufen hatte. Die Stimme klang immer noch wie Gletschereis. „Ich lasse mich nicht gern herumstoßen, Sir. Vergessen Sie nicht - ich bin nicht nur Bergsteiger, sondern auch DiplomSportlehrer. Wenn Sie wollen, kann ich ihn", er deutete auf das kotzende Häufchen Elend am Boden, „trainieren. Er hat's nötig." „Sie sind etwas voreilig, junger Mann. Setzen Sie sich -85-
wieder." Franco gehorchte der zwingenden Stimme. Jetzt endlich kamen die Schurken zur Sache. „Wann haben Sie Miß Conrad zuletzt gesehen?" „Julie?" Franco tat so, als überlegte er.„Heute nachmittag. So gegen halb sechs. Sie war draußen und fotografierte. Wir haben ein paar Worte gewechselt." „Mehr nicht? Danach haben Sie sie nicht mehr gesehen?" Leonis Stimme verriet Enttäuschung und Mißtrauen zugleich. Sie fahndeten immer noch nach dem Mann, der Julie so überraschend zu Hilfe gekommen war. „Ich hatte gedacht, Sie und Miß Conrad, nun, mir schien es, als habe sie etwas für Sie übrig." Franco war wirklich überrascht. Und verlegen. Das brauchte er nicht zu mimen. „Davon habe ich nichts bemerkt", sagte er leise. „Oder wissen Sie von einem anderen Mann, der ihr etwas bedeutet? Oder umgekehrt, der hinter ihr her ist?" „Stark", sagte er. „Mr. Stark ..." Leoni schüttelte den Kopf. Natürlich hatten sie Allan Stark als ersten gecheckt und mit ihm kostbare Zeit verloren, die ihm zugute gekommen war. „Was wollen Sie denn von Miß Julie?" fragte Franco dann. „Joe, wir müssen sie sprechen. Sie hat möglicherweise den Mörder gesehen. Es ist zu ihrem Besten, wenn wir auf sie aufpassen, bis die Polizei eintrifft." Franco nickte verstehend. „Aber was habe ich damit zu tun? Sie halten mich für verdächtig ... Glauben Sie etwa, ich hätte Julie ... ich könnte ihr etwas ..." Gekonnt riß er die Augen auf. Leoni blickte ihn kalt an. „Nein, Joe, dazu werden Sie sich wohl kaum hinreißen lassen. Julie vertraut Ihnen. Sie kennen das Gelände. Suchen Sie das Mädchen und bringen Sie es her." -86-
Ihr verdammten Schweine, dachte Franco benommen. Ihr scheut auch vor keiner Gemeinheit zurück. Das Telefon auf dem Schreibtisch schnarrte. Leoni nahm den Hörer ab. Er lauschte, spitzte die Lippen. Dann sagte er bedauernd: „Es tut mir leid, Sir, aber die Leitungen sind unterbrochen ... Ja, Mr. Rathbone bemüht sich, die Verbindung so schnell wie möglich herzustellen. Bitte, haben Sie etwas Geduld, Sir. Vielleicht morgen früh." Er legte auf. Von der Polizei war keine Rede mehr, dachte Franco. Er sah Rathbone an, doch der Besitzer der Blue Sky wich seinem Blick aus. Rathbone war feige. Das war gut so. Wäre er ein mutiger Mann gewesen, wäre er jetzt vielleicht schon tot. Wieder schnarrte das Telefon. Diesmal gab Leoni den Hörer an Marco Benedict weiter. „Ja, Carlo? Was gibt's?" Die Augen des Capo verengten sich, richteten sich auf Franco. Fast ohne die Lippen zu bewegen, fragte er: „Hat er ihn gesehen? Wann war das? Ja, es ist gut. Sucht weiter. Sucht alles ab." Er legte den Hörer langsam zurück. Franco wußte, was Carlo seinem Boß gemeldet hatte. Carlo hatte ihm von dem Mann erzählt, den Franco niedergeschlagen hatte. Der Niedergeschlagene hatte Franco nicht erkannt. Und es schien, als sei Francos Alibi mit diesem Fall sogar bestätigt worden. Auch wenn die Zeit etwas knapp war. Die Kerle konnten sich ruhig selbstsicher und einigermaßen gelassen geben. Sie hatten eine ganze Ranch mit an die hundert Gästen und etwa fünfzig Angestellten fest in der Hand. Niemand würde den Helden mimen wollen. Sie konnten sich Zeit lassen. „Ist noch etwas?" fragte Leoni. „Die Polizei ..." Franco wollte zeigen, daß er nicht so schnell nachgab. Von einem Mann wie ihm erwarteten sie vielleicht einigen Widerstand. -87-
„Sie haben es eben gehört, Joe", Leoni deutete auf das Telefon. „Die Leitungen sind gestört." Leoni lächelte bedauernd. Langsam schien ihm die Sache Spaß zu machen. Das Gefühl der Macht über andere Menschen begann ihm zu gefallen. „Aber man kann doch einen Wagen oder den Hubschrauber ..." „Joe, wir wollen jetzt mal eins klarstellen", schaltete sich Marco Benedict ein. Er lächelte dünn. „Es gibt immer und überall Leute, die befehlen, und andere, die gehorchen. Leute, die das Sagen haben, und andere, die tun, was man ihnen sagt und ansonsten den Mund halten. Verstehen Sie mich?" „Ich fürchte, nein, Sir", antwortete Franco. Benedict seufzte. „Joe, wir haben diesen Laden besetzt. Ich muß so deutlich werden, weil Sie ein aufrechter Mann zu sein scheinen. Ihre Haltung ehrt Sie, Joe. Ich habe Respekt vor Ihnen. Aber ich kann erwarten, daß Sie auch mich und meine Haltung respektieren." Die Stimme des Capo hatte sich nicht gehoben, aber sie klang jetzt schneidend und scharf. „Um es ganz deutlich zu sagen, Joe - entweder machen Sie bei diesem Spiel mit, oder Sie werden alles verlieren. Möglicherweise sogar Ihr Leben. Verstehen Sie mich jetzt?" „Ich ... glaube, ja, Sir." Der Teufel hatte seine Maske abgelegt. Das war ein Erfolg für Franco. „Werden Sie tun, was man von Ihnen erwartet?" „Miß Conrad suchen?" „Ja." „Ja, ich werde sie suchen." „Und Sie werden sie herbringen, Joe." „Ja, Sir, ich werde sie herbringen." Benedict und Leoni lächelten einander an. Sie waren mißtrauische Halunken, aber sie konnten sich einfach nicht vorstellen, daß es Leute gab, die sich nicht einschüchtern ließen. -88-
„Nick", sagte Benedict zu Leoni. „Sagen Sie Carlo Bescheid. Er soll unserem Freund hier", der Capo deutete mit dem Kopf auf Franco, „einen Begleiter geben." Benedict lächelte dünn. „Dann ist es für Sie einfacher, Joe." Und er hatte einen Aufpasser im Nacken. Franco nickte. „Sie können schon gehen, Joe", sagte Benedict leise. „Suchen Sie Carlo und melden Sie sich bei ihm. Er ist irgendwo draußen." Leoni würde Carlo entsprechende Anweisungen geben. Deshalb schickten sie ihn hinaus. Franco wandte sich um. Sein Blick fiel auf Plattnase, der in seinem eigenen Erbrochenen lag und jetzt sein verschmiertes Gesicht hob. „Noch etwas, Joe", meldete sich Benedict. „Wenn Sie unten sind, schicken Sie jemand zum Saubermachen herauf." Franco verließ Rathbones Office. Seine Bewegungsfreiheit war jetzt beträchtlich eingeschränkt. Er hatte jetzt nur noch kurze Zeit, in der er versuchen konnte, etwas zu unternehmen. Aussichtslos, dachte er hoffnungslos. Er sollte seinen Wachhund so bald wie möglich akzeptieren und ihn für seine Pläne einspannen. Ihn einen Wagen requirieren lassen, zum Beispiel. Denn er mußte die Ranch verlassen. Mit Julie. Bevor der Morgen graute. Einigermaßen zuversichtlich durchquerte er die Halle. Er spähte in die Bar. Sie war überfüllt. Nachdem die meisten Gäste draußen ihren Hunger gestillt hatten, hielten sie sich hier an kalten Drinks fest. Weil draußen immer noch, wie sie glaubten, der verrückte Amokläufer herumtobte. Allan Stark konnte Franco nicht mehr entdecken. Der verräterische Schuft lag jetzt vermutlich im Vollrausch in seinem Bett. Franco wollte schon weitergehen, als er wie vom Donner gerührt stehenblieb. -89-
An der Bar saß der Mann, den er hier zuallerletzt erwartet hätte. Weißes Haar, aufrechte, asketische Erscheinung. Im Spiegel über dem Flaschenregal sah er das scharfgeschnittene, gebräunte Gesicht, und ein zwingender Blick aus steinharten Augen saugte sich für einen Moment an Francos Gesicht fest. Franco spürte ein hohles Gefühl in der Magengrube. Jetzt war er wirklich von allem abgeschnitten. Denn der Mann an der Bar war Colonel Warner, der Chef von COUNTER MOB.
* Franco schob sich näher an die Bar heran. Miguel, einer der vier Mixer, wurde auf ihn aufmerksam, und Franco bestellte eine Cola. Miguel grinste, als er Franco das Glas reichte, aber er sagte nichts. Heute war nicht der Tag für die üblichen Scherze. Colonel Warner starrte vor sich hin. Er malte in einer Getränkepfütze, wobei er mit dem Ärmel den Schlüssel zu seinem Apartment hin und her schob. Franco erkannte die Zimmernummer auf dem Schlüsselanhänger - 5/B 4. Der Colonel hatte also ein Apartment auf der Blue Sky. Bungalow fünf, Eingang B, Apartment Nummer vier. Franco stürzte die Cola hinunter, dann verließ er das Haupthaus. Draußen im Patio rieselte sanfte Musik aus den Lautsprechern, die unter dem überhängenden Dach montiert waren. Zum Klang der Musik drängten sich einige Paare auf der Marmorfläche. Die Girls taten ihre Jobs - die Gäste unterhalten. Keine düstere Stimmung aufkommen lassen. Er wandte sich nach rechts. Bungalow Nummer fünf lag in der Mitte des Tals in unmittelbarer Nähe des Baches. Franco -90-
streifte die anderen Hütten mit schnellen Blicken, und etwas länger verweilte er nur an dem dunklen Umriß des Hauses, in dem sein eigenes Zimmer lag und wo er Julie wußte, die dort voller Furcht im Dunkeln auf seine Rückkehr wartete. Sie würde sich noch eine Weile gedulden müssen. Die unplanmäßige Anwesenheit des Colonels beunruhigte Franco mehr, als er sich eingestehen wollte. Noch nie hatte sich der Chef von COUNTER MOB an den Schauplatz einer Aktion gegen die Mafia begeben. Ungesehen erreichte er die Doppelhütte. Er wartete neben dem Eingang im Schatten, bis der Colonel auftauchte, dann folgte er ihm einfach. Unmittelbar hinter dem Chef jener geheimen Regierungsstelle, für die Franco Solo arbeitete, betrat er dessen Zimmer. Der Colonel schloß die Tür. Die Fenster waren bereits verhängt, die Jalousien herabgelassen. Colonel Warner schaltete das Licht an und richtete den Blick auf Franco. „Was geht hier vor?" fragte er ohne Einleitung. Franco gab schnell einen kurzen Bericht, der mit Kellers Tod begann und über Durrances Ermordung zu seiner kurzen Konferenz mit Leoni und Marco Benedict führte. Franco war bewußt, daß seine Erfolgsbilanz nicht gerade aufregend aussah. „Keller-Random hätte vielleicht nicht zu sterben brauchen, wenn man mir gesagt hätte, wer er war oder umgekehrt." Colonel Warner wischte Francos Bemerkung mit einer knappen Handbewegung vom Tisch. Nicht unsere Schuld, wenn sich unfähige Ignoranten einmischen, sollte die Bewegung bedeuten. „Ich hatte Sie schon gesucht", sagte der Colonel, ohne auf einen einzelnen Punkt aus Francos Bericht näher einzugehen. „Ich bin heute am späten Nachmittag eingetroffen ..." Da hatte Franco etwas von dem versäumten und bitter benötigten Schlaf nachgeholt. „Ich trete hier übrigens als Owen Lorrimer auf, Grundstücksmakler aus Virginia. Kommen wir zur -91-
Sache, zum Grund für meine Anwesenheit hier. Die Dinge spitzen sich zu. Woodrow Totten war der Mann, der die MafiaHolding leitete. Und dann ist Carlo Porcelli hier ..." Franco wurde blaß. Carlo ... Der Bursche, der die Besetzung der Ranch leitete. Carlo Porcelli war Caporegime in der Familie des Don Giorgio Farelli, eines der beiden großen Capos aus Las Vegas. Don Giorgio war ebenfalls an der Holding beteiligt. Er hatte seinen Caporegime, seinen verläßlichsten, grausamsten Unterboß, ausgeliehen, damit die Gewähr bestand, daß hier nichts, aber auch gar nichts schieflief. „Und dann ist natürlich noch Luigi d'Ambrosio hier. Don Luigi - ich hätte es eigentlich wissen müssen, daß er die ganze Geschichte deichselt. Er hat das nötige Format dafür und den finanziellen Background." Luigi d'Ambrosio - Franco kannte diesen Capo nur vom Hörensagen. D'Ambrosio hatte sich vor etwa einem Jahr an die Spitze der fünf New Yorker Mafia-Familien gesetzt. Er genoß das Vertrauen der anderen Bosse an der gesamten Ostküste. „Luigi hat allein zehn Prozent des für den Aktienkauf benötigten Kapitals gezeichnet. Seine Freunde von der Ostküste haben weitere sechzig Prozent aufgebracht. Deshalb, Franco, ist er hier. Er will dabeisein; wenn der große Happen eingesackt wird. Er wird also den größten Anteil bezahlen und den Whitman-Konzern in die Holding einbringen. Es ist der größte Coup, den die Mafia je gelandet hat." „D'Ambrosio ist also hier", stellte Franco atemlos fest. Dieser Big Boß war also das Angriffsziel. Endlich gab es einen Namen für den Gegner. „Ja, er ist hier. Haben Sie ihn noch nicht gesehen? Er muß schon seit ein paar Tagen auf der Ranch sein. Franco, was haben Sie die ganze Zeit getan?" „Ich habe Durrance die Berge gezeigt", knirschte Franco aufgebracht. „d'Ambrosio - ist er ein großer, eleganter Kerl mit -92-
Adlernase und Silberhaar?" „Geiernase, Franco, ja, das ist er. Brillanten für sechzigtausend an den Fingern, Gold im Mund ... Sie haben ihn also doch gesehen ..." „Er nennt sich hier Marco Benedict, und er leitet die Besetzung persönlich", sagte Franco. „Das ist gut ... Das ist sehr gut. Das bricht ihm vielleicht das Genick. Er hat nicht damit gerechnet, daß es hier heiß hergehen könnte. Jetzt hat er sich selbst eingesperrt. Denn die Ranch ist eine Falle ..." „Er kann jederzeit ausfliegen, Sir", gab Franco zu bedenken. „Zu viele Leute haben ihn gesehen. Aber das ist jetzt nicht so wichtig." „Warum sind Sie hergekommen?" erkundigte sich Franco. Er mußte sich bald bei Carlo melden. Wenn er überfällig wurde, würden sie vielleicht sein Zimmer durchstöbern ... „Ich konnte Sie schlecht anrufen, Franco, um Ihnen die neuesten Informationen zukommen zu lassen. Ich habe von draußen beobachtet, wie sich die Dinge zuspitzten. Aus den Beobachtungen konnte ich schließen, daß die Vertragsunterzeichnung unmittelbar bevorsteht. Aber das ist nicht alles. Es geht um Lawrence Whitman. Wir können das Geschäft, ganz gleich, was hier vorgefallen ist, nur dann verhindern, wenn wir Gelegenheit bekommen, mit Whitman zu reden." „Dann suchen Sie ihn." „Das tun wir auch, Franco", versicherte der Chef von COUNTER MOB ruhig. „Wir, das heißt, das FBI sucht ihn und die CIA ebenfalls. Weil wir eine Zeitlang davon ausgingen, daß man ihn im Ausland versteckte. Aber das ist nicht der Fall, wie wir jetzt vermuten." Der Colonel machte eine nachdenkliche -93-
Pause. „Die Experten aus dem Department of Justice, dem Pentagon und dem Wirtschaftsministerium haben sich zusammengesetzt, um die rechtlichen Aspekte der geplanten Transaktion zu durchleuchten. Sie haben einen Haufen Vorschriften entdeckt, die für eine Transaktion, wie sie von Whitman und der Holding geplant wird, berücksichtigt werden müssen. Allein die Umgehung der Antitrustgesetze machte es nötig, daß die Holding mehrere andere Firmen abstoßen oder in andere Gesellschaften einbringen mußte. Doch das betrifft uns nicht. Kernstück der Gesetze ist eine Vorschrift, die besagt, daß bei einem Aktienkauf dieses Umfanges, wenn er nicht über die Börse abgewickelt wird, der Verkäufer des Aktienpaketes persönlich erscheinen muß." „Das ist ja großartig", sagte Franco ohne Enthusiasmus. „Dann wird er ja hier auftauchen müssen, und Sie können mit ihm reden." „Wir müssen ihn vorher finden. Whitman muß also in der Nähe sein. Ich bin überzeugt, daß die Vertragsunterzeichnung unmittelbar bevorsteht. Wie gesagt, Totten hält sich bereits auf der Ranch auf. Ich weiß, daß heute nachmittag zwei Notare aus Topeka nach Montana abgereist sind. Die Notare sind die Testamentsvollstrecker des verstorbenen George Harrison Whitman und somit momentan auch Lawrence Whitmans Rechtsvertreter." „Dann lassen Sie die Notare aufhalten", schlug Franco vor. Er war nervös. Er dachte an Julie. „Das ist bereits geschehen", sagte Warner kühl. „Aber notfalls können rechtsgültige Verträge auch ohne Mitwirkung dieser Herren abgeschlossen werden. Sie können beliebige Juristen hinzuziehen, wenn die betroffenen Parteien einverstanden sind." „Durrance ist tot." „Das spielt keine Rolle. Soweit ich informiert bin, sind die Verträge weitgehend formuliert. Die letzten Änderungen kann -94-
notfalls Allan Stark vornehmen. Er ist Jurist. Franco, d'Ambrosio wird nicht warten wollen und können. Sie müssen die Verträge abschließen, bevor Tibor Durrances Tod bekannt wird. Das heißt, sie werden versuchen, die Sache entweder noch in der Nacht oder morgen in aller Frühe durchzuziehen. Dann verschwinden sie und hinterlassen hier ein Schlachtfeld." Oder einen Friedhof, dachte Franco bitter. „Ich muß Miß Conrad in Sicherheit bringen", sagte er laut. „Franco, unter normalen Umständen würde ich Ihre Haltung respektieren und Sie nach Kräften unterstützen. Aber der Job hat Vorrang." Warners Augen wirkten wie tot. Er mußte jedes menschliche Gefühl ausschalten. „Wir sind von der Außenwelt abgeschnitten. Es gibt keine Hilfe. Sie sind allein, Franco. Sie müssen Whitman finden und ihn wegschaffen, notfalls mit Gewalt. Sie müssen dafür sorgen, daß ich mit ihm reden kann. Deshalb bin ich hergekommen. Ohne Whitman keine Verträge. Das ist die Parole." Franco schüttelte den Kopf. Er spürte wieder diese seltsame Leere in sich. Die Unmenschlichkeit, mit der dieser Krieg geführt wurde. Was gingen ihn die Aktien eines verdammten Rüstungskonzerns an? Er sah Julie vor sich. Immer wieder Julie. Sie war unschuldig. Sie war zwischen die Fronten geraten. Er konnte sie doch nicht draufgehen lassen, verdammt nochmal! Er konnte das Brummen eines Automotors hören. Der Wagen rollte vorm Haus aus. Bungalow Nummer fünf war an der Reihe, durchsucht zu werden. „Suchen Sie Whitman, Franco! Das ist alles. Vergessen Sie alles andere, verstanden?" „Was ist, wenn er noch gar nicht hier ist? Wenn er in Gönner oder Hamilton oder in Butte in einem Hotel untergetaucht ist und sie ihn erst unmittelbar vor der Unterschriftsleistung herüberfliegen?" „Dann schnappen Sie ihn eben unmittelbar vor Vollziehung -95-
der Unterschriften, Franco", sagte der Colonel kalt. „Das ist alles. Sie sollten jetzt gehen, damit man uns nicht zusammen sieht."
* In diesen Sekunden haßte Franco den Mann, der sich wie er dem Kampf gegen das organisierte Verbrechertum verschworen hatte. Er haßte ihn, und er würde gegen die Befehle handeln. Er würde Julie herausbringen aus der Hölle. Und dann würde er zurückkehren. Vor dem Bungalow begegnete er vier Kerlen, die von einem fünften angeführt wurden und wie ein Suchtrupp ins Haus einfielen. Immerhin hielten sie ihre Waffen nicht in den Fäusten. Der Anführer war ein Kerl mit feuchten Babyaugen und glattem, schwarzem Haar. Er fixierte Franco mißtrauisch. Der Mafiajäger blieb stehen. „Wo ist Carlo?" fragte er. „Carlo? Was wollen Sie von Carlo? Wer sind Sie überhaupt?" „Ich bin Joe Rosso. Ich habe den Auftrag von Mr. Benedict persönlich. Also, wo finde ich Carlo?" „Da drüben irgendwo." Der Schwarzhaarige deutete in die Dunkelheit, wo die Schuppen mit den vielseitigen Freizeiteinrichtungen lagen - Räume für so unterschiedliche Hobbys wie Tischtennis, Gymnastik oder Basteln, aber auch das Fotolabor und zwei Projektionsräume waren dort untergebracht. Franco ließ den Schwarzhaarigen einfach stehen. Er lief zu den Schuppen hinüber. Er sah Lichter hinter den Fenstern tanzen. Vor der Tür des ersten Gebäudes sah er einen offenen Jeep stehen, der von einem gummikauenden Gorilla bewacht wurde. Der Gangster hatte einen Fuß auf das Trittbrett gesetzt. Griffbereit lag eine MPi auf dem Kotflügel. -96-
Der Bursche nahm die Waffe auf, als er Franco bemerkte. Franco näherte sich vorsichtig dem Eingang zu dem Gebäude. „Stop", sagte der Kerl mit dem Kaugummi. „Hier können Sie nicht rein." „Ich soll mich bei Mr. Carlo melden", sagte Franco bescheiden. „Mr. Benedict schickt mich." Der Typ schielte Franco argwöhnisch an, dann bewegte er sich rückwärts bis an die Tür, verdrehte den Kopf und rief: „Carlo! Hier ist jemand ..." Die Antwort konnte Franco nicht verstehen, aber der Bursche mit der MPi gestattete ihm, das Haus zu betreten. Franco entdeckte Carlo Porcelli in einem der hell erleuchteten Werkstatträume. Er lehnte an der Wand und sah zwei Männern zu, die Schränke von den Wänden rückten und jeden Hohlraum absuchten. „Ich soll mich bei Ihnen melden", sagte Franco. „Ich bin Joe Rosso." Carlo Porcelli hatte ein längliches Gesicht mit hohlen Wangen und olivfarbenen Lippen. Seine Augen waren blaß, ihr Blick gefühllos. Ein Killer, schoß es durch Francos Kopf. Carlo Porcelli hat Durrance getötet. Der Caporegime wollte und durfte kein Risiko eingehen. Und doch war er von einer Zeugin überrascht worden ... „Wo hast du solange gesteckt?" fragte der Gangster mit leiser, etwas rauher Stimme. Die blassen Augen klopften Franco ab. Vermutlich verglich er jetzt das Bild, das er sich von seinem unsichtbaren Widersacher gemacht hatte, mit Francos Erscheinung. „Ich habe Sie gesucht", sagte Franco. „Vorher habe ich an der Bar etwas getrunken ..." „Du sollst dieses Mädchen suchen", sagte er zusammenhanglos. „Hast du eine Idee, wo sie stecken könnte?" -97-
Franco breitete die Hände aus. „Jede freie Minute verbrachte sie auf den Sportplätzen", sagte er. „Sie kennt sich dort aus." „Nun gut. Du kannst die Sportanlagen absuchen. - Jack!" rief er dann laut. In der Tür erschien ein grobschlächtiger Geselle mit breiten, runden Schultern, die in einem schimmernden Seidenanzug steckten. Er sah wie ein Müllfahrer im Sonntagsanzug aus. Er hatte kleine gemeine Augen, die tief in den Höhlen lagen. „Jack", sagte Carlo, „das ist Joe." Jack verzog die vollen Lippen zu einem hämischen Grinsen. Carlo hatte ihn vermutlich schon instruiert. „Ihr sucht zunächst die Sportanlagen ab", sagte Carlo. „Verschwindet." Franco nickte dem Burschen zu. Er lächelte, und Jack grinste zurück. Franco ging nach draußen. Dort blieb er gleich wieder stehen. Jack prallte gegen ihn. „He, was ist denn?" fragte der Gangster. „Wo ist unser Wagen?" fragte Franco. „Wagen? Unser Wagen?" „Yeah, unser Wagen! Hat Carlo dir nichts gesagt? Meinst du, ich habe Lust, zu Fuß durch den Bach zu latschen? Und bei der Finsternis da drüben zwischen den Anlagen herumzustreifen? Meinst du, ich will aus dem Hinterhalt ein Messer in den Rücken bekommen?" Diese Überlegungen leuchteten dem Burschen ein. Aber Carlo hatte natürlich nicht daran gedacht, einen Wagen für sein neues Team bereitzustellen, zumal er anfangs ja nicht gewußt hatte, wo Franco mit seiner Suche beginnen wollte. „Warte hier. Ich frage den Boß." Jack trabte davon. Als er zurückkehrte, winkte er Franco zu. Der Kerl in der Garage wußte Bescheid. Also hatte Carlo dort angerufen. Der Gangster rückte demnach nur auf ausdrückliche -98-
Anweisung des Caporegime ein Fahrzeug heraus. Sie bekamen einen der Pickups, einen Dodge mit vier Sitzen in der Kabine und einer kleinen Ladefläche hinten. Der Gangster schwang sich hinter das Lenkrad. Er murkste eine Weile mit den Gängen herum, aber bald hatte er es gepackt. Er jagte den geländegängigen Wagen aus der Garage und fuhr direkt in die schwarze Nacht. „Ich würde die Scheinwerfer einschalten", sagte Franco. Jack fluchte und fummelte am Armaturenbrett herum. Schließlich zeigte Franco ihm die Schalter. Die Scheinwerfer flammten auf. Franco deutete nach Süden. „Fahr dahin", sagte er. „Ich denke, wir sollen zu den Sportanlagen da drüben fahren,", sagte Jack. Er fluchte laut, als der Wagen über eine Bodenwelle sprang und dann in die darunterliegende Senke krachte. „Yeah, aber zuerst will ich in die Hütte da drüben. Da liegt nämlich mein Zimmer, verstehst du? Ich will meine Zigaretten holen, meine Windjacke und eine Taschenlampe. Ich habe nämlich keine Lust, da im Dunkeln herumzutappen, aber das habe ich wohl schon gesagt, oder?" Jack maulte. Er nahm das Gas weg, wußte anscheinend nicht, wie er sich verhalten sollte. Er hatte seine strengen Anweisungen. Franco konnte sich vorstellen, wie sie lauteten laß den Kerl nicht eine Sekunde lang aus den Augen. Aber Franco hatte seinen Plan gefaßt. Die Gelegenheit war günstig, und er mußte die Chance nutzen. Er war in den Besitz eines Wagens gelangt. Man würde ihn während der nächsten halben Stunde nicht vermissen, weil man ihn drüben bei den Sportanlagen vermutete. Ja, er mußte die Chance nutzen. Jack niederschlagen, sich in den Besitz des Fahrzeugs setzen und Julie aus der Falle herausbringen. „Mr. Benedict hat gesagt, ich soll das Girl suchen. Auf meine -99-
Weise, verstehst du? Aber okay, okay, wenn du meinst, fahr zurück und frag Carlo. Los, fahr zurück!" Jack murrte. Er wollte seinem Boß nicht schon wieder auf den Wecker fallen. Francos Rechnung ging auf. Jack steuerte den Bungalow am Südende des Tals an. Er stoppte genau vorm Eingang, stellte den Motor ab und machte Anstalten, auszusteigen. Damit hatte Franco rechnen müssen. „Warte hier", sagte er dennoch und scheinbar gelassen. Er sprang aus dem Wagen und wetzte um die Motorhaube herum. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Jack, der ebenfalls ausstieg. Der Gangster hielt ein kleines Walkie-Talkie in der Hand. „Okay, dann komm mit", sagte Franco ergeben. Er hielt die Tür für Jack auf. Der Gangster ging an Franco vorbei. Franco sah sich um. Kein Mensch war zu sehen. Er mußte es jetzt tun. In diesem Moment, bevor Jack seinem Boß über Funk mitteilen konnte, wo er gelandet war, und bevor er Julie zu sehen bekam. Franco spannte seine Muskeln. Er visierte eine Stelle in Jacks breitem Stiernacken an. Da hörte er ein Geräusch. Am Ende des unteren Flurs wurde eine Tür geöffnet. Eine breite Lichtbahn fiel in den Gang, ein Schatten kreuzte das Licht. Franco erkannte einen der Reitlehrer. „Hi, Jo", sagte Mike Hobart. „Hi, Cowboy", gab Franco zurück. Mike war einem Plausch nicht abgeneigt. Er hatte offenbar noch nicht mitbekommen, daß auf der Ranch der Teufel los war. Jack wollte die Pause benutzen, um sich bei seinem Boß oder wer immer das Gegenstück zu dem Walkie-Talkie in der Hand des Gangsters besaß, zu melden. Franco ließ Mike einfach stehen und lief die Treppe hinauf. -100-
Der Gangster folgte ihm notgedrungen. Jacks Tritte dröhnten auf der Treppe. Franco schob den Schlüssel ins Schloß in seinem Zimmer. Er wollte die Tür aufdrücken, als Jack ihn an der Schulter packte und zurückriß. „Ich gehe vor", sagte er. Seine kleinen Augen glitzerten mißtrauisch. Er schob sich in das Zimmer hinein, und bevor Franco zu einem entscheidenden Schlag kam, war er drinnen und hatte sich von der Tür weg in die rechte Ecke geschoben. Er schaltete das Licht an. Francos Herz wummerte wie mit Hammerschlägen gegen die Rippen. Er schwitzte heftig. Francos erster Blick fiel auf das Bett. Es war sorgfältig gemacht und leer. Jack bewegte sich behende auf die Tür zum Bad zu. Sein Verhalten verriet Franco nur zu deutlich, wie die Instruktionen lauteten, und mehr noch, daß Carlo Porcelli Franco verdächtigte, der Mann zu sein, der Julie zu Hilfe gekommen war. Die Tür zum Bad krachte gegen die Wand. Auch das Bad war leer. „Stell dich da ans Fenster", befahl Jack. Er hatte seine Jacke zurückgeschlagen, und Franco konnte den Kolben und die Riffelschalen eines schweren Revolvers erkennen, den der Gangster rechts am Gürtel trug. Franco stellte sich neben das Fenster. Er warf einen Blick hinaus. Seine Kopfhaut zog sich zusammen. Von der Freizeitanlage her näherten sich Scheinwerfer. Diese Hütte, das erkannte Franco mit Schrecken, würde als nächste durchsucht werden. Ihm blieb nicht einmal mehr eine Minute. Jack hatte sich auf den Boden gelegt. Er peilte unter das Bett. Dort stand Francos Koffer und verdeckte die Klappe. Jack -101-
ächzte, als er den Koffer unter dem Bett hervorzog. „Warte", sagte Franco, „ich nehme dir den Koffer ab." Er machte einen Schritt vor. Jack hatte den Kopf gehoben. Er ahnte, daß etwas faul war, aber Francos Angebot hatte so unverfänglich geklungen, daß er nicht schnell genug schaltete. Franco bückte sich. Da schnellte seine Handkante herab.
* Jack fiel aufs Gesicht. Er war nicht bewußtlos. Er zog die Beine unter seinen schweren Körper, während er mit der Hand bereits versuchte, an den Revolver zu kommen. Franco schmetterte eine zweite Handkante herunter. Diesmal legte er alle Kraft in den Hieb. Und dieses Mal sackte der Gangster schlaff zu Boden. Franco packte ihn unter den Schultern, nachdem er die Fenstertür, die nur angelehnt gewesen war, ganz aufgezogen hatte. Er schleifte den Bewußtlosen auf den Balkon und peilte nach unten. Es war verflucht tief. Zu tief, um den Mann einfach fallen zu lassen. Er legte ihn ab, nahm den Revolver an sich, ging ins Zimmer zurück. „Julie!" rief er. „Julie! Wo bist du?" Er warf sich auf den Boden, kroch unter das Bett und öffnete die Klappe. Er starrte in das gähnende Loch, wiederholte den Namen. Er bekam keine Antwort. Jedenfalls nicht aus dem Verschlag. „Joe! Ich bin hier!" Er wirbelte herum, sprang wieder auf den Balkon. Er sah etwas Helles über sich. Er reckte die Arme und fing -102-
Julie auf. Schluchzend lag sie an seiner Brust. „Ich sah den Wagen kommen, und ich sah dich aussteigen", stammelte sie. „Als ich den anderen Mann aussteigen sah, war es zu spät, um in den Verschlag zu kriechen." Er streichelte ihren Kopf. „Es war gut so", sagte er und sah nach oben, und er fragte sich, wie lange sie sich an den rauhen Dachbalken hätte halten können. Die Scheinwerfer kamen näher. „Kannst du mit dem Wagen da unten umgehen?" fragte er. Sie nickte. „Geh runter und setz ein Stück zurück. Bis das Dach unter dem Balkon steht. Wenn ich zweimal mit der Hand aufs Wagendach klatsche, mußt du abfahren. Zum Creek. Und nach Osten, immer nach Osten, bis ich was anderes sage. Los jetzt!" Sie lief davon. In der rechten Hand hielt sie immer noch die Luger. Franco hievte den bewußtlosen Gangster auf das Geländer, nachdem er hinter sich im Zimmer das Licht ausgeschaltet hatte. Der Motor des Dodge heulte auf. Franco sah das glänzende Blech des Wagendaches, wie es sich langsam unter den Balkon schob. Er schwang sich über das Geländer, ließ seine Beine herabbaumeln, bis seine Füße das Dach des Dodge berührten. Er packte die Arme des Gangsters und zerrte an ihnen, bis Jack in seine Arme stürzte. Franco fing ihn sicher auf. Er ließ ihn auf die quadratische Ladefläche gleiten, wo er von den Seitenwänden verdeckt wurde. Er schlug zweimal mit der Hand aufs Wagendach, dann warf er sich neben Jack, preßte sich auf die Ladefläche. Julie gab Gas. Der Pickup schoß davon. Die Scheinwerfer des anderen Wagens strichen über den Dodge hinweg und erfaßten das Haus. Vorsichtig peilte Franco über die Kante der Ladefläche. -103-
Hart wurde das andere Fahrzeug abgebremst, drei Männer sprangen heraus. Niemand schien Verdacht geschöpft zu haben. Jack stöhnte, dann richtete er sich auf. Franco schlug mit dem Kolben des Revolvers zu.
* Während der rasenden Fahrt zum Bach hinunter öffnete Julie das Heckfenster. „Du kannst jetzt die Scheinwerfer einschalten", sagte er. Er klammerte sich an dem Haltebügel fest und versuchte, die Stöße mit den Beinen abzufangen. „Wohin?" schrie Julie. „Weißt du, wo der Schießstand ist?" „Ja ..." „Dann los!" Der Pickup schoß durch das flache, aufspritzende Wasser des Great Rock Creek. Franco blickte zurück. Sie wurden nicht verfolgt. Einen Augenblick dachte er an Allan Stark. Es wäre vielleicht gut gewesen, wenn er den jungen Anwalt mitgenommen hätte, aber Stark lag jetzt wahrscheinlich betrunken in seinem Bett und versuchte zu vergessen, was seinem Boß zugestoßen war. Die hohen Zäune der Tennisplätze flogen vorbei, dann riß Julie das Lenkrad herum. Franco mußte sich festhalten, um nicht von der Fliehkraft vom Wagen geschleudert zu werden. Die Schutzwälle, die den Schießstand umgaben, tauchten im Licht der Scheinwerfer auf. Der Wagen verschwand hinter den Wällen wie in einem Schützengraben. Von der Ranch aus waren sie jetzt nicht mehr zu erkennen. -104-
Das Schutzdach über den Schießständen wurde sichtbar. Dahinter der flache, eckige Betonbau, in dem die Waffen und die Munition, die Schießscheiben, die Ohrschützer und die Wurfmaschinen für die Tonscheiben aufbewahrt wurden. Julie schaltete die Scheinwerfer aus und stoppte vor dem Gerätehaus. Franco flankte von der Ladefläche. Er besaß einen Hauptschlüssel, der für alle Türen an den allgemeinen Anlagen der Gästeranch paßte. Er schloß die Tür auf und hakte sie fest. Dann rannte er zurück. Julie war ausgestiegen. Im schwachen Widerschein des Standlichts erkannte er ihr blasses, angespanntes Gesicht. Er zerrte den bewußtlosen Gangster von der Ladefläche und schleifte ihn ins Haus. Julie kam hinterher. „Mach die Tür zu und schalte das Licht ein", sagte Franco. Es wurde hell im Gang. Franco sah mehrere Türen. Er war erst einmal hier gewesen, und er hatte nicht alle Räume gesehen. Er wußte jedoch, daß es einen Pistolenschießstand gab. Er legte den Gangster ab und stieß nacheinander die verschiedenen Türen auf. Der Schießstand für Handfeuerwaffen bestand aus einem vierzig Yard langen Raum aus Betonwänden und einer nach hinten abgeschrägten Decke. Tausende Bleikugeln hatten ihre Spuren an den Wänden und an der Decke hinterlassen. Es roch kalt und scharf nach Kordit. Franco untersuchte den fensterlosen Raum. Die schwere Doppeltür ließ sich von außen verschließen. Im Schrank befanden sich lediglich Schießscheiben und mehrere Paar Ohrenschützer, aber keine Waffen und keine Munition. Franco riß das Telefon von der Wand, dann zerrte er den Gangster in den Raum. Er legte ihn einfach auf den kalten Boden, weil es keine andere Möglichkeit gab. Er nahm ihm das Walkie-Talkie ab, filzte noch einmal seine Taschen. Dann zog er sich zurück und sperrte den Gangster ein. -105-
Julie wirkte erleichtert. Die Gegenwart des schlaffen, scheinbar leblosen Körpers hatte ihr zugesetzt. Doch der Alptraum, dachte Franco mitleidig, würde noch andauern. Noch hatten sie das Tal nicht verlassen. Noch befand sich Julie nicht in Sicherheit. Und sie wußte nicht, daß er zurückkehren mußte in die Hölle, weil er einen Job zu erledigen hatte. Franco wußte, wo die Waffenkammer lag. Er brach den Stahlschrank auf. Einen Moment lang starrte er sprachlos die Sammlung schwerer Waffen an, die eher einem Armeemuseum Ehre gemacht hätte. Doch Franco dachte an die Ansprüche der Gäste einer Ranch, die sich nicht mit Sport- oder Jagdwaffen begnügten. Die hatten sie auch zu Hause. Ferien auf einer Ranch wie der Blue Sky suggerierten mehr als nur einen Hauch von männlichen Abenteuern. Franco schwankte einen Moment zwischen einer hochpräzisen Match-Waffe und einem Schnellfeuergewehr, ehe er sich für das Armeegewehr entschied. Mit dem schweren M14 konnte er einem Hubschrauber das Heckleitwerk wegfetzen oder ihn, notfalls, auch abschießen. Er packte noch eine großkalibrige doppelläufige Schrotflinte und stopfte sich die Taschen der Jacke mit Munition voll. Dann rannte er mit Julie nach draußen. Er löschte die Lichter im Flur und schloß die Außentür wieder ab. Je später sie Jack fanden, desto größer wurde vielleicht sein Vorsprung. Sie schwangen sich in den Pickup. Franco klemmte die beiden Gewehre zwischen die Vordersitze. Julie hatte Francos Luger vorn auf die Ablage unter der Windschutzscheibe gelegt. Jetzt nahm sie die Pis tole wieder in die Hand. Franco startete, stieß zurück und riß das Fahrzeug herum. Ohne die Hauptscheinwerfer einzuschalten, trieb er den Dodge am Ostufer des Creek nach Süden, wo es den einzigen Ausgang -106-
aus dem Tal gab. Als sie das letzte Gebäude passierten, schaltete er auch die Standlichter aus und nahm etwas Gas zurück. Bald mußten sie auf die Wachen stoßen, die den Ausgang des Tals bewachten. Sollte er einen gewaltsamen Durchbruch wagen und auf das Überraschungsmoment vertrauen? Oder konnte er einen verwegenen Bluff riskieren? Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Das WalkieTalkie in seiner Tasche meldete sich mit einem energischen Schnarren. „Was ist das?" fragte Julie erschreckt. „Unsere elektronische Leine", antwortete Franco. Er war froh, daß er Jack das Gerät abgenommen hatte. Er zog es heraus. „Sei jetzt still", sagte er zu Julie. Dann meldete er sich mit einem knappen: „Ja? Was gibt's?"
* Er wußte sofort, daß er Jacks Tonfall nicht getroffen hatte. Deshalb mußte er jetzt improvisieren. „Jack? Wo ist Jack?" knarrte es aus dem Gerät. Das war Carlos Stimme. „Sie hat ihn niedergeschlagen", berichtete Franco. Er ließ den Wagen ausrollen, ohne die Fußbremse zu berühren. Das rote Bremslicht hätte den Wachen seinen Standort angezeigt. „Wer hat Jack niedergeschlagen?" erkundigte sich Carlo verblüfft. „Na, das Luder natürlich! Wir haben sie am Unterstand beim Golfplatz aufgestöbert. Sie hat Jack 'nen Schläger über die Birne gezogen und ist mit einem von den Golfwagen abgesaust ..." „Was ist sie? Und du hast sie nicht aufgehalten?" -107-
„Ich habe mich um Jack gekümmert, zum Teufel!" fauchte Franco ins Mikrofon. „Ich bin jetzt hinter dem Luder her ..." „Wo ist sie hin?" erkundigte sich Carlo mit seiner leisen, etwas rauhen Stimme. Sie klang ruhig. Zu ruhig, fand Franco. An Jack verschwendete der Caporegime aus Las Vegas keinen Gedanken mehr. „Ich weiß es nicht genau. Die Karre ist so verdammt leise, daß man sie nicht hören kann. Ich nehme an, sie versucht, den Talausgang zu erreichen. Ich will ihr den Weg abschneiden ..." „Wo bist du jetzt?" Das war die entscheidende Frage. Die Kontrollfrage. Franco grinste mit den Lippen. Carlo wußte es garantiert genau. Wahrscheinlich stand der Posten nur ein paar Schritte entfernt und hatte sogar die Mündung seiner Tommy Gun dorthin gerichtet, wo er den Pickup vermutete. Er hatte den Wagen gehört und seinen Boß alarmiert und wartete jetzt auf seine Befehle. „Ich bin am Südende des Tals", antwortete der Mafiajäger wahrheitsgemäß. „Aber vielleicht ist sie schon durch. Diese kleinen Elektrokarren sind verdammt schnell." „Sie sind keine Rennwagen", konterte der Killer gelassen. „Bleib, wo du bist." „Yes, Sir", sagte Franco. „Du bist der Boß." Aber Franco würde nicht bleiben, wo er war. Ihm war nämlich ein Licht aufgegangen. Wahrscheinlich in der ersten Sekunde ihrer Begegnung mußte Carlo erkannt haben, daß er den Mann vor sich hatte, der ihn im Zimmer des Politikers überrascht hatte. Mit dem Instinkt des Gesetzlosen mußte er die Gefahr gespürt haben, die von Franco ausging. Aber bevor er mit Franco abrechnete, spannte er ihn für seine Zwecke ein und ließ ihm ein wenig Bewegungsfreiheit, damit er den Gangster zu Julie führte. Carlo mußte Julie, die gefährliche Zeugin, finden. Da er sicher zu wissen glaubte, daß sie aus dem Tal nicht -108-
herauskam, konnte er mit ihr und ihrem Beschützer ruhig etwas Katz und Maus spielen. Aber er hatte die Leine etwas zu lang gelassen. Jack mochte ein ausgekochter Junge sein, aber kein Gegner für einen Mann wie Franco Solo. Doch wer der angebliche Joe Rosso in Wirklichkeit war, konnte er sich wahrscheinlich in seinen düstersten Schreckensvisionen nicht ausmalen. Er mochte denken, daß sich der Bergführer in das gelehrte Girl verknallt hatte und es retten wollte. Joe Rosso, der edle Ritter. Carlo wird sich amüsiert haben. Carlo war jedoch kein dummer Junge. Carlo würde einfach wissen, daß ,Joe Rosso' das Girl jetzt bei sich hatte. Er würde kommen. Oder seine Boys schicken, die den Talausgang sperrten. Franco legte das Walkie-Talkie weg. Er starrte in die Dunkelheit. Der Motor schnurrte fast unhörbar wie eine gutgeölte Nähmaschine. Franco trat die Kupplung durch und legte den ersten Gang ein. Gleich würde es darauf ankommen, den richtigen Sekundenbruchteil zu treffen. Sanft berührte er Julies Schulter. Sie zitterte wieder. Sie spürte die Anspannung des Mannes an ihrer Seite. Franco drückte sie nieder, bis sie' in den vordersten Fußraum rutschte, wo sie sich zusammenkauerte wie ein Baby. Leise löste er die Schrotflinte, die sich zwischen den Sitzen und mit der anderen Waffe verklemmt hatte. Beide Läufe waren geladen. Er kurbelte die Scheibe an seiner Seite herab und legte die Läufe auf die Fensterkante. Atemlos wartete er. Auf ein Geräusch, auf eine Bewegung, auf einen Befehl aus der Dunkelheit, auf Scheinwerfer, die wie Lanzen aus der Finsternis schießen und ihn blenden würden. Im großen Außenspiegel, der vorn auf der Tür montiert war, sah er eine schwache Bewegung. Gleichzeitig hörte er in der nächtlichen Stille, wie ein Fuß durch das harte Gras strich. -109-
Er holte tief Luft. Es war soweit.
* Licht flutete ihm wie eine gigantische Woge entgegen. Es füllte die Kabine des Dodge, und Franco glaubte, die Wärmestrahlung auf der Haut spüren zu können. Der Wagen der Gangster stand mitten im engen Einschnitt. Wie ein Korken. Es würde eng werden, verdammt eng sogar. Franco schaltete die Fernlichter ein, trat das Gas voll durch und ließ die Kupplung kommen. Der Pickup wurde nach vorn geschleudert, schoß auf den anderen Wagen mit der Batterie greller Lichter vorn auf der Stoßstange zu. Hinter der Lichtschranke blitzte es blutrot auf. Im selben Moment hörte er den Donner des Schusses, und er hörte, wie das Blei über das Dach des Dodge ratschte. Der Pickup stellte sich quer. Er bockte wie ein wilder Mustang. Die sechs grellen Scheinwerfer des anderen Wagens lagen genau vor den Läufen der Schrotflinte. Franco hob den Kolben der Waffe ein wenig an. Die Zwillingsläufe senkten sich um ein, zwei Zoll. Dann feuerte er den ersten Lauf ab. Ein fürchterlicher Schlag ging durch seine linke Seite. Wie aus einer altertümlichen Haubitze krachte das Blei in die Vorderfront des Gangsterwagens. Glas klirrte, splitterte, Birnen zerplatzten, aus schmorenden Kabeln sprühten Blitze. Das grelle Licht erlosch. Franco steuerte den bockenden Dodge mit einer Hand. Er wollte versuchen, links an dem anderen Wagen vorbeizukommen, weil an der rechten Seite hinter der aufgestellten Tür ein Schütze lauerte. Wieder zuckte Mündungsfeuer auf. Dieses Mal zersplitterte die Frontscheibe des Dodge. Erschreckt zog Franco den Kopf ein. Glas prasselte -110-
auf seine Schenkel. „Hab keine Angst", sagte erlaut. „Das ist nur Glas. Wir schaffen es." Julie hielt sich großartig. Sie wimmerte nicht einmal. Der Kerl an der rechten Flanke des Gangsterwagens jagte jetzt Schuß auf Schuß gegen den heranbrausenden Pickup. Franco zog die Flinte aus dem Seitenfenster und stieß die Zwillingsläufe durch die bröckelnde Frontscheibe. Dann feuerte er den zweiten Lauf ab. Er hörte den Donner der Detonation, und er hörte, wie das Blei in die geöffnete Tür des Gangsterfahrzeugs prasselte und die Deckung zerschlug. Ein gellender Schrei über dem Dröhnen der strapazierten Maschine bewies, daß er den Schützen erwischt hatte. Franco ließ die Flinte los und packte das Lenkrad fester. Die Kanone rutschte halb durch den Rahmen und blieb schließlich an einem zackigen Splitter der Scheibe hängen. Die Scheinwerfer- des Dodge rissen die eckigen Konturen eines Range Rover aus der Finsternis. Franco preßte die Zähne aufeinander, als er auf den engen Spalt zwischen dem Wagen und der linken Felswand zuhielt. Das Nadelöhr raste förmlich heran. Da hörte er Schüsse hinter sich. Er hatte den zweiten Mann vergessen, der sich zuvor von hinten an den Pickup herangerobbt und den Franco mit seinem wilden Start abgehängt hatte. Er schaltete die Gänge hoch. Der Dodge krachte über einen Felsbrocken. Er wurde ein ganzes Stück zur Seite geworfen. Franco steuerte gegen. Der Umriß des Rover wuchs, dann krachte die rechte Flanke des Dodge gegen den Kotflügel des Range Rover. Ein Ruck ging durch den Wagen. Metall barst. Wie eine Billardkugel wurde der Pickup zurückgeschleudert. Eins der vier angetriebenen Räder verlor den Bodenkontakt. -111-
Dann zwängte sich das Fahrzeug durch den Spalt. Links schrammte der Felsen über die Flanke. Franco trat das Gas bis zum Bodenblech durch. Der Wagen würgte sich in den Engpaß, drohte eingeklemmt zu werden. Wenn er steckenbleibt, sind wir verloren, schoß es durch Francos Kopf. Verbissen schaltete er zurück, gab erneut Gas. Der Motor heulte gequält, dann fiel die Drehzahl rapide ab. Der Wagen ruckte, wurde langsamer, immer langsamer, während das nervenzerfetzende Kreischen berstenden Metalls und platzender Scheiben die Kabine erfüllte. Und dann steckten sie fest. Endgültig. Zwei Räder drehten noch einmal durch. Steinsplitter spritzten unter die Kotflügel, aber sie kamen nicht mehr vor und auch nicht mehr zurück. Es war alles umsonst, dachte Franco in einem Augenblick der Hoffnungslosigkeit. Sie kamen nicht aus den eingeklemmten Türen heraus. Nur vorn durch die zertrümmerte Frontscheibe. Doch dort steckten die Glassplitter wie Dolche im Rahmen. Aber Franco gab nicht auf. Er war erst dann verloren, wenn seine Leiche im Dreck lag. Rechtzeitig zog er den Kopf ein. Über ihm zerplatzte die Heckscheibe. Er zerrte Jacks schweren Revolver aus dem Gürtel. Er drehte sich um, zog die Beine an, bis er auf dem Sitz kniete. Wie Blut lag der Widerschein der Rücklichter über dem taufeuchten Gras. Franco sah einen Schatten heranhetzen. Der Gangster feuerte aus vollem Lauf. Franco hörte die Kugeln durch die Öffnung der Heckscheibe jaulen oder das Blech durchschlagen. Er zog den Hammer zurück, streckte die Hand. Er zielte über den Lauf auf den heranjagenden Schatten eines Mannes. Dann drückte er ab. -112-
Der Revolver brüllte überlaut. Der Schatten draußen, inmitten der in blutiges Rot getauchten Landschaft, erstarrte wie das Bild eines Films, der angehalten wurde. Noch einmal zog Franco den Hammer zurück, zielte auf den Schatten, obwohl er wußte, daß er keinen zweiten Schuß mehr brauchen würde. Er hatte schießen müssen, um zu töten. Keuchend stieß er die Luft aus, als der Schatten endlich in sich zusammensackte.
* Mit dem Kolben des Revolvers schlug er die Reste der Scheibe aus dem Rahmen, dann kroch er hindurch und legte sich auf die Motorhaube. Er half Julie hinaus. Als sie neben ihm lag und vor Erleichterung schluchzte, beugte er sich noch einmal in den Wagen hinein. Er holte alle Waffen heraus, dann schaltete er die Scheinwerfer aus. Er wollte sich gerade von der Haube rutschen lassen, als sich gebieterisch das Walkie-Talkie bemerkbar machte. Franco nahm es an sich. „Joe! Joe, zum Teufel! Was ist da los? Melde dich, du verdammter Bastard!" Franco lachte laut auf. Es war kein Lachen, das Heiterkeit verriet. Carlo rief ihn. Den Mann, den er zum Abschuß freigegeben hatte. Seine eigenen Killer konnte er nicht erreichen. Sie würden nie mehr antworten. Er nahm Julies Hand und ließ sie behutsam von der Haube gleiten. Sie kauerte vor der bulligen, jetzt jedoch deformierten Schnauze des Dodge und wartete geduldig. Carlo war schwer besorgt. „Melde dich!" schrie er. Franco drückte die Sprechtaste. „Was willst du?" fragte er kühl und unfreundlich. -113-
„Joe! Bleib! Warte auf mich! Ich bin gleich bei dir! Wir müssen über alles reden! Hast du mich verstanden?" Carlo Porcelli mußte die Zeugin beseitigen. Er war eine zu bekannte Figur innerhalb der Cosa Nostra. Er konnte sich nicht wie ein Mietkiller, ein nicht vorbestrafter Mann ohne Gesicht oder besondere Kennzeichen für eine Weile zurückziehen. „Ich habe dich gehört, ja", bestätigte Franco. „Aber ich rate dir eins, Carlo - bleib mir vom Leib! Du hast von uns nichts zu befürchten. Wir wollen nur weg, weit weg. Verstehst du?" Franco wußte, daß sich der Caporegime nicht auf Francos Beteuerung verlassen würde. Aber vielleicht glaubte Carlo, daß der angebliche Joe Rosso und Julie, die Augenzeugin, derart verängstigt waren, daß sie nicht gleich zur Polizei laufen würden. „Bleib, wo du bist, Joe! Oder, bei Gott, ich ziehe dir die Haut in Streifen über den Rücken." Franco spürte einen Schauder bei der Drohung, weil er wußte, daß Carlo sie beinahe wörtlich meinte. Er hob den Kopf und sah zur Ranch zurück. Scheinwerfer tanzten heran. „He, Carlo!" sagte Franco mit trockenem Mund. Er stellte sich auf die Motorhaube des gestrandeten Dodge, nahm mit der freien Hand das M-14 an sich und drückte ein volles Magazin in den Schacht. „He, Carlo! Hörst du mich?" Franco lachte. Es klang böse. Er legte das auf Senden gestellte Walkie-Talkie neben sich auf das Dach. Er stützte die Ellbogen auf und zielte auf einen der herantanzenden Scheinwerfer. „Bleib, wo du bist!" schrie er in das Gerät. „Oder ich hacke deinen Wagen in Stücke!" Sofort erloschen die Scheinwerfer. Das war der Beweis dafür, daß es der Killer war, der durch das Tal heranraste. Franco jagte das ganze Magazin in die Richtung, aus der sich das jetzt unsichtbare Fahrzeug näherte. Franco schaltete das Gerät auf Empfang. Es blieb stumm. -114-
Franco drückte mehrfach die Sprechtaste. „He, seid ihr stumm geworden?" Im gleichen Augenblick zuckte ein greller Blitz durch das Tal wie ein heller Ball, der von innen her zerfetzt wurde. Die Druckwelle der Detonation erreichte den Mafiajäger vor dem Knall. Franco stieß pfeifend die Luft aus. Er hatte den Mörder erwischt, schrie es in ihm. Doch dann knackte das Gerät neben Francos Arm. Carlos Stimme erreichte sein Ohr. Wie aus einer anderen Welt, schoß es durch seinen Kopf. Die Stimme des Killers klang hart und rauh vor sinnlosem Zorn und abgrundtief böse. „Joe, dafür wirst du ganz langsam sterben ..." Flammen loderten in den Himmel, und Franco glaubte, dünn und weit entfernt Carlos Schatten vor dem grellen Rot erkennen zu können. Wie eine Halluzination. Er schleuderte das WalkieTalkie gegen die Felswand, weil er Carlos wütende Todesdrohungen nicht mehr ertragen konnte. Er nahm die Waffen auf und ergriff Julies Hand. Die Haut fühlte sich eiskalt an. „Komm, Doktor, wir haben eine Menge Vorsprung", sagte er munter. „Wenn der Killer mit einem anderen Wagen heraufkommt, wird er eine weitere Überraschung erleben." Er sah zurück. Der Ausgang aus dem Tal war blockiert. Julie seufzte erleichtert. Sie fragte nicht, wie groß der Vorsprung war. Franco versuchte, ihn zu berechnen. Die Gangster würden eine starke Zugmaschine brauchen, um die ineinander verkeilten Fahrzeuge aus dem Engpaß zu ziehen. Aber Franco dachte auch an den Helicopter. Nur im Schutz der Dunkelheit konnten sie sich noch eine Weile sicher fühlen. Er begann zu laufen, mit den schweren Waffen auf der -115-
Schulter und Julie an der Hand. Der Weg war einigermaßen eben. „Wohin gehen wir, Joe?" fragte das Mädchen. „Ich weiß, wo ein Wagen steht", sagte Franco. „Komm, lauf, lauf!" Franco hob das linke Handgelenk nah an seine Augen, als er sich an einem steil abfallenden Hang auf die Fersen kauerte. Es war drei Uhr in der Nacht. Mit den Augen versuchte er, die Dunkelheit unter sich zu durchdringen. Dort irgendwo, in einem unbenutzten Seitenweg, halb unter Kiefernzweigen verborgen, hatte vor drei oder vier Tagen ein Campmobil gestanden. Er hatte es aus der Luft gesehen, als er im Hubschrauber ins Bergcamp geflogen war. Es hatte deshalb seine Aufmerksamkeit erregt, weil sein Besitzer offenbar versucht hatte, es zu tarnen. Franco glaubte jetzt genau zu wissen, warum - in diesem und in drei oder vier anderen Campern waren die Gorillas und die Hitmen angereist. In diesen Kompaktwohnungen hatten sie auf ihre Einsatzbefehle gewartet. Wenn Francos Rechnung aufging, dann mußte der Wagen noch da sein, und, was wichtiger war, er würde ihn leer vorfinden. Julie hockte erschöpft neben ihm. Er hatte seinen Arm um sie gelegt, und sanft streichelte er ihre Schulter. „Ich muß da runter", sagte er. „Du mußt hier warten. Du darfst nichts unternehmen, auch dann nicht, wenn du Geräusche hörst, die du dir nicht erklären kannst. Wenn ich nicht zurückkehre oder du nichts von mir hörst, versteck dich bis Tagesanbruch in einem Gestrüpp und schlag dich dann zur Landstraße durch. Das sind von hier aus bis zur Straße etwa sieben Meilen. Von der Kreuzung bis zur Stadt nochmal zehn oder zwölf. Du darfst keinen Wagen anhalten!" Julie nickte, und weil ihr bewußt wurde, daß Franco die Bestätigung nicht sehen konnte, sagte sie: „Ja." Ihre Stimme klang benommen. -116-
Franco lud die beiden Läufe der Schrotflinte neu. Die Waffe klemmte er unter seinen rechten Arm. Das M-14 ließ er zurück, ebenfalls die Luger. Die sollte Julie zu ihrem Schutz behalten, solange es notwendig schien. Den Revolver hatte er unterwegs weggeworfen, weil sich nur noch vier volle Patronen in der Trommel befunden hatten und er keine Ersatzmunition für die Waffe besaß. Er kroch den Hang hinab. Unter seinen Füßen löste sich hin und wieder lockeres Geröll. Es kollerte vor ihm her. Als ein größerer Stein gegen Blech prallte, erstarrte er. Es gab ein lautes, hohles Geräusch. Er legte sich flach auf den Boden, die Läufe der Flinte wiesen nach unten, dorthin, wo das Campmobil stehen mußte. Atemlos wartete er. Auf flutendes Scheinwerferlicht oder berstende Schüsse. Nichts regte sich. Nur der schwache Nachtwind bewegte die Äste und ließ die Stämme der hohen Kiefern leise knacken. Vorsichtiger und langsamer als zuvor rollte er sich tiefer. Er schlug einen Bogen, der ihn irgendwo hinter dem Camper auf die Sohle des Seitentals führen mußte. Es war möglich, daß die Kerle eine Wache zurückgelassen hatten, obwohl Franco das für unwahrscheinlich hielt. Geduckt schlich er sich an den Wagen heran. Er spürte die kalte Masse des Metalls in seiner unmittelbaren Nähe. Behutsam setzte er Fuß vor Fuß, bis er mit der ausgestreckten Linken die Hecktür berührte. Er preßte als erstes sein Ohr gegen das Metall. Erst als er kein verdächtiges Geräusch vernahm, tastete er sich einmal um den Wagen herum. Er konnte die Staubschicht fühlen, die so dick war, als stünde der Camper bereits seit vielen Wochen unter der Kiefer und nicht erst seit ein paar Tagen. Die Türen waren verschlossen. Franco knipste seine kleine Taschenlampe an. Der dünne Lichtfinger wanderte über -117-
stumpfes, gelbraunes Blech und verdreckte Scheiben. Der Wagen, ein AMC-Camper, schien jedoch noch ziemlich neu zu sein. Franco entdeckte schließlich ein nicht richtig verriegeltes seitliches Schiebefenster. Er zwängte es vollends auf, packte mit der Hand hinein und löste den Türriegel. Wenige Minuten später hatte er das Fahrzeug durchsucht und festgestellt, daß es leer war. Bis auf das Durcheinander aus leeren Büchsen, Decken, aufgerissenen Lebensmittelpaketen und leeren Weinflaschen. Die Zulassung baumelte an der Lenksäule. Der Wagen war auf eine Autovermietung in Butte zugelassen. Franco kletterte den Hang wieder hinauf. Er holte Julie und das zurückgelassene Armeegewehr. Zusammen schlitterten sie den Hang hinab. Franco packte die Waffen hinten hinein. Julie verfrachtete er auf den rechten Vordersitz. Im Schein der Innenbeleuchtung machte er sich mit den Bedienungselementen vertraut. Besonders genau betrachtete er die Umgebung des Zündschlosses. Er stieg wieder aus. Unter dem Reserverad fand er ein Bündel Werkzeuge. Ein kräftiger Schraubenzieher war dabei, und die Hebelstange des Wagenhebers besaß ein scharfkantiges, abgeflachtes Ende wie ein Brecheisen. Er riß die Verkleidung in der Umgebung des Zündschlosses ab. Mit dem Schraubenzieher zerbrach er die Verriegelung des Lenkradschlosses, dann riß er die Drähte vom Zündschloß. Probeweise tippte er zwei aneinander. Funken knisterten. Die Kontrollichter flammten auf, die Zeiger der Instrumente schlugen aus. Besorgt stellte er fest, daß der Benzintank fast leer war. Bei seiner Inspektion des Wagens hatte er keinen Reservetank entdecken können. Entschlossen tippte er den gelbrot gezeichneten Draht zu den anderen. -118-
Der Anlasser begann zu mahlen. Es dauerte jedoch eine Weile, bis die Maschine, die offenbar lange gestanden hatte, gleichmäßig rund lief. Er würgte die Drähte richtig zusammen und stopfte sie unter die verbogene Verkleidung, dann schaltete er die Innenbeleuchtung aus. Der Motor lief jetzt geschmeidig und sehr leise. Und doch zögerte Franco noch, abzufahren. Er dachte an Carlo. Der Caporegime würde ihn verfolgen wie ein Wolf. Der Lärm des fahrenden Wagens und die Scheinwerfer würden dem Gegner genau zeigen, wo er steckte. Er hielt den Kopf aus dem Seitenfenster. Da hörte er das Knattern des Helicopters.
* Die Maschine strich flach über die Baumwipfel. Franco stieß die Tür auf. Die Innenbeleuchtung ging an. Franco zerschlug die Birne mit der bloßen Faust. Er rannte um den Camper herum und zerrte das Schnellfeuergewehr aus dem hinteren Teil. Er sah die Hummel herabstreichen. Das Licht unter der Kanzel zuckte rhythmisch. Franco hielt das Gewehr in den verkrampften Fäusten. Wer flog die Kiste? Ein Mafioso? Oder Sid Vernon, der Pilot der Blue Sky? Franco visierte das hintere Leitwerk an, das sich scharf gegen den nachtblauen Himmel abzeichnete. Er drückte nicht ab. Die Maschine verschwand hinter dem buckligen Rücken eines Hügels. Franco preßte seinen Rücken gegen die Seitenwand des Campers. Sein Mund war trocken. Gern hätte er eine Zigarette -119-
angezündet. Aber er wartete. Er hörte, wie Julie sich unruhig bewegte, aber sie blieb an ihrem Platz. Nach gut einer Minute kehrte der Hubschrauber zurück. Er folgte genau dem Weg von der Landstraße zur Blue Sky. Die Maschine stieg, wirbelte auf der Stelle, wendete. Das Flatschen der Rotorblätter stürzte von überall her auf ihn herab. Niemand an Bord der Hummel würde ihn erkennen können, bevor der Tag anbrach, dachte Franco, und doch begriff er, weshalb Carlo den Hubschrauber hatte starten lassen. Die Maschine sollte die Flüchtlinge zwingen, sich zu verstecken, abzuwarten, sich zu verkriechen wie Tiere. Bis die Fußtruppen kamen. „Warte!" rief Franco Julie zu. Er packte das Gewehr und rannte zum Weg. Er stellte sich an den Rand, spähte nach rechts und nach links. Die einzige Zufahrt zur Blue Sky Ranch bestand aus einer geschotterten Schneise, auf der zwei Fahrzeuge einander nur an den dafür vorgesehenen Ausweichstellen passieren konnten. Das Knattern des Hubschraubertriebwerks übertönte alle anderen Geräusche. Franco beugte sich vor. Der Helicopter hing ungefähr dreihundert Yards entfernt hinter einigen hohen Ponderosa-Kiefern. Weit oben sah er ein Licht aufblitzen. Ganz kurz nur, aber es verriet dem Mafiajäger genug. Carlo Porcelli hatte die Hindernisse bereits überwunden. Er kam. Und der Hubschrauber sollte das Geräusch des sich nähernden Wagens übertönen. Franco konnte sie nur mit ihren eigenen Waffen schlagen. Es hatte wenig Zweck, jetzt mit Waffengewalt versuchen zu wollen, sich den Killer vom Leib zu halten. Sie hatten eine nahezu beliebige Anzahl von Hitmen und Fahrzeugen zur Verfügung, aber was ausschlaggebend war - auch eine große Zahl von Geiseln. -120-
Franco traute dem Caporegime ohne weiteres zu, daß er einen oder mehrere Gäste oder Angestellte der Ranch mit auf seinen Rachetrail genommen hatte. Franco ging davon aus, daß Sid Vernon am Steuerknüppel des Hubschraubers saß - mit einem Aufpasser an der Seite und einer Revolvermündung im Ohr. Ja, er mußte es wie sie machen - den Schutz der Dunkelheit ausnutzen. Er rannte zurück, warf sich hinter das Lenkrad des Campers. Mit fliegenden Fingern schaltete er die Drähte kurz und tippte den Starterdraht an die Verbindung. Funken sprühten. Die Maschine kam jetzt sofort. Franco löste die Bremse. Mit gelöschten Scheinwerfern rollte der Wagen auf die Schotterstraße zu. Dort hielt Franco noch einmal an. Er lauschte. Der Hubschrauber wirbelte über ihn hinweg nach Süden. Franco wartete, bis die Maschine nach einer Minute zurückkehrte und weiter oben hinter den hohen Gipfeln verschwand. Er ließ den Wagen aus dem Versteck rollen und in die leicht abwärts führende Straße einschwenken. Julie klammerte sich an ihrem Sitz fest. Es war, als führe Franco gegen eine schwarze Wand an, die nur zögernd zurückzuweichen schien. Franco versuchte, seine Aufmerksamkeit zu teilen. Zwischen der schwarzen Wand und dem dunklen Himmel über sich. Julie unterdrückte einen Schrei, als sich der Camper gefährlich zur Seite neigte. Franco tippte auf die Bremse. Im Rückspiegel sah er den roten Widerschein der Bremslichter. Hart stellte er seinen Fuß auf den Boden. Das Campmobil schlingerte heftig. Zweige kratzten über die rechte Flanke. Franco korrigierte den Kurs. Mit dem Erfolg, daß der unbeholfene Wagen zur anderen Seite des Weges abdriftete und dort über die Kante zu rutschen drohte. Er nahm das Gas weg und zog die Handbremse an. Nach -121-
kurzer Strecke kam der Camper zum Halten. Franco sprang heraus. Das Knattern der Rotorblätter füllte wieder die Luft. Franco starrte nach oben. Hatte der Gangster oben in der gläsernen Kabine eben die Bremslichter gesehen? Franco wartete, bis die Maschine verschwand. Dann zertrümmerte er die Rückleuchten. „Julie, jetzt müssen wir etwas riskieren", sagte er, als er wieder hinter dem Lenkrad saß. Er blickte in ihre Richtung, wo ihr helles Haar leuchtete. „Der Hubschrauber kann nicht landen, jedenfalls nicht in diesem Teil der Range. Wenn wir an der Landstraße sind, bevor es dämmert, können wir ihn abhängen." Vielleicht, schränkte Franco in Gedanken ein. Wenn Carlo in einem geländegängigen Fahrzeug saß, auf der Ranch gab es genug davon, dann würde er rapide aufholen. „Wen?" fragte Julie beklommen. „Er heißt Carlo Porcelli. Ihn hast du gesehen, als ..." Er verstummte. Sie wußte auch so, was er meinte. Franco fuhr an. Er tippte auf die Lichthupe. Wie mit einem Blitzlicht beleuchtet tauchte der Weg für einen kurzen Moment aus der Dunkelheit. Franco fuhr an. Er hatte eine gerade Strecke von etwa einer halben Meile vor sich. „Schnall dich fest", sagte er zu Julie. Er hatte gesagt, er müsse etwas riskieren. Er hatte es auch so gemeint. Denn er mußte es tun. Hinter ihm glitzerten die Lichter eines Scheinwerfers, fingerten über eine Kuppe, und im nächsten Moment senkten sie sich und strichen weit über den Weg. Franco beschleunigte noch einmal. Er atmete vorsichtig auf, als die Schotterstraße eine Biegung machte und ihn der Gefahr, von den Scheinwerfern des Verfolgers erfaßt zu werden, erst einmal entzog. Wieder ließ er die Lichthupe aufblitzen, nahm das Bild der -122-
Umgebung in sich auf. Rechts türmten sich Schutt und Geröll zu einem lockeren Wall unterhalb eines ziemlich steilen Hanges. Links fiel das Gelände ab, versank in undurchdringlicher Finsternis. Das Licht erlosch. In Francos Hirn blieb das Bild der Schotterstraße haften und ein Detail, das ihn den Fuß auf die Bremse rammen ließ. Er blendete erneut auf. Sein Blick wanderte über das stumpfe Grau der Straße, die Böschung, das Geröll und die wenigen Sträucher und Bäume, die das Licht nahezu verschluckten. Am Ende einer Hangrinne hatte sich, infolge des im Frühjahr herabschießenden Wassers, eine Hohlkehle gebildet. Auf dieser unsicheren Terrasse reckte eine mächtige Kiefer ihren schlanken Stamm in den Himmel. Ihre Wurzeln lagen nahezu frei. Franco ließ den Camper abwärts rollen und hielt ein Stück unter halb der Kiefer an. Das Licht hatte er wieder ausgeschaltet. Irgendwo schwirrte der Hubschrauber. Franco blickte nicht einmal auf. Er nahm das M-14 an sich, setzte ein volles Magazin ein und nahm die übrigen vier, die letzten, die er noch besaß, an sich. Er sprang aus dem Wagen und rannte zur Kiefer hinauf. Ihre Krone bildete ein gefächertes Dach über der Straße. Franco hielt das M-14 in der Armbeuge. Er spreizte die Beine, bevor er den Abzug drückte. Das Gewehr stand noch auf Schnellfeuer. Die Geschosse peitschten aus dem Lauf. Das zuckende Mündungsfeuer erhellte sekundenlang den Weg. Erdfontänen spritzten unter der Hohlkehle auf. Wurzeln wurden von den Geschossen zerfetzt, Erdreich rutschte nach. Das Getöse erstarb, als das Magazin leer war. Franco ließ es herausgleiten und setzte sofort ein neues ein. Er begann zu schwitzen. Jeden Augenblick konnte der Killer an der Biegung erscheinen. Er feuerte pausenlos in das Wurzelwerk, bis die Waffe -123-
endgültig verstummte. An der Biegung wurde es hell der Wagen mit dem Killer an Bord näherte sich. Francos Ohren waren taub. Er stand geduckt da. Da! Der Stamm begann zu knacken. Geröll brach aus dem Hang. Franco schleuderte das nutzlose Gewehr den Hang hinab, warf sich herum und begann um sein Leben zu rennen. Ganze Felsbrocken lösten sich unter dem Gewicht der Kiefer. Mit Getöse begann der Stamm sich zu bewegen. Das Tonnengewicht sackte herab, die Wurzel krachte auf den Grund unterhalb der weggebrochenen Hohlkehle. Atemlos erreichte Franco den Wagen. Er warf sich hinein, keuchend löste er die Bremse, rammte den Gang ins Getriebe. Er raste einfach los. Hinter ihm stürzte die Kiefer. Ihre Krone streifte am Hang entlang und riß Steine, Sträucher und kleinere Bäume aus den Spalten. Wie Hagelschlag prasselten sie auf das Dach des Campers. Dann erschütterte ein mächtiger Schlag den Wagen und die ganze Umgebung. Zweige klatschten auf das Blech. Die Kiefer war gestürzt. Sie bildete ein Hindernis, das nur mit Hilfe einer Motorsäge und eines Traktors wieder entfernt werden konnte. Franco hielt noch einmal an und beugte sich aus dem Fenster. Durch die dichten Nadeln der Krone schimmerte das Licht aufgeblendeter Scheinwerfer, doch ihr Schein erreichte den Camper nicht. Franco lachte. Er konnte sich Carlos brennenden Zorn vorstellen, aber auch seine Furcht. Der Killer konnte nichts gegen Franco oder Julie unternehmen. Der Helicopter konnte hier nicht landen, um den Gangster aufzunehmen. Carlo mußte im Rückwärtsgang zurückfahren ins Tal. Dort erst konnte er umsteigen und die Jagd erneut aufnehmen. „Wir haben eine Chance, Mädchen", sagte er. Ruhiger als zuvor fuhr er weiter. Endlich konnte er die Scheinwerfer einschalten. -124-
* Der Himmel hellte fern am Horizont auf. Im ersten blassen Grau des Morgens lag die Landstraße nach Conner vor den Gejagten. Kein Fahrzeug begegnete ihnen auf dieser abgelegenen Bergstrecke, die fast nur für die Wagen der Feuerbrigaden, der Holzfäller und Jäger da war. Die Gäste der Blue Sky Ranch wurden zumeist mit dem Hubschrauber in Hamilton abgeholt. Es lagen noch knapp zehn Meilen vor ihm. Zehn lausige Meilen. Franco fuhr schneller. Er dachte an den Hubschrauber. Carlo würde niemals lockerlassen. Er würde alles versuchen, um sie zu finden und zu töten. Franco suchte nach den Zigaretten. Julie hatte ein Päckchen bei sich. Sie zündete zwei Stäbchen an und gab ihm eins. Er sah sie an und lächelte. Sie lächelte zurück. „Gott, bin ich froh", sagte sie, „wenn wir endlich einen Polizeiposten erreichen ..." „Es wird keine Polizei geben, Julie", sagte Franco ernst. „Jedenfalls nicht sofort." „Joe!" „Das da oben ist eine Sache fürs FBI. Wenn die State Troopers oder der Sheriff da oben erscheinen, gibt es eine Katastrophe. Und außerdem ... es geht um den Vertrag. Er darf nicht zustande kommen." „Wie willst du das verhindern? Joe, wer bist du?" Wie oft hatte man ihm diese Frage gestellt, seit er seinen einsamen Kampf begonnen hatte! Wie oft hatte er lügen oder Ausflüchte benutzen müssen! Auch jetzt konnte er nicht die Wahrheit sagen. „Ich muß Whitman finden, Julie. Er muß in der Nähe der -125-
Ranch sein. Er muß erfahren, wer die Aktien kaufen will." Es hörte sich so einfach an. Aber er hatte keinen blassen Schimmer, wo Whitman steckte. „Whitman ..." sagte Julie nachdenklich. „Ich weiß nicht, wo er ist. Mr. Durrance wußte es, glaube ich." Aber Tibor Durrance war tot. Durrance, dachte Franco atemlos. Der Himmel flammte in hellen Farben auf. Er schaltete die Scheinwerfer aus, als die Straße deutlicher hervortrat. „Ich muß zurück", sagte er dann hart. Er spürte Julies Blick von der Seite her, doch er ließ seine Augen auf die Straße gerichtet. „Joe! Das kannst du doch nicht tun! Du hast die Kerle erlebt!" Franco nickte. Er hatte sie erlebt. Er kannte sie wie kaum ein anderer. „Warum, um Gottes willen?" „Vielleicht weiß Allan, wo Whitman steckt. Oder Allan muß auf andere Weise versuchen, den Abschluß zu verhindern." „Joe, du kannst Allan doch nicht mit hineinziehen!" Und ob ich das kann, dachte Franco grimmig. Allan hatte verdammt viel gutzumachen. „Ich habe keine andere Wahl, Julie", sagte er laut. „Du bist nicht der, für den du dich ausgibst ..." Ihre Stimme klang etwas ruhiger. „Ich hätte es wissen müssen, seit ich dich dabei überrascht habe, wie du an Allans Fenster gelauscht hast. Und dann die Sache heute - gestern, meine ich. Du warst so ... so ... hart, so unerbittlich. Bist du ... Polizist?" Franco schüttelte den Kopf. „Frag nicht. Sprich nicht über mich. Niemals." Julie verstand den tödlichen Ernst in seiner Stimme, und sie ahnte, daß der Mann an ihrer Seite mit dem Tod lebte. Sie fröstelte. Der Tod war Francos Schatten und sein ständiger -126-
Begleiter. Sie hatte es erlebt. Er deutete nach vorn. „Schau, dort liegt Gönner", sagte er, um sie abzulenken. Flache Häuser an einer langgezogenen Straße. Ein paar Motels, ein Sägewerk, die Tankstelle vornan. Das Transparent leuchtete rot gegen den erwachenden Tag an. Bis zur Tankstelle und dem Telefon betrug die Entfernung noch mehr als eine halbe Meile, als der Motor zu stottern begann, schließlich spuckte und stehenblieb. Der Benzintank war leer.
* Franco schaltete erbittert fluchend in den Leerlauf. Noch rollte der Wagen auf der leicht abschüssigen Straße, aber weiter vorn wurde sie eben und schien sogar leicht anzusteigen. Er fragte sich, wieso die Gangster, die den Camper benutzt hatten, so töricht gewesen waren, ohne ausreichende Treibstoffmengen in die Berge zu fahren. Julie löste den Sicherheitsgurt. „Wenn es sein muß", schiebe ich", erklärte sie. „Kommt nicht in Frage! Komm her, rutsch rüber. Bevor die Mühle endgültig stehenbleibt, springe ich ab und schiebe." Das Fahrzeug wurde auf der schlecht erhaltenen Straße schnell langsamer. Julie berührte Franco, und er überließ ihr das Lenkrad. Ihr Haar strich über seine Wange. „So geht es", sagte sie. Sie blies eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht, sah ihn kurz aus blitzenden Augen an. Das Gefühl, es geschafft zu haben, übte eine belebende, nach den Strapazen der Nacht beinahe berauschende Wirkung auf sie aus. An der Tankstelle war kein Mensch zu sehen. Wahrscheinlich waren die Pumpen noch nicht in Betrieb. Es war erst Viertel -127-
nach fünf. Aber das Telefon würde sie mit der Außenwelt verbinden. Franco würde das FBI Field Office in Helena anrufen. Sie hatten bestimmt einen Agenten in Hamilton. Der Mann würde herüberkommen und Julie in seine Obhut nehmen. Und während die Boys vom FBI noch über der Frage brüteten, wie sie die Ranch stürmen konnten, würde er, Franco, seinen Job erledigen. Er stieß die Tü r auf und sprang hinaus. An der Seite fand er keinen Angriffspunkt für seine Schulter, deshalb stemmte er sich hinten gegen die Kante. Der Wagen bewegte sich, aber die letzten Yards wurden zur Qual. „Fahr neben das Telefon!" rief Franco. Julia schlug die Vorderräder ein. Franco spannte noch einmal seine Muskeln. Er hielt den Kopf gesenkt, keuchte. Unter dem Wagen glitt der rauhe fleckige Beton der Tankstellenzufahrt her. Er fuhr zusammen, als er Julies Schrei hörte. Sie trat auf die Bremse, und Francos Fuß glitt auf einem Ölfleck aus, als sich der Wagen plötzlich nicht mehr bewegte. Er rappelte sich auf und wollte nach vorn, zu Julie, starten, als ihn eine schnelle Bewegung und eine scharfe Stimme stoppten. „Das war's, du Großmaul!" Langsam drehte Franco sich um. Ein Mann kam hinter der Telefonzelle hervor. Er hatte große Ohren und kleine Augen, und in der schlanken Faust lag eine ölig glänzende NeunMillimeter-Pistole. Franco erkannte den tödlichen Fehler, den er gemacht hatte und der ihn jetzt in die Arme der Mafia getrieben hatte. Sie hatten das Telefon. Sie brauchten von der Ranch aus nur dort anzurufen, wo sich die Nachhut versteckte. Vielleicht in einem Motel in Gönner. Carlo oder Don Luigi hatten sich genau ausrechnen können, wo die Flüchtlinge aufkreuzen würden. Genau dort hatten sie ihre Hitmen aufgestellt. -128-
Jetzt war die Falle zugeschnappt. Ein zweiter Strolch zerrte Julie aus dem Wagen. „Ich habe die Kratzbürste, Jimmy!" kreischte er und lachte. Wie zufällig berührte er Julies Brüste und drückte sie fest. Er lachte noch lauter. Franco sprang auf ihn zu. Der Kerl mit dem dreckigen Lachen ließ Julie los. Seine Hand zuckte unter das Jackett. Er war viel zu langsam. Francos Faust explodierte auf seiner Nase. Der Kerl brach zusammen. Dann kam, was kommen mußte. Der andere, Jimmy, hieb ihm von hinten die Pistole in den Rücken. Franco bekam keine Luft mehr. Der Schmerz wühlte mit glühenden Messern in seinem Inneren. Er fiel auf die Knie, stützte sich dort ab, ließ den Kopf kraftlos herabhängen. Er hörte, wie Jimmy die Telefonzelle betrat, eine Münze in den Schlitz steckte und eine achtstellige Nummer wählte. „Hier ist Jimmy", sagte er mit einer Stimme, die vor Zufriedenheit und Stolz überquoll. „Sagen Sie Carlo, er kann die beiden abholen." Er lachte glücklich.
* Der Kerl mit dem dreckigen Lachen hieß Ortiz. Er rappelte sich auf. Seine Nase war zu einem unförmigen Klumpen angeschwollen, die Oberlippe aufgeplatzt. Lachen konnte er während der nächsten Zeit bestimmt nicht mehr. Julie lehnte am Kotflügel. Sie hatte Franco helfen wollen, aber Jimmy hatte ihr mit der Pistole bedeutet, sich nicht von der Stelle zu rühren. Jetzt befahl er seinem Komplicen, das Mädchen zu einem Wagen zu bringen, der hinter der Tankstelle stand. -129-
„Damit ihr beiden euch nicht immerzu anhimmeln müßt, bis wir abgeholt werden", erklärte er. „Wenn er sie noch einmal mit seinen schmutzigen Pfoten betatscht, bringe ich ihn um!" drohte Franco dumpf. Er stand schwankend auf seinen Füßen. Jimmy stieß ihm die Pistole vor die Brust und drückte ihn gegen die Flanke des Wagens. Mit einem Ruck riß er Francos Jacke herab. Blitzschnell tastete er den Mafiajäger nach Waffen ab. Er fand nur ein paar Schrotpatronen, die er durch die geöffnete Tür ins Innere des Campers warf. Franco verdrehte den Kopf. Mit den Augen suchte er die Ablage unter dem Armaturenbrett ab, wo die Luger liegen mußte. Aber sie war nicht da. Julie mußte es irgendwie fertiggebracht haben, die Waffe unter ihrem Rock oder dem hellen Pullover zu verbergen. Schweiß rann in Strömen an Francos Körper herab. Julie, mach keinen Unsinn, dachte er beschwörend. „Laßt das Mädchen laufen!" sagte Franco. „Laßt sie laufen! Sie wird den Mund halten, dafür verbürge ich mich!" „Halt die Schnauze! Los, steig in den Camper, aber so, damit ich dich immer schön im Auge behalten kann. Und denk dran wenn du Mist baust, geht's der Kleinen dreckig." Jimmy durchstöberte den Wagen nach Waffen. Außer der Schrotflinte war keine da. Francos Blick fiel in den Außenspiegel. Sein Mund wurde trocken, und in seinem Innern zog sich etwas zusammen, als er den Streifenwagen sah, der langsam die Landstraße vom Dorf heraufkam. Francos Gedanken begannen zu rasen. Was hätte er von den Cops zu erwarten? Wenn sie sich einmischten, gab es hier ein Blutbad. Franco regte sich nicht. Hoffentlich fuhren sie vorbei. Der Wagen verlangsamte seine Fahrt, blieb drüben auf der anderen Straßenseite stehen. Dann, nach endlosen Sekunden, -130-
zuckte der Blinker, und der Wagen zog quer über die Straße auf die Einfahrt der Tankstelle zu. „Da kommt ein Streifenwagen", sagte Franco leise zu dem Gangster, der sich gerade eine Zigarette anzünden wollte. Jimmys Kopf ruckte so schnell herum, daß ihm die Zigarette aus dem Mund fiel. „Verflucht!" Er zog den Spannabzug der Pistole zurück. „Verlier jetzt nicht die Nerven", mahnte Franco. „Laß mich mit ihnen reden ..." Jimmy sah ihn hämisch an. Er hob die Pistole. „Tu's nicht! Als nächstes kreuzen die Staatsbullen auf. Das würde Carlo nicht gefallen. Ihr habt doch das Girl! Steck die Kanone ein und stell dich vor die Telefonkabine. Los, mach schon und bete, daß die Niete da hinten unsichtbar bleibt!" Jimmy schob die Pistole unter das Jackett. Dann glitt er aus dem Wagen. Franco stieg auf der anderen Seite aus. Er landete genau vor der Stoßstange des Streifenwagens. Die Türen flogen auf. Zwei Beamte mit Sheriffsternen auf den kurzen Lederjacken stiegen aus. Beide fingerten an den Laschen ihrer Revolverhalfter herum. Der Streifenführer war ein verwitterter Typ mit dunkelbraunem Gesicht und breiten Wangenknochen. Wachsam tasteten seine Augen Franco ab. „Drehen Sie sich um, Mister", sagte er, „und legen Sie die Hände an den Wagen. Beine gespreizt ..." Franco kam der Aufforderung widerspruchslos nach. Der jüngere der beiden näherte sich ihm von der Seite. „Was hat das zu bedeuten. Officer?" fragte Franco. Während der Jüngere ihn nach Waffen abtastete, fragte der Verwitterte: „Ist das Ihr Wagen, Mister?" Die Frage veranlaßte Franco zu größter Vorsicht. „Nein, Officer. Ich wollte gerade das Sheriff Office anrufen." -131-
„Nanu? Warum denn?" Der Deputy schlich sich seitlich um den Wagen herum. Da entdeckte er Jimmy, und seine Hand klatschte auf den Kolben der Waffe. „Wer sind Sie? Kommen Sie hierher!" befahl er barsch. „Er gehört zu mir, Officer. Ich habe ihn zufällig hier getroffen. Er ha tte telefoniert, und wir haben uns einen Augenblick unterhalten." „Das stimmt", bestätigte Jimmy. „Ich habe auf der Blue Sky angerufen." „Wo steht Ihr Wagen?" fragte der Deputy unbeeindruckt. „Dort, hinter der Garage. Ich warte darauf, daß die Werkstatt anrollt." Er lächelte verbindlich. „Ich und noch zwei Leute wollen auf die Blue Sky Ranch. Wir werden gleich mit dem Hubschrauber abgeholt. Da dachte ich mir, während wir oben Ferien machen, kann ich den Wagen hierlassen, damit eine Inspektion gemacht wird." Der Deputy verlor das Interesse an Jimmy. Sein Blick wanderte über den Camper. Die Kiste sah tatsächlich ziemlich mitgenommen aus. Die Krone der stürzenden Kiefer hatte das Dach über der Hecktür fausttief eingedrückt. Franco durfte sich endlich umdrehen. Der Deputy fixierte ihn scharf. „Der Camper ist als gestohlen gemeldet, Mister. Was haben Sie für 'ne Geschichte auf Lager?" Gestohlen! Deshalb war der Tank leer gewesen! Jemand hat den Wagen gemietet, den Tank fast leergefahren und das Fahrzeug dann irgendwo stehengelassen. Franco hätte beinahe gelacht. Dieser Camper war nicht von einem Hitmen der Mafia gemietet worden. „Ich war ein paar Tage in der Range, unterhalb des Trapper Peak. Als ich vorige Woche rauf stieg, stand der Wagen schon in einer Rinne. Als ich gestern abend zurückkam, stand der Wagen immer noch da. Jetzt allerdings aufgebrochen. Da habe -132-
ich ihn runtergebracht. Ich wollte die Sache gerade melden. Vielleicht ist ja was passiert." Die Geschichte kam glatt über Francos Zunge. Sie hörte sich gut an, dachte er. „Können Sie sich ausweisen?" Franco zog die Brieftasche. Er gab sie dem jüngeren Beamten, der sie dem Deputy brachte. In der Brieftasche steckten ein paar hundert Dollar, ein Führerschein und mehrere Kreditkarten auf den Namen Joe Rosso. Die Haltung des Deputy entspannte sich. Er gab Franco die Dokumente zurück und ließ seine Augen etwas ratlos zwischen dem Camper, Franco und Jimmy hin und her wandern. Jimmy machte ein ausdrucksloses Gesicht. „Kommen Sie mit ins Office", sagte der Gesetzeshüter schließlich zu Franco. „Wir nehmen die Meldung auf, und Sie können weiterwandern." Franco runzelte die Stirn. Jeden Augenblick konnte der Hubschrauber hinter dem vorgelagerten Bergrücken erscheinen. Wenn er die Kerle mit Julie allein ließ, großer Gott ... „Meine Sachen sind noch oben. Ich bin Bergsteiger, wissen Sie?" Jimmy meldete sich eifrig. „Wenn Sie wollen, können Sie mit uns im Helicopter mitfliegen und Ihre Ausrüstung holen", bot er an. Jimmy war ein Bursche, der schnell schaltete. „Das Protokoll können Sie dann immer noch unterschreiben." Von Norden her näherte sich der Hubschrauber. Klein wie eine Hummel hing er vor dem blaßroten Himmel. Der Deputy schüttelte energisch den Kopf. „Ich muß der Sache nachgehen. Vielleicht werden Personen vermißt. Sie müssen mir auf der Karte zeigen, wo Sie den Wagen aufgefunden haben." Der Helicopter kam jetzt schnell näher. Schon war deutlich das Knattern des Triebwerks zu hören. Franco sah, wie sich -133-
Jimmys Gesicht verhärtete. Die Aufmerksamkeit der Gesetzeshüter hatte merklich nachgelassen. „Vielleicht kann die Maschine hier auf mich warten?" fragte Franco schnell. „Es dauert bestimmt nicht lange." Jimmy krauste die Nase. Der Deputy mahlte mit dem Unterkiefer. „Meinetwegen", brummte er dann. „Fahren Sie die Mühle hinter uns her. Wir bringen Sie dann im Streifenwagen zurück." „Der Sprit ist alle", sagte Franco. „Es passierte da vorn. Ich habe die Kiste das letzte Stück geschoben." „Mann, oh, Mann! Auch das noch! Los, steigen Sie bei uns ein!" Der Hubschrauber von der Blue Sky stieß herab. Der Luftzug der Rotorblätter peitschte feinen Staub in die Gesichter der Männer. Hinter der gläsernen Kanzel erkannte Franco Sid Vernon auf dem Pilotensitz. Hinter ihm saß ein zweiter Mann, undeutlich und nur in den Umrissen zu erkennen. Die Maschine hing in der Luft, bis Jimmy winkte und auf die freie Fläche neben dem Werkstattschuppen deutete. Franco stieg in den Streifenwagen. Jimmy starrte stumm hinter ihm her. Seine Augen sprachen eine tödliche Warnung aus, die Franco mühelos verstand. Wir warten hier auf dich ... Keine Tricks, oder es geht dem Girl an den Kragen ...
* Franco kehrte schon zwanzig Minuten später zurück. Er kletterte aus dem Streifenwagen und lief zum Helicopter hinüber. Jemand schob die Tür zur Seite. Während der Streifenwagen bereits wendete und mit jaulenden Reifen davonjagte, kletterte er in die Kabine. -134-
Der Helicopter war überladen. Er war für vier Passagiere zugelassen, jetzt drängten sich fünf Personen in der engen Kabine. Jimmy grinste dünn, fragend. Ortiz preßte ein Taschentuch auf seine gebrochene Nase. Der Gangster, der den Piloten in Schach hielt, war ein mickriger Kerl mit stechenden Augen. Julie sah elend aus. Franco drängte sich einfach zwischen sie und Ortiz. Sid Vernon warf Franco einen Blick über die Schulter zu, der Verständnislosigkeit ausdrückte. Er begriff nicht, wie jemand so dumm sein konnte, freiwillig auf die besetzte Ranch zurückzukehren - ohne von Fallschirmtruppen oder der Nationalgarde begleitet zu werden. Jimmy zog die Tür zu. „Es kann losgehen." Er grinste. „Bist ein braver Idiot, Rosso. Ja, wenn die Liebe nicht wäre ..." Franco grinste. Jimmys Züge vereisten, und ein mißtrauisches Glitzern erschien in den kleinen Augen. „Du hast was mit den Bullen ausgeheckt!" „Mann, bist du dämlich", sagte Franco gelangweilt. „Wer kann mit so Provinzbullen schon was anfangen!" Der Helicopter hob ab und schwebte schnell über die Straße in Richtung Norden. Vom Office des Sheriffs aus hatte Franco sofort mit dem FBI in Helena telefoniert. Der Deputy - er hieß Brian McKelway hatte große Augen bekommen und hatte sofort den Chef aus dem Bett holen wollen, was Franco nur mit Mühe verhindern konnte. Dem FBI gegenüber hatte Franco nur den Namen Whitman und die Codenummer einer Dienststelle im Department of Justice in Washington zu erwähnen brauchen, um sofort auf volle Kooperationsbereitschaft zu stoßen. Franco hatte den Boy vom FBI gebeten, Männer und Material in einer unauffälligen Aktion nach Conner zu verlegen und auf den Einsatzbefehl zu warten, der aus Washington kommen würde. Nur Colonel Warner war dafür zuständig, den Befehl zur -135-
Einteilung der Befreiungsaktion zu geben, niemand sonst. Danach hatte Franco den Deputy aufgefordert, ihn sofort zurückzufahren. Der gestohlene oder überflüssige Camper hatte plötzlich Zeit. Franco suchte Julies Blick. Sie bewegte sich, und er konnte etwas Hartes mit seiner Hüfte fühlen. Die Luger! Sie steckte unter Julies Pullover. „Weißt du, wie Whitman aussieht?" fragte Franco das Mädchen. Jimmy und der Mickrige sahen uninteressiert an Franco vorbei. Der Name des Konzernerben sagte ihnen nichts. Franco vermutete, daß nicht einmal ein Mann wie Carlo Porcelli über den Grund der Aktion hier oben unterrichtet war. „Nein", sagte sie. „Nein ..." Auch Sid reagierte nicht. Aber es war anzunehmen, daß man Whitman unter einem anderen Namen auf die Ranch gebracht hatte. Franco hatte Bilder von Lawrence Whitman gesehen, und er verfügte auch über eine Beschreibung. „Bestimmt hast du ihn gesehen, Julie, oder du, Sid ..." Jetzt, wo Franco den Piloten direkt ansprach, wurde Jimmy mißtrauisch. „Ihr könnt nachher plaudern, wenn ihr noch Zeit dafür habt", sagte er. „Hast du Angst, Jimmy? Whitman ist nichts weiter als ein besonders lieber Gast, weißt du? Er ist schon über fünfzig, hat welliges braunes Haar, das ihm bis in den Nacken fällt, und eine breite Nase. Er würde dir gefallen, Jimmy. Er ist ein Lebenskünstler. Sein Bruder ist vor kurzem gestorben ..." „Trägt er Trauer?" fragte Sid laut. „Natürlich", sagte Franco schnell. Sid hatte ihn also gesehe n, ihn geflogen! Whitman war auf der Ranch! „Ist er auf der Blue Sky?" -136-
„Schnauze!" schrie Jimmy. Er hieb Franco den Kolben der Pistole aufs Knie. Franco krümmte sich zusammen. Dadurch verdeckte er seinen rechten Arm. Er führte die Hand an Julies Taille. Wenn er etwas unternehmen wollte, mußte er es jetzt tun. Hier oben in der Luft. Er allein gegen drei Gangster. Sie waren bald da. Franco sah, wie sich das Tal des Great Rock Creek unter ihnen öffnete. Er bekam die schwere Waffe mit den Fingerspitzen zu fassen. Langsam zog er sie unter Julies Pullover hervor. Nur Jimmy und der Mickrige hielten ihre Kanonen in den Händen, aber sie waren jetzt alle einen Moment abgelenkt. Sie sahen durch die bauchige Kanzel nach unten. Es war schon ein schönes Bild, das sich ihr en Augen bot. Die verstreuten Blockhäuser in dem breiten Tal, der glitzernde Fluß in der Mitte und die Pferde, die sich unbehelligt von Gewalt und Tod auf der Weide tummelten. „Guck mal", sagte Franco zu Jimmy, der ihm gegenüber auf der schmalen Bank hockte. Jimmy drehte sich um. Er riß den Mund auf, als er die Luger in Francos Faust erblickte. Franco rammte ihm den kantigen Lauf in die Seite, und er zog den Spannabzug zurück. „Jetzt macht was", sagte er gefährlich leise, womit er die anderen Halunken meinte. „Wenn ihr am Leben bleiben wollt, dann legt eure Eisenwaren schön vorsichtig auf den Boden." Jimmy nahm er die Kanone persönlich ab. Dieser Bursche würde sich nicht einmal bewegen, wenn der Hubschrauber einen Überschlag machte.
* Sid hielt die Maschine vierzig Meter über dem Landeplatz. Aber als unten ein paar Figuren mit Gewehren auftauchten, zog er die Hummel rasch einige hundert Fuß höher. -137-
„Wo ist Whitman?" fragte Franco. „Oben im Bergcamp", antwortete Sid bereitwillig. „Ich habe ihn gestern in Hamilton abgeholt und sofort hinaufgebracht. Einer von denen hat es so befohlen." Ein unhörbares Lachen schüttelte Franco. Dort oben hatten die Gangster den Mann so sicher wie in Abrahams Schoß oder auf einer einsamen Insel. „Wer ist bei ihm?" „Mr. Stark und noch ein Gast mit einem Burschen, der verdammt wie ein Leibwächter aussieht." Franco ließ sich den einen Gast beschreiben, dessen Namen Sid nicht kannte. „Marco Benedict", sagte Franco andächtig. Alias Don Luigi d'Ambrosio! Das war zu schön um wahr zu sein. „Flieg mich hinauf, Sid, bitte, laß uns schweben ..."
* Das Plateau mit dem Bergcamp lag noch im Schatten, als der Helicopter aus dem blutroten Morgenhimmel stieß. Franco blickte aufmerksam auf die Lichtung hinab. Dort stand noch der Wagen, mit dem Keller alias Random heraufgekommen war. Vor der Haupthütte erschienen fünf Gestalten. Franco unterschied Tom Harrigan, Allan Stark, Don Luigi und einen ungeschlachten Mann mit breiten Schultern, der deutlich sichtbar eine schwarze Armbinde trug. Und dann war da noch ein Hüne. Ein Bodyguard im Maßanzug. „Soll ich runtergehen?" fragte Sid. „Immerzu. Sie werden hören wollen, was wir vorzuschlagen haben, nicht wahr, Jimmy?" Jimmy schielte auf Francos Hand und den Revolver. Er wagte -138-
nicht einmal zu nicken. Die Maschine fiel, und die Männer unten waren deutlicher zu erkennen. Sie waren alle vollständig angezogen. Sie alle starrten dem landenden Hubschrauber entgegen. Besorgnis, aber nicht Furcht kennzeichnete den Gesichtsausdruck des Don. Das würde sich bald ändern, dachte Franco grimmig. Über Funk hatte er zweifellos erfahren, daß mit dem Helicopter und seinen Insassen etwas nicht stimmte. Sid setzte die Maschine butterweich hinter dem Pickup auf, wo sie ein wenig gedeckt stand. Franco gab Julie Jimmys Pistole. „He, du!" sagte Franco zu dem Mickrigen. „Mach mal das Türchen auf!" Die Tür glitt zur Seite. Frische kühle Luft strömte herein. Da standen sie. Der Gorilla hielt einen schweren länglichen Colt in der herabhängenden Hand. Hinter ihm lehnte noch eine Schrotflinte an der Hüttenwand. Sie stammte aus dem Arsenal der Hütte. Noch wußte niemand, wie er sich verhalten sollte. Nur Franco verfolgte einen Plan, der immer schärfere Konturen annahm. Die Rotorblätter kamen zur Ruhe, ihr schrilles Pfeifen verstummte. „Hallo, Mr. Be nedict!" rief Franco. „Können Sie mich hören?" „Ja, Rosso. Was wollen Sie?" „Verhandeln, Mr. Benedict." „Sie haben die Flaschen doch ausgetrickst. Was gibt's denn da noch zu verhandeln? Sie können die Stümper an die Krähen verfüttern und fliegen, wohin Sie wollen." „Und mein Leben lang habe ich Carlo oder einen anderen -139-
Killer im Nacken. Nein, Mr. Benedict. Ich möchte leben, und nicht rennen und immer nur rennen müssen." Don Luigis Gorilla grinste verächtlich. Er war offenbar bereit, auf einen Befehl seines Boß' hin Franco in Stücke zu schießen, und die Kerle, die sich hatten übertölpeln lassen, ebenfalls. „Ich verstehe Sie immer noch nicht, Rosso." Die Stimme des Don klang eisig. Dieser Mann konnte sich nicht vorstellen, daß er von einem schlaksigen Bergsteiger hereingelegt werden könnte. „Ich will mit Ihnen über Garantien reden!" „Reden Sie." „Zuerst soll der da den Revolver ablegen." Franco deutete auf den Babysitter. „Nein." Die Ablehnung wurde geradezu genüßlich ausgesprochen. Franco mußte eine erste Kraftprobe bestehen. Er zog die Luger von Jimmys Seite. Jimmy ließ sich zitternd zurückfallen. Franco zielte auf die Motorhaube des Pickup und riß den Abzug durch. Es krachte fürchterlich, und im Blech erschien ein langes Loch. Franco visierte einen der Reifen an. „Vielleicht hat die Kugel kein wichtiges Aggregat zerstört. Deshalb setze ich die Kiste noch auf die Felgen." Zwei Schüsse krachten. Die Reifen auf der rechten Seite des Pickup platzten. Die Hand des Gorillas kam in die Höhe, das Gesicht versteinerte. D'Ambrosio drückte die Hand seines Leibwächters herab. „Und was soll diese lächerliche Demonstration beweisen?" fragte er schneidend. „Mit dem Pickup kommen Sie jetzt nicht mehr weg, Mr. Benedict." Franco visierte den Gorilla an. „Sie sind jetzt auf einen Helicopter angewiesen. Auf diesen hier oder auf einen von der Polizei. Sie können es sich aussuchen. Wenn der Lümmel nicht sofort seinen Ballermann weglegt, fliegen wir wieder ab." -140-
Jimmy bewegte sich. Julie paßte jedoch auf. Sie zielte auf seinen Bauch. Ihr grimmig entschlossenes Gesicht ließ den Gangster die Luft ausstoßen. Der Capo schnippte mit den Fingern, und der Große ließ die Kanone fallen. „Tom!" schrie Franco. „Sammle die Kanonen ein und schließ sie in den Schuppen!" Tom grinste breit. „Yippeeh!" In d’Ambrosios grauen Augen erschien ein leichtes Glitzern, das jedoch gleich wieder verschwand. Ein nachdenklicher Ausdruck blieb zurück. Noch ahnte er die Wahrheit nicht, wußte nicht, daß er verloren war, daß es für ihn nur noch zwei Alternativen gab - den Tod oder die Zelle. „Sid", sagte Franco zu dem Piloten. „Würdest du noch mal einen Flug machen? Freiwillig, versteht sich. Ich will etwas versuchen, Sid, aber ich kann für nichts garantieren." Sid schnalzte mit der Zunge. „Du ziehst hier 'ne große Nummer ab, Joe. Hoffentlich weißt du, was du tust. Ich bin jedenfalls dabei." Franco atmete auf. „Julie, steig aus. Sid, du fliegst diese Herren hier zur Ranch und wartest auf neue Passagiere. Die bringst du dann hier herauf." „Das ist alles?" fragte der Pilot trocken. „Das ist genug", bestätigte Franco heiter. Er nahm die Waffen der Gangster an sich und sprang auf den Platz. Julie war schon draußen. „Guten Flug", sagte er, als er die Kabinentür zuzog. Jimmy verzog wütend das Gesicht. Im nächsten Moment hob die Maschine ab.
* -141-
Tom Harrigan hatte die Flinte und den Revolver bereits aus der Reichweite des Leibwächters geschafft. Der große Kerl stand wie ein Kleiderschrank neben seinem Boß. Franco wußte, daß der bloße Anblick einer Waffe ihn nicht einzuschüchtern vermochte. Don Luigis Gorilla war einer von der alten Sorte. Er würde sich eher selbst erschießen lassen als in Kauf zu nehmen, daß seinem Schützling auch nur ein Haar gekrümmt wurde. Julie hielt sich abseits, während Franco auf die Gruppe vor der Hütte zuging. „Allan, gehen Sie ins Haus", sagte er. Allan Stark sah elend aus. Wortlos drehte er sich um und verschwand. Franco richtete den Blick auf Whitman. Whitman wirkte ratlos und betroffen. Er hatte immer noch nicht begriffen, um was es ging. „Gehen Sie auch rein", sagte Franco, ohne den Mann mit Namen anzureden. Er durfte noch nicht erkennen lassen, daß er nicht ein Bursche namens Joe Rosso war, der um sein Leben und das seines Girls kämpfte. Lawrence Whitman sah d'Ambrosio an. „Gehen Sie schon", sagte der Mafia-Boß, ohne die dünnen Lippen zu bewegen. Tom blieb am Schuppen. Franco war mit den beiden Mafiosi allein.„So, Rosso, jetzt sind wir unter uns. Wie soll die Komödie jetzt weitergehen?" Ein kaltes Lächeln umspielte seine Lippen. Franco ging näher heran. Er spürte Julies Blicke in seinem Rücken. Er mußte etwas tun, was sie erschrecken würde. Einen Schritt vor dem Gorilla blieb er stehen. „Dreh dich um", sagte er flach. Der Bursche spuckte vor Francos Füße. Franco fintete mit der linken Hand. Der Gorilla riß die Deckung hoch, um sein Hammerkinn zu schützen. Dadurch entblößte er seinen Körper. -142-
Franco nutzte die Chance ohne zu zögern. Von unten herauf schlug er mit der Pistole zu. Die Hände des Leibwächters fielen herab, der Mund klappte auf, alles Blut wich aus seinem Gesicht. Mit einem gestochenen linken Haken schickte Franco den Hünen zu Boden. Tom Harrigan rannte mit einem Strick in der Hand herbei. „Soll ich ihn etwas einpacken?" rief er. „Verschnür ihn zu 'ner Mumie", riet Franco, „und schaff ihn hinters Haus. Dann kannst du uns Kaffee kochen. - Kommen Sie, Mr. Benedict, wir gehen hinein, plaudern ein wenig mit ihren Freunden auf der Ranch. Bitte, gehen Sie vor." Als der Gangsterboß an ihm vorbeiging, tastete Franco ihn schnell nach Waffen ab. Wie erwartet, trug d'Ambrosio keine. Im Haus standen sie einander dann gegenüber. Die anderen Stark und Whitman - hatten sich in die Gästezimmer zurückgezogen. Franco sah den New Yorker an. Aufrecht stand der Mann in der Mitte des Raumes, eine elegante Erscheinung, in der niemand einen der abgebrühtesten Verbrecher der Staaten vermutet hätte. An seinen gepflegten Fingern klebte das Blut junger Menschen, die sich an seinem Heroin zu Tode gespritzt hatten. Franco holte das Funkgerät, wog es in der Hand. „Sie werden mit Ihren Leuten unten reden", sagte Franco sachlich. „Ich möchte ganz gern noch ein paar Figuren hier oben sehen. Carlo und Leoni, beispielsweise." „Was sollen die denn hier?" fragte der Gangster verständnislos. Jetzt kam Francos großer Bluff, und es kam darauf an, daß d'Ambrosio die Kröte schluckte. „Carlo hat Durrance umgelegt. Wenn ich Carlo töte, braucht er die Augenzeugin nicht mehr zu fürchten." Franco lächelte zynisch. d'Ambrosio hielt den Atem an. Seine Geiernase stand wie ein Felsbrocken in dem unbewegten Gesicht. Für einen -143-
Moment glichen die Augen trüben Pfützen, sie zogen sich wie Schnecken in die Höhlen zurück. Dann kamen sie wieder hervor. Die schlichte Logik in Francos Plan schien ihn zu beeindrucken. Was lag ihm an einem Burschen wie Carlo Porcelli, der nicht einmal zu seiner „Familie" gehörte, wenn es um das größte Geschäft ging, das die Mafia je getätigt hatte? Mit diesem Erfolg im Rücken war sein Vorsitz in der Commissione, im Großen Rat, gesichert. Er nickte. Franco schaltete das Gerät ein. Er drückte die Ruftaste. Es dauerte einige Augenblicke, bis sich jemand meldete. Es war Rathbone. Seine Stimme klang müde. „Ja? Bist du's, Tom?" „Ich bin's, Chef. Joe." „Joe?" „Ist Ihr Busenfreund Leoni in der Nähe? Der Boß will ihn sprechen." „Ich hole ihn. Warten Sie, Joe." Nick Leoni konnte nicht weit weg gewesen sein. Er meldete sich nach wenigen Sekunden. „Rosso? Joe? Sind Sie wirklich oben? Was ist mit ..."„Sie sind alle wohlauf, Mr. Leoni. Mr. Benedict wird gleich das Wort an Sie richten." „Joe, warten Sie!" Leoni lag etwas auf dem Magen. „Sagen Sie mir eins - haben Sie die Polizei informiert?" Franco lachte lautlos in sich hinein. „Nein", antwortete er. Er gab das Gerät an d'Ambrosio weiter und ließ den Don mit Leoni palavern. Tom betrat die Hütte, und nachdem er Franco zugezwinkert hatte, machte er sich in der Küche zu schaffen. „Und ich soll mit heraufkommen?" fragte Leoni gerade. Er schien sich unbehaglich zu fühlen. „Warum?" d'Ambrosio hatte seine Augen auf Franco gerichtet. Sie schimmerten wie blankes Gletschereis. „Kommen Sie rauf. Sie und Carlo. Sonst -144-
niemand." „Ja, Mr. d'Am ... Benedict, sowie der Hubschrauber eintrifft." Franco nahm dem Capo das Gerät aus der Hand. Er blies ins Mikrofon. An Leonis Ohr mußte es ganz schön krachen. „Ich bin's nochmal, Joe. Mr. Benedict meint gerade, es soll doch noch jemand mit heraufkommen." Franco hob die rechte Hand. Er preßte die Mündung der Luger tief an d'Ambrosios Hals. „So? Wer denn?" „Mr. Totten." Woodrow Totten war der Mann, der die MafiaHolding leitete. Von Colonel Warner hatte Franco erfahren, daß Totten auf der Ranch war. „Sie, Carlo und Mr. Totten." Franco schaltete das Gerät ab. d'Ambrosio stieß einen pfeifenden Ton aus. Mit jähem Erschrecken begriff er, wem er da in die Falle gegangen war. Franco Solo ...
* Julie musterte Franco immer wieder über den Rand der Tasse hinweg. Sie tranken starken schwarzen Kaffee. Luigi d'Ambrosio hockte blaß auf einem Stuhl. Seine Augen hatten jeden Glanz verloren. Wie zerkratztes Glas lagen sie in den Höhlen. All seine Macht endete auf einem gottverlassenen Hochplateau der Bitterroot Range, weit entfernt von der Sicherheit der Straßenschluchten New Yorks. Dort wo er Horden von Schlägern und Killern befehligte, einflußreiche Leute in der Tasche hatte und ganze Hundertschaften der besten Anwälte für sich arbeiten lassen konnte. „Sie können mir nichts anhaben", behauptete er. Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich war hier doch nur als Gast ..." „Leoni wird auspacken, um seine Haut zu retten", sagte Franco. „Er hat einen Mord begangen. Auf Ihren Befehl hin, -145-
d'Ambrosio! Und vergessen Sie Rathbone nicht. Er hat neben Ihnen gestanden, als Sie die Befehle gaben, hundert Leute als Geiseln zu benutzen. Und zwei andere - Miß Conrad und mich wie die Hasen zu jagen. Das reicht für die ersten fünfzehn Jahre, Don Luigi!" „Warum?" fragte der Capo. Er fragte nur nach dem Grund, weil er wußte, daß er einen Mann wie Franco Solo nicht kaufen konnte. Nicht mit allem Geld der Mafia. „Ich habe es schon zu oft erklärt, d'Ambrosio. Ihr seid eine Brut, die das Land auslaugt und die Menschen verdirbt. Ihr raubt und tötet und mordet nach euren eigenen Gesetzen. Das muß ein Ende haben. Diesem Kampf habe ich mich verschrieben, und ich werde nicht ruhen, solange noch einer von Ihrer Sorte ungestraft andere Menschen terrorisiert. Oder ich werde vorher sterben." Als er das ferne Knattern des Helicopters hörte, schickte er Julie in eins der Gästezimmer. Tom Harrigan hatte eine Leine bereitgelegt. Franco trat hinter den großen Don. Mit einem Ruck riß er ihm die Arme nach hinten, und bevor der andere überhaupt reagieren konnte, hatte ihm Franco die Ellbogen zusammengebunden. Er schlang die Leine unter dem Stuhl her und fesselte auch d'Ambrosios Beine. „Paß auf ihn auf", sagte Franco zu Tom, als er die Hüttentür öffnete.
* Das geladene Schrotgewehr lag in Francos Armbeuge, als der Hubschrauber aufsetzte. Die Luger steckte in seinem Hosenbund. Franco bedeutete den Passagieren, deren Gesichter er hinter dem spiegelnden Glas nur undeutlich erkennen konnte, die Tür zu öffnen. Carlo, Leoni und ein hagerer Mann mit faltigem, totenblassem -146-
Gesicht starrten heraus. Carlo haßerfüllt und furchtsam zugleich. Leoni unsicher, ängstlich, Totten teilnahmslos. „Leoni, kommen Sie ins Haus. Der Don will Sie sprechen." Nick Leoni schluckte. Er kletterte an den anderen vorbei und sprang aus der Kabine. Langsam kam er herüber. Er schob seine Jacke vorn auseinander, um Franco zu zeigen, daß er unbewaffnet war. Franco hob ein wenig den Lauf der Flinte, und Leoni blieb stehen. „Joe ..." „Warten Sie. - Sid!" rief Franco. Die Gangster waren unsicher. Keiner von ihnen wußte, was gespielt wurde. Er mußte diese Minuten der Unsicherheit nutzen, um die Unbeteiligten in Sicherheit zu bringen. Sid Vernon sprang aus der Maschine. Franco hoffte, daß er den Schlüssel für die Zündanlage abgezogen hatte. Er begann zu laufen. Da wurde Carlo lebendig. Seine Hand fuhr unter die Jacke. Franco riß das schwere Gewehr hoch. Über den langen Lauf hinweg peilte er den Schädel des Killers an. Wenn er abzog, würde auch Totten sterben. „Laß die Kanone, wo sie ist, Carlo! Du wirst deine Befehle vom Boß bekommen!" „Ich habe dir was versprochen!" schrie Carlo. „Ich werde dich töten! Ganz langsam, verstehst du?" „Später, Carlo", konterte Franco gelassen. „Sid, geh ins Haus und schließ dich mit den anderen ein." Der Pilot schob sich an Franco vorbei. Franco winkte Leoni. Der Mann, der sich wie viele andere der Mafia verkauft hatte und der jetzt teuer dafür bezahlen mußte, kam langsam näher. „Stellen Sie sich neben die Tür, Gesicht zur Wand, Arme aufgestützt, Beine gespreizt", sagte Franco. Er traute keinem von ihnen. Aber Leoni war unbewaffnet. Er war eine vorsichtige -147-
Ratte. Er war kein Revolvermann. Er tötete nur, wenn er mußte, und dann aus dem Hinterhalt. „Gehen Sie rein", sagte Franco. Er hielt die beiden Männer im Hubschrauber im Auge. „Ich habe Don! Vergeßt das nicht! Bleibt, wo ihr seid!" Blitzschnell verschwand Franco im Haus. Die Schrotflinte stellte er griffbereit innen neben die Tür. Tom Harrigan hatte an einem der vorderen Fenster Posten bezogen. Zwischen den beiden Männern herrschte eine stillschweigende Übereinstimmung. Tom würde Franco sofort Bescheid sagen, wenn Carlo Porcelli einen Ausfall versuchte. Franco rechnete jedoch damit, daß der Gangster stillhalten würde, weil er mit neuen Befehlen rechnete. Wahrscheinlich vermutete er, daß Franco alias Joe Rosso den Don zu erpressen versuchte. Carlo war bestimmt fest davon überzeugt, daß seine große Stunde noch kommen würde. Er würde der Retter des großen Capo aus New Yo rk sein ... Leoni stand fassungslos vor dem gefesselten d'Ambrosio. Franco drückte ihm das Funkgerät in die Hand. „Wer sitzt jetzt unten am Empfänger und nimmt die Befehle entgegen?" erkundigte sich Franco. „Hart. Dale Hart." „Hört er auf Sie?" „Ich ... glaube." „Sagen Sie ihm, er soll dafür sorgen, daß die Ranch geräumt wird. Sofort. Alle Mann ziehen ab, und zwar ganz ruhig. Verstehen wir uns?" Leoni starrte d'Ambrosio gequält an. Seine Haut war fleckig und grau. „Tun Sie's nicht, Nick", keuchte der Don. Er lehnte sich noch einmal auf, weigerte sich, die Niederlage hin-, zunehmen. „Don Luigi spielt nicht mehr mit, Leoni. Lassen Sie sich von -148-
ihm sagen, wer ich bin." d'Ambrosio preßte die Lippen aufeinander. „Ich bin Franco Solo." Leonis vorquellende Augen zuckten. Natürlich hatte er von dem Todfeind der Mafia gehört. Seine Lippen bebten. Er hob die Hände. Sie zitterten. „Nein ... ich bin ... ich kann nicht ..." „Sie machen alles nur noch schlimmer, wenn Sie da unten mehr als hundert Geiseln halten. Denn Sie führen jetzt den Befehl, Leoni. d'Ambrosio kommt nicht mehr ans Gerät. Dafür wird es später Zeugen geben. Wollen Sie wegen Bandenverbrechens und Geiselnahme in hundert Fällen vor Gericht stehen?" d'Ambrosio zerrte wütend an seinen Fesseln. Leonis vorquellende Augen schlössen sich halb, als er das Funkgerät nahm und sich mit dem Gangster namens Hart in Verbindung setzte. „Nick!" schrie d'Ambrosio „Tun Sie's nicht! Die Geiseln da unten sind unsere einzige Chance!" Franco trat hinter den Capo. Er riß dessen Kopf zurück und preßte ihm die Kiefer zusammen, bis Leoni den Dialog mit Hart abgeschlossen hatte. Die Gangster würden den Rückzug antreten - und den Burschen vom FBI genau in die Arme laufen. Franco lächelte. Leoni sah das Lächeln, und er blickte Franco hünd isch an. Franco ließ d'Ambrosio los. „Ich habe getan, was Sie verlangten, Joe ... Mr. Solo, meine ich. Ich bin hier gegen meinen Willen reingerutscht ..." „Schweig, du Kröte!" fauchte d'Ambrosio. „Merkst du nicht, wie ..." Mit einer blitzschnellen Bewegung seiner linken Hand brachte Franco den Verbrecher zum Schweigen. d'Ambrosios Kopf fiel nach vorn. Leoni sah den Mafia-Jäger atemlos und voller Furcht an. -149-
„Lassen Sie mich draußen, Mr. Solo." Er lächelte kläglich. „Ich habe eine Frau und zwei Kinder, die mich brauchen ..." „Die hatte der Mann da unten sicher auch", sagte Franco kalt. Er spürte keine Genugtuung. Nur Haß. Abgrundtiefen Haß, als er sah, wie sich das Gesicht des Mannes aus Chicago veränderte. Es verfiel wie das eines Toten. „Gehen Sie zur Tür, Leoni. Rufen Sie Totten herein. Sagen Sie ihm, es sei ein Befehl von d'Ambrosio." Wenn Totten ebenfalls im Haus war, gab es draußen nur noch Carlo Porcelli und ihn. Dann hatten sie die Berge als Zeugen, wenn es zum Showdown kommen sollte. Er, Franco war bereit. Leoni bewegte sich mit schleppenden Schritten zur Tür. Leoni war ein gebrochener Mann. Er hatte seine Existenz in einer bürgerlichen Welt angesiedelt und vergessen, wem er sie verdankte. Das Erwachen war zu plötzlich gekommen. Franco irrte nicht, wenn er Leoni für einen gebrochenen Mann hielt. Franco erkannte nur nicht sofort, daß Nick Leoni in diesen Minuten mit dem Leben abgeschlossen hatte. An der Tür stand die Schrotflinte. Leoni packte sie und riß sie an sich. „Nicht!" schrie Franco. Er warf sich zur Seite, die Luger lag bereits in seiner Hand. Leoni schwenkte das Gewehr herum. Er legte nicht auf ihn, Franco, an. Die dicken Mündungen der Zwillingsläufe wiesen auf d'Ambrosio. Franco erkannte in diesem Sekundenbruchteil, daß Leoni schießen würde und daß er hoffte, selbst sterben zu müssen. Franco und Leoni schossen im gleichen Moment. Die Bleiladung aus der Schrotflinte tötete den Verbrecher aus New York nicht sofort. Das Blut floß aus seiner zerrissenen Brust, während Francos Kugel gnädiger gewesen war. Leoni flog durch die nachgebende Tür und stürzte draußen zu -150-
Boden, wo er leblos liegenblieb.
* „Mein Gott", flüsterte Tom Harrigan. Franco sprang zur Tür. Dort warf er sich zu Boden. Carlo Porcelli sprang aus dem Helicopter und ging hinter dem Pickup in Deckung. „Joe!" schrie er. „Komm jetzt endlich raus, Supermann!" Franco drückte sich an den Rahmen. Immerhin befand sich Woodrow Totten nicht in unmittelbarer Gefahr. Der Manager drückte sich ängstlich in der Kabine des Hubschraubers herum. Er war wie Leoni. Er arbeitete für die Mafia. Aber er war der Gewalt noch nicht begegnet. Vielleicht würde auch er eines Tages, wenn man ihn brauchte, einen Anruf bekommen. Da ist jemand im selben Hotel wie Sie, Mr. Totten. Sie wissen doch, Sie schulden uns noch einen Gefallen ... Gehen Sie hin, töten Sie ihn ... Franco versuchte, seine verkrampften Muskeln zu lockern. Hinter ihm starb Luigi d'Ambrosio. Franco sah sich nicht um. Er nahm das Gewehr an sich. Ein Lauf war noch geladen. Er schob es Tom zu. „Rühr dich nicht aus der Deckung, aber wenn ich Jetzt' sage, feuerst du einen Schuß aus dem Fenster dort!" Tom nickte. Er nahm das Gewehr und kroch unter das Fenster an der linken Hüttenseite. Er öffnete es, legte die Mündung der Waffe auf die Fensterkante. Franco zog die Beine an. Wie ein Hundertmeterläufer am Start. Die Tür war drei Handbreit weit geöffnet, Leonis Beine hielten sie in der Stellung. „Jetzt", sagte Franco. -151-
Die Detonation erschütterte die Hütte. Franco startete. Er warf sich gegen die Tür, stieß sie auf, stürmte hindurch. Der Schuß aus der Schrotflinte hatte Carlo für einen winzigen Moment abgelenkt. Er feuerte unter dem Pickup her in Richtung Hütte, als Franco bereits zur rechten Seite hinüberflitzte. Carlo Porcelli stand auf. Er legte das Handgelenk auf die Klappe der Ladefläche und zielte auf den hakenschlagenden Mann. Franco warf sich zu Boden. Blei pfiff über ihn hinweg, während er sich zur Seite rollte und die Luger in Anschlag brachte. Neben seiner Schulter spritzte eine Erdfontäne auf. Franco schoß. Dreimal ruckte die Automatic in seiner Hand. Carlo verschwand wieder hinter dem Wagen. Franco sah für einen Moment den Fuß des Killers, als Carlo seine Position veränderte und das Vorderrad das Bein nicht mehr deckte. Franco zielte kurz und schoß. Er sah, wie die Kugel den Fuß unter dem Körper des Gangsters weg riß. Carlo stürzte. Franco sprang auf und hetzte mit langen Sprüngen auf den Wagen zu. Er schlug einen Bogen, bis er den Gangster vor sich liegen sah. Er zielte auf Carlos Kopf. Das Gesicht des Killers war verzerrt. Er hielt einen Revolver in der Faust. „Du Hund!" schrie er. Er legte auf seinen Todfeind an. Franco ließ die Waffe sinken. „Einer von euch soll die Firma im Knast vertreten", sagte er. „Ich habe dich dazu ausgelost." „Fahr zur Hölle!" Carlo zog den Hammer zurück. „Du bist ein Stümper, Carlo. Wer einen Revolver benutzt, sollte die Schüsse zählen ..." Es klickte, als der Hammer auf eine abgeschossene Patrone fiel. Franco ging zu ihm und nahm ihm die nutzlose Waffe ab. -152-
Als der Schmerz im zerschossenen Fuß einsetzte, begann der Killer zu schreien.
* Am Abend stellte sich Colonel Warner neben Franco an die Bar. Er hob sein Whiskyglas und lächelte. Es sah ganz zufällig aus. „Mr. Whitman hat sich entschlossen, die Aktien zu behalten", sagte er leise. Franco nippte an seinem Wein. Er lächelte und schwieg. „Wenn ich mir die Sache so recht überlege, hätte ich gar nicht herzukommen brauchen. Sie haben ja doch wieder alles allein geschafft. Die Burschen vom FBI sind auch ziemlich sauer." Franco zündete eine Zigarette an, dann drehte er sich um und machte Anstalten zu gehen. Er hatte Julie in der Halle entdeckt, wo sie mit Allan Stark sprach. Franco hatte niemandem etwas von der Rolle erzählt, die Allan in diesem Fall spielte. Das mußte der junge Mann mit seinem Gewissen abmachen. Franco hatte herausgefunden, daß die Gangster alle Telefongespräche, die Tibor Durrance von seinem Zimmer aus geführt hatte, abgehört hatten. Nicht Allan Stark hatte den Gangstern verraten, daß sein Chef sich an die Behörden wenden wollte. Das hatte Durrance selbst am Telefon getan, als er mit seinem Büro in Topeka telefonierte. „Wohin gehen Sie?" fragte der Colonel. Franco drehte sich noch einmal um. In der Bar wimmelte es von FBI-Leuten. Der Colonel hatte dafür gesorgt, daß Franco nicht behelligt wurde. „Ich gehe spazieren, Sir", antwortete Franco. „Wenn Sie die G-men glücklich machen wollen, schicken Sie sie zum Pistolenschießstand. Dort liegt noch einer." Franco grinste. Er -153-
hatte Jack vergessen, mit dem er eine Zeitlang durch das Tal gefahren war und den er schließlich im Schießstand eingesperrt hatte. „So long, Sir. Ich habe Feierabend." Er hatte eine Schlacht gewonnen, doch der Krieg dauerte an. Franco wollte ihn vergessen. Wenigstens heute abend. Er lächelte Julie zu. Zusammen gingen sie hinaus. ENDE
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