Nr. 264
Der Mondträger Er verlässt die Flotte des Imperiums - er ist bereit, an Atlans Seite zu kämpfen von Harvey Pat...
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Nr. 264
Der Mondträger Er verlässt die Flotte des Imperiums - er ist bereit, an Atlans Seite zu kämpfen von Harvey Patton
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Feinde ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindli che Rückschläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III., den Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen. Atlans geheime Zentrale, von der aus alle Aktionen gegen Orbanaschol ihren An fang nehmen, ist der Planet Kraumon. Mehr als 12,000 verschworene Anhänger des Kristallprinzen leben bereits dort, und Morvoner Sprangk, der Kommandant von Kraumon, sieht sich vor immer größe re Schwierigkeiten gestellt, die Versorgung der dort befindlichen Arkoniden zu ge währleisten, zumal Kraumon selbst wenig an Nahrung bietet. Da erscheint Mekron Dermitron als Retter in der Not. Dermitron ist DER MOND TRÄGER …
Der Mondträger
3
Die Hautpersonen des Romans:
Mekron Dermitron - Ein Mondträger desertiert.
Morvoner Sprangk - Kommandant von Kraumon.
Salmoon, Berkosch, Dermato, Olvan und Ventron - Dermitrons Gefährten.
Boraschkin - Agent der POGIM.
Corpkor - Der Tierfänger wird zum Menschenfänger.
1. Als das Schiff aus der letzten Transition kam, wurde es fast zerrissen. Der Transitionsschock überfiel die Män ner und Frauen an Bord mit einer Stärke oh negleichen. Sekundenlang wanden sie sich wie in Krämpfen, der Entzerrungsschmerz raste durch ihre Glieder. Als sie wieder se hen und hören konnten, fuhren sie schreck erfüllt zusammen. Das berstende Geräusch brechender Träger und Verstrebungen drang an ihre Ohren. Bildschirme implodierten mit lautem Krachen, die Alarmpfeifen gellten auf. Doch dieses Inferno wurde von einem un erträglichen Dröhnen übertönt. Die Kugel zelle des Raumers erbebte unter heftigen Schwingungen, die sie wie eine riesige Glocke klingen ließen. Dann fiel auch noch die Beleuchtung aus – das Ende schien ge kommen! Laute Schreie gellten durch das Dunkel. Männer und Frauen, die als erfahren und diszipliniert galten, verloren unter den viel fältigen Belastungen die Nerven. Doch auch die Schmerzenslaute Verletzter mischten sich in die panikerfüllten Ausrufe. Die An drucksabsorber waren für wenige Augen blicke ausgefallen. Das hatte schon genügt, um jeden zu Boden zu schmettern, der kei nen festen Halt besaß. Nur der Pilot behielt die Nerven. Seine Hand zuckte vor und legte sich auf die Sen soren einer Notschaltung. Im nächsten Au genblick flammten die Lichter wieder auf. Das brachte alle wieder zur Besinnung, die nahe daran gewesen waren, durchzudrehen. Sie fingen sich wieder und eilten den Ver letzten zu Hilfe, die sich aus eigener Kraft
nicht mehr erheben konnten. Allmählich verstummten auch die nerven aufreibenden Geräusche. Das hallende Dröhnen verging, die Lärmpfeifen stellten ihre Tätigkeit ein. Nun schaltete der Pilot den Interkom ein, und seine Stimme klang durch das Schiff: »Trubato spricht. Achtung, Medostation: Alle Moderatoren auf den Weg bringen, al les zur Behandlung Schwerverletzter vorbe reiten. Die Notfallkommandos: Mit voller Ausrüstung auf den Weg machen, Schäden feststellen und nach Möglichkeit beheben. Geben Sie Ihre Meldungen laufend an die Hauptzentrale durch, damit eine Kontrolle und eine Koordination möglich gemacht werden. Ende.« Die nächste halbe Stunde war mit einem hektisch anmutenden, aber zielbewußten Treiben angefüllt. Medorobots, Ärzte und Helfer waren voll damit beschäftigt, fünf undvierzig Verletzte zu versorgen. Es gab Arm- und Beinbrüche, Gehirnerschütterun gen und vielfältige Prellungen. Die Medo station füllte sich bis zur Grenze der Unter bringungsmöglichkeiten. Ständig gingen neue Meldungen der Not falltrupps ein. Durch die Brüche von Streben und Trägern waren vor allem die großen Räume betroffen worden. Mehrere Decken waren eingestürzt und einige Antigrav schächte ausgefallen. Daneben gab es zahl reiche kleinere Schäden, an deren Beseiti gung gearbeitet wurde. Die während einer Zwischenlandung auf einer unbewohnten Welt notdürftig geflickte Kugelzelle hatte jedoch standgehalten. Ein Druckverlust konnte nirgends festgestellt werden. Dafür kam eine schlechte Nachricht aus dem Maschinendeck. »Das Transitionstriebwerk ist hinüber!«
4 meldete der diensthabende Ingenieur. »Es ist restlos ausgebrannt, auch ein Teil der Nor maltriebwerke ist ausgefallen. Wir können höchstens noch mit der Hälfte der sonstigen Kapazität beschleunigen, die ISCHTAR ist nur mehr ein halbes Wrack. War das wirk lich nötig, Helos? Ich habe Sie dringend da vor gewarnt, eine solche Gewalttransition vorzunehmen.« Helos Trubato zuckte mit den Schultern. Als Atlan mit der ISCHTAR von Krau mon aufgebrochen war, war er Erster Offi zier gewesen. Nun lag jedoch die Verant wortung für Schiff und Besatzung ganz in seinen Händen. Akon-Akon, der junge Sug gestor von Perpandron, war zusammen mit Karmina Arthamin, Fartuloon, Atlan und na hezu vierzig weiteren Besatzungsmitglie dern durch den Transmitter verschwunden. Zwölf weitere Männer waren bei den Kämp fen auf Kledzak-Mikhon gefallen, und auch zuvor hatte es schon Verluste gegeben. So war die Kopfstärke der Besatzung auf fünf hundertvierzig zusammengeschmolzen. Sie nach Kraumon zurückzuführen, war Atlans letzter Auftrag an Trubato gewesen. Keine einfache Aufgabe, denn die ISCHTAR war schon damals durch Kampfraketen beschä digt gewesen, und der Weg zur Stützpunkt welt war weit. Trubato hatte sie bewältigt und dabei viel Geschick bewiesen. »Was wollen Sie, Hagor?« fragte er nun. »Sie haben mich davor gewarnt, überhaupt noch zu transitieren, ganz gleich, über wel che Entfernung. Wir waren aber noch drei hundert Lichtjahre von Kraumon entfernt und in einer vollkommen sternenlosen Zone. Ich mußte das Risiko eingehen, sonst wären wir nie mehr in eine bewohnte Region der Galaxis gekommen. Hätte es Ihnen etwa besser zugesagt, so lange im leeren Raum dahinzutreiben, bis unsere Vorräte erschöpft waren? Nur ein paar Monate, und die ISCH TAR wäre nur noch ein Geisterschiff gewe sen! Jetzt ist sie zwar ziemlich mitgenom men, dafür befinden wir uns jedoch dicht vor Kraumon, und das allein zählt.« Hagor Quingallen winkte resigniert ab.
Harvey Patton »Schon gut, Helos, ich gebe mich geschla gen. Freuen kann ich mich aber trotzdem nicht sehr, denn wir kommen praktisch mit leeren Händen zurück. Atlan und Fartuloon sind mit unbekannten Zielen verschwunden und nach wie vor Spielbälle dieses ver dammten Jungen, der sie weiter mißbrau chen kann. Ob das die Stimmung auf Krau mon wohl heben wird?« Er wartete die Antwort nicht ab, sondern schaltete sein Gerät aus. Trubato seufzte, aber bald hellte sich sein Gesicht wieder auf. Er sah den neben ihm sitzenden Navigator an. »Atlan wird schon durchkommen«, mein te er überzeugt. »Daß er mit Akon-Akon zu sammen ist, ist eigentlich kein Nachteil. Der junge Suggestor hat inzwischen viel gelernt und ist nun wirklich ein waches Wesen, das alle Widerstände meistert. Wir kommen aber auch nicht mit ganz leeren Händen nach Kraumon zurück – wir haben immerhin Go nozal VII. an Bord! Ihn hat dort bisher noch niemand zu sehen bekommen, nur Corpkor wußte, daß wir ihn aus der Karsehra geholt haben. Jetzt können wir ihn präsentieren, und das wird seine Wirkung nicht verfehlen. Er ist zwar kaum mehr als ein lebender Leichnam, aber sein Wert als Symbolfigur gegen Orbanaschol ist unschätzbar!« Zwanzig Stunden später waren die schlimmsten Schäden behoben. Die ISCHT AR nahm langsam Fahrt auf und steuerte Kraumon an, das noch drei Lichttage ent fernt war.
2. Morvoner Sprangks Gesicht zeigte düste re Falten. Während Atlans Abwesenheit befehligte er die rund zwölftausend Gefolgsleute, die in Gonozal-Mitte und Umgebung lebten. Der ehemalige Kopfjäger Corpkor und der Chretkor Eiskralle unterstützten ihn dabei nach besten Kräften. Aus der einstigen Geheimstation des Bauchaufschneiders Fartuloon war ein be
Der Mondträger achtlicher Stützpunkt geworden. Es gab einen großen Raumhafen, lei stungsfähige subplanetare Hangars und star ke Abwehrforts. Sie konnten jedem Gegner schwer zu schaffen machen, den Maahks ge nauso wie den Einheiten der Imperiumsflot te. Bisher hatte jedoch noch keine der glei cherweise unerwünschten Parteien Kraumon entdeckt. Eine einsame rote Sonne, die un aufhaltsam ihrem allmählichen Verlöschen zuging, war kein lohnendes Ziel für sie. Trotzdem hatte der alte Haudegen Sorgen. Die isolierte Lage des Planeten fernab al ler bewohnten Welten brachte erhebliche Nachschubprobleme mit sich. Zwar verfügte Sprangk über fünf Kugelraumer von 100 und 200 Meter Durchmesser, aber mehr als zwei davon durften nie gleichzeitig abwe send sein. Die übrigen standen startbereit in den Hangars, um sofort eventuellen Angrei fern entgegengeworfen werden zu können. Das Fehlen der großen ISCHTAR machte sich hier nachteilig bemerkbar. Der wüstenartige Planet bot den Arkoni den nur spärliche Nahrungsquellen. Selbst der bewohnbare warme Gürtel rings um den Äquator bestand zum größten Teil aus wei ten Steppen und ausgedehnten niedrigen Wäldern. Nur in einigen geschützten Tälern gab es Flüsse und kleine Seen, die die Ent wicklung einer üppigeren Vegetation ermög lichten. In einem dieser Täler befand sich die Sta tion. Allerdings hatte sie inzwischen eine solche Ausdehnung bekommen, daß nur noch wenig Land zum Anbau von Nutz pflanzen übriggeblieben war. Jeder Fleck wurde ausgenutzt, aber das reichte bei wei tem nicht, um alle zwölftausend Männer und Frauen zu versorgen. Da es auch nur wenige Tiere gab, die als Fleischlieferanten in Frage kamen, fehlte es an allen Ecken und Kanten. Man behalf sich durch die Erzeugung syn thetischer Nahrungsmittel, die fast zwei Drittel des Bedarfs deckten. Doch das war eben nur ein unzulänglicher Ersatz, den nie mand gern mochte. Den meisten waren die in der arkonidischen Flotte verwendeten
5 Konzentrate noch in unliebsamer Erinne rung. Ähnlich verhielt es sich auch mit allen an deren Bedarfsgütern. Auf Kraumon gab es kaum Rohstoffe, fast alles mußte von außer halb herangebracht werden. Unter diesem Mangel litten vor allem die subplanetaren Fabrikationsanlagen, deren Kapazität nur zu einem kleinen Teil ausgenutzt werden konn te. So war ständig das eine oder andere Schiff unterwegs, um für Nachschub in jeder Form zu sorgen. Bisher waren aber alle diese Unterneh mungen wenig zufriedenstellend gewesen. Die Beschaffungskommandos waren in fast jeder Hinsicht gehandikapt. Überfälle auf Flottendepots, wo es alles im Überfluß gab, waren zwar spektakulär, wurden aber nur im Notfall ausgeführt. Da bei bestand stets die Gefahr, das betreffende Schiff zu verlieren, und das konnte sich At lans kleine Flotte einfach nicht leisten. Also hielt man sich meist an abgelegene Koloni alwelten, auf denen es nur selten militäri sche Garnisonen gab. Das erschien relativ leicht, war aber doch noch schwierig genug. Der erste Grund war der Mangel an Zah lungsmitteln oder Waren, die man zum Tausch anbieten konnte. Auf diesen Plane ten durch Gewaltanwendung Güter zu be schaffen, verbot sich aber von selbst. Es hät te die Sache des Kristallprinzen weit mehr geschadet als genützt. Orbanaschol hatte sich von je her bemüht, Atlan als Verbrecher und Piraten hinzustellen. Wenn man nun wirklich so verfahren wäre, hätte man ihm direkt in die Hände gearbeitet. Außerdem mußten die Männer stets mehr als vorsichtig sein. Auch wenn sie als harm lose Händler auftraten, bestand noch immer die Gefahr der Entdeckung. Die meisten wa ren Deserteure und standen auf den Fahn dungslisten der Flotte und der POGIM. Schon Kleinigkeiten konnten dazu führen, daß sie erkannt wurden oder sich selbst ver rieten. Sobald aber einer in die Hände der Häscher des Imperators fiel, würde man ihn mit allen Mitteln ausquetschen. Dann war
6 die Entdeckung und Aushebung des Stütz punkts auf Kraumon so gut wie sicher! All diese Überlegungen gingen Morvoner Sprangk nun durch den Kopf. Er war achtzig Arkonjahre alt, groß und schlank, aber kör perlich gut in Form. Sein Gesicht wirkte grob, denn es war von zahlreichen Narben übersät, den Spuren seiner Einsätze für das Imperium. Er war ein ausgezeichneter Organisator in allen militärischen Dingen und ein ruhiger, fast bedächtig wirkender Mann. Doch jetzt war er nervös, das zeigte die Art, wie er wie derholt über seinen vollkommen haarlosen Schädel strich. Schließlich sah er auf und richtete seine Blicke auf den Mann, der ihm an seinem von zahlreichen Monitoren und sonstigen Instrumenten bedeckten Schreib tisch gegenübersaß. »So kann es hier nicht weitergehen, Bra gos«, sagte er entschieden. »Einmal fehlt es hier, dann wieder da, und das alles hemmt unsere Arbeit für Atlan. Wir müssen alles tun, um hier eine Wendung zu schaffen. Deshalb habe ich sie rufen lassen.« Bragos Neschbar neigte zustimmend den Kopf. »Sie sprechen mir von der Seele, Kommandant. Täglich erhalte ich Anforde rungen von allen Seiten, die ich fast nie be friedigen kann. Wir könnten weit größere Fortschritte machen als bisher, wenn hier Abhilfe geschaffen würde.« Neschbar war etwas kleiner als Sprangk, dafür aber breiter gebaut. Sein Gesicht war rundlich, zwischen den rötlichen Augen saß eine ausgesprochene Stupsnase. Er trug das weißblonde Haar halblang, seine Stimme klang ruhig und kultiviert. Er war 42 Jahre alt und entstammte einer angesehenen Händ lerfamilie auf Arkon II. Ehe er zu Atlans Gefolge gestoßen war, war er Beschaffungs meister auf einem Flottenstützpunkt gewe sen. Nun nahm er auf Kraumon eine ähnli che Stellung ein. »Gut, wir beide sehen das Problem am be sten. Sie sind aber derjenige, der es am ehe sten meistern kann. Ich bin immer nur Sol dat gewesen, Verwaltungsarbeit ist nicht
Harvey Patton meine Stärke. Sie dagegen kennen sich in solchen Dingen aus und haben den entspre chenden Überblick. Was schlagen Sie vor, um unsere unbefriedigende Situation zu bes sern?« »Wir müssen mehr System in die Sache bringen, Kommandant. Bisher sind unsere Beschaffungskommandos meist sozusagen ins Blaue geflogen und haben uns gebracht, was sie gerade auftreiben konnten. Den Männern kann man daraus keinen Vorwurf machen, sie haben stets getan, was sie konn ten. Wir hätten schon früher daran denken sollen, sie gezielt und auf jene Dinge anzu setzen, die gerade am dringendsten benötigt wurden.« »Fehler sind dazu da, daß sie gemacht werden, wie das alte Wort sagt. Gut, ich ge be Ihnen hiermit alle Vollmachten, um sie zu korrigieren. Richten Sie einen zentralen Planungsstab ein, in Gebäude 17 sind einige Räume und ein Computer frei. Wann kann ich mit ersten Ergebnissen rechnen, wenn Sie sofort mit der Arbeit beginnen?« Bragos Neschbar wiegte den Kopf. »Zwei oder drei Tage müssen Sie mir schon zugestehen, Kommandant. Ich werde Offgur und die Computerspezialistin Retsa Dolischkor hinzuziehen, die jetzt schon für mich arbeiten. Zuerst müssen wir eine Rundfrage bei den einzelnen Sektionen ver anstalten, um einen umfassenden Überblick über alle Mängel zu bekommen. Das wird neue Probleme aufwerfen, denn natürlich wird jeder Sektionsleiter sein spezielles Pro blem als besonders dringend ansehen. Dar auf können wir allerdings kaum Rücksicht nehmen, sondern werden eine Selektion nach den Gesichtspunkten der höheren Inter essen vornehmen. Anschließend werde ich wieder zu Ihnen kommen, um Ihnen das Er gebnis vorzulegen.« Sprangk nickte und erhob sich. »Gut, ich verlasse mich ganz auf Sie. Im Augenblick sind unsere Schiffe alle hier, wir können also …« Er unterbrach sich, denn auf dem Tisch leuchtete eine Ruflampe auf. Rasch drückte
Der Mondträger
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er auf einen Schalter, und auf einem Monitor erschien das erregte Gesicht eines Mannes aus der zentralen Funk- und Ortungsstation. »Kommen Sie bitte so schnell wie mög lich zum Raumhafen, Kommandant. Eben hat sich die ISCHTAR gemeldet, sie wird in einer halben Stunde auf Kraumon eintref fen.« Morvoner Sprangks Gesicht erhellte sich schlagartig. Er bestätigte kurz und wandte sich dann an Neschbar. »Das ist die beste Nachricht seit langem! Kommen Sie mit, Bragos – Atlan kehrt zu rück, und wir wollen ihn entsprechend emp fangen.«
* Als die beiden Männer den Hafen erreich ten, wimmelte es dort bereits von Leuten. Die Nachricht hatte sich mit Windeseile ver breitet, jeder war gekommen, der irgendwie abkömmlich war. Die Posten hatten Mühe, die Männer und Frauen zurückzuhalten und eine Gasse für den Kommandanten zu schaf fen. Sprangk eilte in den Funkraum, wo das Gesicht von Helos Trubato auf einem Bild schirm stand. Er setzte sich und nickte dem Offizier lächelnd zu. »Ich begrüße Sie, Trubato. Sie können kaum ermessen, wie sehr ich mich freue, daß die ISCHTAR endlich zurückkommt. Wenn die Nachrichten stimmen, die aus dem Imperium bis zu uns gedrungen sind, müs sen Sie eine Menge erlebt und durchgemacht haben. Wie geht es Atlan?« Das Gesicht des Offiziers verdüsterte sich. »Ich gäbe viel darum, wenn ich das wüßte, Kommandant. Wir kommen ohne ihn zurück, auch Fartuloon und Karmina Artha min sind nicht an Bord.« Sprangks Züge waren starr geworden. Diese Nachricht machte ihm zu schaffen, das merkte man deutlich. »Würden Sie das bitte etwas eingehender erklären?« forderte er fast barsch. »Wo sind die drei jetzt, droht ihnen Gefahr? Und wa
rum sind Sie nicht mit dem Schiff bei ihnen geblieben, um sie zu schützen?« Helos Trubato seufzte und rieb sich die übermüdeten Augen. »Das ist eine lange Ge schichte, die sich nicht mit wenigen Sätzen erzählen läßt. Erlassen Sie mir vorerst eine ausführliche Schilderung, es gibt wichtigere Dinge zu tun. Vorerst nur soviel: Alles hängt mit unseren Stammvätern, den Akonen, zu sammen. Atlan ist mit vierzig weiteren Leu ten durch einen ihrer Großtransmitter gegan gen – wohin, das mögen allein die Götter wissen. Das geschah unter dem Einfluß ei nes Suggestors, der die Herrschaft über die ISCHTAR übernommen hatte. Wir waren geistig unterjocht und hatten keine Möglich keit, etwas dagegen zu tun. Atlan gab mir zuletzt den Auftrag, das Schiff nach Krau mon zurückzuführen, und hier sind wir nun.« Sprangk kniff die Augen zusammen. »Also wieder einmal eins jener verrückten Abenteuer, die Atlan geradezu nachzulaufen scheinen. Das gefällt mir gar nicht, Helos, er würde hier dringend gebraucht. Sonst noch etwas von Belang?« Trubato nickte. »Leider ja, Kommandant. Sorgen Sie dafür, daß das Hospital von Go nozal-Mitte für die Aufnahme einer größe ren Anzahl von Verletzten vorbereitet wird. Wir hätten den Rückweg fast nicht ge schafft, weil die ISCHTAR beschädigt war. Schon bei der ersten Transition kam es zu Anomalien, und dann wurde es laufend schlimmer. Zuletzt mußte ich alles auf eine Karte setzen, und bei dem Sprung wäre das Schiff fast geborsten. Es hat schwere Schä den erlitten und ist nur noch beschränkt ma növrierfähig. Ach ja, noch etwas: Die Ärzte sollen sich darauf einstellen, daß sie einen Patienten besonderer Art betreuen müssen. Wir haben Gonozal VII. an Bord.« Der Kommandant zuckte zusammen. Sei ne Augen weiteten sich in ungläubigem Staunen, seine Züge zeigten einen Ausdruck von Ehrfurcht. Diese unvermutete Nachricht erschütterte ihn tief. Morvoner Sprangk war auf eine sehr un
8 gewöhnliche Weise zu Atlan gestoßen. In den frühen Jahren des langen Krieges gegen die Maahks war er durch eine Geheimwaffe der Methanatmer auf eine andere Dasein sebene gerissen worden. Mit ihm eine An zahl seiner Männer, aber auch eine Gruppe der verhaßten Feinde. Sie hatten die Kämpfe fortgesetzt, waren zwischendurch immer wieder für kurze Zeit auf Kraumon ins Nor maluniversum zurückgekehrt und hatten ihre Vorräte aus Fartuloons Beständen aufge frischt. Ein endloser Kreislauf, dem keiner entrinnen konnte. Die Maahks hatten diese Bewegungen mitgemacht, und so war es auch in dem Stützpunkt zu Kämpfen gekommen. Sprangk hatte als einziger Arkonide überlebt und war von Fartuloon gerettet worden. Von allem, was inzwischen im Großen Imperium geschehen war, hatten die Pendler zwischen den Zeiten nichts gewußt. Daß seitdem fast zwanzig Jahre vergan gen waren, hatte der alte Kämpe nur mit Mühe akzeptieren können. Seine Erinnerun gen an Tage, die für andere längst weite Vergangenheit darstellten, waren noch voll kommen frisch gewesen. An den Gedanken, daß der Brudermörder Orbanaschol III. nun Imperator war, hatte er sich nie gewöhnen können. Für ihn personi fizierte immer noch Gonozal den wahren Herrscher von Arkon. Daraus resultierte auch die tiefe Erschütterung, die ihn nun überkam. Er hatte die spärlichen Nachrichten über das Wiederauftauchen des früheren Impera tors begierig verfolgt. Daß es ihm nun ver gönnt sein würde, diesen von ihm glühend verehrten Mann bald zu sehen, raubte ihm fast die Fassung. In seiner Aufregung übersah er ganz, daß Trubato den alten Imperator als Patient be zeichnet hatte. Er nickte dem Offizier nur zu und unterbrach dann die Verbindung. An schließend entwickelte der sonst so ruhige Mann eine fast hektische Aktivität. Er gab eine ganze Anzahl von Befehlen und hielt dann eine Ansprache über das Vi-
Harvey Patton deo von Kraumon. Die Folge war, daß die Menschenmenge am Raumhafen sich sprunghaft vergrößerte. Nur noch jene Leute blieben auf ihren Posten, die direkt mit den Verteidigungsanlagen zu tun hatten. Doch auch sie achteten in dieser Zeit mehr auf die Videoschirme als auf ihre Instrumente. Mehr als zehntausend Arkoniden säumten das Landefeld, aber sie verhielten sich sehr diszipliniert. Krankenwagen, Ärzte und Me doroboter standen bereit, um die Verletzten sofort ins Hospital zu bringen. Die Stim mung aller, die unter der langen Abwesen heit Atlans gelitten hatten, war schlagartig gestiegen. Sie alle wußten um das unvermu tete Auftauchen des totgeglaubten Gonozal, das die große Raumschlacht von Marlacks kor entscheidend beeinflußt hatte. Ihre Er wartungen waren dementsprechend hoch. Ihre Geduld wurde jedoch auf eine harte Probe gestellt. Die ISCHTAR landete, ihre Schleusen öffneten sich. Doch es war nicht Gonozal VII., der als erster das Schiff verließ, wie die meisten erwartet hatten. Eine lange Reihe von Antigravtragen mit Verletzten wurden ausgeschleust und verschwanden in den Krankenwagen, die sich sofort in Bewegung setzten. Erst dann erschien Helos Trubato mit zwei weiteren Männern, von denen einer der frühere Imperator war. Ein grenzenloser Jubel brandete auf. Die Männer und Frauen schrien sich fast die Kehle wund, ihre Begeisterung kannte keine Grenzen. Wenn auch der lange erwartete Kristallprinz nicht zurückgekehrt war, sein schon sagenumwobener Vater war in ihren Augen mehr als nur ein Ersatz. Morvoner Sprangk erwartete den An kömmling ungeduldig. Er hatte seine alte Uniform aus vergangener Zeit angelegt, auf der zahlreiche Auszeichnungen prangten. Als Gonozal, von Helos Trubato und dem Arzt Albragin geführt, den Boden erreicht hatte, sank er vor ihm auf die Knie. Die Umgebung verschwamm vor seinen Blicken, denn seine Augen tränten vor Erre gung. »Ich begrüße Sie in Demut, Euer Er
Der Mondträger habenheit«, kam es gepreßt aus seiner Keh le. »Es ist eine übergroße Ehre für uns alle, Sie hier empfangen zu dürfen. Wir werden alles tun, um uns ihrer als würdig zu erwei sen.« Er wartete auf eine Erwiderung, aber es kam nichts. Gonozals Körper, von Atlan durch ein »Lebenskügelchen« wiedererweckt, war nicht mehr als eine leere Hülle. Dieser einst so großartige Herrscher besaß jenes unnenn bare Etwas, das man Geist oder Seele nennt, nicht mehr. Die rein motorischen Vorgänge, die in diesem Körper abliefen, verdienten die Bezeichnung »Leben« kaum. Der ExIm perator war nicht mehr als ein Zombie, hilfloser als ein ungeborenes Kind. Rubato und Albragin wechselte einen stummen Blick. Sie hatten sich inzwischen an diesen Zu stand des lebenden Leichnams Gonozal ge wöhnt. Nun mußten sie erkennen, daß hier auf Kraumon niemand etwas davon ahnte, wie es um ihn bestellt war. Die frohe Erwar tung der vielen Männer und Frauen, die rüh rende Bezeigung der Ergebenheit Morvoner Sprangks – alles war eine Verschwendung an ein untaugliches Objekt. Gonozal VII. war nicht einmal imstande, nur ein sinnvol les Wort hervorzubringen, um ihnen zu dan ken … Helos Trubato seufzte resigniert. »Erheben Sie sich wieder, Kommandant«, sagte er heiser. »Ich danke Ihnen im Namen des Imperators für diesen glanzvollen Emp fang. Er selbst ist dazu leider nicht imstande, er ist …« »Seine Erhabenheit ist schwerkrank«, sprang der Arzt ein, als seine Stimme stock te. »Sorgen Sie bitte dafür, daß er unverzüg lich ins Hospital kommt, Kommandant.« Morvoner Sprangk erhob sich zögernd. Seine Augen suchten den Blick des verehr ten Herrschers, aber vergeblich. Gonozal sah starr vor sich hin, es war deutlich zu erken nen, daß er nichts von dem begriff, was um ihn herum vorging. Ein Schauer überlief den alten Offizier, als er diesen leeren, seelenlo
9 sen Blick sah. Mochte auch Gonozal durch Kosmetika und eine Perücke das Aussehen eines normalen Mannes haben, seine toten Augen ließen sich nicht beeinflussen. Der Kommandant verstand zumindest teilweise. Mit heiserer Stimme rief er einen der überzähligen Krankenwagen herbei, in den der Imperator nun gebracht wurde. Sprangk wahrte den Schein und salutierte, während die Menschen erneut jubelten. Sein Inneres dagegen war zutiefst aufgewühlt. Er nahm kaum wahr, daß nun die Besat zung der ISCHTAR von Bord ging, von Freunden oder Ehegatten freudig begrüßt. Als der Krankenwagen abgefahren war, wandte er sich an Trubato. »Kommen Sie gleich mit mir, Helos«, sagte er rauh. Bragos Neschbar begleitete sie, auch Cor pkor und Eiskralle gesellten sich zu ihnen. Die fünf flogen zum Kommandanturgebäu de, und dort erstattete Trubato Bericht. Er brauchte Stunden dazu, denn seit die ISCHTAR Kraumon verlassen hatte, war vieles geschehen. Allmählich gewann Mor voner Sprangk seine Ruhe zurück, während er von den teilweise fast unglaublichen Abenteuern erfuhr. Sein Herz dagegen war von Trauer erfüllt. Den Imperator Gonozal, wie er ihn in der Erinnerung hatte, gab es nicht mehr, würde es nie mehr geben … Doch die Gegenwart forderte ihr Recht. Die schweren Schäden im Innern der ISCH TAR mußten behoben werden; man mußte sich darauf einstellen, daß Kraumon noch ei nige Zeit ohne Atlans Gegenwart auskom men mußte. Als sich Trubato verabschiedet hatte, gab Sprangk die entsprechenden An weisungen. Er bestimmte auch vorsorglich, daß der 200-Meter-Raumer MEDON umge baut werden sollte, wie es ihm Bragos Ne schbar vorgeschlagen hatte. Das Leben auf Kraumon ging weiter, es gab keinen Grund zum Jubeln mehr.
* »Ich bringe Ihnen den Bericht meines Teams, Kommandant«, sagte Neschbar.
10 Sprangk zog erstaunlich die Brauen hoch. »Das ging aber schnell, Bragos«, meinte er, während er auf einen Sessel wies. »Sie hatten zwei Tage Zeit gefordert, und jetzt ist noch nicht einmal einer vergangen. Wie kommt das?« Die vollen Lippen des Beschaffungsmei sters verzogen sich zu einem spöttischen Lä cheln. »Oh, das ist ganz einfach«, meinte er. »Als die Sektionsleiter hörten, worum es ging, haben sie sich förmlich überschlagen. Einer wetteiferte mit dem anderen, seine Forderungen möglichst schnell an den Mann zu bringen. Jeder hoffte natürlich, als erster an die Reihe zu kommen. So hatte ich be reits heute morgen alle Berichte auf dem Tisch, und wir konnten gleich anfangen.« »Wie sieht es im Ganzen aus?« erkundig te sich Sprangk und betätigte die Knöpfe ei ner Servoautomatik. Zwei Gläser mit einem erfrischenden Getränk erschienen auf dem Tisch, er schob eines zu Neschbar hinüber. »Besteht Grund zur Sorge?« Bragos schüttelte den Kopf. »Nicht direkt, Kommandant. Wie üblich fehlt es hier und da, aber mit etwas Improvisation kommen wir schon über die Runden. Die Mängel sind ziemlich gleichmäßig verteilt, möchte ich sagen. Wir brauchen zehn Schiffe auf einen Schlag, um alles zu beschaffen, was auf den Listen steht.« Morvoner Sprangk hob die Schulter. »Und die fehlen uns auch, Bragos«, meinte er trocken. »Durch die Rückkehr der ISCH TAR hat sich die Lage etwas gebessert, wir werden in Zukunft zwei Schiffe gleichzeitig ausschicken können. Allerdings wohl erst in ein paar Wochen, so lange werden die Repa raturarbeiten an Atlans Raumer dauern.« »Wird der Umbau der MEDON dadurch verzögert?« erkundigte sich Neschbar. Der Kommandant winkte ab. »Im Gegenteil, er wird sogar beschleu nigt. Vieles, was jetzt aus der MEDON ent fernt wird, kann bei der Reparatur der ISCH TAR verwendet werden. Deshalb hat Gor basch sich mit allen Männern und Robotern auf das Schiff gestürzt. Längstens eine Wo-
Harvey Patton che, dann kann es in den Einsatz gehen. Ihre Idee mit dem Umbau war gut, Bragos. Wenn es dem Kommando gelingt, die vergrößerten Lagerräume zu füllen, bringt es mehr als doppelt soviel heran wie eines der anderen Schiffe. Dafür, daß die Kampfkraft der ME DON nicht beeinträchtigt wird, ist gesorgt.« Bragos Neschbar nippte an seinem Be cher. »Das ist Musik in meinen Ohren, Kom mandant. Gut, ich werde inzwischen schon darüber nachdenken, wo wir den Raumer einsetzen können. Mir schwebt ein Planet vor, auf dem von allem, was wir brauchen, etwas zu haben ist. Borbomir wäre ideal ge wesen, fällt aber leider aus. Die dortige Ko lonie wurde vor einigen Monaten von den Maahks überfallen und restlos zerstört.« »Daran ist auch Orbanaschols Unfähigkeit schuld«, sagte der Kommandant grimmig. »Mindestens ein Viertel der Imperiumsflotte wird nicht gegen die Methans eingesetzt, sondern schwirrt sinnlos irgendwo in der Gegend herum! Teils, um die persönlichen Interessen des Usurpators zu wahren, teils, um Strafexpeditionen gegen wirkliche oder vermeintliche Gegner durchzuführen. Und das mitten in einem Krieg, wo es um den Bestand des Großen Imperiums geht … Un ter Gonozal VII. wäre so etwas nie passiert.« Neschbar nickte, denn er kannte diese Zu stände aus eigener Anschauung. »Wie geht es dem Imperator?« fragte er dann. Morvoner Sprangks Gesicht verschloß sich. »Gar nicht gut, Bragos. Als der Bauchauf schneider Albragin sagte, daß ihm nicht zu helfen wäre, wollte ich es einfach nicht glau ben. Jetzt sehe ich ein, daß es wirklich so ist. Wo selbst die Goltein-Heiler versagt haben, kann kein Arzt des Universums mehr etwas ausrichten. Gonozal ist ein lebender Toter, mehr nicht. Vielleicht wäre es besser gewe sen, wenn ihn Atlan in seiner Ruhestätte auf Hocotarr gelassen hätte.« Der Bauchaufschneider hob die Schultern. »Dann hätte aber die Raumschlacht von Marlackskor ein furchtbares Debakel für die
Der Mondträger Imperiumsflotte gebracht«, erinnerte er ihn. »Alles hat eben seine zwei Seiten, in unse rem Leben wie in der Geschichte. Um aber auf die MEDON zurückzukommen: Haben Sie schon einen bestimmten Mann als neuen Kommandanten vorgesehen, nachdem Scor ban verunglückt ist und ausfällt?« Der Kommandant schüttelte den Kopf. »Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht; normalerweise rückt der Erste Of fizier auf diesen Posten nach. Oder haben Sie einen bestimmten Mann dafür im Au ge?« Neschbar lächelte leicht. »Sie haben es er raten, Morvoner. Meine Assistentin Retsa hat sich mit Mekron Dermitron angefreun det, der vor einigen Wochen zu uns gestoßen ist. Er als Mondträger und früherer Schlacht schiffkommandant fühlt sich nicht wohl, weil er untätig hier auf Kraumon herumsit zen muß. Er brennt darauf, aktiv zu werden und etwas für Atlans Sache tun zu können, verstehen Sie?« Sprangk seufzte. »Und ob ich es verstehe, Bragos! Es geht mir nicht anders, aber je mand muß eben den Stützpunkt leiten, wenn der Kristallprinz abwesend ist. Gut, der Mann soll seine Chance bekommen. Ich kenne ihn noch kaum, aber dem läßt sich ab helfen, indem ich seine Personalakte studie re.« Bragos Neschbar verabschiedete sich. Der Kommandant sah auf die Uhr und stellte fest, daß bald Zeit zum Abendessen war. Er nahm noch die Routinemeldungen der ein zelnen Sektionen entgegen und begab sich dann ins Zentralarchiv. Dort gab es ausführ liche Dossiers über alle Angehörigen von Atlans Gefolge. Darin war alles über sie festgehalten: ihr Lebenslauf, ihre besonde ren Eigenschaften, alle Stärken und Schwä chen. Diese Unterlagen ermöglichten es, die richtigen Personen auf jenen Posten einzu setzen, die sie optimal ausfüllen konnten. Auch auf Kraumon wurde nichts mehr dem Zufall überlassen. Ein Tastendruck, und der Registraturcom puter spie eine Kopie auf Memoband aus.
11 Sprangk schob sie in die Tasche und begab sich dann in die Messe zum Essen. Eine Stunde später zog er sich in seine Wohnung zurück, schob das Band in ein Visorgerät und stülpte sich die Sensorhaube über. Sie übermittelte alle auf dem Band vorhandenen Angaben in Bild und Ton direkt an sein Ge hirn. Dermitrons Geschichte war nicht nur lang, sondern auch ungewöhnlich. Sie faszi nierte Morvoner Sprangk so sehr, daß er vollkommen in dem Schicksal des Mondträ gers aufging. Die Ereignisse erfüllten ihn so, als ob er sie selbst erleben würde …
3. Der Kommandant der HADESCHA betrat die Kommandozentrale. Bis auf den Piloten sprangen alle anwesenden Männer auf. Sie salutierten stramm, indem sie die geballte Rechte gegen ihre Brustplatten schlugen. Der Erste Offizier machte Meldung. »Alles in Ordnung, Erhabener! Vom Füh rungsschiff kam gerade die Nachricht, daß die Kontrolle des Systems beendet ist. Der Weiterflug soll in einer halben Stunde erfol gen.« Mekron Dermitron dankte und nahm auf seinem erhöhten Kontursitz Platz. Sein Blick flog aufmerksam über die Bildschirme der Panoramagalerie. Zur Rechten gleißte eine Flut von Ster nen. Sie standen so dicht, daß sie auch von den Elektronenteleskopen nicht als einzelne Sonnen dargestellt werden konnten. Zu dicht war die Ballung von mehr als hunderttau send Gestirnen des Kugelhaufens, in dem sich das Große Imperium der Arkoniden be fand. Fast genau in seiner Mitte lagen die drei Arkonwelten, von denen aus das riesige Sternenreich regiert wurde. Die Schirme zur Linken dagegen waren fast dunkel. Dort standen nur relativ wenige Sterne vor dem Nachtschwarz des Weltraums ver streut. Zwischen ihnen glomm matt ein ver waschener Lichtfleck, die Ellipse der Nach bargalaxis, etwa anderthalb Millionen Licht
12 jahre entfernt. Ihr waren zwei Kleingalaxien vorgelagert, die jedoch infolge der riesigen Entfernung nicht gesondert dargestellt wer den konnten. Doch der Kommandant wußte um ihre Existenz – und um das Unheil, das seit lan gem von ihnen ausging. Seine Zähne begannen unwillkürlich zu mahlen, eine Welle von Abneigung erfüllte ihn, wenn er nur an sie dachte. Aus einer dieser Zwerg-Milchstraßen griffen fremde Kräfte nach dem Großen Imperium! Von dort kamen die Maahks, die auf Großplane ten mit Methan-Wasser stoff-Ammoniak-Atmosphären lebten. Sie waren die erbitterten Feinde der Arkoniden. Seit mehr als zwanzig Jahren tobte nun schon der Krieg zwischen diesen beiden mächtigen Rassen. Die Maahks hatten sich auch in der hiesigen Galaxis festgesetzt und griffen immer wieder von neuem an. Die Flotten des Großen Imperiums wehrten sich verbissen und schlugen immer wieder zu rück. Trotzdem konnten sie nicht verhin dern, daß der Gegner nach und nach an Bo den gewann. Die Methans, wie sie meist kurz genannt wurden, waren streng logisch denkende We sen. Emotionen waren ihnen fast völlig fremd, und so kannten sie auch keine Todes furcht. Das war einer der Hauptgründe für ihre Erfolge. Sie gaben auch dann noch nicht auf, wenn Arkoniden längst die Flucht er griffen hätten, um ihr Leben zu retten. Der Nutzen für das eigene Volk hatte unbeding ten Vorrang vor Einzelschicksalen. Dermitron löste seinen Blick von dem milchigen Fleck und sah auf den mittleren Sektorenschirm. In seinem Mittelpunkt stand eine nahe gelbe Sonne, von sechs deutlich erkennbaren Planeten umkreist. Sie war ein Randstern des Kugelhaufens, auf ih rem zweiten Planeten lebten dreihundert Millionen Arkoniden. Weitere Systeme mit bewohnten Welten gab es überall in der Nachbarschaft. Sie stellten den Grund für die Anwesen heit von Dermitrons Schiff in diesem Bezirk
Harvey Patton dar. Er lag in der Nähe des Labadon-Sek tors, der großen strategischen Wert besaß. Schon zur Zeit des früheren Imperators hat ten dort große Raumschlachten stattgefun den. Der Feind war abgewehrt worden, griff jedoch in unregelmäßigen Abständen immer wieder an. Zwischendurch unternahm er im mer wieder Überfälle auf die einzelnen, kaum geschützten Planeten in der Nachbar schaft. Die HADESCHA gehörte zur 187. Jagd flottille, die aus fünfundzwanzig Schiffen verschiedener Größe bestand. Dieser Ver band operierte in fünf einzelnen Gruppen die ständig Patrouille flogen. Sie sprangen von einem System zum anderen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Dieses Vorhaben hatte sich bewährt. Die Maahks waren sehr vorsichtig geworden, nachdem die im Flot tenjargon als »Feuerwehr« bezeichneten Jagdkommandos ihnen immer wieder emp findliche Verluste zugefügt hatten. Oft genug kamen sie aber auch zu spät. Dann zeugten nur noch zerbombte und ver wüstete Landstriche davon, daß es dort ein mal blühende Kolonien mit vielen Millionen Bewohnern gegeben hatte. Wenn sie ihre verzweifelten Hilferufe aussandten, war es schon zu spät. Nur selten gelang es noch, den Feind zu stellen, der sich sofort zurück zog, wenn er sein Vernichtungswerk vollen det hatte. Welch ein Wahnsinn! dachte Mekron Dermitron. Er war 42 Arkonjahre alt, ein großer schlanker, aber durchtrainierter Mann. Sein Gesicht war breit, aber das kräftige Kinn und die scharf modellierte Nase gaben ihm einen durchaus männlichen Ausdruck. Seine rötlichen, etwas schräggestellten Augen zeugten von wacher Intelligenz, das halblan ge Silberhaar war sorgfältig gepflegt. Er be wegte sich sehr schnell, wenn es darauf an kam, seine Sprechweise war kultiviert. Ob wohl er einen Hang zur Ironie hatte, war er bei seiner Besatzung sehr beliebt. Dafür sorgte sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, der bei Männern seines Standes durchaus
Der Mondträger nicht selbstverständlich war. Ein »Erhabener« war so etwas wie ein kleiner Gott, der stets das Recht auf seiner Seite hat te. Dermitron war aber nicht immer ein »Erhabener« gewesen. Er hatte als kleiner Kadett angefangen und sich nur infolge sei ner Tüchtigkeit allmählich nach oben gear beitet. Die meisten Schiffskommandanten waren Adelige, die schon allein aufgrund ih rer Abstammung eine sichere Karriere machten. Daß sie kaum über die nötigen Qualifikationen verfügten, spielte dabei kei ne Rolle. Männer wie Dermitron, die ihnen unterstanden, bügelten meist das aus, was sie verbockten. Dabei hatte Mekron durchaus keinen An laß, den Machthabern auf Arkon wohlge sinnt zu sein. Er stammte von Calimon, wo seine Familie ein Handelshaus und große Güter besessen hatte. Doch das war einmal gewesen. Dieser Besitz hatte dem ewig gie rigen Imperator ins Auge gestochen, und Or banaschol III kannte keine Skrupel. Vor zehn Jahren war Dermitrons Vater unter ei ner fadenscheinigen Begründung verhaftet und in die Verbannung auf einen Strafplane ten geschickt worden. Sein Bruder kam bei einem nie aufgeklärten »Unfall« ums Leben, und der Familienbesitz ging automatisch in die »Verwaltung« durch den Imperator über … All das hatte Mekron Dermitron aber erst nach und nach erfahren. Das Imperium war groß, der Krieg tobte und ließ den Männern der Flotte keine Zeit für private Belange. Mekron war ständig im Einsatz gewesen, hatte viele Kämpfe mitgemacht und sich da bei immer wieder ausgezeichnet. Nun war er der Mondträger, besaß also den höchsten Ti tel, den ein Nicht-Adeliger normalerweise erwerben konnte. Admiral Banicron persön lich hatte ihm den Befehl über die HADE SCHA übergeben, die nun seit einem Jahr unter seinem Kommando flog. Dermitron war also ein guter Soldat. Das änderte aber nichts daran, daß er Orbana schol glühend haßte, der seine Familie auf
13 dem Gewissen hatte. Was er tat, tat er allein für Arkon, das nicht gleichbedeutend mit dem Imperator war. Wenn es um das Über leben eines Volkes ging, mußten persönliche Interessen wohl oder übel in den Hinter grund treten. Doch vergessen konnte Mekron dieses himmelschreiende Unrecht nicht! Er fuhr aus seinen düsteren Gedanken auf, als sich vor ihm der Bildschirm des Tele koms erhellte. Auf ihm erschien das Symbol des Führungsschiffs und gleich darauf das Abbild von Sonnenträger Mantasch, der den Jagdverband befehligte. Er war ein alter Of fizier, mit dem sich Dermitron gut verstand. »Achtung, an alle!« sagte er. »Systemkontrolle positiv, wir können wei terfliegen. Nächstes Ziel ist Glandor, sechs Lichtjahre entfernt, die Koordinaten sind be kannt. Die Sprungdaten werden anschlie ßend zu den einzelnen Schiffen übermittelt. Ich ersuche die Kommandanten um genaue ste Abstimmung, damit die gleichzeitige Transition aller Schiffe gewährleistet wird. Ende.« Dermitron drückte auf eine Taste und gab seine Bestätigung durch. Gleich darauf ka men die Sprungdaten herein und wurden in den Steuercomputer gegeben. Eine halbe Minute später nahm der kleine Verband Fahrt auf; um die Transitionsgeschwindig keit zu erreichen. Ein weiteres Kolonialsy stem lag vor ihm.
* Die fünf Schiffe kamen gleichzeitig fünf Lichtminuten oberhalb des Zielsterns in den Normalraum zurück. Der kurze Transitionsschock klang ab, die Sinne klärten sich wieder. Der Ortungstech niker sah auf seine Instrumente und Bild schirme und zuckte dann heftig zusammen. »Feindortung, Erhabener!« gellte seine Stimme durch die Kommandozentrale. Der Kommandant kannte praktisch keine Schrecksekunde. Augenblicklich fiel seine Hand auf den Hauptschalter, der sich auf
14 dem Kontrollbord vor seinem Sitz befand. Im nächsten Moment war im ganzen Schiff der Teufel los. Die Alarmpfeifen gellten auf, Sicherheits schotte schlossen sich knallend. Sämtliche Schiffskonverter wurden schlagartig hoch gefahren, Dutzende von Transformern nah men ihre Arbeit auf. Ein Donnern und Tosen klang in den Maschinenräumen auf. Trotz aller Abschirmungen war es bis in der Zen trale zu vernehmen, die im Mittelpunkt des Schiffes lag. Sekundenbruchteile später standen die Schutzschirme um die HADESCHA. Die Segmente der Blenden vor den Geschütz kuppeln glitten zur Seite, die Abstrahlpole der großkalibrigen Strahlgeschütze reckten sich in den Raum. Grünlich schimmerten die Gleichrichtungsfelder auf, die die abzustrah lenden Energien bändigten, so daß ihre Streuung so minimal wie möglich gehalten wurde. Das Schiff war gefechtsbereit. Die HADESCHA war, ebenso wie das Führungsschiff, ein Schlachtraumer von fünfhundert Meter Durchmesser. Sie besaß Kugelform, wie alle Einheiten der Arkon flotte, die Triebwerke befanden sich in ei nem Wulst, der rings um den Schiffsäquator verlief. In ihren Hangars befanden sich ne ben zehn Beibooten auch vier Leichte Kreu zer von fünfzig Meter Durchmesser. Sie wurden nun ebenfalls bemannt und startklar gemacht, um im Bedarfsfall eingesetzt wer den zu können. Die anderen drei Raumer des Verbandes waren Kreuzer von zweihundert Meter Durchmesser, die nur je fünf Beiboote mitführten. Die Klarmeldungen der einzelnen Statio nen und der Kreuzerpiloten kamen in ra scher Folge. Mekron Dermitron beobachtete sie nicht und überließ die Antwort seinem Ersten Offizier. Sein Blick hing an dem Bildschirm des Telekoms, auf dem schon nach wenigen Sekunden das Abbild von Sonnenträger Mantasch erschien. Es wirkte verkniffen, die rötlichen Augen zeigten einen grimmigen Ausdruck. »Führungsschiff an alle«, sagte er mit
Harvey Patton ausdrucksloser Stimme. »Sieben Walzenrau mer der Maahks befinden sich im interplane taren Raum zwischen dem vierten und fünf ten Planeten mit Kurs auf die bewohnte drit te Welt. Ich korrigiere: Die Maahks haben uns bereits entdeckt und ändern ihren Kurs, um uns entgegenzufliegen. Wir sind offen bar gerade noch rechtzeitig gekommen, um sie von einem Überfall auf Olkresch abhal ten zu können.« Er beugte sich zur Seite und lauschte auf eine Mitteilung, die Dermitron nicht verste hen konnte. Dann nickte er und wandte sich wieder dem Aufnahmegerät zu. »Alle sieben Feindschiffe sind vom glei chen Typ, jeweils vierhundert Meter lang. Dicke Brocken also, Schlachtraumer der Mittelklasse mit entsprechend starker Be waffnung. Trotzdem haben wir eine gute Chance, mit ihnen fertig zu werden. Alle Einheiten nehmen Kurs auf den voraussicht lichen Kollisionspunkt, der durch die Schiffscomputer zu berechnen ist. Kampf ordnung ist einzunehmen, das Feuer wird sofort nach Erreichen der Wirkungsdistanz eröffnet. Achtung, Mondträger Dermitron!« »Ich höre, Kommandant«, meldete sich dieser. »Schleusen Sie kurz vor der ersten Ge fechtsberührung ihre Kreuzer aus. Sie sollen einen Pulk bilden, der sich auf die Bekämp fung der beiden überzähligen Schiffe der Methans konzentriert, zusammen mit den Kreuzern meines Raumers. Rasche Vorstö ße, Punktfeuer, dann schnelle Lösung vom Gegner und erneuter Anflug. Die Maahks müssen beschäftigt werden, damit sich ihre Überzahl nicht auswirken kann. Verstan den?« »Verstanden, Sonnenträger«, gab Der mitron zurück. Inzwischen liefen vom Führungsschiff aus bereits die entsprechenden Kursdaten ein. Sekunden später brüllten die Normaltrieb werke der HADESCHA auf. Die fünf Schif fe strebten auseinander und bewegten sich in Form eines Pentagons den verhaßten Fein den entgegen.
Der Mondträger Mekron Dermitron sah auf die Bildschir me, auf denen sich die Walzenraumer als grünliche Punkte abzeichneten. Er kniff die Lippen zusammen, denn er wußte, daß ihnen ein harter Kampf bevorstand. Die beiden Schlachtschiffe konnten es ohne weiteres mit den gegnerischen Einheiten aufnehmen, dazu waren sie stark genug. Die drei Schwe ren Kreuzer dagegen waren eindeutig im Nachteil. Sie besaßen zwar auch je zehn Strahlgeschütze – die HADESCHA verfügte über zwanzig –, aber dafür waren ihre Schutzschirme ein neuralgischer Punkt. Im Innern eines kleineren Schiffes ließen sich einfach nicht genügend Konverter unterbrin gen. Wenn dann einer dieser Raumer in das konzentrische Feuer mehrerer Gegner geriet, war es meist um ihn geschehen. Rasch verdrängte der Kommandant diese düsteren Gedanken wieder. Der kleine Jagd verband hatte schon neunzehn Mal im Kampf mit den Maahks gestanden, ohne daß es bisher zu Verlusten gekommen war. Wa rum sollte es gerade diesmal schief gehen? Er gab den Piloten der vier Kreuzer seine Anweisungen und wartete dann ab. Eine Viertelstunde später kam es zur er sten Feindberührung. Die Maahks hatten sich gleichfalls zu der für sie günstigsten Formation gestaffelt. Ihr Pulk bildete nun ein Sechseck, und sie feuerten, sobald die äußerste Distanz für ihre Geschütze erreicht war. In diesem Moment gab Dermitron den Kreuzerpiloten den Befehl zum Ausfliegen. Die Schleusen im rückwärtigen Teil der HA DESCHA glitten auf, die kleinen Schiffe entfernten sich im Schutz ihres TrägerKörpers. Hinter ihnen schlossen sich die Strukturlücken im Schutzschirm wieder, und sie zogen steil in die Höhe. Dann stürzten sie sich aus überhöhter Position auf das am weitesten links fliegende Schiff des Geg ners. Die Maahks hatten zu früh gefeuert. Die Strahlbahnen ihrer Geschütze wurden über die Distanz von zwanzigtausend Kilometern hinweg zu stark aufgefächert. Nutzlos bra
15 chen sie sich an den Schutzschirmen der ar konidischen Raumer und verloren sich im All. Als die irrlichternden Leuchterschei nungen um die HADESCHA abgeklungen waren, gab auch Dermitron seinem Feuer leitoffizier den Feuerbefehl. Eine erste Breitseite ging hinaus. Die Transformer, von denen die Thermokanonen versorgt wurden, grollten auf, ein Zittern ließ das Schiff erbeben. Sofort danach wur de eine Serie Raumtorpedos auf den Weg geschickt, von denen allerdings nur zwei ihr Ziel erreichten. Die übrigen wurden von Au tomatgeschützen des Maahkraumers abge schossen, der nun seine zweite Salve gegen die HADESCHA abfeuerte. Diesmal war die Wirkung ungleich stär ker. Der Schutzschirm leuchtete grell auf, die Belastungsanzeige kletterte bis auf acht zig Prozent hoch. Er hielt jedoch stand, und schon reagierte der Pilot. Er zog das Schiff nach unten hin weg, zwang es dann in eine Kurve und flog den Pulk der Maahks von unten her an. Die ringförmige Anordnung der Triebwerke gab den Raumern der Ar konflotte eine Beweglichkeit, die kein ande rer Schiffstyp aufweisen konnte. »Volltreffer, Mekron!« rief der Erste Offi zier gleich darauf jubelnd aus. »Die Schirme des Maahks haben die rasche Folge von Breitseite und Torpedos nicht ausgehalten. Sie sind zusammengebrochen – jetzt können wir ihn erledigen!« »Tod den Maahks!« riefen die Männer in der Zentrale. Sekunden später war die HA DESCHA wieder in Schußposition, und nun fraß sich die nächste Breitseite der Strahler geschütze ungehindert in den ungeschützten Körper des Walzenraumers. Augenblicklich kam es darin zu schweren Explosionen. Das Schiff begann zu torkeln, Feuerströme bra chen aus der aufgerissenen Hülle hervor. Doch noch funktionierten seine Triebwerke, und sein Pilot ließ es mit voller Kraft davon schießen. »Nicht verfolgen!« rief Dermitron rasch seinem Piloten zu. »Das Schiff kommt nicht mehr weit, wir können es auch später noch
16 erledigen. Wenden Sie, wir müssen unseren Kreuzern zu Hilfe kommen.« Während sich alle anderen nur auf den unmittelbaren Gegner konzentrierten, behielt er als einziger den Überblick. So sah er auch, wie eines der eigenen 200-Meter-Schiffe in einer gigantischen Ex plosion auseinanderflog. Er biß die Zähne zusammen, als er an die dreihundert Männer dachte, die eben einen schnellen Tod gestor ben waren. Jetzt bestand der Verband nur noch aus vier Schiffen … Inzwischen hatte aber auch Mantaschs Schlachtschiff einen der Walzenraumer ma növrierunfähig geschossen. Nun stürzten sich die vier Kreuzer des Führungsschiffs auf diesen, der nur noch vereinzelte, schlecht gezielte Schüsse abgeben konnte. Weiter seitlich kämpften noch immer die üb rigen Einheiten gegeneinander. Der Raum war erfüllt von den Strahlenbahnen der Ge schütze, vom Aufleuchten der Schutzschir me, von den Explosionen der beiderseits ab gefeuerten Torpedos. Für einen unbeteilig ten Beobachter mußte es ein schaurig-schö nes Bild sein. Der Kommandant zuckte zusammen, denn eben vergingen zwei seiner Kreuzer in aufglutenden Feuerbällen. Die beiden ande ren zogen sich hastig zurück und überließen nun das Feld der mit Vollast anfliegenden HADESCHA. Trauer erfüllte den Kommandanten, denn eben waren vierzig gute Männer seiner Be satzung umgekommen. Auch die anderen in der Kommandozentrale hatten es gesehen, das bewiesen ihm ihre Ausrufe. Die HADESCHA hatte in dem einen Jahr, das sie nun unter dem Kommando Der mitrons flog, zwölf Feindschiffe vernichtet, ohne dabei selbst Verluste zu erleiden. Nun war es doch geschehen, und alles in den Männern schrie nach Rache! Die Geschütze des Schiffes feuerten im Salventakt, als es tangential auf den Gegner zuschoß. Sein Schutzschirm wurde schwer sten Belastungen ausgesetzt und stand offen bar dicht vor dem Zusammenbruch. Er feu-
Harvey Patton erte aber immer noch zurück, und das Schlachtschiff erbebte unter dem Auftreffen von Strahlenbahnen und Torpedos. Die bei den Gegner hatten sich ineinander verbissen, es war ein Kampf bis zum letzten. Sie versetzten sich fast gleichzeitig den entscheidenden Schlag. Der Schutzschirm des Walzenraumers riß auf, einige Torpedos fanden den Weg ins Ziel. Die HADESCHA drehte ab, die Zen trale war vom Jubel der Männer erfüllt, als drüben beim Gegner die ersten Explosionen aufzuckten. Doch die Schreie erstarben ih nen in der Kehle, als nun auch das eigene Schiff plötzlich von schweren Schlägen er schüttert wurde. »Raumminen!« dachte Mekron Der mitron, und sein Gesicht wurde aschfahl. Diese tückische Waffe kam im allgemei nen nur bei größeren Gefechten zum Ein satz. Die Hüllen dieser dahintreibenden Atomsprengkörper waren mit einer Be schichtung versehen, die eine Ortung fast unmöglich machte. Und nun war das Schlachtschiff genau in einen ganzen Pulk davon hineingerast! Augenblicklich brach der Schutzschirm der HADESCHA unter den entfesselten Ge walten vieler Megatonnen zusammen. Schwere Explosionen ereigneten sich, überall auf den Kontrollborden zuckten die Warnlampen in hektischem Rhythmus auf. Die Kugelhülle mußte an vielen Stellen auf gerissen sein. Aufschrillende Alarmpfeifen und die Schreckensrufe der Männer gellten durch die Zentrale. Diesmal war es wirklich ernst, das war Dermitron klar. »Nottransition, schnell!« schrie er durch das Chaos der vielfältigen Geräusche dem Piloten zu. Im nächsten Moment schien die Faust ei nes Riesen auf ihn niederzusausen. Sein Körper wurde tief in den Kontursitz ge staucht, der unter dieser Belastung zusam menbrach. Schmerzen durchzuckten seinen Körper, dann löschte eine barmherzige Ohn macht alles aus.
Der Mondträger
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4. Ein Wrack trieb langsam durch den Raum, auf das System einer gelben Sonne zu. Dieses Wrack war bis vor wenigen Stun den noch ein Schlachtschiff mit dem Namen HADESCHA gewesen. Nun erinnerte nichts mehr darin an vergangene stolze Tage. Fast nichts mehr war heil geblieben, die Decks waren von Trümmern und Leichen erfüllt. Verwundete schrien, aber niemand kam, um ihnen zu helfen. Ein großer Teil der Schiffs räume war luftleer; kein Antigravschacht funktionierte mehr. An vielen Stellen schwelten Brände, und auch das Transitions triebwerk war restlos ausgebrannt. Es hatte aber gerade noch lange genug funktioniert, um die Nottransition zu ermög lichen. Beim Sprung durch den Hyperraum waren zwar Anomalien aufgetreten, aber das Schiff hatte trotzdem die Rückkehr ins Nor maluniversum geschafft. »Was soll nun werden?« fragte sich Me kron Dermitron voller Verzweiflung. Die im Mittelpunkt des Schiffes gelegene Kommandozentrale war relativ unversehrt geblieben. Nicht so die sechs Männer darin. Der Schlag, der zu Beginn der Transition die gesamte Kugelhülle getroffen hatte, hatte auch sie nicht verschont. Der Erste Offizier lag mit eingedrückter Brustplatte auf einem Notbrett, der Feuerleitoffizier hatte beide Beine gebrochen, der Navigator einen Arm. Dermitron hatte ihnen Spritzampullen aus der Notapotheke verabfolgt. Nun lagen sie im Narkoseschlaf, aber an eine reguläre Ver sorgung ihrer Körperschäden war vorerst nicht zu denken. Die Ärzte waren tot, das Bordlazarett vollkommen zerstört. Auch der Kommandant, der Pilot und der Techniker am Bordcomputer bluteten aus vielen kleinen Wunden. Ihre Körper waren von Schwellungen und Hämatomen übersät, jede Bewegung brachte Wellen von Schmer zen mit sich. Sie hatten sich gegenseitig not dürftig verbunden und waren nun damit be
schäftigt, eine Bestandsaufnahme des Un heils vorzunehmen. Der Hyperkom funktionierte nicht mehr. Unkontrolliert durchschlagene fünfdimen sionale Energien hatten ihn verschmoren lassen, so daß keine Verbindung mit den an deren Schiffen des Verbandes mehr bestand. Auch die zentrale Antigravanlage war aus gefallen. Ein Teil der Konverter war explo diert, andere hatten sich automatisch abge schaltet. An eine Reparatur war unter den gegebenen Umständen nicht zu denken. Not aggregate versorgten die noch heil gebliebe nen Räume mit Licht und Luft und einem Drittel der gewohnten Schwerkraft. »Zwei Drittel der Normaltriebwerke funk tionierten noch«, sagte der Pilot schließlich. »Natürlich können wir nicht daran denken, sie voll einzusetzen, der Andruck würde uns den Rest geben. Wenn wir entsprechend vorsichtig manövrieren, können wir das Sy stem vor uns innerhalb eines Tages errei chen.« Mekron Dermitron preßte die Lippen zu sammen. Ein ganzer Tag – das bedeutet das sichere Todesurteil für einen großen Teil der Verletzten im übrigen Schiff! Mit einigen Räumen besteht noch Sprechverbindung, al so wußte er ungefähr, wie es dort jetzt aus sah. Ein Durchkommen dorthin war jedoch unmöglich, denn sämtliche Ausgänge der Kommandozentrale waren blockiert. Immerhin hatten sie noch Glück im Un glück gehabt. Normalerweise führte eine Nottransition ein Schiff nur über einige Lichtminuten hin weg. Die aufgetretenen Anomalien hatten sich jedoch derart auf den Sprung ausge wirkt, daß er über fast sieben Lichtjahre hin weg erfolgt war. Mit Hilfe der wenigen noch intakten Instrumente und Bildschirme hatte man den Standort des Wracks ermitteln kön nen. Der dritte Planet des Systems, an deren Grenzen sich die HADESCHA befand, war von Arkoniden bewohnt. Die Kolonie war nicht groß, besaß aber einen Raumhafen. Fraglich war jedoch, ob an eine Landung
18 dort überhaupt noch zu denken war. Als der Kommandant danach fragte, zuck te der Pilot mit den Schultern. »Eine regulä re Landung ist ganz ausgeschlossen. Viele Landestützen lassen sich nicht mehr ausfah ren, weil die Verbindung zu ihnen unterbro chen ist. Viel schlimmer ist aber, daß die Haupt-Antigravprojektoren nicht mehr ar beiten. Falls wir überhaupt herunterkom men, wird es eine Bruchlandung, wie sie im Buche steht.« Mekron Dermitron dachte an die vielen Verletzten überall im Schiff, und sein Ge sicht wurde hart. Ihnen konnte nur dann ge holfen werden, wenn die HADESCHA den Planeten erreichte – andererseits mußte aber ein Teil von ihnen umkommen, wenn die Landung zu hart ausfiel! Er konnte es wen den wie er wollte, das Resultat mußte uner freulich bleiben. »Wir fliegen Olkeep an«, befahl er schließlich. »Versuchen Sie, über Normal funk Verbindung mit der Kolonie zu bekom men. Vielleicht gibt es dort wenigstens ein Schiff, das uns irgendwie zu Hilfe kommen kann.« »Jawohl, Erhabener«, entgegnete der Pi lot. Dermitron zog eine Grimasse. »Dieses Wort will ich von jetzt ab von Ih nen allen nicht mehr hören, klar? Wir teilen alle das gleiche Schicksal, ich bin nicht mehr oder weniger erhaben als Sie. Daß ich ein Mondträger bin, spielt keine Rolle mehr, wenn es allein ums nackte Überleben geht.« Mit stotternden Triebwerken setzte sich das Wrack wenige Minuten später in Bewe gung. Es befand sich etwas oberhalb der Ek liptik, so daß eine Beeinträchtigung des Kur ses durch die äußeren Planeten nicht zu be fürchten war. Ein schwacher Andruck kam durch, aber das war beim besten Willen nicht zu vermeiden. Drei Stunden später traf dann die Antwort auf den Hilferuf ein. Sie stammte vom Gou verneur von Olkeep persönlich, war jedoch nicht besonders trostreich. In der Kolonie gab es kein Raumschiff, sie wurde nur spo radisch von Versorgungsraumern angeflo-
Harvey Patton gen. Dertasch versprach zwar, auf dem Ha fen alle denkbaren Maßnahmen für eine schnelle Hilfeleistung zu treffen, aber das war auch alles. Ein halber Tag verging. Immer wieder ka men verzweifelte Hilferufe aus anderen Räumen der HADESCHA, aber Dermitron konnte die Männer auch nur vertrösten. Sechsundzwanzig von ihnen waren inzwi schen verstorben – nun lebten im ganzen Schiff nur noch vierundzwanzig Besatzungs mitglieder! Vor dem Eintritt der Katastrophe waren es achthundert gewesen … In diesen Stunden voller Verzweiflung und untätigen Wartens machte Mekron Der mitron eine innerliche Wandlung durch. Er erkannte klar, daß es an der Führung des sogenannten Großen Imperiums lag, wenn es zu solchen Ereignissen kam. Die ar konidische Flotte war stark genug, um auch diese Vorposten seiner Zivilisation wirksam zu schützen. Daß das nicht geschah, daß ein militärisch völlig unbegabter Mann wie Or banaschol III. nur seine eigenen Interessen verfolgte – das war das eigentliche Übel! Er war der schlechteste Imperator, den Arkon seit vielen Generationen besessen hatte. Der Kommandant konnte sich noch gut an seinen Bruder Gonozal erinnern, der vor nun fast zwanzig Jahren ums Leben ge kommen war. Dieser Mann hatte nicht gezö gert, persönlich seine Flotten zu befehligen, wenn die Lage es erforderte. Und dieser Totgeglaubte war vor kurzem wieder aufgetaucht! Als die Raumschlacht von Marlackskor schon fast verloren schien, war er urplötzlich auf der Bildfläche erschie nen, und allein sein Name hatte Wunder be wirkt. Er hatte gehandelt wie in alten Zeiten, hatte die Flotte vor dem sicheren Debakel bewahrt. Natürlich war öffentlich nie etwas darüber zu verlautbart worden. Doch Tausende von Männern hatten seinem Eingreifen ihr Leben zu verdanken, und sie hatten nicht geschwie gen. Gonozal und sein als Pirat verschriener Sohn Atlan – diese Männer waren bestimmt imstande, dem langen verlustreichen Krieg
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gegen die Maahks die entsprechende Wende zu geben! Am Ende seiner Überlegungen faßte der Schlachtschiffkommandant und Mondträger Mekron Dermitron einen bedeutsamen und folgenschweren Entschluß.
* »Achtung, HADESCHA!« sagte die Stim me eines Mannes unten auf dem Planeten. »Wir haben einen Sektor des Raumhafens mit einer auffälligen roten Markierung ver sehen. Versuchen Sie, dort zu landen. Unse re Techniker haben Projektoren aufgebaut, die eine Art energisches Stützgerüst um das Schiff aufbauen werden. Sie hoffen, damit einen Teil der kinetischen Energie der HA DESCHA neutralisieren zu können. Mit ih rer Hilfe müßte eine halbwegs normale Lan dung möglich sein.« Dermitron nickte. Dann besann er sich darauf, daß ihn der Mann nicht sehen konn te, weil der Bildteil des Funkgeräts ausgefal len war. »Gut, ich habe verstanden«, gab er zurück. »Wir müssen trotzdem mit großen Schwierigkeiten rechnen, denn bei uns ar beiten nur noch sechzig Prozent der Trieb werke, und der Antigrav ist ganz ausgefal len. Die anderen sind zerstört oder blockiert. Lassen sie also vorsichtshalber den Raumha fen und seine nähere Umgebung räumen.« »Ist bereits geschehen«, versicherte der Funker. »Nur das unbedingt notwendige technische Personal hält sich noch auf dem Gelände auf. Die angeforderten Krankenwa gen und Ärzte stehen bereit. Können wir sonst noch etwas für Sie tun?« »Rufen Sie die Götter an«, empfahl ihm der Kommandant und schaltete ab. Er hatte den vollkommen erschöpften Pi loten abgelöst und selbst die Steuerung der HADESCHA übernommen. Alle Schaltun gen mußten manuell durchgeführt werden, weil die Kontrollmechanismen versagten. Das war eine Arbeit, die die Leistungsfähig keit eines Mannes fast überstieg. Wenn die Synchronisation der noch arbeitenden Trieb
werke nicht genau stimmte, konnte es zu verhängnisvollen Fehlleistungen kommen. Die HADESCHA befand sich nun bereits dicht über dem Planeten. Dermitron hatte die Geschwindigkeit des Schiffes so weit wie möglich reduziert. Nun versuchte er, durch möglichst behutsame Schaltungen einen genauen Anflug des Raumhafens zu bewerkstelligen. Der Ausfall der Antigrav projektoren machte sich dabei besonders un angenehm bemerkbar. Das Schiff war groß und besaß eine beträchtliche Masse. Ent sprechend stark zerrte nun die Schwerkraft des Planeten an ihm und ließ es immer wie der zur einen oder anderen Seite überkippen. Mekron Dermitron mußte das durch stän diges Umschalten der Triebwerke verhin dern. Seine Finger hasteten über die Schalter und Sensoren, er reagierte mit der Präzision einer Maschine. Dabei fühlte er sich selbst zerschlagen und ausgelaugt. Die nur not dürftig versorgten Wunden schmerzten und brannten, die Prellungen und Blutergüsse machten jede unvorsichtige Bewegung zur Qual. Nur ein starkes Stimulans versetzte den Kommandanten überhaupt in die Lage, noch rasch genug zu handeln. Trotzdem kam es zur Katastrophe. Die HADESCHA befand sich bereits in den obersten Schichten der Atmosphäre. Auf den noch intakten Bildschirmen waren die Markierungen auf dem Hafen zu erkennen, und Dermitron ließ das Schiff darauf zuglei ten. Nun machte sich bereits die Hilfe durch das Energiegitter vom Boden aus bemerk bar. Der Raumer wurde merklich langsamer, und Dermitron fuhr die noch brauchbaren Teleskopstützen aus. Ob sie imstande waren, die beträchtliche Last des Schiffskörpers zu tragen, war fraglich, aber sie würden zumin dest einen zu harten Aufprall verhindern können. Der Raumer war nur noch fünfzehn Kilo meter hoch, als es ganz plötzlich geschah: Mit einem Schlag fielen sechs der noch ar beitenden rechtsseitigen Triebwerke aus. Die HADESCHA sackte nach dieser Seite hin durch und überschlug sich. Der Schub
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Harvey Patton
der bis dahin bremsenden linksseitigen Triebwerke ging plötzlich nach oben und wirkte so als Beschleunigung. Ein harter Ruck ging durch die HADESCHA und sie stürzte wie ein Stein der Oberfläche des Pla neten entgegen! Der Kommandant wurde durch dieses Er eignis vollkommen überrascht. Der schlag artig auftretende harte Andruck hinderte ihn daran, noch etwas an dem Geschehen zu än dern. Als sich seine Hände endlich wieder bis zu den Schaltungen vorgequält hatten, war das Schicksal des Wracks bereits besie gelt. Er schaffte es gerade noch, die Trieb werkskonverter stillzulegen, damit wenig stens verheerende Explosionen verhindert werden konnten. Dann erlag er wie die ande ren Männer dem übermächtig werdenden Andruck. Rote Ringe tanzten vor seinen Au gen, ein schwarzer Schleier legte sich über seinen Geist und löschte sein Bewußtsein aus …
* »Ganz still liegenbleiben, Erhabener«, sagte die ruhige Stimme einer Kranken schwester. Sie schien wie aus weiter Ferne zu kommen, denn in seinen Ohren war ein ständiges Rauschen. Er konnte nichts sehen, denn sein ganzer Kopf war von Binden be deckt, auch die Augen. Seinen Körper konnte er kaum fühlen. Vermutlich hatte man ihn mit Medikamen ten vollgepumpt, um ihm die Schmerzen zu nehmen. Auch sein Geist arbeitete nur träge, aber er wußte trotzdem sofort nach seinem Erwachen wieder alles, was zuvor gesche hen war. »Ironie des Schicksals!« dachte er resi gniert. »Da hatten wir es fast geschafft – und dann ausgerechnet noch das …« Er mußte laut gedacht haben, denn nun klang eine Männerstimme auf, die ihm Ant wort gab. »Machen Sie sich deshalb keine Vorwürfe, Mondträger. Sie haben wirklich alles getan, was menschenmöglich war, um
gut herunterzukommen. Ich kann das beur teilen, denn ich war zwanzig Jahre lang Bor darzt unserer Flotte. Als solcher habe ich vier ähnliche Katastrophen erlebt und über lebt.« »Was ist aus meinen Leuten geworden?« fragte Dermitron mühsam, aber er bekam keine Antwort. »Später«, wehrte der Arzt ab, und das leise Zischen einer Hochdruck spritze wurde hörbar. Sekunden später sch lief Dermitron wieder ein. Als er wieder erwachte, hatte man die Bandagen von seinem Kopf entfernt. Er schlug die Augen auf und sah die übliche nüchterne Einrichtung eines Krankenzim mers. Neben seinem Bett stand ein kleiner Medocomputer, dessen Anzeigen pendelten und tickten. Er wandte den Kopf und begeg nete dem Blick der Schwester, die bei ihm Wache hielt. Sie nickte ihm freundlich lä chelnd zu. »Meinen Glückwunsch, Erhabener«, sagte er leise. »Es stand nicht gut um Sie, doch Sie haben es trotzdem gut überstanden. Au ßer einigen Narben wird nichts zurückblei ben.« »Danke«, murmelte der Kommandant. »Doch wo sind die anderen – wie viele von ihnen haben überlebt?« Die Pflegerin antwortet nicht. Offenbar hatte sie bereits einen Rufknopf betätigt, denn schon Sekunden später kam ein großer grauhaariger Mann in Arztkleidung ins Zim mer. Seine Augen sahen Dermitron prüfend an, und er schien mit dem Ergebnis zufrie den zu sein. »Zelkanor, Chefarzt des Hospitals von Ol keepan«, stellte er sich vor. »Ich habe schon vor sechs Tagen mit ihnen gesprochen, erin nern Sie sich?« »So lange ist das schon her?« fragte Me kron Dermitron bestürzt. Der Bauchauf schneider zuckte mit den Schultern. »Wir mußten Sie in einen regenerierenden Tiefschlaf versetzen, Mondträger. Die Ope rationen waren gut verlaufen, nun brauchte ihr Körper absolute Ruhe für den Heilungs prozeß. Jetzt sind keine Komplikationen
Der Mondträger mehr zu befürchten. In drei Tagen werden Sie aufstehen können und wiederhergestellt sein.« Dermitron sah ihn aus schmalen Augen an. »Schön, und gut, aber etwas anderes in teressiert mich weit mehr. Wie steht es um meine Besatzung – wie viele der Männer ha ben außer mir noch überlebt?« Die Pflegerin hatte sich entfernt, Zelkanor nahm nun ihren Stuhl ein. »Es ehrt Sie, daß Sie danach fragen, Mekron Dermitron. In unserer Flotte gibt es leider nicht viele Kom mandanten, die so denken wie Sie. Es tut mir leid, daß ich gerade Ihnen eine unerfreu liche Auskunft geben muß. Wir konnten noch siebzehn Männer lebend bergen, aber elf von ihnen waren nicht mehr zu retten. Das Schiff hat sich beim Aufschlag tief in den Belag des Raumhafens gebohrt und ist dabei auseinandergebrochen. Unsere Leute haben Stunden gebraucht, bis sie die Trüm mer restlos durchsucht hatten. Die stark ge sicherte Kommandozentrale war als einziger Raum halbwegs heil geblieben. Nur ihre In sassen sind jetzt noch am Leben und werden ohne bleibenden Schaden davonkommen.« »Sechs von achthundert!« murmelte Der mitron geschockt. »Wissen Sie, was Sie mir da mitteilen, Zelkanor?« »Wen fragen Sie das?« meinte der Arzt müde. »Ich war rund zwanzig Jahre bei der Flotte und habe auf elf verschiedenen Schif fen Dienst getan. Vier davon wurden durch die Maahks schrottreif geschossen, drei wei tere schwer beschädigt. Ich habe in dieser Zeit so viele Männer sterben sehen, daß ich sie gar nicht mehr zählen kann. Immer wie der das gleiche, Wunden und Tod, und nur einem Bruchteil der Leute konnte ich helfen. Ich war dem Schicksal dankbar, als ich end lich aus der Flotte ausscheiden konnte, sogar für diesen Preis.« Er schlug mit einem Instrument gegen sei ne Beine, ein hohler metallischer Klang wurde hörbar. Zelkanor trug zwei Beinpro thesen, allerdings so gut gearbeitet, daß man ihm keine Behinderung anmerkte. Der Kom mandant zog eine Grimasse.
21 »Dieser verdammte Krieg!« sagte er hei ser. »Haben Sie hier wenigstens in Erfah rung bringen können, wie unser Gefecht mit den Maahks ausgegangen ist? Als wir uns absetzen mußten, war es noch in vollem Gange.« Zelkanor nickte. »Sonnenträger Mantasch hat uns von Glandor aus über Hyperkom be nachrichtigt. Außer Ihrem Schiff ging noch ein 200-Meter-Kreuzer verloren, außerdem drei kleine Einheiten. Von den Walzenrau mern ist nur einer entkommen, aber auch er war schwer beschädigt. Mantasch hat sich gefreut, als er hörte, daß Sie noch am Leben sind. Er läßt Ihnen und ihren Männern seine besten Grüße übermitteln.« »Danke«, murmelte Mekron Dermitron. »Daß es unserem Verband gelungen ist, Glandor vor der Zerstörung zu bewahren, ist mir wenigstens ein schwacher Trost. Wie wird es hier mit uns weitergehen, wenn wir wieder genesen sind?« Der Arzt hob die Schultern. »Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen, Mondträ ger. Sie werden jedenfalls nach Ihrer Gene sung noch einige Zeit hierbleiben müssen. Olkeep wird nur unregelmäßig von Versor gungsschiffen angeflogen, die uns Güter bringen, die hier nicht erzeugt werden kön nen. Für die nächsten Wochen ist damit noch nicht zu rechnen.« Dermitron ging nicht weiter darauf ein. »Wann kann ich aufstehen?« erkundigte er sich. »Ich möchte mich davon überzeugen, wie es meinen Männern geht.« »Morgen«, sagte Zelkanor und verab schiedete sich.
5. Olkeep war ein guter Planet. Das besie delte Gebiet lag in der Südhälfte des Haupt kontinents, das Klima war gleichmäßig mild. Auf dieser Welt ließ es sich aushalten – solange die Maahks nicht kamen! Der Gouverneur hatte den sechs Rekonva leszenten ein leerstehendes Haus am Stadt rand zugewiesen. Dort fanden sie all jene
22 Bequemlichkeiten, die sie an Bord der Raumschiffe so lange hatten entbehren müs sen. Überall wurden sie äußerst zuvorkom mend behandelt, man sah sie als Helden an. Trotzdem fühlten sich die Männer nicht recht wohl. Der Schock des Erlebens saß noch zu tief in ihren Seelen. Oft genug wachten sie nachts schweißgebadet auf. Ihr Unterbe wußtsein beschäftigte sich noch immer mit jenen Dingen, die sie nach Möglichkeit nicht mehr erwähnten. Zuweilen hatten sie auch Gelegenheit, Vi deosendungen von Arkon zu sehen, die über Relaissatelliten bis nach Olkeep gelangten. Sie waren jedoch eher geeignet, die Überle benden noch mehr zu deprimieren. Man übertrug rauschende Feste von Arkon I, bei denen meist auch Orbanaschol in Erschei nung trat. Die Oberschicht auf der Zentral welt gebärdete sich so, als ob tiefster Friede herrschte. Die offiziellen Berichte vom Großen Methankrieg waren derart frisiert, daß der endgültige Sieg über die Maahks nur noch eine Frage von wenigen Monaten zu sein schien. Während ihrer ständigen Einsätze hatten die Männer keine Gelegenheit gehabt, sol che Sendungen zu verfolgen. Nun sahen sie sie, und die Diskrepanz zwischen ihnen und dem wirklichen Geschehen zwischen den Sternen schockierte sie. Die ständigen hohen Verluste der Arkonflotte wurden mit keinem Wort erwähnt. Man sprach nur von Siegen oder allenfalls von vorübergehenden strate gischen Rückzügen. Daß durch sie viele be wohnte Welten preisgegeben und der Ver nichtungswut der Methanatmer überlassen wurden, wurde vollkommen ignoriert. Die Frustration fand ihren Höhepunkt, als das Video Aufnahmen von einer angeblich gerade tobenden Raumschlacht brachte. Für einen unerfahrenen Beobachter mochten sie vollkommen realistisch wirken. Etwa fünf hundert Schiffe des Großen Imperiums kämpften gegen eine doppelte Übermacht von Walzenschiffen. Sie operierten souve rän, erlitten kaum Verluste, während die
Harvey Patton Schiffe der Maahks reihenweise zerbarsten. Die Überlebenden der HADESCHA dage gen kannten die grausame Wirklichkeit. Mit verkniffenen Lippen verfolgten sie diese für sie vollkommen unglaubwürdige Sendung. Daß es sich dabei nur um das Erzeugnis ei nes Trickateliers handelte, war ihnen schon beim zweiten Anblick klargeworden. Schließlich explodierte der Erste Offizier. Seine Faust krachte auf den Tisch, wäh rend die andere Hand auf den Bildschirm wies. »Für wie dumm hält man unser Volk auf Arkon eigentlich?« sagte er heiser. »Das Ganze ist derart primitiv aufgemacht, daß außer den völlig Ahnungslosen und den stu piden Naats kaum jemand darauf hereinfal len kann! Es muß wirklich schlecht um das Imperium stehen, wenn man auf Arkon I zu so billigen Fälschungen greifen muß. Was sagen Sie dazu, Mekron?« Die sechs Männer, vom strengen Zwang der Borddisziplin befreit, waren sich in die sen Tagen menschlich nähergekommen. Niemand legte jetzt mehr Wert auf Titel und förmliche Anreden, und der Kommandant hatte das bewußt gefördert. Es sollte ihm be hilflich sein, wenn er an die Verwirklichung seiner geheimen Pläne ging. Nun zuckte er mit den Schultern. »Was soll ich noch dazu sagen, Salmoon?« fragte er zurück. »Die Bilder sprechen für sich. Ih ren Worten gibt es nichts weiter hinzuzufü gen. Und wem verdanken wir das alles? Wer ist dabei, das Große Imperium in den Unter gang zu führen?« »Orbanaschol!« stieß der Feuerleitoffizier Berkosch hitzig hervor. Er war fünfzig Ar konjahre alt, ein Mischling von einer Kolo nialwelt, sein fast schwarzes Haar bildete einen starken Kontrast zu den rötlichen Au gen. Sonst war er ein ruhiger und besonne ner Mann, aber nun konnte er sich nicht mehr beherrschen. »Ja – Orbanaschol!« wiederholte er noch einmal. »Ich habe noch unter Gonozal VII. gekämpft, und damals war alles anders. Da mals war der Imperator noch ein Vorbild und setzte sich persönlich für sein Volk ein.
Der Mondträger Doch was tut dieser fette Nichtskönner, der uns jetzt regiert? Er feiert Feste und tyranni siert mit Hilfe der POGIM alle, die ihm nicht genehm sind. Wenn es nach mir ginge, dann …« Er verstummte plötzlich und wurde bleich, als ihm bewußt wurde, wozu er sich hatte hinreißen lassen. Erschrocken sah er den Kommandanten an, aber Dermitron lä chelte nur. »Sprechen Sie es ruhig aus, Berkosch«, meinte er gelassen. Die halb gesenkten Lider verbargen die Genugtuung, die in seinen Augen stand. »Wir sind hier ja unter uns, ich glaube nicht, daß einer den anderen verraten wird. Oder sind Sie da anderer Ansicht, Der mato, Olvan, Ventron …?« Die drei Männer schüttelten die Köpfe, und das ermutigte Berkosch. »Für das Impe rium tue ich alles«, sagte er. »Sie wissen das, Mekron, ich habe es oft genug bewie sen. Doch was nützt uns in der Flotte alle Tapferkeit, wenn an der Spitze des Reiches ein Mann auf Arkon I sitzt, dem sein eigenes Wohl über alles geht? Auf die Dauer kann das doch einfach nicht gutgehen. Wir brau chen einen besseren Mann – einen, dem wir vertrauen und aus Überzeugung folgen kön nen. Sie haben doch sicher auch gehört, was sich vor Marlackskor ereignet hat?« Dermitron nickte. »Selbst ein Mondträger erfährt zuweilen, was alle anderen längst wissen«, meinte er mit jener leisen Ironie, die erstmalig seit der Katastrophe wieder zum Vorschein kam. »Die Schlacht schien bereits verloren, da tauchte plötzlich ein fremdes Schiff auf. Der totgeglaubte Gono zal meldete sich, eine Sonnenträgerin bestä tigte seine Worte. Entgegen den ausdrückli chen Befehlen des Admirals Lantcor folgten die meisten Schiffskommandanten seinen Anweisungen. Daraufhin erlitten die Maahks schwere Verluste, die Einheiten un serer Flotte kamen relativ gut davon.« »Auch der frühere Kristallprinz Atlan soll sich in diesem Schiff befunden haben«, warf der Navigator Hong Olvan ein. »Das ist zwar nur ein Gerücht, es könnte aber durch
23 aus etwas Wahres daran sein.« »Was läge auch näher, als daß Vater und Sohn zusammenarbeiten«, ergänzte der Kommandant. »Atlan soll Orbanaschol schon viele Schwierigkeiten bereitet haben, umsonst verlangt der Imperator bestimmt nicht seinen Kopf. Es heißt, daß er den Blin den Sofgart, den berüchtigten Anführer der Kralasenen, persönlich getötet hat.« »Das wären zwei Männer für uns!« sagte Salmoon überzeugt. »Gonozal und Atlan an der Spitze des Reiches, dann würde es mit ihm wieder aufwärtsgehen. Wir sollten ver suchen …« Er unterbrach sich gerade noch rechtzei tig, ehe die verräterischen Worte über die Lippen kamen. Mekron Dermitron über nahm es für ihn, sie auszusprechen. »Warum reden Sie nicht weiter?« fragte er ruhig. »Wir sollten versuchen, uns auf ih re Seite zu schlagen – das wollten Sie doch sagen, nicht wahr?« »Das … das wäre Meuterei!« flüsterte der Pilot Dermaton erschrocken. Er war erst sechsundzwanzig Arkonjahre alt, relativ klein und von schmächtiger Statur, aber ein Könner auf seinem Gebiet. Anderenfalls hät te man ihm nie die Führung eines Schlacht schiffs anvertraut. Nun war das Wort heraus, das solange in der Luft gehangen hatte. Die Männer, an die unerbittliche Disziplin innerhalb der Flotte gewöhnt, schreckten davor zurück, zumal es in der Gegenwart eines Mondträgers ausge sprochen worden war. Für kurze Zeit hatten sie vergessen, daß sich ein »Erhabener« un ter ihnen befand. Nun aber brach die anerzo gene Scheu vor dem Kommandanten wieder durch. Dermitron selbst nahm sie ihnen. »Gewiß, es wäre Meuterei«, bestätigte er. »Doch dieses Wort hört sich viel schlimmer an, als es in Wirklichkeit ist. Sie haben alle erkannt, daß ein Mann wie Orbanaschol eine Gefahr für das Imperium ist. Wenn er Impe rator bleibt, werden wir den Krieg gegen die Maahks nie gewinnen können. Was liegt al so für uns näher, als jenen Weg einzuschla
24 gen, den wir als den richtigen erkannt ha ben? Wir wählen damit des kleinere Übel, um mitzuhelfen, das große Unheil von Ar kon abzuwenden.« »Sie sind dafür?« fragte der Ortungstech niker Ventron ungläubig. Er war ein großer massiger Mann mit grobem Gesicht, der sel ten ein Wort mehr als nötig sprach, aber eine ausgezeichnete Allgemeinbildung besaß. »Ist das wirklich Ihr Ernst, Mekron?« »Mein voller Ernst«, bestätigte der Kom mandant, und plötzlich fiel die Spannung von den sechs Männern ab. Endlich war das Unbehagen, das alle unterschwellig erfüllte, einmal in Worte gekleidet worden. Sie alle waren keine Feiglinge, das hatten sie oft ge nug bewiesen. Nun waren sie auch bereit, die Konsequenzen aus dem zu ziehen, das sie als falsch erkannt hatten. Dann begann Mekron Dermitron zu er zählen. Er schilderte den. Gefährten unge schminkt, wie Orbanaschol es angestellt hat te, sich die Besitztümer seiner Familie auf Calimon anzueignen. Die anderen lauschten ihm erschüttert und mit wachsendem Ab scheu. Daß es in der Führung Arkons Kor ruption und ständige Intrigen gab, wußte je der von ihnen. Nun wurden sie jedoch zum ersten Mal direkt mit Fakten dieser Art kon frontiert. Sie sahen ihren Kommandanten jetzt in einem anderen Licht. »Sie sind zu bewundern, Mekron«, sagte der Erste Offizier, als er geendet hatte. »Nie hat man Ihnen ansehen können, wie grausam Orbanaschol den Dermitrons mitgespielt hat; Sie haben stets vorbildlich Ihre Pflicht er füllt.« Dermitron zuckte mit den Schultern. »Ich tat es für Arkon, Salmoon, nicht für den un würdigen Imperator. Jetzt ist aber auch für mich der Punkt gekommen, an dem es so nicht mehr weitergehen kann. Sind Sie alle gewillt, mir zu folgen?« Fünf Hände erhoben sich und bekundeten das vorbehaltlose Einverständnis der Män ner. Über den Videoschirm liefen noch im mer die Bilder der angeblichen Raum schlacht, aber darauf achtete keiner mehr.
Harvey Patton
* Drei Tage später ließ der Gouverneur von Olkeep den Kommandanten zu sich rufen. »Ich habe eben eine Nachricht erhalten, die Sie wohl nicht sehr erfreuen dürfte«, er öffnete er ihm. »Das Versorgungsschiff kommt diesmal erheblich früher, als wir es erwartet haben. Es wird morgen eintreffen, und ich muß Sie und Ihre Leute mit ihm zum nächsten Flottenstützpunkt schicken. Ich bedauere das ehrlich, das dürfen Sie mir glauben. Nach den schweren Erlebnissen hätte ich Ihnen noch einige Wochen der Er holung hier bei uns gegönnt. Man hat mir je doch vom Flottenkommando eine strikte Anweisung gegeben, die ich auf keinen Fall umgehen kann. Zelkanor hat mir bestätigt, daß Sie wieder voll einsatzfähig sind.« Mekron Dermitron nickte mit bewegtem Gesicht. »Damit war früher oder später zu rechnen, Gouverneur. Vielleicht ist es ganz gut, daß sich unser Aufenthalt hier nicht gar zu lange ausdehnt. Man hat uns sehr gut be handelt, und dafür danke ich Ihnen. Nun braucht uns das Imperium wieder – und wer könnte sich seinem Ruf entziehen?« Der Gouverneur konnte nicht ahnen, wel cher Doppelsinn sich hinter diesen Worten verbarg. Er war etwas weltfremd und schon leicht senil; ihm ging der Blick für größere Zusammenhänge vollkommen ab. Die bei den Männer wechselten noch einige belang lose Sätze, dann kehrte der Kommandant zu seinen Männern zurück. »Morgen schon?« meinte Hong Olvan ge dehnt. Er war dreißig Jahre alt, groß und vi tal, ganz der Typ des »schönen Mannes«. »Wirklich schade, ich habe da ein Mädchen kennengelernt, das ganz wild auf Helden ist …« Salmoon grinste anzüglich. Er war etwas jünger als Mekron Dermitron, ähnelte ihm fast wie ein Bruder. »Das sieht Ihnen ähn lich, Hong. Ist die Festung schon gefallen? Abschiede schaffen dafür eine besonders günstige Atmosphäre, wie man weiß …«
Der Mondträger Ein kurzes Gelächter hallte auf, ver stummte jedoch schnell wieder. Den Män nern kam zu Bewußtsein, daß ihnen der ent scheidendste Schritt ihres Lebens nahe be vorstand. Doch ihr Entschluß stand fest, von ihm konnte sie nichts und niemand mehr ab bringen. Am nächsten Morgen hatte sich eine große Anzahl von Neugierigen am Raumha fen eingefunden. Für eine Randwelt wie Ol keep war jede Landung schon ein besonde res Ereignis. Daß auch jene Männer den Pla neten verlassen würden, deren Einsatz die Abwehr der Maahks ganz in der Nähe mit zu verdanken war, kam noch hinzu. Viele Blicke flogen zu den Trümmern der HADE SCHA hinüber, die wie ein stummes Mahn mal am jenseitigen Rand des Raumhafens aufragten. Auch Mekron Dermitron schenkte ihnen einen letzten Blick. Es war aber nicht nur ein Abschied von seinem zerstörten Schiff. Es war ein symbolischer Abschied von sei ner Vergangenheit in der Flotte. Seine Zu kunft würde ganz anders aussehen, das stand fest. Eine halbe Stunde später schwebte das er wartete Schiff auf den Hafen nieder. Sein Durchmesser betrug vierhundert Meter, die Laderäume mit Versorgungsgütern nahmen den größten Teil seines Volumens ein. Trotzdem war es militärisch bemannt und relativ stark bewaffnet, um nicht eine leichte Beute für die Maahks zu werden. Die untere Polschleuse öffnete sich, eine Rampe wurde ausgefahren. Über sie verlie ßen drei Männer den Raumer, unter ihnen der Kommandant. Als er Dermitron sah, kam er sofort auf ihn zu. »Ich grüße Sie, Mondträger«, sagte er, während seine Augen Mekron musterten. Er war mindestens sechzig Jahre alt, unüber sehbare Narben von Verwundungen hatten ihre Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. »Sie können gleich an Bord gehen, wir ha ben Kabinen für Sie und Ihre Männer vorbe reitet. Oh, ich vergaß mich vorzustellen, ent schuldigen Sie bitte. Mein Name ist Terma
25 gin, ich stamme von Calimon.« Er kam also von Dermitrons Heimatwelt. Der Kommandant wollte ihn darauf anspre chen, aber etwas in Termagins Blick hielt ihn davor zurück. Es war eine stumme War nung, ein kaum merkliches Senken der Li der, während das Gesicht des Älteren unbe wegt blieb. Mekron erwiderte die Begrüßung durch einige formelle Worte. Indessen hatten sich die Lastenschleusen des Raumers geöffnet. Von Antigravfeldern getragen, schwebten große Container daraus hervor. Sie lenkten die Aufmerksamkeit der Umstehenden ab, und diesen Augenblick nutzte Termagin. Er trat noch etwas näher auf die Männer der HADESCHA zu, und seine Lippen formten lautlos das Wort »POGIM«. Mekron Dermitron verstand und nickte ihm unmerklich zu. In seinem Kopf aber überschlugen sich die Gedanken. Was wollten Orbanaschols Häscher an Bord dieses Schiffes? Waren sie seinetwe gen da, oder war ihre Anwesenheit nur ein Zufall? Wie dem auch war, nun würde er sich doppelt vorsehen müssen! Die Politi sche Geheimpolizei des Imperators war für ihr Mißtrauen und die Unbedenklichkeit in der Wahl ihrer Mittel gleichermaßen berüch tigt. Orbanaschol unterhielt eine ganze An zahl unabhängig arbeitender Geheimdienste, aber die POGIM war darunter bei weitem der schlimmste. Der Schiffskommandant ging mit seinen Begleitern auf das Zentralgebäude des Ha fens zu, um dort die üblichen Formalitäten abzuwickeln. Dermitron gab seinen Män nern einen Wink, und sie schritten auf die Rampe zu. Mit einigen hastig geflüsterten Worten unterrichtete er die anderen von Ter magins Warnung. Zu mehr reichte es nicht, denn in der Schleuse stand ein Mann der Be satzung, der sie erwartete. Er salutierte stramm. »Arbtan Wenyzin, Erhabener. Folgen Sie mir bitte, ich habe den Auftrag, Sie zu Ihren Kabinen zu bringen. Das Schiff wird bereits in zwei Stunden wieder starten.«
26 Sie schwebten durch den zentralen Anti gravschacht bis zum Mitteldeck empor, wo sich die Quartiere der Besatzung befanden. Dermitron als Mondträger bekam eine Ein zelkabine, die beiden anderen Offiziere wur den nebenan in einer Doppelkabine unterge bracht. Pilot, Navigator und Ortungstechni ker standen nur im Unteroffiziersrang, des halb wurde ihnen eine einfache Mann schaftskabine angewiesen, die in einem Sei tentrakt lag. Mekron Dermitron wäre gern mit seinen Männern zusammengeblieben. Er wußte je doch, daß es keinen Sinn hatte, gegen diese Einteilung zu protestieren. Die strenge hier archische Ordnung innerhalb der Imperi umsflotte erlaubte ein Zusammenleben von Offizieren und niederen Dienstgraden ein fach nicht. Nun, irgendwie würde er schon einen Weg finden, um Absprachen über ihr weiteres Vorgehen zu treffen. Er begutachtete seine Kabine, die seinem Rang entsprechend viele Bequemlichkeiten aufwies. Die wenigen Utensilien, die er mit sich führte, waren schnell verstaut. Sie stammten sämtlich vom Olkeep, denn von seinen persönlichen Besitztümern hatte nichts gerettet werden können. Auch seine neue Uniform war in Olkeepan angefertigt worden. Dermitron setzte sich und überlegte. Termagin würde vermutlich nur kurze Zeit auf dem Raumhafen bleiben. Es war da mit zu rechnen, daß er anschließend zu ei nem Höflichkeitsbesuch in Mekrons Kabine kam, wie es ungeschriebene Sitte war. Ob es wirklich nur ein bloßer Höflichkeitsbesuch sein würde? Oder hat es irgendeine unvor hergesehene Entwicklung gegeben, vor der er ihn warnen mußte? Sein voriges Verhal ten wies direkt darauf hin. Schon nach wenigen Minuten meldete sich der Türsummer. Der Kommandant der HADESCHA betätigte den Öffnungskontakt und sah dann überraschend auf den Mann, der seine Kabine betrat. Er trug eine hellgrüne Kombination ohne Rangabzeichen, war etwa fünfunddreißig
Harvey Patton Arkonjahre alt, groß und schlank. Sein schmales Gesicht wirkte klug und ange nehm, aber seine kalten Augen negierten diesen Eindruck wieder. Sie strahlten eine Aura unerbittlicher Härte aus, die kaum noch durch das leichte Lächeln gemildert wurde, das um seine schmalen Lippen lag. Er verneigte sich geschmeidig. »Ich grüße Sie, Mondträger Dermitron. Mein Name ist Boraschkin, ich bin ein Sonderbeauftragter des Imperators innerhalb der Flotte. Darf ich Sie um eine kurze Unterredung bitten?« Dermitron trat wortlos zurück und gab den Eingang frei. Diesen ungebetenen Besu cher konnte er nicht abweisen, das war ihm von vornherein klar.
6. »Das war eine grobe Unverschämtheit!« empörte sich Termagin eine halbe Stunde später. »Boraschkin hat gegen alle Regeln der Höflichkeit verstoßen, als er noch vor mir zu Ihnen kam. Was wollte er von Ihnen, Mondträger?« Mekron zuckte mit den Schultern. »Man könnte es am besten als 'Gesinnungsprüfung' bezeichnen, Termagin. Am Anfang sang er mein Lob und beglückwünschte mich zu un serer Rettung, aber bald darauf kam sein wahres Gesicht zum Vorschein. Vermutlich war er der Meinung, mich mit lässig hinge worfenen Fangfragen aufs Glatteis führen zu können, aber das ist ihm natürlich nicht ge lungen. Statt dessen bekam er von mir tau send Einzelheiten über Raumkämpfe zu hö ren, die mich in seinen Augen zu einem Mi litaristen erster Klasse stempeln mußten. Als er ging, schien er hoch zufrieden mit mir zu sein.« Termagin grinste über das ganze narbige Gesicht. »Das war genau die richtige Taktik ge genüber einem Mann dieses Schlages. Soll er Sie ruhig für engstirnig halten, das spielt keine Rolle. Hauptsache ist, daß er jetzt kei ne Zweifel an Ihrer Zuverlässigkeit mehr hegt.«
Der Mondträger »Seit wann schickt der Imperator Männer der POGIM auch auf Schiffe der Flotte?« er kundigte sich Dermitron: »Ich bin schon lan ge im Dienst, aber bisher ist mir noch keiner von ihnen begegnet.« Das Gesicht des Kommandanten wurde finster. »Darauf hätten Sie normalerweise auch noch lange warten können. Diesen Herren ist ihr Leben natürlich viel zu teuer, um im Kampfgebiet aufs Spiel gesetzt zu werden. Sie suchen sich nur Raumer der ›zweiten Reihe‹ aus, die weit weniger gefährdet sind. Diesmal war Boraschkin aber nicht nur rein zufällig bei uns an Bord. Man hat ihn spezi ell auf Sie angesetzt, weil Sie bei der PO GIM als ›potentiell Unzuverlässiger‹ gel ten!« »Ich als Mondträger?« fragte Dermitron ungläubig. »Woher wollen Sie das wissen?« Termagin schmunzelte breit. »Als Bo raschkin mit seinen beiden Helfern auf tauchte, wurde ich neugierig, schon in mei nem eigenen Interesse. Eine kleine Manipu lation am Interkom in seiner Kabine, und schon konnte ich alles mithören, was darin gesprochen wurde. So erfuhr ich seine Ab sicht und konnte Sie bei der ersten Gelegen heit warnen. Wir Leute von Calimon müssen schließlich zusammenhalten.« Er beugte sich vor und sprach unwillkür lich leiser. »Sie kennen mich nicht, aber ich weiß viel von Ihnen. Mein Bruder Gerlavor stand in engen Geschäftsbeziehungen zu Ihrer Fa milie, bis sie durch Ränke und Mord um ih ren Besitz gebracht wurde. Ich kann mir gut vorstellen, daß Sie jenen Mann, der dafür verantwortlich ist, nicht gerade lieben. Um so höher schätze ich Sie wegen Ihres selbst losen Einsatzes für Arkon. Sie können im mer auf mich zählen, Dermitron!« Mekron nickte ihm zu. »Vielen Dank, Termagin, ich weiß das zu schätzen. Können Sie mir sagen, wie lange wir hier an Bord sein werden?« Der Kommandant überlegte kurz. »Etwa dreißig Stunden, wenn alles glattgeht. Wir
27 müssen noch zu einem namenlosen System in der Nähe. Dort sitzen ebenfalls einige Schiffbrüchige, auf die sich Boraschkin ver mutlich mit Wonne stürzen wird. Erst die anschließende Transition wird uns zu der Basis bringen, auf der wir Sie absetzen sol len.« Er verabschiedete sich und ließ einen sehr nachdenklichen Mann zurück. Mekron Dermitron überlegte systematisch und präzise. In dreißig Stunden wollte man sie also auf dem Stützpunkt abliefern. Das bedeutete je doch nicht, daß ihm und seinen Männern so viel Zeit blieb, um die Flucht zu wagen. Der größte Teil der dreißig Stunden würde natür lich bei der Rettung der anderen Gruppe von Überlebenden vergehen. Dann kam der »Anlauf« zur zweiten Transition, die sie in Nullzeit zu der Basis bringen würde. Da war es aber schon zu spät, das Schiff zu verlas sen. Wenn sie es schaffen wollten, mußten er und seine Männer das Weite suchen, so lange die Besatzung durch die Bergungsakti on abgelenkt war. Über Interkom kam die Durchsage, daß der Start unmittelbar bevorstand. Gleich dar auf verrieten vertraute Geräusche, daß die Triebwerke anliefen. Dermitron schaltete den Monitor ein und sah, wie Olkeep all mählich hinter dem Schiff zurückblieb. In ihm war das sichere Gefühl, daß die ruhigen Tage dort sich nicht so bald wiederholen würden. Nun mußte etwa eine Stunde vergehen, ehe die Transitionsgeschwindigkeit erreicht war und der Sprung ausgeführt wurde. Da nach war ungefähr die gleiche Zeit für die Annäherung des Raumers an den Planeten mit den Schiffbrüchigen anzusetzen. Diese zwei Stunden würden die beste Gelegenheit dazu bieten, die erforderlichen Vorbereitun gen für die Flucht zu treffen. Mekron schaltete den Monitor ab und ver ließ seine Kabine. Er begab sich zuerst zu Salmoon und Berkosch. Sie sahen ihm er wartungsvoll entgegen, aber er winkte ab. »Gehen wir hinüber zu den anderen. Es
28 wird einiges zu besprechen geben, und ich möchte nicht alles zweimal sagen. Die Kor ridore sind jetzt leer, die Besatzung befindet sich auf den Gefechtsstationen. Termagin hat nur vierzig Leute zur Verfügung, gerade das Minimum für dieses Schiff.« Ungesehen erreichten sie den Seitentrakt und gelangten in die Kabine der anderen Männer. Sie waren ausgesprochen sparsam eingerichtet und enthielt nur das Notwendig ste. Dermato sah die verwunderten Blicke der Offiziere und grinste. »Nicht gerade sehr einladend, wie? Da war es bei uns in der guten alten HADE SCHA doch um einiges besser bestellt. Wes halb dieser Unterschied, Mekron?« Dermitron ließ sich auf eines der Betten nieder. »Vermutlich, weil das Schiff nie all zulange unterwegs ist. Es erledigt die Trans porte, wie sie gerade anfallen, und bleibt zwischendurch immer einige Zeit im Hafen. Doch das soll uns nicht weiter interessieren. Wir müssen jetzt den Schlachtplan für unser Absetzen entwerfen, kommen wir also gleich zur Sache. Ich habe von Termagin erfahren, daß wir zuerst noch einen Planeten anfliegen müs sen, wo weitere Schiffbrüchige festsitzen. Diese Chance müssen wir nutzen. Ich nehme an, daß das Schiff nur in einen Orbit gehen wird und die Männer von einem Beiboot ab geholt werden. Trotzdem wird die ganze Be satzung auf den Stationen sein, weil immer die Möglichkeit besteht, daß die Maahks plötzlich auftauchen. Auf uns wird in dieser Zeit kaum jemand achten, wir sind schließ lich noch Rekonvaleszenten, die keinen Dienst zu tun brauchen.« Der Navigator hob die Hand. »Vergessen Sie nicht die Leute der POGIM, Komman dant! Diese Burschen scheinen mehr als nur mißtrauisch zu sein. Ich war vor einer halben Stunde im Waschraum gegenüber und sah zwei von ihnen durch die Korridore schleichen. Die hellgrünen Kombinationen sind unverkennbar.« Der Mondträger lächelte grimmig. »Es würde mich geradezu reizen, ihnen einmal
Harvey Patton einen Denkzettel zu verpassen. Sollten sie uns irgendwie in die Quere kommen, wer den sie bedenkenlos schlafen geschickt. Das gleiche werden wir leider auch mit Leuten der Besatzung tun müssen, die uns eventuell im Weg sind. Tote soll es aber auf keinen Fall geben! Es wäre ein schlechtes Vorzei chen, wenn wir unsere Freiheit auf solche Weise erlangen sollten. Vergessen Sie also nicht, die Kombistrahler auf Paralyse zu schalten, ehe es losgeht.« Sie besprachen noch einige Zeit weitere Einzelheiten. Dann verließen sie die Kabine – und stießen hinter der nächsten Korridor kreuzung auf Boraschkin! Er lächelte auffällig. »Wirklich sehr inter essant, Mondträger Dermitron! Der Kom mandant eines Schlachtschiffs und seine Of fiziere haben nichts Besseres zu tun, als sich mit niederen Dienstgraden zu verbrüdern, was nach dem Flottenreglement streng un tersagt ist. Ich werde einen Bericht an den Befehlshaber Ihrer Jagdflottille machen müssen, der Ihnen mit Sicherheit einige Mi nuspunkte in den Personalakten einbringen wird.« Dermitrons Gesicht erstarrte, seine Augen schossen Blitze. »Haben Sie wirklich nichts anderes zu tun, Sie Beauftragter des Imperators? Was wissen Sie denn schon davon, wie es auf Schiffen der Einsatzflotte zugeht? Wie viele Kampfeinsätze haben Sie schon mitge macht? Keinen einzigen, darauf könnte ich meinen Kopf verwetten! Jeder dieser ›niedrigen‹ Männer hat seit Jahren sein Le ben für Arkon eingesetzt – auch für Leute wie Sie, die scheinbar nichts weiter können, als zu spionieren und zu stänkern. Gehen Sie uns aus dem Weg, ehe ich mich vergesse!« Seine Hand schwebte dicht über dem Griff des Kombistrahlers. Boraschkins Lächeln gefror und wurde zu einer Grimasse. Unver kennbare Angst stand nun in seinen Augen, die dem harten Blick des Kommandanten hastig auswichen. Er drehte sich wortlos um, entfernte sich eilig und verschwand im Anti gravschacht, der hinauf zur Kommandozen
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trale führte. Salmoon stieß hörbar die Luft aus. »War das unbedingt nötig, Mekron? Dieser Mann wird von jetzt an alles versuchen, um uns Steine in den Weg zu legen. Vielleicht scheitert unser Vorhaben sogar daran.« Dermitron schüttelte den Kopf. »Das war nötig, Salmoon! Hätte ich jetzt klein beigegeben, würden uns Boraschkin und seine Spitzel laufend im Nacken sitzen, um uns noch mehr anhängen zu können. Nach dieser Konfrontation wird er uns tun lichst aus dem Wege gehen, davon bin ich überzeugt. Männer seiner Art sind im Grun de ihres Herzens Feiglinge, sie fühlen sie nur dann stark, wenn man vor ihnen kuscht. Wir machen weiter wie besprochen.«
* »Wie sieht es unten aus, Ventron?« er kundigte sich Mekron. Der Techniker war gerade von einem Erkundungsgang aus dem Beiboothangar zurückgekehrt. Die sechs Männer der HADESCHA saßen in einem leeren Speiseraum und konnten sich unge niert unterhalten. Die Transition stand dicht bevor, sie nahmen ihre erste und vermutlich einzige Mahlzeit an Bord dieses Raumers ein. Der massige Mann nickte. »Gut, Me kron«, erwiderte er in seiner üblichen wort kargen Art. »Drei 30-Meter-Boote in Dis kusform, alle startbereit. Eins davon steht di rekt vor der Hauptschleuse, wird voraus sichtlich zur Rettungsaktion gebraucht. Ich war an Bord des nächsten und habe den Steuercomputer vorprogrammiert. Nur ein Knopfdruck, und wir können verschwin den.« Der Kommandant nickte. »Ausgezeichnet, günstiger könnte es kaum sein. Wir werden uns aber trotzdem sehr vorsehen müssen. Normalerweise werden wohl alle Ausschleusungsmanöver von der Hauptzentrale aus gesteuert, aber Termagin wird es kaum damit bewenden lassen. Er ist ein alter, umsichtiger Kommandant, der an
alles denkt. Ich rechne damit, daß er den Bordarzt und einige Helfer in den Hangar schickt, damit eventuelle Verwundete unter den Schiffbrüchigen sofort betreut werden können. Wir müssen versuchen, noch vor diesen Männern dort zu sein und alle Zugän ge zu blockieren, damit sie nicht zu Schaden kommen, wenn wir ausfliegen.« Die Männer hatten ihr Mahl gerade been det, als der Interkom die Transition ankün digte. Der Sprung erfolgte, der übliche kurze Schock klang ab. Nun erhob sich Mekron Dermitron. »Wir haben jetzt noch etwa eine Stunde Zeit. Begeben Sie sich in Ihre Kabine, um etwas zu ruhen. Ich suche inzwischen die Zentrale auf, um Näheres über Termagins Vorgehen in Erfahrung zu bringen. Falls ei ne Änderung unserer Pläne nötig ist, werde ich Sie sofort unterrichten.« Als er den Kommandoraum betrat, stand auf den Panoramaschirmen das Bild einer rotgelben Sonne, von den matten Lichtfun ken von vier Planeten umgeben. Alle Män ner arbeiteten konzentriert an der Auswer tung der eingehenden Daten. Nur der Kom mandant drehte sich um, als das Schott auf glitt. Er nickte Dermitron freundlich zu. »Ich dachte mir schon, daß Sie kommen würden, Mondträger. Wir haben Funkkon takt zu den Überlebenden, sie befinden sich auf dem dritten Planeten. Ihre Lage ist nicht gut, denn es handelt sich um eine kalte Welt, und ihr Rettungsboot ist schwer beschädigt. Leider habe ich den Befehl, sie abzuholen, erst erhalten, als wir uns im Anflug auf Ol keep befanden.« »Können wir Ihnen irgendwie behilflich sein?« erkundigte sich Mekron. Termagin wehrte ab. »Wir kommen schon allein zu recht, danke. Ich schicke ein Beiboot auf den Planeten, sobald wir den Aufenthalt die ser Leute ausfindig gemacht haben. Es sind nur zwölf Mann, die finden bequem darin Platz. Der Arzt und seine Gehilfen fliegen gleich mit, denn einige von ihnen sind ver wundet. Sie stammen von einem Handels schiff, das von den Maahks zusammenge
30 schossen wurde.« Dermitron war zufrieden, denn nun hatte er erfahren, was er wissen wollte. Nach dem Abflug des Beiboots würde der Hangar ver mutlich für längere Zeit verlassen sein. Die se Spanne mußte er mit seinen Männern aus nützen, um sich abzusetzen. Er unterhielt sich noch eine Weile mit dem Kommandanten, bis der Planet fast er reicht war. Dann hatte Termagin keine Zeit mehr für ihn. Das Einschwenkmanöver in die Umlaufbahn wurde vollzogen, alle Or tungsgeräte richteten sich auf die öde, von endlosen Sandwüsten bedeckte Welt. Die Funkverbindung zu den Schiffbrüchigen stand, die Einpeilung war im Gange. Schließlich erschien das Rettungsboot auf den Bildschirmen. Es handelte sich um eine alte Konstruktion in Torpedoform, ein wah res Museumsstück. Sein Bug steckte tief in einer Sanddüne, die Bootszelle war an meh reren Stellen aufgerissen. Vermutlich war es schon beschädigt gewesen, als es das Mut terschiff verlassen hatte, oder seine Insassen waren keine geübten Raumfahrer. Normaler weise hätte es sonst kaum zu einer Bruch landung kommen können. Termagin ließ sich mit der Bergung Zeit. Er vergaß auch jetzt nicht, daß sich sein Schiff in einem äußerst unsicheren Sektor befand. Er befahl eine weitere Umrundung des Planeten, und inzwischen suchten die Ortungen eingehend den Raum rings um das System ab. Erst als feststand, daß es im Er fassungsbereich keine Raumer der Methans gab, befahl er das Ausschleusen des Bei boots. Dermitron sah auf den Chrono und stellte fest, daß darüber schon weit mehr als zwei Stunden vergangen waren. Vermutlich wur de er bereits ungeduldig von seinen Leuten erwartet. Er erhob sich und nickte dem Kommandanten zu. »Ich gehe wieder in meine Kabine, vor läufig gibt es ja doch nichts weiter zu sehen. Rufen Sie mich bitte, wenn das Boot zurück kehrt.« »Das wird noch Stunden dauern«, gab
Harvey Patton Termagin zurück. »Wir werden versuchen, auch das Boot zu bergen, sofern es sich noch fliegen läßt. Diese Händler sind schwer ge nug dadurch geschädigt, daß sie ihr Schiff und ihre Waren verloren haben. Das Fahr zeug da unten dürfte jetzt ihr einziger Besitz sein.« Mekron Dermitron verließ die Komman dozentrale. Er wunderte sich selbst darüber, wie ruhig und gelassen er noch immer war. Schließlich stand er dicht davor, sich in ein Wagnis zu stürzen, dessen Ausgang nicht abzusehen war.
* Als er sich auf dem Kabinendeck aus dem Antigravschacht schwang, vernahm er einen heftigen Wortwechsel. Er unterschied die Stimmen von Salmoon und Berkosch und zwei ihm unbekannte Organe. Der Streit wurde immer lauter und heftiger, und der Mondträger begann zu laufen. Gleichzeitig zog er seine Waffe, denn er befürchtete ern ste Schwierigkeiten. »Das lassen wir uns nicht bieten!« sagte der Erste Offizier gerade hitzig. »Wer gibt Ihnen das Recht, uns so zu behandeln? Wir unterstehen allein dem Befehl von Mondträ ger Dermitron oder Kommandant Termagin. Sie haben uns hier gar nichts zu erlauben oder zu verbieten, verstanden?« »Das denken Sie!« polterte eine barsche Stimme. »Wir haben Sie dabei überrascht, als Sie sich unberechtigt Schiffsgut aneignen wollten. Das gibt uns das Recht, Sie ohne weiteres festzunehmen und unter Arrest zu stellen. Der Bevollmächtigte Boraschkin wird darüber entscheiden, was weiter mit Ih nen geschehen soll. Jetzt fehlt nur noch Ihr Kommandant …« »Der ist bereits da!« sagte Dermitron und schob sich mit angeschlagenem Strahler um die Biegung des Korridors. Sieben Köpfe ruckten zu ihm herum. Fünf davon gehörten zu seinen Männern. Sie standen mit erhobenen Händen an der Wand des Ganges, ihre Waffen lagen in einiger
Der Mondträger Entfernung am Boden. Vor ihnen standen zwei große, massige Gestalten in den be kannten hellgrünen Kombinationen. Sie hielten die Überlebenden der HADESCHA mit Lähmstrahlern in Schach. Von ihrem Anführer dagegen war nichts zu sehen. »Was geht hier vor?« fragte der Mondträ ger scharf. »Weg mit Waffen, aber etwas plötzlich! Mein Daumen liegt auf dem Aus löser, und ich habe auf Impulsstrahl geschal tet. Ich gebe Ihnen genau drei Sekunden …« Er scherzte nicht, denn die beiden Frem den sahen das grünliche Bündelfeld, das sich um den Abstrahlpol der Kombiwaffe aufge baut hatte. Sie reagierten sofort, und die Pa ralysatoren polterten zu Boden. Es kam ih nen gar nicht in den Sinn, daß Dermitron le diglich geblufft haben könnte, solche Ge danken waren ihrer Mentalität fremd. Orba naschols Geheimpolizisten kannten nur die Gewalt. »So ist es schon besser«, sagte Mekron, als ihre Hände nun in die Höhe schossen. »Gehen Sie zur Seite, stellen Sie sich mit den Gesichtern zur Wand. Und nun heraus mit der Sprache: Was wird hier gespielt?« »Das wird sie teuer zu stehen kommen!« knurrte der Wortführer von vorher. »Wir ha ben Ihre Leute dabei überrascht, als sie gera de dabei waren, sich Vorräte aus dem Not depot hier anzueignen. So etwas nennt man Diebstahl von Flotteneigentum, Mondträger. Im Moment beherrschen Sie die Lage, aber das wird Ihnen wenig nützen. Wir werden gegen Sie und Ihre Männer aussagen, und das genügt.« Dermitron lächelte eisig. »Meinen Sie wirklich? Ihr Wort gegen das eines Mond trägers – Kommandant Termagin wird mir glauben, keinem anderen.« »Was Termagin glaubt, spielt hier keine Rolle«, meldete sich der andere Mann zum Wort. »Stellen Sie sich nicht dümmer als Sie sind, Dermitron. Sie wissen genau, daß wir Angehörige der POGIM sind. Nur ein Wort von Boraschkin, und schon ist Termagin sei nes Postens enthoben und er übernimmt das Kommando über das Schiff! Geben Sie auf,
31 Sie kommen gegen uns doch nicht an.« »Das bleibt abzuwarten«, meinte Mekron Dermitron gedehnt. »Auch ein Mann wie ihr Anführer ist nicht allmächtig, wie Sie zu glauben scheinen. Wo befindet er sich über haupt?« Der Geheimpolizist lachte höhnisch auf. »Das werden wir Ihnen bestimmt nicht auf die Nase binden, Dermitron. Wenn er auf den Plan tritt, haben Sie auf jeden Fall aus gespielt.« »Angeber!« sagte Salmoon verächtlich. »Der Mondträger hat ihn schon einmal abge fertigt, und er wird auch ein zweites Mal den kürzeren ziehen. Immerhin wissen wir jetzt, welche Rolle diese sauberen Herren in Wirklichkeit spielen. Was fangen wir mit ih nen an, Mekron?« Dermitron überlegte kurz. »Wir sperren sie im Notdepot ein«, bestimmte er dann. »Schade, daß Boraschkin nicht dabei ist, aber alles auf einmal kann man bekanntlich nie haben. Los, da hinein, ihr elenden Scher gen, ehe ich es mir noch anders überlege.« Die beiden POGIM-Männer protestierten und sträubten sich. Kräftige Fäuste halfen nach, und dann zischte ein Paralysator auf. Sie sanken zusammen, wurden rasch gefes selt und so hinter Regalen verstaut, daß sie nicht so schnell entdeckt werden konnten. »Ein Glück, daß Sie gerade kamen, Me kron«, meinte der Erste Offizier. »Wir hat ten uns gedacht, daß es nicht schaden könn te, wenn wir einige Dinge mitnehmen, die wir später gut gebrauchen können. Plötzlich tauchten diese beiden Figuren auf, zückten ihre Waffen und zwangen uns, die unseren abzulegen. Wir wären schon mit ihnen fertig geworden, aber wir wollten nicht riskieren, daß den einen oder anderen ein Lähmstrahl erwischte. Dann wäre unsere Flucht äußerst problematisch geworden.« Dermitron nickte. »Sie haben vollkom men richtig gehandelt, der Fehler lag bei mir. Ich hätte damit rechnen müssen, daß ein Mann wie Boraschkin eine Niederlage nicht ohne weiteres hinnimmt. Zweifellos hat er uns seitdem ständig beobachten lassen, und
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Ihr Vorgehen gab den Männern eine Hand habe gegen uns. Es ist gut abgegangen, ver gessen wir es.« »Wo mag er selbst wohl stecken?« fragte Hong Olvan sorgenvoll. Der Kommandant zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, das Schiff ist groß. Viel leicht wollte er nach unserer ersten Kontro verse nicht selbst hier in Erscheinung treten. Dann sitzt er jetzt in seiner Kabine und war tet auf die Vollzugsmeldung seiner Handlan ger. Ich kann natürlich nicht gut dort anru fen, um das festzustellen.« Sie steckten sich noch eine Anzahl von Energiezellen für ihre Strahler ein. Dann verschlossen sie die Tür des Depotraums und machten sich auf den Weg.
7. Durch einen wenig benutzten NebenAntigravschacht kamen sie bis zum »Südpol« des Raumers, wo sich der Hangar befand. Sie verhielten sich äußerst vorsichtig. Zwar durften sie sich überall im Schiff frei bewegen, es war aber auf jeden Fall besser, wenn sie trotzdem nicht gesehen wurden. Termagins Männer hätten sich wohl doch gewundert, was sie dort unten zu suchen hat ten. Wenn dann nur einer auf den Gedanken kam, den Kommandanten zu unterrichten, war ihr Plan schon so gut wie gescheitert. Doch niemand begegnete ihnen. Sie ka men unbemerkt bis zum Hangarschott. Dort ließ Dermitron halten, aktivierte einen mit gebrachten Telekom und schaltete sich in die Funkverbindung zwischen dem Schiff und dem inzwischen auf dem Planeten ge landeten Beiboot ein. Er erfuhr, daß es Schwierigkeiten gab. Die einzige Schleuse des Rettungsboots ließ sich nicht mehr öff nen. Die Gesunden und Leichtverletzten hat ten es durch die Risse in der Bordwand ver lassen können. Zwei der Männer waren je doch schwer verletzt und konnten auf die sem Weg nicht nach draußen gebracht wer den. Die Retter mußten also daran gehen,
die Schleuse aufzuschweißen, und darüber konnten noch Stunden vergehen. Mekron schaltete wieder ab und nickte zufrieden. »Das ist schlecht für die Verwun deten, aber gut für uns. Wir brauchen aber nichts zu überstürzen und können unsere Vorbereitungen in Ruhe treffen. Vor allem müssen sämtliche Funktionen des Bootes, das wir benutzen werden, gründlich durch gecheckt werden. Wir werden wohl einige Zeit darauf angewiesen sein, können uns al so keine Pannen leisten.« Er drückte auf den Öffnungskontakt, und die Schleuse glitt auf. Die sechs Männer blieben im Eingang stehen und lauschten sorgfältig. Der Hangar lag verlassen vor ihnen. Nur einige Leuchtflächen brannten und tauchten ihn in ein ungewisses Zwielicht. Olvan woll te die volle Beleuchtung einschalten, aber Dermitron ergriff gerade noch rechtzeitig seine Hand. »Kein Licht!« zischte er. »Der Bordcom puter würde den plötzlich steigenden Ener gieverbrauch registrieren und entsprechende Signale geben. Dann brauchte nur jemand die hier installierten Kameras einzuschalten, und schon hat man uns in der Zentrale in voller Größe auf den Bildschirmen.« Er ließ die Schleuse wieder zugleiten, und Ventron deutete nach links. »Das Boot steht dort drüben, Mekron, für uns in günstiger Position. Wir können damit durch die Schleuse ausfliegen, die auf der dem Plane ten abgewandten Seite liegt. Das dürfte die Entdeckung unserer Flucht erheblich verzö gern, weil sich alle auf die Rettungsaktion konzentrierten.« Er sprach mehr und flüssiger als sonst, und darin drückte sich seine Erregung aus. Auch die anderen blieben davon nicht ver schont, man bemerkte sie an vielen kleinen Anzeichen. Selbst Mekron Dermitrons Handflächen waren feucht, und seine Augen tränten leicht. Was sie vorhatten, war schließlich Desertion und damit alles andere als eine Kavaliersdelikt. Wenn man sie da bei vorzeitig ertappte, drohten ihnen schwer
Der Mondträger ste Strafen, wenn nicht sogar der Tod! Der Mondträger wußte das nur zu genau, aber an seinem Entschluß war nicht mehr zu rütteln. Er beherrschte sich eisern und gab damit seinen Männern das Vorbild, das sich brauchten. Langsam suchte sich die Gruppe ihren Weg. Überall standen Container herum, da vor eine lange Reihe von verschiedenen Bo denfahrzeugen und Flugpanzern, die zum Einsatz auf Welten aller Kategorien ge braucht werden konnten. Sie schlängelten sich dazwischen hindurch und hatten dann die freie Fläche vor sich, auf der die zwei Beiboote standen. Nur noch etwa dreißig Meter, dann waren sie am Ziel ihrer Wün sche. Schreck durchfuhr ihre Glieder, als plötz lich ein Scheinwerfer aufleuchtete und sie in grelles Licht tauchte … Die sechs Männer taumelten geblendet zurück und rissen die Arme schützend vor die Augen. Im nächsten Moment erschallte aus einem Lautsprecher ein höhnisches Ge lächter. Es kam aus der erhöht liegenden gläsernen Kabine, von der aus sämtliche Einrichtungen des Hangars unabhängig von der Kommandozentrale gesteuert werden konnten. Das ist Boraschkin …! dachte Mekron Dermitron bestürzt. Seine Befürchtung bewahrheitete sich, es war sein Gegner aus den Reihen der PO GIM. Triumphierend rief er aus: »Das hatten Sie wohl nicht erwartet, Herr Mondträger? Einen Mann wie mich unterschätzt man aber nicht ungestraft! Verdächtig waren Sie oh nehin, und nun haben Sie sich selbst das Ge nick gebrochen. Als mich meine Männer über Funk davon verständigten, daß Ihre Leute das Notdepot plündern wollten, war ich sofort über Ihre Absichten im Bilde. Es ist Ihnen zwar gelungen, die beiden auszu schalten, aber das nützt Ihnen jetzt nichts mehr. Sämtliche Ausgänge sind verriegelt, hier kommen Sie nicht mehr heraus. Erge ben Sie sich bedingungslos!« »Ich denke nicht daran!« brüllte Mekron
33 Dermitron zurück. Nun erwies sich, wie nützlich das harte Training der Flottenausbilder gewesen war. Die Schrecksekunde der sechs Raumfahrer war minimal. Obwohl sie praktisch nichts sehen konnten, waren sie schon im nächsten Augenblick in der Deckung durch die Fahr zeuge hinter ihnen verschwunden. Sie ver teilten sich nach beiden Seiten hin und ka men aus dem Bereich der blendenden Licht flut. Trotzdem blieb ihre Lage höchst prekär. Boraschkin hatte wirklich alle Trümpfe in der Hand. Er brauchte jetzt nur den Interkom zu aktivieren und die Zentrale anzurufen, und schon waren alle Träume vom Entkom men ausgeträumt. Wenn auch der Komman dant mit Dermitron sympathisierte, er konn te es nicht wagen, sich gegen einen Mann Orbanaschols zu stellen. Er mußte die Grup pe arretieren, ob es ihm gefiel oder nicht. Der Geheimpolizist dachte jedoch vorerst nicht daran, Termagin um Unterstützung an zugehen. Er sonnte sich im Gefühl seines Triumphes, überschüttete die Männer erneut mit Hohngelächter und haßvollen Tiraden. Der Mondträger achtete aber nicht weiter darauf. Er kauerte zusammen mit Salmoon hinter einem Flugpanzer, und allmählich kehrte das Sehvermögen der Männer wieder. »Passen Sie auf, Salmoon«, knurrte er grimmig. »Ich werde Boraschkin antworten und ihm soweit wie möglich reizen. Das wird ihn ablenken und verhindern, daß er Termagin anruft. Versuchen Sie, so weit seitlich zu gelangen, daß Sie die Kabine ins Schußfeld bekommen. Zielen Sie gut – mehr als einen Schuß werden Sie kaum abgeben können!« Der Erste Offizier der HADESCHA nick te, warf sich zu Boden und robbte davon. Nun nahm Dermitron das Rededuell mit dem Mann der POGIM wieder auf. »Ja, wir werden desertieren!« rief er ent schlossen aus. »Wir haben lange genug für einen Imperator gekämpft, der es einfach nicht wert ist. Daß er Leute wie Sie einsetzt, um uns zu bespitzeln und hereinzulegen,
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sagt genügend über seine Qualität aus. Wir brauchen einen Mann wie Gonozal, um das Imperium vor den Maahks zu retten. Er hat vor Marlackskor bewiesen, wie ein wahrer Herrscher über Arkon beschaffen sein muß. Er und sein Sohn Atlan …« Ein wütendes Gebrüll kam über den Laut sprecher und übertönte seine Worte. Die Er wähnung der beiden bestgehaßten Gegner Orbanaschols schien Boraschkin völlig au ßer Fassung gebracht zu haben. Plötzlich zuckte ein Strahlerschuß aus der Kabine und dicht an dem Panzer vorbei. Sengende Hitze flutet über Mekron Dermitron hinweg und zwang ihn zu einem hastigen Sprung in eine andere Deckung. Gleichzeitig schaltete Boraschkin zwei weitere Scheinwerfer ein, die diesen Sektor des Hangars voll ausleuchteten. Nun konnte es keiner der Männer mehr wagen, auch nur den Kopf zu zeigen. Ihr Gegner feuerte pau senlos weiter und ließ ihnen keine Gelegen heit, ihn selbst unter Beschuß zu nehmen. Was ist mit Salmoon? dachte der Kom mandant besorgt. Er ist der einzige Mann, der jetzt noch etwas tun kann. Wenn er nicht bald eingreift, sind wir verloren … Seine bange Frage beantwortete sich im nächsten Augenblick. Weit seitlich blitzte eine Energiebahn auf und fand ihr Ziel. Mit einem schmetternden Krach barst das Pan zerglas der Kabine, dann kam ein unartiku lierter Schrei Boraschkins durch den Laut sprecher. Er verebbte in einem schmerzvol len röchelnden Stöhnen – dann wurde es im Hangar geisterhaft still.
* Der Mondträger schüttelte resigniert den Kopf und erhob sich langsam. Eine solche Entwicklung hatte er nicht gewünscht, er hatte gehofft, daß es bei der Flucht ohne Op fer abgehen würde. Immerhin war der Weg zum Beiboot jetzt frei, sie konnten … Jäh aufgellende Lärmpfeifen ließen ihn zusammenfahren und schnitten seine Gedan ken ab. Wärmedetektoren hatten das plötzli-
che Ansteigen der Temperatur im Hangar als Folge der Schüsse registriert. Sie lösten nicht nur Alarm aus, sondern gaben ihre Da ten auch sofort an den Bordcomputer weiter. Folglich wußte man in der Hauptzentrale im gleichen Augenblick, wo der Störungsherd lag. Schon Sekunden später wurden die Alarmpfeifen ausgeschaltet. Dafür kam nun eine Stimme über den Interkom: »Kommandozentrale an Hangar: Wer ist da unten, und was ist passiert? Geben Sie bitte sofort Bericht. Wir können kein Bild be kommen, die Übertragungsanlagen sind aus gefallen.« Mekron Dermitron atmete auf und dankte den Göttern. Der Schuß, der Boraschkin getötet hatte, mußte zugleich also auch Schäden an den Schaltpulten der Kabine angerichtet haben. Man konnte nicht sehen, was im Hangar vorging, und Dermitron hütete sich, eine Antwort zu geben. Bis Termagin ein Kom mando schickte und dieses hier eintraf, muß ten mehrere Minuten vergehen. Diese Zeit galt es nun zu nützen, so knapp sie auch war. An das geplante Durchchecken des Boo tes war nun natürlich nicht mehr zu denken. Sie mußten einfach starten und sich darauf verlassen, daß alles in Ordnung war. Der Mondträger winkte seinen Männern. »Schnell ins Beiboot, es geht um jede Se kunde! Keine Tests mehr, wir fliegen aus, sobald alle an Bord sind Sie übernehmen die Steuerung, Dermato.« Die sechs Männer hasteten auf das Boot zu. Die Bodenschleuse stand offen, die Rampe war ausgefallen, dafür hatte Ventron gesorgt. Sie jagten hinauf, Dermitron als letzter. Er drückte sofort auf einen Knopf, die Rampe schnurrte hoch, die Außenschleu se schloß sich. Im gleichen Augenblick lie fen bereits die Konverter des Bootes an. Der Pilot wußte genau, was zu tun war. Er betätigte einen Codegeber, und sofort senk ten sich von der Hangardecke her Trenn wände herab. Sie schlossen luftdicht und
Der Mondträger schufen so einen separaten Sektor, der von dem Fahrzeug bis zur für den Ausflug vor gesehenen Schleuse reichte. Gleichzeitig lie fen die Pumpen an und saugten die Luft aus dieser Zone ab. In dieser Zeit begaben sich die Männer auf ihre Posten. Mit fiebernden Sinnen war teten sie auf den Zeitpunkt, zu dem die At mosphäre abgesaugt war. Früher konnte die Schleuse nicht geöffnet werden, dafür sorgte eine Sicherheitsautomatik. Endlich war es soweit. Dermato drückte auf einen weiteren Schalter, und die Schleu sensegmente glitten auf. Das Dunkel des Alls wurde sichtbar. Die Antigravprojekto ren liefen an, ein kurzer Schub aus den Steu erdüsen, und das Beiboot schwebte aus dem Schiff. »Volle Beschleunigung, Dermato«, befahl der Kommandant. »Schnelle Annäherung an den Planeten dicht oberhalb der Atmosphä re, dann seiner Krümmung folgen. Wir müs sen unter dem Horizont verschwunden sein, ehe jemand daran denkt, das Feuer auf uns zu eröffnen.« Der Pilot nickte nur und ließ den Diskus abkippen. Mit rasch ansteigender Fahrt schoß das Boot dem Wüstenplaneten entge gen, das Schiff blieb hinter ihm zurück. Dort schien man immer noch nicht begriffen zu haben, was eigentlich geschehen war. Die von Termagin ausgeschickten Männer stan den offenbar dem Rätsel, das ihnen der tote Boraschkin und der teilweise gesperrte Han gar aufgab, ziemlich hilflos gegenüber. Erst Minuten später, als das Beiboot sich bereits in der Deckung durch den Planeten befand, sprach der Normalfunk an. Auf dem Bildschirm erschien das zorngerötete Ge sicht des Schiffskommandanten. »Was soll das, Dermitron?« brüllte er. »Meine Leute haben mir berichtet, daß Sie Boraschkin erschossen haben und mit einem unserer Boote geflohen sind. Im Namen des Imperators: Kehren Sie sofort um! Andern falls sehe ich mich gezwungen, Sie zu ver folgen und zu vernichten.« Mekron Dermitron lachte hart auf.
35 »Ich denke nicht daran, zurückzukom men, Termagin! Es gibt für alles eine Gren ze, und diese haben wir jetzt erreicht. Bo raschkin hat mich laufend belästigt und alle nur möglichen Verdächtigungen gegen mich ausgesprochen. Ich habe das hingenommen, weil ich mir keiner Schuld bewußt war. Zu letzt provozierte er jedoch einen Zusammen stoß seiner Leute mit meinen Männern. Ich kam gerade noch rechtzeitig hinzu, um die beiden vor weiteren Übergriffen abzuhalten – Sie können sie paralysiert im Notdepot des Kabinendecks finden. Anschließend lockte er uns unter einem Vorwand in den Beibootshangar. Als wir dort ankamen, eröffnete er ohne jede War nung das Feuer auf uns. Wir waren gezwun gen, uns zu wehren, wenn wir nicht selbst umkommen wollten, und dabei fand er den Tod. Warum er sich so verhalten hat, kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Ich nehme an, daß er unter einer Bewußt seinsstörung litt, einer Art von Verfolgungs wahn.« Termagin hatte ihn ruhig ausreden lassen. Nun brüllte er jedoch erneut los. »Kehren Sie augenblicklich um, Mondträ ger Dermitron! Wenn Ihre Angaben der Wahrheit entsprechen, wird sich das feststel len lassen. Ich sichere Ihnen eine faire Be handlung und Untersuchung zu. Die Behör den des Großen Imperiums sind unbestech lich und gerecht.« »Auch die POGIM?« fragte Dermitron mit einem müden Lächeln. »Boraschkin hat sich selbst damit gebrüstet, daß er diesem Organ Orbanaschols angehörte. Sie mögen ein ehrenwerter Mann sein, Termagin, der an Recht und Gerechtigkeit glaubt, ich glau be nicht mehr daran! Wir haben einen hohen Beamten der POGIM getötet, also wird man uns niemals mit dem Leben davonkommen lassen. Uns blieb als einziger Ausweg nur noch die Flucht, können Sie das nicht verste hen?« »Nein, das verstehe ich nicht«, grollte der Kommandant. »Sie und Ihre Männer sind in meinen Augen gemeine Deserteure, eine
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Schande für die gesamte Flotte! Mein Schiff nimmt in diesem Augenblick bereits die Verfolgung auf. Rechnen Sie nicht mit Schonung, wenn Sie an die Reichweite un serer Geschütze kommen.« »Das alles war nur Theaterdonner«, sagte er und lehnte sich zurück. »Termagin steht natürlich auf unserer Seite, er hat mich ja schon am Anfang vor Boraschkin gewarnt. Seine Drohungen verfolgten lediglich den Zweck, das Gesicht zu wahren. Er weiß längst, daß es ihm nie gelingen kann, uns noch einzuholen oder gar abzuschießen. Na türlich wurde unser Gespräch aufgezeichnet und kann ihm als Rückendeckung dienen. Meine Anschuldigungen gegen Boraschkin dagegen kann niemand mehr widerlegen. Er selbst ist tot, seine Männer waren mit Si cherheit nicht voll über seine Absichten un terrichtet. Die Untersuchung wird also im Sande verlaufen, niemand wird Termagin der Mithilfe beschuldigen können. Darauf kam es mir vor allen Dingen an.« Salmoon nickte, und auch sein Gesicht entspannte sich. »Und wir sind frei!« er gänzte er begeistert. Wenig später wurde das Schiff von den Ortungen des Bootes erfaßt. Es beschleunig te mit voller Kraft, blieb aber trotzdem hoff nungslos im Hintertreffen. Die Geschwin digkeit, die der Diskus inzwischen erreicht hatte, gab ihm einen ausreichend großen Vorsprung. Nach einer knappen halben Stunde gab Dermato den Sprungimpuls. Das Beiboot transportierte über fünfhundert Lichtjahre hinweg und war damit endgültig in Sicher heit.
* Morvoner Sprangk schaltete das Visorge rät ab und lehnte sich für eine Weile zurück. Mekrons Dermitrons Geschichte, durch Psy cho-Sensoren wirklichkeitsgetreu aus sei nem Erinnerungszentrum entnommen, hatte ihn regelrecht fasziniert. Er zapfte ein Erfri schungsgetränk aus dem Automaten und
trank langsam den Becher leer. Dann kehrte er in seinen Sessel zurück. Mitternacht war längst vorbei, aber Der mitrons Schilderung noch nicht. Jetzt mußte erst jener Abschnitt folgen, der ihn nach vie len Irrwegen schließlich bis nach Kraumon geführt hatte. Sprangk war regelrecht begie rig darauf, auch ihn noch mitzuerleben. Er selbst saß nun schon so lange auf dem einsa men Planeten fest. Atlan hatte ihm zwar einen äußerst verantwortungsvollen Posten anvertraut, doch der alte Haudegen litt zu weilen unter unverkennbaren Frustrationser scheinungen. Dieses Erleben aus zweiter Hand war ein gutes Mittel, um ihnen zu begegnen. Seine Hand drückte eine Taste, das Band lief wei ter, und erneut versank die Wirklichkeit um ihn.
8. Sie befanden sich noch immer in der Randzone des Kugelsternhaufens von Ar kon. Das Boot trieb im freien Fall zwischen zwei Sonnen ohne Planeten durch den leeren Raum. In der Nähe gab es keine bewohnten Systeme, auch Raumschiffe waren innerhalb der Reichweite der Ortungen nicht zu ent decken. Die sechs Männer konnten sich ent spannen. Dermato und Hong Olvan nahmen eine genaue Standortbestimmung vor. Indessen überlegte Mekron Dermitron, wohin sie sich nun wenden sollten. Die Beantwortung die ser Frage war alles andere als einfach. Erstmals wurden Dermitron die Konse quenzen seiner Handlung in voller Tragwei te bewußt. Es war, von Boraschkins unver hofftem Dazwischentreten abgesehen, rela tiv einfach gewesen, aus dem Versorgungs schiff zu entkommen. Eine Verfolgung war nicht mehr zu befürchten, die Transition mit unbekanntem Ziel hatte alle Spuren ver wischt. Damit war aber nur ein erstes Nah ziel erreicht worden. Die Verwirklichung des Planes sich dem Gefolge Atlans und Go nozals anzuschließen, lag noch in weiter
Der Mondträger Ferne. Niemand im Großen Imperium wußte oder ahnte auch nur, wo sich die Stützpunkte von Orbanaschols Gegnern befanden. Sie mußten außergewöhnlich gut versteckt und abgesichert sein. Das bewies die Tatsache, daß es bisher weder der POGIM noch einem anderen Geheimdienst gelungen war, sie ausfindig zu machen. Auch an alle Einheiten der Flotte war schon vor längerer Zeit der strikte Befehl des Imperators »Bringt mir Atlans Kopf!« ergangen. Wem es gelang, den angeblichen »Renegaten und Piraten« zu fangen oder zu töten, dem winkten eine hohe Belohnung und Ehrungen aller Art. Trotzdem war der Gesuchte aber immer noch in Freiheit und sogar sehr aktiv. Der Sternhaufen war groß, es gab noch Hunderte von unerforschten Sy stemen, in denen er sich verbergen konnte. Dermitron schüttelte resigniert den Kopf und gestand sich ein, daß er ziemlich ratlos war. Nur ein ungewöhnlicher Zufall konnte ihm und seinen Männern helfen, Atlans Spur zu finden. Obendrein konnten sie es nicht wagen, sich offen irgendwo zu zeigen, wo es Arko niden oder ihre Hilfsvölker gab. Sie waren jetzt Deserteure und damit vogelfrei! Bald schon würden ihre Namen in den Fahn dungslisten erscheinen, die an jedes Schiff der Flotte und an alle Planeten übermittelt wurden. Doch sie mußten auch mit den Maahks als Gegner rechnen, die keinen Un terschied zwischen regierungstreuen und ab trünnigen Arkoniden machten … Der frühere Erste Offizier erschien in der Bootszentrale. In der einfachen blauen Kom bination, die er jetzt trug, bot er ein Bild, an das man sich erst gewöhnen mußte. Auch die anderen Männer hatten ihre Flottenuni form abgelegt. Salmoons Gesicht wirkte verkniffen, als er sich neben Mekron in einen Kontursitz fallen ließ. »Ich habe eben zusammen mit Ventron al le Anlagen unseres Fahrzeugs inspiziert«, bemerkte er halblaut. »In rein technischer
37 Hinsicht gibt es nichts zu bemängeln. Ter magins Leute haben das Boot gut in Schuß gehalten. Die Waffensysteme sind voll ein satzbereit, die Konverterfüllung fast neu. Auch die Antriebsanlagen sind in bestem Zustand, wir können unbesorgt noch Dut zende von Transitionen vornehmen.« Dermitron nickte ihm zu. »Dann haben wir also auch in dieser Hinsicht Glück ge habt. Warum machen Sie aber trotzdem ein so trübes Gesicht? Es gibt doch noch etwas, das Sie bedrückt, das sehe ich Ihnen an der Nasenspitze an. Heraus damit!« Salmoon lächelte kurz. »Ihnen bleibt aber auch wirklich nichts verborgen, Mekron. Nun, einmal müssen Sie es ja doch erfahren: Die Vorratskammern sind so gut wie leer! In den Kühltruhen gibt es nur etwas tiefgefro renes Gemüse und einige dürftige Stücke Hubbakelfleisch. Auch Konzentrate sind kaum vorhanden, wir haben nur für wenige Tage zu essen.« Mekron zog eine Grimasse. »Da haben wir also schon den Haken an der Sache, der mit Sicherheit zu erwarten war. Das gibt un serem Unternehmen nun ein ganz anderes Gesicht. Wir müssen uns schleunigst um Nachschub bemühen, ob wir wollen oder nicht. Das dürfte aber leider nicht so einfach sein, Salmoon. Bis wir eine bewohnte Welt erreichen, ist längst die Fahndung nach uns angelaufen. Selbst die weltfremdesten Hin terwäldler müßten schon bei unserem ersten Auftauchen mißtrauisch werden. Unser Boot ist sofort als Flottenfahrzeug zu erkennen, und das ist ein ausgesprochenes Handikap.« Berkosch war ebenfalls hereingekommen und hatte sich zu den beiden gesellt. Er hatte Dermitrons letzte Worte gehört und nickte nun in seiner bedächtigen Art. »Salmoon hat mir schon gesagt, worum es hier geht. Nun, mir ist inzwischen etwas ein gefallen, das uns über die ersten Schwierig keiten hinweghelfen kann. Ich kenne zufäl lig noch die Koordinaten eines Kolonialpla neten, der vor einigen Jahren von den Maahks überfallen wurde. Die dortigen An siedlungen wurden zerstört, jetzt hält sich
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niemand mehr dort auf. Die Siedler besaßen aber große Viehherden, die bestimmt relativ gut davongekommen sind. Sie werden zwar inzwischen verwildert sein, aber trotzdem eine leichte Beute für uns.« Der frühere Mondträger lächelte ironisch. »Ein ganz brauchbarer Vorschlag, Ber kosch, schließlich sind wir ja ehemalige An gehörige eines Jagdgeschwaders. Bisher ha ben wir Jagd auf die Methanatmer gemacht – warum sollen wir nicht zur Abwechslung einmal Hubbakel jagen …?« Er ordnete für alle Männer eine zehnstün dige Ruhepause an. Das Boot blieb im an triebslosen freien Fall, die Ortungen wurden auf Automatbetrieb geschaltet. Der Bord computer würde augenblicklich Alarm ge ben, sobald ein verdächtiges Objekt im Er fassungsbereich erschien. Das geschah jedoch nicht. Die sechs Män ner konnten ungestört ausschlafen, nahmen dann eine Mahlzeit ein und bereiteten das Fahrzeug auf die Transition zu dem herren losen Planeten vor. Drei Stunden später lan deten sie auf dieser Welt, die etwa sieben hundert Lichtjahre entfernt in Richtung auf das Zentrum der Milchstraße lag. Die Angaben des ehemaligen Feuerleitof fiziers trafen zu. Große Herden von Hubba keln und Gurboschs weideten auf den Sa vannen in der Nähe der zerbombten und aus gebrannten Ortschaften. Sie wurden eine leichte Beute der Männer, und schon nach wenigen Stunden waren mehrere große Kühltruhen randvoll mit Fleisch gefüllt. Die Ausbeute an eßbaren Pflanzen und Früchten blieb dagegen gering. Der Planet war eine junge und warme Welt, seine üppig wuchernde Flora hatte die Kulturpflanzen bereits fast vollständig erstickt. Doch die nächsten Wochen konnten immerhin über brückt werden, und das genügte Mekron Dermitron vorerst. Am nächsten Tag startete das Boot zum Weiterflug.
* Eine lange Odyssee begann.
Zwei weitere Transitionen brachten das Fahrzeug bis zur Innenseite des Kugelstern haufens. In dieser Gegend tauchten Schiffe der Maahks verhältnismäßig selten auf, weil die Hauptstoßrichtung ihrer Angriffe aus der Richtung der Nachbargalaxis kam. Das ver minderte zugleich auch das Risiko, auf Ein heiten der Imperiumsflotte zu stoßen, deren Präsenz hier entsprechend geringer war. Allmählich wurde Mekron Dermitron kühner. Er riskierte Verstöße mitten in dichter be wohnten Gegenden. Zuerst nur, um Video sendungen auffangen zu können, die ihm ein Bild davon gaben, was im Großen Imperium vorging. Bald aber zwangen ihn die Umstän de einfach dazu. Die Ernährungslage wurde immer proble matischer. Von Fleisch allein kann auf die Dauer niemand leben, der Körper braucht auch pflanzliche Wirkstoffe und vor allem Vitamine. Deshalb traten bei den Deserteu ren bald schon Mangelerscheinungen auf, denen durch Mittel aus der Bordapotheke al lein nicht abgeholfen werden konnte. Fri sches Gemüse und Früchte mußten her. Zuerst behalf man sich mit Gewächsen von unbewohnten Welten. Das war jedoch sehr riskant, denn das Boot hatte keinen BioAnalysator an Bord, mit dem ihre Eignung zum Genuß durch Menschen festgestellt werden konnte. Erfahrungen allein halfen hier auch nicht weiter. Nach Ablauf der vierten Woche erkrank ten drei der Männer nach dem Genuß wohl schmeckender Wildfrüchte. Vergiftungser scheinungen traten auf, Kopfweh und hefti ge Übelkeit. Olvan, der einige Kenntnisse in Biomedizin besaß, konnte ihnen nach meh reren vergeblichen Versuchen durch ein Me dikament begegnen, das aber nur in kleinen Mengen vorhanden war. »Es hilft alles nichts«, sagte Mekron Der mitron schließlich. »Wir müssen uns ein wandfreie Kost von bewohnten Planeten be sorgen, wenn wir bestehen wollen. Durch forschen Sie die Sternkarten nach einer schwach besiedelten Welt hier in der Nähe,
Der Mondträger Hong. Wenn wir es geschickt anstellen und bei Nacht landen, wird das Fehlen kleinerer Mengen kaum auffallen.« Der Navigator ermittelt einen Planeten, der von dem Hilfsvolk der Rombeys be wohnt war. Dort gab es ausgedehnte Planta gen, in denen vor allem Geframfrüchte wuchsen. Sie wurden vorzugsweise nach Ar kon I importiert, wo sie als eine ausgespro chene Delikatesse galten. Ihr hoher Gehalt an den wichtigen Vitaminen war bekannt. Die Felder waren unbewacht und wurden ausschließlich durch Robotmaschinen be stellt und abgeerntet. Niemand bemerkte die Landung des Bootes. Die sechs Männer konnten in einen Lagersilo eindringen und fanden darin nicht nur Früchte, sondern auch die Knollen einer anderen Pflanze. Diese mußten gekocht werden, waren dann weich und mehlig und eine gute Beikost zu Fleischgerichten. Die Kühltruhen wurden gefüllt, das Boot verschwand still und heimlich wieder. Als es sich im Raum befand, lachte Berkosch bitter auf. »Wir haben es wirklich weit gebracht!« sagte er seufzend. »Da haben wir der Flotte den Rücken gekehrt, um Atlan zu suchen und ihn bei seinem Kampf gegen Orbana schol zu unterstützen. Und was ist daraus geworden? Jetzt sind wir nicht nur Deserteu re, sondern betätigen uns sogar schon als re gelrechte Piraten. Anders kann man unser Vorgehen wohl kaum bezeichnen, oder?« Er sah die anderen an, begegnete aber nur verschlossenen Mienen. Endlich gab sich Dermitron einen Ruck. »Ganz so tief sind wir nun doch nicht ge sunken«, entgegnete er. »Piraten begehen bewaffnete Überfälle, morden, rauben und plündern. Das ist jedoch etwas, das ich unter allen Umständen vermeiden will. Wenn wir so wie bisher vorgehen und keine Leben ge fährden, brauchen wir uns wirklich keine Vorwürfe zu machen.« Salmoon wiegte den Kopf. »Bis jetzt haben wir das vermeiden kön nen, das stimmt. Ob sich das aber für länge
39 re Zeit so durchhalten läßt, erscheint mir zu mindest fraglich. Heute haben wir Nahrung ›organisiert‹, um es im Flottenjargon auszu drücken. Der Schaden ist minimal und wird voraussichtlich kaum bemerkt werden. Doch was wird es demnächst sein? Ich kann euch eine ganze Reihe verschiedener Gebrauchs artikel aufzählen, die uns schon in wenigen Wochen ausgehen werden! Bisher haben wir uns um all diese Kleinigkeiten nicht zu küm mern brauchen. Bei jeder Landung in einer Basis wurden die Vorräte automatisch auf gefüllt, ohne daß sich jemand Gedanken dar über machte. Jetzt ist das nicht mehr der Fall. Was uns fehlt, werden wir aber nicht ir gendwo auf den Feldern finden! Wir werden es stehlen müssen, anderen Leuten wegneh men, die sich naturgemäß nicht gern davon trennen wollen. Wir werden auf Widerstand stoßen, dem wir durch die Drohung mit un seren Waffen begegnen müssen. Viele Leute werden sich dadurch einschüchtern lassen, aber bestimmt nicht alle. Irgendwann wird es soweit kommen, daß man uns stellt, daß wir um unser Leben kämpfen müssen. Dann wird der Einsatz von Lähmstrahlern nicht mehr ausreichen – die Impulswaffen werden sprechen! Damit wäre dann endgültig jener Punkt erreicht, den Berkosch eben angespro chen hat.« Seine Worte machten starken Eindruck auf alle. Sie nannten ein Problem offen beim Namen, das bisher nur eine unbewußte psy chische Belastung gewesen war. Alle sechs Männer waren durch die harte Schule des großen Methankriegs gegangen. Der Feind tauchte heute hier auf und morgen dort, griff verbissen an und kannte keine Rücksicht. Jeder Arkonide haßte die Maahks, keiner kannte moralische Beden ken, wenn es um die Bekämpfung dieser un erbittlichen Gegner ging. Es war eine bittere Notwendigkeit. Nun hatten sie beschlossen, sich gegen den Imperator zu stellen. Orbanaschol III. war ein schlechter Herrscher, er und seine Kreaturen hatten schon genügend Schaden angerichtet. Gegen dieses Geschwür, das un
40 gehemmt auf Kosten der Arkoniden wucher te, mußte etwas getan werden. Gegen ihn und seine bösartigen Schergen vom Schlage eines Boraschkin anzugehen, erschien Der mitron und seinen Männern keineswegs ver werflich. Durften sie aber das Leben Unschuldiger aufs Spiel setzen, um ihr eigenes zu erhal ten? Wenn sie Männer oder gar Frauen und Kinder töteten, um sich in den Besitz ihres Eigentums zu setzen, stellten sie sich dann nicht auf eine Stufe mit jenen, deren Tun sie so verwerflich fanden? Die Deserteure schwiegen, von zwiespäl tigen Gefühlen hin und her gerissen. Dann riß sie plötzlich die Stimme Olvans aus ih rem Grübeln. »Ortung!« rief der Navigator aus. »Drei größere Schiffe sind eben oberhalb des Sy stems aus dem Hyperraum gekommen. Bild liche Darstellung ist noch nicht möglich, Auswertung der Daten läuft.« Schlagartig verwandelte sich Mekron Dermitron wieder in den schnell reagierenden Kampfkommandanten. Während die an deren auf ihre Posten hasteten, um das Boot verteidigungsbereit zu machen, sah er auf die Bildschirme, um seine Chancen festzu stellen. Schon Sekunden später kam seine Anweisung an den Piloten. »Kurs ändern, Dermato. Wir fliegen den inneren Mond von Rombey an, um in seinen Ortungsschatten zu kommen. Lassen Sie die Triebwerke nur kurz arbeiten, damit uns ihre energetischen Emissionen nicht verraten. Wenn wir im freien Fall dahintreiben, wird man uns vermutlich nicht entdecken. Falls doch, führen wir eine Nottransition durch.« »Sind es Imperiumsschiffe oder Maahks?« fragte Berkosch an, der sich in der Geschützkuppel befand. Mekron zuckte mit den Schultern. »Das läßt sich bisher noch nicht feststel len. Im Grunde ist es aber auch gleich, denn jetzt sind beide unsere Gegner. Mit dem kleinen Boot haben wir so oder so nicht die geringste Chance gegen sie.« Der Pilot hatte den Diskus abkippen las-
Harvey Patton sen und den Kurs durch kurze Schübe aus den ringförmig um den Bootskörper abge ordneten Steuerdüsen korrigiert. Nun fiel das Fahrzeug antriebslos auf den nur fünf zigtausend Kilometer entfernten kleinen Mond zu. Dann spie der Bordcomputer eine Folie mit den Auswertungsergebnissen aus. Dermitron griff hastig danach und las die eingestanzten Symbole ab. »Drei Kugelraumer, Durchmesser jeweils fünfhundert Meter, Entfernung noch etwa vier Millionen Kilometer. Die charakteristi sche Triebwerksstrahlungen lassen vermu ten, daß es sich um Schiffe der Carracon-Klas se handelt. Bewaffnete Transporter also, die den Planeten vermutlich aufsuchen, um eine Ladung von Früchten abzuholen.« »Stimmt«, warf Ventron ein und wies auf die Bildschirme. Darauf wurden nun drei grünlich schimmernde Punkte sichtbar, die allmählich größer wurden. Die Männer starr ten darauf, erneut von zwiespältigen Gefüh len erfaßt. Da kamen Arkoniden, Angehöri ge des eigenen Volkes – und doch mußten sie sich vor ihnen verstecken! Mekron Dermitron wußte genau, was nun in den anderen vor sich ging. »Daran werden wir uns gewöhnen müssen«, stellte er so sachlich wie möglich fest. »Wir haben uns für den Weg zu Atlan und den Kampf gegen Orbanaschol entschieden – jetzt gibt es kei ne Umkehr mehr!« Als die drei Raumer in die Nähe des Pla neten kamen, war das Beiboot längst hinter dem Mond verschwunden, ohne entdeckt zu werden. Zwischen den Transportern und dem Raumhafen von Rombey wurden kurze Funksprüche gewechselt. Dermitron hörte sie mit und nickte dann zufrieden. »Sie landen auf der Tagseite, also auf der uns abgewandten Hälfte des Planeten. Das ist günstig für uns; wir können verschwin den, sobald sie niedergegangen sind. Man wird zwar später den durch uns ausgelösten Transitionsstoß anmessen, aber das spielt dann keine Rolle mehr.« Eine halbe Stunde später sprang das Boot aus dem System und tauchte weit entfernt
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zwischen den Sternen unter. Die Odyssee der sechs Abtrünnigen ging weiter.
* Zehn Tage danach kam es zum ersten Zwischenfall. Mekron Dermitron hatte alles versucht, um irgendwie eine Spur des Kristallprinzen zu finden, dem er sich anschließen wollte. Die Funkgeräte wurden pausenlos über wacht, jeder aufgefangene Spruch wurde entschlüsselt und ausgewertet. In der Po sitronik waren die Funkcodes für längere Zeit gespeichert, so daß auch geraffte und verzerrte Gespräche entschlüsselt werden konnten. Doch alles war umsonst gewesen. Man er fuhr vieles über den Fortgang der Kämpfe gegen die Methans und alle möglichen son stigen Dinge. Die Namen Atlan oder Gono zal wurden jedoch nie auch nur erwähnt. Es schien, als seien die Männer seit der Raum schlacht von Marlackskor ebenso spurlos untergetaucht wie die sechs Überlebenden der HADESCHA. Dann gingen einige Dinge aus – Reini gungsmittel, Artikel zur Körperpflege, Öl für einige mechanischen Anlagen und sogar das Salz in der Bordküche. Salmoon, der den Kommandanten davon unterrichtete, zog eine Grimasse. »Ich habe noch nie ein so mangelhaft aus gerüstetes Beiboot gesehen, Mekron«, knurrte er. »Termagins Leute tragen be stimmt nicht die Schuld daran, davon bin ich überzeugt. Vermutlich hat irgendein Beam ter in der Basis des Schiffes hier kräftig in die eigene Tasche gewirtschaftet. Die Boote werden nur selten gebraucht, und das hat er ausgenutzt. Jetzt sind wir die Leidtragenden. Es hilft nichts, wir müssen diese Sachen ir gendwie beschaffen.« Hong Olvan zog wieder einmal den Stern kartentank zu Rate. Er ermittelte einen Pla neten im Varrakesch-Sektor, der bis vor we nigen Jahren bewohnt gewesen war. Die Siedler hatten sich dort nur wenige Jahre
halten können, dann mußten sie überstürzt evakuiert werden. Die Sonne des Systems sandte periodisch harte Strahlungsschauer aus, die die Gefahr von Mutationen mit sich brachten. »Dort müßte noch eine ganze Menge von brauchbaren Dingen zu finden sein«, erklär te der Navigator. »Damals waren die Maahks in dieser Gegend ziemlich aktiv, deshalb wurde alles zurückgelassen, was von geringerem Wert war. Vielleicht können wir diese Welt sogar zu unserer Operations basis machen, die Ausbrüche auf der Sonne erfolgen in großen Abständen.« Dermitron gab sein Einverständnis, und das Boot brach zu diesem System auf. Der Varrakesch-Sektor war eine relativ sternenarme Zone im Ostteil des ArkonSternhaufens. Demzufolge waren dort auch bewohnte Welten und Flottenstützpunkte dünn gesät. Trotzdem gingen die Deserteure so vorsichtig vor, wie sie es nun schon ge wohnt waren. Das Fahrzeug kam in gebüh render Entfernung aus dem Hyperraum, sorgfältige Ortungen wurden vorgenommen. Erst als feststand, daß es nirgends Raum schiffe oder energetische Aktivität gab, steu erte Dermato den Planeten an. Er hieß Vronaar und war die dritte von sieben Welten. Die vorhandenen Daten wie sen ihn als warm und relativ trocken aus. Das früher bewohnte Gebiet lag auf einem großen Kontinent, der den größten Teil der nördlichen Halbkugel einnahm. Auf Anweisung des Kommandanten brachte der Pilot das Boot in einen statio nären Orbit über dieser Gegend. Deutlich war auf den Bildschirmen der Raumhafen zu sehen, der sich in der Nähe der früheren Hauptstadt befand. Die Teleoptiken zeigten, daß diese noch vollkommen erhalten war. Wären nicht die lebensfeindlichen Emissio nen der Sonne gewesen, hätte man sie sofort wieder beziehen können. »Trotzdem werden wir nicht auf dem Ha fen landen«, bestimmte Mekron Dermitron. »Falls wirklich jemand hierherkäme, säßen wir dann auf dem Präsentierteller. Gehen Sie
42 bei der kleinen Stadt weiter östlich nieder, Dermato. Dort befinden wir uns im Ortungs schatten der nahen Berge und können not falls rasch zwischen ihnen verschwinden.« Der Pilot nickte und leitete dann die Lan dung ein. Als die sechs Männer den Boden betraten, war in dieser Gegend früher Vor mittag. Die Sonne schien warm, aber ein leichter Wind vom Gebirge her brachte Küh lung. Die nahegelegenen Häuser am Stadt rand waren noch vollkommen erhalten, in den Straßen standen geparkte Fahrzeuge. Erst bei näherem Hinsehen bemerkte man die feine Sandschicht, die im Lauf der Zeit durch die Winde abgelagert worden war. Hong Olvan lachte nervös auf. »Ich habe direkt das Gefühl, als könnte jeden Moment jemand aus diesen Gebäuden kommen und uns fragen, was wir hier wollen. Geht es euch nicht ebenso?« Die anderen empfanden ähnlich, aber Dermitron gab ihnen keine Zeit, dieses Ge fühl zu pflegen. »Hier können wir höchstens Gespenster begegnen, aber die gibt es be kanntlich nicht. Wir legen jetzt das Tarnnetz über das Boot, dann brechen wir zu einem Erkundungsgang auf. Die Strahler sind be reitzuhalten, offenbar gibt es hier größere Tiere, die uns in die Quere kommen können. Die Spuren im Sand weisen darauf hin.« Eine Viertelstunde später bewegten sich die Männer über die nächste Straße in die Stadt hinein. Es war wirklich unheimlich still, nur die Rufe vereinzelter Vögel waren zuweilen zu hören. Dumpf warfen die Mau ern der Häuser das Echo der Schritte zurück. Alle Gebäude waren im üblichen nüchternen Kolonialstil aus Fertigbauteilen aufgeführt. Die typischen arkonidischen Trichterbauten gab es hier nicht. Salmoon wies auf die Auslagen eines Textilienladens, an dem sie vorbeikamen. »Hier hat man wirklich allerhand Werte zu rückgelassen, Mekron. Wenn es überall so ist, können wir tatsächlich hoffen, hier alles zu finden, was wir brauchen.« Dermitron nickte nur. Er sah sich prüfend um und gab dann Berkosch einen Wink, ihn
Harvey Patton zu begleiten. Die beiden Männer gingen auf ein größeres Haus zu, das hinter einem ver wilderten Vorgarten lag. Die Vegetation hat te hier eine bläuliche Färbung, eine Schicht halb verrotteter Blätter bedeckte den Durch gang. Die Häuser ließen sich fast mühelos öff nen. Dumpfe und abgestandene Luft schlug ihnen entgegen, als sie den Vorraum betra ten. Sie durchstreiften alle Räume und stell ten fest, daß das Mobiliar noch überall vor handen war. Auch die Mehrzahl der übli chen Gebrauchsgegenstände befand sich noch an ihrem Platz. Die Bewohner von Vronaar hatten offenbar wirklich nur ihr ganz persönliches Besitztum mitgenommen. Sie begnügten sich mit dieser einen Stich probe. Der Trupp ging weiter, bis er an ein Lagerhaus kam, in dem größere Vorräte zu vermuten waren. Das Tor war verschlossen, aber ein kurzer Feuerstoß aus einem Strahler genügte, um den Schließmechanismus zu zerstören. Dermitron wies Berkosch und Ol van an, draußen Wache zu halten und drang dann mit den übrigen Männern in das Ge bäude ein. Die Beleuchtung funktionierte natürlich nicht mehr. Damit war zu rechnen gewesen, also hatten sie Handscheinwerfer mitge bracht. Eine Viertelstunde später wußten sie, daß sie am Ziel ihrer Wünsche waren. In dem Lagerhaus gab es alles im Überfluß, was sie brauchten, außerdem auch noch große Mengen von sterilisierten Lebensmit teln, die sie für lange Zeit aller Versorgungs probleme entheben konnten. Ventron schüttelte verwundert den Kopf. »Verschwendung!« meinte er so wortkarg wie üblich. »Eine Schande, daß hier soviel verkommt. Kein Wunder, daß die halbe Flotte nur von Konzentraten leben muß.« Dermitron zuckte mit den Schultern. »Solche Dinge bringt der Krieg eben zwangsläufig mit sich. Transportraum ist knapp, und hier mußten innerhalb kurzer Zeit schätzungsweise dreihunderttausend Leute evakuiert werden. Vielleicht wollte man alles andere später nachholen, aber die
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Maahks vereitelten das durch ihre Anwesen heit. Später gab es wichtigere Dinge, und so geriet Vronaar in Vergessenheit.« Der Rest des Tages war mit Arbeit ausge füllt. Der an Bord des Bootes vorhandene Gleiter wurde aufgeschleust und für den Transport benutzt. Nach vier Flügen waren alle Vorratsräume reichlich gefüllt. Man hat te sogar Dinge herangebracht, die für die an das karge Leben in Raumschiffen gewöhn ten Männer der Inbegriff des Luxus waren. »Genug damit«, bestimmte Dermitron schließlich. »Wir sind keine Händler, mit diesen Vorräten kommen wir monatelang aus. Falls nötig, können wir später zurück kehren; ich hoffe aber, daß wir das nicht mehr zu tun brauchen, weil wir bis dahin auf Atlan gestoßen sind.« Salmoon schlug vor, in einem der Häuser zu übernachten, aber der Kommandant lehn te ab. »Das ist mir zu unsicher«, gab er zu rück. »Wir sind Freiwild für alle, für Arko niden ebenso wie für die Maahks, das dürfen wir nie vergessen! Falls hier ein Schiff auf tauchen sollte, müssen wir schnellstens ver schwinden können. Natürlich verstehe ich, daß Sie sich aus der Enge des Bootes her aussehnen. Wer Lust dazu hat, kann also diese Nacht im Freien verbringen, die Näch te hier sind warm.« Auf diesen Vorschlag gingen die Männer gern ein. Sie holten Decken aus dem Boot und richteten sich zwischen nahen Büschen ein Lager ein. Ein Ultraschallprojektor, der die Umgebung bestrich, sollte die Annähe rung von Tieren verhindern. Nur Mekron Dermitron schloß sich davon aus. Er begab sich in das Fahrzeug zurück und machte es sich in der Steuerkuppel be quem. Die passiven Ortungen liefen, von Speicherbänken versorgt. Mekron aktivierte zusätzlich noch die Infrarotsensoren zur Überwachung der unmittelbaren Umgebung. So friedlich der Planet auch schien, er wollte für alle Fälle gerüstet sein.
9.
Der Überfall erfolgte kurz vor Sonnenauf gang. Dermitron hatte es sich bequem gemacht. Mit einigen Handgriffen hatte er einen Kon tursitz in eine Liege verwandelt, auf der er ruhte. Da in diesem Sektor die Sterne nicht sehr dicht standen, war es in der Panzerglas kugel fast dunkel. Nur die Anzeigen der ak tivierten Instrumente verbreiteten einen mat ten Schimmer. Der Kommandant schlief ruhig, aber nicht sehr tief. Es war ein Schlaf eines Mannes, der bereit sein mußte, schon beim kleinsten Alarmzeichen wieder voll da zu sein. Seine lange Dienstzeit in der Raumflotte hatte es zuwege gebracht, daß ihm diese Eigenschaf ten sozusagen in Fleisch und Blut überge gangen waren. So war er stets sofort auf dem Posten gewesen, wenn es bei plötzli chen Angriffen der Maahks auf Sekunden angekommen war. Ein leises »Ping« drang in sein Unterbe wußtsein und löste sofort den Weckreflex aus. Dermitron richtete sich ruckartig auf und öffnete die Augen. Vor ihm auf dem In strumentenpult blinkte eine rote Lampe rhythmisch auf, das Signal erklang erneut. Was war geschehen? Die Infrarotdetektoren hatten angespro chen. Das war aber noch kein Grund zur Be unruhigung. Irgendein größeres Tier konnte in den Erfassungsbereich gelangt sein und den Alarm ausgelöst haben. Trotzdem schal tete Mekron einige Bildschirme ein, die auf Infrarotbasis arbeiteten. Sie ermöglichten ihm eine Beobachtung der Umgebung nach allen Richtungen hin. Ringsum war alles dunkel, der Boden hat te die Wärme des Tages weitgehend wieder an die kühler gewordene Luft abgegeben. Nur die Gestalten der draußen schlafenden Männer zeichneten sich deutlich gegen den Untergrund ab, auf den anderen Bildschir men war nichts Verdächtiges zu sehen. Trotzdem glaubte Dermitron nicht an einen falschen Alarm. Die Geräte waren tausend fach erprobt und unbestechlich. Gleich darauf fuhr er zusammen. Sein
44 Verdacht bestätigte sich, denn für Sekunden bruchteile waren auf einem Schirm mehrere huschende Leuchtreflexe zu sehen. Im näch sten Augenblick waren sie wieder ver schwunden, hinter irgendeiner Deckung un tergebracht. Das Gelände in der Richtung zu den Bergen hin war mit zahlreichen Fels brocken durchsetzt, die gute Verstecke abga ben. Der Kommandant war hellwach, er han delte konzentriert und präzise. Seine Finger glitten über die Kontrollen und steuerten die Sensoren auf höchste Leistung ein. Jetzt – da war es wieder! Mehrere schemenhafte Ge stalten lösten sich von den Felsen, die sie verborgen hatten und hasteten weiter auf das Boot zu. Das waren keine Tiere – es waren Män ner! Deutlich erkannte Dermitron die Umris se von mindestens sechs Körpern in etwa fünfzig Meter Entfernung. Sekunden später folgten ihnen vier weitere. Sie verteilten sich nach den Seiten hin und huschten wieder in neue Deckung. Ihre Absichten waren Me kron vollkommen klar: Sie wollten das Boot umgehen, sich dann auf die Schläfer stürzen und sie überwältigen. Er fragte sich nicht, wer sie waren und woher sie kommen mochten. Sie waren da und hatten eindeutig böse Absichten, alles andere war im Augenblick unwichtig. Daß sie bewaffnet waren, hatte er sofort erkannt. Die aktivierten Bündelfelder um die Ab strahlpole ihrer Blaster waren nicht zu über sehen. Mekron Dermitron kniff die Lippen zu ei nem schmalen Strich zusammen. So haben wir nicht gewettet, Freunde! dachte er grim mig. Nun mußte er rasch handeln, ehe die Geg ner so nahe herangekommen waren, daß sie sich im toten Winkel befanden. Das Boot war vorsorglich verteidigungsbereit gehalten worden, die Blenden vor den Waffen waren geöffnet. Dermitron griff nach den Bedie nungselementen der beiden Narkosegeschüt ze, die sich oberhalb des Triebwerksrings befanden. Behutsam steuerte er diese Waf-
Harvey Patton fen ein und stellte sie auf Fächerstrahl. Erst dann aktivierte er den bereits vorgewärmten Konverter und drückte auf die Feuerknöpfe. Das Grollen der Transformer klang aus dem Maschinendeck auf, es mußte weiterhin zu hören sein. Doch diese Warnung kam für die Angreifer zu spät. Schon spien die bei den Geschütze ihre lähmenden Strahlen aus und erfaßten sie voll. Der Kommandant sah, wie mehrere Män ner, die gerade dabei waren, sich weiter her anzuarbeiten, plötzlich mitten in der Bewe gung verhielten, als wären sie gegen eine Mauer geprallt. Im nächsten Moment fielen sie haltlos zu Boden, ebenso weitere, die sich noch in Deckung befunden hatten. Auf diese kurze Distanz boten ihnen selbst Fels brocken keinen Schutz mehr. Dermitron zählte acht Körper, die nun re gungslos dalagen. Er nahm die Finger von den Feuerknöpfen, beobachtete aber auf merksam weiter. Es mußten mindestens zehn Angreifer gewesen sein – wo waren die übrigen? Er konnte es nicht mehr entdecken. Rasch steuerte er die beiden Seitenbildschirme ein und konzentrierte sich darauf. Vergebens – offenbar war es einigen Gegnern doch ge lungen, in den toten Winkel zu gelangen, ehe er den Beschuß eröffnet hatte! Waren seine Männer rechtzeitig erwacht und hatte sie begriffen, was vor sich ging? Wenn nicht, befanden sie sich in akuter Gefahr. Gleich darauf zuckte er zusammen. Die gleißenden Feuerbahnen mehrerer Strahler zuckten auf, und ihr Leuchten machte die empfindlichen Sensoren sekundenlang blind. Er konnte nur noch über die Außenmikro phone verfolgen, was sich nun außerhalb des Bootes abspielte. Mehrere Männer schrien durcheinander, und erneut zuckten feurige Entladungen auf. Rasch ließ Dermitron die Narkosestrahler herumschwenken und machte sich wieder feuerbereit. Er mußte die restlichen Angrei fer außer Gefecht setzen, auch auf die Ge fahr hin, daß er gleichzeitig seine eigenen Männer paralysierte.
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Doch im nächsten Moment entspannte er sich wieder, denn die grollende Stimme sei nes früheren Feuerleitoffiziers drang über die Aufnahmegeräte zu ihm herein. »Wir ha ben sie erwischt, Mekron!« rief Berkosch ihm zu. »Es sind vier Mann, das war wirk lich knapp! Hätte uns nicht der Krach der Transformer aufgeweckt, hätten sie uns mü helos erledigen können.« Mekron Dermitron atmete auf, schaltete alle Anlagen aus und verließ das Boot.
* Als die Sonne aufging, bestrahlte sie ein ungewöhnliches Bild. Die sechs Deserteure umstanden zwölf regungslose Gestalten, die sie in der Zwischenzeit zusammenge schleppt hatten. Ihre Gesichter waren ernst, und das nicht nur wegen der beiden toten Gegner. Acht der Angreifer trugen die Uniformen der Arkonflotte, vier weitere aber hellgrüne Kombinationen! Es konnte also keinen Zweifel daran geben, daß es sich um Ange hörige der POGIM handelte. Doch woher mochten sie gekommen sein, und wie hatten sie das Beiboot gefunden? Ein bloßer Zufall schied aus, dafür hatten sie sich zu zielstre big genähert. Salmoon stellte diese Frage, aber Der mitron winkte ab. »Darüber wollen wir uns vorläufig nicht die Köpfe zerbrechen. Sie werden es uns selbst sagen, wenn sie wieder zu sich kom men. Falls nicht, werden wir eben etwas nachhelfen. Durchsuchen wir erst einmal ih re Ausrüstung, zweifellos haben sie einige interessante Dinge bei sich.« Tatsächlich fanden sich bei zwei der Sol daten Mikro-Kernbomben, die zweifellos für die Vernichtung des Bootes vorgesehen ge wesen waren. Der Kommandant nahm sich persönlich der drei noch lebenden Geheim dienstmänner an. Als er sich wieder aufrich tete, lag ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht. Wenig später regten sich die ersten Ge
fangenen; nach zehn Minuten waren alle wieder wach. Man ließ ihnen Zeit, um die Schmerzen zu überwinden, die eine Nach wirkung der Lähmung waren. Die Läufe von vier Paralysatoren blieben auf sie gerichtet, ihnen wurde lediglich gestattet, sich aufzu setzen. Die Gesichter der Soldaten zeigten Resignation, die der drei POGIM-Leute da gegen Wut und unverhüllten Haß. Schließlich brach einer der drei das eisige Schweigen. »Das werdet ihr noch bitter bereuen, ihr elenden Deserteure!« stieß er zornbebend hervor. »Ihr habt euch gegen Arkon und den Imperator gestellt und den Tod verdient. Eu er Platz wäre an der Front gegen die Maahks, wo unsere Schiffe im harten Kampf stehen. Feiglinge wie ihr jedoch …« Er unterbrach sich irritiert, als Berkosch in schallendes Gelächter ausbrach. »Er nennt uns Feiglinge!« prustete er. »Keiner von uns hat weniger als zehn Dienstjahre in der Flot te hinter sich, bei mir sind es sogar fünfund zwanzig. Ich wettete, daß dieser Mann bis her Maahkschiffe nur von Bildschirmen her kennt. Was sagen Sie dazu, Mondträger?« Er hatte absichtlich Dermitrons früheren Titel betont. Nun sah er befriedigt die Ver blüffung auf dem Gesicht des Wortführers. Dieser fing sich aber bald wieder, und in sei nen Augen blitzte es triumphierend auf. »Ah, jetzt weiß ich Bescheid – Mondträ ger Dermitron, nicht wahr? Ich habe Ihr Bild erst vor kurzem auf der Fahndungsliste gese hen. Wer die anderen Herren sind, brauche ich dann wohl nicht erst zu fragen. Da ist uns ja wirklich ein kapitaler Fang geglückt.« Mekron Dermitron lächelte ironisch. »Ist Ihre Perspektive nicht etwas schief?« fragte er mit aufreizender Gelassenheit. »Sie sind schließlich die Gefangenen, nicht wir. Sie hatten wohl nicht geglaubt, daß sich noch je mand im Boot befand, als Sie ihren heim tückischen Überfall starteten,. Pech, mein Lieber, auch andere Leute können denken …« »Vermutlich aber doch nicht weit genug«, gab der Mann vom Geheimdienst zurück.
46 »Sie haben uns zwar gefangen und zwei von uns getötet, aber Sie sitzen trotzdem in der Falle! Mit Leuten Ihres Schlages haben wir schließlich einige Erfahrung. Denken Sie vielleicht, Sie wären die ersten Deserteure, die Vronaar angelockt hat? In den letzten zwei Jahren haben wir nicht weniger als dreihundertfünfzig von Ihrer Sorte hier auf dieser Welt gestellt und ihrer gerechten Stra fe zugeführt.« Seine Stimme erhob sich triumphierend. »Sie hatten noch Glück, daß Sie nicht in der Hauptstadt gelandet sind, sonst hätten wir sofort zugeschlagen. Dort befindet sich näm lich unser Stützpunkt, in einem Tiefbunker, der mit keiner Ortung zu entdecken ist. Und dort weiß man jetzt auch schon alles, was sich hier abgespielt hat! In wenigen Minuten dürfte bereits ein Dutzend Flugpanzer hier eintreffen. Selbst wenn Sie jetzt augenblick lich starten wollten, hätten Sie keine Chance mehr. Das hier hat Ihnen das Genick gebro chen!« Er entblößte sein Handgelenk und hielt Dermitron den Armbandtelekom entgegen. Dermitrons Männer erblaßten und wurden sichtlich unruhig, aber der Kommandant be wahrte seine Gelassenheit. Betont langsam griff er in die Tasche und hielt dann dem Mann der POGIM eine Handvoll kleiner Energiezellen entgegen. »Sie haben schon wieder Pech«, stellte er lächelnd fest. »Ich habe mir erlaubt, vor sorglich die Energiezellen aus den Arm bandgeräten aller Leute Ihres Fängerkom mandos zu entfernen! Habe ich weit genug gedacht …?« »Auch das wird Sie nicht mehr retten«, warf nun einer der anderen Geheimdienst leute ein. »Wir haben uns jetzt seit zwei Stunden nicht mehr beim Stützpunkt gemel det, also wird man bald kommen, um hier nachzusehen. Geben Sie auf, nur so können Sie vielleicht noch Ihren Kopf retten!« »Vielen Dank für den freundlichen Hin weis«, gab Dermitron ungerührt zurück. »Wir wissen jetzt alles, was wir erfahren wollten, also haben wir keinen Grund mehr,
Harvey Patton uns noch länger hier aufzuhalten.« Er winkte seinen Männern. »Begeben Sie sich schon ins Boot und bereiten Sie den Start vor. Ich habe hier noch etwas zu erledi gen …« Seine Gefangenen sahen ihn aus weit auf gerissenen Augen an, als er nun seinen Kombistrahler entsicherte. »Aber … aber das können Sie doch nicht tun, Erhabener!« Mekron zog die Brauen hoch. »Wofür halten Sie mich, Arbtan? Ich bin zwar ein Deserteur, aber noch lange kein Verbrecher. Solche Methoden sind das Privileg von Schergen des unwürdigen Imperators, deren Musterexemplare jetzt ganz erbärmlich zit tern. Natürlich muß ich mich sichern, denn zweifellos stehen Ihre Fahrzeuge mit betrie bsklaren Funkgeräten ganz in der Nähe – schlafen Sie wohl!« Sein Strahler summte, der gefächerte Pa ralysestrahl strich über die Männer hinweg. Sie sanken ein zweites Mal bewußtlos zu sammen. Dermitron drehte sich um und ging langsam zum Boot, der eine Minute später mit flammenden Triebwerken in den Mor genhimmel stieg.
* Eigentlich hätten sie zufrieden sein kön nen. Sie hatten für längere Zeit alles, was sie zum Leben brauchten, und sie waren der Falle entronnen. Trotzdem blieb die Stim mung an Bord des Fahrzeugs gedrückt. Soll te es immer so weitergehen, sollten sie für immer Ausgestoßene bleiben? »Wir sollten am besten versuchen, irgendwo unterzutauchen«, meinte Hong Olvan schließlich, als dieses Thema zur Sprache gekommen war. »Bestimmt würden wir einen Planeten wie Olkeep finden, wo die Kontrollen nicht sehr streng sind. Es käme nur darauf an, daß wir die richtigen Voraus setzungen dafür schaffen.« Er sah dabei den Kommandanten an, doch dieser schwieg. Dafür fragte der Pilot: »Wie stellen Sie sich das vor?« Der Navigator machte die Gebärde des
Der Mondträger Geldzählens. »Man kann vieles erreichen, wenn man nur über die nötigen Mittel ver fügt. Die können wir uns beschaffen, ohne sie direkt stehlen zu müssen. Es gibt schließ lich viele herrenlose im Raum treibende Wracks, Überbleibsel der Raumschlachten, um die sich niemand mehr kümmert. Darin befinden sich elektronische und sonstige Anlagen, die noch gut erhalten sind und einen beträchtlichen Wert darstellen. Diese sind besonders auf ärmeren Planeten sehr gefragt, die infolge des Krieges nur mangel haft versorgt werden können. Wenn wir die richtigen Leute finden, die sie uns abnehmen und uns dafür …« Ventron unterbrach ihn und deutete auf einen Videoschirm, der sich gerade erhellte. Das Boot war in den Sendebereich eines Re laissatelliten gekommen, der Sendungen von Arkon 1 übertrug. »Da, eben wird es interes sant! Heute ist Orbanaschol 17 Jahre Impe rator, deshalb gibt es wieder die Wahlen. Die ersten Ergebnisse kommen gerade durch.« Salmoon verzog das Gesicht. »Glauben Sie an dieses Theater, Ventron? Ich jeden falls nicht. Orbanaschol hat sich während seiner Regierungszeit so viele Feinde ge macht, daß sie kaum noch zu zählen sind. Und trotzdem erhält er bei jeder dieser soge nannten Wahlen immer wieder soviel Stim men, daß das Votum bei mehr als 95 Prozent liegt. Das kann doch einfach nicht mit rech ten Dingen zugehen!« Dermitron nickte düster. »Darin stimme ich Ihnen voll zu. Ich bin auch der Meinung, daß dabei ein Volksbetrug größten Ausma ßes betrieben wird. Vermutlich wird das Ro botgehirn auf Arkon III so manipuliert, daß gar kein anderes Ergebnis herauskommen kann. Zusehen können wir aber trotzdem – man soll die Hoffnung ja bekanntlich nie aufgeben.« Schweigend sahen sie auf den Schirm, aber das Wunder blieb auch diesmal aus. Mit jeder neuen Zahlenanlage kletterte der Anteil der JaStimmen weiter. Als 96 Prozent überschritten waren, lachte Mekron bitter
47 auf. »Schalten Sie ab, Ventron, ehe mir schlecht wird. Heute ist das Ergebnis sogar noch höher als sonst, eine wirklich unerhörte Unverfrorenheit. Nein, einen Moment noch – was ist denn das …?« Die große Zahl von 97,38 Prozent war als Endergebnis aufgeflammt. Gleich darauf wechselte jedoch das Bild, und nun erschien ein schriftlicher Nachsatz: »97,38 Prozent für Orbanaschol – Mör der des rechtmäßigen Imperators Gonozal VII. (Das Ergebnis wurde auf Befehl Orba naschols manipuliert.)« Das war ein so ungeheuerliches Ereignis, daß es den sechs Männern die Sprache ver schlug. Diese Schrift mußte jetzt im gesam ten Imperium zu sehen sein, überall dort, wo stimmberechtigte Arkoniden lebten! Diese Aussage des Robotgehirns war eine Sensati on, für die Anhänger des Imperators ebenso wie für seine Feinde. Dann verschwanden die Zeichen, der Bildschirm wurde grau. Nun wich die Er starrung von den Männern. Sie redeten auf geregt durcheinander, bis sich der Komman dant endlich Gehör verschaffen konnte. Seine Augen leuchteten, als er sagte: »Das wird dem Dicken auf dem Thron von Arkon das Genick brechen, davon bin ich überzeugt. Endlich haben sich einmal muti ge Männer gefunden, die ihre Köpfe riskier ten, um ihn bloßzustellen.« »Meinen Sie, daß man ihn daraufhin ab setzen wird?« fragte Berkosch hoffnungs voll. Dermitron schüttelte jedoch den Kopf. »So schnell geht das leider nicht. Orbana schol hatte jetzt siebzehn Jahre Zeit, seine Macht zu etablieren, ein Mann wie er läßt sich nicht von heute auf morgen stürzen. Bald wird es ein Dementi geben, und inzwi schen werden seine Geheimdienste nach den Schuldigen forschen. Jetzt werden noch mehr Köpfe rollen als zuvor, fürchte ich. Doch jeder Druck erzeugt bekanntlich Ge gendruck, und so wird die Opposition zwangsläufig immer stärker werden. Trotz dem kann es noch Jahre dauern, bis sie ihr
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Harvey Patton
Ziel erreicht.« Der frühere Feuerleitoffizier senkte den Kopf. »Vermutlich haben Sie recht«, meinte er bedrückt. »Für uns wird sich also vorerst nichts ändern. Deshalb jetzt die Frage: Wie stellen Sie sich zu Hongs Vorschlag? Auf ei nem Planeten könnten wir vielleicht auf Gleichgesinnte stoßen und mit ihnen zusam men gegen den Imperator arbeiten. Daß wir rein zufällig Atlan und Gonozal finden könnten, erscheint mir zunehmend unwahr scheinlich.« Berkosch war der älteste der Männer und am längsten von ihnen mit Dermitron zu sammen. Obwohl er kein reinrassiger Arko nide war, verstanden sich beide gut, und sein Wort hatte Gewicht. Der Kommandant über legte lange, dann nickte er langsam. »Gut, wir wollen es versuchen. Etwa acht zig Lichtjahre von hier hat vor einem halben Jahr ein Gefecht mit den Maahks stattgefun den, bei dem einige unserer Schiffe schwer angeschlagen und von den Besatzungen ver lassen wurde. Wir werden dorthin fliegen und sehen, was sich für uns herausschlagen läßt.«
10. Es bereitete einige Mühe, die Wracks zu finden. Sie waren, ihrer damaligen Be schleunigung entsprechend, in der Zwi schenzeit weit auseinandergetrieben worden. Die Deserteure hatten jedoch Zeit zur Suche. Der damalige Gefechtsort lag mitten im lee ren Raum, die nächsten Systeme waren Lichtjahre entfernt. Als erstes orteten sie einen Kreuzer, von dem aber nicht viel übriggeblieben war. Die Strahlgeschütze der Maahks hatten ihn der art zusammengeschossen, daß die erfahre nen Männer sofort sahen, daß es dort nicht mehr zu holen gab. Die Überreste eines in der Nähe treibenden Walzenraumers igno rierten sie ebenfalls. Die Technik der Me thans unterschied sich sehr von der der Ar koniden, mit ihren Geräten ließ sich prak tisch nichts anfangen.
Am nächsten Tag stießen sie dann auf ein Schlachtschiff der gleichen Klasse, zu der auch die HADESCHA gehört hatte. Auch in seiner Hülle klafften große Löcher, es war aber noch relativ gut erhalten. Mekron Der mitron begutachtete es sorgfältig, dann nick te er dem Piloten zu. »Dieses nehmen wir uns vor, Dermato. Fliegen Sie bis auf dreihundert Meter heran, dann abstoppen und eine Umkreisung durch führen. Wir müssen eine Stelle zum Eindrin gen auswählen, die uns bei kleinstem Risiko die besten Erfolgsaussichten verspricht.« Mit zwiespältigen Gefühlen betrachteten die sechs Männer das Bild des Raumers auf den Schirmen. Alles daran erinnerte sie an ihr eigenes Schiff, dessen Trümmer nun auf Olkeep lagen. Auch dieses Fahrzeug hatte seine Geschichte, hatte zweifellos viele schwere Kämpfe bestanden. Viele gute Männer mußten in ihm gestorben sein … Die Stimme des Kommandanten klang rauh, als er schließlich sagte: »Steuern Sie das Boot in das große Leck oberhalb des Triebwerksrings, Dermato. Von dort aus ha ben wir nicht weit bis zur Kommandozentra le, die vermutlich am besten erhalten geblie ben ist. Verankern Sie es magnetisch, das dürfte ohne Schwierigkeiten zu machen sein.« Der Pilot folgte seinen Anweisungen. Der kleine, schmächtige Mann verstand mit dem Beiboot genausogut umzugehen, wie früher mit der HADESCHA. Behutsam dirigierte er es zwischen dem Gewirr von zerschmolze nen Trägern und Verstrebungen, von herum hängenden Kabeln und Versorgungsleitun gen hindurch. Oft kam es nur auf wenige Meter an, zuweilen hielten die anderen er schrocken den Atem an. Das Boot besaß eine verhältnismäßig schwache Hülle. Jede Kollision mit den scharfkantigen Zacken konnte sie aufreißen und Lecks hervorrufen, die sie mit ihren ge ringen Mitteln nie mehr reparieren konnten. Und was dann …? Daß es in dem Wrack noch intakte Beiboote gab, war kaum anzu nehmen. Zweifellos waren sie sämtlich dazu
Der Mondträger benutzt worden, die Überlebenden in Sicher heit zu bringen. Diese Annahme erwies sich als richtig. Hinter dem Leck lag der Haupthangar, der von den Außenscheinwerfern des Bootes hell ausgeleuchtet wurde. Normalerweise befanden sich darin drei kugelförmige Bei boote von sechzig Meter Durchmesser. Zwei von ihnen waren verschwunden, das dritte so sehr beschädigt, daß eine Reparatur voll kommen ausgeschlossen war. Dermato fand eine Stelle, an der der Hangarboden frei von Trümmern war. Er fuhr die Landestützen aus, setzte das Fahr zeug behutsam auf und ließ die Magnetanker fassen. Dermitron nickte ihm anerkennend zu. »Gut gemacht, Dermato«, lobte er den Pi loten. »Wir treffen jetzt alle erforderlichen Vorbereitungen. Leichte Raumanzüge genü gen, Waffen sind vorsichtshalber mitzuneh men. Die beiden Antigrav-Plattformen wer den zum Transport der VakuumSchweißgeräte benutzt. Später können wir auf ihnen die ausgebauten Geräte ins Boot bringen.« Eine Viertelstunde später öffnete sich die Bodenschleuse des Diskus, und die sechs Männer schwebten heraus. Im Wrack herrschte fast völlige Schwerelosigkeit und das zwang sie dazu, besonders vorsichtig zu sein. Jede unbedachte Bewegung konnte sie unkontrolliert abtreiben lassen und überall gab es scharfe Bruchkanten, von denen ihre Anzüge aufgeschlitzt werden konnten. Die zur Hauptzentrale führenden Korrido re waren jedoch fast frei von Hindernissen. Verschiedene Anzeichen wiesen darauf hin, daß die Überlebenden sie geräumt hatten, um zu den Beibooten zu gelangen. Alle noch unversehrten Zwischenschotte standen of fen, nirgends gab es mehr Luft. Die Männer kamen also ohne große Schwierigkeiten bis in den Kommandoraum. Dort waren fast alle Geräte unversehrt ge blieben. Mekron sah sich aufmerksam um und bezeichnete dann die Apparaturen, die den Ausbau lohnten. Das waren vor allem
49 die Kleinpositroniken, die es hier in mannig faltigen Ausführungen gab; hochwertige Ge räte, die nur die Raumflotte bekam. Der mitron wußte, daß dafür auf dem Schwarz markt wahre Phantasiepreise gezahlt wur den. Mittels mitgebrachter Energiezellen wur de die Notbeleuchtung in Betrieb gebracht. In ihrem Schein arbeiteten die Männer kon zentriert und aufmerksam. Schon die klein ste Unvorsichtigkeit konnte die empfindli chen Geräte beschädigen und damit wertlos machen. Sie fühlten sich vollkommen sicher in dem einsamen Wrack zwischen den Sternen. Keiner, auch nicht der Kommandant, dachte im entferntesten daran, der Außenwelt Auf merksamkeit zu schenken.
* Die POLVPRON kam zu einem Orientie rungsmanöver in den Normalraum zurück. Sie stammte von Kraumon, war ein Kugel schiff von zweihundert Meter Durchmesser und gehörte zu Atlans kleiner Flotte. Der frühere Tiermeister Corpkor befehligte sie, der Chretkor Eiskralle befand sich ebenfalls an Bord. Die Ortungen liefen an, die Gestirnpopu lation wurde mit den Daten im Kartentank verglichen. Danach sollte dann die nächste Transition auf dem Rückflug zum Geheim stützpunkt des Kristallprinzen berechnet werden. Auch die Massetaster waren in Betrieb, und plötzlich stieß der Navigator einen halb lauten Ausruf aus. »Ein Schlachtschiff treibt eine Million Kilometer rechts von uns«, meldete er dann. »Es ist beschädigt, Ener gie-Emissionen sind nicht feststellbar. Of fenbar ein Opfer der Maahks, das von der Besatzung aufgegeben werden mußte.« Corpkor löste sich aus seinem Kontursitz und begab sich vor den Bildschirm, der den Raumer zeigte. Eiskralle folgte ihm, und die drei Männer lasen die Daten ab, die langsam über das Unterteil des Schiffes liefen. Dann
50 nickte der düstere Mann, der vom Jäger nach Atlans Kopf zu einem überzeugten Anhän ger des Kristallprinzen geworden war. »Keine Spuren von Wärme mehr, das Schiff muß schon längere Zeit hier treiben. Vielleicht wäre es ganz lohnend, es von ei nem Kommando unter die Lupe nehmen zu lassen. In solchen Geisterschiffen gibt es er fahrungsgemäß immer noch erhebliche Mengen von Lebensmitteln, Waffen und Munition. Das wäre uns sehr gelegen, nach dem unsere Expedition viel weniger einge bracht hat, als wir hofften.« »Keine schlechte Idee«, stimmte ihm Eis kralle zu, unter dessen transparenter Haut sich sein Inneres deutlich abzeichnete. »Soll ich das Beiboot ausschleusen lassen?« »In Ordnung«, stimmte Corpkor zu. »Fünf Mann Besatzung, ich selbst werde auch mitfliegen. Du übernimmst inzwischen das Kommando über die POLVPRON. Paß gut auf und unterrichte uns sofort, falls es ir gendeine Störung gibt.« Zehn Minuten später glitt die Han garschleuse auf und entließ das Beiboot. Corpkor selbst steuerte den 30-Meter-Diskus. Er brachte ihn bis dicht vor das Schiff, stoppte dann ab und leitete eine Umrundung ein. »Kein schönes Bild«, murmelte einer der anderen Männer. »Es ist wirklich traurig, daß die Imperiumsflotte so große Verluste hat, weil Orbanaschol seine eigensüchtigen Ziele verfolgt, statt aller Kraft auf die Be kämpfung der Methans zu verwenden.« Der ehemalige Kopfjäger lächelte humor los. »Könntest du dir diesen Mann als Ober befehlshaber einer Raumflotte vorstellen? Diesem feigen Dickwanst würde schon schlecht, wenn er auch nur einen Walzen raumer aus der Ferne zu sehen bekäme! Bru dermord und immer neue Intrigen, zu mehr reicht es bei ihm nicht.« Im nächsten Moment fuhr er zusammen und sah ungläubig auf die Instrumente vor sich. Der Energietaster hatte angesprochen, zwar nur schwach, aber seine Werte blieben konstant. Auch die Wärmemesser zeigten
Harvey Patton an, daß die Temperatur im Innern des Wracks stellenweise höher lag, als es eigent lich zu erwarten war. Was mochte das zu be deuten haben? »Sollte es da drin wirklich noch Überle bende geben?« fragte Corpkor sich selbst. »Nein, das halte ich für ganz unmöglich, nicht nach so langer Zeit. Vielleicht arbeitet irgendeine Notanlage noch automatisch wei ter, bis die Speicherbatterien erschöpft sind.« Doch seine Aufmerksamkeit war ge weckt. Er lokalisierte die Stelle, von der die stärkste Emission ausging, und lenkte das Boot dorthin. Vor dem großen Leck über dem Triebwerkswulst hielt er es an, und dann wurden seine Augen groß. »Ein Beiboot vom gleichen Typ!« sagte er überrascht. »Die Lebenserhaltungssysteme darin laufen, eine schwache Energiefahne führt von draußen in den Hangar. Die Wär mespuren kommen aus Richtung der Haupt zentrale – das läßt eigentlich nur einen Schluß zu.« »Plünderer?« fragte einer seiner Männer. Corpkor nickte. »Zweifellos, und vermutlich Deserteure der Imperiumsflotte. Das Boot ist eindeutig ein Militärfahrzeug, das sie ent wendet haben dürften, um damit zu fliehen. Den Burschen wollen wir eine Überra schung bereiten!« Er dirigierte den Diskus durch schwache Schübe aus den Korrekturtriebwerken eben falls in das Wrack hinein. Eine halbe Minute später setzte es neben dem fremden Fahr zeug auf, und der Kommandant winkte sei nen Leuten. »Wir steigen aus und suchen ebenfalls die Kommandozentrale auf. Kombistrahler schußbereit machen, aber nur auf Paralyse schalten. Keine Unterhaltung über den Helmfunk! Sie könnte mitgehört werden und die Männer vorzeitig warnen.« Die »Überraschung« gelang vollkommen. Niemand beobachtete den Korridor, durch den sich das Kommando von der POLV PRON auf die Zentrale zubewegte. Der mitron und seine Begleiter waren vollauf mit
Der Mondträger der Demontage der kostbaren Geräte be schäftigt, die ihnen einen neuen Start ermög lichen sollten. Corpkor und seine Männer hörten im Helmfunk die kurzen Sätze, durch die sie sich verständigten. Ungestört gelang ten sie in den Kommandoraum. Dort sahen sie im schwachen Schein der Notbeleuch tung zwei Gruppen von je drei Gestalten in Raumanzügen, die eifrig bei der Arbeit wa ren. Bald standfest, daß nur diese sechs Plün derer an Bord waren. Daß ihr Fahrzeug ver lassen war, hatte Corpkor schon zuvor fest gestellt. Nun gab er seinen Leuten ein Hand zeichen. Auch sie trennten sich und beweg ten sich in zwei Gruppen auf die Deserteure zu. Der zentrale Antigravschacht und andere Anlagen boten ihnen ausreichend Deckung. Als sie nahe genug herangekommen waren, schaltete der ehemalige Kopfjäger sein Mi krophon ein. »Still stehenbleiben, Waffen stecken las sen!« forderte er kategorisch. »Wir haben Sie genau in den Zieloptiken unserer Strah ler, Gegenwehr hat keinen Sinn.« Beim Klang der fremden Stimme fuhr Mekron Dermitron heftig zusammen. Eine neue Falle! dachte er verzweifelt. Das Schweißgerät entglitt seinen Händen und schwebte nach oben davon. Doch weder er noch seine Männer dachten daran, sich kampflos zu ergeben. Sie stießen sich ab, se gelten nach verschiedenen Richtungen da von und versuchten, ihre Strahler zu ziehen. Es blieb beim bloßen Versuch. Die Waf fen der Angreifer summten, die gefächerten Paralysestrahlen fanden ihre Ziele. Die Be wegungen der Deserteure erstarben. Nur der anfängliche Schwung trieb sie noch weiter, bis sie an die Wände oder die Decke des Raumes stießen. Von dort aus sanken sie langsam wieder auf den Boden zurück. Die Männer der POLVPRON ergriffen sie und brachten sie in ihr Boot. Corpkor unter richtete sein Schiff und kehrte dann mit sei ner ungewöhnlichen Beute zurück. Einer seiner Leute folgte mit dem Fahrzeug Der mitrons nach.
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* »Wie fühlen Sie sich, Mondträger?« frag te eine fremde Stimme. Mekron Dermitron kämpfte gegen die Schmerzwellen an, die seinen Körper durch liefen, als das Bewußtsein zurückkehrte. Un deutlich spürte er, wie eine Hochdrucksprit ze an seinen Arm gesetzt wurde und leise aufzischte. Schon Sekunden später wurde ihm besser, die Schmerzen ebbten ab. Ruck artig setzte er sich auf und starrte aus ver kniffenen Augen auf die vier Männer, die sein Lager umstanden. »Dumme Frage!« knurrte er heiser zu rück. Er hatte sofort erkannt, daß er sich in einem Behandlungsraum befand, in der Me dostation eines Schiffes. Er war nackt und somit wehrlos. Ohnmächtiger Grimm erfüll te ihn. »Machen Sie es kurz«, sagte er resignie rend. »Ich kenne die Methoden der POGIM und mache mir keine Illusionen mehr. Wie konnte ich auch nur so leichtsinnig sein und die elementarsten Vorsichtsregeln außer acht lassen! Ja, ich bin ein Deserteur und ein Plünderer, wie Sie es wohl nennen werden. Mir tut nur leid, daß auch meine Männer …« Er unterbrach sich, als er das amüsierte Lächeln sah, das um die Mundwinkel des Mannes spielte, der hier offenbar der Anfüh rer war. Es war ein strenges, düsteres Ge sicht, in dem noch schwach sichtbare Nar ben von früheren Verletzungen zeugten. Die Augen unter den buschigen Brauen paßten irgendwie nicht dazu. Sie zeugten von einer empfindsamen Seele und verrieten, daß die ser Mann innerlich keineswegs hart und bru tal war. »Wie kommen Sie auf die Idee, daß aus gerechnet wir Angehörige der Geheimpoli zei Orbanaschols sein könnten?« fragte er ruhig. »Unser Vorgehen in dem Wrack war nicht sehr rücksichtsvoll, das muß ich zuge ben. Doch was sollten wir tun? Wir wußten, daß Sie sich mit allen Mitteln wehren wür
52 den, wenn wir Ihnen die Gelegenheit dazu ließen. Immerhin müßte es Ihnen zu denken geben, daß wir nur Lähmstrahlen eingesetzt haben, obwohl wir Sie ohne weiteres hätten töten können.« Corpkor winkte ab. »Ich bin dafür, daß wir auf weitere nutzlose Wortgefechte ver zichten, Dermitron. Zwei Ihrer Leute sind schon vor Ihnen zu sich gekommen, darun ter auch Berkosch. Er war sehr erstaunt, einen Kameraden aus früheren Tagen vor sich zu sehen, der verschollen und für tot er klärt worden war. Das beseitigte sein Miß trauen sehr rasch, von ihm erfuhren wir alles über Ihr Schicksal. Vermutlich kann er Sie besser überzeugen als ich.« Er gab den Umstehenden einen Wink. Ei ne Tür glitt auf, und die vertraute Gestalt des ehemaligen Feuerleitoffiziers erschien. Sei ne rötlichen Augen, die einen starken Kon trast zu dem dunklen Haar bildete, strahlten förmlich. »Was sagen Sie dazu, Mekron?« platzte er heraus. »Da haben wir hin und her über legt, wie wir es anstellen könnten, den Kri stallprinzen zu finden. Und jetzt haben seine Leute uns gefunden – fast unglaublich, nicht wahr?« Dermitrons Augen weiteten sich, die Überraschung verschlug ihm sekundenlang die Sprache. »Ist das wirklich wahr?« fragte er schließlich leise. Berkosch grinste. »So wahr, wie ich hier stehe! Dieser Mann ist Corpkor, der legendäre Kopfjäger und Tiermeister. Orbanaschol hatte ihn auf Atlans Spur gesetzt, damit er ihn töte. Heute ist er ein überzeugter Anhänger des Prinzen und hat an seiner Seite schon zahllose Aben teuer bestanden. Wir hätten es gar nicht bes ser treffen können, Mekron.« Der Mondträger schüttelte benommen den Kopf. Es war fast zuviel, was da so kurz nach seinem Erwachen auf ihn eindrang. Seine Augen richteten sich wieder auf Corp kor, und dieser verstand die stumme Frage, die in ihnen stand. Er schickte die anderen aus dem Raum, setzte sich und begann zu erzählen. Eine halbe Stunde später reichte
Harvey Patton ihm Dermitron mit leuchtenden Augen die Hand. »In Ordnung, Corpkor; ich stehe ganz auf Ihrer und Atlans Seite. Es ist uns bestimmt nicht leichtgefallen, zu desertieren, weil die Kriegslage für Arkon immer ungünstiger wird. Wir haben jedoch erkannt, daß es un ter Orbanaschol nur noch schlimmer werden kann. Nur ein Imperator, wie es Gonozal VII. war, kann die Wendung bringen. Stimmt es, daß er lebt?« Corpkor zögerte sekundenlang, denn er durfte jetzt noch nicht alles sagen, was er wußte. »Er lebt, aber er ist sehr krank«, er widerte er schließlich. »Vielleicht werden Sie ihn später einmal zu Gesicht bekommen, jetzt ist er zusammen mit Atlan schon länge re Zeit unterwegs. Was hält man in der Flot te von ihm? Denken viele ähnlich wie Sie und Ihre Leute?« Mekron zuckte mit den Schultern. »Darüber läßt sich schwer etwas Gültiges sagen. Natürlich weiß inzwischen die ganze Flotte, was vor Marlackskor geschehen ist. Niemand redet aber offen darüber, weil man immer mit Spitzeln rechnen muß. Auf jeden Fall wird es für mich und meine Leute eine Freude und Ehre sein, für ihn und Atlan zu kämpfen.« Corpkor erhob sich. »Danke, Mekron«, sagte er schlicht. »Sie sind jetzt in Sicherheit und können sich vorerst ausruhen. Die POLVPRON bleibt noch einige Zeit hier, unsere Männer holen alles aus dem Wrack heraus, was wir brauchen können. Auf Krau mon leben nun bereits zwölftausend Leute, es ist nicht immer einfach, sie ausreichend zu versorgen.« Als er gegangen war, streckte sich Der mitron behaglich aus und schloß die Augen. Er hatte sein Ziel erreicht, die Odyssee als Gehetzter und Verfemter hatte ihr Ende ge funden.
* Das Memoband war abgelaufen. Morvo ner Sprangk kehrte in die Wirklichkeit zu
Der Mondträger
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rück. Er nahm die Haube vom Kopf, streckte die steif gewordenen Glieder und gähnte. Als sein Blick auf die Uhr fiel, lächelte er entsagend. Der Tag auf Kraumon war lang und dau erte volle 32 Stunden. Die meisten Neuan kömmlinge brauchten längere Zeit, um sich daran zu gewöhnen. Sprangk hatte sich die sem Rhythmus längst angepaßt, aber er war nicht mehr der Jüngste. Jetzt war es bereits sechs Uhr morgens, in etwa zwei Stunden würde die rote Sonne aufgehen. Ihm blieb also nur noch drei oder besten falls vier Stunden Schlaf. Dann begann wie der der lange Tag mit seinen Sorgen. Er hat te Besprechungen zu führen, Rapporte ent gegenzunehmen und Entscheidungen zu treffen. Corpkor und andere Mitarbeiter nah men ihm zwar vieles ab. Das meiste blieb aber eben doch an ihm hängen, solange At lan nicht da war. Trotzdem grinste der alte Haudegen still vor sich hin. »Verdammt, um diese Stunden tut es mir nicht im geringsten leid! Ich wollte, ich wäre noch einmal so jung wie Dermitron, ich hät te mich auch nicht anders entschieden als er. Was hätte aus diesem Mann werden können, wenn er ein Adeliger gewesen wäre, mit al len Vorrechten seines Standes … Daß er auch so Mondträger geworden ist, spricht für seine Qualitäten. Bragos Neschbar hätte keinen besseren Kommandanten für die ME DON vorschlagen können.«
11. Die Reparatur der ISCHTAR ging zügig voran. Gleichzeitig machten auch die Umbauten in der MEDON rasche Fortschritte. Die großzügigen Planungen des »Alleskönners« Fartuloon, schon unter der Herrschaft Gono zals VII. begonnen, wirkten sich vorteilhaft aus. Wenn es später die Lage erfordern soll te, würde Kraumon auch weit höheren An sprüchen gewachsen sein. Nur Mekron Dermitron langweilte sich.
Man hatte ihm zwar eine Schreibtischarbeit zugewiesen, aber sie konnte einen Mann wie ihn einfach nicht ausfüllen. Die Woche der Erholung hatten ihm gut getan, doch auf die Dauer war ein solches Leben nichts für ihn. Sein Element war der Weltraum, er brannte darauf, wieder ein Schiff führen zu können. Nur die Stunden mit der zierlichen, aber gut gewachsenen Retsa Dolischkor sorgten für einen gewissen Ausgleich. Doch auch sie wußte nichts davon, daß Morvoner Sprangk dem Beschaffungsmei ster inzwischen seine Zustimmung gegeben hatte. Deshalb war Mekron sehr überrascht, als er eines Morgens zu einer Besprechung mit dem Kommandanten gebeten wurde. »Ich habe eine neue Aufgabe für Sie, Der mitron«, eröffnete ihm Sprangk. »Sie haben inzwischen wohl auch mitbekommen, daß es bei uns öfters Versorgungslücken gibt, weil Kraumons isolierte Lage den Nachschub schwierig gestaltet. Neschbar wurde von mir beauftragt, hier Abhilfe zu schaffen, und er hat mir einen guten Vorschlag gemacht. Die MEDON wurde umgebaut und wird in den nächsten Tagen den ersten Probeflug absol vieren. Ich möchte, daß Sie ihn vornehmen, denn Sie werden ihr neuer Kommandant sein.« Die Augen des Mondträgers leuchteten auf. »Endlich!« stieß er hervor. »Der Gedan ke, hier auf dem Planeten versauern zu müs sen, war ein wahrer Alptraum für mich. Ich danke Ihnen, Kommandant. Darf ich meine fünf Leute mit an Bord nehmen?« Morvoner Sprangk nickte lächelnd. »Natürlich dürfen Sie das. Sie sind aufeinan der eingespielt, und das ist eine Menge wert. Ansonsten werden Sie mit einer sehr kleinen Besatzung auskommen müssen. Im Zuge der Umbauten ist die MEDON so zurechtfrisiert worden, daß sie als Handelsschiff durchge hen kann, dem müssen wir Rechnung tragen. Ihre Bewaffnung ist natürlich geblieben, aber auch entsprechend getarnt. Es würde je doch auffallen, wenn sie zu stark bemannt wäre. Sie werden deshalb nur insgesamt zwanzig Männer an Bord haben.«
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»Das ist nicht weiter schlimm, Komman dant. Ich habe gestern mit einem Technoin genieur gesprochen und von ihm erfahren, daß das Schiff auch weitgehend automati siert wurde. Daß ich es fliegen würde, ahnte ich da allerdings noch nicht.« »Jetzt wissen Sie es«, meinte Sprangk in seiner trockenen Art. »Ich weiß wiederum, daß Sie mich nicht enttäuschen werden. Meine Wahl ist nicht zufällig auf Sie gefal len.« Drei Tage später fand bereits der Probe flug statt. Mekron hatte aus der früheren Be satzung der MEDON die ihm geeignet er scheinenden Männer ausgewählt. Seine Wahl war gut, das bewies dieser Flug. Es gab keine Schwierigkeiten, drei Transitionen wurden problemlos vollzogen. Nach der Rückkehr erstattete Dermitron dem Kom mandanten seinen Bericht. »Ausgezeichnet«, sagte Sprangk befrie digt. »Ihrem ersten Einsatz für uns steht also nichts mehr im Wege. Wenden Sie sich an Bragos Neschbar, er wird Ihnen eine Welt nennen, auf der für uns einiges zu holen ist.
Machen Sie es gut, Mekron – für Atlan und Arkon!« »Auf Leben und Tod!« gab der Mondträ ger feierlich zurück. Als Dermitron das Gebäude verließ, lä chelte er zufrieden vor sich hin. Die ME DON war ein gutes Schiff, die Techniker von Kraumon hatten vorzügliche Arbeit ge leistet. Er hatte einen weiten Weg zurückle gen müssen, aber nun hatte sein Leben einen ganz neuen Sinn erhalten. Er freute sich auf seinen ersten Einsatz für Atlan. Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 265: Brennpunkt Cherkaton von Harvey Patton Der Mondträger im Einsatz für Atlan – ein Kolonialplanet wird zum Krisenherd
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