KENNETH MACKSEY
GUDERIAN, DER PANZERGENERAL Mit einem Nachwort von
HEINZ G. GUDERIAN Generalmajor a. D.
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KENNETH MACKSEY
GUDERIAN, DER PANZERGENERAL Mit einem Nachwort von
HEINZ G. GUDERIAN Generalmajor a. D.
VERLEGT BEI
KAISER
Titel der bei Macdonald and Jane's /Macdonald & Co. (Publishers) Limited/, London erschienenen Originalausgabe: »Guderian« Aus dem Englischen von Guy Montag. Fotonachweis: Alle Abbildungen stellte der Verlag Macdonald and Jane's, London, zur Verfügung. Genauere Angaben siehe Bildteil.
Alle Rechte vorbehalten. Berechtigte Ausgabe für den Neuen Kaiser Verlag Gesellschaft m.b.H., Klagenfurt, mit Genehmigung der Econ Verlag GmbH., Düsseldorf und Wien Copyright © 1975 by Kenneth Macksey Copyright © 1976 der deutschen Ausgabe by Econ Verlag GmbH.. Düsseldorf und Wien Schutzumschlag: Volkmar Reiter Reproduktion: Schlick KG., Graz Gesamtherstellung: Gorenjski Tisk, Kranj - Slowenien
INHALT
Vorwort.......................................................................................
7
1 Ein eigentümlicher Kerl........................................................
12
2 Grundlagen für die Zukunft..................................................
25
3 Die schwärzesten Tage.......................................................
44
4 Die Suche nach einem Retter..............................................
60
5 Der Aufbau der Panzertruppe..............................................
87
6 Rechtfertigung in Polen....................................................... 119 7 Grünes Licht durch Frankreich...........................................
142
8 Das Schicksal eines Helden................................................ 183 9 Die Straße nach Lötzen....................................................... 230 10 Der Letzte in der Reihe......................................................... 269 11 Die Schlußetappe................................................................. 290 12 Seher,
Techniker,
Genius
oder
Deutschlands
bester
General?..................................................................................... 297 Nachwort...................................................................................
308
Bibliographie............................................................................... 310 Personen- und Sachregister....................................................... 312
VORWORT
Von den Organisationen, die wegen ihrer Rolle im Zweiten Weltkrieg gehaßt und verfolgt wurden, sah sich von den vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg Freigesprochenen keine eindeutiger verdammt als der deutsche Generalstab. Die Richter fühlten sich verpflichtet, ihrem Urteil in charakteristisch hochmoralischem Ton hinzuzufügen: »Er ist eine Schande für das ehrenwerte Kriegshandwerk gewesen. Ohne seine militärische Ausführung wären die aggressiven Ambitionen Hitlers und seiner Nazigefolgschaft akademisch und steril geblieben.« Diese Bemerkungen betrafen natürlich nur eine kleine Minderheit, die herrschende Gruppe im Generalstab, die Positionen von höchster Verantwortlichkeit bekleidet hatte. Darunter befanden sich auch mehrere ranghohe Kommandeure und Generalstabsoffiziere, die nicht auf der Anklagebank in Nürnberg saßen, aber selbst zu einem späteren Zeitpunkt vor Gericht gestellt werden sollten. Dem gefeiertsten Mann dieser Gruppe, dem Schöpfer der Panzertruppe, die, vor allen anderen Einheiten der deutschen Wehrmacht, ihre Eroberungen rasch und dadurch ökonomisch ausgeführt hatte und deren Kampfkraft in den Tagen des Vormarsches äußerst gefürchtet war, wurde indessen niemals der Prozeß gemacht. Generaloberst Heinz Wilhelm Guderian, der Mann, der die Armeen Europas zu Tode erschreckte und tiefe Unruhe in die konservativen, vom Geist der Disziplin durchdrungenen Kreise des deutschen Militärs brachte, ist bis heute ein Rätsel geblieben. Auf der einen Seite widersetzte er sich der Forderung nach Anonymität, die von einem Mitglied des Generalstabes verlangt wurde, und wurde ein ausgeprägter Publizist radikaler Ideen, einer, der in den vordersten Linien einer hitzigen Debatte stand, aufgrund deren spaltende Elemente sowohl in der politischen als auch der militärischen Sphäre des Dritten Reiches Eingang fanden. In den Augen der Weltöffentlichkeit wurde er zur Personifizierung des typischen, grundehrlichen Preußen, der sich dem Krieg verschrieben hatte. Für das deutsche Volk war er jedoch auf der Höhe seiner Erfolge ein Held - ein Offizier, den auch die Soldaten verehrten. Auf der anderen Seite betrachteten ihn mächtige Widersacher in den Reihen der Wehrmacht als Gefahr für die Unantastbarkeit ihrer Kaste, während er in den Augen einflußreicher Mitglieder der Nazihierarchie viel von dem verkörperte, was ihnen an Armeeoffizieren zuwider war, obwohl er zuweilen ihrer Denkweise näherzustehen schien als die Mehrzahl der Angehörigen des Generalstabes. Von ihnen allen
schien keiner undurchsichtiger in seiner Beziehung zu Guderian zu sein als Adolf Hitler selbst. Die Aufzeichnung von Guderians militärischen Taten wurde verfälscht durch die Vorurteile, die er durch seine Impulsivität und seinen Mut hervorrief. Kein Wunder, daß ihm Orthodoxe in ihrer Denkweise feindlich gegenüberstanden, und daß die Eifersucht ständig wachgehalten wurde durch die Verletzten einer heftigen Auseinandersetzung in den Reihen einer revolutionären deutschen Hierarchie. Welche glaubwürdige persönliche Verteidigung konnte ein General vorbringen in den Jahren nach einer Epoche der Gewalt und des Hasses, ein General, der ohne Gerichtsverfahren drei Jahre lang hinter Gittern gefangengehalten worden war? Mit den Erinnerungen eines Soldaten schrieb Guderian ein Buch, das in Wirklichkeit einen Bericht über den Aufbau der Panzertruppe darstellt, in den hinein eine Rechtfertigung seiner Handlungen in den Jahren danach geflochten wurde. Seit seiner Veröffentlichung im Jahre 1951 wurde dieses Buch zu einem Standardnachschlagwerk für Fragen in Zusammenhang mit der Panzertruppe und Guderian, obwohl es zur Kritik förmlich einlädt wie zwangsläufig alle Autobiographien. Abgesehen von einigen Auslassungen kommt es den Erfordernissen der Genauigkeit sehr nahe, weil die gesamten Familienpapiere der Guderians erhalten geblieben sind. Für eine ausgewogene Beschreibung des Menschen Guderian ist es jedoch seltsamerweise mit Mängeln behaftet. Teils läßt sich das aus der Tatsache erklären, daß zum Zeitpunkt des Entstehens des Buches dem Verfasser die offiziellen Unterlagen nicht zugänglich waren, anhand derer er sein Wissen hätte auffrischen und erweitern können, teils weil es noch an Memoiren anderer mangelte. In gewisser Weise erwies sich Guderian als sein eigener schlechter Anwalt, weil er dem Leser Einblick in seine Herkunft und die fundamentalen Beweise verweigerte, die den Mann in seiner Entwicklung und sein tatsächliches Denken im richtigen Licht zeigen. Er zog es vor, die Geschichte seiner ersten fünfunddreißig Lebensjahre auf ein paar Seiten zusammenzufassen, und verbarg auf diese Weise Ursachen von vielem, was sich später ereignete. Die Gründe dafür sind nicht völlig im dunkeln. Eine gewisse Mutmaßung seinerseits, er müsse über eine makellose Integrität verfügen, scheint ihn geleitet zu haben, gewiß eine verständliche Einstellung, aber eine, die ihn zuweilen zu gut, um wahr zu sein, klingen läßt. Obwohl private Dokumente in sehr starkem Maße seine Aussagen bekräftigen, machte er sich nur sehr selten die Mühe, sie anzuführen. Bei der Klärung einiger strittiger Punkte, wie beispielsweise mehrerer Anschuldigungen gegen ihn oder der Umstände bestimmter Intrigen, verfiel er in ausweichende, auch abwegige Antworten, anstatt grobe Erwiderungen zu geben, wie sie bezeichnend für ihn waren. Selbst gegenüber seinen Peinigern legte er
einen fast übertriebenen Edelmut an den Tag, der seine eigene Sache schwächte. Man muß sich allerdings vor Augen führen, daß Guderian seine Memoiren unter einer Art Streß verfaßte. Zum Großteil sammelte er das Material, während er in amerikanischer Gefangenschaft war. Die Amerikaner verhörten ihn, um Beweise sowohl gegen ihn selbst als auch gegen seine alten Kameraden zu sammeln. Die erste Zeit seiner Haft verbrachte Guderian unter äußerst schlechten, zuweilen sogar erniedrigenden Bedingungen, immer gewärtig, unter Anklage gestellt zu werden. Selbst als die Amerikaner und Engländer ihn freiließen, waren die Polen bemüht, ihn in Zusammenhang mit der Schlacht um Warschau 1944 vor Gericht zu stellen. Später kam es zu einem Rechtsstreit mit Fabian von Schlabrendorff, dessen Buch Offiziere gegen Hitler 1946 in der Schweiz erschienen war und 1948 in einer Tageszeitung in der Bundesrepublik im Abdruck erscheinen sollte. Einige Abschnitte dieses Buches waren für Guderian nachteilig; sie vergrößerten nicht nur die Abneigung derer, die ihn immer abgelehnt hatten, sondern veranlaßten Guderian auch, juristische Schritte zu unternehmen. Obwohl Schlabrendorff im Jahre 1948 dazu veranlaßt wurde, die betreffenden Passagen öffentlich zu widerrufen, war der Schaden nicht wieder gutzumachen. Immer wurde Schlabrendorffs erste Auflage zitiert - und sie wird es auch heute noch. Trotz einer 1951 veröffentlichten Überarbeitung seines Buches, in der alle Hinweise auf Guderian gestrichen sind, und trotz Erscheinens eines weiteren Buches, Geheimkrieg gegen Hitler (1956), also lange nach Guderians Tod, in dem dieser kaum erwähnt ist, wird Schlabrendorff immer noch große Glaubwürdigkeit zugute gehalten. In seinen Erinnerungen eines Soldaten dementierte Guderian alles, was Schlabrendorff in Zusammenhang mit seinem (Guderians) Vorgehen gegen die Anti-Hitler-Verschwörer geschrieben hatte, obwohl er keineswegs die Angelegenheit zur vollen Zufriedenheit seiner Leser aufhellte, wie er es sehr leicht mit beträchtlicher Glaubwürdigkeit vermocht hätte. Private Papiere, besonders die Korrespondenz Guderians mit seiner Frau, tragen dazu bei, Licht in verschwommene Abschnitte der Erinnerungen zu bringen und einige Lücken aufzufüllen. Man beginnt, die grundlegenden Charaktermerkmale dieses Mannes zu erkennen, seine Menschenliebe und seinen ausgeprägten Patriotismus. Auch die gewollt betonte Ehrlichkeit kommt in allen Zeilen Guderians zum Ausdruck, denn zuweilen fand er Worte von erschreckend gefährlicher Klarheit. Die Briefe aus der damaligen Zeit - so verschieden in vielerlei Hinsicht im Vergleich zu den Memoiren so mancher deutscher Generäle - erweisen der Geschichte einen Dienst und machen ein wesentliches Verstehen der Umstände und Faktoren möglich, die auf deutscher Seite eine Rolle spielten und die die Deutschen verwirrten. Es ist gut, von
wichtigen Leuten mit kreativer Fähigkeit zu wissen, wie sie in Augenblicken plötzlichen Umschwungs denken, und die Idealisten voll Weitblick und Schwung zu verstehen, Männer, die in Tagen des Unglücks folgern, wie es Guderian im Jahre 1919 inmitten der Wirren einer Revolution zitierte: »Sei's trüber Tag, sei's heit'rer Sonnenschein, ich bin ein Preuße, will ein Preuße sein!« Weiter schrieb er: »Jetzt kommt's darauf an, den Schwur zu halten. Wenn jeder sagt: ,Ich nicht, andere können das machen', dann geht Deutschland unter. Jeder, der noch etwas Ehrgefühl hat, muß vielmehr sagen: ,Ich will selbst helfen'.« Dies ist in der Tat die Geschichte eines Preußen, der zuweilen dazu neigte, mehr preußischen Weitblick an den Tag zu legen als die Preußen im allgemeinen, einer, der klare Vision mit korrekter Ehrenhaftigkeit und subtiler Flexibilität bei der Verwirklichung moderner Ideen miteinander verband, die eine Antithese zur Starrheit darstellten. Ich bin Generalmajor Heinz Günther Guderian außerordentlich dankbar, der mir Familienpapiere zugänglich machte, die hier zum erstenmal an die Öffentlichkeit gelangen, und der meine Entwürfe mit dem Geist seines Vaters las, das heißt über einen strittigen Punkt mit gutgelaunter Geduld debattierte, einer Herausforderung nobel, wie er ist, niemals aus dem Weg ging, und wie sein Vater absolut aufrichtig war, wenn es die Umstände verlangten. Guderians einstiger Chef des Stabes Walther Nehring bemerkte einmal zu mir, wenn man den Sohn kenne, erhalte man ein gutes Bild des Vaters. Im Lauf der Zeit, während ich Heinz Günther Guderian kennenlernte, sah ich diese Erfahrung bestätigt und fand bei meiner Arbeit Freude daran. Den deutschen Generälen, die mir halfen, bin ich ebenfalls sehr dankbar: Walther Nehring, dem Doyen von Guderians Stabsoffizieren und einem anerkannten Historiker der Panzerwaffe; Hermann Balck, einem der tüchtigsten und kämpferischsten von Guderians alten Waffenkameraden, der mich nicht nur warnte, daß, »um Guderian zu verstehen, man preußische Disziplin verstehen muß«, sondern auch einen Essay über dieses Thema schrieb; Wilfried Strikfeld und den Generälen Chales de Beaulieu und Walter Warlimont, die mir einige knifflige Fragen beantworteten. Wie bei früheren Gelegenheiten, leistete mir Dr. Kurt Peball vom Österreichischen Kriegsarchiv Hilfe, ebenfalls Dermot Bradley. Ich bin gleichfalls Generalleutnant G. Engel, Oberst H. W. Frank, Oberst G. von Below, Paul Dierichs und Oberstleutnant H. Wolf für Erinnerungen an Guderian verbunden und den Generalmajoren Kurt von Liebenstein und K. von Barsewisch für die Erlaubnis zur Benutzung ihrer Kriegstagebücher. Natürlich war es sehr wichtig, daß ich in den Besitz guter Übersetzungen vieler deutscher Bücher und Dokumente gelangte. In
dieser Hinsicht war ich äußerst glücklich, die Hilfe und den Rat von Helga Ashworth, Reinhold Drepper sowie Simon und Ursula Williams zu haben, die lange Stunden mit dem Entziffern von Briefen und amtlichen Unterlagen zubrachten. Die Fotos hat zum Teil das Bundesarchiv zur Verfügung gestellt; andere kommen aus dem Imperial War Museum. Alle übrigen Bilder entstammen den Alben der Familie Guderian und wurden mit freundlicher Genehmigung von Generalmajor Heinz Günther Guderian verwendet. (Genaueres siehe Bildteil.) Ich bin Peter Chamberlain und Brian Davis für ihre Hilfe bei der Bildbeschaffung dankbar. Den Mitarbeitern der verschiedenen Museen und Bibliotheken, die mir so viele wichtige Unterlagen und Bücher beschafften, gilt mein großer Dank. Ich habe stets ihre endlose Geduld bewundert. Ich erwähne dabei besonders das Royal Armoured Corps Museum, das Royal Signals Museum, das Imperial War Museum, die Bibliothek des britischen Verteidigungsministeriums und das Amt des amerikanischen Nationalarchivs. Zu guter Letzt, wie schon so oft, sage ich Margaret Dünn für die Erstellung des Manuskripts und ihre kritischen Anmerkungen, Michael Haine für die Anfertigung der Karten und meiner Frau für ihre ständige Unterstützung und Ermutigung Dank. Diese Übersetzung hat gegenüber dem Original den Vorteil, daß Einzelheiten, die der Autor seinerzeit nicht mit letzter Sicherheit überprüfen konnte, korrigiert worden sind. Das heißt natürlich nicht, daß das Original in der Substanz auch nur angetastet worden ist. Kenneth Macksey
1 EIN EIGENTUMLICHER KERL
Am 21. Mai 1940 fuhr ein vom Staub der französischen Landstraßen verschmutzter deutscher General, klein von Gestalt, aber erfüllt von gewaltigem Enthusiasmus, in Abbeville ein und hielt Ausschau über den Ärmelkanal. Am Abend dieses »denkwürdigen Tages«, wie er ihn später beschrieb, sonnte er sich wenige Augenblicke lang in dem Bewußtsein, daß ein Traum Wahrheit geworden war, denn auf dem Höhepunkt eines in der Militärgeschichte noch nicht dagewesenen Vormarsches hatte das von ihm geschaffene Armeekorps, stark mit Panzerfahrzeugen ausgerüstet, die Stadt und ihre Außenbezirke erobert und hielt sie unangefochten. Fast ohne Unterbrechung hatten sich die deutschen Panzerstreitkräfte den Weg durch die unwegsamen Ardennen gebahnt, eine an einem Fluß angelegte befestigte Verteidigungslinie durchbrochen und auf dem Vormarsch durch Frankreich einen Großteil der besten gegnerischen Einheiten einfach niedergemäht. Noch ziemlich frisch hatten die Deutschen dann Abbeville fast kampflos eingenommen, weil nach elftägigem Vorrücken, bei dem rund 350 Kilometer zurückgelegt wurden, die feindlichen Truppen weit hinten geblieben waren. Die anglo-französischen und die belgischen Armeen hatten, von den Deutschen wirkungsvoll überrollt, zerschlagen zurückbleiben müssen; die übrigen Kanalhäfen waren praktisch ohne Verteidigung und reif für die Eroberung, und diejenigen der ausmanövrierten alliierten Verbände, die noch über einen gewissen Grad von Zusammenhalt verfügten, waren auf eine Zuschauerrolle beschränkt, immer gewärtig, völlig eingeschlossen zu werden. General der Panzertruppe Heinz Wilhelm Guderian hatte den Zenit seiner Karriere erreicht. Mit geringen Verlusten und unter Einsatz von nur drei Divisionen hatte er, mit zeitweiliger Unterstützung durch andere Heeresverbände und wirksame Entlastungsangriffe der Luftwaffe, die anglo-französischen Verbündeten in ein Chaos gestürzt und in wenigen Tagen das erreicht, woran das gesamte deutsche Heer trotz ungeheurer Anstrengungen in den Kriegsjahren 1914 -1918 gescheitert war. Nun hatte sich im Verlauf dieses Frankreichfeldzuges ein General zum Rang eines Gustaf Adolf aufgeschwungen. Es war ihm gelungen, ein wirklich revolutionäres Konzept samt den dazugehörigen Waffen in Friedenszeiten zu schmieden und nach Kriegsausbruch seine Ideen erfolgreich in die Tat umzusetzen. Der Autoritätsunterschied zwischen dem Monarchen des 17. Jahrhunderts und einem nicht einmal sehr ranghohen General machte
Guderians Leistung noch weitaus erstaunlicher. Die Truppen, die er aufgebaut hatte, war aus der Überlegung entstanden, eine leicht bewegliche Waffe zu schaffen und gleichzeitig den kämpfenden Soldaten gepanzerten Schutz zu geben. In den von Guderian befehligten Divisionen nahmen die Panzer eine Vorrangstellung ein, eine Waffengattung, die vor 1918 kaum ihr Wirkungsvermögen bewiesen hatte. So mußte an diesem 21. Mai 1940 schon allein das Tempo von Guderians Vormarsch, das Engländer und Franzosen ebenso wie die forsche und unauffällige Auswahl der Angriffsziele verwirrt hatte, auch die konventionell denkenden Strategen und Taktiker im deutschen Generalstab verblüfften, die die unglaubliche Entwicklung der Dinge auf ihren Karten verfolgten und den Funksprüchen entnahmen, die aus der vordersten Kampflinie der Panzer gesendet wurden. Nun ist es aber keineswegs so, daß die deutschen Generalstäbler auf ihrer Suche nach militärischen Verbesserungen saumselig gewesen wären. Seit Generationen hatten sie es sich zur Aufgabe gemacht, die neuesten technischen Errungenschaften und Techniken bei ihren Planungen zu berücksichtigen, um schnelle Entscheidungen auf dem Schlachtfeld zu erreichen. Ihr Hauptziel war die Lösung politischer Probleme durch Kriege von kurzer Dauer. Trotzdem wurden angesichts eines 1940 in greifbare Nähe gerückten kurzen Feldzuges die letzten Pinselstriche an dem Bild, das die Panzertruppen geschaffen hatten, paradoxerweise verpfuscht. Vorsichtige Vorgesetzte bremsten Guderian. In einem Augenblick, in dem ein einziger weiterer schneller Vorstoß die vollständige Umzingelung des Gegners bedeutet hätte, befürchteten sie, er werde zu große Risiken eingehen und sich übernehmen. Den Alliierten wurde es dadurch ermöglicht, über Dünkirchen zu entkommen. Gleichwohl war die Reaktion der deutschen Staats- und Militärhierarchie auf Guderians Erfolge euphorisch. Generalmajor Alfred Jodl, der Chef des Wehrmachtführungsamtes, berichtete, der Führer und Oberste Befehlshaber Adolf Hitler sei »außer sich vor Freude gewesen und habe bereits Sieg und Friedensschluß vorausgesehen...« Frankreich, soviel stand fest, würde fallen, aber der Triumph wurde nicht vollkommen. Denn die Briten, ermutigt durch das Entkommen ihrer Truppen, weigerten sich, den Kampf aufzugeben. Es war keine leichte Aufgabe, Panzer über den Kanal zu schaffen, und die Luftwaffe vermochte im Gegensatz zum Heer keine Entscheidung aus eigener Kraft herbeizuführen. Guderians methodisch errungener Erfolg wurde nun zum Sporn auf dem Ritt ins Verderben. Die immensen militärischen Erfolge und Landgewinne bei Einsatz von vergleichsweise geringen Mitteln veranlaßten Hitler und seine in Hochstimmung befindliche Umgebung zu der Annahme, ihre Panzerund Luftwaffenverbände seien praktisch unbesiegbar. Zwar sollten in
den darauffolgenden Jahren deutsche Panzer ihre Kettenspuren in anderen Teilen Europas in den Boden graben, tief nach Rußland hinein und längs der Küsten Nordafrikas vordringen. Aber nie mehr sollte ihnen die Niederringung einer ganzen Großmacht mitsamt ihren Armeen gelingen. Die Lektionen, die Guderian gelernt hatte, als er die gegen Deutschland im Ersten Weltkrieg angewandten Taktiken studierte, konnten ihrerseits kopiert werden. Ein ungeheures und unerwartetes militärisches Übergewicht, wie es sich auf dem französischen Kriegsschauplatz 1940 entwickelt hatte, sollte korrigiert werden. Der Weg, der Guderian nach Abbeville führte, hat seinen Anfang weit vor dem Punkt, an dem er ihn betrat. Er war Preuße, Angehöriger jenes Stammes, der sich im Mittelalter zwischen Weichsel und Unterlauf der Memel angesiedelt hatte und dessen schrittweise Ausbreitung nach 1466 aus dem natürlichen Aufbegehren eines Volkes zu erklären war, das lange Zeit unter strenger polnischer Herrschaft gestanden hatte. Ob Guderians Vorfahren niederländischer Abstammung, was gut möglich ist oder - weniger wahrscheinlich - schottischer Herkunft waren, spielt hier keine Rolle; unbestreitbar ist, daß ihre Erfahrung im Kriegshandwerk nur gering war. Es waren Grundbesitzer und Akademiker, die, wie die große Mehrheit der Junker, nicht über große Reichtümer verfügten. Militärische Ahnherren, auf die sich Guderian berufen konnte, entstammten der Familie seiner Großmutter, Emma Hiller von Gärtringen. Drei Hiller-Generationen hatten eine Reihe preußischer Generäle hervorgebracht, die unter Friedrich dem Großen oder in den Befreiungskriegen gegen Frankreich kämpften. Ein Rudolf Freiherr Hiller von Gärtringen war als Rittmeister beim Debakel von 1806 dabei und zeichnete sich später als Kommandeur des 2. Neumärkischen Landwehrkavallerieregiments in der Kampagne von 1813 gegen die Franzosen und in der Entscheidungsschlacht gegen Napoleon 1815 bei Waterloo aus. Ein anderer Hiller von Gärtringen soll 1861 einen Marsch auf Berlin geplant haben, um dem Generalstab gegen den preußischen Landtag zu Hilfe zu kommen. Guderians Familie fand sich früh in die Rolle von zivilen Anhängern eines sprießenden preußischen Militarismus, des Kults, der wie in einem modernen Sparta unter dem Drängen des Retters der Armeen nach 1806, Gerhard von Scharnhorst, und seiner hervorragenden Nachfolger Karl von Clausewitz, Albrecht Graf von Roon und Helmuth Graf von Moltke dem Älteren in Blüte stand. Diese Männer lebten inmitten der relativen Armut der Junkeraristokratie und erkannten die Notwendigkeit von rechtzeitigen militärischen Vorbereitungen, eine Einstellung, die ein späterer Chef des Generalstabs, Paul von Hindenburg, als »Bedürfnislosigkeit« bezeichnete. Sie fühlten sich von einem verpflichtenden Patriotismus beseelt, der ihnen beispielsweise traditionell
erlaubte, einen Putsch gegen die Regierung zu unternehmen, vorausgesetzt, daß der Monarch keine Einwände erhob. Heinz Guderians Vater Friedrich hatte die Bedürfnislosigkeit nur zu gut am eigenen Leib verspürt. Sein Vater war jung gestorben und hatte eine Witwe mit fünf Kindern zurückgelassen. Die Frau sah sich gezwungen, das Familiengut in Hansdorf/Netze im Warthegau zu verkaufen, um sich besser der Erziehung ihrer Kinder widmen zu können (die Guderians bilden bis auf den heutigen Tag eine eng verbundene Familiengemeinschaft), eine Maßnahme, die aus der preußischen Weltanschauung zu verstehen ist, wonach persönliches Wohlergehen durch Sparsamkeit erreicht werden muß. Aber es geschah auf eigenen Wunsch, daß der junge Friedrich Guderian 1872 in das Kadettenkorps eintrat, was zudem die Familienkasse entlasten half. Er traf in Berlin ein, als dort noch die Nachwirkungen von Moltkes größtem siegreichem Feldzug spürbar waren, die preußischen Waffen die Vorrangstellung besaßen und Moltke dabei war, weitgehende technische Neuerungen im Heer einzuführen. Gegen eine solche Modernisierung hatte sich der alte Adel gesträubt, und Friedrich Guderian paßte daher gut in Moltkes Pläne, den Adel in den Reihen der Armee durch Zufuhr von gesundem Blut aus den Reihen des mittelständischen Bürgertums aufzufrischen und dabei besonders Lücken bei den technischen Waffengattungen wie Artillerie und Pionieren zu schließen. Bereits 1872 waren nur noch zwei Drittel der Generalstabsoffiziere Adelige. Die Zahl der Offiziere bürgerlicher Herkunft in den Reihen der Armee stieg sprunghaft an, besonders bei den Pionieren, von denen es spöttisch hieß: »Er sank von Stufe zu Stufe, schließlich wurde er Pionier.« Friedrich Guderian kam allerdings zur Leichten Infanterie und wurde Leutnant im 9. Jägerbataillon in einer Armee, bei der die Kavallerie auf der gesellschaftlichen Rangleiter ganz oben stand, gefolgt von der Gardeinfanterie, den Jägern und schließlich der Artillerie. Die Jäger zählten ebenso wie die Kavallerie zu den beweglichsten Bestandteilen einer Streitmacht, deren Kampfwille von Moltkes Forderung geprägt war, Kriegserfolge müßten als natürliches Ergebnis von hoher Beweglichkeit und Offensivaktionen gesucht werden. Als Neuling in der Armee, dem traditionelle Vorstellungen, wie alles zu geschehen habe, fremd waren, war Friedrich allen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen und weit entfernt davon, typische Moltke-Aussprüche wie »Errichtet keine Befestigungsanlagen mehr, baut Eisenbahnen!« als Schock zu empfinden. Diesen Sinn für radikale Aufgeschlossenheit vererbte er auf seine Söhne, die ebenfalls Soldaten wurden. Das Jahr 1888 wurde von außerordentlicher Bedeutung für Friedrich Guderian und auch für Deutschland. Im Oktober 1887 hatte er geheiratet, und am 17. Juni 1888 schenkte ihm seine Frau Clara den ersten Sohn, Heinz. Zwei Tage zuvor hatte ein neuer Herrscher, Kaiser
Wilhelm II., den Thron bestiegen und verschrieb sich bald einer ungestümen »Weltpolitik«, die an die Stelle der klugen, staatsmännischen Politik des Kanzlers Otto von Bismarck trat. Es wäre falsch zu behaupten, Deutschland habe in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts in einer Kriegsatmosphäre gelebt, obwohl Frankreich nach dem verlorenen Krieg von 1870/71 auf Revanche sann und auf den Schiffswerften des Kaiserreiches der Versuch unternommen wurde, die Vorherrschaft der britischen Marine zu brechen. Deutschland weitete seinen Handel aus. Es entstanden Industriegebiete. Überall sah man in den großen Städten äußere Zeichen eines Wohlstands, der zusammen mit der Reform des Bildungswesens die alte preußische Nüchternheit ablöste. Solche Änderungen der Regierungspolitik hatten jedoch kaum Auswirkungen auf die Guderians, die sich der Routine eines ruhigen Garnisonslebens hingaben nach dem Vorbild aller jung-verheirateten Paare, die einen Platz in einer privilegierten Gesellschaft einnehmen. Heinz' Bruder Fritz wurde im Oktober 1890 geboren. Im darauffolgenden Jahr siedelte man nach Kolmar im Elsaß über und blieb hier bis 1900, als Vater Guderian nach St. Avold in Lothringen versetzt wurde. Zu diesem Zeitpunkt stand für Heinz und Fritz längst fest, daß sie Berufsoffiziere werden wollten. Das war ein Wunsch, den ihr Vater nachdrücklich billigte. Seine Zustimmung kam um so bereitwilliger, als die äußeren Umstände diese Wahl vorteilhaft erscheinen ließen. Während in St. Avold nur ungenügende Schulmöglichkeiten bestanden, wurden an den Kadettenschulen in Deutschland moderne Fächer wie an Realgymnasien, darunter Französisch, Englisch, Mathematik und Geschichte, gelehrt. Von 1901 bis 1903 besuchten Heinz und Fritz Guderian das Kadettenhaus Karlsruhe in Baden. 1903 wurde Heinz zur Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde bei Berlin versetzt, wohin ihm Fritz später folgte. Hier gerieten sie unter den Einfluß preußischer Disziplin in ihrer eindringlichsten und intellektuell entwickeltsten Form. Im Gegensatz zu ihren absurden äußeren Erscheinungsformen - dem steifen und minuziösen Zeremoniell von Drill, Uniform und Förmlichkeit manifestierte sie sich im Einschärfen einer letztgültigen Philosophie und Haltung von einer Flexibilität, die von denen, die das Preußentum nur in seiner unbeugsamen Form kennen, nicht ermessen werden kann. Parallel zur einheitlichen Anwendung dieser Grundsätze wurde hauptsächlich zum Nutzen der Offiziere - jedem auch das Recht zuerkannt, ja es sogar als wünschenswert bezeichnet, seine eigene, abweichende Meinung zum Ausdruck zu bringen, bis ein Befehl ergangen war. Auf diese Art wurde die Denkweise eines Kadetten geschult, eine endgültige Autorität anzuerkennen, aber erst nachdem in einer Diskussion alle Argumente ausgeschöpft worden waren. Hier muß gesagt werden, daß sich diese Methode gar nicht so sehr von denen der
meisten anderen Armeen der Welt unterscheidet. Das heißt: Die Mehrzahl dieser Armeen hatte das preußische System kopiert, wobei der Unterschied zwischen ihnen oft nur gering war. Es war die von den Deutschen perfektionierte Gründlichkeit, die bei ihren erschreckten Feinden Furcht und Haß vor der überlegenen Art und Weise der Ausführung auslöste. Nach außen hin ordnete sich Heinz Guderian zunächst diesem System unter; seine Vorbehalte gegen den Geist, wenn auch nicht gegen den Buchstaben sollten erst viel später in Erscheinung treten, wenn es galt, sich schwierigen Situationen anzupassen. Eine flexible Antwort hatte er später stets in seinen Planungen und Aktionen zur Hand. Er lehnte sich nicht von Anfang an auf. Seine Beurteilungen wurden besser, je mehr Fortschritte er machte und den notwendigen Enthusiasmus in den Fächern zu entwickeln begann, die ihn später ein Leben lang in ihren Bann ziehen sollten. Außerdem zählte er zu den Klassenbesten. In seinen Erinnerungen denkt er an seine Instruktoren und Lehrer in Groß-Lichterfelde »... mit größter Dankbarkeit und Verehrung« zurück. Das war bei den Ausbildern an der Kriegsschule in Metz nicht der Fall. Von ihnen schrieb er 1908, daß »das bestehende System strebsamen Leuten nicht genügt. Alles ist zu sehr auf das Mittelmäßige zugeschnitten. Die halbe Zeit über habe ich mich sehr gelangweilt« und fügte hinzu, daß er seine Vorgesetzten keineswegs angenehm fand. Trotzdem kann man annehmen, wenn man die Zeugnisse liest, daß seine Lehrer äußerst beeindruckt waren von dem jungen Kadetten, dem sie bescheinigten, »bedächtig, strebsam, pflichttreu, ein guter Reiter und von solidem, gefestigtem Charakter und liebenswürdigen Umgangsformen zu sein, von hervorstechender Neigung für den Beruf«. Eine Ironie des Schicksals war es im Licht der späteren Entwicklung, daß der junge Heinz Guderian in seinem Abschlußexamen im Lehrfach Taktik schlecht abschnitt, weil er eine Verteidigungsstellung statt der vorgeschriebenen Angriffslösung gewählt hatte. Zu seiner großen Genugtuung war Guderian im Februar 1907 nach Bitche entsandt worden, um als Fähnrich im Hannoverschen Jägerbataillon Nr. 10 Dienst zu tun, unter seinem Vater, einem Kommandeur, der sowohl von seiner Familie als auch von seiner Einheit verehrt und gefürchtet wurde. Im Januar 1908 wurde er Leutnant und gewöhnte sich an das Alltagsleben eines typischen jungen Offiziers, der tierlieb, ein guter Reiter war und die Jagd und das Schießen liebte. Er entwickelte auch einen Sinn für Architektur und das ländliche Leben, ging ins Theater und tanzte gern. Aber Guderian war erschreckend unmusikalisch und mußte einen Kadettenchor verlassen, als sich herausstellte, daß er falsch sang. Darin lag vielleicht etwas Bezeichnendes. Sein Tagebuch zeugt von erwachender Kritik an dem System, in das er sich einordnen mußte und von einer gesunden
Skepsis, wie sie nur von einer sehr kleinen Anzahl seiner Zeitgenossen geteilt wurde. Es berichtet auch vom Studium der Militärgeschichte. Dank seines hervorragenden Gedächtnisses konnte Guderian ganze Abschnitte aus klassischen und militärischen Werken zitieren. Von nutzbringenden Manöverübungen unter dem Befehl seines Vaters ist ebenfalls die Rede, von dem er sehr viel lernte. »Ich werde versuchen, es geradeso zu machen wie er«, schrieb er. Es gibt auch auf den Seiten eines Tagebuches, in dem er seine Gedanken aufzeichnete, wie sie ihm in den Sinn kamen, Hinweise auf eine feste Vorstellung von der Bedeutung dauerhafter Freundschaft. Im Juli 1908 schrieb er in einem Anflug von Einsamkeit: »Die Kameraden verlangen, ich solle mich enger an sie anschließen. Wenn sie mich nicht zuerst vor den Kopf gestoßen hätten, wäre es wohl zu keiner Trennung gekommen. Jetzt ist es sehr schwer, das alte Zutrauen wieder zu fassen. Die Hochachtung ist zum größten Teil dahin. Man wirft mir mein kurz angebundenes Wesen vor, soll ich mich in platten Redensarten ergehen und Phrasen heucheln wie sie? Denn im großen Haufen kann ich nicht mitlaufen.« Und im November 1909 notierte er: »Wenn ich bloß einen wirklichen Freund fände! Die Kameraden sind ja alle sehr nett, aber es gibt unter ihnen keinen, auf den ich mich in allem verlassen könnte. Überall herrscht Mißtrauen.« Ein Jahr später fand er einen Hoffnungsschimmer, als einige neue Offiziere zum Bataillon stießen und er nicht länger der Jüngste war: »Mein Verhältnis zu den Kameraden gestaltet sich besser... Unsere Jüngsten, unter ihnen (Bodewin) Keitel, sind sehr nett. Der Begabteste soldatisch und auch sonst - ist wohl Keitel.« Damals schon stellte sich heraus, daß er besser mit seinen gleichaltrigen Kameraden als mit den älteren Offizieren auskam, eine Tatsache, die sich in seinem späteren Leben wiederholen sollte. Es gab in diesem Punkt ausgeprägte Ähnlichkeiten zwischen Guderian und den Männern, die in vieler Hinsicht später eine gleichwertige Rolle beim Aufbau der britischen Panzerstreitkräfte spielten: Percy Hobart und J. F. C. Füller. Hobart war den schönen Künsten noch mehr zugetan und ebenso ernsthaft in seiner Berufsauffassung und seinem sprudelnden kritischen Sinn, jedoch viel rauher und robuster, wenn es galt, eine Meinung zu verteidigen. Trotzdem verstand sich Hobart zu Beginn seiner Karriere ziemlich gut mit seinen Offizierskameraden, deren berufliches Ethos er teilte, obwohl er zu den Pionieren gehörte, einem Elitekorps der britischen Armee. Im Gegensatz dazu hielt Guderian viele seiner Infanterieoffizierskameraden für ungenügend interessiert an ihrem Beruf. In dieser Beziehung entsprach er der Einstellung von Füller, gleichfalls einem Leichtinfanteristen, der sich von seinen Offizierskameraden ebenso geistig isoliert sah, »... ein Mönch in einem Trappistenkloster,
denn wenn alle um einen herum morgens, mittags und abends nur die gleichen Gesprächsthemen haben wie Fuchsjagd, Entenabschuß und Forellenfang, ist es genau so, als würden sie gar nichts sagen.« Füllers Kritik war auf diese Weise ebenso beißend, wie die Guderians werden sollte. Ihr Fluchtweg aus der Mittelmäßigkeit war der gleiche - sie bewarben sich um Versetzung an eine Generalstabsakademie. Im Oktober 1909 wurde das Jägerbataillon Nr. 10 nach Goslar am Harz verlegt, eine der schönsten Gegenden Deutschlands. Hier lernte Heinz Guderian Margarete Goerne kennen und verliebte sich in das Mädchen. Zu Schwierigkeiten kam es indessen, als die beiden im Dezember 1911 beschlossen zu heiraten. Gretel, wie er sie nannte, war erst achtzehn, und ihr Vater hielt sie für zu jung für die Ehe. Heinz wurde überredet, die Beziehung für die Dauer von zwei Jahren auf Eis zu legen, obwohl die jungen Leute sich im Februar 1912 offiziell verlobten. Guderian hielt es für unangebracht, in Goslar zu bleiben. Darüber hinaus verspürte er das Bedürfnis nach einer technischen Ausbildung, um die Grundlagen seines beruflichen Wissens zu erweitern. Zwei derartige Kurse standen ihm zur Verfügung: er konnte zwischen dem Fachwissen über Maschinengewehre und über Funkwesen wählen. Vater Friedrich, soeben zum Generalmajor und Kommandeur der 35. Infanteriebrigade befördert, sprach sich gegen Maschinengewehre aus, »weil sie wenig Zukunft haben«, aber er sah günstige Aussichten für das Fernmeldewesen, besonders in den drahtlosen Systemen, die um die Jahrhundertwende entwickelt worden waren und bei deren Anwendung die deutsche Technologie eine führende Rolle spielte. Sein Sohn stimmte ihm zu. Am 1. Oktober trat Heinz in die Funkkompanie des 3. Telegraphenbataillons in Koblenz ein und begann dort mit der Arbeit, die ihn zum Gipfel seiner beruflichen Erfolge führen sollte. Im folgenden Jahr - genauer gesagt in den nächsten zehn Monaten gab es für Guderian viel Aktivität. Die Zeit ging schnell vorüber, weil die neuen Aufgaben ihm stark zusetzten. Er beschrieb es selbst so: »Da mir die Funkerei bis dahin völlig fremdgeblieben war, da ich ferner längere Zeit die Rekrutenausbildung zu leiten hatte, war ich durch den Truppendienst stark belastet. Die Vorbereitung für die Kriegsakademie wurde nach den Weisungen des Chefs des Generalstabes des VIII. Armeekorps durch Generalstabsoffiziere des Korpsstabes und durch eine Reihe besonders ausgewählter Truppenoffiziere des Standortes Koblenz durchgeführt. Sie war recht intensiv und lehrreich und erfüllte ihren Zweck vollkommen. Abgesehen davon wurde sie durch die kameradschaftliche Art, mit der die Lehrer den Unterricht erteilten, auch menschlich wertvoll. Die Vorbereitung erstreckte sich auf Taktik im Rahmen der verstärkten Infanteriebrigade, Feldkunde, Pionierdienst und Waffenlehre. Die Vorbereitung in den
Sprachen, in Erdkunde und Geschichte blieben den jungen Offizieren überlassen.« Binnen kurzem sollte sich Guderian als Dolmetscher für Französisch qualifizieren. Auch sein Englisch wurde sehr geläufig. Durch besonderen Einsatz bestand er das Akademieexamen auf Anhieb und war mit fünfundzwanzig der jüngste von 168 Offizieren, die für den Dreijahreskurs an der Berliner Kriegsakademie ausgewählt wurden, der am 5. Oktober 1913 begann. Das war ein klarer Beweis für seine Reife. Aber vorher galt es noch, ein anderes dringendes Problem zu bewältigen. Die Eltern beugten sich angesichts seiner Kette von Erfolgen und stimmten einer frühen Heirat zu. Am 1. Oktober führte er Margarete zum Traualtar. Nicht von ungefähr sollte er sich in den folgenden Jahren den Spitznamen Schneller Heinz erwerben. Auch war es kein Zufall, daß er einen Ausspruch Moltkes besonders schätzte und ihn oft zu zitieren pflegte: »Erst wägen, dann wagen!« Er sollte berühmt werden für die gleichzeitige Anwendung in sich widersprüchlicher Methoden, einer Verbindung geschulten Denkens einerseits und impulsiven Handelns andererseits. Doch seine Heirat war ein sorgfältig erwogener Schritt von grundlegender Bedeutung. Aufgrund ihres friedlich-ausgleichenden Wesens paßte sich Margarete seinen Stimmungen und Absichten an und erwies sich als perfekte Ergänzung für den jungen Offizier, der bereits für explosive Energie und unberechenbare Heftigkeit bekannt war. Von ihr schrieb er, sie sei eine »ideale Helferin« gewesen, und der älteste Sohn vertritt die Auffassung, sie sei seinem Vater absolut unentbehrlich gewesen. In der Tat sollte Guderians Bedürfnis nach einem Partner und Chef des Stabes mit kühlem Kopf im Verlauf seiner Karriere auch für die deutsche Armee zu einer absoluten Notwendigkeit werden. Noch entscheidender wurden die sich allmählich entwickelnden Ambitionen Margaretes, die mehr und mehr an die große Bestimmung ihres Mannes zu glauben begann und deren Einfluß auf ihn, wie sich herausstellen wird, nicht nur darauf abzielte, ihn zu ermutigen, sondern auch seine Schritte auf sicherere Bahnen zu lenken, wenn er in stürmischen Augenblicken daran dachte, die Flinte ins Korn zu werfen. Die Hochzeit setzte zudem Zeichen für die Zukunft: zu den Anwesenden gehörte der geschätzte Freund Bodewin Keitel (Margaretes Vetter zweiten Grades), dessen Bruder Wilhelm viele Jahre darauf Chef des Oberkommandos der Wehrmacht wurde; beiden Brüdern war es bestimmt, in späteren Jahren Guderians Geschicke zu beeinflussen. An der Kriegsakademie traf Guderian noch weitere starke Persönlichkeiten, die in seinen späteren Lebensabschnitten eine Rolle spielten. Unter seinen Alterskameraden war Erich von Manstein, der von allen dem Verständnis der Philosophie und der Methoden am nächsten kam, die Guderian künftig vertrat und anwandte. Das Erste Direktionsmitglied war Oberst Rüdiger Graf von der Goltz, der, so
Guderian, einen noch weitergehenden erzieherischen Einfluß auf die jüngeren Offiziere ausübte als der Kommandeur der Akademie. Sechs Jahre später war es von der Goltz, der sich seines einstigen Schülers entsann. Im ersten Akademiejahr lag der Schwerpunkt hauptsächlich auf einer Verbesserung des Allgemeinwissens der Studierenden. Guderian erinnert sich, daß Taktik der Hauptgegenstand war neben Kriegsgeschichte, »... und aus ihr hauptsächlich die Einleitung des Feldzuges von 1757 mit dem Einmarsch in Böhmen in getrennten Gruppen und deren Vereinigung zur Schlacht bei Prag... Anschließend wurde der Feldzug von 1805 vorgetragen.« Die historischen Studien wurden mit einem Schlag beendet, als die Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich am 28. Juni 1914 in Sarajewo künftige Wirren und Ungewißheiten heraufbeschwor. Zu diesem Zeitpunkt war Guderian mit anderen Infanterie- und Kavallerieoffizieren des Ausbildungskurses der Feldartillerie zugeteilt für eine Zeit, »die im allgemeinen wohl lang genug war, um wirklichen Einblick zu gewähren«. Die deutsche Armee war von jeher in Friedenszeiten für praktische Versuche gewesen, trotz ihrer Freude an der Entwicklung von Theorien. Nun stand ihnen der von Kaiser Wilhelm II. provozierte Krieg bevor, und für ihre Theorien die Stunde der Bewährung. Am 1. August wurde die Mobilmachung verkündet und der Lehrgang an der Kriegsakademie aufgelöst, noch bevor Guderian seine Sonderausbildung abschließen konnte. Er erhielt den Befehl, sich bei der Einheit zu melden, mit der er ins Feld ziehen sollte. Es war jedoch nicht der Truppenteil, dem sein Herz gehörte, das 10. Jägerbataillon. Er hatte ja zuletzt beim 3. Telegraphenbataillon Dienst getan und wurde bei der Mobilmachung mit dem Kommando der Schweren Funkstation Nr. 3 betraut, die der 5. Kavalleriedivision des I. Kavalleriekorps in der 2. Armee zugeordnet war. Der Krieg kam für die Guderians im falschen Augenblick. Die politischen Spannungen, die in Europa während der vorangehenden zehn Jahre die Fiebergrenze erreicht hatten, traten völlig zurück angesichts der Sorgen, die sich daraus ergaben, daß Margarete innerhalb Monatsfrist ihr erstes Kind erwartete. Wenn auch der 26jährige Offizier in jenem August nicht völlig auf seine Aufgabe vorbereitet ins Feld zog und mit einem Gedanken daheim war, so ist doch zu bezweifeln, ob damals viele seiner Kameraden irgendwie besser ausgebildet waren. Er hatte eine eigene Philosophie entwickelt, der er gefolgt war, seit er sich vor Eintritt in das Bataillon einer Selbstanalyse unterzogen hatte. In seinem Tagebuch, das mehr der Aufzeichnung von Gedanken als der ausführlichen Schilderung von Tagesabläufen diente, hatte er 1908 notiert: »Ich bin ein eigentümlicher
Kerl. Mal fühle ich mich sehr wohl und glaube, es müßte mir alles gelingen und es könnte nichts Böses eintreten. Lang lebt man indessen nicht in diesen Illusionen. Bald dies, bald jenes - Kleinigkeiten oder wirklicher Ärger stören das ruhige Gemüt. Vielleicht gelingt es mir noch einmal, den Stein der Weisen zu finden und alles in Gleichmut hinzunehmen... Aber ich glaube, es ist gar nicht einmal gut, zu großen Gleichmut zu besitzen. Nachher wird man nur gleichgültig.« Obwohl von den wesentlichen soldatischen Tugenden wie hohem Patriotismus und strengem Bewußtsein von Pflicht und Ehre über die Grunderfordernisse des Kriegshandwerks hinaus beseelt, hatte er sich über die Jahre, besonders bei Feldübungen, ein waches und furchtloses kritisches Gespür erhalten, das sich in seinem Verhalten und in seinen Niederschriften äußerte. Persönliche Empfindungen zu verschleiern, war Guderian fast unmöglich, obwohl der die bissige Seite seines Temperaments häufig hinter Witzen und Scherzworten verbarg. Während der Frühjahrsmanöver von 1913 war er bei einer der ersten Erprobungen einer Funkabteilung dabei, die der Kavallerie angeschlossen war, und hatte in Zusammenarbeit mit einer Kavalleriebrigade unter Generalmajor von Ilsemann wertvolle Erfahrungen gewonnen, aber auch die Mängel gespürt, unter denen diese Übungen litten. Oftmals war er von der Brigade abgeschnitten, weil der Rolle seiner Einheit bei den geplanten Operationen zu wenig Bedeutung zugemessen wurde. So nahm es nicht wunder, daß die Funkabteilung häufig ohne Verbindung und ohne Befehle blieb. Er verfaßte einen höchst kritischen Bericht, der dem General zuging, aber dieser ließ ihn, wie Guderian feststellte, »in seinem Schreibtischschubfach verschwinden«. Tatsache blieb, daß es Guderians Abteilung versäumt hatte, die Leistung zu erbringen, zu der sie fähig war, und infolge übermäßiger und unnötiger Bewegung Pferde und Leute (in dieser Reihenfolge, da ohne die Pferde die schweren Funkgeräte und die zugehörigen Batterien nicht transportiert werden konnten) erschöpft worden waren. Eben diesem General sollte er unterstellt werden, als es ernst wurde. Die Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit zwischen den Funkabteilungen und den zugehörigen Befehlsstellen waren jedoch keineswegs auf Guderians Operationsebene beschränkt und auch nicht auf seinen Vorgesetzten. Die eigentliche Ursache des Mißerfolgs lag in der Unfähigkeit, grundlegende Mißverständnisse zwischen dem noch in den Kinderschuhen steckenden technologischen Waffensystem (wie es das Funkwesen zweifellos war, obwohl es damals nicht erkannt wurde) und den althergebrachten Praktiken des Generalstabes zu beheben. Dies war nur typisch für Probleme, die bei der Einführung einer neuen, wirkungsvollen Waffe auftauchen und deren Einsatz sich gegen
reaktionäre und eingefahrene Gewohnheiten und Meinungen durchsetzen muß. Im Jahre 1914 genoß das neugeschaffene Funkwesen weder Vertrauen noch Sympathie beim Generalstab und wurde infolgedessen nicht mit Informationen über strategische Absichten und deren Tragweite versorgt. Zudem war ihr Chef nicht der Mann, Ansprüche energisch durchzusetzen. Die Folge war, daß Planungen über die künftige Verwendung der Fernmeldeeinheiten im Rahmen der Operationserfordernisse zu kurz kamen. Der ohnehin schweren Ausrüstung, die auf dem Transport nicht eingesetzt werden konnte und nicht leicht zu bedienen war, wurde wenig Möglichkeit zum wirksamsten Einsatz dadurch gegeben, daß die Vorschriften besagten, daß »Außenstationen« - so wie die Guderians - die Verantwortung für die Herstellung des Kontaktes zur Hauptleitstelle trugen. Das war viel zu zeitraubend für Einheiten, die in Feindberührung standen. Der Äther war voller miteinander in Konkurrenz befindlichen Außenposten, die verzweifelt versuchten, Funkverbindung zur Hauptstelle aufzunehmen, die ihrerseits darüber klagte, daß zuwenig Zeit vorhanden war, um die Masse der Informationen und Befehle an Stationen weiterzugeben, die sich nach Belieben ausschalten konnten. Die Zentrale hatte keine Möglichkeit, das Funknetz unter Kontrolle zu halten. Zu Ausfällen kam es um so häufiger, je hektischer die Operationen wurden. Chaos und Zeitvergeudung waren an der Tagesordnung, und die kämpfenden Verbände wurden daran gehindert, rechtzeitig und gut vorbereitet die erforderlichen Geländepunkte zu erreichen. Diese Dinge fielen Guderian auf. Sie waren für ihn die ersten Fronterlebnisse zu einer Zeit, als er für nachhaltige Eindrücke empfänglich war.
2 GRUNDLAGEN FÜR DIE ZUKUNFT
Um die Überlegungen zu verstehen, die hinter den Argumenten standen, die Guderian eines Tages zugunsten der Panzertruppen geltend machte, braucht man nur seine Karriere während des Ersten Weltkrieges zu verfolgen und während der nachfolgenden Periode an der deutschen Ostfront. Das Schicksal verschlug ihn an beinahe alle Fronten, die Schauplatz verschiedener Auseinandersetzungen waren. So konnte er aus einer gewissen Distanz eindringliche persönliche Erinnerungen aufnehmen und verarbeiten, besonders, was die Schwäche mobiler Kriegführung betraf und die sich daraus ergebende Pattsituation, die alle Hoffnung auf eine schnelle Entscheidung des Konflikts im Keim erstickte. Die deutsche Armee zog 1914 unter der Führung des jüngeren Helmuth von Moltke in den Krieg, einem Generalstabschef, der, obwohl Neffe seines großen Namensvorbildes, eine weitaus farblosere Figur abgab. Desgleichen war der Feldzugsplan, den er wählte, eine schwächere Version des einst von seinem Vorgänger Graf Alfred von Schlieffen kreierten Aufmarschkonzepts. Schlieffen war ein Offizier, der sich so intensiv dem Studium des Krieges widmete, daß er an nichts anderes mehr dachte. Die Armee, wie sie ihm vorschwebte, war modern und verfügte über zwei Waffen, von denen er hoffte, sie würden ihr einen technischen Vorsprung sichern, um die ungeheure defensive Feuerkraft und den Elan des Feindes zu überwinden. Die schwere bewegliche Artillerie war dazu ausersehen, jede Art von Befestigung zu zerstören und die im Feld stehenden gegnerischen Einheiten zu demoralisieren. Funkverbindungen sollten Informationen und Befehle schnell von der Zentrale zu den Frontstellen und umgekehrt weiterleiten und dadurch den Kommandeuren eine detaillierte Führung des Gefechts aus großer Entfernung ermöglichen. Initiative bei den unteren Befehlsrängen, wie sie Moltke der Ältere zu ermutigen für richtig befunden hatte, wurde entscheidend gehemmt. Gleichzeitig waren raumgreifende Umfassungsangriffe nach dem Muster eines modernen Cannae, wie sie Moltke 1870 bei Sedan gelungen waren, Teil von Schlieffens Plan. Die Beweglichkeit sollte dabei durch eine stärkere Nutzung der Eisenbahn, als Moltke es sich erträumt hatte, vergrößert werden. Doch unbegreiflicherweise wurde die Methode, mit deren Hilfe die Mobilität der deutschen Truppen in erheblichem Maße hätte gesteigert werden können, aus den Plänen Schlieffens und Moltkes des Jüngeren gestrichen. Motorfahrzeuge, die alsbald populär wurden und in
größerer Anzahl geliefert werden konnten, wurden zwar in gewissem Umfang verwendet, waren indessen nach Zahl und Wirkung nicht ausreichend. 1923 schrieb Generaloberst von Kluck, der die 1. Armee beim Marsch auf Paris befehligte, die Hauptleidtragender dieser logistischen Fehleinschätzung wurde, daß diese Systeme weiterer Erprobung bedurften. Dafür sollte zu gegebener Zeit ein junger Offizier der 3. Funkstation sorgen. Der deutsche Angriffsplan, der einen Einmarsch in Nordfrankreich über Belgien und die Ardennen vorsah, verlangte von den vier beteiligten Hauptarmeen lange Märsche unter schwierigen Bedingungen wie Sommerhitze und Staub. Nachdem sie die Eisenbahnknotenpunkte in Grenznähe verlassen hatten, lag es an der Ausdauer der Soldaten und Pferde, ob das Tempo des Vormarsches gehalten werden konnte. Generalleutnant von Richthofens I. Kavalleriekorps, zu dem die 5. Kavalleriedivision gehörte, und Guderians 3. Funkstation, sozusagen als Fühler für lebenswichtige Verbindungen, stand vor einer beinahe einzigartigen Gelegenheit, kampflos die Schlachtfelder zu durchqueren, die zur Marne führten. Denn Richthofens Soldaten begannen ihren Vorstoß nach Frankreich im Kampfgebiet der 3. Armee, die in der ersten Augusthälfte über die Ardennen nach Dinant marschiert war, kreuzten dann den Weg der Nachhut der 2. Armee unter von Bülow, um schließlich zwischen Bülows Verbänden und der kräftig verstärkten Manövriermasse, die auf dem rechten Flügel in der 1. Armee von Klucks zusammengefaßt war, in die Gefechte einzugreifen und weiter über Mons in Richtung Le Cateau und weiter auf Paris vorzurücken. Die auf den Karten verzeichneten Pfeile machen deutlich, daß das I. Kavalleriekorps rund 250 Kilometer weit marschierte, bevor es am 31. August ernsthaft in die Kämpfe eingriff. Insgesamt hatte es unter Berücksichtigung der Umwege weit über 300 Kilometer zurückgelegt. Guderian blieb zwischen dem 17. und dem 20. August bei der 5. Kavalleriedivision in Dinant und erlebte dort, wie endlose Kolonnen von Reitern, Infanteristen, Kanonen und Transporteinheiten gutgeordnet und unbehelligt über ein verworrenes Netz von Landstraßen vorrückten und die Maas überschritten. Seinen Augen bot sich dabei ein Bild, das auch einen militärisch weniger engagierten Beobachter überwältigt hätte, das aber bei ihm unauslöschliche Eindrücke von der logistischen Machbarkeit hinterließ, solche Menschenmassen durch bekanntermaßen schwieriges Gelände zu führen. Seine Abteilung mußte ihrem Wesen entsprechend größere Entfernungen zurücklegen als die übrigen Einheiten der Division, weil sie ständig benötigt wurde und daher in der Nachbarschaft der 5. Kavalleriedivision von einer Division zur anderen hin und her wechselte. Oftmals war ihr Einsatz infolge mangelnder Planung unzweckmäßig. Entweder blieb sie ohne klare Befehle oder sie wurde mit Aufgaben betraut, die ihr nicht zukamen. Mehr noch als die
meisten Einheiten der 1. und 2. Armee, die schon bald unter Erschöpfung litten, waren die Pferde und Mannschaften der 3. Funkstation, die ihr schweres Gerät, das eine Reichweite von rund 250 Kilometer hatte, mit sich schleppten, höchster Beanspruchung ausgesetzt. Die deutsche Kavallerie insgesamt kam in Schwierigkeiten. Das II. Kavalleriekorps, das als Flankenschutz der 1. Armee vor dieser nach Belgien eingerückt war, hatte bald über Futtermangel für seine Pferde geklagt. Hinzu kam ein schwerer Rückschlag am 12. August bei Haelen, wo das Korps von zahlenmäßig schwachen belgischen Verbänden unter Maschinengewehr- und Gewehrfeuer genommen wurde und starke Verluste erlitt. Nie wieder sollte von nun an die deutsche Kavallerie mit der hochmütigen und durch nichts zu erschütternden Arroganz vorrücken, die sie zu Beginn des Krieges gezeigt hatte, wenn auch die Faszination der Schlagkraft dieser Truppe noch eine Weile anhielt. Am 31. August öffnete sich, als die 5. französische Armee südlich der Serre in Stellung gegangen war und das britische Expeditionsheer seinen Abzug fortgesetzt hatte, eine Lücke zwischen den beiden Armeen. Richthofen wurde von der 2. Armee durch Funk in diese Lücke gewiesen und erhielt Order, nach Osten zu schwenken, um zwischen Soissons und Vauxaillon Boden zu gewinnen und damit der 5. französischen Armee den Rückzug abzuschneiden. Dank der Leistung ihrer eigenen Funkeinheiten hörten die Franzosen fast ebenso schnell von diesem Befehl wie Richthofen, denn die meisten deutschen Funksprüche wurden entweder im Klartext übermittelt oder in dem Code, den die Franzosen innerhalb von 48 Stunden nach Ausbruch des Krieges geknackt hatten. So handhabte Guderian ohne sein Wissen ein zweischneidiges Schwert, denn der Sicherung des Funkverkehrs hatte man zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt. In fieberhafter Eile setzten nun die Franzosen Infanterie per Eisenbahn und Kavallerie über die Straßen in Bewegung, um den Stoß der Deutschen aufzuhalten, bevor er sein Ziel erreichte. Der deutsche Vormarsch wurde anhand der Funkmeldungen ihrer vordersten Truppenverbände genau registriert. Panik machte sich breit, als es den Briten nicht sofort gelang, eine Division einzusetzen, um den deutschen Stoßkeil abzudrängen. Die Deutschen rückten zwar schnell vor, weil sie nicht auf Widerstand trafen, ließen jedoch, als sie tiefer in die Lücke stießen, die für die Kavallerie im sicheren Gefühl ihrer Überlegenheit so wertvoll war, ihre Verärgerung darüber laut werden, daß die Hufeisen ihrer Tiere abgenutzt seien. In einem Funkspruch, der prompt von französischer Seite abgehört wurde, wurden vier Lastwagenladungen Hufeisen und vor allem Nägel nach Moyon, dem Ausgangspunkt des Vormarsches, beordert. Diese Gewohnheit weit vorgerückter Einheiten bei beweglichen Operationen, Entschuldigungen zu finden, die sie vor
weiteren Anstrengungen bewahrten, war ein psychologisches Moment, das Guderian sich gut merkte. Tatsächlich erreichte das gesamte Korps sicher die Gegend nördlich von Soissons, weit im Rücken der französischen Streitkräfte, wurde dann jedoch wieder zurückgezogen. Dies geschah angeblich, weil das Oberkommando wünschte, daß das Korps weiter südwärts vorrückte und den Kontakt zur 1. Armee aufrechterhielt, die auf der rechten Flanke ziemlich weit vorgestoßen war, zum Teil wohl auch, weil feindliche Einheiten angriffen und die Kavallerie zwangen, zum Gefecht abzusitzen, und hauptsächlich, weil diese die günstige Gelegenheit nicht erkannte. Die einzige materielle Hilfe, die sie ihrer eigenen Seite in die Hand gab, waren gelegentliche Informationen über feindliche Einheiten in Soissons. Richthofen, ein Kommandeur, der etwas von Beweglichkeit verstand, war es gewesen, der diese einmalige Gelegenheit geschaffen hatte, von der jeder Kavallerist träumt. Sein I. Kavalleriekorps hatte den Gegner so weit hinter sich gelassen, daß er nicht in der Lage war, Verteidigungsmaßnahmen zu ergreifen, um den Deutschen den Weg zu versperren. Aber da Richthofen es sich erlaubte, außer Reichweite der Funkverbindungen zu geraten, war seine vorteilhafte Position seinen Vorgesetzten nicht bekannt. Auf jeden Fall fehlte ihm ein Instrument, das auf dem modernen Schlachtfeld zu überleben in der Lage war. Die Regimenter, ungeschützt gegen feindliches Feuer, konnten einfach nicht die Vorteile nutzen, die ihr General herausgeholt hatte. Als Guderian später im Jahre 1937 Achtung - Panzer! schrieb, zitierte er die Schlußfolgerungen des Reichsarchivs, »... nirgends aber hatten die Kavalleriekörper vermocht, sie zu durchstoßen und Einblick in die Vorgänge hinter der feindlichen Front zu gewinnen«. Diese Beurteilung war zu allgemein und, wie die Aktion bei Soissons vermuten läßt, vielleicht ein wenig unfair, aber sie wurde pflichtgemäß registriert als Präzedenzfall zum Gebrauch in künftiger Zeit, als die Reiter im Krieg immer mehr in den Schatten traten. Die Serie von nicht aufeinander abgestimmten Befehlen, die bei der Marneschlacht eine Krise auf deutscher Seite auslösten, konnte von Moltke nicht beendet werden, der in Luxemburg inmitten eines Netzes von überlasteten Funkverbindungen saß. Funksprüche und telefonische Lageberichte waren nicht geeignet, den engen persönlichen Kontakt in Frontnähe zu ersetzen - und einen solchen vermied Moltke, bis die Schlacht verloren war. Persönlicher Kontakt war indessen häufig an allen Abschnitten vonnöten. Am 5. September führte das I. Kavalleriekorps die 2. Armee tief in eine weitere Lücke hinein, die sich zwischen den Engländern und Franzosen aufgetan hatte, und hatte die Vorhuteinheiten bereits weit über den Grand Morin geschoben, »ständig bemüht, die Initiative zu ergreifen«, wie das Reichsarchiv berichtet. Guderian war
dabei, und zwar, hätte er es nur gewußt, an der Spitze einer Einheit, der ein völliger Durchbruch durch eine anglo-französische Verteidigungslinie gelungen war. Es war das letzte Mal, daß dies geschah, bis er persönlich 26 Jahre später einen solchen Schachzug wiederholte. Aber erneut erkannte niemand auf deutscher Seite die Chance, und wieder einmal war, wie gewöhnlich, Richthofens Isolierung von der 2. Armee schuld. Inzwischen waren seine Leute, die nur auf sehr spärlichen feindlichen Widerstand trafen, gezwungen, das Tempo zu verlangsamen, als sie absaßen und ins Gefecht gingen. Am darauffolgenden Tag ließen die Aktionen der 1. Armee, die zum Ziel hatten, die französische Bedrohung zu mindern, in Guderian zum erstenmal das Gefühl aufkommen, daß die Sache schlecht stand. Er hatte mit Interesse die verlassenen französischen Ortschaften als Zeichen dafür gewertet, daß die Kampfkraft der Franzosen im Schwinden war, und sich am Anblick der Gebäude von Soissons und des schönen Marnetals erfreut. Plötzlich änderte sich alles. Über Nacht war die Kavallerie nicht länger die Angriffsspitze, sondern wurde zunächst zum Flankenschutz, nachdem der Vormarsch zum Stillstand gekommen war, später beim Zurückgehen zur Nachhut, die die Lücke füllte, die sich zwischen der 1. und 2. Armee auftat und in die britische und französische Verbände hineinzustoßen drohten. Über den 6. September berichtete Guderian in einem Brief an Gretel, daß er zur 5. Kavalleriedivision zurückgekehrt sei und sich bei Cerneux unter feindlichem Artilleriefeuer befand, was kein Wunder war, weil zu diesem Zeitpunkt das genannte Dorf im Niemandsland lag. Am nächsten Tag war er in Bois Martin: »Infolge Überanstrengung starben unterwegs drei Pferde. Pferde und Mannschaften aufs äußerste erschöpft, dazu noch das ungemütliche Gefühl des Zurückgehens.« Am 8. September: »Die Station trabt drei Kilometer lang im Schrapnellfeuer ohne Verlust. Sehr ungemütliche Lage.« Und am 9. September, als die 5. Kavalleriedivision allein zwischen der 1. und 2. Armee stand: »Weitermarsch zunächst ohne Bedeckung, mutterseelenallein. Nachmittags, als wir die Division wieder erreicht hatten, plötzlich Schrappnellfeuer in die Kolonne, wieder durch Glück keine Verluste... Pferde und Menschen schon ziemlich erledigt.« Schließlich stürzten am 11. September, nachdem der mündliche Befehl ergangen war, nach Chery über Cohan zu marschieren (ein schriftlicher Befehl traf nie ein), zwei Pferde. Neue mußten requiriert werden. Aber die Verzögerung erwies sich als fatal. Auf einmal waren die Franzosen von allen Seiten da, eroberten die Funkstation und mit ihr alle persönliche Habe Guderians und nahmen ein paar seiner weniger glücklichen Kameraden gefangen. Guderian entkam um Haaresbreite und besaß nur noch die Uniform, die er in Bethenville nordwestlich von Reims am Leib trug.
Hier erhielt er endlich einen Brief, durch den er erfuhr, daß auch Margarete ihre schwere Zeit überstanden hatte, denn in seiner Antwort vom 16. September heißt es: »Mein inniggeliebtes, süßes Frauli! Heute bekam ich von Deinem Vater die erste so ungeduldig erwartete Nachricht aus Lüttich. Er zeigte mir die glückliche Geburt unseres geliebten Söhnchens an. Mit tiefem Dank gegen Gott, daß er Dich in schweren Stunden gnädig behütet hat, bringe ich Dir, mein herzliebes Frauchen, meine innigsten Glückwünsche dar, meinen Dank für Deine Liebe und Güte gegen mich. Meine Wünsche begleiten Dich und unser Kind Tag für Tag. Bleibt gesund und frisch; und wenn der liebe Gott mir eine Wiederkehr aus diesem furchtbaren Krieg gestattet, dann möge er uns ein frohes Wiedersehen mit unseren Lieben bescheren. Aber nun weiß ich, daß Du aus der schweren Zeit gesund hervorgingst, ist mir ein Stein vom Herzen, und ich werde ruhiger an das ernste Handwerk gehen, das unserer hier noch harrt.« Wenige Tage später war die Zärtlichkeit geschwunden. Zornig ließ er Gretel wissen: »Die Zeitungen, die ich bisher gelesen, haben viel zu viel Geschrei gemacht... Es ist billig, über einen tapferen Feind herzuziehen... Auch das, was über Wortbruch und so weiter geredet wird... Aber jeder ist sich selbst der Nächste und Macht geht vor Recht. Deshalb halte ich das Geschreibe vom Verrat des Zaren und der Engländer für Stimmungsmache. Es geht jetzt eben um unsere Weltstellung und staatliche Existenz, die den anderen unbequem war. In gewisser Weise erfüllt es mich mit Genugtuung, diese Entwicklung vorausgesehen zu haben.« Er war auch über das offensichtliche Versagen von Generalmajor von Ilsemann verärgert, der den hohen Ansprüchen, die er an ihn gestellt hatte, nicht gerecht geworden zu sein schien. Für seine Kameraden von der 5. Kavalleriedivision fand er dagegen nur lobende Worte. Das waren Charakterzüge, die seine Karriere formen sollten: eine entschlossene Erwartung großer Leistungen von seinen Vorgesetzten und ein tiefes Mitgefühl, verbunden mit harten Anforderungen, für seine Untergebenen. Der Krieg rief ihn fast unmittelbar darauf aufs neue an den kritischen Frontabschnitt - in Flandern zur 4. Armee unter dem Herzog von Württemberg. Hier wurde ihm unbarmherzig vor Augen geführt, welchem Schicksal die Infanterie ausgesetzt ist, wenn sie gegen eine entschlossene und unerschütterliche Verteidigung anrennt, die mit einer »Waffe ohne Nerven«, wie Füller sie später nannte, ausgerüstet ist: mit Maschinengewehren. Frische deutsche Formationen wurden gegen die Stadt Ypern in den Kampf geworfen beim Versuch, die alliierte Flanke aufzurollen und die Kanalhäfen zu besetzen. Vom Vorgehen am 20. Oktober, über das er sehr gute Informationen erhielt, da er der 14. Funkstation beim Hauptquartier der 4. Armee zugeteilt worden war (wo seine Kenntnisse des Nachrichtenwesens und der Fremdsprachen
unschätzbare Dienste leisteten), beschrieb er, wie »... die jungen Regimenter, mit dem Deutschlandlied auf den Lippen, zum Angriff schritten« und setzte den Bericht in Achtung - Panzer! fort: »Die Verluste waren sehr schwer, die Ergebnisse befriedigend.« Und: »Die jungen Regimenter traten erneut zum Angriff an, nachdem die Artillerie ihre vermeintlich vernichtende Wirkung getan hatte. Reserven drängten vorwärts, füllten die dünn gewordenen vorderen Linien, erhöhten die Verluste. Die Opfer stiegen ins Unermeßliche, die Angriffskraft hingegen zerrann, man mußte sich eingraben und rief nach Schanzzeug.« Die Bewegung war zum Stillstand gekommen; der Grabenkrieg hinter Stacheldraht hatte an der Westfront begonnen. Wieder war es Guderian bestimmt, die wichtigsten Erprobungen, die des Grabenkrieges, aus der Nähe zu erleben. In seiner Begeisterungsfähigkeit erkannte er sofort den Wert der Luftaufklärung und zählte zu den wenigen, die als Beobachter auf Erkundungsflügen dabei waren. Er befand sich noch an der Ypernfront, als die Deutschen ihren schlecht vorbereiteten, halbherzigen Durchbruchsversuch am 22. April 1915 unter Verwendung von Gas starteten. Es war dies ein klassisches Beispiel des verfrühten Einsatzes einer »Geheimwaffe«, bevor ihr potentieller Wert einzuschätzen war und praktische Erfahrungen vorlagen. Am 27. Januar 1916 wurde er als Nachrichtenoffizier dem Hauptquartier der 5. Armee unter dem Kronprinzen in Verdun zugeteilt, wo er während der folgenden sechs Monate daran mitwirkte, die Ergebnisse des ersten Großangriffs zu analysieren, mit dem versucht worden war, mit brutaler Kraft und unter völligem Verzicht auf Mobilität eine Entscheidung herbeizuführen. Später waren seine Schlußfolgerungen diejenigen eines jeden denkenden Offiziers - ein vernichtendes Urteil über die Unfähigkeit der Artillerie: »Dennoch gelang es ihr in der Regel nicht, den feindlichen Widerstand so zu erschüttern, daß mehr als ein Einbruch in das Stellungssystem des Verteidigers erzielt wurde. Im Gegenteil trug die lange Dauer, die man dem Feuer zu ausreichender Wirkung bewilligen mußte, dazu bei, dem Verteidiger Zeit zu Gegenmaßnahmen zu gewähren.« Trotzdem schrieb er in den ersten Tagen der Offensive an Gretel, vielleicht um ihr Mut zu machen, wahrscheinlicher aber in Übereinstimmung mit dem auf deutscher Seite vorherrschenden Optimismus: »Die große Schlacht verläuft gut.« Guderian war natürlich immer optimistisch - andernfalls war sein Überleben nicht vorstellbar. Bei einem Ereignis von Bedeutung war Guderian allerdings nicht dabei. Im Juli wurde er als Nachrichtenoffizier zum Hauptquartier der 4. Armee nach Flandern zurückbeordert. So verpaßte er den ersten Angriff britischer Tanks an der Somme am 15. September 1916. Selbst als Augenzeuge wäre er wohl kaum mehr beeindruckt gewesen als
andere Zeitgenossen. Bloße 32 Panzer hatten zwar örtlich begrenzten Schrecken verbreitet, wo sie zu zweit oder dritt auftauchten, aber die deutsche Artillerie hatte diejenigen vernichtet, die sich zum Kampf stellten. Die Stabilität der Grabenfront war niemals ernsthaft bedroht worden. Ebenso wie die übrigen Männer in der deutschen Armee, die gründlicher nachdachten, überhörte Guderian geflissentlich die Berichte von Frontsoldaten, die die Tanks als »ebenso grausam wie wirkungsvoll« beschrieben und hielt nach geeigneteren Kombinationen erprobter Waffen Ausschau, um die Fronten für einen Bewegungskrieg zu öffnen. Aus demselben Grund gaben die Besitzer der neuen Waffe ihr keine größeren Zukunftschancen. Major J. F. C. Füller war zur Zeit seiner Ernennung zum Senior Staff Officer Ende 1916 beim neugebildeten British Tank Corps voller Skepsis über den Wert der Tanks. Er suchte wie Guderian ständig nach neuen Methoden des Infanterieeinsatzes und hatte schon 1914 einen aufschlußreichen Artikel mit der Überschrift »Die Taktik des Eindringens« (Tactics of Penetration) veröffentlicht. Im Gegensatz zu Guderian (aber vielleicht ebenso mit versteckter Ironie wie dieser, wenn er die Gültigkeit offizieller Doktrin in Frage stellte) vertrat Füller die Meinung, daß »Taktik auf Waffenstärke beruht und nicht auf zurückliegenden Erfahrungen der Militärgeschichte« und daß »der Truppenführer, der als erster die richtigen Möglichkeiten einer neuen oder verbesserten Waffe begreift, in der Lage sein wird, den Gegner zu überraschen, der das versäumt«. Trotzdem waren es die Engländer und später die Franzosen, die die Grundidee des Tanks weiterentwickelten, und dies vor allem, weil sie phantasievolle und energische Offiziere mit der Führung ihrer neuen Waffe beauftragten. Obwohl die Deutschen erste Versuche unternahmen, auch ihrerseits Kampfwagen herzustellen, womit sie im Januar 1917 begannen, so war doch der Ansporn dazu gering, weil Techniker und mittelmäßige Bürokraten mit der Entwicklung betraut wurden und der Generalstab kein ernsthaftes Interesse bekundete. Verschiedene entscheidende Wendepunkte des Krieges waren 1917 erreicht: der Ausbruch der Russischen Revolution, der Kriegseintritt der USA und die endgültige Demonstration seitens der Engländer, daß eine Offensive, die hauptsächlich vom Artilleriefeuer getragen wird, zum Scheitern verurteilt ist. Für die Deutschen war es ein ungewöhnliches Jahr. Die Strapazen der beiden ersten Kriegsjahre hatten ihre Streitkräfte soweit reduziert, daß eine defensive Erholungsphase vonnöten war. Die logische Schlußfolgerung aus Moltkes Behauptung, daß »weil der Verteidiger einen entscheidenden Vorteil im eigentlichen Feuergefecht hat, es für die preußische Armee desto mehr Grund gibt, defensive Methoden anzuwenden«, wurde durch den Aufbau kostspieliger und komplizierter Befestigungszonen in die Praxis umgesetzt, die die Westfront schützen sollten und die ans Eisenbahnnetz angeschlossen
wurden. Die Folge davon war, daß eine Industrie von ohnehin relativ begrenzter Kapazität nicht in erster Linie beauftragt wurde, Offensivwaffen herzustellen. Zur Besorgnis der konservativen Generalstabsoffiziere hatte die Moral der Truppe gelitten. Was noch schlimmer war, in der Betrachtungsweise derer, die diese Entwicklung nachträglich verurteilten (Guderian unter ihnen), wurde die taktische Doktrin des »hinhaltenden Widerstandes« geradezu zur ökonomischen Maßnahme erhoben in einem dem Wesen nach verschwenderischen Abnutzungskrieg - eine Methode der Verteidigung, die parallel lief mit Verschwendung von Menschenleben und Material auf beiden Seiten in der Absicht, den Gegner allmählich zu erschöpfen. Dies war der Typ der Verdunoffensive mit umgekehrten Vorzeichen, der, wie Guderian es formulierte, »... das schöne Land in eine Mondlandschaft verwandelte«. Eine solche Methode zu entwickeln, war nach Ansicht ihrer Kritiker das genaue Gegenteil jeder praktikablen Kriegführung. Für die Deutschen war in der Zeit nach den Verlusten von 1916 von wesentlicher Bedeutung die Auffüllung der seit 1914 erschöpften Substanz. Die alte Armee hatte sich nicht nur verblutet. Ihr waren Bluttransfusionen infolge einer Politik verwehrt worden, die von einem kurzen Krieg ausging und den Erfordernissen einer langdauernden Auseinandersetzung nur unzureichend gerecht wurde. Die Beförderung der Offiziere war im Vorkriegstempo erfolgt und reichte nicht aus, um die Verluste zu ersetzen. Die Ausbildung einer neuen Generation einschließlich des Nachwuchses für den Generalstab war minimal gewesen. Im Zuge des Wiederaufbaus wurden neue Stabsoffiziere herangebildet, indem man unter anderem auf Männer wie Guderian zurückgriff, die die Kriegsakademie besuchten, als diese 1914 aufgelöst wurde, und sie einen geänderten, aber streng praktischen Erfordernissen angepaßten Kurs durchlaufen ließ, der alle Aspekte der Generalstabstätigkeit umfaßte. Dazu gehörten Kommandierungen von einem Monat Dauer zu Stäben auf allen Ebenen, von der Heeresgruppe bis zur Division, eine kurze Praxis bei einer Artillerieeinheit und schließlich eine einmonatige Bewährung als Kommandeur eines Infanteriebataillons an der Front. Den ganzen April durch blieb Guderian bei Einheiten an der Aisne und erlebte daher, wie auch die Franzosen zum erstenmal - allerdings mit kaum nennenswertem Erfolg - Tanks einsetzten. Mit Beginn des Jahres 1918 verbrachte er zwei Monate als Teilnehmer eines Kurses für Generalstabsoffiziere in Sedan, wo er ohne Zweifel unterrichtsfreie Stunden dazu benutzte, die Szene von Moltkes Cannae aus dem Jahre 1870 zu besuchen und sich die Beschaffenheit des Geländes einzuprägen, auf dem 22 Jahre später sein großes Gambit erfolgen sollte. Die kurzen Abstellungen bedauerte er als unzweckmäßig, aber
über die Ausbildung, die er erhielt, war er des Lobes voll. Sie war, so meinte er, »vielseitig und gründlich. Ich fühlte mich nach Absolvierung des Lehrganges in Sedan den an mich herantretenden Aufgaben gewachsen. Am 28. Februar 1918 wurde ich endgültig in den Generalstab übernommen.« Es war einer der stolzesten Augenblicke in seinem Leben. Über die Rolle des Generalstabes im Ersten Weltkrieg urteilte er später: »Die endlich erlangte Großmachtstellung im Kreis der europäischen Völker schuf ein militärisches Selbstbewußtsein, das seinen lebhaftesten Ausdruck vielleicht gerade im Kreis der geistigen Auslese des Offizierskorps, eben dem Generalstab, fand.« Nicht daß sein abschließendes Urteil über den Generalstab unkritisch gewesen wäre - weit entfernt; nach reiflicher Überlegung betrachtete er ihn als »zu enges Konzept«, obwohl er sich mit einer solchen Äußerung zurückhielt, als er zum erstenmal die karmoisinfarbenen Streifen erhielt. Ohne Zweifel führte das Verlangen des Generalstabes, die Prinzipien Moltkes in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, was er laut Guderian zu tun bemüht war, dazu, daß er trotz der Möglichkeiten des Tankeinsatzes, wie sie ihm vom Feind vor Augen geführt wurden, die technischen Notwendigkeiten verkannte. Die Ereignisse vom 20. November 1917, als Guderian im Hauptquartier des Armeeoberkommandos »C« tätig war und daher weit entfernt von Cambrai und dem ersten Erfolg eines massierten Angriffs von Tanks, ließen deutlich erkennen, wie sehr es dem Generalstab an Voraussicht mangelte. Dieses Geschehen kommentierte Guderian so: »Die Tankstreitmacht verlieh den Armeen der Entente die wirkliche Stoßkraft, als sie bei Cambrai die für unüberwindlich gehaltene Siegfriedlinie an einem Vormittag durchbrach.« Die Taktik von Cambrai war von Füller ausgebrütet worden, obwohl ihm der Fehler nicht angelastet werden kann, daß der anfängliche Erfolg sich innerhalb weniger Tage abrupt gegen die Briten wandte, weil die Deutschen zu einer wirkungsvollen Gegenoffensive ansetzten, bei der gleichfalls neue Methoden angewendet wurden. Von entscheidender Bedeutung für den weiteren Kriegsverlauf war, als sich das Jahr 1917 dem Ende zuneigte, daß beide Seiten Techniken enthüllten, die, wären sie in einem späteren Jahrzehnt richtig angewandt worden, die Mobilität als Schlüssel für die schnelle Entscheidung eines Feldzuges wiederhergestellt hätten. Immerhin war den Deutschen klargemacht worden, daß die Tanks eine tödliche Bedrohung darstellten, eine, auf die sie wegen ihrer Vernachlässigung der Technologie keine unmittelbare Antwort wußten. Gleichzeitig hatten sie aber den Beweis angetreten, daß die neuen taktischen Methoden, die entwickelt wurden, seit Generaloberst August von Mackensen und sein Chef des Generalstabes Oberst Hans von
Seeckt, die Russen 1915 bei Gorlice-Tarnow geschlagen hatten, ihnen eine Siegeschance einräumten, jedenfalls solange, bis die Tanks (und Millionen von Amerikanern) in ausreichender Zahl auftauchten, um die endgültige Niederlage unabwendbar zu machen. Mackensen und Seeckt war es 1915 an der russischen Front dank einer überlegenen Taktik gelungen, tief in diese Front einzubrechen. Sie führten Reserven durch die schmale Bresche nach und konnten die Versorgung für ihren Stoß in die Tiefe und die Verfolgung aufrechterhalten. Die Russen waren zusammengebrochen, aber man mußte zugeben, daß sie bereits durch schwere Mängel in Ausrüstung und Organisation geschwächt waren. Ende 1915 besiegte dasselbe deutsche Befehlshaberteam auch eine angeschlagene serbische Armee und schaltete praktisch diese Nation vom Krieg aus. Zu Seeckts Freude machte ein massives Angebot von Infanterie der Kavallerie die Ausnutzung des Erfolgs möglich und überzeugte ihn davon, daß die Reiter noch eine Zukunft auf dem Schlachtfeld hatten. Es war eine falsche Lehre, aber eine, die für den weiteren Verlauf der deutschen Militärgeschichte noch von Bedeutung war. Denn auch Seeckt war ein Mann der Zukunft. Die deutschen Experimente zur Wiederherstellung der offenen Kriegführung wurden 1917 fortgeführt, während die Taktik der Verteidigung in der Tiefe das markanteste Kennzeichen ihrer Strategie blieb. Im September dieses Jahres erhielt eine andere geschwächte russische Armee einen lähmenden Schlag, als eine deutsche Armee unter General Oskar von Hutier bei Riga zuschlug. Diesmal war die Taktik des Infanteriedurchbruchs noch verfeinert worden. Im Anschluß an eine überraschenden Bombardierung, die nur kurz dauerte und sehr intensiv war (nicht im mindesten mit denen zu vergleichen, die bei Verdun tagelang angehalten hatten und jetzt zur gleichen Zeit die Anhöhen von Ypern pulverisierten), wurde der Angriff in die feindlichen Linien hinein von einem harten Stoßkeil besonders ausgewählter und ausgebildeter »Sturmtruppen« ausgeführt. Sie überwanden die russischen Verteidigungslinien, umgingen den Widerstand, der nicht sofort niedergemacht werden konnte und schufen durch ihre bloße Anwesenheit im unverteidigten russischen Hinterland Chaos und Ungewißheit. Dann wurden die abgeschnittenen russischen Stützpunkte durch eine weitere neue Kombination auf deutscher Seite aufgerieben: Ad-hoc-Gruppen aus Infanteristen, Maschinengewehrschützen und leichter Artillerie, die an der vordersten Front während der Schlacht unter einem schnell ernannten örtlichen Kommandeur zusammengezogen wurden, der die in seinem Bereich verfügbaren Kräfte bestmöglich einsetzte. Daraus resultierte eine flexible Auffassung der Befehlshaberfunktion: der Offizier in vorderster Linie, der die Situation am besten beurteilen konnte, erhielt wieder die Befehlsgewalt für seinen
Bereich innerhalb eines weitgespannten taktischen Netzes, das sehr lose von oben gespannt war. Diese Flexibilität hing jedoch weitgehend von besseren Fernmeldeverbindungen ab, als es die gewesen waren, die zu Beginn des Feldzuges 1914 versagten. Die Deutschen hatten sich mit ungeheurem Fleiß jede neue technische Errungenschaft zunutze gemacht und ihre Streitkräfte derart umorganisiert, daß die Fernmeldeoffiziere auf allen Kommandoebenen fest zugeteilt waren, um so einen entscheidenden Einfluß auf die Operationen ausüben zu können. Die deutschen Fernmeldeverbindungen hatten als Waffensystem inzwischen Anerkennung gefunden, aber es gab noch technische Mängel. Albert Praun, einer der fähigsten Praktiker, weist darauf hin: »Die technischen Probleme ausreichender, ständiger Verbindungssysteme für strategische und taktische Zwecke während der Truppenbewegungen, telefonischer Verbindungen über große Entfernungen und der Verwendung von Mehrfachleitungen und störungsfreier drahtloser Übermittlungen blieben weiterhin ungelöst.« Dennoch wurde der bewährte Mantel des alten Moltke ein weiteres Mal über dem Schlachtfeld ausgebreitet und führte zu großartigen Erfolgen. Die Russen wurden bei Riga in die Flucht geschlagen. Als einen Monat später den Italienern bei Caporetto die gleiche Behandlung zuteil wurde, hätte Italien aus dem Krieg ausgeschaltet werden können, vorausgesetzt, die Deutschen hätten das Tempo ihres Angriffes aufrechterhalten können. Hier lag das schwächste Glied in der Kette. Logistische Schnitzer, die Erschöpfung der vordersten Truppen und ein Unvermögen, am Schauplatz des Geschehens die Übersicht zu behalten und ausgeruhte Reserven in den Kampf zu werfen, brachten das Kampfgeschehen zum Stillstand, wie es an der Marne der Fall gewesen war. Die Methoden des Heranführens von Sturmtruppen und Kampfgruppen, die sich bei Cambrai so wirkungsvoll für die Abwehr der britischen Tankangriffe erwiesen hatten, funktionierten zwar auch hier, aber man strebte gar kein tiefes Eindringen hinter die feindlichen Linien an und erprobte die Logistik nicht. Das geschah erst wieder in großem Umfang am 21. März, als die Deutschen unter Hindenburg und der Führung von General Erich Ludendorff einen Schlag führten, der darauf abzielte, Auftakt zur letzten, alles zerschlagenden Offensive im Westen zu sein. Die Aufgabe, die Briten und Franzosen vernichtend zu besiegen, glaubte man jetzt lösen zu können, da Rußland aus dem Krieg heraus war und im Aufruhr der bolschewistischen Revolution steckte. Die Methoden, die Guderian und seine Altersgenossen im Winter 1917/18 bei Sedan studiert hatten, wurden bei der Ludendorff-Offensive angewendet. Sie waren dazu bestimmt, die Lehrgangsteilnehmer auf jede Aufgabe vorzubereiten, die die angreifenden Verbände fordern konnten. Aber, was Tanks betraf, so hatten die Deutschen weniger als
20 Stück aus eigener Produktion zur Verfügung, zusammen mit ein paar erbeuteten Fahrzeugen, so daß diese Waffe kaum irgendwelcher Studien wert war. Für seinen Teil fand sich Guderian von der Taktik abgeschnitten, denn im Mai wurde er Quartiermeister des XXXVIII. Reservekorps und fand sich tief in der Welt der Logistik wieder - eine wunderbare Erfahrung für jemanden, der in den kommenden Jahren die Fähigkeiten der Logistiker bis an ihre Grenzen abschätzen sollte. Ihm fiel die Verantwortung für den Nachschub für sein Korps zu, das Flankenschutz für eine zusätzliche Offensive über Aisne bieten sollte. Das Unternehmen begann am 27. Mai mit einer vollständigen Überraschung; man erzielte mit fast 23 Kilometern den weitesten Vormarsch seit Beginn des Grabenkrieges 1914. Bei dieser Aktion war Guderians Aufgabe nicht allzu schwer. Ungleich kniffliger wurde sie beim nächstenmal, als das XXXVIII. Reservekorps unter dem ausgezeichneten Hutier an der linken Flanke der sogenannten »MatzOffensive« angreifen mußte, die am 9. Juni mit der Absicht erfolgte, den Wirkungskreis seines schwächer werdenden Vorgängers auf der linken Seite zu erweitern und die Bedrohung von Paris zu vergrößern. Unglücklicherweise fehlte dieser Offensive der Überraschungsfaktor, den sich die Deutschen bei der ersten Attacke zunutze hatten machen können. Darüber hinaus stießen sie jedesmal auf einen französischen Gegner, der seine Nerven behielt, mit einem ungestümen Gegenangriff zurückschlug und die Deutschen durcheinanderbrachte. Daß die Franzosen die Oberhand behielten, lag zudem nicht allein an ihrer Ausdauer. Diesmal setzten sie Tanks in einer Konzentration und Stärke ein, die allen vorangehenden alliierten Verteidigungsschlachten von 1918 gefehlt hatte. Die Tankbesatzungen mußten wie alle anderen Truppenteile viel dazulernen. Das Lernen ging um so schneller vonstatten, je mehr die Zeit drängte. Die alliierte Seite hatte ein Jahr gebraucht, um zu erkennen, daß man bei einem Angriff die Tanks zusammenziehen mußte. Nur drei Monate waren nötig, um einzusehen, daß aufgrund der Tatsache, daß der Tank vor allen Dingen eine Offensivwaffe war, seine Verwendung bei der Verteidigung von den beim Angriff angewandten Prinzipien ausgehen mußte: der gleichen Notwendigkeit einer Konzentration der Stärke statt einer Auflösung in »Pennypackungen«, wie es althergebrachten orthodoxen Prinzipien entsprach. So hatte auf französischer Seite die Tendenz bestanden, die Tanks nur in kleinen Gruppen einzusetzen, bis man am 12. Juni 144 Tanks entlang einer breiten Front auffahren ließ. Die Deutschen hatten am 21. März 1918 in St. Quentin bei ihrem ersten Einsatz von Tanks fünf Fahrzeuge eingesetzt, die Briten schickten zu zweit oder dritt ins Gefecht. Bei Villers-Bretonneux waren am 24. April 13 deutsche Tanks auf zehn britische gestoßen. Die Verluste in diesem ersten Tankgefecht waren auf
beiden Seiten gleich hoch. Gegen die Franzosen ließen die Deutschen am 1. Juni 15 Tanks mit spärlichem Erfolg bei Soissons und Reims rollen. Sie kopierten dabei ihren Gegner, der während der Monate April und Mai selten mehr als sechs Tanks gleichzeitig zum Einsatz gebracht hatte. Nicht, daß der erste konzentrierte Einsatz dieser Waffe auf französischer Seite an der Matz ein riesiger Triumph gewesen wäre. Von den 144 Panzerfahrzeugen gingen 70 verloren, weil nur unzureichende Gegenmaßnahmen erfolgten, um die deutsche Artillerie auszuschalten, die die verstreuten französischen Tanks nach Belieben abschoß. Immerhin: wo keine Tanks verfügbar waren oder zerstört wurden, blieb der Angriff der französischen Infanterie stecken, wo Tanks in den Kampf eingriffen, konnte sie vorrücken. Diese Tatsache mag sich Guderian in den karg bemessenen Zeitabschnitten zwischen seinen dienstlichen Aufgaben eingeprägt haben, denn als er im Verlauf seines Kreuzzuges für die Panzer über die Tankerschlachten des Jahres 1918 schrieb, wußte er genau Bescheid. Aber damals hatte sein Dienst Vorrang, der in eine völlig andere Richtung wies. Niemand gab ihm eine Aufgabe in Verbindung mit Tanks zu einem Zeitpunkt, als diese die Aufmerksamkeit aller auf sich lenkten. Massive Gegenattacken mit Tanks wurden zur Regel. 60 setzten die Franzosen am 28. Juni bei Cutry ein, weitere 60 am 4. Juli. Insgesamt 471 Tanks waren zwischen dem 18. und dem 26. Juli über verschiedene Kampfabschnitte verteilt und vereitelten unwiderruflich den letzten Versuch der Deutschen, an der Marne zu einem Durchbruch zu gelangen. In dieser Schlacht begann sich ein Grad von Beweglichkeit abzuzeichnen, wie man sie seit Jahren nicht erlebt hatte, denn der »hinhaltende Widerstand«, wie ihn die deutsche Seite praktizierte, stimulierte die Wiederaufnahme einer offenen Kriegführung. Alliierte Tanks und Infanterie schlugen, von Artillerie und Flugzeugen unterstützt, tiefe Breschen in die Reihen der deutschen Infanterie, die hauptsächlich von Artillerie gegen die Tanks verteidigt wurde. Bisweilen wurden für die Tanks Verluste von bis zu 80 Prozent verzeichnet, wenn die gegnerischen Geschütze sie im offenen Gelände unter Beschuß nehmen konnten, aber irgendwie gelang es den Angreifern, voranzukommen, und die verteidigende deutsche Infanterie ergriff die Flucht, sobald ihre Kanonen ausgefallen waren. In diesen Schmelztiegel wurde das XXXVIII. Reservekorps geworfen, um die rechte Flanke der deutschen Armee zu stabilisieren, als diese in der ersten Augustwoche zurückweichen mußte. Im Verlauf der Kampfhandlungen gingen die Deutschen bis zur ursprünglichen Linie zwischen Soissons und Vesle zurück. Von dieser Zeit berichtet Guderian bezeichnenderweise, er habe an der »beweglichen Abwehrschlacht zwischen Marne-Vesle« teilgenommen.
Fünf Tage später wurden er und seine Kameraden durch Berichte über den schwersten Tankangriff des Krieges überrascht, der gegenüber von Amiens begonnen hatte und bei dem ein solches Tankaufgebot auf die Deutschen zukam, daß ihre Artillerieverteidigung an vielen Stellen buchstäblich überrollt wurde. Auch die Infanterie konnte den französischen Angriff nicht aufhalten und obwohl Ludendorff versucht hatte, eine feindliche Tankbedrohung, der er nichts entgegenzusetzen hatte, verächtlich abzutun, blieb die Tatsache, daß die deutschen Soldaten von diesem Augenblick an nervös wurden, sobald nur vermutet, geschweige denn als Gewißheit gemeldet wurde, daß feindliche Tanks im Kommen waren. Was die Briten als ihr Mittel ansahen, Maschinengewehrnester zu zerstören und Stacheldraht niederzuwalzen, war in den Augen der Deutschen eine »Schreckenswaffe«. Der Rückzug begann, der von jetzt an keine Unterbrechung mehr erfahren sollte, bis im November der Waffenstillstand unterzeichnet wurde. Für Guderian war es eine Periode endloser Plackerei mit wenig Ruhepausen, nicht leichter gemacht durch seinen Kommandeur, den er kritisierte: »Er macht das Leben nach Kräften schwer und ist sehr anspruchsvoll gegen den guten alten General Hofmann.« Aber in jenen Tagen, als er schrieb: »Fortgesetzt ändert sich die gesamte Nachschublage... So hat man immerzu den Kopf voll und kommt nicht zur Ruhe. Da wir diese unruhige Geschichte nun schon vier Monate hintereinander machen, ist ein Teil der Herren etwas abgekämpft, was auch kein Wunder«, verzeichnete sein Personalbogen kurz und bündig die Schlachten: »4. bis 16. August. Oise.« Hier fiel das XXXVIII. Reservekorps zurück infolge einer Hebelwirkung von der Flanke her, durch die Niederlage von Amiens verursacht und den nachfolgenden Druck gegen die Deutschen auf einer immer breiter werdenden Front, bis sie sich dafür entschieden, sich an ihren Ausgangspunkt an der Siegfriedlinie zurückzuziehen. »17. August bis 4. September. Aisne.« Das XXXVIII. Reservekorps deckte den Rückzug in einem Zeitraum, als zunehmende Kriegsmüdigkeit und Unzufriedenheit es um so augenscheinlicher machten, daß auch eine verzögernde Defensive nicht lange durchgehalten werden konnte, und es Ludendorff klar war, daß der Krieg beendet werden mußte. »5. bis 20. September. Siegfriedlinie.« Der endgültige Rückgang bis auf die Linie, auf der das XXXVIII. Reservekorps als Scharnier des deutschen Aufmarsches gekämpft hatte, zunächst in der 9. Armee, später in der 7., als diese die 9. übernahm. Dann wurde er als Ia zur deutschen Militärmission nach Italien versetzt, gerade rechtzeitig, um in den Strudel der österreichischen
Niederlage bei Vittorio Veneto zu geraten, die Österreich aus dem Krieg werfen sollte. Diese kurzfristige Verwendung sollte bei der Betrachtung von Guderians Werdegang nicht ausgelassen werden. Sie zeigt an, daß er auf seine Vorgesetzten vor und nach dem Generalstabskurs in Sedan und auch in dessen Verlauf einen beträchtlichen Eindruck als eifriger, mit Vorstellungskraft ausgerüsteter, ernstzunehmender Stabsoffizier machte, der zuweilen vielleicht gegen Moltkes Regel verstieß: »Viel leisten, wenig hervortreten, mehr sein als erscheinen.« Guderian liebte jedoch diese Maxime. Das Schicksal wollte es, daß er die Revolution in doppeltem Maße mit einem doppelten Schock erlebte. Am 20. September konnte er sich noch kein nahes Ende des Krieges vorstellen, als er an Gretel schrieb: »Die Friedensaktion der Österreicher scheint mir ein ziemlicher Blödsinn zu sein. Der Zeitpunkt war unglücklich gewählt - mitten in der Schlacht, die zurzeit dem Gegner nur Hoffnungen macht, hält man am besten den Mund und kämpft. Durch würdiges Abwarten und Handeln ist mehr zu erreichen als durch dieses Friedensgewäsch. Länger als nötig will ja keiner den Krieg, aber so, wie jetzt versucht wird, kommen wir meiner Ansicht nach nicht zum erträglichen Frieden.« Guderian blieb der unverbesserliche Optimist. Seine Briefpassage illustriert nur eine Einstellung, die seine Arbeit in zwei Weltkriegen sowohl stützen als auch unterminieren sollte. Verständlicherweise wurde er eines Besseren belehrt. Am 30. Oktober fand er sich plötzlich zum jüngeren Mitglied einer zweiköpfigen deutschen Delegation ernannt, die nach Trient geschickt wurde, um bei der österreichisch-ungarischen Waffenstillstandskommission mitzuwirken, die mit den Italienern verhandelte. Die beiden deutschen Offiziere reisten in einem Eisenbahnwaggon ohne Fenster und ohne Heizung und mußten bei ihrer Ankunft feststellen, daß die Kommission schon abgereist war. Am Tag darauf holten sie sie mit einem Auto ein, wobei sie unter dem Schutz einer weißen Fahne und von einem Trompeter angekündigt tief in die italienischen Linien hineinfuhren. Aber den Italienern beim XXIX. Armeekorps lag nichts daran, die Deutschen da zu haben. So wurden Guderian und sein Begleiter zu den eigenen Linien zurückgeschickt. »Man verband uns die strahlenden blauen Augen«, schrieb er. Er sollte in der Zeit darauf Szenen größten Aufruhrs miterleben. Entsetzen klang bei Guderian in seinem Brief an Gretel durch, in welchem er ein haarsträubendes und beschämendes Erlebnis schilderte, bei dem sich Deutschlands Verbündete »bodenlos unwürdig« verhielten. »Die Unordnung in Trient wuchs von Stunde zu Stunde. Regimenter kamen von der Front, singend, ohne Waffen, dafür aber mit roten Blumen geschmückt. Der Pöbel demonstrierte vor dem Dantedenkmal. Alle Magazine wurden geplündert und angezündet. Die
kriegsgefangenen Russen wurden freigelassen und beteiligten sich; bald gab es Schüsse und Messerstechen. Die Bevölkerung beteiligte sich munter an den Plünderungen. Wein- und Schnapsfässer rollten durch die Straßen...« Guderian war glücklich, diesem Chaos zu entkommen. Bei seiner Heimkehr fand er jedoch ein Deutschland vor, in dem es noch schlimmer zuging. »Unser herrliches deutsches Reich ist nicht mehr, das Werk Bismarcks liegt in Trümmern«, schrieb er am 14. November aus München an Gretel. »Schurken haben alles zu Boden gerissen... Alle Begriffe für Recht und Ordnung, Pflicht und Anstand scheinen vernichtet... Die Soldatenräte kranken noch an Kinderkrankheiten ersten Ranges und treffen lächerliche Anordnungen. Ich bedaure nur, kein Zivil hier zu haben, um den Rock, den ich zwölf Jahre in Ehren getragen habe, nicht den Anrempeleien des Pöbels aussetzen zu müssen.« Fast über Nacht verlor das in höchstem Grad disziplinierte deutsche Heer seinen Zusammenhalt und seine Zuverlässigkeit. Matrosen- und Soldatenräte nahmen das Gesetz in ihre Hand. Die alte Ordnung ging in einem Wirrwarr von Putschen und Gegenputschen unter. Ende November kehrte Guderian nach Berlin zurück, jetzt eine Stadt der Gewalt und der Furcht, mit dem Bewußtsein, daß die Armee nicht länger als Stabilitätsfaktor in den Angelegenheiten der Nation zählte. Und auch mit dem sicheren Gefühl, daß Deutschland nicht nur vom Kommunismus im Innern, sondern auch von den vordringenden bolschewistischen und polnischen Armeen im Osten bedroht war, während die siegreichen, aber weniger räuberischen Westmächte bis an den Rhein rückten. Im neuen Jahr erhielt er seine nächste Ernennung beim Stab der Zentralstelle des neugebildeten Grenzschutzes Ost, der Organisation, die Hindenburg geschaffen hatte als militärische Behörde zur Koordinierung der sich angesichts der Lage im Osten bildenden Verteidigungsgruppen, die gegen die bolschewistische und polnische Bedrohung angehen sollten. Der Generalstab sah diese Behörde als Symbol seiner bleibenden Integrität an, aber in diesem Chaos war die reguläre Armee von weitaus geringerer Bedeutung als die neu entstehenden Gruppen einsatzfreudiger und kampfbereiter Männer, Freikorps genannt, die Erfindung von Major Kurt von Schleicher. Mit einer Mammutaufgabe versehen, ließ der Grenzschutz Ost keinem Angehörigen seines Stabes viel Zeit, um über die unmittelbare Zukunft nachzudenken, geschweige denn über langfristige Probleme im Zusammenhang mit Tanks. Guderian widmete sich der Verteidigung deutschen Bodens und des Territoriums im Osten, aus dem seine Vorfahren stammten. Gleichzeitig lösten die unschönen Vorgänge, deren Zeuge er geworden war, eine neue
gedankliche Vorstellung bei ihm aus: die Notwendigkeit, Deutschland vor sich selbst zu retten, eine Erkenntnis, die seine politische Philosophie in späteren Jahren prägte. Er sprach von Bismarck, der das moderne Deutschland geschaffen hatte, und löschte durch Schweigen die Erinnerung an Kaiser Wilhelm II., der seine Nation im Stich gelassen hatte. Vielleicht im Unterbewußtsein begann er sich nach einem neuen Bismarck zu sehnen, einem starken Mann, der Deutschland retten konnte.
3 DIE SCHWÄRZESTEN TAGE
Vom ersten bis zum letzten Augenblick sahen sich die Freikorps als einzig sicheres Bollwerk gegen den Kommunismus. Ihre Bildung fiel mit der Revolution zusammen. Die erste Aufgabe bestand in der Niederwerfung der Spartakisten im Januar 1919, und ihre allmähliche Expansion erfolgte im Verhältnis zur Größe der bolschewistischen Drohung innerhalb Deutschlands und vom Ausland her. Wo die Brutalität der Freikorps die Seiten der Geschichte mit Blut befleckte, gab es unweigerlich eine vorangegangene oder zur gleichen Zeit stattfindende Bluttat ihrer geschworenen Gegner, denn beide Antagonisten hatten in ihren Reihen die brutalsten Kämpfer, die die Armeen des Ersten Weltkrieges hervorgebracht hatten. Die führenden Elemente des Fanatismus und des Berufssoldatentums standen einander gegenüber und prügelten sich. Die Kommunisten wurden von glühenden Idealisten und Revolutionären angeführt, die Freikorps hauptsächlich gelenkt und befehligt von Männern, in deren Augen der Sturz der Monarchie und des alten Lebenssystems eine Ungeheuerlichkeit darstellte, abgesehen davon, daß damit ein Schlag gegen ihren eigenen Status geführt worden war. Diese Offiziere waren der harte Kern einer vorwiegend patriotischen Gruppe, die tiefe Scham darüber empfand, daß der Krieg verloren worden war. Gleichzeitig fürchteten sie die Beseitigung ihres Einflusses und Wohlstands. Die Soldaten, die ihnen folgten, waren, um mit Guderian zu reden, die »wirklichen Kämpfer«, jene, die »Deutschlands letzte Hoffnung« bildeten. Nur wenige, die mit den Freikorps oder gegen sie kämpften, konnten ihnen militärische Tapferkeit absprechen, aber in Zusammenhang damit erwarben sich diese Gruppen auch, wenn auch oft unverdient, den Ruf von Grausamkeit und zuweilen hemmungslosen Vorgehens. Übergriffe waren natürlich um so wahrscheinlicher, wenn man sich vor Augen führt, daß jede Gruppe und Formation den Männern, die sie ausbildeten und kommandierten, unbedingte Treue schuldete und daß im Anfangsstadium die Regierung genötigt war, mit ihnen auszukommen, weil es keine Alternative gab. Das größte und schlagfertigste aller Freikorps war die Eiserne Brigade. Sie war von Major Joseph Bischoff, einem »alten Krieger«, aufgestellt worden und wurde zum Teil aus den entschlossensten Elementen der 8. Armee gebildet, die bei den Schlachten gegen die Russen von Anfang an dabeigewesen waren. Als diese Armee gemäß den von Generalmajor von Seeckt und seinem Ia, Major Werner Freiherr von Fritsch,
getroffenen Vereinbarungen nach Deutschland zurückgeführt wurde, schloß sich die kriegsbereite Minderheit, die den Kampf im Osten fortsetzen wollte, Bischoff und seiner Truppe an. Auch Seeckt war für den Kampf. Anfang 1919 war er Chef des Generalstabs des Grenzschutzoberkommandos Nord in Bartenstein geworden, zur gleichen Zeit, als Hauptmann Guderian als Stabsoffizier zum Grenzschutzoberkommando Süd in Breslau entsandt wurde. Im Norden waren die Auseinandersetzungen am heftigsten. Daher wurden die fähigsten Männer hier zusammengezogen. Guderian wurde im März nach Bartenstein beordert. Weil die Bolschewisten den stärksten Druck auf die baltischen Staaten ausübten und damit nahe an das Kernland preußischen Erbes heranrückten und es bedrohten, wurden auch Stammeszugehörigkeitsgefühle geweckt, und die härtesten Freikorps drängten sich in diesen Gebieten nach dem Einsatz. Darüber hinaus wurden sie durch Versprechungen von Landschenkungen verlockt. Dabei nistete sich in den Köpfen einiger von ihnen der Gedanke ein, daß das, was man mit dem Schwert eroberte, in Friedenszeiten ihr Eigentum werden könnte - daß, je mehr Letten starben, desto mehr freier Grund und Boden vorhanden wäre. Nicht alle dachten so; ein echter Siedler läßt sich in einem friedlichen Gebiet nieder. Dessenungeachtet rief eine der ältesten Verlockungen der Weltgeschichte - das Versprechen auf reiche Beute - die entschlossensten und wildesten Vertreter feudalstaatlicher Kriegführung auf den Plan. Bischoffs Eiserne Brigade wuchs rasch auf eine Stärke von 15.000 Mann, die in drei Regimenter aufgeteilt waren. Jedes besaß eine eigene Artillerieeinheit. Sehr bald mußte man ihren Namen in Eiserne Division umändern und sich auf die Suche nach einem fähigen Führungsstab begeben. Unvermeidbar wurde sie zu einer bedeutsamen politischen Macht, noch stärker unter dem Kommando von Guderians verehrtem Vorkriegsausbilder an der Kriegsakademie, Generalmajor Rüdiger Graf von der Goltz, der sich während des Krieges den Ruf eines unerschrockenen Führers in brenzligen Situationen erworben hatte. Von der Goltz war ein Held - mit all der Übertreibung und Ausstrahlung, die diesem Begriff innewohnt. Seeckt hegte gemischte Gefühle für von der Goltz und dessen Leute. Als Lückenbüßer vor der Bildung eines neuen deutschen Heeres waren sie für die Verteidigung Deutschlands gegen den traditionellen Feind aus dem Osten notwendig. Andererseits hatte er den Einfluß der Freikorps auf die innere Sicherheit Deutschlands in Erwägung zu ziehen. Ihre Unabhängigkeit in Gedanken und Absichten war eine ständige Bedrohung für eine schwache Regierung in Berlin, die unter ungeheurem Druck von allen Seiten stand, einem Druck, der sich bald noch steigern sollte, als die Bedingungen des Friedensvertrages von Versailles bekannt wurden.
Im Frühjahr 1919 stagnierte Deutschland in einem politischen Narrenhaus. Abgesehen von einer Handvoll Politiker und Soldaten hatte die Bevölkerung, der es an Lebensmitteln mangelte und die schlecht gekleidet und eingeschüchtert war, die (aufgrund propagandistischer Irreführung) falsche Hoffnung, daß sich der einstige Feind »realistisch« und großzügig verhalten und dem deutschen Kaiserreich erlauben würde, sich in ein Staatsgebilde mit der Vorkriegsstellung umzuformen. Die generöse Art und Weise, wie sich die Briten zu Anfang des Jahrhunderts gegenüber den geschlagenen Buren verhalten hatten, lieferte Grund für diesen Optimismus. Aber Deutschlands ehemalige Gegner waren Opfer der gleichen Haßpropaganda, die auch ihren Siegeswillen genährt hatte, und betrachteten das Volk, das den Krieg begonnen hatte, als »kriminell« - besonders die dominierenden Preußen und ihre Institutionen. Einige dieser Dinge wußte Seeckt bereits (und sollte sie nur zu gut verstehen, als er kurze Zeit darauf als Vertreter des Militärs in die deutsche Friedenskommission für Versailles berufen wurde); er griff nach allem, was die deutsche Moral stärken und gleichzeitig der Entente unangenehm sein konnte. Bis zum April hatte von der Goltz die roten Russen in Litauen zurück- und aus dem südlichen Teil Lettlands hinausgedrängt. Dabei mischte er sich mit der Ernennung des Politikers Karlis Ulmanis zum lettischen Ministerpräsidenten in politische Angelegenheiten ein. Seine Aktionen wurden von einer Säuberungswelle begleitet, der gnadenlosen Hinrichtung von Roten und all derer, die prokommunistischer Sympathien verdächtigt wurden. Dazu entwarf er Pläne für die Einnahme Rigas. Seeckt war ebenfalls für das Riga-Unternehmen, weil die deutsche Präsenz in den baltischen Staaten an der Seite weißrussischer Truppen eine Brücke zu einer künftigen russischen Regierung darstellen konnte, vorausgesetzt, daß die Weißen ihr Ziel erreichten, auf St. Petersburg (Petrograd) marschierten und die Roten absetzten, ein nebuloses Unterfangen, das auch die Zustimmung der Entente-Mächte genoß. Dieser Brückenschlag war wünschenswert, weil Deutschland jetzt völlig ohne Verbündete dastand, eine Situation, die es sich nicht leisten konnte. Es war eine heikle Lage, eine, die eine schier unmögliche strenge Kontrolle von der Goltz' und der Eisernen Division erforderte der aggressivsten Elemente in den vielsprachigen Einheiten, die bestrebt waren, gegen die Roten gemeinsam vorzugehen und sich dabei das Wohlwollen der Entente zu erhalten. Die deutsche Regierung, die keine andere Wahl hatte als sich den Wünschen der Entente zu fügen, konnte die expansionistischen Vorstellungen von der Goltz' nicht offen unterstützen. Dennoch wurde ein Weg gefunden, das Problem zu umgehen, die Eiserne Division offen zum Angriff auf Riga am 21. Mai vorgehen zu lassen. Dieser Division
wurde am 2. Juli Guderian als Zweiter Generalstabsoffizier zugeteilt, eine Ernennung, die Seeckt und Fritsch offensichtlich in der Absicht vornahmen, den Einfluß des Generalstabes an der empfindlichsten Stelle zu verstärken. Es war ein Hinweis auf die Zukunft und das Vertrauen, das sie in diesen jungen, gerade dreißigjährigen Offizier setzten, daß sie auf sein Urteil bauten in einer Zeit tödlicher Gefahr, da patriotische Gefühle leicht die Oberhand über die Vorsicht gewinnen konnten. Wenn Guderian seine Sache gut machte, würden sich seine ohnehin guten Zukunftschancen noch vergrößern. Denn nicht nur Seeckt war ein Mann der Zukunft, auch Oberst Wilhelm Heye, der neue Chef des Generalstabes des Grenzkommandos Nord, und Fritsch waren es, und die für hohe Posten Ausersehenen nahmen gewöhnlich ihre fähigsten Stabsoffiziere mit sich. Schon wenige Tage später, am 21. Juni, stellte Guderian in einem Gefecht bei Lemsal zum erstenmal in einem kritischen Moment das taktische Geschick unter Beweis, das ihn später berühmt machen sollte. Die führende Angriffssäule unter Hauptmann Blankenburg geriet ins Stocken, nachdem ihr Kommandeur verwundet worden war. Guderian sah sofort die Gefahr, erkannte aber auch eine günstige Gelegenheit. Aus eigener Initiative setzte er ein Reserveinfanterieregiment in Bewegung und warf es in den Kampf, um den Angriff in Fluß zu halten. Es war nicht seine Schuld, daß der Angriff schließlich infolge ungenügender Vorbereitung und unzureichender Kräfte zusammenbrach. Bald entglitt natürlich die Lage deutscher Kontrolle. In großem Maße waren die Deutschen selbst daran schuld. Nach dem Fall Rigas hatte es Massaker gegeben, an denen Bolschewiken, Deutsche und Letten beteiligt waren. Guderian berichtete in einem Brief, die Bolschewiken hätten über 4.000 Menschen umgebracht, aber es gibt genügend Beweise dafür, daß auch ihre Gegner ebenso viele Scheußlichkeiten verübten. Die moralischen Maßstäbe waren niedrig in Zeiten der Verzweiflung. Ein Mitglied der Freikorps schrieb: »Wo einst friedliche Dörfer standen, sahen wir nur Ruß, Asche und brennende Ruinen, als wir vorbeikamen. Wir entzündeten einen Scheiterhaufen zur Verbrennung, auf dem mehr als tote Gegenstände in Flammen aufgingen, nämlich unsere Hoffnungen... die Gesetze und Werte der zivilisierten Welt... und so kehrten wir schwankend zurück, betrunken, mit Plunder beladen.« Diese Männer durchbrachen die Grenzen gesunden Menschenverstandes in einer Zeit, in der Mäßigung sich hätte auszahlen können. Ulmanis hatte sich schon beklagt, daß die Deutschen die Letten dem Kommunismus in die Arme trieben; »Das lettische Volk hat die Erfahrung gemacht, daß die Bolschewiken weniger grausam als die Deutschen sind.« Von der Goltz ersetzte Ulmanis durch die neue
Regierung seiner Wahl unter Andreas Needra, und die Alliierten, die bis jetzt unschlüssig gewesen waren, erkannten endlich den tieferen Sinn der Ambitionen von der Goltz'. Sofort übte die Entente unwiderstehlichen Druck aus, um der Vergewaltigung Lettlands ein Ende zu bereiten. Im Mai wurden die Bedingungen des Friedensvertrages veröffentlicht und am 28. Juni der Vertrag von Versailles mit allen seinen strengen Klauseln unterzeichnet. Er stellte einen niederschmetternden Schlag für Deutschland, seine Streitkräfte und seine Hoffnungen dar. Der Marine wurden U-Boote und große Kriegsschiffe verboten; für die Armee gab es künftig keine Flugzeuge, schwere Artillerie, Gasgranaten und Tanks mehr. Ja, noch mehr: das Heer selbst mußte zum 3. März 1920 auf eine Stärke von 100.000 Mann reduziert und die Institutionen, an denen auch Guderian seine Ausbildung erfahren hatte, geschlossen werden: die Kadettenschule in Groß-Lichterfelde, die Kriegsakademie und der Große Generalstab. Deutschland würde über kurz oder lang ohne Verteidigung sein. Das erkannten Hindenburg, Seeckt und die obere militärische Hierarchie in vollem Umfang. Optimistische Erwartungen, das behalten zu können, was die Alliierten von nun an verboten, mußten aufgegeben werden, nur durch Täuschungen konnte viel gerettet werden. Seeckt, im Juli zum Vorsitzenden der Vorbereitungskommission für die Friedensarmee ernannt und zukünftiger Chef der Heeresleitung, hatte vorrangig die Rückführung deutscher Soldaten aus dem Baltikum zu bewerkstelligen. Wünschenswerte Nebenaufgabe war dabei die Ausschaltung der Macht der Freikorps. Er war es, der sofort von der Goltz zu überreden versuchte, sich aus Riga zurückzuziehen, indem er ihm klarmachte, wie wenig erfreulich die Zukunft aussah, aber zugleich auch Männer wie Guderian tief verletzte, deren Loyalität zwischen militärischem Gehorsam und Patriotismus schwankte. Mit einem Schlag wurde alles, was Guderian hochhielt, zerstört. Unbeschreibliche Gefühle, die nur jemand mit einem Quentchen Vaterlandsgefühl nachempfinden kann, der die Schmach einer plötzlichen Niederlage kennengelernt hat, wurden geweckt. Jeder Brief an Gretel legt Zeugnis von einer Art Verzweiflung und einer fast unerträglichen inneren Spannung ab, die von grundlegender Bedeutung für das Verständnis seiner späteren Karriere ist. Am 14. Mai hatte er sich gewundert über die, wie er sie nannte, »Bierruhe« der Ostpreußen bei Bekanntwerden der Friedensbedingungen und ihre augenscheinlich gleichgültige Hinnahme von deren Folgen. »Wenn wir diesen Frieden annehmen, dann ist es aus mit uns, und wenn wir ihn nicht annehmen, wahrscheinlich auch. Also bin ich für nicht annehmen. Dann kann die Entente sich ja mit Gewalt nehmen, was sie haben will. Wir werden ja sehen, wohin sie damit kommt. Mehr wie vernichten kann man uns ja nicht. Wenn wir die Armee doch noch
hätten! Unser stolzes, schönes Heer! Dann wäre eine solche Schmach nie möglich gewesen.« Aber er sah schon voraus, daß die noch unter Waffen stehenden deutschen Truppen im Baltikum, mit rühmlicher Ausnahme der Eisernen Division, sich allmählich auflösten, denn: »... man hatte ihnen dort Siedlungsland versprochen, denn um des Vaterlandes willen kämpfen doch die wenigsten Deutschen zurzeit noch.« Er war entsetzt. Am 6. Juli erfuhr er, daß sie von Riga abrücken müßten. Am gleichen Tag hatte er einen realistischen Brief einer besorgten Gretel bekommen, in dem diese ihm vorhielt: »Ich kann Deine Entrüstung über den Schmachfrieden voll verstehen«, schrieb sie, »nur können doch jetzt einzelne Menschen nichts mehr ändern; sie opfern sich umsonst. Das Vaterland wird Euch später mehr gebrauchen als jetzt, der Augenblick ist noch nicht gekommen... Nichts ist sicher zu erreichen, nun der Frieden unterzeichnet und die Bedingungen von der verbrecherischen Regierung gehalten werden sollen. So werdet Ihr doch im Baltikum keinen Rückhalt zu Eurem Kampf haben...« Dieser Brief sollte ihn beruhigen, aber Guderian schenkte dem politischen Rat seiner Frau kaum Beachtung, obwohl ihre Worte, wie bei dieser Gelegenheit, Hand und Fuß hatten. Am 12. Juli antwortete er leidenschaftlich: »Du schreibst, daß unsere Arbeit hier aussichtslos sei. Das mag sein. Aber wer kann beurteilen, ob nicht doch ein letzter kleiner Erfolg aus diesen Kämpfen erwächst? Der Feind hat sich zur Aufgabe gemacht, uns hier zu vernichten. Nun gut, so soll er es tun! Die Engländer können uns selbstverständlich zum Verlassen des Landes zwingen und damit die einzige Verbindung mit Rußland, die wir noch haben, abschneiden. Der Feind hat jetzt die Macht, seinen Willen durchzusetzen. Trotzdem: kräftig sich zeigen, nimmer sich beugen! Nur aus uns selbst kann noch die Rettung kommen. Wir selbst müssen dafür sorgen, daß der Schmachfrieden nicht durchgeführt wird, daß unser stolzes Heer nicht verschwindet und daß wenigstens ein Versuch gemacht wird, seine Ehre zu retten. Wir wollen versuchen, die Gelübde, die wir früher immer gedankenlos abgelegt haben, nunmehr in die Tat umzusetzen. Du kennst ja die ‚Wacht am Rhein' und den alten Preußenmarsch ,Solang ein Tropfen Blut noch glüht, noch eine Faust den Degen zieht. Sei's trüber Tag, sei's heit'rer Sonnenschein, ich bin ein Preuße, will ein Preuße sein!' Jetzt ist's trüber Tag. Jetzt kommt's darauf an, den Schwur zu halten. Jeder, der noch etwas Ehrgefühl hat, muß selbst sagen: Ich will helfen! Glaube mir, Herzensfrauli, daß ich so unendlich gern zu den Kindern und Dir zurückkäme... Ich handle nicht leichtfertig. Ich habe mir diesen Schritt überlegt. In Deutschland ist ja als Offizier nichts mehr zu machen. Der Generalstab wird gemäß Friedensvertrag aufgelöst. Ob die
demnächstige unabhängige Regierung überhaupt noch ‚reaktionäre' Offiziere im Dienst beläßt, ist fraglich. Außerdem kann man keinem alten preußischen Offizier zumuten, unter Verbrechern zu dienen. Ich müßte also meinen Abschied nehmen. Wo sollte ich dann hin? Erhalten wir die verdiente Pension? Soll ich etwa nachher eine sogenannte ,Kompanie' ewig meuternder Polizisten unter französischer Kontrolle führen und mir die schwarz-rotgoldene Schandkokarde mit ,Eichenlob' an den Hut stecken? Das kannst Du mir nicht zumuten wollen, wenigstens jetzt noch nicht, wo doch nicht alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind und wo ich noch nicht selbst zum elenden Buben geworden bin.« Gegen Ende Juli 1919 schrieb Guderian (der in den vorangegangenen Wochen und Monaten meist als Erster Generalstabsoffizier bei der Eisernen Division in Abwesenheit des tatsächlichen Ia Dienst getan hatte) ein Memorandum für Bischoff. (Es ist z. B. schwierig, es mit seiner ursprünglichen Wirkung ins Englische zu übersetzen, denn Guderians Stil war kunstvoll und zuweilen dramatisch.) Die Denkschrift begann mit einem Überblick über die sich verschlechternde politische Situation, führte Seeckts frühere Überlegungen und Ziele auf und schloß daran Guderians eigene Erkenntnisse an, die von der offiziellen politischen Linie abwichen: »Deutschland ist dann an seinen Grenzen von Entente-freundlichen Staaten umgeben. Die Industrie und der Handel unterliegen der Aufsicht der Entente. Ein Emporblühen und Erstarken des Deutschen Reiches ist ausgeschlossen. Es handelt sich also darum, den Weg durch das Baltikum nach Rußland offenzuhalten. Die Division hat, obwohl die Politik mit Lettland gescheitert ist, den Plan, eine Brücke zwischen Deutschland und Rußland herzustellen, nicht aufgegeben. Sie hat Verbindung mit den in Mitau sich formierenden russischen Abteilungen aufgenommen, um in Verbindung mit den Russen zum Ziele zu kommen. Bei den Russen sind zwei politische Richtungen vertreten. Die eine erblickt in dem Anschluß Rußlands an die Entente den besten und richtigsten Weg. Diese Ansicht ist bei Abteilung Lieven vorherrschend, sie ist daher durchaus englisch orientiert. Der größte Teil dieser Abteilung ist inzwischen auf Befehl der Engländer nach Reval transportiert worden, um von dort aus an der Nordfront eingesetzt zu werden. Die andere Richtung vertritt das Detachement Graf Keller, welches von dem Oberst Bermondt geführt wird. Das Detachement ist deutsch orientiert. Oberst Bermondt hält das Deutsche Reich für stark genug, um den Russen in ihren Bestrebungen zu helfen, zumal ein Bündnis mit Rußland für das Deutsche Reich von größter Bedeutung ist und Deutschland aus der Umklammerung befreien würde.
Die deutschen maßgebenden Stellen wie Oberkommando Nord und Zegrost unterstützen die Bestrebungen der Division. Wenn die maßgebenden Stellen, wie Oberkommando Nord und Zegrost, auch nicht von dem Gelingen des Planes überzeugt sind, so stehen sie doch auf dem Standpunkt, daß der Versuch auf alle Fälle gemacht werden muß*. Sie wurden durch den Vortrag des Zweiten Generalstabsoffiziers, Hauptmann Guderian, welcher persönlich nach Bartenstein zum Oberkommando Nord gefahren war, darin bestärkt. *
Nicht alle dachten so. Das muß festgehalten werden. Wheeler Bennett zum Beispiel erklärt, Seekt habe von der Goltz' Pläne als »pure Phantasie« angesehen.
Pekuniären Schaden erleidet das Deutsche Reich durch Überweisung von Kriegsmaterial nicht, da nach den Bestimmungen des Friedensvertrages der größte Teil des Kriegsmaterials an die Entente zur Vernichtung ausgeliefert werden muß. Wenn die Division entgegen den Befehlen der Regierung im Baltikum bleibt, so müßte naturgemäß die gesamte Division zu den Russen übertreten und sich auch äußerlich als russische Truppe kenntlich machen. Der Übertritt der Division hängt in erster Linie von der Finanzierung der Russen ab... Die Division hat den Übertritt einzelner Formationen verboten. Nur durch einen geschlossenen Übertritt der Division können die berechtigten Forderungen erfüllt werden. Wenn einzelne Offiziere und Mannschaften zu den Russen übertreten, so tun sie es auf eigene Gefahr hin. Die Entente besteht auf schnellster Räumung des Baltikums, was in verschiedenen Besprechungen zwischen Vertretern der Entente und des Generalkommandos nachdrücklichst betont wurde. Die Engländer fürchten, daß im Baltikum eine Reorganisation Deutschlands und damit die Null- und Nichtigkeitserklärung des Versailler Friedens ermöglicht wird. Das Generalkommando hat die vorbereitenden Befehle zur Räumung der baltischen Provinzen bereits erlassen...« Dieses Dokument machte auf Bischoff tiefen Eindruck, weil es seine eigenen Ideen enthielt. Dennoch war die Richtung des Memorandums kaum die des leidenschaftslosen Generalstabsoffiziers, den Seeckt entsandt hatte, um die Eiserne Division zur Zurückhaltung aufzufordern. Guderians persönliche Gefühle schimmerten ebenso durch wie die politischen Tagträume, die so manchen deutschen Offizier, der wie er dachte, verwirrten. Bischoff bemerkte, daß er nicht den Wunsch hatte, die »sogenannte Weimarer Koalitionsregierung« um etwas Unmögliches zu ersuchen. »Wenn sie sich auch nicht offen zu uns bekennen konnte, so hieß das doch nicht, daß sie gegen uns arbeiten oder unsere Arbeit unmöglich
machen mußte«, folgerte Bischoff. Voller Hoffnung warteten er, Guderian und die übrigen gespannt darauf, daß noch einmal eine Wende zu ihren Gunsten eintrat, nachdem schon die ersten Befehle für einen stufenweisen Abzug eingetroffen waren. Die ersten Einheiten sollten am 23. August abrücken. »Ich fuhr mit Hauptmann Guderian...«, schrieb Bischoff, »immer noch in der Hoffnung, daß vielleicht doch ein Gegenbefehl eintreffen würde. Als ich vor der Truppe stand, in ihren Augen den Zweifel sah, ob es wirklich ernst mit dem Abtransport sei - in diesem Augenblick fielen alle Zweifel und Bedenken von mir ab. Ich war überzeugt, daß die ganze Division sich geschlossen hinter mich stellen würde.« Er weigerte sich, die Verladung anzuordnen, und befahl statt dessen seinen Soldaten, an Ort und Stelle zu verbleiben. Das löste wilde Begeisterung aus, und seine Leute feierten ihn mit einem Fackelzug. Es war zugleich auch ein kritischer Augenblick für Guderian nach einer Periode schrecklicher Ungewißheit. Am 26. Juli beantwortete er einen Brief seiner Frau, in dem diese über seine scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber ihr und den Kindern geklagt hatte. »Ich muß entschieden mal auf einige Wochen in den Wald und aus dem Dienst heraus, um gesund zu werden«, schrieb Guderian. »Diese Aufregungen machen einen sonst normalen Menschen auf die Dauer ganz rabiat. Du mußt mich wieder kurieren, und ich weiß, daß Dir dies sicher in wenigen Tagen gelingen wird. Du kannst mich dann wieder um den kleinen Finger wickeln.« Aber in demselben Brief fragt er auch: »Wo ist ein Mann? Wer wagt eine einzige befreiende Tat?« Guderians Denkschrift und persönliche Stellungnahmen hatten dem Oberkommando in Bartenstein gezeigt, daß er Seeckt nicht aus vollem Herzen unterstützte, obwohl Seeckt zu diesem Zeitpunkt nach einem Herzanfall vorübergehend außer Aktion war. Am 27. August berichtete er Gretel über die Gefühle, die ihn am 23. August bewegten, und erzählte ihr erneut von den Qualen, die er durchmachte: »Ich hatte den schwersten Entschluß meines bisherigen militärischen Lebens zu fassen und mußte den folgenschweren Schritt mitmachen. Gott gebe uns Erfolg. Wir handelten nach bestem Wissen und Gewissen für unser Vaterland und unsere Leute.« Er schloß: »Die Dinge stehen auf des Messers Schneide und ich bin mit meinen Nerven fast am Ende. Es ist zum Verzweifeln ernst mit uns bestellt. Der Geist unserer Truppe ist gut. Man wird fast an 1914 erinnert.« Er hatte seine Karriere in die Waagschale geworfen und sich dafür entschieden, bei einer Organisation zu bleiben, die nicht allerersten Anspruch auf seine Loyalität hatte. Diese Situation hätte einen
unwiederbringlichen Wendepunkt in seinem Leben bedeuten können, wären nicht seine Vorgesetzten in Bartenstein von ähnlichen Gewissenskonflikten geplagt worden. Der deutsche Generalstab bewies nun sein Mitgefühl und seine Wertschätzung für einen jungen Stabsoffizier, dessen Fähigkeiten er hoch einschätzte*. Er beorderte ihn vorsorglich nach Bartenstein zurück und hinderte ihn daran, noch einmal in die Nähe der Eisernen Division zu kommen. Wahrscheinlich steckte Oberst Heye dahinter - der binnen weniger Jahre Chef der Heeresleitung werden sollte. Jedenfalls versuchte man, Guderian Zeit zu geben, seine innere Erregung abzukühlen und die impulsive Seite seines Charakters, die gegen Ungerechtigkeit und eine Schädigung der Interessen der Soldaten, die er respektierte, aufbegehrte, ein weiteres Mal der Disziplin des Generalstabskorps unterzuordnen. Aber sein Engagement für politische Fragen und seine Empfänglichkeit für die Verlockungen extremistischer Gruppen kennzeichneten eine bedeutsame Stufe seiner Entwicklung. Innerhalb der Regeln des preußischen Disziplinarkodex hatte er ein Argument bis zum Augenblick der Entscheidung und noch darüber hinaus verfochten; er hatte Ungehorsam gezeigt, war deshalb beinahe ausgeschaltet worden und hatte dennoch überlebt. Es war eine schmerzhafte Prozedur gewesen, und doch bewies sie, daß man sich den Vorschriften widersetzen konnte, vorausgesetzt, die Sache schien gerecht. *
Hermann Balck, der Guderian zu dieser Zeit nahestand, erklärt, daß Guderian dem 100.000-Mann-Heer allein aus der Tatsache, daß er sich durch Charakterstärke auszeichnete, angehören mußte. »Er war wie eine Sprungfeder.«
Eine Scheidung hatte sich angebahnt zwischen der alten Armee, die Seeckt wiederherstellte, und den Freibeutern aus den Freikorps, die ihren Widerstand fortsetzten und sich in die Gruppen verwandelten, die als Vorhut der Nazis anzusehen sind. In Bartenstein machte Guderian hartnäckig seinen Einfluß geltend und setzte den Kampf zugunsten der Eisernen Division fort. Aber deren einsame Position im Baltikum war so hoffnungslos, wie Gretel es schon vorausgesagt hatte. Obwohl Guderian am 27. August pessimistisch geschrieben hatte, er könne nicht erwarten, in einem Generalstab zu verbleiben, der auf 120 Offiziere reduziert worden sei, und auch keinen Platz bei der Grenzschutztruppe erwarten, gewann vier Tage später wieder der Optimismus die Oberhand und führte ihn zu der positiven Feststellung: »Bisher ist die ganze Bewegung in Kurland so verlaufen, daß man hoffen kann, sie wird zu dem von den Truppen gewünschten Ergebnis führen; d. h. also Siedlungserlaubnis, Bolschewistenbekämpfung und Weiterbestehen einer nationalen, sehr verbesserungsfähigen Truppe. Es
wäre sehr zu begrüßen, wenn der Graf Goltz an der Spitze des Korps bliebe. Er ist ein ganz vortrefflicher Mann mit guten Soldaten- und hervorragenden diplomatischen Eigenschaften, dazu von vornehmer Gesinnung.« Dieser Brief bewies erneut eine Schwäche seiner Urteilsfähigkeit, das Unvermögen, politische Faktoren vorauszusehen oder abzuschätzen, ein Fehler, den die Zeit nicht heilen konnte. Wenn er auch noch am 15. September Bischoff mit dem Hinweis ermutigen konnte, daß »Regierung, Reichswehrministerium und Auswärtiges Amt die Eiserne Division und die anderen Truppen im Baltikum nicht im Stich lassen würden«, so wurde diese unrealistische Überzeugung bald ebenso wie seine eigene Stellung unterminiert. Er hatte geglaubt, was ihm gesagt worden war, und hatte es unterlassen, das politische Kräftespiel selbst zu untersuchen. Die Stärken der Freikorps nahmen rapide ab, als die Enttäuschten nach Deutschland heimkehrten und die Gegner so stark wurden, daß eine militärische Niederlage unvermeidbar war. Im Oktober wurden die deutschen Truppen dann in einer Schlacht besiegt. Danach war eine weitere offizielle Unterstützung für die Freikorps, wenn auch heimlich gewährt, nutzlos. Ende September war Guderian aus der Gefahrenzone herausgenommen worden oder, wie er Gretel schrieb: »Denk daran, daß ich nun erst in Einsamkeit getaucht werde, wenn ich Euch vergnügt zusammenweiß.« Man hatte ihn an einen Platz von verhältnismäßig politischer Harmlosigkeit beordert: zur Reichswehrbrigade 10 in Hannover. Dann, im Januar 1920, wurde er, was für ihn vielleicht eine notwendige Erholungspause von der Generalstabsarbeit bedeutete, seinem alten Jägerbataillon Nr. 10 in Goslar als Kompanieführer zugeteilt. Die Zukunft sah er in düsteren Farben. In seinen Erinnerungen stellt er fest, er habe den Generalstab »... nicht unter den glücklichsten Umständen« verlassen. Er war, das war deutlich zu erkennen, tatsächlich in Ungnade gefallen. Er hatte den berauschenden Wein des ideologischen Nationalismus gekostet und ihn verlockend gefunden, ihn aber dann doch ausgespien. Auf alle Fälle aber war er Angehöriger des besonnenen und angesehenen Offizierskorps geblieben, dessen Aufgabe darin bestand, in Deutschland die Stabilität einer alten und verläßlichen Ordnung wiederherzustellen, und so vor der Selbstzerstörung bewahrt worden, zu der die Freikorps verurteilt waren. Diese räumliche Entfernung von heißen politischen Kontakten war heilsam, wenn sie auch nicht endgültig war. Es ist kaum zu bezweifeln, daß seine Entfernung von dem Posten im Generalstab bei ihm einen schweren und denkwürdigen Schock auslöste. Unter mäßigem politischem Druck sollte er von nun an wie ein gebranntes Kind reagieren und ein politisches Engagement scheinbar ablehnen, indem er die
Wahrung militärischen Anstands vorgab. Und doch behielt Guderian stets den Hang zu einer subversiven Einschaltung in Dinge bei, die nach seiner Ansicht von außerordentlicher Bedeutung waren. Diese Haltung rechtfertigte er als letzte Auslegung des inneren Gehalts preußischer Zucht, aber es war eine Neigung, vor der sich mißgünstige Kollegen in Zukunft in zunehmendem Maße in acht zu nehmen begannen. Auch verzieh er Seeckt nie ganz dessen Zustimmung zum Abzug aus den baltischen Staaten, auch wenn er Lippenbekenntnisse zu den Grundsätzen des politischen Verhaltens dieses Mannes ablegte. Nicht lange nach dem Zweiten Weltkrieg gab Guderian den Amerikanern eine Charakterskizze Seeckts, die in gewisser Weise mehr über ihn selbst als über den Gekennzeichneten aussagte. »Seeckt«, so sagte er, »war klar, überlegt, kühl, fast schüchtern.« Diese letzte Hervorhebung stammt von mir, denn es handelt sich hier um eine Beurteilung, die, soweit ich es zu erkennen mag, einzigartig ist und ziemlich abweicht von Guderians späterer Aussage, Seeckt sei ein »kühler Verstandesmensch«. Es war eine unterschiedliche Auffassung zur Meinung anderer deutscher Generäle wie zum Beispiel Manstein, Guderians altem Klassenkameraden an der Kriegsakademie, der unter Seeckt in Krieg und Frieden gedient hatte und schrieb von einem »... inneren Feuer, das ihn inspirierte und eisernen Willen, der ihn zur geborenen Führernatur machte.« Seeckt als neuer Chef des Truppenamtes sah sich vor die schier unlösbare Aufgabe gestellt, eine Armee wiederaufzubauen, die tief ins politische Geschehen verwickelt war zu einem Zeitpunkt, da eine schwache Regierung in Berlin von ersten inneren Unruhen bedroht war. Er erholte sich von seinem Herzanfall gerade rechtzeitig genug, um die große Herausforderung seiner Absicht, die Armee aus der Politik herauszuführen, zu bestehen. Diese Attacke kam, nicht unerwartet, von den Überresten der Freikorps, die in feindseliger Stimmung aus dem Baltikum ins Reich zurückkehrten mit dem ehrgeizigen von der Goltz in ihrer Mitte. Offiziell waren die Freikorps aufgelöst worden, obwohl viele ihrer Männer in den baltischen Staaten zurückblieben und noch jahrelang in verschiedenen Gruppierungen auftauchten. Männer wie von der Goltz ließen sich nicht leicht abweisen. Im März 1920 fand der langbefürchtete Staatsstreich statt. Einheiten der Freikorps marschierten nach Berlin und tauchten in verschiedenen anderen Städten auf, nachdem ein von einem politisch ungeschickten Staatsbeamten namens Wolfgang Kapp inszenierter Putsch vorübergehend Erfolg hatte. Von Ludendorff unterstützt, setzten die Freikorps und diejenigen, die sie immer noch als Deutschlands Rettung ansahen, die Regierung stark unter Druck und bildeten ein eigenes Marionettenregime in Berlin. Seeckt widersetzte sich dem Ersuchen der Regierung, das Reichsheer gegen die Freikorps einzusetzen, indem er
fragte: »Würden Sie eine Schlacht am Brandenburger Tor erzwingen wollen zwischen Truppen, die noch vor anderthalb Jahren Schulter an Schulter gegen den Feind kämpften?« Statt dessen nahm er auf unbestimmte Zeit Urlaub und unterstrich so seinen wiederholt geäußerten Entschluß, das Militär aus der Politik herauszuhalten. An seiner Stelle setzte Kapp von der Goltz, aber mehr als ein Austausch war das nicht. Ein von der tatsächlichen Reichsregierung ausgerufener Generalstreik führte rasch den Sturz Kapps und seiner wackligen Organisation herbei. Seeckt war imstande, mit erstarkter Hand die Arbeit der Rekonstruktion fortzusetzen und wurde Chef der Heeresabteilung. Der Kapp-Putsch hatte wenig Blutvergießen mit sich gebracht, obwohl die Freikorps auf Berlin marschiert waren und sich auch in anderen Teilen Deutschlands bemerkbar gemacht hatten. Das Jägerbataillon 10, mit ihm Guderian, stand in Alarmbereitschaft, und es bedeutete ihm einen etwas komischen Trost, als die Mehrzahl seiner Kompanieführerkameraden von Aufständischen in Hildesheim gefangengenommen wurden. Es gelang ihnen jedoch, Geschütze von den Rebellen zu erbeuten. In fünf Tagen war alles vorbei. Der gesunde Menschenverstand hatte Guderian geraten, der Versuchung zu widerstehen, sich Kapp und von der Goltz bei ihrem Versuch der Errichtung einer Militärdiktatur anzuschließen. Ein Jahr später, während des Max-Hölz-Aufstandes, und 1923 zur Zeit des Hitler-Putsches in München verhielt sich Guderian loyal gegenüber Seeckt und der neuen Reichswehr. Sie wurde nach und nach zu einem eigenständigen Instrument des Staates, geführt vom Chef der Heeresabteilung, die mit der Republik arbeitete, auf die man den Treueid abgelegt hatte, und nicht gegen sie. Dessenungeachtet hatte Guderian am 8. April 1920 unmittelbar nach dem Kapp-Putsch bemängelt, »nirgends werde energisch durchgegriffen«, gegen die »elende Feigheit, Dummheit und Schwäche dieser Jammerregierung« gewettert und gefragt: »Wann wird endlich der Retter kommen diesem Land? Ich werde immer pessimistischer in bezug auf die endgültige Friedenshoffnung. Wir stehen mitten im Dreißigjährigen Krieg. Es ist furchtbar traurig, aber nicht zu ändern. Unsere armen Kinder werden das Wort Frieden nur dem Namen nach kennen.« Die Antwort darauf erfolgte bald, als an der Ruhr Armee-Einheiten und Freikorpsleute unter Ritter von Epp erbarmungslos Kommunisten niedermachten. Bei der Reorganisation der Reichswehr hatte Seeckt sich neben der politischen Isolierung die Schaffung einer Verteidigungsstreitmacht zum Ziel gesetzt, die so angelegt war, daß sie den Grundstock für das Wiedererstehen des deutschen Heeres bilden konnte, wenn die Zeit gekommen war. Bei den 100.000 Mann, die es zu rekrutieren galt,
mußten viele fähige Offiziere und Unteroffiziere sein, die später im Fall der Erweiterung die Basis für das Führungskorps darstellen konnten. Obwohl der Generalstab aufgelöst worden war, wurde seine Funktion durch das erwähnte Truppenamt weiter wahrgenommen, das für Fragen der Verteidigung, der Organisation, des Nachrichtendienstes und der Ausbildung zuständig war. Eine zivile Abteilung, die von ehemaligen Generalstäblern geleitet wurde, beschäftigte sich mit dem Studium geschichtlicher Zusammenhänge und künftiger militärischer Entwicklungen. Unter dem Eindruck des verlorenen Krieges machte sich die neue Organisation mit Hingabe an die Analyse der Fehler und an die Entwicklung jedes denkbaren Modells für eine Modernisierung, das innerhalb oder leicht außerhalb der vom Versailler Vertrag gesetzten Grenzen untersucht oder erprobt werden konnte. Die Offiziere der deutschen Armee dieser Zeit versahen ihren Dienst in einer völlig anderen Atmosphäre, als ihre Vorgänger sie gekannt und geschätzt hatten. Guderian stellte fest: »Sie mußten manches Privileg, manche liebgewordene Tradition aufgeben und taten dies, um ihr Vaterland nicht von der damals bereits drohenden Welle des asiatischen Bolschewismus überfluten zu lassen. Die Weimarer Republik hat aus dieser Verstandesehe keine Liebesheirat zu machen gewußt*. Eine innere Verbundenheit zwischen dem neuen Staat und dem Offizierskorps entwickelte sich nicht.« *
Eine seltsame Ironie, wenn man bedenkt, daß sich 1922 die Deutschen anschickten, sich auf eine andere Vernunftehe einzulassen: eine Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Rußland, wie sie der Vertrag von Rapallo vorsah.
Bis gegen Ende des Jahres 1921 war Guderian mit einer einzigen Aufgabe betraut, untergeordneten Ranges, aber grundlegend wichtig: er mußte eine Infanteriekompanie ausbilden. Weil dies nach 1914 fast sein erster Dienst als Truppenführer war (abgesehen von dem kurzen Monat als zeitweiliger Bataillonskommandeur im September 1917), der zudem eine beträchtliche Minderung der Verantwortlichkeit mit sich brachte, ging er mit ungewöhnlicher Energie ans Werk und trieb seine Leute hart voran. Es war auch seine erste Gelegenheit, bei Übungen auf unterster Stufe die 1918 gewonnenen Erfahrungen zu verwerten. 1921 fanden Versuchsübungen mit motorisierten Truppen im Harz bei Goslar statt. Guderian ging freudigen Herzens an die Arbeit, konnte er doch auf diese Weise Versuche mit der engeren Verbindung zwischen Offizieren und Mannschaften anstellen, die er für so wichtig ansah und deren Bedeutung auch Seeckt erkannt hatte, dessen Politik darauf abzielte, die Kluft zwischen den Rängen zu schließen. Guderian konnte grob zu den
Soldaten sein und noch gröber zu den Offizieren, und seine ätzende Zunge konnte spotten und verletzen. Aber er blieb immer fair. Als Ausbilder war er systematisch fortschrittlich, unerhört gründlich und stets darum bemüht, die Gründe für die Anforderungen zu erläutern, die er stellte. Nur eine Kompanie, die sich durch höchstes Geschick, ausgezeichnete Moral und vollendeten Schliff von anderen abhob, konnte das Produkt einer solch begeisterten und nicht weichwerdenden Führung durch einen Mann sein, der ebensosehr an Überzeugungskraft wie an brutalen Zwang glaubte. Seine Männer vergaßen ihn niemals und begrüßten seine Rückkehr immer begeistert. Als die Zeit des Abschieds kam, brachten sie ihre Gefühle in einem Gedicht zum Ausdruck, das Guderians Wirkung auf einfache Soldaten eindrucksvoll erkennen läßt: »Herr Hauptmann Guderian, Sie sind es, der nicht nur in dem Menschen das tote Werkzeug sah, der uns gelehrt, warum auch solches Müh'n ganz unumgänglich war! Ging's manchmal hart - denn eisern ist die Pflicht was zagt der Krieger! - Dank zollt die Kompanie! -«
4 DIE SUCHE NACH EINEM RETTER
Kernstück des Versuchs militärischer Neuordnung, die für Deutschland notwendig wurde, war in den Augen von Hans von Seeckt 1921 die Wiederherstellung der alten und traditionellen Kodizes von Ehre und Gehorsam und ihre Verschmelzung mit einer modernen zukunftsweisenden Auffassung auf dem Gebiet der Strategie und Taktik, wie sie eine sich ständig verbessernde Technologie vorschrieb. Seeckt war, wie so viele seiner Vorgänger und Zeitgenossen, ein Mann von Grundsätzen. Zur soldatischen Ehre, die zum Beispiel von einem Offizier verlangte, daß er nicht nur seinen eigenen Ruf, sondern auch den seiner Ehefrau bis zum äußersten verteidigte, schrieb er entschlossen: »Hierin liegt die neue und ernste Pflicht des Kommandeurs, die Pflicht zur Strenge um der Ehre willen.« Diese Forderung war nicht so sehr neu, aber er hatte das Gefühl, daß es immer wieder gesagt werden mußte. Auch verkündete er keine aufsehenerregenden Neuigkeiten, als er die Sätze niederschrieb: »Je wirkungsvoller diese (reguläre) Armee ist, desto größer ist ihre Beweglichkeit, je entschlossener und kompetenter ihre Führung ist, desto günstiger sind die Aussichten, den Gegner zu schlagen.« Seeckt forderte dann: »... hohe Mobilität, zu erreichen durch den Einsatz von zahlenmäßig starker und in höchstem Maße schlagkräftiger Kavallerie, durch die größtmögliche Verwendung motorisierter Transportmittel und durch die Marschkapazität der Infanterie, ferner die bestmöglichen Waffen und eine ständige Erneuerung von Männern und Material«. Er schloß keineswegs Tanks von seinem Inventar aus, obwohl sie nicht namentlich aufgeführt waren; Seeckt sah sie »auf dem Weg zu einer besonderen Waffengattung neben Infanterie, Kavallerie und Artillerie« - eine wichtige Einteilung, die später noch viele Kontroversen auslösen sollte. Neben dem Truppenamt und den damit zusammenhängenden Zentralorganen der Reichswehr wurden Inspektionen geschaffen, um Dinge zu kontrollieren und zu prüfen, die Seeckt als wichtig für die Zukunft ansah. Unter ihnen befand sich die Inspektion der Verkehrstruppen unter Generalmajor von Tschischwitz, zu dessen weitreichenden Aufgaben sowohl ihre taktische Verwendung als auch die Verwaltungsaufgaben auf einer Reihe von Gebieten wie Brennstoffbeschaffung, Reparatur und Wartung und Straßenbau gehörten, von denen keines ernsthaft angepackt worden war außer aus dem Blickwinkel logistischer Problematik im Stellungskrieg vor 1918. Eben dieser Inspektion wurde Guderian 1922 zugeteilt. Aber die Art und
Weise seiner Versetzung minderte deutlich, und das aus verständlichem Grund, seine Zuversicht in das, was die Zukunft für ihn bereithielt. Einer vagen Nachfrage seines Regimentskommandanten im Herbst 1921 hinsichtlich seines Wiedereintritts in den Generalstab folgte ein langes Schweigen, bis er im Januar 1922 einen Telefonanruf von Oberstleutnant Joachim von Stülpnagel vom Truppenamt erhielt, in dem dieser anfragte, warum er sich nicht zum Dienstantritt bei der 7. (Bayerischen) Kraftfahrabteilung in München gemeldet habe. Diese Truppeneinheit war knapp an fähigen Offizieren. Sofort verlangte ein argwöhnischer Guderian Genaueres zu erfahren. Wie sahen die Dinge aus? Wie standen seine Aussichten? Zu einem Zeitpunkt, wo es kaum Beförderungen gab, stellte der Eintritt in eine ferne bayerische Kraftfahrabteilung alles andere als eine Karriere mit guten Zukunftsaussichten dar. Die Kommandierung klang eher nach einem Abschieben auf ein Nebengleis, weit entfernt vom Zentrum des Geschehens, an das Guderian gewöhnt war und das ein ehrgeiziger Offizier als Sprungbrett für seine Karriere brauchte. Stülpnagel beeilte sich zu erklären, daß Guderian dazu ausersehen war, Generalstabsoffizier bei Tschischwitz zu werden und daß die Kommandierung nach München ihm zunächst praktische Erfahrung bei einer Kraftfahrzeugeinheit vermitteln sollte. Er ließ dieser mündlichen Erklärung am 16. Januar einen Brief folgen, der eine Mischung von Beschwichtigungen und gutem Rat enthielt: »Ihre Verwendung bei der Inspektion der Kraftfahrtruppen soll eine besondere Anerkennung für Ihre bisherigen Leistungen sein. Im Vertrauen gesagt, sollen Sie bei der Kraftfahrtruppe gerade die Gedanken des Generalstabes durchsetzen... Sie können sich denken, daß manche Spezialisten Ihr Kommen ungern sehen. Um so wichtiger ist es, daß Sie sich mit Takt und Verständnis im großen Interesse durchsetzen und auch die Anerkennung der Spezialisten finden.« Zu jener Zeit klaffte in jeder Armee eine Lücke zwischen den Spezialisten einerseits und den Truppen- und Generalstabsoffizieren andererseits. Diese Kluft war in der deutschen Armee besonders groß, weil hier seit jeher eine weitverbreitete Verachtung für »primitive Mechanik« herrschte. Bei Guderian gab es einen solchen Snobismus nicht. Sein Dienst bei der Nachrichtentruppe hatte solchen, wenn es ihn je gegeben hätte, schnell schwinden lassen, und so war seine Wahl für die neue Aufgabe eine erstaunlich gute Lösung. Er war, wie er schrieb, sehr froh und von seinem neuen Bataillonskommandeur in München, Major Oswald Lutz, der ihn in weniger als drei Monaten jede erdenkliche Erfahrung machen lassen sollte, angenehm überrascht. Lutz kam von der Eisenbahntruppe. Er war ein Mann von bewundernswerter geistiger Beweglichkeit, für neue Ideen äußerst zugänglich. Er besaß auch jene Art absonderlichen Humors, der sich mit Guderians Scherzen messen
konnte. So befahl er einmal den in Ausbildung stehenden Oberfähnrichen, auf die nächsten Bäume zu klettern. Als sie wieder herunterkamen, erklärte er, er habe die Anweisung gegeben, um festzustellen, »ob seine künftigen Zugführer für ihn auf die Bäume steigen würden«. Sie hatten es getan! Guderian stand an der Schwelle der letzten Jahre vergleichsweiser Ruhe in seiner militärischen Karriere. Vor ihm lag ein Jahrzehnt der Studien, der Entwicklung revolutionärer Ideen und einer Vertiefung seines Wissens, angestachelt durch die Forderung zu lehren. Es war kaum von Bedeutung - ja, eher zu seinem späteren Nutzen -, daß zu Beginn seiner Tätigkeit bei der Inspektion Tschischwitz' Chef des Stabes, Major Petter, darauf bestand, die Weisungen seines Generals hinsichtlich der von Guderian zu leistenden Arbeit zu ändern, ein Schritt, zu dem jeder Chef des Stabes in der deutschen Armee berechtigt war. Statt Guderian mit der Ausarbeitung von Organisation und Einsatz motorisierter Truppen im Kriegsfall zu betrauen, ließ man ihn sich mit der Logistik beschäftigen. Die Aussicht erschreckte ihn. Er protestierte und wurde zurechtgewiesen; als er darum bat, zum Jägerbataillon zurückgeschickt zu werden, erhielt er die barsche Antwort, sich, statt Einwände zu erheben, lieber seiner Arbeit zuzuwenden. Es hätte nicht besser sein können, wenn alles von vornherein so vereinbart worden wäre. Die Vorgänge versetzten Guderians Ego einen heilsamen Stoß und ließen ihn die Dinge klarer sehen, so daß er von Grund auf völlig neue Erfahrungen sammeln konnte, weil er für Männer arbeitete, die entschlossen waren, Herr im eigenen Haus zu bleiben. Der Generalstab war selbst in seiner neuen versteckten Form eine bemerkenswert eng zusammenhaltende Organisation mit der Fähigkeit, den besten Gebrauch von ihren einzelnen Bestandteilen zu machen. Zwar wünschte Seeckt, daß die Angehörigen sich zusätzlich zu den einheitlichen Arbeitsmethoden auch zu einem genormten Verhaltenskodex bekannten, aber bei der letzten Analyse wurde doch sorgsam darauf geachtet, daß die richtigen Leute die für sie angemessenste Beschäftigung erhielten. Man muß sich angesichts dieser Tatsache jedoch fragen, ob jemand, der das Ergebnis der Versetzung des jungen Guderian auf einen ziemlich entlegenen Posten im Jahre 1922 voraussah, geschwiegen hätte. Denn Guderian setzte sich für Neuerungen in einem Maß ein, das den Generalstab und schließlich die ganze Welt atemlos machte. Durch Hingabe und dynamischen Fleiß, der ihm inzwischen zur zweiten Natur geworden war, bekam er die Schreibstubenarbeit in den Griff und delegierte Routinesachen an die Sachbearbeiter. Ohne Zeit mit Alltagskram zu verlieren, konnte er sich dem zuwenden, was Tschischwitz - ein strenger Zuchtmeister - schon immer von ihm verlangt hatte: dem Studium motorisierter Verbände. Guderian versenkte sich in
eine akademische Welt, schloß sich fast vor dem politischen und wirtschaftlichen Aufruhr, der draußen herrschte, ab - dem Auf und Ab von Putschen und Gegenputschen; den Auswirkungen der alliierten Reparationsforderungen auf die Wirtschaft und der damit verbundenen Besetzung des Ruhrgebietes durch die Franzosen 1923 und der galoppierenden Inflation der Mark, die den stabilen Schichten der Gesellschaft schweren Schaden zufügte und die Industrie lähmte; vor dem Aufstieg der privaten Armeen wie Stahlhelm, Sturmabteilungen und dergleichen; schließlich vor der Unschlüssigkeit einer geschwächten Demokratie angesichts der Bedrohung durch starke Männer und konservative Interessen. Zwar verfolgte Guderian aufmerksam die politischen Ereignisse, doch war er eifrig bemüht, ihnen aus dem Weg zu gehen und sich nicht einzumischen, zumal seine Arbeit und sein Einkommen durchweg konstant blieben. Zwar konnte er im Zorn mit politischen Ambitionen anderer sympathisieren und politische Gedanken formulieren, doch als Offizier war es ihm ohnehin untersagt, sich am politischen Leben zu beteiligen oder zu wählen. Im Grunde seines Herzens blieb er ein Patriot auf der Suche nach einem Retter - einem neuen Bismarck - für sein Land, und als im Jahre 1925 Paul von Hindenburg, ein treuer Monarchist, zum Reichspräsidenten gewählt wurde und gemeinsam mit Seeckt und Gustav Stresemann eine Periode der Ruhe einleitete, schien es möglich, daß die Gestalt, nach der er sich gesehnt hatte, gefunden war. In einem Brief an seine Mutter vom 21. September 1925 beschrieb er die großen Ovationen, mit denen Hindenburg beim Besuch der alljährlichen Heeresmanöver empfangen worden war - den Enthusiasmus der Leute für diesen Mann, die Fackelzüge und die eigens verfaßten Gedichte, die an seine Ruhmestaten erinnerten. Er erwähnte nur selten den Politiker Stresemann, dessen Leistungen natürlich unübersehbar waren. Aber weil er eben »nur« Politiker war, hatte er in Guderians Wertskala einen niedrigeren Rang, weit unterhalb der »Gottheit«, dem Reichspräsidenten. Doch die deutsche Armee, die in ihrer Geschichte soviel Lorbeer errungen hatte, war geschwächt, ausgerüstet mit Material, das nur sehr geringen praktischen Wert im Kriegsfall oder bei zukunftsweisenden Experimenten hatte. Die Transportfahrzeuge in den Kolonnen waren weder robust noch beweglich genug, eine Querfeldeinbewegung zu simulieren, wie sie von voll beweglichen Truppen verlangt wird. Darüber hinaus waren sie noch verwundbarer als Kavallerie und Infanterie, die im Verlauf der fünfjährigen Kampfhandlungen rudelweise zusammengeschossen worden waren. Irgendeine Form des Schutzes, ein mit einem Panzer versehenes Fahrzeug beispielsweise, wurde dringend gebraucht, weil die Soldaten keine Rüstungen tragen können. Darüber muß sich Guderian von Anfang an klar gewesen sein, obwohl er
in seinen Erinnerungen bei der Schilderung viel Aufhebens von der allmählichen Entwicklung seiner gedanklichen Prozesse macht. Später sollte er Klage darüber führen, daß die Kriegsgeschichtliche Abteilung des Generalstabes versagt habe, weil sie nicht fortlaufend Hinweise an das Reichsarchiv gab, das sich mit der Geschichte des Ersten Weltkrieges befaßte. Guderian schrieb: »Die Fragen moderner Kriegführung, die Fragen des Luft- und Panzerkrieges wurden geflissentlich übergangen. Die Geschichtsschreiber waren diesen Aufgaben auch nicht gewachsen.« Obwohl diese Kritik etwas unfair war (die Historiker beschäftigen sich völlig verständlich in chronologischer Reihenfolge mit den Kriegsereignissen), traf Guderian mit seiner Bemerkung: »... die Geschichte war beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht einmal bis zur Tankschlacht bei Cambrai gediehen« den Nagel auf den Kopf. Aber auch die offiziellen britischen Historiker waren bis 1939 kaum weiter gekommen. So war Guderian gezwungen, sich anderswo nach Unterlagen umzusehen. Er fand sie in den Berichten einiger deutscher Überlebender der Tankschlachten, besonders bei Leutnant Ernst Volkheim, dem erfahrensten unter ihnen, in mehreren deutschen Handbüchern, aber auch bei den französischen und vor allem bei den britischen Praktikern. 1923 vollbrachten die Briten etwas bis dahin Einzigartiges; sie stellten ein Tankkorps auf, das unabhängig von Infanterie, Kavallerie und Artillerie war. Diese Trennung war das Ergebnis individueller Planung jener Offiziere, die Ende 1918 die Tanks zu einer entscheidenden Kriegswaffe gemacht und später Überlegungen angestellt hatten, die darauf hinausliefen, daß besondere Tankeinheiten gebildet werden müßten. Diese Ideen gingen von Füller aus, dessen Talent zur Analyse, Organisation und Aufstellung eindrucksvoller Formeln ihn als Stabsoffizier besonderer Qualität und als militärischen Genius für sinnvollste Reformen auswies. Unmittelbar nach dem Krieg hatte er höchst verständige Artikel geschrieben und die Zukunft der mechanisierten Kriegführung ausgemalt, in der Tanks und Flugzeuge die dominierende Rolle spielten. Um die gleiche Zeit (1919) war von den Gebrüdern Williams Ellis ein lesenswertes Buch über das Tankkorps veröffentlicht worden. Ebenfalls in diesen Jahren begann Captain Basil Liddell Hart, sich durch erste Vorlesungen und Publikationen über taktische Systeme der Infanterie, die denen sehr ähnelten, die bereits in der deutschen Armee praktiziert wurden, einen Namen zu machen. Füller war es jedoch, an den sich Liddell Hart wandte, um sich über Tanks zu unterrichten, und bei Füller suchte auch Guderian ersten Rat im Hinblick auf die Entwicklung des Tankkrieges, ungeachtet des Hinweises in einem Absatz zu Beginn seiner Erinnerungen eines. Soldaten, daß er Liddell Hart die eigentliche
Inspiration verdanke. Übrigens ist dieser Passus nur in der englischen Ausgabe von Guderians Buch enthalten, für das Liddell Hart ein Vorwort schrieb, und nicht in der deutschen Originalausgabe. Darüber hinaus erscheint kein Hinweis auf Veröffentlichungen Liddell Harts in der Bibliographie von Guderians Achtung - Panzer! (obwohl er zusammen mit Füller, Martel und de Gaulle im Buch selbst erwähnt wird), während Bücher von Füller, Martel und de Gaulle in der Bibliographie aufgeführt sind. Dazu schreibt Guderians ältester Sohn: »Tatsächlich war es, soviel ich weiß, Füller, der die meisten Anregungen gab. Mein Vater besuchte ihn einmal vor dem Krieg. Füller war mit Sicherheit kompetenter als aktiver Offizier als Captain B. Liddell Hart... Jedenfalls sprach mein Vater oft von ihm (Füller), während ich mich nicht erinnern kann, zu jener Zeit (vor 1939) andere Namen gehört zu haben. Die größere Betonung der Rolle Liddell Harts scheint sich durch Kontakte in der Nachkriegszeit ergeben zu haben.« Auf den einfachsten Nenner gebracht, schwebten Füller mechanisierte Panzerarmeen vor, die mit Luftund Artillerieunterstützung eine befestigte gegnerische Verteidigungslinie überrollen und dann tief in feindliches Gebiet eindringen konnten, wobei sie die vordere Artilleriezone ausschalteten, Kommandostellen zerstörten, Nachschubdepots eroberten und Nachrichtenverbindungen zerschnitten - kurz, solche Schäden und solche Verwirrung in den weniger gut verteidigten Abschnitten des feindlichen Hinterlands anrichteten, daß ein völliger Zusammenbruch der Kampfmoral, der Führung und des Widerstandes zu erwarten war. Zur Durchführung von Operationen dieser Art verlangte Füller schwere Tanks zum Durchbruch durch die Linien, eine Aufgabe, die bis 1918 bei konventionellen Angriffen Infanterie und Artillerie vollbringen mußten. Gleichzeitig damit sollten leichtere und schnellere Tanks den Stoß in die Tiefe führen, Kampfwagen, die ungefähr 32 Kilometer in der Stunde zurücklegen konnten und eine Reichweite von 240 bis 320 Kilometern besaßen. Sie sollten von beweglicher Artillerie, mit Traktoren gezogener Infanterie und Kavallerie unterstützt werden, »... falls die letztere genügend Ausdauer besaß, eine Verfolgung von mindestens 32 Kilometern pro Tag über eine Dauer von fünf bis sieben Tagen durchzustehen«. Für praktische Versuche verfügten die Briten zusätzlich zu den plumpen Fahrzeugen, die im Krieg eingesetzt worden waren, über eine neue Generation weitaus beweglicherer schwerer, mittlerer und leichter Tanks, über gepanzerte Fahrzeuge, geländegängige Transporter und Mannschaftswagen sowie selbstfahrende Artillerie. Von diesen Fahrzeugen gab es meist nur Prototypen, aber Mitte der zwanziger Jahre hatte Großbritannien schon eine wachsende Anzahl von VickersMedium-Tanks - Kampfwagen, die trotz so dünner Panzerung, daß sie
beinahe für normale Kugeln durchlässig war, neue Normen für Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit setzten (wobei über letzteres nicht viel behauptet werden soll) und neue Abmessungen im Innern hatten, die der Besatzung bestmöglichen Einsatz ihres einzigen 47-MillimeterSchnellfeuer-geschützes im Drehturm und mehrerer Maschinengewehre erlaubten. Mit einer derartigen Ausrüstung, wie keine andere Nation sie bis in die dreißiger Jahre hinein in genügender Quantität oder Qualität besaß, war es den Briten möglich, eine führende Rolle in Theorie und Praxis zu übernehmen. Im Sommer 1927 ließen sie einen komplett motorisierten Verband aller Waffengattungen in Salisbury Plain aufstellen und setzten ihn so wirkungsvoll ein, daß eine konventionelle Truppe zu Pferd und zu Fuß hoffnungslos ausmanövriert wurde, obwohl die motorisierten Einheiten zahlenmäßig unterlegen waren, über keine langerprobte Technik verfügten und fast völlig ohne Funkgeräte für die Führung waren. Das Ausland sah gespannt zu und begann dem nachzueifern, was es gesehen hatte. Aufgrund des Versailler Vertrages ( des »Versailler Diktats«, wie er in Deutschland hieß) durften die Deutschen nur zuhören, zusehen, studieren und abwarten. Jeder falsche Schritt wurde beobachtet und im Keim erstickt von den Mitgliedern einer Kontrollkommission, die als Wächter des Wohlverhaltens fungierte. Aber auch Aufpasser können ihre Augen nicht überall haben, und Verträge haben Hintertüren; die Deutschen machten sich einen Sport daraus, sie zu finden. Der Friedensvertrag verbot den Deutschen nicht, Verbündete zu haben. Was lag im Rahmen einer vernünftigen Politik für Deutschland näher, als nach einer anderen »isolierten Macht« Ausschau zu halten und eine Allianz zu bilden, die von der Entente nicht gern gesehen wurde? Als 1921 Lenin erste Schritte für einen deutsch-russischen Vertrag über Zusammenarbeit unternahm, begrüßte Seeckt die neue »Brücke«, wie er sie 1919 zusammen mit verschiedenen Gleichgesinnten auf russischer Seite gesucht hatte. Darüber hinaus besaß Seeckt als der mächtigste Mann in Deutschland auch das politische Gewicht, um den Vertrag von Rapallo durchzusetzen. Dieses am 16. April 1922 unterzeichnete Abkommen sah eine neue Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten vor und förderte besonders die militärische Zusammenarbeit und hier wieder Projekte moderner Waffentechnik wie Tanks, Gas und Flugzeuge. Bald wurden in Rußland drei Ausbildungszentren eingerichtet, in denen Kriegsmaterial, Fahrzeuge und Techniken erprobt und ein Kader von Spezialisten herangebildet werden konnten. Nicht nur die in Rußland gebauten Tanks - der MS I und der MS II mit ihrer 37-Millimeter-Kanone - wurden weiterentwickelt und hauptsächlich eingesetzt, sondern auch mehrere deutsche Modelle. Eines davon war ein neun Tonnen schwerer
sogenannter »Leichter Traktor«, bestückt mit einem 37-MillimeterSchnellfeuergeschütz in einem voll drehbaren Turm, der heimlich als »landwirtschaftliche Maschine« von der Firma Rheinmetall in den Jahren um 1926 gebaut und in Rußland montiert wurde. Er hatte auffallende Ähnlichkeit mit dem britischen Medium-Tank. Ein weiterer deutscher Tank war der 20 Tonnen schwere »Großtraktor«, der um 1929 erstmals gezeigt wurde und über ein kurzes, langsam feuerndes 75-MillimeterGeschütz in einem voll schwenkbaren Turm verfügte, der auf einen Rumpf montiert war, der von einem versuchsweise konstruierten Tank aus dem Baujahr 1918 stammte: dem A 7 V (U). Die geheimgehaltene Existenz und das schnelle Verschwinden dieser Fahrzeuge, die in Deutschland fabriziert und sofort zum Tankversuchsgelände am Kamafluß in Rußland abtransportiert wurden, war eine Verletzung des Versailler Vertrages. Kleine Tankarbeitsgruppen wurden von der deutschen Industrie gebildet (Krupp und Daimler-Benz waren in diesem Stadium mit Rheinmetall vertreten), um grundlegende Form- und Produktionsprobleme in bezug auf eingebaute optische Geräte, Bestückung, Panzerplatten, Antriebsmaschine, Getriebe, Federung und Raupenketten zu lösen. Auch dem schwedischen M 21Tank wurde Aufmerksamkeit geschenkt, der von der Firma Bofors hergestellt wurde, die ein Abkommen mit Krupp getroffen hatte. Der M 21 war eine Abwandlung des deutschen LK II, der 1918 nach dem Vorbild des britischen Whippet-Tanks konstruiert worden war. Er war veraltet - aber immerhin ein deutsches Modell. Von Tschischwitz und Lutz ermutigt und von Petter fest auf den Boden der Realität gestellt, ging Guderian die Motorisierung mit erfinderischer Begeisterung an. Seine zu konstruktiver Kritik fähigen geistigen Kräfte, die er bisher nur hatte einsetzen müssen, um Probleme des Arbeitsalltags, die unter dem Streß des Krieges und der politischen Wirren entstanden waren, zu lösen, standen neuesten Ideen offen. Aus dem Krieg war er physisch intakt und geistig unbeeinflußt durch die lähmenden Erfahrungen des Grabenkrieges heimgekehrt. Er war nicht verwundet worden und kaum persönlich berührt von der krampfartigen Furcht, die die begrenzte taktische Routine der Schützengräben mit sich brachte. So konnte er die künftige Entwicklung der Kriegführung kritisch aus einer Perspektive prüfen, die ungetrübt war von unauslöschlichen einseitigen Eindrücken. Er begann, sich selbst als Speicher für Informationen anzusehen, aus denen er neue Ideen für die Kampfführung entwickelte und auf ein weitgehend unerforschtes Operationsfeld vorstieß. Mit 35 Jahren war er vielleicht ein bißchen zu alt, um originelle Einfälle zu haben, aber man hatte von ihm bisher ja auch keine originellen Ideen erwarten können, weil der Krieg ihm die Möglichkeit, sie zu äußern, verbaut hatte. Wie dem auch sei, jetzt erkannte er mit
wachsender und angeregter Erkenntnisfähigkeit die Mängel der bisherigen Kriegführung und, was wichtiger war, Wege für eine gründliche Änderung. Als seine Lektüre ihn immer tiefer in sein Fachgebiet eindringen ließ, begannen sich als Ergebnis des Studiums der alten und zeitgenössischen Geschichte handfeste Schlußfolgerungen herauszukristallisieren. Dies führte zur Aufnahme eines Zeitvertreibs, dem sich der alte preußische Generalstab hinzugeben pflegte: großartige Beiträge in militärischen Zeitschriften. Ermuntert von General von Altrock, dem Herausgeber des MilitärWochenblattes, verfaßte er Beiträge (einige von ihnen vermutlich anonym), die seine Gedanken und seinen Stil widerspiegelten und die ihm gleichzeitig Geltung verschafften, weil er es verstand, kontroverse Fragen mit unmittelbarem Bezug auf die aktuelle Debatte über die Ursachen des verlorenen Krieges klar darzustellen. Durch die Artikel schuf er sich jedoch auch Feinde, denn in diesem Frühstadium schlugen die Verfechter der Tankidee eine Umwandlung der Kavallerie in motorisierte Divisionen vor. Es gab auch deutsche Generäle, unter ihnen von Kühl, die behaupteten, der Tank habe für die Alliierten den Krieg entschieden und der Mangel an Tanks sei entscheidend für Deutschlands Niederlage gewesen - eine Übertreibung, die hinreichend gefühlsbetont war, um ernsthaften Widerspruch zu verhindern. Festzuhalten bleibt, daß Guderian seine Gedanken auf die künftige Entwicklung konzentrierte. Günther Blumentritt erklärte später: »Wenn man Guderian umwälzende Ideen vorträgt, wird er in 95 Prozent der Fälle sofort ja sagen.« Doch auch das war übertrieben. Bei einem Kriegsspiel, das im Winter 1923/24 unter Guderians Leitung auf Anordnung von Major Walter von Brauchitsch mit motorisierten Truppen stattfand, war die Untersuchung der Motorisierung weiter gegangen als bei der früheren Harzübung. Zusätzlich zu Marschdisziplin und Führung wurde eine enge Zusammenarbeit mit Flugzeugen geprüft. Im Lauf der Zeit pflegte man vor und nach solchen Planspielen Hauptmann Guderians Ansicht als die des Tankexperten einzuholen, eine sehr bedeutsame Anforderung, bei der Guderian plastische Beschreibungen geben mußte, weil die deutschen Erfahrungen mit dieser Waffe minimal waren. Seine präzisen und überzeugenden Erklärungen, die mit geistreich erzählten historischen Präzedenzfällen und geschickt herangezogenen Argumenten durchsetzt waren, machten auf die Zuhörerschaft starken Eindruck. Ausgeprägtes analytisches Talent und überschäumende Begeisterung machten Guderians Berichte zu einer Hauptattraktion. Wieder tat sich etwas Positives in seiner Karriere, als im Jahre 1924 beschlossen wurde, ihn als Lehrer für Taktik und Kriegsgeschichte einzuteilen - eine scharfsichtige Versetzung für einen Mann, der sich aus der Grube
herausgearbeitet hatte, in die er gefallen war. Mehr noch: sein neuer Vorgesetzter war der alte Kommandeur von Tschischwitz, dessen Aufgeschlossenheit Guderian genügend Spielraum für die Entwicklung seiner Ideen garantierte. Vor 1914 hatte Schlieffen historische Präzedenzfälle angeführt, um die Grundlagen seiner militärischen Angriffstheorie zu verstärken. Guderian schrieb einmal über ihn, er sei klug, kalt und sarkastisch gewesen, ein General, der »... durch Klarheit und Festigkeit der militärischen Planung die Ziellosigkeit und Unentschlossenheit der Politiker auszugleichen suchte«. Auch Guderian suchte nach Präzedenzfällen, um die Schaffung einer neuen Angriffstheorie zu rechtfertigen, mit deren Hilfe rasch die von den gegenwärtigen Verteidigungspraktiken errichteten Barrieren überwunden werden konnten. Aber es war bezeichnend, daß es Guderian als unverbesserlicher Optimist vorzog, Fehlschläge aus der Geschichte heranzuziehen und anhand dieser Beispiele seine Änderungsvorschläge zu begründen, während Schlieffen seine Hoffnung auf Erfolge gesetzt hatte: auf den Sieg der Preußen bei Leuthen und später auf Hannibals Meisterstück bei Cannae, um zu illustrieren, wie eine Schlacht durch völlige Umzingelung des Gegners gewonnen werden kann. Nur vergaß Schlieffen anzumerken, daß keiner dieser Siege tatsächlich einen Krieg entschieden hatte. Guderian sezierte Niederlagen, um daraus zu lernen und ließ in seine Vorträge und Aufsätze Bemerkungen und Zitate einfließen, die mehr verächtlich als bissig waren. Sein Engagement war ebenso gradlinig wie unverblümt. Vor seinen Schülern machte er mit vor Begeisterung funkelnden Augen und einem Minimum an demonstrativen Handbewegungen die einzelnen Punkte seiner Ausführungen durch die bloße Kraft seiner Begeisterung und seines Wissens klar. Wie alle guten Pädagogen merkte er, daß der Impuls, sich mitzuteilen, in sich ein wunderbares Stimulans für die Ursprünglichkeit der Gedanken war. In seinem Fall übertraf der Drang, sein Bestes zu geben, noch sein sonstiges hohes Niveau wegen der Verpflichtung, die Skepsis einiger seiner Schüler - der Elite der Reichswehr - zu überwinden, was nötig war, wenn er ihnen ausländische Konzepte darbot. Diesen gutinformierten Offizieren mit schwachen Argumenten zu kommen, war unmöglich. Gelang es ihm, sie zu überzeugen, hatte er Jünger aus ihnen gemacht. Im Mittelpunkt seines Programms stand ein einziges Thema: die Stoßkraft - und ihre Bedeutung für die Waffen in früherer Zeit und Gegenwart. Bei der Besprechung des verhängnisvollen preußischen Feldzuges gegen Napoleon im Jahre 1806 fragte er beispielsweise, auf die Gegenwart bezogen: »... begeht man nicht den gleichen Fehler, der die Preußen veranlaßte, ,mit fierte dem Feind, ohne zu schießen, entgegenzugehen, der Gleichmäßigkeit der Kopfhaltung wegen bei den
Bataillonssalven nicht zu zielen', ja sich im feindlichen Feuer nicht hinzulegen?« Er machte sich über das Bajonett lustig: »Merkwürdigerweise gilt man heute noch als Ketzer, wenn man den heiligen Begriff infanteristischer Stoßkraft, das Bajonett, anzutasten wagt«, und zitierte als Beispiel den älteren Moltke: »Er lehrte, ,auch im Angriff das Feuer an den Gegner heranzutragen und ihn hierdurch zu erschüttern, bevor der Bajonettangriff durchgeführt werden könne'.« Sarkastisch führte er dann noch Moltkes Schilderung des »Ehrentages der Landwehr von 1813« an »mit seinen berühmten Bajonettkämpfen, die dem Gegner ganze 30 bis 35 Tote kosteten...« Dies war seine destruktive Phase, die der konstruktiven vorausging. Denn anschließend schickte er sich an zu demonstrieren, wie sehr die Stoßkraft technologischen Änderungen unterworfen war. Im Jahre 1914 war sie mit der Feuerkraft identisch, »... das heißt, bei der Infanterie in ihren Maschinengewehren und sonstigen schweren Waffen, im großen aber, das heißt bei den Divisionen, in der Artillerie. Genügte diese Stoßkraft, so gelangen die Angriffe, wie im Osten, in Rumänien, in Serbien und Italien. Genügte sie nicht, wie an der Westfront, so scheiterten sie... Der Weltkrieg hat den Beweis geliefert, daß Stoßkraft nicht im Feuer allein besteht... Das Feuer muß vielmehr an den Gegner herangetragen werden... um die Ziele, die den Angriff am stärksten behindern, auf nahe Entfernungen aufzusuchen, zu erkennen und im direkten Richten zu vernichten.« Die Kavalleriewaffe pflegte Guderian mit einer Floskel abzutun, die der glich, mit der er das Bajonett ablehnte: »Selbst die berühmten Attacken der Bayreuth-Dragoner bei Hohenfriedberg und der Seydlitzschen Reiter bei Roßbach waren gegen bereits erschütterte Infanterie gerichtet. Die Wirkung von Attacken gegen unerschütterte Infanterie war nicht durchschlagend, wie die Schlacht bei Zorndorf lehrt.« Von diesem Ausgangspunkt her konnte er mit der Untersuchung von Methoden beginnen, wie man mit schnellen Bewegungen »... das ‚Herantragen des Feuers an den Feind' ermöglicht. Hier konnte nur die Belebung eines uralten Kampfmittels, des Panzers, helfen. Die Panzer waren nicht deshalb aus der Mode gekommen, weil man sie nicht dick genug hätte machen können, um sich gegen Gewehrgeschosse zu schützen, sondern weil weder Mann noch Pferd die Kräfte besaßen, sie zu tragen oder zu bewegen!« An dieser Stelle konnte er dann die Erfindung moderner Kampfwagen schildern und deren Vorzüge loben: »Was also ist Stoßkraft? Sie ist die Kraft, die den Kämpfer befähigt, im Angriff seine Waffen auf wirksame Entfernung in den Feind zu tragen, um ihn zu vernichten. Nur Truppen, denen die Fähigkeit inne wohnt, sind stoßkräftig, das heißt angriffskräftig. Wir sind nicht unbescheiden, wenn wir feststellen, daß nach den
Kriegserfahrungen die Panzerwaffe von allen erdgebundenen Truppengattungen die stärkste Stoßkraft besitzt.« An dieser Stelle rückte im Lauf der Jahre, als er immer überzeugter von der Richtigkeit seiner Gedanken wurde, der Geschichtsunterricht in den Hintergrund und machte der Propaganda für Panzer Platz, in der er zum Experten wurde. Es waren friedliche Tage, in denen genügend Zeit für eine ruhige und gründliche Erörterung und Abwägung von Problemen blieb, die in absehbarer Zukunft keine unmittelbare Auswirkung auf eine Armee haben konnten, deren Denken tief ging, die sich jedoch in ihrer äußeren Form kaum änderte. Guderian informierte sich laufend gründlich über die jüngsten Schritte der Inspektion der Verkehrstruppen, die eine zunehmend aktive Rolle bei der Zusammenarbeit mit Rußland zu spielen begann und 1926 die ersten Bestellungen für den schon erwähnten »Leichten Traktor« aufgab. Es war tatsächlich eine Ironie, daß zur gleichen Zeit, als Deutschland diese kleinen, aber wichtigen Schritte in Richtung auf eine spätere Aufrüstung tat, Westeuropa ein Stadium politischer Ruhe durchmachte, wie es seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr dagewesen war. 1925 wurde das Locarnoabkommen unterzeichnet, und eine kurze Epoche der gegenseitig garantierten Sicherheit zwischen den Nationen und der schrittweisen Rehabilitierung Deutschlands begann. Die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund 1926 und die Auflösung der Kontrollkommission ein Jahr später führten zu einer endgültigen Räumung der besetzten deutschen Gebiete. Auf der anderen Seite waren es die Briten, die als erste 1927 einen Versuchspanzerverband aufstellten, zu einem Zeitpunkt, als starke Bestrebungen für eine Abrüstungskonferenz im Gange waren. Und so kam es, daß die Politiker sich energisch für den Frieden einsetzten und gleichzeitig auf verschiedenen Seiten Schritte in Richtung auf einen Krieg durch militärische Demonstrationen unternommen wurden, die zeigen sollten, wie ein kurzer, entscheidender Feldzug durchgeführt werden konnte. In Rußland nahmen sie schnell und ungestüm alles auf, was die Deutschen und andere lehrten; es ist wahrscheinlich, daß die Russen weitaus mehr von Rapallo profitierten als die Deutschen. Im Februar 1927 wurde Guderian schließlich zum Major befördert in einer kleinen Armee, in der die Umstände natürlich den Ehrgeiz bremsten, und im Oktober desselben Jahres wurde seine akademische Arbeit beendet durch eine Versetzung ins Truppenamt, das praktisch (trotz des Versailler Vertrages) der Generalstab war. Hier wurde er der Transportabteilung zugeteilt, die zur Operationsabteilung gehörte. Seine Aufgabe bestand scheinbar in der Weiterentwicklung des Truppentransports mittels Lastkraftwagen. Es war eine weitere kluge und logische Wahl eines Mannes, der zu einem, wie es heute heißt, technisch versierten Generalstabsoffizier geworden war und dem man nun eine Aufgabe übertrug, die sowohl technische als auch operative
Aspekte umfaßte. Es spielte keine Rolle, daß er kein Ingenieur und nicht besonders im Maschinenbau geschult war. Sein technisches Verständnis war es, das zählte und eine Persönlichkeit hervorbrachte, die von höchster Seltenheit in fast jeder damaligen Armee war. Änderungen lagen in der Luft. Sein Eintreffen beim Truppenamt fiel praktisch mit dem Dienstantritt eines neuen Chefs, Oberst Werner von Blomberg, zusammen, dessen Schicksal bald mit einer ganz anderen deutschen Revolution verknüpft sein sollte. Auf Guderian wartete eine erschreckende Herausforderung. Das Truppenamt, das, seit Seeckt es so beharrlich gefordert hatte, Nachdruck auf Kavallerie und Infanterie unter Hilfe von Motortransportmitteln legte, sah Straßenfahrzeuge nur als Ergänzung der Eisenbahn an, wenn auch als eine flexible. Man schien die Forderung aufzustellen, daß künftig alles, was bereits mit der Eisenbahn transportiert wurde, von nun an auch über die Straße befördert werden sollte, um bestehende Organisationen zufriedenzustellen und ihre Methoden anzuwenden. An hoher Stelle übersah man dabei den offensichtlichen Nachteil, daß Europas Schienennetz sehr viel besser ausgebaut war als das Straßensystem, und wollte nicht zugeben, daß sich die Zusammensetzung von Kampfverbänden in Zukunft stark ändern mußte. Daher forderte man vom Lastkraftwagentransport, er müsse die gleichen Ladungen auf dieselbe Weise wie die Eisenbahn befördern. Diese Fracht bestand aus allem, was eine Kavallerie- oder Infanteriedivision besaß: Material, Soldaten und Pferde. Mit anderen Worten: man versuchte, die Lastkraftwagen wie Taxis einzusetzen, um den Status quo zu erhalten, ohne zuzugeben, wie Guderian es formulierte, daß die alten Pläne der Vergangenheit angehörten und völliges Umdenken erforderlich war. Wie er es beschreibt, gab es viele hitzige Diskussionen und mehr Skeptiker als Optimisten im Hinblick auf die Erarbeitung einer praktikablen Lösung. Die Tage der Ruhe waren jetzt endgültig vorüber. Guderian bekundete offen seinen Widerstand gegen Unausführbares und gegen Konzepte, die die Antithese zu dem darstellten, was er für wesentlich erachtete. Er blieb hartnäckig bei seinem Standpunkt und schlug einen Weg ein, der den Lauf der Geschichte ändern sollte. Zu ungefähr der gleichen Zeit, als die Kooperation mit Rußland begann, wurde die Ausbildung von neuem Stabspersonal erforderlich. Die Abteilung für Kraftfahrtruppen in der Inspektion der Verkehrstruppen richtete eine eigene kleine Lehrstätte ein, um Offiziere, Zivilangestellte und Unteroffiziere in Kraftwagenmechanik ausbilden zu lassen. 1928 wurde beschlossen, dem Unterrichtsstoff ein taktisches Fach hinzuzufügen und den Einsatz von Panzern und ihre Zusammenarbeit mit anderen Waffen zu lehren. Wer war besser dazu geeignet als Guderian? Zwar mußte im Herbst 1928, als der Beschluß endlich
verwirklicht wurde, Guderian gestehen, daß er bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen Panzer von innen gesehen hatte. Doch eiligst reiste er 1929 mit seiner Frau Gretel über Dänemark nach Schweden, eine Gelegenheit, die ihn veranlaßte, in seinen Erinnerungen einen seltenen Einblick in seine angeborene Vorliebe für schöne Dinge - die Landschaft und die skandinavischen Städte - tun zu lassen, Eindrücke, für die Soldaten wie Schlieffen und Erwin Rommel unempfänglich waren. Als Gast eines schwedischen Tankbataillons, das mit M 21-Tanks deutscher Herkunft ausgerüstet war, steuerte er das Fahrzeug, lernte es gründlich kennen und seine Grenzen und Schwächen abschätzen und wohnte kleinen Übungen bei, in deren Verlauf die Tanks mit anderen Waffengattungen zusammenarbeiteten und unter Einnebelung Angriffe fuhren. Der M 21 war ein unzureichendes Fahrzeug, aber die Erfahrung, die Guderian mit seiner Hilfe sammelte, bedeutete wiederum einen Wendepunkt in seiner Karriere. Vielleicht dramatisierte er seine Schlußfolgerungen zu stark, wenn er schreibt, es sei 1929 gewesen, als er die Überzeugung gewonnen habe, »... daß der Panzer allein und in der Bindung an die Infanterie niemals zu entscheidender Bedeutung gelangen könne«, denn seine frühen Vorträge und Studien vermitteln zu keiner Zeit den Eindruck, er habe geglaubt, daß isoliert vorgehende Panzer Erfolg haben könnten. Aber in jenem Jahr entwarf und erarbeitete er ein Drehbuch für alle künftigen Konflikte und legte es bei den Besprechungen im Generalstab und auf den Exerzierplätzen vor. Im Sommer 1929 führte er eine Geländebesprechung durch, die eine Kampfgruppe in Divisionsstärke mit solchen Waffen zum Einsatz brachte, wie sie eine spätere Panzerdivision aufbot. Es war in Wirklichkeit eine Kopie des vorausgegangenen britischen Experiments, wie es auch die Amerikaner und Russen nachzuahmen versuchten. Das Konzept der Panzerdivision, einer Formation, die in ausgewogener Zahl Kampfwagen, andere gepanzerte Fahrzeuge, motorisierte Infanterie, Artillerie und Pioniere umfaßte, war keineswegs eine deutsche Erfindung. Die Idee war lange zuvor von britischen und französischen Protagonisten des Tanks geboren worden, die in ihr eine beherrschende Waffe sahen. Das Thema war in der Öffentlichkeit diskutiert und mehrfach in einer ganzen Anzahl von Büchern über Tanks, die nach und nach erschienen, behandelt worden. Tatsächlich war diese Literatur so reichhaltig, daß sich für die Inspektion der Verkehrstruppen das Problem der Auswahl stellte, bevor sie Empfehlungen geben konnte. Die Russen tendierten zu unabhängigen Tankformationen, die die traditionelle strategische Rolle der Kavallerie übernehmen konnten. Die Franzosen sahen in den Tanks eine reine Waffe zur Unterstützung der Infanterie, die sich dem Tempo der vorrückenden Soldaten anpaßte, und betrachteten Panzerspähwagen als Aufklärer in der Rolle der früheren Kavallerie. Die Briten bevorzugten ganz eindeutig gemischte
Panzereinheiten, wie ihre Übungen aus dem Jahre 1927 klar bewiesen hatten, setzten aber auch gern Panzerspähwagen für Erkundungszwecke und schwere Panzer zur Unterstützung der Infanterie ein. Wirtschaftlich konnten sich die Deutschen nur die Umstellung auf ein System leisten. Obwohl Seeckt 1926 als Chef der Heeresabteilung von General Wilhelm Heye (einem gemäßigten Schüler Seeckts) abgelöst worden war, war sein Einfluß immer noch groß und galt weiter seine Maxime: »Je kleiner die Armee ist, desto leichter läßt sie sich mit modernen Waffen ausrüsten.« Und obgleich Seeckt 1930 schrieb, er könne sich nicht vorstellen, »... daß Panzerfahrzeuge dominieren und der Reiter völlig durch den motorisierten Soldaten abgelöst wird«, ging der Trend seiner Überlegungen doch in die Richtung der Gedanken Guderians, wenn er hinzufügte: »... Wir werden nicht länger, wie es Friedrich der Große am Abend der Schlacht tat, unsere klirrenden Geschwader über den schwankenden Gegner herfallen lassen. Der moderne Seydlitz wird seine gut geschonten Truppen mit ihrer beweglichen Artillerie in die Flanke und in den Rücken des Feindes führen, um mit der vorrückenden Infanterie und anderen Einheiten zusammenzutreffen und die endgültige Entscheidung sicherzustellen.« Dies war, obwohl das provokative Wort »Tank« nicht darin enthalten war, die von Füller und Guderian erarbeitete Quintessenz. Füllers Erkenntnisse bewegten die Deutschen sehr. Im Jahre 1936 konnte Guderian in aller Öffentlichkeit bekennen, man habe beschlossen, sich hauptsächlich auf englische Erkenntnisse zu verlassen, wie sie im 2. Teil der 1927 herausgekommenen »Vorläufigen Instruktionen für die Tank- und Panzerwagenausbildung« (Provisional Instructions for Tank and Armoured Car Training) enthalten waren. Dies Dokument trug die Handschrift Füllers und enthielt die aus den Erfahrungen im Ersten Weltkrieg gezogenen Lehren sowie die während dreijähriger Experimente mit den modernsten Tanks gewonnenen Erfahrungen. Es war für neun Pence beim Königlich-Britischen Staatsverlag zu beziehen. Zur rechten Zeit sollten erscheinen »Mechanisierte und gepanzerte Formationen« (1929) und »Moderne Formationen« (1931), beides als Geheimdokumente klassifizierte Veröffentlichungen, die»...weder direkt noch indirekt der Presse oder irgendeiner Person, die kein offizielles Amt im Dienst Seiner Majestät bekleidet, mitgeteilt werden dürfen.« Dessenungeachtet fand jede ihren Weg in nichtautorisierte Hände, darunter auch in deutsche. Die 1927 herausgekommene Vorschrift enthielt Guderian zufolge »in ihrer Klarheit die nötigen Anhaltspunkte, um Versuche einleiten zu können, und ließ dabei doch die erforderliche Freiheit in der Entwicklung, welche die bekannten französischen Vorschriften mit ihrer damaligen starren Bindung der Waffe an die
Infanterie zu versperren schienen. Dieser Vorschlag fand die Zustimmung der Heeresleitung. Nach der englischen Vorschrift erfolgte bis 1933 die geistige Schulung des Offizierskorps der Kraftfahrtruppe für die zukünftige Panzertruppe«. Die »Tank«-Übungen von 1929, denen es an Realität mangelte, weil echte Kampfwagen fehlten, ließen falsche Schlüsse zu, bestärkten jedoch den unerschütterlichen Glauben der Anhänger der Panzerwaffe. Attrappen, kleine Automobile, die, mit Segeltuch bespannt und mit Blech verkleidet, echte Tanks darstellen sollten, wirkten äußerst dürftig. Ihr Unvermögen, selbst kleine Anhöhen im Gelände zu nehmen, und der Lacheffekt, wenn die Infanterie Bajonette durch den Stoff stieß und die gedemütigten Besatzungen durch hämische Bemerkungen reizte, stellte gewaltige Anforderungen an die Pioniere dieser Waffe. Alle Erfahrungen waren schlecht auf einmal auszuwerten, aber zum Glück besaß Guderian den Optimismus, die Entschlossenheit und das Einfühlungsvermögen, allen Anforderungen gerecht zu werden und seine Kollegen mit sich zu ziehen. »Aber trotz dieser Mängel gewann der Gedanke an die Notwendigkeit einer eigenen Panzertruppe Boden, und auch auf die zukünftige Verwendung und Gliederung wurde den Veranstaltern der Versuche klar und wirkte sich in technischen Forderungen für die Entwicklung des Gerätes aus.« In jenem Jahr wurde insgeheim der Bau des »Großtraktors« in Auftrag gegeben, des schweren Kampfwagens mit dem größeren Geschütz. Lutz, der 1931 zum Inspektor der Verkehrstruppen ernannt wurde, wurde von Guderians Begeisterung mitgerissen. Obwohl ein brillanter Organisator und ein fähiger Denker, war er nur Partner - hinsichtlich seiner Leistungen der Juniorpartner - in einem Team. General Chales de Beaulieu, der Guderians Stab zwischen 1931 und 1933 und später noch einmal in den Jahren 1935 bis 1937 angehörte, sagt dazu: »Guderian war das Hirn hinter allem und überdachte im voraus alles, was einmal von Bedeutung oder Notwendigkeit werden konnte - in personeller Hinsicht, bei der Ausrüstung und in bezug auf die Führung. Er war ein idealer Führer.« Lutz wandte seine Autorität und sein Taktgefühl auf, dabei behilflich zu sein, Guderians Pläne durch die höheren Gremien zu bringen. Er versetzte Guderian auch zur rechten Zeit an die richtige Stelle. Im Jahre 1930 entsandte er ihn als Kommandeur der 3. (Preußischen) Kraftfahrabteilung (ohne Zweifel auf Guderians eigenen Wunsch). Sie erhielt zu ihrer Ausrüstung alle Elemente einer künftigen Panzerdivision, allerdings ohne Feldartillerie. Eine Kompanie Panzerattrappen war vorhanden und ebenfalls eine Panzerabwehrkompanie mit hölzernen Geschützen. Tatsächlich waren nur die Panzerspähwagen der Aufklärungskompanie echt. Es fehlte auch
ein weiterer wichtiger Bestandteil der Ausrüstung - die modernen Fernmeldegeräte, die allein eine Panzerdivision, wie sie Guderian vorschwebte, zu einer schlagkräftigen Einheit machten. Als der britische Oberst Ernest Swinton 1916 den ersten taktischen Leitfaden für Tanks schrieb, schlug er die Lösung des Nachrichtenproblems so vor: »Jeder zehnte Tank sollte mit kleinen Funkgeräten ausgerüstet sein, andere müssen bei ihrem Vorrücken Telefonkabel verlegen und die übrigen mit Sichtzeichen und mit Rauchraketen ihr Vorankommen signalisieren.« Damals gab es natürlich noch keine brauchbaren kleinen Funkgeräte; das Kabellegen war technisch noch nicht sehr entwickelt und funktionierte hundertprozentig nur über kurze Entfernungen. Jeder, der einmal versucht hat, aus dem Turm eines Tanks Sichtzeichen zu geben, wird bestätigen, was für ein äußerst mühsames Unterfangen das ist. Die wenigen, die es während eines Gefechts unter Beschuß unternahmen und noch am Leben sind, werden höchstwahrscheinlich das Experiment nicht wiederholen wollen. Einige wenige Tanks waren gegen Ende des Ersten Weltkrieges mit Funk ausgerüstet und machten davon beim Einsatz Gebrauch, aber es blieben Spezialfahrzeuge, weil sie während der Fahrt keine Nachricht empfangen oder senden konnten. Daher wurden sie gewöhnlich nur als Meldezentralen eingesetzt. Während der zwanziger Jahre wurden rasch Fortschritte bei der Verbesserung der Funkverbindungen erzielt. Die Deutschen hielten auf diesem Gebiet gut mit, zumal der Versailler Vertrag ihnen in dieser Hinsicht keine strengen Einschränkungen auferlegte und diese Vorschriften ohnehin leichter zu umgehen waren. Die enormen Erfahrungen, die man im Krieg mit Funksendung und -empfang gemacht hatte, wurden später beim Ausbau des Polizei- und Privatsprechfunks verwendet. Der Sprechfunk wurde als Nachrichtenmedium so gebräuchlich wie der Morseverkehr und weitaus unempfindlicher gegen Störgeräusche, nachdem seine Erfinder die höheren Frequenzbereiche nutzten. Die Apparate wurden stabiler, kleiner und leichter zu handhaben, besonders nachdem die Flieger für eine solche Konstruktion Prämien ausschrieben, weil sie leichte Geräte brauchten. Die Stärke der Sender wurde ebenso wie ihre Reichweite ständig vergrößert. Die Erfindung der quarzgesteuerten Oszillatoren um 1920 eröffnete eine neue Ära der Präzision im Funkverkehr. 1931 fand in England die erste Vorführung einer Tankformation überhaupt statt, die während der Fahrt von einem einzigen Kontrolltank über Funk dirigiert wurde. Die benutzten Geräte waren quarzgesteuert. Wenn auch die Deutschen damals in bezug auf diese technische Entwicklung noch zurücklagen, so arbeiteten sie doch - hauptsächlich, weil Guderian immer wieder darauf bestand - intensiv an der Entwicklung wirksamer Funknetze für Tanks. Guderians Erfahrung von 1914 ließ ihn
nicht daran zweifeln, daß, wenn hochbewegliche räumlich weitgreifende Kriegsoperationen präzise koordiniert ablaufen sollten, die Funkverbindung genau, prägnant und weitgestreut von den obersten Kommandospitzen bis hinab auf die unterste mögliche Ebene zu sein hatte. Wie weitverzweigt das Funknetz war, hing von der Art der zu bauenden Geräte und den für ihren Ankauf zur Verfügung stehenden Summen ab. Zunächst forderten Guderian und seine Mitarbeiter, daß die Funkverbindung bis zur Befehlsstelle der einzelnen Tankkompanien reichen müßte, obwohl sie wußten, daß die Engländer mit ihrem Funksystem bereits die Zug- und Gruppenführer und in einigen Fällen sogar einzelne Tanks erreichten. Walther Nehring, der viele Jahre lang einer der führenden Stabsoffiziere Guderians war, erklärte mir, von Anbeginn an sei man sich klar darüber gewesen, daß das Konzept hoher Beweglichkeit und tiefen Vordringens der Panzerdivisionen ohne ein zuverlässiges Netz von Verbindungen undenkbar war. De Beaulieu fügt hinzu: »Die frühzeitige Verwendung drahtloser Nachrichtenverbindungen, um dem einzelnen Tank im Gefecht Befehle zu übermitteln, ging auf Guderians Forderungen zurück. Er hatte einen Blick für das Wesentliche und war gleichzeitig auch in der Lage, abzuschätzen, wann er zur Erreichung seines Ziels Druck ausüben mußte. Das war ein wichtiges Charaktermerkmal bei ihm. Wenige Menschen wissen diesen Augenblick zu erkennen.« Vergleichsweise ebensoviel Energie wurde auf die Entwicklung der Funkverbindung verwendet wie auf die Konstruktion der Kampffahrzeuge selbst. Die Nachrichtentruppe nahm die Herausforderung mit Eifer an. In der Tat waren die Deutschen auf dem Gebiet des Fernmeldewesens im Ersten Weltkrieg führend gewesen und hatten erkannt, welche Probleme es zu überwinden galt. Aber sie waren auch 1929 ehrlich genug zuzugeben, daß ihre modernsten Anlagen völlig unzureichend waren, besonders die für zivile Zwecke konstruierten. Man begann deshalb mit dem Bau von neuen Geräten, die klein, stoßsicher und völlig zuverlässig auch bei der Benutzung in rollenden Fahrzeugen waren. Aber die Möglichkeit feindlichen Einschaltens, die des Abhörens von Funksprüchen und deren Dechiffrierung - wobei selbst die maschinell erarbeiteten Kodes entziffert werden konnten - ließ auch die Entwicklung des Feldtelefons und des Fernschreibnetzes voranschreiten, deren Leitungen mit solcher Geschwindigkeit verlegt werden konnten, daß man mit einer 160 Kilometer pro Tag vorrückenden Einheit Schritt halten konnte. Diejenigen Verbände, die durch die Umstände gezwungen waren, sich auf Sprechfunk allein zu verlassen, wurden darauf hingewiesen, daß die Durchsagen mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit trotz Gebrauchs von Schlüsseln und verabredeten Stichworten vom
Feind abgehört wurden und daß daher nur kurzfristige Pläne, deren Ausführung schnell erfolgen konnte, durchgegeben werden sollten. Parallel dazu wurden ausgedehnte Abhörnetze geschaffen, um den gegnerischen Funkverkehr zu belauschen und so Informationen über alle seine Bewegungen zu erhalten. Guderian fand oft in hoffnungsloser Lage anhand solcher Durchsagen wertvolle Hilfe. In dem genannten Rahmen wurden von deutschen Befürwortern schneller Operationen intensive Erprobungen vorgenommen. Die wichtigste Einheit war dabei die 3.(Preußische) Kraftfahrabteilung mit ihrer »modernsten«, wenn auch kaum einwandfreien Ausrüstung. Jede Phase einer Kriegsoperation mit Tanks wurde bei diesen Manövern erprobt - Angriff, Verteidigung, Rückzug, Stoß in die Flanke, Direktangriff mit Infanterie und Kavallerie sowie Zusammenarbeit mit Artillerie und Flugzeugen. Heinz-Werner Frank, damals Leutnant in Guderians Abteilung, stellt es so dar: »So wurden wir fast fanatische Verbreiter der Idee der Motorisierung und der Wichtigkeit des Aufbaues der Panzerwaffe. Wir wurden seine (Guderians) begeisterten Anhänger. Dies geschah nicht durch Befehl, sondern durch leidenschaftlich-starke Überzeugungskraft.« Aber das sollten sie nach dem Willen von Oberstleutnant Guderian auch sein, wie er ihnen nach einem winterlichen Skiausflug klarmachte. Zum Abschluß einer Übung hatten die jungen Offiziere voll Übermut ihren Kommandeur überholt. Guderian verlor bis zum Abend kein Wort über den Vorfall. Dann bemerkte er bei einem Umtrunk augenzwinkernd ganz beiläufig: »Bei der Panzertruppe führt der Kommandeur nicht von hinten, sondern vorn.« Nach den Manövern wurde 1931 die Liste der wesentlichen Voraussetzungen für eine unabhängige Panzertruppe aufgestellt, wie sie Lutz und Guderian für notwendig hielten. Doch jetzt war in stärkerem Maß Widerstand gegen ihre Pläne zu spüren, denn ihre Forderungen taten der traditionellen Rolle der Kavallerie und der Infanterie Abbruch. Grund dafür war, daß es finanzielle und personelle Sparmaßnahmen angesichts einer internationalen Wirtschaftskrise unumgänglich machten, bei Einführung einer Neuerung das Alte abzuschaffen. Die Kavalleristen waren die ersten, denen die nach ihrer Meinung »emporgekommenen« Nachschubtruppen eine Scheibe vom Operationskuchen abzuschneiden suchten. Die Kavallerie protestierte, allerdings vergeblich, weil sowohl die Erinnerungen an ihr Wirken im letzten Krieg als auch die beim Reichsarchiv vorliegenden Fakten gegen sie sprachen, während Guderians Vorschläge nur schwer von der Hand zu weisen waren. Vor die Frage gestellt, wie sie ihre künftige Rolle in einem Krieg sähe, sprach sich 1932 die Kavallerie für die im Licht der jüngsten Geschichte einzig denkbare Aufgabe aus, für die einer »schweren« Truppe, die dem Gegner den Coup de grace versetzt,
nachdem die anderen Waffengattungen die Vorarbeit geleistet hatten. Unwillig und in einer Atmosphäre wachsender Eifersucht überließ man der Motorisierten Truppe die Aufklärung, bei der die Kavallerie selbst in der Vergangenheit ständig versagt hatte. Die Konzessionen seitens der Kavallerie waren natürlich von geringer Bedeutung angesichts der großen Umwälzungen auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet in aller Welt und in Deutschland. Die Ereignisse steuerten auf eine Krise zu. Der Strom ausländischen Geldes, der jahrelang nach Deutschland geflossen war, versiegte plötzlich, als eine Flaute des Welthandels zu einer riesigen Wirtschaftskrise führte. Die Arbeitslosigkeit stieg in einem bisher nie dagewesenen Maße und ließ bei den extremistischen Elementen auf der politischen Szene Deutschlands die Erkenntnis aufkommen, die Zeit sei reif, um ihre Machtansprüche anzumelden. Kommunisten und Nazis lieferten sich erbitterte Auseinandersetzungen in einer Reihe von Wahlen. Die Regierung schwankte und stand ständig vor einem Zusammenbruch, während Attentäter mit jedem Monat die Zahl ihrer Opfer steigerten. Im Jahre 1932, als die Armee sich begnügte, ihre Unabhängigkeit von der Politik zu erhalten und darauf bedacht war, ihre Stärke und Schlagkraft zu erhöhen, standen die Anhänger Adolf Hitlers, die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), kurz davor, die Regierungsgewalt durch konstitutionelle Mittel zu übernehmen, die hart an Gewalt grenzten. Von diesen Vorgängen suchte sich Guderian fernzuhalten; immer wieder wurde er an die Ereignisse von 1919 erinnert, die in seinem Gedächtnis eine Narbe hinterlassen hatten. Viele Nazis und Mitglieder der Sturmabteilungen (SA) hatten den Freikorps angehört. Er selbst hatte einige Freunde bei den Nationalsozialisten. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen war er nicht von Kontakten mit der Umwelt abgeschnitten, sondern beobachtete und wartete ab in der Hoffnung, daß die Reichswehr eine entscheidende Rolle beim Finden der »richtigen Lösung« spielen könne wie einst unter Seeckt. Unter Hindenburgs Präsidentschaft war Guderian zufrieden. Er beklagte sich nicht, als 1927 der neue Chef der Heeresleitung, Heye, Nazis den Eintritt in die Armee verweigerte oder drei Jahre später dessen Nachfolger, General Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord, stark nazifeindliche Gefühle an den Tag zu legen begann. Als jüngerer Offizier war er nicht nur fernab der Gedankengänge seines obersten Vorgesetzten, sondern sah zum damaligen Zeitpunkt auch wenig Sinn in der Vorstellung, daß die Nationalsozialisten an die Macht kommen könnten oder daß Hitler zum »starken Mann« - erwünscht oder nicht - der Zukunft werden würde. 1930 machte sich dann ein neuer starker Einfluß durch die Aktivitäten des Chefs des Truppenamts, General Werner von Blomberg, bemerkbar. Blomberg hatte 1928 in Zusammenhang mit verschiedenen
gemeinsamen Projekten Rußland besucht und war beeindruckt über die Vorrangstellung, die dieses Land seiner Armee im Vergleich zu Deutschland einräumte. Er bekannte später sogar: »Ich war nicht weit davon entfernt, als überzeugter Bolschewist nach Hause zu kommen!« Doch 1930 verfiel er dem Bann Hitlers - einem der erbittertsten Gegner des Kommunismus -, weil dieser als möglicher Kandidat in Frage kam, als es darum ging, den Mann zu finden, der die Reichswehr stärken konnte. Hitler bewies bereits seine magnetische Anziehungskraft und sein Geschick, zur Erlangung persönlicher Macht jedermann das Blaue vom Himmel zu versprechen. Und doch sah kaum jemand in ihm eine unheilvolle Gefahr, denn nur seine engsten Mitarbeiter hatten die entfernteste Möglichkeit, die Wahrheit zu erkennen. Da er wußte, daß die Generalität entschlossen war, die Armee nicht nur als eine Streitmacht wiederaufzubauen, die Deutschlands Grenzen - besonders die im Osten - verteidigen sollte, sondern auch als Stabilitätsfaktor für das Reich, versicherte er die Armee und ihre Bestrebungen seiner Unterstützung. Und wie verhielt sich Blomberg? Er erkannte, als sich die Wirtschaftskrise ausbreitete und die Arbeitslosigkeit anstieg, daß nur ein Zusammengehen aller politischen Parteien die Nation retten konnte. Er war bereit, nationalistische Elemente zur Erreichung dieses Ziels einzusetzen und für den Fall, daß er damit scheiterte, die stärkste Partei zu unterstützen. Dennoch muß gesagt werden, daß viele Generäle ihn, wenn nicht wegen seiner Zielsetzung, so doch wegen der Wahl seiner Mittel kritisiert haben. Guderian war wie Blomberg in seiner politischen Einstellung zu den Nazis und Hitler unentschlossen, obwohl er vermutlich bei der Beurteilung einen Unterschied zwischen der Partei und ihren Führern machte. Im Herzen ein Monarchist, hielt er die ehemaligen Verbindungen zum Hause Hohenzollern hoch, schließlich hatte er 1916 unter dem Kronprinzen als Stabsoffizier gedient. Aber er erkannte auch, daß eine Rückkehr zur Monarchie außer Frage stand, und war sich mit der Bevölkerung in ihrer Unzufriedenheit über die allzu häufig wechselnden Regierungen der Weimarer Zeit einig. Mit seinen eigenen Worten ausgedrückt: »... sie haben aber keinen inneren Kontakt mit dem Offizierskorps zu gewinnen vermocht und die Wehrmacht nicht für ihr politisches Ideal begeistert.« Die Kommunisten verabscheute er heftig und hoffte weiterhin beständig auf das Erscheinen einer neuen Persönlichkeit vom Format eines Bismarck. Das taten nicht alle Offiziere, wie Guderian es 1948 beschrieb: »Als nun der Nationalsozialismus mit neuen nationalen Parolen auf den Plan trat, fing zumal die Jugend des Offizierskorps schnell Feuer für die patriotischen Gedankengänge, die ihnen die Propaganda der NSDAP vorhielt. Die völlig unzulängliche Rüstung des Reiches hatte jahrelang
wie ein Alpdruck auf dem Offizierskorps gelegen. Kein Wunder, daß die beginnende Aufrüstung sie für den Mann gewann, der nach 15jähriger Stagnation wieder frisches Leben in die Wehrmacht zu bringen versprach.« Niemand hatte zu diesem Zeitpunkt die entfernteste Ahnung von dem, was sich ereignen würde. Die Nazis waren nur Teil einer Szene, auf der Aufruhr und Furcht ständig wuchsen. Zunächst diskutierte Guderian über die Ansprüche der Nazis mit den jungen Offizieren, die für diese Partei eintraten. Wie so viele seiner Generation verehrte er Hindenburg. Beim Tod des Reichspräsidenten 1934 schrieb er: »Er besaß das Vertrauen der Welt.« Und wie so viele andere Offiziere im Jahre 1932 war er höchst ungehalten über die Töne, die in Hitlers Wahlkampf angeschlagen wurden. Er und sie wären entsetzt gewesen, hätten sie gewußt, daß im Dezember jenes Jahres Hitler erwog, Hindenburg vor Gericht zu bringen, um seine Amtsenthebung zu erzwingen, und sie wären noch beunruhigter gewesen, wenn sie Hitlers pathologischen Minderwertigkeitskomplex im Umgang mit dem Generalstab geahnt hätten. Denn schließlich scheute derselbe Hitler in diesen Wochen und Monaten keine Mühe, den Generalstab zu besänftigen, indem er die Armee öffentlich überschwenglich pries! Sechs Millionen Arbeitslose und die wachsende Drohung, daß die Kommunisten bei den Wahlen erhebliche Stimmgewinne verzeichneten, konnten jedoch nicht leicht beiseitegeschoben werden. Eine verzweifelte Situation verlangte drakonische Maßnahmen oder einen Sündenbock. Männer wie Guderian glaubten, ein Politiker wie Hitler könne die notwendige Herrschaft mit eiserner Hand antreten und zugleich von der Armee im Zaum gehalten werden. Der letzte Soldatenkanzler, der Erzintrigant Kurt von Schleicher, spielte zu hoch, und Hitler wurde an seiner Stelle am 30. Januar 1933 Reichskanzler. Wenige Stunden später ernannte Hindenburg von Blomberg zum Reichswehrminister, und Blomberg bestimmte seinerseits einen der fähigsten Offiziere zum Chef des Ministeramtes (der Regierungsstelle, die für die Koordination aller Verteidigungsangelegenheiten im Bereich von Heer, Marine und Luftwaffe zuständig war und aus der später das Wehrmachtsamt werden sollte): Oberst Walter von Reichenau. Die Beförderung dieser Männer, beide Nazisympathisanten, fand die Billigung Guderians. Auf Blomberg hielt er große Stücke; Reichenau war in seinen Augen ein »moderner Soldat«, obwohl ein »sehr politischer«. Zwei Dinge waren ihnen gemein: die Forderung nach Zusammenarbeit der Reichswehr mit den patriotischsten Elemente und die Förderung der Panzerwaffe, besonders durch Reichenau, der ständig auf der Suche nach Anwendungsgebieten für neue Ideen war. Der von Guderian zu dieser Zeit politischer Gärung vertretene Standort war nach allen Seiten offen und so eingerichtet, daß er alle
Erwartungen hinsichtlich der Aufgaben erfüllen konnte, die ihn für Deutschland und die Armee am besten dünkten. Er bewahrte stillschweigend seinen Glauben an Seeckts Prinzip von der Nichteinmischung in politische Dinge und stand auf Seiten von Generälen wie Seeckt, Schleicher, Blomberg und Reichenau (die bis zu den Knien in der Politik wateten), weil sie die ureigensten Interessen der Armee zu ihrem Anliegen zu machen schienen und mit aller Macht auf eine Vergrößerung der Streitkräfte pochten. 1932 kam er in Verbindung mit Adolf Hühnlein und erhielt diese aufrecht; Hühnlein war inzwischen Mitglied der obersten Spitze der SA und vermochte im Lauf der Zeit gefühlsmäßig Hitler von den anderen Mitgliedern der Nazipartei abzusondern. Er scheint in keiner Weise reagiert zu haben, als Schleicher 1932 einen - allerdings unwirksamen - Bann über die SA verhängte. 1933 jedoch war Guderian ein schlichter Oberstleutnant, der wie die überwiegende Mehrheit der Armeeoffiziere nicht den geringsten Kontakt zu Hitler hatte. Wie konnten sie die Geheimnisse dieses Mannes kennen, wenn sogar dessen engsten Mitarbeitern in der Partei die Einsicht in seine innersten Gedankengänge verwehrt blieb? Und den Gewaltigen der Armeehierarchie waren sie auch nicht bekannt. Die Entwicklung der Gefühle, die Guderian für Hitler hegte, ist wichtig und erkennbar aus den Briefen seiner Frau Gretel, einer geborenen Goerne, in denen sich auch die Gefühle ihrer Familie widerspiegeln. Die Goernes waren nicht im mindesten nazifreundlich, wie Auszüge aus ihren Briefen zeigen, und doch lassen sie keinen Zweifel an ihrem positiven Glauben an Hitler. Am 23. März 1933, nachdem Hitler diktatorische Vollmachten gewährt worden waren, beschrieb Gretels Mutter ihre Begeisterung so: »Nach all den Scheußlichkeiten der letzten Jahre bekommen Eure Jungens endlich ein Gefühl von Ehrfurcht und Größe.« Am nächsten Tag fand Vater Goerne lobende Worte, wie »... herrlich!« Hitler gesprochen habe, und pries dessen »eisernen Willen, Tatkraft und auch die schönen Worte für die Armee«. Ein Enthusiast hätte kaum lobendere Worte für Bismarck finden können. Guderians Schwiegervater beschrieb, wie gut er es fand, daß die neue Regierung mit dem Ordnungschaffen begonnen habe: »Alles geht ganz glatt ohne Wunden und Widerstand.« Ein Jahr darauf, am 3. Juni 1934, sang Gretel noch immer höchste Loblieder und war damit im Einklang mit der Volksmeinung, als sie ihrer Mutter mitteilte: »... daß Heinzel Dir auch so begeistert von Hitler berichtet hat, freut mich sehr. Alle Menschen, die ihn näher kennenlernen, sind doch von seiner Persönlichkeit stark beeindruckt. Vor allem muß sein Auge, sein Blick etwas Besonderes, ins Herz Gehendes haben. Ich glaube nicht, daß wir in Deutschland einen besseren, mutigeren Führer finden können.« Natürlich war es Guderian inzwischen klar geworden, daß er von Hitler bei seinem Ziel, eine Panzertruppe aufzubauen, Hilfe erwarten
konnte. So mögen Ehrgeiz und Hoffnung zu seiner Begeisterung beigetragen haben. Nach 1945 beschrieb er das so: »Alle Vorwürfe, die nachträglich gegen die führenden Männer der Wehrmacht vom eigenen Volk und von internationalen Gerichten erhoben werden, gehen an der entscheidenden Tatsache vorbei, daß die Politik nicht von den Soldaten, sondern von den Politikern gemacht wurde... und daß die Soldaten sich mit der bestehenden politischen und militärischen Lage abfinden müssen.« Typisch für ihn, aber nichtsdestoweniger als Bestätigung seiner Abneigung aller Parteileute setzte er hinzu: »Leider ist das so, denn die Politiker pflegen ihren Kopf nicht hinzuhalten, wenn die blauen Bohnen fliegen; sie bleiben dann gewöhnlich im sicheren Hafen.« Aber zu diesem Zeitpunkt lag Deutschland schon in Trümmern. Es ist leicht, die Deutschen im nachhinein zu kritisieren und dabei zu vergessen, daß den faschistischen Parteien in aller Welt zu jener Zeit der Hoffnungslosigkeit überall höchst angesehene und ehrenwerte Männer angehörten. Fast alle wurden von Hitler hinters Licht geführt. Als die Wirtschaftskrise einen Höhepunkt erreicht hatte, handelte sich Deutschland als seinen Retter einen skrupellosen Diktator ein. In Frankreich hielt das Durcheinander an, in Großbritannien wurde eine sogenannte Nationale Regierung gebildet, und die Amerikaner räumten Präsident Roosevelt mit seinem »New Deal« beispielslose diktatorische Vollmachten ein. Im Spiegel einer heutigen Analyse waren es Aufrüstungsprogramme, die jeder westlichen Nation aus der wirtschaftlichen Not heraushalfen. Nicht lange nachdem Frankreich 1940 überrannt worden war, hing das Schicksal Großbritanniens unter der Diktatur Churchills an einem seidenen Faden, und Amerika gelangte erst nach seinem Kriegseintritt zurück auf den Weg zum Wohlstand, nachdem es mit Hilfe seiner Verfassung die Macht Roosevelts zwar nicht zerstört, doch wirkungsvoll beschnitten hatte. Guderian sprach für andere ebenso wie für sich selbst, als er diese Epoche schilderte: »Die schriftstellerische Tätigkeit erreichte zwar nicht das Niveau der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg; der Grund hierfür ist in dem raschen Aufbau des Heeres zu erblicken, durch den der Generalstab stark beansprucht wurde, so daß für außerdienstliche Schriftstellerei keine Zeit blieb.« Von Ehrgeiz gepackt und von der dringenden Notwendigkeit überzeugt, die Reichswehr für Verteidigungszwecke, vor allem an den Grenzen im Osten, zu stärken, waren die älteren Offiziere der deutschen Armee so in ihre Aufgabe vertieft, daß sie üblen Männern die Erlangung der Macht erlaubten und sich erst später über die Folgen klar wurden. Mit der Armee auf seiner Seite, die noch dazu als politische Macht neutralisiert war, hatte Hitler nichts von den Intellektuellen und von der Industrie zu befürchten; das Volk war ohnehin voll des Lobes über die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
5 DER AUFBAU DER PANZERTRUPPE
Wenn erstaunliche Ereignisse im Rahmen revolutionärer Vorgänge über die diplomatische und politische Bühne gehen und das volle Licht der Öffentlichkeit auf sich ziehen, ist es oft symptomatisch, daß sich zugleich auch unbedeutende Änderungen von großer Tragweite vollziehen, oft in aller Stille. Zur gleichen Zeit, als Hitler noch im Anfangsstadium seines Kampfes um die Eroberung der Macht in Deutschland war und alle Augen auf ihn gerichtet waren; als die ersten Untertöne rassistischer Vorurteile unüberhörbar wurden; als Deutschland im Oktober 1933 aus dem Völkerbund austrat und die Abrüstungskonferenz verließ; als Andersdenkende wie zum Beispiel von Schleicher und einige aufsässige SA-Führer am 30. Juni 1934 niedergemetzelt wurden; als Nazis im Juli desselben Jahres den österreichischen Kanzler ermordeten und als im März 1935 die Existenz der Luftwaffe enthüllt wurde (nur wenige Tage vor Verkündung der Allgemeinen Wehrpflicht und der Wiederbegründung des Generalstabes) - immer fanden gleichzeitig auch andere bedeutsame, aber wenig spektakuläre Macht- und Akzentverschiebungen statt. Zum Beispiel ermöglichte es die zahlenmäßige Verminderung der SA und die damit verbundene Schwächung ihres Einflusses Heinrich Himmlers Schutzstaffeln (SS), zum starken Arm der Nazimacht zu werden. Die SS war schon dabei, ihren eigenen militärischen Flügel zu gründen - die Waffen-SS, die in Zukunft noch eine große Rolle spielen sollte. Ebenfalls um diese Zeit wurde die Macht des Heeres durch Blomberg und Reichenau in ihrem Bemühen beschnitten, eine zentrale Verteidigungsorganisation zu schaffen - aus der die Wehrmacht werden sollte -, bei der Heer, Marine und Luftwaffe sich einem neuen gemeinsamen Oberbefehl unterordnen sollten. Hitler ließ insgeheim Zeichen des Unwillens gegenüber der Armee erkennen, aber dasselbe taten auch einige Offiziere aus dem Heer selbst. So waren die Schritte von Lutz, einem schlichten Generalleutnant, und seinem Chef des Stabes Guderian (der am 1. April 1933 zum Oberst befördert worden war), eine neue Truppe zu bilden (eine Armee innerhalb der Armee, wie einige meinten, weil sie Vertreter jeder bestehenden Waffengattung einschloß), nur ein Vorgang von geringer Bedeutung innerhalb eines großen Umschwungs, der indessen gute Aussichten auf Erfolg hatte, weil ein Großteil der Aufmerksamkeit, die ihm hätte gefährlich werden können, auf andere Ereignisse gerichtet war.
Aber Hoffen und zeitliche Vorteile waren nicht genug für Guderian. Was er brauchte, war sofortige und positive Unterstützung durch die höchsten Stellen. Blomberg als Reichswehrminister stand ihm wohlwollend gegenüber, war indessen in der militärischen Hierarchie zu weit von ihm entfernt. Es war von Bedeutung, daß Guderian das Gefühl hatte, in Hitler einen zugänglicheren Mann zu finden; jedenfalls nahm er das an, als er in seinen Erinnerungen schrieb: »Ich gewann nach dieser Vorführung die Überzeugung, daß der Regierungschef sich meiner Auffassung von der Gliederung einer neuzeitlichen Wehrmacht anschließen würde, wenn es gelang, ihm meine Ansichten zur Kenntnis zu bringen.« Anlaß dieser Bemerkung gab Hitlers erste Besichtigung neuen Geräts in Kummersdorf Anfang 1934. Bei dieser Gelegenheit war es Guderian ermöglicht worden, eine halbe Stunde lang die Grundelemente einer Panzerdivision vorzuführen: einen Kraftradschützenzug, einen Panzerabwehrzug, einen Zug der ersten versuchsweise gebauten leichten Panzer (der Pz I basierte auf einem britischen Vickers-Modell und war unter dem Decknamen »Landwirtschaftlicher Schlepper« konstruiert und gefertigt worden) und mehrere Panzerspähwagen. Die Vorführung enthüllte Guderians weitreichendes Konzept einer völlig umstrukturierten Verteidigungsstreitmacht, in der eine einheitliche Panzertruppe dominierte, die der Infanterie und Artillerie gleichgestellt war. In diesem Zusammenhang könnte der oft zitierte damalige Ausspruch Hitlers: »Das kann ich gebrauchen! Das will ich haben!« irreführend gewesen sein, denn er sagte nicht eindeutig, warum oder in welcher Stärke er eine Panzertruppe haben wollte. In seiner unmittelbaren Begleitung befand sich an jenem Tag Hermann Göring, der, als Minister mit enormer Macht ausgestattet, dabei war, die Luftwaffe aufzubauen, eine Aufgabe, die hinsichtlich Kosten und Aufwand unbedingten Vorrang besaß. Obwohl Hitler in Kummersdorf eine auf den ersten Blick modern und schnell wirkende Truppe von sensationell zu nennender Zusammensetzung zu sehen bekam, der man die Wiedererlangung verlorengegangenen Prestiges zutrauen konnte, ließ er keine Äußerung fallen, aus der zu schließen gewesen wäre, er habe die Vision einer völlig neuen Art von Landkrieg gehabt. Viel wahrscheinlicher war, daß ihm eine Truppe vorschwebte, welche die mit seiner Machtpolitik verbundenen Drohungen dem Ausland gegenüber wirkungsvoll unterstreichen konnte. Das Ergebnis war, daß der Schaffung der Panzertruppe kein besonderer Vorrang eingeräumt wurde und Guderian weiter wie bisher schwer um Anerkennung kämpfen mußte*. *
In einer 1945 gegenüber den Alliierten abgegebenen Erklärung vertrat General der Infanterie Georg Thomas, der äußerst fähige Chef der Wirtschafts- und
Rüstungsabteilung im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), das 1938 gebildet wurde, die Auffassung: »Hitler hatte bis 1937 nicht die Absicht, einen Krieg zu beginnen, denn er glaubte, mit dem Bluff einer schnellen Wiederbewaffnung Deutschlands sein Ziel mit friedlichen Mitteln erreichen zu können. Für Hitler war das Vorhandensein von viel schwerer Artillerie, vielen Maschinenwaffen und Panzerabwehrwaffen von großer Wichtigkeit. Die große Bedeutung der Panzer wurde erst nach dem Erfolg im Polenfeldzug erkannt.« In seiner Stellung konnte Thomas das gut beurteilen.
Allen Überlegungen in Zusammenhang mit der Vergrößerung der Armee voran - das Ziel von 36 Divisionen war Anfang 1934 von Hitler gesetzt und 1935 der Welt verkündet worden - stand der Wunsch, eine Streitmacht aufzustellen, die Deutschlands Grenzen verteidigen konnte. Die Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen 1923, die ohne Widerstand blieb, weil praktisch dafür keine Kräfte vorhanden waren, war Grund für die ständige Befürchtung einer Invasion von Westen her, die allerdings hinter der Gefahr einer Bedrohung aus dem Osten an zweiter Stelle stand. Hier waren es die neugeschaffenen Staaten Polen und Tschechoslowakei, die seit ihrer Anerkennung im Jahre 1918 von Deutschland ängstlich beobachtet wurden, zumal beide schon wiederholt - Polen mehr als die Tschechoslowakei - bei ihren Nachbarn auf Beutezug gegangen waren. Es gibt keinen Beweis dafür, daß der deutsche Generalstab offensive Operationen vor oder während des Anfangsstadiums der Wiederbewaffnung ins Auge faßte, wenn möglicherweise auch nur aus dem praktischen Grund, daß er bis 1934 nicht mit einer völlig einwandfreien Streitmacht aufwarten konnte, weil die finanziellen Voraussetzungen fehlten und die Industriekapazität noch nicht groß genug war. Diese Hindernisse, zu denen noch die Gefahr einer neuen Inflation kam, für den Fall, daß man den Fortschritt zu rasch erzwingen wollte, türmten sich vor der Verabschiedung jedes neuen Projekts innerhalb des kostspieligen Prozesses der Wiederbewaffnung Deutschlands auf. Sparsamkeit mußte die Losung sein. Offensivwaffen standen auf der Wunschliste ganz unten. 1936 äußerte Guderian in seinem Buch Achtung - Panzer! die Auffassung, die sicherlich seine innerste Überzeugung war, daß Deutschland es sich nur leisten könne, einen kurzen Krieg zu führen und dabei zu hoffen, ihn zu einem annehmbaren Ende bringen zu können, bevor das Land lahmgelegt war. Das waren nicht die Äußerungen eines kriegshungrigen Mannes. In Guderians ursprünglichem Konzept, wie er es in Achtung - Panzer! darstellt, war die Panzerdivision in erster Linie als Verteidigungswaffe gedacht. Einen Angriff auf Frankreich sah er als hoffnungslos an. Er hielt die Bedrohung aus dem Osten für weitaus akuter und setzte sich daher für eine in höchstem Maße bewegliche Truppe ein, die nötigenfalls die Polen und Tschechen erledigen und die Franzosen im Westen aufhalten konnte. Verteidigungsorientierte Offensivoperationen hatte er das ganze
Jahr 1933 hindurch bei Manövern erprobt, Übungen, die, wie er sagte, »... klarere Ansichten über das Zusammenwirken der Waffen schufen und mich in der Überzeugung bestärkten, daß die Panzer nur dann zu voller Auswirkung im Rahmen des modernen Heeres kommen könnten, wenn sie als Hauptwaffe behandelt, zu Divisionen zusammengefaßt und mit voll motorisierten Ergänzungswaffen gekoppelt würden«. Diese Waffen, darauf bestand er, »mußten den Panzern ständig zugeteilt bleiben«. Die Aufgabe der geplanten Panzerdivisionen, die nach den Vorstellungen von Guderian zum Dreh- und Angelpunkt werden sollten, um den sich das übrige Heer drehte, hatte Major Nehring Anfang 1933 im Militär-Wochenblatt definiert: »Umfassender Einsatz gegen Flanke und Rücken des Gegners - abgesetzt von anderen, langsameren Verbänden - ist die Hauptaufgabe des Panzerverbandes; doch kann er auch im frontalen Durchbruch entscheidende Bedeutungen haben. Zur Verfolgung eingesetzt, kann er die Auflösung des weichenden Feindes herbeiführen. Dagegen ist er wenig befähigt, gewonnenes Gelände nachhaltig zu behaupten; hierzu wird meist Zuteilung motorisierter Infanterie mit Artillerie notwendig werden. Das Wesen seiner Kampfführung ist nicht die Führung langdauernder Kämpfe, sondern der Einsatz zu kurzen, zeitlich und räumlich begrenzten Operationen mit enggefaßten Aufträgen. Sein Einsatz beruht auf dem Grundsatz der Schwerpunktverwendung von Kampfwagen, das heißt der Konzentrierung höchster Kampfkraft an der entscheidenden Stelle;... besonders auf dem überall gültigen Prinzip der Überraschung, um die feindliche Abwehr nicht oder möglichst wenig zur Geltung kommen zu lassen.« Zu keinem Zeitpunkt gab es einen beständigen Fortschritt oder war der Weg durch günstige Umstände geebnet, und Guderian sah häufig seinen angeborenen Optimismus schweren Prüfungen ausgesetzt. Zu seinem Bedauern! Seine Duldsamkeit war nicht immer der Aufgabe gewachsen und eine Neigung zum Jähzorn kam immer mehr zum Ausdruck, wenn er schwerer Belastung ausgesetzt war. Diejenigen seiner Zeitgenossen, die behaupteten, er sei wie eine »Bulle« gewesen, übersahen die Enttäuschungen, die er durchmachen mußte. Sie selbst hatten längst die alte preußische Tradition aufgegeben, die da lautete: »Mut vor Königsthronen!« Es gibt viele Soldaten, die sich mit Freude an Guderians Bereitschaft erinnern, sich ihre Probleme mit Geduld und Verständnis anzuhören. Während er völlig in seiner Pilgerfahrt zu neuen Ufern aufging, wurde die Zeit für die Selbstbeobachtung knapper. Und doch löste etwas in ihm am 2. August 1934, dem Vorabend der Ablegung des Treueeides auf Hitler statt auf die Verfassung, ein Warnsignal aus.
An Gretel schrieb er: »Gebe Gott, daß er beiderseits mit der gleichen Treue gehalten wird zum Wohl Deutschlands. Die Armee ist gewohnt, ihren Eid zu halten. Möge sie es in Ehren tun können.« Gretel griff das Thema am 19. August in einem Brief an ihre Mutter auf: »Soeben ertönt im Radio die Ovation für Hitler... Wir brauchen die Einigkeit mehr denn je, sie ist unsere einzige Kraft dem Ausland gegenüber... Der Glaube Hitlers an seine Mission, an Deutschland und des Volkes an ihn ist fast wie ein Wunder. Manchmal kann man ein bißchen Angst vor Übersteigerung bekommen.« Dies waren die ersten Anzeichen nervöser Unruhe darüber, daß die Dinge einen gefährlichen Lauf nahmen, doch sie blieben oberflächlich. Zu groß war die Zufriedenheit mit dem Führer, dessen Stellung unantastbar war. Guderian erwartete von ihm die Rettung. Obwohl er ein ziemlich frommes Mitglied der altpreußischen Unionskirche war, besuchte er den Gottesdienst nicht oft, denn seinem Sohn zufolge war er auch in der Religion »ein ewig Suchender«. Tatsächlich scheint er, als die Arbeitsüberlastung zunahm, eine grimmige und intensive Selbstgenügsamkeit beim Anpacken der ihm in den Weg gelegten Hindernisse gepflegt zu haben. Enttäuschungen gab es nicht zu knapp. 1933 führte die angespannte finanzielle Lage der Nation, zum letztenmal unter Hitler, wie sich herausstellen sollte, zu einer Einschränkung der größeren Heeresmanöver. Hitler kündigte auch die Vereinbarung über gemeinsame Ausbildung und Waffenentwicklung mit den Russen auf mit dem Ergebnis, daß diese fruchtbringenden Kurse beendet werden mußten, bevor die neuen Ausbildungsanlagen auf deutschem Boden in Wünsdorf und Putlos voll nutzungsbereit waren. Darüber hinaus mußte Lutz noch delikate Verhandlungen mit den Russen führen, um Ausrüstung zurückzuerhalten, die an der Kama zurückgeblieben war. Andererseits wurde Hammerstein-Equord als Chef der Heeresleitung durch Fritsch ersetzt, Guderians ehemaligen Vorgesetzten in Bartenstein. Dies war ein Schlag für die wenigen, die bereits versuchten, Hitler Widerstand zu leisten, denn es ist vermutet worden, daß Hammerstein, obwohl er faul war, über die Fähigkeit, Integrität und Entscheidungsgewalt verfügte, die jederzeit dazu hätte benutzt werden können, um den Führer seines Amtes zu entsetzen, bevor er zu fest im Sattel saß. Sei dem, wie es wolle, jedenfalls begrüßte Guderian Fritschs Ernennung. Er schätzte ihn als Soldaten mit durch und durch gesunden Auffassungen, der »... eine besondere Reise dem Studium der Panzerdivision gewidmet hatte«. Zwischen beiden Männern bestand eine enge Verwandtschaft, obwohl man sich darüber klar sein muß, daß keiner einen Kreis enger Freunde besaß - abgesehen von den ein Leben lang dauernden Freundschaften, die sie zu Anfang ihrer Karriere bei ihren Regimentern geschlossen hatten.
In den darauffolgenden Jahren wurde Guderian durch die Nazihierarchie benutzt, aber es darf nicht vergessen werden, daß bei der Suche nach Unterstützung für seine Pläne umgekehrt auch er von ihr Gebrauch machte. Weil er innerhalb der Armee auf nur wenige offene Ohren stieß, nahm er Hilfe in Anspruch, wo immer sie ihm zuteil wurde. Der SA-Führer Adolf Hühnlein, Chef des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK), einer paramilitärischen Organisation, war dabei von nicht unerheblicher Bedeutung. In seinen Erinnerungen erwähnt Guderian von Hühnlein (den er »... einen geraden, aufrechten Mann, mit dem man arbeiten konnte« nannte), lediglich, dieser habe ihn 1933 mit zu einer Parteiversammlung genommen. Aber Hühnleins Hauptbeitrag zu Guderians Bestrebungen war die Ausbildung von Lastkraftwagenund Panzerfahrern in den 24 NSKK-Reichsmotorschulen. Rund 187.000 Soldaten wurden hier zwischen 1933 und 1939 gedrillt und damit das Problem der Grundausbildung für die Besatzungen hochmotorisierter Einheiten weitgehend gelöst, alles im Rahmen der Zusammenarbeit mit der SA, die nach der Säuberungsaktion an ihrer Spitze vom Juni 1934 zustande kam. Männer, die Obstruktion trieben, gab es für Guderian zu allen Zeiten. Steine wurden ihm hauptsächlich von drei verschiedenen Seiten in den Weg gelegt. In erster Linie vom neuen Chef des wiedererstandenen Generalstabes, Generalleutnant Ludwig Beck, einem Artilleristen wie Fritsch, aber langsam und zögernd in seinen Entscheidungen und, was die philosophische Grundhaltung anging, das genaue Gegenteil von Fritsch. Obwohl die meisten deutschen Generäle, um mit Sir John Wheeler-Bennett zu sprechen, »... nicht den Krieg als Hauptaufgabe des Soldaten ansahen, sondern der Auffassung waren, Deutschlands Wiederbewaffnung müsse in einem solchen Umfang erfolgen, daß eher die Kriegsgefahr gemindert als erhöht wurde, indem man es unmöglich machte, daß Deutschland angegriffen oder ungestraft beleidigt wurde«, interpretierte Beck diese Haltung aus militärischer Sicht und benutzte sie als hinreichend starkes Argument, um den »hinhaltenden Widerstand« oder, wie Fritsch ihn nannte, die »organisierte Flucht« beizubehalten. Doch Fritsch hatte das letzte Wort, und die traditionelle preußische Angriffsdoktrin wurde zu Guderians unverhohlener Freude wiedereingeführt. Man hat indessen behauptet, Beck habe die Entwicklung der Panzerdivisionen aufgehalten, weil er als Mann, der sich dem Widerstand gegen Hitler anschloß, die immense Wirkung dieses neuen Kriegsinstruments und seine Fähigkeit, Hitlers Macht zu stärken, erkannte. Es gibt keinen Beweis, der diese Meinung stützt. Kaum jemand vom Generalstab hat im Jahre 1934 offiziell den potentiellen Wert der Panzertruppen erkannt. Der folgende Dialog zwischen Guderian und Beck, der sich entwickelte, als Guderian Vorschläge
unterbreitete, ist ziemlich typisch für das Verständigungsniveau in jenen Tagen. Beck: »Wie viele dieser Divisionen wollten Sie haben?« Guderian: »Zwei zu Anfang, später zwanzig.« Beck: »Und wie wollen Sie diese Divisionen führen?« Guderian: »Von der Front her - über Funk.« Beck: »Unsinn! Ein Divisionskommandeur sitzt in zurückgezogener Stellung mit Karten und einem Telefon. Alles andere ist Utopie!« Eine zweite Quelle für Behinderungen war die Kavallerie, die sich weiterhin unablässig bemühte, bei der Zuteilung von Soldaten und Material einen beträchtlichen Anteil zu bekommen. Sie sah Guderian als Bedrohung für ihre Existenz an, zögerte mit ihrer Opposition aber lediglich das Unausweichliche hinaus, weil die Männer über ihr längst beschlossen hatten, den Fortschritt voranzutreiben. Leute, die erklären, die deutsche militärische Hierarchie sei gegen die Begründung der Panzertruppe gewesen, irren sich. Aber als solide Berufssoldaten verlangten sie zu Recht überzeugende Beweise, bevor sie sich für ein Projekt aussprachen, das riesengroß, kostspielig und unwiderruflich war zu einer Zeit, in der die Haushaltsmittel begrenzt waren. Guderian mußte die Hauptbeweislast erbringen. Indessen begrüßten schon sehr viele Kavallerieoffiziere, vor allem Vertreter der jüngeren Generation (ein Vorgang, der sich keineswegs auf die deutsche Armee beschränkte), die Aussichten, die eine Motorisierung mit sich brachte. Sie hatten schon seit langem das Vertrauen in die Rolle ihrer Waffengattung bei Kriegsoperationen verloren. Sie und ihre Soldaten sahen praktischen Nutzen darin, im Zeitalter des Verbrennungsmotors Neues über motorisierte Fahrzeuge dazuzulernen. Guderians Abneigung gegen die Kavallerie ging wahrscheinlich ein bißchen zu weit, aber seine Geduld wurde infolge der Unnachgiebigkeit seiner Kontrahenten besonders stark strapaziert. Er machte sich den Standpunkt zu eigen, sie könnten nur schwacher Ersatz für die von ihrer Aufgabe überzeugten Männer der Kraftfahrtruppe sein und sprach sich gegen eine Einbeziehung der an Pferde gewohnten Soldaten in die Panzertruppe aus, die er zu bilden hoffte, obwohl er bemerkenswerte Erfolge bei der Überredung vieler Kavallerieoffiziere hatte, einzeln zu seiner Truppe zu kommen. Später waren rund 40 Prozent der Offiziere der Panzertruppe ehemalige Kavalleristen. Reichenau war sich natürlich der Einwände Guderians gegen die Beteiligung der Kavallerie wohl bewußt und mag einen Erleichterungsseufzer ausgestoßen haben, als sich eine Gelegenheit zur Vermeidung einer Konfrontation im April 1934 durch die gleichzeitige Abwesenheit von Lutz und Guderian von Berlin zu einem Zeitpunkt ergab, als die Vorausplanung einer Vergrößerung der Panzertruppe
einen kritischen Punkt erreicht hatte. Reichenau setzte sich mit Walther Nehring, dem dienstältesten Offizier aus Lutz' Stab, in Verbindung und machte den völlig neuartigen und unerwarteten Vorschlag, die Panzertruppe durch Einverleibung der gesamten 3. Kavalleriedivision aufzubauen. Nehring griff diese Idee sofort auf, und obwohl sie nie voll verwirklicht wurde, war immerhin das Eis gebrochen. Das dritte Hindernis beim Aufbau der Panzertruppe bildete später die Artillerie, nicht so sehr, weil ihr Status oder ihre Stärke in Gefahr geriet, sondern weil ihre Methoden angezweifelt wurden. Die Forderungen der Infanterie nach Artillerie waren genauso stark, wie sie 1918 gewesen waren. Die Artilleristen hatten dagegen nichts einzuwenden - im Gegenteil: wenn die Infanterie verstärkte und schwerere Feuerunterstützung brauchte, bedeutete das für die Artillerieeinheiten eine Vergrößerung und für ihre Offiziere vermehrte Aufstiegschancen. Aber die Panzertruppe verlangte etwas anderes zu ihrer Unterstützung. Guderian verlangte eine Artillerie, die »... in der Lage war, dem unter günstigen Umständen rasch verlaufenden Panzerangriff mit ihrem Feuer und ihrer Bewegung zu folgen. Diese Ansicht führte bereits im Jahre 1934 zur Forderung einer Selbstfahrlafette. Die Artilleristen glaubten jedoch nicht an so schnellen Gefechtsverlauf. Seit 500 Jahren gewohnt, ihre Geschütze mit der Mündung nach rückwärts zu ziehen und zum Schluß abzuprotzen, hatten sie sich dieser Forderung mit Erfolg widersetzt, bis die bitteren Erfahrungen des Krieges sie veranlaßten, den Anregungen des Generalinspekteurs (Guderians - K. M.) zu folgen«. Der Widerstand war innerhalb der Artillerie weit verbreitet, jedoch am energischsten konzentriert in den höchsten Kommandostellen. Im Vergleich zu Infanteristen und Kavalleristen waren weniger Artilleristen im Ersten Weltkrieg gefallen, und diese Bewahrung bedeutete in Verbindung mit der intellektuellen Qualität des Offizierstyps, den diese Truppe heranbildete, daß in den dreißiger Jahren verhältnismäßig mehr Artilleristen als Offiziere anderer Waffengattungen für hohe Posten verfügbar waren. Alle drei Generäle, die nach 1938 und während des gesamten Zweiten Weltkrieges die höchsten Posten im OKW bekleiden sollten - also Wilhelm Keitel, Alfred Jodl und Walter Warlimont - waren Artilleristen. Im Oberkommando des Heeres (OKH) saßen Fritsch und Beck von der Artillerie, und von dieser Waffe kam auch Franz Halder, der Beck 1938 als Chef des Generalstabes ablöste. Von Interesse ist auch die Feststellung, daß von 1938 an kaum einer der ranghöchsten Generäle in Hitlers Umgebung mehr adelig war, während Halder, ein äußerst intelligenter, aber ziemlich schulmeisterlicher Bayer, der erste Nichtpreuße war, der an die Spitze des Generalstabes trat. Diese Männer bildeten die letzte Instanz mit direktem Zugang zu Hitler, wenn die Interessen der Artillerie durch Guderian und seine Mitarbeiter bedroht
wurden, doch waren sie 1934 nicht in Positionen, in denen sie die Schaffung der Panzertruppe hätten verhindern können. Bei der Verwirklichung dieser denkwürdigen Neuschöpfung durften weder Blomberg noch Reichenau und Fritsch übergangen werden. Die Aufstellung der Panzertruppe im Sommer 1934 mit Lutz an der Spitze und Guderian als seinem Chef des Generalstabes riß nur eine Lücke in die Verteidigung ihrer Gegner. Guderian konnte Beck nie von der Notwendigkeit der Panzervorschrift überzeugen, die von ihm und seinen Offizieren verfaßt worden war. Der Generalstabschef mag die Erfordernis eingesehen haben, ohne den Inhalt des Werkes gutzuheißen, aber bis 1939 war der größte Teil der notwendigen Bestimmungen der Truppe noch nicht bekanntgegeben worden. Natürlich sah Beck für die Panzertruppe überhaupt keine Notwendigkeit, weil Panzer seiner Meinung nach nur als Unterstützung der Infanterie einen Sinn hatten, wie es auch der französischen Auffassung entsprach. Es stimmte, daß der Anblick der ersten leichten Panzer - der Pz I, die nur für Ausbildungszwecke gedacht waren und 1934 zu ihrem ersten Bataillon unter dem Kommando von Major Harpe zusammengestellt wurden - wenig dazu beitrug, Vertrauen für die neue Waffe zu schaffen. Sie ähnelten nicht im mindesten dominierenden Waffen und waren kaum mehr als Fahrzeuge für den Transport von Maschinengewehren, die in begrenztem Maß querfeldein fahren konnten. Doch ein Jahr später - im August 1935 - setzten sich dieses Bataillon und drei andere sowie die von Lutz und Guderian in einem Zeitraum von fünf Jahren zu behelfsmäßigen Einheiten zusammengestellten Teile und Teilchen wörtlich und bildlich gesprochen - bei Versuchsübungen an die Spitze und bewiesen in einem vierwöchigen strapaziösen Experiment die Brauchbarkeit des großen Systems, dem sie angehörten, und den ungeheuren Glauben aller ihrer Männer an eine neue Art der Kriegführung, die so nahe bei der Hand lag. Größere Fehlschläge gab es meist nur in stark mobilen Situationen, als sich herausstellte, daß die Nachrichtenverbindungen völlig unzureichend waren. Weitaus genauere Funksysteme wurden benötigt. Aber die Aufstellung der Panzertruppe war zu dieser Zeit nur noch eine Formalität und wurde im Oktober formell vollzogen. Lutz, zum ersten General der Panzertruppe befördert, wurde ihr Kommandierender General. Drei Panzerdivisionen wurden gebildet zunächst mit wenigen Panzern, weil es immer noch an Ausrüstung fehlte und erst genügend Offiziere und Mannschaften ausgebildet werden mußten. Selbst jetzt noch mußte das Vorhaben auf volle offizielle Anerkennung verzichten, denn Beck verweigerte der neuen Truppe den gleichen Status wie Infanterie und Artillerie. Die Ernennung Guderians zum Kommandeur der 2. Panzerdivision entfernte ihn vom Angelpunkt des Fortschritts und der Entscheidung, wo er so wertvoll gewesen war. Kaum war er aus dem Weg geräumt, da
bildete Beck, fast ohne daß Einwände laut wurden, eine Panzerbrigade, deren Aufgabe es war, eng mit den gewöhnlichen Truppen, den langsamen, bespannten und zu Fuß marschierenden Divisionen, zusammenzuarbeiten. Diese Verwendungsmöglichkeit hatten Lutz und Guderian in ihrem 1935 veröffentlichten Bericht als einen von vielen aufgeführt. Dies war das erste, aber keineswegs das letzte Mal, daß Guderian von einem Chef des Generalstabs des Heeres kaltgestellt wurde. Dies sollte allerdings nicht die Vermutung nahelegen, Beck habe als Gegner der Panzertruppe allein gestanden oder die Panzertruppe sei das einzige moderne Konzept gewesen, dem er sich widersetzte. Er stellte nur den Brennpunkt eines oppositionellen Blockes von einflußreichen Mitgliedern des Generalstabes dar, die von der Brauchbarkeit der neuen Waffen und Systeme nicht überzeugt waren ob es nun Panzer, Flugzeuge oder das neue Oberkommando der Wehrmacht waren, das die alte Vorherrschaft des Generalstabes zu brechen drohte. Guderian war nicht unfair, als er nach 1945 feststellte, dieser Typ von Generälen »... beherrschte den Generalstab und sorgte durch seine Personalpolitik dafür, daß die maßgebenden Generalstabsstellen in der Zentrale immer nur mit gleichgesinnten Geistern besetzt wurden«. Dies ist allerdings in den meisten Armeen der Welt gang und gäbe, aber es war eine Provokation für ehrgeizige Männer wie Guderian - und Hitler -, die auch ihre Personalpolitik betrieben. Jeder Vorkämpfer war voll guter Vorsätze, was ihn selbst betraf. Aber trotzdem wuchs die starke Organisation, die Guderian ins Leben gerufen hatte, auch wenn er nicht in der Nähe des Steuerrades stand. Die Offiziere, die in Rußland ausgebildet worden waren, die Offiziere der Panzertruppe, die er mit seinen Ideen begeistert hatte, sowie die ausgearbeiteten Pläne bildeten eine hervorragende Grundlage. Neues Material kam hinzu. Der Stamm an Ausbildern und unteren Dienstgraden wurde vom Enthusiasmus ihrer Führer angesteckt. Auch die Panzerindustrie setzte ihre Kapazität nach Plänen ein, die von Lutz und Guderian gebilligt worden waren, obwohl sie für die Forschung und Entwicklung soviel Zeit aufwandte, daß die Fließbandproduktion der Panzer des erforderlichen Typs noch weit davon entfernt war, einen nennenswerten Umfang zu haben. Aber das war verständlich, denn schließlich beschritt die Industrie Neuland, und aus diesem Umstand lief die Fabrikation nur langsam an. Es gab eine Reihe von Problemen, wie zum Beispiel das Bearbeiten und die Montage von Panzerplatten. Bei den anderen Typen der als Unterstützung gedachten geländegängigen Fahrzeuge traten ebenfalls Probleme auf. Sie resultierten aus den vom Generalstab erteilten ungenügenden Spezifikationen.
Unvergessen bleibt Guderians Unbesonnenheit, wie er bei einer verheerend schlechten Vorführung dieser dünnhäutigen Fahrzeuge im Jahre 1937 auf den damaligen Oberbefehlshaber Fritsch zutrat, geradeheraus die soeben gezeigten Fahrzeuge mit Zweiradantrieb kritisierte und mit den Worten schloß: »Wäre mein Rat befolgt worden, dann hätten wir jetzt eine richtige Panzertruppe!« Diese Bemerkung ist mehr wegen ihres Inhalts von Bedeutung denn als Zeichen von Insubordination, bewies sie doch, daß Guderian, als er nicht nur die sehr hohe Sollstärke von 561 Panzern für die eigentlichen Panzerdivisionen verlangte, sondern darüber hinaus auch gepanzerte Infanterietransportfahrzeuge, ein getreuer Schüler Füllers war, der beständig (und zu Unrecht) wegen seiner beträchtlichen Forderungen nach Panzern kritisiert wurde. Sowohl er als auch Guderian dachten an eine völlig gepanzerte Truppe, wenn auch vielleicht Füller das Wort »Tank« etwas unklar verwendete, wenn er sich auf gepanzerte Unterstützungsfahrzeuge bezog. Eines Tages, beim Vormarsch in Rußland, sollte sich dann das Fehlen eines Transportfahrzeuges mit Vierradantrieb für die deutsche Armee verhängnisvoll erweisen. Eine nicht enden wollende Debatte über den erforderlichen Panzertyp warf die Industrie zurück. Die endgültigen Spezifikationen entsprachen auch nicht allen von Guderian aufgestellten Bedingungen, denn obwohl er der Schnelligkeit der Panzer die größte Bedeutung beimaß, sprach er doch 1936 davon, daß ein schwerer Panzer, mit dem »... Festungen oder befestigte Dauerstellungen gestürmt werden sollen... neben starker Panzerung und schwerer Bestückung - bis zu 15-Zentimeter-Kaliber große Überschreit- und Watfähigkeit und großes Umwerfvermögen besitzen« müsse. Diese Kampfwagen, so glaubte er, würden ein Gesamtgewicht von 70 bis 100 Tonnen haben und vielleicht zu teuer werden. Sie sollten, so erklärte er, unabhängig voneinander in kleinerer Anzahl zum Einsatz kommen, doch »... sie sind ein höchst gefährlicher Gegner und sollten nicht unterschätzt werden«. Bestürzt registrierte er, daß der schwere französische 2 C-Panzer fast immun gegen 7,5-Zentimeter-Geschosse war. Doch die infolge der hohen Kosten erforderliche Beschränkung der Produktionsziffer und Guderians Forderung nach einer großen Zahl von Panzerfahrzeugen andererseits machte einen Kompromiß notwendig. Er mußte sich schließlich mit einer kleineren Lösung begnügen, die in leichteren, schnelleren und billigeren Fahrzeugen bestand. Jedenfalls mußte ein oberes Gewichtslimit von 24 Tonnen wegen der Belastungsvorschriften für die existierenden Pionierbrücken vorgeschrieben werden. Auf zwei Panzertypen legte man sich 1934 fest: auf einen leichten Panzer für Aufklärungszwecke als Lückenbüßer; dieses Pz II genannte Modell hatte eine Spitzengeschwindigkeit von ungefähr 56 Stundenkilometer und als Hauptbewaffnung ein
2-Zentimeter-Geschütz. Die Aufgabe direkter Feuerunterstützung der kämpfenden Truppe sollte ein mittlerer Kampfpanzer (der die Bezeichnung Pz IV erhielt) wahrnehmen, der ursprünglich 18 Tonnen wog, eine Geschwindigkeit von bis zu 40 Stundenkilometer erreichte und ein kurzes, ziemlich ungenaues 7,5-Zentimeter-Geschütz als Hauptwaffe besaß. Dieser Panzer war nicht für den Kampf Panzer gegen Panzer gedacht. Keiner dieser Typen hatte in seiner ursprünglichen Form eine Panzerung von mehr als drei Zentimeter Dicke. Daher waren beide nur gegen Handwaffen und Granatsplitter sicher und nicht gegen Direkttreffer von Feldartillerie und den damals schon existierenden Panzerabwehrkanonen. Darüber hinaus schnitten weder die 2-Zentimeter- noch die kurze 7,5-Zentimeter-Kanone auf die normalen Kampfentfernungen gegen die vorhandenen schweren französischen Panzer gut ab. Doch da man schon 1935 fest mit Gefechten zwischen den eigenen und feindlichen Panzern rechnete, wurde ein dritter Typ Kampfpanzer entwickelt, obwohl man daneben auch viel Vertrauen in motorisierte Panzerabwehrgeschütze der Infanterie setzte, die in der Tiefe der Front zum Einsatz kommen und die gegnerischen Panzer abschießen sollten. Dies war der spätere Pz III, eine etwas kleinere Version des Pz IV, der in erster Linie als Panzerzerstörer fungieren sollte, denn weder das von Guderian vorgeschlagene 5-ZentimeterGeschütz noch das schließlich vom Chef des Heereswaffenamtes in Abstimmung mit dem Inspektor der Artillerie verwendete 3,7-ZentimeterGeschütz vermochte ein zufriedenstellendes Sprenggeschoß abzufeuern wie etwa der Pz IV mit seinem 7,5-Zentimeter-Geschütz. So mußte sich die anfängliche Ausrüstung der Panzerdivisionen aus drei einander ergänzenden Panzertypen zusammensetzen, von denen nicht ein einziger den von den Franzosen gebauten schwerbestückten und starkgepanzerten Modellen gleichkam. Zudem war das der Infanterie zur Verfügung stehende Standardmodell des Panzerabwehrgeschützes schon vor seiner Indienstnahme unzureichend. Doch die Gesamtkonstruktion des Pz III und des Pz IV war gut. Beide hatten allerdings noch genügend Raum für eine Vergrößerung der Bestückung, Panzerung und Kraftanlage, wenn sich die Notwendigkeit ergeben sollte - und Guderian wußte aus dem Studium der Geschichte und weil es ihm sein gesunder Menschenverstand sagte, daß ein solcher Fall eintreten mußte. Die Anordnung der Sitze für die Panzerbesatzung war befriedigend gelöst, die optischen Instrumente für die Richtschützen waren ausgezeichnet. Auf diese Weise war die Kampfkraft der Panzer sehr groß, und der Kampfgeist der Besatzung wurde durch den Einbau ausgezeichneter Notausstiege erhöht. Aber während die geplanten Panzer allein schon verdächtig genug waren, weil sie ein riesiges Potential darstellten, gab es noch ein wichtiges Gebiet, auf dem die Deutschen ihren künftigen Kriegsgegnern
weit voraus waren und es blieben: die auf völlig neuen und einmaligen Gedankengängen, die weit über die extremsten Vorstellungen anderer Armeen hinausgingen, beruhenden und an Wirksamkeit nicht zu übertreffenden Führungsverfahren. Gradmesser dafür, wie sehr die deutsche Denkweise allen anderen militärischen Philosophien voraus war, war ein Artikel im Militär-Wochenblatt, den Guderian 1935 im Hinblick auf die aufkommende Kritik an der Motorisierung verfaßte, die in militärischen und auch nichtmilitärischen Publikationen, so der Berliner Börsenzeitung, erschien. In seinem Artikel erinnerte Guderian an von Schlieffens Ruf aus dem Jahre 1909 nach Methoden, die die Existenz eines »modernen Alexanders« möglich machten. Er stellte den Vorschlag zur Diskussion: »Nur Führer, die ihren Verbänden tatsächlich und buchstäblich vorausfliegen oder -fahren, werden in der Lage sein, den erforderlichen Einfluß auf den Gang des Gefechts zu behalten. Alle großen Fliegerführer haben im Krieg so gehandelt, und General Elles hat bei Cambrai den englischen Kampfwagenangriff persönlich geführt.« Er begann, für die Erweiterung der Typenskala der Funkgeräte Propaganda zu machen, damit die Funkverbindungen weiter reichten als nur bis zur Kompanie hinunter (wie es 1936 noch üblich war) und jeder Panzer ein eigenes Funkgerät bekam. »Ein ‚moderner Alexander' wird seine Aufgaben nur lösen, wenn er die Errungenschaften der Technik in seinen Dienst zwingt und seinen Soldaten das Bewußtsein seelischer und stofflicher Überlegenheit über die Gegner einflößt, wenn er mit unerschütterlichem Blick auf sein großes Ziel sein Schwert schmiedet für die ihm vom Schicksal gestellte Aufgabe, die Ehre und Freiheit des Volkes zu schützen«, schrieb Guderian. Sein Aufsatz wurde von Oberst Fellgiebel, dem Inspekteur der Nachrichtentruppe, gutgeheißen, der erklärte, moderne Fernmeldesysteme seien die einzige Möglichkeit, um die Panzerwaffe schlagkräftig zu machen. Aber ein ungefähr in der Mitte des Artikels stehender scharfer Satz sagt zusätzlich etwas über Guderian aus; die Bemerkung »Alexander war König und Oberster Befehlshaber seines Heeres - nicht Divisionskommandeur!« ist charakteristisch für seine erstaunliche Ausdrucksfähigkeit und für die Erkenntnis der schwierigen Aufwärtsstrecke, die noch vor ihm lag. Denn Beck vertrat wieder einmal eine gegensätzliche Ansicht; für ihn waren menschliche Wesen und nicht Maschinen die eigentlichen Kriegsinstrumente, wie er in einer Rede im Oktober 1935 ausführte, bei der auch Hitler zugegen war. Das Funknetz, das Fellgiebel für die Panzertruppe konzipierte, hatte eine Reichweite, die den Anforderungen entsprach, die Guderian für den Fall weitreichender Operationen einplante. Beide Männer arbeiteten eng zusammen. Das folgende Schema zeigt die Aufteilung der Geräte, wobei allerdings Abweichungen vorkamen.
Verbandsebene
Gerätetyp
Korps zu Panzerdivision 1000 W S b Panzerdivision zu Panzerbrigade und einigen PanzerspähFu 12 wagen 80 W S a Panzerbrigade/Regiment zu Fu 8 Panzerbataillon 30 W S c Panzerbataillon zu Panzerkompanien oder Panzern Fu 8 wie oben oder Fu 5 10 W S c oder Fu 6 20 W S c
Frequenzbereich (in kHz)
Durchschnittlich maximale Reichweite (in km) Sprechfunk Tastfunk
1090-6700
480
1120
1120-3000
40
128
1120 -3000
24
80
2720-3330
6,4
9,6
2720-3330
12,8
16,0
Diese Geräte waren einfach zu handhaben und zuverlässig. Sie waren in Einheiten gebaut, die leicht an Bodenplatten befestigt oder miteinander verbunden werden konnten, was einen schnellen Ein- und Ausbau ermöglichte. Ihre Konstruktion war so gut, daß selbst der Betrieb mit Feinabstimmung in einem Fahrzeug wie einem Panzer mit seinen enormen Erschütterungen möglich war. Ein Punkt wurde erreicht, wie Albert Praun, der eng mit Guderian arbeitete und der später Chef der Wehrmachtsnachrichtenverbindungen werden sollte, erklärte: »Es war möglich, eine ununterbrochene strategische und taktische Führung der Panzerverbände aufrechtzuhalten, gleichgültig, in welcher Art von Bewegung sie sich befanden; tatsächlich wurde diese Kontrolle einfacher, flexibler und zuverlässiger als die Kontrolle der nichtmotorisierten Verbände.« Paradoxerweise war der Stolperstein für viele Offiziere, die an Guderian glaubten: Das Ausmaß seiner Voraussicht und Erfahrung ging weit über ihre begrenzte Vorstellungskraft hinaus. Paradox war auch die Tatsache, daß die Infanterie trotz der Halbherzigkeit ihrer Hauptfürsprecher ebenfalls eine Motorisierung wünschte, zum Beispiel ihrer Panzerabwehrkompanie - gegen den Rat Guderians, der eine Verschwendung der ohnehin knappen Mittel befürchtete und darauf bestand, daß diese Geschütze von Pferden gezogen werden sollten, weil sie zusammen mit der marschierenden Truppe zum Einsatz kamen. (Mit denselben Bedenken gegen eine Aufsplitterung der Industrieerzeugung sprach er sich 1938 gegen Sturmgeschütze für die Infanterie aus.) Aber diese Randerscheinungen
waren nichts im Vergleich zu dem Zerfall, der einsetzte, nachdem Guderian als Kommandeur einer Division abgestellt worden war und der kühle und nachgiebigere Oberst Friedrich Paulus seinen Platz als Chef des Stabes bei Lutz einnahm. Lutz war ohne Guderian nicht imstande, den Zerfall der Panzertruppe durch Gruppeninteressen zu verhindern. Wo es Guderian vielleicht noch möglich gewesen wäre, die Einheit der gesamten Panzerstreitkräfte nach seinen Wünschen zu erhalten, ließen seine Nachfolger eine Zersplitterung der Truppe zu, so daß zum Beispiel die Aufklärungseinheiten der Kavallerie und die motorisierten Schützeneinheiten der Infanterie unterstellt und zugleich motorisierte Infanteriedivisionen geschaffen wurden. Als weitere Unterteilung wurden sogenannte Leichte Divisionen gebildet, die nur über ein geringes Panzerkontingent verfügten, und ebenfalls der Kavallerie unterstellt, obwohl das mit der Möglichkeit geschah, daß diese Divisionen in den Rang vollgültiger Panzerdivisionen aufrückten, sobald sie mehr Panzer zur Verfügung hatten. Die Panzertruppe war in ihrer Verantwortlichkeit nur noch auf die tatsächlichen Panzereinheiten begrenzt, obwohl das XVI. Armeekorps als Stab für die Führung aller drei Panzerdivisionen gebildet worden war und zusammen mit den beiden anderen Korps, die den Befehl über die Motorisierten Infanterie- und die Leichten Divisionen ausübten, einem besonderen Gruppenkommando 4 unterstellt wurde. Diese Gruppe befehligte jetzt General der Artillerie von Brauchitsch, der 1923 die ersten Übungen geleitet hatte, und nun beauftragt wurde, die Verwendung motorisierter Verbände zu studieren. Keines dieser Probleme war allzu ernst, wie Guderian feststellte, vorausgesetzt, es blieb genug Zeit für Experimente. Doch 1936 begann Hitler, Deutschland auf dem Pfad der Aggression voranzutreiben, einen Weg entlang, der in gefährlicher Weise einem Drahtseil ähnelte. Im März jenes Jahres, als die modernen Waffen erst langsam aus den Fabriken an die Truppen ausgeliefert wurden und die Panzerdivisionen wenig mehr als Entwürfe auf dem Papier waren, ließ er die Muskeln spielen und remilitarisierte das Rheinland. Am Jahresende begannen sich die besser informierten Generäle im OKH darüber klarzuwerden, daß Hitler auf Krieg aus war. Er prägte des Propagandaeffekts wegen das Wort »Blitzkrieg« und meinte damit den Blitzschlag von Luft- und Landstreitkräften gegen das betreffende Land. Feldzüge, wenn nötig, würden von kurzer Dauer sein, denn General Thomas zufolge verwarf Hitler »... stets alle Maßnahmen zur Vorbereitung eines längeren Krieges, die wirtschaftliche Mobilmachung zugunsten der Aufstellung neuer Divisionen« - vermutlich auch aus Propagandagründen. Thomas widersprach dem Begriff »Blitzkrieg« in der Tagespresse, in Militärschriften und in öffentlichen Vorträgen, »... weil ich die Überzeugung hatte, ein neuer Krieg in Europa würde zugleich einen neuen Weltkrieg bedeuten, für den die Wirtschaftsreserven
Deutschlands nicht ausreichten, es sei denn, ihm kämen starke Verbündete zu Hilfe«. Doch Hitler hoffte auf Eroberungen ohne Krieg. Guderian zählte zu denjenigen, die Thomas' Meinung über den Blitzkrieg nicht teilten: er glaubte daran. An der Jahreswende 1936/37 gingen seine Bemühungen dahin, die Panzertruppe als Teil einer Verteidigungsstreitmacht zu erhalten, obwohl allmählich ihr aggressiver Wert erkannt und ausgenutzt wurde. Im Herbst 1936 hatte Lutz vorgeschlagen, mit Hilfe eines Buches, das die Gründe für die Bildung der Panzerdivisionen und ihre Rolle enthielt, für mehr Verständnis in der Öffentlichkeit zu werben. Im Winter darauf schrieb Guderian in großer Eile und neben seinen übrigen Pflichten Achtung - Panzer! - eine Sammlung seiner Vorlesungen, angereichert mit seinen besten Artikeln und Argumenten, die er während der vergangenen zehn Jahre aufgezeichnet hatte. Das Ergebnis war, daß der Stil dieses Buches etwas unausgeglichen war. Aber der Erfolg des Werkes war beträchtlich. Es wurde zu einem militärischen Bestseller, und die Guderians kauften von dem Autorenhonorar ihr erstes Auto. Das Buch wurde von den Spionageabteilungen der Generalstäbe in aller Welt genauestens studiert und war von 1937 bis 1939 zusammen mit Füllers Büchern Pflichtlektüre an der Kriegsakademie der österreichischen Armee, deren führender Panzerexperte Ludwig von Eimannsberger ebenfalls stark zu Panzerdivisionen riet und auf Füllers Doktrinen aufbaute. Achtung - Panzer! enthüllte keine Geheimnisse - die Panzertypen Pz II und Pz IV wurden nicht erwähnt, und auch die neuesten Pläne für die wichtige Rolle der Panzerdivisionen und ihre Aufgabe, tief in Feindesland vorzudringen, wurden verschwiegen. Aber die Unterstützung der Hitlerschen Meinung wurde in den Buchabschnitten deutlich, wo Worte des Führers Guderians Ziele unterstützen konnten. Er zitierte aus Hitlers Rede bei der Automobilausstellung von 1937: »Es ist die Bequemlichkeit, um nicht zu sagen, die Trägheit an sich, die sich zu Protest meldet bei allen umwälzenden Neuerungen, die neue Anstrengungen in geistiger, körperlicher und willensmäßiger Hinsicht erfordern« und führte aus derselben Rede weiter an: »Nur soviel ist sicher: die Ersetzung der animalischen Kraft durch diese neue Maschine führt zu einer der gewaltigsten technischen und damit wirtschaftlichen Veränderungen, die die Welt je erlebt hat.« Der von Hermann Göring überwachte Vierjahresplan wurde beschworen, um darzulegen, wie in Kürze Deutschlands Abhängigkeit von Erdöl- und Gummieinfuhren beendet sein und damit ein Haupteinwand gegen die motorisierten Truppen fast ausgeschaltet sein würde, der da lautete, Deutschland könne im Kriegsfall nicht für ihren Nachschub sorgen. Guderians Schlußsatz ging weit über den Ruf nach einer Verteidigungstruppe hinaus, als er schrieb: »Soviel aber ist zu erkennen, daß nur starke Völker auf die Dauer bestehen werden, und daß der Wille
zur Selbstbehauptung nur in die Tat umgesetzt werden kann, wenn die nötige Macht dahinter steht. An der Festigung der deutschen Machtstellung mitzuarbeiten, ist die Aufgabe der Politik, der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Wehrmacht. Je stärker, je neuzeitlicher in Bewaffnung, Ausrüstung und Geist der Führung die Wehrmacht ist, desto sicherer gewährleistet sie die Erhaltung des Friedens... Jedoch läßt sich nicht abstreiten, daß neue Waffen in der Regel eine neue Fechtweise in neuen taktischen und organisatorischen Formen erfordern. Man soll nicht neuen Wein in alte Schläuche schütten. Taten sind wichtiger als Worte. Nur dem mutig Handelnden wird dereinst die Schlachtengöttin den Lorbeer reichen.« Die dreißiger Jahre waren die große Zeit der Propagandaleute unter Dr. Joseph Goebbels. Guderian hatte bei ihm viel gelernt. Das Buch schmeichelte Hitler und all seinen Ideen, wie es wahrscheinlich auch beabsichtigt war. Walther Nehring weist darauf hin, daß Guderian vor 1939 nicht viele Kontakte zu Hitler hatte. Das wäre auch überraschend für einen Offizier seines Dienstgrades gewesen; schließlich war Guderian im August 1936 erst Generalmajor geworden. Dennoch schnitt er in seinen Beziehungen zum Führer weitaus besser ab als der Chef des Generalstabes. Guderians Gegenspieler Beck scheint während seiner Amtszeit von 1933 bis 1938 nur eine private Begegnung mit Hitler gehabt zu haben, eine Tatsache, die ihn ärgern mußte. Konfliktgeladene Gefühle plagten die deutschen Generäle, als Deutschland dem Entscheidungskrieg näher rückte. Im November 1937 hatte Hitler Blomberg und Fritsch erklärt, er beabsichtige, Deutschland nach Osten auszudehnen, nötigenfalls durch einen Krieg im Jahre 1943. Die beiden Generäle hatten ihn durch ihr Erschrecken erstaunt. Hitler entledigte sich der zwei Männer mit Hilfe von Anschuldigungen (gefälschte im Fall Fritsch), die die moralische Integrität dieser Offiziere in Zweifel zogen. Der Rücktritt Blombergs und die Verleumdung von Fritsch am 4. Februar 1938 trafen Guderian schwer. Doch die daraus resultierenden Umbesetzungen an den obersten militärischen Schaltstellen - Hitler selbst machte sich zum Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Wilhelm Keitel wurde Chef des OKW, Brauchitsch Oberbefehlshaber des Heeres und Reichenau Kommandeur des Gruppenkommandos 4 (und damit praktisch verantwortlich für die Entwicklung der Motorisierung) - dürften Guderian kaum mißfallen haben. Keitel konnte von Nutzen für seine Pläne sein, abgesehen von den Beziehungen zwischen beiden Familien - Wilhelms Bruder Bodewin gehörte früher seinem Regiment an, war mit seiner Frau verwandt, inzwischen zum General befördert worden und auch Chef des Heerespersonalamtes, in einer Position also, die ihn mit großer Macht und Einfluß bei Versetzungen und Beförderungen ausstattete. Es spielte
weniger eine Rolle, daß Wilhelm Keitel ein Schmeichler Hitlers war (der ihn mit dem Ausruf »Das ist genau der Mann, den ich suche!« erwähnt hatte, nachdem Blomberg, dessen Tochter mit Keitels Sohn verlobt war, erklärt hatte, Wilhelm sei »nur der Mann, der mein Büro leitet«); immerhin konnte er als weiterer direkter Kanal zum Führer benutzt werden, besonders jetzt, da Hitler sich anschickte, das OKW als persönliches Instrument zur schrittweisen Ausschaltung des OKH zu benutzen. Reichenau wurde von Guderian als »fortschrittlich denkender Kopf, mit dem mich herzliche Kameradschaft verband«, auf seinem neuen Posten begrüßt. Seine eigene Beförderung zum Generalleutnant und Ernennung zum Kommandierenden General des XVI. Armeekorps, mit Paulus als Chef des Stabes, war ihm natürlich auch nicht unwillkommen, wenn es auch bedeutete, daß er Lutz verdrängte, den man verabschiedete. In einem am 7. Februar geschriebenen Brief an seine Schwiegermutter äußerte Guderian seine Ahnungen und stellte zugleich klar, daß er nicht einen Augenblick lang Mißtrauen gegen Hitler hegte, verantwortlich für die jüngsten Ereignisse zu sein: »So schön und ehrenvoll die neue Verwendung ist, ich gehe gar nicht leichten Herzens hin, denn voraussichtlich stehen ernste und sachliche Aufgaben und wohl auch Auseinandersetzungen bevor, die Kräfte und Nerven beanspruchen werden. Ich werde mir ein dickes Fell anschaffen müssen. Die Meldung bei Hitler (in Verbindung mit Blomberg und Fritsch - K. M.) hat mir einen ernsten Einblick in manche Dinge gewährt, die besser nicht passiert wären. Der Führer hat - wie stets - mit der schönsten menschlichen Anständigkeit gehandelt. Hoffentlich wird es ihm von seinen Mitarbeitern (die nationalsozialistischen Führer - K. M.) gelohnt.« Diesem Brief muß man Anmerkungen Guderians in seinen Erinnerungen gegenüberstellen, in denen er den 4. Februar als »zweitschwärzesten Tag des Oberkommandos des Heeres« bezeichnet, Fritsch in Schutz nimmt und Brauchitsch kritisiert, weil dieser sich nicht entschließen konnte, ernste Schritte zu unternehmen. Zur gleichen Zeit wies Guderian darauf hin: »Für die Mehrzahl (der deutschen Generäle) blieb der wahre Sachverhalt nicht zu durchschauen.« Der Brief lieferte auch den Beweis dafür, daß er Hitler als einen Mann außerhalb der Partei ansah. Nun kamen die »ernsten sachlichen Aufgaben«, ein Befehl, die Spitze beim überraschenden Einmarsch in Österreich am 12. März 1938 zu kommandieren. Die Erregung über die Ehre und die Gelegenheit, die sie gab, die Panzertruppen und ihre Leistungsstärke auf einem langen Marsch vorzuführen, war unbeschreiblich. Der Anlaß gestattete auch einer Formation der Waffen-SS, sich erstmals in der Öffentlichkeit zu zeigen, und es war ein Vorschlag von Guderian, der von Sepp Dietrich,
dem Kommandeur der SS-Leibstandarte, Hitler übermittelt worden war, daß die Fahrzeuge »zum Ausdruck freundschaftlicher Gefühle« mit Fahnen und grünen Zweigen geschmückt wurden. Guderian hegte freundschaftliche Gefühle für Dietrich, den alten Landsknecht, der noch einen weiteren Zugang zu Hitler ermöglichte und den Hitler »zugleich gerissen, energievoll und brutal« nannte - eine passende Beschreibung für die Mehrzahl der besten Krieger der Welt. Stolz stand Guderian neben Hitler auf dem Balkon in Linz, als der Führer zur Bevölkerung sprach, und war tief bewegt über diese Wiedervereinigung deutscher Völker. Auch Gretel war es, die ihren Gefühlen in einem Brief an ihre Mutter überschwenglich Ausdruck verlieh: »Man kann es doch noch kaum fassen, daß Österreich deutsch geworden ist, ein Reich, ein Volk, ein Führer! Wer jetzt nicht begreift, daß Hitler ein ganz großer Mann und Führer ist, dem ist nicht zu helfen. Ich bin restlos erschüttert, weinen mußte man vor tiefer Freude... Für meinen Mann habe ich mich so unendlich gefreut, daß er diese geschichtlichen Tage in nächster Nähe des Führers miterleben durfte... Der Führer hat Heinz mehrfach herzlich die Hand gedrückt und war mit dem überraschend schnellen Einmarsch durch Österreich sehr zufrieden. Im Radio wurde die Leistung der Panzertruppe auch besonders belobt.« Und dann machte sie sich bereit, an der Spitze der Frauen der Garnison Würzburg die österreichischen Soldaten mit Blumen zu empfangen, die zur Ausbildung nach deutschen Methoden eintrafen. Fehler bei der Verläßlichkeit seiner Fahrzeuge (mit einer offiziellen Ausfallquote von 30 Prozent bei den Panzern, die vermutlich noch höher lag, dazu noch Versorgungsschwierigkeiten) waren ein Problem, das Guderian mit gewohntem Elan nach Beendigung der Feiern anging. Er arbeitete noch fieberhaft daran, die unter seinem Kommando im XVI. Korps zusammengefaßten drei Panzerdivisionen zu einer einwandfreien Truppe zu machen, als neue politische Wolken über der Tschechoslowakei und den deutschen Minderheiten im Sudetenland aufzogen. Die Herbstmanöver von 1937, bei denen er als Schiedsrichter fungiert hatte, hatten bereits die logistischen Schwächen des Korps aufgedeckt, die dann beim Marsch nach Österreich in unangenehmer Weise bestätigt wurden. Weil der Krieg im Herbst 1938 jeden Augenblick losbrechen konnte (bereits im Mai hatte Hitler Keitel angewiesen, eine Invasion der Tschechoslowakei vorzubereiten), war keine Zeit zu verlieren, aber es war erst eine Handvoll Panzer der Typen Pz III und Pz IV in Dienst gestellt worden, und mit der Ausgabe von Funkgeräten, mit denen alle Panzer ausgerüstet werden sollten, haperte es. Wie gewöhnlich griff die Theorie der Panzeroperationen der praktischen Anwendung weit voraus. Ein 1937 geschriebenes Papier (gedacht als Widerlegung der in der Militärwissenschaftlichen
Rundschau, einem Organ des Generalstabes, veröffentlichten kritischen Bemerkungen) hatte erstaunlich originelle Gründe zur Unterstützung des Konzeptes einer unabhängigen Kampfführung schneller Panzergruppen angeführt. Guderian war es, der das Thema vertiefte und schrieb: »Solange daher unsere Kritiker uns keinen neuen, besseren Weg zum Angriffserfolg weisen können als den der Selbstauflösung, werden wir für unsere Auffassung fechten, daß in den Panzern heutzutage die beste Angriffswaffe für den Erdkampf zu erblicken ist.« Seine Zuversicht begründete er mit dem strategischen Tempo: »Alles kommt also darauf an, schneller in Bewegung zu kommen als bisher und dann trotz des Abwehrfeuers in der Bewegung zu bleiben, damit dem Verteidiger der Aufbau einer neuen Abwehrfront erschwert wird.« Diese Auffassung unterschied sich gründlich von der gemeinhin bisher vertretenen Strategie, die hohes Tempo als Mittel taktischen Schutzes gegen feindliches Feuer ansah. Guderian pflichtete diesen Überlegungen nicht bei, gab allerdings zu, daß »die feindliche Artillerie die Bewegungen der Panzer nur in besonders ungünstig gelagerten Fällen ernsthaft behindern wird«. Wie gewöhnlich konnte er seinen Sarkasmus nicht verhehlen, als er den Satz einflocht: »Man sagt: ,Der Motor ist keine neue Waffe, sondern er befördert alte Waffen in neuer Form.' Daß man mit Motoren nicht schießen kann, ist bekannt...!« Diese Art Stichelei bei Beratungen oder in Aufsätzen machte ihn bei seinen Gegnern in der Armeehierarchie, die nicht seinen Sinn für Humor hatten, nicht beliebter. Berichte von den Panzerschlachtfeldern der Welt waren Guderians Sache 1937 nicht gerade dienlich. Italiens leichte Panzer hatten in Abessinien 1935 gegen miserabel bewaffnete Stammeskrieger schlecht ausgesehen; die Japaner hatte nur eine begrenzte Anzahl minderwertiger Fahrzeuge im Fernen Osten erprobt; in Spanien, wo eine Reihe der nicht sehr wirksamen Pz I - beraten von Major Ritter von Thoma - als Teil der Legion Condor eingesetzt wurden, war das Ergebnis ebenfalls alles andere als ermutigend. Deutsche und italienische Panzer waren auf der faschistischen Seite und russische bei den Republikanern eingesetzt worden, allerdings beides in geringem Umfang. Es fehlte die Unterstützung durch andere Waffen, so daß keine nennenswerten Erfolge verbucht wurden. Thoma, ein Bayer und Junggeselle, der äußerst launenhaft in Stimmung und Meinungsäußerung war, verärgerte Guderian mit seinen Berichten, die andeuteten, die Panzer seien ein Fehlschlag und es bestünde überhaupt keine Notwendigkeit, jeden mit einem Funkgerät auszurüsten. Diese Berichte gingen in einem kritischen Augenblick ein, als Guderian gerade über neue Mittel zum Ankauf neuer Geräte verhandelte, und störten
seine Bemühungen, die Panzertruppe auszubauen. Unerschüttert wies Guderian auf die Unzulänglichkeit der Fahrzeuge und der Technik ihres Einsatzes auf unpassendem Gelände hin. In Achtung - Panzer! erklärte er: »Weder der Krieg in Abessinien noch der Bürgerkrieg in Spanien kann nach unserer Meinung als eine Art ‚Generalprobe' in bezug auf die Wirksamkeit der Panzerwaffe gewertet werden.« Aber damit betrieb er lediglich ein Versteckspiel. Tatsache war, daß die Operationen der Schwesterwaffe der Panzer, der Bombenflugzeuge, in Spanien als Generalprobe betrachtet und zu einer Demonstration für eine kriegsgewinnende Waffe wurden. Blutrünstige Berichte über Zerstörungen aus der Luft füllten die Seiten der Weltpresse und unterstützten die Befürworter des Luftkrieges, die diesen, gegen die Zivilbevölkerung gerichtet, für die Hauptwaffe zur Herbeiführung einer Entscheidung hielten. Die Panzer konnten das nicht von sich behaupten und rangierten daher in der Achtungsskala und bei der Verteilung finanzieller Mittel weiter unten. Felsenfest an die Berechtigung seiner Forderung glaubend und in der Befürchtung, seine Gegner könnten Deutschland der Früchte seiner Arbeit berauben (unzweifelhaft sah er sich in der Rolle eines militärischen Apostels), begann Guderian unsanft zu reagieren, als sich der Druck auf ihn verstärkte. Zum Beispiel sah er 1938 rot während einer Übung, der auch Hitler beiwohnte und bei der er ein schreckliches Durcheinander zu sehen bekam; Kommandeur und Stab des Panzerregiments 1 hatten unzulängliche Befehle erteilt. Bei der Schlußbesprechung ließen Brauchitsch und General Blaskowitz die Schuldigen ungeschoren; vielleicht genossen sie es, daß es in einer von Guderians Einheiten zu einem Debakel gekommen war. Aber Guderian nahm die Schuldigen beiseite und erklärte ihnen in eindeutigen Worten, was er von ihnen hielt. Sein ältester Sohn, damals junger Offizier, war dabei und bezeugt, daß es ein niederschmetternder Auftritt war - aber einer, den seine gleichaltrigen Kameraden hinterher guthießen, weil sie den Donnerschlag für überfällig hielten. Was jedoch ungewöhnlich war: Guderian löste nach seiner Philippika zwei Offiziere ab, eine Maßnahme, die er sonst selten ergriff. Er suchte gewöhnlich, das Beste aus dem verfügbaren Material zu machen: aus Menschen, Gelände und Ausrüstung. Der Druck und der Streß, unter dem seine Vorgesetzten standen, fing jetzt an, direkt auf ihn zurückzuprallen. Beck, eine tragische Figur, der sich schwer tat, eine Überzeugung in die Tat umzusetzen, und zu den ganz wenigen hohen Offizieren gehörte, die die Drohung, die Hitler darstellte, erkannte, drang in Brauchitsch, sich der Behandlung von Fritsch zu widersetzen, der im Februar 1938 fälschlich eines skandalösen Verhaltens beschuldigt worden war. Brauchitsch lehnte das Ansinnen ab. Vom Unsinn eines Angriffs auf die Tschechoslowakei
überzeugt, bemühte sich Beck als nächstes, Hitlers Absichten mit der Begründung zu durchkreuzen, Deutschland sei für den Krieg nicht vorbereitet. Aber Brauchitsch wollte auch diesmal nicht den gewählten Vertreter des Volkes herausfordern und verriet Becks Hintergedanken an Hitler. Von jetzt an konnte nichts mehr, was die Generäle taten, ausgenommen regelrechte Rebellion, Hitler Einhalt gebieten oder ihre Degradierung verhindern. Beck reichte seinen Abschied ein. Man ging auf die Suche nach einem willfährigen Generalstabschef. General Warlimont, der seine Eindrücke von Guderian zwischen 1933 und 1939 hauptsächlich mit den Worten »... ein passionierter Panzermann, nicht mehr« beschreibt, scheint sich zu erinnern, daß Guderian als möglicher Nachfolger für Beck ins Auge gefaßt wurde. Es erscheint unwahrscheinlich, daß dies ein ernstgemeinter Vorschlag war, obwohl sein bloßes Vorbringen an hoher Stelle feindselige Reaktionen bei den beunruhigten Generälen hervorrufen mußte. Guderian fehlte das erforderliche Dienstalter und das Prestige für einen solchen hohen Posten, zum anderen war er der Vertreter einer militärischen Minderheitsfraktion, der Hitlers Gunst genoß. Schließlich trat Franz Halder Becks Nachfolge an. Er setzte die Widerstandspläne gegen Hitler fort, wenn auch mit gedämpftem Eifer. Der Dialog zwischen Hitler und Guderian war fast persönlich geworden. Einladungen zum Abendessen und zum gemeinsamen Opernbesuch waren mit Diskussionen über Panzerprobleme verbunden. Die Gewohnheit, Guderian eine führende Rolle bei militärischen Operationen zuzumessen, wurde fast zur Formsache. So fiel dem XVI. Armeekorps die Aufgabe zu, das Sudetenland zu besetzen, nachdem mit Hilfe des Münchner Abkommens ein Krieg verhindert worden war. In einem Brief an Gretel vom 5. Oktober 1938 beschrieb er das »grenzenlose Elend und die Unterdrückung«, denen die Sudetendeutschen unter tschechischer Herrschaft ausgesetzt gewesen waren. Sie hatten nach seinen Worten »jede Hoffnung verloren«. In seinen Erinnerungen berichtete er, wie begeisterte Volksmengen den Führer und seine Truppen begrüßten. Als Hitler bei der Abfahrt in seinen Wagen stieg, »hat er mir sehr nett die Hand gegeben... Ein ganz großer Mann!« schrieb Guderian. »So ein Sieg ohne einen Schwertstreich wurde wohl noch nie in der Geschichte errungen. Er war allerdings nur möglich mit dem neuen, scharfen Schwert in der Hand und mit dem Entschluß zum Schlagen, wenn es im Guten nicht ginge. Aber beides war bei diesem mutigen Mann vorhanden...« Er fuhr fort mit einer Schilderung der Besetzung: »...die erste Festungslinie in unserer Hand, längst nicht so stark, wie wir gedacht hatten, aber doch besser so genommen als anders« und beschrieb die »lebhafte Befriedigung eines jeden, einschließlich des
Reichsaußenministers von Ribbentrop, daß der Krieg vermieden werden konnte.« Über seine gelungene Zusammenarbeit mit Reichenau schrieb er, sie seien »in guter Übereinstimmung« gewesen. »Sein Stab ist weniger großzügig, leider.« Es kann zu dieser Zeit nur wenige Menschen in Deutschland gegeben haben, die sein Urteil über Hitler nicht teilten. Die Ungerechtigkeit von Versailles war ohne Einsatz von Menschenleben ausgelöscht worden. Die langfristigen Auswirkungen der neuen Politik waren zwar verhängnisvoll, doch Guderian scheint ihnen in diesem Augenblick weniger Beachtung geschenkt zu haben, so unkritisch war seine Einstellung zum Führer. Die Mittel wurden knapp, sobald das Wiederaufrüstungsprogramm angelaufen war. Das Gespenst der Inflation ging um, als Österreich eingegliedert wurde, als Hitler nach dem Sudetenland und der Tschechoslowakei griff und als die finanziellen Manipulationen des Wirtschaftsministers Dr. Schacht zusammenzubrechen drohten; die Besetzung Österreichs und des Sudetenlandes trugen eher zu Deutschlands Schuldenlast bei als sie zu mindern. Im Jahre 1937 hatte Schacht für die zur Wiederbewaffnung zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel ein Zeitlimit und eine obere Grenze gesetzt; im Januar 1939 riet er, inzwischen Präsident der Reichsbank, dem Wirtschaftsminister, das Reich für bankrott zu erklären, und verweigerte die übliche monatliche Vorauszahlung. Auf Geheiß Görings, der für den Vierjahresplan verantwortlich war, wurde Schacht wegen seiner unmöglichen Einstellung sofort entlassen. Aber die öffentliche Meinung der Welt begann, sich gegen Deutschland zu richten. Guderian, der in diesem Zeitraum einmal Großbritannien besuchte, müßte es gewußt haben. Als im März 1939 der Einmarsch in die Tschechoslowakei erfolgte und anschließend Polen unter Druck gesetzt wurde, konnte bei den Generälen kein Zweifel mehr bestehen, in welche Richtung es ging. Der Generalstab des Heeres vertrat - wie die Zivilbevölkerung - verschiedene Ansichten, die sich in groben Zügen zu drei Standpunkten zusammenfassen lassen. Da gab es Männer wie Guderian, die, mit den üblichen Vorbehalten gegenüber Verallgemeinerungen und alle Schattierungen der Meinungsvielfalt gelten lassend, das Hitler-Regime als Mittel zur Wiederherstellung von Deutschlands Prestige und Autorität ansahen, die stolz auf die Armee waren, die sie wiederaufbauen halfen und deren Faszination den neuen Waffensystemen galt, die sie schufen Männer, die ohne Zweifel und völlig verständlich von dem neugierigen Ehrgeiz beherrscht waren, festzustellen, ob ihre Ideen sich in die Praxis umsetzen ließen. Diese Gruppe war vermutlich diejenige, die die Polen am meisten fürchtete und den Kommunisten feindlich gegenüberstand.
Die Westmächte stellten für sie (wie für die anderen Gruppierungen auch) ein Gegengewicht zu ihren äußerst lernbegierigen Bestrebungen dar, weil sie zu stark waren, um sie anzugreifen. Dann waren da die unzufriedenen Soldaten und Zivilisten, die von Hitler aus ihren Ämtern entfernt oder zurechtgewiesen worden waren zum Beispiel Hammerstein-Equord, Schacht und Beck, der hauptsächlich aus dem Grund für den Frieden eintrat, weil er Deutschland für unvorbereitet für einen größeren Konflikt hielt. Mit diesen Leuten stimmte Guderian auch überein, kannte er doch gut genug die Unzulänglichkeiten bei der Panzertruppe und der übrigen Armee. Schließlich gab es noch eine dritte Gruppe, die überwiegende Mehrheit derer, die redlich ihren Dienst versahen. Sie stimmten in ihrer Meinung mit der zweiten Gruppe überein, aber wollten entweder nicht abtreten oder wurden nicht entlassen und blieben im Dienst, ohne sich über die Probleme Gedanken zu machen. Beck und seine Gesinnungsgenossen begannen, eine aktive Widerstandsbewegung gegen Hitler ins Leben zu rufen. Halder ließ sich später in Diskussionen mit den Verschwörern ein und suchte Zeit zu gewinnen angesichts der Pläne, Hitler im geeigneten Augenblick umzubringen, aber, als es hart auf hart kam, zog er sich zurück, indem er an die Verpflichtung des am 3. August 1934 auf Hitler abgelegten Eides erinnerte oder an sein Pflichtbewußtsein gegenüber der Wehrmacht in der Hoffnung, statt eines Rücktritts durch den Verbleib auf seinem Posten noch etwas Positives erreichen zu können. Halder seinerseits polemisierte gegen diejenigen Hitlerschen Pläne, die er mißbilligte, gehorchte aber den Befehlen von oben und fuhr mit den Kriegsvorbereitungen fort. Ebenso tat der Oberbefehlshaber von Brauchitsch, dessen zweite Ehefrau stark zu den Nationalsozialisten tendierte, wenig, um den Sturz des Generalstabes in den Abgrund zu verhindern, außer, daß er versuchte, jede Fäulnis, die er in der Wehrmachtshierarchie sah, auszumerzen. Er hatte Guderians persönliche Triumphe in seinen Beziehungen zu Hitler in Österreich und im Sudetenland beobachtet und scheint sich, erst in Übereinstimmung mit Beck und später mit Halder, entschlossen zu haben, Guderian unschädlich zu machen, wobei nicht zu klären ist, ob er es aus Furcht vor der Bedrohung tat, die Guderian als vermeintlicher Anhänger des Nationalsozialismus und Rivale beim Kampf um die Macht darstellte oder aus Eifersucht. Auf jeden Fall wird von diesem Augenblick an immer deutlicher, daß die Opposition gegen Guderian nicht mehr so sehr seine Ziele und Vorstellungen bekämpfte als nachdrücklich und direkt seine Person. Es gab da noch einen anderen Faktor, den weder Soldaten noch Zivilisten ignorieren konnten, wenn er auch zuweilen überschätzt wurde. Es war die ungeheure Verehrung Hitlers durch einen Großteil der
Bevölkerung, die es ihm dankte, daß er Deutschland aus der Depression herausgeführt, die Arbeitslosigkeit beseitigt und alle Anstrengungen unternommen hatte, den Stolz der Nation wiederherzustellen. Goebbels hob diese Leistungen immer wieder hervor. Es gab ebenso viele deutsche Durchschnittsbürger, die ihr Land verehrten wie Angehörige der oberen Schichten. Es zeugt für den wachen politischen Verstand, der dem Generalstab selten zugetraut wird, daß seine andersdenkenden Angehörigen an die Notwendigkeit der Unterstützung von seiten der Bevölkerung bei einem Versuch, Hitler an die Kandare zu legen, glaubten. Keiner von ihnen hatte den Anblick der aufständischen Soldaten und Menschenmassen im Jahre 1918 vergessen. Und Hitler war der erfahrenste Massenredner seiner Zeit, der seine Handlungen gerissen mit dem Mäntelchen einer durch Popularität erworbenen Legalität behängte. Trotzdem können jene hohen deutschen Militärs, die aus eigener Erfahrung die Freikorpsmethoden kannten und (zwangsläufig) wußten, daß ein harter Kern der Nationalsozialisten aus alten Freikorpskämpfern bestand, die nicht imstande waren, sich wieder an ein normales Leben zu gewöhnen, keine Illusionen hinsichtlich der Absichten dieser Männer gehegt haben. Sie müssen auch von der Verfolgung der Juden gewußt haben. Reichenau hat zum Beispiel seine Zustimmung zu dieser Politik geäußert. Guderian ging der Frage aus dem Weg; es gab keine offizielle Bestätigung seiner Beteiligung an irgendwelchen rassistischen Greueln, was kaum verwundert, da er, abgesehen von seinem Abscheu vor den Kommunisten und dem Ärger über das Wiederemporkommen Polens, ohne Vorurteile in Fragen der Rasse und Religion war. Nichts in seinen Papieren läßt darauf schließen - im Gegenteil. Man muß es als Tatsache nehmen, daß viele deutsche Offiziere blind waren, wenn sie nicht spätestens 1938 den bevorstehenden mörderischen Krieg sahen, aber ebenso klar ist es, daß sie nicht imstande waren, die »Endlösung« und ihre schrecklichen Folgen vorauszusehen, weil das damals ein nicht auszumalender böser Traum war. Für Guderian gab es einen Punkt, über den Hitler und seine Gefolgschaft nicht hinausgehen durften, ohne seine Achtung zu verlieren. Die Behandlung von Fritsch war solch ein Fall. Guderians Entrüstung über die Art und Weise, wie der ehemalige Oberbefehlshaber völlig zu Unrecht mit Schimpf und Schande seines Postens enthoben und, nachdem seine Unschuld erwiesen war, durch Brauchitsch nur zaghaft entlastet wurde, war nicht nur für die Seiten seiner Erinnerungen bestimmt. Die aufrichtige Freude, der er in aller Öffentlichkeit während der Parade in Groß-Born im August 1938 Ausdruck verlieh, als Fritsch militärische Ehren erwiesen wurden, ließ niemand in Zweifel daran, wem sein Herz gehörte. Trotz des Treueeides auf Hitler hielt er sich starr an den alten preußischen Moralkodex. Später, im März 1939, versagte er
Hitlers Raub der Tschechoslowakei seine Billigung, doch setzte wie gewöhnlich, wenn kontroverse politische Fragen ihm zu eindringlich wurden, ein ausgeprägter Sperrmechanismus bei ihm ein. Seine Erinnerungen enthalten keinen Kommentar zu den Vorgängen in der Tschechoslowakei, lediglich einen Absatz über seine militärischen Pflichten und eine Beschreibung der Arbeit, die er mit der Einsammlung wertvollen Kriegsmaterials aus tschechischen Arsenalen hatte. Guderian, der sich eines Protestes enthielt, war dennoch später zu ehrlich, um sich der Rechtfertigung des einem nichtdeutschen Volk zugefügten Leids anzuschließen. Andererseits konnte er sehr leichtgläubig sein. Sein ältester Sohn berichtet darüber: »Wir waren skeptisch, weil Deutschland den rechtmäßigen Weg verlassen hatte, alle Deutschen in einem Staat zu vereinen« und erinnert sich, seinem Vater eine entsprechende Frage gestellt zu haben, die dieser »... mit einem Argument beantwortete, das glaube ich, von Hitler stammte und besagte, es sei nötig, den ‚Flugzeugträger' mitten in Deutschland im Hinblick auf die Haltung der Westmächte auszuschalten«. Nur zu bereitwillig glaubte Guderian 1939 das, was Hitler so leichthin verkündete. Gretel hatte indessen eine andere, mehr passive Einstellung auf dem Höhepunkt der Krise vom September 1938 gewonnen. Etwas von ihrer Euphorie war verpufft, als sie am 29. September ihrem Mann schrieb: »Das schönste Geschenk, für das heute ein Hoffnungsstrahl durch die Zusammenkunft in München besteht, wäre die Erhaltung des Friedens. Sollte diese erfolglos bleiben, so müssen wir allen Mut und Glauben zusammennehmen. Ich will mir Mühe geben, eine tapfere Soldatenfrau und Mutter zu sein.« Aber obwohl Guderian sich sehr auf sie verließ, wenn er Schwierigkeiten in privaten Dingen hatte, gibt es wenig Grund zu der Annahme, er habe auch ihren politischen Ansichten zugestimmt. Zumal er in jener Zeit wieder einmal zur Figur eines politischen Schachzuges wurde, zu einem von mehreren ahnungslosen Werkzeugen Hitlers zur Verunglimpfung der Militärhierarchie. Die Rolle eines Mannes spielend, der es allen recht machen will, schien Hitler Keile zwischen die einzelnen Gruppen im Generalstab zu treiben - ob mit Absicht oder nicht, läßt sich nicht feststellen. Es könnte sein, daß Hitler erkannte, daß Guderian und die Panzertruppe eine Quelle der Spaltung innerhalb der Armee darstellten und daß er sie deshalb benutzte, um eine bestehende Kluft zu vertiefen. Im Oktober 1938 hatte er interveniert, anscheinend, um die Panzertruppe zu stärken, und in Zusammenarbeit mit Brauchitsch (vermutlich auf dessen Vorschlag hin) einen Chef der Schnellen Truppen zu etablieren, der für alle motorisierten Truppen - Panzer, Infanterie und Kavallerie - zuständig war. Guderian lehnte, ohne zu wissen, daß Hitler für die Neuordnung eingetreten war, den Posten ab, weil er nicht mit
ausreichender Autorität verbunden war, um sich über den Widerstand der Traditionalisten im Oberkommando hinwegzusetzen. Diesen Grund führte er später ausführlich Hitler gegenüber an (nachdem Bodewin Keitel vermittelt hatte), der ihn beschwichtigte und mit dem Versprechen umstimmte, er solle persönlich zum Rapport kommen, wenn er auf Schwierigkeiten stoße. Guderians Beförderung zum General der Panzertruppe war ein kleiner Trost, aber: »Zu dem unmittelbaren Vortrag ist es natürlich nie gekommen«, schrieb er, »trotz der sofort einsetzenden Schwierigkeiten.« Das ist der Kernsatz von Guderians Version in seinen Erinnerungen. Aber sein alter Freund Hermann Balck, damals Stabsoffizier bei der In 6, der mit Oberst von Schell an der Motorisierung arbeitete, sagte heute, Schell sei es gewesen, der den Posten eines Chefs der Schnellen Truppen erfunden habe als Antwort auf eine von Brauchitsch und Beck angezettelte Verschwörung (von Halder nach dessen Dienstantritt fortgesetzt), die darauf abzielte, Guderian eine einflußreiche Rolle vorzuenthalten. Schell, der später Ministerialdirektor im Rüstungsministerium wurde, vereitelte Balcks Versuche, die Panzer- und Motorisierungspolitik zu koordinieren. Balck versuchte deshalb eine Besprechung zwischen Guderian und Schell herbeizuführen, bei der die beiden Männer ihre Differenzen ausräumen konnten. »Lachend stimmte Guderian zu«, erinnerte sich Balck, doch Schell habe den Vorschlag rundweg abgelehnt - eine Weigerung, die kommen mußte, wenn es eine Verschwörung gab und er das Werkzeug des Oberbefehlshabers war. Es ist unmöglich, diese Geschichte auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Guderian scheint von diesem Komplott nichts geahnt zu haben, obwohl er zweifellos im Lauf der Zeit spürte, daß hohe Offiziere in gefährlicher Weise gegen ihn arbeiteten. Es ist jedoch interessant, daß er Schell nichts nachtrug und ihm sogar später in einer mißlichen Lage half. Jedoch war dies bereits der zweite Versuch, Guderian auf ein Nebengleis abzuschieben, der rasch auf die Annahme folgte, daß er möglicherweise Chef des Generalstabes des Heeres werden könnte. Zu Recht nahm Guderian an, er werde als Generalleutnant und Kommandierender General des XVI. Armeekorps mehr Einfluß haben. Es kam nicht unerwartet für ihn, daß alle Versuche, die maßgeblichen Kreise der Kavallerie mit der Panzertruppe zu versöhnen, anfänglich auf unnachgiebige Ablehnung stießen. Unvermeidlich wurde er ein politischer Katalysator anstatt ein militärisches Koagulans. Zur gleichen Zeit begann er selbst bei seinen Gegnern Anerkennung zu finden als jemand, auf den der Führer hört, jemand, der in einer Notlage als Mittelsmann eine sich verbreiternde Kluft in Fragen der Verständigung und Überzeugung zwischen ihnen und dem Staatschef überspannen helfen konnte. Zunächst versuchten sie, ihn unter ihrer Fuchtel zu halten, und wiesen ihm alle Arten von sterilen Aufgaben zu, solange sie ihn nur
vom Zentrum des politischen Geschehens fernhielten. Sie ließen ihm freie Hand, seine Energie und die seines kleinen und ihm ergebenen Stabes mit dem vergeblichen Versuch zu verschwenden, die sich streitenden Waffengattungen Panzertruppe und Kavallerie zusammenzuschmieden. Ungeeignet für einen bereitwilligen Kompromiß beim Angehen dieses Problems, versuchte er eine Integration herbeizuführen, indem er der Kavallerie neue Ziele im Rahmen einer modernen Auffassung von dieser Truppe setzte, die sie befähigen sollte, bei der Art Krieg, wie er ihn sich vorstellte, eine wirksame Rolle zu übernehmen. Aber die Vorschriften, die er überarbeitet und dem Generalstab zur Einführung empfohlen hatte, waren nicht angenommen worden, und die Kavallerie wich mit Erfolg jedem Vorschlag aus, ihr Gesicht zu verändern, weil sie ihre Pferde nicht verlieren wollte. Sie tat das mit dem sicheren Wissen, daß Oberbefehlshaber und Chef des Generalstabes hinter ihr standen. Zu seinem weiteren Verdruß wurde ihm verkündet, im Kriegsfall werde er nach der Mobilmachung Kommandierender General eines Reserveinfanteriekorps. Das hätte ihn zu einer Mitläuferrolle verurteilt und ihn völlig von den Panzertruppen abgeschnitten, für die er Experte war. Das Ganze war entweder eine vorausberechnete Beleidigung, die der Verschwörung gegen ihn nur recht sein konnte, oder es war grenzenlose Dummheit. Guderian schrieb, es habe »... einer Beschwerde« bedurft, »um die Verwendung im Rahmen der Panzertruppe zu erreichen«. Eine solche Beschwerde war sicher unumgänglich. Mag sein, daß sich bei dieser Gelegenheit die Verbindung zu Keitel auszahlte. Endgültige Gewißheit darüber, wie seine Geschicke wieder in die alten Bahnen gelenkt wurden, gibt es nicht, denn er selbst schweigt über die ganze Angelegenheit. Es nimmt jedoch kaum wunder, daß angesichts dieses Nullpunktes seiner Karriere seine damaligen Aufzeichnungen pessimistische Tendenzen erkennen lassen, die höchst uncharakteristisch für ihn waren. Wahrscheinlich spürte er, daß die Kräfte der Tradition zu stark waren. Der Sommer 1939 verging im Wirbel intensiver Vorbereitung auf einen Krieg, der nur durch ein Wunder zugunsten Deutschlands entschieden werden konnte. Paraden in Berlin, bei denen Guderians Panzer in einer Phalanx unter dem Jubel der Menge und respektvoll von ausländischen Beobachtern kommentiert, die Prachtstraßen entlangrollten, während Görings Luftwaffe darüber hinwegbrauste, stellten nur eine Fassade dar, hinter der wenig Substanz steckte. Aber sie riefen einen Eindruck hervor, den Hitler als Teil eines großen Bluffs brauchte, selbst wenn Guderian die Paraden kurz mit der Bemerkung »ermüdend, statt zu überzeugen« abtat, ohne viel von den politischen Motiven wahrzunehmen. Wie so viele Angehörige der neuen Generation der motorisierten Truppen hatte er nur wenig Zeit für Zeremonien,
obwohl er weitsichtig genug war, um die Wirkung einer attraktiven Uniform auf Soldaten zu erkennen. Seine Panzersoldaten steckten in eindrucksvollen schwarzen Uniformen und trugen schwarze Baskenmützen, ähnlich denen, die schon beim British Royal Tank Corps eingeführt worden waren. Als die Krise heranrückte, kochte Guderian vor Wut über jedes Anzeichen von verschwendeter Zeit und Mühe. Der Ehrgeiz beflügelte ihn, während seine Gegner ihn kühl selbst von seinen nächstliegenden Zielen abhielten. Selbst wenn er praktisch seine ganze Energie für sein Streben nach den Höhen militärischer Leistung aufwendete, besaß er das bemerkenswerte Talent, sich entspannen zu können. Auch wenn er 95 Prozent seiner Zeit militärischen Dingen widmete, so konnte er doch die Arbeit beiseiteschieben, wenn sich die Gelegenheit bot. Er vermochte nicht wie Schlieffen den Anblick eines schönen Tals mit der Bemerkung »...ohne Bedeutung als militärisches Hindernis« abzutun, und auch nicht, wie Rommel, eine Opernaufführung zu besuchen und während der Vorstellung Überlegungen anzustellen, wie er in irgendeiner bevorstehenden Offensive ein zusätzliches Bataillon aufmarschieren lassen könne. Der Schöpfer der Panzertruppe hatte viel mit seinem britischen Gegenspieler Percy Hobart gemeinsam, der gleichfalls ein Mann von großem Schwung und frustriertem Eifer war und der auch auf ein Abstellgleis geschoben wurde. Beide waren selbst unter fürchterlichem Streß imstande, gefühlvolle und lebendige Briefe an ihre Frauen zu schreiben und die Probleme ihrer Arbeit hinter sich zu lassen, wenn sie die häusliche Schwelle überschritten. Aber im August 1939 wurde der Weg nach Hause immer weiter. Die schließlich zur Gärung kommenden Ereignisse sollten sie bald alle in ihren Bann ziehen.
6 RECHTFERTIGUNG IN POLEN
Während eines Sommers, in dem die Spannungen mit Polen durch deutsche Stellen stimuliert wurden, waren Guderian und sein Stab mit der Ausarbeitung von Plänen für große Manöver beschäftigt. Wie noch nie zuvor sollten die motorisierten Divisionen getestet werden im Verlauf von Übungen, die die Vorstufe einer Mobilmachung voraussetzten. Die Ausbildung der Panzerbesatzungen war jedoch in jeder Einheit noch weit vom Abschluß entfernt, und von den über 3.000 Panzern, die man für Kriegsspiele zur Verfügung hatte, waren nur 98 vom Typ Pz III und 211 vom Typ Pz IV, die Mehrzahl also leichte Pz I- und Pz II-Modelle. Die modernsten Funksysteme waren allerdings rechtzeitig installiert worden, und auch für Probleme des Nachschubs hatte man Verbesserungen ersonnen. Dann kam eine Wende, die kaum unerwartet eingetreten sein kann. Am 22. August erhielt Guderian den Befehl, das Kommando des neugebildeten XIX. Armeekorps (mit Nehring als Chef des Stabes) in Groß-Born zu übernehmen und unter dem Decknamen »Befestigungsstab Pommern« Befestigungsanlagen entlang der deutsch-polnischen Grenze zum Schutz gegen polnische Angriffe zu bauen. Am nächsten Tag verkündete Hitler die Unterzeichnung eines Nichtangriffspaktes mit der Sowjetunion und erteilte der Armee den Befehl, Polen am 26. August anzugreifen. Die Vorbereitungen waren zu diesem Termin noch nicht abgeschlossen, und die Mobilmachung befand sich erst im Vorbereitungsstadium, aber die motorisierten Verbände waren einsatzbereit. Einige waren sogar seit Juli voll mobilisiert. Die Kraft der Polen zur Verteidigung ihres Landes erwuchs hauptsächlich aus der grimmigen Entschlossenheit, ihre neugewonnene Unabhängigkeit zu bewahren. Moderne Waffen besaß das Land nicht viele: lediglich 225 Panzer, von denen eine Reihe schon veraltet war, und nur 360 Flugzeuge, die es 1.250 deutschen Kampfwagen entgegensetzen konnte. In der Kriegstechnik vertraute Polen auf das Modell einer linearen Verteidigung und eines Stellungskrieges mit Armeen zu Pferde und zu Fuß nach dem Modell von 1920, eine Taktik, auf die auch noch immer die Methoden seiner Verbündeten im Westen, Frankreich und Großbritannien, aufbauten. Von diesen Staaten konnte Polen allerdings keine schnelle Hilfe erwarten, da sie Wochen brauchten, um ihre aus einer vergangenen Epoche stammenden Massenheere mobilzumachen. Auch Polen selbst konnte in der kurzen Zeit, die ihm die Deutschen ließen, nicht die eigene volle Truppenstärke von 45 Divisionen und 12 Brigaden aufbieten. Binnen kurzem sollte einer
erstaunten Weltöffentlichkeit klargemacht werden, daß aus besonderen Gründen Polen niemals eine Chance hatte und sechs Panzerdivisionen und vier Leichte Divisionen mit massiver Unterstützung aus der Luft das erreichen konnten, was die übrigen 45 deutschen Kavallerie- und Infanterieeinheiten vielleicht in Wochen nicht fertiggebracht hätten. Professor Michael Howard hat dazu ausgeführt: »Die Deutschen waren in den Jahren 1939/40 fast einzigartig wegen der Tatsache, daß sie mit einem Minimum an praktischer Erfahrung den vollen Umfang der Verwendungsmöglichkeiten, die die neueste technische Entwicklung der Militärwissenschaft zu bieten hatte, richtig erkannten und sie in ihre Ausrüstung und in ihre Doktrin einbezogen. Ich finde auf Anhieb kein vergleichbares Beispiel. Normalerweise beginnen alle Seiten unter gleichen Vorzeichen, und alle beginnen falsch.« Hätte Howard den Begriff »die Deutschen« durch »Guderian und seine Gefolgsleute« ersetzt, hätte er den Nagel auf den Kopf getroffen. Eine Ironie des Schicksals, aber zugleich auch bezeichnend war es, daß Guderian keine Beteiligung an dem ersten großen Panzervorstoß zugestanden wurde, der, von Generaloberst Gerd von Rundstedts Heeresgruppe Süd (mit von Manstein als Chef des Stabes) geführt, mit zwei Panzer- und drei Leichten Divisionen von Schlesien auf Warschau erfolgen sollte. In einem sogenannten klassischen Panzergelände war Guderians altes XVI. Korps unter dem General der Kavallerie Erich Hoepner dazu ausersehen, den Angriff vorzutragen und sich vom Augenblick des Losschlagens am 1. September an - die Änderung des ursprünglichen Datums, 26. August, war durch diplomatische Umstände notwendig geworden - rücksichtslos durchzukämpfen. Guderians XIX. Korps sollte mit einer einzigen Panzerdivision - der 3. - sowie der 2. und der 20. Motorisierten Infanteriedivision (die nicht über Panzer verfügten) als Angriffsspitze der Heeresgruppe Nord (Generaloberst Fedor von Bock) und der 4. Armee (General der Artillerie Günther von Kluge) gegen einen weitaus erbitterteren feindlichen Widerstand in weniger lukrativer Mission in den stark verteidigten Polnischen Korridor hineinstoßen, wo Befestigungen den hemmenden Effekt zweier Flußhindernisse - der Brahe und der Weichsel - gut ausnutzten. So gab die Größe einer unangenehmen Aufgabe Guderian von Beginn an Gelegenheit, mit einem Minimum an zeitlicher Vorbereitung die Vielseitigkeit seiner Schöpfung - der Panzerwaffe - zu demonstrieren. Am 25. August - dem Vorabend der Kämpfe, wie er irrtümlich glaubte - sandte er einen aufmunternden Brief an Gretel, in dem es hieß: »Wir werden nun demnächst die Ohren steifhalten müssen und einige Anstrengungen auf uns zu nehmen haben. Aber ich hoffe sehr, daß es gutgehen wird und auch schnell. Was die Westmächte machen werden, ist noch nicht erkennbar. Überraschungen von dieser Seite sind nicht ausgeschlossen; aber nunmehr kann man auch das mit Fassung
ertragen. Die Gesamtlage hat sich erheblich gebessert, und wir können voller Vertrauen ans Werk gehen...« Der letzte Satz bedeutete zustimmende Anspielung auf den Nichtangriffspakt mit Moskau, den er als Wiederaufbau der Brücke zu Rußland guthieß. Er wußte genau, wie sehr sich auch ihr Mutterherz um ihre beiden Söhne sorgen würde, die beide bei der Armee standen und bald zusammen mit der Panzertruppe ihre Feuertaufe erhalten sollten. »Sei, wie schon so oft, eine tapfere Soldatenfrau und gib den anderen Leuten ein Beispiel!« schrieb Guderian weiter. »Wir haben nun einmal das Los gezogen, in einer kriegerischen Zeit zu leben und müssen uns damit abfinden.« Nirgendwo deutet Guderian Mitleid mit den Polen an. Das wäre auch überraschend gewesen. Polen stellte für viele Preußen eine Mißgeburt dar, eine Nation, die auf Kosten des preußischen Stammlandes entstanden war. Seit 1918 hatte der neue Staat eine ständige Bedrohung der deutschen Ostgrenze bedeutet, und der Grenzschutz Ost war ebenso stark damit beschäftigt gewesen, Übergriffe der Polen zu verhindern wie solche der Bolschewiken. Und Guderian war jetzt besonders froh, daran mitwirken zu können, den alten Familienbesitz zurückzuerobern. Sein Brief an Gretel enthält den Hinweis, daß »... die alten Familiengüter und Wohnsitze Groß-Klonia, Kulm und Niemcik jetzt für mich eine besondere Rolle spielen... Ist es nicht eigenartig, daß gerade ich diese Rolle übertragen bekomme?« Dabei kann er wohl kaum Genaueres über die Lagebesprechung der Oberbefehlshaber bei Hitler am 22. August gewußt haben, wenn er auch zweifellos erfahren hatte, daß Brauchitsch dem Führer einen »kurzen Krieg« in Aussicht gestellt hatte. So wahrscheinlich es ist, daß er durch den üblichen Nachrichtenaustausch in hohen Militärkreisen davon unterrichtet war, daß die Engländer und Franzosen unnachgiebig bleiben könnten, so wenig ist anzunehmen, daß er davon gehört hatte, daß Hitler am 22. August noch ausgeführt hatte: »Ich habe meine ,TotenkopfEinheiten' nach Osten beordert mit dem Befehl, ohne Gnade und Barmherzigkeit alle Männer, Frauen und Kinder polnischer Rasse oder Sprache zu töten.« Selbst wenn er es gewußt hätte - in seiner Position hätte er nicht viel dagegen tun können, denn der Trend der Entartung der politischen und militärischen Kräfte Deutschlands war unter den Nazis schon soweit fortgeschritten, daß es keine Umkehr gab. Alles, was die Wehrmacht jetzt tun konnte, war abgesehen von einem Akt offener Rebellion, für den sie weder vorbereitet noch organisiert war, die schlimmsten Auswüchse des Übels zu mildern, das von dem Ungeheuer herrührte, das sie hereingelassen und vor kurzem noch in ihrer Mitte willkommen geheißen hatte. Diejenigen, die nie eine derartige Situation erlebt haben, wie sie in Deutschland 1939 herrschte, dürfen behaupten, die deutschen Generäle
hätten sich anders verhalten müssen; die Kritiker sollten aber auch die Dinge aus der Sicht der Generäle sehen und sich fragen, wie viele alliierte Generäle hörbar protestierten, als sie mit Maßnahmen, die sie ablehnten - zum Beispiel dem Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung konfrontiert wurden? Wie vorauszusehen, beschloß Guderian, den Hauptangriff seines XIX. Armeekorps durch die 3. Panzerdivision auf der rechten Flanke führen zu lassen, wo ein tiefes Eindringen ins feindliche Hinterland von dem Schutz profitieren konnte, den die zwei parallel zum Aufmarschgebiet der Division verlaufenden Flüsse bildeten. Auf diese Weise würde er auch die Genugtuung haben, rasch das Familiengut Groß-Klonia besetzen zu können. Die beiden motorisierten Divisionen wurden angewiesen, in weniger verheißungsvolles Territorium vorzurücken; man hat beinahe den Eindruck, daß Guderian ihrer Rolle wenig Bedeutung beimaß. Er begleitete die vordersten Panzer der 3. Panzerdivision in einem Befehlspanzer neuester Bauart, der mit Funk ausgestattet war, so daß er Verbindung mit seinem rückwärtigen Hauptquartier und den anderen Verbänden halten konnte, wenn er sie benötigte. Der Bericht vom ersten Kriegstag, den er in den Erinnerungen gibt, spiegelt den ganzen Zorn der Vorurteile wider, die sich bei ihm nach den Enttäuschungen der vergangenen zehn Jahre gebildet hatten: seine Wut auf die Artillerie, die entgegen seinem Befehl in den Frühnebel hinein feuerte, sein Fahrzeug eingabelte und den erschreckten Fahrer des Halbkettenfahrzeugs in den Graben fahren ließ; seine Verärgerung, als er an der Brahe eintraf und alles stehengeblieben war, so daß das Angriffstempo völlig verlorenging, weil kein höherer Offizier in Sicht war, der das Vorgehen hätte neu ankurbeln können. Unweit des alten Familienbesitzes geriet er erneut in Rage, als er feststellte, daß der Kommandeur des Panzerregiments 6 Halt geboten hatte, weil er den Fluß zu stark verteidigt glaubte, und der Divisionskommandeur Generalleutnant Geyr von Schweppenburg nirgendwo zu finden war. Geyr war nach seiner eigenen Darstellung für eine Besprechung zur Heeresgruppe zurückgerufen worden - ein kaum glaublicher Zustand, wenn man bedenkt, daß seine Division gerade frisch in den Kampf gegangen war und die persönliche Anwesenheit ihres Kommandeurs brauchte. Es bedurfte des Beispiels eines jungen Panzerleutnants, der eine unzerstörte Brücke gefunden hatte, und Guderians eigener Initiative in Abstimmung mit dem Kommandeur der 3. Schützenbrigade, um die Dinge wieder ins Rollen zu bringen. Bald hatte die Infanterie, unterstützt von Panzern, fast ohne Verluste den Fluß überquert. Auf der Verlustliste stand hauptsächlich Geyrs verletzter Stolz; sein gereizter Protest war lautstark zu hören, damals wie in späteren Jahren, als er sich über Guderians Eingreifen beklagte. Natürlich war er
enttäuscht und eifersüchtig auf Guderian, der ihn beim Wettlauf um Beförderung überholt hatte. Trotzdem hatte er kaum Grund zur Beschwerde über seine Behandlung am 1. September, wenn er im Augenblick der Entscheidung abwesend war und es versäumt hatte, die Befehle seines Kommandierenden Generals auszuführen. Furcht vor der polnischen Kavallerie bei seinem Stab und einer Reihe von Infanterieoffizieren stellte Guderian fest, als er das Kampfgebiet abfuhr und sich bemühte, den Soldaten, die größtenteils keine Kriegserfahrung hatten und zum erstenmal im Feuer lagen, die Furcht zu nehmen. Sein Entsetzen über einen Kommandeur, der es für notwendig gehalten hatte, seine Einheit beim Erhalt der Nachricht von der Präsenz feindlicher Kavallerie zurückzuziehen, liest sich sehr unterhaltsam: »Ich war zunächst sprachlos, faßte mich dann aber und fragte den Divisionskommandeur, ob er schon je gehört hätte, daß pommersche Grenadiere vor feindlicher Kavallerie ausgerissen seien.« Er erhielt die Versicherung, daß die Stellungen gehalten würden. Bald darauf war es seiner persönlichen Führungsrolle bei der Vorhut zu verdanken, daß die motorisierte Infanteriedivision vor Tuchel zum Angriff überging. Diese erste 24stündige Kampferfahrung war immens wichtig für das künftige Selbstvertrauen der Panzertruppen. Guderian, nimmermüde im Einsatz, um das Einspielen einer Kommandotechnik an der Front zu beaufsichtigen und sich gleichzeitig auch den Ruf von Furchtlosigkeit und unübersehbarer Autorität dort zu erwerben, wo die Kämpfe am heftigsten waren, machte den Erfolg zur Gewißheit. Selbst wenn ein paar ältere Offiziere murrten und verstimmt waren, so war doch die überwiegende Mehrheit seiner Offiziere und Mannschaften des Lobes voll. Alle waren beeindruckt. Tatsächlich entdeckt man von diesem 1. September 1939 an jenen Ausdruck rückhaltloser Bewunderung auf den Gesichtern der Soldaten, die im Gespräch mit Guderian fotografiert wurden. Der Widerstand, den die Polen leisteten, war zusammenhanglos, aber im allgemeinen heftig. Die Attacke der polnischen Kavalleriebrigade Pomorska auf die Panzer der 3. Panzerdivision war nur einer von vielen tapferen, aber völlig nutzlosen Versuchen, die Katastrophe abzuwenden. Der polnische Aufmarsch war durch deutsche Luftangriffe auf die Nachrichtenzentren zusammengebrochen. Deutsche Panzer nutzten dieses Durcheinander, rollten fast unbehelligt vorwärts, feuerten auf die feindlichen Kolonnen, die sie auf den Landstraßen antrafen, unterstützten Infanterie und Pioniere beim Angriff auf Befestigungen und fuhren querfeldein weitausgreifende Umgehungsangriffe, wenn die vorgeschriebene Angriffsrichtung blockiert war. Sie waren ständig in Bewegung und durch und durch eigenständig innerhalb einer mit allen Waffen ausgerüsteten Panzerdivision.
Nur selten wurden sie wirksam durch eigene Bombenflugzeuge unterstützt, weil die Luftwaffe hauptsächlich Angriffe gegen Ziele tief im polnischen Hinterland flog und zum zweiten die Absprache zwischen Boden- und Luftstreitkräften noch in den Kinderschuhen steckte. Das kam nicht überraschend, denn die Luftwaffe war nur lau im Bemühen, das Heer unmittelbar zu unterstützen. In der Luftwaffendienstvorschrift Nr. 16 war festgelegt: »Aufgabe der Luftwaffe ist es, diesen Zweck (gemeint ist die Vernichtung gegnerischer Streitkräfte im Rahmen des Prozesses, den Widerstand des Feindes zu brechen - K. M.) dadurch zu erfüllen, daß sie den Luftkrieg als Teil des Gesamtplans der Kriegführung führt.« Und Generalmajor Wolfram von Richthofen, der im spanischen Bürgerkrieg mit enger Luftunterstützung für Bodentruppen experimentiert hatte und der sich bald einen Ruf als Kommandeur einer Luftwaffe erwerben sollte, die die wirkungsvollsten und zerstörerischsten Bomberoperationen flog in enger Unterstützung von Guderians Panzerdivisionen, lehnte Sturzkampfbomber ab. Schwierigkeiten, wie sie die 3. Panzerdivision hatte, lagen mehr in mangelhafter Ausrüstung und Organisation als in feindlichen Gegenschlägen begründet. Die kleinen Pz I und auch die Pz II besaßen bei weitem zu dünne Stahlplatten, um auch nur dem Feuer der leichten polnischen Feldartillerie und dem Beschuß durch Panzerabwehrgeschütze standhalten zu können. Es war die Handvoll Panzer der Typen Pz III und Pz IV, in der Mehrzahl mit Männern aus den Panzerlehreinheiten, die hier Erfahrungen sammeln sollten, bemannt, die wahre Wunder vollbrachte. Auch störende Nachschubprobleme traten auf. Die polnischen Gegenangriffe vom 2. September, die die 3. Panzerdivision am Ostufer der Brahe in zwei Teile zerschnitten, hätten viel schneller abgeblockt werden können, wenn die deutschen Panzer nicht infolge Treibstoffmangels steckengeblieben wären. Die Nachschubkolonnen hatten nämlich keine eindeutigen Befehle erhalten, rechtzeitig nach dem ersten Kampftag vorzurücken, um die Panzertanks aufzufüllen. Jeder Fehler und jeder Ausfall wurde notiert und, sofern die Möglichkeit bestand, vor Nehring und seinem Stab beim Korpshauptquartier auf der Stelle oder von den Stäben der Divisionen und kleineren Verbände am 5. September korrigiert, als nach dem Zusammenbruch des polnischen Widerstandes im Korridor eine Kampfpause eintrat. Träger des Sieges war Guderians Korps, das die wichtigsten polnischen Formationen abgeschnitten und es ihnen unmöglich gemacht hatte, den Kordon zu durchbrechen. Panzertruppen hatten also alles vollbracht, was sie Guderian zufolge zu leisten vermochten: sie waren in einem Direktangriff durch die feindlichen Linien gebrochen, hatten die Verfolgung des Gegners aufgenommen und fortgesetzt und wichtiges Gelände gegen den Druck des Feindes
behauptet - und sie hatten diese Aufgaben in dem schnellen Tempo gelöst, das, wie er immer wieder unterstrich, entscheidend war. In einem Brief an Gretel vom 4. September schilderte er den Kampfverlauf des ersten Tages, freute sich über seinen Erfolg, beklagte die Gefallenen und fand auch lobende Worte für den Gegner. »Ernste Verluste entstanden bei Groß-Klonia, wo eine Panzerkompanie aus Neuruppin bei plötzlichem Aufreißen des Morgennebels einen Offizier, einen Junker und acht Mann verlor. (Trotz der Bombardierung kämpfte die polnische Artillerie oft bis zum bitteren Ende - K. M.) An der entscheidenden Stelle habe ich mich, um eine leichte Flaute zu überwinden, persönlich mit Erfolg bemüht. In der Nacht erreichte die 3. Panzerdivision als erste ihr Angriffsziel... Die anderen vermochten die zähe kämpfenden Polen nicht so rasch zum Weichen zu bringen... Zähe und stellenweise verlustreiche Kämpfe im Waldgelände... Unter Einsatz einer weiteren Infanteriedivision gelang nach mancherlei Krisen und schweren Gefechten eine völlige Einkreisung des vor mir stehenden Gegners in den Wäldern nördlich von Schwetz, westlich von Graudenz. Am 4. September wird der Ring verengert. Mehrere tausend Gefangene, leichte und schwere Batterien und viel Material sind erbeutet... Lebhafter Kleinkrieg in den großen Wäldern wird noch eine Weile dauern, da sehr viele Versprengte sich herumtreiben. Die Truppe hat sich glänzend geschlagen und ist bester Stimmung.« Es folgten dann die Namen der toten Offiziere und ein Hinweis auf die Freude, die er empfand, als er den jüngsten Sohn Kurt an einer Stelle wiedertraf, »... von wo man die Türme von Kulm sieht.« Kulm war ja Guderians Geburtsort. Gretel schloß sich der Begeisterung ihres Mannes an und schrieb am 5. September: »Ich weiß, daß meine Männer die besten Soldaten sind... Gott erhalte Euch alle heil und gesund. Möchtet Ihr siegreich heimkehren, daß Deutschland lebe und endlich Ruhe findet... Ich brenne darauf zu wissen, wo und wie Deine Truppen siegten... Mit meinem Herzen erlebte ich Dein eisernes Arbeiten und Streben für Deine Waffe; Gott gebe Dir jetzt all den verdienten reinen Erfolg!« Ein bedeutsames Ereignis für Guderian war es, am 5. September mit Hitler, Himmler und ihrer Begleitung durch das Kampfgebiet zu fahren, wobei die illustre Gesellschaft von einem Offizier geführt wurde, der einst die Goslarer Jäger befehligt hatte: Erwin Rommel, jetzt in seiner Eigenschaft als Kommandant von Hitlers Hauptquartier im Feld. Zum erstenmal bekam der Führer einen teilweisen Einblick in die Erfordernisse moderner Kriegführung. Einige Illusionen wurden ihm geraubt, aber der erzieherische Effekt wirkte nur oberflächlich, wie sich später zeigen sollte. Und doch liegt tiefere Bedeutung in seiner Frage an Guderian beim Anblick der vernichteten polnischen Artillerie: »Das waren
wohl unsere Stukas?« und in dessen nachdrücklicher und stolzer Antwort: »Nein, unsere Panzer!« In jenem Augenblick dämmerte es Hitler schwach, zumal er auch noch von Guderian erfuhr, daß er nur 150 Gefallene in seinem gesamten Armeekorps zu beklagen hatte, daß in Wirklichkeit die dominierende Waffe zu Lande die Panzertruppe sein könnte. Bisher war er von Görings Behauptung eingelullt gewesen, die Luftwaffe sei allmächtig. Nun wurde ihm vor Augen geführt, daß die Panzer eine allgegenwärtige, Leben sparende Waffe waren und die Bombardierung aus der Luft ihre Grenzen hatte. Das schnelle Vorrücken der übrigen gepanzerten Verbände bis vor die Tore Warschaus und durch die Berge im Süden Polens unterstrich diese Erkenntnis noch und ließ niemanden mit ausgewogener Urteilskraft im Zweifel darüber, daß selbst in ungünstigem Gelände Panzerdivisionen eindrucksvoll die Entscheidung erzwingen konnten. Doch der Feldzug, obwohl bereits gewonnen, war weit davon entfernt, schon zu Ende zu sein. Am nächsten Tag wurde das XIX. Korps über die Weichsel geschickt und durch Ostpreußen bis in die Nähe von Bartenstein transportiert, um den linken Flügel der deutschen Armee zu verstärken, die sich anschickte, südwärts auf Brest-Litowsk vorzurücken. Diese bedeutete eine Gelegenheit für den Kommandierenden General, sich auszuruhen, während sein Stab viel leistete. Es gehörte zu Guderians Natur, daß er das konnte - und zwar stilvoll. In der Nacht zum 7. September schlief er auf Schloß Finckenstein in dem Bett, in dem einst Napoleon genächtigt hatte; mit amüsierter Eitelkeit genoß er dieses Privileg. Am folgenden Abend ging er, während seine Truppen zum Gefecht anrückten, auf die Hirschjagd und erlegte einen starken Zwölfender. Glücklich der Stab, der einen solch vertrauensvollen Kommandeur hat! Wenige Stunden später stand er wieder am Kartentisch, erhielt seine Befehle von Bock und handelte Änderungen aus, so daß sein Korps, nun gestärkt durch die Ersetzung der 2. Infanteriedivision (mot.) durch die 10. Panzerdivision, freie Hand hatte, vollen Gebrauch von seiner immensen Schlagkraft zu machen. Der ursprüngliche Plan, der vom OKH am 4./5. September von Bocks Heeresgruppe Nord vorgeschrieben worden war, war alles andere als produktiv im Hinblick auf weitausholende, schnelle Panzervorstöße. Das XIX. Korps sollte sich in unmittelbarer Nachbarschaft der 3. Armee halten, und sein Tempo wurde dem der Infanterie angeglichen. Darüber hinaus hielt die Befürchtung einer starken Intervention der Franzosen im Westen (die Tatsache, daß sie nach der anglofranzösischen Kriegserklärung vom 3. September noch nicht stattgefunden hatte, war Grund zu einiger Verwunderung) das OKH davon ab, starke Einheiten zu weit östlich einzusetzen, nachdem es den Eindruck gewonnen hatte, daß die Polen bereits geschlagen waren. Ein
Vordringen nach Osten über die Linie Wysokie Masowieskie - Warschau wurde nicht erlaubt. Bock, dessen Konzept von beweglichen Operationen klug angelegt war, protestierte ohne Erfolg dagegen, lange, bevor Guderian von den Einschränkungen Kenntnis erhielt und Gelegenheit bekam, Bock am 8. September temperamentvoll seine eigenen Einwände vorzutragen. Aber am gleichen Tag wurde plötzlich bekannt, daß die Heeresgruppe Süd schließlich doch nicht Warschau hatte erobern können. Sie hatte auch nicht, wie sie behauptete, die Weichsel überquert. Tatsache war, daß die 4. Panzerdivision in schweres feindliches Feuer geraten war, als sie versuchte, in die Stadt einzudringen, und 57 von 120 Panzern verloren hatte. Dazu gab es noch Anzeichen für eine bevorstehende große polnische Gegenoffensive, entlang der Dzura antretend Richtung Westen. Unter diesen veränderten Vorzeichen erhielt Bock nun die Erlaubnis, das XIX. Armeekorps mit besserer Wirkung einzusetzen, es links von der 3. Armee, seinem Befehl direkt unterstellt, gegen Brest-Litowsk, weit im Osten und im Rücken von Warschau, vorrücken zu lassen. Während Rundstedt und Manstein sich auf eine taktische Einkesselung des Gegners an der Dzura vorbereiteten, bekam Guderian die ersehnte Gelegenheit, eine strategische Einkesselung in nordsüdlicher Richtung mit einem Massenaufgebot von Panzern vorzunehmen. Das XXI. Armeekorps hatte bereits begonnen, trotz der erbittert Widerstand leistenden polnischen Narewgruppe den Narew zu überqueren und war dabei anfangs von der 10. Panzerdivision unterstützt worden. In dem Augenblick aber, als diese Division abgezogen und auf der linken Flanke eingesetzt wurde, wo das XIX. Korps unter Guderian durchstieß, kam der Vormarsch des XXI. Korps zum Stillstand. Hier wie anderswo hatte die nicht von Panzern unterstützte Infanterie einen schweren Stand gegen einen entschlossenen Feind. Dies galt auch für das Schützenregiment der 10. Panzerdivision. Änderungen der Kampfpläne in letzter Minute trugen ebenfalls dazu bei, Verwirrung beim XIX. Korps auszulösen, dessen unerfahrenen Truppen bislang eine gemeinsame Operationsmethode fehlte. Darüber hinaus vermittelten haltlose Berichte von weiter vorn operierenden Einheiten, die Geländegewinne meldeten, die sie noch gar nicht erzielt hatten, ein falsches Bild und waren die Ursache dafür, daß die Operation aufs Geratewohl erfolgte. Bei der 10. Panzerdivision passierte also dasselbe wie bei der 3. Panzerdivision am ersten Tag des Krieges: örtliche Kommandeure hingen zu weit zurück, um die Situation zu übersehen und in den Griff zu bekommen. Dadurch kamen die Operationen mangels richtiger Führung zum Stehen. Während die Panzer auf dem Nordufer des Narew blieben und auf Fähren oder den Bau einer Brücke warteten, mußte die Infanterie auf dem anderen Flußufer warten, und erst am 9. September
gegen 18 Uhr war eine ausreichende Anzahl von Panzern herübergekommen und trug mit der Infanterie einen Angriff vor, der sofort Erfolg hatte. Guderian war an Ort und Stelle, leitete den Angriff und ordnete den Bau von Brücken an, um die Panzer am folgenden Tag nachkommen zu lassen. Wieder gab es Verwirrung, nachdem er die Front verlassen hatte und in sein Generalkommando zum routinemäßigen abendlichen Austausch von Meinungen und Anordnungen mit Nehring zurückgekehrt war. Während der Nacht forderte der Kommandeur der 20. Infanteriedivision (mot.), der den Befehl hatte, den Fluß rechts neben der 10. Panzerdivision zu überqueren, für seine Truppen die Brücken, die Guderian den Panzern vorbehalten wollte, und erhielt sie auch. Der Vormarsch ging nur langsam vonstatten angesichts äußerst erbitterten Widerstandes der 18. polnischen Infanteriedivision, die bereits dem XXI. Korps Kopfzerbrechen bereitet hatte und sich nun in südlicher Richtung zurückzog. Nun war die Reihe an die 20. Infanteriedivision (mot.) gekommen, sich mit den Polen auseinanderzusetzen, während die beiden Panzerdivisionen begannen, in Richtung Bug vorzustoßen. Unmittelbar darauf wurden die Gefahren für panzerlose Einheiten bei tiefem Eindringen wieder einmal deutlich. Die 20. Infanteriedivision (mot.) forderte nach kurzer Zeit Unterstützung an, und die 10. Panzerdivision mußte deshalb ihre Marschroute ändern. Auch die 3. Panzerdivision, die auf der linken Flanke die Spitze übernahm, fühlte sich von den Überresten der polnischen Narewgruppe und der Kavalleriebrigade Podlaska bedroht, die in der linken Flanke und im Rücken in der Umgebung von Grodno und Bialystok lauerten. Guderian verschweigt diese Bedrohung in seinen Erinnerungen, aber das offizielle Kriegstagebuch (KTB) des XIX. Armeekorps nahm sie nicht auf die leichte Schulter. Nehring erkannte die Gefahr, aber er wurde in der Nacht vom 10. zum 11. September mit dem Korpsstab daran gehindert, Guderian zu folgen, weil polnische Truppen einen Abschnitt der Verbindungsstraße erreicht und besetzt hatten. Zu Recht gibt Guderian zu, sein Generalkommando verfrüht über den Narew verlegt zu haben. Es bestand dazu keine Notwendigkeit, weil die Funkgeräte noch gut Kontakt zu allen Einheiten herstellen konnten und die Effizienz eines Stabes, der seinen Standort ändert, immer geschwächt ist. Ferner wurde auch die Gefahr evident, in der ein Kommandeur schwebt, der in vorderster Frontlinie herumfährt, dazu noch zu einem Zeitpunkt energischsten polnischen Widerstandes. An diesem Tag wurde Guderian selbst eingeschlossen und mußte von Kraftradschützen herausgehauen werden; am 12. September wurde der Kommandeur der 2. Infanteriedivision (mot.), der seine Truppe zum Empfang von Guderians Befehlen vorausfuhr, für mehrere Stunden von polnischen Truppen abgeschnitten. Das waren die Strafen für allzu große Zuversicht in
Verbindung mit der mangelnden Erkenntnis, daß innerhalb eines Gefechtes mit starken feindlichen Verbänden der Hauptteil der Panzerdivisionen in jeder Hinsicht so verwundbar wie andere Truppen war und daß die relative Sicherheit, die rascher Bewegung innewohnt, solange nicht bestand, bis die Voraussetzungen ungehinderter Beweglichkeit geschaffen waren. Diese Voraussetzungen erfüllten sich am 13. September wieder, als die 18. polnische Division kapitulierte. Das OKH nutzte nun den Standort des XIX. Korps tief im feindlichen Hinterland im Osten, um es als Flankenschutz für die restlichen Verbände in westlicher Richtung einzusetzen, und begann es durch das XXI. Korps gegen drohende Flankenangriffe aus den Wäldern im Osten zu verstärken. Sofort traten gewaltige Probleme in Zusammenhang mit der Kontrolle des Fahrzeugverkehrs auf: nicht nur der unablässige Strom von Motorfahrzeugen des XIX. Korps, der von Norden nach Süden auf unzureichenden Straßen in Richtung Brest-Litowsk floß, sondern auch die langsamer vorwärtskommenden, von Pferden gezogenen Transportwagen, des XXI. Korps, die von Westen nach Osten unterwegs waren und dabei die Achse des XIX. Korps kreuzten, bereiteten den Verantwortlichen Kopfschmerzen. Es sprach viel für das System der vor dem Krieg ausgearbeiteten Verkehrskontrolle und das Verständnis der Stabsoffiziere untereinander, daß diese Operationen fast reibungslos abliefen. Das XIX. Korps konnte jetzt unbeirrt seinen Vormarsch fortsetzen und traf am 14. September vor Brest-Litowsk ein, zwei Panzerdivisionen voran und die motorisierten Infanteriedivisionen nach rückwärts gestaffelt als Flankenschutz für beide Flügel. Das Tempo war entscheidend für den Sieg; bei Zabinka hatte das plötzliche Eintreffen der 3. Panzerdivision die polnischen Panzer bei der Ausladung überrascht und sie zerstört. Die polnische Garnison in Brest lehnte eine Kapitulation ab. Sie hatte sich in der alten Zitadelle gut verschanzt. So erhielt Guderian ein weiteres Mal die Möglichkeit, die Vielfältigkeit seines Korps durch einen mit voller Gewalt ausgeführten Frontalangriff zu beweisen, dem nichts von der Kraft fehlte, die früher stark unterstützte Infanterieverbände ausgezeichnet hatte. Panzer, Artillerie und Infanterie der 10. Panzerdivision und 20. Infanteriedivision (mot.) wurden am 16. September zum entscheidenden Angriff angesetzt, während die 3. Panzerdivision und die 2. Infanteriedivision (mot.) ihren Vormarsch in Richtung Süden gemäß der dem Korps erteilten Order fortsetzten. Während sich ihnen keine Hindernisse entgegenstellten, war die Überwindung der Fortanlagen von Brest eine andere Sache. Die Polen wehrten sich hartnäckig und der Widerstand verstärkte sich noch, als die Polen feststellten, daß das Feuer der deutschen Artillerie zeitweilig in die eigenen vorderen Linien einschlug, wo die Infanterie stand. Angesichts
dieses Irrtums geriet die Infanterie in Verwirrung und unterließ es, jenem Teil der Feuerwalze sofort zu folgen, der genau auf dem Feind lag. Am nächsten Tag wurde dann alles entschieden: der deutsche Generalangriff erfolgte zur selben Zeit, als die Polen einen verzweifelten Ausbruchsversuch unternahmen, der jedoch fehlschlug. Das bedeutete nach Guderians Worten einen gewissen Abschluß des Feldzuges. Vereinzelte, über das Land verteilte Garnisonen setzten aus Ehrgefühl noch die Kämpfe fort, aber der Einmarsch russischer Truppen in Ostpolen ließ etwaige noch bestehende Hoffnungen auf polnischer Seite schwinden, in diesem Gebiet noch eine zusammenhängende Verteidigung aufziehen zu können. In der Schlußphase des Feldzuges war schon das Brausen des neuen heranziehenden Sturms zu vernehmen. Am 15. September beschloß von Bock, das XIX. Armeekorps zu halbieren. Die eine Hälfte wurde nordostwärts auf Slonin in Bewegung gesetzt, die andere in südöstlicher Richtung. Von Bock glaubte, daß, wenn ein Infanteriekorps diese Aufgabe in acht Tagen lösen könne, motorisierte Truppen nur einen Bruchteil dieser Zeit benötigten. Um diese Operation mit dem XXI. Korps zu koordinieren, setzte er Kluges 4. Armee ein. Guderian protestierte heftig bei Kluge gegen die Aufsplitterung seines Korps. Sie verletzte das Prinzip der Konzentration, das ihm und seiner Philosophie des Panzerkrieges heilig war, und würde auch, so versicherte er mit Nachdruck, die Führung fast unmöglich machen. Die Ereignisse verhinderten die Ausführung von Kluges Befehl, doch war bei Guderian ein Mißtrauen gegen Kluge wachgeworden, das seine Beziehungen zu diesem Offizier (und zu Bock) während der nächsten fünf Jahre kennzeichnen sollte. Und doch waren es gerade diese beiden Männer, die ihn für die Verleihung des Ritterkreuzes zum Eisernen Kreuz vorschlugen, eine Auszeichnung, die Guderian hoch zu schätzen wußte, denn »... ich erblickte darin in erster Linie eine Rechtfertigung meines Kampfes für die Errichtung einer neuzeitlichen Panzertruppe«. Es ist auch wahrscheinlich, daß Bock und Kluge ähnliche Überlegungen anstellten und an den Ruhm dachten, der von Guderians Leistungen auf sie abfärbte. Denn er - und sie - konnten auf einen 320-KilometerVorstoß innerhalb von zehn Tagen gegen harten feindlichen Widerstand verweisen bei Verlusten, die im Verhältnis niedriger waren als die anderer Heeresteile. Seit dem 1. September hatte das XIX. Korps nur 650 Gefallene und 1.586 Verwundete und Vermißte verzeichnet - nur etwa vier Prozent seiner Truppenstärke. 217 Panzer hatte das gesamte Heer verloren und 8.000 Tote zu beklagen, von denen die weitaus größte Zahl Infanteristen waren und nur 1.500 der Heeresgruppe Nord angehört hatten. Es gab aber auch weniger erfreuliche Dinge nach dem Sieg in Polen. Guderian teilte die Enttäuschung seiner Soldaten, daß Hitlers
Voraussage sich nicht erfüllte, die Westmächte würden automatisch ihre feindliche Haltung aufgeben, nachdem Polen erobert war, obwohl er sich kaum über diese Entwicklung wunderte. In seinem Brief an Gretel hatte es am 4. September auch geheißen: »Inzwischen hat sich die politische Lage insofern geklärt, als ein neuer Weltkrieg im Entstehen ist. Die Sache wird also lange dauern, und wir müssen den Nacken steifen.« Nun mußten die Deutschen sich für einen Offensivkrieg im Westen rüsten, vor dem sie zurückschreckten und für den es keinen Plan gab. Der erneute Einsatz einer Armee, die bei den Kämpfen in Polen nicht ungerupft davongekommen war, mußte schnell vorbereitet werden. Er war anfangs als Abwehrmaßnahme gegen eine erwartete französische Offensive gedacht, die nie kam. Mindestens die Hälfte der Panzer benötigte eine größere Werkstattüberholung. In der Hast des Abzugs aus den Abschnitten, die an die Russen übergeben wurden, hatte auch einiges Material zurückgelassen werden müssen, aber die Hauptmasse des Heeres (einschließlich Guderian) wurde das Grauen erspart, die SS-Einheiten bei ihrer tödlichen Vernichtungsarbeit in dem Teil Polens zu beobachten, der bei Deutschland blieb. Heinz Günther Guderian sah 1941 die Ghettos von Warschau und Lublin und berichtete von ihrem »kläglichen Eindruck«. Die Lehren, die aus dem Polenfeldzug gezogen werden konnten, hätten eigentlich nicht deutlicher sein können, aber obwohl die Deutschen danach trachteten, relativ kleinere Fehler und Versäumnisse in bezug auf Ausrüstung, Methoden und Organisationen zu korrigieren, war es offenkundig, daß die volle Bedeutung ihrer Leistungen selbst ihren eigenen Kommandeuren nicht klargeworden war. Die Verständnislosigkeit rührte vor allem daher, daß allgemein angenommen worden war, die Polen hätten sowieso keine Chance und das mächtige Deutschland werde mit Sicherheit den unterlegenen Gegner niederkämpfen - so wie es sich dann bewahrheitete. Dieser Glaube stand in Einklang zu den zurechtgelegten Argumenten, mit denen die sich bekämpfenden Gruppen innerhalb der Wehrmacht aufwarteten. Die Panzerleute erklärten, alle Erfolge seien auf ihr Konto zu buchen. Dasselbe versicherten auch einige Flieger. Aber die Geschichte lehrt uns, daß die letzteren zwar eine bedeutende Rolle - innerhalb eines weitgespannten Konzepts von Luftherrschaft - als Machtinstrument spielten, doch sie weist auch nach, daß nur Bodentruppen Geländegewinne erzielen. Und das taten die Panzertruppen mit solchem Tempo und solcher Wirksamkeit, daß der polnische Widerstand zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit besaß, sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Gegen die Infanterie brachte die deutsche militärische Führung verschiedene Vorwürfe vor. Man behauptete, sie habe nicht mit der Hingabe ihrer Väter gekämpft und es könne als sicher gelten, daß, wenn die Armee mit Infanterie und Kavallerie, wie Beck es
empfahl, in den Krieg gezogen wäre, der Feldzug so lang gedauert hätte, daß eine rechtzeitige Entscheidung im Osten ausgeschlossen gewesen sei, bevor eine Großoffensive im Westen begann. Daraus könnte man folgern, daß, wenn Guderian nicht die Panzeridee gegen den Widerspruch der Mehrheit der Militärexperten durchgesetzt hätte, der Polenfeldzug nicht ausführbar gewesen wäre. Nur wenige zogen diese Schlußfolgerung, wie Hitler es wohl längst getan hatte. Wie die Dinge lagen, kritisierte von Bock heftig die Kampfweise der Infanterie (als Teil seiner Bestrebungen, sie wieder ihrem eigentlichen Zweck zuzuführen) und verband damit Kritik an der Artillerie, der er vorwarf, unbeweglich gewesen zu sein und das Feuer bei weitem zu langsam eröffnet zu haben. Aus diesem Grund forderte er, künftig dürfe die Artillerie nicht mehr das Vorgehen der Infanterie hemmen und müsse darüber hinaus in der Lage sein, in vorderster Linie direkt Feuerunterstützung zu geben. Dies war lediglich eine Wiederholung der von Guderian viel früher vorgetragenen Argumente für seine Panzer. Manstein ging noch weiter. Mit Raupenketten ausgerüstete, motorisierte Sturmgeschütze seien erforderlich, meinte er. Das geschah auch: die unzulänglichen Pz I wurden nach und nach aus dem Fronteinsatz gezogen, umgebaut und mit stärkeren Geschützen tschechischen Ursprungs ausgerüstet, die - nur begrenzt schwenkbar - hinter einem Schutzschild montiert waren. Keine dieser Änderungen konnte Guderian ernstlich bemängeln, obwohl er sich gegen Abweichungen vom Typ des Panzers mit Geschütztürmen aussprach, weil das seiner Auffassung nach einen Rückschritt bedeutete. Er hatte das Gefühl, die Panzer hätten ihre Sache gegen die polnischen Panzer - viele davon waren besser bewaffnet als seine - gut gemacht. Was er anstrebte, war eine Erhöhung der Feuerkraft und Bestückung seiner Fahrzeuge. Unzufrieden äußerte er sich auch über die Güte der Befehlsgebung auf unterer Ebene. Die Leichten Divisionen mit ihrem niedrigen Panzeranteil hatten versagt, wie er es vorausgesehen hatte, aber da jetzt die Produktion 125 Stück im Monat erreichte und gutes tschechisches Panzergerät verfügbar war, war es möglich, diese Divisionen zu vollen Panzerdivisionen aufzuwerten. Gleichzeitig fiel es ziemlich leicht, die bizarre Forderung der Kavallerie abzulehnen, ihre Kontingente zu erhöhen, zumal berittene Formationen im soeben beendeten Feldzug ihre schreckliche Verwundbarkeit zur Genüge bewiesen hatten. Und doch hatten die »großen Manöver« in Polen nicht ernstlich die grundlegenden Einwände gegen all das beseitigt, wofür Guderian sich einsetzte. Alles, was er tun konnte, war, neue Vorschläge zu unterbreiten. Er war ohne direkten Einfluß, denn der Posten eines Chefs der Schnellen Truppen war unbetrauert bei Ausbruch des Krieges aufgelöst worden, als der in gewisser Hinsicht panzerfeindliche General der Artillerie Fritz
Fromm als Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres die Vertretung der Panzerinteressen übernommen hatte. Guderian vertrat die Meinung, die Auswahl und die Befugnisse der nun für die Panzertruppe Verantwortlichen »... entsprachen nicht immer der Bedeutung, die die Panzertruppe im neuzeitlichen Krieg besitzt«. Und wenn schon geschulte deutsche Militärexperten nicht geneigt waren, sich mit den Veränderungen anzufreunden, die im Verlauf von Hitlers »kleinem Krieg« in Polen in die Kriegskunst eingeflossen waren - und es gibt genügend Beweise für die Richtigkeit einer solchen Behauptung Guderians -, dann konnte es eine ungläubige, schlechtinformierte Welt schon gar nicht. Denn obgleich die führenden Militärmächte, vor allem Deutschlands Nachbarn, erkannten, daß Panzer und Flugzeuge eine wichtige Rolle beim Debakel der Polen gespielt hatten, neigten sie doch dazu, die Wirksamkeit dieser Waffen mit der Begründung herunterzuspielen, dies sei ein unfairer Test an einem kraftlosen Opfer gewesen. Die Vorgänge in Polen könnten sich auf keinen Fall in Frankreich wiederholen, vermutete man. Sie sollten nicht lange im Zweifel bleiben, denn der Führer war nach dem militärischen Erfolg und der damit verbundenen Stärkung seines Selbstbewußtseins in glänzender Laune und plante entsprechend. Er hatte die Magie seiner neuen Waffen ihre Wirkung tun sehen; sie waren kein Bluff. Kaum hatte sich der in Polen aufgewirbelte Staub gelegt, als Hitler am 27. September den Befehl gab, alle Vorbereitungen für eine baldige Invasion Westeuropas zu treffen. Das war ein Projekt, welches eine Reihe deutscher Offiziere, die nicht nur seine Ausführbarkeit bezweifelten, sondern auch das Risiko befürchteten, damit einen zweiten Weltkrieg auszulösen, so stark beunruhigte, daß sie den Plan zur Beseitigung Hitlers erneut aufnahmen. Unter diesen Andersdenkenden waren Hammerstein, Beck und einige wenige Zivilisten. Guderian gehörte nicht zu den Verschwörern - er dürfte auch der Letzte gewesen sein, den sie zur Teilnahme eingeladen hätten -, aber er war weit davon entfernt, mit der Lage der Wehrmacht zufrieden zu sein; Sorgen, die noch zu seiner Besorgnis über den Zustand der Panzertruppe kamen. Im Oktober hatte er bei einem Tischgespräch mit Hitler nach der Verleihung des Ritterkreuzes etwas verspürt, was er für die Stimmung des Führers hielt. Zur Rechten Hitlers sitzend, gab er eine soldatische Antwort auf Hitlers Frage nach seiner Reaktion auf den Pakt mit Rußland im August. Er erklärte seinem Obersten Feldherrn, daß der Pakt ihm ein Gefühl der Erleichterung gegeben habe, weil er die Wahrscheinlichkeit eines Zweifrontenkrieges verringere, der Deutschland im Ersten Weltkrieg zur Strecke gebracht habe. In seinen Erinnerungen drückt er seine Verwunderung darüber aus, daß Hitler ihn erstaunt und unwillig angesehen habe, und schreibt, daß er erst später Hitlers abgrundtiefen Haß auf Sowjetrußland erkannte. Es ist möglich, daß
Guderians Antwort dem Führer im Augenblick gefiel, weil dieser die Überzeugung gewonnen hatte, daß die Mehrzahl seiner Generäle mit ganzem Herzen gegen den Krieg und damit gegen das Abkommen mit den Russen war. Da mag es ihm ein Trost gewesen sein, einen der wenigen zu finden, die sein diplomatisches Geschick würdigten und nicht vor einem Kampf zurückschreckten. Aber Guderian glaubte nun im Gegensatz zu vielen seiner Offizierskameraden felsenfest an Deutschlands Kampfkraft und Siege und äußerte diese Überzeugung in Gesprächen am Vorabend des nächsten Feldzuges. Denn der 12. November war als Termin für die Invasion im Westen ausersehen, und die andersdenkenden Generäle hatten Brauchitsch und Halder bearbeitet, sich mit Festigkeit gegen diesen, wie sie glaubten, fatalen Schritt auszusprechen. Am 5. November riet Brauchitsch dann Hitler von einer Invasion ab und nannte das Winterwetter als Hauptgrund für eine Verschiebung des Angriffsdatums - ein Argument, dem Guderian beigepflichtet haben würde, denn der durch endlose Regenfälle entstehende Matsch konnte die Panzer stoppen oder zumindest verlangsamen. Aber Brauchitsch zog auch die Kampfkraft der Infanterie in Zweifel, und das brachte Hitler in Rage. Der Oberbefehlshaber des Heeres wurde zur Zielscheibe einer bissigen Attacke auf seine eigene Integrität und die des gesamten Generalstabes. Auf dem Höhepunkt seiner Schimpfkanonade erklärte Hitler Görlitz zufolge gegenüber Brauchitsch, er wisse, daß die Generäle »etwas mehr als die befohlene Offensive« planten, ein zufälliger Schuß ins Dunkel, der Brauchitsch am ganzen Leib erbeben ließ. Ein völlig demoralisierter Oberbefehlshaber kehrte zu seinem Chef des Generalstabes zurück und reichte Hitler sein Abschiedsgesuch ein. Hitler als Oberbefehlshaber der Wehrmacht lehnte die Annahme ab. Auf fast gleiche Weise beschied er Keitel, der ebenfalls um seinen Rücktritt einkam, als er spürte, daß er das Vertrauen seines Führers verloren hatte. Die Disziplin wurde wiederhergestellt. Die Dissidenten mußten natürlich ihre Verschwörung abblasen. Nicht nur bestand die Möglichkeit, daß sie entdeckt wurden, sondern Brauchitsch und Halder weigerten sich auch, weiter mitzumachen, und ohne sie war die Sache hoffnungslos. Die am 7. November erfolgende Verschiebung der Offensive kam fast beiläufig - eine von vielen zeitlichen Änderungen, die sich in regelmäßigen Abständen den Winter über wiederholen sollten. Am 23. November fühlte sich Hitler veranlaßt, seinen Kommandeuren eine Standpauke zu halten. Er nahm dabei kein Blatt vor den Mund und erklärte Guderian (der dabei war) zufolge: »Die Generäle der Luftwaffe sind unter der zielbewußten Leitung des Parteigenossen Göring politisch absolut zuverlässig; auch die Admirale werden in meinem Sinn sicher geführt; aber zu den Generälen des Heeres besteht seitens der Partei kein unbedingtes Vertrauen.«
Um diese Zeit waren Guderian und sein XIX. Korps bei Koblenz zusammengezogen worden und standen unter dem Kommando von Rundstedts Heeresgruppe A in Bereitschaft für die geplante Invasion. An Generaloberst von Rundstedts Chef des Stabes, seinen alten Freund Manstein, wandte sich Guderian zuerst und sprach sich mit ihm über die in Berlin gefallenen Worte aus, die alle erregt hatten. Manstein stimmte Guderian zu und meinte, daß etwas geschehen müsse. Aber Rundstedt wollte keinen Schritt in diesem Sinn tun - er hielt sich an die Buchstaben seines Treueeides. Die gleiche Einstellung fand Guderian bei den anderen Generälen, die er in seinem Bemühen befragte, einen Protest aufzusetzen. Schließlich suchte er Reichenau auf, der vorschlug, Guderian selbst möge Hitler seinen Standpunkt vortragen. Er war es dann, der eine Audienz beim Führer zustande brachte. Der Bericht über den Inhalt dieser Unterredung stammt von Guderian selbst* und entspricht dem Charakter eines Mannes, der die Ehre der Wehrmacht über alles andere stellte, abgesehen davon, daß er von einem unbezähmbaren Geist der Aggression beseelt war, wenn ein Problem auftauchte, das den Kern seiner Glaubensanschauungen traf. Guderians Korrespondenz beweist eindeutig, daß die Begegnung wirklich stattfand; und wenn seine Darstellung richtig ist, ist damit Wheeler-Bennetts Behauptung widerlegt, daß »... keine Stimme laut wurde, um Kritik zu üben oder auch nur Stellung zu nehmen«. Allerdings muß auch daran erinnert werden, wie Wheeler-Bennett zu Recht unterstreicht, daß der Hauptteil von Hitlers Ausführungen mit großem Beifall aufgenommen wurde, Guderian erklärt, er habe mit Hitler eine Stunde lang unter vier Augen gesprochen, dabei die Sache der Generäle verteidigt und erklärt, jemand habe sich äußern müssen, nachdem der Führer der Generalität des Heeres bedeutet habe, er vertraue ihr nicht. In seiner Erwiderung schob Hitler alle Schuld auf Brauchitsch, worauf Guderian entgegnete: »Wenn Sie zum Oberbefehlshaber des Heeres kein Vertrauen haben, müssen Sie sich von ihm trennen...« Doch nachdem Hitler ihn ersucht hatte, ihm einen passenden Nachfolger zu nennen und Guderian von den führenden Persönlichkeiten keinen vorschlagen konnte, der Hitler zusagte, schwieg der Soldat. *
Er gab ihn unmittelbar danach Hauptmann Engel wieder, der Guderians Version bestätigt.
Nun ereignete sich die erste einer Reihe später immer wiederkehrender Szenen; Hitler hielt es für nützlich, dreißig Minuten oder mehr mit dem Versuch zuzubringen, einen General zu überzeugen, den er für anders als die übrigen hielt und vielleicht auch sympathischer. Er hielt eine lange Schmährede, in der er sich über die Generäle beklagte, die sich seinen Wünschen während der vergangenen Jahre nicht fügen
wollten, aber letzten Endes kam nichts Konstruktives bei der Aussprache heraus, um das Problem in einem von Guderian gewünschten Sinn zu lösen. Der gebrochene und fügsam gewordene Brauchitsch blieb auf seinem Posten als Oberbefehlshaber des Heeres, und die Spaltung vergrößerte sich zwischen Hitler und dem OKW einerseits und dem Generalstab und dem OKH andererseits. Bezeichnend ist, daß Hitler die Notwendigkeit verspürte, Guderian von seiner Meinung zu überzeugen. Mag sein, daß er spürte, daß Guderian infolge seiner »modernen« Einstellung und wegen seiner persönlichen Reibereien mit der Heereshierarchie der nationalsozialistischen Ideologie näherstand als die meisten preußischen Militärs (in gewisser Weise könnte er recht gehabt haben, obwohl Guderian kein Nationalsozialist war). Es kann auch sein, daß Hitler einen neuen Vasallen gewinnen wollte, der eines Tages, wie Keitel, die widerspenstigen Mitglieder des OKH ersetzen konnte; wenn dem so war, täuschte sich Hitler gewaltig, denn Guderian war kein Speichellecker. Vielleicht hoffte er auch nur, sich den guten Willen einer Schlüsselfigur der schlagkräftigsten Truppe des Heeres am Vorabend eines Feldzuges zu sichern, der die bisher schwerste Prüfung darstellen sollte. Aber in der Praxis sollte sich bald zeigen, daß Hitler die Bedeutung der Panzerdivisionen noch immer nicht richtig erkannte. Wahrscheinlicher ist, daß eine Kombination aller drei Motivationen plus einiger mehr, die sein typisch sprunghafter Scharfsinn ihm eingab, Hitler dazu brachte, einen Versuch zu unternehmen, Deutschlands umstrittensten Truppenbefehlshaber auf seine Seite zu ziehen. Es kann auch sein, daß er Guderian als potentiellen Oberbefehlshaber abschätzen wollte. Guderian hatte, wie mehrere seiner Kameraden auch, die Sinnwidrigkeit von Seeckts Forderung bewiesen, die Armee solle sich aus der Politik heraushalten. Tatsächlich spielte er eine wichtige Rolle dabei, sie - wenn auch unbewußt und gegen ihren Willen - weiter in das politische Feld hineinzudrängen. Wenn er, wie manchmal behauptet wird, an eine Isolierung von der Politik glaubte, dann ist das nur ein weiteres Beispiel für seine Blindheit gegenüber der Wirklichkeit. Diese Einstellung distanzierte ihn von denen, mit denen er zusammenarbeiten sollte, und ließ die Meinungsverschiedenheiten entstehen, die von Bedeutung für seine Fähigkeit als Truppenführer waren. Denn Guderian war Zielscheibe des Mißfallens der deutschen Generäle, wenn ihnen die Gelegenheit dazu geboten wurde. Verärgert schrieb er am 21. Januar 1940 an Gretel: »Der Abend neulich bei Herrn v. R(undstedt) begann ganz nett und endete mit einer durch ihn und Busch (General Ernst Busch, Befehlshaber der 16. Armee) hervorgerufenen Debatte über die Panzertruppe, die ich in ihrer Verständnislosigkeit und zum Teil sogar Gehässigkeit doch nach dem Polenfeldzug nicht mehr für möglich gehalten hätte. Ich ging tief
enttäuscht nach Hause. Die Leute sehen mich nie mehr wieder. Jedenfalls ist es völlig vergeblich, von der ja sattsam bekannten Schicht von ‚Kameraden' jemals Verständnis zu erhoffen. Auf diese Leute ist es auch zurückzuführen, daß unser unersetzliches Gerät nun monatelang bei der strengen Kälte unbeweglich im Freien steht und verkommt. Der hieraus zu befürchtende Schaden ist nicht abzusehen. Außer dem großen Ärger habe ich mir an dem Abend noch eine schlimme Ansteckung zugezogen und quäle mich mit einem Katarrh und Schnupfen übelster Art. Im übrigen warten wir weiter...! Die nächsten vierzehn Tage habe ich mit Ausbildungskursen eine ganze Menge zu tun. Alles leidet aber unter den schlechten Übungsmöglichkeiten. Hätte man uns doch im November in unseren Standorten gelassen! Aber das ist nicht mehr gutzumachen! Es friert, es schneit, der große Bach führt Treibeis. Meist ist es wolkig und trübe. Die Wochen und Monate verstreichen, und übrig bleibt ein großes Fragezeichen?« Gretel lächelte vermutlich mitleidig, als sie diesen Brief erhielt, denn sie wußte, daß ihr kranker und mutloser Gatte sich erholen und am Ende seinen Peinigern vergeben würde. Das Verzeihen fiel ihm in diesem Fall leicht, wie sich zeigte, denn am 11. Februar konnte er nach einer Konferenz, bei der der künftige Feldzug als »Planspiel« diskutiert worden war, voll Freude Gretel berichten: »Herr v. R. war bei den letzten Zusammenkünften die Liebenswürdigkeit selbst. Anscheinend hat er das Gefühl, daß ich neulich nicht unrecht hatte, mich meiner Haut zu wehren...« Es spielte weniger eine Rolle, daß er im selben Brief klagen mußte: »Ich leide auch unter Einsamkeit, trotzdem ich hier dauernd mit Menschen zusammenkomme. Man kann sich aber mit den fremden Leuten nicht aussprechen und redet banales Zeug, nur um zu reden. Was einem am meisten am Herzen liegt, bleibt unausgesprochen.« Aber das Ende der Periode der Isolierung war gekommen. Rundstedts Sinneswandel markierte eine Schicksalswende für den Schöpfer der Panzertruppe, denn die Pläne, die erörtert worden waren, waren diejenigen, die Hitlers Zustimmung fanden und die Guderian als Erfüllung eines Traumes erschienen. Die Sympathiebeweise für Guderian, die auch von deutschen Generälen kamen, waren wie ein Barometer, das die Meinung der deutschen Bevölkerung anzeigte - nicht nur in bezug auf das umstrittene Thema der Panzerkriegführung, sondern auch auf Hitlers Auseinandersetzung mit einer Kriegssituation. Als Politiker hatte Hitler seine Position gefestigt, aber seinen späteren Anspruch, ein »militärisches Genie« zu sein, ahnte damals noch niemand. Guderian hielt einen Schlüssel in der Hand, der imstande war, das Tor zu einer militärischen Revolution zu öffnen, in deren Verlauf die orthodoxen
Armeen eines vorangehenden Jahrzehnts zerschlagen wurden. Zur gleichen Zeit konnte er dazu beitragen, den Mut des dilettantischen Obersten Befehlshabers als gleichrangig mit dem von Berufssoldaten zu beweisen. Viel mehr als der Ausgang eines einzigen Feldzuges hing von dem Plan der Invasion Westeuropas ab.
7 GRÜNES LICHT DURCH FRANKREICH
Ohne festen Plan und ohne genügend Zeit, um einen solchen aufzustellen, weil Hitler die Ausführung für den 12. November 1939 verlangte, begann der deutsche Generalstab am 28. September, den Angriff nach Westen zu planen. Aber weil von Anfang an Brauchitsch und Halder wenig Vertrauen in die Durchführbarkeit ihrer Aufgabe hatten, nimmt es kaum wunder, daß dem Produkt ihrer Beratungen die Inspiration fehlte. Es war wichtig, so glaubten sie, die Maginotlinie zu umgehen, die die französische Grenze zwischen der Schweizer Grenze und Longwy, südlich der belgischen Stadt Arlon, schützte, wo die von Menschenhand geschaffenen Verteidigungsanlagen mit dem angeblich starken natürlichen Verteidigungsgelände der Ardennen verschmolzen. Unstreitig, so beschlossen sie, müsse der Hauptschlag nördlich der Ardennen, in der Generalrichtung von Namur, geführt werden, während gleichzeitig Holland auf der äußersten rechten Flanke niederzukämpfen sei. Ein Schutz der linken Flanke konnte dadurch erzielt werden, daß man relativ starke Einheiten durch die Ardennen bis zur Maas zwischen Givet und Sedan vorstoßen ließ. Das waren die Grundzüge des Angriffsplans, dessen Ausführung immer wieder verschoben wurde, bis er am 10. Januar 1940 sogar gefährdet schien, als das Flugzeug eines deutschen Generalstabsoffiziers mit Einzelheiten des Aufmarsches an Bord eine Notlandung in Belgien machte. (In Wirklichkeit verbrannten die Papiere vor der Auffindung fast völlig und nur wenige konnten entziffert werden.) Schon lange vor Januar war der Plan harter Kritik ausgesetzt gewesen. Manstein prophezeite, es sei unwahrscheinlich, daß aufgrund dieser Planung ein vollständiger Sieg errungen werden könne, da mit ihr nicht die völlige Zerschlagung des nördlichen feindlichen Flügels erreicht werden könne und keine strategisch günstige Situation geschaffen werde, aus der heraus man den Angriff fortsetzen könne. Dem Plan fehle es kurz gesagt an Scharfsinn und Vielseitigkeit. Manstein stellte klar, daß eine Invasion alle Ziele, und zwar schnell, erreichen müsse, weil ein Fehlschlag Deutschland einen langwierigen Krieg aufzwingen würde, den es nicht durchhalten könne. Er setzte sich für eine vernichtende Einkesselung ein, so wie sie der ältere Moltke zu fordern pflegte, der jüngere Moltke angestrebt und nicht erreicht hatte und Manstein und Rundstedt kürzlich in Polen zustande gebracht hatten. Auch Hitler war mit dem Plan nicht zufrieden, obwohl sein strategisches Verständnis im Vergleich zu dem Mansteins das eines Anfängers war. Am 25. Oktober
hatte er, bevor Manstein den OKH-Plan gesehen hatte, vorgeschlagen, den Vormarsch durch die Ardennen dadurch zu verbreitern, daß man den Hauptangriff über die südliche Maas führte und ihn dann in Richtung Amiens zur Kanalküste ausdehnte in der Absicht, einen großen Teil des Feindes abzuschneiden. Am 31. Oktober legte dann Rundstedt völlig unabhängig von Hitler dem OKH ein fertig ausgearbeitetes Projekt vor, das dem von Hitler aus dem Ärmel geschüttelten fast aufs Haar glich. Dies brachte Guderian als den anerkanntesten Experten in die Debatte, weil seine Qualifikation auf dem Gebiet des Panzerwesens ungleich höher war als die von Brauchitsch, Halder und den übrigen. Denn trotz der Heckenschützen unter den Untergebenen dieser Männer, die noch auf die Panzertruppe schossen, zweifelte in den höchsten Kreisen keiner daran, daß die kommende Invasion von Flugzeugen und Panzern abhängen würde. Hauptgründe für das Hinauszögern des Losschlagens waren tatsächlich Befürchtungen, daß die Flugzeuge bei schlechtem Wetter nicht eingesetzt werden konnten und daß die Panzer im Wintermorast steckenbleiben könnten. Nachdem Hitler seine Idee am 9. November gegenüber Jodl erwähnt hatte, besprach dieser sie mit Wilhelm Keitel, und dieser wiederum zog Guderian zur Beratung darüber hinzu, ob schweren Panzerstreitkräften der Vormarsch durch die Ardennen möglich sei. Guderian erwähnte diese Vorgänge in seinen Erinnerungen nicht und beschreibt nur eine ähnliche Diskussion mit Manstein in der zweiten Novemberhälfte. Bis dahin hatte er Zeit gehabt, die Anforderungen hinsichtlich der Truppenstärke für das Projekt zu überprüfen. Ohne Zweifel dachte er an die Erfahrungen am eigenen Leib aus den Ardennen während der hektischen Tage im Jahre 1914 und seinen Aufenthalt in Sedan während des Generalstabslehrgangs vier Jahre später, als er Keitel zuversichtlich darüber informierte, Panzerdivisionen könnten durchaus durch die Ardennen vorstoßen. Am 11. November erklärte er jedoch, als er erfuhr, daß sein eigenes XIX. Korps möglicherweise die führende Formation beim Vormarsch auf Sedan sein würde, daß die dafür vorgesehenen zwei Panzerdivisionen und eine einzige motorisierte Division für das Unternehmen völlig unzureichend seien. Kurze Zeit später, als er einer kritischen Befragung durch Manstein standhalten mußte und ihm der letztere seinen weitergehenden Plan vortrug, erhöhte Guderian noch einmal seine eigenen Anforderungen und verlangte sieben schnelle Divisionen als Angriffsspitze. Im Lauf des Winters wurde Manstein immer dringender in seinen Memoranden und persönlichen Vorstellungen beim OKH, bis man sich schließlich dieses unbequemen Stabsoffiziers dadurch entledigte, daß man ihm das Kommando über ein Infanteriekorps übertrug. Das OKH blieb in seiner Meinung schwankend. Die im Januar 1940 von Rundstedt veranstalteten »Kriegsspiele« bewiesen die Wirksamkeit eines Schlages
gegen Sedan an der Nahtstelle zwischen der starken nördlichen Flanke und ihrer schwächeren Verlängerung entlang der Maas. Guderian, der im Gegensatz dazu darauf bestand, daß die Panzerdivisionen den Angriff in die Ardennen vortragen, die Maas überqueren und auch tief nach Frankreich hinein die Spitze bilden sollten, stieß auf ausgesprochene Skepsis, ja sogar Spott. (Die schmerzliche Erfahrung des »Herrenabends« hatte den Tiefstand seiner Rolle in der Auseinandersetzung bedeutet, von diesem Zeitpunkt an begann er dem späteren Sieg den Stempel seiner Persönlichkeit aufzuprägen.) Halder bestand darauf, die Infanteriedivisionen müßten die Panzer an der Maas einholen, denn nur sie allein hätten die Kraft, dieses wichtige Hindernis unter Ausschaltung der vom Feind vorbereiteten Positionen zu nehmen. Er bezeichnete Guderians Absichten als »sinnlos« und wurde darin von Rundstedt unterstützt. Guderian blieb hart und widersprach beiden Männern. Er plädierte für einen massierten Überraschungsangriff, »... um den Stoßkeil so tief zu gliedern, daß man keine Sorge um die Flanke zu haben braucht«. Andere Generäle pflichteten ihm darin bei. Halder begann unschlüssig zu werden. Dann ergriff Manstein am 17. Februar bei einem Routinevortrag bei Hitler die Gelegenheit und skizzierte persönlich seinen Plan. Sofort war Hitler wieder Feuer und Flamme und erklärte am Tag darauf Brauchitsch und Halder - als wenn es seine eigene Idee gewesen wäre -, das sei genau das, was er haben wolle. Jetzt gab es keine weitere Verzögerung mehr. Ein neuer Plan tauchte auf, der das volle Gewicht des Angriffs auf die Ardennen legte und nur eine einzige Panzerdivision (die 9. im XXXIX. Korps) in Holland einsetzte; zwei weitere (die 3. und 4. beim XVI. Korps) wurden ausersehen, zeitweise den Eröffnungsschlag gegen Belgien nördlich von Namur zu führen. Das XV. Korps mit der 5. und der 7. Panzerdivision sollte die Ardennen auf der Nordseite überqueren und in Richtung Maas bei Dinant vorstoßen, um so die nördliche Flanke des XXXXI. Korps unter General der Panzertruppe Hans-Georg Reinhardt zu sichern. Als Schwerpunkt der Offensive war geplant eine spezielle Panzergruppe mit General der Kavallerie Ewald von Kleist als Befehlshaber, die das XXXXI. Korps, Guderians XIX. Korps und Wietersheims XIV. Korps umfaßte und Generaloberst Wilhem Lists 12. Armee unterstellt war, die ihrerseits zu Rundstedts Heeresgruppe A gehörte. Reinhardt wurden nur die 6. und die 8. Panzerdivision gegeben. Guderian aber, auf dem alle Hoffnungen ruhten, hatte die 1., die 2. und die 10. Panzerdivision zur Verfügung und zusätzlich das motorisierte Eliteinfanterieregiment »Großdeutschland«. Die Panzerstärke von Kleists Gruppe belief sich damit auf rund 1.260 Panzer (mit einem größeren Anteil der Modelle Pz III und Pz IV sowie der ersten Schützenpanzer) bei einem deutschen Panzeraufgebot von
rund 2.800 am Tag der Invasion (10. Mai). Dazu wurde noch vorrangige Unterstützung aus der Luft während des Vormarsches auf die Maas zugesagt, verbunden mit einem massiven Bombenangriff während der Dauer der eigentlichen Flußüberquerung. Dies ersparte die Notwendigkeit, die schwere Artillerie und die zugehörigen Munitionskolonnen, die alles verstopften, über die kurvenreichen Straßen zu schicken, über die schon die vollmotorisierten mobilen Korps vorrückten. Als nach dem strengen Winter ein heiterer Frühling begann und die Wehrmacht die Feldzugsaison mit der schnellen Niederwerfung Dänemarks und Norwegens begann, steckten Guderian und die übrigen Militärs noch tief in der Ausbildung und Planung. Planübungen wurden bevorzugt, denn obwohl die Panzerbesatzungen ein paar Nachtübungen abhielten und die Fahrt auf schwierigen Landstraßen probten, verhinderte Treibstoffmangel eine intensive Vorbereitung. Infolge zu knapper Munitionszuteilung feuerten manche Panzerbesatzungen nicht ein einziges Mal ihre Geschütze ab, während die Artillerie, einschließlich der langen 8,8-Zentimeter-Flak, erhebliche Praxis in direktem Beschuß kleinerer Ziele wie Bunkerschlitzen über ihre herkömmliche Rolle hinaus erhielt. Immer wieder probten Infanterie und Pioniere die Technik des Flußübergangs im Sturmangriff mit Schlauchbooten und anschließend das Übersetzen von Panzern mit Hilfe von Fähren und Brücken, das erfolgen mußte, nachdem die Infanterie auf dem feindlichen Ufer Fuß gefaßt hatte. Die Übungen an der Mosel waren besonders realistisch, weil der Zugang zum Fluß ähnlich beschaffen war wie der an der Maas. Pausenlos fuhr Guderian von einer Übung zur anderen, trieb seine Männer zu intensiverer Arbeit an, analysierte fehlerhafte Methoden, stellte neue Aufgaben und gab Denkanstöße, die Nehring und sein Stab bei den Einheiten des XIX. Korps und indirekt bei den anderen Panzerformationen, deren Aussichten er ständig abwog, verbreiteten. Denn obwohl Guderian seinem eigenen Korps die Hauptaufmerksamkeit schenkte, so war er doch auch auf das gute Abschneiden der gesamten Panzerstreitmacht bedacht. Alle Dienstgrade lernten den rührigen General mit dem ungeduldigen Blick kennen und schätzen, der zu ihnen kam mit berechtigten Fragen, kurzen und bündigen Kommentaren und scharfsinnigen Urteilen über ihre Leistungen. Der schnelle Heinz kümmerte sich um alle und alles mit der strengen, aber väterlich-gerechten Anteilnahme, die er auch seiner Familie zuteil werden ließ. Seine heute noch lebenden Leute haben herzliche und bleibende Erinnerungen an ihn und seine prägnanten Aussprüche, die die Privilegierten unter ihnen gern im Gespräch mit ihm wiederholten wie zum Beispiel »Klotzen, nicht kleckern!« und »Gondelfahren auf der Maas ist verboten!«, um nur zwei zu zitieren. Das
Ergebnis war ein Gefühl unbedingten gegenseitigen Vertrauens, das die Voraussetzung für eine hervorragende Führung ist. Wieviel Vertrauen setzte Guderian selbst in das bevorstehende Abenteuer - ein Unternehmen, das noch vor einiger Zeit so undenkbar für ihn gewesen war, wie es für viele seiner Zeitgenossen noch immer war? Er erklärt in seinen Erinnerungen, das Zögern der Franzosen, die Gelegenheit auszunutzen, als Deutschland im Osten mit Polen beschäftigt war, spreche für ihre übergroße Vorsicht, genüge aber nicht, ihnen Unfähigkeit vorzuwerfen. Weit wichtiger war die Feststellung, daß die strategische und taktische Doktrin Frankreich, zumindest bis September 1939, eine Art Stellungskrieg nach dem Muster von 1918 vorschrieb. Obwohl allgemein angenommen wurde, daß die Franzosen der Zahl der Panzer nach überlegen waren (sie und die Engländer konnten tatsächlich zusammen ungefähr 4200 in den Kampf schicken), durfte es auch als sicher gelten, daß sie mit diesen Fahrzeugen weder schnelle Angriffe fuhren noch sie in großer Zahl auffahren ließen und daß die Reichweite ihrer Funkgeräte gering und damit ohne große Wirkung war. Aus diesen Gründen war zu erwarten, daß sie an der Front entlang verteilt waren und bei schnellen deutschen Operationen langsam reagierten. Das würde sich, davon war Guderian überzeugt, als fatal erweisen. Er wußte aber auch, daß viele der neuesten französischen Panzer, der Somua S 35 und der schwere Char B, eine doppelt so starke Panzerung besaßen wie seine Pz IV und mit ihren 4,7-ZentimeterGeschützen auch eine wirksamere Panzerabwehrwaffe hatten als alle seine Panzer. Dadurch waren bei Kämpfen von Panzern gegen Panzer die Deutschen im Nachteil ebenso wie die Infanterie, deren einziges Panzerabwehrgeschütz das gleiche 3,7-Zentimeter-Kaliber war, mit dem der Pz III bestückt war. Der Einsatz von Feldartillerie in Verbindung mit 8,8-Zentimeter-Geschützen an der vordersten Front allein würde diesen Mangel ausgleichen - er und die Fähigkeit, den Gegner durch Angriffe auf seine Flanken und durch Eindringen in seinen Rücken auszumanövrieren und seine Panzerfahrzeuge durch direktes, gezieltes Feuer auf die kleinsten sich zeigenden schwachen Punkte außer Gefecht zu setzen - eine harte Prüfung für nervöse Richtkanoniere in der Hitze der Schlacht. Die deutschen Kenntnisse von den feindlichen Stellungen in den Ardennen und entlang der Maas waren ziemlich umfassend und bedeuteten eine beträchtliche Ermutigung. Man wußte aufgrund intensiver, mit allen Mitteln betriebener Aufklärungsarbeit, daß die Verteidigungsanlagen flach und an manchen Stellen unvollständig waren. Alles in allem bestand für Guderian guter Grund, darauf zu vertrauen, daß der überlegene, blitzschnelle Einsatz seiner Panzer den verzweifelten Widerstand im gut zu verteidigenden Ardennengelände
überwinden und sich den Weg über die Maas freikämpfen konnte, bevor sich der Feind von anfänglichen Verlusten erholte. Er äußerte lediglich Zweifel, bevor der Angriff losging, ob er mit ausreichender Unterstützung seiner Vorgesetzten rechnen konnte, obwohl, um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, gesagt werden muß, daß nur ein Mann von der Überzeugung Guderians glücklich über die Aussichten gewesen sein kann. Hitler hatte im Bereich professionellen militärischen Denkens den Boden unter den Füßen verloren. Obwohl seine »Intuition« ihm einen Weg wies, der sich als der richtige erweisen sollte, unterhöhlten seine häufig geäußerten Zweifel oft seine Fassung. Brauchitsch und Halder hatten zunächst so stark geschwankt und sich so spät zu dem neuen Plan bekannt, daß es unmöglich war, bei Ausbruch einer Krise völlig auf ihr Durchhalten zu bauen. List wollte Infanteriedivisionen bei der Überquerung der Maas vorn haben. Rundstedt war unentschlossen gewesen und hatte mangelndes Verständnis für die Panzer bewiesen, als er Überlegungen ablehnte, die Panzer über einen Brückenkopf an der Maas hinaus weit nach Frankreich rollen zu lassen. Kleist hatte keine Erfahrungen mit der Panzerwaffe, obwohl er als Kavallerist einen Instinkt für Bewegung besaß und im Erfassen günstiger Gelegenheiten keineswegs schwach war. Busch glaubte nicht daran, daß Guderian die Überquerung der Maas überhaupt schaffen würde, während Bock, dessen Armeegruppe im Norden der ursprünglich dominierenden Rolle enthoben war, wie sie der erste Angriffsplan vorgesehen hatte, berechtigte Einwände (nach konventionellen Vorstellungen) erhob und die Mehrheit hinter sich wußte, als er Halder vorwarf: »Sie wollen in 15 Kilometer Entfernung von der Flanke der Maginotlinie nach Ihrem Durchbruch dahinkriechen und hoffen, daß die Franzosen tatenlos zusehen! Sie stopfen riesige Panzermassen in die schmalen Straßen der Ardennen, als gäbe es so etwas wie Luftangriffe gar nicht. Und Sie glauben dann noch, eine Operation bis zur Kanalküste vorantreiben zu können mit einer offenen Flanke im Süden, die 320 Kilometer lang ist und wo die Masse der französischen Armee steht!« Hier irrte sich Bock, denn ausreichende Ausspionierung der Absichten der Alliierten für den Fall einer Invasion Hollands und Belgiens hatte es während der Wintermonate als fast sicher erbracht, daß die Masse der alliierten Armeen nach Belgien einmarschieren und so ein Vakuum in dem Gebiet entstehen würde, in das die Panzergruppe Kleist vordringen sollte. Es ist dennoch interessant, daß Guderian einmal den Vormarsch über Amiens nach Abbeville einen »Raid« nannte. Mag sein, daß er das Wort unüberlegt gebrauchte, mag sein, daß es die Ungewißheit über das Endergebnis wiedergab und er sich darauf einrichtete, nötigenfalls einen Rückzieher zu machen - gedanklich war er ebenso flexibel auf rückwärts
gerichtete Panzerbewegungen wie auf Angriffsaktionen eingestellt, wie das Oberkommando eines Tages erfahren sollte. In einer Stimmung, die innere Gelassenheit erkennen läßt und keineswegs Bombast oder Überheblichkeit, teilte er Gretel seine Gefühle mit, als sein Gefechtsstand sich zum Vormarsch rüstete: »Du hattest mit Deiner Vermutung recht. Ich sage Dir nun Lebewohl. Wir stehen vor anstrengenden Tagen und ich weiß nicht, wann ich wieder zum Schreiben komme. Ich hätte mich so gern noch persönlich verabschiedet. Nun muß es durch ein nüchternes Stück Papier geschehen, und all meine Zärtlichkeit bleibt unausgesprochen und ungetan. Der letzte schöne Urlaub schwebt mir noch vor Augen und im Sinn; eine nur kurze Wiederholung wäre schon eine Wohltat gewesen. Doch es konnte nicht mehr sein. In der herrlichen Frühlingslandschaft entwickelt sich reges Leben, das aber mit all der Blütenpracht nicht recht harmoniert. Und bei aller Zuversicht beherrscht einen doch daher eine leise Wehmut. Deine Gedanken werden nun vermehrt zu unseren Jungens eilen und ich hoffe und wünsche mit Dir, daß Du sie beide nach siegreichem Feldzug gesund in Deine Arme schließen kannst. Nun müssen wir unser Denken auf unsere Aufgabe richten. Alles andere tritt davor zurück... Ich habe mein schönes Quartier verlassen... Aber wenn nur der große Erfolg eintritt, ist das alles eine Kleinigkeit.« In einer Tiefe von rund 160 Kilometern von der Spitze bis zum Ende brachen in der Früh des 10. Mai 1940 das XV., das XXXXI. und das XIX. Armeekorps auf aus ihren Verstecken in den Wäldern die Straße entlang, die über die Grenze führten. Die ersten gegnerischen Verbände wurden unter der überraschenden Wucht des Angriffs buchstäblich zermalmt; teilweise wurden die Verteidiger im Schlaf von eingeschleusten Agenten in Zivil überwältigt, die an den vorangegangenen Tagen in dem betreffenden Gebiet als »Touristen« umhergereist waren, so viele Sprengladungen wie möglich entschärft und dadurch Brücken und Engpässe vor der Zerstörung bewahrt hatten. An der Seite der Kampfgruppen von Panzern und Infanterie waren die Angriffspioniere und sorgten für schnelle Zerstörung und Räumung der bestehenden Straßensperren. Überall verlief der Angriff reibungslos und genau nach Plan. Halder sprach von einer »sehr guten Marschleistung«. In der Tat bestanden die ersten Aktionen des Krieges hauptsächlich aus dem verzweifelten Bemühen der Pioniere und Logistiker, Hindernisse zu entfernen und Verkehrsstauungen zu beseitigen, die sich nicht vermeiden ließen und hier und da den Vormarsch Guderians erschwerten. Das Auftauchen einer zur Verschleierung eingesetzten französischen Kavalleriedivision (zu einer Hälfte auf Lastkraftwagen, zur anderen in Panzern) kurz vor Erreichen des Semois führte nur zu geringer Verzögerung, weil die Franzosen samt ihrer Artillerie in einem kurzen Gefecht weggefegt wurden.
Die deutschen Panzer drangen nach Belieben vor, und der Schrecken, den sie verbreiteten, wurde durch Gerüchte, für deren Ausstreuung Nachzügler und Fliehende von der Front bei den noch nicht eingesetzten Einheiten an den Flanken und im Hintergrund sorgten, zu einer furchtbaren Lähmung. Dennoch traute auf deutscher Seite der Kavallerist Kleist logischer- und loyalerweise den französischen Reitern Tapferkeit zu, die, wie er behauptete, ihnen eigen sein müsse, drehte die 10. Panzerdivision in ein Gelände südlich ihrer geplanten Angriffslinie ab und zwängte sie so neben Guderians linke Flanke, um einer nebulosen Kavalleriebedrohung bei Longwy zu begegnen. Guderian protestierte heftig gegen diesen »Fortfall eines Drittels meiner Kampfkraft wegen des möglichen Auftretens feindlicher Kavallerie« (und behielt, wie sich später zeigte, recht, denn die französische Kavallerie kam nicht), schloß aber einen Kompromiß und verschob die Achse der Division, um Kleists Befürchtungen auszuräumen. Bei diesem Bemühen, einen Vorgesetzten zu besänftigen, unterlief Guderian allerdings ein Irrtum, denn das Verschieben der 10. Panzerdivision wirkte sich ungünstig auf die ihr benachbarte 1. Panzerdivision aus, die zu diesem Zeitpunkt die Hauptstreitmacht des XIX. Korps bildete und sich zur Überquerung des Semois anschickte. Die 1. Panzerdivision geriet dadurch weiter nördlich der 2. Panzerdivision ins Gehege und beide zusammen drangen in den Bereich des XXXXI. Korps ein, wo sie die 6. Panzerdivision zum Stillstand brachten. Glücklicherweise unternahm der Gegner keine Luftangriffe auf das Kolonnengewirr, sonst wäre nicht wieder gutzumachender Schaden und weiteres Chaos die Folge gewesen. Dies war nur der erste und kleinste Beweis von Unentschlossenheit auf allen Kommandoebenen. Es waren vollkommen natürliche Reaktionen auf eine bisher nicht dagewesene Kriegführung - klassische Beispiele für »Friktionen«. Die Schlacht um den Übergang über den Semois war entschieden, bevor das XIX. Korps eintraf, denn die Franzosen hatten bereits freiwillig den Rückzug zur Maas angetreten. Die Infanterie durchwatete den Fluß in der Nacht vom 11. zum 12. Mai und die Panzer überquerten ihn im Morgengrauen an einer Furt. Nehring und Guderian richteten ihren Korpsgefechtsstand im komfortablen Hotel »Panorama« (bei Bouillon) ein, wo sie »... eine herrliche Aussicht auf das schöne Semois-Tal« hatten und bezahlten ihre Unvorsichtigkeit mit einem genau sein Ziel treffenden feindlichen Bombenangriff, wobei Guderian mit Glassplittern überschüttet wurde und nur um Haaresbreite der Gefahr entging, von einer über seinem Schreibtisch hängenden und herabfallenden Jagdtrophäe, einem Keilerkopf, erschlagen zu werden. Danach waren sie ein wenig mehr auf der Hut, und Guderian wurde erstaunlich vorsichtig. Wieder tauchte die alte, bisher unbeantwortete Frage auf, wie und wann man die Maas überschreiten sollte. Eine
eindeutige Antwort war nötig. Die 1. Panzerdivision, die 10. Panzerdivision zur Linken, doch rechts ein bißchen in der Luft hängend, weil die 2. Panzerdivision infolge von Marschschwierigkeiten zurückgefallen war, befand sich in Angriffsentfernung zum Fluß. Kleist hatte inzwischen seine Bedenken überwunden. Berichte von den anderen Frontabschnitten machten es deutlich, daß die Hauptkontingente der alliierten Truppen nach Belgien gestoßen waren. Nachrichten von Panzergefechten bei der Annäherung auf Hannut zwischen dem XVI. Korps und den französischen Leichten Mechanisierten Divisionen (die in der französischen Schlachtordnung den Panzerdivisionen am nächsten kamen) ließen eine technische Überlegenheit auf deutscher Seite erkennen. Obwohl die französischen Panzer ausreichend sicher gegen das deutsche 3,7-Zentimeter-Kaliber waren, war ihr Erwidern des Feuers langsam und unpräzise infolge der schlechten Konstruktion des Kampfraumes. Bei französischen Panzern war es Aufgabe des Kommandanten, auch das Geschütz zu laden und zu bedienen, während bei den deutschen Modellen der Panzerkommandant nur Befehle gab und ein anderes Besatzungsmitglied zielte und schoß. Zudem verteilten die Franzosen ihre Panzer über eine breite und nicht tiefgestaffelte Front, wie es ihre veralteten taktischen Methoden vorsahen. Die Deutschen hingegen konzentrierten sich darauf, wichtige Punkte der Reihe nach anzugreifen und ihre Gegner einzeln außer Gefecht zu setzen. Kleist sprach sich dafür aus, »sofort und ohne Zeitverlust« anzugreifen. Das OKW stellte ihm daraufhin gemäß dem Kriegsspielplan sofort zwei Luftkorps zur Verfügung. Aber Guderian äußerte Bedenken, weil er befürchtete, die 2. Panzerdivision werde nicht rechtzeitig eintreffen, um den gemeinsamen Angriff auf breiter Front zu unterstützen, was er für wesentlich hielt. Auf jeden Fall war die Zeit für die Befehlsweitergabe knapp. Kleist verwarf Guderians Einwände. Dieser Vorfall war nicht ohne Bedeutung, läßt er doch eine gewisse Unsicherheit in Guderians Verhalten erkennen, zum Teil vielleicht, wie Alistair Horne meint, durch den Schock ausgelöst, bei dem Bombenangriff nur knapp dem Tod entgangen zu sein. Das ist unwahrscheinlich, aber paßt genau zu den Gedanken Füllers aus dem Jahre 1918, daß die Bombardierung feindlicher Hauptquartiere »klares Denken lähmen kann«. Der Zwischenfall läßt aber auch erkennen, daß trotz aller Kritik Guderians Kleist eine klare Vorstellung vom Panzerpotential hinsichtlich Zeit und Raum hatte. Für Guderian sollten noch weitere Schrecksekunden folgen. Beim Rückflug von der Aussprache bei Kleist verlor sein Pilot die Richtung und landete beinahe in den französischen Stellungen. Nur Guderians schnelles Erkennen des tatsächlichen Standortes - ein Zurückgreifen auf seine Erfahrungen von
1915, als er bei Aufklärungsflügen eingesetzt war - rettete die beiden Männer vor der Gefangennahme. Die Planungen für den Angriff über die Maas waren ein klassisches Beispiel einer Mischung von Improvisation und alles einkalkulierender Generalstabsarbeit. Die Gruppe von Kleist sollte am 13. Mai um Punkt 16 Uhr nach vorausgegangenem intensivem Artilleriefeuer und Luftbombardement anstatt gleichzeitiger Luftunterstützung angreifen, während die Truppen den Fluß überschritten. Die Zeit reichte nicht für die Heeres- und Luftwaffenstäbe, um die notwendigen komplizierten schriftlichen Befehle für eine formelle Maas-Überquerung auszuarbeiten und auszugeben. Aber Nehring erkannte, daß die Lage derart genau mit der eines kürzlich veranstalteten Kriegsspiels übereinstimmte, daß man nur die damals ausgearbeiteten Befehle nehmen und die Uhrzeit von 10 Uhr auf 16 Uhr ändern mußte. Die Befehlsausgabe beim Korps erfolgte am 13. Mai um 8:15 Uhr früh, bei der 1. Panzerdivision um 12 Uhr mittags. Die Luftwaffe, die sich in ähnlicher Zeitnot befand, ignorierte einfach die Befehle Kleists und hielt sich an den vorausbestimmten, mit Guderian abgesprochenen Plan. Aber während die Luftwaffe gut gerüstet und bis ins letzte vorbereitet war, mußte das XIX. Korps damit rechnen, daß die 2. Panzerdivision nicht fristgemäß an der Ausgangslinie eintraf, andererseits aber das XXXXI. Korps auch bei Tagesanbruch den Fluß erreicht hatte. Mit anderen Worten: Der geplante gleichzeitige Angriff mit fünf Divisionen konnte leicht auf ein stückweises Vordringen zweier Divisionen zurückgeschraubt werden. Beide Korps mußten also aus der Bewegung über ein größeres verteidigtes Wasserhindernis angreifen, eine Operation, wie sie nur wenige Kommandeure in der Vergangenheit gern angeordnet hatten und vor der künftig noch viele zögern sollten. Guderian bedurfte keiner Bombardierung, um einige Vorbehalte in bezug auf den Verlauf der nächsten 24 Stunden zu haben. Obgleich die Schlacht um Sedan mit der 1. Panzerdivision an der Spitze begann, war sie in Wirklichkeit eine Artillerie- und Luftangriffsoperation, bei der die Panzer nur eine kleine Rolle spielten und die Infanterie erst Geländegewinne erzielte, nachdem ein Artillerieduell zugunsten der Deutschen entschieden worden war. Die deutschen Truppen mußten feststellen, daß sie nicht nur bei französischem Geschützfeuer den Fluß nicht überqueren konnten, sondern daß ihre eigenen Batterien beim Vormarsch auf den Fluß im Nachteil waren. Denn Guderian, der der gewöhnlichen Feldartillerie gestattete, wie gewöhnlich indirektes Feuer einzusetzen, verlangte vom Flakregiment 102 die Sicherung des Flußübergangs, »... wozu die Kräfte weit vorn einzusetzen sind«. In Wirklichkeit wollte er, daß die kraftvolle 8,8-Zentimeter-Flak (ein Typ, mit dem eines Tages seine schwersten
Panzer ausgerüstet werden sollten) die Direktfeuerrolle übernahmen, die er für Panzer plante. Der Grund dafür war, daß dieses höchst genau treffende, großkalibrige Geschütz eine weitaus tödlichere Wirkung gegen kleinere Ziele hatte als die leichteren, weniger akkuraten, damals noch gebräuchlichen Panzergeschütze. Dies war eine Gelegenheit, bei der ein schwerer Panzer oder ein gepanzertes Sturmgeschütz gute Dienste geleistet hätte, aber von letzterem waren erst 55 Stück in Dienst gestellt worden, die zudem nur das gleiche ungenaue 7,5-Zentimeter-Geschütz wie die Pz IV hatten. Hier und da störte französisches Feuer den deutschen Aufmarsch, doch fast überall war es begrenzt, weil die Franzosen Munition sparen wollten und den herkömmlichen Glauben hegten, bis zum Angriff würde es noch vier bis sechs Tage dauern. Pünktlich um 16 Uhr trafen die ersten Bomberwellen ein. Die schweren Bomber legten einen Bombenteppich auf ausgewählte Ziele, die Stukas stießen auf vereinzelte Geschützbunker herunter. In Polen hatte diese Methode nur vereinzelt zu guten Resultaten geführt, weil die Polen schwer einzuschüchtern waren. Jetzt bei Sedan waren zweitklassige französische Divisionen dem Schock nicht gewachsen. Die Soldaten warfen sich zu Boden, rannten davon oder wurden auf laxe Befehle von oben abgezogen. Fünf Stunden lang hielt die Bombardierung an; von Minute zu Minute feuerten die Franzosen schwächer zurück. Ohne Unterstützung durch die eigene Artillerie geriet die französische Infanterie in vorderster Front ins Wanken, während diejenigen, die auf die sich zusammenballende deutsche Infanterie schossen, als diese Sturmboote ans Flußufer brachte, von 8,8-Zentimeter-Feuer getroffen wurden, das genau durch die Schießscharten in die Bunker schlug. Als es Abend wurde, hatte die deutsche Infanterie auf dem anderen Maasufer Fuß gefaßt und begann, sich weiter landeinwärts vorzuarbeiten. Die ganze Nacht hindurch wurde am Bau von Fähren für die Panzer und an Brücken gearbeitet, aber der erste Panzer konnte erst am frühen Morgen übersetzen. Inzwischen hatte Guderian selbst mit einem Boot den Fluß überquert und wurde am anderen Ufer von seinem alten Kameraden Oberstleutnant Hermann Balck, dem frohlockenden Kommandeur des Schützenregiments 1, mit scherzhaften Vorwürfen wegen seines »Gondelfahrens auf der Maas« und der Nachricht empfangen, daß die Bildung eines Brückenkopfes gesichert sei. Balck brauchte keinen Hinweis darauf, daß Guderian ein weiteres Vorgehen während der ganzen Nacht wünschte, denn jeder deutsche Soldat wußte genau Bescheid, worum es ging. Bei Tagesanbruch hatten das Schützenregiment 1 und das Infanterieregiment »Großdeutschland« zu seiner Linken einen Brückenkopf gebildet, der ungefähr fünf Kilometer breit und zehn Kilometer tief war, und damit Guderians zuvor geäußerte,
ärgerliche Bemerkung widerlegt, die Infanterie »... schlafe nachts statt vorzugehen«. In diesem Gelände, wo, nach den Worten eines deutschen Historikers, »... der Kampflärm fast aufgehört hatte«, hatte der Panzer einen Sieg errungen, obwohl kein deutscher Panzer hier seine Spuren hinterlassen hatte. Die Furcht vor den Panzern, die in den Jahren 1917 und 1918 die Moral der deutschen Truppen unterhöhlt hatte, war jetzt auf ihre Urheber übergegangen. Die französische Infanterie gab fluchtartig unbedrohte Schlüsselstellungen bei der geringsten Andeutung von Panzergeräusch auf, obwohl die Motoren, die sie hörten und voll Furcht weitermeldeten, französischen Panzern gehörten, die zur Sicherung eines Gegenangriffs im Morgengrauen auffuhren. Wenn dieser französische Angriff stärker gewesen wäre, hätte er die Kämpfe an die Maas zurückwerfen können, aber die beiden Leichten Tankbataillone der Franzosen, die eine derartige Unruhe in den eigenen Reihen ausgelöst hatten, stoppten, um die Panik, die sie schon in der Nacht bei den zerrütteten Verteidigern erzeugt hatten, nicht noch größer werden zu lassen. Folglich waren sie in der Früh weit von der Startlinie entfernt, und als sie weiterfuhren, fanden sie sich deutschen Panzern und Geschützen gegenüber, deren Absichten todbringend waren und zielbewußt im Geist von Seeckt, des Generals, der einmal von einem guten Kommandeur verlangt hatte: »Er wird stets sein Ziel etwas über den Punkt hinaus legen, von dem er glaubt, daß er zu erreichen ist. Er wird sich einen Spielraum für Glück lassen, aber weise Zurückhaltung und ein künstlerisches Gespür sind vonnöten, um ihn davor zu bewahren, sein Ziel weit über einen vernünftigen Aktionsbereich hinaus abzustecken.« Das war ein Ratschlag, den Guderian befolgen mußte, als sich die Informationen zu häufen begannen, daß die Lücke in der französischen Verteidigung entstanden war, auf die er gehofft hatte. Im Geiste schwebte ihm stets der Angriff auf Amiens vor. Aber zuerst sollte es noch zu dem kommen, was einer der Generalmajore auf britischer Seite, Bernard Montgomery, eines Tages als »dogfight« bezeichnen sollte. Um den deutschen Vormarsch zum Stillstand zu bringen, schickten die Franzosen drei Divisions Legeres Mecaniques (DLM) ins Feld, von denen jede über 194 Panzer verfügte, darunter die guten S 35-Modelle, sowie vier Divisions Cuirassees Rapides (DCR) mit je 156 Panzern, unter ihnen die schweren Chars B; ferner boten sie 25 unabhängige Bataillone leichter Panzer zur Unterstützung der Infanterie auf. Die DLM wurden nach Belgien entsandt und schwer vom XVI. Korps in die Mangel genommen; neben vielen Panzern verloren die Franzosen den Kampfeswillen und bekamen während des weiteren Verlaufs des Frankreichfeldzuges einen Schrecken, wenn deutsche Panzer nur erwähnt wurden. Guderian sah nichts von diesen Divisionen. Auch die
DCR bekam er nicht zu Gesicht, die wie die DLM erst kurze Zeit zuvor aufgestellt worden waren und denen die Organisation, das Funksystem, die geistige Einstellung und die Technik der deutschen Panzerdivisionen fehlte. Sie hatten auch zu wenig Infanterie und Unterstützungswaffen, weil immer noch dem Konzept einer engen Unterstützung der Infanterie in linearen Stellungen verhaftet. Darüber hinaus waren sie langsam und unausgebildet in Aufmarsch und Einsatz. Die 1. DCR war gleichfalls nach Belgien vorgestoßen und wurde am 14. Mai nach Dinant geworfen, um den plötzlichen Durchbruch des XV. Korps unter Hoth zu stoppen. In dreitägigem Ringen wurden jedoch die Franzosen in einer Reihe von Gefechten buchstäblich weggefegt. Ständig fehlte es ihnen an Treibstoff (eine Folge logistischen Unvermögens); eine Koordinierung fand wegen schwacher Führungsverfahren und chaotischer Kontrolle der Fahrzeugbewegungen nicht statt. Zwei der verbleibenden drei DCR ließen sich in Auseinandersetzungen mit Panzerdivisionen ein. Das Resultat ihrer Mühen war eine brauchbare Kontraststudie zwischen Tapferkeit und Zittern, Professionalismus und amateurhafter Einstellung. Die 3. DCR begann am 14. Mai bei Chemery südlich von Sedan als Teil des französischen XXI. Korps aufzumarschieren, das Order hatte, Guderian zurück in die Maas zu treiben. Wieder einmal war die Befehlsausgabe auf französischer Seite schleppend (genau umgekehrt wie bei Guderian), und auch der Treibstoffnachschub war schlecht organisiert und ging langsam vonstatten. Wie die 1. DCR hatte ihre Schwesterdivision dann keine Möglichkeit mehr, ihre Fehler gutzumachen, denn zunächst rückte die 1. Panzerdivision auf Chemery vor und später sperrten das Infanterieregiment »Großdeutschland« und die 10. Panzerdivision durch energischen Durchstoß zur Hochebene von Bois Mont Dieu der 3. DCR das Aufmarschgebiet. Die Franzosen erlagen dem Druck ihres Gegners, stellten sich wieder auf die Defensive um und wurden auseinandergetrieben. Aber die versprengte 3. DCR ließ sich noch in einen harten und erbitterten Kampf um das Dorf Stonne ein und löste dabei ein Manöver auf deutscher Seite aus, das die grundlegende Berechtigung von Guderians Konzept der Panzerkriegführung nachwies - und beiläufig auch zu einem neuen Zusammenstoß mit Kleist führte. Als seine Truppen das Gebiet von Bois Mont Dieu besetzten, lag Guderian richtig mit seiner Schätzung, daß die etwa 20 Kilometer breite Lücke, die sich zwischen dieser Hochebene und der Maas aufgetan hatte, groß genug war, um sein gesamtes Korps nach rechts schwenken zu lassen und in westlicher Richtung auf den Ärmelkanal vorzurücken. Der einzige störende Faktor war ein Bericht der Luftaufklärung, wonach französische Panzer gegen die entblößte Flanke vorrückten. Fair wie er war, fühlte er sich verpflichtet, beim Kommandeur der 1. Panzerdivision anzufragen, ob er bereit sei, mit der gesamten Division nach Westen
abzudrehen oder ob ein Flankenschutz zurückgelassen werden solle. Vom Ersten Generalstabsoffizier der Division, Major Wenck, kam die Antwort: »Klotzen, nicht kleckern!« Auf alle Fälle war zu beiden Seiten der 1. Panzerdivision bereits starker Flankenschutz vorhanden: auf der rechten Seite hatte sich endlich das XXXXI. Korps nach Überschreitung der Maas bei Montherme westwärts in Bewegung gesetzt, und die Panzer der 2. Panzerdivision rollten dicht daneben vorwärts, denn heftige alliierte Luftangriffe auf die Brücken hatten keinen Erfolg gehabt. Links daneben wehrten »Großdeutschland« und die 10. Panzerdivision die Angriffe des französischen XXI. Korps ab, besonders in der Nachbarschaft des strategisch wichtigen Dorfes Stonne. Hier kämpften während der zweiten Tageshälfte des 14. Mai und fast den ganzen folgenden Tag über die 3. DCR und »Großdeutschland« um die Vorherrschaft. Die Franzosen begannen, Panzer zu verlieren bei dem Versuch, ihre vorgeschobenen Verteidigungsstellen einzunehmen, und wurden zurückgeschlagen. Wieder einmal waren ihnen die Deutschen allein schon durch das Tempo ihrer Panzerangriffe überlegen. In der Früh des 15. Mai konnte »Großdeutschland« Stonne einnehmen. Um die gleiche Zeit erhielt die 3. DCR noch einmal Befehl, einen abschnittsweisen Angriff auf Sedan zu unternehmen. Aber die Division konnte sich, nachdem sie einmal zerstreut worden war, in solch kurzer Zeit nicht wieder zusammenschließen. Statt dessen erlaubte sie sich einen stückweisen Gegenangriff auf Stonne und wurde plötzlich von inzwischen in Stellung gegangener deutscher Infanterie-Pak unter Beschuß genommen. Ein verzweifelter Kampf entwickelte sich, Panzer gegen Geschütze und Geschütze gegen Panzer in der Art, wie sie in Achtung - Panzer! prophezeit worden war. Die Verluste stiegen auf beiden Seiten. Die Infanterie hockte machtlos in ihren Stellungen. Eine kurze Zeit lang waren die schweren Chars B der Franzosen drauf und dran, die Schlacht für sich zu entscheiden, denn gegen ihre Panzerung vermochten die deutschen 3,7-Zentimeter-Geschütze wenig auszurichten. Schließlich blieb nur noch ein deutsches Geschütz in Aktion, aber das erwies sich als genug. Auf eine Entfernung von 100 Metern entdeckte der Richtschütze an der Seite der französischen Panzer eine winzige, vergitterte Luftöffnung. Auf diese Öffnungen zielte er und setzte schnell hintereinander drei französische Kampfwagen außer Gefecht. Dennoch, um 18 Uhr war Stonne wieder in französischer Hand, denn »Großdeutschland« war erschöpft. Guderian beobachtete diesen Kampf am 15. Mai, in Sorge, daß seine riskante Entscheidung vom Vorabend wegen der Eile nicht zu einem Rückschlag führte, und auch die Tatsache vor Augen, daß er gegen die Wünsche Kleists handelte, der sich gegen eine zu frühe Schwenkung des XIX. Korps nach Westen ausgesprochen und dies mit der
Bedrohung begründet hatte, die jetzt immer mehr Gestalt annahm. Heftige Worte waren gewechselt worden; Guderian hatte Kleists Verlangen nach Stopp und Neuformierung als »... Plan, der den Sieg verschenkt« abgetan. Kleist hatte nachgegeben, aber seine Befürchtungen hatten zu Recht bestanden, wie sich jetzt zeigte. Guderian konnte vorgeworfen werden, ein übergroßes Risiko eingegangen zu sein und einen Feind unterschätzt zu haben, von dem noch längst nicht der Beweis erbracht war, daß er am Ende seiner Kräfte war. Die Nachrichten von der 10. Panzerdivision waren sehr beunruhigend. Sie sah sich auf ihrer äußersten linke Flanke einem schweren französischen Panzerangriff ausgesetzt und konnte kaum ihre Infanteriereserve entbehren, um »Großdeutschland« bei Stonne zu verstärken. Alles lag auf der Waagschale. Ein abgestimmter Stoß der Franzosen hätte die Auseinandersetzung zu ihren Gunsten entscheiden können, selbst wenn ihre Offensive nur mit gedämpfter Stärke vorgetragen wurde. Zwar hätte sie nicht das XIX. Korps völlig zerschlagen können (denn das XIV. Armeekorps, motorisiert, stand kurz vor Sedan, und im äußersten Notfall hätten auch die 1. und 2. Panzerdivision zurückgebracht werden können), aber allein der Hinweis auf ein Bremsmanöver auf Seiten Guderians hätte die führende Rolle Kleists neu bestätigt und Guderians weitere Versuche zum Beweis der Seecktschen Doktrin von einem hochgesteckten Ziel für immer unterbunden. Aber es kam anders. Die Franzosen hielten ihren Angriff an, als er kurz davor stand, zum Erfolg zu führen, und die Krise ging für Guderian vorüber. Am folgenden Tag traf eine frische deutsche Infanteriedivision ein, um die Front zu stabilisieren. Innerhalb von fünf Tagen war die Hälfte der französischen Panzertruppen ausgeschaltet worden. Als nächste Einheit in der verhängnisvollen Kette war die 2. DCR betroffen, die sich das gefährliche Verfahren leistete, ihre Panzer in kleinen Kontingenten mit der Bahn nach Hirson und St. Quentin zu transportieren und ihre Nachschub-Lkw über die Straße von Chalons nach Guise und am 15. Mai weiter östlich nach Signy L'Abbaye fahren zu lassen. Niemand machte sie darauf aufmerksam, daß sie damit genau der Gruppe von Kleist in die Arme fuhren, weil kein Mensch auf französischer Seite genau wußte, wie weit Kleist bereits der Vormarsch geglückt war. Während am 15. Mai die Schlacht um Stonne tobte, machte Reinhardts XXXXI. Korps rechts von Guderian bei seinem Vormarsch nach Westen enorm Boden gut und überrannte bereits französische Einheiten ohne Gegenwehr. Seine 6. Panzerdivision (die ihre Schwester, die 8. Division, auf dem Ostufer der Maas zurückgelassen hatte) hatte die von den Franzosen verteidigte Zone durchstoßen und die von Truppen entblößten Nachschublinien erreicht,
wo sie begann, bei Nachschubkolonnen, Nachrichtenzentralen und Depots verheerende Verwüstungen anzurichten. Unter den erbeuteten Lkw waren die zur 2. DCR gehörenden. Die Fahrzeuge, die entkommen konnten, rasten nach Süden, waren damit jedoch von den Panzern abgeschnitten, die sie versorgen sollten. Diese Panzer wurden zur gleichen Stunde aus Güterzügen zwischen St. Quentin und Hirson abgeladen und standen dann verloren ohne Schutz und Betriebsstoff in der Gegend herum, ein willkommenes Geschenk für Reinhardt. Dieser befand sich um Mitternacht in Liart, als die führenden Einheiten des XIX. Korps noch weit zurück in Poix-Terron lagen, obwohl es der 2. Panzerdivision inzwischen gelungen war, den feindlichen Widerstand zu brechen. Das XIX. Korps hatte am schlimmsten bei den Kämpfen gelitten. Es war gezwungen gewesen, einen Teil seiner Truppen zur Verteidigung des »Scharniers« an der südlichen Flanke abzustellen und war dazu noch mit ein paar gutgeführten französischen Infanterieeinheiten zusammengestoßen, die keinen Meter Boden abgaben und hartnäckig kämpften. Um das Dorf Bouvellemont entwickelte sich eine erbitterte Auseinandersetzung, bei der Balcks erschöpftes Schützenregiment 1 mit Unterstützung durch Panzer schließlich über einen Teil der französischen 14. Division die Oberhand behielt, die von einem künftigen Marechal de France - Lattre de Tassigny - befehligt wurde. Hier brachte es Guderian erneut fertig, in einem psychologisch wichtigen Moment aufzutauchen - frühmorgens am 16. Mai, als die Franzosen mit dem Rückzug begannen -, als seine Männer gerade nach einer Kampfpause lechzten und die Notwendigkeit bestand, ihnen neuen Mut einzuimpfen und sie die Verfolgung aufnehmen zu lassen. In Situationen wie dieser - bei Triumph oder Krise - zeigte sich der wahre Guderian. Paul Dierichs, der ihn oft begleitete und als »modernen Seydlitz« bezeichnet, urteilte damals: »Die völlige Beherrschung der Lage und das Vertrauen auf Führung und Truppen verbreiteten das Gefühl der militärischen Sicherheit und der persönlichen Ruhe. Es gibt in dieser Umgebung keine Aufregung und erst recht keine nervösen Augenblicke. Das soll nicht heißen, daß General Guderian nicht manchem Offizier Überraschungen bereiten könnte. Wenn er zum Beispiel auf dem Gefechtsstand einer unterstellten Einheit das zu erreichende Tagesziel festlegt, ist mancher im ersten Augenblick vielleicht geneigt, an einen Scherz zu denken. So weit ist das Ziel noch von den gegenwärtigen Stellungen entfernt. Aber in knappen, klaren Darlegungen weiß General Guderian die Notwendigkeit dieses Einsatzes klarzumachen. Er spricht in solchen Momenten faszinierend und überträgt seinen ungestümen Drang nach vorwärts auf seine weitere Umgebung.«
Pulsierende Eile war nicht der einzige Ausdruck der Ungeduld, die ihn gewöhnlich beseelte. Wie schon so oft war er besorgt angesichts der Kürze der Zeit, die zur Erzielung überzeugender Resultate zur Verfügung stand - der konstante Fluch der Panzertruppe vom Tag ihres Entstehens an und der Ansporn für ihre kühnen Ambitionen. Am Abend zuvor hatte er eine hektische telefonische Aussprache mit Kleist gehabt, der erneut seine Besorgnis über die Südflanke äußerte. Wiederum hatte Kleist mit seiner Vorsicht recht. Die Lage in Stonne war immer noch unübersichtlich und es gab zuwenig Beweise dafür, daß die Franzosen nicht mehr die Kraft hatten, einen entscheidenden Gegenschlag zu führen. Weder Kleist noch dessen Vorgesetzte sollten erfahren, daß die französischen Panzertruppen praktisch erledigt waren, daß nur noch anderthalb dieser großen Formationen intakt waren oder daß die Moral des französischen Oberkommandos bei der Erkenntnis des Unheils, das über ihre Armeen gekommen war, einen Knacks erlitten hatte. Die deutschen Truppenführer vorn bei der Angriffsspitze, wo diese die letzten Überbleibsel der linearen französischen Stellungen durchbrach, mögen nicht so gut mit Statistiken und komplizierten politischmilitärischen Aufklärungsberichten wie ihr Oberkommando beliefert worden sein, aber sie hatten recht, wenn sie behaupteten, nun sei der Augenblick für das Eingehen von Risiken gekommen, denn sie konnten förmlich riechen, wie der Feind auseinanderfiel, und aus Instinkt und Erfahrung erkennen, daß der Sieg nahe war. Dergleichen hatte Guderian nicht gesehen, als er 1914 unweit der Spitze des Durchbruchs an der Marne mitritt, und doch hielt er Kleist eine Anspielung auf diesen etwas zweifelhaften historischen Präzedenzfall entgegen, als dieser versuchte, ihn und seine Truppen zum Halt zu bewegen. Kleist gab nach und bewilligte ihm eine neue 24stündige Frist. Aber Guderian wußte damals nicht (weil Kleist gegenüber seinem vorgesetzten Offizier unerschütterlich loyal war), daß Kleist lediglich Befehlen von oben gehorchte - zudem noch Befehlen, die weder der gegenwärtigen Stimmung im OKH noch der des OKW entsprachen. Am 14. Mai waren OKW und OKH übereingekommen, das XVI. Korps von der Heeresgruppe B in Belgien abzuziehen, um den Erfolg von Rundstedts Heeresgruppe A in Frankreich noch zu vergrößern. Am 16. Mai gab Halder seiner Freude über einen Durchbruch Ausdruck, der »... sich nach fast klassischem Muster entwickelt«, eine Meinung, die man beim OKW teilte. Rundstedt indessen hatte am 15. Mai gewisse Bedenken, als der Vormarsch von der Maas nach Westen kaum in Gang gekommen war. Sein Kriegstagebuch enthält eine Eintragung, in der er die Notwendigkeit eines Stopps an der Oise mit einer möglichen Bedrohung von Süden her begründet.
Dem Feind dürfe unter keinen Umständen ein Erfolg gestattet werden, »... weder an der Aisne noch später im Gebiet um Laon«. Am 16. Mai zeigte sich, daß diese Befürchtungen zu Recht bestanden. Guderian stieß an diesem Tag nur mit der 1. und der 2. Panzerdivision vor und ließ die 10. Panzerdivision und das Infanterieregiment »Großdeutschland« südlich von Sedan als Schutz gegen Angriffe aus südlicher Richtung und mit Rücksicht auf Kleists Besorgnis zurück. Die Franzosen griffen erneut wiederholt den Angelpunkt Stonne an und verursachten bei der anrückenden deutschen Infanterie Verluste. Aber sie kamen nicht voran. Die restlichen Verbände des XIX. Korps stürmten voraus und standen bei Einbruch der Nacht kaum mehr als 30 Kilometer vor Dercy an der Serre. Zur selben Stunde traf eine Kampfgruppe des XXXXI. Korps in Guise an der Oise ein und begann, unter den stehengebliebenen Panzern der 2. DCR aufzuräumen. Zweckdienlich Kleists 24stündige Frist mißachtend, erteilte Guderian an diesem Abend über Funk den Befehl, den Vormarsch am folgenden Tag fortzusetzen. Die Funksprüche wurden in Kleists Hauptquartier abgehört, das sofort einen diktatorischen Gegenbefehl erließ und Guderian ersuchte, Kleist am nächsten Morgen zu einer persönlichen Aussprache zu erwarten. Am 17. Mai um 7 Uhr früh stieg General von Kleist auf dem Landeplatz des Hauptquartiers des XIX. Korps aus seiner Maschine und begann ohne Begrüßung, Guderian heftige Vorwürfe zu machen und ihn zu beschuldigen, sich absichtlich über Befehle hinweggesetzt zu haben. Guderian bat sofort um Enthebung von seinem Kommando. Keiner der beiden Männer war in jenem Augenblick von Vernunft geleitet, beide waren nervös - Kleist weit mehr, als Guderian es ahnen konnte. Denn Kleist war innerlich nicht viel mehr für Anhalten als Guderian. Die Ungewißheit ging von Rundstedt aus. Erneut kommt in dessen Kriegstagebuch ein Anflug von Zweifel zum Ausdruck, denn unter dem Datum des 16. Mai steht zu lesen, die Kommandeure der motorisierten Einheiten seien überzeugt, daß sie über die Oise vorstoßen könnten, »... besonders die Generäle Guderian und Kleist«, und weiter heißt es dann: »Aber wenn man die Operationen insgesamt betrachtet, scheint das einzugehende Risiko nicht gerechtfertigt zu sein. Die ausgedehnte Flanke zwischen La Fere und Rethel ist zu anfällig, besonders im Gebiet von Laon... Wenn die Angriffsspitzen für kurze Zeit anhalten, wird es möglich sein, binnen 24 Stunden eine gewisse Versteifung der bedrohten Flanke zu erreichen.« Es liegt auf der Hand, daß Kleist es nicht für notwendig erachtete, Guderian Rundstedts Gründe zur Besorgnis zu erklären. Ihr Verhältnis war schon zu sehr angespannt. Aber Rundstedt war erschüttert, als Guderians Ablösungsgesuch eintraf. Die Dinge waren zu weit gegangen, wenn ein Günstling Hitlers das tat! Er übermittelte ihm einen kurzen
Befehl, auf seinem Posten zu bleiben und einen Bevollmächtigten zu erwarten - keinen Geringeren als den Oberbefehlshaber der 12. Armee, Generaloberst List. List traf am Nachmittag ein, beschied schnell Guderians Rücktritt abschlägig und wies ihn im Auftrag von Rundstedt an, »kampfkräftige Aufklärung« zu treiben, den Korpsgefechtsstand allerdings am bisherigen Standort zu belassen. Dies gab in der Tat Guderian freie Hand, eine, die er dadurch noch freier machte, daß er ein Feldfernkabel zu seinem vorgeschobenen Gefechtsstand legen ließ, so daß er seine Befehle per Telefon statt über Funk erteilen und nicht mehr von ranghöheren Offizieren abgehört werden konnte. List bestätigt diese Vorgänge ebenso wie Guderians Bitte an ihn, sich für ihn bei Kleist als Friedensstifter zu verwenden. Zwischen der Niederlegung seines Kommandos und der Wiedereinsetzung setzte sich Guderian hin und teilte in einem Brief Gretel seine Sorgen mit. Dieser Brief ist nicht mehr vorhanden, aber sein Inhalt wird aus ihrer Antwort am 27. Mai ersichtlich, in der sie unter anderem schrieb: »Es wäre ja geradezu Wahnsinn und Tragik, wenn Du im Augenblick der Krönung Deines Lebenswerkes abseits stehen würdest. Trotz all Deiner Not laß Dich bitte nicht zu Schritten verleiten, die Dir schaden und Dich für Dein Leben unglücklich machen müssen, Liebster, ich bitte Dich herzinnigst darum. Wenn Du handeln mußt, dann meine ich direkte Nachricht an den Führer. Alles andere bringt Dir immer wieder Nachteile.« Sie schrieb weiter, er möge vorsichtig sein mit dem, was er schreibe »gerade dieser schwerwiegende Brief ist hier von der Zensurstelle geöffnet worden« -, und schloß daran die Überlegung an: »Ich wollte schon bei Bodewin (Keitel) um Aufklärung bitten, konnte mich aber doch nicht recht dazu entschließen und wollte mich noch bedenken, ob es wohl in Deinem Interesse sein könnte.« Die Wachsamkeit der militärischen Behörden - es ist unwahrscheinlich, daß diese Zensur vom Staat angeordnet worden war scheint schlagartig ihr Mißtrauen gegenüber Guderian zu beleuchten. Die Post eines ranghohen Generals zu öffnen und zu lesen, war selbst für eine überhandnehmende Bürokratie, gelinde gesagt, ungewöhnlich, während die Entsendung eines Majors zu Frau Guderian, der diese ersuchen sollte, Schweigen über den Inhalt des Briefes ihres Mannes zu bewahren, deutlich ein Unbehagen der offiziellen Stellen über den Vorfall zeigte. Aber die Unstimmigkeiten, die ihn ausgelöst hatten, waren ein Sturm im Wasserglas im Vergleich zu dem, was sich zwischen der Führung von OKW, OKH und Heeresgruppe A zusammenbraute. Am gleichen Tag fuhr Hitler, von den bisherigen Erfolgen erschreckt, zu Rundstedt (einem Offizier, der nur zu bereit war, die Befürchtungen des Führers zu teilen) und erklärte ihm, es sei wichtiger, eine Kette
sicherer Erfolge beizubehalten als ein Risiko einzugehen und zu versuchen, zum Kanal durchzustoßen. Der Umfang von Guderians Vormarsch war ein weiteres Mal zu groß für Hitlers begrenzte Vorstellung mobiler Operationen. Bruchstücke von Hitlers Vorbehalten machten die Runde beim OKW, nahmen in einigen Fällen die Form direkter Befehle an einzelne Heeresdivisionen an und erregten den Unmut Halders, der an jenem Morgen völlig befriedigt darüber war, daß es »überhaupt keine Gefahr« gab. Er überblickte die Lage mit der gleichen, präzisen Einsicht wie die Kommandeure der Angriffsspitze und behielt einen kühlen Kopf, als später Hitler und seine Umgebung zwischen Euphorie und Melancholie, Überheblichkeit und Angst hin- und her gerissen wurden. Brauchitsch seinerseits stellte sich hinter Rundstedts Entscheidung für einen Stopp zu ungefähr der gleichen Zeit, als List auf Rundstedts Geheiß Guderians Enthebung vom Kommando rückgängig machte, während Halder am gleichen Abend Hitler davon überzeugte, daß im Augenblick die Dinge gut stünden. Die Bremsen wurden wieder gelockert, aber ein Präzedenzfall war geschaffen worden. Von nun an quälte Hitler Rundstedt, der sich als nachgiebiger Charakter erwiesen hatte und der später, wenn er nicht ausnahmsweise einmal wütend wurde, sich beugte, wenn Hitler tönte. Fast unbemerkt und mit Gewißheit weder Kleist gemeldet noch mit entsprechender Aufmerksamkeit beim Hauptquartier des XIX. Korps registriert, hatte ein Ereignis, dem allerdings ein allzu großer Wert in der Geschichte des Panzerkrieges beigemessen wird, in dem Zeitraum stattgefunden, in dem die deutschen Befehlshaber sich hinter der Front gegenseitig Vorwürfe machten. In schnellem Tempo und ohne Koordinierung die Landstraße aus Richtung Laon anrückend, hatten ein französisches Bataillon mit Char B-Panzern und zwei Bataillone leichter Panzer die linke Flanke der deutschen 1. Panzerdivision erfolgreich angegriffen. Es war das Verdienst der 4. DCR, einer unvollständigen, nicht fertig ausgebildeten Einheit, die von de Gaulle befehligt wurde, der eine knappe Woche zuvor sein Kommando übernommen hatte. In der Erkenntnis, die Guderian teilte, daß Tempo die einzig richtige Lösung war, hatte er Guderians Flanke in der Hoffnung angegriffen, hier die weiche Stelle der Division, deren Stäbe und Troß, zu treffen. Tatsächlich traf er jedoch auf Muskeln, zwar nur zufällig infolge des von Kleist verfügten Halts, doch nicht ganz ohne Erfolg. Leichte deutsche Einheiten wurden weggefegt, und um 16 Uhr, als Guderian in wenigen Kilometern Entfernung seine Aussprache mit Kleist hatte, hatten die Franzosen Montcornet genommen und bedrohten die deutschen Nachschubkolonnen. Doch dann mußten die Franzosen ihren Angriff einstellen. Infanterie- und Artillerieunterstützung blieben aus, und auch der Sprit ging zur Neige. Dann hatte sich die deutsche Verteidigung
verstärkt. Die Luftwaffe griff an. Zwar konnte sie nur einen französischen Panzer abschießen, doch die übrigen rasten über die Straße zurück, auf der sie gekommen waren. Nach dem Krieg bauschte die gaullistische Propaganda dieses Gefecht auf, aber in Wirklichkeit hatte es auf deutscher Seite außer bei der betroffenen 1. Panzerdivision kaum Aufregung und Alarm gegeben. Warum auch? Wieder einmal hatten die Franzosen Entschlußkraft vermissen lassen, und die 10. Panzerdivision befand sich bereits im Anrollen, um die sich Rethel nähernde Angriffsspitze zu verstärken und in de Gaulles Flanke zu schlagen. Zudem waren die bereits tief in Frankreich stehenden deutschen Truppen besser mit Treibstoff und Munition versorgt als die Franzosen. Die Deutschen errichteten Depots in der Etappe zusammen mit Instandsetzungswerkstätten, so zum Beispiel in Hirson. Ihr System wurde mit zunehmender Praxis immer besser, während die französischen Nachschublinien zerbröckelten. Am Abend des 18. Mai näherte sich die 1. Panzerdivision Peronne, kaum ernstlich behindert durch weitere isolierte Anzeichen französischen Widerstands. Die ersten britischen Gefangenen wurden gemacht und neugierig gemustert. Zur selben Zeit gelang es Halder endlich, Hitler davon zu überzeugen, daß der Weg zum Kanal frei sei mit dem Ergebnis, daß das OKH sich über Rundstedt hinwegsetzte und Kleist angewiesen wurde, Guderian die Zügel schießen zu lassen. Paradoxerweise war das ein Zeichen für Guderian, das Tempo zu verlangsamen, wenn auch unfreiwillig. Die Panzer mußten gewartet werden, die 10. Panzerdivision war bei Harn auf Widerstand gestoßen und aufgehalten worden. Da befürchtete man eine Treibstoffkrise infolge eines Berichts, daß das neuerrichtete Treibstofflager in Hirson in Brand geraten und zerstört sei, und obendrein entdeckten Aufklärungsflugzeuge eine größere französische Panzereinheit - die 4. DCR natürlich -, die im Gebiet nördlich von Laon zusammengezogen wurde und Guderians Flanke und Rücken bedrohte. Guderian erwähnt in seinen Erinnerungen weder die Treibstoffkrise noch die Notwendigkeit, kürzer zu treten (man kann sich vorstellen, daß er sich dabei etwas lächerlich vorgekommen wäre) und beschönigt eher das schleppende Vorwärtskommen, indem er de Gaulle Tribut zollt: »... einzelne Panzer gelangten am 19. Mai bis auf zwei Kilometer an meinen vorgeschobenen Gefechtsstand im Holnonwald heran... und ich durchlebte einige Stunden der Ungewißheit«. Aber er hatte recht, wenn er fortfuhr: »Die Bedrohung der Flanke war gering« (die Aufklärer hatten stark übertrieben und aus 150 Panzern mehrere hundert gemacht) und »... nicht annahm, daß die sich gegen uns in Bewegung setzen würden, solange wir selber in Bewegung blieben«. Guderian hatte nicht die Absicht stehenzubleiben; der Angriff der 4. DCR (der einzige, der Aussicht auf Erfolg hatte) wurde abgeschlagen,
ohne daß die Franzosen einen größeren Einschnitt in die Flanke des XIX. Armeekorps hätten machen können. Eine bessere Gelegenheit bekamen sie nie wieder, denn bis zum Abend des 19. Mai waren die Unpäßlichkeiten des XIX. Korps geheilt. Es sickerte auch durch, daß das Tanklager in Hirson gar nicht in Brand geraten war; der Funkspruch, der diese Nachricht übermittelt hatte, war falsch entziffert worden; in Wirklichkeit hatte die Meldung gelautet, das Depot sei bereit, seine Arbeit aufzunehmen. Am folgenden Tag, dem 20. Mai, gelang dem XIX. Korps sein längster, dramatischster Vormarsch innerhalb eines Tages - die weiteste Distanz überhaupt, die eine Panzereinheit im Frankreichfeldzug innerhalb von 24 Stunden zurücklegte: 90 Kilometer vom Canal du Nord bis nach Abbeville an der Küste. Das XXXXI. Korps hielt rechterhand beinahe Schritt. So konnte sich an diesem Abend Kleist rühmen, drei Panzerdivisionen auf einem Frontabschnitt von 25 Kilometer Länge zwischen Abbeville und Hesdin versammelt zu haben, die praktisch nichts daran hindern konnte, entweder nach Süden in Richtung Dieppe und Le Havre oder nach Norden gegen Boulogne, Calais und Dünkirchen zu schwenken. Nicht nur waren die alliierten Armeen in zwei Hälften aufgetrennt worden; mehr und mehr wuchs die Gefahr, daß sie von ihren Nachschubbasen abgeschnitten wurden. Ein Offizier der 1. Panzerdivision berichtete: »Wir hatten ein Gefühl, wie es vielleicht ein ausgezeichnetes Rennpferd hat, wenn es von seinem Reiter kühl und mit Bedacht zurückgehalten wird, um dann plötzlich den Kopf freizubekommen, in flotten Galopp zu verfallen und als Sieger durchs Ziel zu gehen.« Aber Rennpferde machen, wie Füller einmal schrieb, »... an der Zielmarke nicht halt«, und Guderian hielt niemals mit Absicht ein galoppierendes Rennpferd zurück. So hatte er auch die Notwendigkeit verspürt, die 2. Panzerdivision am 20. Mai energisch voranzutreiben, als sie ihm mit der alten Ausrede kam, der Treibstoff gehe zu Ende, um Zeit fürs Ausruhen zu gewinnen. Zweifellos erinnerte sich Guderian an Richthofens »Hufeisenproblem« von 1914 zur Zeit des Durchbruchs in derselben Region. Diesmal fruchtete freilich die Ausrede nichts, und die 2. Panzerdivision »fand« irgendwie das Benzin, das sie bis Abbeville brachte. Halder war sicherlich überrascht; er zögerte seine Entscheidung bis zum Mittag des 21. Mai hinaus und ordnete dann eine Schwenkung nach Norden gegen Boulogne an statt den erwarteten Vormarsch nach Süden. Um die gleiche Zeit flaute Hitlers Zuversicht wieder ab, als er auf den Karten die ungesicherte Südflanke entdeckte und sich in seiner Phantasie ausmalte, welche Bedrohung bisher geheimgehaltene französische Einheiten darstellen könnten. Aber der französische Aufmarschplan hatte nichts von offensivem Wert enthüllt. Es hatte zwar einen Wechsel an der Spitze der Streitkräfte gegeben (ebenfalls ein Erfolg der Deutschen), und auch eine
Gegenoffensive zum Durchbruch durch den Panzerkorridor war im Gespräch. Aber Franzosen und Briten wußten bereits, daß diese Operation praktisch über ihre Möglichkeiten hinausging, und die Deutschen konnten sich dasselbe ausrechnen, und zwar ebenso genau anhand von Luftaufklärungsergebnissen, abgehörten Funksprüchen und Informationen von Agenten und Kriegsgefangenen, darunter mehreren ranghohen französischen Generälen, die ihnen ins Netz gegangen waren. Halder sprach sich für eine Bewegung nach Norden aus, aber es wurde Abend, bevor Kleist wieder aufbrach und Guderian anwies, in die Lücke vorzustoßen, die im von der Verteidigung entblößten Rücken der Alliierten entstanden war, und die Kanalhäfen Boulogne und Calais einzunehmen. An diesem Tag begann sich die Kette verhängnisvoller Ereignisse abzuzeichnen. Die Briten griffen in südlicher Richtung bei Arras mit Panzern an und fügten Rommels 7. Panzerdivision schwere Verluste zu. Bei Einbruch der Nacht hatte er das Schlimmste überstanden, weil es dem britischen Angriff an Gewicht fehlte, aber die Auswirkungen auf deutscher Seite waren beträchtlich. Obwohl Halder nicht im mindesten beunruhigt war - er begrüßte, wie Guderian auch, jeden mißglückten Angriff der Alliierten, der dazu beitrug, ihre Streitmächte im Kampf gegen eine geschmeidige und mit ihren Kräften haushaltende deutsche Verteidigungslinie weiter zu dezimieren -, ergriff Kleist die üblichen Maßnahmen und behielt eine Division - die 10. Panzerdivision - als Reserve zurück und schwächte Guderians Kampfkraft auf diese Weise noch mehr, denn mehrere andere Einheiten seines Korps hatten in Abbeville und in anderen Schlüsselstellungen zurückgelassen werden müssen, um die Sommeübergänge zu schützen. Auch Reinhardt fühlte sich verpflichtet, eine Division nach Osten zu beordern als Vorsichtsmaßnahme gegen die Bedrohung in Arras. Die Folge war, daß Rundstedt sich neue Sorgen machte und Hitler, unnötig zu sagen, unruhig wurde; keiner der beiden konnte sich dazu durchringen, an einen totalen Sieg zu glauben. Der fügsame Brauchitsch hatte nicht genug Willensstärke, um sie zu beruhigen oder zum Schweigen zu bringen. Von den ranghöchsten Offizieren bewies nur Halder wirkliches Verständnis für Guderian und dessen Kollegen. Inzwischen waren die alliierten Truppen im Norden auf halbe Ration gesetzt worden, und eilige Schritte wurden unternommen, um eine völlige Einkesselung zu verhindern. Kleinere britische Einheiten wurden von England herübergeschickt, um in Boulogne und Calais in Garnison zu gehen und den Weg nach Dünkirchen zu versperren, weil eine von dort erfolgende Evakuierung über See Aussicht auf Erfolg zu haben schien. Aber es sollte bis zum Morgen des 22. Mai dauern, bevor das Hauptkontingent der britischen Besatzung in Boulogne einrückte. Daraus folgt, daß Guderian oder Reinhardt, wäre am 21. Mai sofort ihr
Vormarsch auf Boulogne befohlen worden und hätten sie das gleiche Tempo vorgelegt wie am 20. Mai, die Hafenstadt praktisch ohne Verteidigung vorgefunden hätten. Ebenso hätten sie Calais für ein Butterbrot bekommen, weil auch die Garnison dieses Hafens erst am 22. Mai komplett war. Aber nach Lage der Dinge machte Guderian am 21. Mai keine Bewegung, weil, wie oben erwähnt, weder OKH noch OKW sich rechtzeitig Gedanken über die Weiterführung der Operationen gemacht hatten. Guderian war auf diese Weise das Opfer seines eigenen Tempos geworden. Dennoch reichte die Zeit noch reichlich, um alle Ziele mit geringen Kosten zu erreichen. Guderian setzte am 22. Mai um 8 Uhr früh die Bewegung nach Norden fort. Seine ursprüngliche Absicht war, die 10. Panzerdivision auf Dünkirchen, die 1. auf Calais und die 2. auf Boulogne anzusetzen. Diesen Plan mußte er jedoch aufgeben, als ihm Kleist die 10. Panzerdivision wegnahm und er nur die 2. Panzerdivision zur sofortigen Verfügung hatte, um den Vormarsch auf Boulogne zu beginnen, die er dann auch in Bewegung setzte, ohne Kleists Einverständnis abzuwarten, wie das Kriegstagebuch des Korps aufweist. Man traf unterwegs auf starken Widerstand französischer Einheiten, und auf den Anhöhen über dem Hafen hielten britische Truppen ihre Stellungen, die mit schweren Flakgeschützen ausgerüstet waren, die sie nach Art der vergleichbaren deutschen 8,8-Zentimeter-Geschütze einsetzten. Nun sahen sich die Deutschen in eine Schlacht verwickelt, wie sie ihnen bisher nur gelegentlich französische Verbände der ersten Welle geliefert hatten. Es dauerte über 36 Stunden, bis Boulogne gesäubert war. Inzwischen hatte Guderian auch wieder die 10. Panzerdivision zur Verfügung und erhielt am 23. Mai den Befehl, Calais zu belagern. Obwohl er wußte, daß britische Truppen im Anmarsch waren, sah er keine vorrangige Aufgabe in der Einnahme der Hafenstadt, die ohnehin im Lauf der Zeit fallen würde. Sein Ziel und das von Kleist war, eine solide Barriere zwischen der Kanalküste und den alliierten Armeen im Osten zu errichten und den Gegner auf diese Weise zu zwingen, sich den rettenden Weg durch einen immer dicker werdenden deutschen Ring zu erkämpfen. Als seinen Beitrag zum Schmieden dieses Rings ließ Guderian am 23. Mai die 1. Panzerdivision in Richtung Gravelines und Dünkirchen - vor allem Dünkirchen - vormarschieren. Das Tagebuch des XIX. Korps läßt keinen Zweifel an dieser Tatsache. Aus Gründen der Effekthascherei wird in der offiziellen britischen Darstellung des Frankreichfeldzuges behauptet, Guderian habe diese Befehle erteilt, ohne zu wissen, in welch schwieriges Gelände er seine Truppen warf. Dabei wird die Tatsache übersehen, daß Guderian das Gebiet zu gut aus dem Ersten Weltkrieg kannte (und es aus der Luft erkundet hatte), um die Risiken für Panzer auf diesem Boden zu
verkennen. Am 23. Mai wurden die Nachteile der Bodenbeschaffenheit mehr als wettgemacht durch ein Übergewicht an günstigen Voraussetzungen und Truppenstärke. Die Gruppe von Kleist war (trotz eines Verlusts von zehn Prozent seit dem 10. Mai) ihren Gegnern zu diesem kritischen Zeitpunkt an Zahl überlegen und besiegte sie leicht. Das deutsche Übergewicht war ganz deutlich so groß, daß Guderian im Kriegstagebuch seines Korps erklärte, es wäre »möglich und zweckmäßig gewesen, die drei Aufgaben (Aa-Kanal, Calais und Boulogne) schnell und durchschlagend zu lösen« - ein bezeichnendes Abgehen, in zuversichtlichen Worten, von seiner üblichen Forderung nach Konzentration aller Kräfte. Am Morgen des 24. Mai war Boulogne genommen, der Aa-Kanal von der 1. Panzerdivision überquert (die britische Panzer beiseite gefegt hatte, die von Calais zu einem Ausfall angerückt waren), und die durch zusätzliche motorisierte Infanteriedivisionen verstärkten Panzerdivisionen von Reinhardt und Hoth brausten heran, um den Angriff der 1. Panzerdivision auf Dünkirchen zu unterstützen. Eine ansehnliche und vielseitige Streitmacht war auf diese Weise entstanden. Ferner wurde die südliche Flanke schrittweise von Infanteriedivisionen gesichert, die im Eiltempo auf Abbeville zu marschierten, und die Befestigungsanlagen von Boulogne wurden von alliierten Kriegsgefangenen instand gesetzt - ein Verstoß gegen die Kriegsregeln. Und genau zu diesem Zeitpunkt, als Dünkirchen nur noch 25 Kilometer entfernt und reif zur Einnahme am folgenden Tag war (in britischen Lageberichten wurde der Fall der Stadt für wahrscheinlich angesehen), erfolgte der berühmte »Halt«-Befehl. Ohne in eine detaillierte Erörterung der Gründe für diesen Befehl und der sich daraus ergebenden Kette von Ereignissen einzutreten, genügt es festzustellen, daß er ursprünglich von Rundstedt am 23. Mai ausgegeben wurde. Einmal mehr hatte dieser die Nerven verloren und bemühte sich nun energisch, den Vormarsch aufzuhalten, um seine Streitkräfte zusammenzuschließen, bevor sie in heftige Kämpfe mit einem verzweifelten Feind verwickelt wurden - eine Auffassung, der Kluge, der Oberbefehlshaber der 4. Armee, die vorwiegend aus marschierender Infanterie bestand, beipflichtete. Es war reiner Zufall, daß am gleichen Tag Göring Hitler vorgeschlagen hatte, der Luftwaffe die Ehre zu überlassen, in Dünkirchen die restliche Arbeit zu besorgen, die vom Heer nahezu abgeschlossen war. Hitler, der immer noch die Besorgnis hegte, die ihn am 15. Mai befallen hatte, war hocherfreut, eine neue Lösung zu finden, zumal dadurch eine naziorientierte Organisation die Möglichkeit erhielt, sich eine größere Scheibe vom Siegeskuchen abzuschneiden. Am 24. Mai suchte er vormittags noch einmal Rundstedt auf, erfuhr von dem »Halt«-Befehl und bestätigte ihn frohen Herzens.
Guderian schreibt dazu: »Wir waren sprachlos. In Unkenntnis der Gründe hielt es aber schwer, dem Befehl zu widersprechen.« Bald sollte er erfahren, daß es ein Führerbefehl war. Das hieß, daß ein neuer Präzedenzfall für die Zukunft geschaffen worden war: Hitler hatte entscheidend in die Führung einer Schlacht eingegriffen und bei der Entscheidung über eine Operation den Chef des Generalstabes überfahren. Es kam zum Streit. Halder war entsetzt, erhob lautstarken Protest und wurde überstimmt. Zwei SS-Infanterieverbände, die anrückten, um am Aa-Kanal Stellungen der 1. Panzerdivision zu übernehmen, stießen am 26. Mai vor, um ihre Positionen zu verbessern und wurden von Guderian angespornt. Sepp Dietrich, der Kommandeur der Leibstandarte »Adolf Hitler«, genoß das Vertrauen des Führers. Am Nachmittag dieses Tages lockerte Hitler völlig unerwartet, vielleicht weil jetzt die nazitreue SS betroffen war, seine Sperre. Doch inzwischen hatten Briten und Franzosen ihre Stärke wiedergefunden, der ursprüngliche deutsche Angriffsschwung war verlorengegangen, und es kam zu erbitterten Gefechten. Nur geringe Geländegewinne konnten am 27. und 28. Mai erzielt werden. An beiden Tagen wohnte Guderian auf Beobachtungsposten in vorderster Linie den Kämpfen bei. Mit der Befürchtung, die besten deutschen Truppen könnten vergeudet werden, kehrte er zu seinem Korpsgefechtsstand zurück und erstattete Kleist Meldung in einem Bericht, den er in seinen Erinnerungen nicht erwähnt (vermutlich, weil er nach dem Krieg keinen Zugang zum Kriegstagebuch seines Korps hatte): »1. Nach der Kapitulation der Belgier (am 27. Mai - K. M.) ist eine Fortführung der Operationen hier unerwünscht, weil die Fortführung des Kampfes unnötige Opfer kostet. Die Panzerdivisionen haben nur noch 50 Prozent ihres Panzerbestandes. Dieser Bestand ist dringend reparaturbedürftig, wenn das Korps in kurzer Zeit für andere Operationen wieder verwendungsbereit sein soll. 2. Ein Angriff mit Panzern in dem durch den Regen völlig aufgeweichten Polderland ist zwecklos. Die Truppe ist im Besitz des Höhengeländes südlich Dünkirchen, sie ist im Besitz der wichtigen Straße Cassel-Dünkirchen und hat in den Höhengeländen von Crochte und Pitgam günstige Artilleriestellungen, aus denen sie Dünkirchen unter Feuer nehmen kann. Außerdem kommt der Gruppe die 18. Armee (Teil von Bocks Heeresgruppe B - K. M.) von Osten entgegen, die mit ihren infanteristischen Kräften zum Kampf im Polderland geeigneter ist als Panzer, und der das Schließen der Lücke an der Küste deshalb überlassen werden kann.« Das war die Ansicht, die Hitler und das OKW am 24. Mai geäußert hatten, als der Weg frei war. Diesmal konnte Kleist nicht umhin,
zuzustimmen und das XIX. Armeekorps als Reserve zurückzubehalten, um es auf seine nächste Aufgabe vorzubereiten, die in der Erneuerung der Offensive in südlicher Richtung bestand. Die offizielle britische Geschichtsschreibung deutet an, Guderian wäre sicher nicht so darauf aus gewesen, mit seinen Panzern im Gebiet um Dünkirchen aufzufahren, wenn er über die Bodenverhältnisse Bescheid gewußt hätte, die am 23. Mai hier herrschten, und zuweilen ist auch vermutet worden, Guderian sei sich bis dahin noch nicht völlig über die hemmende Wirkung morastigen Geländes auf Panzertruppen im klaren gewesen. Keiner der beiden Vorwürfe braucht erschöpfend untersucht zu werden. Auf den Seiten von Achtung - Panzer! wird die letztere Andeutung voll widerlegt, und es ist nicht gerechtfertigt, den Zustand der verstärkten Verteidigung Dünkirchens am 28. Mai mit der kaum existierenden vom 23. Mai zu vergleichen. Obwohl der Anschein erweckt wird, als habe Guderian mit Hitler übereingestimmt, so war dies bei weitem nicht der Fall. In der Zwischenzeit versuchte die Luftwaffe, durch Bombenangriffe das zu erreichen, was die Armee durch Besetzung hatte tun wollen. Guderians Männer genossen dadurch den Vorzug, als Zuschauer dem ersten größeren Versuch beizuwohnen, aus der Luft eine Landschlacht mit anderen Vorzeichen allein zu gewinnen - der erste einer Reihe außerordentlicher Fehlschläge, die noch kommen sollten. Es konnte keinen Zweifel mehr daran geben, daß die Panzerdivisionen sich ihre Sporen verdient hatten. Nicht einmal ihre hartnäckigsten Gegner innerhalb der deutschen Militärhierarchie konnten sie als dominierende Waffe übersehen. Diejenigen, die immer noch teilweise Bedenken hegten, bewahrten in weiser Voraussicht Schweigen, als am 28. Mai Hitler Guderian zum Befehlshaber einer Panzergruppe machte. Sie bestand aus dem XXXIX. und dem XXXXI. Armeekorps, mit je zwei Panzerdivisionen und einer motorisierten Infanteriedivision sowie mehreren zusätzlichen Verbänden. Diese Zusammenstellung machte die »Panzergruppe Guderian« (deutlich sichtbar gekennzeichnet durch den großen Buchstaben »G« auf ihren Fahrzeugen) in Wirklichkeit zu einer Armee, wenn sie auch nicht deren Namen führte. Diese deutliche Unterscheidung wurde beibehalten, um die ehrgeizigen Panzerleute in ihren Grenzen zu halten. Den Panzergruppen blieb der volle Status einer Armee versagt; sie wurden einer Armee zugeteilt - Guderians Panzergruppe wurde der 12. Armee unter Generaloberst List unterstellt , damit die traditionelle Autorität des alten Systems nicht geschwächt und entwertet würde. Der Sieg war den Deutschen sicher. Sie konnten nicht nur die Zahl der von ihnen zerschlagenen alliierten Verbände und deren zerstörtes Material genau abschätzen, wenn sie die ausgebrannten Panzer an den Schauplätzen der Kämpfe und die Gefangenen zählten, sondern sich
auch durch Abhören des gegnerischen Funkverkehrs ein genaues Bild von den improvisierten Abwehrstellungen machen, die sie zwischen der Maginotlinie und Abbeville erwarteten. Sie wußten: den Stellungen fehlte beides, Tiefe und ausreichende bewegliche gepanzerte Truppen. Weil sie das alles genau wußten, schien ihr Ziel verhältnismäßig leicht zu erreichen zu sein; schließlich war die Abstimmung ihrer Pläne für die südwärts gerichtete Offensive harmonisch. Guderian hatte sich mit Busch und Kleist ausgesöhnt, und beide waren (zu seiner Freude) außerordentlich aufrichtig in ihrem Lob für seine Leistungen gewesen. Auch mit Rundstedt, dem jetzt die 12. Armee und die »Panzergruppe Guderian« unterstellt wurden, gab es keine Reibereien mehr. Die schwachen Stellen des Gegners waren offensichtlich. In gelöster Stimmung - fast im Übermut - konnte man sich Freiheiten herausnehmen. Die Offensive sollte beginnen, sobald die verschiedenen Heeresgruppen sich von den Strapazen der vergangenen Wochen erholt und ihren Aufmarsch abgeschlossen hatten. Die Heeresgruppe B setzte sich am 5. Juni auf dem rechten Flügel in Küstennähe nach Süden in Bewegung; die Heeresgruppe A wurde bis zum 9. Juni zurückgehalten. Diesmal wurde der Infanterie Gelegenheit gegeben, wieder ihren Einfluß zu gewinnen, und zwar durch die Erlaubnis, die Offensive anzuführen und Breschen für die Panzerdivisionen zu schlagen. Das gelang nicht ohne Rückschläge. Die französischen und einige wenige britische Divisionen kämpften verbittert. Kleists Gruppe erlitt am 6. und 7. Juni südlich von Amiens erhebliche Verluste. Es war Hoths Korps auf dem äußersten rechten Flügel, an dessen Spitze mit charakteristischem Elan die 7. Panzerdivision unter Rommel vorging, dem der erste eindeutige Durchbruch gelang und das einen Nonstopvormarsch auf Rouen, Le Havre und Cherbourg begann. Aber die Dinge liefen nicht gut am 9. Juni, dem Tag, an dem Guderian einen der von Infanterie eingeleiteten Übergang über die Aisne und den Aisnekanal zwischen Chateau Porcien und Attigny ausnutzen wollte. Bei Tagesanbruch tat sie sich schwer mit der Überquerung und konnte nur einen kleinen Brückenkopf bei Chateau Porcien bilden. An anderen Stellen wurde sie zurückgeschlagen. Es wurde Nacht, bis die vordersten Panzer der 1. Panzerdivision in den Brückenkopf vorgezogen werden konnten. Den ganzen Tag über war Guderian pausenlos von einer Einheit zur anderen gefahren, hatte Erkundigungen über das Vorankommen der Infanterie eingezogen und versucht, seine künftigen Operationen mit ihr abzustimmen. Dabei traf er auf Empfindlichkeiten und hatte eine scharfe Auseinandersetzung (in der er die Oberhand behielt) mit List, der fälschlich annahm, die Untätigkeit der für den Angriff eingeteilten Panzerbesatzungen sei ein Zeichen für Guderians Ungehorsam.
Das war typisch. Während List seinen Irrtum schnell einsah, konnten viele ranghöhere Kommandeure das Gefühl nicht loswerden, daß Guderian ihre Pläne sabotierte, um die Überlegenheit seiner Panzer über die Infanterie unter Beweis zu stellen. Sie waren stets geneigt, Beispiele für seine Gehorsamsverweigerung zu finden, für die er zu dieser Zeit längst einen gut begründeten Ruf genoß. Es spielte keine Rolle, daß Guderian inzwischen an Rang dem Befehlshaber einer Armee gleichkam. Im Gegensatz zu Kleist in den ersten Maitagen war er häufig an der Front zu finden, wo er die Kommandeure sämtlicher Einheiten vom Regiment bis zum Korps anspornte und ein ermunterndes Wort für die kämpfenden Soldaten hatte. Dies hätte von seinen Untergebenen leicht als Einmischung in ihren Befehlsbereich ausgelegt werden können. Tatsächlich geschah das jedoch selten, denn einmal brauchten sie jetzt wenig Ansporn, und zum anderen, und das war meistens der Fall, sahen sie ein, daß Guderians Absicht vor allen Dingen darin bestand, ihr Vorgehen blitzartig mit den Nachbarn abzustimmen, denn er benutzte sein ausgezeichnetes Fernmeldesystem dazu, ihnen größtmögliche Unterstützung zu gewähren. Das konnte er nur durch Kurzschließen der altehrwürdigen, festgeschriebenen Glieder der Befehlskette. Einmal mehr erwies sich die bewegliche Panzerwaffe bei den Kämpfen überlegen, zu denen es in den französischen Verteidigungslinien südlich Rethel kam. Wo die Infanterie ohne Unterstützung angriff, wurde sie oft zurückgeschlagen, aber sobald Panzer eingriffen, liefen die Operationen flüssig weiter. Wenn die Deutschen Zeit verlorengehen ließen und Gegenstöße französischer Panzer entwickelten - sogar wenn dabei nur einige wenige Char B-Panzer in Aktion traten -, kam das Vorgehen zum Stillstand, bis das Panzergefecht entschieden war. Die französischen Panzerbesatzungen hatten das klägliche Zögern, das ihre Aktionen bei Sedan so sehr gebrandmarkt hatte, überwunden und konterten diesmal prompt jedes deutsche Eindringen. Entschieden wurde die Schlacht schließlich eher durch die zahlenmäßige Übermacht der Deutschen und ihre bessere Technik als durch die Überlegenheit ihrer Panzer. An Ort und Stelle leitete Guderian selbst Versuche mit einem Char B. Er ließ ein erbeutetes französisches 4,7-Zentimeter-Panzerabwehrgeschütz (das, wie er wußte, dem deutschen Kaliber 3,7 überlegen war) auf den Panzer schießen und stellte fest, daß der Char B von vorn unverwundbar war. Die Geschosse prallten an der französischen Panzerung ab, und die Wracks deutscher Panzer und Geschütze in der Landschaft um Juniville bestätigten seine Meinung, daß die deutsche Panzerung zu dünn und die deutschen Geschütze nicht wirksam genug waren. Bald wurde der Durchbruch erzielt, und sofort begannen bewegliche Operationen. Auch wenn die Franzosen noch so sehr versuchten, durch
Aufbietung der letzten Überreste ihrer beweglichen Divisionen die heranbrausende Lawine aufzuhalten, waren sie verloren - wie sie es seit dem anfänglichen Rückschlag bei Sedan gewesen waren. Ihre Kampfmoral brach erneut nach zeitweiligem Wiederaufleben zusammen. Es ist nicht notwendig, im einzelnen den Wettlauf der »Panzergruppe Guderian« zur Schweizer Grenze zu verfolgen. Aufs Geratewohl herausgegriffene Eindrücke genügen. Am 11. Juni konnte er beobachten, wie die 1. Panzerdivision Bethenville mit einem wahren Panzer- und Infanterie-Bilderbuchangriff, unterstützt durch die Artillerie, nahm und sich in der Erinnerung zu jenem Septembertag des Jahres 1914 zurückversetzen, als er hier nach der schrecklichen Niederlage in der Marneschlacht eingetroffen war, seiner Truppe und aller Dinge außer seinen Idealen beraubt, und von der Geburt seines ersten Sohnes erfahren hatte. Jetzt war er der Sieger, war von seinem triumphierenden Heer umgeben, und der Sohn war schon unter den Verwundeten. Ein Brief an Gretel, am 15. Juni, einen Tag nach der Einnahme von Paris, geschrieben, legt kurz und bündig von der Entwicklung der Lage, wie er sie sah, Zeugnis ab: »Ich schrieb Dir neulich, daß die Front ins Rutschen kommen würde. Am Tag nach Chalons fielen Vitry-le-Francois und St. Dizier, gestern Caumont und heute Langres. Wir sind meiner Ansicht nach durchgebrochen und ich hoffe, heute noch Besanfon zu erreichen. Das wäre ein großer Erfolg, der auf die ganze Maginotlinie zurückwirken müßte und wohl auch politische Folgen haben könnte. Ich bin sehr glücklich, daß trotz enormer Schwierigkeiten durch ständige Richtungsänderungen diese Leistung erzielt werden konnte. Der Kampf gegen die eigenen Oberen macht manchmal mehr Arbeit als der gegen den Franzosen. Das Land ist in katastrophaler Verfassung. Infolge der Zwangsräumung herrscht ein unbeschreibbares Flüchtlingselend, und alles Vieh geht zugrunde. Alle Orte sind leergeplündert durch Flüchtlinge und französische Soldaten. Erst jetzt spärliche Zivilbevölkerung angetroffen. Das Mittelalter war human gegen die Jetztzeit.« Dieser in der Hitze des Gefechts geschriebene Brief aus der Feder eines kriegführenden Generals ist deshalb ungewöhnlich, weil in ihm Mitleid zum Ausdruck kommt. Erziehung und Umstände lassen Generäle nur selten sehr tief über die Leidenden nachdenken, wenn sie in einer Schlacht stehen, Zyniker mögen Guderians Empfindungen leicht als Krokodilstränen abtun, die ein typisches Produkt der preußischen Militärmaschinerie vergießt. Aber so eine Einstellung lag nicht in der Natur Guderians. Aus seinen Briefen spricht stets eine tiefe Wahrhaftigkeit, die auch in den Abschnitten seiner Bücher, in denen er zu irgendwelchen Dingen Stellung nimmt, und in seinen Gesprächen zum Ausdruck kommt und derartige Unterstellungen zurückweist. Selbstverständlich war er stolz auf seine Leistung, die Truppe mit Erfolg
zur Vernichtung des Feindes geführt zu haben, aber das war eher der klinisch saubere Stolz des Technikers. Dieser Mann war frei von Rassenhaß und machte nie ein Hehl aus seiner Abneigung gegen Zerstörung und die Nebenfolgen des Krieges. Derselbe Brief macht auch einen Kommentar zu seinem Hinweis auf »Richtungsänderungen« erforderlich. Unschlüssige Befehle stammten von ganz oben - von Hitler -, obwohl nur die ranghöchsten Militärs damals davon wußten. Halder blieb unnachgiebig in der konventionellen Forderung, daß das »Ziel unserer Operationen die Zerstörung der restlichen feindlichen Streitkräfte« sein müsse. Hitler andererseits zwang am 6. Juni Brauchitsch seinen Willen auf mit der Forderung, »... zunächst sich das lothringische Eisenerzbecken zu sichern, um so Frankreich seiner Rüstungsindustrie zu berauben« - ein wirklich unglaublicher Wunsch angesichts ganz eindeutiger Anzeichen, daß Frankreich niedergeworfen und gar nicht in der Lage war, Deutschland daran zu hindern, sich das, was es haben wollte, sofort zu nehmen. Darüber hinaus ignorierte Hitler das logische Argument des Generalstabes, eine territoriale Besetzung sei ohne Wert, solange nicht die Streitkräfte des Gegners besiegt seien. Die Konfrontation in dieser aktuellen Frage wurde dadurch aufgehoben, daß Frankreich wenige Tage darauf um einen Waffenstillstand bat. Auf längere Sicht war natürlich ein grundlegendes Prinzip eingeführt worden: künftig würde sich Hitler routinemäßig in Einzelfragen militärischer Planung einschalten und einen Generalstabsoffizier gegen den anderen im Bereich von Strategie und Taktik ausspielen. Der Chef des Generalstabes war erneut in seiner Macht und seinem Einfluß beschnitten worden, während der Oberbefehlshaber zu einer Marionette wurde, was zu einem späteren Zeitpunkt bedeutsame Rückwirkungen auf Guderian hatte. Für Guderian wurde das fast alltägliche Umschalten von wesentlichen Zielsetzungen auf Prestigeziele mehr zu einer Quelle des Ärgernisses als der Besorgnis. An einem Tag sollte er angewiesen werden, eine Schwenkung zu machen und Verdun einzunehmen, am nächsten St. Mihiel, Städte, die bittere Erinnerungen an die Vergangenheit hervorriefen, statt daß er einen gradlinigen Kurs auf Ziele zusteuern konnte, die zur Vernichtung der gegnerischen Streitkräfte führten. Natürlich war es leicht, als der feindliche Widerstand nachließ, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Guderian ließ nur das XXXIX. Korps in strategisch wünschenswerter Richtung vormarschieren und setzte das XXXXI. Korps ein, um andere Objekte aus dem Weg zu räumen. Eine flexible Haltung läßt sich leichter einnehmen, wenn Hilfsmittel im Überfluß vorhanden sind. Am 17. Juni - seinem 52. Geburtstag erreichte das XXXIX. Korps Pontarlier an der Schweizer Grenze, aber das war mehr eine symbolische Leistung im Vergleich zu der wichtigen 90-Grad-Drehung in nordöstlicher Richtung, die die beiden
Panzerdivisionen dieses Korps am Tag zuvor gemacht hatten. Unter Einsatz seiner beiden Korps erzielte Guderian an breiter Front einen Vorstoß ins Elsaß und schloß damit die größte Einkesselung des gesamten Feldzuges ab. Zusammen mit der 7. Armee, die von Osten her anrückte, wurden über 400.000 französische Soldaten gefangengenommen, darunter sämtliche Besatzungen der Garnisonen der Maginotlinie. Ihr Beitrag zur Verteidigung ihres Landes war wertlos gewesen. Guderians Manöver, eine wahrhaft bemerkenswerte Leistung auf dem Gebiet der Kriegskunst, erfolgte praktisch von der Geschichtsschreibung unbemerkt - vielleicht deshalb, weil Guderian und Nehring schwierige Aufgaben dieser Art so einfach aussehen ließen, wahrscheinlicher, weil größere Ereignisse bevorstanden. Aber wenn Patton oder Montgomery in den darauffolgenden Jahren ähnliche Änderungen ihrer Vormarschrichtung vornahmen, wurde ihrer Tapferkeit lauter Beifall auf den Rängen zuteil. In Wirklichkeit hätte einem anderen Tribut gezollt werden müssen dafür, die Methoden erarbeitet zu haben, die den Amerikanern und Engländern Triumphe einbrachten. Ein Waffenstillstand wurde am 22. Juni in Rethondes geschlossen. Hitler und Deutschland sonnten sich im Ruhm. Das tat auch Guderian, denn plötzlich war er überall bekannt, zu einem Helden geworden, den die Propaganda als einen der Väter des Sieges pries. Die Gruppe Guderian habe 250.000 Gefangene in einem Zeitraum von 13 Tagen gemacht, hieß es. Joseph Goebbels und seine Leute stellten Guderian heraus und ließen ihn über den Rundfunk zur deutschen Bevölkerung sprechen. »Wie nett, daß Du meine Rundfunkansprache gehört hast; nun macht sie mir erst richtig Spaß«, schrieb er an Gretel. Es gab enorm viel Verehrerpost und ungeheuer viel Korrespondenz zu bewältigen. »Neulich schickte mir ein ehemaliger Gefreiter aus dem Weltkrieg eine Ziehharmonika aus seiner Fabrik... Fabelhaft, wie aufmerksam manche Leute sind.« Sobald der Frankreichfeldzug vorüber war, wies er seinen Propagandaoffizier Paul Dierichs an, Filme über den Verlauf der Kämpfe aufzutreiben und sie den Soldaten vorzuführen. Später wurde aus diesem Material ein Dokumentarfilm hergestellt, der Guderian als Kommandeur und die gesamte Panzerwaffe pries. Nie ließ er eine Gelegenheit aus, für seine Organisation (und damit auch für sich selbst) Reklame zu machen als Konter gegen die, die ihm den Triumph noch immer neideten. Aber Dierichs unterstreicht die Tatsache: »Er wußte von der Bedeutung seines Erfolges, aber das hat ihn menschlich nicht überheblich gemacht.« Es gab ernstere Überlegungen anzustellen, darunter solche in Verbindung mit der begründeten Hoffnung, daß der Krieg zu Ende sei,
weil man annahm, daß Großbritannien aufgeben werde. Diese Hoffnung sollte sich nicht erfüllen, wie sich bald herausstellte; die Engländer kämpften weiter, aber ohnehin war auf deutscher Seite weder Guderian noch sonst jemand sich bewußt, daß Hitler neue Pläne schmiedete, die keinen Frieden zuließen. Guderian bewies indessen die gleiche ruhelose Eroberungssucht wie sein Führer, als er am 27. Juni zu einem Meinungsaustausch mit General Ritter von Epp zusammentraf, der ihn während einer Visite an der Front aufsuchte. Er berichtete Gretel, man habe »Kolonialfragen« erörtert. Das taten die beiden Männer wirklich, denn Epp war Experte für dieses Thema; aber in der Diskussion wurde auch die einzuschlagende Taktik für den Fall, daß Großbritannien die Kämpfe fortsetzte, zur Sprache gebracht und über die Art und Weise beraten, wie der verbleibende Feind anzugreifen sei. Die entsprechenden Passagen in den Erinnerungen sind lesenswert als Ausdruck von Guderians damaliger Einstellung und als Beweis für seine präzise Erkenntnis der strategischen Situation und des sich verschiebenden Kräfteverhältnisses zu einem Zeitpunkt, als sich die besiegten Franzosen voll Wut über die Engländer ausließen und Italien schon an der Seite Deutschlands in den Krieg eingetreten war. Guderian erklärte nach dem Krieg: »Angesichts der Unzulänglichkeit unserer Vorbereitungen zur See und in der Luft, die keinesfalls für eine Landung auf den Britischen Inseln ausreichten, mußten aber außerdem auch andere Lösungen erwogen werden, wie man dem seegewaltigen Gegner so weh tun konnte, daß er verhandlungs- und friedensbereit wurde.« Er fuhr dann in seinem Buch fort: »Damals erblickte ich den wirksamsten Weg zur Herbeiführung eines baldigen Friedens in der unverzüglichen Fortsetzung unserer Operationen zur Rhonemündung, um sodann - nach Gewinnung der französischen Mittelmeerhäfen im Zusammenwirken mit den Italienern - zu einer Landung in Afrika und zur Wegnahme von Malta durch die Luftwaffe mit ihrer vortrefflichen Fallschirmtruppe zu gelangen. Schlossen sich die Franzosen uns zu diesem Vorhaben an - um so besser. Wenn nicht, mußte der Krieg von den Italienern und uns allein weitergeführt werden, und zwar sofort. Die damalige Schwäche der Engländer in Ägypten war bekannt. Noch bestanden die starken italienischen Kräfte in Abessinien. Die Verteidigung Maltas gegen Luftangriffe war unzulänglich. Alles schien mir für die Fortsetzung unserer Operationen in dieser Richtung zu sprechen, nichts dagegen. Mit einer Überführung von vier bis sechs Panzerdivisionen nach Afrika war eine überwältigende Übermacht über die Engländer so schnell dort zu versammeln, daß der Antransport britischer Verstärkung zu spät kommen mußte.« Epp war natürlich ein eingefleischter Nazi, einer der ursprünglichen Freikorpskämpfer, der sich einen Ruf als gnadenloser Verfolger der
deutschen Kommunisten erworben hatte und von Anfang an geholfen hatte, die NSDAP zu finanzieren. Als Mitglied des Reichstages und Chef des Parteiamtes für Kolonialpolitik gehörte er zu den engsten Vertrauten des Führers, obwohl er insgeheim denen recht gab, die daran zweifelten, daß es weise gewesen war, Deutschland in einen großen Krieg zu verwickeln. Guderian versichert, Epp habe seine Gedanken Hitler vorgetragen, doch dieser habe ein Eingehen auf die Vorschläge Guderians abgelehnt. Das ist nicht ganz korrekt. Hitler, nicht wenig von Jodel inspiriert, prüfte nach dem Fall Frankreichs eine Reihe von Projekten, darunter auch die Zusammenarbeit mit den Italienern bei einer Invasion Ägyptens. In dieser Frage wurde er jedoch von Mussolini heftig abgewiesen, der sich ein wenig Ruhm in seiner eigenen Einflußsphäre sichern wollte. Er streckte auch die Fühler nach Spanien aus und erkundete die Möglichkeit eines Marsches auf Gibraltar. Ferner suchte Hitler mit Hilfe der Waffenstillstandskommission seinen politischen Einfluß auf das französische Nordafrika auszudehnen. Dazu setzte sich Großadmiral Raeder stark für die Marine ein und legte Pläne vor, die deutsche Flotte in Verbindung mit einer U-Boot-Offensive strategische Punkte in Afrika, darunter auch an der Westküste, erobern zu lassen. Es gibt heute nur noch wenige (und vielleicht gab es damals noch weniger Leute, die davon wußten), die die Richtigkeit dieser Seestrategie oder ihre wahrlich sicheren Erfolgsaussichten bestreiten würden. Hitler indessen war eine Landratte, die zwar die Reize des Meeres anerkannte, aber die Abenteuer zu Wasser den Seeleuten überließ. Er zog es vor, seine Armee auf festem Boden einzusetzen, ausschließlich in ihrer natürlichen Umgebung, und mit Aufgaben zu betrauen, von denen er glaubte, er verstünde sie am besten. Ohne daß ein anderer davon wußte, hatte Hitler nie ein Projekt vergessen, das ihm schon immer vor Augen geschwebt hatte, und starrte jetzt mit räuberischen Gelüsten auf die Sowjetunion. Bis zum 22. Juli waren sowohl Brauchitsch als auch Halder über die Absichten ihres Obersten Feldherrn unterrichtet worden und hatten bereits in groben Zügen einen Plan für den Feldzug im Osten entworfen. Es blieben weder Truppen noch Material für andere Projekte übrig, so erfolgversprechend sie auch sein mochten. Statt dessen wurde das Gespenst des Zweifrontenkrieges, das Guderian und jeder vernünftig denkende Deutsche so sehr fürchteten, wieder ausgegraben.
8 DAS SCHICKSAL EINES HELDEN
Im Morgengrauen des 22. Juli 1941 beobachtete Heinz Guderian, Liebling der Propagandaleute und Befehlshaber der stärksten von vier deutschen Panzergruppen, wie seine Korps und seine Divisionen zum Angriff auf die Sowjetunion antraten. Dicht neben ihm stand ein offizieller Kriegszeichner, steif mit Uniform und Stahlhelm bekleidet, und versuchte, auf einem Skizzenblock die zuversichtliche Stimmung festzuhalten, die sich auf dem Gesicht eines der Propagandahelden von Goebbels widerspiegelte. Aber wie viele der Männer, die an diesem Tage »... an dem die Welt den Atem anhielt«, nach Osten marschierten, fühlten sich von Hitlers Versprechen überzeugt, binnen acht Wochen den Sieg zu erringen und wie viele waren frei von schicksalhaften Ahnungen? Guderian war weit davon entfernt, sich in seiner Haut wohl zu fühlen, obwohl er wie gewöhnlich alles darangesetzt hatte, seine Pflicht zu tun und aus einer schlechten Aufgabe das Beste zu machen. Das Jahr der Begeisterung, das dem Triumph in Frankreich gefolgt war, war auch ein Jahr der Verwirrung gewesen. Einerseits hatte er sich aufrichtig im Glorienschein des Erfolges gesonnt, war andererseits aber entsetzt gewesen, daß die Früchte des Sieges verschwendet wurden. Am 19. Juli 1940 war er zum Generaloberst befördert worden. Sein Name stand auf der gleichen Beförderungsliste wie der von zwölf dienstälteren Generälen, die in den Rang eines Generalfeldmarschalls erhoben wurden, unter ihnen Brauchitsch, Keitel, Rundstedt, Bock, Reichenau, List und Kluge. Bei dieser Gelegenheit nicht zum Feldmarschall befördert wurde (und das fiel allgemein auf und war Gegenstand für ratloses Staunen) Halder, der sich paradoxerweise zum Verständnis der richtigen Rolle der Panzertruppe durchgerungen hatte, wie sie Guderian vorschwebte. Er war jedoch zu seinem Unglück bei Hitler in Ungnade gefallen. Der Krieg schien für das Heer stillzustehen, als Marine und Luftwaffe mit völlig unzureichenden Mitteln versuchten, Großbritannien zu erobern, nachdem es Hitler nicht fertiggebracht hatte, mit den Engländern Frieden zu schließen. Guderian war an seine alte Routinearbeit zurückgekehrt, Panzerdivisionen auf einen Feldzug vorzubereiten, dessen Himmelsrichtung zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht feststand, und bemühte sich, sie stärker und besser auszurüsten. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme lag auf der Hand. Eine waffenstarrende Welt kopierte fleißig Guderians Methoden, und Deutschlands Überleben mußte davon abhängen, ob es ihm gelang,
beim Wettrüsten einen Schritt oder zwei vorn zu bleiben. Hitler war vorübergehend den Panzern verfallen, und seine Begeisterung für technische Neuerungen schwankte so wild, wie sie es in politischen und strategischen Fragen tat. Als sich der Feldzug gegen Rußland klar am Horizont abzuzeichnen begann, forderte er eine Erhöhung der Panzerproduktion von bisher 125 pro Monat auf 800 bis 1.000 Stück mit dem Hintergedanken, die Zahl der Panzerdivisionen zu verdoppeln. Dr. Fritz Todt, Minister für Rüstung und Kriegsproduktion, machte dem Führer klar, daß ein Programm dieser Größenordnung nicht über Nacht anlaufen könne, daß sich die Kosten für dieses Projekt auf schätzungsweise zwei Milliarden Mark beliefen, daß es zusätzlich die Einstellung von rund 100.000 Arbeitern und Technikern erfordere und unvermeidlich eine Streichung oder Reduzierung anderer Projekte wie U-Boot-Bau und Flugzeugkonstruktion mit sich bringe. Es war eine Ironie des Schicksals, daß die industriellen Kapazitäten der besiegten Nationen nicht ausreichten, um Deutschland zu helfen, und daß keines der vielen tausend erbeuteter Panzerfahrzeuge für die deutschen Methoden des Panzerkriegs etwas taugte. Hitler hörte auf Todt und befahl eine Verdoppelung der Panzerdivisionen unter gleichzeitiger Halbierung ihrer Panzerkontingente (auf eine Stärke, die zwischen 150 und 210 Panzern schwankte) oder anders ausgedrückt, unter Verdoppelung der infanteristischen Komponente. Guderian beklagt sich darüber, daß seine Meinung zu dieser Umstellung nicht eingeholt wurde, aber das hätte auch überrascht. Seine Ansichten waren wohlbekannt und wurden im Prinzip auch akzeptiert. Sie waren durch die Berichte bestätigt worden, die er und die anderen Befehlshaber nach dem Frankreichfeldzug erstellt hatten. Darüber hinaus war der Plan zum Einfall in die Sowjetunion ein streng gehütetes Geheimnis, das im Herbst 1940 nur wenige kannten. Praktisch einstimmig lehnten die Panzerführer die leichten Panzer Pz I und II - ab, die nur dann im Feld nicht versagt hatten, wenn sie für Hilfsaufgaben eingesetzt worden waren. Diese Fahrzeuge mußten ausrangiert werden. Weiter waren sie sich klar darüber, daß die Panzertypen Pz III und IV bessere Geschütze und eine stärkere Panzerung erhalten mußten, um sich mit den verbesserten ausländischen Panzern messen zu können, die bald erscheinen mußten. Das Wettrennen zwischen Waffe und Schutz war eine historische Unvermeidlichkeit, der sich die Panzer nicht entziehen konnten. Aber eine Beteiligung an diesem Rennen führte automatisch zu Produktionsverzögerungen, gerade als der Ruf nach einer Heraufsetzung der Herstellungszahlen laut wurde und die Geheimdienste nichts über die feindlichen Panzer, besonders die russischen, erfahren konnten, die mehr als nur leicht bewaffnet und gepanzert waren. OKW und Heereswaffenamt schlossen schließlich
einen Kompromiß - was gewöhnlich notwendig ist, wenn man sich auf die Spezifizierung einer Waffe einigen will -, demzufolge die Bestückung des Pz III mit einer kurzen L 42-Kanone vom Kaliber 5 Zentimeter vergrößert wurde. Dieses Geschütz besaß eine viel geringere Geschwindigkeit und Präzision als das lange L 60-Modell, das auf Feldlafetten für die Infanterie eingeführt wurde. Was die Infanterie innerhalb der Panzerdivision betraf, so erhielt sie ein paar zusätzliche Schützenpanzerwagen auf Halbkette, obwohl der wirkliche Anteil der so ausgestatteten Einheiten weniger als ein Drittel betrug, so wie es 1940 gewesen war. Die übrige Infanterie mußte sich weiterhin mit ungünstig gebauten, ungepanzerten Radfahrzeugen von unterschiedlicher Geländegängigkeit und einer Kampfeffizienz, die gleich null war, begnügen. Trotzdem war die Kampfkraft der Panzerdivisionen 1941 höher als ein Jahr zuvor. Das lag einmal daran, daß die leichten Panzer durch mittelschwere ersetzt worden waren, hauptsächlich aber an der gestiegenen Zuversicht und Erfahrung bei der großen Zahl von Offizieren und Mannschaften, die durch die Praxis unschätzbare Einblicke in die Möglichkeiten und Techniken gepanzerter, beweglicher Kriegführung erhalten hatten. Heldenmut in Verbindung mit einer Vielzahl von Talenten in den Reihen ihrer Panzerleute hatten die Deutschen vorangebracht und ihnen einen Vorsprung von drei Jahren gegenüber ihren künftigen Gegnern eingebracht. Im November 1940 erfuhr Guderian von dem Plan, in die Sowjetunion einzumarschieren. Er war verblüfft*. Seiner eigenen maßgeblichen Meinung nach, die er in Achtung - Panzer! vertrat, besaßen die Russen 1937 rund 10.000 Panzer. Jetzt verlautete aus zuverlässiger Quelle, sie hätten inzwischen 17.000 Stück. Aber es war die damit in Zusammenhang stehende Furcht, die er mit jedem gebildeten deutschen Offizier und vielen anderen Leuten teilte: die Furcht vor den fatalen Folgen, die die Aufnahme eines Krieges an zwei Fronten mit sich brachte (wie sie Deutschland im Ersten Weltkrieg ins Verderben gestürzt hatte) und die bei ihm »Enttäuschung und Entrüstung« hervorrief. Obwohl das OKW folgerte, dazu werde es nicht kommen, weil die Sowjetunion längst ausgeschaltet sein würde, bevor Großbritannien wieder in den Krieg eingreifen konnte, hatten sich die Lehren aus der Geschichte zu tief in die deutschen Gemüter eingeprägt, um durch eine glattzüngige Ausrede vergessen zu werden. Krampfhaft hielt der Generalstab nach Präzedenzfällen Ausschau, indem er Napoleons Rußlandfeldzug von 1812 untersuchte. Eine Übersetzung von Caulaincourts Memoiren war seit 1937 in den deutschen Buchhandlungen erhältlich und wurde 1941 über Nacht zu einer begehrten und düsteren Lektüre derer, die dabei waren, einen
Vormarsch auf Moskau zu planen. Guderian hatte sein Exemplar vor dem Krieg gekauft! *
Gegenteilige Vermutungen einiger Quellen werden durch Guderians private Aufzeichnungen, besonders die Briefe an seine Frau, nicht bestätigt.
Proteste ließ Guderian mehr als einige andere laut werden. Er sandte den Chef seines Stabes mit seinen Einwänden zum OKH, aber hier wollte man ihn nicht anhören. Brauchitsch hatte seit langem seinen wirksamen Widerstand gegen Hitler und das OKW aufgegeben (er zog in der Kriegszeit persönliche Ruhe vor), während Halder, der sich darüber im klaren war, daß er keine Unterstützung bei seinem Oberbefehlshaber zu erwarten hatte und vielleicht meinte, das Projekt sei realisierbar, sich mit Mitteln beschäftigte, um eine schnelle militärische Entscheidung herbeizuführen. Aber der Feldzug gegen die Sowjets sollte nicht das einzige Projekt des Jahres 1941 bleiben. Ganz andere Dinge kamen hinzu. Zwei Panzerdivisionen mußten im Februar nach Libyen entsandt werden, um die Italiener zu unterstützen, die versagt hatten und von einer kleinen britischen Panzerstreitmacht besiegt worden waren. Eine Invasion Jugoslawiens und Griechenlands mußte, ziemlich wider Willen, im April unternommen werden, um eine südliche Flanke zu verstärken, die verwundbar geworden war, nachdem die Italiener vergeblich versucht hatten, Griechenland zu erobern. Diese größeren Zersplitterungen der Kräfte, zu denen sich noch weitere kleinere Verpflichtungen an einer Vielzahl von Schauplätzen gesellten, schwächten die Kampfkraft der für das russische Abenteuer vorgesehenen Kräfte und machten eine totale Konzentration auf das größte militärische Unternehmen der Geschichte unmöglich. Ein Krieg an zwei, wenn nicht sogar drei, Fronten war bereits gewiß. Voll innerer Unruhe wandte sich Guderian den militärischen Erfordernissen zu, die sich wie gewöhnlich im Lauf der nächsten Zeit infolge neuer Auffassungen nach langen Diskussionen und Kriegsspielen dauernd änderten. Drei Heeresgruppen - Nord, Mitte und Süd - sollten auf Leningrad, Moskau bzw. die Ukraine vorstoßen, aber wie schon in Frankreich überdeckten Unstimmigkeiten sowohl das Ziel des ganzen Feldzuges als auch die militärischen Operationsziele im einzelnen. Eine nebulose Debatte ergab verschwommene Vorstellungen vom Zweck der Operationen. Einmal sollten sie sich gegen territoriale und wirtschaftliche Objekte richten, dann wiederum in der Absicht unternommen werden, russische Streitkräfte zu vernichten. Doch in Wahrheit waren die divergierenden Zielsetzungen praktisch mit einer Politik identisch. Das Vorgehen in Richtung auf Leningrad, Moskau oder Kiew mußte mit Sicherheit die sowjetischen Streitkräfte in den Kampf ziehen. Das Zusammentreffen politischer und militärischer Notwendigkeiten brachte
Verwirrung. Neben der eingewurzelten Überzeugung von der absoluten Unerläßlichkeit, die gegnerische Armee zu vernichten, war Guderian auch von der historisch psychologischen Erfordernis bewegt, sich eines politischen Zieles zu bemächtigen. Für ihn war die Einnahme Moskaus das absolute Ende - ein Glauben, den er bis Kriegsende hatte. Doch was er und so wenige seiner Zeitgenossen erkannten, war die Notwendigkeit, einen echt psychologisch fundierten, politischen Sieg über ein Land zu erringen, dessen Größe eine völlige Besetzung ausschloß. Nach Aussage von Wilfried Strik-Strikfeld, der mit andersdenkenden sowjetischen Kreisen zusammenarbeitete, deren erklärter Wunsch es war, das stalinistische Regime zu stürzen, und der 1945 mit Guderian sprach, hatte dieser bis nach Kriegsschluß nicht die entfernteste Idee, daß die Eroberung Moskaus nicht den Schlußstrich unter den Krieg gegen die Sowjetunion bedeuten mußte, sondern erst eine ehrliche Erklärung über eine Zusammenarbeit mit antistalinistischen Elementen möglicherweise das gewünschte Ergebnis erbracht hätte. Die Sowjetunion sollte durch brutale Gewalt unterworfen und ihre Bevölkerung durch die Nazielemente eingeschüchtert werden, die unter dem Banner von Himmlers SS eingesetzt wurden. Den Armeen sollten die Einsatzgruppen folgen, deren von Alfred Rosenberg überwachte Aufgabe die Ausrottung war, die aber in Wirklichkeit einen potentiellen Verbündeten vor den Kopf stießen. Denn in der Sowjetunion gab es eine Unzahl von möglichen Freunden Deutschlands, die nichts sehnlicher wünschten als die Befreiung. Die Panzergruppe 2, die durch ein Infanteriekorps und weitere zwei Infanteriedivisionen für das erste Antreten verstärkt worden war, stellte folgende Einheiten für die Angriffsverbände: das XXIV. Panzerkorps, das sich aus einer Kavalleriedivision, zwei Panzer- und einer motorisierten Infanteriedivision zusammensetzte; das XXXXVII. Panzerkorps mit zwei Panzer- und einer motorisierten Infanteriedivision; das XXXXVI. Panzerkorps, bestehend aus einer einzigen Panzerdivision sowie der motorisierten SS-Infanteriedivision »Das Reich« und dem Infanterieregiment »Großdeutschland«. In bestimmtem Abstand zu Guderians nördlichem Flügel sollte die Panzergruppe 3 unter Hoth mit ihren zwei Panzerkorps vorrücken. Beide Panzergruppen sollten gemeinsam Bocks Heeresgruppe Mitte anführen, deren Aufgabe, wie sie Bock verbindlich festgelegt hatte, darin bestand, die gegnerischen Truppenkonzentrationen im Grenzgebiet zwischen Pripjetsümpfen und Punkten nördlich von Suwalki zu überrollen, den Gegner, wo immer er angetroffen wurde, zu vernichten und einen 650 Kilometer weiten Vorstoß in allgemeiner Richtung auf Smolensk zu unternehmen ohne Rücksicht auf die Entwicklung in den benachbarten
Abschnitten. Die Instruktionen waren verständlicherweise etwas vage gehalten, weil Hitler und das OKH die Ansicht vertraten, die Stadt Minsk in 320 Kilometer Entfernung sollte das erste Ziel sein, während Bock sich in völligem Einverständnis mit Guderian und Hoth für Smolensk aussprach. Das Ergebnis war, daß Bock von Anfang an ein Element der Ungewißheit in den Angriffsplan einfließen ließ, das zur Folge hatte, daß weder Guderian noch Hoth sich voll über ihr endgültiges Angriffsziel im klaren waren. Kernpunkt des Problems war eine Verkennung der Rolle und Kraft schnellbeweglicher Truppen im Verhältnis zu den langsameren pferdebespannten und zu Fuß marschierenden Divisionen, eine fundamentale Meinungsverschiedenheit mit Leuten wie Halder, die trotz der Erfahrung von 1940 aus dem Frankreichfeldzug weiter darauf pochten, daß die motorisierten Truppen nicht zu weit vor der marschierenden Masse vorrücken durften. Quelle der Unentschlossenheit war das Zögern des Oberbefehlshabers von Brauchitsch. Zusätzlich geriet dann noch Sand ins Getriebe durch die Wiederanwendung der alten taktischen Regel, daß Infanterieverbände die Offensive über den Bug bei Brest-Litowsk einleiten sollten, Guderians Panzergruppe 2 das Ausbrechen aus dem Brückenkopf überlassend. Der Oberbefehlshaber der benachbarten 4. Armee war Kluge, mit dem Guderian in gleicher Gegend im September 1939 eine leichte Auseinandersetzung über das Zerreißen seines Korps gehabt hatte. Wieder beharrte Guderian auf seinen Grundsätzen. Ein unmittelbarer und dauerhafter Erfolg werde, so argumentierte er, von der Anwendung eines Höchstmaßes an Überraschung, Schock für den Gegner, tiefem Vordringen und Tempo von Anfang an abhängig sein. Dies könnten die Infanteriedivisionen nicht garantieren, wohl aber die Panzerdivisionen, wie die Erfahrung an der Aisne im Juni 1940 gelehrt habe. Guderian setzte sich durch, obwohl ihm gleichzeitig sein gesunder Menschenverstand sagte, daß ein Infanteriekorps nötig war, um die Festung Brest-Litwosk mit ihrem wichtigen Nachschubzentrum zur Übergabe zu zwingen. Zu diesem Zweck wurde ihm vorübergehend der Befehl über das XII. Korps übertragen. Wieder einmal führte seine Bereitschaft, bei einer Debatte nicht nur eigene Vorschläge zu unterbreiten, sondern auch die Anregungen anderer zu akzeptieren, zu einer fruchtbaren Ideenverbindung, denn gleichzeitig wurde die Panzergruppe 2 im Anfangsstadium Kluges 4. Armee unterstellt, weil sie in deren Sektor operierte. In den folgenden Monaten sollte Guderians Gruppe noch mehrfach unter Kluges Befehl treten und ihn wieder verlassen, aber meist blieb sie indirekt oder direkt unter Bock bei der Heeresgruppe. So wurde das persönliche Verhältnis zwischen diesen drei Männern wichtig für die Weiterführung des Feldzuges und für Guderians zukünftiges Schicksal - eine Beziehung,
die abhängig war vom großen Einfluß Halders bei seinen endlosen Debatten mit Brauchitsch und Hitler. Innerhalb der gesamten Armee wurde Bock als »schwierig« im Umgang mit seinen Vorgesetzten eingestuft und als ein Mann bezeichnet, dem man es als Untergebener nur schwer recht machen konnte, obwohl in letzter Hinsicht Guderian auf wenig Probleme stieß. Gemeinsam brachten sie hervorragende Ergebnisse zustande, weil beiden eine generalstabsmäßige Auffassung der Strategie zur Gewohnheit geworden war und Bock darüber hinaus, wie es die Regeln verlangten, Guderian dessen eigene Taktik anwenden ließ. In seinen Briefen hob Guderian oft die guten Beziehungen zur Heeresgruppe hervor. Und dennoch sagt es uns einiges über Guderian, wenn er davon spricht, daß er Rundstedt den Vorzug gab, trotz dessen offensichtlicher Schwächen als Oberbefehlshaber. Diese Großzügigkeit läßt sich erklären mit Guderians natürlichem Hingezogensein zu Männern mit Herzenswärme, selbst wenn sich dahinter sichtliche Unvollkommenheiten verbargen. Rundstedt strahlte eine solche Wärme aus; Bock war eher kalt. Ein anderer Grund für Guderians Reserviertheit gegenüber Bock mögen die Ereignisse von 1938 gewesen sein, denn Bock zählte zu den Männern, die Brauchitsch beipflichteten, der Fritsch nur eine lauwarme Verabschiedung aus der Armee zuteil werden ließ, während Guderians Loyalität gegenüber Fritsch unverändert erhalten blieb. Aber was Guderian dazu gesagt hätte, wenn er 1941 erfahren hätte, daß Bocks Hauptquartier das Zentrum eines Komplotts gegen Hitler geworden war (was Bock selbst wußte), darüber schweigt die Geschichte und auch Guderian. Fast sicher ist, daß Guderian in Unkenntnis war und daß er, wenn es anders gewesen wäre, Schritte gegen die Verschwörer unternommen hätte, denn sein Glaube an Hitler war damals noch unerschüttert. Bocks Glaube an den Führer war es nicht, doch Wheeler-Bennett stellt ihn als Mann von unbedeutendem Charakter dar, der sich trotz seiner Verachtung für Hitler nicht in die Verschwörung hineinziehen ließ. Dennoch zählte er zu denjenigen, die sich entschieden weigerten, den berüchtigten Befehl Hitlers weiterzugeben, mit dem die Armee aufgefordert wurde, sowjetische Kommissare an die Wand zu stellen. Auf diese Weise ersparte er Guderian die Verlegenheit, den sogenannten »Kommissarbefehl« überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Guderian lehnte indessen die Ausgabe eines anderen gefährlichen Befehls ab, derzufolge Soldaten straffrei ausgingen, die sich Übergriffe gegen die russische Zivilbevölkerung zuschulden kommen ließen. Dadurch, daß er schrieb: »Da die Gefahr einer Schädigung der Manneszucht nach meiner und meiner Kommandierenden Generäle übereinstimmenden Auffassung von vornherein gegeben war, habe ich
die Ausgabe des Befehls an die Divisionen verboten...«, gab er die militärische Begründung (im Gegensatz zu der moralischen, die alle anderen Generäle anführten, wenn sie solche Befehle ablehnten). In seinen Erinnerungen heißt es aber weiter: »Die deutschen Soldaten mußten nach internationalen Bestimmungen und nach den Gesetzen ihres christlichen Glaubens ihr Verhalten einrichten.« Generalfeldmarschall von Kluge war ganz anders als Bock; energischer, aber auch, wenn man Wheeler-Bennett glauben darf, hinterlistig und nicht erhaben darüber, sich bestechen zu lassen. Zu seinem 60. Geburtstag im Jahre 1942, als er noch auf der Liste der aktiven Generäle stand, erhielt er einen Glückwunschbrief Hitlers, dem dieser einen Scheck über eine bedeutende Summe beigefügt hatte mit der Erlaubnis, noch mehr für seinen Landsitz aufzuwenden. Es sei hinzugefügt, daß auch Guderian zu späterer Zeit vom Führer mit Grund und Boden beschenkt wurde, allerdings zu einem Zeitpunkt, als sein aktiver Dienst schon vorüber zu sein schien, und daß Rommel und List Belohnungen ablehnten. Ob dies Bestechungsgeschenke waren oder nicht, ist eine andere Frage. Wenn sie es waren, dürfte eine Vielzahl ehemaliger Militärbefehlshaber aller Nationalitäten ein schlechtes Gewissen gehabt haben, als ihre dankbaren Nationen sie mit Belohnungen überschütteten. Doch die unglückliche Beziehung zwischen Guderian und Kluge hatte mit Bestechung und Politik nichts zu tun, obwohl jeder der beiden zunächst Hitler willfährig war und ihm später auf seine Art Widerstand leistete. Ihre scharfen Auseinandersetzungen waren persönlicher und beruflicher Natur, wie sie häufig zwischen Generälen vorkommen, die für diese Schwäche anfällig zu sein scheinen. Kluge, der Artillerist, sah Guderian, den Panzermann, als Bedrohung für die anerkannten Regeln der Kriegführung an, der folglich im Interesse der Disziplin in seine Schranken gewiesen werden mußte. Guderian fühlte sich unbehaglich in Kluges Gegenwart wegen der eisigen Blasiertheit und Intoleranz des Feldmarschalls, die er zu spüren bekam; so zeigt Guderian auf Bildern, die kurz nach Begegnungen mit Kluge aufgenommen wurden, sichtbare Zeichen von nervlicher Anstrengung im Gesicht. In Kluge (im deutschen Heer überall unter dem Spitznamen Kluger Hans bekannt) erkannte Guderian eine Gefahr für die militärischen Prinzipien, die er als Schlüssel zum Sieg ansah und an denen er festhielt, als die Aussichten auf einen endgültigen Sieg schon schwanden. Guderians starke Abneigung und keimendes Mißtrauen gegen Kluge, das sich in regelrechten Haß verwandelte und sich mit dem Vorwurf der Unfähigkeit gegen einen Soldaten verband, der weit davon entfernt war, dies zu sein, stellte im Grunde einen Zusammenstoß zweier Denkrichtungen dar: zwischen einem wagemutigen Befehlshaber, der spontan, wenn auch kalkuliert, Chancen wahrnahm und einem
vorsichtigen General, der sein persönliches Wohlergehen neben der Sicherheit seiner Armee in der Schlacht suchte und dabei die Risiken lieber verteilte als sie zu konzentrieren. Aber wenn auch zweifellos die Antipathie zwischen dem Schnellen Heinz (oder Heinz Brausewetter, wie Guderian auch manchmal genannt wurde) und dem Klugen Hans die reibungslose Ausführung des zentralen und hauptsächlichen Vorstoßes nach Rußland hinein störte, so sollte man doch diesem Zwist zwischen Armeeführern nicht eine Bedeutung beimessen, die ihm gar nicht zukommt. Es standen längst Spaltungselemente von weitaus größerer Stärke in Bereitschaft, um die deutsche Kampfmaschine zum Scheitern zu bringen. Das Flackern des Geschützfeuers entlang einer 2.400 Kilometer langen Front, das wie Blitze bei einem Sommergewitter dem Donner der neuen Kämpfe am 22. Juni kurz vor Anbruch des Tages vorausging, hätte die Russen nicht überraschen müssen. Sie waren hinreichend vor dem heranziehenden Unwetter gewarnt, reagierten aber viel zu spät. Das Ergebnis war, daß viele russische Soldaten, die noch einen Kater vom Zechen am Abend zuvor hatten, an jenem Sonntagmorgen den Deutschen ins Netz gingen, ohne einen einzigen Schuß zu ihrer Verteidigung abgefeuert zu haben. Innerhalb von Stunden hatte die Luftwaffe eine Überlegenheit gewonnen, die sie während des Jahres 1941 kaum noch einmal abgab, und die drei mächtigen deutschen Heeresgruppen, vereint zu einer der tüchtigsten Armeen der Weltgeschichte, rissen in ungeheurem Ansturm die Verteidigungslinien eines zeitweise verblüfften Gegners auf. Ein Vergleich zwischen den Leistungen der Panzergruppe 2 (oder der Panzergruppe Guderian, als die sie besser bei den Soldaten bekannt war, die stolz auf das »G« waren, das ihre Fahrzeuge trugen) in der Sowjetunion und dem XIX. Armeekorps in Frankreich ist sehr aufschlußreich. Im Jahre 1941 befehligte Guderian mit fünf Panzerdivisionen von nur halb der numerischen Panzerstärke der drei Divisionen, die ihm 1940 unterstanden hatten, weniger Panzer als in Frankreich (obwohl der Austausch von leichten gegen mittlere Panzer das Kräftegleichgewicht wiederhergestellt hatte). In Rußland hatte er dafür mehr Infanterieeinheiten, von denen einige durch gepanzerte Sturmgeschütze verstärkt wurden, wenn sie an vorderster Front kämpften. Während in Frankreich das XIX. Korps nur an Frontabschnitten eingesetzt wurde, deren Breite selten 40 Kilometer überstieg, war in Rußland die Front für Guderians Panzergruppe nicht selten bis zu 160 Kilometer breit. Im Gegensatz zum Widerstand der Franzosen, der oft unbeweglich war und zunehmend schwächer wurde, wurden die Operationen der Russen ständig heftiger, trotz der Unerfahrenheit, mit der ihre Kommandeure zahlenmäßig überlegene Streitkräfte einsetzten. Weder
die breitere Front noch die stärkere feindliche Gegenwehr waren für Guderians Operationsführung von Bedeutung. Er lenkte eine Panzergruppe, wie er ein Korps lenkte - unter persönlichem Einsatz an der Front über Sprechfunk - und machte den Mangel an Straßen dadurch wett, daß er seinen Stab und seine Fahrer um so mehr herannahm in seinem Bemühen, mit den Panzern in vorderster Linie in Verbindung zu bleiben. Immer wieder geriet er unter direkten feindlichen Beschuß und kam gerade eben davon. Aber ein Vergleich zwischen den zurückgelegten Entfernungen zeigt einen wirklich erstaunlichen Unterschied zwischen den beiden Feldzügen, selbst wenn man die Tatsache gelten läßt, daß in der Sowjetunion weitaus mehr Raum zu überbrücken war als in Frankreich. In Frankreich hatte das XIX. Korps die 240 Kilometer von Sedan nach Abbeville in sieben Tagen geschafft und als weiteste Tagesstrecke am Schlußtag 90 Kilometer zurückgelegt. In Rußland brauchte die Panzergruppe 2 für die 440 Kilometer von Brest-Litowsk nach Bobruisk ebenfalls sieben Tage und erzielte den Tagesrekord (wiederum am letzten Tag) mit einer Leistung von 115 Kilometern. Am 16. Juli hatte sie die 660 Kilometer nach Smolensk trotz anhaltenden sowjetischen Widerstands und einiger freiwilliger Stopps zur Wartung der Panzer hinter sich gebracht. Im Verlauf dieses erstaunlichen Vormarsches waren allein von der Heeresgruppe Mitte riesige Berge feindlichen Materials erbeutet worden, darunter 2.500 Panzer und 1.500 Geschütze (der Löwenanteil der Panzer ging an die beiden Panzergruppen). Aber auch die marschierende Infanterie vollbrachte vorzügliche Leistungen. Sie legte, angetrieben von Bock und Kluge, enorme Entfernungen durch staubiges Gelände und unter ungeheurer sommerlicher Hitze zurück, immer bemüht, Anschluß an die motorisierten Kolonnen zu finden und Scharen von Russen, an denen Guderians und Hoths Angriffsspitzen vorbeigestoßen waren, gefangenzunehmen. Wieder einmal bewegte, indessen noch intensiver als in Frankreich, das Dilemma der Anpassung des Vormarschtempos an die Zeit, in der ein überholter und geschlagener Feind eingezingelt oder in die Gefangenschaft übergeführt werden konnte, die Gemüter der höheren Befehlshaber. Guderian und Hoth drängten darauf, vorwärtszukommen, ohne Rücksicht auf das, was sich hinter ihnen tat. Sie waren der Meinung, durch Bewegung an Sicherheit zu gewinnen und glaubten, daß der von ihnen herbeigeführte Zusammenbruch der feindlichen Front kleinere Attacken des Gegners in ihren Rücken belanglos machen würde. Den Blick auf eine flammende Fackel des Erfolges gerichtet, die sie vorwärtszog, waren sie blind für die Dinge hinter sich. Doch Hitler schaltete sich in die Überlegungen mit einer Weisung ein, ähnlich wie er es bereits in Frankreich getan hatte, und befahl Guderian und Hoth, die Zange bereits bei Minsk zu schließen statt bei Smolensk, wie Bock,
Guderian und Hoth es wollten - obwohl Guderian den Einwand gelten ließ, daß eine derart große Ausdehnung in einer einzigen Etappe Risiken einschloß. Am 27. Juni wurde der Führerbefehl ausgeführt und dadurch eine große Masse gegnerischer Soldaten innerhalb eines sich ständig verengenden Kessels eingeschlossen. Aber obwohl Guderian in seinen Erinnerungen jubilierte: »Der erste große Erfolg des Feldzuges bahnte sich an«, war er in seinem Brief an Gretel erheblich reservierter: »Heute, nach sechs Kampftagen, einen ersten kurzen Gruß und die Nachricht, daß es mir gutgeht. Wir stehen tief in Feindesland und haben, glaube ich, recht hübsche Erfolge erzielt. Tausend Dank für Deine lieben Grüße zum Ausmarsch und Geburtstag und auch besonders für die Kornblume und Margerite; ich habe mich daran sehr gefreut. Am 22. früh ging der Kampf an der Stelle los, wo ich 1939 aufgehört hatte. Der erste Einbruch erfolgte überraschend und hatte vernichtende Wirkung. Anschließend gab's einige recht anstrengende Tage, an denen ich wenig zum Essen und Schlafen und gar nicht zum Schreiben kam...« Er beklagte in diesem Brief auch die eigenen Verluste, darunter mehrere Offiziere, die ihm nahestanden und bemerkte dazu: »Das ist alles sehr traurig. Der Gegner wehrt sich tapfer und erbittert. Die Kämpfe sind daher recht hart. Man muß es eben durchstehen... Ansonsten gibt es einigen Ärger, zum Teil ziemlich großen. Aber davon nichts in diesem Brief. Truppe und Gerät wieder gut; auch sonst alles im Lot. Hitze, Mücken, Staub. Mein Schlafwagen bewährt sich glänzend. Aber es fehlt das Bad.« Der erwähnte Ärger war in erster Linie durch seine unmittelbaren Vorgesetzten verursacht worden. Am 4. Juli teilte er Gretel mit: »Als Bremser hat er (Kluge - K. M.) sich sofort äußerst wirkungsvoll betätigt«, aber im gleichen Brief steht etwas viel Bezeichnenderes, ein Anzeichen erwachender Erkenntnis der Gefahren von Hitlers Machtmißbrauch: »Alles erstirbt in Ehrfurcht vor ganz oben und keiner wagt etwas zu sagen. Das kostet viel unnötiges Blut.« Dieser Mangel an Sympathie für die Schwierigkeiten, die Brauchitsch, Bock und Kluge durchmachen mußten, war natürlich die durchaus verständliche Einstellung eines jeden Führers mit Verantwortungsbewußtsein, dem halbe Sachen ein Greuel waren. Merkwürdigerweise verzeichnete Halder in seinem Tagebuch unter dem 29. Juni die Hoffnung, daß Guderian den Befehl Hitlers mißachten und auf eigene Faust losschlagen würde! Vielen Deutschen wäre wohler ums Herz gewesen, hätten sie nur eine Ahnung von der schrecklichen Verwirrung gehabt, in die die Russen gestürzt worden waren.
Erst am 30. Juni erfuhren Stalin und das sowjetische Oberkommando von der Einschließung der Stadt Minsk (so gelähmt war das sowjetische Nachrichtensystem, das zu keinem Zeitpunkt die Qualität des deutschen erreichte), und selbst dann erfuhren sie es erst durch einen abgehörten deutschen Funkspruch. Nicht einmal General Pawlow, der Befehlshaber der sowjetischen Heeresgruppe, erkannte das Unglück in vollem Umfang. Er bekam allerdings auch keine Gelegenheit dazu, denn er wurde am gleichen Tag zusammen mit führenden Offizieren seines Stabes verhaftet - und erschossen. Soweit waren die Deutschen noch nicht gegangen - noch nicht. Was in Frankreich gewesen war, passierte auch in der Sowjetunion. Ungeheure Erfolge der Panzer, die Guderian als Grund genug ansah, weiter vorzurücken, zogen Befehle zur Verlangsamung des Tempos nach sich, während die Kriegsbeute und die noch gegliederten, aber isolierten sowjetischen Armeen verschlungen wurden. Im Bereich der Heeresgruppe Mitte (und auch in den Sektoren der beiden angrenzenden Heeresgruppen natürlich) fanden drei äußerst verschiedene Arten von Kämpfen, oft weit voneinander entfernt, statt. Die Infanterieeinheiten griffen entweder die russischen Verbände an oder umgingen sie, bis sie ausgeschaltet waren oder sich selbst in den Städten, Dörfern, Wäldern und Sümpfen aufgelöst hatten. Die schnellen Truppen versuchten, so weit wie möglich voranzukommen, wie es einschränkende Befehle gestatteten und wie die Infanterie sie einholen konnte. Und in den immer größer werdenden Räumen hinter den an der Front kämpfenden Armeen nahmen die SS-Einsatzgruppen ihr Werk der Unterdrückung und Vernichtung der Bevölkerung unter dem Deckmantel der Partisanenbekämpfung auf - in einem Land, wo es zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Guerilleras gab und wo auch keine hätten in Aktion zu treten brauchen, wenn Menschlichkeit an der Tagesordnung gewesen wäre. Mehrere deutsche Generäle wußten über die Pogrome Bescheid, wenn auch nur wenige deren Ausmaß kannten. Fast alle, besonders die durch die Kämpfe in Anspruch genommenen Kommandeure an der Front, ahnten nichts davon. Guderian zum Beispiel pflegte nicht die rückwärtigen Verbindungen zu besichtigen, und Paul Dierichs erinnert sich an seinen Zorn, als die SS zu Beginn des Feldzuges zwei russische Zivilisten erschoß. Und am 29. Juni schrieb Guderian hoffnungsvoll und besorgt an seine Frau: »Wir gelten als Befreier... Hoffentlich erleben die Leute keine Enttäuschung!« Bei diesen schnell fließenden Bewegungen wurde der Ablauf der deutschen Operationen äußerst fahrig. Oberflächlich formulierte, vor Beginn des Feldzuges ausgegebene Instruktionen, denen die Präzision eindeutig formulierter Ziele fehlte, wurden in eine Reihe taktischer und strategischer Improvisationen umgesetzt, deren Ausführung infolge der
bewundernswert aufgebauten Befehls- und Nachrichtenverbindungen verhältnismäßig einfach war. Kurzfristig konnte Bock am oder um den 28. Juni beschließen, Guderians und Hoths Panzergruppen Kluge zu unterstellen und die 4. Armee in 4. Panzerarmee umzubenennen. Die Infanterieeinheiten (die bislang zu Kluge gehörten) unterstellte er gleichzeitig der 2. Armee. Auf diese Weise erhielt Kluge die nicht beneidenswerte Aufgabe zugewiesen, ohne klare Direktiven die rivalisierenden Panzerführer Guderian und Hoth zu befehligen. Der Wechsel im Kommando war einfach, aber die Formulierung der Weisungen entbehrte der Kontinuität. Jedermann wollte schnell nach Osten vorrücken, aber jeweils mit selbstbestimmtem Tempo. Die anfängliche Ungewißheit jedes Vorstoßes wurde größer und zu einem gefährlichen Hasardspiel, nachdem Hitlers Einmischung sich in schlecht koordinierten, direkten Befehlen an einzelne Panzerkorps zu zeigen begann, Anweisungen, die sie ohne Rücksicht auf die Gesamtstrategie auf bestimmte feindliche Truppenkonzentrationen ansetzten, sobald die Aufklärung welche entdeckt zu haben glaubte. Auf diese Weise wurde, wie Hoth es später ausdrückte, die »... Panzerfaust zu einer gespreizten Hand« - das Gegenteil von »Klotzen, nicht kleckern«. Guderian, der ohne klare Befehle war, kam Schwierigkeiten mit Kluge zuvor und flog gerade, als Kluge am 30. Juni den Befehl übernahm, zu einer Begegnung mit Hoth in der Absicht, das, was er kommen sah, abzubiegen und private Vereinbarungen für ihre künftige Zusammenarbeit bei einer Weiterführung des Vorstoßes nach Smolensk zu treffen, wie sie ursprünglich von Bock gefordert worden war. Das System des Umgehens von Befehlen, das sich gegen Schluß des Frankreichfeldzuges bewährt hatte, wurde erneut angewandt. Während pro forma einige Panzerverbände zurückgehalten wurden, um besonderen Anforderungen von oben nachzukommen, ließ man eine beträchtliche Anzahl von Einheiten als Angriffsspitzen auf den Dnjepr und Smolensk zu rollen. Die Beresina war am 28. Juni überquert worden, und am 2. Juli wurde der Dnjepr bei Rogatschew erreicht. Der Vormarsch wurde langsamer, teils wegen eines entsprechenden Befehls, teils, weil heftige Regenfälle die Felder in Sümpfe und die unbefestigten Straßen in unter Wasser stehende Feldwege verwandelten - aber auch, weil die Russen Reserven aufboten und ihren Widerstand etwas zusammenhängender organisierten. Dennoch gab es bis jetzt nichts, was den deutschen Feindnachrichtendienst davon überzeugen konnte, daß ein einheitlicher feindlicher Widerstand aufgebaut würde - eine Annahme, die völlig richtig war und täglich durch die bröckchenweisen Angriffe neuer russischer Einheiten und ihre anschließende schnelle Ausschaltung bestätigt wurde. Dennoch drohte Kluge Guderian und Hoth mit einem Kriegsgerichtsverfahren, als am 2. Juli Verbände aus ihren
Divisionen gleichzeitig Vorstöße unternahmen, die sich über die von Kluge verfügte Haltorder hinwegsetzten. Schockierender war für Guderian eine Überraschung technischer Natur, die der Gegner für ihn parat hatte. Die Schwärme russischer Panzer, die sich ihm zu Beginn des Feldzuges entgegengestellt hatten und zerstört worden waren, waren nicht unerwartet für ihn gekommen, und die technische Unterlegenheit des Feindes war ihm ebenfalls bekannt. Diese Panzer waren weniger weiterentwickelt als die, welche die Deutschen 1932 bei verschiedenen Vorführungen in der Sowjetunion und Polen gesehen hatten. Aber in Meldungen der Heeresgruppe Nord vom 24. Juli 1941 war die Rede von einem außerordentlich wirkungsvollen schweren Panzer der Russen, der stundenlang dem Feuer aller Geschütze mit Ausnahme der 8,8 standhielt (dies war der KW 1 mit seiner neuen 7,6-Zentimeter-Kanone). Am 3. Juli wurde die 18. Panzerdivision in ein heftiges Gefecht mit sowjetischen Panzern verwickelt und berichtete ebenfalls von einem neuen gegnerischen Panzer, dessen Aussehen völlig von den bekannten Typen abwich. Nehring als Kommandeur der 18. Panzerdivision (er war im Herbst 1940 als Guderians Chef des Stabes von Oberstleutnant Kurt Freiherr von Liebenstein abgelöst worden) erkannte schnell die Bedeutung dieser Beobachtung. Was noch wertvoller war: er konnte bald darauf Guderian zwei unbeschädigte Exemplare - das eine eine verbesserte Version des anderen - präsentieren, zwei russische Panzer, die neben der Straße im Morast steckengeblieben waren. Am 10. Juli sah und fotografierte Guderian bei Tolotschino seine ersten T 34-Panzer-Fahrzeuge mit stromlinienförmiger Panzerung, gewaltigem, 7,6-Zentimeter-Geschütz und von ausgezeichneter Geländegängigkeit. Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß sie allen eingesetzten oder geplanten deutschen Panzern überlegen waren. Nicht einmal die neuesten mittleren und schweren Panzer, die 1937 beziehungsweise 1939 geplant worden waren, konnten den Vergleich mit den Russen in jeder Beziehung aushalten. Das Auftauchen der T 34-Panzer fiel zeitlich mit einer zunehmenden Krisenstimmung auf deutscher Seite zusammen, als die Lage an der Front in Rußland sich zu verschlechtern begann. Zwar konnte noch am 30. Juli - dem neunten Tag des Feldzuges - Guderian erklären, seine Panzergruppe sei in zufriedenstellendem Zustand, die Brennstoffbeschaffung werfe keine Probleme auf, Munitionsversorgung, Nachschub und ärztliche Versorgung klappten ausgezeichnet, die Verluste seien nicht hoch und die Zusammenarbeit mit den Jagdfliegern von Oberst Mölders funktioniere hervorragend, doch es gab bereits Grund zu ernster Besorgnis wegen technischer Schwierigkeiten. Am zwölften Tag des Frankreichfeldzuges hatte es die ersten
Verzögerungen gegeben, weil die Panzerstärke unter das Sicherheitsniveau gefallen war. Ähnliche Warnungen erfolgten in der Sowjetunion bereits früher, als dicker Staub zu einer beschleunigten Abnutzung der Motoren führte. Nur drei Monate vorher hatte Rommel diese Erfahrung bereits in der afrikanischen Wüste gemacht. Dazu kam, daß jetzt das Austausch- und Reparatursystem für die deutschen Panzer sich als das herausstellte, was es war: ein Instrument, das nur für Feldzüge von kurzer Dauer geeignet war. Es gab keine Ersatzteile in ausreichender Menge und keine Möglichkeiten für eine größere Überholung der Fahrzeuge an der Front. Größere Reparaturen konnten durch Instandsetzungskompanien ausgeführt werden - sofern sie Ersatzteile geliefert bekamen. Nach den kurzen Einsätzen in Polen und Frankreich waren die Panzer nach Deutschland zurückgebracht und dort überholt und wiederhergerichtet worden. Das war 1941 in der Sowjetunion nicht möglich, nicht nur, weil die Russen die Kämpfe nicht vorzeitig beendeten, sondern auch weil das russische Eisenbahnnetz, das noch auf deutsche Spurweite umgestellt werden mußte, im Sommer 1941 weder Nachschub nach Rußland hinein noch beschädigte Panzer zurück nach Deutschland transportieren konnte. Daraus ergab sich die Tatsache, daß Ersatzpanzer immer schwerer zu bekommen waren und die Monteure nicht so schnell arbeiten konnten, wie Reparaturen anfielen. Und diese Probleme wurden ausgerechnet zu einem Zeitpunkt akut, als die Russen neue Panzer zum Einsatz brachten. Die Spannungen zwischen Kluge und Guderian verschärften sich noch, als der letztere zusammen mit Hoth den Vormarsch auf Smolensk wiederaufnahm. Am 9. Juli kam es zu einer Auseinandersetzung, als Guderian sich entgegen den Befehlen anschickte, den Dnjepr zu überqueren. Kluge war sich völlig im klaren darüber, daß er hinters Licht geführt und offenkundig erpreßt wurde, als Guderian ihm sanft mit den Argumenten kam, die Vorbereitungen seien zu weit fortgeschritten, um zurückgenommen werden zu können und ein Stehenbleiben lade die sowjetische Luftwaffe förmlich zur Zerstörung ein. Ernste Risiken waren mit dem verbunden, was Guderian und Hoth taten. Die marschierende Infanterie lag mehrere Tagesmärsche zurück, und sowjetische Reservetruppen erschienen in ziemlicher Stärke in Front und Flanke. Andererseits nutzten erfahrungsgemäß die Russen, wenn man sie unbehelligt ließ, die Zeit, um starke Befestigungen dort anzulegen, wo bisher noch keine existierten - eine Erfahrung, die von den Deutschen nur allzu oft im Ersten Weltkrieg gemacht worden war. In der Tat behandelte Guderian Kluge herablassend und warf ihm zu offen seine übertriebene Vorsicht vor. Dennoch waren die beiden Männer nicht ständig in Fehde miteinander. Zuweilen herrschte auch unwillige Meinungsgleichheit. Diesmal gab Kluge Guderian zufolge
»widerwillig seine Zustimmung zu meinem Vorhaben«. Aus mehreren Gründen ist es deshalb interessant, eine Darstellung von Kluges Chef des Stabes, Oberst Günther Blumentritt, zu lesen: »Im Zeitraum vom 2. bis zum 11. Juni fuhren unsere Panzergruppen in das schwierige Wald- und Sumpfgebiet der Beresina. Der russische Widerstand wurde zusehends härter. Auf den wenigen Straßen trafen wir auf die ersten Minengürtel. Zahlreiche Brücken waren in die Luft gesprengt worden. Der Feind behauptete sich hartnäckig in den Wäldern und Sümpfen. Daraus ergab sich ein einzigartiges Phänomen dieses Krieges. Starke russische Verbände hielten sich einfach in den weglosen Waldgebieten abseits der Straßen verborgen. Die Infanteriekorps der 4. und der 9. Armee hatten sich mit diesen feindlichen Einheiten auseinanderzusetzen. Daraus entwickelten sich tagtäglich erbitterte Gefechte. Die ersten Zweifel wurden bei uns wach. Noch war keine Entscheidung gefallen... Feldmarschall von Kluge entschloß sich, die beiden Panzergruppen zu einem Angriff auf breiter Front in östlicher Richtung anzusetzen. Wir planten eine gemeinsame Überquerung der breiten Flüsse Dnjepr und Dwina an möglichst vielen Stellen... Diese große Operation der Panzerarmee von Kluges dürfte immer als strategisches Meisterstück angesehen werden. Gewiß, er hatte auch zwei Panzerkommandeure von hervorragender Qualifikation. Generaloberst Guderian besaß neben allen seinen anderen Vorzügen unerschöpfliche Energie und erfreute sich der ungeteilten Verehrung durch die ihm unterstellten Einheiten. Er konnte in seinen Anforderungen hart wie Stahl sein und war kein angenehmer Untergebener, aber er war der geborene Panzerkommandeur. In den Augen seiner Soldaten war er eine Art ,Rommel der Panzertruppen'. Guderian bedeutete Sieg! Generaloberst Hoth war ein moderner Panzerkommandeur, der sich strikt an die Regeln des Generalstabes hielt. Er verband eine feste Hand mit Umsicht und Scharfsinn. Er war ein angenehmer Untergebener, eine Art Prinz Eugen.« Dieser kurze Abschnitt enthält den Schlüssel zur Würdigung der Operationen, die am 15. Juli mit dem Abschluß einer weiteren großangelegten Einkesselung der russischen Streitkräfte bei Smolensk ihren Höhepunkt, zugleich aber auch ein kritisches Stadium des Feldzuges erreichten. Kluges Schwierigkeiten mit den Russen und mit Guderian sind klar daraus zu entnehmen, aber der Leser wird kaum in Zweifel gelassen über die strategische Motivation und darüber, wem Blumentritt mehr Glauben schenkte - und Blumentritt war im allgemeinen loyal gegenüber Kluge.
Für Oberstleutnant von Barsewisch, Guderians Luftwaffenoffizier, war sein Kommandeur ein »Mordsmann, ein Bulle von Energie, klug, Gedächtnis, dabei liebenswürdig«. Über die Befehlserteilung, die am 11. und 12. Juli erfolgte, schrieb Barsewisch in sein Tagebuch: »Wenn Guderian entscheidet, ist es, als ob der Kriegsgott selbst über die Walstatt reitet. Wenn seine Augen wetterleuchten, scheint Wotan Blitze zu schleudern oder Thor den Hammer zu schwingen.« Am Abend hörte er eine Unterhaltung zwischen Guderian und Hitlers Chefadjutanten Oberst Rudolf Schmundt mit an, bei der Guderian leidenschaftlich ausrief: »Es geht nicht um meinen Ruhm, sondern um das Deutsche Reich!« Dies war ein Protest, der eine gewisse Bedeutung hatte, die Barsewisch damals nicht erkannt haben mag, weil er sich, wie sich später herausstellte, auf Guderians wachsendes Gespür für seine schicksalhafte Bestimmung bezog. Die Operationen Guderians und Hoths beim Vormarsch auf Smolensk zählen zu den denkwürdigsten des Feldzuges. Sie waren hervorragende Beispiele beweglicher Angriffsführung in Verfolgung eines strategischen Ziels gegen hartnäckigen Widerstand eines zahlenmäßig unterlegenen Gegners. Einen Monat lag hielten die Russen ihre zersplitterten Gegenangriffe gegen die Heeresgruppe Mitte aufrecht, doch die Deutschen behaupteten trotz logistischer Beschränkungen ein beständiges Vormarschtempo, wenn es auch im Vergleich zu den ersten Tagen des Feldzuges geringer war. Zwischen dem 10. und dem 16. Juli stieß die Panzergruppe 2 nur 120 Kilometer von Krasnij nach Smolensk vor, legte aber zahllose Extrakilometer infolge der Notwendigkeit zurück, den Schwerpunkt zu verlegen, um russische Gegenangriffe abzuwehren sowie jeweils Schlüsselstellungen in beweglicher Kampfführung zu besetzen. Sie rückte unbeirrt nach Osten vor und umging unerbittlich die russischen Verbände oder isolierte sie. Immer wieder waren es die Deutschen, die als erste wichtige Punkte mit Panzern und Infanterie eroberten und dann mit Pak und in Stellung gebrachten Maschinengewehren verteidigten, während die Panzer längst weitergerollt waren, um neues Gelände zu erobern. Nur wenn es regnete und die Panzer bis zu den Türmen im Schlamm einsanken, gab es eine Unterbrechung. Sonst wurde sogar während der Nacht selten Halt gemacht. Männer und Maschinen begannen Ermüdungserscheinungen zu zeigen, das Benzin wurde knapp und mit der Munition mußte man sparsamer umgehen. Aber Guderian war überall; staubbedeckt entwickelte er ohne Unterlaß seine Pläne. Auf dem Gipfel seiner Form erreichte er auch neue Höhepunkte in der Feldherrnkunst und gelangte zu einem noch tieferen Verständnis seines Berufes. Strategische, taktische und technische Erfahrung brachte er mit leichterer Hand ins Spiel und erreichte es sogar, daß ihm einer seiner
anfänglich stärkeren Kritiker, der Kommandierende General des XXIV. Panzerkorps, Geyr von Schweppenburg, Anerkennung zollte: »Wir arbeiteten mustergültig zusammen dank dem Takt und der Erfahrung seines Chefs des Stabes und dank Guderians eigener Umsicht und seines guten Willens. Während sechsmonatiger harter Kämpfe Tag für Tag kam es zu keiner einzigen Unstimmigkeit.« Dasselbe kann man nicht von den Beziehungen zu weit hinten gelegenen Stäben behaupten; mit ihnen mußte ständig gerungen werden, um ausreichende Truppenverstärkungen und Nachschub für die schwächer werdenden Panzertruppen zu erhalten. Doch durch ihre anhaltenden Erfolge straften die Befehlshaber der Panzergruppen alle verärgert zur Schau getragene Besorgnis Lügen, weil sie es stets irgendwie fertigbrachten, beweglich zu bleiben, über 300.000 eingeschlossene Russen mit 3.200 Panzern und Bergen von Material in ihre Hand zu bringen und dazu noch die aus östlicher Richtung kommenden russischen Angriffe zu stoppen. Hitler, OKW und OKH waren im Lauf der Zeit tatsächlich gefährlich verwöhnt geworden und erwarteten wohlgefällig die scheinbar automatisch errungene endlose Kette von Panzersiegen. Sie brachten es nicht fertig, einzusehen, daß diese Erfolgsmeldungen gewissermaßen militärische Wunder waren. Von der Front waren sie so weit entfernt, daß es kaum verwunderlich war, daß die Beschwerden von den vorn führenden Kommandeuren der Angriffsverbände mit einem Achselzucken abtaten, wenn diese immer wieder Erfolge herbeizauberten und dennoch besorgte und verzweifelte Rufe ausstießen. Weder das OKW noch das OKH konnten genau Bescheid wissen, wie von Barsewisch es nannte, »... welche Entbehrungen und Anstrengungen heute Generäle ertragen müssen«, weil keiner der hohen Offiziere in seinem Leben jemals etwas Derartiges durchgemacht hatte. Von Barsewisch vermittelt einen lebendigen Eindruck von Guderian während einer Krise am 5. August, einem Tag, an dem sein Befehlshaber von einer Einheit zur anderen jagte und versuchte, den Ausbruch starker russischer Verbände aus der Einkesselung zu verhindern. Es traf die Nachricht ein, daß die wichtige Brücke bei Ostrik vom Feind bedroht sei. »Er rauschte mit uns sofort hin, wutschnaubend, und schloß die Lücke, indem er ein Bataillon Artillerie, Flak, Panzer persönlich in den Kampf führte. Ein phantastischer Mann! Neben einem feuernden MG stehend, trank er aus einer Tasse Mineralwasser: ,Wut macht Durst!'« Es erübrigte sich fast, daß von Barsewisch weiter notierte: »Guderian ist in seinem Befehlsbereich von 300.000 Mann fast überall von Angesicht bekannt - heute erstaunlich! - und wird von den erschöpften Leuten an der Landstraße überall mit betonter Strammheit gegrüßt.«
Zweimal schrieb Guderian in diesen Tagen Briefe an seine Frau, in der er Bemerkungen über sich selbst einfließen ließ. Am 6. August bemerkte er: »Wie lange Herz und Nerven das aushalten, weiß ich nicht!« Und am 12. August fragte er in einem Brief, der eine eindrucksvolle Darstellung der Sorgen eines Befehlshabers an der Front und seiner eigenen Empfindungen enthält: »Bin ich nicht recht alt geworden? Diese harten Wochen gehen doch nicht spurlos an dem Menschen vorüber. Die körperlichen Anstrengungen und die seelischen Kämpfe machen sich fühlbar. Manchmal habe ich ein ungeheures Schlafbedürfnis, das ich bisher nur selten befriedigen konnte. Dabei fühle ich mich an und für sich völlig gesund und - wenn etwas los ist auch frisch und leistungsfähig. Sowie aber die Spannung nachläßt, kommt der Rückschlag.« Ungeachtet der bewundernden Anerkennung Guderians durch seine an der Front stehenden Truppen zog er eine gefährliche Krise über das OKW und das OKH herauf. Anfang August war klar abzusehen, daß der Gegner weit davon entfernt war, zu resignieren. Er war stark und zu längeren Operationen fähig. Am 31. Juli schrieb Guderian: »Der Kampf, der sich hier abspielt, ist ungleich härter und schwerer als alles Bisherige... Nun ist klar, daß er noch einige Zeit dauern wird.« Obwohl weite Gebiete besetzt und ungeheure Armeen zerschlagen worden waren, war noch nicht die Einnahme politisch oder wirtschaftlich wichtiger Ziele gelungen und die Russen hatten noch nicht entscheidend besiegt werden können. Im Gegenteil: in der Ukraine war der Gegner geschickt der Heeresgruppe Süd ausgewichen und hielt Kiew, während die Heeresgruppe Nord kurz vor Leningrad stand. Von Anfang an war jeder Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe bemüht gewesen, das Hauptziel zu erreichen, das innerhalb eines Kommandobereichs lag. Für Bock war Moskau ein Siegespreis von unschätzbarem Wert, obwohl er dessen politische Bedeutung nicht hoch eingeschätzt hatte. Aber inzwischen unterstrich auf deutscher Seite eine verspätete Erkenntnis der ungeheuren Entfernungen und der Unzulänglichkeit der zur Verfügung stehenden Mittel, diese Distanzen zurückzulegen, die Schwierigkeit bei der Verwirklichung der Ziele. Nicht nur die Kampffahrzeuge brachen unter der Belastung zusammen, sondern ebenso die Maschinerie der Logistik und auch die innerliche Einstellung der Kommandeure, die wieder von pessimistischen Gedanken befallen wurde. Die Wehrmacht war aufs äußerste belastet: genaugenommen konnte nur ein großes Ziel zu einer bestimmten Zeit verfolgt werden. Bock unterstützte zusammen mit Kluge, Guderian und Hoth ohne Bedenken Brauchitsch und Halder in ihrem Bemühen, Moskau zum Hauptziel des deutschen Vormarsches zu machen. Beinahe aus Widerspenstigkeit möchte man meinen, schlug Hitler statt dessen die Besetzung Leningrads und der Ukraine vor. Moskau, so
behauptete er, werde dann von selbst fallen. Als Grund für die Aufsplitterung führte er die Notwendigkeit der Angriffe auf politische und ökonomische Ziele an, die, wie er meinte, wichtiger waren als die Konzentration auf eine rein militärische Aufgabe. Hitler liebte eben bequeme Argumente, um kurzfristige Ziele zu rechtfertigen, Argumente, die in diesem Fall schlecht gewählt waren. Nichts konnte unternommen werden, bevor Hitler nicht nacheinander jedes Heeresgruppenhauptquartier aufgesucht und die Meinung der Herren von Leeb, von Bock und von Rundstedt erkundet hatte. Dabei ließ er wieder seine Persönlichkeit auf sie einwirken und säte Zwietracht, um möglicherweise ihren Glauben an Halder und das OKH zu erschüttern. Voll Hintergedanken wirkte Hitler auf die empfindlichen Stellen der Generäle ein in der Absicht, jeden von ihnen durch seine persönliche Ausstrahlung zu überzeugen ohne Rücksicht auf die Korrektheit der Strategie, die er vorschlug. Was Bocks Hauptquartier betraf, das Hitler am 4. August besuchte, so sind Gerüchte im Umlauf gewesen, wonach der Ia Bocks, Oberst Henning von Tresckow, dessen Adjutant Fabian von Schlabrendorff (Rechtsanwalt im Zivilberuf) und zwei weitere Adjutanten ein Komplott geschmiedet hatten und Hitler festnehmen wollten in der Hoffnung, daß sich dadurch eine Kettenreaktion gegen ihn auslösen würde. Diesen lächerlich amateurhaften Plan (sofern er jemals existiert hatte) schilderte Schlabrendorff in seinem 1946 erschienenen Buch Offiziere gegen Hitler (erwähnte ihn aber in einem 1965 veröffentlichten anderen Buch nicht mehr). Es scheint, daß die Verschwörer erkannten, daß ihr Plan fruchtlos war, weil sie, allerdings erst im letzten Augenblick, gewahr wurden, daß Hitler eine zahlenmäßig zu starke Begleitung mitbrachte. Es wird auch behauptet, daß Tresckow Bock zum Mitmachen bewegen wollte und daß dieser eine Unterstützung der Verschwörer verweigerte, solange nicht der Erfolg feststand. Wheeler-Bennett führte in seinem Buch Nemesis der Macht die Vermutung an, Guderian habe von dem Anschlag Tresckows gewußt und ihn dadurch zum Scheitern gebracht, daß er auf Hitlers Vorschläge einging. Guderian, der alles, was Schlabrendorff 1946 über ihn geschrieben hatte, als unwahr bezeichnete, hat die Geschichte auf seiner Seite, während Schlabrendorffs Buch wegen der Ungenauigkeiten und Darstellung von Dingen, die er nur vom Hörensagen kannte, Rätsel aufgibt. Zum Beispiel behauptete er, Bock habe nicht auf Moskau vorrücken wollen, sondern sich für einen Rückzug in die Defensive ausgesprochen, während Guderian mehr an der Ukraine interessiert gewesen sei. Beide Darstellungen werden durch damalige Tagebücher und persönliche Berichte eindeutig widerlegt. Zugegeben, Hitler befragte jeden Heerführer unter vier Augen, und niemand weiß genau, was dabei gesagt wurde, aber es gibt keine
Beweise dafür, daß Schlabrendorff recht hat und alle übrigen Personen sich irren. In Wirklichkeit besteht Guderians einzige bekannte strategische Meinungsverschiedenheit in dieser Zeit darin, daß er und Hoth verschiedene Daten für den Aufbruch zum Vormarsch auf Moskau angaben. Während Guderian damit rechnete, er könne am 15. August fertig sein, sprach sich Hoth, in diesem Fall vorsichtiger, für den 20. August aus. Voraussetzung war die Reparatur von defekten Panzern. Privat gingen die Ansichten von Bock und Guderian hauptsächlich über die Frage auseinander, welchen grundlegenden Effekt eine Einnahme der sowjetischen Hauptstadt auf die Russen haben würde. Guderian äußerte dabei die Vermutung, eine Besetzung Moskaus würde für sich genügen, um gleichzeitig den Zusammenbruch von Stalins Regime herbeizuführen; Bock vertrat dagegen die mehr politische und intellektuelle Auffassung, Rußland könne nur »von den Russen selbst mit Hilfe eines Bürgerkrieges und unter Bildung einer Nationalen Befreiungsbewegung« erobert werden. Unausgegorene politische Theorien standen bei einem Frontbefehlshaber mitten im Einsatz nicht hoch im Kurs. Guderian war mit seinen Gedanken an der Front und kehrte nach der Konferenz mit dem festen Vorsatz dorthin zurück, seine Panzergruppe für den Vorstoß auf Moskau vorzubereiten, der, wie er glaubte, mit Sicherheit kommen mußte. Ein paar schnelle Anweisungen an seinen Stab und wieder begab er sich eilig in die vordersten Linien, um die Kämpfe fortzusetzen. Am 6. August teilte er Gretel mit: »Ich habe eine Schlacht bei Roslawl geschlagen, diese Stadt genommen, 30.000 Gefangene, 250 Geschütze und viel sonstiges Zeug, dabei Panzer, erbeutet... Ein schöner Erfolg. Aber man redet mir nach wie vor in meine Angelegenheiten ein (Bock, unter dessen direktem Befehl er zu dieser Zeit stand - K. M.) und ist bemüht, die Panzer zersplittert einzusetzen und durch sinnlose Märsche kaputtzumachen. Es ist zum Verzweifeln! Wie ich aus diesem Unfug hinauskommen soll, weiß ich noch nicht, niemand hilft mir... Vor drei Tagen wurde ich zu einem Vortrag zum Führer gerufen über die Panzerlage. Die Auswirkung beim OKW und bei der Heeresgruppe entspricht nicht meinen Erwartungen, obwohl der Führer selbst äußerst verständnisvoll war. Zu schade, zu schade!« In den allerhöchsten Kommandostellen, wo der Kanonendonner nur selten zu hören war und die Zeit ihre Bedeutung verloren zu haben schien, hielt die endlose Debatte über die künftige Strategie an. Als der erste Feldzugsommer sich dem Ende zuneigte, waren die einzigen unmittelbar Betroffenen, die über die Kampfpause glücklich waren, die deutschen Logistiker, die so die Möglichkeit hatten, an der Front die Lücken bei den Einheiten mit Reserven aufzufüllen. Hauptnutznießer auf lange Sicht war natürlich die Rote Armee, die endlich Zeit fand, ihre Stellungen auszubauen. Wenn die Initiation beider Seiten sich
ausgeglichen hat, ist Inaktivität oft destruktiver für die Gemütsverfassung der Generäle als die tatsächlichen Kämpfe für die Truppe. Die Belastung für Halder, der am besten von allen wußte, daß eine obskure Strategie Deutschlands Totenglocke läutete und unter fast unerträglichen Bedingungen grübelte und mit sich rang, war entsetzlich. Er war in einem Strudel von Vorschlägen und Gegenvorschlägen gefangen, besaß indessen nicht die Autorität und Fähigkeit, daraus positive Maßnahmen zu entwickeln. Häufig geschmäht und dann wieder einfach ignoriert vom OKW, zu oft im Stich gelassen von seinem Oberbefehlshaber, dessen Glaubwürdigkeit beim OKW stark gesunken war, wurde Halders daraus resultierende Erfolglosigkeit bei besorgten Kollegen auf unterer Ebene offenbar, die ihrerseits die Zuversicht zu verlieren begannen. Ein Argument, das in die Mühle von Hitlers politischen Zickzackmanövern und Intuitionen geriet, war für Halder Anlaß zu ärgerlicher Verzweiflung. Guderian wünschte lediglich in Bewegung zu bleiben, weil das für ihn das A und O der Panzertaktik und die Triebfeder des Erfolges war. Am 12. August schrieb er: »Ich möchte im Herbst nicht mehr in der jetzigen Gegend (Roslawl) sein; sie ist nicht sehr reizvoll... Denn das Warten bringt immer die Gefahr des Erstarrens im Stellungskrieg, und das wäre furchtbar!« Daß er nur zu gut die Schwierigkeiten an der Spitze kannte, zeigt sein Brief vom 18. August: »Dieser Umstand wirkt sich natürlich bis in die Truppe nachteilig aus, weil jeder das Fehlen von Harmonie spürt. Daher rühren unklare Aufträge, häufige Gegenbefehle, Ausbleiben von Weisungen, manchmal durch Wochen. Das läßt uns manche Gelegenheit verpassen... Aber es ärgert einen doch, wenn man die Verhältnisse ein wenig durchschaut. Hieran wird wohl im Verlauf dieses Krieges nichts zu ändern sein, und wir werden ihn trotzdem gewinnen. Das sind so die Menschlichkeiten in großer Zeit und bei großen Männern. Laß Dir nicht zu viel über mich erzählen. Es ist alles sehr übertrieben, und die Leute machen aus einer Mücke einen Elefanten.« Denn ins Gerede war er gekommen - wegen seiner Hartnäckigkeit einerseits, aber zunehmend auch wegen seiner Lauterkeit. Es mehrte sich nämlich der Eindruck bei einer kleinen und einflußreichen Gruppe, daß Guderian in den unteren Befehlshaberrängen verschlissen würde. So schien es jedenfalls Major Günther von Below, dem Verbindungsoffizier des Chefs des Generalstabes des Heeres zur Panzergruppe 2, einem glühenden Bewunderer Guderians. Ihm war wie vielen anderen klar, daß das schlechte Verhältnis zwischen von Brauchitsch und Hitler verhängnisvoll war und daß Guderian, vor dem Hitler viel mehr Respekt hatte, der richtige Mann wäre, um an die Stelle von Brauchitsch zu treten. Da schlug er, einer Ahnung nachgebend, Major Claus von Stauffenberg, einem Generalstabsoffizier beim OKH, vor, die Panzergruppe 2 zu besuchen,
um sich persönlich ein Bild von Guderians Eignung für die höhere Verwendung zu machen. Stauffenberg war, wie die meisten Besucher, begeistert nach einem Gespräch mit Guderian, und kehrte zurück, und die beiden Verschworenen suchten nach einer Gelegenheit, den Führer inoffiziell auf Guderians Vorzüge aufmerksam zu machen. Zu ungefähr der gleichen Zeit erkundigte sich von Below bei Guderian, was er dazu sagen würde, wenn er aufgefordert würde, sich als Oberbefehlshaber zur Verfügung zu stellen, und Guderian hatte, nicht überraschend, erwidert, er würde »dem Ruf folgen«*. Von Below sagt, Guderians Chef des Stabes, Liebenstein, habe vermutlich von dem Plan gewußt, wohingegen Oberst Schmundt in Unkenntnis war. Aufgrund von Eintragungen in seinem Tagebuch ist anzunehmen, daß auch Barsewisch Bescheid wußte**. Ob auch Halder informiert war oder nicht, darüber lassen sich nur Mutmaßungen anstellen, wenn auch der Chef der Operationsabteilung Oberst Heusinger, eingeweiht worden war und vielleicht das Gespräch darauf brachte. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß Halder von dem Vorgang Kenntnis hatte. Sicherlich nehmen seine nachfolgenden Kontakte zu Guderian und den Männern, die den Panzergeneral unterstützten, im Licht dieser positiven Annahme einen anderen Charakter an, denn bis Mitte August hatte Halder wenig Grund, Brauchitsch dankbar zu sein, aber desto mehr Anlaß, Dankbarkeit gegenüber Guderian zu empfinden und daneben wachsende Enttäuschung gegenüber Hitler, dessen eigenmächtiges Verhalten immer schlimmer wurde. *
**
Guderian gibt in seinen Erinnerungen keinen Hinweis auf diese Episode, wenn auch in seiner Korrespondenz gewisse Beweise dafür vorhanden sind, daß ihm klar war, daß irgendeine große Veränderung bevorstand. Weil er nach dem Krieg wiederholt beschuldigt wurde, ein Egoist gewesen zu sein, ist seine Zurückhaltung in diesem Punkt zwar verständlich, aber doch unnötig. Soweit ich weiß, ist dieser höchst bedeutsame Aspekt bisher noch nicht in einem englischen Buch veröffentlicht worden. Die Eintragung in Barsewischs Tagebuch unter dem Datum des 15./16. September ist aufschlußreich in bezug auf die Ansicht »Hieran wird wohl im Verlauf des Krieges nichts zu ändern sein«, wie Guderian in seinem oben erwähnten Brief an seine Frau vom 18. August zum Ausdruck gebracht hatte. Am 29. August lautete eine Notiz in Barsewischs Tagebuch: »Allein mit Guderian... sehr ernste Themen, Clausewitz, Moltke und Schlieffen, Stellenbesetzung OKH und Generalstab -, so daß für uns alles um uns für eine Stunde versank.«
Denn nicht nur der Oberbefehlshaber verlor an Prestige oder hatte es bereits völlig verloren. Selbst der Führer fing bereits an, an Autorität einzubüßen, und fand es immer schwerer, Zweifler mit freundlichen Worten von seiner Einschätzung der Lage zu überzeugen. Häufiger als bisher sah er sich gezwungen, seine Zuflucht zu einschüchternden
Befehlen zu nehmen, um sich über gegensätzliche Standpunkte hinwegzusetzen. Dabei machte er sich mehr und mehr die Gründlichkeit preußischer Disziplin zunutze, um den Generälen seinen Willen aufzuzwingen. Jeder Rückschlag und jedes Anzeichen für eine Verschlechterung der deutschen Lage machte den Würgegriff dieses einsamen Diktators noch fester um Deutschland. Da ihm seine engsten Gefolgsleute und Speichellecker nie ernsthaft widersprachen und es ihnen gelang, Leute mit anderer Meinung auf Distanz zu halten, hatte Hitler die Möglichkeit, abstruse Ideen, aufgebaut auf falschen oder kurzlebigen Voraussetzungen, zu formulieren oder zu verbreiten, die nur zu oft zu einer fehlerhaften Politik führten. So fallen beispielsweise die von Guderian in der Interimsperiode zwischen seinem Eintreffen bei Smolensk und der Zurechtlegung einer neuen Strategie ausgeführten begrenzten Operationen zeitlich mit Hitlers Vorschlag zusammen, das Prinzip einer Sicherung des Sieges durch weitreichende bewegliche Operationen zugunsten kleiner, lokaler Aktionen aufzugeben (gleichbedeutend mit statischer Kriegführung), um unwichtiges Gelände in Besitz zu nehmen. Dieses Konzept, das von Halder befürwortet und von Bock angewendet wurde als zeitweiliger Notbehelf, um eine begrenzte Mobilität zu erhalten, führte zu einem wenig wirksamen Vorgehen der 2. Armee auf Gomel, wobei die Panzergruppe 2 mehrmals wahllos um Beistand ersucht wurde Hilferufe, die Guderian veranlaßten, sich am 18. August über den Wust von unklaren Befehlen und Gegenbefehlen zu beklagen. Liebenstein bemerkte erbittert: »Die Truppe muß uns für verrückt halten!« und vermerkte am 15. August in seinem Tagebuch, daß der Stoß auf Gomel »nicht in die tiefe Flanke und den Rücken des Feindes führen kann«, und weiter am 10. August in Zusammenhang mit einer verärgerten Bemerkung darüber, daß Panzer in vorderer Linie bleiben mußten, statt durch die Infanterie abgelöst zu werden und sich auf neue Aufgaben vorbereiten zu können: »...Heeresgruppe scheint nach allem zu beabsichtigen, auf schmaler Front beiderseits der Straße RoslawlMoskau mit beiden Armeen anzugreifen. Unsere weitere Ausdehnung nach Süden ist also nicht mehr zweckmäßig.« Obwohl Guderian wußte, daß der Befehl vom OKW über das OKH gekommen war, verweigerte er seine Ausführung. Liebenstein zitiert Guderian, der am 22. August gesagt haben soll, die Entsendung einer Panzergruppe in dieser Richtung sei »ein Verbrechen«. Doch als die 2. Armee unter Bocks Antreiben südwärts weiterrückte, entschloß sich Hitler endlich zum Handeln: er sprach sich mit Nachdruck dafür aus, mit aller Kraft nach Süden in Richtung auf Kiew vorzugehen. Fast am gleichen Tag, dem 18. August, setzten Brauchitsch und Halder ihre Unterschriften unter ein Dokument, in dem ein Vormarsch auf Moskau verlangt wurde.
Der von den beiden Männern vorgelegte Plan war allerdings insofern nicht ganz schlüssig, als er den flankierenden Heeresgruppen genügend Kräfte beließ, um die Hauptziele innerhalb ihrer Abschnitte zu erreichen. Hitler, der den Plan ablehnte, gab eine politische Antwort: er beschuldigte das OKH, zu sehr von den Oberbefehlshabern der drei Heeresgruppen beeinflußt zu sein. Erneut forderte Halder Brauchitsch auf, mit ihm gemeinsam seinen Posten zur Verfügung zu stellen, aber wiederum weigerte sich der Oberbefehlshaber. Er wußte, daß es ein Zeichen zweitklassiger Strategie war, eine auf reinem Opportunismus basierende Offensive anzuordnen, bei der eine Panzergruppe aus der Heeresgruppe Mitte herausgenommen und der Heeresgruppe Süd beigegeben wurde, um eine gigantische Einkesselung der russischen Armeen, die die Ukraine verteidigten, zu erreichen. Brauchitsch ging in jeder Hinsicht den Weg des geringsten Widerstandes. Halder streckte die Waffen nicht und berief ein weiteres Treffen bei der Heeresgruppe Mitte ein, zu dem die Kommandeure der Heeres- und der Panzergruppen geladen wurden. Mit energischem Eifer und Geschick sprach sich Guderian dagegen aus, seine Panzergruppe nach Süden zu dirigieren. Er deutete die dabei entstehenden logistischen Schwierigkeiten an und wies auf die Schwächung von Männern und Maschinen hin. Einige seiner Leute, so erklärte er, hätten die Bedeutung des Wortes »Ruhe« vergessen. Dann schilderte er die Aussichten eines Winterfeldzuges, der von den Planungsstäben nie ins Auge gefaßt worden war und für den auf den ersten Blick keine sichtbaren Vorbereitungen getroffen worden waren. Der Kern seiner Ausführungen war der: die Operation Kiew sei zwar möglich, doch schließe sie eine anschließende Offensive gegen Moskau aus und mache einen Winterkrieg unvermeidbar. Damit traf er genau die Meinung von Halder und Bock. Jetzt trat von Below an Bock heran mit dem Hinweis, Guderian sei der geeignete Mann, um Halder zu begleiten und beim Führer ein letztes Mal zu versuchen, dessen Vorhaben zu ändern. Das war ein Projekt, auf das Halder bereitwillig einging, um so freudiger, kann man sagen, wenn auch er überzeugt war (und vermutlich war er es), daß Guderian der einzige Mann war, der dort Erfolg haben konnte, wo Brauchitsch versagt hatte. Tatsächlich scheint die Annahme logisch zu sein, daß Halder Guderian unterstützte, weil er in ihm einen Kandidaten für die Nachfolge von Brauchitsch sah. Widersprüchliche Darstellungen sind von jedem Aspekt des Besuches Guderians im Führerhauptquartier Rastenburg in Ostpreußen am 23. August veröffentlicht worden, vielleicht verständlich, wenn man bedenkt, daß man vor einem Wendepunkt des Krieges stand. Liebenstein hält in seinem Tagebuch am 23. August folgendes fest (in einem offenbar kurz danach vorgenommenen Eintrag, vielleicht mit dem
Hintergedanken, Guderians Ruf zu schützen): »Der Befehlshaber fliegt mit dem Chef des Generalstabes in der Absicht, den Einsatz der Panzergruppe nach Süden zu verhindern. Er wird dort, wie er nach seiner Rückkehr erzählt, vom Oberbefehlshaber (Brauchitsch - K. M.) mit den Worten empfangen ,Der Ansatz nach Süden ist befohlen, es handelt sich nur noch um das Wie!'« In seinen Erinnerungen schildert Guderian ausführlich sein Zusammentreffen mit Brauchitsch an jenem Abend. Dieser habe ihm, wie er schreibt, verboten, die Frage Moskau mit dem Führer zu erörtern. Wußte Brauchitsch von dem Plan seiner Absetzung? Wahrscheinlich nicht, aber Guderian fährt fort mit der Darstellung seines Vortrages bei Hitler (bei dem weder Brauchitsch noch Halder zugegen waren) und beschreibt, wie trotz der Warnung von Brauchitsch das Gespräch auf den Angriff auf Moskau kam und wie er sich mit Nachdruck für die Fortsetzung der Operationen in Richtung der sowjetischen Hauptstadt und gegen den Vormarsch auf Kiew ausgesprochen habe. Hitler führte in Gegenwart der anderen Zuhörer, darunter Keitel, Jodl und Schmundt, verschiedene Gründe wirtschaftlicher, politischer und militärischer Natur an, um damit seinen Plan zu begründen, der vorsah, die Ukraine zu erobern und die Krim zu neutralisieren. Dabei gebrauchte er den gönnerhaften Satz: »Meine Generäle verstehen nichts von Kriegswirtschaft.« Alle Anwesenden nickten zu diesem Ausspruch Hitlers. »Ich stand mit meiner Ansicht allein«, schreibt Guderian. Angesichts dieser Ausführungen stellte er sich Liebenstein zufolge auf den Standpunkt, »... er könne mit dem Oberhaupt des Reiches in Gegenwart dessen ganzer Umgebung nicht über einen gefaßten Beschluß debattieren.« Guderian hätte ebenso den Nagel auf den Kopf getroffen, hätte er als Grund seine Hemmungen in Erkenntnis der Tatsache angeführt, daß seine Aussichten, Oberbefehlshaber zu werden und vielleicht Deutschland zu retten, bedroht waren. Ein unbesonnener Streit mit Hitler bei dieser Gelegenheit hätte diese Chancen in nicht wieder gutzumachender Weise verdorben. Dadurch, daß er ohne Schärfe über dieses Thema sprach, konnte er Hitlers Vertrauen in ihn weiter erhöhen und die Aussicht auf verstärkten Einfluß in naher Zukunft zu einer Wahrscheinlichkeit werden lassen. Es ist eine traurige Erfahrungstatsache bei den Beziehungen zwischen den höchsten deutschen Generälen und Hitler, daß sie stets dazu neigten, wenn sie vor das Dilemma gegenseitigen Vertrauens zwischen sich und dem Führer gestellt waren, Konzessionen auszuhandeln in der Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer eigenen künftigen Stellung und jedesmal diese Hoffnungen scheitern sahen. Einer nach dem anderen erlitt Schaden, und damit auch das Heer und Deutschland.
Das Ergebnis von Rastenburg war auch ein völliger Zusammenbruch der Vertrauensbasis zwischen Halder und Guderian, der allmählich anderen nicht verborgen blieb. Die beiden Männer, die wahrscheinlich Deutschlands letzte Hoffnung im Kampf gegen die Hitlersche Unvernunft waren, hatten sich entzweit. Liebenstein schrieb: »Dem Befehlshaber wird vom Chef des Generalstabes vorgeworfen, er sei umgefallen.« Und Halder kommentierte verbittert Guderians Verhalten: »Während er bei der Besprechung bei der Heeresgruppe Mitte erklärt hat, daß ein Ansatz des XXIV. A. K. nach Süden nicht möglich sei, erklärt er nun heute morgen, angesichts der bindenden Forderung des Führers, so schnell wie möglich nach Süden zur Wirkung zu kommen, könne nun das XXIV. A. K. doch nach Süden angesetzt werden. Es müsse seine Bedenken zurückstellen... Die gestrige Darstellung sei erfolgt, dem OKH eine Handhabe zu geben, um die geforderte Operation nach Süden verhindern zu können. Nachdem er sich beim Führer selbst davon überzeugt hat, daß er zu dieser Operation nach Süden fest entschlossen sei, sei es seine Pflicht, auch das Unmögliche möglich zu machen... Dieses Gespräch zeigt mit erschütternder Klarheit, in welcher unverantwortlichen Weise dienstliche Meldungen als ,Zweckmeldungen' abgegeben werden. ObdH erläßt daraufhin einen sehr scharfen Befehl über Meldungserstattung. Helfen wird er nichts. Denn Charaktere kann man durch Befehle nicht ändern.« Guderian schreibt, Halder habe einen »Nervenzusammenbruch« erlitten, »der ihn zu völlig ungerechtfertigten Beschuldigungen und Verdächtigungen verleitete«, als er ihm über den Fehlschlag des letzten Versuches berichtete, Hitler doch noch umzustimmen. Bock bestätigt diesen Zusammenbruch Halders. Halder hatte zwar Grund, enttäuscht zu sein, doch bedingt eine überempfindliche Reaktion dieses Ausmaßes wohl zwingendere Gründe. Einmal war Halder auf den ersten Blick außerordentlich optimistisch gewesen, wenn er erwartete, ein relativ rangniedriger Offizier könnte Hitlers Meinung innerhalb von Minuten ändern, was er und Brauchitsch wochenlang vergeblich versucht hatten. Und er war mehr als zuversichtlich gewesen, wenn er geglaubt hatte, gegen einen unabänderlichen Beschluß des Führers könne man Einspruch erheben auf eine Weise, die völlig dem Kodex preußischer Disziplin entgegenstand. Halder war auch alles andere als offenherzig zu Guderian gewesen: er hatte es unterlassen, ihn zu informieren, daß bereits vom OKH an die Heeresgruppe Mitte der Befehl ergangen war, mit der Heeresgruppe Süd zusammenzuarbeiten und dabei eine »... Kräftegruppe, möglichst unter Generaloberst Guderian«, einzusetzen. Wenn man voraussetzt, daß Halder von der Überlegung wußte, Brauchitsch durch Guderian zu ersetzen, wird sein Verhalten verständlich, denn zunächst einmal muß er einigermaßen - wenn nicht
sogar stark - überzeugt davon gewesen sein, daß Guderian sowohl besonderen Einfluß auf den Führer hatte als auch entschlossen war, dort Erfolg zu haben, wo andere versagt hatten. Mehr noch: Hätte Guderian es fertiggebracht, Hitlers Entschluß zu ändern, hätten sich sicherlich auch seine Ansichten erhöht, Oberbefehlshaber zu werden. Am 23. August könnte Halder deshalb Guderian gut als seinen künftigen Vorgesetzten mit allen Vollmachten angesehen haben. Daher müssen sich seine Wut und Enttäuschung angesichts des Verlaufs von Guderians Gespräch mit Hitler verdoppelt haben, und nur so ist auch der Grad des Ausbruchs angestauter Emotionen zu sehen, der von Beschuldigungen, Guderian habe sich illoyal verhalten und Bemerkungen am Telefon zu Bock, Guderian habe sie alle im Stich gelassen, begleitet war. Tatsache bleibt, daß Halder von nun an Guderians Feind war. Halder war so haßerfüllt, daß er in den kommenden Jahren die Legende von dem Einzelgänger Guderian prägte, der sich mit der Elite des Generalstabes uneinig gewesen sei, und sie nach dem Krieg noch mit dem Zusatz versah, Guderian sei oberflächlich gewesen. Aber Halder wurde auch in die Defensive gedrängt, als der König, den er glaubte ausgespielt zu haben, sich als Bube herausstellte. Denn es gab auch jene Stabsoffiziere (darunter Oberstleutnant Fritz Bayerlein, Guderians Ia), die der Auffassung waren, aufgrund der Ereignisse vom 23. August hätten Brauchitsch und Halder zurücktreten müssen und nicht, wie Halder und seine Vertrauten forderten, Guderian. Sei dem wie es wolle, das getrübte weitere Verhältnis zwischen Halder und Guderian kann nun in neuem Licht gesehen werden und wird noch mehr erhellt, wenn man sieht, wie die Pläne, Brauchitsch seines Postens zu entheben, weiter reiften und zugleich die Anhänger Guderians gleichsam einer Verfolgung durch Halder ausgesetzt waren, wie der weitere Gang der Ereignisse beweist. Der Angriff auf die Ukraine verlangte alles von Guderians Scharfsinn, weil er sich sowohl gegen die Russen als auch gegen die hartnäckige Opposition Halders durchsetzen mußte. Halders Tagebuch gibt seine Meinung über die neue Operation wieder, die Guderian in Angriff genommen hatte: »25. August! Die Absicht der Panzergruppe, mit ihrem linken Flügel vorzurücken, führt zu weit nach Osten. Jetzt handelt es sich darum, der 2. Armee über die Desna und dann der 6. Armee über den Dnjepr zu helfen.« Mit anderen Worten: der »Schnellen Truppe« wurden wieder einmal dadurch die Flügel gestutzt, daß sie zur Unterstützung der am langsamsten vorankommenden Verbände eingesetzt wurde. Halder notierte am 26. August, also 24 Stunden später: »Die Infanterie schreitet bei sich versteifendem Widerstand langsam fort« und bestand einen Tag später in einem Befehl an Bock darauf, »Guderian nicht nach Osten
laufen zu lassen, sondern zum Flußübergang der 2. Armee über die Desna heranzuhalten«. Geschwindigkeit war wirklich nicht das Wesen dieser Operation. Liebenstein registrierte den Protest seines Befehlshabers angesichts der Aufsplitterung der Panzergruppe infolge des Zurückhaltens des XXXXVI. Panzerkorps als Reserve. Doch obwohl er jetzt ohne ein Drittel seiner Truppe auskommen mußte, setzte sich Guderian entschlossen über die Befehle Halders und Bocks hinweg und versuchte, wie üblich entscheidende Ergebnisse zu erzwingen. Diesmal war allerdings mehr Eile als sonst geboten, weil nur nach einem schnellen Abschluß der Schlacht um Kiew mit dem Vormarsch auf Moskau rechtzeitig vor Ausbruch des Winters begonnen werden konnte. Die ersten Vorstöße trafen einen überraschten Gegner an, der keinen Angriff aus dieser Richtung erwartet hatte, aber der russische Widerstand wurde täglich stärker, und schwere Kämpfe erforderten von beiden Panzerkorps die Aufbietung aller Kräfte. Halder erwähnte eine Nachricht von Bock, als er am 27. August vermerkte: »Guderian tobt, er käme nicht vorwärts, weil er von rechts und von links in der Flanke angegriffen sei, und verlangt Zuführung der restlichen schnellen Verbände seiner Gruppe. Bock glaubt, das nicht tun zu können, weil er auf die Reserve nicht verzichten kann. Ich bin gleicher Ansicht und bitte ihn, dem Wunsch Guderians nicht nachzugeben. Außerdem bitte ich ihn, Guderian scharf an die Zügel zu nehmen...« Und am 28. August schrieb Halder, nachdem General Paulus, nun Halders erster Mitarbeiter, sich bei ihm für Guderian eingesetzt hatte: »Die Schwierigkeiten der Lage sehe ich ein. Aber schließlich setzt sich der ganze Krieg aus Schwierigkeiten zusammen. Guderian will keinen Armeeführer über sich dulden und verlangt, daß sich bis zur obersten Stelle alles den Gedanken beugt, die er sich aus seinem beschränkten Blickfeld heraus macht. Leider hat sich Paulus von ihm einfangen lassen. Ich denke gar nicht daran nachzugeben. Guderian hat seinen Ansatz selbst bestimmt. Nun mag er sehen, wie er durchkommt!« Die Krise hatte ihren Höhepunkt erreicht, als Halder am 31. August seinem Tagebuch anvertraute: »Die Morgenlage ist beherrscht von einer ausgesprochen unbequemen Lage der Gruppe Guderian. (An diesem Tag mußte Guderian sogar eine Bäckereikompanie einsetzen, um einen bedrohten Abschnitt zu halten - K. M.)... Nun macht er (Guderian) alle Welt für diesen unerfreulichen Zustand verantwortlich und wirft mit Anklagen und Beschimpfungen um sich. Geholfen werden kann ihm nur durch Infanteriekräfte, das dauert alles einige Tage, und während dieser Tage sitzt eben Guderian fest. Ich halte es daher für falsch, diesen Weg der Hilfeleistung zu gehen...«
Bock wollte Guderian jedoch zwei Infanteriedivisionen schicken. Am gleichen Tag erwähnte Halder noch ein Telefongespräch mit Bock, bei dem sich dieser über Guderians Ton beschwerte, »... den er sich unter keinen Umständen gefallen lassen kann. Guderian verlangt, um seinen Kopf durchzusetzen, Entscheidung des Führers. Das ist eine unerhörte Frechheit!« Liebenstein stellte in seinem Tagebuch am 1. September die Vorgänge anders dar: »... ein Hauptfehler der gegenwärtigen Operation, daß nicht genügend starke Kräfte von Anfang an angesetzt sind, um schnell Erfolg zu haben, der notwendig, da die Ziele noch weit sind, die vor Eintritt des Winters erreicht werden sollten. Dauernde Bitte der Gruppe um Wiederunterstellung des XXXXVI. Dieser Bitte wird aber nur tröpfchenweise entsprochen.. Befehlshaber hat den Eindruck, daß die Heeresgruppe ebenso wie Chef Generalstab an ihrem alten Plan, Vorstoß auf Moskau, festhalten. Sicher ist, daß der Führer gegen die Zerschlagung der Panzergruppen ist, wie er dem Befehlshaber am 23. im Hauptquartier sagte. Am 1. September schickt deshalb der Befehlshaber einen Funkspruch an Heeresgruppe Mitte, in dem er darlegt, daß die Gruppe angesichts des langsamen Fortschreitens der 2. Armee das große Operationsziel ohne Kräftezufuhr nicht erreichen kann und schlägt Unterstellung XXXXVI., 7. und 11. Panzerdivision und 14. Infanteriedivision (mot.) vor und erbittet Führerentscheid. Wir glauben, daß von oben beabsichtigt ist, die Richtung Charkow zu nehmen. Wie zu erwarten, schlägt dieser Funkspruch haushohe Wellen! Der Erfolg ist, daß die SS-Division ,Das Reich' uns sofort unterstellt wird... Chef Heeresgruppe äußert in einem privaten Gespräch zu mir etwa: ,Es scheinen Versehen vorgekommen zu sein'.« Am Tag darauf traf Feldmarschall Kesselring, der Befehlshaber einer Luftflotte ein. Er bestätigte Liebenstein, der Führer billige Guderians Vorgehen. Am 3. September notierte Liebenstein: »Heeresgruppe verweigert Angabe ihrer Ziele. Ausreden!« Das Komplott verstärkte sich am 4. September. Halder setzte seine Aktionen fort, indem er bei Hitler gegen Guderian intrigierte. Sein Tagebuch enthält die Eintragung: Eine große Aufregung hat sich abgespielt. Der Führer ist sehr ungehalten über Guderian, der sich nicht von seiner Absicht, nach Süden vorzustoßen, trennen kann. Es ergeht der Befehl, Guderian auf Westufer zurückzunehmen. Spannung zwischen Bock und Guderian. Ersterer fordert die Enthebung Guderians vom Kommando.« An diesem Tag, als Halders Verbindungsoffizier, Major Nagel, anläßlich einer Besprechung bei der Heeresgruppe Mitte Guderians Beurteilung der Lage vortrug, wurde er als »Lautsprecher und
Propagandist« bezeichnet und sofort abgelöst*. Liebenstein, dem klare Befehle fehlten, war über die Gründe für den Tadel im dunkeln und schrieb, Guderian sei »tief betroffen« über die offensichtliche Unzufriedenheit des OKW mit seiner Panzertruppe. »Guderian habe das Gefühl«, notierte Liebenstein weiter, »von oben werde ein Sündenbock dafür gesucht, daß es nicht rasch genug vorwärtsgeht, während wir den Eindruck und die Gewißheit haben, daß es bei rechtzeitiger Zuführung der verlangten Kräfte geklappt hätte. Befehlshaber ist der Ansicht, daß dem Führer die Lage einseitig dargestellt wird.« *
Vielleicht ist erwähnenswert, wenn es auch Zufall gewesen sein mag, daß ein Großteil der Guderian ergebenen Offiziere um diese Zeit abgelöst und im Nordafrikafeldzug eingesetzt wurde. Bayerlein war gegangen, Stauffenberg ging im Oktober, Nehring und Liebenstein wurden 1942 versetzt.
Und bezeichnend war es, daß Liebenstein am 5. September verzweifelt fragte: »Wann sind wohl endlich Befehle zu erwarten statt nur Tadel?« Allen Hindernissen zum Trotz ging es zunächst vorwärts, obwohl die Straßen von den ersten herbstlichen Regengüssen bald in schlechtem Zustand waren und die motorisierten Truppen in dem zähen Matsch sich dem Tempo der marschierenden Kolonnen anpassen mußten. Die Russen hatten natürlich mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Auch sie waren schmutzbedeckt, wenn sie bei widrigem Wetter gegen die sie umfassenden deutschen Zangen angingen, die von Smolensk südwärts und von Krementschug unter Kleist (allerdings erst vom 14. September an) nordwärts vorstießen. Jeder verzweifelte russische Gegenschlag wurde abgewiesen, wenn auch nicht ohne kurze Krisen und dramatische Augenblicke. Deutsche Abwehrstellungen, die wie Perlen an einer Halskette hinter den vorrückenden Angriffsspitzen aufgereiht waren, wurden oft erst im letzten Augenblick von eilends heranbrausenden eigenen Panzern gerettet. Am 16. September trafen die Panzergruppen von Guderian und Kleist bei Lochwiza zusammen und die Einkreisung der Russen war vollendet. In den Lageplänen wurde es so dargestellt, als habe die 3. Panzerdivision die Umzingelung vollendet, was zwar tatsächlich der Fall war, aber soweit es ihre Panzerstärke anging, war sie nur ein Schatten ihrer selbst: nur noch zehn fahrtüchtige Panzer waren im Einsatz, und davon gehörten noch sechs zum veralteten Typ Pz II. Zehn Tage vergingen, bis die ganze Ernte dieser Operation eingebracht war, Tage, in denen fast eine halbe Million russische Gefangene, mehr als 800 Panzer und 3.500 Geschütze erbeutet wurden. Nur wenige Russen entkamen. Liebenstein begann, wie ein Puzzlespiel das von hohen Stellen in die Welt gesetzte Intrigenmärchen zusammenzusetzen. Am 13. September
erklärte ihm Bock reumütig, er hätte Guderian gern mehr Divisionen zur Verfügung gestellt, aber Halder habe den Vormarsch auf Moskau für wichtiger gehalten. Wer also mißachtete Befehle? Später, am 30. September, berichtete Schmundt laut Liebensteins Tagebuch, daß »die Absichten des Führers nicht so ausgeführt werden, wie er es sich denkt, da die unterstellten Kommandobehörden, in diesem Fall die Heeresgruppe Mitte, nebenher ihre eigenen Ziele, d. h. Stoß auf Moskau, verfolgen. Auch Führer der Auffassung, daß die Panzergruppen geschlossen eingesetzt werden sollen, trotzdem hat er eine gewisse Scheu, (dies) zu befehlen... Er ist schon mit dem Gedanken umgegangen, sich die Panzergruppen unmittelbar zu unterstellen, wie es Göring mit dem VIII. Fliegerkorps machte...« Natürlich wäre es ein beinahe einmaliger Vorgang in der Kriegsgeschichte gewesen, wenn zwischen gleichgestellten Befehlshabern eine einhellige Meinung in Fragen der Strategie bestanden hätte, und es wäre auch eine Überraschung, hätte es gar keine Intrigen gegeben. Bemerkenswertester Aspekt von Halders Verhalten in dieser Situation war seine offensichtliche Bereitwilligkeit, deutsche Soldaten zugunsten eigener Ambitionen zu opfern. Die Tatsache, daß er so handelte und ein doppeltes Spiel trieb, war ein schlechtes Omen für Guderian. Denn Halder verzieh ihm niemals den angeblichen Verrat vom 23. August, während er seine eigenen Fehler zu verbergen suchte. Nachdem er den Abschluß der Schlacht um Kiew verzögert hatte, nahm er nun voller Hast den Vormarsch auf Moskau wieder auf, obwohl die Jahreszeit für einen Feldzug schon sehr spät war. Als sich die Zange in der Ukraine schloß, wurden Befehle ausgegeben, die besagten, der Vormarsch auf Moskau sei endlich genehmigt und solle unverzüglich in Gang gebracht werden. Am 24. September bestimmte Bock den 2. Oktober als provisorischen Termin für den Beginn dieses Hauptschlages, behielt sich aber die Bestätigung bis zum 27. September vor, dem Tag, an dem unvermeidliche komplexe Umgruppierungen abgeschlossen sein sollten. Aber es gab noch größere Probleme, die Guderian beunruhigten. Am 27. August war ein Verbindungsoffizier, der nach Berlin geflogen war und von Schell aufgesucht hatte, um Ersatzteile für die gepanzerten Fahrzeuge zu beschaffen, mit Schells Antwort zurückgekehrt: »Wir stehen in dieser Frage am Rand einer Katastrophe. Es fehlt an Stahl, deshalb muß auch die Neufertigung auf manchen Kfz-Gebieten bis zu 40 Prozent zurückgeschnitten werden. Der Nachschub geschieht oft in sinnloser Weise; z. B. bekommen wir immer noch bei Mörsermunition einen hohen Prozentsatz in Betongranaten... oder Kotflügel für Kfz statt Ersatzteile für Motoren.« Die Tage wurden kürzer, das Wetter kälter und nasser. Die Truppenverstärkungen, die Bock zugesagt worden waren, waren vor
ihrem neuen Einsatz zwischen der Front vor Leningrad und Konotop im Süden verteilt gewesen. Ihre Ist-Stärke lag um 15 Prozent unter der Normalstärke, und nur noch 75 Prozent ihrer Panzerstärke waren vorhanden - bei Guderian waren es bereits weniger als 50 Prozent. Während die Infanterieeinheiten stark dezimiert waren, war die Zahl der Panzerbesatzungen ausreichend, weil ihre Verluste sich in Grenzen gehalten hatten. Aber die Treibstoffvorräte gingen zu Neige, der Transport mit Motorfahrzeugen und Pferdewagen machte auf den kaum passierbaren Wegen immer mehr Schwierigkeiten und, obwohl die Ausladebahnhöfe weiter nach vorn verlegt wurden, machte sich Mangel an rollendem Material bemerkbar. Daher erfolgte der Aufmarsch unter dem Gesichtspunkt, die Bewegung auf ein Minimum zu beschränken, und aus diesem Grund sahen sich die Stäbe einzelner Heeresverbände plötzlich neuunterstellten Einheiten gegenüber, deren Kommandeure sie nicht kannten. So übernahm beispielsweise Guderian, der das Kommando über das XXXXVI. Panzerkorps an Hoepners Panzergruppe 4 im Norden hatte abgeben müssen, den Befehl über das XXXXVIII. Panzerkorps, das bisher zu Kleists Panzergruppe I gehört hatte, weil es geographisch sinnvoll war. Nur 24 Stunden vergingen zwischen der Kommandoübernahme und dem Einsatz der Truppe. Die kürzeste Entfernung nach Moskau hatten mit 320 Kilometern die Panzergruppen 3 und 4 zurückzulegen, die auf beiden Seiten von Smolensk aufmarschiert waren. Diese Strecke hätte im Juni für die motorisierten Einheiten fünf Tage in Anspruch genommen einschließlich der Kampfhandlungen gegen eine sowjetische Armee, die damals noch nicht ihre erste Niederlage erlitten hatte. Im September schien daher die Wahrscheinlichkeit, das große Ziel zu erreichen, innerhalb theoretischer Machbarkeit zu liegen. Die Russen waren stark geschwächt, hatten insbesondere einen erheblichen Teil ihrer Panzer verloren und wurden weiterhin schlecht geführt. Es spielte für die deutsche Planung kaum eine Rolle, daß die beiden Panzergruppen, die von Jelnja nach Moskau vorrücken sollten, über eine rund 250 Kilometer lange Front verteilt waren und Guderians Gruppe im Süden weitere 250 Kilometer von ihnen entfernt war. Die Deutschen waren daran gewöhnt, Siege mit isolierten Panzergruppen zu erzielen, die nur lose miteinander verbunden waren. Wie groß ihre Zuversicht war, läßt sich aus der Art von Guderians Beitrag zu Bocks Plan ablesen. In Anbetracht der räumlichen Entfernung zur Panzergruppe 4 auf der linken Seite entschloß sich Guderian, den Angriff am 30. September zu eröffnen, zwei Tage vor den übrigen Einheiten der Heeresgruppe. Nur auf diese Weise konnte er eine bestmögliche Unterstützung durch Bomber erhalten, weil seine Operation nur zur Unterstützung diente. Doch ging es ihm in der Hauptsache darum, sich den Weg zu engerer Tuchfühlung mit den anderen Verbänden zu bahnen, weil die Zeit nicht
für Umgruppierungen näher an sie heran reichte, ohne in Feindberührung zu kommen. Zudem ging es ihm darum, rechtzeitig das etwas festere Straßensystem bei Orel zu erreichen, bevor durch den Herbstregen die schlechten Verkehrsverbindungen zwischen Konotop und Orel vollends zusammenbrachen. Er wußte so gut wie jeder andere, daß sie sich ebensosehr in einem Rennen gegen das Wetter und die Zeit befanden wie gegen die Russen. Als eine absolut brillante Leistung hinsichtlich Organisation und Führung ist Guderians Richtungsschwenkung um 90 Grad aus einer Fesselungsposition im Kessel von Kiew am 26. September zu einem neuen direkten Angriff am 30. September fast ohne Parallelen. Das Eintreffen von 50 neuen Panzern bedeutete eine spürbare Hilfe, obwohl die übermüdeten Besatzungen inzwischen ohne Unterbrechung seit drei langen Monaten im Einsatz waren und eigentlich dringend Erholung brauchten. Die Kämpfe begannen früher, als Bock eingeplant hatte; Guderian setzte das ihm neu unterstellte XXXXVIII. Panzerkorps am 28. September erstmals ein, um den Flankenschutz für den Hauptstoß seiner Panzergruppe 2 zu übernehmen, die in nordöstlicher Richtung über Gluchow nach Orel vorrücken sollte. Diese einleitende Operation verlief erfolglos. Dennoch nahmen alle drei Panzerkorps am 30. September die Gesamtoperation auf und kamen trotz eines starken russischen Gegenangriffs und trotz des Frühnebels, der die Stukas am Start hinderte, gut voran. Die Angriffsspitzen legten ein ziemliches Tempo vor und die marschierende Infanterie konnte ihnen nur mit Mühe folgen. Der Vormarsch wurde allerdings Guderians Truppen leichtgemacht, nicht nur, weil die russischen Frontstellungen zahlenmäßig dünn besetzt waren, sondern auch, weil sie erneut vom deutschen Angriff völlig überrascht wurden, denn sie hatten ebenfalls ganz logisch angenommen, die Feldzugsaison sei fast vorbei. Von Barsewisch vermittelt ein prägnantes Bild von Guderian an der Front, wie er die Truppe vorantrieb. »Heute erschreckte Guderian die alten Wackelpapas von der Infanterie, die jetzt zu uns gekommen sind und unseren Krieg nicht kennen, fürchterlich. Er hat eine stille und warmherzige Freude daran. ,Zehn Kilometer glauben Sie mit einem Bataillon nicht abschirmen zu können? Wie schade! Denken Sie mal, ich habe eine offene Flanke von 300 Kilometern, in der nichts steht, und das stört mich gar nicht. Also bitte -!'« Bei anderer Gelegenheit, als ihr Kommandofahrzeug im Schlamm steckengeblieben war, »grinste Guderian und sagte: ,Nun, mein lieber hochverehrter Herr von Barsewisch, ist das nicht eine herrliche Seh...?'« - die Bemerkung eines echten Panzermannes, die Barsewisch ungemein gefiel. Die Panzergruppe 2 setzte den Vormarsch so schnell, wie es ihr möglich war, durch dichtbewaldetes Gebiet fort, legte an zwei Tagen 200 Kilometer zurück und nahm Orel. Die russischen Gegenangriffe wurden
abgewiesen und die sich entgegenstellenden feindlichen Einheiten, deren einziger Gedanke das Entkommen war, niedergemacht. In den Waldgebieten um Brjansk waren weitere sowjetische Armeen eingeschlossen, und bald war auch dieses wichtige Verbindungszentrum und mit ihm die übliche reiche Beute in deutscher Hand. Wieder schaltete sich Hitler mit den für ihn typischen, die Truppe zersplitternden Anweisungen ein, die auf schnelles Ernten reicher Früchte abzielten, statt das strategische Hauptziel - Moskau - weiterzuverfolgen: Kursk sollte genommen und der Kessel von Brjansk eingedrückt und von den eingeschlossenen Russen gesäubert werden. Dies bedeutete, daß nach dem Fall Orels der taktisch wichtige Vormarsch auf Tula nicht die notwendige Unterstützung erhielt. Erneut wurde die Eroberung Moskaus zugunsten eines spektakulären, aber örtlich begrenzten Erfolges zurückgestellt. Das gleiche spielte sich bei Wjasma ab, nachdem Bocks Hauptangriff gut vorangekommen und eine weitere unübersehbare Schar Gefangener gemacht worden war. Erst verschworen sich die Russen, dann der Wettergott, um das deutsche Kriegsglück zu wenden. Am 6. Oktober war Brjansk gefallen, aber Guderians die Angriffsspitze führende Division (die 4. Panzerdivision) stieß bei Mzensk auf die 1. Russische Panzerbrigade mit ihren KW 1- und T 34-Panzern, nachdem sie ein Viertel der Strecke nach Tula hinter sich gebracht hatte. Es waren böse Stunden. Zum erstenmal zeigte sich die Überlegenheit der russischen Panzer in krasser Form, wie Guderian und Nehring es geahnt hatten, als sie am 3. Juli ihre Entdeckung machten. Die deutschen Panzer wurden zurückgeschlagen und der Vormarsch infolge schwerer Verluste zum Stillstand gebracht. In der Nacht vom 6. zum 7. Oktober fiel der erste Schnee. Daß an diesem Tag die Panzergruppe 2 die Bezeichnung »Panzerarmee« erhalten hatte, war ohne jeden Wert. Mit einemmal wandte sich das Blatt stark zu ungunsten der Deutschen, und zum erstenmal verlor Guderian die Hoffnung. Die schmerzlichen Erlebnisse, die er in seinen Erinnerungen bei der Berichterstattung über diesen Zeitabschnitt schildert, lassen in eindrucksvoller Weise die Gefühle erkennen, die ihn damals bewegten. Der Vormarsch kam kaum weiter und lebte nur dann kurz auf, wenn es der Zustand der Straßen und der angrenzenden Felder erlaubte. Nach jedem Neuschnee zwang das danach einsetzende Tauwetter wieder zum Stillstand. Nach solchen Zwangspausen war der Gegner inzwischen besser vorbereitet, und der Angriff mußte erneut aufgebaut werden. Die Deutschen konnten jetzt auch nicht mehr beliebig ihre Richtung ändern und auf Überraschungseffekte vertrauen. Die Russen kamen den deutschen Absichten zuvor, die sie leicht vorausahnten, und errichteten ihre Abwehrstellungen geschickt an passenden Abschnitten.
Mit jedem Tag, der verging, dachte Guderian sorgenvoller an die Lage seiner Soldaten und an die dazu in Widerspruch stehende Notwendigkeit, sie noch tiefer in die Sowjetunion hineinzutreiben. Jeder Besuch an der Front lieferte neue Beweise für die Not, die die Truppe infolge des Fehlens von Stiefeln, Hemden und Wollsocken - kurz: Winterbekleidung jeglicher Art - litt. Ältere Offiziere begannen Ermüdungserscheinungen zu zeigen. Er könnte sich selbst gemeint haben, als er schrieb, »... nicht die körperliche, sondern die seelische Erschütterung« sei es gewesen, die man ihnen angemerkt habe. Denn am 21. November ließ er in einem Brief an Gretel, in dem er die Pflichten eines Befehlshabers als Qual bezeichnete, die gleiche außergewöhnliche Mischung von Hoffnung und Verzweiflung erkennen, die ihn bereits 1919 in Bartenstein bewegt hatte. Sogar in den letzten Zuckungen des deutschen Vormarsches auf Moskau vermochte er irgendwie das kleinste Anzeichen einer Entwicklung zu seinen Gunsten zu erkennen - »Schritt für Schritt«. Am Anfang des Briefes schrieb er: »Die Anforderungen an die Truppe sind enorm. Um so bemerkenswerter sind nach wie vor ihre Leistungen. Jede, aber auch jede Unterstützung von oben fehlt. Ich muß ganz allein fortwursteln... So war ich gestern am Rand der Verzweiflung und mit meiner Nervenkraft zu Ende. Heute hat mir der unerwartete Kampferfolg der braven Panzerdivisionen einen neuen Hoffnungsstrahl entzündet; ob er anhält, werden die nächsten Tage lehren. Wenn die Kampflage es gestattet, will ich zur Heeresgruppe zum Vortrag über die Gestaltung der nächsten Zukunft... Ich weiß nicht, wie wir bis zum nächsten Frühjahr wieder in Ordnung sein sollen. Wir marschieren jetzt auf den Dezember los, und noch ist kein Entschluß gefaßt.« Dies war nicht der Brief eines Generals, dessen Blickfeld begrenzt war, sondern der eines Befehlshabers, der wie ein Oberbefehlshaber dachte. In seinen Erinnerungen erwähnt Guderian sarkastisch: »...die Hochstimmung, in die sich das OKH und das Oberkommando der Heeresgruppe Mitte versetzt fühlten«, obwohl das ein wenig kraß ausgedrückt ist. Wohl liest man in Halders Tagebuch zwischen den Zeilen Zuversicht, zumal es ja notwendig ist, daß ein Oberkommando gegenüber den ihm unterstellten Truppen und deren Führern eine nach außen hin zuversichtliche Miene zeigt. Guderian tat das auch. Aber Halder erkannte, daß sein verspäteter Vormarsch auf Moskau in Gefahr war und mit ihm sein Ruf. Barsewisch schrieb: »... Guderian gefaßt, aber im Inneren getroffen durch die ihm angetane Gewalt der Naturkräfte!...« und zitierte die ermutigenden Worte, die Guderian in einer Rede an die Truppe gerichtet hatte: »Kameraden! Vertrauen gründet sich bei Soldaten auf gegenseitige Ehrlichkeit. Einige letzte Ziele sind noch zu
erreichen, einige Wochen müßt Ihr noch kämpfen. Damit sparen wir aber sonst größere Opfer des nächsten Jahres...!« Von Brauchitsch hatte kurz zuvor einen Herzanfall erlitten, während bei der Heeresgruppe Bock mit Magenkrämpfen daniederlag und trotzdem bis zur Erschöpfung arbeitete. Es dauerte nicht mehr lange, bis er im Norden bei 30 Grad Frost, die die Kampfkraft von Truppe und Fahrzeugen auf 20 Prozent herabschraubten (wenn nicht noch mehr), in Sichtweite von Moskau kam. Doch Guderians 2. Panzerarmee (obwohl sie zu diesem Zeitpunkt besser vorankam als die übrigen Einheiten) saß vor Tula im Schlamm fest, und eine Zählung der an den Kampfschauplätzen liegengebliebenen Panzer ergab zum erstenmal, daß mehr deutsche als russische Panzer zerstört worden waren. Die KW 1- und T 34-Panzer waren eine tödliche Waffe. Die Gelegenheit, etwas Entscheidenderes zu tun als mit Hitler nur offen zu reden, war längst verpaßt worden, und als schließlich ein Generalfeldmarschall die Geduld verlor, war es zu spät. Rundstedts Heeresgruppe Süd hatte am 20. November Rostow am Don genommen, aber ihre vorspringende Verteidigungslinie kam sofort auf beiden Seiten unter starken russischen Druck. Ohne die Erlaubnis einzuholen, tat Rundstedt das einzig Vernünftige: er räumte am 30. November Rostow und verlegte die Front zurück. Es war der erste strategische Rückzug in der Geschichte des deutschen Militärs seit 1919. Und als das OKW ihn aufgefordert hatte, seine Maßnahme rückgängig zu machen, ersuchte er seine Vorgesetzten in einem Zustand überdrüssiger Verbitterung, ihn ablösen zu lassen. Neuer Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd wurde Feldmarschall von Reichenau - aber der Rückzug ging weiter und Rundstedts Rücktritt hatte nur zur Folge, daß eine Welle des Widerstandes gegen Hitlers Autorität schlug. Sogar der SS-Führer Sepp Dietrich erklärte Hitler, seine Einstellung sei falsch. Am Vorabend einer großen sowjetischen Gegenoffensive vor Moskau am 6. Dezember stellten Guderian, Hoepner und Reinhardt dann Bock vor vollendete Tatsachen und nahmen die vorgestoßenen Truppenteile zur Verteidigung zurück. Unmittelbar darauf stieg der russische Druck, und die Deutschen mußten weiter zurückgehen. Es war nicht zu vermeiden, daß dabei Material, Ausrüstung und eine Reihe von Verwundeten oder infolge von Erfrierungen kampfunfähigen deutschen Soldaten zurückgelassen werden mußten. Doch die deutschen Truppen schlugen weiter zurück und es gab keine Anzeichen einer Auflösung selbst angesichts der sich abzeichnenden Niederlage. Fest steht, daß Guderian, der den Dingen nüchtern ins Auge sah und das bevorstehende Desaster ahnte, sich bemühte, bei einflußreichen Kollegen Unterstützung zu finden, um die Offensive zu stoppen und die Truppen in sichere Stellungen zurückzuziehen. Für ihn bedeutete Bewegung immer Sicherheit, gleichgültig, ob es vorwärts oder rückwärts
ging. Kernpunkt war für ihn stets die Notwendigkeit ausreichender Versorgung, um die Beweglichkeit der Fahrzeuge zu garantieren und das Wohlbefinden seiner Soldaten. Am 23. November war er bei der Heeresgruppe auf Unverständnis für seine Einschätzung der Lage gestoßen und hatte seinen alten Waffenkameraden Balck (der von seinem Schreibtisch in Deutschland zu einem Besuch an die Front gekommen war) gebeten, den Oberbefehlshaber des Heeres, Feldmarschall von Brauchitsch, über seine pessimistische Beurteilung zu informieren. Das tägliche Fernsprechbuch der 2. Panzerarmee verzeichnet genau das Ringen Guderians mit Bock um Beendigung des Winterfeldzuges. Es ist ein schmerzliches Dokument. Am 8. Dezember suchte er andere Generäle auf, am 10. Dezember sandte er Berichte an Schmundt, den Chefadjutanten des Führers, und an Bodewin Keitel, die versuchen sollten, für ihn bei Hitler Gehör zu finden. Bei einem Treffen in Roslawl am 14. Dezember mit Brauchitsch und Kluge (dessen 4. Armee bereits ebenfalls mit der Zurücknahme der Front begonnen hatte) erbat und erhielt er die Genehmigung, mit der Armee auf die Linie der Susha und der Oka auszuweichen, die Orel schützte. Guderian wurde bei dieser Besprechung im Oberbefehl über den zusammengefaßten südlichen Flügel der Heeresgruppe bestätigt. Die 2. Armee und seine eigene 2. Panzerarmee bildeten die »Armeegruppe Guderian«. Am Tag darauf erklärte Brauchitsch unter Berufung auf Guderian gegenüber Halder, er sehe keinen Ausweg für die deutschen Truppen. Am 16. Dezember traf Guderian Schmundt in der Nähe der Front »auf meine dringende Bitte« und schrieb dann in einem Brief an Gretel: »Ich erwarte nun um Mitternacht noch den Anruf des Führers, um unmittelbar über unsere Zustände und die meiner Ansicht nach erforderlichen Maßnahmen zu melden. Wenn es doch nur nicht zu spät wäre... Wie wir wieder herauskommen sollen, weiß ich selbst noch nicht. Jedenfalls muß schnell und energisch gehandelt werden. Ich bin nur froh, daß der Führer nun wenigstens Bescheid weiß und hoffentlich mit gewohnter Tatkraft in das verbürokratisierte Räderwerk der Heeres-, Eisenbahn- und sonstigen Maschinen eingreift. Ich kann mich nicht entsinnen, aus dienstlichen Gründen jemals so angespannt gewesen zu sein wie jetzt und hoffe nur, daß ich es aushalte. Meine alte Ischiassache macht mir viele Beschwerden; nachts liege ich viel schlaflos und zermartere mir das Gehirn, was ich noch tun könnte, um meinen armen Männern zu helfen, die in diesem wahnsinnigen Winterwetter schutzlos draußen sein müssen. Es ist furchtbar, unvorstellbar. Die Leute bei OKH und OKW, die die Front nie gesehen haben, können sich keinen Begriff von diesen Zuständen machen. Sie drahten immer nur unausführbare Befehle und lehnen alle Bitten und Anträge ab!«
Um 3 Uhr früh kam am 17. Dezember Hitlers Anruf durch. Die Verständigung war sehr schlecht. Weil dieses Telefongespräch ein weiteres Zeichen für die Zukunft setzte, könnte man es als historisch bezeichnen. Hitler gab großartige Versprechen von bevorstehender Hilfe auf dem Luftweg ab und wiederholte dann seinen Befehl, auszuhalten. Deutschlands Generäle an der Front mußten sich in den kommenden Tagen an solche Worte und barschen Forderungen gewöhnen, aber Guderian war der erste, der sie zu hören bekam - und hatte als erster die Gewißheit, daß er dem Mann zuhörte, der dabei war, das Heer um eine weitere Stufe abzuwerten. Denn Schmundt hatte Guderian verraten, Brauchitsch werde in Kürze abgelöst und an seine Stelle trete - nicht Guderian oder ein anderer Offizier - Hitler selbst. Auf diese Weise sollte dem Heer der wahre Geist des Nationalsozialismus eingeimpft und das Staatsoberhaupt und der Oberste Befehlshaber ermächtigt werden, sich selbst Befehle zu erteilen. Unterdessen kümmerte sich Guderian ausschließlich um naheliegende Dinge. Liebenstein schrieb über das Telefongespräch zwischen Guderian und Hitler: »Der Befehl des Führers zum Halten und das Verbieten von Ausweichbewegungen entspricht in keiner Weise der tatsächlichen Lage, da dieser Befehl nicht ausführbar ist, infolge der ganz ungenügenden Gefechtsstärke. Es ist oben trotz aller Forderungen und Meldungen nicht begriffen worden, daß wir zu schwach sind, um uns stark zu verteidigen.« Guderian setzte die Rückwärtsbewegung fort und ignorierte Hitlers Befehl. Aber schließlich konnte er nun selbst sehen, woher die Probleme bei der Truppe kamen, obschon er noch immer glaubte, Hitler werde durch die Optimisten im OKH falsch unterrichtet. Während sich seine Armeegruppe unter Führung von Kommandierenden Generälen, die deutlich spürten, welches Risiko sie eingingen, auf einem geordneten Rückzug befand, erbat sich Guderian am 17. Dezember Bocks Zustimmung zum Flug nach Rastenburg zu einer persönlichen Aussprache mit Hitler. Bock ließ ihn ohne Einwände die Reise antreten; sein Magenleiden hatte sich verschlimmert, und er entschloß sich, sich am nächsten Tag krank zu melden und an dem Feldzug nicht weiter teilzunehmen. Am 17. Dezember war Halder unwirsch, weil er wußte, daß Guderian widerspenstig war, aber am 19. Dezember änderte sich die ganze Atmosphäre. Hitler bestellte Halder zu sich und informierte ihn, daß Brauchitsch abgelöst worden sei und von nun an er - Hitler - selbst die Führung übernehme. Bock werde durch Kluge ersetzt. Der Chef des Generalstabes sei künftig nur noch für die Ostfront verantwortlich, die übrigen Kriegsschauplätze würden von Keitel und Jodl vom OKW kontrolliert. Hitler behielt sich das Recht vor, Befehle so weit in der Befehlskette hinunter zu geben, wie er für richtig hielt, während er anderen die Alltagsarbeit eines Oberbefehlshabers, die ihn nicht
interessierte, überließ. Halder hätte damals auf der Stelle zurücktreten können - vielleicht sollen. Aber er tat es nicht aus dem altbekannten Grund: er fühlte sich in erster Linie der Armee verpflichtet. So blieb er auf seinem soldatischen Posten in größerer Nähe des Führers und führte Befehle aus, an die er häufig in seinem Innersten nicht glaubte. 24 Stunden nach dem Telefonat mit Hitler, am 17. Dezember um Mitternacht, erklärte Guderian dem Chef des Stabes der Heeresgruppe, der »Halt«-Befehl des Führers müsse so befolgt werden, »... daß von der Armee soviel wie möglich erhalten bleibt. Es wird kein Gelände unnötig aufgegeben, aber auch nicht gehalten, wenn Truppe dadurch zerschlagen wird«. Diese Meldung war nicht ohne Flexibilität, und Guderian fügte hinzu: »Ich kenne die Auffassung des Führers. Ich werde tun, was ich kann... Ich brauche volle Handlungsfreiheit und kann nicht fragen, ob ich eine Division bewegen kann.« Er setzte behutsam das Zurückgehen vor dem sowjetischen Druck in Übereinstimmung mit der früheren Anweisung von Brauchitsch, aber in Widerspruch zu Hitlers Befehl, fort. Die fünfstündige Unterredung mit Hitler am 20. Dezember war völlig unproduktiv. Jedesmal, wenn Guderian Beweise für die schrecklichen Zustände an der Front vorlegte, fegte sie Hitler mit unpraktischen Lösungen vom Tisch. Als Hitler Guderians Sorgen angesichts des ihm unausweichlich scheinenden Verhängnisses mit einer historischen Analogie widerlegen wollte, hatte auch Guderian ein passendes Beispiel aus der Geschichte parat. Die Behauptung Hitlers, die Winterbekleidung habe die Truppe schon erreicht, wurde von Guderian eindeutig als Fehlinformation gebrandmarkt. Der leiseste Hinweis darauf, daß das OKW die Lage an der Front verkenne, stimulierte Hitlers Ungehaltenheit und Zorn. Auch Vorschläge, Hitler solle fronterfahrene Offiziere ins OKW berufen, wurden nicht akzeptiert. Keiner konnte den anderen von seiner Aufrichtigkeit und eigentlichen Absicht überzeugen, und Guderian war gezwungen, an die Front zurückzukehren und das Beste aus einer schlechten Aufgabe zu machen: Verteidigungslinien zu halten, wo wegen des tiefgefrorenen Bodens keine Dauerstellungen möglich waren, Material zu verwenden, das auseinanderzufallen drohte und Männer zu führen, die ermattet und niedergeschlagen, wenn auch noch nicht gebrochen, waren. Kaum hatte Kluge von Bock übernommen, begann das Geplänkel zwischen ihm und Guderian. Wesentlicher Inhalt von Kluges Ferngespräch mit Halder am 20. war eine Klage über Guderians fortgesetzten Rückzug und die Behauptung, Guderian habe die Nerven verloren. Kluge sicherte damit seine eigene Position, falls er von Hitler zur Verantwortung gezogen werden sollte. Dasselbe tat auch Halder. Sie warteten auf Guderians Gewohnheit, Autorität zu umgehen, eine Taktik, unter der Kluge oft in der Vergangenheit hatte leiden müssen.
Und fast unmittelbar darauf begann Guderian mit Rückwärtsbewegungen an verschiedenen Stellen, doch die Telefonkladde der 2. Armee zeigt, wie er peinlich genau jedesmal Kluges Einwilligung für eine geplante Truppenverlegung einholte. Ihr Meinungsaustausch wirkt heute bei der Lektüre fast komisch, wenn man die diskutierten minuziösen Details mit der ausgedehnten Freiheit von ehedem vergleicht. Kluge sonnte sich an seiner Macht und klang noch gönnerhafter als gewöhnlich: »Sie haben doch noch einen Sack voll Reserven. Was haben Sie mit denen eigentlich vor?« fragte er am 24. Dezember Liebenstein. »Haben Sie nicht von Brjansk aus mit den dort stehenden Kräften die Wege ständig überwacht? Warum soll plötzlich wieder alles zurück?« Jede dieser provokativen Fragen beantwortete Liebenstein ruhig, indem er Einzelheiten anführte und zugleich warnte: »Eine 25 Kilometer breite Lücke ist entstanden, die aufgefüllt werden muß!«, worauf Kluge beschwichtigend erwiderte: »Am Oka-Abschnitt muß gehalten werden... Ich muß noch mit dem Führer oder Generaloberst Halder sprechen. Ich gebe Ihnen rechtzeitig Bescheid.« In der Nacht, wenige Stunden später, ging Tschern verloren. Der Verlust wurde erst am Nachmittag des 25. August vom Korps an die 2. Panzerarmee gemeldet, die es sofort an die Heeresgruppe weitergab. Kluge benutzte sofort diese Gelegenheit, um Guderian vorzuwerfen, er habe die Räumung dieser Stadt schon 24 Stunden vorher befohlen. Guderian wies den ungerechtfertigten Vorwurf zurück, und es fielen harte Worte. Kluge fühlte seinen ersten Verdacht hinreichend bestätigt, als die eingeschlossenen Einheiten, die bei Tschern gekämpft hatten, den russischen Ring durchbrechen und ohne Verluste die eigenen Linien erreichen konnten. Kluge beschuldigte Guderian rundweg, ihm mit Absicht eine falsche dienstliche Meldung erstattet zu haben und kündigte an, er werde dem Führer über Guderian berichten. Guderian bat daraufhin spontan um Enthebung von seinem Kommando. Doch Kluge, der in seinem Kriegstagebuch notierte: »Ich bin grundsätzlich ganz auf seiten Guderians, daß man sich nicht einfach totschlagen lassen kann, aber er muß gehorchen und mich orientieren«, kam ihm zuvor und beantragte sofort beim OKH die Ablösung Guderians. Auch bei Hitler gab es keinen Augenblick des Zögerns. Für ihn war Guderian in diesem Augenblick ein weiteres aufsässiges Produkt des Generalstabes der alten Schule, die, wie Goebbels sich ausdrückte: »... unfähig sind, harte Belastung und starke Charakterprüfungen zu ertragen«. Über 30 weitere Generäle wurden im Dezember 1941 in diese Kategorie eingestuft und in den Rang der Unzufriedenen eingereiht. Eine Ironie des Schicksals war es, daß Guderian in diesen Augenblicken tiefsten Unglücks sein Bestes gegeben hatte - nie zuvor und niemals wieder zeigt sich so vorteilhaft seine Persönlichkeit als Heerführer und sein angeborenes Verständnis für Operationen, die
dringlich waren. Unter seiner Anweisung bewiesen die Einheiten der 2. Panzerarmee, daß ein flexibles Zurückgehen bei winterlichen Wetterbedingungen im Bereich ihrer Möglichkeiten lag. So konnte Guderian die Hitlersche Behauptung Lügen strafen (die so bereitwillig von einer großen Anzahl deutscher Generäle sowohl vor als auch nach den Ereignissen um Guderian mit Beifall aufgenommen worden war), daß es zu einem Unglück von größerem Ausmaß, als es die Franzosen anno 1812 erlebten, gekommen wäre, wenn die deutschen Truppen insgesamt den Rückzug hätten antreten dürfen. Sein Geschick in der Führung wurde jedoch noch übertroffen von seinem Bemühen, Verluste zu vermeiden, eine Einstellung, die dazu führte, daß er seine eigene Karriere im Dienst dessen opferte, was er für rechtmäßig hielt. In dieser Hinsicht ging er seinen Zeitgenossen voran und schlug einen Kurs des Widerstandes ein, der immer schärfer auf Kollision mit dem Führer zulief. Paul Dierichs bestätigt, daß Guderian im Abschiedsbefehl an seinen Stab harte Kritik an Hitlers Entscheidung übte. Aber zunächst blieb ihm nichts anderes übrig, als sich aus dem Streit zurückzuziehen und voll Zorn der weiteren Entwicklung zuzusehen.
9 DIE STRASSE NACH LÖTZEN
Nach und nach erfuhr man in aller Welt und zuletzt auch in Deutschland von der Massenentlassung der Heerführer, die vor noch nicht allzu langer Zeit solch großartige Siege errungen hatten. Von den 30 Kommandeuren, die auf die Straße gesetzt wurden, fand keiner in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit mit Ausnahme von Brauchitsch, und dies nur, um Hitlers Ruf als Oberster Befehlshaber zu heben. Guderians Ablösung, die er selbst seiner 2. Panzerarmee durch Tagesbefehl mitgeteilt hatte und die seine unterstellten Kommandeure betrübt ihren Truppen verkündeten, wurde der deutschen Bevölkerung nicht bekanntgegeben, so daß bereits neue Kriegshelden von der Propaganda gefeiert wurden, als in Deutschland allmählich die Nachricht durchsickerte, einer der ganz Großen sei nicht mehr an der Front. Zu den neuen Heroen zählte Erwin Rommel, dessen Gegenstoß in der Cyrenaika im Januar 1942 nach einem ernsten Rückschlag durch die Engländer um die Jahreswende viel dazu beitrug, die Aufmerksamkeit des breiten Publikums von den Unstimmigkeiten in der deutschen Truppenführung auf dem russischen Kriegsschauplatz abzulenken. Guderian machte sich wenig aus dem Verlust seiner persönlichen Popularität. Als ein Journalist im September 1941 Nachforschungen anstellte mit der Absicht, eine kurze Biographie über ihn zu schreiben, hatte er in einem Brief Gretel zur Vorsicht gemahnt und sie gebeten, dem Mann keine vertraulichen Unterlagen auszuhändigen, denn: »... ich möchte unter gar keinen Umständen eine Propaganda a la Rommel mit meiner Person getrieben wissen!« Doch wenn man wie er gewohnt ist, unermüdlich zu arbeiten und jahrelang Nerven und Körper in einem Zustand von Hochspannung und Unbequemlichkeit gehalten und nicht geschont hat, kann ein plötzliches Ausspannen in Verbindung mit Untätigkeit so schädlich sein wie anhaltender Streß. In Guderians Fall trat im März 1942 ein Herzleiden auf, das sich im Herbst des gleichen Jahres verschlimmerte. Belastungen anderer Art ersetzten die Strapazen der Front und die Reibereien, die ihm am meisten zu schaffen gemacht hatten. Zur an ihm zehrenden patriotischen Besorgnis angesichts des schwindenden deutschen Kriegsglücks kam die Erkenntnis einer neuen Gefahr: das Bewußtsein, daß er von verschiedenen Kategorien Neugieriger beobachtet wurde. Da waren einmal die Vertreter des Nazitums, die seine Reaktion auf die Bestrafung beobachten, dann die Historiker, die auf Informationen akademischer Natur aus waren, und später die
Abgesandten der Widerstandsbewegung, die erkunden wollten, ob er gewillt war, sich an der Verschwörung zu beteiligen. Darüber hinaus machte ihm auch Gretel Sorgen, die im Frühjahr infolge einer bösen Blutvergiftung monatelang bettlägerig war. In diesem Zustand innerer Unruhe sucht er vorsichtig nach einer dauernden Bleibe in der Sonne und war drauf und dran, ein kleines Haus am Bodensee zu erwerben. Es hatte den Anschein, als gäbe es für ihn keine andere Beschäftigungsmöglichkeit, denn im September 1942 hatte er erfahren, daß Hitler einen Vorschlag Rommels, Guderian als den dafür am besten geeigneten Mann das Kommando der Panzerarmee in Nordafrika übernehmen zu lassen, ungünstig aufgenommen hatte. Aber weil Hitler nicht die Absicht hatte, Guderian wiederzuverwenden, bot er ihm Landbesitz im Warthegau, der einst zu Preußen gehört hatte und 1939 von den Polen zurückerobert worden war. Die Schenkung erfolgte in der Form einer Dotation des Reiches an einen ruhmreichen ehemaligen Kommandeur, dem am 17. Juli 1941, als der Rußlandkrieg fast schon gewonnen zu sein schien, das seltene Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes verliehen worden war. Guderian erklärte sich einverstanden und nahm im Oktober 1942 in Deipenhof Besitz von einem großen Hof mit 4.000 Morgen guten Ackerlandes. Nach dem Krieg erhobene Vorwürfe, die ihn als habgierig darstellten, veranlaßten ihn, die Übernahme dieses Gutes in seinen Erinnerungen damit zu begründen, daß er in Berlin ausgebombt worden war und keine andere Bleibe hatte. Sein Sohn ist da offener. Auch er streitet jeden Verdacht persönlicher Bereicherung ab und gibt offen zu, die Rückkehr in die alte Heimat und die Absicht, die deutsche Bevölkerung des Warthegaus zu verstärken, hätten für die Familie eine Rolle gespielt. Es ist aufschlußreich, den Eifer zu beobachten, mit dem sich Guderian der traditionellen Rolle eines Landjunkers hingab. Zum Teil wollte er seinen wachen Geist beschäftigen und sich dadurch erholen, aber der Berufswechsel war zugleich auch eine willkommene Gelegenheit zur Pflege des Familienlebens. Mit nur den allergröbsten Kenntnissen von der Landwirtschaft und kaum irgendwelcher Vorbereitung mit Ausnahme der Lektüre einschlägiger Literatur begann er mit der Viehhaltung und Viehzucht und ließ der neuen Beschäftigung den gleichen hingebungsvollen Enthusiasmus angedeihen, den er für das Soldatenleben gehabt hatte. Er steckte sein Ziel weit und plante mit peinlich genauer Gründlichkeit. Seine Briefe an Gretel sind voller Ratschläge für die Verwaltung des Hofes. Schafe und Zuchtvieh sollten die Haupterzeugnisse von Gut Deipenhof werden. Ein preisgekrönter Bulle (namens »Panzergrenadier«), den ihm die Bauernschaft Schleswig-Holsteins schenkte, verhalf ihm zu einem guten Anfang. Er erlernte die bäuerlichen Grundregeln und war wie gewöhnlich voll Optimismus. Es ist bezeichnend, daß Soldaten in aller Welt den hehren
Gedanken zu hegen scheinen, eine militärische Karriere sei eine gute Voraussetzung für die Eignung als Landwirt. Obwohl die Konkursstatistiken dagegen sprechen, finden sich immer wieder pensionierte Militärs, die bereit sind, ihr Glück zu versuchen. Ob Guderian Erfolg gehabt hätte, wo andere scheiterten oder nicht - weder Zeit noch Ereignisse erlaubten ihm den Abschluß des Versuches. Der Krieg drängte sich dazwischen. Er gab nie die Hoffnung auf Wiederverwendung völlig auf, denn Hoffnung war etwas, was er niemals preisgab. Im September 1942 hatte er in Berlin in wehmütiger Stimmung Bodewin Keitel aufgesucht. Doch Gretels Vetter erklärte ihm erneut, die Aussichten auf seine Wiederverwendung im aktiven Dienst stünden schlecht, schlechter als je zuvor. Bodewin mochte zwar der Bruder von Wilhelm Keitel sein, aber sein Einfluß war in letzter Zeit stark gesunken, und wenige Tage später wurde er auch von Schmundt abgelöst. Als es mit Deutschland bergab ging, fiel die Macht in die Hände von Männern, die der alten Ordnung feindlich gegenüberstanden. Die Revolutionen von 1919 und 1933 trugen schließlich doch noch Früchte, aber es waren saure. Jetzt war es darüber hinaus bekannt, daß in den engsten Regierungskreisen der geringste falsche Schritt eines Heeresoffiziers, der Opposition vermuten ließ, zur sofortigen Absetzung, wenn nicht noch mehr, führte. Jodl war im September 1942 mit Mühe und Not davongekommen und hatte nach einer schmerzlichen Abfuhr durch Hitler Warlimont zu verstehen gegeben, »man dürfe einem Diktator keine von ihm verschuldeten Irrtümer nachweisen, da man sonst das Selbstvertrauen beeinträchtige«. Warlimont selbst war im November 1942 von Wilhelm Keitel zeitweilig abgesetzt worden, weil er sich für einen diensthabenden Offizier eingesetzt hatte, einen Major, der Hitler widersprochen und Rommels Integrität verteidigt hatte. »Nur mit knapper Not war der Major der Erschießung innerhalb von zehn Minuten entgangen«, schreibt Warlimont. Künftig war der leiseste direkte Widerstand von seiten eines Offiziers gegen Hitler Anlaß für furchtbare Gegenmaßnahmen. Deshalb taten Guderian und andere Männer mit gesundem Menschenverstand das einzig Richtige, indem sie hauptsächlich indirekten Methoden der Auflehnung gegen das Regime den Vorzug gaben und die seltenen günstigen Augenblicke zur direkten Konfrontation nutzten. Was nützte eine vergebliche Selbstaufopferung, fragten sie sich, wenn sie besser daran taten, zunächst nachgiebig zu sein und vielleicht später Gelegenheit fanden, die Dinge durch einen Vorwand zu beeinflussen? Gretels Rat: »Das Vaterland wird Euch später mehr gebrauchen als jetzt; der Augenblick ist noch nicht gekommen«, war 1942 ebenso gültig, wie er es 1919 gewesen war.
Besondere Befürchtungen hegten die Generäle angesichts der Zunahme der Himmlerschen SS. Die ursprünglichen Waffen-SSEinheiten waren zu einem riesigen Privatheer geworden, das aus Divisionen bestand, aber bald auch Korps und später Armeen bilden sollte. Selbst Görings Luftwaffe erfreute sich weiterhin großen Prestiges, das ihr viele Vorteile einbrachte, obwohl sie bei Luftkämpfen den kürzeren zu ziehen begann, als ihre Technik hinter der ihrer Gegner zurückblieb. SS und Luftwaffe, die alle Vorzüge genossen, wie sie nazifreundlichen Organisationen gewährt wurden, erhielten die besten Soldaten und bekamen den Löwenanteil der Industrieproduktion. Erst Ende 1941, als die Katastrophe, die von Schell prophezeit hatte, abzusehen war, erhielt das Heer die gleiche Priorität wie die Luftwaffe bei der Belieferung durch die deutsche Industrie. Die erfolgreiche Abwehr sowjetischer und britischer Offensiven im Winter 1941/42 weckte natürlich noch einmal die deutschen Hoffnungen und führte im Sommer darauf zu weiteren tiefen Vormärschen, die die Deutschen nach Stalingrad, in den Kaukasus und bei El Alamein bis auf wenige Kilometer an den Suezkanal heranbrachten. Keiner dieser Erfolge brachte indessen eine entscheidende Wende - ganz im Gegenteil. Einem Halt im Herbst auf allen Schauplätzen folgten im Winter rasch Rückschläge. Zunächst warf der englische Gegenstoß bei El Alamein in Verbindung mit der Landung der Alliierten in Nordwestafrika die logistisch vernachlässigten Achsenkräfte bis nach Tunesien zurück. Dann brachte eine russische Gegenoffensive blitzschnell die Isolierung der deutschen Truppen in Stalingrad und machte die Aufgabe ihrer Stellungen im Kaukasus notwendig. Zu diesen Katastrophen kamen noch die bereits geschilderten Ausfälle Hitlers und seine fortgesetzten Stimmungsschwankungen. Das alles belastete den Generalstab schwer. Das Leben wurde für Halder unerträglich, und es war für fast alle eine Erleichterung, als er am 24. September 1942 abgelöst und durch den sehr jungen General Kurt Zeitzier ersetzt wurde. Zeitzier stand in dem Ruf, Hitler sympathisch zu sein, und besaß auch unbestreitbar eine vom Führer hochgeschätzte Tugend: einen durch nichts zu erschütternden Optimismus. Fast unmittelbar nach seinem Dienstantritt machte er Hitler ein Zugeständnis für das Heer, wozu alle Neulinge auf diesem Posten sich verpflichtet fühlten. In diesem Fall war es die Verkündung der Hitlerschen Anforderungen an einen Generalstabsoffizier: »Ich verlange einen Generalstabsoffizier, der unbegrenzten Glauben an den Führer hat und den Glauben an den Führer, an den Sieg und an seine Arbeit auf seine Umwelt ausstrahlt.« Niemand wagte es, dagegen Einspruch zu erheben. Wie seine Vorgänger geriet auch Zeitzier bald mit dem Führer in Fragen der Führung und Verwaltung aneinander. Hitler entschloß sich,
bei der Besetzung von Spitzenpositionen in der Heeresführung selbst ein Wort mitzusprechen und übernahm deshalb Bodewin Keitels Personalamt. Obgleich dieser jetzt nicht mehr imstande war, ein Wort für Guderian einzulegen, war dies kein entscheidender Nachteil. Guderian stand weiterhin auf freundschaftlichem Fuß mit dem mächtigen Schmundt, Hitlers Chefadjutanten, den er als vornehmen und vernünftigen Offizier schätzte, und unterhielt nützliche Verbindungen zu einflußreichen Angehörigen der Waffen-SS und der Luftwaffe. 1942 war Sepp Dietrich, der alte Landsknecht und Freikorpskämpfer und jetzige Kommandeur der »Leibstandarte«, über seinen eigenen Schatten gesprungen und hatte Hitler offen erklärt, Guderian sei im Dezember 1941 Unrecht getan worden. Im Frühjahr 1942 hatte er in aller Öffentlichkeit seinem alten Kommandeur Hochachtung bekundet und ihn aufgesucht. Auch Guderian seinerseits mochte Dietrich. Er war für ihn ein Sinnbild jener Männer, die er damals im Jahre 1919 als »echte Kämpfer« und »Deutschlands letzte Hoffnung« angesehen hatte. Es kümmerte ihn nicht, daß dies zu seinem Ruf beitrug, ein Sympathisant der Nazis zu sein. Guderian hatte also Freunde und auch Feinde »bei Hof«, obwohl man bezweifeln muß, daß die Feinde wirklich so allmächtig waren, wie er das manchmal in seinen Erinnerungen andeutet, ohne Namen zu nennen. Da gab es die Männer mit althergebrachten Ansprüchen, die sich ihm widersetzten; er war ungern bei den Traditionalisten gesehen, und die Art und Weise, wie er einst rücksichtslos die Gefühle von Kavallerie, Infanterie und Artillerie verletzt und die Männer, die ihm Hindernisse in den Weg legten, wie die Angehörigen der Ausbildungsabteilung, beiseitegeschoben hatte, wurde ihm niemals verziehen. Offiziere, deren Empfindsamkeit gelitten hatte und die schließlich aufgeatmet hatten, als sie ihn den Rücken kehren sahen, waren nicht im mindesten auf sein Wiederkommen erpicht. Außerdem glaubten die Artilleristen allen Ernstes, endlich die Möglichkeit gefunden zu haben, ihre alte Vorherrschaft wieder antreten zu können. Sie hatten sich nicht nur mit einer Art Panzer - dem gepanzerten Sturmgeschütz - ausgerüstet, sondern besaßen auch einen neuen Typ von Panzerabwehrgranate mit niedriger Geschwindigkeit, die nach dem Prinzip der Hohlladung funktionierte und, wie sie Hitler erklärten, den Panzer über Nacht überholt machen könnte. Sie übersahen dabei natürlich etwas das Problem, kleine Ziele mit Projektilen von niedriger Geschwindigkeit zu treffen - aber Hitler war begeistert, und das war es, worauf es ankam. Die Produktion und Entwicklung der Panzer war ebenso von Hitlers Launen und unfachmännischen Erkenntnissen abhängig wie Strategie und Taktik. Wie viele Politiker war er damit zufrieden, die Dinge laufen zu lassen, wie sie waren, bis plötzlich offenbar irgend etwas schiefging. Dann forderte er ein sorgfältiges Allheilmittel zur Behebung der Krise.
Voraussicht war wenig gefragt. Daß das Auftauchen der russischen T 34-Panzer im Juli 1941 kaum als Gefahr angesehen wurde, ist bereits an anderer Stelle dargestellt worden. Erst als diese Fahrzeuge ungefähr drei Monate später in großer Anzahl bei Kämpfen eingesetzt wurden, nahm man Guderians seinerzeit geäußerte Warnung ernst und machte sich im November 1941 auf Guderians verzweifeltes Drängen hin energisch daran, das bis dahin bestehende, träge Neuausrüstungsprogramm zu beschleunigen. Er hatte auf kampfkräftige Panzer gedrängt und außerdem auf Panzerabwehrkanonen auf Selbstfahrlafetten - Panzerjäger. Das brachte ihm eine erstaunliche briefliche Erwiderung vom OKH ein: »Ich bedaure nur, daß Sie diese Forderung bezüglich der Panzer nicht schon vor sechs Jahren gestellt haben, dann würden wir heute anders dastehen.« Dies faßte Guderian, wie aus Liebensteins Tagebuch ersichtlich ist, als persönliche Beleidigung auf. Liebenstein trug damals unter dem Datum des 3. November ein: »Es hat ja kein Offizier der Wehrmacht so um die Panzer gekämpft wie er (Guderian), und seine Forderung auf vier Zentimeter Panzerstärke wurde vom Waffenamt als damals nicht durchführbar abgelehnt. Dasselbe trifft für Bewaffnung zu - 5-ZentimeterKanonen waren schon vor 1934 gefordert.« Der Rückschlag vor Moskau schockte Hitler in jeder Hinsicht. Die Entwicklung neuer Panzer gehörte zu den Themen, die plötzlich sein Interesse fanden. Als Führer verlangte er jetzt augenblicklich Wunder: eine Produktionssteigerung und einen neuen, viel stärkeren Panzer, der den T 34 schlagen konnte. Im Januar 1942 legte man ihm die Konstruktionspläne für einen Panzer vor, der, wie man hoffte, sogar den Nachfolger des sowjetischen T 34 ausstechen konnte - einen neuen mittelschweren Panzer mit der Bezeichnung VK 3.000, ein Fahrzeug, das ein langes 7,5-Zentimeter-L 70-Geschütz erhalten und nach seiner Fertigstellung 45 Tonnen wiegen sollte. Als Name wurde »Panther« gewählt. Ferner wurde der bereits 1939 konzipierte schwere Panzer, der auf Guderians Vorkriegsvorstellungen von einem »Durchbruchspanzer« basierte, eilends in Produktion gegeben; es war dies der »Tiger« mit einem Gewicht von 56 Tonnen und einer 8,8-Zentimeter L 56-Kanone. Aber lange vor Anlaufen der Produktion dieser starkgepanzerten Fahrzeuge (ein paar »Tiger« waren im Herbst 1942 fertiggestellt, die ersten »Panther« im Frühjahr 1943) mußte etwas getan werden, um noch 1942 das Panzergleichgewicht wiederherzustellen. Dies war, wie sich herausstellte, sehr leicht möglich durch Erhöhung der Panzerung (1943 genügte kaum noch eine Stärke von acht Zentimeter für die Pz III und Pz IV) und durch stärkeres Geschützkaliber: eine lange 5-Zentimeter(L 60)-Kanone für den Pz III und ein langes 7,5-Zentimeter(L 46)-Geschütz für den Pz IV. Zusätzlich sollte die Zahl der Geschütze auf Selbstfahrlafetten - Panzerjäger, Sturmgeschütze und
Artillerie - erhöht werden, um der Infanterie größere Panzerunterstützung zu geben und die Panzerabwehr zu verstärken. Dieses riesige Programm - das noch im Sommer 1940 als undurchführbar abgelehnt worden war - setzte enorme Umstellungen voraus, denn die Produktionsausweitung für die bestehenden Panzermodelle mußte zur gleichen Zeit wie die Entwicklung neuer Fahrzeuge mit radikalen Änderungen erfolgen. Aber die Einführung neuer Modelle bedeutete eine Störung und schließlich ein Anhalten der laufenden Produktion. Im Dezember 1942, als die Panzerdivisionen in Rußland unerträglichem Druck ausgesetzt waren und die alliierten Kriegserfolge eine bisher nicht dagewesene Höhe in einer vorwiegend als Panzerkrieg verlaufenden Auseinandersetzung in Nordafrika erreichten, wurde der Pz III aus der Produktion genommen. Zunächst befolgte Hitler den Rat, der ihm von den Offizieren, die auf höchster Befehlsebene für die Panzer verantwortlich waren, und von führenden Industriellen zuteil wurde. Sie formulierten die Ansicht, die Panzerkonstruktion müsse - der Dringlichkeit nach geordnet - von Bewaffnung, Geschwindigkeit und Panzerung ausgehen. Dies widersprach keineswegs Guderians Anschauungen, obgleich er es bedauerte, daß viele an der Entwicklung und am Bau von Panzern beteiligte Offiziere des Heeres »keine auf eigener Erfahrung beruhende Auffassung über das Wesen und die weitere Entwicklung neuzeitlicher Panzertruppen und ihrer Erfordernisse« hatten. Unglücklicherweise waren weder diese Offiziere noch die Industriellen völlig Herr (oder beherrscht) im eigenen Haus noch hatten sie genügend Übersicht. Am 8. Februar 1942 war der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, Dr. Fritz Todt, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Sein Nachfolger wurde Hitlers Favorit, der Architekt Albert Speer. Dieser war ein bemerkenswerter Mann und ein glänzender Organisator, hatte jedoch keine Ahnung von Panzern und anderen Waffen. Er mußte sich auf die Experten verlassen, die ihre alten Interessen verfolgten. So rangen zum Beispiel die Vertreter der Industrie miteinander, um ihre Lieblingskonzepte und die Entwürfe ihres Hauses durchzusetzen. Bei der Fertigung des Prototyps zweier konkurrierender Panzermodelle konnte es durchaus geschehen, daß Material von extrem hoher Qualität beim Bau dieser Testfahrzeuge verwendet wurde, obwohl man wußte, daß bei der Fließbandproduktion diese Werkstoffe nicht annähernd in ähnlichem Umfang zur Verfügung standen. Und wenn ein hervorragender Konstrukteur von der Feinnervigkeit und den Ambitionen eines Dr. Porsche, um das bekannteste Beispiel zu nennen, seinen Willen in einem Ausschuß oder auf dem Versuchsstand nicht durchsetzte, war es ihm ohne weiteres möglich, direkt an Hitler heranzutreten, dessen Empfänglichkeit für das Hochdramatische allgemein bekannt war.
Getreu diesem Bild erging Hitler sich das ganze Jahr 1942 hindurch ohne Rücksicht auf die im Januar festgelegte Reihenfolge der Prioritäten im Panzerbau in den gewohnten Abschweifungen. Irgendeine von beliebiger Seite geäußerte Idee oder der Hinweis auf eine zu erwartende Bedrohung lösten neue Befürchtungen bei ihm aus. Das Ergebnis war, daß es zu Diskussionen über ganze Bündel von Gegenprojekten kam, einige davon vernünftig, viele phantastisch und nutzlos, wobei aber die Gefahr bestand, daß schlechte Pläne in die Tat umgesetzt wurden. Mit knapper Not und durch den entschlossenen Einsatz der wenigen Einsichtigen wurde jedoch das zentrale Programm aufrechterhalten und verbessert. Kampffähige Panzer gelangten zu den Truppen an der Front. Trotzdem betrug die Gesamtproduktion der Pz IV im Oktober 1942 erst 100 Stück. Zu dem schrecklichen Durcheinander an einer überstrapazierten und schlecht organisierten industriellen Basis trug auch eine Vielzahl von verschiedenen Abwandlungen der Selbstfahrlafettengeschütze bei. Eine außerordentlich hohe Zahl von Variationen wurde unter Verdopplung der Panzerstärke erprobt mit dem Ziel, jeden feindlichen Angriff abwehren zu können. Die Konstruktion eines Panzers von über 100 Tonnen Gewicht machte Fortschritte, und es war sogar ein wirklich gigantisches Ungeheuer von 1.000 Tonnen im Gespräch. Während Speer mit Erfolg eine rasch und erstaunlich wirksame Umorganisation der Industrie vornahm, war er nicht in der Lage, ihre Produkte zu kontrollieren, denn niemand vermochte Hitlers militärische Intuition zu zügeln, die neue phantastische Höhen erreichte. So kam es, daß im Februar 1943 die Panzerdivisionen in Rußland, die unter dem Ansturm der gegnerischen Offensive zurückwichen, durchschnittlich nicht mehr als 27 Panzer je Division aufbieten konnten. Und doch herrschte trotz der übertriebenen Hoffnungen der Artillerie die allgemeine Auffassung vor, daß Panzer weiterhin den Schlüssel für das Überleben im Bewegungskrieg darstellten, wie er an weiten Fronten ausgetragen wurde. Guderian schreibt in seinen Erinnerungen: »Von einigen wenigen einsichtsvollen Leuten aus der militärischen Umgebung Hitlers wurde nach einem Mann Ausschau gehalten, der in der Lage wäre, das drohende Chaos in letzter Stunde zu vermeiden. Man legte Hitler meine Vorkriegsschriften auf den Tisch und erreichte, daß er sie las. Dann machte man ihm den Vorschlag, mich kommen zu lassen. Man überwand schließlich das Mißtrauen Hitlers gegen meine Person so weit, daß er einwilligte, mich wenigstens einmal anzuhören.« Ein leichter Anflug von Geheimnis umgibt die Namen der Offiziere, die sich für Guderian einsetzten, aber alle Vorgänge werden erhellt durch eine Eintragung vom 28. Februar 1943 im offiziellen Tagebuch des Chef des Heerespersonalamtes, der inzwischen Schmundt hieß, nachdem
Bodewin Keitel hatte gehen müssen: »Der Führer verfügte die Schaffung der Stelle des Generalinspekteurs für die Panzertruppe. Zum Generalinspekteur wird Generaloberst Guderian ernannt. Chef HPA hatte seit längerer Zeit den Führer auf Generaloberst Guderian aufmerksam gemacht unter Hinweis darauf, daß er einer seiner getreuesten Gefolgsmänner in der Generalität ist. Während einer längeren Aussprache zwischen dem Führer und Generaloberst Guderian am 25. und 26. Februar auf dem vorgeschobenen Gefechtsstand des Führerhauptquartiers in Winniza überzeugt der Führer sich selbst davon, daß er Generaloberst Guderian diese verantwortungsvolle Stellung übertragen kann.« Oberstleutnant Engel hatte zwar auch seine Hand im Spiel gehabt, doch war es ganz offensichtlich Schmundt, der den Faden dort wieder aufnahm, wo von Below 1941 gescheitert war. Guderian hat daher recht, wenn er den Eindruck erweckt, es sei schwierig gewesen, Hitler zu überreden, ihn zurückzuholen, denn sein tiefverwurzeltes Mißtrauen gegenüber Leuten, die ihn einmal herausgefordert hatten, konnte er nie ganz ausräumen. Trotzdem war Hitler fähig, wenn es in seine Pläne paßte, vorzutäuschen, er habe seinen Widersachern vergeben. Das war der Fall bei Rundstedt gewesen, der 1938 verabschiedet und 1939 zurückgeholt worden war. Rundstedt hatte er 1942 dessen Unbesonnenheit vom Jahr zuvor verziehen. Darüber hinaus fühlte Hitler jetzt, daß er etwas Stärkeres als nur gute Ratschläge benötigte. Sein Selbstvertrauen war durch die Fehlschläge der Operationen erschüttert, die er selbst angeordnet hatte. Seine Eingebung hatte sich als fehlbar erwiesen. Er brauchte unabhängige Vollstrecker. An der Ostfront gewährte er mit einemmal Manstein ungewöhnliche Bewegungsfreiheit, damit dieser in der Ukraine die anstürmenden Russen zurückschlagen konnte. Am 20. Februar konnte Manstein sie mit Hilfe der Panzerverbände seiner Heeresgruppe Süd bis Charkow zurückwerfen, als ihr Brennstoff zur Neige ging. Am Nachmittag dieses Tages wurde Guderian, der zuvor Schmundt die Bedingungen für seine Wiederverwendung im Rahmen eines selbstabgesteckten Aufgabenbereichs mit dem Titel Generalinspekteur der Panzertruppen genannt hatte, vom Führer zum Vortrag empfangen. Guderian stellte fest, wie sehr Hitlers Stimmung von Ungewißheit geprägt war, und zitiert die Worte, mit denen er die Unterhaltung eröffnete: »Unsere Wege haben sich 1941 getrennt. Es gab damals eine Reihe von Mißverständnissen, die ich sehr bedauere. Ich brauche Sie!« Es ist möglich, daß dieser unaufrichtigste aller Politiker in einem sorgenvollen Augenblick einmal die Wahrheit sagte. Es könnte aber auch sein, daß er Guderians Vertrauen zurückgewinnen wollte und genau spürte, daß dieser Mann, den er früher nicht zu überzeugen
vermocht hatte, nur durch Bescheidenheit und Verzicht auf große Worte zur Hilfe zu bewegen war. Als Ergebnis dieser Unterredung und nach einer Reihe von Gesprächen mit führenden Persönlichkeiten entwarf Guderian dann eine Dienstanweisung, die ihm die Autorität verlieh, die man ihm 1938 verweigert hatte und die Hitler wenige Tage später genehmigte und unterschrieb. Im ersten Punkt mußte Hitler bestätigen, daß der Generalinspekteur der Panzertruppen »... mir verantwortlich ist für eine der kriegsentscheidenden Bedeutung entsprechende Weiterentwicklung der Panzertruppe. Der Generalinspekteur untersteht mir unmittelbar. Er hat die Dienststellung eines Oberbefehlshabers einer Armee und ist oberster Waffenvorgesetzter der Panzertruppe«. Zu Guderians selbstbestimmten Pflichten gehörten Organisation und Ausbildung nicht nur der Heereseinheiten, sondern auch, wo angemessen, der Einheiten der Luftwaffe und der Waffen-SS. Enge Zusammenarbeit mit Albert Speer wurde bei der technischen Weiterentwicklung der Waffen gefordert und auch die Aufstellung neuer Einheiten sowie die Formulierung neuer taktischer Doktrinen. Guderian wurde dazu der Oberbefehl über alle Ersatztruppen seiner Waffen einschließlich der Schulen und Lehrtruppen übertragen. Schließlich wurde er autorisiert, Vorschriften zu erlassen. In der Tat hatte er endlich sein Ziel erreicht, eine eigenständige Kampftruppe innerhalb der Wehrmacht aufzustellen, die viel von dem militärischen Status, den SS und Luftwaffe bereits genossen, mitbekam und sogar, wie sich eines Tages zeigen sollte, ein gewisses Maß an politischer Macht. Guderians Dienstanweisung sieht einem Dokument auffallend ähnlich, das sein Gegenspieler in England - Percy Hobart - im Herbst 1940 verfaßte zu einem Zeitpunkt, als der Zustand der britischen Armee und ihrer Panzerstreitkräfte unmittelbar nach der Niederlage von Dünkirchen ähnlich kritisch war wie der Deutschlands nach dem Debakel von Stalingrad. Hobart hatte Winston Churchill die Schaffung des Postens eines Commander of the Royal Armoured Corps vorgeschlagen, der einem Army Councillor gleichgestellt werden und Befugnisse haben sollte, wie sie später Guderian für sich erreichte. Churchills oberste Generäle - die Generäle Dill und Brooke (beide von der Artillerie) widersprachen diesem Plan, und der Premierminister war nicht willens, sie auf die gleiche Art zu übergehen, wie Hitler es mit seinen Militärs tat, obwohl er später sein Bedauern äußerte, es nicht getan zu haben. In Großbritannien wurde daher ein Panzertruppensystem entwickelt, das dem glich, wie es sich in Deutschland 1938 herauskristallisiert hatte. Zwischen Hobart und Guderian bestand ein Unterschied in der Art und Weise, wie sie ihre Aufgabe anpackten. Während Hobart sich selbst nicht (aus dem Grund, daß ihm bestimmte Persönlichkeiten dreinredeten und ihn zermürbten) für das höchste Amt geeignet hielt, zweifelte
Guderian keinen Augenblick daran, daß er allein der richtige Mann war, ohne Rücksicht auf Opposition. Nach dem Krieg schrieb er über seine Dienstanweisung: »Nachteilige Folgen dieser Einrichtung sind nicht bekannt geworden.« Nicht jeder hätte diesem Glaubensbekenntnis zugestimmt. Die Artilleristen murrten und brachten es fertig, Guderian - zu dessen unaussprechlichem Ärger - die Sturmgeschütze aus den Klauen zu reißen, aber der größte Teil der kämpfenden Truppe stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als man erfuhr, daß Guderian wieder in Amt und Würden war. Das tat auch Speer, der sich zu guter Letzt einem Mann mit alleiniger Verantwortung gegenübersah, dessen Gespür für Dringlichkeit und systematische Arbeit ihm eine Hilfe war und von dem er wußte, daß er fest zu logischen Ideen und Verpflichtungen stand. Bald sollten es die an der Front stehenden Soldaten, die, auf die es ankam, spüren: »Der Schnelle Heinz ist wieder da!« Mit seiner Rückkehr verbanden sie die Hoffnung, daß die Verbesserungen, die sie forderten, bald vorgenommen würden. Guderian trat sein neues Amt am 1. März an. In einem Schriftstück, das er kurz nach dem Krieg für die Amerikaner anfertigte, beschrieb er Methoden und Organisation seiner Generalinspektion. Darin hieß es: »Je ein Generalstabsoffizier bearbeitete Ausbildung und Organisation. Jede Gattung der Panzertruppen, also die Panzerregimenter und -abteilungen, die Panzerjäger, die Panzergrenadiere, die Panzeraufklärung, ferner von den anderen Waffen Panzerartillerie, Panzernachrichtentruppen, Panzerpioniere, das Sanitätswesen, die technische Entwicklung und das Kraftfahrwesen waren durch kriegserfahrene, meist infolge schwerer Verwundung nicht mehr voll felddienstfähige Offiziere oder Beamte vertreten, deren Aufgabe die Entwicklung ihres Waffenzweiges und die Herausgabe der Vorschriften war, welche durch von Fall zu Fall berufene Vorschriftenkommissionen aus Offizieren mit frischer Fronterfahrung geschrieben wurden. Diese arbeiteten unter Aufsicht der Vorschriftenstelle an der Panzertruppenschule.« Durch seine Hartnäckigkeit, in seinen Stab nur kriegserfahrene Offiziere zu berufen, gelang es Guderian, das zu praktizieren, was er seit Jahren vergeblich dem OKW und dem OKH gepredigt hatte, dessen oberste Stabsoffiziere, wie er behauptete, hoffnungslos der Wirklichkeit entfremdet waren, weil sie am aktiven Dienst seit 1918 nicht mehr teilgenommen hatten. Zum Chef seines Stabes bestimmte Guderian Oberst Wolfgang Thomale, »einen begeisterten Panzermann« und Stabsoffizier von immenser Fähigkeit. Ihre Partnerschaft war perfekt weitaus mehr vielleicht, als allgemein angenommen wird. Ihre Aufgabenbereiche hatten sie präzise abgegrenzt. Bei Dienstantritt hatte Guderian grinsend gesagt: »Einer von uns muß reisen und einer muß arbeiten. Ich werde reisen!« Es steht eindeutig fest, daß Guderian
seinem neuen Amt einen weiteren Spielraum beimaß, als es bei dessen Schaffung beabsichtigt gewesen war. Bei seiner Befragung durch die Amerikaner sagte er nach 1945, während er »es als seine Hauptaufgabe betrachtete, selbst zu sehen und aufgrund des bei der Truppe gewonnenen eigenen Augenscheins seine Vorschläge zu machen und seine Anordnungen zu treffen, wurde der Stab in der Nähe des Führerhauptquartiers und des Chefs des Generalstabes des Heeres eingerichtet, um in ständiger Führung mit der Leitung der Wehrmacht und des Heeres zu bleiben«. Für die erste Zeit brachte Thomale seine Dienststelle in der Bendlerstraße in Berlin unter. Für ihn begann jetzt eine der arbeitsreichsten Zeiten, wie sie sich ein Chef des Stabes nur denken kann, aber er war voll Begeisterung für einen Mann tätig, den er als »Deutschlands besten und verantwortungsvollsten General« beschreibt. Dies sind nicht die Leistungen eines Mannes, der durch seinen schlechten Gesundheitszustand übermäßig behindert war, obwohl dieser Faktor in Verbindung mit Guderian untersucht werden muß. Krankheiten, oft die Folge von Überanstrengung und der zähen Entschlossenheit, ohne Rücksicht auf die Folgen auf dem Posten zu bleiben, haben die Arbeitskraft vieler hoher Offiziere, und nebenbei gesagt, auch vieler Staatsmänner, vermindert. Sie werden es auch in Zukunft tun. Hugh L'Etang stellt in seiner Untersuchung The Pathology of Leadership Guderians Herzleiden als Schwäche hin und bemerkt dazu verallgemeinernd: »Erschöpfung tendiert dazu, zum Verhängnis für die Ehrgeizigen, die Gewissenhaften oder die Idealisten zu werden. Sie wird nur selten von den Schlauen, den Faulen oder den Geschickten empfunden, die nicht unbeträchtliche Mühe dafür aufwenden, diesen Zustand zu vermeiden«. Dem Leser bleibt es überlassen, den leicht hypochondrischen Guderian einzuordnen, aber es gibt kaum Beweise dafür, die vermuten lassen, daß ein Herzleiden, so schwer es auch war, seine Leistungsfähigkeit beeinträchtigte. Wenn er gelegentlich einen Kollaps erlitt, so geschah das gewöhnlich nach einer Marathonleistung bei einer Besprechung, auf der er sich hervorgetan hatte. Wahrscheinlich erreichte er dieses Stadium, weil er sich in dem vorhergehenden Jahrzehnt ausgebrannt hatte, und vielleicht erhöhte dies die Heftigkeit seiner Wutausbrüche. Aber die Produktion von Galle bei der Darstellung seiner Politik der »absoluten Offenheit« war inzwischen schon zum festen Bestandteil geworden. Sein ältester Sohn, der seinem Vater sehr nahe stand, glaubt nicht, daß sich die Herzkrankheit sehr auswirkte, und nimmt ebenfalls an, daß sein Vater das tat, was er getan hätte, gleichgültig, wie es um seine Gesundheit bestellt war. Übrigens starb Guderian später nicht infolge seiner Herzbeschwerden.
In weniger als einer Woche fieberhafter Arbeit war ein Rahmen für die Panzerkonstruktion und den Neuaufbau der Panzertruppen geschmiedet worden, der Hitler vorgelegt werden sollte. Einsparungen waren oberste Forderung. Bizarre Projekte wurden beiseitegeschoben und für den Pz IV eine außergewöhnliche Anordnung aufgehoben, die einen Produktionsstopp für diesen Typ wie für den Pz III vorsah, noch bevor die »Panther« und »Tiger« voll in Produktion gegangen oder auch nur erfolgreich erprobt worden waren. Hauptpunkte des Plans waren neue Kriegsgliederungen für die Panzerdivisionen, die das neue Gerät berücksichtigten, das zufließen sollte, und der Versuch, die weitere Aufstellung von Panzerdivisionen der Luftwaffe und der Waffen-SS zu verhindern. Während die Panzerdivisionen des Heeres, theoretisch jedenfalls, nur über 190 Panzer verfügen sollten (in der Mehrzahl Panzer vom Typ Pz IV), waren für die Waffen-SS weit über 200 vorgesehen. Dennoch kamen später alle möglichen Varianten vor, weil die Kombination von Krieg und Nazihierarchie kein einheitliches System zuließ. Ohne Vorbehalt unterstützte Guderian die Einführung der langen 7,5-Zentimeter- und 8,8-Zentimeter-Kanonen. Fast jegliche Art von stärkerer Geschützausstattung war ihm willkommen, so auch die Montage von 2-Zentimeter- und 7,5-Zentimeter-Kanonen auf gepanzerte Mannschaftswagen - das Ergebnis von Gesprächen mit der Truppe an der Front. Die meisten Kontroversen gab es wegen der Sturmartillerie. Nachdem Guderian jetzt selbst davon überzeugt war, daß die Sturmgeschütze notwendig waren, äußerte er nun den Wunsch, daß ihre Beschaffenheit genormt werde, so daß die Panzerproduktion nicht leide (zu Recht war er der Ansicht, daß ein Panzer mit einem Drehturm eine weit potentere Allzweckwaffe war als ein Fahrzeug mit einem Geschütz von nur beschränktem Schwenkbereich), und daß ihm sämtliche Sturmgeschütze unterstellt wurden. Hinsichtlich der Beschaffenheit der Geschütze setzte er in jeder Beziehung seinen Willen durch, aber ihre Unterstellung unter die Generalinspektion führte zu Schwierigkeiten. Guderian legte dann am 9. März seine Pläne Hitler vor. Es war ein Vortrag vor einer großen Versammlung interessierter Personen, was seine Hoffnung völlig zunichte machte, seine Angelegenheiten im kleinsten Kreis besprechen zu können und auf diese Weise eine ausführliche Diskussion zu vermeiden, in die ihm feindliche, althergebrachte Interessen eingebracht wurden. Nach einer viertelstündigen Redeschlacht behielten Bürokratie und Gruppeninteressen die Oberhand. Hinterher brach Guderian zusammen. Seine Bilanz sah so aus, daß er die Unterstellung der Sturmgeschütze nicht durchsetzen konnte und auch seine Bemühungen fehlgeschlagen waren, die Schaffung von Waffen-SS- und Luftwaffen-Panzerdivisionen zu blockieren. Sein Hauptziel war es ja gewesen, die alten und erprobten
Heeresdivisionen zu stärken, statt neue, unerfahrene Divisionen auf die Beine zu stellen. (Es ist interessant, Guderians Reaktion auf diese Niederlage auf den Seiten seiner Erinnerungen nachzulesen, denn während er über die Artilleristen und Schmundt herzieht, übt er lediglich milde Kritik an der SS und der Luftwaffe, die ihn ja auch enttäuscht hatten. Tatsächlich vermittelt er an dieser Stelle seines Buches den Eindruck, als hätten sie ihm beigepflichtet; erst später erwähnt er einen fruchtlosen Versuch, sowohl bei Himmler als auch beim Chef des Generalstabes der Luftwaffe, doch noch seine Vorstellungen durchzusetzen.) So mußte er wieder einmal mit einer zweiten Wahl vorliebnehmen. Er begann eine lange Reihe von Besuchen bei Panzerschulen, Fabriken, Erprobungsabteilungen und natürlich bei den Einheiten an der Front. Anhand dieser zahlreichen und umfassenden Kontakte und dazu noch der von seinem Stab gesammelten Fülle von Informationen machte er sich ein klares Bild von Deutschlands geschwächter Position und den vernunftwidrigen Methoden, die angewandt wurden, um dem zu begegnen. Vor allem aber erkannte er endlich wie nie zuvor, selbst nicht in den letzten Tagen des Jahres 1941, den verderblichen Einfluß Hitlers und seiner engeren Umgebung. Obwohl er es nicht offen zugibt, läßt sich kaum bezweifeln, daß mit dieser zunehmenden Einsicht ein verspätetes Verständnis der Gründe verbunden war, warum so viele Dinge in der Vergangenheit danebengegangen waren. Endlich konnte er die Schwierigkeiten ermessen, die Brauchitsch, Halder, Rundstedt, Bock, Kleist und die übrigen durchgemacht hatten; er hätte sogar Gnade vor Recht ergehen lassen und Kluge Mitgefühl bekunden können. Aber während Guderian mit den meisten ehemaligen Widersachern Frieden schloß, war er unglücklicherweise nie imstande, die zwischen ihm, Halder und Kluge existierende Kluft zu überbrücken. Nach dem Krieg, als er und Halder in amerikanischer Gefangenschaft waren, scheiterte ein (von Guderian ausgehender) Versöhnungsversuch an Halders Weigerung. Der Tod verhinderte eine Aussöhnung mit Kluge, obwohl bezweifelt werden muß, daß jemals eine Verständigung möglich war. Im Mai 1943 waren sie einander in einer Atmosphäre offener Feindschaft zum erstenmal nach ihrem Zusammenstoß vom Dezember 1941 begegnet. Guderian erklärte dabei Kluge mit gespielter Gleichgültigkeit - »meinem speziellen Freund«, wie er ihn einst bezeichnet hatte -, wie sehr ihn die Entlassung getroffen habe und daß er trotz der inzwischen erfolgten Klärung der damaligen Situation nie Genugtuung erhalten habe. Kluge verstand das Wort »Genugtuung« in der engsten preußischen Bedeutung in Beziehung zu »Ehre« und bat Hitler schriftlich um Erlaubnis, Guderian zu einem Duell herausfordern zu dürfen, wobei Hitler als sein Sekundant fungieren sollte. Hitler erklärte den beiden Generälen sinngemäß, sich nicht länger wie Kinder
aufzuführen und ihren Streit beizulegen; Guderian ersuchte er, sich zu entschuldigen. Guderians Neigung, manchen Leuten zu sehr zu vertrauen, stand in scharfem Gegensatz zu seiner unversöhnlichen Feindschaft gegenüber Menschen, an denen er Fehler entdeckt hatte. Dieses Verhalten bildete einen markanten Eckstein seines Charakters und hatte in einem bestimmten Fall sogar Auswirkungen auf den Gang der Geschichte. Während seines vorübergehenden Ruhestands waren im Jahre 1942 Vertreter des Widerstands an ihn herangetreten und hatten wissen wollen, ob er bereit sei, sich ihnen anzuschließen. Besonders der General der Infanterie Friedrich Ulbricht war mit einemmal besonders freundlich zu ihm und versuchte, ihn in das Komplott hineinzuziehen, obwohl Guderian damals den Grund für dieses Verhalten nicht verstehen konnte, denn ihre bisherigen Beziehungen waren nicht sehr eng gewesen. Schlabrendorff führt in seinem Buch von 1946 richtig an, daß Dr. Karl Goerdeler, von Tresckow und der General der Artillerie Friedrich von Rabenau Kontakt zu Guderian aufnahmen. Wheeler-Bennett, der sich in seinem Buch The Nemesis of Power sehr stark auf Schlabrendorff stützt, irrt sich hingegen, wenn er erklärt, Guderian habe »... diese führenden Kontakte nicht erwähnt«. In den Erinnerungen werden die Gespräche mit Goerdeler und Tresckow ziemlich ausführlich dargestellt und das mit Rabenau indirekt wiedergegeben. Der Inhalt der Begegnungen mit Goerdeler war Gegenstand einer von Guderian nach dem Krieg abgegebenen eidesstattlichen Erklärung. Wenn jedoch Guderian recht hat mit seiner Behauptung, Goerdeler habe ihm im April 1943 versichert, Hitlers Ermordung sei nicht vorgesehen, steht dies in eindeutigem Widerspruch zur Aussage der Verschwörer. Schlabrendorff zufolge war bereits im März ein Versuch zur Beseitigung Hitlers unternommen worden, der allerdings fehlschlug und in den er tief verwickelt gewesen sein will - und dessen einziger überlebender Zeuge er 1946 war. Mehr als alles andere stieß Guderian die Mitteilung Goerdelers zurück, Führer der Verschwörung sei niemand anders als Generaloberst Beck - ein Offizier, dessen lauteren Charakter Guderian nicht bestritt, aber dessen Zaudern und Unfähigkeit, schnelle Entscheidungen zu fällen, nicht in Einklang mit den Erfordernissen eines riskanten Staatsstreichs zu stehen schienen. Goerdeler, den Schlabrendorff als Mann mit der »Gabe, sich mit Leuten aus allen Gesellschaftsschichten unterhalten und bei jedem die richtigen Worte finden zu können, um sie auf seine Seite zu ziehen«, charakterisiert, gelang es eigentümlicherweise nicht, Eindruck auf Guderian zu machen und auf einige weitere nüchterne, im aktiven Dienst stehende hohe Offiziere, zu denen auch Manstein zählte. Offiziere wie Witzleben und Höppner, die von Hitler brüskiert worden waren, machten ab 1943 gemeinsame Sache
mit den Verschwörern, während von denen, die ihren Dienst noch versahen, Kluge abwechselnd zusagte und wieder absprang. Guderian machte keinen Hehl aus seiner Einstellung in der damaligen Zeit: »Die Mängel und Mißstände des nationalsozialistischen Systems und die Fehler der Person Hitlers lagen damals klar zutage - auch für mich; man mußte danach streben, sie abzustellen. Bei der gefahrvollen Lage, in der sich das Reich aber infolge der Katastrophe von Stalingrad und durch die Forderung auf bedingungslose Kapitulation bereits befand, mußte ein Weg gewählt werden, der nicht zu einer Katastrophe des Reiches und des Volkes führte. Ich kam zu dem Schluß, das Vorhaben Dr. Goerdelers als schädlich und praktisch undurchführbar abzulehnen. Wie das gesamte Heer fühlte auch ich mich durch den Fahneneid gebunden...« Immerhin gibt Guderian an, sich auf Goerdelers Bitten hin bei verschiedenen Generälen an der Front umgehört und ihre Stimmung erkundet zu haben. Später mußte er dann Goerdeler versichern, er habe keinen General getroffen, der geneigt gewesen wäre, auf seine Pläne einzugehen, aber er fügt hinzu, er habe Goerdeler sein Wort gegeben, über die Aussprachen zu schweigen, und versichert, er habe dieses Versprechen gehalten, bis er 1947 die Vorgänge in Schlabrendorffs Buch dargestellt fand. Schlabrendorff erklärte seinerseits 1946, Rabenau habe es für notwendig erachtet, Guderian mit der Enthüllung seiner eigenen Beteiligung an der Verschwörung zu drohen, um ein Durchsickern der Pläne zu verhindern - eine Version, die er in der Neuauflage seines Buches im Jahre 1951 und in seinem zweiten Buch 1965 nicht wiederholte. Gretel teilte ihrem ältesten Sohn mit, Rabenau habe Guderians Leben bedroht. Auf alle Fälle zeigt es, wie wenig die Verschwörer Guderian kannten, wenn sie glaubten, er könne auf diese Weise zum Schweigen gebracht werden - oder daß Drohungen vonnöten gewesen waren, wenn er einmal sein Wort gegeben hatte. Keiner der Generäle, die angesprochen wurden und eine Mitwirkung verweigerten, verriet die Bedrohung an Hitler weiter. Das war kaum verwunderlich so kurze Zeit nach Stalingrad, denn schon war die Schrift an der Wand deutlich sichtbar - sogar für Optimisten wie Guderian. Jeder versuchte, auf seine Weise eine Lösung für die aussichtslos scheinende Situation zu finden, aber die große Mehrheit bevorzugte dabei rechtmäßige und gewaltlose Methoden. Und als disziplinierte Soldaten schlossen sie, daß es ihre Pflicht sei, die Bedingungen militärischer Stabilität als Voraussetzung für die Politiker zu schaffen, die dann eine stärkere Stellung bei Verhandlungen einnehmen könnten. Es ist unwahrscheinlich, daß auch nur ein einziger hoher Offizier, abgesehen von Kriechern wie Keitel, eine Träne vergossen hätte, wenn Hitler - legal oder illegal - abgesetzt worden wäre, und es ist ein wesentlicher Aspekt von Guderians Lebensgeschichte, daß er zu denen gehörte, die bemüht
waren, dies durch einen stufenweisen Prozeß von Abgrenzung durch Einschränkung der Verantwortlichkeit des Führers zu erreichen. Er darf nicht mehr für das Scheitern seiner Bemühungen kritisiert werden als die Verschwörer für den Fehlschlag ihres Unternehmens; die Unfähigkeit der Letzteren, ihre Pläne auszuführen, hatte bis dahin den Anschein von Feigheit gehabt. Während sie das Attentat vorbereiteten, stellte Guderian neue, unwiderlegbare Beweise für die Notwendigkeit einer Änderung der Methoden und der gegenwärtigen Führung zusammen und gelangte zu der Auffassung, daß das fast unüberwindbare Problem darin bestand, all dies zu erreichen. Und doch mochte auch für ihn einmal ein Augenblick der Verzweiflung kommen, da fast jede Entlastung von der Treulosigkeit eine Wohltat bedeutete. Die Überprüfung der Loyalität der Frontbefehlshaber kann nicht sehr viel von Guderians Zeit beansprucht haben, als er durch Europa reiste in der Absicht, schnelle Lösungen für Tausende von Problemen zu finden, von denen eine ganze Reihe viel zu lang liegengeblieben war. Überall war die Stimmung von der allgegenwärtigen Krise geprägt. Obwohl die Lage an der Front in Rußland einigermaßen stabil geworden war, war doch nicht zu verkennen, daß mindestens ebenso großen Anteil daran wie die deutsche Tapferkeit das Versagen des logistischen Systems der Russen hatte. Eine stetige Auffrischung der deutschen Panzertruppen wurde ständig durch übergroße Vergeudung behindert. Die Einheiten an der Front waren zu schwach und nur in sehr geringem Umfang mit neuen Panzern ausgerüstet worden. Die im Einsatz befindlichen Panzer waren durch das Fehlen von Ersatzteilen gehandikapt, denn, wie Speer schreibt: »Hitler bestand auf dem Vorrang der Neuproduktion, die um 20 Prozent geringer hätte sein müssen, falls man die ausgefallenen, aber reparaturfähigen Panzer einsatzbereit gemacht hätte.« In Wirklichkeit war es so, daß die Instandsetzungskompanien an der Front alles aus den ausgefallenen Panzern ausbauten mit dem Ergebnis, daß, wenn die Panzerrümpfe zur Ausbesserung nach Deutschland kamen, praktisch kein wertvolles Teil mehr vorhanden war und eine komplette, kostspielige Generalüberholung erforderlich wurde. Eine fruchtbare und sehr wichtige Beziehung entwickelte sich zwischen Guderian und Speer. Beide Männer waren willens, Deutschlands Reserven besser auszunutzen für das Wohl der Allgemeinheit, wie sie es sahen. Guderians Überredungskünste waren so wirksam, daß es ihm tatsächlich glückte, für die Panzerwaffe Rohstoffe und Herstellungskapazitäten zu bekommen, die vorher ausschließlich der Luftwaffe vorbehalten gewesen waren. So fand sich die Luftwaffe, die unter der fehlerhaften Führung durch Göring und den Irrtümern einiger seiner Günstlinge litt, eines Teils ihres Potentials beraubt, als die Luftangriffe auf die deutsche Industrie immer heftiger wurden. Für die Flieger, die auf den Traum von der Allmacht in der Luft
eingeschworen waren, bedeutete dies einen vernichtenden Schlag gegen Deutschlands Hoffnungen aufs Überleben, obwohl gleichfalls feststeht, heute wie stets in der Vergangenheit, daß auch sie im Interesse ihrer Sache übertrieben. Weitaus zersetzender als das Chaos im Verwaltungsapparat war indessen der unabänderliche und wiederholte Einsatz von Heereseinheiten in verlorenen Situationen. Bis wenige Tage vor dem endgültigen Zusammenbruch der Streitkräfte der Achsenmächte in Nordafrika in der ersten Maiwoche 1943 wurden weiter frische Truppen über das Mittelmeer gebracht. Ein Plan, in letzter Minute das Schlüsselpersonal der Panzertruppe auf dem Luftweg zu evakuieren, der nachhaltig von Guderian unterstützt worden war, wurde dann doch nicht ausgeführt mit dem Ergebnis, daß Männer, die gut die Kader für viele neue Einheiten und Verbände hätten bilden können, verlorengingen. Ungefähr zur gleichen Zeit diskutierte man die Pläne für eine Offensive gegen die Russen. Der Chef des Generalstabes des Heeres, Zeitzier, hatte Hitler einen Umzingelungsangriff auf den russischen Frontvorsprung bei Kursk vorgeschlagen, der so einladend nach Westen hinausragte. Als dieser Gedanke im April von Manstein vorgetragen worden war in der Absicht, ihn Anfang Mai in trockenem Gelände mit den zu dieser Zeit relativ schwachen Panzerstreitkräften zu verwirklichen, waren die sowjetischen Verteidigungsstellen noch nicht genügend ausgebaut und boten somit durchaus eine Erfolgschance. In den ersten Maitagen schien es jedoch offensichtlich, daß die Russen eine Vorwarnung erhalten hatten (wie es wirklich der Fall war), weil die Abwehr mit einemmal sichtbar verstärkt wurde. Aber bald war Hitler von Begeisterung ergriffen und forderte aus Gründen politischer Propaganda einen dramatischen Sieg, bei dem möglichst viele neue »Tiger«- und »Panther«-Panzer zum Einsatz kommen sollten. Diese Voraussetzung führte zu Verzögerungen, weil die Fahrzeuge erst in großer Zahl aus den deutschen Fabriken in die Sowjetunion transportiert werden mußten. Plötzlich sah sich Guderian einer direkten Konfrontation mit Zeitzier und Hitler gegenüber und wies dabei nicht nur auf die fortgesetzten und unvermeidlichen Mängel hin, die an den Getrieben der neuen Panzer und bei den mit den neuen Modellen noch nicht vertrauten Besatzungen auftraten, sondern auch auf die Nutzlosigkeit des Angriffs auf Kursk überhaupt. »Glauben Sie, daß ein Mensch weiß, wo Kursk liegt?« gibt er an, Hitler gefragt zu haben. Und Hitler - der einmal gesagt hatte, er wisse, »bei welchen meiner Leute ich mir diese (verächtliche Geringschätzung) erlauben kann und bei welchen nicht« - hatte wieder seine GuderianAblenkungsmaschinerie in Bewegung gesetzt und so getan, als ob er auf dessen Bedenken einginge, während er in Wirklichkeit unbeirrt das fortsetzte, was er gefühlsmäßig vorzog.
Guderian verfolgte immer das Ziel, zu den Stellen vorzudringen, wo die Entscheidungen getroffen wurden, um dort die Gesamtstrategie beeinflussen zu können. Obwohl er wieder einmal an die Front fahren, sich mit den Panzerbesatzungen unterhalten und die Panzer in Aktion sehen konnte - wie er es tat, als schließlich nach mehrfacher Verschiebung die Kurskoffensive am 4. Juli begann -, viel wichtiger war die Tatsache, daß er jetzt über dem Kriegsschauplatzniveau stand und mit Nachdruck darangehen konnte, Hitlers Vorstellungen sowie die des OKW und des OKH zu ändern. In Kursk schilderten ihm übermüdete und verschmierte Panzerfahrer Dinge, die er befürchtet und erwartet hatte. Besonders die »Panther« hatten Kummer gemacht: ihr Getriebe wurde oft schadhaft, und die optischen Instrumente gestatteten den Schützen keine einwandfreie Bedienung der ausgezeichneten langen 7,5-Zentimeter-Kanone. Auch die »Tiger« fielen aus, während eine Anzahl der neuesten, äußerst stark gepanzerten »Ferdinand«-Panzer taktische Rückschläge erlitt wegen ihrer Unfähigkeit, die russische Infanterie abzuwehren, sobald sie einmal von ihrem Begleitschutz getrennt wurden. Denn obwohl sie unverwundbar gepanzert und mit einer 8,8-Zentimeter-Kanone auch stark bewaffnet waren, hatten sie nur ein einziges Maschinengewehr für den Nahkampf an Bord. Im besonderen aber lag der Grund für das Scheitern vor Kursk in einem fehlerhaften Plan, dem die Elemente der strategischen und auch der taktischen Überraschung völlig fehlten. An den Schaltstellen der Macht begegnete Guderian Männern, deren Ziele und Methoden oft seinen völlig entgegenstanden. Nach seinem Urteil war die Niederlage von Kursk entscheidend, denn »... die mit großer Mühe aufgefrischten Panzerkräfte wurden durch schwere Verluste an Menschen und Gerät auf lange Zeit verwendungsunfähig«. Der verlorene Krieg resultierte aus dieser Niederlage noch mehr als aus der von Stalingrad. Die Russen hätten verhältnismäßig geringe Verluste gehabt und nach dem deutschen Angriff zurückgeschlagen und dabei weitere Durchbrüche erzielt, die die deutschen Truppen gezwungen hatten, sich noch weiter zurückzuziehen. »Ihre rechtzeitige Wiederherstellung für die Verteidigung der Ostfront«, so schrieb Guderian, »erst recht aber für die Abwehr der im nächsten Frühjahr drohenden Landung der Alliierten an der Westfront war in Frage gestellt...« Hauptzielscheibe seiner Enttäuschung über das Mißlingen der Offensive von Kursk war Zeitzier, aber dieser litt lediglich an den Übeln, die ihm seine Vorgänger hinterlassen hatten. Das erkannte Guderian jetzt in aller Deutlichkeit. Albert Speer, der Guderian durch dick und dünn unterstützte und ihm sogar dabei behilflich war, den Einfluß der Mitglieder von Hitlers Umgebung zu beschneiden, fungierte jetzt auf Bitten Guderians als Vermittler für eine Aussprache mit Zeitzier in seinem eigenen Haus auf dem Obersalzberg. Offensichtlich sollten
dabei »... Mißstimmungen, die aus ungeklärten Zuständigkeiten herrührten«, beigelegt werden. »Es stellte sich heraus«, schrieb Speer später, »daß Guderian mit der Zusammenkunft weitergehende Absichten verband. Er wollte eine gemeinsame Taktik in der Frage eines neuen Oberbefehlshabers des Heeres absprechen.« Speer fuhr dann fort: »Die Gegensätze zwischen Zeitzier und Guderian wurden schnell unwichtig (es läßt sich mit Sicherheit feststellen, daß ab September 1943 Guderian in seiner Haltung gegenüber Zeitzier nachsichtiger wurde - K. M.); das Gespräch konzentrierte sich auf die Situation, die dadurch entstanden war, daß Hitler den Oberbefehl über das Heer zwar übernommen hatte, ihn aber nicht ausübte: die Interessen des Heeres müßten den zweiten Wehrmachtsteilen und der SS gegenüber energischer vertreten werden, meinte Zeitzier.« Kurz gesagt: die beiden Generäle stimmten in der Ansicht überein, Hitler müsse dazu gebracht werden, weniger parteiisch zu sein und für den Posten des Oberbefehlshabers jemanden zu ernennen, der persönlichen Kontakt zu den Kommandeuren an der Front pflege und sich um die Bedürfnisse der Truppen kümmere. Man vereinbarte, daß Speer und Guderian unabhängig voneinander mit Hitler über dieses Thema sprechen sollten, aber unglücklicherweise wußten beide nicht, daß sowohl Kluge als auch Manstein vor kurzem genau das gleiche getan hatten. Hitler schloß fälschlich daraus, alle vier trieben ein abgekartetes Spiel, was sie natürlich dem Sinn nach taten. Tresckow hatte bereits bei Guderian vorgefühlt, wahrscheinlich auf Geheiß Kluges, um festzustellen, ob eine Aussöhnung zwischen den alten Widersachern möglich war, die einen ersten Schritt für ein gemeinsames Einwirken auf Hitler beim Versuch, eine Verminderung seiner Macht zu erreichen, darstellen sollte. Guderian hatte abgelehnt wegen der »genauen Kenntnis des schwankenden Charakters des Feldmarschalls von Kluge...« Es ist gut möglich, daß Tresckow als einer der Hauptverschwörer Kluge hart zugesetzt hatte, dies Angebot zu machen (wie er es ohnehin tun mußte, um Kluge zu bewegen, überhaupt Widerstand zu leisten), aber Guderian könnte trotzdem einen Fehler begangen haben, als er den Vorschlag ablehnte, wenn auch seine Beurteilung des unentschlossenen Kluge richtig war. Zu diesem Zeitpunkt hätten die vereinten Bemühungen der höchsten Befehlshaber der deutschen Wehrmacht vielleicht die kommende Tragödie noch abwenden können, so aussichtslos auch die Hoffnungen sein mochten. Guderian indessen fühlte sich gezwungen, auf eigene Faust vorzugehen. Gewohnt, bei seinen Vorgesetzten und Kollegen auf Ablehnung zu stoßen, rechnete er
kaum damit, innerhalb der Hierarchie bleibende Verbündete zu gewinnen. Die bedrückende Atmosphäre von Intrige und Umständlichkeit, die Hitlers Hauptquartier erfüllte, prägte auch die dortige Stimmung. Innerhalb dieser Wände waren persönliche Beziehungen ebenso schwankend wie die Politik. Loyalität und Beständigkeit mußte man mit der Lupe suchen. Widersprüchliche Beurteilungen waren mehr Regel als Ausnahme. Im Jahre 1943 herrschte in den allerinnersten Kreisen der Macht die ziemlich starke einhellige Meinung vor, daß Guderian, wie Warlimont es mir gegenüber schilderte, »politisch einen stärkeren Anschluß an die Partei suchte, als es unter den Offizieren üblich war«. Dies wird zu einem großen Maß von Goebbels in seinem Tagebuch bestätigt. Am 6. März 1943 zitierte er Seyß-Inquarts Ausspruch: »Unsere Generalität wird manchmal etwas schwach in den Knien« und fügte hinzu: »Das bestätigt mir auch eine ausgedehnte Unterredung mit Generaloberst Guderian... Wir sprechen uns ausführlich über die Mißstände in der Wehrmacht aus. Guderian ist einer der schärfsten Kritiker dieser offenbaren Schäden. Guderian macht einen außerordentlich frischen und aufgeweckten Eindruck. Er hat ein klares, vernünftiges Urteil und ist mit gesundem Menschenverstand gesegnet. Mit ihm werde ich sicherlich gut arbeiten können. Jedenfalls sage ich ihm meine vollste Unterstützung zu.« Nach eigener Darstellung versuchte Guderian, Goebbels dazu zu bewegen, auf Hitler einzuwirken und Wilhelm Keitel als Chef des Wehrmachtsgeneralstabes durch einen Offizier zu ersetzen, »der operativ zu führen verstünde und dieser Aufgabe besser gewachsen sei als Feldmarschall Keitel«, doch aus diesem Treffen ergab sich nichts von Bedeutung. Goebbels zählte nie zu denjenigen, die den Führer verärgerten. Genausowenig Erfolg hatte Guderian bei einer anderen Besprechung mit Goebbels am 27. Juli. In dessen Tagebuch liest sich das so: »Er schildert mir seine Sorgen über die gegenwärtige Kriegslage. Er plädiert für neue Schwerpunktbildung. Wir dürfen nicht an allen Fronten aktiv werden. Er beklagt sich über die Inaktivität des OKW. Dort sei kein einziger führender Kopf zu entdecken. Guderian machte bei dieser Unterredung wieder den besten Eindruck. Jedenfalls ist er ein glühender und uneingeschränkter Anhänger des Führers.« Es ist möglich, daß der ansonsten so offene Guderian den heiklen Versuch unternahm, die nationalsozialistische Führung aufzusplittern, indem er geringe Dosen des Hitlerschen Virus einsetzte - ein paar süße Worte hier, ein bißchen Gift dort, alles in der Absicht, Hitler von allen Seiten unter Druck zu setzen und so seine eigene Stellung zu verbessern. Er versuchte sogar, auf Himmler Einfluß zu nehmen. Göring, der »nicht gern arbeitete«, suchte er nicht auf. Innerhalb eines Jahres sollte Goebbels in einem entscheidenden Augenblick eine kraß
unterschiedliche Meinung von dem Generalinspekteur der Panzertruppen bekunden, doch das war in einem Augenblick, als das ganze Kartenhaus der Nationalsozialisten einzustürzen drohte. Es stimmt unzweifelhaft, daß Guderian sich selbst als den Mann sah, dem es noch gelingen konnte, das Heer und die Nation zu retten. In der Zwischenzeit war jegliche Hoffnung verflogen, sofern es jemals eine gegeben hatte, »eine neue Schwerpunktbildung« vorzunehmen. Deutschland hatte die Initiative lange Zeit vor dem Desaster von Kursk eingebüßt. Die Zerschlagung des letzten deutschen Brückenkopfes bei Tunis am 12. Mai hatte das Sprungbrett dargestellt, von dem aus im Juli die Engländer und Amerikaner mit der Invasion Siziliens begonnen hatten, ein Ereignis, das Hitler bewogen hatte, die Offensive vor Kursk abzublasen. Die Absetzung Mussolinis folgte und im September die Landung der Alliierten in Italien zu einem Zeitpunkt, als Deutschlands Hauptverbündeter bereits um Frieden bat. Ein Partisanenkrieg, der seit 1941 auf dem Balkan flackerte und jetzt in helle Flammen ausbrach, machte den Einsatz starker deutscher Truppenverbände notwendig, die ein riesiges Gebiet befrieden und gleichzeitig eine alliierte Invasion verhindern sollten. In der Sowjetunion rollten die Wogen einer fast unaufhaltsamen Flut von Offensiven in Richtung Westen und ließen die deutschen Heeresverbände und Einheiten untergehen, deren Kampfkraft inzwischen zwar wiederhergestellt worden war, aber deren richtiger Einsatz immer wieder an Hitlers Verbot, Gelände preiszugeben, scheiterte. Eine beginnende Unfähigkeit Hitlers, einzusehen, daß Mobilität ebenso ein Teil der Verteidigung wie des Angriffs war, hinderte ihn daran, seinen Befehlshabern zu gestatten, die volle Leistungsfähigkeit der Panzerdivisionen zu nutzen, die, wenn sie gelegentlich die Möglichkeit dazu erhielten, hervorragende Verteidigungskraft bewiesen hatten. Die Panzerdivisionen wurden gezwungen, die defensive Rolle zu spielen, die Seeckt und Guderian ursprünglich den zahlenmäßig begrenzten deutschen Streitkräften zugedacht hatten - Operieren aus der Tiefe mit wendiger Zielsetzung, um den Gegner in einem vom Verteidiger gewählten Gelände zu vernichten. Mehr noch: das deutsche Heer in Rußland war den ganzen Sommer des Jahres 1943 über weitaus besser in der Lage, das zu erreichen, wovon man in den zwanziger Jahren geträumt hatte. Es verfügte nicht nur über genügend Raum, um eine unbegrenzte Anzahl von taktischen Varianten anzuwenden, sondern auch seine Beweglichkeit und Schlagkraft war sehr viel höher als alles bisher Dagewesene. Die neuen Richtlinien, die damals vom Stab des Generalinspekteurs erlassen wurden, gingen aus von den Bedingungen des Schlagens aus der Nachhand, das sich auf vorherige sorgfältige Aufklärung stützte. In dieser Hinsicht löste der Abbau der
Aufklärungsabteilungen nach 1941 tiefe Enttäuschung bei Guderian aus und veranlaßte ihn, energisch ihre Bedeutung zu unterstreichen. Mit Hilfe dieser Erdaufklärung konnte in Zusammenarbeit mit Fliegern jeder feindliche Vorstoß beobachtet und verfolgt werden. Wenn Stärke und Richtung jeder Bedrohung bestätigt waren, war es Aufgabe der Infanteriedivisionen, mit Hilfe von Geschützen auf Selbstfahrlafetten lebenswichtige Punkte zu halten. Dann konnten die Panzerdivisionen mit vollem Tempo zu Schlüsselstellungen, vorzugsweise in der Flanke, vorstoßen, aus denen heraus sie zunächst den Feind zersprengten, wie in einem Hinterhalt, und dann zwischen den zerschlagenen Resten herumfuhren, um ihnen den Gnadenstoß zu versetzen. Danach sollten sich die Panzerdivisionen zurückziehen, um bereitzustehen und bei der nächsten feindlichen Bedrohung einzugreifen. Leider schaltete sich Hitler allzuoft ein und störte die anlaufenden Operationen. Dadurch wurden sie entweder zu lange hinausgezögert oder zu früh begonnen und ihre Wirkung vermindert. Befehle für den Panzereinsatz können eben nur an der Front gegeben werden. Oder aber Hitler opferte nach einem Erfolg den Vorteil wieder, indem er gegen eine anschließende Neugruppierung Einspruch erhob oder angesichts des gewonnenen Patts eine Entscheidung zu lange hinauszögerte. So ließ er unweigerlich ökonomische Pläne durch Zeitvergeudung unwirksam werden. Guderian faßte seine Eindrücke so zusammen: »Die unglücklichen und verlustreichen Kämpfe des Jahres 1943 hatten alle Bestrebungen zur Hebung der Kampfkraft der Panzerdivisionen vereitelt. Lediglich die Güte der einzelnen Panzer konnte verbessert werden. Die Zahl der Panzer sank erheblich. Im September 1943 besaßen 14 Panzerdivisionen je eine Panzerabteilung, acht Panzerdivisionen je zwei Panzerabteilungen, zwei Panzerdivisionen je drei Panzerabteilungen und zehn Panzergrenadierdivisionen je eine mit Sturmgeschützen bewaffnete Panzerabteilung. Die Sollstärke der Kompanien war zwar auf 22 Panzer festgesetzt, konnte aber tatsächlich nur auf 17 gebracht werden.« Andererseits stellte Guderian die stark erhöhte Schlagkraft der neuen, präziseren Geschütze mit hoher Anfangsgeschwindigkeit zu wenig heraus und verschweigt auch, daß bei der Ausbildung sehr viel mehr Wert darauf gelegt wurde, die Treffsicherheit der Schützen zu erhöhen. Vor 1939 war das Panzerschießwesen stark vernachlässigt worden. Jetzt wurde viel mehr Zeit und Mühe darauf verwendet, die Schießtechnik zu verbessern. Man übte dabei besonders das Scharfschießen auf realistischen Gefechtsschießbahnen. Künftig trafen die deutschen Richtschützen präziser als ihre Gegner, und diese Fähigkeit ist, in Verbindung mit verbesserter Ausrüstung und den vorhandenen taktischen Fertigkeiten, zu den größten Errungenschaften
der Generalinspektion unter Guderian zu rechnen. Ohne diese erstaunliche Leistung an Organisation und Inspiration wäre das deutsche Heer viel früher zusammengebrochen, als es tatsächlich geschah. In zunehmendem Maß machte sich Guderian Gedanken über das Funktionieren der obersten Führung und begann, stark an den Fähigkeiten des Führers zu zweifeln, obwohl er zunächst noch weit davon entfernt war. Erwin Rommel hatte zum Beispiel bereits im November 1942 das Vertrauen in Hitler verloren, als der ihm untersagt hatte, eine verlorene Stellung bei El Alamein aufzugeben. Nachdem dadurch eine Reihe völlig unnötiger Verluste eingetreten war, hatte Rommel kein Blatt vor den Mund genommen, Hitler kritisiert und war deshalb aus Afrika abgezogen worden. Er stellte jetzt für den Führer eine Quelle des Unbehagens dar, doch fühlte sich Hitler verpflichtet, an seinem höchstdekorierten und von der Propaganda der Öffentlichkeit am häufigsten präsentierten General festzuhalten. Rommel erhielt bedeutungslose Beschäftigungen, eine Berufung in den persönlichen Stab des Führers und später die Aufgabe, die Pläne für den Fall einer Kapitulation Italiens zu überarbeiten. Aber erneut enttäuschte Rommel Hitler, weil er verlangte, Italien aufzugeben und statt dessen die Verteidigung Süddeutschlands in die Alpen zu verlegen. So ging der Posten eines Oberbefehlshabers für Italien nicht an Rommel, sondern an Albert Kesselring von der Luftwaffe, der zugänglicher war. Diese Ereignisse interpretierte Guderian auf die ihm eigene Weise und setzte sie in Verbindung zu einem weiteren schwerwiegenden Fehler, den Hitler sich anschickte zu begehen - einem schlecht vorbereiteten Gegenangriff bei Kiew im November. Am 9. November, dem Tag, an dem Hitler diese Operation vorschlug, schrieb Guderian einen Brief an Gretel, in dem er deutlich seine Ahnungen zum Ausdruck bringt und übrigens in den gleichen enttäuschten Ton verfällt, der in seinen Erinnerungen die Schilderung dieser Zeit kennzeichnet. Unter Hinweis auf die ernste Lage an der Front und die Tatsache, daß »die Erkenntnis der wahren Lage damit nicht Schritt hält und die Folge ein fortgesetztes Nachhinken mit den Entschlüssen ist...«, fuhr er fort: »Wie lange ich unter diesen Umständen mein Amt noch weiterführen kann, ist im Augenblick nicht zu übersehen. Allzu optimistisch bin ich in dieser Hinsicht nicht. Wenn ich bedenke, daß Ro(mmel) wegen eines an sich richtigen Vorschlags seine Heeresgruppe abgeben mußte, habe ich nicht allzuviel Hoffnung, daß es mir besser ergehen wird. Trotzdem stehe ich in diesen Stunden vor der Notwendigkeit, mich kritisch äußern zu müssen, wenn ich mich nicht vor der Truppe und vor mir selbst einer Unterlassungssünde schuldig machen will, was ich mir später nie verzeihen könnte. Kneife also den Daumen, daß es gutgehen möge!« Dies war der Geist von Bartenstein aus dem Jahre 1919, und so sahen die Gefühle eines Mannes aus, der willens war, sich selbst für die
Sache seines Landes zu opfern. Wenn auch sein Einschwenken auf diese Linie ziemlich spät erfolgt sein mag (offensichtlich ein ganzes Jahr nach Rommel), so kann man dem entgegenhalten, daß Rommel volle 18 Monate unter Hitlers direktem Befehl litt, bevor er die Zuversicht verlor, während Guderian kaum sechs Monate brauchte, um zur gleichen Erkenntnis zu gelangen. Ein Vergleich zwischen dem Verhalten von Rommel und Guderian ist zweifellos angebracht. Jeder der beiden Männer war nach hervorragenden Schlachterfolgen in der Öffentlichkeit in den überschwenglichsten Tönen gefeiert worden; jeder war auf seine Weise fotogen und ein dankbarer Gegenstand für die Propagandaleute; keiner von ihnen erhob Einwände gegen einen Platz im Rampenlicht. Doch Rommel, der kämpfende Soldat par excellence, hatte nicht die gleiche Voraussicht wie Guderian und besaß noch weniger ein Talent für Organisation und Verwaltung. »Vor dem Krieg«, so sagt Ronald Lewin in seinem Buch Rommel as Military Commander, »hatte seine Karriere einen beständigen, aber konventionellen Aufwärtstrend«. Rommel hätte niemals die voller Einsichtsreichtum steckende Panzertruppe ersinnen und mit all ihren Verzweigungen durchsetzen können und wohl auch nicht das Talent für derart geschickte Verhandlungen besessen. Aber er war eben nicht als Generalstabsoffizier ausgebildet worden, und seine Operationen im Krieg hingen viel mehr an einem Faden als die Guderians. Beide waren selbstverständlich Männer mit unvergleichlicher Erkenntnis der Anforderungen und Möglichkeiten an der Front und großartige Taktiker, obwohl der besser ausgebildete Guderian die Risiken gründlicher abwog, und in dem Bestreben, seine Auffassung bei Verhandlungen durchzusetzen, diplomatisches Geschick entwickelte sowie, falls erforderlich, die Geduld besaß, einmal nachzugeben oder eine günstigere Gelegenheit abzuwarten. Guderian war es auch, der einmal ironisch und zugleich betrübt Rommel (den er bewunderte) so charakterisierte: »Er wollte immer seinen eigenen Willen durchsetzen.« Sie waren sich einig in ihren Ideen, ein Preuße und ein Schwabe - beide hatten die gleiche Einstellung zur Unverletzlichkeit des Eides und der Ehre, beide scheuten nicht vor Kritik an Hitler zurück (obwohl Rommel weitaus indiskreter dabei vorging), waren aber dagegen, ihn gewaltsam zu beseitigen. Ein Attentat stand dabei für beide völlig außer Frage. Guderians Verhandlungsmethoden werden gut erhellt durch seine Gespräche mit führenden Persönlichkeiten, als er versuchte, den Einfluß Hitlers auf das Heer herabzusetzen. Wie seine strategischen und taktischen Maßnahmen eröffnete er sie mit indirekten Vorstößen, schloß sie jedoch mit Forderungen, die wie Hammerschläge wirkten und direkt das Ziel trafen. Nachdem er sich des Wohlwollens von Speer und Dietrich versichert hatte und zumindest auf gutem Fuß mit Goebbels stand (während er Göring überging, den er wegen seiner Faulheit für
wenig brauchbar hielt), begann er bei Himmler zu sondieren, »stieß aber auf eine undurchsichtige Haltung«. Das war kaum überraschend bei einem Mann, den man als tödlichsten Feind des Heeres bezeichnen konnte. Wahrscheinlich war sich Guderian darüber vorher nicht im klaren gewesen. Trotzdem beweist er dadurch, daß er zuerst Himmler aufsuchte, politischen Realismus, sah er doch in der Person des Reichsführers SS den mächtigsten Mann nach Hitler. Nachdem er an der Spitze gescheitert war, stieg er eine Stufe tiefer. Wenige Tage darauf begab er sich zu Jodl und legte ihm einen Vorschlag für eine Reorganisation des Oberbefehls vor, dessen Hauptinhalt darauf abzielte, daß Hitler nicht mehr die tatsächliche Leitung der Operationen ausüben sollte, sondern »... auf sein eigentliches Betätigungsfeld, die Oberleitung der Politik und Kriegführung, beschränkt worden wäre«. Obwohl er annehmen mußte, daß diese Vorschläge Hitler zu Ohren kommen würden, und in voller Erkenntnis der Reaktion des Führers war, legte Guderian mutig seinen eigenen Kopf auf den Richtblock. Das Ende dieses Gesprächs mag für ihn eine Überraschung gewesen sein. Jodl, der ein Anhänger der uneingeschränkten Führung durch das OKW und von unerschütterlicher Loyalität gegenüber Hitler war, setzte lediglich eine undurchdringliche Miene auf und fragte: »Wissen Sie einen besseren Obersten Befehlshaber als Adolf Hitler?« Guderian schildert, daß er daraufhin seine Papiere zusammenpackte und das Zimmer verließ. Aber obwohl dieses Verhalten von verärgertem Ungestüm zeugte, war nichts Ungestümes an seiner Forderung, wenn es auch ohne Zweifel manch einen in der Hierarchie gab, der es dafür hielt, weil das eben ihre gewöhnliche Beurteilung von Guderians normalem Verhalten war. Er wäre außerordentlich naiv gewesen, wenn er nicht angenommen hätte, daß Hitler ein Bericht über sein Vorgehen vorgelegt würde. Daher wartete er nun auf seine Entlassung. Aber nichts geschah fürs erste; er durfte die Auffrischung der Panzertruppen fortsetzen und nach Belieben seinen Einfluß auf ein verfallendes System geltend machen. Ob Himmler oder Jodl Guderians Bemerkungen weitergegeben hatten oder nicht jedenfalls kam von Hitler nichts als Schweigen. In der Tat gab es außer Guderian keinen anderen General, von dem Hitler einen solchen Affront eingesteckt und ihn trotzdem nicht entlassen hätte. Im Januar 1944 schuf er sogar die Möglichkeit, das Thema einer neuen Handhabung des militärischen Oberbefehls zu diskutieren, als er Guderian zu einem privaten Frühstück einlud. Die Diskussion begann mit einem Streit über die Zweckmäßigkeit der Errichtung starker rückwärtiger Verteidigungszonen an der Ostfront. Hitler argumentierte mit einem Schwall von Zahlen, die er auswendig gelernt hatte, daß dies nicht möglich war. Guderian bestand darauf, daß man es bewerkstelligen konnte. Das Gespräch berührte dann das Problem des Oberbefehls. Wir
haben nur Guderian als Zeugen für das, was jemals über diese Unterredung unter vier Augen bekannt wurde, aber es hat den Anschein, als habe er davon Abstand genommen, Hitler ins Gesicht zu sagen, er möge seine Vollmachten einschränken, »da meine Vorschläge auf direktem Weg gescheitert waren«. Statt dessen schlug er vor, Hitler möge einen General seines Vertrauens zum Generalstabschef der Wehrmacht ernennen. Natürlich erkannte Hitler darin den nur schlecht verhüllten Versuch, seine eigenen Funktionen zu beschneiden, und lehnte ihn, wie vorauszusehen war, ab. Guderian schloß daraus, daß es überhaupt keinen General mehr gab, dem Hitler traute, und begann sich selbst die Frage vorzulegen: An wen würde sich Hitler später um Hilfe bei der Führung des Heeres wenden: einen Soldaten, einen Flieger oder ein völlig unqualifiziertes Parteimitglied? Konnte es vielleicht ein Soldat sein, der nach außen hin loyal zu Hitler, aber trotzdem Deutschland völlig ergeben war? Eine dumpfe Atmosphäre des Verhängnisses belastete Deutschland. Luftangriffe brachten bei Tag und Nacht Tod und Zerstörung, während die Nachrichten von den immer weiter zurückverlegten Fronten ein noch furchtbareres Schicksal verhießen, sobald die feindlichen Armeen Deutschland erreichten, was sie noch im gleichen Jahr tun mußten, wenn nicht ein Wunder geschah. Angesichts der bevorstehenden Invasion im Westen würde sich die Zahl der Fronten erhöhen und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als Deutschland schon seine letzten Reserven aufbot. Mit diesen schrecklichen Erwartungen vor Augen und in dem Bewußtsein, daß der Mann am Steuer nicht dazu gebracht werden konnte, einen anderen Kurs einzuschlagen, machten sich diejenigen, die seine Entfernung betrieben, noch verzweifelter ans Werk, um ihr Ziel auf verschiedenen Wegen zu erreichen. Die aktivste Gruppe der Verschwörer, die Beck anführte, hatte neue Kraft gewonnen, als ihr im Mai 1943 als führender Kopf ein Mann beigetreten war, der 1941 versucht hatte, Guderian zum Oberbefehlshaber zu machen: der fanatische Nazigegner Oberst Claus von Stauffenberg. Obwohl er seit 1941 mehrfach verwundet worden war, ging dieser ausgezeichnete Generalstabsoffizier mit Überlegung an die detaillierte Vorbereitung eines Staatsstreichs, der eine Übernahme der Regierungsgewalt durch die Armee vorsah, nachdem zuvor Hitler einem Anschlag zum Opfer gefallen und die führenden Mitglieder der Partei und natürlich auch der SS verhaftet worden waren. Als Deckmantel für den Putsch wurde ein Plan - genannt »Unternehmen Walküre« - ersonnen, demzufolge die Wehrmacht mit einer Meuterei der SS oder Unruhen unter den in Deutschland tätigen Fremdarbeitern fertigwerden mußte. Es war nicht zu vermeiden, daß außer dem inneren Kreis der Verschwörer eine Menge Leute am Rand ins Vertrauen gezogen werden mußten. Die Folge war, daß das Risiko einer Aufdeckung im Interesse der Erzielung
einer weitreichenden Wirkung der Verschwörung sich vergrößerte, denn diejenigen Generäle, die man für regimetreu hielt, durften unter keinen Umständen etwas erfahren. Es ist bezeichnend, daß ohne Rücksicht auf das, was Goebbels von Guderian annahm, die Verschwörer ihm eine politische Einstellung dieser Art nicht glaubten. Er wurde ständig an ihr Vorhandensein erinnert, nicht nur durch die sporadischen Kontakte zu Goerdeler, sondern auch durch Thomale. Denn obwohl sich weder Guderian noch Thomale zu einer Mitwisserschaft bekennen, liegt eine Bemerkung vor, die Thomale im August 1943 gegenüber einem Mitglied des inneren Rings der Verschwörer, Generalmajor Helmuth Stieff, fallen ließ: »Guderian weigerte sich ausdrücklich, an der Verschwörung teilzunehmen, weil eine direkte Aktion gegen Hitler verlangt würde.« Ferner war es Thomale, der die Begegnung Tresckows mit Guderian in der Wohnung des letzteren herbeigeführt hatte, und Thomale war auch derjenige, der Tresckow geraten hatte, Kluges Beteiligung an der Verschwörung nicht zu erwähnen. Aber, um mit den Worten von Guderians Sohn zu sprechen: »Tresckow nannte den Namen Kluge und mein Vater explodierte in seinem Krankenbett... Damit war die Diskussion zu Ende.« Es ist somit klar, daß Thomale bis zu einem gewissen Grad eingeweiht war und auch das Dilemma seines Chefs sah - die Gewissensbisse wegen seines Treueeides auf Hitler und das Bewußtsein, Komplize eines Mordes zu sein; das insgeheime Abwägen, ob die Pläne der Putschisten überhaupt durchführbar waren, und für den Fall, daß sie fehlschlagen, die schreckliche Vorstellung, welcher Schaden entstehen würde. Es wäre merkwürdig, ja unmöglich gewesen, wenn die Beziehungen zwischen einem Befehlshaber und seinem Chef des Stabes anders ausgesehen hätten. Und wieder geriet Guderian mit Hitler in Kollision. Aus seinem Mißfallen über »Hexenjagden« auf Generäle, die an der Front versagt hatten - oder den Anschein erweckt hatten -, machte er kein Geheimnis. Auf diese Weise trug er zum Widerstand bei (vielleicht ohne es zu wollen). Er zögerte Ermittlungen solcher Art hinaus, für die er die Verantwortung trug. Was die Strategie an den Fronten anging, so sprach er sich nicht nur scharf gegen die gegenwärtig unternommenen Operationen in der Sowjetunion aus, sondern lehnte auch entschieden die Verteidigungsvorbereitungen in Frankreich ab, wo Hitler Rommel in seinem Bemühen bestärkte, die beweglichen Truppen in der Nähe der Küste aufzustellen. Guderian trat für Rundstedts Ansicht ein, der unter dem Einfluß von Geyrs diese Truppen in Zentralfrankreich in Bereitschaft halten wollte. Das Ergebnis war ein Kompromiß zwischen beiden Auffassungen, die beide ihre Vor- und Nachteile hatten, weil das Argument, die Panzertruppe müsse nahe der Küste stehen, auf Rommels Furcht vor alliierten Luftangriffen basierte. Damit hatte
Guderian weit weniger Erfahrung als Rommel, obwohl er zugibt, mit eigenen Augen beobachtet zu haben, wie feindliche Flugzeuge im Westen unbehindert die Ausbildungszentren überflogen und nach Belieben mit Bomben belegten. Eine Tragödie für Rommel bahnte sich an. Innerlich war er bereits entschlossen zu versuchen, separate Waffenstillstandsbedingungen im Westen auszuhandeln und eine Lücke für die Alliierten zu öffnen. Darüber hinaus hatte er auch Kontakte zu den wichtigsten Verschwörern aufgenommen. Während er etwas doppeldeutig in seinen Antworten war, hatte er ihnen erklärt: »Ich glaube an meine Pflicht, Deutschland zu retten.« Daraus schlossen die Verschwörer, daß er bereit war, in einer künftigen deutschen Regierung ein hohes Amt zu übernehmen und, obwohl er widersprüchliche Aussagen in diesem Punkt gibt, scheint es fast sicher zu sein, daß er sich dieser Gedankengänge bewußt war und sie nicht vorderhand abwies. Wovon er dagegen nichts ahnte und was er erst erfuhr, als es zu spät war, war die Tatsache, daß seine ihn belastenden Worte schriftlich von Goerdeler niedergelegt worden waren. Schließlich rüstete sich Rommel zu einer Konfrontation mit Hitler, indem er dem Führer am 15. Juli einen schlechterdings herausfordernden Bericht übersandte. Die alliierte Invasion in der Normandie hatte am 6. Juni 1944 begonnen, und durch die verzweifeltsten Bemühungen auf deutscher Seite war es gelungen, sie bislang auf einen relativ schmalen Brückenkopf zu begrenzen. Gegenüber Hitler erklärte Rommel nun mit Kluges Billigung (der zum neuen Oberbefehlshaber West ernannt worden war): »Die Truppe kämpft allerorts heldenmütig, jedoch der ungleiche Kampf neigt sich dem Ende entgegen.« Zu seinem Chef des Stabes bemerkte er: »Ich habe ihm (Hitler) jetzt die letzte Chance gegeben. Wenn er sie nicht wahrnimmt, werden wir handeln« - womit er den Abschluß eines separaten Waffenstillstandes an der Westfront meinte. Es steht allerdings nicht fest, ob Kluge in diesen Teil des Planes eingeweiht worden war. Soweit wäre Guderian nicht einmal allein gegangen, geschweige denn mit Kluge. Doch schon in den ersten Julitagen war von den führenden Exponenten des Attentats eine separate und endgültige Entscheidung getroffen worden. Der aus der Bedrohung durch eine mögliche Aufdeckung resultierende Druck lastete schwer auf den Männern. Alliierte Angriffe an allen Fronten schienen zu einem völligen Zusammenbruch der Wehrmacht zu führen, und inzwischen waren noch weitere Befehlshaber überzeugt, daß der Krieg verloren war. Diese Offiziere, zu denen Rundstedt (der sein Kommando an Kluge abgegeben hatte), Kluge selbst und Fromm, der Befehlshaber des Ersatzheeres in Deutschland, gehörten, machten sich in weiser Voraussicht die Einstellung Bocks zu eigen, der zunächst geäußert hatte: »Wenn Ihr
Erfolg habt, werde ich mich Euch anschließen, aber vorher habt Ihr keine Hilfe von mir zu erwarten; wenn Ihr scheitert, muß Euch der Himmel helfen, denn ich werde es nicht!« Am 17. Juli wurde Rommel bei einem Luftangriff schwer verwundet und war damit zu einer Beteiligung an der Verschwörung nicht mehr in der Lage. Dadurch war eine Schlüsselfigur ausgeschaltet, ein Mann, der als Propagandaidol die Bevölkerung zur Unterstützung der Verschwörer hätte veranlassen können. Guderian war natürlich auch eine solche Persönlichkeit. In den Erinnerungen heißt es, am 18. Juli sei »ein mir früher bekannter« Luftwaffengeneral zu ihm gekommen und habe ihm mitgeteilt, Kluge beabsichtige, ohne Wissen Hitlers einen Waffenstillstand mit den Westmächten zu schließen. Soviel steht fest, aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Sein Informant war in Wirklichkeit niemand anders als von Barsewisch, Guderians Verbindungsoffizier zur Luftwaffe im Jahre 1941 in Rußland; der Mann, der Guderian 48mal zur Front geflogen und der deshalb ein besonderes Verhältnis zu ihm hatte; ein Offizier mit Ehre und Gewissen, der nach Guderians Entlassung auf eigene Gefahr den Führer kritisiert hatte, indem er - in Guderians Abwesenheit - ihm zu Ehren eine Parade veranstaltete und ihn in einer Rede in Berlin von jeder Schuld freisprach; ein Offizier, der seither ununterbrochen mit Guderian in Kontakt geblieben war und die Einstellung seines alten Kommandeurs kannte, daß Hitler Deutschland ins Verderben führte. Barsewisch kam jetzt zu Guderian als Abgesandter der Verschwörer (auf einen Vorschlag von Major Cäsar von Hofacker hin), um in letzter Minute zu versuchen, Guderian dazu zu bringen, offenen Widerstand zu leisten. Die Nachricht von der bevorstehenden Ermorderung Hitlers, die Barsewisch ihm nun mitteilte, ohne das Datum zu nennen (weil die endgültige Entscheidung vom 19. Juli noch bevorstand), erschütterte Guderian gründlich. Aber sie fruchtete nichts. Obwohl er die Richtigkeit der Überlegung Barsewischs zugab, nachdem sich die beiden Männer bei einem vierstündigen Waldspaziergang außer Reichweite von Ohrenzeugen ausgesprochen hatten, stand Guderian dennoch fest zu seiner bekannten Einstellung, daß er nicht seinen Eid brechen könne und seine Pflicht als Offizier tun müsse. Jeder Hinweis darauf, daß das Attentat auf Hitler bei dem Gespräch zwischen Guderian und Barsewisch überhaupt zur Sprache kam, fehlt in Guderians Erinnerungen. Nur das Thema Waffenstillstand wird geschickt dargestellt und die Überlegung daran angeknüpft, daß er, wenn er das Gehörte Hitler meldete und die Information sich als falsch erwies, »... Feldmarschall von Kluge zu Unrecht einem schweren und falschen Verdacht aussetze... Behielt ich aber die Nachricht für mich..., dann machte ich mich zum Mitschuldigen an den schlimmen Folgen, die sie
nach sich ziehen mußte«. Er fügte hinzu, daß er die Geschichte nicht glauben konnte und sich zum Schweigen entschloß. Dieser Aspekt der Bombenattentatsgeschichte, der bisher nicht bekannt war, wirft ein flackerndes Licht auf Guderians Rolle. In einer Beziehung - der Auslassung der ganzen Wahrheit aus seinen Erinnerungen (vielleicht aus Gewissensbissen, aber ebensogut aus echten »politischen« Beweggründen) - scheint er von seiner normalen Verhaltensweise abzugehen. Aus einem anderen Blickwinkel gesehen ist er voll in das Komplott verwickelt. Er wußte, welch ungeheuren Schaden Hitler anrichtete, und er tat nichts, um die Ermordung Hitlers zu verhindern, indem er entweder Barsewisch auf der Stelle verhaften ließ oder die ganze Angelegenheit weitergab. Statt dessen verfolgte er eine wohlüberlegte Politik, die sich den neuen Gegebenheiten anpaßte. Innerhalb nur weniger Stunden beschloß er, offensichtlich unter dem Einfluß ungewöhnlicher seelischer Spannungen, auf eine Inspektionsreise zu gehen, und brach am kommenden Tag, dem 19. Juli, zu einem eilig zusammengestellten Besichtigungsprogramm bei Einheiten auf, die (war es ein Zufall?) in Reichweite von entweder Berlin, seinem Wohnsitz Deipenhof, Hitlers Hauptquartier, dem OKH und OKW in Rastenburg oder der Generalinspektion in Lötzen stationiert waren. Als er Panzerjäger in Allenstein besuchte, rief ihn Thomale an und erbat seine Zustimmung zu einem Ersuchen General Olbrichts (inzwischen einem der führenden Köpfe des Widerstandes), den Befehl zum Abtransport der Panzerlehrtruppen von Berlin nach Ostpreußen zu verschieben, damit sie am folgenden Tag an einer Übung im Rahmen des »Unternehmens Walküre« teilnehmen konnten, das unter seinem Decknamen Guderian nur als Übung zur Abwehr feindlicher Luftlandungen oder innerer Unruhen bekannt war. Er gab »innerlich widerstrebend« seine Zustimmung, was gut möglich war, da diese Angaben ihn praktisch wissen ließen, daß der Anschlag auf Hitler für den nächsten Tag vorgesehen war. Jeden Augenblick konnte er jetzt mit Entscheidungen von außerordentlicher Tragweite konfrontiert werden. Am nächsten Vormittag, dem 20. Juli, inspizierte er weitere Truppen und begab sich dann nach Deipenhof. Um 12:50 Uhr explodierte eine von Stauffenberg gelegte Bombe in Hitlers Konferenzraum und tötete eine Anzahl von Offizieren (darunter Schmundt), verletzte den Führer jedoch kaum. Ohne sich zu vergewissern und in der Annahme, Hitler sei tot, flog Stauffenberg nach Berlin. Um 16 Uhr ließen die Verschwörer dann ihren Plan anlaufen. Sie riefen telefonisch wie vereinbart bestimmte Personen im Reich und in den besetzten Gebieten an und verlangten die Verhaftung der Nazis. Aber zum Unglück für die Verschwörer arbeitete die allerwichtigste Telefonzentrale weiter, die in Rastenburg, die General Fellgiebel zerstören sollte (der führende Offizier für Fernmeldewesen im OKW, dessen Leistung bei der Entwicklung der Fernmeldetechnik zu
ihrer jetzigen Höhe Guderians höchstes Lob gefunden hatte). Fellgiebel hatte, als er feststellte, daß Hitler noch lebte, seine Aufgabe verpfuscht, ohne seine Mitverschwörer zu instruieren, und enthüllte beiläufig auch die Unfähigkeit von Generalstabsoffizieren für diese Art Arbeit, als er das Schicksal des Unternehmens besiegelte. Um 16 Uhr* war auch Guderian außer Reichweite. Er befand sich auf einem langen Spaziergang weit entfernt von seinem Haus und jagte einen Rehbock, während er das Gut inspizierte. Aus dieser Einsamkeit wurde er durch einen Kraftradfahrer nach Hause geholt und gebeten, in Kürze am Telefon ein Gespräch aus dem Führerhauptquartier entgegenzunehmen. Kurz darauf hörte er im Radio von dem Attentat auf Hitler. *
Guderians Zeitangaben sind seiner eidesstattlichen Erklärung entnommen.
Man sollte Vermutungen (von denen es eine Menge gibt) nicht zuviel Gewicht beimessen, obwohl vieles, was sich am 20. Juli ereignete, nur auf Vermutungen beruht. Es muß jedoch Guderian wohlbekannt gewesen sein, daß ein von ihm verehrter alter Kommandeur in kritischen Augenblicken, wenn er nicht erreicht zu werden wünschte, einen Spaziergang als Ausbruchsaktion unternahm. Dieser Befehlshaber war Rüdiger Graf von der Goltz gewesen. Geht man von der Voraussetzung aus, daß Guderian einen Hinweis auf ein bevorstehendes und gefahrvolles Ereignis erhalten hatte und damit zugleich die Gewißheit, daß in Kürze eine schwerwiegende Entscheidung von ihm verlangt wurde, so war es wesentlich für ihn, daß er sich ein Maximum an Zeit vorbehielt, um der Verschwörung Gelegenheit zu geben, sich zu entwickeln. Unter diesem Vorzeichen hatte also der einsame Spaziergang ein Beispiel in der Geschichte und stellte einen ausgezeichneten Vorwand für eine nützliche Sicherheitsmaßnahme dar. Als um Mitternacht Thomale am Telefon durchkam, war die Verschwörung bereits zerschlagen und eine Entscheidung Guderians nicht mehr erforderlich. Beck, Stauffenberg und einige der übrigen Männer waren tot, weitere waren verhaftet worden. Den rachsüchtigen Reden des Führers war zu entnehmen, daß kein auch nur entfernt an der Verschwörung Beteiligter auf Gnade hoffen konnte, aber es war ja auch nie daran zu zweifeln gewesen, daß der Preis für einen Fehlschlag eine Massenvernichtung sein mußte. Rommel hatte keine direkte Rolle gespielt, aber binnen kurzem sollte seine Verbindung zu den Verschwörern aufgedeckt werden und hatte sich, von Zweifeln geplagt, zurückgehalten, aber er war fatal in die Ereignisse verwickelt und beging wenige Wochen später Selbstmord. Vermutlich durch Glück, aber eher aufgrund der Vorsicht und der sorgfältigen Überlegungen, die er seit einem Jahr zur Maxime seines
Handelns gemacht hatte, hatte es Guderian vermocht, sich der Ansteckung zu entziehen. Und darüber hinaus hatte er es fertiggebracht, sich selbst dadurch, daß er den Dingen nachging und gut informiert blieb, ein hieb- und stichfestes Alibi zu verschaffen. Wäre es sein Ziel gewesen, sich selbst für eine heilige Aufgabe - die Verteidigung Deutschlands und der alten Wehrmacht - bereitzuhalten, hätte er es nicht umsichtiger und geschickter anfangen können. Er sah keine Notwendigkeit für Märtyrer und lehnte es ab, selbst in diese Rolle zu schlüpfen. Und dennoch hing sein Schicksal einen dramatischen Augenblick lang an einem Faden. Als die Nachricht von dem Attentat Speer in seinem Berliner Büro erreichte, war seine erste Annahme: »Ich dachte freilich nicht daran, daß Stauffenberg, Ulbricht, Stieff und deren Kreis den Putsch ausführten. Eher hätte ich dem cholerischen Temperament eines Mannes wie Guderian eine solche Tat zugetraut.« Speer erinnert sich, daß Goebbels und ein Major Remer sich bemühten, den Aufstand mit den loyalen Truppen, die sie auftreiben konnten, niederzuschlagen. In seiner Biographie ist ein melodramatisches Ereignis, das um 19 Uhr eintrat, so geschildert: »Der Erfolg war wieder in Frage gestellt, als Goebbels kurz darauf gemeldet wurde, daß auf dem Fehrbelliner Platz eine Panzerbrigade eingetroffen sei, die sich weigere, den Befehlen Remers zu folgen. Sie unterstünde allein Generaloberst Guderian: ,Wer nicht gehorcht, wird erschossen!' lautete die militärisch knappe Auskunft. Ihre Gefechtskraft war so überlegen, daß von ihrer Einstellung nicht nur das Schicksal der nächsten Stunde abhing.« Diese Truppen waren natürlich im Rahmen der »Walküre«-Operation alarmiert worden, um einen SS-Aufstand niederzuschlagen. Auch hatten sie recht, wenn sie behaupteten, unter Guderians Befehl zu stehen, denn das taten alle in der Heimat stationierten Panzereinheiten der Dienstanweisung zufolge. Der Kommandeur dieser Einheit war darüber hinaus noch von Thomale angewiesen worden, nur von Hitler, Keitel oder Guderian Befehle entgegenzunehmen. In diesem Moment der Verwirrung, als niemand Freund und Feind auseinanderhalten konnte, waren plötzlich falsche Schlüsse unvermeidbar. Speer schrieb: »Auch Goebbels und Remer hielten es für denkbar, daß Guderian am Putsch beteiligt sei. Die Brigade wurde durch Oberst Bollbrinker angeführt. Da ich mit ihm gut bekannt war, versuchte ich telefonisch, den Kontakt mit ihm aufzunehmen. Die Auskunft war beruhigend: die Panzer waren gekommen, um den Aufstand niederzuschlagen.« Sie sagten natürlich nicht, welchen Aufstand, denn sie kannten die Umstände nicht. Dies wirft die wichtige Frage nach der Loyalität auf. Die Panzeroffiziere waren in jenem Augenblick bereitwillig an einer Operation für Hitler beteiligt, aber sie nannten als erstes ihre Zugehörigkeit zu Guderian, um so lieber vermutlich, da sie annehmen
mußten, daß er auf Seiten des Führers stand. Das unterstreicht nicht nur die wesentliche Notwendigkeit für die Verschwörer, glaubwürdige Heerführer auf ihrer Seite zu haben und nicht vergessene und in Mißkredit geratene Männer vom Schlage Becks, sondern beweist auch, wie recht jene hatten, die Guderian für eine mögliche Schlüsselfigur der Krise hielten. Der Vorgang zeigt aber auch die Gültigkeit von Guderians Feststellung: »Damals glaubte ein sehr großer Teil des deutschen Volkes noch an Adolf Hitler.« Ohne ihnen persönlich loyal ergebene Truppen hinter sich hatten die Verschwörer überhaupt keine Chance. Und auch Guderians Gewicht, wäre es, wie Barsewisch es forderte, in letzter Minute in die Waagschale geworfen worden, hätte nichts mehr retten können. Das Komplott wäre trotzdem Stümperei geblieben, und die Folge wäre gewesen, daß auch Guderian hingerichtet und der Rolle beraubt worden wäre, in der er sich für Deutschland sah. In Rastenburg las Hitler die Trümmer auf und gab die Befehle, die zur Abschlachtung der Andersdenkenden führten und dem Heer die letzten Kränkungen zufügten. Soweit es Guderian anging, war es weder das erste noch das letzte Mal, daß er von den Diensten seines Chefs des Stabes profitierte, der ihm so unerschütterlich treu ergeben war wie zum Beispiel seinerzeit Nehring. Es war Thomale, der am 20. Juli um 18 Uhr als erster aufgefordert wurde, Guderians Abwesenheit zu begründen. Und er war es auch, der eine Stunde später zum Führer befohlen wurde, um weitere Fragen - zufriedenstellend - zu beantworten*. Er wurde angewiesen, Guderian sofort zu instruieren, das OKH in Lötzen aufzusuchen und die Geschäfte des Chefs des Generalstabes wahrzunehmen. Das Schicksal hatte dabei seine Hand im Spiel, denn Hitler hatte zuvor beschlossen, sich von Zeitzier zu trennen, dessen Einwände zu stark wurden und ihn beunruhigten, und ihn durch General Buhle zu ersetzen. Zeitzier war aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten, aber Buhle war bei der Explosion der Bombe im Führerhauptquartier verwundet worden und für die nächste Zeit außerstande, einen Posten zu übernehmen. *
Darstellung aufgrund einer von Thomale nach dem Krieg abgegebenen eidesstattlichen Erklärung.
Ganz zufällig und aus dem zweiten Glied erreichte Guderian das, was Warlimont »das langjährige Ziel seines Ehrgeizes« nennt. Warlimont könnte in seiner Beurteilung recht gehabt haben, wenn er von einem ambitiösen Mann sprach, doch, wie Guderian schreibt: »... eigentlich könnten sich die Gerüchtemacher selber sagen, daß es nicht verlockend war, sich im Juli 1944 freiwillig zur Bearbeitung der Angelegenheiten der Ostfront zu drängen«. Denn da gab es Leute, die dem Klatsch Glauben
schenkten, wie es Schlabrendorff tat: »Als Guderian am Abend des 20. Juli nach Mißlingen des Staatsstreichs zum Chef des Generalstabes des Heeres ernannt wurde, war es allen Eingeweihten klar, wie sich Guderian diesen Posten erschlichen hatte.« Die Tatsache, daß Buhle schon für dieses Amt ausersehen war, spricht hinreichend gegen diese Anschuldigungen, ohne daß es notwendig wäre, Guderians Verteidigung anzuhören, der anführt, daß ihm befohlen wurde, diesen schweren Posten anzunehmen, und gesteht: »Ich wäre in meinen eigenen Augen ein Schuft und Feigling geworden, wenn ich nicht den Versuch unternommen hätte, das Ostheer und die Heimat - Ostdeutschland - zu retten.« Das waren Gründe genug, aber es gab noch einen weiteren, den er erst später seiner Familie, Strik-Strikfeld und guten Freunden anvertraute. Er hielt es für erforderlich zu verhindern, daß ein SS-Mann Chef des Generalstabes wurde und sah die absolute Erfordernis, den Exzessen Heinrich Himmlers und seiner Trabanten Einhalt zu gebieten, als sie sich für den Mord an der alten Armee rüsteten. Einen bezeichnenden Hinweis auf die innersten Gedanken und Absichten Guderians enthält ein Brief Gretels vom 20. August 1944. Sie schreibt darin: »Wir haben ja oft zusammen über diese gefürchtete Entwicklung gesprochen und daß Dir dabei eine große Aufgabe zufallen würde. So ist es nun gekommen. Auch daß wir in ernstester Stunde getrennt sein würden und getrennt marschieren müßten, war uns klar. So muß nun jeder auf seinem Posten aushalten und hoffen, daß wir in einer nicht zu fernen und besseren Zeit wieder vereint und glücklich sein können. Unser so selten inniges Verstehen und innerliches Zusammenleben gibt mir auch die Kraft dazu. Die verbotenen Emotionen werden sich leider auch fernerhin nicht vermeiden lassen, wenn ich denke, was so alles auf Dich einstürmt, wird mir himmelangst. Ein großes Glück ist die gute Zusammenarbeit mit dem Führer, Gott erhalte Dir sein Vertrauen! Das ist zu allem die Grundlage...« Dieser durch Boten zugestellte Brief wirkt notwendigerweise durch seine Andeutungen reserviert, doch muß man bedenken, daß damals jede briefliche Mitteilung gefährlich war. Aber es scheint ganz offenbar zu sein, daß die Guderians gemeinsam ein Gespür für den Lauf der Dinge gehabt und vorausgesehen hatten, daß er eines Tages Chef des Generalstabes des Heeres werden würde. Die Anspielung auf »verbotene Emotionen« bedarf der Erläuterung, betrifft aber, das kann man mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen, den Rat seines Arztes, Gefühlsaufwallung und Aufregungen in Streßsituationen zu vermeiden. Die Hinweise auf Hitlers Vertrauen bedeuten indessen keine enge Gefolgschaft Hitlers, sondern deuten eher die Erfordernis an, sich an jeden Strohhalm zu klammern, um zu überleben. Dieser Brief hätte natürlich auch als Ausdruck unverbrüchlicher Treue zum Führer gelten können, wenn er in falsche
Hände geraten wäre. Nie zuvor, daran sollte man denken, kam der Drang zum Überleben so stark bei Gretel zum Ausdruck wie in diesen Zeilen.
10 DER LETZTE IN DER REIHE
Die Aufgabe, die Guderian als amtierenden Chef des Generalstabes des Heeres erwartete, war unglaublich weitgesteckt und in ihrer Ungeheuerlichkeit geradezu widersinnig. Eine Analyse seiner Pflichten, denengegenüber die des Generalinspekteurs der Panzertruppen jetzt ganz zurücktrat, gibt nur einen ungefähren Begriff davon, wie sehr die Rolle des Generalstabschefs entwertet war. Erstens und militärisch hatte Guderian die Verantwortung für den Ablauf der Operationen an der Ostfront, wobei er einer immer lästiger werdenden Beaufsichtigung durch Hitler und das OKW unterworfen war. Die entwürdigende zweite Auflage bestand darin, daß er zum Mitglied des Ehrenhofs ernannt wurde, der von Hitler eingesetzt worden war, um die Dossiers derjenigen Offiziere zu untersuchen, die für Handlungen im Zusammenhang mit dem Putsch verantwortlich gemacht wurden, und um sie aus dem Heer auszustoßen, damit sie vor den Volksgerichtshof gestellt werden konnten. Hinzu kamen als selbstauferlegte Pflichten seine Bemühungen, den Status des Heeres und den des Generalstabes zu erhalten und weiteren Übergriffen von Seiten des OKW und der SS im Bereich des OKH vorzubeugen; außerdem jede erdenkliche Anstrengung, um Unschuldige oder nur am Rand Beteiligte vor der Gestapo oder anderer summarischer Justiz zu retten. Um Guderians Verbleiben zu garantieren, wurde ihm ausdrücklich untersagt, seinen Rücktritt anzubieten, wie es Zeitzier nicht weniger als fünfmal getan hatte! Im Vergleich zu der Aufgabe Guderians war die des Herakles, den Augiasstall zu säubern, eher leicht, denn dieser konnte immerhin einen in der Nähe befindlichen Fluß nutzen, während die Guderian verfügbaren Hilfsquellen auszutrocknen begannen. Auch hatte Herakles die Hände frei, wogegen die Guderians gebunden waren und zudem seine Autorität eingeschränkt war. Er konnte bitten, soviel er wollte, »... mir in allen Dingen, welche den gesamten Generalstab angingen, ein Weisungsrecht an alle Generalstabsoffiziere des Heeres zu verleihen«, Hitler, Himmler, Keitel und Jodl waren auf die Abschaffung des Generalstabes aus und gaben darin keinen Pardon. Andererseits fühlte Guderian sich gezwungen, größere Zugeständnisse zu machen als irgendeiner seiner Vorgänger. Am 23. Juli erklärte er in einer Rundfunkansprache an das deutsche Volk: »Einige wenige, teilweise außer Dienst befindliche Offiziere hatten den Mut verloren und aus Feigheit und Schwäche den Weg der Schande dem allein dem anständigen Soldaten geziemenden Weg der Pflicht und
Ehre vorgezogen. Volk und Heer stehen fest verbunden hinter dem Führer! Ich bürge dem Führer und dem deutschen Volk für Geschlossenheit der Generalität, des Offizierskorps und der Männer des Heeres in dem einzigen Ziel der Erkämpfung des Sieges und unter dem Wahlspruch, den der ehrwürdige Feldmarschall von Hindenburg uns oft einprägte: ,Die Treue ist das Mark der Ehre!'« Und am 29. Juli erließ er einen berüchtigten Befehl (von dem Görlitz übertreibt, wenn er sagt, er habe »einen Riß durch das Offizierskorps des Generalstabes bewirkt, der unheilbar wurde«) mit dem Wortlaut: »Jeder Generalstabsoffizier muß ein NS-Führungsoffizier sein, das heißt, er muß sich durch vorbildliche Haltung in politischen Fragen, durch tätige Unterweisung und Belehrung jüngerer Kameraden im Sinne des Führers auf dem politischen Gebiet ebenso als Angehöriger der ‚Auslese der Besten' zeigen und bewähren wie auf dem Gebiet der Taktik und Strategie.« Um diese Zeit wurde auch der »Deutsche Gruß« auf Hitlers Anweisung für die Wehrmacht vorgeschrieben. Daß ein Riß entstand, ist nicht zu leugnen, obwohl wahrscheinlich richtiger gesagt werden muß, daß er durch die sich überschlagenden Ereignisse nach dem 20. Juli und nicht nur durch den Befehl vom 29. Juli verursacht war. Weder die Rundfunkansprache noch dieser Befehl sind in Guderians Erinnerungen erwähnt. Man kann annehmen, daß die Ansprache im Radio auf Betreiben Goebbels' (und durch dessen dynamische Aktivität) zustande kam und der letztere unter dem Druck Hitlers, dessen Entrüstung über die Wehrmacht keine Grenzen kannte. Durch das stillschweigende Übergehen in seinen Memoiren läßt Guderian sein Mißbehagen an den Maßnahmen, zu denen er gedrängt wurde, deutlich werden: hätte er sich zu einer Kommentierung bereitgefunden, so hätte er es wahrscheinlich darauf abgestellt, daß das angestrebte Ziel die Mittel gerechtfertigt habe. Es blieb ihm nur übrig, mit Hilfe zurückhaltender Maßnahmen Zeit für Prestige einzuhandeln, um ein militärisches Patt anzustreben, mit dessen Hilfe ein erträglicher Friede erreicht werden konnte. Mit voller Absicht stellte er sein Land über die eigene Person und die Wehrmacht - und erwies ausgerechnet dadurch Hitler seinen womöglich größten persönlichen Dienst. Denn obgleich der Führer und sein treuer Schatten Himmler (der anstelle Fromms zum Befehlshaber des Ersatzheeres ernannt wurde) auf dem besten Weg waren, die Wehrmacht durch die Waffen-SS zu ersetzen, waren ihre Vorbereitungen noch nicht weit genug gediehen. Unterdessen verabscheuten und beargwöhnten die Offiziere des Heeres quer durch alle Reihen von Herzen ihre »Kameraden« von der Partei. Indem sich Guderian im gegenwärtigen Zeitpunkt mit Armee und Partei identifizierte, sicherte er Hitler die Loyalität des Heeres. Wahrscheinlich gab es zu dieser Zeit keinen anderen aktiven Offizier
(außer Rundstedt), der dazu das nötige Prestige besaß. Guderian sah nun einmal die Notwendigkeit einer völligen Wiederherstellung des OKH, der Disziplinierung von Offizieren, die (im Schutz der neuen nationalsozialistischen Atmosphäre) aufsässig wurden und der Einbeziehung zuverlässiger Gefolgsleute aus der Vergangenheit in seinen Stab, darunter Praun als Chef des Heeresnachrichtenwesens im OKH und der begeisterungsfähige Generalleutnant Walter Wenck (der 1928 bei der Entwicklung der Panzertaktik mit ihm zusammengearbeitet und ihn bei Sedan beflügelt hatte). Nach dem Attentat bestand ein dringender Bedarf an Generalstabsoffizieren, die, wie Guderian forderte, »täglich eine gute Idee haben sollten«. Die üblichen Anfangszugeständnisse waren der Preis, der für die Festigung von Guderians Position bei Hitler zu zahlen war. Offensichtlich glaubte er an eine gewisse Chance für einen Umschwung. Am 30. Juli hatte Gretel in einem Brief, der in der Hauptsache von zu Hause handelte, geschrieben: »Mein Gefühl, daß man Dich eines Tages doch an die verantwortungsvollste Stelle des Heeres rufen würde, hat sich nun doch bewahrheitet. Möchte es Dir trotz der verteufelt schwierigen Lage gelingen, die Horden der Bolschewisten dem Land fernzuhalten. Möge vor allem das Vertrauen des Führers Dir erhalten bleiben und Du dadurch die Möglichkeit haben, Dich voll auszuwirken.« Es gab Gründe genug, des Führers Vertrauen in Zweifel zu ziehen: ihn nahm jetzt niemand mehr beim Wort, und auch er traute keinem mehr. Guderian hatte Gretel am 18. August geantwortet: »Schwierigkeiten sind dazu da, überwunden zu werden. Darin besteht meine tägliche Arbeit. Es ist allerdings darin sehr viel zu tun, und die Erfolge sind vorerst spärlich. Ich hoffe, durch zähes Festhalten an meinen Zielen durchzukommen. Es ist sehr schwer, jahrelange Versäumnisse wiederaufzuholen.« Im Grunde blieb nur noch die Hoffnung. Obwohl Guderian noch zögerte, sich die totale Niederlage einzugestehen, erkannte er doch, daß ein Sieg unmöglich war. Als er sein Amt antrat, war die Front in der Normandie im Wanken, die in Italien im ständigen Rückzug begriffen, während im Osten die russischen Armeen weite Gebiete überrannt hatten, im Norden auf die baltischen Staaten zustießen, in der Mitte auf Warschau und im Süden auf Rumänien. Alle vier Heeresgruppen in Rußland befanden sich ebenso in Auflösung wie die im Westen. Zur gleichen Zeit wurden deutsche Städte und Industrieanlagen durch Luftangriffe in Trümmer gelegt. In dieser bestürzenden Lage war bezeichnend für Guderians innerste Überzeugung von der hereinbrechenden Katastrophe, daß er, um seinen Optimismus wiederaufzurichten, auf ein Beispiel aus verzweifelter Vergangenheit zurückgriff. Er nahm als Modell die Ereignisse des Jahres 1759 mit der unglücklichen Schlacht von Kunersdorf und dem, was sich im Anschluß
ereignete. Damals hatte Friedrich der Große seine Abdankung erwogen, schließlich aber die Situation gerettet, indem er durchhielt, bis wie durch ein Wunder die russische Kaiserin starb und ihr Nachfolger den Krieg beendete, als Preußen schon in den letzten Zügen lag. Im wesentlichen erstreckte sich Guderians eigenes hoffnungslos optimistisches Kriegsziel auf die Stabilisierung einer erstarkten Ostfront und den Abschluß eines Friedens im Westen, der möglichst durch einen Teilerfolg begünstigt werden sollte. Typisch für jene Belastungen und Anspannungen von innen und außen, die die Wiederherstellung der Front und Führungsmaßnahmen erschwerten, war der Kampf um Polen, der sich im August und September auf die Schlacht um Warschau konzentrierte. Am 1. August, als die russischen Armeen, fast am Ende ihrer Kraft, nach einem Vorstoß von 480 Kilometer Tiefe bis in die Nähe der polnischen Hauptstadt vordrangen, erhob sich die polnische Untergrundarmee und zerschnitt wichtige deutsche Nachschubverbindungen, während die Armeen vorn im Kampf lagen. Der Aufstand richtete sich jedoch nicht eigentlich gegen die Deutschen, von denen man annahm, sie seien völlig geschlagen, als sie anfingen, Warschau zu evakuieren; ohne diese Tatsache wäre die Erhebung niemals befohlen worden. Die Polen versuchten in Wirklichkeit, einen Prestigeerfolg zu erringen, um noch vor der Ankunft der Russen ihre politische Existenz zu dokumentieren. Nichtsdestoweniger konnten die Deutschen dabei nicht tatenlos zusehen, besonders da Guderian sich anschickte, Kräfte zur Verteidigung der Weichsel heranzuziehen. Damit stoppte er die panikartige Räumung, die nach dem 22. Juli begonnen hatte, und entsandte Verstärkungen gegen die Flanken der russischen Stoßkeile. Er verlangte, daß die Stadt zur Operationszone des Heeres erklärt und somit vom Generalgouverneur und der SS, die unter Himmler für jede Art von Partisanenbekämpfung zuständig war, übergeben würde. Aber Himmler, durch Hitler ermutigt, verweigerte die Übergabe und schickte statt dessen am 5. August seinen Beauftragten für die Bandenbekämpfung, den SS-Obergruppenführer Erich von dem BachZelewski, um den Kampf gegen die Polen aufzunehmen. Auf diese Weise war die Befehlsgewalt zwischen der SS im Stadtkern und der Armee in den Außenbezirken aufgeteilt. Die Kämpfe, die über Warschau hereinbrachen, boten alle Härten der Partisanenkriegführung und riefen die wildesten Kämpfer auf den Plan, deren Vorläufer die Roten des Jahres 1917 und die Freikorps waren. Sie hatten Rückwirkungen auch für Gretel: Mitte August erhielt sie eine Warnung, daß einige Leute auf ihrem Gut der »Warschauer Organisation« angehörten und ihr Schaden zufügen könnten. Sie
schrieb: »Ich bin nicht ängstlich, Liebster, schlafe jetzt auch noch unten allein.« Sie behielt ihren Wohnsitz dort, bis im Januar 1945 die Russen vor der Tür standen. Hitler verlangte die Ausrottung der Polen und die Zerstörung Warschaus, Anweisungen, denen Bach-Zelewski mit Absicht nicht nachkam. Natürlich wußte Guderian um die gnadenlose Partisanentätigkeit, die in wechselndem Umfang fast jeden Winkel besetzten Feindesland unsicher machte, aber hier hatte er zum erstenmal vom Oberkommando aus mit all ihren Erscheinungsformen zu tun. Hätte er nicht vorher schon Kenntnis von den rigoros durchgreifenden und mörderischen Vorschriften gegen die Partisanen gehabt, die von Zeit zu Zeit von Hitler und dem OKW ausgegeben wurden, so wäre ihm spätestens jetzt jeder Zweifel an der Verderbtheit beider Seiten genommen worden. In den Kriegsverbrecherprozessen nach 1945 sollte die Schuldigen an der Schreckenszeit in Warschau ihre Strafe erwarten. Guderian als Chef des Generalstabes des Heeres war unter denen, die die Polen in ihre Hände bekommen wollten. Es trifft zu, daß Einheiten der Armee in den Straßen Warschaus unter der Leitung von Bach-Zelewski kämpften, und natürlich war es das Heer unter dem Befehl Guderians, das die Russen vor Warschau zum Stehen brachte und ihren Zusammenschluß mit den polnischen Partisanen verhinderte, wodurch der Aufstand schließlich erstickte. In seinen Erinnerungen betont Guderian ausdrücklich sein Eingreifen, um die Ausschreitungen einiger der grausamsten Bandenbekämpfungseinheiten unter BachZelewski abzumildern, und seine Versuche, einen Widerruf des Führerbefehls zu erreichen, nach dem Gefangenen nicht das volle internationale Kriegsrecht zugestanden werden sollte. Er stellt ebenfalls heraus, daß die schlimmsten Vergeltungsbefehle durch SS-Kanäle und nicht durch diejenigen des Heeres gelaufen seien. Die SS, um Ansehen bemüht, war stolz auf diesen ihren Sieg. Guderian gelang es, sich von der Anklage des Verbrechens zu entlasten, und die Amerikaner lehnten es nach dem Krieg ab, ihn an Polen auszuliefern. Noch während der Schlacht, die zur Niederlage der Russen bei Warschau führte, begann Guderian Hitler gegenüber seine Taktik des »zähen Festhaltens an seinen Zielen« zu entwickeln. Am 15. August hatten sie einen erhitzten Streit, als Guderian in seiner Eigenschaft als Generalinspekteur der Panzertruppen zur Lage im Westen anmerkte: »Die Tapferkeit der Panzertruppe allein ist nicht in der Lage, den Ausfall zweier Wehrmachtteile - der Luftwaffe und der Kriegsmarine wettzumachen.« Warlimont schrieb, daß »... Guderian sich seiner neuen Aufgabe in schwierigster Lage sogleich mit aller ihm eigenen Tatkraft annahm, ohne sich erst wie seinerzeit Zeitzier um die Rückgewinnung der übrigen Kriegsschauplätze für den Generalstab des Heeres zu bemühen... Diese
Anschauung (vom Vorrang der Ostfront. Der Übers.), der er in seiner ungestümen, temperamentvollen Art auch oft in den Lagebesprechungen starke Worte lieh, verbunden mit den persönlich bedingten Spannungen, machten es schon sehr bald deutlich, daß der Wechsel in der Person des Generalstabschefs des Heeres selbst unter dem äußersten Druck der Kriegslage keinen Wechsel in dem leidigen Verhältnis zwischen den beiden Generalstäben an der Spitze der Wehrmacht mit sich bringen würde. Man stand sich gewiß offener gegenüber als vorher, aber einer gemeinsamen Front oder Fronde gegen die Fortsetzung des verlorenen Krieges mußten in diesem Kreis der unmittelbar an der obersten Führung beteiligten hohen Offiziere des Heeres selbst die gedanklichen Grundlagen fehlen.« Diese Feststellung ist einigermaßen irreführend, wenn man sich an die Versuche von Heeresoffizieren erinnert, eine gemeinsame Front zu bilden, und an die vielen Gelegenheiten denkt, bei denen es das OKW vorgezogen hatte, entgegen dem Rat des OKH eigene Ziele zu verfolgen. Warlimont versucht hier lediglich, die »Unfehlbarkeit« des OKW herauszustreichen. Ob Guderians Methoden realistisch waren oder nicht, mag dahingestellt sein; tatsächlich täuschte er sich wohl, als er schrieb, er glaube, eine Verbesserung erreicht zu haben. Aber er war immer ein überzeugter Anwalt für ein einheitliches Kommando gewesen und hatte seit den frühesten Tagen unter Blomberg und Reichenau Versuche unterstützt, die verschiedenen, oftmals konkurrierenden Strömungen in der Wehrmacht in Einklang zu bringen. Die Effektivität des OKW war nach seiner Ansicht durch die Unzulänglichkeit Wilhelm Keitels beeinträchtigt, der praktisch gezwungen war, nichts anderes als Hitlers militärisches Sekretariat daraus zu machen. Nach dem Krieg machte Guderian Hitlers nachlassende Gesundheit für den militärischen Mißerfolg verantwortlich, zu der sich Hitlers »seelische Reizbarkeit« gesellte, »... die zu einer weiteren Zersplitterung des militärischen Oberbefehls führte«. Nichtsdestoweniger war Warlimonts Hinweis auf Guderians Anschauung und seine »persönlich bedingten Spannungen« angebracht. Niemand ist ohne Schattenseiten. Eine der Schwächen Guderians war das Festhalten an seiner Verurteilung Kluges; anderen konnte er vergeben, aber niemals Kluge, nicht einmal in seinen Erinnerungen. Innerhalb von Stunden, nachdem er Chef des Generalstabes geworden war, unternahm Guderian den Versuch, Kluge von seinem Kommando im Westen zu entfernen, indem er (erfolglos) Hitler seine Ablösung nahelegte, da »er keine glückliche Hand in der Führung großer Panzerverbände besitze«. Guderians Argument war, abgesehen von Kluges Verwicklung in den Putsch, zu dieser Zeit keineswegs angebracht, noch weniger, als er nach dem Krieg (und lange nach
Kluges Selbstmord Ende August 1944) fortfuhr, Kluges Umgang mit der Panzerwaffe in Mißkredit zu bringen. In den Verhören beklagte er sich darüber, Kluge habe die Panzerdivisionen zersplittert, sie kleckerweise zum Einsatz gebracht und sei vollkommen dabei gescheitert, mehr als die Hälfte der verfügbaren Panzer auf den Gegenschlag gegen die Amerikaner bei Mortain zu konzentrieren. Wenn es auch stimmte, daß Kluge im Osten zeitweise Formationen aufgespalten hatte, so waren doch die Bedingungen im Westen andere. Die zermürbende Wirkung der alliierten Luftangriffe auf die Nachschublinien und die so entstehenden Schwierigkeiten, überhaupt Kräftekonzentrationen zustande zu bringen, schlossen Guderians alte Taktiken der Konzentration aus. Es muß daran erinnert werden, daß Guderian während der Schlacht in der Normandie nicht zugegen war; noch trug er für die dortigen Operationen die Verantwortung. Auf jeden Fall hatte Kluge ebensosehr wie jeder andere Oberbefehlshaber unter Hitler zu leiden. Seine zahlreichen Beweise mutigen Widerstandes gegen Hitlers wahnwitziges Beharren auf selbstmörderischen Gegenangriffen seitens der Panzerdivisionen bei Mortain sprachen schon vom Abschied eines verzweifelten Mannes. Eine von Hitlers vorgefaßten Anschauungen zu ändern, erforderte zähes Ringen und endlose Geduld, wo es um Zeit ging. Kluges Operationen in der Normandie wurden durch Hitlers Einmischungen zunichte gemacht. Guderian seinerseits führt den starren Widerstand des Führers gegen seine eigenen Vorschläge an, ein System von Befestigungen entlang der deutschen Ostfront zu errichten, und seine energischen Anstrengungen, dies im Herbst mit widerwilligem Einverständnis Hitlers in die Tat umzusetzen. Allein das war schon ein Kunststück, denn Hitler verschloß sich der Drohung im Osten, sobald die russische Offensive bei Warschau zum Stehen gekommen war, und widmete sich nur noch der unmittelbaren Drohung im Westen, wo der Westwall von den anglo-amerikanischen Armeen auf die Probe gestellt wurde und das Ruhrgebiet als wichtigstes Industriezentrum in Gefahr war. Sobald Guderian frische Verteidigungseinheiten im Osten aufgebaut hatte, ließ Jodl, besorgt um die Ruhr, diese Truppen zum Westen verlegen. Als Guderian die Freigabe erbeuteten Kriegsmaterials forderte, bestritten Keitel und Jodl, daß diese Waffen existierten. Aber sobald ihnen Guderian das Gegenteil bewiesen hatte, belegte Jodl das Beste mit Beschlag und schickte es gleichfalls in Richtung Westen. Guderian wurde nicht an der geplanten Westoffensive beteiligt, er konnte, von Reserven entblößt, im Osten nur abwarten und zusehen, wie zum einen die Russen an Stärke gewannen und zum anderen Himmler das Menschenreservoir aus der Industrie durchkämmte, um noch eine weitere deutsche Armee aufzustellen - ein mit nationalsozialistischen
Idealen getränktes Volksheer, das aus sogenannten »Volksgrenadierdivisionen« oder ähnlichem bestand. Sobald Guderian zu der Einsicht gelangte, daß direkte Opposition gegen Hitler und seine Umgebung zum Scheitern verurteilt war, kam er auf Methoden zurück, derer er sich im Feld schon früher erfolgreich bedient hatte, als übergeordnete Kommandeure seinen Plänen im Weg standen. Entweder ignorierte er ihre Befehle oder aber er versuchte, sie zu umgehen. Manchmal gelang dies, manchmal nicht. Eine Zeitlang konnte er sich der Teilnahme am »Ehrenhof« entziehen, dessen Vorsitz Rundstedt hatte, bis Keitel darauf bestand, daß er sich wenigstens dort sehen ließ. Es war gut, daß er erschien, da er aus erster Quelle mit anhören konnte, zu welchen Methoden sich die Gestapo verstiegen hatte, um Heeresoffiziere zu verurteilen. Es gab wenig genug, was getan werden konnte, um die zu retten, gegen die auch nur der leiseste Beweis der Verschwörerschaft vorlag oder die Hitler zu bestrafen entschlossen war. Als äußerstes Mittel benützte Hitler General Burgdorf, einen Ersatz für Schmundt von geringerer Qualität, einen Offizier, dem Guderian schlechtes Benehmen vorwarf und den er den »bösen Geist des Offizierskorps« nannte. Dieser Mann war ein willfähriges Werkzeug für Himmlers Pläne. Als »fanatischer Parteianhänger« (Guderians Worte) war er des Führers persönlicher Abgesandter an Rommel mit der Botschaft und dem Gift, mit dem dieser im Oktober Selbstmord beging. Guderian tat, was er konnte*, und einige der Verschwörer konnten gerettet werden, unter ihnen Rommels Chef des Stabes, Hans Speidel, dessen stereotype Unschuldsbeteuerungen (obwohl er Anteil am Putsch gehabt hatte) nicht entkräftet werden konnten. Er war es, der in späteren Jahren eine führende Rolle beim Aufbau der Bundeswehr spielen sollte. *
Dem Autor aus privater Quelle bestätigt.
Deutschlands Verbündete fielen ab, als die Russen näher kamen oder auf ihr Gebiet vordrangen. Rumänien, Finnland und Bulgarien wechselten zwischen August und September der Reihe nach die Seite, und der Herbst ließ noch Schlimmeres vorausahnen. Ungarn befand sich in Auflösung, aber sein Regent, Admiral Horthy, hatte Guderian kurz vor dem Zusammenbruch seiner Nation eine Lehre mitzugeben, die die politische Anpassung betraf: »Sehen Sie, Herr Kamerad, in der Politik muß man immer mehrere Eisen im Feuer haben.« Es ist wiederum lehrreich, daß Guderian diese Bemerkung in seinen Erinnerungen zitierte, zweifellos um zu zeigen, wie er selbst darüber dachte. Die Luftwaffe der Westmächte konzentrierte ihre Angriffe auf Ölraffinerien, nachdem die Ölfelder von Ploesti in die Hände des Feindes gefallen waren. Der Brennstoff für die bewegliche Verteidigung wurde
schnell knapper, und die deutschen motorisierten Truppen kamen allmählich zum Stillstand. Die Panzerdivisionen waren ohnehin improvisierte Schattengebilde. Bereits im Sommer konnte nur selten die letzte, auf kärgliche 120 Panzer geschrumpfte Stärke nach Weisung voll zum Einsatz kommen. Dagegen operierte eine Flut von Panzerfahrzeugen russischer, amerikanischer und britischer Herkunft fast nach Belieben, es sei denn, sie trafen auf ausgebaute Befestigungsanlagen an lebenswichtigen Punkten. Auf deutscher Seite hatte nichts lange Bestand. Die nächste Verteidigungslinie, die durchbrochen werden würde, war diejenige, die von der Heeresgruppe Nord notdürftig gehalten wurde. Dies war Gebiet, das preußisches Heimatland schützte und wegen seiner Geschichtsträchtigkeit Guderian besonders teuer war. Im August entlockte er Hitler eine rasche Entscheidung dadurch, daß er dessen Gewohnheit Rechnung trug, so zögernd zu reagieren, bis aus einer Drohung ein Verhängnis geworden war. Er erhielt die Erlaubnis, Verstärkungen von der Südfront Rumäniens (wo die Schlacht noch äußerst kritisch werden sollte) nach Norden heranzuholen. Dies war die einzige Alternative, da vom Westen nichts abgezogen werden konnte (wo bald darauf die Vorbereitungen zur Dezemberoffensive in den Ardennen in Gang kamen) und das OKH keine Reserven besaß. Aber nachdem er in der Folge die Russen gezwungen hatte, in der Nähe von Riga haltzumachen, und einen Korridor geöffnet hatte, durch den die großen deutschen Verbände, die in Estland und den übrigen baltischen Staaten eingeschlossen waren, hätten entkommen können, wurde die Gelegenheit zu einer völligen Evakuierung vertan, weil Hitler sie untersagte. Im frühen Oktober griffen die Russen erneut an, erreichten diesmal die Ostsee nahe Memel und riegelten wirksam die Reste der Heeresgruppe Nord auf der Halbinsel Kurland ab, wodurch eine Versorgung nur noch von der See her möglich war. Desgleichen setzten russische Truppen erstmalig den Fuß auf den geheiligten Boden Ostpreußens. Der Donner der Geschütze war in Lötzen und Rastenburg zu hören. Wenig später war Hitler gezwungen, sich in sein letztes Hauptquartier, die Reichskanzlei in Berlin, zurückzuziehen. Die Einkreisung der Heeresgruppe Nord in Kurland, so tragisch sie war, stellte nur einen weniger bedeutsamen Abschnitt in der Geschichte von Hitlers Fehlstrategie dar. Ihr Anteil am Ausgang des Krieges war militärisch unerheblich im Rahmen eines Kapitels totalen Mißerfolgs. Was Guderian betraf, geriet er nicht nur in helle Empörung wegen der unverantwortlichen Verschwendung starker, dringend benötigter Kräfte durch die Aufrechterhaltung einer zu langen Kampflinie, sondern er nahm diesen Vorgang zum Anlaß, seine Sympathie und Ergebenheit gegenüber den Soldaten zu bekunden, deren schreckliches Schicksal in russischer Gefangenschaft besiegelt war. Dabei hatte es wenig zu
bedeuten, daß jetzt in den Kämpfen im Osten eine weitere Pause eintreten sollte und die Stellungen verstärkt werden konnten. Hitlers Interesse richtete sich auf die Ardennen und den längst überholten Traum, einen zugleich militärisch und diplomatisch bedeutsamen Sieg zu erringen. Er wiegte sich selbst und ein paar Leichtgläubige in der Illusion, die westlichen Alliierten seien einzuschüchtern. Aber diese Illusion war kurioserweise zum Teil durch Speer und Guderian als Generalinspekteur der Panzertruppen entstanden, denn diese Männer waren es, die eine Flut neuer Panzerfahrzeuge heranschafften und die Panzerwaffe fast wieder auf Normalstärke brachten. Der Haken bei der Sache war der Brennstoffmangel, der sie lahmlegte. In Übereinstimmung mit fast allen übrigen höheren Offizieren sah Guderian wenig Hoffnung, daß das Ardennenprojekt sich in irgendeiner Weise auszahlen würde. Da er von dessen Planung ausgeschlossen war, hatte er sich nur mit dem Verlust von Soldaten abzufinden, die seinem Kommando entzogen wurden, um die Reihen der Armeen im Westen aufzufüllen, und durfte die täglichen Nachrichtenberichte lesen, die ein baldiges Scheitern anzeigten. »Ich hätte ihr (der Angriffsschlacht im Westen) im Interesse meines Volkes einen vollen Erfolg gewünscht«, schrieb er. »Nachdem aber am 23. Dezember zu übersehen war, daß ein ganz großer Erfolg nicht mehr erkämpft werden konnte, entschloß ich mich, ins Führerhauptquartier zu fahren und das Abbrechen der nunmehr schädlichen Kraftanstrengung zu verlangen.« Er führte seine Absicht am 26. Dezember aus. Sein Anliegen wurde, laut Guderian, wie so viele vorher abgewiesen, und die gespannte Atmosphäre, die gewöhnlich seine Begegnungen mit Hitler kennzeichnete, steigerte sich noch. Er erhielt jedoch einige Verstärkungen*. Diese Zusammenkünfte waren Paradebeispiele für Zeitvergeudung und Bedeutungslosigkeit, wie sie nur wenige Kabinette gekannt haben dürften. Diskussionen über hohe Politik waren grotesk vermischt mit banalen Einstreuungen, wenn Hitler seine Kenntnisse von den Leistungen einzelner Waffen zum besten gab oder bis ins kleinste gehende Darstellungen lokaler Begebenheiten oder Erinnerungen an Triumphe, Fehltritte und Pannen vergangener Jahre beisteuerte. *
Kürzlich wurde die Ansicht vertreten, Guderian habe seine Forderung nach Verlegung des Gros der Verteidigungsstreitkräfte erst gestellt, nachdem der russische Angriff erfolgt war. Das Beweismaterial hierfür ist allerdings akademischer Natur und keineswegs überzeugend.
Die Protokollniederschriften bieten häufig eine bizarre Lektüre, da sie mit den Ängsten des Nazitums in seinem Todeskampf angefüllt sind. Der Tonfall der Stimmen geht bei schriftlicher Fixierung zwar verloren, aber die Provokation des Heeres durch Hitler und seine Gefolgschaft hebt
sich sonderbar auffällig von Guderians geduldigem und ausdauerndem Bemühen ab, die Unterhaltung auf Wesentliches zurückzulenken. Warlimont spricht - mit eigenem Kommentar im Schrägdruck - von Guderians Vorstelligwerden im September, um einen Erlaß Hitlers vom Juli in Kraft treten zu lassen, nach dem Marine, Luftwaffe und Wirtschaft den Panzerdivisionen dringend benötigte Lastwagen überlassen sollten. Guderian: »Da müßte nur der Reichsmarschall dazu seine Genehmigung geben.« Hitler: »Die Genehmigung gebe ich sofort. Wir haben doch schon so eine Art Reichsverteidigungsgeneralstab. Wir haben eine Einrichtung, um die uns alle Staaten der Welt beneidet haben: das OKW. Das hat sonst niemand. Das hat sich nur noch nicht herumgesprochen, weil der Generalstab die Geschichte nicht gern sah.« Keitel (ihm nach seiner Art mit gesteigertem Ausdruck ins Wort fallend): »... schärfstens bekämpft hat!« Hitler (Keitels Ausdruck aufnehmend): »Schärfstens bekämpft hat! Nachdem wir jahrelang bekämpft worden sind wegen dieser Einrichtung...« Guderian: »Die Luftflotte drei hat noch so viel Lkw.« Thomale: »Die muß geflöht werden!« Kreipe (Chef des Luftwaffengeneralstabes): »Wir haben derartig viel verloren beim Heereseinsatz...« (lehnt ab) In der ersten Januarwoche, als Hitler immer noch auf seiner Idee bestand, die Offensive im Westen wieder anzukurbeln und untrügliche Beweise für eine bevorstehende russische Offensive auftraten, verschlechterte sich das Klima der Zusammenkünfte. Um die unentbehrliche Kräftekonzentration entlang der deutschen Ostfront zu erreichen, ertrug Guderian diese Konferenzen verbissen und meldete sich nur dann scharf zu Wort, wenn das eigentliche Thema angesprochen wurde oder das Wohl von Offizieren und Soldaten in Gefahr war. Er besuchte die Fronten, um eine übereinstimmende Auffassung der Heeresbefehlshaber herbeizuführen, und kam zu dem Schluß, daß der Krieg hoffnungslos verloren war. Deutschland war nicht nur zahlenmäßig kraß unterlegen, »... wir hatten nicht mehr die Führer und Truppen von 1940.. « Am 9. Januar 1945 entschloß er sich zu einer Bilanz und legte einen detaillierten Bericht der Nachrichtendienste über die Feindlage vor, der jenseits allen Zweifels das Heranrücken der russischen Offensive bewies wie auch das zunehmende Übergewicht gegenüber der deutschen Wehrmacht im Osten. Hitler verlor die Beherrschung und wies den Bericht zurück. Er erklärte, der Mann, der ihn aufgestellt habe, Generalmajor Gehlen, sei ein Verrückter und gehörte in eine Anstalt.
Guderian sagte, auch er habe jetzt die Geduld verloren und Hitler entgegengehalten, »Gehlen sei einer seiner tüchtigsten Generalstabsoffiziere... Wenn Sie verlangen, daß General Gehlen in ein Irrenhaus kommt, dann sperren Sie auch mich gleich dazu«. Er weigerte sich, Gehlen zu entlassen, und damit war die Sache ausgestanden. Gehlens Schlußfolgerungen wurden jedoch nicht zur Abstellung von Mängeln ausgenützt, so daß, als die Russen drei Tage später angriffen (genau wie Gehlen und Guderian es vorausgesagt hatten), neues Unheil über die Truppen hereinbrach, deren notwendig gewordene Umgruppierung Hitler verweigert hatte. Gegen Ende der Sitzung versuchte Hitler wieder einmal, Guderian mit sanften Schmeicheleien und Dankbarkeitsfloskeln zu versöhnen, aber das verfing nun nicht mehr. Nach seinen eigenen Worten teilte Guderian dem Führer mit: »Die Ostfront ist wie ein Kartenhaus. Wird die Front an einer einzigen Stelle durchstoßen, so fällt sie zusammen!« Die Bestätigung folgte, obwohl sich daran wahrscheinlich auch nichts mehr geändert hätte, wenn Verstärkungen aus dem Westen eingetroffen wären. Die Einbrüche an der Front veranlaßten allzu spät die längst fälligen Gegenmaßnahmen. Entweder wurden Verstärkungen verspätet an Stellen herangeführt, wo die Situation schon außer Kontrolle geraten war oder von Hitler dahin beordert, wo sie nicht im mindesten gebraucht wurden. Die 6. SS-Panzerarmee wurde von den Ardennen nach Ungarn entsandt; nur eine der zweckentfremdeten Umleitungen von Kampfkraft an eine Front, auf die es weniger ankam. Dadurch fiel es den Russen noch leichter, Warschau zu nehmen und Polen und Ostpreußen zu überfluten. Ihre Vorausabteilungen stießen schon auf Deipenhof vor, wo Gretel bis zur letzten Minute versuchte, das Gut in Gang zu halten. Guderian war am Rand der Verzweiflung, und Protest und Intrige waren die letzten Auswege, da es schon lange keine echte Einflußmöglichkeit mehr gab. Als er sich mit Jodl traf und ärgerlich - zum hundertsten Mal - auf die Unzulänglichkeiten von Hitlers Strategie hinwies, konnte dieser nur mit den Schultern zucken. Auch Jodl war konsterniert und dürfte sicher die Hoffnungslosigkeit des Ganzen begriffen haben, als am 21. Januar Himmler das Kommando der Heeresgruppe Weichsel übertragen wurde. Der Tiefpunkt, auf den die Beratungsgespräche gesunken waren wenn man die erregten Proteste gegen Verbohrtheit so nennen will - war nicht mehr zu unterschreiten, als Guderian im Februar Hitler erneut zu überzeugen versuchte, die in Kurland eingeschlossenen Truppen müßten über See evakuiert werden. Vor dieser Begegnung hatte er beim japanischen Botschafter ein paar Gläser getrunken. Speer, der zugegen war, greift die Geschichte auf: »Hitler widersprach... Guderian gab nicht nach, Hitler beharrte. Die Tonart steigerte sich, und schließlich stellte sich Guderian Hitler mit einer Deutlichkeit entgegen, wie sie in diesem
Kreis gänzlich ungewohnt war. Wahrscheinlich befeuert von den Wirkungen des Alkohols, den er bei Oshima zu sich genommen hatte, streifte er alle Hemmungen ab. Mit blitzenden Augen und wahrhaft gesträubtem Schnurrbart stand er Hitler, der ebenfalls aufgestanden war, am großen Marmortisch gegenüber. ,Es ist einfach unsere Pflicht, diese Leute zu retten! Noch haben wir Zeit, sie abzutransportieren!' schrie Guderian herausfordernd. Verärgert und aufs äußerste gereizt, hielt Hitler ihm entgegen: ,Sie werden dort weiterkämpfen! Diese Gebiete können wir nicht aufgeben!' Guderian blieb hartnäckig: ,Aber es ist nutzlos', widersprach er empört, ,dort in dieser sinnlosen Weise Menschen zu opfern! Es ist höchste Zeit! Wir müssen diese Soldaten sofort einschiffen!' Was niemand für möglich gehalten hatte, trat ein. Hitler zeigte sich durch diesen vehementen Angriff sichtlich eingeschüchtert. Streng genommen konnte er diese Einbuße an Prestige nicht hinnehmen. Zu meinem Erstaunen jedoch verlegte er sich auf militärische Gründe... Zum erstenmal aber war es jetzt im größeren Kreis zu einer offenen Auseinandersetzung gekommen... Welten hatten sich auf getan.« Aber Hitler änderte seine Entscheidung nicht. Eine Woche später ging die Auseinandersetzung über den Marmortisch hinweg weiter, diesmal um einen Gegenangriff, von dem Guderian glaubte, Himmlers Heeresgruppe Weichsel müsse ihn unbedingt unternehmen. Himmler wünschte den Angriff zu verschieben und berief sich auf Brennstoff- und Munitionsmangel. Guderian war überzeugt, daß dies lediglich eine Ausflucht war, um die Hilflosigkeit Himmlers und seines unerfahrenen SS-Stabschefs zu kaschieren. In diesem Fall aber tat er weit mehr als sich für die Erhaltung von Leben oder einen Operationsvorteil einzusetzen. Er machte entschieden Front dagegen, daß SS-Leute in Wehrmachtsbelange eingriffen. Der Streit entzündete sich an einer geringfügigen Erörterung über Himmlers Kompetenz, woraufhin Guderian die Forderung aufstellte, Wenck solle in den Stab von Himmlers Heeresgruppe kommandiert werden, »... um die Operation sachgemäß zu leiten«. Zwei Stunden lang erhob Hitler wütend Einwände, während Guderian, offensichtlich ebenso stimuliert wie auch beruhigt, weil es ihm gelungen war, den Führer in Rage zu bringen, selbst die Fassung bewahrte - und zum Ziel kam. Es war, wie er in den Erinnerungen schrieb, »... die letzte Schlacht, die ich gewann«. Der Angriff, den Wenck am 16. Februar startete, zeitigte Anfangserfolge, aber am 17., nachdem Wenck bei einem Autounfall ernsthaft verletzt worden war, war die Stoßkraft des Angriffs vorbei. Wencks Nachfolger, General der Infanterie Hans Krebs, besaß nicht Wencks Qualität und keine ausreichende Erfahrung im Oberkommando des Heeres. Er war die Art von Mensch, deren Hitler sich mit Vorliebe bediente.
Es war daher nur natürlich, daß Burgdorf sich an ihn hielt. Der Verlust Wencks traf Guderian hart, obwohl er bei der militärischen Schlußabrechnung nicht stark ins Gewicht fiel. So wenige Lichtblicke es für ihn gab, wie die Abstellung Wencks zu Himmler, so schnell waren sie vorüber und von Negativem überholt; er hatte stets damit zu tun, falsche Maßnahmen zu revidieren, ohne daß es dazu kam, erfolgversprechende neue Schritte einzuleiten. Aber das Schauspiel, das sich bot, als schließlich Hitlers Feuer auf ein Feuer von größerer Hitze traf, ließ unvermeidlich die Frage aufkommen, was hätte geschehen können, wenn 1938 - oder auch erst 1940 - Beck oder Halder ähnliche Methoden angewandt hätten. Oder wie das Ergebnis ausgesehen hätte, wenn Guderian in der Stimmung von 1945 bereits im Jahre 1938 Chef des Generalstabes geworden wäre, wie es nicht fundierte Gerüchte wissen wollten. Oder man stelle sich vor, Below und Stauffenberg wären 1941 zum Zug gekommen. Endlich in der elften Stunde war der Beweis angetreten worden, daß Hitler in seine Schranken gewiesen werden konnte. Hätte er dann nicht früher von Männern mit Persönlichkeit und unerbittlicher Entschlossenheit überwältigt werden können? Offensichtlich waren die gewissenhaften preußischen Offiziere zu keiner Zeit der skrupellosen Kaltblütigkeit der Nazis gewachsen: ein überliefertes System disziplinierter Rücksichtslosigkeit war der Anarchie, dem modernen Gangstertum, zum Opfer gefallen. Der Einsicht folgend, daß der Krieg verloren war, eröffnete Guderian in Zusammenarbeit mit Speer eine allerdings mit Mängeln behaftete Kampagne, um die Auswirkungen auf Deutschland zu begrenzen und unternahm größere Anstrengungen, um das Blutvergießen zu beenden, wobei ihm jedes Einverständnis und jede Hilfe aus den Reihen der Nazihierarchie gelegen kamen. Speers Bemühungen, das Programm der industriellen Zerstörung, das Hitler der deutschen Heimat und ihrer Wirtschaft zugedacht hatte, zu unterlaufen, hatten nur bescheidenen Erfolg. Was ihm mit Unterstützung militärischer und ziviler Spitzen an Schaden zu verhindern gelang, war nichts im Vergleich zu der Zerstörung, die der Feind anrichtete, der willkürlich und oft ohne Sinn zerbombte, beschoß und niederbrannte. Desgleichen waren Guderians Bemühungen, die Zerstörung von Brücken und Verbindungswegen in Grenzen zu halten, zum Scheitern verurteilt. Dasselbe galt für seine diplomatischen Vorstöße, obwohl diese einiges Aufschlußreiches aus den Kreisen der Regierung ans Licht bringen und für seine eigene ernüchterte und bissige Einstellung zur herrschenden Clique Zeugnis ablegen. Am 25. Januar hatte er eine private Zusammenkunft mit Außenminister Joachim von Ribbentrop, dem er den hoffnungslosen militärischen Zustand in Einzelheiten beschrieb und dem er empfahl, gemeinsam Hitler aufzusuchen, um ihm Waffenstillstandsverhandlungen
nahezulegen. Ribbentrop wagte es nicht, dem Führer mit einem solchen Antrag entgegenzutreten. Mehr noch, er sandte, obwohl er selbst Guderian gebeten hatte, ihre Unterredung Hitler gegenüber nicht zu erwähnen, dem Führer sogleich ein Memorandum über das Gespräch. Guderians Kommentar: »Um so besser!« Ein Streitfall mehr, unter so vielen, das ließ ihn offenbar kalt. Tag für Tag und beinahe rückhaltlos lief er gegen Hitler und seine Gepflogenheiten Sturm oder trat für Offiziere ein, die wegen geringfügiger Verstöße degradiert worden waren. Es handelte sich hier um Angriffe auf Hitlers Vorstellungen vom Reich. Die eigene Person war Guderian jetzt gleichgültig: in der Loyalität zu seinen Untergebenen gab es für ihn kein Nachgeben. Eine Phantasmagorie des Schreckens lag über der Szene. Im Februar bewegte sich die westliche Frontlinie auf den Rhein zu, und Anfang März erreichte sie seine Ufer. Im Osten war die Hälfte Preußens in Feindeshand und Berlin bedroht, während der unfähige Himmler stümperhafte Befehle erteilte. Deipenhof war den Guderians schon längst verlorengegangen, und die heimatlose Gretel leistete ihrem Mann jetzt beim OKH an dessen letzten Standort Zossen Gesellschaft. Hier teilte sie mit ihm die letzten Tage seiner Macht und die Bombenangriffe, die den Ort am 15. März verwüsteten und bei denen Krebs verwundet wurde. Am oder um den 16. März hatte Himmler, das Gespenst des Zusammenbruchs an der seiner Heeresgruppe Weichsel gegenüberliegenden Front vor Augen und deprimiert durch die Einsicht, daß er als militärischer Führer völlig ungeeignet war - im Widerspruch zur Hitlerschen Auffassung, daß jedermann Armeen führen könne -, mit einem vorgetäuschten Grippeanfall das Bett aufgesucht. Ein Ersuchen seines Chefs des Stabes an Guderian: »Können Sie uns nicht von unserem Oberbefehlshaber befreien?«, wurde mit einer höflichen Erwiderung aufgenommen: »Dies ist eigentlich Sache der SS!« Dennoch nahm Guderian die Gelegenheit wahr, Himmler zu besuchen und ihm vorzuschlagen, sein Kommando aufzugeben. Himmler war nicht darauf vorbereitet, dies selbst zu tun, ging aber, ähnlichen Beispielen im Heer folgend, auf das Angebot des stets hilfsbereiten Guderian ein, das für ihn zu erledigen. Die Überraschung ausnützend, unterbreitete Guderian Hitler den Vorschlag mit der gleichzeitigen Empfehlung, daß einer der besten noch überlebenden deutschen Kommandeure, Generaloberst Gotthard Heinrici, Himmlers Stelle einnehmen sollte. Hitler war nicht begeistert und hätte lieber einem seiner Günstlinge den Vorzug gegeben; aber wieder einmal bekam Guderian seinen Willen und Heinrici wurde am 20. März berufen. In der Zwischenzeit war Ribbentrop heimlich Guderians früherem Anstoß gefolgt und streckte Friedensfühler aus. Darin weihte er Guderian indirekt ein. Er ermunterte ihn, sich an Himmler zu wenden, um
festzustellen, ob er bereit war, ihre Pläne zu unterstützen. Guderian tat dies am 21. März allerdings ohne ersichtlichen Erfolg; denn Himmler nahm wie üblich unangenehme Dinge nicht zur Notiz. Aber Guderian irrte sich, wenn er glaubte, »... mit dem Mann sei nichts zu machen«. Durch Guderians Initiative aufgerüttelt, war Himmler dabei, eigene Wege zu gehen, und einige Tage später stand er in geheimen Friedensverhandlungen über schwedische Mittelsmänner. Da WheelerBennett Guderians Versuche einer Friedenslösung »halbherzig« nennt und schreibt, daß »Guderian selbst gewiß nicht darauf eingestellt war, Hitler seinen Vorschlag anzubieten«, muß man sich fragen, warum Guderian den Sprung ins kalte Wasser nicht unternahm. Den Amerikanern sagte er nach dem Krieg, Hitler habe ihm dies verboten; aber das reicht nicht aus. Die Antwort ist wahrscheinlich in der jüngeren Geschichte zu suchen und hat nichts mit Guderians nachweislichem moralischem Mut zu tun. Wenige Wochen vor dem Attentat vom 20. Juli 1944 hatte Rundstedt in einem Wutausbruch die berühmten Worte an Keitel gerichtet: »Macht Frieden, Ihr Narren« und war entlassen worden. In der Praxis war es für einen Offizier im März aussichtslos und erkennbar selbstmörderisch, sich auf etwas einzulassen, das auch nur im mindesten mit nichtmilitärischen Dingen zu tun hatte. So diente Guderian, dessen Rücktritt Hitler verweigerte, und wurde wahrscheinlich deshalb um den letztendlichen Versuch gebracht, die Feuersbrunst zu löschen, weil Hitler, Keitel, Jodl und Burgdorf entschlossen waren, ihn loszuwerden. Wenn man zwischen den Zeilen liest, entdeckt man leicht, was ihnen gedämmert haben mag: Guderian war im Begriff, in der Tradition der Generalstabschefs von ehedem die Regierung zu »manipulieren«. Niemand war erwünscht, der, wie Guderian, den Eindruck aufkommen ließ, der Krieg sei verloren. Sogar Speer, einst Hitlers Favorit, wurde kaltgestellt, weil er ihn unumwunden für verloren erklärte. Das wenige, was an Gesetz und Ordnung noch vorhanden war, wurde beiseite geschoben. Nichtsdestoweniger fand Guderian Jodl auf seiner Seite, als sie sich mit Erfolg Hitlers Absicht entgegenstemmten, die Genfer Konventionen über das Kriegsrecht anzutasten. Aber obwohl Hitlers Visionen, die er von der Niederlage hatte, sich zu einem Muster endgültiger Auslöschung abzeichneten, wurden Guderian und die große Mehrheit des Generalstabes ebenso wie die Masse des deutschen Volkes im unklaren darüber gehalten, in welche Abgründe ihr Staat geraten war. Beispielsweise konnte das Propagandaministerium Guderian überreden, am 6. März eine Rede vor Vertretern der in- und ausländischen Presse zu halten, in der er die russischen Vorwürfe deutscher Greueltaten zurückwies. Diese erstreckten sich auch auf die Vernichtungslager mit ihren Gaskammern, die von den Russen beim Vormarsch entdeckt worden waren. Guderian sagte: »Ich habe selbst in
der Sowjetunion gekämpft und nie etwas von Teufelsöfen, Gaskammern und ähnlichen Erzeugnissen einer kranken Phantasie bemerkt.« Das ging an der Sache vorbei. Die größeren Vernichtungslager waren zumeist auf deutschem oder polnischem Boden. Aller Wahrscheinlichkeit nach war er jedoch völlig aufrichtig, als er bestritt, diese Lager gesehen zu haben, und es ist keineswegs zu vermuten, daß er ihren kompromißlosen völkermordenden Zweck erriet. Die erbarmungslosen Leute, die diese Lager verwalteten, hielten sich abseits und versteckten die Lager in entlegenen Landesteilen. Unkontrolliertes Gerede über solche Themen wurde konsequent durch abschreckende Strafen unterdrückt, die gegen Gerüchtemacher verhängt wurden. Zudem war fast jeder Informationsaustausch durch eine wirkungsvolle Nachrichtenzensur und die sorgfältige Abschirmung von Einzelpersonen unterbunden. Diese Abschirmung reichte quer durch die Regierung und den Militärapparat, so daß möglichst wenige wahrnahmen, was sich im großen und ganzen oder auch nur in ihrer unmittelbaren Umgebung abspielte. Trotzdem müßte Guderian in seiner Stellung etwas gewußt haben. Zum Beispiel kann von Barsewisch, der angibt, daß er 1939 von den Grausamkeiten unterrichtet gewesen sei und daß ihn dies vom Nationalsozialismus abgebracht und zur Widerstandsbewegung bekehrt habe, es kaum versäumt zu haben, dies Thema anzuschneiden, als er während einer vierstündigen Aussprache am 18. Juli 1944 Guderian zu bewegen versuchte, sich dem Widerstand anzuschließen. Vielleicht war es so, daß Guderian diesen Dingen einfach keinen Glauben zu schenken vermochte - die ganze entsetzliche Geschichte ging wirklich in kein normales menschliches Gehirn. Nach einer Konferenz, die unmittelbar auf Guderians Appell an Himmler erfolgte, sprach Hitler unter vier Augen mit Guderian und schlug, in Anbetracht der Tatsache, daß Guderians Herzbeschwerden sich offenbar verschlimmert hatten, vor, er möge einen vierwöchigen Erholungsurlaub antreten. Guderian wollte davon nichts wissen, weil nach den Verletzungen von Wenck und Krebs niemand mehr da war, der als Vertreter hätte einspringen können. Hierbei scheint es keine Anzeichen für eine drohende Abberufung gegeben zu haben, und Guderian unterläßt es auch, auf den Charakter einer solchen Veränderung einzugehen. Dennoch ist es naheliegend zu vermuten, daß Hitler, wieder einmal auf Guderians Manöver hinter seinem Rücken aufmerksam geworden und im Gefühl, daß sich zuviel Einfluß um den Chef des Generalstabes sammelte, entschlossen war, dem ein Ende zu bereiten. Das Vorschieben gesundheitlicher Gründe war inzwischen die Standardrechtfertigung, um Leute abzuberufen, die lästig geworden waren. Hitler selbst befand sich in einer schrecklichen Verfassung. Sein Urteil litt unter körperlichen und geistigen Verfallserscheinungen.
Am 23. März brachte Burgdorf das Gespräch auf Guderians Zukunft. Er gab sich eilig und deutete an, er habe einen Kandidaten für die Nachfolge. Eine Entscheidung wurde wiederum nicht getroffen, da die Ärzte weder Wenck noch Burgdorfs Erwählten, Krebs, gesundschreiben wollten. An diesem Tage überschritten im Westen die Alliierten mit starken Verbänden den Rhein, und im Osten begann die 9. Armee unter General Busse einen Versuch, die in Küstrin abgeschnittene Garnison zu befreien. Küstrin wurde zu einer teuer bezahlten Niederlage. Nach Heinrici, auf den sich Cornelius Ryan in seinem Buch Der letzte Kampf bezieht, bestand Guderian auf einer Wiederholung des Entlastungsangriffs. Auch Hitler war dafür. Als Heinrici die Ansicht vertrat, es sei besser, wenn die belagerten Truppen ausbrächen, reagierte Guderian heftig auf diesen Vorschlag: »Der Angriff muß stattfinden!« rief er. Am 27. März wurde angegriffen, und es gelang auch nach aufopferndem kämpferischem Einsatz der Soldaten, Küstrin zu erreichen. Innerhalb von Stunden wurde jedoch die Entlastungsstreitmacht von den Russen zurückgeschlagen, die an Artillerie und Panzern weit überlegen waren. Im Westen fiel zur gleichen Zeit Frankfurt am Main an die Amerikaner, die sich mit den Franzosen und Briten fast ungehindert auf Mitteldeutschland zu bewegten. Guderian führt aus, daß er den letzten Angriff bei Küstrin habe verhindern wollen und daß bei der Konferenz am 27. März Hitler das Abschneiden der Truppen und Busses Fähigkeiten scharf kritisiert habe. Guderian brachte unwiderlegliche Beweise bei, daß alles nur Mögliche getan worden war und beschrieb dies in einem deutlichen Bericht. Er erkannte zweifellos, wie sehr seine Stellung bedroht war und machte jede Anstrengung, sie wieder zu festigen. Um weitere Informationen zu sammeln, bat er um die Erlaubnis, die Front besuchen zu dürfen und persönlich die Situation zu untersuchen. Hitler lehnte ab und wies statt dessen Guderian und Busse an, bei der nächsten Besprechung am 28. März vor ihm zu erscheinen. Was bei dieser Besprechung vor sich ging, liegt im dunkeln - wenig überraschend, da die Spannung von Anfang an hoch war und Gefühlsmomente überwogen. Im wesentlichen warf Hitler Busse Fahrlässigkeit vor, und Guderian widerlegte ärgerlich jedes Wort Hitlers. Es ist schwer zu entscheiden, ob diese Szene mehr Sprengstoff enthielt als vorausgegangene direkte Konfrontationen Guderians mit Hitler. Daß Hitler sich gerüstet hatte, steht fest. Sobald zu erkennen war, daß Guderian nicht beabsichtigte zurückzustehen, sorgte Hitler dafür, daß jeder außer ihm selbst und Keitel den Raum verließ. Die übrigen mögen einen dramatischen Ausgang befürchtet oder ersehnt haben. Ihnen war klar, daß Guderian sein Leben aufs Spiel setzte. Warlimont schreibt von »vorbildlicher Zivilcourage, als er sich am 28. März auch noch ein
weiteres Mal schützend vor seine Untergebenen stellte«. Es ist dabei unerheblich, daß Warlimont (der im September aus dem OKW ausgeschieden war und daher die meiste Zeit, in der Guderian als Chef des Generalstabes des Heeres fungierte, nicht miterlebte) nichts von den zahlreichen anderen Gelegenheiten wußte, bei denen »vorbildliche Zivilcourage« zum Ausdruck kam. Wichtig ist, daß der letzte große Chef des Generalstabes seinem Auftrag treu blieb und bis zum Ende für seine Überzeugungen kämpfte. Die Spannung erhielt einen jähen Knick. Hitler teilte Guderian in mildem Ton mit, er solle einen sechswöchigen Erholungsurlaub nehmen und dann zurückkehren, da »die Lage dann sehr kritisch sein werde«. Damit behielt er recht; zu dieser Zeit sollte Hitler tot sein und sein »Deutschland in Waffen« der Vergangenheit angehören. Sie trennten sich nach dieser Unterredung. Keiner bedauerte, den Rücken des anderen zu sehen, und Guderian war glücklich, davongekommen zu sein und frei entscheiden zu können, wohin er sich wenden wollte, ein Privileg, das ihm als dem einzigen General zugefallen war, der noch in den letzten Tagen des Dritten Reiches dem Führer Respekt abgetrotzt hatte. Er hatte viele Ideale geopfert. Da er sich daran erinnerte, wie das Fehlen einer intakten Armee 1919 Deutschlands Position bei der Aushandlung der Friedensbedingungen völlig untergraben hatte, war er bestrebt gewesen, allerdings vergeblich, das Heer zu retten. Im Verlauf dieser Bemühungen hatte er zunächst einen außergewöhnlichen Weg eingeschlagen, sich nämlich auf das Feld der Politik begeben und so die vornehmeren Grundsätze im Stich gelassen, die ihn üblicherweise leiteten. Aber die Maßstäbe von Politikern waren, wie er oftmals hatte erfahren müssen, anders als die von Soldaten - und Deutschland kam zuallererst. Nachdem er sich vom Stab in Zossen verabschiedet hatte, machten sich die Guderians nach München auf, wo er sich für einige Wochen einer Herzbehandlung unterzog; sein Herz war eher ermüdet als geschwächt. Dann, am 1. Mai, begab er sich wieder zum Stab des Generalinspekteurs, der in Tirol Zuflucht gesucht hatte, und am 10. Mai ging er, noch immer Generalinspekteur, in amerikanische Gefangenschaft.
11 DIE SCHLUSSETAPPE
Einer der erschütterndsten Widersprüche für Guderian war der plötzliche und katastrophale Umbruch, der in den wenigen Wochen nach seiner Entlassung als Chef des Generalstabes in seinen persönlichen Lebensumständen eintrat. Vom Inhaber eines der in Deutschland mit höchstem Ansehen verbundenen Ämter wurde er fast über Nacht zum Flüchtling und schließlich der Gefangene eines Feindes, der sich vorgenommen hatte, ihn als Kriegsverbrecher anzuklagen. Eben noch stand er vor Aufgaben, die vom Recht abgesichert, aggressivstes Vorgehen erforderten, gleich danach war er völlig in die Defensive zurückgeworfen, aus der heraus er die Rechtmäßigkeit seiner früheren Stellung zu beweisen hatte. Es war gewiß nicht seine unbedeutendste Leistung, daß er dieser raschen Schicksalswende mit einem gewissen Humor und gelassener Würde begegnete. Vorausgegangene Erfahrung mag ihm dabei geholfen haben. Die Absicht der siegreichen Alliierten, ihre geschlagenen Feinde sowohl als Personen wie auch deren Organisationen - vor Gericht zu stellen, bedrohte die Mitglieder des Generalstabes damit, sich wegen verbrecherischer Tätigkeiten verantworten zu müssen, die ihnen entweder als Individuen zur Last gelegt wurden oder aber als Mitgliedern von Organisationen - Generalstab und OKW -, die en bloc unter Anklage stehen sollten. So sah sich Guderian im eigenen Namen und als Mitglied des Generalstabes von den Amerikanern inhaftiert, ebenso wie viele seiner ehemaligen Gefährten in Triumph und Niedergang - darunter Halder, Thomale, Milch, Praun, List, Weichs, Blomberg und Leeb. Anfangs entsprach ihre Behandlung ganz dem, was ein Besiegter vom anmaßenden Sieger zu erwarten hat, und die Generäle waren zahlreichen Demütigungen ausgesetzt. Strik-Strikfeld berichtet: »Sein fester Charakter und seine Haltung bei Übergriffen der amerikanischen Wachmannschaften waren beeindruckend. So warf er sich einmal einem aufsässigen Sergeanten mit entblößter Brust entgegen, als dieser ihn mit seinem Karabiner bedrohte. Ich stand neben Guderian, und es gelang mir, die Waffe den Händen des rabiaten Amerikaners zu entwinden.« Strik-Strikfeld erlebte dann später noch einen Tag, an dem eine Anzahl russischer Offiziere, die auf deutscher Seite gekämpft hatten, auf den Rücktransport in ihre Heimat vorbereitet wurden, das heißt auf einen sicheren Tod als Verräter. List, Weichs und Guderian gingen zu einem jungen amerikanischen Captain hinüber, der sich stets korrekt, sogar freundlich verhalten hatte, und erklärten: »Wir protestieren! Die
russischen Kameraden dürfen nicht an die Sowjets ausgeliefert werden.« Der Captain erwiderte, er führe nur seine Befehle aus. »Noch heute sehe ich sie dort dastehen, zwei Marschälle und einen General, einst mächtige Männer, jetzt hilflos Bittende.« Allmählich verbesserten sich die Bedingungen für die Generäle. Die immer wiederkehrenden Verhöre halfen, die Zeit zu vertreiben, und den Verhörenden ihre Erfahrungen mitzuteilen, bot ihnen (obwohl die Befürchtung, sie würden ihren russischen Kameraden nachgeschickt, sie selten verließ) eine ausgiebige Gelegenheit, vergangenen Ruhm neu zu beleben und ihre Rolle bei der Schaffung der bemerkenswertesten Kriegsmaschinerie zu umreißen, die die Welt erlebt hatte. Guderian als Schöpfer der Panzertruppe als einer Schlüsselwaffe und einstiger Chef des Generalstabes des Heeres erhielt sogar den Rang einer entscheidenden Figur und gab anfangs von sich aus freimütig Auskünfte. Ein aufschlußreiches Bild Guderians vermitteln die vernehmenden amerikanischen Offiziere. Am 26. August 1945 befragte ihn Major Kenneth Hechler von der Infanterie über den Einsatz der Panzerkräfte in der Normandie. Der Gedankenaustausch in englischer Sprache war freundschaftlich und überraschte Hechler angenehm, weil er wußte, daß Guderian vorher gegenüber Offizieren der historischen Abteilung nicht allzu gesprächsbereit gewesen war. Guderian begrüßte Hechler kollegial: »Aha, auch ein Panzeroffizier!«, was Hechler skeptisch entgegennahm; »... das unvermeidliche Süßholz, aber sonst hatte ich nicht den Eindruck, daß er seine wirklichen Absichten verheimlichte, um etwas für amerikanische Ohren Schmeichelhaftes zu sagen. Er reagierte schnell auf alle Fragen, und ich glaube nicht, daß er auf besondere Wirkung oder eigenen Vorteil bedacht war.« Guderians Verhalten wechselte und schwankte je nach der Behandlung, die ihm zuteil wurde, und der Eigenart seiner Gesprächspartner. Längere Zeit verweigerte er jedes Entgegenkommen, weil er erfahren hatte, daß die Polen verlangten, er solle ihrer Gerichtsbarkeit übergeben werden. Aber der Zeitpunkt seiner Zurückhaltung war in mancher Hinsicht unglücklich gewählt, da er mit einer von den Amerikanern vorgesehenen Initiative zusammenfiel. Dr. George Shuster, der Leiter der Befragungskommission des US-Kriegsministeriums, schildert es so: »Nach einer Unterredung mit Guderian konnte ich mir zur Schaffung einer guten Geschichte der Strategie des deutschen Generalstabes nichts Erfolgversprechenderes denken, als Guderian in die Vereinigten Staaten zu bringen, um in irgendeinem Landhaus in Connecticut einen Sommer lang einen zwanglosen Dialog zu führen.« Shusters Idee wurde im Frühjahr 1946 aufgegriffen, als die Amerikaner begannen, über 200 frühere deutsche Generäle und Stabsoffiziere in einem Lager in Allendorf bei Marburg
zusammenzufassen, um möglichst viele Informationen von ihren einstigen Gegnern zu erhalten. Nach amerikanischer Einschätzung waren die beiden Männer mit der überragenden Qualifikation, die den deutschen Geschichtsschreibern als Koordinatoren beigegeben werden sollten, Halder und Guderian. Aber dies erwies sich sogleich als undurchführbar, da Guderian eine Periode durchmachte, in der er nicht zur Mitarbeit zu bewegen war und er und Halder überhaupt nicht miteinander redeten. Infolgedessen übernahm Halder die Rolle des Koordinators bei einem der denkwürdigsten historischen Forschungsprojekte, während Guderian, als er endlich einsah, daß er dabei nichts zu verlieren, sondern nur zu gewinnen hatte (am 18. Juni 1947, am Tag nach seinem Geburtstag, erklärte man ihm, alle Anschuldigungen seien fallengelassen worden), noch Randbeiträge lieferte und die wichtigsten Ergebnisse kommentierte, sowie jene, bei denen er seine spezielle Kenntnis in die Waagschale werfen konnte. Sowohl wegen des Einblicks in seine Denkweise als auch wegen der Art seines Beitrags zu den behandelten Themen sind seine Kommentare lesenswert. Vorurteile und Stolz vermischten sich mit sarkastischen Ausfällen, die ihm bei den Amerikanern besondere Anerkennung einbrachten. Aber mit der Bekundung von Ressentiments stand Guderian keineswegs allein: Gruppierungen bildeten sich um Halder mit den Traditionalisten auf der einen Seite und den Progressiven, darunter Guderian, auf der anderen. So wurde über die Generalfeldmarschälle von Blomberg und Erhard Milch (den Baumeister der Luftwaffe unter Göring) wie auch Guderian eine Art Scherbengericht abgehalten. Halder beispielsweise lehnte es ab, die von Milch dargebotene Hand zu nehmen. Ebenso war er nicht gewillt, über den Streit mit Guderian auch nur zu diskutieren. In dieser erlauchten Gesellschaft von Militärs bewarfen sich die Anhänger rivalisierender akademischer Richtungen mit verbalen Giftpfeilen, gewissermaßen um sich die Eintönigkeit der Gefangenschaft zu erleichtern, während sie - auf dem Papier - die Schlachten der Vergangenheit nach vollzogen. Eine Auseinandersetzung mit dem General der Infanterie Edgar Röhricht liefert ein gutes Beispiel dafür, wie bissig Guderian sein konnte, wenn man ihn herausforderte. Röhricht hatte es für richtig gehalten, als er in einem Papier - ein wenig unscharf aus dem Gedächtnis - die Ausbildungsorganisation des OKH beschrieb, die von der Panzertruppe angewandten Methoden zu kritisieren und die tiefsitzenden Antipathien der Infanterie gegenüber den Panzerleuten erneut aufzurühren. In seiner ersten Erwiderung schrieb Guderian: »Die Ausarbeitung läßt erkennen, daß dem Bearbeiter Ausbildungserfahrungen aus der Friedenszeit ebenso fehlten wie Kriegserfahrung« - eine böse Herabsetzung, da Röhricht auf vielen Gebieten große Erfahrungen
besaß, was Guderian wissen mußte. Guderian hielt sich mit der Beanstandung von Bemerkungen auf wie »... die von Anfang an bestehende Selbstherrlichkeit der Panzertruppe...« und faßte (zur Zufriedenheit der amerikanischen Herausgeber, die Röhrichts negative Passagen strichen) seine Ansichten so zusammen: »Auch über den Generalinspekteur der Panzertruppen weiß der Bearbeiter nicht Bescheid. Wer wurde durch den Generalinspekteur ‚gestört'? Durch den Generalinspekteur entstand weder ein ‚Nebeneinanderarbeiten' noch Uneinheitlichkeit der taktischen Auffassung, und erst recht ‚keine verhängnisvollen Folgen'.« Die wichtigsten Artikel, die Guderian für das amerikanische Projekt schrieb, bestanden in einer ausführlichen Darlegung der Ausbildung der Generalstabsoffiziere und einer Studie, die sein persönliches Konzept von der Struktur eines künftigen gemeinsamen Kommandos enthielt. In der letzteren entwickelte er einen ausgreifenden und umstrittenen Gedankengang, in dem er das Problem aus dem gemeinsamen Blickwinkel der Wehrmacht anging, anstatt sich auf die Sicht des Oberkommandos des Heeres zu beschränken, und in dem er seine Überzeugung von der entscheidenden Notwendigkeit eines solchen Konzepts darstellte und seine langgehegte Vorliebe für eine Zusammenlegung begründete. Halder behandelte Guderians Beitrag mit typisch scharfen, wenngleich nicht unsachlichen oder destruktiven Kommentaren. Leider war der Schlagabtausch zwischen den beiden ihrem Ansehen abträglich und sorgte zudem für Spaltungen. Unter Halders Anhängerschaft wurde die Unterstellung Mode, Guderian sei oberflächlich, wie Halder ihn in unwürdiger Unaufrichtigkeit charakterisiert hatte, und Guderian pflegte Halder der Außenwelt als von geringerem Kaliber hinzustellen, als dieser bemerkenswerte Mann tatsächlich war. Halder, der kühle Intellektuelle mit dem schulmeisterlichen Gehabe, und Guderian, der Mann dynamischer Ideen und Aktionen, wurden einer dem anderen wenig gerecht. Während dieser akademischen Periode hinter Gittern in der ungewohnten Rolle relativer Tatenlosigkeit - einem Lebensstil abgeschirmter intellektueller Aktivität, der ihm seit den Jahren nach 1920 verlorengegangen war - fand Guderian schließlich zu einer Gelöstheit, die man sich bis dahin nicht hätte vorstellen können. Seinem älteren Sohn, der als Generalstabsoffizier sein Mitgefangener war, erschien es fast wie ein Wunder, daß er zum erstenmal begann, Bridge zu spielen und das völlig unbekümmert. Darüber hinaus widmete er sich mit riesigem Vergnügen den Gemüsebeeten im Lager. Heinz Günther erinnert sich gern an jene Tage. 1948 beschrieben auch die Amerikaner seinen Vater als einen »sehr liebenswürdigen, fröhlichen Mann... mit ausgeprägtem Sinn für Humor«, aber zu dieser Zeit wußte Guderian
natürlich auch schon, daß er nicht an die Polen ausgeliefert oder sonst einem Gerichtshof überstellt werden würde. »Der gerade Weg«, wie er Gretel schrieb, »erweist sich auf die Dauer als der richtige.« Und als schließlich an seinem 60. Geburtstag im Juni 1948 seine Gefangenschaft beendet war (er wurde als letzter aus dem Lager bei Neustadt im Kreis Marburg entlassen. Allerdings hatte während der letzten sechs Monate Gretel bei ihm sein dürfen), zog er in ein Zimmer in einem Altersheim in Dietramszell in Oberbayern, wo Hindenburg viele Jahre lang seinen Urlaub in den zwanziger und dreißiger Jahren verbracht hatte. Hier begann er, an seinen Memoiren zu arbeiten, wozu er schon in der Gefangenschaft den Grundstein gelegt hatte. Sie wurden in Schwangau abgeschlossen, wohin er 1950 gezogen war und wo er mit dem ihn kennzeichnenden Enthusiasmus sowie ganz erstaunlichem Wissen zu gärtnern begann. Und wie es ältere Menschen zu tun pflegen, pflanzte er Bäume. Der Garten des Hauses, das er vor dem Krieg in Würzburg bewohnt hatte, ist heute ein kleiner Wald! Noch blieben Schlachten auszutragen, denen es jedoch an besonderer Würze fehlte. 1948 hörte er davon, daß Schlabrendorffs Buch Offiziere gegen Hitler, das schon in der Schweiz veröffentlicht worden war, in einer Münchner Zeitung als Serie erscheinen sollte. Den ernstlichen Angriffen auf Guderians Haltung mußte entgegengetreten werden, insbesondere der Behauptung, daß er die Verschwörer des 20. Juli verraten habe, um Chef des Generalstabes des Heeres zu werden. Außer Gericht fand ein langwieriges Gefecht statt mit einem Resultat, das in manchem einem Pyrrhussieg gleichkam. Immerhin stellten und stellen die Dokumente und die von Guderian und Thomale beschworenen Protokolle einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Widerstandes gegen Hitler dar. Als Schlabrendorff in der Münchner Abendzeitung einen Widerruf veröffentlichte, in dem es hieß: »Viel neues Material ist gefunden worden. Anhand dieses Materials ist eine Umarbeitung des Buches in Angriff genommen... Aus diesem Grund habe ich die Redaktion der Abendzeitung gebeten, davon Abstand zu nehmen, den Abdruck der alten Fassung des Buches Offiziere gegen Hitler fortzusetzen«, erschien sein Brief unter der Überschrift »Das Ende einer Legende«. Die Zeitung schloß daran einen eigenen Kommentar an, der den Hinweis enthielt, der gegenwärtig verhandelte Fall Halder zeige, daß von einem ernstzunehmenden politischen Widerstand gegen Hitler im Generalstab nicht die Rede sein konnte. Guderian wurde nie vor Gericht zitiert, weil Substantielles nicht gegen ihn vorlag. Den Rest seines Lebens verbrachte er zumeist in der Abgeschiedenheit, obwohl er laufend Briefwechsel mit Journalisten in der ganzen Welt pflegte und für die Interessen seiner alten Kameraden aller Dienstgrade eintrat. Dennoch tauchte gelegentlich sein Name als
Schuß im kalten Krieg zwischen Ost und West auf. Im Oktober 1950 verfaßte er eine Broschüre unter dem Titel Kann Westeuropa verteidigt werden? Ihr Erscheinen zielte zeitlich darauf ab, angesichts einer Phase erschreckender Schwäche in der westlichen Verteidigung Alarm zu schlagen, in der die NATO gerade versuchte, ihre Aufgabe wieder glaubhaft zu machen. Die Veröffentlichung wirbelte Staub auf. Die Londoner Times sprach vom Befremden der Leute gegenüber einer allzu vernehmlichen Stimme aus der eben noch verpönten deutschen Vergangenheit und gegenüber Guderians Schätzung, daß die Russen 175 Divisionen in Bereitschaft hielten, die sie auf 500 erhöhen könnten. 1951 erschien auf Wunsch von Guderians Verleger eine weitere Aufsehen erregende Schrift So geht es nicht, in der er unbeirrt und beschwörend die Ansicht so vieler vertrat, daß Deutschland nicht geteilt bleiben dürfe und daß die Gefahr bestand, daß die NATO, indem sie die Deutschen wiederbewaffnete, nur beabsichtigte, sie als die eigentlichen Verteidiger eines vereinigten Europas gegen die Drohung aus dem Osten zu benützen. In einem weiteren Ausblick äußerte er die Befürchtung, daß sich die Westmächte in Kämpfen im Fernen Osten verausgaben würden zum Schaden der vordringlichen Verteidigung Europas. Zweifellos um politischer Vorteile willen beuteten in diesem Jahr auch die Polen den Namen Guderian mit seiner alten Symbolkraft nackter deutscher Aggression für sich aus: sie beschwerten sich gegenüber den USA, Guderian leite eine Spionageorganisation, die »mit der sogenannten Guderian-Gruppe die amerikanischen Agenten nach Polen einschmuggle« - eine haltlose Anschuldigung. Diese kleinen Attacken und Störmanöver machten ihm kaum etwas aus, während das lebhafte Interesse von deutscher und ausländischer Seite an seinen Erinnerungen eines Soldaten (die die Kritiker anständig, wenn nicht überschwenglich aufnahmen) ihm guttat: Sie rangierten 1952 unter den Bestsellern in den USA (wo Guderian im März 1954 zum Ehrenmitglied der Mark-Twain-Gesellschaft ernannt wurde) und wurden ihn zehn Sprachen übersetzt, einschließlich Russisch, Polnisch und Chinesisch. Wenige Monate nach ihrem Erscheinen ging es mit Guderians Gesundheit bergab, und am 14. Mai 1954 starb er. Über seinem Grab feuerte der Bundesgrenzschutz einen letzten Salut ab, denn militärische Ehren blieben ihm verwehrt, da die deutsche Armee noch nicht wiedererstanden war. Noch in den letzten Lebenstagen stand für ihn fest, daß die Organisation, in der seine Karriere aufgegangen war, in Kürze neu geschaffen werden mußte. Verhandlungen zur Wiederbewaffnung Deutschlands waren im Gange. Im Oktober 1954 beschloß die NATO die Zulassung der Bundesrepublik, die dem Bündnis dann am 9. Mai 1955 beitrat - und die Aufstellung der Bundeswehr, einer einheitlichen Verteidigungsstreitmacht, die er wohl gutgeheißen hätte, wurde beschlossene Sache.
Den Abschluß der Tragödie dieses Mannes bildet, daß das neue Deutschland und seine Bundeswehr es noch immer unmöglich finden, ihm die verdiente offizielle Anerkennung zukommen zu lassen. Ein Plan aus den sechziger Jahren, Kasernen nach ihm zu benennen, bleibt unerfüllt.
12 SEHER, TECHNIKER, GENIUS ODER DEUTSCHLANDS BESTER GENERAL?
Es ist eine Frage der Phantasie, zu entscheiden, ob Guderian alle Anforderungen erfüllte, die an einen hohen Befehlshaber zu stellen sind, denn er hatte niemals ein völlig unabhängiges Oberkommando inne. Daher ist es unmöglich, seine Qualitäten auf dieser Ebene einwandfrei zu beurteilen, indem man die Kriterien des Feldmarschalls Lord Wavell anwendet, der erklärt, er betrachte als Oberkommandierenden im historischen Sinn nur den, »... der bedeutende Streitkräfte bei unabhängigem Oberbefehl in mehr als einem Feldzug geführt und seine Fähigkeiten in ungünstiger Lage wie auch im Erfolg bewiesen habe«. Wavells Stellung als Experte ist unbestritten: unter den neuzeitlichen Heerführern hält er einen beinahe einzigartigen Rekord im Bestehen der Widrigkeiten, die mit einem unabhängigen Kommando in diversen Feldzügen verbunden sind - in Sieg und Niederlage. Ebenso ist er als Autor mit einer profunden Einsicht in die Probleme der Feldherrnkunst anerkannt. Es sei daran erinnert, daß Erwin Rommel ein Exemplar von Wavells Unterweisungen an der Front mit sich trug, während andererseits Guderian kaum das Bedürfnis nach einem fremden Mentor verspürt zu haben scheint - vielleicht abgesehen von Füller. Nichtsdestoweniger bieten sich Wavells Maßstäbe an, Guderian als Feldherrn zu bewerten, sogar wenn die Anforderungen des Feldmarschalls zugrunde gelegt werden sollen, da Guderian notgedrungen die selbständige Befehligung großer Streitkräfte gegenüber den einschränkenden Richtlinien seiner Vorgesetzten heimlich durchzusetzen hatte. In der Tat muß Guderian entsprechend seiner Neigung zum Alleingang losgelöst von traditioneller Strenggläubigkeit, beurteilt werden, denn er ist nicht an den Vorstellungen seiner gehorsameren Zeitgenossen zu messen, von denen er so häufig in bewußtem Gegensatz Abstand hielt. Guderian stellte jene seltene Kombination eines Mannes dar, der Ideen besaß und zugleich die Fähigkeit und den Schwung, seine Eingebungen zu verwirklichen. Kein anderer General des Zweiten Weltkriegs - und kaum einer in der Geschichte - brachte es fertig, in so kurzer Zeit einen so weitgehenden und einschneidenden Wandel der Kriegskunst zu vollziehen, und keiner hinterließ so viele miteinander im Widerstreit liegende Ansichten. Die Fragen um diesen einzelgängerischen General richten sich deshalb auf die Wirksamkeit seiner Unorthodoxie (wenn solche wirklich im Spiel war) ebenso wie auf
das Maß seiner Einsicht und die Beständigkeit seines Charakters. War er Seher oder Empiriker, bloßer Techniker oder radikaler Genius? Vor allem: mußte er in einem Berufsstand, der aus strenger Disziplin und genormtem Verhalten lebt, als Element schädlicher Unterwühlung verdammt oder konnte er als Herold einer neuen Form militärischer Integration gefeiert werden? War er, indem er innerhalb der deutschen Armee eine einheitliche Panzertruppe schuf, der Grund für eine Aufspaltung dieser Armee? Oder war es von vornherein nutzbringend, daß er durch Errichtung eines Systems, das dem ersten Versuch, eine vereinheitlichte Verteidigungsstreitmacht herzustellen, nacheiferte, Bedingungen einbrachte, die vor der Last eines langen Abnutzungskrieges bewahrten, wie er 1918 zu Ende ging, und wieder Operationen von schneller und ökonomischer Natur erlaubten? Nach den Kriterien, denen Wavell einen Oberkommandierenden unterwarf, gibt es überreichliche Beweise für Guderians strategisches Vermögen. Der selbstbewußte Vorstoß im Rücken der gesamten polnischen Armee bei Brest-Litowsk als Höhepunkt der »Großen Manöver« im September 1939, dessen Durchführung und Bravour die Erwartungen des ihm übergeordneten Befehlshabers weit übertrafen, sprach deutlich für die Anwendbarkeit der von Guderian in 15 Jahren beinahe isoliert entwickelten Praxis. Der Durchstoß zur Kanalküste nach Überschreiten der Maas im Mai 1940 und Guderians ans Selbstmörderische grenzende Rücktrittsdrohung, als man seine Absichten blockierte, kann als Bestätigung dafür dienen, daß sein kühn verfochtenes Konzept des Bewegungskrieges von einer strategischen Tragweite war, die weit über das unmittelbar militärisch geboten Erscheinende hinausging; ganze Nationen erlagen einem in der Hand einer Elite, die durch die Geschichte hindurch höchst orthodox gewesen war. Das erstaunliche Tempo und die entschlossene Richtung des Vormarsches auf Smolensk und in die Ukraine im Sommer 1941, dazu das geschickte Jonglieren mit unzulänglichen Kräften, um eine beispiellose Serie von Umfassungsmanövern zu verwirklichen, standen wiederum für seine Begabung, Möglichkeiten ökonomisch auszunützen - auch wenn der weitere Verlauf des Rußlandfeldzuges mit der Niederlage der Wehrmacht sich zu einer Erfahrung persönlichen Rückschlags verkehrte. Bleibt noch als Beispiel meisterlicher Rückzugsstrategie das Hinhalten der russischen Armee vor den Toren Warschaus im August 1944 - ein bewundernswertes Haushalten mit geringfügigen Kräften, um eine planlose Flucht zum Stehen zu bringen. Unter eben diesen Voraussetzungen erhebt der sorgsame taktische Einsatz von Menschen und Material, die sich zu Beginn eines jeden Feldzuges in zahlenmäßiger Unterlegenheit befanden, und die häufige Erlangung einer durchschlagenden Kräftekonzentration an den
entscheidenden Punkten allein durch Überraschungsmomente Guderian in den Rang eines großen Feldherrn. Obwohl der Schlachtplan, der vorsah, 1940 über die Ardennen in Nordfrankreich einzudringen, ursprünglich von Manstein stammt, war es Guderian, der das Oberkommando bestärkte, indem er nachdrücklich in vollem Vertrauen an der Möglichkeit festhielt, die Masse mechanisierter Truppen durch schwieriges Gelände hindurchzuschleusen (ein damals völlig neuartiges Konzept). Auch war er es, der in Vorkriegserprobungen die Techniken gefunden hatte, die einen solchen Vorstoß nicht nur seinen eigenen Verbänden, sondern allen Teilen des deutschen Heeres erlaubten. Er nämlich hatte die einzigartigen Systeme der Logistik und Nachrichtenverbindung entwickelt, die motorisierte Truppen instand setzen, bis zu fünf Tage lang unabhängig zu operieren und schnell und flexibel auf Befehle der Führung zu reagieren. Hätte dieses System nicht vollendet funktioniert, wäre alles ein Fehlschlag geworden. Natürlich hatten die Taktiken, die die Deutschen mit solcher Selbstverständlichkeit während des gesamten Zweiten Weltkrieges anwandten (außer wenn nicht vorherzusehende Einflüsse hinzukamen), eine hervorragende Ausbildung zur Voraussetzung. Guderian stellt auch in diesem Zusammenhang Wavell zufrieden. Auf welche Ebene - Zug, Kompanie, Bataillon oder irgendeine höhere Formation - Guderian seine schöpferischen Gedanken ausrichtete, um Neues und Wirksameres zu finden, es wurden dort neue Höhen der Vollendung erreicht. Er begnügte sich nicht mit Träumen, Studien und Entwürfen, sondern baute praktische Organisationsformen auf und erläuterte seine Ideen mit einer lebendigen Ausdrucksfähigkeit, die seinen unwiderstehlichen Enthusiasmus und seinen Sinn fürs Praktische bezeugte. Er war absolut vielseitig, Ausbilder, Chef der gesamten Ausbildung und zugleich derjenige, der neue Methoden erarbeitete, die ihm reichlich Zeit ließen, in aller Schärfe die Verantwortlichen zu attackieren, die - wirklich oder vermeintlich - der Zukunft im Wege standen. Er hatte ein unerhörtes Talent, das Beste aus seinen Truppen herauszuholen oder seinen Vorgesetzten das Äußerste abzuringen; das trat nirgendwo mehr zutage als bei seinem Vorstoß in die Ukraine im August und September 1941. Hier wurden die widerlegt, die behaupteten, er »wisse die Leute zu nehmen«. Doch obwohl sich die Offiziere seines persönlichen Stabes und die Verbindungsoffiziere mit tiefster Bewunderung und Zuneigung an ihren General erinnern, waren wenige blind gegenüber seinen Mängeln. Probleme entstanden für Guderian ebenso häufig durch ihn selbst wie aus dem System oder durch den Feind. Seine Chefs des Stabes hatten gelegentlich Mühe, mit ihm und den Befehlen Schritt zu halten, die er ihnen aus der Entfernung übermittelte. Wie Walther Nehring, einer ihrer fähigsten, mir sagte, »pflegten seine Gedanken vorauszueilen und
mußte er manchmal zurückgeholt werden. Trotz seines gedanklichen Tiefgangs passierte es ihm auch, daß er ohne Gedankenpausen handelte«. Dasselbe wäre von Rommels taktischem Flair zu sagen wenn auch nicht von dessen Intellekt. Und was war mit den Soldaten, deren Gesichter sich in seiner Gegenwart aufhellten? Nun ja, sie wußten, was sie an ihrem General hatten. Obwohl er sie hart herannahm, gingen sie mit, da sie ihn als einen der Ihren ansahen und er wirklich an ihrer Seite kämpfte, wie es nur wenige Offiziere in seinem Rang je taten. Besonders im Krieg (vielleicht mehr noch als zu Friedenszeiten) waren die Soldaten angetan von seiner warmen Menschlichkeit, dem Kern jeder Führerschaft. Was ihn zu den aufopferndsten Angriffen auf die oberste deutsche Führung trieb, war die Überzeugung, daß sowohl sein geliebtes Land wie auch die Männer seiner Panzertruppe der Unfähigkeit zum Opfer fielen. Nehring ist auch behilflich, auf ein weiteres der Wavellschen Kriterien einzugehen: die Entscheidung über Guderians Energie und Durchsetzungsvermögen bei der Planung von Schlachten. In einem deutschen Heer, das so gut mit erfahrenen Offizieren von vorzüglichem Intellekt und enormer Antriebskraft ausgestattet war, erlangte Guderian einen überragenden Ruf wegen seines offenbar unerschöpflichen Einfallsreichtums und seiner äußersten Entschlossenheit, seine Vorstellungen durchzusetzen - wenn nicht sofort, so doch in absehbarer Zukunft. Diese Zähigkeit wurde von einer viel widerstandsfähigeren Robustheit getragen als im allgemeinen angenommen, denn während Guderian es zuließ, daß jedermann wußte, daß er ein schwaches Herz hatte (was er in hypochondrischer Manier kundtat, wie sie bei hohen militärischen Führern sonst nicht an der Tagesordnung ist, die ihre körperlichen Unzulänglichkeiten eher verstecken), hat es keinen Fall gegeben, in dem ihn mangelnde Gesundheit an der Erfüllung einer Aufgabe gehindert hätte. Jeder körperliche Zusammenbruch geschah kurz nach einer Folge aufreibender Ereignisse oder einem ganz und gar niederdrückenden Erlebnis. Schließlich, um dies herauszustellen, war es kein Herzversagen, an dem er starb. Nehring sagt über die Physis seines Chefs und seine Fähigkeit, Ideen in die Tat umzusetzen: »Er zeigte keinerlei Anzeichen von Anstrengung, weil er ein starker Mann war - der sich allerdings in nichts schonte. In Kampfzeiten fiel es ihm nicht schwer, Schlaf zu finden, um sich zu erholen, und er war ein Kommandeur, für den man sich bereitwillig einsetzte - bewundernswert durch seine Gabe zu ermutigen, witzig und mitreißend in seinen Bemühungen, das Beste aus einem herauszuholen.« Dann, mit großem Nachdruck: »Er besaß ein hohes Charisma!« Indessen sind strategische und taktische Befähigung, Eignung als Ausbilder sowie ausreichende Kraft und Willensstärke Eigenschaften, die
auch bei unbedeutenderen Führerpersönlichkeiten vorkommen mögen, ohne jedoch die Anforderungen an den Oberbefehl zu erfüllen. Eine weitere wesentliche Fähigkeit ist vonnöten - angesichts der Zentralisierung, die aus den komplizierten, von Nachrichtenoffizieren wie Fellgiebel und Praun geschaffenen Fernmeldesystemen erwuchs, vielleicht die unentbehrlichste: die Fähigkeit, produktiv mit Regierung und Verbündeten zusammenzuarbeiten. In Gemeinschaft mit Verbündeten hatte Guderian relativ wenige Tests zu bestehen und keinen von zermürbender Dauer. In der Eröffnungsphase seines Kommandos an der Front errang er seine Siege ausschließlich mit deutschen Truppen. Rommels Enttäuschungen beim Versuch, die eigenwilligen Italiener zu Zugeständnissen zu bewegen, blieben ihm erspart; auch die Mansteins, mit nachlassenden Rumänen und Ungarn zurechtzukommen, und die Dietls, die widerstrebenden Finnen in Schwung zu bringen. Als er im Abschlußstadium des Krieges Chef des Generalstabes war, besaß Deutschland in der Tat nur noch wenige Verbündete, und auch die zogen sich schon bald nach seinem Antritt zurück. Dennoch spricht nichts für die Annahme, daß er aus Mangel an Höflichkeit oder Einfühlungsvermögen nicht in der Lage gewesen wäre, zweckdienlicher mit anderen Nationalitäten zu verhandeln, denn er war als Deutscher ohne rassische Vorurteile. Man darf sich gern daran erinnern, daß vom japanischen Botschafter kredenzte Getränke ihn vor einem denkwürdig heftigen Disput mit Hitler im Februar 1945 in die richtige Stimmung versetzten. Im Verhältnis zur Regierung - und in den meisten Angelegenheiten bedeutete das zu Adolf Hitler - fällt es wegen der Schwierigkeit und Unberechenbarkeit des Diktators weniger leicht, zu einem positiven Schluß zu kommen. Zwischen ihnen scheint eine Art gegenseitigen Verstehens bestanden zu haben, möglicherweise ein echtes Einvernehmen, das auf Guderians Seite durch den Glauben gestärkt wurde, der Führer könne in Tagen der Verzweiflung zum Retter Deutschlands werden, neben seiner Rolle als Förderer der kämpfenden Panzertruppe. Als die Drohung des Krieges noch fern war, stützte Guderian in ihm einen Mann, von dessen Entschlossenheit zu Konfrontationen und Konflikten er nichts ahnte, der ihm aber »das scharfe Schwert« in die Hand gab, das einen kurzen Krieg ermöglichte die einzige Art von Krieg, die Deutschland siegreich bestehen konnte. Und während dies Guderians Ehrgeiz anstachelte, stärkte es auch Hitlers Stellung gegenüber den deutschen Generälen, die hinsichtlich des Tempos und der Form eines militärischen Wiederaufbaus uneinig waren. Die Spaltung in den Reihen des Generalstabes rührte nicht nur zu einem Teil von Guderian her, sondern kam auch Hitler bei seiner Abneigung gegen den Generalstab gelegen.
Die Anstrengungen seiner Spitzen vor dem September 1939, Guderians Position einzuschränken, und die seither fortdauernden Bemühungen, ihn in ein ungünstiges Licht zu setzen, standen im Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen Staat und Armee. Diese Intrige war von tiefgründiger Komplexität, da sie die gegensätzlichen Emotionen widerspiegelte, die durch schnellen Wandel einer Institution hervorgerufen wurden. Die älteren, zurückhaltenderen Mitglieder des deutschen Generalstabes wandten sich instinktiv gegen die Dynamik einer stark überzeugenden Persönlichkeit, die radikalen Wechsel anstrebte - was sollte daran überraschen? Inmitten des alle Kräfte bindenden Kampfes, der Guderian am Vorabend des Krieges umtobte, erscheint es weniger gravierend, daß er zu den letzten gehörte, die erkannten, welches Übel und Risiko Hitler darstellte. Nicht nur, daß die Wahrheit von Hitler verschleiert wurde, auch die Gegnerschaft seiner militärischen Vorgesetzten, ihre Feindseligkeit zwischen 1939 und 1941 nährten zwangsläufig Guderians unheilvolle Überzeugung, Hitler müsse vor der Unfähigkeit seines eigenen Oberkommandos bewahrt werden. Es ist leicht zu kritisieren, daß Guderian seine Versuche nicht aufgab, den Größenwahnsinnigen zu belehren, bis er endlich 1942 dazu kam, das Versagen des Führers zu entdecken. Hier gilt es zu erkennen, wie unangreifbar Hitlers Stellung war und hervorzuheben, daß jegliche Hoffnung auf einen Wandel, die 1943 noch verblieben war, allein durch indirekte Einflußnahme innerhalb des Systems und nicht durch direkte Aktion von außen realisiert werden konnte. Das letztliche Scheitern der aktiv Widerstand Leistenden im Jahre 1944 unterstreicht diesen Standpunkt. Hitler nutzte Guderians Loyalität nur hemmungslos aus, und zwar ohne Gegenleistung. Im Umgang mit dem Staatsoberhaupt und dessen Vasallen - unter ihnen brillante Männer - trat Guderians eigentliche Charakterstruktur zutage, die bei schärfster Beurteilung nicht ganz den anspruchsvollsten Forderungen Wavells entspricht. Guderian gelang es wie Wavell nicht, ein ersprießliches Arrangement mit seinem politischen Gebieter herzustellen. Die damit verbundenen Gefahren waren allerdings für Wavell weniger schwerwiegend: als er sich schroff und dennoch wirkungsvoll Churchill entgegenstellte, setzte er lediglich seine Karriere aufs Spiel. Guderian dagegen riskierte (wenn er Hitlers Wünschen zuwiderhandelte) einen Angriff auf Leib und Leben nicht nur für sich, sondern auch für seine Familie. Seine politische Grundhaltung in den späteren Jahren muß im Licht der Erkenntnis gesehen werden, daß Opposition gegen Hitler besonders zum Schluß des Krieges tödliche Konsequenzen haben mußte, ohne im mindesten zu nützen. Obwohl Guderian infolge fast ausschließlich militärischer Erziehung sicherlich in Heeresbelangen über Weitblick verfügte und sich auch in kritischen Augenblicken seiner Laufbahn als politisch einsichtig erwies,
kann doch nicht mit Überzeugung behauptet werden, daß er jenen angeborenen Sinn und jenes Urteil für Politik besaß wie in ihrer Begabung politisch ausgerichtete Soldaten wie von Schleicher und von Reichenau. Guderian verkannte oftmals die Warnzeichen kommender Veränderung und konnte nicht, wie es über von Reichenau hieß, »das Gras wachsen hören«. Nicht daß Schleicher oder Reichenau, die dazu beigetragen hatten, die Nazis zu fördern, es fertigbrachten, mit unfehlbarer Genauigkeit in der Zukunft zu lesen, aber sie bemerkten zumindest die Gefahren, die dem Nazitum innewohnten und unternahmen Schritte, wenngleich stümperhaft und verspätet, um ihn aufzuhalten. Guderian dagegen neigte dazu, der offiziellen Linie Glauben zu schenken und zu lange vertrauensselig zu bleiben - ohne die Folgen einzuschätzen. Ironischerweise war er, der radikal wirksame militärische Pläne schuf, anfällig für überaus verderbliche politische Vorstellungen. Seine Bereitwilligkeit, sich 1919 in den baltischen Staaten auf die Seite der Extremisten zu stellen, seine Unterstützung des Naziprogramms Mitte der dreißiger Jahre, sein Nachvollziehen von Hitlers Dogma und politischen Ränken tragen die Merkmale eines oberflächlichen Verständnisses von politischen Motivationen und deren Bedeutung. Es sei aber hinzugefügt, daß er nur einer von vielen war, die sich in und außerhalb Deutschlands täuschen ließen. Während es für ihn jedoch zur Gewohnheit geworden war, militärische Anschauungen zu bekämpfen, die seinem geschulten Urteilsvermögen zuwiderliefen, gibt es nur spärliche zeitgenössische Hinweise, nach denen er politisch verabscheuungswürdige Ideen aufgespürt und zurückgewiesen hätte. Es ist irrig, anzunehmen, daß die deutschen Offiziere sich von der Welt jenseits der Kasernentore absonderten; der Generalstab hörte regelmäßige Vorträge von qualifizierten Leuten über wichtige Themen. Aber dieses Ventil versagte, weil so viele intellektuelle Persönlichkeiten das Land verlassen oder ihre Integrität der Naziideologie geopfert hatten, um selbst zu überleben. Eine objektive, unvoreingenommene Darstellung war nicht mehr möglich, sobald führende Intellektuelle aus allen Berufen mundtot gemacht wurden oder bei ihrem Urteil unter Druck standen. Ihr mangelnder Protest gegen die Nazis, als diese sich erst etablierten, trug erheblich dazu bei, daß Deutschland in unterwürfige Gewissenlosigkeit versank. Guderian, gleich den unteren Chargen des Generalstabs und dem übrigen Volk, war einem unwidersprochenen Übel ausgeliefert. Er wie sie alle wurde durch schädliche Einflüsterungen und weil sie kein ausreichendes Interesse an der doktrinären Politik und den Tagesereignissen aufbrachten, politisch um so unmündiger. Sie hatten sich in einer typisch deutschen Neigung verstrickt, der Suche nach
einem Ideal und dem Übereifer, es auf den Sockel zu heben, ohne sich näher mit seinem Inhalt zu befassen. Als Guderian 1944 an die Spitze des Generalstabs des Heeres rückte, war die Lage bereits so verfahren, daß er nur noch eine verschwindende Chance hatte, dem politischen Strom eine andere Richtung zu geben oder ihn gar umzulenken, der seit 1938 so sehr die Kontrolle Hitlers unterstanden hatte, als dieser nacheinander die Autorität des Kriegsministers, des Oberbefehlshabers des Heeres und seines Chefs des Generalstabes untergrub. Als er sich nach dem Krieg auf seine Ereignisse bezog, schrieb Guderian richtigerweise: »Die jüngeren Offiziere legten das Schweigen der verantwortlichen Spitzen zu all den Eingriffen, die sie jetzt so scharf verurteilen, so aus, als ob diese damit einverstanden gewesen wären. Die jüngeren Offiziere konnten sich nicht vorstellen, daß ihre Vorgesetzten eine angeblich klar erkannte, ungünstige, ja verderbliche Entwicklung kampflos und ohne die Folgerung für ihre Person zu ziehen, hinnehmen würden. Gerade dieses aber geschah, und zwar zu einer Zeit, als es noch möglich gewesen wäre, Widerstand zu leisten - im Frieden!« Und doch scheint Guderian in den Nachkriegsdokumenten, in denen er die rasche Schaffung des Überbaus eines Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) in der Zeit der Wiederbewaffnung und des Krieges über das bestehende und unzweckmäßige System eines unabhängigen Kommandos aller drei Wehrmachtteile kommentiert, nicht voll die Auswirkungen der Beseitigung eines wesentlichen politischen Gegengewichts gewürdigt zu haben. Er spielt die dadurch eintretende politische Zersetzung herunter, während er die militärischen Vorteile eifrig verteidigt. So spürte er dann als Chef einer politisch entwerteten Organisation (OKH) die Zugluft, da er des direkten Einflusses auf das Staatsoberhaupt beraubt war, den er so dringend gebraucht hätte. Man kann es als Ironie des Schicksals bezeichnen, daß er deshalb im Winter 1944/45 gezwungen war, sich gerade auf die Art von Intrige mit Politikern einzulassen, die Seeckt mißbilligte und die Guderian selbst in der Vergangenheit demonstrativ verurteilt hatte. Aber in der verzweifelten Bemühung, auf die Regierung einzuwirken und den Krieg zu beenden, bevor Deutschland geschlagen war, verzichtete man auf Seeckts Regeln und Prinzipien. Guderian scheiterte bei seinem Versuch ebenso, wie wohl jeder andere Reformer an der festgefügten Nazihierarchie jener Zeit gescheitert wäre. Es gab einfach niemanden mehr mit genügend Mut und Einfluß, um Hitlers Entschlüsse zu ändern oder diesen geistesgestörten Demagogen und seine Speichellecker zu verjagen. Natürlich ist es erlaubt zu fragen, ob Guderian 1938 erfolgreich hätte Widerstand leisten können, doch ist eine solche Spekulation nutzlos. Um erfolgreich zu sein, wo Beck, Brauchitsch und Halder scheiterten und so Wavells höchsten Ansprüchen zu genügen, dazu
fehlte es Guderian am nötigen Alter und Prestige - erst die Zeit und der Krieg halfen dem nach. Inzwischen aber behandelte Hitler ihn wie die übrigen mit »verächtlicher Geringschätzung«. Es ist eine historische Travestie, obwohl vielleicht nur eine Übergangsphase, daß sich das deutsche Volk nur in bescheidenem Maß der Verdienste seiner Generäle bewußt ist, die zudem von übelwollenden Kritikern herabgesetzt worden sind. Die Furcht vor einer Kaste besteht und wird wachgehalten. 1965 kritisierte Die Zeit den Vorschlag der Bundeswehr, eine Heereskaserne nach Guderian zu benennen, weil sein Charakter nicht richtungweisend sei und er ein unpassendes Vorbild abgebe, da sein Verhalten nicht immer vorbildlich gewesen sei. Die böswilligen Unterstellungen in bezug auf seine Haltung im Sommer 1944 wurden mit journalistischem Eifer erneut hochgespielt, und obwohl eingeräumt wurde, man könne ihm keinen Vorwurf daraus machen, nicht direkt bei der Verschwörung mitgewirkt zu haben, da es sich um eine sehr schwierige Gewissensentscheidung gehandelt habe, wurde die Anspielung auf Guderians Unwürdigkeit nur schwach verhüllt. Es gehört zu den rätselhaften Vorgängen um Guderian, daß er sich entschied, sein Wissen um den Versuch, Hitler zu töten, und sein stillschweigendes Einverständnis (auch seinem Sohn gegenüber) zu verschweigen und daß er, indem er seine Verurteilung von Mord als politischer Lösung aufrechthielt, es absichtlich zuließ, daß sein Volk ihn eher tadelte, denn daß es ihm Beifall spendete. Im Ausland ist Guderian großzügiger behandelt worden, wenn auch zugegebenermaßen in erster Linie als Autor der Erinnerungen eines Soldaten und als Prophet und Architekt jenes Typs der Kriegführung, die heute als die beste gilt. Wann immer Panzerstreitkräfte einen neuen Sieg erringen, pflegt man den Namen Guderian zu erwähnen. Wie kann man ihn also einordnen? Als Seher? Streng vom militärischen Standpunkt aus kann die Frage mit einem qualifizierten »Ja« beantwortet werden, da er die Kriegführung der Zukunft voraussah. Als Techniker? Mit Sicherheit, da er seine visionäre Erkenntnis mit der seinem Berufsstand eigenen Hingabe zum Tragen brachte, um eine Maschinerie zu schaffen, die so perfekt funktionierte, wie dies in einem Krieg nur möglich war. Als Genie? Seine begnadete Fähigkeit, Ideen in Wirklichkeit und Aktion umzusetzen, indem er einen machtvollen Einfluß auf Meinungen und Gefühle, Geist und Methode ausübte, konnte ebensowenig übersehen werden wie er selbst als Person. Es war sein letzter Chef des Stabes, Thomale, der ihn »Deutschlands besten und verantwortungsvollsten General« nannte. Als unbefangenes Urteil möge das seiner Befrager herangezogen werden, das der skeptischen amerikanischen Offiziere, die nach dem Krieg diesem erstaunlichen General an den Tischen der Gefängniszellen gegenübersaßen und deren anfänglich kritische
Einstellung zu seinem Feind gegen Ende in Respekt, wenn nicht Bewunderung umschlug. Dort hieß es: »Die militärische Laufbahn Heinz Guderians reicht für sich genommen aus, um seine Fähigkeit als Organisator, Theoretiker und entschlußfreudiger Kommandeur im Feld zu beweisen.« Für sie behielt er »seine außerordentliche intellektuelle Integrität, seine feste und kompromißlose Haltung, seine Unempfindlichkeit gegen äußeren Druck und seine Mischung aus Höflichkeit und Galgenhumor. Er ist ein Mann, der schreibt, was er denkt und der seine Meinungen nicht ändert, um seiner Umgebung zu gefallen.« Dieses Urteil der Amerikaner, wenn man es neben das Wissen um die Loyalität dieses Mannes hält, wird Wavells Forderungen in reichem Maße gerecht, daß ein General »Charakter besitzen muß« - was, wie er fortfährt, »einfach bedeutet, daß er weiß, was er will und den Mut und die Entschlossenheit aufbringt, es zu erreichen. Er sollte eine aufrichtige Auffassung von Humanität haben, über das Rüstzeug seines Berufes verfügen und zu allererst über das, was man Kampfgeist nennt, den Willen zum Sieg«. Was aber sagt die abschließende Analyse über diesen Mann als leidenschaftlichen Menschen, der so zärtliche Briefe an seine Frau schreiben konnte und imstande war, tiefe Sorge um Hitler zu empfinden: »... alles war und blieb ihm fremd: Freundschaft zu edlen Männern, die reine Liebe zu einer Frau, die Liebe zu den eigenen Kindern...« Es sind die von ihm ausgehende Wärme und seine Freude an den herzlichen Gefühlen anderer Menschen, die ihn unter den großen Generälen so hervorheben. Ganz in seinem Beruf aufgehend, erfüllte er unter äußerst wechselvollen und schwierigen Umständen treu seine Pflicht.
NACHWORT
Kenneth Macksey, ehemaliger britischer Panzeroffizier und in der Englisch sprechenden Welt bekannter Autor über militärgeschichtliche Themen, hat als erster den Versuch unternommen, eine Biographie meines Vaters zu schreiben, die das vorhandene Quellenmaterial einbezieht. Er hat viel Verständnis und Einfühlungsvermögen aufgebracht und sich aufrichtig bemüht, sowohl meinem Vater als auch uns Deutschen gerecht zu werden. Er hat versucht, manchen schwer erklärbaren Fragen auf den Grund zu gehen und dabei nicht unbeträchtlichen Spürsinn entwickelt. Ich habe Kenneth Macksey gern geholfen, ihm alle Unterlagen zugänglich gemacht, die ich besitze, habe aus Archiven und Literatur weitere beschafft, ganz gleich, ob sie für meinen Vater sprachen oder ihn angriffen. Ich habe mit Kenneth Macksey viele Probleme diskutiert, in aller Offenheit und immer mit dem Ziel, der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen. Dieses Ziel ist leicht zu erreichen bei beiderseitigem Willen dazu und beim Vorliegen beweiskräftiger Unterlagen. Oft helfen noch lebende Zeugen, die ein gutes Gedächtnis besitzen und natürlich auch den Willen zur Wahrheit. Aber sehr schnell entstehen trotz besten Willens der Befragten Legenden. Ich selbst bin ein Zeuge für viele Fragen dieser Art und glaube, in der Lage zu sein, auch Dinge um meinen Vater zu klären, an denen ich nicht unmittelbar beteiligt war. Manches entzieht sich allerdings auch meinem Beurteilungsvermögen. In diesem Geist fand die Diskussion zwischen Kenneth Macksey und mir statt. Sie war für mich nicht immer ganz einfach, da ich sie in englischer Sprache führen mußte und da nicht alle Quellen für mich offenlagen, auf die Kenneth Macksey sich stützte. Zudem stand diese Suche nach der Wahrheit unter Zeitdruck und konnte daher nicht immer zu einem allseits befriedigenden Abschluß geführt werden. So konnte ich einiges mir nicht ganz richtig Erscheinende nicht zurecht-, manch eigenwillige Urteile nicht geraderücken und manch kühne Schlußfolgerungen des Autors nicht auf das eindeutig Beweisbare zurückführen. Solche Stellen beeinflussen nicht nur das Bild meines Vaters, sondern zu meinem Bedauern auch das einiger anderer Persönlichkeiten. Manche Urteile über die preußisch-deutsche Geschichte entstammen fremden Vorurteilen, zum Beispiel das über die Verantwortung Kaiser Wilhelms II. am Ausbruch des Ersten Weltkrieges oder das über die Freikorps. Doch das Aufführen dieser geringen Schwächen soll die Gesamtleistung des Autors und den Gesamtwert des Buches nicht
mindern. Das wäre ungerecht und undankbar. Kenneth Macksey hat Charakter und Leistung meines Vaters im ganzen richtig erkannt und gewürdigt. Und es ist gut, daß sein Buch nun auch in deutscher Sprache erscheint, da sich bislang kein deutscher Historiker diese Aufgabe gestellt hat. Heinz G. Guderian
BIBLIOGRAPHIE
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Roher, J. u. a.: Decisive Battles of World War II: The German View, Deutsch 1965 Ryan, C: The Last Battle, Collins 1966 Schlabrendorff, F. von: Offiziere gegen Hitler, 1946; The Secret War against Hitler, Pitmann 1965 Seaton, A.: The Russo-German War 1941 -1945, Barker 1971 Seeckt, H. von: Thoughts of a Soldier, Benn 1930 Speer, A.: Inside the Third Reich, Weidenfeld and Nicolson 1970 Speidel, H.: Invasion 1944: Ein Beitrag zu Rommel und des Reiches Schicksal, 1949 Strik Strikfeld, W.: Against Hitler and Stalin 1941 -1945, Day 1970 Warlimont, W.: Inside Hitler's Headquarters, Weidenfeld and Nicolson 1964 Watt, R.: The Kings Deport, Simon and Schuster 1968 Wheeler-Bennett, J.: The Nemesis of Power, Macmillan 1953 Winterbotham, F.: The Ultra Secret, Weidenfeld and Nicolson 1974
PERSONEN- UND SACHREGISTER
Aa-Kanal 170 f. Abbeville 12, 167 f. Abhörnetze 79 Abnutzungskrieg 34 Achtung -Panzer! 65, 103, 157, 172, 185 Afrika, Landung in 181 Aisne 38 Allendorf 292 Alliierte: Landung in Nordwestafrika 233 - in Italien 253 Invasion in der Normandie 261 Altrock, G. von 68 Amiens 40, 143 Ardennen 142, 299 - Projekt 279 Arlon 142 Arras 168 Attigny 174 Aufrüstungsprogramme 85 Bach-Zelewski, E. von dem 273 Balck, H. 116 Barsewisch, K. von 201, 203 Bartenstein 51, 53 f. Bayerlein, F. 213 Bayreuth-Dragoner 71 Beaulieu, C. de 77, 78 Beck, L. 92, 110 Below, G. von 207 Beresina 197 Bermondt O. 51 Bethenville 176 Bialystok 130 Bischoff, J. 44, 50, 52 Bismarck, O. von 16 Blitzkrieg 103 Blomberg, W. von 73, 81, 83, 105, 290 Blumentritt, E. 200 Bobruisk 193 Bock, F. von 120, 183 Bofors 68 Bois Martin 30 Bois Mont Dieu 157 Boulogne 167 ff. Bouvellement 159 Brahe 120, 122, 125
Brauchitsch, W. von 69, 105, 138, 147, 181 f., 207 Brest-Litowsk 128, 132, 188, 193, 298 British Tank Corps 32 Bug 130, 188 Bundeswehr, Aufstellung der 296 Burgdorf, W. 277 Busch, E. 139, 147 Busse, Th. 287 Calais 167 ff. Cambrai 35, 54 Canal du Nord 167 Cannae 34, 70 Caporetto 37 Caulaincourt, A. 186 Caumont 177 Chalons 77 Charkow 139 Chateau Porcien 174 Chemery 156 Cherbourg 174 Churchill, W. 240 Clausewitz, K. von 15 Crochte 172 Cyrenaica 230 Dänemark 145 Daimler-Benz 68 Deipenhof 231, 263 Dercy 161 Deutsches Heer (1. u. 2. Weltkrieg): Bataillone Jägerbataillon Nr. 9 15 Hannoversches Jägerbataillon Nr. 10 17 f., 55 3. Telegraphenbataillon 21 3. (Preußische) Kraftfahrabteilung 77 7. (Bayrische) Kraftfahrabteilung 61 Regimenter Flak-R. 93 Infanterie-R. »Großdeutschland« 156 ff., 188 Schützen-R. 1 154, 159 Schützen-R. 3 122
145,
Brigaden Eiserne Brigade 44 35. Infanterie-B. 19 3. Schützen-B. 122 Divisionen 5. Kavallerie-D. 21 Eiserne Division 44, 54 1. Panzer-D. 145, 150, 158, 170, 176 2. Panzer-D. 96, 139, 150, 158 f. 3. Panzer-D. 120, 122 f., 131, 144, 209 4. Panzer-D. 129, 144 5. Panzer-D. 144 6. Panzer-D. 150, 158 7. Panzer-D. 144, 168, 174, 216 8. Panzer-D. 159 9. Panzer-D. 144 10. Panzer-D. 128 f., 132, 144, 150 11. Panzer-D. 215 18. Panzer-D. 198 2. (mot.) Infanterie-D. 128 14. (mot.) Infanterie-D. 215 20. (mot.) Infanterie-D. 120 f., 132 SS-Panzer-D. »Das Reich« 216 SS-Panzer-D. »Leibstandarte Adolf Hitler« 171, Volksgrenadier-D. 276 Armeekorps I. Kavalleriekorps 21, 26 II. Kavalleriekorps 27 VIII. Armeekorps 19 XII. Armeekorps 189 XIV. Armeekorps 145, 158 XV. Armeekorps 144, 149 XVI. Armeekorps 116, 120, 144 XIX. Armeekorps 119, 122, 129, 158, 172, 192 XXI. Armeekorps 129, 131 XXXXI. Armeekorps 145, 149, 173 f. XXXXIX. Armeekorps 144, 173 XXIV. Panzerkorps 188, 202 XXXXXVI. Panzerkorps 188, 214, 219 XXXXVIII. Panzerkorps 220, 221 Panzergruppen - 1 220 - 2 187 - 3 188, 220 - 4 220
Armeen 1. Armee 26 2. Armee 214 4. Armee 171, 189, 200 6. Armee 214 7. Armee 179 9. Armee 200, 287 12. Armee 145, 163, 173 16. Armee 139 18. Armee 172 1. Panzerarmee 224 2. Panzerarmee 224 4. Panzerarmee 197 6. SS-Panzerarmee 281 Heeresgruppen A 164, 174 B 172 f. Mitte 187 f., 193 Nord 120, 187, 204, 277 Süd 120, 187, 204, 224 Weichsel 281 f., 284 Dieppe 167 Dierichs, P. 159 Dietrich, S. 106, 171 Die Zeit 305 Dinant 26, 156 Dnjepr 197, 200 Dünkirchen 14, 167, 169 Dwina 200 Dzura 129 Eimannsberger, L. von 103 El Alamein 233, 255 Engel, G. 239 Entscheidungskrieg 105 Epp, F. Ritter von 180 Erinnerungen eines Soldaten 55, 64 74, 125, 130, 136, 143, 146, 166, 180, 190, 211, 222, 234, 244, 275 Fellgiebel, E. 263 Frank, H.-W. 79 Französische Armee: Divisions Legeres Mecaniques (DLM) 155 Divisions Cuirassees Rapides (DCR) 155 Freikorps 43 f. Friedensarmee 48
Fritsch, W. Frhr. von 45, 92, 105 Formm, F. 135 Führungsverfahren 100 Füller, J. F. C. 18, 32 Funknetze für Tanks 78 f., 101 Funkwaffe 23 Gärtringen, E. H. von 14 Gaulle, Ch. de 165 f. Gibraltar 181 Givet 142 Gluchow 221 Goebbels, J. 104, 252 Goerdeler, K. 245 f. Göring, H. 88, 104 Goltz, R. Graf von der 20, 45, 266 Gomel 209 Gorlice - Tarnow 35 Grabenkrieg 31 Grand Morin 29 Gravelines 170 Grenzschutz Ost 43 Grodno 130 Groß-Born 119 Groß-Klonia 121, 126 Guderian, Friedrich 14 f., 19 Guderian, Fritz 17 Guderian, Gretel (geborene Goerne) 20, 84, 126, 177, 203, 231, 273, 281 Guderian, Heinz Günther 132 f. Guderian, Heinz Wilhelm 12 ff. Guise 159, 161 Haelen 27 Halder, F. 95, 110, 147, 181 f., 206, 210, 290 Harn 166 Hammerstein-Equord, K. Frhr. von 81, 92 Hannut 150 Hechler, K. 291 Heeresführung, Massenentlassung der 230 Heereswaffenamt 185 Heinrici, G. 285 Hesdin 167 Heye, W. 47, 75 Himmler, H. 87, 257, 282 Hindenburg, P. von 37, 63 Hirson 159, 166 Hitler, A. 13 ff.
Hitler-Putsch 57 Hobart, P. 18, 118 Hoepner, E. 120, 245 Hofacker, C. von 262 Hohenfriedberg 71 Hörne, A. 151 Horthy, N. von 277 Hoth, H. 156, 170, 201 Howard, M. 120 Hühnlein, A. 84, 92 Hutier, O. von 36 Ilsemann, G. von 22 Invasion - im Westen 136 - von Belgien 148 - von Holland 148 - von Griechenland 186 - von Jugoslawien 186 - von Sizilien 253 Jelnja 220 Jodl, A. 13, 95 Judenverfolgung 113 Juniville 176 Kadettenschulen 16 Kama 67 Kampfwagen 33, 65 Kapp-Putsch 56 f. Kavallerie, polnische 123 Keitel, B. 18 Keitel, W. 95, 183, 252 Keller, G. 51 Kesselring, A. 216, 255 Kiew 187, 204, 209 f. -, Schlacht um 219 Kleist, E. von 148, 161, 165, 174 Kluck, A. von 26 Kluge, H. G. von 171, 183 Kommunismus 44 Kraftradschützenzug 88 Krebs, H. 283 Krementschug 217 Kriegsakademie (Berlin) 19 f. Kriegsverbrecher 290 - Prozesse 273 Krupp 68 Kulm 127 Kurland 277 Kursk 249
- Offensive 249 -, Niederlage von 250 La Fere 163 Langres 177 Legion Condor 108 Le Havre 167, 174 Lemsal 47 Lenin, W. I. 66 Leningrad 187, 204 L'Etang H. 242 Leuthen 70 Lewin, R. 256 Liart 159 Libyen 186 Liddell Hart, B. 65 f. Liebenstein, K. Frhr. von 208 List, W. 147, 168, 183, 290 Locarnoabkommen 72 Lötzen 263 Longwy 142, 149 Lublin 133 Ludendorff, E. 38 - Offensive 38 Luftaufklärung 31 Lutz, O. 62, 77 Maas 142 Mackensen, A. von 35 Maginot-Linie 142, 179 Malta 180 Manstein, E. von 20, 142, 239, 299 Marneschlacht 29 Matrosen- und Soldatenräte 43 Matz-Offensive 38 Max-Hölz-Aufstand 57 Milch, E. 290, 292 Militärwissenschaftliche Rundschau 107 Militär-Wochenblatt 68, 90, 100 Minsk 188 Mobilmachung (1. Weltkrieg) 21 -, wirtschaftliche 103 Moltke, H. Graf von (d. Ältere) 15, 25, 142 Moltke, H. von (d. Jüngere) 25f., 142 Montcornet 165 Montgomery, B. 179 Montherme 157 Mortain 275 Moskau 187, 204, 224 -, Vormarsch auf 214
Motorisierung, Kritik an der 100 Moyon 28 Münchner Abendzeitung 295 Münchner Abkommen 110 Nagel, Major 216 Napoleon I. 14 Narewgruppe 129 f. Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) 81, 82 Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps (NSKK) 92 f. NATO 296 f. Needra, A. 48 Nehring, W. 78 Nemesis der Macht 205, 245 Nichtangriffspakt 119, 121 Norwegen 145 NSKK-Reichsmotorschulen 92 Oberkommando des Heeres (OKH) 95, 138, 161, 169, 229, 269, 274 Oberkommando der Wehrmacht (OKW) 105, 138, 164, 169, 227 f., 252, 269, 274, 305 Österreich, Einmarsch in 107 Offiziere gegen Hitler 205, 295 Oise 161 Oka 225 Olbricht, F. 245 Orel 220 f. Ostrik 203 Panzer Britische: 32 Vickers Medium 67 f., 88 Whippet 68 Seydlitzsche Reiter 71 Shuster, G. 292 Siegfriedlinie 35, 41 Signy-L'Abbaye 159 Slonim 132 Smolensk 188, 193, 201, 299 Soissons 27 f., 39 Somme 32 Sowjetunion, Angriff auf die 183 Spartakisten, Niederwerfung der 44 Speer, A. 237, 240 Speidel, H. 277 Stalin, J. 194
Stalingrad 233 Stauffenberg, C. von 207, 259, 263 Stieff, H. 259 Stonne 157 ff. Stresemann, G. 63 Strik-Strikfeld, W. 187, 290 Stülpnagel, J. von 61 Stukas 225 Sturmabteilung (SA) 81, 84, 87 Susha 225 Suwalki 188 Swinton, E. 77 Tankduell, 1. 39 Tankforschungsbüro 68 Tassigny, L. de 159 Thoma, W. Ritter von 108 Thomale, W. 241 Times 295 Todt, F. 184, 237 Tolotschino 198 Totenkopfeinheiten 122 Tresckow, H. von 205 Trient 42 Truppenamt 60 f. Tschechoslowakei, Einmarsch in die 111 Tschern 228 Tula 224 Tunis 253 U-Boot-Bau 184 -Offensive 183 Ukraine 187, 298 Ulmannis, K. 46 Umwerfvermögen 98 Unterstützungsfahrzeuge, gepanzerte 98 Vauxaillon 27 Verdun 32, 36, 178 Verdunoffensive 34 Versailles, Vertrag von 48, 66 Versuchspanzerverband 72 Vesle 40 Vierjahresplan 104 Villers - Bretonneux 39 Vitry-le-FranCois 177 Vittorio Veneto 41 Völkerbund 72 Volkheim, E. 64 Vorläufige Instruktion für die Tank- und Panzerwagenausbildung
(Provisional Instructions for Tank and Armoured Car Training) 1927 75 Waffen-SS 87 Waffenstillstandskommission, österreichisch-ungarische 42 »Walküre« (Unternehmen »W«) 259, 263 Warlimont, W. 95, 275, 288 Warschau 134, 272 Warthegau 231 Warell, Ar. 297 Weichsel 120, 129 Weimarer Republik 58 Weltkrieg I 25 ff. Weltkrieg II 121 ff. Wenck, W. 271 Westwall 276 Widerstandsbewegung 113, 245 Wiederbewaffnung 89 f., 92 Wilhelm II. 16, 21, 43 Winniza 238 Winterkrieg 210 Wirtschaftskrise 82, 86 Witzleben, E. von 246 Ypern31, 36 Zabinka, 131 Zeitzier, K. 234 Zorndorf 71 Zossen 284, 288 Zweifrontenkrieg 182
Deutsche: Großtraktor 67 Landwirtschaftlicher Schlepper 88 Leichter Traktor 67 A 7 V (U) 67 Pz I 88, 119, 125, 134 Pz II 98, 119, 125 Pz III 99, 119, 126, 236 Pz IV 99, 119, 126, 236 VK 3000 236 Panther 236, 243 Tiger I 236, 243, 250 Ferdinand 250 Französische: Char B 146, 176 2 C-Panzer 98 Somua S 35 146, 155 Russische: MS I und MS II 67 KW 1 198, 222 T 34 198, 222, 236 Schwedische: M 21 68 Panzerabwehrkanonen 99 -kompanie 102 -zug 88 Panzerarmee, mechanisierte 65 Panzerdivision, Konzept der 75 Panzerindustrie 97 Panzerspähwagen 88 Panzertruppe, Aufstellung der 95 -, Gegner der 96 -, unabhängige 80 Panzerzerstörer 99 Paris, Einnahme von 95 Partisanenkrieg 207 Patton, G. 180 Paulus, F. 102 Pawolow, General 194 Penny-Packungen 39 Philosophien, militärische 100 Pitgam 171 Ploesti, Ölfelder von 277 Podlaska, Kavalleriebrigade 130 Poix-Terron 159 Pomorska, polnische Kavalleriebrigade 123 Pontarlier 178
Porsche, F. 237 Praun, A. 37, 101, 290 Preußentum 17 Pripjetsümpfe 188 Rabenau, F. von 245 Rapollo, Vertrag von 67 Rastenburg 212, 263 Reichenau, W. von 83, 105, 183, 303 Reichswehr, Reorganisation der 57 Reims 30 Rethel 163, 176 Rethondes, Waffenstillstand in 179 Rhein 284, 287 Rheinmetall 67 Ribbentrop, J. von 284, 285 Richthofen, M. von 26 Richthofen, W. von 125 Riga 36 Riga-Unternehmen 46 Röhricht, E. 293 Rogatschew 197 Rommel, E. 74, 127, 230, 260 Roon, A. Graf von 15 Rosenberg, A. 187 Roslawl 206 Roßbach 71 Rouen 176 Ruhrgebiet, Besetzung des 63 Rundstedt, G. von 120, 166, 183, 285 Ryan, C. 287 Salisbury Plain 66 St. Dizier 177 St. Mihiel 178 St. Quentien 159 Sarajewo 21 Schacht, H. 111 Scharnhorst, G. von 15 Schell, A. von 219 Schlabrendorff, F. von 205, 245 Schleicher, K. von 43, 83, 303 Schlieffen, A. Graf von 25 f., 69 Schmundt, R. 201 Schutzstaffel (SS) 87 Schweppenburg, G. von 123, 202 Sedan 34, 142 Seeckt, H. von 36, 56 f., 75 Selbstfahrlafette 95 Semois 149 Serre 161