TERRA ASTRA 162
Der Planetenkönig von John T. Phillifent
Die Hauptpersonen des Romans: John Lampart – Ein Weltraumsco...
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TERRA ASTRA 162
Der Planetenkönig von John T. Phillifent
Die Hauptpersonen des Romans: John Lampart – Ein Weltraumscout und Erzsucher. Carlton Colson – Besitzer eines interstellaren Bergbauunternehmens. Dorothea Colson – Carlton Colsons Tochter Dr. Leo Broeat – Ein Genforscher
1. Das echsenartige Ungetüm mußte jeden Augenblick um die Ecke kommen und mit seinen sechs kurzen Beinen auf ihn zuwatscheln, um ihn sich als Abendessen einzuverleiben. Er konnte nur abwarten, denn das Sims endete hier abrupt. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Steilwand, den Speer in der Rechten, das plumpe Schwert in der Linken. Beide hatte er selbst gefertigt. Die Echse die wie eine Kreuzung aus Krokodil und Riesenkröte aussah, war in ihrem natürlichen Panzer vom Rachen bis zur Schwanzspitze gut geschützt und mit ihren kräftigen spitzen Zähnen und eisenharten Klauen nicht schlecht bewaffnet. Er war weniger gut geschützt. Er trug nur einen Gürtel um die Mitte, von dem einige Beutel mit seiner Ausrüstung hingen, und Sandalen eigener Handarbeit, die er sich aus der Bauchhaut einer kleineren Verwandten der Echse angefertigt hatte. Aber seine Nacktheit störte ihn nicht. In den dreißig Tagen, die er nun schon auf dem Planeten zubrachte, hatte er festgestellt, daß es so am erträglichsten war. Zwar
war es jetzt zur Nachtzeit „kühl“, kaum dreißig Grad Celsius, aber tagsüber stieg die Lufttemperatur auf über siebzig Grad. Nun, Luft nannte man die Mischung, die er hier atmete, wohl nur aus Gewohnheit. Sie bestand zu sechzig Prozent aus Argon und zu fünfundzwanzig aus Sauerstoff. Der Rest war eine Mischung aus Wasserdampf und Spurengasen, hauptsächlich Stickstoff. Aber er fühlte sich recht wohl hier. Er hatte sich schon völlig angepaßt, auch an die Schwerkraft, die hier um die Hälfte größer war als auf der Erde. Ein normaler Mensch hätte weder die Luft, noch die Schwerkraft, noch die Temperatur länger als ein paar Stunden ausgehalten. Aber er war kein normaler Mensch mehr, auch wenn er sich durchaus als solcher fühlte. Er war John Lampart, ein Weltraumscout – angesehener und tüchtiger Angestellter der Interstellar Mines –, der sich allein am wohlsten fühlte, weil er mit anderen nicht auskam, jedenfalls nicht auf längere Zeit. Das war der Grund dafür, daß er so an seinem Job gehangen hatte. Er gestattete ihm, allein in seinem Einmannschiff durch den Weltraum zu bummeln, um nach Erzen zu suchen. Mit diesem Planeten hier hatte er einen unvorstellbaren Fund gemacht, denn er bestand zu gut achtzig Prozent aus Erzen. Trotzdem hatte er keine weiteren Gedanken mehr daran verschwendet, bis er plötzlich zu Carlton Colson geladen wurde. Colson war der Alleininhaber der Interstellar Mines und einer der reichsten Männer überhaupt. Lampart kannte zwar viele Geschichten und Gerüchte über ihn, aber gesehen hatte er ihn noch nie. Das Grunzen der Echse und das Scharren ihrer sechs Beine kam immer näher. Lampart hob den Speer, der vor kurzem noch der Ast eines einheimischen Baumes gewesen war. Dieser „Baum“ hatte allerdings mit seinen irdischen Vettern wenig gemein, und seine „Äste“ waren kerzengerade Rohre. Durch Auskochen und Erhitzen im Ofen hatte er die Schichten des Rohres zu einer Legierung verschmolzen, die widerstandsfähiger war als alles, was er bisher gekannt hatte. Das war überhaupt der Schlüssel zu diesem Planeten,
den Colson Argent getauft hatte. Seine Kruste war so reich an Metallen und verwandten Mineralien, daß er schon fast sein ganzes Gewicht in Gold auf wog. Allein der silberglitzernde Sand war eine wertvolle Mischung aus Silber, Zinn, Iridium, Platin, Vanadium und anderen Spurenmetallen. Wider alle Theorie hatte dieses Sternensystem einen Planeten hervorgebracht, und es war unvorstellbar, daß sich Leben auf solch einer Kruste entwickeln konnte. Kein irdischer Wissenschaftler zog es auch nur in Betracht. Doch dieses Leben, das es nicht geben sollte, war nun bereits um die Ecke des Simses gebogen und sperrte hungrig seinen riesigen Rachen auf. Lampart stützte das Speerende gegen die Steilwand und wartete, bis die Echse so nahe war, daß er den Speer direkt auf die Mitte des Riesenrachens richten konnte. Das Tier watschelte auf ihn zu. Der Speer bohrte sich ihm durch den gähnenden Schlund, tief hinein. Erst als er bereits aus dem Nacken herausdrang, spürte die Krötenechse den Schmerz. Sie kreischte ohrenbetäubend, schwankte und versuchte sich auf ihren sechs Beinen zu drehen. Nur noch Zentimeter trennten Lampart, der sich ganz fest gegen die Wand gepreßt hatte, von der sterbenden Kreatur. Sie begann das Gleichgewicht zu verlieren und stürzte über den Simsrand hinunter auf den körnigen Sand, den Speer immer noch durch Rachen und Nacken. Lampart umklammerte sein Schwert und rutschte eilig die nach unten schräg verlaufende Wand hinunter, um den Aasfressern zuvorzukommen. Er wollte sich unbedingt die Bauchhaut sichern. Irgendwie mußte sich doch ein Weg finden, sie weichzugerben. Wenn Colson ihn so sehen könnte! Oder Leo Broeat! Oder auch nur die drei Männer in der Monitorstation in der geostationären Umlaufbahn über ihm. Sie hielten ihn für einen harten Kerl, der sich als Freiwilliger gemeldet hatte, in einem Spezialschiff auf dem Planeten zu landen. Dieses Schiff sollte sein Heim sein, bis er genügend Erzproben gesammelt und die geeigneten Stellen markiert hatte, sodaß eine maschinel-
le Ausbeutung vorgenommen werden konnte. Zwei Jahre würde er ungefähr für seine Arbeit brauchen. Natürlich glaubten die dort oben, daß er sich hier in besonderen Schutzanzügen mühsam dahinschleppte. Sie beneideten ihn nicht. Sie würden es nicht zwei Tage, geschweige denn zwei Jahre hier aushalten. Alle fünf Tage, immer vor Sonnenuntergang, meldeten sie sich über eine SpezialVerbindung und fragten ihn, ob er etwas brauchte. Colson hatte den Befehl gegeben, ihm jeden Wunsch zu erfüllen, der sein Leben auf dem Planeten erträglicher machen könnte. Die Männer dort oben bewunderten ihn vermutlich, aber getauscht hätten sie mit ihm sicher nicht um alles in der Welt. Lampart grinste. Er war glücklicher hier als je irgendwo anders. Insgeheim betrachtete er diesen Planeten schon als sein Eigentum. Als er am Boden angekommen war, mußte er bereits ein Dutzend der hungrigen Aasfresser verjagen. Sie hatten samtartiges blaues Fell und wie alle Tiere, die ihm hier bereits untergekommen waren, sechs Beine und scharfe Zähne und Klauen. Sie ähnelten Ratten, aber ohne sichtbare Ohren. Auch waren sie viel größer, manche wie kleine Hunde, andere wie Wölfe. Aus sicherer Entfernung beobachteten sie ihn mit ihren lebhaften grünen Augen, als er mit dem Schwert auf das tote Untier einhackte, um seinen Speer freizubekommen, Immer wenn Schwert auf Speer traf, sprühten grüne Funken. Grün wie die Augen der einheimischen Fauna. Aber das war auch das einzige Grün, das er bisher auf diesem Planeten gesehen hatte. Es gab sonst alle anderen Farben in allen Schattierungen. Irgendwie fehlte ihm das Grün, das er mit den grünen Hügel der Erde assoziierte – die Erde, seine Heimat. Doch nun war dies hier seine Heimat und es gab ihm ein stolzes befriedigendes Gefühl. Endlich hatte er den Speer freibekommen und säuberte ihn im Sand. Dann machte er sich daran, eines der Vorderbeine abzusägen. Ja, so müßten sie ihn sehen und nicht, wie er sich selbst in Erinnerung hatte – schüchtern und beeindruckt von Autorität. Das war jedenfalls
gewesen, als er vor dem massiven schmiedeeisernem Tor des Colsonschen Besitztums stand. Aber auch ein wenig verärgert über die soziale Ungerechtigkeit, daß ein Mann soviel freie Fläche, soviel Wohnraum für sich beanspruchen durfte, während andere kaum ein paar Kubikmeter ihr eigen nannten. Zwei Posten antworteten auf sein Läuten. Sie steckten in Kostümen römischer Legionäre, die nur durch einen Pistolengürtel vervollständigt wurden. „Was wollen Sie?“ knurrte einer unfreundlich. „Sie sehen mir nicht wie ein Partygast aus.“ „Gast?“ Lampart warf einen flüchtigen Blick auf seinen billigen schwarzen Papieranzug und verstand die Zweifel. „Nein, kein Partygast. Ich soll mich bei Mr. Colson melden.“ „Das glauben Sie wohl selbst nicht!“ brummte der gleiche Posten. Lampart zog die Vorladung aus seinem Plastikbeutel und schob sie durch das Eisengitter. Der Legionär murmelte etwas in ein Sprechgerät, dann ließ er Lampart eintreten. „Verzeihen Sie“, bat er. „Normalerweise würde ich Sie mit einem Elektrocar zum Haus bringen lassen, aber dieses verdammte Wagenrennen ...“ Hastig unterbrach der andere ihn. „Sie brauchen nur der Straße zu folgen. Sie führt eine Weile zwischen den Bäumen hindurch und dann noch ungefähr einen Kilometer hügelaufwärts direkt zum Haus. Aber geben Sie acht, die jungen Leute veranstalten gerade ein Streitwagenrennen.“ Kopfschüttelnd machte Lampart:sich auf den Weg. Tatsächlich, hinter den Bäumen versammelten sich die Teilnehmer. Man hatte sich viel Mühe gemacht, stilechte Nachbildungen römischer Streitwagen anzufertigen. Auch die Dekadenz, die den jungen Leuten im Gesicht geschrieben stand, paßte zur Zeit des Verfalls des Römischen Reichs. Die Mädchen trugen spinnwebdünne wallende Gewänder mit viel Schmuck und noch mehr Make-up; die Männer nur die kurzen Röcke der Römer, hochgeschnürte Sandalen und Messingarm-
bänder. Es roch nach aufdringlichem Parfüm, Kosmetik und Haschisch. Angewidert schritt Lampart an der Gruppe vorbei. Das einzig wirklich Edle an der ganzen Versammlung, dachte er, waren die Pferde. Es war kein einziger dabei, der auch nur eine Spur eigene Persönlichkeit verriet. Aber das stimmte nicht. In einem Streitwagen, ein wenig abseits der anderen, stand ein amazonenhaftes, schwarzhaariges Mädchen, das sich von den anderen hervorhob. Sie gestikulierte heftig mit den Armen, um die Aufmerksamkeit aller auf sich zu lenken, und brüllte mit alkoholheiserer Stimme: „Verdammt! Hört doch endlich her. Ich breche in einer Minute auf. Ihr kennt die Route. Gebt mir fünf Sekunden Vorsprung. Wer mich einholt, kann mich haben.“ Die nicht gerade respektvollen Rufe machten klar, daß niemand von diesem Preis beeindruckt war. Aber sie schien durchaus nicht beleidigt. „Gib uns doch eine Chance, Doll!“ brüllte eine Männerstimme. „Wie war’s mit einem Handikap?“ Ihre schwarzen Brauen zogen sich zusammen. Lampart beobachtete sie fasziniert. Im Gegensatz zu den anderen Mädchen trug sie nur ein goldfarbenes Tuch zwischen den Beinen, das an einer Kette um die Taille festgeknotet war. Vermutlich glaubte sie, wie eine Sklavin auszusehen. Aber in ihrer Haltung lag nichts Serviles. Plötzlich fiel ihr Blick auf Lampart, und sie faßte einen schnellen Entschluß .“He, Sie da!“ brüllte sie. „Wer immer Sie auch sind. Kommen Sie zu mir herauf.“ Sie wandte sich an die anderen. „Zusätzliches Gewicht! Genügt euch das als Handikap?“ Die Meute grölte zustimmend. Sie schoben und drängten Lampart auf den Streitwagen zu. Es blieb ihm nichts übrig, als zu der Amazone hochzuklettern, die aus nächster Nähe noch beeindruckender aussah. Sie war gebaut wie eine junge Göttin, fand er.
Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu. „Sie brauchen sich nur festzuhalten, alles andere überlassen Sie mir.“ Er umklammerte die Haltestange in Brusthöhe und versuchte Platz für sein zweites Bein zu finden, was auf dem Einmannwagen gar nicht so leicht war. Die Amazone hielt die Zügel der beiden Pferde in einer und eine Peitsche in der anderen Hand. Sie blickte sich noch einmal um, dann stieß sie einen schrillen Schrei aus und ließ die Peitsche knallen. Wie von Furien gejagt, hetzten die Pferde davon. Die Straße war ungefähr vier Meter breit, geteert und leicht gewölbt, um Regen- und Schneewasser Abflußmöglichkeit zu bieten. Schon nach wenigen Sekunden rutschten die Eisenräder ab und sanken auf einer Seite im weichen Gras am Straßenrand ein. Die plötzliche Erschütterung warf Lampart gegen das Mädchen, das ihn wütend anfauchte. „Passen Sie doch auf, Sie Dummkopf! Wollen Sie, daß wir kippen?“ Die Beschuldigung war so ungerecht, daß es ihm die Sprache verschlug, bis der Wagen wieder auf der Mitte angelangt war und unausbleiblich nun nach der anderen Seite zuglitt. „So macht man es nicht“, versuchte er ihr zu erklären. „Sie müssen die Zügel straffer halten.“ „Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Dreck!“ fuhr sie ihn an und bemühte sich, noch einmal mit der Peitsche zu knallen. „Schließlich will ich, daß die Biester so schnell wie möglich laufen.“ Wieder rutschten die Räder über den Straßenrand, daß sie beide nach der anderen Seite taumelten. Er war gegen die Wandung gepreßt, und sie lehnte mit vollem Gewicht gegen ihn. Er spürte, wie der Wagen zu kippen begann und reagierte blitzschnell. Als der Wagen nur noch auf einem Rad fuhr, schubste er sie heftig von sich. Das freie Rad polterte wieder auf der Straße auf. Das Mädchen wurde mit voller Wucht gegen die entgegengesetzte Wagenwand geworfen. Erschrocken ließ sie Zügel und Peitsche fallen und versuchte sich festzuklammern, um nicht aus dem Wagen geschleudert zu werden. Aber es wäre bereits zu spät gewesen, wenn Lampart sie nicht gerade noch an ihrer Taillenkette zu fassen bekommen und zurückgezogen
hätte. Mit knallrotem Kopf hielt sie sich an der Haltestange fest und brüllte ihm mit wutfunkelnden Augen etwas zu, das er jedoch nicht verstand, weil er zu sehr damit beschäftigt war, die Zügel zu fassen, die sich selbständig machen wollten. Mit beiden Händen und aller Kraft zog er, aber genausogut hätte er auch versuchen können, eine Lawine aufzuhalten. „Wir haben die Gewalt über sie verloren!“ rief er ihr zu. „Wir müssen sie wohl oder übel auslaufen lassen.“ „Wir?“ kreischte sie. „Sie haben versucht, mich aus dem Wagen zu stoßen. Sie gehören ausgepeitscht!“ Sie bückte sich, um die Peitsche aufzuheben, und schon beförderten die durchgehenden Pferde den Wagen erneut über den entgegengesetzten Straßenrand. Er konnte nur eines tun. Er packte sie und warf sich mit ihr gegen die andere Seite, um den Wagen vor dem Kippen zu bewahren. Einen Augenblick war sie fest an ihn gepreßt, ihr Gesicht ganz nah, und die dunklen Augen funkelten ihn wütend an. Als der Wagen das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, ließ er sie los. Wie eine Wildkatze knurrend, schlug sie ihm den Peitschenstiel über den Kopf. „Wagen Sie es ja nicht noch einmal, mich anzurühren!“ fauchte sie ihn an, während er Sterne sah. „Warten Sie nur, bis das Rennen vorüber ist. Dann laß ich Ihnen die Haut abziehen und mir Handschuhe davon machen.“ Die Pferde galoppierten kopflos über den Hügelkamm, auf der anderen Seite wieder hinunter und um eine rechte Kurve. Lampart war Scout und als solcher gewöhnt, schnell zu reagieren. Er warf sie heftig nach rechts und sich selbst dazu und lehnte sich mit ihr über den Wagenrand. Er packte ihre Peitsche und warf sie hinaus. „Sie arme Irre“, knurrte er. „Tun Sie, was ich Ihnen sage, oder Sie kennen Ihr hübsches Gesicht nicht wieder.“ Das rechte Rad hing in der Luft, aber das Gewicht der beiden zwang es wieder auf die Straße zurück. Er hielt sich mit der Linken an der Haltestange fest und umklammerte mit der Rechten ihren Hals. „Wie geht die Straße weiter?“ keuchte er drohend. „Links- oder Rechtskurve?“ Ihre Hand hackte
mit allen Fingernägeln gegen sein Handgelenk. Er drückte härter. „Verdammtes Biest!“ fluchte er. „Links oder rechts?“ „Links“, japste sie. „Hör mir zu!“ befahl er grimmig. „Wenn es soweit ist, lehnen wir uns beide nach links, als Gegengewicht. Das ist unsere einzige Chance. Verstehst du? Oder hast du kein Fünkchen Verstand in dem hübschen Kopf?“ „Das werde ich dir heimzahlen!“ kreischte sie. Mit einem verächtlichen Grinsen ließ er sie los. Die Zügel hatten sich schon längst selbständig gemacht. Die Pferde galoppierten immer noch kopflos dahin. Allein die Geschwindigkeit hielt den Wagen nun auf der Straßenmitte. Die Hälfte seines Gesichts und Kopfes fühlte sich taub an. Er wußte, daß sie bei der nächsten Kurve absolut keine Chance hatten. Und da war sie auch schon. Er packte das Mädchen und warf sich mit ihr nach links, aber es war vergebens. Er hatte nur eine schwache Erinnerung an die beiden verstörten Pferde, die die Kurve nicht schafften; an den kippenden Streitwagen; einen schmerzhaften Schlag gegen seine Füße und eine kurze Luftreise, die in einem Teich längsseits der Straße endete. Halb betäubt kämpfte er sich an die Wasseroberfläche und sah, daß die Amazone unweit von ihm hochkam, aber sofort wieder untersank. Eile tat not. Er schüttelte den Kopf, um ihn klarzubekommen, und tauchte nach ihr. Es war nicht einfach, die reglose Gestalt, die eine Platzwunde auf der Stirn hatte, ans Ufer zu zerren. Schnell legte er sie so, daß ihr Kopf nach unten über das Ufer hing. Er schlüpfte hastig aus dem ohnehin schon aufweichenden Papieranzug und schob ihn unter ihren Magen. Es reichte nicht aus, aber es war keine Zeit zu verlieren. Er riß das Goldtuch aus dem Kettengürtel und schob es zum Anzug, dann begann er das geschluckte Wasser aus der Lunge zu drücken. Nun hatte er zum erstenmal Zeit, sich Gedanken über sie zu machen. Wer und was war sie? Wie kam es, daß sie soviel Persönlichkeit besaß? Sie hatte einen herrlich gebauten, gesunden Körper und be-
wunderte ihn, weil für ihn Fitneß über alles ging, aber er bewunderte sie nicht als Frau; ihre Nacktheit weckte kein Begehren in ihm. Sie begann ihr Bewußtsein wiederzugewinnen und hustete. Ein Schatten fiel über ihn. Er blickte hoch. Ein fettleibiger Diener näherte sich watschelnd. „Können Sie weitermachen?“ fragte Lampart ihn. Aber der Dicke schüttelte den Kopf. „Gibt sicher einen ganz schönen Stunk“, brummte der Fettwanst. „Mit Doll Colson ist nicht gut Kirschen essen.“ Das also war die Tochter des mächtigen Carlton Colson. So sehr er Publicity verabscheute, so sehr liebte die sensationshungrige berüchtigte Doll sie. Selbst er, Lampart, der selten zur Erde kam und nie lange blieb, hatte schon von ihren Eskapaden gehört – es gab nichts, wovor sie zurückschreckte. Das kann ja heiter werden, dachte er. Sie erzählte sicher ihre Version des Unfalls. Er steckte ganz schön in der Tinte, denn natürlich würde Colson ihr und nicht ihm, einem Fremden, glauben.
2. Lampart hackte durch die letzte Sehne, die das Echsenbein noch hielt. Dann spießte er es auf den Speer, um es sich über die Schulter zu hängen. Er schaute hoch zu Merope, die wie ein Mond durch die Wolken schien, ehe er einen allumfassenden Blick um sich warf. Die glitzernde Sandhochebene, das Gebirge, sein Schiff, das hochaufgerichtet unter einem Bergvorsprung ruhte. Argent, mein Planet, dachte er. Hier bin ich König. Colson mag vielleicht glauben, er gehört ihm und ich mit dazu. Er möchte ihn aushöhlen und ausbeuten. Aber wenn ich es klug anstelle, wird es nicht soweit kommen. Diese herrliche Welt soll bleiben, wie sie ist – für mich. Er mußte sich beeilen, um heimzukommen. In einer Stunde würde Alcyone aufgehen. Nicht, daß er ihre weißglühenden Strahlen nicht
aushielt, aber tagsüber war es im Schiff doch angenehmer. Ursprünglich war es ein Sechsmannfrachter gewesen, aber man hatte ihn völlig neu ausgestattet, mit allem Luxus, den er sich nur wünschen konnte, und außerdem mit einer Werkstatt, einem Labor und einem Computer voller Informationen jedweder Art. Die dort oben dachten sicher, daß er in der gewaltigen Schwerkraft schuften mußte, um die notwendigen Erzproben herbeizuschaffen, und den Rest der Zeit im klimagekühlten Schiff zubrachte, um sich von den Strapazen zu erholen. Wenn sie wüßten, daß die Schleuse immer offenstand, daß er das einheimische Wasser trank und nun beabsichtigte, sich an einem Echsenbein gütlich zu tun, sobald es im Hochfrequenzofen gegart war. Geierähnliche Vögel mit Membranschwingen und Schnäbeln wie Lanzen flogen über ihn hinweg. Sie waren gefährliche Tiere, hatten jedoch offenbar im Moment nicht die Absicht, ihn anzugreifen. Als er nahe genug am Schiff war, schleuderte er den Speer mitsamt Echsenbein hinauf zur Plattform, zu der die Gangway führte. Sofort huschte ein ganzer Haufen der wolfsgroßen Aasfresser herbei. Er stürzte mit dem Schwert auf sie los. Die Schlacht war kurz, und obwohl die Tiere ihm zahlenmäßig weit überlegen waren, war er doch im Vorteil. Denn kaum hatte er eines getötet, fielen die anderen darüber her. „Ihr habt ja schon gelernt“, brummt er, als er die Treppen hochstieg. „Beim ersten Mal wart ihr noch gut fünfzig, diesmal seid ihr höchstens zwanzig. Ihr habt also schon ein wenig Respekt vor mir, hm?“ Er sprang die Stufen zurück und tat, als wollte er den Rest verjagen. Und tatsächlich wichen sie vor ihm zurück. „Vielleicht zähme ich mir noch mal ein oder zwei von euch“, brummte er und stieg zur Plattform hoch. Er löste das Echsenbein und schaltete das Energiefeld aus, das den Schleuseneingang schützte. Ehe er das Bein in den Ofen steckte, wusch und würzte er es schnell, dann verließ er die Kochnische und begab sich durch die Werkstatt in das Labor, um die Erzproben zu
sortieren und auszuwerten. Zu seiner Erleichterung hatte er genau die richtige Auswahl-Brocken, deren Erzgehalt nicht übermäßig hoch, aber auch nicht zu niedrig war, denn das hätte Colson mißtrauisch gemacht. Schließlich hatte er aus seinem eigenen, ursprünglichen Bericht erfahren, daß der Planet eine wahre „Goldmine“ war. Doch wenn sie wüßten, daß sie eigentlich nur zu graben brauchten, um mit jeder Schaufel ein Vermögen auszuheben, würde er hier nicht mehr gebraucht. Also durften sie die Wahrheit nicht erfahren. Er hatte genügend Proben für die nächste Abholung. Und da die Fähre erst in zwei Tagen herunterkommen würde, blieb ihm bis dahin die ganze Zeit für sich. Der Duft des brutzelnden Echsenbeins stieg in seine Nase. Er schaltete die Kaffeemaschine ein und widmete sich genußvoll seiner Mahlzeit. Er würde hier weder Hunger noch Durst leiden müssen. Und solange er über das Schiff verfügte und wie bisher seinen Vorrat an Speicherbatterien vergrößern konnte, fehlte es ihm auch nicht an Energie. Ein plötzlicher Temperaturanstieg meldete, daß der Sonnenaufgang nicht mehr fern war. Der Morgenanbruch auf Argent war etwas Einmaliges, etwas, das er sich keinen Tag entgehen ließ. Er eilte die Gangway hinunter. Keines der Wolfstiere war zu sehen. Er lief um das Schiff herum zu einem gewaltigen gezackten Einschnitt im Bergmassiv. Hier würde sich Alcyone in wenigen Sekunden zeigen. Bereits jetzt wirbelten die roten und purpurnen Wolken heftig durcheinander, wurden von dem grellen Feuer dahinter erhellt und von Blitzen durchzuckt. Heiße Windböen strichen um sein Gesicht. Das Rot und Purpur wurde zu Orange, dann zu einem intensiven Gelb, bis die ersten weißglühenden Strahlen es durchbrachen. Lampart schloß die Augen vor dem blendenden Glanz. Er spürte die Hitze auf seinem Gesicht und wartete auf das Kommende. Ein ferner Donner dröhnte, und ein Getöse wie von stürmischer Brandung stieg in seine Ohren. Das grelle Glühen erlosch. Das Regen kam
mit unvorstellbarer Heftigkeit. Heißes Wasser strömte vom Himmel und verbarg alles um ihn herum im Dampf. Innerhalb von Sekunden stand er knöcheltief im wirbelnden Sandgewäsch. Immer noch toste es herab wie von einem Wasserfall – ein Wasserfall, der jeden Morgen dem Sonnenaufgang vorausging. Er wußte, daß es nicht länger als zehn Minuten dauern würde, aber solange es anhielt, schien es endlos. Und dann, als der letzte Tropfen gefallen war, peitschte Alcyone ihre Strahlen gegen das Wasser, daß wieder Dämpfe aufstiegen – und in Sekundenschnelle verschwunden waren. Wie jeden Morgen fühlte er sich nach dieser Dusche wie neugeboren. Er kehrte ins Schiff zurück, in den einen der sechs Räume, den er sich als Wohn- und Schlafraum ausgewählt hatte. Die restlichen benutzte er als Lager für seine Vorräte, die er sich von „oben“ kommen ließ. Als er die Tür schloß, warf er noch kurz einen Blick in den Spiegel, der die ganze Türinnenseite bedeckte, und fragte sich, ob er wirklich noch John Lampart war. Sein dichtes, ehemals schwarzes Haupthaar leuchtete nun feurig rot wie feiner Kupferdraht, während sein Bart fast bleich wirkte, verglichen mit der jetzt tiefgoldenen Haut. Das Weiß seiner Augen hatte einen Perlmuttglanz angenommen, genau wie das seiner Zähne und wie seine Finger- und Zehennägel. Brocat hatte ihm nicht verheimlicht, daß sich Veränderungen ergeben würden. Trotzdem war er noch der alte John Lampart. Aber rein physisch war er kein Mensch mehr. Was war er? Nie zuvor hatte es ein Wesen wie ihn gegeben. Auch das hatte Brocat ihm versichert. Er legte sich auf seine Koje. Ehe er jedoch einschlief, wanderten seine Gedanken zurück zu jenem Augenblick, als er Leo Brocat kennengelernt hatte, und dann noch ein wenig weiter. Ein Diener führte ihn durch den riesigen Saal, wo die Partygäste sich auf alle möglichen Arten amüsierten. Die Mädchen wirkten modisch hyperschlank, abgesehen von dem künstlich vergrößerten Busen. Und die Männer waren nicht viel stabiler gebaut. Er fragte sich,
wie sie überhaupt noch die Kraft für ihre Liebesspiele aufbrachten. Aber was gingen sie ihn an? Er schüttelte verächtlich den Kopf und wunderte sich nur, wie seine energiegeladene Amazone zu ihrem durchtrainierten Körper gekommen war. Doch auch das konnte ihm gleich sein. Nach einem Klopfen, dem keine Aufforderung einzutreten folgte, betrat er die angegebene Tür im ersten Stock. Der Raum war dämmerig durch die vorgezogenen Gardinen. Ein Videogerät war eingeschaltet, vor dem ein völlig ins Programm vertiefter Mann mit dem Rücken zu ihm saß. Captain Storm und die Sternenkönigin huschten über den Bildschirm. Lampart blieb stehen und verfolgte die Szene. Früher einmal hatte er sich doch tatsächlich eine ganze Schachtel voll Kassetten mit Captain-Storm-Filmen auf eine seiner Forschungsfahrten mitgenommen. Insgeheim bewunderte er Linda Lewis, die die Sternenkönigin spielte. Sie war ein Prachtexemplar von Frau, nicht wie die blutlosen Geschöpfe im Ballsaal, durch den er gekommen war. Der Mann vor dem Schirm schaltete den Apparat aus und drehte sich um. Erst jetzt bemerkte er den Besucher. „Oh!“ murmelte er überrascht. „Entschuldigen Sie. Warten Sie schon lange? Sie sind John Lampart, nicht wahr?“ „Stimmt. Aber das Warten stört mich nicht. Ich sehe Linda Lewis immer gern.“ „Ja. Sie ist eine faszinierende Frau.“ Er bedachte Lampart mit einem musternden Blick. „Um Himmels willen, Sie sind ja patschnaß und verletzt obendrein. Halten Sie still!“ Seine Finger betasteten behutsam Lamparts schmerzende Schläfe. „Ganz schön aufgeschlagen“, brummte er. „Ich muß es verarzten. Und sehen Sie zu, daß Sie aus Ihrer nassen Wäsche kommen. Ich bin gleich zurück. Schlüpfen Sie einstweilen in diesen Rock.“ Er holte eine Tunika, ähnlich seiner eigenen, aus einem Wandschrank und warf sie Lampart zu.
„Einen Moment, bitte“, hielt Lampart ihn zurück. „Wer sind Sie? Ich sollte hier ...“ „Wer ich bin, darauf werden Sie vielleicht noch selbst kommen. Und Sie sind hier schon richtig.“ Der breitschultrige Mann verließ den Raum durch eine Seitentür, während fast gleichzeitig die Amazone durch die gleiche Tür wie zuvor er hereinstürmte. Sie war so nackt wie er jetzt, und offenbar so durchs ganze Haus, gelaufen. „Ah! Sie schon wieder! Was haben Sie hier in meinem Haus zu schaffen, Sie Wahnsinniger. Es hat nicht viel gefehlt, und Sie hätten mich umgebracht!“ „Ich?“ rief er verblüfft. „Wieso soll es meine Schuld sein, wenn Sie nicht wissen, wie man Pferde lenkt ...“ Zitternd vor Wut stürzte sie sich auf ihn und schlug ihm erst mit voller Wucht die Rechte, dann die Linke ins Gesicht. Als er abwehrend die Hände hob, versetzte sie ihm einen Punch in den Magen, daß er nach Luft japste. „Bist du verrückt geworden, Dorothea!“ rief der breitschultrige weißhaarige Mann, der eben ins Zimmer zurückkam. „Du weißt ja nicht, was er mir angetan hat, Onkel Leo!“ „Vielleicht nicht alles, aber soviel jedenfalls, daß er dich aus dem Teich gefischt hat und daß seine Wiederbelebungsversuche offensichtlich Erfolg hatten. Dafür behandelst du ihn wie eine Furie!“ Lampart, bemüht die Tränen zurückzuhalten, die der Schmerz ihm in die Augen trieb, sah, wie ihre Wut sich in Verwirrung verwandelte. „Das ahnte ich nicht. Aber woher weißt du es?“ „Es wurde mir soeben berichtet. So, aber jetzt halte dich ruhig, damit ich mir deine Verletzungen ansehen kann.“ Er untersuchte sie sorgfältig. „Ein paar Beulen und Blutergüsse“, stellte er schließlich fest. „Du hast mehr Glück als Verstand. Aber wenn du so weitermachst, wird es kein gutes Ende mit dir nehmen.“ Er wandte sich an Lampart. „Kommen Sie her, dann kann ich Sie beide gleichzeitig verarzten.“
Ein blondes Dienstmädchen schob einen Servierwagen herein und verließ auf einen Wink des Weißhaarigen das Zimmer sofort wieder. Er schenkte zwei Tassen voll Kaffee und drückte sie den beiden nebst einer Tablette in die Hand. „Das nehmt ihr jetzt“, befahl er. „Und du, Dorothea, kannst dich dann wieder deinen Gästen widmen.“ Das Mädchen warf Lampart einen funkelnden Blick zu, der bewies, daß sie trotz seiner Lebensrettung noch erzürnt war, und verließ mit schwingendem Schritt den Raum. „Nehmen Sie statt ihre meine Entschuldigung an“, bat der Breitschultrige. „Sie hat einen guten Kern, nur ist sie schrecklich verzogen. Übrigens, ich bin Leo Brocat. Vielleicht haben Sie schon von mir gehört?“ „Der Genforscher?“ fragte Lampart beeindruckt. „So kann man es auch nennen“, erwiderte Brocat. „Mr. Colson möchte, daß ich Sie mir ansehe, und das habe ich ja nun bereits getan. Ihre Gesundheitsakten kenne ich ebenfalls schon.“ „Ich verstehe nicht“, murmelte Lampart. „Sind Sie denn bei der Interstellar Mines angestellt?“ Der Weißhaarige lächelte. „Nein. Aber Colson und ich sind alte Freunde. Doch sagen Sie mir, Sie sind seit über zehn Jahren Scout, bedrückt Sie die Einsamkeit auf Ihren monatelangen Reisen nicht?“ „Nein. Ich bin gern allein. Und auch auf dem Schiff finde ich immer genügend, womit ich mich beschäftigen kann.“ „Das war eigentlich alles, was ich im Augenblick wissen wollte. Nehmen Sie noch eine Tasse Kaffee. Ich werde in ein paar Minuten zurückkommen und Sie zu Mr. Colson bringen. Er möchte mit Ihnen sprechen.“ Lampart nippte den mit Kognak aufgebesserten Kaffee und überlegte, was er über den legendären Mann wußte. Damals, als Organverpflanzungen der große Hit waren, hatte Brocat sich mit aller Gewalt dagegen ausgesprochen. So erfolgversprechend diese Methode auch schien, gab er zu bedenken, war es doch nicht das Richtige, einem Körper fremdes Gewebe einzusetzen. Viel besser wäre es, eine
Regeneration des beschädigten Teils zu bewirken. Das ließe sich durch eine Umstrukturierung der Gene bewirken, behauptete er. Man lachte ihn aus und stellte ihn als Scharlatan hin. Aber Brocat bewies im Laufe der Jahre die Richtigkeit seiner Theorie. Jetzt wurde seine Methode in jedem größeren Krankenhaus angewandt. Lampart fragte sich, weshalb Brocat sich für ihn interessierte und weshalb Colson ihn hierherbeordert hatte. Schlaf übermannte ihn, und der Alptraum, der sich in den verschiedensten Variationen immer wiederholte, quälte ihn auch an diesem Tag. Sie war hinter ihm her, ihre Nägel waren lange Krallen, mit denen sie ihm die Augen auskratzen wollte, sobald sie ihn erwischte. Dunkle Höhlen öffneten sich vor ihm. Er sprang hinein, um ihr zu entkommen. Doch da war sie wieder. Er schrie vor Angst ... ... und erwachte schweißüberströmt. Er setzte sich auf, verärgert über sich selbst. Weshalb beschäftigte sein Unterbewußtsein sich mit diesem Biest? Na schön, sie hatte versucht, ihn herumzukriegen, aber es war ihr nicht gelungen, und es würde ihr auch nicht mehr glücken. Außerdem würde sie an dem nichtmenschlichen John Lampart bestimmt ohnehin nicht interessiert sein. Gut, er gab es ja zu. Er hatte Angst gehabt vor ihr. Sie war intelligent, und ihr war die Erziehung in den Schoß gefallen, die er sich immer gewünscht hatte. Nie war ihr ein Wunsch versagt geblieben. Aber er hatte sie nicht als Frau gefürchtet. Sicher, sie war begehrenswert, aber der Gedanke allein, sie bilde sich ein, mit ihrem Sex mehr zu erreichen als körperlichen Kontakt, stieß ihn ab. So war es ihm schon immer gegangen. Er erhob sich, nahm ein paar Löffel des vitaminangereicherten nahrhaften Breis zu sich, von dem er sich hier hauptsächlich ernähren sollte, dann schüttete er den Rest weg. Jeden Tag aß er ein bißchen weniger davon und ein wenig mehr einheimisches Fleisch und Früchte. Bis jetzt hatten sich noch keine negativen Nachwirkungen bemerkbar gemacht. Er nahm Speer und Schwert und marschierte durch den Sand.
3. Brocat hatte ihn in einen kleinen, fensterlosen Raum gebracht. Colson saß hinter seinem Schreibtisch und blickte ihnen entgegen. „Ah, John Lampart“, erklang seine rauhe Stimme. „Ich kannte Ihren Vater. Wir waren früher einmal Partner. Er, ich und ein dritter, Stavros Kyrios. Das ist Ihnen sicher bekannt, nicht wahr?“ „Ja, Vater sprach davon“, preßte Lampart heraus. „Er starb als relativ armer Mann, nicht wahr? Er war zwar sehr fähig, aber er ließ sich viel zu sehr von seinem Idealismus leiten. Sind Sie wie er?“ „Ich weiß nicht, was Sie meinen“, murmelte Lampart. „Ich habe viel von ihm gelernt. Meine Ausbildung ...“ „Ich weiß Bescheid. Ich kenne Ihre Personalakten und weiß, was Sie bereits alles geleistet haben. Sie sind sehr tüchtig. Das freut mich. Aber ich muß mehr von Ihnen wissen. Nehmen Sie sich einen Stuhl. Leo, machst du uns bitte etwas zu trinken?“ Er wartete, bis sie alle ihre Gläser in der Hand hielten, ehe er fortfuhr. „Wie ich schon erwähnte, wir waren drei Partner. Drei junge Männer, die sich die Möglichkeiten des neuentdeckten Lawlorantriebs zunutze machten, um in den Weiten des Alls nach Rohstoffen zu suchen. Ihr Vater war der technische Experte, Kyrios der Pilot, und ich kümmerte mich um den finanziellen Teil. Wir hatten Glück. Das Risiko, das wir eingingen, machte sich bezahlt. Wir wurden reich, aber wir paßten nicht zusammen. Für Kyrios zählten nur sofortige Gewinne. Er hatte keine Skrupel, zum Erfolg zu kommen. Wir trennten uns. Er ist jetzt einer meiner größten Konkurrenten – allerdings jenseits des Gesetzes. Eines Tages wird man genügend Belastungsmaterial gegen ihn haben, dann ist er für immer erledigt.“
Die kalte und doch schadenfrohe Stimme jagte einen Schauder über Lamparts Rücken. Er nahm einen tiefen Schluck, ehe er sagte: „Sie sorgten dafür, daß auch mein Vater ausstieg.“ „Ich habe ihm seinen Anteil ausbezahlt. Wie ich schon erwähnte, Ihr Vater war ein Idealist. Seine Ziele stimmten nicht immer mit meinen überein. Er wollte den Kolonien helfen, unabhängig zu werden, anstatt sie zu überreden, ihre Bodenschätze zu verkaufen. Er war eben ein Phantast, den finanzielle Mißerfolge nicht störten, wenn er ein hehres Ziel verfolgte. Für mich zählt nur der Erfolg. Wenn ich jemanden mit etwas beauftrage, dann erwarte ich von ihm auch, daß der den Auftrag in meinem Sinn erfüllt. Darum frage ich Sie noch einmal, sind Sie wie Ihr Vater oder nicht?“ „Wenn Sie einen Auftrag für mich haben“, antwortete Lampart und überlegte sich jedes Wort, „und ich in der Lage bin, ihn auszuführen, werde ich es auch nach Ihren Wünschen tun, wenn ich ihn erst einmal angenommen habe. Wollten Sie das hören?“ „Vielleicht. Erkennen Sie dies?“ Er holte aus einer Schublade eine Kassette, deren Art und Form Lampart wohlbekannt war. „Das ist eine von meinen. Ich kann natürlich nicht auf Anhieb sagen, welche ...“ „Das erwartete ich auch nicht.“ Colson schob sie in den Apparat, und die ersten Angaben flirrten über den Bildschirm. Colson hielt die Auf nähme an einer bestimmten Stelle an. Nun wußte Lampart, worum es sich handelte. „Haben Sie sich eine Meinung gebildet?“ fragte Colson. „Über den Fund? Selbstverständlich. Kaum vorstellbar, daß ein solcher Planet überhaupt existiert. Als ich mir den Plejaden-Sektor vornahm, hoffte ich auf nicht mehr als ein oder zwei Asteroiden mit annehmbaren Erzlagern.“ „Aber Sie fanden diesen zweiten von Alcyones vier Planeten und nahmen die Routineuntersuchung aus der Kreisbahn vor. Es ist gut, wenn Sie wissen, daß alle Scoutberichte mir direkt vorgelegt werden. Ich bin der erste und manchmal einzige, der sie zu Gesicht bekommt.
Was ich damit sagen will, ist, daß niemand außer Ihnen, Dr. Brocat und mir etwas über diesen ungewöhnlichen Planeten weiß.“ „Schön, der Planet besteht zu achtzig Prozent aus Metall. Nur ...“ „Nur was?“ „Man kann das Metall nicht abbauen. Bedenken Sie doch die atmosphärischen Bedingungen, die Temperatur und Gravitation, die dort herrschen. Um auf diesem Planeten zu arbeiten, brauchte man Spezialanzüge, die kein Mensch länger als ein paar Stunden tragen kann. Danach braucht er eine mehrstündige Erholungspause. Für eine Minimumsarbeitseinheit würden, sagen wir, sechs Schaufel- und eine Schmelzmaschine benötigt. Das wären also schon sieben Mann zur Bedienung allein. Nehmen wir vier Schichten, hätten wir demnach achtundzwanzig Mann oder besser dreißig, falls ein oder zwei ausfallen sollten. Die Leute müssen sich aber ausruhen und während ihrer Freizeit erholen können. Also muß auch noch eine Druckkuppel her und jemand, der dort nach dem Rechten sieht. Sagen wir, zwei weitere Männer. Dann muß sich jemand um die Reparaturen und Anlagen kümmern – also mindestens nochmals sechs Mann. Auch wenigstens ein Arzt und Pflegepersonal dürfen nicht fehlen. Bei so vielen Leuten geht es nicht ohne Verwaltungsangestellte. Alle paar Tage müssen Sie den Leuten Gelegenheit geben, von dem Planeten wegzukommen, damit sie sich wirklich erholen können, um leistungsfähig zu bleiben. Das verdreifacht die Zahl. Sie werden also ein verdammt großes Schiff im Orbit haben müssen, wo Sie die Leute unterbringen können und die Landeboote, die die Männer und das Erz herauf schaff en. Und dann ist es noch lange nicht auf der Erde. Mit der Besatzung, den Arbeitern und anderem Personal kommen Sie auf gut dreihundert Mann. Dreihundert Mann, die versorgt werden müssen. Sogar das Wasser müssen Sie beschaffen. Und bis zur Erde sind es fünfhundert Lichtjahre! Selbst mit dem Lawlorantrieb dauert die Reise eine ganz schöne Zeit. Und was wird das kosten? Selbst wenn die Planetenkruste aus purem Gold bestünde, bezweifle ich, daß Sie auf Ihre Kosten kämen.“
Colson nickte. „Ich sehe, Sie haben sich Gedanken darüber gemacht. Ihre Berechnungen sind sogar noch optimistisch. Sie haben die Wichtigkeit der Geheimhaltung nicht in Betracht gezogen.“ „Stimmt. Sie müßten viele Männer interviewen und auswählen. Das ließe sich nicht machen, ohne daß etwas an die Öffentlichkeit sikkert.“ „Richtig. Diese Methode ist also undurchführbar.“ „Diese Methode? Kennen Sie denn eine andere?“ „Was halten Sie von Fernsteuerung? Telemetrie von einem Monitor in geostationärem Orbit?“ „Völlig außer Frage!“ Lampart deutete auf den Schirm. „Was ich meine, schauen Sie sich doch die planetaren Werte an. Die Ionosphäre kocht! Vielleicht gelingt es Ihnen, eine Sprechverbindung vom und zum Planeten zu ermöglichen, aber praktisch angewandte Telemetrie ist unter den dort herrschenden Bedingungen völlig unmöglich.“ „Sie haben wirklich alles bedacht. Aber es gibt noch eine weitere Methode. Passen Sie auf.“ Colson beschäftigte sich mit einem Projektionsgerät und warf einen Plan auf den Schirm. „Dafür wird ein Mann auf dem Planeten benötigt, der die erforderliche Ausrüstung und das richtige Training hat. Dies hier ist der geostationäre Monitor über ihm, mit, sagen wir, drei Mann Besatzung. Eine Sprechverbindung kann hergestellt werden, genauso wie ein ferngelenkter Fährendienst eingerichtet werden kann, um Verpflegung nach unten zu schaffen und Erzproben und Daten nach oben. Diese Fähre würde in eine ungefähre Kreisbahn unter der Ionosphäre vom Monitor aus gebracht und von dort durch den Mann auf der Planetenoberfläche herunterholt. Und umgekehrt. Nein, unterbrechen Sie mich nicht. Der Mann würde eine bestimmte Zeit an einem Ort bleiben, lange genug, um zu kartographieren und die Erzvorkommen einzutragen. Und zwar so exakt, daß eine robotüberwachte, vorprogrammierte Maschinerie die Arbeit selbsttätig ausführen kann.
Sobald ein bestimmtes Gebiet kartographiert ist, begibt der Mann sich mit seinem Schiff zu einem anderen Punkt, und der Monitor mit ihm, und so weiter, bis der ganze Planet abgesteckt ist ...“ Lampart konnte nun nicht mehr an sich halten. „Sie stellen sich wohl eine Art Supermann vor“, brummte er sarkastisch. „Denn das müßte er sein, wenn er mehr als drei oder vier Stunden hintereinander auf dem Planeten arbeiten soll. Und wie Sie es sich vorstellen, benötigte er, na sagen wir, gut ein Jahr!“ „Zwei Jahre“, verbesserte Colson ihn. „Und natürlich muß er ein Supermann sein. Dann genügen vier Personen. Drei im Monitor, auf die ich mich absolut verlassen kann, und der Spezialist. Zwei Jahre für die Auswertung bei absoluter Geheimhaltung. Den Rest können danach sechs Mann übernehmen. Wir werden das kostbare Metall tonnenweise schürfen, ist das nicht großartig?“ „Großartig!“ echote Lampart ironisch. „Nur – wo ist Ihr Supermann?“ Er bemerkte, daß Colson und Brocat sich einen bedeutungsvollen Blick zuwarfen. „Nein, nein! Nicht ich!“ rief er entsetzt und sprang auf. „Setzen Sie sich“, beruhigte Colson ihn. „Ich erkläre Ihnen alles. Niemand außer uns dreien hier wird je etwas davon erfahren. Der Planet – ich gedenke ihn Argent zu nennen – ist von unvorstellbarem Wert. Für zwei Jahre Ihres Lebens biete ich Ihnen ein Prozent des Bruttoertrags – Sie werden den Rest Ihres Lebens nicht mehr zu arbeiten brauchen und Geld in Hülle und Fülle haben. Bedenken Sie es!“ „Ich würde nie zu dem Geld kommen! Zwei Jahre! Wie stellen Sie sich das vor! Nach einer Woche wäre ich schon geschafft. Es läßt sich nicht durchführen!“ „O doch. Es läßt sich machen“, meldete sich Leo Brocat zum erstenmal zu Wort. „Sie kennen mich. Sie haben von meinen Forschungen gehört. John Lampart, ich kann Sie zum Supermann machen!“
Der nicht mehr menschliche Lampart grinste, als er sich an diesen Augenblick erinnerte. Er hatte die beiden für übergeschnappt gehalten. Er kletterte vorsichtig am Rand einer Schlucht entlang, aus der heiße Luft emporstieg. Tief unten lag ein gewaltiger See, aber er war viel zu weit entfernt, als daß er sich schon jetzt dorthin wagen wollte. Doch eines Tages würde er ihn sich näher ansehen. Vielleicht gab es Fische und andere Wassertiere? Er schritt weiter und erreichte merkwürdige Sträucher. Ein kantiger Busch fiel ihm besonders auf. Er hatte herrliche rote Blüten, die ihre Samen durch die Luft katapultierten. Auch die Bäume hier waren eckig. Manche hatten rhomboide Blätter, andere solche, die Pfeilspitzen ähnelten. Einer der letzteren hatte kerzengerade Äste, deren Enden wie Nadelspitzen schienen. Er sah überhaupt aus wie ein riesiges Nadelkissen. „Pfeile“, brummte Lampart vor sich hin. „Sobald es mir gelingt, einen Zweig so elastisch zu bekommen, daß ich einen Bogen daraus machen kann, werde ich mir hier die Pfeile holen. Dann kann ich richtig auf die Jagd gehen!“ Ein anderer Baum, ganz in der Nähe, trug Früchte, von denen immer sechs traubenförmig zusammenhingen. Mit dem Speer angelte er sich eine der Trauben herab. Die einzelnen Früchte waren goldgelb, sahen aber sonst genau wie Hühnereier aus. Sie zersprangen auch wie Eierschalen, als er mit dem Schwert daraufschlug, und gaben eine Flüssigkeit frei, die wie Wein schmeckte. Er hatte keine Bedenken, sie zu schlürfen. Er setzte sich auf den Boden und öffnete ein zweites Weinei. Was hatte Brocat damals gesagt? „Ich kann Ihre Reaktion um zehn bis fünfzehn Prozent beschleunigen und Ihre physische Kraft um mindestens genausoviel erhöhen. Ich kann Ihnen außerdem Immunität vor Krankheiten garantieren und ein längeres Leben. Sie werden natürlich verstehen, warum niemand das erfahren dürfte. Man würde sich vor Ihnen fürchten, Sie als Monstrum ansehen.“
Er hatte das damals gar nicht ganz mitbekommen. Nur das mit den zehn Prozent prägte sich ein. „Sie können mich zehn Prozent schneller und stärker machen?“ „Mehr als das. Ich habe bereits an Versuchstieren ausprobiert. Haben Sie schon einmal etwas von einer Lebensform gehört, die auf Silizium- und nicht auf Kohlenstoffbasis aufgebaut ist?“ „Ja, sicher. Ich habe darüber gelesen.“ „Ich habe viele Jahre geforscht und experimentiert, bis es mir schließlich gelang, einen lebenden Körper dahin zu bringen, daß er allmählich immer mehr Silizium aufnimmt und dadurch den Kohlenstoffanteil verdrängt. Das Protoplasma hier auf der Erde besteht aus einer Kohlenstoff-Wasserstoff-Sauerstoff-Stickstoff-Verbindung. Ich fand eine Möglichkeit, aus dieser Verbindung einen Teil der Kohlenstoffglieder durch gleiche aus Silizium zu ersetzen. Das ist alles, aber die Wirkung ist beachtlich. Es ist genauso, als würde man weiches Eisen in widerstandsfähigsten Stahl verwandeln. Körperlich sind keine Veränderungen bemerkbar, lediglich Haut und Haare verfärben sich.“ Er hatte es sich damals gut überlegt. „Ich würde also weiter so aussehen wie jetzt, auch an meiner Gehirnstruktur würde sich nichts ändern. Aber ich wäre schneller, stärker, gesünder ...“ „Stimmt.“ Brocat lächelte. „Es wäre ganz einfach für Sie! Und sobald Sie Ihren Auftrag erfüllt haben, läßt sich der ganze Prozeß rückgängig machen. Und das sagte ich Mr. Colson auch bereits. Ich bestehe darauf, daß das geschieht. Denn niemand hier darf jemals etwas von dieser Möglichkeit, Supermänner zu erschaffen, erfahren. Wenn dieses Verfahren je in falsche Hände geriete – es wäre unvorstellbar!“ Er hatte damals nicht zu widerstehen vermocht. Schon die Aussicht, allein auf einem Planeten, fern der übervölkerten Erde mit ihren verweichlichten Menschen leben zu können, war jegliches Risiko wert. Lampart öffnete ein drittes Weinei. „Jetzt ist Argent mein!“ triumphierte er. „Er ist die schrecklichen dreißig Tage wert, die Schmerzen, die ich ertragen mußte, die Nährflüssigkeitsbäder, in die man mich
tagelang steckte, die Unzahl von Injektionen, alles, was ich über mich ergehen lassen mußte. Aber es lohnte sich. Wenn der gute Onkel Leo wüßte! Zehn Prozent, dachte er. Es ist mehr, viel mehr! Er hatte seine Stärke an den Anzeigen in seinem Schiffslabor gemessen. Fünfzig Prozent kam schon näher an die Wahrheit. Er mußte vorsichtig sein, wenn er etwas im Schiff berührte. Türknöpfe, Schalter, Werkzeug. Irgendwie bedauerte er, daß er Leo Brocat enttäuschen würde, indem er hierblieb. Der Weißhaarige war ein gütiger Mann, voll Weisheit und Verständnis. Für die beiden Colsons, Vater und Tochter, empfand er jedoch nur Verachtung. Beide hatten versucht, ihn wie eine Marionette zu benutzen. Sie würden noch ihr blaues Wunder mit ihm erleben. Er erhob sich und marschierte weiter, ein wenig die schräg abfallenden Hänge der Schlucht hinab. Die Hitze nahm hier zu. Sicher lauerten hier auch noch unbekannte Gefahren, aber er fürchtete sich nicht. Die einzige Gefahr, der er aus dem Weg gehen würde, war Doll Colson, die versucht hatte, mit ihm zu spielen, ihn zu beherrschen und dann mit Füßen zu treten. Brocat hatte darauf bestanden, daß er eine Woche im Haus bliebe, ‘ um jederzeit für noch notwendige Tests zur Hand zu sein. Und diese ganze Zeit hatte Dorothea versucht, sich ihre Überlegenheit zu beweisen, indem sie ihn kleinkriegen wollte. Sie hatte vor keinem Mittel zurückgescheut, auch nicht vor einem Aphrodisiakum. Es war an seinem letzten Abend als Hausgast gewesen. Er stand im Mondlicht auf der Veranda. Leise Musik drang aus dem Haus, als sie in einem Schleiergewand, das absolut nichts verbarg, auf ihn zukam. Sie öffnete ihre Hand und hielt sie ihm unter die Nase. „Wissen Sie, was das ist?“ hatte sie ihn gefragt. Ein Blick hatte genügt. „Eine Aphrodisiakumkapsel. Für jene, die es nicht ohne schaffen.“ „Ich brauche nur auf diesen Stift zu drücken, dann müssen Sie die Dämpfe einatmen. Was dann passiert, ist Ihnen klar, nicht wahr?“
„Durchaus. Ich kann Sie nicht davon abhalten, es anzuwenden – aber ich werde nicht verantwortlich sein, für das, was mein Körper dann ohne meinen Willen tut. Was versprechen Sie sich davon, Doll? Was immer dann auch geschieht, mein eigentliches Ich wird nicht daran beteiligt sein. Und das ist es doch, was Sie beherrschen wollen, nicht wahr? Aber das wird Ihnen nicht gelingen. Nicht so und auch auf keine andere Weise. Denn vor mir liegt etwas viel Größeres, das ich nie für Sie und alles, was Sie mir bieten könnten, eintauschen würde. Also drücken Sie ruhig auf Ihren Stift!“ Wütend hatte sie sich umgewandt und war davongerauscht. Er hatte sie danach nicht mehr gesehen. Aber der Schreck, den sie ihm eingejagt hatte, war mehr als genug gewesen. Er näherte sich einem Baum, der einsam auf einer Lichtung stand. Er sah aus wie ein aufgespannter Regenschirm und trug blaue, gurkenförmige Früchte. Er beschloß, eine mitzunehmen, um sie einigen Tests zu unterziehen. Er versuchte sie mit dem Speer zu angeln, aber sie hingen zu hoch. Er warf den Speer achtlos auf den Boden und schleuderte das Schwert. Es schlug gegen einen Ast und prallte davon ab. Wie Bleigewichte polterten ein paar der blauen Gurken herab. Doch nicht nur sie, auch eine erbost fauchende katzenähnliche Bestie mit sechs klauenbewaffneten Beinen. Lampart stand einen Augenblick wie erstarrt. Er war zwar bereits einigen dieser Katzentieren begegnet, aber noch keinem so großen wie diesem. Und er war jetzt unbewaffnet. Das Schwert lag jenseits der Katze.
4. Grüne Augen zogen sich zusammen, als das Tier zum Sprung ansetzte. Er warf sich nach vorn, um eine der schweren Gurken als Waffe zu packen. Gleichzeitig mit ihm hob sich die Katze, und sie stießen mitten im Sprung zusammen. Seine Brust schmerzte von dem Aufprall,
aber es gelang ihm, eine der Gurken zu fassen und sie auf das ihn erneut anfallende Tier zu schmettern. Die Katze torkelte einen Moment. Das gab ihm Zeit, sein Schwert zu packen. Als sie wieder auf ihn lossprang, holte er mit dem plumpen Schwert aus. Es durchtrennte eines der Vorderbeine gut über die Hälfte, aber sein Arm war nun fast taub. Trotzdem holte er noch einmal aus, als die Bestie knurrend und fauchend einen neuen Sprung mit fünf Beinen versuchte, während purpurnes Blut aus ihrer Wunde troff. Diesmal stieß er mit aller Kraft zu, und das Schwert drang durch den Pelz und die dicke zähe Maut, daß die Purpurflüssigkeit wie eine Fontäne hochspritzte. Die Katze krümmte sich ein letztesmal im Todeskampf, dann lag sie still, Lampart wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte, nicht daran zu denken, wie nah er selbst dem Tode gewesen war. Er vermochte kaum noch einen klaren Gedanken zu fassen. Er wußte nur, daß er zurück in die Sicherheit seines Schiffes mußte. Sein Blick fiel auf die Gurkenfrucht, aber die konnte warten. Wichtiger war der Speer. Taumelnd bückte er sich, ihn aufzuheben. Da gaben seine Knie nach, und er fiel mit dem Gesicht voraus ins Gras. Verwirrt kämpfte er sich auf die Knie, während sein linker Arm und die Schulter wie Feuer brannten. Was er sah, rüttelte ihn auf, wie nichts anderes es vermocht hätte. Eine der Katzenpranken mit ihren drei gewaltigen Krallen hatte drei tiefe Furchen von der Schulter quer über die Brust bis zum Bauch geschlagen. Blut floß heraus, doch es war unmöglich, hier etwas dagegen zu unternehmen. Mit größer Anstrengung schob er das Schwert in den Gürtel und stützte sich auf den Speer. „Darf nur meinen rechten Arm benutzen“, murmelte er vor sich hin. „Muß zum Schiff zurück, sonst verblute ich. Wie spät ist es?“ Er blickte hoch, dabei fiel sein Blick auf das tote Raubtier. Etwas gleißte in seinem Fell. Er tastete danach. Seine zittrigen Finger holten etwas Hartes, Glitzerndes heraus, das vor seinen ungläubig aufgerissenen Augen verschwamm. Speerspitze? Pfeilspit-
ze? Irgend so etwas. Auf die Beine taumelnd, schob er es, ohne weiter darüber nachzudenken, in einen der Gürtelbeutel. Schwer auf den Speer gestützt, torkelte er wie ein Betrunkener den weiten Weg zurück. „Muß es schaffen“, murmelte er wieder und wieder, während der Schmerz immer unerträglicher zu werden schien. „Kein Gift“, versuchte er sich selbst zu beruhigen. „Bin schon oft gebissen worden. Kein Gift hier. Ist nur der Schock. Brauche was zu trinken.“ Momente der Klarheit wechselten mit kurzen Bewußtseinsstörungen ab. Phantome kamen, ihn zu quälen. Sie war hinter ihm her. Ihre dunklen Augen, die schwarzen Haare, die arroganten Brüste, ihre langen schlanken und doch so kräftigen Beine, ihre zauberhaften Formen, die ihn verführen sollten. „Hexe!“ knurrte er. „Bekommt mich nicht! Nicht hier! Bin frei! Mein Planet!“ Ihr Gesicht verwandelte sich in Leo Brocats, der ihn beschwor, Geduld zu haben. „Nur noch ein paar Tage, Junge. Dann haben Sie es überstanden.“ „Warum sagten Sie mir nicht, daß es so schmerzen würde!“ brüllte er. „Meine Knochen schmelzen! Meine Eingeweide verbrennen! Verflucht! Warum tun Sie nichts? Helfen Sie mir doch!“ Seine Sinne kehrten zurück. Er stand im Bergeinschnitt, und unter ihm lag die Ebene. Über ihm huschte Merope, sein Zeitmesser, aus dem Zenit nach Westen. Er mußte sich beeilen. Er versuchte schnellere Schritte zu machen, aber seine Beine gaben nach. Er rollte den Schräghang hinunter. Als er auf der sandigen Ebene landete, war sein Mund voll der groben Körner, und er mußte heftig husten. Wie Dolche bohrte sich der Schmerz durch ihn. Aber dort stand das Schiff. Es flimmerte, schwankte vor seinen Augen. Er mußte es schaffen. Mit letzter Kraft schleppte er sich durch den Sand. Doch da schüttelte ihn ein heißer Windstoß. Das ferne Grollen erreichte sein Ohr, und schon öffnete der Himmel seine Schleusen. Zu spät!
Er lag nun ausgestreckt auf dem Boden und erwartete, jeden Augenblick zu ertrinken. Aber zu seiner Überraschung strömte mit dem heißen Naß neue Kraft durch seinen geschwächten Körper. Sein verwirrter Geist schrie: „Du hast viel Blut verloren! Du brauchst Flüssigkeit! Trink, du Narr! Trink!“ befahl er. Er rollte sich auf den Rücken und öffnete weit den Mund. Der Regen floß durch seine Kehle, und er schmeckte wie Wein. Er zuckte zurück vor der Heftigkeit, mit der das heiße Naß seine schmerzenden Wunden wusch, aber die Kraft kehrte zurück, und er vermochte aufzustehen. Dann war alles vorbei. Sobald die Dämpfe sich verflüchtigt hatten und er sah, in welcher Richtung das Schiff stand, trottete er noch etwas taumelnd darauf zu und die Gangway hinauf. Es war mühsam, Heilpflaster auf die Wunde zu sprühen, aber er schaffte es. Dann kochte er sich eine Tasse Suppe, die er mit einem Sedativ anreicherte. Er würde sein Erlebnis sicher nicht in seinem Report berichten. Mehr als „Alles in Ordnung. Arbeit verläuft planmäßig“, meldete er ohnehin nie. Er blickte auf die Wanduhr und stellte fest, daß er noch zwei Tage bis zur nächsten Meldung hatte. Er hob vorsichtig seinen schmerzenden Arm. Am besten war es, er würde die zwei Tage zu einem Heilschlaf benutzen. Nur schade, daß die Riesenkatze bis dahin bereits von den Aasfressern vertilgt sein würde. Vielleicht hätte er sich aus ihrem Fell Schuhe machen können. Das war ohnehin das einzige, was er hier als Körperschutz benötigte. Zu dumm, daß der Computer keine Auskunft über Gerben geben konnte. Er hatte ihn schon einmal danach gefragt. Nun, vielleicht kam ihm noch einmal selbst eine brauchbare Idee. Das erinnerte ihn an das glitzernde Ding, das er aus der Katze gezogen hatte. Er tastete in dem Beutel danach und zog es hervor. Ungläubig starrte er es an. Es war tatsächlich entweder eine Pfeil- oder Speerspitze. Die Spitze war aus Bronze und in einer Form gegossen worden. Dann mußte es hier also auch intelligente Lebewesen geben. Vielleicht nicht gerade Humanoiden, doch wie sie auch aussehen mochten, sie kann-
ten den Gebrauch von Feuer und wußten Metalle zu schmelzen und mischen. Ob sie etwas von seiner Anwesenheit ahnten? Aber jetzt war er viel zu erschöpft, weiter darüber nachzudenken. Er mußte ganz einfach schlafen. Er legte sich vorsichtig auf die rechte Seite und war sofort eingeschlummert. Er erwachte schweißgebadet. Seine Schulter, sein linker Arm und seine Brust juckten unerträglich, und sein Mund war wie ausgedörrt. Er blickte auf die Uhr. Es waren tatsächlich zwei volle Tage vergangen. Von seinem nur noch leicht schmerzendem Arm abgesehen, fühlte er sich wie neugeboren. Er sprang aus der Koje und streckte sich. Vorsichtig zog er das Pflaster ab. Die Wunden waren völlig verheilt. Nur ein noch etwas helleres Fleisch zeigte an, wo sie gewesen waren. „Ich bin nicht unterzukriegen!“ jubelte er. „Zäh wie Leder. Leo, du hast wirklich nicht zu viel versprochen!“ Er wusch sich und nahm eine ausgiebige Mahlzeit zu sich, dann stieg er zur Radiokabine hoch. Wie immer würden die verzerrten Stimmen auf die Minute pünktlich sein. Er wußte nicht, wer die drei dort oben in der Monitorstation waren. Sie sprachen nicht viel, und was sie sagten, war unpersönlich. Vermutlich hatte Colson ihnen verboten, den Mund mehr als nötig aufzumachen. Aber auch er hatte absolut keine Lust, sich mit ihnen zu unterhalten, wie leicht könnte er sich durch ein unbedachtes Wort verraten! Das Sprechgerät klickte. Ein Lämpchen leuchtete auf. Er drückte auf den Schalter. „Bodenstation an Monitor. Verbindung hergestellt.“ „Monitor. Dreißigster Tag. Bestätigen Sie. Wie fühlen Sie sich?“ „Dreißigster Tag. Bestätige. Mir geht es gut. Keine Meldung.“ Das bedeutete, daß sich nichts Ungewöhnliches ergeben hatte. So war es abgemacht, „Gut. Übernehmen Sie Fähre zur üblichen Zeit, eine Stunde vor Sonnenuntergang. Bestätigen Sie.“ „Bestätige. Proben und Auswertung sind bereit. Auch Aufstellung von benötigten Sachen. Konnten Sie besorgen, worum ich letztesmal bat?“ Alles mußte langsam und deutlich gesagt werden, um durch
das Dröhnen der atmosphärischen Störungen noch verständlich zu sein. „Alles besorgt. Wird soeben verladen. Noch etwas. Hören Sie?“ „Verstanden.“ Beunruhigt runzelte Lampart die Stirn. Was hatten sie vor? „Lassen Sie für Landung besondere Vorsicht walten. Wiederhole, besondere Vorsicht. Landefahrzeug bringt Passagier. Wiederhole, ein Passagier. Bestätigen Sie.“ „Bestätige. Besondere Vorsicht. Ein Passagier.“ Lampart wiederholte automatisch. Was zum Teufel sollte das bedeuten? Wütend schaltete er das Gerät aus. Doch langsam verwandelte seine Wut sich in Angst.
5. Ein Passagier, das konnte alle möglichen Gründe haben, überlegte Lampart. Es gefiel ihm absolut nicht. Bestimmt war es jemand, der ihn bespitzeln sollte. Doch sicher nicht Colson selbst, der würde seine Zeit bestimmt nicht persönlich damit verschwenden. Leo Brocat vielleicht? Wollte er sich vergewissern, daß sein Experiment geglückt war? Aber das konnte er auf eine einfachere Weise erfahren, durch einen Brief, beispielsweise. Nein, Brocat war es bestimmt ebenfalls nicht. Er lief erregt im Sand vor dem Schiff auf und ab. Colson schickte also jemanden, um nach dem Rechten zu sehen. Offenbar war er mit seinen Proben und Berichten nicht zufrieden. Das wäre verständlich. Vermutlich sandte er einen Mineralogen, einen Experten. Das würde das Ende seines, Lamparts, Traumes bedeuten. Ein Fachmann brauchte nur einen Blick auf den Sand hier zu werfen, und sein Spiel wäre aus. Er versuchte, ruhiger zu werden.
Er kehrte ins Schiff zurück und machte sich eine Tasse Kaffee. Man hatte ihn gebeten, bei der Landung besondere Vorsicht walten zu lassen. Das bedeutete, daß der Passagier selbst nichts von der Lenkung des Fahrzeugs verstand. Schön, er würde das Fährboot also vorsichtig landen. Doch wie ließ sich die Gefahr abwenden? Der Passagier war zweifellos durch den schweren Schutzanzug gehandikapt und sicher nicht scharf darauf, gleich ins Freie zu eilen, um Proben zu sammeln. Vielleicht konnte er ihn überreden, im Schiff zu bleiben? Natürlich mußte er alles wegräumen, was ihn verraten könnte. Die Früchte, das Echsenfleisch, seine selbstgefertigten Waffen. Er konnte alles in einem der Lagerräume verstauen. Und natürlich mußte er die richtigen Erzproben und so weiter bereitliegen haben. Vorsichtshalber sollte er auch eine Kabine freimachen. Lampart blickte auf die Uhr. Es blieben ihm noch ein paar Stunden, alles vorzubereiten. Und wenn dieser verdammte Spitzel doch etwas entdeckte, was er nicht sehen sollte, nun, dann mußte die Fähre eben auf dem Rückweg einen Unfall erleiden. Allerdings, wenn Colson tatsächlich Verdacht geschöpft hatte, würde sein Mißtrauen sich durch den Verlust seines Agenten noch verstärken. Aber zumindest gewann er Zeit. Er konnte sich mit dem Schiff irgendwo verstecken, wo sie ihn nicht so leicht zu finden vermochten. Als Alcyone sich bereits dem Horizont näherte und ihre Strahlen ein wenig erträglicher wurden, kam das verabredete Zeichen. Nun mußte er noch eine gute halbe Stunde warten, ehe die Fähre vom Monitor aus ferngelenkt durch die stürmische Ionosphäre in eine ellipsoide Bahn gebracht werden konnte. Es war seine Aufgabe, sie über Radar zu finden und die Fernsteuerung zu übernehmen. Wenn er Glück hatte, entdeckte er sie gleich nach dem Eintauchen, wenn nicht, nach der ersten oder gar erst zweiten Umkreisung. Was wäre, wenn er sie gar nicht fände? Er dachte flüchtig an den hilflosen Passagier, aber der Gedanke berührte ihn nicht weiter. „Schließlich bin ich nicht mehr menschlich“, verteidigte er sein mangelndes Schuldbewußtsein.
Aber er hielt es auf jeden Fall für klüger, den Besucher erst einmal landen zu lassen und vielleicht ein wenig mehr über ihn und Colson zu erfahren. Mit viel Fingerspitzengefühl gelang ihm eine sanfte Landung der Fähre. Doch nun kam das Unangenehmste für ihn. Er mußte, um seine Rolle glaubwürdig zu spielen, in den schweren Schutzanzug steigen und damit die ganze Strecke bis zu dem Landefahrzeug marschieren. Er kochte innerlich bereits, als er es endlich erreicht hatte. Die Schleuse stand schon offen, und die Gangway war heruntergelassen. Er schaltete das Helmsprechgerät ein und zuckte vor den knatternden, dröhnenden Interferenzen zurück. „Hallo!“ rief er. „Mein Schiff steht dort drüben. Sie können es von hier aus sehen. Gehen Sie schon einstweilen voraus, ich habe hier noch zu tun.“ Er sah einen Arm, der sich zum Gruß hob und hörte eine Stimme durch das Knattern und Dröhnen. „Danke. Ich werde es schon schaffen. Wann kommen Sie nach?“ „In ungefähr zehn Minuten. Ich muß noch entladen und laden.“ Der Schutzanzug mit dem geheimnisvollen Passagier zuckelte schwerfällig aufs Schiff zu. Er holte vier Heizstoffblasen, zwei Metallbehälter mit Nahrungsmitteln und vier Speicherbatterien heraus, dann verstaute er sowohl seine Proben und leeren Behälter als auch die Auswertung und seine Wunschliste, ehe er ein dickes Seil um zwei der Heizstoffblasen wand. Er schleifte das Zeug hinter sich her, obwohl es ihm nicht schwergefallen wäre, sie unter die Arme zu klemmen. Aber auch das gehörte zu seiner Rolle. Voll Ingrimm betätigte er den Öffnungsmechanismus der Schiffsschleuse und mußte warten, bis die Luft ausgetauscht war. Der Thermostat war, wie er mit einem Blick bemerkte, auf zwanzig Grad herabgesetzt worden. Wütend stellte er ihn auf sechzig zurück. Sollte der Besucher nur schwitzen. Der Passagier stand in der Küchennische, den Helm zurückgeklappt, und fummelte an der Kaffeemaschine herum. Wieder stieg der Grimm in ihm hoch. „Das mache ich selbst, lassen Sie Ihre ...“, begann er zu knurren und stoppte mitten im Satz, als der Besu-
cher sich umwandte. Seine Augen weiteten sich. Er öffnete die Lippen, aber kein Ton kam heraus. „Sie hier?“ krächzte er schließlich. „Jawohl, ich“, spottete sie. „Wen hatten Sie erwartet? Den Weihnachtsmann?“ Er stammelte: „Was wollen Sie – hier?“ „Glaubten Sie wirklich, ich gäbe so schnell auf, John Lampart? Glaubten Sie, Sie könnten mir entkommen?“ Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Wollen Sie behaupten, Sie sind den ganzen Weg von der Erde hierhergereist, nur weil Sie sich immer noch beweisen wollen, daß Sie mich um den kleinen Finger wickeln können? Sind Sie denn völlig übergeschnappt?“ „Ich lasse mich nicht auslachen, John Lampart“, sagte sie kalt. „Ich werde es Ihnen schon zeigen. Sie glaubten, Sie könnten hier den unbezwinglichen Supermann spielen. Glaubten, Sie könnten mir dieses Geheimnis vorenthalten. Nicht mir, John Lampart!“ Er mußte Zeit gewinnen. „Schlüpfen Sie aus dem Anzug, machen Sie es sich bequem“, forderte er sie auf. „Ich richte uns Kaffee. Haben Sie vor, zu bleiben? Ich meine, länger als eine Stunde oder so? Ich muß es wissen, weil ich die Fähre zurückschicken muß.“ „Hier bin ich, und hier bleib’ ich!“ erklärte sie. „Sie müssen sich wohl oder übel damit abfinden. Sie kamen ja auch in mein Haus, ohne mich zu fragen!“ Er dachte an seinen Plan, die Fähre auf dem Rückweg zu „verlieren“. Daß der Besucher Dorothea Colson war, komplizierte die Sache nicht übermäßig. Er hatte jedenfalls die Trumpfkarte in der Hand, also warum sollte er sich Sorgen machen? „Hier ist Ihr Kaffee. Machen Sie es sich gemütlich, so gut es eben geht. Ich muß jetzt die Fähre zurückschicken.“ „Ich komme mit Ihnen. Es interessiert mich, wie das getan wird.“ Sie erhob sich, und ihr Anzug knarrte. „Es ist schrecklich heiß hier.“ „Ich sagte doch, ziehen Sie ihn aus. Er ist nur für draußen.“ Um sie zu ärgern, schritt er zum Kleiderhaken und streifte seinen eigenen ab, daß er völlig nackt dastand. Er wandte sich zu ihr um, um ihre Reak-
tion zu beobachten. Sie schlüpfte gerade aus ihrem Anzug. Ihr weißer Bodysuit klebte naß vom Schweiß an ihr. „Oh!“ murmelte sie. „Gehen Sie nicht ein bißchen zu weit?“ „Das ist jetzt mein Zuhause, und mir ist es so am bequemsten. Ich habe Sie nicht hergebeten.“ Er stieg ihr voraus die Stufen hoch. Die Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf. Sie war ganz sicher nicht nur hierhergekommen, um ihr Ziel bei ihm doch noch zu erreichen. Sie schauspielerte zwar recht überzeugend, aber er glaubte ihr trotzdem nicht. Doch warum sollte er sie nicht glauben lassen, daß er es tat? Irgendwann würde sie sich schon verraten und den wahren Grund aufdecken. Er betrat den Kontrollraum und setzte sich vor die Telemetrietafel. Dann meldete er der Monitorstation, daß er die Fähre nun zurückschicken würde. Er erklärte Dorothea jeden Handgriff, den er ausführte, und sie unterbrach ihn nur ein einziges Mal, als sie den ersten Schluck Kaffee zu sich nahm. „Puh! Das schmeckt ja scheußlich. Irgend etwas stimmt mit Ihrem Wasser nicht.“ „Es ist aufgesammeltes Regenwasser. Sie werden sich schon daran gewöhnen“, brummte er. Als die Fähre von oben übernommen wurde, hatte er Zeit, sie näher zu betrachten. Sie saß zusammengekauert auf einem Hocker neben ihm. An ihrem hautengen Trikot war kein trockener Faden mehr. Ihr schwarzes Haar war ganz kurz geschnitten und wuchs an den Wurzeln rot nach. Ihre Fingernägel glänzten auch ohne Lack wie Perlmutt. Da erinnerte er sich auch, daß sie ihm ohne Anstrengung die Treppe hoch gefolgt war. Nun wußte er, wieviel es geschlagen hatte, und er glaubte ihrer Geschichte noch weniger. „Ah, Sie schwammen also auch in Leo Brocats Nährflüssigkeit“, brummte er. „Ich sagte Ihnen doch. Was Sie können, kann ich schon lange!“ „Aber warum das alles?“ fragte er. „Ich verstehe es einfach nicht. Was versprechen Sie sich denn davon?“
„Ganz einfach. Als Sie so plötzlich sang- und klanglos mit Onkel Leo verschwanden, war es mir klar, daß etwas Großes im Gange war. Ich habe versucht, etwas aus meinem Vater herauszubekommen. Aber er wimmelte mich einfach ab. Doch als Onkel Leo zurück war, hatte ich keine Schwierigkeiten. Ich kann ihn um meinen kleinen Finger wickeln.“ Sie starrte ihn arrogant an. „Sie sehen also, ich setze meinen Willen durch.“ „Das habe ich nie bestritten. Aber nun möchte ich wissen, was Sie wirklich wollen. Sie brauchen nicht länger so tun, als wäre ich der Grund.“ Sie betrachtete ihn mit einem seltsamen Ausdruck. „Sie sind wirklich ein merkwürdiger Mann. Ich habe nie zuvor jemanden wie Sie kennengelernt. Sie sagten, vor Ihnen liegt etwas viel Größeres, Besseres, das Sie nie für mich und alles, was ich Ihnen bieten könnte, eintauschen würden. Erinnern Sie sich? Ihre Augen glühten damals geradezu vor Aufregung. Ich mußte unbedingt erfahren, was einen so kühlen, beherrschten Menschen wie Sie so begeistern kann. Ich wollte daran teilhaben!“ Es klang so ehrlich, daß es ihn fast beunruhigte. Doch sie würde ihn nie verstehen können, selbst wenn er ihr die Wahrheit sagte. „Kommen Sie“, lud er sie ein und stieg ihr voraus auf die oberste Schiffsplattform. „Sehen Sie sich um. Wir befinden uns hier auf einer Hochebene, wo es verhältnismäßig kühl ist.“ Er hörte, wie sie japsend die Luft einzog, und fügte schnell hinzu: „Das werden auch Sie empfinden, wenn sich Ihr Körper erst ganz umgestellt hat. Es ist gut leben hier. Sicher, es ist rauh und wild, aber auch sauber und frisch. Keine Menschen, keine Verseuchung – vor allem keine Verseuchung des Geistes. Hier gibt es keine Lügen, keinen Betrug, keine Selbstherrlichkeit, keine Überheblichkeit. Die Welt der Menschen ist verrottet. Es gibt dort kaum noch etwas Natürliches. Aber das hier ist alles unberührt, auch wenn es gefährlich sein kann, wenn man nicht auf der Hut ist.“ Er deutete auf die neue Haut auf seiner Brust. „Ich war es vor ein paar Tagen nicht. Jedenfalls packte ich die Chance beim
Schopf, als sie mir geboten wurde, um fort von der verlogenen, übervölkerten Erde zu kommen. Das hier ist, was ich begehrte und bekam. Aber ich weiß nicht, ob Sie es auch nur im geringsten verstehen.“ „Sie haben sich verändert“, murmelte sie. „Früher hatten Sie Angst vor mir. Aber jetzt scheint es Ihnen völlig gleichgültig zu sein, was ich sage oder tue.“ „Sie kommen der Sache schon nahe. So, ich muß noch arbeiten. Ich weise Ihnen eine Kabine zu. Haben Sie Gepäck mitgebracht? Wie lange werden Sie bleiben? Die nächste Fähre kommt in fünf Tagen, aber ich kann sie auch eher herunterrufen.“ „Mein Gepäck ist in einem der Metallbehälter.“ Sie folgte ihm die Treppe hinab zum Kabinendeck. „Wie lange ich bleibe, weiß ich noch nicht.“ „Dort ist die Dusche. Ich habe einen Vorrat an Baumwolltrikots, aber das Argon in der Atmosphäre bekommt ihnen nicht. Sie lösen sich ziemlich schnell auf. Ich bringe Ihnen Ihren Behälter und hole den Rest der Ladung.“ „Ich helfe Ihnen“, bestand sie. „Ich bin nicht hierhergekommen, um mich bedienen zu lassen.“ „Wie Sie wollen“, brummte er. Er kehrte auf das Hauptdeck zurück und holte seinen Gürtel und das Schwert hervor, wo er es versteckt gehabt hatte. Dann schaltete er den Thermostaten ganz aus und öffnete die Schleuse. Eine Brise Luft kam herein, die er als frisch und rein empfand. „Um Himmels willen, was tun Sie da?“ keuchte sie und starrte ihn entsetzt an. „Ich gehe hinaus und hole die Sachen, wie ich schon sagte.“ „Nackt? Und mit einem Schwert?“ „Hörten Sie mir denn nicht zu? Ich will hier ein natürliches Leben führen. Dazu brauche ich keine künstliche Luft und Kleidung.“ Er blickte sie an. „Also, wenn Sie helfen wollen, dann kommen Sie – oder lassen es bleiben.“ Er grinste grimmig. Sie wußte es zwar noch
nicht, aber sie war ihm völlig ausgeliefert. Sie mochte lernen, den Ofen und den Autokoch und auch die Duschanlage zu bedienen, aber nicht das Radio und die Fernsteuerung des Landefahrzeugs. Er marschierte zur Fähre, und sie stapfte hinter ihm durch den Sand. Auch wenn er sonst nicht viel von ihr hielt, mußte er doch zugeben, daß sie Ausdauer und Energie hatte. Wenn sie nicht ausgerechnet Colsons Tochter und ein männerverschlingender Vamp wäre, vielleicht ... Einen kurzen Augenblick sah er sie beide als moderne Art Adam und Eva, aber er schüttelte den Gedanken schnell ab. „Meine Knochen sind schwer wie Blei. Wie lange, glauben Sie, wird es noch dauern?“ „Bis Sie sich angepaßt haben? Nur ein paar Stunden. Hier, nehmen Sie einen der Behälter. Er ist nicht so schwer, wie er aussieht.“ Er selbst klemmte sich den Rest unter die Arme, und sie kehrten Seite an Seite zurück. „Es fällt mir schon weniger schwer“, gestand sie. „Und so heiß ist es mir ebenfalls nicht mehr. Glauben Sie, ich werde auch so schön golden wie Sie?“ „Wenn Sie lange genug bleiben. Bei mir dauerte es fünf Tage, bis die Haar- und Hautfarbe verändert hatten.“ Sie nickte. „Mein Magen knurrt. Haben Sie was Annehmbares zu essen?“ „Sie brauchen nicht zu hungern. Räumen Sie die Behälter auf, ich koche uns einstweilen etwas.“ „Im Autokoch“, murmelte sie spöttisch. Er schüttelte den Kopf, als er die eingefrorenen Scheiben des Echsenbeins in den Hochfrequenzofen steckte. Sie hatte Mut, Ausdauer, Verstand, und auch ihre Gesellschaft war ihm nicht unangenehm, wenn sie nur nicht den Tick hätte, unbedingt herrschen und ihn unterkriegen zu müssen. Bestimmt hatte Colson gerade diesen Tick zu nutzen gewußt. Sie wollte hierher, also ließ er es zu, weil er sicher war, daß er nach ihrer Rückkehr alles erfahren würde, was hier vor sich ging.
Das erinnerte ihn wieder daran, daß sie auf keinen Fall lebend den Planeten verlassen durfte. Sein schlechtes Gewissen ließ ihn herumwirbeln, als sie von der Treppe her sagte: „Das riecht aber gut und gar nicht nach Autokoch.“ Sue trug ein blaßblaues Bolero mit gleichfarbigem kurzen Rock und dazupassende Schuhe. „Sie haben sich aber schön gemacht“, brummte er. „Da muß ich wohl auch etwas für mein Äußeres tun.“ „Nicht meinetwegen.“ „Ich werde mich schnell duschen. Bis dahin ist sowohl das Essen als auch der Kaffee fertig.“ Als er zurückkam, stand sie in der Kochnische und hielt etwas zwischen den Fingern. Sie drehte sich mit einem Lächeln zu ihm um. „Was ist das, John? Haben Sie versucht, Pfeilspitzen zu machen?“ Er nahm ihr den kleinen Gegenstand aus der Hand und schaute nach dem Fleisch. „Setzen Sie sich einstweilen. Gleich bringe ich das Essen, dann erzähle ich Ihnen alles, was ich über dieses Ding hier weiß.“ Der Saft aus dem Echsensteak machte mit ein bißchen Proteinpulver eine schmackhafte Soße. Er nahm zwei Teller und lud sie voll, ehe er sich zu ihr an den Metalltisch setzte. Sie blickte ihm erwartungsvoll entgegen, und ihre Augen strahlten. Zu schade, daß sie sterben mußte, dachte er. Aber es gab keinen anderen Weg. „Sie haben mir erzählt, wie Sie es schafften, hierherzukommen. Aber was geschieht, wenn Sie wieder heimkehren? Sprachen er und Ihr Vater auch davon?“ „Nicht viel, nein. Onkel Leo erklärte mir lang und breit, daß ich dann wieder rückverwandelt werden müßte, und Vater war wie üblich in irgendein Dokument vertieft. Ich war mehr als überrascht, daß er nichts gegen meine Reise hatte. ,Geh, wenn es dir Spaß macht’, sagte er. ,Dann stellst du wenigstens hier nichts an.’ Das war alles. Es herrscht nicht viel Liebe zwischen uns, glauben Sie mir,“ Sie verzog abfällig die Lippen.
„Er sagte nicht etwa: ,Paß auf, was du siehst und hörst, ich möchte alles genau wissen, wenn du wieder hier bist’?“ „Da kennen Sie meinen Vater schlecht. Der Tag müßte erst noch kommen, daß er sich dafür interessiert, was ich sehe oder höre. John, für ihn bin ich nur irgend etwas, das ihm gehört, aber das keinen Wert für ihn hat. Außerdem, was könnte ich ihm denn schon berichten? Ich verstehe absolut nichts von Ihrer Arbeit. Niemand würde mir auch nur zuhören, wenn ich von hier erzählte.“ „O doch. Und wie sie ihre Ohren spitzen würden! Sie haben zwar noch nicht gesehen, was ich hier tue, wohl aber, wie ich es tue. Sie haben das hier gesehen“, er schob die Pfeilspitze mit der Gabel in die Tischmitte. „Sie haben gesehen, daß ich mich nackt ins Freie begebe. Sie haben gehört, was ich von der irdischen Zivilisation halte. Wenn Sie zwei und zwei zusammenzählen, könnten Sie sehr wohl zu dem Schluß kommen, daß ich versuche, hier Fuß zu fassen. Daß ich selbständig, ohne menschliche Hilfe nur von dem leben will, was der Planet mir zu bieten hat. Und wenn Sie es nicht selbst folgern würden, täte es sicher jemand anderer, dem Sie davon erzählen.“ „Und wem sollte ich davon erzählen?“ konterte sie. „Das einzige, was mein Vater mir klarmachte, war, daß niemand erfahren dürfte, wo ich war. Ich dachte, es wäre unnötig, das zu erwähnen. Halt – was sagten Sie da?“ Sie starrte ihn verständnislos an. „Sie wollen nur von dem leben, was der Planet Ihnen zu bieten hat? Ohne menschliche Hilfe? Das ist doch völlig unmöglich!“ „Und wieso?“ „Was wollen Sie denn essen? Hier wächst doch nichts! Ich habe mich mit Onkel Leo unterhalten. Das hier ist ein heißer, junger Planet, der noch nicht Zeit hatte, Leben hervorzubringen.“ Als Antwort blickte er auf die Pfeilspitze. „Sehen Sie doch, Ich habe sie nicht angefertigt. Ich habe sie gefunden, als mir das hier zustieß.“ Er öffnete das Oberteil seines Bodysuits, den er sich nach dem Duschen übergestreift hatte, und zeigte ihr die schon fast verschwindenden Narben. „Das stammt von einem einheimischen Raubtier.“
Er begann zu erzählen.
6. Sie war eine gute Zuhörerin, als er ihr berichtete, was er in den dreißig Tagen seit seiner Ankunft erlebt hatte. Er erzählte von seinen gefährlichen Begegnungen mit den gepanzerten Krötenechsen; von den lebenden roten Säureklecksen, deren Berührung die Haut ätzte; von den Membrangeiern; den wolfsähnlichen Aasfressern; von den Waffen, die er angefertigt hatte; von den einheimischen Früchten, den Weineiern; von den blauschwarzen Katzentieren. „Sie sehen also, es gibt hier mehr als genug einheimisches Leben.“ „Und das hier?“ Sie nahm die Pfeilspitze in die Hand und betrachtete sie näher. „Das“, gestand er, „hat mir einen ganz schönen Schock versetzt. Nur ein intelligentes Lebewesen kann die Spitze angefertigt haben. Ich zog sie aus einer alten Wunde der Raubkatze, die mich fast umgebracht hätte. Das war vor zwei Tagen, keine zwanzig Kilometer von hier.“ Zu seiner Überraschung brach sie in ein melodisches Lachen aus, das ihn zu jeder anderen Zeit fasziniert hätte. Als sie wieder reden konnte, schüttelte sie den Kopf. „Sie geben nie auf, nicht wahr? Ich muß gestehen, ich bewundere Ihre Phantasie. Aber Sie verschwenden sie an mir.“ „Was wollen Sie damit sagen?“ fragte er verblüfft. „Sie versuchen, mir Angst einzujagen, wollen, daß ich so schnell wie möglich von hier verschwinde. Sie ertragen es nicht, daß ich Ihnen ebenbürtig bin. Sie haben mich vom ersten Augenblick an verachtet, mich und meine Freunde. Glauben Sie, ich hätte das nicht bemerkt? Von oben haben Sie auf mich herabgesehen. Auf mich!“
Sie waren nun beide aufgesprungen und starrten sich über den Tisch hinweg wutfunkelnd an. „Sie und Ihr kindisches Wagenrennen!“ brüllte er. „Wo Sie überhaupt nichts von Pferden und noch weniger von Streitwagen verstehen. Und Ihre Karikaturen von Freunden haben Sie sich nur ausgesucht, damit Sie neben ihnen um so besser aussehen, um so wirkungsvoller. Sie sind weiter nichts als ein verzogenes Balg.“ „Das wagen Sie zu sagen!“ preßte sie zwischen den Zähnen hervor. „Sie, der sein miserables Leben lang auf der Flucht vor der Wirklichkeit ist. Sie bilden sich ein, ein kleiner Gott zu sein! Und ein König, hier, in Ihrem eigenen kleinen Königreich! Sie glauben, weit über den normalen Sterblichen zu stehen. Sie blicken auf sie herab. Onkel Leo sagte, ,Ich mache einen Supermann aus Ihnen’ und Sie packten die Gelegenheit beim Schöpf. Mein Vater sagte, ,Ich gebe Ihnen einen ganzen Planeten!’ und Sie ließen sich auch das nicht entgehen. Ein Schwert haben Sie ja schon. Was ist das nächste, das Sie sich basteln werden? Eine Krone? König von Argent! Hah! Eine ganze Welt nur für Sie! Doch dann kam ich! Und ich passe nicht in Ihren Traum. Deshalb wollen Sie mir Angst einjagen, mich vertreiben!“ „Glauben Sie, was Sie wollen!“ knurrte Lampart. „Ich habe Sie nicht hergebeten. Und lassen Sie sich eines in Ihren eingebildeten Schädel gehen: Sie sind hier völlig auf mich angewiesen. Sie können das Schiff nicht bedienen, auch nicht die Fernlenkung für die Fähre und sich nicht einmal mit der Monitorstation in Verbindung setzen. Sollte mir etwas zustoßen, dann sind Sie tot. Vergessen Sie das nicht!“ „Machen Sie nur so weiter!“ höhnte sie. „Vielleicht wollen Sie sich auch noch an mir vergreifen? Aber ich warne Sie! Ich weiß mich zu wehren. Und dann werden Sie echte Narben auf zuweisen haben, Sie – Ekel!“ „Ich mich an Ihnen vergreifen! Ich würde Sie nicht einmal mit einer Feuerzange anlangen! Und daß ich meine Phantasie strapaziere, um Sie zu vertreiben ...“ Er rannte auf den Kühlschrank zu. „Da, sehen
Sie!“ Er hielt das gefrorene Echsenbein in der Hand, von dem nur wenig Fleisch fehlte. Er warf es auf den Tisch. „Phantasie, pah!“ Sie riß die Augen weit auf, streckte die Hand nach dem gefrorenen Fleisch aus, aber zog sie wieder zurück. „Das ist irgendein – Bein!“ stammelte sie. „Was Sie nicht sagen! Meines ist es jedenfalls nicht. Ihres auch nicht. Ich habe also alles nur zusammenphantasiert, ja?“ „Es gibt – wirklich Lebewesen hier?“ „Was glauben Sie denn, was Sie da aßen?“ Sie schluckte schwer und betrachtete das Bein näher. „Eine Echse? Ehrlich?“ „Wahrhaftig. Und auch der Rest, einschließlich der grünen Männer – ich weiß natürlich nicht, ob sie grün sind und Männer –, aber jedenfalls fand ich die Pfeilspitze, wie ich es Ihnen erzählte.“ Ihr Gesicht spiegelte den inneren Kampf wider. „Verdammt! In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nicht entschuldigt. Aber hier muß ich es wohl. Es tut mir leid, ich war im Unrecht!“ „Vergessen Sie es. Mit manchem hatten Sie recht. Doch nun entschuldigen Sie mich, ich muß mich an die Arbeit machen.“ Er packte das Fleisch wieder in den Kühlschrank und stapfte die Treppe hoch, um den widerwärtigen Baumwollbodysuit auszuziehen und sich seinen Gürtel mit den Beuteln umzuschnallen. Dann kehrte er aufs Hauptdeck zurück und holte sich Speer und Schwert. „Nehmen Sie mich bitte mit“, bat sie fast schüchtern. „Ich werde Ihnen nicht im Weg sein. Ich möchte lernen, das alles zu verstehen. Bitte, John. Es ist sehr wichtig für mich.“ „Na gut. Ich habe noch das erste Schwert, das ich gemacht habe. Das nehmen Sie besser mit.“ „Haben Sie keinen Bogen?“ erkundigte sie sich nach einer Weile. „Nein. Ich verstehe nicht genug davon.“ „Könnten Sie einen anfertigen? Ich bringe Ihnen das Schießen bei.“ „Ich müßte erst den richtigen Ast haben, und geeignete Sehnen. Vielleicht finden wir etwas.“
Sie näherten sich nun den Höhlen. „Dort kommt eine meiner eingebildeten Echsen“, spottete er. „Halten Sie sich ganz ruhig. Sie kann uns nicht riechen und sieht uns auch nicht, wenn wir uns nicht bewegen.“ Das auf seinen sechs Beinen watschelnde Panzertier zog keinen Meter entfernt an ihnen vorbei. Es war ein besonders großes, kräftiges Exemplar. „Um Himmels willen!“ stöhnte sie, als sie in die entgegengesetze Richtung weiterschritten. „Und Sie haben wirklich so ein Ungeheuer erlegt? Werden wir noch weiteren Tieren begegnen?“ „Den Membrangeiern vielleicht. Sie können nicht besonders gut fliegen, greifen aber gern an. Man muß sie am Kragen oder Bauch erwischen und mit aller Gewalt zudrücken. Ah, hier sind vielleicht brauchbare Proben zu finden. Sehen Sie die blaue Ader im Purpur? Das könnte Kobalt sein, ist aber wahrscheinlicher Kupfer mit etwas Zinn und Zink.“ Er holte sich den Hammer aus dem Gürtel und begann die Ader freizulegen. Sie kauerte sich auf die Knie und schaute ihm interessiert zu. „Diese Farben“, murmelte sie. „Es ist hell wie am Tag und doch ist es jetzt Nacht, nicht wahr? Nur die Farben sind so ganz anders.“ „Weil Sie dabei an polarisiertes Mondlicht denken. Was auf uns herabscheint, sind jedoch keine Monde, sondern Sterne. Pleione und Atlas dort kann man mit bloßem Auge von der Erde aus sehen. Und was da gerade über dem Schiff steht, ist Merope. Das bedeutet, daß es bis zum Morgen noch dreieinhalb Stunden sind.“ Sie blickte zum Himmel auf. „Diese vielfarbigen Wolken! Es sieht aus, als brodelten sie. Ist das immer so?“ „Soviel ich weiß, ja. Es sind Regenwolken. Die Atmosphäre besteht zu fünfundzwanzig Prozent aus Wasserdämpfen. Darum schwitzen Sie auch so, jetzt jedenfalls noch, bis Ihr Körper sich angepaßt hat. Hitze, Schweiß und das Argon in der Luft. Sie sollten sehen, was diese Verbindung mit Legierungen macht, wenn man sie darin röstet.“ „Ich – bewundere Sie, John. Sie interessieren sich für alles, sind so vielseitig. All das hier“, sie deutete um sich, „bedeutet Ihnen etwas,
während es mir als öde, seltsam gefärbte Wüste erscheint. Ich weiß jetzt, daß es Leben hier gibt, aber es ist so häßlich und rauh.“ „Nicht alles.“ Er säckelte die Proben ein und kletterte einen Hügel empor. Er bückte sich und winkte sie heran. Der Boden neben ihm sah aus wie ein Miniaturteppich, der in allen Regenbogenfarben glitzerte. Er löste ein Stück davon und reichte es ihr. „Das ist eine Blume“, erklärte er. „zumindest erfüllt sie die gleiche Funktion. Sehen Sie den Stengel und die Blütenballen? Das sind alles Sporen. Diese Blume besteht hauptsächlich aus unreinem Chrom.“ Er nahm ihr die Pflanze wieder ab. „Halten Sie die Hand still“, bat er. Er schüttelte den Stengel, und ihre ganze Handfläche war mit winzigen gleißenden Kügelchen bedeckt. „Sie sind wunderschön!“ seufzte sie. Plötzlich drückte er sie zu Boden und schob sie zwischen zwei Felsblöcke. Schwirrende Flügel schossen über die Stelle, wo sie eben noch gestanden hatten und ein wütendes Kreischen gellte in ihre Ohren. „Es kommen noch mehr“, warnte er. „Lehnen Sie sich mit dem Rükken gegen den Stein, damit sie nicht von hinten angreifen können. Und nicht vergessen: packen und zudrücken!“ Eine ganze Schar flatterte auf sie zu. Er packte zwei am Hals und preßte. Er schleuderte die toten Vögel von sich und wirbelte sein Schwert über den Kopf. Die zerstückelten Leiber platschten auf den Boden. Zwei der fliegenden Bestien hackten auf Dorothea ein. Grimmig packte er eine und zermalmte sie. Die andere hatte sich in ihr Haar und ihr Bolero verkrallt. Aber er bekam auch diesen Vogel zu fassen und zerquetschte ihn. „Alles in Ordnung?“ erkundigte er sich, als sie die Arme vom Gesicht nahm. „Halten Sie sich ruhig, ich sehe nach.“ Blut troff aus einer Wunde am Hals, und Beine, Arme und Brust waren zerkratzt. Aber nur die Halswunde sah gefährlich aus. „Legen Sie den Kopf zurück“, bat er. Er preßte seine Lippen auf die Wunde, saugte und säuberte sie, dann betrachtete er sie erneut. „Was ist es?“ fragte sie. „Es brennt wie verrückt.“
„Ein Schnabelhieb“, brummte er. „Die Wunde ist glücklicherweise nicht sehr tief, aber sie blutet stark. Ich fürchte, Sie werden Ihr Bolero opfern müssen.“ Sie nickte und zog es aus. Er riß es in Streifen und band sie um ihren Hals. „Wir müssen sofort zurück. Hier, stützen Sie sich auf den Speer.“ Als sie den Bergeinschnitt erreichten, begann sie zu taumeln. „Wir machen eine Pause“, bestimmte er. „Nicht nötig“, wehrte sie ab, obwohl sie sich offensichtlich kaum noch auf den Beinen halten konnte. „Sie setzen sich jetzt!“ befahl er. „Der Blutverlust hat Sie geschwächt, und außerdem haben Sie kaum etwas im Magen. Sobald wir im Schiff sind, werden Sie noch ordentlich essen und dann im Bett verschwinden.“ „Jawohl, Meister!“ lächelte sie. „Was immer Ihr befehlt, Meister!“ Er wußte nicht, ob er sich ärgern oder lachen sollte. Er entschied sich für letzteres. „Das ist das erstemal, daß ich Sie lachen sah“, murmelte sie. „Dann lohnt sich meine Verletzung wenigstens.“ „Sie wollten mich also lachen sehen? Sonderbare Ambitionen haben Sie!“ „Woher wollen Sie etwas über meine Ambitionen wissen?“ erwiderte sie. „Sie bilden sich die schlimmsten Dinge über mich ein, beschimpfen mich, dabei wissen Sie nichts über mich.“ „Ich weiß, was ich Sie sagen höre und was ich Sie tun sehe. Woher soll ich wissen, was in Ihnen vorgeht? Außerdem geht es mich nichts an. Schließlich ist es Ihr Leben, nicht meines.“ „Sie hassen mich von Grund auf, nicht wahr?“ fragte sie ruhig. „Nein, warum auch? Ich habe nur keine Lust, Ihre Launen über mich ergehen zu lassen. Solange Sie sich normal benehmen, habe ich nichts gegen Sie. So, aber jetzt müssen wir weiter. Stützen Sie sich auf mich.“ „Ich habe Sie nicht darum gebeten“, murmelte sie. Es fiel ihr schwer, ihren Blick zu koordinieren. „Verdammt“, murrte sie. „Ha-
ben Sie denn nie daran gedacht, daß ich vielleicht selbst gern wissen möchte, wer ich bin? Daß ich versuche, es herauszufinden? Zum ersten Mal in meinem Leben stoße ich auf einen Mann, der sich in jeder Lage zu helfen weiß, der wirklich selbständig ist. Ein echter Mann! Und er kapselt sich ab, damit ich ja nicht dahinterkomme, was ihn bewegt.“ „Sie haben eine komische Art, es herausfinden zu wollen.“ „Vielleicht bin ich selbst auch komisch, John Lampart. Ich habe keine wahren Freunde, keine Ambitionen, keine Talente, nichts. Niemand schert sich um mich, wußten Sie das? Weder mein Vater, noch sonst jemand. Ich bin sensationshungrig und falle den Leuten auf die Nerven. Aber wer bin ich wirklich? Was bin ich? Zur Zeit bin ich nicht einmal menschlich. Denken Sie daran. Denn Sie sind nicht anders. Wir sind zwei einer Art – die einzigen dieser Art im ganzen Universum. Wir müssen zusammenhalten.“ Er machte sich Sorgen um sie. Sie sprach bereits im Delirium. Die Membrangeier waren Aasfresser. Vielleicht war ihr Biß infektiös? Hoffentlich war sie nicht wirklich krank. Er hatte keine Ahnung, wie er sie behandeln könnte. Aber vielleicht war sie auch nur völlig erschöpft und litt unter Schock. Er schwieg und ließ sie plappern, bis sie das Schiff erreicht hatten. Dann trug er sie die Gangway hoch und setzte sie unter der Dusche ab. „Bleiben Sie hier“, befahl er und schaltete die Brause ein. Er rannte hinunter und wärmte Suppe, der er einen Schuß flüssiges Antibiotikum befügte. Als er wieder hinauf eilte, hatte sie den Duschvorhang zugezogen. „Bitte bringen Sie mir meinen Bademantel“, bat sie. „Gut. Ich hänge ihn an den Haken vor der Dusche und stelle Ihnen Suppe in Ihre Kabine.“ Nach einer Weile, sah er nach ihr. „Ich möchte mir Ihre Wunde anschauen.“ Gehorsam legte sie den Kopf zurück. Glücklicherweise schien sie nicht entzündet zu sein. „Sie wird schnell heilen“, versicherte er ihr.
„Wollen Sie nicht noch einmal einen Kuß darauf drücken, daß es nicht mehr weh tut?“ „Ich habe Sie nicht geküßt, sondern die Wunde von eventuellen Giftstoffen gesäubert“, knurrte er. „Und jetzt werde ich Pflaster darauf sprühen. Halten Sie sich ruhig. Bis zum Morgen spüren Sie sie nicht mehr.“ Sie löffelte ihre Suppe. „Ist das auch von der Echse?“ Zu ihrer Überraschung lachte er, und sie stimmte vergnügt mit ein. „Schmeckt gut.“ Er nahm ihr die Schüssel ab. „Schlafen Sie jetzt. Soll ich Sie zum Morgenanbruch wecken.“ „Morgenanbruch klingt lustig“, grinste sie. „Aber Dämmerung kann man es ja wohl kaum nennen, nicht wahr? Gibt es etwas Besonderes, daß Sie mich da wach haben wollen?“ „Es ist etwas Einmaliges!“ „Na schön. Schließlich möchte ich alles sehen, solange ich hier bin.“ Er zuckte innerlich zusammen. Er hatte schon vergessen, daß er sie nicht lebend von hier weglassen durfte. Er wandte sich hastig um, damit er ihr nicht in die Augen sehen mußte, und verließ schnell ihre Kabine. Während er seine Routinearbeiten erledigte, zerbrach er sich verzweifelt den Kopf nach einem Ausweg. Aber wie er es auch drehte, es gab keine Alternative. Wenn sie erst einmal zurück war und ihrem Vater oder Brocat etwas über Argent erzählte, war er so gut wie tot. Das wußte er nur zu gut. Sein Vater hatte es am eigenen Leibe erfahren. Die Colson-Millionen hatten Larry Lampart jede Chance genommen, sich selbständig zu machen oder auch nur irgendwo angestellt zu werden. Sie hatten seinen guten Namen, seinen Ruf ruiniert.
7. Alpträume plagten ihn – schlimmer denn je zuvor –, und er erwachte schweißgebadet. Müde schlurfte er zur nächsten Kabine und klopfte an ihre Tür. Als er hörte, daß sie wach war, rief er: „Seien Sie in zehn Minuten in der Schleuse. Und ziehen Sie sich einen Badeanzug oder etwas Ähnliches an.“ „Was soll ich? Warum?“ „Weil es regnen wird. Sie werden schon sehen.“ Sie schaffte es gerade. Mit verschlafenen Augen versuchte sie ihren Monokini zu schließen. „Finden Sie es sehr romantisch, ein Mädchen zu nachtschlafender Zeit zu wecken, damit sie den Sonnenaufgang betrachten kann – in einem Badeanzug!“ gähnte sie. „Es ist ganz schön heiß hier. Oder kommt es mir nur so vor?“ „Nein, natürlich nicht. Es ist ja schon fast Morgen.“ Er betrachtete ihre Wunde. Sie war fast verheilt. „Kommen Sie, schnell!“ Er rannte mit ihr zum Bergeinschnitt. „Sehen Sie! Dort oben wird Alcyone in ihrer vollen Glut auftauchen.“ Die gewaltigen Wolken begannen durcheinanderzuwirbeln, zu brodeln. Alcyones Strahlen verliehen ihnen kräftige Farben, die mit jeder Sekunde greller wurden. Sie schienen zu sprudeln, als kochten sie in einem unsichtbaren Hexenkessel. Und da schob sich der Rand der weißglühenden Sonne über sie hinweg. Lampart bemerkte wie Dorothea schützend die Hand vor die Augen legte – und sie überrascht wieder wegnahm, als der sengende Schein sich plötzlich trübte. „Was ist passiert?“ fragte sie. Doch ehe er zu antworten vermochte, erreichte sie die erste Brise heißer, feuchter Luft, die ersten warnenden Tropfen, und gleich darauf der betäubende Schwall des Regens. Durch die Regenwand tastete sie nach ihm und vergrub ihren Kopf
an seiner Brust. Aber nur einen kurzen Moment. Dann machte sie einen Schritt zurück. Doch ihre Hand hielt seine umklammert, und so wußte er, daß sie ganz nahe war, auch wenn er sie nicht zu sehen vermochte. Intuitiv spürte er, daß sie diese morgendliche Waschung genauso genoß wie er. Er hatte sie bitter nötig. Wenn sie nur auch seine Probleme fortschwemmen könnte! Allzu schnell war es vorbei, und Alcyone verschlang gierig die wirbelnden Wasserdämpfe, bis alles um sie herum wieder wie ausgedörrt wirkte. „Das war herrlich!“ strahlte sie. „Gibt es das jeden Morgen?“ „Ja. Und ich habe es mir noch kein einziges Mal entgehen lassen.“ „Ich fühle mich jetzt so richtig wohl und energiegeladen. Es ist wundervoll! Danke, John! Ihre Welt fängt an, mir zu gefallen.“ „Genießen Sie trotzdem nicht zuviel auf einmal davon. Die Sonne wird fast unerträglich. Wir kehren besser ins Schiff zurück. Sie sind sicher genauso hungrig wie ich, stimmt’s?“ Sie lachte. „Ich könnte eine ganze Echse verschlingen.“ Leichtfüßig rannte sie voraus ins Schiff. Als er sie eingeholt hatte, starrte sie indigniert auf den Thermostaten der Klimaanlage. „Ich habe sie eingeschaltet“, erklärte sie, „da begann sie plötzlich Funken zu sprühen und streikte schließlich.“ „O diese Frauen!“ Er schüttelte den Kopf. „Lassen Sie mich sehen.“ Er drehte am Schalter, aber es tat sich nichts. Auch der Hochfrequenzherd und der Autokoch funktionierten nicht. „Vermutlich ist die Zuleitung korrodiert“, brummte er. „Sie wurde ja außer gestern nie benützt.“ Er schraubte die Platte ab und stellte mit einem Blick fest, daß seine Vermutung stimmte. „Ich fürchte, Sie werden sich mit der Normaltemperatur hier abfinden müssen, bis ich das Modulteil ausgewechselt habe.“ „Und was ist mit dem Frühstück?“ fauchte sie. „Ich bin hungrig!“ „Sie führen sich auf, als wären Sie mit mir verheiratet“, fauchte er zurück.
Sie begann zu kichern. Ihre ungezwungene Fröhlichkeit machte ihm das Herz schwer. Sie war ein netter Kerl, ein guter Kamerad. „Die Hauptleitung ist kurzgeschlossen“, erklärte er ihr hastig. „Ich muß hinunter in den Maschinenraum.“ Er hob den Lukendeckel am Fuß der Treppe. „Ich muß ihn offenlassen. Passen Sie auf, daß Sie nicht durch die Luke fallen.“ „Ich habe nicht die Absicht, allein oben zu bleiben. Ich komme mit Ihnen. Es interessiert mich, was Sie machen.“ „Tut mir leid, aber dort unten ist kaum Platz für einen, geschweige denn für zwei.“ Er ließ sich vorsichtig hinab und schaltete das Licht ein. Sie blickte ihm neugierig nach. „So viele Kabel und Rohre und Maschinen. Wie wollen Sie sich denn da zurechtfinden?“ „Keine Angst. Ich schaffe es schon“, rief er zurück. Er bastelte gern herum. Vom Lawlorantrieb abgesehen, konnte er so gut wie alles im Schiff selbst reparieren. Er hatte deshalb auch keine Schwierigkeit, den Kurzschluß zu beheben. Als er nach dem Modulersatzteil für die Klimaanlage kramte, fiel ihm ein seltsamer wulstiger Kupferring aus vier Teilen um eines der Hauptleitungsrohre auf. Im Gegensatz zum Rest der Anlage schien er noch ziemlich neu zu sein – und auch die Schrauben, mit denen die vier Einzelteile befestigt waren. Kopfschüttelnd betrachtete er ihn. Er konnte sich nicht denken, welchen Zweck er erfüllen mochte. Ein dünner Draht führte aus dem Ring, die Hauptleitung aufwärts. „Was machen Sie so lange da unten?“ vernahm er Dorotheas ungeduldige Stimme. „Der Autokoch funktioniert schon längst wieder.“ „Ich habe es gleich. Dorothea, wissen Sie, wie ein Schraubenschlüssel aussieht?“ „Natürlich“, erwiderte sie entrüstet. „Im Wandschrank in der Werkstatt finden Sie einen. Bringen Sie ihn mir bitte?“
„Meister, ich höre und gehorche!“ Sie kam in wenigen Sekunden zurück und reichte ihn ihm durch die Luke. „Ist es gestattet, sich zu erkundigen, Meister, was Ihr vorhabt?“ „Das wenn ich selbst wüßte, Dorothea. Ich habe etwas entdeckt, das mir merkwürdig vorkommt. Ich werde es aufschrauben und mir näher ansehen. Dauert nicht lange. Richten Sie einstweilen den Kaffee.“ „So wie Sie mich herumkommandieren, könnten wir tatsächlich verheiratet sein!“ Sie verschwand und brachte, gerade als er sich durch die Luke wand, eine Tasse mit dampfendem Kaffee. „Hier, Meister“, begann sie und hielt abrupt inne, als sie sein Gesicht sah. „Was haben Sie gefunden, John?“ „Das.“ Er reichte ihr ein knackwurstförmiges Ding, das weich wie Fensterkitt, aber so schwer war, daß sie es fast fallen ließ. „Haben Sie schon einmal etwas von Detonit gehört?“ „Gehört, ja. Es ist ein Explosivstoff, nicht wahr?“ „Der wirkungsvollste überhaupt. Das bißchen, das Sie da in der Hand halten, genügt, das Schiff in die Luft zu sprengen. Aber seien Sie unbesorgt, ohne Detonator ist er harmlos. Ist das mein Kaffee?“ Er setzte sich an den Rand der Luke und nahm einen tiefen Schluck. „In einem Kupferring um das Hauptleitungsrohr befinden sich gut vierzig oder mehr dieser Würste. Ein Kabel führt davon an der Hauptleitung entlang zu dem offenbar fernlenkbaren Auslöser. Irgendwo braucht jemand nur auf den Knopf zu drücken, dann bliebe von dem Schiff und uns nur ein Loch im Sand.“ Sie starrte abwechselnd ihn, dann das Detonit an. Schwer atmend fragte sie: „Was werden Sie jetzt tun?“ „Jetzt? Endlich frühstücken. Danach hole ich das ganze Detonit herauf und vergrabe es irgendwo im Sand, wo es keinen Schaden anrichten kann.“ Sie half ihm, den Sprengstoff aus dem Schiff zu schaffen. Insgesamt waren es zweiundfünfzig der gefährlichen Würste, von denen jede gut vier Kilo wog. Kein Mensch, der nicht über genügend Macht und Einfluß verfügte, konnte soviel von dem Zeug beschaffen. Schwei-
gend und verbissen vergrub er alles mit Dorotheas Hilfe. Danach verfolgte er den dünnen Draht. Er führte bis zur Radiokabine, direkt ins Sprechgerät. Der Auslöseknopf mußte sich demnach in der Monitorstation befinden. Dorothea blickte ihm verstört entgegen, als er auf das Hauptdeck zurückkam und sich eine weitere Tasse Kaffee einschenkte. „Was bedeutet das alles, John? Warum sollte jemand das Schiff in die Luft jagen wollen. Ich verstehe es nicht!“ „Nein?“ murmelte er. „Ich schon. Jetzt schon. Ich habe Ihren Vater unterschätzt, Miß Colson. Er ist ein skrupelloser Mörder!“ Sie zuckte vor dem Grimm in seiner Stimme zurück. „Das müssen Sie mir schon näher erklären. Ich habe ein Recht, es zu wissen.“ „Sie haben überhaupt keine Rechte. Nur scheinen Sie es noch nicht eingesehen zu haben“, knurrte er. „Setzen Sie sich zu mir und spitzen Sie Ihre Ohren.“ Er nahm einen Schluck Kaffee. „Es begann damit, daß ich diesen Planeten fand, der eine einzige Goldmine ist. Und da war Carlton Colson, für den es nur einen Gott gibt – den Mammon. Er beschloß, diesen Planeten auszubeuten, und wenn er über Leichen gehen mußte. Er überredete den gutmütigen Leo Brocat, ihm einen Supermann zu schaffen. ,Niemand, außer dir und mir und ihm, wird je davon erfahren’, versprach er ihm. Dann schickte er nach mir und hielt mir den Köder vor die Nase. ,Ich mache Sie reich’, sagte er, ,wenn Sie dies und dies und das tun. Doch niemand darf davon erfahren. Nur wir drei.’ Und ich fiel darauf herein.“ „Das genügt!“ zischte sie. „Sagen Sie, was Sie sagen müssen, aber so, daß ich es auch verstehen kann.“ „Na schön. Ich wurde also hierhergeschickt, um auszuarbeiten, wie der Planet ausgebeutet werden kann. Natürlich unter strengster Geheimhaltung. Ich bin überzeugt, die drei Mann im Monitor haben keine Ahnung, welchen Reichtum dieser Planet tatsächlich beherbergt, noch, was ich wirklich bin. Und wenn ich dann mit der Kartographierung fertig bin – ein Druck auf den Knopf, und John Lampart
ist nicht mehr. Und wer würde schon davon erfahren? Leo Brocat? Colson wird ihm erzählen, daß ich bedauerlicherweise einen Unfall erlitt, und der leichtgläubige Narr wird nicht daran zweifeln. Dann wird Carlton Colson den Reichtum des Planeten ganz allein für sich haben. Tote reden nicht, das ist bekannt.“ „Aber was ist mit mir? Ich bin doch hier. Ich weiß ebenfalls Bescheid!“ „Sie?“ höhnte er. Sie sind sein Fleisch und Blut. Sie sind sicher. Sie werden doch gar nicht daran denken, Ihren Mund gegen ihn aufzumachen. Sie lieben Reichtum und Luxus und Macht nicht weniger als er. Was ist da schon ein Menschenleben?“ Sie sprang ihn an und schlug ihm beide Hände ins Gesicht. Blind vor Wut stieß er sie zurück, daß sie auf den Boden taumelte. Sie rollte sich ab und stieß ihm den Fuß in den Magen. Er fiel gegen die Tischkante, die sich schmerzhaft in seinen Rücken preßte. Mit aller Kraft packte sie ihn am Haar und legte ihren anderen Arm im Würgegriff um seinen Hals. Sie machte ihre Sache gut, wie sie es von Experten gelernt hatte. Aber er war in eine härtere Schule gegangen. Er straffte sich und warf sich zurück. Dabei nahm er sie mit. Seine Beine umklammerten ihre, daß sie den Boden unter den Füßen verlor und stürzte, und er mit vollem Gewicht auf sie. Im nächsten Augenblick war er frei. Er kniete sich über sie und schlug ihr die flache Hand ins Gesicht. „Das genügt!“ keuchte er. „Diesmal lasse ich dich noch so davonkommen. Doch wenn du noch mal etwas Ähnliches versuchst, bringe ich dich um! Und nun verschwinde in deine Kabine!“ Er beherrschte sich mit Mühe und schenkte sich mit zitternden Händen eine Tasse Kaffee nach, ehe er in die Werkstatt ging und die gesammelten Proben auswertete. Nur zwei legte er zur Seite, sie enthielten zu viel Erz. Obwohl es nun im Grund genommen völlig gleichgültig war, dachte er. Alles widerte ihn an, und er fühlte sich wie ausgelaugt. Mit schweren Schritten stieg er die Treppe hoch und
warf sich auf seine Koje. Erstaunlicherweise schlief er sofort ein. Und diesmal quälten ihn keine Alpträume. Pünktlich bei Sonnenuntergang wachte er auf. Er duschte und machte sich Kaffee und eine Schüssel des Nährbreis. Eigentlich war das Ganze eine Komödie, dachte er, wenn sie nicht so tragisch wäre. Er hatte versucht, Colson hereinzulegen, ihm falsche Werte und minderwertige Proben zu unterschieben, damit er den Plan aufgäbe, den Planeten auszubeuten, und ihn zurückriefe. Und wenn es soweit gewesen wäre, hätte er einen Unfall vorgetäuscht, daß Colson denken müßte, er sei tot. Dann hätte er ungestört den Rest seines Lebens auf Argent zubringen können, und niemand hätte es je gewußt. Dabei hatte Colson von Anfang an schon beschlossen gehabt, ihn umzubringen, sobald er mit der Kartographierung des Planeten fertig war. Er lachte bitter auf. „Ich freue mich, daß du so vergnügt bist“, sagte sie mit kalter Stimme und behielt das Du bei, das sie während ihrer tätlichen Auseinandersetzung benutzt hatten. Sie öffnete ihre Hand und hielt ihm ein weißes Taschentuch vor die Nase. „Weißt du, was das bedeutet?“ „Wie ein Fehdehandschuh sieht es nicht aus“, brummte er. „Soll es eine Friedensfahnesein?“ „Ich schlage einen Waffenstillstand vor“, sagte sie. „Schließlich sind wir zwei die einzigen unserer Art, und wir stecken gemeinsam hier fest ...“ „Ich kann jederzeit die Fähre herunterrufen“, unterbrach er sie. „Nein. Das wäre nicht die Lösung unseres Problems.“
8. „Vielleicht möchte ich auch mehr als einen Waffenstillstand“, gestand sie, als sie sich ebenfalls eine Tasse Kaffee eingeschenkt hatte. „Ich möchte, daß wir uns besser verstehen und uns gegenseitig vertrauen.
Ich weiß, daß ich dir vertrauen kann, und ich würde mich freuen, wenn du auch mir vertrautest. Was auch immer zwischen Vater und dir ist, ich habe nichts damit zu tun. Ich habe dir bereits gesagt, daß keine übermäßige Liebe zwischen uns herrscht. Meine Anwesenheit hier hat absolut nichts mit ihm zu tun. Ich kam ...“ Sie stockte. Es war offensichtlich, daß es ihr schwerfiel, es zuzugeben. „Ich kam, weil ich dich nicht vergessen konnte. Weil allein der Gedanke an dich mich in Rage brachte – und weil ich dich beneidete. Weil du etwas hattest, das ich nicht besaß: ein Ziel, etwas, das dein Leben lebenswert machte. Und gerade das, wollte ich auch haben.“ „Aber das ist doch verrückt“, brummte er. „Jeder muß sein eigenes Leben leben, seine eigenen Ziele verwirklichen.“ „Ich weiß, nur ich habe keine eigenen“, antwortete sie leise. Und wieder fühlte er, wie sehr sie sich überwinden mußte, weiterzusprechen. „Darum wollte ich dich bitten, mir ein wenig von deinen zu geben. Eine Weile wenigstens. Können wir denn nicht als Lehrer und Schülerin zusammenarbeiten? Oder sogar als Partner? Es ist ein wilder Planet, der einem Furcht einjagen kann. Aber er ist echt, er ist natürlich. Und schön ebenfalls. Das hast du mir selbst gezeigt. Diese Blumen – der Morgenanbruch, der Regen – es gibt sicher noch viel, viel mehr. Ich möchte bleiben und es alles sehen.“ Auch ihm kam das Du nun wie von selbst. „Dir wird der ganze Planet bald zum Hals heraushängen“, kommentierte er abfällig. „Möglich. Doch dann lasse ich es dich rechtzeitig wissen, und du kannst die Fähre herunterrufen.“ „Du weißt ja nun, was ich hier zu tun versuche, nicht wahr? Was ich jetzt tun muß, ob ich es wollte oder nicht.“ Sie nickte. „Ich habe nicht geschlafen, sondern die ganze Zeit darüber nachgedacht. Wenn du hier fertig bist, wird jemand auf den Knopf drücken, und man wird dich danach für tot halten. Dann mußt du hier ohne jegliche Unterstützung leben können.“ „Stimmt. Aber das wollte ich ohnehin. Willst du mir immer noch helfen?“
„Wenn du mich läßt, gern. Du wirst Geduld mit mir haben müssen. Mein Temperament geht manchmal mit mir durch. Wir können uns auch hin und wieder streiten, wenn du willst, und aufeinander wütend werden. Nur bitte – nie mehr ein Kampf wie heute früh. Es war schrecklich. Ich wollte dich töten!“ „Ich dich auch“, gestand er. Er streckte ihr die Hand entgegen. „Einverstanden. Wir wollen Freunde sein, solange du es aushältst.“ Sie schüttelte heftig seine Hand und strahlte über das ganze Gesicht. „Ich danke dir, John. Soviel hatte ich gar nicht erwartet. Ich bin sehr froh. Und was steht als nächstes auf dem Programm?“ „Nichts Dringendes.“ Er lachte über ihren Eifer. „Wir könnten zu dem Wald marschieren, wo die Katze mich angesprungen hat. Vielleicht stoßen wir dabei sogar auf die kleinen grünen Männer.“ „Wunderbar.“ Sie betrachtete kopfschüttelnd ihren Bodysuit. „Du hattest recht, John. Das Zeug löst sich auf. Hättest du nicht auch für mich so einen Gürtel mit Beutel dran, wie der deine?“ Aber ja. Die Gürtel sind Teil der Schutzanzüge. Wir brauchen nur einen abzutrennen. Am besten auch das dazugehörende Sprechgerät. Eines für dich, eines für mich, falls wir getrennt werden. Die Verbindung wird zwar alles andere als perfekt, aber doch besser als gar keine sein.“ Der Anblick des Waldes nahm ihr den Atem. „Das ist ja gigantisch“, rief sie. „So groß hatte ich ihn mir nicht vorgestellt. Und das Glitzern dort unten ist ein See, nicht wahr? Wollen wir hinunterklettern?“ „Heute noch nicht. So nah er auch aussieht, es sind mindestens noch dreißig Kilometer von hier. Außerdem ist es dort unten bedeutend heißer als hier.“ Sie entdeckte einen der Weineierbäume und war ganz begeistert, als sie die Früchte kostete. „Wir müssen davon mitnehmen, soviel wir tragen können.“ Sie blickte sich um. „Es ist ein herrliches Fleckchen“, seufzte sie zufrieden.
„Ich sitze gern hier und hänge meinen Gedanken nach“, gestand er. Sie nippte an einem der Weineier. „Gibt es noch viele so köstliche Früchte?“ fragte sie. „Ich habe schon die verschiedensten Arten gefunden und kann dir sagen, welche eßbar sind, und welche nicht. Probier keine neuen, ehe wir sie nicht analysiert haben. Aber komm jetzt, ich möchte dir meinen Pfeilbaum zeigen.“ Sie entdeckte etwas noch viel Besseres, ehe sie ihn erreicht hatten. Ein Baum, auf den er bisher noch nicht gestoßen war. Von dünnen, aber unwahrscheinlich festen rohrartigen Zweigen wuchsen palmenähnliche Blätter von blassern Rosa, die scharf wie Degenklingen waren. Sie betastete sie vorsichtig. „Gäben die Blätter nicht gute Schwerter ab?“ fragte sie. „Und die Rohre sind vielleicht für Bogen geeignet, was meinst du?“ „Wir werden ein paar mitnehmen und behandeln, und auch Zweige vom Pfeilbaum, dann werden wir sehen.“ Sie kamen gerade noch rechtzeitig zum Morgenanbruch und der erfrischenden heißen Flut zum Bergeinschnitt zurück. Nach dem Frühstück, das eigentlich ihr Abendessen war, stellten sie die Zweige und Blätter zum Kochen auf und legten sich danach schlafen. „Komm, wir gehen auf Echsenjagd“, weckte John sie. „Wir brauchen wieder Fleisch, und außerdem möchte ich versuchen, die Haut doch irgendwie zu gerben und Schuhe davon zu machen. Sie fanden eine verhältnismäßig kleine Krötenechse, die Dorothea unter Johns Anleitung selbst erlegte. Gemeinsam zerrten sie sie, jeder an einem Bein, hinter sich her und wären dabei beinah über einen der roten Säurekleckse gestolpert. Das war wieder etwas, das ihr neu war. Interessiert betrachtete sie die gallertartige pulsierende Masse, die sich langsam vorwärts schob. „Wovon lebt dieses Ding denn?“ erkundigte sie sich. „Von so gut wie allem, was es erreichen kann“, erklärte er. „Es ist praktisch reine Säure – ein wandernder Magen.“
„Was glaubst du, würde passieren, wenn es mit der Echsenhaut in Berührung käme?“ Er hob die Brauen und blickte nachdenklich auf den Klecks. „Probieren wir es aus. Wir schleifen die Echse ganz einfach darüber hinweg.“ Nach ein paar Metern drehten sie das Tier auf den Rücken. Der blaßblaue Bauch wies in der Mitte der Länge nach einen scharlachroten Streifen auf. „Schwer zu sagen, ob das nun nur die Handschrift des Gallertdings ist, oder das Ding selbst. Ziehen wir die Echse weiter. Wir schauen wieder nach, wenn wir vor dem Schiff angekommen sind.“ Vor der Gangway drehten sie die Echse erneut um. Der rote Flecken hatte sich nun über die ganze Unterseite verbreitet. „Wir müssen vorsichtig sein“, warnte er. „Ich möchte nicht gern einen wandernden Säureklecks im Schiff haben. Bleib bitte hier und paß auf, daß die Aasfresser sich nicht den Bauch vollhauen. Ich komme gleich wieder zurück.“ Er brachte einen Glasschneider und löste die Haut vorsichtig um das Rot herum. Dann befestigte er eine lange Schraubenzange daran und bat Dorothea sie zu halten, damit er die Haut mit dem Messer ganz vom Fleisch trennen könne. „Ah“, seufzte er zufrieden. „Das hätten wir. Sieht ganz so aus, als wäre das rote Zeug nicht durch die Haut gedrungen. Und jetzt legen wir das Ganze in eine Schüssel mit Alkali, das wir mit unserem ätzenden Freund aufräumen.“ „Und danach hängen wir es mit Gewichten zum Trocknen auf, daß es schön glatt wird“, schlug sie vor. „Gute Idee“, lobte er. „Darauf bin ich noch gar nicht gekommen.“ Mit viel Mühe säbelten sie noch die Beine ab, um Fleisch und Sehnen zu gewinnen. Den Rest überließen sie den schon ungeduldig wartenden Wolfstieren. Und so verging eine weitere taghelle Nacht. Der Morgenanbruch kam mit seinem belebenden Regen. Es stellte sich heraus, daß nur ein
Teil der „Schwertklingen“ brauchbar war. Eines der Blätter hatte sich verbogen und war nicht geradezuklopfen. Ein anderes war so spröde, daß es zerbrach. Und die beiden weiteren waren zwar einigermaßen elastisch, aber ganz zufriedenstellend doch noch nicht. „Wir brennen zuviel Kohlenstoff heraus“, vermutete er, als sie beim Frühstück saßen. „Wir müssen den Ofen anders einstellen. Aber hast du gesehen? Die Haut ist weich wie Samt. Hoffen wir, daß sie auch noch so bleibt, wenn sie ganz trocken ist. Jedenfalls war dein Einfall großartig. Aber wie können wir ihn uns noch besser zunutze machen? Wie lassen sich die roten Säurekleckse fangen und aufbewahren?“ „Fangen? Weiß ich nicht. Aber aufbewahren am besten in einem Glas oder einer Heizstoffblase, wo sie sich nicht hindurchfressen können.“ „Deine Einfalle sind bemerkenswert. Ich fürchte fast, du hast vergessen, daß ich hier der Lehrer sein soll und nicht du“, grinste er. Er schlief nur ein paar Stunden. Die Echsenhaut, die durch das Ätzen tatsächlich zu Leder geworden war, ließ ihm keine Ruhe. Er nahm sie mit in die Werkstatt und versuchte, einen Schnitt für Schuhe zu entwerfen. Das Stück würde knapp für ein Paar reichen, wenn überhaupt. Er wollte sie gerade zuschneiden, als Dorothea durch die Tür kam. „Heh. Was machst du mit meinem Leder?“ rief sie. „Dein Leder?“ Er hob die Brauen. „Na schön, wenn du meinst. Ich wollte Mokkasins daraus machen.“ Sie blickte einen Augenblick verwirrt drein. „Aber ich brauche es doch für einen Rock. Meine ganzen Sachen beginnen sich schon aufzulösen.“ Er fragte sich zwar, warum sie überhaupt etwas anzuziehen brauchte. Aber wenn sie Wert darauf legte – jedem Tierchen sein Pläsierchen. Er schaute ihr verwundert zu, als sie das Leder in zwei Teile zerschnitt.
Kopfschüttelnd ließ er sie allein und schaute nach den nächsten Palmblättern und ersten Rohrästen im Ofen. Beide waren ausgesprochen widerstandsfähig und äußerst elastisch. Begeistert lief er in die Werkstatt zurück. „Komm schnell! Das mußt du dir unbedingt ansehen!“ Sie folgte ihm aufgeregt und begutachtete mit Kennerblick Klingen und Rohre. „Ich habe ein paar Lederflecke übrig“, erklärte sie. „Daraus können wir die Schwertknäufe machen. Und dann brauchen wir noch Sehnen für die Bogen. Bring das ganze Zeug in die Werkstatt, dann machen wir uns gleich an die Arbeit.“ Als der Morgen anbrach, hatten sie zwei geschmeidige Schwerter mit scharfen Klingen, und zwei perfekte Bögen. Den Bergeinschnitt erreichten sie gerade noch, als der Himmel seine Schleusen öffnete.
9. Als sie zum Frühstück die Treppe herunterkam, trug sie ihren selbstgebastelten Rock. Sie hatte die beiden Lederstücke an der Taille mit Sehnen zusammengebunden, an den Seiten hing er offen wie ein Doppelschurz bis zur Mitte der Oberschenkel. Mit den Fransen, die sie als Saum geschnitten hatte, sah es sehr hübsch aus. Sie strahlte, als er ihr ein Kompliment machte. Aber auch er hatte eine Überraschung. Mit großen Augen bewunderte sie die beiden Kelche auf dem Tisch. „Wie hast du das nur fertiggebracht?“ staunte sie. „Die ersten zwei habe ich ruiniert“, gestand er. „Aber diese beiden habe ich bei ganz starker Hitze gebacken, dadurch hat sich die innere Haut der Weineier gelöst. Ich hab’ sie dann ganz schnell herausgenommen, ehe auch die eigentliche Schale zu schmelzen begann. Sie ist sehr dünn. Der Fuß entstand von selbst.“ „Es sieht aus wie eine helle Goldlegierung.“
„Es ist noch viel besser. Ich habe ein paar Schalenstücke analysiert. Das Zeug besteht zu fünfundsechzig Prozent aus Platin. Was hältst du übrigens davon, wenn wir heute abend nochmal auf Echsenjagd gehen? Vielleicht gelingt es mir auch, einen Säureklecks zu fangen.“ „Mußt du denn keine Proben mehr sammeln?“ „Doch, aber das können wir ja nebenbei tun.“ Als er sich auf seine Koje legte, war er glücklich wie nie zuvor. Er beschloß, nicht an Morgen zu denken. Es würde sich ohnehin von selbst ergeben. Im Moment zählte nur das Heute und sie, Dorothea. Er würde eine Riesenechse für sie erlegen, damit sie sich noch mehr zum Anziehen machen konnte, wenn es das war, was sie wollte. Oder vielleicht eine Raubkatze? Das dunkelblaue Fell mußte ihr großartig stehen. Und die Trinkkelche, sicher konnte er noch viel schönere für sie anfertigen, und überhaupt hübsches Geschirr. Er schlief zufrieden ein, und kein Alptraum plagte ihn mehr. Am Abend erklomm er zum erstenmal den Steilhang unmittelbar hinter dem Schiff. Er fand eine Echse, wie er noch keine zuvor gesehen hatte. Es wurde ein harter Kampf, und er wäre fast unterlegen, wenn er das Untier nicht noch im letzten Augenblick über das schmale Sims zu stoßen vermocht hätte. Mühsam kletterte er ihm nach. Die vielen Hautwunden schmerzten, aber er hoffte auf die heilende Wirkung des morgendlichen Regengusses. Dorothea kam ebenfalls den Steilhang heruntergeklettert. Die Beutel ihres Gürtels waren prall. „Was du da erlegst hast, war eine Mutterechse“, rief sie ihm schon von weitem zu. „Ich habe ein ganzes Nest voll Eier gefunden, aber für mehr als vier hatte ich nicht Platz.“ Sie half ihm, die Echse bis zur Gangway zu ziehen. „Ob die Eier wohl genießbar sind?“ fragte sie. „Das werden wir nachher feststellen. Aber zuerst muß ich einen Säureklecks finden. Ich bin bald zurück. Halte einstweilen die Aasfresser fern.“
„Paß auf dich auf, John“, mahnte sie ihn und begann mit den scharfen Schwert die Echsenbeine abzusäbeln. Triumphierend grinsend kam er nach einer Stunde zurück. Die sackartige Heizstoffblase zog er hinter sich her. „Ich hab einen!“ rief er. „Es wird auch kein Problem werden, ihn herauszuschütteln, aber wie können wir ihn gleichmäßig verteilen?“ „Wie war’s mit einem Knochen?“ Er leerte den Sack direkt auf die Echsenbauchhaut, die Dorothea während seiner Abwesenheit gelöst hatte. Mit einem Knochen verteilte er die rote Gallertmasse, die jedoch auch sehr an dem Knochen interessiert war, denn er wurde sichtbar kürzer. Schon nach Sekunden mußte er einen neuen zu Hilfe nehmen. Den von der Säure angefressenen warf er den ungeduldig hechelnden Wolfstieren zu. Es war eine langwierige Arbeit, aber noch vor dem Morgenanbruch war die riesige Bauchhaut gegerbt und im Alkalibad in einer Heizstoffblase gesäubert. Alles genießbare Fleisch war abgelöst, und die Aasfresser freuten sich über den Rest. „In einer Stunde wird die Monitorstation sich melden. Hast du Lust, mit in die Radiokabine zu kommen, um zu sehen und hören wie es funktioniert?“ fragte er sie beim Frühstück. „Wenn du zurück willst, müßte ich es ihnen dann sagen, damit sie die Fähre für einen Passagier bereitmachen.“ „Nein, ich möchte nicht zurück. Noch nicht“, murmelte sie. Er blickte sie über den Tisch hinweg an. Ihre goldene Haut war leicht gerötet. Sie sah unbeschreiblich liebenswert aus. „Ich verstehe nicht, wie es mir hier so gut gefallen haben konnte, ehe du kamst“, sagte er fast gegen seinen Willen. Die Röte ihrer Wangen vertiefte sich. Sie stand schnell auf und wandte ihm den Rücken zu. „Wir werden heute abend viel zu tun haben, John, Sollten wir nicht vielleicht etwas früher aufstehen?“ „Gute Idee“, stimmte er zu. „Ich muß noch eine Liste der Proben anfertigen. Außerdem sollen die Sehnen getrocknet und das Fleisch
in Portionsstücke geteilt und eingefroren werden. Ich werde dich zwei Stunden vor Sonnenuntergang wecken. Schlaf gut, Dorothea.“ Er konnte diesmal nicht sofort einschlafen. Er dachte an sie. Es war erstaunlich, wie sehr er sich bereits an sie gewöhnt hatte, und welch wundervoller Kamerad sie war. Sie weckte irgendein ihm nicht recht erklärliches Gefühl in ihm. „Verdammt!“ brummte er, als er sich streckte. „Ich mag sie. Sie ist ein guter Kamerad. Das genügt doch, oder?“
10. „Ich möchte dir zusehen, wenn du die Fähre herunterholst“, erklärte sie. „Vielleicht muß ich es einmal selbst tun, wenn dir etwas zustößt und wir Hilfe brauchen.“ Er hatte nichts dagegen. Dazu freute er sich viel zu sehr über ihre Nähe. Aber er hatte auch nicht das Herz, ihr klarzumachen, daß sie erst einmal eine Fähre direkt fliegen müßte, ehe überhaupt an eine Fernsteuerung zu denken war. Das war jedoch etwas, was sich nicht in zehn Minuten lernen ließ. Aber er bewunderte, daß sie alle Eventualitäten in Betracht zog, ohne davor zurückzuschrecken. „Und damit hätten wir es“, schloß er seinen Kurzunterricht, ehe er den Schalter herunterdrückte und der Monitorstation die geglückte Landung meldete. „Komm“, forderte er sie auf. „Schauen wir nach, was der Briefträger uns gebracht hat.“ Sie lachte. „Bekommst du eigentlich manchmal Post?“ fragte sie ihn, als sie durch den heißen Sand liefen. „Ich? Nie. Wer sollte mir auch schon schreiben? Meine Mutter starb, als ich vier war, und mein Vater elf Jahre später. Freunde habe ich keine.“ „Und Freundinnen? Warst du denn nie verliebt?“
„Das ist genau das, was man einen einsam durchs All ziehenden Scout nie fragen darf.“ „Es tut mir leid.“ Sie wurde sofort ernst. „Das wußte ich nicht. Und wenn du lieber nicht darüber reden willst ...“ „Ich nehme dir deine Frage nicht übel. Einem anderen gäbe ich allerdings darauf überhaupt keine Antwort. Aber ich werde versuchen, es dir zu erklären. Wirst du mir zuhören?“ „Ich kann dich nicht vom Reden abhalten“, murmelte sie leicht gekränkt. „Doch, das kannst du. Und du hast es auch soeben getan.“ Schweigend kletterte er in die Fähre, und schweigend reichte er ihr die Behälter und Heizstoffblasen, und sie ihm die leeren, die sie mitgebracht hatten, und die Proben mit den Auswertungen. Er verschwand für eine längere Weile im Innern, ehe er ihr zurief: „Ich brauche deine Hilfe. Ich muß etwas sehr Schweres hinausschaffen. Siehst du den Flaschenzug bei der Luke? Damit haben sie es offenbar hereingehoben. Ich werde es hinunterlassen, aber du mußt die Landung dirigieren und es aushängen, wenn es am Boden aufsitzt.“ „Um Himmels willen“, rief sie entgeistert. „Was soll der riesige Motorblock? Und wie willst du den je zum Schiff bekommen?“ Er grinste über das ganze Gesicht. „Das erkläre ich dir jetzt nicht, weil es eine Überraschung für dich werden soll – wenn es funktioniert.“ Sie war immer noch ein wenig pikiert. „Ich finde, manchmal benimmst du dich reichlich kindisch“, murrte sie. „Wenn du Hilfe brauchst, kannst du mich ja rufen.“ Sie drehte sich um, und mit drei Behältern im Schlepptau machte sie sich Richtung Schiff auf den Weg. Er grinste auch jetzt noch, als er ihr nachblickte. Noch einmal kletterte er in die Fähre zurück und holte ein gewaltiges Bündel Winkeleisen der verschiedensten Größen heraus. Er legte es neben den merkwürdigen Block, dessen Seitenlänge ungefähr ein Meter dreißig betrug und der gut einen Meter hoch war. Er wies die eigenartigsten
Flanschen und Schraubenlöcher auf, die keinem offenbaren Zweck dienten. Dann bückte er sich und studierte diese neueste Errungenschaft. Die Schaltungen befanden sich unter einer hochklappbaren Platte über dem eigentlichen Motorblock. Und da war auch die Kammer für die Batterie. Sie hatten nicht einmal vergessen, eine anzuschließen. „Jetzt wird es sich herausstellen“, murmelte er aufgeregt. Er drückte auf einen Schaltknopf. Der Anzeiger bewegte sich langsam nach rechts. Er spürte, wie sich das Kontrollrad in seiner Hand hob. Bedächtig drehte er es in Uhrzeigerrichtung. Der Block begann zu erzittern, hob sich leicht. Er drehte das Rad weiter, um mehr Energie zu geben, und nun schwebte das Ganze gut dreißig Zentimeter über dem Boden. Erleichtert seufzte er auf. Viele Stunden hatte er über seinen Berechnungen gesessen und gehofft, daß sie auch in der Praxis aufgingen. Immerhin hätte es sein können, daß das lose Aggregat des Sandes sich löste und unter dem Druck nachgab. „Nun fragt sich nur, wieviel Gewicht du aushältst“, brummte er und betrachtete das schwebende Ding mit glänzenden Augen. Er drückte mit beiden Händen fest darauf, aber es sank um keinen Zentimeter. Es schaukelte lediglich schwach. Dabei benutzte er nur ein Drittel der vollen Kraft, wie die Armatur anzeigte. Zufrieden vor sich hin pfeifend, legte er die Winkeleisen auf den Block und auf sie wiederum die restlichen Behälter, die Heizstoffblasen und die Akkus, die die Fähre ebenfalls, wie immer, mitgebracht hatte. Dem schwebenden Block schien die Belastung absolut nichts auszumachen. Er spähte über die Ebene und sah, daß sie gerade die Gangway hochstieg. Mit einer Hand schob er den Schwebeblock an einem der Winkeleisen vor sich her. Immer noch pfeifend betrat er das Hauptdeck. „Eine Tasse Kaffee täte mir jetzt gut“, erklärte er. „Er ist gleich fertig. Ich nehme an, ich soll dir jetzt helfen, den Block hierherzuschaffen?“
„Nicht nötig“, feixte er. „Ist irgend etwas Besonderes in den Behältern?“ „Proteinmischung, Fertigbrei, das übliche eben. Kupferdraht, Chemikalien. Ach ja, und eine Packung Videokassetten.“ „Das neueste Informationsmaterial über Metallurgie“, brummte er. „Oh, ich wußte gar nicht, daß man aus der Captain Storm Serie soviel Neues über Metallurgie lernen kann. Du willst dir doch nicht wirklich dieses entsetzliche Zeug anschauen?“ „Ich glaube nicht, daß dich das etwas angeht.“ Er nahm ihr schnell die Kassetten ab. „Ich schicke jetzt die Fähre zurück.“ Sie erwartete ihn mit funkelnden Augen und auf die Hüften gestemmten Armen, als er auf das Hauptdeck zurückkam. „John Lampart“, begann sie, „nie im Leben kannst du den schweren Block allein hierhergeschleppt haben. Und doch steht er vor dem Schiff. Hast du mir nichts zu erklären?“ Spitzbübisch grinste er. „Stimmt, ich habe ihn auch nicht hierhergeschleppt. Ich habe ihn geflogen!“ „Kannst du denn nicht einmal ernst sein?“ fauchte sie ihn an. Er legte seine Arme um sie und drückte sie an sich. Er lächelte. „Du gefällst mir, wenn du wütend bist. Deine Augen funkeln wie Sterne.“ „Laß mich los!“ keuchte sie und versuchte sich loszureißen. „Wenn du mir versprichst, daß du dich benimmst und mir hilfst, zeige ich dir etwas, das unser ganzes Leben hier verändern wird.“ „Na schön. Ich verspreche es.“ „Dann komm mit.“ Er nahm die Winkeleisen und begann sie zusammenzubauen. „Das wird unsere Kutsche. Damit werden wir weite Strecken schnell und sicher zurücklegen können.“ „Eine Kutsche“, echote sie. „Und was du da zusammenbastelst, werden wohl die Flügel oder vielleicht die Segel?“ erkundigte sie sich ironisch. „Nein, das Stützwerk. Das Fahrgestell, wenn du willst.“ „Eine lustige Kutsche“, spöttelte sie. „Was du da zusammenstellst, kommt eher einem Floß nahe.“
Er hatte inzwischen zwei der längeren Eisen so am Block angeschraubt, daß sie sich nach vorne erstreckten, und zwei weitere nach hinten. Nun befestigte er andere quer dazu. „Ich gebe ja zu, daß ‚Kutsche’ nur scherzhaft gemeint war. Aber Schlitten klingt so prosaisch. Wir können ihm ja später noch einen Namen geben. Erst werden wir einmal damit fahren. Dann bringe ich dir bei, wie man ihn bedient.“ „Fahren? Bedienen? Dieses Ding da? Es hat ja weder Kufen noch Räder!“ „Richtig. Und auch keine Pferde.“ Er zog die letzten Schrauben fest und hatte nun ein rautenförmiges Gerüst, mit der Schaltanlage in der Mitte. Davor, oder zumindest, was er als vorne bestimmt hatte, hatte er ein Querstück für die Füße angeschraubt. Übermütig verbeugte er sich tief vor ihr. „Meine Dame“, er legte die Hand an seine Brust, „gewährt mir die Ehre, eine Ausfahrt mit mir zu machen?“ Einen Moment blickte sie ihn unwillig an, dann begann sie zu kichern. Sie tastete nach einem imaginären Reifrock und machte einen Hofknicks: „Ich fühle mich sehr geehrt, mein Herr. Doch deuchen mir Eure Kissen und Sitze nicht sonderlich komfortabel.“ „Ich verstehe Euer Zaudern, Madam. Seid versichert, schon in den nächsten Tagen wird alles zu Eurer Zufriedenheit fertiggestellt.“ Er reichte ihr mit einer weiteren Verbeugung den Arm und half ihr aufs Gestell, nachdem er den Sitz mit einem imaginären Schnupftuch abgestaubt hatte. „Setz dich hierher“, bat er, „und stell deine Füße auf dieses Querstück.“ Er ließ sich ihr gegenüber nieder und schaltete den Motor ein. Dann drehte er am Rad. Der Block stieg in die Höhe. Ihre Augen wurden groß. Sie umklammerte seinen Arm. „Es funktioniert!“ staunte sie. „Natürlich funktioniert es. Was hast du denn gedacht?“ „Aber wie? Wieso kann dieses schwere Ding in der Luft schweben?“ „Verstehst du etwas von Elektromotoren und Magnetismus?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich werde versuchen, es dir zu erklären. Dies hier ist ein linearer Motor, im Gegensatz zum Standardmotor, der sich dreht. Letzterer hat einen Rotor und Magnetfelder, und durch seine Umdrehungen versucht er, den äußeren Ring von sich wegzuschieben, dadurch bewegt er sich. Hier ist es kein äußerer Ring, sondern eine Fläche der Boden. Und es gibt zwei Felder, die in entgegengesetzte Richtungen schieben. Dadurch werden wir nach oben gehoben. Kannst du mir folgen? Dieses System wird in Fabriken und Werkstätten benutzt, um schwere Lasten von einem Metallboden zu heben und darüber zu befördern.“ „Ich glaube es dir ja“, sagte sie schwach. „Aber warum benutzt man dieses – dieses Ding nicht als Motor in Autos auf der Erde?“ „Weil die Erdkruste, im Gegensatz zu der dieses Planeten, nicht metallisch ist. Aber paß jetzt auf, ich zeige dir, wie man ihn bedient. Mit diesem Knopf kannst du ihn ein- und ausschalten. Das Rad dient sowohl zur Energie-, als auch vertikalen und horizontalen Steuerung. Schau mir gut zu. Du hast gesehen, daß ich es nur einmal gedreht habe. Ich drehe jetzt weiter.“ Das merkwürdige Fahrzeug stieg höher. Als es zu vibrieren anfing, hielt er das Rad an. „Die maximale Höhe beträgt einen Meter fünfzehn. Wenn wir versuchten, ihn weiterzuheben, begänne er zu schwanken und würde außerdem zuviel Energie verbrauchen.“ Er drehte das Rad zurück. „So, zwanzig Zentimeter dürfte das Ideale sein.“ Er drückte von oben auf das Rad, bis es einklickte. „Nun können wir uns horizontal bewegen. Wie du siehst, sitzt das Rad auf einem Hebel. Um vorwärts zu fahren, brauchst du es nur nach vorn zu drücken.“ Er tat es. Das Fahrzeug setzte sich geradeaus in Bewegung. „In Normalstellung zurückgebracht, hält es an. Nach hinten gezogen, fährt es rückwärts. Um zu steuern, brauchst du es nur wie ein normales Lenkrad zu drehen. Siehst du? Und nun versuch es selbst.“ Sie lernte sehr schnell und strahlte über das ganze Gesicht.
„Chauffiere du“, bat er. „Ich möchte etwas ausprobieren.“ Er kletterte ans vordere Ende des Rautengestells und versuchte es mit seinem ganzen Gewicht nach unten zu drücken. Es wackelte nur unbedeutend, selbst als er mehrmals mit aller Gewalt darauf herumhüpfte. „John, es ist wundervoll“, rief sie begeistert. „Wie war’s, wenn wir gleich zum See damit fahren?“ „Warum nicht? Aber erst wollen wir uns entsprechend ausrüsten. Ich hole unsere Waffen, und du bringst ein paar leere Heizstoffblasen.“ Nach zehn Minuten waren sie bereits unterwegs. „So weit entfernt habe ich noch keine Proben genommen, und deshalb war ich mir auch nicht sicher, ob der Schlitten hier funktionieren würde. Aber wie du siehst – er tut es!“ „Das bedeutet demnach, daß überall in der Kruste ausreichend Metall ist. Man könnte also, wo man will mit Erfolg schürfen. Warum nimmst du dann überhaupt Proben?“ „Weil ich nicht will, daß dein Vater vom wahren Reichtum dieses Planeten erfährt. Ich schicke ihm nur die magersten Proben, damit er glaubt, Schürfungen mit all dem erforderlichen Aufwand rentieren sich hier doch nicht.“ „Aber das ist ja Betrug!“ „Schau dir doch mal die Schönheit dieser Welt an.“ Er deutete auf die roten und purpurnen Wälder am Schräghang der Schlucht. „Dann stell dir vor, was passieren würde, wenn all die Maschinen herunterkämen und zu graben begännen. Ist die Erhaltung einer so herrlichen Welt nicht das bißchen Betrug wert?“ „Machst du es dir nicht sehr leicht? Das Detonit ließe ich eher als Entschuldigung gelten. Du mußt meinen Vater sehr hassen, nicht wahr?“ „Wegen des Detonits?“ Er verlangsamte den Schlitten zu einem gemächlichen Schweben. „Nein, nicht deswegen. Da müßte ich ihn auf gewisse Weise sogar bewundern, denn es war die einfachste Lösung seines Problems. Nein, ich glaube, ich haßte ihn schon lange,
ehe ich hierherkam. Du bist die erste, der ich es sage: er hat meinen Vater und meine Mutter auf dem Gewissen. Du hast ja von der Dreimannpartnerschaft – dein und mein Vater und Kyrios – gehört. Mein Vater hatte Differenzen mit deinem, und plötzlich hatte man ihn für ein Butterbrot abgefunden. Mein Vater war nie ein Geschäftsmann. Er fand nichts Neues und auch keinen Job, dafür sorgten Kyrios und dein Vater. So unglaublich es auch in dieser Zeit des Überflusses klingt, meine Mutter starb an Unterernährung, und ich war nahe daran.“ Sie tastete nach seiner Hand. „Ich bin nicht mein Vater“, erinnerte sie ihn sanft. „Ich weiß“, murmelte er und drückte ihre Hand ganz fest. „Und falls mir wirklich nichts anderes bleiben sollte, so kann mir doch meine Erinnerung an dich niemand nehmen. Ich bin froh, daß du gekommen bist.“ Verlegen lenkte sie ab. „Schau doch, das sieht aus wie ein gewaltiges Amphitheater!“ Sie hatten die Schlucht durchquert und waren an einem fast runden natürlichen Platz angekommen, der gut fünfzehnhundert Meter im Durchmesser hatte und zu drei Viertel von hohen Felswänden umgeben war. Ein schriller Pfiff wie von einer mächtigen Dampfmaschine durchschnitt die Stille. Eine Riesenechse von einer Größe, wie John sie nie zuvor gesehen hatte, stieß ihn aus. Er schätzte sie vom Stummelschwanz bis zum Schaufelkopf auf gut fünfundvierzig Meter. Es war ein Ungetüm anderer Art als die Krötenechsen, die er kannte. Sie hatte einen gewaltigen Umfang, den nur vier, verhältnismäßig dünne, dreizehige Beine stützten. Wütend zischend, versuchte sie den Steilhang emporzuklettern. Dorothea sah den Grund dafür eine Sekunde eher als er. „John!“ schrillte sie. „Dort oben sind Menschen!“ Die ganze Felswand schien pockig von gähnenden Höhlen. Es gab breite Simse, auf denen sich aufrechtgehende Lebewesen bewegten. Manche schleuderten Speere gegen das sich nähernde Ungeheuer.
Andere, weiter oben, nahmen es unter Steinbeschuß, den die Echse jedoch nicht einmal zu bemerken schien. All dies diente jedoch offenbar nur dem Zweck, das Monstrum noch wütender zu machen und höher hinaufzulocken, während eine Gruppe der ganz offensichtlich Humanoiden sich damit abplagten, einen riesigen Felsblock an den Rand eines Simses zu schleifen. „Das sieht alles nach langer Vorbereitung aus“, murmelte John anerkennend. „Diese Wesen dort oben sind zweifellos intelligent.“ Mit Ausnahme der Gruppe am Felsblock und einer, die das Tier weiter aufstachelte, zogen sich alle anderen in Höhlen zurück. Als der Kopf der Riesenechse unmittelbar unter dem Felsblock war, schoben sie ihn über den Rand. Er polterte an der Steilwand entlang, drehte sich in der Luft und schlug auf dem Schädel des Monstrums auf, zerbarst jedoch. „Sie haben es nicht geschafft“, stöhnte John, während Dorothea aufgeregt seinen Arm umklammerte. „Sie haben die Bestie nur verwundet, aber nicht getötet. Spring ab, Dorothea. Ich muß ihnen helfen. Ich werde versuchen, der Echse einen Speer ins Auge oder den Bauch zu bohren, das gibt ihr vielleicht den Rest.“ „Ich komme mit“, erklärte sie. „Ich werde lenken, dann hast du mehr Bewegungsfreiheit.“ Sie waren nun schon so nahe, daß sie es berühren konnten, aber das Tier sah sie immer noch nicht. Es reckte seinen Hals und brüllte. John hackte mit dem Schwert gegen das offenbar weichere Halsfleisch. Purpurnes Blut spritzte auf ihn. Dorothea lenkte den Schlitten rund um das Tier, und der Hals versuchte ihnen zu folgen und danach der ganze schwere Koloß. „Jetzt!“ rief sie. „Jetzt könntest du genau ins andere Auge zielen!“ Der Felsblock hatte der Echse rechte Seite getroffen und zerquetscht und auch das Auge. Trotz dieser gewaltigen Verletzung hob und senkte sich der riesige Schädel, und wütendes Brüllen drang aus dem Rachen. Als John nicht zu hören schien, ließ sie das Rad los und
nahm ihren Speer. Gerade als das Tier den Schädel senkte, stieß sie ihn ihm mit aller Gewalt in das linke Auge. Ruckartig riß es den Kopf zischend empor – und mit ihm Dorothea, die den Speer fest umklammert hielt, um ihn zurückzuziehen. Ohne eine Sekunde zu überlegen, sprang John vom Schlitten auf den gepanzerten Rücken des Kolosses und hackte auf den weicheren Hals ein, immer tiefer in die bereits geschlagene Wunde. Er glitt auf der blutigen Schuppenhaut ab, im gleichen Augenblick, als das Untier mit einem letzten Stöhnen tot zusammenbrach und der Schädel sich endgültig in den Sand senkte. Und da sah er, daß sie sich taumelnd erhob und auf den Boden rutschte. „Du lebst!“ schrie er und schlang wie ein Ertrinkender die Arme um sie. Sie lehnte zitternd ihren Kopf an seine Brust. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht solche Angst gehabt“, gestand sie. „Es versuchte, mich abzuschütteln, und ich klammerte mich verzweifelt fest. Und dann kippte es plötzlich um. O John“, jubelte sie plötzlich, „ich habe es getötet, nicht wahr?“ „Es ist tot“, erwiderte er. „Kaum vorstellbar, ein Koloß dieser Größe! Das gibt Fleisch für einen ganzen Monat für unsere Freunde.“ „Wo sind sie denn?“ fragte sie, als sie verwundert die leere Felswand betrachtete. „Sicher beobachten sie uns irgendwo versteckt und fragen sich, was wir als nächstes vorhaben. Vermutlich haben wir ihnen einen ganz schönen Schreck eingejagt. Wie können wir ihnen zeigen, daß wir ihre Freunde sind?“ „Haben wir das nicht schon getan, indem wir die Echse töteten? Und wir lassen ihnen ja auch das Fleisch da.“ Sie blickte sich um. „John, um Himmels willen, wo ist denn der Schlitten?“ „Verdammt!“ keuchte er. „Auf der anderen Seite. Hoffentlich hat das Tier ihn nicht unter sich begraben! Ich schau nach. Zieh du inzwischen den Speer heraus.“
Der Schlitten schwebte gut einen Meter von dem gestürzten Koloß entfernt. Er atmete erleichtert auf und kletterte hoch. Für die ihn sicherlich beobachtenden Humanoiden mußte das ein recht gespenstischer Anblick sein. Es würde bestimmt nicht einfach sein, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Aber vielleicht sollten sie es auch gar nicht versuchen. Was hätten sie ihnen schon zu bieten? Und schließlich war es ihr Planet. Er lenkte den Schlitten um das Monstrum auf die andere Seite. Erschrocken blickte er sich um. Dorothea war verschwunden und der Speer steckte immer noch im Auge. Er zerrte ihn mühevoll heraus. Da sah er sie den Hals herunterrutschen. „Ich hab’ die Echse ja gar nicht getötet!“ rief sie ihm anklagend entgegen. „Du warst es!“ „Wir haben es beide gemeinsam getan, Dorothea. Du hast ihr das Auge ausgestochen und ich ihr den Hals durchgehackt. Ich mußte es tun. Als das Tier dich hochriß, glaubte ich, es sei aus mit dir. Ich – ich mußte es ganz einfach töten.“ Sie streichelte seine Hand. „Komm, ich möchte mir den See anschauen. Er kann nicht mehr weit von hier sein.“ Er war leicht zu finden. Sie brauchten nur dem Pfad zu folgen, den die Riesenechse sich gebrochen hatte, die offenbar von dorther gekommen war. Am seichten Ufer hielten sie an, weil John nicht wußte, ob der Schlitten sich über tieferem Wasser halten würde. Dorothea lehnte sich hinaus und begann sich das Blut von Gesicht und Körper zu waschen und dann tauchte sie auch den blutbesudelten Lederrock in die stark salzhaltige Flüssigkeit. Danach wusch auch er sich, ehe sie sich auf den Rückweg machten.
11. „Es gefällt mir hier“, murmelte er, als sie sich den Wäldern am Schräghang näherten. „Schade, daß ich in fünfundzwanzig Tagen weiterziehen muß. Aber sicher ist es überall auf diesem Planeten schön.“ „Ich möchte nicht von hier weg“, murmelte sie und legte sanft ihre Hand auf seine. „Hier hast du erst einen richtigen Menschen aus mir gemacht Was war ich denn? Eine hohle Hülle, ständig auf leeres Vergnügen und Sensationen aus. Und all die Menschen, die ich kannte, waren nicht besser. Doch dann kamst du, und ich spürte, daß es mehr gab und du es alles in dir hast. Ich beneidete dich.“ Sie blickte ihn an. „Klingt verrückt, nicht wahr? Ich, die ich alles hatte, was Geld kaufen konnte. Aber es bedeutete mir nichts. Erst jetzt weiß ich, was Leben wirklich ist. Ich tue etwas, das nützlich ist. Ich habe mir sogar selbst einen Rock gemacht.“ Sie deutete auf die beiden Lederstücke, die zum Trocknen hingen, und begann zu kichern. „Weißt du, besonders weich sind deine Sitze ja wirklich nicht. Aber vielleicht hilft es, wenn ich mich darauf setze.“ Sie rollte sie zu einem Kissen zusammen und schob sie sich unter. „Bitte versteh mich nicht falsch, ich will mich durchaus nicht beschweren. Ich finde den Schlitten einfach wunderbar und dich ebenfalls, weil du auf diese Idee gekommen bist.“ „Ach weißt du“, brummte er. „Dem Schlitten fehlt noch viel. Gepolsterte Sitze, wie du schon sagtest. Ein richtiger Boden, daß wir mehr als nur ein paar Säcke mitnehmen können. Und dann könnten wir ihn vielleicht auch überspannen, mit einer Art Sonnendach.“ „Es wird uns nie langweilig sein, nicht wahr?“ Sie lächelte ihn an. „Könnten wir nicht ein paar Weineier mitnehmen, wenn wir schon da sind?“
Mit dem Schwert pflückten sie ein paar Trauben der köstlichen Früchte. Sie setzten sich unter den Baum und begannen sie auszuschlürfen. „Aus dem großen Echsenfell, das noch im Schiff liegt, könnten wir einen Boden für den Schlitten oder auch ein paar Sitzkissen machen. Aber du willst es sicher lieber für ein Kleid verwenden wollen.“ „Warum sollte ich?“ „Ich weiß nicht. Aber ich habe ja auch nicht verstanden, warum du lieber einen Rock als Schuhe haben wolltest. Ich verstehe Frauen eben nicht.“ „Wer hat dir denn diesen Floh ins Ohr gesetzt?“ „Niemand. Aber es ist so. Entsinnst du dich, du hast mich gefragt, ob ich schon mal verliebt war?“ „Ja, John, ich erinnere mich.“ „Weißt du, bei mir war es immer so, daß ich mir nichts aus einer Frau machte, wenn ich sie nicht als Menschen schätzen und bewundern konnte. Die Frauen wollen zwar als gleichberechtigt gelten, aber jene, die ich bisher kennengelernt habe, verlangten trotzdem, daß man vor ihnen auf die Knie fiel, sie anbetete. Aber das liegt mir nicht. Darum hat mir auch noch nie eine Frau etwas bedeutet. Trotzdem war ich verliebt.“ „Oh!“ Sie hob ihren Kopf. Ihre Augen weiteten sich. „Das heißt, ich bin es sogar noch. Du kannst mich ruhig auslachen, wenn du willst. Aber ich habe meine Idealfrau. Du hast doch die Captain-Storm-Kassetten gesehen? Die Sternenkönigin – das ist meine Idealfrau. Nicht, daß ich mir einbilde, die Schauspielerin, die sie darstellt, ist wirklich so. Weiblich, sanft, blond, sympathisch schön und – irgendwie sauber. Ich weiß nicht, ob du verstehst, was ich meine. Sie ist die einzige Frau, die ich je sah, die nackt sein kann und doch völlig rein und natürlich wirkt. So, jetzt kannst du mich auslachen.“ Sie blickte ihn mit glänzenden Augen an. „Warum sollte ich lachen, John? Ich finde es nicht lächerlich, wenn ein Mann ein Ideal hat und
weiß, daß es das ist und nicht mehr. Nun kann ich dir auch sagen, warum ich den Rock haben wollte. Du fühlst dich nackt völlig normal, weil du dir deines eigenen Wertes bewußt bist, ohne dir etwas dabei zu denken. Aber ich – ich kannte mich ja nicht einmal selbst. Du hattest das Bild, das ich mir von mir selbst gemacht hatte, zerbrochen. Ich war nichts mehr. Doch ich wollte, daß du mich achten solltest, mich als Person, verstehst du? Nicht als Frau, oder als Tochter des reichen Colson. Ich brauchte etwas, das mir gehörte, das ich selbst gemacht habe.“ Sie blickte ihn an. „Aber ich glaube, jetzt brauche ich ihn nicht mehr.“ Er staunte über sich selbst, als er sie plötzlich in die Arme riß und küßte. Dann sagte er leise: „Es ist nicht Liebe, was ich für dich empfinde, Dorothea. Das weißt du. Aber ich habe ungewöhnliche Achtung vor dir. Ich bewundere dich. Du bist ein großartiger Kamerad. Ich bin sehr froh, daß du hier bist.“ Seine Stimme wurde heiser, als ihre Hände ihn zärtlich liebkosten. „Es ist nicht Liebe“, murmelte er noch einmal. „Ich weiß“, flüsterte sie. „Aber dein Gefühl ist trotzdem echt. Es wird nichts an deinem Traum ändern.“ Ihre Lippen suchten hungrig seine, und es durchflutete ihn wie Feuer. Sie fielen engumschlugen in den Sand zurück. „Prinzessin“, sagte er nach einer langen Weile. „Wir müssen heim, wenn der Morgenanbruch uns nicht hier überraschen soll.“ Er blickte sie zärtlich an. „Von nun an bist du meine Prinzessin.“ „Ein Titel bedeutet nichts, John. Aber wenn dir Prinzessin gefällt? Ich brauche ohnehin einen neuen Namen, denn ich bin nicht mehr Doll Colson. Abgesehen davon, daß ich es nie war. Ich bin nicht Colsons leibliche Tochter, aber das wußten bisher nur er, ich und irgendein Beamter.“ „Er hat dich adoptiert?“ „So nennt man es wohl. Aber in Wirklichkeit hat er mich gekauft. Er ließ die Gene aller möglichen Leute überprüfen, und als er ein Paar mit den besten Möglichkeiten gefunden hatte, durften sie mich für
ihn produzieren. Als ich ein halbes Jahr alt war, bezahlte er sie königlich für mich. Das heißt, er tat es natürlich über Mittelsmänner, damit sie nie erführen, wohin ihre Tochter kam. Er ließ mir die beste Erziehung angedeihen. Als ich zehn Jahre alt war, erzählte er mir alles. Er sagte, ich könne haben, was ich wollte, nur nicht die Freiheit, mir selbst zu gehören, denn ich sei sein Eigentum. Er sagte, ich müsse versuchen, in allem die Beste zu sein, egal, was ich täte. Verstehst du jetzt, John, warum ich so ein Biest war?“ „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Aber ich wollte, ich hätte es gewußt.“ „O nein. Denn wenn du es gewußt hättest, wäre es nicht soweit gekommen, dann wäre ich nicht hier. John, ich weiß nicht, aber ich habe solche Angst, daß irgend etwas passieren könnte, das unser Glück hier zerstört.“
12. Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Es gab soviel zu tun. Die Fähre mußte wieder heruntergeholt und zurückgeschickt werden. Sie fertigten weitere Waffen an: Schwerter, Dolche und Bögen. Und sie brachte ihm das Bogenschießen bei. Langsam änderten sie auch ihren Lebensrhythmus, und als der fünfundvierzigste Tag vorbei war, arbeiteten sie schon den ganzen Tag, ohne daß die heiße Sonne ihnen noch etwas ausmachte, und sie schliefen des Nachts, während die drei Monde über den Himmel wanderten. Die heiße Dusche bei Morgenanbruch vergaßen sie jedoch nie. Eines Morgens, beim Frühstück, das nun seinen Namen zurecht trug, sagte sie: „John, du sprichst schon die dritte Nacht im Schlaf. Du rufst etwas wie, ,du darfst nicht zurück, sie bringen dich um’. Was quält dich denn?“
„Mein Gott, das ist es also!“ Plötzlich sah er das ganze Bild, das sein Unterbewußtsein längst geahnt hatte. „Es stimmt, Prinzessin. Du kannst nicht zurück. Niemals!“ „Aber John. Du weißt doch, daß ich nie etwas von hier verraten würde. Mein Vater weiß ohnehin, daß ich nichts von Mineralien verstehe, er wird mich also gar nicht fragen. Aber ich muß zu ihm und ihm sagen, daß ich dich liebe, daß ich hier bei dir bleiben will, für immer. Und nach deinen Proben wird er es ohnehin aufgeben, den Planeten ausbeuten zu wollen. Er wird mich verstehen, und ich komme auch gleich wieder zurück.“ „Das wirst du ganz sicher nicht, denn die Möglichkeit gäbe man dir überhaupt nicht. Wenn Colson dein leiblicher Vater wäre, könnte es anders sein. Aber er ist es nicht. Ich hätte es eigentlich gleich sehen sollen. Schau mich nicht so entsetzt an, Prinzessin. Du weißt, ich würde dir nie weh tun wollen. Doch du mußt es wissen. Du hast das Detonit gesehen. Du weißt, wofür es bestimmt war. Ich sagte dir bereits, daß meine Eliminierung die beste Lösung für sein Problem sei. Ich glaubte, er täte es, damit niemand von dem Planeten erführe und er mir kein Geld geben müßte. Aber das war nicht der ganze Grund. Ich bin nicht mehr menschlich! Das ist es! Und du bist es auch nicht mehr. Auf der Erde wären wir Supermenschen. Wir könnten zum Beispiel Lasten mit einem Gewicht von fünfhundert Pfund mit einer Hand heben, ohne uns anzustrengen. Ich habe es am Meßgerät abgelesen, du kannst mir also glauben. Wir halten den stärksten Druck aus, die höchste Temperatur. Wir wären Monstren auf der Erde.“ Sie starrte ihn mit weiten Augen an, schwieg jedoch. „Stell dir vor“, fuhr er fort. „Du kehrst zur Monitorstation zurück, mit deinem flammenroten Haar und deiner goldenen Haut. Du gibst jemandem die Hand und zerquetschst sie ihm. Oder du brichst einen Türgriff ab. Dann die lange Reise zurück zur Erde und zur Leos Labor. Was glaubst du, wie oft du Aufsehen erregen würdest! Normale Menschen würden dich fürchten und Verbrecher versuchen, dich zu entführen und für ihre Zwecke zu mißbrauchen. Denk darüber nach,
Prinzessin! Du weißt, daß ich recht habe, nicht wahr? Darum muß Colson mich töten. Und dich ebenfalls!“ Ihr Entsetzen schmerzte ihn. Er drückte sie fest an sich. Sie zitterte am ganzen Körper, aber sie war noch nicht völlig überzeugt. „Ich kann nicht glauben, daß die Menschen wirklich so schlecht sind, John.“ „Ich kann es dir nicht verdenken. Ich würde es viel lieber auch nicht glauben. Darum hatte ich ja diese Alpträume. Mein Unterbewußtsein wußte es die ganze Zeit.“ Er hob sanft ihren Kopf und blickte ihr in die Augen. „Habe ich jetzt etwas kaputtgemacht?“ Ihr altes warmes Lächeln kam zurück. „Nein, John, nicht das – nichts zwischen uns. Daran wird sich nie mehr etwas ändern. Soll die Welt tun, was sie will. Hier sind wir sicher. Hier gibt es nur dich und mich.“ Doch er spürte, daß sie auch in den nächsten Tagen, ja Wochen, noch darüber grübelte und sie der Zweifel mehr als alles andere bedrückte. Darum brachte er das Thema absichtlich wieder zur Sprache. „Was hältst du davon“, fragte er, „wenn ich bitte, daß man dich mit der nächsten Fähre mitnimmt? Nur, um zu sehen, was sie tun werden.“ „Aber ich will doch nicht zurück!“ „Ich sagte ja nicht, daß du es wirklich tun sollst. Sie sollen lediglich die Fähre mit dem Passagiersitz schicken. Wenn sie dann hier ist, sagen wir, daß du deine Meinung geändert hast, das ist alles. Aber so erfahren wir wenigstens, wie sie reagieren werden.“ Es gefiel ihr nicht, aber sie erklärte sich schließlich einverstanden. „Sie ist morgen fällig? Nicht wahr?“ Sie nahm einen tiefen Schluck der fermentierten Flüssigkeit aus den Weineiern, die angenehm wärmten. „Ich bin froh, daß ich nicht wirklich von hier weg muß“, murmelte sie. „Es genügt schon, daß wir in sechs Tagen umziehen müssen. Es wäre schön, wenn wir ein hübsches Tal fänden, mit einem stillen Fluß und viel Gras. Vielleicht könnten wir uns sogar einen
Garten anlegen, weißt du, mit Blumen, und Pflanzen, die man essen kann.“ „Warum nicht? Ich werde nach so einem Ort Ausschau halten. Nur fürchte ich, daß es bei dieser Temperatur gar keinen Fluß geben kann. Vielleicht könnten wir auch eine junge Katze fangen und zähmen. Und später, wenn Colson die Zeit für gekommen hält und auf den Knopf drückt, dann suchen wir uns einen friedlichen Fleck, wo wir uns für immer niederlassen.“ „O John“, seufzte sie, „das klingt alles so wundervoll, aber hast du auch schon bedacht, daß wir dann ganz allein sein werden, ohne jegliche Verbindung zu anderen Menschen?“ „Schon oft, aber es stört mich nicht, im Gegenteil. Aber du, Prinzessin, wirst du es dein Leben lang mit mir aushalten?“ „Ich bin so glücklich hier, John, so glücklich mit dir. Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend etwas passieren könnte.“ Nach dem heißen Morgenguß begleitete sie ihn in die Radiokabine. „Bodenstation an Monitor. Auf Empfang.“ „Monitor an Bodenstation. Fünfundfünfzigster Tag. Wie fühlen Sie sich?“ „Fünfundfünfzigster Tag. Keine Meldung. Eine Bitte.“ Nach einer Weile kam die lakonische Antwort. „Wir hören.“ „Benötige Fähre mit Passagiersitz für einen Passagier von Bodenstation zu Monitor. Wiederhole: Passagier von Bodenstation zu Monitor.“ „Warten Sie.“ „Könnten Sie sich mit der Erde in Verbindung setzen?“ fragte Dorothea. „Das würde mit Radio vierhundert Jahre dauern. Selbst wenn sie ein Schiff mit Lawlorantrieb zur Erde schickten, dauerte es vierzehn Tage, bis sie zurück sein könnten. Ah, sie melden sich wieder.“ „Monitor an Bodenstation. Erwarten Sie Fähre mit Passagiersitz zur vorgesehenen Zeit.“
„Vielleicht habe ich mich doch getäuscht“, murmelte er. „Vielleicht müßte ich mich bei jemandem entschuldigen.“ „Noch nicht“, lachte sie. „Und bei mir schon gar nicht. Dein Mißtrauen entsprang ja nur deiner Sorge um mich.“ Er war froh, sie völlig unbeschwert zu sehen. Sie machten einen langen Ausflug mit dem Schlitten und kehrten erst zurück, kurz bevor die Fähre heruntergeholt werden mußte. Ehe das Signal kam, brütete John erneut über seiner Befürchtung. Er glaubte einfach nicht, daß man Dorothea so ohne weiteres zur Monitorstation und dann zur Erde zurückkehren ließe. Colson konnte dieses Risiko einfach nicht eingehen. Aber dann meldete sich die Station, und er übernahm die Fernsteuerung. „Nimm’s nicht so tragisch“, tröstete sie ihn. „Du hast dich eben getäuscht, das kann doch jedem passieren. Komm, fahren wir zur Fähre.“ Die Routine des Aus- und Einladens verlief wie immer. Der Sitz befand sich wie angefordert in dem Landefahrzeug und wartete nur auf den Passagier. Düster betrachtete er ihn. „Soll ich schnell ein paar Zeilen schreiben, daß ich mich entschlossen habe, doch zu bleiben? Oder teilst du es ihnen mit, wenn du die übliche Meldung durchgibst?“ Er hörte sie nicht. Er war in die Antriebskammer gekrochen, die noch enger als die seines Schiffes war. „Was machst du denn so lange?“ rief sie und blickte durch die Schleuse. Mit ölverschmiertem finsteren Gesicht kletterte er heraus. „Es ist besser, wenn du selbst nachsiehst“, brummte er. „Du kannst es nicht übersehen. Es ist der einzige neue Kupferring in all dem Schmutz dort unten. Geh, sieh nach!“ Sie sprang zu ihm heraus auf den Sand. Ihr Gesicht war eine starre, goldene Maske. „Es ist wieder Detonit, nicht wahr? Ebenfalls in einem Kupferreifen verstaut.“
„So einfach, Prinzessin, und so leicht zu installieren. Und äußerst wirkungsvoll ebenfalls, das mußt du doch zugeben.“ „Was wirst du tun?“ „Nichts. Absolut nichts. Wir sind hier fertig.“ Seine Hände waren völlig ruhig, als er die Fähre hoch zur Ionosphäre lenkte. Sobald die anderen sie übernommen hatten, konnte er sie nicht mehr orten. Es war ja ein so simpler Plan. Da er sie nicht weiterverfolgen konnte, mußte er sich auf die Meldung aus der Monitorstation verlassen. Er gab ihnen das Zeichen, zu übernehmen, und schaltete wieder auf Sprechverbindung. Sie stand neben ihm, ihre Hand auf seiner Schulter, ihr Gesicht immer noch ausdruckslos. Das Signallämpchen auf der Tafel leuchtete auf. Das war das Zeichen von oben, daß die Fähre die Station erreicht hatte. Gleich darauf erklang die durch Störungen verzerrte Stimme. „Monitor an Bodenstation. Fähre und Passagier wohlbehalten angekommen. Wiederhole: wohlbehalten angekommen. Ende.“ „Verdammte Lügner!“ fluchte er leise und spürte, wie ihre Finger sich in seine Schulter gruben. Er blickte zu ihr hoch. Ihr Gesicht war fast wächsern. „Sag jetzt nichts“, bat sie, ihre Stimme ein heiseres Flüstern. „Ich möchte eine Weile allein sein. Darf ich den Schlitten nehmen?“ „Warum nicht?“ Die Worte fielen ihm schwer. Er empfand schreckliche Angst, sie in ihrer gegenwärtigen Verfassung alleine wegzulassen. Aber es mußte sein. „Nimm ihn, solange du ihn brauchst.“ Er blieb in der Radiokabine sitzen und wartete, bis er annahm, daß sie bereits mit dem Schlitten unterwegs war. Dann schuf er eine Sichtverbindung, von der sie nichts ahnte. Am Schirm beobachtete er sie, bis der Schlitten den Geröllhang hochschwebte und schließlich außer Sichtweite geriet. Zu einem bestimmten Grad konnte er sich vorstellen, was sie nun empfand, den Rest vermochte er nur zu raten. Wie es ihm schon zur Gewohnheit geworden war, sprach er laut vor sich hin.
„Trotz ihrer äußerlichen Unabhängigkeit hat sie doch noch nie zuvor auf ihren eigenen Beinen gestanden. Sie hat immer irgend jemanden gehabt, der ihr entweder Stütze war, oder den sie kommandieren konnte. Selbst hierher kam sie nur, weil sie mir beweisen wollte, daß sie mich unterkriegen würde. Ich glaubte, sie hat nie in ihrem Leben etwas getan, hur weil sie es für sich selbst tun wollte. Darum ist es nur natürlich, daß sie jetzt allein mit sich fertig werden will. Schließlich ist sie eben erst getötet worden. Kaltblütig ermordet von ihrem sogenannten Vater. Das mußte ja einen Schock auslösen.“ Er nahm ein paar weitere Schaltungen vor, die Alarm geben würden, sobald der Schlitten durch den Bergeinschnitt zurückkam. Dann holte er sich eine der alten Captain-Storm-Kassetten und steckte sie in das Videogerät im Kontrollraum. Da war sie, die Sternenkönigin. Die blonde, wunderschöne Linda Lewis, völlig nackt. Ihre makellose Figur strahlte einen goldenen Schimmer aus. Ihr Benehmen war unbefangen, absolut ungekünstelt, als sie sich mit Captain Storm unterhielt. Der alte Zauber erfaßte ihn wieder, während er jede ihrer graziösen Bewegungen verfolgte. Aber nun sah er etwas in ihr, das ihm früher nie bewußt geworden war. Sie war absolut selbstsicher und zufrieden mit dem, was sie war und hatte. Man sagte, daß Linda Lewis mit Arundel zusammenlebte, dem Captain-Storm-Darsteller, und daß sie ein mustergültiges, ruhiges und friedliches Leben führte. Vielleicht war es das, was die Liebe den Menschen schenkt, dachte Lampart. Eine innere Zufriedenheit – mit sich selbst und seinem Partner. Er konnte sich nicht vorstellen, daß Dorothea je auf die Dauer mit irgend etwas zufrieden sein könnte. Sie hatte immer neue Ideen, die sie ausführen wollte. Sie würde immer den Drang nach etwas Neuem haben. Er nahm die abgespielte Kassette aus dem Gerät und trug sie zurück in seine Werkstatt, Dann beschäftigte er sich mit einer Bastelei, aber seine Finger waren zu unruhig. Er mußte ständig an Dorothea
denken und war ungemein erleichtert, als das Alarmzeichen schrillte. Schnell rannte er zur Radiokabine und warf einen Blick auf den Schirm. Der Schlitten hatte den Einschnitt bereits hinter sich gelassen und näherte sich dem Schiff. Hastig unterbrach er die Verbindung und kehrte in die Werkstatt zurück, damit sie nicht glaubte, er hätte die ganze Zeit nur auf sie gewartet. Mit dem Bogen über die Schulter, das Schwert am Gürtel, trat sie durch die Tür. Er erschrak, als er die roten Flecken auf ihrer Brust sah, und lief ihr entgegen. Erleichtert atmete er auf. Die Flecken waren von tiefem Purpur, nicht rotbraun von ihrem eigenen Blut. „Alles in Ordnung, Prinzessin?“ fragte er und machte ihr einen Stuhl neben sich frei. „Ja. Jetzt schon.“ Sie rieb ihre Schulter an seiner, dann versuchte sie das getrocknete Blut abzuwischen. „Ich habe eine Katze getroffen“, erklärte sie. „Sie wollte sich mit mir anlegen, und ich war ebenfalls gerade in der richtigen Stimmung dazu. Ich habe sie getötet. Sie liegt draußen auf dem Schlitten. Das könnte einen hübschen Pelz geben.“ „Wir werden uns gleich daran machen. Vielleicht gibt es einen neuen Rock für dich ab.“ „Du sagst immer genau das Richtige.“ Sie preßte heftig seine Hand gegen ihre Wange. „Wenn ich je wieder einen Rock trage, dann nur, damit du ihn mir ausziehst. Aber sonst brauche ich keinen mehr. Ich habe mich geändert. Ist dir klar, daß ich jetzt amtlich tot bin? Daß ich für die Erde nicht mehr existiere?“ „Ich weiß, Prinzessin. Es muß ein großer Schock für dich gewesen sein.“ „Zuerst ja. Aber dann dachte ich mir, nachdem es mich ja nun nicht mehr gibt, kann ich ganz von vorn anfangen, kann sein, wer ich wirklich sein will. Ganz zuerst war ich sogar richtig verzweifelt, dachte nur an mich, wollte echt tot sein. Aber dann sprang mich die verdammte Katze an, und da wußte ich plötzlich, daß ich leben will. Und hier bin ich.“ Sie streichelte seine Hand. „Ich habe mich wirklich geändert, John. Ich habe dich gebraucht, wie eine Frau einen Mann
braucht, um sich zu beweisen, daß sie überhaupt Frau ist. Das ist nicht mehr so. Jetzt habe ich nicht mehr das Gefühl, etwas zu versäumen, weil es kein Morgen gibt. Das ist nun endgültig vorbei. Ich kann nicht zurück. Du hattest vollkommen recht. Ich werde hierbleiben, bis ans Ende meiner Tage.“ „Ob es uns nun gefällt oder nicht“, erwiderte er verständnisvoll. „Ist schon gut, Prinzessin. Mach dir keine Gedanken meinetwegen. Tu das, was immer du magst. Wir können auch weiter zusammen arbeiten, eben wie du willst. Und Liebe? Wer braucht sie schon. Wir haben etwas Besseres. Ich glaube“, er lächelte und drehte ihr sein Gesicht zu. „Ich glaube, ich achte dich nun als Mensch noch mehr als zuvor, wenn das überhaupt möglich ist. Du bist ein wundervolles Mädchen – und ein großartiger Kamerad. Komm, schauen wir uns deine Katze an, ob wir ihr das Fell abziehen können, ohne es zu sehr zu beschädigen.“ Es war schon spät, als sie mit der nicht gerade angenehmen Arbeit fertig waren. Sie hatte das Tier zweimal mit ihren Pfeilen getroffen. Einmal in der Brust, und einmal durch den Rachen. „Während sie auf mich lossprang“, erklärte sie. „Es erschien mir das Vernünftigste. Ist es nicht ein schöner Pelz?“ Das Fleisch ließen sie den Wolf stieren. Es schien recht zäh, und außerdem hatten sie ohnehin noch genug. Er spannte das Fell über einen Rahmen, den er extra für die Echsenhaut angefertigt hatte, und stellte ihn in einer Ecke im Schiff ab. „Das dunkle Blau wird gut zu deiner goldenen Satinhaut passen.“ „Satin?“ Sie blickte auf sich herab. „Du bist ein unheilbarer Romantiker, John. Leder käme viel näher. Komm, duschen wir gemeinsam. Es ist Platz genug in der Kabine.“ Als sie eng aneinander unter der warmen Luft des Trockners standen, betrachtete sie ihn zärtlich von oben bis unten und schüttelte den Kopf. „Ich weiß, ich sagte, ich brauche dich nicht mehr wie zuvor. Das stimmt auch. Aber ich begehre dich. Ich glaube, ich werde nie aufhören, dich haben zu wollen.“
„Du brauchtest es nicht in Worte zu kleiden, Prinzessin.“ Zärtlich schloß er sie in seine Arme.
13. Zu ihrer beider Überraschung schrillte das Monitorgerät, als sie am nächsten Morgen am Frühstückstisch saßen. „Was die wohl so außerplanmäßig wollen?“ wunderte er sich und eilte die Treppe hoch, sie ihm dicht auf den Fersen. „Bodenstation an Monitor. Höre Ihr Signal. Was gibt es?“ „Monitor an Bodenstation. Anweisungen für Programmänderung. Bestätigen Sie.“ „Programmänderung, verstanden. Beginnen Sie.“ „Fünfundsechzigster Tag. Bestätigen Sie.“ „Was soll’s?“ brummte er Dorothea zu. Dann laut: „Fünfundsechzigster Tag, bestätige.“ „Sie bleiben weitere dreißig Tage an gegenwärtigem Ort. Ich wiederhole: weitere dreißig Tage. Aufbruch am sechsundachtzigsten Tag. Bestätigen Sie.“ „Bleibe weitere dreißig Tage, bestätige. Anweisungen?“ „Überprüfen Sie alle Fundstellen noch einmal, deren Analyse siebzig Prozent und mehr ergeben hat. Verstanden?“ „Verstanden.“ Er schaltete die Verbindung aus. „Verstehst du das?“ wandte er sich stirnrunzelnd an sie. Spitzbübisch zuckte sie die Schultern. „Nein, und es ist mir auch egal. Aber ich freue mich, daß wir noch dreißig Tage bleiben können. Ich mochte gar nicht daran denken, daß wir von hier wegmüssen. Zu viele schöne Erinnerungen sind mit diesem Ort für mich verbunden.“ Sie war offensichtlich so glücklich darüber, daß er jetzt nichts von dem unguten Gefühl sagen wollte, das ihn plötzlich quälte. Aber als
sie nachmittags auf einer gegerbten Echsenhaut unter dem Schiff lagen, mußte;er mit ihr darüber reden. In Augenblicken wie diesen, wo sie einander ganz nahe waren, fiel es ihm leichter, über alles mit ihr zu sprechen. „Es kann nur zwei Gründe geben“, folgerte er und strich ihr über das Haar. Ihr Kopf lag auf seinem Schoß. „Entweder ist Colson aus irgendeinem Grund mit den Auswertungsergebnissen, die ich ihm schickte, nicht zufrieden, und er will, daß ich neue Schürfproben vornehme. Oder er ist zufrieden und möchte sie nur bestätigt haben. Weißt du, das Ganze ist ein reines Glücksspiel. Ich verstehe nur soviel, wie es die Metallurgie betrifft. Ich kann Proben nehmen und sie auswerten. Aber was den finanziellen Teil angeht, da kann ich nur schätzen und nach dem gehen, was ich anderswo gesehen und gehört habe. Sosehr ich auch suche, es gibt nirgends hier weniger als fünfundsechzig Prozent Erz in der Planetenkruste. Und das ist sehr viel, verglichen mit anderswo. Darum weiß ich eben nicht, ob es zu wenig ist, um sich für Colson zu rentieren, oder ob es ihm durchaus genügt, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Hörst du mir überhaupt zu?“ „Du tust es mit Absicht, John“, erwiderte sie anklagend. „Du weißt genau, daß ich jetzt nicht reden möchte. Natürlich höre ich dir zu. Nur sehe ich nicht, welchen Unterschied es macht, das ist alles. Wenn du noch mal überprüfen sollst, dann tu’s. Ich jedenfalls finde es herrlich, daß wir noch dreißig Tage hierbleiben dürfen. Warum also sich Sorgen machen?“ Er gab es auf und schwieg. Aber es war nicht einfach, die Gedanken zu verbannen, und das Problem quälte sein Unterbewußtsein auch in den folgenden Tagen. Es waren jedoch wundervolle Tage. Die Neuüberprüfung nahm nur wenig Zeit in Anspruch. Den Rest verbrachten sie mit Spielen, sie machten Pläne und führten sie auch aus. Sie verbesserten ihre Waffen und lernten, sie noch besser zu handhaben. Und sie kamen sich immer noch näher, lernten sich auf eine Art kennen, wie es für gewöhnliche Menschen, die andere Ablenkung haben, fast unmöglich ist. Er hatte feinen Golddraht zu einer kleinen Krone
für sie geflochten, und obwohl sie protestierte, freute sie sich doch offensichtlich darüber und versprach, sie zu passenden Anlässen zu tragen. Das erste Katzenfell hätte besser ausfallen dürfen, aber dafür hatten sie mit den weiteren mehr Glück. Er bestand darauf, daß sie sich einen kurzen Rock aus dem glänzenden blauen Pelz anfertige, der nur mit einer selbstgeschmiedeten Schließe zusammenhielt. Sie machten jetzt immer weitere Ausflüge. Sie fanden neue Früchte, manche genießbar, andere nicht. Keine waren jedoch so gut wie die Weineier. Sie entdeckten auch eine Wurzel, die gemahlen eine gute, kräftige Suppe ergab. Nie wurde er müde, die winzigen juwelenähnlichen Blumen für sie zu suchen und sie ihr ins Haar zu stecken. In seinen Augen wurde sie von Tag zu Tag schöner, ihre Figur noch geschmeidiger, ihre Haut zu leuchtendem Gold und ihr Haar zu einer Gloriole feurigen Rots, das er für sie in Fasson hielt und so schnitt, daß es ihr bis zur Schulter reichte. Sie schnitt dafür auch das seine und stutzte ihm den Bart, der ohnehin nur langsam wuchs und kaum dunkler als seine Gesichtshaut war. Und daß sie seinen Körper bewunderte und liebte, so wie er ihren, zeigte sie ihm offen. Einmal gelang es ihm sogar, sie zu überreden, mit ihm die Sternenkönigin auf dem Videoschirm anzusehen. Sie verstand ihn auf gewisse Weise, aber sie definierte der Schauspielerin Selbstbewußtsein, ihre Ausgeglichenheit anders. „Sie ist wirklich eine schöne und bezaubernde Frau, John. Und ich kann auch verstehen, daß du sie dir zur Idealfrau gemacht hast. Es stört mich absolut nicht. Aber es ist nicht Liebe, wie du glaubst, das sie zu dem macht, was sie ist. Es ist Sicherheit, Geborgenheit. Der große, gutaussehende Kerl, mit dem sie zusammenspielt und auch zusammenlebt, gehört ihr, ist ihr sicher. Und damit ist sie zufrieden.“ „Aber wo liegt da der Unterschied?“ fragte er verwundert. „Es ist der Unterschied überhaupt, John. Der Unterschied zwischen einem bequemen, ruhigen Leben und einem aufregenden Leben. Ich wohnte einmal in einem altmodischen Haus mit einem offenen Ka-
min. Das Feuer war warm und freundlich, und man mußte immer wieder neues Holz nachlegen und die Asche ausräumen – es beschäftigte einen ständig. Aber mit einer Zentralheizung ist es anders. Sie ist eben da. Und sie ist warm und gemütlich, aber nicht irgendwie auffällig und sicherlich nicht aufregend. Viele Frauen nehmen nur allzugern mit Zentralheizung vorlieb. Ich aber liebe das Feuer!“ Das war eine Untertreibung. Sie war selbst Feuer. Alles, was sie tat, tat sie mit einer inneren Begeisterung, mit Elan. Sie war eine Zauberin, und oft jagte sie ihm einen Schrecken ein, aber nie so sehr, wie an jenem Abend, als ihr baldiger Aufbruch von diesem herrlichen Fleckchen, das sie so liebten, bereits drohend über ihren Häuptern hing. „Irgend etwas quält dich, John. Nicht wahr?“ fragte sie. „Hatte ich schon wieder Alpträume?“ erkundigte er sich beunruhigt. „Nein, das nicht. Aber ich kenne doch den Ausdruck in deinen Augen. Und du weigerst dich immer strikt, zu den Felswänden zurückzukehren, wo diese Humanoiden leben. Es sieht dir nicht ähnlich, etwas ohne guten Grund abzulehnen.“ „Ich habe auch Gründe“, gestand er. „Aber ich weiß nicht, ob es gute sind. Schau, Prinzessin, wenn wir dorthin zurückkehrten, besteht die Möglichkeit, daß wir uns mit ihnen und sie sich mit uns anfreunden. Sie würden uns nicht so schnell vergessen. Und natürlich könnte ich ihnen auch etwas beibringen. Die Verwendung von Pfeil und Bogen, beispielsweise, des Schwerts, die Herstellung eines besseren Speers – Waffen, mit denen sie jagen könnten, oder sich gegenseitig umbringen.“ „Aber es wäre nicht unsere Schuld, wenn sie es täten. Warum hältst du es nicht für richtig, wenn wir Freundschaft mit ihnen schließen?“ „Wer hat dich getötet, Prinzessin?“ „Carlton Colson.“ „Richtig.“ Er nickte. „Denk darüber nach. Er ist viel zu schlau, als daß er irgend jemandem die Möglichkeit gäbe, ihn zu erpressen. Es dauerte eine Weile, bis mir das klarwurde. Aber es ist doch offen-
sichtlich, findest du nicht? Er war höchstpersönlich in der Monitorstation. Und dann befahl er, daß ich dreißig Tage länger am selben Fleck bliebe. Er beabsichtigt irgend etwas. Und ich fürchte, er wird andere herunterschicken. Männer, die früher oder später auf die Humanoiden stoßen werden – und sie töten. Denn sie werden sie keinesfalls leben lassen, dessen bin ich sicher. Das möchte ich nicht auf mein Gewissen laden – ich möchte ihnen nicht zeigen, daß es freundliche Menschen gibt und ihnen dadurch ihr natürliches Mißtrauen nehmen. Und wenn dann Colsons Leute kommen ... Ich mag gar nicht daran denken. Es ist im Grunde genommen alles meine Schuld. Von Anfang an!“ „Nein, John, das ist es nicht, so darfst du es nicht sehen.“ Sie seufzte und schwieg eine Weile, dann murmelte sie schließlich. „Wenn wir von hier wegziehen, treffen wir vielleicht keine weiteren Humanoiden – aber, hast du je daran gedacht, daß wir selbst für Nachwuchs sorgen könnten?“ Es dauerte eine Zeitlang, ehe er verstand. „Du meinst – du meinst, du könntest schwanger werden und Babys bekommen? Glaubst du das?“ „Soweit ich von Onkel Leo weiß, besteht kein Grund, warum wir zwei keine Kinder haben könnten.“ „Das hast du ihn gefragt?“ Er blickte sie verwirrt an. Sie begann zu kichern und schmiegte sich fest an ihn. „Aber natürlich. Schließlich bin ich eine Frau, und ich mußte doch wissen, ob sein eigenartiger Prozeß mich nicht vielleicht unfruchtbar machen würde.“ Eine plötzliche Angst überfiel Lampart. „Ich glaube nicht, daß es im Augenblick eine gute Idee wäre“, murmelte er, „eine Familie zu gründen. Noch nicht.“ „Wer spricht denn von sofort?“ Sie grinste. „Außerdem hättest du nicht viel zu tun. Immerhin wäre ich es, die sie kriegen würde.“ Aber er war immer noch beunruhigt, „Sollten wir nicht vielleicht lieber Vorsichtsmaßnahmen ergreifen?“
Nun lachte sie laut. „Daß du jetzt schon daran denkst! Überlaß das auch weiterhin mir, ja? Hauptsache, du lehnst die Idee nicht grundsätzlich ab.“ „Ich weiß nicht“, gestand er. „Ich habe nie zuvor darüber nachgedacht.“ Aber von da an tat er es. Allzu schnell, wie ihm schien, verging die friedliche Zeit. Der Tag kam, da sie Abschied nehmen mußten von ihrem geliebten Fleckchen. Das Schiff war startbereit. Dorothea blickte traurig durch die transparente Kuppel. „Schnall dich jetzt lieber an“, warnte er. „Der Start ist in drei Minuten. Und sprich nicht, denk daran, du bist tot!“ Das Schiff erzitterte. Die Hochebene fiel unter ihnen hinweg. „Steigen dreißig Kilometer und schlagen dann Westkurs ein“, meldete er der Monitorstation. „Bitte bestätigen Sie.“ Trotz der Verzerrung, die durch den Umformer bedingt war und durch die atmosphärischen Störungen, erkannte er doch die neue Stimme, die ihm antwortete und ihm die Haare am Nacken zu Berge stehen ließ. „John Lampart. Hier spricht Garlton Colson. Sie haben mich enttäuscht. Ich hielt Sie für intelligenter, als mich betrügen zu wollen. Ihr Vater versuchte es – und starb. Auch Sie haben es versucht. Ich weiß nicht, warum. Ich habe die Proben gesehen, die Sie so sorgfältig ausgesucht haben. Aber was Sie nicht wußten und auch nicht vermuteten, war, daß die Fähre mit einem automatischem Schürfmechanismus ausgestattet ist und sie jeweils eigene Proben zurückbrachte. Der Sand, den sie schürfte, war fast reines Metall. Eine Tatsache, die Sie nicht übersehen haben konnten. Sie verschwiegen es jedoch. Warum, weiß ich nicht, es interessiert mich auch nicht. Und die arme Irre, die Ihnen unbedingt dort unten Gesellschaft leisten wollte, war Ihre Komplizin. Ich habe sie annihiliert, Lampert, genau wie ich Sie jetzt vernichten werde. Goodbye!“ Die barsche Stimme erstarb, und im nächsten Augenblick knackte ein Relais.
Obwohl er wie gelähmt war, reagierte Lampart doch rein automatisch. Er schaltete die Verbindung ab und schwenkte sofort auf Gegenkurs. Schwitzend landete er das Schiff in Seenähe, außerhalb des Amphitheaters, wo sie die Riesenechse getötet hatten, jedoch in sicherer Entfernung von den Höhlen und ihren Bewohnern. Der Antrieb heulte ein letztes Mal und erstarb. „Ich hoffe nur, daß wir ihn hinters Licht führen konnten“, murmelte er noch ganz erschüttert. „Ich glaube nicht, daß sie dort oben eine Explosion innerhalb der Atmosphäre überhaupt feststellen können. Das hätten sie nur durch die Radioverbindung gekonnt, aber die habe ich ja sofort unterbrochen – und schnell genug gewendet habe ich ebenfalls. Sie werden bestimmt glauben, daß sie uns in die Luft gejagt haben.“ „O John!“ Sie schmiegte sich an ihn. „Dieser Teufel! Er hat sein Spiel mit uns getrieben. Er wußte es die ganze Zeit!“ „Aber was nützt es ihm? Prinzessin, ich glaube, wir haben ihn überlistet. Ich glaube, wir sind frei! Ich hoffe nur, wir haben die Humanoiden nicht allzusehr erschreckt. Meinst du, wir sollten uns ein bißchen draußen umsehen?“ „Bitte noch nicht. Ich fürchte, meine Knie geben nach. Ich bin noch ganz durcheinander. Du hast so schnell reagiert. Ich hätte nie an alles gedacht!“ „Ich hoffe nur, ich war flink genug. Aber ich glaube doch.“ Er blickte sie an. „Nun sind wir ganz auf uns gestellt.“ „Ich weiß, und ich bin irgendwie richtiggehend erleichtert. Ich hatte immer Angst, daß es uns doch noch erwischen würde. Aber nun sind auch diese Schatten weggewischt. Wir sind frei, John! Frei!“ Er sah das Glück in ihren Augen und schloß sie fest in seine Arme. Aber irgend etwas, das er nicht zu definieren vermochte, nagte tief in seinem Unterbewußtsein. „Nimm eines der Ferngläser und beobachte die Felswand mit den Höhlen. Rufe mich, wenn sich etwas rührt. Ich mache uns einstweilen Kaffee.“
„Tut sich etwas?“ erkundigte er sich, als er mit zwei Tassen zurückkam. „Nichts. Aber mir ist so, als höre ich etwas!“ In diesem Augenblick vernahm auch er ein fernes Geräusch. Schnell schaltete er die Außensensoren ein. Ein nur allzu bekanntes Dröhnen ließ ihm die Haare aufstehen. „Das also ist es!“ brüllte er. „Ich bin ein Narr, daß ich nicht daran gedacht hatte. Schiffe! Sie kommen herunter. Landen auf der Hochebene. Schnell!“ Sie raste ihm nach und half ihm, den Schlittenmotor hinausschaffen und das Gestell wieder zusammenbauen. „Was hast du vor?“ erkundig – sie sich schließlich, als er fahrbereit war. „Ich weiß nicht. Ich muß zumindest sehen, was sie tun.“ Er packte das Fernglas, während sie rannte, um ihre Bogen und einen Armvoll Pfeile holen. Sie kletterte auf den Schlitten, und er brauste mit Höchstgeschwindigkeit dahin. „Ich weiß, was wir sehen werden. Einen riesigen Frachter, vollgestopft mit Maschinerie, um den ganzen Reichtum zu schürfen, von dem Colson schon immer geträumt hat.“ „Aber sagtest du nicht“, und der Fahrtwind verzerrte ihre Worte, „daß Menschen hier nicht arbeiten können, daß man deshalb dich umwandelte?“ „Das ist etwas anderes. Ein Mensch könnte es natürlich nicht lange aushalten, nicht, wenn er erst nach geeigneten Fundstellen suchen müßte. Aber das ist ja nicht nötig. Der ganze Sand ist reines Metall. Man braucht ihn nur auszubaggern, und das tun sie jetzt sicher. Du wirst sehen!“ Lampart hatte nur noch einen Gedanken. Er mußte Colson aufhalten. Irgendwie. Als sie bei den Bergen ankamen, versteckte er den Schlitten in einem Einschnitt. Beide hingen sie sich einen Bogen um die Schultern und packten eine Handvoll Pfeile. Das Donnern des landenden Schiffes erstarb soeben und das Echo hallte in den Felsen wider.
„Vorsicht!“ warnte er sie, als sie an einem Grat angekommen waren, von wo aus sie einen guten Überblick über die Hochebene hatten. Es war tatsächlich ein Frachter, gut doppelt so groß wie sein Schiff, und er hatte sich genau an seinem ursprünglichen Landeplatz niedergelassen. Irgendwie erhöhte das Lamparts Grimm. Die Frachtenschleuse öffnete sich, und die Maschinen begann die Gangway hinabzurollen. „Die ersten drei sind Schaufler“, erklärte er ihr. „Sie laden das Zeug direkt in die Schmelzer, die das Erz aussondern und zu Barren formen. Gleich wird ein Laster herauskommen, der die Barren in den Frachter zu schaffen hat. Prinzessin, kannst du von hier aus treffen?“ „Treffen ja, aber nicht hinterrücks. Wir müssen die Leute erst warnen, sie haben uns nichts getan.“ „Das hatte ich ohnehin vor.“ Er schaltete sein Sprechgerät ein und stellte sich auf, daß sie ihn unten sehen mußten. „Hier spricht der König von Argent“, sagte er klar verständlich. „Ihr da unten, ich warne euch ...“ Er kam nicht weiter. Die Fahrer der Maschinen blickten zu ihm empor und griffen nach Gewehren. Lampart ließ sich fallen, als die ersten Laserstrahlen neben ihm einschlugen. „Wir trennen uns. Du schaltest die Schauflerfahrer aus, ich nehme nur die auf dem Schmelzern vor. Paß gut auf, du darfst keine Sekunde an einem Ort verweilen. Laserstrahlen treffen ein breites Ziel. Also, geh kein Risiko ein.“ Sie schlich lautlos wie eine goldene Katze über den Kamm, und er setzte sich in entgegengesetzter Richtung in Bewegung. Er spannte den Bogen. Sein erster Pfeil traf wie berechnet durch die transparente Schutzhaube des Schmelzers den Fahrer. Fast gleichzeitig pfiff ihr Pfeil durch die Luft und durchbohrte Haube und Schutzanzug eines Schauflerfahrers. Weitere Pfeile trafen. „Ich bin der König von Argent!“ brüllte Lampart grimmig in sein Sprechgerät. „Ich versuchte, euch zu warnen, aber ihr wolltet nicht hören. Glaubt ihr mir nun, ihr im Schiff?“ „Soll ich jetzt die schwere Kampftruppe einsetzen, Sir?“
„Schalten Sie sofort das Sprechgerät ab, Sie Narr!“ vernahm Lampart Colsons aufgebrachte Stimme. Zwei Männer in Schutzanzügen mit Lasergewehren verließen das Schiff. Zwei weitere folgten und noch zwei und nochmal zwei. Er sprang auf die Beine und schickte einen Pfeil nach dem anderen hinab. Zwei der Bewaffneten lagen durchbohrt im Sand. Ein dritter warf die Arme in die Höhe, als ein Pfeil seinen Schutzanzug durchschlug. Die fünf anderen hatten sich auf den Boden geworfen und lagen hilflos, behindert durch ihre plumpen Anzüge, die Schwerkraft und ihre irdischen Muskeln. „Ihr habt keine Chance!“ rief er. „Warum wollt ihr, euer Leben aufs Spiel setzen? Holt eure Toten und Maschinen und verschwindet!“ Eine Antenne wand sich aus der Schiffshülle, und eine verhaßte Stimme klang aus dem Sprechgerät. „Sie leben also noch, Lampart Es scheint, ich habe Sie unterschätzt. Und da Sie von zwei Seiten angreifen, gibt es noch einen zweiten. Meine Tochter Dorothea, habe ich recht?“ Lampart beobachtete die Antenne und einen Lauf wie von einer primitiven Kanone, der sich ebenfalls aus der Schiffshülle schob. „Dorothea, kannst du mich hören?“ „Ich höre!“ antwortete sie verächtlich. Ihre Stimme klang laut und klar. „Ich bin tot, hast du das vergessen? Du hast mich ermordet – Vater!“ Die Antenne drehte sich, und der Lauf richtete sich ein. Nun wußte Lampart, was Colson vorhatte. Er brüllte ins Sprechgerät: „Bring dich in Sicherheit, Prinzessin. Er hat eine Laserkanone auf dich gerichtet!“ Ohne die Gefahr zu beachten, sprang er hoch und zielte auf den Lauf. Zwei Pfeile prallten auf, und der Lauf verschob sich leicht. Ein purpurfarbiger Strahl schoß heraus, und eine Bergzacke rechts von ihm zerbarst. Er warf sich auf den Boden, als bereits die Männer am Boden auf ihn zielten. Ein Strahl streifte seine Seite. Er schrie vor Schmerz. Mit zusammengebissenen Zähnen zählte er seine Pfeile. Nur noch acht. Er spannte einen ein und zielte auf die Antenne. Warum hatte er nur nicht eher daran gedacht! Aber immer noch streute die Kanone ihre todbringenden
Strahlen aus. Da sah er von dem Bergkamm gegenüber ein silbernes Schwirren. Zwei Pfeile schlugen im Schatten um den Lauf ein. Der Todesstrahl erlosch. Drei Männer rannten durch den Sand, versuchten das Schiff zu erreichen. Einen durchbohrte er, die beiden anderen fielen und lagen still. „Lampart“, erklang Colsons wutbebende Stimme. „Waffenstillstand, bis wir unsere Toten und Verwundeten hereingeschafft haben.“ „Und die Maschinen und alles andere. Dann sehen Sie zu, daß Sie verschwinden.“ „Im Moment haben Sie die Oberhand, Lampert“, knurrte Colson. „Aber ich komme zurück. Darauf können Sie Gift nehmen!“ Lampart beobachtete, wie schwerfällige Gestalten die Toten und Verwundeten, und andere die Maschinen in den Frachter brachten. Er hörte leise Schritte hinter sich und drehte den Kopf. Erleichtert streckte er ihr den Arm entgegen und legte ihn um sie, als sie sich neben ihm ausstreckte. Ihr Gesicht war ruß- und schmutzverschmiert, ihr herrliches flammenrotes Haar auf einer Seite versengt, und ihre Brust und Schultern blutverkrustet. „Ist es sehr schlimm, Prinzessin?“ fragte er besorgt. „Nichts Lebensgefährliches“, beruhigte sie ihn. „Der Fels neben mir begann zu schmelzen und katapultierte glühende Steine in alle Richtungen. Ich bin gelaufen wie nie in meinem Leben.“ Sie blickte hinunter. „Du glaubst doch nicht wirklich, daß er sich zurückzieht? Es sähe ihm nicht ähnlich.“ „Ich traue ihm nicht mehr als du, Prinzessin. Doch im Augenblick bleibt ihm nichts anderes übrig. Im Schiff ist er zwar sicher, aber er hat nichts davon, wenn er dort unten sitzen bleibt. Er wird also starten und sich etwas Neues einfallen lassen.“ „Und ganz sicher besser vorbereitet zurückkommen.“ „Ich weiß“, erwiderte John bitter. „Wir haben ihnen zwar ganz ordentlich eingeheizt, aber was vermögen zwei nackte Wilde auf die Dauer gegen irdische Technologie zu erreichen, die er unbegrenzt
einsetzen kann! Es bleibt uns nur eines. Wir müssen uns verstecken, sobald sie aufgebrochen sind.“ „Verstecken“, echote sie. „Für den Rest unseres Lebens. Er wird nie aufgeben.“ Der letzte Schaufler war nun in der Frachtenschleuse verschwunden, und die Gangway wurde eingeholt. Zehn Sekunden später erscholl der tosende Donner des Hauptantriebs, und Flammen brachten den Sand darunter zürn Schmelzen. Subsonare Druckwellen schüttelten sie, ließen den Fels unter ihnen erheben, als das riesige Schiff sich erhob; viel zu langsam, wie John Lampart schien. Plötzlich verstand er. Schreckerfüllt packte er ihren Arm. „Wir müssen verschwinden!“ brüllte er. „Lauf um dein Leben. Das verdammte Schiff wird gleich hierherkommen und uns rösten!“ Er wußte, daß es gar nicht anders sein konnte, und dachte, daß sie absolut keine Chance hatten. Aber er wollte sich nicht tatenlos in sein Schicksal ergeben. Er warf einen letzten Blick auf das todbringende Ungetüm, das sich über dem Sand näherte. Dann rannte er, so schnell seine Füße ihn trugen. Doch er war noch nicht weit gekommen, als die ganze Welt um ihn unter ohrenbetäubendem Donner zu zerbersten schien und der Luftdruck ihn hochschleuderte und auf den Boden schmetterte. Instinktiv warf er die Arme schützend vors Gesicht, während Steinbrocken aller Größen um ihn aufschlugen. Wie gelähmt blieb er liegen, bis nur noch vereinzelte Splitter zu Boden fielen und eine erschreckende Stille alles erfüllte. Schließlich wagte er, die Arme vom Kopf zu nehmen und ihn ein wenig zu heben, um sich umzusehen. Mühsam setzte er sich auf. Er fühlte sich wie gerädert. Es gab keine Stelle seines Körpers, die nicht schmerzte. Verwirrt starrte er auf den schwarzen Rauch, der sich jenseits des Berggipfels in den Himmel wand. Er war überrascht, daß er sich überhaupt erheben und bewegen konnte. Hämmer schienen auf seinen Kopf einzuschlagen, und sein Mund war voll Staub, den er hustend ausspuckte.
„Detonit“, versuchte sein Gehirn ihm mitzuteilen, und endlich löste sich der Nebel, der ihn umfangen hatte. Detonit, das also war es. Die riesige Menge des Explosivstoffs, den er im Sand vergraben hatte! Der Frachter mußte direkt darüber hinweggeflogen sein. Der Antriebsstrahl hatte es gezündet. Er lachte hysterisch. „Nun kannst du in der Hölle schmoren!“ triumphierte er. Es war ein großartiger Witz. Doch plötzlich war sein Kopf völlig klar, und ein furchtbarer Schreck durchzuckte ihn. „Prinzessin!“ brüllte er. „Prinzessin, wo bist du?“ Verzweifelt begann er den Hang hochzuklettern. Seine Augen suchten überall. Er betete und fluchte in einem Atemzug. Da sah er einen schlanken goldenen Arm sich durch einen Sand- und Geröllhaufen schieben. Er ließ sich auf die Knie fallen und grub mit seinen Händen. Sie hatte ihre Augen geschlossen und lag völlig still, als er sie freigeschaufelt hatte. Er blies den Staub von ihrem Gesicht und drückte sein Ohr gegen ihre Brust. Aber er hörte nichts als ein Brausen in seinen Ohren. Mit zusammengepreßten Zähnen hob er sie empor. Da bewegte sie ihren Kopf und begann Staub auszuspucken. Tränen stiegen ihm in die Augen, als sie ihre öffnete und verständnislos um sich blickte, bis sie ihn endlich zu sehen schien. Dankbar drückte er sanft seine Lippen auf ihre. „Ich lebe noch“, murmelte sie, und er nickte glücklich. „Was ist passiert?“ „Später.“ Er taumelte mit ihr auf dem Arm den Hang hinunter. Der Schlitten lag von der gewaltigen Druckwelle zur Seite geschleudert im Bergeinschnitt. Er legte sie ins staubbedeckte Gras, bis er den Schlitten aufgerichtet hatte, und dann auf den Fellboden des Gestells. Über das ganze Gesicht strahlend, kniete er sich neben sie. Sie lächelte ihn glücklich an. Vorsichtig blies sie ihm den Staub von seinen vielen Wunden, ohne auf ihre eigenen zu achten. „Was ist passiert?“ fragte sie erneut. „Das Detonit. Erinnerst du dich? Das Detonit, mit dem er mich in den Himmel schicken wollte, hat nun ihn in die Hölle gejagt.“
„Und ist jetzt alles vorbei?“ Er nickte. „Willst du selbst sehen?“ Auch sie nickte, und der Schmerz verzerrte kurz ihre Züge. Langsam schwebte der Schlitten hinab zu der Hochebene. Obwohl er es erwartet; hatte, staunte er über den gewaltigen Krater, aus dem immer noch schwacher Rauch stieg. Vereinzelte kleine Wrackteile lagen um das tiefe Loch verstreut. Schweigend blickten sie auf dieses Bild der Zerstörung. Dann klammerte sie sich fest an ihn. „Jetzt ist der Alptraum wirklich zu Ende, nicht wahr, John?“ Er küßte sie zärtlich. „Für immer, Prinzessin. Und wir können unser Leben ohne Furcht leben.“ Er blickte noch einmal auf den Krater. „Zwei oder drei Morgengüsse, und es wird nichts mehr davon zu sehen sein. Nun gehört der Planet uns ganz allein, Prinzessin. Uns und unseren Kindern!“ ENDE