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IJMHi* LT Seite K r a u s e , "Wolfgang: Die Runeninschrift auf dem Kamm von EKsenhof
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S n e l l , Bruno: Zu den Urkunden dramatischer Aufführungen
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L h o t s k y , Alphons: Ein Bericht über die Universität Göttingen für den Staatskanzler Fürsten Kaunitz-Rietberg (1772)
39
S c h l a c h t e r , Wolf gang: Zur Geschichte der Frequentativa im Ungarischen
69
H u b a t s c h , Walther: Montfort und die Bildung des Deutschordensstaates im Heiligen Lande
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T r e u , Kurt: Majuskelbruchstücke der Septuaginta aus Damaskus
201
B l e i c k e n , Jochen: Der Preis des Aelius Aristides auf das römische Weltreich
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S c h m i t t , Armin: Stammt der sogenannte „&"-Text bei Daniel wirklich von Theodotion?
279
S c h l a c h t e r , Wolfgang: Der Agens-Illativ beim Passiv des Lappischen 393 J a n k u h n , Herbert: Archäologische Bemerkungen zur Glaubwürdigkeit des Tacitus in der Germania
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R a d d a t z , Klaus: Die germanische Bewaffnung Eisenzeit
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der vorrömischen
R i e c k e n b e r g , Hans Jürgen: Über die Formel „Requiescat in pace" in Grabinschriften
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NACHRICHTEN DER AKADEMIE D E R WISSENSCHAFTEN IN GÖTTINGEN I. P H I L O L O G I S C H - H I S T O R I S C H E
KLASSE
Jahrgang 1966
Nr.
Der Preis des Aeliias Aristides aiaf das römische Weltreich Von Jochen Bleickem
VANDENHOECK & R U P R E C H T IN GÖTTINGEN Ausgegeben August 1966
NACHRICHTEN DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN GÖTTINGEN P H I L O L O G I S C H - H I S T O R I S C H E KLASSE Inhalt der seit 1957 erschienenen Jahrgänge J a h r g a n g 1965: Nr. 1 F. Baclimann, Galens Abhandlung darüber, daß der verzügliche Arzt Philosoph sein m u ß . 87 S. 9,— D M " Nr. 2 G. Posener, Sur l'orientation et l'ordre des points cardinaux chez les iSgyptiens. 10 S. 1,50 DM Nr. 3 H. Brunner, Die Hieroglyphen für „räuchern", „bedecken", „Handfläche" u n d die ihnen entsprechenden Wörter. 18 S. 2,50 DM. Nr. 4 M. Malinine, Partage testamentaire d'une propriete familiale. 5 S. 1,—DM Nr. 5 E. Lüddeckens, P . Wien D 10151, eine neue Urkunde z u m ägyptischen Pfründenhandel in der Perserzeit. 18 S. 2,50 DM Nr. 6 E. Edel, Bericht über die Vorarbeiten für die Veröffentlichung der Welt kammerreliefs u n d -inschriften aus d e m Sonnenheiligtum v o n Abu Gurab. 2 S. —,50 DM Nr. 7 E. Brunner-Traut, Spitzmaus u n d Ichneumon als Tiere des Sonnengottes. 41 S. 6,— DM Nr. 8 P . Derchain, Le tombeau d'Osymandyas et la maison de la vie ä Thebes. 7S. 1,-DM Nr. 9 W. Helck, „Vater der Väter". 4 S. —,50 DM Nr. 10 P . Posener, £itat d'avancement de la publication des Archives d'Abu-Sir. 7 S. 1,—DM Nr. 11 S.Schott, Zum Weltbild der Jenseitsführer des neuen Reiches. 13 S. 2,50 DM Nr. 12 H. Ricke, Eine Ausgrabung im Totentempel Amenophis' I I I . 5 S. 1,50 DM Nr. 13 J.Leclant, Les fouilles de Soleb (Nubie soudanaise). 12 S. 3 , — DM Nr. 14 J. C. Bürgel, Die ekphrastischen Epigramme des A b u Tälib al-Ma'müm. 102 S. 14,80 DM J a h r g a n g 1964: Nr. 1 S. Schott, Der Denkstein Sethos' I . für die Kapelle R a m s e s ' I . in Abydos. 84 S. 11,50 DM Nr. 2 A. Dietrich, Die arabische Version einer unbekannten Schrift des Alexander von Aphrodisias über die Differentia speeifica. 64 S. 8,— DM Nr. 3 F. Tschirch, Probeartikel zum Wörterbuch der Bibelsprache Luthers. 49 S. 5,—DM Nr. 4 F. Bernhard, Gab es einen Lokativ auf -esmim im buddhistischen Sanskrit? 11 S. 1,50 DM J a h r g a n g 1963: Nr. 1 F. Wieacker, Notizen zur rechtshistorischen Hermeneutik. 22 S. 2.— DM Nr. 2 E, Heitsch, Überlieferungsgeschichthche Untersuchungen zu Andromachos, Markellos von Side und zum Carmen de viribus herbarum. 27 S. 3 , — DM Nr. 3 H. Jankuhn, Zur Lage von Sliesthorp und Sliawich, u n d W. Krause, Die Runeninschrift auf dem K a m m von Heidaby. 35 S. 4,— DM Nr. 4 E. Edel, Zu den Inschriften auf den Jahreszeitenreliefs der „ W e l t k a m m e r " aus dem Sonnenheüigtum des Niuserre. Π . Teil. 56 S. 7,— DM Nr. 5 E. Edel, Zu den Inschriften auf den Jahreszeitenreliefs der „Weltkammer 4 * aus dem Sonnenheiligtum des Niuserre. I L Teil (Fortsetzung). 77 S. 9,—DM
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auf das römische Weltreich (or. 26 K)
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Vorgelegt v o n H e r r n A. H e u ß i n der S i t z u n g vom 4. F e b r u a r 1966 7/1966
Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
1. G e i s t i g e V o r a u s s e t z u n g e n der S c h r i f t Die Rom-Rede des Aelius Aristides aus d. J. 143 n.Chr. 1 ist sowohl ein Hymnus auf eine Stadt wie ein Hymnus auf die ideale Form der Herrschaft. Lobreden auf Rom, in denen die Größe der Stadt und der Herrschaft der Römer waren daher weitgehend auf bestimmte Gedankenschemata festgelegt. Wir haben damit zu rechnen, daß die laus Eomae ein in der Kaiser zeit auch bei den Griechen viel behandeltes Thema war. Um so erstaunlicher ist es, daß bis auf Aelius Aristides keine griechische Schrift auf uns gekommen ist, die wir dieser Gattung zurechnen könnten. Lediglich innerhalb größerer Werke finden wir einzelne Abschnitte, die sich diesem Thema widmen. So sind etwa die Proömien zu den Geschichtswerken des Dionys von Halikarnaß und Appian als Lobreden auf Rom anzusehen, so kümmerlich sie in der Ausführung auch sein mögen. Aber nicht nur deshalb ist die Rede des Aristides für uns ein einzigartiges Do kument zu dem antiken Bild vom römischen Kaiserreich. Die römische Herr schaft ließ sich nämlich jeweils nach dem Standpunkt des Redners auf sehr ver schiedene Weise darstellen. Aristides standen als Griechen von vornherein alle jene politischen Vorstellungen ferner, die um das Problem von libertas und principatus kreisten. Er erhielt auch später durch seine Verbindungen zu rö mischen Kreisen kein Verhältnis zu den ideologischen Aspekten des Prinzipats, was gewiß auch daran liegen wird, daß weder er noch seine Familie der rö mischen. Senatsaristokratie angehörten. Ihn, den Bewohner des griechischen Ostens, interessierten weniger die Probleme der römischen Verfassung als viel mehr die besonderen Herr Schaftsprinzipien der Römer gegenüber ihren Unter tanen. Es wäre hingegen denkbar gewesen, daß Aristides das Lob auf Rom — wenn nicht mit dem Preis auf die Freiheitlichkeit der Verfassung — so doch mit der Hymnisierung des römischen Kaisers als eines idealen Herrschers stoischer Provenienz verbunden hätte. Aber Aristides hat seine Rede ebenso klar von dem Herrscherhymnus geschieden wie von der Prinzipatsideologie. Obwohl sich an dieser oder jener Stelle Anklänge finden2, steht doch der Kaiser 1 Zitiert wird, wenn nicht anders vermerkt, nach der Ausgabe von K e i l . — Zur Da tierung vgl. J . H . O l i v e r , The Ruling Power. Α Study of the R o m a n Empire in the Second Century A.C. through t h e Roman Oration of Aelius Aristides, Transactions of the Amer. Phüos. Soc. N.S. Vol. 43, Part 4, Philadelphia 1953 ( = Oliver), S. 886f. — Erst nach FertigStellung dieser Studie erschien der Aufsatz von D. N ö r r , Imperium und Polis in der hohen Prinzipatszeit, Gymnasium 72, 1965, S. 485ff., der das hier angeschnittene Thema eng be rührt. D a D . Nörr beabsichtigt, das T h e m a demnächst in breiterem Rahmen zu be handeln, h a b e ich darauf verzichtet, seine interessanten, aber sehr knappen Bemerkungen zur R o m - R e d e des Aristides nachträglich noch in das Manuskript einzufügen. 2 So geht die Differenzierung von Regierung (αρχή) und Herrschaft (το δεσπόζειν) bzw. König (βασιλεύς) u n d Herr (δεσπότης) im § 23 auf Panaitios zurück; vgl. W. C a p e l l e , Griechische E t h i k u n d römischer Imperialismus, Klio 25, 1932, S. 94ff.; J . M e s k , Der Aufbau der X X V I . Rede des Aelius Aristides, 35. Jahresber. d. Franz-Joseph-Real-
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durchaus nicht im Mittelpunkt der Überlegungen, sondern treten ganz all gemein ,,die Römer" bzw. „Rom" als Herrscher auf, und für sie tritt lediglich dort der Kaiser ein, wo die besonderen Überlegungen — wie etwa die Gedanken zur Beamtenhierarchie — dazu zwingen. Den Grund dafür, daß das Lob auf Rom nicht in einen römisch oder griechisch gefärbten Hymnus auf den Kaiser einmündete, könnte man darin erkennen, daß die Rede zur Gattung der Städtereden gehört, in denen a priori nicht der Kaiser, sondern die Stadu im Zentrum steht. Aber da die angesprochene Stadt durch ihre Größe und Macht den Rahmen dieser Gattung sprengen muß und Aristides dann auch tatsächlich die durch die Gattung vorgeschriebenen Bahnen verläßt und das Schwergewicht der Gedanken sehr schnell auf das Problem der Herrschaft lenkt, bleibt es doch erstaunlich, daß der Kaiser-Hymnus so kon sequent ausgeklammert wird. Es will bisweilen scheinen, als ob Aristides die Gattung der Städtereden nur gewählt hat, um jenseits aller Topik vom idealen König (oder Princeps) seinen Gedanken zu dem Charakter der römischen Welt herrschaft nachzugehen. Wenn schon hierin der besondere Standpunkt des Redners unsere Auf merksamkeit verdient, so noch weiter dadurch, daß der Preis Roms nicht mit dem Preis auf das nationale Römertum vermischt ist. Es lag dem Griechen Aristides fern, die Römertugenden nach Art der Augusteer zu feiern; ja, nach seinem Verständnis wurde die römische Herrschaft gerade — in gewisser Um kehrung der augusteischen Position — n i c h t durch ein n a t i o n a l e s Ethos des herrschenden Volkes getragen. Nach Aristides ist zwar die Kunst des Herrschens spezifisch römisch, aber diese Kunst beweisen die Römer eben dadurch, daß sie sich selbst als Nation a u f h e b e n und aus dem ethnischen Begriff des Römertums einen rein personenstandsrechtlichen Begriff machen 3 . So ist der Weg frei für eine von festen Vorstellungen gelöste Betrachtung der römischen Herrschaft. Trotz dieses unabhängigeren Ausgangspunktes bietet natürlich auch die Rede des Aristides genügend Verbindungen zu älteren laudes Romae: Die Darstellung der Größe der Herrschaft, der Vergleich mit den älteren Weltreichen, der Hymnus auf die Segnungen des römischen Friedens und an deres begegnet vielfach in älteren, besonders auch griechischen Abhandlungen gymnasiums, Wien 1909, S. 14ff. Das Schema des Kaiser-Hymnus bei Menander, περί επι δεικτικών (L. S p e n g e l , R h e t . Gr. I H 368ff.) berührt sich mit dem R o m - H y m n u s des Aelius Aristides nicht. Die Gemeinsamkeit mancher Gedanken geht nicht darauf zurück, daß die Rede des Aristides eine Mischung aus dem βασιλικός λόγος u n d dem έπαινος πόλεως ist, wie M e s k a. O. S. 12 a n n i m m t , sondern darauf, daß eine Lobrede auf eine Stadt, die die Weltherrschaft symbolisiert, bisweilen auch von denjenigen Herrschertugenden sprechen m u ß , die nach der Topologie von dem idealen König gefordert werden. Die Herrschertugenden der römischen αρχή jedoch, die Aristides als besondere Charakteristika Roms herausarbeitet, sind nicht die von der Topik für den βασιλεύς geforderten; ja, sie können in einem βασιλικός λόγος überhaupt nicht erscheinen, weil sie nicht auf die Person eines Herrschers, sondern auf die besondere Situation einer Herrschaft Bezug nehmen. 3 63: τό 'Ρωμαΐον είναι έποιήσατε ού πόλεως, άλλα γένους όνομα κοινού τίνος.
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zu dem Thema 4 . Aber das Vorhandensein dieser, schon zu Topoi gewordenen Gedanken berechtigt uns nicht, die Rede des Aristides als eine Schrift zu werten, die sich von früheren Versuchen nur in der verschiedenen Akzen tuierung der einzelnen vorgebrachten Themen unterscheidet und im ganzen eben doch nur die Topologie der laus Bomae weitertradiert 5 . Die Rede ist nicht nur dadurch ausgezeichnet, daß sie die Prinzipatsideologie, den Kaiser-Hymnus und d°s τ* Q'M^·'1"'n.lff. Τ? .^τγίΡτΗνπττϊ r.^c' iV^n.T^T^.—■**'*} r*r*?vr f^pcl"* i]n d°^ intQr^Tund drängt. Sie konzentriert vielmehr — bei aller Verknüpfung mit der Tradition der Gattung — die Gedanken auf wenige Gesichtspunkte, die gegenüber der älteren Literatur durchaus Anspruch auf Originalität haben. Sie allein auch sollen uns in dieser Studie interessieren. Wir vermögen bei dem Stand der Über lieferung allerdings nicht mit Sicherheit zu sagen, ob Aristides für diese seine neuen Gedanken wirklich keine Vorbilder hatte; möglicherweise erscheint er uns nur deswegen originell, weil uns die Masse des anderen Schrifttums verloren gegangen ist. Es spricht jedoch manches dafür, wie wir noch sehen werden, daß etwaige Vorbilder zumindest nicht viel älter sein können als die Rede des Ari stides und wir darum vielleicht doch unserem Autor die originale Fassung der Gedanken nicht absprechen dürfen. Nun ist allerdings „Originalität" hier nicht so zu verstehen, als ob Aristides oder wer auch immer vor ihm jene neue Ansicht der römischen Herrschaft als erster entwickelt hätte. Manche seiner be sonderen Überlegungen erkennen wir in den Prinzipien römischer Herrschaft wieder, die wir heute wie selbstverständlich den Römern unterstellen, und anderes findet sich — wenn auch in anderem Zusammenhang — verstreut bei diesem oder jenem Schriftsteller. Originell jedoch ist die Rede darin, daß sie jene Gedanken bewußt in den M i t t e l p u n k t eines R o m - H y m n u s rückt. Und da dies ein Grieche unternimmt, der vom Standpunkt der Reichs bevölkerung her denkt und der diesen Standpunkt auch ausdrücklich betont, erscheint uns hier die traditionelle Ansicht von Rom, wie man sie in den offi ziellen und offiziösen Verlautbarungen des Ostens zu sehen gewohnt war, nicht nur erheblich modifiziert, sondern das politische Bewußtsein des Reichs bewohners auf eine neue Ebene gehoben. Selbst den Römern in Rom und Italien mag die besondere Akzentuierung der römischen Herrschaft, wie Ari stides sie vornimmt, ungewöhnlich, manchem, bei allem Stolz über den Preis, unangenehm oder sogar bedenklich erschienen sein. Denn wenn auch Aristides — wie in der Bürgerrechtspolitik — an offizielle kaiserliche Politik anknüpft, die bis auf Caesar und Augustus zurückreicht, so ist diese Politik von den Kaisern doch niemals bis zu jener Konsequenz theoretisch durchdacht worden. Am allerwenigsten hat das wohl ein so konservativer Mann wie Antoninus Pius 4
S. u. Anm. 16. So zu Unrecht A. B o u l a n g e r , Aelius Aristide et la sophistique dans la province d'Asie au I I e siecle de notre ere, Bibl. des i c o l e s Franc. d'Athenes et de Rome, T. 126, Paris 1923, S. 357ff.; wie zu zeigen sein wird, stimme ich insbesondere mit ihm darin nicht überein, daß Aristides — wie Plutarch — eine resignierende Grundhaltung erkennen läßt. 5
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getan, vor dem die Rede vielleicht gehalten worden ist. Es bestand für einen Römer auch nicht das Bedürfnis, die Bürgerrechtspolitik zu ideologisieren; im Gegenteil hinderte ihn sein Römerstolz und der Egoismus des Herrschenden daran, sie dadurch zu forcieren, daß er sie in die Sphäre der Ideologie erhob. Für den Römer war die Bürgerrechtspolitik vor allem ein Arcanum der Herr schaft ; für den Griechen Aristides war sie mehr: Durch sie nämlich sieht er die Möglichkeit, die Existenz des politischen Griechentums zu bewahren. Und dieser Standpunkt ist innerhalb der griechischen Welt durchaus neu. Um den neuen Ansatz recht zu verstehen, muß man sich die Einstellung des Ostens zur römischen Herrschaft vor Aristides vergegenwärtigen 3 . Die griechische Welt hat in der Phase der römischen Expansion zunächst versucht, sich über die Ursachen des römischen Aufstiegs Rechenschaft zu geben. Polybios glaubte, in dem Charakter der römischen Verfassung und in dem Staatsethos des Bürgers die Ursachen der Größe Roms erkannt zu haben. Das Werk des Polybios ist unter den Griechen schnell bekannt und berühmt geworden. Aber sein Deutungsversuch mochte alle diejenigen nicht befriedigen, denen eine bloße Erklärung für den politi schen Zusammenbruch nicht genügte, und er vermochte um so weniger zu befriedi gen, als schon sehr bald nach Vollendung des Werkes die revolutionäre Entwick lung in der römischen Innenpolitik das Gegenteil von dem zu zeigen scliien, was Polybios erkannt zu haben glaubte: Das innere Chaos in Rom seit den Gracchen er weckte berechtigte Zweifel an der Richtigkeit seiner Aussagen. Ganz abgesehen da von, trug Polybios wenig zu der Frage bei, wie diejenigen Griechen, die sich poli tisch noch nicht aufgegeben hatten·, sich in der neuen Situation verhalten sollten. Es war in der Tat schwierig, hier einen Ausweg zu finden; und es war die Frage, ob es überhaupt einen Ausweg gab. Gegen Ende der Republik versuchte die stoische Philosophie, die Frage positiv zu beantworten, indem sie eine Formel fand, unter der auch der Grieche ihrer Meinung nach die römische Herr schaft akzeptieren konnte. Es waren Poseidonios und — vor ihm — Panaitios, die nicht nur einfach eine Erklärung des römischen Aufstiegs, sondern eine Rechtfertigung der römischen Herrschaft brachten 7 . Unter Benutzung pla tonisch-aristotelischen Gedankengutes postulierte Panaitios das Recht des Besseren auf Herrschaft, wodurch allein den unredlichen Politikern die will kürliche Anwendung des Rechtes genommen werde und also die gerechte Herr schaft sich durchsetzen könne 8 . Nach dieser Philosophie ist gleichsam durch die Natur selbst den Besseren die Herrschaft gegeben zum Nutzen der Schwachen9. 6
Vgl. G. P a s q u a l i , L'idea di Roma, i n : Terze pagine stravaganti, Firenze 1942, S. 25ff.; H . B e n g t s o n , Das politische Leben der Griechen in der römischen Kaiserzeit, Die Welt als Geschichte 10, 1950, S. 87ff.; ders., D a s Imperium R o m a n u m in griechischer Sicht, Gymnasium 71, 1964, S. 150ff. 7 Vgl. C a p e l l e a.O.; M. P o h l e n z , Die Stoa, Göttingen 1948, 1, S. 206. 8 Cic. de rep. 3, 24 (36) (aus dem Resume* bei Aug. civ. 19, 21). 9 Cic. a.O.: veluti α natura sumptum nobile exemplum (wörtliches Zitat): an non cemimus optimo cuique dominatum ab ipsa natura cum summa utilitate infirmorum datum?
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Mit der Verbindung von Naturrecht und Imperialismus war die römische Herr schaft auf eine ethische Grundlage gestellt und sogar jede zukünftige Er oberungspolitik durch den kulturellen Auftrag gerechtfertigt, der in der ethi schen Begründung implicite enthalten war. Cicero hat in seinem „Staat" dieses Gedankengut den Römern zugänglich gemacht, und seitdem war es Allgemein gut auch der Römer. Nun wäre allerdings noch nachzuweisen gewesen, daß die Römer tatsächlich die Besseren — nicht nur ole Stärkeren — waren. Aber mit diesem Nachweis stand es schlecht, denn die ethische Begründung der Herr schaft stand in schärfstem Gegensatz zu dem praktischen Verhalten der rö mischen Behörden im Osten; es regierte das Unrecht und die Willkür, und es war kaum der Ansatz zur Aufrichtung einer positiven Herrschaftsördnung zu bemerken. Aber selbst wer von diesem Mißklang zwischen Theorie und Praxis einmal absah und damit zufrieden war, das politische Problem im Raum des reinen Geistes bewältigt zu haben, konnte den Philosophen doch nicht ein räumen, daß sie das Problem wirklich gelöst hatten. Denn einmal wurde durch die Prävalenz der Ethik alle Diskussion um die Staatsform abgeschnitten, und zum anderen überspielte dieselbe Prävalenz auch das Problem der römischen Fremdherrschaft. Wiewohl die Philosophie mit diesen Gedanken ganz neue Ansätze zur Theorie menschlichen Zusammenlebens fand, verlangte sie doch von dem politischen Griechentum der Zeit zu viel, wenn sie es aufforderte, die römische Herrschaft ohne jede Rücksicht auf das, was gewesen war, zu be trachten. Selbst wenn man geneigt war, die Tyrannei römischer Beamten für Gerechtigkeit zu halten oder so zu tun, als ob das Chaos im Osten der Friede wäre, so konnte man doch den geistigen und politischen Hintergrund, durch den die Griechen geprägt waren, nicht einfach vergessen. Die Vorteile, die man sich unter der römischen Herrschaft einzutauschen schien, waren vor diesem Hintergrund keine Vorteile, und die pax Romana, die Cicero den Asiaten in einem Brief an seinen Bruder Quintus vorhält, konnte nicht ohne Grund als Euphemismus für die nackte Gewalt angesehen werden. Wer daher zu dieser Zeit in der Provinz die Römer preisen wollte, konnte mit Anstand nur von dem Umfang der Herrschaft, von der Kraft der Römer und von der Ewigkeit der römischen Herrschaft sprechen. Die ersten latcdes Romae der Griechen be schränken sich denn auch ausschließlich auf diese Themen; so — schon lange vor der römischen Weltherrschaft — Lykophron in seiner Alexandra (v. 1228fF.) und nach ihm die Dichterin Melinno10 und Alpheios von Mytilene11. 10 D i e h l , Anth. Lyr. Graec. II S. 315f. Die Datierung ist strittig; die Vorschläge reichen vom Ende des 4. Jahrh. v. Chr. bis zum 1. Jahrh. n. Chr. Das Gedicht kann jedoch nicht vor dem 2. Jahrh. angesetzt werden, weil Rom als Dea Roma angeredet und eine ausgedehnte Herrschaft über Land, Meer und Städte vorausgesetzt wird. Zur Diskussion vgl. O l d f a t h e r , RE X V (1931) S. 521 ff., und die neueste Bearbeitung von C. Μ. Β ο w r a , Melinno's Hymn to Rome, Journ. Rom. Stud. 47, 1957, S. 21ff.; s. auch B e n g t s o n , Gym nasium 71, S. 153f. 11 Anth. Pal. 9,526. Das Epigramm gehört in die frühe Kaiserzeit; vgl. dazu Β ο w r a a.O. S. 27f.
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Die Einstellung der Griechen zu Rom änderte sich in der Kaiserzeit zu nächst kaum. Allerdings wandelte sich umgekehrt die Einstellung der Römer bzw. des Kaisers zu den Griechen; man merkte im Osten schon sehr bald, daß die Römer die Welt, die sie bisher mehr beherrscht als regiert hatten, nun auch wirklich zu verwalten begannen. Die kaiserliche Fürsorge für die Provinzen und der allgemeine Friede hoben sich sehr ab von dem, was man aus der Republik kannte, und die stoische Rechtfertigung der römischen Herrschaft erhielt jetzt in der Reichsverwaltung ihre praktische Bestätigung. Aber damit war natürlich nur erreicht, daß man die Römer nunmehr auch wirklich als die Besseren an sehen konnte und also die Forderung der Philosophie erfüllt schien. Das eigent liche Problem in jener philosophischen Anschauung, daß nämlich in ihr nicht nach der politischen Freiheit gefragt wird, war damit nicht ausgeräumt. Allerdings werden die Stimmen der Griechen, die sich überhaupt noch über das politische Verhältnis von Griechen zu Römern auslassen, in der Kaiserzeit immer seltener. Die Vorteile des Friedens und der kaiserlichen Fürsorge nach den Notzeiten der Republik mögen die Aktivität gelähmt, die Unab änderlichkeit der römischen Macht die Flucht in die große Vergangenheit gefördert haben. Es ist jedenfalls nicht zu übersehen, daß der politische Wille der Griechen zusehends nachläßt und die Literatur sich von der Gegenwart ab wendet. Aber der Wunsch, zwischen Römern und Griechen ein politisches Band herzustellen, erstarb nicht ganz. Um die Jahrhundertwende ist es Dion von Prusa, der in mehreren seiner Reden das Problem berührt. Die Gründe für sein politisches Schrifttum liegen jedoch zunächst nicht in dem Wunsch, die Griechen mit Rom zu versöhnen. Dion stand nänilich durch seine enge Ver bindung zum Kaiserhofe und durch seinen Gegensatz zu Domitian den Ge danken der r ö m i s c h e n aristokratischen Opposition gegen das „entartete" Kaisertum viel näher als dem Problem der römischen Herrschaft über das untertänige Reichsgebiet; seine Gedanken kreisen daher zunächst vor allem um das Verhältnis von römischer Aristokratie zum Kaisertum. Der ideale Herrscher, den er dem Tyrannen Domitian gegenüberstellte12, mochte aber in seinen Augen nicht nur für die Römer, sondern auch für die Griechen das Problem der Herrschaft lösen; und dies besonders deswegen, weil Dion damit im griechischen Bereich an eine umfangreiche Literatur anknüpfen konnte, die die Monarchie als Herrschaftsform akzeptierte und bei einer bestimmten in neren Einstellung des Monarchen zur Herrschaft diese geradezu glorifizierte. Aber damit war nicht viel mehr erreicht als schon durch die Gedanken der be reits zitierten Philosophen. Denn dem Griechen war mit dem idealen Herrscher Dions nicht mehr gegeben als wieder eine moralische Rechtfertigung des rö mischen Herrschaftsanspruches, wie sie ähnlich von Panaitios und Poseidonios versucht worden war. Die Rechtfertigung hatte jetzt lediglich ihren aktuellen Bezug auf die Monarchie erhalten, indem unter den ,,guten" Kaisern die For12 Vgl. H. v. A r n i m , Leben und Werke des Dion von Prusa, Berlin 1898, S. 147f. 249. 329. 395f.
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es Aelius Aristides
auf das römische Weltreich
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denmg der Philosophie an den Herrscher (jetzt eben das Kaisertum wie vorher die Republik) erfüllt schien. Die politische Freiheit war hier ebenso austfeklammert wie früher; und selbst der Grieche, der die monarchische Staatsform grundsätzlich akzeptierte, mochte davor zurückschrecken, das Kaisertum als politische Instanz anzuerkennen, weil es sich eben um ein r ö m i s c h e s Kaisertum handelte. So war mit Dion und dessen Bezug auf das ideale Herrschertum iiocn j£6iii gr"üiiCLsatzüCi.i. neuer τ ν 6g gewissen. Den Griechen war bei aller Anerkennung der Segnungen römischer Herrschaft die Erinnerung an vergangene Größe teurer, als sie eingestehen wollten oder konnten. Die Lektüre der klassischen Schriftsteller hielt diese Erinnerung auch stets wach, und in einer Zeit, die das Unrecht willkürlicher Beamtenherrschaft kaum noch kannte, hatte man Muße, sich seiner Sehnsucht und Trauer hin zugeben. Nur so ist es zu verstehen, wie leidenschaftlich und zäh sich im Osten das Andenken Neros hielt, in dem politische Träumer eher einen hellenistischen als einen römischen Monarchen sehen wollten. Klarere Köpfe trauerten nicht dem Phantom einer hellenistiscnen Monarchie nach, sondern suchten die alte Freiheit dort zu retten, wo sie wirklich noch Freiheit war: Die Selbstverwaltung der griechischen Stadt war so ein Relikt vergangener Unabhängigkeit, das von den Römern nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert wurde. Aber den all gemeinen Verfall der politischen Kräfte kennzeichnet nichts besser als die Tat sache, daß der politische Wille der Städte sich auf eine rivalisierende Titelsucht konzentrierte, wohingegen das Funktionieren der Selbstverwaltung sehr zu wünschen übrigließ und infolge davon der Eingriff der kaiserlichen Zentrale häufig notwendig wurde. Diejenigen Menschen jedoch, die sich um die Freiheit der Griechen ernsthafte Gedanken machten, kamen immer wieder auf die Stadt und ihre Selbst verwaltung zurück; ohne sie schien alles Sinnen um Freiheit unmöglich. So hat sich Plutarch, der neben Dion bedeutendste griechische Schriftsteller um die Jahrhundertwende, in seinen πολιτικά παραγγέλματα sehr energisch für das Funktionieren der Selbstverwaltung in den griechischen Städten eingesetzt. Er geht dabei von der klaren Prämisse aus, daß die Römer die Herrscher, die Griechen die Beherrschten sind, deren Wünsche jeder römische Beamte mit einem Federstrich zunichte machen kann (813 Ε—F. 824 C. E). Die Griechen, sagt er, haben gerade soviel Freiheit, wie die Römer ihnen zugestehen, und, fügt er hinzu, vielleicht ist mehr Freiheit auch gar nicht gut (824 C). Plutarch steht also nicht in Opposition zu den Römern. Er schätzt den römischen Frieden, der, wie er sagt, den Staatsmann in Griechenland unnötig mache (824 C), zu hoch und steht jeder politischen Phantasterei zu fern, um sich in eine nutzlose Opposition zu begeben. Man spürt jedoch deutlich die schmerz liche Resignation, wenn er den Griechen zuruft, daß die Tage von Marathon, Platää und Eurymedon nur noch Themen für die Sophisten-Schulen seien (824 C). Aber Plutarch ertrinkt nicht in jener Resignation. Er zeichnet die po litische Lage nur deswegen so ungeschminkt und hart, weil er seine Landsleute
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aus ihren leeren Träumen in die Gegenwart zurückrufen und sie durch die Er kenntnis der wahren Lage dazu bewegen will, wenigstens das zu retten, was den Griechen noch blieb: die Selbstverwaltung der Städte. Er beschwört sie, nicht bei jeder Gelegenheit den Statthalter in die Streitigkeiten der Städte hinein zuziehen oder für jeden Beschluß die vorherige Genehmigung des Statthalters einzuholen und damit den Rest der Selbstverwaltung (πολιτεία) zunichte zu machen. Wenn das Bein schön gefesselt ist, SO soll man sich nicht auch noch die Kette um den Hals legen, ruft er aus 13 . Man solle lieber die Streitig keiten selbst zu schlichten suchen und im übrigen das Ziel darin sehen, in der Stadt Eintracht und Freundschaft zu erhalten (8Ϊ4Ε—815C. 8240—E) 14 . Für das Rom-Bild der Griechen um die Jahrhundertwende ist dieser Standpunkt außerordentlich bemerkenswert. Plutarch kann als Grieche die römische Herr schaft nicht von Rom her sehen: Er steht ihr noch gegenüber. Er nimmt sie zwar hin; aber indem er sich mit ihr abfindet, gewinnt er keinen neuen posi tiven Ansatz für die politische Energie des Griechentums. Die politischen Be griffe Plutarchs gehören der Vergangenheit an; sein Ideal, dem er nachtrauert, ist die alte Freiheit der Stadt. Was von ihr noch übrig ist, jene reliqua umbra et residuum libertatis nomen15, will er erhalten. Gegenüber dieser Ansicht der römischen Herrschaft bringt Aristides ganz neue Gedanken. Die Leitgedanken seiner Rede finden sich bei keinem Griechen vor ihm. Das Proömium des Dionys von Halikarnaß zur römischen Archäologie weiß von ihnen nichts. Hier ist die laus Eomae noch ganz nach den geläufigen Topoi abgehandelt: Es werden der gewaltige Umfang der römischen Herrschaft und ihre Dauer preisend erwähnt und durch den stereotypen Vergleich mit den älteren vier Großreichen — dem assyrischen, medischen, persischen und make donischen Reich — und mit den Staaten des klassischen Griechenland ver deutlicht 16 . Sein plumper Versuch, das Problem der römischen Herrschaft für den Griechen dadurch aus dem Wege zu räumen, daß er die Römer von Hel lenen abstammen ließ, konnte nicht einmal den Einfältigen helfen und lehrt 13
814 Ε : μηδέ του σκέλους δεδεμένου προσυποβάλλειν καί τον τράχηλον. Zu den πολιτικά παραγγέλματα vgl. P a s q u a l i a.O. S. 59; B e n g t s o n , Welt als Ge schichte 10, S. 93f.; ders., Gymnasium 71, S. 159f.; O l i v e r S. 953ff. Obwohl Dion von Prusa ein durchaus anderes Verhältnis zu den römischen H e r r e n gehabt hat, begegnet er doch Plutarch vielfach in seiner Kritik an der städtischen Selbstverwaltung und in seinem Bemühen u m Eintracht in den S t ä d t e n ; wie Plutarch n a h m auch er aktiv an der Verwaltung seiner Heimatstadt teil; vgl. A r n i m a.O. S. 219. 364f. 386f. 505ff. 15 Plin. ep. 8,24,4 mit Bezug auf Athen und Sparta. Dion v o n Prusa, dem an der Selbstverwaltung seiner Heimatstadt ebenso gelegen war wie P l u t a r c h (vgl. die vorige Anm.), schätzte den Wert der alten Freiheit noch realistischer ein als dieser. E r nannte sie in einer Dankesrede an seine Mitbürger (44,12) τήν . . . . λεγομένην έλευθερίαν καί τό όνομα τοϋθ', δ παρά των κρατούντων καί δυναμένων γίγνεται, . . . . 16 Antiqu. 1,2—3. Zur Entstehung u n d Geschichte der Theorie von den vier Welt reichen vgl. C. T r i e b e r , Die Idee der vier Weltreiche, Hermes 27, 1892, S. 321ff.; B o u l a n g e r a.O. S. 360f.; J . W. S w a i n , The Theory of the F o u r Monarchies: Opposition History under the R o m a n Empire, Class. Philol. 35, 1940, S. lff. 14
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nur, daß er die Augusteer, mit denen er sich gewiß in Einklang glaubte, nicht verstanden hatte 17 . Erstaunlicher ist, daß Appian 170 Jahre nach Dionys in seinem Proömium nicht mehr zu sagen wußte. Sein Proömium konzentriert sich ebenfalls auf die Darstellung von Umfang und Dauer des Reiches und auf den Vergleich mit den älteren vier Weltreichen und den Staaten des klassischen Griechenland (1—23. 29—42). Daneben werden die Segnungen des Kaiser reiches, .briede, vv oiiibemicien miu Siciieriieit, gerade noch erwähnt (21) und die Ursachen des Aufstiegs durch die bloße Aufzählung einiger römischer Tu genden (ευβουλία, αρετή, φερεπονία) abgetan (26. 43)18. Ganz offenbar denkt Appian hier nicht als Grieche, sondern hat sich für ihn als Beamten Roms alle Problematik der Herrschaft von selbst gelöst. Eine Würdigung der politischen Vorstellungen des Aristides hat zu be rücksichtigen, daß die Rom-Rede, der wir diese Vorstellungen allein ent nehmen können 19 , eine Lob-Rede ist. Manche Gedanken mögen dadurch ent standen sein, daß ein Hymnus auf Rom dem Redner nahelegt, sich enger mit dem römischen Standpunkt vertraut zu machen, als ein Grieche bei nüchterner Betrachtung der römischen Herrschaft vielleicht zu tun bereit gewesen wäre. Aber durch die Art, wie Aristides seine Gedanken ausführt, wird der Einwand unwichtig. Er bringt nämlich nicht nur einfach römische Reichspolitik, sondern er erörtert diese Politik von der besonderen Situation des griechischen Unter tanen her. Das Ergebnis der Überlegungen ist die grundsätzliche Aufhebung des politischen Gegensatzes von Römern und Griechen. Selbst wenn Aristides nicht so gefühlt hätte, wie er schrieb, genügt allein schon die Feststellung, daß jemand solche Formulierungen finden konnte, um die Rom-Rede als einen End punkt in der politischen Auseinandersetzung von Römern und Griechen (bzw. Provinzialen insgemein) anzusehen; denn für die politische Bedeutung der Rede ist die innere Einstellung des Autors zu seinen eigenen Worten weniger wichtig als die Tatsache, daß eine solche Ansicht der römischen Herrschaft in der Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. überhaupt bewußt war. Wäre uns die Rede nicht erhalten, hätten wir konstatieren müssen, daß das Problem der Herrschaft Roms über die Hellenen von dem griechischen Geist weniger be wältigt wurde, als daß es sich vielmehr durch die allmähliche Nivellierung von Römern und Provinzialen von selbst löste. Trotz der Bedeutung der Rede für die Entwicklung des politischen Bewußt seins der Griechen ist sie in der modernen Literatur nur sehr selten in diesem 17
Vgl. die treffenden Bemerkungen von E d . S c h w a r t z , R E V (1903) S. 934f. 960. Hingegen verdient der Gedanke Erwähnung, daß die Körner lieber das Vorhandene bewahren (mit der notwendigen Emendation σώζει,ν statt des αΰξειν der codd.) als das Reich bis ins Unendliche ausdehnen wollen (26). Der Reflex auf die römische Politik seiner Zeit ist jedoch nicht weiter ausgeführt u n d nimmt sich als Auftakt zu dem Vergleich mit den Großstaaten der Vergangenheit, der folgt, etwas merkwürdig aus. 19 N u r in dem Panegyrikos auf den Tempel in Kyzikos findet sich eine kurze An spielung auf die Gedanken der Rom-Rede (27, 32ff. K). 18
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Zusammenhang untersucht worden. Das Beste, was über sie gesagt wurde, sind noch immer die kurzen Bemerkungen von M. R o s t o v t z e f f in seinem großen Werk über die Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiserreich 20 . Aus führlichere Arbeiten zu der Rede bemühten sich vor allem um den Nachweis der Abhängigkeit mancher Gedanken und Formulierungen von der älteren po litischen und staatstheoretischen Literatur der Griechen. Auch die jüngste Be handlung der Hede durch J. K. Oliver, der ebenfalls den Text neu heraus gegeben hat, steht in dieser gelehrten Tradition 21 . Der Wert der Rede als Do kument einer bestimmten politischen Haltung der Zeit ist hingegen zu Unrecht sehr vernachlässigt worden. Allein Oliver widmet dieser Frage einige Auf merksamkeit, doch scheint mir gerade seine Interpretation der Korrektur zu bedürfen (s. u. Anm. 40).
2. Die R e i c h s v e r w a l t u n g als H e r r s c h a f t s p r i n z i p Das Thema, die Verherrlichung der römischen Herrschaft, ist von Aristides um zwei größere Gedankenkomplexe gruppiert, die jeweils einem der beiden Hauptabschnitte der Rede zugeordnet sind 22 . Derjenige Teil des ersten Haupt20
l,113f. Nach R o s t o v t z e f f h a t lediglich L. A. S t e l l a , εις Τώμην. I n Gloria di R o m a . Orazione di Elio Aristide. Introduzione, traduzione e commento, R o m a [1940], eine ausführliche Würdigung des politischen Inhalts der Rede vorgelegt u n d auch bereits auf die zentrale Bedeutung hingewiesen, die die römische Verwaltung in den Gedanken des Aristides spielt (S. 14. 21ff. 53). Ihre persönliche Begeisterung für das römische Im perium h a t sich jedoch für das Urteil über die Rom-Rede nachteilig ausgewirkt: Wenn die Autorin das Enkomion des Aristides mit ihrem eigenen Enkomion begleitet, kommt die Interpretation notwendigerweise zu kurz. 21 So hat M e s k a.O. S. 10ff. die stilistische u n d ideengeschichtliche Abhängigkeit von Isokrates sowie den Einfluß der rhetorischen H a n d b ü c h e r betont. W. S i e v e k i n g , De Aelii Aristidis oratione εις 'Ρώμην, Diss. Göttingen 1919, S. 60ff., hob demgegenüber die Wirkung des Demosthenes auf Aristides hervor. Noch sehr viel schärfer als er stellte TJ. v. W i l a m o w i t z - M o e l l e n d o r f f , Der Rhetor Aristeides, SB. Preuß. Akad., phil.histor. Kl., 1925, Nr. 18, S. 336. 341. 350, Demosthenes als das Vorbild des Redners heraus. Nach O l i v e r hingegen überwiegt das platonische Gedankengut, ein Urteil, das gewiß die Entrüstung von Wilamowitz hervorgerufen hätte. Nach der Meinung O l i v e r s ist die Rede sogar von dem platonischen Gedanken der guten Weltseele, die in der rö mischen Regierung den Weltkörper lenkt, konzipiert worden, u n d konsequenterweise hat er den Aufbau der Rede ganz von dieser Interpretation her gezeichnet (vgl. S. 874ff. 879f.). Daneben weist er den Einfluß von Isokrates, Xenophon und Plutarch nach. O l i v e r hat ohne Frage zu Recht den Einfluß platonischer Gedanken herausgestellt. I c h bezweifle jedoch, daß die Rede deswegen von Piaton her zu verstehen ist. Bei dem Anteil Piatons an dem allgemeinen Bildungsgut der Zeit dürften einem Redner, der R o m als idealen Staat zeichnen wollte, platonische Gedanken u n d Formulierungen eingefallen sein, ohne daß damit die Rede von den staatstheoretischen Ideen Piatons her interpretiert werden müßte. Vgl. die Bemerkungen von F . V i t t i n g h o f f , Gnomon 29, 1957, S. 74ff. 22 Der Aufbau der Rede ist folgender: Nach einer Einleitung (1—5) wird zunächst der Umfang der römischen Herrschaft dargestellt (6—13). D a r a n schließt sich der Vergleich
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abschnittes, der sich mit der Herrschaft Roms beschäftigt (29—39), schließt an die Charakterisierung der älteren Großreiche an und nimmt unmittelbar auf sie Bezug. Der Vergleich Roms mit den älteren Weltreichen, der hier durch geführt wird, ist ein Topos der laus Romae; aber er erschöpfte sich vor Aristides meist in einer einfachen Darstellung des räumlichen und zeitlichen Umfanges der früheren Weltherrschaften und der römischen Weltherrschaft (s. o. Anm. 16). Aristides genügt auch dieser Forderung sehr ausführlich; es ist jedoch für seine Gedankenführung charakteristisch, daß er nicht nur den Umfang, sondern auch den allgemeinen Herrschaftscharakter vergleichend behandelt. Er verfährt dabei so, daß er zunächst nur den Umfang der römischen Weltherrschaft dar stellt (6—13), daran den Umfang und den Charakter der Herrschaft der älteren Weltreiche anschließt (15—27) und zum Schluß den Charakter der römischen Herrschaft anbringt (29—39; 28 ist ein Rückverweis auf 6—13). Dadurch, daß Aristides bei dem Vergleich die Darstellung Roms in zwei voneinander getrennt behandelte Themen aufspaltet, bekommt das zuletzt behandelte (der Herrschaftscharakter) ein Eigengewicht und bildet daher auch den Auftakt zu den besonderen Gedanken unseres Redners, die die herkömmliche laus Romae durchbrechen. Das besondere Gewicht, das die Darstellung des rö mischen Herrschaftscharakters so gewinnt, wird noch dadurch verstärkt, daß Aristides auch bei der Behandlung der älteren Weltreiche ausführlich auf die Herrschaftspraxis dieser Staaten eingeht: Dem Despotismus der Perser (18 bis 23) wird der römische Verwaltungsstaat gegenübergestellt. Aus dem Ver gleich der beiden Herrschaftsstrukturen und aus der besonderen Behandlung mit den älteren Großreichen in der Weise, daß (im Anschluß an das Vorangegangene) der Umfang und (mit Bezug auf das Folgende) die „charakterlose", weil reine Gewaltherrschaft dieser Großstaaten vorgeführt werden (15—27). Darauf folgt der erste Hauptteü mit der Darstellung der römischen Herrschaft als einer intensiven und fürsorglichen Verwaltung (28—39), so daß also die Schilderung des Umfanges und des Herrschaftscharakters der älteren Großreiche durch die des Umfanges (vorangehend, mit Rückverweis § 28) und des Herrschaftscharakters der Römer (folgend) eingefaßt ist. Der nächste Abschnitt umfaßt die Charakterisierung der griechischen Staaten der Klassischen Zeit (40—57). Er dient der Vorbereitung des zweiten Hauptteils, indem hier nachgewiesen wird, daß diese Staaten trotz ihres hohen Kulturniveaus τό άρχειν είδέναι nicht hatten (vgl. 57). Der zweite Haupt teü erörtert dann τό άρχειν είδέναι der Römer, nämlich ihre Bürgerrechtspolitik (58—102). Den Schluß büdet der Preis auf die römische Herrschaft als die Wiedergeburt des Goldenen Zeitalters (103—106) und ein kurzer Kaiserhymnus (107—109). Die §§ 92—102 (Segnungen der römischen Herrschaft) sind, obwohl noch zum zweiten Hauptteü gehörig, schon als ein Übergang zu dem Abschnitt über die aurea aetas anzusehen. — Diese Disposition hält Aristides nicht nur klar durch, sondern er weist auch mehrmals ausdrücklich auf sie hin, indem er den ersten Hauptabschnitt unter den Begriff der ακρίβεια της αρχής (bzw. nur αρχή) stellt, den zweiten Hauptabschnitt unter den der πολιτεία (vgl. zur Disposition 29. 72 [ = O l i v e r 72a.] 92). Die Disposition der Rede hat O l i v e r 878f. durch die Idee verzerrt, daß Aristides seine Gedanken von der Staatstheorie Piatons her konzipierte. Auch die Inhaltsangaben bei Mesk a.O. S. 6ff. und bei S i e v e k i n g a.O. S. 39ff. 51f. führen nicht zum Verständnis des Aufbaus der Rede.
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der römischen Herrschaftsform arbeitet Aristides dann eine der beiden tra genden Herrschaftsideen heraus, unter die er seine Rede gestellt hat. Die Herrschaftsidee, um die es hier im ersten Hauptabschnitt geht, betrifft die römische Verwaltung. Aristides betrachtet die Beamtenschaft Roms mit den Augen des Weltbürgars; anders als Plutarch (s. o. 231 f.) steht er ihr daher nicht von vornherein negativ gegenüber. Aber nicht nur das; über die grund sätzlich andere Einstellung zur römischen Verwaltung hinaus sieht er gerade in ihrer außergewöhnlichen Intensität den eigentlichen Vorzug gegenüber den älteren Großreichen. In dem Vergleich Roms mit diesen Reichen gewinnt der Gedanke des Autors denn auch seine besondere Schärfe: Die Perser behandelten ihre αρχή nicht als ein οίκεϊον (19), weil bei ihnen αρχή und το δεσπόζειν noch nicht getrennt waren 23 . Sie herrschten über die Unterworfenen wie νομάδες τινές βασιλείς (18), die jeweils nur dort, wo sie sich gerade aufhielten und ihre Machtmittel einsetzen konnten, effektiv die Herrschaft innehatten; wo sie aber nicht waren, gab es Aufstände und Widerstand. Die Ursache für ihr Versagen sieht Aristides darin, daß der Untertan nicht Gegenstand eines echten Herrscherwillens war; die Perser waren im Grunde mit ihren Untertanen gar nicht befaßt: Sie gaben ihrer Herrschaft über das reine Herr-Sein hinaus keine Form 24 . Demgegenüber wird Aristides nicht müde, die ακρίβεια der römischen Herrschaft aufzuzeigen: Eine riesige Organisation (τάξις, 89) von Beamten überzieht das ganze Reich in der zivilen (31) wie in der militärischen Ver waltung (88). Wenn irgend etwas zu geschehen hat, so ist es in demselben Augenblick schon getan, in dem es gedacht ist (31). Die römische Zentrale, der Kaiser, lenkt alles von Rom aus; seine Briefe an die Beamten eilen wie von Flügeln getragen durch das Reich (33); er ist allgegenwärtig und weiß besser als die Beamten selbst, was im Reich geschieht (32). Es ist deutlich, daß Ari stides ganz unter dem Eindruck der Intensität der römischen Verwaltung steht. Sehr im Gegensatz etwa zu den Persern kann durch die Dichte des Verwaltungs apparates der Herrscherwille der Zentrale auf der einen und die Stimme des Beherrschten auf der anderen Seite überall hingelangen. Die Effektivität der Herrschaft, die Aristides hier im Auge hat, wird jedoch durch das dichte Verwaltungsnetz allein noch nicht hervorgebracht. Wenn der gewaltige Apparat richtig funktionieren soll, ist es notwendig, daß die Masse der Beamten in ein festes System gebracht ist und jeder Beamte den Platz, auf den er gestellt wird, ordnungsgemäß einhält. Die notwendige Ergänzung der Organisation ist daher die genaue Kontrolle der Verwaltung und der Gehorsam 23 22: και τους μεν θεραπεύοντας ώς δούλους ύπερεώρων, τους δε ελευθέρους ώς εχθρούς έκόλαζον, εξ ών μισοΰντές τε καί μισούμενοι διήγον 23. ού γαρ ένεστιν άρχεσθαι καλώς, δταν κακώς οι άρχοντες άρχωσιν. οΰπω γαρ ή τε αρχή καί το δεσπόζειν διήρητο, άλλ* ην ίσον βασιλεύς καί δεσπότης. 24 Das Reich Alexanders, das zweite von Aristides behandelte Großreich, wird n u r nach seinem Umfang dargestellt, da Alexander zu einer wirklichen Regierung des Eroberten nicht gekommen sei (24—26).
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des Beamten. In richtiger Einschätzung der Bedeutung dieses Punktes spricht Aristides ausführlich von ihm: Der Kaiser überwacht die Beamten (32), und bei Unklarheiten über Prozesse und Petitionen wendet sich der Beamte ge horsam an ihn und wartet wie ein Schüler auf den Bescheid des Lehrers (32); Appellationen gegen den Spruch des römischen Beamten (37/38) wie auch gegen die Willkür der lokalen Magistrate (65) gehen an die Zentrale und zügeln die Beamtenhierarchie. Die j^oncroiie aber erzeugt x^espeiit unü xj ürcht Vor dem allgegenwärtigen Kaiser und bringt den Gehorsam hervor (31). Letzterer ist geradezu der tragende Gedanke der Beamtenhierarchie nach Aristides: Obwohl den ihrer Gewalt Unterworfenen gegenüber άρχοντες, sind die Beamten doch αρχόμενοι innerhalb der Hierarchie bzw. gegenüber dem Kaiser und sind als solche allen Reichsbewohnern ein Beispiel für die Pflicht des Gehorsams25. In gleicher Weise beherrscht jener Gehorsam die gewaltige Heeresorganisation bis zum letzten Mann hinab (87/88), und so erfüllt das ganze Weltreich eine un gestörte Harmonie und gehorcht alles in großer Ruhe (30/31; für das Heer: 89). Die römische Verwaltung stellt sich Aristides also als ein gewaltiger Apparat dar, der in Furcht und Gehorsam unter dem Kaiser steht. Der Kaiser wird hierbei nicht weniger unpersönlich gesehen als die zahllosen Beamten, und er tritt genauso wenig wie sie aus der großen Apparatur heraus. Er ist der κορυ φαίος ήγεμών (3), der διδάσκαλος (32), der δικαστής μέγας (38; vgl. 39) oder μέγας άρχων (31)26. Vor allem in den beiden zuletzt genannten Formulierungen ergibt sich seine Höherstellung nur aus dem Verhältnis zu den Beamten, den άρ χοντες bzw. δικασταί. Letztere bezeichnet er an anderer Stelle sogar als οι της αρχής κοινωνοί (107) und betont damit, wie in den Abschnitten über die Misch verfassung (s. u. S. 25 2f.), das aristokratisch-kollegiale Verhältnis zwischen Kaiser und Beamten 27 . Der Kaiser ist bei Aristides nichts als die Spitze der Hierarchie; er hat darüber hinaus keine entscheidende Funktion. Er ist zwar der weise und gerechte Lenker der gesamten Beamtenschaft, der die Befehle gibt, aber Aristides schweigt von den ethischen und rechtlichen Normen, die den Befehlen zugrunde liegen, und stellt folglich den Kaiser auch nicht als Quelle solcher Normen und damit als Quelle herrschaftlicher Grundsätze heraus. Obwohl er gewiß nicht bestreiten würde, daß der Kaiser Normen setzt, erweckt er doch den Anschein, als ob auch der Kaiser lediglich ein Stück der Verwaltung sei und darüber hinaus in dem Weltstaat keine wesentliche Aufgabe habe. Natürlich entspricht diese Sehweise, die der Autor uns aufzwingt, nicht der 25
3 1 : οι δε άρχοντες οι πεμπόμενοι επί τάς πόλεις τε και τα έθνη των μέν ύφ* έαυτοΐς έκαστοι άρχοντες είσι, τα δε προς αυτούς τε και προς αλλήλους ομοίως άπαντες αρχόμενοι, και δη και τούτω φαίη τις αν αυτούς των αρχομένων διαφέρειν, δτι πρώτοι δεικνύουσιν δπως άρχεσθαι προσήκει. 26 Auch in dem kurzen Hymnus auf den Kaiser u n d in dem Gebet für ihn a m Schluß der Rede wird er zweimal άρχων μέγας genannt (107. 109). 27 Dieser Aspekt deckt sich mit der Ideologie des augusteischen Prinzipats, ohne von dorther konzipiert zu sein.
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Wirklichkeit; aber gerade deshalb muß uns besonders interessieren, warum Aristides, dem die Gesetzesautorität des Kaisers nicht unbekannt war, die Wirklichkeit des römischen Staates so und nicht anders sehen will und er die wichtige Frage beiseite läßt, welches die Rechtsnormen der Verwaltung sind und von wem sie gesetzt werden. Der Grund dafür, daß er die römische Ver waltung in einer Weise zeichnet, die nur ein unvollständiges Bild des Ganzen liefert, dürfte darin zu suchen sein, daß er die Problematik der Herrschaft nicht in dem Vorhandensein und in der Weiterentwicklung des materiellen Rechtes oder gar in den rechtlichen oder ideellen Voraussetzungen des römischen Kaisertums sieht, sondern in der Herrschafts ρ r a x i s . Ihm verbindet sich mit dem Gedanken der Herrschaft nicht zuerst die Frage danach, wie das Recht in dieser Herrschaft beschaffen ist und wie es entsteht, sondern die Frage danach, wie es angewandt wird und wie es sich durchsetzt. Die entscheidende Herrschafts idee kann darum für ihn auch nicht in den Rechtsnormen der Herrschaft bzw. in der Struktur der Kaisergewalt liegen, sondern sie muß dort zu suchen sein, wo die Herrschaft praktiziert wird: in der Verwaltung. . Die Herrschaftsidee, die sich in der römischen Beamtenorganisation mani festiert, sieht nun Aristides darin, daß die Beamten ein reines Instrumentarium, nur Mittel zur Herrschaft sind. Sie haben zwar die προστασία und die πρόνοια, d.h. sie tragen den Herrscherwillen an die Untertanen heran, aber sie vollziehen diesen Willen nicht als δεσπόται (36), d.h. als Herrscher mit willkürlichen, per sönlichen Absichten. Der Einbruch des individuellen Willens (d. h. eines Willens, der seinen Impuls nicht von den Normen der Verwaltung, sondern von den un kontrollierbaren, außerhalb der staatlichen Sphäre liegenden Wünschen erhält), ist vor allem verhindert durch das dichte Netz der Verwaltung selbst, durch die Masse der nebeneinander und hintereinander stehenden Beamten, die nicht mehr als Individuen, sondern als Organisation, eben als Verwaltung gesehen werden. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht die lobende Bemerkung des Aristides über den Automatismus, in dem die Beamten abgelöst werden (36. 26)28. Der Versachlichung der Verwaltung (und d.h. der Versachlichung der Herrschaft) dienen des weiteren natürlich auch die Kontrolle und die Gehorsamspflicht. So hat Aristides in diesem Teil seiner Rede alles — den Preis auf das dichte Ver waltungsnetz, auf die Kontrolle der Beamten und auf den Gehorsamseifer — darauf konzentriert, den römischen Herrschaftsapparat als eine Organisation vorzustellen, in der der individuelle Wille keinen Platz hat und die Rechts normen der Herrschaft deshalb unverfälscht überall sich durchsetzen können. Die Gerechtigkeit der Herrschaft ist danach in erster Linie eine Konsequenz dieser Versachlichung des Herrschaftsapparates, und sie wird daher auch von Aristides vor allem im Zusammenhang mit dem Lob auf die Verwaltung ge priesen (32. 38f. 107). 28 26: ή ποία συνήθει διοικήσει τα πράγματα ήγαγεν (sc. 'Αλέξανδρος) αυτομάτως προϊούση χρόνων τακταΐς περιόδοις;
Der Preid des Aelius Aristides azif das römische Weitreich
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Der Automatismus der Organisation bzw. die E n t p e r s ö n l i c h u n g der Ver waltung steht im Mittelpunkt dieses ersten Teiles der Rede. Durch sie ist nicht nur die Willkür der Herrschaft ausgeschlossen, sie garantiert nach Aristides auch allen Reichsbewohnern, daß die gerechten Normen der Verwaltung für alle g l e i c h e Geltung besitzen und überall gleichmäßig hingelangen: πανταχού ίσον άρχεται., sagt Aristides im § 30, und am Schluß des Abschnittes erläutert er dies, indem er von der πολλή και εύσχημων ίσότης spricht, die Schwache und Mächtige, Unbedeutende, Arme und Reiche, Adlige und niedrig Geborene ganz gleichmäßig trifft (39)29. Aristides geht bei der Betrachtung der römischen Verwaltung aber noch einen Schritt weiter. Er verbindet nämlich den Verwaltungsapparat mit ideal staatlichen Vorstellungen der Vergangenheit und entkleidet ihn damit vor den griechischen Menschen allen herrschaftlichen Charakters, der ihm trotz seiner lobenswerten Prinzipien natürlich noch anhaftet. Im Hinblick darauf, daß die Beamten keine persönliche Herrschaft ausüben, sondern die Herrschaft durch die ,,Organisation" getragen wird, vergleicht er die Beamtenschaft mit den Beamten einer Polis und sagt, daß die römischen Beamten die Welt gleichsam wie eine einzige Polis regieren und für sie sorgen (36). Hier ist zum genaueren Verständnis der vorgetragenen Ansicht die demokratische Verfassung der Einzelpolis ins Gedächtnis gerufen, die durch die Pluralisierung, Kompetenzaufsplitterung und Erlösung der Beamten genau das erreichen wollte, was nach Aristides die Römer durch ihr Verwaltungssystem erreicht haben: die Eliminierung des individuellen Willens aus der Exekutive. Ganz im Einklang mit diesem Bilde sagt Aristides dann in dem gleichen Zusammenhang, daß die Be herrschten auf Grund des römischen Herrschaftssystems frei sind30 und daß sie von den Beamten gerade nur so weit beherrscht werden, wie es ihnen gut scheint31, und nennt diese Herrschaftsordnung der Römer eine Demokratie. Die römische Demokratie geht jedoch nach Aristides über alle bekannten Demokratien hinaus 32 ; ihr Vorrang vor den älteren Demokratien liegt darin, daß die Römer nicht eine einzelne Stadt, sondern die Welt unter die demo kratische Idee gestellt haben (34), und darin, daß der größere Verwaltungs29
Vgl. 93. Im § 73 verwendet Aristides den Begriff der ίσότης in anderer Weise. Hier stellt er dem ständisch organisierten ägyptischen Berufsheer das römische Bürgerheer entgegen, dessen Angehörige durch das Bürgerrecht mit den anderen Bürgern gleichgesetzt und verbunden sind. Die ίσότης ist an dieser Stelle juristisch zu verstehen; sie er gibt sich aus der Verleihung des Bürgerrechtes. In den o. im Text genannten Stellen ist die ίσότης hingegen eine Folge der Anwendung bestimmter Verwaltungsprinzipien. Die Gleichheit nimmt hier weniger darauf Bezug, daß für alle die gleichen Gesetze gelten (Gleichheit vor dem Gesetz; darüber vgl. u. S. 243), als vielmehr darauf, daß alle in gleicher Weise der (für alle gleichen) Gesetze t e i l h a f t i g werden (Gerechtigkeit der Verwaltung). 30 36: μόνοι γαρ των πώποτε ελευθέρων άρχετε. 31 37: ώστε φαιή τις αν τοσαΰτα άρχεσθαι τους νυν ύπό των πεμπομένων, όπόσα αν αύτοΐς άρέσκη. 32 38: πώς ουν ταΰτα ούκ εν τοις έπέκεινα πάσης δημοκρατίας;
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a p p a r a t der Römer eine Verlängerung des Instanzenweges über die Grenzen der einzelnen Polis hinaus ermöglicht u n d damit eine größere Gerechtigkeit ga rantiert (38). Trotz des Vergleiches mit den älteren Demokratien bleibt die Schöpfung der Römer also eine originelle Leistung, u n d als solche wird sie von Aristides auch ausdrücklich bezeichnet (34: δ παντελώς υμών έστιν ίδιον). Der Kaiser, den Aristides ja in die Organisation der Verwaltung einordnet (s. o. S. 237f.), erhält in diesem demokratischen Weltstaat kein Eigengewicht; er be k o m m t den Platz, den eine Demokratie für den ersten B e a m t e n vorgesehen h a t : Aristides nennt ihn mehrmals P r y t a n e u n d will mit dieser Anspielung auf das zentrale Organ der griechischen Demokratie die Vorstellung unterstützen, daß auch der Kaiser nicht die N o r m bzw. das Gesetz ist, sondern nur das be deutendste Rädchen einer großen A p p a r a t u r 3 3 . Es soll erst später (u. S. 247fF.) darauf eingegangen werden, wieviel dieser letzte Gedanke, daß Rom eine Weltdemokratie ist, für die R e d e bedeutet. Es sei jedoch bereits hier festgehalten, daß das Schwergewicht bei der Darstellung der Verwaltung zunächst d u r c h a u s nicht in dem Gedanken liegt, daß die Ver waltung Freiheit schafft, sondern in dem Gedanken, d a ß die Verwaltung (durch Versachlichung des Herrschaftsapparates) S i c h e r h e i t schafft. Der Nachweis der Rechtssicherheit in d e m römischen W e l t s t a a t ist das primäre Anliegen, und in der Verfolgung dieses Zieles wird d a n n auch ganz naiv die Verwaltung als herrschaftliche Ordnung gesehen und k o m m t damit der Kaiser als der Motor des Ganzen zu seinem R e c h t (vgl. o. S. 236). Dieses Bild steht aber ganz offenbar in einem Widerspruch zu jener anderen Vorstellung, d a ß R o m eine Demo kratie sei. Der Zwiespalt der Gedanken ist aus dem W u n s c h des Autors zu er klären, den Aufstieg des Griechen in das römische Bürgerrecht (das andere, zentrale Thema der Schrift) als den Aufstieg in den h e r r s c h e n d e n Bürger verband der Weltpolis anzusehen, die nicht n u r in dem gleichen Recht der Bürger, sondern auch in ihrer F o r m der griechischen Polis gleicht u n d damit für alle Bürger die Freiheit bringt, die nach dem Denken der Griechen zu einer Polis gehört.
3. D i e B ü r g e r r e c h t s p o l i t i k a l s
Herrschaftsprinzip
Der zweite zentrale Gedanke des Aristides betrifft das Verhältnis der grie chischen S t a d t zum römischen Weltreich; ihm ist vor allem der zweite H a u p t teil der Rede gewidmet. E s wird zunächst wie selbstverständlich vorausgesetzt, daß das Reich eine W e l t v o n Städten ist. Aristides k o m m t als Grieche nicht auf den Gedanken, eine der größten Leistungen der Römer, die Verbreitung der Stadtkultur, besonders hervorzuheben; er widmet ihr allerdings gelegentlich der Darstellung des Grenzheeres u n d auch in dem zusammenfassenden Über33 Der Kaiser wird einmal Prytane genannt (90: έφορος και πρύτανις) und seine Tätigkeit zweimal als πρυτανεύειν apostrophiert (31. 109).
Uer Preis aes Aeiius Aristides auf da3 römische Weltreich
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blick über die Segnungen der römischen Herrschaft einige lobende Bemer kungen34, aber er stellt sie nicht in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Ins besondere verwundert, daß die römischen Stadtgründungen im Osten, für die gerade der Vorgänger des Antoninus Pius, Hadrian, sich so energisch ein gesetzt hatte, nicht ausdrücklich erwähnt sind. Ebensowenig ist der Philiieilenismus Kadrians und seines Nachfolgers betont 35 . Das wird darin be gründet sein, daß die philhellene Gesinnung der Kaiser in der Mitte des 2. Jahr hunderts ganz unproblematisch war; sie konnte ein Lob-Redner erst in einer Zeit bewußt herausstellen, in der das Philhellenentum eine Ausnahme bildete 36 . Darum wird man diesen Komplex bei Aristides weniger vermissen. Das Fehlen einer eingehenden Würdigung römischer Urbanisierungspolitik hingegen bleibt zunächst erstaunlich. Erst dann, wenn man sich über die Absichten der Rede Rechenschaft abgelegt hat, wird dieser Mangel voll begreiflich. Anders als Plutarch, der sich ganz auf die griechische Stadt zurückzieht und von ihr zu be wahren sucht, was irgend möglich ist, betrachtet Aristides das römische Reich nicht mit den Augen eines Lokalpatrioten. Weit davon entfernt, die phil anthropische Gesinnung der Römer gegenüber den einzelnen Städten und die Förderung ihrer kommunalen Verwaltung zu preisen, bildet den Kernpunkt seines Lobes der römischen Herrschaft vielmehr der Gedanke, daß durch die Römer das Problem der Unabhängigkeit der Stadt überhaupt aufgehoben wurde. Das ist natürlich in dieser Formulierung von ihm nicht gesagt, aber es spricht beinahe aus jedem Satz seiner Rede. Diesem Grundgedanken dient zunächst einmal die Behandlung der Vorzüge des römischen Friedens. Die jpax Romana bedeute das Ende des Streites und der Kämpfe um Macht, sagt Aristides, und gern hätten die Griechen die alten πόνοι κακοί aufgegeben. Selbst die einst mächtigen griechischen Städte erinnerten sich nicht einmal mehr an ihre frühere Herrschaft. Erst unter der Hegemonie der Römer habe man wieder zu leben begonnen; man sei jetzt gleichsam aus einem schrecklichen Traum in die schöne Wirklichkeit des Friedens erwacht (69—71; vgl. 103). Hier erscheint der Friede als das ideale Ziel einer po litischen Entwicklung, bei dessen Erreichung die Problematik der politischen Unabhängigkeit sich aufhebt. Der Gedanke ist nicht neu; auch die Römer be34
94: έκπεττλήρωνται δέ άκταί τε παράλιοι καΐ μεσόγειαι πόλεσι, ταΐς μεν οίκισθείσαις, ταΐς δέ αύξηθείσαις εφ' υμών τε και ύφ* υμών. Die Städtegründungen in den Grenzgebieten des Reiches sind § 81 erwähnt. 35 Auf den Phihellenismus der Kaiser weist der § 96, in dem allgemein von der väterlichen Fürsorge der Römer für die griechischen Städte und von den Privilegien (ελευθερία καΐ αυτονομία) gesprochen wird, welche die größeren und einst führenden unter ihnen genießen. 36 So hat der Urheber des unter dem Namen des Aristides überlieferten Enkomions auf einen Kaiser des 3. Jahrhunderts (nach E. G r o a g , Wiener Studien 40, 1918, S. 20ff., war es Philippus Arabs) den Philhellenismus des Kaisers als eine Haltung, die jedem „guten" Herrscher ziemt, ausdrücklich hervorgehoben (35,20 K).
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nutzten ihn zur Rechtfertigung ihrer Herrschaft 37 . Aber die Propagierung des Friedensgedankens gegenüber den Untertanen blieb doch eben ein Akt der Rechtfertigung, und jeder Grieche, auch wenn er den Römern aufgeschlossen gegenüberstand, wie Plutarch, bedachte den Preis, den er dafür zu zahlen hatte. Von Aristides hingegen wird der Friedensgedanke nicht zur Begründung der römischen Herrschaft vorgebracht. Er ist für ihn nur die Voraussetzung, unter der Rom den nächsten Schritt tun kann: Die Gründung des römischen Welt staates, in dem die Polis Rom die ganze Oikumene umfaßt, ist das Telos der römischen Herrschaft (61/62). Friede und Freiheit sind also keine Antipoden, die sich gegenseitig aufheben; der Friede wird nicht durch den Verlust der Freiheit erkauft; in ihm verwirklicht sich vielmehr die neue Weltordnung, in der jeder Bürger des e i n e n Weltstaates ist oder werden kann. Dieser Gedanke wird nun von Aristides anhand der römischen Bürgerrechtspolitik weiterent wickelt und ausgeführt (59ff.). Nach Aristides haben die Römer dadurch, daß sie überall den besseren Teil der städtischen Bürgerschaft mit dem römischen Bürgerrecht beschenken und keine Stadt von dieser Gunst ausschließen, die Grenzen der Polis Rom mit den Grenzen der Welt gleichgesetzt (59/61): der römische Name ist nicht mehr auf die Bewohner einer Stadt beschränkt, sondern ist ein γένους όνομα κοινού τίνος. Dieses γένος κοινόν steht allen offen; die Angehörigen aller Völker der Welt können ihm beitreten. Und wenn auch Aristides die Ausbreitung des Römer namens auf den ,,besseren und tüchtigeren Teil der Menschheit" einschränkt, so ist jedenfalls die ethnische Zugehörigkeit kein Kriterium für den Ausschluß. Insofern lassen nach Aristides die Römer jene alte Scheidung der Menschen in Hellenen und Barbaren hinter sich und zeigen gleichzeitig damit, daß sie einen anderen Weg wählen, wie lächerlich jene ältere Einteilung der Menschheit war 38 . Niemand ist jetzt durch sein Ethnikon diffamiert: Es gibt nur Römer und solche, die keine bzw. noch keine Römer sind (63), und der Aufstieg des Nicht-Römers in das γένος κοινόν hegt grundsätzlich in jedermanns Hand. Da durch, daß die Römer allen an ihrer Herrschaft Anteil geben, ist aber der 37 Zum ersten Male klassisch formuliert von Cicero ad Q. fratr. 1,11.34. Nach Plut., de fort. Roman. 316 Ε—317 C, beseitigt Rom das ursprüngliche Chaos, bindet alle Herrschaften zusammen und errichtet den ewigen Kosmos, in dem der Friede herrscht. Dasselbe Bild verwendet Aristides 103. Vgl. auch die Bemerkung Plutarchs, πολ. παραγγ. 824 C, daß wegen des gegenwärtigen Friedens die Politiker eigentlich nicht mehr nötig seien. 38 Die Trennung des Römernamens von dem nationalen Römertum erinnert an den berühmten Satz des Isokrates, Paneg. 50, in dem das Hellenentum aus seiner nationalen Gebundenheit gelöst und zu einem geistig-kulturellen Begriff gewandelt wird. Aber ebenso sicher, wie Aristides dieses Wort des großen Rhetors gekannt hat, hat er seine Gedanken nicht von ihm her konzipiert. — Die römische Bürgerrechtspolitik hat Aristides auch in seinem Panegyrikos auf den Tempel in Kyzikos (or. 27 K) § 32ff. kurz berührt; seine Formulierungen dort korrespondieren so stark mit der Rom-Rede, daß er letztere bei der Abfassung der Paragraphen in der or. 27 im Sinne gehabt haben muß.
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würdigere und stärkere Teil der Menschheit zugleich Angehöriger einer unter tänigen und der herrschenden Stadt und somit nicht nur Beherrschter, sondern deichzeitig Herrscher (64/65). So bindet das gemeinsame Bürgerrecht (κοινή ττολιτεία, 65), jene einzigartige Harmonie, die alle (lokalen) Bürgenechte zu sammenschließt (μία αρμονία πολιτείας απαντάς συγκεκληκυΐα, 66), alle Schichten der Menschheit, reich und arm, in einem Staat zusammen, in dem allein es sich zu leoen lohnt und BS sind, von den jRjöm.em auf diese "Weise ^ene scheinbar un vereinbaren Elemente zusammengefügt: Herrschaft und Philanthropie (66)39. Durch die Gemeinsamkeit des Bürgerrechts herrschen auf der ganzen Welt Ge setze, die für alle gelten, v/eil nämlich das römische Privatrecht alle Bürger bindet. Das ius conubii ermöglicht die Heirat nun über alle Stadtgrenzen hin weg, und es ist so für die Bürger Roms die Welt wie ein Haus 40 . Bei der Romanisierung der Welt durch die Bürgerrechtspolitik räumt Aristides dem Heer eine besondere Rolle ein (74fT.). Durch die Verleihung des römischen Bürger39 Der letzte Teil des Satzes ist leider sehr zerstört, und kein Herausgeber kommt ohne starke Eingriffe in die Überlieferung aus. Mit Sicherheit jedoch läßt sich aus dem Vorhandenen herauslesen, daß das, was früher als scheinbar unvereinbar galt, das κράτος αρχής auf der einen und die φιλανθρωπία auf der anderen Seite waren; vgl. den Kommentar von O l i v e r zu der Stelle. — Derselbe Gedanke wie im § 66 begegnet auch in der Rede 27 Κ des Aristides: 34: οι δε ού θυμού ρώμην ουδέ οργής άμετρίαν τα επίσημα τής αρχής έποιήσαντο, άλλα φιλανθρωπίας και μεγαλοψυχίας τα κράτιστα είσηνέγκαντο. Die Formulierung des Aristides erinnert an den berühmten Satz des Tacitus, Agric. 3,1: Nerva Caesar res olim dissociabilis miscuerit, principatum ac libertatem. Wie hier die Problematik der Herrschaft zwischen Kaiser und Römern bzw. römischer Aristokratie aufgehoben scheint, so bei Aristides die zwischen Römern und Reichsuntertanen. Vgl. u. S. 262. 40 102: νόμους τε κοινούς άπασι τάξαντες , γάμους τε κοινούς ποιήσαντες καΐ συντάξαντες ώσπερ ένα οίκον άπασαν την οίκουμένην; vgl. or. 24,31 Κ. Das Wort κοινός wird von Aristides stets dann verwendet, wenn er auf das alle Menschen des Reiches einigende Band des römischen Bürgerrechtes hinweisen will; vgl. u. Anna. 47. Mit den νόμοι κοινοί dieser Stelle können daher nur die kaiserlichen Konstitutionen, die das römische Privatrecht betrafen, und das prätorische Edikt gemeint sein. Diese Interpretation wird durch ein besonderes Beispiel, das ius conubii, bestätigt, mit dem die allgemeine Aussage erläutert wird; vgl. auch Α. Ν. S h e r w i n - W h i t e , The Roman Citizenship, Oxford 1939, S. 259f. Ich kann mich nicht der Ansicht von O l i v e r 889ff. 959ff. anschließen, wonach in dem Wort κοινός bei Aristides eine An spielung auf die griechischen Bünde der hellenistischen Zeit stecke, die in dem Panhellenismus Hadrians wieder aufgelebt seien, und mit den νόμοι κοινοί des § 102 auf ge wisse römische Administrativmaßnahmen angespielt werde, die die Römer (bzw. der Kaiser) als eine Art Bundesorgan nach Art der hellenistischen κοινά und in Anlehnung an entsprechende Gepflogenheiten der Pyläisch-delphischen Amphiktyonie getroffen hätten. Diese Interpretation wird weder durch den Sprachgebrauch bei Aristides noch durch dessen allgemeine Vorstellungen über das Verhältnis von Griechen zu Römern nahegelegt; außerdem halte ich — ganz abgesehen von Aristides — auch den Gedanken für abwegig, daß die römischen Kaiser in den Amphiktyonen ein Vorbild für ihre Administrativmaßnahmen sahen. Der Schutz von Stiftungen durch den Kaiser, den Oliver ausführlich erörtert, bedurfte keiner „peregrinen" Rechtsgrundlage, und selbst die extreme Philanthropie der römischen Monarchie hat schwerlich den kaiserlichen Befehl in hellenistische Antiquitäten gekleidet.
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rechtes gleichzeitig mit dem E i n t r i t t in das Heer 4 1 führen die Römer die fähigsten u n d auch körperlich tauglichsten Menschen in το κοινό ν των αρχόντων (78). Bei der Darstellung der römischen Bürgerrechtspolitik geht Aristides mit seiner Idealisierung des römischen Weltstaates nicht so weit, daß er das Problem der Untertänigkeit nunmeh£äls völlig gelöst ansieht. Die Masse der Politen in den peregrinen Städten besteht weiterhin aus Nicht-Römern, die als Untertanen be wacht werden müssen 4 2 , u n d an einer Stelle sagt Aristides sogar, daß die Römer nicht so viel Rekruten aus einer Stadt nehmen, daß diese Stadt mit ihnen ein eigenes Heer aufstellen könne (76). Hier wird also der Gedanke eines mög lichen Widerstandes der Einzelstadt nicht ganz ausgeschlossen (vgl. auch 67). Die Bürgerrechtspolitik der Römer h a t demnach das Problem der Unter tänigkeit nicht ganz beseitigt. Aber es liegt doch jetzt, soweit noch vorhanden, auf einer anderen Ebene als früher, nicht mehr auf der E b e n e Rom—peregriner S t a d t . Der mit dem römischen Bürgerrecht Beschenkte nämlich ist stolz auf seinen neuen Status; es ist für ihn eine τ^μή, dem Bürgerverband anzugehören (78), u n d er nennt in Zukunft nicht mehr gern neben seinem römischen Namen das Ethnikon (75). Obwohl der Neubürger auch Bürger seiner alten Stadt bleibt (64), fühlt er sich doch in erster Linie als R ö m e r u n d als Wächter der römischen Herrschaft in seiner Stadt (64). Die Soldaten, die mit dem Eintritt in das römische Heer das Bürgerrecht erhalten, n e n n t Aristides sogar aus drücklich άπόλιδες (75) Und will damit sagen, daß trotz mancher Bindungen an die alte Heimat der tatsächliche Effekt der Bürgerrechtspolitik die Heraus lösung der Neubürger aus ihren Städten ist. Soweit v o n Herrschaft noch ge sprochen werden k a n n , handelt es sich somit jetzt weniger um die Herrschaft R o m s über ehemals selbständige Städte als um die Herrschaft des Verbandes der römischen Bürger, der sich über alle Städte erstreckt, über die NichtR ö m e r ; u n d das Problem der Freiheit stellt sich desgleichen nicht mehr in dem Gegenüber von R o m u n d peregriner Stadt, sondern jetzt allenfalls in dem Gegenüber von R ö m e r n u n d Nicht-Römern. Diese neue politische Ebene bringt jedoch nach Aristides nicht dieselben scharfen Gegensätze hervor wie früher. Die Peregrinen betrachten nämlich ihre Landsleute, die Römer geworden sind, weiter als Bürger ihrer S t a d t 4 3 u n d als zu sich gehörig (κοινοί εαυτών) 44 , wie die römischen Neubürger ja auch t a t 41
Aristides unterscheidet nicht Legionen, Auxiliartruppen und numeri und differenziert folglich auch nicht die Modalität der Bürgerrechtsverleihung für die verschiedenen Truppengattungen, die zu seiner Zeit selbst für den Legionarsdienst nicht einheitlich war. Aber es ist müßig, deswegen mit ihm zu rechten. Er will mit seiner Bemerkung, daß jeder Peregrine zugleich mit dem Eintritt in das Heer das Bürgerrecht erhält, nur die Verbindung von Bürgerrecht und Heeresdienst illustrieren und verallgemeinert zum Zwecke der Illustration den „Normalfall" (Eintritt in die Legion unter gleichzeitiger Verleihung des Bürgerrechtes). 42 59: το δε λοιπόν ύπήκοόν τε καΐ άρχόμενον, vgl. 64. 75. 43 Vgl. das Zitat aus dem § 64 in der Anm. 45. 44 76: die Wendung ist hier mit Bezug auf die aus der peregrinen Stadt rekrutierten Soldaten gebraucht.
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sächlich ihr altes peregrines Bürgerrecht behalten. Die Neubürger herrschen also als L a n d s l e u t e über die Nicht-Römer; und wenn sie sich auch (etwa als lokale Beamte) als die Herrschenden fühlen mögen, so verliert doch — ganz ab gesehen von der landschaftlichen Verbundenheit der Herrschenden mit den Beherrschten — die Herrschaft noch dadurch an Härte, daß die römischen Bürger in den Städten nicht als Vertreter einer übermächtigen einzelnen Stadt, sondern als Bürger des vVeltstaates. an dem alle Städte über das römische Bürgerrecht unmittelbar Anteil haben, über ihre Landsleute herrschen (64/65)45. Hat schon auf diese Weise der Peregrine nicht mehr das Gefühl, unter einer Fremdherrschaft zu stehen, so wird nach Aristides das UntertanenVerhältnis auf der neuen politischen Ebene von Römern und Nicht-Römern noch durch ein weiteres Prinzip römischer Herrschaft gemildert. Römer und Nicht-Römer sind nämlich nicht ständisch streng voneinander geschieden, sondern es ist der Übergang von einem zum anderen Status offen. Schon bei der allgemeinen Be trachtung der Bürgerrechtspolitik (59ff.) hatte Aristides gesagt, daß die Römer jeweils nicht nur die Adligen und Mächtigen (γενναιότεροι και δυνατώτεροι) für die Aufnahme in den Bürgerverband auswählen, sondern allgemein die χαριέστεροι und überhaupt, όστις αρχής ή πίστεως άξιος (59/60; vgl. 63). Bei der Behandlung des Aufstiegs in das römische Bürgerrecht durch den Heeresdienst erläutert Aristides dann deutlicher, daß das Auswahlprinzip nicht durch den Adel und die ständische Gliederung gegeben ist noch rhetorische Begabung jemandem das Bürgerrecht bzw. eine bessere Karriere verschaffen kann, sondern die Würdigkeit sich allein nach der Leistung (έργα) bemißt 46 . Damit sind nicht nur die Römer aller Städte und Völker in jenes κοινόν der Herrscher zusammen45
64: πολλοί μέν εν έκαστη πόλει πολΐται υμέτεροι ούχ ήττον ή των ομοφύλων, ούδ* ίδόντες πω τίνες αυτών την πόλιν, φρουρών δε ουδέν δει τάς ακροπόλεις εχόντων, άλλ' ol έκασταχόθεν μέγιστοι καΐ δυνατώτατοι τάς εαυτών πατρίδας ύμΐν φυλάττουσιν καΐ διπλή τάς πόλεις έχετε, ένθένδε τε και παρ* αυτών έκάστας. 6δ. φθόνος δέ ουδείς επιβαίνει της αρχής * αυτοί γάρ υπήρξατε του μη φθονειν, άπαντα είς τό μέσον καταθέντες καΐ παράσχοντες τοις δυναμένοις μή άρχεσθαι μάλλον ή άρχειν εν τω μέρει, ού τοίνυν ουδέ μίσος εκ τών άπολειπομένων ΰπεισι* διά γάρ το κοινήν είναι την πολιτείαν καΐ οίον πόλεως μιας, είκότως ούχ ως αλλότριων, άλλ' ώς οικείων <οί> άρχοντες άρχουσιν. Es wird anschließend weiter ausgeführt, daß das πλήθος, d. h. die Masse der Peregrinen in den Städten, keine Furcht vor den δυνατοί, die Aristides gerade als die römischen Bürger vorgestellt hat, zu haben braucht, weil sie unter Kontrolle der Römer (d. h. der römischen Verwaltung) stehen. Nach dem Zusammenhang können die δυνατοί hier wie im § 64 nur die Mitglieder der herrschenden Klasse in den Städten sein und also diejenigen, die die lokalen Magistraturen und den Rat stellen; vgl. O l i v e r 929. 46 85: άπασαν την οίκουμένην ούτως σώζετε τοις κοινοΐς αυτής (obwohl alle mss. κοινοΐς haben und αυτής S, die anderen αύτάς, αυτά oder αυτήν, emendierte K e i l κοινοΐς in κοινή und beseitigte αυτής bzw. die Varianten. Der klare Sinn der Überlieferung ist dadurch entstellt worden. Die richtige Wiederherstellung bei O l i v e r , die hier abgedruckt wird) πολίταις τε και ξένοις, ους, ώσπερ έφην, εξ απάντων προκρίναντες έξηγάγετε, ελπίδας τε παραστήσαντες τοις γιγνομένοις άγαθοΐς άνδράσι μή μεταμελήσειν — ού γάρ έξ ευπατριδών έσεσθαι τον άεΐ πρώτον δυνάμενον καΐ δευτέρων τον δεύτερον καΐ την άλλην τάξιν ωσαύτως, <άλλ'> ής αν έκαστος αξίας ή, ταύτην σχήσειν, άτε ού λόγων, άλλ' έργων ενταύθα κρινόντων τους αγαθούς —
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geschlossen, sondern der Begriff des κοινόν, den Aristides technisch für den Zusammenschluß aller römischen Bürger des Reiches verwendet 47 , umschließt auch diejenigen, die noch nicht Römer sind. Denn durch das Leistungsprinzip ist sozusagen jeder latent ein römischer Bürger. Die römische Bürgerrechts politik schließt folglich nicht nur Politen aller Städte zu einem κοινόν zu sammen, sondern auch die Peregrinen (ξένοι), die noch nicht römische Bürger geworden sind, können sich durch die allen in gleicher Weise gegebene Chance zu dem κοινόν zählen. Es gibt danach keine scharfe Trennungslinie zwischen römischen Bürgern und Peregrinen; der allgemeine Wunsch nach Aufnahme in den Bürgerverband und die allen gegebene Möglichkeit, diesen Wunsch auch erfüllt zu sehen, haben die alten Schranken des Personalstatus weitgehend auf gehoben. So wird die Welt entpolitisiert in dem Sinne, daß alle Politik von den Städten weg auf die Reichsebene verlagert wird. Die Welt der Einzelstädte als Gebilde mit politischen Wünschen und Erinnerungen versinkt in dem Maße immer mehr, in dem das politische Weltbild sich an der neuen Kategorie von Römern und Nicht-Römern orientiert. Die Einzelstadt hört auf, politisches Zentrum zu sein; und obwohl Aristides selbstverständlich die antike Welt als eine Welt von Städten sieht und das städtische Leben für die einzig mögliche Form mensch lichen Zusammenlebens hält, wird er eben deswegen die Neugründung von Städten durch Hadrian und andere Kaiser nicht gefeiert haben, weil sich nach ihm die Stadt als politisches Gebilde im Römerreiche auflöst und nur noch als Siedlungs-, Wirtschafts- und Verwaltungszentrum bestehenbleibt. Rom als die Polis der Römer bleibt als einzige politische Größe übrig. Aber diese Polis liegt nicht am Tiber, sie erstreckt sich über das ganze Reich, und der Reisende zieht auf seiner Fahrt durch die vielen Städte des Reiches sozusagen von Vaterstadt zu Vaterstadt 48 . 47 In dieser Bedeutung verwendet § 60 (κοινή της γης δημοκρατία; κοινή αγορά). 61 (άστυ κοινόν). 63 (γένος κοινόν). 65 (κοινή πολιτεία). 78 (τό κοινόν των αρχόντων; von Keil als Glosse aus dem Test genommen). 85 (οι κοινοί αυτής πολΐται τε και ξένοι). 102 (νόμοι κοινοί; γάμαι κοινοί). Der sonstige Wortgebrauch widerspricht dem nicht. Denn abgesehen von ganz allgemeinem Gebrauch, der unser Problem nicht berührt (32. 51. 56. 62. 100. 104), wird κοινός noch zur Bezeichnung Roms als des Weltzentrums von Handel und Gewerbe be nutzt (7. 11) und einmal zur Bezeichnung der Zusammengehörigkeit der Peregrinen mit ihren Landsleuten, die römische Bürger wurden (76). Gelegentlich, wie in den §§ 85 (s. o.) und 100 (γή πάντων μήτηρ καΐ πατρίς κοινή πάντων, άριστα ύμεϊς άπεδείξατε), bewirkt die Vorstellung des offenen Bürgerrechtes, daß die Bedeutung von κοινός nicht nur den römischen Bürgerverband, sondern alle Reichsuntertanen umfaßt. Ich kann nicht finden, wie Aristides nur durch die Verwendung des Wortes das Weltreich als ein κοινόν nach Art der hellenistischen Bünde vorstellen wollte, wie O l i v e r 889ff. will. Von diesen Bünden ist überhaupt nicht die Rede, und es erinnert die Bürgerrechtspolitik der Römer, wie Aristides sie klar ausführt, auch nicht im entferntesten an sie. 48 36: ώσπερ ol έν ταΐς κατά μίαν πόλεσιν, ούτω και ύμεΐς ώσπερ εν μια πόλει πάση τη οικουμένη πολιτευόμενοι τους άρχοντας καθίστατε [έπ' αύτοΐς] οίον εξ αρχαιρεσιών, 100. και μήν τό γε υπό πάντων λεγόμενον, δτι γή πάντων μήτηρ και πατρίς κοινή πάντων,
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Damit hat sich Aristides von der griechischen Vergangenheit distanziert. Er tonnte das tun, weil durch die Bürgerrechtspolitik Roms das Problem der Freiheit gelöst schien. Aber er erörtert das neue politische Bild nicht nur mit dem Blick auf die Vergangenheit der Griechen, sondern auch mit dem Blick auf die Zukunft Roms, das nun die Heimat aller Reichsbewohner ist. Denn da jeder die Verleihung des Bürgerrechtes als eine große Ehre ansieht, bemüht sich auch jeder um Leistung, und es erfüllt das Reich darv.m eine große Aktivität. Die Besten strömen gern in den Bürgerverband, und das neue römische Reich hat durch diese Einstellung der Reichsbewohner eine unerschöpfliche Quelle der Kraft. Die ganze Welt bildet für die Römer eine Kraftreserve, besonders für das Heer, an dessen Entwicklung dieses Zukunftsbild demonstriert wird (85/86). Und so gründet sich die Ewigkeit der römischen Herrschaft nicht nur einfach auf die Größe und Macht Roms, sondern sie ist die Folge der römischen Herrschaftsidee.
4. H e r r s c h a f t u n d F r e i h e i t im r ö m i s c h e n W e l t s t a a t Die beiden Themen der Rom-Rede, römische Verwaltung und Bürgerrechts politik, charakterisieren Rom als Demokratie und Weltstaat. Beide Gedanken komplexe aber dienen einem Ziel, nämlich der Beantwortung der Frage, wie Freiheit unter römischer Herrschaft möglich ist. Die Freiheit hat sich dabei gegen zwei Fronten zugleich zu verteidigen. Denn einmal ist die Freiheit der griechischen Stadt in Frage gestellt durch die römische Herrschaft, zum an deren die Freiheit des römischen Bürgers durch die Monarchie. Auf die Er örterung des letzteren Problems konnte Aristides deswegen nicht verzichten, weil die Lösung des einen Problems — die Freiheit der griechischen Stadt — nur dadurch möglich wurde, daß die Reichsuntertanen in das Bürgerrecht der Römer hineingenommen wurden. Beide Probleme haben die Römer nach Ari stides gelöst, sie, die άρχοντες ώς ειπείν κατά φύσιν (91), die allein von rechter Herrschaft wissen (58): Sie allein nämlich haben jene ideale Herrschaftsform gefunden, in der Freiheit und Herrschaft zugleich möglich sind49. Einige Über legungen zu diesem Bild einer idealen Herrschaft mögen die Gedanken des Aristides noch verdeutlichen. Das Problem der F r e i h e i t der g r i e c h i s c h e n S t a d t war von Aristides durch die römische Bürgerrechtspolitik gelöst worden, die die alte, vorrömische άριστα ύμεϊς άπεδείξατε. νυν γουν ε*ξεστι καΐ "Ελληνι καΐ βαρβάρω βαδίζειν δποι βούλεται ραδίως, άτεχνώς ώς εκ πατρίδος είς πατρίδα ίόντι. Die hier gegebene Interpretation der Gedan ken des Aristides zur Bürgerrechtspolitik scheint auch W i l a m o w i t z a.O. S. 337 im Auge zu haben, obschon der eigenwillige Stil des großen Gelehrten auch die gegenteilige Deutung zuließe. 49 34: τοσαύτην μέν γαρ έχοντες την αρχήν, ούτω δ' έγκρατώς καΐ κατά πολλήν έξουσίαν άρχοντες, εκείνο καΐ πολύ μάλιστα νενικήκατε, δ παντελώς υμών έστιν ίδιον. 36. μόνοι γαρ τών πώποτε ελευθέρων άρχετε; vgl. 91.
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Problematik aufhebt: Die Polis hört in dem Augenblick auf, ein politischer Be griff zu sein, in dem der Polite als römischer Bürger in der größeren Polis, Rom, aufgeht. Wer die Politik der Entnationalisierung (vielleicht richtiger wegen des leicht mißverständlichen Wortes: Entpolitisierung) positiv beurteilt, wie Aristides es tut, setzt aber voraus, daß der Begriff der Nation (Polis) gar nicht mehr Gegenstand politischen Eifers ist. Anders ausgedrückt: Aristides stellt wie selbstverständlich hin, daß jeder Grieche römischer Bürger werden will. Eine Alternative, wie etwa die, daß jemand lieber Bürger der Einzelpolie bleiben und dort von der alten Freiheit bewahren möchte, was zu bewahren möglich ist, stellt Aristides gar nicht vor. Tatsächlich wird von ihm der Begriff der herkömmlichen Politik so weit aufgelöst, daß der Gedanke an die Polis im alten Sinne anachronistisch erscheint. Die Notwendigkeit, sich in die neue po litische Situation hineinzudenken, wird nun von Aristides nicht durch den Hinweis darauf demonstriert, daß die Vergangenheit unwiderruflich vergangen ist, sondern sie erhält dadurch ihr besonderes Gewicht, daß die römische Herr schaft als mit der Weltherrschaft identisch gedacht wird. Der Gedanke an eine mögliche Eigenstaatlichkeit kann darum von außen nicht mehr an den ein zelnen herangetragen werden, und der Grieche, der über das römische Bürger recht zum Weltenherrscher aufsteigt, will nicht nur deswegen mit Eifer rö mischer Bürger sein, weil er damit an der Weltherrschaft teilhat, sondern schon deswegen, weil ihm für eine mögliche Alternative der politische Raum fehlt50: Die politische Entwicklung ist eindimensional und identisch mit dem Aufstieg in das Bürgerrecht. Doch damit, daß Aristides den Verlust der städtischen Freiheit durch die Teilhabe an dem Bürgerverband der Weltpolis Rom aufgewogen hat, ist das Problem der Freiheit im römischen Reich noch nicht gelöst. Denn in der Welt polis Rom zeigt sich die Problematik der F r e i h e i t erneut in dem Verhältnis des römischen Bürgerverbandes zur M o n a r c h i e . Aristides löste das Problem durch den Gedanken, daß die versachlichte Verwaltung nicht nur Sicherheit, sondern auch Freiheit und Gleichheit schafft und damit die Herrschaft (als Herr-Sein) eliminiert (s. o. S. 239f.). Aber es erheben sich im Anschluß daran einige Fragen. Unter der neuen Situation des Weltstaates bleibt zunächst offen, ob denn nur die R ö m e r an den Segnungen dieser Verwaltung (und damit an der Freiheit) teilhaben und wie überhaupt das Verhältnis von Römern zu Nicht-Römern an zusehen ist. Gibt es in dem Weltstaat Rom ein Herrschaftsverhältnis zwischen diesen beiden Gruppen? Aristides macht nun zwar an vielen Stellen deutlich, daß er mit seinen Gedanken zur Bürgerrechtspolitik den Gegensatz von Herr schern (Römern) und Untertanen (Nicht-Römern) nicht gänzlich verwischen 50 Der Umfang der römischen Herrschaft u n d die römische Herrschaftsidee stehen nach § 58 in einem engen Zusammenhang. Der Gedanke, daß R o m die ganze bewohnte Welt (οικουμένη) umfaßt u n d kein Reich früher dieses Ausmaß erreichte, beherrscht die ganze R e d e ; vgl. etwa 9.10.11 f.28.36.59.85f.97.99.101 f.
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will. Aber einmal tendieren die Öffnung des Bürgerrechtes durch die Römer und das eifrige Streben der Untertanen in das Bürgerrecht auf eine Nivellierung hin, zum anderen steht bei der allgemeinen Auflösung aller Eigenstaatlichkeit zu gunsten der einen Polis Rom die Masse von Bürgern wie Nicht-Bürgern ge meinsam dieser Polis (bzw. dem Kaiser) gegenüber51. Mit der Auflösung des alten Herrschaftsverhältnisses zwischen Rom und den peregrinen Städten wird also jenes andere HerrschafcsVerhältnis ζτν lachen RC^L und iezn einzelnen Bürger zwar akuter, aber es wird von Aristides nicht in ausgesprochener Weise als neues Herrschaftsverhältnis zwischen Römern und Nicht-Römern konstru iert und insbesondere dadurch ganz in den Hintergrund gedrängt, daß beide Gruppen Objekt der Verwaltung sind. Die Verwaltung uniformiert beide Perso nenstandsgruppen und stellt sie mehr oder minder gleichrangig (man könnte viel leicht sagen: als aktive und passive Politen der Polis Rom, insofern die Bürger Beamte und Soldaten sind bezw. sein können) dem Monarchen gegenüber. Eine weitere Frage ist die, inwieweit Aristides hier, wo seine Gedanken das Verhältnis von Freiheit und Monarchie berühren, mit dem Freiheitsbegriff der Prinzipatsideologie konfrontiert wird. Wächst bei ihm der zum Bürger ge wordene Peregrine gleichzeitig mit der Erwerbung des Bürgerrechtes in die Prinzipatsideologie hinein? Das ist nun deutlich nicht der Fall, und man wird sich darüber nicht verwundern, weil die Rede nicht von der römischen res publica, sondern von der griechischen Stadt her gedacht ist. Obwohl Aristides bei dem Aufstieg in das römische Bürgerrecht nicht nur an die Massen der peregrinen Soldaten und einfachen Bürger, sondern auch und sogar vor allem an die einflußreichen und vornehmen Mitglieder der städtischen Gesellschaft denkt (s. u. S. 271ff.),stellt er die Neubürger nicht in die traditionelle römische res publica hinein. Tatsächlich haben die Griechen, die bis in die höchsten Ämter aufstiegen, mit ihrem Eintritt in den Senat in denselben politischen Kategorien gedacht wie ihre Kollegen von altem Senatorenadel. Aber Aristides läßt die politische Bewußtseinslage dieser seiner zu großem Ansehen gekom menen Landsleute unbeachtet; sie interessiert ihn nicht, darf ihn auch nicht interessieren, wenn er die Frage der politischen Freiheit für die Gesamtheit der griechischen Städte und für die Massen der Politen lösen will; denn die Freiheits problematik des Prinzipats, in die viele oder sogar alle Senatoren von jungem Adel hineinwuchsen, betraf nur die Hocharistokratie, nicht auch den einfachen Bürger 52 . So ist Aristides mit den ideologischen Aspekten des Prinzipats nicht befaßt und daher frei von jenen schweren Sorgen, die die Werke des Tacitus durchziehen; er ist damit auch nicht genötigt, wie Tacitus und all jene anderen Kämpfer für die alte libertas, die kaiserliche Verwaltung von vorneherein als etwas anzusehen, das der Freiheit im Wege stehen könnte. Für ihn wird die Freiheit nicht in dem Maße verdrängt, wie die kaiserliche Verwaltung eng51 52
Vgl. S h e r w i n - W h i t e a.O. S. 260. Vgl. W. K u n k e l , Ztschr. Sav. Stiftg. 75, 1958, S. 339, und u.S. 266ff.
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maschiger wird. Im Gegenteil bedeutet ihm, der von einem ganz neuartigen Ausgangspunkt her das Weltreich betrachtet, die Verwaltung der eigentliche positive Kern der römischen Herrschaft und lassen sich seine Gedanken zu der Frage von Verwaltung und Freiheit sogar in Umkehrung des römisch-aristo kratischen Standpunktes dahingehend zusammenfassen, daß die Freiheit wächst, je dichter die Verwaltung wird. Allerdings bleibt dabei offen, was denn nun die Freiheit, die die Verwaltung schafft, beinhaltet. Daß sie trotz der Cha rakterisierung Roms als Demokratie nicht die Freiheit der alten Polis bedeuten kann, dürfte offenbar sein. Die Freiheit, die die Verwaltung schafft, ist natürlich nicht politisch zu ver stehen. Mit der Distanzierung von dem Freiheitsbegriff der Prinzipatsideologie entschwindet der alte, institutionell, d.h. durch die Gesetze gesicherte, bzw., nachdem im Prinzipat die Institutionen allmählich im Kaiser zusammen gewachsen sind, der durch den rechten Kaiser gesicherte politische Inhalt der Freiheit 53 . Auch besagt die neue Freiheit, die ihren Grund in dem Verwaltungs system hat, nicht, daß alle Menschen vor dem Monarchen den gleichen Bechtsstatus haben. Das ist deswegen nicht möglich, weil es — bei aller Zurückhaltung gegenüber einer scharfen Scheidung von Römern und Peregrinen — eben doch die Peregrinen gibt und weil, müssen wir dazu sagen, der Aufstieg in den rö mischen Bürgerverband (und damit in den aktiven Teil der Bewohner der Weltpolis) nicht allein und nicht einmal in erster Linie durch die Leistung, sondern durch ständische Qualifikation gegeben ist. Aristides hatte zwar, wie wir sahen (o. S. 245 f.), die Leistung als die entscheidende Bedingung für die Auf nahme in den römischen Bürgerverband hingestellt; die Theorie der Romanisierungspolitik, wie die Rede sie uns vorstellt, verlangte das auch. Aber es wird doch besonders dort, wo nicht von der Bürgerrechtsverleihung kraft Heeres dienstes, sondern von ihr ganz allgemein gesprochen wird, sehr deutlich, daß der Begriff der Leistung sehr eng gefaßt ist und er sich weitgehend mit dem der άξια deckt 54 . Aristides kann und will auch gar nicht leugnen (vgl. u. S. 271ff.), daß praktisch nur ganz bestimmte Personengruppen in den Städten für das römische Bürgerrecht qualifiziert sind. Er spricht nicht nur von den δυνατοί, πλούσιοι, γενναίοι usw. wie von gegebenen Größen, sondern er identifiziert sie geradezu öfter mit denen, die römische Bürger werden (59. 64. 65). Wenn Ari stides von Freiheit und Gleichheit spricht, so meint er damit nicht Gleichheit des Rechtsstatus und des Standes. Allerdings ruft der Gedanke an die un zähligen Menschen, die in den römischen Bürgerverband strömen, bisweilen den 53
Vgl. K u n k e l a.O. S. 340ff. 60: ξένος δ* ουδείς δστις αρχής ή πίστεως άξιος, άλλα καθέστηκε κοινή της γης δημο κρατία ύφ* ένί τω άρίστω άρχοντι και κοσμητη, καΐ πάντες ώσπερ εις κοινήν άγοράν συνίασι τευξόμενοι της αξίας έκαστοι; vgl. ο. S. 245f. und u. S. 271ff. Zu dem Verständnis der Demokratie bei Aristides vgl. die ausgezeichneten Ausführungen von Ch. G. S t a r r , The Perfect Democracy of the Roman Empire, Amer. Historie. Review 58, 1952, S. llff.; er hat bereits die Ζίδβτ^/δημοκρατία des 2. Jahrhunderts n. Chr. durch den Begriff der sozialen Gerechtigkeit interpretiert. 54
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251 Eindruck dieser rechtlichen Gleichheit hervor, und weil der Autor dem Zuhörer ja auch das Bild von der Weltpolis Rom und damit der alten Gleichheitsvorstellung der Polis aufzwingen will, liegt in diesem Eindruck auch eine Ab sicht des Redners. Aber nichtsdestoweniger bleibt die Tatsache, daß die recht liche und ständische Differenzierung in der Rede nicht aufgehoben ist; ja, sie ist sogar eine wesentliche Voraussetzung der Schrift (s. u. S. 271 ff.). Und tat sächlich wird die Gleichheit von Aristides auch nur im Zusammenhang mit der V e r w a l t u n g behandelt (s. o. S. 239.) und meint hier die gleiche gerechte Be handlung aller, die durch den Automatismus der Verwaltung gesichert ist. „Gleichheit*' ist hier also nicht in der modernen, absoluten Bedeutung zu fassen, sondern ist Gleichheit vor der Verwaltung im Rahmen des Standes und Status, den jemand hat. Die Differenzierung nach Stand und Recht beseitigt die Gleich heit nicht; sie berücksichtigt und unterstreicht zwar jene Spanne zwischen Bürgern und Peregrinen (und zwischen reich und arm), die oft verwischt scheint, aber Gerechtigkeit und Sicherheit werden deswegen für die Peregrinen nicht geringer, sondern behalten im Rahmen jener Differenzierung ihre Gültig keit. Mit dieser Einschränkung bedeutet die Freiheit für Römer wie für Peregrine dasselbe: die Sicherheit, vor dem Richterstuhl gerecht behandelt und in der sozialen Existenz gesichert und geschützt zu werden. Der Automatismus der intensiven Verwaltung schafft also wirtschaftliche und soziale Sicherheit (soweit das die Staatsgewalt sichern kann). Die kaiserliche Fürsorge erreicht auf dem Wege über den versachlichten Verwaltungsapparat in gerechter Ver teilung die Reichsangehörigen. Freiheit ist Sicherheit, aber n i c h t Sicherheit auf Grund herrschaftlicher G n a d e , sondern Sicherheit auf Grund einer in stitutionalisierten und versachlichten V e r w a l t u n g . Wenn man will, kann man diese Freiheit nach Aristides — wie die republikanische — eine institutio nalisierte Freiheit nennen: Der Verwaltungsapparat korrespondiert mit den die Freiheitsrechte begründenden Gesetzen und den Organen der Republik. Die neue Freiheit korrespondiert übrigens auch insofern mit der republikanischen, als auch ein wesentlicher Teil dieser — wie z. B. das Provokationsrecht — Schutz gegen Unrecht ist. Wenn Aristides die Freiheit mit Rechtssicherheit, mit sozialer Sicherheit gleichsetzt, so interpretiert er sie anscheinend so, wie wir heute die Freiheit in der Kaiserzeit auch zu verstehen gewohnt sind und wir zum Beweise der Rich tigkeit dieser Aussage auch kaiserzeitliche Autoren zitieren55. Auch wir sagen heute, daß der alte Freiheitsbegriff der Republik und des frühen Prinzipats im Laufe der Kaiserzeit schließlich nur noch Rechtssicherheit meint 56 . Anders als 65
S. u. S. 265ff. Vgl. Ch. W i r s z u b s k i , Libertas as a Political Idea at Eome during the Late Republic and Early Principate, Cambridge 1950, S. 159; L . W i c k e r t , Der Prinzipat und die Freiheit, Symbola Coloniensia, 1949, S. 140f.; ders., R E X X I I , 1954, s.v. Princeps, S. 2096ff., und dazu die treffenden Bemerkungen von K u n k e l a.O. S. 333ff.; über den Begriff der Rechtssicherheit ausführlicher u. S. 265ff. 58
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wir aber hat Aristides nicht die Prinzipatsideologie im Auge und sieht daher auch nicht jenen Entwicklungsprozeß des Freiheitsbegriffes. Für ihn haben die Römer als Weltenherrscher durch ihre freiheitliche Gesinnung und ihre Herrscherbegabung die Freiheit in die Welt gebracht, und er betrachtet darum die Freiheit als Rechtssicherheit nicht als eine ,,deklassierte*' Freiheit, die aus einer anderen, besseren abgeleitet ist. Tatsächlich meint denn auch die Freiheit als Rechtssicherheit, wie sie Aristides versteht und wie wir sie — von der Ideologie des Prinzipats her — verstehen, jeweils etwas ganz Verschiedenes. Wir haben, wenn wir von Freiheit sprechen, immer einen ganz bestimmten Personenkreis (die Aristokratie) und einen ganz beschränkten Tätigkeits bereich dieses Personenkreises (die öffentliche Tätigkeit) vor Augen. Aristides hingegen dachte an die Freiheit (als Rechtssicherheit) aller Menschen in allen Situationen des Lebens und dachte damit an einen Personenkreis, der schon in der späten Republik nicht mehr im Besitz dessen war, was man damals unter Freiheit verstand. Der Inhalt von Freiheit und Demokratie, der Aristides vorschwebt, wird auch in den Kapiteln über die Mischverfassung deutlich (90/91). Der Versuch des Aristides, den römischen Idealstaat, wie er ihn sieht, mit dem Idealstaat der griechischen Staatstheorie zu verbinden, ist ziemlich oberflächlich57 und nur darin interessant, wie das „Volk" und der Kaiser hier gesehen werden. Eine Demokratie nämlich ist hiernach Rom insofern, als der δήμος alles erlangt, was er wünscht (bzw. was er gerechterweise wünschen kann, müssen wir mit Ari stides hinzufügen); eine Monarchie insofern, als der Kaiser an der Spitze steht, von dem das Volk alles erlangt, was es fordert (bzw. was es gerechterweise fordern kann), und die ολίγοι, (die δυνατοί) die Herrschaft und die Macht er langen, die sie wünschen 58 . Abgesehen von dem aristokratischen Bestandteil 57 So wird z . B . von Aristides — wie auch von der Staatstheorie — der Senat als das aristokratische Element der Verfassung gesehen (90). Der Gedanke ist innerhalb des sonst ziemlich geschlossenen Bildes vom römischen S t a a t bei Aristides sehr fremdartig. Senat und römische Aristokratie spielen hier nicht n u r überhaupt keine Rolle, sondern der mit Emphase betonte Gehorsam der Beamtenhierarchie unter dem Kaiser, der im 1. H a u p t teil breit ausgeführt wird, widerspricht sogar einer etwaigen selbständigen Rolle des Senats in dem Staatsbild unseres Redners. E s ist klar, daß hier ein Stück der PrinzipatsVerfassung dazu dient, die Verbindung zur älteren Staatstheorie aufrechtzuerhalten. — E. S c h ö n b a u e r , Reichsrecht gegen Volksrecht? Studien über die Bedeutung der Constitutio Antoniniana für die römische Rechtsentwicklung, Ztschr. Sav. Stiftg. 51, 1931, S. 327ff., sieht in den Kapiteln über die Mischverfassung eine aktuelle Staatslehre. S c h ö n b a u e r rechnet augenscheinlich nicht m i t Topologie; die außergewöhnlich ober flächliche Behandlung der Mischverfassung zeigt zudem, wie wenig das T h e m a selbst als Topos noch zu bedeuten h a t t e . 58 90: ώστε δταν μεν εις την του δήμου τις ίσχύν βλέψη, και ως απάντων ών άν βουληθή τε καΐ αίτηση £αδίως τυγχάνει, δημοκρατίαν νομιεΐ καΐ ουδέν ένδεΐν πλην ών έξαμαρτάνει δήμος εις δέ τόν πάντων τούτων έ^ρορόν τε και πρύτανιν βλέψας, παρ' ου τω τε δήμω το τυγχάνειν ών βούλεται και τοις ολίγοις τό άρχειν καΐ δύνασθαι, τούτον εκείνον όρα, τόν την τελεωτάτην έχοντα μοναρχίαν, τυράννου τε κακών άμοιρον και βασιλέως σεμνότητος μείζονα.
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der Verfassung, der in der Rede sonst nicht die geringste Rolle spielt und nur um der Anlehnung an die Staatstheorie willen konstruiert ist (vgl. Anm. 57), sind die Glieder der MischVerfassung nicht mehr institutionell verstanden. Die Idealität der Verfassung beruht nicht mehr auf dem wohlabgewogenen Gleich gewicht ihrer Institutionen, sondern darauf, daß die Wünsche erfüllt und ge währt werden. Mit anderen Werten: Das Gleichgewicht der einzelner. Ver fassungsorgane, das in der Mischverfassung der Theorie die politische Freiheit, die^Sicherheit und das Gesetz sichern soll, ist bei Aristides durch das ideale Ziel der Mischverfassung selbst ersetzt: Die Institutionen, die nach der alten Theorie Gerechtigkeit und soziale Sicherheit (sowie die politische Freiheit) erst ermöglichen sollen, sind hier verschwunden, und an ihre Stelle sind die Ge rechtigkeit und die soziale Sicherheit selbst getreten. Aristides hätte besser daran getan — statt die Erfüllung der Wünsche an die Stelle der Verfassungs organe zu stellen —, dort jene Herrschaftsprinzipien einzusetzen, die nach ihm — wie ich hier zu zeigen versuchte — die Erfüllung der Wünsche garantieren (Verwaltung, Bürgerrechtspolitik). Er hätte damit diesen Herrschaftsprinzipien einen funktionellen Charakter innerhalb der „Verfassung" gegeben, und sein Bezug auf die ideale Verfassung der Staatstheorie, die in Funktionen denkt, wäre klarer geworden. Aber selbst dann bliebe die Verbindung zur Staats theorie der Vergangenheit natürlich höchst fragwürdig, weil eben die Voraus setzung für eine Verfassungstheorie — die institutionelle Gliederung von Macht — nicht gebracht ist. Für uns sind nichtsdestoweniger seine Bemerkungen zur „Mischverfassung" deswegen interessant, weil Aristides durch sie sein Ver ständnis von Rom als Demokratie erläutert: In dem Weltstaat Rom erhält jeder, was er wünscht (Sicherheit, Gerechtigkeit, Wohlstand, Glück), und diese soziale Sicherheit ist genau das, was Aristides hier Demokratie nennt. Wenn er die Demokratie im Auge hat, denkt er also nicht institutionell. Er spricht nicht nur nicht von den Verfassungselementen der älteren Staatstheorie, sondern nicht einmal von jenen Herrschaftsprinzipien, die er in seiner Rede als die von den Römern geschaffenen Voraussetzungen für die soziale Sicherheit anführt (Verwaltung, Bürgerrechtspolitik) und die allenfalls noch die Stelle von In stitutionen hätten einnehmen können; er identifiziert vielmehr die Demokratie mit dem, was ein Staat auf dem sozialen Sektor idealerweise erreichen kann. Und die Monarchie, die hier neben der Demokratie steht, meint im Grunde dasselbe wie Demokratie: Sie hat nur eine andere Rolle in jenem Geben und Nehmen, das Gerechtigkeit, Sicherheit und Wohlfahrt schafft. Der Umstand, daß hier Demokratie und Monarchie austauschbare Begriffe sind, hat seine Ur sache natürlich ebenfalls darin, daß Aristides den Charakter einer herrschaft lichen Ordnung nicht danach mißt, welche Institutionen innerhalb des Staates das größte Gewicht haben, sondern danach, welchen Erfolg die Herrschafts praxis hat: Bei ihm steht nicht die Verfassung, sondern die Herrschaftspraxis im Mittelpunkt.
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• In der Welt-Polis Rom besitzt also jeder die Freiheit, die auf der Garantie der sozialen Sicherheit und der Gerechtigkeit beruht 59 . Niemand entbehrt in ihr die alte Freiheit der Stadt gegenüber dem Ausland, weil sie in dem ent politisierten Weltstaat gegenstandslos geworden ist. Auch die „innere" Freiheit der Einzelpolis geht in dem Weltstaat nicht verloren. Die römische Verwaltung, von der die ganze Welt durchdrungen ist, schafft Gerechtigkeit und Sicherheit nicht nur in gleichem, sondern in noch weit besserem Maße als die Organe der alten städtischen Demokratien. Niemand fühlt sich daher von der Verwaltung bedrückt bzw. „beherrscht", sondern erhält durch die Abwesenheit jeglicher Willkür in der versachlichten Verwaltung ein individuelles Freiheitsgefühl, das ihn das Fehlen gesetzlicher Freiheitsgarantien vergessen läßt. Ja, wegen der Wirkungsgleichheit von römischer Verwaltung und griechischer Demokratie kann diese Freiheit auch selbst eine demokratische Freiheit genannt werden, denn es haben an ihr alle in gleicher Weise Anteil. Aber sie ist weder als In stitution noch als Gesetz fixiert; sie ist überhaupt kein Element der „Ver fassung" oder des positiven Rechtes. Sie ist vorhanden und gesichert allein durch die Herrschaftsauffassimg der Römer: Die Prinzipien der römischen Herrschaft sind das Freiheitsrecht der neuen Zeit60 . Man könnte gegen die hier vorgetragene Analyse der Rede einwenden, daß an ein paar rhetorischen Wendungen, die Aristides vielleicht mehr um der Wirkung auf das Publikum willen gewählt und deren theoretische Begründung er wenig durchdacht habe, eine Diskussion angeschlossen worden sei, die den politischen Gehalt der Rede weit überfordere. Diesen Vorwurf aber kann man billigerweise gegen jede Interpretation erheben, die eine politische Schrift über den reinen Wortzusammenhang hinaus auf den Ursprung der (dem Autor nicht in jedem Einzelfalle bewußten) Denkschemata zurückzufüliren und in die der Zeit gegebenen Vorstellungen politischen Daseins einzuordnen sucht. Für die Interpretation der vorliegenden Rede ist der Vorwurf insbesondere deswegen zurückzuweisen, weil die Überlegungen des Aristides sich deutlich von der po litischen Literatur der Zeit abheben: Aus dem Unterschied zwischen der ge59 Zu dem Inhalt der neuen Freiheit gehören nach Aristides nicht nur die gleiche und gerechte Behandlung vor Gericht (38/39) und die gleichen Chancen für den sozialen Aufstieg (60.63.85), sondern auch die Freizügigkeit innerhalb des Reiches (100—102). 60 An diesen Segnungen der römischen Herrschaft haben die Barbaren, die außerhalb des Reiches wohnen und die als nicht zur Oikumene gehörig gedacht werden, keinen Anteil. Das Gefühl, das ihnen der Reichsbewohner entgegenbringt, ist daher Mitleid (99). In Übereinstiinmung mit der defensiven Haltung der Römer gegenüber den Grenznachbarn in dieser Zeit fordert Aristides die Römer nicht auf, die barbarischen Völker in das Reich hineinzunehmen. Aber im § 96, wo er indes wohl in erster Linie an die Barbaren innerhalb der Reichsgrenzen denkt, spricht er doch von einem Erziehungsauftrag der Römer ihnen gegenüber. Anders aber als etwa bei Vergil ergibt sich das kulturelle Gefälle nicht aus der moralischen Überlegenheit des römischen Volkes, sondern aus der ratio der römischen Herrschaftsstruktur. Die kulturelle Überlegenheit Roms besteht also unabhängig von dem nationalen Römertum.
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brcäuchlichen politischen Denkweise und der des Aristides ergeben sich zwingend wichtige Rückschlüsse auf ein gewandeltes politisches Bewußtsein, das — mag es auch auf einen kleinen Personenkreis beschränkt gewesen sein — dazu be rechtigt, die Rede genauer zu analysieren, als sie es vielleicht von ihrem Anlaß oder von der Art und Weise, wie sie durchgeführt ist, verdient. Selbst wenn die der Rede zugrunde liegenden Gedanken nur bruchstückhaft zutage treten oder sie durch die Rhetorik oder die Gattung des Enkomions „zerredet" sein sollten, verlangen sie allein deswegen besondere Aufmerksamkeit, weil sie in ihrer Art einmalig sind. Ich habe auf den vorangehenden Seiten versucht, die Rede nicht nur als eine in sich selbst ruhende Aussage des Aristides zu interpretieren, sondern gleichzeitig die Linien aufzuzeigen, die von ihr zu den politischen und staats theoretischen Vorstellungen der Gegenwart oder Vergangenheit gehen. Einige zusammenfassende Bemerkungen, die manches von dem, was bereits gesagt wurde, wieder aufnehmen, sollen das gewonnene Bild abrunden. Die von der älteren Literatur abweichende Einstellung unseres Red ners zur römischen Herrschaft zeigt sich vor allem in dem Verzicht der Argumentation auf die Verfassungslehre und auf die Staatsphilosophie61, so wohl auf diejenige Philosophie, die sich mit der Verfassungslehre beschäftigt, als auch auf diejenige, die für die Monarchie ethische Normen aufsetzt und sie rechtfertigt. Auch die Probleme von Ursprung und Entwicklung des ma teriellen Rechtes, das die zwischenmenschlichen Beziehungen und das Ver hältnis zwischen Staatsgewalt und Untertanen regelt, spielen in den Gedanken des Aristides keine Rolle. Es ist mithin alles, was in der Moderne unter das Staatsrecht (einschließlich des Verhältnisses zur Gesetzgebung und Recht sprechung) fällt, beiseite gelassen. Es ist überhaupt nicht vom „Staat" die Rede, und es bleibt sogar offen, ob die von Aristides geschilderte römische Herrschaft (nach der antiken Staatstheorie) in einer „Verfassung" ist. Diese Feststellung allein ist schon interessant, weil sie in gewissem Sinne den Endpunkt der an tiken Staatsrechts- bzw. Verfassungsrechtstheorie bestimmt. Die Staatslehre er örtert nunmehr nicht weiter die Bedingungen, unter denen sich Menschen zu einer Gemeinschaft zusammenschließen. Der Staat bedeutet jetzt Herrschaft schlechthin, und Aristides trägt dieser Erkenntnis mit aller Deutlichkeit Rech nung. Es braucht nicht hervorgehoben zu werden, daß er diese Einsicht nicht von ungefähr erworben hat, sondern sie ihm durch seine Zugehörigkeit zu dem jenigen Teil der Reichsbewohner nahegelegt war, für den der römische Staat immer Herrschaft bedeutet hat; ein Angehöriger der römischen Aristokratie hätte das Kaiserreich nicht so charakterisieren können. Da Aristides den rö mischen Staat von dieser anderen, neuen Warte betrachtet und er ihn des wegen viel umfassender, nämlich als die Einheit aller Bewohner des Reiches sieht, ist er auch imstande, die Probleme des Weltreiches als Probleme eines 61
Die Gedanken des Aristides zur Mischverfassung widersprechen dieser Aussage nicht, sondern bestätigen sie, wie die Ausführungen o. S. 252 f. und u. S. 259 beweisen.
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Weltstaates zu verstehen. Seine Überlegungen bieten auch gute Ansätze zur Entwicklung einer Lehre von dem Aufbau und von dem Wesen dieses Welt.Staates. Sie sind nicht weiterverfolgt worden, weil die Aristokratie dem Prinzipatsgedanken verhaftet blieb und weil die geistig führenden Menschen des griechischen Ostens mit geringen Ausnahmen allen politischen Fragen gegenüber indifferent waren. Eine andere wichtige Feststellung, die wir der Rede entnehmen können, ist die, daß der Staat als reine Herrschaft für alle Reichsbewohner in gleicher Weise gilt, sowohl für diejenigen, die römische Bürger sind, als auch für die jenigen, die es nicht oder noch nicht sind. Ich habe zwar deutlich hervor gehoben (s. o. S. 244ff., 248 f.), daß nach Aristides im römischen Reich der Unter schied zwischen Römern und Peregrinen nicht aufgehoben ist; ja, die Aufrecht erhaltung dieser Scheidung will offenbar, wie noch zu zeigen sein wird (s. u. S. 271ff.),nicht nur einfach den wirklichen Verhältnissen Rechnung tragen, sondern hat noch eine besondere, politische Funktion. Aber der Unterschied zwischen Römern und denen, die es nicht sind, läuft doch lediglich darauf hinaus, daß die Römer in der Verwaltung und in der Verteidigung Träger herr schaftlicher Funktionen sein können; als solche — und das wird in der Rede deutlich ausgeführt — sind sie jedoch nur reines Instrument der Herrschaft und bleiben also auch selbst Gegenstand der Herrschaft. Obwohl alles in das rö mische Bürgerrecht hineinströmt und Aristides diese Entwicklung so lobend hervorhebt, erhält die besondere Funktion des Römers in dem politischen Bild des Aristides keine festen Umrisse. Die Ursache hierfür scheint mir darin zu liegen, daß die Römer und das römische Bürgerrecht nur dort von den Pere grinen und dem peregrinen Recht abgehoben werden, wo von der Ausbreitung des Bürgerrechtes gesprochen wird; darüber hinaus treten die Römer als be sondere Gruppe kaum in Erscheinung. Aristides denkt also, wenn er von den Inhabern des römischen Bürgerrechtes spricht, viel weniger daran, daß sie innerhalb der Herrschaft eine Funktion haben könnten, als daran, daß sie für die Herrschaft des Weltstaates eine notwendige Voraussetzung bilden: Nicht die Römer haben eine Funktion, sondern die Romanisierung: Die Verbreitung des Römernamens dient der Auflösung der alten staatlichen Welt und der Auf richtung und Konsolidierung des neuen Weltstaates. Innerhalb des Welt staates selbst aber treten die Römer als Gruppe kaum hervor. Sie sollen zwar die Peregrinen überwachen (64); aber diese Aufgabe tritt in dem Maße zurück, wie das Streben der Peregrinen in das Bürgerrecht zunimmt. Die positive Ein stellung aller Untertanen zu den Herrschaftsprinzipien Roms macht die Überwachung zu einer außerordentlichen Aufgabe, die sogar in dem idealen Bild vom Reiche, wie Aristides es uns vorführt, überflüssig wird. Da zudem auch die Römer selbst Gegenstand der Herrschaft sind, liegt offenbar der Vor zug, Römer zu sein, vor allem darin, sich so nennen zu dürfen, also in dem Namen, durch den man (scheinbar) der Herrschaft bzw. den Herren näher ist. Eine weitere Wirkung des Aufstieges in das Bürgerrecht ist natürlich, daß der
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Inhaber desselben aus dem peregrinen in den römischen Rechtskreis über wechselt; aber Aristides selbst spricht nicht davon, und nur wer behaupten wollte., daß die prekäre Situation des peregrinen Rechtskreises in der Rechts praxis relevant gewesen sei, wird dem für die Stellung des Römers innerhalb der Herrschaft überhaupt eine Bedeutung zumessen. Auch dieser Gedanke hilft also nicht, dem Römertum bei Aristides Gewicht zu verleihen. Man darf hin gegen nicht einwenden, daß der römische Bürger tatsächlich Vorteile hatte, daß er etwa bei Handelsgeschäften von den Behörden bevorzugt wurde. Mit solchen und ähnlichen Usancen der Praxis haben wir es hier nicht zu tun, sondern mit den Darlegungen des Aristides, und mit ihnen läßt sich diese Über legung nicht vereinbaren. Aber wenn wir auch hier zunächst nur das von Ari stides vorgeführte Idealbild interpretieren wollen, so dürfen wir den Zusammen hang des idealen Gemäldes mit der Wirklichkeit doch nicht aus dem Auge ver lieren. Ja, die besondere Art und Weise, in der idealisiert wird, weist auf kon krete Probleme der Wirklichkeit hin und enthüllt die Motive, die den Autor zu seinen Darlegungen geführt haben. Und dies gilt besonders für die Charakte risierung des Verhältnisses von Römern zu Nicht-Römern. Denn die Tendenz der Rede, die Römer als Gruppe verschwimmen zu lassen und damit die Spannung zwischen ihnen und den Peregrinen aufzuheben, berücksichtigt nur die politisch-rechtliche Seite des Verhältnisses und verschweigt seine soziale Kom ponente, die für die Bürgerrechtspolitik der Zentrale in dieser Zeit nicht un wichtig war 62 . Es wäre daher auch verkehrt, aus der Rede schließen zu wollen, daß Römer und Peregrine schon ζ. Ζ. des Aristides sich ausglichen und daß die Rede ein Beleg dafür ist, daß die constitutio Antoniniana, die der Bürgerrechts frage nur noch formalen Wert beimißt, sich bereits vor der Mitte des 2. Jahr hunderts ankündigt. Mir scheint die Rede viel eher zu beweisen, daß Bürger recht und Sozialprestige jedenfalls in den griechischen Städten noch mit einander verbunden waren. Denn Aristides geht ja bei allen seinen Gedanken von dem Unterschied der Personalstatus aus, und sein Bemühen, den Unter schied durch die Darstellung zu verwischen, verfolgt nicht das Ziel, ihn gänzlich zu beseitigen, sondern scheint ihn durch die grundsätzliche Anerkennung eher noch rechtfertigen zu wollen. Es wäre daher denkbar, daß Aristides mit seiner ausgleichenden Darstellung des Verhältnisses von Römern zu Nicht-Römern bestehende soziale Spannungen verhüllen will und hinter seiner Skizze der Bürgerrechtspolitik, die die römischen Bürger von den Peregrinen nicht scharf abhebt, die Absicht steckt, das soziale Gefälle, das zwischen den Gruppen be62 Nach allem, was wir über die Bürgerrechtspolitik der Römer gegenüber den Städten wissen, war der römische Bürger im Osten in aller Regel der sozial Stärkere. E s dürfte die Solidarität der sozial besser gestellten Schichten im Reiche sich geradezu über das Bürgerrecht entwickelt haben bzw. durch das Bürgerrecht gefördert worden sein. Z . Z . der constitutio Antoniniana waren diese Schichten dann bereits so weit eine Einheit, daß das Bürgerrecht als einigendes B a n d entfallen und die Verleihung des Bürgerrechtes an alle auf rein rechtlicher Basis erfolgen konnte.
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stand, zu verwischen. Aber mag diese Vermutung auch richtig sein, sie betrifft nicht die Darlegungen der Rede selbst, die in sich verstanden sein wollen, sondern weist lediglich darauf hin, wie sie entstanden sein können (s. u. S.271ff.). Wenn der römische Staat nur Herrschaft ist, hat der Bürger bzw. Untertan in seinem Verhältnis zum Staat (in diesem Falle ist es ja einerlei, wie man ihn bezeichnet; Bürger ist der römische Bürger dem Namen nach, Untertanen sind alle der Sache nach) lediglich mit der Ordnung zu tun, in der sich die Herrschaft manifestiert. Schon der Umstand, daß es eine herrschaftliche Ordnung, nämlich die Verwaltung, gibt, hebt die römische Herrschaft nach Aristides aus den ver gleichbaren älteren Herrschaften heraus; ihre hervorragenden Prinzipien aber machen aus ihr einen idealen Staat. Es will uns hier weniger befremdlich er scheinen, daß Aristides die Untertänigkeit aller Menschen und damit die Not wendigkeit einer rein herrschaftlichen Ordnung feststellt, als daß er diesen Tatbestand zum Gegenstand eines Preises macht, und man könnte glauben, daß der Preis nicht auf die herrschaftliche Ordnung an sich gehe, sondern darauf, daß die römische Ordnung die am wenigsten bedrückende Herrschaft sei. Dieser Interpretation widerspricht Aristides jedoch ausdrücklich 63 ; und ich glaube, daß man diesen Widerspruch nicht allein aus der Situation des Lob redners verstehen und unbeachtet lassen darf. Ein Lobredner nämlich, der das römische Weltreich — nicht den Princeps oder die Monarchie — preisen wollte, hatte keine andere Wahl, als die reine Herrschaft zum Gegenstand seines Enkomions zu machen. Rom war kein Stadtstaat, sondern ein Weltreich. Jeder antike Staat aber, der über den Raum einer Polis hinausging (er brauchte nicht einmal ein Großreich zu sein), bedeutete nun einmal ungebundene (d.h. durch Verfassungsrecht nicht gebundene) Herrschaft (die Bünde der hellenistischen Zeit können außer acht bleiben, weil sie in dem hier verstandenen Sinn keine Staaten sind). Denn alle Fragen um Herrschaft und „Verfassung*' sind an die Einzelstadt gebunden einfach deswegen, weil die antike Kultur jenseits der Stadt keine Formen politischer Organisation entwickelt hat, die als Möglich keiten menschlichen Zusammenlebens anerkannt und durchdacht worden wären. Die räumliche Gebundenheit aller Verfassungstheorie zwingt daher a priori denjenigen, der mit seinen Überlegungen den Rahmen der Polis verläßt, zur Auseinandersetzung mit der reinen, durch keine Schranken des Rechts ein gedämmten Herrschaft. Und es macht gerade den Reiz und die Besonderheit der Gedanken des Aristides aus, daß sie der Konfrontierung mit dem römischen Reich als herrschaftlicher Ordnung nicht ausweichen und nicht jenen billigen Ausweg gesucht haben, das Problem auf die Ebene der Ethik zu heben und damit aus der politischen Wirklichkeit auszuklammern. Ohne die Bedeutung des herrschaftlichen Ethos zu leugnen (es wird ja auch, wenn auch zurück haltend davon gesprochen), hat Aristides doch erkannt, daß die Problematik 63
68: άρχειν μέν γαρ οΐς μη δύναμις ού σωτήριον, άρχεσθαι δ* ύπο των κρειττόνων ό δεύτερος, φασί, πλους, ύπό δέ υμών νυν καΐ πρώτος απεφάνθη.
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der römischen Herrschaft wie ihre Vorzüge in der herrschaftlichen Ordnung selbst liegen und daß derjenige, der das Reich preisen will, sich mit ihr zu be fassen hat. Die Verwaltung und Bürgerrechtspolitik sind von ihm eindrucks voll als die wesentlichen Elemente dieser Herrschaft herausgestellt worden, denen Ideen immanent sind, die — ohne sich selbst in Verfassungsrecht zu kleiden — doch mit den Ideen verglichen werden können, die auch den Ver fassungen der Städte zugrunde liegen. Aber trotz allem bleibt Aristides dem Verfassungsdenken doch weitgehend verhaftet. Er findet für das, was er entdeckt hat, keine neuen Worte und Be griffe, sondern kleidet es in die ihm vertraute Terminologie, weil nach seiner Vorstellung ein Idealstaat, als den er Rom zeichnen will, ohne das Vokabular der Staatstheorie undenkbar ist. Der Zwiespalt, der auf diese Weise in seine Gedanken hineinkommt, dürfte die Ursache dafür gewesen sein, daß mancher moderne Leser die Rede als wertlose Spekulation verdächtigte. Im Grunde aber ist die terminologische Einkleidung sehr durchsichtig und läßt sich von den Grundgedanken klar scheiden. Aristides, der das römische Weltreich nicht von den Verfassungsschemata her interpretieren kann, weil es von dorther als reine Herrschaft diffamiert ist, bringt nämlich die Termini der Verfassungslehre, auf die er nicht verzichten kann und will, auf einem Umwege in die Diskussion hinein: Das Problem um Herrschaft und Freiheit/Verfassung, das die Staats theorie in das Zentrum ihrer Überlegungen stellt, wird von ihm einfach auf eine Ebene gehoben, auf der nicht die Formen, sondern der Zweck und das Ziel staatlicher Ordnung die entscheidende Rolle spielen. Die beiden Staatsgebilde, um die es geht — die Polis und das römische Kaiserreich —, unterscheiden sich auf der neuen Ebene zwar in ihren Formen, aber nicht in ihrem Effekt; und da der Effekt der gleiche ist und es nach Aristides auf ihn allein ankommt, kann die römische Ordnung gleichzeitig mit den Begriffen der römischen Herrschaft und mit denen der Polisverfassung terminiert werden. Die Antinomie von Herrschaft und Freiheit wird so zu einer rein formalen Gedankenkonstruktion, die in Anbetracht des gleichen Herrschaftszieles der Staatsformen unwichtig wird. So kann denn Aristides von der Weltpolis Rom und römischer αρχή, von Demokratie und Monarchie und von Freiheit und Gehorsam in einem Atemzug sprechen, ohne einen Widerspruch zu empfinden. Er kann die Diskrepanz der Begriffe unbeachtet lassen, weil sich ihm in dem einheitlichen Ziel der ver schiedenen Staatsformen der reale Inhalt ihrer (verschiedenen) politischen Be griffe auflöst. Die Paradoxien der Rede, wie etwa die, daß das römische Welt reich eine Demokratie unter einem Kaiser ist 64 , oder jene, daß die Römer über Freie herrschen 65 , bestehen daher nur für den, der die Begriffe von der po litischen Vergangenheit oder von der Staatstheorie her versteht, nicht für das ideale Rom-Bild des Aristides. e
* 60: κοινή της γης δημοκρατία ύφ* ένΐ τώ άρίστω άρχοντι καΐ κοσμητη. es 36 (zitiert o. Anm. 30).
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Aber die Bindung des Aristides an das Verfassungsdenken ist mit dieser Feststellung allein noch nicht hinreichend beschrieben. Ja, seine Bemühungen, die Einheitlichkeit des Herrschaftszieles von Polis und Weltreich vorzuführen, stehen überhaupt nicht im Mittelpunkt der Rede; sie scheinen sogar an den wenigen Stellen, wo sie sichtbar werden, weniger von den Gedanken der Rede selbst verursacht als von außen her an die Rede herangetragen zu sein; die Kapitel über die Mischverfassung sind beinahe eher gebracht worden, um der Staatstheorie aus dem Wege su gehen, als um sich mit ihr auseinanderzusetzen. Für das Verhältnis der Rede zur traditionellen Staatslehre ist daher viel wich tiger als diese „Diskussion"c mit den Theorien der Vergangenheit der Umstand, daß Aristides auch für die t r a g e n d e n Gedanken seiner Rede mit den po litischen Begriffen arbeitet, die aus der Theorie bzw. aus der politischen Wirk lichkeit der Vergangenheit stammen. Mit anderen Worten: Die neuen Ge danken werden vielfach in alte Termini eingekleidet und erscheinen daher in einem Zwielicht. Am klarsten ist das wohl an dem Grundgedanken der Schrift abzulesen: Den Mittelpunkt der Gedanken zur römischen Weltherrschaft bildet die Überlegung, daß das römische Weltreich eine Herrschaft ist, die in der Praxis der Herrschaftsausübung den Bürgern bzw. Untertanen Freiheit ga rantiert. In der Verwaltungspraxis und in der Bürgerrechtspolitik entdeckt Aristides die arcana römischer Herrschaft, die Freiheit schaffen, indem jene durch ihren besonderen Aufbau allen Reichsbewohnern Rechtsschutz gibt und diese durch die Auflösung der Einzelstaaten den Weltstaat hervorbringt, in dem sich jeder als Bürger fühlen kann. Und gerade dieser Versuch, den freiheitlichen Charakter der römischen Herrschaft in den E l e m e n t e n d i e s e r H e r r s c h a f t selbst zu suchen, beeindruckt den heutigen Leser viel mehr als jene vagen Ver bindungen zur Staatstheorie, die ich vorher erwähnt habe. Und es sind darum auch diese Gedanken, die aus dem Enkomion ein Stück politischer Literatur von einmaligem Rang machen. Aber nicht nur sie selbst verdienen Auf merksamkeit, sondern auch die Schwierigkeiten, die Aristides hatte, um sie so zu formulieren, daß seine Hörer ihn verstehen konnten. Die Diskrepanz zwischen dem, was Aristides von römischer Verwaltung und Bürgerrechts politik erzählt, und bestimmten Formulierungen, mit denen er das Erzählte vorbringt, ist groß, und bisweilen ist der moderne Leser geneigt, jene For mulierungen als leere Floskeln einfach beiseite zu schieben. Aber wer glaubt, so den „wahren" Aristides entdeckt zu haben, irrt. Der Wille des Aristides, in der Herrschaft die Freiheit zu entdecken, ist so elementar, daß ohne ihn kein Satz der Schrift mehr verständlich ist 85a . Der Leser muß sich daher mit der Vorstellung e5a Es ist bezeichnend, daß Aristides den Begriff der Sicherheit nicht verwendet, sondern dafür Freiheit oder auch Gerechtigkeit sagt. Die ασφάλεια wird nur an einer Stelle in Verbindung mit der römischen Herrschaft genannt; sie meint hier Sicherheit des Reisenden, der ohne Furcht vor Feinden, Räubern und der Unbill der Natur das Weltreich durchziehen kann (90). Der Schutz des Reichsbewohners gegen fremde Bedrückung und die Erleichterung des Reisens auf den weltweiten Verkehrswegen sind
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von Freiheit, die Aristides hat, auseinandersetzen, und d.h., er muß stets vor Augen haben, daß der von Aristides benutzte Begriff von Freiheit dem Gegen stand der Rede nicht adäquat ist. Aristides hat keine Vorstellung davon, daß Freiheit ein schillerndes Wort ist; er macht sich überhaupt keine Gedanken darüber, was sie bei den Römern bedeuten könnte oder ob sie überhaupt etwas anderes sein könnte als das, was man in der griechischen Literatur darunter verstand. Für ihn ist die Totalität des griechischen Freiheitsbegriffes eine selbstverständliche Voraussetzung, die ihm jegliche Einsicht in die Begrenztheit der römischen libertas versperrt 66 ; und nicht minder selbstverständlich ist es ihm, daß die Freiheit, wie er sie versteht, zu einer idealen Herrschaft, als die er Rom doch zeichnen will, gehört. Bei dem Versuch, diese Freiheitsvorstellung in die Charakteristik der römischen Herrschaft hineinzubringen, mußte dann zwangsweise das Weltreich, das er gerade von ganz unkonventionellen Ansätzen her interpretiert hatte, gleichzeitig auch im alten vertrauten Gewände er scheinen. So tritt Rom bei Aristides als „Weltpolis" auf, und verkörpern die römischen Bürger die Einheit von Herrschern und Beherrschten67. Bei dieser doktrinären Einkleidung seiner ,,Entdeckung*' kann der Autor als Konsequenz seiner Gedanken natürlich nicht aussprechen, daß in einem Weltreich der Welt bürger nicht mehr im Besitze der Freiheitsrechte sein kann, die auf die Maße einer kleinen Polis-Gemeinschaft zugeschnitten sind, und daß in einem Polizei staat (im Sinne von Verwaltungsstaat) der Bürger — selbst der BürgerFunktionär — nur Objekt der Herrschaft ist. Es bleibt zwar keinem modernen Leser verborgen, daß die neue Betrachtungsweise des Aristides beinahe in jedem Satz ihre Konsequenzen selbst aufdeckt, aber Aristides zieht sie nicht, weil er für die verlorene Freiheit der Vergangenheit ein Korrelat braucht und er keine andere Lösung findet als die, in den Prinzipien der römischen Herrschaft die alte Freiheit wiederzufinden. So wichtig für das Verständnis der Rede die terminologische Einkleidung der Gedanken ist, so könnte man einmal von ihr absehen und darauf schauen, was der Bewohner des griechischen Ostens bei der neuartigen Sehweise der rö mischen Herrschaft an wirklichem politischem Kapital gewann. Im Hinblick auf den einen der beiden Hauptgedanken des Aristides, die Bürgerrechtszwar auch ein Teil der Rechtssicherheit, nämlich die Sicherheit gegen den Rechtsbrecher, der a u ß e r h a l b der staatlichen Sphäre steht u n d also ohne das Zutun des Staates und gegen ihn die Ordnung verletzt; aber jene Rechtssicherheit h a t für die Rede nur unter geordnete Bedeutung. I m Mittelpunkt der Schrift steht der i n n e r s t a a t l i c h e R a u m , d.h. das Verhältnis zwischen Herrscher/Staat u n d Individuum, und hier ist nicht ασφάλεια, sondern ελευθερία der zentrale Begriff. 66 Vgl. F . S c h u l z , Prinzipien des römischen Rechts, Berlin 1954 (Nachdruck), S. 95ff. 67 Arist. pol. 6 , 2 , 1 : ύπόθεσις μεν οΰν της δημοκρατικής πολιτείας ελευθερία ελευθερίας δε έν μεν το έν μέρει άρχεσθαι και άρχειν. Eine wörtliche Anspielung auf den letzten Satz finden wir bei Aristides im § 65: παράσχοντες (die Römer durch ihre Bürger rechtspolitik) τοις δυναμένοις μη άρχεσθαι μάλλον ή άρχειν έν τω μέρει. Kein Römer hätte so formuliert.
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politik, ist das verhältnismäßig leicht zu beantworten: Es wird das unter tänige Verhältnis der griechischen Stadt zu Rom eliminiert. Aristides hat es klug vermieden, dieses Ergebnis dadurch zu gefährden, daß er die neue (po litisch) egalitäre Gesellschaft durch die Betonung des monarchischen Charakters des Reiches in ein neues Untertanenverhältnis hineinführt. Etwas schwieriger ist zu beantworten, wie wir das nennen sollen, was die Verwaltung der Römer den Bürgern/Untertanen einbringt. Ich habe wiederholt diesen Gewinn als Rechtssicherheit bezeichnet in dem Sinne, daß in dem Kampf des Rechtes gegen das Unrecht die kaiserliche Verwaltung dem Recht zum Siege verhilft, oder auch als soziale Sicherheit in dem Sinne, daß jeder in seiner sozialen Existenz geschützt wird68. Dies scheint jedenfalls Aristides doch zu meinen, wenn er etwa den Automatismus der Verwaltung lobt oder die Gerechtigkeit der Ge richtsurteile hervorhebt. Wenn wir nicht mit Aristides diese Sicherheit Freiheit nennen und damit die Angelegenheit auf sich beruhen lassen wollen, müssen wir uns fragen, was sie innerhalb der römischen Herrschaft denn bedeuten kann. Die Sicherheit ist keine Rechtsnorm mit Rechtsfolgen; man kann um sie nicht kämpfen. Sie ist im Grunde nur vorhanden dadurch, daß die Verwaltung richtig funktioniert. Man könnte ihr nur dann einen festen, in der Herrschaft un verrückbaren Platz geben, wenn man die Verwaltung oder richtiger: wenn man die richtigen Prinzipien der Verwaltung institutionalisiert (s. o. S. 251). Aber mit diesem Gedanken haben wir eigentlich Aristides bereits verlassen. Er, dem sich durch die Benutzung des traditionellen FreiheitsbegrüTes solche Problematik erledigt hat, hilft uns hier nicht weiter; ja, da der alte Freiheitsbegriff bei ihm nur akzessorisch hinzutritt und überall jene ursprüngliche, undoktrinäre Seh weise des Reiches als herrschaftlicher Ordnung hervortritt, steht er einer weiteren Überlegung über das Wesen der Sicherheit geradezu im Wege. Für ihn ist nämhch die Verwaltung doch etwas von den Römern Gegebenes und also letzten Endes ein Stück herrschaftlicher Gnade. Sie ist nicht verankert, sondern der Ausfluß einer staatsmännischenWeisheit und einer philanthropischen Gesinnung. Aristides hätte die Sicherheit bzw., wie er sagt, Freiheit darum auch Philanthropie nennen können, und tatsächlich verwendet er den Begriff an einer Stelle, allerdings nur im Zusammenhang mit der Bürgerrechtspolitik, nicht dort, wo er von den Segnungen der Verwaltung spricht (s. o. S. 243). Die Schrift des Aristides ist keine neue Theorie über das Wesen des rö mischen Staates; dazu fehlt ihr trotz aller Originalität die der neuen Sehweise angepaßte begriffliche Durchdringung des Gegenstandes. Seine Herkunft ver schaffte Aristides nicht nur die unkonventionelle Denkweise, die von der tradi68 Der Schutz umfaßt nicht den naturrechtlichen Anspruch auf soziale Gleichheit, sondern nur die Sicherheit in dem sozialen Stand, den jemand hat. Es wurde aber darauf hingewiesen (s.o.S. 244ff.; vgl. S. 250f.), daß Aristides an einer wichtigen Stelle die Bindung des Menschen an seinen Stand durch das Leistungsprinzip ersetzt und damit in das Sozialgefüge des Reiches den Gedanken des Wettbewerbs hineinbringt. Über die Ursache der widersprüchlichen Argumentation vgl. u. S. 271 ff.
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tionellen, der Stadt Rom verhafteten sich lösen konnte; sie band ihn auch — trotz seiner Unabhängigkeit von dem theoretischen Denken der Staatsphilosophie — an die politischen Begriffe seiner Heimat. Aber über aller Sorge, die po litischen Werte der Vergangenheit in der römischen Herrschaft wiederzufinden, steht doch das Bemühen um eine neue politische Analyse des Weltreiches. Das Reich soll allen seinen Bewohnern als eine n e u e , g e w a n d e l t e Herrschaft be wußt werden, in uer jeder sich, mit ihr, der er früher untertänig gegenüberstand, identifizieren kann. Das Verständnis des Reiches als Welt S t a a t ist darum der zentrale Gedanke der Schrift, und in ihm liegt auch ihre bemerkenswerte Leistung. Aber nicht nur dies. Aristides hat gesehen, daß die staatliche Einheit der Welt nicht ohne eine herrschaftliche Ordnung auskommt; er verteidigt des wegen die Herrschaft gar nicht erst gegen die Staatstheorie, sondern legt die Theorie von vorneherein beiseite. Aber er wird bei dieser Erkenntnis auch nicht zum Enkomiasten der Herrschaft bzw. des Herrschers. Er sucht vielmehr nach den Kriterien, die die Herrschaft im Sinne der alten Theorie binden. Und er er kennt, daß das entscheidende Kriterium des Herrschaftscharakters nicht die Beschaffenheit des Herrschers (sein Ethos), sondern die der Herrschaftsmittel ist: Die Prinzipien der römischen Verwaltung charakterisieren das Reich, und in ihnen Hegen alle jene Werte begründet, die nach der Staatstheorie zu einem idealen Staat gehören.
5. D a s V e r h ä l t n i s der Schrift zur p o l i t i s c h e n L i t e r a t u r der K a i s e r z e i t Die Überlegung, daß die Bürgerrechtspolitik und die Organisation der rö mischen Verwaltung für den Reichsbewohner eine neue staatspolitische Si tuation schafft, scheint uns heute der wahren Sachlage so angemessen und vor allem für einen Provinzialen so nahehegend zu sein, daß man sich fragt, ob die Grundgedanken der Rom-Rede allein einem originellen Enkomiasten zu ver danken sind oder ob sie nicht eher in älteren Schriften bereits vorgebildet waren. Es ist zunächst unwahrscheinlich, daß von römischer Seite aus die Bürgerrechtspolitik in der Weise zu Ende gedacht ist, wie es Aristides tat. Die Schriftsteller der Domitianisch-Trajanischen Zeit waren jedenfalls noch so sehr in den politischen Schemata der Vergangenheit verfangen, daß sie die Stadt Rom und die Römer dem Reich g e g e n ü b erstellten. Allgemeine positive Äuße rungen zur Ausbreitung des römischen Bürgerrechtes, die sich natürlich bei Plinius und anderen finden69, dürfen wir aber noch nicht neben die Gedanken 69 Vgl. etwa Plin. paneg. 37,5: tantus amor nominis nostri. Deutlichere Übereinstimmungen mit Aristides verrät bereits der ältere Plinius, wenn er auf die Einheit der Welt hinweist, die er nicht nur als wirtschaftliche Einheit, sondern, wie einige Wendungen verraten, auch als politische Einheit auffaßt, ohne mit dieser Anspielung allerdings auf die Bürgerrechtspolitik Bezug zu nehmen. Die Auflösung der Eigenstaatlichkeit der
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der Rom-Rede halten. Sie sind allenfalls der Hintergrund, auf dem die neue Konzeption entstehen konnte. Denn es ist ein großer Unterschied, ob man einer Romanisierungspolitik zustimmt, um die römische Herrschaft zu sichern, oder ob man diese Politik zum Angelpunkt nimmt, das bestehende politische Welt bild umzukehren. Es scheint auf jeden Fall natürlich, daß die Revision des Weltbildes von denen zuerst vorgenommen wurde, die sich unter dem neuen politischen Aspekt besser gestellt fühlten. Es dürfte daher sicher sein, daß die entsprechenden Überlegungen griechischen Ursprungs sind: Die Intensität, mit der die neue politische Situation dargestellt wird, und die Tatsache, daß eine ganze Reihe von festen Bestandteilen des Städtelobes fortgelassen sind, die ein Römer lateinischer Zunge gebracht hätte — die Gründungsgeschichte und die ältere Geschichte der Stadt; die Taten der Einwohner; die genaue geographische Lage der Stadt usw. 70 —, schließen jeden römischen Ursprung aus. Wenn aber die Gedanken im griechischen Osten entstanden sind, so steht auch der Zeitpunkt im groben fest. Es ist kaum möglich, die Bürgerrechts politik in das Zentrum einer Rede zu stellen, bevor Griechen in größerer Zahl nicht nur das Bürgerrecht erhalten hatten, sondern auch in die höchsten Ämter und in den Senat gelangt waren. Einen Wendepunkt bedeutet in dieser Hinsicht die Regierungszeit Trajans 71 . Die Umformung der neuen Entwicklung Städte faßt Plinius an einer Stelle im Hinblick darauf negativ auf, daß mit dem Ver schwinden ,,nationaler" Kulturkreise auch die geistige Initiative a b s t a r b (n.h. 14,1 ff.; man vgl. diese Stelle mit der Diskussion über die Ursachen des Verfalls der Rhetorik bei dem Auetor περί ύψους 44, bei Seneca ep. 114, lf. u n d Tacitus, Dialogus) u n d den Nachkommen die Weite u n d Größe der Welt zum Verhängnis wurde (14,5: posteris laxitas mundi et rerum amplitudo damno fuit). An einer anderen Stelle (3,39) sieht Plinius in der Einigung der Welt einen Gewinn für commercium und humanitas und spricht von Rom/Italien als dem Vaterland aller Völker (breviterque una eunciarum gentium in toto orbe patria); zu dieser SteUe vgl. S h e r w i n - W h i t e a . O . S. 262. 70 Vgl. R . V o l k m a n n , Die Rhetorik der Griechen und Römer, Leipzig 1885, S. 334f. 71 Vgl. P . L a m b r e c h t s , L a composition du Senat romain, Antwerpen 1936, S. 201; S h e r w i n - W h i t e a.O. S. 203. F ü r die Veränderung des politischen Bewußtseins ist nicht n u r die breitere Aufnahme von Griechen in den Senatoren- u n d R i t t e r s t a n d wichtig, sondern auch das Schwinden des italischen Elementes im Heer durch die Änderung des Rekrutierungssystems. Aristides selbst ist ganz offenbar nicht n u r die lokale Aushebung geläufig, sondern sogar der U m s t a n d selbstverständlich, daß die Römer in R o m (und wohl auch in Italien) nicht mehr Kriegsdienst leisten (74). Die Rekrutierung in Italien ist zwar gewiß nicht generell verboten worden, wie u . a . auch M o m m s e n glaubte u n d das Verbot Vespasian zuschrieb (Die Conscriptionsordnung der römischen Kaiserzeit, Hermes 19, 1884, S. 18ff. = Ges. Sehr. V I 36ff.), sondern das italische E l e m e n t schwand in einem sehr allmählichen Prozeß. Aber schon in der Mitte des 2. J a h r h u n d e r t s ist der Anteil v o n Italikern im Heer sehr niedrig; vgl. Η . Μ. D. P a r k e r , The R o m a n Legions, Cambridge 1961 (Nachdruck der Ausgabe 1928), S. 178ff. Nach K . K r a f t , Zur Rekrutierung von Alen u n d Kohorten an Rhein u n d Donau, Diss. Bern. I 3, 1951, S. 85 f., werden für Bürgerkohorten bis Trajan noch fast ausschließlich römische Bürger rekrutiert; seit Trajan ist hingegen k a u m mehr ein Unterschied der zivilen Rechtsstellung zwischen Soldaten von gewöhnlichen Auxilien u n d Bürgerkohorten zu beobachten.
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in politische Ideologie dürfte jedoch kaum vor Hadrian erfolgt sein; bei Dion von Prusa z.B. spüren wir von ihr noch nichts. Es ist daher wohl denkbar, daß Aristides der erste oder doch einer der ersten war, der die neuen Gedanken formulierte. Wenn auch der aus der Rom-Rede sprechende Standpunkt ein griechischer ist, so wäre es doch vorstellbar, daß die kaiserliche Politik sich zu propagan distischen Zwecken gegenüber den östlichen Pvoiclisbe^vchnarii der iieiier. Ge danken bemächtigt hätte. Die besondere Interpretation der römischen Bürger rechtspolitik durch Griechen widersprach nicht dem Geist der Zeit, und sie konnte selbst der Römer tolerieren, der innerlich in traditionelleren Ba,hne:i dachte. Wir müssen uns also nach Äußerungen in der lateinischen Literatur oder auf Münzen umsehen, die die kaiserliche Sorge um den Rechtsschutz oder um die soziale Sicherheit der Reichsbewohner wie Aristides verstehen, d.h. sie unter den Begriff der Freiheit fassen. Die literarischen Quellen aber lassen uns hier in Stich; wir sind für entsprechende Aussagen fast ausschließlich auf die Münzen verwiesen, die die kaiserliche Fürsorge ja vielfach zum Gegen stand ihrer Bilder und Legenden machen. Doch die Thematik der kaiserzeit lichen Münzen steht in einem sehr konventionellen Rahmen und ermöglicht bei der Begrenztheit ihrer Aussagekraft meist nur dann eine differenziertere Interpretation, wenn sie mit literarischen Zeugnissen verbunden werden kann. Offizielle Bekundungen zum Wesen des römischen Staates, um die es liier geht, bewegen sich zudem besonders gern in festgefahrenen Balinen, und es überrascht daher nicht, zu sehen, daß die Münzen den Begriff der Ubertas im alten, traditionellen Sinn, d.h. mit Bezug auf die Ideologie des Prinzipats 72 , verwenden. Zwar muß dieser Bezug bei der Eintönigkeit von Münzbild (Frei heitsgöttin) und Legende (LIBERTAS; LIBERTAS PVBLICA; LIBERTAS RESTITVTA) indirekt erschlossen werden — etwa aus der Tatsache der Emission beim Regierungsantritt des Kaisers, der sich von seinem Vorgänger absetzen will—, aber eine andere Interpretation verbietet sich schon deswegen, weil wir in der gleichzeitigen römischen Literatur keinen anderen Inhalt der Freiheit kennen als jenen der Tradition. Trotz dieser Sachlage vermutet S t r a c k , daß seit Trajan den UbertasPrägungen nicht immer die alte Bedeutung zugrunde liege. Er begründet seine Annahme damit, daß diese Prägungen bis Nerva jeweils nur die ersten Emis sionen eines Herrschers umfaßten; bis dahin hätten diese Münzen noch den freiheitlichen Charakter der Regierung des neuen Kaisers — meist in Ab setzung zu dem Vorgänger — bekunden sollen; Trajan aber präge erst 108 n. Chr. oder später solche Denare, und er könne daher mit seinen Emissionen nicht dasselbe Ziel verfolgt haben. Einen Hinweis darauf, was die Ubertas der Münzen Trajans hätte meinen können, findet S t r a c k auf einem Sesterz Ha72 Vgl. P. L. S t r a c k , Untersuchungen zur römischen Reichsprägung des 2. Jahrhunderts, Stuttgart 1931ff., I (Trajan) S. 176ff.; H. M a t t i n g l y , Roman Coins from the Earliest Times to the Fall of the Western Empire, London i960 2 , S. 160.
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drians aus d. J. 119, auf dem der Kaiser, auf einer Plattform sitzend, die Hand einer Frau (Italia) entgegenstreckt, die mit zwei Kindern vor ihm steht; im Abschnitt steht LIBERTAS RESTITVTA 73 . Da die Darstellung auf dieser Münze genau dem Typ entspricht, der auf Münzen Trajans auf die kaiserliche Alimentation zu beziehen ist (mit Beischrift AlÄMentatio ITALiae, niemals mit der Beischrift LIBERTAS), scheint die kaiserliche Fürsorge unter den Begriff der überlas gefaßt 7 - zu sein. Von dem Sesterz Hadrians her deutet dann S t r a c k alle K6erte?-Prägungen Trajans. Die bei dieser Prägung schwierige Ver bindung von Münzbild und Münzlegende veranlaßte jedoch H. M a t t i n g l y , hier eher eine Anspielung darauf zu sehen, daß die Kinder eines Sklaven mit einer Freien dem Personalstatus der Mutter folgen durften, oder darauf, daß Hadrian Legate verweigerte, wenn der Erblasser Frau und Kinder hinterließ 75 . Der Deutungsversuch M a t t i n g l y s befriedigt nicht völlig; aber selbst wer ihn ablehnt, wird sich nicht der Interpretation S t r a c k s anschließen dürfen. Abgesehen von seiner wenig schlüssigen Beweisführung (warum hat Trajan die libertas seiner Münzen nicht durch das Münzbild genauer beschrieben, wenn sie doch etwas anderes bedeuten sollte ? Und wäre es bei der Unbeweglichkeit kaiserzeitlicher Münzbilder nicht auch denkbar, daß die Beischrift den Bedeutungsinhalt des Typus verändert anstatt umgekehrt?) fällt es schwer, von jenem einzigen Sesterz Hadrians her auf den offiziellen Gebrauch eines neuen FreiheitsbegrifTes zu schließen. Trotzdem folgt auch ein anderer Kenner der Materie, L. W i c k e r t , S t r a c k in der Behauptung, daß in der Kaiserzeit sich die Bedeutung der libertas in Richtung auf Rechtssicherheit /soziale Sicherheit aller Reichsbewohner gewandelt habe 76 . Ich glaube hingegen, daß auch z.Z. Hadrians die libertas in offiziellen Verlautbarungen sich noch aus schließlich auf die Ideologie des Prinzipats bezog und daß die dem entgegen stehenden Meinungen dadurch verursacht sind, daß die Begriffe von Freiheit und Sicherheit im Prinzipat und insbesondere ihr Verhältnis zueinander nicht scharf genug gefaßt wurden. Es ist zunächst festzustellen, daß die libertas der Prinzipatsideologie in der politischen Literatur der Römer sich häufig mit dem Begriff der securitas ver bindet 77 und die securitas auch dort, wo sie allein steht, in der Mehrzahl der 73
BMC Roman Empire III S. 409 Nr. 1160ff. = C o h e n 949. So zuerst W. S es t o n , Les „Anaglypha Traiani" du Forum Romain et la politique d'Hadrien en 118, Mel. d'Archeologie et d'Histoire 44,1927, S. 167ff.; S t r a c k a. 0.1176ff.; Π (Hadrian) 59f.; vgl. M a t t i n g l y BMC a.O. S. CLXTV. 75 Journ. Rom. Stud. 15, 1925, S. 216; BMC Roman Empire III a.O.; Roman Coins a.O. S. 166. 76 RE a.O.; ders., Der Prinzipat und die Freiheit a.O. Zu Unrecht hat sich W i c k e r t für seine These auf W i r s z u b s k i a.O. S. 158f. berufen, denn dieser bezieht seine Interpretation der libertas/securitas lediglich auf die Aristokratie, nicht auf die Reichsbewohner insgemein. 77 Schon Seneca, de clem. 1,1,8, und Plinius, paneg. 8,1, nennen libertas und securitas in einem Atem; vgl. W i c k e r t , RE a.O. S. 2096f. 74
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Fälle einen deutlichen Bezug zu der libertas der Ideologie hat, also nicht in ihrer allgemeineren, naiven Bedeutung (Sicherheit aller Bürger gegen das Unrecht der Behörden; Sicherheit der sozialen Existenz aller Bürger; Sicher heit gegen den äußeren Feind), sondern in einem bestimmten und engen Sinne zu verstehen ist. Sie erscheint hier als ein Begriff der Verfassungsideologie, der mit dem Abbau der „Verfassung" immer stärker in den Vordergrund tritt. Man kann sogar sagen, daß die securitas die libertas als zentralen Begrin der Ideo logie ablöst. Die Ursache ist darin zu suchen, daß der Begriff der securitas sich der ..Verfassungswirklichkeit" sehr viel besser anpaßt als die der,,reinen Idee" angehörige libertas. Denn in dem Maße, wie die in der Prinzipatsverfassung begründete libertas verschwamm und die kaiserlichen Gewalten zu einer un lösbaren Einheit zusammenwuchsen, die immer neue Teile des ehemals „freistaatlichen" Bereiches in sich einbezog, wurde es schwieriger, den positiven Inhalt der libertas zu definieren, als ihren (scheinbaren) Effekt, die Rechts sicherheit, zu bestimmen. Securitas und libertas rückten damit begrifflich zu sammen. Tatsächlich war die Rechtssicherheit oder soziale Sicherheit nicht das, was die alte libertas meinte: Diese hatte einen sehr konkreten Bezug auf die politische Macht. Aber als mit dem Ausbau der kaiserlichen Stellung die staatsrechtliche Basis des Prinzipats allmählich verlorenging und die Frei heit ihre Quelle in zunehmendem Maße weniger im „Verfassungsrecht" als in der Großmut des allmächtigen Kaisers zu suchen hatte, lag es nahe, alle kaiserlichen Handlungen, die sich von der brutalen Anwendung der Macht distanzierten und freiwillig das Recht als eine der kaiserlichen Gewalt über geordnete Instanz anerkannten, mit dem Begriff der Freiheit zu verbinden. Die Rechtssicherheit, die sich so mit der Freiheit verbindet, meint natürlich nicht, daß alle in Sicherheit nach (Verfassungs-)Recht handeln können, sondern daß alle rechtens behandelt werden; sie setzt die Passivität derjenigen, die an ihr teilhaben, voraus. Der freiheitliche Charakter der Prinzipatsverfassung lebt also nun davon, daß die Bürger (d.h. die Aristokratie) Freiheit e n t g e g e n n e h m e n und daß der Kaiser sie g e w ä h r t ; Geben und Nehmen, Großmut und Passivität ergänzen einander, und nur, wenn sie gleichzeitig wirken, ist die Freiheit/Rechtssicherheit gewahrt. Man sieht, daß die Grundlage dieses politischen Status nicht mehr die Prinzipatsideoiogie allein ist, sondern neben sie die Ideologie vom rechten Herrscher stoischer Provenienz getreten ist und beide Ideologien in den Komponenten des Status ihre Entsprechungen finden. Sicherheit (securitas) in diesem Sinne ist eine Ansicht der libertas der Prin zipatsideologie; vielleicht ist sie unter den veränderten Umständen des Prin zipats die einzig mögliche Ansicht, aber sie ist im Prinzip keine neue Ansicht. Der Personenkreis, auf den sie sich bezieht, ist derselbe, für den allein auch die libertas galt; die libertas erfährt bei ihrer praktischen Einschränkung auf securitas also keine Ausdehnung auf alle römischen Bürger oder gar auf alle Reichsbewohner. Auch der materielle Inhalt der securitas verändert sich nicht oder kaum; er bezieht sich auf denselben Tätigkeitsbereich, in dem auch die
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libertas wirkt (den öffentlichen Bereich). Es widerspricht dieser Aussage nur scheinbar, wenn die securitas hier, wo sie durch die Ideologie in den öffentlichen Bereich gestellt ist, häufig oder gar überwiegend als Sicherheit privater Belange (Sicherheit des Lebens, des Vermögens) auftritt. Wir müssen uns nämlich vergegenwärtigen, daß die securitas ein Reflex auf die kaiserliche Gewalt ist, die die Aristokraten in ihrer materiellen und physischen Existenz bedroht. Die Bedrohung der Aristokratie aber ist mit dem Angriff auf den freiheitlichen Charakter des Prinzipats identisch, weil nur der Aristokrat an der Freiheit teilhat. In dem sachlichen Bezug der securitas auf private Belange zeigt sich also der einfache Tatbestand, daß der private Bereich der aristokratischen Familien latent immer auch ein Stück öffentlichen Bereiches ist. Überall dort, wo securitas sich als Freiheit vorstellt, geht es also um die Ari stokratie und ihr Wirken. Es ist bezeichnend für die Einseitigkeit der politi schen Literatur der Kaiserzeit, daß sie (wie auch die Münzen) den Begriff der securitas fast ausschließlich in diesem Sinne verwendet, d.h. ihn als Freiheit begreift78. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß es die Frage der Sicher heit im römischen Kaiserreich als politisches Problem außerhalb von Kaiser und Aristokratie nicht gibt, sondern lediglich unterstrichen werden, daß unsere Quellen mit geringen Ausnahmen die Sicherheit als ein Problem der A r i s t o k r a t i e verstehen. Gegen die hier vorgebrachte These, daß bei den Römern Sicherheit nur als ein Begriff der Prinzipatsideologie Freiheit bedeuten kann, ließe sich ein Passus aus dem Panegyricus des Plinius ins Feld führen, wo die Alimenta tionen Trajans mit den Begriffen securitas und libertas zugleich verbunden werden 79 . Da die Alimentationen arme römische Waisenkinder versorgten, brachten sie zwar securitas; aber diese kann nach den obigen Ausführungen nicht die securitas der Prinzipatsideologie sein, die libertas bedeutet und nur für die Aristokratie einen Sinn hat. Wenn Plinius hier trotzdem die securitas, die die Alimentationen schaffen, mit dem Begriff der libertas verbindet, so bedeutet das jedoch nicht, daß der Begriff der Sicherheit damit durch ihn ganz allgemein (auch außerhalb der Prinzipatsideologie) als Freiheit gefaßt ist. Denn der Passus steht in dem Rahmen einer allgemeinen Würdigung des frei heitlichen Charakters der Trajanischen Ära und ist aus ihm nicht zu lösen: Der Grundgedanke der Lobrede führt Plinius dahin, daß er im Schwünge der Rede fingiert, als ob noch alle römischen Bürger an der res publica unmittelbar mitwirkten und damit auch Nutznießer der durch Trajan wiedergewonnenen Freiheit seien. Solche Fiktionen sind nicht ungewöhnlich, am wenigsten dann, wenn die Aristokratie, die einst von dieser Fiktion gelebt hat, wieder einmal die Bestätigung ihrer alten Rechte feiern darf. Vielleicht aber ist der Passus 78 Vgl. U. I n s t i n s k y , Sicherheit als politisches Problem des römischen Kaisertums, Deutsche Beiträge zur Altertumswiss. 3, Baden-Baden 1952. 79 Paneg. 27,1: magnum quidem est educandi incitamentum tollere liberos in spem alimentorum, in spem congiariorum, maius tarnen in spem libertatis, in spem securitatis.
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auch einfach aus dem Wortspiel liberi-libertas zu erklären und damit über haupt aus unserer Betrachtung auszuklammern. Wir können als Ergebnis der Ausführungen festhalten, daß die Römer securitas nur in Verbindung mit der Verfassungsideologie des Prinzipats als Ubertas begriffen und sich von ihnen zu den Ausfüllrungen des Aristides, der die Sicherheit ganz allgemein und mit Bezug auf alle Reichsbewohner als Freiheit versteht, keine Verbindungslinien aufzeigen lassen30. Die Llünzs Hadricins, von der diese Überlegungen ausgegangen waren, bleibt in der Interpretation, die S t r a c k ihr gibt, ein isoliertes Gegenargument. Aber S t r a c k s Beweis führung ist in sich nicht schlüssig; es bietet sich daher die Deutung M a t t i n g lys an, oder aber wir verstehen das Münzbild als Ausdruck des freiheitlichen Prinzipats Hadrians und stützen diese Deutung mit der für Plin. paneg. 27,1 gegebenen Interpretation. Bei den Griechen oder bei den Römern griechischer Zunge können wir viel leicht mit mehr Erfolg nach Äußerungen suchen, die denen des Aristides ver wandt sind. Ch. G. S t a r r machte bereits vor einigen Jahren darauf aufmerk sam, daß Cassius Dio in manchen seiner Formulierungen an die Gedanken des Aristides erinnert 81 . In der Rede des Maecenas, die Octavian von der Not wendigkeit einer monarchischen Verfassung des römischen Staates überzeugen soll, stellt Dio der Demokratie und Freiheit herkömmlicher Ordnung die ,,wahre" Demokratie und Freiheit unter der Monarchie gegenüber. Während jene die Freiheit des όχλος und die Knechtschaft der Besten meine und alle ins Verderben stürze, bringe diese die Ehrung der Besonnenheit und verschaffe allen nach ihrer Würdigkeit das ίσον82. An einer anderen Stelle seines Werkes sagt Dio, daß das Kaisertum, in dem Monarchie und Demokratie gemischt seien, Freiheit, Sicherheit und Ordnung bringe 83 . Die Freiheit bzw. Demo80 Die hier vertretene Ansicht, daß die Sicherheit nur im Rahmen der Prinzipats ideologie als Freiheit erscheinen kann, gilt natürlich nur für die Zeit, in der diese Ideologie ein lebendiges politisches Problem war. Eine Zeit, die kein Bewußtsein mehr von dem hatte, was Ubertas im Prinzipat bedeutete, k o n n t e der Ubertas einen anderen I n h a l t geben. In der Spätantike erscheint dann Freiheit u. a. auch als Rechtssicherheit der Bürger ins gemein, wie z . B . bei Salvian, de gub.Dei, δ,22.36f., ohne daß jedoch diese Bedeutung der Freiheit sich begrifflich verfestigt h ä t t e . Bei Salvian ist die besondere Verwendung des Begriffs zudem nicht von seinem Germanenbild zu trennen, das den positiven Hinter grund für sein Urteil über die römischen Verhältnisse und damit auch über das, was Freiheit ist, liefert. 81 a . O . S. 12ff. 82 52,14,4: οΰτω . την δημοκρατίαν την αληθή τήν τε έλευθερίαν την ασφαλή κτήσονται· 5. εκείνη μεν γαρ ή του δχλου ελευθερία του τε βέλτιστου δουλεία πικροτάτη γίγνεται και κοινόν άμφοΐν Ολεθρον φέρει, αυτή δε τό τε σώφρον πανταχού προτιμώσα καΐ το ίσον άπασι κατά τήν άξίαν απονέμουσα πάντας ομοίως εύδαίμονας τους χρωμένους αύτη ποιεί. 83 56,43,4: . . . τήν μοναρχίαν τη δημοκρατία μίξας τό τε ελεύθερον σφισιν έτήρησε και τό κόσμιον τό τε ασφαλές προσπαρεσκεύασεν, ώστ* εξω μέν του δημοκρατικού θράσους έ*ξω δε και των τυραννικών ύβρεων οντάς έν τε ελευθερία σώφρονι και εν μοναρχία άδεεΐ ζήν, βασιλευομέ-
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kratie ist auch hier mit sozialer Sicherheit und Rechtssicherheit identisch; sie ist genau wie bei Aristides nicht institutionell (durch Gesetz und also durch „Verfassung") fundiert. Ihr stellt Dio geradezu den institutionalisierten Frei heitsbegriff gegenüber und zeigt an dem Mißbrauch, dem die Freiheit/Demo kratie als Institution ausgesetzt gewesen ist, wie wenig die Republik das er füllte, was ihr Name versprach. So hat auch Dio genau wie Aristides da3 ideale Ziel einer jeden Staatsordnung (Gerechtigkeit, Sicherheit) an die Stelle der Institutionen einer Verfassung (die jenes Ziel erst garantieren sollen) gerückt und nennt jenen paradiesischen Zustand die ,,wahre" Herrschaft der Freiheit bzw. Demokratie; nicht die Organe der Verfassung, sondern der Erfolg der all gemeinen Regierungspraxis, der bei Dio vorausgesetzt wird, bringen die Frei heit hervor. Bei der Indifferenz der Staatsform kann Dio dann — wie Ari stides — leicht die Freiheit mit der Monarchie in Einklang bringen und sogar behaupten, daß sie in der Monarchie besser als in der Republik verwirklicht sei. Anders als bei Aristides jedoch bleibt bei Dio die „wahre" Freiheit/Demo kratie prekär. Er stellt sie nur als Zukunftsbild vor in der Überzeugung, daß sie sich unter dem neuen Regime erfüllen wird, und legt nicht dar, inwiefern sie in dem zukünftigen Staat auch wirklich garantiert ist. Aristides jedoch zeigt anhand seiner Darstellung der römischen Verwaltung 84 , daß die Freiheit für die Menschen tatsächlich gesichert ist, nicht durch die Institution von Gesetzen, die Freiheitsrechte begründen, sondern durch die Institution des besonderen Verwaltungssystems. Dio berührt die Gedanken des Aristides hier also nur oberflächlich; im Grunde ist den beiden Schriftstellern lediglich der Versuch gemeinsam, für das römische Kaisertum die Terminologie des Ideal staates zu gewinnen. 'Das aber spielt in dem Urteil des Aristides über den rö mischen Herrschaftscharakter eine zwar wichtige, jedoch nicht entscheidende Rolle (s.o.S.258ff.). Von dem zweiten großen Gedankenkomplex des Aristides läßt sich vielleicht eine deutüchere Verbindung zu Dio ziehen. In einem eindrucksvollen Passus der Maecenas-Rede nämlich wird zu einer großzügigen, ja unbeschränkten Öffnung des Bürgerrechtes geraten, damit sich alle Reichsbewohner als Bürger Roms fühlen und ihre eigenen Städte nur für das Territorium der einen Stadt halten 85 . Man darf allerdings nicht vergessen, daß zu der Zeit, als Dio diese νους τε άνευ δουλείας και δη μοκρατου μένους άνευ διχοστασίας; vgl. F. M i l i a r , Α Study of Cassius Dio, Oxford 1964, S. 74ff. 84 Die Ursache dafür, daß Dio/Maecenas nicht die Verwaltung in den Mittelpunkt seiner Argumentation für die monarchische Staatsform gestellt hat, ist leicht in dem gänzlich andersartigen Zweck der Maecenas-Rede zu finden. In ihr hat Dio vor allem die Bedeutung der Aristokratie unter der Monarchie herausarbeiten wollen. Er stellte sich damit als Römer in die aristokratische Tradition und trat also von ganz anderer Seite als Aristides an das Problem der Herrschaft heran. Vgl. dazu J. B l e i c k e n , Der politische Standpunkt Dios gegenüber der Monarchie, Hermes 90, 1962, S. 444ff. 85 52,19,5: τους αρχόμενους πείσεις δτι οΰτε ώς δούλοις σφίσιν οΰθ* ώς χείροσί πη ημών οΰσι χρη, άλλα τά τε άλλα αγαθά πάντα τά υπάρχοντα ήμΐν και την ήγεμονίαν αύτοις κοινοί,
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Sätze niederschrieb, die Verleihung des Bürgerrechtes an alle Bewohner des Reiches bereits erfolgt war. Der Gedanke, daß die Bürgerrechtspolitik das Weltreich zu einer staatlichen Einheit zusammenschweißt, ist daher mittler weile so kommun, daß seine Verwendung nicht zwingend auf Aristides oder andere ältere Vorbilder hinweisen muß. Es kann allenfalls die besondere li terarische Einkleidung — z.B, die Darstellung Roms als WeltOolis — darauf hindeuten, daß für die Eormulierung eine ältere Tradition berücksichtigt wurde.
6. Der p o l i t i s c h e H i n t e r g r u n d der Schrift Die Rede des Aristides ist inhaltsleer genannt 86 und ihr Wert allenfalls in dem Bezug auf ältere literarische Vorbilder und auf die rhetorische Technik gesehen worden 87 . Die jüngste Behandlung der Rede durch Oliver, der den beherrschenden Einfluß Piatons und hellenistischer politischer Vorstellungen auf die Gedanken des Aristides hervorhebt, ist ebenfalls nicht geeignet, in der Rede mehr zu entdecken als eine gekünstelte Kontamination altbekannter und längst überholter Gedanken in neuem Gewände; tatsächlich hält auch Oliver das politische Urteil des Aristides für oberflächlich (S. 892). Soweit über das Formale hinaus dem Inhalt der Rede Bedeutung zugemessen wird, verweist man die Gedanken des Redners bisweilen in den pseudo-politischen Raum, in dem Reminiszenzen an staatsphilosophische Theoreme und banale Idealisierung die politische Realität ersetzen88. Dem ablehnenden Urteil hatte bereits R o s t o v t z e f f nachdrücklich widersprochen89. Die hier vorgelegten Ausführungen, glaube ich, können den Widerspruch des großen Historikers nur unterstützen. Die Verachtung der politischen Urteilsfähigkeit unseres Redners rührt vielleicht daher, daß man an ihn die Forderung nach der Wahr heit stellte. Aber wenn Wahrheit hier Wirklichkeit meint, so hatte sie Aristides gar nicht im Sinne. Er wollte nicht einfach die Realität seiner Zeit abmalen; er wollte vielmehr zeigen, wie man t r o t z dieser Realität im Osten als homo politicus leben konnte. Den Ansatz zur Auflösung des Problems findet Aristides δπως ώς οίκείαν αυτήν σπουδάζωσι. 6. καί τοσούτον γε δέω του θ' ως ούκ ορθώς είρημένον άναθέσθαι, ώστε καί της πολιτείας πασι σφισι μεταδοθηναί φημι δεΐν, ϊνα καί ταύτης Ισομοιρουντες πιστοί σύμμαχοι ήμΐν ώσιν, ώσπερ τινά μίαν την ήμετέραν πόλιν οίκουντες, καί ταύτην δντως πόλιν τα δέ δη σφέτερα αγρούς καί κώμας νομίζοντες είναι. 8β Ρ. ν . R h o d e n , R E II (1896) S. 2494; J. P a l m , Rom, Römertum und Imperium in der griechischen Literatur der Kaiserzeit, Lund 1959, S. 58. " W i l a m o w i t z a.O. hatte eine hohe Meinung von dem Rhetor und Künstler Aristides; zu dem Inhalt der Rede aber kann er selbst in diesem seinem Enkomion auf Aristides (vgl. S. 340ff.) kaum etwas Positives sagen. 88 Vgl. O l i v e r 874ff.; P a l m a.O. S. 60f., wonach Aristides das Imperium „entromanisiert" hätte, um es als das irdische Glücksreich schlechthin darstellen zu können. 8 » a . O . I S . 112f.
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nun nicht in metapolitischen Spekulationen, sondern — soweit bleibt er auf dem Boden der Wirklichkeit — in zwei politischen Gegebenheiten seiner Zeit, der römischen Verwaltung und Bürgerrechtspolitik. Das Bild vom Imperium, das er dann anhand dieser Gegebenheiten entwirft, wird zwar idealisiert und entspricht in dieser Idealisierung gewiß nicht ganz der Wirklichkeit. Aber dies ideale Gemälde ist nicht einfach ein Produkt der Rhetorik, sondern — und das macht die Rede zu einem wichtigen politischen Dokument ihrer Zeit — es ist selbst wiederum politische Aussage: Der Wunsch, das Imperium so und nicht anders zu sehen, verrät einen sehr bestimmten politischen Standpunkt, der zeitlich und ertlich festgelegt ist (s.o. S. 283±±.): Es ist der Standpunkt des Griechen, der nicht mehr in Resignation dem Reiche gegenüberstehen will, sondern der im Zuge der immer umfangreicheren Heranziehung von Griechen in die Reichs Verwaltung sich mit dem römischen Staat identifiziert. Dabei kommt es für den Wert der politischen Aussage nicht in erster Linie darauf an, ob das Reich wirklich so beschaffen war, wie es beschrieben wird. Entscheidend ist vielmehr, daß Aristides es so sehen wollte. Es soll nun versucht werden, den Ursprung der politischen Denkweise, die aus der Rede spricht, noch etwas genauer zu bestimmen. Es würde zunächst gewiß über das Ziel hinausschießen, wenn man aus der Rede des Aristides den Schluß ziehen wollte, daß die Reichsbevölkerung bereits in der Mitte des 2. Jahrhunderts praktisch „römisch" empfand und somit die Voraussetzung für die Verleihung des römischen Bürgerrechts an alle Reichsbewohner, wie sie dann durch die constitutio Antoniniana Wirk lichkeit werden sollte, schon z.Z. des Antonius Pius gegeben war 90 . Trotz der klaren Tendenz der Rede auf eine „Entpolitisierung" der Städte ist doch nir gendwo an eine Uniformierung der Reichsuntertanen gedacht, sondern durch zieht die Rede wie ein roter Faden — neben dem Gedanken der „Entpoliti sierung" — auch jener andere Gedanke, daß es neben den zu Römern geworde nen Peregrinen die Masse der Nicht-Römer gibt. Das alte politische Gefälle von den römischen Bürgern zu den Peregrinen ist also nicht aus der Rede eli miniert; es ist im Gegenteil sogar Ausgangspunkt der besonderen Gedanken, die uns nicht ein Reich von Römern vorstellen, sondern ein Reich, in dem es Freiheit gibt t r o t z der Tatsache, daß nicht alle Reichsbewohner Römer sind. Es ist daher mit mehr Recht gelegentlich gesagt worden, daß Aristides hier nicht einfach als Grieche, sondern als Vertreter der griechischen Oberschicht 91 oder der griechischen Bourgeoisie92 spricht. In der Tat weist die.Rede selbst sehr deutlich in diese Richtung. Denn die Gleichheit (und Freiheit), die für alle gilt, versteht Aristides zunächst nur als eine Garantie der Sicherheit und des Wohlstandes (s.o. S. 250ff.). Zwar erweckt der Tenor der Rede ganz bewußt 90 91 92
S c h ö n b a u e r a.O. S. 329f.; vgl. o. S. 257. S h e r w i n - W h i t e a.O. S. 258; B e n g t s o n , Gymnasium 71, S. 163. R o s t o v t z e f f a.O. 1, S. 113; S t e l l a a.O. S. 37f. 50.
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den Eindruck, als ob durch die Bürgerrechtspolitik der Zentrale die Ent wicklung auf eine auch personenstandsrechtliche Gleichheit aller Reichs bewohner hinausläuft, und dieser Eindruck wird durch den Hinweis unterstützt, daß jeder Peregrine durch Leistung in das Bürgerrecht aufsteigen kann. Aber es ist doch wohl sehr charakteristisch, daß der Aufstieg durch Leistung un mittelbar im Anschluß an die Darstellung des Heeres als Romanisierungsfaktor erörtert) wirG. \j5<jf niiv^. xiiCxi/ü CLcr^, *»o ^<*ΛχΖί üxxgSiiioüi von c..e.j .^.viSCiTeiwvLiig v*3S Bürgerrechtes gesprochen wird. Hier heißt es vielmehr, daß die Römer jeweils die χαριέστεροι, γενναιότεροι, und δυνατώτεροι ins Bürgerrecht aufgenommen haben (59). Die „Würdigkeit" (άξια), nach der sich der Aufstieg bemißt, ist also durchaus ambivalent; sie kann bei der Betrachtung des Heeresdienstes auf den Leistungsstand zielen (85) und in anderem Zusammenhang — ohne das Lei stungsprinzip ausdrücklich zu leugnen — stillschweigend sich auf einen sozialen Stand beschränken (59f.; vgl. 63). Es steht außer Frage, daß die μέγιστοι και δυνατώτατοι (64; vgl. 65) in den Städten tatsächlich den entscheidenden Ge winn an der neuen Entwicklung haben, die Aristides beschreibt, und auf diese realen Verhältnisse dürfte die aus gutem Grund, wie wir noch sehen werden, etwas verschleierte Bevorzugung der städtischen Oberschicht bei Aristides zurückgehen. Das steht jedoch, um darauf noch einmal hinzuweisen, durchaus nicht im Widerspruch zu jenem Gedanken der Schrift, daß es unter der Herr schaft der Römer für alle Freiheit gibt. Die Existenz einer Gruppe, die ihrem sozialen Prestige nach höher steht und die bessere politische Rechte und Chancen hat, stört den inneren Frieden nicht, weil die Freiheit und Gleichheit von Aristides nicht politisch verstanden, sondern als soziale Sicherheit de finiert sind und weil grundsätzlich der Aufstieg in das Römertum möglich scheint. So kann Aristides in seinem Bild von dem idealen Staat der Römer die Oberschicht in den Städten in ihrer führenden Rolle bestätigen und sie sogar als diejenige Gruppe hinstellen, die in erster Linie Ziel der Bürgerrechtspolitik ist, ohne dabei einen Bruch in seine Gedanken hineinzubringen. Aristides hat also in seinem Entwurf vom römischen Idealstaat der städti schen Aristokratie in besonderem Maße Rechnung getragen. Ist seine Rede darum als eine Aufforderung an sie anzusehen, ihre resignierende Haltung auf zugeben und sich nun, da der Grieche bereits in den Senat einzurücken beginnt, von der Vergangenheit weg der Zukunft, und d.h. dem römischen Reich zu zuwenden? Oder ist die Rede gar nur ein Entwurf, wie man die Lage der Reichsbevölkerung auch sehen konnte und sie eben dann so wie Aristides sah, wenn man in Rom die Römer zu loben hatte; ein Entwurf, der keinem Be dürfnis der östlichen Oberschicht, die Lage so und nicht anders zu sehen, ent gegenkam, sondern der nur das Produkt eines findigen Lobredners ist, der — müssen wir heute dazu sagen — sehr richtige und treffende Gedanken hatte, aber Gedanken, die nun einmal nicht die seiner Landsleute waren. Tatsächlich erfordert die innere Umstellung, die die Rede von dem vor nehmen Griechen des Ostens verlangt, viel massivere Antriebe als lediglich die
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Überlegung, daß man mit Resignation nicht weiterkommt und endlich einmal dem Unabänderlichen ins Auge schauen muß. Gewiß hat die Assimilisationskraft des Reiches die innerliche Loslösung des Griechen von seiner Vergangen heit längst vorbereitet. Aber es ist ein weiter Weg von dem Hellenenstolz zu dem Bekemitnis, daß man ein Römer ist. Mir scheinen nun die Gedanken des Aristides in der Tat auf eine ganz allgemeine Umorientierung der führenden Schichten in den Städten des Ostens hinzudeuten; ja, es scheint mir die Rede sogar die Motive dieser Umorientierung anzudeuten. Sie dürften allerdings weniger darin zu suchen sein, daß man sich mit dem Unabänderlichen ab finden wollte, als da,rin, daß die reicheren Bevölkerungsschiehten des grie chischen Ostens durch die veränderte wirtschaftliche Situation in den Römern (bzw. in der kaiserlichen Verwaltung) ihre natürlichen Verbündeten gegen die ärmeren Schichten der Städte sahen. Es ist längst beobachtet worden, daß seit dem ausgehenden 1. Jahrhundert, besonders dann seit der — die Reichsfinanzen stark belastenden — Regierung Trajans die sozialen Gegensätze sich überall in den Provinzen sehr verschärften. Die Verwaltung, die kaiserliche soziale Fürsorge und die Kriege, die sich jetzt nicht mehr selber trugen, zwangen der Bevölkerung drückende Lasten auf. Diese aber wurden nicht gleichmäßig dem Einkommen entsprechend verteilt, sondern von der oberen Klasse auf die ärmeren Schichten abgewälzt. Der Mangel einer effektiven kaiserlichen Einanzverwaltung und die Solidarität der wohlhabenden Schichten wirkte sich hier ungünstig aus. Alle Bemühungen der Kaiser, diese Entwicklung aufzufangen und einen gesunden Mittelstand zu erhalten, mußten von vornherein daran scheitern, daß die römische Politik — schon in Ermangelung des dichten Verwaltungsapparates — sich auf die führende Schicht in den Städten stützte. R o s t o v t z e f f hat gezeigt, daß die groß angelegte Urbanisierungspolitik der Kaiser diese Entwicklung eher ge fördert als gehemmt hat 93 . Bereits um die Jahrhundertwende sehen wir im Osten das soziale Problem akut werden. Dion von Prusa hat ihm seine ganze Aufmerksamkeit gewidmet und sich auch Gedanken über eine mögliche Ab hilfe gemacht 94 . Es dürfte außer Zweifel stehen, daß die Verschärfung der sozialen Gegensätze die städtische Aristokratie in immer stärkerem Maße an die Seite der Römer drängte, so daß der reiche Mann sich gegenüber dem ver armten Bürger seiner Stadt mehr als Vertreter der reicheren Klasse des ganzen Reiches und als Vertreter Roms fühlte denn als Bürger der lokalen Stadt. Der reiche Bürger der Nachbarstadt und der Römer (bzw. die römische Verwal tung), der als Helfer kam, lagen ihm näher als die Erinnerung an eine sehr ferne und unwiderruflich vergangene Geschichte der Hellenen. Diese neue Ein stellung der führenden griechischen Schicht dürfte die Voraussetzung dafür sein, daß Aristides (oder wer auch immer vor ihm) den griechischen Osten mit 93 94
R o s t o v t z e f f a.O. 2, S. 89ff. v. A r n i m a.O. S. 500ff.
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Rom identifizieren konnte. Es soll damit nicht gesagt sein, daß er oder seine Vorgänger die Gedanken, die wir in der Rede finden, allein aus jenem sozialen Gegensatz heraus konzipiert hätten. Es sollte lediglich auf die Ursache oder auf eine wichtige Ursache für einen Wandel in der allgemeinen Bewußtseins lage hingewiesen werden, aus dem heraus dann ein Rom-Bild wie das des Aristides entstehen konnte. Aber es finden sich auch manche Hinweise darauf, daß an dieser oder jener Stelle das soziale Problem bewußter mitschwingt und die Skizze von der idealen Herrschaft der B,ömer vielleicht sogar auf weite Strecken einem Hintergrund voll düsterer Wirklichkeit geschickt angepaßt ist. Die Vorstellung, daß die römischen Bürger die Peregrinen bewachen sollen (64), weist in die angedeutete Richtung, so gut sie auch in den allgemeinen Gedankengang eingebettet ist. Als eine apologetische Wendung dürfte eben falls jene Bemerkung zu deuten sein, daß bei den Peregrinen, die nicht rö mische Bürger geworden sind (άπολειπόμενοι)95, kein Haß gegen die Herr schenden (Römer und Neubürger) aufkommen könne, weil durch die Aus breitung des römischen Bürgerrechtes auch die Nicht-Römer eher Landsleute als Fremde seien (65). Abgesehen von einzelnen Fingerzeigen dieser Art scheint mir auch gerade die doppelte Gedankenführung der Rede eine Bestä tigung dieser Interpretation zu sein: Während Aristides mit seiner Darstellung der römischen Bürgerrechtspolitik dem Bewußtsein Rechnung trägt, daß die führenden Schichten des Ostens mit den Römern eine Einheit bilden, führt er mit dem Gedanken der sozialen Sicherheit seinen Hörern vor Augen, daß das soziale Problem, von dem jeder wußte, durch die Gerechtigkeit der Ver waltung (und damit des Kaisers) im Grunde gar nicht besteht: Eine Lüge, die ihm vor seinen Standesgenossen wie vor dem Kaiser sehr leicht von den Lippen kam. 95
Die Konjektur von άπολειπομένων in άπολιτικών durch R. B ö m e r , Studien zur civitas Romana II, Aegyptus 43, 1963, S. 54ff., ist unberechtigt; das Wort macht keine Schwierigkeiten innerhalb des Sinnzusammenhangs, der von B ö m e r offenbar nicht erfaßt wurde.
Register der behandelten Stellen Anthologia Lyr. Graeca (Diehl) II S. 315f. Anthologia Pala tina 9,526 Appianus b. c. prooem. Aristides (Keil) 24,31 26, lff. (Aufbau) 3 7 9 10 11 18 19 22 f. 23 24 ff. 26 28 29 30 30 f. 31 32 33 34 36 37 37 f. 38 38 f. 39 51 56 58 59 59ff. 60 61 61 f. 62 63
64 229,10 229,11 233 243,40 234f. 234,22 237 246,47 248,50 248,50 246.47. 248,50 236 236 236,23 225,2 236,24 238,28 248,50 234,22 239 237 236f. 237,25. 240,33 236ff. 246,47 236 239f. 247,49 238f. 239,30. 246.48. 248,50. 259,65 239,31 237 239,32. 240 237f. 254,59 239 246,47 246,47 247. 248,50 244.248,50.250. 273 242. 245. 273 246,47. 250,54. 254,59. 259,64 246,47 242 246,47 226,3. 242. 245. 246,47. 254,59. 273
64 f. 65 66 67 68 69 ff. 72 73 74 74 ff. 75 76 78 81 85 85 f. 87 f. 88 89 90 90 f. 91 92 93 94 96 97 99 100 lOOff. 101 f. 102 103 104 107 109 27, 32ff. 34 35, 20 (Anonymus)
244. 245,45. ?5P 275 " ' 243. 245. 250 273 237.243.245,45. 246,47. 261,67 275. 275,95 243. 243,39 244 258,63 241 234,22 239,29 264,71 243 244 244.244,44.246, 47 244. 246,47 241,34 245,46. 246,47. 254,59. 273 247. 248,50 237 236 236f. 240,33. 252,5758. 260,65a 252 247. 247,49 234,22 239,29 241,34 241,35. 254,60 248,50 248,50. 254,60 246,47-48 254,59 248,50 243,40. 246,47 241. 242,37 246,47 237f. 237,26 237,26. 240,33 233,19. 242,38 243,39 241,36
Δ T»i Q+· fvf o l o a
pol. 6,2,1 ( = 1317a-b) 261,67 Auetor περί ΰφους 44 263,69
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Stellenregister Cassius Dio (Boissevain) C 52,14,4f. 19,5 f. 56,43,4 Cicero ad Q. fratr. 1,11,34 derep. 3,24(36) Dien Chrysostomus 44.. 12 Dionysius v. H a i . antiqu. 1,2-3 Lykrophron Alex. 1225 ff. jyienander v. Laodikeia περί επιδεικτικών Plinius d. Ä. nat. hist. 3,39 14,1 ff. Plinius d. J . ep. 8,24,4
paneg.
269,82 271,85 269,83 242,37 228,8-9 n o t ) * rr IdOU,XU
232,16
225,2 263,69 263,69 232
8,1 27,1 37,5 Plutarchus de fort. R o m a n . 316E-317C praec. ger. reip. 813E-F 324 C 824 C-E Salvianua de gub. Dei 5,22 36 f. Seneca phil. de clem. 1,1,8 ep. 114,1 ff. ι Tacitus Agricola 3,1 | dialogus
266,77 268,79. 269 263,69 242,37 231 001
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