Seewölfe � Kosaren der Weltmeere � Nr. 289 � 289
Roy Palmer �
Der Raub der Irin � Seeabenteuer-Roman
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l. ! Phil...
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Seewölfe � Kosaren der Weltmeere � Nr. 289 � 289
Roy Palmer �
Der Raub der Irin � Seeabenteuer-Roman
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l. ! Philip Hasard Killigrew, Big Old Shane und Dan O'Flynn stürmten aus dem Haupttor des Anwesens der Familie Burke und trachteten, sich in Sicherheit zu bringen, da geschah es. Die Söldner, die kurz zuvor von Batuti und den Zwillingen abgelenkt worden waren und das nahe Ufer des Corrib River aufgesucht hatten, kehrten zurück, sahen die drei flüchtenden Männer und begannen lauthals zu schreien. »Stehenbleiben!« »Halt, oder wir schießen!« Hasard und seine beiden Männer dachten nicht daran, diese Aufforderung zu befolgen, denn sie wußten inzwischen, wie die Burkes, der mächtigste und tonangebende Clan von Galway, mit Gefangenen umzuspringen pflegten. Dan O'Flynn war wegen eines Mißverständnisses festgenommen worden – Kommandant Norman Stephens und dessen Truppe hatten ihn in den Kerker des Burkeschen Besitzes geworfen, einer festungsähnlichen Anlage. Dann war George Darren Burke höchstpersönlich im Verlies erschienen, das Oberhaupt des Clans, und hatte Dan auf unvergleichlich arrogante Weise mitgeteilt, daß man ihn wegen seiner ›Verbrechen‹ zum Tode verurteilt habe. Im Morgengrauen hatte dieses Urteil vollstreckt werden sollen, doch Hasard und seine Männer waren Burke und Stephens zuvorgekommen und hatten Dan in einem tollkühnen Unternehmen befreit. Hasard, Shane und Dan liefen, so schnell sie konnten, aber jetzt waren die Söldner bereits dicht heran und eröffneten das Feuer. Bedrohlich nah pfiffen ihnen die Musketenkugeln um die Köpfe. Doch jetzt traten Matt Davies und Gary Andrews in Aktion, 3 �
die sich als Nachhut unweit des Tores hinter einem Ziehbrunnen versteckt hielten. Sie hatten geahnt, daß die ganze Aktion noch ein übles Nachspiel haben würde, und konnten vorausberechnen, daß alles zum Scheitern verurteilt war, wenn sie nicht unverzüglich handelten. Gary schlug in aller Hast Feuerstahl und Feuerstein aneinander, Matt hielt ihm die Flaschenbombe mit der Lunte entgegen, die er unter seiner Verkleidung verborgen gehalten hatte. Zischend fing die Zündschnur Feuer. Matt richtete sich zu seiner vollen Größe auf, holte mit seiner gesunden Hand weit aus und schleuderte die Höllenflasche den Söldnern entgegen. Dicht vor den Füßen der Heranstürmenden landete sie auf den Katzenköpfen des dem Anwesen vorgelagerten Platzes, zerbrach aber nicht. Ihr Glas war dick genug, dem Aufprall standzuhalten. Die Lunte brannte durch den Korken bis zu der Ladung aus Pulver, Glas, Blei und Eisen, dann ertönte der Donner der Explosion, und ein Blitz erhellte die Nacht. Die Söldner schrien gellend auf. Ein sengendes gelbes Licht dehnte sich von der Stelle aus, an der sie plötzlich in panischem Entsetzen auseinandersprangen, der Blitz zog die Schwärze aus dem Tor, den Gassen und Winkeln der nahen Häuser. Das gewaltige Krachen überschwemmte alles wie eine Welle, der Druck breitete sich nach allen Seiten aus und brachte Hasard, Shane und Dan, die ihre Kameraden jetzt erreichten, fast zum Stolpern. »Nichts wie weg hier!« stieß der Seewolf keuchend hervor. »Gleich haben wir auch wieder die Wachen vom Hof am Hals!« Sie tauchten in der Finsternis einer Gasse unter und liefen auf dem Weg ins Hafenviertel zurück, den Sally, ihre Helferin, ihnen vorher beschrieben hatte. Bei den Bootspiers trafen sie auf Batuti, die Zwillinge und 4 �
Arwenack, die soeben vertäut hatten und aus der Jolle kletterten. Auch das Boot hatten sie dank Sallys Hilfe beschaffen können, doch Hasard hielt es für zu riskant, es weiterhin zu benutzen. Wohin sollten sie damit fliehen? Sie kannten sich in Galway nicht gut genug aus. Wenn sie den Fluß überquerten, liefen sie Gefahr, auf der anderen Seite schon von Burkes Männern erwartet zu werden. Und wenn sie sich stromaufwärts oder – abwärts wandten? Nun, Stephens ließ jetzt sicherlich in aller Eile Boote bemannen. Somit würde binnen kürzester Zeit ein gnadenloses Kesseltreiben einsetzen, das unweigerlich mit dem Tod der Seewölfe endete. Vier Flaschenbomben waren in raschen Zeitabständen detoniert und hatten den Gegner gründlich verwirrt. Doch jetzt hatten Hasard und seine Begleiter nur noch zwei Höllenflaschen zur Verfügung. Damit und mit ihren wenigen Waffen konnten sie sich nicht dauerhaft gegen die Übermacht der Söldner zur Wehr setzen. Nein, sie mußten sich erst einmal verstecken, so daß der Feind glaubte, der Erdboden habe sie verschluckt. Dan war gerettet, doch was sie weiterhin unternehmen sollten, mußte erst einmal beratschlagt werden. In dem Gewirr von Gassen gelang es ihnen, den Verfolgern, die sich jetzt von Burkes Besitz aus in Bewegung setzten, zu entrinnen. Sie versteckten sich in einem verlassenen Kellergewölbe ganz in der Nähe des Hafens, nicht weit vom Long Walk, dem Spanish Arch und der Spanish Parade entfernt. »Sind wir hier auch wirklich sicher?« fragte Dan O'Flynn leise, als sie in die unergründlich wirkende Dunkelheit hinunterstiegen und sich vorantasteten. Hasard erwiderte: »Sally hat uns diesen Platz empfohlen, wie sie uns auch andere Einzelheiten über die Stadt genau geschildert hat.« 5 �
»Sally? Sie ist doch Kathryn Stephens' Freundin! Wenn das bloß keine Falle ist!« stieß Dan bestürzt aus. Shane legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ganz ruhig bleiben, Mister O'Flynn, es besteht kein Anlaß zur Sorge. Wir würden ihr voll vertrauen. Ihr Mann arbeitet mit den irischen Rebellen zusammen. Obwohl ihre Ehe nicht eitel Freude zu sein scheint, hält sie doch zu ihm und hat einen Haß auf die Burkes.« »Und wenn sie uns angelogen und verraten hätte, wäret ihr aus der Burg nicht mehr herausgekommen«, fügte Gary hinzu. »Ja, das könnte allerdings stimmen«, sagte Dan, war aber immer noch nicht ganz überzeugt. »Sally hat uns auch geholfen, die Flaschenbomben zu basteln«, erklärte der Seewolf. »Sie war uns in allem eine wertvolle Hilfe, auch als wir die beiden gefangenen Söldner über Burke aushorchten.« »Was, ihr habt zwei Söldner überrumpelt?« Dan war völlig überrascht. »Wie wäre es denn, wenn ihr mir das alles genau erzählen würdet?« »Sofort«, raunte Hasard. »Aber jetzt laß uns erst mal sehen, wo wir uns häuslich niederlassen können.« »Au, verdammt!« sagte Matt Davies plötzlich. »Ich hab mir den Kopf an einem verfluchten Pfeiler gestoßen. Kann man hier denn kein Licht machen, zum Teufel noch mal?« »Auf keinen Fall«, sagte der Seewolf warnend. »Es gibt ein paar winzige Fenster, die auf die Gasse hinausreichen, durch die könnten die Söldner auf das Licht aufmerksam werden.« »Mist, elender!« schimpfte Matt und rieb sich den schmerzenden Schädel. »Dem Klang unserer Stimmen nach zu urteilen, scheinen wir uns jetzt in einem ziemlich großen Raum zu befinden«, sagte Hasard. »Hier ist so was wie eine Bank«, brummte Shane. »Eine ziem6 �
lich lange sogar, sie ist in die Mauer eingelassen. Ich glaube, die hält. Moment, ich probiere sie mal aus.« Er setzte sich. Kein verräterisches Knacken kündete davon, daß das Holz morsch war, die Bank hielt tatsachlich stand und bot ihnen allen genügend Platz. Sie rückten ziemlich dicht zusammen und lauschten eine Weile in die Finsternis. Vorläufig näherte sich auch kein Schrittgetrappel. Die Wächter des Burkeschen Anwesens schienen noch um einiges von ihnen entfernt zu sein. Stille umgab das alte Gemäuer, in dem sich das Kellergewölbe befand. »Laßt mich mal berichten, wie's mir ergangen ist«, sagte Dan. »Diese Dreckskerle wollten mich erst foltern und dann hinrichten, weil sie mich für einen Spion der irischen Rebellen hielten.« »Ich glaube, dieser verdammte Pferdeknecht Rory O'Brien hat da auch seine Hand im Spiel«, murmelte Matt. »Als ich ihn hinter Mulkennys Herberge verdroschen habe, hat er ganz bestimmt bittere Rache geschworen. Der hat uns bei den Burkes gründlich angeschwärzt, sage ich euch.« Batuti stieß einen dumpfen Laut aus, dann sagte er: »Du hättest den Kerl nicht so hart anfassen sollen, Matt. Bißchen sanfter, nicht so grob.« »Ich hab nicht mal den Haken benutzt«, zischte Matt. »Und was sollte ich wohl sonst tun? Dieser Schweinehund hielt mich für einen Galgenstrick und dachte, ich wäre hier in Galway aufs große Plündern aus. He, Sir, sollte ich das vielleicht auf mir sitzenlassen?« »Nein. Und irgendwo eckt unsereins ja immer an, es läßt sich nicht vermeiden.« »Das stimmt«, pflichtete Dan ihm bei. »Mit diesen Burkes, das schwöre ich euch, hätten wir über kurz oder lang sowieso Streit gekriegt. Ich will euch mal erklären, was für ein Kerl George Darren Burke ist. So ein richtiger aufgeblasener Galway-Pfeffer7 �
sack. dem man am liebsten gleich eine runterhauen möchte, ehe man mit ihm spricht.« »Augenblick mal«, sagte Big Old Shane, der in seiner Hosentasche gekramt hatte. »Ehe du weiterredest, will ich dir was geben, was dir rechtmäßig zusteht. Hier, nimm schon hin.« Er drückte ihm etwas Hartes, Metallisches in die Hand. Dan grinste in die Finsternis hinein. »Das sind zwei spanische Dublonen, wenn mich nicht alles täuscht. Hol's der Henker, die nehme ich wirklich von dir an, Shane, denn die Wette, die wir in der Taverne ›Atalia Star‹ abgeschlossen hatten, hatte ja ihre Gültigkeit.« »Und du hast dir die Münzen sauer genug verdient«, sagte Shane. »Fast hatten sie dich deswegen um einen Kopf verkürzt.« »Falsch. Sie wollten mich erschießen, glaube ich.« »Das kommt ja wohl aufs gleiche hinaus«, sagte Philip junior. »Nicht ganz, mein Junge«, erwiderte Dan. »Eine Kugel wäre mir doch lieber gewesen. Wäre ich unterm Fallbeil oder unter dem Schwert des Henkers gelandet, hätte ich mich hinterher so kopflos gefühlt.« Keiner lachte, und auch Dan selbst fand, daß dies eine äußerst faule Art von Galgenhumor war. * Arwenack, der mit bei Batuti und den Zwillingen in der Jolle gesessen hatte, von der aus sie eine der Flaschenbomben zum Flußufer geworfen hatten, hockte jetzt zwischen Philip junior und Hasard junior, den Söhnen des Seewolfs, und legte sein zerfurchtes Schimpansengesicht in beide Vorderpfoten. Die bedrückte Stimmung ›seiner‹ Menschen griff auch auf ihn über, sehr wohl fühlte er sich nicht in seiner Haut. Warum saßen sie in diesem feuchten, dunklen Keller? Warum wurde wieder 8 �
geschossen und gebombt wie in den alten Zeiten der ›Isabella VIII.‹, als die Seewölfe ihre tollkühnen Raids durchgeführt hatten? Sollte diese Stadt nicht eigentlich ein friedlicher Platz, ein Hort der Behaglichkeit und Geborgenheit sein? Arwenacks Affenhirn konnte sich viele Zusammenhänge nicht erklären, und darum war er gleichsam dazu verdammt, in dumpfes Brüten zu versinken und trübe vor sich hin zu blicken, ohne zu einer Lösung zu gelangen. Mit seiner Annahme aber hatte er recht: Galway, die Hafenstadt an der Westküste Irlands, hätte eigentlich ein hervorragender Ort für die Männer der »Isabella« sein müssen, ein Sprungbrett für die Weiterreise nach England, das keine unangenehmen Überraschungen für sie bereithielt. Und doch kam es immer anders, als man sich das ausmalte. Einmal heil in Spanien gelandet, hatten Hasard, Shane, Dan, Batuti, Gary, Matt und die Zwillinge samt Arwenack, ihrem Bordmaskottchen, Platz für die Heimfahrt auf der Galeone ›Rosa de los Vientos‹ gefunden, die von Cadiz nach Galway gesegelt war, um hier Fässer voll Rio ja-Wein zu löschen und eine neue Ladung zu übernehmen. Am Anfang hatte sich alles recht gut angelassen, denn Don Juan Bernardo Orosco und sein Erster Offizier Aurelio Vergara waren Freunde der Seewölfe geworden. Ebenso mit der spanischen Mannschaft hatten sich die Passagiere der Galeone alsbald sehr gut verstanden. Das lag nicht zuletzt auch daran, daß sie während der Überfahrt an Deck kräftig mit zugepackt hatten: Die ›Rosa de los Vientos‹ war unterbemannt und mit so wenigen Leuten Besatzung im Grunde kaum zu manövrieren. In Galway hatte ihnen Orosco noch manchen Tip für den Aufenthalt in der Stadt gegeben, und Vergara hatte sie sogar zu der Herberge ›Morris' Arms‹ begleitet, wo sie Quartier bezogen hat9 �
ten. Galway war England freundlich gesinnt, denn seine Bewohner waren überwiegend normannischer Herkunft und hatten mit den Iren nichts gemein. Mehr noch: Die Clans von Galway bekämpften die irischen Rebellen im Hinterland der Grünen Insel und versuchten,' diese auszurotten. Mit den Spaniern hingegen verstand man sich in Galway gut, seit vielen Jahrzehnten schon florierte der gegenseitige Handel. Alles in allem hätten die Seewölfe in Galway keinen Ärger kriegen dürfen, und doch hatte es ihn gegeben. Alles hatte damit angefangen, daß sich ihr Aufenthalt länger ausgedehnt hatte als ursprünglich erwartet: Kein englisches Schiff lag auf der Reede oder am Long Walk, der langgestreckten Kaianlage, denn die Engländer mieden in der letzten Zeit die Westküste, weil die Rebellen diese Region besonders heimsuchten. Daher waren die Aussichten, demnächst nach Plymouth zu gelangen, alles andere als rosig. Verdrossen hatten Hasard und seine Männer eine der vielen Tavernen des Hafenviertels aufgesucht, die ›Atalia Star‹, um den Kummer mit Bier zu bekämpfen. Größer noch als ihr Verlangen auf eine rasche Rückkehr nach England war die Sorge um die anderen Kameraden. Was war aus Ben Brighton, Ferris Tucker, Edwin Carberry, Smoky, Blacky und all den anderen geworden? Die Abenteuer am Nil hatten einen unseligen Verlauf genommen, Hasard hatte die ›Isabella VIII.‹ verloren, und seine Männer waren in alle Winde versprengt worden. In Plymouth hoffte er den einen oder anderen wiederzutreffen und wollte sich dort wenigstens umhören. Vielleicht gab es Neuigkeiten über das Schicksal der Kameraden. Aus diesem Grund hatten er und seine Begleiter es jetzt so eilig, die Strecke von Irland nach England zu überbrücken. In der Taverne ›Atalia Star‹ waren unvermittelt einige putz10 �
muntere, aufgekratzte Frauen erschienen, unter ihnen eine gewisse Kathryn Stephens und deren Freundinnen Tara, Sally, Jade und Eileen. Diese fünf hatten mit den Seewölfen angebändelt, und prompt hatte es bei den Männern handfeste Zweifel darüber gegeben, ob es sich wirklich um biedere Hausfrauen handelte, wie Aurelio Vergara behauptet hatte. Dan hatte Vergara vertraut und die diesbezüglich mit Shane abgeschlossene Wette gewonnen: In Galway war alles anders, hier mußte nicht jede Frau, die man in einer Hafenkneipe antraf, gleich eine Hure sein. Es war hier üblich, daß nicht nur die Herren der Schöpfung, sondern auch deren Gemahlinnen ausgingen und freizügig durch die Tavernen bummelten. Norman Stephens hielt von solchen Bräuchen überhaupt nichts – und auch der Magistrat erließ immer wieder Verordnungen, in denen er den Frauenzimmern ihr unbotmäßiges Treiben untersagte und sie kraft Gesetzes an den häuslichen Herd zurückzutreiben suchte. Dagegen protestierten die Ladys von Galway natürlich, und so ging der Disput munter hin und her. Norman Stephens war unverhofft in der Taverne aufgetaucht und hatte sich sogleich auf Kathryn gestürzt, um sie zu züchtigen. Dan hatte inzwischen schon ein Tänzchen mit der Dame gewagt und sah sich nun veranlaßt, sie zu verteidigen. Mit gezielten Hieben hatte er den Kommandanten der Burke-Garde zu Boden geschickt. Im weiteren Verlauf der Angelegenheit wäre sicherlich nichts Dramatisches mehr passiert, wenn nicht plötzlich ein ganzer Trupp von Söldnern auf der Bildfläche erschienen wäre. Ehe Hasard, Shane, Batuti, Gary, Matt oder die Zwillinge hatten eingreifen können, war Dan überwältigt worden, und der wütende Stephens hatte ihn sogleich abführen lassen. Hasard hatte es für klüger gehalten, erst einmal die Entwicklung der Dinge abzu11 �
warten, als ein gewaltiges Handgemenge vom Zaun zu brechen, bei dem er mit seinen Leuten doch den kürzeren zog. So hatten sie Dan erst nach Einbruch der Dunkelheit befreit, und das Unternehmen war ihnen auch so gelungen, wie Hasard geplant hatte. Trotzdem gab es keinen Grund zum Frohsinn: Sie saßen hier fest, konnten jetzt weder zu Mulkenny, dem klotzigen Wirt des ›Morris Arms‹, noch zu Sally, weil sie sie auf keinen Fall gefährden durften. Galway war ein heißes Pflaster für sie geworden, wo der Tod in jeder Gasse und in jedem Winkel lauerte. »Hör mal, Shane«, sagte Gary Andrews, um das beklemmende Schweigen zu brechen. »Ich kriege auch noch was von dir, wegen der Wette, meine ich. Ich hatte zwei Piaster mit in den Topf geworfen und gegen dich gesetzt, vergiß das nicht.« »Du Stint«, brummte der graubärtige Riese. »Hab ich vielleicht ein Loch im Schädel, daß mir was entfällt? Aber ich will dir was verraten, du Schlauberger: Ich bin dir nichts schuldig, nicht mal 'nen müden Copper. Du solltest froh sein, daß du deine Piaster behalten darfst. Die hätte nämlich ich gekriegt, falls ich gewonnen hätte.« »Moment mal«, sagte Gary. »Wir brauchen einen Schiedsrichter.« »Ich melde mich freiwillig«, sagte Matt. »Dan müßte dir eine der Dublonen abgeben, Gary, damit wäre der Gewinn gerecht aufgeteilt.« Dan stieß einen Seufzer aus. »Na schön, hier hast du deine Münze, Gary. Ich hatte mir schon eingebildet, ich könnte dich leimen.« »Nein«, sagte Gary Andrews. »Die behalt mal schön, Mister O'Flynn. Ich bin nicht so scharf aufs Geld, wie du vielleicht denkst.« »Warum hast du denn dann die Sprache darauf gebracht, Mister Andrews?« wollte Big Old Shane wissen. »Nun?« 12 �
»Hölle, mir ist es hier ganz einfach zu stumm«, entgegnete Gary. »Man fühlt sich ja wie in einem Grab. Merkt ihr das gar nicht? Zum Teufel, ich will über etwas, quatschen, über was, ist mir ganz egal.« »In Ordnung«, sagte der Seewolf. »Dann erzähle Dan doch, wie unsere Begegnung mit Norman Stephens und dessen Truppe verlaufen ist. Wenn ich mich nicht irre, sind wir irgendwie vom Thema abgekommen.« »Stimmt!« stieß Gary hervor, und dann begann er zu berichten, froh darüber, einen Gesprächsstoff gefunden zu haben. Dan seinerseits schilderte im Anschluß daran ausführlich, wie es ihm im Kerker der Burkes ergangen war. Die anderen Männer lauschten aufmerksam, und nur manchmal stieß der eine oder andere einen saftigen Fluch aus. Schweigen trat erst wieder ein, als Gary und Dan mit ihren Berichten am Ende angelangt waren und Schritte, die sich durch die Gasse oberhalb des Kellergewölbes näherten, eine mögliche Gefahr verkündeten. Die Schritte verharrten nicht weit von einem der winzigen Fenster, durch die schmale Streifen blassen Mondlichts hereinfielen. Die Seewölfe konnten die Stimmen zweier Männer vernehmen. »Hier stecken sie bestimmt nicht«, sagte der eine. »Woher willst du das so genau wissen, Mark?« fragte der andere. »Ich habe nicht gesagt, daß ich es weiß. Ich behaupte nur, daß es unwahrscheinlich ist, sie hier aufzustöbern.« »Und wo sollen wir deiner Meinung nach suchen?« »In der Herberge ›Morris Arms‹. Vielleicht kehren sie dorthin zurück, um ihre Sachen abzuholen.« »Na, dann los, Mark«, sagte der zweite Sprecher. »Hoffentlich verdienen wir uns heute nacht noch die Prämie, die George Dar13 �
ren Burke auf die Köpfe dieser englischen Galgenstricke ausgesetzt hat.« Langsam entfernten sich die Schritte. Hasard und seine Männer mußten unwillkürlich grinsen. Sie hatten den einen Söldner wiedererkannt: Es war jener Mark, der von Hasard und Batuti im Keller von Sallys Haus vernommen worden war. Bereitwillig hatte er alles über die Hausanlage der Burkes preisgegeben, als der Gambia-Mann mit seinem Morgenstern gedroht hatte. Später hatte Hasard sowohl Mark als auch dessen gefangenen Kameraden weit genug von Burkes Anwesen freigelassen – sie hatten nicht mehr rasch genug zurückkehren und Stephens vor dem geplanten Überfall warnen können. »Kopfgeld für unsere Ergreifung also«, sagte Dan grimmig. »Das sieht diesem Burke ähnlich.« »Eins steht fest«, sagte Hasard. »Wir müssen so schnell wie möglich aus Galway verschwinden, sonst nimmt die ganze Sache ein übles Ende. Wir können uns weder hier noch bei Sally auf die Dauer verstecken, sonst gerät sie womöglich auch noch in Teufels Küche – und bei Mulkenny können wir auf keinen Fall unterkriechen.« »Wie wäre es mit der ›Rosa de los Vientos‹?« fragte Big Old Shane. »Die liegt doch noch am Long Walk. Wenn es uns gelingt, zurück an Bord der Galeone zu schleichen, sind wir die Söldner vorerst los.« »Ja, mit den Spaniern will Burke es sich nicht verderben«, sagte Dan O'Flynn. »Bestimmt wagt er nicht, an Bord der ›Rosa‹ eine Durchsuchung anzuordnen. Das Schiff ist für ihn so etwas wie ein neutrales Territorium.« »Und was tun wir, wenn wir wieder bei Don Juan Bernardo Orosco sind?« fragte der Seewolf. »Es muß doch einen Weg geben, auf andere Weise nach England zurückzukehren«, sagte Dan. 14 �
Hasard begann, über diesen wichtigsten Punkt angestrengt nachzusinnen. In Galway hielt sie nichts mehr, hier mußten sie so schnell wie möglich verschwinden und durften dabei keine Spuren hinterlassen. Sie mußten ein Schiff finden, mindestens eine einmastige Schaluppe, mit der sie die Weiterfahrt antreten konnten. Herrgott, irgendwer mußte doch zu überreden sein, sie zu unterstützen – und wenn es ein heißblütiger irischer Rebell war. 2. Kurz vor Anbruch des neuen Tages verließen sie das Gewölbe und begaben sich auf den Weg zur ›Rosa de los Vientos‹, die zwischen den anderen Kauffahrern am Long Walk vertäut hatte. Sie trugen immer noch ihre Verkleidung, die Sally ihnen besorgt hatte, bis auf Hasard, der Dan O'Flynn seinen dunklen Umhang über die Schultern gelegt hatte, um ihn so gut wie möglich vor den Blicken versteckter Spitzel und Lauscher zu schützen. Eine Möglichkeit wäre gewesen, mit der vorher benutzten Jolle zur ›Rosa de los Vientos‹ zu pullen, doch der Seewolf vermutete, daß die Söldner die Bootsanleger inzwischen bewachten, so daß es auf jeden Fall das beste war, die spanischen Freunde zu Fuß aufzusuchen. Es war schon eine recht seltsame Gruppe, die da heimlich durch das noch schlafende Galway marschierte und jeden Hauseingang, jede Toreinfahrt und jeden Seitengang als Deckung nutzte: voran der große schwarzhaarige Mann mit den breiten Schultern, dann der graubärtige Riese, die beiden Jungen, der schwarze Herkules aus Gambia, Matt Davies, der Mann mit der Hakenhand, Gary Andrews und schließlich Dan O'Flynn und Arwenack. Letzterer bewegte sich in seiner typisch schaukelnden Gangart voran, stieß manchmal ein dumpfes Grunzen aus 15 �
und fletschte hier und da die Zähne, weil er sich trotz seiner begrenzten Intelligenz gut vorstellen konnte, daß es bald wieder Verdruß gab. Immer wieder blickten sich die Männer um und vergewisserten sich, daß ihnen niemand folgte. Bald war die Spanish Parade erreicht, der Platz an der südwestlichen Stadtmauer, der durch den Spanish Arch in den Long Walk überging. Hier pflegten sich die spanischen Kaufleute zu treffen, hier befanden sich ihre Kontore, und drüben am Long Walk waren die Lagerhäuser und die Geschäfte der Schiffsausrüster. Am Tag herrschte reger Betrieb, jetzt aber lag das Plätzchen wie ausgestorben da. Hasard und seine Männer vermieden es, quer über den Platz dem Tor zuzustreben. Sie wußten genau, daß es eine tödliche Falle für sie hätte sein können. Sie pirschten durch eine parallel zum Corrib River verlaufende Gasse jenseits der Spanish Parade, gelangten auf einem kleinen Umweg zur Mauer und sahen sich wieder nach allen Seiten um. Der Spanish Arch wurde schwer bewacht und war mindestens durch eine schwere Kette verhängt, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Folglich wäre es eine Torheit gewesen, diesen Weg zu wählen, um den Long Walk zu erreichen. Die Söldner waren jetzt schwer auf der Hut, man konnte sie nicht mehr so leicht überrumpeln. Sie würden Alarm geben, ehe die Seewölfe sie niederschlagen, fesseln und knebeln konnten. Blieb also nur der Weg über die Stadtmauer. Zum Glück hatte Hasard an alles gedacht: Batuti trug eine Taurolle bei sich, die an ihrem einen Ende mit einem Enterhaken verbunden war. Hasard ließ sich von Batuti die Rolle geben. Er prüfte den Sitz des Knotens um das Auge des Enterhakens, nahm das Tau etwas auseinander und ließ den Haken dann um seine rechte Hand wirbeln. 16 �
Als er ihm genug Schwung verliehen hatte, ließ er den Haken nach oben entgleiten. Er flog an der Mauer hoch, schien über der Umrandung einen winzigen Augenblick in der Luft stillzustehen, fiel dann zurück, fand jedoch nicht genügend Halt. Er glitt ab und klirrte zu Boden. »Verdammt!« zischte Big Old Shane. »Wenn die Posten das gehört haben, sind wir geliefert.« »Die Waffen raus«, raunte der Seewolf. »Sobald uns jemand zu nahe rückt, gebt ihr zunächst Warnschüsse in die Luft ab. Erst bei einem Angriff der Söldner zielt ihr auf ihre Beine, verstanden?« »Verstanden, Sir«, murmelten die Männer. Hasard wiederholte seinen Versuch, und diesmal hatte er Erfolg. Der Enterhaken klammerte sich an einer der Mauerzinnen fest und rutschte nicht mehr ab. Hasard vergewisserte sich, daß das Tau der Belastung standhalten würde, dann schickte er die Zwillinge als erste nach oben. Mit den anderen zusammen sicherte er nach allen Seiten, während Philip junior und Hasard junior affengewandt an dem Tau hochkletterten. Allzu hoch war die Mauer nicht, sie konnten wagen, auf der anderen Seite zu Boden zu springen, statt sich am Tau hinuntergleiten zu lassen. Die Knochen brach man sich dabei nicht, man mußte den Aufprall nur durch geschicktes Wippen in den Knien abfangen. Gary und Matt waren als nächste dran, dann Dan und Batuti. Arwenack folgte dem Gambia-Mann und stieg blitzgewandt über dessen Rücken auf die Mauerkante, ehe Batuti auch nur die Zinnen mit den Händen erreicht hatte. Batuti stieß einen Fluch aus, aber dann grinste er. »Shane, beeil dich«, flüsterte Hasard. »Auf was wartest du noch?« »Auf dich natürlich.« 17 �
»Ich steige als letzter hoch. Nun mach schon – das ist ein Befehl, verdammt noch mal!« Shane hangelte am Tau hoch. Befehl war Befehl, und Hasards Order galt zu Wasser wie zu Land. Eigentlich hatte der Schmied von Arwenack als letzter über die Mauer klettern wollen, um Hasard den Vortritt zu lassen. Doch der Seewolf konnte sehr unangenehm werden, wenn man seine Anweisungen nicht prompt befolgte. Batuti und Arwenack jumpten gerade von den Mauerzinnen zur gegenüberliegenden Seite hinunter. Shane zog sich an der Mauerumrandung hoch, dann warf er noch einen Blick auf Hasard. Hasard hatte sich die Pistole in den Gurt gesteckt und traf Anstalten, ebenfalls am Tau hochzuklettern. »Nun spring schon!« zischte der Seewolf. Shane folgte den Kameraden, die schon abwartend zu ihm aufblickten. Sicher landete er neben ihnen auf dem Pflaster der Gasse, die außerhalb der Stadtmauer direkt zum Long Walk hinunterführte. Hasard kauerte sich auf die Mauer, duckte sich und holte das Tau wieder auf. Er rollte es zusammen und stieß sich mit einem Satz von der Mauer ab. Federnd setzte er zwischen den anderen auf und grinste ihnen zu. Der Weg zur ›Rosa de los Vientos‹ lag jetzt ohne weitere Hindernisse offen vor ihnen. * Rory O'Brien, der Pferdeknecht mit dem Frettchengesicht, hatte sich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen. Als die vier Explosionen mit gewaltigem Donner die ganze Stadt aufgeschreckt hatten, hatte natürlich auch er die Kneipe verlassen, in der er sich an diesem Abend gründlich vollaufen zu lassen 18 �
gedachte, da die Burkeschen Söldner ihn für seine Hinweise mit ein paar Münzen belohnt hatten. Aus einiger Entfernung hatte O'Brien das heillose Durcheinander beobachtet, das für einige Zeit vor dem Anwesen der Familie Burke herrschte, und hier hatte er bald von den Neugierigen und Nachtschwärmern erfahren, was sich abgespielt hatte. Auch von dem Zwischenfall in der Stadt, bei dem Stephens und seine Männer kräftig Prügel bezogen hatten, wußte man. In Galway sprach sich alles schnell herum. O'Brien – klein, krummbeinig, mit runzigem Gesicht, listigen Knopfaugen und heftig zuckendem Mund – hatte dies alles vernommen und sich mit gemischten Gefühlen wieder entfernt. In eine verzwickte Lage hatte er sich da gebracht: Schön, er hatte die Söldner vor den Engländern, diesen Bastarden, gewarnt und darauf hingewiesen, daß sie irische Spione sein könnten. Stephens hatte daraufhin beschlossen, sie nicht nur zu beschatten, sondern gleich festzunehmen, damit sie keinen Schaden mehr anrichten konnten. Soweit war alles in Ordnung. Aber jetzt hatten die Söldner kräftig was auf die Jacke gekriegt. Zu allem Übel hatten die englischen Hundesöhne auch noch diesen Dan O'Flynn befreit. Tote hatte es bei den Explosionen wohl nicht gegeben, wohl aber eine Menge Verletzte. Außerdem war ein Teil des Innenhofes beschädigt worden. Zwei Säulen, so hieß es, seien wie dünne Hölzchen weggebrochen und ein Dach sei eingestürzt. Wie würden George Darren Burke, Norman Stephens und die Söldner dies nun auslegen, was ihn, Rory O'Brien, betraf? Hatte er ihnen wirklich geholfen – oder alles nur noch verschlimmert? Vermutlich reichte ihre Vernunft so weit, daß sie zu dem Schluß gelangten, die Engländer hätten auf jeden Fall versucht, ihren Kumpan aus dem Kerker zu holen. Und wenn sie gescheit waren, dann sagten sie sich am Ende auch, daß es ihre eigene 19 �
Schuld war, wenn diese Bastarde sie gleich zweimal höllisch überrumpelt hatten. Wie auch immer, für ihn, O'Brien, war es das klügste, sich zunächst einmal im Hintergrund zu halten. Wenn die größte Wut der Burke-Leute verraucht war und die logischen Erwägungen an die Stelle des blinden Hasses traten, konnte auch er wieder in Erscheinung treten und überlegen lächelnd erklären, er habe dies alles schließlich schon von Anfang an vorausgesehen. Mulkennys ›Morris Arms‹ wurde in dieser Nacht gleich dreimal durchsucht, von oben bis unten und von vorn bis hinten. Es hätte nicht viel gefehlt, und die Söldner hätten die Zimmer, die die Seewölfe nur kurzfristig bezogen hatten, einzeln auseinandergenommen. Sie fahndeten und forschten und dachten an das Kopfgeld, das George Darren Burke zornbebend für den Fall versprochen hatte, daß man ihm die verfluchten Engländer brachte und vor die Füße warf, einzeln oder zusammen, tot oder lebendig, das war ihm egal. Mulkennys Wut wuchs derweil auch, er war schon drauf und dran, sich auf die Söldner zu stürzen und sie mit Hieben und Tritten aus seiner Herberge ins Freie zu befördern. Aber letzten Endes war seine Selbstbeherrschung doch größer – er wollte nicht auch noch im Kerker landen. O'Brien verkroch sich auf den Heuboden, als die Luft völlig rein zu sein schien. Er machte es sich gemütlich und schlief bald ein, doch seine Ruhe, durchwirkt von rosaroten Träumen, die alle von Reichtum und großem Glück handelten, wurde überraschend und auf höchst unsanfte Weise unterbrochen. Mulkenny hatte sich in den Heuschober geschlichen. Er wußte, wo sein Knecht schlief. So stand er jetzt an O'Briens Lager, ein Berg von Mensch, breit und klotzig, und weckte den Kerl durch einen heftigen Tritt in den Allerwertesten auf. O'Brien schreckte hoch. »Was, zum Teufel…« 20 �
Er sah die riesige Gestalt Mulkennys über sich und verstummte. Sogleich kriegte er das große Zittern, sein schlechtes Gewissen meldete sich. Mit dem Wirt war nicht zu spaßen. O'Brien hatte ihn meiden wollen, doch jetzt sah er ein, daß es ein Fehler gewesen war, überhaupt in die Herberge zurückzukehren. Aber wo hätte er sonst schlafen sollen? Etwa draußen, wo die Nacht auch zu dieser Jahreszeit empfindlich kalt war? »Du altes Dreckschwein«, sagte Mulkenny. »Ich weiß Bescheid. Konnte mir ja denken, daß du Philip Hasard Killigrew und seine Männer anscheißen würdest, weil Matt Davies dich vermöbelt hatte.« »Aber – von was sprichst du überhaupt?« stieß O'Brien entsetzt hervor. Mulkenny gab ihm noch einen Tritt, und der Knecht fuhr hoch. »Hör zu, du Drecksack!« schrie der Riese ihn an. »Mir schwindelst du nichts vor! Die Söldner haben mir sehr wohl erzählt, daß du in Burkes Festung warst und groß rumgetönt hast, was die Engländer doch für Spitzel und Verräter seien!« »Ich hielt das – für meine Pflicht«, stammelte O'Brien. Die Knie schlotterten ihm ganz gewaltig, denn er konnte sich lebhaft ausmalen, was Mulkenny jetzt mit ihm tun würde. »Ich hab's schon immer geahnt, daß du ein erbärmlicher Lump bist«, sagte Mulkenny voll Ingrimm und Verachtung. »Einer von der niedrigsten Sorte, die man nicht mit den Fingern anfassen mag. Aber erst heute nacht sind mir richtig die Augen aufgegangen. O Heiland, und so was wie dich hab ich unter meinem Dach gehabt und beköstigt.« O'Brien hob seinen bebenden Zeigefinger. »Laß mich erklären…« »An dir beschmutze ich mir die Hände nicht«, sagte der Wirt, ehe sein Knecht weiterreden konnte. »Aber einen guten Rat gebe 21 �
ich dir. Laß dich hier nicht wieder blicken, sonst könnte es sein, daß du am Ende zerfetzter aussiehst als die Hose, die du da trägst, du Halunke.« »Was – was heißt das?« »Daß du deine Klamotten packst und abhaust.« »Aber ich…« »Raus!« sagte Mulkenny, und die Art, wie er dieses eine Wort aussprach und dabei die Fäuste hob, veranlaßten O'Brien, hastig und ohne jede weitere Widerrede seine wenigen Habseligkeiten zusammenzuraffen und den Heuboden zu verlassen. Er fiel fast von der Leiter, keuchte entsetzt und war den Tränen nahe, doch Mulkenny beeindruckte das nicht. Mitleid hatte er mit den Seewölfen, die in der Klemme saßen, nicht mit O'Brien. So geschah es, daß Rory O'Brien in aller Herrgottsfrühe wieder seine krummen irischen Beine durch die Gassen von Galway bewegte, auf der Suche nach einer Unterkunft. Er wußte nicht, was er tun sollte. Geld hatte er kaum, und eine Arbeit würde er so schnell nicht wieder finden. Mulkenny würde bald überall herumerzählen, daß man ihm nicht trauen könne, und was Mulkenny sagte, das hatte ziemlich viel Gewicht. Also brauchte sich O'Brien nach einem neuen Broterwerb gar nicht erst umzuhören, jedenfalls nicht in Galway. Sollte er es als Söldner in Burkes Truppe versuchen? Nein, das war nicht nach seinem Geschmack. Da ging es nicht nur darum, Posten zu schieben, wie ja auch die heutige Nacht bewiesen hatte, da mußte man mit der Muskete angreifen, wenn der Feind sich meldete, und ein Mann wie O'Brien hatte eher den Hang, in solch einem Fall in die umgekehrte Richtung zu rennen statt auf den brüllenden Gegner zu. Für ihn gab es jetzt nur noch eine Möglichkeit – nämlich, den Einbruch vorzunehmen, zu dem er auch Matt Davies hatte überreden wollen. Eigentlich hätte er schon einen Komplicen 22 �
gebraucht, um auf diesem Weg schnell reich zu werden, aber in seiner momentanen Lage war er bereit, es auch allein zu wagen. Also, es galt, eins der kleineren Handelskontore in der Nähe der Spanish Parade aufzusuchen und mit langen Fingern in die hoffentlich volle Kasse zu langen. O'Brien kannte sich aus und wußte, welche Kontore sich leisten konnten, nachts einen Wachtposten aufzustellen, und welche nicht. Überdies konnte es sein, daß man nach allen Begebenheiten der Nacht eher auf den Hafen achtete, wo die englischen Hundesöhne bestimmt bald wieder auftauchten, als auf die Kontore der biederen, pfennigfuchsenden Kaufleute von Galway. O'Brien war nicht weit von der südlichen Stadtmauer entfernt und hatte an der Rückseite eines Handelshauses das richtige Fenster für seinen großen Zug erkundet, durch das er nach reiflicher Überlegung einzusteigen gedachte – da vernahm er plötzlich ein schwaches metallisches Klirren. Er hob den Kopf und lauschte mit verhaltenem Atem. Sein Herz schlug schneller. Was war das gewesen? Der Säbel eines Söldners? Nahte jemand, der ihn womöglich überraschen konnte? O'Brien kriegte Angst vor der eigenen Courage und verdammte sich selbst, daß er es überhaupt begonnen hatte. Er stand in einem Hauseingang gegenüber dem Kontor und harrte der Dinge, die da nun folgen mochten. Doch es geschah nichts. Keine Schritte näherten sich, kein Wachtposten erschien. O'Brien hätte nach erneutem Nachdenken sein Unternehmen starten können, doch seine Neugier war geweckt. Was, beim Donner, hatte es mit diesem Geräusch auf sich? Er schlich in die Richtung, aus der er den Laut gehört hatte, und gelangte in eine Gasse, die direkt in die längs der Stadtmauer verlaufende Straße mündete. Hier konnte er sich gerade noch gegen die Fassade eines Hauses drücken, als er eine Bewegung oben auf der Mauer wahrnahm. Er kriegte eben noch mit, 23 �
wie ein Tauende wie von Geisterhand gezogen nach oben entschwand. Eine Gestalt löste sich von der Mauerumrandung und tauchte hinter den Zinnen im Dunkel unter. Rory O'Brien hätte es nicht nur schwören mögen – er hätte seinen Kopf darauf verwettet, daß die Gestalt mit Philip Hasard Killigrew identisch war. So wußte er, wie er ohne Risiko doch noch Geld kassieren konnte. Er brauchte nur zu Norman Stephens und dessen Söldnern zu gehen. Wenn er berichtete, was er gesehen hatte, vergaßen sie bestimmt sofort den Ärger, den sie möglicherweise gegen ihn hegten. * Unbehelligt erreichten die Seewölfe die ›Rosa de los Vientos‹. Die Bordwache gab dem Kapitän und den Offizieren Bescheid, und kurz darauf standen Hasard und seine Männer in Juan Bernardo Oroscos Kammer. Auch Aurelio Vergara war erschienen und erkundigte sich, was geschehen sei. »Señor Killigrew wollte es uns gerade erzählen«, sagte der Kapitän. »Bitte, meine Freunde, setzen Sie sich doch. Señor Vergara, lassen Sie etwas Wein bringen.« Gegen einen Becher Wein hatten die Seewölfe jetzt weiß Gott nichts einzuwenden, zumal es der vorzügliche Rioja war, von dem Orosco natürlich einen Teil für sich und seine Mannschaft an Bord behalten hatte. Hasard wartete, bis Vergara zurück war, dann begann er: »Don Juan, Aurelio, Sie haben ja sicher die Explosionen vernommen und auch etwas von dem Zustand mitbekommen, der in der Stadt herrschte.« »Ja«, sagte Orosco. »Wir dachten, es handle sich um einen Angriff irischer Rebellen. Vorsichtshalber rüsteten wir Klarschiff 24 �
zum Gefecht, aber hier am Long Walk blieb alles ruhig. Dem Himmel sei Dank.« »Das waren keine irischen Rebellen«, sagte Hasard. »Das waren wir.« Mit zunehmend betroffenen Mienen vernahmen die beiden Spanier jetzt, was sich zugetragen hatte. Als er am Ende seines Lageberichts angelangt war, fügte Hasard noch hinzu: »Und so haben wir jetzt die Häscher der Burkes unter dem Kommando von Norman Stephens im Nacken. Sie können jeden Augenblick wieder auftauchen.« »Und die kennen sich in Galway besser aus als Sie, Señores«, sagte der Kapitän nachdenklich. »So gesehen, haben Sie schon ein kleines Wunderwerk vollbracht, es überhaupt bis hierher zu schaffen. Nun, ich hatte Ihnen ja gesagt, Señor Killigrew, mit uns können Sie immer rechnen. Wir sind Ihre Freunde. Überlegen wir gemeinsam, was sich tun läßt.« Der Aufklarer erschien mit dem Wein, es wurde ausgeschenkt und serviert, und dann tranken die Männer. »Hasard«, sagte Aurelio Vergara schließlich. »Irgendwie fühle ich mich mitverantwortlich für das, was passiert ist. Hätte ich Sie nicht zu Mulkenny gebracht, hätte Matt Dañ vies niemals diesen Zusammenstoß mit dem Pferdeknecht gehabt, von dem Sie erzählt haben.« Der Seewolf hob abwehrend beide Hände. »Du liebe Güte, sagen Sie doch so was nicht. Die Sache mit O'Brien spielt nur am Rande eine Rolle. Wir wären auch so in eine der Tavernen gegangen und früher oder später sowieso mit Stephens und den Söldnern zusammengestoßen. In solchen Sachen haben wir eine überaus glückliche Hand.« »Darf ich etwas fragen?« meldete sich Shane zu Wort. Er nickte und lächelte, als Orosco ihm mit einer aufmunternden Geste ant25 �
wortete. »Also, mein Vorschlag wäre, daß Sie uns mit der ›Rosa‹ aus Galway wegbringen und an einem sicheren Abschnitt der irischen Küste absetzen. Wir gehen beispielsweise in einem kleinen Fischerdorf an Land und hören uns um, ob uns jemand nach England rüberbringt. Ich weiß, das ist viel verlangt – aber wir werfen all unser Geld zusammen, das, was uns noch geblieben ist, und bezahlen Sie dafür, Pon Juan.« »Von Bezahlung kann gar keine Rede sein«, widersprach Orosco sofort. »Eigentlich hast du mir das Wort aus dem Mund genommen, Shane«, erklärte der Seewolf. »Genau das wollte auch ich sagen.« »Verzeihung, Sir.« »Schon gut.« »Amigos, leider muß ich Ihnen etwas sehr Niederschmetterndes mitteilen«, sagte jetzt jedoch Vergara. »Señor Capitän, auch Sie sind davon noch nicht unterrichtet, ich hielt es für ratsam, mit dieser Nachricht bis zur nächsten Wachablösung zu warten.« »Heraus damit«, sagte Orosco. »Was ist es?« »Sämtliche Schiffe im Hafen von Galway haben vorerst striktes Verbot, auszulaufen. Dies wurde uns durch einen Wachgänger vom Spanish Arch übermittelt, aber wir hatten keine Gelegenheit, Genaueres zu erfahren, weil er sich gleich wieder zurückzog. Und noch etwas: Eine stark armierte Galeone, die ›Pride of Galway‹, überwacht fortan die Hafenausfahrt.« »So ein Mist«, sagte Dan O'Flynn. »Und das alles, weil ich mit diesem Stephens aneinandergeraten bin. Hätte ich mich bloß zurückgehalten.« »Hör doch auf«, sagte Hasard. »Ich an deiner Stelle hätte genauso gehandelt. Es hat außerdem keinen Zweck, daß wir uns mit irgendwelchen Vorwürfen herumplagen. Damit kommen wir nicht weiter.« 26 �
»Richtig«, sagte Big Old Shane, aber was er vorschlagen sollte, wußte er nicht. »Ich bedaure sehr, Ihnen nicht in dem Maße helfen zu können, wie ich es Ihnen gegenüber für angemessen hielte«, sagte der Kapitän Juan Bernardo Orosco. »Aber gegen die Macht der Burkes und der mit ihnen verbündeten Familien von Galway scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Trotzdem will ich tun, was ich kann. Señor Vergara, sind Sie auch dieses Mal bereit, unsere Freunde zu begleiten?« »Selbstverständlich, Capitan.« »Ich betone ausdrücklich, daß es ein gefährliches Unternehmen ist, deshalb ist Ihr Handeln in diesem Fall unbedingt freiwillig. Sie dürfen sich zurückziehen und aus allem heraushalten, wenn Sie wollen, keiner wird Ihnen deswegen gram sein.« »Ich danke für Ihre Worte«, sagte der Erste Offizier. Er warf Hasard, Shane und den anderen einen raschen Blick zu und grinste plötzlich. »Doch ich unterstütze diese Männer, wo ich kann, und nehme jedes Risiko auf mich. Das ist für mich eine Sache der Ehre.« »Bravo, Señor Aurelio«, sagte Philip junior spontan, kriegte aber gleich darauf einen roten Kopf, denn sein Vater bedachte ihn mit einem zurechtweisenden Blick. »Danke, Señor Vergara«, sagte Orosco zu seinem Ersten. Ich habe eine andere Entscheidung von Ihnen auch nicht erwartet.« Er sah zu den Zwillingen, lächelte und murmelte: »Prachtkerle, wirklich. Alle beide.« Schnell wurde er wieder ernst. »Señor Vergara, Sie bringen Señor Killigrew und seine Männer in einer unserer Jollen nach The Claddagh, dem Fischerdorf auf der anderen Seite des Flusses. Ich befürchte, daß Burkes Männer doch an Bord der ›Rosa‹ erscheinen. Sie werden davor nicht zurückschrecken, wenn sie unsere Freunde in der Stadt nicht finden. Eins unserer Beiboote 27 �
jedoch wird man so schnell nicht kontrollieren, jedenfalls rechne ich nicht damit.« Er wandte sich an Hasard. »Über The Claddagh haben wir Ihnen wohl schon etwas erzählt, glaube ich.« »Ja.« »Die Bewohner des Dorfes schirmen sich hermetisch von der Außenweit ab. Sie müßten dort vorübergehend sicher sein. Davon bin ich fest überzeugt, und ich will Ihnen auch den Grund dafür nennen: Die Stadt Galway ist bezüglich der Lebensmittelversorgung zu einem erheblichen Teil von den Fischern abhängig, da ihr das von den Rebellen besetzte Hinterland fehlt.« »Ja, das leuchtet mir ein«, sagte der Seewolf. »Würden die Galway-Familien es auch nur einmal wagen, The Claddagh anzugreifen, gäbe es für die Stadt ab sofort keinen Fisch mehr. Vorausgesetzt, die Fischer nehmen Sie auf, droht Ihnen also keine Gefahr.« »Das glaube ich auch«, fügte Vergara hinzu. »Denn die Seewölfe haben nichts mit der von den Claddagh-Leuten ungeliebten ›Galway-Mischbrut‹ gemein.« »Herzlichen Dank«, sagte Dan O'Flynn lachend. »Ich wußte schon immer, daß wir was Besseres sind als alle anderen.« Wieder lachte niemand mit. Die Gefahr war noch lange nicht gebannt, und die Überquerung des Flusses konnte leicht zu einem mörderischen Unternehmen werden. »Brechen wir sofort auf«, sagte Vergara. »Noch haben wir die Dunkelheit als Verbündeten. Wenn es erst hell wird, kann man euch leicht entdecken, Amigos.« Die Seewölfe stimmten dem nur zu. Sie erhoben sich, tranken ihre Becher leer und verließen dann mit den beiden Spaniern die Kapitänskammer der ›Rosa de los Vientos‹. 3. 28 �
The Claddagh lag dem Long Walk genau gegenüber an der Westseite der trichterförmigen Mündung des Corrib River. Es war ein schon sehr, altes Fischerdorf, das, wie auch Sally den Seewölfen erzählt hatte, als die erste Ansiedlung in dieser Gegend überhaupt galt. Galway war 1177 von den Normannen besetzt worden, The Claddagh hatte zu jener Zeit bereits existiert, offenbar ging seine Gründung auf Urzeiten zurück. Die Einwohner von The Claddagh waren Iren – im Gegensatz zu den Bürgern von Galway –, und sie kapselten sich nach außen hin tatsächlich völlig ab. Sie hatten ihren eigenen Bürgermeister, dessen Boot eine weiße Flagge führte, und sie taten alles, um ihren Stolz und ihre Eigenständigkeit unter Beweis zu stellen. So lehnten sie auch energisch ab, Englisch zu sprechen. Ebenso strikt hielten sie sich an die Verordnung des Magistrats von Galway, daß kein Fischer jemals einen Spaten oder eine Forke in die Hand nehmen sollte. Die Einwohner von The Claddagh waren also ein eigentümliches Völkchen, stets mißtrauisch gegenüber allen Fremden, und sie duldeten absolut keine fremden Fischer in der Galway-Bucht. Sie verteidigten ihr Revier, und wagte sich doch ein fremdes Boot in ihre Gewässer, dann wurden die Netze zerschnitten und wilde Gefechte entfesselt. Auf die Stadtbewohner schauten die Leute von The Claddagh voll Verachtung, denn sie selbst heirateten nur unter sich. Auf die Inzucht war man stolz. Daher wurden die Menschen von Galway von den Claddagh-Fischern als ›Mischbrut‹ bezeichnet, denn jene heirateten ja auch Auswärtige. Und noch etwas: Wie die meisten Fischer waren die Einwohner von The Claddagh ziemlich abergläubisch. Die Bewohner von Galway konnten eher verhungern, als daß die Iren an einem Tag 29 �
zur See fuhren, der nach ihrer Ansicht unter einem schlechten Omen stand. Sie schienen alles in allem eine Menge Sitten und Unsitten zu haben, von denen der Uneingeweihte nicht die geringste Ahnung haben konnte. Hasard und seine Männer, die alle diese Einzelheiten entweder von Sally oder von Aurelio Vergara erfahren hatten, sollten noch am eigenen Leib erfahren, welche unangenehmen Seiten solche Unwissenheit mit sich bringen konnte. Vorerst aber hatten sie nur ein Ziel vor Augen, nämlich den Long Walk so schnell wie möglich hinter sich zu lassen und den Fluß zu überqueren. Erste graue Schatten der Morgendämmerung zogen bereits von Osten herauf und schwächten die Dunkelheit ab. Es wurde höchste Zeit, sich in Bewegung zu setzen. Rasch war das eine Beiboot der ›Rosa de los Vientos‹ an der dem Corrib River zugewandten Schiffsseite abgefiert. Die Jakobsleiter wurde ausgebracht, dann enterten die Männer ab, zuerst die Zwillinge, Gary und Matt, dann Dan, Batuti, Big Old Shane und der Affe, der wieder auf höchst abenteuerliche Weise herumturnte. Aurelio Vergara lächelte, als er Hasards Blick zum Himmel registrierte. »Gewiß«, sagte er. »Es wird kein sonniger Tag werden. Regenwolken ziehen herauf. Ich frage mich aber, ob das nicht vielleicht ein Vorteil für Sie ist, Hasard.« »Gegen Regen habe ich nichts einzuwenden.« »Gegen Bleikugeln aber eine ganze Menge, nicht wahr?« »Sie haben es erraten, Aurelio. Wollen Sie jetzt abentern?« »Bitte sehr«, sagte der Erste. »Gehen Sie zuerst, Hasard, ich lasse Ihnen den Vortritt. Wir wollen doch nicht zu umständlich sein, oder?« Hasard erwiderte nichts darauf, er fuhr plötzlich herum. 30 �
Auf dem Long Walk wurde es lebendig. Ganz unversehens tauchten sie aus der Dunkelheit auf und liefen auf die ›Rosa de los Vientos‹ zu – waffenschwingende Gestalten in Uniform, ihnen allen voran Norman Stephens, der schon von weitem deutlich wiederzuerkennen war. Er war groß und breitschultrig, hatte schulterlanges, mittelblondes Haar, das jetzt heftig flatterte, und ein schmales und scharfgeschnittenes Gesicht, in dem ein Schnauzbart prangte. »Hol's der Henker«, sagte der Seewolf. »Also haben sie doch herausgefunden, daß wir hierher zurückgekehrt sind. Ob uns jemand beobachtet hat?« »Darüber brauchen wir jetzt nicht nachzudenken!« stieß Vergara hervor. »Los, nichts wie ab in die Jolle!« Es waren etwa zwanzig Soldaten, die sich im Laufschritt näherten, weitere schienen aus Richtung des Spanisch Arch zu folgen. Rory O'Brien hatte wirklich nichts Eiligeres zu tun gehabt, als zu Norman Stephens zu eilen und diesem mitzuteilen, was er an der Stadtmauer gesehen hatte. Stephens hatte gefolgert, daß der Fluchtweg der Engländer nur zum Long Walk führen konnte, und dort würden sie aller Wahrscheinlichkeit nach auf der ›Rosa de los Vientos‹ Unterschlupf suchen. Welcher andere Schiffskapitän außer Orosco würden ihnen sonst Asyl gewähren? Es gehörte wahrhaftig kein Scharfsinn dazu, diese Schlußfolgerungen zu ziehen. »Auf das Schiff!« schrie Stephens also. Er schien ein Freund schneidiger Kommandos zu sein, das hatten Hasard und dessen Begleiter ja schon bei ihrer Begegnung mit den Söldnern in der Taverne und in den Gassen des Hafenviertels festgestellt. »Durchsucht es von oben bis unten!« rief Stephens. Jetzt hatte er den Rand der langen Kaimauer schon fast erreicht und konnte sehen, was sich auf dem Hauptdeck der ›Rosa‹ tat. Er hatte seine Augen weit aufgerissen und gab sich redlich 31 �
Mühe, trotz der schlechten Sichtverhältnisse alles in der näheren Umgebung genau zu erforschen. So fielen ihm sofort die beiden Gestalten am Schanzkleid auf. Die eine trug die Uniform eines spanischen Offiziers auf Handelsschiffen – und die andere war ganz unverkennbar der Anführer der englischen Bastarde! »Da sind sie!« brüllte Stephens, wobei er eigentlich übertrieb, denn bislang hatte er ja nur einen seiner Gegner entdeckt, nämlich Hasard. »Packt sie!« schrie er mit überschnappender Stimme. »Laßt sie nicht entwischen!« Er verfolgte, wie Hasard Anstalten traf, über das Schanzkleid zu klettern, blieb abrupt stehen und riß die Muskete hoch, die er zu diesem frühmorgendlichen Streifzug durch die Stadt mitgenommen hatte. Rasch spannte er den Hahn, und dann drückte er auch schon ab. Das Steinschloß versprühte Funken, donnernd brach der Schuß. Eine weißliche Qualmwolke stieg in den heller werdenden Himmel auf. Aurelio Vergara und der Seewolf duckten sich. »Aurelio!« zischte Hasard. »Sie bleiben gefälligst hier!« »Das könnte Ihnen so passen«, sagte der Spanier. Don Juan Bernardo Orosco war auf dem Achterdeck erschienen, nachdem er sich vorher wieder in seine Kammer zurückgezogen hatte, um den unterbrochenen Schlaf bis zur Wachablösung fortzusetzen. »Wer da?« schrie er aufgebracht. »Was fällt Ihnen ein, auf mein Schiff zu feuern? Sind Sie des Teufels, Mann?« Stephens war der spanischen Sprache kaum mächtig, so zog er es vor, erst einmal nicht zu antworten. »Sir«, sagte plötzlich unten im Boot Big Old Shane. »Da treibt eine einmastige Schaluppe den Fluß runter. Ich will verdammt sein, wenn das nicht auch Burkes Leute sind.« Mit dieser Feststellung hatte er tatsächlich den Kern der Sache getroffen. Stephens hatte nach Rory O'Briens Vorstoß zu ihm 32 �
sofort seine Vorkehrungen getroffen und ein Dutzend Männer an Bord der Schaluppe geschickt, die für alle Fälle weiter stadteinwärts am Long Walk bereitlag. Dieses Schiffchen näherte sich jetzt mit geradezu beängstigender Geschwindigkeit der spanischen Galeone, wobei man an Bord nicht viel mehr zu tun brauchte, als die Ruderpinne zu bedienen, denn die Strömung diente der Schaluppe als treibende Kraft, die Segel brauchten vorerst nicht gesetzt zu werden. Wieder krachte ein Schuß. Stephens hatte sich eine zweite Muskete geben lassen und feuerte wieder auf den Seewolf. Don Juan rief: »Alle Mann auf Gefechtsstation! Legt an die Musketen und die Arkebusen! Das lassen wir uns nicht bieten!« Vergara schien nicht bereit zu sein, sich zurückzuziehen, doch Hasard handelte kurz entschlossen. Er wollte weder Orosco noch dessen Ersten Offizier noch mehr Unannehmlichkeiten bereiten. Die Lage war auch so schon schlimm genug. Der Schuß pfiff heran, und Hasard versetzte Vergara geistesgegenwärtig einen Stoß vor die Brust, um ihn vor der Kugel zu bewahren. Vergara stolperte und fiel auf die Planken. Er fluchte nicht schlecht, aber die Kugel hatte ihn nicht erwischt. Auch über Hasards Kopf war sie gezischt. Hasard kletterte über das Schanzkleid und enterte in Windeseile an der Jakobsleiter ab. Vergara rappelte sich zwar auf, aber er hatte den Anschluß verpaßt – der Seewolf saß schon auf der Heckducht des Bootes, als er ans Schanzkleid stürzte und nach unten schaute. Shane und Dan stießen die Jolle mit Bootshaken von der Bordwand der Galeone ab, Hasard drückte die Ruderpinne herum. Dann begannen die anderen zu pullen, als säße ihnen der Leibhaftige im Nacken. Rasch glitt die Jolle von der »Rosa de los Vientos« fort. »Viel Glück, ihr Teufelskerle«, murmelte Vergara. Er wandte 33 �
sich um und lief zu seinem Kapitän, der jetzt zu toben begann und die Fäuste gegen Stephens und dessen Truppe schüttelte. Stephens beachtete den Temperamentsausbruch des Spaniers nicht weiter, er lauschte vielmehr dem, was ihm der Führer der Schaluppe zurief. »Die Engländer nehmen mit einem Boot Reißaus!« »Wohin?« schrie Stephens zurück. »Quer über den Fluß nach The Claddagh!« »Verdammt«, sagte Stephens, dann sah er sich nach einem Boot um, mit dem er an der weiteren Verfolgung der flüchtenden »Spione und Gewalttäter« teilnehmen konnte. Seine Leute entdeckten auch unweit einer der steinernen Treppen, die zum Wasser hinunterführten, eine Jolle, doch es dauerte eine Weile, bis der Kommandant und ein Teil seiner Truppe in das schwankende Fahrzeug geklettert waren, die Leinen gelöst hatten und anpullten. Die Besatzung der einmastigen Schaluppe beging unterdessen den Fehler, erst noch die weiteren Befehle von Stephens abzuwarten, statt sofort der davonschwimmenden Jolle nachzustellen. So gewannen Hasard und seine Männer einen Vorsprung. Norman Stephens hob den Kopf und blickte zur Schaluppe. »Ihr Idioten! Auf was wartet ihr?« schrie er. »Setzt die Segel, nehmt die Verfolgung auf!« »Aye, Sir!« rief der Schaluppenführer, aber das nun einsetzende Manöver fiel nicht so zackig aus wie seine Bestätigung. Stephens requirierte Jolle schob sich am Heck der ›Rosa de los Vientos‹ vorbei. Plötzlich flog da oben ein Schott der Heckgalerie auf und knallte gegen die Außenwand. Es erschien der aufgebrachte Kapitän Orosco in Begleitung seines Ersten Offiziers. »Nennen Sie mir augenblicklich Ihren Namen!« schrie er Stephens zu, diesmal auf englisch. »Ich werde mich beim Magistrat 34 �
über Sie beschweren. Fast hätten Sie einen meiner Männer umgebracht!« »Ich bin Norman Stephens, George Darren Burkes Kommandant!« rief Stephens zurück. »Beschweren Sie sich ruhig, Mister Burke ist selbst der Magistrat!« »Ihr Verhalten widerspricht jedem Gesetz!« brüllte Orosco. »Und Sie haben einem Verbrecher und dessen Bande von Galgenstricken geholfen, indem Sie ihnen ein Boot gegeben haben!« rief Stephens, der dunkel im Gesicht anlief. »Ein Boot?« Don Juan stellte sich überrascht und entrüstet. »Was für ein Boot denn wohl? Wir haben nur eine Jolle, und die brauchen wir selbst.« »Nur eine?« wiederholte Stephens und drehte sich in dem zur Flußmitte steuernden Boot noch einmal zu den Spaniern um. »Daß ich nicht lache! Ein Schiff dieser Größe muß mindestens zwei Jollen haben!« »Die eine haben wir bei einem Sturm im Atlantik verloren!« schrie Aurelio Vergara. »Das wird Ihnen jeder Mann an Bord dieser Galeone bestätigen, Mister Stephens!« »Fahrt zur Hölle«, brummte Stephens, dann wandte er sich den Rudergasten zu, um sie mit barschen Worten anzutreiben. Hölle, wenn er sich das recht überlegte, dann hatte ihm dies alles nur Kathryn eingebrockt. Sie saß zu Hause, heulte sich die Augen aus und beteuerte immer wieder, wie leid ihr dies alles täte. Aber damit ließ sich nun auch nichts mehr ins rechte Lot bringen. Was hatte sie auch in den Tavernen zu suchen und fremden Kerlen schöne Augen zu machen! Sie war eine dumme, eingebildete Gans, befand Stephens, und würde die ganze Angelegenheit noch schwer bereuen. Vielleicht schickte er sie für einige Zeit weg, nach Hause zu ihren Eltern. Jawohl, genau das würde er tun. 35 �
Vergara lächelte seinem Kapitän zu und sagte: »Ich wußte gar nicht, daß ein Katalane wie Sie so gewaltig aufbrausen kann, Señor.« »So? Meinen Sie, das könne nur ein Andalusier wie Sie?« »Bisher habe ich es vielleicht angenommen. Soll ich die Version, daß wir ein Boot im Sturm verloren haben, bei der Besatzung verbreiten?« »Ich bitte Sie darum«, sagte Don Juan Bernardo Orosco. »Im übrigen glaube ich, daß wir uns jetzt beruhigen können. Unsere Freunde scheinen The Claddagh fast erreicht zu haben.« Dies entsprach den Tatsachen: Hasards Männer und auch die Zwillinge hatten keinen Atemzug lang mit dem Pullen aufgehört. Sie waren ins Schwitzen geraten, aber sie pullten mit zusammengebissenen Zähnen weiter, denn schließlich ging es darum, das nackte Leben zu retten. Hasard steuerte die Jolle. Er hatte keine Schwierigkeiten, The Claddagh auch wirklich zu finden. Immerhin hatte er genug über das Fischerdorf gehört, um sich ein Bild von seiner Lage zu verschaffen, und auch sonst hatte er einige wichtige Details über den Hafen im Kopf. Mit kräftigen Riemenschlägen trieben die Männer und die Jungen das Boot weiter voran. In erstaunlich kurzer Zeit war die Mündung des Corrib River überquert, undeutlich waren am westlichen Ufer die ersten Häuser zu erkennen. Die Sicht wurde schlechter, weil es jetzt zu regnen begann. Hasard und seine Männer waren darüber aber nicht besorgt, ganz im Gegenteil, sie grinsten sich zu und wußten genau, warum sie's taten. Die Schaluppe und die Jolle der Verfolger schoben sich zwar drohend heran, doch auch die Schaluppe konnte es mit ihren Segeln an Schnelligkeit nicht mit den Seewölfen aufnehmen. Allmählich fielen die Söldner zurück, und das Boot der Engländer 36 �
tauchte in den dunstigen Schleiern unter, die sich jetzt über dem Fluß ausdehnten. »Schießt!« schrie Stephens, der mit seiner Jolle um zwei Bootslängen hinter der Schaluppe lag und keine Chance sah, diese zu überholen. Die Söldner an Bord der Schaluppe legten ihre Musketen auf Gabelstützen und zielten, so gut es ihnen möglich war, doch als sie auf die entschwindenden Feinde abdrückten, gab es nur ein mehrfaches Klicken: Das Zündkraut auf den Pfannen der Steinschlösser war wegen des Regens naß geworden, schon jetzt ließen sich die Waffen nicht mehr zünden. Die Partie war vorläufig verloren. In The Claddagh brauchte Norman Stephens mit seinen Leuten gar nicht erst zu landen, das würde nur Ärger mit dem Uachtaran, dem Dorfältesten, geben. Die Fischer waren verdammte Sturköpfe, die mit den Söldnern der Burkes nichts zu tun haben wollten. Sie waren imstande, aus reinem Protest die Engländer tage- und wochenlang zu verstecken. Sie waren die geborenen Rebellen, die, was die Leute von Galway betraf, nur eines im Sinn hatten: diesen ihren Fisch zu möglichst hohen Preisen zu verkaufen. Stephens hatte schon unerfreuliche Erfahrungen mit den Claddagh-Bewohnern gesammelt. Sie würden ihn verhöhnen und an der Nase herumführen, weil sie ihn nicht leiden konnten. Diese zusätzliche Schmach wollte er nicht hinnehmen, lieber kehrte er unverrichteter Dinge zu Burke zurück und berichtete alles so, wie es sich zugetragen hatte. Stephens und die Söldner versuchten zwar noch, die Jolle der Gegner unter Land abzufangen und in die Enge zu treiben, doch auch das mißlang ihnen. Vorläufig tauchte das Boot nicht wieder auf. Der Regen und der Morgendunst verbargen es. Sollte er, Norman Stephens, sich jetzt an den Spaniern von der 37 �
›Rosa de los Vientos‹ rächen? Auch das empfahl sich nicht, denn George Darren Burke wollte es mit den Spaniern nicht verderben. Dazu lief das beiderseitige Geschäft zu gut. Der Burkesche Wohlstand beruhte auf dem Verkauf von Waren, nicht auf dem Erfolg oder Mißerfolg des Kleinkrieges, den er gegen seine Widersacher führte. Seit Jahrzehnten pflegte das Oberhaupt des Clans enge Beziehungen zu den wichtigsten spanischen Handelshäusern. Folglich blieb Stephens wirklich keine andere Wahl, als gebeugten Hauptes in die Burkesche Familienfeste zurückzukehren. Kathryn, du Luder, dachte er zornig, das wirst du mir noch büßen Warte nur ab. 4. Inzwischen lag die Jolle der ›Rosa de los Vientos‹ längst zwischen all den anderen Booten, die an den Piers von The Claddagh schaukelten, und war somit zu einer anonymen Nummer unter vielen geworden. Die Seewölfe waren an Land gegangen und sahen sich im Regen um. Wo steckten die absonderlichen Bewohner der Siedlung? Was sich da dem Auge zeigte, wirkte alles andere als einladend. Geduckte Hütten mit grauen Mauern, naßglänzendes Kopfsteinpflaster, ein wenig Rauch, der aus einem Kamin aufstieg, ein Hund, der mit eingezogenem Schwanz in einer Gasse verschwand. Und nach wie vor ließ sich kein Mensch blicken. »Da brat mir doch einer einen Hai« sagte Big Old Shane. »Das Nest scheint ausgestorben zu sein.« »Du hast das richtig ausgedrückt, Shane«, sagte der Seewolf. »Es scheint so, ist aber nicht. Wahrscheinlich werden wir bereits mit wachen Augen beobachtet.« 38 �
»Wir sollten hier erst mal verschwinden«, schlug Dan O'Flynn vor. »Sonst tauchen womöglich doch noch Stephens und dessen Kerle auf.« »Vielleicht«, sagte Hasard. »Aber schießen können sie nicht, und landen werden sie auch nicht. Ihr Pulver ist naß, und wenn ich Orosco und Vergara richtig verstanden habe dann meiden sie The Claddagh wie die Pest.« »Pest?« Matt Davies' Stimme hatte einen unheilvollen Beiklang. »Mal bloß nicht den Teufel an die Wand. Hier wird doch wohl keine schlimme Krankheit wüten, was?« »Jetzt redest du wie mein Alter«, sagte Dan. »Aber die Leute von Galway hätten längst eine Quarantäne über das Dorf hier verhängt und alles hermetisch absperren lassen, wenn es so wäre.« »Das leuchtet mir ein. Aber deinen Alten laß bitte aus dem Spiel.« »Es wäre dir recht, wenn er jetzt bei uns wäre?« »Ja, verdammt.« »Mir auch«, sagte Dan, und plötzlich verspürte er wieder das scheußliche Gefühl, das ihm immer dann zusetzte, wenn er an seinen Vater dachte. Wo mochte der jetzt stecken, wie war es ihm ergangen? Was war mit den anderen Männern der ›Isabella VIII.‹ geschehen? Hasard und sein kleiner Trupp von Getreuen versuchten, die Sorgen um ihre Kameraden dadurch zu verdrängen, daß sie entweder strikt vermieden, sie auch nur mit einem Wort zu erwähnen, oder aber, daß sie sich betont forsch und burschikos darüber äußerten, wie Old O'Flynn, Ben Brighton, Ferris Tucker, Carberry und all die anderen jetzt wohl schon beim dicken Plymson in der »Bloody Mary»von Plymouth saßen und sich darüber wunderten, warum ihr Kapitän noch nicht da war. »Nehmen wir mal an, die Iren hocken hinter den Fenstern der 39 �
Häuser und zielen mit ihren Waffen auf uns«, sagte Gary Andrews. »Das würde doch bedeuten, daß wir genau in die Falle laufen.« »Ach was«, sagte der Seewolf. »Sie mögen allesamt einen dicken Schädel haben, aber sie knallen uns bestimmt nicht wie die Hunde ab. Los jetzt.« Er setzte sich in Bewegung und hielt auf die Häuser und Hütten zu. Im Dahinschreiten überlegte er, ob die Bewohner von The Claddagh vielleicht heimliche Rebellen waren. Wenn nicht, welche Position bezogen sie dann? Verhielten sie sich neutral? Irgendwie mußten sie sich äußern, denn das Rebellenproblem war vorrangig und bestimmte fast jedes Geschehen auf irgendeine Weise. So lagen ja zur Zeit auch keine englischen Schiffe im Hafen von Galway, denn in den letzten Wochen hatten die Aufständischen immer wieder an der Westküste vorbeisegelnde Galeonen überfallen, obwohl offiziell Waffenstillstand zwischen England und Irland herrschte. Die Familie Burke führte indessen an der Spitze von befreundeten und finanzstarken Bürgern einen erbitterten Kampf gegen die Rebellen, die im Landesinneren hausten und die Kapitulation von 1583 für null und nichtig hielten. Der Seewolf und einige seiner Männer waren seinerzeit selbst mit dabeigewesen, wie Elizabeths I. treue Kämpfer unter der Leitung von Drake in der Dungarvanbai gelandet waren. Sie hatten durch ihren Einsatz mit dazu beigetragen, daß die Spanier – die Verbündeten der Iren – kräftig dezimiert worden waren. Dungarvan war nur eine Episode der vielen Kämpfe gewesen, die in Munster tobten, eine Vielzahl von Scharmützeln, Überfällen und Belagerungen. Die Rebellen lebten in der ständigen Hoffnung auf spanische Hilfe. Als diese im November 1580 endlich eintraf, erwies sie sich als wenig wirkungsvoll. Eine Truppe von sechshundert Spa40 �
niern landete in Smerwick, befestigte die Stadt und wartete ab, was geschehen würde. Die irischen Rebellen verhielten sich nicht weniger zaudenrd. Lord Grey de Wilton, der englische Truppenkommandant in Munster, handelte indessen sofort. Er mobilisierte alle verfügbaren Männer, marschierte gegen Smerwick, besiegte die Spanier und ließ jeden Überlebenden mit dem Schwert hinrichten. Dieser militärische Erfolg verlängerte den irischen Kleinkrieg jedoch, denn Elizabeth I. war jetzt davon überzeugt, daß keine weiteren spanischen Truppen nach Irland geschickt werden würden. Deshalb kürzte sie den Nachschub und überließ es dem Lord Deputy in Irland, den Krieg mit verringerten Truppen zu einem langsamen Ende zu bringen. Die Kämpfe zogen sich weitere drei Jahre hin, und nahezu die gesamte Provinz Munster lag brach. James FitzMaurice, der die Interessen seiner irischen Landsleute als fanatischer Gegner des Protestantismus und der englischen Regierung wahrnahm, war 1575 auf den Kontinent geflohen, wo er versucht hatte, eine Armee zusammenzustellen. Schließlich landete er in Dingle im Südwesten Irlands mit einer gemischten Streitmacht aus dreihundert Italienern und Spaniern, die vom Papst und Philipp II. von Spanien finanziert wurde. Mit von der Partie war der päpstliche Nuntius Nicholas Sanders, ein Engländer. Letzterer sollte den religiösen Aspekt des Unternehmens unterstreichen. FitzMaurice fiel bei einem Scharmützel mit den Burkes aus Galway. Nachfolger von FitzMaurice wurde Sir John of Desmond, der 1581 getötet wurde. Im selben Jahr starb auch der päpstliche Nuntius Sanders an der Ruhr. Bis zu seinem Tod im November 1583 hielt der Earl of Desmond, Bruder von Sir John, die Rebellion noch aufrecht. Mit seinem Tod endete der Aufstand in Munster. Die Rebellen ergaben sich. 41 �
Anderenorts jedoch gingen die Kämpfe weiter, es sprach für die Unbeugsamkeit und Hartnäckigkeit der Iren, sich nicht geschlagen zu geben. Das Hauptziel der englischen Siedlungspolitik in Irland war es in den folgenden Jahren gewesen, rebellische irische und angloirische Einwohner durch loyale englische Siedler zu ersetzen. Etwa vierhunderttausend Morgen Land, nach dem Aufstand in Munster konfisziert, wurden in Abschnitte von viertausend bis zwölftausend Morgen aufgeteilt, die englischen ›Unternehmern‹ zugewiesen wurden. Diese wiederum hatten den Auftrag, ihre Landabschnitte mit englischstämmigen Familien zu besiedeln. So gab es auch in Galway einige angloirische Familien, die sich in friedlichem Einvernehmen mit den normannischen Ureinwohnern und den wenigen reinblütigen Iren hier niedergelassen hatten. Die gesamte englische Siedlungspolitik jedoch wurde langsam und höchst unzulänglich durchgeführt. Jetzt, im Jahre 1592, hatte man dank einer Untersuchungskommission herausgefunden, daß sich von 85 ›Unternehmern‹ nur dreizehn selbst in Irland angesiedelt und lediglich 245 englische Familien auf dem zugewiesenen Land niedergelassen hatten. Dieser Fehlschlag war zum Teil auf die Unzuverlässigkeit der von der englischen Krone Beauftragten zurückzuführen, zum Teil aber auch auf die Bereitwilligkeit letzterer, irische Grundbesitzer gegen hohe Pachtzahlungen weiter über ihr Land verfügen zu lassen. Dadurch waren schnellere und sicherere Profite möglich als durch die geforderte Neuansiedlung von Engländern. Für die Familie Burke standen eher persönliche als politische Motive im Vordergrund, was ihren Kleinkrieg gegen die Rebellen im Hinterland betraf. Von jenen Freischärlern wurde, so lauteten zumindest die 42 �
Gerüchte in Galway, eine kleine Gruppe spanischer Soldaten versteckt gehalten, die im November 1580 in Smerwick mit der sechshundert Mann starken Invasionstruppe gelandet waren. Bei der Niederlage vom Smerwick sollte es diesen insgesamt zwölf Spaniern gelungen sein, ihren bei der Landung mitgeführten Goldschatz in Sicherheit zu bringen. Die Iren hofften jetzt, dieses Geld, das auch ursprünglich zur Finanzierung des Krieges gegen die Engländer und sympathisierende Anglo-Iren bestimmt war, doch noch für seinen ursprünglichen Zweck verwenden zu können. Hasard hatte diese Informationen von Sally erhalten und wußte jetzt, warum George Darren Burke so versessen darauf war, die Rebellen vernichtend zu schlagen. Aber noch etwas kam hinzu: Die Iren hatten vor einigen Monaten einen Geldtransport der Burkes überfallen und das Schiff versenkt. Alle Besatzungsmitglieder waren bei diesem Raid getötet worden. Seitdem sännen die Burkes auf blutige Rache. Mehrere Strafexpeditionen der hauseigenen Söldnertruppe unter der Führung von Norman Stephens hatten bereits stattgefunden, ohne daß dabei jedoch ein Erfolg von durchschlagender Wirkung erzielt worden war. Das Burke-Geld mußte sich also immer noch in der Hand der Rebellen befinden und wurde wahrscheinlich über kurz oder lang dazu verwendet, Waffen für den Kampf gegen die englandfreundlichen Einwohner Galways zu kaufen. Wie aber verhielten sich die Einwohner von The Claddagh? Hielten sie sich bei alledem die Augen zu, verstopften sie sich die Ohren? Oder arbeiteten sie mit den Rebellen Hand in Hand? Hasard grübelte darüber nach, gelangte aber zu keinem Schluß. Die Situation war verworren, und die Lage der Seewölfe selbst sah auch alles andere als rosig aus.
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Seine Gedanken wurden unterbrochen, denn jetzt spielte sich die Begegnung mit den Bewohnern von The Claddagh auf so absonderliche Weise ab, wie es der engstirnigen Denkweise der Iren entsprach. Plötzlich waren sie da, traten aus den Gassen hervor und versammelten sich unter den vorspringenden Dächern ihrer Hütten. Der Regen trommelte auf die Dachpfannen, rann daran hinunter und tropfte auf die Hüte dieser Männer, die mit verschlossenen Mienen und verschränkten Armen nun einfach dastanden und die Seewölfe fixierten. »Nun schau dir diese Kerle an«, sagte Shane, der neben Hasard ging. »Stur sind sie, das muß man ihnen lassen. Gehen wir weiter?« »Aber sicher doch. Und nimm gefälligst deine Hand vom Pistolenkolben. Sie haben keine Waffen bei sich, soweit ich erkennen kann«, sagte der Seewolf. »Ich kann meine Pistole sowieso nicht gebrauchen. Es regnet.« »Du könntest ihnen damit eins über den Schädel ziehen«, sagte Hasard. »Allein gewisse Gesten können schon als Herausforderung ausgelegt werden.« Shane nahm die Hand vom Kolben seiner Radschloßpistole. Nur zu, dachte er, die Sache wird schon schiefgehen. * Die Schüsse, die im Hafen von Galway gefallen waren, hatten die Einwohner des Fischerdorfes natürlich gehört. Daher waren die verantwortlichen Männer von The Claddagh sofort alarmiert worden. Ein entsprechendes ›Empfangskomitee‹ stand für die Seewölfe bereit. Ein seltsam mürrischer Ausdruck war in den Mienen die46 �
ser fünfzehn, sechzehn Männer zu lesen, die mit so stoischer Ruhe nur halb geschützt unter dem auf das Dach plätschernden Regen warteten. War das nur eine gut einstudierte Komödie – oder waren sie von Natur aus wirklich so veranlagt? »Waffen haben sie tatsächlich nicht«, sagte Hasard, als ihn nur noch wenige Schritte von den Iren trennten. »Nicht mal ein paar Knüppel. Ich glaube, sie haben keine feindseligen Absichten gegen uns.« »Nun ja«, murmelte Dan O'Flynn hinter seinem Rücken. »Aber diese Gesichter sind doch irgendwie merkwürdig. Die haben was an sich, was ich mir nicht erklären kann.« »Und doch kannst du es«, sagte Gary Andrews. »Denk doch daran, was die gute Sally uns erzählt hat.« »Das mit der Inzucht meinst du?« »Na klar.« Gary grinste. »Ich schätze, hier bleibt ein junges Mädchen nur so lange Jungfrau, wie sie schneller laufen kann als ihr Vater oder Bruder.« »He«, zischte Batuti von achtern. »Nicht so laut. Iren sonst beleidigt sind und fallen über uns her.« »Die?« Dan lächelte überlegen. »Die verstehen wahrscheinlich nicht mal, was wir sagen. Die können nur ihr Gälisch, behaupte ich. Wollen wir wetten?« »Nein, danke«, erwiderte der Gambia-Mann. »Wetten bringt uns hier kein Glück, kapiert?« »Ja«, brummte Dan. »Ich werde versuchen, mich daran zu erinnern. Ich bin ja schon still.« Recht sollte er aber doch behalten, und es war ja schon bekannt, daß die Bewohner von The Claddagh strikt ablehnten, Englisch zu sprechen. Hasard trat vor einen knorrigen Alten hin, der ihm in der Gruppe der schweigsamen Iren besonders auffiel. Vielleicht ist das der Uachtaran, dachte er, der Dorfälteste. Der Mann hatte lange graue Haare und einen ebenfalls grauen 47 �
Bart, der es mit dem von Big Old Shane aufnehmen konnte. Hasard nickte ihm zu, setzte eine freundliche Miene auf und sagte: »Guten Morgen, Sir. Wir haben vor Burkes Leuten fliehen müssen, weil der Kommandant Stephens uns hartnäckig auf den Fersen sitzt. Dürfen wir uns hier verstecken, für kurze Zeit wenigstens?« »Feadfaith tu toaiocht«, sagte der alte Mann. »Ach, du lieber Himmel!« entfuhr es Shane. »Wer soll denn das verstehen? Was für ein Kauderwelsch ist das?« »Gälisch natürlich«, entgegnete der Seewolf, der indes nicht aufhörte, dem Alten zuzulächeln. »Vielleicht ist es ein Willenkommensspruch.« »Tu truncghlao in airite go«, brummte der Alte. »Ich hab nur das Wörtchen ›go‹ verstanden«, flüsterte Matt Davies Gary, Batuti, Dan und den Zwillingen zu. »Was soll das heißen? Daß wir abhauen sollen?« »Warte doch«, raunte Gary ihm zu. »Erst wenn sie mit den Fäusten drohen und zu brüllen anfangen, wissen wir, daß wir hier nicht erwünscht sind.« »Ihr beiden«, wandte sich Matt Davies an die Zwillinge. »Werdet ihr aus dem Gerede des Alten schlau?« »Nein«, antwortete Philip junior, und sein Bruder schüttelte ebenfalls den Kopf. »Wenn's Türkisch oder Arabisch wäre, wäre es was anderes, aber…« »Ghnath-thruncghlaonna ma chui-reann«, sagte der alte Mann. »Das ist schlimmer als Türkisch oder Arabisch«, stöhnte Matt Davies. Hasard sagte zu dem Greis: »Können wir nicht auf englisch miteinander reden? Englisch?« Der Alte schüttelte den Kopf. »Spanisch?« Wieder verneinte der alte Mann. Dies war die erste Lektion für 48 �
die Seewölfe: Feindselig verhielt man sich in The Claddagh nicht, und man verwendete hier nicht sofort die Fäuste oder irgendwelche Waffen – nein, hier benutzte man den Dickschädel, um zu zeigen, wer Herr im Hause war und wo es langging. Gälisch wurde hier gesprochen, und dabei blieb es. Selbst wenn der Uachtaran und seine Gefolgschaft die englische Sprache sogar beherrschten – sie zeigten es nicht. »Hasard«, sagte Shane dumpf. »Wie lange wollen wir hier noch im Regen stehen und uns mit den Burschen gegenseitig anöden? Diese Kerle sind so stur wie tausend See-Elefanten. Ty»pische Iren.« »Nur keine Hast«, sagte Hasard. »Die scheint mir hier nicht angebracht zu sein. Immer hübsch gemütlich.« »Ja, aber wir weichen dabei allmählich auf.« »Kaum bist du an Land, da kriegst du deine Anwandlungen, Shane«, sagte der Seewolf mit leichtem Spott. »Auf See würdest du jeden Brecher über dich ergehen lassen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Und hier?« Big Old Shane fühlte sich in seiner Ehre berührt, empfindlich sogar. Er setzte eine grimmige Miene auf und knurrte: »Na schön, Sir. Ich werde hier, auf diesem Platz, stehenbleiben, bis mir das Wasser aus den Stiefeln, aus den Ohren und aus der Hose schwappt.« Der Dorfälteste – Hasard nahm zumindest nach wie vor an, daß er es war – nickte, stieß eine Art Grunzen aus und sagte mit einem Blick zu Shane: »Chuireann.« Shane antwortete mit einem Fluch. »Noch so eine Beleidigung, und ich werde ungemütlich, Freundchen, merk dir das.« Die Iren stießen sich jetzt untereinander an, deuteten auf den graubärtigen Riesen und murmelten sich irgendwelche Bemerkungen zu. »Ich glaube nicht, daß der Alte was Abfälliges über dich geäu49 �
ßert hat, Shane«, sagte Hasard, ohne den Greis aus den Augen zu lassen. Verstand er, was sie sprachen, oder nicht? »Deine rauhbeinige Art scheint ihnen vielmehr zu gefallen.« »So? Na, da bin ich aber froh.« Der Schmied von Arwenack begegnete dem Blick des Alten. Blitzte es da vergnügt in den blauen Augen – oder täuschte er sich? »Also, wenn ihr meine Meinung hören wollt, Leute von The Claddagh, dann seid ihr eine Bande von ausgekochten Schlitzohren, so wahr ich hier stehe und mich naß regnen lasse.« Der alte Mann nickte wieder und schien das Für und Wider jeder möglichen Entscheidung abzuwägen. Er beriet sich mit seinen Leuten. Sie wiesen mal hier-, mal dorthin und stießen sich wieder untereinander an. Unterdessen wurde der Regen immer stärker und prasselte im trüben Grau des erwachenden Morgens auf die Dächer der Häuser und Hütten. Endlich schien sich der Alte zu einem Entschluß durchgerungen zu haben. Er zeigte so was wie den Anflug eines Lächelns und deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Toaiocht«, sagte er rauh. »Das scheint eine Einladung zu sein«, sagte Hasard. Die Männer von The Claddagh drehten sich um und stapften davon. Hasard, Shane und die anderen schlossen sich ihnen an und folgten ihnen. Da die Iren sie nicht zurückwiesen oder sonstwie daran zu hindern versuchten, nahmen sie an, daß es mit diesem ihrem Benehmen schon seine Richtigkeit hätte. 5. Gemeinsam suchten sie eins der niedrigen Häuser auf und nahmen unter klobigen Deckenbalken an einem langgestreckten Tisch Platz. Das Gebäude schien so etwas wie ein Versammlungsraum und Trinklokal gleichzeitig zu sein. Jedenfalls war 50 �
das, was jetzt begann, eine Art Verhandlung, bei der es an dem nötigen irischen Starkbier, das die Stimmen vor der Heiserkeit bewahrte, nicht mangelte. Der bucklige Mann, der unvermittelt auftauchte und Becher und Krüge verteilte, schien der Kalfaktor zu sein, einer, der alle möglichen Arbeiten verrichtete und sogar dem Alten seinen Stuhl zurechtrückte. Er war flink und aufmerksam, es entging ihm nicht, wenn irgendwo ein Bierkrug leer war, und gleich eilte er wieder fort, um Nachschub zu holen. Hier bewiesen die Männer von The Claddagh sofort, daß auch sie etwas von Gastfreundschaft hielten: Die Seewölfe wurden an dem morgendlichen Umtrunk beteiligt. Stur waren diese Iren, das stimmte, aber sie konnten sich bei entsprechenden Anlässen auch lebenslustig und heiter zeigen und ein fast südländisches Temperament entwic»keln. Der Greis gab dem Buckligen einen Wink und sagte etwas in der kehligen Sprache, und sofort verließ der Mann das Haus und verschwand im Regen. Vorher ging er noch an der Seite des Tisches vorbei, wo Hasard und seine Männer saßen, und grinste ihnen aufmunternd zu. »Auch so ein Inzuchtsgesicht«, sagte Matt Davies nach einem tüchtigen Schluck von seinem Bier. »So häßlich, daß ihn nicht mal Satans Weib persönlich haben wollte – aber doch nicht unsympathisch, was?« »Ein netter Kerl«, brummte Gary. »Und er ist für das Bier zuständig, vergiß das nicht. Wenn wir ihn anständig behandeln, kriegen wir bei ihm immer was zu trinken.« »Ihr Halunken«, sagte Shane leise. »Ihr seid wohl immer auf irgendwelchen Profit aus, oder?« »Du sagst es«, erwiderte Gary lächelnd. »Aber was passiert hier jetzt eigentlich?« »Weiß ich das? Kann ich Gedanken lesen?« sagte Shane, und 51 �
seine Miene drückte aus, daß er trotz des Bieres von der ganzen Sache nicht sonderlich begeistert war. Hasard wandte sich seinen Männern und den Zwillingen zu. »Paßt auf mit dem Bier«, sagte er. »Denkt daran, was für ein starkes Zeug uns Mulkenny vorgesetzt hat. Wenn man genug davon hat, haut es einen glatt aus den Stiefeln.« Er wies auf Arwe»nack, der sich zu den Zwillingen an den Tisch gesetzt hatte. »Und daß mir ja keiner, dem Affen was davon zu trinken gibt.« »Nicht mal einen kleinen Schluck, Dad?« fragte Hasard junior. »Sieh mal, der Bucklige hat doch extra einen Becher für Arwenack mitgebracht.« Der Seewolf sagte: »Meinetwegen, gebt ihm einen Schluck. Aber nicht mehr, sonst ziehe ich euch die Ohren lang, allen dreien.« »Aye, Sir«, sagten die Jungen, und der Schimpanse entblößte begeistert die Zähne, als sie ihm seinen Becher zu einem Drittel aus einem der Krüge füllten. Die Männer von The Claddagh stießen sich erneut mit den Ellenbogen an und lachten, als Arwenack den Becher hob, seine Unterlippe genüßlich vorstülpte und das Bier trank. Er setzte den Becher wieder ab, klatschte in die Hände und stieß glucksende Laute aus, um sich zu dieser großartigen Tat selbst zu beglückwünschen. Die Begeisterung der Iren wuchs, sie grölten und hoben ihre Krüge und Becher, um den Seewölfen zuzuprosten. Hasard antwortete mit derselben Geste, lachte und rief: »Es lebe The Claddagh!« »Jawohl«, brummte Big Old Shane. »Erst saufen sie mit uns, und danach schneiden sie uns die Hälse durch – wenn wir einschlafen, nicht wahr?« »Trink dein Bier, und hör mit deinem Mißtrauen auf«, sagte 52 �
der Seewolf. Er konnte sich selbst aber noch gut genug daran erinnern, wie argwöhnisch er sogar an Bord der ›Rosa de los Vientos‹ gewesen war, als sie den Hafen von Galway erreicht hatten. Bis zuletzt hatte er vermutet, daß Don Juan Bernardo Orosco sie auf die eine oder andere Art hereinlegen würde. Das alles lag an den Erlebnissen am Nil, sie hatten das Selbstbewußtsein der Seewölfe erheblich geschwächt. Orosco jedoch und auch sein Erster Offizier Aurelio Vergara waren die Freunde von Hasard und seinen Männern geworden, und zumindest dieser Umstand hatte dem Seewolf zu einem Teil seines alten Selbstvertrauens zurückverholfen. Auch die Begegnung mit Mulkenny wertete er positiv, und Sally hatte durch ihr selbstloses Handeln bewiesen, daß sie sie nicht verraten wollte, sondern ihnen wirklich Unterstützung gab. Shane hatte zwar für kurze Zeit angenommen, daß sie ihnen die Söldner der BurkeFamilie auf den Hals gehetzt hätte, doch Dans Bericht hatte keinen Zweifel darüber offengelassen: O'Brien war der Verräter, und Shane hatte sich in Sally geirrt. Und die Iren hier? Die schienen eine derbe Art am Leibe zu haben, ihren Besuchern zu begegnen, und doch waren sie ganz gewiß im Grunde ihres Herzens aufrichtig. Das war es, was Hasard suchte: Ehrlichkeit. Falsche, niederträchtige Schleicher, die einem mit schlüpfriger Höflichkeit begegneten wie Ali Abdel Ra»sul, der ihnen am Nil ihre größte Niederlage beigebracht hatte, haßte er wie die Pest. Die Tür öffnete sich, der Bucklige kehrte mit einem zweiten Mann zurück, der – so es der Zufall wollte – auch einen ziemlich krummen Rücken hatte, dünnes rotes Haar und ein faltenreiches Gesicht. Wie alt er war, ließ sich unmöglich schätzen. »Prainneaxh«, sagte der Greis vom Ende des Tisches her. »Ghnath«, sagte der Bucklige, eilte um den Tisch herum und beeilte sich, die inzwischen geleerten Krüge einzusammeln und 53 �
damit durch eine Verbindungstür in einem dunklen Nebenraum zu verschwinden. »Willkommen in The Claddagh«, sagte der neue Besucher in bestem Englisch und trat zu den Seewölfen. »Ich heiße Patrick Shanahan. Man hat mich gerufen, damit ich hier den Dolmetscher spiele.« »Ausgezeichnet«, sagte der Seewolf. »Ich bin Philip Hasard Killigrew, das hier sind meine Söhne Philip und Hasard, das dort der Reihe nach Big Old Shane, Dan O'Flynn, Batuti, Gary Andrews und Matt Davies.« »Und der Affe?« »Der heißt Arwenack.« »Aha«, sagte Shanahan grinsend. »Gut. Vielleicht sollte ich zum besseren Verständnis gleich eins erklären. Der alte Mann am Kopfende des Tisches heißt Liam O'Neagh. Er ist der Uachtaran, unser Dorfältester.« »Das habe ich mir gedacht«, entgegnete Hasard. »Aber nun eine Frage an dich, Patrick Shanahan. Wie kommt es, daß die Iren dich hier dulden?« »Ich bin selbst einer von ihnen«, erwiderte Shanahan, doch seine Miene verzog sich zu einer unglücklichen Grimasse. »Und wo hast du so gut Englisch gelernt?« »Das will ich schnell erklären. Vor vielen Jahren heuerte ich für einige Monate auf einem englischen Schiff an. Das war für die Dorfbewohner hier Grund genug, mich als einen Verräter zu bezeichnen und fortan zu meiden.« »Trotzdem kehrtest du aber zurück?« »Ja, reumütig und mit gesenktem Kopf«, erwiderte Shanahan, und in seinen Worten schwang jetzt so etwas wie Selbstverhöhnung mit. »Darum wurde mir erlaubt, als Ausgestoßener am Rande der Gemeinschaft mein Dasein zu fristen. Ich bin hier ein Geächteter, versteht ihr?« Er sah die Männer an. 54 �
Sie nickten ihm zu und konnten schon begreifen, wie er sich fühlte und was er für ein Schicksal in The Claddagh hatte. Dennoch wäre er von hier nicht mehr fortgegangen, wie sie später erfuhren. Er lebte allein in einer erbärmlichen Hütte und war ein wunderlicher alter Bursche, aber nicht ohne Intelligenz. Die wenigen Monate damals auf dem englischen Schiff hatten seinen Horizont beträchtlich erweitert, womit er sich von den übrigen Dorfbewohnern deutlich abhob. Da er der einzige Mann in The Claddagh war, der die englische Sprache beherrschte, wurde er hier und da des öfteren gebraucht, wenn die Iren beim Verkauf ihrer Fische oder beim Einkauf von Waren für ihren Bedarf ohne Übersetzungen nicht auskamen – oder wenn sich jemand nach The Claddagh verirrte. Liam O'Neagh sagte etwas Unwirsches zu Shanahan, und dieser ging sofort um den Tisch herum und etwas näher an die Iren heran, um ihnen zu erklären, wie die englischen Gäste hießen. Der Bucklige kehrte mit vollen Krügen zurück – erstaunlich, wie viele davon er mit seinen ungeschlacht wirkenden Händen schleppen konnte – und schenkte auch Shanahan einen Krug voll ein, den dieser dankbar annahm. »Armer Teufel«, sagte Shane leise zu Hasard. »So verdient er sich hier also sein Gnadenbrot.« »Ja, er scheint mit den schrulligen Leuten trotz allem aber doch ganz gut auszukommen«, sagte der Seewolf und unterzog Shanahan einer eingehenden Betrachtung. O'Neagh und seine Vertrauten lauschten den Worten des eigenartigen Dolmetschers und nickten bei jedem Namen der Seewölfe, den dieser ihnen nannte. Dann griffen sie erst einmal wieder zu ihren Bechern und nahmen einen ordentlichen Schluck Bier. Dann begann der Uachtaran mit einer Reihe von Fragen, die Shanahan alle wortgetreu ins Englische übertrug. Die Antworten 55 �
wiederum, die von Hasard gegeben wurden, übersetzte er Zug um Zug ins Gälische. »Wer von euch ist der Anführer'« fragte Liam O'Neagh. »Ich«, sagte Hasard. »Du bist Philip Hasard Killigrew?« »Ja.« »Woher stammst du?« »Aus Falmouth in Cornwall.« »Ist das nicht ein gefährliches Seeräubernest?« »Nein, Uachtaran«, antwortete der Seewolf. »Dort steht die Stammfeste der Killigrews, und dort wohnen auch so namhafte Familien wie die O'Flynns, zu denen Donegal Daniel O'Flynn gehört, der hier zu meiner Linken sitzt. Wir sind keine Piraten, sondern Korsaren Ihrer Majestät, der Königin von England.« »So«, brummte O'Neagh, und seine Vertrauten begannen angeregt zu murmeln. Sie alle nahmen erst einmal wieder einen Schluck Bier zu sich, um diese Nachricht verarbeiten zu können. Die Sache zog sich in die Länge. Draußen war es inzwischen Tag geworden, und der Regen ließ allmählich nach. Es war wohl die eigenartigste ›Verhandlung‹, an der die Seewölfe jemals teilgenommen hatten. Selbst im Orient oder gar in China, wo man sie Prüfungen und Verhören unterzogen hatte, war es bei weitem nicht so umständlich zugegangen. Hasard hob die Hand. »Darf ich etwas sagen?« »Bitte«, sagte der Uachtaran nach Shanahans Übersetzung. »Wir sind nicht hier, um The Claddagh zu überfallen und zu plündern. Wir suchen nur Schutz vor George Darren Burke, vor Norman Stephens und den Söldnern von Galway. Wir haben nichts verbrochen und sind mit friedlichen Absichten nach Galway gekommen. Doch hat man versucht, uns eine heimtückische Falle zu stellen. Mein Freund Dan O'Flynn sollte hingerichtet 56 �
werden, und weißt du auch, warum, Liam O'Neagh?« Er legte eine kunstvolle Pause ein und ließ seine Worte auf den Dorfältesten wirken. Selbst ein erfahrener und erprobter Mann wie der Uachtaran hatte eine gehörige Portion Neugier. Er trank von seinem Bier, legte dann den Kopf etwas schief und sagte: »Ich kann es mir nicht vorstellen. Warum?« Hasard erzählte von dem Zwischenfall in der Taverne ›Atalia Star‹, wie Kathryn Stephens und ihre Freundinnen sich ihnen an den Hals geworfen hatten, Dan mit Kathryn ein Tänzchen gewagt hatte und dabei von dem eifersüchtigen Norman Stephens gestört worden war. Stephens hatte als erster zugeschlagen, Dan hatte praktisch in Notwehr gehandelt, als er darauf mit ein paar gezielten Hieben geantwortet hatte, und doch hatte man ihm daraus einen Strick gedreht. Hasard berichtete, wie sie Dan befreit hatten, schilderte auch den Rest der ganzen Begebenheit – und diesmal schienen die Iren tief beeindruckt zu sein. O'Neagh schickte sogleich zwei seiner Männer nach draußen. Sie sollten zu den Booten laufen und dort Ausschau nach Stephens und dessen Söldnern halten, die möglicherweise immer noch mit der Schaluppe und der Jolle auf dem Corrib River patrouillierten und nach ihren Feinden suchten. Wieder beriet sich der Uachtaran mit seinen Leuten, und auch darüber verging gewaltig viel Zeit. Zwischendurch konsumierten sie Unmengen von Bier in einem Tempo, bei dem die Seewölfe nicht mithalten konnten. »Sieh dir das an«, sagte Dan zu Matt Davies. »Wir sind ja auch keine schlechten Zecher, aber die stechen uns glatt aus.« »Sollen sie«, zischte Matt. »An ihr Bier sind sie besser gewöhnt als wir. Wir müssen einen klaren Kopf behalten, falls doch noch 57 �
eine Keilerei ausbricht.« Das Bier war ein fast schwarzes Gebräu mit cremefarbenem Schaum, so stark wie der Rio ja an Bord der ›Rosa de los Vientos‹ – und doch blieben die Iren wie durch ein Wunder nüchtern. Sie wurden nur ziemlich laut, doch von Sprachschwierigkeiten oder Gleichgewichtsstörungen konnte bei ihnen nicht die Rede sein – vorläufig jedenfalls nicht. Hasard fragte sich unwillkürlich, was wohl geschah, wenn sich die Fischer an die frische Luft begaben. So etwas hatte oft erstaunliche Auswirkungen, wenn man genug Alkohol getrunken hatte. Doch sie schienen so standfest wie knorrige Eichen zu sein. Auch, die beiden, die auf Erkundungsgang geschickt worden waren, kehrten sicheren Schrittes zurück und meldeten, was Shanahan pflichtgemäß auch wieder ins Englische übersetzte: »Die Söldner überqueren den Fluß und kehren nach Galway zurück.« »Sind sie schon weit weg?« wollte O'Neagh wissen. »Ja, wir mußten mit dem Fernrohr nach ihnen Ausschau halten.« »Dann brauchen wir die Wachen also nicht zu verdoppeln?« »Nein, vorläufig nicht.« »Gut«, sagte der Uachtaran und wandte sich wieder Hasard und seinen Männern zu. »Das ist merkwürdig – ihr seid Engländer und müßtet es eigentlich mit der Galway-Mischbrut halten, die England freundlich gesinnt ist. Statt dessen legt ihr euch mit den Burkes an, diesen Bastarden, und dann erscheint ihr bei uns und bittet darum, von uns aufgenommen zu werden. Wie paßt das zusammen?« »Wir haben unsere ganz persönlichen Ansichten, was Freund und Feind betrifft«, entgegnete der Seewolf. »Auf unseren Reisen sind wir vielen Menschen begegnet, die von ihrer Nationali58 �
tät her eigentlich unsere Feinde hätten sein müssen. Trotzdem haben wir Freundschaft mit ihnen geschlossen, mit Spaniern und Portugiesen beispielsweise.« »Die Spanier und die Portugiesen spielen falsch«, sagte O'Neagh. »Sie sollten eigentlich nur auf der Seite der Iren stehen, dennoch handeln sie mit der Galway-Bande. Wie reimt sich das zusammen?« »Ja«, sagte einer seiner Vertrauten. »Wie reimt sich das zusammen?« »Geschäftliche Interessen«, erklärte der Seewolf, dessen Geduld nun etwas nachließ. »Sie überbrücken die politischen Spannungen. Es ist erstaunlich, daß in Galway sowohl spanische als auch englische Schiffe einlaufen, doch es ist kein Einzelfall,« »Das will mir alles nicht so recht in den Kopf«, brummte der Uachtaran. Er hob seinen Becher und führte ihn an die Lippen. Vielleicht lag im dunklen Bier die Erklärung für alle Probleme, die seinen Geist beschäftigten. »Das zieht sich immer mehr in die Länge, und es kommt nichts dabei heraus«, sagte Big Old Shane. »Das beste ist wohl, wir trinken unser Bier aus und hauen ab.« »Nein«, erwiderte Hasard. »Merkst du nicht, daß die uns bloß auf den Arm nehmen wollen?« »Diesen Eindruck habe ich nicht, Shane«, entgegnete der Seewolf. »Außerdem sitzen wir hier erst mal gemütlich im Trockenen, was wollen wir mehr?« Shane schwieg und blickte vor sich hin. Seine Skepsis wuchs, aber er mußte sich dem fügen, was Hasard bestimmte. Das Gespräch zwischen Hasard und dem Uachtaran schleppte sich mühselig dahin. Es wurde später Vormittag, bis es Hasard endlich mit einem erheblichen Aufwand an Geduld gelang, die irischen Fischer davon zu überzeugen, daß sie zwar Engländer 59 �
waren, aber durchaus ihre eigenen Ansichten hatten und als weltoffene Männer keinerlei Haßgefühle gegenüber den Iren hegten. Wichtig schien für den Uachtaran schließlich auch die Tatsache zu sein, daß Hasard und seine Kameraden Galway tatsächlich an Bord eines spanischen Schiffes erreicht hatten. Dies schien zu bestätigen, was der Seewolf immer wieder hervorgehoben hatte: Sie waren keine blindwütigen Spanien- oder Irland-Hasser, man durfte sie getrost anders behandeln als normale Engländer. Das Fazit: Liam O'Neagh hieb mit der Faust auf den Tisch, daß die Becher tanzten, und sagte laut: »Ihr dürft vorerst bleiben und erhaltet ein Quartier – allerdings unter der Bedingung, daß ihr The Claddagh bei nächster Gelegenheit so schnell wie möglich wieder verlaßt.« »Darauf, Liam O'Neagh, gebe ich dir mein Ehrenwort«, sagte der Seewolf. Er stand auf und hob seinen Becher. »Es lebe The Claddagh!« »Na schön«, sagte nun auch Big Old Shane seufzend und erhob sich ebenfalls. »Es lebe The Claddagh!« Die Iren lachten und johlten, sie stießen mit den Seewölfen an und ließen sie ihrerseits hochleben. Ein neues Bündnis war besiegelt, wenn es auch nur von kurzer Dauer sein konnte. Hasard war aber schon heilfroh, überhaupt das Vertrauen der argwöhnischen Fischer erworben zu haben. »Das muß gefeiert werden!« rief der Uachtaran. »Laßt uns essen und trinken!« Er war ein vitaler Mann, der die angenehmen Seiten des Lebens, insbesondere Geselligkeit bei einem guten Tropfen irischen Starkbiers, über alles liebte. Aus dem Fischfang in der Bucht von Galway wurde aus verständlichen Gründen an diesem Tag nichts. Norman Stephens hatte wie erwartet das Nachsehen bei der Angelegenheit. Er kehrte zu den Burkes zurück und erstattete 60 �
seinem Vorgesetzten Meldung. George Darren Burke entschied – bei aller Wut, die er noch im Bauch hatte –, daß The Claddagh nicht angegriffen wurde. Damit hätte er sich ins eigene Fleisch geschnitten und eine der wichtigsten Versorgungsadern für Galway durchgetrennt. Mit den Iren von The Claddagh lebte man im Burgfrieden, wurde dieser jedoch gestört, dann ließen sich die störrischen Iren in Zukunft lieber köpfen oder erschießen, als in die Bucht zum Fischen auszulaufen. In Galway aber gab es niemanden, der sich auf den Fischfang verstand. »Wir kriegen noch eine andere Gelegenheit, diese englischen Bastarde festzunehmen, mein lieber Stephens«, sagte Burke zu seinem Kommandanten. »Verlassen Sie sich darauf.« Norman Stephens war dessen überhaupt nicht sicher, aber wie üblich bestätigte er vorsichtshalber, was sein Dienstherr sagte. Das war immer das klügste. Außerdem durfte er wegen Kathryn sowieso keine zu dicke Lippe riskieren. Sie hatte durch ihr leichtfertiges Verhalten praktisch alles ausgelöst – oder? Stephens befand bei sich, daß es empfehlenswert war, jetzt erst einmal auszuruhen und über alles in Ruhe nachzudenken. 6. Das Festmahl bestand aus gebratenem Butt, aus rohen Heringen, mit Zwiebelringen belegt, und natürlich aus dem dunklen Bier, mit dem die Bissen kräftig hinuntergespült wurden. Endlich hatten die Iren einmal einen Anlaß zum Feiern – das wollte ausgenutzt sein! Bald sangen sie laute Lieder und hämmerten mit den Fäusten auf dem Tisch herum, wobei die richtige Tonlage und der entsprechende Takt nicht zu ihren Stärken zu gehören schienen. Der Bucklige und Shanahan räumten die leeren Teller ab, ver61 �
schwanden und tauchten mit vollen Bierkrügen wieder auf. »He, Patty, alter Junge!« rief Matt Davies ihm zu, der jetzt auch schon leicht angetrunken war. »Woher holt ihr das viele Bier eigentlich so schnell? Doch wohl nicht aus dem Corrib River, was?« Shanahan lachte. »Du müßtest mal die riesigen Eichenholzfässer sehen, die im Keller stehen.« »Stehen sie, oder liegen sie?« wollte Matt wissen. »Das hängt davon ab, aus welcher Lage man sie betrachtet«, erwiderte Patrick Shanahan schlagfertig. Sie lachten beide und hielten das Ganze für einen großartigen Witz. Gleich darauf wurde Shanahan von Hasard herangewinkt, denn der verstand kein Wort von dem, was die Iren, die ihm schräg gegenübersaßen, lautstark zu erklären versuchten. Batuti sang unterdessen schon kräftig mit, obwohl er auch trotz des Starkbiers noch kein einziges Wort Gälisch gelernt hatte. Er bediente sich ganz einfach gewisser Laute aus seinem Stammesdialekt, als gäbe es irgendwelche Parallelen zwischen beiden Sprachen. Der neben ihm sitzende Ire umarmte ihn kurz und heftig, dann stießen sie ihre Krüge gegeneinander, daß es krachte. Sie tranken, Batuti hieb dem Claddagh-Mann mit voller Wucht auf die Schulter, und dieser lachte grölend, als hätte er sich noch nie so prächtig amüsiert. Kurzum, aus der ursprünglichen ›Verhandlung‹ wurde nun ein echtes Gelage, das sich bis in den grauen Nachmittag ausdehnte. Was sollte man auch sonst tun? Zum Fischen war es längst zu spät, und sonst gab es nicht groß was zu erledigen in The Claddagh. Die Seewölfe mußten sich verstecken, durften die Nase vorerst nicht nach draußen strecken – und wo konnten sie dieser Tätigkeit besser nachgehen als in dem Versammlungshaus? 62 �
Ab und zu schickte der Uachtaran noch mal seine Kundschafter nach draußen, die sich bei den hier und dort verborgenen Wachtposten erkundigten, ob die Söldner der Burkes wieder aufgetaucht waren. Aber Norman Stephens und seine Truppe hatten sich nicht mehr blicken lassen. So lautete die übereinstimmende Meldung aller Posten. Hasard beobachtete die Melder, wenn sie wieder zurückkehrten. Was er im stillen vermutet hatte, bestätigte sich jetzt: Solange man saß, schien einem das Starkbier nicht so sehr zu Kopf zu steigen, aber nach ein paar kräftigen Atemzügen im Freien zeigte sich doch selbst bei den widerstandsfähigen Iren die Wirkung: Sie hatten kräftig Schlagseite. »Die ganze Mannschaft blitzbesoffen«, sagte Big Old Shane grinsend. »Na, das laß ich mir gefallen. Es geht hier jetzt schon fast so zu wie in Plymsons ›Bloody Mary‹ zu den besten Zeiten.« Ja, die Erinnerung an Plymouth wurde wieder in Hasard und seinen Kameraden wach. Die schmerzlichen Gedanken über das Schicksal der Kameraden wurden durch ihren gesunden Patriotismus verdrängt – und nun sangen die Seewölfe eines ihrer Lieder. Zunächst verstummten Liam O'Neagh und seine Männer. War denn das zu fassen? Englische Weisen in einem irischen Fischerdorf? Eigentlich hätte es jetzt die schönste Prügelei geben können, doch das viele Bier löschte alle Bedenken aus. Plötzlich klatschten die Iren in die Hände und brüllten die Melodie mit. Jawohl, sie brüllten, und das Dach des Hauses schien sich unter diesem Höllenlärm um ein paar Zoll zu heben. Arwenack hatte doch noch einen Schluck Bier getrunken, heimlich hatten die Zwillinge seinen Becher nachgefüllt. Jetzt hüpfte der Affe auf die Tischplatte, verdrehte leicht die Augen und begann wie ein Derwisch zu tanzen. 63 �
Liam O'Neaghs Leute schrien vor Begeisterung, bis sie rote Augen und schwitzende Gesichter hatten. Nie schienen sie sich derart amüsiert zu haben. Es war ja auch fraglich, ob sie jemals einen Schimpansen bei sich aufgenommen hatten, bei der Menschenfeindlichkeit und Abwehr gegen alle äußeren Einflüsse, mit der sie sich umgaben. Hasard betrachtete sie und lachte. Aus den verkniffenen Hinterwäldlergesichtern waren rosige Landschaften der Fröhlichkeit und des Wohlbehagens geworden. Ja, man konnte sie zu achten beginnen, diese seltsamen Leute von The Claddagh. Wieder fragte sich Hasard, ob sie wohl mit den Rebellen Hand in Hand arbeiteten. Er gelangte aber zu dem Schluß, daß es im Grunde völlig egal war, ob sie gegen die Einwohner von Galway konspirierten oder nicht, für ihn jedenfalls. Was ging ihn das schon an! Anders verhielt es sich dagegen mit dem Goldschatz der Spanier und mit dem Geld der Burkes, das sich ja angeblich in der Hand der Rebellen befinden sollte. Um finanzielle Mittel waren die Seewölfe derzeit verlegen. Hölle, war es denn so schwer, an das spanische Gold heranzukommen? Hasards Gedanken wurden jäh unterbrochen. Es gab einen lauten Plumps und dazu das Poltern eines Stuhles – einer der Iren war mit seiner Sitzgelegenheit nach hinten umgekippt und blieb auf dem Rücken liegen. »Sternhagelvoll«, lautete Shanes Kommentar. Die Iren klatschten wieder in die Hände und lachten wild. Arwenack tanzte weiter, Batuti sang ein Lied aus seiner Heimat. Man hatte das Gefühl, entweder in einer nordischen Kolonie in Afrika zu sein – oder in einer Enklave Schwarzafrikas mitten im englischsprechenden Europa. »Wirklich ein tolles Fest«, sagte Hasard zu Shane. Er drehte sich um und wandte sich an Patrick Shanahan. »Ist noch was 64 �
von dem gebratenen Butt da?« »Butt gibt's genug«, lautete dessen Antwort. »Wir brauchen ihn nur in die Pfanne zu werfen.« Damit eilte er schon fort, um dem Buckligen Bescheid zu geben. The Claddagh ist besser als sämtliche Tavernen von Galway, dachte Hasard, aber er war sich selbst darüber im klaren, daß es eine dreiste Übertreibung war. Nun, das Bier rumorte eben auch in seinem Geist. * Als alles vorbei war, gab Liam O'Neagh Patrick Shanahan den Befehl, die Gäste zu ihrem Quartier zu bringen. Man verabschiedete sich wortreich voneinander. Shanahan brauchte jetzt nicht mehr zu dolmetschen, man verstand sich auch so. Das irische Starkbier ließ die Barrieren zusammenbrechen und öffnete den Horizont, und wo alle Worte nichts nützten, da behalf man sich mit entsprechenden Gesten. Die Unterkunft entpuppte sich als eine leerstehende strohgedeckte Hütte. Inzwischen hatte es wieder geregnet, aber das Strohdach war ein guter Schutz, es hielt alle Nässe ab, im Inneren der Behausung war es trocken. Batuti wankte auf eins der Lager aus Heu und Decken zu, sang noch eine Strophe von dem Lied aus seiner Heimat, drehte sich dann halb um und sank mit einem zufriedenen Seufzer auf die Bettstatt. Seine Kameraden ließen sich ebenfalls nieder, Heu und Decken gab es genug. Jeder warf noch schnell einen Blick auf den Gambia-Mann, der bereits verhalten schnarchte, dann streckten auch sie sich aus und schliefen ein. Shanahan ging fort. Arwenack schlummerte als letzter ein. Er rollte sich zusam65 �
men, brabbelte im Schlaf vor sich hin und träumte von einem entzückenden Affenweibchen, das hoch oben in einem Baum saß und ihn mit Bananen lockte. Die Dunkelheit nahte und deckte den Hafen und den Corrib River, die Gassen und Häuser von Galway und von The Claddagh zu. Ein Tag war wie im Fluge vergangen – was würde der nächste bringen? Darüber bereiteten sich die Seewölfe zunächst keine Sorgen, das Bier und das gute Fischessen hatten sie weitgehend beruhigt. Eine Überraschung sollte es aber doch noch geben. * Irgendwann in der Nacht wachte Batuti plötzlich auf. Etwas hatte ihn alarmiert, doch es waren nicht die Trommeln von Gambia, die durch seine Träume geisterten. Er hörte seltsame Geräusche, die er sich nicht erklären konnte. Vorsichtig blickte er sich im Raum um. Die anderen schliefen fest, und er hatte nicht die Absicht, sie wegen irgendwelcher Laute gleich aufzuwecken. Da er aber nun mal wach war, wollte er diesem Rumoren wenigstens auf den Grund gehen. Er erhob sich von seinem Lager und prüfte zunächst, ob er sicher auf seinen beiden Beinen stand. Das Ergebnis war zufriedenstellend. Lange hielt der Starkbierrausch nicht vor, und man verspürte auch kein übles Schädelbrummen. Nur ein bißchen Nachdurst hatte Batuti, aber der ließ sich beheben, wenn er irgendwo eine Pumpe oder einen Brunnen fand. Er trat an eins der winzigen Fenster der strohgedeckten Hütte und spähte ins Dunkle hinaus. Plötzlich ging ihm auf, was für Geräusche das waren, obwohl er noch nichts von dem sehen konnte, was sich im Freien abspielte. 66 �
Jemand brach ein Haus auf. Jawohl, da wurde an einem Riegel hantiert, etwas knackte und brach, und dann quietschte eine Tür oder ein Fenster in nicht einwandfrei geölten Angeln. Batuti hatte schon immer ein ausgezeichnetes Gehör gehabt und war stolz darauf. Er war verwirrt. Einbrecher in diesem Dorf, wo Ehrlichkeit garantiert eine Grundbedingung des Zusammenlebens war? Er fuhr unwillkürlich zusammen, denn jetzt drangen erstickte Schreie zu ihm herüber – zweifellos die eines Mädchens in Todesangst. Die Schreie brachen jäh wieder ab, dann waren hastige Schritte zu vernehmen. Der Mann aus Gambia spürte, wie ihm ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Er überlegte nicht mehr lange, sondern beschloß zu handeln. Kein Einbruch mit Diebstahl – nein, hier schien es sich um eine Entführung zu handeln. Behutsam öffnete er die Tür der Hütte, die zum Glück gut geölt war – und sah auch prompt eine Gestalt, die nicht weit von der Unterkunft entfernt geduckt mit einer Last auf der Schulter davonhastete. Die Last war kein harmloser Seesack, wie man beim ersten Hinsehen wohl annehmen mochte. Die Last strampelte mit den Beinen und hieb mit kleinen Fäusten auf den Kerl ein, außerdem stieß sie immer wieder dumpfe Laute aus. Batuti nahm die Verfolgung auf. Seine riesigen Hände ballten sich zu Fäusten. Er hatte schon immer etwas gegen Männer gehabt, die sich an wehrlosen Mädchen vergriffen, er haßte so was. Kalte Wut stieg in ihm auf. Der Entführer merkte zunächst überhaupt nichts, denn er hatte alle Hände voll damit zu tun, das Mädchen zu bändigen. Inzwischen lief er aber selbstverständlich weiter, und so gelangten das 67 �
Mädchen und er mit Batuti hinter sich zu dem Strand südlich der Piers von The Claddagh, der sich leicht geschwungen über eine Strecke von etwa hundert Yards ausdehnte. Batuti sah das Boot, das am Strand bereitlag, und dachte: Aha, es war also alles vorbereitet. Na warte, du«gemeiner Hund! Die Distanz, die noch zwischen ihm und dem Kerl lag, verkürzte er mit einpaar langen Sätzen. Dann war er bei dem Mann, der sich als recht jung entpuppte, und bei dem Mädchen, das den so unversehens auftauchenden Neger wie ein Gespenst anstarrte. Die Wolken hatten sich aufgelöst und weitgehend verzogen. Der Vollmond erhellte die Szene, die sich unweit des Bootes abspielte. Bewegt war das Wasser der Galway-Bucht, eine rauschende Brandung lief gegen das Ufer an. Batuti packte den Mann am Arm und sah ihn sich noch genau an, ehe er handelte. Der Kerl war rothaarig und hatte einen Vollbart. Seine Statur war mittelgroß, schlank, mit ausladenden Schultern. Er hatte eine einfache, fast zerlumpt wirkende Kleidung an, die zwar die bei den Fischern von The Claddagh übliche Kluft war, aber nicht dazu beitrug, Batutis schlechte Meinung über diesen Mann zu mildern. Das Mädchen hatte ebenfalls schöne rote Haare, sehr viel mehr konnte der schwarze Herkules von ihr im Moment nicht sehen. Recht füllig schien sie zu sein, aber es befand sich bei ihr, wie er später feststellen sollte, alles am rechten Platz, was für diesen lüsternen Entführer sicherlich der Anlaß gewesen war, gerade sie als Beute auszuwählen. Batuti riß den jungen Mann zu sich heran. Dieser stieß einen irischen Fluch aus und mußte das Mädchen loslassen, um sich gegen den Neger zur Wehr setzen zu können. Das Mädchen landete recht unsanft auf dem Strand, rappelte sich aber gleich wieder auf und stieß Entsetzensrufe aus. 68 �
Der junge Ire stieß Batuti von sich fort, aber wenn er dachte, das würde genügen, kannte er den Gambia-Mann schlecht. Batuti sprang wieder vor und hieb ihm gegen die Schulter, daß er drei, vier Schritte weit wegtaumelte und dann zu Boden ging. »So«, sagte Batuti auf englisch. »Abhauen wolltest du mit ihr, aber daraus wird jetzt nichts mehr. Du Satansbraten, dir bring ich schon richtiges Manieren bei.« Ganz einwandfrei war sein Englisch also immer noch nicht, besonders dann nicht, wenn er wütend war. Aber Fachtna O'Connor – so hieß der junge Ire – nahm das nicht wahr, denn er war ja nur des Gälischen mächtig. Was ihn indes schwer beschäftigte, war die Frage, wie er dieses Problem lösen sollte, auf das er nicht vorbereitet gewesen war. Er stand flink wieder auf, nahm eine Handvoll Sand und schleuderte ihn Batuti entgegen, um ihn zu blenden und sich dann auf ihn zu stürzen. Aber da schätzte er den schwarzen Mann auch wieder falsch ein, denn ein so erfahrener Kämpfer wie Batuti ließ sich auf diese simple Art nicht hereinlegen oder übertölpeln. Batuti schloß ganz einfach die Augen, stürmte vor, spuckte ein paar Sandkörner aus, die er zwischen die Lippen kriegte, warf sich auf Fachtna O'Connor und riß ihn mit sich zu Boden. Das Mädchen – sein Name lautete Sinaid Leenane – stieß einen gellenden Schrei aus. Batuti wunderte sich darüber, eigentlich hätte sie doch froh sein müssen, daß man ihr half. Mehr noch, es wäre ratsam gewesen, wenn sie sich eilends in Bewegung gesetzt hätte – in Richtung The Claddagh. Dort waren, das war Batuti bei seiner Verfolgung entgangen, inzwischen Männer mit Handlaternen erschienen. The Claddagh schien auch bei Nacht recht lebendig zu sein. Sie hatten Batuti von Anfang an beobachtet und waren ihm gefolgt. 69 �
Batuti wollte dem jungen Mann gerade einen prächtigen Fausthieb unters Kinn verabreichen, da saß ihm das Mädchen im Nacken und schlug und kratzte ihn. Verdutzt schüttelte er den Kopf. Hier stimmte doch was nicht! War denn das die Möglichkeit? Er hatte den Retter in der Not gespielt, und das war jetzt der Dank dafür. Die Welt hing plötzlich schief und geriet aus den Angeln, Batutis Bild von Ehre und Anständigkeit taugte nichts mehr. Was, zum Teufel, war los? Mit unwilligem Brummen warf er zunächst die aufgebrachte Sinaid Leenane ab, dann gab er Fachtna O'Connor den Schlag unters Kinn, der diesen vorläufig außer Gefecht setzte. Nicht mal einen neuen Fluch vermochte Fachtna auszustoßen, er war gleich weg und tauchte in seinem Geist in einen tiefen Schacht bodenloser, alles auslöschender Finsternis. Sinaid kniete auf dem Strand, hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und schluchzte entsetzt. Batuti richtete sich auf. Jetzt glaubte er zu wissen, was mit ihr los war: Die Nerven waren mit ihr durchgegangen, sie wußte nicht mehr, was richtig und falsch war. Der Kutscher – Koch und Feldscher auf der ›Isabella VIII.‹ und ein ausgesprochen kluger Mann – hatte ihm das einmal erklärt. Einen Schock nannte man so was, und um diesen Krampf der Panik zu lösen, mußte man dem Opfer entweder ein paar kräftige Maulschellen geben oder es an einen sicheren Platz bringen, bis alles vorbei war, sonst konnten sich die unglaublichsten Reaktionen ergeben. Ohrfeigen wollte Batuti die junge Lady nicht gerade, obwohl sie ihn gekratzt und geschlagen hatte. Er beschloß, sein Vorhaben so zu Ende zu führen, wie er geplant hatte. Er trat zu ihr, hob sie hoch wie ein Federgewicht und lud sie sich auf die Schulter. Dann lief er schwingenden Schrittes zurück ins Dorf. Was sie ihm ins Ohr schrie, verstand er natürlich nicht. 70 �
Erst im Dorf hing ihm plötzlich die Meute der Verfolger im Nacken. Wüstes Gebrüll wurde angestimmt, die Handlaternen bewegten sich heftig hin und her. Schritte trappelten hinter Batutis Rücken. Er rannte schneller und brachte das Mädchen zu dem Haus, aus dem es entführt worden sein mußte. Dem Gehör nach hatte er geortet, wo sich dieses Gebäude befinden mußte, und richtig: Da standen ja auch schon die erschütterten Eltern unter dem erleuchteten Eingang und hoben die Hände. Dann aber stürmten aus zwei Gassen zu seiner Linken und zu seiner Rechten neue Gegner hervor und schnitten ihm den Weg ab. Sie waren neben ihm und hieben auf ihn ein, während Sinaid Leenane weiterhin Dinge schrie, direkt in sein rechtes Ohr, deren Bedeutung er nicht ansatzweise erriet. Seine kurzen krausen Haare hatten sich wohl gesträubt, wenn er es verstanden hätte. »Du schwarze Bestie!« rief sie immer wieder. »Laß mich los, du Tier, du hast alles verpatzt, du gemeiner schwarzer Hund! Hau ab!« Der Gambia-Mann ging unter dem Andrang der Übermacht von Gegnern zu Boden und konnte auch Sinaid nicht länger festhalten. Man entriß sie ihm, und dann setzte es Prügel. Batuti wehrte sich, so gut es eben ging, und schickte noch drei Angreifer mit mächtigen Hieben zu Boden. Dann aber schlug ihm jemand einen Knüppel auf den Kopf, und für ihn versank alles in einem dröhnenden Inferno. 7. Er schlug die Augen auf, blinzelte und biß die Zähne zusammen. Die Schmerzen waren wieder da, sie pochten böse in seinem Hinterkopf, als hätten sie Angst, er könne sie vergessen, wenn sie sich nicht meldeten. Batuti sah Dan O'Flynns Gesicht über 71 �
sich, ein bißchen verschwommen noch, aber immerhin deutlich genug, daß er dessen Grinsen gewahren konnte. »Was 'n los«, sagte Batuti ziemlich undeutlich, »ist die Schlacht vorbei? Saufen wir ab?« »Hör mal, du bist hier nicht an Bord der ›Isabella‹«, sagte Dan. »Ich hab's ja geahnt, jetzt hat er einen Knacks weg«, brummte eine andere Stimme, die unzweifelhaft Matt Davies gehörte. Der Gambia-Mann wollte sich aufrichten und Matt die entsprechende Antwort geben, doch es toste so wild in seinem Schädel, daß er es vorzog, es bei dem Versuch zu belassen. »Jetzt fällt mir alles wieder ein«, murmelte er. »Na, ist ja fein«, sagte Matt Davies. »Aber du hast uns eine schöne Suppe eingebrockt. Erst mal hast du uns um unseren wohlverdienten Schlaf gebracht, außerdem sind die Iren jetzt wütend auf uns. Dabei hatten wir schon Freundschaft mit ihnen geschlossen.« »Versteh ich nicht«, sagte Batuti, aber irgendwo in seinem geplagten Hirn dämmerte ihm doch, daß er einen ganz dicken Fehler begangen haben mußte. »Ich will es dir erklären.« Dan lachte. Batuti begriff nicht, was an der Sache so lustig war. »Wo bin ich? Wo sind Hasard und die anderen?« fragte er. »Du liegst wieder bei uns in der Hütte, und wir haben deine Beule verarztet, so gut es ging«, antwortete Dan. »Hasard, Shane, Gary und die Zwillinge sind draußen und versuchen, den Uachtaran und die anderen Dorfbewohner zu beruhigen.« »Hab ich wen umgebracht?« »Nein, nein, zum Glück hattest du ja den Morgenstern nicht dabei, sonst hätte es wirklich ein Unglück gegeben.« »Das Mädchen…« »Ist die rechtmäßige Braut von Fachtna O'Connor, dem Jungen, den du unten am Strand zusammengehauen hast.« 72 �
»Braut?« »Patrick Shanahan war hier und hat uns alles erklärt«, sagte Dan geduldig. »Das ist so: In The Claddagh herrschen die seltsamsten Bräuche. Eine Hochzeit beginnt stets mit der Entführung der Braut, ganz dramatisch, und am nächsten Tag folgt dann die offizielle Zeremonie, bei der das Paar den CladdaghRing ansteckt, der zwei Hände zeigt, die ein Herz umklammern.« Batuti holte tief Luft und stieß den Atem schnaufend wieder aus. »Deswegen hat rothaariger Mann das Mädchen geklaut?« Er wurde schon wieder nervös, und daher verschlechterte sich sein Englisch. »Verdammich noch mal, keiner hat's mir gesagt das.« »Sie haben wohl versucht, es dir beizubringen«, sagte Matt Davies aus dem Hintergrund. »Diese Sinaid Leenane, die Braut, hat es dir immer wieder zugeschrien, daß du sie in Ruhe lassen sollst. Das behaupten jedenfalls die Leute von The Claddagh. Aber du verstehst ja kein Gälisch, Mann. So ein Mist.« Schädel hin, Schmerzen her – Batuti richtete sich jetzt doch auf und blickte den Mann mit der Hakenhand wütend an. »Kannst du vielleicht Gälisch, du Affe? Beim Donner, lebendiges, will ich verflucht sein, wenn du was Richtiges getan hättest an meine Stelle.« Dan hatte schon bemerkt, daß Batuti jetzt mächtig in Fahrt geriet, deshalb legte er ihm besänftigend die Hand auf die Schulter. »Ganz ruhig, Batuti, es ist ja nichts weiter passiert. Und du, Matt, solltest lieber rausgehen zu den anderen, statt hier nur herumzumeckern. Du benimmst dich ja wirklich schon wie mein Alter.« »Du sollst Old O'Flynn doch nicht erwähnen, hab ich dir gesagt!« »Warum denn nicht?« 73 �
»Weil das ein böses Omen ist und mir außerdem ganz blümerant wird, wenn ich daran denke, was deinem Alten alles zugestoßen sein könnte.« Dan beschrieb eine abwehrende Gebärde. »Beschwöre es nicht auch noch. Solange wir nicht wissen, wie es ihm und den anderen ergangen ist, gelten sie für mich als wohlauf und quicklebendig, verstanden?« »Aye, Sir, ich hab's verstanden«, sagte Matt knurrend, und damit verließ er die Hütte. Er war mit dem falschen Bein aufgestanden und hatte eine ganz miserable Laune. »Mach dir nichts draus«, sagte Dan zu Batuti. »Du weißt ja, wie er ist.« »Jawoll«, brummte der Gambia-Mann. »Aber jetzt geh ich selbst zu den Iren und erklär ihnen, daß ich kein schlimmer Hund bin. Ich nicht – ich hab nur das Beste gewollt.« So stand er also auf, trat hinaus in die mondhelle Nacht und ging hinüber zu seinen Kameraden und den Iren, die sich lautstark vor dem Haus von Sinaid Leenane und deren Eltern unterhielten. Alle Köpfe ruckten zu ihm herum. Hasard, Shane, Liam O'Neagh, Shanahan, Fachtna O'Connor und alle anderen, die gerade gesprochen hatten, verstummten. Batuti trat vor den Uachtaran. »Ich dachte, er wollte dem Mädchen was Böses tun«, sagte er und wies auf Fachtna O'Connor. Hölle, wie sein Kopf weh tat! Hörte das denn nicht mehr auf? Er ließ seine Hand sinken und fuhr fort: »Großer Irrtum. Schlimmes Mißverständnis. Aber ich kann's nicht mehr ändern. Bitte euch nur um Verzeihung.« Shanahan übersetzte diese Worte. Fachtna wollte sich auf den Neger stürzen, doch der Uachtaran sagte barsch: »Gnath!« Daraufhin erstarrte der junge Mann vor Ehrfurcht und Respekt, und auch die anderen Iren wagten nicht, irgendeine Initiative zu 74 �
ergreifen. Sinaid Leenane sagte leise zu ihrem Vater: »Hast du das gehört? Er entschuldigt sich. Wahrscheinlich ist er doch nicht das Ungeheuer, für das ich ihn gehalten habe. Der arme Kerl.« »Halt das Maul«; sagte ihr Vater in aller Freundlichkeit. »Noch eine einzige Bemerkung, und du kriegst was an die Ohren.« Liam O'Neagh musterte Batuti von oben bis unten, als schleppe dieser eine üble Krankheit mit sich herum. Er sann angestrengt nach, doch es schien ihm schwerzufallen. »Der Mann meint es wirklich ehrlich«, begann Patrick Shanahan einen neuerlichen Schlichtungsversuch. »Ich glaube, es ist schon viel wert, wenn er freiwillig um Vergebung bittet.« Der Uachtaran warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Hat dich wer nach deiner Meinung gefragt, Patrick Shanahan?« »Nein.« »Dann schweig, oder ich laß dich mit dem Kopf nach unten und einem Gewicht an den Beinen ins Hafenwasser werfen.« So freundlich ging es bei den Fischern zu, doch Shanahan ließ sich kaum beeindrucken. »Darf ich weiterhin dolmetschen?« fragte er. »Zum Teufel, ja!« schrie O'Neagh. »Es sieht nicht gut aus«, raunte Shane dem Seewolf zu. »Er hat noch schlimmer einen sitzen gehabt als wir, und jetzt hat er natürlich einen ordentlichen Kater. Er ist gereizt wie ein Stier.« »Nein. Er sucht nach einer Lösung und ist bereit, uns zu glauben.« »Na, ich weiß nicht.« Batuti hielt dem jungen O'Connor spontan die Hand hin und sagte: »Versöhnung, ja? Wer bald heiratet, dem soll man viel Glück wünschen.« Fachtna O'Connor wäre kein reinblütiger Ire gewesen, wenn er jetzt gleich die ihm dargebotene Rechte ergriffen hätte. Er stellte 75 �
sich vielmehr stur und verschränkte die Arme vor der Brust. So standen sie stumm eine Weile da, Batuti mit der ausgestreckten Hand, Fachtna O'Connor mit gekreuzten Armen und der Uachtaran mit grimmiger Miene. Letzterer hatte die Betrachtung des schwarzen Herkules abgeschlossen, schien aber nach wie vor zu keinem Schluß gelangt zu sein. Sein Blick wanderte mal hier- und mal dorthin, zum Mond, zu den Häusern, zum Wasser und dann wieder zu den Seewölfen. »Bruaghch!« sagte er endlich laut. Was war das? Eine Aufforderung zum Kampf? Shanes Hand tastete schon wieder nach dem Pistolengriff, doch er hielt inne, als er Hasards warnenden Seitenblick bemerkte. Fachtna O'Connor errötete leicht, löste sich aus seiner starren Haltung und nahm Batutis Hand an. »Pack zu!« hatte der Uachtaran ihm nämlich befohlen. Batuti grinste, und sie schüttelten sich beide gut drei, vier Atemzüge lang die Hände. Rundum atmete man auf. Dann aber sagte der junge Bräutigam plötzlich: »Darf ich einen Wunsch äußern?« »Ja, meinetwegen, nur zu«, entgegnete der Dorfälteste. Shanahan übersetzte wieder fleißig, Batuti lauschte aufmerksam seinen Worten. »Ich möchte mich für die Hiebe revanchieren, die ich bezogen habe«, sagte Fachtna O'Connor mit immer noch finsterer Miene. »Das darfst du«, sagte O'Neagh. O'Connor ließ Batutis Rechte los, holte aus und rammte dem Riesen die Faust unters Kinn, ehe dieser sich darauf einrichten konnte. Batuti flog zurück, Hasard und Shane fingen ihn auf. Sturmwogen donnerten durch Batutis Geist, und wieder wurde er ohnmächtig, denn Fachtna hatte den richtigen Punkt getroffen. Jetzt lachte auch der Bräutigam, und seine Freunde aus dem 76 �
Dorf lachten mit. Auch die Leenanes, der Uachtaran und alle anderen gaben ihrer Fröhlichkeit Ausdruck, indem sie in ein wildes Gebrüll ausbrachen – und schließlich lachten auch die Seewölfe. Man klopfte sich gegenseitig auf die Schultern, und bald kam auch Batuti wieder zu sich und bedachte den jungen O'Connor mit einem leicht verunglückten, aber doch aufrichtigen Grinsen. Er fühlte sich nicht gedemütigt, ganz im Gegenteil. Er an Fachtnas Stelle hätte wohl nicht anders gehandelt. Die Welt war jetzt wieder in Ordnung, der Zwischenfall vergessen. Fachtna O'Connor konnte Sinaid Leenane nun doch noch entführen, und sie würden ein feines Brautpaar abgeben. 8. Bei Tagesanbruch sondierten Hasard und seine Männer erst einmal vorsichtig die Lage. Erleichtert stellten sie fest, daß Norman Stephens und dessen Leute nicht mehr aufgetaucht waren. Sie schienen die Suche aufgegeben zu haben. Vor der Hafenausfahrt von Galway – so erfuhren sie durch Shanahan, der wieder mit O'Neagh gesprochen hatte – lag jetzt lediglich noch die Galeone ›Pride of Galway‹, das Schiff der Burkes. Deren Besatzung hatte die Aufgabe, alle auslaufenden Segler zurückzubeordern, in The Claddagh würde aber auch sie nicht landen. In aller Frühe begab sich Hasard zu Liam O'Neagh. Patrick Shanahan begleitete ihn. Der Uachtaran schien weder Katzenjammer nach dem Rausch vom Vortag zu verspüren, noch hatte er gerötete Augen, er blickte ganz vergnügt drein und lud Hasard sogleich zum Sitzen auf der Bank vor seinem Haus ein. »Wir wollen euch nicht länger zur Last fallen«, sagte der Seewolf. »Ich habe mir überlegt, ob wir mit dem Beiboot der spani77 �
schen Galeone unsere Flucht fortsetzen sollten, aber ich glaube, das Risiko ist zu groß. Burkes Söldner kennen die Jolle und werden sofort auf uns aufmerksam, wenn wir uns darin auch nur ein Stück von The Claddagh entfernen. Schließlich ist es nicht nur denkbar, sondern sogar sehr wahrscheinlich, daß sie uns von drüben, vom Long Walk aus, mit ihren Fernrohren beobachten.« O'Neagh schwieg lange, dann sagte er: »Das war eine gute Rede, Philip Hasard Killigrew, und ich stimme dir zu. Was verlangst du?« »Eins eurer Boote. Leihweise natürlich.« »Das dürfte in unserem Sinne sein.« »Du bist also einverstanden?« Der Uachtaran sah ihn offen an. »Ich schon, aber was sagen die anderen? Wir müssen wieder eine Versammlung einberufen.« Wieder fand also eine ›Verhandlung‹ statt, und der Verlauf war nicht anders als am Vortag, mit dem einen Unterschied, daß dieses Mal einige der Vertrauten des Uachtaran fehlten, da sie an der Hochzeitsfeier von Fachtna O'Connor und Sinaid Leenane teilnahmen. Die Seewölfe ließen die Prozedur über sich ergehen. Der Bucklige und Patrick Shanahan hatten alle Hände voll zu tun, trugen Bier auf, sorgten für die nötige Verpflegung und lasen den Sitzungsteilnehmern jeden Wunsch von den Lippen ab. »Das wäre alles nicht so schlimm«, sagte Dan O'Flynn, als es schon wieder auf die Mittagsstunde zuging. »Nur ein paar hübsche Frauenzimmer müßten mit dabeisein, das würde die Sache angenehm verkürzen.« »Um Himmels willen«, sagte Gary Andrews. »Erwähn das bloß nicht. Hier gibt es keine Hafenmädchen, hier geht in der Beziehung alles höchst sittsam zu. Wir kriegen wieder Ärger, wenn…« 78 �
»Keine Angst«, unterbrach ihn Dan. »Ich habe nur geulkt. Enthaltsamkeit ist Trumpf, Gary. Schieb mir mal den Bierkrug herüber.« Nach strapaziösen Stunden endete die ›Verhandlung‹ mit zustimmenden Worten des Uachtaran und seiner Leute. »Philip Hasard Killigrew«, sagte er. »Ihr erhaltet von uns einen Einmaster, mit dem ihr zu den Aran-Inseln segeln könnt.« »Aran-Inseln?« wiederholte Hasard. »Wir wissen, wo die liegen. Wir haben sie ja bei unserer Ankunft in Galway passiert.« Er konnte sich noch genau der erläuternden Worte von Don Juan Bernardo Orosco entsinnen. Liam O'Neagh lächelte. »Sehr gut. Aber ihr erhaltet von uns noch genaue Anweisungen, wie ihr segeln müßt, um auch die Burke-Galeone bei Einbruch der Dunkelheit zu meiden.« »Danke. Wie sollen wir euch das Boot zurückbringen?« »Laßt es nur auf den Inseln zurück. Dort gibt es Leute, die euch helfen und uns das Boot wieder zurückerstatten. Wenn ihr landet und jemandem begegnet, dann beruft euch ausschließlich auf mich, Liam O'Neagh, und es kann nichts schiefgehen.« »Wir werden euch das nicht vergessen«, sagte der Seewolf, dann erhob er sich und ließ die Fischer von The Claddagh wieder hochleben. Die Freundschaft würde erneut besiegelt, und bald schlugen die Wogen der Heiterkeit so hoch, daß Lieder angestimmt wurden und Arwenack auf dem Tisch tanzen mußte. Darüber wurde es Nachmittag und Abend, und wieder war ein Tag zu Ende. Aber was bedeutete das schon! Die Seewölfe mußten ja ohnehin die Dunkelheit abwarten, um in See gehen zu können. Hasard dachte darüber nach, was Norman Stephens jetzt wohl tat. Hatte er seine Niederlage schon verwunden? Oder brütete er über Plänen, wie er seine Gegner doch noch fassen und sich an ihnen rächen konnte? 79 �
* ! Norman Stephens sah seine hübsche blonde Frau Kathryn über den Abendbrottisch hinweg an. Er aß mit Appetit, sie hingegen stocherte nur lustlos in ihrem Essen herum und wich seinen Blicken aus. »Eigentlich hätte ich dich übers Knie legen sollen«, sagte er zwischen zwei Bissen. »Ich hätte dir kräftig den Hintern versohlen sollen.« »Fängst du jetzt wieder davon an?« »Weißt du, daß ich dich zu deinen Eltern schicken wollte?« »Nein, das höre ich jetzt erst.« »Verdient hättest du es.« »Warum tust du's dann nicht?« Sie hob ihren Kopf. »Soll ich gleich meine Sachen packen?« Er hieb mit der Faust auf den Tisch. »Verdammt, was ist denn das für ein Ton? Hast du schon wieder Oberwasser? Tanzt du mir schon wieder auf der Nase herum?« Sie senkte den Blick, ihre Hände begannen zu zittern. »Nein, Norman. Versteh mich nicht falsch. Ich hab's bereut, was ich getan habe, wirklich Aber sei du nicht so gemein zu mir.« Er trank einen Schluck Bier und dachte nach. »Ich werd's mir überlegen«, sagte er schließlich. »Was in Zukunft mit uns wird, hängt weitgehend von dir ab.« »Was verlangst du denn von mir?« »Daß du nicht mehr in die Tavernen gehst. Schon gar nicht mehr ins ›Atalia Star‹.« »Das verspreche ich dir hoch und heilig.« »Es geziemt sich nicht für die Frau des Kommandanten Stephens, im Hafenviertel herumzustrolchen.« »Ja, Norman.« 80 �
»Wenn schon, dann tust du das nur mit mir zusammen«, sagte er einlenkend. Sie sah ihn wieder an. »Wir können unser Bier auch hier zu Hause trinken, wenn du willst, Norman, nur – vernachlässige mich nicht.« »Habe ich das jemals getan?« »Du bleibst in der letzten Zeit oft lange weg«, sagte sie leise. »Und ich sitze allein zu Hause.« Er wollte schon wieder aufbrausen, bezwang sich aber. »Das heißt also mit anderen Worten, dir ist immer noch an mir gelegen?« »Zweifelst du denn daran?« »Ich weiß nicht.« Sie legte ihre Hand auf den Tisch und schob sie ihm zu. »Norman, du bedeutest mir alles. Was gewesen ist, das geschah nur, weil ich dir beweisen wollte… Ach Gott, ich wollte dich ja nur eifersüchtig stimmen. Aber diesem Dan O'Flynn habe ich gleich eine Ohrfeige gegeben, als er zu aufdringlich wurde.« »Wirklich? Das wußte ich ja gar nicht.« Er griff nach ihrer Hand und drückte sie fest. »Laß uns einen Versuch unternehmen, Kathryn. Ich meine, wir beide könnten uns doch einen netten Abend machen.« »Hier?« »Warum nicht?« »Aber müßt ihr heute nacht nicht wieder nach den Engländern fahnden?« fragte sie unsicher. »Die sind vorläufig in The Claddagh untergekrochen. Burke will nicht, daß wir das Dorf durchsuchen. Also warten wir ab, bis dieser Killigrew und seine Kerle von dort verschwinden. Vielleicht ergibt sich dann eine Möglichkeit, sie zu fassen.« Sie stand auf und schritt um den Tisch herum. »Darf ich ganz ehrlich sein, Norman?« 81 �
»Das sollst du sogar.« »Ich wünsche den Engländern, daß ihnen die Flucht glückt. Ich glaube nicht, daß sie mit den Rebellen zusammenarbeiten. Und sie sind nicht so blutrünstig und gemein, wie ihr glaubt.« »So? Und der Überfall auf den Kerker? Willst du dir mal die Verwundeten ansehen, die es auf unserer Seite gegeben hat?« »Nein, lieber nicht. Ich behaupte nur, daß sie sich ganz friedlich verhalten hätten, wenn du Dan O'Flynn nicht eingesperrt hättest.« »Aha«, sagte er aufgebracht. »Daher weht also der Wind.« »Du verstehst mich falsch.« Sie trat hinter ihn und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Ich will sie nicht verteidigen, ich will dir nur den Rat geben, die Dinge sachlich und gerecht zu betrachten. Burke hätte O'Flynn ja auch nicht gleich zum Tode verurteilen zu brauchen.« »Zugegeben, das war stark.« »Killigrew und seine Freunde haben sich nur ihrer Haut gewehrt. Jetzt sind sie fort und werden euch nicht mehr behelligen.« »Na ja. Irgendwie kann ich auch nicht umhin, diesem Killigrew meine Bewunderung auszusprechen. Das ist ein ganz verwegener Kerl. So einen könnte ich gut in meiner Truppe gebrauchen – und die anderen auch, nur den Affen nicht.« Er lachte auf. »Das habe ich auch Burke gesagt. Aber jetzt Schluß mit diesem Thema, sonst läuft es noch darauf hinaus, daß ich diese Teufel sympathisch finde.« »Norman«, sagte Kathryn verhalten. »Hast du jemals darüber nachgedacht, ob dieses Haus nicht ein bißchen leer ist?« »Wieso? Willst du neue Möbel kaufen?« »Nein, Norman.« Ihre Finger begannen, behutsam seine Schultern zu massieren. »Ich meine etwas ganz anderes. Manchmal sind wir beide ein wenig allein, wir könnten noch jemanden bei 82 �
uns gebrauchen.« »Doch wohl nicht deine Freundinnen, oder? Der Himmel bewahre mich vor denen!« »Ich spreche nicht von Gesellschaft, Norman, sondern von Zuwachs.« Jetzt fehlten Norman Stephens tatsächlich die Worte. Er schluckte ein paarmal heftig. Zuwachs? Kindergeschrei? Ein winziges, zerbrechliches Etwas, von dem er nicht wußte, wie er es anfassen sollte? Oh, dachte er, o Mann. Aber warum denn nicht – für Kathy wäre ein Kind das Ideale, und sie wünschte es sich ja offenbar. Ja, ein Kind fehlte ihr – und ihm auch. Junge oder Mädchen, das war ihm egal. »Möchtest du noch etwas Bier trinken?« fragte sie sanft. »Ja. Und dann?« »Dann überlasse ich alles dir«, antwortete sie. »Her mit dem Bier«, sagte er heiser. »Laß uns miteinander anstoßen, Kathy.« * Nach Einbruch der Dunkelheit gingen Hasard und seine Begleiter mit der einmastigen Schaluppe der Fischer von The Claddagh in See. Sie war ein wendiges, gut zu führendes Schiffchen, genau das richtige für ihr Vorhaben. Sie waren dank der Kursanweisungen von Liam O'Neagh und dessen Leuten sehr gut vorbereitet und steuerten, nachdem sie die Ausfahrt des Hafens und die dort lauernde ›Pride of Galway‹ hinter sich gebracht hatten, direkt die Aran-Inseln an. Vorerst verlief die Überfahrt ohne Zwischenfälle. Big Old Shane drehte sich noch einmal zu der Galeone um, deren funkelnde Hecklaterne weithin zu sehen war. Er saß auf der achteren Ducht und hatte die Ruderpinne übernommen, 83 �
Hasard befand sich vorn im Bug und achtete auf das genaue Einhalten des Kurses. »Wie wir uns an denen vorbeigepirscht haben – phantastisch«, sagte Old Shane. »Wenn wir nicht so dicht unter Land geblieben wären, hätten sie uns bei dem Mondlicht glatt entdeckt«, sagte Gary Andrews, der ihm gegenübersaß. Matt Davies grinste. »Daher waren die Angaben, die O'Neagh uns über die Wassertiefe hier gegeben hat, von größter Bedeutung. Und sie sind es auch weiterhin für uns.« »Seid mal still dahinten«, raunte der Seewolf, der sich eben zu ihnen umgewandt hatte. »Gesprochen wird erst wieder, wenn wir weit draußen sind.« »Aye, Sir«, murmelten die Männer. Hasard prüfte die Stellung des Großsegels und der Fock und kontrollierte den Kurs. Es stimmte alles. Mit Ostwind segelten sie zügig in Richtung Südwest quer über die Bucht und steuerten als Orientierungsmarke Black Head an, ein Kap an der südlichen Küste der Bucht. Sie würden daran vorbeiziehen und Inishmaan anlaufen, die mittlere der drei größten Aran-Inseln. Die beiden anderen hießen Inishmore und Inishmeer, weiterhin gehörten das Eiland Rock und einige andere winzige Erhebungen zu der Gruppe, die als natürliches Bollwerk die Galway Bay gegen den Atlantik abschirmte. Inishmaan war Hasard vom Uachtaran wärmstens empfohlen worden. Dort lebten die besten Freunde der irischen Fischer, und dort würde man ihnen die Aufnahme und Herzlichkeit gewähren, von denen O'Neagh gesprochen hatte. Wohl würde es auch dort eine ›Verhandlung‹ geben, aber daran hatten sich die Seewölfe inzwischen gewöhnt. Hasard war jetzt froh, nicht doch die Jolle der ›Rosa de los Vientos‹ benutzt zu haben, um seinen Fluchtweg ins irische Hinter84 �
land fortzusetzen, wie er ursprünglich vorgehabt hatte. Erstens einmal wäre das Boot wirklich leicht aufgefallen, und es war ja damit zu rechnen, daß man hier und dort Patrouillen der Burkes begegnete. Im übrigen wäre es schon ein mühsames Werk gewesen, die Jolle quer durch die Bucht zu pullen. Vielleicht hätten sie einen ganzen Tag gebraucht, um die Aran-Inseln zu erreichen. Und am Ende wären sie völlig erschöpft gewesen. Dabei brauchten sie ihre Energien, denn sie wußten nicht, was sie noch erwartete. Der Einmaster hingegen war das ideale Küstenfahrzeug, die Kabbelsee in der Bucht konnte ihm nichts anhaben. Eilig glitt es voran, sein Bug teilte messerscharf die Wogen. Es war, als ahne das Schiff etwas von der Notwendigkeit, Galway rasch im Dunkeln hinter sich zu lassen. Bald waren die Lichter von Galway und The Claddagh nur noch als winzige Punkte hinter dem Heck zu erkennen. Die Nacht nahm die Schaluppe und ihre Besatzung gefangen, man hatte den Eindruck, sich auf hoher See zu befinden. Hasard fiel plötzlich ein, sich mit der Schaluppe auf den Atlantik hinauszuwagen. Wie wäre es denn, wenn er Irland im Süden rundete und dann nach England übersetzte? Vorher konnte er sich noch irgendwo mit dem nötigen Proviant und Trinkwasser versorgen und dann… Aber nein – es war illusorisch. Der Atlantik war nicht zu unterschätzen, und die Irische See auch nicht. Eine Wetterverbesserung würde kaum eintreten, eher eine Verschlechterung. Die Schaluppe war für die kleine Küstenfahrt geeignet, nicht aber für eine Umrundung der Grünen Insel oder gar für eine Überfahrt durch den Sankt-Georgs-Kanal hinüber nach Wales. Die Erfahrungen der Jahre, in denen er über die Meere gesegelt war, hatten Hasard gelehrt, daß man die Tücken und Launen der Natur auf keinen Fall unterschätzen durfte. Ein mittelschwe85 �
rer Sturm genügte, und die Schaluppe würde zerbrechen wie ein Spielzeug. Nein, dieses Risiko durfte er sich und seinen Männern nicht zumuten. Auf Inishmaan würde er sich nach einem größeren Segler umsehen, aber wie er seinen Plan, rasch ganz aus Irland zu verschwinden, in die Tat umsetzen wollte, wußte er selbst noch nicht genau. Er hoffte darauf, daß ihm die Entwicklung der Dinge selbst eine entsprechende Chance zuspielte. Das Beiboot der ›Rosa de los Vientos‹, so hatte Liam O'Neagh ihm fest versprochen, würden die Fischer von The Claddagh selbst zurück zum Long Walk und zu der spanischen Galeone bringen. Diesen Punkt hielt Hasard für wichtig, denn er war es Orosco und Vergara schuldig, daß sie zumindest ihre Jolle zurückerhielten. Was O'Neagh und dessen Vertraute betraf, so hatte Hasard ihnen ein paar Dublonen und Piaster für ihre Bemühungen angeboten. Doch sie hatten jede Bezahlung so energisch abgelehnt, daß er es bei dem Versuch belassen hatte, ihnen die Münzen in die Hand zu drücken. Sie waren stolz und konnten es als Beleidigung ansehen, wenn man ihnen Geld aufdrängte. Selbstlos hatten sie also gehandelt, und Hasard mußte ihnen insgeheim seine Hochachtung aussprechen. Nur hin und wieder keimte noch ein leiser Zweifel in ihm auf. War die Aufrichtigkeit der Fischer echt? Oder hatten sie doch irgendwelche Ressentiments den Engländern gegenüber – auch wegen der Ereignisse um die gestörte Entführung der Braut –, die sie irgendwie noch zur Wirkung bringen würden? Was wartete auf Inishmaan wirklich auf die Seewölfe? Verdammtes Mißtrauen, dachte Hasard, zum Teufel damit! Ganz unbegründet sollte sein Argwohn aber doch nicht sein, wie sich bald herausstellte. 86 �
9. ! Die erste Komplikation trat kurz nach Mitternacht ein, als sie Black Head nach Hasards Berechnungen schon dicht vor sich hatten. Der Wind drehte ganz überraschend und wehte zunächst aus südlicher, dann aus südwestlicher Richtung. Hasard und seine Männer waren gezwungen, gegen den Wind zu kreuzen. Mal fuhren sie einen Kreuzschlag nach Westen, dann wieder nach Süden. Das bedeutete in der Praxis: Sie taten immer zwei Schritte vor und einen zurück. So gelangten sie nur noch langsam voran, und die geplante Landung auf Inishmaan, die im Schutze der Dunkelheit hatte stattfinden sollen, verschob sich. Schon jetzt war abzusehen, daß sie die Insel erst bei Tage erreichen würden, denn sie hatten auf der Höhe von Black Head erst die Hälfte der Strecke zurückgelegt. »Das bringt uns noch Ärger ein!« rief Big Old Shane. »Ich spür's in allen Knochen!« »Malst du wieder den Teufel ans Schott?« sagte Dan O'Flynn. »Hab ich das jemals getan?« »In der letzten Zeit öfter.« »Mister O'Flynn«, sagte Shane drohend. »Hab nicht so ein großes Maul, Kerl, sonst tauche ich dich mal kurz ins Wasser.« »Aye, Sir«, sagte Dan spöttisch, aber sonst war es ihm ernst. Deswegen ließ er sich auch nicht beirren und fuhr fort: »Ich finde, diese ganze Schwarzseherei zahlt sich für uns nicht aus. Nehmen wir die Dinge, wie sie kommen.« Shane beugte sich ein wenig vor und fragte mit drohendem Unterton in der Stimme: »Kannst du mir mal verraten, wie wir sie bisher genommen haben, du Schlauberger?« »Shane, du weißt genau, wie Dan das meint«, mischte sich jetzt 87 �
auch Gary Andrews ein. »Reden wir doch nicht um den heißen Brei herum. Wir sind alle stocksauer – auf Galway, auf Irland, überhaupt auf alles. Aber das Gemurre nützt uns auch nichts.« »Das wollt ausgerechnet ihr mir erzählen?« Shane lachte freudlos. »Na, ihr seid mir vielleicht welche! Wollen die Brüder dem alten Shane erzählen, wie man sich am besten verhält, wenn man schon bis zum Hals in der Pampe steckt. Das ist ja herrlich.« Dan und Gary schwiegen vorsichtshalber doch. Die Stimmung war wieder mal schlecht, die Gereiztheit wuchs und wuchs. Hasard hatte den kurzen Disput mit angehört, äußerte sich aber nicht dazu. Er kannte Situationen wie diese zur Genüge. Die Männer hatten es satt, von Ort zu Ort zu irren, wollten einen ruhenden Pol finden und endlich wieder ihren Fuß auf englischen Boden setzen, wo sie alle sich nach wie vor zu Hause fühlten, selbst Batuti. Hinzu gesellte sich die Sorge um die verschwundenen Kameraden. Meuterei? Nein, das lag ihnen fern. Hasard schloß aber nicht aus, daß sich seine Männer früher oder später untereinander in die Wolle gerieten. Abwechslung wäre wohl das beste gewesen, um ihre Gefühle zu bändigen, aber was sollte das schon für eine Abwechslung sein? Es sollte sie schon bald geben, nur ganz anders, als die Männer an Bord des Einmasters sie sich im stillen erhofften. * Kurz nach Anbruch des neuen Tages bahnte sich das Verhängnis an. Dan O'Flynn, der ja die besten Augen von allen Männern der ›Isabella VIII.‹ hatte, hatte den Platz auf der Plicht im Bug mit Hasard vertauscht und erspähte im schalen Licht, das sich über der Galway-Bucht ausdehnte, die Inseln. 88 �
»Das müssen Inishmore und Inishmaan sein«, erklärte er. »Inishmaan liegt links. In spätestens einer Dreiviertelstunde müßten wir dort sein.« Der Seewolf hatte die Ruderpinne übernommen. Big Old Shane saß bei den anderen auf einer der Duchten. Hasard nahm eine leichte Korrektur des Kurses vor, die Männer erhoben sich, um die Stellung der Segel zu verändern. Nach wie vor wehte der Wind aus Südwesten, und gerade fuhren sie einen Kreuzschlag nach Süden. »Fein!« rief Philip junior. »Mal sehen, was es auf der Insel zu erkunden gibt.« »Bestimmt mehr als nur ein paar alte Fischerhütten«, sagte sein Bruder zuversichtlich. »Macht euch nichts vor«, brummte Matt Davies. »Da wachsen keine Apfelsinenbäume und auch keine Palmen. Wahrscheinlich kriegen wir da nur Steine und getrocknete Heringe zu sehen.« Er war aber selbst froh, daß sie es bald geschafft hatten. Immerhin konnte Inishmaan – bei aller düsteren Zukunftsschau – doch wahrhaftig ein Lichtblick sein. Mußten sie denn immer nur Pech haben? »Achtung«, sagte Dan plotzlich und wies Steuerbord achteraus. »Wir erhalten Besuch, Leute.« Nicht nur der Seewolf und er, auch die anderen konnten mühelos mit bloßem Auge erkennen, was da hinter der Küste von Inishmore erschien: ein Schiff mit zwei Masten. Hasard nahm den Kieker zur Hand, zog ihn auseinander, hob ihn ans Auge und stellte das Okular auf die richtige Schärfe ein. Er fing die Umrisse des fremden Schiffes ein. »Eine Karacke«, sagte er. »Sie nimmt Kurs auf uns.« »Verdammt und zugenäht«, sagte Big Old Shane. »Ich hab's ja geahnt, daß es noch Stunk gibt. Wir haben nicht mal eine lausige Drehbasse, um der Karacke eins vor den Bug zu setzen.« 89 �
»So ein elender Dreck«, sagte auch Matt Davies. »Die haben uns gesichtet«, brummte Batuti überflüssigerweise. »Wahrscheinlich ist sogar, daß wir schon von der Insel Inishmore aus entdeckt worden sind«, sagte der Seewolf. »Aber wir sollten die Ruhe bewahren. O'Neagh hat uns doch mehrmals gesagt, daß wir auf den Aran-Inseln kaum was zu befürchten haben.« Er fuhr darin fort, durch das Spektiv zu blicken. »Du meinst also, die Karacke hat eine irische Mannschaft?« fragte Dan O'Flynn. »Dann wäre ja alles in Ordnung. Sobald sie auf Rufweite heran sind, berufen wir uns auf Liam O'Neagh.« »Augenblick mal«, sagte der Seewolf. »Ich versuche gerade, die Flagge zu erkennen.« »Was, sie hat eine Flagge?«'stieß Matt Davies verdutzt aus. »Seit wann führen die Schiffe von Fischern Flaggen?« »Seit wann fischen die Iren mit Karacken?« fragte Big Old Shane. »Das ist doch dummes Zeug, was du da redest, Matt. Denk erst mal nach, bevor du sprichst. An Bord der Karacke befindet sich meiner Meinung nach eine offizielle Abordnung der Leute, die auf den Arans das Sagen haben.« »Fein«, sagte Matt. »Und das sind zweifellos die Iren.« »Falsch«, sagte jetzt der Seewolf. »Ich habe soeben die Flagge mit dem Familienwappen der Burkes erkannt. Ein Irrtum ist ausgeschlossen. Wir haben dieses Wappen schon in der Festung der Burkes gesehen, auch die Galeone ›Pride of Galway‹ hat die gleiche Flagge.« Er warf Dan das Spektiv zu, der fing es geschickt auf und blickte selbst hindurch. Er konnte nur bestätigen, was der Seewolf gesagt hatte. »Verdammt«, sagte Gary Andrews. »Also gibt es auf Inishmore doch einen Stützpunkt der Burke-Familie. Jetzt wissen wir, wer dort das Sagen hat. Ob der Uachtaran das wirklich nicht wußte?« »Vielleicht hat er's absichtlich verschwiegen«, brummte Shane. 90 �
»Das glaube ich nicht«, sagte Hasard. »Aber im Grunde ist es jetzt egal.« »Ja«, pflichtete Dan ihm bei. »Denn friedliche Absichten hegt der Kapitän der Karacke ganz bestimmt nicht.« »Hat er die Kanonen schon ausrennen lassen?« »Das nicht, aber…« »Moment mal«, sagte der Seewolf. »Vielleicht weiß man auf Inishmore noch nichts von unserem Überfall auf den Kerker und von der Fahndung, die Burke veranlaßt hat. Ich weiß, das ist nur ein winziger Hoffnungsschimmer, aber wir könnten darauf bauen. Selbst wenn die Leute von Inishmore schon unterrichtet sind, heißt das noch lange nicht, daß sie unsere Beschreibungen haben.« »Wir könnten uns als Spanier ausgeben«, schlug Dan vor. »Genau das. Batuti, verstecke du dich vorsichtshalber unter diesem Stück Segeltuch hier«, sagte der Seewolf. »Unsere Freunde da drüben könnten sonst leicht mißtrauisch werden.« »Aye, Sir.« Der Gambia-Mann schlüpfte unter das Stück Segeltuch, das zwischen zwei Duchten lag und zum Abdecken der Schaluppe bei Regen diente. Arwenack kroch gleich hinter ihm her, weil er annahm, es gäbe dort etwas Interessantes zu betrachten. »Von jetzt an wird nur noch Spanisch gesprochen«, sagte der Seewolf. »Si, Senor!« antworteten die Männer und die Zwillinge. Sie segelten weiter nach Süden, gingen dann aber mit dem Einmaster überstag und wandten sich nach Westen, um den Eindruck von Unbekümmertheit vorzutäuschen. Es nützte ihnen alles nichts – an Bord der Karacke wurden jetzt die Stückpforten nochgezogen, und rumpelnd rollten die Kanonen aus. Dan konnte alles haargenau durch den Kieker beobachten. 91 �
»Zwölf Stücke«, sagte er. »Sechs auf jeder Seite. Meiner Ansicht nach handelt es sich um Culverinen.« »Scheißegal«, sagte Shane. »Selbst wenn es Minions wären, hätten wir nicht die geringste Chance gegen sie.« »Sie haben auch zwei Drehbassen auf derBack«, meldete Dan. »Na also. Da haben wir den Salat!« stieß Matt Davies wütend aus. Hasard fuhr zu ihnen herum und sagte – ebenfalls auf spanisch – mit scharfer Stimme: »Dreht jetzt nicht gleich, durch. Was ist denn los mit euch? Wir wollen eiskalt die Ruhe bewahren, nur so können wir die Kerle täuschen. Das Ausrennen der Kanonen ist eine reine Vorsichtsmaßnahme.« Die Männer schwiegen. Daß Hasard sich doch geirrt hatte, sollte sich gleich herausstellen. Plötzlich puffte eine weiße Qualmwolke von der Back der Karacke hoch, die sich mit großer Bugwelle heranschob, und im nächsten Moment war das Grollen des Donners zu hören. Hasard und seine Männer duckten sich. Die Kugel der Drehbasse heulte heran und klatschte knapp sechs, sieben Yards vor dem Bug der Schaluppe in die See. Eine Wassersäule stieg auf und fiel rauschend wieder in sich zusammen. »Gut gezielt«, kommentierte Dan O'Flynn sarkastisch. »Die sind nicht von gestern.« »Trotzdem verholen wir uns«, sagte der Seewolf. »Wir versuchen es wenigstens. Los, an die Brassen und Schoten! Wir gehen auf Südkurs – um Inishmaan herum und dann an ihrem Südufer irgendwo in eine enge kleine Bucht, wo wir sicher sind.« 10. Hasard drückte die Ruderpinne herum. Wieder ging der Einmaster überstag und lief mit rascher Fahrt hoch am frischen Süd92 �
westwind nach Süden ab. Sie war wirklich äußerst schnell und wendig, diese Schaluppe, aber die Karacke konnte mithalten, wie sich jetzt zeigte. Sie hatte Lateinersegel mit langen Gaffelruten, daher rührten ihre guten Am-Wind-Eigenschaften. Hasard hatte ihre Geschwindigkeit überschlagsmäßig berechnet, und doch hatte er sich verkalkuliert, denn das Schiff war leichter, als er ursprünglich angenommen hatte. So schrumpfte der Abstand zwischen der Karacke und der Schaluppe erheblich zusammen, ehe die Seewölfe die Küste von Inishmaan überhaupt erreicht hatten. »Sie haben uns gleich«, sagte Shane, immer noch auf spanisch, obwohl es jetzt eigentlich nicht mehr notwendig war. »Sollen wir schon mal mit den Musketen auf sie anlegen, Sir?« Der Seewolf überlegte mit verkniffener Miene. Nur fünf Musketen hatten sie, hinzu kamen die Pistolen, mit denen man auf diese Distanz aber nichts ausrichten konnte. Sehr viel Munition hatten sie auch nicht bei sich – nein, es war von vornherein ein hoffnungsloses Spiel. Wieder krachte an Bord der Karacke eine Drehbasse, und die Kugel jaulte bedrohlich nah heran. Erneut zogen die Seewölfe die Köpfe ein, und diesmal kauerten sie sich sogar zwischen die Duchten. Die Kugel schlug hinter dem Heck der Schaluppe in die Fluten, so nah, daß das Wasser der hochschäumenden Fontäne die achteren Duchten näßte. Inzwischen war die Karacke schon auf Rufweite heran. »Ergebt euch!« schrie eine helle Stimme von der Back zu ihnen herüber. »Wir wissen, wer ihr seid! Streicht die Flagge, oder wir schießen euch den Kahn unter dem Hintern weg!« Hasard sah seine Männer an, dann seine Söhne. Es war aus. Nur wenn sie alle Selbstmord begehen wollten, leisteten sie jetzt 93 �
noch Widerstand. »Es hat keinen Zweck«, sagte er. »Offenbar funktioniert die Verständigung zwischen Galway und den Aran-Inseln doch besser, als ich mir gedacht habe, zumindest, was George Darren Burke und dessen Leute betrifft.« »Vielleicht haben uns ja auch die Iren an die Burkes verraten«, sagte Shane. »Unsinn«, erwiderte der Seewolf. »Das würden sie nie tun. Wahrscheinlich hat O'Neagh auch nicht gewußt, daß es hier einen Stützpunkt des Clans gibt.« Später sollte sich noch zeigen, daß es tatsächlich so war: Die Niederlassung der Burkes auf Inishmore war erst seit kurzem eingerichtet worden, die Fischer von The Claddagh hatten davon noch keine Kenntnis erhalten. Hasard erhob sich und trat mit erhobenen Armen ins Heck der Schaluppe. »Wir ergeben uns!« rief er. Selten zuvor hatte er sich so hilflos und elend gefühlt. * Der Kapitän der Karacke verstand sich aufs Manövrieren. Vorbildlich steuerte er mit seinem Schiff an die Schaluppe heran, drehte bei und ließ sie schließlich in Lee längsseits gegen. Eine Jakobsleiter war schnell abgefiert, und dann mußten die Seewölfe an Bord des Zweimasters klettern. Batuti kroch mit verdrossener Miene unter dem Segeltuch hervor, Arwenack folgte ihm. Auf dem Hauptdeck der Karacke wurden sie von Söldnern der Burkes in Empfang genommen – deren Uniform kannten sie ja bereits zur Genüge. »Durchsucht sie!« rief derselbe Mann, der vorher von der Back 94 �
aus gesprochen hatte. Er stand jetzt an der Querbalustrade des Achterdecks, ein dunkelblonder Mann mit Vollbart, der mit triumphierendem Blick die Seewölfe musterte. Er war der Kommandant des Burke Stützpunktes auf Inishmore und zugleich auch der Kapitän der Karacke, deren Name sinnigerweise ›Prosperity‹ lautete, was soviel wie Glück, Wohlstand und Gedeihen bedeutet. Der Kapitän hieß James McPherren. Er war ein rauhbeiniger Mann schottischer Abstammung, für das harte Inselleben wie geschaffen, kampferprobt und unerschrocken. Vor seinem Dienst im Hause Burke war er auf einem englischen Kriegsschiff gefahren und hatte dort umfangreiche Erfahrungen gesammelt, die für seine weitere Karriere von ausschlaggebender Bedeutung sein sollten. Dort hatte er nicht nur gelernt, wie man ums Überleben kämpfte, sondern auch begriffen, daß man kräftig die Ellenbogen benutzen mußte, um sich auf der Erfolgsleiter nach oben zu boxen. Die Waffen der Seewölfe polterten auf die Planken des Hauptdecks, die Söldner hatten jeden ihrer Gefangenen sorgsam'abgetastet. »Legt sie in Ketten!« befahl McPherren. Dann stieg er zu Hasard und dessen Männern hinunter und baute sich mit abgespreizten Beinen direkt vor dem Seewolf auf. Er stemmte die Fäuste in die Seiten und grinste. »Sie sind also Philip Hasard Killigrew?« fragte er. »Das wissen Sie doch bereits.« »Ich will es aber von Ihnen hören.« »Ich bin Killigrew«, sagte Hasard. »Und jetzt beantworten Sie mir eine Frage: Was haben wir eigentlich verbrochen? Wer sind Sie, daß Sie uns einfach festnehmen?« »Ich bin McPherren, das sollte als Erklärung genügen«, entgegnete der Schotte. Sein Grinsen erlosch, in seinen Augen war ein 95 �
gefährliches Glitzern. »Stellen Sie sich nicht dumm, Killigrew. Sie wissen, was man Ihnen berechtigterweise vorwirft.« »Daß ich einen meiner Männer befreit habe, weil man ihn ohne Grund umbringen wollte? Das ist ja wohl nur recht und billig.« »Das sagen Sie.« »Mister McPherren, ich ersuche Sie, uns wieder freizulassen!« Der Schotte lachte. »Sind Sie verrückt? George Darren Burke wird darüber entscheiden, was mit Ihnen und Ihrer Bande geschieht.« »Das, was hier geschieht, Mister McPherren«, sagte Hasard gefährlich leise, »könnte für Galway unter Umständen Folgen haben, und zwar in einem Maß, wie Sie es sich nicht vorstellen können. Ich habe einen Kaperbrief der englischen' Königin, wir segeln in ihrem Auftrag.« »Sie sind ein Pirat, Killigrew.« McPherrens Miene war verächtlich. »Was bedeutet das schon? Das ist ein anderer Ausdruck für Schnapphahn und Galgenstrick.« »Wir sehen uns noch wieder«, sagte Hasard. »Aber dann haben Sie vielleicht keine zwei Dutzend Männer hinter sich.« »Das bezweifle ich«, sagte der Schotte schroff. Er hob den Kopf und blickte zu seinen Leuten. »Her mit den Ketten, beeilt euch! Auf was wartet ihr noch?« Er wandte sich ab und kehrte auf das Achterdeck zurück. »Warum versuchen wir jetzt nicht, diese Kerle umzuhauen und uns die Karacke unter den Nagel zu reißen?« zischte Big Old Shane hinter Hasards Rücken. »Bist du blind? Siehst du nicht die Musketen, die sie auf uns gerichtet haben?« »Sie rechnen nicht mit einem Blitzangriff.« »Wahnsinn, Shane. Wir würden mindestens drei, vier Männer einbüßen. Und die Zwillinge?« »Ja, du hast schon recht. Zum Henker, wir stecken schon wie96 �
der tief drin im Schlamassel, und diesmal gibt's keinen Ausweg.« Halseisen und Schäkel wurden ihnen angelegt, außerdem Handschellen, die wiederum durch Ketten miteinander verbunden waren. Die Söldner brachten sie ins Vorschiff. Hier durften sie sich hinhocken und warteten in einem düsteren Raum ab, was weiter mit ihnen geschehen würde. McPherren ließ die Schaluppe in Schlepp nehmen, die Männer der Karacke setzten die Segel, und man segelte zurück nach Inishmore, wo an einer natürlichen Hafenbucht die Häuser standen, die den Grundstock auf den Aran-Inseln bildeten. * Hasard, Shane, Dan, Batuti, Gary, Matt und die Zwillinge wurden in eins der Häuser gesperrt, die Ketten nahm man ihnen nicht ab. Frei herumhüpfen durfte nur Arwenack, der immer wieder klagende Laute ausstieß und eine kummervolle Miene aufgesetzt hatte. Daß man ›seine‹ Menschen nicht aus reiner Freundlichkeit gefesselt hatte, konnte er ja deutlich genug sehen. James McPherren prophezeite den Seewölfen noch einmal die miserablen Zukunftsaussichten, denen sie entgegensahen, dann verließ er den Gefängnisbau und schritt zu seinem Wohnbau hinüber, an dessen Seitenwand Käfige mit Brieftauben hingen. McPherren war froh darüber, im Rahmen des recht tristen Inseldaseins endlich mal eine richtige Aufgabe gefunden zu haben. Er beschloß, alles so zu erledigen, daß Burke ihn dafür belohnen würde, und widmete sich seiner Aufgabe mit beträchtlichem Eifer. Einen guten Fang hatte er eingebracht, und George Darren Burke mußte davon sofort unterrichtet werden. Er selbst schrieb die Nachricht für Burke, dann rollte er den 97 �
winzigen Zettel zusammen und befestigte ihn am Bein einer seiner Brieftauben. Er hob das Tier auf die Hand, lächelte und sagte: »Flieg, mein Schatz, und bereite mir ja keine Schande.« Die Taube breitete die Flügel aus, duckte sich ein wenig und erhob sich dann in die Luft. Sie flatterte über den Hafen hinaus, glitt an der ›Prosperity‹ vorbei und wandte sich nach Nordosten, auf die Bucht von Galway zu, deren Wasser an diesem Morgen unter schwachen Sonnenstrahlen glitzerte. Hasard und seine Männer beobachteten das Aufsteigen der Brieftaube von einem der kleinen Fenster ihres Gefängnisses aus. »Jetzt wissen wir wenigstens, wie die Nachrichtenverbindung zwischen den Inseln und dem Festland funktioniert«, sagte der Seewolf. »Lange bleiben wir hier nicht, bald erscheint unser Freund Stephens und holt uns ab.« »Der Teufel soll ihn holen«, sagte Shane. »Ihn und diesen eingebildeten Scheißkerl McPherren.« Leider ging dieser fromme Wunsch vorläufig nicht in Erfüllung. * Norman Stephens tauchte am Tag nach der Festnahme der Seewölfe auf. Er erschien an Bord der stolzen Galeone ›Pride of Galway‹, die neben der ›Prosperity‹ vor Anker ging und dann ein Beiboot abfierte. Stephens stand wie ein Eroberer im Bug der Jolle und hielt festen Schrittes auf McPherren zu, sobald man das Ufer erreicht hatte. Er schüttelte ihm die Hand. »Mein lieber McPherren, Sie haben eine Glanzleistung vollbracht«, erklärte er. »George Darren Burke ist hoch erfreut und läßt Sie durch mich beglückwünschen.« »Gut, Stephens.« 98 �
»Kann ich die Gefangenen gleich mitnehmen?« »Ja, natürlich«, antwortete der Schotte laut genug, daß auch die Seewölfe es verstehen konnten. »Sie vergiften hier sonst nur unsere gute Luft.« Die beiden Kommandanten lachten, ihre Stimmen schallten zu Hasard und seinen Männern herüber. »Sir«, sagte Dan leise. »Laß mich diesem Stephens wenigstens kräftig in den Hintern treten. Gib mir die Erlaubnis dazu. Ich kann kaum noch an mich halten. Wenn er die Tür hier öffnet, verpasse ich ihm ein Ding, das sich…« »Nichts da«, unterbrach ihn der Seewolf. »Dadurch würdest du alles nur noch verschlimmern.« »Die richten uns sowieso hin.« »Abwarten. Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen.« »Nein«, sagte Big Old Shane. »Das letzte Wort hat George Darren Burke, nicht wahr?« Als sie wenig später herausgelassen wurden, zeigte Norman Stephens unverhohlen seine Schadenfreude. Genüßlich sagte er: »Was habt ihr euch bloß eingebildet? Daß wir euch entwischen lassen? Aus Galway ist noch kein Halunke ungestraft geflohen.« »Kein Wunder, daß deine Frau Abwechslung gesucht hat, Stephens«, sagte Hasard trocken. »Es muß schlimm sein, an der Seite eines so dummen Mannes zu leben.« Stephens wollte die Faust gegen ihn heben, doch McPherren hielt ihn zurück. »Stephens, beherrschen Sie sich«, sagte er. Norman Stephens bezwang sich. Er ließ die Seewölfe an Bord der Galeone bringen. Seine Gefühle schwankten zwischen Wut und stiller Bewunderung – dieser Killigrew schien wirklich nicht die Spur von Angst zu haben, und bei dessen Männern war es nicht anders. Nicht einmal die Zwillinge zeigten sich verzwei99 �
felt. Sie hätten sich wohl lieber gleich den Kopf abschlagen lassen, statt auf den Knien um Gnade zu flehen. Diese Kerle, dachte Stephens, sind noch sturer und härter als die Fischer von The Claddagh, und das will schon was heißen. Aber das rettete sie auch nicht mehr. Die große Endabrechnung stand bevor, und er selbst würde alles daransetzen, daß diese Meute von Piraten die Höchststrafe erhielt. Hatten sie vielleicht etwas anderes verdient? Die Gefangenen wurden ins Kabelgatt und einen anderen Vordecksraum der ›Pride of Galway‹ gesteckt, dann verabschiedete sich Stephens sehr schnell von McPherren und kehrte als letzter Mann an Bord der Galeone zurück. Der Anker wurde gelichtet, die Segel gesetzt. Das Schiff glitt aus dem natürlichen Hafen von Inishmore und nahm Kurs auf Galway. Der Südwestwind, der auch an diesem Tag vom Atlantik wehte, verlieh ihm schnelle Fahrt. Wieder einmal sahen die Seewölfe einem ungewissen Schicksal entgegen… ENDE
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Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 290 !
Im Land der � Rebellen �
von Burt Frederick Einer der Kerle, ein schwarzbärtiger, untersetzter Mann, verharrte breitbeinig. Er hatte bereits die Pistole aus dem Gürtel gerissen und legte auf den Seewolf an. Hasard warf sich aus dem Sattel – keine Sekunde zu spät. Donnernd brach der Schuß unter den Baumkronen. Behende schnellte Hasard um seinen Braunen herum und stürmte auf den Bärtigen zu. Der fand keine Zeit mehr zum Nachladen. Auch für einen schnellen Griff zum Säbel war es zu spät. Mit wutverzerrtem Gesicht packte er die leergeschossene Pistole am Lauf – eine furchtbare Waffe im Nahkampf. Der Seewolf stoppte dennoch seinen Ansturm nicht. Erst buchstäblich im letzten Moment sprang er zur Seite. Der Luftzug des Hiebes raste an seiner Schulter vorbei. Und dann wirbelte Hasard herum…
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