Dan Roberts
Der rote Agent Apache Cochise Band Nr. 35 Version 1.0
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Prolog Ihr Land war es, in das Mexikaner und Am...
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Dan Roberts
Der rote Agent Apache Cochise Band Nr. 35 Version 1.0
2
Prolog Ihr Land war es, in das Mexikaner und Amerikaner eindrangen. Das Land ihrer Väter. Karstig und elend, wasserarm und unfruchtbar schmorte es unter heißer Arizonasonne. Wüste, bizarre Klippen, himmelansteigende Berge und Giftschlangen. Trotzdem verteidigten sie es mit der Stärke ihrer Seele und dem wilden Schlag ihrer Herzen. Zu diesem Zeitpunkt waren sie längst keine Athapasketi mehr, sondern deren Nachfahren: Apachen. Sie selbst nannten sich T'Inde – Volk, auch Naizhan – Unsere Rasse. Und sie besiedelten ein Land so groß wie Deutschland und Frankreich zusammen. In diesen ihren Jagdgründen leisteten sie Eindringlingen Widerstand und verteidigten jeden Fußbreit Boden mit ihrem Herzblut. Zur Zeit der Handlung unserer Geschichte APACHE COCHISE lebten 6000-7000 Apachen, die in Arizona und Neumexiko Angst und Schrecken verbreiteten, besonders im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet und weit in Sonora, bis hinunter zur Sierra Madre Occidental. Ihren Haß gegen die Nachfahren der Spanier und den Erzfeind, die Comanchen, übertrugen sie auf ihre neuen Unterdrücker. Von ihnen ist die Rede in unserer Serie. Sie ist die historiengetreue Basis der Thematik APACHE COCHISE.
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*** Nepatana schreckte hoch. Er kämpfte mit den Fetzen des Traumes, die in seinem Kopf umhergeisterten. Der Ruf einer Spottdrossel schallte durch die Dunkelheit. Geschmeidig glitt der Apache von seinem Lager und huschte zum Fenster. Da, ein Schatten vor der Hütte. Ein Mann auf einem Pony. Nepatana verzog die Lippen zu einem harten Lächeln. Bitterkeit quoll in ihm auf, wenn er daran dachte daß er in dieser Nacht wieder einen Mann seiner eigenen Rasse töten mußte. Langsam ging er zur Tür, öffnete sie und sagte halblaut: »Du bist mein Gast, Krieger.« Der Indianer saß ab, führte den Mustang zur Seite und lief ins Haus. Es war ein Mimbrenjo, und seine schwarzen Augen funkelten triumphierend. »Sieh, Träumer«, sagte er und schwenkte einen Stab, an dem zwei Skalps hingen, zwei frische Skalps. »Gut, sehr gut«, murmelte der Pinaleno Apache, der sich von seinem Volk losgesagt hatte und eine Farm betrieb. »Wo hast du sie getötet, Krieger?« »Im Süden, weit von hier«, erwiderte der Mimbrenjo. »Sie trugen Münzen aus dem gelben Metall bei sich. Hier, dafür bekommen wir zwei Kisten Patronen. Cochise weiß nicht, daß ein Teil der Krieger die Waffen der Bleichgesichter besitzt. Cochise ist ein altes Weib geworden. Er will Frieden mit den Landräubern. Victorio und Geronimo suchen den Kampf. Wir werden kämpfen, wir werden siegen, Träumer.« Nepatana nickte ernst und erwiderte: »Du bist ein großer Krieger, Mimbrenjo, ich will dich ehren. Kennst du das 4
brennende Wasser der Bleichgesichter?« Begehrlich funkelten die Augen des anderen Apachen, und das war für Nepatana Antwort genug. Er ging zu dem einfachen Schrank aus ungehobelten Brettern, öffnete die Tür, nahm mit der Linken die Whiskyflasche und mit der anderen Hand den Dolch heraus, den er geschickt unter seinem Lederhemd verbarg. »Trink, Mimbrenjo«, sagte Nepatana, und reichte dem Krieger die Flasche. Als er das Glas an die Lippen setzte, zuckte die Rechte des Träumers blitzschnell vor. Der kalte Stahl grub sich in den Oberkörper des Kriegers. Geschickt fing Nepatana mit der linken Hand die Whiskyflasche auf. Er hörte nicht auf die verzerrten, röchelnden Worte des Mimbrenjos, der den Pinaleno fassungslos anstierte. Der Blick des Kriegers ging weg, verschwamm. Der Kämpfer aus Victorios Stamm sank zusammen. Er war tot, getötet von Nepatana, dem Träumer, von dem Mann, der sich von seinem Stamm losgesagt hatte, und hier, östlich des Graham Peaks, eine Farm betrieb. Nepatana blickte auf den Toten, sah die Goldmünzen, die beiden Skalps. »Das darf nicht länger geschehen«, murmelte der Apache. »Meine eigenen Leute kämpfen und töten die Weißen. Die Mimbrenjos sind noch schlimmer. Victorio ist wie ein Teufel, von dem die Padres sprechen. Nein, es muß ein Ende haben, wenn wir Indianer überleben wollen.« Für Sekunden versank Nepatana in seinen Traum. Ja, in seinen Visionen sah er, wie Weiße und Apachen friedlich nebeneinander lebten. Und das war sein Ziel: den unaufhörlichen Kampf zwischen den beiden Rassen endgültig zu beenden. Mörder wie dieser Mimbrenjo mußten sterben. 5
Napatana leerte die Taschen des Kriegers, der allein auf Raubzug ausgeritten war. Die Waffen ließ er ihm, denn ein Mann sollte mit seinen Waffen begraben werden, damit er im jenseitigen Reich auf die Jagd gehen konnte, damit er den weißen Büffel hetzte, wie es in den Legenden der Uralten erzählt wurde. Der kräftige Farmer legte sich den Toten über die Schultern und löschte die Kerosinlampe. Als er die Tür öffnete, blieb er witternd stehen. Nichts warnte ihn, kein Feind lauerte in der Dunkelheit. Und doch spürte Nepatana, daß die friedliche Zeit auf dieser Farm dem Ende zuging. Er ahnte, witterte, daß eine andere Aufgabe auf ihn wartete, eine Aufgabe, die ihn seinem Ziel, dem Frieden zwischen Apachen und Bleichgesichtern, näherbrachte. Aber dieses Ziel war weit entfernt. Um es zu erreichen, mußten noch viele Menschen sterben. Der Pinaleno Apache trug den Leichnam ins Maisfeld. Die starken Pflanzen raschelten, zischend rieben die Blätter gegeneinander. Endlich erreichte der Träumer das freie Stück, legte den Toten zu Boden und zerrte die Schaufel unter den ausgedörrten Stengeln hervor, die auf einem Haufen lagen. Es dauerte nicht lange, bis Nepatana das Grab geschaufelt hatte und der tote Mimbrenjo in dieser flachen Grube lag. Düster blickte der Pinaleno auf den jungen Apachen hinab, ehe er die erste Schaufel Dreck in das Loch zurückwarf. Niemand würde den Krieger hier entdecken. Nepatana genoß das Vertrauen der Weißen genauso, wie das der roten Menschen, denn er war ein Träumer, der an eine Visionen glaubte. Im Osten glänzte der Horizont grau. Ein schmaler Streifen war es nur, der die Dunkelheit aufriß. Und doch kündete er vom neuen Tag, der in weniger als einer Stunde die Nacht verdrängen würde. Nepatana versteckte die Schaufel und stapfte zum Ranchhaus zurück. Er bewegte sich wie ein weißer Mann, achtete nicht 6
darauf, wohin er seine Füße setzte. Maisstroh knirschte und knackte unter den Lederstiefeln des indianischen Farmers, während er zurückging. Der Traum! Wieder zogen Gedankenfetzen, Bruchstücke, an Nepatanas Augen vorbei. Er lächelte und wußte, daß die Zeit nicht mehr fern war, von der er geträumt hatte. Ja, es war möglich, daß Bleichgesichter und Apachen friedlich zusammenlebten. Und er, Napatana, würde das Werkzeug sein, das der Große Geist ausersehen hatte. Im kleinen Stall muhten die drei Kühe. Sie mußten gemolken werden. Die Milch holte jeden Tag ein Bote, der von Fort Grant zur Farm ritt. Die Frauen der Soldaten hatten kleine Kinder. Sie brauchten diese Milch, und sie zahlten gut dafür. Der Zahlmeister des Forts kaufte dem indianischen Farmer Mais, Weizen, Schafe und Wolle ab. Nepatana war ein wohlhabender Mann, gemessen am Einkommen jener Zeit. Und er war ein Feind der wilden, blutrünstigen Krieger, die aus ihrer engen Welt ausbrachen und den Tod zu Weißen und Mexikanern brachten. Der Apachenfarmer setzte sich in den Schaukelstuhl, der auf der Veranda stand. Noch besiegte die Dämmerung nicht die Nacht. Und diese Stunde, die Zeit vor dem Sonnenaufgang, liebte Nepatana. Er blickte nach Osten. Dort erschien jeden Morgen die Sonne, die Spenderin jeglichen Lebens, und tauchte die Halbwüste in ihren Gluthauch. Nepatana sah den blutroten Streifen am Horizont. Der Apachenfarmer versank in seinen Traum. Zum erstenmal hatte er eine Vision von sterbenden Männern. Blut, überall rann es rot umher. Angst kroch in das Herz des Pinaleno. Würde er scheitern? War es nicht möglich, seinen Traum zu erfüllen? Irgendwo klapperten Hufeisen über Gestein. Abrupt erwachte Nepatana, starrte noch ein paar Sekunden auf den drohend verfärbten Horizont und stand schließlich auf.
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* John Haggerty lag am Ufer des Sees in den Dragoon Mountains. Der ehemalige Scout fühlte sich wieder gesund. Seine Füße schmerzten nicht mehr. Der Marsch durch das Indianerland verschwamm allmählich zur Erinnerung. Haggerty lächelte, als er an Tla-inas Worte dachte, nachdem sie seine zerschundenen Füße gesehen hatte. »Ein Falke fliegt«, hatte Cochises Schwester gesagt. »Ich weiß nichts davon, daß er durch den heißen Sand läuft.« Und Naiche, der Sohn des großen Häuptlings, hatte schallend dazu gelacht. Selbst die einfachen Krieger konnten ihren gutmütigen Spott nicht unterdrücken. John fühlte sich auf eine merkwürdige Art zu Hause in der Apacheria des Stammes. Er spürte, fühlte, daß er anerkannt wurde. Zwar galt er noch immer als Weißer, und daran würde sich nichts ändern im Laufe der Zeit. Aber die Apachen unter Cochise hatten erkannt, daß der Falke wirklich ein Mann war, der zu seinem Wort stand, der Frieden wünschte und den Menschen der roten Rasse nicht feindlich gegenüberstand. Haggerty blickte auf die blaue Wasserfläche. Sie war der kostbarste Besitz des Stammes. In den zerklüfteten Felsen der Dragoon Mountains bot dieses Wasser eine gute Überlebenschance. Das schmale, langgestreckte Tal konnte von den US-Truppen nicht eingenommen werden. Zwei Dutzend Krieger hingegen vermochten eine ganze Armee aufzuhalten. Um Cochises Schlupfwinkel zu stürmen mußte Artillerie eingesetzt werden. Bis die Batterien jedoch in Stellung standen, hätten zahllose Rotten von Apachen die Kanoniere getötet. Doch warum sollte General Howard diese Apacheria stürmen lassen? Er dachte gar nicht daran, war froh, daß der schwankende Friede im Südwesten durch Cochise und Haggerty immer wieder gerettet wurde. John schloß die Augen. Ein leichter Wind strich durch die 8
Zweige und Blätter der Büsche. Das Rascheln wirkte einschläfernd, und nach wenigen Minuten versank der ehemalige Scout in einen Dämmerschlummer. Auf einmal hörte er Schritte. Ein Mensch näherte sich, ging leichtfüßig, erreichte die Sträucher und wand sich hindurch. Tla-ina, dachte John mit geschlossenen Augen. Ja, das ist ihr Schritt. »Ich freue mich, daß du kommst, Sanfter Wind«, sagte Haggerty leise. »Setz dich zu mir und laß uns ein wenig träumen, Tla-ina.« Sie schwieg zu lange, fand John. Er richtete sich auf, öffnete die Augen und hörte Naiches Stimme. »Falke, Freund meines Vaters«, sagte der Sohn des Häuptlings. »Nicht nur deine Füße haben auf dem Marsch gelitten, auch deine Ohren. Oder geht die Schwester meines Vaters so wie ich?« Haggerty seufzte und erwiderte: »Naiche, ich war davon überzeugt, daß der Sanfte Wind kam. Du bist mir ebenso willkommen, wenn auch auf eine andere Weise.« Cochises Sohn lachte kurz und sagte: »Weißer Falke, es geht mich nichts an, was Tla-ina tut. Cochise ist damit einverstanden, und er ist der Führer des Stammes. Aber sage mir, Falke, was aus dir und dem Sanften Wind wird. Sage mir, ob du ganz, auch in deinem Denken, ein Apache werden kannst?« Naiche kauerte sich neben Haggerty ans Ufer des Sees. »Dies sind Dinge«, erwiderte John ernst, »die alle Gedanken zerstören können. Tla-ina sagte mir vor einiger Zeit, daß ich nicht an die Zukunft denken soll. Wir leben heute, jetzt, sagte sie, und danach richte ich mich. Wenn auch in meinem Herzen ein schwarzer Vogel fliegt, der auf den Tod wartet. Und dieser Vogel ist die Summe meiner Gefühle, Naiche.« Cochises Sohn schwieg. Er war beeindruckt. Der Falke hatte ihm klar und offen geantwortet, hatte seine Zweifel, seine 9
Furcht vor der Zukunft mit Tla-ina, nicht verborgen. »Mein Vater möchte dich sprechen«, sagte Naiche und stand auf. »Der Jefe möchte deine Meinung hören, Falke.« Haggerty zog die Socken an und schlüpfte in die Apachenstiefel. Sie waren weicher, bequemer als die der Weißen. Und doch schützten diese kniehohen Wildlederstiefel der Wüstenvölker genausogut vor Schlangenbissen, Speerdornen und Kakteenstacheln. John fragte nicht, was Cochise von ihm wollte. Das würde der Chief ihm selbst sagen. Schweigend gingen die beiden so verschiedenen Menschen zum eigentlichen Lager der Apachen. Die Feuer glommen rauchlos vor den Wicky-ups. Es roch nach Bratfleisch, aber John vermochte nicht zu unterscheiden, ob die Squaws Stücke vom Eselhasen, Weißschwanzhirsch, Gabelbock oder Maultierfleisch brieten. Ulzana, einer der bedeutendsten Unterhäuptlinge der Chiricahuas, saß Cochise gegenüber. Der knorrig wirkende Apache haßte die Weißen. Er war für den Kampf, würde mit Geronimo gegen die verhaßten Bleichgesichter ziehen, wenn nicht Cochises Worte ihn immer wieder zurückgehalten hätten. Haggerty setzte sich und sagte: »Jefe, ich bin gekommen. Du hast mich holen lassen.« »Du kennst Ulzana«, erwiderte Cochise. »Er ist nicht damit einverstanden, daß ich die weißen Wüstenwölfe niedergekämpft habe, Falke. Er denkt, daß Victorio Rachepläne ausbrütet, daß er die Mimbrenjos wieder einmal ausschickt und alle Weißen sterben sollen.« Aufmerksam betrachtete Haggerty den Unterhäuptling. Seine Augen wirkten kalt und leer, wie Kohlenstücke. John lachte leise und sagte: »Ulzana hofft, daß der Kampf ausbricht. Er will seine Krieger zu Ruhm und Ehre, zu Beute und Skalps führen.« Der Unterhäuptling verzog das Gesicht für einen Moment. Es 10
wirkte voller Hohn und Spott. »Victorio wird nicht hinnehmen, daß Cochise wieder als großer Kämpfer dasteht«, sagte der kleinwüchsige Apache. »Er ist anderer Meinung, Falke. Er vertritt die richtige Meinung, und die ist, daß alle Weißen aus diesem Land vertrieben werden müssen.« »Alle?« fragte John langsam und starrte dem Chiricahua in die Augen. »Ja, alle, auch du, Falke, der du dich Cochises Freund nennst«, erwiderte Ulzana heftig. »Ihr verderbt mit euren Gedanken den Geist der Apachen, lenkt die großen Führer in die falsche Richtung. Wir müssen kämpfen, Cochise. Das ist unsere einzige Hoffnung.« Haggerty schüttelte den Kopf und erwiderte: »Du vergißt die Macht meiner Rasse, Ulzana. Einzeln sind die meisten Weißen schwach und unfähig, in diesem heißen Wüstenland zu überleben. Das gebe ich zu. Aber vergiß nicht die Pferdesoldaten, die Hotchkiss-Kanonen und die Gatling-Guns. Und wenn diese Waffen feuern, ist es, als wären sie an einem Tag geladen worden, und würden drei Tage lang den bleiernen Tod ausspucken. Mit Kanonen aus dem Krieg zerstören die Blauröcke jede Apacheria. Und das wird geschehen, wenn unbedachte Menschen wie du oder Victorio zum großen Kampf aufrufen.« Ulzana preßte die Lippen zusammen. Er war fest davon überzeugt, daß die Apachen den Weißen überlegen sein würden, kam es zur großen, zur entscheidenden Auseinandersetzung. Denn die Krieger der Halbwüste verschmolzen mit ihr. Sie beherrschten alle Listen, sämtliche Tricks, die zum Überleben und für siegreiche Überfälle nötig waren. »Der Falke spricht wahr«, sagte Cochise müde. »Du selbst warst dabei, als wir den Bleichhäutigen unterlagen, vor langen Wintern, Ulzana. Und damals haben die Kanonen der Weißen 11
den Kampf entschieden. Erinnere dich daran.« Ulzana schwieg. Er war anderer Meinung, dachte, daß damals die Führung des Häuptlings an der Niederlage schuld war, denn der Unterhäuptling konnte nicht sehen, daß die Krieger der vereinigten Stämme durch die Überlegenheit der Bleichgesichter geschlagen worden waren. Haggerty verstand, warum ihn Cochise bei der Unterredung in der Nähe haben wollte. Ulzana war unzufrieden, war der Anführer der wilden Krieger, denen Skalps, Blut und Beute mehr bedeuteten, als Frieden oder das Überleben der Apachen. Es galt, den Unterhäuptling zu besänftigen, so zu beruhigen, daß kein offener Konflikt entstand, daß keine Rotte Chiricahuas aus der Apacheria ausbrach und auf Raubzug ging. Haggerty lächelte und sagte: »Jefe, dann sollen Ulzanas wilde junge Männer nach Norden ziehen. Als Späher werden sie schon entdecken, wenn Victorio den Krieg mit den Weißen wieder schüren will.« Cochise blickte zu den zerklüfteten Felsengipfeln der jenseitigen Talwand hinauf. Ein undeutbarer Ausdruck lag im Gesicht des Chiefs. Es schien, als mischten sich Trauer, Gewißheit und Zorn und Verzagtheit in diesem Gesicht des größten Führers der Apachen. Es schien, als wüßte Cochise etwas, das kein anderer auch nur ahnte. Ulzana hingegen vermochte seinen Triumph kaum zu unterdrücken. Er setzte zweimal zum Sprechen an, und erst beim zweiten Versuch gelang es. »Gut, Falke«, sagte der Unterhäuptling, »wenn dies dein Rat ist, so ist es ein kluger Rat. Wenn Cochise befiehlt, daß die Krieger spähen sollen, so werden sie reiten.« Erwartungsvoll blickte der kleinwüchsige Ulzana den Chief an. Cochise kehrte aus weiter Ferne zurück. Für eine Sekunde irrte sein Blick von John zu Ulzana. »Sie sind verloren, wenn sie nach Norden reiten«, sagte der Jefe ausdruckslos. »Ich warne dich, Ulzana, diese Krieger 12
kehren nie zurück. Ich weiß es.« »Sollen meine Männer die Mimbrenjos beobachten?« wollte der Unterhäuptling wissen. »Ich halte sie nicht zurück, auch dich nicht«, erwiderte Cochise ruhig. Ulzana stand auf und ging langsam davon. Deutlich sah ihm John an, daß er am liebsten gelaufen wäre. Hatte Ulzana doch einen Sieg über den großen Cochise errungen. »Was ist das, was du eben sagtest?« wollte Haggerty wissen. »Woher nimmst du die Gewißheit, mein Bruder?« Düster antwortete Cochise: »Frage mich nicht, Falke. So wie du bestimmte Dinge siehst und erkennst, was daraus entstehen mag, so weiß ich, daß Ulzanas Krieger in den Tod reiten.« Der Jefe starrte in die schwache Glut des Feuers. »Sollen wir den Kriegern folgen?« wollte John wissen. »Vielleicht können wir ihnen helfen, einige retten.« Es dauerte sehr lange, ehe Cochise erwiderte: »Nein, mein Bruder. Ulzana muß erkennen, daß er nicht der große Führer ist, für den er sich hält. Es zerschneidet mir das Herz, daß Kinder meines Volkes sterben müssen. Sterben deswegen, um einem Mann, dessen Herz durch Krieg und Feindschaft vergiftet ist, seine Fehler zu zeigen. Wir müssen warten, Falke. Erst wenn wir die Nachricht vom Tod der Krieger erhalten, brechen wir auf.« Haggerty sah, daß es sinnlos war, weiter auf Cochise einzureden. Er würde dem Drängen seines weißen Freundes nicht nachgeben. »Ich sehe mir die Krieger an, die Ulzana ausschickt«, sagte John und stand auf. Langsam ging er zu den Pferden. Zehn Chiricahuas legten ihren zähen, struppigen Mustangs die Graszügel auf, die Decken auf den Rücken. Die Augen der Krieger glänzten erwartungsvoll. Ulzana stand ein wenig abseits. Er hielt die Arme vor der Brust gekreuzt und blickte voller Stolz auf den Spähtrupp. 13
Die Männer waren gut bewaffnet. Sie trugen die Ulmenholzbögen, Lederköcher voller Pfeile, die Tomahawks, Dolche und moderne Gewehre. Spöttisch blickten die Krieger zu dem Falken hinüber. Ihr ganzes Gehabe ließ John fühlen, daß sie ihn für einen Feigling hielten. Warum ritt er nicht mit nach Norden? Minuten darauf trabten die Ponys über die Felsenwege, die aus der Apacheria hinausführten. * Nepatana stand am Balkengeländer der kleinen Veranda. Seine Hände lagen auf dem Oberholz der Stützpfosten. Pferdesoldaten ritten heran. Es mußte eine ganze Schwadron sein. Die Fahne der Weißen flatterte im Wind. Vier Längen vor dem Unteroffizier trabte ein herrlicher Apfelschimmel. Nepatana verzog das Gesicht. Er kannte das Tier. Vor drei Monden hatte der Träumer das Pferd einem Offizier verkauft, der in Fort Grant stationiert war. Captain Hagman war ein Draufgänger. Er vertrat die Meinung, daß die Lösung des Apachenproblems ganz einfach war. »Wenn deine roten Brüder nicht friedliche Ackerbauern oder Schafzüchter werden«, hatte Hagman vor drei Monaten zu Nepatana gesagt, »müssen wir sie eben zur Hölle befördern. Egal wie, wir bringen sie um. Und danach herrscht Ruhe im Südwesten.« Nepatana hatte damals wenig gesagt, nur zugegeben, daß die jungen Krieger wild und verrückt nach Kämpfen waren. Er wußte, daß Victorio die Weißen haßte wie eine tödliche Krankheit, daß auch Geronimo die Meinung vertrat, die Hellhäutigen müßten erbarmungslos getötet und vertrieben werden. Und auf solche Männer hörten die Krieger. Denn sie waren Männer des Kampfes, dazu erzogen, zu rauben, Beute zu 14
machen und zu töten. Das friedliche, ja, unwürdige Leben im San Carlos Reservat ließ die Sehnsucht nach dem freien Umherschweifen in der Halbwüste immer stärker werden. Nur zu gern hörten die Krieger auf Victorio, der immer wieder den Kampf gegen die weißen Eindringlinge schürte. Joshua Hagman zügelte den Apfelschimmel eine Länge vor der Veranda. Der Sergeant hatte wohl schon vorher seine Befehle bekommen. Er ließ die Reiter einen Kreis bilden, der das Farmhaus einschloß. Für Sekunden verspürte Nepatana Furcht. Wollten sie seinen Besitz überrennen, ihn in Brand setzen? »Willkommen, Captain Hagman«, sagte der Träumer. Der Offizier grinste, saß ab und sprang mit einem Satz auf die Veranda. Er schaute sich um, blickte durch die geöffnete Tür in den Wohnraum und sagte beiläufig: »Schön hast du's hier, Mann. Wäre doch schade, wenn das alles zum Teufel ginge.« Hagmans Grinsen gefror, als er in die schwarzen Augen des Pinaleno-Apachen blickte. Der Captain wußte, daß dieser Stamm verdammt kriegerisch war und sich einen Dreck um die Gesetze der Weißen scherte. Für eine Sekunde empfand Hagman, eine Spur zu weit gegangen zu sein. Aber er mußte den eingeschlagenen Weg weitergehen. »Du hast keine Wahl, Apache«, fuhr der Offizier fort. »Entweder nimmst du meinen Vorschlag an, oder wir machen hier alles dem Erdboden gleich. Die Soldaten sind hier alles Sträflinge. Ich führe eine Strafschwadron. Jeder einzelne dieser Kerle hat gegen das Gesetz verstoßen. Sie führen jeden Befehl von mir aus, denn ich bin ihre einzige Chance, sich zu bewähren. Verstehst du das Jack?« Nepatana wußte genug von den Weißen, um begreifen zu können. In den hellen Augen des Offiziers entdeckte er das Versprechen, die Drohung wahrzumachen. 15
»Was willst du, weißer Mann?« fragte der Träumer kehlig. »Dies ist mein Land. Es gehört mir. Und alles was hier steht, habe ich mit meinen Händen aufgebaut. Ich befolgte die Befehle des einarmigen Generals. Ich bin ein friedlicher Ackerbauer.« »Jack, du bist ein Narr«, erwiderte Hagman. »Du weißt genau, daß kein Apache auch nur einen Fußbreit Boden besitzen darf. Wenn es mir paßt, jage ich dich davon und setze mich in dein Haus.« »Mein Name ist Nepatana, nicht Jack«, antwortete der Träumer. »Und wenn du mein Haus stiehlst, mein Land, dann nehme ich dir deinen Skalp.« Der Captain lachte halblaut und sagte: »Du bist also gar nicht so friedlich, wie du dich gibst. Genau das habe ich mir gedacht. Und Nepa-was-weiß-ich ist mir zu lang. Du heißt Jack. Und ich will dich auch nicht von hier vertreiben oder dir Schaden zufügen. Ich habe einiges über dich gehört, Jack, und mir so meine Gedanken gemacht.« Nepatana schwieg. Mit ausdruckslosem Gesicht starrte er den Weißen an, wartete auf dessen Vorschlag. »Du wirst Träumer genannt«, fuhr Hagman fort. »Du träumst von Frieden zwischen den verdammten Apachen und uns Weißen. Das ist genau das, was wir alle wollen. Aber ich denke, wir haben den falschen Weg eingeschlagen. Wir müssen dort anfangen, wo alles wirklich beginnt: in den Jacales. Wenn wir die Krieger, die nicht im Reservat bleiben, erwischen, ist das Problem bald gelöst.« Nepatana hielt den Atem an. Seine schwarzen Augen funkelten erregt. Dieser weiße Offizier, er war die Chance des Träumers, seine große Vision zu verwirklichen. Denn er dachte genau das, was auch Nepatana sich überlegt hatte, nachdem er zum erstenmal seinen gewaltigen Traum vom friedlichen Miteinander der roten und weißen Menschen geträumt hatte. »Und was willst du von mir?« fragte der Träumer. 16
»Du sollst mein Scout sein«, antwortete Hagman sofort. »Du mußt uns führen, uns zeigen, wo die Ausbrecher aus der Reservation zu finden sind. Ich werbe dich ganz normal als Scout an. In Wahrheit jedoch arbeitest du mit mir an dem Plan, den Kampf zu beenden.« Nepatana schaute zum Horizont. Sein Blick wirkte verloren, in endlose Weiten gerichtet, die der Captain nicht wahrnehmen konnte. Er versuchte, seinen Traum mit dem Tod vieler Krieger in Einklang zu bringen. Denn er wußte, daß die unruhigen, abenteuerlustigen Kämpfer sterben würden. Sie gaben sich niemals geschlagen, kämpften bis zum Tod. »Ich habe mich entschieden, Captain«, sagte Nepatana nach einiger Zeit. »Ich werde dein Scout sein. Deine und meine Gedanken haben sich irgendwo getroffen. Unsere Gründe sind verschieden, aber wir wollen beide den Frieden. Erzähle mir, was du vorhast.« Hagman zügelte seinen Triumph. Er sah alles vor sich, wußte, daß er Erfolg haben würde, denn mit einem zuverlässigen Apachenscout war einer Schwadron fast nichts unmöglich. Der Captain entwickelte Nepatana seinen Plan. Der Späher sollte frei im Land umherstreifen, Kontakt zu den Horden aufnehmen und anschließend Hagman berichten. Weiterhin mußte Jack, wie ihn der Offizier einfach nannte, die Soldaten in Hinterhalte führen. »Wir müssen nach Apachenart kämpfen, Jack«, sagte Hagman. »Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.« Nepatana sah zu den Soldaten hinüber und grinste flüchtig. Er deutete mit der Rechten auf die blinkenden Metallteile an den Sätteln und Geschirren und sagte: »Wie sollen diese Soldaten nach unserer Art kämpfen? Sie verratet sich schon durch den Geruch ihrer Pferde, des Leders, ja, durch ihren eigenen Geruch.« Der Captain winkte ab und erwiderte: »Es ist 17
deine Aufgabe, unsere Stellungen so auszuwählen, daß wir im Vorteil sind. Eine Rotte Krieger, die auf Raubzug reitet oder zurückkehrt, wendet doch nicht alle Listen an, benimmt sich nicht so, als ob sie auf Beute lauert.« »Gut, gib mir eine Medaille«, sagte Nepatana. »Wenn ich auf Pferdesoldaten stoße, muß ich ohne Gefahr weiterreiten können.« Hagman fingerte aus der Tasche des Uniformrockes eine Medaille heraus, wie sie die Apachenscouts trugen. Auf der einen Seite war das Bildnis des Präsidenten zu sehen, und auf der anderen standen die Worte »Indian Scout of Southwest Territory«. Diese Medaille diente den Apachenspähern als Ausweis gegenüber Soldaten und Zivilisten. »Was wird aus deiner Ernte? Was machst du mit deinem Vieh?« fragte Hagman scheinbar besorgt. »Laß die Ernte vertrocknen«, erwiderte der Träumer. »Das Vieh können deine Männer zum Fort treiben. Der Zahlmeister soll mir mein Geld aufbewahren. Ich brauche es jetzt nicht. Wo treffen wir uns, Captain?« Hagman wollte einen ständigen Posten auf Nepatanas Farm einrichten. Die Soldaten sollten sich selbst verpflegen und waren nur dazu da, um Meldungen an den Captain weiterzuleiten. Joshua Hagman war mit sich zufrieden. Er sah sich im Geiste bereits als strahlender Sieger, als den Mann, der den Südwesten befriedet hatte. Das mußte doch Orden und eine Beförderung einbringen. Immerhin war er keiner jener Bürgerkriegsoffiziere, die durch Tapferkeit und Draufgängertum ihre Sterne erhalten hatten. Nein, Joshua Hagman war Absolvent der Kriegsakademie, war Berufssoldat. Und er fand es an der Zeit, etwas für seinen Ruf zu tun. * 18
Rabenführer ritt vor dem kleinen Trupp her. Er drehte sich nicht um. Hoch aufgerichtet saß er auf der bunten Schweißdecke seines Mustangs, war sich der großen Ehre bewußt, die ihm Ulzana erwiesen hatte. Denn der Unterhäuptling hatte ihn als Anführer des Spähtrupps eingeteilt. Und das bedeutete, daß weitere große Dinge auf ihn warteten. Neun der tapfersten Krieger folgten dem Rabenführer. Sie alle hatten sich in zahllosen Kämpfen und Überfällen bewährt, kannten alle Tricks und Listen der Apachen und waren auf der Hut. Rabenführer verhielt sein Pferd auf einer Hügelkuppe, blickte hinab auf das Gelände, das mit Speerdornbüschen und kleinen Kakteen übersät war. Ein mächtiger, uralter Joshuabaum streckte seine stachelbewehrten Zweige in alle Richtungen aus. Und plötzlich ritt hinter dieser Deckung ein Indianer hervor. Im leichten Trab kam sein Pony auf die Rotte Chiricahuas zu. Rabenführer zügelte seinen Mustang und spähte argwöhnisch zu dem fremden Apachen hinüber. »Es ist der Träumer«, sagte der Chiricahua nach einigen Sekunden. »Warum reitet er durch diese Gegend?« Die neun Krieger rissen an den Graszügeln. In weitem Halbkreis umgaben die Kämpfer ihren Anführer, schützten ihn. Nepatana lächelte, als er sein Tier zwei Längen vor dem Rabenführer zügelte. »Was suchen die Krieger der Chiricahuas so weit im Norden?« fragte der Scout des Captains. »Wollen Cochises Männer freiwillig in die Verbannung der Reservation gehen?« Rabenführer lag eine scharfe Antwort auf der Zunge. Er beherrschte sich mühsam und dachte daran, daß Nepatana viel mit den Bleichgesichtern zu tun hatte. Vielleicht konnte er ihnen einen Hinweis über Victorios Einfälle geben. Denn 19
genauso, wie der Träumer das Vertrauen der Bleichgesichter besaß, vertrauten ihm auch die Menschen der eigenen, der roten Rasse. »Träumer«, erwiderte Rabenführer, »wir streifen durch das Land. Wir suchen Männer, die Krieg führen wollen.« »Und wenn ihr sie findet?« fragte Nepatana. »Dann berichten wir Ulzana, und er berichtet Cochise«, erwiderte Rabenführer. »Der große Jefe will keinen Krieg mit den Bleichgesichtern. Er sagt, daß wir mit den Weißen leben sollen.« Der Träumer grinste listig und fragte: »Und was wollen Ulzanas Männer? Seid ihr Weiber oder seid ihr Krieger?« Die neun Begleiter des Anführers murmelten aufgeregt ihre Zustimmung. Denn keiner von ihnen wollte sich ein Weib schimpfen lassen. Sie alle gehörten dem Bund der fünfzig Tapfersten an. Und das bedeutete, daß sie selbst in aussichtslosen Situationen bis zum Tode kämpften. »Ich sehe, daß ihr Krieger seid«, sagte Nepatana salbungsvoll. »Nun, ich verrate euch ein Geheimnis.« Erwartungsvoll zerrten die Chiricahuas an den Zügeln, ließen ihre Ponys näher herangehen und blickten den Träumer der Pinaleno-Apachen auffordernd an. Er schien sich verwandelt zu haben, war nicht mehr der friedfertige Farmer, der den Boden bearbeitete, schien zum Kämpferischen zurückgekehrt zu sein. »Ein weißer Offizier kam zu mir«, begann Nepatana. »Er nannte mich Mörder, Tier und hinterlistiger Halunke.« Zorn, Vorwurf und gerechte Empörung schwang in der Stimme des Träumers mit. Er schien sich im Recht zu fühlen mit seiner Empörung. »Und dann«, fuhr er fort, »gab er seinen weißen Halunken den Befehl, mein festes Jacale niederzubrennen. Alle Pferde trieben die Diebe ab, metzelten meine Rinder und Schafe nieder, verbrannten den Mais auf den Feldern und leiteten den 20
Fluß um.« Der Träumer atmete schwer, starrte blicklos in die Halbwüste, als sehe er dort seine Farm, die Pflanzen, die kurz vor der Ernte standen. »Bei meinem Volk gelte ich als der Träumer«, sagte Nepatana. »Ich weiß, daß mir niemand helfen wird. Ich folgte allein der Spur der Bleichgesichter, und ich weiß, wo sie lagern. Wir alle sind Apachen, gehören zusammen, und wenn ein Krieger Ruhm und Ehre sucht, so kann er mir folgen. Ich erlaube ihm, an meiner Rache teilzunehmen. Ihr seid Chiricahuas, die besten und tapfersten Krieger unserer Stämme. Folgt ihr mir? Helft ihr mir, meine Rache zu vollenden?« Zwei Sekunden war es still, totenstill, und dann brüllten die zehn Krieger ihre Begeisterung heraus. Rabenführer gewann als erster die Beherrschung zurück. Er fragte halblaut: »Wo lagern die Blaubäuche, Nepatana? Können wir sie überraschen? Wieviel Männer sind es, die wir töten werden? Erhält jeder von uns Ruhm, Ehre und Skalps?« »Ihr werdet kämpfen wie Apachen«, erwiderte Nepatana würdevoll. »Mehr als hundert Blauhosen lagern am Wasser, das den Namen Blaues Gras hat. Wenn ihr mir folgt, führe ich euch. Einer mag mit mir reiten, um den weißen Pferdesoldaten den Rückweg abzuschneiden. Sie sitzen in einer Falle, in einem kleinen Tal, das nur zwei Ausgänge hat. Der Angriff von vorne wird ihre Aufmerksamkeit erregen. Ich und einer der Krieger greifen von hinten an, bringen Tod und Verwirrung in die Reihen der Bleichgesichter und zerstören sie. Wer reitet mit Nepatana, den seine Freunde den Träumer nennen, der aber nun ein erbarmungsloser Kämpfer sein wird, denn sein Traum wurde ihm von den Bleichhäutigen genommen und zerstört.« Rabenführers Augen glommen in unheilvollem Feuer. Er sah im Geiste die verkrümmten Körper der Soldaten vor sich, zählte bereits die Skalps und die Beute. Denn hundert 21
Pferdesoldaten waren keine Gegner für elf Apachen. Rabenführer selbst ritt mit Nepatana. Der Träumer leitete sein Pony durch zerklüftetes, unwegsames Gelände. Endlich verhielt er sein Tier auf einer Felsenklippe, wandte sich um und lächelte den Chiricahua an. »Dies ist das Ende deines Weges als Krieger«, sagte Nepatana ruhig. Ehe Ulzanas Kämpfer auch nur eine Bewegung der Abwehr machen konnte, grub sich die Klinge zwischen seine Rippen. Rabenführer verspürte einen grellen Schmerz, der alle anderen Empfindungen auslöschte. Und plötzlich wurde es dunkel vor seinen Augen. Er kippte vom Rücken des Mustangs. Als der Kämpfer auf dem Boden aufschlug, war er schon tot. Nepatana saß ab, holte seinen Dolch zurück und stand reglos wie eine Bildsäule am Abgrund. Unten galoppierten die übrigen neun Chiricahuas in die Falle, die der Träumer ihnen gestellt hatte. Die Karabiner der Soldaten peitschten scharf. Keiner der Apachen gab auch nur einen Schuß ab. Ein Hagel aus Blei löschte sie einfach aus. Nepatanas Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt, als er die tapferen Krieger sterben sah. Sie alle hatten den Kampf gesucht, die Beute, die Skalps. Und die Aufgabe des Träumers war, die wilden Kämpfer in den Tod zu führen. * John Haggerty blickte zum Lager zurück. Tla-ina stand neben dem Jacale des großen Häuptlings. Sie sah dem Mann nach, den sie liebte. Cochise selbst saß am Feuer. Er schaute dem Falken nicht nach. John spürte, daß er reiten mußte. Er witterte, daß im Norden etwas vorging, das den schwankenden Frieden zwischen den Apachen und den Weißen gefährdete. Darum 22
verließ er die Apacheria. Cochise ließ ihn ziehen. Nichts im Verhalten des Häuptlings wies darauf hin, daß er Haggertys Befürchtungen teilte. Aber als der Falke, wie er von dem Jefe genannt wurde, zwischen den von Wind und Wetter zerfressenen Felsen verschwand, lief ein Krieger zu den Mustangs. Kurze Zeit später tackten die Hufe des Ponys über das Gestein. Doch davon wußte Haggerty nichts. Er ritt auf einsamen Wegen nach Norden, vermied sorgfältig jeden Kontakt zu anderen Weißen oder zu Soldaten und gelangte nach langer Zeit in das Gebiet zwischen den Pinaleno Mountains und den Galiuro-Bergen. Eureka Springs hieß die kleine Stadt, in der er Station machte. Die Ansiedlung lag am Aravaipa Creek. Von dort aus mußte Haggerty noch etwa dreißig Meilen reiten, ehe er die San Carlos Reservation erreichte. Als John in der Mitte des staubigen Fahrweges ritt, überkam ihn die Sehnsucht nach einem Bett. Er überlegte sich, daß er ruhig übernachten konnte. Es kam nicht auf einen Tag mehr oder weniger an. Die ersten Häuser wirkten wenig vertrauenerweckend. Sie standen windschief, aus Brettern erbaut, zu beiden Seiten der Straße. Ein Stück weiter entdeckte Haggerty das Hotel. Dieses Gebäude sah etwas besser aus. Direkt daneben stand der einzige Saloon, der nicht mal einen Namen trug. Zwei Dutzend Pferde waren am Hitchrack angebunden. Die schweren McClellan-Sättel verrieten dem ehemaligen Scout, daß es Tiere der Soldaten waren. Eine merkwürdige Warnung schwang in John auf. Seine Sinne signalisierten Gefahr, eine Drohung, die von diesen Pferden ausging. John leitete seinen Rappen an den Haltebalken und saß ab. Steifbeinig stapfte er auf den Sidewalk, erreichte die geteilte 23
Pendeltür und stieß die Hälften zurück. Niemand achtete auf den Fremden, der den Saloon betrat und langsam zum Tresen ging. Eine Menge Gäste stand an der Theke. Das Blau der Kavallerie überwog, aber dazwischen mischte sich die Kleidung der Zivilisten. Haggerty sah eine Lücke und drängte sich hinein. Der dürre Barkeeper, der einem halbverhungerten Geier glich, sah den neuen Gast fragend an. »Ein Bier«, bestellte John. Es dauerte nur Sekunden, bis das Glas vor ihm stand. Haggerty trank einen großen Schluck, wischte sich den Schaum von den Lippen und wollte das Glas auf den Tresen setzen, als der Soldat neben ihm plötzlich mit beiden Händen in der Luft herumfuchtelte. »Es war ganz einfach«, lallte der Uniformierte. »Der Kerl lockte sie in die Falle und brachte selbst einen um. Wir hatten prächtiges Büchsenlicht, und die roten Stinker fielen wie Hasen.« Die rechte Hand des Soldaten wischte Haggertys Glas zu Boden. Es zersplitterte, und das Bier sickerte in die Ritzen zwischen den Bodenbrettern. Der Kavallerist stieß hörbar auf, wandte den Kopf und starrte John unsicher an. »Mister, ich schulde Ihnen ein Bier«, murmelte der Mann, der sichtlich Mühe hatte, den Kopf über dem Whisky zu behalten. »Macht nichts, Soldat«, erwiderte Haggerty sanft. »Erzählen Sie nur weiter. Es interessiert mich, wie Sie die roten Kerle zur Hölle geschickt haben.« Der Soldat grinste erfreut. Er war bereit, den Kampf noch mal zu schildern. »Es war 'ne Rotte Chiricahuas, wie uns der rote Scout später sagte«, erklärte der Uniformierte. »Warum sie ausgerechnet 24
nach Norden ritten, werden wir wohl niemals herausfinden. Sie liefen uns ins offene Messer, Mann. Und wir werden noch mehr von diesen Kerlen zur Hölle schicken. Denn unser Scout ist wirklich ein As.« Haggerty verspürte die Gewißheit, daß er am Ziel war. Das Gefühl, das ihn nach Norden getrieben hatte, die schwache Ahnung, erhielt durch die Worte des Soldaten Bedeutung. Die Krieger des Weißenhassers Ulzana waren tot, niedergekämpft von einer Patrouille. Aber warum? Die Apachen hatten nur den Auftrag, die Mimbrenjo zu beobachten. Aus welchem Grund gerieten sie in einen Kampf mit den Unionssoldaten? Ehe der Uniformierte fortfahren konnte und Haggerty fragen konnte, drängten sich zwei andere Soldaten zwischen den Gästen am Tresen durch. Sie legten dem Betrunkenen die Hände auf die Schultern, zogen ihn langsam, aber beharrlich weg und führten ihn zur Tür. Haggerty verlangte ein neues Bier und bekam es. Scheinbar kümmerte er sich überhaupt nicht um die Uniformierten. Er bemerkte jedoch, daß sie alle den Saloon verließen. Die Soldaten wirkten auf John nicht wie einfache Reiter, sondern eher wie Verschwörer, die etwas zu verbergen hatten. Mit diesen Männern stimmte irgendwas nicht. Haggerty spürte das deutlich. Noch wußte er nicht genug, um nach Fort Grant reiten zu können. Sicherlich waren die Soldaten dort stationiert. Was hatten sie vor? Welcher indianische Scout hatte sie so geführt, daß sie die Chiricahuas in eine Falle locken konnten? Oder war es so, daß Ulzanas Männer einen Überfall begangen hatten, daß sie ihre Freiheit für einen Raubzug benutzten? Haggerty trank sein Bier, zahlte und wollte zur Tür gehen, als eine Frau aufschrie. John wandte den Kopf. An einem Tisch neben der Treppe 25
hielt sich eine Flitterlady beide Arme vor das Gesicht. Ein Kerl stand auf der anderen Seite des Tisches, halb darübergebeugt, und holte erneut aus. Blitzschnell sah sich Haggerty um. Die Gesichter der Gäste wirkten merkwürdig verlegen. Sie bemühten sich alle, nicht in die Ecke an der Treppe zu starren. John schüttelte den Kopf und marschierte hinüber. Es klatschte laut, als der Kerl dem Mädchen die flache Hand an den Kopf hieb. Sie wimmerte halblaut, versuchte, unter den Tisch zu kriechen, aber der angetrunkene Bursche riß an der Platte und warf das Möbel einfach zur Seite. »Du verfluchtes Miststück!« brüllte er. »Dich mache ich fertig. Ich werde dir helfen, mir die Dollars aus der Tasche zu angeln.« »Ich denke, es reicht jetzt«, sagte Haggerty scharf. Der Kerl fuhr hoch, stierte den Fremden wild an und sagte drohend: »Was willst du, Hombre? Warum mischst du dich ein? Oder bist du der Beschützer dieser Saloonschwalbe? Dann kommst du mir gerade recht.« »Mister, wenn Sie Ihre Dollars zurückhaben, sollten Sie die Lady in Ruhe lassen«, sagte John. »Es ist doch 'ne verdammte Schande, sich an einer Frau zu vergreifen.« Der Angetrunkene lachte höhnisch, trat einen Schritt zurück und brüllte: »Das ist keine Frau, Mann, das ist eine DreiDollar-Hure, klar? Und sie wollte mich bestehlen. Nun bekommt sie die Quittung dafür. Und wenn du jetzt nicht verschwindest, mußt du deinen Colt ziehen, verstanden?« Haggerty grinste bitter und erwiderte: »Nur zu, Mann, versuch's doch.« Der andere krümmte sich nach Art der zweitklassigen Coltschwinger zusammen. Seine Rechte war nur einen halben Inch vom Griff des Revolvers entfernt. »Jetzt!« sagte der Kerl scharf und packte zu. 26
Als er die Waffe hochschwang, starrte er bereits in die Mündung von Haggertys Revolver. »Weiter, los, schieß doch«, peitschte Johns Stimme. Aber er hatte dem anderen den Mut abgekauft. Er sackte in sich zusammen, bewegte sich ganz langsam und vorsichtig, als er die Waffe wieder zurücksteckte. Unsicher ging er an Haggerty vorbei, warf der Frau noch einen haßvollen Blick zu und stürmte auf einmal zur Pendeltür. Wie ein Geschoß sauste er ins Freie. Die Türhälften klappten knarrend wieder zu. John steckte den Revolver weg und beugte sich zu der Frau hinab. Sie starrte ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Angst an, schien unsicher, konnte es nicht fassen, daß ein anständiger Mann ihr geholfen hatte. »Kommen Sie, Lady«, sagte Haggerty und half ihr auf. »Wohin kann ich Sie bringen? Sie wollen doch sicher nicht länger hierbleiben, oder?« Das Mädchen schüttelte den Kopf. John glaubte Angst in ihren Augen zu erkennen. »Ich heiße Lily«, murmelte sie und stützte sich schwer auf seinen Arm. »Ja, bring mich nach Hause, Mister. Ich wohne am Stadtrand, im Osten. Für heute reicht's mir wahrhaftig.« Niemand sprach ein Wort. Haggerty kam die Stille merkwürdig, fast feindselig vor. Er schaute sich nicht um, als er mit der Frau zur Tür ging. Die Saloonschwalbe wirkte angespannt, verkrampft. Und sie lockerte sich erst, als sie mehr als hundert Yards entfernt waren. John spürte, wie sie aufatmete. Und dann drängte sie sich eng an ihn, ließ Haggerty die Wärme ihres Körpers fühlen. »Ich möchte dir richtig danken«, murmelte Lily. »Du gehst mit rein, wenn ich zu Hause bin, ja? Ich habe einen guten Whisky. Den bekommen nur Freunde von mir, Mister. Und danach zeige ich dir, wie dankbar ein Mädchen sein kann.« 27
John schwieg. Irgend etwas störte ihn, aber er wußte nicht, was es war. »Hast du etwas gegen Girls mit meinem Beruf?« fragte Lily unsicher. »Absolut nicht«, erwiderte Haggerty freundlich. »Also gut, ich bringe dich nach Hause und du gibst mir einen Whisky, Lily.« Es dauerte nicht lange, bis sie ein flaches Holzhaus erreichten, das unmittelbar am Stadtrand stand. Lily sperrte auf, entzündete eine Kerosinlaterne und ließ Haggerty eintreten. Er sah sich um. Die Haustür führte direkt in die Küche. Gegenüber war eine Tür zu einem weiteren Zimmer. John setzte sich auf einen der Holzstühle am Küchentisch und schaute Lily zu, die eine Flasche und zwei Gläser aus einem Schrank holte. Sie schenkte ein, sie tranken, und danach verschwand das Girl durch die andere Tür. Haggerty konnte sich vorstellen, auf welche Weise Lily ihren Dank abstatten wollte. Er suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, dem zu entgehen. Denn er hatte keine Lust, mit dieser Schwalbe ins Bett zu hüpfen. * Captain Hagman fluchte halblaut. Das Lagerfeuer warf seltsame Schatten und Lichtzungen auf das Gesicht des Offiziers. »Männer, so was darf einfach nicht geschehen«, sagte Hagman laut. »Gut, ihr sollt euren Whisky haben. Die Menschen hier in der Gegend können auch wissen, daß wir was gegen die verfluchten Apachen unternehmen. Aber ihr dürft euch nicht so besaufen, daß ihr völlig Fremden etwas erzählt.« Irgendwas an der Beschreibung des hochgewachsenen Mannes im Saloon kam dem Captain bekannt vor. Er konnte 28
sich nur nicht erinnern, wer dieser Kerl war. Nur gut, dachte Hagman, daß ich Sanders losgeschickt habe. Vielleicht bringt der Bursche was heraus. Er ist ein geschickter Mann, sobald er Zivil trägt. Als Soldat taugt er nicht viel. Einige Zeit verging. Der Captain saß am Feuer und starrte in die lodernden Flammen. Er hoffte, daß Jack ihm bald die Nachricht gab. Denn die Aktionen mußten Schlag auf Schlag erfolgen. Die roten Hunde sollten spüren, daß es für sie keine Gnade gab. Hagman hob den Kopf und lauschte in die Dunkelheit. Trotz des Feuers, der knackenden Äste in der Glut, hörte er Hufschlag. »Halt, Parole!« rief einer der Posten. »Mach dir nicht die Hose naß«, erwiderte ein Mann. »Ich bin's, Sanders.« Hagman preßte die Lippen zusammen und hätte am liebsten geflucht. Der Kerl lernte es nie. Er war furchtbar undiszipliniert, eine Schande für die ganze Kavallerie. Wahrscheinlich würde er seine gesamte Dienstzeit in einer Strafschwadron verbringen, wenn er sich nicht änderte. Ein paar Sekunden danach schwang Sanders ein Bein übers Sattelhorn und glitt zu Boden. Steifbeinig stiefelte er auf das Feuer zu und legte nachlässig die Rechte an den Stetsonrand. »Da bin ich wieder, Captain«, sagte Hugh Sanders. »Raus mit der Sprache, was ist das für ein Kerl, der sich für den Kampf mit den Chiricahuas interessierte?« fragte Hagman scharf. »Ich habe Sie in Zivil mitgeschickt, damit Sie beobachten. Berichten Sie, Sanders.« »Sieht nicht gut aus«, antwortete der Mann. Hagman holte tief Luft und hielt den Atem an. »Der Kerl ist jetzt bei Lily«, fuhr Hugh fort. »Ich habe mit ihr 'ne Show abgezogen, sie geschlagen, und prompt griff der Fremde ein. Ich ließ mich beim Ziehen schlagen, und er marschierte mit Lily davon. Sie weiß, was sie zu tun hat. In 29
einer Stunde oder so können wir den Burschen bei ihr abholen.« Pfeifend atmete Hagman aus und fragte gepreßt: »Warum direkt mit harten Mitteln, Sanders? Sie vergessen wohl, daß wir uns auf mächtig unsicherem Boden bewegen. Ein Fehler, und wir alle sind erledigt.« Hugh lachte hart und erwiderte: »Und wenn's gutgeht, wird uns allen die Strafe erlassen, und Sie bekommen die Streifen eines Majors, Cap. Nun, ich will Ihnen sagen, warum wir diesen Burschen aus dem Verkehr ziehen müssen. Ich habe ihn schon mal gesehen. Früher war ich in Fort Buchanan. Er kennt mich nicht, aber ich weiß, wer er ist.« Sanders schwieg, und Hagman hätte dem Kerl am liebsten ein brennendes Holzscheit über den Kopf gezogen. »Das ist der ehemalige Chiefscout John Haggerty«, sagte Hugh gelassen. Es dauerte eine Weile, ehe Captain Joshua Hagman wie ein Maultiertreiber fluchte. »Ausgerechnet Haggerty«, stieß er hervor, »dieser verfluchte Apachenfreund. Was hat er hier zu suchen? Soll er doch mit seinem Cochise in eine Hütte kriechen. Sollen sie sich gegenseitig versichern, daß sie alle nette und friedliche Menschen sind und nicht an Krieg denken. Dieser verdammte Hurensohn!« Hugh hatte den Flüchen interessiert gelauscht. Der Captain schien ein Experte auf diesem Gebiet zu sein, denn ungefähr ein halbes Dutzend Ausdrücke waren Sanders neu. »Was fangen wir mit Haggerty an, Sir?« wollte er wissen. »Lily wird ihn nicht die ganze Nacht bei sich haben wollen. Sie muß Geld verdienen.« »Bringt ihn her!« befahl Hagman langsam. »Er darf nicht merken, wo er ist. Ich denke mir was aus, wo wir ihn sicher unterbringen können.« Sanders nickte, drehte sich um und hatte eine Idee. »Captain«, sagte er gedehnt, »was ist mit unserem Scout? 30
Der kennt die Gegend doch wie seine Westentasche. Soll er doch diesen Apachenfreund umlegen oder verstecken.« Joshua Hagman starrte den Soldaten in Zivil an und rief: »Bei Gott, Mann, das ist die richtige Idee. Ja, Jack soll ihn wegschaffen. Wir wissen von nichts, kennen das Versteck nicht, in dem er liegt. Aber töten soll er ihn nicht. Das bringt uns General Howard in den Nacken. Ich habe den Eindruck, daß Haggerty noch immer mit Einarm in Verbindung steht, obwohl er seinen Abschied als Chiefscout nahm. Los, holt ihn her, sorgt dafür, daß er bewußtlos ist. Ich muß versuchen, mit Jack Verbindung aufzunehmen.« Sanders marschierte davon, suchte sich zwei Soldaten aus, die murrend ihre Pferde sattelten und Hugh folgten. Die Strecke nach Eureka Springs konnten sie in einer halben Stunde zurücklegen. * John verspürte einen seltsamen Geschmack im Mund. Mißtrauisch starrte er die Whiskyflasche an. Nein, dachte er, das ist nicht möglich. Lily hat ebenfalls getrunken. Die Tür des anderen Zimmers öffnete sich. Das Mädchen trat einen Schritt vor. Es war nackt. Die weiße Haut glänzte im Schein der Kerosinlampe verlockend. »Komm, mein Freund«, sagte Lily lockend. »Ich zeige dir, wie dankbar ich bin.« Sie streckte beide Arme aus, stand kerzengerade vor Haggerty und ließ ihn alles sehen, was er nur sehen wollte. Zögernd stand er auf. Er schien Lily nicht entkommen zu können. Verdammt, warum war er nach dem Whisky nicht einfach verschwunden? »Bring die Flasche mit«, sagte das Girl. John tastete nach dem Whisky, den Gläsern, und für einen Moment verschwamm der Tisch vor seinen Augen. Die 31
Kerosinlaterne schien zwei Flammen zu haben. Was ist mit mir? dachte John überrascht. Irgendwas stimmt nicht, paßt nicht zusammen. Ist der Schnaps doch vergiftet? Lily schritt mit wiegenden Hüften auf den Tisch zu, lachte auffordernd und sagte: »Bist du überrascht, Mister? Wann hast du zum letztenmal eine Frau gehabt? Es gibt nur wenige in diesem Land, nicht wahr?« Sie nahm die beiden Gläser, als Haggerty endlich den Flaschenhals erwischt hatte. Lily ging in das dunkle Zimmer zurück. John starrte ihr nach. Das Weiß der Haut schimmerte schwach, beleuchtet durch die Lichtfinger der Kerosinlampe. Zwei Gläser klirrten leise, und eine Sekunde darauf raschelten Decken. »Komm, ich warte auf dich«, sagte Lily halblaut. »Bring den Whisky mit.« Abermals verschwamm die Einrichtung der Küche vor Johns Augen. Die Tür ins Schlafzimmer verschob sich, glitt auseinander und wirkte gewölbt wie ein riesiger Schild. Unsicher tappte Haggerty in den Nebenraum, stieß mit den Knien gegen das Bett und verlor das Gleichgewicht. Er landete auf Lilys festem, geschmeidigem Leib. »Langsam, mein Freund«, sagte das Girl lachend. »Zuerst will ich noch einen Schluck trinken. Gib mir die Flasche.« Sie tastete nach dem Whisky, drehte sich unter John weg und hob die beiden Gläser vom Boden auf. Haggerty hatte das Gefühl, das Bett wollte ihn umklammern. Plötzlich rutschte es zur Seite, schien den Mann abzuschütteln, und John krallte sich in den Decken fest. Endlich wurde die Welt wieder normal. Er richtete sich auf, setzte sich und nahm das Glas, das Lily ihm reichte. »Trink, es tut dir gut«, murmelte das Mädchen. »Du hättest vorhin beinahe einen Mann erschossen. Ich weiß, daß dir deine Nerven nun einen Streich spielen. Das geht jedem so, wenn er nicht gerade ein abgebrühter Killer ist. Trink das, Mann, und 32
gleich geht's dir besser.« Unsinn, wollte John rufen, das ist Quatsch. Aber er brachte keinen Laut heraus. Zum Teufel, dachte er, ich trinke den Whisky, und danach schlafe ich ein. So komme ich wenigstens um dieses Abenteuer herum. Er leerte das Glas mit einem Schluck. Ein merkwürdiger Nachgeschmack blieb in seinem Mund zurück, ein Aroma, das er nicht kannte. Er spürte, daß er schwächer wurde. Alle seine Glieder fühlten sich schwer wie Blei an. Und in seinem Kopf tobte ein Wirbelsturm, der alle Gedanken durcheinanderfetzte, die Bruchstücke zu sinnlosen Ketten zusammenfügte. Er spürte Lilys Hände an seiner Kleidung. Sie durchsuchte ihn gründlich. Das also ist ihr Trick, dachte Haggerty in den letzten Sekunden seines klaren Bewußtseins. Sie hat die Gläser mit einem Mittel präpariert und raubt ihre Opfer aus. Und dann versank er in tiefe Bewußtlosigkeit. Lily zerrte Papiere hervor und ging in die Küche. Im Schein der Lampe las sie und holte tief Luft. »Hoffentlich gibt das keinen gewaltigen Ärger«, murmelte das Girl. »Der Bursche ist John Haggerty und reitet im Auftrag von General Howard durch das Land.« Lily überlegte sich, was Hugh wohl mit dem bewußtlosen Mann vorhatte. Sie wußte genug über die Schwadron des Captain Hagman, hatte genug erfahren, aber sie war zu klug, um darüber zu sprechen. Die Männer dieser Strafabteilung brauchten Erfolge, um wieder normale Soldaten zu werden. Darum gingen sie hart und grausam gegen alle Apachen vor, die sie erwischten. Wenn dieser Haggerty jedoch im Auftrag des Kommandeurs durch den Südwesten trailte, wirbelte sein Tod gewaltigen Staub auf. Und dann kam Cochise mit seinen wilden Chiricahuas über die Weißen. Denn Haggerty war ein guter 33
Freund des Chiefs. Und diesen Horden hatte Captain Hagman nichts entgegenzusetzen. Ein paar Minuten starrte die junge Frau die Papiere an und überlegte. Fand Sanders diese Unterlagen, mußte er Haggerty töten. Denn der Scout würde alles daransetzen, Hagmans Pläne zu vereiteln. »Ich verstecke die Sachen«, murmelte Lily. Sie schob John nur die Entlassungsurkunde der Kavallerie in die Tasche zurück und hoffte, daß die Soldaten den Mann nicht sofort umbrachten. Die übrigen Papiere schob sie hinter den einfachen Küchenschrank. Hufschläge klangen draußen auf. Lily lauschte und unterschied drei Pferde. Sekunden später klopfte es an der Tür. »Ich bin's, Hugh«, rief der Mann draußen. »Bist du fertig? Hast du Haggerty unter Laudanum gesetzt?« Das Girl öffnete die Tür und trat zur Seite. Sanders kam herein, gefolgt von zwei Soldaten, die Lily grinsend musterten. Sie kannte beide gut genug, um keine Scheu zu haben. Sie hatten schon manchen Dollar bei ihr gelassen. »Auf dem Bett«, sagte sie, »er ist vollkommen hinüber. Ich habe ihm eine Portion verabreicht, die sogar einen Bison in Schlaf versetzt hätte. Vor morgen nachmittag wacht er nicht auf.« »Gut gemacht«, erwiderte Sanders grinsend. »Was hat er in den Taschen?« »Nur die Entlassungsurkunde der Army«, antwortete das Girl. »Dazu den üblichen Kram, den ihr Männer immer mitschleppt.« »Keine anderen Papiere?« fragte Hugh verwundert. »Na, soll sich der Captain darüber den Kopf zerbrechen.« Er wandte sich den beiden Soldaten zu und sagte: »Los, nehmt ihn mit. Ich komme gleich nach. Reitet nicht zu schnell, damit ich euch einhole.« Grinsend stiefelten die Uniformierten ins Schlafzimmer, 34
hoben den bewußtlosen Haggerty an Armen und Füßen hoch und trugen ihn hinaus. »Einen Whisky?« fragte Lily und winkte Sanders zum Bett. »Sicher, aber nicht von der gefährlichen Sorte«, antwortete der Mann lachend. »Du Narr«, sagte Lily, »doch nicht für dich.« Wenig später verließ auch Hugh Sanders das kleine Haus. Lily lag auf dem Bett und dachte nach. Sie verspürte Unbehagen, ja, beinahe Angst. Aber nun war es zu spät. Sie konnte nur abwarten und hoffen, daß Hagman den Scout nicht töten ließ. Aber der dachte gar nicht daran. Er hatte außerhalb des Camps drei kleine Feuer entzündet, deren Glutaugen durch die Nacht leuchteten. Dies war das Zeichen, mit dem er den Pinaleno-Apachen herbeirufen konnte. Erst drei Stunden vor dem Morgengrauen glitt Nepatana wie ein Schatten an den Posten vorbei und hockte sich vor das Zelt des Offiziers. »Ich bin hier, Captain«, sagte der Indianer ruhig. Hagman hatte einen leichten Schlaf. Er fuhr sofort hoch und huschte ins Freie. »Verdammt, schlafen die Posten?« fragte er ärgerlich. Nepatana lächelte und erwiderte: »Sie sind keine Apachen, Pferdesoldaten. Wie könnten sie mich hören? Was willst du? Ich war auf dem Weg zu Victorios Männern, als ich dein Zeichen sah.« Hagman sagte: »Ich habe John Haggerty gefangen, Jack.« »Den Falken!« stieß Nepatana hervor. »Er ist Cochises Freund. Es gibt Krieg, wenn der Falke stirbt, Captain. Was hast du vor?« »Du bringst Haggerty weg, in Sicherheit«, antwortete Hagman. »Er soll nicht sterben, wenigstens noch nicht. Du mußt ihn sicher unterbringen, Jack. Er darf auf keinen Fall entkommen, denn er ahnt irgendwas. Wenn uns Cochise in die 35
Quere kommt, müssen wir aufgeben. Unser Plan ist dann zum Scheitern verurteilt.« Nepatana dachte lange nach. Ihm war es nicht recht, daß der Falke aufgetaucht war. Er gehörte zu den wenigen Weißen, die fast so gut wie ein erfahrener Apachenkrieger waren. Zudem kämpfte er gemeinsam mit dem großen Jefe für den Frieden, verfolgte also das Ziel, das auch Nepatana sich gesetzt hatte. Allerdings hatten Cochise und der Falke nicht gut genug nachgedacht – so glaubte Nepatana. Denn er war davon überzeugt, daß nur er den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Die aufsässigen Krieger, denen das Blut vor Kampfeslust heiß durch die Adern jagte, mußten vernichtet werden. Das war die einzige Lösung. »Gut, ich nehme ihn mit«, sagte der Pinaleno. »Wo ist sein Pferd?« Hagman starrte den mittelgroßen Apachen an und fluchte. »Nicht hier«, fuhr Nepatana fort, »auch gut. Wo endet seine Spur?« »In der Stadt, in Eureka Springs«, erwiderte Hagman. »Dort steht auch Haggertys Gaul. Die Fährte in der Stadt ist tot, Jack. Mach dir keine Sorgen. Wohin bringst du diesen Spinner?« Nepatana lächelte geheimnisvoll und erwiderte: »An einen Ort, von dem selbst der Falke nicht entkommen wird. Er müßte schon Flügel besitzen wie das Tier, dem er seinen Narnen verdankt.« »Wo ist das?« drängte Hagman. »Vielleicht brauchen wir den Kerl mal und ich muß ihn holen lassen.« »Nein«, sagte Nepatana entschieden, »dieser Ort bleibt mein Geheimnis. Wenn du den Falken brauchst, so mußt du mich holen, Captain Hagman. Ich sage dir nur so viel: es ist im Berggipfel der Felsen, in denen meine Heimat liegt.« Hagman gab auf. Er spürte, daß er nicht mehr aus dem Apachen herausholen würde. Nepatana lud Haggerty vor sich auf den Rücken des 36
Mustangs und ritt in die Nacht. Erleichtert blickte der Offizier seinem Scout nach. Eine große Gefahr war beseitigt. Hoffentlich kam Cochise nicht auf den Gedanken, nach Haggerty zu suchen. Dann schwärmten die Krieger der Chiricahuas aus und drehten jeden Stein um. * Niemand sah ihn, kein Mensch hörte ihn. Lautlos wie eine Schlange war der Krieger nahe genug gekrochen, um die Worte Nepatanas und die des Weißen hören zu können. Wolfsbruder verharrte regungslos, als der Träumer mit seiner Last davonritt. Besorgt dachte der Chiricahua über das Versteck nach, von dem Nepatana gesprochen hatte. Wenn dem Falken etwas zustieß, würde Cochise unberechenbar sein. Aber Wolfsbruder durfte dem Träumer nicht folgen. Denn er ritt in das Land seines Stammes. Und dort war ein einzelner Chiricahua verloren. Zudem überlegte sich der Späher, daß der Häuptling selbst diese Sache sicher aufklären wollte. Wolfsbruder wußte nur, daß schlimme Dinge vorgingen. Nepatana arbeitete mit den Pferdesoldaten zusammen, gab sich als Scout her. Das mußte der große Chief erfahren. Nichts, außer dem Leben des Falken vielleicht, war wichtiger. Und dessen Leben war nicht gefährdet, wenigstens vorerst nicht. Alles im Camp der Soldaten blieb ruhig. Der Offizier kroch wieder in sein Zelt. Einige Minuten später verrieten gleichmäßige Atemzüge, daß der Weiße eingeschlafen war. Wolfsbruder zog sich zurück. Geschickt kroch er über den Boden, verursachte kein Geräusch und glitt so dicht an einem Posten vorbei, daß er ihn hätte berühren können, wenn er gewollt hätte. Dem Chiricahua stand nicht der Sinn nach einem Skalp, obwohl er eigentlich gerne sein Jacale mit den Haaren eines Bleichgesichtes geschmückt hätte. 37
Wichtiger war nun, daß er nach Süden ritt. Sein Mustang mußte so schnell sein, wie ein Pfeil flog. Denn niemand konnte voraussagen, wie lange der Falke am Leben blieb! Der Chiricahua erreichte sein Pony, sprang auf und preßte dem zähen Tier die Hacken in die Flanken. Das Pferd hetzte los. Unermüdlich stampften seine Hufe über Wege, die jedem Weißen zu gefährlich gewesen wären. Aber diese Trails führten direkt nach Süden, vermieden die guten Fahrstraßen der Bleichgesichter und lagen immer in Deckung. Als im Osten die Sonne über den Horizont kletterte, erreichte der Späher eine Wasserstelle der Apachen. Zuerst ließ er sein Tier saufen, bevor er selbst vier Schlucke Wasser nahm. Danach hetzte das Pony weiter. Noch immer ging sein Atem ruhig und gleichmäßig. Es gehorchte willig dem Druck der Schenkel seines Reiters und zeigte keine Ermüdungserscheinungen. Die Mustangs der Apachen waren genauso zäh, wie die Krieger selbst. Wolfsbruder sah in der Ferne die zerklüfteten Felsen der Dragoon Mountains. Er wußte, daß ihn die Späher schon gesehen hatten und war sicher, daß Cochise bereits über seine Rückkehr informiert wurde. Der Krieger trieb sein Pony noch einmal an. Geschickt kletterte es über Pfade, die nach Meinung der Weißen gerade für Bergziegen ausreichten. »Der Jefe erwartet dich, Bruder«, sagte ein Wächter zu Wolfsbruder, als sein Mustang ein ebenes Gelände erreichte. Wie ein Schemen verschwand der Posten wieder im Schatten einiger Gesteinssäulen, die wie Finger aufragten. Von einer Felskanzel aus vermochte der Wächter weit in die Halbwüste zu blicken. Kein Gegner konnte sich unerkannt heranschleichen, selbst kein Apachenkrieger. Denn die Männer der Chiricahuas kannten alle Tricks und Listen, waren tausendfach im Kampf bewährt und wußten die Zeichen der Natur zu deuten. 38
Wolfsbruder ritt weiter, achtete nicht auf die Umgebung. Hier war er sicher vor jeglichen Feinden, denn die Apachenfestung in den Dragoon Mountains war gut geschützt. Der Späher erreichte das Grasland. Er roch den Rauch der Kochfeuer. Die Squaws bereiteten ein köstliches Mahl, stellte Wolfsbruder fest. Er witterte Maultierfleisch, und das gehörte zu den Delikatessen. Noch einmal trieb der Späher seinen Mustang an. Er sollte schnell zu Cochises Jacale gelangen, damit sein Reiter noch etwas von diesem wundervollen Essen bekam. Der Jefe hockte mit untergeschlagenen Beinen vor dem Eingang seines Wicky-ups. Tla-ina, seine Schwester, briet Fleisch an einem Spieß aus Hartholz über den Flammen. Wolfsbruder saß ab, grüßte den Chief und setzte sich auf die andere Seite des Feuers. »Sprich, Krieger«, sagte Cochise sanft. »Berichte, was du über den Falken zu erzählen hast. Ich weiß, daß schlechte Dinge aus deinem Mund kommen werden, aber es ist nicht deine Schuld, Wolfsbruder.« Der Späher holte tief Luft und sagte: »Der Falke ist gefangen, Jefe. Nepatana, der Träumer der Pinalenos, bringt ihn in ein Versteck. Nepatana scheint gemeinsame Sache mit den Bleichgesichtern zu machen. Eine Gruppe Pferdesoldaten, es sind zwölf mal zehn Finger, lauert im Norden vor der San Carlos Reservation. Der Anführer ist ein Captain. Mehr weiß ich nicht, Chief. Von Ulzanas Kriegern habe ich nichts gesehen und nichts gehört. Aber ich glaube, ihre Seelen sind von Bù ins Reich des Todes gebracht worden. Der Falke ritt in eine Stadt, blieb eine Weile in einem Jacale aus Holz und kam mit einer weißen Squaw heraus. Danach folgte er ihr in ihr Jacale. Es dauerte eine Weile, bis Pferdesoldaten kamen und den Falken wegschleppten. Sein Geist war nicht auf dieser Welt. Die Blauhosen brachten ihn in das Lager der Soldaten. Dort holte ihn der Pinaleno und versprach, ihn sicher zu verstecken. Der 39
Ort liegt in den Heimatbergen des Stammes, am höchsten Gipfel. Mehr kann ich dir nicht sagen, Jefe.« Cochise entließ den Späher mit einer Handbewegung und blickte seine Schwester an. Tla-ina, der sanfte Wind, vergaß den Bratspieß zu drehen. Es roch nach verbranntem Mulifleisch. Das Gesicht der schönen Apachin war eine Maske der Furcht. »Meine Schwester«, sagte Cochise lächelnd, »willst du, daß ich hungrig dem Falken folge und ihn befreie?« Erschrocken sog die Squaw die Luft ein, roch das verbrannte Fleisch und schnitt schnell mit ihrem Messer die verkohlten Stücke ab. Gleichmäßig drehte sie den Bratspieß. Sie sah Naiche an, ihren Neffen, der hinter der Hütte hervortrat und ein düsteres Gesicht zog. »Mein Vater«, sagte Cochises Sohn bedrückt, »ich sehe, daß du reiten wirst. Dein Leben setzt du für den Falken ein. Was ist, wenn du in das Totenreich eingehst? Was wird aus unserem Stamm, aus dem Frieden?« Lächelnd erwiderte der große Häuptling: »Naiche, mein Sohn, du wirst die Chiricahuas führen. Sei unbesorgt, noch habe ich Bus Ruf nicht vernommen. Der Falke ist mein Bruder. Du weißt es. Und du weißt auch, daß es meine Pflicht ist, meinem Bruder zu helfen. Ich reite, wenn ich gegessen habe.« Tla-ina nahm den Hartholzspieß vom Feuer und stach die Klinge ihres Messers prüfend ins Fleisch. Es war gar. Nahlekadeya, Cochises zweite Frau, brachte aus dem Jacale eine große Holzschale voller Wildgemüse. Schweigend setzten sich der Jefe, sein Sohn Naiche, der zweite Sohn Nachise, der zu dieser Zeit noch keine zehn Winter zählte, und Tla-ina und Nahlekadeya vor das Jacale und aßen. Sanfter Wind war zuerst fertig. Tla-ina sah auf, blickte in die dunklen Augen ihres Bruders und sagte halblaut: »Ich reite mit dir. Mein Herz ist schwer, denn der Falke ist in Gefahr. Ein 40
Krieger unseres Volkes bringt ihn in ein Versteck. Und das bedeutet, daß der Falke dem Tod gegenübersteht, sollte dieser Krieger zurückkehren.« Cochises Gesicht blieb unbewegt, als er antwortete: »So sei es, Schwester. Ich weiß, daß du wie ein Tiger kämpfst, wenn es nötig ist. Und ich weiß, daß du eine echte Tochter unseres Stammes bist.« Naiche wollte etwas einwenden, aber ein Blick seines Vaters ließ ihn schweigen. Der athletische Sohn des Jefe befolgte auch die unausgesprochenen Befehle seines Vaters. Er stand auf und ging zu den Pferden. Tla-ina und Nahlekadeya richteten Proviant her. Cochise überprüfte seine Waffen und sah zu, wie seine Schwester einen Dolch und einen Revolver nahm und Ersatzpatronen einpackte. Naiche führte den Pinto des Chiefs am Graszügel heran. Daneben schritt eine prachtvolle Fuchsstute, die für Tla-ina war. Ernst sahen Cochises Frau und seine beiden Söhne zu, wie der Häuptling der Chiricahuas und seine Schwester davonritten. Sie wollten nach Norden, dem Falken helfen, jenem Weißen, den der Häuptling Bruder nannte, und den seine Schwester liebte. * Haggerty wußte nicht, wo er war. Er schlug die Augen auf, sah aber nichts. Obwohl er bis in sein Innerstes erschrak, blieben seine Gefühle gedämpft. War er blind geworden? Was war geschehen? Er erinnerte sich nur an die nackte Lily, an das Glas Whisky, das er auf ihrem Bett getrunken hatte. Und danach war es dunkel um ihn geworden. Ein dumpfer Schmerz umklammerte seinen Kopf. Behutsam tastete John sein Gesicht ab. Es fühlte sich kalt und fremd an, 41
als ob es einer steinernen Figur gehörte und nicht ihm selbst. Langsam schloß Haggerty die Augen wieder, versank in einen Dämmerschlaf, den er sich nicht erklären konnte. Als er abermals erwachte, ging es ihm etwas besser. Er spürte die Wärme der Sonne, den hellen Schein und atmete kräftig durch. Der dumpfe Druck in seinem Kopf war einem stechenden Schmerz gewichen. Übelkeit quoll vom Magen her auf, ließ Haggerty würgen. Er schluckte krampfhaft, um dieses widerwärtige Gefühl zu unterdrücken. Als er den Brechreiz überwunden hatte, verspürte er gewaltigen Hunger. Zuerst muß ich herausfinden, was geschehen ist, wo ich bin, dachte John und schlug erneut die Augen auf. Er atmete auf. Mit seinen Augen war nichts geschehen. Als er zum erstenmal erwachte, war Nacht gewesen. Dazu lag er in einem Talkessel, dessen Grund tief zwischen Felsen eingebettet war. Die Wände ragten so hoch empor, daß nur für wenige Stunden die Sonne herabschien. »Zum Teufel, ich weiß überhaupt nichts«, sagte Haggerty halblaut und wunderte sich über seine rauhe Stimme. Hatte er die ganze Flasche Whisky bei Lily ausgetrunken? Nein, das war unmöglich. Auf jeden Fall endete seine Erinnerung im Schlafzimmer der Saloonschwalbe, die er vor einem zudringlichen Kerl bewahrt hatte. Oder war das alles gespielt gewesen? Ein ungeheurer Gedanke stieg in Haggerty auf. Wenn dieses alles eine abgekarterte Sache war? Wenn Lily gar nicht in Gefahr geraten war, wenn sie und dieser andere Kerl das nur gespielt hatten? Aber warum? Dumpf ahnte John, daß alles irgendwie zusammenhing. Er brachte es nur nicht fertig, die Teile des Ganzen zusammenzusetzen. Dazu wußte er zu wenig. »Zuerst muß ich was gegen meinen knurrenden Magen unternehmen«, murmelte Haggerty. 42
Er stand auf, musterte seine Umgebung, und entdeckte zwei Dutzend Yard entfernt einen handbreiten Wasserlauf, der aus einem Loch in den Felsen rann und nach einigen Yards im Boden versickerte. Dicht neben dem schmalen Bach lag ein Proviantpacken. Eine bunte Decke war mit einigen rohledernen Riemen verschnürt. Und zwischen diesen Riemen steckte ein Messer, dessen Klinge im Sonnenlicht aufblinkte. John lachte grimmig auf. Er sollte weder verhungern, noch verdursten. Aber er war ein Gefangener. Ehe er sich daranmachte, diesem Talkessel zu entfliehen, mußte er essen und trinken. Sorgfältig knotete er die Riemen auf, denn er wußte nicht, ob er die zähen Lederseile noch gebrauchen konnte. Die Decke fiel herab. Trockenfleisch und eine Art Pemmikan waren in der Umhüllung, weiter nichts. Die Menge reichte für mindestens zwei Wochen, sogar für drei, wenn er sparsam aß. Nachdenklich schnitt Haggerty ein Stück von der Fleischpastete ab. Sie enthielt Kräuter, Beeren, getrocknete Fleischfasern und Tierfett und schmeckte wunderbar. John kaute langsam. Er wollte seinem hüpfenden Magen nicht zuviel zumuten. Aber nachdem er dreimal geschluckt hatte, spürte er wohlige Erleichterung. Einige Zeit später packte er die Vorräte wieder sorgfältig in die Decke. Nur der Teufel wußte, wie lange er hier aushalten mußte. Er ging zu dem schmalen Bachlauf, legte sich auf den Bauch und trank. Das eiskalte Wasser vertrieb den letzten Rest Nebel aus seinem Kopf. So, dachte Haggerty, nun will ich mir mal mein Gefängnis ansehen. Es müßte doch mit dem Satan zugehen, wenn ich nicht rauskomme. Nun, es ging mit dem Satan zu. Nur, daß der Satan in diesem Fall aus einem halben Dutzend armdicker Klapperschlangen bestand. 43
John entdeckte eine Art Leiter in der nördlichen Felswand. Löcher in regelmäßigen Abständen boten sich geradezu an, dort hinaufzuklettern. Aber er war mißtrauisch. Er suchte sich ein paar lange Zweige und stocherte in diesen Öffnungen. Die ersten vier waren in Ordnung. Aber schon in dem fünften Loch klang plötzlich das scharfe Rasseln von Hornklappern auf. Ein handgroßer Kopf schnellte aus dem Loch. Die gespaltene Zunge zuckte blitzschnell hin und her. Obwohl sich das Reptil nur zu einem Drittel seiner Körperlänge aus dem Loch gleiten lassen konnte, wich John zurück. Verlor die Schlange den Halt, rutschte sie herab, so besaß Haggerty nur das Messer, um sich gegen den giftigen Wurm zu verteidigen. Das Halfter war leer, und nirgendwo entdeckte er seine Winchester. Es dauerte Minuten, ehe sich das gereizte Tier wieder zurückzog. Nachdenklich betrachtete John den Zweig, entdeckte das grüngelblich schillernde Gift vorne am Holz und unterdrückte ein Schaudern. Vielleicht gelang es ihm, überlegte sich Haggerty, dieses Loch zu vermeiden, wenn er hinaufkletterte. Vorsichtig hob er den Ast und stieß ihn in die sechste Öffnung, die wesentlich größer war. Er hatte den Urgroßvater aller Klapperschlangen aufgescheucht! Das Biest war dicker als Johns gespannter Bizeps. Ein solch mächtiges Vieh hatte der erfahrene Westmann in seinem ganzen Leben bisher noch nicht gesehen. Die Giftzähne stachen aus dem weit geöffneten Maul hervor. Die Schlange machte sich gar nicht erst die Mühe, die Zunge vorzuschnellen. Für sie war alles, was in die Höhlung eindrang, ein Feind. »Das war es also!« dachte Haggerty laut. »Diese einladende Leiter ist für Idioten gedacht. Aber die haben's auch nicht 44
besser verdient.« Yard für Yard suchte er die Steilwände ab. Er fand keine Möglichkeit, die mächtigen Felsbarrieren zu überwinden und fragte sich, wie er hierhergekommen war. Es mußte doch eine Möglichkeit geben, den Kessel zu betreten. Und wenn er daran dachte, daß er selbst besinnungslos gewesen war, so mußte einfach ein sicherer Einstieg vorhanden sein. Geistesabwesend kratzte sich John unter den Armen. Irgendwas scheuerte in seinen Achselhöhlen. Auf einmal wurde er ziemlich nachdenklich und zog sein Hemd aus. Haggerty mußte den Kopf verdrehen, um die roten, wundgescheuerten Stellen zu sehen. Sie haben mich an einem Seil herabgelassen, dachte er enttäuscht. Es gibt also keinen Weg nach oben. Es sei denn, man dreht jeder verdammten Klapperschlange den Hals um. Das ist ein perfektes Gefängnis. Nur ein Apache kann sich so was ausdenken. Haggerty wußte, daß es müßig war, darüber nachzudenken. Er brachte einfach keine Verbindung zwischen der Drei-DollarHure Lily und den roten Wüstenkämpfern zustande. Dagegen war es wichtig, daß er sich die Nahrung einteilte. Er wußte nicht, wann sich seine Gefängniswärter wieder sehen ließen. Und er hatte ganz sicher nicht die Absicht, zu dieser Zeit tot zu sein. Einige Zeit verging, bis John den Pemmikan und das Trockenfleisch in fünfzehn Portionen geteilt hatte. Es war gerade so viel, daß er halbwegs bei Kräften blieb. Was nach dieser Zeit geschah, konnte er jetzt noch nicht sagen. Dämmerlicht lag im Felskessel, als Haggerty fertig war. Er sah zur Sonne hoch und entdeckte, daß nur noch der obere Rand der gleißenden Scheibe über die Felskanten leuchtete. Der Kessel lag also sehr tief in einer Gesteinsformation eingegraben. Sein Grund war so tief, daß die untergehende 45
Sonne bereits am Nachmittag verschwand. Haggerty konnte sich auf sein Zeitgefühl verlassen. Er wußte zwar nicht, wie lange er ohne Besinnung gewesen war, aber im Tagesablauf kannte er zumindest ungefähr die Stunde. Nach Einbruch der Dunkelheit konnte er sich Gewißheit verschaffen. Denn wie die meisten Menschen, die überwiegend im Freien lebten, orientierte er sich an den Sternen. John suchte abermals den Talboden ab. Er mußte wissen, ob die Klapperschlangen auch den Grund selbst als ihren Besitz ansahen, ob es Gilatiere oder Giftspinnen gab, die ihn beißen und töten konnten. Aber der Boden war sauber. Lediglich zwei Chuckawallas entdeckte Haggerty. Die Echsen zwängten sich in Erdspalten und bliesen sich derart auf, daß keine Gewalt der Welt sie herauszerren konnte, ohne die harmlosen Eidechsen zu zerreißen. Halbwegs beruhigt legte sich John neben seine Vorräte in das weiche Gras und zog die Decke über sich. Sie war bunt gefärbt und bestand aus verschiedenen Wollstreifen. Plötzlich wußte er, daß ein Pinaleno-Apache mit der Sache zu tun hatte. Denn die Farbabstufungen waren charakteristisch für diesen Stamm. Auch die Federn der Pfeile waren in diesen Farben getönt und wiesen den Kundigen auf den Apachenstamm hin, der sie angefertigt hatte. Was nutzt mir das, dachte John. Was kann ich mit dem verdammten Messer gegen eine Horde Pinalenos unternehmen, wenn sie an den Talrändern auftauchen? * Tla-ina kannte die Wüsten und die Berge, die Natur, das Wasser und die Pferde. Und sie vermochte sich am Stand der Sonne und der Sterne zu orientieren. Lange, stundenlang, schwieg Cochises Schwester, während 46
der Chief neben ihr ritt. Endlich brach es aus ihr heraus: »Bruder, wohin führst du mich? Wir reiten nicht in Richtung Winter, nicht dorthin, wo der Falke in Not ist.« Der Jefe lächelte und erwiderte: »Schwester, willst du in die Stadt der Bleichgesichter reiten und nach Haggerty fragen? Willst du zu der weißen Squaw gehen und forschen, was aus dem Falken geworden ist? Glaubst du wirklich, daß die Bleichgesichter uns wieder ziehen lassen, wenn wir unsere Fragen gestellt haben? Glaubst du, daß sie uns antworten?« Tla-ina starrte ihren Bruder an, erkannte seine Belustigung und wußte, daß er recht hatte. Sie war so voller Sorge um den Mann, den sie liebte, daß sie nicht richtig denken konnte. Aber ein solcher Fehler vermochte leicht tödlich zu sein in der Wildnis. »Was hast du vor, Bruder?« fragte Sanfter Wind leise. »Wir reiten zu Hellauge«, erwiderte Cochise. »Er wird uns helfen, denn Falke ist auch sein Freund. Und stehen sich Freunde in der Zeit der Not nicht bei?« Die schöne Apachin konnte sich vorstellen, was ihr Bruder vorhatte. Er würde einen Weißen losschicken, der sich nach dem Mann erkundigte, den seine Rassegenossen John Haggerty nannten. Und Cochise und Tla-ina würden lauschen, denn sie verstanden die Sprache der Weißen gut genug, um auch die Zwischentöne aufzunehmen, jene Dinge zu erkennen, die nicht gesagt wurden. »Vergiß nicht, Schwester«, sagte der Häuptling bedächtig, »daß Pferdesoldaten an der Sache beteiligt sind. Wolfsbruder hat den Falken zuletzt im Lager der Blauhosen gesehen. Ich fühle, daß etwas Schlimmes geschieht. Etwas, das den Krieg wieder aufflammen lassen kann. Und dann sterben unsere Brüder und Schwestern zu Hunderten. Die Kinder werden getötet, damit sie nicht eines Tages zu Kriegern heranwachsen und Rache nehmen. So denken die Bleichgesichter, Tla-ina.« 47
Die junge Frau hörte die Worte ihres Bruders und fühlte Angst in ihrem Herzen. Sie wußte genau, daß der Frieden schwach war. Daß wenige Ereignisse genügten, um den erbarmungslosen Kampf zwischen Rot und Weiß wieder aufflammen zu lassen. Unter den Kriegern gärte es. Viele waren nicht damit einverstanden, im Reservat zu leben, sich unter den Befehlen der Bleichgesichter zu ducken. Waren sie denn nicht die Herren der Wüste? Die Krieger, die alle Listen beherrschten? Hatten sie denn nicht seit ungezählten Monden den Gelbhäutigen aus dem Süden, den Texanern, den Comanchen standgehalten? Sollten sie vor den blassen Menschen zurückweichen, die mit aller Macht in den heißen, trockenen Südwesten eindrangen? In der Ferne kam der Apachen-Paß in Sicht. Er war die wichtigste Verbindung zwischen dem Osten und dem SüdwestTerritorium. Städte wie Tucson und Tombstone waren auf diese Paßstraße angewiesen. Thomas Jeffords, der Postmeister, hatte Cochise die Erlaubnis abgerungen, dort oben, bei den drei Quellen, eine Station errichten zu dürfen. Dort gab es das einzige Wasser weit und breit. Die Kutschen der Butterfield Overland Mail legten auf der Höhe eine Rast ein. Pferde wurden gewechselt, Tiere getränkt, ehe es in die Ebene zwischen den beiden Bergketten hinabging. Und dieses Gebiet zwischen den Dragoon und den Chiricahua Mountains war Cochises Land. Hier lag die Heimat seines Stammes. Er hatte sich nie gebeugt, vielmehr durch kluge Verhandlungen vermieden, in eine Reservation gepfercht zu werden. Die Ponys trabten unermüdlich weiter. Tla-ina hob den Kopf. Sie hörte fremde Geräusche. Holz knarrte, und Metall kreischte auf. Eine der schweren Kutschen rollte die Straße herab. Der Fahrer hatte die Bremse angezogen, und der Kloben radierte über die Eisenreifen der Räder. 48
Cochise leitete seinen Mustang zur Seite, verharrte neben dem Fahrweg. Tla-ina zügelte ihren Fuchs neben dem Pinto. Stolz sahen die beiden Apachen auf den Wagen. Sie wußten wohl, welche Angst sie hervorriefen, doch das kümmerte sie nicht. Der Kutscher griff zur Winchester, als er die Indianer sah. Mißtrauisch blickte er hinüber. Seine weißen Brauen schienen sich zu sträuben, und der Texasschnurrbart zitterte. Und dann erkannte der Fahrer den Häuptling. Floyd Pearson zog die Bremse an, ließ das Gewehr in die Halterung zurückrutschen und zügelte das Sechsergespann. Knarrend kam der Wagen zum Stehen. Der Beifahrer starrte Floyd an, als sei der Alte verrückt geworden. Sah man in diesen Zeiten Apachen, gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder zuerst und besser schießen, oder aber so schnell davonjagen, wie die Pferde nur konnten. »Was ist los?« gellte eine Frauenstimme aus dem Wagenkasten. »Apachen!« brüllte ein Mann, »los, die Colts raus, Leute, die Rothäute greifen an!« Pearson schwang sich vom Bock, zerrte die alte Hose hoch und stiefelte auf Cochise zu. »Macht nur keinen Unsinn, ihr verdammten Narren!« brüllte der Fahrer über die Schulter zurück. »Das ist Cochise. Und er hat mir vor einigen Wochen das Leben gerettet. Wenn einer von euch auch nur spuckt, treibe ich ihm seinen Schädel mit drei Hieben in den Magen.« Der Jefe unterdrückte ein Lächeln. Er hatte den Kutscher sofort erkannt. Vor Wochen hatten Naiche und der Häuptling den alten Mann und einen Passagier vor einem MimbrenjoAngriff gerettet und bis an den Stadtrand von Tucson gebracht, obwohl sie schwer verwundet waren. »Häuptling«, sagte Floyd Pearson schwerfällig. »Ich schulde dir mein Leben. Ich kann keine großen Worte machen. Aber du 49
sollst wissen, daß ich dir dafür danke.« Und damit war auch der Dank des alten Fahrers erschöpft. Cochise lächelte und erwiderte: »Weißer Mann, Worte sagen nichts. Aber ich sehe dein Herz, und das sagt mir mehr. Du bist kein Feind der roten Menschen, wie so viele andere. Und das hat nichts damit zu tun, daß ich dir das Leben gerettet habe. Du warst auch vorher kein Feind. Doch genug davon. Ist mein Freund Hellauge auf dem Paß? Ich brauche ihn.« Pearson fluchte kräftig und erwiderte: »Nein, Häuptling. Jeffords ist heute mit der Gegenkutsche nach Osten gefahren, nach Sonnenaufgang, meine ich. Auf der Station sind nur Burt Kelly, Norbert Walker und die beiden Revolverschwinger. Tinatra und Osborne langweilen sich. In den letzten Wochen ist es ziemlich ruhig geworden, und sie reiten nicht mehr regelmäßig die Strecken ab.« »Ich danke dir«, sagte Cochise. »Meine Schwester und ich reiten zum Paß.« Floyd starrte die schöne Frau an und schluckte. Sie sah wahrhaftig nicht wie eine Apachensquaw aus, glich eher einer schönen weißen Frau, die nur zufällig bronzefarbene Haut hatte. Pearson riß sich den alten Deckel vom Kopf und vollführte eine ungelenke Verbeugung. Tla-ina wußte genug über die Sitten der Weißen, um richtig zu reagieren. Sie lächelte freundlich und neigte den Kopf ein wenig, als sie vorbeiritt. Floyd glaubte die beiden außer Hörweite, als er sagte: »Heiliger Jason, wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, und ich das Geld hätte, mir ein Rasiermesser zu kaufen, dann würde ich mich glatt auf 'nen Gaul schwingen und Haggerty diese schöne Frau ausspannen.« Tla-ina lachte so leise, daß nur ihr Bruder es hörte. Auch Cochise grinste breit, vor allem, als er die Antwort des Beifahrers hörte. »Wenn du zwanzig Jahre jünger wärest, du alter Narr, hättest 50
du immer noch sechzig Sommer auf dem Buckel. Und das Rasieren nutzt deinem Gesicht nichts. Besser, du läßt es bleiben. Es sei denn, du ziehst dir das Messer quer über den Hals, aber kräftig.« Floyd starrte den jungen Hüpfer grimmig an und mußte ein paar Sekunden darauf selbst lachen. »Fahren wir, Mann«, rief der Kutscher. »Aber eines sage ich dir, sobald wir in Tombstone sind, überquere ich die Allan Street und gehe zu den süßen Flittergirls.« Cochise wandte sich nicht um, als die Räder wieder knarrten. Der Jefe dachte an die beiden jungen Kämpfer, die für Jeffords die Strecken absicherten. Buck Tinatra und Larry Osborne waren gute Kämpfer, schnell mit den Revolvern und treffsicher. Einer von beiden würde dem Jefe folgen, wenn er darum bat. War doch Haggerty, der Falke, in Gefahr. Und nur seine und Hellauges Freundschaft zu Cochise garantierten den Frieden im Südwesten. Die Mustangs trabten die Straße hinauf, als wären sie heute noch nicht gefordert worden. Die ersten Gebäude waren zu sehen. Alles blieb still. Cochise lächelte, denn er kannte die Weißen. Sie lauerten in guter Deckung und warteten ab. Aber nun schwang die Tür des Stationshauses zurück. Tinatra und Osborne kamen ins Freie und begrüßten den Häuptling, verbeugten sich ebenfalls vor Tla-ina und blickten sie bewundernd an. »Meine Schwester, die den Namen Sanfter Wind trägt«, sagte Cochise, »ist besorgt. Der Falke ist gefangen. Und Tlaina will ihm helfen. Und da John Haggerty mein Bruder ist, reite ich mit ihr.« Schlagartig verwandelten sich die beiden jungen Weißen in lauernde Revolverkämpfer. »Willkommen, Jefe«, sagte Osborne ruhig. »Berichte, was geschah. Jeffords ist nicht hier. Du weißt es schon, denke ich. Können wir euch helfen? Wir wissen, was wir alle John 51
Haggerty zu verdanken haben.« Cochise saß ab. Tla-ina glitt geschmeidig vom Pferderücken und unterdrückte ein Lächeln, als sie Buck Tinatras verträumten Blick sah. Kelly und Walker kamen aus dem Stall, begrüßten die Apachen und führten die Pferde zur Tränke. Der Häuptling berichtete mit wenigen Sätzen, was er wußte. »Die verfluchten Soldaten«, sagte Buck Tinatra grimmig. »Jetzt ist einer von den Blauröcken übergeschnappt. Ich wette, da ist 'ne ganz große Schweinerei im Gange.« »Paß auf, Partner«, erwiderte Osborne. »Du bleibst hier, paßt auf die beiden alten Narren auf. Und ich reite mit dem Jefe und seiner Schwester. Wenn Haggerty in der Falle sitzt, holen wir ihn raus.« »Wieso du?« erwiderte Buck hitzig, »ich reite mit, klar?« Entschieden schüttelte Larry den Kopf und antwortete: »Du nicht, mein Freund. Du bringst es fertig und machst dem Jefe einen Heiratsantrag.« Verblüfft starrte Buck seinen Freund an und erwiderte: »Wieso ihm? Höchstens seiner Schwester, du Dummkopf.« Grinsend erwiderte Osborne: »Siehst du, eben darum bleibst du hier.« Larry holte sein Pferd von der Koppel, die Deckenrolle aus dem Stationsgebäude und war wenige Minuten später fertig. »Wir können reiten, Chief«, sagte der Revolverkämpfer. * Nepatana verhielt sein Pony. Lauschend wandte der Träumer den Kopf. Er stand mitten in den Quartsite Mountains, nicht weit von der Grenze der San Carlos Reservation entfernt. Zahllose Wege führten durch diesen Gebirgszug. Mit den Sinnen eines Marines, der sich fast vollkommen der Natur 52
angepaßt hatte, witterte Nepatana, daß er nicht allein war. Er saß ab, blieb neben dem Kopf des Mustangs stehen und lächelte. Auf einmal sah er die Schatten von Pferden zwischen den Bäumen. Eine starke Horde beobachtete den Träumer. »Kennt ihr mich nicht, Brüder?« fragte Nepatana laut. Ein Mimbrenjo trieb seinen Mustang an, ritt bis auf zwei Längen heran und erwiderte: »Wir kennen dich, Träumer. Und wir fragen uns, was du hier suchst. Du bist doch ein Mann mit dem Herz eines Bleichgesichtes geworden. Warum bist du nicht auf deinem Land und zählst Maiskörner?« Nepatana holte Luft und erwiderte: »Pferdesoldaten kamen und vertrieben mich, Vetter. Sie behaupteten, daß kein Apache auch nur so viel Land besitzen dürfte, wie sein Fuß bedeckt.« Der Träumer hatte die blauen und schwarzen Streifen im Gesicht des Mimbrenjos gesehen und wußte, daß die Krieger auf Raubzug gingen. »So bist du wieder Apache?« fragte der Mimbrenjo. »Du sprichst wahr«, antwortete Nepatana, »ich suche mein Volk, denn ich will kämpfen, die Pferdesoldaten töten und die anderen Bleichgesichter vertreiben.« Die Augen des Mimbrenjos funkelten, als er erwiderte: »Cochise hat Frieden geboten, weißt du das nicht?« »Der große Häuptling weiß nicht, daß Apachen vertrieben werden«, sagte der Träumer bitter. »Cochise und seine Chiricahuas streifen frei im Land umher. Keiner von ihnen weiß, was uns die Bleichgesichter antun, Vetter. Nein, das Wort des Jefe stört mich nicht. Ich will die Sklaps von Pferdesoldaten an meinen Gürtel binden.« Der Mimbrenjo grinste derart, daß die Farbstreifen seinem Gesicht etwas Furchterregendes verliehen. »Und wo findet der Träumer die Blauhosen?« erkundigte sich der Krieger aus Victorios Stamm. »Nicht weit von hier«, erwiderte Nepatana. »Das ist der 53
Grund, warum ich die Männer meines Stammes suche. Sie sollen wissen, daß der Träumer wieder kämpft. Sie sollen teilhaben an der Beute.« »Deine Brüder sind in Richtung Winter geritten«, sagte der Mimbrenjo gelassen, obwohl das eine Lüge war. »Teilst du die Beute auch mit uns?« Scheinbar besorgt antwortete Nepatana: »Vetter, dein Stamm lebt im Reservat der Bleichgesichter. Finden sie heraus, daß Mimbrenjos wieder getötet haben, so müssen deine Brüder darunter leiden.« Verächtlich erwiderte der Anführer der Rotte: »Nur Victorio weiß, daß Schneller Hirsch mit seinen Kriegern nicht mehr im Land der Gefangenen reitet. Wir sind Männer, Krieger, und wir wollen leben, wie unsere Ahnen. Dies ist unser Land, Vetter. Der Boden verdirbt, setzt ein Bleichgesicht seinen Fuß darauf. Wir sorgen dafür, daß die Weißen nicht viel Boden verderben.« Der Mimbrenjo gab seinen Männern ein Zeichen. Sie ritten aus den Deckungen. Nepatana sah, daß zwanzig junge Krieger den Anführer folgten. Die Männer wirkten kräftig und gesund und schienen förmlich einem Kampf entgegenzufiebern. Nepatana wußte, daß es genau diese Krieger waren, die immer wieder Unruhe in die Reihen der Apachen trugen. Schneller Hirsch saß ab und kauerte sich vor eine kleine, glatte Fläche. Der Träumer ging vor, nahm einen Zweig und zeichnete auf dem Boden die Umrisse der Pinaleno Mountains. »Hier, in diesem Tal lagern die Blauhosen«, sagte er. »Es sind fünfmal zehn Männer. Vier habe ich getötet. Darum bleiben sie dort, warten auf mich, denn ihre Herzen sind heiß vor Rache.« Der Mimbrenjo kannte das Gebiet gut genug. Nachdenklich blickte er auf die einfache Zeichnung und sagte: »Wenn die Blauröcke im Tal lagern, finden sie keinen Weg zum Entkommen. Wir müssen spähen, Vetter. Ich selbst reite mit dir. Meine Krieger folgen uns langsam. Sie warten dort am 54
schlechten Wasser.« Dieses war ein Ort, an dem ein flacher See mitten in den Bergen lag. Der Boden sonderte Mineralien ab, die das Wasser für Mensch und Tier bitter und ungenießbar machten. Nepatana war einverstanden und stand auf. »Reiten wir, Vetter«, sagte er und saß auf. Schneller Hirsch gab seine Befehle, schwang sich auf sein Pony, und die beiden Männer ritten davon. Erregt sprachen die zwanzig Krieger aufeinander ein. Fünfzig Blauröcke, das versprach reiche Beute an Waffen und Pferden. Wenn auch die Tiere der Soldaten lange nicht so gut wie die Mustangs der Apachen waren, so boten sie doch dem Stamm für einige Zeit ausreichend Fleisch. Nepatana und Schneller Hirsch leiteten ihre Ponys über die kaum erkennbaren Pfade der Apachen nach Süden. Der Träumer hoffte, daß der weiße Offizier mit seinen Soldaten bereits die Berge erreicht hatte. Es war besprochen, daß die Schwadron dort lagern sollte, bis Nepatana neue Nachricht gab. Am Rand der Pinalenos marschierten die Mustangs über grasbewachsene Felsbänder, auf die der Wind Erde und Samen abgelagert hatte. Bergkräuter glänzten mattgrün, und ihr Geruch wurde stärker, wenn die Hufe der Pferde sie zertraten. Endlich führte der Weg abwärts. In weiten Biegungen schlängelte er sich entlang des Hanges in ein breites Tal. Nepatana zügelte sein Pony auf einer Felsplatte und deutete mit der Rechten hinab. »Sieh, Vetter, dort lagern unsere Skalps«, sagte der PinalenoApache. Schneller Hirsch trieb sein Pferd ein paar Schritte vor, spähte hinab und erwiderte: »Das sind mehr als fünf mal zehn Soldaten. Sie haben Verstärkung geholt, Vetter.« Schneller Hirsch zählte mehr als hundert Bleichgesichter. Als er sich zu dem Träumer umwandte, hielt der seinen Schädelbrecher in der Rechten. 55
Der Mimbrenjo starrte Nepatana an und sagte langsam: »Du bist ein Verräter, Träumer. Du kämpfst für die Bleichgesichter. Warum willst du uns Krieger in den Tod führen?« Nepatana erwiderte gelassen: »Die Männer mit dem heißen, wilden Blut müssen sterben. Wenn die Stämme erst ruhiger werden, ist der Kampf schnell vorbei, Vetter. Solange ihr aber immer wieder auszieht, um Weiße zu berauben und zu töten, werden die Bleichgesichter Jagd auf alle Apachen machen.« »Du Mörder!« schrie Schneller Hirsch und riß die Linke hoch. Grell reflektierte die Sonne auf der Klinge seines Messers. Er holte aus, wollte werfen, aber in diesem Moment grub sich Nepatanas Dolch in seinen Oberkörper. Der Mimbrenjo war sofort tot. Er fiel von seinem Pony und schlug schwer auf den Boden auf. Der Träumer schleppte den Toten in eine Felsspalte und trieb den Mustang ins Tal. Die Soldaten beobachteten den Apachen mißtrauisch. Er kümmerte sich nicht um die Blicke der Weißen, sondern ritt zum Zelt des Captains. Joshua Hagman stand nicht auf, als er seinen Scout sah. Der Pinaleno ließ die Graszügel des zweiten Pferdes los und sagte: »Zwanzig Krieger folgen mir. Du hast zwei Stunden Zeit, Captain. Deine Männer sollen sich nicht sehen lassen. Die Waffen müssen schußbereit sein, wenn wir noch weit entfernt sind. Ich führe die Mimbrenjos in dieses Tal.« Hagman nickte erfreut. Endlich ging es weiter. Obwohl er sich wegen John Haggerty Sorgen machte, ließ der Offizier nicht von seinem verrückten Plan ab. Er sah wirklich nur diese eine Chance für seine Männer, für sich und für den Frieden im Südwesten. Hagman kam überhaupt nicht auf den Gedanken, daß er nicht den Überblick besaß, um eine solche Entscheidung zu treffen. Er war sicher, allein den Ruhm davonzutragen, wenn er seine Idee verwirklichen konnte. Die ganz große Gefahr, die eines allgemeinen Aufstandes, 56
zog der Captain gar nicht erst in Erwägung. Nepatana trieb seinen Mustang an und galoppierte davon. Hagman rief Sergeant Kenny und gab seine Befehle. Innerhalb weniger Minuten saßen die Kavalleristen in den unbequemen McClellan-Sätteln und ritten weiter in die Berge hinein. Der Träumer ließ sein Pony im Galopp laufen. Es dauerte etwa eine Stunde, ehe er auf die Rotte Mimbrenjos stieß. Mißtrauisch blickten ihn die Krieger an. »Schneller Hirsch beobachtet die Bleichgesichter«, erklärte Nepatana. »Es sah so aus, als wollten sie aufbrechen. Ich soll euch zum Tal führen. Hören wir nichts von Schneller Hirsch, folgen wir den Weißen durch das Tal.« Die Krieger waren einverstanden. Nepatana spürte ihre Kampfeslust fast körperlich. Er setzte sich an die Spitze des Trupps und ließ sein Pony traben. Endlich erreichten sie das Tal, das die Berge durchschnitt. Lange verharrten die Apachen, lauschten, musterten die Umgebung, und witterten Unheil, ohne jedoch einen Grund für dieses Gefühl zu erkennen. Es war so, daß ihre Kämpferinstinkte sie warnten. Der Träumer trieb schließlich sein Pferd an und rief halblaut: »Ich reite voraus, Krieger. Folgt mir in zehn Längen Abstand.« Argwöhnisch blickten die Mimbrenjos hinter dem Mann her, der so lange Zeit in der Nähe der Weißen verbracht hatte. Führte er sie in eine Falle? Wenn ja, warum tat er das? Nepatana spürte, wie die Stimmung unter den Kriegern umschlug. Sie waren nicht mehr bereit, ihm einfach zu folgen. Darum hieb er seinem Pony die Hacken in die Flanken, trieb es in Galopp. Der Träumer hörte die Hufe hinter sich und war zufrieden. Und auf einmal schimmerten blaue Tuchfetzen auf. Die Mimbrenjos stießen ihre Kriegsschreie aus und brüllten: »Zastee! Tötet!« Aber keiner der Männer kam zum Schuß. Eine verheerende 57
Salve mähte die Kämpfer aus der San Carlos Reservation nieder. Nepatana wandte sich nicht um. Er ließ sein Pferd weitergaloppieren und suchte Captain Hagman. Der Offizier hockte auf einem Felsband und hielt die Doppelröhre des Fernglases vor die Augen. Als er den Hufschlag hörte, blickte er hinab. Geschickt kletterte Hagman ins Tal und wartete auf Nepatana. »Sie sind alle tot, alle«, sagte der Captain. »Wenn das so weitergeht, wagt sich bald kein Mimbrenjo mehr auf den Kriegspfad, Träumer. Ich muß meine Schwadron zum Fort führen. Ich weiß nur nicht, ob ich über die beiden Kämpfe Bericht erstatten soll.« Nepatana dachte nach und erwiderte: »Wenn du unseren Plan nicht in Gefahr bringst, dann berichte. Bleiben Männer von dir auf meiner Farm?« »Ja, ich lasse eine halbe Abteilung zurück. Hugh Sanders ist bei ihnen. Er wird ab und zu nach Eureka Springs reiten. Ich habe ein mächtig übles Gefühl, wenn ich an Haggerty denke.« Nepatana lächelte flüchtig und sagte: »Er ist sicher, weißer Mann. Ich suche meinen Stamm. Folgen mir Krieger in den Kampf, so gebe ich dir Nachricht.« Plötzlich peitschten Schüsse. Pferdehufe trommelten über den Boden. Nepatana riß sein Pony herum und starrte einem Mimbrenjo nach, der zusammengesunken auf einem Pony hockte. »Verflucht«, stieß Hagman heraus, »das fehlt uns noch. Hoffentlich verreckt der Kerl, ehe er in die Reservation gelangt.« Nepatana untersuchte die Spuren und meldete: »Er hat viel Blut verloren. Der Mann ist schwer getroffen, mindestens zweimal. Er kommt nicht lebend zu Victorio.« Hagman atmete auf. Diese Gefahr war beseitigt. Er ließ zum Sammeln blasen, und wenige Minuten später formierte sich die 58
Strafschwadron. Der Träumer leitete seinen Mustang in die Schluchten der Pinaleno Mountains, die den Namen seines Stammes trugen. * »Chief, warum willst du in Eureka Springs Nachforschungen anstellen?« fragte Larry Osborne, als sie die Pferde unweit der Ansiedlung zügelten. Cochise blickte aus leicht zusammengekniffenen Augen zu den Gebäuden hinüber. Sein Gesicht wirkte trotz aller Verschlossenheit kühn und mutig. »Soldaten haben mit der Sache zu tun«, erwiderte der Jefe. »John ist General Howards Mann. Das weißt du, Larry Osborne. Selbst, wenn es der Offizier dieser Soldaten hier nicht weiß, so kennt er doch Haggerty. Er ist ein Freund der Apachen. Und das macht ihn zum Feind des Soldaten, wenn ihr Anführer üble Dinge vorhat.« Osborne nickte nachdenklich. Sicher, der Jefe wußte nicht viel, nur das, was sein Späher herausgefunden hatte. Aber diese Nachrichten reichten völlig aus, um den Chief zu beunruhigen. »Gut, ich reite in die Stadt«, sagte Larry. »Ich gebe mich als Revolvermann aus, der John Haggerty sucht. Mal sehen, was dann passiert.« Als Osborne anreiten wollte, rief Cochise leise hinter ihm her: »Vergiß nicht, daß wir dem Falken helfen müssen. Es nutzt nichts, wenn du getötet wirst.« Larry hockte etwas zusammengesunken im Sattel. Er ließ sein Pferd genau auf der Straßenmitte gehen. Fast körperlich spürte der junge Mann die argwöhnischen Blicke der Städter. Sie kannten Männer seiner Art wohl und waren vorsichtig. Vor dem Saloon zügelte Osborne sein Tier und glitt aus dem Sattel. Mit einer gewohnheitsmäßig wirkenden Bewegung rückte sich der Kämpfer den Coltgurt zurecht, ehe er mit der 59
Linken gegen die Hälfte der Pendeltür stieß und sich geschickt durch die Öffnung drehte. Larry überblickte den Raum, musterte die Ecken, die wenigen Gäste an den Tischen und die beiden Männer am Tresen. Neben der Treppe, die ins obere Stockwerk führte, stand ein Tisch. Dort saß eine Frau, angemalt wie ein Apachenkrieger, neben einem Mann, der sofort Larrys Aufmerksamkeit gefangen nahm. Instinktiv wußte Osborne, daß diese Frau Lily sein mußte. Mit geschmeidigen Schritten ging Larry zum Tresen, warf eine Münze auf die Platte und sagte: »Whisky.« Der Keeper sah angestrengt an dem Burschen vorbei und wünschte den neuen Gast zum Teufel. Er gehörte zu den Kerlen, die Verdruß bereiteten. Fingen sie nicht selbst Streit an, so wurden sie doch zumeist in eine Auseinandersetzung hineingezogen. Larry trank sein Glas aus, warf eine weitere Münze daneben und schob das Glas zum Keeper. Als der Mann eingeschenkt hatte, sagte Osborne: »Ich suche einen Mann. Er ist sechs Fuß groß, schlank und hat breite Schultern. Sein Haar ist braun und gewellt, und er trägt eine Lederjacke nach Art der Spurenleser. Haben Sie diesen Mann hier gesehen?« Der Keeper verfehlte mit dem Korken die Flaschenöffnung. Interessiert sah Larry auf die zitternden Hände des Mannes und war seiner Sache sicher. »Was wollen Sie denn von ihm?« brachte der Bartender schließlich heraus, nachdem er den Korken in die Flasche gefingert hatte. »Ich werde diesen Mann töten«, erwiderte Osborne gleichgültig. »Warum er sterben muß, geht Sie nichts an. Haben Sie ihn gesehen?« Die letzten vier Worte wirkten irgendwie scharf, schneidend, 60
obwohl sie nicht laut gesprochen worden waren. »Er war hier, gestern oder vorgestern«, murmelte der Keeper und umkrampfte die Flasche mit beiden Händen. »Er trank ein Bier und ging wieder. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.« Larry nickte, nahm einen Schluck Whisky und fragte: »Ging er allein? Oder war er in Begleitung?« Ehe der Barmann antworten konnte, scharrte ein Stuhl. Aus den Augenwinkeln blickte Osborne zum Tisch an der Treppe hinüber. Das Gesicht der Frau war bleich wie ein Laken. Der Mann glitt um den Tisch herum und kam mit katzenhaften Schritten näher. »Jetzt reicht's uns aber«, sagte er scharf, als würde er für alle Gäste sprechen. »Kerle von deiner Sorte brauchen wir hier nicht, Mister. Was geht's dich an, wer hier war und wer nicht? Trink aus und verschwinde.« Larry lächelte schmal und freudlos, als er fragte: »Was sonst?« »Sonst packe ich dich und werfe dich hinaus, du Coltschwinger«, brüllte der andere. »Nein«, erwiderte Larry nur und nahm einen weiteren kleinen Schluck. Hugh Sanders blieb stehen, als wäre er vor eine Mauer geprallt. Diese ruhige Gewißheit in diesem einen Wort machte den Soldaten unsicher. Er fing sich wieder, dachte an sein Trumpf-As und wußte auf einmal, daß er diesen fremden Revolvermann schlagen konnte. »Nein? Du Narr, ich habe schon ganz andere Kerle fertiggemacht, als dich«, erwiderte Hugh. Er mußte auf diesem Weg weitergehen. Es war wichtig, daß der Fremde nicht erfuhr, wer mit Haggerty losgezogen war. Denn Lily würde sicher nicht den Mund halten, wenn dieser hartgesichtige Pilger sie bedrohte. »Gut, dann versuch es doch«, sagte Osborne kalt. 61
Er wußte, daß er sich mit dem Kerl schießen mußte. Und Larry rechnete mit einem hinterhältigen Trick. Denn dieser Mann sah nicht so aus, als wäre er ein gleichwertiger Schütze. »Wie du willst«, erwiderte Hugh Sanders. Er griff zum Revolver, und als er die Holzschalen berührte, hielt er plötzlich ein Bowie-Messer in der Linken und warf die schwere Klinge aus dem Handgelenk heraus. Larry steppte blitzschnell zur Seite, zog flüssig und glatt und drückte ab, als der andere seine Waffe gerade hochschwang. Sanders war sofort tot. Wie gelähmt blickten die übrigen Gäste den blonden Fremden an, der scheinbar eiskalt die Hülse aus der Trommel stieß und eine neue Patrone hineinschob. Nachdem Osborne den Colt gehalftert hatte, ging er zum Tisch neben der Treppe. Lily stand auf, trat zurück, versuchte, sich in der dunklen Ecke zu verkriechen, aber es gab keinen Fluchtweg für sie. Larry lächelte und sagte: »Du bist Lily, nicht wahr?« Das Girl nickte nur. Seine Augen schimmerten, zeigten die Angst, die das Mädchen empfand. »Gehen wir, Lily, ich heiße Larry. Ist doch nett, oder? Lily und Larry, ja, das hört sich gut an. Komm jetzt.« Die junge Frau blickte zu Boden, als sie langsam um den Tisch herumging. Osborne wartete, bis sie neben ihm stand und begleitete sie zur Tür, deren Flügel er höflich aufhielt. Ohne daß sie ein Wort wechselten, führte das Mädchen den fremden Coltmann zu ihrem kleinen Haus am Stadtrand. Mit zitternden Fingern sperrte Lily auf. Sie hatte Angst. Angst vor diesem eiskalten, harten Burschen. Er würde sicher nicht zögern, aus ihr herauszuprügeln, was sie wußte. Lily ging in die Küche, stützte sich mit einer Hand auf den einfachen Tisch und atmete schwer. Osborne trat hinter ihr ein und schloß die Tür. »Warum«, fragte das Girl krächzend und schluckte. »Warum 62
wollen Sie Haggerty umbringen, Mister? Er ist doch ein guter Mann.« Larry lächelte und erwiderte: »Du weißt also, wer der Bursche war. Ich wette, du weißt noch eine Menge mehr, Lady. Rück schon raus damit.« »Ich habe ihm Laudanum in den Whisky gegeben«, murmelte Lily. »Hugh Sanders wollte das so. Er hatte im Saloon den Scout erkannt. Und die Soldaten prahlten am Tresen damit, wie sie die Apachen niedergemacht hatten. Hugh gehörte auch zu ihnen, aber er tauchte immer ohne Uniform in Eureka Springs auf. Er war so was wie ein Spion für seinen Captain. Und Haggerty könnte ihnen alles durcheinanderbringen, sagte Hugh.« Larry dachte angestrengt nach. Tatsache war, daß die Soldaten den ehemaligen Chiefscout weggeschleppt hatten. Aber fanden sie auch seine Papiere? Wußten sie, daß John Haggerty direkt im Auftrag des Generals handelte? »Los, weiter, da ist doch noch was«, sagte Osborne hart. Lily stieß sich von der Tischkante ab und zerrte am Schrank. Knirschend rutschte er ein Stück nach vorn. Argwöhnisch sah Larry zu, wie das Girl in die Lücke griff. Und als sie die Hand zurückzog, hielt Osborne seinen Colt schußbereit in der Rechten. »Keine Waffe«, sagte Lily, »nur Papiere. Haggertys Papiere. Ich fand sie, ehe die Soldaten mit Hugh kamen. Ich ließ dem Mann nur seine Entlassungsurkunde.« Larry starrte das Mädchen an und fragte: »Warum hast du das getan?« »Ich weiß nicht«, murmelte sie. »Ich weiß überhaupt nicht viel, nur, daß Sanders mit seinem Captain eine schmutzige Sache unternimmt. Und ich wollte nicht am Tod eines Menschen schuldig sein. Darum versteckte ich diese Unterlagen.« 63
Osborne halfterte den Colt und nahm die Papiere entgegen. Dabei verlor der junge Kämpfer nichts von seiner Wachsamkeit. Er blätterte in den Unterlagen und war beeindruckt. »Lady«, sagte er, »du hast Haggerty wahrscheinlich das Leben gerettet. Und wenn alles so ist, wie Cochise denkt, hängt es an einem Haar, ob die Apachen jeden Weißen umbringen oder nicht.« Entsetzt fragte Lily: »Cochise? Der oberste Häuptling aller Apachen?« Statt zu antworten ging Osborne zur Tür, öffnete sie und sagte laut: »Kommt herein. Es ist alles in Ordnung, denke ich.« Wie aus dem Boden gewachsen tauchten zwei Gestalten auf. Ein geradezu riesiger Indianer trat zuerst ein. Seine schwarzen Augen musterten Lily prüfend. Hinter dem muskulösen Mann schritt die schönste Frau, die Lily jemals gesehen hatte, in ihr kleines Blockhaus. Das Flittergirl konnte keinen Blick von Tla-ina abwenden, und es machte überhaupt nichts, daß sie eine Indianerin war. »Wir haben gehört«, sagte der Jefe. »Der Falke ist noch nicht in Gefahr. Gut. Ich muß nachdenken. Wo ist das Pferd des Falken?« »Im Mietstall«, flüsterte Lily und sah zu Boden. »Mir fällt noch etwas ein. Hugh Sanders sagte einmal, daß alle Männer der Schwadron Sträflinge seien. Mehr weiß ich aber wirklich nicht.« Larry pfiff schrill und sagte anschließend: »Das ist die Erklärung, Chief.« Cochise sah den Revolverkämpfer verwundert an. »Die Soldaten sind zu einer Strafschwadron zusammengestellt«, erklärte Larry. »Sie bekommen die schwersten Aufgaben, müssen ständig ihr Leben aufs Spiel setzen, um sich so zu bewähren, damit sie wieder ihre Ehre zurückerlangen.« 64
Der Häuptling begriff nach diesen Worten sofort. Grimmig sagte er: »Und ihr Captain will ihnen diese Möglichkeit geben. Er läßt Apachenkrieger in die Falle locken, die Männer töten und prahlt vor seinem Chief mit diesen Taten. Weiß der Mann denn nicht, daß er einen Krieg damit auslöst? Der Große Geist muß sein Gehirn verwirrt haben.« Tla-ina sah sich neugierig um. Sie kannte kaum die Behausungen der Bleichgesichter, und alles erschien unzweckmäßig. Wo konnte man denn einem Hasen, das Fell abziehen? Wo warf man die Federn hin, wenn die Krieger ein Wermuthuhn brachten? Nein, ein solches Jacale war nicht nach dem Geschmack der Apachen-Squaw. »Schwester, du bleibst hier«, befahl Cochise. »Larry Osborne, du bist als Kämpfer bekannt geworden.« Der Jefe lächelte als er das sagte und nickte dem Revolvermann zu. »Du hast richtig gehandelt, Larry Osborne«, fuhr der Chief fort. »Denn der tote Mann ist dieser Sanders. Wenn er seinem Captain Nachrichten gebracht hätte, wäre das Leben des Falken nichts mehr wert. Du bleibst auch hier, Larry Osborne. Meine Schwester ist zwar so gut wie jeder Krieger der Chiricahuas, aber es ist besser, daß ein weißer Mann in der Nähe wacht. Zuvor möchte ich der weißen Squaw danken. Sie hat umsichtig gehandelt, und ich bitte sie, meiner Schwester und dir Gastfreundschaft zu gewähren.« Lily wußte nicht, wie ihr geschah. Dieser mächtige Indianer sprach wie ein großer Mann, ein Senator oder ein Fürst aus dem weit entfernten Europa. Er strahlte Würde und Sicherheit aus. Er schien alles zu wissen und zu erkennen. »Selbstverständlich, Häuptling«, stammelte das Flittergirl. »Deine Schwester und Mr. Osborne sind willkommen.« Cochise lächelte, nahm Larry die Papiere aus der Hand und 65
schritt zur Tür. »Moment mal, Chief«, sagte Osborne. »Wie geht's jetzt weiter? Was hast du vor? Ich will helfen, John Haggerty zu befreien. Ich kämpfe dafür, daß kein Krieg zwischen uns ausbricht, wenn es sein muß.« Cochise sah Larry ernst an und sagte langsam: »Du gehörst zu den wenigen weißen Männern, die gerecht denken und gerecht handeln. Du bist so wie Hellauge, wie der Falke. Und ich bin froh, daß es Männer wie dich gibt. Denn nur sie helfen, das Blutvergießen zu vermeiden. Ich reite jetzt, Larry Osborne. Ich befreie den Falken. Gemeinsam werden wir den Verräter stellen und nach dem Gesetz der Apachen bestrafen. Anschließend muß der Falke mit den Jefes der Pferdesoldaten sprechen. Und ich glaube, daß dies eine schwere Aufgabe sein wird. Wir kehren zurück, sobald der Zwist beigelegt ist. Beschütze die Squaws, Larry Osborne. Und vergiß nicht, daß die eine das Leben des Falken rettete und die andere meine Schwester ist, die den Falken liebt.« Das war eine lange Rede für Cochise. Er glitt aus dem Haus, verschwand, als hätte ihn die zerrissene, ausgetrocknete Erde verschluckt. Scheu blickte Lily die Apachin an. Tla-ina lächelte, trat neben die Weiße und sagte stockend in der fremden Sprache: »Zeig mir, was eine weiße Frau tut.« Tla-ina verstand nicht, warum Larry Osborne sarkastisch lachte. Aber auch er wunderte sich in den nächsten Stunden. Denn Lily erwies sich als Mensch, der sich mit den Dingen des täglichen Lebens genausogut auskannte, wie mit den Männern, denen sie ihre Dollars verdankte. * Captain Joshua Hagman ritt drei Längen vor seiner Schwadron. Der Offizier brütete über den Worten, die er in seine Berichte 66
schreiben wollte. Die Situation war schwierig. Einmal mußte jetzt schon erscheinen, daß sich die Strafabteilung hervorragend geschlagen hatte, und zum zweiten durfte nichts darauf hinweisen, daß die Gefechte provoziert waren. Ja, daß sie von Nepatana geradezu herbeigeführt worden waren. Sergeant Kenney trieb sein grobschlächtiges Pferd an, bis er neben dem Captain ritt. Weder Hagman noch Kenney waren strafversetzt. Sie hatten die schwierige Aufgabe übernommen, die Strafschwadron zu leiten. »Sir«, sagte Kenney respektvoll, »wenn ich einen Vorschlag machen dürfte?« Hagman sah den Unteroffizier an und stellte bei sich fest, daß er mehr denn je einem gereizten Bullen glich. »Los, raus mit der Sprache, Kenney«, forderte der Captain seinen Sergeanten auf. »Sir, es erscheint mir sinnvoll, wenn Sie in Ihren Berichten schildern, daß uns die Apachen überraschend angriffen. Mir ist klar, Sir, was Sie vorhaben. Die meisten Männer in der Schwadron sind gute Soldaten, die einmal über die Stränge schlugen. Sie müssen sich bewähren, um wieder normalen Dienst tun zu dürfen. Und darum denke ich, daß die Kämpfe mit den roten Kriegern so geschildert werden sollten. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich meine Meinung so offen vortrage, Captain.« Hagman atmete auf. Sergeant Kenneys Worte bestärkten ihn in seinem Entschluß, die Kämpfe mit den beiden Apachenhorden so zu schildern, wie der Unteroffizier vorschlug. Natürlich hatte Hagman keine Ahnung von der Tatsache, daß Kenney vom Kommandanten des Fort Grant eine ganz besondere Aufgabe erhalten hatte. Richard Kenney sollte ein privates Tagebuch führen, das er auf Anforderung des Colonels vorlegen mußte. Und der Befehl lautete, daß der Unteroffizier sorgfältig jegliche Tatsachen 67
aufzeichnen sollte. Captain Hagman saß gelassen im Sattel und führte die Strafschwadron zum Fort zurück. Endlich sah er die Palisaden in der Ferne. Das Sternenbanner flatterte im leichten Nachmittagswind. In vorbildlicher Haltung ritten die Kavalleristen in Doppelreihe auf das Tor zu. Der Posten gab sein Trompetensignal. Die schweren Flügel schwangen auf, aber niemand stand auf dem Appellplatz, um die zurückkehrende Schwadron zu begrüßen. Hagman preßte die Lippen zusammen. Diese Situation störte ihn ungeheuer. Als freiwilliger Führer der Ausgestoßenen nahm er wenigstens für sich in Anspruch, den normalen militärischen Regeln unterworfen zu sein. Aber das sah das Reglement nicht vor. »Absitzen!« befahl der Captain. »Die Tiere sind zuerst zu versorgen. Anschließend kann sich die Mannschaft zurückziehen. Die Alarmbereitschaft bleibt bestehen. Vergeßt nicht, wo ihr seid!« Schweigend saßen die Männer der Strafschwadron ab. Sie kümmerten sich um ihre Gäule, blickten nicht nach links und rechts, wußten, daß sie unter den normalen Soldaten Geächtete waren, die nur zu Besuch in Fort Grant verweilen durften. Denn bewährten sich die Sträflinge, die alle gegen das Militärgesetz verstoßen hatten und verurteilt waren, durften sie in den normalen Dienst der Kavallerie zurückkehren. Eine Ordonnanz rannte über den Appellplatz, baute sich vor Hagman auf, salutierte, und der junge Korporal sagte: »Sir, der Kommandant wünscht Sie zu sprechen.« »In Ordnung«, erwiderte Joshua Hagman. »Ich wasche mich, ziehe eine saubere Uniform an und melde mich beim Colonel.« Verwundert blickte der Captain den Korporal an, der noch immer vor ihm stand und steif salutierte. »Was ist denn, Mann, verschwinden Sie, zittern Sie ab!« 68
sagte Hagman. »Verzeihung, Sir, der Kommandant möchte Sie sofort sprechen«, preßte der Korporal heraus. Hagman staunte und fragte: »Ist das der ausdrückliche Befehl des Colonels?« »Jawohl, Sir!« schmetterte der Korporal. »Gut, gehen Sie voraus!« befahl Hagman und verbarg seine Unruhe. Was wollte Colonel Kilgore von ihm? Sicher, Hagman war zum erstenmal länger als einen Tag mit der Strafschwadron unterwegs gewesen. Aber konnte das ein Grund sein, sich unverzüglich beim Kommandanten des Forts zu melden? Der Korporal hielt dem Captain die Tür zur Kommandantur auf. Hagman marschierte ins Allerheiligste und salutierte. »Ihre Meldung, Captain«, forderte der Colonel. »Immerhin waren sie länger als drei Tage mit diesem Verbrecherhaufen unterwegs. Ich bin immer noch der Meinung, daß diese Horde nichts in unserem Krisengebiet zu suchen hat.« »Sir, keine besonderen Vorkommnisse«, erwiderte Hagman. »Ich habe einen Scout angeworben für meine Schwadron. Es ist der Pinaleno-Farmer, der bisher das Fort mit Mais, Getreide und Fleisch belieferte.« »Ah, Nepatana, der Träumer«, sagte Colonel Kilgore. »Wie haben Sie das geschafft?« Hagman lächelte und antwortete: »Ich habe ihm erzählt, daß meine Männer sehr schnell in Zorn geraten und seine Farm abbrennen könnten. Er war sofort bereit, für mich als Kundschafter zu reiten. Und wir waren froh, daß der Kerl für uns spähte.« Kilgore beherrschte sich. Diese Methoden mochte er nicht. Eigentlich müßte er dem Hauptmann einen gewaltigen Rüffel erteilen. Aber der letzte Satz hatte den Kommandeur neugierig gemacht. »Los, erzählen Sie«, sagte er. 69
»Wir wurden zweimal in Kämpfe verwickelt«, sagte Hagman. »Zuerst stießen wir auf eine Rotte von Chiricahuas, zehn Krieger. Sie griffen sofort an und brüllten ihr Zastee, als ob sie im Rausch wären. Einen Tag später rannten zwanzig Mimbrenjos gegen uns an. Ich weiß wirklich nicht, was in den Köpfen dieser Spinner vorgeht, Sir. Mit zehn oder zwanzig Kriegern gegen eine ganze Schwadron vorzugehen, ist doch verrückt.« Colonel Kilgores Gesicht blieb unbewegt. Auf einmal hatte er jedoch das Gefühl, fürchterliche Kopfschmerzen zu bekommen. Irgendwas stimmte an dem Bericht des Captains nicht. Und Kilgore würde auch herausfinden, was der Schwadronführer verschieg. Immerhin war da noch Sergeant Richard Kenney. »In Ordnung, Captain, ich denke, Sie haben richtig gehandelt«, sagte der Kommandeur. »Niemand kann von unseren Reitern verlangen, daß sie sich von den Apachen abschlachten lassen.« Kilgore starrte ein paar Sekunden auf die Tischplatte und überlegte. »Wenn sich die Männer bewähren«, fuhr er fort, »befürworte ich ihre Überstellung in normale Kompanien. Sagen Sie ihnen das, Hagman.« Der Hauptmann konnte seinen Triumph nicht unterdrücken. Genau das wollte er erreichen. Diese Worte hatte er erwartet. Er bemerkte nicht, daß ihn der Colonel aus den Augenwinkeln genau beobachtete und deutlich den Triumph sah. Hagman salutierte und vollführte eine exakte Kehrtwendung wie auf dem Exerzierplatz und marschierte davon. Der Korporal hielt ihm die Tür auf. Also hatte der Bursche gelauscht. Nicht nur das. Er trat unaufgefordert in das Zimmer des Colonels und setzte sich auf den Besucherstuhl. »Ihre Vermutung trifft offenbar zu«, sagte der Korporal und 70
zündete sich eine Zigarette an. »Sieht so aus, Brent«, murmelte Kilgore. »Es war eine verdammte Idee von Sherman, gerade uns im Südwesten die verfluchte Strafabteilung in den Pelz zu setzen. Das paßt doch alles zusammen, Mann. Hundertzwanzig Reiter, die Dreck am Hosenboden haben, verurteilt sind, die sich bewähren müssen. Dazu ein ehrgeiziger Kerl wie Hagman, den ich bisher ruhig halten konnte. Das gibt gewaltigen Ärger, Brent.« »Was ist mit Sergeant Kenney, Sir?« fragte der Korporal, der in Wirklichkeit ein Lieutenant aus dem Hauptquartier General Shermans war. Die Verlegung einer kompletten Strafschwadron in den Südwesten war eine Idee des Indianerhassers gewesen. Er glaubte, daß die Verurteilten wie die Teufel gegen die Apachen vorgehen würden. Kilgore kritzelte etwas auf ein Stück Papier und reichte es über die Tischplatte. »Suchen Sie Kenney«, befahl der Colonel. »Er soll Ihnen berichten. Ich will alles wissen, die Tatsachen, Brent!« Und als der junge Lieutenant, der in Fort Grant Ordonnanz und Schreiber des Colonels spielte, nach einer Stunde berichtete, hieb Kilgore seine rechte Faust auf den Schreibtisch. »Dieser Idiot!« brüllte der Oberst, »ich lasse ihn an die Wand stellen! Wissen Sie, was das bedeutet? Krieg, Brent, einen dreckigen, gemeinen Krieg, der voller Grausamkeiten sein wird. Was glauben Sie, unternimmt Old Vic, wenn der entkommene Mimbrenjo ihm erzählt, daß die Pferde Soldaten Apachentrupps in die Falle locken und niedermachen?« Lieutenant Brent war mehr als besorgt. Er kannte die Situation im Südwesten genau und wußte, daß diese beiden Gemetzel an Apachen den schwelenden Konflikt wieder auflodern lassen konnten. »Wir müssen Haggerty finden«, drängte Brent. »Nur er kann 71
helfen. Wenn er Cochise holt, vermeiden wir vielleicht den Krieg.« Kilgore lachte hart auf und erwiderte: »Eines Tages hat auch der große Cochise die Nase von uns voll. Er kann doch nicht immer nur nachgeben. Er verliert sein Gesicht vor den anderen Stämmen. Und wie sollen wir den Exscout finden? Sie haben doch selbst berichtet, daß Nepatana den Mann an sicherer Stelle untergebracht hat. Oh, Mann, welch eine riesige Schweinerei. Wie sollen wir da bloß wieder rauskommen?« * Der Krieger hing mehr auf dem Mustang, als daß er saß. Schlangentöter spürte, wie das Leben, wie seine Kraft aus ihm herausrann. Er wußte, daß er niemals seinen eigenen Stamm erreichte. Victorio würde nicht erfahren, daß der Träumer sich gegen die eigenen Rassegefährten gewandt hatte. Nepatana hatte schon vor Jahren merkwürdige Worte gepredigt, davon gefaselt, daß sie mit den Weißen in Frieden zusammenleben müßten. Die meisten Krieger hatten verständnislos diesen Worten gelauscht und den Träumer anschließend als Verrückten betrachtet. Er verließ endlich seinen Stamm und lebte wie ein Weißer als Farmer und Viehzüchter. Er machte sogar Geschäfte mit den Eroberern. Schlangentöter wußte, daß die Pinaleno-Apachen in diesen Bergen lagerten. Dies war ihre Heimat, und vor einigen Wintern war er im Dorf der Vettern gewesen. Er mußte sie erreichen. Denn bis zu Victorio und den Mimbrenjos war der Weg zu weit. Der schwer verwundete Krieger wußte, daß Bù, der Bote, der die Seele eines Apachen ins jenseitige Land brachte, bereits unsichtbar über seinem Kopf schwebte. Es dauerte nicht mehr lange, bis der 72
schreckliche Vogel sichtbar wurde. Schlangentöter zupfte am Graszügel. Der Mustang blieb stehen. Angestrengt lauschte der Apache auf das keuchende Atmen des Pferdes. Als er sich zur Seite beugte, wäre er beinahe vom Rücken des Tieres geglitten. Zwei breite, blutverkrustete Streifen zogen sich über die Flanke des Ponys. Es schien viel Blut verloren zu haben. Der Mimbrenjo überlegte, ob er ein Signalfeuer anzünden sollte. Aber dann fiel ihm Nepatana ein, und Schlangentöter verzichtete auf den Notruf. Denn der Träumer würde zuerst in die Nähe kommen. Und das wäre das Ende des sterbenden Apachen. Er hätte keine Chance mehr, die Pinalenos vor dem Verräter zu warnen. Langsam stapfte der Mustang weiter, als er den schwachen Druck der Hacken in seinen Seiten spürte. Dichte Kiefernkronen beschatteten den Boden. Vereinzelt schimmerten die braunen herabgefallenen Nadeln in goldenen Sonnenflecken, die durch die Kronen der Bäume drangen. Zerklüftete Felsen ragten über einen Windbruch. Die Stämme lagen wirr durcheinander. Ein Wintersturm hatte sie entwurzelt und wie dünne Späne geknickt. Als Flügel aufrauschten, hob der Mimbrenjo den Kopf. Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Aber er entdeckte doch die große Eule, die aus dem Gewirr der Äste aufgestiegen war. Bù, der Todesbote, flog langsam vor dem Krieger her. Schlangentöter wußte, daß es an der Zeit war. Er holte tief Luft und sang mit spröder Stimme die ersten Worte seines Sterbegesangs. Allmählich wurde seine Stimme fester, sicherer. Aus irgendeiner verborgenen Quelle strömte noch einmal Kraft in den Körper des Apachen. Er fühlte sich leicht und merkwürdig stark, und wußte doch, daß dies der Tod war, der in ihm kroch. Bald ritt er im jenseitigen Land auf einem prachtvollen 73
Mustang hinter den weißen Hirschen her und erlegte sie mit neuen, kostbaren Waffen. Das Pony hörte die Worte seines Reiters, spürte keinen Schenkeldruck mehr und suchte sich selbst seinen Weg. Zwischen Beerensträuchern und Maulbeerbäumen marschierte das Tier durch, durchquerte noch einen Kiefernwald und knickte zwischen den letzten Bäumen mit beiden Vorderbeinen ein. Ein klägliches Wiehern durchbrach die Stille. Der Atem ging schnarchend rauh, und Schlangentöter prallte zu Boden, ohne daß er einen Schmerz verspürte. Die Eule segelte mit lautlosem Flügelschlag über den sterbenden Krieger, kreiste und stieß einen schaurigen Ruf aus. Der Mimbrenjo sang weiter. Er wußte, daß Usen, der große Geist der Apachen, nicht zuließ, daß die Pinalenos gewarnt wurden. Plötzlich klatschten die Flügel des Vogels laut. Er wurde schneller, und verschwand zwischen einigen dichten Kiefernkronen. Drei rote Männer glitten aus dem Unterholz. Schweigend verharrten sie vor dem sterbenden Rassegenossen, respektierten sein Todeslied. Und als Schlangentöter endlich die letzten Worte gesungen hatte, sah er die Pinalenos. Lächelnd flüsterte er: »Brüder, Usen ist gerecht. Ich bin verraten worden. Ein Mann eures Stammes steht im Dienst der Bleichgesichter. Euer Jefe soll ihn jagen und töten, wie es das Gesetz verlangt. Sein Name ist Nepatana, und er will seinen Traum wahrmachen. Er führte zwanzig Krieger der Mimbrenjos vor die Gewehre der Pferdesoldaten. Und alle zwanzig Seelen werden bald im Land des Todes sein.« Die Pinalenos starrten den Sterbenden an, und der Anführer der drei Männer sagte: »Brüder, wir bringen dich zu unseren Jacales. Du mußt deine Worte vor unserem Jefe wiederholen.« 74
Schlangentöter schüttelte leicht den Kopf und antwortete: »Ich gehe ins Land der Seelen ein, ehe wir euer Dorf erreichen. Bù wartet bereits in den Kiefern, Freunde. Ich bin zufrieden. Mein Sterbegesang ist gesungen, und Usen weiß, daß ich ein tapferer Krieger war.« Schlangentöter lag reglos. Die Kraft hatte ihn verlassen. Alle drei Pinalenos zuckten zusammen, als die Eule aufstieg, über die Lichtung segelte und mit kräftigen Flügelschlägen nach Westen flog. Der Mimbrenjo war tot. »Wir nehmen ihn mit«, entschied einer der drei. »Er soll nach den Gebräuchen der Apachen begraben werden.« »Nepatana«, sagte ein anderer grimmig. »Er ist wie der Zahn einer Giftschlange. Kommt, Brüder. Der Chief muß erfahren, was der Mimbrenjo gesagt hat. Und wenn es stimmt, dann wird der Träumer unter Martern sterben.« * Cochise streifte durch die Bergwälder. Die unbeschlagenen Hufe des Pintos verursachten kein Geräusch auf den Moosen und Kiefernnadeln. Aufmerksam spannte der Jefe all seine Sinne an, lauschte auf die Geräusche der Natur, roch in den leichten Wind und musterte jeden Felsen, jeden Baum und jeden Strauch. Plötzlich zügelte er den Schecken und blickte zu Boden. Kaum sichtbar zeichneten sich im feuchten Moos Hufspuren ab. Eine Rotte Krieger war hier vorbeigezogen. Cochise schätzte die Horde auf ungefähr zwanzig Männer. Die Fährte war einige Stunden alt, lag für ihn aber genauso da, als wären die Apachen erst vor Minuten vorbeigeritten. Der Chief zupfte am Graszügel, leitete seinen Mustang in die neue Richtung und folgte der Spur. Nach einer Weile erreichte Cochise das Tal, in dem die Soldaten die Mimbrenjos 75
niedergemetzelt hatten. Forschend blickte der hochgewachsene Häuptling zu den Bäumen an den Hängen, sog prüfend die Luft ein und roch den Tod, der in diesem Tal seine blutige Ernte eingebracht hatte. Unbewegten Gesichtes ritt Cochise weiter. Er sah die Mimbrenjos, zählte achtzehn Krieger und starrte ausdruckslos auf die Toten. Eine Fährte führte aus dem Tal hinaus. Das Pony war galoppiert. Blutspuren bewiesen dem ChiricahuaHäuptling, daß entweder das Pferd oder der Reiter verwundet war. Ein Mimbrenjo war also dem grausamen Abschlachten entkommen. Denn anders konnte man die Vernichtung der Kriegerhorde nicht nennen. Cochise störte nicht die Art, wie die Kämpfer zu Tode gekommen waren. Er trauerte vielmehr um die Männer seiner Rasse. Es wurden ständig weniger. Und gerade die Mimbrenjos unter Victorio wollten nicht nachgeben, konnten nicht mit den Weißen in Frieden leben. Der Jefe trieb seinen Pinto an, ritt durch das Tal. Ein Dutzend Ponys graste zwischen den Büschen. Cochise fing eines der Tiere ein. Wenn er Haggerty fand, brauchte der Falke ein Pferd. Der Apachenführer stieß auf die Spur eines einzelnen Reiters. Der Mann hatte sich keine Mühe gegeben, seine Fährte zu verbergen. Ein sicherer Instinkt leitete den Häuptling zum Graham Peak, dem höchsten Gipfel der Pinaleno Mountains, der über zehntausend Fuß hoch aufragte. Und dort fand er die gleiche Fährte wieder. Das Pony hatte eine große Last getragen, zwei Reiter vielleicht? Besorgt blickte Cochise auf die Hufabdrücke. Wenn der Falke tot war, wenn sein Körper in irgendeiner Felsspalte lag, war es um den Frieden geschehen. Denn so, wie der große Chief die Apachen halbwegs ruhig hielt, so arbeitete Haggerty bei den Weißen. Es gab unter Offizieren der Pferdesoldaten erbarmungslose Indianerhasser, die am liebsten mit Kanonen 76
und Gatling Guns die gesamte Bergwelt in Trümmer geschossen hätten. Langsam marschierte der Pinto auf der Fährte des einzelnen Indianers. Der Weg führte bergauf. Die Kiefern wuchsen nicht mehr so hoch, hörten ganz auf und machten Krüppelgewächsen Platz, die wie ein kniehoher Strauchwall den Boden bedeckten. Ein Gesteinsband führte fast waagerecht nach Westen. Ohne Zögern ließ Cochise seinen Mustang auf diesem Felsenweg reiten, der plötzlich endete. Geschmeidig saß der Häuptling ab, trat an die Kante und blickte in den Talkessel. Gras wucherte unten. Ein kleiner Wasserlauf ließ alle möglichen Kräuter wuchern. Und dort unten saß der Falke! Er blickte auf ein Bündel Trockenfleisch und Pemmikan. Warum hatte der einzelne Krieger den weißen Mann nicht getötet, sondern in dieses natürliche Gefängnis gebracht? Der Jefe entdeckte zahlreiche Löcher in den Wänden des Felskessels. Und er sah auch die winzigen Spuren der Klapperschlangen. Der Falke saß in der Falle. Er konnte nicht wie sein Namenstier die Flügel ausbreiten und hinauffliegen. »Sage mir, mein Bruder«, fragte Cochise laut und etwas spöttisch, »warum du dich dort unten versteckst? Ist dir meine Freundschaft nicht mehr genug, Falke?« Haggerty sprang nach den ersten beiden Worten bereits auf und starrte zu den Talkanten hinauf. Cochises mächtige Gestalt hob sich gegen den hellen Hintergrund ab. Erleichtert antwortete John: »Jefe, steige die Löcher herab, und du spürst, warum ich mich nicht selbst befreit habe.« »Ich weiß, daß du nicht mit den Giftwürmern sprechen kannst«, antwortete der Häuptling. »Aber sie sind auch so gereizt. Warte ein wenig, Falke, ich ziehe dich hoch.« Innerhalb weniger Minuten hatte der Chiricahua ein paar lange Lederriemen zusammengeknotet und ließ sie hinab. Haggerty knüpfte die Schlinge, die er sich um den Oberkörper 77
legte. Fast mühelos zog Cochise seinen weißen Freund Hand über Hand hoch. Endlich schwang sich John über die Felskante, stand auf und legte dem Jefe die Linke auf die Schulter. »Du bist mein Bruder«, sagte Haggerty, »mein Leben gehört dir. Erzähle, was geschieht hier eigentlich?« Cochise saß auf, und auch Haggerty schwang sich auf das Pony, das der Chief mitgebracht hatte. Es scheute etwas, denn der Geruch des Weißen störte das Tier. Während die Freunde zurückritten, berichtete der Häuptling. »Eine Strafschwadron, so eine Verrücktheit«, stieß John hervor. »Nur ein Narr kann auf solch eine Idee kommen.« »Oder ein Weißer, der die Apachen mit den Banditen seiner Rasse bekämpfen will«, erwiderte Cochise ernst. Widerwillig nickte Haggerty. Ja, auch das war möglich. Und wenn der Indianerfresser Sherman dahintersteckte, bekam die Strafschwadron im Südwesten einen Sinn. »Lily«, sagte John grimmig, »sie hat mir etwas in den Whisky gekippt. Die ganze Geschichte ist abgekartet. Als der Kerl bei ihr hörte, wie der Soldat mit den toten Chiricahuas prahlte, als er mich erkannte, handelte er sofort. Gar nicht so ungeschickt, der Bursche. Aber wie ich in dieses Felsenloch kam, weiß ich nicht.« »Lily hat dir trotzdem das Leben gerettet«, sagte der Jefe und zog unter seinem Rehlederhemd Johns Papiere heraus. »Sie war so klug, diese sprechenden Blätter zu verstecken.« Haggerty sah die Unterlagen flüchtig durch und verstaute sie in seiner Jacke. Wenn er doch nur wüßte, was hinter dieser merkwürdigen Geschichte steckte? Eine Rotte Mimbrenjos in die Falle geführt und niedergemacht. Die zehn Chiricahuas, die auf Ulzanas Befehl gehört hatten, was bedeutete dies alles? Die Krieger ließen sich doch nicht von weißen Soldaten in eine Falle locken? Und sie waren auch nicht so verrückt, gegen eine ganze Schwadron offen anzukämpfen. 78
»Laß deine Gedanken, Falke«, riet der Häuptling. »Wir reiten zurück zu den festen Jacales. Tla-ina wartet, und Larry Osborne wollte auch für dich kämpfen. Dein Pferd hat der Coltmann inzwischen sicher geholt. Wir reiten zum Fort Grant. Der Offizier dort muß wissen, was vorgeht.« Je weiter sie nach Westen kamen, desto stärker verspürte Haggerty eine merkwürdige Unruhe in sich. Auch der Jefe blickte ständig in Richtung Sonnenuntergang und wirkte nicht sonderlich gelassen, obwohl er dies zu verbergen suchte. Auf einmal zügelte Cochise seinen Mustang und wandte den Kopf. Haggerty brachte sein Pony zum Stehen und lauschte ebenfalls, konnte jedoch nichts hören. »Schüsse, Falke«, sagte der Jefe. »Sie fallen im Westen.« Nach wenigen Schritten jagten die Mustangs in wilder Karriere auf Eureka Springs zu. Denn Cochise und John vermuteten, daß Larry Osborne, Tla-ina und Lily bis zum Hals in Schwierigkeiten steckten. Der Häuptling und Haggerty verhielten ihre Tiere auf einem Hügel. Von der Kuppe aus konnten sie die Stadt erkennen. Alle Straßen waren wie leergefegt. Nirgendwo regte sich etwas. Nur aus dem Haus am Stadtrand flammten Mündungslichter auf. Von drei Stellen aus wurde das Feuer erwidert. Haggerty sah den Chief an, der mit dem Kinn nach Norden deutete und seinem Schecken die Hacken in die Flanken hieb. John würde von Süden angreifen. Eine Winchester hämmerte in rasender Folge. Die Tür des Hauses flog auf. Osborne hetzte im Zickzack ins Freie, rollte sich zusammen und kugelte über den Boden. Er stach den Colt vor, feuerte dreimal und sprang hinter zwei große Fässer, die ihm als Deckung ausreichten. Sicher versuchte der Kämpfer der Postlinie, sein Pferd zu erreichen und die Halunken vom Sattel aus zu erwischen. Haggertys Hut tanzte an der Windschnur im Nacken, als er das Pony im Galopp zur Deckung des Angreifers trieb. Der 79
Kerl wurde durch den Hufschlag gewarnt, schnellte hoch und drehte sich wie eine Pantherkatze in der Luft. Seine Winchester spuckte Feuer und heißes Blei. Haggerty riß am Graszügel. Der Mustang stemmte die Vorderhufe in den Boden und pflügte drei Yard weit die Erde auf, ehe er stillstand. John hielt das Gewehr an der Schulter und feuerte. Eine Kugel genügte. Der Kerl, der die blaue Uniform der Yankeesoldaten trug, brach zusammen. Von Norden her peitschte Cochises Winchester zweimal. Ein gellender Schrei bewies, daß der Häuptling einen der Angreifer nur verwundet hatte. Sofort trieb Haggerty seinen Mustang an. John wollte den Verwundeten lebend, wollte aus ihm rausholen, aus welchem Grund sie die Hütte von Lily angriffen. Cochise verhielt seinen Pinto bereits neben dem schwer verletzten Soldaten. Der Kerl lag am Boden, starrte angstvoll in das maskenhaft starre Gesicht des großen Apachen und zitterte, daß die Zähne aufeinanderschlugen. Haggerty glitt von der Decke des Pferdes, kniete sich neben den Sterbenden und fragte eindringlich: »Mann, du gehst gleich über den Jordan. Warum habt ihr angegriffen?« Der Kerl holte schwer Luft und sagte undeutlich: »Wir haben schon lange auf Sanders gewartet. Als er nicht kam, machten wir uns auf den Weg. Nur Ed ist auf der Farm des Indianers zurückgeblieben.« Schweiß rann über das Gesicht des Soldaten. Die Lippen zuckten unkontrolliert, verzerrten sich derart, daß sie wie eine offene Wunde wirkten. »Gehört ihr zur Strafschwadron?« fragte John. »Sicher, was denn sonst«, keuchte der Sterbende. »Sanders gehörte auch dazu. Er sollte in Zivil auftreten, hier in der Stadt. Wir hörten von seinem Tod und kamen zu Lily. Und auf einmal wußten wir, was los war. Die verdammte Drei-Dollar80
Hure Lily hat uns verraten. Die Squaw wehrte sich, als Jack nach ihr greifen wollte. Und dann tauchte der verfluchte Revolvermann auf…« Der Soldat bäumte sich auf, sein Körper spannte sich wie das Holz eines Bogens und fiel schlaff zurück. Der Mann war tot. »Nun wissen wir mehr, Falke«, sagte Cochise unbewegt. »Die bestraften Soldaten haben einen Plan. Reden wir mit Larry Osborne.« * Der Revolverkämpfer kam hinter den Fässern hervor, grinste schief und lud seinen Colt auf, ehe er die Waffe halfterte. »Ihr seid genau zur richtigen Minute gekommen«, sagte Larry. »Die verdammten Halunken hätten es beinahe geschafft. Ohne Tla-inas Deckungsfeuer wäre ich niemals ins Freie gekommen.« John saß ab, führte das Pony hinter das Haus und begrüßte seinen Rappen, der freudig schnaubte. Erstaunt bemerkte Haggerty, daß sich der Indianermustang zwischen den Rappen und John drängte. Das Tier hatte Vertrauen zu dem Fremden mit dem unvertrauten Geruch gefaßt. »Gehen wir ins Haus«, sagte Haggerty. »Sind Tla-ina und Lily in Ordnung, Larry?« »Keine Sorge, Boß«, erwiderte Osborne grinsend, »Sie haben sich verdammt gut gehalten, sogar Lily, obwohl sie mächtig Angst hatte.« »Jeffords ist Ihr Boß, Larry«, erwiderte John lächelnd. »Im Moment nicht«, sagte Osborne trocken. »Jetzt sind entweder Sie oder Cochise der Mann, der die Befehle gibt. Und wer die gibt, ist mein Boß, Ist doch klar, oder?« Sie gingen ins Haus. Lily blickte verlegen an Haggerty vorbei. Er aber ging auf sie zu und sagte: »Schon gut, Lily, ich 81
trage dir nichts nach. Immerhin hast du meine Papiere in Sicherheit gebracht. Ich bitte dich nur darum, daß du nicht über meine Vollmachten sprichst. Zu keinem Menschen.« Tla-ina trat vor den Falken, legte ihm ohne Scheu die Arme um den Hals und küßte ihn, ehe sie sich eng an ihn schmiegte. Cochise lachte auf einmal laut und bekam dafür von Lily einen empörten Blick. Denn sie war immer gerührt, wenn sie richtige Liebe entdeckte. Aber der Jefe erzählte mit einigen Sätzen die Begegnung mit dem Kutscher Floyd Pearson und schloß: »Du siehst also, Falke, daß Tla-ina auch auf andere weiße Männer Eindruck macht. Du solltest vorsichtig sein.« Sekunden später war der Spaß vergessen. Sie unterhielten sich über die drei toten Soldaten, die der Strafschwadron angehört hatten. »Ich muß nach Fort Grant«, sagte Haggerty entschlossen. »Wenn überhaupt, erfahre ich nur dort etwas. Was ist mit diesem Indianer, der eine Farm haben soll, wie der Sterbende erzählte? Weiß einer von euch etwas darüber?« »Ein Krieger der Pinalenos«, erwiderte Cochise, »trennte sich von seinem Stamm. Er wollte mit den Bleichgesichtern in Frieden leben. Sein Name ist Nepatana, und das heißt: der Träumer. Sein Traum ist, daß rote und weiße Menschen keinen Krieg mehr gegeneinander führen. Er hat sich als Farmer niedergelassen und handelt mit den Soldaten aus Fort Grant. Falke, mein Bruder, mir kommt ein schrecklicher Gedanke: Wenn nun Nepatana mit Gewalt versucht, den Frieden zu bringen. Wenn er mit dem Offizier der bestraften Soldaten gemeinsam gegen die kriegerischen Apachen vorgeht?« Haggerty verspürte ein Frösteln zwischen den Schulterblättern. Nein, das war doch zu weit hergeholt. Aber hatte der Häuptling mit seinen kühnen Überlegungen nicht oft genug recht behalten? War er vielleicht besser als John in der Lage, die Gedanken der roten und weißen 82
Menschen miteinander zu verknüpfen? Haggerty dachte gradlinig. Er vermochte sich zwar in die Gedanken anderer hineinzuversetzen, aber seine Anständigkeit hinderte ihn oft daran, die schurkischen Pläne der Weißen mit den Listen und Tricks der Apachen zu verbinden. »Eine Antwort«, sagte John darum, »bekommen wir nur in Fort Grant. Also reiten wir hin, Jefe.« Sofort stand der Häuptling auf. Er war bereit. »He, und ich, und wir?« fragte Larry Osborne. »Sollen wir hier abwarten, bis wir die Meldung von eurem Tod bekommen?« Grinsend erwiderte John: »Dazu wird es nicht kommen. Oder mein Bruder Cochise hätte Vorahnungen. Nein, Larry, Sie bleiben hier. Ich habe so das Gefühl, daß hier irgendwas passieren wird. Und ein guter Coltschütze ist nicht mit etwas anderem aufzuwiegen.« Larry Osborne grinste matt. Er wußte, daß Haggerty seine Fähigkeit als Kämpfer schätzte. Und er wußte auch, warum der ehemalige Scout ihn hier in diesem Haus lassen wollte. Es ging um Tla-ina. Sie sollte geschützt werden. Dabei hatte Osborne den Eindruck, daß sich Sanfter Wind verdammt gut selbst helfen konnte. Denn mit der Winchester war sie eine Meisterschützin. »Okay, Boß, reitet nur«, sagte Osborne. »Laßt den armen Larry allein mit zwei gefährlichen Frauen zurück. Alles was passiert, habt ihr euch selbst zuzuschreiben.« Cochise grinste breit und erwiderte: »Wenn dir die weiße Squaw zu nahe tritt, Larry Osborne, wird dir Tla-ina helfen.« Lily wurde trotz ihrer Erfahrung, trotz ihres Berufes, rot. Und Cochises Schwester lächelte. Der Chief und John verließen das Blockhaus. Der Mimbrenjo-Mustang prustete empört, als der Weiße auf den Rappen kletterte. Cochise und Haggerty trieben die Tiere an. Die Freunde 83
hatten das Gefühl, daß sie keine Zeit verlieren durften. Irgendwie drängte alles zusammen. Und ein winziger Funke genügte, um den gesamten Südwesten in Aufruhr zu versetzen. Die Pferde galoppierten nach Osten. Fort Grant lag südlich der Pinaleno Mountains. Haggerty kannte den Namen des Kommandanten und hoffte, daß er mit diesem Mann vernünftig reden konnte. Cochise sollte ihn begleiten. Der Jefe trat für den Frieden ein. Selbst Victorio, der die Weißen haßte wie die Pest, schickte seine Krieger nicht mehr in offene Kämpfe mit den Bleichgesichtern. Cochises Einfluß war groß. General Howard hatte das erkannt. Und in Haggerty hatte der Oberbefehlshaber des Southwest-Territoriums einen ausgezeichneten Unterhändler. Die beiden Reiter durchquerten die Ausläufer der Pinalenos. Felsige Hügel ragten auf. Das kahle Gestein schimmerte stumpf in der Sonne. Vereinzelt wuchsen Kiefern, denen der kärgliche Boden genügend Nahrung bot. Und die Pinaleno-Apachen nannten sich selbst: Volk-ausder-Kiefernschonung. Die Pferde erreichten eine sandige Grasfläche, die den Hügel vorgelagert war. Cochise hob witternd den Kopf. Auch Haggerty verspürte das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Hinter einer Biegung zügelten sie die Pferde. Neben einem umgestürzten, kahlen Baum verhielten sieben Indianer ihre Ponys. Der vorderste Reiter saß auf einem braunweiß gescheckten Mustang. Der rote Krieger trug kniehohe Wüstenstiefel und einen großen Federkopfschmuck. In der Rechten hielt er eine gefiederte Lanze. Cochise trieb seinen Pinto ohne Zögern zu den Indianern herüber. John folgte mit einer Länge Abstand. »Ich grüße dich, Häuptling der Pinalenos«, sagte der Chief mit volltönender Stimme. »Cochise kommt zur richtigen Zeit«, erwiderte der 84
Apachenführer grimmig. »Wir kämpfen nicht gegen die Bleichgesichter. Wir sind auf dem Kriegspfad, um einen Verräter zu bestrafen.« Der Pinaleno blickte Haggerty argwöhnisch an. »Das ist Falke, mein Bruder«, sagte Cochise. »Er denkt sehr oft wie ein Apache, Gelber Adler.« Haggerty ließ sein Pferd etwas vorgehen und verhielt es auf gleicher Höhe mit Cochises Tier. »Ich grüße dich, Gelber Adler«, sagte John in der Sprache der Apachen. »Mein Herz ist schwer, und ein Schmerz lebt in meinen Eingeweiden. Denn in deinem Gebiet geschieht etwas, das den Frieden zwischen unseren Rassen zerstören kann.« Cochise machte eine kaum merkliche Handbewegung, und Haggerty schwieg. »Wir fanden tote Chiricahuas«, sagte der große Jefe. »Wir fanden Mimbrenjokrieger, die von den Kugeln weißer Soldaten zerfetzt wurden. Sprich, Gelber Adler, der Falke wird die weißen, Pferdesoldaten bestrafen. Und ich bin hier, um die Stämme vom Kriegspfad abzuhalten.« Der Pinaleno lächelte verzerrt. Es schien ihm schwerzufallen, seine Worte zu wählen. »Ein Mimbrenjo kam in unser Gebiet«, sagte er schließlich. »Er berichtete von einem Überfall der Soldaten. Die Blauhosen wurden von einem Abtrünnigen meines Stammes geführt. Du kennst seinen Namen. Er ist Nepatana, und die Gedanken des Träumers sind bei allen Stämmen bekannt.« »Also doch«, entfuhr es Haggerty. »Mein Bruder hat besser und genauer gedacht als ich.« Gelber Adler begriff nicht, und Cochise erklärte mit wenigen Worten seine Vermutung, die nun zur Tatsache geworden war. »Nepatana wird sterben«, versprach der Chief der Pinalenos grimmig. »Er ist ein Verräter und dem Gesetz des Stammes verfallen.« Cochise hob die Linke und erklärte: »Der Falke und ich 85
reiten zu den Blauhosen im Fort. Wir werden herausfinden, was eigentlich geschieht. Später kehren wir zurück. Wir helfen dir, daß der Träumer gefaßt und bestraft wird. Das Gesetz der Apachen ist richtig und gut für uns. Und kein weißer Mann wird Gewalt über den Verräter bekommen.« Gelber Adler war zufrieden. Seine Macht, seine Ehre wurde durch den großen Chief der Chiricahuas nicht angetastet. * Weder Cochise noch die Pinalenos ahnten, daß sie von dem Mann beobachtet wurden, den sie jagten. Nepatana hatte seinen Mustang weit zurückgelassen, als er die Rotte Krieger unter Führung des Gelben Adlers entdeckte. Nur mit den Waffen der Apachen versehen, war der Träumer zu Fuß aufgebrochen. Im Wolfstrab hatte er die Ausläufer der Berge durchquert, und nur die Tiere hatten ihn gesehen. Nepatana lag unter dem Wurzelballen einer halb umgestürzten Pinie. Die Deckung war hervorragend, denn ein Berg abgefallener brauner Nadeln verbarg den Scout, der im Sold der Weißen stand. Der Träumer verstand jedes Wort, das die Männer wechselten. Und er zog seine Schlüsse daraus, wußte, daß er kaum Zeit hatte. Trotzdem wartete er lange. Die Pinalenos verschwanden wie Schatten. Es schien, als ob sie sich der Umgebung anpaßten, mit ihr förmlich verschmolzen. Cochise und Haggerty gerieten außer Sicht. Da erst kroch Nepatana aus seinem Versteck und starrte blicklos in die weite Ebene hinab. Sekunden nur trauerte der Verräter seinem Traum nach, der ihm – seiner Meinung nach – direkt von Usen geschickt worden war. Nepatana wußte, daß er nur eine Möglichkeit besaß: er mußte völlig zu den Bleichgesichtern überlaufen. Und das bedeutete, daß er vor Cochise und dem Weißen in 86
Fort Grant ankommen mußte. Nepatana war nicht schlaff geworden in den Jahren, in denen er die Farm bewirtschaftete. Noch immer waren seine Muskeln geschmeidig, und das zähe Durchhalten der Apachen war seine Natur. So rannte er unter Einsatz seiner ganzen Kraft zu den Bergen zurück. Das Pony graste auf der Lichtung zwischen den Kiefern. Mit einem Sprung gelangte der Träumer auf den Rücken des Tieres, hieb ihm die Fersen in die Weichen und packte den Graszügel fester. Der Mustang stürmte los, als wollte er ein Rennen gewinnen. Sicher galoppierte er über die schmalen Felsenwege, sprang über Schluchten, Abgründe und durchquerte eiskalte Creeks, die aus den Pinaleno Mountains rannen. Es war, als ob der Gedanke an die letzte große Tat den Träumer beflügelte. Denn er wollte nicht einfach hinnehmen, daß er gescheitert war. Den großen Plan, die Vernichtung aller kämpferischen Apachen, konnte Nepatana nicht mehr weiterführen. Das war ihm klar. Aber ihm blieb noch die Rache an seinem Stamm. Die Vergeltung gegenüber jenen Kriegern, die ihn verlacht hatten, als er vor langen Jahren zum erstenmal von seinem Traum gesprochen hatte. Und das Werkzeug dieser Vergeltung würde die Strafschwadron unter Captain Hagman sein. Es dunkelte bereits, als der Träumer in der Ferne die Palisaden des Forts sah. Lange Zeit verharrte Nepatana in der Deckung einiger Hügel und beobachtete das Fort. Er wollte die Dunkelheit abwarten, ehe er die letzten achthundert Yards zurücklegte. Niemand sollte sehen, daß der Träumer zu den Blauhosen ritt. Denn wurden die Pinalenos gewarnt, konnten sie ihre Fallen aufstellen, und Nepatanas Rache blieb unvollendet. Der Apache hockte zusammengesunken auf seinem Pony. Im 87
Trab hielt das Tier auf das mächtige Balkentor zu. Die Posten waren aufmerksam. Nepatana hörte ihre Stimmen. Ein Wächter rief nach dem Sergeanten. »Was willst du, Mann? Wer bist du?« fragte eine irisch gefärbte Stimme. »Ich bin Scout Nepatana«, erwiderte der Träumer. »Ich muß zu Captain Hagman. Es ist wichtig.« Sekundenlang blieb es still. »Miller, mit einem Halbzug hinter das Tor«, befahl der Unteroffizier. »Die Waffen schußbereit halten. Wenn das ein Trick ist, feuert ihr ohne Befehl, klar?« Stiefel trampelten über die Planken des Laufganges. Gewehrschlösser rasselten metallisch. Und dann schwangen die Flügel des Tores gerade so weit zurück, daß ein Reiter durch die Öffnung auf den Appellplatz gelangen konnte. Nepatana ließ sein Pony im Schritt gehen. Deutlich sichtbar hielt er die Zügel mit beiden Händen hoch. Keiner der Blauröcke sollten annehmen, daß der Krieger eine List versuchte. »Tor schließen«, rief der Sergeant. »Sicherungsbalken vorlegen.« Der Träumer zupfte am Zügel. Willig marschierte der Mustang nach links, auf die Unterkünfte der Offiziere zu. »Halt, Scout!« befahl der Anführer des Halbzuges. »Zuerst will ich deine Medaille sehen. Oder hältst du uns für komplette Narren?« Nepatana zügelte sein Tier und fingerte das Metallstück aus seinem Lederhemd und reichte es dem Soldaten. »In Ordnung«, sagte der Mann. »Zwei meiner Leute begleiten dich bis zu Captain Hagmans Unterkunft.« Die Soldaten marschierten vor dem Träumer her, klopften an eine Tür und warteten, bis der Captain öffnete. »Nepatana«, sagte Hagman erstaunt, »was führt dich zu mir? Komm rein, berichte.« 88
Die beiden Soldaten vollführten eine exakte Kehrtwendung, nachdem sie salutiert hatten, und stampften davon. Der Pinaleno glitt vom Pferd und verschwand mit Hagman in dessen Räume. »Was ist geschehen?« fragte der Captain ahnungsvoll. Er war schon den ganzen Nachmittag unruhig gewesen, hatte gespürt, gewittert, daß etwas schiefgegangen war. Und jetzt tauchte der Träumer im Fort auf. »Cochise reitet durch die Berge«, sagte Nepatana schwer. »Er wird herkommen und mit deinem Chief reden, Kapitän. Der große Jefe hat Haggerty befreit. Mein eigenes Volk jagt mich inzwischen. Unser Plan ist gescheitert, Joshua Hagman.« Der Captain preßte die Lippen zusammen, daß sie wie zwei blasse Striche wirkten. Damit hatte er nicht gerechnet. Warum zum Teufel mußte sich Cochise gerade jetzt hier im Norden herumtreiben? »Noch ist nicht alles verloren«, murmelte der Apache, und seine dunklen Augen funkelten im Schein der Kerosinlampe. »Sprich«, forderte Hagman ihn scharf auf. »Ein einziger Erfolg bringt uns vielleicht doch noch weiter.« »Mein Volk jagt mich«, sagte der Träumer. »Laß deine Soldaten sofort reiten. Ich habe dir gemeldet, daß die Pinalenos auf dem Kriegspfad sind. Du willst sie vernichten.« Hagman grinste wölfisch und fuhr selbst fort: »Und in Wirklichkeit beschäftigen wir uns mit Cochise und Haggerty. Sind die beiden erst mal tot, sieht's für uns wieder besser aus. Denn deine Leute, Jack, werden sich bestimmt nicht hier beschweren.« Nepatana nickte zufrieden. Hagman hatte sofort begriffen. Nun kam es darauf an, daß die Schwadron schnellstens das Fort verließ. Der Captain rannte zur Tür, riß sie auf und stürmte zu den Unterkünften der Strafschwadron. »Sergeant, Alarm«, brüllte Hagman. »Wir rücken sofort aus. 89
Mein Scout bringt mir gerade die Nachricht, daß die Pinalenos auf dem Kriegspfad sind. Sie wollen in die San Carlos Reservation einfallen und gegen die Mimbrenjos vorgehen.« Innerhalb einer Minute wirbelte in den Bretterbaracken alles durcheinander. Es dauerte nicht lange, bis die Soldaten antraten. Hagman scheuchte sie zu den Stallungen, und nach insgesamt fünfzehn Minuten stand die Strafschwadron abmarschbereit. Colonel Kilgore trat aus der Kommandantur, ging auf Hagman zu und fragte scharf: »Captain, was hat das zu bedeuten? Können Sie mir keine Meldung machen, ehe Sie den Befehl zum Aufbruch geben? Ich denke, noch bin ich der Kommandant dieses Forts.« Hagman entschuldigte sich wortreich und sagte: »Sir, ich wollte erst die Schwadron in den Sätteln haben. Die Pinalenos sind auf einem Kriegspfad gegen die Mimbrenjos. Wir müssen sie aufhalten, bevor sie die San Carlos Reservation erreichen. Sonst bricht die Hölle aus. Denn Victorio wird sich grausam wehren.« »Reiten Sie«, erwiderte Kilgore und drehte sich um, ging in die Kommandantur zurück. Er fühlte, daß irgendwas nicht stimmte. Er hatte jedoch keine Möglichkeit, Hagmans Angaben jetzt nachzuprüfen. Besorgt horchte der Colonel auf den Hufschlag der Pferde, als die Strafschwadron das Fort verließ. * Nepatana ritt an der Spitze. Er führte die Blauhosen zu seiner Farm. Natürlich war ihm klar, daß die mehr als hundert Reiter nicht unbemerkt das Land durchqueren konnten. Irgendwo lagerten die Späher der Pinalenos. Sollten sie doch. Sie mußten erst ihrem Chief und Cochise melden, was sie gesehen hatten. Die Zeit reichte aus, um in die 90
Berge einzudringen und das Dorf zu vernichten. Aber zuerst wollte Hagman die fünf Männer holen, die er auf Nepatanas Farm zurückgelassen hatte. Die Schwadron mußte jetzt zusammenbleiben. Außerdem nutzten die Soldaten im Blockhaus des Indianers nichts mehr. Sie gerieten höchstens in Gefahr, von Pinalenos umgebracht zu werden. Der Captain spielte eine Weile mit diesem Gedanken. Eigentlich war es doch gar nicht so schlecht, wenn die Apachen ein paar Soldaten töteten. Das gab seiner Aktion doch erst die richtige Farbe. Hagman kam von dieser Überlegung wieder ab. Solange Cochise und Haggerty frei waren, mußte er alles daransetzen, diese beiden Männer auszuschalten. Sie würden die Wahrheit herausfinden, und dann war die Karriere des Captains schlagartig zu Ende. Nepatana trieb sein Pony an. Der Apache wollte so weit von der Schwadron wegreiten, daß ihn die Geräusche nicht mehr störten. Die Bleichgesichter umgaben sich mit Metallteilen, knarrendem Lederzeug und hatten die Tiere selbst nicht in der Gewalt. Obwohl die Soldaten der Meinung waren, daß sie sich fast lautlos weiterbewegten, klang es für einen Apachen so, als rattere eine Maschine durch die Halbwüste. Der Träumer verhielt sein Tier zwischen einigen grasbewachsenen Hügeln, und lauschte angespannt. Er spürte, daß die Späher seines Stammes unterwegs waren, daß sie die Blauhosen beobachteten, aber er vermochte nicht festzustellen, wo sich die Pinaleno-Krieger verbargen. Es war gleichgültig, entschied Nepatana. Sobald das Dorf des Stammes brannte, die Pferde getötet und Frauen und Kinder niedergemacht worden waren, würden sich die Krieger schon stellen. Und vielleicht gelang es, Cochise und Haggerty in dem Kampfgetümmel ebenfalls zu töten. Nepatana spürte nicht, daß sich sein Geist verwirrte. Er 91
dachte nicht mehr an den Traum, an sein Ziel. Er brannte vor Rache, denn dies war das einzige, das er noch erreichen konnte. Lange dauerte es nicht mehr, bis die Schwadron seine Farm erreichte. Die fünf Soldaten schlossen sich dann an, und er würde Hagman vorschlagen, nach Norden vorzustoßen und aus Richtung Winter in die Pinalenos einzudringen. Denn das erwartete der Stamm sicherlich am wenigsten, einen Überfall von Norden. Natürlich galt es vorher, die meisten Späher des Gelben Adlers zu töten. Nepatana starrte mit ausdruckslosem Gesicht in die Dunkelheit. Die Sterne schimmerten silbrig und kalt am Himmel. Im Herzen des Träumers aber loderte ein Feuer, dessen Gluthauch jede normale Regung verschlang. Er trieb seinen Mustang an, jagte zurück zur Truppe und meldete Joshua Hagman: »Sie beobachten uns, aber sie werden nicht angreifen, Captain.« Hagman war zufrieden. Er lauschte dem Vorschlag des Scouts, den Stamm von Norden anzugreifen, nachdem die Schwadron die Berge umgangen hatte. Der Offizier war beeindruckt. Dieser Apache hätte ein guter Heerführer werden können. Denn diese Überlegung, diese Taktik würde die Späher in Sicherheit wiegen. Sie mußten annehmen, daß die Blauhosen in die San Carlos Reservation zogen. Der plötzliche Schwenk nach Süden und der schnelle Vorstoß in die Pinaleno Mountains würde die Krieger überraschen. Wenn dazu Nepatana noch die Späher des Stammes abfing und tötete, mußte der Schachzug erfolgreich sein. Die Gebäude der Farm waren nicht mehr weit entfernt. Nirgendwo schimmerte Licht. Hagman war zufrieden. Seine Männer lagen auf der Lauer. Auf seinen Befehl hin ließen die Soldaten die Pferde traben. Das Sattelzeug jankte, und die Gewehre klirrten gegen eiserne 92
Ringe und Haken. »Sanders, Miller«, rief der Offizier, als er nur noch ein halbes Dutzend Pferdelängen vom Haus entfernt war. »Ich bin's, Captain Hagman. Machen Sie sich zum Abritt fertig.« Die Tür schwang zurück. Zwei Männer traten auf die Veranda. Hagman erkannte keinen der beiden. Das Sternenlicht war zu schwach. »Meldung«, forderte Hagman. »Wo sind die anderen?« »Sir, Reiter Jones und Reiter Bolton«, sagte einer der beiden. »Sanders war nach Eureka Springs geritten. Als er nicht zurückkam, ritten Miller, Archer und Nash ihm nach. Aber auch sie sind seit heute morgen überfällig.« Der Captain saß reglos im Sattel. Was bedeutete das? Nepatana hatte gemeldet, daß Haggerty frei war. Er und Cochise mußten über die Vorgänge in der Stadt etwas erfahren haben. Woher sollte Hagman auch wissen, daß John Haggerty zuerst allein nach Norden geritten war, daß der große Jefe ihm einen Späher der Chiricahuas auf die Fährte gesetzt hatte, weil er sich Sorgen um den Falken machte? »Wir reiten nach Eureka Springs«, befahl der Captain. »Zuerst muß ich wissen, ob wir den Rücken frei haben. Anschließend umgehen wir die Berge und greifen die PinalenoApachen an.« Minuten später jagten die Soldaten nach Westen. Weder sie noch Nepatana sahen, daß sich drei Krieger aus der Vorratsscheune stahlen. Wie Schatten huschten die Apachen geduckt davon, rannten im Wolfstrab in das Maisfeld des abtrünnigen Stammesgenossen. und schwangen sich auf die Ponys, die zwischen den hohen Stauden gestanden hatten. Im Galopp jagten die Reiter auf die Berge zu. Dort warteten Gelber Adler, Cochise und der Falke auf die Nachricht der Späher. Es dauerte nicht lange, bis die Krieger das Versteck 93
erreichten. Sie sprangen von den Pferden, liefen in die Senke, in der die Führer lagerten und berichteten. Gelber Adler stand auf, als seine Krieger alles erzählt hatten. »Der Große Geist ist mit uns«, rief der Häuptling der Pinalenos zufrieden. »Wir werden die Pferdesoldaten vernichten und große Beute machen. In unseren Jacales werden die Skalps der Blauhosen trocknen, und noch in hundert Wintern erzählen die Alten von den Taten unserer Krieger.« Haggerty stand auf, trat zu Cochise, der mit vor der Brust verschränkten Armen an einem Felsen lehnte. »Bruder, das darf ich nicht zulassen«, murmelte John. »Sicher, es ist eine Strafschwadron. Und ihr Anführer heckte einen hinterhältigen Plan aus. Aber Gelber Adler wird vernichtet, wenn er angreift. Wenn nicht von diesen Soldaten, dann von anderen. Warne ihn, Cochise!« Der Chief trat vor, hob beide Hände und sagte laut: »Meine Brüder, hört mich an. Es ist richtig, daß wir uns wehren, greifen uns die Bleichgesichter an. Aber ich habe Frieden geschworen, und jeder Apache weiß das. Wollt ihr jetzt Cochises Wort brechen? Zieht nach Süden, geht zu den Gelbhäutigen, die unsere alten Feinde sind. Ich sage euch, was geschieht. Mit Usens Wille werdet ihr die Pferdesoldaten vernichten. Doch in zwei oder drei Sonnen kommen die anderen Blauhosen mit ihren Kanonen und den Gewehren, die ohne Pause feuern. Sie durchkämmen die Berge, töten Frauen und Kinder und junge Männer, die an der Schwelle zum Krieger stehen. Und dann sind die Apachen wieder einmal geschwächt.« Der Häuptling machte eine Pause und lauschte. Die Pinalenos schwiegen. Cochise verspürte keine Feindschaft, die von den Kriegern ausging. Natürlich wollten sie Beute machen und Skalps nehmen. Aber in dieser Lage war ein solches Vorhaben zu gefährlich. »Es ist wichtig, daß unsere starken Krieger überleben«, rief 94
der oberste Führer der Stämme. »Es ist wichtig, daß in hundert Wintern noch immer Apachen hier leben. Und ein sinnloser Kampf tötet unser ganzes Volk. Ich will, daß meine Kinder leben. Geht es nicht darum, einen Verräter nach den Gesetzen des Stammes zu bestrafen? Reitet ihr nicht aus diesem Grund, meine Brüder? So beschränkt euch darauf und führt das Leben, wie wir es seit ungezählten Wintern führen. Ich habe gesprochen.« Gelber Adler lachte kaum hörbar. Der große Jefe hatte sehr geschickt gesprochen. Er bewahrte die Pinalenos vor Verlusten und wies sie an, nach der Art ihrer Väter zu leben. Das hieß, listig und trickreich gegen alle Eindringlinge zu kämpfen, Beute zu machen, Skalps zu nehmen, wo es nur ging. John Haggerty preßte die Lippen zusammen. Auch der Scout verstand Cochises Absicht genau. Aber vielleicht gab es wirklich keine andere Möglichkeit, die kriegerischen PinalenoApachen vor dem Überfall auf die Strafschwadron abzuhalten. »Mein Bruder«, sagte der Jefe, »wir trennen uns hier. Ich ziehe mit Gelber Adler und seinen tapferen Kämpfern hinter den Soldaten her. Du mußt nach Fort Grant reiten und den Vater der Pferdesoldaten holen. Es ist besser, wenn sich die Blauhosen gegenseitig bekämpfen, als daß Apachen töten.« Gelber Adler lachte laut auf. Diese List gefiel ihm ausnehmend gut. Haggerty grinste. Cochise war ein gerissener Fuchs. Wehrten sich die Männer der Strafschwadron, so mußten die anderen Soldaten auf sie schießen. Und die Apachen brauchten nur zuzusehen, wie sich ihre Feinde gegenseitig niedermachten. »Ich reite sofort los«, sagte John und lief zu seinem Rappen. Mit einem Satz gelangte der ehemalige Chiefscout in den Sattel. Er jagte los, nach Südosten, in Richtung Fort Grant. Cochise und Gelber Adler würden die Pinaleno-Apachen nach Eureka Springs führen. Haggerty machte sich mächtige Sorgen um Tla-ina, Larry Osborne und auch Lily. Wenn der 95
Kommandant der Schwadron verrückt genug war, konnte er die drei als Druckmittel benutzen. Und Cochise würde nicht mal auf seine Schwester Rücksicht nehmen, wenn es galt, die Ruhe herzustellen. Die Hufe des Rappen hämmerten über den Boden. Wie eine Maschine jagte das Pferd in gleichmäßigem Galopp voran. Ein Blick zu den Sternen sagte John, daß in etwa drei Stunden die Morgendämmerung über den Horizont kriechen würde. Hoffentlich war der Kommandant des Forts kein Sturkopf! Sonst würde Gelber Adler doch noch mit seinen Kriegern die Strafschwadron angreifen. Wie ein dunkler Klumpen wirkten die Palisaden und die Wachtürme des Forts gegen den helleren Sternenhimmel. Haggerty ritt auf das Tor zu. »Halt! Parole!« brüllte ein Posten, und John hörte das metallische Knacken von Gewehrhähnen. »Ich muß zu Colonel Kilgore«, erwiderte Haggerty. »Ich bin John Haggerty. Ich komme im Auftrag von General Howard. Öffnen Sie, Soldat!« John verwünschte den Kerl auf dem Laufgang, denn er ließ sich eine Menge Zeit. Endlich schwangen die Torflügel zurück, gaben so viel Raum frei, daß der Rappe gerade hindurchpaßte. »Absitzen!« befahl ein Mann, »legen Sie die Waffen ab und kommen Sie mit zur Kommandantur. Der diensthabende Offizier wird sich mit Ihnen beschäftigen.« Haggerty holte tief Luft und brüllte plötzlich los: »Sind Sie verrückt, Mann? Ich will sofort zu Kilgore. Und Sie sorgen dafür, daß in spätestens zehn Minuten Alarm gegeben werden kann. Die gesamte Besatzung wird aufbrechen.« Haggerty war früher schon in Fort Grant gewesen. Er trieb den Rappen an, auf das Gebäude zu, in dem der Colonel residierte. »Stehenbleiben, oder ich schieße Sie aus dem Sattel!« brüllte der Mann hinter John. 96
»Sie sind ein Narr«, erwiderte Haggerty. »Kerle wie Sie sollte man in West Point zum Säubern der Latrinen einsetzen. Im Indianerland haben Sie nichts zu suchen, Sie Paragraphenreiter!« Die Tür der Kommandantur flog auf. Im Lichtviereck stand Colonel Kilgore. Hinter ihm sah John einen jungen Lieutenant, den er nicht kannte. »Erledigt, Redford«, sagte der Colonel scharf. »Kommen Sie rein, Haggerty. Wie sind Sie der Falle entkommen?« John atmete auf. Der Colonel schien also zumindest etwas zu wissen, und Haggerty brauchte nicht alles zu erzählen. Etwa zehn Minuten später fluchte Kilgore schauderhaft und ließ Alarm geben. Innerhalb einer Viertelstunde waren anderthalb Schwadronen angetreten. Kilgore baute sich auf der Veranda der Kommandantur auf und rief: »Soldaten, wir haben eine üble Aufgabe. Die Strafschwadron unter Führung von Captain Hagman hat versucht, einen Krieg anzuzetteln. Die Pinaleno-Apachen sind schon unterwegs. Es wird ein fürchterliches Gemetzel geben, wenn wir nicht für Ruhe und Ordnung sorgen. Trompeter, Signal zum Abmarsch! Wir reiten nach Westen, nach Eureka Springs.« Haggerty und Lieutenant Brent, der sich nicht länger als Korporal ausgab, übernahmen die Spitze der langen Reihe von Reitern. Und Brent berichtete, daß er als Beobachter im Auftrag des Oberkommandos hier war. General Sherman hielt den Versuch mit der Strafschwadron im Apachenland für lohnenswert. »Nicht einmal General Howard weiß, daß diese Männer Verurteilte sind«, sagte Brent. »Er hat sich nur gefreut, daß er endlich von Sherman wenigstens eine Schwadron mehr bekam.« Haggerty schwieg lange, aber dann erwiderte er: »Sherman mag vielleicht ein hervorragender Offizier sein. Meiner 97
Meinung nach ist sein Indianerhaß aber noch größer als seine militärischen Fähigkeiten. Es ist Irrsinn, so etwas zu versuchen.« * Das Hügelland im Osten der Stadt bot den Soldaten ausreichend Deckung. Hagman selbst führte eine Patrouille an. Nepatana ritt voraus. Zwischen einigen halbhohen Speerdornsträuchern verhielt er sein Pony und sagte zu dem Captain: »Warte hier, Soldat. Ich spähe. Ich komme bald zurück.« Der Pinaleno glitt vom Pferd und schien mit dem Boden zu verschmelzen. Nach zwei Sekunden konnte Hagman den Indianer nicht mehr sehen. Der Offizier hob das Fernglas vor die Augen, stellte es scharf ein und suchte langsam die Häuser ab. Endlich erschien ein Blockhaus in der Optik, das ziemlich abseits stand. Bis zu den nächsten Gebäuden lagen mehr als hundert Yard freies Gelände zwischen den Häusern. Hagman fühlte, daß in dieser Hütte etwas vorging, das mit ihm zu tun hatte. Aufmerksam beobachtete er das vordere Fenster. Er entdeckte ein Gesicht. Ein Indianer steckte im Blockhaus! Hagman holte tief Luft. Plötzlich hatte er das Gefühl, in eine riesige Falle zu laufen. Er wußte noch nicht, wie recht er mit diesem Eindruck hatte. Der Indianer bewegte sich zur Seite. Das war ja eine Frau. Eine Squaw. Widerwillig gestand sich der Offizier ein, daß diese Rothaut selbst nach den Begriffen der Weißen eine Schönheit war. Nun sah er einen Mann, einen jungen Burschen, dessen Gesicht hart wirkte. Ein Kämpfer vielleicht? Das mußte die Hütte des Freudenmädchens sein, dachte Hagman, die Behausung dieser Lily, die Sanders geholfen 98
hatte. Wer war die Squaw? Welcher Weiße hatte sich dort einquartiert? Für den Bruchteil einer Sekunde entdeckte der Captain in der Optik Nepatana. Er wieselte von dem kleinen Stall zum Haus hinüber und preßte sich an die Seitenwand. Aufatmend setzte Hagman das Glas ab. Der Apache würde schon herausfinden, wer im Blockhaus hockte. Vielleicht nutzten ihm die drei Menschen sogar etwas, wenn er sie geschickt in seine Pläne einbaute. Scheinbar endlos dehnten sich die Minuten. Immer wieder spähte der Offizier zur Hütte hinüber. Plötzlich richtete sich Neptana zwei Schritte neben ihm auf, als würde er aus dem Boden wachsen. »Was hast du erfahren?« fragte Hagman mühsam beherrscht. »Wer ist die Squaw?« Der Pinaleno lächelte grausam und erwiderte: »Captain, vielleicht haben wir doch noch nicht verloren. Die Squaw ist Tla-ina. Das heißt in deiner Sprache Sanfter Wind. Und sie ist Cochises Schwester.« Hagman atmete tief durch. Unglaubliche Erleichterung wallte in ihm auf. Cochises Schwester. Mit ihr als Druckmittel konnte er die Apachen in die Knie zwingen. »Der Mann, wer ist das?« fragte der Captain. »Die weiße Frau ist Lily«, fuhr Neptana fort. »Und der Weiße Larry Osborne. Er ist ein Wächterreiter der Postlinie. Was unternimmst du, Captain Hagman?« Er lachte grimmig auf und rief: »Wir holen uns die drei. Was denn sonst? Cochise wird seine Schwester nicht gefährden. Wenn er die Pinalenos anführt, muß er zurückweichen. Jack, wir werden Glück haben. Die Kämpfer deines Stammes sterben. Ich fühle das ganz sicher.« Der Captain gab seine Befehle. Sofort ritten vier Soldatengruppen an. Sie trennten sich nach wenigen Yards, schwenkten ein und umzingelten das kleine Blockhaus. Die 99
fünfte Abteilung bildete eine Sperre gegen die eigentliche Stadt. Aber dort ließ sich kein Bürger sehen. Vier Männer ritten offen vor die Hütte. »Rauskommen!« brüllte einer der Soldaten. »Hände über die Köpfe und nacheinander rauskommen!« Nichts rührte sich. Der Kavallerist zog den Revolver und feuerte auf das Fenster. Die Glasscheibe zersplitterte in tausend Stücke. Im Haus wummerte ein Colt. Der Soldat brüllte auf, wurde vom Einschlag der Kugel rücklings aus dem Sattel geworfen und rappelte sich mühsam wieder hoch. Seine rechte Schulter war rot vor Blut. »Das werdet ihr bereuen«, rief einer der anderen. Sie hielten die Gewehre schußbereit. »Wieso?« fragte Larry Osborne. »Ihr marschiert hier auf, bedroht uns, jagt 'ne Kugel durchs Fenster und benehmt euch wie Strauchdiebe. Was sollte uns denn passieren?« »Wir wissen, daß sich eine Apachenrebellin hier versteckt«, behauptete einer der Kavalleristen. »Und wenn ihr euch mit den roten Stinkern so gut versteht, habt ihr auch Dreck am Stecken. Entweder kommt ihr jetzt freiwillig raus, oder wir zünden euch das Dach über dem Kopf an.« Larry beriet sich mit den beiden Frauen. Lily wollte natürlich ihr Blockhaus nicht zerstören lassen. Und auch Tla-ina wußte, daß sie sich nicht lange gegen eine ganze Schwadron Soldaten verteidigen konnten. »Also gut«, rief Osborne. »Wir kommen raus. Aber eine Minute später will ich euren Kommandeur vor mir sehen.« »Keine Sorge, der kommt schon«, erwiderte der Soldat grinsend. Wachsam belauerten die Uniformierten die Tür. Als erste trat Lily ins Freie, ging ein paar Schritte zur Seite und machte Tlaina Platz. »Da ist ja die verdammte Rothaut«, grölte einer der Reiter. 100
»Am besten hängen wir sie direkt an, den nächsten Ast.« Larry Osborne glitt mit geschmeidigen Schritten aus der Hütte. Die Soldaten schwiegen und musterten den gefährlich wirkenden Kämpfer aus zusammengekniffenen Augen. Joshua Hagman trieb sein Pferd an. Eine Länge vor seinen Gefangenen verhielt der Captain das Tier und blickte die beiden Frauen und Larry verächtlich an. »So sieht also ein Mann aus, der mit den Rothäuten gemeinsame Sache macht«, sagte Hagman. »Ein Verräter an unserer Rasse.« Larry lachte belustigt und erwiderte: »So sieht also ein kompletter Narr aus, der einen Krieg anzetteln will.« Der Captain beherrschte sich nur mühsam. Am liebsten hätte er diesen überheblichen jungen Kerl einfach niedergeknallt. Aber es gab noch eine andere Möglichkeiten! »Slicker, Potts, Culbert«, rief Hagman. »Entwaffnet den Kerl. Wir übergeben ihn bei nächster Gelegenheit einem Richter.« Larry spürte eine dumpfe Vorahnung kommenden Unheils, besaß aber nicht die Spur einer Chance. Denn mehr als ein halbes Dutzend Mündungen waren auf seinen Oberkörper gerichtet. Die drei Soldaten saßen ab, stiefelten um ihn herum und zogen den Colt aus dem Halfter. Zwei rissen Larrys Arme hart nach hinten und fesselten die Handgelenke. Auf einen Wink des Captains hin bauten sich zwei weitere Uniformierte neben Osborne auf. »Wo ist Haggerty?« fragte Hagman. »Wo treibt sich Cochise herum? Raus mit der Sprache, Mister.« »Was denn?« fragte Larry spöttisch. »Wollen Sie mich etwa durchprügeln lassen, wenn ich schweige? Und so ein Schwein durfte Offizier werden!« Joshua Hagman grinste höhnisch. »Schnappt euch die Weiber«, befahl er. »Zieht ihnen die 101
Sachen aus, aber schön langsam. Und dann soll einer der Männer, der mit 'ner Peitsche umgehen kann, anfangen.« Osborne wurde kreidebleich. Nein, das durfte nicht geschehen! Die drei Kerle marschierten grinsend auf die Frauen zu. Stolz, unbewegten Gesichtes stand die Indianerin neben der Weißen. Lily konnte ihre Furcht nicht unterdrücken. Sie zitterte am ganzen Körper. Die Apachin legte der Weißen den Arm um die Schultern und sprach leise auf sie ein. »Los, fangt schon an«, rief Hagman. »Wie ist es, Mister, willst du nicht doch reden?« Aber Osborne grub die Zähne in die Unterlippe und schwieg. Als die drei Kerle die Hände ausstreckten, grinsend nach der Kleidung der Frauen faßten, geschah es. Der vierte Mann, der mit einer Peitsche in der Rechten heran stiefelte, hob den Riemen, ließ ihn durch die Luft sausen und scharf knallen. In diesen Knall mischte sich das Krachen einer Winchester. Der Kerl mit der Peitsche stand reglos. Zwischen seinen Augen war plötzlich ein häßliches Loch zu sehen. Und dann kippte der Bursche langsam nach vorne. Etwas schwirrte durch die Luft, sauste mit zischendem Geräusch heran, und drei dumpfe Schläge klangen auf. Die drei Soldaten vor den Frauen brachen zusammen. Jeder hatte einen gefiederten Pfeil genau ins Herz bekommen. »Apachen!« gellte eine Stimme auf. »Die Roten greifen an! In Deckung, Männer, ehe sie uns das Fell abziehen!« Hagman behielt die Nerven. Er hieb seinem Pferd die Absätze in die Weichen. Es sprang aus dem Stand wie eine Katze vor, rammte mit der Brust die Frauen, die zu Boden taumelten. »Schnappt sie euch!« brüllte Hagman. »Haltet sie vor euch!« Er ritt ein paar Schritte zur Seite, blickte forschend in das Hügelland, entdeckte jedoch keinen einzigen Krieger. 102
»Hört zu!« brüllte der Captain. »Die Squaw ist Cochises Schwester. Sie stirbt, wenn ihr weiterhin angreift. Was der Häuptling später mit euch anstellt, weiß ich nicht. Überlegt euch die Sache gut!« Hagman zog den Spencer-Karabiner aus der Sattelschlinge und lud durch. Nun stand die Partie ausgeglichen, dachte der Captain. Aber er kannte eben die Apachen noch nicht gut genug. * Cochise saß auf seinem Pinto und blickte mit steinernem Gesicht zu den Gefangenen hinüber. Gelber Adler befahl seinen Kriegern, vorläufig nicht mehr zu feuern. »Jefe«, sagte der Pinaleno, »wie lange willst du warten, bis wir die Blaujacken töten?« Für ihn war klar, daß Cochise weder seine Schwester noch die beiden Weißen schonte. Apachen ließen sich nicht auf diese Art zurückdrängen. Für jeden Menschen kam eines Tages der Tod. Und es war wichtig, daß ein Krieger im Kampf starb, seine Ehre nicht verlor. Auch Cochise wollte weiter angreifen, dachte jedoch an eine List. Es war sinnlos, und gefährlich, die Pferdesoldaten der Reihe nach niederzumachen. Vielleicht gab es doch eine Möglichkeit, Tla-ina, Larry Osborne und der weißen Squaw zu helfen, sie zu retten. »Höre, Gelber Adler«, sagte der Jefe bedächtig. »Vielleicht weißt du, daß Tla-ina und Falke ein Jacale bauen möchten.« Der Pinaleno verzog das Gesicht zu einer Grimasse und murmelte: »Ich habe davon gehört. Aber es geht nicht, Cochise.« »Ich möchte nicht, daß der Falke meine Schwester tot findet, wenn er hier eintrifft«, fuhr Cochise fort. »Ich möchte nicht, daß die anderen Pferdesoldaten auf deine Krieger feuern, wenn 103
sie erscheinen. Denn das müssen sie, wie du weißt. Schick zwei Späher los. Sie sollen in Richtung Sonnenaufgang reiten und nach den Soldaten Ausschau halten.« Gelber Adler nickte und gab seinen Befehl. Der kriegerische Chief der Pinaleno-Apachen wußte, daß Cochise recht hatte. Und es war auch richtig, daß sich die Blaujacken untereinander bekämpften. »Na, was habt ihr euch überlegt?« rief Hagman höhnisch. »Verschwindet, gebt auf, aber vorher will ich Cochise hier sehen. Ich wette, daß er bei euch ist. Los, zeig dich, großer Häuptling. Schau dir deine Schwester noch einmal an. Sobald ihr angreift, ist sie tot!« Der Jefe preßte dem Schecken die Absätze in die Flanken. »Zwei Adlerschreie, wenn die Blauhosen in der Nähe sind«, sagte der Anführer der Pinalenos schnell, und Cochise nickte nur. Im Schritt marschierte der Pinto aus der Deckung heraus. Innerhalb Gewehrschußweite verhielt der Jefe seinen Mustang und blickte zu den Soldaten hinüber. »Da ist er ja«, brüllte Hagman. »Na, wie hast du dich entschieden?« »Kämpfe, mein Bruder!« rief Tla-ina. »Töte diese Bleichgesichter. Sie müssen sterben. Unser Leben ist gleichgültig. Töte sie, Bruder!« Cochise lächelte ein wenig, als auch Osborne schrie: »Los, macht sie nieder. Das sind keine Soldaten, das ist Abschaum, Jefe. Diese Kerle geben niemals Ruhe in diesem Land!« Da! Zwei durchdringende Adlerschreie klangen auf! Der Falke kam mit der übrigen Truppe. Cochise brauchte nicht zu entscheiden. Und er war dankbar dafür. * Captain Hagman schien zu wittern, daß sich etwas veränderte. 104
Er ließ sein Pferd tänzeln, gab eine Reihe von Befehlen, und zwei Dutzend seiner Soldaten trieben ihre Tiere an, galoppierten zwischen die Hügel, um Ausschau zu halten. Es dauerte nur Sekunden, bis einer der Kavalleristen heranpreschte, das Pferd hart vor dem Captain zügelte und meldete: »Sir, anderthalb Schwadronen sind im Anmarsch.« Cochise legte den Kopf in den Nacken und rief dreimal wie ein Jagdfalke. Haggerty mußte dieses Zeichen hören und wissen, daß größte Gefahr bestand. Kurz nach dem dritten Falkenschrei schmetterte eine Trompete das Angriffssignal der Kavallerie. Pferdehufe dröhnten plötzlich auf, trommelten über den Boden, und eine gewaltige Staubwolke wirbelte zwischen den Hügeln hoch. »Einen Kessel bilden!« brüllte Hagman. »Um die Gefangenen herum. Eine Abteilung auf die Stadt zu. Ihr fallt den Angreifern in die Flanke. Eine zweite Abteilung nach Süden, los, schnell, wenn wir eine Chance haben wollen!« Fassungslos sah der Captain, daß die Soldaten nur zögernd gehorchten. Was war mit den Kerlen auf einmal los? Sie mußten doch wissen, daß es keine andere Möglichkeit mehr gab, als die Truppen aus Fort Grant niederzukämpfen. Sie alle waren doch verurteilte Verbrecher, die zur Bewährung in eine Strafschwadron gesteckt worden waren. Gaben sie jetzt auf, würden neue Verhandlungen stattfinden, und die meisten Soldaten mußten befürchten, daß ihre Strafen verlängert wurden. »Los, schneller!« brüllte Hagman. »Wenn sie uns einschließen, ist es aus. Dann haben wir keine Chance mehr. Zeigt ihnen, wie stark wir sind, daß wir kämpfen werden. Dann verhandeln sie vielleicht mit uns. Und wenn geschossen wird, knallt Cochise ab.« Die Abteilung, die auf die Stadt zuritt, vollführte eine 105
Wendung. Die Pferde trabten zum Blockhaus, wurden gezügelt, und was dann geschah, ließ Hagman die Augen aus den Höhlen treten. Die Soldaten saßen ab und legten ihre Waffen auf einen Haufen, ehe sie sich auf die Stufen der Veranda setzten. »Diese Narren«, stöhnte der Captain, »diese elenden Narren.« Verbittert sah er, wie sich die übrigen Uniformierten zurückzogen. Er stand allein. Wieder schmetterte die Trompete. In Schlachtordnung preschten die Pferde der Angreifer aus den Hügeln heraus. Hagman glaubte, ab und zu einen kleineren Mustang zu erkennen, auf dem eine rotbraune Gestalt hockte. Verbündeten sich die Pinalenos, die doch harte Gegner der Weißen waren, hier mit den Bleichgesichtern? Er erkannte Haggerty auf seinem Rappen und stieß einen gemeinen Fluch aus. Dieser verdammte Indianerfreund hatte alles ruiniert. Nepatana trieb sein Pony an, bis er das Tier neben Hagmans Pferd verhielt und sagte: »Es ist vorbei, Captain. Unser großer Plan ist gescheitert. Wir bringen keinen Frieden in dieses Land. Und dein Wunsch nach mehr Sternen auf deiner blauen Jacke bleibt für immer unerfüllt.« »Und was machen wir jetzt?« fragte Flagman böse. »Wir werden sterben wie Männer, wie Krieger«, erwiderte Nepatana gleichmütig. »Usen wird unsere Seelen aufnehmen, denn wir haben gekämpft wie Krieger und sterben wie sie.« Captain Hagman erkannte Colonel Kilgore. Er trieb sein Pferd an, galoppierte zwischen Hagman und die Gefangenen und versperrte dem Offizier das Schußfeld. »Hagman, geben Sie auf«, rief Kilgore. »Was haben Sie sich eigentlich bei der Geschichte gedacht? Sind Sie auf einmal übergeschnappt?« Joshua mußte es einfach noch mal versuchen. 106
»Nein«, schrie er zurück. »Aber ihr seid alle verrückt. Die Apachen können wir nur befrieden, wenn wir ihre Kämpfer töten. Sonst nehmen die Aufstände nie ein Ende. Mein Scout hatte den gleichen Plan. Wir wollten die kriegerischen Rothäute nach und nach in Fallen locken und vernichten. In spätestens einem Jahr würde kein Apache mehr die Waffen gegen uns erheben. Begreifen Sie das denn nicht?« Colonel Kilgore schwieg lange. Bedauern lag in seiner Stimme, als er endlich antwortete. »Hagman, mit Ihnen ist irgendwas nicht in Ordnung«, sagte er laut. »Ich bringe Sie ins Fort zurück. Ihre Männer haben aufgegeben. Sie sind ein Stück schlauer als Sie. Ich schicke Sie nach Osten, Hagman. Die Ärzte werden sich mit Ihnen beschäftigen.« Hagman riß die Spencer hoch und feuerte. Dicht an Kilgore vorbei sauste das Blei und schlug irgendwo in den Hügel ein. Cochise wandte sich im Sattel um. Gelber Adler verhielt sein Pony eine halbe Länge hinter ihm. Ein Dutzend Krieger hielt die schweren Maulbeerholzbögen bereit. Die Pfeile lagen auf den Sehnen. »Der erste Krieger tötet Hagman«, sagte Cochise, und eine Sehne schnalzte gegen das Handgelenk eines PinalenoKriegers. Hagman kam nicht zum zweiten Schuß. Plötzlich erstarrte er im Sattel. Als er aus dem Sattel kippte, war er bereits tot. Ein Pfeil hatte sein Herz getroffen. Kilgores Kopf zuckte herum. Argwöhnisch musterte der Oberst die Apachen, die sich langsam zusammenfanden. Gelber Adler blieb hinter Cochise, erkannte so den Oberbefehl des großen Häuptlings an. Colonel Kilgore blickte zu den Männern der Strafschwadron. Keiner der Soldaten hielt eine Waffe in den Händen. Abwartend standen sie da, starrten zu Boden und erwarteten das Strafgericht. 107
Haggerty preschte an dem Kommandanten vorbei, er sprang aus dem Sattel, zog das Messer aus dem Stiefelschaft und befreite zuerst Tla-ina, die ihm für einen Moment ihre Lippen bot. Lilys Zittern verebbte allmählich. Unsicher ging sie zu ihrem Haus hinüber, sah furchtsam die Soldaten an, die beiseite rückten, als die Frau kam und in der Blockhütte verschwand. Larry Osborne grinste und sagte: »Nun, John, es ist ganz gut, daß Sie nicht eine Stunde später kamen, denke ich.« Er holte sich seinen Colt, der auf dem Boden lag und überprüfte die Trommel, ehe er die Waffe halfterte. Kilgore ritt zu den wartenden Sträflingen in Uniform. »Männer«, sagte der Colonel ruhig, »ich habe gesehen, daß ihr Befehle ausgeführt habt. Das ist die Pflicht eines Soldaten. Aber es wäre auch eure Pflicht gewesen, mich über die verrückte Absicht des Captains zu unterrichten. Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich mit euch machen soll.« Haggerty ritt heran, musterte die Uniformierten und faßte einen Entschluß. »Colonel«, sagte er laut. »Sie kennen die Vollmachten, die mir General Howard gab?« »Sicher, Mr. Haggerty«, erwiderte der Kommandeur. »Dann empfehle ich, diese Männer nicht weiter zu bestrafen«, sagte John laut. »Sie sollen ihren Dienst weitermachen. Und Sie und Lieutenant Brent sorgen dafür, daß die Strafschwadron entweder nach Osten verlegt oder aber aufgelöst wird. Wir haben hier im Südwesten wahrhaftig genug Probleme und können nicht auch noch eine solche Abteilung beaufsichtigen.« »Einverstanden«, erwiderte Kilgore, blickte die Soldaten scharf an und ließ aufsitzen. »Lieutenant Brent übernimmt das Kommando über die Schwadron«, rief der Colonel. Die Männer sammelten sich, nahmen ihre Waffen wieder auf 108
und saßen auf. In exakter Doppelreihe warteten sie auf den Lieutenant. »Zurück zum Fort!« befahl Kilgore. »Wir kommen bald nach. Wenn wir mit den Pinalenos keinen Ärger bekommen.« »Keine Sorge, Colonel«, sagte Haggerty. »Cochise hat die Führung übernommen. Und Gelber Adler ist nicht so verrückt, mit seinen Kriegern eine kampfbereite Schwadron anzugreifen.« »Wer hat den Befehl gegeben, Captain Hagman zu töten?« wollte Kilgore leise wissen. »Cochise«, murmelte John, »und ich denke, es war richtig, Sir.« »Was fangen wir mit dem Träumer an?« fragte der Colonel. »Das ist nicht unsere Sache«, wehrte Hagman ab. »Er wird nach dem Gesetz der Apachen bestraft. Mischen Sie sich um Gottes willen nicht ein. Das könnte einen Aufstand auslösen, Sir.« * Cochise redete mit dem Gelben Adler. Der hochgewachsene Häuptling nickte schließlich, nahm etwas vom Führer der Pinalenos entgegen und betrachtete es ein paar Sekunden lang. Nun saß der Chief ab. Mit gemessenen Schritten ging er auf Nepatana zu, der reglos auf seinem Pony saß. Cochise blieb stehen und sagte in der Sprache der Apachen: »Du bist kein Krieger mehr, Nepatana. Dein Stamm stößt dich aus. Gelber Adler hat erklärt, daß du den Gesetzen der Pinaleno verfallen bist.« Langsam hob Nepatana das Bein über den Rist des Pferdes und glitt an der Seite des Tieres herab. Der Mann sah so aus, als wäre er schon tot. Er bewegte sich unendlich langsam, als müßte er sich zu jeder Bewegung zwingen. »Was geschieht jetzt?« fragte Colonel Kilgore leise. 109
»Sie erleben das Urteil und seine Vollstreckung«, erwiderte Haggerty. Cochise reichte dem Träumer den Gegenstand, den der Jefe vorhin vom Führer der Pinaleno-Apachen bekommen hatte. Nepatana hielt den Gegenstand einige Zeit in der Hand. Schließlich öffnete er den Tuchfetzen, betrachtete mit ausdruckslosem Gesicht, was er enthielt und kauerte sich fünf Schritte neben seinem Mustang auf die Fersen. Mit beiden Händen bedeckte Nepatana die Augen. »Was bedeutet das?« fragte Kilgore flüsternd. Haggerty deutete auf den Gelben Adler, der langsam näher glitt. Lautlos schritt der Häuptling über den Sand. »Nepatana hat einen kleinen Tomahawk bekommen«, erklärte John leise. »Er ist das Zeichen des Todes. Entweder nimmt er das Urteil an, oder er flieht. Dadurch verlängert sich sein Leben höchstens um Stunden. Denn jeder Apache wird ihn sofort töten, wenn er ihn sieht. Aber Nepatana hat das Urteil angenommen.« Gelber Adler trat seitlich neben den Träumer, hob den Schädelbrecher, der aus einem lederbezogenen Ulmenholzstab bestand, an dessen vorderem Ende ein fast runder Stein befestigt war, der ebenfalls mit Leder umhüllt war. Und dann schlug Gelber Adler zu. Der Verräter war tot. Die Pinalenos ritten heran, hoben den Leichnam auf und galoppierten in die Hügelketten. Minuten später erinnerte nur noch etwas Blut auf dem Sand an den Tod des Träumers, der eben diesem Traum sein Ende verdankte. Haggerty, Cochise, Tla-ina und Larry Osborne wollten zu den Mimbrenjos weiterreiten. Victorio sollte vom Tod seiner zwanzig Krieger erfahren, sollte wissen, daß sie gerächt waren. Denn in seinem Zorn über diese Tatsache könnte der Weißenhasser sonst zu einem neuen Feldzug gegen die Bleichgesichter aufrufen. Und sicher würden ihm viele Krieger folgen. 110
Und gerade das versuchten Cochise und sein weißer Freund Falke zu verhindern.
ENDE
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