C.H.GUENTER
Der SatanaZwischenfall
VERLAGSUNION ERICH PABEL-ARTHUR MOEWIG KG, 7550 RASTATT
1. Buenos Aires Die Witw...
158 downloads
627 Views
543KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
C.H.GUENTER
Der SatanaZwischenfall
VERLAGSUNION ERICH PABEL-ARTHUR MOEWIG KG, 7550 RASTATT
1. Buenos Aires Die Witwe des Generals Auch im Winter pflegte Dolores Maria Somero in den seidenen Bezügen des runden Luxusbettes in ihrem riesigen Schlafzimmer im ersten Stock der palastartigen Villa auf dem schönsten Hügel über der Stadt nackt zu schlafen. – Nackt und allein. Seit einigen Wochen schlief sie auch ziemlich schlecht. Sie hatte Angst – trotz Leibwächtern und einem Rudel scharfer Hunde, Da half auch keine Privatarmee, wenn die Regierung dieses Landes Menschen in ihre Gewalt bringen wollte. Der Ring zog sich zu. Sie fühlte es. Immer zur gleichen Stunde, kurz vor der Dämmerung, erwachte sie. Denn wenn sie kamen, dann zwischen Nacht und Tag. Noch am Vorabend hatte ein guter Freund sie gewarnt. ,,Du mußt verschwinden, Dolores.“ Es war die hundertste Warnung gewesen. „Ich habe nichts zu befürchten“, hatte sie geantwortet. „Dein Mann ist tot. Die Zeit der Schonung ist um, Dolores.“ „Ich habe sie in der Hand“, hatte sie sich Mut gemacht. „Sollen sie nur kommen.“ Aber vor nichts hatte sie mehr Angst, als vor de m Augenblick, in dem sie draußen vorfahren und in ihr Haus eindringen würden. Und weil sie wußte, daß diese Stunde kam, hatte sie Vorbereitungen getroffen. Schmuck, Geld und die Dokumente waren in einem Koffer. Der Koffer lag in einem Mercedes in der abgesperrten Box der Tiefgarage eines Bürogebäudes, das zum Somero-Konzern gehörte. Er war nur vier Kilometer Luftlinie entfernt, also notfalls auch zu Fuß zu erreichen. Wie immer am Morgen, ehe die Sonne aufging, lag sie 3
schweißgebadet mit Kopfschmerzen da. Jeder Wagen, der den Berg herauf kam, konnte die Henker bringen. Ihr Herz tobte und beruhigte sich erst wieder, wenn der Wagen vorbeigefahren war. Warum, zum Teufel, dachte sie, machst du nicht Schluß. Warum haust du nicht ab. Worauf wartest du. Etwa darauf, daß alles nicht wahr ist, daß die Verleumdungen, die Vorladungen, die Anzeigen, die Männer, die dich beobachten, reine Routine sind. Argentinien war ihre Heimat geworden. Warum, diablo, sollte sie also das Land verlassen? Es war ihr Recht hier zu leben. Wieder brummte ein Wagen den Berg herauf. Nein, zwei. Offenbar schwere Fahrzeuge. Wegen der Steigung fuhren sie in den niederen Gängen. Die Angst schnürte Dolores Somero den Hals zu. Sie hatte Mühe zu atmen. Sante Madonna, so geht es nicht weiter. Sie sind geld- und machtgierige Banditos, dachte sie. Du hast es nicht nötig, dich so fertigmachen zu lassen. Du gehst ja schon kaputt, ehe der Henker eintritt. Sie sprang aus dem Bett und tat, was sie in Gedanken schon x-mal vollzogen hatte. Sie eilte ins Ankleidezimmer. Links hinter der letzten Tür der Schrankwand lag alles bereit. Von der Unterwäsche bis zum unauffälligen Reisekostüm, feste Schuhe, Brille, Perücke, die Tasche mit dem Nötigsten. Die Autokolonne hatte angehalten. Sie hörte, wi e sie die Schläge zuknallten, am Haustor läuteten und mit den Wächtern redeten. Auf Zehenspitzen ging sie nach unten, durchquerte die Halle, schlich an den Küchen vorbei und eilte den Gang zur Garage entlang. Dort hatte sie in einem Nebenraum ein Fahrrad stehen. Das schob sie durch den leeren Park zu der Tür in der Mauer. Nur sie hatte den Schlüssel dazu. Sie sperrte auf, war draußen, sperrte zu. 4
Die Reisetasche auf den Gepäckträger geklemmt, fuhr sie los. Es ging fast immer bergab. Sie wurde zu schnell. Sie mußte sich erst wieder auf eine m Fahrrad zurechtfinden. Wie lange war es her, daß sie das letzte Mal auf so einem Ding gesessen hatte? – Dreißig Jahre vielleicht. Sie konnte reiten, segeln und fliegen, radfahren nicht so gut. Aber es gab Dinge, die verlernte man nie. Unten in der Stadt war es dunkler als auf den Hügeln. Hier herrschte noch Nacht. Die Verkehrsampeln blinkten gelb. Nur selten kam ein Auto, ein Lieferwagen, ein Bus vorbei. Am Boulevard Peron trat sie zum ersten Mal in die Pedale. Bald schon tauchte das vierzigstöckige Gebäude der ERS OVersicherung auf. Minuten später saß sie in dem gepanzerten Mercedes 600 ihres Mannes. Vorsichtshalber hatte sie den Wagen von Schwarz in Savannagelb umlackieren lassen. Er führte auch eine andere Nummer. Trotzdem bestand keine Chance, ihn über die Grenze zu bringen. – Nur bis Bahia Bianca wollte sie kommen. Sechshundert Kilometer quer durch Pampa und Sumpfland. Daß sie nicht von der Hauptstadt aus in die USA flog, war selbstverständlich. Wenn man sie nicht in ihrem Bett fand, und das dürfte jetzt gerade der Fall sein, würde man als erstes am Aeroporto nach ihr suchen. Anschließend in den anderen Häusern, auf der Hazienda, draußen in der Villa an der HernandezBucht oder auf ihrer Yacht. Man würde das Firmenflugzeug an die Kette legen, ihre Privatkonten sperren, die üblichen Maßnahmen ergreifen. Aber so schlau wie diese Verbrecher war Dolores Maria Somero schon lange.
5
General Ernst Sommer nannte sich in Argentinien Ernesto Somero. Daß man ihn suchen würde wi e Eichmann oder andere, befürchtete er nicht. Offiziell war er im Dezember 1944 an der Spitze seiner Waffen-SS-Division in den Ardennen gefallen. Als er Dolores Maria heiratete, war sie eine siebzehnjährige argentinische Jungfrau, schön, gut erzogen, aus angesehener Familie. Zu dieser Zeit hatte Somero schon ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel und ein paar Millionen beisammen. Im Februar war er als Achtzigjähriger und reichster Mann Argentiniens verstorben. In zwei Punkten hatte er sein Wort gehalten. Er hatte Dolores immer geliebt und sie nicht als arme Witwe zurückgelassen. Dolores Maria, Tochter eines amerikanischen Diplomaten und einer adligen Kreolin, hatte ebenfalls Wort gehalten. Sie war ihrem Ehemann stets treu gewesen. Doch jetzt, nach seinem Tod, fing für sie das Leben an. Allerdings nicht in diesem Land, wo Terror und Korruption herrschten, wo man sie beschuldigte und anklagte, Vermögenswerte in die USA verschoben zu haben. Auch forderte man immer wieder gewisse Dokumente aus der Hinterlassenschaft des Generals. Sie behauptete, diese Dokumente nicht zu besitzen, denn sie war sicher, daß von diesen Papieren ihr Leben abhing. Doch die Regierung, das Ministerium, die Behörden, die Staatspolizei ließen ihr keine Ruhe. Man überzog den ERSOKonzern mit Steuerprüfungen rüdester Art. Man versuchte, sie zu enteignen, ihr die Fabriken, die Bergwerke, die Aluminiumhütten, die Banken und Versicherungen wegzunehmen. Man warf der ERSO Steuerhinterziehung, Vergehen gegen das Antitrustgesetz, gegen die Devisengesetze, gegen das Aktiengesetz und ein Dutzend anderer Gesetze vor. Eine Schlacht stand bevor. Aber dieser Krieg war besser von Amerika aus zu führen. 6
Nach außen hin änderte sich nichts am Leben von Dolores Maria Somero. Sie besuchte Gesellschaften, ging ins Theater, in Konzerte, in Ausstellungen. An den Wochenenden flog sie auf einen ihrer Landsitze in der Sierra oder fuhr in ihre Villa am Meer. Doch insgeheim bereitete sie die Flucht vor. Die Männer in der Regierung, die scharf auf sie und auf ihr Vermögen waren, mochten schlau und gerissen sein. Aber sie war eine Frau.
Alle Passagiere, die vom Flughafen Bahia Bianca ins Ausland wollten, sei es nach Paraguay, Uruguay oder Chile, wurden extrem scharf kontrolliert. Deshalb fuhr Dolores Somero ins Centre zurück, parkte den Mercedes und nahm ein Taxi. Im Hafen erkundigte sie sich, welche Schiffe ausliefen und wohin. Es waren mehrere Tanker, kleine Küstendampfer, die Fracht bis hinunter nach Feuerland brachten, zwei Fahrgastschiffe und drei oder vier Überseefrachter. Einer davon ging nach Havanna-Baltimore-Boston, und von dort nach Bremen. Sein Name war Satana. Ein Spanier. Stückgutfrachter, 12.000 Tonnen. Auslaufzeit 18.00 Uhr. Ein Problem gab es dabei. Das Schiff lag im Zollhafen. Man mußte durch die Sperre, mußte dort seinen Paß zeigen und Fragen beantworten, wie bei jeder Ausreise. Dolores S. wandte sich an den Taxifahrer. „Wie gelangt man in den Freihafen?“ „Durch die Tore eins bis vier, Senora.“ „Gibt es einen anderen Weg?“ „Nein, Senora“ „Auch nicht für hundert Dollar?“ Der Taxifahrer antwortete mit unbewegtem Gesicht. „Für zweihundert Dollar. Hundert für mich, hundert für den 7
Zollbeamten. Aber erst um siebzehn Uhr. Dann hat Fernandez Dienst.“ In der Stadt nahm sie einen Kaffee. Hunger verspürte sie nicht. Eher das Gefühl, als ob man ihren Magen ausbetoniert hätte. Mit dem Koffer und der Tasche bestieg sie gegen 17.00 Uhr wieder das Taxi. Die gleiche panische Angst wie am Morgen, als die Polizei gekomme n war, überfiel sie. Endlich durfte das Taxi Tor drei passieren. Am Pier bei der Satana ließ sie sich absetzen. Wie ein Passagier ging sie an Bord. An Deck stand ein Offizier. „Zum Kapitän“, sagte sie. Der Offizier musterte sie. Obwohl sie Männer stets beeindruckte, fragte er: „Sind Sie angemeldet, Senora?« „Wir sind Freunde“, log sie. „Wen darf ich melden?“ „Dolores Somero.“ Wenig später stand sie in der Kapitänskajüte vo r einem etwa fünfundvierzig Jahre alten, gutaussehenden Burschen mit grauen Strähnen in Haar und Bart. Er wirkte verwegen und athletisch und erinnerte sie an den englischen Filmschauspieler Stewart Granger. Da die Tür offenstand, schloß sie sie und sagte dann: „Capitan, wenn Sie diesen Koffer, diese Tasche und mich heil nach Baltimore bringen, zahle ich Ihnen sofort zehntausend Dollar und bei Ankunft noch einmal dasselbe.“ Der Kapitän musterte sie wie ein Kenner weiblicher Schönheit. Es war nicht nur ihre Erscheinung, sondern auch ihre Ausstrahlung, die ihn faszinierte. „Ist eine Bombe im Koffer?“ „Nein. Schmuck, Bargeld und ein paar Dokumente.“ „Darf ich das sehen?“ 8
Sie klappte den Deckel auf. Das erste der drei Fächer war voll glitzernder Smaragde, Rubine, Diamanten und Perlen, die an Ringen, Armbändern, Colliers und Ketten hingen, vielleicht zwei Millionen wert. Die Dollarpakete mochten auch mehrere Kilo wiegen. Im letzten Fach lagen Papiere, gebündelt, umschnürt oder in Umschlägen. „Gracias, Senora.“ „Haben Sie Kabinen für Gäste?“ „Zwei“, sagte der Kapitän. „Und einen Safe?“ „Auch das. Hier oben, gleich unter der Brücke.“ Sie präsentierte sich mit ein paar aufregenden Mannequinschritten. Was für eine Figur, was für eine Grazie, welche Eleganz, dachte der Kapitän, dabei ist sie gewi ß älter als ich. Sie blieb stehen. Der Ausdruck ihrer Augen hatte etwas Rätselhaftes. Was veranlaßte diese Frau… Was war ihr Geheimnis… „Ihr Paß ist in Ordnung, Senora?“ „Ich habe zwei“, sagte sie. „Ich bin in den USA geboren.“ „Okay“, entschied der Kapitän. Er rief den Steward und ließ der Senora die Kabine anweisen. Sie lag unweit der seinen. „Wann“, fragte sie, „legen wir ab, Capitan?“ Er schaute auf die Uhr und lächelte. „Bald“, versprach er.
Bis zum Abend holte die geheime Staatspolizei zügig auf. Der Vorsprung von Dolores Maria Somero, der anfangs mehrere Stunden und Hunderte von Kilometern betrug, verkürzte sich, als man herausgefunden hatte, welches Fahrzeug sie benutzte. Die Fahndung wurde über das ganze Land ausgedehnt, auf die Grenzübergänge, die Airports, die Häfen, Bahnstationen 9
und Bushaltestellen. Man fand eine Spur nach Bahia Bianca und auch den gepanzerten, savannagelben Mercedes 600. Ab 17.30 Uhr an diesem Freitag wurde in ganz Argentinien kein Mensch intensiver gejagt als Dolores Maria Somero. Die Polizisten machten den Taxifahrer ausfindig und nahmen ihn fest. Er sagte aus, daß er die Gesuchte zum Hafen gebracht habe. Dort sei sie ausgestiegen und habe wahrscheinlich irgendein Tor passiert. Beim Zoll wurde ihr Foto herumgereicht. Ei n Beamter erinnerte sich an sie. „Eine Amerikanerin.“ Die Hafenbeamten wurden befragt. Einer hatte gesagt, daß die Gesuchte an Bord der Satana gegangen war. Doch Pier 11, wo die Satana gelegen hatte, war leer. Die Satana war bereits ausgelaufen. Sie versuchten, sie mit Hubschraubern, mit Küstenschutzbooten, dann mit einem schnellen Zerstörer einzuholen. Als die Argentinier den Frachter endlich in Sicht bekamen, dampfte die Satana schon außerhalb der Zwölfmeilenzone mit Ostkurs auf den Südatlantik hinaus. Der Zerstörer funkte nach Orders. Kostbare Zeit verging. Die Regierung – sie genießt im Ausland einen miserablen Ruf – riskierte keinen Übergriff. Der Zerstörer erhielt Befehl, beizudrehen und einzulaufen. „Wir kriegen sie anders“, schwor der Innenminister. „Wir lassen uns von dieser Hure nicht auf der Nase herumtanzen. Diese Runde ging an sie. Aber es war nicht die letzte Runde. Ab jetzt werden wi r punkten.“ Die im Lageraum Versammelten waren neugierig, wie der fette kleine Mann mit den Triefaugen das Problem zu lösen gedachte. Er schickte sie alle hinaus. Als er allein im Zimmer war, telefonierte er mit dem Chef des Geheimdienstes und mit einem Admiral. Beide gehörten 10
zur herrschenden Clique. „Das Weib hat die verdammten Papiere“, fluchte der Minister, „Es geht nicht allein um das Somero-Vermögen, das ist ohnehin international verstreut, es geht um diese Dokumente. Und die müssen wi r zurückhaben. Unsere Zukunft kann davon abhängen. Wir müssen sie in unsere Hand kriegen oder vernichten.“ „Haben Sie eine Idee?“ fragte der Geheimdienstchef. „Die Satana muß untergehen.“ „Und wie, bitte?“ „Bombardieren oder torpedieren“, forderte der Minister. „Einen Spanier versenken?“ „Mit einem einzigen vernichtenden Schlag.“ Sie trafen sich noch in der Nacht und berieten das Problem. Experten wurden zugezogen. Inzwischen entfernte der Frachter Satana sich jede Stunde um zwölf Meilen aus ihrem Aktionsbereich. Wie sich herausstellte, war kein argentinisches U-Boot in der Nähe, um den Frachter abzufangen. Und am Morgen – nur bei Tageslicht war ein Angriff ausreichend erfolgversprechend – befand er sich außerhalb der Reichweite der Düsenjagdbomber. In dieser für die Regierung heiklen Situation hatte der Marineexperte eine Idee. „Was hat die Satana geladen?“ fragte ein Capitan de segunda clase. „Hauptsächlich Autoteile, die Ford hier billig produzieren läßt und in Detroit zu teuren Limousinen komplettiert. Motoren, Achsen, Hauben, Türen und Sitze.“ „Wo legt die Satana an?“ „In Baltimore, in Boston“, erklärte ein anderer Offizier. „Dann läuft sie Ostkurs.“ „In Kuba nimmt sie noch eine Partie Zucker“, wurde ergänzt. „Um so besser. Dann passiert sie also Florida.“ „Claro. Und was passiert in Florida, por favor?“ 11
„Ich kenne einen Mann dort“, sagte der Capitan II. Klasse. „Wir waren zusammen auf dem amerikanischen USMarinestützpunkt Norfolk bei einem Spezialtraining. Das heißt, er machte uns bei einem Seminar mit Geheimwaffen der USNavy bekannt. Dieser Mann – er heißt Tobasko, Felipe Randy Tobasko – ist für zwei Dinge zugänglich: für Geld und Anerkennung.“ Der Kapitän erläuterte der Runde, um was es bei den Geheimwaffen der US-Marine im einzelnen ging und worin Tobasko absoluter Experte war. „Senores“, endete der Offizier, „ich möchte diesen Americano nicht unbedingt einen Freund nennen, aber in seinem Job ist er Weltklasse.“ „Rufen Sie ihn an“, entschied der Minister, „und unterbreiten Sie ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann.“ 2. Zürich Die Nacht der Agenten Sie trafen sich in der Bar des Hotels Baur au Lac. Der eine sah aus, als habe er Mühe, einen Klimmzug zu schaffen, der andere, als könne er eiserne Kletterstangen verbiegen. Der eher Schmale trank Mineralwasser mit einer Zitronenscheibe, der andere Bourbon ohne alles. Der Kleine hatte wäßrige Augen, der große Gutaussehende klare graue. Der Kleine blickte den Großen immer an wie einen Gott. „Bob Urban“, sagte er. „Zeitverschwendung zu fragen, wie es dir geht.“ „Und dir, Kilimandscharo?“ So nannten sie ihn in der internationalen Nachrichtenhändlerszene, weil er weißes Haar hatte wie der Schnee auf dem afrikanischen Berg und unten die gleiche Breite. 12
„No money, no future“, sagte Kilimandscharo und meinte seine Zukunft. Ganz so düster sah es wohl nicht aus, sonst hätte er den BND-Agenten Nr. 18 nicht dringend nach Zürich gebeten. Urban bekam seinen Bourbon, setzte an, um ihn zu kosten, fand ihn schon auf der Zungenspitze gut und schüttete nach. „Wie kann ich dir helfen?“ fragte er den windigen Liechtensteiner, der hundert Dinge hörte, sie in seinem Computer mit Pulloverstrickprogramm immer neu zusammensetzte und dann tausendmal verkaufte – zu verkaufen versuchte. „Indem du mir zuhörst, Oberst.“ „O Kili-Kilimandscharo“, jammerte Urban. „Wie oft habe ich dir schon mein Ohr geliehen. Und was kam dabei raus? Nicht mal ein Walzer von Strauß.“ Da zog ihn der Nachrichtenhändler von der Bar weg in eine Nische und sagte: „Diesmal ist es ein Giga-Ding. Giga wie gigantisch.“ Urban nahm noch einen Bourbonschluck, damit er nichts verschüttete. Aber gewiß nicht vo r Schrecken, denn Kilis Geschichten schockten ihn nicht mehr. Selbst wenn er als erster erfahren hätte, daß Joe Stalin wieder auferstanden wäre. Sie saßen da und rauchten von Urbans Goldmundstück-MC. Kili bestellte für sich Champagner, weil Urban angedeutet hatte, daß es auf Spesen ginge. Nach zwei Gläsern kam er zur Sache, so wie es seine Art war: von hinten über die sieben Berge. „Schon mal von Argentinien gehört, Oberst?“ „Soll ein Land in Südamerika sein. Sie haben den Tango erfunden.“ „Es führte vor kurzem Krieg.“ „Um die Falklands. Sie müssen bescheuert gewesen sein. Ein Krieg um diese windigen Hammelinseln und dann gegen England.“ „Sie waren obendrein schlecht gerüstet und haben überall in 13
der Welt Schulden. Nun, es gab einige Bankiers, die stellten die Kriegsfinanzierung auf die Beine. Aber das ist schon wi eder eine andere Geschichte.“ „Erzähl sie“, drängte Urban. Er schaute nicht auf die Uhr. Daß es auf Mitternacht zuging, spürte er auch so. Außerdem erwartete eine gute Freundin draußen am Zürichsee seinen Besuch. Der kleine Kili fing an zu feixen. Jetzt sah er aus wie nach einer mißglückten Schönheitsoperation. „Kennst du Ernesto Somero?“ Urban winkte dankend ab. „Den schafften nicht mal die israelischen Nazijäger.“ „Somero war General bei der Waffen-SS. Ritterkreuz mit Schwertern, Eichenlaub und Preiselbeeren. Klarname Ernst Sommer. Angeblich reichster Mann Südamerikas. Aber die Exekutionskommandos der Firma Tod & Teufel kamen doch an ihn heran. Übrig blieb eine schöne, elegante Witwe und ein riesiger Haufen Macht und Moneten. In den Händen einer Frau sahen das diese Tango-Machos nicht so gern und versuchten, sie kleinzukriegen. Sie aber hat wohl etwas gegen sie im Handtäschchen. „ „Gerüchte“, tat Urban es ab. „Nein, Dokumente.“ „SS-Sommers Tagebuch“, spottete Urban, winkte dem Kellner und deutete auf sein leeres Glas. „Stimmt“, bestätigte Kilimandscharo. „Da soll einiges drinstehen. Und nicht zu Glanz und Gloria der Bundesrepublik Deutschland.“ Urban konnte sich vorstellen, was Ernesto Somero niedergeschrieben hatte. Wenn man es bösartig auslegte, kam vielleicht einiges auf Bonn zu. „Die Tangoboys«, sagte Urban, „ihre Polizei, ihre Geheimdienste, die Abwehr in Buenos Aires, haben die Papiere doch längst.“ 14
Kilimandscharo wurde halsstarrig. „Sie wollen unbedingt die Originale. Und zwar ebenso dringend, wie die Amerikaner und auch die Russen sie wollen. Die Amis, um euch zu zügeln, die Russen, um euch zu – na, du weißt schon. Aber alle bekamen die Papiere nur fast.“ Kilimandscharo schien auch nichts Genaues zu wissen. Aber für Nichts war seine Strategie gar nicht schlecht. Urban stellte eine für den Kleinen unbeantwortbare Frage: „Wo sind die Papiere?“ „Wenn ich sie hätte, wären für mich eine Million drin, oder?“ „Aber zwischen etwas haben und wissen, wo was ist, ist manchmal gar kein so großer Unterschied.“ Niemand konnte sie hören. Außerdem dudelte aus allen Ekken Musik. Trotzdem näherte Kilimandscharo seine Schlabberlippen Urbans Ohr. „Sie ist abgehauen“, flüsterte er kichernd. „Stell dir vor, Dolores Somero ist hundert Totengräbern von der Schippe gehüpft, mitsamt den Dokumenten.“ „Wenn Frauen“, bemerkte Urban, „erst mal anfangen, etwas zu wollen, dann setzen sie es auch durch.“ „Wie ich von einem Amigo hörte, ist sie für die Regierung in Argentinien derzeit nicht erreichbar. Sie wissen, wo sie ist, aber sie kommen im Moment nicht an sie heran.“ „Fliegt oder schwimmt sie?“ „Sie erwischte auf den allerletzten Drücker einen Dampfer. Der Name des Schiffes ist Satana. Ein Spanier. Er ist unterwegs in Richtung Karibik oder Florida. Im Augenblick besteht keine Gefahr, daß die Papiere in falsche Hände geraten. Aber…“ „Du meinst, alle Schiffe gehen mal vor Anker.“ Kilimandscharo ließ die Schultern fallen und auch seine Mundwinkel. „Mein Tip: Wenn euch die Papiere schaden können, dann kümmert euch darum.“ 15
Urban fluchte leise. „Hört sich ja an, als wäre dieser Sommer ein zweiter AdolfScheiß-Hitler gewesen.“ Aus Kilimandscharo war die Luft heraus, aber er pumpte sich noch einmal voll. „Diese Papiere gibt es wirklich, Oberst.“ „Möglich.“ „Ich kriege die Beweise. Einen Fetzen von einem Fetzen davon,“ „Wann?“ „Wann bist du morgen erreichbar?“ Urban zögerte. Wenn man zu Damen ging und blieb die ganze Nacht, dann hatten sie es gern, wenn man mit ihnen im Bett frühstückte. „Gegen elf – hier“, schlug er vor. „Ich bin da“, versprach Kilimandscharo. „Und bring etwas Konkretes mit.“ „Klar. Ich will ja drei Mark dafür.“ „Oder zähle deine Atemzüge.“ Urban ging und ließ alles auf seine Rechnung schreiben.
Urban besuchte eine Dame von zweifelhaftem Ruf. In Mailand hatte sie vor Jahren einen der elegantesten Luxuspuffs Europas geführt. Aber weil Prostitution in Italien offiziell ve rboten ist, hatte es Schwierigkeiten gegeben. Trotz bester Beziehungen zur Regierung in Rom. Also hatte sie noch einmal tüchtig abgesahnt, den Club verkauft und einen uralten französischen Fürsten geheiratet. – Der Fürst war gestorben, und sie nannte sich seitdem Prinzessin oder Princesse soundso. Die eher steife Pariser Hautevolee nahm sie nicht an, und aus der Schweizer Gesellschaft machte sie sich nichts. Also widmete sie sich ihren Geschäften, und ihre Schönheit erblühte wie 16
ihre Bankkonten. Aber manchmal saß sie recht einsam in ihrer weißen Luxusvilla am See. Dann rief sie Urban an und weinte sich aus, daß die Telefonleitung von Zürich nach München unter Wasser stand. Ab und zu schaute er vorbei. Manchmal sogar gern. Wie diesmal auch. Sie schien das Feuer all ihrer Callgirls auf einmal über Urban zu ergießen. Er brannte mehrmals an allen Enden. Aber ihre Hände wirkten wie wundersamer Balsam. Am Morgen duschten sie gemeinsam, und Kaviar stellte sie wieder auf die Beine. Dann brachte sie ihn mit dem Rolls in die Stadt. Am Limmatkai setzte sie ihn vor dem Hotel ab. „Für Geschäfte habe ich immer Verständnis“, sagte sie. „Du bist ein Traumweib, Clarissa.“ „Und auch dafür, daß wir immer nur wenige Stunden haben.“ „Aber die kannst du mit zehn multiplizieren.“ Sie fuhr ihm mit gespreizten Fingern durch die dichte Haartolle, befeuchtete den Zeigefinger und strich über die Schatten unter den Augen in seinem braunen Gesicht. Dann richtete sie ihm die dunkelblaue Seidenkrawatte, so daß sie mitten zwischen den Kragenbögen saß, und zupfte noch ein Haar vom Glenchecksakko. „Hau ab, Urban“, sagte sie, „und großes Merci.“ „Dir auch.“ Wenig später traf er Kilimandscharo in der Halle hinter einer Kanne Kaffee. Als er Urban sah, winkte er mit einem Umschlag. „Wieviel?“ „Wieviel was? Höhe?“ „Sollten schon eher Mäuse sein.“ Urban fand im Umschlag die Fotokopie einer halben Seite. Sie enthielt einige wesentliche Punkte. Das Papier stammte eindeutig von der ERSO-Bank in Buenos Aires. Es ging um die Courtage für die Beschaffung von so vielen Dollars, wie eine 17
Zahl mit elf Stellen hatte, nahezu hundert Milliarden oder genau neunundneunzigtausend Millionen. Wenn die ERSO-Bank daran nur ein halbes Prozent Vermittlungsgebühren kassiert hatte… Die Summe zwang Urban zu einem erstaunten Pfiff. „Das Geld wurde beschafft“, ergänzte Kilimandscharo. „Und wofür, wissen wir das auch?“ „Und von wem, davor müssen wir uns fürchten. Es kam ausnahmsweise mal nicht aus Liechtenstein.“ Urban ging gern schrittweise vor. „Woher hast du das?“ „Von einem Zuträger, der einen Mittelsmann hat, der wiederum einen kennt, der einen Amigo bei ERSO hat oder im Ministerium. Denn dieses Papier kann auch aus dem Safe des Staatspräsidenten stammen.“ „Und das komplette Originalmaterial befindet sich auf der Satana?“ „Wo sonst. Schätze, die Witwe schläft darauf.“ „Ob sie es verkauft?“ „Kommt darauf an, wieviel Vermögen sie im Ausland besitzt. Ob sie es nötig hat oder nicht.“ „Die Satana geht nach Kuba?“ „Sie lädt dort Würfelzucker.“ „In Kuba wird wenig laufen“, vermutete Urban. „Die Kubaner passen mächtig auf. Nächster Hafen?“ „Baltimore. Dorthin bringen sie Autoteile und übernehmen Fertigfahrzeuge. Für Europa. Bremerhaven.“ „Diese Dolores Somero hat gewiß überall auf der Welt Besitzungen.“ „Aber vor allem besitzt sie einen amerikanischen Paß. Sie wird wohl in den USA Schutz suchen.“ Urban rechnete aus, wieviel Zeit ihnen blieb, um irgend etwas zu unternehmen. Nicht viel Zeit. Ein paar Tage. Aber genug. Als erstes würde er Bonn unterrichten. Er würde nicht tele18
xen oder faxen, lesen konnte da oben keiner. Er mußte es ihnen vortragen. Mit dem nötigen Nachdruck. Das Dokument sah echt aus. Aber meist waren Fälschungen besser als Originale. „Wenn das“, wandte er sich an Kilimandscharo, „wenn es eines deiner üblichen Windeier ist, Mann, dann sehe ich dich heute zum letzten Mal lebend.“ „Das weiß ich.“ „Was willst du dafür?“ Kilimandscharos Augen schimmerten wie in Aspik gelegt. „Sind zehntausend zu viel?“ „Zu wenig, wenn der Wisch echt ist.“ „Schön, dann zwanzig.“ „Fünf“, sagte Urban. Kilimandscharo nickte, senkte dabei aber den Blick, um nicht wie ein Idiot auszusehen. 3. Bermudadreieck – Südspitze Koitus interruptus In den ersten vierundzwanzig Stunden an Bord des Frachters Satana hatte Dolores Maria Somero ihr e Kabine nicht verlassen. Am zweiten Tag hatte sie einen Spaziergang an Deck unternommen. Aber noch war es ihr zu kühl und zu windig gewesen. Am Abend hatte sie mit den Offizieren und dem Kapitän gespeist. Der Kapitän, ein piratenhaft kühner Typ, gefiel ihr. Trotzdem zog sie sich bald zurück. In Havanna ließ sie sich von ihm gern in den Club Cuban begleiten. Die schamlos nackten Mädchen und die Rumdrinks setzten ihr ein wenig zu. Auf der Fahrt zum Hafen ließ sie sich im Taxi küssen. Jedoch nur einmal. Als der Kapitän zur näch19
sten Attacke ansetzte und es mit dem ganzen Körper versuchte, wich sie ihm aus. Sie stieß ihn sanft zurück, ließ aber offen, ob sie seinen nächsten Angriff abwehren würde oder nicht. Der Kapitän brachte sie bis zu ihrer Kabine. Sie schlüpfte hinein und sperrte ab. Die Zuckersäcke waren geladen. Die Satana stach wieder in See. – Nach dem Grundsatz Nummer eins in der Christlichen Seefahrt, daß der kürzeste Weg der billigste war, nahm der Frachter Kurs auf die Floridastraße, um dann, wenn Miami erst querab peilte, sich wieder vom konkave n Küstenverlauf zu entfernen und Kap Hatteras anzusteuern. Hier oben am nördlichen Wendekreis wurde es sommerlich warm. Senora Dolores Somero sonnte sich im Bikini am Brückendeck hinter einer Persenning. Man mußte zugeben, daß sie einen beachtlichen Körper ihr eigen nannte. Sie war schlank, aber nicht zu sehr, sie hatte einen spitzen Busen, aber nicht zu groß, stramme Schenkel, nicht zu prall, und vom Nabel ab eine reizvolle Senke hin zum hochgewölbten Schamhügel. Der Kapitän rief den Steward. „Einen kühlen Drink für die Senora.“ „Cola, Sir?“ „Sind Sie wahnsinnig? Champagner!“ Der Steward servierte. Die Senora leerte das Glas. Später kam der Kapitän rein zufällig vorbeigeschlendert. Sie tat, als bemerke sie ihn erst, als sein Schatten auf sie fiel. Nun öffnete sie die Augen und blickte nach oben. „Capitan“, sagte sie. „Sie sind ein Abenteurer. Sie haben den Mädchen immer gern unter die Röcke geguckt.“ „Und andere Dinge, Madame“, ergänzte er. „Und auch gern von ihren Bonbons genascht.“ „Den süßen“, gestand er, „aber auch den sauren.“ Sie schlug die eingeölten Beine zur anderen Seite übereinander, was erforderlich machte, daß sie sie zuvor auseinander20
nahm. Der Kapitän glaubte, einen zarten Flaum dort zu sehen, wo der Bikini ihre Scham verhüllte. Das erregte ihn sehr. Das Schiff wiegte sich bei spürbarem Vorwärtsdrang sanft in der Dünung. Ein Gefühl, das ein gewisses Ziehen in den Lenden verursachte. – Der Kapitän hatte Erfahrung. Es gab da Zusammenhänge zwischen dem Verhalten von 12.000 Tonnen bei Seegang und der Erotik. Nicht ohne Grund wurde auf Passagierdampfern gevögelt wie nirgends sonstwo. Wahrscheinlich hatte man deshalb die Wasserbetten e rfunden. „Senora“, sagte er, „ich bete Sie an.“ – Und kein Wort mehr. Wenn erst der Abend kam und die Nacht, die Sterne, die Kühle, ein Aperitif vor dem Essen, ein Drink hinterher, dann würde man weitersehen. Er hatte immer alte softe SwingPlatten in Reserve, denn er war ein Profi, was die Verführung von Frauen betraf. Nur lohnte es sich bei den meisten nicht. – Hallo, servus, adieu. Aber diese Frau. Manometer. Bei dieser war das anders.
Die Satana lief 12 Knoten. Das entsprach etwa 290 Meilen pro Tag. Der Frachter hatte die Floridastraße passiert, die Bahamas an Steuerbord zurückgelassen und steuerte jetzt 019 Grad, als es wieder Abend wurde. Nach dem Dinner in der Kapitänskajüte trat Dolores Maria Somero an Deck und suchte die Kühle. Der Wind spielte mit ihrem Haar und mit der Seide ihres Kleides. Sie wußte, daß der Kapitän nachkommen würde. Als er sich neben sie auf die Reling lehnte, fragte sie: „Ist dies das Bermuda-Dreieck?“ „Wir laufen erst hinein.“ „Glauben Sie an diese Bermuda-Geschichten?“ wollte sie wissen. 21
„Nein. Aber Seeleute sind abergläubisch.“ „Also doch.“ Er machte ihr eine Rechnung auf. „Tausende von Schiffen durchqueren jährlich das BermudaDreieck. Alle paar Jahre verschwindet eines spurlos. Hochgerechnet ist der Promillesatz ungeklärter Schiffskatastrophen hier auch nicht größer als in anderen Seebereichen. Was soll’s?“ „Bleibt die Faszination“, bemerkte sie. Er rückte näher. Sein Ellbogen berührte de n ihren. „Haben Sie Angst, Dolores?“ „Ein wenig.“ „Ein Capitan“, erklärte er, „hat zwei Aufgaben: Sein Schiff heil über die großen Meere in den Hafen zu bringen – und seiner Besatzung oder seine n Passagieren das Gefühl von Ve rtrauen und Sicherheit einzuflößen.“ Ihre Augen glänzten so erwartungsvoll wie ihr Mund. Er küßte sie. Diesmal gab sie dem Drängen seines Körpers nach. Die Tür zu ihrer Kabine war nicht weit entfernt. „Dann erfüllen Sie Ihre Aufgabe, Capitan“, schlug sie vor. „Mit dem allergrößten Vergnügen, Senora“, sagte er, „stehe ich zu Diensten.“ Er öffnete die Kabinentür. Sie war so schmal, daß Dolores Maria sich an ihm vorbeizwängen mußte. Er spürte jede Kontur ihres Körpers, die Schulter, die Hüfte und die Außenseite des Oberschenkels. Er nahm die Wärme wahr, die von ihr ausging, den Parfumduft aus ihrem Dekollete, den Geruch des Shampoons, mit dem sie ihr Haar gewaschen hatte. Unvermittelt klemmte er ihren Oberschenkel zwischen seinen Beinen fest. Sie winkelte das Knie nach oben ab und stieß rhythmisch damit zu. Das erregte ihn ungeheuer, und sie flüsterte: „Worauf warten Sie noch, Capitan?“ 22
Drinnen verriegelte er die Tür und zog am Bulleye den Vorhang zu. Dann hob er das Telefon ab. „Hier Brücke!“ meldete sich der Wachhabende, „Was liegt an?“ fragte der Kapitän. „Kurs Nordwest zu West. Fahrt dreizehn Knoten. Funkpeilung Cap Kennedy querab. Sicht fünf Meilen.“ Beim Telefonieren bemerkte der Kapitän, wi e Dolores Somero den Schmuck ablegte, wie sie die dünnen Träger, die das Kleid hielten, löste, den linken, den rechten, wie sie den Reißverschluß hinten Öffnete und wie das weichfließende Organzakleid zu Boden glitt. Sie hatte wenig darunter an. Einen BH und ein Hemdhöschen, schwarz, mit Spitzen, und strapslose Strümpfe. Als sie den linken hochhackigen Schuh abstreifte, bat der Kapitän: „Laß ihn an.“ „Sagten Sie noch etwas, Capitan?“ fragte die Brücke. „Richten Sie es ein, daß ich bis zum Wachwechsel nicht gestört werde.“ „Verstanden, Sir.“ Der Kapitän legte auf und schlüpfte aus der Uniformjacke. Dolores Somero half ihm beim Binder, bei den Hemdknöpfen und bei der Gürtelschnalle. „Wann ist Wachwechsel?“ fragte sie leise. „In drei Stunden.“ Sie lächelte und befeuchtete die Lippen mit de r Zunge. „Schon?“ Nun zog er ihr das Hemdhöschen aus. Ihr Körper war von Natur zartbraun, mit Brüsten, die größer waren, als man ahnte, fest und schwer. Sie setzte sich auf die Koje und beobachtete fasziniert, wie er sich des letzten Stückes, der weißen, weitbeinigen amerikanischen Unterhose, entledigte. Der aus dem Dickicht ragende Speer entlockte ihr nur ein Wort: 23
„Madonna!“ Einladend lehnte sie sich mit dem Oberkörper zurück, fühlte offenbar etwas Hartes und richtete sich wieder auf. Wütend riß sie das Laken weg und packte den rindsledernen Handkoffer, den sie beim Schlafen stets neben sich hatte am Griff. „Den brauchen wir jetzt nicht.“ Er nahm den Koffer, um ihn auf den Kabinenboden zu stellen. „Wußte gar nicht, daß er so schwer ist.“ „Schmuck, Gold und Papier, das wiegt.“ „Ich bot dir den Schiffsafe an, Dolores.“ „Und wenn das Schiff sinkt?“ „Dann holen wir den Koffer vorher aus dem Safe.“ „Und wenn es dafür zu spät ist?“ „Das Schiff sinkt nicht.“ „Ich habe ihn gern in meiner Nähe.“ Frauen lieben im wesentlichen zwei Dinge. Diamanten im weitesten Sinn und Männer im weitesten Sinn. – So lautete eine der Lebenserfahrungen des Kapitäns. Voller Ungestüm umschlang sie seinen nackten Rücken, grub die Fingernägel in sein festes Fleisch, zog sie herunter bis zum Gesäß und ihn mit sich. „Schmales Bett“, flüsterte sie. „Breit genug.“ „Wenn man sich nicht nebeneinander legt, sondern…“ „Aufeinander“, ergänzte der Capitan. Der Unterschied zwischen seiner Größe und ihrer Weite war so, daß es ein wenig schmerzte, aber auch die Erregung steigerte. Er nahm keine Rücksicht auf sie. Und sie genoß es, wie etwas, das sie lange vermißt hatte. „Wie nennt man das“, stöhnte sie, „bei Seeleuten? Die Tiefe messen?“ „Das Lot nehmen.“ „Das Lot ist schon am Grund, Capitan.“ 24
„Jedes Schiff braucht zehn Zentimeter Wasser unter dem Kiel.“ „Setz es in die Klippen, Capitan, jage es in die Tiefe.“ „So tief du nur willst.“ Er merkte es an ihrem Atem und sie an seinem, daß sie sich einem wilden, rasenden Höhepunkt näherten. – Er wurde durch eine Art Gongschlag eingeleitet. Der unsichtbare Gong hallte in ihren Ohren und schien sich durch ihre Körper fortzupflanzen. Der Kapitän hielt mit seinen Bewegungen inne, als hätte man eine Kolbenmaschine schlagartig gestoppt. „Was war das?“ Sie hielt ihn fest umschlungen. „Nichts. Bitte mach weiter, Carino.“ „An Backbord war es.“ „Caro, ich flehe dich an, nicht aufhören jetzt.“ Doch er war unfähig, an etwas anderes zu denken als an den Gongschlag gegen sein Schiff. Er befreite sich aus ihren Armen, stürzte ans Telefon und riß den Hörer aus der Halterung. „Warum gehst du fort, das war doch nichts als…“ Den Rest des Satzes fetzte die Detonation vo n ihren Lippen. Die Explosion mußte mittschiffs, ein Stück vor der Brücke, erfolgt sein. Ein harter Stoß, als sei es im Riff aufgelaufen, schüttelte das Schiff. Es holte über, richtete sich auf und glitt weiter durch die Fluten. Aber plötzlich standen die Maschinen. Der Kapitän stürzte barfuß, nur in Hemd und Hose an Deck. Draußen sah er die Bescherung. Bei Luke II brannte es. Das Brückentelefon schrillte, und die Alarmsirene heulte sägend auf und ab. „Explosion in der Maschine “, schrie jemand. „Schiff macht Wasser.“ „Überall.“ Schon hatte der Kapitän die Brücke erreicht und übernahm das Kommando. 25
„Boote klarmachen! SOS an Küstenfunkstelle Jacksonville und Grand Bahama: Hier Frachter Satana. Sinken nach Torpedotreffer. Versuchen uns zu halten. – Dazu den Standort.“ Der Funker legte los. Das Schiff bekam jetzt Schlagseite, und der Kapitän änderte die Order: „Nein. Geben Sie nur SOS. Satana, SOS und den Standort.“ Die Freiwache war, die Rettungswesten umgehängt, an Deck gestürzt. Zwei Rettungsboote wurden weggefiert Vielleicht läßt sich das Schiff halten, dachte der Kapitän. Die Schotten waren zu. Wenn es nur die Maschine erwischt hatte, würden die Laderäume noch genug Auftrieb geben. „Maschine an Brücke“, plärrte es aus dem Laut- Sprecher. „Die Bordwand ist aufgerissen wie ein Scheunentor. Pumpen ausgefallen. Wasser steigt . Wir verlassen die Maschine.“ Das Schiff bekam zur Schlagseite noch Hecklage. Dieses verfluchte Bermuda-Dreieck. Kein vernünftiger Mensch glaubte an geheimnisvolle Kräfte. Trotzdem kam es immer wieder vor, daß Schiffe spurlos verschwanden. – Aber verdammt, nicht mein Schiff, fluchte der Kapitän. „SOS bestätigt“, meldete der Funker. „Empfangen und bestätigt. Sie schicken Küstenwachboote und den Rettungshubschrauber. Ein Tanker nimmt Kurs auf unsere Position. Kann in siebzig Minuten da sein.“ Erst dachte der Kapitän: Solange halten wir uns vielleicht – Aber dann erfolgte die zweite Detonation. Härter und brutaler als die erste. Es war, als klemmte das Schiff mit Bug und Heck in zwei Schraubstöcken, und jemand schlüge es von unten mit dem Hammer entzwei. Nie zuvor hatte der Kapitän eine solche Explosion so nahe gehört, geschweige denn gespürt. Sie machte ihn taub und gefühllos. Sie rammte ihm schier die Unterschenkel ins Knie. Er versuchte, einen Befehl zu erteilen, doch seine Stimme war weg. 26
Das Schiff bäumte sich auf, ringsum loderte Feuer, qualmte Rauch. Stahl barst jaulend. Es klang, als würde man einen Hund quälen. Spanten knirschten sich verbiegend. Die Bordwand platzte schrill. Das, dachte der Kapitän, hält das Schiff nicht aus. Nein, das hält keines aus. „Rette sich wer kann!“ versuchte er zu schreien. „Alle Mann von Bord!“ Aber offenbar gab es außer ihm keinen Lebenden mehr. Er taumelte zur Gästekajüte. Dort sah er Dolores Somero, wie er sie verlassen hatte, nackt, aber ohne Besinnung. Er riß sie hoch, nahm sie in seine Arme und trug sie hinaus. Während er noch überlegte, wo er mit ihr vo n Bord springen sollte, explodierte irgend etwas im Schiff. Mit der Frau auf den Armen wurde er hinauskatapultiert. Als ihre Körper ins Meer eintauchten, lebten der Kapitän und Dolores Somero schon nicht mehr. So blieb ihnen der Anblick erspart, wie das Schiff binnen weniger Minuten kenterte, wie es noch sinkend, einem Griechischen Feuer ähnlich, weiterbrannte.
Die Seenothubschrauber und die Schnellboote der Coast-Guard trafen gegen 2.00 Uhr morgens an der SOS-Position der Satana ein. Ihre Radargeräte zeigten nichts an. Mit Scheinwerfern suchten sie die See ab, ohne eine Spur zu finden. Gewöhnlich trieb immer etwas herum. Wrackteile aus Holz oder Kunststoff, ein Rettungsring, eine Schwimmweste, Abfälle. Da sie nichts dergleichen fanden, keimte die Hoffnung auf, das Schiff sei im Golfstrom abgetrieben worden. Gegen Morgen mußten die Suchkommandos die bittere Wahrheit akzeptieren. Es gab die Satana nicht mehr. Nur noch ein stinkender Rohölfleck breitete sich nach Norden hin aus. 27
4. Bonn – Kanzleramt Es ist Mitternacht, Herr Minister! Die Zeitverschiebung brachte es mit sich, daß die Nachricht vom Untergang des spanischen Frachters Satana in Bonn gegen 23.00 Uhr einging. Das Telex wurde dem Staatssekretär vorgelegt, der informierte den Minister telefonisch. „Moment mal…“, der Minister stutzte. „Satana, Satana, was war damit?“ „Sie wurde in einem BND-Bericht erwähnt.“ „Ach ja, diese dumme Dokumentengeschichte. Finden Sie nicht auch, daß unser Nachrichtendienst da wieder fürchterlich übertreibt?“ Der Staatssekretär gab ungern Beurteilungen ab, erst recht nicht zu so später Stunde. „Das Schiff sank um Mitternacht Ostküstenzeit.“ „Doch nicht jetzt eben.“ „Gestern.“ „Warum erfährt man es so spät?“ Der Staatssekretär versuchte, es zu erklären. „Das SOS kam aus dem Bermuda-Dreieck. Als die Rettungshubschrauber hinkamen, war die Satana bereits abgesoffen. Das war am Morgen, nehmen wir an bei Sonnenaufgang, also sieben Uhr amerikanische Ostküstenzeit. Rechnen wir die Zeitdifferenz hinzu, von Europa nach den USA rund sieben Stunden, dann wurde der Untergang der Satana nach unserer Zeit um vierzehn Uhr bestätigt Bis die Meldung durch die Medien lief, können noch einmal Stunden vergangen sein. Wie ich hörte, brachten es die New Yorker TV-Satelliten erstmals in den Mittagsnachrichten.“ „Wie sank die Satana?“ fragte der Minister. 28
„Man spricht von Explosionen. Es ist die Rede von einem oder sogar von zwei Torpedos.“ „Warum nicht von Minen?“ „Treibminen tauchen nur noch selten auf.“ , Aber es könnten auch Minen gewesen sein.“ „Die versenken nicht gleich einen Zwölftausendtonner.“ „Und Torpedos werden von U-Booten abgefeuert. Stimmt’s?“ „In der Regel ja“, bestätigte der Anrufer. Der Minister fluchte nicht gerade leise. „Eine Menge Leute wissen von diesen Dokumenten. Sie fantasieren sich alles mögliche zusammen, weil es Papiere sein sollen, die auch die Bundesrepublik belasten. Teufel, Teufel, wenn da nur nicht wieder berichtet wird: Deutsches U-Boot verhindert durch gezielten Torpedoschuß die Veröffentlichung von Nazi-Papieren.“ „Und schon haben wir eine Art Satana-Zwischenfall.“ ,Ach Unsinn“, tat es der Minister ab. „Die Politik wird von Politikern gemacht und nicht von einem Haufen Jules-VerneSpinnern. Danke Ihnen.“ Er legte auf. Aber nicht besonders schnell, sondern eher zögernd. Der Minister saß da und dachte nach. In Deutschland wußten nur ein paar Männer von diesen Dokumenten. Es waren weniger, als man Finger an einer Hand hatte. Die vier Eingeweihten hatten bis jetzt nichts unternommen. Zwar gab es Pläne, die ERSO-Papiere in die Hand zu kriegen, aber keine Entscheidungen. Sie hatten nichts mit dem Untergang des Schiffes zu tun. Ihre Hände waren sauber, und ihre Herzen waren rein. Aber wer würde es ihnen glauben, wenn erst wilde Gerüchte umliefen. Der Minister suchte in seinem Notizbuch den Code, jene zweistellige Zahl, die er eintippen mußte, damit die Wählautomatik des Telefons die Verbindung mit einem Experten herstellte, der sein Vertrauen genoß. 29
An der Signaldiode sah er, daß der Apparat immer und immer wieder wählte, aber die Verbindung nicht zustande brachte. Entweder kam er nicht durch, oder es war belegt, oder der Teilnehmer war nicht zu Hause. Der Minister gehörte nicht dem Kreis Bonner Alkoholiker an, brauchte jetzt aber einen Cognac. Während er trank, starrte er immerzu auf das Telefon. Es arbeitete, tat seine elektronische Pflicht, kam aber zu keinem Ergebnis.
Auf Knopfdruck hatte das Telefon aufgehört zu wählen. Als wollte es die Anstrengung mit einem Stöhnen quittieren, zirpte es laut. Der Minister hob ab und vernahm eine bekannte Tenorstimme. „Sie versuche ich händeringend zu erreichen“, sagte der Minister. „Gedankenübertragung“, vermutete Bob Urban. „Ihr Geheimanschluß war belegt.“ „Was sagen Sie dazu?“ Der Minister setzte voraus, daß Urban wußte, was ihm Sorgen machte. „Erster Gedanke zu dem Satana-Zwischenfall“ äußerte der BND-Agent: „Das Problem haben wir los. Der Herr hat es in seiner unendlichen Güte vo n uns genommen.“ „Und zweiter Gedanke?“ „Dokumente sind aus Papier. Papier brennt leicht.“ „Dritter Gedanke?“ „Papierasche verteilt sich im Wasser.“ „Gibt es diese Dokumente überhaupt?“ Hier mußte Urban den Minister enttäuschen. „Sie waren General Someros Lebensversicherung.“ „Und was da lief, entspricht es den Tatsachen?“ Der Minister wirkte ein wenig weltfremd. Urban holte ihn auf den Boden der Realität zurück. 30
„Argentinien steht am Rande des Staatsbankrotts. Es konnte sich den Falklandkrieg gar nicht leisten. So beauftragte es Ernesto Somero, das nötige Kapital zu beschaffen. Man kalkulierte grob mit hundert Milliarden, die man sich nach dem erhofften Sieg irgendwie zurückholen würde. – Der Sieg wurde zur Niederlage, aber die hundert Milliarden waren futsch.“ „Woher beschaffte Somero sie?“ „Leider“, erwähnte Urban, „mit Hilfe deutsche r Banken.“ „Scheiße“, stöhnte der Minister. „Man kann es nun so hindrehen, als hätten deutsche Banken den Falklandkrieg finanziert. Natürlich waren auch britische, französische, italienische und amerikanische Banken beteiligt, aber an uns wird es wie üblich hängenbleiben.“ „Als ein Nato-höchst-unfreundliches Verhalten.“ „Das wäre noch der gelindeste Vorwurf“, befürchtete Urban. „Der nächste Vorwurf wäre, daß wir die Satana versenkt hätten.“ „So wird er lauten.“ „Verdammte Gerüchte.“ „Es ist lachhaft“, sagte Urban, „aber solche Gerüchte können Sie nicht mal mit dem Beil erschlagen.“ „Man kann dementieren“, äußerte der Minister. „Richtig, wir behaupten, diese Papiere gibt es gar nicht.“ „Aber ein paar Leute wissen davon. Ich meine, international gesehen.“ „Ein paar zuviel“, pflichtete Urban ihm bei. „Also wie ist die Ruderlage, um gegenzusteuern?“ Damit waren sie wieder in der Gegenwart angelangt. „Das Ganze war doch… also ich würde es doch keinen Zufall nennen“, fügte der Minister noch hinzu. „Ein Attentat, Treibminen, Torpedos, der Geist des Bermuda-Dreiecks oder was auch immer. Jedenfalls geriet das Material nicht in fremde Hände.“ „Sind Sie sicher?“ zweifelte der Minister. 31
Urban versuchte, ihn zu beruhigen. „Die Satana sank mit Mann und Maus“, erklärte er. „Das Meer ist an dieser Stelle tausendfünfhundert Meter tief.“ „Was bedeutet das?“ „Daß man schwer, so gut wie gar nicht an das Wrack herankommt, falls es sich überhaupt um ein ganzes Stück Schiff handelt, was am Meeresgrund anlangte.“ Sie gingen alle Möglichkeiten und Eventualitäten durch, um Alarmpläne aufstellen zu können. „Tun läßt sich im Moment gar nichts“, versicherte Urban. Das sah der Minister ein. „Danke“, sagte er. „Ich bin zwar nicht beruhigt, aber doch immerhin ein wenig betäubt. Im Augenblick also schmerzunempfindlich.“ Fragte sich nur, wie es morgen früh aussah, wenn die Zeitungen auf dem Schreibtisch des Regierungschefs lagen. 5. Florida Taucher, Tiefseetaucher, Panzertaucher Der Frachter Satana war bei Lloyd-London mit elf Millionen Pfund versichert. Ladung extra. Da wenig über den Hergang der Katastrophe bekannt war, beauftragte die Versicherung eine Spezialfirma, das Wrack ausfindig zu machen. Der Mann von Lloyd flog von London nach Florida und ließ sich vom Inhaber der Sea-Save-Corporation über die Möglichkeiten und Kosten unterrichten. Zunächst führte der SSC-Experte den Engländer durch seinen am Halifax-River liegenden Betrieb. In mehreren Hallen stand und hing Gerät für den Einsatz in unterschiedlichen Tiefen. 32
„Bis auf etwa fünfzig Meter arbeiten wir mit Freitauchern“, erläuterte der SSC-Boß, „allgemein als Froschmänner bekannt. Geht es auf hundert Meter runter, stecken wir unsere Mitarbeiter in Gummianzüge.“ Dabei deutete er nach oben, wo an einem Seilzug unter der Decke so ein unförmiges Ding zum Trocknen hing. An der Halsöffnung hatte der Taucheranzug ein Gewinde, in das ein kugelförmiger Helm aus Kupfer geschraubt wurde. Der Helm hatte vorn eine runde Fensterscheibe. Hinten führten Schläuche weg. „Durch sie pumpen wir Atemluft nach unten“, sagte der Bergungsspezialist. „Die Schuhe sind so dick, weil sie Bleisohlen haben. Außerdem trägt der Taucher auf Brust und Rücken noch Bleiplatten. Die Verständigung erfolgt über Telefonkabel. Unterwassersprechfunk hat sich schlecht bewährt.“ Der Engländer wußte sofort, daß dieses Gerät nicht in Frage kam. In der nächsten Halle stand ein merkwürdiges Monstrum, das wie ein unförmiger, zu doppelter Größe aufgeblasener Mensch aussah, bei dem Rumpf und Glieder aus Stahlringen bestanden. Die Ringe waren durch wasserdichte Gelenke miteinander verbunden. Anstelle der Hände hatte das Ding Zangen, die von innen bewegt wurden. „Unser Panzertaucher“, sagte der SSC-Inhaber. „Der Panzertaucher nimmt seinen Luftvorrat meist in Preßluftflaschen mit.“ „Das Ding wiegt doch Tonnen“, schätzte der Lloyd-Mann. „Dafür hat es oben am Kopf die Öse. Es wird per Stahltrosse am Kran in die Tiefe gelassen. Man kann damit bis auf dreihundert Meter tauchen und dort auch arbeiten.“ Soviel hatte der Engländer begriffen, daß es mit der bisher gezeigten Technologie nicht zu schaffen sein würde. Im hinteren Teil der Halle stand das modernste und komplizierteste Gerät. Eine Taucherkugel und eine Art Bathycape, ein Klein-U-Boot. „Damit stoßen wir bis auf neunhundert Meter runter“, führte der SSC-Boß aus. 33
„Aber“, wandte der Engländer ein, „wie man hört, liegt das Wrack bei eintausendvierhundert Metern.“ „Das ist noch nicht sicher, Sir. Noch war ja keiner dort.“ Im Büro erläuterte der SSC-Manager sein Vorgehen. „Wir fahren mit dem schweren Schlepper hinaus. Er verfügt über Unterwassersonar und Ortungsgeräte wie ein Minensucher. Damit spüren wir das Wrack auf. Als nächsten Schritt lassen wir eine Fernsehkamera in die Tiefe. Es handelt sich um eine Kamera-Lampen-Kombination. Hat sie das Wrack ausfindig gemacht, fertigen wir Videoaufnahmen an. Die Auswertung dieser Bilder bestimmt unser weiteres Vorgehen.“ „Ebenso wie das unsere“, ergänzte der Lloyd-Mann. „Wichtig scheint mir, ob die Satana überhaupt noch ganz ist oder in Stücken verstreut liegt.“ „Ob sie auf der Nase steht oder kieloben auf dem Gesicht liegt und ob sich überhaupt noch irgend etwas lohnt. – Was hatte das Schiff geladen, Sir?“ „Autoteile, Stückgut in Containern, einige tausend Tonnen Zucker in Säcken.“ „Wert der Ladung?“ „Der ist bei uns voll abgedeckt. Aber man muß wissen, ob eine Bergung möglich ist. Unsere Rückversicherer bestehen darauf.“ Der Engländer deutete an, daß es ihnen auch auf den Safe ankäme. „Nach den Plänen liegt der Safe oben auf der Brücke.“ „Ja, neben der Kapitänskajüte.“ „Safes halten oft selbst den stärksten Bums aus“, sagte der Bergungsfachmann. „Sie sind fast immer, intakt. Was befindet sich im Safe, Sir?“ „Darüber wissen wir nichts Genaues“, wand sich der Engländer. „Es dürfte sich aber um Dinge vo n nicht unbedeutendem Wert handeln.“ 34
Nun ging es ums Geld, um die Kosten der jeweiligen Arbeitsphasen. „Zunächst möchte ich Fotos und Filme sehen“, entschied der Mann aus England. Noch am selben Tag gingen die Amerikaner ans Werk. Das Ergebnis war höchsts unbefriedigend. Das Wrack der Satana lag tiefer als gehofft, nämlich auf 1400 Meter. Offenbar hatte sich beim Sinken die Ladung verschoben und dem Schiff einen anderen Schwerpunkt gegeben. Der Kiel ragte nach oben. Der Rumpf war noch in einem Stück, hatte aber in Höhe der Maschine und mittschiffs zwei Löcher vo n der Größe eines Garagentors für Lastwagen. Der Mann von Lloyd-London sah sich den Videofilm mehrmals an. „Keine innere Sprengladung“, vermutete er. „Dann wären die Stahlplanken nach außen aufgebogen. Sie sind aber nach innen verformt.“ „Minen?“ „Eher Torpedos.“ „Oder vielleicht Haftladungen.“ „Die müßten schon in Havanna angebracht worden sein.“ „Durch diese Löcher sollten Sie Ihr Klein-U-Boot doch wohl hineinkriegen“, bemerkte der Engländer. „Einigermaßen mühelos“, antwortete der Manager von SSC, „nur eine Kleinigkeit hindert uns daran. Auch dieses Tauchgerät ist nur bis tausend Meter einsetzbar.“ Der Engländer hob erstaunt die Augenbrauen. „Ich hörte, man erreiche schon Tiefen von sechstausend Metern.“ „Mit Spezialgeräten, Sir.“ „Dann besorgen Sie so ein Gerät.“ „Das ist leider unmöglich, Sir. Bis heute verfügt nur die USMarine über solche Apparate, und zwar für den Einsatz bei Katastrophen, an denen Kriegsschiffe beteiligt sind. Dieses Tiefseetauchgerät ist streng geheim.“ 35
„Kann man es nicht mieten?“ „Nicht zu Bergungsarbeiten an einem gewöhnlichen Frachter, Sir“, lautete die Antwort. „Heißt das, wir müssen aufgeben?“ „Ich fürchte ja, Sir“, bedauerte der Amerikaner. „Die internationale Taucher-Association läßt zwar ein Gerät bauen, das bis auf viertausend Meter absteigen kann, es ist aber noch nicht fertig.“ „Wann ist es fertig?“ drängte der Lloyd-Mann. „In drei bis vier Jahren, Sir“, antwortete der Amerikaner. Am nächsten Tag flog der Experte von Lloyd nach Europa zurück.
„Mit Süßstoff?“ fragte der Adjutant des Admirals. Cryder, der hagere Weißkopf mit den goldene n Ringen um die Uniformärmel, winkte ab. „Heute mit Zucker und Sahne. Zur Feier des Tages einen echten Navykaffee.“ Vor ihm lagen Fotos und die Kopie eines Berichts. Dem Marinegeheimdienst war es gelungen, das Material bei der Bergungsfirma SSC in Daytona-Beach locker zu machen. „Halboffiziell“, bemerkte dazu Cryders Adjutant, ein Captain, schwarzhaarig wie der Teufel. „Unter halboffiziell“, sagte der Admiral, „verstehe ich, daß man das Zeug nicht geklaut, aber auch nicht gekauft hat. Man hat es sich irgendwi e besorgt.“ „Durch Überredung“, präzisierte der Adjutant. „Es gibt da Interessenverbindungen zwischen der Navy und diesen Bergungshaien. Sie kriegen ab und zu einen Tip von uns hinsichtlich eines Objekts, bei dem sich die Schatzsuche lohnen könnte, egal ob es sich um eine spanische Goldgaleone handelt oder um ein Wrack mit wertvoller seewasserfester Ladung.“ 36
„Wracks also, die unsere Minenräumer und Jagd-U-Boote orten.“ „So ist es, Sir. Allerdings darf Lloyd-London nichts davon wissen. Sie haben für die Wrackanalyse vierzigtausend Dollar bezahlt.“ Der Admiral rührte den Zucker im sahnigen Kaffee auf. Dabei schwappte etwas über den Tassenrand. Als er ihn schlürfte, tropfte Kaffee auf eines der Fotos. Doch er war so fasziniert, daß er es gar nicht wahrnahm. „Eindeutig Torpedotreffer“, entschied er. „Mit Aufschlagzünder, Sir. Zweifelsfrei.“ „Oder, hm, vielleicht doch noch etwas anderes?“ „Nicht völlig von der Hand zu weisen, Sir.“ Der Admiral hob sein Kinn, das einem breiten Steinmeißel glich. „Sie wissen, was ich meine, Captain?“ „Ich glaube schon, Sir.“ Der Admiral seufzte schwer. „Captain“, sagte er. „Warum äußern Sie eigentlich nie Ihre Meinung. Waren es nun zwei Torpedos?“ „Oder Haftladungen, Sir.“ „Die lassen sich unterwegs nur schwer anbringen. Also müßten sie in Havanna an den Rumpf geklemmt worden sein.“ „Wo anders sonst, Sir?“ „Aber warum sollten die Kubaner das tun? Der Frachter transportierte keine Waffen, und Castro hat keinen Ärger mit Spanien. Ein Racheakt scheidet mithin aus.“ „Diese Witwe, Sir, war an Bord… soll an Bord gewesen sein.“ „Ach ja, die arme reiche Erbin von Exgeneral Sommer.“ „Mit Schmuck, Fluchtgeld und Dokumenten“, ergänzte der Adjutant. „Belastende Dokumente?’ fragte der Admiral mehr sich als seinen Adjutanten, der ohnehin nie viel Ahnung hatte. Der 37
Captain war ungeheuer korrekt, zuverlässig und stets picobello gebügelt. Er fiel nie aus der Rolle. Aber ansonsten war er eine Pfeife. Beim Stab brauchte man kreative, dynamische Männer, die auch mal eine Lippe riskierten. Wurde Zeit, daß er den Mann abschob. Ja, befördern und dann abschieben, das war die beste Masche, um ihn loszuwerden. „Wen belasten die Dokumente?“ „Möglicherweise Argentinien.“ „Wieso Argentinien?“ „Die Haftladungen“, faßte der Adjutant zusammen, „stammen, wenn nicht von den Kubanern, dann vielleicht vom argentinischen Geheimdienst.“ Der Admiral lehnte sich zurück, massierte seine Augen und holte tief Luft. „Denken Sie doch mal logisch“, forderte er. „Jeder Frachter, der in Kuba einläuft, wird unter der Wasserlinie von Froschmännern Meter für Meter nach Spionagegerät oder anderen Instrumenten abgesucht. Seitdem vor dreizehn Jahren dieser Munitionsfrachter hochging und ihnen den halben Hafen wegblies, sind sie äußerst vorsichtig. Die Haftladungen können also in Havanna noch nicht am Rumpf der Satana geklebt haben. Kapiert?“ „Und um Sprengladungen an ein fahrendes Schiff zu bringen“, ergänzte der Adjutant, „dafür gibt es noch keine Technologie.“ Der Admiral nahm mit seinem Adjutanten solange Blickkontakt auf, bis es schmerzte. „Wirklich?“ „Sie meinten, bitte was, Sir?“ „Ob es wirklich keine Technologie gibt, Sprengladungen an den Rumpf fahrender Schiffe auf hoher See anzubringen.“ Der Captain gab seiner Stimme einen verschwörerischen Ton. „Es gibt sie in der Tat, Sir.“ 38
„Na bitte.“ „Aber das ist alles top-secret, Sir. Nur wir, die US-Navy, verfügt darüber.“ Jetzt begann der Admiral dröhnend zu lachen. Er beugte sich vor und deutete mit dem steifen Zeigefinger auf sich, auf die Stelle, wo sein Herz und seine Orden saßen. „Ich“, erklärte er, „habe dafür gesorgt, daß es diese Waffe gibt. Und ich verfüge über sie. Warum, glauben Sie, hat man diese Fotos und diesen Bericht ausgerechnet auf meinen Schreibtisch gelegt? Doch nur…“ „Sir?“ „Warum, zum Teufel, warum?“ „Weil wir die einzigen sind, die damit zu tun gehabt haben könnten.“ „Mann, Captain“, stöhnte Admiral Tom Cryder. „Endlich haben Sie das begriffen. Diese Versenkung könnte von uns inszeniert worden sein. Aber das werden wir rasch aufklären. Wir werden, we m auch immer, diese böswillige Beschuldigung ins Maul zurückstopfen. Klar?“ „Selbstverständlich, Sir.“ Der Admiral stand auf, ließ seine Sekretärin kommen und diktierte einen Befehl. Er ordnete an, daß das modernste Tiefseetauchgerät der US-Navy vom Flottenstützpunkt Norfolk mit einem Spezialschiff und dem eingespielten Bergungsteam sofort in Marsch, zu setzen sei. Mit Kurs zum Lageort des Wracks der Satana, querab Jacksonville im Bermudagraben. 80 Grad West, 31 Nord.
Die Ausbeute der US-Navy entsprach dem massiven Einsatz von Supertechnik. Ein ferngesteuertes U-Boot, bestückt mit Scheinwerfern, Kameras sowie hydraulischen Greifern, Zangen, Sägen und 39
Brecheisen, umkreiste mehrmals den Rumpf der Satana, ehe es durch die Lecks in den Rumpf eindrang. Dort wurde immerhin festgestellt, daß die Ladung mit den Frachtpapieren übereinstimmte, also ordnungsgemäß deklariert war. Anschließend tauchte das Gerät unter den Rumpf und arbeitete sich bei den kopfstehenden Aufbauten bis zur Brücke, durch die großen Bulleyes ins Innere von Kartenraum, Funkraum und Kapitänskajüte vor. Die Kameras liefen, die automatischen Fotoapparate klickten. Von Cryders Stab wurde das Material analysiert und mit dem Geheimstempel versehen. – Von dem Ergebnis drang kaum ein Wort aus den Stabs- und Geheimdienstbüros. Nach Abschluß der Operation rief der CIA-Chef bei Admiral Cryder an. „Also keine Torpedos.“ „Mit Sicherheit nicht.“ „Aber Haftladungen.“ „Dies mit ziemlicher Sicherheit.“ „Die können nur von unseren…“, der CIA-Boß sprach nicht weiter, „… angebracht worden sein.“ „Eine andere Möglichkeit“, gestand Cryder, „ist kaum denkbar. Andererseits ist undenkbar, daß wi r es gewesen sind. Ich müßte davon wissen.“ „Überprüfen Sie erst jeden Ihrer Leute“, riet der höchste CIA-Manager. „Wir sind dabei, Direktor.“ „Gibt es Hinweise, Admiral?“ „Nein.“ „Einen Verdacht?“ „Es gäbe einen Verdacht“, deutete Cryder an, „wenn der Mann nicht tot wäre.“ „Gehen Sie der Sache trotzdem nach.“ 40
„Was denken Sie, was wir hier tun?“ „Und der Safe“, bemerkte der Anrufer. „Der Safe ist gesprengt worden. Das muß doch erst später gemacht worden sein.“ „Sie meinen nach dem Untergang.“ „Ja, als das Wrack schon sank oder am Meeresgrund aufgeschlagen war.“ „Fragt sich nur wie. Alles äußerst rätselhaft. Kein Mensch kann sich da unten aufhalten, ohne platt wie eine Wanze gedrückt zu werden.“ „Wer spricht von Menschen“, erwiderte der CIA-Direktor und fürchtete, schon zu viel gesagt zu haben. Er wußte es, der Admiral wußte es, noch ein paar andere wußten es. Und alle wußten, daß es nie und nimmer bekannt werden durfte. „Vergattern Sie Ihre Leute“, riet der Mann von der CIA. „Sie auch.“ „Meine Agenten haben Verträge. Wenn sie die brechen, sind sie so erledigt wie ein Massenmörder in der Todeszelle.“ „Und meine Offiziere stehen unter Eid“, erinnerte Cryder. „Somit können wir ja beruhigt schlafen“, spottete der CIAManager, „falls wir können.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte weder er noch der Admiral die geringste Ahnung, was auf sie zukam. 6. Spanien Die Beine von Rosita Mit einem mexikanischen Paß, der auf den malerischen Namen Felipe Joaquin Herrera lautete, hatte er in Madrid spanischen Boden betreten. Zwar besaß er den Körperbau eines Stierkämpfers, schlank 41
und sehnig, war aber blond und blauäugig, was bei Matadores selten vorkam. Gekleidet war er in Jeans, Cowboystiefel, T-Shirt und Nappalederjac ke. Alles von gehobener Qualität. Nur zwei Gepäckstücke hatte er bei sich. Einen zusammenklappbaren Kleidersack – das Ex-Armeemodell – und einen Hartschalenkoffer. Diesen mußte er beim Zoll öffnen. Der Beamte griff kurz hinein und malte dann ein Kreidezeichen auf die Seite. Die gebündelten hundertachtzigtausend Dollar am Kofferboden entdeckte er jedenfalls nicht. Es war durchaus erlaubt, US-Dollar nach Spanien einzuführen, aber der Beamte hätte Fragen gestellt. Das wollte Herrera vermeiden. Mit dem Taxi fuhr er in ein Hotel dritter Kategorie und mietete sich dort ein. Am nächsten Morgen wollte er ein Bankkonto eröffnen. Doch als Mexikaner hatte er damit Probleme. Also versuchte er, sich einen spanische n Paß zu besorgen. Auch das war nicht einfach. Wen auch immer er in den Altstadtbodegas daraufhin ansprach, der bedauerte oder zuckte mit den Schultern. Also fuhr er mit dem Schnellzug zur Küste nach Barcelona. In dieser Mittelmeer-Hafenstadt hoffte er leichter zum Ziel zu kommen. Von seinem umfangreichen Programm konnte er jedoch nur zwei Punkte abhaken. Den Kauf eines Automobils und das Anmieten eines Hauses auf einem großen Grundstück am Meer. Der Land-Rover war noch für drei Monate zugelassen und das Grundstück bildete die Spitze einer Landzunge. Sie ragte in den Golf von San Jorge, elf Kilometer von Tarragona, siebzig von Barcelona entfernt. Das Haus hatte Licht und Telefon, aber kein Wasser. Das mußte man aus dem Brunnen in einen Dachbehälter pumpen. 42
Wegen der Nähe zum Meer hatte das Wasser einen leichten Salzgeschmack. Zum Haus gehörte ein Nebengebäude, aufgeteilt in Fahrzeugschuppen, Stall und Vorratskammer. Es stank noch ein wenig nach den Ziegen und Schafen, die hier gehalten worden waren. „Sie können das Areal kaufen“, hatte der Immobilienhändler gesagt. „Der alte Eigentümer ist verstorben, und die Erben arbeiten in Belgien.“ „Vielleicht“, hatte Herrera geantwortet. „Ich möchte Hunde züchten. Wenn es nicht zu windig und nicht zu heiß ist, dann mache ich Ihnen vielleicht ein Angebot. Hunde mögen weder zu große Hitze noch starken Wind.“ „Was für Hunde züchten Sie?“ fragte der Spanier. „Bernhardiner“, scherzte der Caballero aus Mexiko. Nachdem er sich eingerichtet hatte, besorgte er als nächstes Maschendraht und davon die größte lieferbare Breite. Außerdem bestellte er zwei Dutzend Pflöcke aus Holz, schon zugespitzt und unten geteert, Er wählte die vier Meter langen. Wenn man sie einen Meter in die Erde schlug, den Maschendraht von 2,50 Meter Breite herumzog, dann blieben oben noch fünfzig Zentimeter für den Stacheldraht. - Scharfe Hunde konnte man nur in solchen Zwingern halten. Als das erledigt war, rief Felipe Herrera seine n Bruder an.
Den ganzen Tag über bekam Herrera keine Verbindung mit Tarragona. Erst am Abend meldete sich jemand unter der Nummer. – Eine Frau. Er wollte schon auflegen, fragte aber: „Ist dort Tobasko?“ „Ja, bei Vicente Tobasko.“ Nach kurzem Zögern änderte er blitzschnell seine Pläne. 43
„Dann bist du es, Rosita.“ „Und wer sind Sie, bitte?“ „Felipe, Vincentes Bruder. Wie geht es euch?“ „Danke, schlecht“, antwortete seine Schwägerin, von der er in Erinnerung hatte, daß sie eine ziemlich hübsche Person war. Gebräunte Haut, schwarzes Haar, Augen wie polierte Pechkohle, eine Taille wi e eine Wespe. Und das Feuer einer Zigeunerin. Vielleicht war sie sogar eine. „Euch und schlecht?“ wunderte er sich. „Mein Bruder war immer kerngesund, ein erstklassige r Ingenieur, fleißig, genau wie ein Preuße, der Beste von allen Tobaskos.“ „Ja, der Beste schon“, sagte Rosita merkwürdig bekümmert und wechselte das Thema. „Seit wann bist du hier?“ „Eine Woche.“ „Urlaub?“ „Nicht direkt“, wich er aus. „Das letzte Mal, als ich von dir hörte, hast du auf einer Krokodilfarm in Mexiko gearbeitet.“ Er lachte kehlig. „Das ist fünfzehn Jahre her, Rosita.“ „Richtig. Es war bei meiner Hochzeit mit deine m Bruder.“ „Wir schrieben uns Briefe, Rosita.“ „Nur Karten zu Weihnachten.“ „Wir telefonierten ab und zu.“ „Wann?“ fragte sie. Er wurde ungeduldig. Schon immer hatte er gefühlt, daß Rosita ihn nicht besonders mochte. „Wie geht es Vincente?“ „Das weißt du nicht?“ klang es erstaunt. „Wie sollte ich?“ „Ja eben“, bemerkte sie eisig. „Er sitzt im Gefängnis.“ Das konnte Felipe nicht glauben. Sein Bruder war immer der korrektere, der zuverlässigere und der strebsamere von den beiden Söhnen des alten Säufers Tobasko gewesen. 44
„Eingesperrt? Warum?“ Es hörte sich an, als weine sie. „Keine Ahnung.“ Er verfiel ins Englische. Er konnte spanisch, aber Englisch war seine Muttersprache. „Du machst Scherze. Wo sitzt er?“ „Im Ausland.“ „Dann hol ihn da raus, verdammt.“ „Wie denn, ohne Mittel. Die Anwälte sind teuer. Sie verlangen Vorschüsse. Ich habe gerade genug zum Leben. Außerdem kann man ihm dort, wo sie ihn erwischt haben, gar keine Hilfe gewähren. Nicht auf legalem Weg.“ Felipe Tobasko reagierte f assungslos. „Dachte immer, ich sei der Kriminelle von uns beiden. – Hör zu, Rosita. Bist du abkömmlich?“ „Ich kann ein paar Tage frei nehmen.“ „Ich bin nicht unvermögend“, fuhr ihr Schwager fort. „War lange Jahre ein armer Hund, aber jetzt hab ich was. Keine Millionen, aber es geht. Wir müssen etwas unternehmen. Ich bin sein Bruder.“ Sie fragte, wo er sei und wie sie hinkäme. Sie hatte einen 500er Seat. Er erklärte es ihr. Sie wollte gleich am Morgen losfahren und um zehn Uhr bei ihm sein.Felipe Tobasko äußerte noch eine merkwürdige Bitte. „Bring irgendeinen Ausweis von Vicente mit.“ „Einen Ausweis?“ „Möglichst mit einem Foto. Wir sehen uns ähnlich. Wir liegen ja nur zwei Jahre auseinander. Am besten wäre ein Paß.“ „Du hast doch nichts Ungesetzliches vor?“ vergewisserte sie sich. „Ich will nur mein Geld zur Bank bringen“, erklärte er. „Zur Eröffnung eines Kontos muß ich einen spanischen Personalausweis vorlegen.“ Sie schien nachzudenken. „Comprendo“, sagte sie. „Adios, bis morgen.“ 45
Sie trug Schwarz, wie es viele Spanierinnen taten, ohne Witwe zu sein. Der enge Rock war kniekurz, die Nylons schwarz, die Schuhe hochhackig. Der schwarze Kaschmirpullover hatte einen spitzen Ausschnitt. Verdammt attraktiv, dachte Tobasko. Bei der Hochzeit war sie siebzehn gewesen, noch mit Babyspeck ringsherum. Jetzt war sie ein Weib voller Glut, Blut und sinnlich. Zwei junge Hunde bellten sie an und sprangen an ihr hoch. Erschrocken wich sie zurück. Sie hatte Angst vor Hunden. „Ich habe sie gefunden. Sie sind harmlos“, sagte Felipe. „In ein paar Wochen wird das anders sein.“ Er umarmte seine Schwägerin und küßte sie. Nur widerstrebend ließ sie es zu. Dann gingen sie ins Haus. Es hatte unten eine Wohnhalle mit gemauertem Kamin, so groß, daß man Olivenstämme darin verheizen konnte. Sc hwere Balken, ein wenig verrußt, trugen die Decke. Rosita Tobasko schaute sich um. Er brachte kühlen weißen Landwein. Sie setzte sich und zog den Rocksaum übers Knie, doch er rutschte immer wieder hoch. „Gemietet?“ fragte sie. „Vielleicht kaufe ich es.“ „Du hast neue Zwinger angelegt.“ „Sieht man das?“ „Der Draht glänzt noch, und die Erde um die Pflöcke ist feucht.“ „Ja, ich werde ein paar Tiere halten.“ „Du kommst nie davon ab.“ „Warum sollte ich“, sagte er. „Ich liebe Tiere, ich bin der berufene Dompteur und wäre der beste Tierarzt geworden. Aber es reichte nur, um eine n von uns studieren zu lassen. Den Besseren.“ Seine Stimme hatte einen bitteren Klang, wenn er davon sprach, daß er immer und in jeder Beziehung der Benachteiligte war. 46
Aber offenbar hatte sich jetzt das Blatt gewendet. „Was ist mit Vicente passiert?“ Rosita trank ein wenig, setzte das Glas ab und faßte sich kurz. „Er arbeitete in der Weberei von Lorenso & Hermanos.“ „Klar, er ist Ingenieur für Textilmaschinen.“ „Die modernsten Webstühle werden in der DDR gebaut, das ist die östliche Hälfte von Deutschland. Gehört zum Ostblock.“ „Weiß Bescheid.“ „Der Patron schickt ihn hinüber. Er sollte neuartige Webstühle besichtigen, wo das Schiffchen ode r der Faden irgendwie mit Druckluft bewegt wird. Ich kenne mich da nicht so aus. Ich weiß nur, daß diese Super-Webstühle mit der vielfachen Geschwindigkeit der alten arbeiten. Vicente fuhr los. Er wollte in acht Tagen zurück sein. Doch er kam nicht. Nach zwei Wochen rief mich Lorenso & Hermanos an. Sie haben deinen Bruder drübe n hinter dem Eisernen Vorhang verhaftet und eingesperrt. Wegen Spionage. Angeblich fanden sie Zeichnungen der neuen Textilmaschinen bei ihm.“ „Dabei kann es sich nur um Gedächtnisprotokolle handeln.“ „Wie auch immer, sie werden ihn wegen Spionage anklagen.“ „Gibt es keine Chance, ihn gegen Kaution rauszuholen?“ Sie schüttelte verzweifelt den Kopf, „Dazu gehört Geld.“ „Wieviel?“ „Wir haben es gar nicht erst versucht. Sie müssen dort immer erst einen Teil der Strafe absitzen, ehe über Kaution oder Freikauf verhandelt wird.“ „Das kann Jahre dauern.“ „Oder man hat die besten Anwälte von Berlin.“ Sie wischte eine Träne aus ihren Augen. Mit dem Glas in der Hand ging er auf und ab. Immer am Rand des Fliesenmusters entlang. 47
„Wir werden sehen“, sagte er. Sie fragte ihn, was er die ganze Zeit getriebe n habe. „Du meinst, wie ich zu Geld kam“, verstand er sie richtig. „Das ist eine lange Geschichte.“ „Erzähl sie trotzdem.“ „Unser Vater“, begann er, „war Kommunist. Nach Francos Sieg ging er mit seinem kleinen Wanderzirkus über die Grenze nach Portugal. Dort sah er kein Fortkommen, verkaufte alles und wanderte in die USA aus. Als seine erste Frau starb, heiratete er ein zweites Mal. Wir wurden Anfang der Fünfziger geboren. Erst Vicente, dann ich. Es ging uns dreckig. Zwar hatte Vater Arbeit im Zoo von Philadelphia, aber er hatte Heimweh und trank, um es zu vergessen.“ Rosita nickte immer nur dazu. Sie kannte diesen Teil der Geschichte. „Sie schickten Vicente auf ein technisches College. Und mich auf die Straße.“ „Das stimmt nicht“, unterbrach sie ihn. Er reagierte nicht darauf, sondern monologisierte. Ich bekam von daheim nie einen Cent. Alles ging für Vicente drauf und für Vaters Whiskybesäufnisse. Ich mußte mir selbst Geld beschaffen. Nun, die Natur hat mich mit etwas ausgestattet, was man Instinkt für Tiere nennt. Bin schließlich selbst eine Art Affe. Die Katzen liefen mir nach und die Hunde. Ich fing die von den teuren, kostbaren Rassen und verkaufte sie. Ergebnis: Jugendstrafanstalt. Jahre später eröffnete ich eine Tierheilpraxis. Nie werde ich diese Kanaille von einem Richter vergessen, der mich wie einen Verbrecher einsperrte. Sein Name war Mamlock.“ „Du gabst dich als Tierarzt aus“, erinnerte Rosita sich. „Anders war es nicht möglich, zu praktizieren. Aber ich versichere dir, ich war ein besserer Tierarzt, als die mit Studium und Doktortitel. Ich lege die Hand auf den Schädel einer Kreatur und weiß, was ihr fehlt, was sie denkt, welchen Schmerz sie 48
fühlt. Ich rede ihr zu, und sie ist gesund. – Aber, zum Teufel, warum erzähle ich dir das.“ „Du hast sogar ein Buch geschrieben“, erwähnte Rosita „Ja, über Aufzucht, Dressur und Umgang mit Tieren. Es wurde leider kein Erfolg. Die Fachleute bezeichneten mich als – wie nennt man das doch… einen…“ „Verbrecher am Tier.“ „… einen Tierquäler, gegen den das Gesetz anzuwenden sei. Ein Zoologieprofessor namens Morgan, Duffy Morgan, nie werde ich den Namen vergessen, machte mich fertig. Er nannte mich einen Hasardeur und sorgte dafür, daß das Buch vom Markt zurückgezogen wurde. Mit Mühe und Not entging ich einer Anklage.“ „Inzwischen scheinst du Erfolg gehabt zu haben“, sagte Rosita und schlug die Beine andersherum übereinander. Wenn sie sich vorbeugte, waren ihre Brüste zu sehen. Felipe fühlte sich magnetisch davon angezogen. „Ja, ich bekam Geld“, sagte er, überging aber die Jahre, die dazwischenlagen. „Womit?“ „Es fing mit dem Handel von Babykrokodilen an. Dann übernahm ich einen Spezialjob, über den ich nicht sprechen darf. Jetzt besitze ich alles in allem eine halbe Million Dollar. Wie es aussieht, kommt noch einiges hinzu.“ Sie setzte das Glas auf die zerkratzte Holzplatte des Tisches. „Und dazu brauchst du Vicentes Paß.“ „Als Mexikaner hat man Probleme bei der Bank.“ „Du bist Amerikaner.“ „Nicht mehr.“ Ihre Brauen bildeten erstaunte Bögen, am Ende mit leichtem Aufwärtsschwung. „Kann man die US-Staatsbürgerschaft ablegen?“ Er stand am Kamin, starrte in die Schwärze des Feuerloches und scherzte. „Nur wenn man gestorben ist“, sagte er. 49
Sie gingen in Tarragona essen. Zu Hause tranken sie weiter spanischen Champagner. Auch Rosita hielt tüchtig mit. Sie hatte Grund dazu. Die Sorgen um Vicente und das Alleinsein setzten ihr zu. Alkohol war ein bewährtes Bügeleisen, was den Faltenwurf der Nerven betraf. Felipe beobachtete, wi e ihre Bewegungen unsicher wurden, ihre Augen starr, wie sie bei diesem und jenem Wort ins Stammeln geriet. „Kaffee?“ fragte er. „Nein, der macht nur wach.“ „Wir brechen noch einer Flasche den Hals.“ „Ich geh zu Bett.“ Sie stand auf, wankte und hielt sich fest. Er umfaßte sie, um sie zu stützen. Sie befreite sich aus seiner Umklammerung. „Wo schlafe ich?“ „Oben.“ „Da ist nur ein Bett.“ „Ich nehme das Sofa.“ „Wo ist das Bad?“ „Neben dem WC.“ Sie ließ sich nicht helfen, sondern ging allein, wenn auch unsicher, hinaus. Er hörte ihre Absätze auf den Klinkern im Flur. Dann ging eine Tür. Er steckte sich eine Zigarette an und wartete. Al s er die Dusche prasseln hörte, warf er die Gitanes in den Kamin und tastete sich den dunklen Korridor entlang. Unten aus der Badezimmertür drang Licht. Er drehte den Knopf. Rosita hatte nicht abgesperrt. Vorsichtig öffnete er die Tür. Ihre Kleider und die Wäsche lagen am Boden. Sie selbst stand hinter dem Duschvorhang, einer Folie, milchglasmatt mit Blumen. Das Licht fiel so, daß Felipe ihren Körper sah. Sie streckte die Arme der Brause entgegen. Dabei drehte sie sich. Einmal kamen ihre Brüste, 50
dann wieder ihr Po mit dem Vorhang in Berührung, klebten daran fest und wurden porendeutlich erkennbar. Felipe Tobasko verlor die Beherrschung. Verdammt, dachte er, sie hatte seit Monaten keinen Mann, sie ist betrunken und geil. Er packte den Vorhang, riß ihn beiseite, daß er oben aus den Ringen sprang. Sie fuhr herum, bedeckte mit einem Arm ihre Brüste, mit der anderen Hand ihren Bauch. Ihre Lippen öffneten sich. Wasser floß in ihren Mund. „Was willst du, Felipe?“ „Dich.“ Ihre Brüste bekamen Gänsehaut, ihre Lippen vibrierten, wie Rosenblätter in einem Sturm. Sie wich zurück und verließ die Duschwanne auf der hinteren Seite. Er war sicher, daß er sie trotzdem bekam. Er machte drei Schritte in das Badezimmer hinein und sah sie zitternd am Waschbecken stehen. Jetzt entkam sie ihm nicht mehr. Er wü rde sie in die Ecke drücken und dort nehmen. Stehend. Rosita schien zu ahnen, was ihr bevorstand. Sie beugte sich nach hinten. Mit einemmal hatte sie etwas Blitzendes in der Hand. Es war die Klinge, von der er wußte, daß sie scharf war, denn er rasierte sich täglich damit. Sie hatte das Rasiermesser geöffnet und versetzte ihm mit rascher Bewegung einen langen Schnitt von der Schulter bis zum Nabel. Der Schnitt spaltete die Baumwolle seines Hemdes. Darunter quoll Blut heraus. Er versuchte ihre Hand zu fassen. Sie war noch schneller. „Felipe Tobasko“, zischte sie. „Einen Schritt weiter, und ich schneide dir den Schwanz ab.“
51
7. München Ein Minister kommt selten allein Der Hubschrauber der Flugbereitschaft des Bundesgrenzschutzes landete südlich von München. Genauer im Gelände des BND an der Heilmann-Straße in Pullach. Ihm entstieg ein mittelgroßer schlanker Mann im dunklen Mantel und Hut. Unbewegten Gesichts folgte er dem Vizepräsidenten bis in die Chefetage. Dort nahm seine eiserne Maske den Zug von Verzweiflung an. „Da haben wir’s“, sagte der Minister, dem die Geheimdienste unterstanden. Aber allein um diese Worte zu äußern, war er nicht vom Rhein an die Isar geflogen. Es sah nach schlechtem Wetter aus. Der BND-Vize besaß auch einige Informationen, wollte aber erst erfahren, um was es ging. „Dumme Sache“, stellte er sich neutral. „Von wegen zu tief“, fuhr der Minister fort und schaute sich um. „Wo ist Oberst Urban? Würde mich gern mit ihm über tiefliegende Schiffwracks unterhalten.“ „Er muß“, sagte der BND-Vize, „gleich da sein.“ Der Minister, immer in Eile, immer mit einem vollen Terminkalender, wartete ungern. Besonders dann, wenn ihn Probleme heimsuchten, wie einen Nichtschwimmer der Alptraum vom Ertrinken. „Na schön, warten wir auf den Herrn. Wir sind ja nur seine Vorgesetzten.“ Normalerweise lag ihm Häme fern. Es mußte also ganz schön rundgehen in der Regierungshauptstadt. Gewöhnlich hielten sich Bundesminister im Freistaat Bayern sehr zurück. In Bayern gingen die Uhren anders, und die Ge52
fahr, daß sie das Königreich ausriefen, bestand immer. Aber der BND war eine Bundesbehörde und der Minister ihr oberster Boß. Jede Minute schaute er auf die Uhr. Der BND-Vize versuchte, die Warterei zu überbrücken. „Einen Kaffee?« „Bin Teetrinker. Danke.“ „Einen Imbiß?“ „Hatte unterwegs eine Stulle Graubrot mit Leberwurst. Fürchterlich.“ Der zweite Mann des BND versuchte alles, um das Warten zu überbrücken. „Dieser Satana-Zwischenfall kommt wirklich wie die Windpocken in der Hochzeitsnacht.“ „Wenn es das nur wäre.“ Draußen im Vorzimmer schlug eine Tür zu. Gedämpfte Stimmen. Dann stürmte einer herein. „Hallo! „ rief Urban. „Herr Minister, Herr Präsident.“
Eis sprühte ihm entgegen. Mit dem piz-buin-braunen Lächeln eines Skilehrers vom Arlberg, der seinen Anorak gegen ein maßgeschneidertes Glenchecksakko vertauscht hatte, entschärfte Urban die Spannung. Dem ersten Schneeball konnte er noch ausweichen. Der zweite traf ihn voll. „Die Satana sank mit Mann und Maus“, zitierte der Minister vorwurfsvoll und weiter: „Das Meer ist an dieser Stelle eintausendfünfhundert Meter tief, so daß man so gut wie gar nicht an das Wrack herankommt. Das brisante Material, gemeint sind die ERSO-Papiere, gelangt also unmöglich in fremde Hände. – Das war der Originalton Urban. Gesprochen vor wenigen Tagen. Und was haben wir heute?“ 53
Urban sah, daß der Vizepräsident seine Ni l rauchte. Also steckte er sich eine Goldmundstück MC an. „Der Versicherer der Satana, Lloyd in London, beauftragte eine Bergungsfirma in Florida“, eröffnete er seine Runde. „Womit?“ kam es pfeilschnell von Seiten des Ministers. „Zunächst wohl mit der Untersuchung des Wracks. Das ist üblich, wenn man wenig oder gar nichts über den Hergang einer Katastrophe weiß. Es ist wie bei einem Autounfall. Die Ursache, die Schuldfrage muß geklärt werden. Unterliefen der Schiffsführung grobe Fehler, liegt menschliches Versagen oder technisches vor. Vielleicht war es eine Kollision.“ „Mit einem betrunkenen Tankerkapitän“, spottete der Minister, während der BND-Chef stumm zuhörte und hoffte, daß sich sein Bestman Urban schon zu helfen wissen würde. Urban blieb sachlich. Er erinnerte sich, in Bonn nicht mehr geäußert zu haben, als sich mittlerweile ergeben hatte. „Die SSC, die Sea-Save-Corporation, tat, was sie konnte. Sie suchte das Wrack und ließ eine Kamera hinunter, die es von allen Seiten fotografierte und filmte. Danach war das rasche Sinken der Satana eine Folge zweier je zwanzig Quadratmeter großer Leckagen und starker Explosionen. An eine Bergung ist nicht zu denken. Erstens, wegen der Wassertiefe, zweitens, wegen der Kopflage de s Frachters, drittens, weil die Bergungskosten in keinem Verhältnis zum Wert des Wracks stehen. Lloyd hat entschieden, es bis in alle Ewigkeit liegenzulassen.“ „Und die Todesursache?“ bohrte der Minister. Urban führte weiter aus: „Das habe ich schon angedeutet. Haftladungen scheiden ebenso wie Treibminen zu nahezu hundert Prozent aus. Die Leckränder sind nach innen aufgepilzt. Das läßt auf Torpedos mit konventionellem Sprengstoff schließen. Wenn, ja wenn zu diesem Zeitpunkt U-Boote in diesem Seegebiet unterwegs gewesen wären. Was aber nach den Protokollen der USKüstenwache nicht der Fall ist. – Um die Sache zu klären, hat 54
sich eine Spezialeinheit der US-Navy des Falles Satana angenommen.“ „Warum?“ ließ der BND-Vize sich zum ersten Mal vernehmen. „Etwa aus schlechtem Gewissen? Immerhin fand die Katastrophe nahe der amerikanischen Ostküste, unweit der Hoheitslinie statt.“ „Wenn sich die Navy einschaltet“, bemerkte Urban, „müssen Sicherheitsgründe im Vordergrund stehen.“ „Und das Ergebnis?“ Urban konnte nur kombinieren. Gerade deshalb, weil die Navy sich in keiner Weise äußerte, glaubte er, daß ein Ergebnis vorlag. „Admiral Tom Cryder, ein kompetenter und erfahrener Offizier – er leitete schon vor Jahren die Suche nach dem gesunkenen Atom-U-Boot der Trident-Klasse – zog die Operation an sich. Die US-Navy schickte eines ihrer ferngesteuerten TiefseeMini-U-Boote runter. Nach drei Tagen zog die US-Marine die Einheit wieder ab. Vermutlich mit interessanten Erkenntnissen.“ „Was für Erkenntnissen?“ „Darüber schweigen alle Quellen“, bedauerte Urban. „Vermutlich wurde das Ergebnis mit top-secret belegt.“ „Aber warum?“ „Das liegt im Bereich der Spekulationen.“ „Dann spekulieren Sie mal, Oberst Urban“, drängte der Minister, jetzt im Kommandoton. „Wie lautet Ihre private Meinung?“ Urban tat, was er sonst ablehnte. „Eine Macht wie die USA“, sagte er, „hat im Küstenvorfeld natürlich Abwehrmittel stationiert. Ebenso wie die Schweden, die Norweger, wie alle hochgerüsteten Staaten mit langen Wassergrenzen. Dabei kann es sich um Grundminenfelder handeln, um Raketen, Unterwassermarschkörper, also weitreichende automatische Torpedos oder gar um Unterwasser-A55
Bomben. Die Navy muß immer prüfen, ob sich so ein System eventuell verselbständigt hat.“ „Hat es das? Kann es das haben?“ „Leider besitze ich keinen Schlüssel zum Safe von Admiral Cryder.“ Inzwischen hatte Urban auf der ledernen, schon recht schäbigen Couch Platz genommen, und es gab Kaffee von einer Qualität, die der des Sitzmöbels entsprach. Unklar war ihm, was den Minister per Hubschrauber nach München getrieben hatte. Seine bisherigen Fragen ließen sich alle am Telefon beantworten. Endlich rückte der Minister damit heraus. „Admiral Cryder“, sagte er, „und seine Teams sind doch wohl die einzigen, die, auf welche Weise auch immer, Zugang zu dem Wrack haben?“ „Das ist sicher wie nur was“, bestätigte Urban. „Also muß Cryder etwas gefunden haben. Und was er fand, gelangte an Personen, deren moralischer Stellenwert es zuläßt, daß sie uns erpressen.“ „Ging aber flott“, lautete Urbans einziger Kommentar. Der Minister öffnete jetzt den Aktenkoffer und nahm einen Schnellhefter heraus. Aus dem Hefter zog er eine Klarsichthülle, in der ein Brief steckte. Den Inhalt gab er in freien Worten wieder. „An die deutsche Bundesregierung zu Händen des Premierministers – damit meint er den Kanzler. – Sie erhalten von mir die ERSO-Papiere gegen Zahlung von zehn Millionen Dollar. Ich bin im Besitz der Originale. Ich rufe Sie an. Hinterlassen Sie die Nummer des zuständigen Unterhändlers in der Telefonzentrale der Polizeipräfektur von Bonn unter dem Kennwort ERSO. Sie hören von mir.“ Urban bekam den Brief. Der Text war präzise wiedergegeben worden. Der Minister blickte seine Geheimdienstexperten an und 56
sprach die gleichen drei Worte wie beim Verlassen des Hubschraubers: „Da haben wir’s.“ „Sieht so aus“, befürchtete der Präsident. „Es muß ein Insider sein. Wer weiß schon von diesen Papieren an Bord der Satana.“ „Aber warum, zum Teufel, sollen wir die Nummer der Kontaktperson in der Telefonzentrale des Polizeipräsidiums hinterlassen?“ Urban lieferte die einfachste Erklärung. „Weil es in jeder Stadt eine Polizeizentrale gibt. Damit umgeht er das dichte Gestrüpp der Ministerialbürokratie.“ „Wer ist dieser Mann?“ ,Ausländer. Er nannte den Kanzler Premierminister und das Polizeipräsidium Präfektur.“ „Engländer?“ „Spanier, Franzose, Italiener, wer weiß.“ Nur daran glaubte Urban nicht, daß der Safe von Admiral Cryder mit einemmal durchlässig geworden war. Und wie sollte ein Mini-U-Boot an Dokumente herangekommen sein, die im Tresor eines gesunkenen Schiffes lagen. Mit ferngesteuerten Klein-U-Booten ließen sich eine Menge unglaublicher Dinge anstellen, vielleicht waren sie sogar in der Lage, auf dreitausend Meter Wassertiefe Walzer zu tanzen, aber alles hatte seine Grenzen. Urban äußerte seine Bedenken. „Wir werden etwas über die CIA versuchen“, schlug der Vizepräsident vor. „Oder um die CIA herum“, deutete Urban an. »Manchmal nimmt ihre Härte zu, wenn man zu bohren beginnt.“ „Das ist Ihre Sache.“ Der Minister schloß den Brief weg. „Aber es handelt sich um glatte Erpressung, wenn ich das richtig sehe. Oder? Der Erpresser muß das Material haben, und er kann lesen, denken, Schlüsse ziehen. Leider hat er sehr schnell 57
kapiert, daß uns dieser Tritt ans Bein ziemlich schmerzen würde. Er wird sich melden und drohen, sein Wissen anderweitig zu nutzen, falls wir zögern.“ „Für zehn Millionen Dollar ist das fast ein Sonderangebot“, bemerkte Urban trocken. „Wenn die Papiere echt sind.“ „Das wird er sicher beweisen können.“ Der Minister deutete zur Wand mit dem großen Foto, wo General Gehlen, der Gottvater des BND, herabschaute und sich bemühte, bloß nicht die Spur eines Lächelns zu zeigen. „Meine Herren“, sagte der Minister. „Erweisen Sie sich seiner würdig. Tun Sie etwas. Wir sind eingeklemmt, aber klemmen Sie uns gefälligst wieder aus. Sie kommen uns teuer genug. Bevor auf höchster Ebene Köpfe rollen, rollen sie in den unteren Etagen. Und daß es hier zu einem Köpferollen käme, im Sinne der französischen Revolution, das darf ich doch, und es sei mir erlaubt, befürchten.“ Der Minister fragte nicht, was seine Experten vorhatten. Er nahm an, daß sie versuchen würden, die Top-secret-Mauer, welche die US-Navy und die CIA wie Bunkerbeton umgab, zu knacken. Er war ein guter Kanzleramtsminister. Aber vo n der Arbeit der ihm unterstellten Dienste hatte er eine laienhafte Vorstellung.
Urban sprach mit Liechtenstein. Kilimandscharo saß in einer Wohnung. Für Urban gab er immer das Bild einer unterernährten Spinne am Knotenpunkt eines schäbigen, oftmals geflickten Spinnennetzes ab, in dem sich selten etwas Freßbares fing. Schon nach dem zweiten Läuten war er dran. „Der Erpresser hat sich gemeldet“, sagte Urban. „Die ERSO58
Papiere gegen zehn Millionen Dollar.“ Kilimandscharo kicherte, wie immer, wenn er glücklich war. „Dann gibt es ja Schappi für Papi.“ „Aber erst machst du Männchen“, verlangte Urban. „Die USNavy hält die Erkenntnisse vo m Wrack unter strengem Ve rschluß. Wenn der Erpresser die Dokumente hat, muß da etwas schiefgelaufen sein.“ „Zur CIA habe ich null Meter Draht“, bedauerte KE „Aber nach Buenos Aires“, half Urban ihm auf die Sprünge. „Da sitzt auch so ein Schappi-Verwerter wie du. Er wußte von den Papieren, also weiß er vielleicht noch mehr. Ruf ihn an.“ „Not for gratis.“ „Fünftausend“, bot Urban. „Mit Peanuts geht da nichts mehr. Aus den Jahren des Hungers sind wir raus, Bruder. Vorkasse zwanzig. Und wenn es weiterhilft, ich meine, mit vorzeigbarem Schlußergebnis, dann ein Prozent der von Bonn eingesparten Summe.“ Urban war gut im Rechnen. Ein Prozent von zehn Millionen war hunderttausend Dollar. Im Grunde also doch Peanuts. Das konnte er freihändig zusagen. „Okay, ich höre von dir.“ „Du hörst von mir, Oberst.“ Urban fragte nicht wann. Daß Kilimandscharo sofort aktiv werden würde, war ihm klar. In Südamerika war jetzt noch Bürozeit. Er wünschte Kili alles Gute, fuhr nach Hause und tat dies und jenes. Er legte eine Platte aus einer umfassenden Sammlung von südamerikanischer Musik auf, goß sich Drinks aus seiner Sammlung amerikanischer Bourbonmarken ein, dazu rauchte er eine Havanna aus seiner Sammlung ungerauchter Geschenkter. Dann dachte er daran, im kleinen güldenen Buch eine Nummer aus seiner Sammlung zutraulicher Hasen herauszusu59
chen… aber im Grunde wartete er auf Kilimandscharos Anruf. Es konnte schnell gehen, es konnte aber auch viel Geduld kosten. Und an der mangelte es ihm.
Einen Tag lang und einen halben bohrte Urban das Schlachtschiff US-Navy und die Festung CIA an. Er versuchte es von allen Seiten, über alle nur möglichen Kanäle. Er sprach mit Top-Leuten in Langley, den wenigen, die er für vo ll nahm und hoch schätzte. – Ergebnis negativ. Sie wußten nichts oder taten so, als ob sie nichts wußten. Nun startete er einen Versuch über befreundete Offiziere bei der US-Marine. Er selbst hatte den Rang eines Kapitäns zur See der Reserve inne, kannte also aus Flottenübungen im NATO-Verbund den einen oder anderen. – Auch hier kein Erfolg. Nun ließ Urban seine Verbindungen zu den Engländern spielen. Die wußten gar nicht, um was es ging. – Als sie dann Anker lichteten, liefen sie schon außerhalb des Hafens auf Grund. Die Amerikaner hatten sich verteufelt gut abgeschottet. Also hatten sie etwas zu verbergen. Das fraß sich in Urban fest, als Kilimandscharo plötzlich in der Leitung war. Er wirkte abgehetzt wie ein Hund, der weit dem Duft einer Bratwurst gefolgt war. – Aber hatte er sie auch geschnappt? „Wie hoch“, fragte er, „ist der Kilimandscharo?“ „So an die sechstausend Meter,“ „Nein, mindestens zehntausend“, sagte er. „Er muß höher sein, als ganz Tansania breit ist. Niemand kann mir noch die Schulter klopfen.“ „Ich gebe mir Mühe.“ „Die Fährte war super. Warmfeucht, wie Indianer sie lieben. Mein Amigo des Amigos im Ministerium in Buenos Aires erfuhr en passant zwei Dinge: Einen Namen und von einem Auftrag.“ 60
„Los, schieb es rüber, Kili.“ „Erst Kasse, Dynamit.“ „Hab ich dich je übers Ohr gehauen, Mann?“ „Das ist der Hit des Jahres, das große Geld. Muß leider um fünfzig Vorkasse bitten.“ Urban kannte ihn. Abgesehen von seinen vielen Flops, die seinen Ruf zerstört hatten, lieferte er zuweilen auch harte Ware. Dann aber nur Zug um Zug. Infos gegen Bares.“ „Und falls du mich bescheißt, Kili?“ „Folgendes als Aperitif“, bot der windige Nachrichtenhändler. „In Buenos Aires waren sie von den Socken, als sie feststellen mußten, daß die schöne Witwe Dolores außer Reichwe ite geriet. Die originalen ERSO-Papiere, die auch Argentinien weltweit in Mißkredit bringen, mußten unbedingst beschafft werden. Also berieten sie, was man tun könne. Mit Bomben und Granaten ging nichts. – Endlich kam einer auf eine grandiose Idee, una imponente idea.“ Kilimandscharo behauptete, damit habe er vo n den versprochenen Fünfzigtausend schon die Hälfte in den Automaten gefüttert. Aber Urban war nicht zufrieden. „Sie organisierten also die Versenkung der Satana. Stimmt’s?“ „So ungefähr.“ „Und wer nahm es in die Hand?“ „Ich kenne den Namen.“ Urban zog Querschlüsse. Er mußte an Premierminister und Polizeipräfektur denken. „Ein Engländer?“ „Amerikaner.“ „Ich kriege den Namen?“ „Nur von Mund zu Ohr, begleitet vom Rascheln des Banknotenpapiers.“ Ganz koscher kam Urban die Sache noch imme r nicht vor. Er brauchte noch einige Angaben. 61
„Woher hat dein Informant das?“ „Nicht aus dem obersten argentinischen Sicherheitsrat. Der tagt hinter verschlossenen Türen. Aber von den vielen Vo rschlägen, wie man die Satana samt Dokumenten verschwinden lassen kann, wurde einer angenommen. Und der kam von einem Korvettenkapitän der Marine, einem Mann, der mehrmals in den USA zur technischen und taktischen Weiterbildung weilte. Name dürfte unwichtig sein.“ Urban überlegte, ob es möglich sei, im NATO-Computer nachzuforschen, welche argentinische n Seeoffiziere bei NATO-Marinen hospitiert hatten und bei welchen Einheiten. „Für mich“, befand Urban, „ist der Name sehr wichtig.“ Kilimandscharo gab ihn preis. „Capitan de segunda clase, Vigo Mercedales.“ „Und wann kriege ich den Namen des Amerikaners, der die Satana versenkte?“ „Wann kannst du an der Grenze sein?“ Urban schaute auf die Rolex. „Bis einundzwanzig Uhr.“ „Ist mir recht. Da ist es dunkel genug.“ „Letzte Frage. Wie versenkte der Mann den Frachter?“ Kilimandscharo wußte einiges, schien es aber nicht zu verstehen. „Ich hörte etwas von einem meeresbiologischen System, was immer das bedeuten mag. Muß irgend so eine Geheimwaffe sein. – Jetzt aber Schluß. – Also, in vier Stunden an der Autobahnausfahrt Sennwald.“ „Ich bin pünktlich.“ „Vergiß die Kohle nicht“, ermahnte Kilimandscharo seinen Kunden. Bevor Urban sich auf den Weg machte, sprach er mit einem Mann der EDV, einem Experten von hohen Graden, der sich in so gut wie jede s Computernetz hineinhackte. „Diesmal ist es ganz offiziell“, erklärte Urban. „Füttert euren 62
Alleswisser. Komplexwort NATO, Objektwort Vigo Mercedales, Capitan de segunda clase der Marina Argentina.“ „Wird gebont“, bestätigte der Abteilungsleiter. Um siebzehn Uhr dreißig fuhr Urban mit dem Geld los. Die Zeit wurde knapp. Er mußte draufdrücken. Dazu das miese Wetter. Feuchte Luft, Föhn, eine Drucksituation, die selbst Menschen ohne Hirn Kopfschmerzen bereitete. Er mußte fit bleiben. Dreihundert Kilometer Landstraße und immer noch fit. Also beugte er vor. Automatisch griff er zu den Nothelfern in der schmalen Plastikbox, die er blind fand. Er drückte eine Thomapyrin aus dem Stanniol, nahm kurz die Zigarette aus dem Mund, warf die runde weiße Thompy ein und steckte die MC wieder zwischen die Zähne. – Anlassen, Gang und Gas.
Man begegnete Unfällen im Straßenverkehr, da schaute man gar nicht mehr hin. Dann gab es welche, die machten einen nachdenklich und beeinflußten für kurze Zeit die eigene Fahrweise in Richtung defensiv. Aber dieser Unfall ließ einen Hammer fallen. Urban wußte sofort, daß es ihn näher betraf, als alle Autounfälle der letzten zehn Jahre, denn es war der Ort und die Zeit. An der Autobahnausfahrt Sennwald blitzten Polizeidrehlichter. In der Wiese neben der Abfahrt war ein Rettungshubschrauber gelandet. Auch ein Notarztwagen stand bereit. Unterhalb der Böschung waren Männer an der Arbeit. Einige mit Feuerwehrhelmen, andere in weißen Kitteln. Urban stoppte, stieg aus und schlenderte dann näher. Ein Polizist hielt ihn auf. Urban erzählte ihm irgend etwas. „Verletzte?“ „Nur ein Toter.“ „Zu schnell gefahren, he?“ 63
„Nein, kein echter Unfall.“ „Was dann?“ „Er könnte absichtlich von der Autobahn abgedrängt worden sein.“ Urban mischte sich auf eine so professionelle Weise unter die Polizisten und Beamten in Zivil, daß sie ihn für dazugehörig betrachteten. Der betagte Ford war von mehreren Überschlägen ziemlich mitgenommen und seitlich wie oben eingedrückt. Man hätte die Einschußlöcher erkannt, auch wenn sie nicht mit schwarzen Kreisen markiert worden wären. Der Ford war Kilimandscharos Auto, und der Tote, den sie aus dem Wrack schweißten, in die Blechwanne legten und zudeckten, war Urbans Nachrichtenlieferant. Warum, fragte Urban sich, war Kili so früh dran gewesen? Der Unfall passierte vor einer halben Stunde… wenn nicht noch früher. Diese Frage würde ihm niemand mehr beantworten. Und auch ihr Geschäft, Geld gegen einen Namen, würde nicht mehr laufen. Sie trugen den Toten weg. Über die Wiese kam ein Kranwagen, um das Wrack wegzuräumen. Erst stellten sie das Wrack auf die Räder, dann hängten sie die Achse an Transportgurte. Der Kranmotor heulte auf, der Ford schwebte hinten frei. Der Fahrer des Abschleppers stieg ein, um das Wrack erst einmal auf die neben der Autobahn verlaufende Straße zu ziehen. Noch war das Wrack im Licht der Halogenstrahler. Urban stand ziemlich dicht dabei. Die Fenster bis auf die Frontscheibe waren geborsten. Die Frontscheibe hatte alles überstanden. Aber drinnen sah es wüst aus. Handschuhfach- und Türtascheninhalt lagen verstreut. Überall, auch auf dem Beifahrersitz, klebte Blut. 64
Im Scheinwerferlicht entdeckte Urban ein merkwürdiges Muster in der Frontscheibe, vielmehr im staubigen Dreck der Scheibe. Buchstaben, aber Spiegel verkehrt, womöglich innen mit der Zeigefingerkuppe gezogen. – Sollte Kili ihm sterbend noch eine Nachricht hinterlassen haben? Wußte er denn, daß er sterben würde? Jeder hoffte doch, er würde es überstehen. Aber nach einem Aufenthalt in der Intensivstation wäre es vielleicht zu spät gewesen. – So mußte er gedacht und mit Urbans Fairneß gerechnet haben. Urban folgte dem Abschlepper. Als der den Ford auf der Straße hatte, beugte Urban sich hinein und entzifferte die Schriftzeichen. Es war mühsam, aus den undeutlichen Buchstaben etwas herauszulesen. Es handelte sich um sechs oder sieben. Es konnte Kobasko heißen, aber auch Tobacco oder Tobasko. Urban schrieb nichts auf. Sein Gedächtnis würde es erst löschen, wenn er den Befehl dazu gab. Von hinten fuhr ihn einer an. „Was suchen Sie hier?“ Urban zeigte die Zigarette. „Feuer.“ „Spaßvogel, he?“ „Im Ernst.“ „Ich habe kein Feuer“, erklärte der Polizeibeamte. „Nichtraucher. Aber machen Sie… Sie machen, daß Sie weiterkommen, Mann.“ Urban marschierte hinauf zu seinem BMW. Eine halbe Stunde später, jenseits der Grenze auf dem Gebiet der Bundesrepublik, benutzte er das Autotelefon. Er wählte die Nummer von Pullach Headquarter, ließ sich mit der EDV ve rbinden und sagte: „Betrifft Suchauftrag nach Capitan Mercedales. Möglicher 65
Kontakt mit einem Mister Kobasko, Tobacco oder Tobasko. US-Navy. Wohnhaft wahrscheinlich Florida und Umgebung. Danke. Ende.“ Auf einem geraden Stück Straße öffnete er die Klappe der Bordapotheke, Abteilung scharfe Getränke. Aber es half wenig. Eine Frage ließ ihn nicht los, Die Frage, wer Kili umgelegt hatte. 8. London The Times – Abendausgabe Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland hatte die Schlagzeile gelesen. Er traute seinen Augen nicht und bat seine Sekretärin im Vorzimmer um eine Flasche eiskaltes Mineralwasser. Die Kreislauftabletten trug er in einer silbernen Dose stets bei sich. Er schluckte eine davon. – Bevor er seinen ersten Legationsrat rief, dachte er an den Hauptlehrsatz, den man ihm bei seiner Ausbildung zum Diplomaten eingebleut hatte. Er lautete: Erst denken, dann sprechen. Jedes Wort, jede Handlung eines hohen Diplomaten wurde auf die Goldwaage gelegt. Als er einigermaßen Klarheit gewonnen hatte, vergatterte er sein Sekretariat: „Wenn Downing Street Nummer zehn anruft, ich bin nicht da.“ In Downing Street Nr. 10 residierte die britische Premierministerin. Der Botschafter trommelte seine Experten zusammen. Als die doppelte Polstertür geschlossen war, legte er seine Rechte auf einen Stapel Morgenzeitungen. „Haben Sie schon gelesen, meine Herren?“ 66
Der Legationsrat, der Attache und der Beamte, der für die Sicherheit verantwortlich war, nickten der Reihe nach. Der Botschafter las die Schlagzeilen halblaut. „Die wahren Gegner im Falklandkrieg: Deutschland und England?“ Er nahm das nächste Blatt. „Bundesbank ermöglicht Falklandkrieg.“ Er legte auch den Mirror weg. „Kommt noch viel besser: Nazis finanzieren argentinisches Falkland-Gemetzel. Oder: Bonns geheimer Krieg.“ Die letzte Zeitung war die Daily Mail. „NATO-Partner bezahlt Falklandkrieg.“ Zunächst herrschte betretenes Schweigen. Dann meldete sich der Legationsrat zu Wort. „Das ist die Richtung, wo es hinläuft“, meinte er. „Man unterstellt uns NATO-unfreundliches Verhalten. Das weitet sich bis in die EG aus. Dadurch wollen sie uns weich kriegen, damit wir bestimmte Positionen, die England schaden, aufgeben.“ „Es handelt sich doch wohl um Gerüchte“, bemerkte der Sicherheitschef. „Die Zeitungen schreiben immer nur von Informationen aus sicherer Quelle und existierenden Beweisstücken. Aber sie haben sie nicht.“ „Hoffentlich“, äußerte der Botschafter. „Jedenfalls unterstellen sie, daß Altnazis, die nach dem Krieg nach Südamerika flohen und heute die Wirtschaft Argentiniens kontrollieren, mit ihrer Kapitalkraft die Hochrüstung der argentinische n Armee ermöglichten und mit einem Konsortium internationaler Banken – insbesondere der Bundesbank – hundert Milliarden Dollar aufbrachten…“ „Womit angeblich der Krieg bezahlt wurde“, ergänzte der Attache. „Das ist zwar blühender Unsinn, aber es klingt so einfach, daß es geglaubt wird.“ Notmaßnahmen wurden diskutiert. Die erste bestand darin, daß der Botschafter Bonn informierte. 67
Der deutsche Außenminister reagierte ruhig, aber auch ein wenig ausweichend, wie es seine Art war. „Gerüchte, Halb Wahrheiten“, lautete seine Reaktion auf die schlimme Nachricht. „Die Times behauptet, sie habe Einsicht in gewisse Dokumente genommen. Die Times würde nie so weit gehen, wenn es nicht zuträfe.“ „Einblick“, höhnte daraufhin der Minister. „Einblick hatten wir auch. Aber nur auf eine einzige Seite dieser sogenannten ERSO-Papiere. Es geht nichts daraus hervor. Zweitens ist ihre Echtheit nicht nachgewiesen.“ Dem Botschafter war das völlig neu. „Die Bundesregierung weiß also von der Existenz solcher Dokumente?“ vergewisserte er sich. „Man versucht, uns zu erpressen.“ „Ja, aber…“ Dem Botschafter fehlten die Worte. „Ja, aber warum unterbindet man solche Veröffentlichungen nicht mit allen Mitteln?“ „Man kann doch nicht auf einen Fetzen Papier hin eine zweistellige Dollarmillionensumme bezahlen. Oder?“ erklärte der Minister. „Wenn sich dadurch der Schaden begrenzen läßt, warum nicht?“ „Noch“, beruhigte der Minister seinen Mann in London, „müssen wir annehmen, daß diese Dokumente sich im Safe eines Schiffes, fünfzehnhundert Meter tief unter der Meeresoberfläche, im Bermuda-Dreieck befinden. Die Papiere, was auch immer sie enthalten, sind an Bord des Frachters Satana. Aus dem Wrack kann kein Mensch sie herausholen.“ „Mithin würde der Erpresser also bluffen.“ „Offenbar spielte er den britischen Printmedien Fälschungen zu. Den endgültigen Beweis wird er wohl schuldig bleiben müssen. Er tat es, um den Preis zu erhöhen.“ „Herr Minister“, sagte der Botschafter daraufhin. „Ich be68
schwöre Sie: Erfüllen Sie die Forderungen dieses Verrückten. Diese Affäre könnte sich zu einer Katastrophe für uns entwi kkeln.“ „Verlassen Sie sich darauf“, versprach der Chef des Botschafters in Bonn. „Wir tun, was in unserer Macht steht.“ „Dann bitte ich um Anweisung, was ich der Premierministerin sagen soll, falls man mich nach Downing Street beordert.“ „Wegen eines Gerüchts“, vermutete der Minister, „wird die britische Regierung die Sache nicht unnötig aufblasen. Und wenn es zu einem Protest kommt, dann weisen Sie ihn zurück. Aber die Briten sind doch kluge Leute. Sie betreten doch kein Terrain, auf dem sie ausrutschen und sich der Lächerlichkeit preisgeben könnten.“ Nach diesem Gespräch war der Botschafter beruhigt. Aber nur bis 17.00 Uhr. Ein Sekretär platzte herein, als der Botschafter mit seiner Gemahlin und einem Bundestagsabgeordneten, der dem auswärtigen Ausschuß vorsaß, den Tee einnahm. Der Sekretär beugte sich zum Ohr des Diplomaten und flüsterte: „Anruf aus Downing Street. Die Premierministerin bittet um unverzüglichen Besuch.“ Schon das Wort unverzüglich klang für einen geschulten Diplomaten äußerst scharf. Der Botschafter befürchtete das Schlimmste. Er verabschiedete sich eilig von seinem Gast, ging in seine Privaträume und warf sich in den Anzug, den das Protokoll für solche Fälle vorschrieb.
69
9. Brüssel Druck und Gegendruck Den Flug des BND-Agenten Nr. 18, Bob Urban, nach Brüssel hatten zwei Umstände beschleunigt. Ein Anruf aus Bonn und ein Gespräch mit dem EDV-Chef. Bei der herrschenden Hektik konnte Urban nicht mehr genau sagen, was früher gewesen war, der Anruf oder das Gespräch im Archiv. Auch ließ sich nicht klar definieren, was seine we iteren Schritte ausgelöst hatte. Soviel stand aber fest: Der Vizepräsident hatte ihn im ganzen Gelände suchen lassen und ihn endlich bei den technischwissenschaftlichen Experten erwischt. „Alarm in Bonn“, hatte der Vize ihn informiert. „Der Erpresser macht Ernst. Er hetzt die Medien gegen uns auf. Es hört sich so an, als stünde Deutschland mit Großbritannien bereits im Krieg.“ „Hat er sich in Bonn wieder gemeldet?“ fragte Urban. „Bis jetzt nicht.“ „Bonn hat aber seine Forderung noch nicht akzeptiert.“ „Nicht ohne Beweise.“ „Dann ist das eine neue Taktik. Gangster legen ihre Opfer nicht mehr gleich um. Erst ein Schuß ins Knie, dann in den Ellbogen.“ „Bonn fordert, daß wir das endlich abstellen.“ „Jetzt läßt sich der Schaden nur noch begrenzen.“ Der BND-Vizepräsident hoffte, er könnte irgend etwas Positives nach Bonn melden. „Wie sieht es aus, Urban?“ „Wir sind dem Tip aus Liechtenstein nachgegangen und haben etwas gefunden.“ „Tobasko?“ 70
Urban nannte dem Chef kurz das Ergebnis. „Felipe Randy Tobasko war kein Navy-Offizier, er übte eine Sonderfunktion in einer Spezialabteilung der US-Marine aus. Anläßlich eines Lehrgangs für Offiziere befreundeter Staaten hielt er ein Referat. Einer dieser befreundeten Offiziere war der argentinische Capitan zweiter Klasse Vigo Mercedales. Von ihm erhielt unser leider ermordeter V-Mann Kilimandscharo den Tip.“ „Um was ging es bei diesem Navy-Lehrgang?“ „Um den Einsatz von meeresbiologischen Systemen, also von Meereslebewesen zum Schutz der Küsten.“ „Bitte genauer.“ Urban mußte passen. „Daran arbeiten wir noch.“ „Und dieser Tobasko war an diesem Programm beteiligt?“ „Auf irgendeine Weise. Die Regierung in Buenos Aires sprach ihn an, und er steuerte zur Versenkung der Satana bei – möglicherweise.“ „Bißchen sehr viel möglicherweise“, entgegnete der VizeDirektor. „Noch ist gar nichts beweisbar.“ „Wem“, fragte der Vize, der gute Verbindungen zur CIA hatte, „untersteht diese Navy-Einheit?“ „Admiral Cryder.“ „Tom Cryder“, murmelte der Präsident. „Er gilt als so hart wie der Stahl seiner Schiffe. Aus dem holen Sie keinen Ton heraus. Erst recht nicht, wenn er geheim ist.“ Urban fürchtete, wenn eine Einheit, die Cryders Kommando unterstand, am Satana-Zwischenfall beteiligt war, dann verschwanden alle Beweise dafür im sichersten Safe der USA und verließen ihn die nächsten fünfzig Jahre nicht mehr. „Sieht alles verdammt mies aus.“ „Beschissen“, präzisierte Urban es. „Aber es gibt einen Weg, die US-Marine zu knacken. Morgen treffe ich mich in Brüssel 71
mit dem Schadensregulierer von Lloyd-London. Er hat höchstes Interesse daran, daß der Verursacher der Satana-Katastrophe überführt wird, denn es geht um einen Haufen Geld. Wenn ich ihm einen Tip liefere, rückt vielleicht auch er mit ein paar Sachen heraus. Ein Mann wie er, der in Florida mit der Bergungsfirma SSC über dem Wrack war, der muß etwas mehr wissen, als in den Berichten steht. Sonst ist er fehl am Platze.“ „Also morgen in Brüssel.“ „Und morgen abend in Brüssel“, ergänzte Urban, „treffe ich Admiral Cryder. Er ist gerade auf Besichtigungstour amerikanischer Flotteneinheiten im NATO-Bereich.“ „Versuchen Sie, das Match zu gewinnen“, gab der Chef ihm mit auf den Weg. „Hier gewinnt keiner“, befürchtete Urban. „Alle werden verlieren. Die einen nur etwas schneller und die anderen etwas langsamer.“
Schon in Brüssel und auf dem Weg zum Treffen mit dem Lloyd-Agenten rief Urban in München an. Neues lag nicht vor. Abgesehen davon, daß sich die Hinweise auf den Einsatz meeresbiologischer Systeme bei der Versenkung der Satana verdichteten, war eine Meldung von Interpol eingelaufen. Die Kripo in Genf hatte Kilimandscharos Mörder gefaßt. Sein Tod hatte mit dem Fall Satana nichts zu tun. Er war in eine Goldschmuggel-Affäre verwickelt gewesen und hatte seine Partner aufs Kreuz gelegt. Sie forderten Schadenersatz binnen kürzester Frist. Sie hatten Kilimandscharo beobachtet und angenommen, er versuche zu fliehen. Das war an jenem Abend, als er sein Haus verließ und Urban treffen wollte. An der Autobahn hatten sie ihn gestellt und abgeknallt. 72
„Ein wenig zu früh“, bedauerte Urban. „Vielleicht hätte er von unserem Honorar seine Schulden beglichen.“ Doch wie er Kili kannte, hätte er das nicht gemacht, sondern wäre erst einmal abgetaucht, um ein paar flotte Wochen im Süden zu verbringen. „Geht es Ihnen nicht gut?“ fragte der Lloyd-Agent, als Urban im dichtbesetzten Bistro auf ihn zukam „Hätte ich Sie dann so schnell erkannt?“ „Nun, ein Fachmann von so hohen Graden wi e Sie, Dynamit, findet im Dunklen sein Ziel. Aber Sie sehen trotzdem grau aus.“ „Erfuhr eben vom Tod eines guten Bekannten – von seinem unnötigen Tod.“ „Ist ein unnötiger Tod“, wagte der Engländer sich vor, „ein Tod, der nicht in Ihrem Sinne war, der nichts nützte? Starb er ihn nicht für den BND oder für Sie?“ „Er starb, weil er ein Idiot war.“ Draußen auf dem Grote-Market rauschte der Verkehr vorbei. Das Bistro dampfte von Menschen, Drinks und Rauch. Und die Musik quirlte das Ganze noch einmal durch. Aber sie waren Profis und ließen sich nicht stören. „Bourbon“, bestellte Urban. „Und Sie?“ „Auch. – Wie ich Sie kenne, Dynamit, vielmehr wie ich aus Ihrem Ruf in Geheimdienstkreisen schließe“, kam der Engländer zur Sache, „riefen Sie mich nicht von London herüber, um mit mir Whisky zu trinken.“ „Es geht um den Satana-Zwischenfall.“ „Unsere Ergebnisse liegen offen und sind jedermann zugänglich.“ „Leider nicht die der Amerikaner“, schränkte Urban ein. „Was könnten sie gefunden haben?“ „Alks, wozu ihnen ihre überlegene Tiefseetauchtechnik verhalf.“ „Und das wäre?“ erkundigte Urban sich. 73
Der Kellner kam, auf dem Tablett zwei gut eingeschenkte Gläser. Sie tranken ex. „Und das wäre?“ wiederholte Urban seine Frage. Der Engländer hob verzweifelt die Hände. „Bohren Sie mal mit einem Bohrer aus Gummi Granit an, Sir.“ Urban hatte das Gefühl, daß der Lloyd-Agent etwas wußte. Er gab es nur nicht preis, um seine eigenen Ermittlungen nicht zu stören. Also mußte Urban ihm etwas bieten, das ihm weiterhalf. Nur so lockte man ihn aus der Reserve. „Lloyd geht es doch darum, den Hergang der Katastrophe zu klären, und…“ „Um elf Millionen Pfund Sterling.“ „Und um den Schuldigen.“ „Wenn es einen gibt, dann dies in der Hauptsache. Woher also kamen die Torpedos oder die Haftladungen?“ Urban ließ eine Andeutung fallen. „Schon mal vom Naval-Ocean-System-Center gehört?“ „Wenig oder gar nichts.“ „Dort werden meeresbiologische Abwehr-, Bergungs- und Angriff s waffen gezüchtet und trainiert.“ Der Engländer, in dessen Zügen sich Hoffnung abgezeichnet hatte, verfiel rasch wieder in Resignation. „Sie meinen diese Kampfdelphin-Schule.“ „Unter anderem…“ „Okay, okay“, fiel der Brite ihm ins Wort. „Sie bringen auch Haftminen an. Aber es ging doch wohl darum, aus dem Safe der Satana, wenn sie erst einmal auf dem Meeresgrund lag, etwas zu bergen. Da kursieren wilde Gerüchte. Eine gewisse Senora Dolores Somero soll Schmuck und gewisse Papiere mit sich geführt haben. Das könnten auch Delphine nicht heraufholen. Delphine gehen nur bis auf Tiefen von einhundertfünfzig Meter runter.“ Urban wußte das alles längst. 74
„Wale tauchen bis auf siebenhundert Meter.“ ,,Das Wrack liegt auf fünfzehnhundert.“ „Killerwale schaffen das.“ „Aber kein Trainer schafft es, einen Killerwal dazu zu bewegen, daß er so einen komplizierten Auftrag für ihn erledigt.“ „Trotzdem sollten Sie der Sache nachgehen“, riet Urban. „Die NOSC-Einheit der US-Navy liegt in Palm Beach.“ „Danke für den Tip“, sagte der Engländer. „Könnte in der Tat etwas daraus werden. Denn…“ Gespannt wartete Urban auf das, was nach dem denn kam Wortlos griff der Engländer in die Sakko-Innentasche, nahm einen braunen Umschlag heraus, in dem sich ein Foto, vielmehr nur die Hälfte eines Fotos, befand. „Das brachten die Kameras der Bergungsfirma mit. Erst auf der Vergrößerung der Vergrößerung entdeckte ich es. Bis heute konnte ich es mir nicht erklären. Aber nun, nach Ihrem Anruf…“ Urban bekam das Foto und erkannte zunächst wenig. Nur die Rohre einer Reling, ein offenes Oval-Schott und darin einen hellen Fleck, als treibe aufgelöste Watte im Wasser. Wegen des schwebenden Planktons war alles unscharf. Wahrscheinlich verfügte die Firma SSC doch noch nicht über die neuesten Unterwasserobjektive . Urban konzentrierte sich auf diesen Punkt und glaubte im Zentrum des verschwommenen Ovals etwas zu sehen, das dem Skelett auf einem Röntgenfoto glich. – Und dann hatte er es. Es war der Kopf eines großen Fisches. Hinten hing ein Stück Rückgrat heraus, Das Maul hakte irgendwo an den Aufbauten fest. „Das“, sagte er, „ist mit Sicherheit nicht unser herzallerliebstes Herz-Jesulein.“ „Zuerst dachte ich an einen Hai.“ „Und woran denken Sie jetzt?“ „An einen Killerwal. Vielmehr an ein Stück davon. An das, 75
was nach einer unterirdischen Explosion noch von ihm übrig blieb.“ „Kann ich das Foto haben?“ „Es gehört Ihnen“, zeigte der Engländer sich generös. „Wofür hielten es die Bergungsexperten?“ „Für einen zerfetzten und aufgequollene n KapokRettungsring. – Was werden Sie damit anfangen, Colonel Urban?“ „Wir ergänzen damit unser Puzzle. Wenn es fertig ist, dann, bei Gott, werden einige Herrschaften unsere Schlußfolgerungen so dringend brauchen wie ein Loch im Kopf.“ „Trinken wir noch einen?“ „Bin im NATO-Hauptquartier verabredet“, sagte Urban nach einem Blick auf die Rolex, „aber für einen Doppelten reicht es immer.“
Der NATO-Generalsekretär, derzeit ein deutsche r ExVerteidigungsminister, hatte Urban versprochen, daß er Admiral Cryder solange festhalten wolle, bis Urban ganz zufällig auftauchte. Wenige Minuten vor dem Lunch war es soweit. Urban platzte in den Konferenzraum des NATOHauptquartiers. Der Generalsekretär begrüßte ihn und machte ihn mit Admiral Cryder bekannt. „Gehen Sie mit uns essen, Colonel Urban?“ Seitdem er in Brüssel war, sprach der Exminister nur noch englisch. „Danke, keine Zeit. Schaue nur eben einmal rein. Das heißt, um ehrlich zu sein, ich hörte, der Admiral sei hier, und ich hätte ihn gerne etwas gefragt.“ Admiral Cryder ahnte sofort ein Komplott, einen Anschlag auf seine bemessene Zeit. Sein holzgeschnitztes Piratengesicht blieb unbewegt. Aber hier auf dieser Ebene mußte er mitspie76
len, zumal der Generalsekretär diesem Colonel mit kumpelhafter Handbewegung die Erlaubnis erteilte. „Dann fragen Sie mal schön.“ Der NATO-Chef ging kurz hinaus. Urban steckte sich eine MC an. „Ich kenne Sie“, sagte der Admiral. „Sie sind ein Hundesohn. Wenn auch ein erstklassiger.“ „Hundesöhne“, schlug Urban vor, „sollten sich zusammentun, Sir.“ „Was fällt Ihnen ein.“ Urban hatte sich bestens gewappnet. Er wußte, daß Cryder ein Kotzbrocken war und daß man ihm nur überfallartig beikam. „Mir fällt dazu vielerlei ein.“ Urban zählte auf: „Der SatanaZwischenfall, das Naval-Ocean-System-Center in Miami Beach, der Name Felipe Tobasko und die Tiefseetauchoperation der US-Navy nach dem Wrack des Frachters.“ Der Admiral war nicht nur ein Kotzbrocken, sondern auch ein Korinthenkacker. „Die NOSC ist nicht in Miami, sondern in Palm Beach.“ „Aber Ihre Mini-U-Boote brachten Ergebnisse aus dem Bermuda-Dreieck mit.“ „Sie erlauben, daß wir das für uns behalten“, schrie der Admiral aufgebracht. Urban blieb ruhig. „Man fand Teile eines Killerwals in Wracknähe, Sir.“ „Killerwale suchen zum Sterben die Tiefen auf“, konterte der Admiral. „Aber Felipe Tobasko trainierte Ihre meeresbiologischen Systeme.“ Jetzt zuckte ein Grinsen um das Piratengesicht des Admirals. Er schien Oberwasser zu gewinnen. Er stand auf, zog die Uniformjacke gerade, reckte das meißelartige Kinn vor und sagte: 77
,,Felipe Tobasko ist tot.“ „Aber Sie kannten seinen Namen auf Anhieb.“ „Tobasko erlitt einen tödlichen Unfall.“ „Aber seine Tätigkeit ist Ihnen ein Begriff, Sir.“ „Lassen Sie sich die Akten des Sheriffs von Key West kommen. Darin finden Sie alles über seinen Tod. Über den Tod von Felipe Tobasko.“ Urban verstärkte sein angeborenes Grinsen. „Danke, Sir.“ „Sie entschuldigen mich.“ „Aber ja, Sir.“ „Unverschämtheit“, murmelte der Admiral beim Hinausgehen. „Mich hier den Fragen solcher Leute auszusetzen.“ Draußen wartete der NATO-Generalsekretär. Er ging mit dem Admiral ins Casino zum Essen. Vorher aber warf er Urban einen Blick zu. Urban hob die Rechte und formte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. Als Zeichen des Erfolges. Es konnte aber auch bedeuten: Cryder ist ein Arschloch. 10. Spanien Ratten und Killerhunde Der kleine Wanderzirkus war längst pleite und löste seine Tiersammlung auf. Felipe Joaquin Herrera, alias Tobasko, interessierte weder das räudige Kamel noch der einäugige Löwe, der außerdem eine Zahnfistel zu haben schien. Auch für Pferde hatte er nie etwas übrig gehabt. Sie waren ihm einfach zu dumm. Er wollte die Kampfhunde. Die beiden Welpen hatte er weggegeben. Ihre Aufzucht dauerte zu lange. Außerdem waren Terrier ungeeignet. Er hatte sie 78
verschenkt und gestern diese Anzeige gelesen. Die drei Rüden gefielen ihm auf Anhieb. Aber vorher mußte er ihre Intelligenz und Dressierbarkeit testen. „Eine Mischung aus Dobermann und Rottweiler“, sagte der verwahrloste Bursche, der sich Direktor nannte. „Das sehe ich“, antwortete Tobasko. „Muß aber noch eine Portion Boxer dabei sein. Und ein Schuß Doggenblut.“ „Sie sind Kenner.“ „Rasse ist nicht wichtig“, erklärte Tobasko. „Nur Kraft, Schärfe und Klugheit zählen.“ „Alle drei aus einem Wurf“, versicherte der Spanier. Man merkte, daß er die drei Rüden loswerden wollte. „Sie sollen meine Finca bewachen.“ Langsam ging Tobasko um den Zwinger herum und sprach leise und beruhigend auf die tobenden Hundebrüder ein. Der Spanier erwartete ein Angebot. Aber genaugenommen waren die Hunde nichts wert. In ihren Augen stand die Mordlust, die man ihnen eingepeitscht hatte. Wenn mit ihnen einer klarkam, dann nur ein erfahrener Dompteur. Der Spanier nannte einen Preis, und Tobasko fragte, ob er ein Stück Fleisch haben könne. Von der letzten Fütterung des Löwen waren noch Innereien übrig. Tobasko band Fell und Eingeweide des Wildhasen an einen Strick und ließ die Hunde daran schnuppern. Dann knotete er Leine und Köder an den Schlepphaken seines LandRover. „Ich ziehe eine Spur“, erklärte er. „Lassen Sie die Meute in fünfzehn Minuten raus. Nicht früher und nicht später. Comprende?“ „Wie Sie wollen“, sagte der Spanier. „Haben Sie etwas dabei, um sich zu verteidigen?“ „Ich werde mit jedem Viehzeug fertig, sogar mit Skorpionen.“ Tobasko ließ den Diesel an und fuhr, den Köder im Schlepp, 79
los. In fünfzehn Minuten kam man auf der Straße und querfeldein etwa sechs Kilometer weit Am Ufer eines Flusses hielt er an, Öffnete die Hecktür des Rover, warf das Fleisch hinein, versteckte sich und wartete. Es dauerte keine halbe Stunde, dann hörte er die Meute schnüffelnd und jaulend heranhetzen. Die Nasen am Boden suchten die braunschwarzen Ungeheuer die Beute. Sie umkreisten den Land Rover, sprangen dann hinein und rauften sich um das Fleisch, daß der schwere Geländewagen wankte. Tobasko verließ seine Deckung und schlug die Hecktür zu. Im Wagen war zwischen Heckteil und dem Fahrersitz ein Stück Maschendraht gespannt. Noch fetzten die Hunde an Sehnen und Därmen und verschlangen alles gierig. Als sie fertig waren, tobten sie gegen das Drahtgitter. Aber nicht lange. Der eintönige Singsang, den Tobasko in seine Stimme legte, wenn er mit Tieren sprach, beruhigte sie, Zurück in Velderobres, wo der Zirkus lagerte, wurde Tobasko mit Senor Montalban einig. Er ließ die Hunde frei. Sie drängten sich an ihn, als hätten sie ihn als ihren Leithund akzeptiert. „Was haben Sie mit den Bestien gemacht?“ staunte Montalban. „Mit ihnen geredet.“ Tobasko sah sich noch den Wohnwagen an. Er war unten und oben rot. Auf dem weißen Streifen dazwischen stand: Circo Montalban. Der große Trawler mit Tandemachse gefiel ihm. „Was kostet der?“ „Ist nicht zu verkaufen, Senor. Wo soll ich hin? Ohne den Wagen habe ich kein Dach überm Kopf.“ Tobasko bot ihm eine Summe, die der Spanier nicht ablehnen konnte. Irgendwann mußte er sich ohnehin von dem Trawler trennen. Spätestens dann, wenn sein Zugwagen, ein uralter Chrysler, zusammengebrochen war. 80
Tobasko legte noch fünfzig Dollar in Pesetas zu. „Fünfhundert Dollar.“ Der Spanier war einverstanden. Vorausgesetzt, der Käufer übernahm auch ein Rattenpärchen, das im Wohnwagen hauste. Tobasko schaute sich die Ratten an und spielte mit ihnen. Es waren schlaue, fixe Nager. Außerdem mochte er Ratten gern. Wenig später hängte er den Trawler an die Anhängerkupplung des Rover und fuhr davon. – Einen Wohnwagen, drei Hunde und zwei Ratten für nicht ganz siebenhundert Dollar. Er war zufrieden. In Tortosa, bevor er an die Küstenstraße kam, hielt er und schlenderte durch die Altstadt. Bei einem Trödler erstand er eine mottenlöchrige Kapitänsuniform. Blaue Jacke mit Goldstreifen, Mütze und Hose. „Stammt aus dem Theaterfundus“, sagte der Trödler. Tobasko ließ sich die Klamotten einpacken. In einem Laden für Jagdausrüstung erstand er Geräte zum Gießen von Gewehrkugeln. Manchen Jägern waren die fabrikmäßig hergestellten Patronen zu teuer. Sie gössen sich ihre Kugeln aus Blei und Antimon selbst. Die Messinghülsen der Patronen benutzten sie mehrmals. Sie füllten nur Pulve r hinein und versahen sie mit neuen Patent-Zündhütchen. „Schmelzlöffel und Gußform“, zählte der Verkäufer zusammen, „und wieviel Blei bitte? Das große Paket?“ „Die kleine Packung genügt.“ Tobasko erwarb noch ein Sortiment feiner Bohrer sowie Feuerzeugbenzin in Gummiampullen, die man in Spanien noch kaufen konnte. Damit und mit seiner Menagerie fuhr er zur Finca zurück. Rosita, seine Schwägerin, hatte die Annäherung im Badezimmer nicht wieder erwähnt. Sie war geblieben, denn sie brauchten einander. Felipe legalisierte seinen Aufenthalt mit den Papieren seines Bruders. Rosita hielt ihm das Haus in Ordnung, kaufte ein, 81
kochte und wartete darauf, daß Felipe etwas unternahm, um ihren Ehemann aus dem Gefängnis herauszuholen. Tobasko hatte die Hunde zunächst in den Drahtzwinger gesperrt und begann in den nächsten Tagen mit der Dressur. Aus alten Kissen, Polstern und Sackrupfen stopfte er eine mannsgroße Puppe zurecht. Die Puppe bekleidete er mit der Kapitänsuniform und richtete die Hunde auf Angriff ab. Er stellte die Puppe auf, hetzte die Hunde gegen sie und war erst zufrieden, als die Hunde sie ansprangen und mit einem Biß in den Nacken zu Fall brachten. „Wird das eine neue Kabarettnummer?“ fragte Rosita spöttisch. „So ist es“, antwortete er. „Aber es wird nur eine einzige Vorstellung, die Premiere, geben. Dann nie wieder.“ „Mit diesem Kapitän, wen meinst du damit?“ „Einen guten Freund.“ „Und die Hunde sollen ihn killen?“ Erst antwortete Felipe nicht, dann brach es aus ihm heraus. „Ich will meine Rache. Eher finde ich keine Ruhe. Erst die Rache, dann ein neues Leben.“ „Warum überläßt du es den Hunden? Warum tust du es nicht selbst?“ „Der Killer wird getötet werden. Und der Kapitän ist nicht der einzige. Bevor ich mich opfere, opfere ich einen der Hunde.“ „Ist das Feigheit?“ „Was verstehst du schon davon, Weib.?“ „Und wann hilfst du mir, deinen Bruder zu befreien?“ „Bald“, versprach er. An einem Tag, als es regnete, beobachtete Rosita eine neue merkwürdige Tätigkeit Felipes. Über einer Spiritusflamme, in einem Löffel aus Keramik, verflüssigte er Metall. Das geschmolzene Blei goß er über spitze Kegel aus Gips, geformt wie der Zahn eines Ebers, nur kleiner. Nach dem Erkalten zog 82
er die Form unten heraus und hatte nun eine Art Krone, einen hohlen Zahn. Den bohrte er an der Spitze auf. – Später experimentierte er mit Kapseln, mit Ampullen, mit Tabletten, mal länglich, mal rund, die er ins Innere der Zahnkronen praktizierte. Als Rosita hereinkam, deckte er den Arbeitstisch mit der Sportzeitung ab. „Was versteckst du vor mir?“ wollte sie wissen. Er nahm die Uhrmacherlupe aus dem Auge. „Geht dich nichts an.“ „Fertigst du jetzt Uhren und Schmuck?“ „Mach, daß du ins Bett kommst“, zischte er unfreundlich, „ich gieße nur meine Jagdpatronen.“ „Glaubst du etwa“, erwiderte sie, „daß du je zur Ruhe kommen wirst, wenn du vorher tötest?“ „Nur dann“, erklärte er, „denn sie haben mich auch getötet.“ Kopfschüttelnd verließ sie die Wohnstube. „Vergiß nicht, die Tü r abzuriegeln“, höhnte er hinter ihr her.
Nachdem Felipe Tobasko von den drei Hunden jenen ausgemacht hatte, der ihm am geeignetsten schien, gab er ihm eine Injektion, die das Tier in Schlaf versetzte. Während die anderen Hunde winselten, weil sie ihren Bruder für tot hielten, öffnete und sperrte Tobasko dem Hund das Maul und beschäftigte sich mit seinem Gebiß wie ein Zahnarzt. Später fuhr er weg und kam erst spätabends mit Zeitungen und einem Allwellenempfänger wieder. Mit dem Gerät horchte er alle möglichen Sender ab. Er telefonierte jetzt häufiger. Jedesmal schickte er seine Schwägerin hinaus. Sie hätte ohnehin nicht viel verstanden, denn sie sprach kaum Englisch. Einmal fragte sie ihn: 83
„Was du vorhast, Schwager, ist gefährlich. Mußt du es tun? Hast du nicht genug Geld?“ „Genug?“ erwiderte er. „Von Geld kann man nie genug haben. – Wenn das eine erledigt ist, hol ich mir noch ein paar Millionen Dollar.“ „Wo? Bei der Bank?“ Er winkte ab. „Von der deutschen Regierung.“ Es klang wie ein Scherz, und sie glaubte ihm nicht. Aber dann fragte er: „Hast du schon von der Satana-Katastrophe gehört?“ „Ich lese keine Zeitungen, höre selten Radio, und Fernseher gibt es hier ja keinen.“ „Ich habe etwas“, fuhr er fort, „was andere dringend brauchen. Ich verkaufe es ihnen. Ein völlig legales Geschäft.“ Sie verstand wenig von diesen Dingen und wollte es auch gar nicht. Nur eines beschäftigte sie Tag und Nacht. „Wann gehst du zum Anwalt?“ „Bald“ „Dein Bruder Vicente kommt vielleicht in einem dieser Gefängnisse um. Er kann krank sein, sterbenskrank.“ „Wir sind eine gesunde Rasse, wir Tobaskos.“ „Ich flehe dich an, Felipe. Du hast es mir versprochen.“ Er unterbrach die Notizen, die er sich gerade machte und stand auf. Er berührte ihr Kinn, tastete zu ihrem Hals und tiefer zu ihrer Brust. „Du hast es selbst in der Hand, Rosita.“ „Ich bin die Frau deines Bruders“, antwortete sie mit brüchiger Stimme. „Na und? Du kannst etwas beisteuern, das mich in Schwung bringt. Du kannst etwas tun, das mich morgen schon zum besten Advokaten von Barcelona eilen läßt.“ Sie nahm seine Hand, zog sie von ihrer Brust, stand auf und polierte den Spiegel. Er trat hinter sie und sah, daß sie Tränen in den Augen hatte. 84
„Schlaf mit mir, Rosita“, sagte er drängend. Ihre Lippen wurden schmal. „Vicente würde es nicht gutheißen.“ „Du magst mich nicht“, vermutete er. „Du bist pervers und verkommen. Was du verlangst, das ist…“ Er lachte höhnisch. „Reine Erpressung. Ich tue etwas für dich, und du gibst etwas dafür. Man kann nicht behaupten, daß du nicht dazu geschaffen wärst, so wie du gebaut bist. Vicentes Befreiung kann Tausende von Dollars kosten. Dafür kriege ich im Bordell hundert Weiber.“ „Verflucht, dann geh doch ins Bordell!“ schrie sie verzweifelt. Da stellte er sie vor die Alternative. „Du gehst jetzt mit mir hinauf, ziehst dich aus und schläfst mit mir.“ „Nein. So nicht.“ Nur mühsam beherrschte er seine Wut. ,,Dann mach, daß du weiter kommst, Weib.“ Draußen wehte ein scharfer Wind, und es regnete. „Von mir aus. Dann gehe ich“, entschied sie. ,,Du wirst es bereuen.“ „Du ebenso“, schwor sie. „Ich werde Vicente zurückholen. Irgendwie schaffe ich das. Und dann wird er mit dir abrechnen.“ Er lachte dröhnend. „Wohl kaum. Diese Pfeife dieser Waschlappen,“ Sie verachtete ihn zutiefst. Sie hörte schon gar nicht mehr, was er sagte. Sie ging hinauf und packte ihre Sachen. Eine halbe Stunde später sprang ihr Seat an. Sie kommt wieder, dachte er. Sie sind doch alle Huren. Nur braucht die eine länger als die andere, bis sie es kapiert. In der Nacht hörte er im Radio alle erreichbaren Frequenzen ab und wußte dann, daß die Zeit reif war für den ersten Schlag. 85
11. München Große und kleine Flipper „Einwandfrei ein Killerwal“, versicherte der Zoologe aus dem Stralman-Team der BND-Expertenriege . „Was sucht er da unten?“ „Was sucht der Igel auf der Bürste“, versuchte der Wissenschaftler zu scherzen. „Die US-Navy drillt Delphine, Seelöwen, Killerwale, ja sogar Belugas zu UnterwasserEinsatzkommandos. Und dies schon seit dreißig Jahren.“ „Als man ihre Fähigkeiten entdeckte.“ „Nun“, schränkte der Zoologe ein, „die sind schon seit dem Altertum bekannt. Immer wieder retteten Delphine Menschen aus Seenot. Der erste bekannte Fall ist die Rettung von Telemach, dem Sohn des Odysseus.“ „Oder denken Sie an Jonas.“ „Jetzt suchen sie Minen.“ „Auch gesunkene Torpedos und sich anpirschende Feind-UBoote.“ „Besser als jedes Ortungsgerät, wie man hört.“ Urban fiel noch mehr ein. „Im Persischen Golf stöberten sie Grundminen auf. In Vietnam bewachten sie die ankernde amerikanische Siebente Flotte und schnitten mit am Kopf befestigten Messern den angreifenden Froschmännern die Atemschläuche durch. Sie schützen Atom-U-Boot-Basen und sind sogar auf Angriff trainiert. Mit Haftladungen.“ „Ja, die perfekten Kamikaze“, pflichtete der Wissenschaftler ihm bei. „Auf eine Viertelmeile können sie noch die Form der Schiffsrümpfe erkennen und ob sie aus Holz, Stahl, Aluminium oder Kunststoff bestehen.“ 86
„Und das ohne Benzin, ohne eingebauten Reaktor, nur für ein paar Kilogramm Futter.“ Der Experte hatte seine Bibliothek und auch den Computer befragt. Er legte Urban die aktualisierten Unterlagen vor. „Das Pentagon buttert allein jedes Jahr zehn Millionen Dollar in das Projekt. Spezielle Delphin-Farmen in Florida und San Diego an der Pazifik-küste ziehen geeignete Delphinrassen auf. Man ist dabei, ihre Sprache zu erforschen und ihnen elektronische Steuergeräte in die Gehirne zu implantieren. O Gott, wenn das die Tierschützer wüßten.“ „Deshalb sind die meeresbiologischen Systeme ja auch so streng geheim. Aus dem Chef des Ganzen, Admiral Cryder, ist kein Wort herauszuholen. Nur soviel, daß der Mann, den wir verdächtigen, seine Killerwale an die Satana angesetzt zu haben, tot ist.“ „Oder sein soll.“ Urban wußte es auch nicht genau. Daran arbeiteten sie noch. Der Experte versuchte, den Fall Satana zu rekonstruieren. „Erst wurden Delphine mit Haftladungen auf den Frachter losgelassen. Und als er gesunken war, schickte man Killerwale runter, um abzuräumen.“ „Dann müssen sie über erstklassige Fähigkeiten verfügen.“ „Über sensationelle“, bekräftigte der Zoologe Urbans Meinung. „Einem Delphin, einem Killerwal, sie stammen aus der gleichen Familie, kannst du ungefähr alles beibringen. Vorausgesetzt, du dämpfst sein extremes Liebesleben. Delphine sollen sich ja schon mit Schwimmerinnen angelegt haben.“ „Auch mit Luftmatratzen“, ergänzte Urban. Der Experte hätte noch eine Menge Delphin-Stories zu erzählen gewußt, aber eine Lautsprecherdurchsage rief Urban dringend in die Operationsabteilung.
87
„Da ist wieder diese Verrückte“, sagte der Assistent von Oberst Sebastian, „die unbedingt den Mann sprechen will, der letztes Jahr Timoty Springer aus einem Lager in Sibirien herausgeholt hat.“ Urban hatte ihn herausgeholt, aber das war eine ganz andere Sache. Die Presse hatte die Story mächtig aufgebauscht. Dabei war leider auch sein Name gefallen. Sogar Fotos von ihm – wenn auch schlechte – hatte man veröffentlicht. Er hatte dazu schweigen müssen. Drei Sätze hätten alles aufgeklärt, aber er mußte schweigen. Urban nahm den Hörer und meldete sich. „Mein Name ist Rosita.“ Sie sprach spanisch. „Ich weiß, Ihre Behörde befaßt sich mit der Befreiung von Gefangenen hinter dem Eisernen Vorhang.“ „Senora“, versuchte er sie zu unterbrechen. Aber sie war aufgeregt und ließ es nicht zu. Sie wollte alles auf einmal loswerden. „Sie sind der Mann, der Timoty Springer…“ „Senora.“ „Ja oder nein?“ „Es ist zutreffend, Senora, aber…“ Mit der nächsten Bemerkung machte sie ihn schon kirre. „Ich weiß, daß Ihre Regierung erpreßt wird“, sagte sie. „Ich kann Ihnen Hinwe ise liefern, wenn Sie meinen Mann aus dem Zuchthaus in Bautzen herausholen. Er ist dort wegen angeblicher Industriespionage eingesperrt.“ „Das geht nicht ohne Einzelheiten, Senora.“ „Auch Ihre Tätigkeit“, klang es bitter, „hängt also von Gegenleistungen ab. Schön, ich biete Ihnen ein Geschäft an. Meinen Mann für heiße Informationen.“ In dieser oder ähnlicher Form erreichten den BND täglich irgendwelche Bitten. Der BND war kein Club zur Befreiung von Zuchthausinsassen, wo immer auch auf der Welt. 88
„Wenden Sie sich an Amnesty International, Senora“, riet Urban. Doch plötzlich wurde er von null auf hundert km/h beschleunigt. „Der Name meines Mannes ist Vicente Tobasko“, sagte sie. „Er sitzt in Bautzen und kriegt lebenslänglich, wenn Sie mir nicht helfen. Ich habe keine Mittel, aber Informationen, die mehr als Geld wert sind.“ Es war der Name, der Urban faszinierte. Tobasko. Seit Tagen befaßten sie sich mit einem Mann, der diesen Namen trug, der Delphintrainer gewesen war und für tot galt. „Wie lange ist Ihr Ehemann verschwunden?“ erkundigte Urban sich. „Ein paar Monate schon.“ „Ihr Ehemann ist Spanier?“ „Eigentlich ist er Amerikaner, aber er wanderte nach Spanien aus.“ „Sein Beruf?“ „Ingenieur für Textilmaschinen. Angeblich soll er neue Webstühle in der DDR ausspioniert haben.“ Urbans Fragen kamen schnell. Noch war die Quelle ergiebig. „Diente Ihr Mann in der US-Navy?“ „Nein, aber sein Bruder, mein Schwager.“ „In Florida?“ „Wie kommen Sie darauf?“ „Hat er mit dem Abrichten von Tieren zu tun?“ „Ja, aber…“ „Ist sein Vorname Felipe?“ Urban hatte einen Fehler gemacht. Sie antwortete nicht mehr. Sofort versuchte er den Fehler gutzumachen. „Wo können wir uns sehen, Senora Tobasko?“ Es dauerte eine Weile. „Kommen Sie her.“ „Wo sind Sie jetzt?“ 89
„In Marseille, weiter reichte mein Benzin nicht. Nach diesem Anruf bin ich pleite. Bringen Sie was zu essen mit.“ Sie hatte zwei Eckdaten geliefert, so wertvoll wie Diamanten. Den Namen Tobasko und als logische Kombination daraus die Spur zum Satana-Zwischenfall. Sie nannte ihm als Adresse eine billige Absteige in Hafennähe. „Ich komme“, entschied er. „Beeilen Sie sich“, bat sie. „Es geht nicht nur um mich und meinen Ehemann. Es geht um mehr, es geht um Leben und Tod.“ Mehr war nicht aus ihr herauszuholen. Außerdem war das Gespräch beendet. Wahrscheinlich hatte sie keine Münze mehr, um den Apparat zu füttern. Urban verließ München Richtung Südwesten. Und dies mit einer Geschwindigkeit, als hätte er den gelbroten Rettungsgriff an einem Schleudersitz gezogen. 12. Lissabon Salut und roter Teppich Admiral Tom Cryder, bekannt als unerbittlicher Drillmeister, der jedem Gammelhaufen binnen kurzem zu militärischer Zucht und Ordnung verhalf, reiste im Auftrag des Pentagon. Er sollte die Einheiten der 6. US-Flotte in Europa inspizieren und, wie der Verteidigungsminister es vornehm umschrieb, ein wenig motivieren. Auf Vordermann bringen, verstand Cryder darunter. Selbst der kleinste Tender-Kommandant hatte von nun an schlaflose Nächte. Die Schiffe wurden auf Hochglanz, die Besatzungen auf picobello Aussehen getrimmt. – Das bedeutete: Haare kurz, Bärte 90
ab, fleckenlose, scharfgebügelte Uniformen, keinen Landgang, keinen Alkohol, keinen Joint. Und das Unwetter kam täglich um einige hundert Meilen näher. Admiral Cryder begann die Inspektionstour bei den Atom-UBooten in Schottland, setzte sie in Norwegen fort, besuchte dann belgische Häfen und spanische. Am Dienstag dieser Woche war Portugal an der Reihe. Ein Schlachtschiff und mehrere Zerstörer der 6. Flotte lagen in der Tejo-Mündung vor Anker. Es war ein trüber Tag mit Regenwolken am Himmel, als der Dienstjet des Admirals auf dem NATO-Stützpunkt Beja landete. Von dort fuhr die Wagenkolonne des Admirals nach Lissabon, wo Cryder mit seinem Stab im Hotel Marques Pombal übernachtete. Am Morgen schien die Sonne. Der Admiral fuhr die Avenida Marginal hinaus. Auf Höhe des Belém-Turmes lag das Schlachtschiff Savannah im Rio Tejo vor Anker. Traditionsgemäß ging ein Admiral nicht mit dem Hubschrauber, sondern mit der Barkasse an Bord eines Flaggschiffes. Die Anlegestelle am Fluß war abgesperrt. Der gepanzerte Lincoln aus der Fahrbereitschaft des Botschafters rollte bis zu dem roten Teppich. Kommandos, Salut, eine Kapelle spielte. Der Admiral stieg aus, eilte zu der wartenden Pinasse und sprang so lässig, wie es einem Sechzigjährigen möglich war, hinüber. Die Pinasse legte sofort ab. Admiral Cryder wollte mindestens zwei Schiffe besichtigen. Das Programm sah vor, daß er gege n 15.00 Uhr nach Lissabon zurückkehrte, um noch am Abend nach Neapel weiterzufliegen.
91
Kurz nachdem Admiral Cryder und sein Stab das Hotel Marques Pombal verlassen hatten, erschien ein hochgewachsener, blonder Mann in der Uniform eines Captain der US-Navy im Seitenflügel des ersten Stockes. Er führte einen ziemlich großen Hund undefinierbarer Rasse an der ledernen Leine. Der Hund trug einen Beißkorb. Dem Hotelmanager, der die Aufräumungsarbeiten überwachte, erklärte er, daß Admiral Cryder in seiner Suite etwas ve rgessen habe. Er sei der persönliche Adjutant des Admirals. „Und der Hund?“ fragte der Manager, einen Schritt zurückweichend. „Hunde dürfen nicht mit an Bord von US-Kriegsschiffen.“ „Beeilen Sie sich“, sagte der Hotelmanager. „Die Suite des Admirals wird soeben in Arbeit genommen.“ „Bitte entfernen Sie die Putzfrauen“, verlangte der Captain, was den Manager ebenfalls wunderte. Weder diesen unfreundlichen Captain noch den Hund hatte er in der Nähe von Admiral Cryder gesehen. Aber der Stab hatte aus einem Dutzend Leuten bestanden, und in Uniform sahen sie alle gleich aus. Der Direktor winkte die Zimmermädche n hinaus. „Es wird schnell gehen“, versprach der Offizier mit dem Hund. Allein im Zimmer, ließ Felipe Tobasko den Hund Witterung aufnehmen. Der Rüde schnüffelte im Bett, im Schrank, im Badezimmer. Er bekam soviel Zeit, wie nötig war, um sich den Geruch eines Mannes einzuprägen. Nach wenigen Minuten verließ der Captain wieder die Zimmer des Admirals. Er fuhr mit dem Lift hinunter und rief dem Mann an der Rezeption zu: „Danke, Senhores, schon erledigt.“ Er ging hinaus, am Hotel entlang und in Richtung Altstadt.
92
Der Admiral kürzte das Mittagessen im Kreis de r SavannahOffiziere ab und ließ sich auf einen Zerstörer übersetzen. Er besichtigte das Schiff in knapp einer Stunde vom Radarmast bis zum Rudermaschinenraum. Er wünschte die Kombüse zu sehen, die Krankenstation, die Toiletten und die Fingernägel der Matrosen. Er hatte dies und jene s auszusetzen – ein Mann wie Cryder hätte auch auf einem werftneuen Schiff Gammel entdeckt äußerte sich aber verhalten zufrieden. Kurz nach 14.50 Uhr verließ der Admiral den Zerstörer. Die Bootsmannspfeife trillerte. Die Pinasse nahm Kurs auf das nördliche Tejo-Ufer beim Belém-Turm. Mit nur einer Minute im Rückstand auf den Terminplan legte die Pinasse an. Der Admiral sprang an Land und verabschiedete sich von dem Konteradmiral, der ihn begleitet hatte. Wiederum war die Anlegestelle abgesperrt, wenn auch nicht mehr mit der gleichen Perfektion wi e am Morgen. Ein Schwärm Touristen stand herum, fotografierte und filmte. Die Polizisten waren auch schon müde vom Warten. Der Admiral hatte noch etwa dreißig Meter bis zu seinem gepanzerten Lincoln, als ein Hund in weitem Bogen über die Absperrung setzte. Wer sich ihm in den Weg stellte, dem wich der Hund geschickt aus. Die Posten versuchten, ihn einzufangen. Doch das Tier war bei weitem schneller als sie. Der Hund hatte eine Spur aufgenommen und näherte sich nun dem Admiral. Der Admiral sah den Hund. Er war Tierliebhaber, sonst hätte er nicht die Leitung der Marine-Delphinschule unter seinem Kommando gehabt. Der Admiral blieb stehen und beobachtete den Hund, der ihn in einem Abstand von etwa zehn Metern mit tropfenden Lefzen umrundete. „Ist das etwa ein Marine-Meldehund?“ scherzte der Admiral. „Ziemlich undefinierbare Rasse, Sir“, bemerkte sein Adjutant. 93
Der Hund war jetzt hinter dem Admiral. Cryder hatte Mühe mitzudrehen und zeigte ihm den Rücken. Im selben Moment hetzte der Hund los, jagte in weiten Sätzen auf den Admiral zu, sprang Cryder von hinten an und verbiß die Zähne seines weitaufgerissenen Mauls in Cryders Nacken. Der Admiral warf die Arme empor und versuchte, den wütenden Hund abzuschütteln. Es gelang ihm jedoch nicht. Einer der Polizisten zog seine Waffe, legte an und schoß. Mit der zweiten Kugel traf er den Hund hinter den Ohren. Vor Schmerz biß der Hund sich im Nacken des Admirals fest. Erst als die dritte Kugel seinen Schädel durchbohrte, ließ er von seinem Opfer ab. Er fiel zu Boden, rollte sich winselnd und hechelnd zusammen und starb in seiner Blutlache. Die Sicherheitskräfte bildeten sofort einen Ring um den Admiral. Sein Stab leistete Erste Hilfe. Einer schrie nach dem Arzt, nach einem Krankenwagen, nach dem Rettungshubschrauber. Cryder sah schlimm aus. Sein Nacken war zerfleischt, und überall rann Blut. – Es war keine lebensgefährliche Wunde, doch der Admiral krümmte sich zusammen, als leide er an starker Atemnot. Schaum trat auf seine Lippen. Er verlor das Bewußtsein. Minuten später konnte der Notarzt nur Herzstillstand feststellen. Aber noch etwas anderes stellte er fest. „Ich fürchte, Senhores“, sagte er, „Admiral Cryder wurde vergiftet. Mit Zyankali oder etwas Ähnlichem.“
Wie die Kriminalpolizei am Hundekadaver feststellte, trug einer der großen Fangzähne eine metallische Krone. Unter der Krone befand sich eine leere Ampulle. Wenn der Hund auf eine bestimmte ihm antrainierte Art zubiß, platzte durch den 94
Druck auf den künstlichen Zahn die Ampulle. Das Gift spritzte durch eine Bohrung des Zahnes ins Fleisch des Opfers. „Wie bei einer Kobra“, sagte der Kriminalkommissar. „Ungefähr genau so.“ „Dann war es Mord.“ „Und was ist das für ein Gift?“ Der Rest des Giftes im Zahn wurde im Labor untersucht. Man nahm an, daß es sich nicht um Zyankali handelte, sondern um ein absolut tödlich wirkendes südamerikanisches Pfeilgift, das erst lähmte und dann zum Herzstillstand führte. 13. Marseille Die Lösung ist das Problem Rosita Tobasko wohnte im billigsten Hotel im St. MaurinViertel. Selbst dieses Zimmer war seit drei Tagen nicht bezahlt. Im Gegensatz zu der vergilbten Blumentapete, dem rostigen Bettgestell und dem Hinterhofblick über die Dächer, war sie eine auffallend attraktive Frau. Im engen schwarzen Pullover, engen schwarzen Rock, die langen Beine in schwarzen Strümpfen, saß sie auf dem Stuhl am Fenster. Die Rundung ihrer Schenkel schimmerte unter den Nylons wie ihre Augen unter Tränen, als sie zu erzählen begann. Sie sprach von ihrem Unglück, von dem Tag, als ihr Mann verhaftet wurde, bis heute. Was Urban wirklich interessierte, klammerte sie aus. Sie ließ es geschickt weg. Eine weibliche Instinktreaktion. Gerade in verzweifelten Situationen wurden Frauen einfallsreich und stark. Urban mäßigte seine Neugier und schlich sich behutsam an. „Ihr Ehemann Vicente sitzt im Zuchthaus Bautzen. Wir haben das überprüft und checken ab, was wir tun können.“ 95
„Abchecken, was bedeutet das?“ „Was ein Häftling der Regierung in Ostberlin wert ist. Jeder Gefangene hat einen Wert, der sich berechnen läßt. Sei es in DMark oder in einem Tauschgegenstand, wobei es sich meist um Ostspione in unseren Gefängnissen handelt. Wie gesagt, wir prüfen das und werden erfahrungsgemäß auch etwas erreichen. Kommt nur darauf an, wie sehr wir uns bemühen.“ „Wovon hängt das ab?“ wollte sie wissen. „Von Ihnen und Ihrem Angebot, Senora Tobasko.“ „Prüfen Sie es“, forderte sie ihn auf. „Was möchten Sie wissen?“ Dazu ließ er sich nicht zweimal auffordern. „Felipe Tobasko ist der Bruder Ihres Mannes.“ Sie bestätigte es. „Benutzt er einen anderen Namen?“ „Herrera.“ „Benutzt er die Papiere Ihres Mannes?“ Als sie nicht antwortete, fragte er anders. „Hat Felipe Hunde?“ „Wie kommen Sie auf Hunde?“ „Durch den Biß eines dressierten Hundes wurde Admiral Cryder getötet. Cryder war bei der Navy Felipe Tobaskos Vo rgesetzter.“ Sie wirkte erschrocken, faßte sich aber schnell. „Cryder entließ Felipe. Er jagte ihn mit Schimpf und Schande aus der Navy, nur weil er einen vo n ihm aufgezogenen und dressierten Delphin an eine Delphinshow verkaufte.“ „Es war also ein Racheakt.“ Sie nickte und schloß die Augen. „Er wird noch andere töten“, versicherte sie. „Er hat Dinge vor, von denen Sie keine Ahnung haben. Er wird sogar Ihre Regierung erpressen.“ „Das fürchten wir“, gestand Urban. „Deshalb bin ich hier und versuche, auf den Handel mit Ihnen einzugehen.“ 96
„Handel“, wehrte sie sich entrüstet. „Nun, Sie helfen uns, Felipe Tobasko zu kriegen…“ Sie unterbrach ihn sofort. „Sie meinen diese Dokumente.“ „Ja, die Satana-Papiere. Was wissen Sie davon?“ Sie griff in den tiefen Ausschnitt des Sweaters und holte ein Stück Papier heraus. „Das da?“ Urban faltete das Blatt auf. Es handelte sich um amtliche Unterlagen, ausgefertigt von einem Notar in Buenos Aires im Auftrag der Banco ERSO. Es ging um Kredite und deren Absicherung. Viel mehr war dem Schrieb nicht zu entnehmen. Urban zweifelte nicht an seiner Echtheit. Außerdem zeigte das Papier Spuren von Salzwasser. Urban reichte ihr das Blatt zurück. „Sie dürfen es behalten“, sagte Rosita Tobasko. „Wo hält Felipe sich auf?“ „Erst möchte ich meinen Mann zurückhaben“, forderte sie. „Und wenn Tobasko in der Zwischenzeit weiter tötet?“ „In Gefängnishaft wird mein Mann auch getötet.“ Urban gab nicht auf. „Kaufte Ihr Schwager ein Automobil? Pachtete er, mietete oder kaufte er ein Haus oder ein Grundstück?“ „Ich will meinen Mann heil zurück“, beharrte sie. „Und es muß schnell gehen.“ Daran lag auch Urban. Er versuchte wenigstens, die Andeutung eines Tips zu erhalten, erfuhr aber nur, daß sie ihren Schwager verlassen hatte, weil er Bedingungen stellte, die sie nicht zu erfüllen bereit war. „Ich sollte mit ihm schlafen. Ich bin eine moderne Frau. Doch wenn ich mit einem Mann schlafe, muß er mir gefallen. Dann suche ich mir diesen Kerl selber aus. Auf keinen Fall so ein Scheusal, so ein Ekel. Ich habe Felipe abgeschmettert. Ich 97
habe ihn versenkt wie einen Stein, Er wollte mich bumsen, aber ich habe ihn versenkt wie einen Stein. Außerdem liebe ich meinen Mann.“ Urban versuchte es mit allen noch fairen psychologischen Tricks, aber irgendwo war die Grenze. Auch wenn es für die Bundesrepublik um eine Menge ging, durfte er diese gequälte Frau nicht in die Pfanne hauen. „Okay, wir helfen Ihnen, Rosita Tobasko.“ „Sie müssen mich verstehen… bitte…“ Er legte einen Umschlag mit fünftausend Francs auf den Tisch. „Glauben Sie etwa, ich lasse mich kaufen?“ „Damit kommen Sie ein paar Wochen zurecht . Sie sind doch mittellos, oder?“ „Allerdings. Und, bitte, verstehen Sie mich“, sagte sie. „Ich würde wer weiß was tun, um mein Ziel zu erreichen. Aber wie Sie Felipe finden, sage ich Ihnen erst, wenn Sie meinen Mann da herausholen. Er ist nicht gesund.“ Um ihre Tränen zu verbergen, stand sie auf und ging zum Fenster. Urban gab ihr ein Papiertaschentuch, weil sie keins zur Hand hatte. Sie verfiel in einen Weinkrampf, deshalb nahm er sie bei den Schultern und sorgte dafür, daß sie sich hinlegte. „Bleiben Sie hier, Senora Rosita. Warten Sie auf meinen Anruf. Hier im Hotel sind Sie sicher.“ „Wollen Sie schon gehen?“ „Ich muß.“ „Wann kommen Sie wieder?“ „Wenn es soweit ist“, versprach er. Sie nahm seine Hand und ihre Lippen öffneten sich zu einem kleinen Lächeln. „Gracias, Sie sind ein Caballero, ein Gentleman.“ Auf irgendeine Weise war sie in ihrem Schmerz sehr reizvoll. Urban machte, daß er wegkam, ehe er vergaß, daß er ein Caballero war.
98
In der Seitenstraße fand Urban einen Seat 500 mit spanischem Kennzeichen, zugelassen in Tarragona. Der Wagen war ziemlich verstaubt, vorne links fehlte die Luft im Reifen. Er nahm an, daß es sich um das Fahrzeug vo n Rosita Tobasko handelte. Darauf stimmte er sein weiteres Vorgehen ab. Er füllte Haupt- und Ersatztank seines BMW-Coupé mit Super-verbleit und fuhr Richtung Nimes zur Autobahn, nach Spanien. Die Entfernung Marseille-Tarragona, dem vermutlichen Kampfgebiet, war kürzer als die Entfernung MarseilleMünchen. Er konnte in fünf Stunden dort sein. Aber Erfolg würde er nur haben, wenn er Vorkehrungen traf. Er legte sich einen Plan zurecht. Vom Rasthaus Montpellier rief er in Madrid an. Dort arbeitete Coronel Erneste Segovia, Chef der BIS (Brigada Investigatión), einer von seinen vier echten Freunden. Segovia hatte nur eine Macke. Er saß ungern und dementsprechend auch selten am Schreibtisch. – Urban sprach seinen Assistenten, erläuterte diesem die Sachlage und wollte sich von Perpignan aus wieder melden. Es war am frühen Nachmittag, als er Segovi a antraf. Die BIS hatte schon vorgearbeitet. „Ein Herrera ist in der Provinz Katalanien polizeilich nicht gemeldet“, sagte der Coronel nach kurzer Begrüßung. „Gibt es eine Fahrzeugregistrierung?“ „Auch die nicht.“ „Hat ein Herrera oder auch ein Tobasko ein Haus gemietet?“ „Das liegt außerhalb unserer Kontrollmöglichkeiten“, bedauerte der BIS-Chef. „Oder gekauft.“ „Man müßte bei den Notaren herumfragen. Das dauert aber. Und was du nicht hast, ist Zeit, schätze ich, Compadre.“ „Wir suchen den Mörder von Admiral Cryder, der obendrein Dokumente besitzt, um Bonn in Mißkredit zu bringen.“ 99
„Verstehe“, faßte Segovia sich knapp. „Was schlägst du vor, daß wir tun?“ „Fragt bei Banken, ob in Tarragona oder in der Provinz ein Konto auf Vicente Tobasko neu eröffnet wurde.“ „Weiter?“ „Beschafft mir die Adresse von Rosita Tobasko.“ Urban nannte die Kennzeichen ihres Seat 500. „Ist kein Problem.“ „Melde mich aus Barcelona wieder.“ „Wann?“ fragte Segovia. „Siebzehn Uhr.“ „Bis dann“, sagte der Spanier. Sie würden jetzt rotieren, und Urban rotierte am Lenkrad. Er wollte, wenn irgend möglich, noch bei Tageslicht zu Schuß kommen. Urban erreichte die Autobahnumgehung Barcelona, gegen die ein Irrgarten ein Blumentopf und ein Rummelplatz eine menschenleere Gegend war, mit Verspätung. Endlich auf der Fahrspur nach Tarragona hielt er an einer Tankstelle, nahm einen Kaffee und rief in Madrid an. Zuerst ließ Segovia die unguten Nachrichten ab. „Keine Autozulassung, kein Grundstückskauf, keine Kontoeröffnung.“ „Na fabelhaft. Mach nur so weiter.“ „Große Probleme, wie?“ „Nicht das Problem ist das Problem“, sagte Urban, „das Problem ist die Lösung.“ Urban sah Segovia beinahe grinsen. „Und die Lösung ist die Adresse von Rosita Tobasko.“ „Die Teillösung“, schränkte Urban ein. Er erhielt sie dann doch. Da er in Spanien nicht gegen das Gesetz verstoßen wollte, äußerte er: „Ich hoffe, bei ihr etwas zu finden. Wie komme ich hinein?“ Auch damit hatte Segovia gerechnet. 100
„Ab achtzehn Uhr wartet einer meiner Leute vo n der Sektion Katalanien vor dem Haus.“ „Du bist der Größte.“ „Es war mir immer“, sagte der Spanier daraufhin, „eine Ehre, dein Aficionado zu sein.“
Der spanische BIS-Beamte hatte die Außentür der geräumigen Vierzimmerwohnung geknackt und ließ Urban nun freie Hand. Urban sah nur einen einzigen Ansatzpunkt. Das Telefon. Es hing an der Wand. Daneben ein Notizblock mit Kugelschreiber an einer Schnur. Vom Notizblock war die Hälfte der Blätter abgerissen. Das letzte war leer. Urban suchte im Papierkorb, im Kamin und im Abfalleimer nach Zetteln. Der Korb war leer, der Kamin gesäubert und der Abfall weggebracht. Der Spanier saß auf einem Hocker und folgte Urban mit den Augen. Als Urban fluchte, fragte er, um was es ginge. Urban setzte ihn ins Bild. Auf irgendeine Weise mußte der Gesuchte mit seiner Schwägerin Kontakt aufgenommen haben. Als vorsichtiger Mann gewiß per Telefon. „Wahrscheinlich gab er ihr aber keine Telefonnummer, sondern die Adresse.“ „Die notiert man sich“, meinte der Spanier dazu. Urban, vom Brustton des Beamten motiviert, nahm den Notizblock mit zum Fenster und hielt ihn schräg ans Licht. Einige Vertiefungen hatten sich durchgedrückt. Striche, Halbkreise, Buchstaben, Ziffern. Aber nur Andeutungen davon. ,,Das wird nichts.“ Der Spanier stand hinter ihm und reichte ihm einen Bleistift Urban glaubte nicht an einen Erfolg. Trotzdem schraffierte er das Blatt mit sanftem Druck auf die schräggeführte Graphitmine. 101
Was zum Vorschein kam, war eher ein Vexierbild. „Keine Telefonnummer“, stellte der Spanier fest, „aber diese Endsilbe F-U-L… vielleicht bedeutet es Fulla. Altafulla kenne ich. Das ist eine Art Halbinsel nördlich von hier am Golf von San Jorge.“ Sie kombinierten, versuchten alles mögliche zu entziffern, aber mehr als Altafulla brachten sie nicht heraus. Also fuhren sie los. Der Spanier voraus, Urban hinterher. Es begann schon zu dämmern, als sie die Landzunge, die sich fingerartig zum Meer hin bog, erreichten. Der Spanier fragte hier und dort in einer Bodega, in einer Garage. „Die Finca liegt draußen auf der Landspitze“, erklärte der Tankwart den Weg. Beim letzten Licht kamen sie an. Die Finca, Haus und Nebengebäude, lagen verlassen da. Das hundezwingerartige Drahtgeviert war neu, der Hundekot noch frisch. Sie öffneten das Haus. Urban durchsuchte es und fand Werkzeug zur Herstellung von Jagdpatronen und eine leere Flasche mit Totenkopfetikett. Vermutlich Gift. Im Abfall lag die Hülse eines Lippenstiftes. Er hatte die Farbe des Lippenstiftes, den Rosita Tobasko benutzte. Ein ins Lila gehendes Rot. Der Spanier entdeckte Reifenabdrücke im Hof. „Zwei Fahrzeuge“, meinte er. „Eines mit Geländereifen, das andere hat auf den Rädern kaum noch Profil.“ Urban vermaß grob die Spur und stellte fest, daß die Stollenreifenabdrücke auf ein kurzes, breites Fahrzeug schließen ließen. Vermutlich handelte es sich um einen Geländewagen. Er zog einen Tandemachser hinter sich her, also einen Anhänger. „Mit langer Gabel“, ergänzte der Spanier. „Könnte sich um einen Trailer handeln, um einen Wohnwagen.“ „Aber er ist fort.“ „Mierda“, kommentierte der Spanier die Situation, setzte sich müde auf einen Stapel Balken und schaute nicht aus wie ein Sieger. 102
„Was nun, Coronel?“ Urban holte die silberne Reiseflasche mit dem Bourbon aus seinem BMW und schraubte sie auf. Der Spanier stärkte sich, danach er. Sie rauchten eine von Urbans Goldmundstück-MCs. „Ende der Vorstellung“, sagte der BIS-Mann. „Scheint so.“ „So was macht mich immer traurig, Coronel.“ „Man muß Gott für alles danken, Compadre.“ Der Spanier lächelte. Aber nur grade mal so eben. 14. Florida – Key West Eine Leiche ist eine Leiche Die Totengräber verfügten über einen Kleinbagger. Trotzdem war es mühsam, den Sarg aus der hartgebrannten Erde zu holen. „Damned, wie lange liegt der schon drin?“ fragte der Baggerführer den Sheriff. Der blickte den Staatsanwalt an und dieser den Beauftragten jener Washingtoner Behörde, welche die Exhumierung beantragt hatte. „Knapp drei Wochen“, schätzte der CIA-Agent. Endlich stieß die Baggerschaufel mit dunklern Ton auf den Holzsarg. Kratzend räumte sie das betonharte Erdreich ringsum weg, damit die Cordbänder befestigt und der Sarg herausgehoben werden konnte. Zum Kreis der Zeugen gehörte auch ein Arzt. Er arbeitete für die Polizei von Key West und hatte auch den Totenschein ausgestellt, „Für mich“, sagte der Arzt, „ist nur wichtig, ob einer lebt oder nicht. Dann versuche ich, die Todesursache zu bestimmen. Unfall, Krankheit, Mord, Selbstmord et cetera. Wer der 103
Tote ist, ob seine Identität mit der auf den Formularen angegebenen übereinstimmt, dafür bin ich nicht zuständig.“ „Niemand macht Ihnen einen Vorwurf, Doc“, sagte der Staatsanwalt. „Es stellte sich als Autounfall dar. Der Wagen verbrannte und in ihm dieser Mann.“ „Seine Papiere verbrannten mit“, ergänzte der Sheriff, „aber der Wagen war auf einen gewissen Felipe Tobasko aus Fort Lauterdale zugelassen. Wir riefen dort an, und es hieß, Felipe Tobasko sei abgängig.“ Jetzt mischte der Mann aus Washington sich ein. „Was heißt abgängig? Wurde Vermißten anzeige erstattet?“ „Das nicht“, erwiderte der Sheriff. „Als die Streifenwagenbesatzung Tobaskos Haus in Fort Lauterdale aufsuchte, kam es zu zwei Aussagen. Die Krankenschwester, mit der er zusammenlebte, erklärte, Tobasko sei ohne Angabe von Gründen mit zwei Koffern abgehauen. – Und die Nachbarn bestätigten es. Er fuhr mit seinem Station an einem Freitag gegen Mittag weg. Sieben Stunden später kam es zu diesem Unfall, und der Wagen brannte aus. Tobasko hatte den Tank vorher noch vollgemacht.“ „Und der Tankwart, beschrieb er ihn?“ „So wie er allgemein beschrieben wurde. Groß, kräftig, blondes Haar mit grauen Strähnen. Er zahlte mit seiner Kreditkarte.“ „Und die Koffer?“ fragte der CIA-Beobachter. „Die lagen hinten im Wagen. Der volle Tank lag auch hinten. Die Koffer waren im Zentrum des Feuers. Wir identifizierten sie trotzdem. Danach bestand überhaupt keine Veranlassung zu bezweifeln, daß der Tote Felipe Tobasko ist.“ „Und wie kam es zu dem Unfall?“ „Augenzeugen gibt es nicht. Wir fanden jedoch Gummiabrieb auf der Straße und Bremsspuren. Möglich, daß ihm einer entgegenkam, der zu scharf und zu weit in der Mitte fuhr. Tobasko verriß sein Auto. Der lange Station schaukelte sich auf. 104
Er verlor ihn aus der Kontrolle und geriet über die Böschung, die an dieser Stelle recht steil ist. Man kann sagen, es geht senkrecht neun Meter runter. Unten steht ein Trafohaus, ein Stromumspannwerk, von dem er eine Ecke mitnahm. Möglicherweise entzündeten elektrische Kurzschlußfunken auslaufendes Benzin. Jedenfalls fiel in Key West mal kurz der Strom aus.“ Der Staatsanwalt kaute seine Lippen. „Was wollte er am Ende der Keys? Was suchte er dort? Die Navy hatte ihn gefeuert. Was wollte e r also da unten?“ Die Frage war nur mit Vermutungen zu beantworten. „Dampf ablassen. Mit einem Boot rausfahren, segeln, Fische fangen, allein sein, wer weiß.“ Der Sarg hing jetzt oben und frei an den Gurten. Er wurde seitlich abgesenkt. Die Totengräber warteten auf das Zeichen des Staatsanwalts. Dann begannen sie, den Sarg mit Brecheisen zu öffnen. Splitternd brach das Holz des Deckels aus der Verschraubung.
Der Staatsanwalt hatte vom FBI-Büro in Fort Lauterdale ein Foto bekommen. Außerdem hatten sie eine Röntgenaufnahme eines Gebisses besorgt. Tobasko hatte an Zahnfisteln gelitten und sich erst vor kurzem einer Kieferoperation unterzogen. Vorher war er geröntgt worden. Das Foto stellte also den aktuellen Zustand seiner Zähne dar. Der Deckel des Sarges war offen. Der Staatsanwalt übergab das Foto dem Doktor. „Gehen Sie ans Werk“, sagte er. Warum er die Zähne der Leiche anhand des Fotos vergleichen sollte, wußte der Arzt nicht genau. Das war offenbar geheim. Aber es mußten wohl Dinge vorgefallen sein, die die Behörden daran zweifeln ließen, daß der in Key West Begra105
bene wirklich Tobasko war. Dem Antrag auf Exhumierung wurde nur selten stattgegeben. Eigentlich nur dann, wenn es um die Aufklärung eines Verbrechens ging. Während der Arzt sich der unangenehmen Aufgabe widmete, das Gebiß einer halbverbrannten, in Verwesung übergegangenen männlichen Leiche zu kontrollieren, fing der Sheriff laut zu denken an. „Angenommen, er wollte verduften und arrangierte deshalb seinen Tod, woher nahm er dann die Leiche?“ „Gibt ja genug Penner, Tramps, Rauschgiftsüchtige , Touristen und Lebensmüde in diesem Land. Oder?“ „Hört sich einfach an, ist es aber nicht.“ „Setzen wir voraus, daß Tobasko einige Erfahrungen hatte. Er saß schon in Gefängnissen, es gab Anklagen wegen Betrugs und Urkundenfälschungen. Die Navy, bei der er angestellt war, feuerte ihn ebenfalls fristlos.“ Der Sheriff schwieg. Alle warteten gespannt auf die Expertise. Der Arzt arbeitete sorgfältig mit Kieferspreizer, mit Spiegeln und Lampe, mit kleinen Hämmerchen, Zangen und spitzen Sonden. Schließlich packte er sein Instrumentarium zusammen, wandte sich an den Staatsanwalt, den Mann von CIA und den Sheriff. „Keinerlei Übereinstimmung des Kiefers dieses Toten mit dem Kiefer auf dem Röntgenfoto,“ „Ist es hundertprozentig?“ „Mindestens.“ „Dann ist der Tote in dem Sarg auch nicht Felipe Tobasko.“ „Das ist Ihre Schlußfolgerung, Staatsanwalt“, entgegnete der Arzt. „Ich stelle nur fest, daß der Tote nur noch ein paar eigene Zähne besitzt, und die sind verfault bis in die Wurzeln. Man kann sagen, er hat eine Schutthalde von einem Gebiß im Vergleich zu dem auf dem Foto.“ „Danke, Doktor“, sagte der Staatsanwalt. „Ich erwarte Ihr Protokoll.“ 106
Die Gentlemen fuhren weg. Der Sarg mit der Leiche wurde wieder der Erde übergeben. „Was nun?“ fragte der Staatsanwalt, der den CIA-Agenten mit in sein Büro nahm. „Wie kam es dazu, und wer ist dieser Tote?“ „Mich interessiert nur“, antwortete der Mann aus Washington, „wo Felipe Tobasko sich derzeit aufhält.“
Obwohl die Verdachtsmomente zunahmen, daß Admiral Cryder von einem Hund, den Felipe Tobasko trainiert hatte, totgebissen wurde und daß Tobasko sich auf der Iberischen Halbinsel aufhielt, war es nicht möglich, ihn ausfindig zu machen. Bei der CIA war man gewohnt, zielstrebig zu arbeiten und zu Ergebnissen zu kommen. Also gab der Abteilungschef seinen Mitarbeitern die Marschrichtung bekannt. „Admiral Cryder feuerte diesen Tierbändiger hochkant. Tobasko rächte sich an ihm. Leute wi e er haben nicht nur einen Todfeind. Da er schon mal auf dem Rachetrip ist, wird er noch andere Rechnungen begleichen wollen. Alle Personen, die ihn so behandelten wie Admiral Cryder – ungerecht, nach Tobaskos Auffassung –, wird er auf ähnliche Weise sterben lassen. Das ist kriminalpsychologisch gesehen die Regel. Zwar ließ er sich Zeit für seinen Feldzug, aber nun, wo er rollt, setzt er ihn auch fort. – Wir werden also das Leben dieses Mister Tobasko durchforsten. Jedes Jahr, jede Phase. Wir müssen herausarbeiten, ob es noch andere Personen gibt, die er mit dem Tod bestrafen wird. – Haben wir diese Leute namentlich, müssen wir sie suchen. Und wenn wir sie gefunden haben, müssen wir mit ihnen sprechen, sie notfalls vo r Tobaskos Rache schützen. – Das wäre alles, Gentlemen.“ „Ganz einfach“, meinte einer der Agenten. „Nichts leichter als das.“ 107
Er meinte das Gegenteil davon, aber über die Schwierigkeiten eines Falles zu jammern, war in diesem Männerberuf nicht der gängige Stil. Die Computer von FBI, NSA und CIA wurden befragt. Die Bundeskriminalpolizei FBI war für die Inlandabwehr zuständig, der Geheimdienst CIA für alles, was im Ausland geschah und den Vereinigten Staaten gefährlich werden konnte. „Und die NSA ist sowieso für alles und jeden zuständig“, höhnte der zuständige Sachbearbeiter. „Vom Erdmittelpunkt bis zum Planeten Mars.“ Aber was im Laufe von zwei Tagen zusammenkam, setzte sie über ihre eigenen Fähigkeiten in Staunen. Binnen achtundvierzig Stunden lag der lückenlose Lebenslauf des Felipe Tobasko vor, mit Einzelheiten, an die er sich wohl selbst nicht mehr erinnerte. Angefangen von seinen Streichen auf der Straße, in der Schule, bei den Kinderbanden, bis zu den vergeblichen Versuchen, aus seiner Begabung, mit Tieren umzugehen, eine Existenz aufzubauen. In dem meterlangen Computerprotokoll wurden mehrere Positionen rot markiert. „Da war eine Frau, Greta Simmens, die ihn an die Polizei verpfiff.“ „Weil er sie grün und blau verprügelte. Allerdings ist sie nach Kanada ausgewandert.“ „Dann der Richter, der ihn damals verknackte.“ „Euer Ehren Josef Mamlock.“ „Und ein Arzt, der eine Operation verpfuschte. Es handelte sich um eine Krokodilbißwunde.“ „Der Arzt ist in Vietnam gefallen.“ Sie hakten ihn ab. „Da war noch ein Zoologieprofessor von der Princeton University, der Tobaskos Buch ein Plagiat nannte und als übles Machwerk beschimpfte. Sein Name ist Morgan Duffy.“ „Außerdem erwischte er ihn beim Führen eines falschen Doktortitels.“ 108
„Bleibt noch Admiral Cryder, der ihn erst benutzte, ihn einen genialen Tiertrainer nannte und dann aus der Navy schmiß.“ „Mit Recht.“ „Cryder ist tot, den können wir auch streichen. - Wer bleibt?“ „Richter Mamlock und der Professor für Zoologe.“ „Er ist inzwischen Dekan der Zoologischen Fakultät.“ „Derzeitiger Aufenthaltsort ist zu ermitteln. Notfalls sind Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Dieser Tobasko ist doch der klassische Rächertyp. Und Blut, so sagt man, macht rünstig.“ Der verantwortliche Sachbearbeiter des Falles Tobasko glaubte, auf diesem Weg an den Gesuchten heranzukommen. Wo Tobasko auch war, er würde sich seinen Opfern nähern. In dieser Phase mußten sie ihn kriegen. Allein schon aus Gründen der Geheimhaltung des Navy-Programms, was die Weiterentwicklung meeresbiologischer Systeme betraf. Wenige Stunden später war der Universitätsprofessor gefunden und informiert. Nach Richter Mamlock suchten sie noch. 15. Berlin Checkpoint Charly Der Bundesnachrichtendienst hatte Rosita Tobasko nach Berlin fliegen lassen und im Hotel am Zoo ein Zimmer für sie reserviert. Erst war sie erstaunt, dann aber entzückt, Urban vorzufinden. Sie schloß die Zimmertür, ließ das Gepäck fallen und umarmte ihn, als seien sie we r weiß wie dicke Freunde. Noch verzichtete sie darauf, ihn abzuküssen. Er nahm sie bei den Schultern und drückte ihren Körper soweit von sich, daß er sie genau betrachten konnte. „Sie haben sich verändert, Rosita.“ 109
„Was ein paar Francs gleich ausmachen.“ Vielleicht lag es auch am Licht. Ihre Haut wirkte dunkler, das Haar fast pechschwarz. Sie trug es glatt nach hinten. Ihre Augen vergrößerten dunkle Umrandungen. Sie kam ihm fast maurisch vor. Wie aus einem maurischen Harem. Sie setzte sich auf die Couch, lässig, die Beine breit und so entspannt, als gehöre ihr der ganze Laden. „Erzähl mir was von dir“, bat sie ihn in vertraulicher Anrede. „Wozu? Ich bin unwichtig in diesem Schachspiel. Nur ein Bauer.“ Sie hob die Arme. Man konnte die dunklen Schatten der ausrasierten Höhlen ahnen. „Soll ich von mir erzählen?“ „Von dir weiß ich schon alles.“ Er öffnete eine Flasche Sekt. „Nicht alles“, schränkte sie ein. „Zumindest weißt du nicht, daß ich viel an dich denken mußte.“ „Und an deinen Mann Vicente.“ „Ich gebe mir Mühe.“ Sie nahm ein volles Glas und leerte es durstig. „Schmeckt sehr herb.“ „Unsere Sekte sind eben so.“ Sie ließ sich das Glas wieder füllen, trat zum Fenster und schien die Menschen und die Autos auf dem Kurfürstendamm zu zählen. „Merkwürdige Stadt“, sagte sie. „Ich hörte, sie sei durch eine Mauer geteilt.“ Urban trat neben sie. „Du schaust natürlich den Mädchen nach“, bemerkte sie bissig. „Wir haben andere Sorgen, Senora.“ „Welche?“ „Daß wir Vicente heute nachmittag heil über die Grenze bringen.“ 110
„Dachte, das sei ein offizieller Handel.“ „Wer weiß schon, was denen in Ostberlin in letzter Sekunde noch einfällt. Sie haben ohnehin tausend Fragen gestellt, was uns an einem Spanier liegt. Daß wir deutsch-deutsche Spione tauschen, ist normal, aber einen Spanier… Plötzlich kommen sie auf die Idee, dein Vicente könnte ein heißer Typ sein.“ „Er ist ein Nichts“, sagte sie, „aber er ist mein Mann.“ „Ist das nicht genug?“ „Nein.“ Sie stand dicht neben ihm und berührte ihn an der Hüfte. Im Spiegel sahen sie aus wie ein Paar. „Was hast du für einen harten Körper“, stellte sie fest „Das ist meine schußsichere Weste“, scherzte er. „Ein gebildeter weltgewandter Mann“, fuhr sie fort, ihn anzuschwärmen. „Du siehst gut aus, bist schlank und doch kräftig. Mitte Dreißig, groß, elegant, mit einem liebenswerten Lächeln.“ „Die meisten mögen es gar nicht. Sie nennen es arrogant.“ „Und mit gütigen braunen Augen.“ „Manche bezeichnen sie als unverschämt und eindringlich.“ „Das stört mich nicht im geringsten. Ich habe nichts zu verbergen. Du hast einen markanten Händedruck, nicht zu fest, nicht zu weich, du…“ „Okay, ich weiß, ich bin ein unheimlich toller Kerl.“ Das Telefon summte. Der Mann des BND in Berlin war am Apparat. „Gibt eine Neuigkeit“, deutete er an. „Ich höre.“ „Aus Bonn. Du sollst dich verfügbar halten.“ „Ich bin bereit“, sagte Urban. „Wie läuft es mit Vicente Tobasko?“ „Er ist auf dem Weg von Bautzen nach Ostberlin.“ Urban legte auf. „Die eiskalte Wirklichkeit?“ fragte Rosita 111
„Sie holt dich immer wieder ein.“ „Und reißt dich aus deinen Illusionen.“ Wortlos begann sie sich zu entkleiden. Aber nach Rock und Bluse, als sie nur noch Slip und BH anhatte, horte sie damit auf. „Ich nehme eine Dusche.“ „Warum nicht.“ „Vicente soll eine frische, gutriechende Frau vorfinden.“ Sie ging ins Bad. Er goß sein Glas voll.
Die Dusche prasselte, und Rosita sang. Plötzlich hörte Urban ihren Schrei. „Roberto!“ Er stürzte ins Bad. Dampf quoll ihm entgegen. Aus dem feuchtwarmen Nebel drang ihre Stimme: „Die Dusche ist kochendheiß. Wie stellt man sie ab?“ „Komm einfach raus“, rief er. Die Kabine aus Milchglas öffnete sich. Sie stieg aus der Duschwanne, nackt und tropfend. Sie lachte und umarmte ihn, naß wie sie war. Sie schmiegte sich an ihn und küßte ihn heftig und immerzu. Mit einer Hand stellte Urban die Brause ab. Sie war nur lau. Sie hatte ihn aus einem anderen Grund gerufen. „Liebst du mich?“ fragte sie. „Nein.“ „Wirklich nicht? Nicht ein bißchen?“ „Na ja“, sagte er, „mit verstecktem Herzen.“ Er frottierte sie erst einmal trocken, wickelte sie ein, trug sie ins Zimmer und warf sie aufs Bett. Sie lag da, warm, duftend und erwartungsvoll. „Dich“, flüsterte sie, „würde ich nicht versenken wie einen Stein.“ 112
„In drei Stunden ist Vicente bei dir.“ „Ach, Vicente“, seufzte sie. „Er ist dein Mann.“ „Weißt du“, setzte sie nach einer Weile an, „warum ich alles tat, um ihn herauszuholen?“ „Weil du ihn liebst.“ „Weil er krank ist.“ „Ich kenne keinen wirklich kerngesunden Mann. Jedem fehlt irgendwo etwas.“ „Er hat einen Krebs, der ihn impotent macht.“ „Krebs ist heute heilbar.“ „Die Ärzte meinen das nicht. Deshalb wollte ich, daß er nicht in einer Zuchthauszelle in einem fremden Land sterben muß. Begreifst du?“ „Klar.“ „Ich werde ihm eine gute Frau sein bis zu seinem letzten Tag“, erklärte sie. „Aber ich möchte Erinnerungen haben, die nur mir gehören, von denen ich zehren kann.“ Er verstand sie. – Aber verdammt, alles ging schief. Er hatte sie hierhergebracht und ihren Mann zurückgeholt, weil er hoffte, daß sie ihm half, Felipe Tobasko, diesen Killer und Erpresser, zu fassen. Doch wie es aussah, schlief er jetzt gleich mit ihr. Aber als er es tat, war es kein Akt der Verzweiflung und nicht animalisch. Es war ganz natürlich, als sei es vorbestimmt gewesen. Und es war sogar gut Sie hatte das Zeug zur Geliebten, besaß aber auch das Urtalent mancher Frauen, die nicht fragten, sondern es taten, die gewisse Dinge vorausahnten und Wünsche erfüllten, ehe sie ausgesprochen waren. Es war angenehm mit ihr, wie mit einer Portion Himbeereis mit Erdbeeren an einem heißen Tag im August im Schatten der Markise eines netten kleinen Cafes zu sitzen. Nur die Uhr brachte sie auseinander. 113
Sie duschten, zogen sich an, dann ging das Telefon. „Der Wagen steht unten“, übermittelte Urban. „Er bringt dich zur Übergabestelle. Dann zum Flugplatz Tempelhof.“ „Und wir sehen uns nie wieder?“ „Wie, wo, wann denn?“ Rosita wußte, daß sie ihm noch etwas schuldete. Jetzt bezahlte sie. „Du findest Felipe Tobasko nördlich von Tarragona an der Landspitze eines Ortes, der Altafulla heißt. Er hat dort eine Finca gemietet, richtet drei Hunde ab und füttert ein Rattenpärchen.“ „Gracias“, sagte Urban. „Aber auf der Finca am Golf von San Jorge ist er nicht.“ „Woher…?“ fragte sie verblüfft. „Ich war da“, gestand er. „Felipe ist längst fort.“ „Wie kamst du dorthin?“ „Polizeiarbeit.“ „Schade“, sagt sie und wandte sich von ihm ab. Sie war zutiefst enttäuscht. „Ich wäre dir gerne nützlich gewesen.“ „Das warst du“, versicherte er. „Wenn mir noch etwas einfallen sollte, rufe ich dich an.“ Er gab ihr seine Münchner Nummer. Sie nahm ihren Koffer und ging. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. „Warum kommst du nicht mit?“ Bringende Obliegenheiten“, log er. „Warum lügst du?“ fragte sie. „Warum nicht?“ Kopfschüttelnd drehte sie sich um und war fort. Er hörte noch die Absätze ihrer hohen Schuhe, obwohl der Hotelkorridor mit Teppich belegt war.
114
Um 15.00 Uhr rief Bonn an. Das Büro des Staatssekretärs im Kanzleramt verband ihn weiter. „Der Erpresser hat sich gemeldet“, übermittelte man Urban. „Und seine Forderung?“ „Zehn Millionen Dollar gegen die ERSO-Papiere.“ „Zahlen wir?“ „Wir zahlen“, bestätigte der Stellvertreter des Ministers. „Sie, als mit dem Fall befaßter BND-Agent, werden mit der Übergabe betraut, also mit dem Tausch Geld gegen Papiere.“ Urban hatte damit gerechnet. Es hätte ihn gewundert, wenn man einen anderen Weg gewählt hätte. „Wann und wo?“ fragte er. „Morgen nacht. Irgendwo in Südfrankreich. Genauer Ort und Stunde werden vorher durchgegeben. Sie sollen sich in Aix-enProvence bereithalten.“ Urban schaute auf die Uhr. Er mußte nach Bonn, das Geld übernehmen, dann runter in die Provence. Er durfte keine Minute verlieren. Ich nehme die erstbeste Maschine nach Düsseldorf.“ „Wir holen Sie ab.“ Er legte auf und schaute wieder auf die Uhr. Jetzt würde Rosita an der Westseite des Checkpoint Charly sein und auf Vicente Tobasko warten. Er würde drüben aus einer Stasi-Limousine steigen und zu Fuß herüberkommen. Rosita würde dastehen, und sobald sie ihn erkannt hatte, auf ihn zueilen und ihn in die Arme schließen. Was für eine Welt, was für ein verkommener Haufen. Jeder war ein Lügner und Betrüger. Und wer nicht mitspielte, der kam unter die Räder.
115
16. Riviera Leben wie der Teufel in Frankreich Felipe Tobasko rief persönlich an. Er schien zu wissen, daß die Möglichkeiten eines BND-Kuriers, was Fahndung und Verfolgung eines Erpressers betraf, in Frankreich begrenzt war. Außerdem wählte er zwischen Angabe des Ortes und Minute der Übergabe eine so kurze Zeitspanne, daß Urban keine Chance blieb, irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Bei einfallender Dunkelheit setzte Urban sich mit den zehn Millionen Dollar in zwei Koffern vo n Aix aus in Bewegung. „Fahren Sie nach Süden, nach Gardanne“, hatte der Erpresser gefordert. Urban bewegte den Mietwagen also nach Gardanne. „Fahren Sie von Gardanne weiter in Richtung auf den Pilon du Roi“, hatte die Anweisung gelautet. Urban sah jetzt den siebenhundert Meter hohen Berg im Abendrot und hielt auf ihn zu. „Mitten in der Ortschaft, am Straßenkreuz, wo es nördlich nach Trets und südlich nach Roquevaire geht, steht eine Telefonzelle. Schrauben Sie die Sprechmuschel auf. Sie finden darin eine Nachricht.“ Es war dunkel, als Urban hinkam. Der Deckel der Sprechmuschel war nur locker aufgeschraubt. Er holte den Zettel heraus, faltete ihn auf und las im Licht der Innenbeleuchtung des Renault 25: Biegen Sie nach St. Zacharie ab. Sie überqueren den Fluß zweimal. Bei der zweiten Brücke halten Sie an. Am Fundament der Brücke lehnt ein Autoreifen. Greifen Sie hinein. Tobasko war verteufelt vorsichtig. Er lockt e Urban in eine einsame aber übersichtliche Gegend, um sicher zu sein, daß er alleine war. Und er hatte die Dunkelheit ausgewählt, weil bei 116
Nacht der Einsatz von Hubschraubern wenig Sinn machte. Urban fuhr weiter. Die Nebenstraße nach St. Zacharie war von den Behörden offenbar vergessen worden. Die Asphaltdecke sah aus wie nach einem innigen Jagdbomberbeschuß. Fußtiefe Schlaglöcher, die wie Perlen an einer Kette aneinandergereiht waren, ließen den Makadam zerbröseln. Streckenweise war überhaupt kein Belag mehr vorhanden. Das Wasser des kleinen Flusses schimmerte im Mondlicht. Der Fluß buchtete weg und kam ebenso unvermittelt wieder. Die Bohlen der ersten Brücke klapperten unter den Rädern. Nach drei Kilometern tauchte die zweite Brücke auf. Urban stellte den Renault seitlich ab, nahm die Lampe mit und kletterte die Böschung hinab zum Fundament. Es bestand aus einer Reihe vo n mannsdicken Baumstämmen. Sie steckten dicht bei dicht in der Erde. Zwei ganz lange versteiften das Ganze überkreuz. Urban ließ die Lampe aufblitzen. Der Autoreifen lehnte an der Böschung. Urban trug noch die Fahrerhandschuhe, griff hinein und fand eine weitere Nachricht: Begeben Sie sich mit dem Ge ldkoffer am Fluß entlang bis zu dem Pappelwäldchen. Ich erwarte Sie am Fuße des Gittermastes. Urban holte die Koffer und schob die 7,65er unter den Gürtel in den Hosenbund. Dann marschierte er los. Das Flüßchen machte eine Biegung nach Norden. Der dunkle Strich rechts war das Gehölz. Bald sah er auch die ÜberlandStromleitung, aber nichts am Betonfuß des Mastes. Demnach war der Erpresser in Deckung gegangen. Urban schlug einen Kreisbogen um den Mast, damit er den Mond nicht im Rücken hatte. Keine Silhouette zu bilden war das wenigste, was er tun konnte. Plötzlich hörte er eine Stimme scheppern. „Wird Zeit, daß Sie kommen.“ 117
Es war die Stimme eines Mannes, aber sie kam aus einem Lautsprecher. Aus einem kleinen, wi e Sprechfunkgeräte sie hatten. Sie verstellten jede Stimme, quetschte sie zusammen, verbeulte sie, verzerrte sie. Der Erpresser war also weit weg, irgendwo da draußen im Dunkel, vielleicht kilometerweit entfernt. Urban stellte die Koffer ab und setzte sich hin. – Das Gerät blieb stumm. Kein neuer Befehl erging. Er steckte sich eine MC an und wartete.
Entweder Tobasko schlich sich an, oder er beobachtete ihn. Plötzlich dröhnte eine Stimme: „Ich mußte doch sicher gehen, daß Sie allein sind.“ „Wir halten uns an Abmachungen.“ „Nein, Sie halten sich nicht daran“, entgegnete der Unsichtbare. „Ich kenne Sie. Sie sind Mister Dynamit. Ihnen ist jedes Mittel recht.“ Urban hielt wenig von Herumreden und Dasitzen. „Kommen wir zur Sache“, drängte er. „Überlassen Sie mir das. Sie sind scharf auf die SatanaDokumente, also bestimme ich die Regeln.“ „Und Sie sind scharf auf die Dollars“, erwiderte Urban. „Entweder die Sache ist binnen zehn Minuten über die Bühne gegangen, oder Sie können die Papiere behalten. Die Echtheit glaubt ohnehin keiner außer uns.“ Tobasko reagierte mit beißendem Hohn. „Dann liegen morgen die Papiere bei den Redaktionen aller großen Zeitungen.“ „Also, what’s the matter?“ Das Gerät übertrug jeden Atemzug. Es war auf äußerste Lautstärke gestellt. Urban vernahm ein Pfeifen, das höher wurde und dann aufhörte, weil es offenbar die Fähigkeit des 118
menschlichen Ohres, Töne wahrzunehmen, überstieg. Dann war Tobasko wieder da. „Stellen Sie den Koffer neben den Mastfuß . Sehen Sie den anderen Mast, den nächsten nebe n dem Pappelwald, auf Saint Zacharie zu, ungefähr vierhundert Meter entfernt?“ „Ich sehe ihn.“ „Dort liegt das Paket.“ „Okay“, sagte Urban. „Aber seien Sie versichert, Mann, wenn Sie uns übers Ohr hauen, gibt es in Europa keinen besser gejagten Killer als Sie.“ „Nehmen Sie das Walkie-talkie mit, und sagen Sie mir, ob Sie zufrieden sind.“ Urban nahm das handliche Gerät mit der langausgezogenen Funkantenne und stapfte in Richtung Osten durch das scharfe, dürre Gras. Und wieder dieses merkwürdige hochfrequente Pfeifen. Er hatte etwa die Hälfte des Weges bis zum nächsten Strommasten zurückgelegt, als Tobasko sich wieder meldete. Diesmal in einem völlig anderen Tonfall. „Mister Dynamit“, sagte er. „Ich weiß, daß Sie hinter mir her sind. Sie haben sich meiner Schwägerin bedient und meine Finca bei Tarragona durchsucht. Aber Sie fanden nichts.“ Urban hörte zu und ging weiter. Tobasko fuhr fort mit seiner Suada. „Aber Sie wissen zuviel. Sie sind mir zu dicht auf den Fersen. Sie sind zu gefährlich geworden, deshalb muß ich Sie… töten.“ „Na dann, machen Sie schon…“ Als Reaktion kam wieder der Pfeifton. – Kein Zweifel, es war ein für Hundeohren bestimmtes Peilsignal. Dann schrie Tobasko: „Angreifen, Lupo! Pack ihn, Lupo! Mach ihn tot…! tot…! tot…!“ Urban vernahm ein Winseln. Er fuhr herum und sah etwas 119
Schwarzes, das etwa fünf Meter hinter ihm geduckt am. Boden lag und jetzt wie ein Springfrosch losfederte. Das in schwarzes Fell verpackte Muskelpaket schleuderte sich hoch. Urban duckte weg und warf ihm das Sprechfunkgerät entgegen. Er traf. Der Hund jaulte auf, und weil Urban zur Seite sprang, hatte er die falsche Richtung. Einmal abkatapultiert ließ sich daran nichts mehr ändern. Der schwarze Killer kam hinter ihm auf, stand da auf allen vieren, hingeduckt und knurrend. Und wieder die Stimme seines Herrn: „Faß, Lupo! Faß ihn! Faß!“ Urban tastete nach der Mauser. Sie war nicht mehr im Hosenbund, sondern lag irgendwo am Boden. Der Hund knurrte, fletschte hechelnd die Zähne, sprang aber nicht, sondern hetzte in einem Halbkreis um Urban herum. Offenbar versuchte er sein Opfer im Nacken zu kriegen. – Wie bei Admiral Cryder. Urban kreiselte mit. Eine Bewegung, die der Hund falsch interpretierte. Der Hund sprang ab. Urban hechtete nach links. Wieder hatte de r Hund die Position seines Opfers falsch geschätzt. Urban konnte dem vorbeifliegenden Kraftpaket einen Handkantenschlag gegen den Schädel versetzen. Solche Schläge zertrümmerten Ziegelsteine. Ein Hundeschädel war in Ohrhöhe empfindlich, und Urban hatte ihn voll erwischt. Aber Lupo gab nicht auf. Er wurde durch die Befehle seines Herrn aus dem Sprechfunkgerät angefeuert. Wieder griff der Hund an. Diesmal sprang er in Urbans Faust. Lupo biß zu, aber in den Sakkoärmel. Mit de m Hemd waren es drei Schichten Stoff. Urban spürte unter dem Fuß das Walkie-talkie. Beim vierten Angriff stieß er es dem Hund tief in den aufgerissenen Rachen. Der Hund lag am Boden und versuchte, es herauszuwürgen, 120
aber die Antenne hatte sich in seinem Kiefer verhakt. Urban näherte sich ihm von hinten und ertastete seine Kiefer. Indem er sie zusammenpreßte, verschränkte er sie so, daß die Fangzähne, von denen einer der tödliche war, in die Lefzen stießen. Mit aller Kraft preßte Urban das Maul des Hundes zusammen, bis dessen wütender Versuch, sich mit allen vieren aus dem Griff zu befreien, nachließ. Krämpfe schüttelten ihn, dann ging es schnell. Gegen Chemie, gegen Gift, war auch sein Körper nicht gefeit. Er bäumte sich auf, streckte die Beine von sich und war tot. Urban tastete nach seiner Waffe und ging zu dem Antennenmast weiter. Weder am Betonfuß noch in der Umgebung fand er etwas. Keine Dokumente, nicht einen Fetzen Papier. Tobasko hatte sie hereingelegt. Urban rannte zum Flußufer zurück. Die Geldkoffer standen noch unberührt da. Er hockte sich hin, lud die Mauser durch und entsicherte. Normalerweise wü rde Felipe Tobasko irgendwann kommen, um die Beute abzuholen. Er kam aber wohl nur, wenn sein Hund nach dem Todesbiß zurückkehrte. Ein Mann wie Tobasko wußte genau, ob sein Hund den Mordanschlag ausgeführt hatte oder nicht. Wenn der Hund nicht zurückkam, würde er nach ihm suchen. Sobald er das tote Tier fand, wußte er, daß alles schiefgelaufen war. Vielleicht bewegte er sich aber auch gar nicht aus der Deckung heraus und brach die Operation, wenn Lupo nicht zurückkehrte, ab. Urban wartete zirka eine Stunde. Dann nahm er die Koffer, trug sie zu dem Renault und fuhr zurück nach Aix in sein Hotel. Dort reinigte er die kleine Wunde am Handgelenk, gab Jod darauf und ein Pflaster. Dann trank er eine Flasche Rose, legte sich aufs Bett und fühlte sich, als hätte der Hund ihn totgebissen. 121
Das Klingeln des Telefons riß ihn aus dem Halbschlaf. Es ging auf zwei Uhr morgens. Mit jedem hätte er gerechnet, aber nicht mit Rosita „War schwierig, dich zu finden“, sagte sie. „Von deinem Büro bekam ich endlich die Adresse und die Nummer.“ „Wie geht es dir?“ fragte er noch nicht ganz wach. „Es geht uns gut“, antwortete sie. Gegen die Trockenheit im Mund nahm Urban einen Schluck kalten Kaffee. „Das freut mich.“ „Und du?“ „Schlecht“, gestand er, ohne zu erwähnen, daß er eine der schlimmsten Niederlagen seines Lebens hinter sich hatte. „Bist du krank?“ „Wenn man davon ausgeht, daß Erfolg glücklich macht, dann bin ich das Gegenteil davon.“ Sie schien zu ahnen, um was es ging. „Mir fiel noch etwas ein, zu Felipe, zu den drei Hunden und den zwei Ratten.“ „Es ist nur noch ein Hund“, erklärte Urban. „Der Bestand hat sich verringert. Jetzt sind es mehr Ratten als Hunde.“ Sie verstand diese Andeutung nicht, maß ihr aber auch keine Bedeutung bei. „Felipe hat ein Gespann, bestehend aus eine m Land Rover und einem Wohnanhänger.“ „Das rekonstruierten wir bereits.“ „Mag sein, daß davon im Sommer, während der Reisezeit Tausende die Straßen bevölkern. Aber der Anhänger stammt aus einem Wanderzirkus. Er ist zirkusrot, hat aber in der Mitte einen zirkusweißen Längsstreifen. Wie eine Bauchbinde.“ Urban war jetzt dreiviertel wach. „Wie breit?“ „Einen Meter vielleicht.“ „Und wie lang ist der Trailer?“ 122
„Beinah acht Meter.“ „Farbe des Land Rover?“ „Grau.“ „Kennzeichen?“ „Fällt mir nicht ein. Ich gebe mir Mühe, glaub mir. Aber an etwas anderes erinnere ich mich noch. Auf dem weißen Streifen steht ein Name. Der Name Montalban. Zirkus Montalban.“ Er richtete sich weiter auf und tastete nach den Zigaretten. „Gracias, das ist schon was. Du bist großartig, Rosita mia.“ „Ich habe dir zu danken.“ „Wofür?“ „Für das, was du für mich getan hast.“ „Und wenn ich es gar nicht für dich tat?“ „Danke ich dir trotzdem. Ich küsse dich“, flüsterte sie und legte auf. Er saß da, hellwach jetzt, aber noch immer ohne Hoffnung. Autos, Wohnwagen, sie ließen sich leicht verändern. Ein Pinsel, ein Topf Farbe, und schon erledigt. Weiter. Vor vier Stunden war Tobasko gewiß in de r Nähe gewesen, aber nach dem Fehlschlag zog er die Reißleine. In vier Stunden kam ein Mann verdammt weit. Trotzdem rief Urban in München an. Zu dieser Stunde war selten jemand erreichbar. Der Apparat in der Operationsabteilung wurde nicht abgehoben, auch der beim Präsidenten und der in der Technischen Abteilung nicht. Und mit der Zentrale konnte er wenig anfangen. Noch vor Tau und Tag ging das Telefon. Der Assistent von Oberst Sebastian, Chef der OA, stöhnte, als hätte er Bauchschmerzen. „Wollte schon aufgeben. Ich versuche es seit gestern abend. Erst waren Sie nicht da, dann kam ich nicht durch, dann war belegt.“ „Es ist nie zu spät“, sagte Urban. „Was gibt’s?“ „Bei der CIA bekommen sie weiche Knie.“ 123
„Früher oder später immer.“ „Sie lassen zumindest den Schwanz der Katze aus dem Sakko.“ „Schwarze Katze oder weiße?“ Der Assistent war einer von den jungen, fixen Spöttern. „Sie exhumierten Felipe Tobasko in Key West. Im Sarg lag ein anderes Corpus delicti.“ „Muß ja wohl, wenn er mordend durch Europa zieht.“ „Unsere weißen Brüder in Washington nehmen an, daß Tobasko Delphine mit Haftladungen loshetzte. Sie versenkten den Frachter Satana. Und ein als Bergungstaucher ausgebildeter Killerwal mit dem höchsten bei Meeressäugetieren gemessenen Intelligenzquotienten, holte offenbar etwas aus dem Wrack.“ „Ja, Geldgier und Haß“, sagte Urban. „Über beides verfügt Tobasko in brisanter Menge und Mischung.“ „Sie haben nach Admiral Cryders Tod Tobaskos Leben rekonstruiert und nach weiteren Namen auf seiner Killerliste geforscht. Dabei kamen sie auf zwei extrem gefährdete Personen. Einen Zoologen und einen Richter.“ „Den Zoologen haben sie ausgestopft, und der Richter ist im Himmel“, hoffte Urban. „Der Zoologe lebt nahe Princeton/Jersey. Er wird rund um die Uhr bewacht. Und der Richter, ein gewisser Mamlock, macht gerade Urlaub an der Riviera“ „Und das sprach sich bis zu unserem Killer herum, glaubt Langley.“ „Deshalb die Information. Unsere Kohorten stehen schließlich näher am Feind.“ „Wo urlaubt Mamlock?“ „Bei San Remo.“ „Beschreibung.“ Urban bekam sie. Damit hatte er zwei erstklassige Hinweise. Einen auf den Zirkus-Wohnwagen, den zweiten auf einen Mann, dessen Nähe 124
der Killer möglicherweise aufsuchen würde, um sich zu rächen. Falls es so etwas wie Psychologie gab, dann mußten die Wege von Mamlock und Tobasko sich irgendwann kreuzen. „Ist das ein Hammer?“ fragte der Assistent. „Und Ihr Hammerschlag“, lobte Urban ihn, „ist sogar ein ganz besonderer.“ Seine Stimmung hatte sich erheblich gebessert. Aber nur soweit wie bei einem Mann, der bis zur Mitte der Brücke gekommen war, von der er wußte, daß sie nicht mehr lange hielt. 17. Italien Ratten im Paradies Der italienische Geheimdienst zeigte sich stets kooperativ, wenn es nicht gegen Kirche und Staat ging. Urbans Freunde in Rom hatten die Kripo vo n San Remo aktiviert. Von der Kripo wiederum wurde der amerikanische Staatsbürger Jo Mamlock, ein weißhaariger älterer Herr, der mit seiner Tochter die Gerichtsferien zu einer Reise an die Blumenriviera genutzt hatte, in einem Hotel ausfindig gemacht. Er mußte sich eine Leibwache gefallen lassen. Die durch die Polizeikräfte aus Genua und Ventimiglia ve rstärkte Kripo suchte alle Campingplätze der Küste ab. Von See her mit Motorbooten, aus der Luft mit Hubschraubern, in den Bergen durch als Touristen getarnte Beamte. Vierundzwanzig Stunden nach dem Alarm lag noch kein Ergebnis vor. Doch einen Tag später, frühmorgens, entdeckten sie an einem Strandstück, das schon x-mal vorher abgesucht worden war, ein Gespann. Es bestand aus einem grauen Land Rover und einem Wohnwagenanhänger. Von der Seite sah er aus wie ein riesiges Osterei in Geschenkpapier. 125
„Rot, mit weißer Schleife“, kommentierte der zuständige Polizeioffizier, „aber nicht vom Zirkus Montalban.“ Urban betrachtete die Fotos und deutete auf die schwarzen Schatten im Weiß. „Er hat den Namen übermalt.“ „Wie gehen wir vor?“ „Ich gehe gegen ihn vor“, erklärte Urban. „Möchte Ihre Männer nicht gefährden. Sie sind für solche Einsätze nicht geschult. Dieser Mann ist eine Bestie und bedient sich abgerichteter Bestien. Ihre Leute bleiben in Deckung für alle Fälle.“ Die Festnahme wurde organisiert. Gegen Mittag – Felipe Tobasko und sein Kampfhund hatten den Schatten des Wohnwagens aufgesucht – umstellte die Polizei die kiesige Bucht. Die Durchfahrt unter der Bahnlinie wurde ebenfalls abgesperrt. „Wir feuern nur“, sagte der Einsatzleiter, „wenn es unumgänglich ist.“ „Überlassen Sie mir diesen Mann“, sagte Urban und setzte sich durch den Tunnel in Marsch. Drüben trat er aus dem Buschwerk, das am Bahndamm wucherte, ging weiter und ohne Umwege auf den Wohnwagen zu. Urban wußte, im Wohnwagen hockte Tobasko. Aber hinter ihm, gut verteilt in Deckung, saßen Scharfschützen. Er fühlte sich nicht unbedingt sicher, aber er fühlte sich auch nicht alleingelassen. Etwa zwanzig Schritte vor dem Trailer blieb er stehen. Er hob einen Kieselstein auf, warf ihn gegen das Wohnwagenfenster und rief: „Kommen Sie heraus, Tobasko! Sie haben keine Chance mehr!“ „Kommen Sie doch herein“, rief der Killer zurück.
126
„Keiner“, sagte Tobasko, „entgeht dem Prozeß der Natur. Man ist jung und wird alt. Man ist Sieger und wird zum Verlierer.“ Der Mann, der ein Tierfreund und ein Mörder war, auch wenn er nur durch manipulierte Geschöpfe töten ließ, saß in der Sofaecke des verluderten Zirkuswohnwagens und hielt seine letzte Killerbestie straff an der Leine. „Verlierer“, monologisierte er weiter, „insofern, als die Weltpresse schon ihre Rotationsmaschinen anwirft, um die Schlagzeilen zu bringen, daß Ihre deutsche Geldsack-Republik sich nicht scheut, Kriege gegen Verbündete zu finanzieren.“ „Es war nicht so“, erwiderte Urban. „Mag sein. Aber es gibt Dokumente, die es so auslegen lassen. Tango Argentine. Die ERSO-Papiere. Nicht nur Sie sind erledigt, Dynamit, auch Ihre Regierung, Ihr Staat, Ihre Republik.“ „Und Sie“, ergänzte Urban. „Wohl kaum“, entgegnete der Mann, der sein Schicksal dafür verantwortlich machte, wo er jetzt stand. Urban gestand ihm das nicht zu. „Es ist aussichtslos. Geben Sie auf, Tobasko.“ Der geniale Tiertrainer kicherte kehlig und schüttelte dabei den Kopf wie ein Irrenhäusler. „Niemals. Und wenn Sie hundert Mann aufgeboten haben.“ „Es sind mehr als tausend.“ „Aber ich habe Sie, Mister Dynamit.“ „Darauf wird man keine Rücksicht nehmen.“ „Sie sind meine Geisel.“ Scharfschützen liegen überall in Deckung“, eröffnete Urban ihm. „Sie sind meine Geisel. Los, gehen wir!“ Urban stand da und tat keinen Schritt. „Sie tragen eine Waffe“, sagte Tobasko, „aber Sie benutzen sie nicht. Das ist allgemein bekannt. Ihre Macke. Ihr Problem. Ich hingegen habe meinen Kampfhund. Ein Wort von mir, ich 127
lasse die Leine los, und er wird Sie töten. Einen meiner Hunde konnten Sie ausschalten, weiß der Teufel wie, aber glauben Sie nicht, daß Ihnen so etwas zweimal gelingt“ Er gab dem Hund ein wenig Leine. Der Kampfhund stemmte sich muskulös gegen den Lederriemen und knurrte bösartig hechelnd. Urban sah den schwarzen Giftzahn links vorn in seinem Gebiß. „Gehen wir“, schlug Tobasko vor. „Sie sind die Garantie für mich, daß niemand etwas unternehmen wird, mein Schutz und meine Deckung. Ihr Leben bewahrt meines. Los, gehen wir. Und nehmen Sie die Hände hoch.“ Urban verließ den Wohnwagen, dicht gefolgt vo n Felipe Tobasko und dem Hund. Sie marschierten am Strand entlang und folgten dem Weg, der zum Tunnel führte. „Eine falsche Bewegung“, sagte der Killer, „und ich lasse den Hund frei. Man mag mich töten, aber Sie fahren mit mir zur Hölle.“ Urban ging vor ihm, die Hände angewinkelt. Tobasko und sein Kampfhund folgten. Tobasko hielt eine Position, daß ihn die Scharfschützen nicht ins Visier nehmen konnten, ohne Urban zu gefährden. Sie näherten sich dem Gestrüpp, wo es sich zu dem Weg öffnete, der zur Bahnunterführung abbog. Sie erreichten den Tunnel, ohne daß sich etwas ereignete. Der Tunnel war leer und feucht. Ihre Schritte hallten auf dem Pflaster. „Wir besteigen drüben Ihren Wagen und fahren weg“, entschied Tobasko. „Wo ist Ihr Puls, Mister Dynamit? Schon bei zweihundert?“ Im Tunnel stank es nach Hundescheiße und Urin, nach Abfall und stehender Luft. „Ich weiß, was Sie bewegt“, sagte Tobasko. „Hören Sie auf, nachzudenken, Mister Dynamit. Sie haben keine Chance.“ Urban ging schneller. 128
Der Mann hinter ihm auch. „Sie sind einer“, fuhr Tobasko fort, „der im Leben stets alles so bekam, wie er es wollte. Ich aber bin einer, gegen den immer alle waren. Ich habe nichts zu verlieren.“ Sie erreichten das landseitige Ende des Tunnels. Die Sonne blendete Urban. Also blendete sie auch Tobasko. Das war immer so, wenn man aus dem Dunkel in helles Licht trat. Und es war Urbans einzige Chance. Er hoffte, daß die versteckten Polizeikräfte irgend etwas unternehmen würden. Er rannte los, hechtete mit einem Satz zur Seite. Fast im selben Moment ließ Tobasko den Killerhund los. Aber auch im selben Augenblick fiel vo n oben her ein Schatten auf den Mann und seinen Hund. Im Flug breitete er sich aus. Ein Schatten wie ein grobes Raster mit Lichtflecken dazwischen. Urban lag an der Böschung, schaute sich um und sah das Netz herunterkommen. Ein Netz, wie es Tierfänger im Dschungel benutzten, aus daumendicken Sisalleinen, rautenförmig, zu babykopfgroßen Vierecken verknüpft. An den Rändern war es durch Bleikugeln beschwert. Es fiel über den Mann und seinen Hund. Sie verfingen sich darin, versuchten sich aber zu befreien. Doch schon sprangen Männer von der Brücke und von der Böschung, ergriffen die Ränder des Netzes und zogen sie gegen die wütende Abwehr der Gefangenen zusammen. „Vorsicht!“ schrie Urban. Der Mann und der Hund im Netz kämpften um ihr Leben. Aber in solchen Netzen verfingen sich sogar Tiger und Löwen. Der Mann schrie und tobte, und der Hund gebärdete sich wie toll. Die Polizisten zogen das Netz zusammen, bis es fest um den Mann und seinen Hund lag. 129
Als Urban hinzutrat, sah er, daß sich der Hund in den Körper des Menschen verbissen hatte. Der Mann war der Herr des Hundes gewesen. Aber im Augenblick, als der Mann selbst einen Herrn gefunden hatte, gehorchte das Tier ihm nicht mehr. Das Netz war zum neuen Herrn geworden. Die Polizisten töteten den Hund durch Kopfschuß. Mit Felipe Tobasko gaben sie sich keine Mühe mehr. In seinem Körper hatte das Gift aus dem Zahn bereits gewirkt, jenes tödliche Gift, das für den Richter Mamlock bestimmt gewesen war. Urban eilte zum Strand zurück, betrat de n Wohnwagen und suchte die Satana-Dokumente. Er fand sie weder in einem Schrank noch in den Polstern. – Doch dann entdeckte er die Bodenklappe unter dem zerschlissenen Sisalteppich. Er öffnete sie. Sie führte in den Zwischenboden zu der Isolierschicht, die den Wohnwagen gegen Kälte von unten schützte. Er leuchtete hinein und sah zwei Ratten. Sie hockten da, starrten mit ihren roten Augen in die Lampe und waren wie hypnotisiert. Um sie herum Haufen von Watte und Wolle. Ein hellgraues Pulver mit gröberen und feineren Bestandteilen, alles durchmischt mit Rattenkot. Urban konnte es nicht fassen. Papiermehl mit Rattenkot. Die Ratten hatten so perfekte Arbeit geleistet, daß sie einen Orden und lebenslängliche Pension verdienten. – Sie hatten die Satana-Dokumente zu Rohmaterial zerkleinert oder aufgefressen.
130
An der Hand noch Fetzen der Satana-Papiere ging Urban zu dem R 25, stieg ein und saß lange Zeit wie benommen da. Das war kein großartiger Sieg. Nur ein so lala-Erfolg. Er nahm einen Schluck Bourbon. Es hieß, jeder Orden suche eine Brust. Diese Brust würde keinen Orden suchen. Außerdem hatte er genug davon. Er steckte sich eine MC an, drehte den Zündschlüssel. Der Anlasser schnurrte. Er fuhr los. Bloß fort von hier. Weiß Gott, es war kein rauschender Erfolg. Trotzdem fühlte er sich prächtig. Und groß, wie ein zu dick aufgeblasener Fußball… ENDE
131