Der Schlitzer
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 145 von Jason Dark, erschienen am 27.04.1993, Titelbild: Franco Accor...
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Der Schlitzer
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 145 von Jason Dark, erschienen am 27.04.1993, Titelbild: Franco Accornero
Er war da, er tötete, und er war uns immer einen Schritt voraus. Der Schlitzer spielte mit und Katz und Maus, er war nicht zu fassen, doch die Leichen, die er hinterließ, waren echt. Durch ihn verwandelte sich ein normaler Friedhof in eine Insel des Schreckens. Wir versagten, doch eine Frau hatte die Idee. Sheila Conolly. Sie brachten uns auf die Spur des Schlitzers, und mir gelang es, hinter sein Geheimnis zu kommen. Für mich war es zu diesem Zeitpunkt schon zu spät, denn seinen Fängen war noch niemand entwischt...
Dunkler konnte es auch im All nicht sein! Es gab keinen Lichtreflex, es war stockfinster, eine absolut kalte Schwärze, die jedes Fünkchen Helligkeit aufgesaugt hatte wie ein Schwamm die Flüssigkeit. Jeden Atemzug, jeden Schweißtropfen und auch jeden Gedanken. James Freeman fühlte sich wohl. Es waren die Zeiten des absoluten Glücks, in dieser Schwärze zu liegen, einfach nur zu sein, so gut wie kaum zu atmen und zu spüren, wie eine Person zu einem anderen Menschen werden konnte. Dabei wußte Freeman nicht mehr, ob er schwamm oder schwebte. Er lag in und auf der Flüssigkeit, und diese war leicht wie Tausende von Federn, die ihn davontrugen. Weg — weit weg . . . Darauf hatte er gewartet. Freeman merkte, wie dicht er sich an sein Ziel herantastete. Für ihn war es das Absolute, das Wunderbare, da wurde die Grenze zur Vollendung erreicht. Er hatte lange Jahre darauf hingearbeitet, um diesen Weg zu finden. Es hatte nur vage Hinweise gegeben. Vereinzelte Forschungsergebnisse, die aber unter Verschluß gehalten wurden, weil sie eben gefährlich waren. Nein, nicht daran denken, es hatte keinen Sinn. Er selbst war wichtiger, sein Fühlen, sein Handeln, sein Zustand, das Wegschweben, das sich Lösen, um die neue Wunderwelt der Psyche zu ergründen. Noch hing der Geist mit dem Körper zusammen, um eine Einheit zu bilden. Aber in der Schwärze hatten andere Dinge des Lebens ihre Wirkung und auch Daseinsberechtigung völlig verloren. Es gab eben nur diese absolute Dunkelheit, das Nichts, die Leere, das Wasser, das ihn trug und auch wegtrug. Was bin ich? überlegte Freeman. Wer bin ich? So fragte er sich dann weiter. Bin ich noch ein Mensch? Bin ich bereits ein ES, habe ich die große Grenze schon überschritten? Er schaffte es noch, seine Gedanken zu ordnen und stellte fest, daß er dicht davor stand. Die Leichtigkeit hatte ihn überfallen, die Gesetze waren aufgehoben worden, für ihn existierte keine Physik mehr. Wo befanden sich die Grenzen? Es gab sie nicht mehr. Auch die letzte Barriere war zerrissen. James Freeman stand dicht vor der Auflösung, für die es jetzt kein Hindernis mehr gab. Er flog . . . *** Herbst — November! Die Zeit der Toten, der grauen Nebel, der alten Friedhöfe. Zeit der Depression, wo die Menschen sich verzweifelt nach
Sonne sehnten und nicht mehr daran dachten, wie brutal heiß der letzte Sommer gewesen war. Totenwetter, eine sterbende Natur, die Rückbesinnung vieler in die Vergangenheit. Kein Wetter, um fröhlich zu sein, um sich befreit und lachend zu geben. Dafür eingefangen von grauen Nebelschleiern. Ein Wetter, um wegzulaufen, um sich zu verkriechen, aber nicht, um sich die Tage auf einem Friedhof um die Ohren zu schlagen, obwohl gerade in dieser Zeit der Gedanke an den Tod allgegenwärtig war und die Menschen die Friedhöfe vermehrt besuchten. Das hatten auch Bill Conolly und ich getan. Wir wollten jedoch keine Toten besuchen und uns auch keine Gräber anschauen, wir waren auf den Friedhof gegangen, um nach Möglichkeit ein Gespenst zu entdecken. Davon hatte mir Bill berichtet. Angeblich hatten zahlreiche Zeugen einen Geist gesehen, der sich zwischen den Gräbern herumtreiben sollte, aber das stimmte wohl nicht. Ich hätte auch darüber gelacht und wäre nicht gekommen, wenn nicht einige völlig reale Gründe dagegen gesprochen hätten. Da war zum einen mein Freund Bill Conolly, der versprochen hatte, mich einzuladen. Wir würden Essen gehen, eben einen gemütlichen Freitagabend erleben, vor dem sich Suko gedrückt hatte. Ob er anschließend dazustieß, war fraglich. Eingeladen hatten wir ihn zumindest. Wir standen in der Nähe einer großen Familiengruft. Von hier aus konnten wir einen Großteil des Geländes überblicken, und in dieser Umgebung war er auch gesehen worden. Eben der Geist! Es war kühl und nebelnaß, typisches Novemberwetter. In bunten Farben leuchtete das Laub. Es war naß und klebrig, hing an seinen Zweigen wie an dünnen Fäden, wurde vom leichtesten Windstoß abgerissen oder löste sich von allein und segelte träge zu Boden. An diesem Nachmittag hatte sich der graue Dunst schon früh gebildet. Er trieb über den Friedhof und machte ihn zu einem verwunschenen Spukort. Lange wollte ich auf diesem Gelände nicht stehenbleiben und warten. Das hatte ich Bill gesagt, er hatte es akzeptiert, und er war nach wie vor davon überzeugt, daß wir keiner Fata Morgana nachhingen und sich ein Geist oder ein Gespenst diesen Friedhof ausgesucht hatte. Bills Zeugen waren vertrauenswürdige Personen. »Daß du an Geister glaubst, hätte ich dir nie zugetraut«, sagte ich nach einer Weile. »Hör auf. Mach dich nicht lustig.« »Ich reagiere eben konträr auf diese traurige Umgebung.« Bill schnaufte. »Verdammt, john, auch wenn es nicht so aussieht oder noch nicht so aussieht. Ich bin davon überzeugt, daß sich die Zeugen
nicht geirrt haben. Sie sahen die Gestalt auf diesem Friedhof, und die Gestalt war kein Mensch.« »Es war ein Nebelstreif?« Der Reporter verdrehte die Augen. »Nein, auch nicht. Und es war auch keine Halluzination. Die Gestalt schwebte über dem Boden, und die Zeugen sind mit ihr in Kontakt getreten. Sie konnten sie sogar berühren, doch als sie das taten, war da plötzlich nichts mehr. Die Gestalt war da, aber nicht greifbar. Die konnten durch sie hindurchfassen. Sie waren eben ein Geist. Auch nicht grau, sondern aus der Entfernung sah sie feinstofflich aus. Sie kam herbei, man konnte sie greifen, sie verdichtete sich, wie man mir sagte, und dann war sie so nahe wie ein normaler Mensch. Doch wer sie anfassen wollte, dessen Hand glitt hindurch, obwohl sie aus der Nähe nicht mehr feinstofflich aussah, sondern völlig normal. Das ist eben das große Rätsel.« »Eine lange Rede!« stellte ich fest. Bill nickte. »Richtig, und auch eine gute.« »Fragt sich nur, ob sie zutrifft.« Mein Freund nickte und hüpfte auf der Stelle. Ihm war ebenso kalt wie mir. Das Wetter paßte uns beiden nicht. Die nasse Kälte drang durch unsere Kleidung, und ich dachte daran, meine schwarze Lederjacke zuzuknöpfen, ließ es aber bleiben und vertraute meinem vor der Brust verknoteten Schal. Wir waren nicht die einzigen Menschen auf dem Friedhof. Der November schien eine magische Anziehungskraft auf gewisse Menschen auszuüben, denn in diesem Moment besuchten sie die Friedhöfe öfter als sonst. Da wurde der Toten gedacht, da wurden die Gräber gepflegt, da flössen Tränen, da dachten viele über die vergangenen Monate nach, und so mancher nahm sich vor, sein Leben zu ändern und sich etwas stärker um die wahren Dinge des Lebens zu kümmern. Der November machte eben traurig und nachdenklich zugleich, was nicht immer verkehrt sein mußte. »Wenn du diesen Geist doch selbst gesehen hättest, Bill, wäre mir wohler.« »Das passiert noch.« »Wann?« »Heute.« »Davon bist du überzeugt?« »Ja.« Ich lächelte, und Bill preßte die Lippen zusammen. Meine Bemerkungen hatten ihn leicht geärgert. Er wußte selbst, daß seine Behauptungen auf schwachen Füßen standen, und als wir die Trittgeräusche hörten, schauten wir nach links. Vor uns lief der schmale Weg entlang. Er war mit altem Laub dekoriert, das einen dünnen Teppich auf Kies und Steine gelegt hatte.
Zwei Frauen schälten sich aus dem Dunst. Sie waren dunkel gekleidet und hatten sich somit der traurigen Umgebung angepaßt. Sie schauten zu Boden und unterhielten sich flüsternd miteinander, erschreckten sich dann, als sie unsere Höhe erreicht hatten. »Pardon«, entschuldigte sich Bill. »Sie stehen hier wie zwei Grabsteine«, sagte die eine Frau. »Wir wollten Sie nicht erschrecken.« »Ja, ja.« Die Frau schaute sich um. »Warten Sie vielleicht auf jemand?« Bill räusperte sich. »Worauf sollten wir denn warten?« erkundigte er sich. Die beiden Frauen blickten sich an. Ihre Gesichter waren blaß, die Augen vom Weinen leicht gerötet. Sie wollten nicht so recht mit der Sprache heraus, es schien ihnen unangenehm zu sein, doch ich ahnte schon, welchen Verdacht sie hatten und kam ihnen zuvor. »Ja, wir warten auf den Geist.« Sie schwiegen. Dann kamen sie näher, als hätten sie Angst davor, daß sie jemand hören könnte. »Dann haben Sie ihn auch gesehen, Gentlemen? Haben Sie das?« »Nein, haben wir nicht«, sagte Bill. »Aber Sie würden ihn gern sehen.« »Das schon eher.« »Er ist da!« hauchte die Sprecherin. »Er ist bestimmt da.« Sie blickte sich um, ohne allerdings das Objekt zu entdecken. »Ich bin davon überzeugt, daß er da ist.« »Haben Sie ihn heute schon entdeckt?« »Nein, aber gestern.« »Wirklich?« »Ja, Mister, ja.« Sie nickte. »Da schlich er dicht an uns vorbei. Er war ein dunkler Mann, und er ging auf dem Weg. Aber stellen Sie sich vor, es war kein Laut zu hören. Nichts vernahmen wir. Die Stille war absolut. Nicht einmal ein Windzug traf uns, wir hörten auch kein Rauschen oder Flüstern, kein Knistern des Laubs, einfach gar nichts. Er ging und schwebte vorbei und hielt in der Hand etwas Helles.« »Haben Sie das erkennen können?« fragte ich. »Nein, nicht direkt. Es sah aber aus wie ein Messer, obwohl Messer ja nicht so hell sind.« »Das stimmt.« Die Frau fuhr fort. »Er ging dann weiter.« Sie holte tief Luft. »Und was das Schlimme war, er hat sogar getötet. Er . . . er . . . tötete einen unschuldigen Hasen.« »Das haben Sie gesehen?« »Nicht direkt.« Die Sprecherin zog die Nase hoch. Ihre Begleiterin blieb stumm. »Wir sahen das tote Tier deshalb, weil er es über die obere Kante eines Grabsteins gelegt hatte, damit es ausbluten konnte. So ist das gewesen.«
»Das muß aber nicht der Geist gewesen sein, der das gemacht hat«, sagte ich. »Doch, er war es. Es gibt keine andere Lösung! Er war es — wirklich! Und heute kommt er wieder.« Die Frau blickte starr. »Gestern hat er ein Tier aufgeschlitzt. Heute könnte es vielleicht ein Mensch werden.« Sie streckte ihren Zeigefinger aus. »Daran sollten Sie denken, meine Herren.« Für die beiden Frauen war das Gespräch beendet. Sie nickten uns noch einmal zu und gingen weiter. Bill wartete, bis sie außer Hörweite waren. Dann fragte er: »Und was sagst du jetzt?« »Nicht viel mehr als zuvor.« »Du glaubst ihnen nicht.« »Es fällt mir zumindest schwer, Bill. Kannst du das nicht verstehen?« »Klar, das kann ich. Aber zumindest hast du gehört, daß es Zeugen für diesen Geist gibt, der . . .der sogar zu einem Schlitzer geworden ist. Ich bin davon überzeugt, daß er das Kaninchen gekillt hat.« »Ja, kann sein, muß aber nicht.« Ich wollte noch etwas hinzufügen, als mich ein klatschenden Geräusch auf meiner rechten Schulter davon abhielt. Etwas war von oben her auf meine Schulter gefallen, aber kein Taubenschiß, wie ich mit einem Blick auf meine Schulter feststellte, denn auf dem Leder der Jacke breitete sich ein dunkler Tropfen aus, der sich trotzdem noch von seinem Untergrund abhob. Wasser war es auch nicht. Bill schaute zu, wie ich den linken Arm anwinkelte und mit der Spitze des rechten Zeigefingers auf die Schulter tippte, genau in die Mitte des Flecks hinein. Zugleich wurden wir blaß, als ich die Hand wieder zurückzog, denn an meiner Fingerkuppe klebte Blut! *** »Das darf doch nicht wahr sein!« sagte Bill. Es war zu sehen, wie er eine Gänsehaut kriegte. Ich ging einen Schritt vor, dann noch einen und wollte aus dem unmittelbaren Bereich des Baumes weg, der hinter uns hochwuchs, denn von dort war der Blutstropfen gefallen. Bill folgte mir und schaute ebenso hoch wie ich. Das Geäst zeigte nur eine schwache Belaubung. Es gab viele Lücken, und eine von ihnen war von einem dunklen Gegenstand ausgefüllt, der sich plötzlich bewegte und nach vorn kippte.
Im nächsten Augenblick landete er vor unseren Füßen. Ein dicker Klumpen aus Federn und Blut, denn der Körper der Eule war einfach aufgeschlitzt worden. Wir wußten nicht, was wir sagen sollten, standen zunächst vor dem Kadaver wie zwei sprachlose Puppen, und erst nach einer Weile konzentrierten wir uns auf die Umgebung. Es blieb still. Wir hörten keine Schritte, wir sahen auch keine nebelhafte Gestalt, nur der tote Vogel lag vor unseren Füßen und schwamm in seinem Blut. Es war alles sehr schnell gegangen, und ich dachte wieder an das getötete Kaninchen. Jetzt glaubte ich, daß so etwas geschehen war. Denn der Vogel war für mich der Beweis. Und wir hatten nichts, rein gar nichts gesehen. Das genau war das Schlimme daran. »Mein Gott«, flüsterte Bill und schüttelte den Kopf. »Das darf doch nicht wahr sein. Und wir haben nichts gesehen, John, gar nichts. Kannst du dir das überhaupt vorstellen?« »Nein.« »Es war dieser Schlitzer. Schau dir den Vogel an. Er ist regelrecht aufgeschlitzt worden. Gestern das Kaninchen, heute die Eule. Wann ist, so frage ich dich, der erste Mensch an der Reihe?« Ich gab ihm keine Antwort, doch mein harter Gesichtsausdruck sagte ihm genug. Auch ich rechnete jetzt damit, daß wir es mit einem mordenden Gespenst zu tun hatten, das sich nicht einmal nur über dem Erdboden zu bewegen brauchte, sondern seinen Weg auch durch die Lüfte fand und von niemandem gesehen wurde. »Er ist hier«, flüsterte mir Bill zu. »Der verdammte Geist hat sich auf dem Friedhof versteckt, John. Er kann sich lautlos bewegen, er sorgt für tödliche Überraschungen, ich glaube, daß wir uns auf etwas gefaßt machen können.« Bill hatte recht, das brauchte ich ihm nicht erst zu bestätigen, aber ich dachte schon weiter. Wie war es möglich, daß sich jemand so lautlos bewegen konnte? Zwar nannte man mich den Geisterjäger, doch mein Glaube an Geister hielt sich in Grenzen. Es gab Dämonen, finstere, schwarzmagische Gestalten, ich hatte Zombies, Vampire und Werwölfe erlebt, aber mit Geistern hatte ich so meine Schwierigkeiten. Hierauf dem Friedhof aber trieb sich ein derartiges Wesen herum, und ich dachte natürlich über den Grund nach. War es der Geist eines Toten, der keine Ruhe im Grab oder im Jenseits gefunden hatte? Gab es so etwas überhaupt? Ja, für uns schon, denn auch auf diesem Gebiet hatten wir unsere Erfahrungen sammeln können. Wir waren über eine Zwischenwelt informiert, die praktisch den Weg zwischen dem Diesseits und dem Jenseits markierte. Bill starrte den toten Vogel an. Mit einer müden
Bewegung hob er seinen Arm und strich über die Stirn. »Und wir haben nichts gesehen, John, gar nichts. Wer immer sich hier auf dem Friedhof herumtreibt, er hat es nicht nötig, sich an irdische Gesetze zu halten. Er ist etwas, das wir beiden nicht begreifen können. Oder hast du bereits eine Erklärung bereit?« »Nein, habe ich nicht.« »Was willst du tun?« Ich nahm ein Papiertaschentuch und wischte das Blut von der Schulter. Das Tuch warf ich in einen nicht weit entfernt stehenden Abfalleimer. Dort blieb ich auch und schaute über die Reihen der alten Gräber hinweg, die in dem Dunst aussahen, als würden sie auf den Wellen eines grauen Flusses dahintreiben, der in der Unterwelt mündete. Bill Conolly suchte an einer anderen Stelle. Er entdeckte ebenso viel wie ich, nämlich nichts. Schulterzuckend kehrte er zu mir zurück. Er machte einen ziemlich deprimierten Eindruck. »Nichts zu sehen, der Schlitzer muß mit dem Dunst eins geworden sein. Ich glaube fest daran, daß er noch unterwegs ist.« Bill schaute mich so auffordernd an, daß ich mich einer Antwort nicht enthalten konnte. »Ja, das ist durchaus möglich. Der Friedhof ist ziemlich groß, und es gibt viele Verstecke.« »Willst du ihn durchsuchen?« »Noch haben wir Zeit.« Bill warf einen Blick auf die Uhr. »Ja, bis es dämmert dauert es noch etwas. Komm!« Ich leistete Bill heimlich Abbitte. Dieser Fall bereitete mir schon jetzt Kopfzerbrechen. Ich fragte mich, wer dieser Schlitzer war und wie er hatte entstehen können. Dabei schössen mir zahlreiche Möglichkeiten durch den Kopf. Ich wußte ja, daß es bestimmte Geistwesen waren, ich dachte dabei an die Engel, die es in anderen Sphären gab. Ich dachte an die Totengeister, die keine Ruhe finden konnten, aber das alles ergab für mich keinen Sinn. Ich wußte nicht, warum dieses Wesen Tiere tötete. Oder übte es nur, um sich später an die Menschen zu wenden? Das wäre fatal gewesen, und der Gedanke daran ließ eine Gänsehaut auf meinem Rücken zurück. »So etwas wie heute ist schlimm«, sagte Bill. »Ich stehe lieber einer Kreatur aus dem Dämonenreich Auge in Auge gegenüber, als hinterrücks in eine Falle zu laufen.« »Stimmt.« »Jetzt ist es dein Fall, John!« »Stimmt auch!« Er spottete wieder. »Jedenfalls kannst du deinem Spitznamen Geisterjäger gerecht werden. Wir werden die Geisterjagen. Einen Nebelgeist, einen was weiß ich alles . . .«
»Wir jagen einen Schlitzer, Bill!« »Klar.« Die nächsten Minuten vergingen schweigend. Wir bewegten uns immer an den Gräberfeldern entlang, die hier nicht sehr groß waren, weil dieser Friedhof noch zu den älteren gehörte und man den Toten würdige letzte Ruhestätten gegeben hatte und keine uniformierten Gräber, wie man sie von den neuen Friedhöfen her kennt. Über das dunkle Geäst der Bäume hinweg wuchs das Dach der Leichenhalle, die gleichzeitig als kleine Kapelle diente. Auch dieses Gebäude machte einen traurigen, verlassenen Eindruck. Nichts wies mehr auf die Zeit des Sommers hin, der Herbst hielt alles umschlossen. Die Wolken hingen tief am Himmel, und manchmal hatte es den Anschein, als würden die Dunstschwaden an ihnen festkleben. Ein breiterer und auch gepflegter Weg führte auf die Leichenhalle zu. Wir sahen zwei Arbeiter, die ihre mit Werkzeugen gefüllten Schubkarren auf einen kleinen Schuppen zu schoben, uns aber nicht sahen und weitergingen. Bill rieb seine Nasenspitze. »Hier ist er auch nicht«, sagte er und schaute sich um. »Richtig.« Mein Freund schüttelte den Kopf. »Du gefällst mir nicht, John. Du bist so komisch einsilbig. Als wärst du mit deinen Gedanken ganz woanders, denke ich.« »Das kann auch sein.« Ich hob die Schultern. »Schon die ganze Zeit über habe ich das Gefühl, neben mir zu stehen. Ich weiß nicht, was es ist. Ein Unwohlsein vielleicht? Kann sein, daß ich krank werde. Ich fühle mich unwohl . . .« »Es liegt an der Atmosphäre.« »Nein, Bill, das glaube ich nicht. Wie oft bin ich auf Friedhöfen gewesen und . . .« Wir hörten den Schrei. Und beide wußten wir, wo er aufgeklungen war. In der Leichenhalle! *** Man hatte Rose Pandrish den letzten Wunsch erfüllt und sie in die Leichenhalle gelassen, damit sie von ihrem dort aufgebahrten Mann Abschied nehmen konnte. Sie wollte noch einmal in sein Gesicht schauen, bevor es verweste, verfiel und eine Beute für die Würmer und Maden wurde, die in der Erde ihr Reich aufgebaut hatten. Sie stand allein in der Halle. Allein mit einem Toten — allein mit einem Mann, den sie seit über vierzig Jahren kannte und mit dem sie mehr als dreißig Jahre verheiratet gewesen war.
Sie konnte es noch immer nicht fassen, daß der schnelle Herztod ihn dahingerafft hatte, doch das Bild, das sich ihren Augen bot, war die brutale Realität. Er lag in dem offenen Sarg. Keine Kerzen umgaben ihn. Zum Glück war das Licht der Lampen weich genug, und es fiel wie ein Schleier über das Gesicht des Toten. Man hatte ihm die Augen zugedrückt, so war wenigstens der starre Blick verschwunden, an den Rose Pandrish sich noch erinnern konnte. Sie hatte ihren Mann gefunden, als sie vom Einkaufen zurückgekehrt war. Wie eine lebensgroße Puppe hatte er leblos in seinem Lieblingssessel gehockt. Die Zeitung war ihm aus den Händen gerutscht und lag neben dem Sessel. Rose hatte nicht einmal geschrien, sie hatte immer nur in das wachsbleiche Gesicht mit dem schmerzverzerrten Zug und den starren Augen schauen können, und komischerweise hatte sie dabei schon an die Vergangenheit gedacht. Zumindest hatten sich die Bilder der Vergangenheit in ihr hochgedrängt, waren wie ein Film abgelaufen, blitzschnell, aber sehr detailliert. Eine Erinnerung an glückliche Stunden. Sie und Earl hatten eine gute Ehe geführt, eine normale, mit allen Vorund Nachteilen, aber insgesamt hatten beide zufrieden sein können. Auch die beiden Kinder waren okay, leider hatten sie es vorgezogen, in die Staaten auszuwandern, um sich dort ein Geschäft aufzubauen. Zur Beerdigung würden sie kommen. Bis dahin würde Rose noch allein sein. Wie in dieser kalten Leichenhalle. Sie vergaß die Bilder der Vergangenheit und konzentrierte sich wieder auf die Realität. Das Gesicht des Toten sah einigermaßen normal aus. Zwar zeigte es noch immer die ungewöhnliche Starre, aber der Schrecken war aus den Zügen verschwunden. Earl sah jetzt aus, als würde er schlafen, und er hatte seine Hände auf der Brust zusammengelegt, als wollte er noch ein letztes Gebet sprechen. Die Lippen der dreiundsechzigjährigen Frau zuckten. Auch die dünne Haut an den Wangen, und sie wischte mit den gekrümmten Fingern die Tränen aus ihren Augen. Dabei hatte sie nicht weinen wollen, doch was besagte das schon? Jetzt war sie allein. Ganz allein. In ihrem Alter zog man nicht mehr um. Schon gar nicht in einen anderen Kontinent, wie es ihr die Söhne vorgeschlagen hatten. Rose hätte sich dort ein schönes Leben machen können, nur wollte sie das nicht. Sie war in London geboren, sie würde hier auch sterben und preßte ihre Lippen hart zusammen, als ihr dieser Begriff durch den Kopf schoß. Sterben? Hatte es überhaupt noch Sinn für sie, am Leben zu bleiben, jetzt, wo Earl nicht mehr da war? Sie hatten vieles gemeinsam unternommen, da war
keiner einen anderen Weg gegangen, doch nun war sie in ein tiefes, pechschwarzes Loch gesackt, aus dem sie nicht mehr hervorkommen konnte. Nicht aus eigener Hilfe. Durch den Tränenschleier verschwamm das Gesicht ihres toten Mannes. Es schien sich aufzulösen, und dies wiederum kam ihr irgendwie bezeichnend vor. Auflösen, wegschwimmen, eintauchen in andere Welten und nie mehr zurückkehren. Sie schluckte, holte das Taschentuch hervor und trocknete sich die Tränen. Dann strich sie mit der Hand über die kalte Haut des Toten, und sie schrak zusammen, als die Fingerkuppen die Wange berührten, als hätte sie weiches Eis unter ihnen gespürt. Im Magen lag ein dicker Klumpen. Hinter der Stirn brannte es. Es tuckerte. Sie dachte an bestimmte Dinge aus ihrem gemeinsamen Leben, und ohne daß sie es richtig merkte, fing sie an, zu der Leiche zu sprechen. Sie erzählte ihrem toten Mann von ihren Sorgen und Problemen, von den Kindern, die ja gut versorgt waren, und auch von sich selbst und von ihrer grenzenlosen Einsamkeit. Der Tod des Mannes hatte die Hälfte ihres Ichs abgerissen, sie war nur mehr eine halbe Person. Ihr Leben würde in schrecklich leeren Bahnen verlaufen, und daraus wiederum würde eine gewisse Sinnlosigkeit resultieren, die einer Depression den Weg ebnen konnte. Die nächsten Tage würde sie noch einigermaßen überstehen, weil es viel zu tun gab. Die Organisation der Beerdigung, zum Beispiel, das Aufsetzen der Anzeige, das Reden mit den Söhnen, aber dies alles würde vorbeigehen, und dann stand sie vor dem tiefen Loch. Dann kam die Leere, die Einsamkeit, das große Nichts, und sie sah kein Netz, das sie aufgefangen hätte. Der Gedanke an all diese Dinge ließ sie leicht schwindeln, und Rose mußte sich am Sarg abstützen, um nicht zu fallen. Sie bekam sich selbst in den Griff, atmete tief und keuchend durch, schaute sich in der Leichenhalle um und verglich das Licht mit einer blassen Totensonne. Es strahlte keine Wärme mehr aus, war wie ein Neutrum, und es spiegelte sich an gewissen Stellen an den kahlen Wänden wider. Auch sie hatten Roses Meinung nach einen Totenglanz bekommen, so wie ihr dieser gesamte Raum vorkam wie ein kaltes Grab. Und etwas Kaltes strich auch über ihren Nacken. Rose Pandrish schauderte zusammen. Dieser kühle Luftzug kam ihr unnormal vor, als hätte jemand in ihrer unmittelbaren Nähe ein Fenster geöffnet, um die kalte Friedhofsluft hereinzulassen. Es gab in diesem Raum jedoch kein Fenster, also mußte die Kälte einen anderen Grund haben.
Sie wollte sich umdrehen, doch plötzlich bekam sie Angst. Eine tiefe, unerklärliche Furcht hielt sie in den Krallen, mit der sie überhaupt nicht zurechtkam. Etwas hatte sich auf eine schreckliche Art und Weise in ihrer Nähe verändert, obwohl es für sie nicht sichtbar geworden war. Es war ein gewisser Druck da, eine Haube der Furcht, die sich auf ihren Kopf gelegt hatte. Etwas geschah . . . Etwas passierte in ihrer unmittelbaren Nähe, doch sie bekam es einfach nicht mit. Es sei denn, sie konzentrierte sich auf das kalte Gefühl im Nacken, denn das war nach wie vor da, und es hatte sich sogar noch um einiges verstärkt. Bisher hatte Rose dicht neben dem Sarg gestanden. Sie hatte ihn sogar an der Außenseite berührt, doch das wollte sie nicht mehr. Sie trat einen Schritt zurück. Die Kälte blieb. Hinter ihr mußte jemand stehen, der sie ihr in den Nacken blies. Ein Fremder? Der Geist eines Toten? Ein Gruß aus dem Jenseits? In dieser Atmosphäre schössen ihr die irrsinnigsten Vermutungen durch den Kopf, und sie drehte sich um. Vor ihr schwebte der Geist! Ein wahres Schreckgespenst. Rose wußte nicht, was sie machen sollte. Dieser Geist war einfach grauenhaft. Er war kein Mensch, er war da, aber er war gleichzeitig auch ein Nichts. Es war nicht mehr als eine nebulöse Gestalt, von der dieser kalte Totenhauch ausging. Oder schwebte doch kein Geist vor ihr? Wie die meisten Menschen hatte auch Rose keine Erfahrungen im Umgang mit Geistern. Wenn sie einen Geist hätte beschreiben sollen, so wäre das für sie ein feinstoffliches Wesen mit gewissen menschlichen Umrissen, jedoch ohne feste Materie. Wie war das bei ihrem Besucher? Er schwebte als düstere Gestalt vor ihr. Er hatte sogar einen Körper. Sie sah Beine, Hände, einen Kopf, auf dem dunkles Haar wuchs, sie sah das bleiche Gesicht, die dunklen Augen, und sie starrte einen Moment später auf den leicht vorgestreckten, angewinkelten rechten Arm, denn diese Hand hielt den Griff eines hellen Gegenstands umklammert, der aussah wie ein Messer, aber keine normale Klinge sein konnte, denn dazu war sie viel zu hell. Sie strahlte fast. Ihre Gedanken irrten umher, und Rose Pandrish fragte sich, wie die Gestalt die Leichenhalle hatte betreten können. Die Tür blieb als einziger Ausweg, aber die knarrte und war nicht zu überhören. Rose ging zurück. Einen kleinen Schritt, dann den nächsten, und sie hatte große Mühe, sich auf den Beinen zu halten. So groß die Leichenhalle auch sein mochte, sie kam ihr wie ein Gefängnis vor, und
sie mußte nach rechts schauen, um den schnellsten Weg zur Tür zu finden. Eines stand für sie fest. Sie würde keine Sekunde länger in diesem Raum bleiben, denn ihre Angst nahm noch weiter zu. Da bewegte sich die Gestalt. Obwohl Rose sah, daß sie mit den Füßen den glatten Fußboden berührte, war nichts zu hören. Der Mann ging lautlos. Die Angst peitschte weiter in Rose hoch. Vergessen hatte Rose ihren toten Mann, jetzt wollte sie nur ihr Leben retten, denn vor dem hell glänzenden Messer hatte sie eine schreckliche Furcht. Die Frau drehte sich herum. Sie stolperte dabei, wäre fast ausgerutscht und prallte mit dem Knie gegen den braunen Topf, aus dem eine Pflanze hervorwuchs. Mit einem Sprung erreichte sie die Tür und stand kaum wieder mit beiden Beinen auf den glatten Fliesen, als sie erneut diese Eiseskälte in ihrem Nacken spürte. Er war da. Rose wuchtete die Klinke nach unten, sie zerrte die Tür auf und stolperte in den Gang. In diesem Augenblick umfing sie eine Glocke aus Eis, die wie ein kalter Mantel war. Sie dachte daran, daß dieses Wesen jetzt über ihr war, die Kälte verging ebenso schnell, wie sie gekommen war, und Rose taumelte auf die gegenüberliegende Gangwand zu, wo auch ein einsames Stehpult stand. Hier konnten Menschen ihre Kondolenzwünsche eintragen, doch jetzt war das Pult leer. Davor stand der Geist. Sie konnte nicht mehr stoppen, kam noch näher an ihn heran und sah plötzlich, wie sich die rechte Hand bewegte. Die Kälte zog sie von unten nach oben. Das Messer blitzte auf, bevor es in ihren Körper eindrang. Rose Pandrish schrie wie von Sinnen, bis der brutale Schmerz von der Dunkelheit abgelöst wurde, die für sie ewig war . . . *** Glücklicherweise war die Tür zur Leichenhalle nicht verschlossen, und wir stürmten gemeinsam über die Schwelle. Vor uns lag ein breiter Gang. Von ihm zweigten einige Türen ab, die uns aber nicht interessierten, denn nicht allzu weit von uns entfernt lag eine verkrümmte Gestalt auf dem Boden, und die Blutlache, die aus der tiefen Wunde strömte, vermehrte sich von Sekunde zu Sekunde. Einen Täter sahen wir nicht. Dafür aber eine offene Tür, durch die ich mit gezogener Waffe huschte und sehr bald stehenblieb, als ich den offenen Sarg mit der männlichen Leiche darin erkannte. Ich schaute mich um.
Nur der Tod und ich waren in diesem Raum. Ich sah keinen Killer, keinen Geist, trat trotzdem näher an den Sarg heran, weil ich für einen Moment dachte, es mit einem Zombie zu tun zu haben, der aus seiner Totenkiste geklettert war, um die Frau zu ermorden. Das war nicht der Fall. Mein Blick fiel auf eine echte Leiche, und ich schüttelte den Kopf. Das Grauen hatte sich auch bei mir festgesetzt, ich dachte an die tote Eule und daran, daß wir Schlimmes befürchtet hatten, das nun eingetreten war. Als ich mich umdrehte, stand Bill Conolly in der offenen Tür. Auch er sah nicht mehr normal aus. Der Schrecken hatte sich in seinem Gesicht festgesetzt und es gezeichnet. »Es ist nichts zu sehen, John.« »Ich weiß.« Bill drehte sich um, weil ich Anstalten machte, den Raum zu verlassen. Im Gang blieben wir nebeneinander stehen und schauten auf die tote Frau. Ein Messer oder eine ähnliche Waffe hatte sie getötet. Sie lag auf der Seite. Ich betrachtete das leblose Auge. Die Tote war schon älter. Ich konnte mir vorstellen, daß sie noch einmal von dem Mann im Sarg Abschied genommen hatte. Nun ja, dabei hatte sie der Mörder dann erwischt. Ich fror plötzlich, und auch meinem Freund erging es nicht anders. Er schüttelte den Kopf, bevor er flüsternd fragte: »Mit welch einer Bestie haben wir es hier zu tun, John?« »Ich weiß es nicht.« »Für mich steht fest, daß es kein Mensch ist. Das muß . . .« Die nächsten Worte kamen ihm trotzdem schwerfällig über die Lippen. »Das muß einfach ein Geist gewesen sein.« »So denke ich inzwischen auch«, murmelte ich und mußte mich räuspern, um das Kratzen aus dem Hals zu verdrängen. Wieder einmal hatte sich die Welt innerhalb kürzester Zeit radikal und brutal verändert. Wieder waren wir mit dem Tod konfrontiert worden, und wieder einmal konnten wir ihn nicht begreifen. »Die Frau wird ihm nichts getan haben«, flüsterte Bill. »Warum hat er sie dann umgebracht?« »Ich habe keine Ahnung, sehe auch kein Motiv, denke sogar an einen Amoklauf.« »Der Tiere mit einschließt?« fragte Bill skeptisch. »Das ist das Problem.« Ich hob die Schultern und fühlte mich wie in einer Zange steckend. Hier hatte man uns etwas angetan, das jeder Beschreibung spottete. Ich hätte auch nie gedacht, daß unser Besuch auf dem Friedhof so enden würde. »Er ist weg«, sagte Bill. »Er wird so schnell nicht mehr erscheinen.« Mit müden Schritten ging er auf den Ausgang zu. »Er ist ein mordender
Geist, und man hat ihn wahrscheinlich wieder in seine eigene Sphäre zurückgeholt.« »Meinst du?« Da ich gegen Bills Rücken gesprochen hatte, drehteer sich um, weil er mir antworten wollte, »ja, das meine ich. Ein Phantom, einer aus dem Reich der Toten, der keine Ruhe gefunden hat. So jedenfalls sehe ich ihn.« »Auch wenn die Aussagen der Zeugen anders gelautet haben?« Er hob die Schultern. »Sie können sich geirrt haben.« »Glaube ich nicht.« »Warum nicht?« »Den genauen Grund kann ich dir nicht sagen, Bill. Ich will auch nicht auf meinem Gefühl herumreiten, das ist alles Unsinn. Ich sehe keinen Sinn darin. Ein Rächer aus dem Totenreich, okay, so etwas gibt es, haben wir schon erlebt, aber warum sollte dieser Rächer zuerst zwei Tiere töten und sich dann eine unschuldige Frau vornehmen?« »Weiß ich nicht!« »Jedenfalls hat er uns bewiesen, wozu er fähig ist. Ich möchte noch einmal auf deine Zeugen zurückkommen. Es ist am besten, wenn du den oder die glaubwürdigsten zusammentrommelst und wir uns wieder zusammensetzen, damit wir mit den Leuten reden können.« »Was versprichst du dir davon?« »Eine Beschreibung.« Bill bekam große Augen. »Des Geistes?« »Ja.« Er gab mir keine Antwort, aber ich wußte, an was er dachte, und daß er nicht direkt auf meiner Seite stand, stimmte aber zu und fragte, wo wir uns dann treffen könnten. »In meinem Büro.« »Gut. Bis später.« Wir waren mit zwei Wagen gekommen. Ich verließ mit Bill das Leichenhaus und alarmierte vom Rover aus unsere Mordkommission. Bis sie hier eintraf, wollte ich versuchen, den einen oder anderen Zeugen zu finden, wobei ich an die beiden Männer mit den Schubkarren dachte, die ich vor dem Betreten der Leichenhalle gesehen hatte. Ich schaute zum Himmel. Er war diesig, verhangen. Die Wolken waren wie Ballons, und die feuchten Dunstschwaden umwehten auch hier das Leichenhaus. Eine Stimmung, die einfach paßte. November — Zeit der Toten . . . Ich fand die beiden Männer in einem schuppenähnlichen Bau, wo nicht nur die Geräte und Werkzeuge zur Pflege des Friedhofs untergebracht worden waren, sondern auch so etwas wie ein Eßraum abgeteilt worden
war. An einem viereckigen Tisch hockten die beiden, hatten Feierabend, tranken Bier und aßen trockene Sandwiches. Allerdings war ihnen nach meinen Worten der Appetit vergangen. Sie starrten mich an, bleich geworden und leicht zitternd. Bis sich der Größere von ihnen erhob, er hieß Vince Slater, zu einem Spind ging und dort eine Flasche Gin hervorholte. »Es ist doch gestattet — oder?« fragte er mit zitternder Stimme. »Natürlich.« Er setzte sich wieder zu uns, trank, reichte seinem Kollegen die Flasche, der ebenfalls einen Schluck nahm und sie mir dann weitergeben wollte, doch ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich muß noch fahren.« »Ist Ihnen der Mord denn nicht auf den Magen geschlagen?« erkundigte sich Slater. Ich verzog die Lippen. »Doch, schon, ist er. Ich will auch nicht sagen, daß ich so etwas gewohnt bin, aber ich bin von Beruf Polizist, und da wird man eben mit ungewöhnlichen Tatsachen konfrontiert, wie Sie sich bestimmt denken können.« »Klar.« »Die Frau hat doch keinem was getan?« fragte der andere Gärtner. Er hatte fuchsrote Haare und sie unter einer Schirmmütze zum Großteil verborgen. »Nein, das hat sie nicht. Sie wollte Abschied von ihrem Mann nehmen, was ihr auch gestattet wurde.« »Stimmt.« »Dann kam der Killer.« Die beiden schauten mich an. In diesem Bau war es fußkalt. Zudem düster, die Scheiben beschlagen, und die Geräte und Werkzeuge an den Wänden wirkten wie starre Arme. »Mir geht es natürlich um diesen Killer, und ich möchte Sie beide fragen, ob Sie etwas gesehen haben. Sagen Sie nicht sofort nein, jede Kleinigkeit kann da von großer Bedeutung sein, wenn Sie verstehen. Sie kennen sich hier aus, Sie gehören zu den Menschen, die täglich hier sind, und Sie müßten doch die Augen offenhalten.« Beide blickten gegen den Tisch. Sie sahen betreten aus, sie hoben auch gemeinsam die Schultern, und es war Vince, der mir eine Antwort gab. »Ich glaube nicht, daß wir etwas gesehen haben, Sir.« »Ist Ihnen nichts aufgefallen?« »Nein.« »Auch keine Veränderung?« »Nein, es war alles normal. Denken Sie an die Sicht, Sir, die ist heute nicht sehr gut.« »An die denke ich nicht, sondern an gewisse Gerüchte, die man sich hier erzählt. Es dreht sich dabei um den Friedhof.« Ich rückte mit dem Stuhl
zurück, weil der Tisch doch ziemlich niedrig war und ich mit der Kante in Berührung kam. »Welche Gerüchte denn?« »Von einem angeblichen Geist oder einer Gestalt, die auf dem Friedhof gesehen wurde.« Beide räusperten sich synchron. Ich merkte ihnen an, daß sie davon schon gehört hatten, es aber nicht zugeben wollten. So hockten sie vor mir und drucksten herum. »Bitte, meine Herren, es würde mir schon helfen. Reden Sie, es bleibt unter uns.« Slater nickte. »Ja«, bestätigte er, »wir haben so etwas läuten hören, aber bitte, Mr. Sinclair, das sind Parolen und Gerüchte, die kann man nicht ernst nehmen.« »Die Tote schon.« Er senkte den Blick. »Da haben Sie recht. Nur hätten wir daran nicht gedacht.« »Was spricht man denn so?« »Ja, man spricht von einem Novembergeist, der über den alten Friedhof hier irrt. Aber die Leute bilden sich immer etwas ein, das wissen Sie doch auch. Wir haben daran nicht geglaubt. . .« »Haben Sie möglicherweise tote Tiere gefunden?« Dieser Satz hatte sie überrascht. Sie saßen plötzlich da wie Puppen. »Ja, das stimmt. Es gab hier tote Tiere. Einen Fuchs haben wir gefunden, mehrere Kaninchen auch, sogar zwei Eichhörnchen, und die hat man einfach aufgeschlitzt.« Er schüttelte sich. »Wir haben uns natürlich unsere Gedanken gemacht. Viel ist dabei nicht herausgekommen. Wir einigten uns schließlich darauf, daß auf diesem Friedhof ein Verrückter umhergeistert, der keine Tiere mag.« »Ist ein bißchen billig, nicht?« »Jetzt schon«, gab Slaters Kollege zu und mußte wieder einen Schluck trinken. »Halten wir fest«, sagte ich, »daß es auf diesem Friedhof einen Mörder gibt, der seine Opfer mit einem Messer umbringt. Gehen wir weiter davon aus, daß er gesehen wurde, aber nicht so recht beschrieben werden konnte. Ist das richtig?« Sie nickten beide. »Gut, meine Herren. Und Sie haben diese Gestalt nicht gesehen, auch nicht unbewußt?« »Genau.« Ich bohrte weiter. »Sind Sie den Gerüchten denn nicht nachgegangen? Man ist doch neugierig, wenn man so etwas hört — oder nicht?« Es war Slater, der lachte und auch abwinkte. »Nein, Sir, nicht wir. Über zehn Jahre machen wir den Job auf diesem Friedhof. Was meinen Sie, was wir schon erlebt haben. Wir haben Grufties und Satansjünger von der Platte geputzt, wir haben Witwen getröstet, die ihren Männern in die Gräber hinterherspringen wollten. Wir haben mit Leuten gesprochen, die
an Geister und Spuk glaubten, und deshalb haben wir auch dieses Gerücht abgetan, weil sich nämlich keine dieser großartigen Prophezeiungen erfüllt hat.« Ich konnte ihnen nicht einmal einen Vorwurf machen. Für sie war der Friedhof eine reine Arbeitsstätte und keine Kultanlage wie für manche Spinner. Ich stand auf. »Dann bedanke ich mich trotzdem bei Ihnen beiden und würde Ihnen den Rat geben, in Zukunft die Augen noch besser offenzuhalten.« »Meinen Sie, daß der Killer zurückkehrt?« flüsterte Slater. »Man kann es nicht sagen, aber rechnen müssen Sie mit dem Schlimmsten.« »Aber Sie wollen den Fall aufklären?« »Das versuche ich.« »Könnten Sie es denn schaffen?« Ich lächelte kantig. »Mal sehen. Ist ja nicht leicht, einen mordenden Geist zu jagen.« Mit dieser Bemerkung verabschiedete ich mich und ließ die beiden Gärtner zurück. Ich trat wieder hinaus in die Kühle, und der graue Dunst schwamm wie ein Meer über dem Friedhof. Die Mordkommission war mittlerweile eingetroffen, ich wollte die Kollegen bei der Arbeit nicht stören, sondern rief vom Wagen aus im Büro an, wo ich Glück hatte, denn Suko war noch da. »Na, wie sieht es auf dem Friedhof aus? Hast du den Geist gefunden?« »Nein, aber eine Tote.« Nach dieser Antwort verlor Suko seinen Humor. Er räusperte sich und sagte: »Ich denke, du hast mir etwas zu berichten.« »Ja, einiges. Hör zu . . .« Er bekam den Bericht, wunderte sich hin und wieder lautstark und verstand auch meine Bitte, im Büro die Stellung zu halten, bis Bill mit den anderen Zeugen eingetroffen war. »Ich werde ebenfalls so schnell wie möglich kommen.« Er hatte noch eine Frage. »Diese Zeugen, John, willst du von ihnen eine Beschreibung haben?« »So ist es.« »Eine Geistbeschreibung? Verflixt, ich weiß nicht, ob . . .« »Suko, ich kann es dir nicht erklären, aber ich habe das Gefühl, es nicht mit einem Geist zu tun zu haben, wie man ihn aus Legenden und Geschichten kennt. Da steckt meiner Ansicht nach etwas anderes dahinter.« »Wie kommst du darauf?« »Abwarten.« »Hast du keinen Tip für mich?« Ich mußte lächeln. »Die Zeugen haben ihn als kompakt beschrieben und trotzdem als feinstofflich. Das ist ein Widerspruch, wie ich finde. Sie
sahen ihn auch nicht als einen grauen Schemen. Eine derartige Geistbeschreibung ist mir einfach neu. Und irgendwo kommt sie mir so überreizt vor, daß sie schon wieder wahr sein kann.« »Da komme ich nicht mit.« »Bis später dann.« »Okay, ich warte.« So gut es ging, streckte ich die Beine aus. Viel rauschte in meinem Kopf umher, ich brauchte ein wenig Ruhe, um nachdenken zu können. Hier im Wagen war der beste Platz. Ich zündete mir eine Zigarette an, kurbelte die Scheibe nach unten und blies den blaugrauen Rauch in den ebenfalls grauen Nebel hinein. Die Wagen der Mordkommission standen hinter einer Baumgruppe verborgen. Sie waren vor der Leichenhalle geparkt, mein Rover stand auf dem offiziellen Parkplatz und wirkte so, als wäre er von einem Wattebausch eingehüllt worden. Allerdings stand der nicht still. Er befand sich in einer ständigen Bewegung, er kreiste, er drückte sich hoch, breitete sich aus und bildete immer wieder neue Figuren, die alle aus dem Geisterreich zu stammen schienen. Ich mußte mir den Moment der Ruhe gönnen und wollte mich auch innerlich auf die Fragen der Kollegen einstellen. Was sollte ich ihnen erwidern, wenn sie ihre Pflicht taten? Ich mußte von einem Geist reden, und sie würden mich auslachen. Ein Geist, der mit einem völlig normalen Messer oder einem ähnlichen Gegenstand mordete, der paßte einfach nicht ins Konzept. Zum Glück war ich bekannt. Deshalb traf ich auf keine zu großen Schwierigkeiten und Nachfragen. Ich wollte das Fenster wieder schließen, als mir etwas auffiel. Es war der eisige Hauch, der mich erwischte und an meiner rechten Wange entlangstreifte. Okay, draußen war es kalt, aber nicht so kalt wie dieser Hauch, der mein Gesicht berührt hatte. Ich war gewarnt und wollte auch nicht mehr im Wagen bleiben. Bedächtig drückte ich die Tür auf. Ein leichtes Ziehen im Nacken spürte ich schon, als ich aus dem Wagen stieg, die Tür wieder zudrückte und wartend auf der Stelle blieb. Noch immer umwaberte mich der seichte Dunst. Er bildete weder faßnoch beschreibbare Gestalten, die wie lautlose graue Tänzer über den Boden huschten. Hatten sie für diese Kälte gesorgt? Das konnte ich mir nicht vorstellen, diese Art Inseln gab es einfach nicht, das war etwas anderes gewesen. Der Geist — der Killer! Mich fröstelte, als ich daran dachte. Gleichzeitig wäre es nicht übel gewesen, wenn ich ihn hier hätte stellen können, auch wenn ich Gefahr lief, daß er stärker war als ich. Ich drehte mich langsam um. Da sah ich ihn!
Eine dunkle Gestalt stand oder schwebte vor mir. So genau konnte ich es nicht erkennen, und ich war in diesem Augenblick davon überzeugt, keinen Geist zu sehen. Das war ein anderes Wesen, nur kein Geist. Ich fand den richtigen Begriff nicht, doch ich spürte wieder diesen eisigen Hauch, der mich wie ein böses Omen traf. Da wußte ich Bescheid. Vor mir stand der Tod in seiner übelsten Art! *** Es gefiel Bill Conolly gar nicht, daß er sich mit den Zeugen in Verbindung setzten sollte, er kam sich irgendwie abgeschoben vor, aber er fügte sich, denn er war es gewesen, der seinen Freund John Sinclair auf den Friedhof geführt hatte. Jetzt mußte er den sauren Apfel, in den er gebissen hatte, auch runterwürgen. Bill war vom Friedhof ungefähr eine Meile entfernt, als er an einer ruhigen Stelle stoppte und darüber nachdachte, wen er als Zeugen in Sinclairs Büro gebrauchen konnte. Die Menschen stammten aus dem Londoner Süden und aus seiner fast unmittelbaren Nachbarschaft. Zwei Frauen und ein Mann hatten die Gestalt gesehen, wobei er den Mann abhaken mußte, denn er hatte einfach zu überdreht reagiert. Blieben die Frauen. Eine von ihnen, sie hieß Shelly Wagner, schien ihm am glaubwürdigsten zu sein. Sie lebten mit ihrem Freund in einem kleinen Apartmenthaus nicht weit von den Conollys entfernt und hatte auf dem Friedhof das Grab ihrer Tante besuchen wollen. Sie war zwar erschreckt gewesen, hatte sich aber gut in der Gewalt gehabt, und Bill hoffte, daß dies noch so geblieben war und er sie auch zu Hause antraf, wenn er anrief. Die Chancen standen recht günstig, denn bei einem derartigen Wetter gingen nur wenige Menschen aus. Die Nummer kannte er nicht auswendig. Er holte sie sich über die Telefonauskunft und telefonierte Shelly Wagner an. Sie selbst hob ab und wunderte sich darüber, als sie Bills Stimme hörte. »Mr. Conolly — Sie? Was habe ich denn verbrochen?« »Gar nichts«, erwiderte Bill lachend. »Mein Freund John Sinclair und ich hätten Sie nur gern als Zeugin gesprochen.« »Mich?« fragte sie verwundert. »Ja.« »Aber warum?« Sie hustete leicht. »Ach, Moment mal. Geht es um die Aussage auf dem Friedhof?« »Ja.« »Um den Geist?« »Richtig.«
Wieder wußte sie nicht, ob sie das Lachen unterdrük-ken sollte. »Ist er denn so wichtig geworden.« »Das dürfen Sie mir abnehmen, Miß Wagner- Und ich möchte Sie sehr herzlich bitten, sich kooperativ zu zeigen.« »Gut.« Eine kurze Pause. Dann die Frage: »Wie sähe das denn genau aus?« »Wir würden zu Scotland Yard fahren. Ich würde zudem bei Ihnen vorbeikommen und Sie mitnehmen. Sollten Sie etwas anderes vorhaben, dann . . .« Sie fiel Bill ins Wort. »Bei diesem Wetter?« »Da haben Sie recht.« »Wann können Sie denn bei mir sein?« wurde sie konkret. »Es liegt an Ihnen.« »In einer halben Stunde?« »Gut«, sagte Bill. »Ist mir sehr recht.« »Okay, dann warte ich.« Der Reporter atmete auf, als diese Hürde genommen war. Jetzt brauchte sich die Zeugin nur daran zu erinnern, wie die Gestalt ausgesehen hatte. Ob das sie allerdings weiterbrachte, wagte der Reporter zu bezweifeln. Wie dem auch sei, es lief alles gut, es lief alles rund. Zu gut und zu rund, wie Bill fand. Er rechnete damit, daß das dicke Ende noch nachkam. Mit diesem Gedanken startete er. Da ist er! Das muß er sein! Diese beiden Gedanken schössen mir durch den Kopf, als ich die düstere Gestalt vor mir sah, die sich nicht rührte und nur von den Dunstwolken umtanzt wurde. Der Geistermörder, der Schlitzer, das Phantom! Ich gab ihm in diesem Augenblick alle möglichen Namen und bekam wieder den eisigen Hauch zu spüren, der plötzlich an mir hängenblieb wie eine Klette. Allein diese Tatsache konnte ich nicht als normal akzeptieren. Irgend jemand hatte mir einen tödlichen Gruß geschickt, und ich fragte mich natürlich, welcher Dämon seine Finger im Spiel hatte. War es ein Dämon? So gut wie möglich beobachtete ich die Gestalt. Sie war düster, dunkel, sie trug keinen Hut, es war ein Mann, ein Schatten, der den Arm etwas vorgestreckt hatte, wobei die Hand in eine Spitze auslief, die das Mordmesser bildete. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich hatte Mühe, ruhig zu bleiben und zog die Beretta. Ich wollte auf diese Gestalt schießen, um zu erfahren, ob sie tatsächlich ein Geist war. Sie bewegte sich auch dann nicht, als ich auf sie anlegte, visierte die Brust an und drückte ab. In der Stille hörte sich der Schuß überlaut an.
Die Kugel hatte getroffen, aber die Gestalt war nicht einmal zusammengezuckt. Ich schoß abermals, erlebte das gleiche Phänomen, und wieder schluckte der Nebel den größten Teil des Echos. Nicht einmal ein Blitzen war aufgetreten, als das geweihte Silber mit dieser anderen Form von Materie in Kontakt getreten war, also hatte es keine Grenze zwischen Gut und Böse gegeben, es waren keine feindlichen Magien, die sich gegenüberstanden. Es blieb ein Rätsel für mich . . . Die Distanz zwischen uns hatte sich nicht verändert. Der Schlitzer bewegte sich nicht, ich blieb ebenfalls stehen und überlegte, ob mich dieses Wesen angreifen und zu töten versuchen würde. Es wäre in diesem Fall normal und logisch gewesen, aber ich wartete vergeblich auf die Attacke. Wenn nicht er, dann ich. Also setzte ich mich in Bewegung und nahm Kurs auf den Schlitzer. Erwartete. Ich ging weiter . . . Mit der linken Hand zog ich an der Kette und streifte das Kreuz über den Kopf. Es war meine stärkste Waffe. Noch immer hatte ich den Gedanken, es mit einem schwarzmagischen Wesen zu tun zu haben, nicht aufgegeben. Um dies zu beweisen, war das Kreuz die beste Lösung. Die rechte Hand bewegte sich. Die Waffe ebenfalls. Sie drehte sich mir zu. Plötzlich war die Gefahr sehr nah. Ich blieb stehen und hob das Kreuz sichtbar an. Gleichzeitig versuchte ich auch, so etwas wie ein Gesicht bei dieser Gestalt zu erkennen. Sehr schwach zeichnete es sich ab. Die Züge eines normalen Mannes fielen mir auf, und dann hörte ich hinter mir die Männerstimmen. Auch der Schlitzer hatte sie vernommen. Blitzschnell war er weg. Ich zwinkerte mit den Augen, weil ich es kaum glauben konnte. So schnell hatte ich praktisch noch nie jemand verschwinden sehen. Er war nicht mehr vorhanden. Ich stand allein. Dann drehte ich mich um, weil die Stimmen sehr laut geworden waren. Im Sturmschritt und mit flatterndem Mantel kam ein Mann auf mich zu. Es warder Leiter der Mordkommission, der mir schon aus einer gewissen Entfernung zurief: »Haben Sie geschossen?« Ich bestätigte es. »Warum denn?« Die Antwort gab ich, als mich der Kollege erreicht hatte. »Weil ich sicher war, den Mörder gesehen zu haben.«
Er sagte zunächst einmal nichts. Dann öffnete er den Mund und staunte. »Sie. . . Sie haben den Mörder gesehen und geschossen?« »Ja.« »Aber nicht getroffen — oder?« »Doch, ich habe ihn getroffen. Versuchen Sie mal, einen Geist mit einer Kugel zu stoppen.« Der Kollege vor mir schwieg verbissen. Zwei seiner Leute kamen herbei und steckten erst jetzt ihre Waffen weg. Sie rahmten ihren Chef ein, der mich fragte: »Das ist doch wohl ein Scherz — oder?« Ich schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Die Gestalt löste sich nach dem Schuß auf.« Der Mann räusperte sich. Die anderen beiden schauten mich an, als wollten sie mich jeden Augenblick in eine Nervenklinik stecken. Schließlich schüttelte ihr Chef den Kopf. »Zum Glück weiß ich ja, wer Sie sind, Sinclair, und was Sie hier tun. Man nennt Sie den Geisterjäger. All right, da haben Sie eben einen Geist gesehen.« »So ist es.« »Und dieser Geist hat auch die Frau getötet?« »Ja.« Er verzog die Lippen. »Wie können Geister töten? Sie haben doch eigentlich andere Waffen als Menschen. Die Arme wurden durch einen Messerstich regelrecht . . .« »Ich weiß es. Und ich sage Ihnen, daß die Waffe existent war. Das einzige an ihm, das man als materiell bezeichnen kann. Ansonsten war die Gestalt ein feinstofflicher Körper.« Der Kollege schwieg. Er drehte sich dann herum und schaute gegen den Friedhof, als wollte er die Nebelschwaden zählen, die über die Gräber hinwegtrieben. »Hören Sie, Sinclair, da vorn liegen die Toten. Glauben Sie etwa daran, daß ein Geist aus irgendeinem Grab gestiegen ist, um sich an die arme Frau heranzumachen?« »Was ich glaube, spielt keine Rolle. Ich habe mich mit den Tatsachen abzufinden, aber keine Sorge. Sie brauchen dort nicht nachzuforschen. Es war wohl kein Totengeist.« »Aha. Das wissen Sie genau?« »Ich gehe davon aus.« »Aber irgendwie muß es auch weitergehen«, sagte er. »Für mich ja. Sie sind aus dem Schneider. Obduktion der Toten werden Sie übernehmen. Den Killer jagen wir. Und ich hoffe, daß es mir gelingt, ihn zu stellen. Er hat sich ziemlich lange bei mir aufgehalten, ich habe ihn relativ gut sehen können. Er hatte menschliche Züge, das steht hundertprozentig fest.« »Dann kann ja wohl nichts schiefgehen«, sagte der Kollege grinsend. »Das hoffe ich stark«, erwiderte ich und stieg in meinen Rover. Im Rückspiegel sah ich, daß mir die Männer noch lange nachstarrten, bis ich nicht mehr zu sehen war. Wahrscheinlich hielten sie mich für verrückt. Auch damit konnte ich leben.
*** Im Büro warteten sie schon auf mich! Suko, Bill und eine mir fremde Frau, eine Blondine mit fransigen Haaren, zwischen den beiden Männern sitzend und einen gelangweilten Eindruck machend. Sie schaute erst auf, als ich die Tür öffnete. So etwas wie Interesse geriet in ihren Blick. »Endlich!« stöhnte Bill. Ich hob die Schultern. »Tut mir leid, aber es klappte nicht früher. Ich wurde aufgehalten.« »Das ist Shelly Wagner, die beste Zeugin«, erklärte Bill und erreichte, daß die junge Frau rot wurde. Ich reichte ihr die Hand und stellte mich vor. Sie war Mitte Zwanzig, trug einen dicken schwarzen Pullover und ebenfalls schwarze Ohrringe. Die weiße Winterjeans war so weit, daß sie sich ausbeulte. »Ob ich die beste Zeugin bin, weiß ich nicht, jedenfalls habe ich etwas gesehen.« »Das ist gut.« Ich nahm auf meinem Schreibtischstuhl Platz, und schaute zu, wie Bill Conolly hausfrauliche Pflichten übernahm und den von ihm gekochten Kaffee einschenkte. Shelly Wagner spielte nervös mit ihren Handschuhen, die sie auf die Knie gelegt hatte. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich eine so gute Zeugin bin«, sagte sie. »Es ist schließlich schon etwas länger her, daß ich diese denk-und merkwürdige Begegnung hatte, als ich den Friedhof besuchte.« »Am besten ist es, wenn Sie der Reihe nach berichten«, schlug ich vor. »Sicher. Also, ich wollte zum Grab meiner Tante. Sie ist vor gut einem Jahr gestorben. Ich hatte mich mit ihr immer sehr gut verstanden, sie war für mich so etwas wie ein Mutterersatz, denn meine eigene Mutter war häufig krank. Nun ja, ich war es meiner Tante einfach schuldig, sie zu besuchen. Ich erinnere mich noch sehr genau, denn es war einer der ersten trüben Herbsttage, die den langen Sommer abgelöst hatten. Auf dem Friedhof hielt sich kaum ein Besucher auf, ich war ziemlich allein und hatte schon mit dem Gedanken gespielt, kehrtzumachen, denn das trübe Wetter konnte einem schon das Fürchten lehren. Ich riß mich zusammen, besuchte das Grab, ohne mich dort länger aufzuhalten, auch weil der Nebel immer dichter wurde. Als ich dann ging, das heißt, ich hatte mich gerade umgedreht, da sah ich dann die Gestalt.« Da Shelly eine Pause einlegte, konnte ich einspringen. »Moment, Miß Wagner, Sie haben also die Gestalt gesehen. Und Sie gehen davon aus, daß es keine Nebelgestalt war, keine Halluzination.« »Nein, nein . . .« Ich forschte noch einmal nach. »Keine Einbildung?« »Moment, Mr. Sinclair.« Sie schaute Bill an. »Das habe ich Mr. Conolly auch schon gesagt. Ich habe mir das wirklich nicht eingebildet, glauben Sie mir. Das war kein Gespenst, das war kein Spuk . . .«. Sie biß sich auf die untere
Lippe. »Das heißt, die Gestalt sah aus wie ein Gespenst, obwohl sie keines war.« »Sie haben das kontrolliert?« Nur zögernd nickte sie, um dabei zu fragen: »Wie haben Sie das gemeint, Mr. Sinclair?« »Sie sind hingegangen und haben die Gestalt angefaßt.« »Nein!« Die Frau schüttelte den Kopf. »Was denken Sie von mir? Das habe ich nicht getan! Um Himmels willen, nein . . .« »Warum nicht?« »Weil ich Angst hatte. Stellen Sie sich vor, Mr. Sinclair, ich war allein, von Dunstschwaden umgeben, und plötzlich schälte sich aus ihnen die düstere Gestalt hervor. Da waren meine Nerven schon arg strapaziert.« »Du solltest etwas sanfter mit ihr umgehen«, schlug Bill mir vor. »Shelly hat schon gut reagiert, und was sie dir bisher erzählt hat, ist nicht alles gewesen.« Ich lächelte sie an. »Pardon, Miß Wagner, aber ich bin nun mal Polizist und muß die Fragen stellen. Es kann durchaus sein, daß wir beide dieselbe Gestalt gesehen haben, deshalb frage ich so intensiv, auch weil ich nach Gemeinsamkeiten suche.« Sie schaute auf ihre Hände, als könnte sie aus ihnen Erinnerungen hervorlesen. »Ja, ich möchte es auch und kann ihnen sagen, daß ich einen Mann gesehen habe.« »Richtig.« Sie verengte die Augen und drehte den Kopf. Dabei glitt ihr Blick in seltsame Fernen, und sie schien nichts anderes mehr wahrzunehmen. »Ich bin nahe an ihn herangekommen oder er an mich, so genau weiß ich das nicht mehr. Ich habe zuerst an einen Geist gedacht und spreche auch noch jetzt davon. Je mehr ich jedoch über die Begegnung nachgedacht habe, um so weniger war die Gestalt für mich ein Geist. Es ist seltsam, aber meine Gedanken gerieten in eine völlig andere Richtung. Zudem fielen mir immer mehr Details ein, und auch jetzt kann ich mich daran erinnern. Sehr gut sogar, als wäre es erst gestern gewesen. Es war . . . wie soll ich sagen«, sie hob die Schultern, »es war irgendwie kein Geist, sondern ein wie gezeichneter Mensch.« Sie lachte etwas verlegen, schaute sich um, aber von uns lächelte keiner, ein Beweis, daß wir ihre Aussagen schon sehr ernst nahmen. »Weiterbitte«, sagte ich. »Ja, ein Mann«, flüsterte sie. »Er war so nahe bei mir, daß ich seine Gesichtszüge erkennen konnte. Es war kein alter Mann. Ich würde ihn auf vierzig schätzen. Er war dunkelhaarig und hatte ein Durchschnittsgesicht, aber ich weiß nicht, ob er nackt oder angezogen war. Und noch etwas fiel mir auf. Er hielt einen spitzen Gegenstand in der Hand, und zwar in der rechten.« »Ein Messer?« fragte ich.
Sie wiegte den Kopf. »Das dachte ich zuerst auch. Aber ich frage Sie, Mr. Sinclair, seit wann leuchten Messer hell wie Kristalle oder Spiegel? Seit wann?« »Da haben Sie recht«, gab ich zu. Auch mein Freund Bill nickte, während Suko wie unbeteiligt zwischen uns saß. »Tat er etwas mit dem Messer? Griff er sie an?« »Nein!« »Was machte er?« Sie hustete. »Er benahm sich wie ein Fremder. Er schaute sich um, als wäre er zum erstenmal auf diesem Friedhof. Es war seltsam, aber ich hatte das Gefühl, als wollte er die einzelnen Gräber abgehen, was er auch tat und dabei ziemlich dicht an mir vorbeikam, ohne sich jedoch um mich zu kümmern. Er nahm mich gar nicht zur Kenntnis, reagierte anders als ich, denn ich habe ihn sehr wohl bemerkt. Über mein Gesicht wehte ein eisiger Hauch, der mich frösteln ließ. Da hatte ich wieder den Eindruck, einen Geist in meiner Nähe zu haben.« »Was geschah weiter?« »Nichts. Das Gespenst, der Geist oder auch der Mann verschwand. Ich habe ihm nachgeschaut, und ich habe ihn nicht einmal gehört. Er ging, aber es war kein Laut zu hören. Er glitt einfach dahin, als wollte er die Welt der Lebenden verlassen und eintauchen in die der Toten. Mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Später erfuhr ich dann, daß ich nicht die einzige gewesen bin, die ihn gesehen hat. Auch andere Zeugen hat es auf dem Friedhof gegeben.« »Immer nur dort?« Meine Frage galt Bill Conolly. »Ja, John, nur dort. Jedenfalls habe ich nichts anderes erfahren, aber das ist ja egal. Ich denke schon, daß dieser Friedhof einigermaßen wichtig ist.« »Warum?« Bill wunderte sich. »Das fragst du? Für mich ist er so etwas wie ein Auslauf- oder Spielplatz für den Geist. Da kommt er hin, da kann er sich austoben, da kann er vor allen Dingen gewisse Sachen ausprobieren — bis hin zum Mord.« Die letzten Worte hatten Shelly Wagner aufgeschreckt. »Mord?« hauchte sie. »Ja, Shelly. Heute ist auf dem Friedhof ein Mord passiert. Wir gehen davon aus, daß Ihr Geist oder Ihr Gespenst der Täter war. Sie haben damals Glück gehabt.« Sie schluckte und preßte für einen Moment beide Hände flach gegen die Wangen. »Das ist ja grauenhaft, furchtbar!« Dann nickte sie. »Wahrscheinlich mit diesem hellen Messer — oder?« »Das kann sein.«
Sie bekam das kalte Grausen und umklammerte ihre Knie. Das Blut wich aus ihrem Gesicht. »Wer war denn die Frau?« »Eine ältere Person, die Abschied von ihrem Mann nehmen wollte, der in der Leichenhalle aufgebahrt wurde.« »Dort hat er sie getötet?« »Leider.« »Das ist ja noch schrecklicher«, flüsterte sie und schaute Bill Conolly dabei an. »Furchtbar. Ich . . . ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll? In der . . .« »Gar nichts, Shelly, denken Sie daran, daß Sie aus dem Schneider, aus der Gefahrenzone sind.« Die beiden redeten noch miteinander. Mir aber gingen ganz andere Dinge durch den Kopf. Shelly Wagner hatte die Gestalt gesehen, ich kannte sie ebenfalls. Es mußte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir von dem Killer keine Beschreibung bekamen. Wir konnten unser Wissen zusammenlegen, an das wir uns noch erinnerten. Aus diesen verschiedenen Teilen würde sich schon ein Bild ergeben. Früher hatte man einen Zeichner bemühen müssen. Heute gab es dafür besondere Computerprogramme, die hervorragende Bilder auf den Monitor zaubern konnten. Ich sprach Shelly Wagner auf das Thema an. Sie überlegte zunächst, dann erklärte sie sich einverstanden. »Aber glauben Sie denn, daß es etwas bringt?« »Das werden wir sehen.« Auch Suko und Bill fanden die Idee gut. Gemeinsam standen wir auf und verließen das Büro. »Wo geht es denn jetzt hin?« fragte Shelly Wagner. Sie hatte sich an Bill gewandt, denn ich stand am Telefon und sprach mit den Kollegen von der Fahndung. »In den Keller, glaube ich.« Shelly schluckte nur. *** Die Welt der Bildschirme, der summenden Geräte und der leise hackenden Drucker. Ein wenig futuristisch sieht eine derartige Zentrale aus, und auch Shelly Wagner gehörte nicht zu den Menschen, die hier ein und aus gingen, was ich von ihrem Gesicht deutlich ablesen konnte. »Es gefällt Ihnen hier nicht besonders, wie?« »Da haben Sie recht, Mr. Sinclair.« Sie schob die Unterlippe vor. »Alles was ich hier sehe, ist so kalt und unmenschlich. Nein, das ist nicht meine Welt. Man kommt sich so abgeschlossen vor, als wäre man ganz allein.« »Und die Kollegen?« fragte ich.
»Sind beinahe wie Roboter.« Shelly bekam eine Gänsehaut. »Sie bewegen sich so eckig und gleichzeitig auch zielsicher. Als wären sie selbst programmiert worden.« Sie hob die Schultern. »Wahrscheinlich waren sie mal anders. Aber das lange Arbeiten hier unten scheint auf die Personen abzufärben.« Ich mußte lachen, denn so pessimistisch wie Shelly sah ich die Lage der Kollegen nicht. »Ich kann Ihnen versichern, Miß Wagner, auch unter den Computerleuten gibt es lustige Typen. Es ist nicht alles so, wie es beim ersten Anblick oft den Anschein hat.« »Nun ja, Sie kennen sich eben besser aus.« »Das allerdings.« Der Spezialist wartete schon. Er hieß Jack Norman, war kleinwüchsig und hatte strohblonde Haare. Er fiel nicht nur durch sein Aussehen aus dem Rahmen, auch durch seine Kleidung, denn er trug ein Jackett mit rotschwarzem Würfelmuster. Seine Schultern kamen mir sehr breit vor, er sah in der Jacke kantig aus. Die schwarze Hose, das weiße Hemd sowie die rote Fliege gaben ihm das Aussehen eines Kellners. Er lächelte, als er Shelly Wagner sah, und deutete eine leichte Verbeugung an. »Ich stehe Ihnen zu Diensten, Madam.« Jetzt mußte auch sie lächeln. Der Anblick des Mannes hatte ihr etwas von der Verkrampfung genommen. Uns gab er die Hand und deutete dann auf die Plätze. Die Stühle waren in einem Halbkreis aufgebaut worden, so daß jeder von uns auf die drei Monitoren schauen konnte, ohne sich den Hals zu verrenken. Den mittleren auf der Konsole beanspruchte Norman für sich. Die Geräte waren miteinander gekoppelt. Sie alle würden immer das gleiche Motiv zeigen. Da Norman bereits gewisse Vorinformationen bekommen hatte, konnten wir ohne großes Zögern beginnen, denn das entsprechende Programm hatte er bereits eingegeben. Dennoch wollte eres noch einmal mit uns durchsprechen. »Wenn es nicht zuviel verlangt ist, darf ich noch einmal um die Beschreibung der Person bitten.« Shelly schaute mich an. Ich nickte ihr zu. »Ja, Sie sind gemeint. Bitte, wenn Sie noch einmal anfangen würden.« Sie hob die Schultern und suchte nach Worten. »Ob ich es noch so genau hinbekomme wie oben in Ihrem Büro, Mr. Sinclair, ist fraglich.« »Versuchen Sie es.« Sie gab sich Mühe. Wenn ich mich recht erinnerte, wichen ihre Aussagen von den ersten kaum ab, und auch Jack Norman zeigte sich durchaus zufrieden. »Ja, damit kann man etwas anfangen.« Er legte zwei Finger gegen das Kinn. »Wissen Sie, Miß Wagner, ich fühle mich manchmal wie ein Zauberer, der aus vielen kleinen Teilen ein Ganzes formt.« Er lächelte.
»Und damit mir dies auch gelingt, verlasse ich mich auf meinen Zauberkasten.« Er zeigte auf den Monitor. »Ich möchte gern, daß Sie beim Gesicht beginnen. Geben Sie mir so viele Einzelheiten wie möglich. Es spielt keine Rolle, wie lange es dauert. Wir alle hier haben Geduld, besonders ich, denn ich kann nachvollziehen, wie schwer es ist, das Bekannte aus einem Unbekannten hervorzuholen.« Shelly nickte. Jack Norman setzte eine Brille mit schwarzem Gestell auf. »Gut, dann fangen wir an.« Bill tippte mir auf die Schultern. Als ich mich umdrehte und sein Gesicht sah, wußte ich Bescheid. Er empfand es als langweilig und wollte sich für kurze Zeit verabschieden. »Wo willst du denn hin?« »Mal für Königstiger.« »Dann viel Spaß.« Bill verließ den Raum auf Zehenspitzen. Suko schaute bereits auf seinen Monitor, und er bekam das gleiche zu sehen wie ich. Ein farbiges Stück aus dem Gesicht. Ein Puzzle, das wie herausgeschnitten wirkte und einen Teil der Stirn darstellte. Der Haaransatz war ebenfalls vorhanden. Norman stellte die Fragen, und Shelly Wagner antwortete. Sie gab Korrekturen zu, sie sprang dann und wollte mit der Gesichtsform beginnen, wogegen Norman nichts einzuwenden hatte. Ich hatte den Schlitzer ja auch gesehen und schaute deshalb mehr als interessiert zu. Nur konnte ich beim besten Willen keine Korrekturen anbringen, Shelly machte das perfekt. Kannte sie ihn? Ein verrückter Gedanke schoß mir durch den Kopf. Es mochte auch daran liegen, daß ich ihre Sicherheit bewunderte. Da mußte ich passen. Diese Frau schien ein fotografisches Gedächtnis zu haben, was auch Jack Norman bewunderte, denn hin und wieder hörten wir von ihm einen entsprechenden Kommentar. »Eine Pause, Miß Wagner?« Jack Norman atmete tief aus. Er nahm seine Brille ab und schüttelte den Kopf. »Es ist wirklich erstaunlich, Miß Wagner, an was Sie sich erinnern.« »Ach ja. Finden Sie?« »In der Tat.« Mittlerweile war auch Bill Conolly wieder zurückgekehrt und hörte den Worten des Experten zu. »Ich habe öfter mit diesen Dingen zu tun, wie Sie sich vorstellen können, aber so ein Gedächtnis ist phänomenal.« Er deutete auf den Monitor. »Schauen Sie sich das an!« Wir sahen hin und erkannten das Gesicht des Mannes. Zwar nur ein halbfertiges Gebilde, aber immerhin besser schon als manche Fahndungszeichnung, mit der manche Kollegen auf die Reise geschickt wurden. Dieses Bild war gut. Der Umriß stimmte, die Partie der Augen
auch. Die ziemlich hohe Stirn, das dunkle Haar, all dies war bereits zu erkennen. Shelly Wagner drehte sich auf dem Stuhl, um mich anzuschauen. »Mr. Sinclair, was sagen Sie dazu?« »Es ist hervorragend.« Er lächelte mich an. »Das meine ich nicht. Wie ich hörte, haben Sie diesen«, ein kurzes Räuspern, »Menschen auch gesehen. Können Sie dieser Zeichnung zustimmen?« »Ohne weiteres.« »So hat er also ausgesehen?« »Ja.« »Sicher?« »Das sage ich Ihnen, wenn wir fertig sind. Aber ich habe keine Korrekturen anzubringen.« »Dann müßte sich dieser Kerl doch finden lassen«, meldete sich Suko. »Das ist ja fast mit einem Foto zu vergleichen.« »Ja, ist es«, meinte Norman. »Die Entwicklung auf diesem Gebiet war in den letzten Jahren enorm.« Er zupfte sein Jackett zurecht. »Machen wir weiter?« Shelly war einverstanden. Sie hatte in den letzten Minuten einen etwas bedrückten oder nachdenklichen Eindruck gemacht, als wäre sie dabei, sich Gedanken über das Gesicht zu machen und zu überlegen, ob sie es schon einmal irgendwo gesehen hatte. Ich wollte es genau wissen und fragte sie danach. Sie hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich bin mir nicht sicher, ich habe nur das Gefühl, den Mann schon einmal gesehen zu haben. Geht Ihnen das nicht so, Mr. Sinclair?« »Leider nicht. Ich finde es allerdings gut, wenn Sie so denken. Könnten Sie dann auch sagen, wo er Ihnen schon einmal über den Weg gelaufen ist?« »Nein.« »Macht nichts. Vielleicht später. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir fertig sind.« »An mir soll es nicht liegen.« Die beiden arbeiteten weiter. Sehr konzentriert. Und Jack Norman schaffte es, durch geschicktes Fragen immer mehr Details aus der Frau hervorzulocken. So entstand ein ungewöhnliches Bild, das tatsächlich von einer Fotografie kaum zu unterscheiden war. Norman legte sogar mehr Farbe auf die Haut, damit das Gesicht weniger Ähnlichkeit mit dem einer Leiche bekam. Dann lehnte er sich zurück, drehte sich auf dem Stuhl und schaute uns der Reihe nach an. »So, ich denke, das ist es gewesen.« Stolz schwang in seiner Stimme mit. »Das denke ich auch«, murmelte ich. »War es das wirklich?« fragte Bill.
»Besser kann man es nicht nachproduzieren.« »Er sieht aus wie ein Mensch.« »Na und?« Bill zeigte auf den Bildschirm. »Ist dieser Killer nicht ein Geist gewesen?« »Ja und ein«, murmelte ich und kam mir dabei selbst blöd vor, weil ich einen Menschen nicht von einem Geist unterscheiden konnte. Aber so war es gewesen, der Schlitzer konnte durchaus ein Zwitterwesen sein, eine Gestalt, wie wir sie bisher noch nicht kannten. Er war feinstofflich und trotzdem fest gewesen. Doch über diese Brücke wollte ich einfach nicht schreiten, sie war mir zu brüchig, denn ich schaffte es nicht, eine Erklärung zu finden. »Was hatten Sie denn für ein Gefühl, Miß Wagner?« wollte Suko wissen. »Den Eindruck der Kälte. Die Person ging zwar vorbei, doch ich hatte den Eindruck, als würde sie fließen. Das war mir alles sehr suspekt. Ich kann es auch noch nicht richtig fassen. Sie müssen mir nur glauben, daß dem so ist. Außerdem habe ich keine Erfahrung im Umgang mit Geistern. Wenn ich mir das Bild auf dem Monitor anschaue, dann ist es ein normales Gesicht, und so normal hat dieser Fremde auf dem Friedhof auch ausgesehen.« »Einverstanden, John?« Ich schaute Suko an. »Ja, eigentlich schon, wenngleich ich ihn nicht so deutlich gesehen habe. Als einen direkten Geist könnte ich ihn auch nicht ansehen.« »Gibt es denn noch Mitteldingerzwischen Menschen und Geistern?« fragte Norman. Wir mußten passen. »Dann kann ich das Bild ausdrucken lassen? Oder möchten Sie noch etwas korrigieren, Miß Wagner?« »Nein, das nicht.« Meine Gedanken bewegten sich in eine ganz andere Richtung, und ich murmelte: »Warum hat er Rose Pan-drish getötet? Diese Frau hatte ihm nichts getan. Sie hat nur vor der Leiche ihres Mannes gestanden. Und weshalb bewegt er sich auf diesem Friedhof, Bill? Es muß doch einen Grund dafür geben. Warum irrt er nicht durch London und tötet dort? Was treibt ihn auf den Friedhof?« »Das solltest du ihn selbst fragen. Jedenfalls bleiben die Rätsel bestehen.« »Meinen Sie?« fragte Jack Norman. »Weshalb denn nicht?« »Ich denke, daß Sie mit diesem Bild Erfolg haben werden. Das ist doch ein hervorragendes Fahndungsfoto — oder nicht?« Wir stimmten zu, gaben dann eine Einschränkung. »Es fragt sich nur, ob wir das Foto zur Fahndung freigeben sollen«, sagte ich. »Warum nicht?«
»Wir möchten nicht, daß er herausfindet, wie dicht wir ihm möglicherweise auf den Fersen sind.« Norman zupfte seine Fliege zurecht. »Das ist nun wirklich nicht mehr mein Problem.« Womit er völlig richtig lag, denn darum mußten wir uns kümmern. Ich wandte mich noch einmal an Shelly Wagner. »Jetzt, wo das Bild so gut wie perfekt ist, könnten Sie da sagen, ob Sie den Mann kennen oder nicht?« Ich wußte selbst, wie hypothetisch diese Frage war, sie glich auch mehr einem Hoffnungsschimmer, doch ich hatte nicht danebengegriffen, denn Shelly nickte. »Haben Sie das?« Sie starrte ins Leere und nagte nachdenklich auf ihrer Unterlippe. »Gedanken habe ich mir darüber schon gemacht, Mr. Sinclair, aber ich weiß es nicht so genau.« »Das müssen Sie mir erklären.« Sie hob die Schultern. »Komischerweise meine ich schon, ihn einmal außerhalb des Friedhofs gesehen zu haben.« Diese Antwort elektrisierte uns. Jetzt schauten auch Suko und Bill sehr gespannt. »Wo denn?« »Tut mir leid, keine Ahnung.« Ich ließ trotzdem nicht locker. »War es ein beruflicher oder ein privater Kreis?« Sie war verunsichert, lachte auch so und flüsterte: »Mr. Sinclair, das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Es liegt alles in der Schwebe.« Ich spann den Faden weiter und wandte mich an Bill Conolly. »Du hast ihn doch auch gesehen. Kommt er dir nicht bekannt vor?« Beinahe böse schaute Bill aus der Wäsche. »Wie kommst du ausgerechnet auf mich?« »Ganz einfach. Du lebst in der Nähe unserer Zeugin. Der Friedhof liegt nicht weit von euren Wohnungen entfernt. Da kommen doch zwei Dinge zusammen. Deshalb wäre es möglich, wenn dir der Schlitzer schon über den Weg gelaufen ist.« Bill nickte. »Nicht schlecht gedacht. Ich habe mich schon damit beschäftigt, aber es tut mir leid. Dieser Mann ist mir nicht bewußt über den Weg gelaufen. Dazu muß ich sagen, daß es keine erhebende Vorstellung ist, wenn man in der Nähe einer derartigen Bestie lebt. Aber das ist noch eine Hypothese.« »Da hast du recht.« Jack Norman räusperte sich und zupfte abermals seine Fliege zurecht. »Wie dem auch sei, mehr kann ich für Sie nicht tun. Wir haben das Optimale erreicht.« »Das denke ich auch«, murmelte ich.
»Darf ich mich dann verabschieden?« fragte er steif und schaute bereits durch eine Glasscheibe in den Nebenraum, von wo man ihm heftig zuwinkte. »Man braucht mich.« Wir erhoben uns. »Danke«, sagte ich und reichte ihm die Hand. »Sie haben uns sehr geholfen.« »Das freut mich. Und finden Sie den Killer. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie ihn haben?« »Das tun wir gern.« Er ging und ließ uns allein. Wir hatten hier auch nichts mehr zu suchen und verließen die unterirdische Welt. Im Lift stand Shelly Wagner neben mir. »Ich überlege schon die ganze Zeit. Ich denke doch, daß ich ihn kenne.« Wir stiegen in der Eingangshalle aus, wo die Frau ihren Mantel überstreifte. »Nicht nur vom Friedhof her?« vergewisserte sich Suko noch einmal. »Richtig.« »Kennen Sie ihn denn näher? Haben Sie schon einmal mit dem Mann geredet?« »Nein, bestimmt nicht.« Sie starrte zu Boden. »Aber als ich das Bild sah, da wußte ich plötzlich Bescheid. Es gibt diesen Mann. Und ich habe das Gefühl, als würde es ihn nicht nur einmal, sondern zweimal geben.« Sie mußte über ihre eigenen Worte lachen und schüttelte den Kopf. »Aber das ist so, glauben Sie mir.« »Und weiter?« Sie hob bedauernd die Schultern. »Was glauben Sie, Mr. Sinclair, wie gern ich Ihnen helfen würde. Aber ich stehe vor einer Wand, durch die ich nicht kann. Es gibt einfach keinen Weg. Die Wand ist gleichzeitig eine Scheuklappe, und die muß ich erst wegreißen. Wenn mir das gelingt, bin ich Ihnen eine große Hilfe.« »Wo wohnen Sie genau?« Auf einen kleinen Zettel schrieb sie ihre Adresse. Das Haus lag wirklich nicht weit von dem der Conollys entfernt. Ich sah Bills Nicken und wollte ihn nach Details fragen, doch er kam mir zuvor. »Es ist ein relativ neues Haus und steht erst vier Jahre. Aber eins, in dem mehrere Mieter leben.« »Sechs Parteien«, sagte Shelly. »Wo wohnen Sie?« »Parterre, Mr. Sinclair.« »Gibt es einen Garten?« »Ja, unser Haus steht in einem kleinen Park. Die Wohnlage ist ideal, allerdings auch teuer. Die kleine Wohnung gehört mir übrigens. Mein Vater hat sie mir finanziert.« »Was machen Sie beruflich, wenn ich fragen darf?«
»Ich bin selbständig. Schlage mich als Grafikerin und als Fotografin durch. Deshalb konnte ich die Qualität des Bildes ja auch beurteilen. Sie war wirklich außergewöhnlich gut.« Shelly strich durch ihre blonden Haare. Sie sah etwas erschöpft aus. »Jetzt werden Sie mich sicher entschuldigen.« »Natürlich.« »Soll ich Sie wieder mitnehmen?« fragte Bill. »Oder möchten Sie doch noch in der City bleiben?« »Ich bleibe und schaue mich ein wenig in den Geschäften um.« Sie nickte uns zu, wurde etwas verlegen und meinte dann: »Es kann ja sein, daß wir noch voneinander hören werden — oder?« »Das wird sogar bestimmt so sein«, erwiderte ich. »Ja . . . also dann.« Sie streckte mir die Hand entgegen. »Bis später, Mr. Sinclair.« Auch von Bill verabschiedeten wir uns. Als die beiden außer Sichtweite waren, atmete Suko tief durch. »So«, sagte er, »jetzt sind wir an der Reihe, alter Junge.« »Ich weiß.« »Sieht nicht gut aus, finde ich. Da haben wir ein Foto, aber wir kennen den Mann nicht. Was sollen wir tun? Eine stille Fahndung einleiten, uns in der Gegend für die nächsten Tage einmieten und darauf hoffen, daß uns der Knabe über den Weg läuft? Oder hält einer von uns immer auf dem Friedhof Wache?« »Mir gefällt beides nicht.« »Mir auch nicht.« »Also eine Fahndung?« »Das denke ich mir.« Mit langsamen Schritten bewegte ich mich auf eine Sitzgarnitur zu und nahm dort Platz. Dieser Fall war verzwickt, ich beschäftigte mich gedanklich mit ihm und hatte das Gefühl, auf der Stelle zu treten, allerdings dachte ich nicht pessimistisch. Wir würden weiterkommen, das stand fest. Ich brauchte nur den Kick, der mir den Schwung gab. Suko ließ sich neben mir nieder. »Was hast du, John? Du sitzt hier wie jemand, der sich um einen Job bewerben will!« Ich hob die Schultern. »So fühlte ich mich zwar nicht, aber es gibt gewisse Dinge, die mir schon Kopfschmerzen bereiten.« »Laß mich daran teilhaben.« »Du bist informiert?« »Dank eines Bill Conolly schon.« Der leise Vorwurf in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Gut, dann werden wir uns mal in ein kleines Denkspiel hineinvertiefen.« Suko schlug die Beine übereinander. »Ich höre.« »Wer war der Killer?« fragte ich. »Wie meinst du?«
»War es ein Mensch? War es ein Geist?« Mein Freund hob die Schultern. »Ich habe ihn nicht gesehen, John. Du hast ihm gegenübergestanden.« »Ja, und ich habe sogar auf ihn geschossen, aber die geweihte Kugel hat keine Wirkung gezeigt. Sie ist durch seinen Körper hindurchgegangen, obwohl ich den Eindruck hatte, daß er kein Geistwesen war.« »Das ist in der Tat seltsam«, kommentierte Suko. Ich konnte mir das Lachen nicht verbeißen. »Seltsam? Nein, das ist nicht nur seltsam oder ungewöhnlich, das ist sogar unwahrscheinlich, kann ich dir sagen.« Er legte seine Hände zusammen und war etwas durcheinander, wie er ehrlich zugab. »Warum bist du das?« »Weil ich von dir andere Sachen gewohnt bin. Du kommst mir vor wie jemand, der zum erstenmal in seinem Leben mit diesen Geistern konfrontiert wurde. Diese Gestalt schien für dich wie Neuland zu sein.« »So ähnlich.« Suko legte mir seine Hand auf die Schulter. »John, ich bitte dich, das kann doch nicht sein. So habe ich dich selten erlebt, in der letzten Zeit schon gar nicht. Kann es sein, daß du vor einem Rätsel stehst?« Ich ließ mir mit der Antwort Zeit und schaute in die Halle hinein, wo der Betrieb allmählich abflaute, denn es ging bereits auf den Abend zu. Mein Blick glitt auch über die Tafel mit den Namen der im Dienst gefallenen Kollegen, dann spürte ich Sukos Stoß in der Seite und kehre wieder in die Realität zurück. Ich war ihm noch eine Antwort schuldig. »Ja, ich stehe vor einem Rätsel, denn ich habe das Gefühl gehabt, etwas völlig Neues zu sehen.« Er nickte. »Gut.« »Wieso gut? Nichts ist gut!« »Zumindest wissen wir, was der Schlitzer nicht ist.« »Was denn?« »Keine Einbildung, kein Gespenst, aber er wird dich erkannt haben, und zwar indirekt, und du wirst möglicherweise schon auf seiner Liste stehen.« Ich hatte Sukos Ausführungen nicht folgen können und schaute ihn deshalb ziemlich erstaunt an. »Hör mal, das ist eine Sache, die du mir erklären mußt.« »Ganz einfach. Wer immer der Schlitzer auch sein mag, er wird gemerkt haben, daß du dich von ihm nicht beeindrucken läßt. Deshalb wird er herausfinden wollen, wie weit er gehen kann. Er kann es doch nicht hinnehmen, daß jemand besser oder ebenso gut ist wie er selbst. Aus diesem Grunde wird ersieh möglicherweise an deine Person heften und versuchen, dich zu erledigen. Du stehst meiner Ansicht nach auf seiner Liste ganz weit oben.« »Danke für die Aufmunterung.« »Habe ich denn so unrecht?«
Ich holte schnaufend durch die Nase Luft und krauste die Stirn. »Nein, das hast du nicht. Auch ich kann mir vorstellen, daß er weiß, wie er jetzt gejagt wird.« »Das meine ich auch.« Ich stand auf. »Dann wollen wir mal auf ihn warten.« »Und wo?« »Nicht hier. Ich mache Feierabend, obwohl ich das Gefühl habe, daß es nicht dazu kommen wird.« »Kannst du mir das genauer sagen?« »Nein«, erwiderte ich, »es ist nur ein Gefühl, mehr nicht. . .« *** Durch die schmale Tür hatte James Freeman das Bad betreten und schaute sich um. Er betrachtete seinen nackten Körper in dem bis zum Boden reichenden Spiegel, sah den Glanz auf seiner Haut und auch den erschöpften Ausdruck in seinem Gesicht. Er merkte auch das Zittern in seinen Knien, die Leere in seinem Gehirn und dachte daran, daß er sich ausruhen mußte. Der Trip hatte ihn einfach zuviel Kraft gekostet und ihn auch völlig durcheinander gebracht. Er stellte sich in die Dusche und ließ kaltes Wasser über seinen Körper fließen. Dabei hatte er den Eindruck, das Erlebte abzuwaschen. Doch die Schwäche konnte er nicht so leicht abstreifen. Das ärgerte ihn. Freeman dachte darüber nach, wie es zu ändern war. Es mußte einen Weg geben, doch er war nicht in der Lage, ihn jetzt und an diesem Tag zu finden. Er griff zum Badetuch, rieb sich ab, trocknete sein Haar, nahm danach eine Bürste und kämmte es nach hinten. Wie ein feuchtes Tuch lag es auf seinem Kopf. Er betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Die gesunde Hautfarbe sah nicht mehr so gesund aus. Sie war grau geworden. Grau wie die Ringe unter seinen Augen. Das schwarze Haar zeigte noch keine graue Strähnen, es war gesund und reichte bis in den Nacken, wo es sich zu einer leichten Welle rollte. Ein schmales Gesicht, dunkle Augen, etwas wulstige Lippen, eine hohe Stirn, die Nase kompakt und ein wenig an der Spitze in die Höhe gebogen. Er sah seine kräftigen Arme, die ebenfalls kräftigen Hände, den flachen Bauch und konnte mit seiner Figur eigentlich zufrieden sein. Er war es trotzdem nicht, denn seine Physis und auch seine Psyche standen in keinem Gleichklang, und das genau ärgerte ihn. Darüber regte er sich auf, denn er bezeichnete sich als einen Perfektionisten und wollte nicht, daß irgend etwas außer Kontrolle geriet. Das Badetuch schleuderte er über den Wannenrand und vertauschte es mit dem weichen Frotteemantel. Er schloß ihn nicht, als er das Bad verließ und in den schmalen Flur trat. Bis zum Schlafzimmer waren es
nur wenige Schritte. Dort stand auch das breite Bett, das zumindest zwei Personen Platz bot. Freeman benutzte es allein, denn er lebte auch allein. Ein Mann wie er brauchte keinen Partner. Es wäre für den anderen auch untragbar gewesen, mit ihm zu leben, denn sein Leben war nicht das eines normalen Menschen. Er stellte sich ans Fenster. Trotz des trüben Wetters hatte er das Rollo herabgelassen. Durch eine Fingerbewegung erweiterte er den Spalt zwischen den Lamellen und schaute nach draußen. Sein Blick fiel über die Grünfläche, und Freeman drehte langsam den Kopf nach links, um nicht gegen die Fassaden der Häuser schauen zu müssen. Auf der anderen Seite lag auch der weitläufige Friedhof mit seinen hohen Bäumen. Er lächelte, als er daran dachte. Der Friedhof hatte sich als Experimentierfeld hervorragend geeignet. Da hatte er seine Opfer gefunden. Zuerst Tiere, jetzt auch Menschen. Seine Augenbrauen hoben sich, als er an die Menschen dachte. Sie paßten ihm nicht in den Kram, er war Zyniker, er wollte sie nicht haben, wenigstens nicht in seiner Nähe, doch es machte ihm Spaß, sie zu erschrek-ken. Und wo konnte er das besser als auf einem Friedhof? Bisher war alles glattgegangen. Die letzten Tage waren wunderbar gewesen, er war weitergekommen, und sein Experiment stand kurz vor dem Abschluß. Bis er dann den Fehler begangen hatte. Darüber ärgerte er sich. Er wußte nicht, was er Falsches getan hatte, aber sie waren ihm auf der Spur, und daran führte kein Weg vorbei. Sie hatten ihn schon unter Kontrolle bekommen, es war sogar auf ihn geschossen worden. Doch die Kugel hatte ihren Zweck nicht erfüllt. Eine Kugel würde nie ihren Zweck bei ihm erfüllen, dafür war er einfach zu gut. Freeman drehte sich um. Nach seinen Experimenten hatte er sich immer gern hingelegt. Eine Stunde Ruhe und Entspannung hatte ihm immer gutgetan, und das wollte er auch jetzt so halten. Gleichzeitig wußte Freeman, daß es nicht so sein würde wie sonst. Er setzte sich auf die Bettkante und ließ sich sehr langsam nach hinten fallen, eine zeitlupenhafte Bewegung. So liegend, schaute er gegen die Decke und hoffte darauf, daß ihn die große Ruhe überkam. Er blieb jedoch unruhig und nervös. Etwas prickelte in ihm. Kühle und Wärme wechselten sich in seinem Körper ab. Das Blut schien eine unterschiedliche Temperatur zu haben. Mal rann es warm durch seine Adern, dann wieder eiskalt. Freeman kam der Gedanke, daß von diesem Tag an alles anders werden würde. Er schaffte es, alles auf einen Nenner zu bringen. Mit anderen Worten: Man war ihm auf der Spur.
Er stöhnte auf, er ballte die Hände zu Fäusten, und plötzlich durchströmte ihn Haß, was er auch nicht wollte, denn Emotionen konnte er sich nicht leisten. Er mußte klar und nüchtern bleiben, jetzt nur keinen Fehler machen, wo die anderen nur darauf lauerten. Ruhig bleiben, nachdenken. Freeman spürte schon, daß es nicht seine besondere Welt war, in der er lag. Er kam mit der normalen nicht mehr zurecht. Dieses Zimmer war so anders, hier fühlte er sich unwohl, und er merkte auch, daß er sich kaum unter Kontrolle hatte. Zu viele Gedanken strömten auf ihn ein. Sie waren böse, sie waren gefährlich, er dachte dabei an seine Feinde, die ihm auf keinen Fall auf die Spur kommen sollten. Falls doch, dann mußte er alles versuchen, um sie von dieser Spur wegzulocken. Es waren ja nicht nur die beiden Männer, die er auf dem Friedhof gesehen und denen er durch den Mord bewiesen hatte, wie mächtig er war, es gab leider noch andere Personen, die ihm zu nahe gekommen waren. Er hatte es sehr deutlich gespürt, daß auch andere etwas von ihm wollten, und er schloß die Augen, um sich eben auf die anderen Feinde zu konzentrieren. Freeman hatte vor, sich zu erinnern, sie gedanklich zu erfassen, denn da war jemand gewesen, der die anderen auf seine Spur gebracht hatte. Einen direkten Fehler wollte er sich nicht eingestehen, doch die Person, lum die es ging, hatte genau hingeschaut. Sie kannte ihn. Erkannte sie. Zwar hatte er noch nie ein Wort mit ihr gesprochen, doch diese Frau lebte nicht weit von ihm entfernt, und das konnte für ihn gefährlich werden. Er mußte etwas tun! Allmählich kam die Ruhe über ihn, die er so vermißt hatte. Endlich konnte er sich konzentrieren, und er dachte an die Person, die für ihn eine gefährliche Zeugin war. Sie mußte weg! Wer war sie? James Freeman schloß die Augen. Ihm erging es wie allen anderen Menschen, er sah nichts. Es umgab ihn die Dunkelheit, doch sie war nicht mit der zu vergleichen, die er sich in sein Bassin geholt hatte. Sie war nicht so kalt, so abweisend und gleichzeitig offen, und wenn er die Augen kurz öffnete, nahm er auch wieder die normale Einrichtung des Zimmers wahr. Seine Arme lagen flach neben dem Körper. Die Handflächen hatten ebenfalls ihre Ruhe auf dem Laken gefunden. Hin und wieder bewegte er seine Finger zuckend, dann kratzte er mit den Nägeln über den dünnen Stoff, ansonsten blieb er ruhig.
Und er holte sich gewisse Dinge ins Gedächtnis zurück. Er konnte plötzlich >sehen< . . . Die Dunkelheit öffnete sich. Zwar blieb sie noch, aber sie bekam einen grauen, durchscheinenden Film, auf dem sich einige Gestalten bewegten. Szenen aus seiner Erinnerung. Freeman lag völlig entspannt auf seinem Bett. Nichts wies darauf hin, mit welchen Gedanken er sich beschäftigte und wie er sie wandern ließ und zu Sensoren veränderte, die jedes Ziel fanden. James Freeman hatte Erfolg! Er öffnete den Mund, und tief aus seinem Rachen drang ein hämisches Kichern hervor. Es klang leise, aber trotzdem widerlich. Er schloß den Mund, und um seine Lippen legte sich ein faunisches Grinsen, das auch nicht verschwand, als er die Augen wieder schloß, um ein bestimmtes Bild heranzuholen. Es war eine Zeugin gewesen, eine Frau! Auf dem Friedhof hatte sie ihn erkannt, und er kannte sie ebenfalls. Ihr Bild war ihm nicht fremd. Einige Male hatte er sie schon von seinem Fenster aus beobachtet, als sie über den Gehsteig ging, um irgendwelche Besorgungen zu machen. Wie hieß sie denn? Er wußte es nicht, aber es würde keine Schwierigkeiten sein, an sie heranzukommen. Ihm reichte es, wenn er wußte, wie sie aussah. Auch sie umgab eine bestimmte Aura, auf die er sich konzentrieren konnte, und dann rettete sie nichts mehr. Schlagartig öffnete er die Augen! Sein Blick traf die Decke, die sich grau über ihm spannte. Sie war wie ein straff gespannter Teppich. Durch das Fenster fiel kein Licht. Ein Rollo verdeckte das Viereck. Freeman stand auf. Er fühlte sich gut und dokumentierte dies auch, indem er die Arme ausstreckte, sich reckte, die Hände bewegte, sie zu Fäusten ballte, die Finger wieder streckte und sich dann abrupt herumdrehte, um auf die Tür zuzugehen. Er verzichtete auf jegliche Kleidung. Selbst den Bademantel ließ er liegen. Splitternackt betrat er das Bad. Diesmal in einer anderen Stimmung als noch vor einer Stunde. In dem Raum gab es zwei Türen. Durch eine, die sichtbare, war er gekommen. Die zweite schloß so dicht mit der Wand ab, daß sie beim ersten Hinsehen kaum zu erkennen war. Man mußte sich schon auskennen, um zu wissen, daß hier etwas war. Freeman ging auf die Wand zu. Er blieb dann stehen und berührte sie an einer bestimmten Stelle. Freeman brauchte nicht einmal viel Druck zu geben. Wie von selbst öffnete sich die Tür. Lautlos schwang sie nach außen und hinein in die Dunkelheit, die wie ein dichter Teppich vor ihm lag. Es war nicht nur dunkel, sondern auch kühl. Diese Grabeskühle
strömte ihm von unten her entgegen, sie erwischte sein Gesicht, den nackten Körper und umlegte ihn wie ein Umhang. Tief unter ihm lag so etwas wie ein Keller, und direkt vor seinen Füßen begann die Metalltreppe. Die Stufen glänzten selbst in der Dunkelheit. Bis zur Hälfte konnte er die Treppe erkennen, danach verschwammen die Stufen, als wären sie von der Finsternis aufgesaugt worden. Er machte Licht. Die kalte Leuchtstoffröhre an der Decke war stark genug, um den Keller auszuleuchten. Sie fiel nicht nur auf den mit glänzendem Estrich bestrichenen Betonboden, sondern auch auf die gewaltige Röhre, die im Keller stand. Sie sah aus wie ein großer Tank, war grau gestrichen und an den Seiten mit mächtigen runden Türen verschlossen. Der Tank war nicht nur groß, man konnte ihn durchaus als riesig bezeichnen. Seine Ausmaße lagen über denen eines normalen Tankwagens, und zum Einstieg führte eine Leiter hoch. Freeman ging die Stufen hinab. Sein Körper bewegte sich geschmeidig, die Muskeln machten das Spiel mit, nichts mehr wirkte verkrampft. Freeman war locker, war cool, er war überhaupt nicht mehr verkrampft. Es ging ihm gut, es mußte ihm gutgehen, und er war davon überzeugt, daß er es schaffen würde. Er lächelte. Wieder trat dieser widerliche faunische Zug um seine Lippen. Freeman ließ die Treppe hinter sich, er ging die wenigen Schritte bis zur Tankleiter und blieb stehen. Er schaute sich um. Die Tür war hinter ihm zugefallen. Geräuschlos, und sie bildete mit der Wand wieder eine Einheit. Das Licht löschte er nicht. Die Dunkelheit des Tanks würde ihm ausreichen. Dann stieg er die schräge Leiter hoch und öffnete die runde Tür des Einstiegs. Freeman war sich sicher. In dieser Nacht würde der Schlitzer wieder ein Opfer finden! *** Shelly Wagner war nach ihrer Aussage beim Yard nicht nach Hause, sondern mit der U-Bahn in die City gefahren, um sich dort die Schaufenster einiger Geschäfte anzuschauen, da sie noch einige Wintersachen kaufen wollte. Das ging nur einige Minuten gut. Sehr bald schon stellte Shelly fest, daß es ihr unmöglich war, sich darauf zu konzentrieren, denn vor ihren Augen verschwammen die Auslagen. Sie bekam Kopfschmerzen, wenn
sie zu lange in die Schaufenster starrte, und irgendwann verschwammen die dort ausgestellten Gegenstände auch vor ihren Augen. Nein, nicht heute. Nicht an diesem Tag. Immer öfter kehrten die Szenen vom Friedhof zurück. Sie vermischten sich mit den Bildern, die sie beim Yard erlebt hatte, und sie dachte auch daran, daß sie sich eigentlich mit ihrem Freund Andrew Bonner hatte treffen wollen. Wenn sie den Zeitpunkt einhalten wollte, mußte sie sich beeilen, aber sie wußte gleichzeitig, daß Andrew ihr keine große Hilfe sein würde. An diesem Tag hielt er sich zwar noch in London auf, am folgenden Tag würde er jedoch sehr früh doch wegfahren müssen, weil er in Liverpool zu tun hatte. Andrew arbeitete im Bauamt der Stadt. Er war Spezialist für Grundstücksangelegenheiten und wurde oft losgeschickt, wenn es irgendwelche Probleme gab. Es bestand zwar nur eine geringe Hoffnung, aber vielleicht blieb er noch die Nacht über bei ihr. Shelly nahm wieder die U-Bahn. Um diese Zeit waren die Wagen voll, der Berufsverkehr schlug voll zu Buche. Sie fühlte sich von den Mitreisenden eingekesselt. Man hatte sie immer weiter in die Ecke gedrückt, bis es nicht mehr ging. Vor ihr stand ein Typ in Lederjacke, einem grellen T-Shirt darunter und klammerte sich an einem Haltegriff fest. Sein Gesicht befand sich dicht vor dem ihren. Der Typ hatte eine sehr bleiche Haut, was allerdings durch seinen dunklen Bart in der unteren Gesichtshälfte ausgeglichen wurde. Die Lippen glänzten so feucht, als wären sie mit Öl eingerieben worden, und er grinste sie permanent an. Shelly schaute zu Boden. Die Fahrt in den Süden kam ihr viel zu lang vor, und sie war froh, daß ihr Nachbar irgendwann ausstieg. Shelly atmete auf. Der Wagen hatte sich so weit geleert, daß Shelly einen Sitzplatz fand. Sogar am Fenster konnte sie sich niederlassen, schaute durch die Scheibe in den grauen Novembertag und fühlte ihre Stimmung noch grauer werden, als dieser Tag schon war. Erinnerungen überfielen sie. Immer wieder sah sie sich auf dem Friedhof, und immer wieder erschien die Gestalt vor ihren Augen. Ein nebulöser Mensch, ein Mordmonster, eine Person oder eine Unperson? Das wußte sie nicht, und sie konnte auch keine Erklärung dafür geben. Sie hatte ihn sogar identifizieren können, aber sie fragte sich, weshalb sie dabei das Gefühl hatte, es mit keinem Menschen zu tun zu haben, sondern mit einem Geist, einem Gespenst oder einem Mittelding zwischen diesen beiden. Was war er? Darüber konnte sie nicht weiter nachdenken, weil sie sich an andere Szenen erinnerte. Sie sah sich wieder in der Fahndungsabteilung sitzen, und auf dem Monitor erschien das Bild. Daß es so klar geworden war, darüber konnte
sie sich noch immer wundern, und dieses Gesicht wollte ihr einfach nicht aus dem Sinn. So klar, so erkennbar, so deutlich, daß sie sich daran erinnert hatte. Ja, sie kannte ihn! Sie hatte ihn schon gesehen. Er war ein Mann, der in ihrer Nähe wohnte. Nur konnte sie nicht konkret werden, denn gleichzeitig glich ihre Erinnerung auch einem Schatten, der sehr schnell durch ihr Bewußtsein huschte. Im letzten Augenblick stand sie auf. Sie hätte beinahe vergessen, auszusteigen. Hastig verließ Shelly den Zug. Auf dem Bahnsteig kam sie sich bedroht vor, ihr gefiel die Enge der Röhre nicht. Das gelbe Licht erinnerte sie an kalte Raubtieraugen, deshalb hastete sie zur Treppe. Erst im Freien konnte Shelly wieder tief durchatmen, aber viel besser ging es ihr nicht. Sie ärgerte sich selbst über ihr Zittern und wunderte sich auch, daß der kalte Schweiß auf ihrer Stirn lag. Den Mantel wickelte die Frau enger um ihren Körper, bevor sie durch die Dämmerung ihrem neuen Ziel entgegeneilte. Das Lokal lag in einer der vielen ruhigen Straßen. Der Gehsteig davor war mit hellen Steinen gepflastert, so daß er ein wenig an eine italienische Piazza erinnerte. In der Tat wurde das Lokal von einem Italiener geführt. Er verkaufte nicht nur Getränke, sondern auch kleine Imbisse. Shelly betrat den Laden und fühlte sich in der wohligen Wärme sofort sicherer. Zwei Bedienungen und der Wirt selbst kümmerten sich um die Gäste. Shelly nahm nicht auf den mit rotem Kunstleder bezogenen Hockern Platz, sondern suchte sich einen kleinen Tisch nicht weit von einem der beiden Fenster entfernt. Gio, der Wirt, schwarzhaarig, ewig gebräunt und immer lächelnd, trat auf sie zu. »Was darf ich dir denn bringen?« »Campari mit Orange.« »Gut, bekommst du, Bella.« »Ja, danke.« Gio zog die Augenbrauen zusammen. »Was ist mit dir, Bella? Du siehst so traurig aus.« Shelly ging darauf nicht ein. »War Andrew schon hier?« »Nein, heute nicht.« »Hat er angerufen?« »Auch nicht!« Shelly lächelte verkrampft. »Da kann man wohl nichts machen.« »Will er denn noch kommen?« »Ich hoffe es.«
»Ich wünsche dir, daß er kommt, Bella.« Gio streichelte ihre Wange. »Ich kannte traurige Frauen nicht leiden sehen. Das Wetter ist schon traurig genug. Hier sollen wir reden, lachen, lustig sein.« »Das denke ich auch.« Gio verschwand hinter der Theke, um den Drink zu mixen. Dabei pfiff er ein Lied aus seiner italienischen Heimat. Hin und wieder schaute er schräg hinter sich, wo ein Fernseher stand. Über den Bildschirm flatterte das italienische Programm von RAI. Shelly drehte ihren Stuhl so, daß sie nicht von dem Strahler geblendet wurde. Sie schaute in den Raum hinein, sah sich die noch wenigen Gäste an. In einer halben Stunde würde es anders aussehen, da hatten auch die beiden Mädchen mehr zu tun, die hier bedienten. Sie hoffte, daß auch ihr Freund kam, denn gerade heute wollte sie so ungern allein bleiben. Zunächst stellte ihr Gio den Drink auf den Tisch und dazu einen Grappa. »Den Schnaps gibt es gratis, damit du mal wieder Farbe in dein Gesicht bekommst, Bella.« »Grazie.« Gio tänzelte zurück. »Wohl bekomm's, Bella.« Er zwinkerte ihr zu und kümmerte sich um die Espresso-Maschine, die als glänzendes Ungetüm hinter der Theke stand. Shelly leerte das Glas zur Hälfte und mußte sich schütteln. Der Grappa war wie eine scharfe Säure durch ihre Kehle gejagt und verteilte sich nun im Magen. Sie trank einen Schluck Campari hinterher, hustete trotzdem und hörte plötzlich, wie Gio ihren Namen rief. Erstaunt drehte sie sich um. Der Wirt stand hinter der Theke. In einer Hand hielt er den Hörer des schwarzen Telefons hoch. »Der Anruf ist für dich, Shelly.« Er lächelte breit. »Ich glaube, es ist dein Freund.« Shelly schnellte hoch und spürte gleichzeitig das drückende Gefühl im Magen. Es sagte ihr, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Sonst hätte Andrew nicht angerufen. Fast hätte sie noch das Grappaglas umgerissen, so hastig bewegte sie sich von ihrem Platz weg. Shelly eilte hinter die Theke, übernahm von Gio den Hörer und meldete sich mit der Frage: »Bist du es, Andy?« »Genau.« »Wann kommst du?« Seine Stimme bekam einen bedauerlichen Klang. »Es tut mir leid, Shelly, aber heute nicht.« Sie schloß für einen Moment die Augen und spürte auch, daß ihre Knie nachgaben. »Heute nicht?« wiederholte sie. »Hast du denn keine Zeit, wenigstens auf einen Sprung bei Gio vorbeizuschauen?« »Leider nicht.« »Gerade heute hätte ich dich gebraucht«, flüsterte sie.
Er sagte nichts. Die Bemerkung hatte ihn verlegen gemacht. Dafür stöhnte er auf, und dieses Geräusch erreichte auch Shellys Ohr. Danach sagte er: »Ich kann nicht zur dir kommen, und ich will dir auch den Grund sagen. Ich bin nicht mehr in London.« »Was?« »Ja, ich habe meine Reise schon heute antreten müssen. Ich rufe dich aus Liverpool an.« Sie schluckte, preßte auch die Lippen zusammen, aber der Ärger wollte nicht weichen. »Warum hast du mir nichts gesagt?« Jetzt lachte Bonner. »Das hatte ich gewollt, aber ich habe dich nicht erreicht.« »Stimmt, ich war nicht zu Hause.« »Und wo hast du dich herumgetrieben, wenn ich mal fragen darf?« Shelly wollte ihm nicht die Wahrheit sagen. »In der Stadt, ich mußte mal raus. Ich hatte keine Ideen, der Auftrag läuft mir ja nicht weg. Vielleicht sieht es morgen anders aus.« »Ein Stimmungstief? Bist du down?« »Ja, so kann man es nennen«, sagte sie aufatmend. »Du solltest auch nicht immer auf den Friedhof gehen«, hielt er ihr vor. »Die Umgebung ist nichts für dich. Das ist was für alte Leute, finde ich.« »Vielleicht hast du recht.« »Jedenfalls sehe ich zu, daß ich so schnell wie möglich zurückkehre, Shelly.« »Und wann wird das sein?« »Moment mal, laß mich nachdenken. Wie ich die Sachlage hier überblicke, könnte ich, obwohl es Schwierigkeiten gegeben hat, übermorgen fertig sein.« Sie erschrak. »So lange?« »Ja, hier ist was schiefgelaufen. Warum regst du dich auf? Du hörst dich an, als könntest du nicht alleine bleiben. Als hättest du sogar Angst davor.« Sie wollte die Wahrheit für sich behalten. »Nein, da irrst du dich, Andy. Es ist alles okay. Bis . . . bis . . .«, in der Kehle lag plötzlich ein Klumpen, und sie hatte plötzlich das Gefühl, Andy nicht mehr wiederzusehen und in einem tiefen Grab zu liegen. »Bis übermorgen also«. Rasch legte Shelly den Hörer auf und lief an ihren Platz zurück. Unterwegs wischte sie noch schnell die Tränen aus den Augenwinkeln. Dabei hatte sie überhaupt nicht weinen wollen. Gio hatte sie beobachtet. Sein Gesicht zeigte Sorgenfalten. Er konnte es nicht leiden, wenn Shelly traurig war. Sie hatte wieder Platz genommen, leerte auch den Rest des Grappaglases und trank ihren Campari Orange. Dann zündete sie sich eine Zigarette an, blies den Rauch hastig aus und schaute durch das Fenster nach draußen, wo eine Windbö wieder von der alten
Platane in der Nähe zahlreiche Blätter abgerissen hatte und sie in die Tiefe trudeln ließ. Die nächste und die übernächste Nacht würde sie allein verbringen, und zwar ganz allein, allerdings umgarnt von düsteren Gedanken und schlimmen Angstgefühlen. Shellys Meinung nach braute sich da etwas zusammen, das so unwiderruflich nahte wie die Dämmerung dieses sowieso schon düsteren Tages. Die Herbstangst oder die November-Depression waren es nicht. Das war ihr einfach zu allgemein, sie beschäftigte sich mit anderen Dingen, mit Ängsten, die sehr persönlich waren. Das Grauen hatte sich einzig und allein auf sie fixiert, und sie spürte die Kälte wie einen Eisschock auf ihrem Rücken . . . *** Der Reporter Bill Conolly war überhaupt nicht zufrieden, als er seinen Wagen in die Garage gefahren hatte und ausstieg, um ins Haus zu gehen. Es lag nicht nur am trüben Wetter und an den durch die Luft taumelnden Blättern, es lag an diesem verfluchten Fall, mit dem er überhaupt nicht zurechtkam. Hier braute sich etwas Schlimmes zusammen, das nicht zu greifen war. Selbst für einen Mann wie John Sinclair war dies völlig neu, und der hatte auf Bill einen sehr nachdenklichen, wenn nicht sogar deprimierten Eindruck gemacht. Wie jemand, der genau wußte, daß etwas passieren würde, es aber leider nicht verhindern konnte. Bill hatte sich ein Foto eingesteckt. Er wollte es sich noch einmal in Ruhe anschauen und nachdenken, ob er diesen Mann nicht doch in seiner näheren Umgebung gesehen hatte. Es wohnten ja nicht sehr viele Menschen hier, der mußte doch zu finden sein. Wenn alle Stricke rissen, würde Bill die Häuser in der Nachbarschaft abklappern und dort nachfragen. Irgend jemand würde ihn bestimmt kennen, davon ging er einfach aus. Sheila war im Wohnraum, als Bill den Bungalow betrat. Sie las und hörte Musik. Als der Schatten des Reporters über sie fiel, ließ sie das Buch sinken, drehte sie sich um und legte gleichzeitig den Kopf nach hinten. Bill hauchte ihr einen Kuß auf die Lippen. »Ich bin wieder da.« »Das sehe ich.« Bill ließ sich in den zweiten Sessel fallen und streckte die Beine aus. Bevor er etwas sagen konnte, sprach Sheila ihn an. »Großen Erfolg scheinst du nicht gehabt zu haben.« »Stimmt.« Die blonde Frau fuhr mit beiden Händen über ihren Pferdeschwanz. »Gab es Ärger?«
»So könnte man es sehen. Zumindest gab es eine Tote.« Sie erbleichte. »Was sagst du da?« Bill stand auf. Er brauchte jetzt einen Cognac. Während er einschenkte, begann er mit seinem Bericht und führte ihn weiter fort, als er saß. Erstellte fest, daß Sheila erschauderte, obwohl sie einen rostfarbenen Rollkragenpullover trug. »Das ist ja furchtbar«, flüsterte sie. »Stimmt.« »Und ihr habt den Killer gesehen?« »So ungefähr.« Sheila bewies mit der nächsten Bemerkung, daß sie ihren Mann gut kannte. »Aber ihr könnt ihn nicht festnehmen, denke ich.« »So ist es.« Sie hob die Schultern. »Das verstehe ich nicht, Bill. Nein, das ist mir zu hoch. Ihr habt das Bild, wie du sagtest. Da muß es doch leicht sein, herauszubekommen, wer dieser Mann ist. Scotland Yard hat Möglichkeiten, die ausgeschöpft werden müssen.« »Das wird auch geschehen.« »Dann könnte er doch in kürzester Zeit identifiziert werden.« »Das nehme ich an.« Bill stellte das Glas weg. »Zudem lebt er wahrscheinlich in unserer Gegend. Davon ging jedenfalls die Zeugin Shelly Wagner aus.« Sheila hob die Augenbrauen. »Hier in der Gegend. Und du kennst den Mann nicht?« »Nein«, gab er zerknirscht zu. »Darf ich denn das Bild mal sehen? Vielleicht kenne ich ihn ja. Unmöglich wäre es nicht.« Bill schlug gegen seine Stirn. »Pardon, ich bin ein Narr. Klar, ich wollte es dir zeigen.« Er griff in die Tasche und holte das Foto hervor. Sheila streckte ihm schon die Hand entgegen und klemmte es zwischen ihre Finger. Dann wischte sie eine Haarsträhne aus der Stirn, schaute sich die Aufnahme an und lachte auf. Bill konnte sich nur wundern. »Was ist denn daran so lustig, Sheila?« »Nichts ist lustig. Nur möchte ich dich fragen, ob du den Mann wirklich nicht kennst.« »Nein.« »Ich aber!« Nach dieser Antwort blieb Bill erst einmal sitzen. Er merkte, daß ihm der Schweiß ausbrach und er Mühe hatte, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken. »Jetzt ganz langsam«, sagte er, als er von seiner Frau spöttisch angeschaut wurde. »Dir ist dieser Mann also bekannt? Du weißt, wer er ist?« »Ja.« »Seinen Namen kennst du auch?« »Natürlich.«
Der Reporter beugte sich vor. Seine weit gewordenen Augen starrten Sheila an. »Bitte, Mädchen, dann nenn mir seinen Namen.« »Er heißt Freeman, Dr. James Freeman.« »Und weiter?« »Er wohnt nicht weit von hier entfernt. Ich weiß sogar, was dieser Mann beruflich macht.« »Du erstaunst mich immer mehr.« »Freeman ist Wissenschaftler. Privatgelehrter oder so ähnlich. Er lebt in einem alten Haus, drei Straßen weiter, glaube ich. Jedenfalls habe ich von ihm gehört, als ich mal mit einer in seiner Nähe wohnenden Nachbarin sprach, die sich über Bauarbeiten an seinem Haus beschwert hatte. Er muß sich einen Keller gebaut haben, ziemlich tief in der Erde. Da waren schon einige Arbeiten nötig.« Bill hatte einen trockenen Mund bekommen, was auch bei seiner Frage zu hören war, denn sie klang richtig kratzig. »Kannst du dich noch daran erinnern, wann das gewesen ist?« »Das liegt noch nicht lange zurück. Die heißen Sommertage waren gerade vorbei.« Sie schaute noch einmal auf das Foto. »Klar, das ist er, denn als ich mit der Frau sprach, ist er an uns vorbeigegangen. Da hatte ich für einige Sekunden die Chance, ihn mir anzusehen. Das ist James Freeman.« Bill war begeistert. »Mensch, Sheila, das ist ein Hammer. Das ist das absolut Wahre. Du bist eine Superschau.« »Hör mit dem Quatsch auf!« »Nein, ehrlich.« Sie legte das Bild weg. »Okay, dann mach auch weiter. Seht zu, daß dieser Mensch verhaftet wird.« Er nickte. »Noch fehlen die richtigen Beweise, doch ich denke, daß wir die auch bekommen.« Er stand auf, schüttelte noch immer den Kopf und ging zum Telefon, denn jetzt mußte erst einmal John Sinclair informiert werden . . . *** Dämmerung, düstere Wolken, Schatten, die zwischen den Häusern und den Gärten klebten. Fallendes Laub, feuchte Straßen. Menschen, die froh waren, wenn sie die schützende Wärme ihrer Häuser und Wohnungen erreichten. An manchen Stellen schwebten dünne Dunstschleier, die aussahen wie kalter Schleim. Der Himmel war dunkel geworden. Er ließ nicht einmal das Licht der Gestirne durch, und die Welt verschwamm in der trüben November-Trauer. Mochte in der Londoner City trotz allem noch Betrieb herrschen, in den Vororten war längst die Ruhe des Abends eingekehrt. Kaum jemand hielt
sich außerhalb seiner Wohnung auf. Die Gärten waren leer, die Sitzmöbel längst wieder zurück in die Keller der Häuser gestellt worden, und in den leeren Pools lagen die fauligen Blätter, die so manchen Mäusekadaver bedeckten. Die Natur stand vor dem Aus, die Menschen reagierten ähnlich, und das genau war die Zeit des Schattens. Niemand sah ihn, niemand erwartete ihn, und so konnte er durch die stillen Straßen gleiten, ohne daß ein Laut zu hören war. Wer genau hingeschaut hatte, der hätte ihn auch sehen können, aber wer tat so etwas schon? Es gab kaum einen Menschen, der am Fenster stand und nach draußen schaute, so blieb der Schatten unentdeckt. Lautlos bewegte er sich weiter. Er glitt über das feuchte Pflaster, wirkte kompakt und trotzdem feinstofflich. Er war so etwas wie ein Zwischenstück, das weder zu der einen noch zur anderen Welt gehörte. Aber er war da. Und er war bewaffnet. Denn in seiner rechten Hand glänzte eine Spitze — das Mordmesser . . . *** Shelly Wagner war in ihre Wohnung zurückgekehrt und mußte sich eingestehen, daß ihre Angst zugenommen hatte. Diese Welt, die ihr eigentlich eine gewisse Sicherheit geben sollte, war nicht mehr das, was sie von ihr erwartet hatte. Sie war keine Insel der Geborgenheit, sondern ein Eiland der Furcht. In der schmalen Diele war sie für einige Augenblicke stehengeblieben und hatte tief durchgeatmet. Sie hatte in die Wohnung hineingehorcht, nicht geschaut, dazu war es noch zu dunkel, und erst als sie sicher sein konnte, kein fremdes Geräusch zu hören, da hatte sie es gewagt, nach dem Schalter zu tasten und Licht zu machen. Shelly liebt das Licht. Durch Dimmer an den Schaltern konnte sie es in verschiedenen Stufen und Variationen genießen. Auch jetzt strahlte es nicht so hell, daß es geblendet hätte. Wie ein weicher Schleier verteilte es sich im Flur und kroch an den Wänden entlang. Der Teppich dämpfte ihre Schritte. Sie glitt voran auf die zur Hälfte geöffnete Tür ihres Arbeitszimmers, das wie ein Atelier eingerichtet worden war. Auch hier machte sie Licht. Eine helle Welt öffnete sich ihr. Das große Fenster nahm praktisch eine Wandseite ein. Dahinter lag der Garten, im Sommer oft lebhaft und bunt, jetzt still und tot, und Shelly kam sich vor wie auf dem Präsentierteller, sie spürte auch das Frösteln auf ihrem Rücken, und sie betrat vorsichtig wie eine Fremde ihr eigenes Arbeitszimmer.
Neben dem Zeichenbrett blieb sie stehen. Sie hatte es günstig aufgestellt, damit tagsüber genügend Licht durch das große Fenster an der Südseite auf das Brett fallen konnte. Sie hatte einige Bögen festgeklemmt. Zwei waren leer, einer zeigte Kritzeleien, aber noch keine konstruktive Idee für eine Dosenmilchwerbung. Der Auftraggeber wollte mit Plakaten werben und hatte sie gebeten, sie sehr bunt zu machen, damit die Tristesse des Winters aufgehellt wurde. Shelly schüttelte den Kopf. Sie würde es nicht schaffen, diese bunten Plakate herzustellen. Nicht jetzt, nicht in ihrer Stimmung, die sich der trüben Jahreszeit angeglichen hatte. Sie glaubte auch nicht, daß sich dies in den nächsten Tagen ändern würde. Zur Not mußte sie den Auftrag zurückgeben. Vor dem Fenster blieb sie stehen. Der Garten lag im tiefen Schatten einer herbstlichen Dunkelheit. Die Düsternis hatte ihren Weg gefunden, und es gab nichts, was sie hätte aufhalten können. Eine unheimliche Gegend lag vor ihr. Eine Umgebung ohne Licht. Im Garten gab es Lampen, doch nur im Sommer wurden sie angeknipst, um ihr Licht zu verstreuen. Dabei wäre es auch im Winter nötig gewesen, dachte Shelly, als sie ihre Stirn gegen die Scheibe preßte. Wäre der Garten erleuchtet, dann hätte sie kaum Furcht zu haben brauchen, so aber hatte sie das Gefühl, diesen Garten als Insel der Gefahr zu erleben. Die Scheibe beschlug durch ihren Atem, und ihre Sicht verschlechterte sich. Es hatte auch für sie keinen Sinn, noch länger vor dem Fenster stehenzubleiben und in den dunklen Garten zu starren. Dadurch machte sie sich nur noch verrückter, regte sich auf, sah in jeder Ecke ihrer Wohnung eine Gefahr oder einen Schatten. Abrupt drehte sie sich um, ließ das Licht brennen, als sie den Raum verließ, und begab sich in die modern eingerichtete kleine Küche, wo sie sich einen Kaffee machen wollte. Ein kühler Luftzug streifte ihr Gesicht. Es hatte sich kein Geist oder Gespenst Zutritt verschafft, dieser kalte Hauch hatte eine ganz natürliche Ursache. Er wehte durch das Fenster, das schräg stand und von ihr schnell wieder zugedrückt wurde, weil sie es als eine Einladung für fremde Personen ansah. Drei Löffel Kaffeepulver, die entsprechende Menge Wasser dazu, das alles klappte wie immer. Während die Maschine das Wasser in die Filtertüte rinnen ließ, untersuchte Shelly Wagner die übrigen Räume ihrer Wohnung. Das Schlafzimmer war ebenfalls leer, das Bad und der kleine Wohnraum ebenfalls. Er hätte normalerweise das Arbeitszimmer sein sollen. Da Shelly jedoch viel Platz und Licht brauchte, hatte sie die beiden Räume eben ausgetauscht. In der offenen Tür blieb sie stehen, und ihr Blick beruhigte sich wieder, als sie sah, daß sich in dem kleinen Zimmer nichts verändert hatte.
Shelly ging wieder zurück in die Küche. Sie schaute den letzten Tropfen zu, die sich mit dem braunen Wasser in der Kanne vereinigten und spürte, daß sich wieder der Klumpen im Magen bildete. Es war das Gefühl der Furcht, das zurückkehrte. Sie wußte nicht, vor wem sie sich fürchtete, möglicherweise sogar vor den nächsten Stunden und damit auch vor der Nacht, die ihr wahrscheinlich doppelt oder dreifach so lang vorkommen würde wie normal. Das war eine tiefe, eine bedrückende Angst, der sie kaum Herr werden konnte. Als sie den Kaffee in eine Tasse goß, da sah sie auch, wie sehr ihre Hände zitterten. Sie rollte den kleinen Metallstuhl hervor und ließ sich auf dem roten Ledersitz nieder. Ihre Augen brannten. Der Dampf des heißen Getränk wehte gegen ihre Wangen. Sie trank den Kaffee in kleinen Schlucken, schlürfte dabei, was ihr nichts ausmachte, es war ja keiner da, der das Geräusch hörte, und sie versuchte dann, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Shelly überlegte, wie sie die folgende Nacht am besten überstehen konnte. Wenn sie in ihrer Wohnung blieb, befand sie sich zwar an einem bekannten Platz, aber in den Nachtstunden, das wußte sie, würde der Horror beginnen. Dabei brauchte nicht einmal ein Killer zu erscheinen, es reichte bei ihr allein schon der Verdacht, um sie verrückt werden zu lassen. Sie würde Angst bekommen, sie würde zittern, sie würde Gespenster sehen. Es war der reine Psycho-Terror. Ihre Gedanken brachen ab und endeten in einem Fluch, denn sie hatte durch einen heftigen Zitteranfall Kaffee verschüttet. Shelly stellte die Tasse ab und stöhnte auf. Es geht schon los, dachte sie. Verdammt noch mal, es geht rund, und jetzt schließt sich der Kreis. Wenn ich jetzt schon nervös werde, wie soll das erst in der nahen Zukunft werden? Auf der Tischplatte breitete sich der Kaffeefleck aus. Auf seiner Oberfläche spiegelte sich das Licht der Dekkenleuchte, und Shelly sah es an wie einen Funken der Hoffnung. Sie holte einen sauberen Putzlappen und wischte den Kaffeerest auf. Ihre Überlegungen aber stoppten nicht. Auch jetzt dachte sie darüber nach, wie es weitergehen konnte, doch zu einem Ergebnis kam sie nicht. Alles drehte sich gedanklich in ihrem Kopf. Sie stand am Fenster, schaute gegen die Garagenwand und sah, daß der Platz davor von einem Scheinwerferpaar erhellt wurde. Einer der Mieter kam von der Arbeit zurück. Shelly lächelte. Es tat ihr einfach gut, dies zu sehen und gleichzeitig zu wissen, daß sie nicht die einzige Person in diesem Haus war, obwohl es ihr manchmal so vorkam. Tief atmete sie aus. Der Mann fuhr seinen Wagen in die Garage, verließ sie wieder, schloß das Tor und ging ins Haus. Shelly drehte sich um.
In der Küche war für sie nicht der richtige Platz, deshalb ging sie zurück in ihr Arbeitszimmer und nahm hinter ihrem weißen Schreibtisch Platz. Auf ihm verteilten sich zahlreiche Papiere — Angebote, Rechnungen, Skizzen und Entwürfe. Dabei fiel ihr Blick auf einen Hochglanzprospekt, der ihr von einem Hotel in Paris zugeschickt worden war. Shelly sah ihn, und schon hatte sie die Idee! Ein Hotel war die Lösung. Sie würde sich für ein oder zwei Nächte in einem Londoner Hotel einmieten und für niemanden zu finden sein. Auch nicht für den Schlitzer! Als sie daran dachte, entspannte sie sich ein wenig. Shelly streckte die Beine aus, schloß die Augen und gratulierte sich innerlich zu diesem hervorragenden Entschluß. Es war ihr egal, welches Hotel sie nahm, Hauptsache, es lag in der Innenstadt, weit genug von ihrer eigenen Wohnung entfernt. Dorthin würde ihr die Gefahr wohl kaum folgen. Beruhigt strich sie durch das blonde Haar, drückte noch einmal die Finger gegen die Augen, suchte nach irgendwelchen Fehlerquellen bei ihrem Gedankengang, fand keine und schob schließlich den Stuhl zurück, um sich zu erheben. Shelly spürte sogar einen leichten Schwindel. Da sie nichts mit dem Kreislauf hatte, mußte es wohl an ihrem inneren Zustand liegen. Der Schwindel war bald verschwunden, und Shelly schlug den Weg zum Schlafzimmer ein. Das Licht hatte sie angelassen. Nur keine Dunkelheit, die sie immer an Stunden ohne Hoffnung erinnerte. Viel Gepäck brauchte sie nicht, und kurz hinter der Tür blieb sie stehen, um den Blick über ihr Bett gleiten zu lassen. Sie hatte plötzlich das Gefühl, Abschied zu nehmen, und mußte mit den Tränen kämpfen. Hart schluckte sie den Kloß hinunter, konzentrierte sich auf das Wesentliche. Viel Gepäck benötigte Shelly nicht. Ein kleiner Koffer und eine Kosmetiktasche mußten ausreichen. Die Tasche holte sie aus dem Bad, blieb auch in diesem Raum stehen und kämpfte gegen die Tränen. Es war furchtbar für Shelly Wagner, der Druck nahm ständig zu, als wäre die Gefahr schon längst da, ohne daß sie jedoch von Shelly bemerkt worden wäre. Mit einem Handtuch wischte sie ihre schweißfeuchte Stirn trokken und rieb auch über die Wangen. Sie verließ das Bad und holte aus dem Schlafzimmerschrank den schmalen Koffer. Auf dem Bett öffnete sie ihn. Die Schiebetüren des Schranks drückte sie in verschiedene Richtungen. Rechts hing die Winterkleidung, darüber, wohlgeordnet in Fächern, lagen die Dessous. Sie wollte hinfassen, ihre Hand berührte schon die seidige Spitze, als sie erstarrte. Shelly hatte etwas gehört!
Ein Geräusch vielleicht. Möglicherweise in ihrer Wohnung oder auch in einer anderen. Möglicherweise war eine Tür im Durchzug zugeschlagen. Jeder fremde Laut drückte bei Shelly die Angst wieder hoch und brachte die Erinnerungen an den Schlitzer zurück. Die Bestie lauerte, sie wartete auf den günstigen Zeitpunkt, und Shelly wußte, daß sie nichts tun konnte, als zu warten und sich immer wieder die schweißfeuchten Hände an ihrer Kleidung abzuwischen. Es rührte sich nichts. Sie hörte ihren eigenen Atem. Plötzlich zerrte auch die Stille an ihren Nerven. Die Frau empfand es sogar als schlimm, daß sie nichts hörte. Dieses Nichtwissen machte sie noch verrückt. Sie schaute auf den Koffer. Er war offen und leer, wartete darauf, gefüllt zu werden, nur traute sich Shelly nicht. Ihre Hand rutschte zwar aus dem Fach nach unten, zu einer weiteren Bewegung war sie momentan nicht fähig. Sie konzentrierte sich einzig und allein auf ihre Angst, die wie eine Würgeschlinge ihre Kehle zudrückte. Ihr wurde schlecht, sie konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Neben dem Koffer fiel sie auf den Bettrand nieder und wartete zunächst ab. Stillsitzen, lauschen — hören, ob sich in der Wohnung tatsächlich etwas tat. Die Stille blieb. Shelly dachte an den Friedhof. Da hatte sie den Schlitzer auch nicht gehört, nur gesehen und dabei auch gespürt, als der kalte Hauch ihren Nacken entlangstreifte. Das war hier noch nicht eingetreten. In dieser Wohnung gab es keine Kühle, die Räume kamen ihr plötzlich überheizt vor. Lange würde sie es hier nicht mehr aushalten können. Sie mußte aus der Wohnung raus und verwarf auch den Gedanken, in ein Hotel zu ziehen. Das brachte nichts mehr, dafür war die Zeit zu kurz. Am besten war es, wenn sie zu einem Nachbarn lief und von dort mit dem Oberinspektor Sinclair telefonierte. Shelly hätte sich am liebsten die Haare gerauft, weil sie daran nicht früher gedacht hatte. So konnte sie nur hoffen, daß es noch nicht zu spät war. Ihre Beine bewegten sich wie von einer Mechanik angetrieben, als sie aus dem Schlafzimmer schlich. Ihr Gesicht zeigte einen völlig entfremdeten Ausdruck, wie sie im Wandspiegel sehen konnte, als sie ihn passierte. An der Tür blieb sie noch einmal stehen, schaute in den Flur, sah ihn zwar leer, ließ sich dadurch aber nicht beruhigen. Das Licht hatte sie ziemlich weit herabgedreht. Darüber ärgerte sie sich jetzt, weil es in der Diele nicht so hell war, wie sie es gern gehabt hätte.
Die Wohnungstür lag links von Shelly. Sie konnte den Ausgang mit wenigen Schritten erreichen. Das war ein Witz — normalerweise, doch nicht in dieser Lage. Sie ging schleichend. Den Mantel brauchte sie nicht, der Schlüssel steckte in ihrer Hosentasche, es war eigentlich alles normal, nur noch einen Schritt, dann . . . Da spürte sie die Kälte! Wie eine eisige und glatte Spiegelscherbe glitt sie über ihren Nacken und auch die rechte Wange hinweg, und diese Berührung ließ sie vor Schreck erstarren. Er war da — er war in der Nähe! Was tun? Umdrehen? Durch ihren Kopf rasten zahlreiche Gedanken, die sich verteilten wie Blitze. Shelly war völlig von der Rolle. Sie wußte nicht, was sie machen sollte, und sie traute sich nicht, sich umzudrehen. Da erwischte sie der kalte Hauch zum zweitenmal! Diesmal noch kälter, noch intensiver. Shelly schrak zusammen, sie wußte genau, daß sich der Schlitzer in ihrer Nähe befand und beim dritten Anlauf seinem Namen alle Ehre einlegen würde. Sie konnte nicht mehr. Mit einer schwerfälligen Bewegung fiel sie nach rechts und prallte gegen die Wand. Gleichzeitig auch gegen einen Bilderrahmen, der leicht ins Trudeln geriet. In diesem Augenblick schellte es! *** Natürlich hatte uns Bill Conollys Anruf alarmiert. Wir waren uns dabei wie die Feuerwehr vorgekommen, die blitzschnell zu einem Einsatzort mußte, um dort das Feuer zu löschen. »James Freeman«, sagte Suko. »Kennst du den?« »Nein, nie von ihm gehört.« »Okay, dann holen wir ihn uns.« Ich hatte meine Bedenken. »Oder nur einer.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Sag mir doch genauer, was du darunter verstehst.« »Ganz einfach. Du wirst ihn woanders suchen als ich.« »Toll. Auf dem Friedhof? Das ist doch dein Revier, John.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Suko. Denk daran, was wir vorhin besprochen haben. Wir waren uns darüber einig, daß auch Shelly Wagner in Gefahr schwebt. Wenn wir schon zu zweit sind und wenn es möglicherweise auch zwei Schlitzer gibt, der eine stofflich, der andere feinstofflich, was wir noch nicht bewiesen haben, so sollten wir trotzdem
davon ausgehen, daß er sich an zwei verschiedenen Orten aufhalten kann. Und vergiß nicht, daß Shelly eine Zeugin ist.« Suko grinste breit. »Du hast eine seltene Art, einen zu überzeugen, Alter.« »Finde ich auch. Deshalb nimm du deinen Wagen, ich fahre mit dem Rover.« »Wo ist später der Treffpunkt?« »Bei Freeman, denke ich.« Suko nickte und zeigte mir sein Einverständnis. Ihm gingen nur die Worte der Unterhaltung nicht aus dem Kopf, als er sich auf dem Weg in den Londoner Süden befand. Eine Weile war er mit seinem Freund praktisch Stoßstange an Stoßstange gefahren, dann hatte er abbiegen müssen, um zu seinem Ziel zu gelangen. Shelly Wagner wohnte sehr schön, wie man landläufig sagte. In einer ruhigen Gegend mit altem Baumbestand. Das neue Haus war abseits der Straße gebaut worden und im Sommer hinter dem Laub kaum zu erkennen. Jetzt, wo das meiste schon abgefallen war, schimmerte Licht durch die zahlreichen Lücken. Es gab auch eine Einfahrt, auf die Suko seinen BMW lenkte. Er stoppte dort, wo es neben den Garagen noch einen freien Platz gab. Mit relativ langsamen Schritten näherte er sich dem Haus, schaute sich immer wieder um, aber kein Schatten hatte sich in der Dunkelheit versteckt, um ihn anzugreifen. Feuchtes, kaltes und auch trübes Herbstwetter herrschte vor. Blätter segelten durch die Luft und bildeten einen bunten Teppich auf dem Boden. Suko sah, daß auch in der unteren Wohnung Licht brannte, und er war zunächst einmal beruhigt. Erstellte sich in die Haustürnische, brauchte nicht lange nach dem Klingelschild zu suchen, weil es erleuchtet war und ihm der Name Wagner sofort auffiel. Shelly wohnte unten. Das war gut. Und Suko legte seinen Finger auf den Klingelknopf. . . Ich hatte mich noch für eine Weile an den Heckleuchten des BMW orientieren können, mußte dann aber, als Suko rechts abbog, geradeaus weiterfahren und passierte auch einen Teil des Friedhofs, wo der Fall praktisch seinen Anfang genommen hatte. Unterwegs hatte ich einmal angehalten, um einen Blick auf den Stadtplan zu werfen, denn in dieser Gegend, in die ich wollte, mußte sich nicht jeder auskennen. Für mich war es wichtig, die kleine Seitenstraße zu erreichen, in der das Haus des Dr. James Freeman lag. Was war er? Ich hatte mich kundig gemacht und herausgefunden, daß er sein Geld als Verhaltensforscher verdiente. Nun ist das ein weiter Begriff. Er konnte seinen Studien an menschlichen oder tierischen Objekten
betreiben, er wurde wohl auch schlecht kontrolliert, denn in der Branche war er nicht so bekannt. Das alles hatte ich innerhalb kurzer Zeit nach Bills Anruf recherchiert, und mein Freund war der Meinung gewesen, daß James Freeman nicht eben zu den ärmsten Menschen gehörte, wenn er es sich leisten konnte, Privatforscher zu sein. Ich fand die schmale Straße, die mich zu meinem Ziel führen sollte. Es war dunkel wie in einem Tunnel. Laternen leuchteten hier kaum, und wenn, dann standen sie weit weg, schienen zu einer anderen Welt zu gehören. Dennoch orientierte ich mich an einem Licht. Es schimmerte vor mir und fand seinen Weg durch die Lücken der mittlerweile blattlos gewordenen Büsche. Es gehörte zum Haus. Schon bald nahm der Weg an Breite zu. Meine Scheinwerfer ließen das feuchte Laub glänzen, das wie eine Schicht auf dem Untergrund lag, ihn rutschig machte, so daß ein Auto beinahe wie auf Glatteis fuhr. Am Tage sah es hier sicherlich anders aus. Im Finstern kam ich mir von London weit, weit entfernt vor. Ein einsam stehendes Haus, abgeschirmt durch hochwachsende Laubbäume und möglichst weit weg von den nächsten Nachbarn. In dieser Nachbarschaft wohnte auch Shelly Wagner, die sicherlich schon ihren Besucher Suko empfangen hatte. Vor dem Haus sah ich den Kleinwagen. Das Licht der Außenleuchte fiel auf seinen Lack. Blätter hatten sich auf dem kleinen Dach verteilt, noch immer fielen welche zu Boden. Sie kamen mir vor wie ein altes, leicht angesenktes Papier. Jedenfalls schien der Herr Privatgelehrte zu Hause zu sein, und das sah ich als kleinen Erfolg an. Ich parkte den Rover neben dem Kleinwagen, stieg aus und schnupperte. Es war eine besondere Luft, die in meine Nase drang. Sie roch nach Rauch oder nach verbranntem Laub. Herbstlich einfach, auch feucht und leicht ätzend. Ich ging noch nicht auf die Eingangstür zu, sondern schaute an der Fassade hoch. Das Haus gehörte zu den älteren Bauwerken. Es war aus dunkelroten Ziegelsteinen errichtet worden, das Dach war spitz, hinter den Fenstern im Parterre schimmerte Licht, doch ich sah keinen Schatten, der sich hinter dem einen oder anderen Fenster abgezeichnet hätte. Was war das für ein Haus? Eigentlich ein völlig normales, und ich wollte herausfinden, ob es vielleicht etwas Unheimliches ausatmete. Das Gefühl überkam mich nicht. Ich ging auf die Haustür zu. Zwei breite Stufen brachten mich in ihre direkte Nähe. Ich sah auf die Klingel, schellte und glaubte, ein Summen zu hören.
In dieser Umgebung wirkten alle Laute ungewöhnlich gedämpft, wie mit Watte überdeckt. Die Luft drückte, der Atem stand wie eine Wolke vor meinem Mund, die kaum abriß. Dunstschleier wehten hinter mir, manchmal fielen auch dicke Wassertropfen von den Bäumen und landeten auf dem Boden. Als sich nichts rührte und meine Ungeduld zunahm, versuchte ich es erneut. Ich würde mich auf keinen Fall abwimmeln lassen, was die Person im Haus auch nicht vorhatte, denn durch die verschlossene Tür klang eine brummige Frauenstimme. »Ja, ja, ich komme schon.« Eine Frau hatte ich hier nicht erwartet, obwohl es eigentlich normal gewesen wäre. Es war mein Fehler gewesen, mich so überraschen zu lassen, nicht jeder Wissenschaftler lebte allein. Daß sich eine Frau gemeldet hatte, entspannte die Lage ein wenig. Sie öffnete die Tür. Der Lichtschein fiel gegen sie und auch gegen mich, so daß wir uns beide vorkamen wie in einer hellen Wolke. Ich blinzelte etwas, weil mich das Licht blendete, dann erst schaute ich mir die Frau an. Sie war ungefähr vierzig. Das dunkelgrüne Wollkleid stand im krassen Kontrast zu ihrem blaßroten Haar. Es war kurz und sehr glatt geschnitten, umgab den Kopf beinahe wie ein Helm. Braungraue Augen musterten mich forschend. Hinter den Brillengläsern sahen sie groß aus, wirkten aber auch kalt. Die Gesichtshaut zeigte noch keine Falte. Sie war glatt, beinahe wie die einer Puppe. Um den Hals hatte die Frau eine Kette aus dicken Holzperlen gehängt. »Bitte?« fragte sie. Ich lächelte. »Pardon, wenn ich um diese Zeit unangemeldet störe, aber ich hätte gern mit Dr. Freeman gesprochen.« »In welcher Angelegenheit?« »Das möchte ich ihm persönlich sagen.« Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber Mr. Freeman ist für Sie im Augenblick nicht zu sprechen.« Ich hakte nach. »Ist er nicht da?« »Er ist nicht zu sprechen, das müssen Sie verstehen.« Ich wiegte den Kopf. »Schade, es wäre doch wichtig gewesen.« »Das sagen alle, die mit meinem Bruder reden wollen. Melden Sie sich zuvor an, dann wird sich zeigen, ob er sie empfängt. Er ist ein bedeutender Mann, das weiß ich, auch wenn es sich noch nicht so herumgesprochen hat, doch jeder muß warten, auch Sie werden da keine Ausnahme machen.« »Nur habe ich nicht soviel Zeit wie andere. Und ich möchte ihn auch nicht vorladen lassen.« Ich hatte mich entschlossen, es mit sanftem Druck zu versuchen.
Das half. Die Frau trat einen kleinen Schritt zurück. Sie rückte ihre Brille zurecht und erkundigte sich, wie sie das denn zu verstehen hätte. »Mein Name ist John Sinclair«, erklärte ich mit sanft klingender Stimme. »Ich bin Polizist, Scotland Yard, um genau zu sein.« »Ach.« Mehr sagte sie nicht. Auf der anderen Seite zeigte sie sich auch nicht besonders erschreckt, eher nachdenklich und mißtrauisch, und sie rückte wieder an ihrer Brille. »Ich kann Ihnen meinen Ausweis zeigen.« »Das wäre nett.« Sie schaute ihn nicht genau an, räusperte sich, gab ihn mir zurück und hörte dabei meine Frage. »Es ist nicht nötig, wenn Sie Ihren Bruder von der Arbeit wegholen. Ich kann ihm auch eine Einladung in mein Büro schicken, um dort mit ihm zu reden.« »Nein, nein, das ist nicht nötig.« Sie reagierte jetzt sehr heftig. Ich hatte damit gerechnet, denn viele Personen ändern ihre Meinung, wenn sie hören, daß sie vorgeladen werden. »Es ist nur so, wissen Sie: Mein Bruder wird oft gestört von irgendwelchen Leuten, die etwas von ihm gelesen haben und ihm nun Fragen stellen wollen. Die Kürze seiner Zeit erlaubt es jedoch nicht, Antworten auf die Fragen zu geben. Da ist es schon besser, wenn ich die Termine für ihn mache.« »Ja, das sehe ich ein.« Die Frau streckte mir die Hand entgegen. »Ich bin übrigens Lucy Freeman.« Obwohl sie meinen Namen kannte, stellte ich mich noch einmal vor, und sie bat mich in ein Haus, in dem es für meinen Geschmack feucht und muffig roch. Schon beim ersten Blick in den Flur hatte ich feststellen können, daß dieses Haus relativ eng war. Entsprechend klein mußten auch die Zimmer sein, und ich sah mich nicht getäuscht, als ich in einen Raum geführt wurde, der als Wohnzimmer diente und von der Einrichtung her meinen Vorstellungen nicht entsprach. Hier sah alles aus wie aus dem Katalog herausgeschnitten. Dunkle Möbel, viele Bücher und schwere Sessel, die eigentlich zu groß für das Zimmer waren. Hier fehlte jede Gemütlichkeit. Ich stolperte über die Kälte, dachte nach, was hier falsch war und merkte es schließlich. Es gab keine Blumen, überhaupt kein Grün und nicht einmal ein Bild an der Wand, das den röhrenden Hirsch gezeigt hätte. Nur die Tapete, die noch einen leichten Gelbschimmer aufwies. »Nehmen Sie doch Platz, Mr. Sinclair.« »Danke.« Ich setzte mich. »Darf ich Ihnen einen Drink anbieten?« »Nein, danke.« »Sie erlauben, daß ich . . .?«
»Bitte sehr.« Aus einem Schrank holte Lucy Freeman eine Flasche Martini. Sie kippte ein Wasserglas halbvoll und trank. Ich hatte Zeit, mir meine Gedanken zu machen. Noch immer wunderte ich mich darüber, daß so das Haus eines nicht gerade armen Privatgelehrten aussah. Ich kam einfach nicht damit zurecht. Es machte auf mich beinahe einen unbewohnten Eindruck, auch vergleichbar mit einem Refugium, das nur teilweise bewohnt wurde, ansonsten aber leerstand. Sie trank wieder und schaute mich über den Glasrand hinweg an. Als sie das Gefäß absetzte, zitterten ihre Finger leicht, und ich dachte über den Grund nach. Hatte die Frau etwas zu verbergen? War sie nervös? Schwer feststellbar, aber etwas anderes beunruhigte mich noch mehr. Es war die ungewöhnliche Ruhe im Haus. Ich hörte einfach nichts. Die Stille blieb wie eine bedrückende Last oder schwebte als Gespenst zwischen den vier Wänden und der blassen Decke. Die Lampe gab auch nicht viel Licht. Sie machte die Umrisse allerdings weich. Ich hörte auch nichts von einer zweiten Person, dieses Haus atmete weiterhin eine beklemmende Stille aus. Trotz der Wärme überlief mich ein leichtes Frösteln. Lucy Freeman schaute mich aus ihren durch die Brillengläser vergrößerten Augen an. Sie fuhr mit der Zungenspitze über die Lippen, bevor sie fragte: »Was wollen Sie denn von meinem Bruder, Mr. Sinclair?« Ich lächelte ihr freundlich zu, meine Antwort blieb aber hart. »Natürlich kann ich verstehen, daß Sie darüber gern Bescheid gewußt hätten, aber ich muß Sie enttäuschen. Das möchte ich Ihrem Bruder doch gern selbst sagen.« Sie nickte. »Das sehe ich ein. Nur haben mein Bruder und ich keine Geheimnisse voreinander, und er ist im Moment nicht da. Ich dachte, daß ich Ihnen möglicherweise helfen kann.« »Sind Sie denn über seine Arbeiten informiert?« »Ein wenig schon.« »Das habe ich nicht gewußt.« »Es ist auch nicht schlimm, Mr. Sinclair.« Sie lehnte sich zurück und legte die Hände flach auf die Sessellehne. »Sie sind Polizist, sogar ein Yard-Beamter. Da Sie meinen Bruder sprechen wollen, brauchen Sie doch sicherlich einen Rat.« »So könnte man es nennen.« Lucy Freeman fragte jetzt direkt. »Geht es dabei um ein Verbrechen, Mr. Sinclair?« »Das ist so.« »Mord, nehme ich an.« »In der Tat.« »Und mein Bruder hat damit zu tun?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Miß Freeman, so dürfen Sie das nicht sehen. Ich habe nicht behauptet, daß Ihr Bruder damit zu tun hat,
ich möchte nur mit ihm reden und ihm ein paar Fragen stellen. Ich brauche gewissermaßen seinen Rat.« Lucy Freeman nickte und griff in die rechte Tasche, die an ihrem Kleid angenäht worden war. Sie holte Zigaretten hervor und zündete sich ein Stäbchen an. Ich schob ihr den bunten Aschenbecher über dem Tisch zu, der in meiner Nähe gestanden hatte. Sie nahm den Faden wieder auf. »Wenn Sie einen Rat brauchen, ist mein Bruder möglicherweise für Sie der richtige Mann. Wer ist denn in den Mord verwickelt? Einer seiner Bekannten, Freunde oder Patienten?« »Es wird sich noch herausstellen, in welch einem Verhältnis er zu dem Opfer gestanden hat.« Sie rauchte zwei Züge und stäubte die Asche ab. »Sie wissen sicherlich, womit sich mein Bruder beschäftigt.« »Er ist Verhaltensforscher.« Sie nickte bei ihrer Antwort. »Da haben Sie schon recht, Mr. Sinclair. Aber mein Bruder ist mehr, viel mehr. Nicht nur Verhaltensforscher. Er ist Psychologe, er ist Philosoph, er ist Naturwissenschaftler, er ist ein Denker.« »Und er arbeitet privat«, sagte ich. »Ja, das ist richtig. Er wohnt hier allein, weil er seine Ruhe braucht. Ich bin nur an drei, manchmal vier Pagen in der Woche hier und sorge für ihn. Ich koche, wasche seine Wäsche, denn um derartig profane Dinge kann er sich nicht kümmern. Seine Welt ist eine andere, eine ganz andere.« »Das glaube ich Ihnen.« Diesmal griff ich in die Tasche und holte das Bild hervor. Ich legte es auf den 'Tisch. Als Lucy hinschaute, wollte ich von ihr wissen, ob das ihr Bruder wäre. Sie schaute sich das Foto an. »Ja, das ist er. Sie haben recht, das ist mein Bruder.« Ruckartig hob die Frau den Kopf. »Woher haben Sie das Foto? Ich kenne das nicht.« Ich winkte ab. »Wir haben es bekommen.« »Aha.« Ich kam wieder auf seine Forschungen zu sprechen und sagte, daß Verhaltensforschung ein weites Gebiet sei. »Da haben Sie recht.« Sie ließ mich etwas hängen, so daß ich mich gezwungen sah, präziser zu werden. »Seine Forschungen, die sicherlich wichtig sind, führt er bestimmt am Objekt durch.« »Das ist richtig.« »An Menschen?« Diesmal schenkte sie mir ein kantiges Lächeln und drückte dabei ihre Zigarette aus. »Ich ahne, worauf sie hinauswollen, Mr. Sinclair. Ja, es geht um Menschen, aber sicherlich nicht so, wie Sie denken. Die Menschen, mit denen mein Bruder beruflichen Kontakt pflegt, kommen
freiwillig zu ihm. Sie sind seine Patienten. Sie wollen, daß er sich mit ihnen beschäftigt. Sie möchten mehr über sich erfahren, sie wollen einfach die Grenzen ihres Seins sprengen.« Ich begriff es nicht so recht und sagte dies auch. »Welche Grenzen meinen Sie denn?« Sie tippte von zwei Seiten gegen ihre Stirn. »Die geistigen Grenzen. Um es auf einen Nenner zu bringen und für Sie einfacher zu machen. Einfach das Bewußtsein sprengen. Nicht mehr die Enge zu haben, ist für viele Menschen einfach unbeschreiblich. Sie kamen raus aus diesem geistigen Gefängnis, denn durch meinen Bruder eröffneten sich ihnen völlig andere Welten.« »Er macht sie also frei.« »Ja.« »Geistig frei. Reißt Barrieren ein.« »Das ist ebenfalls richtig.« »Wie macht sich das bemerkbar?« Lucy Freeman schüttelte den Kopf. »Das dürfen Sie mich nicht fragen, Mr. Sinclair. Da müssen Sie schon seine Patienten interviewen. Oder auch ihn persönlich.« »Das wäre mir lieb.« »Ich glaube es Ihnen sogar.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Nur ist er leider noch nicht im Haus. Ich weiß auch nicht, wann er zurückkehrt. . .« »Ich habe Zeit.« Nach dieser Antwort vereiste ihre Mimik. Es gefiel ihr nicht, daß ich diesen Satz gesagt hatte. »Heißt das, daß Sie warten wollen, Mr. Sinclair?« »Ja, bis Ihr Bruder kommt.« »Das kann aber dauern.« »Die ganze Nacht über?« Sie hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. James ist eben öfter unterwegs.« »Ja, ich weiß«, murmelte ich. »Und hin und wieder sogar auf einsamen Friedhöfen, nicht wahr?« Dieser locker dahingesprochene Satz ließ sie versteifen. Etwas irritiert bewegte sie ihre rasierten Augenbrauen. »Wie soll ich das nun wieder verstehen? Weshalb sagen Sie so etwas? Das kommt schon einer Diskriminierung gleich.« »Finden Sie? Ich nicht, Mrs. Freeman, denn Ihr Bruder ist auf dem nahen Friedhof gesehen worden.« Sie lachte mich an. Es klang unecht. »Himmel, was soll er denn dort zu suchen gehabt haben?« »Das möchte ich ihn fragen.« Lucy Freeman schaute auf ihre Hände, die sie jetzt wieder zusammengelegt hatte. »Hat das denn etwas mit dem Mord zu tun?« »Schon.«
»Was, bitte?« »Ich weiß es nicht genau. Jedenfalls hat uns diese Tat einige Rätsel aufgegeben, und ich bin sicher, daß Ihr Bruder uns weiterhelfen kann. Der Mord geschah übrigens auf dem Friedhof. Zur selben Zeit hielt sich auch Ihr Bruder dort auf.« Es war zu sehen, wie es in Lucy Freemans Gesicht arbeitete. Da zeichneten sich ihre Gedanken ab, und es waren beileibe keine guten, wie ich erkennen konnte. »Wenn ich Ihre Worte richtig interpretiere, halten Sie meinen Bruder für den Mörder — oder?« Ich hob beide Hände. »Augenblick, Mrs. Freeman, das habe ich nicht gesagt.« »Aber gedacht.« »Das können Sie nicht wissen. Ich will mit Ihrem Bruder reden, weil ich davon überzeugt bin, daß er uns helfen kann. Nicht mehr und auch nicht weniger.« »Gestatten Sie, daß ich anders darüber denke?« »Das ist Ihr gutes Recht.« »Ich habe eher den Eindruck, daß sie ihm eine Falle stellen wollen. Daß Sie durch die Hintertür an ihn herankommen wollen. Ich will Ihnen etwas sagen. Mein Bruder James ist ein Mensch, der haushoch über den anderen steht. Seine Forschungen sind nicht nur einmalig, sie sind auch genial. Er versucht sich auf einem Gebiet, das der Menschheit bisher so gut wie verschlossen gewesen ist. James ist ein hochbegabter Wissenschaftler. Der Verhaltensforscher überhaupt. Er gehört zu den Menschen, deren Wissen die Menschheit einige Schritte weiterbringt. Und da kommen Sie in sein Haus und verdächtigen ihn, einen Mord begangen zu haben. Das finde ich unverschämt und anmaßend. Tut mir leid.« »Ich habe nie davon gesprochen, daß er ein Mörder ist, Mrs. Freeman.« »Nein, nicht direkt, aber unterschwellig sind Sie der Ansicht. Ich spüre es, denn durch meinen Bruder habe ich die Menschen kennengelernt. Er hat mich vieles gelehrt, das können Sie mir glauben. Er hat mir auch immer wieder zu verstehen gegeben, daß die meisten Menschen nur Ignoranten sind und den Blick für die wesentlichen Dinge verloren haben. Dennoch wollte er ihnen helfen, indem er die geistigen Barrieren, die sie hinderten, einfach sprengte.« »Stimmt alles. Deshalb ist er für mich so wertvoll.« Lucy Freeman stand auf. »Ich denke doch, daß es besser ist, wenn er zu Ihnen ins Büro kommt.« Auch ich hatte mich als höflicher Mensch erhoben. Und ich wurde den Eindruck nicht los, daß mich diese Frau nicht mehr im Haus haben wollte. Wahrscheinlich hatte ich mit meinen Bemerkungen schon in ein Wespennest gestochen. Für mich war dieses Klima hier vergiftet, und die beiden Freeman-Geschwister hielten fest zusammen.
Da hackte keine Krähe der anderen ein Auge aus. »Noch eine Frage, Mrs. Freeman.« »Welche?« »Kennen Sie eine Frau namens Shelly Wagner?« Sie überlegte nicht, sondern schüttelte sofort den Kopf. »Nein, diese Person ist mir nicht bekannt.« »Sie hat nicht zu den Klienten oder Kunden Ihres Bruders gehört?« »So ist es.« »Seltsam.« Ich hatte sie mißtrauisch gemacht. Deshalb fragte sie rasch. »Wieso ist das seltsam?« »Das will ich Ihnen gern sagen. Durch Shelly Wagner sind wir eigentlich auf Ihren Mann gekommen. Sie hat uns, wenn Sie so wollen, den entscheidenden Tip gegeben.« »Aha«, rief Lucy gedehnt. »Dann hat diese Person meinen Bruder als Mörder denunziert.« »Nein.« »Was ist sie dann?« »Eine Zeugin. Sie hat ihn auf dem Friedhof gesehen, von dem ich sprach. Mehr nicht.« »Sie hat sich geirrt.« »Kann sein, aber das soll mir Ihr Bruder selbst sagen.« Ich steckte das Bild wieder ein. »Schade, ich hätte gern mit ihm gesprochen, aber das ist wohl nicht möglich. Ich kann auch nicht hier im Haus bleiben, wenn Sie es nicht wollen, aber ich werde Ihnen gleich sagen, Mrs. Freeman, daß mir dieser Fall einfach zu wichtig ist, um ihn an der langen Leine laufen zu lassen. Deshalb habe ich sie etwas gekürzt. Und das sieht folgendermaßen aus. Ich bleibe in der Nähe, und nicht nur ich. Es sind einige Kollegen, die draußen warten. Wir wollen einfach mit Ihrem Bruder reden, Mrs. Freeman, nicht mehr und nicht weniger.« Sie blickte zu Boden. In ihrem Innern tobte ein Sturm. Mit dem letzten Bluff hatte ich sie überrumpelt, und ich war gespannt darauf, wie sie reagieren würde. Vor ihr hatte ich die Tür zum Flur erreicht. »Ich bin davon überzeugt, Mrs. Freeman, daß wir uns in dieser Nacht noch einmal gegenüberstehen werden.« Dann ging ich. Nicht schnell, sondern langsam. Ich wollte ihr die Chance zu einer Umkehr geben. Im Flur sah ich die schlichte Garderobe, und mir fiel auf, daß ein Spiegel fehlte. Auch hier waren die Wände mit vergilbten Tapeten bedeckt, die Lampe an der Decke hatte Staub angesetzt und warf ihre breiten Lichtbahnen über die Wände. Links von mir, auch schon in meinem Rücken und mehr zu ahnen als zu sehen, wurde dieser ruhige Schein durch eine heftige Bewegung gestört. Ein tanzender Schatten, nicht mehr, aber der reichte aus, um mich zu warnen.
Ich duckte mich und drehte mich gleichzeitig herum. Meine rechte Hand wollte die Beretta ziehen, dazu kam ich nicht mehr, denn etwas hämmerte gegen meinen Hals. Es war ein wuchtiger, ein mörderischer Hieb, dem ich nichts entgegensetzen konnte. Ich rutschte einfach, schlug noch mit dem Kopf gegen die Wand und hörte über mir das Kichern und die gleichzeitig gezischelten Worte. »Von wegen Kollegen, Sinclair, das glaube ich dir nicht. Du bist allein gekommen, allein . . .« Sie lachte scharf, und dieses Lachen begleitete mich in das Dunkel der Bewußtlosigkeit... *** Mit einem heftigen Ruck wurde die Tür von innen aufgerissen, und eine entsetzte und totenbleiche Shelly Wagner schaute Suko an. Selbst sein Anblick konnte ihre Angst nicht dämpfen. Sie stürzte vor, und er hörte ihr von Schluchzlauten unterbrochenes Stammeln. »Er ist da! Er ist da! Er ist bei mir.« Suko wußte, wen sie meinte. Er schaute in den nur mäßig erhellten Flur, ohne etwas zu sehen, das seinen Verdacht erregt hätte. In der Wohnung blieb es ruhig. Für ihn war es wichtig, daß Shelly nicht im Flur blieb, sondern erst einmal zur Ruhe kam. Es sollten zudem auch keine anderen Nachbarn aufmerksam werden. Sie wehrte sich nicht, als Suko sie zurückdrückte. Wahrscheinlich bekam sie gar nicht richtig mit, was mit ihr geschah. Suko schloß die Tür, schaute noch einmal durch den Flur und konnte keine unmittelbare Gefahr für Shelly oder sich erkennen. Shelly Wagner lehnte mit dem Rücken an der Wand. Sie atmete heftig, über ihr Gesicht rann Schweiß, und in den Augen glänzte die Panik. Als Suko nahe genug an sie herangekommen war, umfaßte Shelly schnell sein rechtes Handgelenk, als wollte sie es nie mehr loslassen. »Er war hier, Inspektor, er war hier.« Suko nickte. »Okay, das glaube ich Ihnen. Wer war hier, Shelly? Bitte, noch mal von vorn.« Sie rollte mit den Augen. Die Erinnerung an das Erlebte ließ sie beben. »Der Schlitzer . . . der Mann mit dem Messer . . . der Geist. Dieses nicht faßbare Wesen. Es war hier in der Wohnung, es hat sich zwischen den Wänden gezeigt. Es wollte mich umbringen. Ich war im Schlafzimmer. Der Hauch, der kalte Hauch hat mich getroffen. Das alles war so schrecklich und so grauenhaft. . .« »Wo ist er jetzt?« »Ich weiß es nicht.« Sie senkte den Kopf.
»Ich werde nachschauen«, sagte Suko. Shelly klammerte sich noch fester an ihn. »Nein, bitte nicht. Tun Sie das nicht.« »Warum nicht?« »Ich . . . ich möchte nicht allein bleiben. Und ich habe Angst, in das Schlafzimmer zu gehen.« »Dann kommen Sie mit.« Shelly Wagner erschrak zutiefst. »Er hat das Messer!« hauchte sie. »Er hat dieses weiße Messer. Ich habe es schon auf dem Friedhof gesehen. Es ist dasselbe.« »Hat er Sie denn angegriffen?« »Nein, noch nicht. Ich rannte weg. Er folgte mir, dann haben Sie geklingelt.« »Okay, schauen wir nach.« Sukos ruhige Stimme verfehlte die Wirkung nicht. Shelly senkte den Kopf, hob die Schultern und folgte ihm mit langsamen Zitterschritten. Sie wollte auf keinen Fall einen Fehler machen und schaute sich immer wieder furchtsam um, als würde die Schattengestalt noch in der unmittelbaren Nähe lauern. Sie zeigte sich nicht. Mit dem Fuß trat Suko die Schlafzimmertür bis zum Anschlag auf. Sein Blick fiel in den hell eingerichteten Raum. Die Deckenlampe streute weiches Licht über die Wände, das Bett und den Schrank. Bei dieser Beleuchtung hätte der Schatten zu sehen sein müssen. Suko erkannte nichts dergleichen. Da nichts passierte, wagte sich Shelly Wagner auch vor. Sie schob sich an Suko heran, drückte sich dann vorbei und bewegte ihren Kopf nach rechts und links. »Leer!« stammelte sie. »Das denke ich auch.« Shelly holte tief Luft. »Aber er war hier, Inspektor. Das müssen Sie mir glauben. Ich habe mir seine verfluchte Gegenwart nicht einfach eingebildet. Er ist hier in meiner Wohnung gewesen. Er hat auf mich gelauert, um mich zu töten. Wenn Sie den Hauch gespürt hätten, dann hätten Sie ebenso gedacht wie ich.« »Das kann ich mir denken.« Shelly rang ihre Hände. »Was. . . was soll ich denn jetzt machen?« hauchte sie. »Erst einmal abwarten.« »Nicht verschwinden?« Suko nickte. »Es wäre nicht schlecht.« Sie deutete auf den Koffer. »Ich wollte ihn packen und in ein Hotel umziehen. Zumindest für die nächsten Tage. Da fühle ich mich sicherer.« Suko war nicht dieser Meinung. Er nannte ihr auch den Grund. »Wenn es der Schlitzer auf Sie abgesehen hat, Shelly, dann sind Sie nirgendwo vor ihm sicher. Er wird Sie immer finden, denn Sie müssen daran denken, daß er kein Mensch im eigentlichen Sinne ist, wenn er mordet.
Er ist ein Schatten, ein Phantom, ein Geist oder Gespenst, ein Mittelding aus all diesen Begriffen.« Sie hatte den Inspektor verstanden, nickte auch und fragte ihn dann: »Soll ich denn hier in der Wohnung bleiben?« »Für die nächste Zeit schon.« »Wie lange würde das ungefähr dauern?« Suko ging einen Schritt zurück bin in den Flur. »Keine Sorge, ich werde Sie nicht allein lassen. Ich bleibe bei Ihnen, und ich denke, daß er sich zunächst nur zurückgezogen hat, weil sich die Lage geändert hat.« Shelly runzelte die Stirn. »Dann meinen Sie also, daß er sich noch in meiner Wohnung oder zumindest in der näheren Umgebung aufhält? Ist das richtig?« »So könnte man es sehen!« Sie wollte etwas sagen, doch ihre Stimme fror ein. Da kam sie nicht mehr mit. »Wie viele Zimmer gibt es hier noch?« Shelly zählte sie auf. »Die kleine Küche, mein Arbeitszimmer, das größte übrigens, der Wohnraum, das Bad . . .« »Gut, fangen wir in der Küche an.« Sie war leer, das Wohnzimmer ebenso, und zuletzt betraten sie den Arbeitsraum, in dem noch das matte Licht brannte, was Suko allerdings nicht gefiel. Deshalb ging er hin und schaltete die Halogenleuchte an der Arbeitsplatte an. Deren kaltes Licht strahlte auch tiefer in den Raum hinein, als Suko die Lampe drehte. Es gab so gut wie keine Schatten mehr, und es gab auch keinen Schlitzer. »Er ist nicht mehr da!« flüsterte Shelly. Erleichtert ließ sie sich in einen Sessel fallen, schüttelte den Kopf, als könnte sie es noch nicht fassen, davongekommen zu sein. Wenig später aber schrak sie zusammen, als Suko alle Lichter gelöscht hatte. »Was . . . was tun Sie da?« schrie sie in der Dunkelheit. »Bitte ganz ruhig, nicht aufregen«, sagte der Inspektor. Er bewegte sich wie ein kompakter Schatten durch den Raum und blieb vor dem Fenster stehen, um noch in den Garten zu schauen. Es brachte nichts, vom Hellen in das Dunkle schauen, da war es umgekehrt schon besser. Da Suko gute Augen hatte, konnte es ihm schon gelingen, die eine oder andere Veränderung zu erkennen. Es war nicht völlig finster im Zimmer geworden. Auch durch die offene Tür fiel noch Licht. Es wurde aber dicht hinter der Schwelle von der Dunkelheit verschluckt. Shelly Wagner rührte sich nicht. Sie konnte sich nicht entscheiden, wohin sie schauen sollte, zum Fenster oder zur Tür hin, wo sich der helle Lichtstreifen ausbreitete.
Deshalb drehte sie des öfteren den Kopf und wechselte so, damit ihr nichts entging. Ihr Retter stand regungslos am Fenster und schaute nach draußen. Selbst in der Dunkelheit stellte Suko fest, daß der Garten vor dem Fenster nicht eben gepflegt aussah. Dort wuchsen die Sträucher wild, und die Kronen mächtiger Bäume überschatteten sie. Manchmal fuhr ein Windstoß in das Gelände hinein, dann spielte er mit den Zweigen und Ästen, bog sie herum, ließ sie zittern oder riß Blätter ab, die selbst in der Finsternis schimmerten und wie bleiche Gestalten dem Erdboden en tgegen trudel ten. Von einem Schatten sah er nichts. Was nicht hieß, daß er nicht auch draußen lauerte. Es gab dort einfach zu viele Verstecke für ihn, und Suko konnte sich auch vorstellen, daß Hindernisse nicht für ihn zählten. Es existierten keine Mauern, keine Wände, er nahm überhaupt keine Rücksicht auf irgendwelche Festkörper, glitt durch alles hindurch und brachte auch seine gefährliche Mordwaffe mit. Suko wartete. Er gehörte zu den Menschen, die auch in einer hektischen Zeit Geduld aufbringen konnten, was bei Shelly nicht der Fall war. Unruhig bewegte sie sich in ihrem Sessel und konnte ihre Frage nicht mehr zurückhalten. »Was ist? Sehen Sie etwas, Inspektor?« »Nichts Verdächtiges.« Shelly atmete auf. »Dann ist er weg?« »Das will ich nicht sagen«, erwiderte Suko, ohne sich umzudrehen. »Er kann sich auch versteckt halten, um auf einen günstigen Augenblick zu warten, in dem er dann zuschlägt.« Die Antwort hatte Shelly nicht gefallen. »Dann sollten wir doch das Haus verlassen.« »Noch nicht.« Suko blieb gelassen. »Es kann auch sein, daß er das nur will.« Ihre Handflächen fuhren über die Oberschenkel. »Wieso nur will? Ich verstehe das nicht.« »Ganz einfach. Wenn er uns aus dem Haus gelockt hat und wir zum Beispiel in meinem Wagen sitzen, befindet er sich im Vorteil. Da können wir uns weniger wehren. Es wäre also unklug, diese Mauern zu verlassen, die uns noch einen Schutz gewähren.« Shelly Wagner wunderte sich darüber, daß sie noch lachen konnte. »Mauern ist gut, Inspektor. Die existieren doch für ein Wesen wie diesen Schlitzer nicht.« »Das stimmt schon. Trotzdem können wir uns hier besser bewegen.« Suko veränderte seinen Platz, ohne allerdings die unmittelbare Nähe des Fensters zu verlassen. Er wollte nur aus verschiedenen Winkeln in den Garten schauen. Es war draußen nicht stockfinster. Natürlich fiel auch Licht aus den anderen Wohnungsfenstern, doch dieser Schein war schwach. Dahinter
lag die Finsternis wie eine Wand, in die schattenhaft der Wirrwarr der Büsche und Baumäste hineinragte. Weiter entfernt standen die nächsten Häuser. Die dort leuchtenden Lichter sahen aus wie Sterne irgendwo im All. In dieser Gegend war die Bebauung eben nicht so dicht. Das hatten die Menschen gewollt, das konnten sie sich finanziell auch leisten, nur mußten sie auch damit rechnen, einsam zu wohnen und Ziele irgendwelcher finsterer Gestalten zu werden. Die Zeit war vergangen und hatte Shelly den Schrek-ken etwas vergessen lassen. Wieder drehte sie den Kopf, um auf die Tür zu blik-ken. Sie hatte schon die Beine angezogen, weil sie sich erheben wollte, als sie den Schatten bemerkte, der den hellen Lichtstreifen durchfuhr und dabei nicht einen Laut abgab. Sie erstarrte. War er das? Aus weit geöffneten Augen schaute sie gegen die offenstehende Tür. Sie sah keine Bewegung mehr, der Schatten hatte sich wieder zurückgezogen, doch sie glaubte fest daran, ihn sich nicht eingebildet zu haben. Als Suko ihren röchelnden Atemzug hörte, drehte er sich um. »Was haben Sie, Shelly?« Die Frau drückte sich zitternd aus dem roten Ledersessel hoch. »Ich . . . ich habe ihn gesehen, glaube ich.« Suko war mit zwei langen Schritten bei ihr. »Wo denn?« Shelly zeigte auf die Tür. »Dort . . .« »Sind Sie sicher?« »Ja, schon!« Suko machte einen Schritt auf die Tür zu und drückte Shelly gleichzeitig zurück. »Bleiben Sie bitte hier!« flüsterte er. »Ich werde allein nachschauen.« »Und wenn er Sie tötet?« »So leicht bin ich nicht unterzukriegen.« Suko grinste verzerrt und bewegte sich lautlos weiter. Über seinen Nacken strich eine kalte Haut, er wußte sehr genau, daß die Gefahr sich verdichtet hatte, denn er glaubte nicht an eine Täuschung der Frau. Mit der linken Hand umfaßte er den Türrand, ohne sie noch weiter aufzuziehen. Erwartete . . . Nichts war zu hören. Suko zog nicht seine Beretta. Er verließ sich auf die Peitsche. Aus großen Augen schaute Shelly zu, wie der Inspektor den Kreis über dem Boden schlug, damit die drei Riemen freie Bahn hatten. Sie fielen hervor, berührten für einen Moment den Boden und wurden wieder angehoben. Shelly lagen Fragen auf der Zunge, die sie nicht stellte, sondern starr zuschaute, was ihr Lebensretter in den folgenden Sekunden tat. Suko riß die Tür auf.
Ein Sprung brachte ihn über die Schwelle. Es sah für die Beobachterin so aus, als hätte sich eine Schattengestalt aus dem Dunkel der Hölle in das Licht katapultiert. Mit der Schulter prallte Suko gegen die Wand, drehte sich dort mit einer geschmeidigen Bewegung und schaute in die Türrichtung. Vor dem Ausgang stand der Schlitzer! *** Als Bill Conolly seine x-te Runde durch den Wohnraum gedreht hatte und wieder einmal mit gerunzelter Stirn und in die Taschen geschobenen Händen stehenblieb, um in den Garten zu starren, wurde es seiner Frau Sheila zuviel. »Willst du nicht endlich mit dieser Lauferei aufhören, Bill?« »Warum?« »Weil es dich und auch mich nervös macht.« »Stimmt.« Sie legte ihm die Hände auf die Schultern. »Okay, du bist nervös, ich bin es ebenfalls, und ich frage mich, was man dagegen unternehmen kann.« Bill lächelte, und Sheila sah es im schwachen Spiegelbild in der Scheibe. Seine Antwort hatte nichts mit der vorherigen Bemerkung seiner Frau zu tun. »Ob John das Haus schon erreicht hat?« Jetzt lachte Sheila. »Das also ist dein Problem?« »In der Tat.« »Ich weiß es nicht.« »Deshalb sollte man nachschauen.« Sie verstärkte den Druck ihrer Hände. »Wie ich dich kenne, willst du es übernehmen.« »Es würde mir schon gefallen«, gab er zu und nickte. »Kann sein, daß John Schwierigkeiten bekommt. Außerdem habe ich die Sache ins Rollen gebracht, wenn du dich daran erinnerst.« Sheila seufzte auf. »Ja, ich kenne dein Problem, Bill. Okay, fahr hin und schau dir . . .« »Nein, ich werde gehen. Ein Spaziergang hat noch niemandem geschadet.« Er drehte sich um und lächelte ihr ins Gesicht. »Was ist mit dir? Willst du nicht mitkommen?« »Ich?« Ihre Augen weiteten sich. »Nein, Bill, wie kommst du denn auf mich?« »Da kannst du auf mich achtgeben.« Sheila schaute nach draußen in den Garten, wo Lampen ihr goldenes Licht verstreuten. Sie stellte auch fest, daß es nicht mehr regnete. Nur die Pflanzen und anderen Gewächse schimmerten noch naß. »Es ist mir egal, Bill, wenn du willst.«
»Zieh dir was über und komm.« Er schnippte mit den Fingern. »Was ist eigentlich mit unserem Herrn Sohn? Wann kommt er nach Hause?« Sie hob die Schultern. »Ich habe keine Ahnung und weiß nur, daß bei einem Klassenkameraden heute abend ein großes Treffen stattfindet, sogar mit Lehrern.« »Okay.« Es dauerte wirklich nicht lange, bis sich die beiden etwas übergezogen hatten. Sheila wickelte sich in den weichen Kaschmirmantel, dessen Stoff rehbraun glänzte. Bill verließ sich auf die dicke Lederjacke. Die Waffe steckte er ebenfalls ein. Er war nur kurz in seinem Arbeitszimmer gewesen und hatte sich dort die goldene Pistole geholt. Man konnte sie durchaus als eine ultimative Waffe bezeichnen, denn sie verschoß einen Schleim, der sich um den Getroffenen legte und ihn auflöste. Sogar von seinen Knochen blieb nichts mehr zurück. Manchmal fürchtete sich der Reporter selbst davor, aber er würde sie auch nie aus der Hand geben. Eine normale Pistole nahm er ebenfalls mit, steckte sie vor Sheilas Augen ein, die ihn nur skeptisch anblickte, wobei sie sich eines Kommentars enthielt. »Wir können«, sagte Bill und öffnete die Haustür. »Ist gut.« Kalte Luft empfing die beiden. Die Feuchtigkeit legte sich wie ein Mantel um ihren Körper. Sie sahen den Atem vor ihren Lippen, der nie abreißen wollte. Durch den abendlich ruhigen Garten gingen sie dem Tor entgegen, das elektrisch, aber auch mit einem normalen Schlüssel geöffnet werden konnte. Bill hatte den Schlüssel eingesteckt und schloß auf. Die Straße lag so ruhig wie eine Schneise vor ihnen. Kein Autoverkehr mehr. Die Menschen hockten bei diesem Wetter in ihren Häusern, die versteckt auf den oft großen Grundstücken lagen. Hin und wieder fielen von den Blättern über ihnen Tropfen herab, erwischten sie oder pitsch-ten in kleine Pfützen. Die Conollys wohnten hier schon lange genug, um sich perfekt auszukennen. Deshalb brauchten sie auch nicht den offiziellen Weg zu nehmen, sondern konnten sich auf bestimmte Abkürzungen verlassen. Das waren schmale Stichwege, die Grenzen zwischen den Grundstücken öffneten und irgendwo immer wieder zusammenliefen. Manche waren so schmal, daß Buschwerk rechts und links über Mauern oder Zäune hinweg wuchs und mit ihren nassen Blättern über die Körper hinwegstrichen. Beide bemühten sich, leise zu gehen, was kaum möglich war, denn immer wieder glitten ihre Füße durch Pfützen, dann patschte das Wasser hoch. Sie schoben auch nasses Laub vor sich her, und noch immer umfaßte sie die feuchte Luft.
Auch wenn die einzelnen Häuser ziemlich weit voneinander entfernt standen, existierte trotzdem ein Gebiet, das noch einsamer war. Und ausgerechnet dort lebte James Freeman. Sheila hatte sich bei ihrem Mann eingehakt. »Wenn man nur wüßte, was er für ein Typ ist«, murmelte sie. Bill mußte leise lachen. »Du hast ihn doch gesehen und wiedererkannt, nicht ich.« »Ja, ich weiß. Aber . . .« Er schüttelte den Kopf. »Klar, daß du nicht herausfinden kannst, was und wer er ist. Aber du hast einen ersten Eindruck gewonnen. Sagt man nicht immer, daß der erste Eindruck der beste ist?« »In diesem Fall wohl nicht.« »Weshalb nicht?« »Er war mir nicht unsympathisch.« Bill schaute nach rechts. Sheila hielt den Kopf gesenkt. Wegen der Feuchtigkeit hatte sie ein Tuch über die Haare gebunden. »Hast du denn mit ihm gesprochen?« »Nein, das nicht.« »Dann war deine Behauptung schon ziemlich mutig.« »Ja, das mag sein. Ich sah ihn nur für wenige Sekunden, er hat wohl gelächelt, glaube ich. Gleichzeitig kam er mir auch etwas düster vor, wenn ich recht darüber nachdenke.« »Kennst du auch den Grund?« »Nein oder ja.« »Was denn nun?« »Vielleicht hat es auch an seiner Kleidung gelegen. Sie war zumindest dunkelbraun oder grün. Wenn nicht schwarz.« Sheila schüttelte den Kopf. »Frag nicht mehr, ich weiß es nicht.« Bill hielt sich daran. Zudem mußte er sich orientieren, denn in der nächtlichen Dunkelheit wirkte die Gegend auf ihn beinahe unbekannt. Er war stehengeblieben, schaute zu, wie von verschiedenen Seiten Wege zusammenliefen, die ihn aber nicht interessierten, denn vor ihnen lag ein Stück Wildnis, ein freies Grundstück, möglicherweise auch mehrere, denn der freie Platz war kaum zu übersehen und mit einem dichten, hohen Teppich aus Gras und Unkraut bewachsen, der von kleineren Bäumen oder Buschgruppen überragt wurde. Bill deutete nach vorn. »Da hinten«, flüsterte er, »da hinten muß es irgendwo sein.« »Ich sehe Licht, wenn auch nur schwach.« »Gut. Dann gehen wir querfeldein.« »Viel Spaß.« Bill grinste. »Egal, Pfadfinder kennen keinen Schmerz. Außerdem haben wir gutes Schuhwerk an.« Sie liefen durch das hohe, nasse Gras, das manchmal bis weit über ihre Knie hinwegreichte. Es klatschte gegen Bill und Sheilas Hosenbeine,
und des öfteren streiften sie mit den Schultern auch an feuchten Gestrüppzweigen entlang, wobei sich dann Wassertropfen lösten und sie benetzten. Das Haus sahen sie nicht. Beide orientierten sich ausschließlich am Lichtschein. Beim Näherkommen konnten sie feststellen, daß mehrere Fenster erleuchtet waren. »Sieht alles normal aus«, murmelte Sheila. Bill nickte. »Hoffentlich hast du auch recht.« »Warum soll ich nicht?« »Keine Ahnung.« Er stampfte weiter. Unter seinen Tritten brach nasses und rutschiges Geäst entzwei. Er schaute nach vorn und entdeckte einen breiten schimmernden Strich, der vor dem unbebauten Grundstück wie ein Querbalken lag. »Die Straße«, murmelte Bill und blieb an deren Rand stehen. »Das ist günstig.« Sheila räusperte sich. »Wir sind zu weit gelaufen und müssen nach rechts.« »Ja, du hast recht.« Auf der nassen Straße gingen sie weiter. Keine Laterne leuchtete ihnen. Eine dunkle Spur schien direkt ins Nichts zu führen oder zu einem einsamen Licht, das sie lockte und sie schon sehr bald als Außenleuchte identifizierten. Beide blieben stehen, als sie den nassen Rover des Geisterjägers entdeckten. »Er ist also da«, sagte Bill, wobei Zufriedenheit in seiner Stimme mitschwang. »Bist du jetzt beruhigt?« Der Reporter verkniff sich eine Antwort, was Sheila nicht paßte, denn sie wiederholte die Frage. »Nein, ich bin nicht beruhigt.« »Das hätte mich auch gewundert.« »Wieso?« Sheila schob ihre Hand unter seinen Arm. »Bill, ich kenne dich ziemlich lange, und ich weiß auch, daß dir dieses Haus nicht gefällt. Habe ich recht?« »Hast du. Es gefiel mir schon nicht bei Sonnenschein, und in der Dunkelheit gefällt es mir erst recht nicht.« »Was stört dich?« Bill hob die Schultern. »Soll ich dir sagen, daß es die Ausstrahlung der Mauern ist?« »Nein, ist mir zu hoch.« »Mir auch, aber ich kann es dir anders nicht erklären.« Er schüttelte sich, holte Luft, schaute sich um und hörte die Frage seiner Frau. Sheila wollte wissen, ob sie den Rückweg antreten sollten. »Nein, auf keinen Fall!« »Dann willst du hier warten, bis John wieder das Haus verläßt?« Bill schüttelte den Kopf. »Nein, das würde mir nicht bekommen. Auf keinen Fall. Ich habe eher das Gefühl, nachschauen zu müssen, wie es unserem Freund geht.«
Sheila hatte zwar mit einer ähnlichen Antwort gerechnet, mußte sich zunächst aber räuspern, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. »Du willst tatsächlich bei Freeman klingeln?« »Ja.« »Und dann?« »Werde ich versuchen, meine Kreativität einzusetzen.« Er lächelte kalt. »Ich werde ihm erzählen, daß ich mich mit John verabredet habe. Mal sehen, wie er reagiert.« »Denk daran, wer er ist.« »Keine Sorge, Sheila, das habe ich nicht vergessen.« Er nickte entschlossen, bevor er auf den Eingang des Hauses zuschritt, wie ein finsterer Schatten, der sich auf das Licht zubewegte, um zunächst mal eine neue Welt kennenzulernen. Sheila blieb zurück. Erst als ihr Mann im Licht stand und schellte, setzte auch sie sich in Bewegung. Warum klopfte mein Herz plötzlich so schnell? fragte sie sich. Was ist mit mir los? Sie wußte die Antwort. Sheila hatte Angst! *** Ich spürte die Schmerzen in meinen Beinen, besonders in den Füßen. Was sollte ich tun? Ich konnte mich ja nicht einmal bewegen. Schreien war auch nicht drin. In meinem Kopf zuckte es auf. Links und rechts waren die Stiche zu spüren, der Nacken war steif, er schmerzte, und meine Zunge lag wie ein alter Lappen im Mund. Auf den Lippen spürte ich einen ungewöhnlichen Druck. Als ich die Zunge vorstreckte, um sie zwisehen die Lippen zu drücken, da passierte gar nichts. Mein Mund war und blieb verschlossen, was nur bedeuten konnte, daß man mir einen Knebel verpaßt hatte. Das Wissen darum machte mich zwar nicht viel munterer, doch es jagte mir den ersten Adrenalinstoß durch den Körper und brachte zudem meine Erinnerung wieder auf Vordermann. Jemand hatte mich niedergeschlagen, und dieser Jemand war eine Frau gewesen — Lucy Freeman! Ihr Name hämmerte durch meinen Kopf wie meine Hacken auf den harten Metallstufen. Ich fluchte still in mich hinein, konnte dann den Druck unter meinen Achselhöhlen spüren und wußte, daß er von zwei Händen stammte, die mich hielten. Man schleppte mich weg, und da es eine Treppe hinabging, würde ich wohl in einem Keller landen. Auch das noch . . .
Bei dem Wort Keller klickte es wieder in meinem Hirn. Ich erinnerte mich daran, daß Bill bei unserem Gespräch von einem Keller gesprochen hatte, den Freeman sich hatte anlegen wollen. Auch die letzte Stufe überwanden meine Hacken, ich wurde noch ein Stück weitergeschleift und kam dann zur Ruhe. Die Person hinter mir ließ mich los. Ich hatte Angst davor, zu hart mit dem Hinterkopf aufzuschlagen, doch die Frau zeigte sich gnädig, sie stützte meinen Kopf ab. Ich hörte ihre Schritte, verfolgte auch den Lauf, und als die Geräusche verstummten, öffnete ich die Augen. Lucy Freeman stand vor mir! Es dauerte etwas, bis ich sie richtig erkannt hatte, denn mein Blick mußte sich erst klären. Sie trug noch immer ihr grünes Kleid, hinter den Brillengläsern funkelten die Augen, und sie hatte beide Hände in die Seiten gestemmt. Sie war der lebende Triumph! Daß ich sie so gut erkennen konnte, dafür sorgte das kalte Licht einer Leuchtstoffröhre unter der Decke. Es knallte auf uns nieder, aber auch auf dem mit dunklem Estrich bestrichenen Kellerboden, der mir so kalt wie ein Grab vorkam. Sie sagte kein Wort und beobachtete mich nur. Hin und wieder bewegte sie die Lippen, als würde sie auf einem Gummi kauen, ich konnte mich um mich selbst kümmern und stellte fest, daß man mir nicht nur die Hände, sondern auch die Beine gefesselt hatten. Meine Hände lagen auf dem Bauch. Die Gelenke waren ebenso wie die Fußknöchel durch breite Klebebänder zusammengebunden. Die konnte höchstens Herkules zerreißen, und das gleiche Klebeband spannte sich auch über meine Lippen. Lucy Freeman kannte sich aus. Auf diese Frau konnte sich James bestimmt verlassen. Und sie war zufrieden, was mir ihr Lächeln andeutete. Die folgenden Worte unterstrichen dies noch. »So ergeht es allen Schnüfflern, die sich in unsere Angelegenheiten einmischen wollen.« Ich konnte keine Antwort geben, nur dumpfe Geräusche wurden in meiner Kehle produziert, worüber sich Lucy amüsierte. Später schüttelte sie dann den Kopf und kniete sich neben mir hin. Ich wußte, was sie vorhatte und vereiste innerlich, als sich ihre Hände meinem Gesicht näherten. »Keine Sorge, Bulle. Ich werde Ihnen den Knebel bald abnehmen.« Mit einer Hand faßte sie das linke Ende des Klebestreifens an, zog es hoch und zerrte das Band dann mit einem heftigen Ruck von meinen Lippen weg. Es tat höllisch weh. Die Lippen rissen, Blut spritzte, und das Gesicht über mir verzog sich zu einem Lächeln. »Wer Erfolg haben will, muß leiden, Sinclair. Und Sie werden viel erdulden müssen, darauf können Sie sich verlassen.« Kalt und böse
funkelte sie mich an. In ihren Augen leuchtete Haß. Ich mußte für sie wirklich so etwas sein wie das Weihwasser für den Teufel. Mit der Zungenspitze leckte ich die Blutstropfen von den Lippen. Über mir leuchtete die Lampe wie eine kalte Sonne, in die ich nicht hineinschauen konnte, weil dabei meine Augen schmerzten. »Ich glaube, daß Sie einen Fehler machen, Lucy. Einen verdammten Fehler, sogar.« Sie schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht.« »Was haben Sie denn vor? Wollen Sie mich umbringen?« »Ich nicht.« »Wer dann?« Ich bekam keine direkte Antwort. »Sie werden sterben, Sinclair, das steht fest. Ja, Sie müssen sterben, aber auf eine besondere Art und Weise. Mein Bruder wird sich um Sie kümmern. Er wird Ihr Verhalten studieren, auch das vor und in den Sekunden des Todes. Ist das nicht wunderbar?« »Wohl kaum.« Herrisch winkte sie ab. »Kommen Sie, Sinclair, Sie haben es sich selbst zuzuschreiben. Sie hätten Ihre Schnüfflernase nicht in gewisse Dinge hineinstecken sollen, dann brauchten Sie jetzt nichts zu bereuen. In diesem Fall sind Sie einen Schritt zu weit gegangen.« »Überhaupt nicht zu weit. Es ist mein Job, Lucy. Nicht mehr und nicht weniger.« »Er wird Sie noch umbringen.« »Dann kann ich es nicht ändern.« Sie kicherte. »Gleich wird mein Bruder hier erscheinen, Schnüffler. Er wird sich um Sie kümmern. Freuen Sie sich schon auf seinen allerneuesten Test.« Sie ging zur Seite und sagte nichts mehr. Ich lag auf dem Rücken und konnte nicht nur gegen die Decke, sondern auch gegen die Metalltreppe schauen, über die man mich geschleift hatte. An ihrem oberen Ende sah ich eine geschlossene Tür. Obwohl ich den Keller nicht kannte, wußte ich doch, daß ich nur einen kleinen Ausschnitt überblicken konnte. Der größte Teil des Raumes mußte hinter mir liegen, und hier unten befand sich auch die Höhle des Löwen. Wie diese Höhle allerdings aussah, konnte ich höchstens ahnen. So wartete ich, merkte, daß die Schmerzen in meinem Schädel nicht mehr so schlimm waren. Aber ich mußte feststellen, daß ich meinen Hals kaum bewegen konnte, nur unter großen Schmerzen. Sie hatten mich kalt erwischt, und sie würden mich auf ihre grausame Art und Weise töten. An den Fesseln gab es nichts zu lockern. Die breiten Klebebänder hielten mich eisern fest. Allerdings fiel mir etwas anderes auf. Es war die Unruhe der Lucy Freeman. Immer wieder schaut sie auf die Uhr, um
danach einen Blick in meine Richtung zu werfen, wahrscheinlich zu einem Ziel, das sehr wichtig war und in meinem Rücken lag. Was es war, wußte ich nicht. Auch wenn ich zur Seite schielte, konnte ich nichts sehen, denn auf dem glatten Boden spiegelte sich kein Gegenstand. Und auch die Wände waren so glatt wie ein Spiegel und ebenfalls schattenlos. Ich mußte also warten. Und Lucy wartete ebenfalls. Ihre Unruhe nahm nicht ab. Sie steigerte sich von Sekunde zu Sekunde, manchmal flüsterte sie etwas, das ich nicht verstand, und ich sprach sie an. »Läuft es nicht so, wie Sie es sich vorgestellt haben, Lucy?« Sie warf mir einen kalten und wütenden Blick zu »Für Sie wird es noch immer reichen.« »Wie Sie meinen.« Ich wollte die Lage nicht weiter zuspitzen. Hätte ich zuviel gesagt, wäre sie womöglich so wütend geworden, daß sie ihre Wut und ihren Haß durch Tritte an mir ausgelassen hätte, und diese vermeidbaren Verletzungen wollte ich auf keinen Fall riskieren. Statt dessen freute ich mich über ihre Unruhe, die sie einfach nicht verbergen konnte. Sie begann durch den Keller zu wandern, wobei sie vor sich hinmurmelte und mir hin und wieder knappe, haßerfüllte Blicke zuwarf. Für mich stand fest, daß nicht alles so gelaufen war, wie sie es sich vorgestellt hatte. Dann hörte ich das dumpfe Klopfen! Es war hinter mir aufgeklungen. Kaum hatte die Frau das Geräusch vernommen, zuckte sie zusammen und unterbrach ihre Wanderung. Sie hatte mir ihr Profil zugewandt, so daß ich sie gut erkennen und auch die Erleichterung auf ihrem Gesicht sehen konnte. Sie nickte mir zu. »Jetzt ist es soweit, Sinclair. Jetzt wird dein Ende eingeläutet.« Bevor sie irgend etwas anderes tat, kam sie zu mir, bückte sich und drehte mich nicht eben rücksichtsvoll herum, damit ich in eine andere Richtung schauen konnte. Mein Blick fiel jetzt in die Tiefe des Kellers hinein, und ich konnte nur staunen. Ich hatte mit vielen Dingen gerechnet, aber nicht mit dem, was ich tatsächlich zu sehen bekam. Das helle Licht fiel auf einen gewaltigen Metalltank, der durch einen Stahlständer gehalten wurde und zu dessen seitlichem Ende ebenfalls eine Leiter hinführte. Sie endete vor einer runden Stahltür, die sicherlich nur durch eine große Kraftanstrengung aufgezogen werden konnte. Aus dem Tank waren die Klopfgeräusche gekommen. Ich brauchte nicht mehr lange zu warten, um den zweiten Teil des Rätsels zu erleben. Von innen her wurde die Tür geöffnet. Ich hörte ein schwappendes Geräusch, als sie aufgedrückt wurde, sah kein Licht in
dem Tank, dafür aber die Umrisse einer gebückten Männergestalt, die auf den Ausgang zukam. »James!« rief seine Schwester. Ja, es war James Freeman, und auch ich hatte ihn sofort erkannt. Nur war er diesmal nicht bekleidet, sondern völlig nackt, und über seinen Körper rann eine blasse Flüssigkeit, die aussah, als hätte sie sich auf seiner Haut gespiegelt. Geduckt schob ersieh weiter, setzte einen Fuß auf die oberste Stufe und mußte dort verweilen, weil er sich schwach fühlte. Das stellte auch seine Schwester fest, die noch einmal den Namen des Mannes rief, bevor sie die kleine Treppe hoch und zu ihm eilte. Dort stützte sie ihn ab und führte ihn dann die Stufen wieder nach unten. Der Mann bewegte sich zitternd. Selbst das helle Licht konnte die mausgraue und leicht glänzende Farbe seiner Haut nicht verändern, und mir fiel auf, daß er blutete. Die Flüssigkeit rann aus zwei Kopfwunden hervor, die zu schmerzen schienen, denn er hatte das Gesicht verzogen. Lucy war aufgeregt. Sie sprach ihn immer wieder an. »James, was hast du? Was ist geschehen?« Sie redete, als wäre für sie eine Welt zusammengebrochen. »Hör auf, Lucy.« Er konnte es nicht mehr hören und befreite sich von seiner Schwester. Noch immer standen die beiden auf der Treppe, was sich bald änderte, denn Lucy führte ihren Bruder auch den Rest der Stufen hinab. Er erholte sich zusehends, ging auch nicht mehr so gebückt. Und dann sah er mich! Er sagte nichts, er blieb stehen, starrte mich an, so daß ich den Eindruck hatte, aus seinen Augen würde die tiefe Dunkelheit wie der Schrecken persönlich gegen mich strömen, um mich in seinen Bann zu ziehen. Ich konnte den Blick richtig deuten. Es gab keinen Zweifel, daß mich James Freeman erkannt hatte, was er auch kurze Zeit später bestätigte. Nur ein Wort sagte er: »Du!« Es reichte für ihn, für mich, aber auch für Lucy, die sich zuerst keinen Reim auf die Bemerkung machen konnte und den Kof schüttelte. »Sag nur nicht, daß du ihn kennst.« »Doch, Lucy, doch.« »Woher denn?« Auf seinen Lippen zeigte sich ein faunisches Grinsen. »Ich kann es es dir sagen, mein Schatz. Wir beide kennen uns vom Friedhof her. Es liegt noch gar nicht lange zurück.« »Ist er dein Feind, James?« »Schlimmer geht es nicht. Er schoß sogar auf mich, aber es war nicht ich, den er traf.« Freeman kicherte hohl. Er rieb seine Hände. »Hast du ihn erwischt, Lucy?«
»Ja, ich war es. Er stellte plötzlich dumme Fragen, die ich nicht zulassen konnte.« »Das hast du gut gemacht, sehr gut sogar. Ich wußte ja, daß ich mich auf dich verlassen kann.« »Das kannst du, James.« Freeman ließ seine Schwester stehen und kam schleichend auf mich zu. Dabei wischte er das Blut aus seiner Stirn und hockte sich nackt neben mich. Er glotzte mich an. Ich schaute hoch und sah in sein Gesicht, das so dick und rund wirkte, wahrscheinlich deshalb, weil er die dunklen Haare glatt zurückgekämmt hatte. Er zeigte mir seine Zunge, die aussah wie graublaues Eisen. »Ekel!« flüsterte er. »Ekel empfinde ich vor dir, Bulle.« »Er heißt Sinclair«, soufflierte seine Schwester. »Egal, der Ekel bleibt.« Mit zwei Fingern seiner rechten Hand faßte er zu und preßte die Haut auf meiner Wange zusammen. Ich verzerrte den Mund, weil mir der böse Schmerz durch das Gesicht schoß, und ich hörte auch das Lachen des Dr. Freeman. »Ja, du bist in Ordnung«, sagte er. »Du bist noch voll dabei. Deshalb wird das Erleben für dich doppelt so stark sein.« Ich holte einige Male Luft. »Können Sie mir sagen, was Sie mit mir vorhaben?« »Ja, das kann ich.« Er drehte sich, blieb aber auf den Füßen hocken und deutete auf den Tank, dessen Einstieg noch immer offenstand. »Dort hinein werde ich dich stecken!« »Und dann?« »Ich gehe mit.« »Soll ich mein Bewußtsein erweitern?« Die Frage war nicht so ernst gemeint, doch ich hatte ins Schwarze damit getroffen, denn Freeman nickte. »Das ist der Fall. Du wirst erleben, wie man sich verändern kann. Du wirst alles vergessen, was du als Mensch bisher mitgemacht hast.« »Kannst du mir das erklären?« Freeman wollte nicht. Er schaute seine Schwester an. »Haben wir denn Zeit?« »Jetzt bestimmt.« »Gut«, sagte er und gab seine unbequeme Haltung auf. Er setzte sich auf den kalten Estrich. »Ich werde dir ganz genau erzählen, was passiert, Bulle . . .« *** Da stand der Schlitzer! Und da leuchtete auch das Messer wie ein weißes, spitzes Dreieck dem Inspektor entgegen. Er hatte die Gestalt als erste entdeckt und keinen Laut der Überraschung von sich gegeben. Anders reagierte Shelly Wag-
ner. Sie hatte einfach nicht im Zimmer bleiben wollen, war an die Tür getreten und schaute nach rechts. Sie sah die Gestalt! Ihr Schrei kreischte in Sukos Ohren. Der Inspektor drehte sich um. Er stieß die Frau zurück, denn jetzt durfte er keine Rücksicht mehr nehmen, denn es ging um Leben und Tod. Der Schlitzer bewegte sich. Es war eine sehr fließende Bewegung, als bestünde er aus einer Flüssigkeit, die an irgendeinem Gegenstand herab nach unten glitt. Er kam mit einem langen Schritt vor, und zum erstenmal spürte auch Suko den Eishauch, der von vorn her gegen ihn wehte und über sein Gesicht streifte. Das ließ ihn zaudern, er zuckte sogar zurück und sagte sich, daß er alles zeigen konnte, nur keine Angst. Auf so etwas wartete der Schlitzer nur. Plötzlich war er da. So schnell, daß er selbst Suko damit überraschte, und er brachte auch seine Klinge mit. Der Inspektor hatte den Eindruck, als würde sie auf ihn zuwehen. Er drehte sich zur Seite — viel Platz blieb da wirklich nicht —, schrammte mit dem Rücken über die Wand, tauchte ein in das Eis, wobei er gleichzeitig von der Hüfte aufwärts einen scharfen Schmerz verspürte, denn dort hatte ihn die helle Klinge erwischt und auch beim ersten Stoß mit spielerischer Leichtigkeit die Kleidung aufgetrennt. Der Schlitzer glitt vorbei. Suko schlug nicht zu. Er griff in den Schatten hinein, bevor der ihn passiert hatte, aber er griff nur in die kalte Luft, denn einen Körper bekam er nicht zu fassen. Der Schlitzer war ein flüchtiger Schatten, der sich jetzt herumdrehte. Suko war klar, daß er einem zweiten Angriff nicht mehr so leicht entgehen würde, er mußte selbst handeln, und er tat es mit der ihm eigenen Wucht. Obwohl er wenig Platz hatte, um ausholen zu können, ging Suko davon aus, daß er traf. Aus dem Handgelenk schlug er zu. Die drei Riemen jagten von unten her in die Höhe, sie fächerten auch auseinander, und sie trafen die Gestalt am Kopf. Für Suko sah es aus, als würde der Schädel von drei dicken Fäden umschlossen, und er hörte plötzlich einen gurgelnden, aber gleichzeitig sehr fernen Schrei. Der Schatten vor ihm geriet ins Zittern. Er zuckte hin und her, ein weiterer Schrei gellte in der Ferne auf, und als der Inspektor zu einem zweiten Schlag ausholte, da war die Gestalt verschwunden. Sie hatte sich in Windeseile aufgelöst. Suko schaute in einen leeren Korridor. Sekundenlang dachte er an nichts. Er beugte sich vor, merkte, daß er sich entspannte, und nun fiel ihm das Brennen an seiner rechten Hüfte erst richtig auf. Zwei Schritte
ging er auf die Lampe zu, weil er dort besser sehen konnte. Er sah das Blut und auch die zerrissene Kleidung. Glück gehabt, dachte er, nur ein Kratzer. Die Klinge hätte ihn auch aufschlitzen können. Ohne sich um Shelly vorerst zu kümmern, ging er ins Bad und fand dort in einem Schrank ein Pflaster, das er auf die Wunde klebte. Im Spiegel bekam er mit, wie die Tür aufgedrückt wurde. Vorsichtig, als hätte die Person Furcht davor, das Bad zu betreten. Oder war es der Schlitzer? Suko war schon kampfbereit, als er sich wieder entspannte. Nicht der Schlitzer betrat das Bad, sondern Shelly Wagner, die ihm gefolgt war und zitternd neben dem Waschbecken stehenblieb, ohne daß ein Wort über ihre Lippen drang. Suko nickte ihr zu. »Er ist weg. Ich habe ihn vertrieben, und er wird so schnell nicht mehr zurückkehren, nehme ich mal an.« »Ja«, flüsterte sie tonlos, »ja.« Dann fiel ihr Blick auf Sukos verpflasterte Hüfte. »Himmel, Sie sind ja verletzt!« Er winkte ab. »Keine Sorge, nur ein Kratzer, so ganz konnte ich der Klinge nicht entwischen.« »Tut es weh?« »Es läßt sich aushalten.« Er lächelte sie an. »Jedenfalls ist Ihnen nichts passiert, Shelly.« »Ja, schon, aber . . .« Sie hob die Schultern. »Wie geht es denn jetzt weiter?« »Das werden wir sehen«, sagte Suko. »Mal etwas anderes, Shelly. Haben Sie auch den Schrei gehört?« Sie runzelte die Stirn. »Einen Schrei, Inspektor? Was meinen Sie denn damit?« »Wie ich es sagte. Es war ein sehr entfernt aufklingender Schrei, wobei ich mir nicht sicher bin, ob er nicht doch von dem Schlitzer abgegeben worden ist.« »Der war doch bei Ihnen.« »Das ist richtig, und trotzdem habe ich mir den Schrei nicht eingebildet. Es sei denn, Sie haben ihn ausgestoßen.« »Nein, ich nicht. Wann war das denn genau?« »Als ich ihn mit meiner Peitsche erwischte.« Sie schüttelte den Kopf und betonte noch einmal, nichts gehört zu haben. »Ist auch egal«, sagte Suko. »Sie jedenfalls sind aus dem Schneider. Aber der Schlitzer existiert leider noch.« »Und was wollen Sie tun, Inspektor?« Suko lächelte. »Das weiß ich noch nicht genau. Jedenfalls werde ich nicht untätig bleiben . . .« Mir eröffneten sich neue, extreme und nie gekannte Welten, die mich erschreckten, auch wenn man sie mir zuerst nur in der Theorie darlegte, und das tat Dr. Freeman.
Ich wußte nicht, wie ich ihn einschätzen sollte. Als Genie oder als einen Wahnsinnigen. Wahrscheinlich war er beides und hatte diese beiden Hälften bis zur Perfektion herausgearbeitet. Er hatte mich gezwungen, auf den Tank zu schauen, denn von ihm war er begeistert. »Was das Raumschiff für den Astronauten, ist der Tank für das Bewußtsein des Menschen. Ungemein wichtig.« »Kann sein.« Er knurrte. »Es kann nicht nur so sein, es ist so. Denn ich habe es herausgefunden. Ich habe es erlebt. Er spaltete das Bewußtsein in Plus und auch in Minus.« Erst sah er die Skepsis, dann mein spöttisches Lächeln. Freeman strich wütend über seine glatten Haare. »Ich sehe, daß Sie mir nicht glauben, Sinclair. Viele haben mir nicht geglaubt, aber ich weiß auch, daß in geheimen Labors meine Forschungen nachgespielt werden. Es gibt nicht nur diesen einen Simulator. Nur gehöre ich mit zu seinen Erfindern, ich habe ihn auch weiterentwickeln können.« »Wie funktioniert er denn?« Die nächste Frage hatte ich sehr sachlich gestellt. »Wollen Sie es tatsächlich wissen?« »Ja.« Er grinste. »Ganz einfach. Man füllt ihn mit Wasser. Ungefähr einen Yard hoch, mehr nicht. Das heißt, es ist kein normales Wasser. Er wird angereichert durch eine zehnprozentige Magnesiumsulfatlösung, damit das spezifische Gewicht des Wassers erhöht wird. Dementsprechend erhöht sich auch der Auftrieb. Das Wasser muß auch auf eine Temperatur von 36 Grad erwärmt werden. Man hat herausgefunden, daß der menschliche Körper bei dieser Temperatur den größten Auftrieb hat. Es ist im Prinzip eigentlich alles.« »Das glaube ich nicht.« »Warum nicht?« Ich gestattete mir ein Lächeln. »Es sind nur die äußerlichen Voraussetzungen, der Versuchsaufbau gewissermaßen. Die eigentlichen Experimente folgen noch. »Stimmt.« »Die haben Sie an sich persönlich vorgenommen, Freeman. Oder auch an anderen Menschen?« »Nein, nur an mir.« »Sie steigen also in diesen mit Wasser gefüllten Tank?« »Stimmt.« »Was geschieht dann?« Er lächelte. »Die Luke wird geschlossen, der Mensch begibt sich in das Wasser und schwimmt in einer absoluten Dunkelheit, die der des Weltalls gleichkommt. Es gibt kein Licht, es gibt gar nichts, was die Person hätte ablenken können.« »Warum muß das so sein?«
»Ist das nicht klar? Man will sich von jedem anderen Reiz befreien. Man muß allein sein, man darf nichts riechen, nichts schmecken, man merkte ja sein Eigengewicht kaum, und man verliert das Gefühl für Raum und Zeit, Sinclair.« »Okay, das weiß ich jetzt. Nur frage ich mich, wozu das gut sein soll. Das gleicht schon einer Folter. Sie kennen den Begriff Dunkelheit, Doktor.« Er lächelte wissend. »Das hat man zuerst auch gedacht, als man mit den Versuchen begann, doch es stimmt nicht. Es gibt keine Klaustrophobie und auch keine Wahnvorstellungen, wie zunächst angenommen wurde. Vielleicht Augenblicke der Angst, das gebe ich zu, dann aber verschwindet das Gefühl für Raum und Zeit. Plötzlich merkt der Mensch, wie frei er sein kann. Er entdeckt neue Welten.« Freeman tippte gegen seine Brust. »Die inneren Welten, die Psyche, die Seele. Das ist wie ein Kick, und es ist auch nicht mit Halluzinationen zu vergleichen, die, wenn sie mal auftreten, nicht bedrohlich sind. Ich habe das alles erforschen können, es war ausgezeichnet. Ich war begeistert, so sehr, daß ich den Tank für mich nachkonstruiert habe. Zum Glück besaß ich genügend Geld, um mich unabhängig zu machen. An mir habe ich die Forschungen erweitert und bin bis zum Ziel gelangt. Aber es war ein langer Weg dorthin. Ich habe die Verhaltensforschung und die Psychologie verlassen und mich auf andere Dinge konzentriert, während ich in der Dunkelheit schwamm. Ich merkte, wie gut ich plötzlich wurde. Ich war nie ein blendender Mathematiker, plötzlich gelang es mir, komplette Themen der Mathematik zu begreifen. Ich konnte Aufgaben lösen, an denen ich früher verzweifelt wäre. Ich habe mich auch auf andere Gebiete konzentrieren können. Die Musik, zum Beispiel. Wenn ich im Tank lag, begriff ich sie. Ich wußte mit dem System der Noten umzugehen. Ich traute mir sogar zu, zu komponieren. Es war wunderbar, es ist nicht nur das, dieser Tank ist die Heilungsmethode der Zukunft. Schon jetzt sind Psychiater bereit, ihn sich in ihre Praxen zu stellen, um durch den Trip in die Dunkelheit ihre Patienten zu heilen. Aber auch andere Menschen, die sich einfach nur entspannen möchten, werden sich den Tank bestellen, denn man ist unglaublich entspannt. Eine Stunde im Wasser, dann haben sich die Hirnwellen so verändert, daß sie mit denen eines Mönches in tiefer Meditation zu vergleichen sind. Dieser Tank ist der Weg in die Zukunft, ist das realisierbare Wunder.« »Das ist bei Ihnen doch alles nicht eingetroffen, Freeman«, sagte ich. »Weshalb nicht?« »Sie haben getötet, geschlitzt. Sie sind der Schlitzer, Freeman, Sie sind ein Mörder.« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin ein Genie.« »Und Genies müssen morden?«
»Ja, es kommt, wie es kommt.« Er zog seine Beine an und legte die Hände um seine Knie. »Das ist eben der Lauf der Dinge, Sinclair. Außerdem bin ich weiter als alle anderen.« »Was bedeutet das?« »Ich habe die Grenze erreicht«, er legte eine kleine Pause ein, »und sie auch überschritten. Ich bin der einzige, der das geschafft hat, Mr. Sinclair, und das ist genial. Ich habe mich stundenlang in dem Tank aufgehalten. Sogar über Tage hinweg, und ich brauchte nicht einmal etwas zu essen, nur ein wenig zu trinken. Das Wasser war um mich herum, ich schluckte es, und ich erlebte, nicht aufgrund des Schlucks, sondern wegen der Länge der Zeit, die Dinge, auf die jeder Mensch so ungemein wartet. Ich erfuhr die absolute Öffnung des Bewußtseins. Ich sprengte alle Grenzen und Ketten, und ich war wie ein geistiger Flugkörper, der in die Unendlichkeit hineindüst. Ich erlebte mein eigenes Ich, wenn Sie verstehen, aber wahrscheinlich nicht.« »Da könnten Sie recht haben, Freeman. Ich denke da mehr an die tote Frau auf dem Friedhof. Die ist durch Sie umgekommen. Es war ein unnötiger, ein schlimmer, ein bizarrer Mord, wobei schon jeder Mord zuviel ist, der aber war es besonders. Da kann man nicht von einem Bewußtsein sprechen, zum Teufel!« Er lachte, und sein Gelächter hallte durch den Keller. Es bekam sogar einen metallischen Klang, als es von den Außenseiten des Tanks widerhallte. Konnte auch sein, daß ich es mir nur einbildete, doch den Grund für dieses Gelächter fand ich nicht heraus. Den erklärte er mir, als er das Lachen stoppte. »Sie haben vorhin den Teufel erwähnt. Das war gut, sehr gut sogar. Ich will nicht sagen, daß ich mit dem Teufel im Bunde stecke, ich glaube weder an ihn noch an Gott, nein, aber schon in Goethes Faust wurde doch gesagt: zwei Seelen stecken, ach, in meiner Brust. Und darauf sollten wir uns konzentrieren. Auch in Ihrer, Sinclair. Denken Sie an die beiden biblischen Begriffe wie Gut und Böse, die akzeptiere ich nämlich, sie gefallen mir vom sprachlichen und auch vom Hintergrund besser als Gott und Teufel. Bleiben wir also bei Gut und Böse. Normalerweise ist es nicht zu trennen. Es vereinigte sich in der menschlichen Seele. Es gibt Tage, wo einmal das Böse stärker ist, dann wiederum hat das Gute die Oberhand gewonnen. Mal hassen sie bestimmte Menschen, mal denken sie daran, welche zu lieben, mal ist es ihnen egal. Aber es ist wohl nie oder nur selten gelungen, die beiden Dinge voneinander zu trennen.« »Einspruch!« sagte ich. »Denken Sie doch nur an die psychiatrischen Kliniken.« »Das ist etwas anderes. Da hat die Natur nicht richtig gehandelt. Da ist deren Mathematik durcheinandergewirbelt worden. Ich spreche hier von anderen Dingen. Ich meine es bewußt. Es ist nicht gelungen, diese Trennung bewußt durchzuführen. Können Sie mir jetzt folgen?«
»Ich versuche es.« »Danke.« Er grinste scharf. »Aber ich habe es geschafft, Sinclair. Ja, ich bin derjenige gewesen, der die zwei Seelen, die in seiner Brust wohnen, auseinanderdividiert hat.« »Ja«, sagte ich, »Sie haben also in dieser Zeit, in der Sie im Wasser gelegen haben, alles geschafft, was man sich so erträumte. Sie sind zu einer zweigeteilten Persönlichkeit geworden, habe ich das richtig verstanden?« »Im Prinzip schon. Mein Körper lag im Wasser. Völlig ruhig, völlig entspannt, aber mein Bewußtsein ging auf Wanderschaft. Und das ist so eng mit meinem Körper verbunden, daß es, wenn es sich gelöst hat, auch dessen Gestalt annimmt. Ich kann meinen Körper also wieder nachformen, obwohl ich mit ihm gar nicht verbunden bin.« »Sie können den neuen Körper aber nicht kontrollieren!« erklärte ich. »Das stimmt. Er ist selbständig. Er ist einfach wunderbar, und er wird seinen Weg gehen. Wenn er morden will, ich meine die eine Seite, dann wird er es tun.« »Das habe ich leider erlebt. Aber was ist mit der zweiten Seite, Mr. Freeman, der guten?« »Die bleibt zurück.« »Wo? Im Körper?« »Ja.« »Dann geht also nur das Böse in Ihnen auf die Reise und macht sich selbständig.« »Ja.« »Sie töten?« »Ich nicht, mein Bewußtsein.« »Und Sie haben keine Gewissensbisse?« Er lächelte, und seine Augen bekamen dabei einen harten Glanz. »Nein, überhaupt nicht. Ich denke immer einen Schritt weiter, ich denke global. Stellen Sie sich vor, diese Tanks gingen in Serie. Man baut irgendwann riesige Maschinen, in denen Tausende von Menschen Platz haben, die im Wasser liegen und dem Bösen, was sich aus ihnen gelöst hat, freien Lauf lassen. Damit können Kriege entschieden werden, damit kann jemand, wenn er es richtig lenkt, die Herrschaft über diesen Planeten erreichen. Denken Sie mal an diese irrsinnigen Möglichkeiten. Man braucht keine Menschen mehr, um gewisse Dinge zu erledigen, man kann sich voll und ganz auf das böse Bewußtsein verlassen.« »Das ist Ihr Ziel?« »Ich arbeite daran. Und ich werde mich auch von keinem Menschen daran hindern lassen, es zu erreichen. Auch von Ihnen nicht, Sinclair. Sie sind weit gekommen, das gebe ich zu. Aber jetzt ist Schluß. Sie haben die Grenze überschritten, ich kann Sie aus diesem Haus nicht mehr herauslassen. Das müssen Sie verstehen, jetzt, wo ich Ihnen alles erklärt habe. Die meisten Menschen sind einfach nicht reif, um mit
meiner Erfindung und meiner Logik klarzukommen. Vielleicht in zwanzig oder fünfzig Jahren, doch jetzt nicht. Ich muß nun die Hindernisse aus dem Weg räumen, sonst kann ich den Plan begraben.« »Das können Sie sowieso, Freeman. Sie glauben doch nicht, daß ich ein Einzelgänger bin. Hinter mir steht eine Organisation mit dem Namen Scotland Yard, jeder Schritt, den wir nach vorn gehen, der ist abgesichert. Es wird schwer oder sogar unmöglich für Sie sein, einen Erfolg zu erreichen, das kann ich Ihnen versprechen. Sie haben nicht gewonnen, Mr. Freeman.« Er kaute nachdenklich auf der Unterlippe. Wieder hatte sich ein faunisches Lächeln um seine Lippen gelegt, und ich hatte den Eindruck, als hätte er mir nicht zugehört. Dann tastete er dorthin, wo die Wunden in seinem Gesicht nicht mehr bluteten und sagte: »Ja, ich glaube Ihnen sogar, daß Sie recht haben. Es braut-sich etwas zusammen. Sie haben versucht, das Netz zu ziehen. Ich habe es erlebt, als ich Shelly Wagner besuchte und sie töten wollte, diesmal bewußt töten wollte, denn sie hat mich verraten.« »Shelly lebt?« »Noch, Sinclair. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich sie aus dem Weg geschafft habe. Große Veränderungen verlangen auch ungewöhnliche Opfer, Sinclair. Das sollten Sie ebenfalls wissen. So leicht kann man mir nicht entkommen.« Ich drehte den Kopf so gut wie möglich. Es war nicht einfach, weil ich mich nicht drehen konnte. Mir fehlte einfach die Hilfe meiner Hände. Nach wie vor hatte ich es nicht geschafft, die engen Klebebänder zu weiten. Das schlug sich natürlich auf meinen Kreislauf nieder. Ich merkte, daß mein Blut nicht mehr normal floß und es sich an bestimmten Stellen staute. Soviel ich erkennen konnte, war der Keller leer. Lucy Freeman mußte ihn verlassen haben, ohne daß es von mir bemerkt worden war. Ihr Bruder und ich waren allein, und ich kam mir wie das Opfer vor, allein schon deshalb, weil ich sah, wie mich dieser Mensch anschaute. Er schaute mich nachdenklich an und hatte eine Hand zur Faust geballt, die er unter sein Kinn stemmte. Er lächelte noch immer, der Glanz in seinen Pupillen erinnerte mich an dunkles Wasser, das auf der Oberfläche einen leichten Glanz abgab. Sein Lächeln verschwand plötzlich, und mit einem Ruck erhob er sich. Nackt und wie eine Statue stand er vor mir, schaute auf mich herab und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger nach rechts auf den dort stehenden großen Tank. »Er bietet auch Platz für zwei Personen, Sinclair«, erklärte er und rieb seine Hände. »Ich habe mir lange überlegt, wie ich mit dir fertig werden soll und bin zu dem Entschluß gekommen, dich aus der Theorie hervorzureißen, um dir die Praxis zu zeigen. Wir beide werden den Tank gemeinsam besteigen.«
Ich sagte nichts. Mein Blick war auf den Tank gerichtet. Erst jetzt fielen mir die zahlreichen Leitungen auf, mit denen der Tank verbunden war. Sie lagen wie dünne, glänzende Schlangen auf dem Boden, durch sie wurde ihm die nötige Energie zugeführt. »Nun?« Ich hob die Schultern. »Eigentlich bin ich mit meinem Bewußtsein gut zurechtgekommen.« »Das glaube ich Ihnen, aber hier geht es um etwas anderes. Ich will auch erkennen, wie Sie reagieren. Ob Sie es tatsächlich schaffen, ihre Seele zu teilen. In jedem Menschen stecken Gut und Böse. Mal sehen, ob ich es aus Ihnen herausfiltern kann. Stellen Sie sich vor, die andere Seite in ihnen kämpft gegen ihre Freunde, zum Beispiel gegen einen Chinesen, der mein zweites Ich mit einer sehr unangenehmen Waffe angriff, einer Peitsche. Dabei blieben die Wunden in meinem Gesicht zurück, denn die Waffe zerstörte die andere Gestalt nicht.« »Das dachte ich mir.« »Warum?« »Es ist nicht alles normal, Freeman. Sie scheinen tatsächlich vom Bösen stark beeinflußt zu sein. Sie und dieser Geist. Und weil dies so gewesen ist, hat auch die Peitsche diese Wunden hinterlassen. Sie stellt sich gegen das Böse, gegen fremde Kräfte oder Magien. Es sind nur Verletzungen gewesen, normalerweise hätten die Riemen der Peitsche sie töten müssen. Da haben Sie Glück gehabt.« »Meinen Sie?« »Davon bin ich überzeugt.« Dr. Freeman ging nicht weiter auf das Thema ein. Für ihn war die Theorie vorbei, er bückte sich und zerrte mich auf die Beine. Ich blieb vor ihm stehen, er hielt mich fest, die Hände hatte er in meine Achselhöhlen geschoben. »Wir werden den Tank gemeinsam betreten, dabei bleibt es. Ich werde Ihnen auch die Fesseln lassen, denn das Wasser wird Sie tragen. Sie brauchen also nicht zu befürchten, daß Sie ertrinken. Nur wir beide in der Dunkelheit, und ich hoffe, es wird zu einer Trennung auch bei Ihnen kommen.« Nach diesen Worten ließ er mich los. Ich schwankte, stand auf der Kippe, aber bevor ich fallen konnte, war er um mich herumgegangen und hielt mich wieder fest. Er stand jetzt vor mir, bückte sich und wuchtete mich über seine rechte Schulter. Wie ein Paket trug er mich fort. Unser Ziel war der offenstehende Einstieg des Tanks . . . *** Lucy Freeman stand in der Küche, hatte nur das Licht an der Dunstabzugshaube eingeschaltet, trank einen Schluck Mineralwasser und schaute durch das Fenster nach draußen.
Was sie dort sah, gefiel ihr überhaupt nicht, denn sie hatte Besuch bekommen. Zwei Menschen interessierten sich für das Haus. Ein Mann und eine Frau. Beide waren noch zu weit entfernt, als daß sie hätten Einzelheiten erkennen können, aber das Interesse empfand Lucy schon als ungewöhnlich. Das war nie vorgekommen. Sie war froh darüber, den Keller verlassen zu haben. Erst hatte sie ja bleiben wollen, doch sie kannte ihren Bruder besser. Der würde mit Leichtigkeit einen Polizisten in seine Schranken weisen. Dieser Bulle würde letztendlich zu einem Spielzeug in der Hand eines James Freeman werden. Lucy wußte nicht, wie er ihn aus dem Weg schaffen wollte, aber sie vertraute James voll und ganz. Ihm fiel immer etwas ein. Das war es auch, was sie an ihm so bewunderte, und es hatte sich seit der Kindheit nicht verändert. Beide waren zusammengeblieben, denn sie konnten einander vertrauen. Es war ein anderes Vertrauen als das zwischen den Ehepartnern. Dieses hier ging tiefer, denn geschwisterliche Bande waren gleichzeitig auch Blutsbande, und die konnte niemand so leicht durchtrennen. Lucy schürzte die Lippen, als sie die beiden Besucher beobachtete, die sich wie Spaziergänger gaben. Sie sahen aus wie ein Ehepaar. Das konnte sie sofort erkennen, anhand vieler Bewegungen und Gesten, mit denen sie sich verständigten. Sie lächelte kalt. Spaziergänger konnten es nicht sein. Bei diesem Wetter verließ sowieso kaum jemand sein Haus oder seine Wohnung. Und wenn, dann verirrte er sich nicht in diese abgelegene Gegend. Das mußten schon andere sein, die mit einem bestimmten Ziel hergekommen waren. Sie schauten gegen das Licht der Außenleuchte und traten dann in den Schein hinein, der ebenfalls über ihre Gesichter huschte, und plötzlich erkannte Lucy sie. Gleichzeitig wurde sie unsicher, denn dieses Ehepaar wohnte tatsächlich in der Nachbarschaft. Zumindest die Frau hatte sie schon des öfteren beim Einkaufen gesehen, den Mann seltener, doch sie konnte sich an ihn erinnern, und ihre Anspannung schwand allmählich. Was die beiden da taten, sah tatsächlich nach einem harmlosen Spaziergang aus. Aber weshalb gerade heute, und warum hatte sie der Weg ausgerechnet zum Haus der Freemans geführt? Konnte sie das noch als normal ansehen? Lucy trat vom Fenster weg und hatte sich halb umgedreht, als sie der Klang ihrer Türglocke leicht erschreckte. Sie hatten doch tatsächlich geklingelt. Wut durchströmte sie, und sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Lucy überlegte, ob sie öffnen oder einfach so tun sollte, als wäre sie nicht da.
Beides war gefährlich. Sie lief noch einmal zum Fenster, schaute in einem spitzen Winkel nach draußen, um den unmittelbaren Bereich vor der Haustür erfassen zu können. Sehr viel erkannte sie nicht, aber ihr fiel die ungewöhnliche Haltung der Frau auf. Sie machte den Findruck einer Person, der es nicht gutging. Wieder schellte es. Lucy unterdrückte einen Fluch und hatte sich gleichzeitig entschlossen, zu öffnen. Sollte es der Frau tatsächlich schlechtgehen, würde ihr Mann womöglich noch irgendwelchen Ärger machen, und den konnte sie nicht gebrauchen. Deshalb öffnete sie. Beide standen plötzlich vor ihr. Die kalte Luft strömte in den Flur wie ein Fishauch. War es ein ungutes Vorzeichen? Lucy konnte nichts Verdächtiges feststellen, nur etwas Ungewöhnliches, denn der Mann stützte seine Frau ab, die aussah, als könnte sie sich kaum auf den Beinen halten. Sie hatte den Kopf zur Seite gedreht und das Gesicht war nicht zu sehen, denn es lag an der Schulter des Mannes. »Sie wünschen?« »Bitte, Mrs. Freeman, wir sind auf einem Spaziergang gewesen. Meiner Frau wurde plötzlich übel. Wir möchten Sie nur um einen Schluck Wasser bitten.« »Wasser?« »Ja, Mrs. Freeman. Ich weiß nicht, ob Sie uns kennen. Wir wohnen in der Nachbarschaft.« »Gesehen habe ich Sie schon mal. Sie beide.« »Wir heißen übrigens Conolly.« Lucy Freeman zögerte noch einen Augenblick, bis sie dann die Schultern hob. »Gut, man sollte sich ja gegenseitig helfen. Kommen Sie bitte herein, Mr. Conolly.« »O danke, danke sehr.« Bill wandte sich an seine Frau, die hervorragend mitspielte. »Komm, Liebling, es wird alles wieder gut werden. Mrs. Freeman ist so nett, dir ein Glas Wasser zu geben. Das wird dir . . .« »Gehen Sie in die Küche, bitte.« »Herzlichen Dank.« Die Frau war schon vorgegangen. Bill sah, in welchem Raum sie verschwand. Er schaute sich so gut um wie möglich, doch von seinem Freund John Sinclair fand er keine Spur. Den schien das Haus verschluckt zu haben. Sheila hatte sich an ihren Mann gepreßt und ließ sich auch in die Küche schleifen. Sie wollte kein Aufsehen erregen. Lucy Freeman durfte nicht das geringste Mißtrauen schöpfen. In der Küche rauschte das Wasser. Als Bill und Sheila über die Schwelle traten, hatte Mrs. Freeman das Glas bereits gefüllt und auch das normale Deckenlicht eingeschaltet.
Bill setzte seine Frau auf einen Stuhl, die sich zurücklehnte und mit beiden Händen ihr Gesicht verdeckte, was sie bewußt tat, denn Lucy Freeman sollte ihre gesunde Hautfarbe nicht so schnell sehen. »Ich danke Ihnen.« Bill nahm ihr das Glas aus der Hand und deckte durch seinen Körper den Blick auf Sheila ab. Sie nahm es entgegen, ein kurzes Lächeln zu Bill, dessen Nicken, und beide wußten, daß sie sich gut verhalten hatten. Sheila trank in kleinen Schlucken. Sie hatte dabei ihren Kopf nach unten gedrückt und stellte das Glas auf den Tisch, als es zur Hälfte leer war. Bill beugte sich ihr entgegen. Halblaut fragte er: »Geht es dir wieder besser, Liebling?« »Glaube . . . glaube schon.« »Das ist gut.« »Kannst du aufstehen?« »Mo. . .mentnoch.« Der Moment zog sich hin. Sie stöhnte einige Male, bis es ihr gelang, sich abzustützen. Mit zitternden Bewegungen kam sie auf die Beine. Sie blieb auf ihren Mann gestützt stehen, den Blick gesenkt, und atmete hörbar ein und aus. »Soll ich ein Taxi bestellen?« erkundigte Lucy sich. »Nicht nötig. Es wird schon werden.« »Ja, hoffentlich.« Bill lächelte. »Wenn man schwanger ist, passiert so etwas schon mal. Das ist normal.« »Kann ich mir denken.« »Sie waren nie schwanger?« »Nein, Mr. Conolly, ich bin unverheiratet.« »Sie wohnen hier allein?« »Ich lebe nicht hier. Ich bin nur ab und zu hier und sorge für meinen Bruder.« »Aha.« Bill steckte seine Hände in die Manteltaschen. »Ist ja eine einsame Gegend. Und dann dieses Haus. Bei uns wurde schon mehrmals eingebrochen, bei Ihnen nicht?« »Bisher blieben wir verschont.« »Da haben Sie Glück gehabt. Vielleicht kenne ich Ihren Bruder sogar.« Sie hob die Schultern. »Möglich . . .« »Nein, nein«, Bill lachte jetzt. »Das ist nicht nur möglich, das ist sogar wahrscheinlich. Der Name Freeman ist mir geläufig. Ich glaube, ich habe mit Ihrem Bruder schon gesprochen. Er ist doch Wissenschaftler, wenn ich mich nicht irre.« »Privatgelehrter«, korrigierte sie und bekam plötzlich einen sehr mißtrauischen Blick, was Bill natürlich auch nicht verborgen blieb und er sich schon fragte, ob er sich verdächtig gemacht hatte. »Ist Ihr Bruder denn hier?« Bill ließ nicht locker und lächelte dabei so entwaffnend, daß Lucy Freeman eigentlich nicht mißtrauisch werden konnte.
»Nein, er ist nicht hier!« erwiderte sie scharf. »Wie kommen Sie überhaupt auf ihn?« »Ganz einfach. Ich sah den Rover vor der Tür stehen. War nur eine Frage.« »Er gehört mir.« »Ah ja.« Bill beugte sich zu seiner Frau runter. »Bist du wieder okay, Sheila?« Sie deutete ein Nicken an. »Ich . . . ich hoffe es. Bitte.« Sie lächelte. »Laß uns gehen!« »Ja.« Bill streckte ihr die Hand entgegen, und Sheila ließ sich von ihm auf die Beine ziehen. Sie warf dabei Lucy Freeman einen dankbaren Blick zu, und die Frau quälte sich ein Lächeln ab, das schon ein wenig unecht wirkte. »Ich bringe Sie noch bis zur Tür«, bot sich Lucy an. »Dann darf ich mich . . .« Bill unterbrach sie. Noch standen sie in der Küche. »Ich möchte noch einmal auf den Rover zurückkommen, Mrs. Freeman. Ich habe richtig gehört, es ist Ihr Wagen?« »Ja. Was soll das?« Sie schüttelte den Kopf. In ihren Augen blitzte der Ärger, und sie schob mit einer heftigen Bewegung die Brille in die richtige Position. »Mir ist nur etwas aufgefallen.« »Und was, bitte?« Bill ließ seine Frau los, und Sheila trat sofort einen Schritt zurück. »Sie werden es kaum glauben, aber der Wagen vor der Tür hat dieselbe Autonummer wie der meines Freundes John Sinclair. Komisch, nicht wahr?« Plötzlich zog Bill seine Beretta, und alle Verbindlichkeit war wie weggeblasen. Er richtete die Mündung auf die Brust der Frau. »Nun zur Sache, Mrs. Freeman, wo befindet sich John Sinclair?« Die Frau gab keine Antwort. Sie verkrampfte sich, ihr Gesicht verlor an Farbe. Dann hatte sie sich gefangen und schnappte nach Luft. »Sind Sie . . . sind Sie verrückt geworden, mich hier mit einer Waffe zu bedrohen? Sieht so Ihre Dankbarkeit mir gegenüber aus?« »Keine Ausreden, Mrs. Freeman. Ich will von Ihnen wissen, wo sich John Sinclair befindet.« »Verdammt, ich kenne den Mann nicht.« »Das glaube ich Ihnen nicht. Er hat uns gesagt, wohin er wollte. Er muß hier sein.« »Ich werde die Polizei holen, wenn Sie nicht sofort verschwinden. Alle beide!« Bill lächelte süffisant. »Wollen Sie das tatsächlich, Mrs. Freeman? Ich wäre dafür, und John Sinclair sicherlich auch, wenn hier seine Kollegen erschienen.« »Wieso Kollegen?«
»Er ist Polizist. Oberinspektor bei Scotland Yard, Mrs. Freeman. Falls Sie das nicht schon gewußt haben.« »Nein, ich . . .« »Wo ist er?« Bill ging einen Schritt auf sie zu. Er war wesentlich größer als sie, und Lucy schien noch kleiner zu werden, als der Schatten seiner Gestalt sie erreichte. »Hören Sie auf!« »Wo?« Das kalte Metall der Mündung berührte plötzlich ihre Stirn, und sie schrak zusammen. Lucy konnte auch nicht mehr weiter zurück, denn die Wand links neben der Tür hatte sie aufgehalten. »Ich will, daß Sie reden, Lucy. Ich will, daß Sie den Mund aufmachen. Hier geht es um Mord. Wir sind unterwegs, um einen Killer zu fangen, und es besteht der Verdacht, daß Ihr Bruder James dieser Killer ist. Haben wir uns verstanden? Ist Ihnen das klargeworden?« »Verschwinden Sie endlich!« Bill verstärkte den Druck. Er wollte sich von dieser Person nicht brüskieren lassen. Ihm war längst klargeworden, daß beide Geschwister unter einer Decke steckten und hier ein Spiel abzogen, dessen Regeln er nicht akzeptieren konnte. Lucy Freeman schwitzte Blut und Wasser. Sie stöhnte, sie verdrehte hinter den Brillengläsern die Augen, als könnte sie die Waffe durch ihre kalten Blicke hypnotisieren. »Ich werde ihn finden, Mrs. Freeman. Ich werde dieses Haus unter die Lupe nehmen, und ich werde mich auch um den Keller kümmern, den sie vor kurzem angelegt haben. Das ist doch geschehen, nicht wahr?« »Na und?« »Ich will ihn sehen, verdammt!« »Warum?« »Gehen Sie vor!« Lucy Freeman wußte, daß sie verloren hatte. Hier stand jemand vor ihr, der nicht nachgeben würde. Sie steckte in einer Zwickmühle, und sie wußte nicht, wie sie sich aus ihr lösen sollte. Der Hundesohn würde es fertigbringen, eine Hundertschaft Polizisten anzufordern, dann war alles aus. So aber waren er und seine Frau allein. Vielleicht gab es noch eine Chance für James und sie. Sie würden zumindest noch Zeit herausschinden können, die sie brauchten, um ihre Zelte hier abzubrechen. In anderen Ländern konnten sie von vorn anfangen, die finanziellen Mittel reichten da aus. Lucy blies Bill ihren warmen Atem ins Gesicht, bevor sie ein Nicken andeutete. »Ja, ich werde Ihnen den Keller zeigen.« Bill entspannte sich ein wenig. Auch der Druck der Mündung ließ um eine Kleinigkeit nach. »Gut, wir beide werden gehen.« Erschaute nach links und blickte Sheila an. »Du bleibst hier und läßt vor allen Dingen die Haustür offen. Aber zuvor rufe Suko an, du weißt ja, wo du ihn finden kannst. Er soll dann entscheiden, ob er Verstärkung holt oder nicht.«
»Geht in Ordnung, Bill.« »Willst du meine Waffe?« »Nein, nein, behalte du sie.« »Okay.« Er umfaßte mit der linken Hand die Schulter der Frau und drückte Lucy herum. »Wir beide werden uns auf den Weg in den Keller machen. Und immer hübsch brav bleiben, Madam. Ich schieße nicht gern, doch wenn es sein muß, springe ich auch über diesen Schatten. Es ist einfach zuviel geschehen.« »Keine Sorge, Sie werden zufrieden sein.« »Dann ist ja alles klar.« Bill schob die Person aus der Küche in den Flur, wo sie sich nach links wandte, was Bill Conolly akzeptieren mußte. Mit der Linken hielt er sie noch immer fest. In der Rechten hielt er nach wie vor die Waffe, deren Mündung jetzt den Rücken der Frau berührte. Nach kurzer Zeit schon wunderte sich Bill, weil Lucy Freeman die Tür zum Bad geöffnet hatte. »Hören Sie, ich will in den Keller und keine Dusche nehmen.« »Es ist der Weg!« Sie hatte es so überzeugend gesagt, daß Bill ihr sogar glaubte und sie in Ruhe ließ. Dann wunderte er sich doch, als sie auf eine leere Wand zuging und eine halbe Armlänge davor stehenblieb. »Was soll das jetzt?« »Nichts weiter«, erwiderte sie und streckte ihren Arm aus. Mit der Hand berührte sie die Wand an einer bestimmten Stelle und leitete einen leichten Druck weiter. Bill bekam große Augen, als er sah, wie sich eine Lücke öffnete, denn das Rechteck der Wand hatte sich nach außen gedreht. Das wunderte ihn schon. Eine völlig andere, durch kaltes und schattenloses Licht erhellte Welt lag vor ihnen. Beide standen oberhalb einer Metalltreppe, und er konnte in den Keller hineinschauen, der so leer war und mit einem normalen Keller nichts gemein hatte. Den Mittelpunkt bildete ein gewaltiger Tank, zu dessen vorderem Einstieg eine schmale Metalleiter hochführte. Natürlich war dieser Einstieg geschlossen, und Bill sah weder eine Spur von John Sinclair noch von James Freeman. Dennoch glaubte er fest daran, an der richtigen Stelle und nur wenige Schritte von seinem Ziel entfernt zu sein. Lucy hatte wieder an Sicherheit gewonnen. »Das ist der Keller«, erklärte sie. »Haben Sie jetzt genug gesehen, Mister?« »Nicht ganz.« »Was wollen Sie denn noch, verflucht?« »Wissen, was mit diesem Tank dort los ist!« »Gar nichts ist damit. Jedes Haus braucht eine Heizung, und vor sich sehen Sie den Wärmespeicher, den Heizofen . . .«
»Ihr Haus ist klein. Eigentlilch ist die Heizung zu groß, denke ich mal.« »Wir haben es hier kalt und feucht. Deshalb . . .« »Werden wir mal nach unten gehen«, vollendete Bill den Satz in seinem Sinne. Das gefiel Lucy Freeman nicht. Sie versteifte sich für einen Moment, doch der Waffendruck machte ihr klar, daß es keinen Sinn hatte, wenn sie sich weigerte. So ging sie die Stufen hinab, und bei jedem Auftreten hinterließ der Tritt ein Echo. Bill merkte sehr deutlich, daß sie zitterte. Ob aus Angst oder Wut, das wußte er nicht. Wahrscheinlich zitterte sie vor beidem. Die Lösung des Rätsels lag zum Greifen nahe vor ihm. Bill würde sich auch durch nichts abhalten lassen, sie zu finden. Die letzte Stufe ließen sie hinter sich. Erst jetzt erkannte der Reporter die Ausmaße des Tanks. Sie waren gewaltig. Der Gegenstand wirkte auf ihn wie ein monströses Ungetüm. »Und was ist jetzt?« fragte Lucy Freeman. Bill lächelte. »Ganz einfach«, sagte er und deutete mit seiner Waffe auf den Tank. »Sie werden diese runde, schöne, glänzende Metalltür für mich öffnen . . .« *** Ich lag im Wasser. Ich schwamm, ich schwebte und hatte den Eindruck, von Federn getragen zu werden. In dieser Dunkelheit blieb mir nichts anderes übrig, als mich meinen Eindrücken zu überlassen, denn sehen konnte ich überhaupt nichts. Da hatte Freeman nicht gelogen. Die Finsternis war absolut. Ich sah keinen Lichtschimmer, der so etwas wie Hoffnung für mich bedeutet hätte. Uns umgab eine nahezu brutale Schwärze, und sie war so dicht wie dik-ker Schleim. Hin und wieder, wenn ich mich trotz meiner gefesselten Arme und Füße auf der Wasserfläche bewegte, hörte ich ein leises Plätschern, und es war wie Musik, die in unseren Ohren klang. Freeman schwamm neben mir. Hin und wieder berührten sich unsere Körper, und ich hörte auch mal sein leises Lachen oder Flüstern, ansonsten aber blieb er stumm. Ich erinnerte mich daran, wie er mich in den Tank geschleppt hatte. Es war für ihn leicht gewesen, und wir hatten eine bedrückende Welt betreten. In der Mulde des Tanks schimmerte das Wasser und dunkles Öl. Er gab einen ungewöhnlichen Geruch ab, der leicht stechend in meine Nase gedrungen war, an den ich mich mittlerweile aber gewöhnt hatte. Eine schmale Galerie umgab das Wasser an den Seiten. Auf ihr konnte man sich bewegen, was Freeman nach dem Betreten nicht
vorhatte. Er hatte mich in das warme, angenehm temperierte Wasser hineingleiten lassen und den Einstieg dann geschlossen. In der absoluten Dunkelheit war er mir dann nachgeklettert, und nun schwammen wir nebeneinander. Ich hatte auch über seine theoretischen Ausführungen nachgedacht, und sie schössen mir immer wieder durch den Kopf. Würde auch ich mich so verhalten und mein eigenes Ich allmählich verlieren? Würde ich zu einem 1 eil des Ganzen werden und die Bewußtseinsspaltung erleben? Zu viele Probleme und Fragen strömten auf mich ein, auf die ich leider keine Antwort wußte. Deshalb blieb ich stumm. Die Dunkelheit war begrenzt, allein deshalb, weil auch der Tank Grenzen aufwies. Dennoch entstand für mich der Eindruck, als wären die Grenzen dabei, sich aufzulösen und einfach wegzufließen. Irgendwohin zu segeln, in eine Ferne, in der es keine Hindernisse und Barrieren mehr gab und ich innerhalb der Grenzen mitschwamm. Weg von hier . . . Hineintauchen in die anderen Welten, in die Schwärze, in die Unendlichkeit. Es mochte an der Sulfatlösung des Wassers liegen, daß ich immer stärker den Eindruck einer Befreiung bekam. Ich lag zwar auf dem Wasser, spürte nur keinen Widerstand und kam mir vor, als wäre ich bereits weit, weit unterwegs. Hineintauchen ins Nirgendwo, ins Nirwana. Nichts mehr von der normalen Erde zu hören, zu sehen, etwas völlig Neues zu erleben, einfach grenzenlos zu sein. Ich erschrak über mich selbst, denn ich stand bereits an einem dieser schlimmen Grenzpfähle und verlor die Kontrolle über den eigenen Körper. Verdammt, das durfte nicht sein. Zum Glück stieß mich in diesem Augenblick Freeman an, weil er etwas von mir wollte. Er sprach mich an, und seine Stimme kam mir futuristisch vor. So dumpf und gleichzeitig hallend, als hätte sie seinen Körper bereits verlassen, was natürlich Unsinn war. »Na, habe ich dir zuviel versprochen? Wie fühlst du dich?« »Normal.« Das nahm er mir nicht ab. Ich hörte ihn leise lachen. »Nein, du lügst, du fühlst dich nicht normal. Keiner bleibt hier normal. Es sei denn, er ist ein Übermensch, doch das ist bei dir nicht der Fall. Du merkst garantiert, daß hier einiges anders ist. Es würde sonst alle meine Pläne zerstören. Du spürst die Ruhe, diese unendliche Ruhe. Die Einsamkeit, die den Menschen aber nicht verlassen macht, sondern ihm Chancen eröffnet. Du kannst dich wieder ganz mit dir selbst beschäftigen. Du schaust in Welten hinein, die du nie zuvor gesehen, geschweige denn erlebt hast.
Dich überfällt eine kaum zu beschreibende Ruhe. Es ist die perfekte Stille und auch die perfekte Stimulanz für dein neues Leben, die dich nicht mehr losläßt. Kannst du es nachvollziehen? Bist du bereit?« Seine Worte hatte ich vernommen. Zuerst sehr deutlich, sehr nah. Dann jedoch war ein seltsames Phänomen bei mir eingetreten. Ich hörte seinen Erklärungen zwar zu, doch seine Sätze ebbten immer mehr ab, sie verschwanden wie in einer unendlichen Ferne, als wären sie weit hinein in das All getragen worden, wobei mir gleichzeitig der Vergleich zu einem Hypnotiseur einfiel, der mit seinem Patienten sprach und für den sich die Stimme des Meisters immer mehr verlor und ihn schließlich aus einer großen Entfernung erreichte. Ich war so ungewöhnlich leicht geworden. Dabei merkte ich nicht einmal, daß ich im Wasser lag. Mein Körper schien über der Oberfläche zu schwimmen, ich wurde von der Luft getragen, und ich kam mir vor, als hätte sich der Geist bereits gelöst. So schnell schon? Nach dem ersten Versuch? Diese Gedanken erfaßte ich noch klar, bevor sie wieder verschwammen. Und trotzdem suchte ich nach Vergleichen. Dabei erinnerte ich mich an meine Zeitreisen und auch das das Phänomen der Teleporter, die es geschafft hatten, einen Körper aufzulösen und ihn wieder zusammenzusetzen. Das alles schoß mir trotz der Leichtigkeit durch den Kopf, aber ich kam leider zu keinem Resultat. Nichts, gar nichts war mir dabei vergönnt. Ich war und blieb ein Gefangener meines neuen Schicksals, und es war unmöglich für mich, wieder so zu werden, wie ich einmal gewesen war. Es gab keine Enge mehr. Auch die Schwärze hatte sich in gewisser Hinsicht aufgelockert. Ich flog und floh durch Räume, die ich körperlich nicht mehr erfaßte. Ich war mehr Geist, ich spürte den Körper nicht und konzentrierte mich vergeblich auf das Schlagen des Herzens. Hatte sich das Bewußtsein tatsächlich gelöst? »Eine Ruhe, eine wundersame und wunderbare Ruhe überkommt dich!« Wieder vernahm ich Free-mans Stimme. Sie erfaßte mich wie ein Schmeicheln, hüllte mich ein, so daß ich nur mehr diese eine Stimme hörte und sonst nichts mehr. Ich trieb dahin . . . Ich konnte auch sehen. Die Finsternis war nicht mehr so dicht. Irgend etwas zeichnete sich in ihr ab, mit dem ich nicht fertig wurde. Es bereitete mir deshalb Sorgen, weil ich es nicht erkennen konnte, aber es mußte schon eine Bedeutung haben. Ein Schatten? Es konnte sein. Jedenfalls eine Figur, die bestimmt keine festen Umrisse hatte. Ich sah sie sehr nah, aber auch fern, und weit im Hintergrund entstand ein Licht.
Mir kam es unnatürlich vor, weil es einfach zu hell und strahlend war, sich aber in eine Form hatte pressen lassen, damit man sie erkennen konnte. Ein helles Dreieck! Ziemlich lang gezogen, dabei nach oben hin spitz zulaufend. Als wäre ein Schwert verkürzt worden. Nein, kein Schwert, eine andere Waffe, ein Messer! Ich wußte Bescheid. Über mir schwebte der Schlitzer! *** Obwohl ich den Herzschlag so gut wie kaum spürte, hatte ich den Eindruck, mein Herz würde aufhören zu schlagen, um mich in meinem Schreck erstarren zu lassen. Zwar schwebte ich auch weiterhin in dieser ungewöhnlichen und eigentlich unfaßbaren Welt, aber es war doch einiges anders geworden, seit ich diese Gestalt zu Gesicht bekommen hatte. Sie war böse! Sie war das zweite Ich des James Freeman, und sie schwebte wie ein kompaktes Stück Hölle über mir, den Kopf leicht gesenkt, wie ich erkennen konnte, und die helle Waffe in der Hand so gedreht, daß die Spitze direkt auf meinen Körper wies. Wenn sie nach unten raste, hatte ich nicht die Spur einer Chance. Als mir dies klar wurde, bekam ich es mit der Angst zu tun, und war gleichzeitig froh darüber, daß ich diese Angst noch empfinden konnte, denn das gehörte zum Menschsein. Ich hatte es also nicht völlig aufgegeben, ich war noch wer, ich war John Sinclair, ein Mann, dem Gefühle nicht fremd waren. Nur das Gefühl für Zeit war mir tatsächlich verlorengegangen. Ich hätte nicht mehr sagen können, ob ich Minuten, Stunden oder sogar einen Tag lang in dieser Flüssigkeit schwamm, alles war so anders geworden, und als der Körper des Wissenschaftlers wieder gegen meine linke Seite stieß, da kam es mir vor, als hätte mich ein Brett gestreift, so hart und auch irgendwie abweisend war er geworden. Ich hätte gern einen Kommentar des Mannes gehört, den Gefallen tat er mir nicht, er blieb stumm, und ich schaffte es auch nicht, ihm eine Frage zu stellen. Der Schlitzer hatte seine Lage nicht verändert. Weiterhin lag er über mir, aber er bewegte den rechten Arm, so daß ich die helle Waffe deutlicher sah, und ich merkte gleichzeitig, wie er versuchte, Kontakt mit mir aufzunehmen. In meinem Gehirn hörte ich seine Worte, die flüsternd gesprochen waren. »Energie. Ich werde dich mit meiner Energie töten. In der Hand halte ich sie konzentriert, sie ist die Energie des Bösen, des Negativen, und sie wird sich in deinen Körper hineinsenken, um dich zu vernichten. Du wirst
nicht mehr am Leben bleiben, du wirst vergehen, verglühen, du wirst absacken in die Tiefen der absoluten Finsternis, denn du stehst nicht auf meiner Seite. Du hast versucht, mich zu töten, du hast es nicht geschafft, und jetzt bin ich an der Reihe.« Es gab nichts, was ihn davon abhalten konnte. Dr. James Freeman hatte sein böses Ich aus dem Körper herausgedrückt, um mich umbringen zu können. Es würde auch keinen Sinn haben, ihn an ein Verbrechen zu erinnern. Das Böse war anders, es war das Verbrechen, es liebte den Tod, es würde nicht zurückstecken. Und es sank tiefer. Lautlos wehte dieser Schatten heran. Ich hörte das Plätschern des Wassers, als ich mich etwas zu heftig bewegte und wieder gegen Freemans starren Körper stieß, der anschließend seine Reaktion in den Schlitzer hineintransportierte, damit mir dieser eine Antwort in seinem Sinne geben konnte. »Sei ruhig. Nimm den Tod gelassen hin. Es hat keinen Sinn für dich. Du kannst daran nichts ändern . . .« Der Seelentrip hatte sich nach diesen Worten in einen Horrortrip verwandelt, die letzten Sekunden waren für mich zu einer Achterbahn des Grauens geworden. Mir kam es zudem vor, als hätte man mich wieder aus den Tiefen so weit herausgezogen, damit ich die Realität wieder sehr deutlich mitbekam. Freeman und ich befanden uns jetzt an verschiedenen Zielen dieser Horrorreise. Der Schatten kippte weiter. Er hatte jetzt seinen Arm mit dem glänzenden Dreieck nach vorn gekippt, schwang ihn hin und her, und das tödliche Messer wurde für mich zu einem höllischen Pendel, das mich jeden Augenblick aufschlitzen und meinenTod verursachen konnte. Ich kam nicht mehr mit mir zurecht. Meine Gedanken waren nicht mehr zu ordnen, deshalb formierte sich auch kein Widerstand in mir. Alles zerfloß, und die Schwärze verwandelte sich in dünne Rinnsale, die mir wie Totenarme vorkamen. Sie griffen nach mir, sie drangen in meinen Körper, erfaßten das Gehirn, sorgten für Schmerzen, die eigentlich nicht körperlich waren, sondern aus der Angst geboren wurden. Das Grauen war nah. Der Tod ebenfalls . . . Er pendelte noch immer über mir. Er schwang vor und zurück und hinterließ einen hellen Schatten auf seinem Weg, aber er hatte mich nicht berührt. Das würde sich ändern. Uber mir zeichnete sich auch das Gesicht des Schlitzers ab. Es hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit dem des Dr. Freeman, dessen negatives Bewußtsein seinen Körper nachformte.
Wahnsinn . . . Ich wollte schreien, als das Messer noch tiefer glitt. Es würde mich mit einem Stich von der Kehle bis zum Bauch hin aufschlitzen, und es gleißte plötzlich in einer Helligkeit auf, die ich nicht realisieren konnte. Es schien zu zerspringen, alles wurde anders, die Dunkelheit verschwand, Licht flutete in den Tank, und ich hörte die sehr entfernte Männerstimme wie in einem Traum. »Verdammt, da ist er ja . . .« *** Bill war der Frau nachgelaufen und über die Leiter gestiegen, weil sie sich geweigert hatte, den Einstieg des Tanks aufzuziehen. Erst als sie den Druck der Waffe an ihrem Nacken spürte, da hatte sie sich endlich dazu entschlossen. Mit einem schwappenden Geräusch schwang die Rundung nach außen. Bill mußte wieder eine Stufe hinuntergehen, um von dem sich öffnenden schweren Rund nicht zurückgestoßen zu werden. Er war nicht mehr so dicht bei der Frau, die einen Knurrlaut ausstieß, nach ihm schlug. Bill duckte sich blitzschnell, so daß ihre Hand über seinen Kopf hinwegsenste, und er dann zurückschlug. Sein Treffer fegte sie von der Leiter. Sie prallte auf den Boden, jammerte und blieb dort liegen. Bill konnte nicht erkennen, ob sie sich etwas gebrochen hatte, es interessierte ihn jetzt auch nicht, denn er sah zum erstenmal in den Tank hinein. Die Oberfläche des Wassers schimmerte, und auf ihr schwammen zwei Gegenstände wie lange Balken. Körper . . . Einmal Freeman und zum anderen John Sinclair, dessen Gesicht bleich aussah. »Verdammt, da ist er ja!« Bill konnte die Bemerkung nicht unterdrücken. Er wollte in den Tank hineinkriechen, um seinen Freund zu befreien, das aber gelang ihm nicht mehr, denn er sah plötzlich das helle Schimmern eines tödlichen Dreiecks. Conolly wußte Bescheid. Der Schlitzer war da. Und er würde jeden Feind, der sich ihm in den Weg stellte, ausrotten. Plötzlich hatte er sein Interesse an dem leblosen John Sinclair verloren, er bewegte sich flach im Tank liegend auf den Ausgang zu, um Bill zu töten. Der mußte zurück. Mit zwei Sätzen hatte er die Leiter hinter sich gelassen, stemmte seine Füße gegen den Estrich und hob die Waffe an. Er zielte auf den runden Ausstieg und hörte gleichzeitig das schrille Lachen der Lucy Freeman. »Das schaffst du nicht. Niemand tötet einen Geist, hast du gehört? Niemand . . .«
Bill wich zurück. Fr wollte sich durch das Gerede dieser Person nicht aus dem Konzept bringen lassen, obwohl sie im Prinzip recht hatte. Ihm würde es mit seinen bescheidenen Kräften kaum gelingen, einen Geist zu vernichten. Das war einfach nicht drin, nicht bei diesem unheimlichen Vorgang. Der Schlitzer war zu stark, und er hatte den Tank bereits verlassen, seinen >Körper< nach unten gestreckt und zeichnete irgendwo das Bild eines normalen Menschen, der die Stufen einer Treppe hinabging. Der Reporter war ziemlich zurückgewichen. Wie gut, daß der Keller so hell erleuchtet war, so konnte er die Einzelheiten des Schlitzers sehr deutlich sehen. Es war Freeman! Er sah jedenfalls so aus, doch es war sein Spiegelbild, die reine Energie, ein böser Geist, der nur noch ein Ziel kannte: zu töten. Allein davon war er besessen, und Bill Conolly mußte ihn stoppen, sonst gab es auch für ihn hier unten keine Rettung mehr, für Sheila ebenfalls nicht. Er wollte es zunächst mit einer Kugel versuchen, obwohl er davon ausging, daß sie nicht viel ausrichtete. Aber er wartete so lange, bis sich der Schlitzer aus der unmittelbaren Nähe des Ausstiegs gelöst hatte, damit Bill nicht mehr in Gefahr lief, eine Kugel in den Tank zu jagen. Er wartete. Sein Herz schlug verflucht schnell. Der Schweiß rann über sein Gesicht, in dem der Mund offenstand und er zischend atmete. Kam er? Ja, er schwebte näher, hatte sich senkrecht hingestellt, und seine Füße beruhten sogar den Untergrund, ohne daß ein Laut zu hören gewesen wäre. Jetzt spürte Bill auch den Hauch. Wie vereiste Rasierklingen strich er über seine Gesichtshaut. Er schoß. Die Kugel war gut gezielt. Sie erwischte die Brust des Schlitzers — und sie jagte hindurch. Mit einem häßlichen Klatschen schlug sie in die Kellerwand. Nichts hatte sie ausgerichtet, gar nichts. Lucy Freeman, die vom Boden her alle beobachtet hatte, lachte schrill auf. Sie erlebte die reine Freude, während Bill verzweifelt darüber nachdachte, wie er den Schlitzer stoppen sollte, sich umgedreht hatte und die Kellertreppe halb hochgelaufen war. Dort blieb er stehen. Es war eine günstige Position. Von der Größe her überragte er den Geist jetzt. Was tun? Ihn weglocken? Versuchen, ihn aus dem Haus herauszubekommen? Das wäre eine Möglichkeit gewesen, doch Bill glaubte auch, daß der Schlitzer schneller war. Da fiel ihm die Goldene Pistole ein, die ultimative Waffe. Er hatte sie eingesteckt, und er dachte daran, welche Ladung sie verschoß. Es war
ein graugrüner Schleim, wahnsinnig gefährlich, der in seiner Reaktion dem Todesnebel gleichkam. Er löste Menschen auf. Tötete er auch einen Geist? Konnte er negatives Bewußtsein vernichten? Bill wußte es nicht. Die Chancen ließen sich auch nicht ausrechnen, aber er ging das Risiko ein und wechselte die Waffen. Jetzt zielte er mit der Goldenen Pistole auf den Schlitzer. Die Waffe sah klobig aus, sie bestand nicht aus reinem Gold, sie schimmerte nur so und erinnerte mehr an eine Wasserpistole, wie sie von Kindern gern als Spielzeug verwendet wird. Der Schlitzer bewegte sich. Bill aber blieb stehen. Er schaute genau hin. Der Schlitzer hatte sich ihn auch weiterhin als Opfer ausgesucht, und er nahm den direkten Weg zur Treppe. Da drückte der Reporter ab. Die Pistole zuckte etwas in seiner Hand. Er merkte, wie eine Ladung nach vorn getrieben wurde und die Öffnung vorn verließ. Es sah so aus, als hätte ein Lama gespuckt, aber dieser Schleim war tödlich. Im Gegensatz zur Geschwindigkeit der Kugel bewegte ersieh fast langsam auf das Ziel zu, und der Schlitzer erkannte die Gefahr nicht. Bill beobachtete mit angehaltenem Atem den Vorgang, und er bekam mit, wie der Schleim und der Schlitzer zusammentrafen. Aber der Schleim wühlte sich hindurch, und Bill spürte die Enttäuschung wie einen schmerzhaften Messerstich. Nein, es klappte trotzdem. Der Schlitzer flog zurück, als sei er gerammt worden. Vor Überraschung ließ der Reporter seine Waffe sinken, er brauchte sie im Moment auch nicht, er sah nur, wie der Geist zurückgewirbelt wurde, dann drängte es ihn über die zweite Leiter hinweg und auf den noch immer offenstehenden Eingang zu. Er preßte sich hindurch. Er verschwand! »Scheiße!« keuchte Bill und dachte an John Sinclair, der sich in dem Tank befand. Wenn ervon dieser Masse erwischt wurde, dann hatte er nicht die Spur einer Chance. Es sei denn, er schaffte es, sein Kreuz einzusetzen. Bill mußte hin. Er kam nicht mehr dazu, denn in der Öffnung entstand eine Bewegung. Zuerst war nichts zu erkennen, Bill glaubte nur, etwas Glasiges, Galliges zu erkennen. Eine zittrige Masse, die sich festgeklemmt hatte, sich dann aber weiter nach draußen wühlen konnte, sich dabei verengte und sich erst dann wieder zu dem bekannten >Ei< aufblähte, als sie keine Hindernisse mehr spürte. Ein Oval mit Inhalt. Ein Oval, das sich auf Schleimfäden bewegen konnte.
Letzteres war für den Reporter nicht mehr wichtig. Ihn interessierte einzig und allein der Inhalt, und das war Dr. James Freeman. Der Schlitzer und damit sein eigenes böses Bewußtsein war durch den Schleim zurückgeworfen worden und hatte sich den eigentlichen Körper, der zu dieser Seele gehörte, geholt. Bill wußte auch, was das zu bedeuten hatte, und er sah, daß er James Freeman nicht mehr retten konnte, denn zu lange schon hatte es der Mann in der Blase aushalten müssen. Er starb einen schrecklichen Tod, denn von den Innenseiten her lösten sich lange Tropfen und Schleimfäden, die seine Gestalt wie ein schwerer tödlicher Regen erwischten und dafür sorgten, daß sich die Haut vom Körper löste. Er verging. Er hockte am Boden. Er hatte die Arme noch in die Höhe gehoben, und Bill wußte nicht, ob er schon tot war. Bei einer plötzlichen Bewegung ruckte das Oval nach rechts, der Körper kippte, und das Gesicht des Mannes schleifte an der dünnen Innenwand vorbei, jetzt auch sichtbar für Bill. Knochen, Fleisch und Muskeln hatten sich zu einer kompakten Masse zusammengeschoben und waren dabei, sich aufzulösen, denn immer mehr Schleim tropfte hinein. Es war einfach zu spät, um einen Rettungsversuch zu starten, der Schlitzer erlebte den schrecklichsten Tod, der vorstellbar war. Bill wußte auch, wie es weiterging. Diese verdammte Blase war unersättlich, sie würde sich auf alles Lebendige und Lebende zubewegen, es in sein Innerstes holen und es vernichten. Nur Bill selbst konnte sie vernichten — und natürlich John Sinclair durch sein Kreuz. Aus dem rechten Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr. Es war Lucy, die über den Boden kroch, um zu sehen, was geschehen war. Sie konnte nicht aufstehen, etwas war mit ihrem Bein. Beim Fall von der Treppe mußte sie sich verletzt haben. Sie hatte Angst um ihren Bruder, und sie hatte nicht sehen können, was mit ihm geschehen war. »Bleiben Sie weg!« schrie Bill. »Nein, nein!« kreischte sie. Lucy wollte und konnte nicht anders, sie war wie besessen. Sie ließ sich von Bills Warnungen nicht stoppen, riß ihren Oberkörper noch einmal hoch, ohne jedoch auf die Beine zu kommen, und dann sah sie, was geschehen war. Sie erlebte eine Hölle, wie sie grausamer nicht sein konnte. Bill schaute zu, er sah die verzerrte Fratze des Schreckens, die aus dem Gesicht geworden war. Er sah die weit aufgerissenen Augen, die aus den Höhlen zu quellen drohten, und er hörte dann ihren wilden, spitzen und unkontrollierten Schrei. Sie riß die Arme hoch, preßte sie vors Gesicht und fiel nach vorn. Zusammengekrümmt und wimmernd blieb sie liegen, nicht mehr fähig, irgendeine andere Reaktion zu zeigen. Bill warf einen Blick auf die Blase.
Sie war noch da, und auch ihr Inhalt war noch vorhanden. Ein zusammengefallener Haufen mit Knochen, Fleisch- und Haarresten! Aber das >Ei< wanderte weiter. Er war gefräßig, es wollte Opfer. Bill mußte es vernichten. Unter dem Drücker befand sich ein kleiner Hebel. Er verschoß hauchdünne Bolzen, nicht dicker als Nadeln, und sie schafften es, die Blase zu vernichten. Der Reporter spürte wieder das Zucken der Waffe, als der Bolzen sie verließ. Hart stieß er in das schleimige Oval hinein, und zerriß es im selben Sekundenbruchteil. Nichts blieb von ihm zurück. Nur von dem Opfer. Bill schluckte, als er den Rest sah. Dann ging er die zweite Treppe hoch, um seinen Freund John Sinclair zu holen . . . *** Bill Conolly hatte mich die Treppe hochgeschleppt und in die Wohnung getragen, wo ich Sheila sah. Auch Suko und Shelly Wagner waren gekommen, die mich umstanden, denn ich lag auf einer weichen Couch und konnte es noch immer nicht so recht fassen, gerettet worden zu sein. Das war die Nacht des Bill Conolly gewesen. Wäre er nicht gewesen, wäre der Plan des Schlitzers aufgegangen. Lucy Freemann war von einem Krankenwagen abgeholt worden und befand sich auf dem Weg in die Klinik. Sie hatte nur dumpfe Worte gemurmelt, stand unter einem schweren Schock, und um sie würden sich die Ärzte kümmern. Um mich kümmerte sich Sheila, die mir einen Whisky reichte. Ich trank das Zeug in kleinen Schlukken, es wärmte mich durch, beinahe so wie die Decke, die jemand über meinen Körper ausgebreitet hatte. Allmählich kam ich wieder zu mir und konnte auch über das Vergangene nachdenken. Was Freeman da geleistet hatte, war unglaublich. Ich ging auch davon aus, daß er nicht der einzige war, der sich mit derartigen Experimenten beschäftigte. Nur hatte er es wahrscheinlich am weitesten gebracht. Wie ich die Forschung und die Welt kannte, würde es nicht lange dauern, bis andere Kollegen ihn eingeholt hatten, und ich konnte nur hoffen, daß sie auch kontrolliert wurden. Ich stellte das leere Glas zur Seite und stemmte mich auf die Beine. »Ja, das ist es wohl gewesen«, sagte ich leise. »Wir können nur hoffen, daß sich derartige Dinge nicht so schnell wiederholen.« Nach diesen Worten klärte ich meine Freunde über das hinter mir liegende Grauen auf. Ihren Gesichtern sah ich an, daß sie meiner ersten Bemerkung voll und ganz zustimmten… ENDE