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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
VITALIS
HEFTE
PANTENBURG
Der Sechst...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
VITALIS
HEFTE
PANTENBURG
Der Sechste Erdteil Entdeckung und Erforschung der Antarktis scanned by Manni Hesse
i
,VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
Terra Australis Incognita Ein riesiger unbekannter Erdteil liege im fernen Süden, behaupteten schon im 2. Jahrhundert v. Chr. die alten Geographen. Fast über zwei Jahrtausende spannen zahllose Seefahrer, Forscher und auch die Dichter die merkwürdigsten und abenteuerlichsten Geschichten und Fabeln um diesen geheimnisvollen Kontinent, über dem hellstrahlend das flimmernde Sternbild des südlichen Kreuzes steht; da endlich sichtete im Jahre 1820 eine russische Expedition zum ersten Male festes Land im Südlichen Eismeer. Doch vergingen noch weitere 7 5 Jahre, ehe der erste Mensch antarktischen Boden betrat. Aber noch bis um die Wende des 19. Jahrhunderts zeigen die Karten und Globen das Land um den Südpol als „Unbekanntes Südland", „Terra Australis Incognita" an. So ist „Antarktika" der letzte Erdteil, der entdeckt wurde. Um die Wende zu unserem Jahrhundert setzte dann die wissenschaftliche Erforschung der Land- und Eismassen des Sechsten Kontinents ein. In unseren Tagen erleben wir den letzten Abschnitt in der Ergründung der zahlreichen bisher noch offenen antarktischen Fragen. Mit allen Hilfsmitteln neuzeitlidier Expeditionstechnik sind die Forscher einer ganzen Reihe Nationen nun an diesem Werk. Um was geht es bei diesem so gut wie völlig vom Eis bedeckten ungeheuren Erdteil? Wird man abbauwerte Rohstoffe finden, nach denen die Großen der Industrie in der ganzen Welt stets auf der Suche sind? Man weiß es noch nicht und kann sich — mit Ausnahme von Kohlenlagern — bisher nur auf Vermutungen stützen. Nur über eines herrscht längst Gewißheit: Ungeheuer ist der Reichtum an polarem Meeresgetier, unter denen die riesigen Wale das ergiebigste jagdbare Großwild sind. 2
Seit diese eisige, stürmereiche Welt der unbewohnten Antarktis im Blickfeld der Menschen auftauchte, reizt sie zur Besitznahme. Die Flaggen großer und kleinerer Nationen wehen heute bereits über dem Süd-Erdteil, Souveränitätsrechte geltend zu machen (s. die Karte S. 32). Noch aber sind die Grenzen der Interessengebiete nicht endgültig vereinbart und abgesteckt, und immer noch werden neue Ansprüche erhoben.
James Cook überschreitet den Südlichen Polarkreis Man kann gut begreifen, daß der menschliche Forscherdrang lange vor den unberechenbaren und unheimlichen Gewalten der Natur, dem freien Ozean und den eisstarrenden Zonen, zurückschreckte. Den ersten zagen Schritt in die noch unerschlossenen Weiten ermöglicht die Erfindung des Kompasses. Als dann der Hochsee-Schiffbau und die Navigationskunst sich zu einer bestimmten Höhe entwickelt haben, wagen sich die ersten kühnen Kapitäne in die scheinbare Unendlichkeit der hohen See. Aber auch dann noch gehört Tollkühnheit dazu, in die Zonen südlich des Südkaps von Afrika, des Kaps der Guten Hoffnung, vorzustoßen. Jene tiefsüdlichen Breitengrade gelten in der Sprache der britischen Seeleute jener Zeit als „Roaring Forties", als die „Brüllenden Vierziger". Francis Drake, ein berühmter britischer Kapitän, ist einer von jenen Tollkühnen. 1578 dringt er bis zum 57. Grad südlicher Breite vor und erbringt den Beweis, daß die Feuerland-Inselgruppe kein Teil des vermuteten südpolaren Kontinents ist. Nach ihm finden die Franzosen de Kerguelen- Tremarec, Dufresne und Bouvet die nach ihnen benannten Inseln im Südmeer. Doch erst James Cook, einer der tüchtigsten und kühnsten Männer, die in der Geschichte der Seefahrt zu verzeichnen sind, leitet die Reihe der Südpolarentdecker und -forscher ein. Cook ist Seefahrer von der Pike auf; von jung an treibt ihn der Ehrgeiz, sich möglichst umfassende Kenntnisse in der Erdkunde wie in der Seefahrtstechnik anzueignen. Das ist für ihn als Sohn eines armen Kätners damals überaus beschwerlich. Daher braucht er nicht weniger als 40 Jahre, um Leutnant in der Flotte Seiner Britischen Majestät zu werden. Endlich hat er sein Ziel erreicht: die Admiralität, die Cooks besondere Begabung inzwischen entdeckt hat, überträgt dem jungen Seeoffizier sehr schwierige, aber dafür um so ehrenvollere Aufgaben. Er Q
fährt auf vielen Meeren. Nach einer Neuentdeckung Neuseelands und einer erstaunlich langen Reihe von Entdeckungen an den Küsten jenes Erdteils, der heute den Namen Australien hat, erteilt ihm die Admiralität den noch weiter gespannten und zugleich merkwürdigen Auftrag, „das große südliche Festland ausfindig zu machen oder den Beweis zu erbringen, daß es nicht vorhanden sei". Zu dieser Expedition stattet ihn die Regierung mit zwei besonders seetüchtigen Fahrzeugen von 400 Tonnen aus: „Resolution", Entschlossenheit, heißt das eine, „Adventure", Abenteuer, das andere. Am 22. November 1772 geht Cook von Kapstadt aus in See, zunächst mit der Anweisung, zwischen den Längengraden von Kapstadt und Neuseeland so weit wie möglich in die südliche Eiswelt einzudringen und die Eisgrenze zu untersuchen. Auch zwei deutsche Naturforscher, Johann Reinhold Forster und dessen Sohn Georg, gehören zu den Teilnehmern an dieser Expedition. Cook ist ein kluger und weit vorausschauender Mann, der es vorbildlich versteht, seine Mannschaft gesund zu erhalten. Ja, man kann ihn geradezu als Bahnbrecher auf dem Gebiet zweckmäßiger seemännischer Ernährung bezeichnen. Auf seinen Schiffen geht nicht ein einziger Mann durch Skorbut zugrunde! Diese schauerliche Krankheit, eine Art Mundfäule, entsteht, wie wir heute genau wissen, durch den Mangel an lebenerhaltendem Vitamin C. Der Skorbut ist damals schon (und noch bis in unsere Zeit) die furchtbare Geißel der Seeleute und der Überwinterer im Polareis, denen es an geeigneter Nahrung fehlt. Cooks erprobte Mittel gegen den Skorbut sind ganz einfach Sauerkohl und Bierwürze, die er in großen Mengen mitführen und seiner Mannschaft regelmäßig verabreichen läßt. So bringt er es zu einem wahren Rekord: in den drei Jahren seiner Kreuzfahrten verliert er von seinen 118 Mann nur einen einzigen Matrosen. Drei Wochen nach der Ausfahrt von Kapstadt begegnet die Flottille auf 50° 4 0 ' südlicher Breite dem ersten riesigen Tafeleisberg. Und wieder einige Wochen später, am 17. Januar 1773, kreuzt Cook als erster den Südlichen Polarkreis (66 ° 3 0 ' südlicher Breite). Es ist ein denkwürdiger Tag in der Geschichte der antarktischen Forschung. Doch nun gebieten dichte Packeismassen dem weiteren Vordringen nach Süden energisch Halt. Den folgenden Winter verbringt Cook in Neuseeland und geht dann erneut aus, um seine südliche Erdumseglung gemäß dem ihm erteilten Auftrag ganz durchzuführen. Sein Schiff ist nun die „Resolution"; die „Adventure" hatte ihn in Neuseeland verlassen. Ein ganzes Jahr braucht der Kapitän, bis er den südlichen Erdteil umrundet hat, und nicht weniger 4
als dreimal die Länge des Äquators (40 070 Kilometer) legte er hierbei zurück. Cooks Entdeckungen auf dieser ausgedehnten Expedition sind sehr bedeutsam: er steuerte Süd-Georgien an, das später im Walfang und als Ausgangshafen berühmter Expeditionen eine große Rolle spielen wird, und die Süd-Sandwichinseln. Seine Feststellung, daß Feuerland und Neuseeland keine Landverbindung miteinander haben, erweist sich als völlig richtig, auch seine Behauptung, daß kein b e w o h n b a r e r südlicher Erdteil existiere. Der für die „Resolution" undurchdringbare Packeisgürtel verwehrt ihm die Sicht, und er berichtet, wenn es wirklich einen Sechsten Kontinent gebe, werde er niemals entdeckt werden können. Zur eigentlichen Aufgabe seiner Expedition sagt er in echt sachlich-nüchterner Britenart: „Wenn jemand den Willen und die Ausdauer haben sollte, die Frage des Festlandes am Pol dadurch zu klären, daß er weiter vordringt, als ich es getan habe, werde ich ihm die Ehre der Entdeckung nicht neiden. Aber soviel wage ich zu sagen, daß die Welt davon keinen Nutzen haben wird." (Der wackere Cook konnte nichts ahnen von den ungeheuren Fortschritten der Technik, für die es heute, 150 Jahre später, Hindernisse aus der Natur und ihren Elementen eigentlich nicht mehr gibt.) Durch seine Berichte vom riesigen Reichtum der südpolaren Meere an Seetieren und durch die Auffindung geeigneter Fangstützpunkte auf den Inseln leitet Cook die Jagd auf Wale und Robben ein. Sie nimmt recht bald einen sehr starken Umfang an. Wenn auch diese antarktischen Jäger wenig an wissenschaftlichen Ergebnissen mit nach Hause bringen, so dienen ihre Erfahrungen und Kenntnisse doch der Forschung in einer gut spürbaren Weise. Sie bezwingen auf ihren Fangexpeditionen an vielen Stellen den Gürtel des treibenden Eises, vom Wild selbst dazu genötigt, das sich vor den rücksichtslosen Verfolgungen immer weiter nach Süden in schwerer zugängliche Gebiete zurückzieht.
Von Bellingshansen entdeckt den Kontinent Ein halbes Jahrhundert nach Cooks großer Antarktis-Umseglung entsendet der russische Zar Alexander 1. den baltischen Kapitän Fabian von Bellingshausen mit zwei 500 Tonnen großen Schiffen in das Südliche Eismeer. Er hat Anweisung, unter allen Umständen weiter nach Süden vorzudringen als Cook. Der Balte entdeckt 1821 das erste Eiland, das südlich des antarktischen Kreises liegt: Peter-I.-Insel. Da stößt er weiter vor, und nun sichtet er als erster Mensch südlich dieser Insel fernes festes Land und gibt ihm den Namen Alexander-I.-Land. 'Antarktika, 5
der Kontinent in der Antarktis, ist entdeckt! Vorerst ist es freilich nicht viel mehr als eine Ahnung von festem Land; denn von Bellingshausen hat jene Küste nie betreten.
James Clarke Ross findet das Tor zum Südpol Auf Weisung der berühmt gewordenen Londoner Tranfirma Enderby dringen jetzt britische Großwildjäger noch weiter nach Süden. Ihr Kapitän James Weddell arbeitet sich im Jahre 183 3 bis in die nach ihm benannte große Weddell-Bucht und bis zu 74° 1 5 ' südlicher Breite vor. Der Weddell-Robbe gibt er den Namen. Als Dritter umfährt 1831 und 1832 John Biscoe Antarktika; er gelangt viel weiter südlich als Cook und von Bellingshausen. An neuen Ländern sichtet er: Enderby-Land im Viertel des Indischen Ozeans, Graham-Land und die Biscoe-Insel in der West-Antarktis. Das Enderby-Land ist der nördlichste Teil der südpolaren Festlandküste. Der Brite James Clarke Ross hatte im Jahre 1831 zusammen mit seinem Onkel John Ross in der Arktis den Magnetischen Nordpol gefunden; jetzt fordert die Gelehrtenwelt dazu auf, den genauen Ort auch des Magnetischen Südpols festzustellen. England betraut mit dieser Aufgabe James Ross, der sich nicht nur als erfahrener und geschickter Polarfahrer, sondern auch als Wissenschaftler bereits einen Namen gemacht hat. Der Ehrgeiz, an den großen Forschungsfahrten Anteil zu haben, läßt in dieser Zeit aber auch die Amerikaner und Franzosen nicht ruhen. So kommen in den Jahren von 1838 bis 1843 drei große antarktische Expeditionen dieser Kulturnationen zustande. Der französische Admiral Dumont d'Urville und der Amerikaner Wilkes segeln auf der Höhe südlich Australiens in die östliche Antarktis. Hier gelingt den Franzosen die Entdeckung verschiedener Gebiete an der Küste Antarktikas: Claire-Land, Louis-Philippe-Land und Adelie-Land. Die beiden Polarfahrer sind auch die ersten, die durch Flaggenhissung herrenloses Land in der Antarktis für einen Staat in Besitz nehmen; doch nicht auf dem bisher immer noch unbetretenen Festland, sondern auf einer dem Adelie-Land vorgelagerten Insel. Das beste Ergebnis erzielen jedoch die Amerikaner, die das Wilkes-Land finden, ein Gebiet von 2300 Kilometern Küstenlänge. Vier Jahre — von 1839 bis 1843 — kämpft zäh und verbissen James Ross in edlem Entdecker- und Forscherwettstreit mit d'Urville und Wilkes um Ehre und Ruhm für seine Nation. Freilich kann er den Magnetischen Südpol ebensowenig erreichen wie seine beiden Konkur6
renten; der Pol liegt in einer mit den damaligen Hilfsmitteln und Erfahrungen noch nicht zugänglichen vergletscherten Eishochebene. Doch wird der britische Polarfahrer Ross zu einem der berühmtesten Fernen-Sucher. Er findet ein neues Südmeer und in diesem die Haupteinfallspforte zum Südpol, durch die später alle Bestürmer des antarktischen Pols ihre Angriffe vortragen; 1300 Kilometer Küstensaum dieses neuen Kontinents nimmt er auf und zeichnet sie in die Karte der Antarktis ein. Ross befehligt die beiden ausgezeichneten Segelschiffe „Erebus" und „Terror". Sie verdrängen nicht mehr als 370 und 340 Tonnen; doch hat sich diese Größe bis auf den heutigen Tag für polare Expeditionen als am besten geeignet erwiesen. Wie vorher sein Landsmann Weddell, findet auch James Ross innerhalb des ungeheuren Packeisgürtels erstaunlich viel freies Wasser. Weddells Angaben, die keiner so recht hatte glauben wollen, finden nun ihre volle Bestätigung. Wider Erwarten kommt Ross in den verhältnismäßig günstigen, nicht allzustark vom Eis blockierten Fahrwassern viel weiter südlich als je einer vor ihm. Doch in 78 ° 0 9 ' 3 0 " südlicher Breite wächst vor ihm eine ungeheure geschlossene Eismauer von 40 bis 90 Meter Höhe auf. Er befindet sich in einer tief in das antarktische Festland einschneidenden Bucht, die er „Ross-Meer" nennt. Wie unentwegt und-mutig er auch längs dieser 500 Kilometer langen Barriere nach einem Durchlaß sucht, die Front dieses Eiswalles ist und bleibt ihm verschlossen. Ross hält sie daher überhaupt für unbezwingbar. Der zähe Forscher entdeckt auf dieser Suchfahrt das Kap Adare, das weit ausladend die östliche Küste des Ross-Meeres und den Küstensaum des Viktoria-Landes abschließt. Überaus herrlich und geheimnisvoll zugleich zeigt sich die phantastische Eiswelt dieses fernsten Südens, als die Seefahrer längs der 700 Kilometer langen Küste des nach ihrer Königin Viktoria benannten Landes südwärts halten. Ein 4000 Meter hoher Berg ragt majestätisch vor ihnen in den Südhimmel auf; er sendet über seinen zackigen Kraterrand eine gewaltige Rauchsäule in die eisreine Luft. So muß doch dieses von tausend und mehr Metern ewigen Eises gepanzerte Land in seinem Innern noch unheimlich lebendig sein! Ross gibt dem Berg den Namen seines Flaggschiffes: „Erebus" (bei den alten Griechen und Römern: der Höllenwächter). Einen fast gleich hohen Gipfel daneben nennt er nach dem Schwesterschiff „Terror" (Schrecken). Erebus und Terror halten ihre ewige Wacht am Tor zum Südpol, heute wie ehedem stumme Mahner den Kühnen, die sie auf dem be7
schwerlichen Wege zu Ehre und Ruhm bei der Entschleierung der antarktischen Geheimnisse zu passieren haben. Immer unter todesmutigem Einsatz, jede Bequemlichkeit entbehrend, so versuchen die Menschen der südpolaren Sphinx nach und nach ihre Geheimnisse zu entreißen. Rasende Stürme, Nebel, Wolken und Eis, und immer wieder Eis, sind gleichsam ihre Abwehrwaffen. Die „Fata Morgana", die hier als „mirage" bekannt ist, narrt den Menschen; Meer und Eis und Land führen in die Irre. Glauben die Forscher durch zahllose Lotungen eine Küstenlinie festgelegt zu haben, verkünden sie stolz die Entdeckung neuen Landes, so stößt das lotende Senkblei eines Nachfolgers an der gleichen Stelle bei zweitausend Metern noch nicht auf Grund! Weit schwerer als der nordpolaren Eiswelt sind der fernsüdlichen die Erkenntnisse abzuringen, die die Erdkunde braucht, um die letzten weißen Flecke auf dem Globus zu beseitigen.
1895: Erste Landung auf Antarktika Mehr als ein Menschenalter setzt nach James Ross' großer Fahrt die Forschung in der Antarktis aus. Fast zufällig nur entdeckt in dieser Zeit der Norweger Larsen König-Oskar-II.-Land. Er hat von einer Hamburger Walfanggesellschaft den Auftrag, im südpolaren Sommer 1892/93 in der West-Antarktis, im Gebiet südlich Feuerlands, neue Robbenfangplätze festzustellen. Larsen wird durch seine Fahrt der Pionier des antarktischen Großfanges auf Riesenwale, der in unseren Tagen so große Bedeutung erlangt hat. Nach den glänzenden Ergebnissen dieser ersten norwegischen Versuchsfahrt machen sich Norweger 189 5 zu einer neuen Expedition auf. Diesmal geht die Reise ins Ross-Meer, wo sich nach Berichten die Hauptfangplätze des antarktischen Bartenwals befinden. Dem Lehrer Carsten Borchgrevink, einem Nordmann, der in Melbourne eine Stellung hat, gelingt es, an der Expedition der „Antarctic" als Matrose teilzunehmen. Am 24. Januar 1895 geht das Schiff an dem von Ross entdeckten Kap Adare vor Anker. Hier findet man auf einer unendlich weiten Strecke das einzige Stück eisfreier, flacher Küste. Borchgrevink und Kapitän Kristensen somit die ersten Menschen, die ihren Fuß liche Festland des Sechsten Kontinents, Borchgrevink entdeckt hier am Strand ein 8
gehen hier an Land. Sie sind auf Antarktika, auf das eigentsetzen. Der antarktisbesessene Moos; es ist die erste Pflanze,
die südlich des Antarktischen Kreises gesehen wird. Bis 1895 war man der festen Überzeugung, daß kein einziges pflanzliches Lebewesen in dieser Welt von Eis und Kälte existieren könne.
Erste Überwinterung in der Antarktis Die weite Eiswelt Fern-Süds hat Carsten Borchgrevink in ihren Bann geschlagen wie kaum einen anderen vor ihm, vielleicht auch niemanden nach ihm. Doch benötigt er nach seinem ersten Landgang, der in die Geschichte eingegangen ist, volle drei Jahre, bis ihm das Glück endlich hold ist. Ein sehr reicher Londoner Verleger, Sir George Newnes, gibt Borchgrevink 700 000 Mark unter e i n e r Bedingung: er hat ihm ein spannendes, aus eigenem, möglichst abenteuerlichem Erleben verfaßtes Buch zu liefern. Nun — die Hoffnung auf den Nordmann soll Sir Georges nicht trügen. Hat er doch durch seine ersten Berichte bereits bewiesen, daß er seine Leser wohl zu fesseln vermag. Zu Beginn des gleichen Jahres ist auch eine belgische Expedition unter Adrien de Gerlache auf der „Belgica" nach dem fernen Süden ausgegangen. Auf ihr tut der später so berühmt gewordene Norweger Roald Amundsen als Steuermann Dienst. Am 4. März 1898 schon friert das Schiff auf 71 ° 2 2 ' südlicher Breite ein. In siebzigtägiger Nacht hat man alle Schrecknisse des Polarwinters auszukosten. Oft genug überkommt die kühnen Männer die Angst, das Schiff zu verlieren, wenn es unter der Gewalt ungeheurer Eispressungen ächzt und stöhnt und aus allen Fugen zu gehen scheint. Freilich erfüllt auch zuweilen die wilde Schönheit der polaren Natur sie mit erstaunender Freude. Da ihnen die Erfahrungen fehlen, wie man sich gegen die Mangelkrankheiten, das Fehlen der lebenswichtigen Vitamine, erfolgreich schützt, leiden sie nicht wenig darunter. Der Expeditionsarzt läßt sein Leben; die „Polar-Blutarmut", wie sie den Skorbut nennen, rafft ihn hinweg. Als dann am 22. Juli die Sonne wieder zum ersten Male über den Horizont lugt, erwacht wieder der Lebensmut; als endlich das Eis seine Fesseln lockert, ist es wie eine Erlösung. Im März 1899 erreicht man wohlbehalten wieder in Punta Arenas, an der Magellan-Straße in Südchile, zivilisierte Striche. — Die ersten Menschen hatten in der Antarktis überwintert. Die Nachricht von den Plänen und der Ausfahrt der Belgier hatte den ehrgeizigen Norweger natürlich zur Eile gespornt. Wartet doch sein Geldgeber recht ungeduldig auf das verabredete Buch. Schließlich soll sich 9
ja die für damalige Verhältnisse wahrlich ungeheure Summe hoch verzinsen. Kaum hat Borchgrevink das Geld in seinen Händen, erwirbt er das Fangschiff „Southern Croß" (Kreuz des Südens). Im Spätherbst 1898 geht er auf ihr mit 31 Mann, 90 Hunden, mit Ausrüstung und Proviant von London aus in See. Die „Southern Croß" stößt am 28. Dezember 1898 gegen den treibenden Eisgürtel der Antarktis vor. Knapp zwei Monate später ankert das Schiff nach glückhafter Bezwingung des Eisgürtels in der Robertson-Bucht bei Kap Adare im Süd-Viktoria-Land." Hier bezieht man in zwei festen Häusern Winterquartier — zum ersten ] Male auf dem Festland Antarktikas. Das Expeditionsschiff segelt alsbald wieder davon, und unverzüglich beginnt die Arbeit. Da sind die regelmäßigen Beobachtungen und Messungen, die Vorbereitungen zu den Inlandsreisen und die Instandhaltung der Ausrüstung, die Jagd und der Fang von — Fischen. Die ersten Schlittenfahrten werden ins Innere unternommen. Nur mit Mühe entgehen auf einer dieser Fahrten die Männer dem Tode, als die zwanzig Hunde ihrer Schlitten umgekommen« sind. Der Zoologe der Expedition stirbt im Winterlager. Doch das Ziel, das sich die Forscher gesteckt haben, darf nicht aus dem Auge verloren werden. •
* Wie verabredet, trifft die „Southern Croß" im Jahre 1900 am Stützpunkt der Expedition wieder ein, nimmt sie an Bord und segelt südwärts, Neuem, Unbekanntem entgegen. Sie erreichen Cap Crozier, den südlichsten Punkt der Ross-Expedition, und nehmen Kurs nach Westen, entlang der eisstarrenden Ross-Barriere. Auch ihnen zeigt sie keine Lücke, durch die sie1 in die dahinterliegenden Geheimnisse eindringen könnten. Am westlichen Ende der Barre liegt König-Eduard-VII.-Land. Hier fahren sie in die Borchgrevink-Bucht ein, an der ein Jahrzehnt später Amundsen seine Basis „Framheim" anlegt und — noch später — Klein-Amerika, Byrds Basis, liegen wird. Obwohl man mitten im antarktischen Sommer ist, legt sich Eis über die gute „Southern Croß". Doch den Expeditionsführer und seine Gefährten treibt der Ehrgeiz. Ihr Fernziel ist der Südpol. Die Ehre, den ersten Vorstoß über das feste Land zum südlichen Ächspunkt der Erde unternommen zu haben — ist sie nicht der höchsten Anstrengungen wert? Borchgrevink und Colbek, einer seiner Offiziere, und mit ihnen der prächtige Lappe Savio, der unter eigener Lebensgefahr schon mehrere Gefährten vom sicheren Tode gerettet hat, machen sich auf. Sie führen zwölf Hunde und einen leichten Schlitten mit sich. Am 17. Februa 10
erreichen die Kühnen den südlichsten bisher erreichten Punkt: 7 8 ° 5 0 ' südlicher Breite (164 ° 32 ' 3 5 " westlicher Länge). Doch in diesem Äugenblick läßt Borchgrevink sich nicht weiter verlocken; er behält seinen klaren Kopf. Bei allem leidenschaftlichen Wagemut ist Umsicht sein hervorstechendster Charakterzug. Wir lesen es in seinem ausgezeichneten Expeditionsbericht: „Mein Plan war ausgeführt, unser Ziel erreicht. Wir hatten die Barriere erstiegen und waren auf ihr genügend weit nach Süden vorgedrungen, um uns über die wahre Natur klar zu sein. Wollten wir unseren Weg südwärts fortsetzen, so liefen wir Gefahr, vom Schiffe abgeschnitten zu werden und uns vielleicht einer weiteren Überwinterung auszusetzen. Deshalb gebot die Vernunft, umzukehren. Wieder knallten die Peitschen in der kalten Luft, und zum ersten Male ging es zurück nach Norden." Am 18. Februar macht sich die „Southern Croß" von der Eisbarre fr.ei; am 3. März kreuzt sie nordwärts über den Südlichen Polarkreis. Borchgrevinks Expedition aber geht mit schönen Erfolgen in die Geschichte der Südpolarforschung ein. Sein Bericht, erregend und anschaulich zugleich geschrieben, gehört zu ihren klassischen Werken.
Zusammenarbeit der Expeditionen Um die Wende zu unserem Jahrhundert gewinnen die Fachgeographen die Überzeugung, daß nur gleichzeitige regelmäßige Beobachtungen an möglichst vielen Orten und über einen längeren Zeitraum einen richtigen Einblick in die Fragen, z. B. der Meteorologie und des Erdmagnetismus, geben können. Diese Fragen haben in der Antarktis die gleiche Bedeutung wie in der Arktis. So kommt in den Jahren 1902 bis 1905 eine erste engere Zusammenarbeit zwischen den Expeditionen aus fünf verschiedenen Ländern zustande. Der Deutsche Erich von Drygalski, der sich bereits in Grönland um die Polarforschung verdient gemacht hatte, und der Schotte Robert Scott haben sich vornehmlich meereskundliche Aufgaben vorgenommen. Sie und die Engländer unter Bruce kreuzen im Weddell-Meer, geraten jedoch bald schon in widrige Eisverhältnisse. Die Deutschen verfügen über ein vorzügliches, eigens zu diesem Zwecke gebautes Schiff, die „Gauß", die nach dem großen deutschen Physiker und Mathematiker benannt ist. Von 1901 bis 1903 weilt von Drygalski in der Antarktis. Er entdeckt westlich von Wilkes-Land eine bisher unbekannte Küste und nennt sie Kaiser-Wilhelm-II.-Land. 8 5 km vor der Küste aber bleibt die „Gauß" im Eise stecken und friert 11
ein, gleich für ein ganzes Jakr. Aber sie bleibt unversehrt. Während der erzwungenen Haft beobachtet man alle Naturerscheinungen regelmäßig und auf das sorgsamste. Gerade in der Regelmäßigkeit liegt ja der große Wert der Beobachtungen. Nur so lassen sich bestimmte Gesetzmäßigkeiten, die man ergründen will, wissenschaftlich und überzeugend erkennen. Die Deutschen bringen u. a. die Gewißheit mit nach Hause, daß das antarktische Festland nicht genau zentrisch zum Südpol liegt, sondern in seiner Masse gegen den Ostteil des Atlantik und gegen den Indischen Ozean ausgebuchtet ist, während es gegen den Stillen Ozean hin zurücktritt. Die Deutschen vertiefen sich während der langen Winternacht gründlich und sorgsam in ihre Fachgebiete. Fünf Gelehrte sind an Bord der „Gauß", die eigentlich ein wissenschaftliches Institut für sich ist. Ein jeder nimmt sich genügend Arbeit vor; so wird man am wenigsten dem lastenden Dunkel der ununterbrochenen Winternacht erliegen. Da sind die Kleinlebewesen des Wassers zu erforschen, seine Temperaturen zu messen, das Tierleben im Meer zu beobachten und die Veränderungen im Eise zu verfolgen. Man macht sich sogar die Mühe, gestürzte Eiskolosse in ihrer ganzen Ausdehnung genauestens zu zerlegen und zu untersuchen. Die einsamen Männer wissen, daß Untätigkeit nur lähmt und schwermütig macht. Sie kennen das heilsamste Mittel dagegen: zähe, unermüdliche Arbeit, im Innendienst nicht weniger als draußen in der eisreinen Luft bei scharfer, doch auch gesund-trockener Kälte. Die Schweden unter Otto Nordenskjöld, dem Neffen des berühmten Bezwingers der Nordost-Passage, sind von 1901 bis 1903 in der Südpolarwelt. Sie widmen sich mehr geographisch-geologischen Aufgaben. Ihr Schiff „Antarctic" wird im Februar 1902 vom Eis zerdrückt und geht verloren. Doch werden die bedrängten Abteilungen der Expedition sämtlich durch ein Ersatzschiff wieder aus der Gefahrenzone geborgen. Nordenskjöld bringt Beobachtungen mit, die über zwei Jahre reichen. Es sind die ersten, die über einen derart langen Zeitraum berichten. Erstmals auch entdeckten die Schweden auf der Seymourinsel versteinerte Pflanzen-' reste und eine Ansammlung von Wirbeltierresten, meist von Vögeln. Es ist eine besonders interessante Entdeckung, aus der man nunmehr mit Sicherheit schließen kann, daß es, in sehr ferner Vorzeit freilich, hier Wälder gegeben haben muß und daß in ihnen pflanzenfressende Wirbel-, tiere gelebt haben. Da sind noch die Engländer unter Scott. „Discovery" (Entdeckung), das, britische Polarschiff, erreicht im Januar 1902 Kap Adare am Ross-Meer.i nimmt Kurs nach Süden bis zu den einsam rauchenden Wächtern Erebusl 12
und Terror und segelt alsdann längs der Ross-Barriere gegen Westen, 280 km weiter noch als irgendein anderer zuvor. Im Mc-Mudo-Sund macht Scott einen geeigneten Platz für sein Winterlager aus. Er ist hier 1500 km südlicher als die Schweden, 1300 km südlicher als die Deutschen. Die „Discovery" wird vom Eis besetzt; sie kommt auch im nächsten antarktischen Sommer nicht frei. Zwei Jahre muß Scott überwintern. Zwei Jahre stellt er fortlaufende Beobachtungen an. Es treibt ihn nach Süden, zum Pol. Da die Gleitfähigkeit des Firns günstig ist, werden siebzehnmal Schlittengruppen ausgesandt. Eine Seuche rafft sämtliche Hunde hin. Vielleicht wäre ohne diesen Verlust damals schon der Sturm auf den Pol gelungen. Scott wird ihn später schon noch bezwingen; das Schicksal hat ihm diese Krönung eines Forscherlebens nicht versagt — freilich um den Preis seines eigenen Lebens. Als die Briten ihre Hunde verloren haben, spannen sie sich selbst vor die Schlitten. Scott, Wilson und Shackleton (der später so berühmt werden sollte) quälen sich mit eiserner Energie den steilen Ostrand des ViktoriaLandes hoch und erreichen 82° 1 7 ' südl. Breite, den tiefsten bis dahin erkämpften Punkt. Auf dem inländischen Eisschild finden die Männer Scotts in einer Gletscherspalte Versteinerungen von Pflanzen. Nordenskjölds Schlüsse aus seinen Funden finden nun auch für die östliche Antarktis ihre Bestätigungen. Schließlich — nicht als letzter im Ring der Forschungsreisenden — ist da noch Jean Charcot zu nennen, der Franzose: mit seinem Schiff „Francaise" kreuzt er in den Jahren 1903 und 1904 im Südpolarmeer, überwintert erst vor der Wandel-Insel und im folgenden Jahr an der Alexander-1.-Insel. Er trägt zu den Ergebnissen der anderen Nationen vorzügliche meteorologische und geophysische Untersuchungsreihen bei. Auch Charcot geht später in die Reihe jener Polarforscher ein, die ihr Leben im Dienst der Wissenschaft lassen mußten. Sein Schiff „Pourquoi pas?" zerschellt auf einer Arktisexpedition an Islands Felsküste.
9. Januar 1909: Shackleton 178 km vor dem Südpol Nach der Rückkehr jener fünf Expeditionen ist für etliche. Jahre Ruhe um die Südpolarforschung. Mittlerweile setzen die Argentinier — neben den Chilenen die nächsten Nachbarn Antarktikas — die Beobachtungsreihen der Schotten auf Süd-Orkney fort. Sie errichten zwei 13
weitere Dauerstationen, auf Süd-Georgien und an der Südeinfahrt des de-Gerlache-Sundes. Die Engländer, die zur Polarforschung so viele hervorragende Beiträge zugesteuert haben, läßt der Süddrang nicht ruhen. Noch hat niemand den Ort des Geographischen Südpols erreicht, und auch der Magnetische Südpol ist noch nicht gefunden. Ernest Shackleton, der erprobte Südpolarforscher der Jahre 1901—1904, wird Leiter der Zweiten Britischen Südpolarexpedition. Hauptaufgaben: Entdeckung der beiden Pole, Erforschung von König-Eduard-VII.-Land und laufende Beobachtungen. Im Juli 1907 geht die Expedition auf der „Nimrod" in See. Sie hat Hunde, sibirische Ponys, und mehrere Motorfahrzeuge an Bord. Erstmals dringt also auch der Motor ein in die Eiswelt des Südens. Freilich erfüllen die Motorschlitten die auf sie gesetzten Erwartungen noch weniger als die Räder-Kraftwagen. Sie stecken zu jener Zeit noch eng in ihren Kinderschuhen. Auch die Ponys erweisen sich nur als Belastung; sie hätten besser die Hunde vorgespannt! Schließlich sind es wieder die Männer selbst, die sich unter unsäglichen Strapazen im Polarsommer 1908/09 nach Süden vorkämpfen. 178 km vor dem Südpol müssen sie sich am 9. Januar 1909 zum Rückmarsch entschließen. Die Kräfte sind einfach zu Ende. Sie reichen knapp nur noch für die Rückreise aus. Während Shackleton und seine Gefährten auf 2800 km langer Reise um Ruhm und Ehre gleichermaßen wie um ihr Leben kämpfen, stößt Davis, ebenfalls Mitglied der „Nimrod"-Expedition, mit Schlitten zum Magnetischen Südpol vor. Er geht an der Ostküste des Süd-ViktoriaLandes auf das Festlandeis über und arbeitet sich zu einer Hochebene hinauf, die 2300 m über dem Meere liegt. Hier ist es ihm nicht mehr schwergemacht; hier läßt sich gut fahren. So steht Davis bald schon am Magnetischen Pol. Er mißt den Punkt an Ort und Stelle auf das genaueste aus und trägt in die Karte ein: Magnetischer Südpol: 7 2 ° 2 5 ' südl. Br. und 154° östl. L. Zugleich mit den Engländern ist wieder Charcot da. Sein neues Schiff führt jenen ungewöhnlichen Namen: „Pourquoi pas?" (Warum nicht?). Die „Francaise" war verlorengegangen. „Warum" soll das neue Schiff es „nicht" schaffen? So ist die „Pourquoi pas?" 1908 in die Antarktis gegangen. Neue Länder, Fallies-Land und Charcot-Land, werden entdeckt, die Karten werden berichtigt. Es stellt sich heraus, daß Alexander-L„Land", das die Russen gesichtet, aber nicht betreten haben, nur eine dem Festland unmittelbar vorgelagerte Insel ist. Von zahlreichen mehr oder 14
weniger bekannten Eilanden, Inselgruppen und Meeresstraßen entstehen auf Charcots Expedition neue Landkarten.
Scott stürmt in den Tod Ein Jahr nach Shackletons Heimkehr bricht Scott von neuem auf. Immer noch winkt den Antarktisfahrern der höchste Preis, der Pol selber. Unbezwungen liegt er in der weißen Weite Antarktikas. „Terra Nova" (Neues Land) heißt diesmal Kapitän Scotts Schiff. Seine Expedition ist vorzüglich ausgestattet. Ein Stab ausgezeichneter Fachleute begleitet sie. Die Eroberung des Südpols ist das Hauptziel. Während des Überwinterns aber soll auch wissenschaftliche Arbeit geleistet werden. Die „Terra Nova" segelt am 1. Juli 1910 aus der Themse. Mancherlei Hemmnisse, ein gebrochener Steven, der drei Wochen Ausbesserungsarbeit in einem neuseeländischen Dock erfordert, Stürme, besonders schwierige Eisverhältnisse bringen Zeitverlust und seelische Belastung. Drei lange Wochen hält das Packeis vor der Ross-Barre das Schiff in seinen Eisfängen. Die Ponys rafft eine Seuche dahin; der Motorschlitten bricht ein und verschwindet auf Nimmerwiedersehen in den unergründlichen Tiefen der Eis-See. Aber viel Schlimmeres ereignet sich: Teilnehmer der Scottschen Expedition stoßen auf Begleiter des Norwegers Roald Amundsen, der ebenfalls zum Südpol will. Jetzt hat man nicht nur die Sturm- und Frostgewalten gegen sich, jetzt ist auch gefährliche Konkurrenz auf dem Plan. Nur e i n e Lösung gibt es für Scott: zum Pol, südwärts, so schnell wie möglich! Aber ist es nicht Nansens, des größten Polarforschers, mahnendes Wort, daß sorgsam überlegte, gründliche Vorbereitungen unerläßlich sind für den Erfolg jeder Expedition. Stets gilt es — besonders im Kampf gegen die nie im voraus berechenbaren Elemente. Sie sind tapfer und tüchtig, Scott und seine vier Polstürmer. Aber werden Tapferkeit und Tüchtigkeit ausreichen bei diesem Wagnis? Die Briten lassen, gleich ihrem Landsmann Shackleton, unverständlicherweise die Hunde zurück. Sie gehen selber in die Zugstränge, und sie erreichen den Pol, aber es war trotzdem ein verlorenes Rennen! Scotts eigene Aufzeichnungen mögen hier stehen, wie man sie sieben Monate später aufgefunden hat. Das Tagebuch dieser Reise ist wohl eines der ergreifendsten Dokumente für den Geist eines aufrechten Forschers, de r männlich zu sterben verstanden hat: 15
„Dienstag, den 16. Januar 1912: Lager 68, Höhe 2970 m. Das Furchtbare ist eingetreten — das Schlimmste, was uns widerfahren konnte! Wir brachen am Nachmittag in sehr gehobener Stimmung auf, denn wir hatten das sichere Hochgefühl: morgen ist unser Ziel erreicht. Nach der zweiten Marschstunde entdeckten Bowers' scharfe Augen etwas, das er für ein Wegzeichen hielt; es beunruhigte ihn, aber schließlich sagte er sich, es werde wohl eine Schneebildung sein. In wortloser Spannung hasteten wir weiter. Und alle hat der gleiche Gedanke, der gleiche furchtbare Verdacht durchzuckt, und mir klopfte das Herz zum Zerspringen. Eine weitere Stunde verging — da erblickte Bowers vor uns einen schwarzen Fleck. Ein natürliches Schneegebilde war das nicht — konnte es nicht sein —, das sahen wir nur zu bald! Geradeswegs marschierten wir darauf los, und was fanden wir: eine schwarze, an einem Schlittenständer befestigte Flagge! In der Nähe ein verlassener Lagerplatz — Schlittengleise und Schneeschuhspuren, kommend und gehend — und die deutlich erkennbaren Eindrücke von Hundepfoten — vieler Hundepfoten. Das sagte uns alles! Die Norweger sind uns zuvorgekommen—Amundsen ist der erste am Pol! Eine furchtbare Enttäuschung! Aber nichts tut mir dabei so weh wie der Anblick meiner armen treuen Gefährten! All die Mühsal, all die Entbehrung, all die Qual — wofür? Für nichts als Träume — Träume über Tag, die jetzt zu Ende sind. — Mir graut vor dem Rückzug." Sie schleppen sich zurück, Kilometer um Kilometer, Tag um Tag. Noch hätten sie den Anschluß an das vorher angelegte südlichste Proviantdepot geschafft. Aber ihre Petroleumbehälter springen leck. Keine Wärme, keine heiße Nahrung mehr zu haben: hier bedeutet es unentrinnbar den Untergang. So sterben sie: erst ein Kamerad, Evans, dann der zweite, Oates. Der Kapitän und seine beiden letzten Gefährten quälen sich weiter nordwärts — bis der heulende Eissturm sie in das nicht mehr wärmende Zelt zwingt. Da legen sie sich zum Sterben nieder, und Scott schreibt mit erkaltender Hand die letzten Zeilen in sein Tagebuch: „Freitag, den 29. März 1912: seit dem 21. März hat es unaufhörlich aus Südwest gestürmt. Jeden Tag waren wir bereit, nach unserem nur noch 20 km entfernten Depot zu marschieren. Doch draußen vor der Zelttüre ist die ganze Landschaft ein wirbelndes Schneegestöber. Wir können jetzt nicht mehr auf Besserung hoffen. Doch wir werden bis zum Ende ausharren. Der Tod kann nicht mehr ferne sein. Es ist ein Jammer, aber ich glaube nicht, daß ich noch weiter schreiben kann." Und eine letzte Aufzeichnung: 16
„Um Gottes willen — sorgt für unsere Hinterbliebenen. R. Scott." Am 12. November 1912 finden die Kameraden der Ersatzexpedition Scott und seine Gefährten im Zelt, auf 79° 1 5 ' südl. Br., genau so, wie sie sich zum Ende niedergelegt hatten . . .
Amundsen — Erster am Südpol Doch kehren wir nun zu Roald Amundsen zurück, dessen Begleitern die Scottsche Expedition vor ihrem Aufbruch zum Südpol im Ross-Meer begegnet war. Als Amundsen noch in Norwegen weilt, weiß die Welt, daß dieser Wagnisfrohe, der den Eisregionen in Nord und Süd verschworen ist wie nur einer, der berühmt ist durch die Erzwingung der Nordwest-Passage, der Eroberung des Nordpols zustrebt. Das ist auch Amundsens ursprüngliche Absicht zweifellos. Aber der Geldgeber fehlt. Sein Heimatland kann das recht schwere Opfer der Ausrüstung eines so kostspieligen Unternehmens nicht auf sich nehmen. Da gelingt es Roald Amundsen zunächst, die herrliche „Fram" zu erwerben und auf das beste auszurüsten. Sie ist Nansens und Otto Sverdrups unerreichtes Fahrzeug, das auf zwei weltberühmten Expeditionen sich bewährte; wohl das beste Polarschiff, das je gebaut wurde, wenn auch nicht so komfortabel wie Scotts „Terra Nova". (Das Bild auf der zweiten Umschlagseite zeigt die „Fram" auf hoher See.) Der zielbewußte eisern-zähe Nordmann braucht einen überragenden Erfolg, eine Sensation. Sie ist nach seiner Überzeugung zu diesem Zeitpunkt nicht in der Arktis zu holen — sondern im Süd-Eismeer, das er von Borchgrevinks Südpolexpedition her aufs beste kennt. Doch keinem verrät er seine wirklichen Pläne — bis die „Fram" in Madeira ankert. Eine Stunde bevor sie dort in See gehen, eröffnet er den Gefährten seine Absicht; denn noch immer denken sie, nun gehe es nach Norden: „Was ich euch zu sagen habe, ist dies: Die ,Fram' fährt nicht nach dem Nordpol, sondern nach dem Südpol. Ich frage also jeden, und jeder muß mir die Hand darauf geben, ob er mir mit Freuden folgen will. Oder — wollt ihr alle mit?" Da tritt keiner aus seiner Mannschaft zurück! Genau südwärts geht jetzt der Kurs. Eine der bestgelungenen Polarexpeditionen läuft ab, unter einem Führer, wie er für derartige Expeditionen idealer nicht gedacht werden kann. Amundsen ist nicht nur ein sehr kluger, alles und jede kleinste Einzelheit in seine Berechnung einbeziehender Forscher; er hat die zugleich wohlverdiente Eigenschaft, unter 17
allen großen Entdeckern der glückhafteste zu sein. So geht es ihm auch mit seiner Südpolarfahrt. Fast wie ein präzise laufendes Uhrwerk, ohne hemmende Zwischenfälle, ohne Verluste, führt er sein Unternehmen durch. Überdies ist der Norweger ein meisterhafter Erzähler. Sein Werk über den Norweger-Sturm auf den Südpol zählt zu den lebendigsten Berichten der Polarliteratur; aus der antarktischen Welt ist es wohl mit das beste, das wir bisher kennen. Den modernen Wikingern aus dem Norden geht alles über Erwarten glatt. Amundsen kommt schnell voran: er geht genau an der vorausbestimmten Stelle an Land: an der Eisbarre, wo er dreizehn Jahre vorher mit seinem Landsmann Borchgrevink gewesen ist. Schon damals hat er klar erkannt: hier liegt der günstigste Startort für den Marsch gegen den südlichen Pol. Erst wird die Basis „Framheim", der Überwinterungsstützpunkt, errichtet, unverzüglich auch setzen die Männer des wissenschaftlichen Stabes mit der Arbeit ein. Sie wird keineswegs zugunsten der Rekordreise vernachlässigt. Sofort beginnt man mit den sorgsamen Vorbereitungen. Sie sind durch Amundsens und seiner Landsleute Polarerfahrung bestimmt und bis in die kleinsten Feinheiten ausgeklügelt. So werden z. B. die Schlitten völlig neu konstruiert: so leicht wie verantwortbar, so stabil wie möglich, ist die Forderung. Unter den geschickten Händen der erprobten Zimmerleute entstehen unnachahmliche Fahrzeuge. Und erst die Hunde, diese prachtvollen vierbeinigen Kameraden! Halbe Wölfe sind sie eigentlich, aber es gibt keine besseren, zuverlässigeren für ein solches Rennen auf Tod und Leben und um unsterblichen Ruhm. Nahmen sie ihrer 91 mit an Bord, so schenkten die Hundemütter im Winter noch 25 Welpen dazu. Sie brauchen wahrlich nicht zu hungern: frisches, kraftvolles Robbenfleisch besorgen ihnen die Männer, soviel sie nur immer zu fressen vermögen. Am 24. August, als die Sonne Antarktikas sich soeben zum erstenmal für eine Weile über den Eishorizont hebt, ist man bereit zum Aufbruch. Tief nach Süden schon sind die Depots, die kleinen Vorratslager, vorgeschoben und mit schwarzen Kennflaggen weithin sichtbar markiert. Der Nordmann ist zwar kühn, aber nie verantwortungslos oder gar leichtsinnig. Immer weiß er genau, was ohne zweifelhaftes Risiko durchgeführt und erreicht werden kann. Die Kälte ist vorerst noch zu groß; bei minus 56 Grad Celsius kann man nicht mehr marschieren. Am 7. September startet dann die Schlitten-Abteilung und — kehrt um: zwei erfrorene Haxen und vier Hunde kostet der Versuch. So wartet 1R
Amundsen. Hat er nicht Zeit, viel mehr als sein draufgängerischer Konkurrent? Und — konnte er diesen herrlichen Hunden nicht ungleich mehr zutrauen als Scott seinen Ponys, von denen Amundsen gar nichts hält? Erst am 20. Oktober brechen die Norweger erneut auf. Keineswegs leicht fällt ihnen die Bezwingung des „Schweineloches", das mit tückischen Spalten, tiefen Rissen und unsichtbaren Löchern wie gespickt ist. Ein nennenswertes Hindernis aber bedeutet es nicht für die in vielerlei polaren Fährnissen erprobten Männer. Schon nach vier Tagen haben sie loO km hinter sich und befinden sich auf 80° südlicher Breite — beim letzten Depot vor dem Pol. Dorthin sind es jetzt genau zehn Breitengrade, rund 1100 km! Immer eingedenk der Nansenschen Forderung, nehmen sich die Polstürmer nicht weniger als zwei ganze Tage Zeit an diesem Lagerplatz, um ein letztes Mal zu überlegen, zu rüsten und zu verstauen. Die Vierbeiner dürfen sich noch in Ruhe bis zum Bersten voll an Seehundfleisch sattfressen. Amundsen verlangt 28 km Mindestmarschleistung je Tag für die Gespanne. Das ist schon eine hervorragende Leistung. Die unvergleichlichen Hunde indes übertreffen sich selbst. Sie legen sich in die Zugstränge der mit je 400 kg belasteten Schlitten und — ziehen meist auch noch die fünf Männer, die auf den Skiern im Schlepp hinterhergleiten. Amundsen jedoch ist vorsichtig und denkt weit voraus, bezieht auch den ungünstigsten Fall mit ein: alle 5 km läßt er 2 m hohe Warden aus Schneeblöcken bauen. Bis zum Pol werden es ihrer 150. 9000 Schneequadern müssen ausgestochen und geschichtet werden. Das kostet Zeit, aber man nimmt sie sich. Ohnehin muß man Rasten einlegen, und die Wardenroute gibt eine unübertreffliche Orientierungslinie für den Rückmarsch, Von 82 ° Süd ab fahren sie mit einer durch niemand sonst mehr erreichten Leistung von 37 km je Tag! Die Bahn ist vorzüglich, so daß sie fast mühelos dahinfahren. Noch einmal legt die antarktische Feste einen Wall vor die Stürmer: jene gebirgige Eisbarriere, hinter der die ungeheure Festland-Hochebene sich unabsehbar weit und flach dehnt, den Axel-Heiberg-Gletscher. Zehn Tage hat Amundsen angesetzt zu seiner Bezwingung. Doch schaffen sie es in weniger als der Hälfte, in vier Tagen sogar. 24 Hunde müssen dabei freilich ihr Leben lassen. Man braucht sie nicht mehr. So dienen sie als Nahrung für die Überlebenden, Kräftigsten und — vielleicht (man kann nie wissen!), als ProviantDepot für den Rückmarsch. 18 „bikkjer" (so nennen die Norweger 19
ihre Hundekameraden) sind dazu ausersehen, den Pol mit zu erobern. Letzte Rastnacht vor dem Ziel: man hat jetzt nur noch 15 Breitenminuten bis dorthin; nicht mehr als 27,4 km. Amundsen trägt das Datum in sein Expeditionsjournal ein — es ist der 14. Dezember 1911 — und erzählt: „Am Morgen des 15. Dezember begrüßte uns ein herrliches Wetter, ein Wetter, wie geschaffen zur Ankunft am Pol. Ich bin nicht ganz sicher, aber ich glaube, wir nahmen unser Frühstück an dem Tage etwas hurtiger ein als an den vorhergehenden und kamen auch etwas schneller aus dem Zelt heraus. Wir ordneten uns wie gewöhnlich. Als Vorläufer Hanssen, Wisting, Bjaaland und der andere Vorläufer. Um die Mittagszeit hatten wir nach dem Besteck 89 Grad 53 Minuten südl. Br. erreicht und machten uns dann bereit, den Rest in ununterbrochener Fahrt vollends zurückzulegen. Um 10 Uhr vormittags hatte sich eine leichte Brise aus Südosten erhoben, und der Himmel überzog sich mit Wolken, so daß wir die Mittagshöhe nicht messen konnten. Aber die Wolkendecke war nicht sehr dicht; dann und wann konnte man die Sonne doch dahinter hervorscheinen sehen. Es wurde nicht viel gesprochen, aber die Augen wurden um so eifriger benutzt. Hanssens Hals war doppelt so lang als an den anderen Tagen; so drehte und reckte er ihn, um womöglich einige Millimeter weiter voraussehen zu können. Ich hatte ihn vor dem Abmarsch gebeten, sich ordentlich umzuschauen, und diesen Auftrag führte er nach Kräften aus. Aber wie sehr er auch spähte und spähte, er sah dcch nichts als die unendliche, gleichmäßige Ebene ringsumher. Die Hunde hatten sich nach der Witterung zufriedengegeben, und die Gegenden um die Erdachse schienen sie durchaus nicht mehr zu interessieren. Um drei Uhr nachmittags ertönte ein gleichmäßiges ,Halt!' von allen Schlittenlenkern. Sie hatten ihre Meßräder fleißig untersucht, und nun standen alle auf der ausgerechneten Entfernung — auf unserem Pol nach dem Besteck. Das Ziel war erreicht, und die Reise zu Ende. Ich kann nicht sagen — obgleich ich weiß, daß es eine viel großartigere Wirkung hätte —, daß ich da vor dem Ziele meines Lebens stand. Dies wäre doch etwas zu sehr übertrieben. Ich will lieber aufrichtig sein und geradeheraus erklären, daß wohl noch nie ein Mensch in so völligem Gegensatz zu dem Ziel seines Lebens stand wie ich bei dieser Gelegenheit. Die Gegend um den Nordpol — ach ja, zum 20
Kuckuck —, der Nordpol selbst, hatte es mir von Kindesbeinen an angetan, und nun befand ich mich am Südpol! Kann man sich etwas Entgegengesetzteres denken? So waren wir also unserer Berechnung nach jetzt am Pol. Selbstverständlich wußte jeder von uns wohl, daß wir nicht gerade auf dem Polpunkt standen — das wäre bei der Zeit und den Instrumenten, die wir zur Verfügung hatten, unmöglich festzustellen gewesen. Aber wir waren ihm so nahe, daß die paar Kilometer, die uns möglicherweise noch davon trennten, keine Bedeutung haben konnten. .Unsere Absicht war, diesen Lagerplatz mit einem Halbmesser von 18,5 Kilometer einzukreisen und, wenn dies geschehen wäre, von der vollendeten Arbeit höchst befriedigt zu sein. Nachdem wir haltgemacht hatten, traten wir zusammen und beglückwünschten uns gegenseitig. Wir hatten allen Grund, uns für das, was geleistet worden war, gegenseitig zu achten, und ich glaube, gerade dieses Gefühl drückte sich in den kräftigen und festen Händedrücken aus, die gewechselt wurden. Nach dieser ersten Handlung schritten wir zur zweiten — der größten und feierlichsten der ganzen Fahrt —, dem Aufpflanzen unserer Flagge. Liebe und Stolz leuchteten aus den fünf Augenpaaren, die die Flagge betrachteten, als sie sich bei der frischen Brise entfaltete und über den Pol flatterte. Ich hatte bestimmt, daß das Aufpflanzen selbst — das historische Ereignis — gleichmäßig von uns allen vorgenommen werden sollte. Nicht einem allein, nein, allen denen kam es zu, die ihr Leben in dem Kampf mit eingesetzt und durch dick und dünn zusammengestanden hatten. Dies war die einzige Weise, auf die ich hier an dieser einsamen verlassenen Stelle meinen Kameraden meine Dankbarkeit beweisen konnte. Ich fühlte auch, sie faßten es in dem Geiste auf, in dem es ihnen geboten wurde. Fünf rauhe, vom Frost mitgenommene Fäuste griffen nach der Stange, hoben die wehende Fahne undpflanzten sie auf — als die einzige und erste auf dem Geographischen Südpol. ,So pflanzen wir dich, du liebe Flagge, am Südpol auf und geben der Ebene, auf der er liegt, den Namen König-Haakon-VIl.-Land!' An diese kurzen Augenblicke werden wir uns sicherlich alle, die damals dort gestanden haben, unser Leben lang erinnern. Lange dauernde förmliche Zeremonien gewöhnt man sich in diesen Gegenden ab — je kürzer, desto besser! Darauf trat das Werktägliche sofort wieder in sein Recht." 21
Amundsen will indes g a n z sichergehen; der genaue Punkt des Pols muß regelrecht „eingefangen" werden. Vom errechneten Polpunkt fahren sie auf den langen Brettern, mit denen sie als Norweger wie verwachsen sind, in Läufen von 20 km nach drei Richtungen. Noch am 17. Dezember stoßen sie alle sechs sternförmig südwärts vor, und fahren zurück. Und noch einmal beordert der Leiter zwei Gefährten 7 km weiter in gerader Richtung. Damit ist der Pol nach menschlichem Ermessen wirklich bezwungen. Ein kleines Zelt wird aufgestellt und sorgsam verankert, dann ein Wimpel darüber gesetzt. (S. das Umschlagbild.) Im Zelt hinterlassen sie: einen Bericht an ihren König Haakon, einen Brief an Scott, mit der Bitte, ihn dem König zu übermitteln. Immerhin könnte der Fall eintreten, daß die Norweger auf dem Rückmarsch ihr Leben einbüßen. Nordwärts jagen sie zurück, in einem Tempo, an das keine Schlittenexpedition je wieder herankam. Es ist der 26. Januar 1912 — schon fahren die Polareroberer in ihrem Stützpunkt „Framheim" ein. Verschmutzt, abgerissen, frostzerbissen die Gesichter, aber sie tragen den Sieg mit sich! 3000 km haben sie zurückgelegt; 99 Tage sind sie unterwegs gewesen. Ja — hätten sie nicht ihre Hunde gehabt, diese immer zuverlässigen, immer willigen Gefährten. 42 sind mit ihnen gestartet, 16 bringen sie wieder mit zurück. Die anderen ließen ihr Leben für eine der großartigsten Leistungen menschlicher Tatkraft, menschlichen Willens. Vier Tage nach seiner Rückkehr läßt Amundsen die „Fram" ankerauf gehen zur Heimfahrt. Man hat damals noch keine weltumspannende Funkverbindung, und so erfährt die Welt erst am 7. März 1912 aus Hobart in Tasmanien, daß Roald Amundsen Norwegens Flagge vor Scott am Südpol gehißt hat.
Byrd — erster Flieger am Südpol Das höchste Ziel ist mit Amundsens Polarfahrt erreicht. Aber die Erforschung geht weiter. Unentdeckt liegen noch immer unendliche Küsten und ungeahnte Flächen des Eisfestlandes. In edelstem Wettstreit richten von Jahr zu Jahr, nur unterbrochen durch die Jahre der Kriege, die Polfahrer die Kiele ihrer Schiffe, die Kufen ihrer Schlitten und zuletzt auch den Bug ihrer Flugzeuge in das Unbekannte. Seit dem Jahre 1910 nehmen mit Wilhelm Filchner die Deutschen zunehmend Anteil an der Erforschung des Südkontinents. 1911 regt sich auch das 22
Interesse der Australier für den ihnen benachbarten Polarteil. — Nur von einigen der denkwürdigsten Ereignisse in der Entdeckungsgeschichte soll hier noch berichtet werden. Im ersten Weltkrieg haben sich Flug- und Funktechnik unter den Forderungen des Krieges ungeahnt schnell und kühn fortentwickelt. Man bedient sich ihrer nun auch weitgehend in der Forschung. Mühelos kreisen die Flugzeuge, vorwärtsgetrieben von donnernden Motoren, über vorher völlig unzugänglichen Gebieten. Aus mehreren tausend Metern Höhe eingesehen, liegen Meer und Land unter den Beherrschern der Luft, breiten sich, einer ungeheuren Landkarte gleich, unter ihnen aus. Durch den erdüberspannenden Funk sind die Forscher in Gedankenschnelle von jedem beliebigen Ort aus mit jedem anderen Punkt der Welt verbunden, an dem ein Radiogerät auf Empfang gestellt ist. Neue ungeahnte Möglichkeiten eröffnen sich den Männern, die der ewige Fernendrang immer wieder zu neuen Unternehmungen treibt. Sir Hubert Wilkins ist der erste, der eine Maschine über der Antarktis fliegt, 1928 ist das Jahr seines Pionierfluges. Zwei Jahre vorher hat der kühne Amerikaner den nördlichen Eisozean in einem Ohnehaltflug, der ihn von Alaska her über den Nordpol nach Spitzbergen führt, bezwungen. Am 10. Januar 1929 macht er mit Eielson, dem Gefährten des ersten Antarktisüberfluges, den zweiten Flug. Er gilt eigentlich mehr der Bestätigung des ersten. Sie bringen die großartige Gewißheit mit, daß die mit den bisherigen Methoden nicht zu klärende Frage der Verteilung und des Aufbaues dieses bislang so schwer zugänglichen Erdteils aus der Luft in geradezu idealer Weise zu lösen ist. Wieder ist es ein Amerikaner, der nach Wilkins' Flügen Maschinen über Antarktika steuert: Richard E. Byrd, der später so berühmte Admiral. Er hat als Polarflieger bereits einen Namen. Als erster flog er über Grönlands Inland-Eisschild, als erster rundete er 1926 noch vor Wilkins von Spitzbergen aus den Nordpol. 1928/29 ist er mit einer großen amerikanischen Expedition in der Antarktis. „Klein-Amerika" nennt er sein Winterquartier, das drei große Funkmasten überragen. Mit vier Schiffen ist die umfangreiche und bis ins kleinste durchdachte, allermodernste Ausrüstung in der Nähe von Amundsens „Framheim" an Land gebracht worden. Nicht weniger als 82 Mann zählt die Expedition, darunter einige erprobte Flieger; eine ganze Reihe Gelehrter bildet den wissenschaftlichen Stab. Vier Flugzeuge sind da, Motorschlitten und die selbst jetzt noch als unentbehrlich angesehenen Schlittenhunde Nicht 23
weniger als zwei Millionen Mark hat Byrd ausgegeben, — 1,2 Millionen sind nicht einmal gedeckt. Noch hat man kaum mit dem Ausladen begonnen, da steht schon der erste Mast, funkt „Little-America" seine ersten Berichte. Und ehe die letzte Schlittenlast von der Eiskante her zum Stützpunkt rollt, zieht das erste Flugzeug bereits kurze Kreise über der Eisbarre. Mit der Präzision eines vorzüglich konstruierten und eingespielten Apparates läuft alles ab. Am 27. Dezember 1928 war die „City of New York", eines der vier Expeditionsschiffe, in der Walfisch-Bucht eingelaufen; genau einen Monat später startet Byrd mit „Floyd Bennet" — so nennt er die Dreimotorige nach dem Begleiter auf seinem Nordpolflug — zum ersten größeren Flug. Im nun beginnenden antarktischen Winter ziehen sich die Maschinen in drei Hangars zurück. Die heulenden Eisstürme brausen über „KleinAmerika" und seine Bewohner, die mit allem und jedem reichlich versehen, unter Schnee und Eis sorgfältig den Polflug vorbereiten. Sie vernachlässigen dabei die laufenden wissenschaftlichen Arbeiten nicht. Byrd zieht jeden denkbaren Fall in seine Berechnungen und Überlegungen ein. Er will größtmögliche Sicherheit haben, denn auch er weiß zu genau, daß der Unberechenbarkeiten in diesen Eiszonen nachgerade mehr als genug sind. 28. November 1929: „Floyd Bennet", fast überlastet mit notwendigster Fracht, erhebt sich dröhnend in den eisreinen Himmel. Auf der Route zum Pol steht bei Kilometer 58 5 der am weitesten südwärts vorgeschobene Wetterposten. Auf dessen Voraussage kam es an. Der Meteorologe aber hatte an diesem lange erwarteten Tage gute Chancen für das Wetter gegeben. Die drei Motoren ziehen mit ihren 1175 PS das Flugzeug mit 150 Stundenkilometer nach Süden. Drei Mann hat Byrd mit sich. Kapitän McKinley bedient Luftbildkamera und Filmapparat. So kommt ein einzigartiger Bildstreifen von diesem unberührten Eiskontinent zustande. Da gibt es einen sehr kritischen Augenblick vor dem vergletscherten Axel-Heiberg-Gebirge, das Amundsen zwanzig Jahre vorher mit seinen Hundeschlitten bezwang. Werden die Motoren die Maschine darüberheben, wird nicht der Fallwind oder eine plötzliche Bö sie hinunterstoßen? Unweigerlich müßte man an der himmelhohen Mauer aus Fels und Eis zerschellen. Es ist ein Wagnis, aber es führt kein anderer Weg zum Ziel. Byrd hat sehr schnell zu entscheiden: Proviant oder Brennstoff? Eines muß über Bord, 150 kg sind zuviel. Aber er hat mehr Ver24
trauen auf seine Maschine und auf seinen guten Stern: die Lebensmittel also gehen über Bord . . . Soeben noch, fast kann man sagen um Haaresbreite, springt die gute „Floyd Bennet" über den Sattel des Passes, den Byrd im buchstäblich letzten Augenblick als Flugweg gewählt hat. Jetzt gibt es kein Hindernis mehr für die Flieger — endlos dehnt sich im weiten Rund die antarktische Hochebene 3000 m hoch über dem Meer. 28. November 1929: 1 Uhr 14 Minuten! „Klein-Amerika" empfängt den erregenden Funkspruch: „Floyd Bennet" meldet: „Pol soeben überflogen!" Gleich Amundsen will Byrd ganz sichergehen: Er bestimmt den Ort des Pols genau mit dem Sextanten; dann fliegt er etliche Sternflüge, noch einige Runden. In seinem Bericht heißt es: „Wo ich die genaue Mitte vermutete, ließ ich Floyd Bennets Ehrenflagge durch die Falltür sinken. Um 1 Uhr 25 wendeten wir den Bug gen. .Little-America' und verließen den merkwürdigen Ort, wo es nur e i n e Richtung gibt, die nach Norden; wo es schwerfällt, die Tageszeit ZU bestimmen, weil die Sonne in gleichem Abstand rund um den Horizont kreist. Sekundenlang hatten wir über der Stelle geschwebt, wo Amundsen am 15. Dezember 1911 stand und Scott vier Wochen später. Ihnen zu Ehren trugen wir heute die Flaggen ihrer Vaterländer über den Pol. Nichts in der endlosen Schneewüste ließ den Ort erkennen. Nirgends sah man Berge. Es gibt also nicht viel zu sehen am Südpol. Und nachdem wir dies betrachtet hatten, sausten wir heimwärts." Am 29. November 1929, 10 Uhr 08 Min.: Die Polflugmaschine landet wohlbehalten in „Klein-Amerika". Byrd ist der Sieger im Flugrennen zum Südpol, zugleich der erste, der den Nordachspunkt der Welt umkreiste, jetzt also der einzige, der b e i d e Pole aus der Luft sah (Amundsen f u h r mit Hundeschlitten zum Südpol, über f l o g den Nordpol mit dem Luftschiff „Norge"). Byrd lehrt noch eine neue Methode in der Technik der Polarexpeditionen. Er bedient sich nicht nur der Hundeschlitten n e b e n dem Flugzeug und dem Raupenfahrzeug. Er kombiniert beide, läßt sie in bisher noch nicht erlebter Arbeitsteilung zusammenspielen. Dieses System entwickelt er zu hoher Form, und zugleich garantiert er dem Flug höchstmögliche Sicherheit. Auf keiner bisherigen Expedition ist man so unmittelbar eng mit der Heimat verbunden gewesen, wie hier — durch den Funk. Zu jeder Zeit haben die Männer drahtlose Verbindung mit New York, jederzeit auch 25
vermag man sich von dort oder aus der ganzen Welt jede nur denkbare Auskunft von jedem Fachmann einholen. Auch hierin ist Byrd Bahnbrecher und steht in der ersten Reihe der Polarforscher, die den neuesten Abschnitt bestimmend einleiten.
Einen Winter allein im Binneneis Von vielem wäre noch zu erzählen, was denkwürdig ist in der weiteren Erforschung der Antarktiswelt: von Sir Wilkins kühnem Erkundungsflug über dem Hearstland, von Mawson, dem Australier, der mit Scotts „Discovery" den riesigen Festlandsaum zwischen Enderby-Hard und Ross-Barre erforscht, von Riiser-Larsen, dem Gefährten Amundsens, der Königin-Maud-Land, Kronprinzessin-Märtha-Land und PrinzessinRagnhild-Land entdeckte, von wackeren Waljägern, die Lars-ChristianI.and sichteten, und von der großen deutschen Expedition mit der „Schwabenland" kurz vor dem zweiten Weltkrieg, bei der 600 000 Quadratkilometer Neu-Schwabenlands aus der Luft erkundet und vermessen wurden. Doch wir wollen uns wieder Richard E. Byrd zuwenden, jenem sympathischen Amerikaner, der 1933 eine zweite, 1939/40 eine dritte und 1946/47 eine vierte Expedition zustande brachte. 1933 bezog er erneut Klein-Amerika in der Walfisch-Bucht an der Ross-Eistafel. Wieder gehört ein Stab begeisterter Wissenschaftler, wieder zählt er eine ganze Staffel Flugzeuge zur Expedition, auch diesesmal sind Motor-Trekker und die unentbehrlichen, nie versagenden Hunde mit bei der Sache. Über zwei antarktische Winter und Sommer (1933 bis 1935) sind die Bewohner der südlichsten „Stadt" der Welt am Werk, die so wichtigen, fortlaufenden Beobachtungen vorzunehmen. In der lichten Jahreszeit fliegen die Maschinen zu Erkundungen und Kartenbildmessungen über weite Räume. Byrd aber hat sich diesmal eine besondere Aufgabe, eine ganz eigene, vorgenommen. Auf 80 ° 0 8 ' südlicher Breite, mitten auf dem großen Ross-Eisplateau, und 240 km südlich von Klein-Amerika, richtet er einen „Vorposten" ein. Mutterseelenallein haust der Admiral einen Polarwinter vom März bis zum August 1934 in diesem Stützpunkt Seine Hauptaufgabe besteht in der Dauerbeobachtung der Wetterverhältnisse und der Südlichterscheinungen. Allein! Was dies unter derartigen Bedingungen an menschlicher Energie, an seelischer wohl noch weit mehr als an körperlicher Widerstandskraft, voraussetzt, kann kaum überschätzt werden. Da rasen die heulenden 26
Stürme über die ins Eis eingelassene Station hin. Oft hat der einsame Forscher, nur um sich am Leben zur erhalten, mit allen Unberechenbarkeiten zu kämpfen. Da lasten Polardunkel und tagelanges Eingeschneitsein auf dem Gemüt, da quälen ihn Gedanken, die nur in diesem völligen Alleinsein Macht über den Menschen gewinnen können. Doch nie vergißt er auch nur einen Augenblick seine wissenschaftliche Aufgabe; Sein Buch „Allein! Auf einsamer Wacht im Südeis" ist fürwahr ein einzigartiges Dokument fast übermenschlicher Leistung, die den berühmten Polarforscher für immer unter die Großen der Entdeckung und Ergründung der Geheimnisse unserer Erde reiht. Byrd ist damit auch der erste Mutige, der im Inlandeis Antarktikas überwinterte.
„Operation Hoher Sprung" R. E. Byrd ist dann 1939/40 wieder mit einer Expedition in der Antarktis. Doch der große Krieg setzt ihm und den anderen Nationen für eine Reihe von Jahren ein Halt. Es ist nur eine Art Atempause vor der neuesten Etappe, in der recht bald nach Beendigung des Krieges die Expeditionen verschiedener Länder in die Eiswelt Fern-Süds vorstoßen. Alle aber überragt das große kombinierte Unternehmen der USA, das im Südwinter 1946/47 unter Admiral Byrd in der Antarktis arbeitete. Sein Llnternehmen „Operation High Jump" (Operation Hoher Sprung) überraschte die Welt ebensosehr durch den Umfang wie durch die kurze Zeitspanne, in der es durchgeführt wurde. Nie bisher erlebte man einen derartigen Aufwand auf irgendeiner Expedition. Nicht weniger als 13 Schiffe waren eingesetzt, darunter ein Flugzeugträger, ein Eisbrecher und ein U-Boot; ganze Staffeln von Land- und Wasserflugzeugen standen zur Verfügung! 4000 Offiziere und Mannschaften, 300 Wissenschaftler zählte das Personal. An Ausrüstung führten sie alles nur erdenkliche mit; aller Kenntnisse und Erfahrungen aus früheren Expeditionen hatte man sich hierbei bedient. Zwei Monate arbeitete die „Operation High Jump" im Raum des RossMeeres, wo bislang noch kein anderer Staat Herrschaftsansprüche gestellt hatte. Aus den herausgegebenen Berichten geht hervor, daß mancherlei recht Überraschendes zutage gekommen ist. 100 000 qkm bisher unvermessenen Landes wurden mit Hilfe der durch den Krieg äußerst vervollkommneten Luftvermessung aufgenommen; 4 große Meeresbuchten, 15 Inseln und Gebirge bis zu 5000 m Höhe sind entdeckt worden. Besonderes Aufsehen erregte die Entdeckung einer „Oase" inmitten des vergletscherten Kontinents. Es findet sich hier eine völlig eis- und schnee27 '
freie Landschaft mit Seen, die ebenfalls nicht vereist sind. Wahrscheinlich ist diese Merkwürdigkeit auf vulkanische Einflüsse zurückzuführen. Byrds Expedition wird im Sommer 1947 durch zwei Eisbrecher fortgesetzt. Weitere Expeditionen folgen. 1947/48 ist Finn Rönne (USA) in der Antarktis. Zwischen 19 50 und 19 5 3 stoßen französische, norwegische, britische, schwedische Forscher in unbekannte Teile des Kontinents vor. Auch die Südnachbarn des antarktischen Polarmeeies, die Südafrikanische Llnion, Australien, Chile und Argentinien, entsenden Schiffe und Forschergruppen. Zahlreiche Flüge erkunden in diesen Jahren die Möglichkeiten zu einem transpolaren Luftverkehr. Die zahlreichen Forscher widmen sich eingehenden Studien über kosmische Strahlungen, atmosphärische Strömungen und viele andere Fragen. Mit Hilfe der neuesten Geräte untersucht man den geologischen Aufbau. Hier wie überall sonst in der Welt geht es nicht zuletzt um die Entdeckung neuer Rohstoffvorkommen, die man industriell nutzen könnte. Am wertvollsten wären Lager von Uranerzen, die für die Entwicklung der Atomenergie gebraucht werden. Doch ist noch nichts über den Erfolg dieser Bemühungen bekannt geworden. Besonders Byrds Riesenexpedition hatte zugleich die Aufgabe, in möglichst weitem Umfange neue Polarerfahrungen zu sammeln, Menschen und Material besonderen Prüfungen zu unterziehen, die in den Eiszonen der gesamten Polarwelt von praktischem Nutzen sein sollten.
ANHANG Antarktische Forschung — wozu? Die Antarktis — das feste Land und die ihm vorgelagerten Meere und Inseln — ist für zahlreiche Gebiete der wissenschaftlichen Forschung noch Neuland. Viele Geheimnisse sind in Fern-Süd noch zu klären, wozu der technisch-wissenschaftliche Fortschritt unserer Zeit Möglichkeiten bietet, die man vor zwei, drei Jahrzehnten für phantastische Indeen eines Jules Verne gehalten hätte. Zahlreiche Probleme, u. a. der Ozeanographie (Meereskunde), Meereszoologie (Meeres-Tierkunde), Biologie, Morphologie (Entwicklungskunde der Erde), Geographie, Erdphysik (Erdmagnetismus) und nicht zuletzt der Meteorologie bedürfen noch eingehender Klärung. Die genaue Kenntnis der Naturvorgänge in der Südpolaiwelt ist für das Gesamtleben der Erde von weittragender Bedeutung, besonders für die an die Antarktis anleinenden Länder. Eiskälte und Stürme gelten als die eigentlichen Herren des Süd-Kontinents. Ihre Erforschung, vor allem ihre laufende Beobachtung, ist
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daher eine dringliche Aufgabe. Genaue Feststellungen über die Verteilung des festen Landes und der Eismassen werden die seit dem Kriege in großem Umfange durchgeführten Vermessungen Antarktikas aus der Luft ergeben. Die ersten überraschenden Ergebnisse, wie die Entdeckung neuer Gebirgsmassive durch die Flugexpeditionen der Norweger, Deutschen, Amerikaner und gewiß noch vieler Nachfolger, haben viel Licht in das Dunkel um. den riesigen Eis-Kontinent gebracht.
Wie groß ist die Antarktis? Der Name der Arktis kommt aus dem Griechischen. „Arktos" heißt Bär, in erweitertem Sinne auch das Sternbild des Großen Baren, das ja im Hohen Norden steht. Aus Arktos wird später Arktis, und so nannte man nun das ganze Nordpolargebiet. Sinngemäß wurde dann das südliche Gegenstück zur Arktis als „Ant-Arktis" bezeichnet (das lateinische ant, ante heißt: gegenüber). Zunächst eine Feststellung: A n t a r k t i s ist der gesamte Erdteil in FernSüden, einschließlich der umliegenden Meere bis etwa zum Gürtel des treibenden Eises, im allgemeinen etwa die Erdhaube um den Südpol, die vom Südlichen Polarkreis umschlossen wird. Als A n t a r k t i k a jedoch wird der ungeheure geschlossene Block festen, von ewigem Eis bedeckten Landes bezeichnet. Bisher hat man den Kontinent nicht einmal genau vermessen und kann daher seine Größe nur annähernd schätzen: rund 14 Millionen qkm (etwa doppelt so groß wie Kanada!). Hiervon sind bisher nicht mehr als etwa 15 °/o erforscht. 11,5 Millionen qkm sind als völlig unbekannt zu bezeichnen. Nur ein sehr geringer Teil der riesigen Landmasse ist frei von Eis. Es bildet sich durch die Niederschläge, die nie als Wasser, sondern stets als Schnee herunterkommen. Hier und dort ragen wildzerklüftete Gebirge und Einzelberge Tausende Meter (Markham-Gebirge in Süd-Viktoria-Land: 4600 m) aus dem gewaltigen Eisschild auf, der kilometerdick sein kann. Der Südpol befindet sich in 3127 m Höhe (Zugspitze: 2963 m). Mit 2000 m Durchschnittshöhe ist Antarktika der höchste Kontinent der Erde (Asien: mittlere Höhe 970 m!). Entfernungen des Südpols zu den benachbarten Erdteilen: Süd-Amerika (Feuerland) 4000 km, Australien 5000 km, Afrika 6000 km. In den Südpolarregionen ist es mit den Jahreszeiten genau umgekehrt wie in der Nordpolarwelt: jene haben Winter, wenn in dieser Sommer herrscht, und umgekehrt. Daher werden die antarktischen Expeditionen stets durchgeführt, wenn bei uns Winter ist. Dann haben die Forscher nämlich dort das viele Licht und die wärmere Jahreszeit zur Verfügung. Wie am Nordpol gibt es auch am Südpol eine Mitternachtssonne und ein Süd-Licht; auch hier bleibt im Sommer die Sonne ein halbes Jahr über dem Horizont. Doch steht sie hier wie dort dann nur unter einem Winkel von 33V2 Grad zur Erde. Weil überdies der Südpol auf einem sehr hohen Plateau gelegen ist, inmitten eines ungeheuien, völlig eisüberwachsenen Kontinents, ist es an ihm im Sommer sehr viel kälter als am Nordpol. Die deutschen Forscher der „SchwabenIand"-Expedition lasen an einem als schon warm empfundenen Sommertag im Binnenlande eine Temperatur von nur —35 ° C ab. Die tiefste hat Admiral Byrd in einer Beobachtungsstation, die 173 km vom Eisrande Antarktikas binnenlands lag, im Winter gemessen: —62 ° C .
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Schätze in Fern-Süd In den Meeren um Antarktikas tummeln sich Riesen-Wale in großen Herden. Für diese größten Säugetiere der Welt bedeutete der letzte Krieg eine unvorhergesehene Schonzeit, erfreulich auch für die Walfänger. Dieses kostbare Meer-Großwild wird von ganzen Flotten verschiedener Nationen (vor allem Norweger und Engländer, nach dem Kriege Japaner und — neuerdings die Russen) gejagt und gleich an Bord der schwimmenden Fabriken verarbeitet. Es gibt nichts am Wal, was heute nicht wirtschaftlich nutzbar wäre.*) Da ist der Tran (zur Margarineherstellung), die Knochen (für Dünger), das Fleisch, das heute der menschlichen Ernährung dient, um nur das Wichtigste zu nennen. Die riesigen Fänge vor dem letzten Kriege führten zu Abmachungen unter den am Walfang beteiligten Nationen. Die Jagd wurde so weit eingeschränkt, daß der Bestand nicht gefährdet war. Drei Viertel allen Trans, den die Weltindustrie verarbeitet, kommt aus antarktischen Gewässern, Außer den riesigen Blauwalen und Finnwalen, den größten Säugetieren der Welt, werden auch Robben (See-Leoparden, See-Elefanten), Pinguine und Seevögel gejagt. Welche Aussichten bestehen, mineralische Schätze, z. B. Kohle oder gar Uran, von dem in sensationellen Berichten die Rede ist, zu finden, ist noch nicht zu übersehen. An verschiedenen Stellen sind Kohlenvorkommen von beachtlicher Stärke gefunden worden. Mehr wird man wahrscheinlich entdecken. Freilich wird es — selbst angesichts der heutigen technischen Hilfsmittel — nicht leicht und gewiß sehr kostspielig sein, sie abzubauen und wirtschaftlichindustriell zu nutzen. Jedenfalls ist es gut möglich, daß in der Antarktis (wie es auch für die Arktis erwiesen ist) in geologischer Vorzeit, ehe die Abkühlung der Erdkruste weiter fortgeschritten war, große Wälder gestanden haben. Doch in unseren Tagen zeigt die Pflanzenwelt in diesen Eiszonen so gut wie überhaupt kein Leben. Nur an wenigen schnee- und eisfreien Stellen finden sich hier und da einige Arten Flechten, Moose und Kleinpilze. Um so reicher ist das Meer, besonders an Kleinlebewesen, von denen im Grunde sämtliche anderen Tiere leben müssen, denn der Größere und Stärkere stellt im ewigen Existenzkampf immer dem Schwächeren nach.
Wieviel Flaggen wehen über dem Südpol? Die Antarktis, die vor nicht einmal einem Menschenalter als völlig wertloses Land galt und daher herrenlos war, ist durch verschiedene Nationen in sogenannte „Sektoren" aufgeteilt. Diese „Schnitte" sind eigentlich Stücke einer riesigen Torte, deren Mittelpunkt der Südpol ist und deren Begrenzung die Breiten- und Längengrade bilden. Das Britische Weltreich erhebt Anspruch auf den weitaus größten Teil der Antarktis, auf nicht weniger als 8V2 Millionen qkm (fast zwei Drittel des gesamten Festlandes); 1908 erklärte die britische Regierung den Sektor des Weddell-Meeres (zwischen 20° und 80° westl. L.) als Teil seiner Kolonie Falklandinseln; 1923 wurde das Land um das RossMeer (Sektor zwischen 160° östl. L. und 150° westl. L.) als neuseeländisches, *) Ausführlicher plaudert über die Wale und den antarktischen Großfang, über die industrielle Verarbeitung und die wirtschaftliche Verwertung dieser Riesen-Säugetiere des Meeres Heft 21 der Lux-Lesebogen,
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1933 der daran anschließende Sektor (bis 45° östl. L.) als australisches Hoheitsgebiet erklärt. Nur das darin eingeschlossene Adelie-Land wurde als Frankreich zugehörig betrachtet, doch hat Frankreich bisher noch keine Ansprüche auf einen ganzen Sektor erhoben. Nun machen auch andere Interessenten Ansprüche geltend: Norwegen als Hauptwalfangnation, die USA und südamerikanische Staaten. Diese Ansprüche sind übrigens bisher international noch nicht geregelt. Wahrscheinlich werden sie einmal auf einer Konferenz aller Interessenten endgültig festgelegt.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky
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(Erdkunde)
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Wem gehört die Antarktis? Die Flaggen über den „ S e k t o r e n " deuten d i e Ansprüche der an der S ü d p o l a r w e l t interessierten Staaten a n : G r o ß b r i t a n n i e n und seine Dominien (Australien und Neuseeland), N o r w e g e n , Frankreich. Die USA haben bisher offiziell noch keine Forderungen gestellt. Die schwarze, gestrichelte Linie g i b t den ungefähren Verlauf des südpolaren Landes w i e d e r , das bisher mehr o d e r w e n i g e r erforscht ist. Die Verteilung Antarktikas, des Festlandes a l s o , zeigt deutlich, d a ß der Südpol nicht genau im Mittelpunkt der Landmasse liegt.
Beim Lesen von Zierers abendländischer Geschichte öffneten sich immer wieder Ausblicke in die Räume jenseits der weitgezogenen Grenzen des A b e n d l a n d e s und ließen d i e Ausstrahlungen der abendländischen W e l t auf d i e Reiche des Orients, Asiens, Afrikas und Amerikas sichtbar w e r d e n . Diesen außereuropäischen Großräumen ist
eine neue Buchreihe von Otto Zierer gewidmet, die die Geschichte und Kultur der gelben Rasse, des Islams, Indiens, A f r i k a s , Ostasiens und des amerikanischen Kontinents f a r b i g und anschaulich schildert. Als erstes abgeschlossenes W e r k erscheint d i e
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