Nr. 279
Der Sieger und der Tote Sie geben nicht auf - sie suchen den letzten Beweis für Atlans Schicksal von Hans Knei...
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Nr. 279
Der Sieger und der Tote Sie geben nicht auf - sie suchen den letzten Beweis für Atlans Schicksal von Hans Kneifel
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Feinde ist der Kristallprinz Atlan, der rechtmäßige Thronerbe von Arkon, mit seinen rund 12.000 Helfern bereits mehrmals erfolgreich vorgegan gen. Seine geheime Zentrale, von der die meisten Aktionen gegen Orbanaschol ih ren Anfang nehmen, ist Kraumon. Auch auf diesem abgelegenen Planeten ist inzwischen längst bekannt, daß es mit Orbanaschol nicht mehr zum Besten steht. Daher rechnet sich Atlan eine reelle Chance aus, den Usurpator zu stürzen. Um dieses Zieles willen hat Atlan ein Spiel mit höchstem Einsatz begonnen. Der Sieg in den Amnestie-KAYMUURTES soll ihm den Weg nach Arkon ebnen. Und so beginnen für den Kristallprinzen die gefährlichsten Stunden und Tage sei nes bisherigen Lebens. Unter dem Namen Darbeck tritt er zu den Kampfspielen auf dem Planeten Hirc an, die nur ein einziger Kämpfer überleben darf. Atlan, bisher vom Glück begünstigt, verliert jedoch das letzte Duell. Er gilt als tot – doch Fartuloon will es nicht glauben. Er sucht nach den Hintergründen für die seltsa me Konstellation: DER SIEGER UND DER TOTE …
Der Sieger und der Tote
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Die Hautpersonen des Romans:
Fartuloon alias Germukron - Der Bauchaufschneider sucht nach dem letzten Beweis für Atlans
Schicksal.
Huccard - Ein Mann treibt doppeltes Spiel.
Mana-Konyr - Sieger der Amnestie-KAYMUURTES.
Atlan - Ein angeblich Toter erwacht als Gefangener.
Conquetest, Darracia und Fretnorc - Atlans Helfer auf den Spuren seiner Entführer.
1. Eine Stimmung, die er noch niemals im Lauf seines Lebens gespürt hatte, erfüllte ihn schon jetzt, obwohl er noch nicht ganz wach war. Es kam ihm vor, als stehe er auf einer niedrigen Mauer, und vor ihm lag in glühenden Farben eine völlig neue, von ihm erschaffene Welt. In Gedanken blickte er zu rück. Dort, woher er kam, herrschte Chaos, gab es für einen Mann wie ihn keine Chan cen. In dem Augenblick, in dem er aufwach te, betrat er völliges Neuland. Kaum ein an derer hatte so viele Chancen wie er. Er war der Sieger. Er hatte sich jetzt eine lange Nacht ver bergen können, weil er noch zu müde, zu überdreht und unfähig gewesen war, den kleinen Sprung von der Mauer zu tun. Jetzt spürte Mana-Konyr, wie nicht nur sein ge schundener Körper sich erholte, sondern auch sein Verstand. »Ich denke«, murmelte er gähnend, »ich werde mich ihnen stellen müssen.« In dem Hotelzimmer von verblichen zweckmäßiger Ausstattung hatte er sich aus geschlafen, mäßig berauscht und entspannt. Er wußte, daß sie ihn in der Stadt MalDagmon suchten. Nicht nur diejenigen, die mit seinem Sieg in dem letzten Kampf der KAYMUURTES etwas verdient hatten oder noch zu verdienen hofften. Es gab auch an dere. Solche, die nicht an seinen einwand freien Sieg glaubten. Es gab in diesem Zu sammenhang unerklärbare Vorgänge. Mana-Konyr gähnte und schwang seine hagere Gestalt aus dem Bett. Er marschierte in die Hygienezelle hinüber und unterzog sich dem Programm der Maschinen. Er ließ
sich duschen, waschen, massieren und kne ten, sein kurzes Haar wurde wieder trocken, und endlich zog sich der hochgewachsene Mann mit dem faltigen Gesicht die neue Kleidung an, die er in einer Tasche dieses verschwiegenen Hotelzimmers gefunden hatte. Nur noch wenige Spuren, abgesehen von den Falten des schmalen Gesichts, deuteten die furchtbaren Anstrengungen der Kämpfe an. Mana-Konyr warf gebrauchte Kleidung, die Flasche und den Rest seiner geringen Ausstattung achtlos auf einen Haufen und drückte die Ruftaste unter dem Bildschirm. Es meldete sich der nichtrobotische Tag portier. »Ich möchte ein ausgiebiges Frühstück«, sagte Mana-Konyr bestimmt. »Selbstverständlich. Haben Sie bestimmte Wünsche?« Aufs Geratewohl nannte der ehemalige Verbrecher eine Reihe von Gerichten, von denen er in den letzten Jahren nur hatte träu men können. Der nichtautomatische Kü chenchef, der inzwischen zugeschaltet wor den war, nickte und sah dem Arkoniden in die Augen. »Können wir liefern!« bestätigte er knapp. »Es wird etwa zehn Minuten dauern.« »Servieren Sie es im Zimmer!« bestimmte Mana-Konyr. Natürlich wußten sie alle, wer er wirklich war, aber offensichtlich hatte die Bestechungssumme genügt, sie schweigen zu lassen. »Selbstverständlich.« Inzwischen wußte Mana-Konyr, daß er sich der Bewunderung der Massen weder entziehen mochte noch konnte. Sie warteten alle auf ihn, um seinen Aufbruch nach Ar
4 kon mitzuerleben. Je mehr er sich jetzt mit den neuen Gedanken vertraut machte, desto erregter wurde er. Uralte Sehnsüchte er wachten. Rechenmaschinen würden ihn in den nächsten Tagen nicht ablenken. Das Problem, gegen das er seit vielen Jahren zu kämpfen hatte, war vorübergehend nicht mehr existent. Der Drang zur Vernichtung war vorbei. Ein weiterer Schalter, den Mana-Konyr betätigte, ließ ein Fenster hochgleiten. Von draußen schlugen die Klänge verschiedener Musikstücke, grelles Gelächter und Lärmen herein. »Wie schön«, knurrte der Arkonide. »Hauptsache, sie amüsieren sich.« Trotz seiner Skepsis freute er sich auf die nächsten Stunden und Tage. Frauen und Mädchen würden sich ihm an den Hals wer fen. Er verdiente viel Geld aus verschiede nen Quellen. Die größte Stumme, die er zu erwarten hatte, mußte in Kürze ausgezahlt werden. Und schließlich würde er sich auch in einem Schiff mit direktem Kurs nach Ar kon befinden. Welch ein radikaler Wandel seines Lebens. Ein arkonidischer Diener brachte das Es sen und warf immer wieder Seitenblicke auf Mana-Konyr, der scheinbar gelangweilt am Fenster stand. »Was gaffen Sie so?« knurrte der Mann mit den unzähligen Falten im Gesicht. »Ich … ich weiß, wer Sie wirklich sind. Ich werde … ganz bestimmt verrate ich Sie nicht!« stammelte der junge Mann und stell te Speisenbehälter und Geschirr auf das gel be Tuch. »Das hoffe ich«, gab der Arenakämpfer knapp zurück, dann lachte er kurz auf. »Außerdem werde ich nach diesem Essen ohnehin dort hinausgehen und meinen tri umphalen Weg anfangen, die Straße des Sie gers.« »Ganz gewiß«, gab der Kellner zurück, »wird man Sie gebührend feiern!« »Mit einigem Recht. Schließlich habe ich den Glücklichen Darbeck getötet«, erwiderte Mana-Konyr selbstbewußt und setzte sich
Hans Kneifel vor den mehr als reich gedeckten Tisch. Mit ausgezeichnetem Appetit begann er zu es sen, während der Kellner den Raum verließ. Die Geräusche, die durch das Fenster her eindrangen, wurden hektischer und lauter. Die Stadt bereitete sich auf Mana-Konyr vor, als wüßte jeder dort draußen, daß er in wenigen Minuten triumphierend erscheinen würde. Ruhig aß der Mann, der als einziger le bend aus den harten, tödlich brutalen Kämp fen hervorgegangen war, die ausgesucht teu ren Speisen.
* Unaufhaltsam war die Stadt erwacht. MalDagmon, die Kolonialstadt der AmnestieKAYMUURTES, war von Tausenden Re portern und Berichterstattern überflutet. Sie alle waren bereit, den Sieger zu feiern. Jeder wollte am Ruhm und an den Ehrungen teil nehmen, die Mana-Konyr zuteil werden würden. Aber … wo war er? Seit dem Au genblick, als sein Sieg in der Arena ausgeru fen worden war, schien ihn der Planetenbo den verschluckt zu haben. Auch wenn sich viele der Zuschauer Dar beck als den Sieger gewünscht hatten – er gab als Persönlichkeit viel mehr her als der knochige, faltige Mana-Konyr! –, waren sie zufrieden. Es gab einige Tage lang ein Fest, das sich fast über den gesamten Innenstadt bereich erstreckte. Die Tage rund um die KAYMUURTES waren hervorragende Möglichkeiten, mit wenig Mühe viel Geld zu verdienen. Der ganze Planet schien mitzuspielen. Sogar das Wetter blieb in diesem Jahr günstig; nicht zu warm, jedoch sonnig. Ein Summen und Knistern wie von einer heranbrausenden Invasion riesiger, exoti scher Insekten breitete sich aus. Irgendwann in den Stunden zwischen Sonnenaufgang und frühem Mittag erreichten die Wellen der Nervosität und Unruhe auch den einzelnen Mann, der wie schlafend auf der Parkbank lag.
Der Sieger und der Tote In Wirklichkeit kontrollierte er aber den Bereich um sich herum mit aufmerksamem Blick und steigender Besorgnis. Wo war Huccard, der rätselhafte Kampf agent von GLORIOC? Jetzt rührte sich der breitschultrige und mittelgroße Mann. Er stand auf und reckte die Schultern. Ein geschulter Beobachter hätte erkennen können, daß der Mann alles andere war als der einfache Kommandant ei nes kleinen Gefangenenschiffs. Er bewegte sich wie einer der Kämpfer in der Tamas kon-Arena. Schnell und sicher, mit ent spannten Gesten, einem anschleichenden Raubtier nicht unähnlich, überquerte der falsche Kommandant den Platz und näherte sich dem Haus mit der auffallenden Fassade. Seine Uniform war ebenso Tarnung wie sein Name: Germukron, der Kommandant der PFEKON, war in Wirklichkeit der Bauchaufschneider Fartuloon, der beste Freund des getöteten Darbeck, bei dem es sich um niemand anderen handelte als um Atlan, den Kristallprinzen. Fünf Stunden lang wartete Fartuloon jetzt schon auf Huccard. »Dieser falsche Hund!« knirschte Fartu loon. In diesem Haus besaß Huccard eine Tarnadresse. Nach Fartuloons Meinung mußte Huccard jeden Augenblick hier vor beikommen. Nur Huccard allein konnte die Rätsel um Atlans Tod und das Verschwin den der Leiche klären. Oder die Ahnung Fartuloons, daß Atlan womöglich noch leb te, bestätigen. Germukron-Fartuloon vergewisserte sich, daß seine Waffe schußbereit war und blieb wieder vor Adressenschild und Bildschirm stehen. Huccard, Mana-Konyr, Parnooh, der Hel fer Huccards? Die Leiche Atlans? Wohin waren sie alle verschwunden? Ungewißheit, Nervenspannung und Niedergeschlagenheit marterten Fartuloon. Sein Finger drückte den breiten Knopf. Sekundenlang geschah absolut nichts, dann ertönte ein scharfes Knacken, und auf dem Bildschirm zeichnete sich der Oberkörper eines sehr jungen Mäd
5 chens ab. »Ja? Was wollen Sie?« Deutlich zeichnete sich Mißtrauen in dem schmalen Gesicht ab. Germukron lächelte gewinnend, und als das Mädchen die Raum fahrerinsignien erkannte, entspannte es sich. »Ich sprach vor Stunden mit deiner Mut ter. Hat sich Huccard von der GLORIOC zwischenzeitlich schon gemeldet?« »Nein, Herr Kapitän«, erwiderte das Mäd chen. »Auch meine Mutter ist nicht da.« Germukron sagte in steigender Ungeduld: »Ich schiebe Adresse und Rufnummer in den Schlitz. Wenn sich Huccard meldet – würdest du mich benachrichtigen? Es ist wichtig. Ich schulde ihm eine beträchtliche Summe.« Er konnte sich nicht mehr lange frei in Mal-Dagmon bewegen. Schließlich würde man ihn zu seinem Schiff nach Pejolc brin gen. Der Umstand, daß jemand existierte, der etwas anderes als ein Gläubiger des schmie rigen kleinen Mannes mit den hart funkelnden Triefaugen war, verlieh der Antwort des Mädchens mehr Anteilnahme, als Germu kron erwarten durfte. Sie nickte ernsthaft und sagte: »Wir rufen Sie an, Kapitän. Wie ist Ihr Name?« Germukron schrieb Namen und Kodezahl des Anschlusses, unter dem er im Gästehaus der Tamaskon-Sicherheitsbehörden zu errei chen war, auf einen Zettel und schob ihn ge faltet in den Schlitz neben dem Rufknopf. »Steht alles darauf. Ich bedanke mich, meine Kleine«, rief er lächelnd und wandte sich zum Gehen. Als er die nächste breitere Straße erreich te, hatte sein Plan festere Umrisse angenom men. Er hielt einen Taxigleiter an und be fand sich Minuten später am innersten Rand des Stadtzentrums. Sie hielten vor einer der transportablen Barrieren, jenseits derer sich nur noch Passanten frei bewegen durften. Germukron zahlte und stieg aus. »Nur ein blödsinniger Zufall kann mir jetzt noch helfen!« sagte er und tauchte in
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den Wirbel aus Farben, Bewegungen und Geschrei ein. Germukron kaufte einem fliegenden Händler einen viel zu teuren Berechtigungs schein und eine Handvoll Getränkebons ab. Er wanderte langsam und mit großer Auf merksamkeit durch die Menschenmenge, die sich langsam zu drängen begann, hin und her wogte, aus Seitengassen immer mehr Zustrom erhielt und sich um Getränkestände und Podien scharte. Offensichtlich war Mana-Konyr noch immer nicht gefunden wor den. Germukron kaufte sich einen Krug Bier, lehnte sich mit dem Rücken gegen die bau fällige Theke und starrte den Arkoniden, die an ihm vorbeikamen, in die Gesichter. Nicht ein einziges vertrautes oder bekann tes Gesicht tauchte auf. Germukron trank aus und fing den zwei ten Teil seiner Wanderung an. Bis seine Fußsohlen brannten und schmerzten, ging er durch sämtliche Teile der Innenstadt. Er mußte in Zehntausende verschiedene Ge sichter gestarrt haben. Immer wieder kam es vor, daß irgendwo Lärm entstand und der Ruf zu hören war: »Hier ist er! Hier ist Mana-Konyr!« Aber es stellte sich immer wieder als falscher Alarm heraus. Als sie Mana-Konyr endlich wirklich entdeckten, befand sich Germukron, ziemlich erschöpft und mutlos, in einem Gleiter, der zur Arena hinausraste.
* Mit geschlossenen Augen, einem schlech ten Geschmack im Rachen, versunken in ab grundtiefe Hoffnungslosigkeit, lehnte Ger mukron im Rücksitz des robotischen Ge fährts, das die Piste entlangjagte. Jetzt flute ten keine Massen von Besuchern mehr in die Richtung der Arena, aber auf den großen Sandflächen entlang der Fahrbahn entstan den bereits die ersten Bauten der fliegenden Schausteller. Gedanken und Empfindungen wirbelten in Germukron umeinander wie die Trümmer
einer gewaltigen kosmischen Detonation. Atlans Tod hatte alles verändert und sinnlos werden lassen. Fast alles. Mit dem Träger der Zielerwartungen waren alle Bemühun gen und Versuche gestorben. Was jetzt geschah, lief auf reines Reagie ren hinaus. Es war der armselige Versuch, die Scherben zu sammeln und einen geord neten Rückzug einzuleiten und durchzufüh ren. Hätte er jetzt irgendwo Huccard gesehen, dann würde er ihn totgeschlagen haben bei dem Versuch, die Wahrheit aus ihm heraus zubekommen. Der turmartige Bau, in dem er einige Räu me bewohnte, tauchte auf. Neben der Si cherheitstoranlage bremste der Gleiter und nannte mit blecherner Stimme den Fahrt preis. Germukron wurde augenblicklich ein gelassen. Der bewaffnete Posten deutete einen Gruß an und sagte: »Sie werden erwartet, Kommandant!« Eine dunkle Ahnung ergriff Germukron. Er blieb stehen und fragte zurück: »Von wem?« Irritiert hob der Posten die Schultern. »Ein Offizieller. Vermutlich erhalten Sie Startbefehl. Arz Amphtak ist in seinem Büro und wartet.« »Danke, Kamerad.« Germukron blieb einen Augenblick vor dem leichten Schott der Bürotür stehen, hol te tief Luft und gab sich einen innerlichen Ruck. Das Schott fauchte zur Seite. Ein ha gerer Uniformierter mit einem krankhaft gelben Gesicht saß rechts von Amphtak ne ben dem Schreibtisch und setzte bei Germu krons Eintreten ein berufsmäßiges Lächeln auf. »Kommandant Germukron von der PFE KON?« fragte er mit gelangweilter Stimme. »In Person«, erwiderte Germukron ge messen und grüßte mit einem Kopfnicken den Verantwortlichen. »Mit wem habe ich das Vergnügen?« »Ob es ein Vergnügen wird, bleibt abzu warten. Thanyel, von der System-Wach flotte. Ihr Schiff steht auf Pejolc?«
Der Sieger und der Tote Arz lächelte aufmunternd; schließlich ver dankte er Germukron wichtige Hinweise und Informationen. Gleichzeitig baten seine Augen, nichts von den unerklärbaren Zwi schenfällen zu erwähnen – dem Tod des Glotho-Carn und Darbecks verschwundener Leiche. Es gab eine Handvoll guter Gründe, Amphtak zu schonen, also drehte Germu kron den Kopf und starrte Thanyel schwei gend an. Schließlich lachte er kurz und er klärte: »Es ist anzunehmen. Meine Mannschaft erhielt strikten Befehl, die PFEKON dorthin zu fliegen, sie zu landen und auf mich zu warten. Ich bin sicher, daß das Schiff nicht gestohlen wurde.« Plötzlich grinste Thanyel. Er sah richtig gehend gewinnend aus. Offensichtlich hatte er ein offizielles und ein privates Gesicht. Merkwürdig, dachte Germukron, alle, die mit den KAYMUURTES zu tun haben, schei nen irgendwie verrückt zu sein. »Wurde nicht gestohlen. Die PFEKON wartet darauf, von Ihnen wieder nach Seta muur zurückgeflogen zu werden. Diesmal ohne Gefangenen. Wie ich hörte und sah, hatte dieser aussichtsreiche junge Verbre cher am Ende doch noch das Pech, besiegt zu werden.« Mit eiserner Beherrschung zwang sich Germukron zu einer gleichgültig klingenden Antwort. »Je höher die Erwartungen, desto tiefer ist oft der Sturz«, sagte er. »Ich gab Darbeck ohnehin wenige Chancen. Er verblüffte uns alle.« Wie wahr! Am Gesichtsausdruck Arz Amphtaks konnte Germukron leicht ablesen, daß weder die offizielle Suche nach Dar becks Leiche noch die Anstrengungen, den rätselhaften Tod Glotho-Carns zu klären, Er folg gehabt hatten. Thanyel hob die Hand und deutete auf einen Stapel Papiere und Fo lien. »Ich habe Ihren Startbefehl mitgebracht, Kommandant Germukron.« »Geht in Ordnung. Wann?« fragte Ger mukron.
7 »Morgen Abend holt Sie der offizielle Gleiter ab, bringt Sie zum Raumhafen MalDagmon. Dort wartet ein Schiff, das mehre re Kommandanten, darunter auch Sie, zu den Schiffen nach Pejolc bringen wird. Ich fliege selbst mit. Pünktlich zur angegebenen Zeit, ja?« Lässig deutete Germukron mit dem Dau men über die Schulter in die Richtung auf die Stadt und meinte: »Ich habe also noch etwas Zeit, mir das Spektakel anzusehen. Ist Mana-Konyr ei gentlich schon aufgetaucht?« »Ja. Seit einer halben Stunde ist er der wichtigste Mann von ganz Mal-Dagmon.« Germukron dachte an das Mädchen Anca ste. Die Zeit lief rasend schnell ab. Sie hat ten nur ein paar armselige Stunden füreinan der gehabt. Vielleicht konnten sie sich noch einmal treffen, bevor er den Planeten ver ließ. »Dann werde ich mich in das Gewühl stürzen.« »Lassen Sie sich nicht aufhalten, Raum fahrer. Nur versäumen Sie das Startdatum nicht; wir wären sonst gezwungen, harte Maßnahmen zu treffen«, schloß Thanyel und grinste wieder breit. Diese kaum verhüllte Drohung störte Germukron nicht sonderlich; er hatte ab jetzt rund eineinhalb Tage Zeit. »Ich tue mein Bestes, wie zumeist«, er klärte Germukron und ging zum Schott. »Ich bin in meinem Apartment, Arz.« »Verstanden.« Germukron packte, in seinem Wohnraum angekommen, fast sein gesamtes Gepäck zu sammen. Es war nicht sehr viel. Nachdem er die Duschen und Massagen der Hygienezel le über sich hatte ergehen lassen, schüttete er aufmunternde Getränke in sich hinein. Jetzt trug er eine helle, geradezu fröhlich wirken de Kombination, die in krassem Gegensatz zu seiner Stimmung stand. Er vergaß nicht, die Waffe unter die Achsel zu schnallen. Mana-Konyr war also aufgetaucht. »Es wird wohl das Sinnvollste sein«, mur melte er, »wenn ich mich an seine Sohlen hefte. Vielleicht führt er mich, ohne es zu
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wissen, zu Huccard.« Und dadurch kam er, Germukron, viel leicht dem Geheimnis um Atlans Tod einige Schritte näher. Germukron verließ den Wohnturm, nahm die Röhrenbahn und war, als er eine lange Treppe hinaufgestiegen war, im Zentrum ei nes mittelgroßen Platzes. Der Lärm und die Gerüche dieses Straßenfests schlugen über ihm zusammen, als er die letzte Stufe ver ließ. Germukron stürzte sich in das Gewim mel.
* Wie ein hungriger Wolf streifte Germu kron unermüdlich und verbissen durch schmale Gassen zwischen Hausmauern, durch kurze, breite Straßen und über kleine Plätze. Immer wieder fragte Germukron nach Mana-Konyr. Er erhielt Antworten, die ihn in alle mög lichen Richtungen wiesen. Dort wollte man ihn gesehen haben, in jenem Saal war er ge rade und hielt eine Pressekonferenz ab, dann wieder hatte man ihn zechen sehen … Ger mukron rannte hierhin und dorthin. Jedes mal, wenn er an einem der Punkte eintraf, war der Sieger nicht mehr da. Dann, ganz plötzlich und zufällig, als Germukron erschöpft dastand und ein Heiß getränk schlürfte, sah er durch eine Lücke zwischen den Passanten gleich zwei der Ge suchten auf einmal. Huccard und Mana-Konyr. Der schmächtige Agent, der aussah, als sei er seit einer Woche nicht aus seinem An zug herausgekommen, redete gestenreich und offensichtlich ärgerlich auf den großen, hageren Arkoniden ein. Mana-Konyr zeigte deutliche Einwirkungen von zuviel Alkohol. Germukron, den diese Beobachtung durchfuhr wie ein Schlag, zwang sich dazu, genauer hinzusehen, den Becher leerzutrin ken und sich erst dann durch diese Lücke zu stemmen. Er durfte bei keiner der folgenden Aktionen auffallen.
Natürlich hatte Germukron genügend Er fahrung in solchen Jagden, aber er befand sich auf völlig unbekanntem Gebiet. Immer wieder schoben sich Passanten vor ihn, aber er drängte sie, Entschuldigungen murmelnd, kraftvoll zur Seite und schob sich weiter. Er starrte sein Ziel an; es war der Eingang eines schmalen Hauses mit weit offenen Fenstern, hinter denen man viele Gäste sehen konnte. Auf den Stufen des Eingangs stand Huccard und schrie wütend auf Mana-Konyr ein, et wa dreißig oder vierzig Schritte von Germu kron entfernt. Die Erregung packte Atlans Freund; er blieb stehen, als er zehn Schritte von den beiden Deckung fand. Eine Gruppe von Reportern, die ebenfalls Mana-Konyr entdeckt hatten, brach in Ge schrei aus und rannte auf ihn los. Germu kron versteckte sich in dieser Gruppe und war noch unentschieden; wen von beiden er verfolgen sollte, falls sie sich trennten. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Mana-Konyr grinste breit und steckte ein handgroßes Päckchen mit buntem Umschlag in eine Innentasche. Er drehte sich um und schob mühelos den kleinen Agenten von sich weg, indem er ihm mit der flachen Hand einen Stoß vor die Brust gab. Wütend drehte sich Huccard um und verschwand im Haus. Germukron war von dem, was er sah, derartig gepackt, daß er zu grinsen vergaß. Mana-Konyr hob beide Arme, als er die Berichterstatter sah. Sie umringten ihn; Germukron blieb in der Gruppe stehen und entschloß sich, das schwächste Glied anzugreifen. Dies war für ihn zweifellos der nicht mehr ganz nüchter ne Arkonide mit dem faltigen Gesicht. Was ging hier vor? Inzwischen war es später Abend gewor den, noch drei Stunden bis Mitternacht. Für Germukron schien es sicher zu sein, daß sich die meisten Anwesenden nicht so sehr um den Sieger kümmerten, sondern viel mehr das Fest ausnutzten. Sie waren ebenso unfä hig, den KAYMUURTES-Sieger zu finden, in diesem unendlich lauten und quirlenden Durcheinander, wie er es gewesen war.
Der Sieger und der Tote Schwankend stand Mana-Konyr da und gab Antworten auf die Fragen der Reporter. Germukrons Verblüffung war vollkom men. Huccard, Atlans Kampfagent, übergab Mana-Konyr, dem Gegner des tödlichen Kampfes, ein offensichtlich wertvolles Päckchen. Das mußte einfach etwas zu be deuten haben! Was ging hier vor? Mit schwindender Geduld wartete Germu kron darauf, daß sich die Szene änderte. Rings um die etwa zwanzigköpfige Gruppe auf den Stufen des Eingangs bewegten sich die Massen der Passanten. Der schwache Nachtwind trieb die Fetzen von Musik und vielfältige Gerüche hin und her wie die Wel len der Brandung. Ununterbrochen brüllten die Stimmen der Fragenden. Der Raumfah rer lehnte sich neben einem Fenster gegen die Hausmauer und betrachtete ManaKonyr. Auch seine Kraft ist nicht unendlich groß, dachte er bei sich. Die Anstrengungen der vergangenen Tage und der Alkohol hatten trotz der medizinischen Pflege und der lan gen Nacht, in der Mana verschwunden ge wesen war und sicherlich ausgeschlafen hat te, ihre Wirkung nicht verfehlt. Der Überle bende der Kämpfe war todmüde, nur sein Wille hielt ihn noch auf den Beinen. Schließlich hob er den Arm und brüllte die Reporter nieder. »Morgen geht es weiter, meine Freunde. Ich bin müde und erschöpft. Wir haben noch Wochen vor uns! Das Fest geht weiter!« Er drehte sich um und sprang dann hinun ter auf die Fahrbahn. Er entfernte sich mit großer Eile. Er war weniger betrunken; die Müdigkeit war es, die ihm zu schaffen machte. Aber ohne Alkohol würde er sich viel mehr zusammennehmen können. Im Fall eines Angriffs aber, das wußte Germu kron genau, würde er wenigstens für kurze Zeit noch ebenso kräftig und automatenhaft reagieren und zurückschlagen, wie es beim Kampf gegen Atlan der Fall gewesen war. Geräuschlos und unauffällig folgte Ger
9 mukron dem Sieger. Die Reporter stoben auseinander. Sie versuchten vermutlich, ih ren Bericht loszuwerden – an Zeitungen und alle anderen Kommunikationsorgane. Die kommenden Tage würden für Mana-Konyr eine Reihe von Pressekonferenzen bringen, er war Gast aller nur denkbaren Veranstal tungen, und wenn er nicht mehr betrunken war, würde er sich jede einzelne Äußerung bezahlen lassen. Der Weg nach Arkon war für ihn mit vie len glänzenden Chronners gepflastert. Entlang von Hauswänden, zwischen Ver kaufsbuden hindurch, durch Gruppen von Betrunkenen, die den Sieger nicht mehr er kannten, folgte Germukron dem davoneilenden Mana-Konyr. Germukron fühlte, wie sein Herz zu hämmern begann. Die Handflä chen wurden feucht; ein Zeichen, daß sein Unterbewußtsein diese Jagd mit einem be deutsamen Ereignis assoziierte. »Das hat etwas zu bedeuten! Ich kenne diese verwünschten Symptome«, zischte der Bauchaufschneider und blieb stehen, als sei ne Beute ebenfalls anhielt. Es war ein klei nes Haus, hinter einer gläsernen Mauer in ei nem kleinen, aber sorgfältig bearbeiteten Park gelegen. Mana-Konyr suchte in einer Außentasche, in der es hell klirrte, nach ei nem Schlüssel, dann fand er ihn und be trachtete ihn voller Verwirrung. Schließlich drehte er den stabförmigen Gegenstand mit den positronischen Zackenelementen und schob ihn ins Schloß einer aus Stahlrohren in künstlerischem Muster bestehenden brei ten Tür. Sie drehte sich geräuschlos nach in nen. Keiner der vielen Passanten kümmerte sich um diesen einsamen Besucher. Entlang eines schmalen Weges und hinter einigen Fenstern des Hauses brannte Licht. Mit metallischem Klirren fiel die Tür wie der zu. Mana-Konyrs schleppende Schritte entfernten sich über den weißen Kies. Ger mukron stieß eine Verwünschung aus und ging fünf Meter zurück, bog nach links ab und bewegte sich in unauffälligem Tempo entlang der Mauer. Überall gab es Bäume, deren Kronen über
10 die Mauer sahen. Die Stämme befanden sich diesseits und jenseits der Mauer, aber er würde auffallen. Es gab zu viele Passanten und zu viele Arkoniden, die das Treiben aus den Fenstern der Häuser heraus betrachteten. Die folgende Quergasse war schmaler, aber sah ebenso aus. Allerdings war es hier erheblich ruhiger. Trotzdem würde er auffal len. Dasselbe Bild bot sich, als Germukron auch die dritte Seitenkante der Parkmauer aus milchig schimmernden Bausteinen ent langgegangen war. Folglich blieb nur die Mauer übrig, die gegenüber dem eigentlichen Eingang lag. In einigen Stunden würde es hier ruhiger sein. Er brauchte nur soviel Zeit, um an einem Stamm hochzuklettern und zwischen den le drigen, dunkelgrünen Blättern zu verschwin den. »Verdammt! Schon wieder warten!« stöhnte er auf und ging langsam zurück zu dem stählernen Tor. Wer oder was wartete in dem Haus auf Mana-Konyr? Frauen? Freunde? Oder ein fach nur Ruhe und die Möglichkeit, sich zu erholen. Nichts war zu hören oder zu sehen. Germukron begann Hunger zu spüren und blieb an einem Stand stehen, an dem vier Dutzend verschiedene, warme und kalte Sa late verkauft wurden. Von hier aus konnte er das Tor einwandfrei im Auge behalten. Ver steckte Leuchtkörper sorgten für genügend Licht. Er sah auf die Uhr. Es wurde später und später. Germukrons Geduld wurde abermals auf eine harte Probe gestellt, aber jetzt wußte er, worauf er warte te und wonach er suchte. Das Gedränge in den Gassen und Straßen um das ummauerte Grundstück nahm ab, die Gäste an dem Ver kaufsstand wurden weniger. Germukron lockerte seine Waffe und schlich unauffällig zur Hinterseite des Grundstücks. Während er scheinbar uninteressiert die dunkel geworde ne Gasse entlangspazierte, beobachtete er scharf die Hausfronten und die Fenster. Ganz plötzlich handelte Germukron. Er machte einen Sprung nach links und verschwand in den tiefen Schatten zwischen
Hans Kneifel einem Baumstamm und der kaum noch leuchtenden Glasmauer. Mit schnellen, si cheren Bewegungen kletterte er den Stamm hinauf, griff nach dem untersten, dicken Ast und schwang sich auf die Mauerkrone. Schon jetzt war er außerhalb der Sicht ande rer Passanten. Er drehte den Kopf und warf einen langen Blick zum Haus hinüber. Die Beleuchtung in den meisten Zimmern war ausgeschaltet worden. Einzelne Musik fetzen und Geräusche leiser Unterhaltungen drangen an seine Ohren. »Mana-Konyr ist also nicht allein!« flü sterte er, turnte entlang des Astes hinüber zu einer anderen Baumkrone, hielt sich an den federnden Ästen fest und sprang schließlich schräg nach oben. Seine Finger krallten sich um die Blätter und Ästchen am Ende eines langen, federnden Astes. Das Holz bog sich schwer durch, Zweige und Blattenden ra schelten, als Germukron langsam in den Park heruntersank. Seine Sohlen berührten weichen Grasboden oder Moospolster. Ger mukron war jetzt voll auf die vor ihm lie gende Aufgabe konzentriert. Er sicherte vor sichtig nach allen Seiten, verbarg sich im Schatten und hielt noch immer den Ast fest, um sich durch das Geräusch des Hoch schnellens nicht zu verraten. Niemand hatte sein Eindringen bemerkt. Vorsichtig ließ er den Ast los und ver suchte, die peitschende Bewegung abzu schwächen. Es gab nur ein raschelndes Ge räusch, dann rannte er auf Zehenspitzen in die Richtung einer Buschgruppe, die unmit telbar neben der weit vorspringenden Ter rasse wuchs. Augenblicklich befand er sich wieder in der Deckung und schob die Zwei ge auseinander. Er sah direkt in einen geräu migen Wohnraum hinein, in dem sich etwa fünfzehn Personen aufhielten. Mädchen, Frauen, einige Männer, die leicht angetrun ken waren, andere, in denen er Berichterstat ter erkannte. Photoapparate und Aufnahme geräte lagen auf den Möbeln. Jemand stellte, ehe Germukron noch einen einzigen Satz der Unterhaltung verstehen konnte, die Musik auf größere Lautstärke. Mit geschlossenen
Der Sieger und der Tote Augen tanzte ein junges, sehr hübsches Mädchen um den runden Tisch. Germukron schob sich vorsichtig zwi schen den Zweigen hervor und achtete dar auf, daß er sich nicht in das Lichtrechteck hinausbewegte. Sein prüfender Blick husch te über die Gesichter und Körper. ManaKonyr war nicht in diesem Raum. Der Bauchaufschneider kroch auf die Terrasse, robbte bis zur Ecke zwischen Terrassenbo den und Wand und schlich geduckt bis zum nächsten Fenster. Es war offen, ging aber in einen leeren, kleineren Raum hinein. Weiter. Das nächste Fenster führte in die Robotkü che. Dort standen eine Frau und ein Mann, eng umschlungen in einer Ecke. Germukron kroch weiter und gelangte schließlich zum Hauseingang. Die Beleuchtung war ausgeschaltet, aber die Tür war weit offen. Die Platte ver schwand fast völlig in dem Schlitz der rech ten Wand. Mit einer schnellen Bewegung zauberte Germukron die Waffe in seine rechte Hand, suchte nach Fallen oder Alarm elementen und sprang ns Innere. Er hörte nur den Lärm, den die versam melten Arkoniden im großen Wohnraum veranstalteten. Der engere Troß des Siegers feierte ungehindert weiter; vermutlich sch lief der Sieger bereits. Links führte eine prächtige, semischwe bende Treppe in die oberen Geschosse. Im mer drei Stufen auf einmal nehmend, er reichte Germukron die Rampe am oberen Ende der gekrümmten Treppe. Die langen, mit kostbarem Geflecht umsponnenen Stu fen federten mit leisen, klingenden Lauten nach. Fünf gleichgroße Türen, helle Flächen in einer dunklen Wand, führten in ebenso viele Räume. Germukron zuckte schweigend die Schultern, entsicherte mit einem Dau mendruck seine Dienstwaffe und schlich zur ersten Tür. Vorsichtig kippte er die breite, verzierte Kontaktklappe und öffnete die Tür einen Spalt breit. Der Raum dahinter war völlig dunkel. Langsam huschte Germu krons Blick über die undeutlichen Umrisse der Möbel und Kanten. Dann, in einer Auf
11 wallung von Wut und Entschlossenheit, suchten die Finger der rechten Hand den Kontakt und drückten ihn. An fünf verschie denen Punkten des Raumes flammten wei che, indirekte Leuchtkörper auf. »Leer!« stellte Germukron fest, schaltete aus und schloß die Tür. Einige Herzschläge später schaltete er das Licht im nächsten Raum ein – ebenfalls leer. Der dritte Raum führte in eine große, luxuriös ausgestattete Toilette. Er schloß die Tür hinter sich ab, als er die Verbindungstür zum nächsten Raum ent deckte. In dem mit kostbaren Platten ausge legten Raum herrschte eine heillose Unord nung. Mana-Konyr schien in unmittelbarer Nähe zu sein. Langsam drosselte Germukron die Stärke der Beleuchtung auf ein Mini mum und zog die Tür auf. Eine einzelne, matte Lampe brannte in dem großen Zimmer – nur mit einer leichten Decke über dem Körper lag Mana-Konyr schlafend auf dem Rücken und schnarchte leise. Germukron bewegte sich geräuschlos wie ein Schatten. Er schloß die Verbindungstür hinter sich, drehte den Absperrschalter an der Tür zum Lichthof und ließ das Fenster in die Normalstellung klappen. Er blieb in der Mitte des Raumes stehen, nahm jede Einzel heit des wertvoll eingerichteten, aber ver schlampten Raumes in sich auf und wartete darauf, daß irgendein Instinkt den Sieger der KAYMUURTES aufwecken würde. Dort schlief der Mörder Atlans; Germu kron korrigierte sich: auch Atlan hätte die sen Mann umgebracht, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Schweigend und voller Spannung wartete Germukron. Aber die Zeit, in der dieser Mann wie ein wildes Tier hochgeschreckt wäre und angegriffen hätte, war vorbei. Mü digkeit und der Rausch von zwei Tagen la gerten wie dicke geologische Schichten über den kreatürlichen Reaktionen Mana-Konyrs, des ehemaligen Komputerfachmanns. Germukron schüttelte wild den Kopf, machte zwei Schritte nach vorn und schob die Waffe in den Gürtel. Mana-Konyr, der
12 Kämpfer, der mit seiner speziellen Paralyse technik die anderen relativ mühelos besiegt hatte, konnte vielleicht in der Tamaskon-Are na siegen, aber nicht gegen den Bauchauf schneider mit den größeren Kräften und der weitaus intensiveren Erfahrung. »Ich brauche einen Schock, der ihn er nüchtert«, grinste Germukron kalt, riß mit der linken Hand die Decke weg und brachte die rechte Hand in Angriffstellung. Drei Se kunden brauchte Mana-Konyr, bis er er wachte, zwei Sekunden später hatte er Ger mukron wohl erkannt, und eine halbe Se kunde später sprang er ihn an. Die starr ausgestreckten Finger Germu krons trafen genau die Stellen, die er anvi siert hatte. Ein gräßlicher Schmerz fuhr durch den Körper des Siegers. Mana stöhnte auf, aber da dieser Hieb nur Schmerzen, kei ne Nervenlähmung hervorrief, schwang er sich wieder in die Höhe und griff abermals an. Germukron trat kurz und hart gegen einen Nervenknoten im Oberschenkel, seine bei den Hände zuckten mit großer Schnelligkeit und furchtbarer Gewalt schräg nach unten. Die Handkanten und Fingerspitzen trafen exakt. Mit einem kurzen Wimmern, gefolgt von dem gurgelnden Versuch Mana-Konyrs, Luft zu holen, krachte der Sieger wieder auf das große Bett zurück. Er war mindestens ein paar Stunden lang, von den Hüften ab wärts, vollständig gelähmt. »Du siehst, Mana-Konyr«, sagte Germu kron leise und zog die Waffe langsam aus dem Gürtel, »daß es auch andere Arkoniden gibt, die deine Technik beherrschen. Ich kann dir weitaus größere Schmerzen zufü gen und gleichzeitig verhindern, daß du auch nur laut dabei atmest.« Nach einigen Bewegungen, mit denen sich Mana-Konyr aufzurichten versuchte, sah er es ein und blieb verkrümmt liegen. Nur seine Hände bewegten sich. »Wer bist du?« fragte er mit schmerzver zerrtem Gesicht. »Der Bewacher des Glücklichen Dar beck«, sagte Germukron in schneidender
Hans Kneifel Schärfe und richtete die Waffe auf ManaKonyr. »Ich brauche Auskünfte.« »Ich glaube, ich habe dich schon gesehen. Irgendwo in der Arena.« »Möglich«, erklärte Germukron. »Willst du sofort antworten, oder ziehst du es vor, den goldenen Weg nach Arkon als Krüppel anzutreten?« Stöhnend und mit schweißüberströmtem Gesicht brachte Mana-Konyr eine verzerrte Grimasse zustande. »Eine ungute Alternative. Ich bin nicht mehr so dumm wie vor vielen Jahren.« »Deine Klugheit wirkt lebensrettend. Was hast du mit Huccard zu schaffen?« Wieder stöhnte Mana-Konyr, dann wim merte er: »Er half mir. Der Plan stammte von ihm. Er hat mich gut bezahlt.« Zu seiner eigenen Überraschung merkte Germukron, daß ihn diese Eröffnung keines wegs so erschütterte, wie es eigentlich hätte sein müssen. Huccard, nicht nur Atlans Agent, sondern auch der Kampfagent Mana-Konyrs! Er war also der Drahtzieher der Aktion. »Du hast deine Bezahlung vorhin erhal ten, auf den Stufen des Versammlungshau ses, nicht wahr?« »Ja. Die Prämie für meinen Sieg über Darbeck.« Obwohl er keineswegs ruhig war, fragte Germukron leise: »Wo ist Darbecks Lei che?« »Wer?« »Darbecks Leiche. Der Körper deines Gegners im letzten Kampf der KAYMUUR TES.« »Keine Ahnung«, murmelte Mana-Konyr. Seine Unwissenheit schien tatsächlich echt zu sein. »Sie haben ihn hinausgebracht, wie ich gerade noch bemerkte. Ein verteufelt schwerer Gegner.« »Den du perfekt totgeschlagen hast.« Sie starrten sich in die Augen. In Germu kron dämmerte eine gräßliche Einsicht. »Sah ganz perfekt aus, nicht wahr?« »Was sah perfekt aus, du Wurm?« flüster te Germukron. »Willst du damit vielleicht
Der Sieger und der Tote sagen, daß …?« »Ich verstehe. Du denkst, daß ich Darbeck nicht nur besiegt habe, sondern ihn auch ge tötet habe? Das ist ja gerade der verdammte Witz bei der Sache! Huccard hat mich dafür bezahlt …« Germukron senkte die Waffe und zielte mit der Nadel des Projektors zwischen die aufgerissenen Augen des anderen. ManaKonyr sah krank vor Angst und Aufregung aus. »Huccard hat dich wofür bezahlt, du Kreatur?« »Dafür, daß ich deinen Darbeck nicht nur besiegt, sondern mit dem besten Schlag, den ich kenne, für mindestens einen halben Tag scheintot gedroschen habe. Verblüfft?« Germukrons Gefühle waren eine volle Minute lang das reine Chaos. Darbeck war betäubt, sein lebloser Körper war aus der Arena gebracht und kurz darauf entführt worden. Die Ausführung dieser Tat sah ir gendwie nach Huccards Planung aus. »Mehr als verblüfft«, krächzte Germu kron. »Du hast also von Huccard, dem Chef der GLORIOC, eine Menge Geld dafür be kommen, Darbeck zu besiegen und den Ein druck zu erwecken, er wäre tot?« »Richtig. Nur ich kenne einen solchen Schlag.« Germukron lächelte sehr kurz, aber unge mein grimmig. »Du irrst. Ich kenne nicht denselben, aber einen ähnlichen Schlag. Soll ich ihn dir zei gen?« »Kann darauf verzichten.« Atlan lebte! Wenigstens erzählte es dieser Verbrecher hier. Germukron sicherte die Waffe und steckte sie zurück. Er knurrte: »Wo ist Darbecks Körper jetzt?« »Keine Ahnung. Wirklich nicht, glaube mir. Du mußt dich an Huccard wenden. Hast du Angst, daß Darbeck dir noch nach seinem Tod entkommt?« Mana-Konyr stieß ein verzerrtes Geläch ter aus. Inzwischen bewegten sich Germukrons Gedanken wieder in vernünftigen Bahnen.
13 Weil er hoffen wollte, hoffte er. Atlan war also nicht tot. In diesem Augenblick gestat tete er sich keinerlei freudige Gedanken, aber das brennende, schockartige Gefühl, das er bei der unmißverständlichen Antwort des Siegers empfunden hatte, kennzeichnete seine Freude und Erleichterung. »Trotzdem frage ich. Weißt du irgend et was von der Entführung? Sie brachten Dar beck in die Kühlkammer, aber von dort wur de er gestohlen. Falls ich gute Informationen erhalte, lasse ich dich weiterleben!« Germukron bemerkte den hilfesuchenden Blick und schüttelte den Kopf. »Sie sind dort unten vermutlich schon be trunken. Niemand wird dich stören. Wir sind allein, Mana-Konyr. Zugegeben, ich töte dich nicht gern, aber ohne Zögern, wenn ich damit mein Ziel erreiche.« Mana-Konyrs Hände und Finger vollführ ten unkontrollierte Bewegungen. Er schüt telte den Kopf und stieß einen gurgelnden Laut aus. Dann zwang er sich zur Ruhe und sagte stockend: »Ich war nur Werkzeug. Huccard sagte, er würde alles arrangieren. Er sagte, er würde dafür sorgen, daß ich und Darbeck zum letz ten Kampf antreten würden. Ich mußte einen überzeugenden Kampf liefern, dann unbe dingt siegen, und schließlich bezahlte er mich, daß Darbeck als einwandfrei tot aus der Arena herausgebracht wurde. Das ist al les. Ich wollte nicht mehr wissen, denn wenn ich mehr wüßte, könnte ich mehr aus plaudern. Ich will nach Arkon und alle Komputer vernichten.« Er lachte keuchend und schloß: »Huccard hat mir auch nicht mehr gesagt. Er hielt sein Versprechen, nachdem ich mein Versprechen gehalten habe. Und wenn du mich jetzt totschießt – mehr weiß ich nicht. Ich war die ganze Zeit über ebenso gefangen und ohne Kontakt mit der Außenwelt wie al le anderen in den Verliesen von Hirc.« Jetzt konnte es sich Germukron leisten, großmütig zu sein. Er ging zum Fenster und öffnete es vorsichtig. »Sagen wir einmal: ich bin nicht abge
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neigt, dir zu glauben. Sollte ich Grund zu Reklamationen haben, weiß ich dich zu fin den. Schweige, wenn dich Huccard fragt. Ich rechne selbst mit ihm ab. Genieße die Stunden und Tage des Festes, Freund. Und jetzt – schlafe weiter.« Er riß das Fenster auf, löschte das Licht und nahm einen kurzen Anlauf. Er sprang weit hinaus, krümmte seinen Körper zusam men und landete nach einem steilen Flug ge nau in dem riesigen dunklen Busch. Blätter zerfetzten, Äste brachen, stärkere Zweige fe derten, und Germukron bemerkte nur einige unwichtige Schrammen, als er über Moos und Gras auf den Ausgang zuhastete und mühelos über das stählerne Tor kletterte. Germukron hatte ein neues Ziel: Huccard. Selbst wenn Huccard ein Agent des Geheim diensts sein sollte, würde er ihn suchen und stellen.
2. Der kleine, dunkle Raum war so gut wie leer. Undeutlich sickerte Licht einer schau kelnden Lampe durch einen handbreiten, dick vergitterten Spalt unmittelbar unter der Decke aus Stahlraster. Es stank nach Schweiß, nach Erbrochenem und nassen Tü chern. Hin und wieder klirrte eine dünne Kette. Eine massive Stahlplatte mit kantigen Scharnieren und zwei Hebeln unterbrach, aus einem ebenfalls stählernen Rahmen her ausragend, eine der schmalen Wände. Au ßerhalb des Raumes waren von Zeit zu Zeit undeutlich unterscheidbare Geräusche zu hören: Gelächter aus weiblichen und männ lichen Kehlen, Klirren von Gläsern, Anein anderstoßen von Bechern, Flüche und Ge schrei, und dazwischen Fetzten von lauter Musik. Etwas regte sich in dem Raum. Ein Körper, mit einer schmutzigen, kurz en Hose bekleidet. Ein Mann. Es war in dem geringen Licht nicht zu unterscheiden, ob es ein junger oder ein alter Mann war. In einer Ecke stand ein wackliges Klappbett, von
dem eine schmutzige Decke herunterhing. Der Kopf des Mannes lag auf einem zusam mengeknüllten Zipfel der Decke. Dicht ne ben der Tür stand ein weißes Tablett mit verschiedenen Schalen und Bechern aus bil ligem Plastik. Ein Becher war umgekippt und hatte seinen Inhalt auf den billigen Tep pichbelag des Raumes ausgeleert. Dort war er versickert und begann zu stinken. Der Kopf des Mannes bewegte sich lang sam. Aus der Kehle drang ein langgezogenes Stöhnen. Es war ein unbewußter Laut, der einem Beobachter deutlich gesagt haben würde, daß er Schmerz signalisierte. Unko ordiniert zuckten Beine und Arme. Es war nicht zu erkennen, ob der Mann verwundet war oder nicht. Der Gefangene war auf alle Fälle bewußtlos. Eine Stunde verging, ohne daß sich etwas änderte. Dann bewegte sich zuerst der untere, dann der obere Hebel um jeweils vierzig Grad. Ein Summen ertönte, mit dem ein Linearmo tor einen schweren Riegel zurückzog. Die Stahltür klaffte einen schmalen Spalt auf. An einer der Wände erschien ein senkrechter Balken Helligkeit, der sich langsam verbrei terte und jetzt erst zeigte, wie verwahrlost die Kammer wirklich war. Als die Helligkeit das halbe Zimmer ausfüllte, erschien die breitschultrige, wuchtige Gestalt im offenen Rechteck der Tür als Schattenriß. In der rechten Hand des großen Mannes schimmer te der gedrungene Lauf eines Paralysators. Mit einem zufriedenen Grunzen blickte der Mann auf den zusammengekrümmten Kör per des Gefangenen. Vom linken Handge lenk, wo sie mit einem Ring an einem Band befestigt war, ringelte sich eine dünne Kette aus Arkonstahl wie eine Schlange bis zur Wand und dort zu einem eingemauerten dickeren Ring. Der große Mann, dessen Kleidung bei je der Bewegung ein eigentümliches Knarzen von sich gab, schob sich drei Schritte in den Raum hinein und registrierte, daß der Ge stank stärker geworden war. Dann bückte
Der Sieger und der Tote sich die Gestalt, setzte ein schweres Tablett ab und hob das leichtere Tablett vom Boden hoch. Als der Wächter das Stöhnen und das abgerissene Wimmern hörte, zuckte er die Schultern und verließ wieder den Raum. Leise schob sich der Riegel vor, unhörbar drehten sich die Hebel in die Ausgangsstel lung zurück. Wieder verging eine bestimmte Zeit. Einmal wurde das Stöhnen leiser, dann wieder intensiver. Der bewußtlose Mann rührte sich. Blind und lahm, mehr bewußtlos als lebendig, kroch der schlanke Körper auf höchst merkwürdige Weise, mehr vom In stinkt gesteuert als von auch nur der gering sten Spur klaren Bewußtseins, auf das weiße Viereck zu, das sich undeutlich gegen den dunkleren Belag abhob. Mit geschlossenen Augen und tastenden Fingern, die im Fieber zitterten, fand der Gefangene den Becher und kippte ihn. Gleichzeitig brachte er seine Lippen in eine Lage, in der die Flüssigkeit von selbst hineinlief.
* Natürlich lebst du noch! Ich wußte nicht, wo ich war. Oder genauer: ich war nicht mehr in der Lage, annä hernd klar zu denken. Lediglich irgendwel che Reflexe funktionierten. Der Gedanke be herrschte mich, daß ich noch lebte. Irgendei ne Stimme hatte zu mir irgend etwas gesagt oder nicht: unwichtig. Ich bemerkte auf eine nicht zu erklärende Weise, daß mein Körper Flüssigkeit auf nahm. Nachdem ich etwas getrunken hatte, begann ich weiterzukriechen. Eine fremde Macht, nicht mein eigener Wille, trieben mich vorwärts. Ich stieß an eine Mauer, be tastete sie mit Fingern und Handballen, kroch daran entlang, bis ich nach einer Ewigkeit wieder an die Eisenplatte mit dem Hebel kam, der sich nicht bewegen ließ. Hör auf! Du bist zu schwach! Ruhe! Nicht bewegen! Schlafe! Mein ganzer Körper war eine einzige Masse aus glühenden Nadelstichen, foltern-
15 den Nervenschmerzen und dumpfer Gefühl losigkeit. Ich war ein einziges Bündel aus halber Bewußtlosigkeit und dem schwinden den Willen, zu überleben. Ich erinnerte mich nicht mehr daran, wie ich hierher gekommen war. Verwirrende Eindrücke zuckten durch meinen abgestumpften Verstand. Ich erin nerte mich an eine blutrote Kampfplattform. In einem Kampf, der mörderisch gewesen sein mußte, hatte ich verloren. Er bestand aus einer wirren Folge von Anstrengungen, Schmerzen und dem Versuch, zu siegen. Dann gab es einen riesigen, schwarzen Schmerz, von kurzer und tiefer Endgültig keit. Dann nichts mehr. Wie lange lag das zurück? Es gab keine Möglichkeit für mich, das festzustellen. Es existierten nur noch Schmerz und Betäubung. Eine neue Über zeugung schob sich in den bewußten Vor dergrund meiner Überzeugung. Ich war ge fangen. Dieser Raum war ein Gefängnis. Aber du lebst, sagte diese fremde Stimme dröhnend. Ich spürte, daß mich der Rest meiner Kraft verließ. Ich sackte zusammen und merkte nicht, daß ich irgendwelche Speisen von dem Tablett herunterriß.
* Germukron beendete seine Suche nach Huccard kurz nach Mitternacht. Er war völ lig erschöpft. Natürlich war er von dem Haus im Park, in dem er die erschütternden Antworten von Mana-Konyr bekommen hat te, auf dem schnellsten Weg zu jenem Haus im Stadtzentrum gerannt, in das er Huccard hatte hineinlaufen sehen. Das Haus war ein Privathaus, das die Ei gentümer an eine Mannschaft von Kamera leuten, Reportern, Mädchen aus deren Troß und an einen Piloten vermietet hatten. Der Pilot hatte alle diese Leute mit einer Raum jacht hierher gebracht und würde sie in eini gen Tagen wieder zurückfliegen. Germukron erwischte den Piloten, halbbe
16 trunken, vor dem riesigen, fast leeren Kühl schrank der Robotküche. Der Raum sah aus, als sei ein Kampf auf Leben und Tod darin geführt worden. »Und Sie sind sicher, daß er nur kurz hier war?« fragte Germukron. »Ganz sicher. Er kam herein, trank ein Glas und sprach vom großen Geld und vom Ruhm, der in Kürze über ihn hereinbrechen würde. Er hatte es ziemlich eilig. Warum su chen Sie ihn so dringend, Raumfahrer?« Germukron warf einen müden Blick auf das Chaos in dem funktionell eingerichteten Raum und erklärte bitter: »Persönliche Affäre. Sie wissen nicht, wohin er gegangen sein kann?« »Keine Ahnung.« »Und, wann will er zurückkommen?« »Ich glaube nicht, daß er zurückkommt. Er hat, denke ich, keinen Grund. Jeder kennt inzwischen Mana-Konyr. Huccard ist nicht sein Agent; der Sieger kennt inzwischen sei ne Tarife selbst.« »Vortrefflich«, brummte Germukron. Ganz sicher – nach Mana-Konyrs Auskünf ten mußte er dies glauben – würde Huccard ihn, Germukron, nicht suchen. Im Gegenteil. Er würde einen riesigen Bogen schlagen, wenn er ihn sah. Germukron sah fasziniert zu, wie der Pilot eine mittelgroße Flasche leerte, ohne ein einzigesmal abzusetzen. »Kann ich sonst etwas für Sie tun?« er kundigte sich der vogelgesichtige Pilot mit den lustigen Augen. »Danke. Sie haben mir entscheidend ge holfen«, erwiderte Germukron. »Ich werde weiter suchen.« Offensichtlich herrschte zur Stunde noch immer Startverbot von Hirc. Bald aber wür de der Raumhafen freigegeben werden. Dann konnten alle Schiffe starten. Auch ein Raumschiff, das Atlans bewußtlosen Körper wegschleppte. Atlan in der Gewalt Huc cards, also mit einiger Sicherheit im Besitz des arkonidischen Geheimdiensts. Das war nur eine Idee weniger schlimm als der Tod. Germukron drückte kameradschaftlich die Schulter des Piloten und ging, als der Mann
Hans Kneifel mit einknickenden Knien langsam zu Boden rutschte und zwischen Scherben, Essensre sten und herumkollernden Bechern zu schnarchen begann. Eine halbe Stunde später kam das Mäd chen Ancaste aus der Bar, die hinter ihr ab geschlossen wurde. Um diese Zeit gab es im Umkreis der Arena keine späten Gäste mehr. Germukron löste sich aus dem Schatten der Treppenanlage und sagte leise: »Ich bin noch auf Hirc, Ancaste.« Sie erkannte seine Stimme augenblicklich und ging schnell auf ihn zu. Sie nahm seine Hand und zog ihn mit sich. »Du scheinst seit unserem Treffen nicht geschlafen zu haben«, sagte sie leise. »Du siehst aus wie ein alter Mann.« Er grinste mühsam. »Ich bin ein alter Mann. Ein Greis mit mehr Problemen, als er bewältigen kann. Hast du diesen Huccard gesehen – du weißt, der kleine Mann, der damals den Betrunke nen gemimt hat.« »Nein. Solange ich an der Bar war, tauch te er nicht wieder auf.« »Es hätte mich auch überrascht.« Germukron genoß diesen langen Moment der Ruhe, als sie auf den verlassenen Wegen zu dem Haus gingen, in dem Ancaste wohn te. Als sie schweigend etwa die Hälfte zu rückgelegt hatten, fragte das Mädchen: »Warum bist du noch einmal gekommen, Germukron?« Er drückte ihre Hand und erwiderte rauh: »Ich wollte mich zum letztenmal von dir verabschieden und dir danken. Für alles.« »Ich dachte, das hätten wir schon hinter uns?« Er zog die Schultern hoch und murmelte: »Inzwischen haben sich völlig neue Ge sichtspunkte ergeben. Es sind Dinge einge treten … nun, du würdest nicht verstehen, denn dir fehlen die Hintergrundinformatio nen. Ich habe Startbefehl für morgen Abend. Nein, für heute Abend. Wenn du willst, dann gehe ich.« »Nein. Bitte komm mit.« »Einverstanden.«
Der Sieger und der Tote Erst als die neutrale Abgeschlossenheit der kleinen, gemütlichen Wohnung Ancaste und Germukron umgab, kam er zur Ruhe. Die Ereignisse und Einsichten zogen lang sam an seinem inneren Auge vorbei. Germu kron saß schweigend da, einen Krug Bier in der Hand, während Ancaste ein leichtes Es sen herstellen ließ. Es war eigentlich nichts geschehen, aber die Wahrheit bedeutete, daß weiterhin alle Anstrengungen einen sehr deutlichen Sinn hatten. Der entführte Atlan lebte; irgendwo in Mal-Dagmon, auf jeden Fall aber auf dem Planeten Hirc. In dem Au genblick, an dem man den Raumhafen frei gab, würde ein völlig unverdächtiges Schiff starten und den entführten Kristallprinzen wohl nach Arkon bringen. Also – hier unter drückte Germukron ein bitteres Auflachen – würde der Weg nach Arkon doch über den Sieg bei den Amnestie-KAYMUURTES führen. Wenn auch unter gänzlich anderen Vor aussetzungen. Fünfzehn Männer warteten auf ihn an Bord der PFEKON. Sie waren im sicheren Glauben, daß Atlan nicht mehr lebte. Die neue Information hatte nur er. Das Chaos hatte sich auch nicht ge ändert. Seine eigenen Möglichkeiten waren nicht besser geworden. Wenn Germukron verschwand und nicht zur PFEKON zurückkehrte, waren die Män ner in Lebensgefahr. Er konnte nicht auf Hirc bleiben. Es war zum Wahnsinnigwer den! Die Einsicht, daß es sinnlos war, Huccard finden zu wollen, ließ Germukron bis zum frühen Vormittag in Ancastes Apartment bleiben. Als er ging, wußten sie beide, daß es ein Abschied für immer war.
* Trotz seiner Lage, die ihn zur Passivität verdammte, versuchte Germukron-Fartuloon alles, was in seiner Macht stand. Wenn es ihm gelang, das Schiff zu finden, mit dem Huccard starten würde, war alles
17 gewonnen. Schließlich hatte er Karmina Ar thamin zu seiner Unterstützung. In seinem Apartment schaltete er den Kommunikationsbildschirm an, ließ sich vom Posten das Verzeichnis aller Anschlüs se in Mal-Dagmon geben und rief ununter brochen an. Verschiedene Behörden, die Raumhafenverwaltung, die Besitzer von Raumschiffen, den Piloten der Raumjacht, der noch immer unter Alkoholeinfluß stand, viele Privatpersonen, die mit Raumschiffen zu tun hatten. Nichts … Eine Stunde später hatte er die Namen sämtlicher Schiffe, die in den nächsten Ta gen starten würden. Die Eigner waren ihm ebenso bekannt wie die Kommandanten. Es waren meistens Schiffe der Arkon-Flotte, und nicht der mikroskopisch kleinste Hin weis deutete darauf hin, daß auch nur eines der Schiffe mit Huccard in Verbindung zu bringen war. Nachdem Germukron sämtli che eindeutig mit Flottenauftrag fliegenden Schiffe aus seiner Liste gestrichen hatte, blieben fünfundzwanzig Einheiten übrig, vom kleinen Raumboot bis zum Transpor triesen. »Welches Schiff soll jetzt Atlan wegbrin gen?« flüsterte er niedergeschlagen. Auch dieser Teil seiner Suche blieb völlig erfolglos. Ebenfalls war zu denken, daß Huccard seine Beute sehr viel länger auf Hirc verbarg und erst dann abflog, wenn die Gefahren der Entdeckung auf ein Minimum zusammengeschmolzen waren. Er schaltete das Gerät ab und lehnte sich zurück. »Fehlanzeige!« brummte er und gab es auf. Schließlich packte er den Rest seiner we nigen Ausrüstung ein, schloß die Taschen und legte sich schlafen. Am frühen Abend holten sie ihn ab. Der Gleiter, der unterwegs einige andere Kommandanten aufsammelte, schwebte zum Raumhafen. Dort startete ein Verbindungsboot nach Pejolc. Kurz nach Mittag – in der Verschiebung des Sonnen stands des anderen Planeten und dort aber
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mals verschoben durch die Rotationsdauer von Pejolc – verabschiedete sich Germukron von Thanyel. Schweren Herzens ging Germukron hin über zu der kleinen PFEKON.
* Ninpolt, der Pilot, zuckte mit den Schul tern. »Das hört sich alles sehr kurios an. Das wichtigste jedoch ist für uns alle, daß der Kristallprinz offensichtlich lebt. Sonst wür de dieser Plan nicht entwickelt worden sein. Warum hast du Mana-Konyr nicht zu seinen Ahnen geschickt, Bauchaufschneider?« Fartuloon hob beide Hände abwehrend hoch, grinste kalt und erklärte: »Sie würden sich weigern, ihn aufzuneh men. Keine Sorge – Figuren wie dieser kom puterhassende Kämpfer bleiben nicht lange auf der Straße der Sieger.« Die fünfzehn Männer der Besatzung hat ten in den beiden letzten Stunden den Be richt Fartuloons schweigend angehört und sich ihre eigenen Gedanken darüber ge macht. Die getarnte Besatzung des Gefan genentransporters war in Sicherheit, man würde ihnen keine peinlichen Fragen mehr stellen. Auch Germukron fühlte sich sicher, weil bisher seine Tarnung nicht ein einziges mal auch nur angekratzt worden war. Jetzt stand der kleine, untersetzte Arkoni de auf, der von dem Unternehmen »Seuchenschiff« auf Pejolc zurückgeblieben war. Er warf Fartuloon einen langen Blick zu und sagte: »Die Besatzung weiß bereits Bescheid. Aber bisher gab es keine Möglichkeit, mit dir in Kontakt zu kommen. Was ich zu sa gen habe, ist vermutlich sehr ernst.« »Ich höre«, erwiderte Fartuloon unruhig. »Als ich hörte, daß Darbecks Wächter mit ihrem Schiff hier gelandet waren, kam ich so schnell wie möglich hierher.« »Ausgezeichnet. Und weiter?« »Vier unserer Männer sind mit deinem lieben Freund Huccard nach Venco-Nar ge-
flogen. Zwischen dieser Gruppe und uns ist jede Verbindung abgerissen.« »Fretnorc hat Huccard bezahlt, wie wir wissen«, warf Fartuloon ein. »Unwichtig im Augenblick. Unsere Grup pe hat herausgefunden, daß Huccard Verbin dungen zum Geheimdienst Arkons pflegt. Ihr wißt es.« Fartuloon schnarrte zurück: »Ich habe es immer wieder vermutet. Es gibt keine Beweise für mich, aber es über rascht mich auch nicht.« »Für uns gibt es Beweise«, sagte der Seu chenspezialist. »Sie sind schwerwiegend ge nug.« »Und …?« Der andere zuckte die Schultern und sag te: »Weder Darbeck-Atlan noch GermukronFartuloon konnten gewarnt werden. Es gab weder für euch in der PFEKON noch für meine Gruppe eine Möglichkeit, dich zu be nachrichtigen, ohne daß die Tarnung aufge rissen werden würde. Klar?« Der eingeschaltete Kommunikations schirm, der die PFEKON mit der Raumha fenverwaltung verband, summte schrill auf. Ninpolt stand schweigend auf und ging auf die Kontursessel des Pilotenpults zu. Ger mukron sprach so leise, daß es die Geräte keinesfalls auffangen konnten: »Aber ihr versucht, weitere Spuren zu fin den?« »Selbstverständlich. Wir haben ein ganz passables Netz von Informanten und Zuträ gern aufgebaut, außerdem sind wir selbst na türlich unverändert aktiv. Allerdings haben wir keinen Schiffssender, um mit euch oder der Sonnenträgerin sprechen zu können.« Ninpolt sprach halblaut, aber in unver kennbar dienstlichem Tonfall. Er hob den Arm und winkte Fartuloon. Das konnte nur eines bedeuten: Startbefehl! Fartuloon zischte: »Vielleicht könnt ihr euch irgendwie Einlaß in ein anderes Schiff verschaffen. Sucht einen Funker und macht ihn euch zum Freund. Jedenfalls fühle ich mich jetzt schon ein kleines bißchen wohler.
Der Sieger und der Tote Zusammen schaffen wir es vielleicht noch. Ihr wißt alle, was geschieht, falls Huccard und der Geheimdienst Atlan wirklich zum Imperator schaffen können?« »Wir kennen die Gefahr sehr genau!« Der Mann vom Seuchenkommando grüß te kurz und verließ die Zentrale der PFE KON. Er bemühte sich, außerhalb des Erfas sungsbereichs der Linsen vorbeizugehen, drehte sich noch einmal um und hob ab schiednehmend die Hand. Dann meldete sich Ninpolt und sagte laut: »Kommandant Germukron! Die Zentrale hat uns Startbefehl erteilt. Binnen der näch sten Stunde müssen wir den Raumhafen ver lassen halben.« »Einverstanden«, erklärte Fartuloon. »Die Mannschaft geht auf ihre Stationen. Macht die PFEKON startklar!« »Verstanden!« Was nun folgte, war für alle Männer viel geübte Routine. Die Maschinen liefen an, mit dem Kontrollturm wurden Daten und Zielkoordinaten ausgetauscht, die Schleuse wurde verschlossen, und der komputerge stützte Startcheck lief ab. Aber als sich die PFEKON nach rund fünfundvierzig Minuten langsam auf den Antigravtriebwerken hob, war ihr Ziel keineswegs der Strafplanet Se tamuur. Nach dem ersten Transitionssprung würde Fartuloon das Kennsignal abstrahlen und zu den drei Raumschiffen stoßen, die unter der Leitung von Karmina Arthamin weit außer halb des Dubnayor-Systems standen. Das er ste Wort, das Fartuloon mit Karmina wech seln würde, sollte ihr begreiflich machen, daß der Kristallprinz noch lebte, wenn auch unverändert in größter Gefahr und an unbe kanntem Ort. Dort würden sie warten, die Nachrichten sendungen abhören und auf ihre Chance zum Eingreifen lauern. Die PFEKON heulte durch die dünner werdende Lufthülle hinaus ins All und verschwand von den Schirmen der Raumbeobachtung des Dubnayor-Sy stems.
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3. Eine unbekannte Zeitspanne später: Wieder einmal wachte ich auf. Dieses Mal schien der Schlaf gewirkt zu haben; ich hatte mich bemerkenswert erholt. Die Schmerzen nisteten nur noch in einzelnen Teilen meines Körpers, mein Kopf schien fast frei zu sein. Hunger, Durst und Ekel darüber, daß ich dreckig war und mich be schmutzt hatte, plagten mich. Mühsam kam ich auf die Füße, aber ich taumelte und schlug schwer auf das knirschende Bett. Entweder war Tag, oder das Licht dort drau ßen war heller geworden. Du lebst, sagte mein Extrasinn mahnend, und du mußt versuchen, wieder zu Kräften zu kommen! Erinnerungen kamen und gingen. Man hatte mich nach dem Niederschlag durch Mana-Konyr hierher transportiert. Wo war »hier«? In wessen Gewalt befand ich mich? Wer hatte mich entführt? Wo war Fartuloon? Warum hörte ich jetzt nichts mehr von Huccard, meinem soge nannten Kampfagenten? Das Gefühl, das mich ergriff, war bekannt: ich schien mit dem Leben aus einer Situation entkommen zu sein, aber die Lage, in der ich mich jetzt befand, war ebenso gefährlich. Ich begann langsam, meine Gelenke zu massieren. Da bei merkte ich, daß ein breiter Reifen aus Stahl mein Fußgelenk umspannte. Ich erta stete die Kette und erschrak abermals. Du bist ein Gefangener! dröhnte der Lo giksektor. Anders war meine Lage wohl nicht zu be zeichnen. Ich versuchte ein zweitesmal, auf zustehen und herumzugehen. Ich bemerkte, daß ein schwacher, kühler Strom frischer Luft an einer bestimmten Stelle durch das Gitterwerk der Decke geblasen wurde, stell te mich darunter und atmete tief ein und aus. Dann vollführte ich langsam eine Reihe von Übungen, die meinen Kreislauf anregten. Mein Blick fiel auf das Tablett. Ich konn te mich nicht mehr erinnern, getrunken und
20 gegessen zu haben, aber die Näpfe und Be cher waren leer. In meinem Gefängnis stank es mörderisch. Auch ich stank, und schließ lich, als ich mich einigermaßen normal fühl te, blieb ich vor der Tür stehen, zerrte an den Hebeln, die sich nicht bewegen ließen, dann hämmerte ich mit beiden Fäusten gegen das aufdröhnende Stahlblech. »Aufmachen! Hunger! Durst! Ich will Huccard sprechen!« schrie ich. Nachdem ich dreimal gegen die Tür ge hämmert hatte, bewegten sich die Hebel. Die Tür schob sich langsam zurück. Licht blen dete mich. »Was ist los?« brummte eine rauhe Stim me. Ein hünenhafter Mann stand vor mir und hielt eine Waffe auf mich gerichtet. »Ich habe Hunger und Durst. Hier stinkt es. Ich muß duschen.« »Bringe gleich was Neues«, knurrte der Riese. Im Gegenlicht konnte ich sein Ge sicht nicht erkennen. Ich sah, daß er einen roten Anzug trug. »Wo bin ich?« fragte ich. Er schob die Tür weiter auf, aber er hielt deutlich auf Abstand. Ich hörte das scharfe, metallische Knacken, mit dem die Waffe entsichert wurde. Er deutete mit dem Lauf auf mich und auf das Tablett, dann stieß er hervor: »Aufheben!« Ich versuchte, mir die Chancen für einen Überfall auf ihn auszurechnen, aber als ich das leise Klirren der Kette hörte, verwarf ich diese Idee wieder. Ich bückte mich und hob das leere Tablett auf. Der Wächter streckte die linke Hand vor und brummte wieder: »Ich bringe es gleich wieder. Dann kannst du duschen. Nachher.« Als er sich bewegte, sah ich, daß seine Waffe ein schwerer Strahler war. Ohne mich aus den Augen zu lassen, ging er rückwärts und schob die Stahlplatte mit dem Fuß in die Lager. Mit hartem Geräusch schloß sich die Tür. Ich war wieder allein; meine Lage hatte sich nicht gebessert. Ich wußte nicht mehr als vorher. Der breitschultrige Wächter mit
Hans Kneifel der rostigen Stimme würde meine Fragen nicht beantworten. Ich wartete also wieder und versuchte, durch Übungen meinen jam mervollen Zustand etwas zu bessern. Als nach schätzungsweise einer halben Stunde das Essen kam, versuchte ich wieder, den Wächter zu befragen. »Wo bin ich?« Er hielt mir das Tablett entgegen und blieb unverändert wachsam. »Ich darf nichts antworten«, sagte er miß mutig. Ich hörte leise Musik, Stimmenge wirr und das Klirren von Geschirr. »Wie lange bin ich hier?« Er schüttelte den Kopf, langte an die Au ßenwand und schaltete das Licht in meinem Gefängnis ein. Oberhalb des Stahlrasters er hellten sich einfache Lampen. Offensichtlich hatte dieser Raum schon mehrmals als Ge fängnis gedient. Gleichzeitig klappte in der bisher scheinbar glatten Rückwand eine schmale Tür auf. »Jetzt hast du alles, Darbeck. Wir holen dich schon, wenn es soweit ist. Und – frag mich nichts mehr. Ich sage doch nichts.« »Geh zum Teufel!« sagte ich und ging zu rück zum schmierigen Bett. Die massive Platte wurde geschlossen. Ich trank und aß und dachte nach. Ich würde al so abgeholt werden. Gab es Anzeichen da für, daß Huccard tatsächlich ein Mitglied des Geheimdiensts war? Ich mußte vernei nen … Der Geheimdienst würde offen und schnell auftreten. Schließlich bist du im Be reich des Imperium zur Fahndung ausge schrieben, sagte der Extrasinn. Ich bemühte mich, zu entspannen und mich auf die nächstliegenden Probleme zu konzentrieren. Solange ich lebte, mußte ich hoffen.
* Etwa eine Stunde nach dem Start der PFEKON landete auf dem Raumhafen MalDagmon ein großer Transporter. Das Schiff war von Venco-Nar gestartet und wurde von
Der Sieger und der Tote der Verwaltung an den Rand des Hafens di rigiert, ganz dicht neben eine der Zufahrts rampen. Als die Rampe ausfuhr und den Boden berührte, gab es für die Wachen und die Ar beiter des Hafens ein nicht alltägliches Schauspiel. Mehrere Schausteller und deren Truppen, die Ausrüstung und die Hilfskräfte waren transportiert worden, es standen be reits die Plätze fest, an denen die Bühnen und Iglus aufgebaut wurden. Ein bunter Zug von Arkoniden in allen Größen, in teilweise abenteuerlicher Kleidung und Ausstattung, kam die Rampe hinunter. Weiter oben be gann man bereits damit, die Lastengleiter zu entladen. Einer der »Schausteller« wandte sich um und schlug einem Mann auf die Schulter. »Hier sind wir, auf Hirc, Wasserfinder. Was kannst du feststellen?« Conquetest ließ den Arm seiner Tochter los und schloß einige Schritte lang seine Au gen, dann erklärte er ernsthaft: »Hellsehen ist eine schwere Kunst. Bei den vielen Leuten, die hier waren und noch sind, kann ich keinerlei Spuren feststellen. Nichts zu machen.« »Es war auch nur ein Scherz«, tröstete Fretnorc leise. »Wir haben einen ganzen Planeten für unsere Suche.« »Bei der Eile, die erforderlich ist, würde mein Vater nicht einmal auf einem winzigen Asteroiden einen Saurier finden!« meinte Darracia. Etwa hundertfünfzig Schausteller verlie ßen in langen Reihen und zwanglosen Grup pen das große Schiff. Sie wußten, welche Aufgaben und welche Einnahmen auf sie warteten. Die KAYMUURTES mit all ihrer blutgierigen Hektik waren vorbei, und die vielen Gäste und selbst die Einwohner von Mal-Dagmon und Umgebung würden die Il lusionen, die Tricks, die scheinbaren Wun der und den bunten, verwirrenden Trubel ge nießen. Und sie würden natürlich dafür zah len. Sechs Personen hatten zumindest andere Aufgaben.
21 Conquetest, der Wasserfinder und Hellse her, deutete schräg nach oben und meinte: »Unser kleiner Gleiter. Kümmerst du dich um den Aufbau und das Geschäftliche, Tochter?« »Natürlich. Wie meistens. Du und Fret norc, ihr fahrt in die Stadt?« Die vier Männer, die auf Venco-Nar von dem Schausteller als Gehilfen angeworben worden waren, hatten jede Sekunde der Amnestie-KAYMUURTES am Bildschirm miterlebt. Sie waren überzeugt, daß durch Huccards Schuld Atlan in den letzten Kampf geschickt und dort getötet worden war. »Ja. Wir nehmen den Gleiter und fahren nach Mal-Dagmon. Ich helfe Fretnorc, die anderen helfen dir. Abgemacht?« »Ihr wißt, daß die Suche alles andere als ungefährlich ist?« fragte Darracia. Fretnorc zog die Augenbrauen in die Hö he und wartete schweigend auf den am Anti gravlift herunterschwebenden Gleiter. Die einzelnen Gruppen der Schausteller versam melten sich um die schweren Transportglei ter, auf denen die Ausrüstung verpackt war. Ein geräumiger, in auffallenden Farborna menten verzierter Gleiter mit einem Anhän ger, auf dem das Aggregat und der große Kunststoffiglu verpackt waren, das war, ab gesehen von Puccos Halbkäfig, die Ausrü stung des Hellsehers. Conquetest, Darracia und die vier Arkoni den kannten Huccard, aber Huccard kannte sie ebenso, denn sie hatten sich im Wohngleiter des Schaustellers mit Erfolg vor der Polizei verborgen, vor Wochen, auf Venco-Nar. »Los! Auf die Suche!« sagte Fretnorc. Der Große Conquetest und der Arkonide aus Fartuloons Team schwangen sich in den Gleiter und schwebten bis zur Sperre. Die Wachen, von denen die Ankunft genau be obachtet worden war, ließen sie ungehindert passieren. »Ich weiß nicht, ob Fartuloon hier ist, hier auf Hirc, oder vielleicht auch auf dem Raumhafen. Hast du die PFEKON gese hen?« fragte Fretnorc leise, während die
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Hans Kneifel
Maschine auf der Piste dahinraste. »Erwarte nicht zu viel von mir! Und nicht zuviel von den ersten Minuten. Er wird auf keinen Fall einfach zu finden sein!« antwor tete der Schausteller mit seiner schwachen hellseherischen Begabung. »Wenn du erst einmal eine Spur hast …«, begann Fretnorc. »… dann ist der Rest nicht mehr so schwer! Aber es wird alles andere als leicht sein, eine sogenannte erste Spur zu finden.« »Ich weiß.« Die Kugelformen der Raumschiffe blie ben immer mehr hinter ihnen. Dort wurde gerade die Ausschiffung zu Ende geführt. Die Gleiter formierten sich zu einem langen Zug. Die verantwortlichen Beamten von Mal-Dagmon sprangen in die Fahrerkabinen und dirigierten die schweren Spezialfahrzeu ge zu ihren Plätzen entlang der Straße zwi schen der Arena und der Stadtgrenze, meist in der Nähe der Stationen der Röhrenbahn. Auch Darracia, Polc-Tanier, Kelsh und Garrason bekamen einen Platz zugewiesen und begannen mit Hilfe der spezialprogram mierten Roboter, den Iglu auszubreiten und die Verstärkerrippen aufzublasen.
* »Wir haben während und vor den offenen und geschlossenen KAYMUURTES einen hervorragenden Erfolg gehabt«, begann Conquetest, als die ersten größeren Häuser auftauchten und sie sich dem Stadtzentrum näherten, »und wir werden auch hier ein gu tes Geld verdienen. Was mich daran erin nert, daß wir spätestens bei Anbruch der Dunkelheit wieder zurück sein müssen.« »Völlig klar. Bei Darracia, ihrem Freund Kelsh und deinem obszönen Vogelwesen.« »Richtig. Nur … wo finden wir die erste Spur?« »Da bin auch ich überfragt. Aber wir müssen analytisch vorgehen, Conquetest.« Natürlich gab es eine ganze Menge Plät ze, an denen sie Huccard garantiert nicht treffen würden. Und in Mal-Dagmon exi-
stierten unzählige Stellen, an denen sie ihn oder seine Spuren finden würden. An wel chem Punkt sollten sie anfangen? Es gab keine einschlägigen und sicheren Rezepte für die Suche nach einem einzelnen Mann in einer Viertelmillionensiedlung. »Du bist entschlossen, deinen Freund zu rächen. Das ist ein schlechter Anfang, denn hitzige Rache macht kühles Vorgehen un möglich, Fretnorc«, warf Conquetest ein und steuerte auf einen Platz zu. »Wo wird sich ein Mann wie Huccard mit einiger Sicher heit aufgehalten haben?« Mit ziemlich ratlosem Gesicht blickte Fretnorc den anderen an. Was seine hellse herische Begabung betraf, so glich der Was serfinder einem ausgezeichneten Suchhund. Aber ohne eine erste Spur konnte auch Con quetest nicht das Geringste ausrichten. »Eine Bar? Vielleicht hat er etwas mit Mana-Konyr zu tun, dem letzten Sieger?« rätselte er herum. Conquetest hielt den Gleiter hart an und pfiff durch die Zähne. »Das könnte es sein. Mußt du ihn spre chen? Ich meine, Mana-Konyr.« »Nein. Es genügt, wenn ich in seine Nähe komme. Mehr brauche ich nicht.« »Gut. Dann finden wir die Spur!« Sie parkten den Gleiter vor einem offiziell aussehenden Gebäude. Schon nach den er sten Schritten merkten sie, daß sie sich in den Stunden zwischen den letzten Stunden eines ausgelaufenen Festes und einem neuen Anfang befanden. Die letzten Überreste wurden weggeräumt, und schon begann man, die ausgetrunkenen Getränke und die verkauften Nahrungsmittel wieder zu erset zen. Noch war es ruhig. Es waren nur wenig Passanten unterwegs. Fretnorc winkte sei nem neuen Freund und ging auf eine Frau zu. »Gnädiges Fräulein«, sagte er und setzte ein gewinnendes Lächeln auf, »wir sind neu hier. Eben gelandet. Wir haben gesehen, wie Mana-Konyr so überzeugend gesiegt hat und würden ihn gern sehen oder treffen. Sie sind von hier … wo können wir ihn finden?«
Der Sieger und der Tote Ohne Argwohn lächelte die Frau zurück, machte eine umfassende Geste und deutete auf die halbwegs umgestaltete Straße und den farbigen Platz. »Tagsüber werden Sie ihn bestenfalls in einer Pressekonferenz treffen. Keine Ah nung, wo die stattfinden. Aber am Abend feiert er immer dort drüben, in dem kleinen Restaurant. Schon seit zwei Tagen.« Fretnorc deutete auf das bezeichnete Re staurant. Hinter ihm stand der Wassersucher und sah sich ruhig und schweigend um. Sein Gesicht nahm einen konzentrierten, nach in nen gewandten Ausdruck an. Vielleicht ent deckte er gerade jetzt schon ein paar Emo tio-Spuren von Huccard. »Ich habe keine Emotio-Spur!« flüsterte er. »Nichts zu spüren.« »Warte noch«, gab Fretnorc zurück. Er wandte sich wieder an die freundliche Frau und fragte: »Gibt es irgendwo eine Auskunftsstelle, wo die Konferenzen stattfinden?« »Nein. Sie brauchen nur einen Reporter zu fragen. Ich weiß nicht, wer die Konferen zen einrichtet. Irgendeine Stelle muß es ge ben. Tut mit leid, ich kann Ihnen nicht mehr sagen.« »Vielen Dank!« sagte Fretnorc und warte te, bis die Frau weitergegangen war. Lang sam belebte sich der Platz mit den fünf Stra ßeneinmündungen. Etwas verblüfft betrach teten die beiden Männer die Szenerie. Im Augenblick wußte keiner von beiden, was sie tun sollten. »Gehen wir zu diesem Restaurant. Es ist sehr unwahrscheinlich, aber vielleicht finde ich etwas.« Fretnorc sah Conquetest fragend an und zuckte die Schultern. Sie gingen langsam quer über den Platz. Eine seltsame Span nung erfüllte sie. Keiner vermochte genau zu sagen, was diese Nervenspannung ausge löst hatte. Fretnorc war voller Sorge um Far tuloon und den Rest seiner Kameraden im Dubnayor-System, und er war wild ent schlossen, Huccard zu stellen und Atlan zu rächen, aber er wußte auch, daß es alles an
23 dere als leicht sein würde. Die Enttäu schung, daß es kein Ziel und niemanden, für den es zu kämpfen sich lohnte, mehr gab, war wenigstens bei Fretnorc schon einiger maßen überwunden; persönlich trauerte er um einen guten Freund. Er musterte die Front des Gebäudes und sagte: »Merkst du etwas?« »Ein wahrer Schwarm von vielen starken Impulsen. Derjenige von Huccard war nicht dabei, oder er war stark überlagert. Noch nichts, mein Freund.« »Gehen wir weiter. Vielleicht finden wir etwas vor Anbruch des Abends.« »Ich versuche mein Bestes!« Die Fähigkeiten von Conquetest waren nicht besonders groß. Er mußte sich sehr konzentrieren, und Fretnorc sah die ersten Spuren der Anstrengung im Gesicht des ar konidischen Wassersuchers. Schweiß perlte auf der Stirn, die Linien wurden schärfer, und die Zeit, in der Conquetest die Augen schloß und schwer atmete, wurde länger. Dies war kein Auftritt in der Schaukuppel, in der gewohnten Umgebung mit all den kleinen Tricks, von denen die Arbeit erleich tert wurde. Hier galten besondere Bedingun gen. Schweigend lehnte sich Conquetest an die Wand neben dem Eingang und stöhnte auf. »Ich habe eine Emotio-Spur. Es ist Huc card. Ganz genau!« Fretnorc dachte sich eine solche Spur wie die Bahn eines besonders charakteristischen Geruchs, der vom Wind herangetragen wur de. Je länger der Zeitpunkt zurücklag, an dem die Spur entstanden war, desto schwä cher wurde sie. »Stark?« fragte Fretnorc aufgeregt. »Sehr schwach.« Es konnten Tage zwischen den beiden Zeitpunkten liegen. Zwischen dem Moment, an dem sich Huccard hier aufgehalten hatte und diesem Augenblick. »Kannst du damit etwas anfangen?« »Schon möglich.« Conquetest ging langsam vorwärts. Er drang in eine der schmalen Gassen ein. Er
24 folgte der Spur, und Fretnorc folgte ihm. Zehn Meter weiter blieb er an der Seite des Wasserfinders und sah sich um. Bisher war niemand auf das seltsame Verhalten des Mannes aufmerksam geworden. Etwa zweihundert Meter legten sie durch ein gerades Stück Straße zurück. Die Spur einer zurückliegenden Anwesenheit Huc cards schien einigermaßen deutlich zu sein. Conquetest folgte ihr unbeirrbar. Fretnorc begann, deutliche Hoffnung zu schöpfen. Vielleicht fanden sie Huccard schon in den nächsten Stunden. Eine Art Irrweg begann, eine unsichtbare Spur, die durch ein unsicht bares Labyrinth führte. Im Zickzack ging es durch Gassen und über Plätze, immer wieder hielt der Wassersucher an Häusern an, an geschlossenen Verkaufsbuden oder an Ge tränkeständen. Dann wechselte er von einer Seite zur anderen, ging zielstrebig einen Durchgang zwischen vorspringenden Ter rassen und Verkaufsläden entlang. Schließ lich, nach einer Wanderung von mehr als zwei Stunden, blieb Conquetest am Rand ei ner breiten Piste stehen. Sie hatten fast das gesamte Gebiet der Innenstadt mehrmals durchquert. »Hier hört die Spur auf. Sie verschwindet in diese Richtung.« Fretnorc blickte auf die Uhr. Sie hatten noch drei Stunden Zeit bis zum Beginn der Vorstellung. »Bist du sicher, Conquetest?« »Ja. Ich bin total erschöpft.« Der Wassersucher setzte sich auf eine steinerne Bank, die vor einer Grünanlage stand. Er deutete in die Richtung der Gleiter piste. »Das ist die frischeste Emotio-Spur, die ich bisher aufgefangen habe.« »Tatsächlich?« »Ja. Aber diese Piste kann in alle mögli chen Richtungen führen. Wir sind fremd in Mal-Dagmon.« Fretnorc sprang auf die Piste hinaus und rief über die Schulter zurück: »Ich werde es gleich klären!« Er winkte heftig mit beiden Armen. Ein
Hans Kneifel schwerer Lastengleiter summte heran. Fau chend arbeiteten die Bremseinrichtungen und hielten das schwere Gefährt dicht vor Fretnorc an. »Entschuldige, Kamerad«, schrie der Ar konide zum Fahrer hinauf. »Wir sind fremd hier. Wohin führt diese Piste.« »Nach Haverst, zu den Massenquartie ren!« »Wie weit?« »Fünf Minuten mit dem Gleiter. Wollt ihr mitkommen?« »Nein«, rief Fretnorc erleichtert. »Unsere Maschine ist in der Stadt geparkt. Vielen Dank.« »Schon gut.« Während der stromlinienförmige Gleiter anruckte und schneller wurde, lief Fretnorc zurück zu Conquetest und rüttelte ihn an der Schulter. Er war in heller Aufregung und rief: »Warte hier. Ich hole den Gleiter und hal te hier an. Einverstanden?« Conquetest nickte schweigend und blieb zusammengekrümmt sitzen. Der Schweiß lief über sein Gesicht. Fretnorc versuchte, auf dem kürzesten Weg zum Platz zurückzu laufen, zu der Ecke, an der ihr Gleiter ge parkt war. Er fand die Maschine, schwang sich hinter die Steuerung und raste los. Er bremste neben dem Wassersucher, half ihm in den Beifahrersitz und fuhr weiter, immer geradeaus. Es war wenig Verkehr. Als die erste Gabelung der Piste in Sicht kam und ein Schild HAVERST auftauchte, fragte Fretnorc, der seine Erregung nur noch mühsam beherrschen konnte: »Hast du die Spur noch – oder schon wie der?« »Nein. Viel zu viele Spuren. Halte an der Abzweigung.« »Selbstverständlich.« Haverst schien ein Stadtteil oder besser ein außerhalb der eigentlichen Stadt liegender Bezirk, in dem die weniger begüterten Arkoniden wohnten. Schon von hier aus wa ren große Massenwohnungen zu sehen. Kei neswegs Elendsquartiere, aber eben wenig
Der Sieger und der Tote Luxus und eine Massierung von Bewohnern auf weitaus engerem Raum. Hügeliges Land fing hier an, durchsetzt von Feldern, Robot farmen und Waldgebieten. Die breitere Spur der Piste führte geradeaus weiter, und die Abzweigung war weitaus schmaler und we niger gepflegt. Fretnorc bremste scharf und steuerte den bunten Gleiter an den Rand der Kunststoffbahn. »Gut so, Conquetest? Ist das ein guter Platz?« »Keine Ahnung. Vielleicht. Ich habe die Spur verloren. Unter Umständen finde ich sie wieder. Bleib stehen.« Voller Aufregung zwang sich Fretnorc dazu, schweigend zu warten. Ab und zu heulte ein Gleiter an ihnen vorbei. Der Was sersucher konzentrierte sich und versuchte, in all den vielen Emotio-Spuren eine einzelne herauszufinden, die verblassende charak teristische Spur eines einzelnen Mannes, den er nur einige Stunden lang kannte. Aber wenn die Spur am Stadtrand deutlich gewe sen war, dann konnte sie hier kaum schwä cher sein. Fretnorc blickte zur Frontscheibe hinaus und betrachtete unruhig die Landschaft. Er fragte sich, was ein Mann wie Huccard aus gerechnet hier, außerhalb der Stadt, zu su chen hatte. Huccard war die Schlüsselfigur zu allem, was mit dem Tod von Atlan zu sammenhing. Er wünschte nichts sehnlicher, als daß Fartuloon bei ihm wäre und ihm hel fen würde – irgendwie glaubte Fretnorc nicht, daß der Wassersucher eine wertvolle Hilfe sein würde, falls es zu einer Auseinan dersetzung oder gar einem ernsthaften Kampf kommen würde. »Jetzt! Ich habe etwas … Es wird deutli cher … Hier ist eine klare Spur. Ganz stark, Fretnorc!« »Was soll ich tun?« murmelte der. »Weiterfahren. Geradeaus, bis zur näch sten Abzweigung. Dort langsamer werden!« Sie fuhren langsam weiter. Etwa dreitau send Meter weiter zweigte abermals eine noch schmalere Piste ab. Conquetest schüt telte den Kopf, also steuerte Fretnorc weiter
25 geradeaus. Ganz langsam folgten sie dem Hauptpfad und ließen die langgestreckten Gebäudemassen rechts liegen. Bald waren sie an dem gekennzeichneten Stadtteil vor beigekommen und näherten sich wieder dem offenen Land. Mindestens zehntausend Me ter lagen zwischen dem Stadtzentrum und dem Gleiter. »Weiter!« flüsterte Conquetest und hielt noch immer seine Augen geschlossen. Vor ihnen bog die Fahrbahn in einer weit ausgezogenen Linkskurve leicht aufwärts und verschwand zwischen zwei niedrigen Hügeln. Die Piste schien zu einer Farm zu führen oder in deren Nähe. »Weiter! Ich bin ganz sicher!« Ungeduldig trat Fretnorc den Geschwin digkeitsregler nieder. Der Gleiter beschleu nigte aufbrummend und raste weiter. Der Einschnitt zwischen den von Feldern und kleinen Vegetationsinseln kam schnell nä her. Unmittelbar nach dem obersten Punkt der Steigung gab es abermals eine schmale Abzweigung nach rechts, der keuchende Mann neben Fretnorc deutete auch dorthin. Der Gleiter schoß in den unbefestigten Weg hinein und folgte den Windungen des staubi gen Pfades durch Felder und vorbei an Bäu men und Büschen. Halbversteckt zwischen Hecken und Farmgebäuden, überragt durch einen Silo und ein robotisches Gewächshaus in Turmform, sah Fretnorc ein niedriges, mittelgroßes Farmhaus. Es schien verlassen zu sein. »Es gab nur noch wenige andere Spuren«, flüsterte Conquetest erschöpft, »und sie sind stärker geworden. Jetzt sind es nur noch et wa ein Dutzend. Huccards Emotio-Spur ist ganz deutlich und frisch.« »Wir sind also auf dem richtigen Weg?« erkundigte sich Fretnorc und griff nach dem kleinen Strahler unter seiner linken Achsel. »Ich bin sicher, Fretnorc. Jetzt bin ich ganz sicher.« Fretnorc, dessen offenes Mißtrauen gegen Huccard niemals auch nur eine Sekunde lang nachgelassen hatte, fand sich bestätigt. Huccard verbarg sich also hier! Es war ty
26 pisch und paßte genau in das Bild, das er sich gemacht hatte. Er steuerte den Gleiter bis an die deutli che Abgrenzung des Farmhofs. Hier wu cherte eine mit robotischer Exaktheit ge stutzte Hecke. Der Gleiter hielt im Sichtschutz der Hecke an; eine Maßnahme, die vermutlich überflüssig war, denn wenn dies ein Ver steck Huccards war, dann würde er sie längst entdeckt haben. Fretnorc drehte den Gleiter um hundertachtzig Grad und schalte te die Maschinen aus. Er wandte sich an Conquetest und sagte: »Hör zu, Freund und Wassersucher! Was jetzt kommt, ist mein Geschäft. Halte dich nach Möglichkeit heraus. Ich habe diesen Huccard gefunden, ich werde auch mit ihm abrechnen. Ganz kurz und mit Nachdruck. Ich hoffe, wir sind rechtzeitig genug zurück, zum Anfang der Vorstellung.« Conquetest befeuchtete seine Lippen. Er war kein ängstlicher Typ, aber er wußte, daß er sich in ein gefährliches Unternehmen ein ließ. Fretnorc fühlte sich unbehaglich. Bis her war die Aktion für seinen Freund unge fährlich gewesen, jetzt konnte es sich dra matisch ändern. Mit einem entschlossenen Ruck schob er die Tür auf. »Vielleicht kann ich dir helfen. Los, mach schnell. Bringen wir's hinter uns, Partner.« Er grinste Fretnorc unsicher an. Fretnorc versuchte, sein Lachen echt klingen zu las sen, als er ausstieg. Er hatte nicht die gering ste Ahnung, was passieren konnte. Seit dem Augenblick, als sich Atlan und Fartuloon entschlossen hatten, die AmnestieKAYMUURTES als Sprungbrett zu benut zen, liefen alle Aktionen in einem gefährli chen Halbdunkel ab. »In Ordnung!« sagte Fretnorc knurrend und entsicherte seine Waffe, »bringen wir's möglichst schnell hinter uns.« Conquetest stieg aus und schlug Fretnorc aufmunternd auf die Schulter. Sie befanden sich noch immer im zweifelhaften Sichtschutz der dichten blaugrünen Hecke. Dann gingen sie auf den Plattenweg hinaus
Hans Kneifel und auf den Eingang des Farmhauses zu. Jetzt umgab sie eine unglaubwürdige Ruhe; niemand war zu sehen, nichts bewegte sich, die Farm mit allen ihren Nebengebäuden und technischen Einrichtungen schien aus gestorben zu sein. »Sieht verdammt leer aus!« bemerkte Fretnorc und ging neben Conquetest ziel strebig auf den Eingang zu. »Was hast du erwartet? Einen Volksauf lauf?« erkundigte sich unsicher der Wasser sucher. »Das nicht. Aber auch nicht gerade eine ausgestorbene Farm.« Noch zwanzig Meter trennten die beiden ungleichen Männer von der breiten, massi ven Eingangstür. Flüsternd bestätigte der Hellseher, daß die Emotio-Strahlung Huc cards unverändert stark und unverwechsel bar war. Fretnorc nickte ihm bestätigend zu und blickte um sich, als sie weitergingen. Plötzlich gab es ein Geräusch im Innern des langgestreckten Farmhauses, und die Tür flog dröhnend auf. »Halt!« rief eine rauhe Stimme. Ein großer, breitschultriger Mann tauchte in der offenen Tür auf und starrte die beiden Ankömmlinge an. Er trug einen abgewetzten roten Lederanzug und richtete eine schwere Waffe auf Fretnorc und Conquetest. Sie blieben stehen. Der Raum hinter dem großen Arkoniden war dunkel und offensichtlich leer. Schweigend starrten sie sich an. Nach einigen Sekunden rief der hochgewachsene Mann mit dem mürrischen Gesichtsaus druck: »Was wollt ihr hier?« »Ich will mit Huccard sprechen«, rief Fretnorc zurück und bewegte sich langsam in eine Stellung, in der er schnell seine Waf fe ergreifen konnte. »Ich bin Fretnorc. Wir haben miteinander ein Abkommen geschlos sen, Huccard und ich.« Mißtrauisch und wütend musterte ihn der Fremde von Kopf bis zu den Füßen. »Ich weiß nichts davon.« Fretnorc hob die linke Hand und erwider te scharf:
Der Sieger und der Tote »Sie haben vielleicht keine Ahnung, aber ich muß unbedingt den Kampfagenten Huc card sprechen. Es gibt zwischen mir und ihm einen Vertrag. Wo ist Huccard? Und warum bedrohen Sie uns? Wir sind harmlose, unbe waffnete Besucher!« Der andere brummte in einem Tonfall, der Überraschung und Bestürzung verriet: »Ich weiß nichts davon. Huccard ist nicht hier!« Conquetest verhielt sich völlig ruhig und bewegte sich vorsichtig einige Schritte von Fretnorc weg, bis er im Gras neben dem Weg stand. Fretnorc schüttelte den Kopf und wußte, daß es nicht mit rechten Dingen zu ging. »Ich glaube es nicht. Man sagte uns ver bindlich, daß wir Huccard hier finden wür den. Wer sind Sie?« »Mein Name tut nichts zur Sache. Gehen Sie! Huccard ist seit langer Zeit nicht hier gewesen.« Zur Überraschung Fretnorcs und zur Ver blüffung des Wächters sagte Conquetest laut: »Das ist eine Lüge. Noch vor zwei Stun den befand sich Huccard hier. Außerdem weiß ich, daß sich jemand hier befand, der zweifellos nicht zu einer Stadtrandfarm ge hört. Geben Sie den Weg frei, Fremder!« Der Mann zwischen den stählernen Ele menten des Türrahmens bewegte unschlüs sig seinen Kopf. Er schien nicht gerade mit übermäßiger Intelligenz gesegnet zu sein. Dann hob er drohend den Lauf der Waffe, aber die Projektorspitze des Strahlers schwenkte hin und her und deutete einmal auf Fretnorc, dann auf Conquetest. »Ich bin allein hier!« Fretnorc, der fühlte, daß die Angelegen heit seiner Kontrolle völlig zu entgleiten drohte, hob beide Hände und ging langsam näher heran. »Mich hat Huccard hierher bestellt. Er sagte, die letzten Punkte unseres Vertrags würden hier geklärt werden. Wenn er nicht da ist, werden wir auf ihn warten; seine Ver spätung kann nur geringfügiger Natur sein.«
27 Gleichzeitig erreichte er fast den Wächter, der überzeugt zu sein schien, daß der An kömmling unbewaffnet war. Er senkte für einen Moment den Lauf der Waffe. Fretnorc sprang völlig überraschend nach vorn, trat dem hochgewachsenen Mann gegen das Knie und versuchte, dessen Handgelenk zu packen. Im gleichen Augenblick heulte dröhnend ein Schuß aus der Waffe. Fretnorc und der Wächter prallten zusammen. Jetzt endlich war der Bann gebrochen, die Fronten waren klar. Es gab einen Gegner, der die Feindse ligkeiten eröffnet hatte. Fretnorc packte das Handgelenk des ande ren, schnellte sein Knie hoch und drehte sei nen Körper herum. Zwischen seinen zu packenden Fingern fühlte er harte Muskeln und Knochen. Er kümmerte sich nicht um den langgezogenen stöhnenden Schrei, der hinter ihm zu hören war. Ein zweiter Schuß dröhnte senkrecht in die Luft hinauf, als Fretnorc mit der ganzen Kraft seines Kör pers den ungleich größeren und schwereren Mann zum Stolpern brachte und hart gegen den Portalrahmen warf. Dann ließ er los, löste blitzschnell seinen Griff und schlug hart mit beiden Händen und einem Fuß zu. Eine Handkante traf den wuchtigen Mann mit dem narbigen Gesicht am Hals. Eine Faust bohrte sich unterhalb der Rippenplatte in den Magen des anderen. Gleichzeitig krachte das Vorderteil des Stiefels gegen das Schienbein des Wächters, der pfeifend und stöhnend ausatmete. Die Waffe flog, sich überschlagend, durch die Luft und landete im kurzgeschnittenen Gras des Hofes. Fretnorc sprang zurück, seine Hand griff zwischen Jacke und Hemd und kam mit dem kurzläufigen Strahler wieder zum Vor schein. Während der andere sich nach vorn warf und versuchte, die Waffe zu ergreifen, feuerte Fretnorc einen kurzen Feuerstrahl ins Gras, eine Handbreit neben dem Kolben der anderen Waffe. »Halt. Nicht bewegen!« schnarrte er, sprang zur Seite und holte aus. Sein Fuß traf
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den Kolben der anderen Waffe und trat sie rund fünfzehn Meter zur Seite. »Langsam aufstehen!« Fretnorc hielt die Projektormündung sei nes Strahlers zwischen die Augen des Wäch ters, folgte mit dem Lauf jeder Bewegung und starrte kalt und unbarmherzig in die wässerigen Augen des anderen. »Umdrehen!« sagte er knurrend. Der andere stieß einen Fluch aus, aber er drehte sich nicht um. Fretnorc ignorierte das schmerzerfüllte Wimmern hinter ihm und feuerte einen kurzen, gezielten Schuß ab, der den Oberarm und die Schulter des Wächters traf. »Hilf mir«, schrie Conquetest in seinem Rücken. »Sofort«, schrie Fretnorc und holte aus, gleichzeitig sicherte er die Waffe und schlug hart zu. Der Kolben des Strahlers traf den Wächter schwer zwischen Nacken und Kopf, als er sich gerade herumdrehte. Mit einem ächzenden Stöhnen brach der Mann in der offenen Tür zusammen. Er war bewußtlos. Fretnorc drehte sich um und sah, daß der Hellseher schwerer ge troffen war, als er zunächst befürchtet hatte. Fretnorc versuchte, die entstandene Situa tion mit einem langen Blick zu analysieren, dann schob er seinen Strahler in den Gürtel und begann zu rennen. Sein Ziel war der Gleiter, mit dem sie hierher gekommen wa ren. Während er wie ein Rasender den Weg entlang rannte, fluchte er erbittert. Die Ge schehnisse hatten einen ganz anderen Ver lauf genommen, als er erwartet hatte.
4. Fretnorc erreichte den Gleiter, wühlte zwischen den Sitzen herum und fand einen alten, aber offensichtlich noch nie benutzten Verbandskasten. Er riß ihn aus der Halte rung und spurtete zurück zur Farm. Zunächst suchte er die Waffe des Wäch ters, steckte sie ein und sah hinüber zu dem vierschrötigen Mann, der noch immer re gungslos und betäubt im Gras lag. Dann erst
kümmerte er sich um Conquetest. Mit der Schere, die er in dem Kasten fand, schnitt er den Ärmel der Jacke auf und sagte drän gend: »Der Schmerz ist gewaltig, mein Freund, aber du wirst hundertprozentig heute auftre ten können. Nur noch einen Augenblick, dann bist du wieder in Ordnung.« Conquetest saß auf dem Weg. Der Schmerz der schweren Brandwunde hatte ihn auf die Knie gezwungen. Der Schuß aus der Waffe des Wächters hatte ihn genau an der Schulter getroffen, die Kleidung ver brannt und die Haut in eine Fläche aus Bla sen und rohem Fleisch verwandelt. Fretnorc sprühte ein schmerzstillendes Mittel auf die Wunde, benutzte eine Salbe und dann ein flüssiges Hautersatzmittel, dann erst riß er den verschmorten Ärmel herunter und ver band die Wunde. Er sah, wie sich die ver zerrten Züge seines Freundes langsam ent spannten. »Beinahe hätte er meinen Kopf getrof fen«, stöhnte Conquetest. »Es tut mir leid. Aber das habe ich wirk lich nicht ahnen können«, gab Fretnorc zu rück und verband das Ende der Spezialbinde mit dem dicken weißen Streifen. »Ich küm mere mich gleich um dich.« Er sprang auf und rannte zum Eingang. Offensichtlich war außer diesem Wächter niemand mehr auf der Farm, denn Ge räusche und Schreie hätten jeden anderen alarmieren müssen. Huccard – wo war er? Fretnorc sprang durch die offene Tür in einen großen Raum hinein, registrierte eine Unordnung, die von mindestens zehn Perso nen stammen mußte, riß eine weitere Tür auf und stand im Dunkeln. Er fluchte unbeherrscht und suchte einen Lichtschalter. Einen Augenblick später schalteten sich verschiedene Lichtquellen ein. Fretnorc schob sich, die Schultern dicht an einer lang gestreckten Wand, mit schußbereiter Waffe geradeaus. In einem unbekannten Raum des Hauses plärrte der Lautsprecher eines Vi deogerätes vor sich hin.
Der Sieger und der Tote Eine Tür tauchte auf; Fretnorc riß sie mit der Linken auf und schob mit einem Fußtritt nach. Rasselnd bewegte sich die Platte in ih ren Lagern zurück und schlug dröhnend ge gen die Wand. »Huccard! Komm heraus! Ich muß dich sprechen!« brüllte Fretnorc wütend, schob sich vorsichtig in den Raum hinein. Es war ein Wohnraum mit einem großen Bett. Das Licht zuckte auf; auch dieser Raum war leer. Vorsichtig sah sich der Arkonide um und hörte durch den Korridor, der die Geräusche wie ein Trichter verstärkte und veränderte, das Stöhnen des Wassersuchers. Fretnorc erhielt keine Antwort. Er riß die Türen einiger Wandschränke auf. Die Fächer dahinter waren meist leer, in anderen lagen schmutzige Kleidungsstücke. Der Raum war leer, und der Arkonide rannte weiter. Es gab nur das Geräusch seiner Schritte und die verzerrt klingenden Takte aus dem Lautsprecher. Die nächste Tür. Da hinter lag eine Hygienezelle, ebenfalls leer. Huccard schien keine Spuren hinterlassen zu haben, denn alle Räume, die von diesem Korridor aus zu betreten waren, schienen in der letzten Zeit nicht benutzt worden zu sein. Nur der große Wohnraum, in dem das Videogerät spielte, ließ erkennen, daß der breitschultrige Wächter in seinem abgewetz ten Lederanzug hier gewohnt hatte. Auf ei nem niedrigen Schrank standen drei einge schaltete Monitoren, die mit einer RundumLinsenanlage gekoppelt waren. »Wie erwartet«, knurrte Fretnorc, »er hat unsere Ankunft schon von weitem sehen können.« Er verließ den Wohnraum und riß, noch immer gespannt und schußbereit, die letzte Tür auf. Ein stechender Geruch nach kaltem Schweiß und Exkrementen schlug ihm ent gegen. Er befand sich in einem rechteckigen, lichtlosen Zimmer mit massiven Steinwän den. Ein alter Sessel lehnte an der Wand, ge nau vor Fretnorc befand sich eine schwere Metalltür mit Hebeln und einem alten, aber stabilen Positronikschloß. »Sieht nach Gefängnis aus!«
29 Der Geruch wurde deutlicher und ste chender. Fretnorc riß die schweren Riegel in die entgegengesetzte Stellung, dann preßte er seinen Daumen auf das Schloß. Summend glitt der Riegel zurück, die Stahlplatte, schwang auf. Wieder suchte Fretnorc einen Lichtschalter, und als der kleine, gräßlich stinkende Raum erhellt wurde, sah Fretnorc nichts anderes als ein weißes Tablett mit Es sensresten und eine dünne Kette, die an der Mauer befestigt war und in ein breites Stahl band auslief, das jetzt auf geklappt war. »Also doch! Huccard hat hier jemanden gefangengehalten. Und das vor kurzer Zeit!« Fretnorc stand mitten in dem Gefängnis raum, entdeckte dann die Tür zur Dusche und sah nach, schüttelte den Kopf und über legte. Ein phantastischer Einfall drängte sich ihm auf; er war derart kühn, daß Fretnorc den Kopf schüttelte. Langsam verließ er das Haus und fing Conquetest auf, der ihm mit schmerzverzerrtem Gesicht entgegentaumel te. Die Brandwunde mußte höllisch schmer zen. »Du mußt nur noch kurze Zeit aushalten, Conquetest«, sagte Fretnorc drängend. »Ich bin sicher, daß wir mehr Glück hatten, als wir dachten. Komm, hier herein!« Er griff Conquetest unter die Schulter, hob den Körper leicht an und schleppte ihn in den Wohnraum. Dort ließ er ihn vorsich tig in einen Sessel gleiten und kippte den Kontursessel in Ruhelage. Sofort rannte Fretnorc wieder hinaus vor das Farmhaus und stieß den Wächter in die Seite. »Los! Aufstehen! Wir haben uns zu unter halten!« Der Mann drehte ihm sein zernarbtes, auf geschwemmtes Gesicht zu und blinzelte. »Aufstehen, sagte ich. Schnell!« Er zielte mit der erbeuteten Waffe auf den Hals des Mannes und sprang zurück, als der Wächter sich aufrichtete und versuchte, ihn mit einem Fußhebel zu Fall zu bringen. Fret norc lachte und feuerte einen Schuß dicht neben der Hüfte des anderen ins Gras. »Keine Scherze, Freund«, sagte er grin send. »Möglicherweise wird es sehr unange
30 nehm für dich. Ins Haus, aber ohne Tricks.« »Schon gut«, murmelte der andere und stemmte sich hoch. »Ich hab's nur versucht.« Fretnorc trieb ihn vor sich her und in den Wohnraum. Dort schloß er die Tür hinter sich, warf einen schnellen Blick auf die Mo nitoren und sah, daß die Farm noch immer verlassen war, und daß sich kein Gleiter nä herte. »Dieser Mann hier hat mit unserem Ärger nichts zu tun. Du Wurm hast nach ihm ge schossen. Hast du hier eine funktionierende medizinische Ausrüstung?« »Glaube ja, dort hinten. Soll ich …«, das Gesicht des anderen wurde plötzlich leben dig. »Natürlich. Du gestattest, daß ich nachse he?« Fretnorc ging zu der angegebenen Stelle. Conquetest stöhnte noch immer. Als der Rotgekleidete das Fach aufriß und versuch te, den Inhalt mit seinem Oberkörper zu ver decken, sprang ihn Fretnorc an und rammte ihn mit der Schulter zur Seite. Der massige Mann taumelte und stolperte. Mit einem schnellen Griff nahm Fretnorc die kleine, glänzende Schockwaffe aus dem Fach und versicherte grimmig: »Nicht ganz neu, dein Versuch. Laß die Scherze; ich werde sonst ernsthaft ärgerlich. Du wirst diesen Mann verbinden.« »Meinetwegen.« Fretnorc steckte die kleine Waffe ein und kontrollierte den Wächter. Zunächst setzten sie eine Hochdruckspritze an und injizierten ein starkes, schmerzstillendes Langzeitmit tel. Die Injektion wirkte fast sofort. Der Not verband wurde erneuert und verbessert, eine dicke Schicht Spezialsalbe wurde aufge sprüht. Schon Minuten später erkannte Fret norc, daß sich der Gesichtsausdruck von Conquetest änderte. Das Stöhnen hörte auf. Der Wächter schien einschlägige Erfahrun gen zu haben. Als sich Conquetest langsam aufrichtete und aufatmete, sagte Fretnorc: »Du fühlst dich besser, mein Freund?« »Erheblich. Ich kann schon wieder klar denken.«
Hans Kneifel Fretnorc starrte den Wächter an und sagte ohne eine Spur von Humor oder Sarkasmus: »Und jetzt hören wir mit dem Geplänkel auf. Laß dich von meiner verbindlichen Art nicht stören. Dein Name?« »Ich bin Parnooh.« »Du weißt, daß ich Huccard suche. Wo ist er?« Parnooh lachte heiser und setzte ein un verschämtes Gesicht auf. »Huccard? Er ist weg. Woher wißt ihr, daß er überhaupt hier war?« »Unwichtig«, erklärte Fretnorc. »Huccard ist von mir bezahlt worden, um Darbeck zu helfen. Darbeck ist tot. Wer war der Gefan gene in dieser kleinen Kammer dort hin ten?« Wieder lachte Parnooh auf. Entweder war er ein wenig beschränkt, oder er fühlte sich sicher und unangreifbar. »Ihr seid zu spät gekommen. Huccard und sein Gefangener sind weg. Gestartet mit ei nem Raumschiff.« Fretnorc blieb ruhig. Seine Befürchtung schien gerechtfertigt zu sein. Es konnte nur einen Gefangenen gegeben haben: Darbeck. Darbeck war identisch mit Atlan. »Der Gefangene war Darbeck?« fragte Fretnorc drohend. »Ja. Aber sie sind gestartet. Huccard und Darbeck. Sie werden niemals mehr nach Hirc zurückkommen.« Fretnorc warf Conquetest einen kurzen Blick zu. Der Schausteller nickte mehrmals und stand auf. Inzwischen hatte Fretnorc be griffen, daß es tatsächlich die Wahrheit war, was Parnooh sagte. Er würde kein Wort ge sagt haben, wenn für die Verfolger noch ei ne Chance bestanden hätte, Huccard und sei ne Beute einzuholen. Fretnorc stand wie ge lähmt da, aber seine Waffe hielt den anderen in Schach. »Huccard und Darbeck. Es ist tatsächlich verblüffend«, murmelte er und versuchte, ir gendeine Möglichkeit zu finden. Er sah ein, daß es tatsächlich zu spät sein konnte, aber dann erinnerte er sich daran, daß wenigstens bis vor kurzem noch generelles Startverbot
Der Sieger und der Tote auf Hircs Raumhafen geherrscht hatte. »Richtig?« fragte er Conquetest. Seine Frage bezog sich darauf, ob hier zwei deutli che Emotio-Spuren feststellbar waren. Die jenige Huccards und eine andere, sehr star ke. Der Wassersucher nickte. Er hatte be griffen. »Dann haben wir hier nichts mehr zu su chen«, sagte Fretnorc. »Los, wir ziehen uns zurück.« Er wußte jetzt, daß Huccard Angehöriger des Geheimdiensts war. Er mußte versu chen, die Person von Conquetest zu scho nen, deshalb nannte er dessen Namen nicht. Er ignorierte den breit grinsenden Parnooh, der ihm weder nützen noch schaden konnte. Conquetest folgte ihm etwas langsamer, als er zum Gleiter zurücklief und startete. Der Wassersucher schwang sich in den Sitz, und der Gleiter schoß davon. Als sie in halsbrecherischem Tempo, eine große Staubwolke hinter sich aufwirbelnd, über den schmalen Feldweg dahinrasten, stieß Fretnorc hervor: »Huccard ist mit Atlan entweder noch auf dem Flughafen oder tatsächlich schon gest artet. Wie es zuging, daß Darbeck oder Al tan gar nicht im Kampf getötet wurde, das wird sich vielleicht irgendwann herausstel len. Aber vielleicht haben wir Glück. Es ist ein weiter Weg bis nach Arkon. Kannst du mir noch helfen, Conquetest?« »Vielleicht. Ich habe wenig Schmerzen, aber das Medikament lähmt mich. Ich werde mich ausruhen, vielleicht schaffe ich es.« Er entspannte sich, lehnte sich zurück und schloß die Augen. Fretnorc steuerte den Gleiter, so schnell es möglich war, auf die breite Piste zurück, benutzte die erste Gele genheit, um in einem halsbrecherischen Ma növer auf die Gegenfahrbahn zu kommen und schaltete die Maschine auf Maximalge schwindigkeit. Sein Ziel war der Raumha fen. Während er steuerte, gingen ihm unzäh lige wilde Vermutungen und Theorien durch den Kopf. Er war nervös. Würde er noch rechtzeitig kommen. Irgendwie war es geglückt, Darbeck so zu
31 manipulieren, daß der Kampf für ihn schein bar »tödlich« ausgegangen war. Wie das geschehen konnte, dachte Fret norc einerseits verzweifelt, andererseits mit einer gewissen Bewunderung für Huccard und die Leute vom Geheimdienst, war gera dezu gespenstisch rätselhaft. Huccard hatte sich abgesetzt. Er war ge flohen. Aber es lag nicht ein Hinweis darauf vor, daß hier auf Hirc Angehörige des Ge heimdiensts offen operierten. Also befand er sich noch in der Maske des Kampfagenten – oder so ähnlich. Es würde für ihn und seinen wertvollen Gefangenen – das Ziel beider war unzwei felhaft Arkon! – also kein besonderes Schiff starten. Auch hier würde die Tarnung noch einige Zeit gewahrt bleiben müssen. Fretnorc begann leise zu fluchen und raste die erste Abzweigung hinunter, die auf die Gleiterpiste zum Raumhafen führte. Die Sil houetten der Raumschiffe und der Turm wurden deutlicher und größer. »Vielleicht schaffen wir es!« flüsterte Fretnorc und bedauerte, daß sich die Ge schwindigkeit des alten Vehikels nicht mehr steigern ließ. Fartuloon! Karmina Arthamin! Karmina wartete außerhalb des Systems mit ihren bewaffneten Schiffen. Vielleicht konnte sie eingreifen. Aber um eingreifen zu können, mußte sie vorher verständigt wer den. Das war nur mit einem Schiffsender möglich. Fretnorc hatte noch ungefähr zehn Minu ten oder eine Viertelstunde Zeit, einen Aus weg zu finden. Zunächst aber mußte er einmal wissen, ob Huccard sich noch auf dem Boden des Pla neten befand oder nicht. Was für Huccard galt, betraf natürlich auch Atlan. »Welch ein Chaos!« rief Fretnorc ver zweifelt. Er fühlte sich in diesem Moment stark überfordert. »Ich habe noch immer Fetzen von Emo tio-Spuren«, sagte zu seiner Überraschung der Schausteller leise. »Huccard?«
32 »Ja. Und dazu schwach die andere Spur, die ich im Farmhaus fand. Sie müssen diese Strecke gefahren sein.« »So weit in Ordnung«, knurrte Fretnorc und sah die Randgebäude des Raumhafens herankommen. Dahinter standen, perspekti visch kleiner werdend, mehrere große Frachtraumer. »Könntest du den Weg in ein stehendes oder gestartetes Schiff verfol gen?« »Unter Umständen.« Fretnorc drosselte die Geschwindigkeit, als die Sperren in Sicht kamen. Conquetest begann sich zu konzentrieren und schwieg, als der Gleiter kurz vor der Absperrung nach rechts abbog und auf den Standort der Schif fe zuglitt. »Kannst du etwas erkennen?« fragte Fret norc ängstlich und gespannt. »Huccards Spur. Ganz deutlich und frisch, sehr stark. Er ist durch die Sperre und dort vorn abgebogen, in unsere Richtung … fahre weiter!« In diesem Moment war es Fretnorc völlig gleichgültig, auf welche Weise sein verletz ter Freund den Weg Huccards feststellte. Wenn er es schaffte, ohne daß sie den Platz betreten und sich dem Eingreifen der Beam ten aussetzten mußten, dann war es besser. »Wohin ist Huccard, Conquetest? Wohin, in ein Schiff?« »Still.« Fretnorc steuerte langsam zwischen den Bäumen und hinter der Abgrenzung entlang und sah immer wieder zu den Schiffen hin über. Als der Gleiter an einem der Kugel rümpfe vorbeikam und aus dem Sichtschat ten der Landestützen herausglitt, startete ein mittelgroßes Frachtschiff etwa aus der Mitte des runden Platzes. Deutlich erkannten die Männer den Namen DOPESTON. Conquetest hob eine Hand und wisperte, sichtlich angestrengt und nicht ganz sicher: »Ich glaube, er ist in diesem Schiff. Dort drüben – die Spuren sind abgeschnitten. Warte noch etwas. Anhalten!« Fretnorc stoppte den Gleiter. Zwei gegensätzliche Meinungen be-
Hans Kneifel herrschten ihn. Einerseits Enttäuschung dar über, daß Huccard ihnen entkommen war. Andererseits war sein Vorsprung in Sekun den meßbar, wenn er sich tatsächlich in der DOPESTON befand. Fretnorc drehte den Kopf hin und her, sah einmal seinen Freund an, dann das schnell kleiner werdende Schiff. Conquetest schwieg und atmete schwer. Irgendwie verfolgte er mit seiner Vorstellungskraft und den rätselhaften An tennen seines Verstandes die Spur dieses Agenten. »Ja. Die Spur reißt ab. Sie deutet in den Raum hinaus.« Conquetest holte tief Luft, riß die Augen auf und spannte seine Muskeln. Ein Alp traum schien von ihm abgefallen zu sein. Er schien keinerlei Schmerzen mehr zu haben. »Alles klar«, sagte er deutlich und wisch te sich den Schweiß von der Stirn und der Oberlippe. »Dein Freund ist in diesem Schiff dort. Hundertprozentig!« »Bist du sicher?« erkundigte er sich un gläubig. »Huccard und Darbeck sind in dem Frachtraumer?« »Ich sage dir die Wahrheit, das weißt du ganz genau. Wir sind ins Leere gestoßen, mein Freund. Was können wir jetzt noch tun?« Fretnorc lenkte wieder in die Richtung zu rück, aus der sie gekommen waren. Es gab nur noch eine Idee, von der er sich etwas versprach. Wenn sie nicht zu realisieren war, dann wurde Atlan von Huccard an Orbana schol ausgeliefert.
5. Kaum hatte die PFEKON an Karminas Schiff angelegt, stieß sich Fartuloon von den Sicherheitsgriffen der Schleuse ab und war tete, nachdem er die wenigen Meter Zwi schenraum überwunden hatte, in der gegen überliegenden Schleuse auf den Druckaus gleich. Er mußte Karmina persönlich spre chen, nicht über Schiffskommunikation. Als die innere Schleusentür aufglitt, stürmte der Bauchaufschneider ins Schiff
Der Sieger und der Tote hinein und riß sich den Helm herunter. Auf halbem Weg kam ihm Karmina entgegen. »Fartuloon!« sagte sie leise. »Es ist also richtig, was wir gehört und gesehen haben? Atlan ist …« Er breitete seine Arme aus und zog sie freundschaftlich an sich. Sein Raumanzug war eisig kalt, aber sie zuckte nicht zurück. Dann packte Fartuloon die Frau an den Schultern und schob sie auf Armeslänge von sich fort. Er blickte in ihre großen Augen und sagte beschwörend: »Ich glaube, daß er lebt! Aber ich bin nicht sicher. Ich konnte auf keinen Fall län ger auf Hirc beziehungsweise Pejolc blei ben.« Sie starrte ihn ungläubig an; dann schüt telte sie den Kopf. Fartuloon registrierte be ruhigt, daß sie den Schock augenscheinlich bereits hinter sich hatte. Er versuchte ein kurzes Lächeln und fuhr fort: »Ihr alle wißt nur, was die Nachrichten medien weitergaben. Für dich ist Atlan von Mana-Konyr niedergeschlagen und getötet worden. Das sah und glaubte ich zuerst auch, aber dann passierten höchst merkwür dige Dinge. Hör zu …« Während sie langsam in die Richtung der Zentrale gingen, berichtete Fartuloon, was in den letzten Tagen vorgefallen war. Er mach te Karmina keinerlei Hoffnungen, aber er sagte, was er selbst dachte. Schließlich blieb die junge Frau stehen und fragte entgeistert: »Das darf alles nicht wahr sein! Ich fürch te mich davor, dir zu glauben, Fartuloon, denn dann würden die Enttäuschung und die Trauer noch größer werden.« Fartuloon nickte und erwiderte: »Glaube mir, es geht mir nicht anders. Ich weiß im Augenblick auch nicht, was wir von hier aus tun können. Fretnorc und sein Team sind im Dubnayor-System, vielleicht finden sie etwas Neues heraus.« Karmina hob die Schultern und ließ sie resignierend wieder fallen. »Und wie sollen sie uns benachrichtigen? Natürlich kennen sie den Kode und unsere
33 Daten … aber ich kann mich nicht entsin nen, daß einer von der Kraumon-Truppe Zu gang zu einem Schiffssender hätte?« Er biß sich auf die Lippen und bekannte: »Du hast recht. Daran dachte ich im Au genblick nicht. Aber für einen von uns sollte dies kein unüberwindbares Hindernis sein.« »Was bleibt uns zu tun?« »Warten«, antwortete leise die Sonnenträ gerin. Einige Minuten später saßen sie allein in Karminas Privaträumen. Fartuloon hielt ein großes Glas mit einschlägigem Inhalt in bei den Händen und sagte stockend: »Zuerst war ich völlig demoralisiert. Ich weiß, daß es dir nicht anders erging. Ich sah zu, wie Mana-Konyr ihn förmlich hinrichte te, nach einem Kampf, in dem Atlan mehr als genug Chancen hatte. Und dann der nächste Schock: der Körper wurde, kaum daß er in der Kältekammer war, entführt. Ein Schock war größer als der andere – ich war ebenso desorientiert wie ihr hier in den Schiffen. Dann, auf der Suche nach Huccard, be kam ich Mana zu fassen. Was er sagte, klang zu phantastisch, um noch glaubwürdig sein zu können. Trotzdem muß er die Wahrheit gesagt haben. Entweder versteckt sich Huccard mit sei nem Gefangenen auf Hirc, oder beide sind schon unterwegs nach Arkon.« Er trank einen tiefen Schluck. Jetzt warteten hier vier Schiffe, zusam men mit der zuletzt gekommenen PFEKON waren sie durchaus zu gewissen Operationen fähig. Aber sie hatten keine Ahnung, was dort im System vor sich ging. Zwischen den einzelnen Gruppen war die Kommunikation abgeschnitten. Die Ungewißheit der letzten Zeit fand hier ihre Fortsetzung. Endlich fand Karmina eine Antwort. »Ich war zum zweitenmal in meinem Le ben richtig verliebt; das heißt, ich bin es noch. Und ausgerechnet Atlan, auf den wir alle unsere Hoffnungen gesetzt haben, wird vor den Linsen der Kameras getötet. Wir waren alle wie vereist und erstarrt.«
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»Ich weiß.« »Der Schrecken klang nur ganz langsam ab. Und dann sagten wir uns alle, daß uns nichts anderes als ein geordneter Rückzug nach Kraumon geblieben war. Das wollten wir tun, nachdem die PFEKON zu uns ge stoßen war. Und jetzt kommst du und erzählst, daß Atlan womöglich noch lebt. Das ist der nächste Schock.« Fartuloon versuchte vorsichtig, etwas Op timismus auszustrahlen. Er trank das Glas leer und schloß: »Ich hoffe, wir erleben auch noch den nächsten, immerhin möglichen Schock: daß wir Atlan zwischen Hirc und Arkon befreien können.« »Hoffentlich hast du recht«, sagte sie. Die Ortungszentralen und die Funkstatio nen aller Schiffe waren voll besetzt. Sämtli che Instrumente und Antennen horchten den Weltraum ab. Einerseits deswegen, weil die winzige Flotte nicht geortet und überrascht werden durfte, andererseits, weil ausnahms los jeder an Bord begierig war, Neuigkeiten aus dem Dubnayor-System zu hören und zu sehen. Vielleicht war etwas darunter, das sich mit Darbeck-Atlan beschäftigte.
* Ich wußte nicht, wie lange ich diesmal ge schlafen hatte, aber als ich aufwachte, fühlte ich mich nur noch zerschlagen und matt, aber mein Verstand funktionierte mit ge wohnter Klarheit. Die letzte Schlafperiode hatte den Zu stand meiner Erschöpfung gebrochen. Was war meine letzte Erinnerung? Ein Essen, dann eine lange Dusche heiß und kalt, dann die große Müdigkeit. Sonst weißt du nichts von dem, was zwischenzeit lich geschehen ist, meldete sich augenblick lich mein Extrasinn. Ich öffnete die Augen. Dämmerlicht herrschte um mich herum. Ich unterschied die Konturen einer standardisierten Raum schiffskabine. Meine Ohren nahmen die Ge-
räusche summender Maschinen wahr. Mein Körper spürte die Vibrationen des Schiffs körpers. Es mußte ein großes Schiff sein, das im Normalraum flog. Also hatte man mich aus meinem plane tengebundenen Gefängnis an Bord eines Schiffes gebracht. Der Raum stank nicht. Es war angenehm warm, die Klimaanlage spendete einen mil den Strom frischer, sauerstoffreicher Luft. Mein Gefängnis war diesmal komfortabler geworden. Ich setzte mich vorsichtig auf und bemerkte zu meiner Freude, daß ich diesmal keine Fesseln trug. Das bedeutet aber, daß das Schott ent sprechend gesichert ist. Ich trug noch immer meine Hose, in der ich auf der Kampfplattform gegen ManaKonyr verloren hatte. Auf dem Rücken des Sessels, der an der gegenüberliegenden Wand stand, sah ich eine einfache Raumfah rerkombination. Ich stand auf und versuchte nacheinander die einzelnen Muskeln und Gelenke. Ich merkte nur noch jenes charak teristische Gefühl der überstrapazierten Muskeln. »Immerhin«, sagte ich leise zu mir selbst, »ich bin wieder beschränkt handlungsfähig.« Ich kannte hundert Tricks, wie sich ein einzelner an Bord eines großen Schiffes ver stecken konnte, und zwar mit nachhaltigem Erfolg. Mein nächstes Ziel mußte sein, die Kabine auf eine Weise zu verlassen, die ich noch herausfinden mußte. Ich öffnete die Tür zur Hygienezelle und fand sämtliche Einrichtungen, die der Norm auf arkonidischen Frachtern entsprachen. Wieder eine nützliche Information. Wir wa ren nicht an Bord eins Kriegsschiffes des Imperiums, sondern eines Frachters. Huc card, der mich entführt hatte, reiste also noch in seiner Tarnung als Kampfagent. War, wie ich befürchten mußte, eine der Ar kon-Welten das Ziel dieses Schiffes? Ich duschte heiß und kalt, ließ mich mehr mals von der Robotmaschinerie massieren, duschte abermals und ließ mich von heißen Luftwirbeln abtrocknen und abermals mit
Der Sieger und der Tote Körperöl einmassieren. Als ich die Kombi nation und die neuen Stiefel angezogen hat te, fühlte ich mich so gut wie seit neun Ta gen nicht mehr. Aber nur körperlich. Zweifel und Angst blieben. Ich beschloß, das Verfahren abzu kürzen und mir Gewißheit zu verschaffen. Ich schaltete den Bildschirm ein und stell te mich vor die Linsen. »Aha! Unsere wertvollste Fracht ist auf gewacht. Wollen Sie Essen, Darbeck?« frag te ein Mann in mittleren Jahren, den ich noch niemals gesehen hatte. »So ist es. Gut und reichlich. Und außer dem will ich sofort Huccard sprechen«, sag te ich laut. »Huccard, diesen Schakal.« Der Unbekannte schien guter Laune zu sein, denn seine Antwort klang heiter und gelassen. »Ich weiß nicht, ob Ihre Charakterisierung seinem Charakter gerecht wird, aber ich werde Ihren dringenden Wunsch ausrichten. Das Essen wird sofort serviert. Bordmenü. Keineswegs Leckerbissen, aber nahrhaft und reichlich. Getränke?« »Ein großes, dunkles Bier, wenn vorrä tig.« »Das ist einer der Wünsche, die wir Ihnen als unserer teuersten Fracht gern erfüllen.« Der Bildschirm wurde dunkel. Ich mußte kurz lächeln; der heitere Tonfall änderte gar nichts an den ungewöhnlich mißlichen Um ständen. Aber ich lebte, mir ging es ver gleichsweise gut, und vielleicht fand ich ei ne Möglichkeit, meine Lage sehr schnell zu verändern. Ich wartete etwa zehn Minuten. Dann wurde das Sicherheitsschloß geöff net, das Schott schwang lautlos nach außen. Ich richtete mich auf und erkannte Huccard, noch immer in seinem schlechtsitzenden Anzug und mit demselben Gesichtsaus druck, den ich aus der Zelle im Turm der Tamaskon-Arena kannte. Er starrte mich schweigend an. Hinter ihm standen zwei rie sige Arkoniden mit stumpfen Gesichtern. Die Männer hielten schwere Schockwaffen in den Armen. Ich sah das rote Glühen der
35 Betriebsanzeigen. Huccard selbst trug einen winzigen Nadler, eine ideale Waffe für klei ne Räume, wie es meine neue Gefängniszel le war. »Kampfagent Huccard«, sagte ich leise. »Ich hätte Sie durch die Stäbe meiner Zelle hindurch erwürgen sollen.« Huccard sah mich nur schweigend an und richtete den Lauf der faustgroßen Waffe auf meine Brust. »Verärgern Sie mich nicht, Kristallprinz«, sagte er leise. »Ich habe nichts gegen Sie. Daß Sie leiden mußten, befriedigt mich kei neswegs.« Ich erschrak. Er wußte also, wer »Darbeck« war. Er hatte es schon gewußt, noch ehe Fretnorc mit ihm Kontakt aufge nommen hatte. Ich war sozusagen verloren. Das Ziel dieses Schiffes war, und daran durfte ich nicht mehr zweifeln, Arkon. »Was wird Ihnen der Imperator zahlen?« fragte ich. »Eine größere Summe, und überdies wird sich mein sozialer Status nicht unwesentlich verbessern«, war die kalte Antwort. »Was nicht für Sie gilt, Atlan.« »Verständlich«, erwiderte ich. »Vielleicht sollten Sie daran denken, daß Orbanaschol für geleistete Dienste mitunter in ungewöhn licher Währung zahlt. Sie gehen ein nicht gerade geringes Risiko ein.« Huccard zog sich wieder zurück und blieb genau auf der Trennungslinie zwischen Ka bine und Korridor stehen. »Das ist nicht mehr Ihr Problem!« sagte er leise. »Ich werde mich für den Rest des Fluges von Ihnen nicht mehr provozieren lassen. Obwohl ich mich leicht in Ihre mißli che Lage versetzen kann.« Ich blickte ihn an. Selbst wenn ich jetzt versuchte, ihn anzuspringen und wider Er warten damit Glück haben würde, gab es zwei Männer, die augenblicklich handeln würden. Ich zuckte die Schultern. »Falls meine Freunde schnell genug ar beiten, ist meine mißliche Lage geradezu tri vial gegenüber Ihrer Position. Vielleicht se hen wir uns in anderer Umgebung und unter
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veränderten Umständen wieder.« »Was ich mir nicht wünsche«, bekannte er. Irrte ich, oder war in seinen Augen se kundenlang so etwas wie ein ängstliches Flackern zu erkennen gewesen? Jedenfalls zog er sich zurück. Ein Roboter schwebte herein und setzte einen kleinen Container auf der herausklappbaren Platte ab. Die Ma schine brummte hinaus, und die beiden Wa chen traten zur Seite. »Jetzt müssen wir uns auch noch um At lan kümmern!« brummte einer und langte nach den Griffen des Schottes. »Aber wenn wir auf Arkon sind, regnet es für uns warmes Geld!« erwiderte der andere. Dann wurde das Schott geschlossen und von außen verriegelt. Du bist Huccards Gefangener. Die Mann schaft ist eingeweiht und wird bezahlt wer den. Das Schiff fliegt nach Arkon. Alles war ein abgekartetes Spiel. Huccard wird dich an den Diktator ausliefern und seine Prämie kassieren, sagte abschließend der Logiksek tor. Ich setzte mich und begann zu essen. Damit, daß ich hungerte, konnte ich mei ne Lage nicht verbessern. Während ich aß und das eiskalte, schäumende Bier trank, dachte ich darüber nach, wie ich aus meinem neuen Gefängnis flüchten könnte.
* Immer wieder blickte sich Fretnorc ängst lich um, ob ihm nicht ein Gleiter der Polizei folgte. Er steuerte sein Fahrzeug in beängsti gender Schnelligkeit auf der Piste in Rich tung Tamaskon-Arena. Er suchte Darracia und die anderen. Endlich tauchte der auffal lende Kuppelbau auf, daneben stand der bunt bemalte kastenförmige Gleiteraufbau. »Willst du mir nicht sagen, was du vor hast, Fretnorc?« erkundigte sich Conquetest, der sich an den Griffen festklammerte und hin und her geworfen wurde. »Ja, natürlich. Wir müssen in ein Schiff hinein, zum Sender. Wir werden versuchen, in das von uns gecharterte Frachtschiff hin-
einzukommen.« Er verließ die Piste und schlenderte gera deaus auf die Kuppel zu. Einige der Arbei tenden sahen ihn kommen und deuteten auf geregt schreiend auf den heranrasenden Gleiter. »Laßt mich hier! Ich muß mich erholen!« rief Conquetest. »Das war ohnehin geplant. Nur Kelsh, Darracia und ich. Es muß schnell gehen!« Fretnorc brachte den Gleiter vor der er sten Gruppe zum Stehen, riß die Tür auf und sprang hinaus. Er winkte Garrason und PolcTanier heran und stieß hervor: »Kümmert euch um Conquetest. Er ist an geschossen worden und muß heute auftreten. Wo sind Kelsh und das Mädchen?« Während Garrason um den Gleiter herum lief, um dem Wassersucher zu helfen, deute te er in die Richtung des schweren La stengleiters. Kelsh und Darracia schienen gemerkt zu haben, daß etwas Unvorhergese henes geschehen war, und kamen herbeige laufen. »Brauchst du uns?« rief Kelsh und blieb vor dem Gleiter stehen. Die zwei anderen Freunde schleppten behutsam den Hellseher zum Gleiter. Aus dem Innern des bunten Ge fährts kamen die wütenden Schreie des Vo gelwesens. »Ja. Sofort. Ich erkläre es euch auf der Fahrt.« Einige Augenblicke später drehte der Gleiter, beschleunigte und jagte davon. Diesmal ignorierte Fretnorc sämtliche Pisten und jagte quer durch das Gelände auf den Rand des Raumhafens zu. »Ihr müßt mit mir in unser Transport schiff hinein. Unbedingt. Dann müßt ihr lär men und die Wachmannschaft ablenken. Wir haben herausgefunden, daß Atlan lebt. Er und Huccard sind mit der DOPESTON vor wenigen Minuten gestartet.« »Das ist unmöglich!« knirschte Kelsh. »Aber Vater ist verwundet worden!« rief Darracia aus. »Eine einfach Verbrennung, die gut ver sorgt ist. Nach ein paar Tagen wird er sich
Der Sieger und der Tote schmerzfrei und ungehindert bewegen kön nen«, schwächte Fretnorc ab. Jetzt hing es von ihnen ab, ob Atlan an den Diktator ausgeliefert werden würde oder nicht. Fretnorc rief sich die Kodeziffern und die Verschlüsselung wieder ins Gedächtnis und reichte die erbeuteten Waffen an Darra cia und Kelsh weiter. »Wir müssen lautstark protestieren und meinetwegen die Schiffsbesatzung verdäch tigen, uns bestohlen zu haben!« empfahl Fretnorc. »Verstanden. Was fehlt uns angeblich?« fragte Kelsh. Die erste Sperre tauchte auf. Mit unverän derter Geschwindigkeit hielt Fretnorc darauf zu und sah mit Befriedigung, daß sich die bewaffneten Posten für den heranrasenden Gleiter zu interessieren begannen. »Ausrüstungsteile meines Vaters. Schwar ze, eng verschnürte Bündel. Drei Stücke«, erklärte das Mädchen. »Auf einem Schiff gibt es immer solche Packen. Natürlich kön nen wir nachher auch sagen, daß wir uns ge irrt haben und uns entschuldigen, vielleicht nach einem Gespräch mit unserem Wagen.« »Tadellos!« kommentierte Fretnorc und bremste die Maschine ab. Vor dem Energie gitter hielten sie an. Fretnorc sprang aus dem Gleiter und ging auf den ranghöchsten Po sten zu. Da der Posten offensichtlich alle Schausteller für leicht verrückt hielt, grinste er breit, als ihm Fretnorc aufgeregt erklärte, was sie hier zu suchen hatten. »Machen Sie keine Schwierigkeiten?« fragte er trotzdem mißtrauisch. »Mann!« schrie Fretnorc und gestikulierte wild mit den Händen vor dem Gesicht des Postens umher, »wir brauchen die wichtig sten Utensilien, sonst kann unser Zauberer nicht zaubern. Keiner von uns will mit fau len Früchten beworfen werden, bloß weil dort im Schiff ein Packer nicht lesen kann.« »Wie lange wird Ihr Besuch dauern?« »Ganz bestimmt nicht lange, Herr Gene ral«, rief Darracia aus dem Gleiter und strahlte den Posten hingebungsvoll an. »Wir haben jede Menge Eile, weil nämlich unsere
37 Vorstellung bald anfängt.« »Meinetwegen«, erklärte der Wächter und schaltete die Sperre ab. »Macht keinen Är ger, bitte!« »Danke!« rief Fretnorc, sprang in den Sitz und schwebte auf die Rampe des Frachters zu. Nur zwei Besatzungsmitglieder standen an der Stelle, an der die Rampe den Beton des Hafengeländes berührte. Fretnorc steuer te die Maschine bis in die Schleuse hinein und stoppte dort. Er rief einen kleinen Auf ruhr hervor, als sämtliche Hilfskräfte und Besatzungsangehörige auf den bunt bemal ten Gleiter zustürzten. »He, ihr Schlafmützen!« rief Fretnorc. »Ihr wollt wohl unsere ganze Schau sabotie ren?« Darracia ließ sich von Kelsh heraushelfen und begann zu schreien. »Mein Vater sitzt in der Kuppel und flucht vor Wut! Wir haben gutes Geld für den Transport bezahlt, und ihr, ihr ladet nur die Hälfte aus! Sie dort, ich habe Sie gese hen? Sie haben die Ausladearbeiten gelei tet!« Ein Schiffsoffizier wich langsam vor ihr zurück. Sie schrie auf ihn ein und fuchtelte mit ihren kleinen Fäusten vor seinen Augen herum. Die Mannschaft blieb stehen und er lebte verblüfft diesen Ausbruch mit. Fretnorc gab Kelsh einen Stoß und zog sich vorsichtig in Richtung auf den Anti gravschacht zurück. Die Aufteilung der ein zelnen Zonen und Räume in diesem Stan dard-Handelsschiff war ihm seit langem gut bekannt. Er erreichte den Einstieg gerade in dem Augenblick, als Kelsh von links heran kam und mit lauter, dröhnender Stimme sag te: »Entschuldigen Sie bitte, aber diese junge Frau hier übertreibt aus berechtigter Sorge.« »Vor allem schreit sie so schön! Schaut unseren Alten an, er hat direkt Angst vor ihr bekommen.« Kelsh hob beide Arme und rief: »Es handelt sich nach unserer Meinung um drei längliche Pakete in dunkler Folie, dicht eingeschnürt. Sie müssen irgendwo lie
38 gengeblieben sein. Vielleicht sind sie auch irrtümlich in die Ausrüstung einer anderen Gruppe gelangt. Aber wir können ohne diese Requisiten nicht zu arbeiten anfangen. Uns entgeht sehr viel Geld. Bitte, verstehen Sie unsere Aufregung.« Darracia schwieg vorübergehend und stand da, zornbebend, die Arme in die Seiten gestemmt, sie blickte von dem Ladeoffizier zu Kelsh und wieder zurück. Inzwischen hatte sich um die streitenden Gruppen ein dichter Ring aus Packern und Männern des Schiffes gebildet. Fretnorc hörte, als er sich weit oben aus dem Schacht schwang, eine Salve dröhnendes Gelächter, dann wieder die kreischende Stimme Darracias. Sie machten es ausge sprochen gut. Vorsichtig rannte der Arkonide auf Ze henspitzen einen geschwungenen Korridor entlang und lauschte auf verdächtige Ge räusche. Aber als er zum ersten Querschacht kam, hatte er immer noch niemanden gese hen. Er zog die kleine Betäubungswaffe, die er Parnooh abgenommen hatte, und verbarg sie in der Hand, als er den verschmutzten Hinweisschildern folgte. Fast alle wichtigen technischen Einrichtungen befanden sich im oberen Drittel des Schiffes. Der Rest gehörte den Maschinen und den riesigen Laderäu men. Fretnorc hastete weiter, blieb immer wieder stehen und sicherte, aber er hörte nicht einen einzigen Schritt, keinen Schrei, der ihm befahl, stehenzubleiben. Er kam an einigen offenen Türen vorbei und hielt die Luft an. Irgendwelche Generatoren summten, das war alles. Schiffsalltag sozusagen, ohne be sondere Schutzmaßnahmen. Wozu auch? Zu seiner Verwunderung war auch das Si cherheitsschott offen, das den Vorraum von der gut ausgestatteten Funkkabine trennte. Fretnorc hob die Waffe und zielte in den Raum hinein. Dann erst schob er den Kopf nach vorn und sah sich um. Eine Batterie verschiedener Geräte war eingeschaltet, einige Verbindungen waren in die Zentrale umgelegt worden, die kompli-
Hans Kneifel zierten technischen Anordnungen wisperten und knisterten. »Leer! Welch ein Glück!« flüsterte er. Mit einem Satz war er in der Kabine, griff nach draußen und schloß das Schott hinter sich. Er brauchte nicht mehr Zeit als fünf Minuten, dann war alles getan, was er tun konnte. Mit zitternden Fingern aktivierte er den Sender. Dann kippte er in rasender Geschwindig keit Schalter, regulierte Sendestärke ein und drehte die genaue Frequenz ein. Er formu lierte, während er die technischen Handgrif fe ausführte, bereits den kodierten Text. Alle diese einzelnen Vorgänge flossen ohne Pau se ineinander über. Noch vier Minuten … Wieder eine Reihe rasend schnell ausge führter Schaltungen, einige prüfende Blicke auf Skalen und zitternde Zeiger, dann kippte er das Mikrophon und sprach langsam und scharf betont hinein. Er mußte sich dazu zwingen, denn er wußte nicht, wieviel Zeit ihm noch blieb. AN KARMINA UND FARTULOON. ATLAN MIT HUCCARD IN SCHIFF DO PESTON ZWEIHUNDERT METER DURCHMESSER FRACHTER VOR DREISSIG MINUTEN RICHTUNG AR KON GESTARTET! HUCCARD IST GE HEIMDIENSTMANN. ATLAN LEBT. STOPPT DAS SCHIFF BEFREIT ATLAN. BESTÄTIGEN. Er atmete aus und fühlte eine Erleichte rung, die so deutlich war, daß seine Knie zu zittern begannen. Aber er mußte warten, bis die Bestätigung eintraf. Waren die Ortungs stationen überhaupt besetzt, dort draußen, im kosmischen Versteck der Schiffe? Für ihn, der von Sekunde zu Sekunde ner vöser wurde, verging eine Ewigkeit. Dann kamen aus dem Lautsprecher eine Reihe von Worten. Während Fretnorc zuhörte, entschlüsselte er sie bereits. ALLES VERSTANDEN. BEFEHL FAR TULOONS ALLES ZURÜCKZIEHEN. TREFFEN KRAUMON.
Der Sieger und der Tote »Alles nur reine Nervensache«, flüsterte er mit ausgetrockneten Lippen, schaltete al les ab, was er vorhin eingeschaltet hatte, dann schob er die Waffe ein und verließ die Funkkabine. Links von ihm hörte er Lachen, Stimmen gewirr und wieder die schrille Stimme Dar racias. Er rannte geradeaus, um möglichst weit von der Kabine entfernt zu sein, dann näherte er sich auf Umwegen der Gruppe, die offensichtlich in den kleineren Räumen nachsah, in denen die Schausteller während des kurzen Fluges untergebracht worden wa ren. Kelsh entdeckte ihn zuerst, winkte ver stohlen und sah ihn fragend an. Fretnorc tat so, als komme er aus einer der Kabinen und rief: »Ich glaube, wir haben kein Glück. Nichts zu finden.« »Wir haben auch nichts gefunden. Lang sam machen wir uns unbeliebt.« Fretnorc konnte damit rechnen, daß sein Vorstoß und die Benutzung des Schiffssen ders nicht bemerkt worden waren. Vielleicht befand sich Fartuloon tatsächlich bei Karmi na; die Antwort hätte sonst nicht beide Na men und diesen eindeutigen Befehl zum ge nerellen Rückzug enthalten. Sekunden später flüsterte Kelsh: »Ergebnis?« »Positiv«, gab Fretnorc zurück. »Alle In formationen weitergegeben. Wurde bestä tigt. Gehen wir?« »Ich glaube nicht«, sagte Kelsh schließ lich so laut, daß einige der Mannschaft es hören konnten, »daß wir hier noch etwas fin den. Wir haben in fast jeder Kabine nachge sehen. Die anderen suchen in den Laderäu men.« »Ich kann mir nur noch denken«, rief Dar racia aus einem anderen Teil der leeren Un terkünfte, »daß eine andere Gruppe unser Zeug mitgenommen hat. Sie hätten darauf achten sollen, Offizier!« schrie sie schließ lich wieder laut und rief eine Flut von Be teuerungen des schlanken Mannes hervor. Die Ablenkungsmanöver hatten bisher den gewünschten Erfolg gehabt. Schließlich,
39 als die einzelnen Gruppen zufällig wieder in einem breiten Korridor aufeinander trafen, trat Kelsh vor und sagte beschwichtigend: »Wir haben uns geirrt. Ein anderer Schau steller hat wohl unser Gepäck mitgenom men. Entschuldigen Sie.« »Das bedeutet, daß wir jetzt von Schau steller zu Schausteller wandern und suchen müssen. Die Vorstellung kann niemals rechtzeitig stattfinden!« schrie Darracia. »Beruhige dich«, beschwor Fretnorc sie. »Wir schaffen es noch!« »Wir schaffen es nicht mehr!« beharrte sie und stampfte mit dem Fuß auf. Sie ver abschiedeten sich hastig und verließen das Deck. Sie schwiegen, als sie durch den Ab wärtsschacht nach unten schwebten. Erst als der Gleiter über die Rampe abwärts gesteu ert wurde, sagte Fretnorc mit deutlicher Er leichterung: »Es hat geklappt! Karmina und offen sichtlich auch Fartuloon sind benachrichtigt. Sie haben bestätigt, was ich funkte. Wir sol len uns alle nach Kraumon zurückziehen. Ich denke, daß mit dieser Entwicklung unser Einsatz im Dubnayor-System beendet ist.« Kelsh und Darracia sahen sich schwei gend an. Kelsh machte ein betroffenes Ge sicht; er hatte sich in Darracia verliebt. »Wir werden auf Hirc nicht erfahren, was ab jetzt passiert – ob Karmina die DOPE STON einholen und kapern konnte. Und ob Atlan tatsächlich lebt.« »Nein, Kelsh«, gab Fretnorc zurück und bremste vor der Absperrung. »Wir können nichts mehr tun. Wir haben alles unternom men, um Atlan zu retten und seinen Verräter in unsere Gewalt zu bekommen. Für uns ist die Sache gelaufen.« Der Posten trat an den Gleiter heran, warf einen Blick ins Innere und fragte erstaunt: »Nichts gefunden?« »Absolut nichts. Wahrscheinlich hat unse re Konkurrenz zugeschlagen und die Requi siten versehentlich gefunden. Die ganze Aufregung war umsonst.« »Ihr seid alle ein bißchen verrückt. Viel leicht hat einer von euch an Freikarten ge
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dacht?« »Wir schicken jemanden her«, rief Darra cia laut, »wenn wir daran denken.« Fretnorc fiel es jetzt leicht, den Posten an zugrinsen. Er hatte es auch nicht mehr eilig. Der Gleiter schwebte langsam geradeaus, folgte dann den Hinweisschildern und bog dorthin ab, wo die Schausteller, Gaukler und Artisten ihre Zelte und Kuppeln aufgeschla gen hatten.
* Nach der automatischen Uhr, die über dem Schott in meiner Kabine die Zeit teilte und mir sagte, daß ich in jeder Minute näher an Arkon herangebracht wurde, vergingen mehr als vier Stunden. Immer wieder ging ich in Gedanken die einzelnen Phasen mei nes Vorhabens durch. Das ist mehr als gewagt. Erheblich ris kant, sagte mein Extrasinn. Es war nicht der erste Versuch dieser Art. Ich würde vor Aufregung und Angst, auch nur eine einzige Möglichkeit ausgelassen zu haben, nicht schlafen können. Selbst auf die Gefahr hin, zu scheitern, mußte ich es versu chen. Ich hatte nichts zu verlieren. Wie wahr, sagte der Logiksektor sarka stisch. Ich schaltete den Kommunikator ein und verlangte ein Medikament gegen Übelkeit und ein erfrischendes Getränk, vielleicht auch eine Spritze gegen Schlafstörungen. Derselbe Mann, der vor Stunden auf dem Bildschirm zu sehen gewesen war, starrte mich ohne ein Wort durchdringend an. »Warten Sie. Das Verlangte wird gebracht werden.« »Sehr entgegenkommend«, murmelte ich und setzte mich auf den Rand der Liege. Ich stützte meinen Kopf in die Handflächen und entspannte mich. Mit Sicherheit würden die beiden schweigenden Wächter kommen, die Schockwaffen in den Ellenbeugen und ein Tablett mit irgendeinem Getränk in der Hand. Ich blieb sitzen, wartete und spannte mei-
ne Muskeln. Alles mußte blitzschnell gehen. Ich dachte wieder an den letzten Kampf, und ich wußte, daß ich noch immer blitzschnell sein konnte, daß ich blitzschnell sein würde. Da waren Geräusche am Schott. Ich zwang mich, sitzenzubleiben und eine Hal tung beizubehalten, die meine Wächter täu schen konnte, einige entscheidende Sekun den lang. Das Schott schwang auf, ich spannte meine Muskeln und stemmte meine Sohlen gegen den Boden. »Hier ist das Zeug«, sagte der erste Wäch ter und kam herein. Ich rührte mich nicht und ließ ihn weiter in die Kabine herein kommen. In dem Augenblick – ich sah nur die Füße der zwei Männer bis zu den Knien, weil ich den Kopf gesenkt hielt –, als er sich bückte, um das Tablett auf die Tischplatte zu stellen, handelte ich. Ich sprang auf, wirbelte meine Arme schräg nach oben und schlug dreimal blitz schnell zu. Mit dem ersten Griff drehte ich die Waffe herum, so daß der Projektor auf den anderen Mann deutete. Zwei Schläge, mit denen ich Mana-Konyr beinahe besiegt hätte, trafen den anderen Posten. Derjenige, der außerhalb des Schottes stand, handelte augenblicklich und schoß. Der Lähmstrahl traf voll den Rücken des an deren. Ich warf mich nach vorn, rollte mich ab und traf den Wächter mit dem Kopf in den Magen. Ich rammte ihn von den Füßen; er krachte voll mit den Schultern und dem Rücken gegen die gegenüberliegende Wand. Ich ging kein Risiko ein. Mit einigen Schlägen, die seine Nerven zentren trafen, machte ich ihn besinnungs los. Ich packte die Waffe, die er fallen ließ und erwischte sie eine Handbreit über dem Boden. Dann drehte ich mich herum, feuerte einen zweiten Schuß auf den ersten Posten ab, dann einen weiteren auf den Mann, der langsam an der Stahlwand herunterglitt. Ich war frei – wenigstens innerhalb des Bereichs dieses Schiffes. Ich drehte den Kopf nach rechts und links: der Korridor war leer. Schnell. Du hast nicht viel Zeit, mahnte das Extrahirn.
Der Sieger und der Tote Ich lehnte die Waffe an die Wand, packte den bewegungslosen Körper unter den Schultern und zerrte ihn in meine Kabine. Ich war aufgeregt und krachte mit der Schul ter schwer gegen den Rahmen des ovalen Schotts, aber dann hatte ich ihn vom Korri dor weggezogen und außer Sicht eines jeden, der zufällig in diese Richtung starrte. Sperre sie ein. Und dann mache dich auf eine irrsinnige Jagd durch das Schiff gefaßt, riet der Extrasinn. Ich schloß eine Waffe in den Wand schrank ein, warf die zweite über meine Schulter und stemmte das Schott zu. Ich ver riegelte es und betätigte den Schloßmecha nismus, dann rannte ich so leise wie möglich von der Pol-zu-Pol-Achse des Schiffes weg in Richtung auf die Hülle. Je weiter ich rannte, desto weniger einge schaltete Leuchtkörper waren in den schma ler werdenden Korridoren und Gängen zu finden. Ich hatte die Schritte gezählt, und als ich die ersten schrägen Flächen erreichte, rechnete ich die Schritte in metrisches Maß um, verdoppelte den Radius, wandte eine einfache Faustformel an und wußte, daß das Schiff zwischen hundertsiebzig und zwei hundertzwanzig Meter Durchmesser hatte. An der Einrichtung dieses halben Decks hat te ich schon gemerkt, daß es sich um ein Handelsschiff handelte, nicht um ein Kriegs schiff. Jetzt hast du die Bestätigung. Vielleicht hatte ich den Zeitpunkt ver schlafen, aber kein Entzerrungsschmerz hat te mich gelähmt. Das Schiff schien sich noch immer oder schon wieder im normalen Raum zu befinden. Es konnte keine zahlenmäßig große Be satzung geben. Schiffe dieser Größe wurden von zwei, höchstens drei Dutzend Besat zungsmitgliedern geflogen. War es tatsäch lich ein reines Frachtschiff, das mich und Huccard nur als »Passagiere« an Bord hatte, würde es kaum mehr als vierundzwanzig Männer an Bord geben. Ich mußte schnell handeln. Jetzt hatte ich die klare Chance, das Schiff in meine Ge
41 walt zu bekommen. Die zwei Wächter wür den einige Stunden lang bewußtlos bleiben. Ich sah mich um und wußte, daß ich nach und nach einen nach dem anderen betäuben mußte. Mein Weg führte also wieder zurück in die Zentrale. Geh methodisch vor, so wie du es von Fartuloon gelernt hast! Ich grinste, drehte mich herum und regu lierte den Abstrahlkegel der Waffe neu ein. Das Energiemagazin war voll. Die Ladung reichte für die Mannschaft eines größeren Schiffes. Ich ging den Korridor wieder zu rück, auf das Zentrum des Schiffes zu. Die erste Schottür war rechts. Ich öffnete sie, blickte in den Raum hinein und merkte schon am Geruch, daß er leer war. Ich ließ das Schott geöffnet, um mich schnell ver stecken zu können. Auf diese Weise arbeite te ich mich zehn Kabinen weit vorwärts. Als ich die letzten Hebel auf der linken Seite herunterdrückte und das Licht in der Kabine einschaltete, fuhr ein Mann zwi schen den Decken hoch und riß den Mund auf, um aufzuschreien. Ich hob die Waffe, zielte kurz und feuerte. Ein fauchendes Geräusch ertönte, die Lähmung warf den Mann gegen die Wand und zurück auf die Liege. Ich schaltete die Beleuchtung aus und blieb stehen. In meinen Ohren dröhnte der Nachhall des Schusses. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß niemand ihn bemerkt hatte. Ich blieb stehen und blickte geradeaus. Ich befand mich auf dem runden Platz vor der Doppelröhre der Antigravschächte. Von diesem kreisringförmigen Bezirk zweigten vier weitere Korridore ab, sternförmig und verschieden breit. Ich sprang vorwärts und schob meinen Kopf in die Aufwärts-Röhre. Sie war leer. »Vielleicht schlafen noch eini ge von der Mannschaft«, flüsterte ich und huschte mit klopfendem Herzen in den näch sten Korridor hinein, der die Mannschafts quartiere enthielt. Wieder rannte ich zuerst nach ganz hinten, dann öffnete und schloß ich systematisch die einzelnen Stahlplatten. Drei Kammern waren unbenutzt. Die vier
42 te war benutzt, aber leer. Der Mann nahm gerade eine Dusche, und ich lähmte ihn, oh ne daß er mich sah. Ich schaltete die Anlage ab und verließ den Raum. Vier Männer waren ausgeschaltet. Rund zwanzig waren noch im Schiff verteilt und würden merken, daß sie verfolgt wurden – in Kürze. Ich hatte inzwischen Übung darin, ein Schott zu öffnen, das Licht einzuschalten und die Waffe so zu halten, daß ich noch vor Ende der Schrecksekunde feuern konnte. Aber in diesem Korridor gab es nur noch einen Schlafenden. Sie mußten die fauchenden, dröhnenden Schüsse hören! Es war unmöglich, sie in dem ruhigen Schiff zu überhören, in dem nur das gleichmäßige Summen der Antriebs aggregate herrschte. Wieder blickte ich in die Antigravschäch te hinein. Beide waren leer und von dem charakteristischen matten Licht erfüllt. Achtung. Das Risiko vergrößert sich mit jeder Minute, warnte der Logiksektor. Jetzt, nach einer kurzen Atempause, sch lich ich in den breitesten Korridor hinein und hörte schon nach einigen Schritten Lärm und Stimmen. Ein Schott stand eine Hand breit offen, ich sicherte zuerst und sah nichts als einen leeren Korridor, dann spähte ich durch den Spalt. Drei junge Männer saßen an einem Tisch und spielten Naffe. Die vier eckigen Steine klapperten über die schrägen Flächen des Spielbretts. Ein Lautsprecher gab Musik von sich, und zwischen den Sta peln der Spielmarken standen Becher und Flaschen. Ganz langsam zog ich das Schott ein we nig mehr auf, schaute abermals nach rechts und links und zielte. Schnell! Hinter dir sind Schritte! Ich sah die Männer deutlich und feuerte in einer Sekunde viermal. Aber der vierte Schuß war überflüssig gewesen. Die Spieler brachen über der Tischplatte zusammen. Als ich herumwirbelte, mich abstieß und den Lauf der Waffe herumschwenkte, hörte ich das Klirren der Becher und das harte Klap pern der Spielsteine, dann dumpfe Fallge-
Hans Kneifel räusche. Ein Mann schwang sich, das Gesicht nicht in meine Richtung gewandt, gerade aus dem Aufwärtsschacht. Ich fing meinen Sprung mit der linken Schulter am gegenüberliegen den Schott ab, kam sicher auf die Füße und wartete, bis er sich ganz herumgedreht hatte. Er starrte mich vollkommen verblüfft an. Diesmal war mein Schuß durch nichts ge dämpft; der fauchende Spurstrahl zuckte aus der Projektormündung und schleuderte den Mann gegen die Stahlkonstruktion. Ich lief auf Zehenspitzen weiter in den Korridor hin ein und wartete. Ich stand in einer Nische, die irgendwel che technischen Einrichtungen und Schalter beherbergte. Die Waffe deutete in den Kor ridor hinaus. Ich wartete darauf, daß sich ein Schott öffnete und halbbekleidete Männer in den Gang hinausspringen würden. Einige Minuten lang geschah überhaupt nichts, aber dann bemerkte ich eine Lichtveränderung in der anderen Röhre, ein Schatten huschte über die Innenfläche. Ein Mann schwebte von oben herunter; kam er aus der Zentrale, oder hatte er sich an anderer Stelle aufgehal ten? Genau in dem Augenblick, als er sich durch die gerundete Öffnung schwingen wollte, sah er den zusammengekrümmten Körper des Bewußtlosen. Er handelte blitz schnell. Ich wollte ihn erst beide Füße auf dem Boden stellen lassen, ehe ich schoß, aber ich merkte, daß er sich abstieß, und feu erte durch die Öffnung. Ich sah nicht, ob ich ihn getroffen hatte. Deshalb lief ich nach vorn, um mich zu ver gewissern. Als ich die Hälfte der Distanz zu rückgelegt hatte, wußte ich, daß ich ihn ver fehlt hatte. Der Alarm war nicht zu überhören: Sire nen, schnarrende Summer und ein Läutwerk, dessen Schrillen die Schiffszelle zu erschüt tern schien. Einige Sekunden lang geriet ich in Panik, dann zog ich mich wieder zurück. Tatsächlich wurden zwei Schotte aufge rissen, drei Männer stürzten auf den Korri dor hinaus. Ich schoß dreimal, traf einen
Der Sieger und der Tote nach dem anderen und schaltete sie aus. Dann knackten Lautsprecher, und ich er kannte Huccards Stimme. »Alarm! Achtung, an alle! Unser Gefan gener ist aus seiner Kabine entkommen und befindet sich im Besitz einer Lähmwaffe. Alle Mannschaften haben sich zu bewaffnen und ihn zu stellen. Niemand geht allein auf Suche, nur in Zweiergruppen. Nicht töten, nur betäuben … er ist für uns alle ungeheuer wichtig. Treffpunkt ist die Zentrale. Wir sind hier und leiten Notmaßnahmen ein.« Die Fronten waren klar, die Auseinander setzung würde geführt werden, bis ich die Herrschaft über das Schiff besaß oder von einem der Männer niedergeschossen sein würde. Die Maßnahmen waren klar, ich kannte sie: Angefangen vom Schließen einzelner Schiffsbezirke, über den Einsatz von Robo tern oder Gas, Aktionen im Raumanzug oder dem Öffnen der Schleuse, bis hin zu Teufe leien, die ich noch nicht erlebt hatte – jetzt gehörte das Schiff den anderen, die alles per Knopfdruck von der Zentrale aus erledigen konnten. Immerhin fehlten ihnen elf Männer. Und ich war ein zäher, zu allem entschlossener Gegner. Ich grinste kalt, ging näher an die beiden Antigravschächte heran und wartete einen Augenblick. Auf dem Deck hier be fand sich niemand mehr, denn sonst wäre er bereits in Richtung auf die Zentrale davon gerannt. Wer hielt es länger aus? Die Besatzung, die das Schiff auf den Weg nach Arkon gebracht hatte, oder ich, der ich versuchte, sie außer Gefecht zu setz ten? Nun, wir würden sehen …
6. Ein Zufall, daß sie sich beide zur selben Zeit in der Zentrale befanden. Als die ver schlüsselten Sätze aus den Lautsprechern dröhnten, zuckte Fartuloon zusammen und schrie: »Das ist unser Kode! Hört zu! Es kann wichtig sein.«
43 Er hielt die Luft an und entschlüsselte. Dann drehte er sich herum und packte Kar mina an der Schulter. Sie lächelte zurück und sagte: »Atlan lebt. Wir können han deln.« Gleichzeitig rannten sie auf das nächste Mikrophon zu, dann deutete Karmina auf den Bauchaufschneider und stieß hervor: »Antworte du! Ich kann nicht so schnell ver schlüsseln.« Die Meldung kam von Hirc, eine halbe Stunde Vorsprung … Fartuloon rechnete und sagte dann: »Alles verstanden. Befehl Fartuloons alles zurückziehen. Treffen Kraumon.« Er brauchte nur die dreifache Anzahl an derer Wörter, aber derjenige, der diese Infor mation gesendet hatte, würde perfekt verste hen. Dann wirbelte Fartuloon herum und schrie aufgeregt: »Alarm! An die Feuerleitstände. Ortung! Wo ist der nächste und der übernächste Transitionsknotenpunkt? Wir fangen die DOPESTON ab!« Die Funkabteilung schaltete binnen weni ger Sekunden eine Konferenzverbindung zwischen den vier Schiffen. Gleichzeitig wurden die Maschinen hochgefahren und der Start vorbereitet; dies ging vor sich, oh ne daß Fartuloon oder Karmina auch nur ein Wort zu sagen brauchten. »Ortung hier. Wir rechnen und geben die Koordinaten auf den Bildschirm.« Hektische Tätigkeit brach aus. Der Wech sel zwischen bangem, ängstlichem Warten und voller Aktivität war erstaunlich. Lang sam setzten sich vier Schiffe in Bewegung und drifteten auseinander. Die Piloten schnallten sich auf ihren Sesseln fest. Die Mannschaften rannten hierhin und dorthin. Die Spezialisten besetzten die Pulte der Feu erleitzentralen und schalteten die Monitore ein. Schließlich, nachdem die Basisgeschwin digkeit erreicht wurde, nachdem die Bordrechner den Vorsprung der DOPE STON und die benötigte Zeit zu verschiede nen Transitionspunkten errechnet und die
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Werte ausgedruckt hatten, sagte Fartuloon: »Wir werden den ersten Punkt nicht mehr erreichen können. Aber wir sind weit vor der DOPESTON am zweiten Punkt. Mit acht zigprozentiger Sicherheit passiert jedes Schiff aus dem Dubnayor-System diesen zweiten Kreuzungspunkt. Falls wir das Schiff dort nicht stellen, haben wir noch an dere Möglichkeiten. Das war mehr als knapp, und wir hatten zuviel Glück.« Wieder ein Befehl an alle vier Schiffe. Sie wurden schneller, strebten weiter aus einander und speisten die Koordinaten des Zielpunkts in die Steuerung ein. In weniger als einer Stunde würden sie einen Transiti onssprung durchführen und dort, wo sie aus dem Hyperraum heraussprangen, auf die DOPESTON warten. »Bestätigung!« rief Karmina. Viermal erfolgte die Fertig-Meldung durch die Piloten der Schiffe. Dann rasten sie davon, schneller und schneller werdend, auf einen Punkt im Kosmos zu, an dem sie vielleicht Atlan befreien würden.
* Ich bemühte mich, lautlos und schnell, vor allem unbeobachtet, in die Nähe der Zentrale zu kommen. Inzwischen fühlte ich mich etwas sicherer. Die Besatzung war nicht mehr so zahlreich, als daß sie eine or ganisierte Suche und Verfolgung starten konnte. Sie würden sich in der Zentrale ver barrikadieren. Huccard hatte inzwischen soviel Anstren gungen und Raffinesse in den Plan meiner Entführung investiert, daß er fast jede ande re Einschränkung auf sich nehmen würde, nur um Arkon zu erreichen. Sie werden sich wehren, Achtung! sagte der Logiksektor. Eine kalte Wut erfüllte mich, gleichzeitig merkte ich, daß ich mehr Chancen hatte. Ich würde mich befreien können. Inzwischen hatte ich mich bis an die Innenschale des Schiffes zurückgezogen und kletterte eine schmale Nottreppe abwärts. Der Alarm war
abgeschaltet worden, das Dröhnen der Ma schinen wurde lauter. Ich tastete mich weiter und achtete darauf, kein Geräusch zu verur sachen. Das Magazin der Waffe war noch immer gefüllt. Dann, als ich das nächsttiefe re Deck erreicht hatte, hörte ich ein lautes, schnarrendes Geräusch. Ich hielt an und ver suchte es zu identifizieren. Dann begriff ich. Sämtliche Schottanlagen, die im Fall einer Havarie oder eines Angriffs das Schiff in einzelne raumdichte Zonen aufteilten, wur den betätigt. An mindestens zwanzig Stellen schoben sich stählerne Platten vor Öffnun gen und wurden verriegelt. Schotte, die be reits geschlossen waren, wurden von der Zentralverriegelung aufbruchsicher ver schlossen. »Die Zentrale wird als letztes ver schlossen; sie werden sich nicht freiwillig einsperren.« Ich benutzte weiterhin die schmalen Trep pen und Rampen, die der Wölbung der inne ren Schale folgten, bis ich auf dem massi veren Deck stand, unter dem die Laderäume lagen. Noch weiter der Polschleuse zu waren die Umformer, die Kraftwerke und fast alle Maschinen des Schiffes, dessen Namen ich noch nicht einmal kannte. Ich schlich mit schußbereiter Schockwaf fe weiter durch das Schiff, lernte meine Fluchtwege kennen, tastete mich in Zick zacklinien der Zentrale entgegen und hoffte, daß sie vom Mittelpunkt aus Suchkomman dos losschicken würden. Damit ich aus dem Dunkel in die Helligkeit hinein vorgehen konnte, hatte ich die meisten Leuchtkörper zerstört. Viele Korridore waren dunkel, aber die Zone um die Polachse herum leuchtete nach wie vor in weißer Helligkeit. Vorsichtig schlich ich etwa eine halbe Stunde später auf die Zentrale zu. Auf dem Weg dorthin durchsuchte ich jeden einzel nen Raum, der mir zugänglich war. Die Be satzungsmitglieder hatten sich ausnahmslos in das Zentrum des Schiffes geflüchtet, jene miteinander verbundenen kleinen Zentralen: Funkbude, Ortungspulte, die Feuerleitstelle für die vielleicht vorhandenen Geschütze, Steuerzentrale und Kommandantenkabinen.
Der Sieger und der Tote Vor mir sah und hörte ich nichts. Niemand suchte mich. Nur die Arbeitsgeräusche des Antriebs wurden lauter und erzeugten mehr Vibrationen. Eine deutliche Unruhe breitete sich in mir aus. Es war zu still, zu ereignislos. Es war, als ob meine Gegner sich auf einen Angriff vorbereiteten, dem ich nicht gewachsen war. Ich ging Schritt um Schritt näher heran, si cherte mich nach allen Seiten ab und ver suchte, verborgene Kontrollinsen zu sehen oder eine Falle zu erkennen, ehe ich hinein stolperte. Das isolierte Material der Wände schabte an meinem Rücken. Der weiche Be lag verschluckte jedes Geräusch. Ruhig brannten die Lampen und die Leuchtfelder. Meine Nervosität wuchs. Sollte ich mit ei ner überraschenden Aktion wieder die Initia tive an mich reißen? Plötzlich ertönte vor mir ein schwaches, aber deutliches Signal. Ich begriff und begann zu fluchen. Sie durf ten mich nicht finden! Ich warf mich herum und rannte in den Korridor hinein, wurde schneller und flüchtete vor dem Augenblick, an dem das Schiff den Transitionssprung durchführen würde. Es konnte nur noch Se kundenbruchteile dauern, bis … Der stechende, alles auslöschende Schmerz schlug über mir zusammen. Aus sämtlichen Muskeln entwich jede Kraft, die Nerven zitterten unter dem Schock, ich stol perte und brach in einem Winkel zusammen. Dann verließ mich das Bewußtsein.
* Fartuloon kauerte, nach vorn gebeugt, in der Ortungszentrale von Karmina Arthamins Schiff und beobachtete konzentriert den großen, runden Bildschirm des Strukturta sters. Die Antennen erfaßten den gesamten kosmischen Bereich des Sprung-Kno tenpunkts. Drei Signale waren deutlich an den Außenbezirken des Gebietes zu erken nen, ein viertes, blinkendes Echo kennzeich nete die eigene Position. Die Kommandanten und Piloten der Schiffe hatten eindeutige Befehle erhalten.
45 Sie saßen ebenfalls vor ihren Schirmen und warteten auf den Augenblick, an dem ir gendwo im Zentrumsbereich ein fünfter Leuchtpunkt auftauchen würde. Nach der Aussage der Bordrechner war dieses Signal tatsächlich die DOPESTON, die an dieser Stelle den nächsten Transiti onssprung einleiten würde. Vor Fartuloon waren ein Dutzend kleiner Monitoren einge schaltet. Er stand in dauernder Bildfunkver bindung mit allen anderen wichtigen Zentra len der wartenden Schiffe. Ohne daß er es gemerkt oder ihr Spiegel bild in einem der Bildschirme gesehen hatte, war Karmina hinter ihn getreten und legte eine Hand auf seine Schulter. »Alles ist bereit, Fartuloon«, sagte die junge Frau und ließ ihren Blick über die In strumente und Schirme gleiten. »Ja. Seit einigen Stunden. Die DOPE STON kann jeden Augenblick hier eintref fen. Wir müssen schnell handeln.« Die Spezialisten warteten ebenfalls, die Finger neben den Auslöseknöpfen der Ge schütze. Sogar mehrere Geschützeinstellun gen und Entfernungen waren bereits pro grammiert; immer wieder hatten die Besat zungen einzelne Manöver durchgerechnet. »Und wenn es nicht das erwartete Schiff ist, Bauchaufschneider?« fragte Karmina un sicher. »Ich habe bisher einer hochprozentigen Wahrscheinlichkeitsrechnung der Maschi nen immer vertraut. Warum sollten sie die ses Mal das Gegenteil errechnet haben? Wenn es nicht die DOPESTON ist, nun, dann kommt das erwartete Schiff eben eini ge Stunden später. Die Raumfahrt funktio niert nicht fahrplanmäßig.« Wieder schwiegen sie und konzentrierten sich auf den Bildschirm, bis ihre Augen zu schmerzen begannen. Die vier Raumschiffe schwebten langsam zwischen den Sternen, mit eingeschalteten Maschinen. Die Piloten wußten, daß sie von einer Sekunde zur näch sten mit Höchstwerten beschleunigen muß ten, um dem anderen Schiff den Weg abzu schneiden. Die geringe Entfernung vom ge
46 schätzten Eintauchpunkt ließ sogar zu, daß sie mit größter Genauigkeit feststellen konn ten, ob dieses Schiff zweihundert Meter Durchmesser besaß oder nicht. Ganz plötzlich zeichnete sich ein winziger Strukturriß ab, dann blinkte das starke Echo eines Signals, ziemlich genau an der Peri pherie der errechneten Stelle. »Fahrt aufneh men, nach Plan!« schrie Fartuloon. Die Piloten bestätigten und dirigierten die Schiffe in die errechneten Flugbahnen. Von vier Seiten kamen die Raumschiffe auf den Frachter zu. Ein Gerät gab einen durchdrin genden Summton von sich: Fartuloon und Karmina lasen die ermittelten Werte ab. Un ter anderem den Durchmesser, der exakt zweihundert Meter betrug. »Funker! Nachfragen!« Die Geschütze wurden genau einreguliert. Der Funker rief die DOPESTON und schal tete seine Mikrophone und Lautsprecher in die Rundumkommunikation ein. Als der unbekannte Funker an Bord des Frachters bestätigte, daß es sich um die DO PESTON handelte, wurden die Feuerknöpfe gedrückt. Acht Feuerbälle erschienen, sich zu klei nen, stechend hellen Sonnen ausbreitend, vor der Flugbahn des Schiffes, das jetzt stark abgebremst wurde. Dann jagten die vier An greifer heran und glichen ihre Geschwindig keiten an. Fartuloon drückte ein paar Schalter und griff nach dem Mikrophon. »An Bord der DOPESTON befindet sich ein Mann mit Na men Huccard. Er hat sofort vor den Bild schirmen zu erscheinen. Wir werden nicht zögern, das Schiff zu vernichten.« Die Insassen aller vier Schiffe sahen auf ihren Bildschirmen, was zwischen der Zen trale der DOPESTON und den Ortungsräu men von Karminas Schiff gesprochen wur de. Die Linsen erfaßten Fartuloon, und auf dem Bildschirm tauchte Huccard auf. »Das habe ich befürchtet«, sagte Huccard. Er schien plötzlich um ein Jahrzehnt geal tert. Er hatte »Germukron« augenblicklich erkannt.
Hans Kneifel »Sie haben Atlan an Bord, nicht wahr?« fragte Fartuloon in unheildrohender Ruhe. Inzwischen wurden drei Beiboote ausge schleust, die mit schwerbewaffneten Män nern in Raumanzügen besetzt waren. Sie schwebten bereits außerhalb der Schleusen hangars und warteten nur auf den Befehl. »Ja. Er ist aus seiner Zelle ausgebrochen und bringt uns in Schwierigkeiten.« »Recht so«, konterte Fartuloon. »Ich hof fe, Sie haben verstanden, daß Sie am Ende sind? Versuchen Sie keine Tricks. Ergeben Sie sich!« Huccard senkte den Kopf. Hinter ihm tauchte ein vierschrötiger Arkonide mit Ka pitänsmütze auf und starrte dem Bauchauf schneider in die Augen. »Was bleibt mir anderes übrig?« »Wenigstens jetzt sind Sie einsichtig. Wo ist Atlan? Oder Darbeck, falls Sie diesen Namen vorziehen?« Der Kommandant der DOPESTON hob die Hände und rief: »Keine Ahnung. Er ver steckt sich irgendwo im Schiff. Da er über eine Waffe verfügt und bereits die Hälfte der Besatzung betäubt hat, ist unsere Lust ge ring, ihn zu suchen. Verstehen Sie?« Fartuloon nickte grimmig und gab den beiden Männern mit dem Raumanzug ein Zeichen. Gleichzeitig drückte er einen Schalter. Akustische Signale ertönten an Bord der drei Beiboote. »Ich werde ihn sicherlich finden. Es kommt jetzt ein Prisenkommando an Bord; die Männer sind erstens schwer bewaffnet und zweitens wegen Ihrer starrköpfigen Hal tung, den Kristallprinz betreffend, zu Recht erzürnt. Geben Sie ihnen keine Gelegenheit zu Ausschreitungen. Übrigens: ich komme ebenfalls mit. Betrachten sie sich alle als verhaftet, das Schiff ist konfisziert.« Der Kommandant schrie auf und brüllte dann los: »Was gibt Ihnen das Recht zu ei ner solchen Aktion? Ich werde …« Fartuloon stoppte das Geschrei mit einer Handbewegung und ließ sich in den Raum anzug helfen. »In diesem Fall nehmen wir einfach das
Der Sieger und der Tote Recht des Stärkeren in Anspruch. Wir sind dafür ausgerüstet. Feuerleitstellen, alles in Ordnung?« Huccard und der Kommandant konnten mithören, wie vier Stationen bestä tigten, daß ihre Projektoren sich auf die DO PESTON richteten. Dem Kommandanten des anderen Schif fes war es klargeworden, daß jeder Gedanke an Flucht sinnlos sein würde. Er wandte sich ab, riß sich die Mütze vom Kopf und schleu derte sie fluchend in einen Winkel. Fartuloon rannte zur nächsten Schleuse, stülpte sich den Helm auf und regulierte die Luftversorgung ein, dann nahm er einen An lauf und sprang in die offene Schleuse des letzten Beiboots. Scheinwerferstrahlen flammten auf, Lichtkreise zeichneten sich auf dem Metall der Schiffshülle ab. Jetzt las Fartuloon auch einen Teil des Schiffsna mens. Langsam glitten einige Schleusen der DOPESTON auf. Hell ausgeleuchtete Kam mern wurden sichtbar, als die Beiboote lang sam zum Handelsschiff hinüberschwebten und exakt in die Schleusenhangars hineinge steuert wurden. Die bewaffneten Raumfahrer sprangen heraus und drangen von drei verschiedenen Punkten in das gekaperte Schiff ein. Fartu loon nickte Alnvaar To und Cerchor zu und stürmte ebenfalls den eindringenden Grup pen nach. Noch war die Situation nicht völ lig unter Kontrolle. Die DOPESTON konnte sich als Falle erweisen. »Fartuloon an alle«, sagte er scharf ins Helmmikrophon. »Meine Gruppe dringt in die Zentrale ein.« »Verstanden!« »Alle anderen suchen in Zweiergruppen nach unserem Kristallprinzen. Er ist bewaff net, also seht euch vor, ja?« Die Schleusen öffneten und schlossen sich. Rund fünfzig Männer verteilten sich im Schiff. Fartuloon und eine Gruppe von zehn Männern rannten geradeaus und erreichten die Zentrale. Hier wartete ein Dutzend Män ner; Huccard war einer von ihnen. Fartuloon klappte den Helm zurück und musterte den kleinen Mann eindringlich.
47 »Was immer Sie geplant haben«, sagte Fartuloon und senkte seine Waffe, »es ist gründlich fehlgeschlagen, Huccard von der GLORIOC. Sie sind unser Gefangener.« Huccard hielt sich ausgezeichnet. Er lehn te an einem Pult und sah Fartuloon einiger maßen gefaßt an. Schließlich antwortete er: »Im Augenblick sind Sie stärker, zugege ben. Aber jeder wird zugeben müssen, daß die Planung hervorragend gewesen ist.« Fartuloon schüttelte irritiert den Kopf. Der kleine Mann schien mutiger zu sein als bisher angenommen. Jedenfalls war er ver dammt frech. »Sie sind Angehöriger des arkonidischen Geheimdiensts?« erkundigte er sich. Seine Männer hinter ihm bildeten eine eng ge schlossene Kette. Niemand hatte mehr eine Chance. »Ja. Aber der Geheimdienst weiß nichts von meinen Aktivitäten. Und wenn er etwas weiß, dann weiß er nicht, wie meine Rolle aussah.« »Ich bin verblüfft«, bekannte der Bauch aufschneider. Erstaunliche Aussichten taten sich auf. »Sie wollten Atlan beziehungswei se Darbeck doch an Orbanaschol ausliefern? Wo ist Atlan eigentlich?« Niemand außer Huccard und Fartuloon sprach. Alle anderen Anwesenden hörten zu. Huccard deutete in die Richtung des Ein stiegs und zuckte die Schultern. »Orbanaschol haßt Atlan wie sonst nichts in seinem Leben. Sie wissen selbst, Germu kron alias Fartuloon, aus welchen Gründen sich Orbanaschol von der Organisation des Kristallprinzen in die Enge getrieben sieht. Ja, ich wollte ihn ausliefern! Ich und alle, die mir helfen wollten und mir tatsächlich geholfen haben, hätten finanziell das Glück ihres Lebens gemacht. Ich habe in einem sehr frühen Stadium Ihrer Planung den Trick durchschaut, der mit der Anmeldung zu den Amnestie-KAYMUURTES eingeleitet wur de. Mein Kompliment, alles war außeror dentlich geschickt.« »Ich weiß«, gab Fartuloon zu. »Warum haben Sie nicht offiziell den Geheimdienst
48 eingeschaltet? In diesem Fall wären Sie längst am Ziel. Wo haben Sie Atlan ver steckt?« »Ihre Leute suchen ihn gerade; er wird schwerlich das Schiff verlassen haben. Um Ihre andere Frage zu beantworten: Ich wollte alle Prämien und alle Anerkennung für mich und meine Leute kassieren. Durchaus eigen nützige Überlegungen. Werden Sie uns jetzt niederschießen? Grimmig genug sehen Sie alle aus.« Fartuloon schwieg. Von außerhalb der Zentrale hörte er Schritte und aufgeregte Stimmen, dann lautes Lachen. Hatten sie At lan gefunden. »Sie sind viel zu wichtig, um getötet zu werden«, sagte Fartuloon schließlich. Seine Wut auf Huccard war merkwürdigerweise vergangen. Atlan würde entscheiden, was mit Schiff und Besatzung zu geschehen hat te. »Der Lohn meines Doppelspiels scheint das Überleben zu sein!« murmelte Huccard. Hatte er sich wirklich mit seiner Lage abge funden? »Schon möglich. Sie haben alles gewagt und ebenso viel verloren. Überdies betrachten wir das Schiff als unsere Beute.« Der Kommandant trat vor und rief verbit tert: »Mein Schiff!« »Wir diskutieren im Augenblick nicht das Problem persönlichen Eigentums. Sie hätten das Risiko früher bedenken sollen.« Hinter den bewaffneten Raumfahrern erscholl hefti ger Lärm. Die Männer sprangen auseinander und bildeten eine breite Gasse. Dann began nen sie laut zu schreien und zu lachen. Drei Männer kamen in die Zentrale, zwei von ih nen halfen Atlan, der noch schwach auf den Füßen zu sein schien. Sie brachten ihn bis zur Mitte der Zentrale. Fartuloon hatte sich umgedreht, breitete die Arme aus und ließ seine Waffe fallen. »Atlan! Ich muß dich anfassen, um alles glauben zu können!« sagte er heiser. Er zog Atlan an sich und schien ihn erdrücken zu wollen. Immer wieder schlugen sie sich ge genseitig auf Rücken und Schultern. »Wie habt ihr das nur geschafft?« rief At-
Hans Kneifel lan. Auch der Ton seiner Stimme ließ das Maß seiner inneren Bewegung erkennen. Die Freunde von Kraumon wurden verlegen, als sie dieses Wiedersehen miterlebten. »Jeder von uns hat ein kleines Mosaik steinchen geliefert. Zusammengesetzt ergab sich diese Lösung, buchstäblich in letzter Sekunde.« »Wer hat euch alarmiert?« »Fretnorc. Er muß sich in ein Schiff ge schlichen und dessen Sender benutzt haben. Karmina wartet auf dich – dort, der Bild schirm!« Atlan schob Fartuloon ein wenig zur Seite und hob den Kopf. Karmina und Atlan blickten sich schweigend an, dann lä chelte Karmina und sagte kurz: »Später. In meinem Schiff ist alles bereit. Ich warte, Atlan.« »Es wird nicht lange dauern«, erwiderte Atlan leise. »Jetzt können wir uns ruhig Zeit lassen.« Fartuloon hob die Hand und deutete auf einige seiner Männer. »Freunde«, murmelte er, »es wird Zeit, daß wir diese interessante Stelle im Kosmos verlassen und uns an einen ruhigen Platz zurückziehen. Wir müs sen ausruhen und nachdenken. Wir starten. Damit diese Herren hier auf keine aben teuerlichen Gedanken kommen, bleibt ein Prisenkommando an Bord. Ihr ersetzt die leitenden Herren hier, und ihr paßt entspre chend auf die Besatzung auf. Der Rest geht mit uns. Jetzt, sofort.« »Und Huccard?« fragte Cerchor zwei felnd. »Den werden wir in unsere Obhut neh men«, sagte Atlan. »Ich habe bereits einige Ideen, wie wir Schiff und Huccard in unsere Planungen einbeziehen können. Aber das al les hat Zeit.« »In Ordnung. Gehen wir!« Die Besatzungsmitglieder merkten sofort, daß Fartuloon keineswegs gescherzt hatte. Überall befanden sich plötzlich Raumfahrer, die nach Waffen suchten und sich um die bewußtlosen Männer kümmerten. Anwei sungen wurden erteilt, die DOPESTON nahm langsam wieder Fahrt auf. Eines der
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Beiboote nach dem anderen wurde bemannt und schwebte hinüber zu den anderen Raumschiffen. Atlan und Fartuloon verließen die DOPE STON als letzte. Sie schwiegen und mußten erst mit ihrer eigentümlichen Stimmung fer tig werden. Erst später konnten sie sich aus den Erlebnissen und den Eindrücken lösen. Zunächst beherrschte sie die Freude darüber, daß letzten Endes doch noch die schlimmste Wendung nicht eingetreten war. Mit der selbstverständlichen Ruhe und Exaktheit der Piloten wurden sämtliche Schaltungen erle digt, die Schiffe verließen ihre Positionen und wurden schneller. Dieses Abenteuer schien zu Ende zu sein; wenn alle Freunde sich aus dem Dubnayor-System zurückgezo gen haben würden, konnten sie aufatmen. Zunächst aber hatte niemand Lust, die nähe re Zukunft zu diskutieren. Karmina überließ ihr Schiff Fartuloon. Atlan und Karmina zogen sich in die Ka bine der jungen Frau zurück. Die Zeit, wäh rend der sie voneinander getrennt waren und nichts voneinander wußten, die Tage, an de nen Karmina überzeugt war, daß Atlan als letzter Teilnehmer an den Kämpfen getötet worden war, mußten vergessen werden.
* Zärtlich strich Karmina über Atlans Kopf. »Ich hoffe, daß dein Haar möglichst schnell nachwächst. Du siehst verändert aus, ganz fremd.« »Die Zeit auf Hirc hat mich tatsächlich verändert«, pflichtete er bei. Atlan lag aus gestreckt auf der Liege und hatte seinen Kopf in Karminas Schoß. Karmina blickte ihn genau an, als sähe sie ihn zum erstenmal. »Du hast recht«, flüsterte sie. »In deinem Gesicht sind ein paar neue Linien.«
»Sie werden verschwinden, wenn ich aus geruht bin«, sagte er. »Ich darf nur nicht an die letzten Tage denken; es waren zu viele Tiefpunkte und zu wenige Lichtblicke.« »Wir haben Zeit, alles zu vergessen.« Karmina stand auf, ging hinüber zum Bar fach. Sie holte eine beschlagene Flasche her vor und füllte zwei große Pokale. Ein mil des, prickelndes Getränk, aus vergorenem Wein hergestellt. Atlan setzte sich auf und zog Karmina an sich. »Fartuloon war halb verrückt vor Enttäu schung, Sorge und Schmerz«, sagte Karmina leise und küßte ihn. »Auf ähnliche Weise waren wir alle nicht sehr glücklich. Aber auf Kraumon, in Ruhe und unter allen unseren Freunden, werden wir wohl das richtige Verhältnis zu den Vor gängen wieder finden.« Die fünf Schiffe waren schneller gewor den und näherten sich dem Augenblick, an dem sie mit Kurs Kraumon den ersten Tran sitionssprung durchführen würden. Weder Atlan noch Karmina brauchten in den fol genden Stunden und Tagen Verantwortung zu tragen. Sie genossen die Ruhe und die Entspannung. Niemand störte sie, und selbst wenn es Gefahren gab, die irgendwo auf sie lauerten, dann waren sie unendlich weit ent fernt. Atlan nahm einen großen Schluck und sagte: »Ich glaube, du wirst in der nächsten Zeit viel Geduld mit mir haben müssen, Kar mina.« Sie lächelte zurück und erwiderte: »Es ist unmöglich, dich zu lieben und keine Geduld zu haben. Ein Kristallprinz führt ein ganz besonderes Leben.«
ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 280: Agentenschule Cerrgoor von Kurt Mahr
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Hans Kneifel Der Magnortöter ergreift Atlans Partei – die Umwelt hat ihn verstoßen.