Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten
Nr. 679 Hexenkessel Alkordoom
Der Sternentramp von Hans Kneifel
Der Kamp...
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Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten
Nr. 679 Hexenkessel Alkordoom
Der Sternentramp von Hans Kneifel
Der Kampf mit den Crynn‐Brigadisten
Im Jahr 3818 wird Atlan ohne Vorwarnung aus seinem Dasein als Orakel von Krandhor herausgerissen. Der Grund für diese Maßnahme der Kosmokraten ist, daß Atlans Dienste an einem anderen Ort des Universums viel dringender benötigt werden als im Reich der Kranen. Da der Arkonide erfährt, daß vom Erfolg oder Mißerfolg seiner Mission das weitere Schicksal der Mächte der Ordnung abhängt, geht er selbst das größte Risiko ein. Er läßt sich quasi in Nullzeit über weite Sternenräume in die Galaxis Alkordoom versetzen, wo er bereits in den allerersten Stunden seines Aufenthalts den ganzen Erfahrungsschatz seines nach Jahrtausenden zählenden Lebens einsetzen muß, um sich behaupten zu können. Der bestandene Todestest und der Einsatz im Kristallkommando beweisen Atlans hohes Überlebenspotential. Dennoch gerät der Arkonide in die Gewalt der Crynn‐Brigadisten – und ihm droht die Auslöschung seiner Persönlichkeit. Bevor es dazu kommt, wird Atlan durch eine kleine Einsatzgruppe von Celestern gerettet, Nachkommen von entführten Terranern, die den Arkoniden für einen der Ihrigen halten und in ihre Heimat New Marion bringen. Dort erlebt Atlan bald eine erneute Ortsversetzung. Ziel dieses Transfers ist der Planet Thorrat – denn dort warten ANIMA und DER STERNENTRAMP …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Der Arkonide auf einem kleinen Planeten. Colemayn ‐ Ein Sternentramp. Loth Colder ‐ Kommandant einer Crynn‐Brigade. Kosh Unterseyn ‐ Bürgermeister von Edolhyt. Laujonk Corbiere und Moster Urleyt ‐ Unterseyns Stellvertreter. ANIMA ‐ Das Objekt einer langen Suche.
1. Lange und schweigend hatte Unterseyn aus dem Fenster geblickt. Das Glas war offensichtlich seit Monaten nicht mehr geputzt worden. Die Landschaft, soviel war gerade noch zu erkennen, lag regennaß und bernsteinfarben im Licht der Abendsonne. Sie atmete ebensoviel Trostlosigkeit aus wie Kosh Unterseyns Gesichtsausdruck. Schließlich stieß Kosh Unterseyn einen langen Seufzer aus, zog die Schultern hoch und sah für einen Moment aus wie ein kranker Vogel. »Thorrat ist wirklich ein kümmerlicher, armer Planet!« sagte er brummig. »Wirklich?« bestätigte Corbiere. »Aber immerhin ist es unser Planet«, fuhr Unterseyn im selben hoffnungslosen Tonfall fort. »Ich liebe ihn.« »Ich auch«, echote Corbiere. »Andere denken ganz anders darüber«, sagte Kosh, als habe er seinen Stellvertreter weder gehört noch verstanden. »Und sie haben ebenfalls recht.« »Andere!« knurrte Corbiere wegwerfend. »Andere!« Es klang wie eine Verwünschung, zumindest wie der Ausdruck großer Verachtung. Die beiden Männer wußten genau, wovon sie redeten. »Weil wir Thorrat lieben – denn es ist die einzige Welt, die wir haben –, versäumen wir es seit Menschengedenken bewußt, den
Planeten zu entwickeln. Ich wünschte, alle Umstände wären ganz anders.« »Dann wärst du nicht mehr Bürgermeister.« »Und du nicht mehr mein Stellvertreter. Dieses Los ließe sich leicht ertragen«, antwortete Unterseyn und nahm endlich die Beine vom Tisch. »Und was tun wir heute nacht?« »Ich denke, dasselbe wie gestern«, entgegnete Corbiere düster. Der Bürgermeister der kleinen Stadt Edolhyt warf einen verzweifelten Blick auf das Chronometer. Die Uhr auf dem alten, abgestoßenen Schreibtisch war alt, tickte herausfordernd laut und zeigte ein zerschrammtes Glas, hinter dem die Zahlen und Symbole unter den Zeigern kreisten. Die Schreibtischplatte, an den Ecken abgestoßen, schien so alt wie der Planet zu sein – wenigstens wirkte sie ebenso schäbig. Tiefe Rillen durchzogen die Platte, und anscheinend hatte jeder Vorgänger Unterseyns mit irgendwelchen scharfen Gegenständen Zeichen, dumme Bemerkungen oder Initialen hineingeschnitzt. So wie der Schreibtisch des Bürgermeisters sah die Amtsstube aus, wie dieser Raum und alle anderen wirkte das Rathaus, denselben Eindruck riefen alle übrigen Häuser, Treppen und Straßen hervor, und die Zeichen der Armut, Zurückgebliebenheit und der ärgsten Provinzialität setzten sich über die Brücken und Bachufer fort. Die Sonne ging hinter regenschweren dunklen Wolken unter. Corbiere sagte sich, daß sich das Gestirn auch an diesem Abend resignierend von jener Hemisphäre Thorrats abwandte, die einen Tag lang unter dem gelblichen Licht gelegen hatte. »Vermutlich bekommen wir wieder Ärger mit der Crynn‐ Brigade«, sagte Laujonk Corbiere, als sich entlang der Hauptstraße die ersten Lampen einschalteten. »Warum?« »Wir haben immer Ärger mit ihnen. Darum.« Man schrieb in diesem Sektor des Herrschaftsgebietes ebenso wie überall das Jahr 5000 des Erleuchteten. Thorrat, der bescheidenste
aller besiedelten Planeten, lag im Kontagnat, was genau der Sumpf bedeutete. Der Sumpf wurde von der Facette Zulgea von Mesanthor kontrolliert. Nach der Hauptwelt des Sumpfes, Crynn, war die gleichnamige Brigade benannt, die wichtigste und rücksichtsloseste Hilfstruppe der Facette. Aus vielen anderen Gründen, die in der planetaren Geschichte zu finden waren, aber auch wegen des aktuellen Zustands zwischen den Sternen, hatten die Thorrater ihr kümmerliches Leben zwar satt, änderten aber so gut wie nichts daran. Mit einiger Phantasie konnte man sie als Überlebensartisten bezeichnen. »Hat jemand etwas mehr an Informationen über diesen seltsamen Fund?« fragte Kosh und ahnte die Antwort. Laujonk schüttelte seinen runden, von dunklem Haargekräusel bedeckten Kopf. »Nein. Die Meldungen widersprachen einander.« »Überdies haben die anderen Stadtstaaten keinen Grund, ausgerechnet den Bürgermeister von Edolhyt von aufregenden Neuigkeiten zu verständigen. Es ist und bleibt trostlos, Laujonk.« Überall dort, wo sich Äcker anlegen und Weiden kultivieren ließen, breiteten sich unabhängige kleine Gemeinwesen aus. Die Städte – der Ausdruck »Staaten« war eine Übertreibung – hielten losen Handelskontakt, man sprach überall dieselbe Sprache ohne viel Dialektunterschiede, es gab, von Schlägereien abgesehen, keine militärischen Auseinandersetzungen zwischen den weit verteilten Städten, und es war völlig sinnlos, reich werden oder sein zu wollen. In frühen Zeiten war Thorrat oft aus dem Raum heraus überfallen worden. Aber die Thorrater waren, was ihren Besitz betraf, einigermaßen listenreich. Der Bürgermeister drehte an einem wuchtigen Schalter. Zuerst knirschte es im Inneren der schmutzstarrenden Dose, dann schalteten sich drei mittelschwache Glühbirnen ein. Die Amtsstube erhellte sich und zeigte noch deutlicher Armut, Verwahrlosung und Schäbigkeit.
Eine Glocke ertönte; es war ein blechern schnarrender Signalton. Unterseyn nahm den altertümlichen Hörer ab und meldete sich. Am anderen Ende der Verbindung sagte eine knarrende Stimme in thorratischer Sprache: »Vielleicht interessiert es euch, Kosh. Ich habe einige Meldungen aufgefangen. Ein Schiff der Crynn‐Brigade befindet sich in einem Orbit.« »Ich verstehe. Was wollen sie von uns?« »Ich habe nicht alles mithören können. Da gibt es einen Kommandanten. Nennt sich Loth Colder. Auf unserem Planeten soll ein geheimnisvolles Objekt aufgetaucht sein.« »Die Crynn‐Brigade hat also einen Verbindungsmann hier!« stellte Corbiere fest, der am zweiten Hörer mitgehört hatte. »Das war natürlich zu vermuten. Was hat es mit dieser Rarität auf sich?« »Nur Gerüchte. Ein Ding, das sich verwandeln kann, angeblich. Scheint natürlich Humbug zu sein.« Laujonk kratzte sich im Nacken. Seine Haut verwandelte sich im Licht der Lampen in ein noch tieferes, unangenehmes Gelb. Dann brummte er: »Kein Thorrater wird etwas an die Crynn‐Brgiade verraten. Das ist undenkbar, Kosh!« »Nichts ist undenkbar«, gab der Bürgermeister wütend zurück und lauschte den Worten des Anrufers. Die Abneigung aller Thorrater gegen alles, das von außerhalb des Planeten kam, war bekannt. »Mehr weiß ich auch nicht. Jedenfalls hat Kommandant Colder riesige Aufregung verbreitet. Vermutlich landen sie.« »Hoffentlich nicht gerade bei uns!« murmelte der Stellvertreter des Stadtoberhaupts und fügte einen Fluch hinzu. »Ich danke für die Mitteilung«, verabschiedete sich Unterseyn ein wenig zu förmlich und legte den Hörer auf die rostige Gabel. Die zwei kleinen, rundlichen Hominiden starrten einander an. Jede Störung war von Übel und zog weiteren Ärger nach sich. Das
bartlose Gesicht Unterseyns war fast grau vor Zorn. Abgesehen davon, dachte er sich, daß sie alle ohnehin ein kümmerliches Dasein führten, mußte es auch noch Verräter geben! Langsam sagte er in der höchst ungeliebten Sprache des Sternhaufens, in Alkordisch: »Wenn ich den Verräter finde, bringe ich ihn um. Wir können nur hoffen, daß es Colder nicht auf Edolhyt abgesehen hat.« »Wahrscheinlich nicht. Was sollten sie ausgerechnet hier suchen?« Laujonk zuckte die Schultern und ging zur Tür. Er hatte Geräusche gehört. Als sich die Tür aus dicken, gehobelten Bohlen öffnete, sah er Moster Urleyt vor sich stehen. Der zweite Stellvertreter trug einen langen Mantel, der vor Nässe dampfte. Er zog ihn aus und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Auf Harborts Farm ist der Teufel los!« sagte er keuchend. Er deutete auf eines der wenigen Lichter, die sich durch die matte Fensterscheibe in größerer Entfernung erkennen ließen. »Ich komme gerade von dort. Habt ihr nichts gehört?« Der Bürgermeister deutete auf den Fernsprecher. »Dorm Etz hat angerufen. Er faselte etwas von einem merkwürdigen Objekt.« »Richtig. Es ist auf dem frisch gepflügten Acker Harborts gelandet. Im letzten Sonnenlicht glänzte das Ding wie ein Kristall. Dann verlor sich das Glitzern, und der Meteor, oder was immer es war, verwandelte sich in eine unregelmäßige Kugel aus Fels. Sie rollte davon und verschwand.« »Und deswegen ist die Crynn‐Brigade da?« »Wahrscheinlich. Aus welchem anderen Grund sonst?« Der Bürgermeister stand auf, ging zum Waffenschrank und holte für sich und seine zwei Stellvertreter schwere, großkalibrige Waffen heraus. Er steckte einige Reservemagazine in seine Jackentaschen und erklärte: »Das geht uns an. Holt euch ein paar Lampen. Wir müssen diesen Felsen, oder was immer es ist, wegschaffen, verschwinden lassen!« Der erste Impuls der Thorrater war, den Störenfried zu beseitigen.
Keiner der drei hatte eine Idee, wie sie vorgehen konnten, aber sie handelten. Schnell suchten sie die Lampen, schlüpften in Regenmäntel und warfen sich die Waffen über die Schultern. Sie rannten hinaus in die Dunkelheit, und Laujonk Corbiere ließ den wuchtigen Transporter der Stadtverwaltung an. Den Weg zu Harborts Farm kannten sie und rasten mit dröhnendem Motor und schlagenden Doppelrädern über den holprigen, schlammigen Pfad. Die gelben Lichtstrahlen der drei Scheinwerfer bohrten sich in die dampfende Dunkelheit. Nach wenigen Minuten heulte über ihren Köpfen ein langgezogener, tropfenförmiger Flugapparat hinweg. Sie hörten ihn nicht, sahen aber die Bündel der grellen Scheinwerferstrahlen. »Eines dieser verdammten Beiboote!« rief Laujonk gegen das Röhren des Explosionsmotors. »Sie suchen wohl auch den Kristallfelsen?« »Das ist für mich sicher.« Wegen der mehr oder weniger regelmäßig erfolgten Plünderungen vermieden die Thorrater bewußt jeden Anschein von Reichtum. Die Äcker und Felder, zwischen denen der Weg voller Schlaglöcher hindurchführte, befanden sich nicht gerade im besten Zustand bäuerlicher Kunst. Zwar warfen sie genug ab, um Tiere und Thorrater zu ernähren, aber nicht ein Zentner davon wurde davon exportiert. Stillstand und scheinbare Rückentwicklung schienen den klugen Farmern vorteilhafter als die technischen Fortschritte und ein hoher Standard der Agrarwirtschaft. Und da man niemals sicher sein konnte, nicht doch einen Verräter in den eigenen Reihen zu haben, gab es auch so gut wie keinen sichtbaren Reichtum. Moster Urleyt drehte an den wuchtigen Leuchtknöpfen des eingebauten Radioempfängers: Undeutlich kamen Melodien und Durchsagen aus dem Lautsprecher. Wieder jagte, diesmal von links, ein großes Raumschiffsbeiboot über die Landschaft. Das Licht über dem Haupttor der Farm kam näher.
»Der Farmer ist auf dem Feld«, rief Urleyt. »Nach rechts, Unterseyn.« Die Thorrater schoben die Gewehrläufe aus den Fenstern. Der Regen hatte vor einer Weile aufgehört. Alles war naß, und zwischen den Büschen und Bäumen der Waldränder kroch grauer Nebel über den Boden. »Nach rechts. Verstanden.« Kurz vor dem Hof bog der schwere Wagen ab und folgte, langsamer werdend, einem noch schmalerem Weg. Von der Stadt her näherten sich andere Fahrzeuge. Auch die roten Blinklichter der Ordnungshüter sah man von fern. Die Erregung der Thorrater wuchs. Was immer aus dem Weltraum kam – es konnte nichts Gutes bedeuten! »Wann hat man das je gehört? Ein Kristallmeteorit, der sich in Fels verwandelt und fortrollt?« rief der Bürgermeister, als sie auf eine Gruppe Farmarbeiter stießen. Die Frauen und Männer trugen hohe gelbe Stiefel und orangefarbige Wetterumhänge. Einige waren mit Hacken oder Äxten ausgerüstet. »Dort vorn seht ihr deutlich die Spuren, Bürgermeister!« schrie ein Knecht zurück. Der Wagen bahnte sich einen Weg über einen Damm aus Felsbrocken. Die Lenkung rüttelte und vibrierte. Mittlerweile war offensichtlich fast die ganze Stadt auf den Beinen. Vor den Lichtstrahlen erkannten die Männer die wuchtigen Gaskessel derjenigen Fahrzeuge, die mit Holzgasen betrieben wurden und knatternd und spuckend daherkeuchten. Ein Farmer winkte, indem er seine Laterne im Kreis schwenkte. »Hierher, Kosh! Die Spuren!« Von mehreren Stellen leuchteten die Scheinwerferstrahlen einen Acker an. Moster Urleyt lief geschäftig herum und erklärte dem Bürgermeister, was er wußte. Mitten im Acker befand sich ein annähernd runder Trichter, etwa zweimal so tief wie ein Thorrater groß war. Der Krater, dessen Erdreich hart zusammengepreßt und verdichtet war, wies einen Durchmesser von etwa fünfzig
alkordischen Doppelellen auf. »Wenn das ein Meteorit war«, sagte Corbiere und schüttelte den Kopf, »dann bin ich die Hexe von Mesanthor!« Es fehlten Brandspuren und jeder Hinweis auf eine Detonation. Staunend und schweigend umstanden mehr und mehr Leute den Krater. An einer Seite, in die Richtung auf die Wälder im Osten, führte ein tiefer Graben von dem Krater weg, halb so breit wie dessen Durchmesser. Dann, am Rand des Ackers mit seinen gleichmäßigen Furchen und den Eindrücken unzähliger Füße, hörte auch die Spur auf. Offensichtlich konnte dieser seltsamste aller Felsen wirklich fliegen. »Oder es war kein Felsen«, sagte sich der Bürgermeister. »He, Harbort!« Der Farmer kam mit erdverklebten Stiefeln näher. Er wirkte wie alle anderen Umstehenden erschrocken und verwundert. »Gibt es jemanden unter deinen Leuten, der etwas Genaues gesehen hat? Bisher habe ich nur Gerüchte und Märchen gehört.« »Ja, dort, der kleine Jalk. Jalk! Hierher! Du mußt dem Bürgermeister erzählen, was du erlebt hast.« »Komme schon.« Jalk war, wie sich herausstellte, der Fahrer des Ackerschleppers gewesen, der die Furchen im Feld gezogen hatte. Gerade, als er vom Acker auf den Weg dort drüben abbog und die Pflugscharen hochstellte – es war schon fast dunkel gewesen –, hörte er über sich ein dumpfes Brausen und Heulen. Ein Windstoß traf ihn, nachdem er die Maschine abgeschaltet und sich aus dem Sitz geschwungen hatte, und warf ihn fast um. »Und dann kam das Ding herunter. Groß wie das Farmhaus. Noch größer. Fast rund. Es schlug ein, es senkte sich, als würde es keine Kraft mehr haben«, brachte Jalk hervor, und man merkte, daß er die Geschichte schon ein dutzendmal erzählt hatte. Inzwischen hatten sich mehr als zweihundert Leute aus der Stadt und der unmittelbaren Nachbarschaft in einem lockeren Kreis aufgestellt.
Der frischgepflügte Acker war ruiniert; morgen mußte Jalk die Arbeit noch einmal machen. »Und dann? Mann! Laß dir nicht jedes Wort abringen«, rief der Bürgermeister verzweifelt. Laujonk schob sich noch näher heran. Überall waren Lichter und schwankende Lampen. »Das Ding glitzerte und schillerte, weil die Sonne draufschien. Sah aus wie die Kristalle, die wir im Berg finden. Ich stand da und starrte es an. Aus vielen Tausend Augen hat es zurückgeblinzelt. Dann färbte es sich rot …« »Hat das Sonnenlicht widergespiegelt, nicht wahr?« mischte sich Corbiere aufgeregt ein. »Genau! Und dann verschwand das Glitzern. Auch die Farbe ging weg. Es wurde dunkelbraun und grau. Wie ein riesiger Felsbrocken, nur ein paar Adern waren zu sehen. Ich war wie gelähmt.« »Dein Mundwerk«, rief jemand im grobem Spott, »ist aber ganz schön beweglich, Jalk!« »Ich bin auch der einzige, der etwas zu sagen hat«, gab der Schlepperfahrer schlagfertig zurück. »Dann ächzte es auf, als ob es schwer zu schleppen hätte. Die Kugel rollte los. Ich habe gedacht, sie will über mich wegrollen. Gerade als die Sonne unterging, im Regen, ist sie dort entlanggerollt und dann weggeflogen. Ganz langsam. In diese Richtung. So war es.« Jalk zeigte auf den Wald. Hoch über dem Kreis aus zuckenden Lichtern schwebte wieder ein Beiboot, ebenfalls auf den Wald zu. Einige Straßen oder besser Ziehpfade führten dorthin, weg von Edolhyt, nach Schormm und Niereddu. »Also sind die Crynns tatsächlich wegen des Kristallfelsens hier!« sagte Urleyt. »Wie schaffen wir es, diesen Spuk schnell zu beenden? Hast du eine Idee, Harbort?« Der breitschultrige, weißhäutige Farmer mit dem kantigen Kinnbart schüttelte energisch den Kopf. »Nicht einmal den Anflug eines Einfalls«, bekannte er. »Wir könnten so tun, als wäre nichts passiert. Vielleicht glaubt man es
uns. Ich habe da allerdings wenig Hoffnung, Kosh!« Laujonk hob den Arm und sprudelte hervor: »Hier draußen werden wir nichts mehr sehen. Zurück in die Stadt, sage ich. Sonst landen hier auch noch die Beiboote der Brigade.« »Meinetwegen«, sagte Unterseyn. »Hoffentlich ist der Kristall inzwischen wieder dorthin zurückgeflogen, wohin er gehört.« »Ins Weltall, denkst du?« knurrte Urleyt. »Sieht aber nicht danach aus«, meinte der Farmer und zeigte auf die blinkenden Lichter der hoch über ihnen kreisenden Flugobjekte. Die ersten Besucher stiegen bereits wieder auf die Wagen oder warfen die Holzgasmaschinen an. Plötzlich begann der Bürgermeister laut zu fluchen und zeigte auf eine hochgewachsene Gestalt, die unvermittelt am Rand des Kraters aufgetaucht war. Der Fremde taumelte, versuchte sich irgendwo abzustützen und verlor die Kontrolle über sich. Er stürzte schwer in die nasse Ackererde. Moster und Kosh nahmen die Gewehre von den Schultern, spannten die Hähne und gingen auf den regungslos daliegenden Fremden zu. Eine neue, böse Überraschung! 2. Vorstellungen, ziellose Gedanken und Bilder wirbelten durcheinander. Ich war völlig hilflos und mußte mich passiv verhalten. Die einzelnen Stationen meines neuen Lebens warfen grelle Schlaglichter. Wieder tauchte das Gesicht Sarahs auf; ihre schönen großen Augen blickten mich vorwurfsvoll an, als wollte sie mir vorwerfen, daß ich schon wieder verschwunden war. Die Festung und unser verzweifelter Kampf, die verschiedenen Informationen, die ich über die Galaxis Alkordoom schon hatte, dann wieder die
Ausbildung auf Garzwon, Kennennick und das Kristallschiff, die Ereignisse auf Lummensand und die überraschende Rettung durch die Celester. Zwischen meinen Fingern und an meiner Wange spürte ich krümelige Nässe. Für einen winzigen Moment hatte ich etwas sehen können. Es war dunkel, aber es gab zahlreiche trübe Lichter. Abermals schob sich Sarah in den Vordergrund. Ich war nicht mehr auf New Marion oder Voorndan. Wo war ich? Ich blinzelte. Der Logiksektor schwieg. Es gab tatsächlich so etwas wie einen Halbkreis von Lichtern. Ich richtete mich auf und sah, daß ich in einem frisch gepflügten, aber zertrampelten Acker lag. Endlich stand ich schwankend auf den Beinen und fühlte die Wellen, die vom Zellaktivator ausgingen. Das lebensrettende Gerät bekämpfte die Folgen dieser gewaltigen räumlichen Versetzung. Ich holte tief Luft und drehte mich um. Die Luft war frisch und feucht und roch, wie kaum anders zu erwarten, nach gutem Ackerboden. In schneller Folge strömten Eindrücke auf mich ein. Ich trug die silberfarbene Kombination und in der Tasche das Mehrzweckmesser. Sonst nichts. Die drei Wesen, die jetzt einige Meter vor mir stehenblieben und die Waffen hoben, waren nicht viel größer als einen Meter und dreißig Zentimeter, rundlich, aber unverkennbar humanoid. Einer von ihnen hatte feine auffallend gelbe Haut, und sie wirkten entschlossen, aber höchst verärgert. Neben mir befand sich im Boden ein tiefer, kraterartiger Eindruck. War ich das gewesen? Hatte mich die Versetzung mit irgendwelchen Kräften oder derartigen Nebeneffekten ausgestattet? Endlich meldete sich der Extrasinn wieder und meinte trocken: Mehr Bescheidenheit, Arkonide. Noch hinterläßt du kleinere Spuren. Ich hob fatalistisch beide Arme und ging auf die Gestalten zu. Ich hatte Sarah versprochen, so bald wie möglich zurückzukommen. Aber unzweifelhaft befand ich mich nach einer phantastischen Reise
durch die Dimensionen wieder am ungewissen Anfang eines neuen Abenteuers. »Ich bin ohne Waffen«, sagte ich langsam auf alkordisch. »Und ich bin zufällig gerade hier ausgesetzt worden. Ihr braucht mich nicht mit den Flinten zu bedrohen.« Bei meinen ersten Worten waren die Läufe hochgerissen worden und zeigten auf meine Brust. Die Frauen und Männer, die einen immer dichteren Kreis um mich schlossen, reichten mir etwa bis zum Zellaktivator. Sie hatten Alkordisch verstanden, denn einer trat vor und antwortete: »Schon wieder einer, der aus dem Weltall kam. Warum sucht ihr euch eigentlich ausgerechnet unser armes Thorrat und dazu noch die Stadt Edolhyt aus? Verschwinde!« Ich ließ die Arme sinken, versuchte gewinnend zu lächeln und spürte ringsherum die Gefahr, die aus der Angst und der Unsicherheit der Planetarier kam. »Nichts täte ich lieber. Aber mir fehlt ein jedes Mittel dazu. Mein Name ist … Atlan.« Unbewußt rechnete ich damit, auf ANIMA zu treffen. Aber ausgerechnet hier? In dringlicher Art meldete sich der Logiksektor. Der Eindruck im Feld könnte von ANIMA stammen! »Du kommst von dem Raumschiff. Du bist einer von der Crynn‐ Brigade!« rief jemand in meinem Rücken. Ich schüttelte den Kopf. Sie sprachen ein klares Alkordisch, als hätten sie es gründlich, aber ungern in der Schule gelernt. Ich sagte entschieden: »Nein! Ich gehöre der Crynn‐Brigade nicht an. Ist es denkbar, daß vor kurzer Zeit ein großer Kristall aufgetaucht ist? Ich suche ihn.« »Und Raumschiffe mit Beibooten tauchten auch auf! Es ist, als würdet ihr zum Jahr fünftausend für den Erleuchteten eine Sondervorstellung geben.« »Die Leute aus dem Raumschiff suchen ebenfalls den Kristall«, sagte ich. »Aber ich kann euch, wenn ich ihn finde, sehr schnell von
der Anwesenheit dieses lästigen Gegenstandes befreien.« Derjenige Mann von Thorrat, der dicht vor mir stand und mich mit seiner mächtigen Waffe bedroht hatte, ließ das Gewehr sinken und sicherte es. »Ich bin Bürgermeister Kosh Unterseyn«, sagte er. »Die Leute aus der umliegenden Gegend und aus Edolhyt haben mich gewählt. Ist es wahr, daß du uns diesen kristallenen Verwandlungskünstler vom Hals schaffen kannst?« »So gut wie sicher.« »Dann bringen wir dich in die Stadt. Vielleicht willst du auch einen Humpen Bier?« »Ich weiß«, sagte ich und lachte, »Großzügigkeit zu schätzen. Befindet sich euer Planet Thorrat etwa auch im Sumpf, im Kontagnat der Facette Zulgea von Mesanthor, die man auch die Hexe nennt?« »Du hast es genau getroffen, Fremder.« Wir gingen, während uns eine immer größer werdende Menge folgte, auf ein seltsames Gefährt zu. Es war ein riesiger Lastwagen mit wuchtigen, breiten Rädern. Eine robuste, wenig elegante Konstruktion, von deren drei Scheinwerfern die Szene mit gelbem Licht überschüttet wurde. Der Motor lief nicht rund und röhrte hart, die Fahrerkabine war für mich ebenso zu klein wie der Sitz. Aber der Stellvertreter des Bürgermeisters, der den Namen Moster Urleyt trug, steuerte das Monstrum geschickt über den schlammigen Weg, an der Farm vorbei und auf eine ungepflegte Straße voller Schlaglöcher hinaus. Das Fahrzeug war wenig oder gar nicht gefedert, aber es rollte schnell dahin. Denke an die Erde im Jahr 1930 etwa, erklärte der Extrasinn. Und vergiß nicht, daß die Crynn‐Brigade ebenso dich wie ANIMA sucht! Ich vergaß es nicht. Von dem Schock der Versetzung hatte ich mich körperlich bereits erholt. In mir wuchs die Sicherheit, daß ANIMA tatsächlich hier auf mich wartete – oder wenigstens flüchtig aufgetaucht war.
Wir mußten uns fast schreiend unterhalten. Einige Wagen, die an den Seiten große Kessel trugen, wendeten mit blinkenden Rotlichtern. »Ist das eure Polizei?« »Das sind die Wächter der Stadt. Ich weiß nicht, woher du kommst. Aber Thorrat ist ein kleiner, kümmerlicher Planet.« »Die Bewohner«, riskierte ich zu scherzen, »sind das genaue Gegenteil. Ihr und ich, wir sind nicht so gut ausgerüstet wie die Gardisten. Wir müssen zusammenhalten.« Zu meinem großen Erstaunen bewies der Bürgermeister, daß er sich von meinen Stellungnahmen nicht beeindrucken ließ. Er sagte, offensichtlich wahrheitsgetreu: »Wir halten nichts von solch fragwürdigen Freundschaften: Wir handeln. Wir versuchen, unsere Ruhe zu behalten. Gebrannte Shnerns scheuen das Feuer.« »Was sind diese … Shnerns?« wollte ich wissen. Corbiere zeigte auf vier Tiere, die einen Wagen in halsbrecherischem Galopp vor uns über die Karikatur einer Straße zogen. »Das sind sie.« »Ich verstehe. Ich soll also so schnell wie irgend möglich verschwinden?« mutmaßte ich. »Richtig.« »Ich bin sofort weg«, sagte ich laut, »wenn ich diesen Kristall finde. Oder er mich.« Der Bürgermeister erklärte kalt: »Damit das bald passiert, werden wir dir helfen. Du bekommst einen Wagen. Damit kannst du die Kristall‐ oder Felskugel suchen. Es ist nicht so, daß wir dich besonders anziehend finden.« Ich schluckte. »Jedenfalls kann ich keinem von euch mangelnde Ehrlichkeit vorwerfen. Geht in Ordnung. Gebt mir ein Bier und einen Wagen, und dann verspreche ich euch, daß ich nichts anderes zu tun habe, um nach dem Eindringling zu suchen.«
»So haben wir es uns gedacht!« bekräftigte der Bürgermeister. Die Straße endete zwischen kleinen schmucklosen Häusern. Der unliebsame Fremde sollte also so schnell wie möglich wieder verschwinden. Ich mußte diese Überzeugung akzeptieren – sicherlich hatten die Thorrater dazu gute Gründe. Ich kannte sie nicht. Noch nicht. Mit krachenden Achsen und durchschlagenden Blattfedern rumpelte das Gefährt auf ein steinernes zweistöckiges Bauwerk zu, über dessen wuchtiger Tür ich Bürgermeisterei lesen konnte. »Aussteigen!« sagte Corbiere, der Gelbsichtige. Wir kletterten hinaus und betraten eine ungepflegte Stube. Der Bürgermeister drehte an dem Hahn eines Fasses und zapfte drei einladend aussehende Tonbecher. Der Schaum tropfte zu Boden. »Also!« sagte ich nachdenklich. Das Bier war hervorragend; es besaß genau die richtige Temperatur. Die Thorrater, klein und rundlich, schienen mehr zu können und zu wissen, als sie alle anderen glauben machen wollten. Trotzdem war Edolhyt alles andere als eine hochentwickelte Stadt. »Also, ich trinke Bier, schlafe aus und fahre morgen mit einem eurer Wagen dorthin, wo sich der Kristall vermutlich befindet. Und dann verschwinde ich so schnell wie möglich. Die Crynn‐Brigade verfolgt mich, und für euch sind alle Probleme geklärt. Sehe ich das richtig so?« »Ein Sonderlob deiner Einsichtsfähigkeit. Je schneller und gründlicher, desto lieber.« Ich leerte den Becher und hielt ihn dem Bürgermeister wieder hin. Laujonk betrachtete mich wie ein exotisches Insekt. Ich sollte auf ihn achtgeben. Dieser Mann verbarg etwas vor mir und seinen Freunden. »An mir soll es nicht liegen. Morgen bei Sonnenaufgang starte ich!« versprach ich guten Gewissens. Ich erhielt wieder einen schaumgekrönten Becher. Trotz, Lässigkeit und eine unbestimmte Leichtigkeit erfüllten mich. Die Crynn‐Brigade, das wußte ich sehr genau, würde rücksichtslos
vorgehen. Sicherlich machten sie schon jetzt Jagd auf dieses geheimnisvolle Objekt. Auf welche Weise sie es allerdings finden wollten, davon hatte ich nicht die leiseste Vorstellung. Für mich war es von nicht mehr überbietbarer Notwendigkeit, daß ich ANIMA vor ihnen fand. Aber in der Nacht konnte ich nicht suchen. Ich zeigte auf die klobige Uhr auf der Schreibtischplatte. »Wie lange habe ich Ruhe?« »Nicht länger als sechseinhalb Stunden. Wenn du losfahren willst, wird alles vorbereitet sein.« »Einverstanden.« Während wir das Bier austranken, stellte ich ununterbrochen Fragen und bekam gute, an Informationen reiche Antworten. Wieder fügten sich einzelne Mosaiksteinchen zu einem treffenden Bildausschnitt zusammen. Weil jeder Versuch der Planetarier, ihre Welt reicher zu machen und zu entwickeln, durch die Überfälle und Plünderungen bisher sabotiert worden war, hatten die kleinen Wesen die einzige Lehre daraus gezogen und versteckten sich alle unter einer dicken tarnenden Schicht aus unauffälliger Zweitrangigkeit. Dadurch behielten sie ihr Leben, ihr bescheidenes Einkommen und ihre Ruhe. Mir wurde klar, daß sie mir wenig glaubten. Außerdem erzählte ich von mir auch nur so viel, wie ich für richtig hielt. Sie wollten nichts anderes, als uns alle drei, so schnell und gründlich wie möglich, von ihrem Planeten zu entfernen. An diesem Punkt der Überlegungen erklärte der Extrasinn: Du würdest dich in ihrem Fall genauso verhalten. Ich gähnte. Noch gab es keinen Grund zur Eile. Aber meine Unruhe war wieder da und machte sich störend bemerkbar. »Ich schlafe«, sagte ich und leerte den Becher, »und nach ein paar Stunden seid ihr mich los. Vielleicht auch den Kristall. Und die Brigadisten werden uns wohl folgen, meine ich.« Der Bürgermeister machte mit den Lippen ein unanständiges Geräusch und erwiderte knapp:
»Schön wärʹs.« Der Erste Stellvertreter hängte seine Waffe in einen altertümlichen Holzschrank mit schweren Eisenschlössern zurück, sagte ein paar Worte in der – mir unbekannten – Sprache Thorrats und schlug die Tür hinter sich zu. Der Bürgermeister winkte mir und führte mich über eine Treppe in eine kleine Kammer. Auch das Lager, auf dem ich mich ausstreckte, war für mich zu kurz. Ich erstellte eine provisorische Anordnung aus einem Tisch und zwei Stühlen und bedankte mich. »Beim Morgengrauen wird du geweckt, Fremder Atlan!« sagte Unterseyn und verschwand. Ich war mit einer brennenden Kerze und dem Nachtwind, der ums Haus fuhr und an den Läden rüttelte, allein. Seltsamerweise schlief ich schnell ein und blieb traumlos. 3. Die unendlich schwachen Ströme, die ihn ereichten, zwangen Colder, seine Augen zu schließen und sich zu entspannen. Der schwere Sessel des Beiboots knirschte unter seinem Gewicht. Colder wußte definitiv, daß sich das gesuchte Objekt dort, unter ihm, irgendwo auf dem Planeten versteckte. Er spürte das Fremde, das ANIMA ausstrahlte. Er kannte nur den Namen und hatte einen Begriff von unendlicher Wichtigkeit. Dieser Fund war für Zulgea von Mesanthor und die Hauptwelt Crynn ein Schatz, der bis heute innerhalb des Sumpfes niemals aufgetaucht war. Schon zweimal hatten den Kommandanten die Ausstrahlungen erreicht, aber jedesmal war er zu spät gekommen. Loth Colder war deshalb der Anführer, weil er eine über das übliche Maß der Wahrnehmung hinausgehende partielle Fähigkeit hatte. Der Thater mit seiner unbedingten Auffassung von Gehorsam und Treueeid stieß einen langgezogenen Fluch aus. Die
außergewöhnliche Strömung, zweifelsfrei ein Charakteristikum des gesuchten Riesenkristalls, war abgerissen. Er hatte nur noch aufgenommen, daß es rund um den Verfolgten dunkel war. Er verbarg sich also irgendwo auf der dunklen Hemisphäre von Thorrat. Nichts! Keinerlei Positionsbestimmungen waren mehr möglich. Ebensogut konnte der Verfolgte zurück in den Weltraum gestartet sein. Es war aber auch denkbar, daß in einem entscheidenden Augenblick sein selten auftauchendes Vermögen abrupt nachgelassen hatte. »Also geht die verdammte Suche weiter!« knurrte der Kommandant der Crynn‐Brigade. Seine dunkle Haut war glänzend und gepflegt. Für diese Mission war er vermutlich der beste Mann. Sein Raumschiff kreiste in einem sicheren Orbit, aber die Gleiterbeiboote, die kreuz und quer durch die Lufthülle des ärmlichen Planeten jagten, führten die Suche mit allen ihren Mitteln unablässig durch. Loth Colder duldete keine Versager, und gegenüber Dienstunwilligen war er von gnadenloser Strenge. Loth Colder saß schräg hinter dem Piloten und dem Kopiloten. Der schwere, schnelle Gleiter trug den Tiernamen Urton Hyss, was in Alkordisch GELBER PANTHER bedeutete. Es war ein Nachträuber aus der Vorgeschichte der Planeten Crynn gewesen. »Hyperfunkkontakt. Zum zweitenmal!« meldete der Funker. »Ich will mithören«, entschied Colder. »Geht ins Zentrum der Nachthalbkugel. Es ist möglich, daß wir den Kristall finden.« »Befehl wird ausgeführt.« Der Pilot, ein rothäutiger Voorndaner, dirigierte die schwer bewaffnete Maschine, als wäre sie ein winziger Segler. Gleichzeitig knackten die Lautsprecher. Eine unkenntlich gemachte Stimme sagte: »Der Kristall ist nahe Edolhyt am Rand der östlichen Regenwälder gelandet, hat sich in einen Felsen verwandelt und flog in westlicher
Richtung davon. Diese erste Wahrnehmung wird hiermit bestätigt. Kurz darauf landete auf unerklärliche Weise ein riesiger Mann, dem Aussehen nach ein Celester. Er trug eine silberglänzende Kombination. Er sucht ebenfalls den Kristall. Er wird sich von Edolhyt aus in westlicher Richtung entfernen. Ende der Meldung.« Sofort schaltete der andere Gesprächsteilnehmer den Sender aus. Er hatte Angst, von seinen Landsleuten entdeckt zu werden. »Sehr bemerkenswert«, brummte der Kommandant. »Gib die Meldung an alle Beiboote weiter, Kharrm.« »Selbstverständlich, Kommandant.« Der Hominide von Voorndan saß festgeschnallt vor den Kontrollen und steuerte den GELBEN PANTHER in mehreren tausend Fuß Höhe über die dunkle Landschaft. Sämtliche Ortungsschirme waren eingeschaltet und zeigten geisterhafte, vielfarbige Bilder der Oberfläche. Aber nirgends zeichneten sich die Umrisse eines 150 Tonnen großen und schweren Gegenstands ab, der eine andere Ausstrahlung als die Umgebung hatte. Straßen, Flüsse, Felder und kleine, weit auseinanderliegende Siedlungen wurden deutlich, einige schmale Brücken und einzeln stehende Gehöfte, aber kein leuchtender Kristall. »Weiter geradeaus«, entschied Colder. Der Pilot dieses Gleiters zeichnete sich durch besondere Geschicklichkeit aus. Es war wenig Kraft vonnöten, um eine solche Maschine zu steuern. Aber was Shanarma aus Triebwerken und Steuerung herausholte, grenzte ans Unglaubliche. Aus diesem Grund war er im Gleiter des Kommandanten. Außer ihm befanden sich noch sieben andere, unterschiedliche Wesen an Bord, abgesehen vom thatischen Commander. In ihrer Zusammensetzung entsprach die Gleiterbesetzung den Brigadisten im Raumschiff. Mindestens neun verschiedene Völkerschaften waren von ihren geschicktesten und rücksichtslosesten Vertretern repräsentiert. »Keine anderen Meldungen wichtiger Art?« dröhnte die harte
Stimme des Thaters auf. »Nein, Colder. Nichts«, berichtete Whoumm, der Jirger. Über seinen fleischigen Höröffnungen klebten die beiden riesigen Kopfhörerhälften. Ihre Betriebslämpchen flackerten in vier Farben. »Weiter wie bisher.« Etwa in Augenhöhe umlief ein breites Band, bestehend aus fünfzehn großen Monitoren, das Innere der Steuerkanzel. Darunter war die riesige Panoramascheibe für die Direktsicht. Sie sahen alle aber nur Sternenhimmel, schwarze Regenwolken und ab und zu dunkle Ausschnitte der Landschaft. In der Ferne zeichnete sich die gezackte Linie eines Gebirgszugs ab. Es war nicht erstaunlich, daß ein Thorrater die Crynn‐Brigade gerufen hatte. In jedem Volk gab es Leute, die ihren Vorteil suchten und damit zu finden hofften, daß sie mit der Hexe zusammenarbeiteten. Der Verbindungsmann hatte schnell und richtig reagiert. Verständlicherweise hatte er Angst, entdeckt zu werden, »Colder?« fragte der Beobachter. Er war Zweiter Brigadist und stammte vom Planeten Pentalon. Der Pentalonier sah aus wie ein unentwirrbares Knäuel aus mehr als tausend doppelt fingerdicker Tauenden. Jedes hatte eine andere Farbe. Auf mehr als der Hälfte saßen große, kugelförmige Sinnesorgane. Der Beobachter nannte sich »Hundertauge Way« und war nachweisbar in der Lage, die Beobachtungen zu erfassen und zu verarbeiten. »Was gibtʹs?« erkundigte sich der Kommandant kurz. Die Stimme Ways kam irgendwo aus dem Teil seines Körpers, an dem die Tentakel zusammengewachsen waren. »Ich habe eine Idee. Die Kristallkugel wird, denke ich, die Nähe anderer Kristalle suchen.« »Oder eine Massekonzentration, die ihr irgendwie ähnlich ist«, riskierte der Jirger zu erklären. »Was bedeutet das?« wollte Colder wissen. Whoumm hob einen seiner siebenfingrigen Arme hoch und
zwitscherte: »Wir suchen etwas, von dem wir nicht wissen, wie es sich verhält. Kristall sucht Kristall – das ist nicht unlogisch. Wir sollten an jenen Stellen suchen, an denen die Wahrscheinlichkeit größer ist.« Der Thater deutete auf das Zentrum und grollte: »Also geradeaus, wie vorhin angeordnet. Der Verfolgte sucht sich sicher eine ähnliche Umgebung.« »Um es genau zu sagen: Niemand weiß irgend etwas Definitives. Auch unser Verbindungsmann weiß nichts.« Der schwere, annähernd tropfenförmige Gleiter schwebte über das dunkle Land, weiter nach Westen. Die Lage war im Augenblick entspannt, aber der Erfolgszwang trieb die Insassen wieder neuen Spitzenleistungen entgegen. Keiner der verschiedenen Brigadisten wußte wirklich, nach welchen Spezifikationen man zu suchen hatte. Erwartungsvolle Unsicherheit kennzeichnete die Situation. Schließlich, nach langem und intensiven Nachdenken, sagte der Kommandant: »Zehn Gleiter sind ausgeschleust worden. Einer von ihnen wird früher oder später den Kristall entdecken. Wir bleiben hier, bis wir die Kristallkugel finden. Und wenn es einen Planetenumlauf lang dauert.« »Einverstanden.« Was wußte der Kommandant der Crynn‐Brigade wirklich von den Ereignissen auf Thorrat? Es war nicht viel. Die Meldungen des Vertrauensmanns, die erste im Langbereich‐Hyperfunk, die zweite im Kurzdistanz‐Hyperwellenbereich, bestätigten nur, daß sich dieses seltsame, raumtüchtige Gebilde auf dem Planeten befunden hatte. Die Aufregung der Thorrater war verständlich, aber vollkommen unwichtig für Kommandant Colder. Daß die Thorrater es darauf anlegten, alle Fremdlinge von »draußen« so schnell wie möglich loszuwerden, war hinlänglich bekannt. Loth Colder sagte sich, daß die Suche nach einem gut getarnten Objekt sich über viele Tage hinweg erstrecken konnte. An diesem Punkt war selbst die
höchstentwickelte Ortungstechnik machtlos und mußte versagen, wenn sich das Objekt nicht selbst verriet. Normalerweise würde die Brigade keine echte Chance haben. Genau dieser Umstand machte ihm Sorgen und verursachte echtes Kopfzerbrechen. Seine Laune, schon seit einem halben Planetentag am Nullpunkt, wurde womöglich noch schlechter. »Weitersuchen! Bis zum bitteren Ende!« verkündete er und löste die Gurte. Er hatte vor, ein paar Stunden zu schlafen, sein hellblaues Trost‐ oder Lebenswasser zu trinken und zu warten, bis sich die Umstände änderten. Hoffentlich, sagte er sich im Stillen, zu seinen Gunsten. Nichts hatte er nötiger als Erfolg. Das Raumschiff beschrieb einen unverständlichen Orbit um den Planeten. Sämtliche mechanische Sinne waren auf die Oberfläche Thorrats gerichtet. Alle Gleiter waren ausgeschleust worden und suchten in geringer Höhe nach dem Kristall. Kugel oder irreguläre Form – er mußte gefunden werden. Zusätzliche Spannung erhielten die Suchteams dadurch, daß sich offensichtlich ein unbekannter Fremdling auf die Spuren des Irrgängers geheftet hatte. Fand man ihn, fand man wohl auch früher oder später die Kristallkugel. 4. Unvermittelt wachte ich auf, fand mich schnell zurecht, blieb liegen und versuchte intensiv nachzudenken. Durch die Läden vor den schmutzigen Glasscheiben sickerte das erste neue Licht des Tages oder die letzte Dämmerung der Nacht. Denke an ANIMA! beschwor mich der Extrasinn. Ich vermochte ohnehin an kaum etwas anderes zu denken. Mit ANIMA waren viele meiner Sorgen und Befürchtungen gelöst. Der Auftrag der Kosmokraten, mit Einschränkungen wohl die
gefährlichste Mission meines langen und ereignisreichen Lebens, war ebenso zwingend wie undeutlich formuliert. Ich war, wieder einmal, das Opfer höherer Mächte, ein Spielball der Willkür. Ich wusch mich, zog mich an und hörte, als ich die Tür öffnete und mich darunter bückte, daß Unterseyn nach mir rief. Er hielt einen falkengroßen, schwarzen Vogel mit kurzem Schnabel in der Hand. Das Tier gab aufgeregte Pfiffe von sich. Kosh hob einen Zettel vom Schreibtisch auf. »Ein Schäfer hat mir eine Nachricht geschickt. Mit Briefvogel. Vielleicht ist es das, was du suchst.« In einer Ecke das Raumes war ein Tisch gedeckt. Die Reste des Essens von Unterseyn waren zu sehen und ein Platz für mich. Ich fragte aufgeregt: »Wovon spricht Schäfer? Oder vielmehr, was schreibt er?« Er las vor. »Am Herdenplatz Wasserscheide und Flußknie liegt ein riesiger, halbrunder Schwamm. Für mich lebt dort etwas. Die Tiere fürchten sich. Amheyr, der Hirte.« »Wo finde ich diesen Hirten?« Der Bürgermeister zerknüllte den Zettel, sperrte den Vogel in einen Käfig im Nebenraum und setzte sich mir gegenüber an den Eßtisch. Er deutete auf die Teller und Becher. »Ich gebe dir eine Karte. Sie ist nicht sehr genau. Aber es führt ein Weg dorthin. Für dich sindʹs mit Karren vielleicht drei Tagesreisen. Eher mehr. Eine Flinte kannst du auch haben.« »Ich danke dir.« Wir aßen schweigend. Draußen herrschte ein graues Zwielicht. Die kleine Stadt erwachte langsam zum Leben, die Geräusche, die hereindrangen, verstärkten die Eindrücke der gestrigen Nacht. Edolhyt war eine Siedlung von Bauern und Handwerkern. Hin und wieder traf mich der prüfende Blick des rundköpfigen, kleinen Mannes in der handgearbeiteten, wertvollen Lederjacke. Ich blickte ebenso prüfend zurück, schließlich grinste ich.
»Ich ahne den Grund, weswegen ihr gegen Fremde aus dem All seid. Wurdet ihr oft ausgeplündert?« »Zweimal zuviel«, bestätigte Kosh. »Es ist ein Elend. Jetzt läßt man uns in Ruhe. Es lohnt nicht, mit dem Raumschiff Tiere zu stehlen.« »Kommen Händler zu euch? Mit Raumschiffen?« »Viermal im Jahr. Sie wundern sich, warum wir keine moderne Technik bestellen. Aber es geht auch so. Die Zeiten sind hart. Erspare mir die Schilderung der politischen Zusammenhänge. Du kennst sie.« Ich nickte, beendete mein Essen, und Unterseyn hob von der Bank einen prall gefüllten Ledersack auf. »Etwas Kleidung, die dir zu eng sein dürfte, Essen und Bier. Wasser findest du überall. Komm, es wird Zeit.« Wir standen auf. Ich erhielt eine Waffe, die sehr schwer war, aber wie ein Kinderspielzeug wirkte. Wir verließen die Residenz des Bürgermeisters durch einen Hinterausgang. In einem der zahlreichen niedrigen Schuppen stand ein vorsintflutlich aussehendes Fahrzeug mit vier wulstigen Gummireifen und einem zylindrischen Tank hinter dem eckigen Fahrerunterstand. »Ich habe schon angeheizt. Du kannst losfahren. Auf der Ladefläche sind Holzwürfel. Du kannst den Wagen stehenlassen, wenn du den Kristall oder jetzt Schwamm gefunden hast. Sage dem Schäfer meinen Gruß.« Ich streckte die Hand aus und verabschiedete mich mit einem Händedruck. Ein paar Jungen, die eine Herde rinderähnlicher, gedrungener Tiere am offenen Tor der Umzäunung vorbeitrieben, schauten uns neugierig zu. »Du hast gezeigt, daß trotz eurer Abneigung gegen solcherart Gäste die Gastfreundschaft auf Thorrat hochgehalten wird. Dafür danke ich dir, was immer passieren wird. Vielleicht werden sich die Zeiten bald ändern, Kosh Unterseyn.« »Diese Hoffnung ist unser Luxus!« meinte er, schüttelte meine Hand und erklärte mir rasch die wenigen Griffe und Vorrichtungen.
Ich startete das Vehikel, rastete die Kupplung ein und fuhr mit hämmerndem Motor quer über den schlammigen Hof und zum Tor hinaus. Auf dem Nebensitz lag die simple Karte der Umgebung. Ich orientierte mich an dem hellen Fleck hinter der Nebelwand und fuhr die Straße in westlicher Richtung. Nach fünf Minuten Fahrt lag das letzte Gebäude hinter mir. Das Gefühl, daß ich diese kleine Stadt der kleinwüchsigen Planetarier nicht mehr wiedersehen würde, war stark. Ich erhöhte die Geschwindigkeit geringfügig und sagte mir, daß die Schwelgase des vergasenden Holzes durch Zündfunken im Motor zur Explosion gebracht wurden. Immerhin: das Gerät bewegte sich rüstig voran. Bis jetzt hast du dich nicht verraten, sagte leidenschaftslos der Logiksektor. Bleibt zu hoffen, daß die Crynn‐Brigade über deine Person nicht viel weiß! »Diese Hoffnung ist mein Luxus«, antworte ich laut. In meinem Rücken ging die Sonne auf. Überall entstand Nebel und löste sich auf. Die Straße, in deren Fahrspuren ich dahinruckelte, war barbarisch, ebenso wie die kaum vorhandene Federung des Wagens. Nach ein paar Kilometern hatte ich mich daran gewöhnt und versuchte mir vorzustellen, wie ich mich maskieren oder verkleiden könnte. Ein Mantel, Stoffstreifen um die Stiefel der Kombination, vielleicht eine Kappe, unter der ich mein auffallendes Haar verbarg – viel mehr würde es nicht sein, auch wenn ich mein Gesicht färbte. Ich blickte auf die Karte, klemmte das Gewehr zwischen den Sitzen fest und suchte nach einem Wegweiser. Nichts. Die einsame Straße führte in Schlangenlinien, dem Gelände folgend, in westliche Richtung. Nachdem ich an drei einzeln stehenden, weit voneinander entfernten Bauerngehöften vorbeigekommen war, die inmitten von saftigen Weiden und frisch ausgesäten Äckern standen, als die Rauchsäulen aus den Kaminfeuern nicht mehr zu sehen waren, führte die Straße endlich schnurgerade über eine sandige Fläche.
F
ast schon am Horizont sah ich einen mächtigen, einzelnen Baum, daneben schien ein Wanderer zu stehen. Den Lärm, den der Motor des Fahrzeugs erzeugte, würde man weithin hören. Schneller als vierzig Kilometer in der Stunde fuhr der Klapperkasten nicht. Wenn der Wagen durch besonders tiefe Schlaglöcher oder über Steine fuhr, stieß ich jedesmal mit dem Schädel an das ungepolsterte Dach. Beugte ich mich vor, um den Stößen auszuweichen, hämmerte die Stirn gegen die dicke Glasscheibe. Das Steuerrad vibrierte, als hätten die geschmiedeten Felgen stärkste Unwucht. Ein Wanderer, sagte das Extrahirn. Der Wanderer winkte. Ich schätzte die Größe auf hundertachtzig Zentimeter. Also war auch er kein Bewohner dieser Welt im Herrschaftsbereich der Facette Genile Kaz. Als ich noch näher kam, winkte ich aus dem offenen Fenster zurück. Der einsame Mann war leicht nach vorn gebeugt und trug Fellkleidung in unterschiedlichen braunen Farben. Auf dem Kopf sah ich eine gelbe, spitzkegelige Mütze mit einer roten Quaste. Die Mütze wirkte noch wesentlich speckiger und abgegriffener als der Rest der Kleidung. Der Mann lief auf einfachen Sandalen. Ich war gewarnt und blieb mißtrauisch. Das Gewehr hatte ich entsichert und schußbereit auf dem Nebensitz. Wieder machte er das Zeichen, mitgenommen zu werden. Ich hielt das Fahrzeug an. »Wohin willst du, Fremder?« fragte ich auf Alkordisch. Als ich in seine Augen schaute, verlor ich etwas Skepsis. Sie schienen braun zu sein und blickten ehrlich und treu drein. »Selbst ein Fremder«, sagte er mit wohltönender Stimme. »Colemayn ist der Name des Weltwanderers. Nimmst du mich ein Stück mit?« Er trug einen großen, dunkelgrünen Rucksack. Auf dem Tragegerät waren allerlei Stangen und Verschnürungen befestigt. Es konnte Material für ein Zelt sein.
»Ich nenne mich Fartuloon und manchmal«, antwortete ich, »auch Atlan. Auch ich wandere. Also tun wir uns zusammen. Wirf den Rucksack auf die Ladefläche.« »Der Tag verspricht friedlich und heiter zu werden. Das Gespräch mit einem klugen Mann wird unseren Weg mit den gelben Dotterblumen der Fröhlichkeit säumen.« Er schien eine blumenreiche Sprache zu bevorzugen. Schnell entledigte er sich des Rucksacks und kletterte auf den Nebensitz. Ich sicherte die Waffe und stellte sie zurück. »Wegen mir?« fragte er. Ich nickte und antwortete: »Mißtrauen kann oft lebensrettend sein. Hast du ein Ziel?« »Es liegt nicht auf diesem Planeten.« Ich kuppelte ein und fuhr weiter. Der Wanderer Colemayn war absolut menschenähnlich. Unter der Pudelmütze, die wohl ebenso wie ihr Besitzer schon weit bessere Zeiten gesehen hatte, kam kurzes, borstiges Haar von weißgrauer Tönung hervor. Die Brauen waren dunkel und sehr dicht. Im hageren, hohlwangigen Gesicht zeichneten sich tiefe Kerben ab. Ich würde ihn, vorausgesetzt, er wäre ein Terraner, auf etwa achtzig Jahre geschätzt haben. »Woher bist du?« fragte ich wieder. »Evron heißt die Welt, auf der ich geboren worden bin. Seit diesen Tagen bin ich auf der Suche. Wonach? Ich weiß es selbst nicht. Genügsam und frei wie der Wind besuche ich die Planeten. Und immer treffe ich jene Wesen wieder, denen ich einst begegnet bin, in der Wirklichkeit und in den Träumen. Nun denn: Evron liegt nicht in Alkordoom.« Seine Handrücken und das Gesicht waren dunkel, fast rot. »Dann gibt es also schon zwei Fremde auf Thorrat«, sagte ich. »Ich habe zumindest ein unklares Ziel. Wo liegt deines?« »Sagen wir es so«, erwiderte Colemayn unschuldig. »Ich begleite dich, solange es uns gefällt.« »Einverstanden.« Ein ausgeglichener Mann, der selbst auf mich beruhigend und gelassen wirkte. Der Wagen rumpelte gemächlich
weiter. Ich kontrollierte die Anzeigen der wenigen Instrumente und bemerkte, daß ich die ausgeschlackten Holzwürfel bald würde erneuern müssen. Wir befanden uns in einer völlig einsamen Gegend. Nicht einmal Weidetiere waren zu sehen. Nach einer kleinen Weile sagte Colemayn: »Du weißt, daß wir uns auf einem kosmischen Zankapfel befinden?« Ich zog die Schultern hoch und blickte geradeaus. »Der Planet Thorrat? Diese unbedeutende, arme Welt, unterentwickelt und voll stiller Selbstgenügsamkeit?« »Richtig. Man sagt und schreibt, Thorrat gehört zum Einflußbereich Zulgeas von Mesanthor. Gleichzeitig meldet Facette Gentile Kaz ihre Ansprüche an. Es gibt wohl einen ungenauen Grenzverlauf.« »Mich schert es nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Ich hoffe, Thorrat möglichst bald verlassen zu können.« »Aha! Und auf welche Weise?« Seine Hände mit den langen, kräftigen Fingern deuteten einen Raumschiffsstart an. Ich nickte. »So ähnlich.« War dieser Weltraumtramp ein Wesen, das man seiner Psi‐ Komponente beraubt und wieder ausgesetzt hatte? Was war und wußte er wirklich? In meinem jetzigen Zustand erwartete ich hinter jedem Gesicht ein anderes; alle trugen Masken und waren längst nicht das, wofür sie sich ausgaben. Jetzt, als ich erste Sympathie zu dem Alten spürte – auf mich wirkte er ein wenig wie ein alter, knorriger Indianer mit Macht und Würde –, mußte ich besonders aufmerksam bleiben. »Das interessiert mich«, sagte Colemayn. »Hast du etwas dagegen, für ein paar Tage meine Gesellschaft tapfer zu erdulden? Ich weiß gut zu kochen und kann mich in der Wildnis durchschlagen.« »Ich habe nichts dagegen. Vier Augen sehen allemal mehr als zwei.«
»Wahr gesprochen!« Die Straße, die sich dem westlichen Gebirge näherte, verschwand jetzt in einem dichten Wald voller seltsamer Gewächse. Ich war ziemlich sicher, daß ANIMA sich nicht unnötig lange an einem Platz aufhielt. Ob der »Schwamm« noch dort war, wo ihn der Hirte gesehen hatte? »Du fährst eine Maschine mit beachtlicher Kraft und Schnelligkeit«, meinte Colemayn. Ich berichtete ihm, von wem und unter welchen Voraussetzungen ich sie bekommen hatte. Keiner von uns hatte in den letzten Stunden etwas Besonderes gesehen. Die Gegend war ohne viel Abwechslung gewesen. Jetzt widmeten wir uns dem Anblick der Bäume, ihrer verdrehten und gedrechselten Stämme, der wild wuchernden Lianen und der erstaunlich farbenprächtigen Vögel, die in großen Scharen umherflatterten. »Das ist wohl das beste und schnellste Fortbewegungsmittel, das die Thorrater kennen«, sagte ich und wies auf die Instrumente. Einige Zeiger zuckten wie wild, andere zeigten auf die Nullwerte. Colemayn grinste verschmitzt und antworte: »Fahre an den rechten Straßenrand, falls uns einer der Daherrasenden überholen will. Ich helfe dir bei den Nachfüllarbeiten.« Ich hielt unter einem ausladenden Baumdach an. Meine innere Unruhe wuchs, aber ich hatte keine andere Wahl. Es ging nicht schneller. Ich war von zuvielen Zufällen abhängig. Obwohl ich wegen der unbeholfenen Technik des Fahrzeugs grinsen mußte, stieß ich einen Fluch aus. »Gemächlichkeit ist die Wurzel allen Betrachtens«, erläuterte mein neuer Weggefährte und zog aus unergründlichen Taschen seines Fellanzugs ein Paar Handschuhe. Ich versuchte gerade, die Funktionsweise des Holzgaskessels zu analysieren, als er bereits daran hantierte. Er öffnete und schloß Ventile. Ein Dampfstrahl fuhr grell pfeifend aus einem Rohrstutzen, dann gurgelte es grollend in der Tiefe des geschmiedeten Kessels.
»Sehr geschickt!« brummte Colemayn und öffnete ein Türchen. Kohleartig verändertes, zusammengeschrumpftes Holz fiel heraus. In eine andere Klappe schütteten wir einen halben Sack frischer Holzklötze und stocherten mit einer Eisenstange so lange, bis sie nachgefallen waren. Den Öffnungen entströmte ein schauerlicher Geruch. Ich schloß die obere, er die untere Klappe. Wieder fauchten die Ventile. Dann begann der Zeiger eines Gasmessers in der Wand des Kessels langsam zu klettern. »Es dauert noch eine Weile bis sich genügend starkes Gas gebildet hat!« sagte Colemayn und drehte langsam an der Luftzufuhr. Winzige Flämmchen waren hinter einem Schauglas zu sehen. Zufrieden mit seiner Tätigkeit wuchtete er die Motorhaube auf und regulierte auch hier an mindestens fünf verschiedenen Hähnen halbwegs rätselhafte technische Abläufe neu ein. »Du bist sehr geschickt«, sagte ich bewundernd. »Hast du schon einmal ein solches Museumsstück gefahren?« »Das weniger. Ich konstruierte einmal ein solches. Aber meines war effizienter als dieses lahme Gerät.« Er hatte mit Sicherheit ein langes und wild bewegtes Leben hinter sich. Insofern glichen wir uns wohl. Aber ich hatte seine überlegene Ruhe nicht. Während er um den Karren herumging, sah ich, daß er einen winzigen Buckel hatte. Der Mann ging leicht nach vorn geneigt, was diesen Eindruck noch unterstütze. »Aha.« Mehr fiel mir nicht dazu ein. Er zog einen prall gefüllten Lederbeutel aus dem Rucksack, dazu zwei ineinanderschiebbare Becher aus einer hornähnlichen Substanz und goß bernsteinfarbenen Wein hinein. Wieder war ich überrascht: Der Sternentramp war darauf eingerichtet, anderen einen zweiten Becher anzubieten. Was steckte hinter diesem gutgelaunten, versponnen wirkenden Weltenbummler wirklich? Würde ich es erfahren? Dringe nicht in ihn. Er wird ausweichen! empfahl der Logiksektor.
Ich versuchte es nicht. Als wir weiterfuhren, stand die Sonne hoch im Mittag. Ruhelos wanderten meine Augen hin und her und suchten Einzelheiten, die auf ANIMA schließen konnten. Nichts! Wenn ich die kurze Botschaft, die ANIMA mir zugedacht hatte, richtig deutete, dann würde sie auch mich zu finden versuchen. Oder war sie wieder in Lähmung verfallen? Nichts sprach dafür. Wahrscheinlich lag das seltsame Schiff noch immer irgendwo dort, wo sich auf der Karte das Kreuz befand, und war vorzüglich getarnt. »Wann beliebst du, eine längere Rast einzulegen?« fragte mich Colemayn. »Siehe, meine Glieder lechzen nach einem Bad und der wohlverdienten Ruhe nach diesem Rütteln und Hämmern. Wonach sich mein Magen sehnt, wage ich nicht auszusprechen.« »Ich schlage vor, wenn es dunkel wird. Ich habe Essen im Sack.« Ich wies mit dem Daumen über die Schulter. Das Lenkrad versetzte meiner Linken einen harten Schlag. Auf der schmalen Bank lag der Sack mit Kosh Unterseyns milden Gaben, das brachte mich auf eine neue Frage. »Dir wird es nicht entgangen sein, Wanderer zwischen Planet und Planet, daß die Bewohner dieser grünen Welt nichts so sehr hassen wie Fremdlinge.« »In der Tat«, gab er zu. »Ich vermeinte eine deutliche Xenophobie zu bemerken.« »Verhielten sie sich dir gegenüber ebenso entschlossen? Ich meine, sagten sie dir, du solltest so schnell und wirkungsvoll wie möglich verschwinden?« »Ich gab ihnen keine Gelegenheit dazu. Ich kaufte ein paar Landkarten, etliche Gewürze und Notwendigkeiten, und noch ehe mir jemand mit erhobenem Zeigefinger drohen konnte, war ich aus ihrem Gesichtskreis verschwunden. Der Sternenwanderer ist stets ein ganz anderer.« »Bezaubernd. Du dichtest wie einer der Großen«, meinte ich mit
mildem Spott. »Es gibt bessere Reimeschmiede.« »Aber nicht auf dieser buckeligen Landstraße.« »Schwerlich, Freund Fartuloon‐Atlan.« Wieder schwiegen wir eine Weile. Ich wollte ihn nicht ausforschen. Er würde mir, was nötig war, sicherlich, spätestens am Lagerfeuer verraten. Allerdings würde auch ich dann von mir erzählen müssen. Bisher hatten wir nur kleinere, scheue Tiere gesehen und viele Vögel. Massen von Insekten summten durch die warme Luft. Die Sonne sank langsam dem Nachmittag entgegen. Am Fuß der Berge, laut Karte mehr als sieben Tagesreisen entfernt, lag die nächste größere Siedlung. Wir kamen gut voran, wurden nicht belästigt und nicht angegriffen, sahen alle Teile des meist jungfräulichen Landes. Die Straße machte nicht den Eindruck, als würde sie für regen Verkehr benutzt. Ein Flußlauf schimmerte rechts durch die Bäume. Wir näherten uns einer Brücke. Nach den Manipulationen Colemayns war der Wagen eine Spur schneller geworden, auch lief der Motor runder und nicht mehr ganz so laut. Auf weichem Sand war das Fahren und Steuern nicht einmal mehr unangenehm. »Was suchst du hier, Atlan?« fragte er schließlich. »Ein Objekt, das von einer Crynn‐Brigade verfolgt wird«, wich ich aus. Seine klugen Augen zwinkerten. Er sagte: »Deswegen die Ansammlung von wild herumrasenden Gleitern mit drohenden Pulsatorrohren. Ist es die Suche wert?« »Für mich schon«, meinte ich. »Ich hätte dann ein Mittel, meinen Auftrag schneller und leichter durchzuführen.« »Du bist Agent?« »Agent einer guten Sache, könnte man sagen. Ich suche etwas, das sich ANIMA nennt. Es kam vor rund fünf Dutzend Jahren nach Alkordoom und ist eine Mischung zwischen Kristall, Raumschiff und denkendem Wesen. Sehr viel mehr weiß ich auch nicht darüber.
ANIMA mag mich, das steht fest.« »Ein Blinder, der mit einem zerbrochenen Stock nachts im dichten Nebel sucht«, lautete die sarkastische Antwort. »Wer gab dir den Auftrag?« »Mächte, die fast jenseits des Begrifflichen stehen. Jedenfalls sind sie jenseits meines Begreifen‐Könnens.« »Sie haben recht, wenn sie meinen, daß die Kopfschweif‐Galaxis ein Hort des Schreckens und ein Ärgernis für jede anständige Sonnenballung ist. Ein Einzelner wie du dürfte sich indessen ein wenig zuviel aufgebürdet haben.« »Ich habe auch nicht vor, einen langen, einsamen Kampf zu führen«, sagte ich. »Dafür weiß ich auch viel zu wenig. Es geht vielmehr um mein Überleben, Colemayn.« »So gut es geht, werde ich dir während unserer gemeinsamen Stunden und Tage dabei helfen. Du mußt ein Mann von ungewöhnlicher Tapferkeit sein.« Ich dachte nach. Das Ende der Straße berührte eine Bohlenkonstruktion, auf der dicke Sandschichten lagen. Bündel von Baumstämmen bildeten die Pfeiler und die Träger einer Brücke. Der Fluß war nicht sonderlich breit, aber das Hochwasserbett, das die Brücke überspannte, erstreckte sich leer und breit ins Land. »Nein«, sagte ich. »Mein Überlebenspotential ist sicherlich nicht gering. Irgendwann wurde mir gesagt, daß man für eine bestimmte Aufgabe keinen Besseren fände als mich. Das heißt, daß es Bessere gibt, diese aber nicht gefunden wurden oder sich weigerten. Und ich hatte oft Glück. Einmal wird es ausbleiben, und dann siehtʹs mit mir wohl schlimm und böse aus.« »Die Hoffnung auf bessere Zeiten, die viele Bewohner dieser Galaxis haben, sollte bei dir nicht fehlen«, entschied Colemayn. Ich stimmte zu. »Ohne diese Hoffnung würde ich einen Schäfer nicht suchen, der Brieftaubennachrichten absendet.«
Wir rollten auf die Brücke. In ihrer Mitte hielt ich den Wagen an und spähte nach beiden Seiten, bis mir die Augen schmerzten. Ich fand abermals kein Anzeichen für die Nähe von ANIMA. Nicht einmal Tiere, die am Flußufer tranken, konnten wir sehen. Ich ruckte die Kupplung wieder ein und steuerte weiter. Unter dem Gewicht des Karrens ächzten und knarrten die Brückenbohlen. »Ich muß sagen, daß mir jeder Muskel, am meisten meine Wirbelsäule, weh tut«, sagte ich, als uns die Abendsonne ins Gesicht schien. »Der Zeitpunkt für eine Rast kommt näher«, orakelte Colemayn und zog aus einer anderen Tasche eine fingerdicke, bräunliche Stange. Er biß ein gutes Stück herunter und begann genußvoll darauf zu kauen. Auf meinen fragenden Blick antwortete er, undeutlicher in der Aussprache: »Ich kaue. Das reizt und beflügelt die Geschmacksnerven. Daraus hervorgehend wiederum werden Gedanken und Einfälle kühner und herausfordernder. Meine Einfälle beschäftigten sich mit einem bequemen Lager, einem undurchlässigen Dach – denn auch heute nacht wird es wieder erheblich regnen …« »Ist gut für die Saaten!« brummte ich. »Ja?« »… und einem kleinen Feuer, das die Raubtiere fernhält und mir Gelegenheit gibt, einen leckeren Imbiß aus den Zutaten der reichen, überströmenden Natur zuzubereiten. Für mich und dich, einsamer Kämpfer.« »Du mußt mit der Natur aufgewachsen sein.« »Sagen wir: Ich habe genügend Erfahrung, um mich mit ihr zu arrangieren. Die Schöpfung ist unergründlich groß und abwechslungsreich. Die Bilder, die meine Augen getrunken haben, sind Billion.« »Ein Philosoph im engen Beifahrersitz«, sagte ich freundlich. Es gelang ihm immer wieder, mich von meiner brennenden Sorge und dem Drang, davonzustürzen, abzulenken. Ich war ihm dankbar dafür.
»Gut. Machen wir ein Ende. Du weißt, was mit dem Feuer dort hinten zu tun ist?« »Ja. Wir lassen es weiterglühen. Dann haben wir morgen früh eine gewaltige Menge Holzgas, das wir in schieren Vorwärtsdrang übersetzen können. Zusammen mit deiner offensichtlichen Ungeduld werden wir ein beachtliches Tempo an den neuen Tag legen.« »Deine Sicht der Umstände ist wahrhaftig optimistisch«, sagte ich kopfschüttelnd. Die Antwort war unüberbietbar lakonisch. »Ich lebe. Noch lebe ich gut. Ich schlage mich durch. Wie schön.« Ich schwenkte den Wagen von der Straße herunter, auf eine sandige Fläche hinauf und wendete. Es gab einen winzigen Wasserlauf abseits der Straße, schützende Bäume, einen Felsen, der ein Lager abschirmte und dicke, schwellende Moospolster, Der Sternentramp lobte mich nach einem langen, anerkennenden Pfiff. »Klüger hätte ich es nicht aussuchen können.« Ich schaltete die Maschine ab, stieg aus und streckte meine verkrümmten und schmerzenden Gliedmaßen. Nach einigen Übungen im Dagor‐Stil fühlte ich mich wesentlich wohler. Es tat gut, wieder aufrecht stehen und gehen zu können. Dann holte ich die Waffe mit Unterseyns Ledersack aus der Kabine und sah aufmerksam zu, wie der Tramp die Holzgasdruckanlage für einen längeren Zeitraum einstellte. Er wuchtete den Rucksack von der Ladefläche, ging mit mir zusammen in die halbe Dunkelheit des Rastplatzes hinein und hatte binnen weniger Minuten an der Stelle, an der die dicksten Moospolster zu sehen war, mit vier Stangen, einer dünnen Folie und einigen Tauen ein geöffnetes Zeltdach aufgebaut. Dann kauerte er sich auf die Hacken, nahm einen Grashalm zwischen beide Daumen und blies darauf seltsame Melodien. In panischer Flucht krabbelten Hunderte von schillernden Käfern und rotgeflügelten Insekten aus unserem künftigen Ruheplatz. Ich ließ den Sack fallen und fand schon wieder meine Vermutungen
mehr als bestätigt. Dieser Mann war mehr als nur gebildet, geschickt und klug. Er war raffiniert, daß man es fast übersehen mußte. »Was soll ich tun?« »Holz sammeln und mir diesen Schießprügel geben. Der Donner wird die Tiere fernhalten oder anlocken, je nachdem. Aber ich werde wohl etwas Eßbares erlegen.« »Viel Erfolg«, wünschte ich und zog aus meiner Kombination das große Vielzweckmesser hervor. Unhörbar und mit wieselschnellen Bewegungen rannte Colemayn davon und war nach einem Dutzend Schritten mit der grünen Halbwildnis verschmolzen. Ich sammelte trockenes Reisig, kleinere Äste und große, teilweise vermoderte Kloben. Binnen kurzer Zeit hatte ich Steine zu einem Feuerkreis zusammengetragen und einen beachtlichen Holzstapel. Dann hörte ich den donnernden Schlag eines Schußes. Als ich damit fertig war, das Holz inmitten der Steine aufzuschichten, kam Colemayn zurück und hielt ein hasenartiges, großes Tier in der Hand. »Hast du Salz?« fragte er, nahm mein Messer und schlug das Beutetier aus der Decke. Ich kramte in dem Geschenk Unterseyns und breitete aus, was ich fand. Schließlich stieß ich auf eine Holzdose, probierte den körnigen Inhalt und hielt ihn dem Reisebegleiter hin. »Geht in Ordnung«, meinte er knapp. Wir brauchten mehr als eine Stunde, um uns richtig wohl zu fühlen. Ich hatte erfolgreich versucht, mit Hilfe der wenigen Kleidungsstücke mein Aussehen zu verändern. Auf einem Tuch lagen Käse, Brotstücke, gelbe Butter und einige dünne, gerollte Würste. Über dem Feuer drehte sich an einem dicken Draht aus Colemayns Rucksack der Braten, der mit Salz und mindestens sieben verschiedenen Kräutern gewürzt war. Wir hielten Weinbecher in den Händen und saßen auf dem Moos. »Weit und breit ist dies das einzige Feuer«, bemerkte der Sternentramp. »Das wird wohl deine neuen Freunde herbeilocken.« »Aus diesem Grund«, gab ich zurück und verknotete das
Stirnband im Nacken, »versuche ich, weniger auffällig zu erscheinen.« »Kluger Entschluß. Kannst du den Dialekt Thorrats?« »Bestenfalls zwei Wörter.« »Dann sprich normal, wenn sie uns fragen.« Ein dumpfer Donnerschlag rollte aus der Ferne heran. Vor wenigen Minuten hatten wir noch funkelnde Sterne gesehen. Jetzt überzog sich das Firmament mit unsichtbaren Regenwolken. Ich spürte förmlich die Gefahren, die in der Gestalt von Beibooten des Crynn‐Kommandos über uns schwebten. Der erste Blitz schlug in der Nähe ein, als wir die kleineren Bratenstücke von dem glühenden Draht nahmen. Es roch hervorragend, wie in einer meisterlichen Küche. »Unser Dasein scheint ungefährlich und idyllisch zu sein«, sagte ich und schnitt Scheiben von einer Brotkante. »Aber der Eindruck täuscht.« »Viele Sucher bringen nur Chaos hervor. Also sind wir im Vorteil«, tröstete er mich mit einem seiner Stegreif‐Sinnsprüche. Was die Arbeit und die Gespräche betraf, waren wir ein gutes Paar. Wir ergänzten einander vortrefflich. Die Dunkelheit umhüllte, schützte und bedrohte uns gleichermaßen. Blitze und Donner kamen immer näher. Die Luft roch köstlich, feucht und frisch. Ein milder Wind fuhr durch die Zweige. Erste Tropfen fielen und prasselten auf das Zeltdach. Wir aßen und unterhielten uns ruhig; jede Portion des Essens war von Colemayn auf besondere Weise verändert und weitaus schmackhafter gemacht worden, als ich es je gekonnt hätte. Aber während wir versuchten, die entspannte Lage zu genießen, dachten wir unablässig an die vielfältigen Gefahren. Wenigstens denkst du daran. Entspanne dich! Nur aus der Ruhe kommt die Kraft zu entschlossenem Handeln, flüsterte der Logiksektor. Als es zu regnen begann,, zogen wir uns unter das Zeltdach zurück. Die Tropfen verzischten in dem winzigen, heißen Feuer und erzeugten Dampfwölkchen. Ein fremdartiges Geräusch mischte sich
in die Laute von Blitz, Donner, Regen und raschelnder Blätter. Es war ein hohles Singen und Fauchen. »Die Crynn‐Leute der Hexe«, murmelte ich und verschmierte Ruß und Bratenfett in meinem Gesicht. Der andere Mann nickte zustimmend und brachte aus dem Rucksack einen kleinen Spiegel zum Vorschein. »Wir sind gerüstet«, sagte Colemayn. »Glaube mir – ich kann sie auch nicht leiden. Ich hasse Machtsymbole dieser Art.« Ich lud die Flinte und kontrollierte ihre Funktionen im Schein des Feuers. Es gab keine Flammen mehr. Weiße und rote Glut leuchteten stechend durch das insektendurchschwärmte Dunkel. Mittlerweile saßen wir unter der Plane und fühlten uns wohl, weil ringsum der Regen herunterrauschte. Das Geräusch über uns wurde lauter und eindringlicher. Der Gleiter schien einen Kreis nach dem anderen zu beschreiben und dabei zu sinken. »Sie kommen.« »Ohne Zweifel. Inzwischen sind sie die Fremden. Wir haben Platzvorteil«, stimmte der Tramp zu und spie einen Strahl Speichel, vermischt mit dem Kautabak – oder was immer diese vorgeblich anregende Substanz sein mochte – ins Feuer. Eine brodelnde Wolke erhob sich zischend. Hunderte von betäubten Insekten fielen in die Glut und verendeten. Über uns flammten starke Scheinwerfer auf. Von der Straße her schwebte ein Gleiter, etwa fünf Meter lang und wie ein flachgedrückter Tropfen aussehend, auf uns zu. Das Feuer spiegelte sich in einer konvex geschwungenen Frontscheibe und an zahlreichen Metallteilen der Hülle. Das Gefährt landete dicht vor uns, ich griff nach der entsicherten Waffe und legte sie dergestalt neben mich ins Moos, das die Mündung in die Richtung der Maschine zeigte. Wir erkannten keine Zeichen oder Buchstaben an der Außenfläche. Eine Tür schwang nach oben auf. Drei Wesen kamen
heraus und kamen nacheinander auf uns zu. Eines, das aussah wie eine auf den Kopf gestellte Pyramide mit stark gerundeten Ecken und Kanten. Es bewegte sich auf drei stämmigen Beinen, deren Krallen, lang wie eine Hand, sich in den Moosboden gruben. Ein anderes, das aussah wie ein unglaublich verschlungenes und verknotetes Bündel aus dicken Seilstücken in vielen leuchtenden Farben, rollte sich schlängelnd näher. Beide trugen kurzläufige Energiestrahler, deren Feldmündungen schwach gelblich leuchteten. Der dritte Fremde war annähernd hominid, besaß aber anstelle des Kopfes ein hammerähnliches Organ mit blinkenden Augäpfeln, so groß wie eine Handfläche. Irgendwoher kam eine schnarrende Stimme in hoher Tonlage. »Wer seid ihr? Was sucht ihr hier? Habt ihr den Kristallberg gesehen?« Wir sahen uns in gutgespieltem Erstaunen an, obwohl zwei kleine und eine stabförmige Waffe auf und gerichtete waren. »Wir sind harmlose und müde Wanderer«, sagte ich. »Warum bedroht ihr uns?« Colemayn fügte vorwurfsvoll hinzu: »Wir wollten gerade schlafen. Was bringt euch hierher, meine lieben Freunde?« Seine Stimme troff vor Güte und Gelassenheit. Die drei Wesen standen im strömenden Regen und schienen etwas von ihrer rücksichtslosen Selbstsicherheit verloren zu haben. Im Inneren des Gleiters schaltete jemand einige Frontbreitstrahler an. Ihr Licht überschüttete die Szene und verwandelte jeden Regentropfen in einen stäubenden Kristall. »Ich verstehe nicht«, sagte ich. »Kristallberg? Sehen wir so aus, als hätten wir unter dem Zelt einen Berg aus Kristall versteckt?« »Wir wissen, daß er in der Nähe ist!« dröhnte die Stimme von vorhin. »Dann wißt ihr mehr als wir«, sagte ich. »Wir sind unterwegs zu
der Wolle‐ und Hornablieferungsstelle von Pozzo Puddu.« »Habt ihr ein großes, schwebendes Objekt gesehen?« Ich zeigte auf Colemayn, der den querköpfigen Crynn‐Brigadisten von der Welt Raffaeel betrachtete. Ich wußte, daß diese Wesen, knapp zwei Meter groß und mit stählernen Muskelpaketen bestückt, hervorragende Kämpfer waren. Einer aus ihrem Volk hatte fast Kennennick besiegt, im »fairen« Ringkampf. Aber sie waren mitten in der Auseinandersetzung begriffen, sich von zwei harmlosen, leicht zurückgebliebenen Hirten täuschen zu lassen. Noch immer standen sie in der herunterprasselnden Regenflut. Ihre Körper glänzten. Ruhig hob mein neuer Freund einige unterschenkeldicke Kloben in die Glut. »Etwa so groß wie zehn Häuser?« erkundigte ich mich. »Ja. Es bestand aus Fels.« Wieder blickten wir einander an, nickten bedeutungsschwer und deuteten fast gleichzeitig nach Norden und Süden. Blitzschnell begriff ich den Widerspruch und sagte, noch ehe Colemayn Atem holen konnte: »Am frühen Abend ist das Ding quer über die Straße geflogen. Es kam von Nord und flog langsam nach Süd. Wir haben dies noch nie gesehen. Es war kein Fels, kein Kristall. Es sah aus wie ein riesengroßer, geäderter Flußkiesel.« Zwanzig oder mehr Fäden mit Sinnesorganen formierten sich zu einem Bündel und zeigten nach Süden. »Dorthin?« »Ja. Es war lautlos und nicht sonderlich schnell«, sagte ich. »Ein großes, stattliches Objekt. Mir scheint, die Thorrater haben merkwürdige Flugapparate.« Der Brigadist von Raffaeel drehte und schüttelte seinen Kopf. »Es ist kein Objekt von Thorrat. Es kam aus dem Weltraum.« »Das kann ich nicht beurteilen, Freunde«, meinte Colemayn versonnen. »Ihr seid in einer bedauernswerten Lage. Stellt euch unter das Zelt. Eßt etwas von dem Braten und dem harten,
würzigen Käse. Es soll im Leben schöne Momente geben, in denen Fremde ihre Freunde erleben.« Sein Vers war so schauerlich, daß meine Zähne zu schmerzen anfingen. Ich schaffte es, mich zu beherrschen. Die drei aus dem Gleiter rührten sich nicht. Sie waren verblüfft und verdutzt. Dann bekam die Stimme einen ärgerlichen, schrillen Klang und tobte: »Wir, die Spezialisten aus dem Gleiter KORALLE, danken förmlich für das Angebot. Wir brauchen kein Essen, sondern Informationen. Was wißt ihr über diese Kugel?« »Nichts!« sagte ich. »In Edolhyt«, erklärte Colemayn nachdrücklich, »wo ich Käse, Landkarten und das eine oder andere gute Wort kaufte, sagte mir jemand, daß ein seltsames Objekt auf einem Acker gelandet sei. Es habe sich verwandelt, sei gerollt und dann geflogen. Die Edolhyter, wie alle anderen Bewohner dieses ärmlichen Planeten, wollen nichts anderes, als daß sich jedes Fremde aus dem All schnell wieder entfernt und ihnen den Rücken kehrt. Fragt in den anderen Städten nach. Oder gebt uns ein Gerät, mit dem wir euch erreichen können. Wenn wir das Ding wieder sehen, melden wir es euch. Was mir gerade einfällt – warum interessiert ihr euch derart für die Steinkugel, daß ihr mitten im Wald landet?« Die Antwort war ebenso ehrlich wie nichtssagend. »Unser Kommandant Loth Colder befahl uns, sie zu finden. Wir müssen sie für die Facette Zulgea von Mesanthor erbeuten.« Ich hob den Weinbecher und wünschte: »Viel Erfolg.« »Dasselbe wünsche ich«, meldete sich Colemayn in aller Seelenruhe und goß uns beiden etwas Wein in die leeren Becher. »Können wir euch noch mit anderen Informationen dienen? Auf dem Weg haben wir niemanden getroffen.«
Das Faserbündel ließ die Waffe verschwinden, bewegte sich wie ein Tausendfüßler auf den Gleiter zu, und die Stimme rief: »Ihr werdet es bereuen, wenn ihr versucht, uns zu täuschen. Der Kommandant ist wild darauf versessen, den Riesenkristall zu finden.« »Da wir treue Bürger von Alkordoom sind«, lautete die Antwort, »werden wir ihm absolut nichts in den Weg legen. Seht uns an! Wir vermögen nicht einmal, einen größeren Braten zu erlegen.« »Was mich abermals zu der Frage bringt«, flocht mit breitem Lächeln und auffordernden Gesten der Planetentramp ein, »ob ihr nicht doch an unserem frugalen Mahl teilnehmen wollt.« »Wir danken.« Die Gestalten tappten durch den wild strömenden Regen zum Gleiter zurück. Die Luke schloß sich mit einem schweren Knacken. Dann wurden die Scheinwerfer, die uns blendeten, wieder ausgeschaltet. Der Gleiter stieg senkrecht in die Höhe, drehte sich und schoß durch den Wald aus Dunkelheit und Regen davon. Nach Süden flogen sie. Eine Gruppe hatten wir vorübergehend abgelenkt. Wir warteten einige Zeit lang, bis wir wieder miteinander sprachen. Zuerst schichtete ich einen spitzen Kegel von Holzscheiten wie ein abschirmendes Zelt über das Feuer. Dann kroch ich wieder unter das Regendach. »Es wird interessant«, bemerkte Colemayn halblaut. »Die Jagd scheint angefangen zu haben.« »Solange sie nicht auch mich jagen«, gab ich zurück, »läßt es sich noch aushalten. Meine halbe Verkleidung schien gewirkt zu haben. Noch wissen sie nichts von mir.« »Alle Dinge sind in Fluß und ändern sich rasch, oftmals unerwarteter als möglich.« Wieder einmal war seine Antwort von philosophischer Tiefe. Auch das half mir nicht weiter. Wir lagen nebeneinander unter dem
Dach, lauschten auf die vielfältigen Geräusche des Waldes und des Regens, und schließlich schlief ich ein, die entsicherte Büchse neben meinem Oberschenkel. * Meldungen gingen zwischen den Gleitern des Crynn‐Kommandos hin und her. Von zahllosen Stellen des Planeten wurde berichtet. Bis vor kurzer Zeit waren sämtliche Beobachtungen absolut negativ gewesen. Stets dann, wenn einer der Beobachter sicher war, die Kristallkugel in einer ihrer Verkleidungen zu sehen, entpuppte sich der Fund als Fehlschlag. Loth Colder hatte in der GELBER PANTHER einige Stunden geschlafen und sich auf seine hochtrainierte Mannschaft verlassen. Die schwere Maschine suchte das Gebiet westlich der Stadt Edolhyt ab. Aber unter ihnen erstreckten sich Abertausende von Quadratmeilen Land, meist nicht bebaut und nicht erschlossen. Hunderte solcher Kugeln konnten sich dort verstecken und würden erst, wenn überhaupt, nach Jahren gefunden werden. Der Jirger drückte einen Kontakt. In den Kopfstützen des schweren Sessels, dessen Rückenlehne fast waagrecht lag, ertönte ein kurzes, grelles Signal. Vor Colders Augen zeichnete sich hinter der Scheibe die aufgehende Sonne ab. »Ja?« Eine Mechanik klappte den Sessel hoch. Mit einigen langen Blicken orientierte sich der Kommandant. Die Lampen an den Kopfhörern des Funkers zuckten und blinkten aufgeregt. »Eine weitere Meldung Unseres Vertrauensmannes!« meinte Whoumm und schaltete den Text auf die Kabinenlautsprecher. Wieder meldete sich die mechanisch verzerrte Stimme. »Der Fremde in der silberfarbenen Kombination nennt sich
Fartuloon Atlan. Er ist mit einem primitiven Gasofen‐Wagen nach Westen unterwegs. Seit einem Tag befährt er die Straße nach dem Gebirge. Er ist allein und unbewaffnet. Er will einen Schäfer treffen. Mehr war nicht zu erfahren. Ich melde mich wieder und hoffe auf gebührende Anerkennung.« »Wirst du bekommen«, murmelte der Thater und stand auf. Er verschwand im hinteren Teil des raumtüchtigen Fluggeräts und holte sich aus dem automatischen Spender, nachdem er den Schalter Thater gedrückt hatte, eine Folge von flüssigen und halbflüssigen Nahrungsmitteln, ließ einige miteinander mischen und fühlte, wie sich die neue Energie in seinem geschmeidigen Körper ausbreitete. Endlich war er wach genug geworden, um klare Gedanken fassen zu können. »Wir stehen vor einem schwierigen Problem«, sagte er schließlich. Seine Stimme klang hart und drohend. »Begriffen.« »Auf unseren gespeicherten Aufnahmen zeichnet sich die Straße ab. Ihr kennt die Meldung. Die Straße führt von Edolhyt nach Westen. Auf dieser Straße sucht ein Fremder nach dem wertvollen Fund. Trifft er auf den Kristall, werden wir es sehen. Ein Fahrzeug wurde gefunden und kontrolliert. Es waren zwei Insassen darin. Also handelt es sich um eine Gruppe, die mit uns nichts zu tun hat.« »Das ist richtig.« »Wir fliegen entlang der Straße und suchen dann das Gebiet zu beiden Seiten ab, tief ins Land hinein. Es geht los. Äußerste Aufmerksamkeit. Verringere die Flughöhe, Shanarma.« »Wird bereits eingeleitet.« Der Kommandant konnte mit dem Namen Atlan oder Fartuloon nichts anfangen. Ihm waren Aktivitäten, die sich um diese Begriffe abgespielt hatten, nicht bekannt. Die Brigade hatte in einem Gebiet operiert, in dem ganz andere Vorfälle wichtig gewesen waren. »Trotzdem«, sagte Colder und beobachtete, daß Kharrm, der
Jirger, die neuen Befehle weitergab, »werden wir den einzelnen Fremden suchen. Wir greifen ihn nicht an. Erst wenn er uns zum Ziel geführt hat, schlagen wir zu.« »Kluge Taktik«, kommentierte der Chef der Eingreifgruppe. Der raubtierähnliche Dharner mit dem weißen, blutrot getigerten Fell und dem kantigen Kopf schüttelte die Mähne, die über den gesamten Rücken bis zur Schwanzwurzel verlief. »Und wann kommen wir dran?« »Du wirst ebenso wie wir warten müssen«, beschied ihm der Kommandant. Der Gleiter heulte im Sturzflug auf die westliche Stadtgrenze Edolhyts zu. Die Straße zeichnet sich im Morgenlicht deutlich und fast weiß ab. Die Maschine warf einen langen Schatten, als sie versuchte, in einem wilden Zickzackkurs den Windungen des schmalen, ausgefahrenen Pfades zu folgen. Nutztiere rannten brüllend und mit hochgereckten Schweifen nach allen Richtungen davon. Thorrater hoben drohend ihre Fäuste und schrien den fremden Besuchern Beschimpfungen und Flüche nach, die im heulenden Lärm untergingen. »Langsamer!« befahl der Thater. Das Beiboot verringerte seine Geschwindigkeit und behielt nun die Straße unter sich. Loth Colder verdammte die Unzuverlässigkeit seiner Fähigkeit. Er spürte nicht den mildesten Impuls der kristallenen Substanz. Und auch sein Verbindungsmann, ausgestattet mit einem geheimen Hyperfunksender‐Empfänger und vorzüglich getarnt, konnte den Fahndern nicht helfen. Wir müssen dieses seltsame Objekt finden. Wir dürfen nicht versagen, sagte sich der Thater. Für ihn persönlich stand viel auf dem Spiel: Macht, Einfluß und Reichtum würden die unmittelbaren Folgen sein. Ein Fluß zeichnete sich ab. Eine Brücke. Der Schatten huschte über die riesigen Steine des trockenen Flußbe‐tes. Der GELBE PANTHER
jagte weiter. Weit voraus bewegte sich auf der leeren Straße ein Gefährt, des zwei kleine Staubwolken aufwirbelte. Es war wohl das Paar, das gestern nacht kontrolliert worden war. »Abschwenken. Nach links«, ordnete der Kommandant an. Keiner der Crynn‐Brigadisten war je einem Kampf aus dem Weg gegangen. In den meisten Fällen blieb ihre Organisation Sieger. Aber hier gab es keine Gelegenheit für eine Auseinandersetzung. Der Planet und seine Bewohner waren reine Nebensache. Nur dieses Objekt, von dem man munkelte, daß es seit mehr als einem halben Jahrhundert in dieser Galaxis herumspukte und inzwischen Teil von unzähligen Sagen und Legenden war, bedeutete Erfolg. Und sie fanden es nicht! Die Tarnung war vollkommen. Offensichtlich nicht, denn schon zweimal hatte der Thater Witterung aufnehmen können. Sie führte das Kommando stets in die Richtung, aber niemals weit genug und nicht nahe genug ans Ziel. Jedesmal war der Kontakt abgebrochen. Lag es an dem Kristall, oder war es seine Schuld? Diese Frage quälte den Kommandanten seit dem Zeitpunkt, an dem sein Schiff in den stabilen Orbit um Thorrat eingeschwenkt war. Die Suche ging weiter. Die Stadt am Ende der Straße tauchte auf. Sie lag zwischen hohen Hügeln und vor dem Bergzug, der diesen Teil des Kontinents durchschnitt wie eine dicke Naht, von Nord nach Süd. Die Maschine legte sich in eine weite Kurve und wurde abermals langsamer. Ein Schäfer! Das bedeutete eine große Herde. Gleichgültig, um welche Art Vieh es sich handelte – sie würde zu finden sein. Colder lehnte sich zurück und schloß die Augen. In ihm arbeitete es. Er war vom Mißerfolg und der langen Suche frustriert. »Sucht weiter. Findetʹ den Schäfer und seine Tiere«, sagte er halblaut. Seine Männer gehorchten ihm aufs Wort. Er und seine Mannschaft
hatten Einsätze hinter sich, von denen man im Kontagnat voller Bewunderung sprach. Und er schwor sich, auch hier nicht zu versagen. * Colemayn nickte bedächtig und hob seine gekrümmte Nase zum Himmel. »Das ist schon der zweite Gleiter, der uns beim Frühstücken stört«, bemerkte er nachlässig. »Unschöne Aufregung.« Er spuckte einen langen Strahl seines Kautabak‐Speichel‐ Gemisches ins Gebüsch und widmete sich der Zubereitung des morgendlichen Tees. Das Innere seines Rucksackes war offensichtlich unergründlich. Inzwischen wußte ich, daß es eine Zeltausrüstung, eine verrußte Kanne, Becher und Gewürze enthielt. Die Kanne stand auf dem Feuer, frisches Wasser summte darin, und eine Geruch nach würzigem Tee verbreitete sich, als er aus einer Dose Blätter und gebrochene Spitzen hineinschüttete. Der Rucksack, vielmehr eine Seitentasche, enthielt natürlich auch eine körnige Substanz – Zucker – und eine purpurne Frucht, die wie beste Zitrone schmeckte. Auf einem fast sauberen Tuch waren in Form kleiner Leckerbissen Teile unserer gemeinsamen Nahrungsmittelvorräte ausgebreitet. Alles sah so lecker aus wie von der Hand einer ausgezeichneten Hausfrau zubereitet. Es war ein Vergnügen, so zu frühstücken. Inzwischen brodelte der Holzkessel vor sich hin. »Aber wir sind nicht wieder besucht worden. Ein gutes Zeichen?« fragte ich. Auf seinem Rat hin hatte ich die silberne Montur mit Ruß geschwärzt und mit Stoffetzen noch besser getarnt und verändert. Ich ähnelte dem Fremden, der betäubt in den Acker auf Harborts Farm gefallen war, nur noch wenig. Von der Crynn‐Brigade hatte mich vorgestern jedenfalls keiner
gesehen. Vielleicht gab ein Thorrater die Beschreibung durch? Es war sogar durchaus wahrscheinlich. Überdies fielen wir beide durch unsere Größe auf. »Du kennst Alkordoom gut?« fragte ich, an den Baumstamm gelehnt und mit vollen Backen kauend. »Ja. Aber ich interessiere mich nicht für Politik und die Machtverhältnisse. Viel wichtiger sind die Planeten und deren Bewohner. Ich sagte es schon: Nie geschaute Bilder, nie erlebte Abenteuer am Rand der großen Straßen.« Für einen etwa achtzigjährigen Mann bewegte er sich viel zu kraftvoll, schnell und sicher. Zum erstenmal an diesem sonnigen Morgen schaltete sich der Logiksektor ein und quengelte: Ausgerechnet du, scheinbar fünfunddreißigjähriger Kristallprinz, mußt solcherart Berechnungen ausführen! Die Sonne hatte sich eben über den Horizont gehoben. Alle Regenwolken der Nacht waren weggeweht worden und hatten sich aufgelöst. Auf den Blattspitzen glitzerten Tausende und aber Tausende winziger Tropfen. Der Himmel war stählern blau. Es versprach ein heißer Tag zu werden. »Und du kochst, als würdest du den wahren Charakter einer jeden Speise kennen«, lobte ich ihn. Wieder war meine Hast erwacht. Ich wollte schnell weiter. Aber in Zeiten wie diesen, wo niemand wußte, wann er die nächste warme Mahlzeit bekommen würde, mußte ich mir Zeit, für ein geruhsames Frühstück nehmen. Außerdem zeigte Colemayn keinerlei Anzeichen übertriebener Eile. Er setzte seine Pudelmütze auf und entgegnete: »Ein Würzkräutlein hier, ein anderes drüben, und schon gibtʹs ein Essen, das alle lieben.« »Die Nacht aber hast du dich verhalten wie ein erfahrener Jäger.« »Danke.« Ich war dreimal aufgewacht, hatte frisches Holz ins Feuer geschoben und mit der Büchse im Anschlag eine Runde um unser Lager gezogen.
»Ich weiß mehr als die Crynn‐Brigade über das Objekt, das sie suchen. Das kann für uns ein Vorteil sein«, sagte ich. Erst als ich dem Klang meiner Stimme nachhorchte, analysierte ich, daß ich ihn in die Gemeinschaft einbezogen und abermals wichtiges Wissen unaufgefordert preisgegeben hatte. Und was war, wenn mich meine »Menschenkenntnis« wieder einmal täuschte? Der Extrasinn schwieg. Ich beendete mein Essen mit einem großen Schluck des starken, aufmunternden und außerordentlich wohlschmeckenden Tees und stand auf, nachdem ich alles zusammengepackt und die wenigen Reste ins Feuer geworfen hatte. »Gehen wir?« »In kurzer Zeit«, antwortete er. In der Art geübter Waldläufer, Planetentramps und kosmischer Weltenbummler löschten wir das Feuer, verstauten unsere wenigen Habseligkeiten griffbereit und schwangen uns ächzend in die zu kleine Fahrerkabine. Die Instrumente zeigten volle Betriebsbereitschaft an. Ich startete den Motor, der die friedliche Ruhe des Morgens durch den Krach seiner Explosionen störte, bog auf die Straße hinaus und fuhr weiter. »Vielleicht treffen wir heute abend den Schäfer. Dann gibt es frische Milch, Butter und kräutergewürzten, salzbestreuten und heftig stinkenden Käse«, freute sich Colemayn. »Dann gibt es ein Treffen mit einem Geschöpf namens ANIMA«, fügte ich hinzu. Bis Mittag ereignete sich nichts. Wir fuhren ständig der Straße nach und passierten im schnellen Wechsel Wald und freie Flächen, frische und aufgegebene Riesenfelder, Weiden und kleine Seen, wieder Wald unterschiedlichster Formen und abermals einen Flußlauf. Die Maschine arbeitete sich dröhnend, laut und hart stoßend und schlagend weiter nach Westen, in der Geschwindigkeit eines schnellen Läufers. Wir sahen ungeheure Vogelschwärme, unzählige Tiere aller
Größen und Farben, mit Fell und unbehaart. Schlangen ringelten sich in der Wärme in den Fahrspuren. Einmal kam uns ein staubbedecktes Gespann entgegen; ein riesiger Wagen, von acht Paaren kurzbeiniger, muskelstarrender Tiere mit zwei übereinanderstehenden Hörnern gezogen. Als uns der Führer dieses schwerbeladenen Wagens sah und erkannte, daß wir Fremde waren, machte er eine obszöne Geste und zielte mit seiner langen Peitsche auf uns. Ich erwiderte diesen Gruß mit einer interstellar bekannten und gültigen Antwort, ebenfalls in Zeichensprache, grinste ihn herausfordernd an und drückte auf das Horn. Die Tiere erschraken, warfen die Köpfe in die Höhe und galoppierten davon, den Wagen mit sich zerrend. »Ein Mann mit Erfahrung, höflich und angenehm im Umgang«, kommentierte Colemayn. »Man kann die Fremdenfeindlichkeit auch übertreiben«, sagte ich. »Und jetzt wirdʹs wieder gefährlich.« Ich wünschte mir einen schweren, altmodischen Blaster, eine energiereiche Zweihandwaffe. »Wir schaffen es auch diesmal!« sagte Colemayn bösartig knurrend. »Fahre weiter. Sie sind hier nicht zu Hause.« »Mit allem Respekt: wir auch nicht«, sagte ich und steuerte trotzdem geradeaus weiter. Uns kam ein Gleiter entgegen. Er schwebte gefährlich langsam etwa in Kniehöhe über der Straße. Seine zahlreichen Scheinwerfer glühten in verschiedenen Farben. Die Projektoren von Energiestrahlern waren auf uns gerichtet. Der Flugapparat, ähnlich denen, die wir flüchtig und dem, den wir genau gesehen hatten, hielt genau, auf uns zu. Ein Krachen war über das Geräusch des Motors zu hören. Die Außenlautsprecher schrien uns eine Aufforderung entgegen. Als erste Reaktion erhob sich aus den Büschen und Gräsern am Straßenrand ein riesiger Insektenschwarm, einige hundert Vögel, dazu hasenartige Tiere, die im Zickzack über die Straße rasten und
übereinanderfielen. »Anhalten, sonst schießen wir. Dringende Befragung durch eine Crynn‐Brigade.« Ich trat auf Bremsen und Kupplungspedal. Schaukelnd kam der Wagen zum Stehen. »Sitzenbleiben«, sagte Colemayn scharf. Auch seine Stimme bebte vor Zorn und Nervenanspannung. Wir warteten, bis rechts und links des Gleiters sich Türen öffneten. Die Maschine drehte sich langsam um neunzig Grad. Hinter ihr, in perfekter Deckung, bückte sich ein Gardist über seine kurzläufige Waffe. Ich las an der Flanke der Maschine den Namen RAUBMUSCHEL. »Was wollt ihr schon wieder von uns?« rief ich einem Wesen entgegen, das einem weiß und blutrot getigerten Raubtier ähnelte, aber auf den Hinterbeinen ging und breite Bänder aus Leder und Metall um den Körper trug. Die Pranke hielt ebenfalls eine Waffe. Unüberbietbare Arroganz und der feste Wille, den Rest des Universums als leichte Beute anzusehen, strahlten von diesem Wesen aus. »Kontrolle. Wer seid ihr?« Wir beugten uns ein wenig aus den Fenstern des Wagens und blickten in die goldfunkelnden Augen dieses Wesens. Ich wußte nicht, von welchem Planeten Alkordooms es kam. Aber es mußte ein männliches Exemplar sein. »Wir sind zwei Wanderer, die von einer Stadt zur anderen fahren und im Freien schlafen. Wen sucht ihr?« Ich würde den ersten Schuß haben. Meine rechte Hand lag am Abzug der Waffe. Ich brauchte sie nur hochzureißen, durchs Fenster zu schieben und abzudrücken. »Wir suchen einen riesigen Kristall. Er kann sich verwandeln.« »Wer immer du bist«, sagte Colemayn mit einschmeichelnder Stimme, die einen Berg von Selbstbeherrschung ausstrahlte und von Überzeugungskraft, die nicht viel geringer war, »mein Freund, wir
haben diesen Kristall nicht. Sieh in die Kabine, schau auf die Ladefläche – du wirst nur billige Kleinigkeiten und Selbstverständliches finden. Ziehe friedlich deines Weges und suche die Schurken an anderen Stellen, Orten und Umgebungen.« »Ihr habt nichts gesehen?« »Keinen Kristall. Ist er wertvoll? Wie groß ist er?« »Groß wie ein kleiner Berg. Er kann sich verwandeln und ist selbstbeweglich. Er ist in der Umgebung gelandet.« »Ich hörte nichts. Ich würde auch für einen Berg aus teuerstem Kristall keine Verwendung haben. Wie nennt er sich?« Unterhalb des Halses dieses Brigadisten baumelten Mikrophone, Funkgeräte und andere unbekannte Gerätschaften. Teile seines fellbedeckten Körpers waren von halbtransparenter Folie überzogen. »Keine Ahnung. Wir suchen es für die Facette Zulgea von Mesanthor, und wir sind die Spezialtruppen des Planeten Crynn.« »Wohlbekannt«, erwiderte ich und sah ein, daß keiner der Crynn‐ Leute wirklich wußte, was sich hinter ANI‐MA verbarg. Ich war noch immer im Vorteil. »Habt ihr einen Silbernen gesehen? Einen Fremden im silberfarbenen Anzug?« erkundigte sich der Brigadist. »Wirklich nicht. Es ist undenkbar, daß jemand in einem solch verrückten Aufzug herumläuft.« »Er war in Edolhyt.« »Dort waren wir auch vor einigen Tagen. Wir sahen ihn nicht«, gab der Sternentramp Bescheid. Unverändert blieben mindestens drei Waffen auf uns gerichtet. Mir wurde jetzt klar, daß trotz aller Feindseligkeit ein Thorrater die Crynn‐Brigade mit Informationen versorgt haben mußte. Die augenblickliche Situation war, auch wegen Colemayns Unerschütterlichkeit, eine verwirrende Mischung zwischen Aufregung und gesteigerter Nervosität und einer seltsamen, mir kaum bekannten Ruhe. Makaber! Dieser Ausdruck paßte und
beschrieb meine Lage ziemlich exakt. »Ihr habt tatsächlich in diesem winzigen Kaff den Fremden nicht gesehen?« rief mit kehliger Stimme das Raubtierwesen. Wir schüttelten beide gleichzeitig unsere Köpfe. »Nein.« Es gab also einen Verräter. Männer wie Kosh Unterseyn würden rasend werden, wenn sie von diesem Umstand erfuhren. »Wohin fahrt ihr?« Colemayn nannte den Namen der Stadt. »Was habt ihr dort zu tun?« Diesmal antwortete ich. »Wir schreiben Reiseberichte. Wir haben einige Planeten besucht und bemühen uns, anderen Reisenden gute und richtige Informationen in die Hand zu geben, damit sie nicht ausgeplündert werden.« Mißtrauen herrschte auf beiden Seiten. Meine Verkleidung war also ausreichend. In ihrer arroganten Art übersahen die Mitglieder der Crynn‐Brigade, daß ich unter der dünnen Rußschicht einen silberfarbenen Anzug trug. »Meldet uns, wenn ihr etwas über eine Kristallkugel erfahrt.« Diesmal schaltete sich mein Begleiter ein und erklärte wortreich und in ungetrübt guter Laune: »Wie sollen wir das anfangen? Feuer mit Rauchzeichen? Oder ihr gebt uns ein Nachrichtengerät, mit dem wir euch über Funk erreichen können.« »Wir bleiben auf euren Spuren. Wir sind aufmerksam. Setzt euren Weg fort und gebt irgendein Zeichen, das uns aufmerksam werden läßt. Ihr werdet reich belohnt.« »Womit?« fragte Colemayn trocken. »Mit Beweisen der Gunst von der Hexe von Zulgea.« Ich erkundigte mich, inzwischen etwas ruhiger geworden: »Dürfen wir weiterfahren?« »Ihr habt unsere Erlaubnis.«
»Wenn das der Bürgermeister von Edolhyt wüßte«, wagte ich einzuwenden, »dann würde er euch ultimativ auffordern, eure Aktivitäten schnellstmöglich einzustellen.« »Er weiß es bis heute nicht«, lautete die hochtrabende Antwort. Wir warteten abermals. Die Brigadisten gingen zum Gleiter zurück, stiegen ein, und das Fluggerät verschwand. Wir schauten uns in die Augen, stießen Laute der Zufriedenheit aus und lehnten uns, so gut es ging, zurück. Dann startete ich das Gefährt und fuhr weiter, immer der Straße nach. Kilometer um Kilometer legten wir zurück. Wir zogen immer wieder die Karte zu Rate. Die Beschreibung und alle entsprechenden Symbole waren ziemlich zutreffend, obwohl die handgezeichnete Karte einen Vergleich mit professionellen Ausarbeitungen keineswegs aushielt. Vielleicht schaffen wir es tatsächlich, noch an diesem Tag Amheyr, den Schäfer, zu finden und zu befragen. Meine Ungeduld wuchs. Aber bis zum frühen Abend belästigte uns niemand mehr. Wir machten eine kurze Rast, dehnten und entspannten unsere verkrampften Muskeln, tranken Wein und aßen von unserem Proviant. Noch immer keine Spur von ANIMA! 5. Ein Schäfer in dieser Gegend war ein erstaunlicher Mann. Er mußte es sein, um überleben zu können. Die beiden Herden Amheyrs waren ziemlich groß. Vierhundert Tiere umfaßte die Herde der kleinen, milchgebenden und wolletragenden Precore. Zweihundert und ein paar mehr die gehörnten Vaccas.
Hunde umsprangen die Tiere und trieben sie aus dem Pferch. Langsam verteilten sie sich über die freien Flächen. Auf einem Hügel hatte sich Amheyr seine Hütte gebaut. Dort standen auch die Wagen, die er jedes Jahr dazu benutzte, um seine Ware und alle seine Gerätschaften von der Stadt hierher und wieder zurück zu schaffen. Amheyr stieß eine Reihe schriller Pfiffe aus. Die Treibhunde gehorchten sofort. Sie rannten zum Gatter, und einer öffnete das Tor, indem er an einem Knotenende riß. Die Vaccas stießen und rempelten und rannten dann hinter den verschiedenen Leittieren her. Jetzt konnte er sich wieder ausruhen. Die Tiere waren gemolken, die Milch befand sich in den großen Bottichen. Amheyr steckte sich seine erste Pfeife an und kletterte auf den Hochsitz. Die Landschaft war ideal für die Weidewirtschaft; eine unendliche Kette kleiner, runder Hügel, bewachsen mit bestem Gras, durchflossen von zwei Bächen. Jahr um Jahr hatten die Tiere die Flächen freigehalten und die verwilderten Teile in die Richtung auf die Straße hin leergefressen. So bekamen die Bäume mehr Licht und Luft und konnten besser wachsen. Eines Tages würde es ein wenig abseits der Straße einen Bauernhof geben. Und er war der Besitzer. Der Standort war schon ausgesucht worden. Langsam drehte der thorratische Herdenfachmann den Kopf und suchte die Stelle wiederzufinden. Aber er sah, daß auf dem schmalen Pfad ein Wagen daherkam. Noch war er zu weit entfernt, als daß er den Motor hören oder die Insassen sehen konnte. »Wird wohl Unterseyn mit seinen Männern sein. Wegen dem Kristall«, murmelte der Schäfer und erzeugte Rauchwolken aus seiner Pfeife. Er war eineinhalb Tage ernsthaft unruhig gewesen. Als der riesige Felsblock auftauchte, rasten die Tiere in wilder Panik auseinander, und es dauerte für ihn und die Hunde lange, sie zu beruhigen und
zusammenzutreiben. »Blödes Felsding!« knurrte er und sah neugierig dem Wagen entgegen. Dazu kamen diese kleinen und großen Gleiter, die ständig auftauchten und mit heulendem Fluggeräusch die Tiere erschreckten. Er hatte schon zwei Frühgeburten gehabt; nur ein Precor hatte es überlebt. Jetzt hörte er den Motor. Unverkennbar die alte Holzkiste des Bürgermeisters. Sie wurde auf seinen Berg gesteuert und erklomm die Serpentinen bis zur Hütte. Die Stille, als der Motor sein hämmerndes Geräusch aufgab, war eine Erholung. Amheyr stand breitbeinig da und sah überrascht, wie zwei riesige Männer ausstiegen. Sie waren nicht von Thorrat. »Wir suchen Amheyr, den Schäfer«, sagte der Fellgekleidete freundlich in Alkordisch. Ebenso gelassen antwortete der Schäfer: »Ihr habt ihn gefunden. Kommt ihr von Unterseyn?« Er sah, daß der eine Fremde mit dem seltsameren Gewand sich suchend umblickte. Seine Augen folgten den Konturen der Hügel und verweilten niemals lange auf einem Punkt. »Ihr sucht die Felskugel?« fragte der Schäfer. * Ich konnte sie nicht entdecken. Ich sah nur herumrennende Hunde, grüne Grasflächen und die vielfarbigen Punkte der Tiere. »Ich suche die Felskugel«, antworte ich. »Ich bin Fartuloon.« »Ich nenne mich Colemayn und helfe ihm dabei.« »Grüße von Unterseyn. Kosh dankt dir für die Nachricht. Statt eines Briefvogels hat er mich geschickt.« »Gut so.« Ich vermochte meine Ungeduld nicht mehr zu zügeln. Der Schäfer, der in einem grobgestrickten Mantel steckte, lud uns mit einer
großartigen Bewegung in seine Behausung ein. Wir kamen an den gepreßten Wollballen vorbei, an flachen Pfannen, in denen Käse gerann und an zahlreichen Gerätschaften zur Verwertung der tierischen Produkte. »Willkommen. Ein Glas kühle Milch, mit Beerensaft gesüßt. Macht die Sinne aufmerksam«, erklärte Amheyr und stellte schließlich drei riesige Becher aus fein poliertem Holz auf die Platte des niedrigen Tisches. Sie ruhte auf einem kantigen Steinblock. »Erzähle mir über die Steinkugel. Sie hat einen Namen. Sie heißt ANIMA!« sagte ich. Die Milch schmeckte ausgezeichnet. »Sie kam nachts und rollte mit fürchterlichem Geräusch zwischen die Herden. Dort unten am Bachbett könnt ihr die Spuren noch sehen.« »Was tatest du?« Er zuckte die Schultern. »Ich verfluchte das Ding. Erst am Morgen sah ich es genau. Fast rund, mit der Oberfläche von Felsen. Hat man sowas schon einmal gesehen?« »Nein«, sagte ich. Colemayn hörte aufmerksam zu. »Und was geschah daraufhin?« »Als ob mich, wie nennst du es, ANIMA, verstanden hätte – der Felsen stieg lautlos in die Höhe. Er schwebte bis hinter diesen Hügel. Dort ist Wald. Als ich nachschaute, war dort ein moosbedeckter Berg, halb so groß wie dieser Hügel hier.« »Ein Moosberg!« staunte ich. »Nicht schlecht. ANIMA muß sich verbergen.« »Vor den Fremden in den Gleiterbooten, nicht wahr?« »Es ist ein bewaffnetes Suchkommando vom Planeten Crynn«, erklärte der Sternentramp. »Die Thorrater, die ich traf, sind böse wegen dieser Sache. Sie sagen, je schneller das gesuchte Objekt und die Verfolger weg sind, desto eher herrscht wieder Ruhe.« »Ihr habt einen mehr gefunden, der dieser Meinung ist«, erwiderte der Hirt feierlich.
»Zeige mir den Weg zum Moosberg. Können wir Koshs stählernes Ungeheuer nehmen?« »Keine Schwierigkeit. Aber der Moosberg ist nicht mehr dort.« Ich zuckte zurück und verschüttete beinahe meine Milch. »Wie?« Keine Aufregung beschwor mich der Logiksektor. Der Schäfer ist euch wohlgesinnt. Amheyr meinte: »Fliegende Felsen, Berge aus Moos, es geschieht Seltsames. Ich habe dort hinten einen Melkstand. Im Morgengrauen sah ich, wie der Berg aus Moos weiterflog. Er sah so aus:« Er beschrieb eine Halbkugel, deren größere Krümmung oben lag. »Wohin flog ANIMA?« »Ins Bergland. Ich sah, daß sie in der Waldschlucht niederging. Bis dorthin könnt ihr fahren.« »Dann entschuldige uns. Ich habe es eilig«, sagte ich. Wir tauschten feste Händedrücke. Ich drehte mich noch einmal um und meinte: »Du wirst tun, was du für richtig hältst. Aber wir sind sicher, daß in Edolhyt ein Verräter sitzt. Wie sonst würden die Fremden so schnell herbeigerufen worden sein?« »Also keine Brieftaube?« »Ich meine, es ist besser, noch keine Nachricht an Kosh zu geben. Oder eine verschlüsselte Warnung, die nur er lesen kann.« »Ich überlege es mir. Kommt ihr zurück?« »Wenn es irgend geht.« Der Motor sprang unwillig an. Wir fuhren die halsbrecherischen Kurven wieder abwärts und folgten dem Weg, den uns der Hirte genau beschrieben hatte. Die Treibhunde kläfften uns wütend nach. »Die Crynn‐Brigadisten suchen ebenso verzweifelt wie wir. Durch ständigen Wechsel des Standorts hängt ANIMA die Gleiter immer wieder ab.« »Von Nachteil«, antwortete mir der Sternentramp, »ist nur, daß sie
sich uns dabei nicht nähert.« Wir folgen der neuen Spur. Binnen zwei Stunden, in denen wir einmal Holz nachfüllten, veränderte sich die Gegend mehr als in den vergangenen Tagen. Die sanften Hügel gingen in felsiges Bergland über. Schluchten öffneten sich, voller Wasserfälle und mit dichtem Wald ausgefüllt. Zwischen den Steinbrocken gab es festen Untergrund: Sand gemischt mit Kies und den Nadeln der Bäume. Immer wieder fuhren wir praktisch zwischen Baumstämmen daher. Die Pfade folgten dem Weg des geringsten Widerstands und waren wohl von den Herdentieren festgetreten worden. »Ich kann ANIMA nicht sehen«, meinte Colemayn gespannt. »Kannst du sie nicht irgendwie spüren?« »Nein. Nur dann, wenn ANIMA Botschaften an mich ausstrahlt. Aber das wird sie deswegen nicht riskieren, weil sie fürchtet, die Crynn‐Leute anzulocken.« »Oder sie ist von der Jagd verwirrt und müde.« »Durchaus möglich.« Wir kletterten mit keuchender Maschine einen Hang aufwärts und kamen auf ein leeres Plateau. Schräg vor uns und unter uns, aber schon im Bereich eines mächtigen Bergstockes, zeichneten sich weitere Schluchten ab. Ich hielt an und wollte aussteigen. »Denke an die Brigadisten«, rief Colemayn. Im selben Augenblick sah ich durch die Scheibe etwas aufblitzen. Ein Gleiter raste entlang des Berghangs in unsere Richtung. Ob die Insassen uns gesehen hatten, war fraglich. Aber sie waren auf derselben Spur wie wir. Ab und zu gab der Schütze einen Feuerstrahl ab. Die blendende Energie traf auf den Fels und schlug in Bäume ein. Explosionen und Rauchwolken entstanden. Colemayn sprang aus der Kabine und wuchtete seinen Rucksack von der Ladefläche. Er schmetterte die Tür zu und brüllte: »Der Weg ist zu Ende. Lasse den Wagen geradeaus weiterfahren.
Springe dort in die Deckung ab.« Er zeigte auf eine Gruppe Büsche und Felsen an meiner linken Seite. Ich verstand genau was er wollte. Ich kuppelte, der Gang krachte ins jaulende Getriebe, und der Wagen fuhr schneller werdend geradeaus. Ich öffnete die Tür, zog die Büchse an mich und hob den Sack auf den Nebensitz. Als ich kurz vor den dunkelgrünen Büschen war, hechtete ich hinaus und stieß mich vom Trittbrett ab. Ich schützte mein Gesicht durch den Sack und den stählernen Flintenlauf und verschwand in den Zweigen und Blättern des Gebüschs. Ich verstaute den Sack, richtete mich auf und schob die Zweige auseinander. Ich konnte die gesamte Szenerie überblicken. Der Gleiter schwebte heran. Er feuerte auf alles, was sich bewegte und auch auf Dinge, die wohl zerstört wurden, um ANIMA zu irgendeiner Verwandlungsreaktion zu zwingen. Längst hatten sie den Wagen gesehen. Das Sonnenlicht spiegelte sich in der Scheibe. Ein mächtiger Energieschuß schlug in die Fahrerkabine ein und sprengte sie in weißglühenden Flammen und einer dunkelroten Glutwolke auseinander. Dann detonierte der Holzgastank, von einem zweiten Schuß getroffen. Eisenteile wirbelten wie Geschosse durch die Luft, der Donner der Detonation widerhallte von den Felswänden. Lautlos war Colemayn neben mir aufgetaucht. »Es ist der Gleiter KORALLE«, sagte er. »Sie haben unsere Tarnung wohl endgültig durchschaut.« »Das weiß ich spätestens jetzt«, antwortete ich. Keine hundertfünfzig Meter weiter glühten die Reste des Holzgasfährzeugs aus. Der Gleiter fegte dicht über unsere Köpfe dahin. »Aber wo ist ANIMA?« Der Kommandant hatte also gemerkt, daß er mehrfach genarrt worden war. Ich wiederum war als Fremder, der ANIMA suchte und finden konnte, klar identifiziert. Also suchten sie auch mich. Welche Rolle Colemayn in ihren Überlegungen spielte, konnte ich
mir denken. Wenn sie auf mich schossen, war es ihnen gleich, ob sie dabei auch ihn trafen. »Ich habe mitgezählt. Die vierte Schlucht. Also ist es die dort vorn, mit den hellroten Felsüberhängen.« »Einverstanden. Unsere Karte verbrannte ebenso wie der Karren.« »Sie war von nur geringem künstlerischem Wert«, tröstete er mich. Ich warf den Sack über meine Schulter und ging voraus. Ich versuchte, jede mögliche Deckung zu nutzen, denn der Gleiter würde zurückkommen. Hoffentlich waren die Crynn‐Brigadisten der festen Meinung, auch uns getötet zu haben. »Schneller!« rief Colemayn hinter mir. Ich hastete, immer wieder nach hinten und oben sichernd, zwischen den Felsen hindurch, über Geröll und unter den Zweigen von windzerzausten und verkrüppelten Bäumen entlang. Es gab keinen Pfad mehr. Die KORALLE, etwa fünf Meter lang, war in unserem Rücken verschwunden, aber unablässig hörten wir das Geräusch der Schüsse und Einschläge. »Sie kommen zurück.« »Dann haben sie ANIMA tatsächlich entdeckt!« rief ich unterdrückt. Wir kletterten und hasteten auf dem Hang weiter. Er lag gegenüber den Schluchteingängen und war von diesen durch ein Sims getrennt, das annähernd waagrecht verlief, einmal breiter und wieder schmäler wurde. Auf dieser Fläche waren wir deutlich sichtbar und ungeschützt. Es wurde heißer. Die Sonne stand hoch und strahlte fast senkrecht in die hellen Felsen hinunter. Aber wir näherten uns der bezeichneten Schlucht und ANIMA. »Deckung.« Wir warfen uns zu Boden, zwischen die Felsen, und drehten uns herum. Die KORALLE schwebte einige Meter von uns entfernt auf die Schlucht zu. Über den Resten des Wagens und dem schwelenden Krater hielt das Beiboot an. Das Raubtierwesen stieg aus und untersuchte die nähere Umgebung des zerschmolzenen
Wracks. »Sie suchen nach Beweisen für unseren Tod«, flüsterte der Hakennasige. »Ich hoffe, sie finden welche. Aber wie fanden sie ANIMA? Sie müssen etwas haben, das sie dorthin geführt hat.« »Ich weiß es nicht.« Möglicherweise gab es einen Spezialisten, der mit Psi‐Kräften ausgerüstet war. Aber sie waren wohl nicht zuverlässig. Denn sonst hätten sie den Kristall binnen weniger Stunden gefunden. Der Brigadist stieg ein. Plötzlich schien er von Aufregung erfüllt zu sein. Der Gleiter schoß los, raste in einem kühnen Halbkreis auf die Schlucht los und verschwand zwischen den Gewächsen an den Felsrändern. »Hinterher, schnell!« Wir sprangen auf, bahnten uns einen Weg durch kratzendes Gestrüpp und überquerten mit großen Sätzen das flache Stück. Hoch über uns hörten wir das orgelnde Geräusch eines Beiboots, das sich in rasendem Flug befand. Wir rannten auf die Schlucht zu und waren nach hundert Metern wieder gegen direkte Sicht geschützt. Keuchend und schwitzend blieben wir stehen. »Dort!« sagte ich und zeigte nach vorn. Hinter den verkrüppelten Stämmen der Bäume sahen wir ein halbkugeliges Etwas, das sich an den Boden der Schlucht schmiegte und überall von dunkelgrünem, dickem Moos bedeckt war. Einige Bäume breiteten ihre Zweige über ANIMA aus; die Tarnung war sehr gut. Das bedeutet, daß die Brigade den genauen Platz eben erst erfahren hat, sagte das Extrahirn. Colemayn munkelte: »Wir trennen uns. Ich gehe dort herum und versuche, etwas mehr zu erfahren. Vielleicht fällt mir auch etwas Originelles ein, um dir zu helfen. Oder ANIMA zu helfen.« »Dann bleibe ich auf dieser Seite. Danke, Tramp.« Er winkte, zuckte die Schultern und verlagerte damit den Sitz
seines Rucksackes. Raschelnd glitt er davon. Wieder zweifelte ich an seinem scheinbaren Alter, aber ich hatte Wichtigeres zu tun. Tief geduckt schlich ich auf den Moosberg zu. Er hatte einen Durchmesser von mehr als zwanzig Metern. Schräg über einem Haufen herabgestürzter Felsbrocken schwebte die KORALLE. An beiden Seiten der Kabine waren Projektoren ausgefahren worden. In der Luft hing das Zittern eines starken Aggregates. Ich spürte nichts von der Ausstrahlung ANIMAS. Merkte sie, daß ich in der Nähe war? Aus den Projektoren zuckten fächerförmige Strahlen von kirschroter Farbe. Zwei Vögel gerieten in den Bereich des Strahls, der sich auf ANIMA richtete. Sie zuckten mitten im Flug zusammen und stürzten regungslos ab. »Paralysatoren«, entfuhr es mir. »Sie nageln sie am Boden fest.« Ich tastete mich weiter voran und deponierte meinen Ledersack an einer Stelle, an der ich ihn mühelos wieder finden konnte. Als ich mich an einem Punkt etwa zwischen dem schwebenden Gleiter und dem Moosberg befand, veränderte ANIMA ihr Aussehen. 6. Die Zeit des Leidens, der Einsamkeit, der Verzweiflung … Wann hört sie endlich auf? Gehetzt und versteckt, gejagt und kurze Tage oder Stunden der Ruhe. Ich, ANIMA, bin zur Sage Alkordooms geworden – ruhelos, von einem Ort zum anderen, in immer neuen Verkleidungen und Veränderungen. Und jetzt haben sie mich wieder gelähmt. Sie versuchen, mich willenlos zu machen. Es wird ihnen nicht gelingen, meinen Willen zu brechen, aber sie können mich unbeweglich halten. Als der Gleiter kam, spürte ich auch, daß sich Atlan näherte.
Als ich eine Botschaft nur an ihn allein formierte, schnitten die Lähmstrahlen diese Möglichkeit ab. Ich muß mir etwas anderes überlegen. Zuerst aber kommt, wieder einmal, ein bewußter Willensakt des Plasmas, aus dem ich bestehe. Erneute Verwandlung! So sieht es von außen aus: ANIMA, die Schlummernde, verliert ihre dunkelgrüne Farbe. Das Pseudomoos verformt sich langsam. Aus den feinen Härchen wird eine harte, schwer zu zerstörende Schicht. Gleichzeitig überziehen Sprünge und Risse meinen Augenkörper. Er zieht sich um einen geringen Betrag zusammen. Ich, das lebende Raumschiff, schaffe mit der Kraft meines Geistes eine Veränderung, die fast ohne Nachdenken oder verstandesmäßige Anstrengung abläuft. Ich stelle fest, daß mich die Nähe eines weiteren Helfers der Kosmokraten beflügelt und neu hoffen läßt. Atlan. Irgendwo dort draußen ist er. Inzwischen habe ich mich für die Augen eines jeden stehenden Wesens in massiven Fels verwandelt. Dennoch treffen unaufhörlich die paralysierenden Strahlen der Brigadisten auf meine Zellen. Ich verfüge über keine Bewaffnung. Sonst wäre es einfach, sich der Angreifer zu erwehren. Wie kann ich meinen Auftrag erfüllen? Die Kosmokraten schickten mich vor vielen Jahren hierher, um die Gefahren kennenzulernen, die in Alkordoom im Entstehen begriffen waren und größer geworden sind. Oh! Ich habe unendlich viel gesehen und gespeichert. Auf meiner langen Hetzjagd durch Sternensysteme und Planetenoberflächen lernte ich vieles kennen. Die vielfältigen Formen des Lebens. Liebenswürdigkeit wie Grausamkeit, Hoffnungslosigkeit und Frieden. Ich kann mich nicht öffnen, um Atlan einzulassen. Hat er meine damalige Botschaft verstanden? Ich zweifle nicht daran. Man mußte uns einfach zusammenbringen. Wir ergänzen einander ausgezeichnet. Ich warte, bis sich an den Umständen etwas ändert. Unbeweglich.
Inzwischen konstruiere ich mit viel Mühe einen Nachrichtenträger. Ich muß etwas tun. Zeit vergeht … * Ich hob die schwere Büchse hoch und ließ sie enttäuscht wieder sinken. Mit diesem Feuerprügel gegen einen bewaffneten Gleiter? Es war sinnlos. Wenn sie die Paralysatoren abschalteten, konnte ANIMA handeln. Langsam senkte sich der Gleiter und fuhr Landestützen aus, die sich knirschend an den Steinen festfraßen. Eine Tür glitt auf. Mit einem Sprung schnellte sich das mähnenbestückte Raubtierwesen heraus und bewegte sich schnell und sicher auf ANIMA zu. Ein wild zerklüftetes Stück Fels, klobig und kantig, von rund fünfzehn Metern Durchmesser. In diese Form hatte sich das denkende Raumschiff verwandelt. Die Aufschrift KORALLE war in weniger als zwanzig Metern Entfernung mehr als deutlich zu lesen. Aus der offenen Tür, nur wenig übertönt durch das starke Summen, kamen Fragen, Antworten und Funksprüche der Crynn‐ Brigade. »… spricht der Kommandant. Ich bin im Anflug …« »GELBER ADLER, melden. Eine erste Untersuchung wird durchgeführt …« »Verstanden. Ich rufe KORALLE und PANTHER. Die geschilderten Maße sind günstig. Das Objekt findet in unseren Laderäumen Platz.« Sie wollten das Schiff landen und ANIMA abtransportieren! Es mußte etwas geschehen. Ich war waffenlos und hatte keine Chance gegen diese Mannschaft aus schätzungsweise sieben oder mehr Mitgliedern.
»Hier spricht Loth Colder«, hörte ich eine andere Stimme. »Schleust alle Gleiter außer der KORALLE und der PANTHER ein und bereitet euch auf eine planetare Landung vor.« »Verstanden, Kommandant.« »… nehmen wir mit. Die Hexe soll auf Crynn entscheiden, was damit passieren soll …« »Beste Möglichkeit. Alles klar.« »Keine unnötige Hast. Den Mann mit dem Sender brauchen wir auch nicht mehr. Das Ding ist bewegungsunfähig.« »Ende. Ich komme.« Die Stimme des Kommandanten klang ähnlich wie die des Thaters Kennennick, sagte ich mir. Die Rücksichtslosigkeit der Crynn‐ Brigadisten erfuhr also dadurch klare Motivierung. Das Raubkatzenwesen kletterte außerhalb der beiden Paralysatorstrahlenbündel auf dem Fels herum und untersuchte, ob es zwischen den fremden Objekt und dem Fels an der Schluchtwand eine Schnittstelle gab. »Ich kann nichts feststellen«, rief er in eines seiner Geräte. Ein dickes Bündel tentakelartiger Arme bewegte sich aus der offenen Tür. An den Enden der vielfarbigen, etwa unterarmlangen Pseudopodien saßen schillernde Sinnesorgane. Eine hohle Stimme aus dem Inneren dieses seltsamen Bündels rief zurück: »Brauchst du Hilfe?« »Ich wüßte nicht wozu. Wir müssen das Objekt mit Strahlen aus dem Fels brechen.« »Warten wir, bis der Thater da ist.« »Klar. Er soll entscheiden.« Von der Bergwand jenseits von ANIMA löste sich ein faustgroßer Steinbrocken, fiel herunter und schlug krachend gegen vorstehende Felsenteile. Dann landete er dumpf irgendwo im Unterholz. Das Geräusch ließ uns alle zusammenschrecken. Aber der Vorgang wurde auch von mir als harmlos empfunden. In meiner Nähe bewegte sich etwas.
Ich hob den Kopf und starrte blinzelnd in diese Richtung. Zuerst, als der Gleiter in die Schlucht eingeschwebt war, flüchteten die Tiere. Jetzt schien sich eines aus dem Bau hervorzuwagen. Ein bepelztes, etwa kaninchengroßes Tier mit einem Muster aus Graugelb und Grün. Fast nicht von der Umgebung zu unterscheiden, kroch langsam auf mich zu. Ich blieb bewegungslos liegen und blickte es an. Große, dunkelblaue Augen blickten lidlos zurück. Dann ertönte ein zischendes Flüstern. »ANIMA«, verstand ich. Ich streckte behutsam die Hand aus. Geschwächt und halb paralysiert bewegte das Tierchen die Gliedmaßen und erreichte schließlich meine Finger. Ich hob es auf und spürte einerseits einen zähen Widerstand, andererseits, daß es viel zu schwer für seine Größe war. Ich flüsterte nach einem Blick zum Gleiter hinüber: »Was willst du? Habe ich richtig verstanden? ANIMA?« »Ja … keine … andere … Möglichkeit!« Aus dem Nagetiermund des Tierchens kamen langsame Worte. Ich begann zu verstehen. Aus dem Rücken des Tierchens wuchs ein dünner Faden, der zum Boden herunterhing und sich gespannt hatte, als ich das Pseudotier zu mir herangeholt hatte. »Sage nur ja oder nein«, drängte ich. ANIMA hatte es fertiggebracht, einen Ableger zu schaffen und hierher fernzusteuern. Sie wußte also, wer ich war und an welcher Stelle ich mich befand. Noch eine Information mehr, die mich beruhigte. »Ja.« Das Tierchen nickte kaum wahrnehmbar. Der Logiksektor sagte: Zellsubstanz von ANIMA! »ANIMA will, daß ich mich ihr nähere.« »Ja. Mehr.« »Daß ich von ihr eingeschlossen werde.« »Ja.« »Ich soll in ihren Körper hineingehen.«
»Ja.« »Aber sie kann sich nicht bewegen, solange die Paralysatoren eingeschaltet sind.« »Ja.« Eigentlich sprach ich nicht mit einem Sendboten oder Kurier, sondern mit einem Teil des Raumschiffes. Also konnte ich mich direkt mit ihr unterhalten. »Ich werde versuchen, etwas zu unternehmen. Kannst du sehen, was draußen vorgeht?« »Ja. Eingeschränkt.« »Du leidest unter dem Paralysebeschuß und kannst dich nicht rühren.« »Ja.« »Du weißt, daß wir zu zweit sind. Colemayn verbirgt sich auf der anderen Seite der Schlucht.« »Kenne ihn lange.« Sehr interessant, kommentierte der Logiksektor. Ich überlegte und kam zu einem Entschluß. »Hör genau zu. Wir versuchen, irgendwie die Crynn‐Brigade abzulenken. Wir haben es mit zwei Gleitern zu tun. In der Verwirrung, die dabei entsteht, mußt du dich schnell öffnen. Eine deutlich sichtbare Stelle für Colemayn und mich.« »Ja.« Die Umrisse des Tierchens fingen zu verschwimmen an, stabilisierten sich wieder und zitterten dann. Offensichtlich verließ ANIMA die Kraft, einen solchen Ableger stabilisieren zu können. »Gut. Zieh dich jetzt wieder zurück und verfolge genau die Vorgänge außerhalb deines Körpers. Wir werden dann schnell starten müssen.« »Geschütze ANIMA keine Angst. Ich halte aus.« Jedes einzelne Wort kam gequält und wie unter unsagbaren Schmerzen hervor. Meine Erregung war schuld daran, daß ich die anschwellenden Geräusche in dem engen Tal nicht richtig deutete. Das Tier löste sich auf und glitt von meiner Hand. Aus den haarfeinen Fäden wurde ein schlangengleiches Etwas, das sich in
einzelnen Rucken zurückzog und über Felsen, Nadeln und durch Spalten glitt. Ich war wieder allein und hörte das typische Geräusch, mit dem sich der riesige Gleiter mit der Aufschrift GELBER PANTHER auf den Sims senkte. Gleichzeitig ertönte das tiefe, satte Brummen eines anderen Typs von Antriebsquelle. Ich hob meinen Kopf aus dem Gebüsch und sah einen gelb lackierten Wagen, offensichtlich aus den Werkstätten Thorrats. Er besaß sechs riesige Reifen, einen gedrungenen Fahrerstand und ein überdimensioniertes Motorteil. Der Holzgasofen fehlte. Also besaßen die Thorrater noch höher entwickelte Antriebsquellen. Ich wußte es ja: Sie waren clevere Kerlchen, die sich nicht in die Karten schauen ließen. Aus dem schweren Gleiter des Kommandanten ergoß sich eine Gruppe von mindestens einem Dutzend verschiedenen Wesen, wie mir schien. Natürlich erkannte ich zwei der Raubtierwesen und den Thater. Und aus dem motorgetriebenen Fahrzeug, das die Strecke zwischen Edolhyt und hier binnen weniger Stunden zurückgelegt haben mußte, kamen der Bürgermeister, seine beiden Stellvertreter und etliche andere Thorrater. Jeder von ihnen war mit einem schweren Zweihandstrahler bewaffnet. Kosh Unterseyn schrie, hochrot vor Zorn und mit durchdringender Stimme: »Runter von unserem Planeten! Ihr könnt Unheil anrichten.« Das Interesse aller Brigadisten wandte sich der Gruppe aus Edolhyt zu, die auf den Kommandogleiter zuschritt. Die Waffenmündungen waren auf die Leute von Crynn gerichtet. Neben mir fiel ein Stein ins Gebüsch. Ich hob ihn auf, als ich erkannte, daß Papier darum gewickelt war. Colemayns Nachricht lautete: »Wir sind entdeckt. Ich lenke sie ab. Du nimmst den Gleiter. Schnell.« Ich nickte, falls er in meine Richtung sehen sollte. Gleichzeitig
hörte ich, wie an mehreren Stellen wieder Felsbrocken herunterfielen oder zu zerbrechen schienen. Der Thater schrie Befehle, die KORALLE entließ zwei weitere Wesen, deren Aussehen so bizarr war, daß ich sie nicht richtig wahrnahm. Sie bewegten sich, bewaffnet natürlich, auf die beiden Gruppen außerhalb der Schlucht zu. Ich hob die Waffe hoch, spannte den Hahn und wußte, daß ich nur fünf Schuß abgeben konnte. Laujonk Corbiere stand zwischen der PANTHER und seinen Leuten, schrie unverständliche Worte und machte beschwichtigende Bewegungen. Dreißig Meter von mir entfernt stand Colemayn auf. Sein langer Arm beschrieb einen rasend schnellen Halbkreis. Er schleuderte mit erstaunlicher Kraft etwas, das so groß wie eine Faust war, in die Richtung auf Colder und die anderen. Das Geschoß beschrieb eine Parabel von mehr als fünfzig Metern Weite, und einen Sekundenbruchteil, bevor es den Boden berührte, explodierte es mit einem gewaltigen Donnerschlag und einem blendenden Blitz. Ich kam auf die Füße, spannte meine Muskeln und schnellte mich mit zehn, zwölf Sätzen auf die offene Gleitertür zu. Auch das gegenüberliegende Schott war offen. Dort hantierte ein Wesen. Es fuhr herum, richtete die Waffe auf mich und wurde von meinem Schuß getroffen und aus der Kabine gefegt. Ich schoß den Raubtiermann mit dem blutrot‐weiß‐getigerten Fell nieder, der von ANIMA her zweimal auf mich gefeuert hatte. Rings um mich ertönten ebenso laute, ohrenbetäubende Detonationen. Es mußten mehr als fünf gewesen sein. Ich war fast an der Gleitertür, als sich zwischen den Sitzen ein Crynn‐Brigadist auf mich warf. Ich schlug mit dem Lauf der Waffe zu und zog mich ins Innere. Nur undeutlich merkte ich, daß sich aus den scheinbaren Felsbrocken dichter, schwarzer Rauch erhob und von den Detonationsdruckwellen blitzschnell verteilt wurde. Von hinten flog
ein kreischendes Bündel aus Krallen, einem fauchenden Rachen und langen weißen Zähnen auf mich zu. Ich erwischte den Gardisten, indem ich mich duckte, ihn am Nacken zu fassen bekam und aus dem Gleiter schleuderte. Das Bündel aus Augen, Ohren und hundert oder mehr Tentakeln wieselte an mir vorbei und ließ sich aus der Öffnung kippen. Ein schneller Rundblick. Noch hatte ich einen Schuß. Ich war allein. Wirklich? Am Armaturenbrett entdeckte ich Tastschalter, die in hellem Rot blinkten. Durch den Rauch hindurch zeichneten sich deutlich die Paralysestrahlen ab. Ich sah um mich herum nichts mehr. »Colemayn! Hierher!« schrie ich und kippte die Schalter aufs Geratewohl Die Paralyseprojektoren schalteten sich aus. Der Pilotensessel war ebenso klein wie der im Holzgasmobil. Ich versuchte, so schnell wie möglich die Steuerung zu verstehen. Gleiter und Maschinen der Galaxis Alkordoom waren nicht mehr neu. Ich zog und drückte die richtigen Hebel. Der Gleiter schwebte hoch und geradeaus. Inzwischen hatte sich der Talkessel mit dem dunklen Rauch gefüllt. Ich mußte husten, als er durch die offene Tür hereindrang. Langsam bewegte sich das schwebende Gerät. Ich fürchtete, gegen den Fels zu stoßen, in den sich ANIMA verwandelt hatte. Wieder schrie ich Colemayns Namen. Er antwortete nicht, aber von draußen hörte ich den Lärm von Energieschüssen, Flüche in zehn unterschiedlichen Stimmlagen, Kommandos und abermals die dröhnenden Entladungen der Energiewaffen. Noch immer traf der Bug des Gleiters nicht auf Widerstand. Ich war wirklich nur geradeaus geflogen, genau auf ANIMA zu. Einen Moment lähmte mich die Furcht, daß ich falsch geschätzt und mich in dem Rauch um einige Meter geirrt hatte. Nur die vagen Umrisse eines großen, runden Loches zeichneten sich draußen ab. Ich bewegte mich auf das Innere einer Höhle zu.
Langsam bewegte sich der Gleiter geradeaus und passierte den Rahmen. Durch den Rauch schimmerten helle Kreise auf. Ich drehte den Kopf und erkannte schemenhaft, daß sich hinter dem Gleiter die Ränder des Loches zusammenzogen. Eine Ruhe wie seit langem nicht mehr kam über mich. Ich schaltete sämtliche Maschinen ab und hoffte, daß Colemayn sich in Sicherheit hatte bringen können. Dann spürte ich, wie sich der Körper, der mich und den Gleiter umschloß, rasch bewegte. Er schien sich zu verformen. Sekundenlang preßte mich der Andruck in den Sessel der Crynn‐ Maschine. Der schwarze Rauch verzog sich, als ob er von ANIMAS Zellen absorbiert werden würde. In der glatten Wandung einer sanft gerundeten Höhle bildete sich eine halbkugelige Ausbuchtung, die in mehreren Farben pulsierte. Eine unverkennbar weibliche Stimme sagte: »Ich bin ANIMA, die Schlummernde. Willkommen im Plasmakörper deiner neuen Weggefährtin. Ich bin dein lebendes Raumschiff, das dich überall dort hinbringt, wohin du willst. Und das geschieht in der Schnelligkeit eines Gedankens. Willkommen. Die Zeit der Leiden ist vorbei.« Die sanften Rundungen, diese mundartige Sprechstelle, die Farben und der Klang der Stimme – ANIMA war eine Sie. Unverkennbar weiblich. »Danke für dein Willkommen. Es war knapp.« »Zutreffend. Ich bestehe aus etwa einhundertfünfzig Tonnen Plasma und kann mein Inneres nach deinen Wünschen modifizieren. Was kann ich zuerst für dich tun?« »Schaffe eine Öffnung, damit ich sehen kann, wo wir uns befinden. Auf dem Weg in den Weltraum, denke ich.« »Sofort.« Ein erstaunlicher Vorgang lief unmittelbar vor mir ab. Es bildete sich ein konkaver Einschnitt, der sich leicht geschwungen zu einem Gang erweitete. Der Gang, ebenfalls mit gerundeten Übergängen, war zwei Meter hoch und etwas mehr als einen Meter bereit.
Ich folgte ihm etwa fünf Schritt weit und sah zu, wie sich vor mir eine runde, transparente Luke bildete. Ich blickte auf die beleuchtete Halbkugel eines Planeten hinunter. Thorrat. Ich atmete voller Erleichterung tief ein und aus. Wieder einmal bist du in Sicherheit, Arkonide, sagte der Extrasinn. »Es war ein langer, dornenreicher Weg bis hierher«, sagte ich. Dann: »ANIMA. Bevor wir uns in Ruhe kennenlernen, folgende Instruktionen: Ich möchte, daß du dem Raumschiff und den Gleitern der Crynn‐ Brigade keinerlei Chancen läßt, uns zu fassen.« »Das ist auch mein Bestreben. Wir sind Werkzeuge der Kosmokraten. Meine Hülle ist, wenn ich es will, fast unzerstörbar. Ich habe keine Waffen. Aber selbst schwersten Energiebeschuß übersteht mein Körper mühelos. Ich bin also, was eine Form der Auseinandersetzung angeht, ein passiv reagierendes Element.« »Soll mir recht sein. Ich richte mich danach«, sagte ich. »Ich möchte später noch einmal zurück nach Thorrat. An dieselbe Stelle, an der wir uns trafen. Oder, wenn es notwendig sein sollte, an einen anderen Ort.« »Du brauchst nur deine Wünsche zu äußern.« »Fürs erste bleibe ich im Gleiter. Die KORALLE hat sicher für mich viele wichtige Einrichtungen. Ist es möglich, innerhalb dieses Plasmakörpers so etwas wie ein Apartment oder einen bewohnbaren Steuerstand einzurichten? Ich fliege nicht gern unausgeschlafen und blind durch das Universum.« Die Frauenstimme entgegnete schmeichelnd: »Ich mache einen Vorentwurf. Die KORALLE werde ich im Zentrum des Plasmas deponieren. Wahrscheinlich ist es zweckmäßig, die Nachrichtentechnik des Gleiters mit meinen Eigenschaften zu kombinieren.« »Man wird sehen«, antwortete ich ein wenig verwirrt. Bisher hatte sich unser Kennenlernen auf einzelne Punkte des Überlebens beschränkt. Mit einem weiblich strukturierten Raumschiff auf
gemeinsame Abenteuer zu gehen, würde sicherlich für beide Teile spannend werden. Und strapaziös. 7. Endlich ist es so, wie ich es ersehnte und erträumte! Endlich: Meine Träume sind wahr geworden. Ich behüte und beschütze einen Vertrauten der Kosmokraten. Schon beim ersten Kontakt war er mir mehr als sympathisch. Dabei weiß ich nicht einmal seinen Namen. Also richte ich eine Frage an ihn. »Hier spricht die Schlummernde, Fremder. Wie heißt du?« Aus der Tiefe der Gänge und neu geschaffenen Kammern neben dem Gleiterhangar ertönt seine kräftige Stimme. »Ich bin Atlan.« »Verstanden. Du bist ein Mann, nicht wahr?« Sein Lachen entzückte mich. Nach all den schweren Jahren habe ich endlich einen Mann in näherer Reichweite. Ich werde schöne und aufregende Zeiten mit ihm zusammen erleben. Ich möchte, daß er es so bequem und angenehm wie möglich hat. »Ist die Schwerkraft in mir richtig?« »Ziemlich genau der Wert, den ich gewöhnt bin«, sagte er entspannt. Atlan! Welch ein interessanter Name. Ich beobachte ihn. Er ist noch unter dem fragwürdigen Schutz einer sehr unvollkommenen Maske. Schmutzspuren, durchzogen von Schweißtropfen, zeichnen sein markantes, absolut männliches Gesicht. »So, wie ich mein Inneres nach meinem Willen und deinen Vorstellungen gestalten kann«, erklärte ich und schlage einen rasend schnellen Orbit um Thorrat ein, verliere aber nie das angegebene nächste Ziel aus den Augen, »erzeuge ich auch für dich,
und nur für dich, eine frische, atembare Lufthülle und genau die Schwerkraftverhältnisse, die du dir wünscht.« Ich wartete auf seine klare Antwort. Es ist, als gäbe es jetzt endlich eine Schulter, an die ich mich lehnen kann. »Es könnte um zwei, drei Grad kühler sein«, sagte mein neuer Herr/Gefährte. »Und eine Spur, vielleicht zehn Prozent, weniger schwer. Kannst du das einrichten?« »Ich bin schon dabei«, versicherte ich fröhlich. Es war herrlich, eine Aufgabe zu haben und sich nach klaren Anordnungen richten zu können. Ich weiß, daß ich manchmal wie fast alle weiblichen Hälften einer Rasse reagiere, und möglicherweise dies auch in einer altehrwürdigen Form. Ich hatte in meinem Innern Gänge, Kammern und leuchtende Flächen erzeugt. Atlan konnte innerhalb meiner neuen Form Spazierengehen. Er hatte genügend Licht und an jeder nur denkbaren Stelle eine optische Luke nach draußen. Inzwischen versuchte ich, zu den Geräten der KORALLE sinnesähnliche Verbindungen herzustellen. Dieses Problem würde auch erst später erledigt werden können. Ich konnte mir unschwer vorstellen, daß Atlan sich über mich und meine Möglichkeiten Gedanken machte. Schließlich würde sein Überleben in der ereignisreichen Zukunft zu einem guten Teil von mir abhängen. Ich hatte meine Form und mein Aussehen geändert. Es war wie das Auffrischen des Make‐ups nach einer unendlich langen Pause. Ein reines Vergnügen. Ich stellte mich nicht mehr länger als Felskugel, als gezackter Kristall oder als moosbedeckte Halbkugel dar, sondern als langgezogene Spindel. Die Färbung meiner äußersten Hüllenschicht war silbergrau. Wieder fragte Atlan. »Woher beziehst du die Energien, die deine Fortbewegung ermöglichen und alle Verwandlungen und Formveränderungen im
Innern?« Ich brauchte nicht lange nachzudenken, um antworten zu können: »Ich weiß es selbst nicht, Atlan, aber von Zeit zu Zeit lade ich mich selbst auf. Ich spüre dies deutlich. Es mag sein, wie du denkst.« »Was denke ich, deiner Meinung nach?« Ich bewies Schlagfertigkeit und überlegenes technisches Teilwissen. Überhaupt war mein Wissen stellenweise lückenhaft, stellenweise absolut perfekt. »Du fragst dich, ob ich bewußt oder unbewußt das höhere Energieniveau des Überraumes oder der Hyperräume anzapfe. So wird es wohl sein. Beunruhige dich nicht, mein Freund«, erwiderte ich. »Warum nicht?« »Weil ich bis zum heutigen Tag allen Überfällen und Beschießungen standgehalten habe. Mein Überlebenspotential ist passiv ausgerichtet, aber geriet noch niemals wirklich an seine Grenzen.« Normalerweise, in den Ruhephasen, sah ich aus wie eine rund fünfundvierzig Meter durchmessende Kugel. Ich konnte mich bis etwa zwanzig Meter zusammenziehen oder mich bis zu hundert Metern ausdehnen. In der Form, in der ich gerade den kümmerlichen Planeten umrundete, war ich spindelförmig, etwa fünfzehn Meter dick und hundert Meter lang. Einer meiner Nachteile ist, daß ich als frauliches Geschöpf zu gefühlsbetont bin. Ich glaube, daß es deswegen mit dem nüchternen Mann Atlan Schwierigkeiten geben kann. Also frage ich: »Überall, wohin du gehst und wo du dich befindest, erzeuge ich Sprechstellen oder Kontaktknoten.« »Das wird unseren verbalen Verkehr ungemein erleichtern«, erwiderte er knapp. Ich bewundere ihn! Er ist so überzeugend und voll von Wissen und Kenntnissen, die ich nicht habe. »Willst du nicht wissen, wie ich mich im Weltraum orientiere?
Schließlich werde ich mit dir hierhin und dorthin fliegen müssen.« Er bewies Humor; eine Eigenschaft, die auch mich auszeichnete. »Meist dorthin. Also. Sprich.« »Ich besitze keine Ortungssysteme. Wenn diejenigen des Gleiters KORALLE in mein Plasma integriert sind, ändert sich das. Mein Orientierungssinn arbeitet rein instinktiv, ist aber sehr zielsicher.« »Die Kosmokraten«, stellte er fest, »haben uns zusammengebracht. Sie werden gewußt haben, daß wir uns fabelhaft ergänzen.« »Über die Gefahren in Alkordoom müssen wir noch sprechen«, versicherte ich und arbeitete weiter daran, den Komfort Atlans in meinem langgestreckten Körper zu verbessern. Ich wurde seit etwa acht Jahrzehnten immer gejagt. Oft war ich gelähmt gewesen. Oder, um mich zu retten, hatte ich mich in einen toten Brocken irgendeiner Materie verwandelt. Ich war ein Schlammsee gewesen und ein Stück Wald. Auch ein Riesenkristall, zur Unbeweglichkeit verurteilt. Jetzt war diese schreckliche Zeit vorbei. ANIMA, die Schlummernde, war erwacht. Ein Leben voller zielgerichteter Bewegungen begann jetzt. * Kosh Unterseyn zitterte vor Wut. Er richtete die Waffe auf den Thater und brüllte: »Was fällt euch ein, unsere Tiere zu töten und uns zu erschrecken? Ihr seid nicht die Herren dieses Planeten.« »Beruhige dich, Mann!« rief Laujonk beschwörend. »Sie sind bewaffnet!« »Wir auch.« Die Gruppe der Stadtobersten ging auf den schweren Gleiter zu. Der Kommandant breitete die Arme aus und bedeutete seinen Männern auszusteigen und hinter der Maschine in Deckung zu
gehen. »Zurück! Wir tun euch nichts. Wir suchen den Fremden und das Kristallobjekt«, schrie der Crynn‐Kommandant zurück. Er spürte, daß die kleinen Männer vor einem gewalttätigen Ausbruch standen. »Woher wißt ihr eigentlich, daß das Objekt hier ist? Auf Thorrat?« rief Unterseyn. Er tobte, seit er die Botschaft des Schäfers erhalten hatte. Dann hatte er sich entschlossen, einem Fremden etwas zu zeigen, das nur die wichtigsten Leute kannten. Das Fahrzeug, mit dem sie über die Straßen gerast waren, hatte eine ganz andere Antriebsquelle. Destillat aus Erdöl war im Tank, und der Motor leistete viel mehr als die Holzgaser. »Man hat uns benachrichtigt«, sagte Colder und richtete seinen Blick auf Laujonk. »Und in einer Stunde sind wir verschwunden. Geht weg. Ihr macht euch unglücklich.« »Wir töten euch ebenso wie ihr uns«, rief Moster Urleyt. »Gebt zu, daß ein Verräter auch angefunkt hat. Mit einem verborgenen Gerät.« »Nichts geben wir zu.« Die beiden Gruppen hatten sich bis auf Schußentfernung genähert und kamen weiter aufeinander zu. Und plötzlich schien das Inferno zu beginnen. Eine Detonation warf fast alle Wesen um. Sie waren halb geblendet. Energiewaffen wurden ziellos abgefeuert, und die schweren Gewehre der Thorater gingen los. Dann breitete sich mit überraschender Schnelligkeit ein grauer und schwarzer Nebel aus. Er war überall gleichzeitig. Und auch aus dem Einschnitt der Schlucht war Lärm zu hören und eine Reihe von ebenso lauten Detonationen. »Bleibt liegen!« befahl der Bürgermeister mit letzter Kraft. »Wehrt euch. Sie wollen uns übertölpeln.« »Ich kann nicht mehr«, hustete Urleyt. Sie versuchten, aus dem Bereich des Nebels herauszulaufen. Hilflos und blind taumelten und torkelten sie umher. Kosh erreichte seinen Wagen und schlug sich dabei die Schienbeine wund. Hier hatte sich der Rauch schon ein
wenig gelichtet. Links nahm der Bürgermeister schattenhafte Bewegungen wahr. Im Bereich der Schlucht waren noch immer unerklärliche Vorgänge mit seltsamen Geräuschen verbunden. Mit tränenden Augen, hustend und keuchend, drehte sich Kosh herum und versuchte, ein Ziel für seine Waffe zu finden. Ein großer Gegenstand, größer als das Bürgerhaus in Edolhyt, kam geräuschlos aus der Schlucht heraus. Der Windstoß, den das Objekt beim Aufsteigen erzeugte, lichtete den Nebel noch mehr. Der Bürgermeister und Moster Urleyt, der mit einer Brandwunde an der Schulter den Wagen erreichte, sahen den riesigen Fremdling. Er veränderte die Form. Zuerst hatte er ausgesehen wie Felsgestein. Jetzt wurde die Hülle silbergrau, fast so wie die Montur des anderen Fremden. Der kugelige Körper streckte sich zur Spindel. Mit einem gewaltigen Ruck jagte das Objekt in den blauen Himmel hinauf. Atemlos starrten die Thorrater dem Gegenstand nach. Schließlich bemerkte Unterseyn: »Der Fremde Atlan hat tatsächlich Wort gehalten. Die Felskugel oder was immer es war, sie ist endgültig weg.« »Ob er darin ist?« »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, er hat uns nicht getäuscht.« Hinter ihnen hörten sie erregte Stimmen. Fremdwesen und Thorrater stolperten heran. Unverkennbar war Corbieres Stimme, der dem Thater antwortete. »… konnte euch nicht benachrichtigen. Es ging alles so schnell. Und mich hat Kosh nicht gehen lassen …« »… hast versagt.« Der Thater und Unterseyns Stellvertreter tauchten aus dem Nebel auf. Mit Moster wechselte der Bürgermeister einen langen, schweigenden Blick. Blitzschnell hatten sie begriffen, daß sich ihr Verdacht bewahrheitet hatte. Unterseyn richtete die Waffe auf Laujonk Corbiere, dessen Gesicht eine gefleckte Gelbfärbung
angenommen hatte. »Du also bist der Verräter«, sagte er eisig. »Und mit dem da steckst du unter einer Decke!« Der Kommandant drehte unruhig den Kopf. Es war unverhältnismäßig still im Talkessel. Kosh sagte: »Das silbergraue Raumschiff ist soeben davongeflogen. Es verwandelte sich in eine Spindel. Der Fremde, den ihr sucht, ist im Raumschiff. Ihr habt nichts mehr zu suchen hier. Haut endlich ab.« Er sicherte sein Gewehr und ging zu dem hochrädrigen Wagen. Überall hatte sich der schwarze Rauch als feines Pulver niedergeschlagen. Auch Hände, Kleidung und Gesichter der Männer und der Crynn‐Brigadisten waren schmutzig. »Das warʹs!« bemerkte Moster. »Wir besuchen den Schäfer, und dann geht das Leben so weiter, wie wir es gewohnt sind«, bestimmte der Bürgermeister. Sie achteten nicht auf die fremden Wesen, die sich um den großen Gleiter versammelten. Aus dem Einschnitt kamen einige Fremde heraus. Sie hinkten und waren verwundet. »Die KORALLE!« schrie Loth Colder plötzlich auf und rannte auf die Felsblöcke zu, auf denen das kleine Beiboot gestanden war. »Weg! Verschwunden!« Die Thorrater stießen ein häßliches Gelächter aus. Immer wieder rief der Funker des Raumschiffs nach dem Kommandanten. Es dauerte weniger als zwanzig Minuten, bis alle Crynn‐Brigadisten sich in der GELBEN PANTHER versammelt hatten. Sie brachten auch einige Tote oder bewußtlose Männer mit sich. Dann startete die PANTHER und raste dem anderen Raumschiff hinterher. * Lange blickte ihnen der Bürgermeister nach.
»Hoffentlich kommen sie niemals wieder. Ich habe genug von solchen Aufregungen.« Sie zogen den dicken Korken und ließen den Weinschlauch umhergehen. Corbiere, der zweimal die Hand vorgestreckt hatte, wagte nicht, den Hals des Schlauches zu packen. Die anderen Männer beachteten ihn gar nicht. »He! Laßt mir was übrig!« rief eine Stimme zwischen den Bäumen hervor. Überrascht fuhren die Thorrater herum. Der Sternentramp kam aus der Schlucht heraufgeklettert. Er trug seinen Rucksack und spie einen Strahl des Kautabaks auf den sandigen Boden. »Es hat ja alles genau geklappt, wie es sich der Chronist als glücklicher Ausgang vorzustellen hat«, meinte er fröhlich. Sein dunkelrotes Gesicht glänzte vor Schweiß. Mit breitem Grinsen nahm er den Schlauch entgegen und ließ den Wein geschickt in einem dünnen, gluckernden Strahl in den weit geöffneten Mund rinnen. »Warst du das etwa?« fragte Unterseyn vage. Colemayn nickte. Er war zwei Tage lang der Liebling aller Kinder gewesen, drüben in Edolhyt. »Ich habe Atlan etwas geholfen, richtig«, gab er zu. »Ich hoffe ihr habt nichts dagegen, daß ich meine Wandertage noch ein wenig auf eurer schönen Welt verbringe.« Kosh nickte feierlich. »Fremde wie du und, mit Einschränkungen, auch solche wie Atlan, sind gern gesehene Gäste. Bleibe, solange du willst.« »Danke.« Die Männer drangen ihn, ihnen zu erzählen, wie er diese Detonation und den Nebel erzeugt hatte. Er ließ sich kaum darüber aus und versicherte ihnen, daß es ihm einen vorzüglichen Spaß bereitet habe, zuzusehen, wie Atlan den Gleiter stahl und ihn als Beiboot in jenes lebende Raumschiff hineingesteuert hatte. »Aber die Brigadisten mit ihrem Schiff werden ANIMA verfolgen!«
Er hatte ihnen den Namen des Schiffes genannt. Colemayn schüttelte den Kopf und lachte kurz. »ANIMA und ich sind auf höchst wunderliche Weise alte Bekannte. Sie ist schnell wie ein Gedanke. Die Crynn‐Brigadisten haben keine Chance, das Schiff jemals einzuholen. Und ANIMA wird sich, denke ich, schwerlich noch einmal fangen lassen.« Plötzlich bewegte sich Laujonk. Er hatte sich zu einem Entschluß durchgerungen. Er riß seine Waffe vom Rücken und schwenkte sie hin und her. »Weg vom Wagen!« keuchte er. Wortlos starrten ihn die anderen an. »Was willst du wirklich, du Verräter?« frage Urleyt verächtlich. »Den Wagen.« »Du wirst ihn nicht bekommen«, versicherte ein anderer. Vorsichtig ging der Sternentramp ein paar Schritte zu Seite. Kosh stand neben der offenen Wagentür, packte seine Waffe und entsicherte sie mit einem Daumendruck. »Er will zurück in die Stadt und die Crynn‐Leute wieder anfunken. Versprich dir nichts davon. Sie werden dich nicht holen!« »Doch! Sie werden. Ich bin ihnen wichtiger als euer ganzer schimmeliger Planet voller Hinterwäldler.« In einer einzigen Bewegung richtete sich der Bürgermeister auf, brachte das Gewehr in Anschlag und feuerte, den Kolben in der Ellenbeuge. Das schwere Geschoß traf den Verräter in die Brust und schleuderte seinen Körper einige Meter weit rückwärts. Bewegungslos lag er zwischen den Felsen. »Das ist genau, was ich mir als Bürgermeister immer gewünscht habe«, schloß Kosh bitter seine Gedanken ab. »Die eigenen Leute erschießen müssen. Was hat ihn, frage ich euch, dazu getrieben, Verbindungsmann der Hexe zu werden?« »Reich und glücklich ist er dabei nicht geworden.« Sie hoben den Köper auf und schleppten ihn zum Wagen. Er
wurde auf die winzige Ladefläche neben den festgezurrten Treibstoffkanister gelegt. Als sie mit dieser Arbeit fertig waren, stellten sie fest, daß Colemayn verschwunden war. Urleyt schickte ihm einen Gruß hinterher. »Wenn er will, wird er sich uns zeigen.« Sie kletterten in den Wagen, wendeten ihn mit einigen Schwierigkeiten an einer zu schmalen Stelle und fuhren zurück zum Hirten. Amheyr bewirtete sie für diese Nacht, und am Mittag des nächsten Tages waren sie wieder in ihrer kleinen, braven, arbeitsamen Siedlung. Es schien ihnen allen, daß nunmehr die aufregenden Tage vorbei waren. * Werde nicht übermütig, mahnte mich der Logiksektor. Ich schüttelte mich. Zum nächsten Kontaktknoten sagte ich: »Dringend brauche ich ein Bad und Reinigungsutensilien. Ich werde zuerst nachsehen, wie wertvoll und reichhaltig die Innenausstattung der KORALLE ist.« »Für alles wird gesorgt werden. Mit dem einen oder anderen Wunsch habe ich vielleicht gewisse Anfangsschwierigkeiten«, erwiderte ANIMA. »Schwierigkeiten sind dazu da, aus dem Weg geräumt zu werden. Wo steckt das Schiff der Crynn‐Brigade?« »Es versuchte erst, mir zu folgen. Aber ich entführte dich und mich in Blitzeseile in Gebiete des Raumes, in die sie nicht mehr folgen konnten. Wohin jetzt?« »Langsam zurück nach Thorrat«, sagte ich und ging auf den Gleiter zu. Das Fluggerät war in hervorragendem Zustand, offensichtlich noch nicht sehr alt. Ich vertiefte mich in die Anzeigen und Schalter. Ich montierte einen der Thater‐Sessel aus und ersetzte den kleinen des früheren Piloten.
Ich fand einige Handwaffen, aber keine fest eingebaute Bewaffnung. Dafür hatten sie mir ein ausgezeichnetes Nahortungssystem hinterlassen und ein kombiniertes und redundant angelegtes Normalfunk‐ und Hypergerät. Die andere technische Ausstattung hielt sich im Rahmen dessen, was jedes Raumschiff‐Beiboot brauchte. Die Notwendigkeiten einer Crynn‐ Brigadistengruppe, die aus Wesen mit unterschiedlichen Metabolismen sich zusammensetzte, brachten es mit sich, daß sich im Boot Einrichtungen befanden, die ich nicht brauchen konnte. Dafür gab es andere, die einen unerwarteten Luxus darstellten. Die KORALLE würde mir beste Dienste leisten können. Ich beendete vorläufig meine Untersuchung und fühlte, daß ich müde wurde und hungrig war. Den Sack mit den Nahrungsmitteln hatte ich in der Schlucht liegenlassen müssen. Kosh Unterseyn verkauft dir sicher Brot, Wein und Käse, flüsterte sarkastisch der Logiksektor. Du solltest lieber versuchen, richtete ich den dringenden Befehl an das Extrahirn, mit ANIMA direkten Kontakt aufzunehmen! Es gab keinen weiteren Kommentar. Die Umgebung der KORALLE blieb stabil. Nach einigen Änderungen hatten wir uns für diese Form entschlossen. Später würde ein organisches Äquivalent für eine Schleuse notwenig werden. An vielen Stellen hatte ANIMA leuchtende Flächen erzeugt. Sie verliefen unregelmäßig, in Streifen und geschwungenen Linien. Im Innern des lebenden Raumschiffs herrschte eine milde Helligkeit, die den Augen schmeichelte und beruhigend wirkte. Daran brauchte ich nichts zu ändern. Ich setzte mich auf den gerundeten Bug des Gleiters und überlegte. Transportmittel und Gesprächspartner für die nächste Zeit – das war im gegebenen Zustand ANIMA für mich. Ihre Geschichte würde ich später kennenlernen. Anderes war
wichtiger. Und da ich genügend Phantasie hatte, um mir vorstellen zu können, daß rund achtzig Jahre innerhalb der Galaxis Alkordoom für einen weiblich ausgelegten Organismus von höchster Intelligenz, wie ihn ANIMA zweifellos darstellte, eine Überfülle von Erlebnissen erbracht haben mußten – da ich das wußte, würde ANIMA eine unersetzliche Bibliothek sein, ein reichhaltiger Datenspeicher. Diese seltsame Sonnenhäufung NGG 1256 im Perseus‐Haufen hielt für uns beide noch manche Überraschung parat. Ein Kontaktknoten begann zu »arbeiten«. »Atlan?« »Ich höre, ANIMA?« »Wir sind auf dem Weg nach Thorrat.« »Ausgezeichnet. Eine Frage in diesem Zusammenhang. Wie schnell bist du eigentlich bei interstellaren Flügen und Sprüngen?« »Weniger schnell als der Gedanke, Atlan.« »Was bedeutet das genauer?« Sie zögerte etwas mit der Antwort. »Grundsätzlich bin ich rasend schnell. So schnell wie ein langsamer, genau vorbereiteter Gedanke. Aber diese Überlegungen brauchen Zeit, und es gibt auch für mich physikalische Grenzen.« »Zum Beispiel Beschleunigen und Abbremsen, nicht wahr?« »Richtig. Sonst würde bei einer Landung nahe lebenden Objekten alles getötet und vernichtet. Luftdruck und so weiter, du verstehst.« »Ich bemühe mich.« Für die kurze Zeit, in der wir »zusammen« waren, funktionierte unsere Partnerschaft recht zuverlässig und reibungslos. Wieder wandte ich mich an den Kontaktknoten. Ich war sicher, daß ANIMA noch viel mehr Möglichkeiten hatte, mich zu beobachten oder mit mir in Verbindung zu treten. Das bedeutete, sagte ich mir, daß ich vermutlich niemals wirklich allein war. »Bringe mich zurück nach Edolhyt auf Thorrat. Lande langsam
und am hellen Tage. Erschrecke die Planetarier nicht. Ich möchte mit dem Sternentramp in Verbindung bleiben.« »Lege dich schlafen. Ich habe Wasser bereitgestellt. Dort, das dunkle Signal.« Ich folgte dem dunklen Pfeil, der mich zu einer schmalen Öffnung in der nächsten Wand brachte. Dort fand ich, was ich brauchte. Eine halbe Stunde später streckte ich mich – vorläufig zog ich noch diese Lösung vor – in dem flach ausgeklappten Sessel des Piloten der KORALLE aus. »Schlafe unbesorgt«, vernahm ich, leiser werdend, ihre Stimme. »Die Brigadisten sind weg.« »Geht in Ordnung«, murmelte ich schläfrig und entspannte mich. * Die Schatten zeigten mir, daß es später Vormittag war. Ich stand vor einer mannsgroßen durchsichtigen Wand. Rechts und links davon hatte das Schiff Handgriffe entstehen lassen. Wir kamen langsam von Osten auf die Siedlung zu, etwa hundert Meter über den Feldern, Äckern und Weiden. Diesmal rannten die Thorrater nicht davon. Sie blieben stehen und deuteten zu uns hinauf. Die Sonne strahlte von der hellgrausilbernen glatten Oberfläche der Kugel, in die sich ANIMA zurückentwickelt hatte. Ich fand mich mühsam im Gewirr der Straßen und Häuser zurecht und sagte: »Schwebe von Süden auf das Haus mit den steilen Giebeln und der Uhr darauf zu. Das ist das Bürgerhaus.« »Ich werde sehr behutsam sein und auch den Boden nicht beschädigen.« ANIMA ging tiefer und verringerte das Tempo. Aus einigen Häusern rannten die Leute heraus. ANIMA landete am Rand einer Straße. Ich stellte fest, daß in der
kleinen Siedlung Frieden und Ruhe herrschten. Also lag keine Bedrohung mehr über Edolhyt und Thorrat. »Du willst hinaus?« »Natürlich. Es wird nicht lange dauern. Dann geht es zu neuen Zielen.« In der durchsichtigen Fläche erschien ein winziges Loch, dessen winzige Ränder sich auseinanderzogen. Ich stand etwa im unteren Drittel einer vollkommenen Kugel. Dann hatte sich die Fläche vollständig geöffnet. Das Schiff bildete einen fingerartigen Vorsprung aus, der unmittelbar unter der Öffnung begann und bis zur Erde reichte. Stufen erschienen im hellen Zellmaterial. ANIMA war wirklich ein erstaunlicher Organismus. Ich hob die Schußwaffe auf und ging die Stufen der Treppe hinunter. Ich schaute mich um und sah, daß sich aus dem Kugelkörper drei Füße gebildet hatten. Sie berührten an drei Stellen den Boden und stützten die Kugel ab. Ich erreichte den Boden und ging auf das Bürgerhaus zu. Jetzt erkannte ich die Umgebung wieder. Die Tür wurde aufgerissen, und Kosh Unterseyn rannte heraus. »Ich bin nur für einen kurzen Abschied gekommen!« rief ich, um erst gar nicht neues Mißtrauen aufkommen zu lassen. »Und diese siegreiche Waffe bringe ich zurück.« Er rief: »Willkommen, Atlan. Wenigstens ist keiner erschreckt worden.« Wir trafen uns vor der Treppe des Hauses, schüttelten uns die Hände, und ich gab ihm die Waffe zurück. Er grinste und meinte, während sich langsam ein lockerer Kreis neugieriger Edolhyter versammelte: »Der vernichtete Wagen ist der größte Verlust. Natürlich, ihr könnt nichts dafür. Das also ist das Raumschiff, das du gesucht hast!« »Und es suchte mich ebenso, wie ich inzwischen weiß«, antwortete
ich. »Wie endete es für euch Thorrater?« Er berichtete mir, was sie gesehen und erlebt hatten. Die Schlucht war wieder leer, der Hirte molk seine Milchtiere, und die Crynn‐ Brigade hatte sich entfernt. In der Zukunft gab es niemanden mehr, der sie herbeirufen würde, denn man hatte Laujonk Corbieres Versteck gefunden und den Sender. Das Gerät wurde sofort zerstört. »Das ist die Erklärung für vieles«, sagte ich. »Du hast gesehen, daß alle Störenfriede euren Planeten verlassen haben. Wo ist der Sternentramp Colemayn?« »Weg.« Ich stutzte. »Wie darf ich das verstehen?« Kosh erzählte mir von der kurzen Unterhaltung, die er mit diesem seltsamen Mann gehabt hatte. Auch für ihn war es unverständlich geblieben, daß sich der Weltenwanderer mehr oder weniger grußlos verabschiedet, sozusagen spurlos verschwunden war. Er fuhr fort: »Natürlich sind wir dir dankbar, daß du unsere Probleme gelöst hast.« »Ich handelte höchst eigennützig.« »Weiß ich. Trotzdem. Und … nichts mehr von Colemayn gesehen oder gehört?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, leider. Er hat überlebt und machte sich aus dem Staub. Ich denke, daß er nach einer langen Wanderung Thorrat wieder verlassen wird. Aber es kann ja auch alles andere vorgefallen sein. Was ist in diesen Zeiten schon mit Bestimmtheit zu sagen?« Ich breitete halb ratlos die Arme aus und antworte: »Zumindest habe ich bei euch Freundschaft und Fairneß gefunden. Was ich brauche, ist etwas Proviant. Das seltsame Raumschiff dort hat gewisse verständliche Schwierigkeiten.« Ich griff in die Tasche meines sorgfältig gereinigten Kleidungsstückes und brachte einen Siebener zum Vorschein.
Unterseyn winkte ab und brummte: »Komm mit. Soviel Entgegenkommen kann sich ein armer Bauernplanet gerade noch leisten.« Ich folgte ihm ins Bürgerhaus. Mit ein paar grimmigen, aber wohl nicht ganz ernst gemeinten Anordnungen versuchte er seine Stadtbürger wieder an die Arbeit zu treiben. Binnen kurzer Zeit war abermals ein lederner Sack gepackt. Er enthielt die besten Leckerbissen, Bier und Wein in dickbauchigen Tonkrügen. »Ich danke dir«, sagte ich. »Und ich hoffe daß ihr die Ruhe behalten werdet, die ihr braucht. Und ich hoffe weiterhin, daß sich die Zeiten so weit ändern oder vielmehr bessern, daß ihr nicht mehr mit diesen stinkenden Holzgaskarren umherfahren müßt.« »Diese Hoffnung ist, wie gesagt, unser Luxus.« Ich hob den Sack auf, verabschiedete mich und behielt den Eindruck zurück, daß wir als Freunde schieden. Langsam stieg ich Stufe um Stufe zurück ins Raumschiff und in die Höhlung aus ineinandergleitenden Hohlkörpern, deren Wandungen in modischen Farben und aparten Mustern gehalten waren. Einem Mann wäre diese Art der Dekoration niemals aufgefallen. Ich wartete, bis sich die durchsichtige Folie wieder geschlossen hatte. »Colemayn ist nicht mehr da und verzichtet wohl auf meine Gesellschaft. Schade.« Irgendwo um mich herum setzte sich die Luft in Schwingungen, und die allgegenwärtige Stimme ANIMAS antwortete. »Oft traf ich den Sternentramp. Wir werden ihn wieder treffen.« »Hoffentlich unter weniger dramatischen Umständen«, sagte ich, lud meinen Sack ab und verstaute die Nahrungsmittel in den verschiedenen Fächern der KORALLE. Ich hatte eine Kammer gefunden, die einem herkömmlichen Kühlschrank entsprach. Als ich fühlte, daß sich das Raumschiff in Bewegung setzte, goß ich einen halben Becher Wein voll und setzte mich seitwärts in den Pilotensitz.
Ich dachte an Sarah und sehnte mich nach ihr. Die Gefahren und die Abenteuer hatten mich abgelenkt. Jetzt, und auch angeregt durch die romantische Versponnenheit, die ich hier als ständige Schwingung erkannte, dachte ich wieder mit steigender Intensität an die schöne junge Frau. Meine Gedanken konnte ANIMA wohl nicht lesen. »Suche den Planeten New Marion. Finde ihn und bringe mich dorthin. Ich muß zu den Celestern.« »Ich habe verstanden.« ANIMA entfernte sich ohne Hast, aber in steigender Geschwindigkeit, vom Planeten Thorrat. Zahllose Augen schauten dem Raumschiff nach. Wir waren auf dem Flug nach New Marion. Und ich wußte weder, was mich dort erwartete, ob wir überhaupt dort ankamen, nicht einmal, wie lange der Sternenflug dauerte. Verdammte Galaxis Alkordoom! ENDE Atlan war ANIMA schon einmal ganz nahe. Doch zu der Zeit konnte er nicht erkennen, was es mit dem lebenden Raumschiff wirklich auf sich hat. Nun, auf dem Flug nach New Marion, ist es anders – und der Arkonide erfährt die dramatische Geschichte von ANIMA … ANIMA – unter diesem Titel erscheint auch Atlan‐Band 680. Der Roman wurde von Marianne Sydow geschrieben.