Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 624 Anti-ES - Xiinx-Markant
Der Struktor von Horst Hoffmann Das Schicksal einer Gala...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 624 Anti-ES - Xiinx-Markant
Der Struktor von Horst Hoffmann Das Schicksal einer Galaxis entscheidet sich Die Verwirklichung von Atlans Ziel, das schon viele Strapazen und Opfer gekostet hat – das Ziel nämlich, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen, scheint nun außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden-X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bewußtsein, sich die verlorenen Koordinaten wieder besorgen zu müssen, folgt der Arkonide einer vagen Spur, die in die Galaxis Xiinx-Markant führt, wo die SOL in erbitterte Kämpfe verwickelt wird. Inzwischen schreibt man an Bord des Generationenschiffs das Ende des Jahres 3807 Terrazeit, und die erbitterte Auseinandersetzung zwischen Atlan und den Solanern auf der einen und Anti-ES und Anti-Homunk auf der anderen Seite geht mit unverminderter Heftigkeit weiter. Die Solaner müssen dabei immer wieder die leidvolle Erfahrung machen, daß ihre Gegner mit diabolischer Schläue zu Werke gehen. Doch indessen bahnt sich auch eine positive Entwicklung in Xiinx-Markant an. Das Instrument, das dies bewirkt, ist DER STRUKTOR …
Die Hauptpersonen des Romans: Ergoz Immanuel - Ein Solaner ist zum höchsten Opfer bereit. Twoxl - Der Capt'Kul kämpft für die Zukunft einer Galaxis. Lasserin - Das Manifest F schlägt zu. Hyrlian Heart - Kommandant des Struktor. Mata St. Felix und Henny Lupino - Zwei Solanerinnen. Daal - Ein junger Staubflieger.
1. Der Struktor Der Raum war riesig, legte man solanische Maßstäbe an. Bezog man sich auf den Struktor, dann stellte er nicht viel mehr dar als eine winzige Zelle eines monumentalen Körpers. Es war dunkel darin. Die Normalbeleuchtung war ausgeschaltet. Um so imposanter wirkte das in vielen hellen Farben leuchtende Hologramm, das fast von Wand zu Wand reichte. Die dreidimensionale Projektion glich einem Skelett aus Verstrebungen, Decks, Schächten, Kammern und allem, was ein raumschiffähnliches Gebilde ausmachte. »Das ist sein innerer Aufbau, Heinrich«, sagte der Mann, der weit im Hintergrund in einem ausklappbaren Drehstuhl saß. »Und hier«, er berührte ganz leicht eine Stelle auf der Oberfläche des kleinen Geräts in seiner linken Hand, »sind wir.« Ein Lichtpunkt wanderte durch die Projektoren und kam in dem Anhängsel des Gebildes zur Ruhe. Der Mann lachte, fast klang es verzweifelt. »Das Ei eines Zwerghühnchens neben zwei Straußeneiern!« Er sah zu Heinrich hinüber, wenn man so wollte, dem vierten Ei in der Computerhalle. Heinrich – seine exaktere Bezeichnung lautete MCS-782-SOL – war ein Spezialdatenroboter, dreißig Zentimeter dick und knapp doppelt so lang. Er war der ständige Begleiter des Kybernetikers. Manche Leute meinten sogar, sein zweites Ich. Was es mit dem Paar tatsächlich auf sich hatte, das ahnten die
allerwenigsten. Die beiden »Straußeneier«, bildeten die Hauptkomponenten des Struktors, mit dem vor rund einhundert Jahren der Staub- und Materiegürtel um die Innenzone von Xiinx-Markant erzeugt wurde. Schlank und voneinander weggestreckt, wurden sie durch eine Zellverstrebung verbunden, die wie ein Gittergerüst aussah. Dazu kamen die Steuerleitungen, die in der Projektion wie lange Rohre vom flachen Pol einer Komponente zum anderen reichten, und der von Bug zu Heck reichende Materiekanal. Und das ganze Gebilde war 120 Kilometer lang. Der Kybernetiker sprach es fast andächtig aus: »Einhundertzwanzig Kilometer, Heinrich! Das ist fast das Zwanzigfache der Länge der SOL, vom Volumen will ich gar nicht erst reden! Und doch läßt sich dieser phantastische Gigant mit Hilfe seiner Positroniken von nur wenigen Menschen beherrschen. Eine Maschine, die auf der alten Erde fast die gesamte Fläche eines Nationalstaats wie die Schweiz bedeckt hätte!« Er sagte es ehrfürchtig wie immer, wenn er vom Mutterplaneten der Menschen redete. Ergoz Immanuel war nie Mitglied der TerraIdealisten gewesen. Dabei hätte ihn sein Wissen über die Geschichte der Ursprungsweit ohne weiteres als führenden Kopf dieser inzwischen schon fast vergessenen Gruppierung qualifizieren können. »Wie die Schweiz, hörst du mir überhaupt zu, Heinrich? Der abtrennbare Kommandostand, in dem wir uns jetzt befinden, mißt schon allein zwölf Kilometer in der Länge. Die SOL könnte sich bequem darin verstecken, Und ein einziges Wort genügt, um den Struktor zu steuern.« Er verzichtete auf eine entsprechende Demonstration, denn die Führung des Giganten war nicht seine Aufgabe. Immanuel sagte nur »Aus!«, und die Projektion erlosch. »Verbindung Steuerzentrale!« verlangte der Solaner. (Was war nur mit Heinrich los? Warum verhielt er sich so passiv?)
Die einhundert Meter entfernte Wand des Computerraums erhellte sich. Das Gesicht von Hyrlian Heart erschien überdimensional abgebildet darauf. »Wie weit bist du da unten, Ergoz?« fragte der Führer des Unternehmens. Wie alle Männer und Frauen an Bord, hatte er sich auf der SOL nie so ins Rampenlicht rücken können, daß sein Name in der Chronik des Generationenschiffs besonders vermerkt gewesen wäre. Die fünfzig Raumfahrer, ausnahmslos Wissenschaftler, stellten sozusagen die »zweite Garde« dar. Jeder von ihnen aber genoß das Vertrauen des High Sideryt, und zwar in dem Maß, daß Hayes sie mit der wichtigen Aufgabe betraut hatte, den Struktor nach Cpt zu bringen. »Ich komme voran, Hyr. Heinrich scheint von unseren Fortschritten sogar so beeindruckt zu sein, daß er die Sprache verloren hat. Was ich schon vermutete, scheint sich tatsächlich zu bestätigen. Der Struktor ist so konstruiert, daß man sein Prinzip umkehren kann. Wenn wir herauskriegen, wie das funktioniert, kann man aus der von ihm geschaffenen Materie der Dunkelzone wieder Sonnen und Planeten formen!« Und das war die eigentliche Sensation, die so ungeheuerliche Erkenntnis, daß sie noch längst nicht von allen Besatzungsmitgliedern akzeptiert werden konnte. Doch an den Auskünften der Positroniken gab es keinen Zweifel mehr. Immanuel sah bereits neue Himmelskörper aus den Trümmern der alten entstehen. Dies konnte zwar alle die Völker nicht wieder lebendig machen, die damals gnadenlos ausgelöscht worden waren. Aber es mochte die Grundlage für neues Leben schaffen, das vielleicht einmal das Erbe der untergegangenen Zivilisationen antreten mochte. Doch dies war Zukunftsmusik, und bis dahin gab es noch eine Menge harte Arbeit nicht nur für Immanuel. »Wir erreichen Cpt in knapp sechs Stunden«, sagte Heart. »Natürlich wäre es dann gut, konkretere Ergebnisse vorweisen zu
können.« »Ich tue, was ich kann«, versprach der Kybernetiker. Heart nickte und schaltete sich aus. »Licht an!« rief Immanuel in den Raum. Die Beleuchtung flammte auf. Immanuel seufzte und schielte zu Heinrich hinüber. »Anschauungsunterricht beendet. Machen wir uns wieder an die Arbeit.« Er zeigte dem Roboter die Speichereinheiten, die als nächste auszuhorchen waren. Langsamer als gewohnt, setzte Heinrich sich schwebend in Bewegung und schloß sich an die Datenbänke an, von denen Immanuel sich weiteres Wissen über Natur und Funktion des Struktors erhoffte. Mehr um sich abzulenken, dachte der Kybernetiker an die Ereignisse zurück, die zum Auffinden des Struktors geführt hatten. Die Maschine war wie die SOL um das Zehntausendfache verkleinert gewesen, als sie in der Formmaterie entdeckt wurde, die das Leuchtende Auge einschloß. Nach der Wiedervergrößerung des Raumschiffs wuchs auch der Struktor zu seiner gewaltigen Normalausdehnung zurück. Zuerst identifizierte die Molaatin Sanny ihn als Objekt, das aus Planeten und Sonnen kosmischen Staub zu produzieren vermochte. Kurz nachdem Hayes ein Kommando an Bord des Giganten geschickt hatte, meldete sich auch die MT-K-9 über Hyperfunk von Cpt. Twoxl gab zu verstehen, daß er den Struktor als das Instrument erkannt haben wollte, das die Vei-Munater gebaut hatten und mit dem die Dunkelzone dieser Sterneninsel geschaffen worden war. Sein Appell an Atlan lautete, daß der Arkonide den Struktor unverzüglich in Richtung Cpt in Marsch setzen sollte. Xiinx-Markant könne nur dann wieder normal und friedlich werden, wenn man mit Hilfe des umgebauten Struktors die Dunkelzone beseitige und wenn es Atlan zugleich gelänge, Anti-Homunk im Zentrum der Innenzone auszuschalten. Was Twoxl mit »umgebaut« meinte, war bis zu Immanuels
Entdeckung rätselhaft gewesen. Jetzt ergab es natürlich einen Sinn. Atlan hatte Twoxls Wissen einer Nachricht der vergeistigten Cpt'Cpts zugeschrieben und nicht lange gezögert. In einer Kreisbahn um Cpt sollte die dort zurückgelassene Korvette mit den Solanern aufgenommen werden, die unter der Führung der Buhrlo-Frau Mata St. Felix auf dem fast vernichteten Planeten geblieben waren. Und natürlich auch Twoxl, der »geborene« Cpt'Carch. Wohl nach ihm hatte Henny Lupino das Raumschiff auf den Namen BANANE getauft. Was dann weiter geschah, hing vom Erfolg der Wissenschaftler ab. Neben Immanuel bemühten sich rund vierzig andere um die perfekte Beherrschung des Struktors. Möglicherweise kamen weitere wichtige Informationen von Twoxl. Auf jeden Fall mußte früher oder später die Umpolung versucht und im praktischen Test erprobt werden. Ohne sich dessen bewußt zu sein, war Immanuel aufgestanden und hatte begonnen, in dem riesigen Raum auf und ab zu gehen. Eine plötzliche Unruhe trieb ihn. Dann überkam ihn ebenso unverhofft ein Anflug von Panik. Sein rechter Arm war ohne Gefühl. Er versuchte, ihn zu bewegen. Es ging nicht. »Heinrich!« Der Roboter lag vor den Datenbänken am Boden. Einige der grünen Funktionsanzeigen waren erloschen. Und es kam noch schlimmer. Immanuel schrie vor Schmerzen. Heinrichs Schmerzen! Die Lähmung breitete sich bis zu den Füßen der rechten Körperhälfte aus. Immanuel fiel beim Versuch, Heinrich zu Hilfe zu eilen. Der Spuk verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war. Heinrich erhob sich und setzte seine Arbeit fort. Was er an seinen Partner sendete, ließ sich sinngemäß mit »Unidentifizierbare vorübergehende Störung von außen« übersetzen.
Immanuel fuhr sich mit der linken Hand über die Armprothese. Seine robotische Hälfte war über feine Impulsleiter so mit dem Zentralnervensystem des menschlichen Torsos verbunden, daß Einflüsse auf sie wie echte Schmerzen gefühlt werden konnten – und Energieentzug wie Lähmung. Das gleiche galt für Heinrich. Der Datenrobot war im Grunde nichts anderes als ein mobiles System des Kybernetikers, ein zusätzliches Glied oder ein zweiter Kopf. Daß sie sich laut miteinander unterhielten, war Routine geworden. Ursprünglich sollte dadurch verhindert werden, daß jemand entdeckte, was es mit den »Unzertrennlichen« auf sich hatte. Als Immanuel noch nach einer Erklärung für die Störung suchte, erhellte sich der Wandbildschirm, und Hearts Gesicht darauf wirkte verstört. »Wir haben den Funkkontakt zur SOL verloren, Ergoz«, sagte der Kommandant. »Er riß ganz plötzlich ab und …« Seine Augen wurden schmaler. »Was ist denn bei euch los? Wieso liegst du am Boden?« Immanuel richtete sich langsam auf. Die Gedanken und Wahrnehmungen des menschlichen Gehirns wurden ohne Umwege sofort an Heinrich weitergesendet. Dazu genügte ein daumengroßes Gerät unter der Schädeldecke. Heinrich, nach außen hin nur an den Daten der Speicherbänke interessiert, versuchte zu analysieren. »Hast jetzt auch du die Sprache verloren, Ergoz!« Immanuel winkte ab. »Wann genau war das, Hyr? Ich meine, wann endete der Kontakt?« »Jetzt gerade, vor etwa einer Minute. Du bist einer der ersten, denen ich …« »Genauer, Hyr! Es ist wichtig.« Heart rollte mit den Augen und knurrte: »Bitte sehr! Mann, wir sind von der SOL abgeschnitten, begreifst du das überhaupt! Und zwar seit 78 Sekunden!«
Es paßt zeitlich nicht überein, sendete Heinrich. Die Störung, die uns betraf, begann vor 66 Sekunden und endete vor 51 Sekunden. Damit war der Zusammenhang mit dem Ausfall der Funkverbindung zwar nicht bewiesen, jedoch auch nicht eindeutig widerlegt. »Ergoz, wenn du mir jetzt vielleicht sagen könntest, was die Geheimnistuerei soll …« Der Kybernetiker nickte. »Ich will niemanden in Panik versetzen, Hyr. Möglicherweise irre ich mich auch. Aber wenn nicht, dann sollten wir uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß wir nicht die einzigen hier an Bord sind.«
* Fünfeinhalb Stunden später hatten sie die Gewißheit. In dieser Zeit war es Heinrich gelungen, aufgrund der abgehörten Informationen aus den Struktor-Speichern nicht nur die Funktionsweise des Struktors nun einwandfrei zu begreifen. Darüber hinaus hatte er bereits ein Programm erstellt, das den Hauptpositroniken des Giganten nur eingegeben werden mußte, um die Umkonstruktion einzuleiten. Das Problem war, die Positroniken nahmen es nicht an. Immanuel befand sich nun in der Steuerzentrale, während Heinrich noch bei den Solanern war, die Tests im abtrennbaren Kommandostand durchzuführen hatten. Dieser diente, wie man herausgefunden hatte, in erster Linie der Sicherheit des Personals beim vollen Einsatz des Struktors, der dann rein robotisch nach Programm arbeitete. »Noch zwanzig Minuten bis Cpt«, meldete Donata Lafama, Hearts Stellvertreterin und Pilotin. Sie war noch sehr jung, vielleicht gerade dreißig. Ihr wissenschaftliches Fachgebiet war die Kosmobiologie.
»Ich frage mich, ob es richtig war, den Flug fortzusetzen«, sagte der Kommandant. »Unsere Hyperfunkanlagen sind vollkommen in Ordnung und nicht dem gleichen Effekt unterworfen wie die Positroniken. Also liegt es an der SOL, daß kein Kontakt mehr besteht.« »Wir haben unsere Aufgabe zu erfüllen«, sagte Immanuel, »und Atlan und Hayes verlassen sich darauf. Unser Problem ist jetzt, wie wir's erfüllen, Hyr.« Die Positroniken des Struktors waren bis vor einer Stunde ohne die geringste Schwierigkeit zu bedienen gewesen. Dann plötzlich versagten einige den Dienst. Es waren ausschließlich jene, die mit der Arbeit des Struktors zu tun hatten – die Steuerung funktionierte nach wie vor einwandfrei. Die von Immanuel und anderen Experten herausgefundene Ursache war schlicht und einfach Energieentzug. Sie floß irgendwohin ab, ohne daß sich der Fluß bestimmen ließ. Die Versorgung der Positroniken mit Energie war nicht gestört. Heinrich hatte die einzige Hypothese geliefert, die Immanuel befriedigen konnte – auch wenn sie alles andere als berauschend war. Der Kybernetiker sah auf seine Armbanduhr. Sieben Männer und fünf Frauen hielten sich in der Steuerzentrale auf. Aus allen anderen Abteilungen des Struktors, in denen Menschen arbeiteten, kamen laufend Nachrichten, und meist waren es Hiobsbotschaften. Ein wichtiges Aggregat nach dem anderen schaltete sich ab. Immanuel hatte lange gezögert. Nun sah er sich gezwungen, sein Geheimnis preiszugeben. »Wenn wir den Planeten erreicht haben, müssen klare Verhältnisse herrschen«, sagte er. »Wir haben eine fremde Macht an Bord, einen Jemand oder ein Etwas, das gezielt alle Systeme lahmlegt, die dazu nötig sind, den Struktor umzupolen und arbeiten zu lassen. Ich nehme an, daß dieser Gegner erst während des Fluges zu uns kam und zunächst vorsichtig mit dem Struktor vertraut werden mußte.
Dazu griff er alles an, was er an positronischen Elementen besitzt, seltsamerweise nur nicht den Antrieb und die Steuerung.« Heart starrte ihn verständnislos an. »Was redest du da? Woher willst du das wissen?« »Weil ich auch davon betroffen war.« Bevor ihn jemand daran hindern konnte, hatte der Kybernetiker einen Nadelstrahler in der Hand und brannte sich eine feine dunkle Furche in den rechten Unterarm, Heart und die anderen, die neugierig nähergekommen waren, wichen entsetzt zurück. »Ihr wißt, was ein Posbi ist, oder?« fragte er in die Runde. »J … ja!« brachte Heart heiser hervor. »Ein positronischbiologischer Roboter. Ein Roboter mit Plasmazusatz. Ergoz, du bist …!« »Kein Posbi, sondern das Gegenteil«, erklärte der Wissenschaftler lächelnd. »Nun seht mich nicht an wie ein Ungeheuer. Ein Mensch mit Positronikzusatz. Meine rechte Körperhälfte ist robotisch. Heinrich ist mein mobiles Zusatzgehirn. Ansonsten stimmt bei mir alles.« »Bist du da ganz sicher?« Mak Heidinger, der HyperdimTechniker, beugte sich scheu über den angeritzten Stahlplastikarm und schüttelte erschüttert den kahlen, kantigen Schädel. »Ich denke doch. Wir haben jetzt keine Zeit für lange Erklärungen. Darum nur soviel: Nachdem ich einen Strahlenunfall hatte, ließ mich der High Sideryt von einem ihr hörigen Spezialisten mit der Prothese versehen und zu dem machen, was ich heute bin. Ihr kam es dabei nicht darauf an, mir das Leben zu retten. Sie erhoffte sich vielmehr Schutz und Macht durch einen Robotermenschen, den sie nach Belieben steuern und einsetzen konnte – für ihre Zwecke, versteht sich.« »Moment!« Heart streckte ihm abwehrend beide Hände entgegen. »Langsam, Ergoz. Von wem redest du?« »Von Deccons Vorgängerin als High Sideryt, Tineidbha Daraw. Als sie im Jahre 3788 starb, nahm sie auch mein Geheimnis mit in
den Tod. Ach ja, Heinrich ließ sie mir auch konstruieren. Wir beide wurden vergessen. Ich sah keinen Grund, daran etwas zu ändern. Niemand wird gern als halbes Monstrum angesehen, und ich fühle mich ganz als Mensch.« Er winkte ab, als Heart zu einer neuen Frage ansetzen wollte. »In wenigen Minuten haben wir Cpt erreicht, Hyrlian. Ihr und ich werden mit mir zu leben haben. Worum es mir bei der ganzen Erklärung ging, ist folgendes. Ich spürte, wie etwas nach Heinrich und mir griff. Jetzt weiß ich, daß es uns versuchsweise Energie entzog, aber sofort wieder von uns abließ, als es merkte, daß wir für es uninteressant sind. Was sich an Bord geschlichen hat, will verhindern, daß der Struktor in unserem Sinn arbeitet. Ich brauche kaum zu erklären, wer es geschickt hat.« »Derjenige, der ein Interesse daran besitzt, daß sich die Verhältnisse innerhalb von Xiinx-Markant nicht ins Positive verkehren«, flüsterte die Pilotin. »Anti-Homunk. Oder Anti-ES selbst.« Heart ballte die Fäuste. Er war bleich geworden. »Also ein verdammtes Manifest! Hört das denn nie mehr auf. Dann sitzen wir genauso tief in der Patsche wie die SOL, als Erfrin SENECA übernahm!« »Das ist nicht unbedingt gesagt«, wiegelte Immanuel ab. »Es wird wohl erst kritisch für uns, wenn wir versuchen, etwas gegen den Gegner zu unternehmen.« Heart lachte rauh. »Den wir nicht sehen, nicht hören und nicht greifen können!« »Wir nicht«, stimmte Immanuel zu. »Wir sehen nur, was er anrichtet. Aber sobald Twoxl an Bord ist, kann sich das ändern. Wenn es stimmt, was Atlan über ihn berichtete, weist er zumindest eine gewisse Affinität mit dem Manifest auf.« Er hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, als ein durchdringender Heulton erklang, der zweifellos als Alarm einzustufen war. »Das kommt vom Materiekanal, in dem die durch den Einlaß
aufgenommene kosmische Materie zerkleinert und durch die ganze Konstruktion bis zum Auslaß gejagt wird!« schrie Hedinger. Er deutete auf ein Leuchtsignal, das auf einer Übersichtstafel den Ort anzeigte, an dem der Alarm ausgelöst worden war. »Ylora arbeitet dort!« »In dem Kanal geschieht noch etwas«, sagte Heart leise. »Die aufgenommene Materie wird zum Teil in Energie umgewandelt, die der Struktor benötigt.« Er wirbelte herum und eilte zum Internfunk. Seine Faust schlug auf das Pult. »Ylora! Melde dich!« Immanuel ahnte, daß sie es nicht mehr tun konnte. »Hat denn wirklich jemand im Ernst geglaubt, Anti-ES oder AntiHomunk würden uns so einfach gewähren lassen?« fragte er halblaut. »Ich will ein Bild von Ylora!« schrie Heart unbeherrscht. »Materiekanal! Alle Abschnitte im Bereich Energiegewinnungsanlage!« Nacheinander zeigte der Bildschirm mehrere Dutzend Räume, Korridore und Schächte, bis Heart »Halt!« brüllte. Ylora Jergebyshi lag leblos auf einem Gittergerüst zwischen zwei mächtigen Generatoren. Ihre Augen waren weit aufgerissen und zeigten selbst im Tod noch Entsetzen und Unverständnis. »Du sorgst dafür, daß wir in den Orbit um Cpt einschwenken und die Korvette an Bord nehmen, Donata«, brachte Heart bebend hervor. »Immanuel, ich will wissen, warum Ylora sterben mußte. Und am besten trägt jeder hier von nun an einen IV-Schutzschirm und eine Waffe!« Immanuel fragte ihn lieber nicht danach, was Schutzschirme und Waffen gegen einen Feind ausrichten sollten, der Energien ganz anderer Größenordnung anscheinend mühelos absorbierte. Er folgte dem Kommandanten im Laufschritt zur Transmitterstation neben der Steuerzentrale.
* Hyrlian Heart war nicht gerade das, was man als eine schillernde Persönlichkeit bezeichnen konnte. Im Gegenteil, wer nicht für länger mit ihm zu tun hatte, sah ihn und vergaß ihn wieder. Er war durchschnittlich groß, durchschnittlich intelligent und hatte ein Durchschnittsgesicht. Immanuel hatte bis jetzt immer den Eindruck gehabt, Heart erfüllte seine Aufgabe ohne besondere Anteilnahme. Auf dem Weg zum Energiegewinnungssektor wurde er eines Besseren belehrt. Heart war wie verwandelt, er bewies mit gezielten Befehlen an die Positroniken des Struktors, daß er die Riesenmaschine studiert hatte und zu beherrschen gewillt war. Die über drei Stationen führende Transmitterstrecke endete einige hundert Meter von dem Generatorenraum entfernt, in dem die Tote lag. Es gab mehr als tausend Transmitteranschlüsse im Struktor, dazu Rohrbahnen mit Spitzengeschwindigkeiten von fast tausend Kilometer in der Stunde und ein kompliziertes Gleitband- und Antigravschachtsystem. Jeder Punkt des Giganten war innerhalb von Minuten zu erreichen. Heart sprang vom Laufband, als sich das Schott zur Generatorenhalle lautlos öffnete. Er war schon auf den Treppen des Gittergerüsts, als Immanuel noch zögerte und sich einen Überblick über die noch funktionierenden Anlagen zu verschaffen suchte. Heinrich, mehr als zwanzig Kilomter entfernt in der autarken Kommandoeinheit, sah durch seine Augen die flackernden und erlöschenden Lichter. Ich habe den Totalausfall von vier Großpositroniken registriert! sendete der MCS (die Abkürzung stand übrigens für »mobile cybernetic system«). Energieschwund nun stark progressiv zunehmend! Was das bedeutete, lag auf der Hand. Das an Bord vermutete Manifest begnügte sich nun nicht mehr damit, den Aggregaten und Computern nur ihre Energie zu entziehen. Es sabotierte jetzt auch den Zufluß.
Immanuel hörte Hearts erstickten Aufschrei und rannte die Treppen hoch. Die Bewegungen seiner robotischen Hälfte wurden vollkommen mit der organischen synchronisiert. Als er den Kommandanten erreichte, kniete dieser immer noch mit geschlossenen Augen über dem Leichnam der Wissenschaftlerin. Immanuel sah das Loch in ihrem Leib. Nur mit Überwindung behielt er die Nerven. Vorsichtig drehte er den Körper der Toten. Er sah das Gewebe um das Loch herum schwarz verbrannt. Heinrich bestätigte seine erste Vermutung und fügte von sich aus die zweite hinzu, als Immanuel sich um die eigene Achse drehte und weitere Löcher in Panzerverkleidungen von Maschinen, Wänden und Decke klaffen sah. Das menschliche Gehirn des Kybernetikers weigerte sich noch, an das Entsetzliche zu glauben, als sein positronischer Verstand längst alle alternativen Möglichkeiten durchgerechnet und verworfen hatte. »Was ist das, Ergoz?« fragte Heart leise. »Bei allen Planeten, was hat sie so zugerichtet?« »Das Manifest, wie immer es beschaffen ist, scheint nur eine begrenzte Energieaufnahmekapazität zu besitzen, Hyr«, sagte Immanuel. »Mit anderen Worten, sobald der Sättigungszustand erreicht ist, muß es einen Teil der gestohlenen Energien wieder abgeben, um eine Überladung zu vermeiden.« Heart hob den Kopf und starrte ihn halb ungläubig, halb wütend an. »Ich weiß, es klingt grausam, Hyr. Es gibt keine andere Erklärung. Siehst du die Löcher hier ringsherum? Die Energieabgabe muß schlagartig hier in dieser Halle erfolgt sein. Einer der Blitze traf Ylora und durchschlug sie …« Heart stand auf. Die Backenmuskeln traten dick hervor, seine Augenlider zuckten. »Dann soll ihr Tod ein Zufall gewesen sein? Weil sie gerade unglücklich in der Schußlinie stand?« »Vielleicht, Hyr. Vielleicht auch nicht. Aber spätestens jetzt weiß
das Manifest, wie es uns zur Not alle ausschalten kann. Möglicherweise mußte Ylora sterben, weil sie es sah und uns einen Hinweis hätte geben können. Heinrich zieht den Schluß, daß das Manifest eine räumliche Dimension besitzt, wenn es auch nicht unbedingt stofflich sein muß. Und noch etwas.« »Was?« »Es tut mir leid, Hyr, aber ich habe die Verhältnisse nicht geschaffen, wie wir sie jetzt haben.« »Entschuldige dich nicht dauernd! Was noch?« »Du weißt es doch. Mit zunehmender Energieaufnahme steigt auch der Zwang für das Manifest, sie wieder abzugeben. Wenn das in dieser gebündelten Form geschieht, verwandelt es den Struktor in ein Sieb. Dann spielt es keine große Rolle mehr, ob es uns vorher getötet hat.« Heart stand noch einige Augenblicke wie versteinert da. Dann stampfte er an Immanuel vorbei, die Treppen hinunter und zum Ausgang. »Zentrale!« rief er. »Schickt zwei der Roboter her, die mit uns an Bord gekommen sind! Sie sollen Ylora abholen und die Raumbestattung vorbereiten!« »Verstanden!« kam es wie aus dem Nichts. Immanuel folgte dem Kommandanten zum Transmitter. Jetzt, dachte er, muß es sich zeigen, ob Twoxl das kann, was Atlan von ihm behauptet. Der Cpt'Kul mochte die Rettung bringen. Das Manifest mochte faßbar gemacht werden können. Es gab zu viele Unbekannte. AntiES konnte nur die Vernichtung des Struktors befohlen haben, um die Beseitigung der Dunkelzone zu verhindern. Daß der Struktor Cpt überhaupt noch erreicht hatte, war höchstens dem ersten vorsichtigen Herumexperimentieren des Manifests zu verdanken und dem Umstand, daß es als erste die Systeme zur Materieverwandlung blockieren mußte. Jetzt schien es von seinem Herrn freie Hand bekommen zu haben.
Immanuel sah Heart in der Transmitterkammer entmaterialisieren. Im gleichen Moment war Donata Lafamas Stimme zu hören, daß der Struktor in den Normalraum zurückgefallen war und ins CptSystem einflog. Wenn nicht ein Wunder geschieht, dachte Immanuel bitter, ist hier für uns Endstation.
2. Lasserin Kaum in der Steuerzentrale zurück, unternahm Heart als erstes den Versuch, dem Manifest auf die gleiche Weise beizukommen wie Erfrin auf der SOL. Er berichtete nur knapp über Yloras Schicksal und die von Immanuel und Heinrich gezogenen Folgerungen und ließ von Mak Heidinger den Schlag gegen den Gegner vorbereiten. Als der Kybernetiker ebenfalls wieder in der Zentrale erschien, stand der Mißerfolg bereits fest. Von Positronenströmen erzeugte magnetische Felder gingen wirkungslos am Manifest vorbei. Immanuel hatte nichts anderes erwartet, denn Anti-ES und AntiHomunk wußten natürlich inzwischen von der gefundenen Abwehrwaffe und waren kaum so dumm, Manifeste zu schicken, die nicht »immunisiert« dagegen waren. Immerhin war der Versuch gemacht worden. Und der Gegner reagierte auch – jedoch anders als erwünscht. »Energieabfall auf der ganzen Linie!« meldete die Pilotin niedergeschlagen. »Steuerung und Antrieb blockiert. Wir erreichen Cpt höchstens noch im freien Fall.« »Ich habe Kontakt mit der MT-K-9!« rief Lina Semore, eine knapp neunzigjährige Fremdtechnik-Ingenieurin, die die Funkanlagen des Struktors bediente. »Offenbar weiß man dort schon, in welchen Schwierigkeiten wir stecken. Die Korvette ist gestartet und hat Kurs auf uns genommen. Alle Besatzungsmitglieder sind an Bord, und natürlich Twoxl.«
Heart warf Immanuel einen unsicheren Blick zu. Dann heulte wieder der Alarm durch den Giganten. Sekunden später stand fest, daß an drei verschiedenen Stellen des Struktors verheerende energetische Entladungen stattgefunden hatten. »Keine unbedingt funktionswichtigen Anlagen sind zerstört worden«, sagte Immanuel, nachdem er sich umständlich ein Bild verschafft hatte. Die meisten Systeme der Internüberwachung waren schon ausgefallen. »Die Verwüstungen erfolgten nicht gleichzeitig, sondern in Abständen von je zwölf Sekunden. Das Manifest ist also räumlich gebunden. Allerdings bewegt es sich unglaublich schnell.« »Alles nur Theorien!« fluchte Heart. »Die Wirklichkeit sieht so aus, daß die Energiespeicher des Struktors so gut wie leer sind, Ergoz! Und wenn das Manifest auch noch das letzte aus ihnen herausgesaugt hat, sitzen wir im Dunkeln! Um neue Energien für den Struktor zu bekommen, müßte er in Aktion treten und mindestens einen Planeten dieses Systems in Staub verwandeln!« »Es kreist uns ein«, murmelte Heidinger. »Es kreist uns regelrecht ein. Die meisten Transmitter sind ausgefallen. Der Struktor verliert an Energie überall um uns herum. Das Transportsystem bricht weitestgehend zusammen. Wir können uns kaum noch in den abtrennbaren Kommandostand flüchten.« »Alles Verzichtbare abschalten, wenn die BANANE erscheint«, sagte Immanuel spontan. »Das Manifest braucht mindestens eine Stunde, um die Energiespeicher völlig zu leeren, wenn es mit der gleichen Aufnahmekapazität weitermacht wie jetzt – und sie ist konstant geblieben. Bis dahin müssen wir es besiegt oder vertrieben haben.« Heart zeigte ihm einen Vogel. »Ausgerechnet du Halbrobot redest dir falsche Hoffnungen ein?« »Wenn die Korvette da ist«, beharrte Immanuel, »schalten wir alles Verzichtbare ab und geben die ganze noch vorhandene Energie in einen Transportkorridor vom Hangar, in den sie einfliegt, hierher.
Wenn Twoxl weiß, was hier geschieht, kann er uns vielleicht helfen, den Struktor und uns zu retten.« Die tatsächliche von Heinrich dafür errechnete Wahrscheinlichkeit nannte er lieber nicht. »Wir brauchen ein klares Bild«, fuhr der Kybernetiker fort. »Die Zentrale muß funktionsfähig bleiben. Ich versuche, den laufenden Stand der Energiereserven zu ermitteln. Erst wenn wir wissen, worüber wir noch verfügen können, können wir auch gezielt handeln. Wer noch im Struktor arbeitet, muß in den Kommandostand unseres Anhängsels. Danach unternehmen wir nichts bis zum Eintreffen des Schiffes.« »Ergoz«, seufzte Heart. »Du kannst das Kommando gern übernehmen.« »Rede doch keinen Unsinn!« rief die Funkerin unwillig. »Welche Rolle spielt es jetzt für uns, wer was sagt? Nur ob es vernünftig ist, darauf kommt es an. Und Ergoz hat recht, also machen wir's so.«
* Hatta Yurglay war der einzige, der sich noch nicht in die trügerische Sicherheit des Kommandostands begeben oder zumindest die Steuerzentrale aufgesucht hatte. Er saß im Überwachungsstand des riesigen Hangars des vorderen Ekikörpers – nahm man den Materieeinlaß als Bug des Struktors. Das acht Kilometer lange Beiboot nahm etwa drei Viertel des verfügbaren Raumes in Anspruch – Platz genug für die erwartete Korvette. Inzwischen war der Gigant bis auf den Kommandostand, die Zentrale und eben die Hangars energetisch tot. Diese drei Abteilungen wurden so sparsam wie möglich versorgt, und nur zwischen ihnen bestanden aktivierbare Transmitterverbindungen. Yurglay las die aktuellen Werte über den Energieschwund von einem Monitor ab. Auf einem anderen Bildschirm war die BANANE
zu sehen, wie sie sich langsam näherschob. Yurglay hatte einen Funkleitstrahl geschickt. Das Hangartor stand offen. Es war vorgesehen, daß Yurglay sich mit den Ankömmlingen zusammen in die Zentrale begeben sollte. Bis dahin mußte er noch eine knappe Minute durchstehen. Der vierzigjährige Mathelogiker redete sich ein, daß für ihn keine akute Gefahr bestand. Das Manifest hielt sich im Bereich der Energiespeicher auf. Immer heftigere Explosionen bewiesen es doch. Er hörte etwas knistern und schalt sich einen Narren, als er aufsprang und die Waffe auf die Konsolen richtete, von wo das Geräusch gekommen war. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und versuchte, die Angst niederzukämpfen. Die Korvette schwebte herein. Yurglay machte sich fertig, den Überwachungsstand zu verlassen. »Außenschott zu!« befahl er der Positronik mit zitternder Stimme. Sie gehorchte. »Transportstrecke zur Steuerzentrale aufbauen!« Er sah das Aufleuchten der Funktionsanzeigen. Alles klappte wie gewünscht. Die Tür auf, die Treppen hinunter in den inzwischen wieder gefluteten Hangar, und dann nichts wie … Er hörte es wieder – oder ahnte es nur. Durch die Panzerglasscheiben des Überwachungsstands sah er, wie sich eine Öffnung in der Hülle der BANANE bildete und die ersten Solaner darauf warteten, daß die ausfahrende Rampe den Boden erreichte. Doch jetzt spürte er ganz deutlich, daß etwas hinter ihm war. Es kam näher. Ein seltsames Licht hüllte den Mathelogiker ein und wurde immer heller. »Bildverbindung Zentrale!« schrie er. Sie kam nicht zustande. Alle Monitoren erloschen. Yurglay wagte es immer noch nicht, sich zu drehen. Er vergaß alle Vorsätze und rannte zur Tür. Sie war blockiert. Unten im Hangar wurden die Ankömmlinge jetzt aufmerksam. Sie
winkten heftig. Ein Gebilde wie aus aneinandergeklebten Riesenkartoffeln schwebte über ihren Köpfen. Yurglay hatte das Gefühl, daß ihn etwas im Rücken berührte. Sein Verstand setzte ganz aus. Er wirbelte herum, die Waffe entsichert, und schoß noch in der Drehung. Der Energiestrahl floß genau in das ultrahell wabernde Etwas, das den ganzen Raum einnahm. Yurglay hatte den Finger noch auf den Auslöser gepreßt, als die Blitze aus dem Zentrum des Etwas zuckten.
* Twoxl kam zu spät. Die Panzerglasscheibe des Überwachungsstands zersplitterte. Die mörderischen Energien, die von dort aus in den Hangar stießen, konnte der Cpt'Kul zwar noch absorbieren – aber für den Mann im Kontrollstand nichts mehr tun. Das Manifest war von einem Augenblick auf den anderen verschwunden. Mata St. Felix und drei Solaner rannten die Treppen hinauf, zerschossen die Tür und fanden den Leichnam. Twoxl schwebte hinter ihnen her. Niemand sagte etwas. Mata wandte sich schaudernd ab. Die ganze linke Brusthälfte des Mannes war weggebrannt. Erst als sie wieder im Hangar waren, fragte die Buhrlofrau: »Du spürst nichts, Twoxl?« »Keine Energieentfaltung«, konnte er nur antworten. »Es hat diesen gesamten Sektor lahmgelegt. Wenn wir mit der Steuerzentrale des Struktors wieder in Verbindung treten wollen, müssen wir noch einmal ins Schiff.« »Ich mache das«, verkündete Henny Lupino. Die blutjunge Pilotin war schon auf dem Weg zur Rampe, als die Stimme ertönte: »Könnt ihr mich im Hangar hören?« »Wir hören!« rief Mata. »Das Manifest hat den Mann im
Überwachungsstand getötet und ist wieder verschwunden. Könnt ihr uns holen?« »Es muß schnell gehen, wir versuchen es jedenfalls. Folgt den grünen Leuchtmarkierungen zum Transmitteranschluß.« Ein Licht flammte über einem der Ausgänge auf. Mata winkte ihren Begleitern und begann zu laufen. Für weitere Fragen blieb keine Zeit. Einiges konnten die Solaner sich zusammenreimen. Alles andere mußte warten, bis sie an ihrem Ziel waren. Sie erreichten den Transmitter. Alle Schotte und Türen öffneten sich vor ihnen. Twoxl hielt sich zum Eingreifen bereit, doch nichts geschah mehr, bis alle zehn Menschen und der Cpt'Kul wiederverstofflicht und wenige Augenblicke danach in der Steuerzentrale waren. Und hier herrschte das Chaos. Jeder wollte zuerst reden. Mata hatte ihre liebe Not, sich endlich durchzusetzen, zu berichten und sich erzählen zu lassen, was im Struktor seit dem letzten Funkkontakt geschehen war. »Dann wissen wir also, daß unser Gegner einen energetischen Körper besitzt oder zumindest dann energetisch aufgeladen ist, wenn er sich vollgesogen hat. Wir müssen ihm eine Falle stellen.« Heart saß vornübergebeugt in seinem Kontursessel, hatte das Gesicht in die Hände gelegt und starrte sie zwischen gespreizten Fingern an. »Ich gebe keinen Kommentar mehr ab«, sagte er. »Ich glaube euch einfach, daß ihr wißt, wovon ihr redet. Also wie?« »Gebt nichts auf sein Getue«, kam es von Immanuel. »In Wirklichkeit würde er sich ohne weiteres selbst als Köder zur Verfügung stellen. Das ist es doch, worauf ihr hinauswollt, oder?« Mata sah ihn überrascht an. Mak Heidinger klärte die Neuen knapp über den Kybernetiker auf. »Und was hat dein Heinrich errechnet?« fragte die Buhrlo. »Nach dem, was ihr beobachten konntet, glauben wir jetzt, daß das Manifest etwas Ungegenständliches ist, das dann greif- und
verwundbar wird, wenn es kurz vor der Energieabgabe steht. Also im Halbüberladungszustand.« »Naja …«, wollte Mata beginnen. Immanuel winkte ab. »Ihr saht es nur in diesem Zustand, der aber nicht sein eigentlicher sein kann. Das bleibt sich gleich. Twoxl kann also versuchen, ihm schlagartig die Energie zu entziehen. Das heißt, wir haben eine Chance, wenn durch die Überladung seine Schablonenexistenz so manifestiert ist, daß sie mit der Energie erlischt. Richtig?« »Das war meine Idee«, sagte Mata. »Ihm eine Falle stellen, heißt, daß wir so tun müssen, als wollten wir einen bestimmten Sektor des Struktors wieder in Betrieb nehmen, der für uns wichtig ist. Das Manifest wird hoffentlich versuchen, uns einen Strich durch die Rechnung zu machen. Es wird erscheinen, und dann …« »Dann bin ich da«, zirpte es aus einer von Twoxls Sprechmembranen. »Wenn Lasserin den Köder angreift, neutralisiere ich ihn. Ich kann allerdings nicht garantieren, daß der Köder dabei unversehrt bleibt.« »Moment!« Heart erhob sich, warf einen Blick auf die Restenergieanzeige und musterte den Cpt'Kul. »Wer ist Lasserin?« »Das Manifest«, sagte Twoxl. »Genauer gesagt, das Manifest F. Ich wußte, daß es auf den Struktor angesetzt wurde. Die vergeistigten Cpt'Cpts, die immer stärker wieder zu sich selbst finden, sagten es mir. Fragt mich aber nur nicht, woher sie es wußten. Vielleicht konnten sie den Einsatzbefehl von Anti-ES belauschen, denn von ihm und nicht von Anti-Homunk kam er.« »Nach dem, was wir von Atlans Erlebnissen in der Namenlosen Zone wissen, ist Lasserin dann also der von Anti-ES unterjochte ehemalige Sechste Zähler«, sagte Henny Lupine. »Das nur, damit das Kind einen Namen hat. Wir versuchen es, wir haben gar keine andere Wahl. Ich mache den Köder. Wo bauen wir die Falle auf?«
* Henny wußte alle Proteste energisch abzuwehren. Zwar nicht die offizielle Führerin der auf Cpt zurückgebliebenen Solaner, war sie es doch, die immer wieder mit ihren spontanen Einfällen überrascht und auch einiges dazu beigesteuert hatte, daß auf Cpt die Kalmorer, die befreiten Metaplasmaten-Wesen und die neuentstandenen Cpt'Noks zu einem sinnvollen Miteinander finden konnten. In der relativ kurzen Zeit auf Cpt hatte sie sich besonders mit Twoxl angefreundet. Vielleicht stellte sie sich deshalb als Köder zur Verfügung, weil sie genau wußte, daß Twoxl sie wie keinen anderen zu schützen versuchen würde. Er sträubte sich lange, und wie von Immanuel vorhergesagt, wollte auch Heart an ihrer Stelle gehen. Doch Hennys Sturheit siegte. Nun befand sie sich allein mit Twoxl in der Nähe des Materieeinlasses. Nach Yurglays Tod galt als gesichert, daß Lasserin tatsächlich die interne Kommunikation der Solaner mitverfolgte. Darauf baute der Plan auf. Heart und Henny besprachen über eine aus der Restenergie noch schaltbare Interkomstrecke, daß die BANANE einen Ausbruchsversuch machen sollte, um kosmische Trümmerstücke im Cpt-System mit Traktorstrahlen in den Einlaß zu bugsieren. Eine entsprechende Programmierung des Autopiloten, so hatten sie ihr Spiel abgesprochen, läge vor. Das Schiff brauchte nur das Hangarschott zu zerstrahlen und auszuschweben. Die Trümmermassen – unter anderem Reste von Raumschiffen, die durch die Metaplasmaten vernichtet worden waren – sollten dem Struktor neue Energien zuleitbar machen. Auch das würde von der kleinen Nebenzentrale beim Einlaß aus eingeleitet werden. Alles konzentrierte sich also auf diesen winzigen Sektor. Es gab kein Zurück mehr für Henny und Twoxl. Und es gab keine Hoffnung mehr für den gesamten Struktor, sollte der »Plan«
scheitern. Das Delikate an der ganzen Angelegenheit war, daß im Grunde alles stimmte. Um den Struktor wieder beweglich zu machen, mußte tatsächlich kosmische Materie herangeschafft werden. Der zweite Schritt würde darin bestehen, ihn langsam auf den zehnten Planeten des Systems zuzusteuern, einen unbelebten Riesen. Durch seine Zerstörung und Umwandlung sollte die Energie gewonnen werden, um bis zur Dunkelschale zu gelangen, wo es Materie im Überfluß gab, um die Speicher des Giganten wiederaufzufüllen. »Dann gebt den Impuls an die Korvette jetzt ab, Hyrlian!« sagte Henny. »Ich bin bereit!« Eigentlich hatte sie längst mit dem Erscheinen des Manifests gerechnet. Mußte das Schiff denn tatsächlich erst ausbrechen und Fahrt aufnehmen? Das war der Punkt, der am meisten Sorge bereitete. Lasserin konnte das Spiel durchschauen und ganz einfach in die Korvette eindringen, um auch sie unbrauchbar zu machen. Heart bestätigte. Er sagte noch etwas von Explosionen im Heckteil des Struktors, dann brach die Funkstrecke zusammen. »Erster Akt«, sagte die Solanerin. »Lasserin schneidet uns ab.« Twoxl hatte sich geteilt. Zwei der kartoffelförmigen Komponenten mit der blaugrauen lederartigen Oberfläche ruhten auf ihren ausgestreckten Beinen, eine saß auf ihrem Kopf, die vier anderen schwebten unter der Decke des Kontrollraums. Henny dachte ganz kurz daran, mit wieviel Hingabe sich der Cpt'Kul um die neuentstehenden Carchs auf Cpt gekümmert hatte. Sie nannte sie alle Carch, obwohl sie inzwischen wußte, daß es sich um Cpt'Noks handelte, die dritte Entwicklungsform der Cpt'Cpts. Eine Strahlung aus dem Weltraum hatte ihre Entstehung über fünfzig Jahre hinaus verhindert, beziehungsweise sie nach der Verwandlung abgetötet. Für Twoxls Volk begann die Zukunft neu. Sie korrigierte sich. Sie konnte erst dann wirklich beginnen, wenn sich die Verhältnisse innerhalb dieser Galaxis zum Positiven hin
normalisiert hatten. Und dazu brauchten sie den Struktor. »Merkst du noch nichts, Twoxl?« fragte die Pilotin, jetzt doch unruhiger. Sie konnte es nicht mehr aus ihrem Bewußtsein verdrängen. Sie war mit Twoxl allein. Was auch geschah – niemand konnte mehr irgendwelche Hilfe bringen. Sie ruckte unruhig im Sitz hin und her. War die Korvette schon draußen? Dann plötzlich zirpte es aus einer der Komponenten an der Decke: »Energie baut sich auf! Lasserin kommt!« Und er war da. Hennys Herz schlug wild. In diesem Augenblick fühlte sie ihre ganze Hilflosigkeit. Keine Waffen halfen gegen das Manifest von Anti-ES. Und wenn Twoxl versagte … Es war da. Die Nebenzentrale war übergangslos in grelles Licht gebadet. Henny schloß instinktiv die Augen, doch das grelle Leuchten durchdrang ihre Lider. Sie sah das wallende Etwas aus purer Energie. Sie fühlte, wie sich die Twoxl-Komponenten von ihren Beinen lösten. Dann fuhr etwas aus sieben Richtungen in das Wabern, traf sich in seinen Zentrum und … Da war ein Schrei wie von einem Kind, das gequält wurde. Es stach in ihr Bewußtsein, in dem sich Mauern gegen die Helligkeit und die Qualen aufbauten, die in ihr ein grausames Echo fanden. Sie brachen eine nach der anderen. Und als sie glaubte, ihr Innerstes müßte in alle Winde geschleudert werden, erlöste sie die Dunkelheit des Nichtseins. Der Eindruck von einem Kampf unvorstellbarer Gewalten verwehte mit dem letzten Funken Wachseins, vermischt mit dem einzigen noch denkbaren Gedanken: Er schafft es nicht! Schon die Neutralisierung der HyperbombenEnergien auf Cpt und im Weltraum war wie ein Wunder gewesen! Aber Lasserin ist tausendmal stärker!
3. Die Staubflieger
Die Dunkelzone um den Innenraum von Xiinx-Markant war zwischen acht- und elftausend Lichtjahre dick. Nahm man sie als ellipsoide Schale um den Galaxienkern und setzte man normale Maßstäbe der Lebensentwicklung in Sterneninseln an, so mußte die Zahl der ehemaligen intelligenten Rassen dieser Region in die Tausende gehen. Von ihnen allen hatte eine einzige Art überlebt, als der Struktor zum erstenmal in Aktion trat und die Staubzone schuf. Ihrem Lebensraum entsprechend, waren die Wesen von den Solanern »Staubflieger« genannt worden. Sie lebten in Völkergemeinschaften von bis zu zweihundert Individuen, die gemeinsam einen durchlöcherten Planetoiden bewohnten. Es gab viele solche Löcherplaneten, deren Durchmesser in der Regel nur zwischen 100 und 150 Kilometer betrug. Verließen die Staubflieger ihre Behausungen und wagten sie sich in den Materiemantel vor, dann ließen sie sich von den Gezeitenkräften des Universums tragen. Sie hatten sich bei der Erschaffung der Dunkelzone innerhalb kürzester Zeit den neuen Verhältnissen angepaßt. Welche ungeheure geistige Anstrengung dazu erforderlich gewesen war, das konnten auch sie nur noch ahnen. Heute bewegten sie sich flink und geschickt in der Mikromaterie und ernährten sich auch von ihr. Sie ließen sich am ehesten mit riesigen Kaulquappen vergleichen, ausgewachsen bis zu dreißig Meter lang und fünfundzwanzig Meter dick. Sie besaßen keine erkennbaren Sinnesorgane. Untereinander telepathisch verbunden, war es für sie fast unmöglich, sich anderen Intelligenzen sinnvoll mitzuteilen. Aber andere Intelligenzen gab es seit Entstehung der Dunkelzone auch nicht mehr in ihrem Lebensbereich, sah man von den Kontakten mit den Solanern ab, die von »draußen« gekommen waren. Das heißt, noch eine weitere Ausnahme hatte es gegeben, wenn auch nur für kurze Zeit. Daal, noch jung und abenteuerlustig, war bei den Staubfliegern
gewesen, die den geistigen Impuls durch die Materiemassen geschleust hatten, bis er sicher in die Innenzone gelangen konnte. Von diesem Tag an war Daal unter den Jüngeren so etwas wie eine Leitfigur. Mit ihm an der Spitze, wagten sich immer größere Gruppen in unbekannte Bereiche der Dunkelzone vor, besuchten andere Löcherplaneten und berichteten von dem, was sich tat. Und wie es schien, war mit dem Erscheinen der Solaner und des geistigen Impulses etwas in Gang gesetzt worden, das immer weiter eskalierte und nun auch die Existenz der Staubflieger selbst zu bedrohen begann. Das Wissen darum hing wieder mit der einzigartigen Entwicklung ihres Volkes zusammen. Die Vorfahren der Staubflieger waren kein homogenes Volk gewesen, sondern in zwei große Lager geteilt, als sich die Katastrophe ankündigte. Die eine Seite war in den Bann der finsteren Macht geschlagen worden, die die Galaxis zu beherrschen begann und den Struktor schickte. Die andere behielt ihre Freiheit und konnte sich dem fremden Zwang erfolgreich entziehen. Zu den Nachkommen dieser positiven Wesen gehörten nun die Staubflieger der Löcherplaneten. Die negative Form manifestierte sich in der Form von mondgroßen intelligenten Klumpengebilden. Sie erfüllten für die böse Macht Überwachungsaufgaben. Nur einmal – auch im Zusammenhang mit den Solanern – war es Positiven gelungen, einen solchen Klumpen zu besiegen. Das Resultat war gewesen, daß dieser gewaltige Brocken sich in viele tausend kleine »Kinder« auflöste – neue Staubflieger, die frei vom Willen des Bösen waren. Die Negativen besaßen viele Fähigkeiten, die sie als Waffe einsetzen konnten – Aufbau kinetischer Energien zur Bombardierung von Gegnern mit großen Trümmerstücken ehemaliger Welten, oder auch die Erzeugung von geistigmateriellen Ablegern. Die Gabe der Positiven hingegen bestand darin, daß sie im Kollektiv kosmisch bedeutsame Dinge und Entwicklungen auf fast hellseherische Weise erahnten. Ihr ganzes
Streben ging dann auch dahin, das Geheimnis ihrer eigenen Schaffenskraft zu enträtseln. Und nun fanden Daal und seine jungen Gefährten auf jedem Löcherplaneten, den sie auf ihren Erkundungsreisen fanden und besuchten, neue Sklupturen. Es waren immer die gleichen, immer sechs. Die erste stellte auch hier Atlan dar, die zweite wie gehabt AntiHomunk. Beide aber waren nur unfertig ausgebildet und verloren sich relativ schnell immer mehr in unklare Formen. Die dritte und vierte zeigten den Struktor, jene Maschine, die die Dunkelzone geschaffen hatte. Jeder Staubflieger erinnerte sich daran oder kannte sie aus den Erzählungen der älteren Artgenossen. Zuerst hatten die beiden Gebilde die gleiche Form und Größe gehabt. Nun aber begann das erste von ihnen zu schrumpfen, während das zweite in gleichem Maße an Größe und Klarheit gewann. Die fünfte Skulptur war etwas, das sich laufend veränderte. Eigentlich bildete es keine feste Form, sondern schien eher halbenergetischer Natur. Es schien eine Wechselwirkung zwischen ihm und den beiden Struktor-Skulpturen zu bestehen. Sobald das fließende Etwas an Ausdehnung gewann, hörte die Verlagerung von einem Struktor zum anderen hin auf. Die sechste Skulptur schließlich war etwas, das es auf den Löcherplaneten noch niemals gegeben hatte. Sie stellte einen riesigen Spiegel dar, in dem Bilder erschienen. Näherte ein Staubflieger sich ihr, so vernahm er eine deutliche und eindringliche Botschaft: Schützt euch! Jene, die ihr für Freunde hieltet, sind eure schlimmsten Feinde! Sie wollen den Struktor abermals einsetzen, doch diesmal, um euren Lebensraum wieder in Sonnen und Planeten zu verwandeln – und in die grenzenlos leere Weite des Weltraums, in der ihr keine Nahrung und keine Heimat mehr findet! Noch einmal könnt ihr euch nicht anpassen! Ich kann noch verhindern, daß es dazu kommt. Doch mögen Ereignisse
eintreten, die mich dazu zwingen, meine Waffe auf andere, wichtigere Ziele zu richten. Dann seid bereit, selbst anzugreifen! Dann vernichtet den Struktor! Daal hatte in den Spiegel geschaut und die Botschaft vernommen. Er hatte dabei gesehen, wie sich die fünfte Skulptur jedesmal dann mit einem unangenehmen Leuchten erfüllte, wenn von der »Waffe« die Rede war. Und wie allen anderen, hatte sich Daal der Spiegel als etwas mitgeteilt, das er als »Die-Macht-dieeuch-euer-Leben-gab« begriff. Er war von Anfang an vorsichtig genug gewesen, sich nie allein zum Spiegel zu begeben. Wahrscheinlich verdankten er und seine Schar von Gefährten es nur diesem Umstand, daß sie noch frei in ihrem Denken waren und nicht schon ebenfalls so besessen wie die meisten ihrer positiven Brüder. Es war grausam genug, die Veränderung mitverfolgen zu müssen, die mit den anderen vor sich ging. Sie waren kaum noch wiederzuerkennen, und es schien, als hätten sich alle ihre Werte umgekehrt. Sie gestatteten sogar den negativen Riesenwesen, ihre Löcherplaneten anzufliegen und zu versetzen. Es gab keine Verständigungsbasis mehr mit ihnen. Sie befanden sich vollkommen im Bann der Spiegel auf ihren Wohnwelten. Einige Male kam es vor, daß Daals Schar angegriffen wurde und die Flucht vor den bisherigen Freunden ergreifen mußte. Dabei wurde erkennbar, daß die Negativen die Löcherplaneten systematisch in einen bestimmten Abschnitt der Dunkelzone manövrierten, wo sie wie an einer Schnur aufgereiht einen gedachten Korridor durch die Staubmassen flankierten. Daal war verzweifelt. Er verstand nichts von dem, was hier vorging. Er wußte nur, daß seinem Volk eine unvorstellbare Gefahr drohte, die nicht von den Solanern ausging – oder jedenfalls nicht von ihnen allein. Die-Macht-dieeuch-euer-Leben-gab war für ihn nichts anderes als das Böse jenseits des Staubmantels, im Zentrum der Galaxis, und
damit die Macht, die die Welten der Vorfahren zerstört hatte. Seine einzige Hoffnung bestand nun darin, seinen eigenen Heimat-Löcherplaneten noch da vorzufinden, wo er ihn verlassen hatte. Seine Gruppe durcheilte die Dunkelzone bis fast zur völligen Verausgabung an Kräften. Er führte sie an, er wurde von allen Gefährten mit großem Respekt bedacht. Dennoch drangen ihre Zweifel in immer stärkerem Maß auf ihn ein. Es war von Anfang an das Ziel der Solaner, die Macht zu bekämpfen, wisperte Zuuis Gedankenstimme in ihm. Was sie unter einer Normalisierung und Befreiung der Sterneninsel verstehen, muß folglich die Wiederherstellung der ursprünglichen Verhältnisse sein. Dann aber sagen die Spiegel die Wahrheit! Sie wollen die Dunkelzone auflösen! Daal gab keine Antwort. Das war gar nicht nötig. Sie alle wußten es und hatten mit diesem Konflikt zu kämpfen. Doch Daal weigerte sich, daran zu glauben, daß die Solaner seinem Volk willentlich Schaden zufügen wollten. Er verstand die Ängste der Gefährten – und bis zu einem gewissen Grad auch den plötzlichen Fanatismus der Älteren, die auf dem besten Weg waren, ihre eigene Weltanschauung zu verraten. Er bemühte sich aber auch, die Solaner zu verstehen. Es mußte eine Lösung geben, die für beide Seiten zufriedenstellend war. Die Macht im Zentrum von Xiinx-Markant war niemandes Freund. Sie hatte einmal alles Leben in diesem Sektor vernichtet. Ihr war es nicht zu verdanken, daß die Staubflieger überleben konnten. Selbst wenn es tatsächlich geschähe, fragte er sich. Falls die Dunkelzone sich wieder in Sonnen und Planeten verwandelte – könnte es dann nicht doch sein, daß wir auf diesen neuen Planeten weiterexistieren mögen? Er wußte es eigentlich besser. Planeten formten sich in Jahrmillionen. Sie entstanden nicht bewohnbar aus dem Nichts heraus. Und solange hatte kein Staubflieger Zeit. Und dann sterben wir alle aus, diesmal endgültig! sendete Zuui. Nein, antwortete Daal in plötzlichem Trotz. Es muß nicht so
kommen! Es lebten Milliarden und aber Milliarden Wesen in den Randgebieten dieser Sterneninsel, die nur dann frei und glücklich sein konnten, wenn die Macht im Zentrum endgültig besiegt wurde. Andererseits – durfte die Auslöschung der Staubflieger der Preis dafür sein? Daal hing am Leben. Jetzt mußte er sich die Frage stellen, ob sein unstillbarer Drang nach Abenteuern nicht nur Ausdruck der Gewißheit war, daß dieses Leben nicht lange mehr währen würde. Es muß einen Weg geben, daß die alten Völker eine Zukunft haben und auch wir, die wir aus dem Chaos entstanden! Er schirmte sich gegen alle auf ihn eindringenden Impulse ab und eilte der Staffel voraus. Endlich war der Heimatsektor erreicht. Und Daal vergaß für Augenblicke alle quälenden Ängste, als er den Löcherplaneten noch an seinem alten Ort stehen sah. Seine Sinne tasteten. Sie fanden nichts auf der Oberfläche. Alle Bewohner hatten sich ins Innere zurückgezogen. Auf der Oberfläche standen nur die sechs Skulpturen. Daal hatte Angst davor, sich ihnen zu nähern. Instinktiv spürte er, daß eine neue Entwicklung eingesetzt hatte, daß der Spiegel ihm ein neues Bild zeigen würde. Er raste in einen der weiten Schächte hinein und kam erst in jenem riesigen Hohlraum zur Ruhe, in den sich sein Volk aus Furcht vor den Staubmikroben zurückgezogen hatte, als bekannt wurde, daß diese tödlichen Winzigwesen die Bewohner anderer Löcherplaneten getötet hatten. Die Gefahr war allem Anschein nach gebannt. Der Hohlraum diente nun aus anderen Gründen als Fluchtburg. Ein Großer wird kommen, war alles, was Daal auf seine drängenden Fragen zur Antwort erhielt. Er ist schon auf dem Weg hierher. Er wird unsere Wohnstatt zum Korridor bringen. Es schien endgültig zu sein. Daal war entsetzt über das Schweigen der älteren Verwandten. Was hatte sie so stumm und gefügig gemacht? Wenigstens von ihnen hätte er zumindest Zweifel
erwartet. Durch seine Berichte von vielen neuen Entdekkungen waren sie aufgeschlossener und kritischer geworden als die meisten Staubflieger – oder hatte er sich das nur eingebildet? Noch einmal versuchte er einen Vorstoß: Wenn dieser Korridor der Weg ist, den derStruktor bei seiner Rückkehr nehmen soll, dann bedeutet dies das Ende vieler Wohnwelten! Er wird die Hälfte von ihnen zerstört haben, bevor die Negativen ihn vielleicht zurückdrängen können! Ist dies ein Pakt, der euch lohnend erscheint? Schweigen traf ihn wie eine Mauer aus Kälte. Er schauderte bei der Vorstellung von vielen hundert Löcherplaneten zusammen, die nach einem noch undurchsichtigen Plan wohl nur als Absprungbasis für Staubflieger dienen sollten, die sich dem Struktor entgegenzuwerfen hatten. Wir werden mißbraucht! Ihr laßt zu, daß unser Volk genau für die Macht arbeiten soll, die die Negativen kontrolliert! Endlich löste sich einer der Älteren aus seiner Starre und schwebte auf ihn zu. Komm mit! sendete er. Daal folgte ihm zur Oberfläche, wo die Gefährten warteten. Erst als sie alle wieder zusammen waren und ein Kollektiv bildeten, wagte er sich zu den sechs Skulpturen. Atlan und Anti-Homunk waren kaum noch vorhanden. Daal wollte nicht an den schon eingetretenen oder bevorstehenden Tod des Fremden glauben. Daher interpretierte er die fortschreitende Veränderung als ein Zeichen dafür, daß die beiden Kontrahenten gegenüber der anderen Entwicklung zurückstehen mußten. Die dritte Skulptur war so gut wie nicht mehr zu sehen. Dafür überragte die vierte – der zweite Struktor – jetzt alle anderen. Das fünfte Gebilde war zwar noch vorhanden, jedoch nicht mehr zu sehen. Daal spürte nur, daß es noch existierte. Und der Spiegel zeigte einen Negativen, der auf den Löcherplaneten zuraste. Gleichzeitig sagte es in Daals Bewußtsein: Mächtige Feinde haben sich mit denen verbündet, die den Struktor in
ihre Gewalt gebracht haben – Feinde des Lebens! Seid nun noch wachsamer! Die Entscheidung kann erst in der Dunkelzone fallen! Ich sende euch meine Waffe! Gehorcht den Befehlen, die sie über meine Diener an euch richten wird – und ihr werdet leben! Tut nichts – und ihr geht mit dem Staub! Trotz des Kollektivs fiel es Daal schwer, sich vom Spiegel zu entfernen. Endlich wieder weit genug vom Löcherplaneten entfernt, kam ihm erst richtig zu Bewußtsein, was die Nachricht bedeutete. Die sogenannte Macht wurde mit den Solanern und ihren geheimnisvollen Verbündeten allein nicht fertig. Ihre Waffe mußte versagt haben. Warum sonst brauchte sie die Staubflieger? Daal konnte nicht genau begründen, was ihn zu seinem Entschluß trieb, gegen den Plan zu kämpfen. Nur eines wußte er ganz klar. Es war falsch, sich den Aufforderungen zu fügen. Sein ganzes Volk war dabei, sich in kollektiven Selbstmord zu stürzen. Er konnte nicht sagen, was wirklich geschehen würde, sollte der Struktor wahrhaftig wiedererscheinen und den Staub zu Planeten und Sonnen verwandeln. Aber was immer es war – wenn die Solaner damit zu tun hatten, mußten sie einen Weg kennen, die Staubflieger zu retten. Sie waren keine Feinde des Lebens, nicht sie! Der Negative wird unsere Wohnwelt nicht holen! sendete er an die anderen. Wer sie wie ich retten will, der soll mir folgen! Seine Entschlossenheit strahlte auf die Gefährten aus. Kein einziger zog es vor, sich in die trügerische Sicherheit des Löcherplaneten zu begeben. Selbst der Ältere schloß sich der Gruppe an, die vorstieß, um den Negativen rechtzeitig abzufangen. Der Kampf begann, als das Riesengebilde aus den Staubmassen auftauchte, mächtig und strahlend. Ein Kampf, dessen Ausgang ebenso ungewiß war wie das, was nach ihm sein würde. Daal aber war sich darüber im klaren, daß es der letzte sein würde, den sein Volk austrug. Die etwa hundert jungen Staubflieger katapultierten sich dem Gegner entgegen, in dem sich ein riesiges Maul bildete.
4. Der Struktor Henny Lupino kam zu sich. Sie sah in das sorgenvolle Gesicht von Mata St. Felix. Für einige Augenblicke glaubte sie sich auf Cpt, in der kleinen Station, die aus Bauteilen der BANANE errichtet worden war. War sie krank? Hatte sie einen Unfall gehabt? Die Erinnerung setzte schlagartig ein. Henny wollte auffahren, doch Mata drückte sie sanft auf das Lager zurück. »Ganz ruhig«, sagte die Buhrlo. Sie hatte etwas an sich, das jeden Menschen auf Anhieb Vertrauen zu ihr fassen ließ. Henny und die jüngere Schwester von Bora St. Felix verstanden sich hervorragend und ergänzten sich in fast jeder Weise. Mata war mehr für die technischen Dinge prädestiniert – und für alles, was mit Verwaltung zu tun hatte. Henny liebte das Abenteuer und galt auf Cpt als guter Geist der heranwachsenden Cpt'Noks- und natürlich war sie die besondere Freundin von Twoxl. Doch dies war nicht Cpt. Und Twoxl …? »Was ist geschehen, Mata?« fragte Henny. Der erste Schock nach dem Erwachen war vorüber. Dennoch kam ihr ihre Ruhe unnatürlich vor. Was hatte Mata ihr injiziert? »Es scheint so, als hätten wir es tatsächlich geschafft«, erklärte die Buhrlo mit dem Anflug eines Lächelns. »Das heißt, du mit deinem Dickkopf und …« Henny streifte die Hände der anderen ab und richtete sich zum Sitzen auf. Kurz wurde ihr schwindlig. »Was ist mit Twoxl, Mata? Und wieso scheint es nur, daß …?« »Eins nach dem anderen.« Mata erhob sich von dem Klapphocker, der wie alle Möbel im Struktor zu einer lange vergangenen Zeit zu gehören schien, drehte sich halb um und holte tief Luft. Henny glaubte ein leises Summen zu hören. Kam es aus ihrem Kopf? Und das Vibrieren der Liege. War es ihr Blut, das durch die
noch wie tauben Glieder jagte? »Die Korvette ist draußen und führt dem Struktor Materie zu, die er in Energie verwandelt, Henny. Der Abfluß hat aufgehört. Das war in dem Moment, als wir in der Zentrale den verheerenden Energieausbruch beim Einlaß orteten. Was noch in den Speichern war, reichte gerade aus, um die Transmitterstrecke noch einmal zu schalten. Heart und ich holten dich. Eigentlich hofften wir, daß du uns sagen könntest, was sich zugetragen hat.« »Ich weiß nichts. Da war Lasserin, und Twoxl drang in ihn ein. Ich glaube jedenfalls, daß es so war. Es ist alles … verschwommen, aber ich muß tausend Tode gestorben sein.« »Zum Glück nicht den einen wirklichen. Henny, du warst drei Stunden bewußtlos. Erschrick nicht, wenn du dein Gesicht betastest, die Hautverbrennungen klingen bereits ab. Mit Hilfe der Speziaisalben haben wir dich in wenigen Tagen in alter Schönheit zurück.« Die Buhrlo preßte die Lippen fest aufeinander, bevor sie weitersprach. »Lasserin ist entweder von Bord oder so stark geschwächt, daß er untätig bleibt. Die Energiespeicher dürften sich in weniger als einer Stunde soweit aufgefüllt haben, daß der Struktor Kurs auf den Zehnten Planeten nehmen kann.« »Twoxl hat ihn also besiegt? Er hat Lasserin tatsächlich neutralisieren und abtöten können?« entfuhr es Henny. »Vielleicht. Es wird sich spätestens dann herausstellen, wenn wir Kurs auf die Dunkelzone nehmen.« »Mata, wir gingen davon aus, daß Lasserin als Schablone mit der entzogenen Energie stirbt!« »Wir gingen davon aus!« Die Buhrlo lachte trocken. »Wir hatten nicht viel Zeit um lange zu überlegen, Henny. Gut, als Manifest von Anti-ES ist Lasserin auf ein bestimmtes Ziel programmiert. Dieses Ziel ist die Ausschaltung des Struktors. Aber es hat sich schon bei anderen Manifesten gezeigt, daß sie flexibel in der Ausführung ihres Auftrags sind. So gesehen, kann Lasserin mit uns Versteck spielen oder sich geflüchtet haben, um gestärkt zurückzukehren. Und was
Twoxl betrifft, so kann er zwar Lasserins Energien neutralisieren, sie ihm aber nicht entziehen. Du verstehst den Unterschied? Um Lasserin abzutöten oder zu befreien, hätte er ihn quasi aussaugen müssen, und das kann er eben nicht.« Sie betonte das Wort »befreien«. Alle bisherig bekannten Manifeste, von Anti-ES versklavte Zähler der zehn Relativeinheiten, die die negative Superintelligenz abzubüßen hatte, waren durch ihre Auslöschung als Manifest frei geworden und konnten in die Namenlose Zone zurückkehren. Wer als Eingeweihter von einem Sterben der Manifeste sprach, meinte nichts anderes. Henny verlor die Geduld. Sie hatte das schlimme Gefühl, daß Mata um die wirkliche Frage herumredete. Sie stand auf und wartete, bis ihr Kreislauf sich stabilisiert hatte. Mata drehte sich wieder zu ihr um. Ihre Blicke trafen sich. »Was ist mit Twoxl?« fragte Henny scharf. »Keine Spur von ihm«, sagte die Buhrlo.
* Ergoz Immanuel hatte seinen Auftritt in der Steuerzentrale hinter sich, und diesen Auftritt verfluchte er nun. Was war im Jahre 3807 so besonderes an einem Menschen, der zur Hälfte Roboter und Positronik darstellte? Schon Ende des 20. Jahrhunderts hatte es auf der alten Erde Männer und Frauen mit künstlichen Gliedmaßen, Kunstorganen und externen Stoffwechselapparaten gegeben. Aber die Blicke der anderen Solaner bewiesen Immanuel, daß er für sie immer noch anders war. Deshalb hatte er all die Jahre geschwiegen. Die Menschen des vierten Jahrtausends akzeptierten die Buhrlos, weil sie zu anders waren – und damit schon wieder vertraut. Einen aus ihrer Mitte aber … Sie lehnen mich nicht ab, dachte er. Wenigstens solche Vorurteile
gibt es nicht mehr. Aber ich bin keiner von ihnen. Lächerlich, aber so war es. Immanuel hatte sich in einen der unzähligen angrenzenden Räume zurückgezogen. Von hier aus hatte er die Entwicklung bis zum anscheinenden Erlöschen Lasserins mitverfolgt. Seine Gedanken waren dabei bei Henny Lupino gewesen, denn sie als einzige hatte ihn nicht so angesehen. Er korrigierte sich schon wieder. Er redete sich das jetzt ein, vielleicht weil er es wollte. Was war los mit ihm, dem nüchternen Denker? Es ist jene zur Fortpflanzung der eigenen Art unumgängliche Eigenheit aller organischen Wesen, sendete Heinrich aus der abtrennbaren Kommandokanzel. Du hast dich verliebt! »Unsinn!« rief Immanuel laut. Es ist wohl wahr! Sie hat dich auf eine andere Art angesehen als Heart und deine sonstigen Freunde. Oder du glaubst, daß sie dich anders angesehen hat, weil du es möchtest. Unsinn! Was mischte sich Heinrich in diese Angelegenheiten ein! Wenn du plötzlich die Meinung deiner positronischen Komponente nicht mehr hören willst, ist es geschehen! verkündete der MCS nüchtern. Er verstummte und meldete sich nicht wieder. Immanuel ertappte sich tatsächlich bei dem Gedanken, Heinrich möge schweigen und ihn nicht mehr belästigen. Immanuel rief Heart an und fragte nach dem aktuellen Stand der Dinge. Heart ersparte sich einen merkwürdigen Blick nicht, die Frage nach dem plötzlichen Verschwinden seines Gegenübers verkniff er sich taktvoll. Alles in allem gesehen, wirkte der Kommandant gelöst und in Grenzen zuversichtlich. »Wir sind zum zehnten Planeten unterwegs, Ergoz. Keine neuen Störungen. Der Struktor fliegt zwar langsam, aber er fliegt. Wir erreichen den Planeten in ungefähr zwanzig Stunden. Die BANANE bringt laufend neue Materie.« »Und Henny Lupino?«
Heart grinste ihn an. »Sie ist außer Gefahr, Ergoz. Mata ist noch bei ihr, aber sie hat sicher nichts gegen einen Besuch.« Immanuel schaltete per Wortbefehl aus. Die entsprechende Positronik gehorchte wieder. Die Bildwand verdunkelte sich. Verdammt! dachte der Kybernetikter. Sind denn alle verrückt geworden? Er war nicht allein. Chorl Metynhorl, der sich eher durch Tölpelhaftigkeit auszeichnete denn als Kosmogenetiker, lag ausgestreckt auf einer Pritsche zwischen zwei Speichereinheiten. »Sie ist ja auch wirklich ein steiler Zahn«, sagte er. »Diese Henny, meine ich.« Immanuel fuhr herum und starrte ihn wütend an. Er griff nach dem nächstbesten Gegenstand, um ihn dem anderen an den Kopf zu werfen. Aber was er dann plötzlich in der Hand hatte, fühlte sich warm und weich an – und bewegte sich leicht. Der Kybernetiker bekam große Augen. Was er für einen doppelt faustgroßen Stein gehalten hatte, schimmerte graublau und kräuselte sich weiter an einigen Stellen der Oberfläche. »Chorl, ich glaube, das hier ist ein Teil von ihm.« Metynhorl wurde neugierig, stand auf, kam heran und beugte sich über das Ding in Immanuels Hand. »Ein Teil von wem?« »Stell dich nicht noch dümmer an, als du bist! Heart sagte, Twoxl sei entweder im Kampf gegen Lasserin vernichtet worden oder vielleicht von dem Manifest entführt. Jedenfalls haben sie nichts mehr von ihm gefunden. Er kann sich doch siebenmal teilen. Und das hier ist ein Stück von ihm.« »Hmm«, machte Metynhorl und fuhr sich mit der Hand über das Kinn. »Und wo sind dann die sechs anderen? Außerdem sieht mir der Brocken ziemlich tot aus.« »Aber er bewegt sich doch!« »Twoxl ist nicht mit Heart und der Buhrlo durch den Trasmitter
zurückgekommen. Das hätten sie gesehen. Also kann er nicht hier sein. Auch wenn er durch die Korridore geschwebt wäre und alle Schotte hätte öffnen können, hätte er's in dieser kurzen Zeit nicht über fast hundert Kilometer geschafft.« Natürlich war das richtig. Aber … Heinrich meldete sich wieder: Na, geh schon zu ihr! Jetzt hast du doch einen Grund. Henny hat eine Positronik nach Twoxls Verbleib befragt. Sie sorgt sich um ihn. Wie ich euch Menschen kenne, wird sie dir unendlich dankbar sein, wenn du ihr wenigstens ein Twoxl-Siebtel bringst. »Halt die Klappe!« schrie der Kybernetiker laut. Metynhorl machte einen Schritt zurück und stemmte die Fäuste in die Seiten. »Ergoz, selbst wenn ich etwas Falsches gesagt hätte, brauchte ich mir das nicht gefallen zu lassen! Kann ich dafür, daß du im Kopf durcheinander bist?« »Dich meinte ich gar nicht«, knurrte Immanuel. »Ach so!« Immanuel schnitt eine Grimasse. Er ließ den anderen stehen und ging. Auf dem Korridor blieb er wieder stehen und betrachtete abermals den Klumpen in seiner Hand. »Du kannst mich doch hören, oder nicht?« Der Twoxl-Teil gab keine Antwort. Immanuel glaubte nun auch, daß er Hilfe brauchte. Und niemand an Bord kannte Twoxl besser als Henny Lupino, das war ja kein Geheimnis. Es ist logisch, daß du zu ihr gehen mußt! sendete Heinrich. Dein Zögern beweist ebenfalls, daß du dich im Zustand gefühlsmäßiger Verwirrung befindest. Du wirst momentan nirgendwo anders gebraucht. Du hast Angst, Ergoz. Der Kybernetiker gab sich einen Ruck. Er wollte seinem »Zweithirn« zeigen, daß es keine Ahnung von menschlichen Gefühlen hatte. Außerdem kam er sich schon wie ein Komiker vor. Aber wieso hatte er jetzt solches Herzklopfen? Angst wovor? Daß
er sich in etwas verrannte, um dann nur enttäuscht zu werden? Was konnte ein Halbrobot einer Frau schon bieten? Sie hat dich doch so anders angesehen, Ergoz! Das war Hohn. Zum erstenmal wünschte sich Immanuel, er könnte die Verbindung zu Heinrich einfach kappen. Doch dazu müßte er sich schon das Gerät aus dem Schädel schneiden lassen.
* Alles, was sich der Kybernetiker auf dem Weg zurechtgelegt hatte, war plötzlich überflüssig geworden. Mata St. Felix hatte ihn in eine kleine Nebenschaltstelle geschickt, in der Henny jetzt arbeitete. Er erschrak heftig bei dem Anblick des krebsrot verbrannten Gesichts. Henny aber hatte nur Augen für den Twoxl-Klumpen, sie nahm ihn Immanuel aus der Hand, bevor der stammeln konnte: »Das … das habe ich gefunden, und Heinrich meinte, es würde dich interessieren.« Wie ein Idiot führte er sich auf! Zum Glück beachtete Henny ihn gar nicht. Sie setzte sich, legte den Klumpen auf ihren Schoß und schien ihn zu untersuchen. »Du hörst mich, Twoxl?« fragte sie leise. »Ich hab's auch schon versucht«, seufzte Immanuel. »Ohne Erfolg.« Sie sah nicht auf. »Kannst du dich nicht wenigstens irgendwie bemerkbar machen?« Sie sprach zu sich selbst. »Er kann sehen, hier mit dieser Membrane. Er kann hören und sprechen.« Endlich schien sie zu bemerken, daß noch jemand im Raum war. »Wo hast du ihn gefunden, Ergoz?« Er bezeichnete den Ort. »Hast du alles nach weiteren Komponenten abgesucht?« »Ich …« Er mußte schlucken. Natürlich nicht.
»Also nein. Dann beeilen wir uns. Ich kann es mir nur so erklären, daß Lasserin im Augenblick des Erlöschens oder der Flucht Twoxl fortstieß, vielleicht in alle Richtungen wegteleportierte. Wenn wir Glück haben, sind die anderen sechs Komponenten im Struktor. Wenn wir noch mehr Glück haben, finden wir wenigstens eine.« Immanuel lief voran, erleichtert darüber, daß er endlich etwas tun konnte. Metynhorl schenkte sich einen Kommentar, als er dazu aufgefordert wurde, bei der Suche zu helfen. Nach Minuten war alles auf den Kopf gestellt, was sich bewegen ließ. »Nichts«, sagte Henny niedergeschlagen. »In ihrem Normalzustand sind die Komponenten einzeln genauso beweglich und aktionsfähig wie der ganze Twoxl. Allerdings wächst ihre geistige Kraft, je mehr zusammen sind. Wenn wir wenigstens eine zweite Komponente finden und ansetzen können, besteht die Chance, daß die beiden die anderen fünf zu sich rufen können.« »Wo fangen wir an?« fragte Immanuel. Er brauchte die Abmessungen des Struktors niemandem aufzusagen. »Wenn wir wieder genug Energie haben, können die Positroniken jeden einzelnen Raum in Sekundenschnelle absuchen. Wir müssen ihnen nur eine Beschreibung geben.« »Wenn!« Sie fluchte. »Bis dahin kann es schon vorbei sein. Ergoz, die Komponenten haben nicht die Kraft, sich einzeln mit neuem Leben aufzutanken. Sie bauen immer mehr ab, und am Ende …« Immanuel nahm sie in die Arme und strich ihr mit der rechten Hand durch das schwarze Haar. Es schien auf einmal alles so einfach. Plötzlich lag sie an seiner Schulter. Ihre Stimme war kaum hörbar, als sie flüsterte: »Wenn er stirbt, verlieren wir viel mehr als nur eine … eine Waffe! Er ist das Bindeglied zu den Vergeistigten. Er ist der Behüter des Lebens auf Cpt. Verdammt, ich habe ihn einfach gern und werde ihn wieder zusammensetzen!« »Ich helfe dir dabei«, versprach der Kybernetiker gerührt.
Sie hielt sich an ihm fest. Sie brauchte ihn. Und genau das war etwas, das Immanuel noch niemals erfahren hatte. Es gab ihm das Gefühl, tatsächlich ein Mensch zu sein. Sollte Heinrich es Verliebtheit nennen. Irgendwie stimmte es, auch wenn das Mädchen sich jetzt an jeden anderen angelehnt hätte.
* Zwanzig Stunden später war immer noch keine zweite TwoxlKomponente gefunden. Heinrich quälte Immanuel mit Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Auch wenn nicht einmal ein Millionstel des Struktors durchsucht worden war, sprach die Logik dafür, daß die anderen Komponenten von Lasserin aus dem Struktor heraus in den Weltraum geschleudert worden waren. Während Immanuel die Logik verfluchte und Henny nicht von der Seite wich, herrschte in der Steuerzentrale gespannte Erwartung. Der Struktor war dem zehnten Planeten jetzt so nahe, daß mit dem Manöver begonnen werden konnte. Zwei Programme lagen bereit – eines zur Umpolung der Maschine, das andere zum Inkrafttreten der ursprünglichen Funktion. Hyrlian Heart gab es einer Positronik ein. »Angenommen!« rief Mak Heidinger von seinem Platz herüber. »Die erzeugte Energie reicht aus, um mit dem Verwandlungsprozeß zu beginnen! Sie ist in die Kraftfeldprojektoren geleitet!« »Dann soll der Struktor jetzt mit der Arbeit anfangen!« befahl Heart den Positroniken. Ein Wandbildschirm zeigte den zehnten Planeten des CptSystems, eine gelblichbraun leuchtende Methanwelt mit farbigen Gürteln. Der Durchmesser des Giganten betrug rund 34.000 Kilometer. Plötzlich bauten sich die trichterförmig gewölbten Kraftfelder des Struktors auf. Gebannt sahen die Raumfahrer, wie sich der
gewaltige Energietrichter an den Planeten heranschob, bis er ihn völlig umschloß. »Es klappt!« rief Heidinger aufgeregt. Es hielt ihn nicht mehr auf seinem Sitz. Er sprang hoch und deutete mit zitternden Fingern auf verschiedene Anzeigenreihen. Lichter flammten auf. Bildschirme erhellten sich und zeigten Flußdiagramme. Die große Bildwand teilte sich. Zur Projektion dessen, was vorausgeschah, kam nun eine zweite, die den Weltraum hinter dem Struktor zeigte. Auch dort hatte sich ein Trichter aufgebaut, allerdings kleiner und wesentlich schlanker als der erste. »Der Materiefluß ist in Gang!« Heidingers Stimme war jetzt fast ehrfürchtig. »Zum erstenmal sehen wir den Struktor in Aktion! Der große Trichter leitet die Materie in den Einlaß und durch den Materiekanal bis zum Heckauslaß. Dort strahlt der zweite Kraftfeldtrichter die zerkleinerte Planetensubstanz als kosmischen Staub ins All ab!« »Aber bevor sie ausgestoßen wird, entzieht der Struktor ihr alles verwertbare Material und formt es in Energie um!« sagte Lina Semore. »Unsere Speicher sind jetzt schon voll!« Heart versuchte sich vorzustellen, wie der Planet aufgelöst oder zertrümmert wurde. Durch die Trichterhülle war nicht zu erkennen, was dahinter wirklich vorging. Doch es war ungeheuerlich. Menschlicher Verstand weigerte sich, es zu begreifen. Und Lasserin war nicht vergessen. Heart wartete auf etwas, das ihm anzeigte, daß das Manifest wieder erwachte und erneut zuschlug. »Aus!« sagte Donata Lafama, als der Voraustrichter erlosch, gleich darauf die Abstrahlfelder am Heck. »Es hat genau 50,4 Sekunden gedauert. Fünfzig Sekunden zur Zerkleinerung und Umwandlung einer ganzen Welt. Könnt ihr euch jetzt vorstellen, wie die Dunkelzone entstand?« Sie blickte sich um und sah nur Kopfschütteln. Schon die ersten Befragungen der Positroniken unmittelbar nach der Übernahme des
Struktors hatten ergeben, daß der Trichter sich zu einer Größe von Millionen Kilometern ausdehnen konnte. Bei andauernder Energieerzeugung vermochte der Struktor seine Arbeit selbst vom Hyperraum aus noch fortzusetzen. Die dabei zustande kommende Durchflußgeschwindigkeit im Materiekanal machte die Menschen schwindlig. Heart sah hinter der Maschine einen »Kometenschweif« aus kosmischen Staub. Er war hin und her gerissen zwischen Schaudern und Respekt vor der ungeheuren technischen Leistung der VeiMunater. Nur mit Mühe konnte er sich von dem Anblick lösen. »Jetzt haben wir den Beweis«, sagte Lina. »Lasserin ist von Bord, sonst hätte er jetzt eingegriffen.« Heart blieb weiterhin skeptisch. Noch war der Struktor nicht in der Dunkelzone. »Wir gehen auf Überlicht!« befahl er den Positroniken. Er nannte die festgelegten Koordinaten des Sektors, in dem der Struktor mit der Rückverwandlung der Staubmassen beginnen sollte. »Wo steckt Immanuel? Er wollte das neue Programm doch selbst eingeben.« »Wollte«, lachte Heidinger. »Jetzt hat er wichtigere Dinge im Kopf.« Heart zuckte die Schultern und nahm selbst das kleine Kärtchen in die Hand, auf dem sich alle benötigten Befehle befanden. Er fühlte alle Augen in der Zentrale auf sich gerichtet, als er es in den Eingabeschlitz steckte. Noch einmal herrschte atemlose Spannung, während der Struktor bereits mit hohen Werten beschleunigte. »Anzeige positiv!« rief endlich Heidinger. »Das Programm ist angenommen, Hyrlian! Der Struktor polt sich um!« Heart war der einzige, der nicht aufsprang und seiner Erleichterung Luft machte. Ganz gleich, was vor zwanzig Stunden beim Materieeinlaß wirklich geschehen war – er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß ein Manifest sich so relativ leicht beseitigen ließ, auf dessen
Erfolg Anti-ES offenbar so vertraute. Immanuel und Henny Lupino erschienen in der Zentrale. »Ihr habt doch nichts dagegen, wenn wir die Positroniken von hier aus benutzen, um die Twoxl-Komponenten zu suchen, oder?« Henny hatte die eine entdeckte auf der offenen Handfläche liegen. Immanuel war auf Schritt und Tritt bei ihr. Paß nur auf, daß dein Heinrich nicht eifersüchtig wird! dachte Heart. »Lebt er noch?« fragte er laut. »Ich meine den Stein.« Henny sah ihm in die Augen. Er verwünschte sich für den etwas spöttischen Ton. Die junge Pilotin war völlig verzweifelt. »Ich weiß es nicht«, bekannte sie leise. »Er ist jetzt ganz starr.«
* Cpt und seine Sonne befanden sich 86 Lichtjahre vom Zentrum der Galaxis Xiinx-Markant entfernt. Bis zum vorgesehenen ersten Einsatzort des Struktors waren es knapp 6.200 Lichtjahre. Die Maschine legte die Distanz in nur anderthalb Stunden zurück. Alles an Bord funktionierte wieder einwandfrei. Aus den gemachten Erfahrungen klug geworden, hatte sich bis auf zwei Ausnahmen die gesamte Besatzung in die abtrennbare Kommandokanzel begeben. Die Ausnahmen waren Henny Lupino und Ergoz Immanuel. Woran der Kybernetiker nicht mehr geglaubt hatte, war doch eingetroffen. Die Positroniken hatten den ganzen Struktor durchleuchtet und tatsächlich alle sechs Twoxl-Komponenten gefunden. Zwei von ihnen waren schon geborgen worden. An die anderen heranzukommen, erwies sich als schwieriger. Per Transmitter konnten Henny und Ergoz nur in ihre Nähe gelangen. Laufbänder führten weiter. Doch wie kam man in Abteilungen, die normalerweise niemals betreten zu werden brauchten?
Der Dreier-Twoxl erholte sich zusehends. Wie von Henny vermutet, gaben die Komponenten sich gegenseitig neue Lebenskraft. Wie das genau funktionierte, wußte niemand. Es erschien auch unwichtig. Twoxl versuchte, seine übrigen Teile per Rückrufbefehl zu sich zu holen. Sie verstanden ihn auch und sträubten sich nicht. Doch vor geschlossenen Schotten oder in Schächten, die plötzlich ohne Ausgang endeten, war die Endstation allen guten Willens. Im Kommandostand beobachtete man die Rettungsaktionen mit halbem Interesse. Aller Augen waren auf die Wandschirme gerichtet, die die dunkle Wand des Staubgürtels voraus zeigten. Heart wußte, daß es sich jetzt zeigen würde, ob Lasserin sich versteckte oder wirklich besiegt worden war. Der Dreier-Twoxl hatte dazu keine Angaben machen können. Er wußte nur zu berichten, daß er alle Energien des Manifests, sofern sie nach außen abgegeben worden waren, neutralisiert und in den Weltraum geschickt hatte. An alles weitere besaß er keine Erinnerung. Heinrich schwebte zwischen den Solanern und berichtete dann und wann, was er von Immanuel aufnahm. Der Kybernetiker und Henny hatten strikten Befehl, beim ersten Anzeichen einer neuen Gefahr ebenfalls den Kommandostand aufzusuchen. Der Struktor, jetzt halb lichtschnell, drang in den Staubmantel ein. Was Heart zu tun blieb, war, den Befehl zum Beginn des Einsatzes zu sprechen. Vielleicht, dachte er, kann auch Lasserin nichts mehr ausrichten, wenn der Struktor erst einmal in Fahrt ist und soviel Energie gewinnt, daß das Manifest gar keine Zeit hat, sie zu neutralisieren. Oder aber es gibt sie in solcher Menge und so schnell wieder ab, daß die Maschine tatsächlich innerhalb von Sekunden auseinanderfliegt. Er schob die Gedanken daran von sich. Noch einmal ließ er sich ein Bild von Henny und Immanuel auf eine Wand schalten. »Hört ihr mich da oben?«
»Tun wir!« antwortete die Stimme des Kybernetikers. »Wir haben den vierten Brocken und sind auf dem Weg zum fünften Twoxl wird stärker. Ich glaube, er steht jetzt in Verbindung mit den vergeistigten Cpt'Cpt.« »Das ändert nichts daran, daß ihr alles liegen und stehen laßt und zu uns kommt, sobald ich es befehle.« »Jaja«, brummte Immanuel. Heart seufzte und schaltete ab. »Er ist total verwandelt. Und ich hielt ihn immer für einen knöchernen Einsiedler, der nur seine Computer und Heinrich kennt.« »Er ist wirklich verwandelt«, kam es vom Datenei, »aber anders, als ihr glaubt, Hyrlian. Er hatte sich damit abgefunden, sein Leben als Außenseiter zu verbringen. Das ist jetzt vorbei. Er mußte sich zu erkennen geben, um den Struktor und euch zu retten. Er verliebte sich und hat nun die grausame Angst, für Henny nur so lange interessant zu sein, wie sie seine Hilfe braucht. Er ist sehr unglücklich, auch wenn er es vor euch verbergen kann. Ich mache mir große Sorgen um ihn, denn die alten Wunden sind wieder aufgebrochen.« Heart starrte ihn an. Das war der längste Monolog, den Heinrich gehalten hatte, solange er ihn kannte. »Ach was!« wischte der Kommandant die Bedenken beiseite. »Er ist alt genug, um keine Dummheiten zu machen.« Er sah sich um. »Fertig?« »Fertig!« kam es von Heidinger, Donata und Lina. Die anderen nickten. In ihren Gesichtern aber stand die Unsicherheit geschrieben. Heart drosch mit einer Faust auf ein Pult. »Struktor, du fängst jetzt an, und zwar mit voller Leistung!« »Projektoren arbeiten!« meldete Heidinger. Auf den Wandschirmen war der Aufbau des Trichters zu beobachten. Heart wagte nicht zu atmen. Jetzt mußte es sich
entscheiden. Mit halber Lichtgeschwindigkeit drang der Gigant weiter vor. Wie das Maul eines Riesenfisches schob sich der Trichter in die Staubmassen. Die lichte Weite des Außenrands betrug fünfzig Millionen Kilometer – das war ein Drittel der Entfernung Sol-Erde. Heart war inzwischen darüber hinaus, angesichts dieser ungeheuerlichen Dimensionen noch zu erschaudern. Was nach wie vor ungeklärt war, war die Frage wie aus dem Staub Sonnen und Planeten entstehen sollten. Die Männer und Frauen an Bord erlebten es jetzt. In einem dreidimensionalen Schaubild sahen sie, wie die aufgenommene Materie den Kanal durchfloß, wie ein geringer Teil zur Energiegewinnung herangezogen und seine Schlacke mit dem anderen Staub dort in ultraheißes Plasma verwandelt wurde, wo sonst Planetenmaterie weiter zerkleinert wurde. Wie in einer Düse wurde es am Heck ausgestoßen. Der dortige Trichter entließ es als strahlendes Etwas, bevor andere Kraftfelder weit in den Raum hinausgriffen und aus dem Urstoff wirbelnde Spiralen machten, die schnell hinter dem Struktor zurückblieben. Ihr Bild war durch den Dopplereffekt verzerrt. Für den Augenblick war Lasserin völlig vergessen. Heart wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Wißt ihr, was das ist?« fragte er, ohne jemanden anzusehen. »Es ist wie eine neue Schöpfung. Wir hätten es ahnen müssen. Aus diesem Urplasma werden sich Sonnen und Planeten bilden, langsam abkühlen und sich zu stabilen Gefügen ordnen. Und nach Milliarden von Jahren wird sich dort neues Leben entwikkeln.« »Das heißt aber«, sagte Heidinger ehrfürchtig, »daß die VeiMunater von Anfang an auch diese Möglichkeit in Betracht zogen. Indem sie den Struktor so konstruierten, handelten sie vielleicht gegen den Willen von Anti-ES.« Und der Struktor flog weiter. Was einmal in Gang gesetzt war, nahm seinen Fortgang. Die Maschine pflügte eine staubfreie Zone
durch den Dunkelmantel, in der sich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Plasmakonzentrationen drehten. Seine Geschwindigkeit nahm dabei immer mehr zu. In wenigen Minuten mußte die Lichtgeschwindigkeit erreicht sein, beziehungsweise der Eintritt in den Hyperraum erfolgen. Als es fast soweit war, gab Heinrich Alarm. Er kam Immanuel zuvor, dessen Gesicht eine Sekunde später übergroß auf einem Wandschirm erschien. »Lasserin wartet im Hyperraum auf uns!« rief der Kybernetiker. Seine Stimme überschlug sich. »Twoxl hat eine Botschaft der vergeistigten Cpt'Cpts empfangen. Sie haben das Manifest im Hyperraum entdeckt und können aber nicht helfen, weil das in ihrer Daseinsform nicht geht.« Heart war versucht, die Warnung als Hirngespinst abzutun. Von Vergeistigten, die sich nicht rühren konnten, hielt er nicht viel. Er bezweifelte sogar, daß es sie wirklich gab. Vielleicht entsprangen sie nur Twoxls Phantasie. Atlan hatte jedenfalls nach seinem CptAbenteuer nur vage Andeutungen über sie gemacht. Und auch die beruhten auf Angaben, die von Twoxl stammten. Andererseits konnte er sich keine Unvorsichtigkeit leisten. Er konnte sich auch nichts darunter vorstellen, daß Lasserin ausgerechnet im Hyperraum lauern sollte. Wie war er dahin gekommen? Aber Lasserin war nicht vernichtet worden. Er fühlte es einfach wieder. Er schlug nicht im Struktor zu. Manifeste waren immer wieder für Unglaubliches gut. »Vielleicht sollten wir abwarten!« rief er in die Kommandozentrale. »Mak, können wir den Struktor stoppen?« »Nicht mehr, Hyr. Er hat seine eigene Dynamik entwickelt. Wir können nur noch die Kommandokanzel abtrennen. Aber dann verlieren wir den Struktor.« »Wir warten ab, Ergoz!« rief Heart. »Ihr beide kommt auf dem schnellsten Weg zu uns!«
»Das wird leider nicht gehen«, kam es vom Kybernetiker zurück. »Henny hat gleich den sechsten Twoxl-Klumpen erreicht. Twoxl und ich müssen sie suchen!« »Mach dich nicht unglücklich, Mann!« herrschte Heart ihn an. »Ergoz!« Das Bild verschwand von der Wand. Jeder Versuch, wieder einen Kontakt zu schalten, scheiterte. »Der verdammte Narr hat alles blockiert«, knurrte Heart. »Er wird sich unglücklich machen«, kam es von Heinrich, »aber anders, als du denkst, Hyrlian. Ich werde ihn verlieren, ich weiß es.« »Was kann eine Datenpositronik schon im voraus wissen!« schrie der Kommandant ihn an. Plötzlich fühlte er sich in einen Wirbel gerissen, der ihn davonzog. Plötzlich schlugen die Dinge über ihm zusammen, verlangten ihm mehr ab, als er bewältigen konnte. »Eintritt in den Hyperraum!« rief Heidinger. »Und … da ist Lasserin!« Kaum jemand hörte ihn noch in dem Knistern elektrischer Entladungen, Tosen und Brausen, das unvermittelt über den Struktor hereinbrach. Alle Wandschirme zeigten die grauen Schlieren des Hyperraums. Nur in Vorausrichtung stand ein ultrahell waberndes Etwas, ein etwa ringförmiges riesiges Feld, von dem Energiefinger ausgingen und nach dem Struktor griffen. »Es zieht uns in sich hinein!« schrie Lina Semore. Sie wurde von den Beinen gerissen, als der erste Ruck die Gigantmaschine traf. Heart wirbelte es aus seinem Sitz. Er schlug mit dem Kopf gegen etwas Hartes und konnte nicht sagen, ob das Flackern des Lichts und die Blitze real waren oder Produkte seines Gehirns. Irgendwie schaffte er es, einen Halt zu finden und sich aufzurichten. Die Raumfahrer wanden sich, lagen durch- und übereinander und rollten von einer Ecke in die andere, als weitere Schläge den Struktor erschütterten. Das leuchtende Etwas wurde auf dem Vorausschirm größer. Nein!
dachte Heart. Es zieht uns an! Der Struktor versucht dagegen zu kämpfen und den programmierten Kurs fortzusetzen! Lasserin ist stärker! Immer mehr energetische Finger zuckten der Maschine entgegen. Heart hatte ein Rauschen wie von der Brandung eines Ozeans in den Ohren. Dann wurde das Licht so hell, daß er glaubte, es müßte ihm die Augen ausbrennen. Durch geschlossene Lider sah er, wie die Wände durchsichtig wurden. Er fühlte sich nackt im Hyperraum treibend, immer schneller auf Lasserin zu. Waren es seine eigenen Schreie, die sich in das Rauschen und Knistern mischten, oder die der anderen? Sie schwebten neben, unter und über ihm. Es gab keine Gravitation mehr. Alle Naturgesetze waren aufgehoben. Flammen in allen Farben umtanzten die hilflosen Gestalten. Wie in Lichtblasen gehüllt, trieben sie dem Energiefeld entgegen. Dann riß der Hyperraum auf. Heart glaubte noch erkennen zu können, wie von Lasserin aus Zapfstrahlen nach einigen Sonnen griffen und deren Energien heransaugten. Die Aufnahme- und Speicherkapazität des Manifests schien in diesem Kontinuum ins Grenzenlose gewachsen zu sein. Er registrierte das alles unterbewußt. Grausame Schmerzen, das Gefühl, von innen nach außen gekehrt zu werden, die furchtbare Angst und Verzweiflung ließen keinen klaren Gedanken mehr aufkommen. Lasserin blähte sich in Sekundenbruchteilen zur tausendfachen Ausdehnung auf. Das war die letzte Wahrnehmung. Heart stürzte in kalte und tiefschwarze Nacht, die ihn erlöste.
5. Die Staubflieger Die Staubflieger maßen die Zeit nicht nach Stunden. Es gab keine Gestirne in ihrem Lebensbereich, nach deren Bewegungen sie sich richten konnten. Für Daal dauerte der mörderische Kampf gegen
den Negativen inzwischen schon zweimal so lange, wie er für die Reise von seinem Löcherplaneten bis zum nächstgelegenen anderen brauchte. Und er tobte nach wie vor. Es war Daals Gruppe gelungen, den Negativen von der Heimatwelt fortzulocken. Die jungen Staubflieger hatten sich darauf beschränkt, Scheinangriffe zu fliegen, die das strahlende Ungetüm natürlich nie ernsthaft gefährden konnten. Die Strahlung war ihnen nicht schädlich, sie war mehr das Produkt der Stoffwechselvorgänge, die im Negativen abliefen. Einzelne Staubflieger konnten sich gegen die Hülle des Gegners werfen, wobei immer darauf aufgepaßt werden mußte, daß sie nicht in die maulähnliche Öffnung hineingerieten. Sie versetzten ihm nicht viel mehr als Nadelstiche. Doch das reichte schließlich, um ihn so sehr zu reizen, daß er vorübergehend vom Löcherplaneten abließ, um Jagd auf die lästigen Hindernisse zu machen. Einige Male hatte Daal geglaubt, den Negativen nur so weit vom Planeten fortlocken zu müssen, daß er seinen Auftrag vergaß. Doch sobald er seinen Gefährten das Zeichen zum Rückzug gab, nahm der Gigant wieder Kurs auf sein Ziel. Es bedurfte immer neuer Vorstöße, und sie kosteten die ersten Opfer. Staubflieger verschwanden im Maul des Riesen und kehrten nicht mehr zurück. Die Jagd begann von neuem, immer und immer wieder. Daals Gruppe wurde arg dezimiert. Die Staubmassen reflektierten das Leuchten des Negativen und schienen zu brennen. Nun war Daal soweit, die Sinnlosigkeit weiterer Angriffe einzusehen. Das Gebilde, viel größer als der Löcherplanet, ließ sich von nur noch knapp fünfzig »Zwergen« nicht besiegen. Es sei denn … Daal wünschte sich, Genaueres über jenen anderen Kampf zu wissen, an dessen Ende sich Staubflieger ins Maul ihres Gegners gestürzt und diesen von innen heraus bezwungen hatten. Wie viele mußten es sein? Reichte seine kleine Schar? Am Ende werden wir alle tot sein! war Zuuis Gedankenstimme in
ihm. Wir können ihn nicht daran hindern, unsere Welt zum Korridor zu bringen! Daal wußte es genauso gut wie sie und die anderen, von denen einer nach dem anderen die Flucht ergriff. Dennoch weigerte er sich, die Wahrheit zu akzeptieren. Noch einmal griff das Monstrum an. Jetzt schien es entschlossen zu sein, keinen Staubflieger übrig zu lassen, blind vor Wut und Haß auf die positive Form. Daals verzweifelte Appelle an die Gefährten verhallten im Nichts. Plötzlich war nur noch Zuui bei ihm. Sie jagten tiefer in die Materiemassen hinein, doch der Negative war schneller. Er hatte sie als Ziele erspäht und schob schon sein Maul über sie. Und das war der Augenblick, in dem die Sphären erschienen. Sie kamen aus dem Nichts, strahlende Gebilde, die sich ohne Zögern auf den Negativen stürzten. Daal sah sie noch heranrasen, dann schloß sich das Maul des Giganten. Zuui und Daal waren abgeschnitten. Um sie herum herrschte tiefrotes Leuchten. Von einem Sog erfaßt, wirbelten sie weiter durch kilometerweite Röhren, deren Wände zuckten und sich verzogen. Sie fanden andere, die vor ihnen verschlungen worden waren, hilflos daran kleben. Von einem Moment auf den anderen flog der Negative auseinander. Daal war frei. Aus dem Körper des Riesen bildeten sich Tausende von neuen Staubfliegern. Es war so wie in den Berichten von jenem anderen Kampf. Der große Unterschied bestand darin, daß es nicht die Positiven waren, die das Ende des Monstrums bewirkt hatten. Noch war alles unüberschaubar. In einem Umkreis von drei Planetengrößen wimmelte es von neuen Geschöpfen. Daal nahm ihre positive Ausstrahlung wahr, die von dem überlagert war, was von den Sphären ausging. Als er sich noch zu orientieren versuchte und nach Zuui rief, empfing er die Botschaft: Folgt uns zum Korridor, in dem der Struktor erscheinen wird! Die Zeit drängt! Wir können gegen die Negativen kämpfen. Um euer Volk aber zu
retten, müßt ihr selbst zur Stelle sein! Unterstützt uns, denn wir sind nur wenige! Wartet auf die Gelegenheit, euch den Solanern verständlich zu machen! Wer seid ihr? fragte Daal. Er erhielt keine Antwort mehr. Die Sphären jagten davon. Ihre Aufforderung aber mußte von allen anderen Staubfliegern verstanden worden sein. Die Tausende, die aus dem Negativen entstanden waren, schienen schon zu begreifen, worum es ging. In einem mächtigen Strom folgten sie den Sphären. Daal aber zögerte noch. Viel zuviel konnte er nicht verstehen, und doch kam ihm etwas vertraut vor – so als hätte er schon einmal mit etwas in Verbindung gestanden, das wie die Sphären war. Zuui kam an seine Seite. Ich muß noch einmal zum Planeten zurück! sendete Daal an sie. Komm mit mir, wir kennen die Richtung, in die wir uns dann zu wenden haben! Sie fanden die Oberfläche ihrer Wohnwelt von den Älteren übersät, die die schützende Höhle verlassen hatten. Alle schwebten um die Skulpturen herum, zu denen auch Daal wollte. Der Spiegel zeigte ein flirrendes Etwas, das mit den Sinnen nicht mehr zu erfassen war. Daal kam es so vor, als sähe er nur einen Schatten von etwas Unwirklichem. In seinem Geist aber war ein anderes Bild. Er sah den Struktor, wie er von dem Etwas erfaßt und davongeschleudert wurde. Meine Waffe, vernahm er die Stimme des Spiegels, hat eure Feinde getroffen und in die Dunkelzone geschickt! Greift sie dort an und vernichtet sie! Die Waffe wird darüber wachen, daß sie euch nicht entkommen! Einem Impuls folgend, setzte sich Daal in Bewegung. Bevor er überhaupt richtig begriff, was er tat, hatte er die Spiegel-Skulptur gerammt und umgestürzt. Sie begann zu glühen. Blitzschnell brachte der junge Staubflieger sich in Sicherheit, gefolgt von den entsetzten Artgenossen. Der Spiegel verging in einer schwarzen Stichflamme. Übrig blieb
nur ein Krater. Das wollte ich nur noch wissen! sendete Daal an die anderen, als er sich von dem Schrecken erholt hatte. Die Macht, die uns das Leben gegeben haben will, überläßt es uns allein, zu kämpfen! Sie nimmt unsere Vernichtung in Kauf! Wir werden kämpfen, aber nicht für sie! Jetzt können wir siegen und überleben, denn jetzt haben wir mächtigere Verbündete! Die Erkenntnis, an wen ihn die Ausstrahlung der Sphären erinnerte, war urplötzlich gekommen. Das Wissen darum gab Hoffnung und neue Kraft. Es waren nicht nur die Solaner, die die Macht im Zentrum bedrängten. Die Sphären waren eindeutig mit dem geistigen Impuls verwandt, den Daal und seine Freunde durch die Dunkelzone geleitet hatten. Er hatte sein Ziel erreicht und etwas geweckt, das nun eingriff – zugunsten jener, die sich als Freunde gezeigt hatten. Daal konnte es plötzlich kaum mehr erwarten, zum Korridor zu gelangen. Alle Staubflieger des Löcherplaneten folgten ihm, und von anderen Wohnwelten kamen viele weitere, die sich ihnen anschlossen. Überall war die Botschaft der Sphären gehört worden. Sie hatte genügt, die Besessenheit wieder von den Positiven zu nehmen. Daal wußte, wie winzig und unbedeutend er in einem Ringen war, das er nicht durchschaute. Aber am Ende stand der Untergang oder eine glücklichere Zukunft.
* Als Daal das blutrote Leuchten in den Staubmassen vor sich sah, wurde er etwas langsamer. Er hatte keine große Lust, blindlings in ein Chaos hineinzustoßen. Zuui war bei ihm. Trotz ihrer Zweifel hielt sie fest zu ihm. Und sollte der Kampf ein glückliches Ende finden, so würden sie unter den ersten sein, die sich einen neuen Planeten suchten und dort Kinder in die Welt setzten, die keine
Angst mehr zu haben brauchten. Noch war es lange nicht soweit. Die inzwischen mehr als zehntausend Staubflieger drangen langsam in die leuchtende Zone vor. Daal fing die Impulse von unzähligen Artgenossen auf, die schon im Korridor waren und sich gegen die Negativen warfen. Dann sah er sie. Die Negativen bildeten lange gerade Ketten, zwischen denen eine Art Tunnel war. Sphären setzten ihnen zu. Ein Pulk von tausend und mehr Staubfliegern schoß in das offene Maul eines Monstrums, dann ein zweiter. Und der Struktor kam langsam durch den Korridor, das Riesengebilde, das die Älteren beschrieben hatten. Wo die Negativen nicht selbst angegriffen wurden, lösten sie sich aus den Ketten und stürzten sich auf die Maschine, die keine Gegenwehr leistete. Einige waren größer als sie. Sie fingen mit ihren kinetischen Kräften Materiebrocken und ganze Löcherplaneten ein und schleuderten sie gegen die Hülle aus Stahl. Erst jetzt reagierte der Struktor. An einem Ende bildete sich ein gewaltiger Trichter und fing die Planeten regelrecht auf. Noch als sie in ihm verschwanden, brachen sie auseinander und lösten sich zu kleinen Brocken auf. Ein zweiter Trichter am anderen Ende stieß Staubmassen aus. So muß es auch gewesen sein, als die Dunkelzone entstand! dachte Daal. Der große Trichter wanderte um die Maschine herum, immer dorthin, wo die Löcherplaneten aufzutreffen drohten. Daal sah alle seine bösen Ahnungen bestätigt. An den noch heftigeren Angriffen seiner Artgenossen erkannte er, daß sie wirklich alle endlich begriffen hatten. Die Wohnstätten sollten von Anfang an nur als Munition gegen die Solaner dienen! Ein schwaches Flimmern umgab den Struktor. Er stieß die kleineren Geschosse ab oder ließ sie verglühen. Immer mehr Negative kamen heran. Die Übermacht mußte einfach zu groß
werden. Von allen Seiten bombardiert, vermochte auch der Trichter das Ende nicht mehr lange aufzuhalten. Eine kleine Gruppe bleibt bei mir! sendete Daal an die Gefährten. Wir versuchen, mit den Solanern in Kontakt zu treten! Alle anderen helfen den Sphären! Weder die Sphären noch die Solaner noch die Staubflieger konnten die Negativen allein zurückschlagen. Arbeiteten sie jedoch alle zusammen, dann konnte das Unmögliche möglich werden. Daal hatte ganz kurz eine Vision, als er sich vorsichtig dem Struktor näherte. Er sah viele andere Völker dieser Galaxis, weit außerhalb der Dunkelzone – unterdrückt und bevormundet wie die Staubflieger in ihrer negativen Form. Und dann gab es keine Dunkelzone und keine böse Macht im Zentrum mehr. Und viele hundert Völker gingen gemeinsam daran, aus den Trümmern etwas Neues, etwas Großartiges zu schaffen. Er, Daal, tat jetzt das Seine dazu. Kostete es ihn das Leben, so wußte er, wofür er starb. Gerade noch in Sichtweite, barst ein Negativer in Millionen Teile. Millionen neue Staubflieger, die frei und positiv waren und den Kampf unterstützen konnten! Daals Problem aber war, sich den Solanern im Struktor bemerkbar zu machen. Bestimmt setzten sie einige vorhandene Waffen nur noch nicht ein, weil sie sein Volk schonen wollten. Doch wie lange hielt dieser Zustand an?
6. Twoxl Er bestand wieder aus sechs Komponenten, als ihn die zweite Botschaft der Vergeistigten kurz nach der ersten erreichte. Was mit dem Struktor geschehen war, konnte er aus eigener Kraft nicht feststellen. Er hatte gesehen, wie die Wände durchsichtig wurden
und das Licht angriff, das nur Lasserin sein konnte. Aus dem, was Immanuel und Henny sich zuschrien, konnte er auch nicht viel schlauer werden. Lasserin hatte im Hyperraum auf den Struktor gelauert und die Maschine in das normale Raum-Zeit-Kontinuum zurückgeschleudert. Hier mußte das Chaos toben. Die Geräusche vermittelten den Eindruck, als zerrten ungeheure Gewalten am Struktor, um ihn auseinanderzureißen. Dann wieder die Erschütterungen. Und offenbar bewegte der Gigant sich kaum noch. Nun aber war das Bild in ihm. Er glitt in die Aura hinein, die sich um ihn aufbaute, und fühlte sich wieder mitten in der Gemeinschaft der Körperlosen. Ceemer, sein alter Gefährte, hatte sich jetzt vollkommen in sie integriert. Sie zeigten ihm den Struktor, wie er immer langsamer in die Dunkelzone eindrang. Er sah die ganze Szenerie, die leuchtenden Riesengebilde, die Staubflieger und die Strahlenden Sphären. Sie stellten die fünfte Entwicklungsform im Leben eines Cpt'Cpt dar – und damit jene, die auf Twoxls jetzige einmal folgen würde. Die sechste Form und damit der endgültige Zustand waren die Vergeistigten selbst. Daß die Cpt'Cpts die Sphären wieder geschickt hatten, sagte Twoxl alles über den Ernst der Lage. Nur einmal zuvor war dies geschehen – um die Metaplasmaten daran zu hindern, den Heimatplaneten mit ihren Hyperbomben auseinanderzusprengen. Nun hatte es den Anschein, als kämpfte dieser ganze Bereich von Xiinx-Markant mit vereinten Kräften um die Befreiung. Und – der Struktor steckte mittendrin. Twoxl wußte nicht, ob die Maschine über Offensivwaffen verfügte, und wenn ja, wie lange die Solaner mit ihrem Einsatz noch zögern wollten. Griffen sie zu diesem letzten Mittel, dann töteten sie auch ihre Verbündeten, ausgenommen die Sphären. Sie waren nicht zu töten, denn sie kamen von den Vergeistigten selbst. Auf die Bilder folgte der Appell an den Cpt'Kul. Twoxl erfuhr, daß sich Lasserin nach seiner Niederlage im
Struktor in den Hyperraum geflüchtet hatte und dort die Barriere bildete, die die Maschine an jedem beliebigen Ort einfangen und in den Normalraum zurückschmettern konnte. Solange dies so war, bestand keine Aussicht, die Dunkelzone von Xiinx-Markant aufzulösen und damit die Normalisierung einzuleiten, die die Cpt'Cpts so sehr herbeisehnten. Endlich offenbarten sie ihm auch, warum. Alle Völker dieser Galaxis waren zwar nicht mehr von der kriegserzeugenden Strahlung betroffen, denn die war dank den Solanern endgültig ausgeschaltet. Die durch den immerwährenden Krieg geschlagenen Wunden jedoch waren so stark, daß ohne Hilfe Jahrmillionen vergehen würden, bis wieder wahres Leben erschien. Die Völker würden zugrunde gehen, jedes dem anderen mißtrauen, sich abkapseln und schließlich degenerieren. Die Absicht der Vergeistigten war es, ihren harmonisierenden Einfluß über ganz Xiinx-Markant auszudehnen und Frieden zu schaffen – falls die Dunkelzone abgebaut werden konnte. Das, erfuhr Twoxl, war der erste Grund, Lasserin unschädlich zu machen. Der zweite war der viel näherliegende. Lasserin wachte nicht nur darüber, daß der Struktor nicht in den Hyperraum entkommen und von dort aus arbeiten konnte. Er steuerte die negativen StaubfliegerBallungen. Er schürte das Feuer, in dem der Struktor verbrennen mußte. Sein Nachschub an Negativen war viel größer, als bisher angenommen werden konnte. Mochten sich jetzt auch Erfolge der verbündeten Sphären und Staubflieger zeigen – auf die Dauer würde Lasserin die Oberhand gewinnen. Das Manifest gewann seine Stärke durch das Anzapfen von Sonnen des Zentrumskerns. Die Vergeistigten machten Twoxl klar, daß es die letzte hier verfügbare Einsatzreserve von Anti-ES darstellte. Twoxl offenbarte sich eine phantastische Welt. Aus den bis vor kurzem so tumben Cpt'Cpts war durch die zurückliegenden jüngsten Ereignisse etwas geworden, das er sich selbst in seinen
kühnsten Träumen nie auszumalen gewagt hätte. Sie sahen über viele Lichtjahre hinweg, konnten Dinge erfassen, die in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung jedem stofflichen Wesen wohl nie begreiflich wurden, konnten die Absichten und Winkelzüge von Anti-ES durchschauen und selbst seine Befehle an Lasserin abhören – nur Gewalt anwenden, das konnten sie nicht. Es hätte nicht nur ihrer ganzen Lebensauffassung widersprochen. Es war einfach undenkbar. Alles, was sie zu tun vermochten, war, die Sphären zu schicken und ihn zum Handeln zu bitten – Twoxl. Den ersten Cpt'Kul seit fünfzig Jahren, den Behüter der neuen Generationen heranwachsender Cpt'Noks auf seiner Heimatwelt. Sie konnten nicht lügen. Sie verschwiegen ihm nicht, daß er bei dem Versuch, Lasserin auszuschalten und zu befreien, diesmal unterliegen mochte. Er wollte wissen, ob nicht die Sphären diese Aufgabe übernehmen konnten, und hörte, sie konnten es nicht. Wie bei der Verwandlung von Cpt'Carch in Twoxl, gab das Aufgehen in die fünfte Form neue phantastische Fähigkeiten, aber andere gingen verloren. Du, Towxl, bist der einzige, der es tun kann. Aber die Cpt'Noks, die Kalmorer, die Metaplasmaten-Wesen! Selbst wenn du scheitern solltest, sind wir für sie da. Wir werden sie behüten, ganz gleich, wie der Kampf hier und jetzt ausgeht! Twoxl sagte fast demütig: »Dann will ich bereit sein!« Er erschrak. Die Aura löste eich auf. Er war wieder allein. Henny und Immanuel waren zwar bei ihm und starrten ihn an, aber nie konnten sie die Geborgenheit ersetzen, die er unter den Vergeistigten empfand. Sie starren mich an! Ich habe die ganze Zeit über laut gedacht und gesprochen! Henny hatte den siebten Teil in der Hand und legte ihn vorsichtig
an ihn an. »Wir haben alles gehört, Twoxl«, sagte sie. »Du mußt es tun, und wir gehen mit dir. Allein kommst du nicht in den Hyperraum.« »Nein!« schrie der Cpt'Kul ihr entgegen. »Es geht mich allein an!« »Unter wirklichen Freunden geht niemanden etwas ganz allein an. Und wir sind doch Freunde, oder?« Sie lächelte, als gäbe es keine Löcherplaneten, die gegen den Struktor geschleudert wurden, und keine Negativen, keinen Lasserin. Sie sah Immanuel an, eine Hand auf Twoxl, die andere auf seiner. »Und außerdem wissen nur wir, was du eben erfahren hast. Es hat den Struktor schlimmer erwischt als beim ersten Angriff von Lasserin. Selbst wenn wir wollten, könnten wir nicht mehr Verbindung mit Heart und den anderen aufnehmen. Wir sind abgeschnitten. Aber zum Hangar, in dem das riesige Beiboot des Struktors liegt, kommen wir noch.« Natürlich war das gelogen. Was Immanuel wußte, das wußte auch Heinrich. Und der sah nicht ein, weshalb seine menschliche Hälfte ihr Leben für eine vage Hoffnung aufs Spiel setzen sollte. Ahnungen hin und her – Heinrich wollte den Partner so lange behalten wie irgendwie möglich. Besser gesagt: Er wollte sich niemals Vorwürfe machen müssen, nichts gegen das unternommen zu haben, was nach allen Gesetzen menschlichen Gefühlsverhaltens unabänderlich war. Er verriet dem Kommandanten, was Immanuel, Henny und Twoxl vorhatten.
* Hyrlian Heart stöhnte und fluchte und bejammerte das Universum. »Das reicht jetzt!« sagte Mata St. Felix scharf. »Entweder wirst du wieder normal, oder ich übernehme das Kommando über den Struktor!«
»Tu's!« sagte Heart. »Versuche du, diesen Idioten zur Vernunft zu bringen, und ich …« Die Buhrlo war bei ihm und zerrte ihn in die Höhe. Mit einer Hand hielt sie ihn, mit der anderen zeigte sie auf die Schirme. »Wir haben den Struktor noch einmal umpolen müssen, um die Löcherplaneten abzuwehren, die uns entgegengeschleudert werden. Aber der Trichter kann nicht schnell genug um die ganze Maschine herumgelenkt werden! Den ersten Treffer haben wir schon zu verzeichnen. Er hat die Hülle des Bugteils auf zehn Kilometer aufgerissen, den Struktor dabei aber nur geritzt! Die Fesselfelder können zwar die kleineren Brocken abwehren, aber keinen Staubfliegerplaneten mehr! Wir kommen nicht vorwärts! Unter anderem sind beim Rücksturz die wichtigsten Steuerelemente beschädigt worden! Heidinger versucht, sie mit Hilfe der Positroniken zu reparieren, aber das braucht viel Zeit! Wenn wenigstens Immanuel …« Sie biß sich auf die Lippen. »Hätte ich ihn nur nicht zu Henny geschickt! Sie machen es wahr, Hyr! Sie steigen in das Beiboot und keiner von uns kann sie daran hindern! Alle Kommunikationssysteme sind in ihrem Bereich ausgefallen, von hier aus läßt sich nicht einmal mehr der Hangar blockieren, in dem das Boot steht. Das wissen sie!« Sie ließ den Kommandanten los und sah Heinrich an, als könnte der ihr helfen. Das Datenei schwebte davon und heftete sich magnetisch an eine Wand. »Sie sind schon auf dem Weg«, erklärte Heinrich. »Sie haben alle Transmitterverbindungen zu uns mit Alpha-Priorität stillgelegt. Und Alpha-Priorität heißt, daß wir den Befehl nicht rückgängig machen können. Das können nur sie selbst.« »Dieser verdammte Struktor!« fluchte Heart, plötzlich wieder verwandelt. »Ich wünschte, ich wäre nie an Bord gegangen! In ihrer schlimmsten Zeit war die SOL ein ruhiges Örtchen gegen ihn!« Er gestikulierte heftig in Richtung der Wandschirme. »Wozu sind wir eigentlich noch hier! Trennen wir den Kommandostand ab, dann
können wir uns vielleicht retten! Die Maschine macht alles von selbst. Alle Verteidigungssysteme werden von den Positroniken selbsttätig gesteuert! Das Programm trat ohne unser Dazutun in Kraft!« »Wir müssen bleiben«, sagte Mata kühl, »um den Struktor erneut umzupolen und die Dunkelzone zu beseitigen.« Das alles war Wahnsinn. Da draußen tobten die heftigsten Kämpfe und Angriffe, und die Solaner waren zur völligen Untätigkeit verurteilt. Die Hoffnung, daß Offensivwaffen in Kraft treten konnten, war unerfüllt geblieben. Vielleicht zum Glück. Alles war viel zu verworren. Glaubte man jetzt, einen Sinn in dem Chaos erkannt zu haben, bewies die nächste Sekunde das Gegenteil. Die Negativen vernichten – aber dabei die positiven Staubflieger auch töten? Schlimm war auch, daß eine Reihe von Besatzungsmitglieder offensichtlich glaubte, die Strahlenden Sphären seien allmächtig und würden die Gefahr so schnell bannen, wie es auf Cpt geschehen war. Mata rief in den Raum: »Kommst wenigstens du voran, Mak?« »Immanuel wäre mir eine Hilfe!« klang Heidingers Stimme auf. »Ich sehe zwar die Ursachen, das heißt, die Positroniken sehen sie. Aber um alle Schäden zu beheben, wird es schon noch einige Stunden dauern. Bis dahin haben wir in den Staubmassen jegliche Fahrt verloren!« Neue Schläge erschütterten den Struktor. Die Fesselfelder, um die ganze Maschine gelegt, fingen die Materiebrocken ab und lenkten sie in andere Richtungen. Ein leicht flimmernder, aber schwacher Schutzschirm ließ andere verglühen. Der Trichter kreiste atemberaubend schnell, doch ein einziger zur gleichen Zeit vorgetragener Angriff der Negativen genügte vielleicht schon, um die von Lasserin begonnene Zerstörung vollkommen zu machen. »Wir schleichen tatsächlich nur noch«, rief Lina Semore. »Die Staubflieger und die Sphären zerreißen einen Negativen nach dem
anderen! Aber jetzt … Jetzt greifen die Giganten nicht mehr einzeln an, sie kommen in Dreier- und Vierergruppen! Sie schleudern ein halbes Dutzend Löcherplaneten auf uns!« Heart sprang auf. »Positroniken!« schrie er. »Ihr müßt uns jetzt gehorchen! Steuert den Trichter dorthin, wo das Boot aus dem Hangar ausbrechen wird! Alpha-Priorität! Schützt das Schiff! Sorgt dafür, daß es unversehrt aus dem Kampfgebiet kommt!« Er ließ sich zurücksinken. Er bat Heinrich und Immanuel um Vergebung. Was jetzt geschah, lag nicht mehr in der Hand irgendeines Menschen an Bord des Struktors. Heart versuchte, Twoxl zu vertrauen. Aber das war das Vertrauen eines am Abgrund Hängenden zu einem Grashalm, an dem er sich festhielt. Henny Lupino wartete bis zum letzten Augenblick vor der Übersicht über die noch funktionierenden Transmitteranlagen im Struktor, die eine Positronik auf einen Monitor gegeben hatte. Immanuel stand schon vor dem Entmaterialisierungsfeld und winkte heftig. Twoxl war neben ihm. Natürlich war niemals daran zu denken gewesen, per Laufband zum Beiboothangar im Bugteil des Struktors zu gelangen. Die Transmitterverbindung bestand noch. Aber andere Anschlüsse fielen einer nach dem anderen aus. Rot markierte zeigten jene Stationen, die durch die Alpha-Priorität stillgelegt worden waren. Wenn nun der Transmitter im Boot genau im Moment des Transports ebenfalls ausfiel … Henny verdrängte den Gedanken daran und lief zu den beiden anderen. Noch einmal sahen die beiden Solaner sich an. Jeder von ihnen wußte, was sie nun taten, war etwas Endgültiges. Henny war sich ihrer Sache nicht mehr ganz so sicher. Vor allem fragte sie sich jetzt, ob sie das Recht hatte, einfach für Immanuel zu reden. Es war alles viel zu schnell gekommen. Sie hatte nur die Gefahr
und die Möglichkeit zur Rettung gesehen. Nun aber … »Komm!« rief der Kybernetiker. »Wir bringen es hinter uns – so oder so!« Und damit hatte er das Heft in die Hand genommen. Er trat in das grünlich flimmernde Feld und verschwand darin. Henny fühlte sich jetzt befreiter. Sie folgte ihm mit Twoxl und fand ihn bereits auf dem Weg zu einer Tafel, auf der das Innere des Bootes schematisch gezeigt war. Es war kein Beiboot im herkömmlichen Sinn. Diese Bezeichnung verdiente es nur als Raumfahrzeug im Struktor, das zu bestimmten Zwecken ausgeschleust werden und völlig eigenständig operieren konnte. Es war ellipsenförmig und mehr als dreimal so groß wie die SOL!. Vor allen Dingen jedoch hatte es wie der Struktor einen Hyperantrieb. »Positroniken!« rief Immanuel. »Zeigt mir alle Zentralen und den kürzesten Weg dorthin!« Einzelne Sektoren im Schaubild leuchteten gelb auf. Zwischen ihnen und dem Transmitteranschluß zogen sich hellrote Linien. »Hauptzentrale etwa im Zentrum des Schiffes«, murmelte der Kybernetiker. »Drei Nebenkontrollräume. Wir nehmen den im Bug, fast an der Außenhülle.« Im Beiboot gab es ein eigenes Transmittersystem. Bevor Henny, der Immanuels plötzlicher Tatendrang nun doch etwas merkwürdig vorkam, einen Einwand erheben konnte, hatte der Kybernetiker die Strecke geschaltet und lief wieder auf das Entstofflichungsfeld zu. Bevor er hineinsprang, rief er noch: »Beiboot startklar machen! Hangartore auf!« Nur Henny und Twoxl hörten noch die Bestätigung der Positroniken. Als sie in der Nebenzentrale materialisierten, saß Immanuel schon in einem der Kopilotensitze und aktivierte eine Reihe von Bildschirmen. Er drehte sich nicht einmal mehr zu ihr um. »Jetzt bist du dran, Henny«, sagte er. »Unser Weg ist frei.«
Sie setzte sich vor die Steuerkontrollen, unsicher. »Ergoz, ich möchte wissen, was plötzlich in dich gefahren ist!« »Ich habe begriffen«, sagte er barsch. »Es hat lange gedauert, aber jetzt sehe ich einiges klarer.« Im nächsten Moment schien er die Heftigkeit seiner Worte zu bereuen. Er sah ihr in die Augen, lächelte und meinte fast entschuldigend: »Ich habe jetzt auch zu Heinrich keinen Kontakt mehr. Es ist vollkommen ungewohnt für mich. Es ist schon alles in Ordnung – wenn wir nicht noch mehr wertvolle Zeit vertrödeln.« »Und das ist wirklich alles? Ich meine, du bist nicht wütend auf mich, weil ich vorhin quasi über deinen Kopf hinweg entschieden habe?« »Nein! Nun komm, bring uns hier heraus und zu Lasserin.« Sie nahm es ihm nicht ab. Plötzlich von Wut auf sich selbst gepackt, gab sie den Startbefehl an die Positroniken. Von nun an gab es kein Zurück mehr.
* Es mußte blitzschnell gehen. Offenbar wußten das auch die Positroniken. Das gewaltige Beiboot schoß aus dem Stand aus seinem Hangar und hinein in das rote Glühen der Staubmassen. Schutzschirme bauten sich auf. Eine Bildwand über den Instrumenten für manuelle Steuerung zeigte das ganze Inferno um den Struktor herum. Geschleuderte Planetenbrocken verschwanden im großen Energietrichter, der sich vom Struktor zu lösen schien, um den rasenden Flug des Bootes mitzumachen. Kleinere Trümmerstücke verglühten in den Schutzschirmen. Die gesamte Dunkelzone schien in Flammen zu stehen. Henny konnte kaum sagen, welches Leuchten von den Negativen kam, welches von den Sphären und welches von den eigenen Schutzfeldern. Dazu kamen Wellenstoßfronten, kam das Krachen und Knistern in den
eingeschalteten Funkempfängern – aber keine Stimme aus der Struktor-Kommandokanzel. Das Energiechaos überlagerte alles. Die Hoffnung, wenigstens jetzt den Zurückbleibenden einiges erklären zu können, blieb unerfüllt. Am schlimmsten aber waren die mörderischen Andruckwerte, die für lange Sekunden durchkamen. Die Schwerkraftabsorber des Raumschiffes waren überfordert. Immanuel stöhnte und hielt sich die linke Körperhälfte. Henny ahnte, daß er jetzt den Unterschied zwischen seinem organischen und dem technischen Teil zu spüren bekam. Twoxl »klebte« an der rückwärtigen Wand. Alles das waren Eindrücke, die die Solanerin auf einmal zu verarbeiten hatte. Und dann lag die Zone des Kampfes hinter ihnen. Der Trichter schnellte sich zum Struktor zurück, von dem längst schon nichts mehr zu erkennen war. Henny wischte sich den Schweiß ab und ließ sich im Sitz zurückfallen. Ihr ganzer Körper war ein einziger Schmerz. Sie atmete tief durch, bis die schwarzen Punkte vor den Augen wieder verschwunden waren. »Das«, sagte sie leise, »wäre geschafft. Jetzt kommt es darauf an, wann der Hyperantrieb zu arbeiten beginnt.« Denn dies war ein nicht geringeres Problem – vielleicht das Hauptproblem schlechthin. Ein Mensch genügte, um das »Beiboot« zu steuern. Er gab die Befehle, nannte Ziele und Notwendigkeiten. Alles andere erledigten die Positroniken. Und das hieß: Henny, Immanuel und Twoxl waren völlig auf sie angewiesen. Henny hatte keine Informationen darüber, welche Geschwindigkeit mit den Normaltriebwerken beim Struktor selbst mindestens erzielt werden mußte, damit der Hyperantrieb die Maschine im Notfall schnell in die fünfte Dimension katapultierte. Sie wußte nicht, wie schnell das Beiboot werden mußte.
Schon jetzt aber begannen die Schutzschirme zu glühen. Die Belastung stieg dramatisch an. Der rasende Flug durch die Staubmassen würde unweigerlich zur Vernichtung des Schiffes führen, wenn der Wechsel von einem Kontinuum ins andere nicht frühzeitig genug erfolgte. So war es der SOL durch Anti-Homunk bestimmt gewesen. Fest im Griff des Manifests C, Erfrin, sollte sie mit halber Lichtgeschwindigkeit in die Dunkelzone einfliegen und dort regelrecht zerrieben werden. Bei dieser Geschwindigkeit nützten alle Schutzschirme nichts. Beim Struktor war das ganz anders. Er konnte theoretisch mit Lichtgeschwindigkeit durch die Staubmassen jagen, ohne beschädigt zu werden. Der Trichter erzeugte vor ihm eine staubfreie Zone. Alles kam darauf an, ob sein Beiboot von den Vei-Munatern für Flüge innerhalb des Dunkelgürtels eingerichtet worden war. Wieder brach der Solanerin der Schweiß aus allen Poren. »Nun mach schon!« fuhr sie ihr Instrumentenpult an. »Ergoz, wir haben die Zehn-Prozent-Licht-Marke überschritten – und die Schutzschirmbelastung ist bei hundert Prozent!« Er schien aus schweren Gedanken aufzuschrecken. Eben noch die treibende Kraft, wirkte er nun völlig abwesend. »Ergoz!« »Wir werden es schaffen«, sagte er. »Wenn Twoxl von den Vergeistigten den Auftrag bekam, Lasserin im Hyperraum zu bekämpfen, müsssen sie davon überzeugt sein, daß wir zu ihm kommen.« Twoxl sagte nichts dazu. Noch immer hing er an der Wand. Nur ab und zu war eine Art gequältes Stöhnen von ihm zu hören. Henny fluchte. Der Wandschirm zeigte nichts mehr außer dem Glühen und Aufblitzen der Schutzfelder um das Schiff. Die Geschwindigkeitsanzeige näherte sich schnell der nächsten Markierung. »Überlastung 130 Prozent!« schrie Henny.
Die Schiffszelle begann zu vibrieren, dann immer heftiger zu rucken. Henny schlug sich die Hände vor die Augen. In diesen Sekunden war sie davon überzeugt, daß ihr Abenteuer schon zu Ende war, bevor es überhaupt zum Kampf gegen das Manifest kam.
* Twoxl stand nun in fast ständigem Kontakt mit den Cpt'Cpts. Die Vergeistigten zeigten ihm, was beim Struktor geschah, und auf sein Drängen hin auch Bilder von Cpt. Er fühlte sich etwas erleichtert, und er glaubte, nun auch dem Kommenden gestärkt entgegensehen zu können. Auf der Heimatwelt ging alles seinen gewohnten Gang. Von der gewaltigen Auseinandersetzung in der Dunkelzone war dort nichts zu spüren. Die Kalmorer, das menschenähnliche zweite Intelligenzvolk auf Cpt, bauten ihre neuen Siedlungen am Fluß. Der von Breckcrown Hayes überlassene Same ging auf. Eine erste Ernte würde sich früher als erwartet einholen lassen. Bis dahin reichten die ebenfalls von Hayes geschenkten Nahrungskonzentrate. Noch entstanden Cpt'Taks aus Cpt'Wons, den von längst gestorbenen Cpt'Kuls abgelegten Eiern. Aus den Fladen wurden nach drei Jahren endlich wieder Cpt'Noks – die dritte Entwicklungsform und zugleich jene, in der Twoxl als Cpt'Carch auf der SOL existiert hatte. Nichts störte mehr die komplizierte Metamorphose. Der Tag war abzusehen, an dem der Planet wieder den Cpt-Formen und den Kalmorern gehörte. Und, dachte Twoxl, den wenigen überlebenden HyperbombenWesen, deren Ablösung von den Bomben gleichzeitig die Befreiung aus dem Bann von Anti-Homunk gewesen war. Allerdings war ihr langsamer körperlicher Verfall nicht zu übersehen. Anscheinend brauchten sie doch etwas Technisches zu ihrer Symbiose. Diese Bilder verschwanden wieder. Twoxl sah den Struktor, in
dessen Hülle mehrere häßliche Löcher klafften. Der große Trichter wurde nun offenbar von den Solanern oder den Positroniken gezielt nur noch zum Schutz der wichtigsten Abschnitte und der Kommandokanzel eingesetzt. Die Strahlenden Sphären besiegten einen Negativen nach dem anderen. Schwärme von Staubfliegern kämpften tapfer gegen die negative Art, doch für jeden zerstörten Giganten kamen zwei neue aus den Tiefen der Dunkelzone. Jeder Besiegte verwandelte sich aber auch wieder in unzählige positive Staubflieger. Sie bildeten ganze Wolken, es mußten bereits Millionen sein. Wo sollten sie nach der Auflösung der Dunkelzone alle leben? Auch diese Frage blieb ohne Antwort. Falls die Vergeistigten eine wußten, so schwiegen sie sich darüber aus. Es blieb keine Zeit mehr, sich darüber Gedanken zu machen. Noch sah es so aus, als sollte die Dunkelzone für immer bestehen bleiben. Und nun forderten die Vergeistigten den Cpt'Kul auf, sich bereitzuhalten. Das Durchbeuteln des Raumschiffs nahm Twoxl nur am Rande wahr. Er hörte, wie Henny schrie. Er wollte ihr so gerne helfen, doch diese Sekunden mußten sie und Immanuel noch durchstehen, und dann … Er wußte plötzlich, wie hoch der Preis des Sieges sein würde. Wenn Lasserin das Schiff überhaupt noch bis an sich herankommen ließ und es nicht gleich wieder wie den Struktor in den Normalraum zurückschleuderte, konnte Twoxl nur aus ihm heraus wirken. Er vermochte die Energien des Manifests nur dann zu neutralisieren, wenn sie die Hülle durchschlugen. Das hieß nichts anderes, als daß das Boot vorher oder gleichzeitig vernichtet werden würde. Es bedeutete den sicheren Tod für Henny und Immanuel. Und auch für ihn selbst, ob er Lasserin nun ausschalten konnte oder nicht. Im Hyperraum war er verloren! Findet einen anderen Weg! appelierte er an die Cpt'Cpts. Es muß eine andere Möglichkeit geben! Er wußte es besser, natürlich.
Er wollte Henny eine Warnung zurufen, aber es war schon zu spät. Das Raumschiff sprang in den Hyperraum. Das rote Glühen ringsum wich dem grauen Wallen der fünften Dimension. Und genau voraus wartete Lasserin. Twoxl fügte sich in sein Schicksal. Er durfte sein eigenes Leben nicht über das der Solaner im Struktor und der unzähligen Völker in Xiinx-Markant setzen, die erst durch die Normalisierung der Verhältnisse eine neue Zukunft bekamen. Aber er haßte sich und die Cpt'Cpts dafür, daß auch Henny und der Mann dafür sterben mußten, der durch Henny vielleicht seine Zukunft gefunden hatte.
7. Der Struktor Etwa fünf Minuten waren erst vergangen, seitdem das Beiboot den Struktor verlassen hatte, auch Heart hatte die Erfahrung machen müssen, daß ein erhoffter Funkkontakt nicht zustande kommen konnte. Die Spannung in der Kommandokanzel wuchs. Manche Männer und Frauen hielten die Nervenbelastung nicht mehr länger aus und rannten davon, ohne irgendein Ziel, nur weg von den Wandschirmen, die das Draußen zeigten. Doch sicher waren sie nirgendwo. Der Struktor wurde immer heftiger erschüttert. Die Positroniken ließen den Alarm durch den Kommandostand heulen. Heart erlaubte dem einzigen Mediziner an Bord, den am schlimmsten Betroffenen Beruhigungsdrogen zu verabreichen. Das war alles, was er tun konnte. Gestrandet und halb zu Schrott geschossen, dachte er bitter. Das vorläufige Ende eines hoffnungsvollen Unternehmens. Sah es so aus, als gewännen die Sphären und Staubflieger endlich ein Übergewicht, so tauchten im nächsten Moment neue Legionen von
Negativen auf. Heart bemühte sich verzweifelt, eine Erklärung zu finden. Nach Hayes' Berichten konnte es nie und nimmer so viele Giganten geben. Gab es ein genetisches Programm, das jetzt auf einen Befehl von Lasserin alle diese Monstren innerhalb von Stunden entstehen ließ? Unsinn! dachte der Kommandant. Blanker Unsinn! Plötzlich wurde er von Lina Semore auf etwas aufmerksam gemacht, das ihm auch schon selbst aufgefallen war. Er hatte ihm keine besondere Bedeutung beigemessen, weil nichts in dem Durcheinander dort draußen mehr einen Sinn zu haben schien. Den Struktor mit Hilfe des Trichters und der schwachen Schutzschirme halten und darauf hoffen, daß Henny, Immanuel und Twoxl ihr Ziel erreichten. Das war alles. »Diese eine Gruppe von Staubfliegern«, sagte Lina, noch eine der Beherrschtesten. »Sie verhält sich anders als der Rest, Hyr.« Sie flogen seltsame Figuren und kamen nun immer näher an die Kommandokanzel heran. »Das sieht so aus, als wollten sie uns irgend etwas mitteilen!« Aber was? »Hyrlian, sie haben vielleicht eine Nachricht für uns! Vielleicht wissen sie, welche Maßnahmen wir ergreifen können!« Heart dachte an die Mentaltranslatoren, die Hage Nockemann entwickelt hatte, um eine direkte Verständigung mit den Staubfliegern zu ermöglichen. Es befanden sich einige Geräte an Bord, nach den ersten praktischen Erfahrungen leicht modifiziert. Sie arbeiteten noch einfacher. Ein Staubflieger brauchte nur seine Gedanken konzentriert auf sie zu richten, und das Gerät verwandelte sie in für Menschen verständliche Worte. Umgekehrt funktionierte es ähnlich. »Wir öffnen eine Schleuse für sie«, entschied der Kommandant. »Wir lassen so viele von ihnen herein, wie der kleinere Hangar der Kanzel fassen kann. Vorher muß alles heraus, was wir nicht unbedingt brauchen.«
Das waren kleinere Sonden, Ein-Mann-Schiffe und Reparaturroboter von der Größe einer Space-Jet. Es gab genug davon im Struktor. Einige konnte Heart ohne Bedenken opfern. Er schaltete die Öffnung selbst. Normalerweise wäre dies Heidingers Arbeit gewesen, doch Mak arbeitete immer noch mit den Positroniken an der Behebung der Schäden in der Struktorsteuerung. »Sie kommen!« rief Lina. Die Staubflieger schienen ganz genau zu wissen, wie lange sie zu warten hatten. Die Maschinen wurden von Kraftfeldern aus dem Hangar gehoben. Erst als nichts mehr nachkam, schwebten fünf Geschöpfe vorsichtig ein. »Kontrolle Transmitter!« verlangte Heart. Er erhielt die Bestätigung, daß die Strecke zum Hangar noch stand. Überhaupt funktionierte im abtrennbaren Kommandostand noch vieles – wie natürlich die Bildschirme. Die Vei-Munater mußten Fälle wie diesen also vorausgesehen und vielfach gestaffelte Notsysteme eingebaut haben. Immanuel hätte es leichter feststellen können. Heinrich rührte und meldete sich kaum noch. Heart knurrte etwas Unverständliches, als er den MCS kurz ansah. Seine düsteren Prophezeiungen gingen ihm nicht mehr aus dem Sinn. »Ich gehe zu ihnen«, verkündete der Kommandant. »Mata, du kannst solange das Kommando übernehmen – sofern das hier überhaupt noch etwas bedeutet.« »Ich schlage vor, Lina macht das«, widersprach die Buhrlo. »Ich begleite dich.« Sie nahmen je einen Mentaltranslator an sich und verließen den Hauptkontrollraum, hielten sich an Wandvorsprüngen im Korridor fest und gelangten ohne besondere Zwischenfälle zum Transmitteranschluß. Erst dann erfolgte ein Stoß, der sie zu Boden warf. »Wir sollten die Kanzel doch abtrennen«, schimpfte die Buhrlo.
»Zu fliehen brauchen wir ja nicht. Aber so kriegen wir jede Erschütterung mit, die durch den Struktor geht.« »Wenn wir zurück sind«, sagte Heart. Sie traten in das Entstofflichungsfeld, sobald dieses sich nach erfolgter Justierung aufgebaut hatte. Die Gegenstation befand sich schon in unmittelbarer Nähe des Hangars. Heart und Mata verzichteten wieder darauf, sich den Laufbändern anzuvertrauen. Zu Fuß brauchten sie knappe drei Minuten bis zu den Staubfliegern. Beide streiften sich einen leichten Raumanzug über und schlossen die Helme, bevor sie ins Vakuum traten. Die fünf Staubflieger schwebten in der Mitte des Hangars. Sie waren zu einer Art Hufeisenform angeordnet, mit der Öffnung zum Innern der Kanzel. Vor dem Außenschott bildeten viele Dutzend ihrer Artgenossen mit ihren Leibern eine Mauer, als wollten sie alles abwehren, was von draußen hereindringen könnte. »Hast du eine Ahnung, wie man mit den Translatoren überhaupt umgeht?« fragte Heart. Er kam sich ziemlich klein vor, als sie in den Halbkreis traten. »Einfach einschalten und abwarten«, schlug die Buhrlo vor. »Der große Vorteil der Geräte ist der, daß man seine Gegenüber nicht erst zum Reden auffordern muß, damit die Translatoren die fremde Sprache analysieren können. Sie denken ununterbrochen – und die Geräte fangen das auf.« Der Hauptschalter war deutlich markiert. Mata betätigte ihn und wartete. Ein kleines rotes Feld auf der Oberseite leuchtete auf. Und es dauerte keine zehn Sekunden, bis eine künstliche Stimme aus dem Translator kam: »Ich werde für mein Volk sprechen!« sagte sie. Gleichzeitig schob sich einer der Staubflieger etwas vor. »Antworte du ihm«, flüsterte Heart. Mata machte zwei Schritte auf die Riesenkaulquappe zu, bis sie nur noch einen guten Meter von ihr entfernt war. Namen zu nennen hatte keinen Sinn. Es war auch nicht
erforderlich. Sie legte den Kopf etwas in den Nacken und sagte laut: »Ich werde dich anhören, Freund.« Die nun beginnende Unterhaltung erschien um so unwirklicher, als der Kampf um den Struktor draußen mit unverminderter Heftigkeit weiterging. Mata überlegte, ob die Staubflieger vor dem Hangar durch ihre Mauerbildung nur davon ablenken wollten. Die Buhrlo und Heart wurden zunächst enttäuscht. Sie erfuhren nicht, wie sie vielleicht von sich aus endlich effektiv in die Auseinandersetzung eingreifen könnten, sondern sie hörten die Geschichte einer Gruppe von jungen Staubfliegern, die als erste erkannt hatten, welches üble Spiel die »Macht im Zentrum«, mit ihnen trieb. Die Staubflieger waren nicht zu den Menschen gekommen, um ihnen die Lösung ihrer Probleme zu verraten, sondern um Hilfe zu erflehen. »Wir werden weiterkämpfen«, sagte die Stimme aus dem Translator. »Doch versprecht uns, daß ihr uns unsere Welten und einen Teil der Staubzone laßt, sollte der Kampf gewonnen werden. Wenn wir dies von euch hören, wird es alle jene stärken, die ihre Kräfte erlahmen fühlen. Gebt uns die Zusage.« Heart fluchte. Mata hoffte, daß die Geräte dies nicht transformieren würden. »Ich verspreche es«, sagte sie schnell, bevor der Kommandant sich zu einer noch unbeherrschteren Reaktion hinreißen lassen konnte. »Ihr habt mein Wort, und es gilt für alle Solaner an Bord des Struktors.« Für lange Sekunden herrschte Schweigen im Hangar. Dann antwortete das riesige Wesen: »Und wir glauben dir, Freundin. Das war es, was wir noch wissen mußten.« Alle fünf zogen sich zurück. Mit ihren vielen Artgenossen schwebten sie davon, bis sie im blutroten Glühen der Staubmassen nicht mehr zu sehen waren.
Heart riß sich den Schutzhelm von den Schultern und schmetterte ihn zu Boden, als er und Mata wieder im Korridor standen. »Und was hat uns das jetzt gebracht?« fragte er wütend. »Vielleicht die Rettung, Hyr. Wir werden es sehen.« »Wir werden es sehen!« äffte er sie nach. »Wir werden immer nur sehen, und inzwischen schleudern die Negativen weiter Planeten gegen den Struktor! Wenn Mak nur endlich Erfolg hätte!« Zurück in der Kommandozentrale, wußte Lina Semore wenigstens von einem kleinen Teilerfolg des Technikers zu berichten. »Bewegen und steuern können wir den Struktur zwar immer noch nicht, Hyr. Aber die Kommunikation mit bestimmten Positroniken im Struktor ist mit Einschränkungen wieder möglich.« Er winkte ab und ließ sich schwer in seinen Sitz fallen. »Und?« »Bisher wurde die Materie der zerkleinerten Löcherplaneten im Materiekanal umgeformt und als Staub durch den rückwärtigen Trichter wieder abgegeben. Das hat jetzt aufgehört. Sie wird nun restlos in Energie verwandelt.« »Und das heißt?« Heart wurde kreidebleich, als er sich selbst die Antwort gab. »Er lädt sich auf! Er macht sich selbst zur Bombe!« Auch Mata starrte Lina betroffen an. Sie konnte und wollte es sich nicht vorstellen. Doch war denn auszuschließen, daß für den Fall, daß die Positroniken keine Chance zur Rettung mehr errechneten, eine Selbstvernichtung vorgesehen war? »Wir hängen hier unten in dieser verdammten Kanzel und haben keine Ahnung davon, was oben im Struktor vorgeht!« fluchte Heart. »Nicht die blasseste Ahnung! Wir trennen jetzt ab!« Heinrich meldete sich endlich wieder. Heart und alle anderen wünschten sich, er hätte es nicht getan. »Auch das ist nicht mehr möglich«, erklärte der Datenrorobter.
8. Lasserin
Ergoz Immanuel wußte, was er tun würde, als er das Manifest erblickte. Das riesige Beiboot war plötzlich durchsichtig. Lasserins Licht durchdrang alle Wände und Verkleidungen. Eine scheinbare hyperphysikalische Unmöglichkeit jagte die andere. Immanuel hatte sich nie sehr mit den Phänomenen im und um den Hyperraum zu beschäftigen brauchen. Natürlich kannte er das, was allgemeines Wissensgut war. Hier schien nichts davon zuzutreffen. Alles war auch ganz anders als beim ersten Auftreffen auf Lasserin im Hyperraum. Im Schiff herrschte normale Schwerkraft. Lasserin bildete einen flammenden Ring vor dem Beiboot. Eine Entfernung war nicht zu schätzen. Das Manifest mochte sich unmittelbar vor dem Schiff befinden oder auch weit entfernt. Die Wände und Decken waren nicht völlig transparent geworden, eher sahen sie aus wie leicht spiegelndes Glas. Sie waren auf jeden Fall stabil, der Kybernetiker stand ruhig vor dem Bildschirm, den er nicht mehr brauchte. Kein Geräusch außer Hennys Stimme und Twoxls Stöhnen war zu hören. Beides klang verzerrt, wie von weither, dann viel zu nahe. Auch die Tonlage veränderte sich ständig. Es war nicht festzustellen, ob sich das Schiff bewegte. Die grauen Schlieren waren wie fließende Mauern, die langsam näherrückten. Immanuel hielt es für möglich, daß Lasserin den Hyperraum beeinflußte, krümmte – es spielte im Grunde gar keine Rolle. Das Manifest war da und wurde optisch größer. Schon bildeten sich an seinem Rand strahlende Energiefinger, die nach dem Beiboot leckten. Wichtig war, daß das Schiff in den Normalraum zurückkam, nachdem das getan war, was getan werden mußte – und zwar mit Henny und Twoxl. Immanuel wußte, was er zu unternehmen hatte, seitdem er an Bord gegangen war. Er hatte sich nun damit abgefunden. Er hatte den Schmerz in seinem Herzen besiegt.
Jahrelang war er einsam gewesen, mit nur einem Roboter als Freund, ja als Bruder. Dann war etwas mit ihm geschehen, das er selbst jetzt noch nicht begriff. Doch es war wundervoll gewesen. Einen anderen Menschen lieben, von ihm akzeptiert werden, auf eine gemeinsame Zukunft hoffen, die nicht sein konnte. Für diesen anderen Menschen wenigstens da sein, ihn beschützen, das konnte ihm niemand nehmen. Das war ein Glück, das ihm auch der Tod nicht stehlen würde. Er wollte nicht wieder einsam sein. Nicht, nachdem er das andere Gefühl kennengelernt hatte. Beschützen bis zum letzten. Sein Plan konnte gelingen. Heinrich würde sich einen anderen Partner suchen müssen. Es kam Immanuel nun fast lächerlich vor, daß er sich in Gedanken fast bei dem MCS entschuldigte. Vielleicht konnte Heinrich ihn sogar verstehen. Alles das ging dem Kybernetiker in einer Sekunde durch den Sinn. In der nächsten war er aufgesprungen und hatte die Waffe gezogen, die er unter der Kombinationsjacke verborgen getragen hatte. Bevor Henny überhaupt begriff, was er tat, schaltete er auf Paralyse und lähmte sie mit einem schnellen Schuß. Aus Twoxls Membranen kam ein dünner Schrei, während Lasserin voraus immer größer und strahlender wurde und weitere Energiefinger ausbildete. Noch schien es, als wollte das Manifest erst ergründen, mit wem es es zu tun hatte, bevor es zuschlug. »Mach keine Dummheiten, Twoxl!« sagte Immanuel hastig. »Ich erkläre es dir nur einmal. Ich steige in einem Raumanzug aus und versuche, Lasserin entgegenzufliegen. Möglicherweise scheitert mein Vorhaben schon im Ansatz, wenn hier keine Rückstoßgesetze gelten. Nichtsdestoweniger werde ich es versuchen. Ich versuche, mich in Richtung Lasserin zu katapultieren. Er ist ein Manifest, das das Wissen seines Meisters besitzt, soweit es die Auseinandersetzung mit uns angeht. Also kennt er auch die Metaplasmaten, die halb organisch und halb Bomben waren. Er
dürfte wissen, daß einige Hyperbomben auf Cpt zurückblieben. Ich hoffe, daß er allerdings nicht weiß, daß sie alle unschädlich gemacht wurden. Twoxl, ich bin halb Mensch, halb Technik. Alles wird davon abhängen, ob Lasserin mich als solches Zwitterwesen erkennt und folglich als Metaplasmaten einschätzt. Von seiner Warte aus gesehen kann ein Metaplasmat, der gegen ihn eingesetzt wird, ihn nur vernichten wollen. Er muß es einfach glauben und mich ausschalten, bevor ich ihn erreiche. In diesem Moment handelst du.« Der Cpt'Kul wollte sich auf den Kybernetiker stürzen. Immanuel wich geschickt aus und schaltete die Waffe um. Er richtete sie auf Twoxl. »Du wirst zuhören!« Ein schneller Blick zeigte ihm, daß der flammende Ring sich fast schon über das Boot schob. Jede Sekunde war kostbar! »Du hast im Struktor gezeigt, daß du Energien nicht nur an Ort und Stelle abgeben kannst, sondern von einem außerhalb gelegenen Ort aus. Also mußte du sie auch außerhalb des Schiffes auffangen und neutralisieren können, ohne daß du das Boot verläßt. Sobald Lasserin mich angreift, tust du das. Ich weiß, wieviele Lücken meine Überlegungen hatten, aber es ist eure einzige Hoffnung. Versuche nicht noch einmal, mich aufzuhalten. Ich war nie dazu bestimmt, als Mensch unter Menschen zu leben, das ist mir erst jetzt klargeworden. Hennys Paralyse wird nicht lange anhalten. Sie kann das Schiff unter Kontrolle bringen, sobald ihr zurückstürzt.« Er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Nicht an diese letzten Sekunden denken! Jetzt nicht der Angst unterliegen, die ihn überfiel! »Twoxl, und dann sage ihr, daß ich ….ich …!« Er fand die passenden Worte nicht. Lasserins Strahlen durchdrangen jetzt scheinbar alles. Aber dann schien das Manifest wieder weit weg zu wabern. Nichts war real, auf nichts konnte Immanuel sich wirklich verlassen. Und die Verzweiflung keimte in ihm, die Angst fraß sich in seinen Verstand.
Noch handeln, solange er Herr seines Willens war! Der Kybernetiker ging rückwärts aus der Nebenzentrale, den Strahler auf Twoxl gerichtet. Erst im Korridor begann er zu rennen. Er lief wie im Nichts. Nur das Spiegeln von Lasserins Licht auf der fast transparenten Bodenfläche gab ihm eine Orientierung. Vergib mir, Heinrich! Und du, Henny, denke vielleicht einmal an den Idioten, der sich einbildete, er könnte mit dir zusammen alt werden! Immanuel schoß auf das erste geschlossene Schott, das ihm im Weg war – das heißt, er versuchte es. Der Energiestrahl kam keinen Meter weit und verwandelte sich in einen tropfenden Bogen, halbflüssig und zäh. Lasserin strahlte abermals heller. Immanuel konnte das Licht nicht mehr ertragen. Die Augen hatte er längst geschlossen. Es war, als würde ihm die Umgebung ins Gehirn hineinprojiziert. »Schleusen auf, verdammt!« schrie er. Irgendwie erreichte der Befehl eine Positronik, und irgendwie, irgendwann, stand der Solaner in einer Mannschleuse. Er riß einen Raumanzug von einer erahnbaren Wand, legte ihn unter Mühen an und schrie seinen letzten Befehl: »Luke auf! Alle Schotte hinter mir zu!« Etwas anderes gab es für ihn nicht mehr. Er bewegte sich außerhalb einer Welt, die einmal die seine gewesen war. Es gab sie nicht mehr. Es gab nur noch ihn und das Manifest. Hole mich, Lasserin! Schaffe die Voraussetzungen! Er spürte die Schwerkraft im Schiff. Es war eine Insel, das Produkt einer unbekannten Technologie. Er stand auf seinen Beinen. Es mußte funktionieren! Dann glaubte er eine zweite Kraft zu fühlen, die nach ihm griff. Er stieß sich ab – und jetzt trieb es ihn auf das Zentrum des Ringes zu.
*
Twoxl war vollkommen verwirrt. Er sah Henny Lupino reglos in ihrem Sitz und durch die halbdurchsichtigen Wände Immanuel davonrennen. Etwas in ihm sagte, er sollte glücklich sein. Etwas sagte ihm, daß er das Opfer des Solaners nicht zulassen durfte. Etwas ließ ihn ahnen, daß er das, was Immanuel von ihm erwartete, niemals würde tun können. Im Struktor hatte er nicht gewußt, was beim Kampf gegen Lasserin geschehen war. Er hatte die aufgenommenen Energien, die er nicht mehr neutralisieren konnte, unbewußt abgestrahlt – in den Hyperraum! Deshalb keine »Schußbahnen« durch Wände und Hülle des Struktors. Und in diesem Kontinuum befand er sich jetzt! Es war zu spät. Immanuel hatte die Schleuse erreicht und stand im offenen Luk. Er stieß sich ab und schoß auf Lasserin zu. Er will das Manifest in Panik versetzen! durchfuhr es Twoxl. Und zwar so, daß es seine gesamte Energie gegen ihn verschleudert – und damit sich selbst! Als er noch zögerte, hörte der Cpt'Kul wieder die Stimmen der Vergeistigten. Natürlich! Aus ihrem unbekannten Überraum heraus konnten sie auch in den Hyperraum hineinreichen! Und sie forderten ihn zur Tat auf. Sie sagten ihm, er könnte siegen! Er sah Lasserin als ein Gebilde im totalen Überladungszustand, aber stabil. Dieser Zustand war behutsam aufgebaut und in ein Gleichgewicht gebracht worden. Entblößte das Manifest sich jedoch, und trafen die abgegebenen Energie schlagartig auf es zurück, dann … Twoxl hörte auf, irgend etwas verstehen zu wollen. Er schwebte durch die gleichen Korridore, die Immanuel auch genommen hatte. Er blieb vor dem letzten geschlossenen Schott und konzentrierte sich ganz auf das, was nur noch schwer zu erkennen war: Immanuel als winziger schwarzer Punkt im Zentrum des feurigen Ringes. Dickflüssiges Sekret tropfte von den sieben Komponenten herab. Die Anspannung drohte den Cpt-Kul zu zerreißen. Warum griff
Lasserin denn nicht an! Er hatte Immanuels Täuschung erkannt! Nur so konnte es sein und … … und dann explodierte der Ring. Der Hyperraum selbst schien aufzureißen. Strahlen zuckten durch die grauen Schlieren und färbten sich hellrot. Immanuel verging im Zentrum dieses Chaos. Die Energien schlugen dem Beiboot entgegen. Twoxl ließ blitzschnell die Kräfte wirken, die die Energien außerhalb der Schiffshülle auffangen und unschädlich machen sollten. Er wußte dabei, daß er das nicht allein schaffen konnte. Er besaß diese Fähigkeiten einfach nicht! Plötzlich war er in gleißende Helligkeit gehüllt. Sie umgab ihn wie ein Ballon. Aber die Hülle des Beiboots riß nicht auf. Was nun geschah, sah der Cpt'Kul wie ein unbeteiligter Außenstehender, obwohl er fühlte, daß es aus ihm heraus bewirkt wurde. Doch er steuerte es nicht willentlich. Es geschah wie von allein. Und er begriff, daß die Vergeistigten ihm nun wieder halfen, so wie sie es im Struktor getan haben mußten. Die aufgefangenen Energien wurden nur zu einem winzigen Bruchteil neutralisiert, alles andere wurde fortgeschleudert. Und was sonst in den Hyperraum strahlte, schlug genau dorthin zurück, von wo es gekommen war. Es gab keinen übergeordneten Raum, mehr, der es aufnahm. Alle Energien, die Lasserin gegen Immanuel freigemacht hatte, schlugen auf ihn zurück, auf die Schablone, das Grundmuster des Manifests. Die schlagartige Überladung um das Millionenfache von dessen Aufnahmekapazität sprengte das Netzwerk, das Lasserins Grundexistenz ausmachte. Die Energien breiteten sich noch einmal über den Hyperraum aus und versiegten in der Unendlichkeit dieser Dimension. Twoxl lag noch auf dem Korridorboden, als längst alles vorüber war. Er konnte es nicht glauben. Das plötzliche vollkommene Schweigen war gespenstisch. Nur noch das graue Wallen umgab das Beiboot.
Und in dieses Schweigen hinein meldete sich noch einmal eine lautlose Stimme. Diesmal jedoch waren es nicht die Cpt-Cpts, die zu Twoxl sprachen. Du hast meinen materiellen Teil vernichtet! empfing er. Du hast mich damit aus der Gewalt meines Unterdrückers Anti-ES befreit! Du hast verhindert, daß ich als versklavtes Manifest der kosmischen Ordnung irreparablen Schaden anrichtete, und mir den Weg freigemacht zurück in die Namenlose Zone! Dafür danke ich dir! Als Lasse-Zount, der ehemalige Sechste Zähler, kann ich nun endlich auch heimkehren! Möget auch ihr den Weg zurück finden! Das war alles. Wieder umfing den Cpt'Kul die unheimliche Stille eines Kontinuums, das nicht seines war. Er ergriff die Flucht vor ihr. Er schwebte durch die Korridore zurück in die Nebenzentrale, um wenigstens ein menschliches Wesen bei sich zu spüren. Henny Lupino lag noch immer gelähmt in ihrem Sitz. »Positroniken!« zirpte es aus allen sieben Membranen zugleich. »Bringt das Raumschiff zum Struktor zurück! Bringt es in den Normalraum und in die Dunkelzone!«
9. Der Struktor und die Staubflieger Im Struktor folgte eine vorerst unerklärliche Nachricht auf die andere. Hyrlian Heart und Mata St. Felix standen beieinander, beide auf das Ende gefaßt und mit noch drei weiteren Solanern die einzigen, die sich noch im Hauptkontrollraum der Kommandokanzel befanden. »Sag das nochmal, Lina!« forderte Heart. Lina Semore nickte von einer Bildwand. Sie befand sich in einer Nebenstelle, wo sie dabei half, Zusammengebrochene zu betreuen. Von dort aus hatte sie Zugang zu den wichtigen Positroniken. »Der Struktor hat die gesamte überschüssige Energie schlagartig
in Feinstmaterie verwandelt und abgestoßen, Hyr.« Heart schüttelte verständnislos den Kopf, der um einige graue Haare reicher geworden war. »Und der Sinn? Welcher Sinn steckt dahinter?« Erleichtert konnte er nicht sein. Hinter jedem und allem witterte er eine neue Tücke. Bevor Lina antworten konnte, meldete sich endlich Mak Heidinger. »Hyrlian, irgend etwas geschieht, aber frag mich nicht, was es ist. Wir haben die Steuerungssysteme so gut wie repariert – das heißt, ich habe zugesehen, wie die Positroniken arbeiteten. Ich glaube sogar, daß ich vollkommen überflüssig war. Sie machen nicht nur alles selbst, sie denken auch selbst und entscheiden, wann wir was zu sehen bekommen. Der Struktor kommt mir allmählich wie ein lebendes Wesen vor, das seine Wunden selbst versorgt.« »Die Löcher in seiner Hülle sind seine Wunden, Mak! Und was macht er mit ihnen?« »Er hat unsere Roboter in Marsch gesetzt, Hyr. Ich meine natürlich, die Positroniken haben es getan.« Heart verstand die Welt nicht mehr. Wozu die Aufladung mit Energie, wozu dann wieder deren Abgabe und nun die Übernahme der solanischen Roboter? Wollten die Positroniken jetzt damit beginnen, Reparaturarbeiten auszuführen? Die Angriffe tobten noch immer. Eine Erschütterung folgte auf die andere, Heart und Mata nahmen es schon gar nicht mehr wahr. Und unverändert schnell raste der Auffangtrichter um die Kommandokanzel und versuchte, das Schlimmste zu verhindern. »Hyr, ich würde an deiner Stelle versuchen, mir ein Bild aus dem Struktor geben zu lassen. Soweit wir das von hier übersehen, stehen alle Transmitter wieder zur Verfügung. Im Grunde könnten wir den Struktor bestimmt auch schon jetzt in Bewegung setzen. Eigentlich dürfte alles in ihm wiederhergestellt sein – mit Ausnahme der Kommunikation über Funk natürlich. Erstens wegen der überlagernden Strahlung von draußen, und zweitens …« Heidinger
lachte wie über einen Witz, von dessen Qualität er nicht überzeugt war. »Zweitens ist ja sowieso keiner mehr oben in der Maschine.« »Wer von uns ist verrückt, Mata?« fragte Heart leise. »Er, ich, wir alle?« »Ich würde es einfach versuchen.« »Was denn? Einfach sagen: ,Positronik, gib mir ein Bild aus dem Beiboothangar!'?« Das rote Glühen verschwand vom Wandschirm. An seine Stelle trat das Bild des Hangarinnenraums. »Hyrlian!« rief die Buhrlo da plötzlich aus. »Die anderen Schirme! Der Trichter hört zu kreisen auf! Er wird langsamer – und wandert zum Bug zurück! Er löst sich auf!« Ihre Stimme überschlug sich. »Und die Negativen stellen die Angriffe ein! Sie erstarren und werden auch ihrerseits nicht mehr von den Staubfliegern und den Sphären angegriffen! Hyr, kann das bedeuten, daß wir …?« Sie konnte nicht weitersprechen. Sie dachte an Twoxl, Henny Lupino und Immanuel. »Die Sphären ziehen ab«, murmelte Heart, starr wie eine Statue, den Blick nur auf das Unglaubliche gerichtet. Innerhalb von Sekunden wurde das Glühen der Staubmassen schwächer. Nach etwa einer Minute war es ganz erloschen. »Wir sind … gerettet, Hyr?« stammelte die Buhrlo. »Bei allen Planeten, Twoxl muß es geschafft haben!« Es dauerte eine ganze Weile, bis der Kommandant fragte: »Und wo ist dann das Beiboot, Mata?«
* Daal war von der plötzlichen Entwicklung nicht minder überrascht als die Solaner. Sein Ruf war überall gehört worden. Jeder einzelne der ins Unüberschaubare angewachsenen Staubfliegerschar hatte über ihn von der Zusicherung der Solaner gehört, ihren Lebensraum
nicht ganz zu zerstören. Und sie glaubten dem, was die Menschen versprachen. Um so wütender hatten sie sich dann in den Kampf gestürzt. Daal war selbst nur ein einziges Mal dabei gewesen, als ein Pulk in den offenen Rachen eines Negativen einflog und ihn von innen heraus besiegte. Es war ein Erlebnis gewesen wie nie zuvor, aus dem furchtbaren Monstrum Tausende neuer Brüder und Schwestern entstehen zu sehen. Und nun schien alles vorbei zu sein. Der Struktor lag still in den sich wieder schließenden Staubwolken. Der Trichter, der ihn geschützt hatte, war ebenso erloschen wie jener andere, der sich immer dann kurz gebildet hatte, wenn neue Kleinstmaterie von der Riesenmaschine ausgespien wurde. An der Hülle arbeiteten Montageroboter. Die Negativen strahlten nicht mehr, bewegten sich nicht oder drifteten mit dem noch vorhandenen Restschub langsam durch das All. Die Sphären waren fort. Löcherplaneten, die nicht mehr hatten geschleudert werden können, zogen langsam ihre geraden Bahnen. Daal wollte sich schon mit seinen Gefährten auf den Weg zu den Menschen machen, als er einen der Himmelskörper als seine Wohnheimat erkannte. Er erschrak. Irgendein Negativer hatte ihn also doch noch geholt. Es gab dem jungen Staubflieger wieder eine Ahnung davon, wie gewaltig die Dunkelzone doch war und was sich in ihren Tiefen noch alles abgespielt haben mochte, während er und unzählige andere hier kämpften. Es zeigte ihm auch, daß er nun zuerst eine andere Aufgabe hatte, als mit den Solanern zu reden. Millionen neuer Staubflieger waren entstanden, und Millionen hatten sich von überall hierher begeben. Nun flogen sie ratlos durcheinander und wußten nicht, wohin. Die meisten hatten wohl ihre Wohnwelten für immer verloren. Sie mußten zur Ruhe gebracht werden, sich sammeln und warten. Der Gedanke, daß vielleicht zum erstenmal in seiner Geschichte sein
ganzes Volk an einem einzigen Ort der Dunkelzone versammelt sein mochte, brachte Daal an den Rand der Ohnmacht. Zuui! wandte er sich an seine Partnerin. Führe du die Gefährten! Sucht nach Bekannten und verbreitet die Botschaft, daß niemand sich von hier fortbegeben möge, bis wir Gewißheit über die Zukunft haben! Wir treffen uns beim Struktor wieder. Ich fliege kurz zum Planeten! Er gab ihr keine Gelegenheit, ihm zu folgen. Etwas trieb ihn, das er selbst kaum verstand. Aber er wollte die Statuen sehen, wollte wissen, ob die Skulpturen sich wieder verändert hatten. Er fand nur noch drei von den sechs, die sich ursprünglich auf jedem Löcherplaneten geformt hatten. Atlan und Anti-Homunk waren verschwunden, ebenso die dritte Skulptur. Die vierte in der ehemaligen Reihenfolge zeigte den Struktor nun viel größer als vorher. Die fünfte, zuletzt nur erahnbar, war zu einem Stern auf einem hohen Sockel geworden. Daal interpretierte die Darstellung gefühlsmäßig als ein Symbol für Freiheit und Frieden. Der in einer schwarzen Stichflamme vergangene Spiegel war etwas abseits der anderen Skulpturen wiedererstanden. Jetzt jedoch sprach keine Geisterstimme mehr aus ihm, und keine Aura des Bösen ging von ihm aus. Etwas zog Daal an. Er schwebte ganz dicht über der glatten Fläche und sah, wie sich aus nie geschauten Farben Bilder kristallisierten. Er sah ein Netz, in dessen Mittelpunkt ein gräßliches Monstrum lauerte. Im Netz gefangen waren Staubflieger – nein, ihre negativen und gigantischen Brüder. Durch Ziehen der Fäden steuerte das Monstrum die Negativen. Sie waren in ihm gefangen und konnten sich nicht befreien. Dann aber erschien ein Etwas, das entfernt an einen Staubflieger ohne Schweif erinnerte. Nur war es unendlich größer und künstlich. Es griff das Monstrum an und vernichtete es. Das Netz löste sich auf. Die Negativen flogen davon und … Daal spürte die Nähe eines der riesigen Wesen. Er drehte sich und
sah den Negativen auf den Löcherplaneten zukommen, viele Male so groß wie dieser. Er wollte schon fliehen, als der Gigant sich auflöste und in viele tausend Staubflieger zerfiel. Und das geschah jetzt überall um den Struktor herum. Daal empfing Zuuis Ruf und stieß sich ab.
* Henny Lupino war noch benommen. Sie hörte zwar, was Twoxl ihr immer und immer wieder aufgeregt berichtete, doch das wenigste davon vermochte sie zu begreifen. Was sie sah und wußte, war, daß das Struktor-Beiboot wieder im Normalraum und in der Dunkelzone war. Mit diesem Anblick auf dem Wandschirm war sie aus der Betäubung erwacht. Unter normalen Umständen blieb ein durch solanische Waffen Paralysierter auch im Zustand der Lähmung hellwach, er sah, hörte und dachte. Daß es diesmal anders gewesen war, schrieb sie den Einflüssen des Hyperraums zu. Lasserin vernichtet und dadurch befreit! Ergoz Immanuel tot! Meine Schuld! Ich ließ ihm gar keine Wahl! Ich sprach für ihn! Ich sagte, er würde mit mir und Twoxl aufbrechen! »… den Struktor gleich erreichen«, sagte Twoxl von irgendwoher. »Das Boot hat ihn schon geortet. Du mußt zu dir kommen, Henny!« Zu mir kommen? Nein. Ich will es nicht. Sie begann hysterisch zu lachen. »Hörst du das, Twoxl? Ich will nicht, und ich tue es einfach nicht! Glaubst du, ich wüßte nicht, was Ergoz so hinter mir her rennen ließ? Das gleiche wie Kölsch! Auch Wajsto hat sich in mich verliebt. In mich, ein Nichts! Eine Unglücksbringerin! He, Twoxl, meine erotische Ausstrahlung wirkt doch sogar auf dich. Ich bin schön, ja, und ich bin jung. Aber ich bin nichts wert! Wäre ich es, dann hätte
ich gewußt, was Ergoz vorhat!« Sie wirbelte im Sitz herum, riß eine Hand in die Höhe und zeigte auf die sieben jetzt schlangenförmig angeordneten Komponenten. »Ergoz könnte noch leben, wenn er nicht …« Wieder brach sie in Lachen aus, straffte den Zeigefinger und zielte auf Twoxl. Dabei machte sie »Peng! Peng!« Da tat der Cpt'Kul etwas sehr Ungewöhnliches. Eine seiner Komponenten löste sich, schwebte blitzschnell auf die Solanerin zu und streifte sie klatschend an der Wange. »Das war eine Ohrfeige!« zirpte es heftig aus der Sprechmembrane. »Vielleicht kommst du jetzt zur Vernunft! Du hast keine Schuld, und ich habe keine Schuld! Wir müßten uns beide die gleichen Vorwürfe machen! Es war Immanuels Entscheidung, und sie hat uns beide und den Struktor gerettet – und alle Besatzungsmitglieder und alle Völker in Xiinx-Markant! Und wenn du es so genau wissen willst – du warst Ergoz völlig gleichgültig. Er vertraute es mir an, bevor er ging!« Ob es die Ohrfeige war oder Twoxls brutale Worte – Henny hatte das Gefühl, von haltenden Händen losgelassen zu werden und in einen endlos tiefen und dunklen Schacht zu stürzen. Für einen Augenblick fühlte sie völliges Nichts. Dann sah sie Mata St. Felix' Gesicht, Heart, Immanuel, Kölsch – alles wirbelte durcheinander. Als sich die Nebel klärten, blieben Twoxl, Mata, Heart und der Struktor. Und das Wissen um eine Aufgabe, eine Verantwortung. »Danke, Twoxl«, flüsterte sie, schon dabei, die verschiedenen einlaufenden Anzeigen und Daten auf einer Kontrolleiste zu sondieren. Ihr war kalt. Sie schob von sich, was störte. »Es tut mir leid«, sagte der Cpt'Kul. »Ach was!« Sie winkte ab, jetzt ganz in Arbeit vertieft. Arbeit half zu vergessen. »Es war richtig und braucht dir nicht leid zu tun.« Dann rief sie laut: »He, Positroniken, ihr habt wieder einen menschlichen Piloten. Also spielt mir ein paar genauere
Ortungsergebnisse auf das Display. Unsere Position, Position des Struktors, Zeit bis zum Einschleusen, Markierung der noch vorhandenen Großobjekte. Ach, und habt ihr eine Aufzeichnung von Lasserins Vernichtung?« Sie erhielt eine Bestätigung. Eigentlich verwunderte sie das. Sie machte sich die gleichen Gedanken über den Aufenthalt im Hyperraum und kam zum gleichen Schluß wie Immanuel – daß Lasserin dieses für Menschen immer noch unbegreifliche Kontinuum hatte beeinflussen können. Jedenfalls bekam sie ein Bild vom Manifest auf den Wandschirm. Auf der Kontrolleiste erschienen die von ihr geforderten Daten. Demnach würde der Struktor in etwa einer Minute erreicht sein. Was sie nur hatte hoffen können, schien sich zu bewahrheiten. Um den Struktor herum war es ruhig. Die Kämpfe hatten aufgehört. Ergoz Immanuels Opfer war also tatsächlich nicht umsonst gewesen. Das zu wissen, machte ihr alles andere leichter. Sie sah Lasserin explodieren. Die Positroniken verzichteten darauf, ihr zu zeigen, was vorher geschehen war. Etwas – natürlich Twoxl – fing die Energien auf und schleuderte sie auf das Manifest zurück. Die zweite Explosion war endgültig. Twoxl schaute gebannt zu und wiederholte laut die Botschaft, die Lasse-Zount noch an ihn gerichtet hatte. Die Projektion erlosch. Henny schüttelte den Kopf. »Da war noch etwas, Twoxl. Positronik, ich will die Aufzeichnung noch einmal sehen!« Ihr Wunsch wurde erfüllt. Lasserin verging in den eigenen gesammelten Energien – aber es gab noch eine Explosion, eine kleinere. »Nochmal zurück bis zur ersten Energieabgabe! Und ich brauche eine Ausschnittvergrößerung vom genauen Zentrum des Ringes!« Lasserin griff an. Und in den Sekunden, bis er in der zurückgestrahlten Energie verging, als es dort, wo er als Schablone existierte, nur das Wallen des Hyperraums gab, sah Henny ein
vergleichsweise winziges künstliches Objekt hinter einem Energieschirm. Nach Lasserins Vernichtung war es nicht mehr da. »Wie es aussieht, Twoxl«, sagte die Solanerin unsicher, »hast du noch etwas zerstört – oder vielmehr ist es durch Lasserins Energien ebenfalls zur Explosion gebracht worden. Aber was kann es gewesen sein?« Vielleicht wußte man im Struktor schon eine Antwort darauf. Henny hatte ein wenig Angst vor dem, was sie von ihm zu sehen bekommen würde. Dann aber tauchte die riesige Maschine zwischen zerbröckelnden Negativen aus den Staubmassen auf und stand da wie im tiefsten Frieden. Roboter – solanische und struktoreigene – flickten schon die Lecks in der Hülle. »Wie sage ich unseren Leuten, was mit Ergoz geschehen ist?« fragte Henny. Himmel, wie erkläre ich es Heinrich!
* Eine Stunde später hatte sie alle Erklärungen hinter sich – die, die sie selbst abgeben mußte und die anderen, die sie von Heart über die Ereignisse der letzten Phase des Kampfes bekam. Niemand machte ihr Vorwürfe, im Gegenteil versuchte fast jeder, sie aufzumuntern. »Ergoz wollte es so«, sagte der Kommandant, der gereift und souverän wirkte. »Ich bin ganz sicher, daß er schon lange genau wußte, was er tat. Er, Twoxl und du, ihr habt gehandelt, während wir wie Statisten zuschauen mußten, was andere mit uns trieben.« Damit war auch die Eigenmächtigkeit aus der Welt. Überhaupt schien ein seltsames Schicksal die Dinge überall in befriedigende Bahnen gelenkt zu haben. Der Angriff auf den Struktor hatte außer Immanuels kein weiteres
Menschenleben gekostet. Jene Besatzungsmitglieder, die einen Schock erlitten hatten oder mit Drogen behandelt werden mußten, hatten sich allesamt wieder erholt und füllten den Hauptkontrollraum des Kommandostands. Wer allerdings stark angeschlagen war, das war Heinrich. Nach der Nachricht von Immanuels Opfergang war er zu Boden gesunken und lag nun in einer Ecke des riesigen Raumes – offenbar aus sich selbst heraus desaktiviert. Der Struktor war wieder voll funktionsfähig. In wenigen Stunden würden alle durch die Bombardierung entstandenen Schäden behoben sein. Heidinger hielt bereits das Programm zur erneuten Umpolung bereit. Die Positroniken hatten bestätigt, daß sie während der Krise eigenständig handeln mußten. Dabei reichte die Palette ihrer Maßnahmen vom Einsatz des Trichters bis zur energetischen Aufladung der Maschine. Erst als sie Lasserins Ende registrierten, machten sie diese Maßnahme rückgängig, die andernfalls früher oder später zur Selbstvernichtung des Struktors geführt hätte. Woher sie von Lasserins Ende wußten, blieb der Phantasie der Solaner überlassen. Mata St. Felix, Mak Heidinger und einige andere waren davon überzeugt, daß zwischen den Positroniken des Struktors und denen seines Beiboots eine Kommunikation über die Kontinuen hinweg bestanden hatte. Diese Theorie erklärte vieles, das vorher unverständlich gewesen war. Schließlich konnte auch Hennys Beobachtung erklärt werden. Nicht zuletzt aufgrund der zeitlichen Übereinstimmung errechneten die Positroniken einen Zusammenhang zwischen der Explosion des künstlichen Objekts im Hyperraum mit dem Erstarren und der darauf folgenden Auflösung der negativen Staubfliegerballungen. Es galt nun als sicher, daß es sich bei dem Objekt um eine Steuereinheit gehandelt hatte, die die Entwicklung der Negativen seit deren Entstehung steuerte und ihnen die Einsatzbefehle von Anti-ES übermittelte. Hiermit erschien die Geschichte der
Staubflieger und ihrer Vorfahren in einem ganz neuen Licht, das Antworten auf viele bislang offene Fragen brachte. Die Steuereinheit war im Hyperraum verborgen angelegt worden. Sie wäre vermutlich niemals entdeckt und zerstört worden, hätte Lasserin sie sich nicht als Fixpunkt für sein eigenes Versteck im Hyperraum gewählt und übernommen. Als sie zu existieren aufhörte, erlosch auch der negative Einfluß auf die Giganten, die sich inzwischen ohne Ausnahme in positive Staubflieger verwandelt hatten. Und damit stellte sich noch einmal ein neues Problem. Die Zahl der Staubflieger hatte sich um das vieltausendfache erhöht. Es war tatsächlich so, daß in den Tiefen der Dunkelzone eine ungeheure Armee von Negativen »schlummernd« darauf gewartet hatte, von Anti-ES aktiviert zu werden. Und nicht nur sie waren ja hierhergeeilt. Von den Spiegel-Skulpturen aufgehetzt, hatten sich von überallher auch die Positiven in Bewegung gesetzt. Das Vorhandensein dieser Spiegel war mittlerweile bekannt. Die fünf Staubflieger, mit denen Mata und Heart gesprochen hatten, waren wieder an Bord und warteten auf die endgültige Entscheidung der Solaner. In einem zweiten kurzen Gespräch lüfteten sie ein weiteres Geheimnis ihres Volkes. Niemand hatte zuvor begreifen können, wie schnell so viele Staubflieger und Negative den Struktor erreichen konnten. Jetzt wußte man, daß diese Wesen sich die Gezeitenkräfte des Universum nutzbar machen konnten, um ohne technische Hilfs- und Schutzmittel Tausende von Lichtjahren einfach zu »überspringen«. »Sie warten«, sagte Heart. »Sie wollen wissen, wo sie in Zukunft leben können. Hören wir uns ihre Vorstellungen an. Du hilfst mir wieder bei den … äh … Verhandlungen, Mata?«
* Daal beobachtete mit seinen jungen Gefährten aus geringer
Entfernung, wie das kleine Raumschiff aus einer Öffnung im riesigen Struktor schwebte und langsam Fahrt aufnahm. In ihm befanden sich alle Solaner. Ihre Aufgabe war nun erfüllt. Sie machten sich auf die Suche nach dem größeren Raumschiff, zu dem sie gehörten. Alles war dafür vorbereitet, daß die Staubflieger selbst den Struktor übernahmen und die Dunkelzone bis auf die vereinbarten Inseln auflösten. Die Menschen hatten die Maschine umgepolt, sie würde sofort damit beginnen, den Staub in das Urplasma zu verwandeln, aus dem eines Tages wieder Sonnen und Planeten entstehen würden. Die Positroniken hatten den Staubfliegern zu gehorchen, Daal selbst hatte einige entsprechende Versuche gemacht. Durch den Einbau der Mentaltranslatoren konnten alle notwendigen Befehle allein dadurch gegeben werden, daß man sie dachte. Hindernisse sollte es keine mehr geben. Die Macht, mit denen die Solaner in Verbindung standen, hatte es versprochen. Einmal konnte sie sich auch den Staubfliegern selbst mitteilen. So wußten sie nun von einer körperlosen Lebensform in der Innenzone ihrer Galaxis, die über sie wachen und alles Leben in Xiinx-Markant beschützen würde, bis die völlige Normalisierung erreicht war. Es schien keinen Anti-Homunk mehr zu geben. Der Traum vom Frieden, von gegenseitigen Besuchen der vielen verschiedenen Völker und von harmonischer Weiterentwicklung aller Arten war nicht länger mehr nur ein Traum. Daal sah das kleine Raumschiff in den Staubmassen langsam verschwinden. Er wünschte den Solanern in Gedanken alles Gute – und das Glück, das sie sicher noch brauchen würden, bis sie wieder mit ihren vielen Gefährten zusammen sein konnten. Um überhaupt aus der Dunkelzone herauszukommen, brauchten sie Hilfe. Ihr Schiff konnte nicht schnell genug werden, um in das Medium einzutauchen, das sie Linearraum nannten. Gleichzeitig war diese letzte Hilfeleistung die Generalprobe für die Staubflieger
und den Struktor. Kommt! forderte Daal seine wartende Gruppe auf. Gehen wir an Bord und schaffen wir den staubfreien Korridor für unsere Freunde! Es war vorgesehen, daß sich die Gruppen abwechselten, die den Struktor steuerten, damit keine zu lange ohne Nahrung bleiben mußte. Daal und Zuui schwebten als erste in die offene Schleuse des Maschinenriesen. Sie brauchten nicht bis in die Zentrale. Es genügte, wenn sie den Befehl vom Hangar aus dachten. Die Translatoren fingen ihn auf und gaben ihn an die Positroniken weiter. Der Struktor setzte sich in Bewegung. Vorne baute der mächtige Trichter sich auf und holte den Staub in den Materiekanal. Der Struktor holte das langsam fliegende Raumschiff rasch ein, alles funktionierte wunderbar komplikationslos. Auf einem weit genug entfernten Kurs schuf die Maschine den materiefreien Korridor. Die Solaner beschleunigten und verschwanden endgültig. Ihr habt das große Werk begonnen, dachte Daal gerührt. Wir werden es zu Ende führen, und es wird immer noch Lebensraum genug für uns bleiben.
Epilog Twoxl schwebte vor einem der vielen Käfige, in denen die Cpt'Taks auf ihre Verwandlung warteten. Zur Traube angeordnet, konnte er mit seinen sieben Komponenten in alle Richtungen sehen. Die BANANE stand vor der Kalmorer-Siedlung am Fluß. Solaner bewegten sich mit hängenden Köpfen zwischen den Häusern und Hütten oder saßen schweigend in der brennenden Sonne. Vierzehn Tage war es her, daß sie mit der BANANE die Dunkelzone verlassen hatten. Sie waren da noch voller Hoffnung gewesen, die SOL wiederzufinden, obwohl kein Funkkontakt mehr bestand. Inzwischen wußten sie, daß sie sich selbst etwas vorgemacht hatten. Es
schien keine SOL mehr zu geben – zumindest nicht in Xiinx-Markant. Man fand sie nicht, dafür aber meldeten die Vergeistigten sich wieder. Sie erklärten Twoxl, das der SOL etwas widerfahren sein mußte, das sie selbst nicht zu erfassen vermochten. Sie »sahen« sie nicht mehr. Sie war verschwunden, und es gab nicht die geringste Spur, keinen Hinweis auf ihren Verbleib oder ihr Schicksal. Um den Schock zu überwinden und auf eine neue Auskunft der Cpt'Cpts hoffend, waren die Solaner mit der BANANE nach Cpt zurückgeflogen. Henny Lupino kam aus einer Hütte, sah Twoxl und gesellte sich zu ihm. Ihre Hautverbrennungen waren inzwischen vollkommen verheilt. Sie wirkte jetzt nicht mehr so niedergeschlagen. Vielleicht tat es ihr gut, nicht mehr so im Blickpunkt zu stehen. Mata St. Felix hatte das Kommando wieder übernommen. Auch die Männer und Frauen aus dem Struktor akzeptierten sie einstimmig als ihre Führerin. Henny setzte sich und blickte lange auf die Cpt'Taks. »Morgen brechen wir auf, Twoxl«, sagte sie dann. »Wir werden weiter nach der SOL suchen. Wir geben nicht auf!« Er hatte es gewußt, alles andere wäre eine Überraschung für ihn gewesen. »Dann komme ich mit!« erklärte er spontan. »Und deine Schutzbefohlenen hier auf Cpt?« »Sie brauchen mich jetzt nicht mehr. Die Kalmorer sind selbständig genug geworden, und die neuen Cpt'Noks können ebenfalls schon für sich sorgen. Außerdem wachen die Vergeistigten über sie.« Wie über ganz Xiinx-Markant. Deutlicher als zuvor hatte sich dies in den letzten Tagen herauskristallisiert. Was Twoxl von ihnen empfing und den Solanern weitergab, deutete darauf hin, daß die Cpt'Cpts inzwischen soweit erstarkt waren, daß ihr Einfluß bis an die Grenzen dieser Galaxis reichte. Mata St. Felix hatte sie als »fast eine neue Superintelligenz« bezeichnet – und das war nicht nur als Scherz gemeint. Sie waren stark und weise genug, um aus ihrem Überraum heraus die harmonische Entwicklung der Völker garantieren zu können. Aus der Kriegszelle Xiinx-Markant wurde eine Friedenszelle. In etwa
dreißig bis vierzig Jahren, so schätzte man, würde der Struktor mit Hilfe der Staubflieger den Umwandlungsprozeß der Dunkelzone abgeschlossen haben. Damit war das letzte Hindernis beseitigt – das letzte böse Vermächtnis von Anti-Homunk. »Gehst du mit ins Schiff?« fragte Henny. »Wir haben viel vorzubereiten.« Er schwebte neben ihr her. Ihr Weg führte sie an Heinrich vorbei. Der Datenroboter hatte neue organische Partner gefunden – und die Metaplasmaten-Wesen eine neue technische Komponente, an die sie sich binden konnten. Beide Teile lebten auf. Alles schien bestens geregelt zu sein. Doch wo war die SOL? Henny konnte und wollte nicht daran glauben, daß es sie nicht mehr gab. Morgen! dachte die Raumfahrerin. Morgen geht die Suche weiter! Die SOL ist unsere Heimat! Wir gehören nirgendwo anders hin!
ENDE
Während durch den Struktor ein wichtiger Schritt zur Normalisierung der Galaxis Xiinx-Markant eingeleitet wird, brechen für die Solaner und AntiHomunk die Stunden der letzten, alles entscheidenden Auseinandersetzung an. Anti-ES hat seine Vorbereitungen getroffen.Der Untergang der SOL ist eingeplant, er ist EINE FALLE FÜR WÖBBEKING … EINE FALLE FÜR WÖBBEKING – unter diesem Titel erscheint auch der Atlan-Band 625, der von Peter Griese verfaßt wurde.