Gordon Eklund
Raumschiff Enterprise 19 Der Teufelsplanet
Aus dem Amerikanischen übertragen von Angelika Weidmann
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Gordon Eklund
Raumschiff Enterprise 19 Der Teufelsplanet
Aus dem Amerikanischen übertragen von Angelika Weidmann
GOLDMANN VERLAG
Bearbeitung: Hermann Urbanek Deutsche Erstausgabe Der Goldmann Verlag
ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann
Made in Germany • 7/90 • 1. Auflage
© STAR TREK ®DEVIL WORLD
© 1979 by Paramount Pictures Corporation
© der deutschsprachigen Ausgabe
1990 by Wilhelm Goldmann Verlag, München
Umschlaggestaltung: Design Team München
Umschlagillustration: Jones/Schlück, Garbsen
Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin
Druck: Eisnerdruck, Berlin
Verlagsnummer: 23627
Lektorat: Christoph Göhler/SK
Herstellung: Peter Papenbrok
ISBN 3-442-23627-4
Aus dem Logbuch des Captains: Wir mußten Spock an Bord der Enterprise zurückbeamen; er scheint unter schwerem Schock zu stehen. Jetzt ist mein Landungstrupp auf diesem Planeten gestrandet. Nur einer kann uns noch helfen – Jacob Kell, der Mann, den wir suchen. Er lebt seit Jahren allein und kann anscheinend mit der unbegreiflichen Macht, die diesen Planeten beherrscht, kommunizieren. Mit jener Macht, die zwei meiner Crewmitglieder und alle hundert Kolonisten, die sich hier niederlassen wollten, in den Wahnsinn getrieben hat…
Prolog
Sechs adrett uniformierte Männer materialisierten sich in der Mitte der Waldlichtung und suchten die Umgebung aufmerksam nach Lebenszeichen ab. In den offiziellen Aufzeichnungen der Föderation der Vereinigten Planeten war diese Welt unter der Codenummer NC 513-II aufgeführt, doch bekannt war sie eher unter dem Namen ›Herzland‹. Herzland, ein Planet des M-Typs, bestens geeignet für menschliches Leben und großzügig mit allen notwendigen Naturreichtümern ausgestattet, war erst kürzlich von einer Gruppe von hundert Männern und Frauen kolonisiert worden, die zumeist von der überbevölkerten Erde stammten. Und nun war ein anonymer Notruf von Herzland auf Sternbasis 13 empfangen worden. Infolgedessen war ein Schiff losgeschickt worden. Die sechs Männer stammten von diesem Schiff. Unter den beobachtenden Augen der Männer kamen die Siedler aus dem umliegenden Wald herbei. Der Kommandierende Offizier, Lieutenant Radly Marcus, wunderte sich. Warum hatten sich die Siedler hier an dieser Stelle versammelt? Warum warteten sie nicht in ihren Behausungen, die im ganzen Wald und den benachbarten Wiesen verstreut lagen? Marcus mußte den Grund dafür herausfinden. Er war dreiunddreißig Jahre alt, ein entschlossener, scharfsichtiger Veteran der Sternenflotte, der sich gern damit brüstete, daß er alles, was das Universum anzubieten hatte, mindestens einmal, oft schon vier- oder fünfmal gesehen hatte. Doch nachdem Marcus sich die Siedler genauer angeschaut hatte, mußte er sich eingestehen, daß er gelogen hatte.
Dergleichen hatte er in seinem ganzen Leben noch nie gesehen. Es waren ungefähr hundert Kolonisten an der Zahl, das Verhältnis zwischen Männern und Frauen war etwa gleich, ihr Alter reichte von frühen Teenagern bis zu Endvierzigern. Und allesamt – Männer wie Frauen, Alte wie Junge – waren irre, wahnsinnig, verrückt. Sie blabberten. Sie kreischten. Sie jaulten und wimmerten. Viele weinten. Sie rissen an ihren Kleidern, rollten sich am Boden, fuchtelten mit Keulen und Stöcken vor ihren eigenen Gesichtern herum. Ein paar befanden sich in Katatonie und rührten sich überhaupt nicht. Marcus rief das Mutterschiff über seinen tragbaren Kommunikator, erläuterte die Situation und empfahl sofortige Evakuierung. Kurz darauf landete eine Rettungsmannschaft und bereitete die Siedler für den Abtransport vor. Marcus versuchte, ein paar von ihnen auszufragen, doch die Antworten, die er erhielt, gaben keinen Sinn. Dann dachte er an die eingeborenen Fremdwesen. War es nicht denkbar, daß diese Geschöpfe eine gewisse Ahnung haben mochten, was mit den Siedlern geschehen war? Marcus wußte, daß die Aliens in einem Dorf in der Nähe lebten. Mit seinen fünf Mannschaftsmitgliedern machte er sich auf den Weg durch den Wald. Die eingeborenen Bewohner von Herzland, eine humanoide Spezies, waren unter dem Namen Danoner bekannt. Es war eine uralte Rasse, die eine Zivilisation errichtet hatte, die in ihrer Höchstblüte die halbe Galaxis umfaßt hatte. Marcus erreichte das Dorf und fand mehrere hundert Hütten aus Lehm und Gras. Das war alles, was von jener einst mächtigen danonischen Zivilisation geblieben war. Er betrat das Dorf. Es wirkte wie ausgestorben. Nichts rührte sich.
Auf einem freien Platz in der Mitte des Dorfes ragte ein steinerner Turm zwanzig Meter in den Himmel. Er war in Form des Buchstaben Y gebaut, mit einem horizontal darüber gelegten Balken. Die Basis des Turmes wirkte nicht sehr solide. Es gab eine Türöffnung. Marcus schaute hinein, doch der Raum war leer. Seine Männer schnappten nach Luft. Marcus drehte sich um. Sie waren nicht mehr allein. In finsterem Schweigen hatten die Aliens sich genähert und bildeten nun einen doppelten Kreis um den freien Platz. Als Marcus die Danoner ansah, schnappte auch er nach Luft. Schauder liefen ihm über den Rücken, und die Härchen in seinem Nacken standen zu Berge. Erneut mußte sich Marcus eingestehen, daß er gelogen hatte: Noch nie in seinem Leben hatte er irgend etwas Derartiges gesehen.
1
Logbuch des Captain. Sternzeit 4231.2: Während die Enterprise hier auf Sternbasis 13 generalüberholt wird, habe ich beschlossen, die Gelegenheit zu nutzen und den Befehl zu einem sofortigen Landurlaub zu geben. Nach der besonders langen letzten Fahrt hat die Mannschaft nicht gezögert, die hier zur Verfügung stehenden, fabelhaften Einrichtungen zu Erholung, Freizeitgestaltung, Vergnügen und Erbauung voll auszukosten. Der Zauberer hob die Hände hoch über seinen Kopf, schlug die Hacken zusammen und verbeugte sich steif. Das Publikum, das fast alle Tische unterhalb der Bühne besetzte, belohnte ihn mit einem begeisterten Applaus. Neben dem Zauberer lag ein wunderhübsches, junges Mädchen rücklings auf einem Holztisch. Sie war in Taillenhöhe säuberlich in zwei Hälften zersägt worden. »Mein Leben lang hab’ ich von in der Mitte durchgesägten Mädchen gehört«, sagte Dr. Leonhard McCoy, der Bordarzt der Enterprise, während er mit den anderen heftig klatschte, »aber ich hätte nie gedacht, daß ich das eines Tages zu sehen kriege.« »Eindrucksvoll«, sagte Captain James Kirk. »Doch es wäre noch eindrucksvoller, wenn es dem Zauberer gelänge, die beiden Hälften auch wieder zusammenzusetzen.« Kirk und McCoy saßen zusammen mit dem Vulkanier Mr. Spock, dem Ersten Offizier der Enterprise, an einem Tisch im vorderen Teil des Clubraums. »Eine reichlich primitive Illusion«, kommentierte Mr. Spock trocken, während der Applaus langsam abebbte. Spock
runzelte leicht die Stirn, mehr aus Konzentration als aus Mißfallen. »Haben Sie eine Ahnung, wie er das hinkriegt?« fragte McCoy und langte nach seinem Glas mit echtem, unverfälschtem Kentucky-Bourbon – so hatte jedenfalls der Kellner behauptet. »Wenn ja, was halten Sie davon, uns in das Geheimnis einzuweihen?« Spock starrte auf die Bühne. »Spiegel, würde ich sagen. Drei Stück. Je einer zu beiden Seiten und einer im Hintergrund.« »Spiegel?« McCoy zog die Brauen hoch. »Ich kann nirgends einen Spiegel entdecken. Alles, was ich sehe, sind der Zauberer und das Mädchen.« »Der springende Punkt bei diesen Spiegeln ist ja gerade, daß man sie nicht sehen kann«, erwiderte Spock. »Sie wollen uns doch wohl nicht eine magische Erklärung auftischen, Dr. McCoy, oder?« »In keinster Weise. Es ist ein Trick, und ich weiß, daß es ein Trick ist, Spock. Aber der Spaß bei einer solchen Demonstration liegt doch in der Illusion von Realität, im Vorspiegeln einer unglaublichen Wirklichkeit. Für mich sieht das Mädchen aus, als sei es in der Mitte durchgesägt worden. Ich weiß, daß das nicht der Fall ist, aber mir ist es lieber, so zu tun, als sei es der Fall.« »Ich finde keinerlei Vergnügen daran, betrogen zu werden.« »Das ist doch kein Betrug! Das ist doch nur ein Spiel. Wir…« »Meine Herren«, unterbrach Captain Kirk grinsend. »Wollen wir uns nicht auf das Geschehen auf der Bühne konzentrieren?« Dieser Zank zwischen Spock und McCoy war nur ein Teil jener ewigen Debatten zwischen den beiden zum Thema Verstand versus Gefühl. »Lassen Sie uns doch den Darbietungen folgen.«
Die drei richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen auf der Bühne. Der Zauberer – der sich als Dr. Faustus bezeichnete – trug ein Teufelskostüm einschließlich Hörnern und Schwanz. Ein dünner, schwarzer Schnurrbart auf seiner Oberlippe vervollständigte seine satanische Aufmachung. Der Zauberer trat gerade an den vorderen Rand der Bühne und sprach mit dünner, schnarrender Stimme zum Publikum. »Meine Damen und Herren, darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten? Der Beifall, den Sie mir gezollt haben, hat mich zutiefst gerührt. So gerührt, daß mir die Worte fehlen und – es ist mir außerordentlich peinlich – daß ich fürchte, die Beschwörungsformeln vergessen zu haben, die meine hübsche, junge Freundin wieder heilen können.« Entzücktes Kichern ging durch den Saal, doch eine gewisse nervöse Spannung schwang darin mit. Sogar Kirk konnte nicht umhin sich zu fragen: Und wenn das kein Spaß war? Wenn der Zauberer tatsächlich die Wahrheit sagte? »Ich muß Sie um Ihr Verständnis bitten«, fuhr der Zauberer fort. »Ich brauche Ruhe. Vollständige, absolute Stille.« Erstaunlicherweise bekam der Zauberer, der sich wieder dem zersägten Mädchen zuwandte, diese Ruhe. Der Saal verstummte. Sogar die Kellner erstarrten. Kein Laut war zu hören. Der Zauberer warf den Kopf in den Nacken, schloß die Augen und wiegte sich auf den Fersen. »Avoo«, sagte er leise. Es war kaum mehr als ein Flüstern. »Avoo-abboo-akkuu.« Seine Hände strichen durch die Luft über dem Körper des Mädchens. »Avoo-abboo-akkuu.« Er sprach etwas lauter, bestimmter. »Avoo-abboo-akkuu.« Er beugte sich nieder, öffnete die Augen und starrte dem Mädchen ins Gesicht. Dann trat er zurück. »Avoo-abboo-akkuu. Du bist wieder ganz. Dir geht es gut.«
Es war mucksmäuschenstill im Saal. Jedermann schien den Atem anzuhalten. Das Mädchen erhob sich. Selbst Kirk brauchte eine Weile, bis er verstand, was das zu bedeuten hatte: Wenn das Mädchen aufstehen und sich bewegen konnte, dann mußte es wieder heil sein. Der Zauberer nahm sie bei der Hand und führte sie um den Tisch herum. Endlich brach der Beifallssturm los. »Nun«, meinte McCoy über das Getöse hinweg, »was halten Sie davon, Mr. Spock?« »Da die Frau sich nie in wirklicher Gefahr befunden hat«, erwiderte Spock, »brauchte es auch kein Wunder, um sie zu retten.« »Nur ein weiterer Trick?« »Nicht einmal das!« Noch ehe der Streit wieder in Gang kommen konnte, erschien ein Kellner neben Kirk. Als Captain brauchte er nie lange auf Bedienung zu warten. Nachdem McCoy einen weiteren Bourbon verlangt hatte, beschloß Kirk, selbst einen Drink zu bestellen. »Einen ›Raumschipper-Trost‹, bitte«, bestellte er, so selbstverständlich er konnte. McCoy gab einen entsetzten Laut von sich. »Mit dem Zeug wirst du dich umbringen, Jim.« »Das ist doch ein Raumfahrerdrink, Pille. Und ich bin ein Raumfahrer.« »Es ist ein Drink für ›Raumschipper‹, was immer das auch sein mag. Hör zu, wenn du meinen Rat willst – meinen medizinischen Rat – dann rufst du den Kellner zurück und erklärst dich für kurzfristig unzurechnungsfähig.« »Quatsch«, protestierte Kirk und streichelte sich den Bauch. »Das Problem mit dir, Pille, ist, daß du nie gelernt hast, das Leben zu genießen.«
McCoy zog eine angewiderte Grimasse und Kirk lachte. Er war sich nicht sicher, ob er den Drink tatsächlich zu seinem eigenen Vergnügen bestellt hatte oder bloß, um den armen McCoy ein bißchen zu ärgern. Der Zauberer wandte sich seinem Publikum wieder zu. »Meine Damen und Herren. Ich möchte Ihnen zum Abschluß dieses Abends eine ganz besondere Überraschung präsentieren. Wie Sie am Schnitt meiner Kleidung erkannt haben mögen, ist mir ein gewisser Bewohner der niederen irdischen Regionen nicht unbekannt: der Teufel. Ihm zu Ehren – und zu Ihren Ehren gleichzeitig – werde ich Ihnen nun ein Kunststück vorführen, das in der Geschichte der Zauberei nicht seinesgleichen hat. Meine Damen und Herren, ich werde Ihnen nun – mit Satans persönlicher Unterstützung – zwei Dutzend echte, lebendige Dämonen, direkt aus der Hölle, vorführen.« Aber Kirk hörte dem Zauberer längst nicht mehr zu. Eine Frau hatte den Saal betreten, und Kirk – wie alle anderen Anwesenden – schaute sie fasziniert an. Die Frau war um die dreißig Jahre alt, groß, weißhäutig, mit üppigem, hochgestecktem, schwarzem Haar und einem dünnen, knöchellangen Gewand, das sich fließend ihren graziösen Schritten anpaßte. ›Hübsch‹ war nicht das richtige Wort, um diese Frau zu beschreiben. Sie war umwerfend schön, obwohl eine weiße OP-Schutzmaske ihre Lippen, ihre Nase und ihr Kinn verdeckte. Sogar der Zauberer hielt einen Moment lang inne und starrte die Frau an, ehe er sich wieder abwandte und zum hinteren Teil der Bühne ging. Die Frau ließ sich an einem freien Tisch nicht weit von Kirk nieder. Ihre Augen fixierten die Bühne über den Rand der Maske hinweg.
2
»Bemerkenswert«, sagte Dr. Leonhard McCoy leise.
Spock sah ihn überrascht an. »Wen meinen Sie, Doktor? Den
Zauberer?«
»Jene Frau dort meine ich natürlich«, erwiderte McCoy. »Erzählen Sie mir doch nicht, daß Sie sie nicht bemerkt haben.« »Die, die gerade hereingekommen ist? Eine schöne Frau, das gebe ich zu, aber ist das notwendigerweise bemerkenswert?« »Trotz der Chirurgenmaske? Eine Chirurgenmaske hier, wo die Luft so rein ist wie sonst kaum im Universum?« »Vielleicht hat sie einen medizinischen Grund dafür«, mutmaßte Kirk und riß sich endlich vom Anblick der Frau los. »Vielleicht ist sie eine Jain«, schlug Spock vor. »Das zumindest war mein erster Eindruck.« »Eine Jain?« fragte McCoy. »Was ist das denn?« »Ein alter, irdischer Glauben, ein Abkömmling des traditionellen Hinduismus. Jainismus wurde im sechsten Jahrhundert vor Christus von dem Weisen Mahavira begründet.« »Und wozu die Atemmaske?« »Um zu vermeiden, aus Versehen irgendeiner Lebensform Schaden zuzufügen oder sie zu töten«, erläuterte Spock. »Jains sind für ihre Verehrung des Lebens bekannt. Sie unterteilen bewußte Materie in fünf große Untergruppen oder kivas, je nach der Zahl der Sinne, die jede Einheit besitzt. Die erste Gruppe umfaßt beispielsweise alles, was nur den Tastsinn besitzt: Lehm, Kreide, Regen, Tau, Nebel…«
»Nebel?« unterbrach McCoy, der sich sichtlich über Spocks gut fundierten Datenfluß wunderte. »Ich dachte, es handele sich um lebendige Dinge.« »Für einen Jain ist auch der Nebel lebendig. Er besitzt eine Seele wie Sie und ich. Und da Jains an Wiedergeburt glauben, können Ihre oder meine Seele eines Tages als Nebel wieder auftauchen.« »Die Ihre, hoffe ich«, erklärte McCoy. Spock warf ihm einen vielsagenden Blick zu. »Ich glaube, daß die Natur unseres nächsten Lebens davon abhängt, wie gut wir das gegenwärtige gemeistert haben, Doktor.« Der Zauberer schien bereit, seine Darbietung fortzusetzen. Er stand in der Mitte der Bühne und schwang seine Arme in Kreisen über seinem Kopf. Seine Lippen bewegten sich beschwörend, aber seine Worte waren zu leise, als daß man sie im Publikum hören konnte. Ein feiner Dunst begann sich über den Bühnenboden auszubreiten. Kirk beobachtete fasziniert, wie der Dunst dichter wurde und die Gestalt des Zauberers einzuhüllen begann. Dann erschien der Dämon. Zuerst war er nur eine schemenhafte Gestalt innerhalb des Nebels, doch langsam nahm er konkrete Form an. Er hatte Arme – vier davon – und Beine – nur zwei – und einen riesigen, unförmigen Schädel. Der Nebel zerriß, und Kirk konnte das Gesicht erkennen. Ihm wurde übel. Selbst in seinen schlimmsten Alpträumen war ihm nie etwas so Häßliches begegnet. Der Dämon kauerte nackt auf seinen Hinterläufen, sein Maul stand offen, und Speichel sickerte heraus. Seine grüne Haut war mit Hunderten kleiner, roter Warzen übersät. Ein paar gekrümmte Reißzähne ragten aus seinem Unterkiefer, und seine Augen waren wie zwei blutige Wunden. Der Zauberer fuhr mit seinen Beschwörungen fort. Seine Stimme war jetzt lauter, doch Kirk war die Sprache unbekannt.
Ein zweiter Dämon materialisierte sich neben dem ersten. Er war noch grausiger, mit zwei Köpfen statt einem, und jeder mit drei spitzen, scharfen Hörnern gekrönt. Ein dritter Dämon begann zu erscheinen. »Wenn ich mich übergeben muß«, sagte McCoy, »dann möchte ich jetzt schon um Verzeihung bitten.« »Reine Illusion«, bemerkte Spock steif. »Der Zauberer hat eine ausgezeichnete Phantasie, sonst nichts.« Kirk fand Trost in Spocks rationaler Denkweise. »Natürlich ist das auch nur ein Trick«, sagte er. »Klar doch«, stimmte McCoy zu, »aber wer möchte schon eine solche Phantasie besitzen?« Der dritte Dämon war weiblich, mit drei Augen, mit Brüsten wie aufgeschwollene Blasen und Füßen in der Größe und der Form von Schaufeln. Ein vierter Dämon begann Gestalt anzunehmen. Ein fünfter. Beißender Geruch füllte den Raum. Kirk wurde es immer übler. Es war der Gestank von Verfall, Fäulnis und Verwesung. Er hatte Lust, dem Zauberer zuzurufen: Das reicht! Sie haben uns Ihre Show geboten. Wir glauben’s Ihnen. Aber Schluß jetzt! Jemand begann zu schreien. Der schrille Entsetzensschrei brach den Zauberbann des Magiers. Kirk wandte sich um und sah, daß die Frau mit der OP-Maske neben ihrem Tisch stand und mit dem Finger auf die Bühne zeigte. »Ihr!« kreischte sie. »Ihr habt ihn geholt!« Ihr Finger war nicht auf den Zauberer, sondern auf die Dämonen gerichtet. »Ihr habt meinen Vater geholt!« Plötzlich rannte sie los und wollte sich auf die Bühne stürzen. Kirk bekam ihren Arm zu fassen. »Warten Sie«, sagte er. »Das ist doch nur ein Trick. Sie sollten sich nicht…«
Die Augen der Frau quollen wie im Wahnsinn über ihrer Maske aus dem Schädel. Sie stieß einen dumpfen Schrei aus und versuchte, sich aus Kirks Griff zu befreien. Dann gaben ihre Beine plötzlich nach, und sie begann zu fallen. Kirk konnte sie auffangen, ehe sie auf den Boden stürzte. Aus dem Augenwinkel sah er voller Staunen, daß die Bühne leer war. Der Zauberer, der Nebel und die Dämonen waren verschwunden. Dr. McCoy hastete um den Tisch herum und langte gleichzeitig nach seiner Erste-Hilfe-Box, die er am Gürtel trug. Die Frau war bewußtlos. »Leg sie auf den Boden«, sagte er. »Ich nehme an, es ist ein Schock, aber ich möchte mich vergewissern.« Kirk legte die Frau behutsam auf den Teppichboden. McCoy kniete sich neben sie und fühlte ihren Puls. Nach einem kurzen Zögern nahm er ihr die Maske ab. Kirk starrte das Gesicht der Frau an. Wie er vermutet hatte, war sie hinreißend schön, ihre Züge so zart und edel wie die einer klassischen Statue. McCoy schaute besorgt auf. »Ich glaube, es ist etwas Ernsteres. Wir müssen einen Platz finden, wo ich sie genauer untersuchen kann.«
3
Der Clubmanager erschien. In seinem pausbäckigen Gesicht stand besorgte Anteilnahme. Er bot Dr. McCoy sein privates Büro, einen kleinen, unordentlichen Raum neben der Bühne, an. Kirk trug die Frau hinein und legte sie auf ein Feldbett. Dann trat er zurück, und McCoy kniete sich neben sie. »Ich halte für möglich, daß sie an akuter Unterernährung leidet«, erläuterte er nach einer kurzen Untersuchung. »Ich brauchte bessere medizinische Einrichtungen, um eine präzise Diagnose stellen zu können, aber es könnte zu ihrer Ohnmacht beigetragen haben.« »Kommt sie wieder auf die Beine?« fragte Kirk. »Oh, natürlich. Wenn ich wollte, könnte ich sie sofort aufwecken.« »Du glaubst also nicht, daß nur die Show schuld daran war?« »Die hat gewiß das ihre dazu beigetragen.« McCoy prüfte den Blutdruck der Frau mit einem gläsernen Instrument von der Größe und der Form eines Kompasses. »Spaß ist Spaß, aber diese Dämonen Vorführung war einfach geschmacklos. Das war keine Magie. Das war eine Horrorshow.« »Aber eindrucksvoll«, bemerkte Spock von der Tür her. »Allerdings.« McCoy richtete sich auf. »Ich glaube, ich versuche es mit einer Vitamin-Injektion.« Er entnahm seiner Erste-Hilfe-Box eine Injektionspistole und spritzte der Frau subkutan eine klare Flüssigkeit durch den Ärmelstoff hindurch. Die Vitamine wirkten auf der Stelle. Die Frau öffnete die Augen. Sie schaute erst zu McCoy, dann zu Kirk, und dann faßte sie sich mit beiden Händen an den Mund. »Meine Maske. Was haben Sie mit ihr gemacht?«
»Hier ist sie«, sagte McCoy und reichte ihr die Maske, die er auf den Boden hatte fallen lassen. Sie machte keine Anstalten, sie wieder anzulegen. »Wer sind Sie?« fragte sie. »Mein Name ist Leonhard McCoy. Ich bin Arzt. Und das sind Captain Kirk vom Sternenschiff Enterprise und Mr. Spock, der Erste Offizier dieses Schiffes.« Die Frau schloß die Augen und versuchte, sich aufzusetzen. McCoy drückte sie sanft zurück. »Nicht so schnell«, sagte er. Sie öffnete die Augen wieder. »Dann sagen Sie mir doch bitte, wo ich bin. Was ist geschehen?« »Sie sind in Ohnmacht gefallen. Erinnern Sie sich an irgendwas? Der Zauberkünstler machte seine Vorführung. Sie standen auf und schrien und…« »Ich erinnere mich«, unterbrach sie ihn eilig. Sie betrachtete die Schutzmaske in ihrer Hand. »Ich denke, hier brauche ich sie nicht zu tragen.« »Ich glaube nicht. Die Luft hier ist vollständig keimfrei.« »Dann brauche ich sie also nicht.« »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?« »Ja. Sie haben mir geholfen.« »Ich wüßte gern, woraus Ihre normale Ernährung besteht. Welche Lebensmittel nehmen Sie normalerweise zu sich und wieviel?« »Sie sind der Meinung, ich leide an Unterernährung.« Er nickte. »Das ist eine der möglichen Erklärungen für Ihren Ohnmachtsanfall.« »Nun, Sie haben recht. Ich bin tatsächlich unterernährt.« »Ähm… Wenn wir irgend etwas für Sie tun können… wenn Sie irgend etwas brauchen…« Er hielt verlegen inne. Sie schaute eine ganze Weile nachdenklich und verwundert drein, dann lachte sie plötzlich. »Oh, Geld ist es nicht«,
erklärte sie. »Ich bin eine Jain. Wissen Sie, was das ist, Doktor?« McCoy schaute zu Spock und nickte. »Ein Ableger des alten Hinduglaubens, der im sechsten Jahrhundert vor Christus von dem Weisen…« »Dann können Sie ja auch den Grund für meine Unterernährung verstehen.« »Also, um die Wahrheit zu sagen…« McCoys Ausdruck ließ keinen Zweifel darüber bestehen, daß er keine Ahnung hatte. Hilfesuchend schaute er zu Spock hinüber. »Die Jain«, erläuterte Spock, »leben strikt vegetarisch. Die Strenggläubigsten unter ihnen ziehen es vor, sich auf Nahrungsmittel wie Beeren, Nüsse, Blätter, Wurzeln und Körner zu beschränken.« »Ich versuche, nichts Höherwertiges als Reis zu essen«, gab die Frau zu, »aber fern von der Erde ist es manchmal schwierig, diese Ernährungsweise aufrechtzuerhalten.« »Nehmen Sie denn wenigstens zusätzliche Vitamine ein?« fragte McCoy. »Nie. Sie sind nicht ausdrücklich verboten, nehme ich an, aber ich bin nun mal davon überzeugt, daß die Chemie den Weg zur Erlösung nicht bieten kann. Meinen Sie nicht auch, Doktor?« McCoy breitete die Hände aus. »Ich fürchte, daß ich in diesem Fall nicht viel für Sie tun kann. Aber ich möchte Sie warnen, denn wenn Sie so weitermachen, schaufeln Sie sich Ihr eigenes frühes Grab.« »Wenn Sie mit meiner Religion so vertraut sind, dann dürfte Ihnen auch klar sein, was für eine leere Drohung das ist.« »Vergessen Sie nicht, daß die Jain an Wiedergeburt glauben«, gab Spock zu bedenken. »Oh«, sagte McCoy.
»Es ist mir ziemlich egal, wann ich sterbe«, sagte die Frau. »Was mir wichtig ist, ist die Natur meines nächsten Lebens.« »Nun, ich nehme an, es ist Ihr Recht, das zu glauben.« »Danke, Doktor. Darf ich jetzt aufstehen?« »Wenn Sie sich stark genug fühlen.« Die Frau kam schnell und graziös auf die Füße. »Tu’ ich«, meinte sie. Dann schaute sie von einem zum anderen. »Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Ich habe mich nicht einmal vorgestellt. Mein Name ist Gilla Duprée.« »Doch nicht die Gilla Duprée?« fragte Kirk erstaunt. Sie lachte. »Soviel ich weiß, bin ich die einzige.« »Die Senso-Künstlerin? Die Komponistin von…?« »Birth of a Living Star. Ja. Unter anderem.« Offenbar war Gilla Duprée daran gewöhnt, als Star behandelt zu werden. »Es ist mir eine große Ehre, Sie kennenzulernen«, sagte Kirk. »Ich bin ein glühender Verehrer Ihrer Werke.« Gilla Duprée war zweifellos die begabteste Senso-Künstlerin, die je gelebt hatte. Das Senso-Drama, eine Synthese symphonischer Musik und holographischer Darstellung, war eine relativ junge Kunstform, die von Gilla Duprée zur Meisterschaft gebracht worden war. Kirk erinnerte sich, wie er Birth of a Living Star zum erstenmal abgespielt und nach dem dreistündigen Drama weitere fünf Stunden gebraucht hatte, um sich soweit zu erholen, daß er von seinem Stuhl aufstehen konnte. »Auch ich bin ein großer Bewunderer«, erklärte Mr. Spock. »Nach Shakespeare und Tolstoi betrachte ich Ihr Werk als die zeitloseste Errungenschaft, die die Erde in den dramatischen Künsten hervorgebracht hat.« »Das ist ein beachtliches Kompliment«, sagte Gilla, »vor allem, wenn es von einem Vulkanier ausgesprochen wird.« »Und aus menschlicher Sicht betrachtet, ist Ihr Werk ehrfurchtgebietend«, erwiderte Spock.
Kirk hatte keine Ahnung von Spocks Interesse am SensoDrama gehabt. Es war ihm ein bißchen unverständlich. Wie konnte jemand, der von sich behauptete, völlig emotionslos zu sein, Gefallen an einer so extrem emotionalen Kunstform finden? »Wenn die Herren mich entschuldigen wollen«, sagte Gilla unvermittelt, »ich bin hergekommen, um jemanden zu treffen.« Kirk vertrat ihr den Weg. Er wußte nicht genau warum. Aber er wollte sie noch nicht gehen lassen. »Die Zaubershow ist schon zu Ende, fürchte ich. Das Publikum ist zweifellos schon weg.« »Mist!« Sie biß sich auf die Lippe. »Er hat mir versprochen, sich mit mir nach der Show zu treffen.« »Sie können nichts dafür. Diese Dämonen – oder was immer das waren – haben jedermann aus der Fassung gebracht.« »Ich nehme an, ich bin abergläubischer, als ich mir eingestehen mag.« »Sie haben ihnen vorgeworfen, Ihren Vater geholt zu haben. Erinnern Sie sich, das gesagt zu haben? Was meinten Sie damit?« Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich weiß nicht. Aber ich bin meines Vaters wegen hergekommen. Wir wurden vor Jahren voneinander getrennt, und seither habe ich einen großen Teil meiner Zeit und meines Geldes dazu verwandt, ihn wiederzufinden. Der Mann, den ich nach der Show treffen wollte, scheint irgend etwas Näheres zu wissen. Mag sein, daß ich gerade an ihn dachte.« »Höchst wahrscheinlich«, sagte Kirk. Gilla hatte es offenbar nicht mehr so eilig, und er wußte, daß er die Unterhaltung absichtlich in die Länge zog. »Sie sollten uns vielleicht ein bißchen mehr darüber erzählen. Vielleicht können wir Ihnen helfen.« »Sie?« Sie schien überrascht. »Warum sollten Sie?«
»Wenn Ihr Vater sich irgendwo im Weltraum aufhält, dann sind wir ihm vielleicht schon begegnet.« »Das halte ich für unwahrscheinlich.« Sie sah aus, als müsse sie innerlich lachen. »Das große Schiff, das vor kurzem angelegt hat, ist das Ihres?« Kirk nickte. »Die Enterprise.« »Dann können Sie mir vielleicht wirklich helfen. Nicht sofort, aber später. Wenn ich herausgefunden habe, wo genau sich mein Vater aufhält. Ich werde irgendwie von hier dorthin gelangen müssen.« Die Enterprise war eigentlich nicht als interstellare Fähre gedacht, aber Kirk wollte Gilla auf keinen Fall entmutigen, weiterhin Kontakt mit ihm zu halten. »Vielleicht können wir Ihnen wirklich helfen. Wenn Sie Genaueres wissen, kommen Sie doch bitte zu mir und informieren Sie mich.« »Das werde ich mit Sicherheit tun, Captain Kirk.« Ihr Lächeln war strahlend. Nachdem sie gegangen war, fand Mr. Spock als einziger die Worte, die ausdrückten, was sie alle empfanden: »Eine höchst bemerkenswerte Frau«, sagte er schlicht.
4
Kirk ließ sich in den weichen Stuhl gegenüber dem gewaltigen Schreibtisch von Commodore Wilhelm Schang sinken. »Sie haben wirklich ein feines Plätzchen hier, Sir«, sagte er bewundernd. Die Wände des weiträumigen Büros waren mit Drei-D-Drucken geschmückt, von denen einige sich gerade bewegten. »Im Vergleich zu dem, was wir gewöhnt sind, ist das hier ein wahrer Luxus-Palast.« Commodore Schang runzelte die Stirn. Er war ein großer, breitschultriger Mann mit einem scharf geschnittenen Gesicht und kurzem, silbergrauem Haar. Als junger Leutnant hatte Kirk unter Schang auf der alten Tresher gedient. »Verdammt zu luxuriös für einen Mann meines Schlages«, erwiderte Schang. »Ein Job wie dieser hier mag paradiesisch klingen, wenn man vierzig Jahre lang Raumschiffe aller Größen und Formen durchs All gesteuert hat, aber ich muß Ihnen sagen, Kirk, ich würde ohne mit der Wimper zu zucken auf der Stelle mit Ihnen tauschen. Können Sie sich vorstellen, was dieser Job verlangt? Reden, nichts als reden. Ich sage etwas, der Computer überträgt meine Worte in Symbole, ein anderer Computer übersetzt die Symbole wieder in Worte und berichtet den Leuten, was ich gesagt habe. Wir reden ständig hin und her, ich und die Computer, aber in Wirklichkeit tue ich überhaupt nichts Konkretes. Ich vermisse es, der König meines eigenen kleinen Reiches zu sein, wo mir niemand über die Schulter schaut. Sie haben den allerbesten Job in der ganzen Galaxis, Kirk. Vergessen Sie das niemals.« »Ich geb’ mir Mühe, Sir. Aber Ruhe hat auch ihre positiven Seiten.«
»Aber nicht mehr für mich! Mir fehlt eine kräftige, gesunde Dosis Action. Ich habe Angst, daß ich verwese, wenn ich hier auf diesem Stuhl sitzen bleibe. Noch ein Jahr hier und ich bin wie eine Blume, die man zu wässern vergessen hat.« »Haben Sie eine Versetzung beantragt?« »Ein Dutzendmal. Zehn Dutzendmal. Beantragt. Erbeten. Erfleht. Erbettelt. Sie sind zu wertvoll auf Ihrem Posten, erklärt man mir. Ich glaube kein Wort davon. Wozu brauchen sie mich? Die Computer könnten alles selbst machen – und sie werden es gern tun.« Kirk gab sich Mühe, verständnisvoll dreinzuschauen. Er wußte, daß Schang absichtlich die miesesten Seiten seines Jobs übertrieb. Eine Sternbasis zu kommandieren war eine komplizierte, verantwortungsvolle und schwierige Arbeit. Die Entscheidungen, die Schang zu treffen hatte, konnten das Leben von Millionen von Lebewesen beeinflussen, menschlichen und anderen, die diesen Sektor der Galaxis bewohnten. Wenn der Job Commodore Schang langweilte, dann nur, weil er ihn so ausgezeichnet erledigte. Täte er das nicht, dann würden die Aufregungen, nach denen er sich so sehnte, wie eine Woge über ihn hereinbrechen. »Aber Sie sind nicht hergekommen, um dem senilen Geschwätz eines alten Mannes zuzuhören«, fuhr Schang fort. »Was kann ich für Sie tun, Kirk? Ist einer Ihrer Leute beim Kartenspiel übers Ohr gehauen worden? Ist eine der Damen mit den Ersparnissen eines Ihrer Mannschaftsmitglieder durchgebrannt?« »Nichts dergleichen, Sir. Ich wollte nur nachfragen, ob Sie irgendwelche Befehle für mich haben.« Schang schaute verwundert drein. »Wenn das der Fall wäre, meinen Sie nicht, daß ich Sie sofort nach dem Andocken kontaktiert hätte?« »Ich wollte nur sichergehen.«
»Was dagegen, mich aufzuklären?« Schang lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und ein zufriedenes Lächeln breitete sich über sein Gesicht. »Sie haben irgendwas vor, Kirk. Ich kenne Sie viel zu gut. Raus damit, und wenn Sie wollen, dann verspreche ich Ihnen, daß es nie außerhalb dieser vier Wände publik wird.« Kirk nickte. Er wußte, daß er sich auf die Diskretion seines früheren Kommandanten verlassen konnte. »Ich hatte daran gedacht, einem unter Quarantäne stehenden Planeten einen Besuch abzustatten. Es ist berichtet worden, daß ein Mann von der Erde sich bei einer Fremdrasse aufhält, mit der Kontakte verboten sind.« Schang zuckte mit den Achseln. »Ich sehe da überhaupt kein Problem. Die Vorschriften der Sternenflotten durchzusetzen gehört eindeutig zu Ihren regulären Aufgaben. Fliegen Sie zu dem Planeten, finden Sie den Mann und verhaften Sie ihn.« »Das ist das Problem, Sir. Ich möchte ihn vielleicht nicht verhaften.« Schangs Augen verengten sich. »Ein Freund von Ihnen?« »Nein, Sir. Seine Tochter. Sie hält sich hier auf Sternbasis 13 auf und hat versucht, ihn ausfindig zu machen.« »Gilla Duprée«, sagte Schang. Kirk verbarg seine Überraschung nicht. »Sie kennen sie?« »Ich fürchte, ich kenne sie weit besser als Sie. Das Sternenflotten-Oberkommando hat mich wegen Miss Duprée kontaktiert. Ich habe den Befehl erhalten, sobald sie ihren Vater ausfindig gemacht hat, das Oberkommando darüber zu informieren. Hat sie ihn gefunden?« Kirk nickte widerstrebend. »Sie hatte sich hier mit einem Händler namens Merkle verabredet. Er behauptet, ihren Vater kürzlich auf einem unter Quarantäne stehenden Planeten gesehen zu haben. Sie bat mich, ihr zu helfen, dorthin zu gelangen.«
»Hat sie Ihnen den Namen des Planeten genannt?« »Ja, aber ich habe noch nicht die Zeit gehabt, einen Computercheck durchzuführen.« »Nun, behalten Sie’s für sich. Wenn ich’s wüßte, dann würde ich mich vielleicht verpflichtet fühlen, das SternenflottenOberkommando zu informieren.« »Ich weiß das zu schätzen, Sir.« »Aber dieser Merkle? Ist ihm nicht bewußt, daß es ein Schwerverbrechen ist, auf einem Quarantäne-Planeten zu landen?« Kirk lächelte. »Ich hatte die Gelegenheit, ihm das persönlich klarzumachen. Er hatte von Miss Duprée eine ziemlich große Summe für diese Information verlangt. Ich habe ihn davon überzeugt, sein Wissen umsonst preiszugeben – mir zuliebe.« »Und als Gegenleistung haben Sie ihm versprochen, keine Anklage gegen ihn zu erheben? Hübsch, Kirk, sehr hübsch. Ich persönlich nehme Quarantäne-Vorschriften nicht auf die leichte Schulter. Viele Händler vom Schlag dieses Merkle verstoßen dagegen, weil sie hoffen, große Gewinne daraus zu ziehen. Wenn ich sie erwische, bin ich nicht zimperlich. Wenn mit einem Planeten etwas so faul ist, daß er für jeglichen menschlichen Kontakt gesperrt wird, dann stecken gute Gründe dahinter.« Schang lehnte sich vor und schaute Kirk fest in die Augen. »Wissen Sie, wer der Vater von Gilla Duprée ist?« »Müßte ich das wissen?« »Was meinen Sie, warum das Sternenflotten-Oberkommando sich für die Angelegenheit interessiert? Ihr Vater ist Jacob Kell. Kennen Sie ihn jetzt?« »Der Verräter Kell?« fragte Kirk verblüfft. Kells Name war ein Schimpfwort in der ganzen Föderation. Gilla Duprées Vater? Das war schier unglaublich.
»Verräter ist vielleicht eine zu harte Bezeichnung. Überläufer wäre angemessener. Kell verließ die Föderation, um bei den Klingonen zu leben, doch soweit bekannt ist, hat er seine früheren Loyalitäten nie aufs Spiel gesetzt. Ich habe den Mann früher einmal recht gut gekannt. Er war ein ausgezeichneter Offizier. Fragen Sie mich nicht, was mit ihm schiefgegangen ist. Der Weltraum ist eine komische Sache. Manche zerfrißt er, die anderen bleiben unberührt. Kell war einer von denen, die zerfressen wurden. Aber wenn man Merkle Glauben schenken kann, dann hält er sich wieder bei uns auf.« Kirk sah Schang in die Augen. »Beabsichtigen Sie, das Sternenflotten-Oberkommando zu benachrichtigen?« »Das hängt von Ihnen ab. Was haben Sie vor, jetzt, wo Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben?« »Das gleiche wie zuvor. Ich fliege zu dem Planeten, suche den Mann und überrede ihn, mit Miss Duprée abzureisen.« »Es wird nicht leicht sein, ausgerechnet Kell zu überreden.« »Und es wird nicht leicht sein, sich zu weigern.« Schang nickte und strich sich nachdenklich das Kinn. »In Ordnung«, sagte er. »Ich vertraue Ihnen. Ich werde nichts sagen. Jedenfalls nicht, bis Sie schon unterwegs sind. Ich kann niemandem sagen, wohin Sie geflogen sind. Ich weiß es ja selbst nicht. Ich glaube, Sie können mit Kell umgehen. Wenn Sie es nicht können, dann kann’s niemand.« »Danke, Commodore. Ich weiß das zu schätzen. Wenn es irgend etwas gibt, womit ich Ihnen meinen Dank zeigen kann…« Schang hob seine große Hand in die Höhe. »In der Tat, mir fällt gerade etwas ein, das Sie für mich tun könnten.« Er grinste. »Jim, Sie können mir einen großen Gefallen tun.« »Gern, Sir. Alles, was in meiner Macht steht, solange es zumutbar ist.«
»Ich bin nicht so sicher, ob man es fairerweise als zumutbar bezeichnen kann. Aber entscheiden Sie selbst.« Er drückte auf einen Knopf an der Seite seines Schreibtischs. Kurz darauf ging die Tür an der Rückwand des Büros auf, und ein junger Mann in der Mannschafts-Uniform der Sternenflotte schlenderte herein. Er war dünn und rothaarig und hatte ein schiefes, leeres Grinsen im Gesicht. Ohne einen der beiden anwesenden Offiziere zu grüßen, pflanzte er sich auf die Schreibtischkante. »Na, Alter«, sagte er, »ist das der Typ, von dem du mir erzählt hast?« Er ließ seinen Blick gelangweilt über Kirk gleiten. »Albert«, sagte Schang, »das ist Captain James Kirk vom Raumschiff Enterprise. Jim, dies ist mein Sohn Albert.« »Ähm – es freut mich, Sie kennenzulernen, Albert.« »Gleichfalls.« Albert schaute Kirk ein bißchen genauer an. »Die Enterprise? Ist das der Kahn mit dem Sol-Antrieb?« Kirk nickte steif. Die Enterprise war ein Sternenschiff, kein Kahn. »Siehst du, Alter?« sagte Albert und wandte sich wieder seinem Vater zu. »Ich hab’ dir doch gesagt, daß ich ein paar Sachen auf der Akademie gelernt habe.« Der Ausdruck in Commodore Schangs Gesicht konnte sein akutes Unbehagen nicht verhehlen. »Albert, vielleicht kannst du Captain Kirk und mich jetzt wieder allein lassen.« »Klar, Alter. Wie du willst. Du bist der Boß.« Albert kam auf die Füße und ging zur Tür. Dann winkte er schlaksig mit der Hand. »Bis später, Kirk.« Der Commodore starrte konzentriert auf die leere Schreibtischoberfläche. Als sie wieder allein waren, schaute er Kirk verlegen an. »Jetzt kennen Sie mein Problem, Jim. Albert ist mein Sohn, mein einziger Sohn. Als seine Mutter und ich uns scheiden ließen, übernahm sie ihn, zog ihn auf der Erde groß, und ich habe ihn fünfzehn Jahre nicht gesehen. Es war
die übliche Geschichte. Sie sah mich nur alle vier Jahre einmal, und sie wollte entweder einen Ehemann und Vater, der immer da war, oder gar keinen. Ich sorgte dafür, daß Albert in die Akademie aufgenommen wurde. Aurora – meine Frau – hatte mir gesagt, daß er das wolle. Wer weiß? Aber nach weniger als einem Jahr erwies er sich als Versager und wurde zum Mannschaftsmitglied degradiert. Ich setzte ein paar Hebel in Bewegung und ließ ihn hierher versetzen. Er ist kein schlechter Kerl. Aber er weiß rein gar nichts und denkt, er weiß alles.« »Haben wir das nicht alle irgendwann mal gemacht?« »Ich weiß nicht. Ich habe alles mit ihm versucht. Es ist vielleicht meine Schuld. Vielleicht hätte er einen Vater gebraucht, als er heranwuchs. Und hier ist der Punkt, wo ich Ihre Hilfe brauche: Nehmen Sie Albert unter Ihre Fittiche. Bilden Sie ihn aus. Machen Sie einen Mann aus ihm, selbst wenn es ihn das Leben kosten sollte.« »Ich?« Kirk war verblüfft. »Ich soll Ihren Sohn an Bord der Enterprise nehmen?« »Ich kann die notwendigen Befehle innerhalb einer Stunde durchkriegen – ich und meine Computer.« Kirk dachte schnell nach. »Aber ich habe keine vakante Stelle. Meine Mannschaft ist vollzählig.« »Haben Sie einen persönlichen Steward?« Kirk schüttelte den Kopf. »Ich halte nichts von Dienern. Nicht in unseren Zeiten.« Er argwöhnte, daß Commodore Schang diesen Plan von Anfang an im Sinn gehabt hatte. Er reagierte viel zu schnell, als daß es aus einem Impuls möglich war. »Nun, jetzt haben Sie einen. Das ist genau die richtige Aufgabe für Albert.« »Sir, ich kann doch nicht einfach…« »Mir zuliebe?« sagte Schang leise. »Um der alten Zeiten willen?«
Kirk wußte, daß es sinnlos war, sich weiterhin zu widersetzen. »Ich werde tun, was ich kann, Sir.« »Mehr verlange ich auch gar nicht. Albert und ich haben die Sache schon – äh – diskutiert. Wenn Sie nicht von sich aus zu mir gekommen wären, hätte ich Sie hergebeten. Albert scheint große Lust zu einer Veränderung zu haben. Er sagt, die Arbeit auf der Sternbasis sei ihm zu langweilig. Das ist der einzige Punkt, an dem wir uns beide einig sind.« Kirk stand auf, weil er das Gefühl hatte, die Unterredung sei beendet. »Da ist noch etwas, um das ich Sie bitten möchte, Sir. Wenn Sie Albert das nächste Mal sehen, erinnern Sie ihn bitte daran, daß man von ihm erwartet, die Offiziere zu grüßen. Ich möchte nicht, daß er meiner eigenen Mannschaft als schlechtes Beispiel dient.« Commander Schang grinste. »Ich habe das Gefühl, daß Albert, wenn Sie mit ihm fertig sind, begriffen haben wird, wer im Universum Beispiele gibt und wer nicht.«
5
Für Kirk war es ein Genuß, wieder in seinem eigenen Schiff – frei von den Zwängen einer übergeordneten Autorität – durch die vertraute Leere des interstellaren Raumes zu rasen. Ihm fiel das Bild wieder ein, das Commodore Schang gebraucht hatte: Der Captain eines Raumschiffes war wie ein König, der über sein eigenes kleines Reich herrschte. ›Bin ich das?‹ überlegte Kirk. ›Aber wenn, dann ein gutmütiger König. Kein Tyrann‹, tröstete er sich. Kirk saß in seinem Kommandantensessel im unteren Teil der Brücke. Ihm gegenüber saßen Leutnant Sulu, Erster Steuermann, und Fähnrich Chekov, der Navigator. Hinter Kirk, auf dem höher gelegenen Teil der Brücke, befanden sich die Arbeitsplätze der verschiedenen Techniker einschließlich dem von Leutnant Uhura, dem Nachrichtenoffizier. Mr. Spock war im Augenblick noch nicht auf der Brücke, aber Kirk erwartete ihn jeden Moment. Er hatte Spock gebeten, ihn eine Stunde früher abzulösen, und Spock war pünktlich wie eine Atomuhr. Kirk hob die Augen und schaute, was er regelmäßig alle paar Minuten zu tun pflegte, auf den Bildschirm, der fast die ganze, leicht gekurvte Wand direkt vor ihm ausfüllte. Er betrachtete die Sterne, prüfte ihre Positionen und senkte den Blick wieder. Kein Anzeichen von irgendwelchen Störungen – keinerlei Widrigkeiten waren zu sehen. Die Schiffscomputer würden natürlich sofort warnen, wenn sich irgend etwas Ungewöhnliches ereignete, aber Kirk zog es vor, mit eigenen Augen zusätzlich auf Nummer Sicher zu gehen. Computer versagten heutzutage nur noch selten, aber es war auch schon vorgekommen. Als Captain war er für die Sicherheit des Schiffes und seiner Mannschaft verantwortlich.
So glücklich es ihn auch machte, wieder im Weltraum zu sein, ein bißchen bedauerte er es doch, daß die sorglosen Tage auf Sternbasis 13 vorüber waren. Er hatte sie sehr genossen, auch wenn er sich das nur ungern eingestehen mochte. So ging es auch vielen anderen. Beim Aufbruch in den Weltraum hatte Kirk es für nötig befunden, zwei Kriegsgerichts-Vorladungen auszusprechen, vier sofortige Degradierungen zu erlassen und fünf schwere Tadel für Handlungen während des Landurlaubs zu erteilen. Nicht, daß ihn das irgendwie überrascht oder enttäuscht hätte. Kirk war sich durchaus bewußt, daß die Enterprise eine kleine, komplexe, menschliche Gesellschaft beherbergte, die aus 430 sehr verschiedenen und sehr menschlichen Individuen bestand. ›Und ich bin ihr Königs dachte er wieder. ›Ich bin letztlich verantwortlich für alles Gute und alles Schlechte, das hier geschieht. Ruhm und Bürde muß ich gleichermaßen tragen.‹ Die leise abgehackte Stimme von Fähnrich Chekov unterbrach seine Gedanken. Kirk schaute auf. Chekov sprach mit Sulu. »Sie wissen also wirklich nicht, warum es keine russischen Bären in russischen Zoos gibt?« fragte er. Sulu schüttelte den Kopf. »Ich bin als Kind mit meinen Eltern in Moskau gewesen und habe im Zoo einen Bären gesehen.« »Und woher wissen Sie, daß es ein russischer Bär war?« »Nun… ich weiß es nicht. Wissen Sie es?« »Die Sache ist die«, sagte Chekov. »Wenn es ein russischer Zoo war, dann war es kein russischer Bär.« Kirk mußte lächeln. Fähnrich Chekov hatte eine besondere Begabung, lange, verwickelte, oft unbedeutende, aber immer unterhaltsame Geschichten zu erzählen. Leutnant Sulu seufzte. »Also gut, Chekov. Ich geb’s auf. Erzählen Sie, warum es in russischen Zoos keine russischen Bären gibt.« »Das ist aber eine lange Geschichte.«
»Was anderes habe ich auch nicht erwartet.« »Die Sache geht fast tausend Jahre zurück auf die Zeit, als Rußland von dem Zaren Iwan dem Großen regiert wurde, der nicht mit Iwan dem Schrecklichen zu verwechseln ist, auch wenn er schrecklich war, noch mit Iwan dem Grausamen, auch wenn er grausam war, noch mit Iwan dem Bösen, auch wenn er böse war. Der auffallendste Charakterzug von Iwan dem Großen war seine extreme Eifersucht. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, daß irgend jemand etwas besaß, das er selbst nicht hatte.« »Warum wurde er dann nicht als Iwan der Eifersüchtige bekannt?« wollte Sulu wissen. »Weil sein Name ›Iwan der Große‹ war.« »Erzählen Sie weiter.« »Nun lebte in den Ländern, die von Iwan dem Großen regiert wurden, ein junger Bauer namens Pavel.« Sulu warf ihm einen mißtrauischen Blick zu. »Das ist doch Ihr Name.« »Ein entfernter Vorfahre, aber zufälligerweise war mir dieser Pavel sehr ähnlich. Er war freundlich, großzügig, intelligent, fleißig und sah sehr gut aus. Er liebte ein junges Mädchen namens Natascha, das im gleichen Dorf wohnte und von dem behauptet wurde, es sei das allerschönste Mädchen in ganz Rußland. Und sie liebte ihn auch, so daß das Datum für die Hochzeit festgesetzt wurde.« »Und was hat diese Geschichte mit den Bären zu tun?« wollte Sulu wissen. »Das kommt später. Wie gesagt, Iwan der Große war entsetzlich eifersüchtig. Als er erfuhr, daß Pavel das allerschönste Mädchen in ganz Rußland heiraten wollte, trat ihm Schaum auf die Lippen, und er entschied, daß die Braut die seine sein sollte. Am Tag der Hochzeit griffen Iwan der Große und eine Bande von Kosaken das Dorf an, entführten
Natascha und verschleppten sie in Iwans Palast in einer entfernten Stadt. Pavel kämpfte mutig, doch die Kosaken waren zu sehr in der Überzahl und zudem zu gut bewaffnet.« »Ich hatte eine Geschichte über Bären erwartet«, drängte Sulu ungeduldig. »Die Geschichte ist doch auch noch nicht zu Ende, nicht wahr?« beruhigte ihn Chekov. »Dies alles geschah während jenes Winters des ›Großen Goldenen Kometen‹, der, wie Sie sich aus einer meiner früheren Geschichten entsinnen werden, der Grund dafür ist, daß die Eisbären ein weißes Fell tragen.« »Na endlich geht es um Bären«, meinte Sulu zufrieden. »Obwohl es in Rußland zahlreiche Eisbären gibt«, sagte Chekov steif, »sind nicht alle Eisbären russische Bären. Deshalb kann man sie oft in russischen Zoos zu sehen bekommen. Wie dem auch sei, da der Große Goldene Komet sich am Himmel befand, konnte Iwan der Große Natascha nicht vor dem Frühjahr heiraten, denn alle Astrologen und Wahrsager hatten ihn davor gewarnt, und Iwan der Große war, wie alle bösen, grausamen, schrecklichen Menschen, ausgesprochen abergläubisch. Das erwies sich als großes Glück für Pavel, der mit gebrochenem Herzen ziellos in die Wälder gewandert war, wo er sich tagelang nur von Nüssen und Beeren ernährt hatte – nicht von vielen, denn es war ja Winter. Und eines Tages begegnete er einem Bären.« »Was für einem Bären?« »Na, einem russischen Bären natürlich«, erwiderte Chekov. »Um was geht’s denn sonst in meiner Geschichte? Und der Bär knurrte und stellte sich auf die Hinterbeine und tat, als wolle er Pavel auffressen. Pavel, in seiner Verzweiflung, leistete keinen Widerstand, rannte nicht fort, kletterte auf keinen Baum und grub sich auch nicht in den Schnee ein. Ein solches Verhalten verwunderte den Bären, der daran gewöhnt war, bei den Menschen fürchterliche Angst auszulösen, ganz wie unser…«
Chekov warf einen Blick über die Schulter und senkte die Stimme, »… wie unser geliebter Captain. Also fragte der Bär Pavel: ›Hast du denn gar keine Angst, daß ich dich auffressen könnte? Es ist Winter, und die meisten Bären schlafen, doch wenn du im Winter auf einen Bären triffst, der nicht schläft, dann ist er mit großer Wahrscheinlichkeit sehr hungrig, was übrigens auf mich zutrifft.‹ Aber Pavel schüttelte nur den Kopf. ›Mir ist es egal, ob du mich frißt oder nicht.‹ Und dann erzählte er dem Bären die ganze Geschichte von Iwan und Natascha und seiner Verzweiflung. Und dieser Bär, wie alle Bären, war nun hinter seinem furchteinflößenden Äußeren ausgesprochen sentimental, ähnlich wie unser…« Kirk hüstelte bedeutungsvoll. »Ähnlich wie viele Leute«, fügte Chekov hastig hinzu, »und um seine Sympathie zu zeigen, versprach der Bär, Pavel nicht zu fressen. ›Was ich mir wünschte‹, sagte Pavel, ›wäre, daß du Iwan den Großen auffrißt. Wenn du das tätest, dann würden ich und alle meine Landsleute dich in alle Ewigkeiten ehren.‹ Aber Bären sind so realistisch, wie sie sentimental sind, und Ehre bedeutet ihnen wenig. ›Könntest du das ein bißchen präzisieren?‹ bat der Bär. Pavel dachte einen Augenblick nach. ›Ich würde garantieren, daß kein russischer Bär je wieder von einem russischen Jäger erlegt werden wird, wenn du versprichst, Iwan den Großen zu verspeisen.‹ Nun, wie gesagt, der Bär war Realist und ließ sich mit einer so beschwichtigenden Zusage nicht ködern, aber es gelang ihm, von Pavel das weniger weitreichende Versprechen zu erhalten, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um zu verhindern, daß je ein russischer Bär in einen russischen Zoo gesperrt würde. Da es in jenen Tagen weit mehr Jäger als zoologische Gärten in Rußland gab, schien das eine wesentlich glaubhaftere Zusicherung zu sein.
›Sag mir alles, was du über diesen Iwan den Großen weißt‹, verlangte der Bär. ›Zweifellos wird er in seinem Palast bestens bewacht, und da es keinen sicheren Weg für mich gibt, dorthin zu gelangen, muß, da der Speisende nicht zu seinem Mahl gelangen kann, ein Mittel gefunden werden, das Mahl zu dem Speisenden zu bringen.‹ Pavel berichtete dem Bären alles, was er über Iwan wußte. Er sagte, er sei böse, schrecklich, grausam und entsetzlich. Er berichtete, Iwans markanteste Eigenart sei seine Eifersucht. Und da kam dem Bären eine Idee. Er bat Pavel zu bleiben, wo er war, und eilte in den Wald. Er suchte sämtliche Höhlen der Umgebung auf und weckte alle Bären, die dort schliefen. ›Ich werde heiraten‹, verkündete er. ›Ich werde die allerschönste Bärin von ganz Rußland heiraten. Ihr müßt zu meiner Hochzeit kommen. Alle Bären des Waldes müssen kommen. Und ich verspreche euch ein großartiges Festmahl.‹ Hatte ich übrigens erwähnt«, fuhr Chekov fort, »welches Glück Pavel bei seinem ziellosen Wandern durch den Wald gehabt hatte? In der Tat war er nur wenige Kilometer von den Mauern genau jener Stadt entfernt, in der Iwan der Große residierte. Aus diesem Grunde kam Iwan die geplante große Bärenhochzeit im Walde bald zu Ohren. Und er wurde eifersüchtig-fürchterlich eifersüchtig. ›Die schönste Bärin von ganz Rußland!‹ schrie er neidisch. ›Diese Bärin muß ich haben!‹« »Warum das denn?« unterbrach Sulu. »Er hatte doch sicher nicht vor, die Bärin zu heiraten?« »Ganz und gar nicht. Er wollte die Bärin töten und ihr Fell – das schönste von ganz Rußland – an die Wand hängen. Und so führte Iwan am Tag der geplanten Bärenhochzeit eine Gruppe von Kosaken in den Wald, doch auf Drängen des Bräutigams hatten sich die Bären hinter Bäumen und Felsen versteckt.
Sobald Iwan und die Kosaken auftauchten, stürzten sie hervor und fraßen sie alle mit Haut und Haaren auf.« »Und das ist das Ende der Geschichte?« wollte Sulu wissen. »Beinahe. Pavel wurde zu Iwans Nachfolger bestimmt. Er heiratete Natascha, die ihm neun Kinder gebar, und er regierte Sechsundsechzig Jahre in Frieden und Überfluß. Und das ist das Ende der Geschichte.« »Und was wurde aus dem Bären?« fragte Sulu. »Ich hatte schon Angst, Sie würden nicht nach ihm fragen. Der Bär hatte ein paar Schwierigkeiten. Seine Artgenossen waren sehr wütend auf ihn. ›Du hast uns ein Hochzeitsmahl versprochen‹, schimpften sie. ›Das Mahl haben wir gekriegt, aber keine Hochzeit. Wo ist denn deine Braut, die die allerschönste Bärin von ganz Rußland sein soll?‹ Und wissen Sie, was der Bär daraufhin antwortete?« »Keine Ahnung«, gab Sulu zu. »›Sie ist in einem russischen Zoo.‹ Klar? Ein russischer Bär in einem russischen Zoo? Nun, da es ja keine russischen Bären in russischen Zoos gibt, war das seine Art zu sagen, daß es diese Braut nie gegeben hatte.« »Und Pavel hielt sein Versprechen?« »Natürlich.« Sulu schüttelte den Kopf. »Wie kommt es, daß alle Ihre Geschichten immer so enden?« »Wie denn?« »Na, glücklich. In Japan enden Geschichten immer tragisch.« »Meine auch«, erwiderte Chekov. »Für den, der Iwan der Große genannt wird.« Kirk fühlte eine Hand auf seiner Schulter und wandte sich um. Mr. Spock stand neben ihm. »Ich bin bereit, Sie abzulösen, Captain.«
»Fein«, sagte Kirk, »ich habe Sie schon erwartet. Nichts Außergewöhnliches zu berichten. Unsere Geschwindigkeit beträgt zur Zeit Sol Vier. Geschätzte Reisedauer: drei Tage, fünfzehn Stunden. Mr. Chekov hat uns gerade eine Geschichte erzählt. Schade, daß Sie das verpaßt haben.« »Ich habe das Ende noch mitbekommen.« Kirk stand auf und reckte sich, während Spock sich auf dem Kommandosessel niederließ. »Vielleicht ist Mr. Chekov so freundlich, Ihnen jene Teile der Geschichte zu wiederholen, die Sie verpaßt haben.« »Ich fürchte, Mr. Chekov ist dazu nicht in der Lage«, ließ Sulu sich vernehmen. »Er erfindet seine Geschichten aus dem Stegreif und vergißt sie nach dem Erzählen sofort wieder.« Kirk schüttelte den Kopf und grinste. Chekov beugte sich über seine Konsole, als ob ihn die Unterhaltung überhaupt nichts angehen würde. »Die Brücke gehört Ihnen, Mr. Spock«, sagte Kirk und schickte sich an zu gehen. »Ach, Captain?« hielt Spock ihn auf. Kirk blieb stehen. »Was gibt’s?« »Auf dem Weg hierher habe ich Dr. McCoy getroffen. Er schlug vor, daß Sie heute mit ihm zusammen im Offizierskasino zu Abend essen.« »Ich glaube, ich werde heute abend in meinem Quartier essen.« »Allein?« Kirk versuchte, seinen Ärger nicht zu zeigen, aber es gelang ihm nicht ganz. »Wieso interessiert Sie das, Mr. Spock?« »Die Vorschriften verlangen, daß bei einem Notfall darauf zu achten ist, daß nichtautorisiertes Personal keinerlei Einzelheiten erfährt, die über seinen Zuständigkeitsbereich hinausgehen.« Kirk nickte steif. Spock hatte recht. »Miss Duprée wird mit mir zu Abend essen. Ich hoffe, das findet Ihren Beifall.«
»Ich hielt es nur für eine wichtige Information, Captain. Ich wollte nicht unhöflich sein.« »Natürlich nicht, Mr. Spock. Ich bitte um Entschuldigung.« Kirk kam sich plötzlich wie ein Tyrann vor und eilte zum Turbolift, in der Hoffnung, die Brücke hinter sich zu lassen, ehe er noch irgend jemand anderem auf die Zehen trat.
6
Die Tür zu seinem Quartier glitt auf, und James Kirk sah sich gerade noch rechtzeitig um, um die Gestalt von Albert Schang durch die Öffnung schwanken zu sehen. Schang balancierte ein zugedecktes Metalltablett auf jeder Hand, und für einen atemberaubenden Augenblick stand die Frage offen, ob er die Sicherheit des Tisches erreichen würde, bevor er sein letztes bißchen Gleichgewicht verlor und beide Tabletts auf den Boden fallen ließe. Schang erreichte den Tisch noch vorher. Er stellte ein Tablett vor Kirk nieder, ging schwungvoll um den Tisch herum und plazierte das andere vor Gilla Duprée. Schleppend nahm Schang Habachtstellung ein. »Haben Sie noch weitere Befehle, Sir?« Kirk nickte. Immerhin war es ihm während der letzten Tage gelungen, Schang die elementarsten Begriffe militärischen Benehmens einzuimpfen. »Sie können uns die Tabletts aufdecken.« »Oh, natürlich, Sir.« Schang nahm die Deckel von beiden Tabletts, und zwei dampfende Teller mit einem traditionellen chinesischen Gericht kamen zum Vorschein. Kirk hatte persönlich die Gemüse aus den hydroponischen Gärten ausgewählt. Mit Rücksicht auf Gillas Glauben befand sich kein Fleisch dabei. »Und bringen Sie Wein«, bat Kirk. »Sofort?« »Ja, sofort.« »Aber dann muß ich wieder ganz bis in die Schiffsküche zurück.«
»Ich denke, Sie werden um diesen Serviergang nicht herumkommen.« Schang runzelte die Stirn, wollte etwas sagen, besann sich aber eines Besseren, wandte sich um und ging hinaus. Kirk seufzte. Jahrelang hatte er die Unbequemlichkeiten des Bordlebens ohne die Hilfe eines persönlichen Stewards ertragen. Jetzt, wo er einen hatte, wußte er, daß er gut daran getan hatte. Nicht, daß Schang ein typischer Steward gewesen wäre. Die meisten Captains hätten ihn schon längst in Eisen legen lassen. Gilla betrachtete das Essen auf ihrem Teller und lächelte zaghaft. »Das sieht gut aus. Und was ist denn das?« Sie hielt ein paar hölzerne Stäbchen in die Höhe. »Es ist Jahre her, daß ich das letzte Mal mit Stäbchen gegessen habe.« »Soll ich Ihnen zeigen, wie’s geht?« »Nein, ich glaube, ich erinnere mich noch.« »Dann sollten Sie es mir vielleicht zeigen. Ich fürchte, bei mir ist es auch schon lange her.« Die Tür glitt auf, und Schang trat ein. In einer Hand hielt er eine kleine Plastikflasche. Er stellte sie in die Mitte des Tisches und schaute Kirk an. »Sonst noch was, Sir?« Kirk schüttelte den Kopf. »Sie können gehen.« Er war froh, den Mann los zu sein. »Klingeln Sie nach mir, wenn Sie mich brauchen. Ich bin in der Mannschaftskantine. Jetzt ist auch meine Essenszeit.« »Salutieren Sie«, befahl Kirk automatisch. »Oh, natürlich. Verzeihung.« Schang hob schlapp die Hand, drehte sich auf dem Absatz um und ging hinaus. Kirk sah ihm kopfschüttelnd nach, nahm die Flasche in die Hand, schüttelte sie leicht und öffnete den Verschluß mit dem Daumennagel. Dann neigte er sie über Gillas Glas. Eine dickflüssige, milchige Flüssigkeit quoll heraus. »Wieviel darf ich Ihnen einschenken?«
»Oh, nur ein klein wenig. Ich habe schon seit so langer Zeit nichts Alkoholisches mehr getrunken, daß ich vorsichtig sein muß.« Er füllte ihr Glas nur soviel an, daß die Flüssigkeit gerade den Boden bedeckte, und goß sich die gleiche Menge ein. »Warten Sie eine Minute«, sagte er. »Er wird sich an der Luft ausdehnen.« Schon während er das sagte, begann die Flüssigkeit in den Gläsern geräuschvoll zu sprudeln. »Es ist der beste Wein, den wir an Bord haben. Er stammt natürlich nicht von der Erde, aber man sagt, die Produkte von Ossium VI seien fast genauso gut.« Gillas Glas war nun zur Hälfte mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefüllt. Sie hob es an die Lippen und nippte vorsichtig daran. »Ausgezeichnet«, sagte sie. »Um ehrlich zu sein, ist das hier Teil meiner Probleme. Ich liebe einen guten Wein, aber als Jain muß ich die Trauben – selbst diese künstlich hergestellten – als eine relativ hohe Lebensform betrachten.« »Oh, das tut mir leid.« Er schaute auf ihren Teller – Tomaten, Bohnen, Wasserkastanien, Zwiebelringe, Paprikaschoten. Wenn Trauben eine höhere Lebensform darstellten, was waren diese hier dann? Ihm rutschte das Herz in die Hose. »Wenn Sie lieber nichts essen möchten…« »Nicht doch.« Sie lachte zärtlich und beschwichtigte seine Sorge. »Das wollte ich damit nicht sagen. Eine solche Mahlzeit ist perfekt für mich. Solange jemand anderes die Nahrung zubereitet – die Mordtat begeht –, ist mir gestattet, die toten Hüllen zu mir zu nehmen. Wenn dem nicht so wäre, würden wir Jain massenweise verhungern.« »Ich verstehe«, sagte Kirk. »Wirklich?« Sie lächelte. »Nein, das verstehen Sie nicht. Aber das erwarte ich auch gar nicht. Meine Religion ist sehr alt, und vieles daran erscheint in unseren modernen Zeiten
wenig sinnvoll. Mir sind nicht die wörtlichen Vorschriften wichtig, sondern die Betrachtungsweise unserer Existenz und die Lebensphilosophie, die dahinterstehen. Ich glaube, es ist enorm wichtig für einen Menschen, allen Formen des Lebens, selbst dem Wind und den Steinen, mit Ehrfurcht zu begegnen.« »Dem kann ich nicht widersprechen«, erwiderte Kirk. »Aber ich sehe, daß Sie Ihre Schutzmaske nicht mehr tragen.« »Eine wörtliche Vorschrift. Und sie ist manchmal sehr störend, wenn man mit Leuten kommunizieren will. Und das halte ich auch für sehr wichtig.« »Das weiß ich.« »Woher denn?« »Aus Ihrer Arbeit. Vergessen Sie nicht: Kein Künstler erscheint jemandem, der sein Werk kennt, als ein Fremder.« Kirk trank einen Schluck Wein und stocherte in seinem Essen herum. Gilla handhabte die Stäbchen mit großer Geschicklichkeit und aß schneller. »Möchten Sie noch etwas?« fragte er, als er sah, daß sie zu Ende gegessen hatte. »Ich könnte uns einen Nachtisch bestellen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde nur noch meinen Wein austrinken«, meinte sie und klopfte sich unter dem Tisch auf den Bauch. »Ich fühle mich total vollgestopft.« Sie trug ein langes, weißes Gewand, ähnlich dem, das sie auf der Sternbasis getragen hatte. »Es war köstlich.« »Es war recht gut«, bestätigte Kirk, nachdem er den letzten Bissen zu sich genommen hatte. »Wir werden unser Reiseziel in Kürze erreichen. Ich weiß, daß Sie sich darauf freuen, Ihren Vater wiederzusehen, aber ich wünschte, wir hätten Zeit für ein weiteres Abendessen wie dieses.« »Das wünschte ich mir auch.« Sie lächelte. »Aber wie steht es mit Ihnen, Captain? Freuen Sie sich auch darauf, meinen Vater zu sehen?«
»Was meinen Sie damit? Sollte ich das?« »Ich weiß, daß Sie inzwischen erfahren haben müssen, wer er ist. Ich wette, der Commander hat es Ihnen gesagt: Kell, der Verräter. Ich denke, unter dieser Bezeichnung ist er bekannt. Haben Sie vor, ihn zu verhaften?« »Das weiß ich noch nicht«, gab Kirk ehrlich zu. »Das hängt von der Situation ab. Soweit bekannt ist, hat Kell die Föderationsgesetze nie verletzt.« »Wissen Sie, warum er fortgegangen ist?« Ihre Frage überraschte Kirk. »Nein, allerdings nicht. Kann das irgendwer erklären, außer ihm selbst?« »Ich.« »Oh! Würden… äh… würden Sie’s mir dann erklären?« »Mein Vater war in einen Unfall verwickelt. Er war Captain eines großem Raumschiffs – fast so groß wie das Ihre – , und er hatte mit zweien seiner Wissenschaftsoffiziere in einer Fähre das Mutterschiff verlassen, um ein Quasar-ähnliches Objekt in mehreren Parsecs Entfernung zu untersuchen. Was offenbar geschah, war, daß die große Gravitationskraft des Objekts die Fähre beschädigte. Die Kommunikationssysteme wurden zerstört, und die Kraftstofftanks wurden leck. Mein Vater stellte ein paar Berechnungen an und erkannte, daß die Fähre mit ihrem derzeitigen Gewicht das Schiff nicht erreichen konnte.« »Hat er versucht, Ballast abzuwerfen?« »Natürlich. Er warf alles über Bord und berechnete erneut. Es war noch immer nicht ausreichend – etwa 100 Kilogramm zu schwer. In Reisezeit ausgedrückt hieß das mehrere hunderttausend Kilometer. Aber selbst aus der Entfernung wäre er nicht in der Lage gewesen, mit dem Mutterschiff Kontakt aufnehmen zu können. Mein Vater wog 100 Kilogramm. Er legte einen Raumanzug an und verließ das Boot durch die Schleuse.«
»Er trieb einsam im All«, sagte Kirk. Das war die gefürchtetste Situation für jeden, der im Weltraum seinen Dienst leistete. »Wie lange dauerte es, bis man ihm zu Hilfe kam?« »Siebenundzwanzig Tage«, berichtete sie. »Die Navigationsinstrumente der Fähre waren ebenfalls zerstört worden. Die beiden Wissenschaftsoffiziere erreichten nie das Mutterschiff. Es war ein absurder Glücksfall, daß man sie überhaupt fand.« »Fast ein ganzer Monat«, sagte Kirk. Er versuchte, sein Grauen nicht zu zeigen. Allein in der endlosen Weite des Raumes, mit den Sternen als einzigen Gefährten, waren starke Männer in viel kürzerer Zeit unwiderruflich wahnsinnig geworden. »Danach war er nie mehr der gleiche wie früher. Er war nicht wahnsinnig. Er hatte überlebt, weil er die Isolation ausgekostet, sich mit dem totalen Verlust der Sinne angefreundet hatte. Das Ergebnis war, daß er, als sie ihn schließlich fanden, den engen Kontakt mit einem anderen menschlichen Wesen nicht mehr ertragen konnte. Es machte ihn körperlich krank. Er mußte im wahrsten Sinne des Wortes allein sein. Die Ärzte versuchten ihn zu heilen. Erfolglos. Zum Schluß hatte er das Gefühl, ihm bliebe keine andere Wahl. Er musterte aus der Sternenflotte aus.« »Um was zu tun?« »Zunächst versuchte er, mit mir zusammen zu leben. Ich ließ ihn natürlich soviel wie möglich allein. Er wurde zum Gefangenen in unserer Wohnung. Es ging so weit, daß er die Gegenwart von anderen durch die Wände hindurch fühlte. Es machte ihn krank.« »Das muß eine schreckliche Erfahrung für Sie gewesen sein.« »Ich denke, das war es auch. Ich habe es nur nie unter diesem Aspekt betrachtet. Er war krank, und ich wollte ihm helfen,
aber ich konnte es nicht. Die Klingonen hörten von seinem Zustand. Ich habe keine Ahnung wie, aber ich nehme an, sie horchten unsere Funkkanäle ab. Ein Agent suchte meinen Vater auf und machte ihm ein Angebot. Wenn er bereit wäre, die Föderation zu verlassen, würden sie ihm einen Planeten vom M-Typ und genug Material und Mittel zum Überleben zur Verfügung stellen.« »Und er nahm das Angebot an«, sagte Kirk, ohne seine Abscheu ganz verbergen zu können. »Er lehnte es ab«, sagte sie matt. »Er durchschaute ihre Absicht: Die Klingonen wollten ihn für ihre eigenen Propagandazwecke benutzen. Ich brachte ihn dazu, seine Meinung zu ändern. Ich bettelte und flehte und zwang ihn dazu zuzusagen. Ich wußte, daß er Selbstmord begehen würde, würde er nicht weggehen. Für einen Jain – und ich war damals schon praktizierende Jain – ist Selbstmord ein zweideutiger Akt. Wird er durch langsames Verhungern am Ende eines natürlichen Lebens begangen, so gilt er als segensreiche Todesart. Selbstmord durch Gewalt aus egoistischen Gründen ist Mord der schlimmsten Sorte. Und das wollte ich verhindern.« »Warum ist das nie bekannt geworden?« fragte Kirk. »Können Sie sich das nicht denken? Wie könnte die Föderation zugeben, daß mein Vater gute, ausreichende Gründe hatte, bei den Klingonen leben zu wollen? Sie haben ihn fürchterlich behandelt. Sie gaben ihm nicht die geringste Chance, ein produktives Leben zu führen. Sie brachen seinen Willen, und dann ignorierten sie ihn. Es muß eine außerordentlich peinliche Angelegenheit für sie gewesen sein. Also bezeichneten sie ihn als Verräter und ließen es dabei bewenden. Ich versuchte, das Bild zu korrigieren, aber niemand wollte auf mich hören.« »Haben Sie seither von Ihrem Vater gehört?«
»Nein, nicht direkt. Ein Diplomat half mir – ein Freund. Er berichtete, daß mein Vater das Klingonen-Imperium verlassen hatte. Sie hatten ihn belogen, und er hatte von Anfang an gewußt, daß sie das tun würden. Jahrelang habe ich nach ihm gesucht. Und jetzt habe ich ihn gefunden.« »Auf NC 513-II, Herzland.« »Ja.« Er schaute sie aufmerksam an. Dann griff er nach der Weinflasche. Sie erhob keinen Einwand, als er daranging, beide Gläser wieder zu füllen. »Lassen Sie mir eine Minute Zeit«, bat er, »dann erzähle ich Ihnen von dem Planeten.« »Ich würde es gerne hören.« »Und ich möchte es Ihnen gern berichten.«
7
James Kirk und Gilla Duprée saßen nebeneinander auf der kleinen Couch in einer Ecke von Kirks Privatquartier. Sie stießen mit ihren Weingläsern an. »Nun erzählen Sie doch«, bat Gilla, nachdem sie einen Schluck getrunken hatten. »Wie sieht dieser Planet aus? Herzland – ein merkwürdiger Name für einen fremden Planeten.« »Alles, was ich Ihnen erzählen kann, ist, was der Bordcomputer mir berichtet hat. Herzland ist der Name, den die fremdrassigen Bewohner ihm selbst gegeben haben. Sie nennen sich Danoner. Es soll nur noch ein paar hundert von ihnen geben, und sie leben allesamt in einem einzigen Dorf. Die Danoner gehören zu den ältesten je entdeckten intelligenten Rassen. Vor Äonen bewohnten sie große Teile der Galaxis, und möglicherweise haben sie in prähistorischer Zeit sogar die Erde besucht. Als ihre Zivilisation zusammenbrach, kehrten sie auf ihre ursprüngliche Heimatwelt zurück – Herzland. Jetzt sind sie vom Aussterben bedroht. Herzland ist ein Planet des M-Typus mit großen Ozeanen, weitläufigen Wäldern und beachtlicher, natürlicher Vegetation. Vor vierzig Jahren wurde – mit Erlaubnis der Danoner – der Versuch unternommen, eine menschliche Kolonie in der Nachbarschaft des Eingeborenendorfes zu errichten. Nach einem Jahr mußte das Projekt aufgegeben werden. Alle Kolonisten waren verrückt geworden.« »Wie seltsam«, meinte sie. »Wie kam denn das?« »Das ist nie herausgefunden worden. Man vermutete eine Krankheit, doch man konnte keinerlei biologische Infektionen nachweisen. Keiner der Betroffenen wurde wieder normal. Selbstverständlich wurde Herzland unter strengste Quarantäne
gestellt. Ihr Vater hat ein Föderationsgesetz verletzt, indem er Herzland aufsuchte.« »Glauben Sie, daß ihm das irgend etwas bedeutet? Oder mir?« »Nein, aber es erklärt auch nicht, warum er sich dorthin begab.« Sie zuckte mit den Achseln. »Ich habe auch keine Ahnung.« »Ich nehme an, wir werden ihn selbst fragen müssen.« Kirk leerte sein Glas und stand auf. »Da wir schon vom Besuch anderer Plätze reden, darf ich Sie zu einem Spaziergang einladen? Es gibt einen Bereich auf dem Schiff, den ich Ihnen gerne zeigen würde. Ich bin sicher, es wird Ihnen dort gefallen.« Sie schaute zu ihm auf, neigte den Kopf leicht zur Seite und meinte: »Wohin? Ich dachte, ich hätte schon das ganze Schiff gesehen – mit Ausnahme natürlich der Bereiche, zu denen Ihre Bordwache mir den Zutritt verweigert.« »Haben Sie schon das Herbarium besucht?« »Nein. Was ist das denn?« »Ich möchte es Ihnen lieber zeigen.« Er nahm sie bei der Hand und half ihr beim Aufstehen. »Es ist nicht weit.« Ehe sie sich auf den Weg machten, klingelte Kirk nach Steward Schang, der kurz darauf – mit vollen Backen kauend – erschien. »Ich werde mit Miss Duprée ins Herbarium gehen. Ich möchte nicht gestört werden, wenn es nicht ein wirklich dringender Notfall ist. Haben Sie mich verstanden?« »Klar, Captain.« »Sie können den Tisch abräumen, während ich fort bin.« »Aber ich habe doch noch nicht zu Ende gegessen.« »Dann essen Sie nachher weiter.« »Nachher geht nicht. Sie schließen gerade die Messe für diese Schicht.« »Dann beeilen Sie sich beim nächsten Mal mit dem Essen.«
Kirk geleitete Gilla hinaus. Während sie auf den Turbolift warteten, meinte sie: »Ihr Steward wirkt ein wenig widerspenstig.« Kirk lachte. »Er ist neu. Aber er wird’s schon noch lernen.« Sie hatte einen wissenden Ausdruck in den Augen. »Wenn Sie sein Lehrer sind, dann zweifle ich nicht daran.« »Soll das ein Kompliment sein?« »Ich weiß nicht. Ich habe den Eindruck, Captain Kirk, daß Sie ein furchteinflößender Mann sein können, wenn Sie wollen.« »Ich? Ich bin sanft wie ein Lamm.« Sie stiegen in den horizontalen Turbolift. »Ein Lamm vielleicht, aber eines mit scharfen Zähnen. Ich nehme an, Ihr Steward würde mein Urteil bestätigen.« Das Herbarium war Kirks Lieblingsraum an Bord der Enterprise. Nachdem sie eingetreten waren und die Türen sich hinter ihnen geschlossen hatten, blieben sie stehen. Das Herbarium war ein Paradies irdischer – und fremdartiger – Genüsse, wo Tausende unterschiedlicher Pflanzenarten wild wuchsen. Gilla gab einen staunenden Laut von sich und lief den kleinen Pfad entlang. Kirk folgte ihr etwas gemäßigteren Schrittes und fand sie am Fuße eines weitausladenden Rhododendronbusches kauern. Sie hielt die Hände hohl geschlossen. »Schauen Sie doch. Ich habe einen Schmetterling gefangen. Er ist schwarz und hat orangerote Punkte. So etwas Schönes habe ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen.« »Er ist sogar echt.« Kirk kauerte sich neben sie. »Nicht ein Hologramm oder eine Nachahmung. Aber sind sie auf der Erde nicht heimisch?« »Ich lebe schon lange nicht mehr auf der Erde. Als Vater fortging, bin ich auf Luna gezogen. Ich versuche, mir einen
kleinen Garten zu halten, aber der ist in keiner Weise mit diesem hier vergleichbar. Sogar der Himmel ist blau.« »Na ja, der ist aufgemalt«, sagte Kirk. Die Mischung der verschiedenen Blütendüfte stieg ihm betäubend in die Nase. Ein sanfter, künstlicher Wind strich zwischen den Bäumen hindurch und ließ Gillas langes Haar wehen. »Die Alten glaubten, der Himmel sei angemalt. Spielt es eine Rolle, daß sie damals irrten und heute recht hätten?« Sie öffnete die Hände. Einen Augenblick lang blieb der Schmetterling reglos auf ihrer Handfläche sitzen, so still und so rätselhaft wie das All selbst. Dann flog er plötzlich flügelschlagend auf, segelte über den Pfad und landete auf der Knospe einer Butterblume. Kirk richtete sich auf und klopfte sich die Erde von der Hose. »Sehen Sie? Ich wußte doch, daß es Ihnen hier gefallen würde.« »Und ob es mir hier gefällt! Es ist so unglaublich intim. Ich kann verstehen, daß es Ihnen als unendlicher Luxus vorkommen muß, wenn Sie monatelang in Ihr Schiff eingesperrt leben. Kommt denn sonst niemand hierher?« »Sie könnten kommen, aber außer den Biologen, die eher mit dem Sammeln von Proben und mit ihrer Forschung beschäftigt sind, kommt niemand, um sich an den Wundern der Natur zu erbauen.« »Das verstehe ich nicht. Ich könnte für immer hierbleiben.« Ohne nachzudenken, faßte Kirk nach ihr. Seine Hände strichen über ihren Rücken und fühlten die Knochen ihres Rückgrats. Sie hob ihm mit geschlossenen Augen das Gesicht entgegen. Der Kommunikator an Kirks Gürtel gab einen schrillen Ton von sich. Kirk trat einen Schritt zurück. »Verflucht«, schimpfte er.
Gilla lachte. »Die Augen der Götter überwachen uns, Captain.« »Wer immer da anruft, ich rate ihm dringend, daß er einen wirklich triftigen Grund hat.« Er hielt sich den tragbaren Kommunikator vor sein Gesicht. »Hier Captain Kirk.« »Hier Spock, Captain. Ich bitte die Störung zu entschuldigen, aber Ihr Steward sagte mir, wo Sie zu finden sind.« »Was gibt’s?« fragte Kirk, wobei er versuchte, seinen Ärger nicht mitklingen zu lassen. »Mr. Scott hat aus dem Maschinenraum durchgegeben, daß möglicherweise eine Maschinenfehlfunktion vorliegt. Wir scheinen an Geschwindigkeit zu verlieren.« »Was sagt der Computer?« »Negativ, Captain.« »Dann ist es wahrscheinlich nichts Ernstes.« »Nein, aber ich hielt es für angebracht, Sie zu informieren.« »Sie haben richtig gehandelt, Mr. Spock.« Falls es sich als etwas Ernsthaftes herausstellen sollte, wollte er nicht gezwungen sein, später erklären zu müssen, was er während der Notsituation im Herbarium getrieben habe. »Ich komme gleich nach oben.« »Wie Sie wünschen, Captain.« Es war absolut nicht, was Kirk sich wünschte. Er befestigte den Kommunikator wieder an seinem Gürtel und wandte sich an Gilla. »Die Pflicht ruft«, sagte er trocken. Sie lächelte verständnisvoll. »Ich werde hier warten.« »Es kann aber eine Weile dauern, bis ich zurückkomme. Ich bin sicher, es ist nichts von großer Tragweite, aber ich werde abwarten müssen, bis das Problem lokalisiert und behoben worden ist.« »Ich habe sonst nichts zu tun.« Sie lehnte sich vor, beinahe stürmisch, und ließ ihre Lippen über seine Wange streichen. »Und mir gefällt es hier.«
Ihr Kuß – so flüchtig er auch gewesen sein mochte – stieg Kirk in den Kopf. Auf dem Weg zur Brücke fühlte er sich, als wandle er auf Wolken.
8 Logbuch des Captain. Sternzeit 4247.7: Nachdem wir Herzland erreicht hatten, ließ ich meinen Steuermann das Schiff auf die Umlaufbahn um den Planeten bringen. Eine komplette Sensorabtastung wird umgehend vorgenommen, sobald das Schiff eine stabile Umlaufbahn erreicht hat. Auf dem Hauptbildschirm scheint Herzland den Berichten zu entsprechen: ein üppiger Planet des M-Typus mit großen Ozeanen und beträchtlicher Landvegetation, scheinbar wie geschaffen für menschliche Besiedlung. Während meines Aufenthaltes werde ich der Frage der Fortsetzung der Quarantäne nachgehen und nach unserem Abflug eine Empfehlung abgeben. Unser Passagier, Gilla Duprée, befindet sich nach wie vor unter Beobachtung in der Krankenabteilung. Die genaue Natur ihrer Krankheit – sofern es eine ist – ist noch unklar. »Irgendwelche Meldungen, Leutnant?« fragte Captain James Kirk, als er seinen Kommandosessel so weit herumschwenkte, daß er die schlanke, dunkle Gestalt seines Kommunikationsoffiziers, Leutnant Uhura, vor sich hatte. »Nein, Sir. Ich sende die Nachricht nach wie vor im ZweiMinuten-Takt, wie Sie befohlen haben. Bislang habe ich keinerlei Antwort erhalten.« »Versuchen Sie’s weiterhin. Mr. Spock?« Kirk drehte seinen Sessel wieder. »Was können Sie mir berichten?« Spock stand vor dem überdachten Bildschirm der BibliotheksComputerstation. »Herzland scheint einer der besser bewohnbaren Planeten der Galaxis zu sein. Ich habe schon an die siebenhundert bedeutendere eingeborene Lebensformen katalogisiert.«
»Die Atmosphäre?« wollte Kirk wissen. »Wie in den Berichten. Eine perfekte achtzig zu zwanzig Stickstoff-Sauerstoff-Mischung.« »Irgendwelche Anzeichen von intelligentem Leben, abgesehen von dem Eingeborenendorf?« »Nein, Captain, keine.« »Dann ist also anzunehmen, daß Kell dort lebt.« »Ja, so sieht es aus.« »Haben Sie eine Bevölkerungszahl für das Dorf bereits ermittelt?« »Sie kommt gerade durch.« Spock beugte sich über die Konsole. »Einhundertundneun zweibeinige Lebewesen«, sagte er und richtete sich wieder auf. »Und eines davon könnte Kell sein?« »Ja. Aber die Zahl ist natürlich nicht unbedingt exakt.« »Dennoch kommt sie mir niedrig vor. Prüfen Sie nach, ob Sie eine Zahl für die Zeit der Kolonialisierung bekommen können.« »Hab’ ich schon, Captain. Zur Zeit der Errichtung der menschlichen Siedlung auf Herzland zählte die danonische Bevölkerung vierhundertsiebenundfünfzig Mitglieder.« »Sie scheinen also weiterhin unter Bevölkerungsschwund zu leiden.« »Ja, Captain.« »Und dieser starke Schwund in nur vierzig Jahren scheint darauf hinzudeuten, daß ihr totales Aussterben nicht mehr fern ist.« »Wenn man eine neue Blütezeit ausschließt, würde ich sagen: ja.« Kirk nickte. Er wußte, daß er nur laut dachte. »Fahren Sie mit Ihrer Arbeit fort, Mr. Spock.« Die Türen des Turbolifts glitten auf. Kirk schaute sich um und sah, daß Dr. McCoy gerade die Brücke betrat. Er kam
direkt herüber und stellte sich neben seinen Kommandosessel. »Irgend etwas Interessantes, Jim?« fragte er, den Blick auf den großen Bildschirm mit dem Panorama des Planeten unter ihnen gewandt. »Nichts, was wir nicht erwartet hätten. Die DanonerBevölkerung ist in den letzten vierzig Jahren von vierhundert auf hundert zurückgegangen.« McCoy pfiff leise. »Das sind kaum genug für eine stabile Vermehrungsgrundlage. Im Sternflotten-Oberkommando sollte man sich dafür doch interessieren.« »Das hoffe ich«, meinte Kirk. »Es wäre mir zuwider, wenn ich auf eigene Faust den ganzen Weg hierhergekommen wäre, ohne irgendwas vorweisen zu können.« »Dann habt ihr Kell noch nicht gefunden?« Kirk schüttelte den Kopf und wies auf Leutnant Uhura. »Wir rufen das Dorf im Zwei-Minuten-Takt. Wenn er dort ist, so antwortet er jedenfalls nicht.« »Sollte er? Ich habe gehört, er mag keine Menschen.« Kirk schaute McCoy neugierig an. »Dann hat Gilla dir die Geschichte also auch erzählt?« »Gestern. Ich bin froh darüber. Jahrelang habe ich Kell als fürchterlichen Verräter betrachtet. Jetzt glaube ich, den Mann ein bißchen besser zu verstehen.« »Ich habe Uhura in ihren Botschaften Gillas Namen erwähnen lassen. Ich dachte, das würde ihn hervorlocken.« »Und wenn er nicht darauf reagiert? Was gedenkst du zu tun?« »Dann werden wir uns ins Dorf runterbeamen und selbst nachschauen müssen.« »Und wenn er dort nicht ist?« »Dann wird’s schwierig.« Kirk zeigte auf den Bildschirm. »Es ist ein riesiger Planet.«
Dicke Wolkenmassen verdeckten ein Viertel des größeren nördlichen Kontinents. »Das sieht wie Schnee aus«, meinte McCoy. »Im Norden herrscht Winter.« »Und das Danoner-Dorf liegt im Süden?« »In Äquatornähe. Das Wetter ist dort vermutlich das ganze Jahr hindurch recht mild.« »Das ist noch ein triftigerer Grund für Kell, sich dort aufzuhalten. Wenn du runterbeamst – falls du das wirklich vorhast –, dann laß einen Platz für mich im Landekommando frei.« »Für dich? Warum das denn?« Kirk war einigermaßen überrascht. McCoy meldete sich selten freiwillig für solche Unternehmungen und überließ Kirk normalerweise die Entscheidung, ob ein Arzt gebraucht wurde oder nicht. »Weil, wenn das, was den Kolonisatoren passiert ist, dir auch passiert, du unbedingt einen Arzt brauchst. Massenpsychose ist kein Spaß.« »Es konnte damals keinerlei biologische Ursache festgestellt werden.« »Trotzdem möchte ich lieber dabei sein. Herzland ist ein unbekannter Planet, so hübsch er auch von oben aussehen mag. Nichts garantiert, daß er deinen Erwartungen entspricht.« Dem konnte Kirk nicht widersprechen. »Du bist herzlich eingeladen, Pille. Aber was ist mit Gilla? Ist es nicht riskant, sie jetzt schon allein zu lassen?« »Ich habe ihre Entlassung aus der Krankenstation angeordnet.« Er wandte sich um und schaute auf die TurboliftTüren. »Ich erwarte sie eigentlich jeden Moment hier.« »Dann fehlt ihr also nichts?« Kirk konnte seine Erleichterung nicht verhehlen. In den drei Tagen, seit er ins Herbarium zurückgekehrt und Gilla Duprée dort bewußtlos vorgefunden hatte, war er pausenlos um sie besorgt gewesen.
»Ich sah keinen Grund, sie weiterhin unter Beobachtung zu behalten, nein.« »Es war also nur ein weiterer Schwächeanfall?« »Ja«, erwiderte McCoy mit einer gewissen Unsicherheit in seinem Verhalten. »Es war eine Ohnmacht.« Kirk sah ihn mißtrauisch an. »Und was sonst noch? Du verheimlichst mir etwas, Pille. Das sehe ich.« McCoy lachte und legte Kirk eine Hand auf die Schulter. »Jim, zum Donnerwetter, sei doch nicht albern. Der Frau fehlt nichts. Ihr geht es ausgezeichnet.« »Captain Kirk?« ließ sich eine Stimme aus dem Hintergrund vernehmen. Kirk drehte seinen Sessel. Leutnant Uhura winkte ihm zu. »Haben Sie was?« fragte er. »Ich glaube, ein Signal. Es ist sehr schwach.« Kirk stand auf und ging durch den Raum. McCoy folgte ihm. »Aus dem Dorf?« fragte er, als er hinter ihrem Stuhl stand. »Nein, aber aus der Nähe. Ich versuche, es zu lokalisieren…« Ihre Hände flitzten über die Konsole. »Da! Ich glaube, ich hab’s.« Ein lautes Rauschen war zu hören. Sie nickte. »Das ist es, aber er sendet im Augenblick nicht.« Kirk beugte sich vor. »Ich möchte versuchen, mit ihm zu reden.« Uhura drehte eine Scheibe und legte einen Schalter um. »In Ordnung, Sir. Sie können sprechen.«
9
»Hier spricht Captain James T. Kirk von der U.S.S. Enterprise. Bitte geben Sie Ihre Identität und den Grund Ihrer Anwesenheit auf Herzland bekannt.« Die Stimme, die antwortete, war nur schwach durch das andauernde Rauschen wahrzunehmen. Eine hohe, fast schrille Männerstimme. »Enterprise? Sagten Sie Enterprise? Was ist das? Ein Schiff?« »Ich bat Sie, Ihre Identität durchzugeben. Sind Sie Kell? Jacob Kell?« »Wer? Sprechen Sie lauter. Ich kann Sie nicht verstehen.« Kirk sprach langsamer und deutlicher. »Jacob Kell. Sind Sie Kell?« Lautes Gelächter drang aus der Konsole. Plötzlich hörte das Rauschen auf, und die Stimme war deutlich zu hören. »Ich heiße Bates. Reni Bates. Wer zum Teufel ist Jacob Kell?« Kirk schaute zu McCoy, der ein verdutztes Gesicht machte und mit den Schultern zuckte. »Mr. Bates«, sagte Kirk, »was machen Sie auf Herzland? Ist Ihnen nicht bekannt, daß der Planet vor vierzig Jahren unter Föderations-Quarantäne gestellt wurde?« »So lange bin ich schon hier, Captain. Länger. Ich bin schon fast seit einer Ewigkeit hier. Ich bin auf Herzland zu Hause.« Spock hatte sich zu der Gruppe an der Konsole gesellt. »Der Mann scheint zu behaupten, er sei einer der ursprünglichen Siedler«, meinte er leise. »Ist das möglich?« fragte McCoy. »Alles ist möglich«, antwortete Kirk. »Wir werden einen Computercheck durchführen müssen. Es muß eine Liste der
Siedler, die damals herkamen, geben und eine mit den Namen derer, die später evakuiert wurden.« »Ich kümmere mich sofort darum, Captain«, sagte Spock und eilte zur Bibliotheks-Computerstation. »Es könnte natürlich auch Kell selbst sein«, gab McCoy zu bedenken. »Vielleicht lügt er.« »Warum sollte er? Wenn es Kell ist, dann hätte er ja auf unsere Signale nicht zu antworten brauchen.« Kirk beugte sich wieder über die Konsole. »Mr. Bates, können Sie mir etwas über sich selbst sagen? Wie kamen Sie auf Herzland? Wie alt sind Sie?« »Wie alt?« Bates lachte wieder. Es klang nicht fröhlich, jedenfalls nicht über den Sender. »Fragen Sie mich sowas nicht, Captain. Sie nahmen alle Uhren und Kalender mit, als die Verrückten weggeholt wurden. Tag und Nacht ist alles, was ich habe, Captain. Die Sonne geht auf und geht wieder unter. Ich habe nicht gezählt, wie oft das geschehen ist.« Kirk schaute McCoy an. »Er weiß, was mit den Siedlern passiert ist.« »Kell dürfte das ebenfalls wissen.« Kirk nickte. Spock hantierte an der BibliotheksComputerstation. Kirk beschloß, einen weiteren Versuch mit Bates zu unternehmen. Der Computer würde ihm bald alles liefern, was er über den Mann wissen mußte. »Mr. Bates, sind Sie sicher, daß Sie nichts von einem Mann namens Kell wissen? Sind Sie der einzige Mensch auf Herzland? Wissen Sie von irgendeinem anderen?« Es brauchte geraume Zeit, bis Bates antwortete. Kirk konnte sein Zögern spüren. »Ist Kell groß?« fragte er. »Ein großer Mann mit großen Händen und einer Glatze?« »Ja, das könnte er sein«, antwortete Kirk.
»In dem Fall ist er hier. Ich kannte seinen Namen nicht. Ich wollte Sie nicht anlügen, Captain.« »Ich glaube es Ihnen, Mr. Bates.« »Er ist bei den Danonern.« »Im Dorf?« Bates kicherte. »Das ist der einzige Ort, wo Sie Danoner finden können.« Spock kam herbeigerannt. »Ich habe die Listen geprüft, Captain, und der Name Reni Bates ist bei den Vermißten aufgeführt.« »Wurde er evakuiert?« »Nein. Als die Rettungsmannschaft auftauchte, wurde er vermißt. Eine Suche nach ihm verlief erfolglos. Man nahm an, er sei tot.« McCoy nickte nachdenklich. »Wie gesagt, der Planet ist groß.« Kirk wandte sich wieder zur Konsole. »Mr. Bates, ich möchte Sie fragen, ob…« Ein lautes Rauschen dröhnte aus dem Sender und zwang Kirk, innezuhalten. Das Rauschen wurde lauter und verwandelte sich in ein wütendes, brüllendes Geheul. Kirk hielt sich die Ohren zu. Das Geräusch brach plötzlich ab. »Verdammt«, fluchte Kirk, »er hat unterbrochen.« »Es kann eine Sendestörung sein. Captain«, meinte Uhura, die hektisch an ihrer Konsole hantierte, doch ohne Erfolg. »Das Signal war von Anfang an sehr schwach.« »Kein Wunder«, meinte McCoy. »Sein Funkgerät ist vierzig Jahre alt.« »War das mein Vater, mit dem Sie gesprochen haben?« Kirk drehte sich überrascht um. Gilla Duprée hatte unbemerkt die Brücke betreten, während er mit Reni Bates gesprochen hatte. Sie schaute ihn mit zornig funkelnden Augen an. Es war das erste Mal, daß er sie wach sah, seit er sie vor mehr als drei
Tagen im Herbarium verlassen hatte. Er ging auf sie zu. »Gilla, wie fühlen Sie sich?« Sie stand stocksteif da und schaute ihn kalt an. »Mir geht es ausgezeichnet, Captain. Aber ich habe Sie etwas gefragt. War das mein Vater?« Kirk blieb stehen. »Nein, das war jemand, der sich Reni Bates nannte. Er scheint von jener Gruppe übriggeblieben zu sein, die vor vierzig Jahren Herzland zu kolonisieren versucht hat.« »Hat er meinen Vater gesehen?« »Er sagt ja.« »Wo?« »Im Danoner-Dorf.« »Dann müssen wir dorthin. Sofort.« Kirk schaute sie mißtrauisch an. Sie schien sich unter riesiger innerer Anspannung zu befinden. Ihr ganzer Körper war angespannt wie eine Feder. Kirk blickte zu McCoy hinüber, aber der Bordarzt vermied es, seinem Blick zu begegnen. »Wir werden vermutlich hingehen«, sagte Kirk. »Wahrscheinlich.« »Ich will sofort hin.« »Darf ich einen Vorschlag machen, Captain?« Es war Spock. »Ja, natürlich.« Kirk war froh über die Ablenkung von Gillas unerklärlicher Feindseligkeit. »Sagen Sie, welchen Vorschlag Sie haben.« »Meiner Meinung nach wäre es das klügste, noch einmal mit diesem Bates zu sprechen, ehe wir versuchen, das Dorf der Fremden zu betreten. Wenn Bates tatsächlich mehr als vierzig Jahre auf Herzland gelebt hat, dann dürfte er über Informationen verfügen, die in den wenigen offiziellen Berichten, die uns zur Verfügung stehen, nicht zu finden sind.« Kirk nickte. Spock hatte nur seine eigenen Gedanken laut ausgesprochen. Er fragte sich, ob Spock sich dessen ebenfalls
bewußt war und es absichtlich getan hatte – um einen Teil von Gillas Zorn auf sich selbst zu lenken. »Ich bin ganz und gar Ihrer Ansicht, Mr. Spock. Genau das werden wir tun.« »Und mein Vater?« frage Gilla mit scharfer Stimme. Kirk versuchte, diplomatisch zu sein. »Wenn Ihr Vater sich im Eingeborenendorf aufhält, dann ist es nicht wahrscheinlich, daß er irgendwo anders hingeht. Irgend etwas auf diesem Planeten hat vor vierzig Jahren hundert Leute zum Wahnsinn getrieben. Ich habe die Verantwortung, so viel wie möglich über das, was uns dort erwartet, in Erfahrung zu bringen, ehe ich das Leben meiner Mannschaft einer Gefahr aussetze.« »Ich gehöre nicht zu Ihrer Mannschaft, Captain.« »Aber Sie unterstehen meiner Zuständigkeit. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie meinen Befehlen gehorchen.« Der Zorn, der in ihren Augen funkelte, wuchs. Steif stand sie da und ballte die Fäuste; offenbar rang sie mit sich, ob sie etwas sagen sollte oder nicht. Schließlich wandte sie sich ohne ein weiteres Wort abrupt um und eilte zum Turbolift. Die Türen öffneten sich, und sie trat hinein. Dann war sie fort. »Nimm’s dir nicht zu Herzen«, tröstete McCoy ihn und trat neben ihn. »Sie ist nicht wirklich böse auf dich.« »Wenn nicht, dann hat sie’s jedenfalls gut gespielt.« »Sie macht sich Sorgen. Und sie hat Angst. Ich weiß es – ich habe vorhin mit ihr darüber gesprochen. Sie hat eine Höllenangst, daß ihr Vater am Ende gar nicht hier ist und sie die ganze Sucherei von vorne anfangen müßte.« »Ich habe ihr aber doch gesagt, daß ihr Vater hier ist. Das sollte sie doch beruhigt haben.« »Nicht unbedingt. Sie hat ihn noch nicht gesehen. Und du auch nicht. Alles, was wir haben, sind die Behauptungen von Bates, und Bates kannte nicht einmal Kells Namen. Warte, bis wir sicher sein können. Dann geht’s ihr besser.«
»Ich hoffe, du hast recht. Ihretwegen.« Kirk wandte sich um und wurde aktiv. »Leutnant Uhura, ich möchte, daß Sie den genauen Aufenthaltsort von Bates feststellen und die Daten in den Transporter-Raum durchgeben. Mr. Spock, Sie nehmen Kontakt mit Mr. Scott auf und rufen ihn sofort auf die Brücke. Dr. McCoy, du wirst wahrscheinlich die Krankenstation benachrichtigen wollen. Wer weiß, wie lange wir fort sein werden.« Während der kurzen, hektischen Aktivität auf der Brücke zog Kirk sich auf seinen Kommandosessel zurück. Er versuchte, sich auf die Geographie von Herzland zu konzentrieren, die auf dem Bildschirm zu sehen war, doch seine Gedanken schweiften unweigerlich zu Gilla Duprée. Zum Teufel mit dieser Frau. Hatte sie denn überhaupt keine Vorstellung davon, was es hieß, für das Leben von mehr als vierhundert Leuten verantwortlich zu sein? »Jim, ich glaube, da ist noch etwas, worüber wir reden sollten.« Kirk schaute auf. Er war überrascht, Dr. McCoy noch immer auf der Brücke zu sehen. »Worum geht’s, Pille?« »Ich nehme an, daß du planst, in Kürze auf die Planetenoberfläche hinunter zu beamen.« »Ja, so schnell wie möglich.« »Wird Gilla dem Landekommando angehören?« Kirk schüttelte den Kopf. »Es wird sie zwar noch wütender auf mich machen, aber: Nein. Ein Planet, der so viele ungelöste Fragen in sich birgt, ist kein Ort für einen Neuling.« »Ich glaube, du solltest dir das noch mal überlegen.« Kirk war überrascht. Er hatte mit Sicherheit erwartet, daß McCoy, zumindest wegen ihres geschwächten Zustandes, sich voll und ganz dafür aussprechen würde, Gilla an Bord zu belassen. »Kannst du mir sagen, warum, Pille?«
»Aus medizinischen Gründen, Jim. Ich glaube, das Beste, das wir für Gilla tun können, ist, ihr die Möglichkeit zu geben, ihren Vater so schnell wie möglich zu sehen.« »Du redest, als sei es von höchster Dringlichkeit. Warum diese Eile, Pille?« »Ich halte es einfach für das Beste für sie«, erwiderte McCoy. »Glaub es mir. Ich bin schließlich der Arzt, nicht wahr?« McCoy eilte zum Turbolift und ließ einen verblüfften Kirk hinter sich zurück.
10
Umgehend nachdem Kirk die Oberfläche von Herzland erreichte, wobei sich seine Gestalt am Ufer eines großen Sees materialisierte und seine Zehen sogar das Wasser berührten, zog er seinen Handphaser und begann eine wachsame Erkundung, die ihn mit den Besonderheiten der neuen Umgebung vertraut machen sollte. Den Sensoren zufolge besaß Herzland nur wenige Lebensformen, die groß genug waren, um eine Gefahr darzustellen, doch es war immerhin ein Fremden-Planet, wo nichts als gegeben vorausgesetzt werden durfte. Nachdem er bei seiner Erkundung einen vollen Kreis beschritten hatte, verstaute Kirk seine Phaser wieder am Gürtel und winkte den Mitgliedern des Landekommandos, ihm zu folgen. Er hatte insgesamt sieben Leute mitgenommen. Sie waren in zwei Etappen gelandet – der Transporter konnte jeweils nur sechs Gestalten in Menschengröße auf einmal befördern – und standen nun verstreut am Seeufer. Jeder schien den Transport gut überstanden zu haben. Außer McCoy und Spock hatte Kirk drei weitere Männer ausgewählt, die in Notsituationen bestens allein zurechtkämen: Leutnant Sulu und zwei Sicherheitsmänner, Mosley und Doyle. Das sechste Mitglied des Kommandos von der Enterprise war Albert Schang. Kirk hoffte, daß es kein Fehler war, ihn mitzunehmen. ›Unterrichte und trainiere ihn‹, hatte Commodore Schang ihm aufgetragen. Kirk kannte keine bessere Methode, ein Mannschaftsmitglied zu trainieren, als ihn auf einem FremdenPlaneten auszusetzen und zu sehen, wie er zurechtkam. Es war die Sternenflottenversion des mittelalterlichen Gottesurteils.
Das letzte Mitglied der Landegruppe war das Ergebnis einer Entscheidung in letzter Sekunde. Kirk hatte sich schließlich entschlossen, McCoys fortgesetztem Drängen nachzugeben und Gilla Duprée mitzunehmen. Sie war die erste, die sich zu Kirk gesellte. »Glauben Sie, daß er dort wohnt?« fragte sie und zeigte auf eine kleine, ordentlich gebaute Holzhütte in der Nähe. Kirk hatte die Hütte bei seiner ursprünglichen Inspektion der Umgebung schon entdeckt. »Das einzige, das wir tun können, ist, den Kopf hineinzustecken und nachzuschauen, was drinnen ist.« »Ich bin neugierig, was er über meinen Vater weiß.« »Offenbar nicht gerade viel. Wir werden ihn befragen müssen. Er weiß vielleicht genug, um uns eine Vorstellung zu vermitteln, wie Ihr Vater auf unseren Besuch reagieren wird.« »Sie meinen, er will mich vielleicht gar nicht sehen?« »Ich hatte mehr an uns als an Sie gedacht, aber wenn man seinen damaligen Geisteszustand in Betracht zieht, dann ist sogar das nicht ausgeschlossen.« »Daran hätte ich selbst denken sollen, statt wie eine Wilde zu drängen, hier herunter zu kommen.« »Sie wollten ihn so schnell wie möglich wiedersehen. Und Sie machen sich Sorgen – das ist nur verständlich.« »Dennoch hätte ich mir mehr Gedanken darüber machen sollen.« Ihm war klar, daß sie versuchte, sich für ihr Verhalten auf der Brücke zu entschuldigen, und er akzeptierte das. In der Zwischenzeit waren auch die anderen Kommandomitglieder herbeigekommen. McCoy starrt auf die Hütte. »Keinerlei Lebenszeichen«, meinte er. »Man bekommt glattweg das Gefühl, unwillkommen zu sein.« »Na ja. Bates hat uns ja nun nicht gerade zum Essen eingeladen.« Kirk ließ die Mannschaft eine Kette bilden, bevor
sie sich der Hütte näherten. »Lassen Sie Ihre Phaser am Gürtel, aber vergessen Sie nicht, daß Sie sie haben. Dieser Mann hat seit vierzig Jahren kein anderes menschliches Wesen zu sehen gekriegt – mit Ausnahme eventuell von Kell. Man kann nicht vorhersagen, in welchem Geisteszustand er sich befindet.« Kirk behielt den Hütteneingang fest im Auge, während sie sich alle acht der Hütte näherten. Der Himmel war blaßblau und wolkenlos. Die Temperatur war mild, die Luft trocken. Kein Lüftchen regte sich. Ein Mann erschien am Hütteneingang. Kirk mußte zweimal hinschauen, um sicherzugehen, daß er sich nicht täuschte. Der Mann – Reni Bates? – trug eine knielange Tunika aus Tierfellen. Der Mann trat einen Schritt vor ins Licht. Er war klein, mager und gebeugt. Er hatte ein sehr altes Gesicht, doch seine Augen leuchteten. Bart und Haare – was davon übrig war – waren schneeweiß. Kirk trat ein paar Meter auf den Mann zu und hob die Hand, um die anderen zum Stehen zu bringen. »Bates?« fragte er. »Ich bin Captain Kirk.« »Sie sind aber schnell hergekommen.« Seine Stimme war sanft, aber fest und zeigte keinerlei Gefühl, und doch war Kirk von einem überzeugt: Dieser Mann hatte vor irgend etwas sehr große Angst. Kirk hatte das Gefühl, diese Angst förmlich riechen zu können. Er versuchte, eine lockere, unbedrohliche Haltung einzunehmen, und er ließ seine Stimme besonders freundlich und milde klingen. »Sind Sie Reni Bates?« Der alte Mann zögerte. Seine Augen flitzten hin und her, als suche er nach einem Fluchtweg. »Der bin ich. Wer hat Sie hergeschickt?« Kirk schüttelte den Kopf und lächelte. »Niemand hat uns hergeschickt.« Er ließ sich auf den Boden nieder und winkte den anderen, es ihm gleichzutun. Nach einigem Nachdenken
hockte auch Bates sich hin. Ein sitzender Mann ist immer weniger bedrohlich als ein stehender, das wußte Kirk. »Wir sind gekommen, um diesen Mann namens Kell zu finden.« »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß er im Dorf war.« Bates’ Mißtrauen ließ nicht nach. »Warum sind Sie hierher gekommen?« »Wir wollten erst mit Ihnen reden. Sie sind schon mehr als vierzig Jahre hier. Es gibt sicher eine Menge, das Sie uns erzählen könnten. Über den Planeten. Über Kell. Über diese Fremdwesen, die Danoner.« Bates wurde noch steifer. »Was ist mit den Danonern?« Kirk versuchte ein Lächeln. »Wir hatten gehofft, daß Sie uns das sagen könnten.« Bates schaute über seine Schultern, als fürchte er, belauscht zu werden. »Ich halte mich von ihnen fern.« Er zeigte auf seine Hütte. »Hier bin ich zu Hause. Ich gehe nicht ins Dorf. Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten, und das sollten Sie auch tun.« »Aber Sie werden uns doch etwas sagen können, nicht wahr? Sie werden uns doch helfen?« Gilla war hinzugetreten. Ihre Stimme klang flehend. Bates schaute auf, und seine Augen weiteten sich. »Wer…?« Sein Blick glitt nervös zu Kirk zurück. »Wer ist sie?« »Sie heißt Gilla Duprée. Kell ist ihr Vater.« »Und ich möchte ihn schrecklich gerne sehen«, sagte Gilla. »Ist er gesund? Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?« Bates stand auf und machte einen Schritt zurück. Einen Augenblick lang dachte Kirk, sie hätten den Kontakt zu dem Mann endgültig verloren, doch dann wies Bates auf die Hütte. »Wollen wir nicht hineingehen und darüber reden? Ich werden Ihnen sagen, was ich weiß.«
Kirk folgte ihm in die Hütte. Der Boden war hier und da mit Fellen bedeckt. Bates ließ sich auf einem nieder und verschränkte die Beine. Gilla kam hinterher und setzte sich neben Kirk auf ein anderes Fell. »Sie müssen mein Benehmen entschuldigen, Captain«, sagte Bates. »Ich bekomme nicht viel Besuch hier. Sie sind seit über vierzig Jahren die erste Person, mit der ich spreche.« »Und was ist mit meinem Vater?« fragte Gilla. Bates senkte die Augen. »Ich muß gestehen, daß ich nicht viele Möglichkeiten hatte, mit ihm zu reden.« Er sprach sehr leise, fast flüsterte er. Kirk begann zumindest einen Teil seiner Nervosität zu begreifen: Gilla war eine Frau. Es war ziemlich wahrscheinlich, daß Bates seit der Aufgabe der Kolonie keine Frau mehr zu Gesicht bekommen hatte. »Ihr Leben muß recht einsam gewesen sein«, meinte Gilla teilnahmsvoll. Bates nickte bekümmert. Offenbar hatte Gilla zumindest ein Fünkchen seines Vertrauens gewonnen. »Ich nehme an, so kann man es nennen. Ich habe ein paar Bücher und Bänder zu meiner Unterhaltung.« Er nickte mit dem Kopf in Richtung einer Holzkiste in einer Ecke des Raumes. »Ich jage und fische und sammle Nahrung in den Wäldern. Und ich habe meine eigenen Gedanken. Das ist keine schlechte Gesellschaft, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat. Und außerdem ist Lola da.« »Lola?« fragte Kirk. »Mein Piker.« »Was ist denn das?« wollte Gilla wissen. »Das dort ist ein Piker.« Bates zeigte auf etwas, das Kirk für einen weiteren Stapel von Fellen gehalten hatte, doch als er genauer hinschaute, erkannte er, daß dieser hier atmete und sich bewegte. Dann entdeckte er ein Paar brauner Augen, die ihn anschauten. »Ein Piker ist so was wie ein Hund, nur daß er
wesentlich länger lebt. Lola ist bei mir, seit ich hergekommen bin. Ich nehme an, sie wird noch lange hier sein, nachdem ich tot bin.« Gilla stand auf und kauerte sich neben das Tier. Sie streichelte sein Fell. Es gab ein Geräusch von sich, das dem Schnurren einer Katze nicht unähnlich war, nur lauter und kehliger. Ein Stück Fell fegte auf dem Boden hin und her. Es wedelte mit dem Schwanz. »Na sowas!« staunte Bates. »Lola mag Sie. Bevor die anderen fortgingen, pflegte Lola sie mit Zähnen und Krallen zu verjagen. Ich war der einzige Mensch, den sie auf mehr als zehn Meter herankommen ließ. Lola ist wohl älter geworden, nehme ich an. Teufel noch mal, und ich auch.« »Bates«, sagte Kirk in dem Versuch, die Träumerei des Alten zu nutzen, um die Unterhaltung wieder auf bedeutsamere Bahnen zu lenken, »warum haben Sie damals Herzland nicht zusammen mit den anderen verlassen?« Etwas von dem Mißtrauen kam wieder auf, doch als er Gilla und den Piker beobachtete, ließ es wieder nach, und Bates erschien etwas weniger feindselig. »Sie waren wahnsinnig und ich nicht. Warum sollte ich fortgehen?« »Aber das Schiff hat Sie nicht gefunden. Wie konnte das geschehen?« »Ich war auf Jagd. Lola war bei mir. Ich habe das Schiff nicht landen sehen. Als ich zurückkam, waren alle fort.« »Hat Sie das nicht überrascht?« »Nicht besonders.« Bates zögerte bei jeder von Kirks Fragen, als brauche er Zeit, seine Antworten erst im Geiste zu formulieren. »Ich wußte, daß irgend etwas geschehen mußte. Sie waren wahnsinnig.« »Und warum die anderen und Sie nicht?« Bates zuckte mit gewollter Gleichgültigkeit die Achseln. »Ich denke, ich habe Glück gehabt.«
»Und Sie wissen nicht, warum den anderen das passiert ist?« Er machte eine noch längere Pause, ehe er antwortete. »Ich glaube, die Danoner haben etwas damit zu tun.« »Was denn?« fragte Gilla voller Angst. »Ich weiß es nicht genau. Ich kann mich auch irren. Es ist nichts als eine Vermutung. Ich hatte mit all dem nichts zu tun – überhaupt nichts.« Kirk war überzeugt, daß der Alte log, aber er sah keinen Sinn darin, auf dem Thema zu beharren. »Und wie geht es Kell? Wenn Ihre Vermutung stimmt, dann befindet er sich doch in Gefahr.« »Ich glaube nicht. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, ging es ihm bestens.« »Und wann war das?« wollte Gilla wissen. Bates zuckte mit den Schultern. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß es für mich nur Tag und Nacht gibt. Fragen Sie mich nicht nach der Zeit, die seither vergangen ist.« »Und Sie haben nie mit ihm gesprochen?« frage Kirk. »Ich hab’s nie versucht. Ich habe ihn zum ersten Mal gesehen, als sein Schiff landete, verstehen Sie? Ich war ziemlich aufgeregt. Es war das erste Mal in… seit die anderen fortgegangen sind. Ich schlich ins Dorf und versuchte, ihm nachzuspionieren. Er erwischte mich dabei. Wie gesagt, ein großer Mann mit großen Händen. Er jagte mich in den Wald, und er verwundete mich.« Bates beugte den Kopf und schob eine Haarsträhne beiseite. Eine ausgezackte, sieben Zentimeter lange Narbe lief über seinen Schädel. »Er warf einen scharfen Stein nach mir.« »So etwas würde mein Vater niemals tun«, protestierte Gilla. Bates sah sie entschuldigend an. »Nun, er hat es getan. Es war nicht aus Bosheit. Ich nehme an, er hatte einen Grund dafür. Vielleicht haben die Danoner ihm gesagt, daß er es tun müsse. Vielleicht blieb ihm keine andere Wahl.«
Kirk hätte sich diese letzten Bemerkungen gern genauer erklären lassen, doch Gilla kam ihm zuvor. »Wie oft haben Sie ihn seither zu Gesicht bekommen?« »Oh, einige Male. Ich behalte das Dorf gern im Auge. Es liegt einen Tagesmarsch von hier entfernt. Ich gehe hin, verberge mich in den Wäldern und beobachte, was vor sich geht. Ich bin inzwischen sehr vorsichtig, und niemand sieht mich. Einmal, als ich gerade dort war, landete ein anderes Schiff. Ein Mann stieg aus und redete mit Ihrem Vater. Ich weiß nicht, worüber sie sprachen. Ich konnte nicht nah genug an sie herankommen, um sie zu hören. Nach einer Weile stieg der Mann wieder in sein Schiff und flog davon.« »Das muß Merkle gewesen sein«, sagte Gilla zu Kirk. »Wer?« fragte Bates. »Der Mann, der mir berichtet hat, daß mein Vater sich hier auf Herzland befindet.« Gilla stand auf. »Mr. Bates, ich möchte Ihnen recht herzlich für Ihre Hilfe danken. Ich bin froh, daß Sie meinen Vater gesehen haben und daß er wohlauf zu sein scheint. Und jetzt möchte ich so schnell wie möglich ins Dorf gehen und selbst mit ihm sprechen.« »Ich bin bereit, Ihnen den Weg zu zeigen«, sagte Bates zögernd. »Wirklich?« Gilla lächelte strahlend. »Das wäre schrecklich nett von Ihnen, Mr. Bates.« Kirk versuchte keinerlei Einmischung. Genau genommen konnten sie den Transporter benutzen, sich zurück auf die Enterprise und von dort aus wieder ins Dorf hinunter beamen, aber dies mochte sich als bessere, wenn auch langsamere Lösung erweisen. Der Tagesmarsch gab ihnen die Möglichkeit, Herzland etwas besser kennenzulernen. Und außerdem war es möglich, daß Bates unterwegs ein wenig von seinem Mißtrauen ablegte und ihnen ein paar der Dinge, die er sichtlich zu verheimlichen suchte, offenbarte.
»Ich tue es unter einer Bedingung«, sagte Bates, wobei er nur Gilla anschaute. »Sie müssen mir etwas versprechen.« »Natürlich, Mr. Bates«, sagte sie, »was Sie wollen.« »Ich möchte, daß Sie mir versprechen, diesen Dingern – diesen Danonern – nicht zuzuhören. Alles, was sie sagen, sind Lügen und Lügen und nichts als Lügen. Sie werden Ihnen irgendwas erzählen. Glauben Sie ihnen kein Wort. Versprechen Sie mir das?« Sie nickte mit einer Feierlichkeit, die der seinen entsprach. »Sie haben mein Ehrenwort. Ich will nur meinen Vater finden. Sonst gar nichts.« Damit schien Bates zufrieden. Er stand auf und ging zur Tür. Der Piker ›Lola‹ stand ebenfalls auf und folgte ihm: ein wandelnder Ball struppigen, grauen Fells. Kirk rappelte sich auf die Füße und eilte hinter dem alten Mann und seinem Haustier her.
11
Das Dorf der Danoner tauchte plötzlich vor ihnen aus dem Wald auf, eine unerwartete Insel aus Lehm- und Grashütten in einem Meer von grüner Vegetation. Kirk hob die Hand, und die anderen blieben stehen. Er betrachtete das Dorf aufmerksam, doch er konnte nicht das geringste Lebenszeichen darin erkennen. Es herrschte völlige Stille. Sogar die Geräusche des Waldes waren verstummt. Kirk wandte sich an Spock, der hinter ihm stand, und hielt verblüfft inne. Nur noch sieben Leute begleiteten ihn. Der achte fehlte. Jemand war verschwunden. »Bates?« fragte er. »Was zum Teufel ist mit Bates passiert?« Auch Spock schien überrascht. Sie suchten das Unterholz mit den Augen ab, doch Bates blieb verschwunden. »Eben war er noch neben mir, Sir«, sagte eines der Mannschaftsmitglieder. »Er und das große Tier. Das kann ich beschwören.« »Haben Sie irgendwas bemerkt, Gilla?« fragte Kirk. Sie schüttelte den Kopf. Jetzt, wo sie das Dorf erreicht hatten, in dem ihr Vater vermutlich lebte, war ihre Ungeduld wieder erwacht. »Nun«, meinte Kirk achselzuckend, »wir können uns jetzt nicht weiter um ihn kümmern. Wir müssen ohne ihn weitergehen.« »Wohin denn?« frage McCoy. »So belebt, wie der Ort aussieht, könnte er vor tausend Jahren verlassen worden sein.« »Vielleicht schlafen sie alle«, meinte Sulu. »Am hellichten Tag?« fragte McCoy. »Vielleicht ist das auf dem Planeten hier der Brauch«, gab Kirk zu bedenken. »Ich weiß nur, daß es uns keinen Schritt
weiterbringt, wenn wir hier rumstehen und darüber diskutieren. Wir gehen hinein.« »Mit gezogenen Phasern, Sir?« fragte Mosley. Er war einer der beiden Sicherheitsmänner in roten Hemden, ein großer Mann mit verkniffenem Mund und einer roten Narbe über dem linken Auge. »Nein, aber halten Sie Gefechtsbereitschaft. Wir wissen nicht, was uns dort erwartet.« Alle acht Mitglieder des Landekommandos machten sich auf den Weg und erreichten die ersten Hütten. Sie wirkten – genau wie der Rest des Dorfes – als seien sie völlig willkürlich und ohne jede erkennbare Ordnung errichtet worden. Gilla eilte nach vorn, um neben Kirk zu gehen. Ihr Gesicht war angespannt. Kirk versuchte, die Tiefe ihrer Gefühle zu begreifen. In wenigen Minuten würde sie vielleicht ihren Vater zum ersten Mal seit Jahren wiedersehen. Kirk studierte die erste Hütte, an der sie vorbeikamen. Sie war nicht groß – das flache Dach reichte ihm knapp über Schulterhöhe. Fenster gabt es keine, und die Türöffnung war kaum groß genug, daß ein Mann sich auf allen vieren hindurchquetschen konnte. Kirk versuchte, ins Innere zu schauen. Es war stockfinster. Plötzlich bewegte sich etwas in der Tür. Kirk hielt inne. Seine Hand schnellte an seinen Gürtel. Auch die übrigen hatten die Bewegung gesehen und waren stehengeblieben. Eine Gestalt kam aus der Tür und blieb aufrecht stehen. Kirk traute seinen Augen nicht. Seine Kinnladen klappten vor Staunen auf. Das mußte ein Danoner sein. Die Kreatur war nackt – ein Mann – weniger als einen Meter groß, mit glatter, kupferfarbener Haut. Zwei geschlitzte, schwarze Augen, ein Paar flacher, breiter Nüstern und ein lippenloser Mund bildete das Gesicht. Auch der Schädel war
haarlos, doch aus dem Hinterkopf ragten zwei leicht gebogene, etwa zehn Zentimeter lange Hörner. Die Kreatur hatte einen Schwanz, der fast bis zum Boden reichte und in einer Quaste endete. Kirk konnte seine Verblüffung nicht verhehlen. Die Kreatur war die Personifizierung des auf der Erde am meisten gefürchteten Fabelwesens. Der Danoner war ein Teufel. Er rührte sich nicht. Seine Augen waren auf Kirk fixiert und blieben es. Kirk schüttelte den Kopf, um den Zauber zu brechen. »Fragen Sie ihn nach meinem Vater«, bat Gilla neben ihm. »Finden Sie heraus, was er weiß.« Kirk unternahm einen Versuch. »Kell?« sagte er. Dann räusperte er sich und versuchte es nochmal. »Können Sie uns sagen, ob Jacob Kell hier ist?« Von dem Danoner kam nicht die leiseste Reaktion. »Er versteht Sie nicht«, meinte Gilla. »Bates behauptet, sie verstünden uns alle.« »Kell ist mein Vater«, sagte Gilla, direkt an den Danoner gewandt. »Können Sie mir bitte sagen, wo ich ihn finden kann?« Noch immer nichts. Kirk berührte ihren Arm. »Wir sollten vielleicht weitergehen.« Er schaute zu den anderen. »Wir suchen weiter. Kommt.« Sie ließen den Danoner stehen. Zwei Hütten ragten vor ihnen auf. Kirk ging zwischen ihnen hindurch. Aus jeder Hütte tauchte ein weiterer Danoner auf. Beide waren ebenfalls männlich. Es war schwierig, sie auseinanderzuhalten. Kirk blieb wieder stehen. »Fragen Sie die hier«, bat Gilla.
Kirk wandte sich erst an den einen, dann an den anderen Danoner. Er erhielt ebensowenig eine Antwort wie von dem ersten. »Ich glaube, sie stellen sich absichtlich dumm«, meinte Dr. McCoy. Er sprach leise, fast flüsternd. »Vielleicht haben sie einen Grund dafür«, gab Kirk zu bedenken. »Vielleicht haben sie einen Häuptling, dem es obliegt, zu Fremden wie uns zu sprechen.« »Sie könnten uns wenigstens sagen, wo wir ihn finden. Oder sollen wir uns nach einem umschauen, der purpurne Gewänder trägt? Dem Oberteufel?« Kirk schüttelte den Kopf. »Ich halte es nicht gerade für klug, diese Wesen auf solche Weise zu betrachten, Pille.« »Gar nicht so leicht, sie anders zu sehen. Ich bin nicht abergläubisch, aber diese Gestalten verursachen mir eine Gänsehaut.« »Reiß dich zusammen.« Kirk nahm den tragbaren Kommunikator aus seinem Gürtel und versuchte die Brücke der Enterprise zu erreichen. Der Chefmaschinist, Leutnant Commander Scott, der für die Dauer der Abwesenheit von Kirk und Spock das Kommando übernommen hatte, beantwortete den Anruf. »Freut mich, Sie zu hören, Sir«, sagte Scott mit seinem schweren Akzent. »Haben Sie das Dorf der Fremden schon erreicht?« »Gerade eben, Scotty. Wir haben ein paar Danoner getroffen, aber bisher wollen sie nicht mit uns reden.« »Dann haben Sie Kell also noch nicht ausfindig gemacht?« »Nein, aber ich habe das Gefühl, daß er hier ist. Auf alle Fälle möchte ich Sie bitten, sich bereitzuhalten und uns so schnell wie möglich an Bord zu beamen, wenn ich Ihnen das Signal gebe.« »Erwarten Sie Schwierigkeiten, Sir?«
»Nicht unbedingt. Nur eine Vorsichtsmaßnahme.« »Der Transporterraum hat Ihre Koordinaten. Ich sorge dafür, daß sie in Alarmbereitschaft bleiben.« »Danke, Scotty.« »Können Sie mir sagen, was es mit diesen Danonern auf sich hat, Sir? Ich habe die Berichte studiert, und sie scheinen ein höchst interessanter Haufen zu sein.« »Ja, das sind sie allerdings, Mr. Scott. Ganz ohne jeden Zweifel.« »Sir?« »Ich erzähle Ihnen später mehr, Scotty. Im Augenblick sollten wir keine Zeit verlieren.« »Wie Sie wünschen, Captain.« Kirk gab seinen Begleitern das Zeichen zum Weitergehen. Sie drangen tiefer ins Dorf ein, und die gleiche Szene wiederholte sich ständig. Jedesmal wenn sie an einer Hütte vorbeikamen, trat ein einziger Danoner aus der Tür. Sie waren alle erwachsen, die meisten von ihnen waren Männer, und keiner sagte ein Wort. Kirk versuchte nicht mehr, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Er hielt ein gleichmäßiges Tempo ein, blieb nirgendwo stehen und hoffte, daß seine Geduld am Ende weiterreichen würde als die ihre. Die Gleichförmigkeit der Hütten und ihrer Bewohner wurde endlich gebrochen, als sie das Zentrum des Dorfes erreichten. Hier stand mitten auf dem freien Platz ein gemauerter Steinturm. Er war ungefähr zwanzig Meter hoch, und der obere Teil war geformt wie der Großbuchstabe Y, mit einem quer darüber gelegten Balken. Der untere Teil des Turmes war offenbar hohl, und zu ebener Erde befand sich eine Türöffnung. Kirk näherte sich dem Turm und schaute durch die Öffnung. Der Innenraum war finster und leer.
Dann drehte er sich zu den anderen um und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir werden hier warten«, bestimmte er. »Warten? Worauf denn warten?« protestierte Gilla. »Wir haben meinen Vater noch nicht gefunden!« »Ich glaube, wir sollten ihm Gelegenheit geben, uns zu finden.« »Und wenn er’s nicht tut?« »Dann werden wir etwas anderes versuchen müssen.« Er setzte sich in den Staub und klopfte neben sich auf den Boden. »Wollen Sie sich nicht zu mir setzen?«
12
Fast augenblicklich erschienen die Danoner. Sie kamen von allen Seiten herbei und stellten sich im Kreis um den Platz auf. Es wurden immer mehr, so daß sie an manchen Stellen Dreieroder Viererreihen bildeten. Jetzt, wo so viele von ihnen auf einmal zu sehen waren, schienen sie sich noch mehr zu gleichen. Sie zeigten keine erkennbaren Zeichen des Alterns, bemerkte Kirk. Es gab weder Kinder noch Alte. »Ich zähle ungefähr hundert«, sagte Spock. »Ist das nicht die Zahl, die der Sensor für die gesamte danonische Bevölkerung geschätzt hat?« »Es sieht so aus, als seien sie vollständig versammelt, um uns ein herzliches Willkommen zu bereiten«, erwiderte Kirk. »Besonders herzlich ist es ja nicht gerade, wenn sie uns nicht mal ›Hallo‹ sagen«, meinte McCoy. »Und was machen wir jetzt?« fragte Gilla. »Genau das, was wir bisher getan haben«, antwortete Kirk. »Wir bleiben sitzen und warten geduldig. Ich habe keine Ahnung, was sie vorhaben – wenn sie überhaupt etwas vorhaben – , aber geben Sie ihnen nicht den Eindruck, daß Ihnen gruselt. Wenn Chekov hier wäre, würde ich ihn bitten, uns eine Geschichte zu erzählen.« Kirk wußte selbst, wie schwierig es war, seinem Rat zu folgen. Es gruselte ihn vielleicht nicht, aber er war beunruhigt. Eingekreist von hundert Teufeln. So ähnlich muß es in der Hölle sein, dachte er. Vielleicht heißen sie einen dort auch so herzlich willkommen. »Was ist denn das?« fragte Sulu plötzlich und streckte die Hand aus.
Kirk schaute in die Richtung, in die er zeigte. Dann sah er es auch. Hinter dem Kreis von Danonern schien ein körperloser Kopf durch die Luft zu schweben. Es war das Gesicht eines Mannes, und es kam auf sie zu. »Gilla, schauen Sie, dort«, sagte er und berührte ihren Arm. Sie wandte sich um und sprang augenblicklich auf die Füße. »Vater!« schrie sie und wollte losrennen. »Warten Sie!« befahl Kirk, der ebenfalls aufgestanden war, und hielt sie am Handgelenk fest. »Noch nicht. Lassen Sie ihn näher kommen.« Der Kreis spaltete sich, um Kell durchzulassen. Er war ein Riese von Mann, so groß wie breit. Kraftvolle blaue Augen funkelten in seinem hochstirnigen Schädel. Sogar aus der Entfernung strahlte der Mann Festigkeit und unglaubliche Kraft aus. »Er sieht alt aus«, sagte Gilla. »Es ist schon lange her, daß Sie ihn zum letzten Mal gesehen haben.« Kell blieb wenige Meter vor ihnen stehen. Er schaute von einem zum anderen, ließ seine Augen über Gilla gleiten und fixierte dann Kirk. »Was zum Teufel, haben Sie hier zu suchen?« fragte er barsch. »Vater«, sagte Gilla mit zärtlicher Stimme. Kells Blick blieb auf Kirk gerichtet. »Ich habe Sie etwas gefragt, Captain. Ich erwarte eine Antwort.« »Wir haben diese Frau hergebracht. Es ist Ihre Tochter, Kell. Erkennen Sie sie nicht?« »Ich kenne sie. Aber ich glaube Ihnen nicht. Kein Sternenflotten-Captain steuert sein Schiff über eine so große Entfernung hinweg, nur aus rein sentimentalen Gründen.« Endlich wandte er sich zu Gilla um, und seine Haltung wurde sofort freundlicher. »Warum mußtest du herkommen? Woher wußtest du, daß du mich hier finden kannst?«
»Ein Händler hat es mit gesagt. Merkle. Er hat mir erzählt, daß er dich hier gesehen hat.« »Dieser Verräter!« fauchte Kell. »Ich habe ihm gesagt, daß ich ihn umbringe, wenn er ein Sterbenswörtchen verlauten läßt.« Er schaute wieder zu Kirk. In seinen Augen standen Bitterkeit und Zorn. »Finden Sie das amüsant, Captain? Ich, Kell, bezeichne einen anderen Mann als Verräter! Ich, der Prototyp dieser Gattung!« »Dazu kann ich nichts sagen, Kell. Ihr Ruf, ob verdient oder nicht, geht mich nichts an. Ich weiß allerdings, daß Ihre Anwesenheit auf Herzland eine Verletzung der Ersten Direktive darstellt. Der Planet steht durch Föderationsedikt unter strengster Quarantäne.« Kell warf den Kopf in den Nacken und lachte laut auf. »Sie und ihre Erste Direktive können meinetwegen zur Hölle fahren. Hören Sie, Captain, sind Sie wirklich so ahnungslos? Wissen Sie nicht, daß ich die Föderation Vorjahren verkauft habe? Nun, wenn dem so ist, bin ich ihr nichts schuldig. Herzland ist mein Planet. Ich bestimme hier. Ich bin das Gesetz, nicht Sie und nicht die Föderation.« Seine Augen blitzten vor Zorn. Kirk bewahrte die Ruhe. »Sie haben die Entscheidung getroffen hierherzukommen, Kell. Es ist FöderationsTerritorium. Sie unterstehen dem Gesetz wie jeder andere.« »So wollen Sie es nennen? Föderations-Territorium?« Er beschrieb einen großen Kreis mit dem Arm und zeigte hinter sich. »Warum erzählen Sie das nicht ihnen? Die Föderation ist ein armseliger, unbedeutender Klecks in den Seiten der kosmischen Geschichte. Als Ihre Ahnen noch in Höhlen vegetierten, hatten die Danoner die halbe Galaxis erobert. Erzählen Sie mir nichts von Ihrem Gesetz, Captain, erzählen Sie es ihnen.« »Sie sind ein Mensch, Kell. Die Danoner sind es nicht.«
»Sie meinen, ich war einer. Das Privileg habe ich vor langer Zeit aufgegeben.« Er schlug sich mit der Faust gegen die Brust. »Ich bin Kell. Das hier ist mein Planet. Dies ist mein Volk. Und nun machen Sie, daß Sie von meiner Welt verschwinden!« Mit zackiger, militärischer Haltung machte Kell auf dem Absatz kehrt und stapfte auf den Kreis der Danoner zu. Wie Bates war auch er in Tierfelle gekleidet, doch seine Tunika wirkte fast wie neu. »Vater!« schrie Gilla und stürzte vor, um ihm zu folgen. Kirk packte sie am Arm. »Nein. Jetzt nicht. Lassen Sie ihn gehen. Lassen Sie ihn nachdenken…« Sie wirbelte herum und schlug ihm fest ins Gesicht. »Sie haben ihn vertrieben! Sie mit Ihren Drohungen! Sie und… und…!« Sie begann zu stottern und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf ihre Hand. Dann fiel sie gegen Kirks Brust. Er legte ihr beruhigend den Arm um die Schultern. Hinter Gilla sah Kirk das grinsende Gesicht des Teufels. Es war einer der Danoner. »Ah, Captain, Grüße, Grüße.« Der Danoner sprach klar und deutlich. Sein Kopf schaukelte mit jedem Wort auf seinen Schultern hin und her. »Ich heiße Dazi. Unser Dorf, unser Planet, all das gehört Ihnen. Kommen Sie. Sie müssen sich ausruhen. Wir werden zu essen bringen.« Kirk schaute zu den anderen hinüber. Spock zog fragend eine Braue in die Höhe. McCoy zuckte mit den Schultern. »Wo sollen wir hingehen, Dazi?« fragte er. »In Ihre Hütte. Zwei Hütten. Wir sind die Gastgeber, und als solche bieten wir Ihnen Nahrung, Schutz und Bequemlichkeit.« »Das ist das beste Angebot, das man uns heute gemacht hat«, meinte McCoy.
Kirk nickte nachdenklich. Gilla klammerte sich an seinen Arm. »In Ordnung«, sagte er zu dem Danoner. »Zeigen Sie uns den Platz. Es sieht so aus, als würden wir eine Weile hierbleiben.« Der Danoner grinste.
13
Der Danoner Dazi führte Kirk und das übrige Personal von der Enterprise zu zwei Hütten am entgegengesetzten Ende des Dorfes. Kirk gab Gilla in McCoys Pflege. Ihre Augen waren glasig, und sie hatte kein Wort mehr gesprochen. McCoy hockte sich neben sie auf den Boden und hantierte an seiner Erste-Hilfe-Box. Kirk fragte Dazi, wie es jetzt weitergehen würde. Der Danoner grinste sein zahnloses Grinsen. »Diese Hütten sind für Ihren Schutz und Ihre Bequemlichkeit bestimmt, Captain. Wenn Sie etwas brauchen, dann sagen Sie es, und es wird sofort erledigt.« Es war nicht leicht, die Freundlichkeit des Danoners mit seiner satanischen Erscheinung in Einklang zu bringen. »Nun, wir sind natürlich alle hungrig«, sagte Kirk und setzte mit einem Blick auf Gilla und McCoy hinzu: »Und wir könnten wahrscheinlich ein paar Decken brauchen. Oder Felle, wenn ihr nichts anderes verwendet.« »Nahrung und Wärme werden sofort geliefert.« Dazi verbeugte sich und schickte sich an zu gehen. »Und noch etwas«, sagte Kirk. »Ich möchte Kell gerne wissen lassen, wo wir sind. Wenn er seine Tochter sehen möchte: Sie ist hier.« »Oh, das weiß Kell – er weiß es.« Diesmal gelang es dem Danoner zu verschwinden. Kirk starrte hinter dem Wesen her und beobachtete, wie die Schwanzquaste durch die Luft wirbelte. »Was glauben Sie, hat er damit sagen wollen, Sir?« fragte Sulu.
»Ihre Vermutungen sind ebenso gut wie meine. Also, Mr. Spock, schauen wir uns doch mal genauer an, was wir hier haben.« Kirk ließ sich auf die Knie nieder und zwängte sich durch die Öffnung der einen Hütte. Der Raum war leer, der Boden bestand aus festgestampfter Erde. Es gab keine Fenster, doch durch die dünnen Wände drang genug Licht, so daß man sich zurechtfinden konnte. Kirk wandte sich zu Mr. Spock um, der ihm in die Hütte gefolgt war. »Wir werden uns in zwei Gruppen aufteilen müssen. Ich nehme diese Hütte hier, Sie die andere. McCoy und Gilla bleiben bei mir, Mr. Sulu und Schang kommen zu Ihnen. Und jeder nimmt eine der Sicherheitswachen. Haben Sie eine Vorliebe für einen der beiden?« »Beide sind fähige Profis, Captain.« »Dann nehme ich Mosley zu mir. Er ist weniger nervös als Doyle.« »Wenn Sie nichts dagegen haben, schaue ich mir jetzt die andere Hütte an.« »Natürlich. Hier gibt’s sonst auch nichts mehr zu sehen.« Kirk folgte Spock nach draußen. Während Spock die zweite Hütte inspizierte, ging Kirk zu McCoy. Gilla lag am Boden, den Kopf auf seinem Schoß. Sie hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen. »Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gegeben«, sagte McCoy. »Wenn sie aufwacht, dürfte sie wieder wohlauf sein.« »War es ein Schock?« »Mehr oder weniger.« Ein zorniges Funkeln stand in McCoys Augen. »Wie sonst hätte sie reagieren können, so wie dieser Mann sie behandelt hat?« »Für ihn muß es auch ein ziemlicher Schock gewesen sein, Pille.«
»Hat er sich dementsprechend verhalten?« »Nein, das allerdings nicht.« »Dann wollen wir eher mit ihr Mitleid haben als mit ihm.« Kirk löste den Kommunikator von seinem Gürtel, klappte ihn auf und rief die Enterprise. Als Scott antwortete, beschrieb Kirk ihm die Ereignisse der letzten Minuten. »Dazi hat versprochen, uns Nahrungsmittel und andere notwendige Versorgungsgüter zu bringen. Wir warten also erst mal hier ab.« »Glauben Sie, daß Kell freiwillig mit Ihnen mitkommen wird?« »Ich muß zugeben, die Aussichten dafür sind nicht allzu rosig.« »Werden Sie Gewalt anwenden?« »Ehrlich gesagt, Scotty, ich weiß es noch nicht. Ich muß mehr über die lokale Situation in Erfahrung bringen, ehe ich das entscheiden kann. Kell hat die Danoner auf seiner Seite. Diese Tatsache dürfen wir nicht außer acht lassen.« »Sie sagten, daß die Danoner nicht besonders gefährlich zu sein scheinen, Sir.« »Das stimmt, aber wir alle wissen, daß der Schein trügen kann. Bates lebt seit über vierzig Jahren hier. Er dürfte die Danoner besser kennen als irgendwer. Und er hat eine Höllenangst vor ihnen. Davon bin ich fest überzeugt. Und er muß Grund dazu haben. Ich glaube nicht, daß es nur wegen ihres Aussehens ist.« »Teufel, Sir?« »Das genaue Ebenbild, Mr. Scott.« »Stellen Sie sich vor, was für einen Aufruhr ich in meiner abergläubischen Heimat verursachen würde, wenn ich mit einem dieser Wesen dort durch die Straßen gehen würde. Aber ich muß Ihnen sagen, Captain, daß es nur einen gewissen
Verdacht in bezug auf meinen Charakter bestätigen würde, wenn gewisse Leute mich in solcher Gesellschaft sähen.« Kirk täuschte große Überraschung vor: »Aber Scotty? Ich hatte keine Ahnung von Ihrer ausschweifenden Jugend! Mir sind in der Offiziersmesse Gerüchte zu Ohren gekommen, wie gut Sie Ihre Engelsflügel unter Ihrem Hemd zu verbergen verstehen.« »Ich danke Ihnen und den anderen Offizieren für eine so wohlwollende Beurteilung, Captain. Haben Sie noch irgendwelche Befehle?« »Nein, ich glaube nicht. Behalten Sie die gegenwärtige Position auf der Umlaufbahn bei. Wenn’s Schwierigkeiten gibt, rufe ich Sie.« »Es wird bei Ihnen bald Nacht sein, Sir.« »Wir werden versuchen zu schlafen. Wenn nichts passiert, kontaktiere ich Sie morgen früh.« »In Ordnung, Sir.« »Kirk Ende.« Während Kirk seinen tragbaren Kommunikator wieder am Gürtel befestigte, tauchte Spock aus der gegenüberliegenden Hütte hervor. Kirk teilte die Mannschaft in die zwei vorgesehenen Gruppen und half McCoy, Gilla in die Hütte zu tragen. Sicherheitsmann Mosley folgte ihnen. Kurz darauf erschien Dazi in Begleitung von fünf weiteren Danonern. Kirk winkte sie in die Hütte. Die ersten vier brachten große, irdene Geschirre, die eine Vielzahl von Früchten und Gemüsen enthielten, wie sie sie auf dem Weg durch den Wald schon gekostet hatten. Der fünfte trug einen Arm voller Felle. »Ich möchte gerne, daß auch die übrigen Männer zu essen bekommen«, sagte Kirk.
Dazi grinste und nickte mit dem Kopf. »Schon geschehen, Captain. Kein Problem.« Er scheuchte seine Gefährten aus der Hütte und folgte ihnen eilig. »Effizient sind sie ja«, meinte McCoy trocken. Er steckte seine Hand in eine der Schüsseln und holte eine orangefarbene Frucht heraus. Er biß hinein und lächelte. »Und gut ist es außerdem.« Kirk und Mosley setzten sich zum Essen auf den Boden. Nachdem Kirk etwas zu sich genommen hatte, stand er auf und sagte, daß er mal bei Spock und den anderen vorbeischauen würde. Gilla schlief noch. McCoy hatte sie mit einem der Felle zugedeckt. Auf dem Weg zur anderen Hütte warf Kirk einen Blick in den Himmel, der jetzt eine leicht violette, rotgoldene Farbe angenommen hatte. Die Sonne berührte fast den grünen Horizont im Westen. In fünfzehn bis zwanzig Minuten würde es dunkel sein. Spock, Sulu, Schang und Doyle saßen im Kreis auf ein paar Fellen. Doyle und Schang aßen noch. Als Kirk sich durch den Eingang zwängte, hörte er Sulu eine Geschichte erzählen, die etwas damit zu tun zu haben schien, warum es in japanischen Zoos keine japanischen Bären gab. Als Sulu des Captains ansichtig wurde, verstummte er und grinste verlegen. Kirk ignorierte demonstrativ das Plagiat seines Leutnants. »Es wird in Kürze dunkel sein, Mr. Spock. Brauchen Sie noch irgend etwas für die Nacht?« »Die Danoner haben uns gut versorgt, Captain. Und ich bin sicher, daß die Männer sich gut zu unterhalten wissen.« Er warf einen bedeutungsvollen Blick auf Sulu. »Ich möchte, daß ihr die ganze Nacht hindurch Wache haltet. Ich weiß, daß das für alle weniger Schlaf bedeutet, aber wir werden in meiner Hütte dasselbe tun. Sollten Sie irgend etwas
Ungewöhnliches bemerken, zögern Sie nicht, den Kommunikator zu benutzen.« »Erwarten Sie etwas Bestimmtes, Sir?« fragte Doyle. Er war jünger als sein Kollege Mosley, aber intelligenter und nicht weniger kompetent. In den Mannschaftsquartieren galt Doyle als notorischer Spieler, vor allem mit Karten, aber im Gegensatz zu den meisten Vertretern dieses Typs verlor er selten. Kirk schüttelte den Kopf. »Ich möchte nur, daß wir alarmbereit bleiben. Die Danoner scheinen außerordentlich freundlich zu sein, aber ich möchte mich nicht darauf verlassen.« »Keine Sorge. Was mich angeht, ich habe in meinem Leben schon alle möglichen Außerirdischen gesehen, aber diese hier jagen mir die Gänsehaut über den Rücken.« »Sie sollten sich vom Aussehen nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten lassen, Doyle.« Der Mann sah ihn höchst verblüfft an. »Ich glaube nicht, daß es das ist, Sir.« »Nicht, weil sie wie Teufel aussehen?« »Teufel?« Doyles Verwunderung schien zu wachsen. Dann ging ihm plötzlich ein Licht auf. »Ach, diese. Sie meinen, wie auf der Erde? In der christlichen Religion?« »Wissen Sie denn nicht, was Teufel sind, Doyle?« »Ich weiß, was sie sind, Sir, aber ich hatte vergessen, wie sie aussehen. Ich bin im rigellanischen System großgeworden, Sir. Meine Eltern waren strenggläubige Morganiten.« »Und trotzdem jagen Ihnen die Danoner eine Gänsehaut über den Rücken?« »Ja, Sir, das kann man wohl sagen.« Kirk nickte gedankenvoll und kehrte in seine eigene Hütte zurück. Gilla war inzwischen aufgewacht. Sie saß am Boden und kaute an einer der frischen Früchte. Sie schaute Kirk an
und lächelte ein wenig unsicher. »Ich glaube, ich muß mich für mein Benehmen bei Ihnen entschuldigen, Captain.« Kirk schüttelte den Kopf und setzte sich ihr gegenüber. »Nein, ganz und gar nicht. Ich kann verstehen, was Sie da durchgemacht haben.« Sie schaute auf ihre Hand. »Sie verstehen das vielleicht, aber ich nicht. Für einen Jain ist es eine ganz schlimme Sache, einen anderen Menschen zu schlagen.« »Ich wurde nicht verletzt.« Sie biß sich auf die Lippen. »Ich bin nicht sicher, ob das der springende Punkt ist, Captain.« McCoy rappelte sich geräuschvoll auf und streckte sich. »Es ist noch genug Zeit, um die alten Glieder ein bißchen zu bewegen, ehe es dunkel wird«, erklärte er. »Mosley, was halten Sie davon, mich zu begleiten?« »Ich, Sir?« fragte Mosley, erstaunt über so viel Ehre. »Mir ist vorhin etwas an der Farbe Ihrer Haut aufgefallen«, sagte McCoy. »Ich glaube, wir sollten in die Sonne hinausgehen, damit ich Sie genauer ansehen kann.« »Wird es denn nicht schon dunkel, Sir?« »Um so mehr ein Grund, uns zu beeilen.« McCoy kniete sich vor den Ausgang. »Kommen Sie, Mosley. Es könnte sich um etwas Ernsteres handeln.« Als Kirk mit Gilla allein war, grinste er. »Eines kann man von Pille jedenfalls sagen: Subtil ist er nicht.« »Irre ich mich in der Annahme, daß er meinte, Sie und ich sollten allein gelassen werden?« »Das ist schon gut möglich.« Er rückte näher zu ihr. »Ich wollte Ihnen nur sagen, ich finde, daß Ihr Vater Sie nicht gerade sehr fair behandelt hat.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich wollte, ich könnte davon ebenso überzeugt sein wie Sie, aber ich glaube, es ist zum Teil meine eigene Schuld. Ich habe seine Gefühle nie wirklich
berücksichtigt. Ich war einfach förmlich davon besessen, ihn unbedingt wiederzufinden, aber ich habe nie darüber nachgedacht, was er selbst eigentlich wollte.« »Geben Sie ihm Zeit. Ich bin sicher, daß es ein gewaltiger Schock für ihn war, Sie wiederzusehen.« »Hatten Sie den Eindruck, daß es ein Schock für ihn war? Ich dachte, er wäre einfach nur verärgert gewesen.« »Er hat sich geirrt.« »Nein.« Ihre Stimme war leise und zögernd. »Ich habe mich geirrt. Er hat recht. Was vergangen ist, ist vorbei. Herzukommen war mein Versuch, diese Tatsache zu ignorieren, und das geht nicht. Als Kind habe ich ihn sehr geliebt, und als er fortging, habe ich diese Liebe schrecklich vermißt und wollte sie zurückhaben. Ich hätte lernen müssen, die Erinnerungen in Ehren zu halten. Das war mein Fehler. Wenn irgendwem die Unvermeidbarkeit des Vergehens der Zeit bewußt sein sollte, dann einem Jain. Ich hätte den Weitblick haben müssen. Ich hätte die Unwichtigkeit weltlicher Dinge erkennen müssen.« »Eine Fliege ist ein unwichtiges, irdisches Ding«, widersprach Kirk, »doch für sie selbst ist ihr Leben bedeutsam. Ich bin der Meinung, daß Sie sich in dem, was Sie da sagen, irren.« »Ich danke, Captain.« »Jim.« »Was?« »Sie nennen mich immer Captain. Ich heiße Jim.« Sie lächelte etwas verlegen. »Jim«, sagte sie leise. »Ich bekomme langsam große Angst, Gilla.« Er berührte sanft ihren Arm. Unter dem dünnen Stoff ihres Ärmels fühlte sie sich kalt an. »Angst? Wovor?«
»Ich habe Angst, daß ich dabei bin, mich über beide Ohren in Sie zu verlieben.« Sie wollte anfangen zu lachen, doch das Lachen blieb ihr in der Kehle stecken. »Nein«, sagte sie dann ernst. »Bitte tun Sie das nicht.« »Und wenn ich nichts dagegen tun kann?« Seine Finger umfaßten ihr Handgelenk. »Sie dürfen das nicht. Sie müssen etwas dagegen tun.« Sie riß sich los und sprang auf die Füße. »Warum? Stört Sie etwas an mir?« Sie drehte ihm den Rücken zu, so daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte Ihnen nicht… weh tun.« »Wieso?« Sie schüttelte wieder den Kopf. »Gibt es einen anderen? Einen anderen Mann?« »Nein.« Ihre Stimme klang hohl. Er stand auf und ging auf sie zu. Plötzlich drehte sie sich um. Ihr Gesicht war eine Maske. »Jim, ich möchte, daß Sie gehen. Ich möchte mit Ihnen… darüber nicht mehr sprechen.« Er wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. »Sind Sie sicher?« Sie nickte. Ihre Augen schienen feucht geworden zu sein. »Ich bin absolut sicher.«
14
Draußen vor der Hütte wurden die Schatten immer länger. Kirk fand Dr. McCoy und Mr. Spock weit genug entfernt miteinander reden, daß kein Verdacht aufkommen konnte, sie hätten vielleicht versucht, ihn zu belauschen. »Wir sind gerade aus der anderen Hütte gekommen«, erläuterte McCoy. »Doyle ist es gelungen, eine Poker-Partie zu organisieren. Unser Freund Dazi erschien und wurde dazu überredet mitzuspielen. Bisher ist es ihm gelungen, zwei Monatsgehälter von Schang und einen Wochenlohn von Sulu zu gewinnen.« »Ich sollte vielleicht einschreiten, ehe meine ganze Mannschaft völlig pleite ist.« »Ich würde mich nicht zu sehr sorgen, Jim. Ich glaube nicht, daß Dazi eine Vorstellung vom Wert des Geldes hat. Außerdem halte ich es für wahrscheinlich, daß Doyle jegliche Einmischung ablehnen würde. Soweit ich das beurteilen kann, schien er etwa genausoviel zu gewinnen wie Dazi. Ich habe versucht, Mr. Spock zum Mitspielen zu überreden, aber er weigerte sich. Jemandem, der streng logisch denkt, muß Poker ausgesprochen albern vorkommen.« »Ganz im Gegenteil, Doktor«, widersprach Spock. »Poker ist bei uns Vulkaniern ganz besonders beliebt. Es ist ein Spiel von sublimer Logik, nicht blindem Zufall. Ich zog es aus Rücksicht auf die anderen Spieler vor, nicht daran teilzunehmen. Es wäre mir unmöglich, nicht zu gewinnen. Abgesehen von unserer Fähigkeit, Wahrscheinlichkeiten in kürzester Zeit zu berechnen, besitzen wir Vulkanier das, was gemeinhin als Pokergesicht bezeichnet wird.«
McCoy grinste. »Das ist allerdings nur zu wahr.« Dann wandte er sich mit ernster Miene zu Kirk. »Stimmt was nicht, Jim? Du schaust so düster drein. Geht’s um Gilla? Ihren Gesundheitszustand?« »Nein, es geht ihr ausgezeichnet.« »Was ist dann los?« Kirk versuchte ein beiläufiges Lächeln. »Nichts als ein altmodischer Anfall von Melancholie«, meinte er achselzuckend. »Das geht wieder vorbei.« McCoy schaute ihn aufmerksam an und machte keinen Versuch, sein Mißtrauen zu verhehlen. »Nun, das erinnert mich an meine ärztlichen Pflichten. Ich sollte mal nach ihr sehen.« »Ich glaube, ich bleibe noch etwas draußen und schaue mir den Sonnenuntergang an.« »In Ordnung. Bis später.« Eine lange Weile blieben Spock und Kirk schweigend stehen. Jeder war in seine Gedanken vertieft. Kirk versuchte sich zu zwingen, nicht an Gilla Duprée zu denken. Hier auf dieser fremden Welt, umgeben von vermutlich feindseligen Kreaturen, war nicht der rechte Ort, sich wie ein verliebter Jüngling aufzuführen. Spocks Gegenwart tat ihm gut. Gilla hatte von der Weltanschauung des Jainismus gesprochen, und Kirk fragte sich, was sie wohl über Spock denken mochte: Der Vulkanier war die Personifizierung einer kosmischen Weltsicht, eher ein Felsen als ein Mann, ein Wesen, das unbehelligt war von den Gefühlswallungen, die die menschliche Wahrnehmung so oft verzerrten. In vielerlei Hinsicht bewunderte Kirk Spock nicht nur, er beneidete ihn auch. In ihrer Freundschaft kam das deutlich zum Ausdruck. Mit Spock konnte er lange Minuten schweigend verbringen – so wie jetzt –, ohne die Notwendigkeit zu fühlen, miteinander
zu reden und Konversation zu machen. Nicht einmal mit einem so guten Freund wie McCoy war das immer möglich. Mit Spock war Schweigen problemlos, wenn das Schweigen angebracht war. Nachdem Kirk seine Gedanken wieder etwas geordnet hatte und seine Traurigkeit ein wenig besänftigt war –, räusperte er sich. »Nun, Mr. Spock, Sie sind bislang in ganz uncharakteristischer Weise zurückhaltend gewesen. Was halten Sie von diesen Danonern?« »Das ist eine Frage, auf die es mir schwerfällt, eine logische Antwort zu geben, Captain. Um ehrlich zu sein, diese Lebewesen beunruhigen mich.« »Könnten Sie das etwas präzisieren?« »Nicht so, wie ich gerne wollte. Ich kann nur folgendes sagen: In dem Moment, als wir das Dorf betraten, registrierte ich die unmittelbare Nähe einer gewaltigen Mentalkraft. Und kaum hatte ich sie wahrgenommen, so war diese Kraft verschwunden. Ich spürte sie erst wieder bei unserer Begegnung mit Mr. Kell auf dem Dorfplatz. Als er erschien, fühlte ich sie wieder ganz deutlich, aber auch diesmal nur ganz kurz.« »Warum haben Sie mir nicht schon früher davon berichtet?« »Ich wollte ganz sichergehen. Ich habe inzwischen meine Erinnerungen ganz genau geprüft und Ihnen das mitgeteilt, dessen ich mir sicher bin.« »Gibt’s denn noch mehr?« »Nur Spekulationen. Wie Sie wissen, sind die mentalen Fähigkeiten bei einem Vulkanier weit höher entwickelt als bei einem Menschen. Irgend etwas war in beiden Situationen anwesend. Im Augenblick möchte ich nicht mehr dazu sagen.« »Sie haben den Begriff ›Mentalkraft‹ verwendet. Meinen Sie Telepathie?« »Nicht unbedingt, aber ausgeschlossen ist es nicht.«
»Und diese Kraft hing mit den Danonern zusammen?« »Dessen bin ich mir keineswegs sicher. Was ich spürte, war eine separate Einheit, ein gewaltiges, mächtiges, unglaublich altes Wesen.« Kirk rieb sich nachdenklich das Kinn. »Ich fühle mich überhaupt nicht wohl in meiner Haut, seit wir hergekommen sind. Vielleicht habe ich selbst etwas davon gespürt.« »Das ist durchaus möglich, Captain.« »Nun, halten Sie die Ohren offen. Wenn Ihnen irgend etwas auffällt, lassen Sie’s mich sofort wissen.« McCoy trat wieder zu ihnen und versicherte Kirk, daß Gilla in guter Verfassung sei. Zusammen schauten die drei der letzten Phase des Sonnenunterganges auf Herzland zu. In der klaren, wolkenlosen Atmosphäre ging alles sehr schnell. Die Sonne verschwand hinter dem Horizont wie ein Schwimmer, der in die Wellen taucht. Nachdem das vorüber war, ging Spock in seine Hütte, und Kirk und McCoy krochen in die ihre. Gilla lächelte, als sie hereinkamen. Kirk stellte eine tragbare Laterne in die Mitte des Raumes, und er und McCoy fertigten vier Betthöhlen aus den vorhandenen Fellen. Dann aßen sie noch ein paar Früchte. Kurz darauf kam Mosley kopfschüttelnd hereingekrochen. »Diese Danoner lernen verdammt schnell, Sir«, berichtete er Kirk. »Dieser Dazi hat mein ganzes Geld gewonnen, und was er nicht gekriegt hat, das hat Doyle eingesteckt.« »Das sollte eine Lektion für Sie sein, Mosley«, meinte McCoy. Mosley grinste breit und zwinkerte mit den Augen. »Morgen ist auch noch ein Tag, Sir.« »Sie sind ein unverbesserlicher Optimist, Mosley.« »Das auch, aber Doyle hat versprochen, mir für die Revanche was vorzustrecken.«
Kirk befahl zweistündige Wachablösung. Mosley sollte beginnen, von McCoy abgelöst werden, und dann wäre Kirk an der Reihe. Gilla wollte ebenfalls teilnehmen, aber Kirk schlug ihr Angebot aus. Als sie protestieren wollte, mischte McCoy sich ein. »Ich glaube, es wäre klüger, wenn Sie diese Stunden zum Ausruhen nutzen würden, Gilla.« »Meinen Sie, das ist wirklich nötig?« »Ärztliche Anweisung.« Sie zog sich auf ihr Lager zurück. Kirk legte sich ebenfalls nieder und schloß die Augen. Leise hörte er McCoy und Mosley über das Pokerspiel diskutieren. Er hatte das Gefühl, es sei nur ein kurzer Augenblick vergangen, als McCoy ihn wachrüttelte. Kirk hielt zwei Stunden lang Wache, dann weckte er Mosley. Danach hatte er Mühe, wieder einzuschlafen. Als er zum zweiten Mal erwachte, hatte ein lautes Geräusch ihn aufgeschreckt. Er wälzte sich auf die andere Seite und nahm den Kommunikator zur Hand, den er neben seinen Kopf gelegt hatte und der laut piepste. Augenblicklich setzte er sich auf und klappte ihn auf. »Hier Captain Kirk. Was gibt’s? Was ist los?« Er versuchte, seine Schläfrigkeit abzuschütteln. McCoy war ebenfalls wach und schaute ihn besorgt an. Er war offenbar noch mit der Wache an der Reihe. Die flache trockene Stimme von Spock drang an Kirks Ohren. »Sir, ich fürchte, wir haben ein paar Probleme.« »Um was geht’s, Spock?« »Mannschaftsmitglied Doyle, Captain. Er ist verschwunden.« »Verschwunden? Was soll das heißen? Wo ist er denn hingegangen?« »Das weiß ich leider nicht.« »Seit wann ist er weg?«
»Auch das weiß ich nicht. Er hat offenbar die Hütte verlassen, während Mannschaftsmitglied Schang seine erste Wache hielt.« »Und was hat Schang dazu zu sagen?« »Das scheint das Problem zu sein, Captain. Schang ist eingeschlafen. Ich habe von seiner Pflichtversäumnis gerade eben erst erfahren.« Kirk zwang sich zur Ruhe. Schimpfen hatte keinen Sinn – im Augenblick jedenfalls. Er holte tief Luft. »Ich komme sofort rüber, Mr. Spock.«
15
Während Kirk die restlichen Mitglieder seines Landekommandos durch das Danonerdorf führte, rührte sich nichts. Die Lehm- und Grashütten, an denen sie vorbeikamen, hätten ebensogut die Behausungen schlummernder Gespenster oder schlafender Geister sein können, so wenig Lebenszeichen waren zu sehen. Es war totenstill. Kein Lüftchen regte sich mehr. Kirk behielt Mosley nah an seiner Seite. Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten waren er und Doyle offenbar gute Freunde gewesen. Mosley war höchst beunruhigt. Er hielt eine Hand ständig am Phaser, und Kirk ließ es zu, weil er auf die Berufsinstinkte des Mannes vertraute. Mosley sagte, daß er sich bis zu einem gewissen Grade für Doyles Verschwinden verantwortlich fühle. »Warum denn?« fragte Kirk. »Sie waren ja nicht einmal dabei, als es passiert ist. Wenn irgendwem Vorwürfe zu machen sind, dann ist das Schang. Er ist auf Wache eingeschlafen.« »Aber Schang ist doch noch ein Junge, Sir, und ich bin ein erwachsener Mann. Ich hätte sehen müssen, was sich da anbahnte. Während des ganzen Spiels redete der Außerirdische auf den armen Doyle ein, flüsterte ihm ins Ohr. Ich dachte, sie würden nur das Spiel diskutieren, aber ich kenne Doyle. Er hält sich für einen ganz gerissenen Burschen. Dieser Fremde hat ihm irgend etwas erzählt, ihm den Mund wäßrig gemacht, und Doyle ist darauf reingefallen.« »Dann glauben Sie also, daß die Danoner für sein Verschwinden verantwortlich sind?« »Sie denn nicht, Sir?«
Kirk wußte darauf im Augenblick noch keine Antwort zu geben. Er drehte sich um und blickte zu den anderen zurück, die ihm folgten. Alle waren dabei, Spock, McCoy, Gilla, Sulu. Albert Schang bildete das Schlußlicht. Der sorgenvolle Ausdruck in seinem Gesicht schien wenigstens eine Spur von Reue widerzuspiegeln. Als sie den Turm im Zentrum des Dorfes erreichten, blieb Kirk stehen. Am Fußes des Gebäudes, direkt vor der offenen Tür, fanden sie die Überreste eines Feuers: Asche inmitten eines säuberlich gebauten Kreises aus glatten Steinen. Kirk kniete nieder und hielt die Hand darüber. »Es ist noch warm«, meinte er. »Dann muß heute nacht jemand hier gewesen sein«, folgerte McCoy. »Aber wo stecken sie jetzt?« Kirk richtete sich auf. »Es wird langsam Zeit, daß wir sie finden.« »Sie haben doch nicht vor, von Hütte zu Hütte zu gehen und jeden einzelnen aufzuwecken?« »Ich glaube nicht, daß sie schlafen. Mr. Sulu, Mosley, fangen Sie mit den nächstgelegenen Hütten an. Schauen Sie ins Innere. Wenn Sie einen Danoner sehen – wach oder schlafend –, dann bitten Sie ihn, zu uns zu kommen. Wenn Sie…« »Einen Augenblick, Captain. Ich glaube, ich sehe etwas.« Spock trat vor und ging durch die Öffnung in den Turm. Kurz darauf erschien er wieder und hielt etwas in der Hand: ein leuchtend rotes Hemd. »Das gehört Doyle«, sagte McCoy. Kirk nahm das Hemd und untersuchte es genau. Das Kleidungsstück war nicht zerrissen. Es gab keinen Grund anzunehmen, daß sein Träger es nicht freiwillig abgelegt hatte. »Wenigstens wissen wir jetzt, daß er hier war«, meinte McCoy.
»Aber das ist nicht die eigentliche Frage. Ich will wissen, wo er jetzt ist.« »Captain.« Es war Spock. Kirk drehte sich um und schaute in die von Spock angedeutete Richtung. »Na sowas«, sagte er leise. »Es sieht aus, als bekämen wir Gesellschaft.« Die Danoner kamen. Die Prozession spielte sich genau in der gleichen Weise ab wie am Vortag. Schweigend wie Trauergäste bildeten die Danoner einen Kreis um den Platz. Kirk wartete, bis der letzte von ihnen angekommen war, dann legte er die Hände trichterförmig vor den Mund. Von Kell war keine Spur zu sehen. »Hört zu!« rief er und drehte sich dabei um sich selbst, um sicher zu sein, daß jeder ihn hören konnte. »Einer meiner Männer ist verschwunden. Ich habe Grund zu der Annahme, daß er heute nacht mit euch hier war. Ich möchte, daß er zurückkommt. Wenn nicht, dann übernehme ich keine Verantwortung für die Folgen.« Die Drohung war dürftig, und gemessen an der Reaktion, die sie auslöste, hätte er sie sich auch sparen können. Dann löste sich ein Danoner aus dem Ring und ging schnellen Schrittes auf Kirk zu. Es war Dazi. Der Danoner lächelte. »Captain, bitte«, sagte er. »Es gibt nicht den geringsten Grund für sinnlose Gewalt. Wirklich nicht.« »Und wo ist mein Mannschaftsmitglied?« »Nun, bei uns natürlich«, erwiderte Dazi, als sei das eine Selbstverständlichkeit. »Wir haben ihm die beste Behandlung zukommen lassen, nur die allerbeste.« Kirks Gesicht blieb steinhart. »Dann bringt ihn her.« »Sie wollen den Mann sehen?« Dazi schien zutiefst erstaunt. »Allerdings. Und zwar sofort!« Die satanischen Züge des Danoners verzerrten sich zu einem Ausdruck von Bestürzung. »Wie Sie wollen, Captain. Sie sind
der Boß.« Mit sehr menschlichem Achselzucken wandte er sich um und eilte mit hüpfendem Schwanz davon. Dazi blieb fünf Minuten fort, vielleicht auch etwas länger. Als er zurückkam, war er nicht allein. Doyle war dabei und umklammerte seine Hand. Die beiden kamen durch den Ring der Umstehenden und gingen auf Kirk und die anderen zu. Doyle war nackt, seine Augen leer, sein Gesicht eine Maske, wie das von einem Kind, das die Welt zum ersten Mal sieht. Er schwankte neben Dazi her, als sei sein Körper zu schwer für seine Beine. Kirk trat ihnen entgegen. Dazi und Doyle blieben stehen. Kirk schaute seinem Mannschaftsmitglied fest in die Augen. Nicht das leiseste Fünkchen von Wiedererkennen war darin zu sehen – und kein Zeichen von Leben. »Pille«, sagte Kirk leise. »Ich bin hier, Jim.« »Nimm dich Doyles an und sieh zu, was du für ihn tun kannst.« »Ich werd’s versuchen.« McCoy nahm Doyle bei der Hand und führte ihn ein paar Schritte abseits. Kirk hörte, wie Mosley einen erstickten Schrei ausstieß. Er wandte sich um und funkelte den Mann an. »Reißen Sie sich zusammen! Das ist nicht der richtige Augenblick, den Kopf zu verlieren.« »Ja, Sir.« In Mosleys Augen standen Wut und Haß. Kirk war auch nicht gerade die Ruhe selbst. Doyle kniete vor McCoy. Seine Lippen bewegten sich, und er schien zu sprechen, aber die Laute, die er von sich gab, waren nur unzusammenhängendes Gebabbel. Kirk wandte sich zu dem Danoner. »Ich will Kell sehen. Sofort.« Dazi grinste nach wie vor. »Nicht möglich, Kell zu sehen. Er muß schlafen. Lange, harte Nacht. Braucht Ruhe.«
»Dann werden Sie ihn stören«, fauchte Kirk. »Kell weiß nichts. Kann nicht helfen. Kein Arzt.« »Bring ihn her!« Kirk versuchte nicht mehr, seine Wut zu bändigen. »Und laß die anderen verschwinden. Ich will mit meinen Leuten allein sein!« Fast schneller, als das Auge wahrnehmen konnte, veränderte sich Dazis Ausdruck. Tiefste Verachtung huschte über seine Züge. Sie war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war. Dazi lächelte wieder. »Wie Sie wünschen, Captain. Kell wird kommen.« Er ging davon. Noch ehe er im Dorf verschwunden war, begannen die anderen Danoner abzuziehen. Kirk kümmerte sich nicht um sie. »Kann ich etwas tun, Sir?« fragte Mosley, der Mühe hatte, seine Gefühle zu unterdrücken. »Nein, im Augenblick noch nicht.« »Wir könnten ihnen eine Lektion erteilen.« »Wie denn?« »Ein paar von ihren Hütten niederbrennen.« »Kleinliche Rache hilft uns nicht weiter. Das ändert nichts daran, was mit dem armen Doyle passiert ist.« Kirk bemerkte Spock, der ein wenig abseits stand und offenbar in Gedanken versunken war. Er trat zu ihm. »Eine Idee, Mr. Spock?« »Ich habe sie wieder gefühlt, Captain.« »Die Mentalkraft? Wann?« »Als Sie mit Dazi sprachen. Sie hat versucht, sich vor mir zu verbergen, aber einen kurzen Augenblick lang war ihre Schutzbarriere nicht vorhanden.« »Haben Sie etwas herausgefunden?« »Nur, daß sie uns zu hassen scheint. Möglicherweise haßt sie alles. Das Gefühl schien sich nicht gegen irgend etwas Bestimmtes zu richten.«
»Aber Sie wissen nicht, was es ist?« »Noch nicht.« »Glauben Sie, es herausfinden zu können?« »Mit der Zeit ja, Captain.« Spock runzelte die Braue. »Wenn sie ihre Schutzmechanismen noch mal vernachlässigt, ist es möglich.« Gilla Duprée trat zu ihnen. »Warum wollen Sie meinen Vater sprechen?« fragte sie Kirk. »Weil ich lieber mit ihm als mit Dazi oder einem anderen Danoner rede.« »Wieso glauben Sie, daß er irgend etwas weiß?« »Nur zwei Menschen haben auf Herzland gelebt, ohne wahnsinnig zu werden: Bates und Ihr Vater. Bates ist verschwunden. Ich möchte mir von Ihrem Vater erklären lassen, wie er es angestellt hat, soviel Glück zu haben.« »Sie trauen ihm nach wie vor nicht, oder?« Kirk schüttelte den Kopf. »Sie etwa?« Kirk ging hinüber zu McCoy, der neben Doyle am Boden hockte und eine Injektion vorbereitete. »Wie geht’s ihm, Pille?« »Nicht gut.« McCoy blickte nicht auf. »Ich werde ihn betäuben müssen.« Kirk starrte auf Doyle, dessen Gesicht so ausdruckslos war wie eine leere Schiefertafel. Er rollte unkontrolliert mit den Augen. »Er kommt mir ziemlich ruhig vor.« »Im Augenblick ja, aber man kann nicht sagen, wie lange das anhält.« »Wie lautet deine Diagnose?« »Ich habe keine erstellt. Er scheint wenig oder gar nichts von seiner Umgebung wahrzunehmen. Sein mentales Alter liegt irgendwo zwischen zwei und drei. Er leidet unter einer schweren Psychose. Keine Ahnung, wie das passiert ist. Und ich weiß nicht, wie ich ihm helfen könnte.«
»Was schlägst du vor?« »Ihn zunächst in die Krankenstation zu transportieren, aber ich bin nicht ausgerüstet für eine extensive Psychotherapie. Wenn es ihm nicht sehr bald bessergeht, wird er angemessenere und dauerhaftere Behandlung brauchen.« »Eine Heilanstalt.« »In seinem gegenwärtigen Zustand ist das die einzige Möglichkeit.« »In Ordnung. Ich rufe Scotty und bitte ihn, sich bereitzuhalten.« »Je eher, desto besser, Jim.« »Ich werd’s sofort tun.« Kirk ließ McCoy seine Arbeit verrichten und ging hinüber zum Turm. Dann nahm er seinen tragbaren Kommunikator vom Gürtel und rief die Enterprise. Mr. Scott antwortete. Kirk fragte sich, ob Scotty je schlief, wenn er das Kommando hatte. Das Vorbild war fast zu perfekt, um es zu ertragen. Kirk erklärte den Grund seines Anrufs. »Wahnsinnig geworden?« sagte Scott. »Das ist entsetzlich, Sir. Wie ist das passiert? Haben diese Danoner was damit zu tun?« »Davon bin ich überzeugt, Mr. Scott, aber ich weiß überhaupt nichts mit Sicherheit. Darum will ich mit Kell reden.« »Ich glaube, das ist eine gute Idee, Sir.« »Ich möchte, daß Sie dafür sorgen, daß Schwester Chapel und drei oder vier Mediziner sich im Transportraum bereithalten. Sie sollten auch ein paar Sicherheitsbeamte dazuholen. Der Schock des Transports könnte Doyle aus seiner Lethargie aufwecken.« »Ich werde dafür sorgen. Wollen Sie einen Ersatzmann für Doyle?« »Nein, nicht sofort. Ich möchte erst mehr in Erfahrung bringen, ehe ich weitere Leben in Gefahr bringe.«
»Und Sie, Sir? Sind Sie sicher, daß für Sie und Ihre Gruppe keine Gefahr besteht?« »Ich bin mir über gar nichts sicher, Mr. Scott. Sie hören wieder von mir.« »Aye, aye, Sir.« »Kirk Ende.« Eine Hand legte sich schwer auf Kirks Schulter. Er schnellte herum und sah sich den zornig blitzenden Augen von Jacob Kell gegenüber. »Kirk, Sie Idiot!« donnerte Kell. »Habe ich Sie nicht gewarnt? Habe ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollten diesen Planeten schleunigst verlassen? Da haben Sie die Bescherung! Schauen Sie sich den armen Idioten an. Sind Sie zufrieden? Sind Sie stolz auf sich?« Kirk stieß die Hand zurück. »Es war nicht meine Idee, Kell. Sie waren einmal ein Offizier der Sternenflotte. Sie müssen sich doch noch eine gewisse Vorstellung von dem Begriff Pflicht bewahrt haben. Was haben Sie erwartet? Daß ich mein Bündel packe und nach Hause renne, nur weil Sie mich angeknurrt haben?« Dazi war mit Kell zusammen zurückgekommen. Während die beiden Männer sprachen, hüpfte er lächelnd um sie herum. »Sehen Sie, Kirk«, sagte Kell etwas freundlicher. »Ich habe Ihnen nichts als die Wahrheit gesagt. Ich habe Sie gewarnt, daß es gefährlich für Sie wäre hierzubleiben. Wollen Sie behaupten, daß ich mich geirrt habe?« »Ich behaupte nur, daß alles, was Sie mir gesagt haben, bedeutungslos ist. Ich kann meine Pflicht nicht auf ein simples Wort von Ihnen sausen lassen. Die Entscheidung liegt ganz allein bei Ihnen, Kell. So lange Sie schweigen und mir nicht sagen, was hier vor sich geht, werde ich hierbleiben und es selbst herausfinden müssen.«
»Können Sie nicht einfach…?« Er wandte sich um und schaute Gilla an. Sie hatte auf ihn zugehen wollen, war aber unsicher, auf halbem Wege stehen geblieben. »Können Sie nicht einfach abreisen?« fragte Kell, seine ganze Aufmerksamkeit wieder zu Kirk gewandt. Seine Stimme klang flehend, fast verzweifelt. »Nein«, erwiderter Kirk einfach. »Dann… dann…« Kell sah aus, als wolle er Kirk sagen, er möge sich zum Teufel scheren, doch irgend etwas – vielleicht Gilla – ließ ihn sich anders besinnen. »Also gut«, sagte er geschlagen. »Kommen Sie in meine Hütte, und ich erzähle Ihnen alles. Aber Sie müssen mir etwas versprechen. Sie müssen mir versprechen, daß Sie, sobald Sie alles wissen, abreisen und Gilla mitnehmen.« »Sie wissen, daß ich das nicht versprechen kann.« Kell schüttelte den Kopf. »Ich weiß.« Er wandte sich ab. »Kommen Sie.« »Und Gilla?« fragte Kirk. »Wollen Sie sie dabeihaben?« »Das geht sie nichts an.« »Sind Sie sicher? Sie ist Ihre Tochter.« Kell ließ die Schultern hängen. »Na gut. Sagen Sie ihr, sie soll mitkommen.« Kirk winkte Gilla zu, die sofort hinter ihnen hergerannt kam. Sie schaute Kell an, lächelte und streckte ihm die Hand entgegen. Die trotzige Haltung ihm gegenüber, die sie am Vortage gezeigt hatte, war verflogen. Kell schaute an Gilla vorbei auf Dazi. Der Danoner hatte zu hüpfen aufgehört. Er schaute Kell ebenfalls an. Kein Wort wurde zwischen ihnen gewechselt. Kell nahm Gillas Hand. »Ich freue mich, dich wiederzusehen, Tochter.« »Ich mich auch, Vater.«
16
Von außen sah die Hütte von Jacob Kell aus wie alle anderen im Danonerdorf, doch als James Kirk durch den Eingang gekrochen war, hatte er das Gefühl, aus Versehen in eine ganz andere, zivilisierte Welt geraten zu sein. In die Rückwand war ein Fenster geschnitten worden. Eine Glasscheibe – vermutlich aus dem Schiff gerettet, mit dem Kell nach Herzland gekommen war – war in die Öffnung eingepaßt worden. Der Boden war fast von Wand zu Wand mit einem dicken, weichen rotgoldenen Teppich ausgelegt. Neben einem kleineren, leeren Holztisch standen zwei metallene Stühle, und an zwei gegenüberliegenden Wänden hingen je ein Gemälde. Kirk stand mitten im Raum und schaute die Bilder an. Auf den ersten Blick sahen sie sich sehr ähnlich – beides Darstellungen von Sternen –, doch bei genauerem Hinschauen zeigte sich, daß die abgebildeten Sterne durchaus nicht identisch waren. Beides waren Bilder aus dem Weltall. Nicht der bekannte Himmel, nicht, was Planetenbewohner in der Nacht beobachten könnten, wenn sie sich die Mühe machten hinzuschauen – was sie selten taten –, sondern der Weltraum, wie er von jenen, die in ihm leben, gesehen, gekannt und erfahren wird. Lange Zeit ließ Kirk seinen Blick von einem Bild zum anderen schweifen. Je länger er hinschaute, desto mehr berührten sie ihn. Diese Gemälde übertrafen bei weitem den Realismus, den ein Photograph zu erreichen hoffen konnte: Sie hatten nicht nur die Substanz des Raumes eingefangen, sondern auch seine Essenz, seine Wirklichkeit. »Haben Sie die gemalt?« fragte Kirk, als er sich schließlich zu Kell umwandte.
»Während ich bei meinen klingonischen Freunden lebte.« »Sie sind großartig.« »Was meinen Sie, woher ich meine künstlerischen Neigungen habe?« fragte Gilla. Sie hatte sich auf einen der Stühle gesetzt, während Kell vor ihr auf und ab ging wie ein gefangenes Tier. »Als ich herkam, hatte ich noch rund hundert davon«, sagte Kell. »Ich habe sie zusammen mit dem Schiff zerstört. Diese beiden habe ich behalten. Ich weiß nicht warum.« Kirk betrachtete eines der Bilder aus der Nähe. Aus dieser Entfernung hatte er das Gefühl, wirklich im Raum zwischen den Sternen zu schweben. Schließlich riß er sich davon los und brach den Zauber. »Ich kann ein paar einzelne Sterne erkennen, aber die Konstellationen sind mir unbekannt.« »Es ist der Blick aus dem Raum, nicht von einem Planeten.« Kirk nickte und ging zu dem anderen Gemälde hinüber. Wieder hatte er das Gefühl, die reale Welt hinter sich zu lassen, und empfand den Rausch des Weltraumschwindels. »Jetzt verstehe ich.« Er sah Kell an. »Das ist, was Sie gesehen haben, als Sie im All gestrandet waren. Sie müssen sich jeden Stern eingeprägt haben.« Kell wurde ärgerlich. »Woher wissen Sie das?« »Gilla hat es mir erzählt.« »Das hättest du nicht tun sollen«, sagte er freundlich zu ihr. »Warum nicht, Vater? Stimmt es nicht? Sollten die Leute es nicht wissen?« »Die Wahrheit war für jeden, der hinschauen wollte, jederzeit erkennbar. Keinen interessierte es. Frag Kirk nach mir. Er wird dir sagen, wer ich bin: Kell, der Verräter. Kirk schert sich einen Dreck darum, welche Qualen ich durchgemacht habe.« »Warum sind Sie so erpicht darauf, diese Qualen weiterhin zu ertragen, Kell? Gilla hat mir davon berichtet, weil sie es
unfair fand, wenn ich es nicht wüßte – und unfair auch gegenüber den übrigen.« »Was läßt Sie glauben, daß es mir wichtig ist, was Sie alle über mich denken?« »Das hier.« Kirk wies auf die Gemälde. »Sie können es nicht vergessen, nicht wahr?« Kell lächelte abwesend. »Diese Bilder sind vor langer, langer Zeit entstanden. Damals war ich krank. Hat Gilla Ihnen das auch gesagt?« Kirk nickte. »Ist Ihnen der Unterschied nicht aufgefallen? Erzähl’s ihm, Gilla. Sag ihm, wie ich damals war. Ich konnte mich nicht im gleichen Raum mit jemandem aufhalten, ohne das Bedürfnis zu haben, mir die eigenen Eingeweide aus dem Leib zu reißen.« »Was hat Sie geheilt?« Er zeigte auf den Fußboden. »Herzland.« »Ich fürchte, das müssen Sie mir genauer erklären.« »Deswegen sind Sie doch hier, oder? Also, ich fange vorne an. Ich kam mit einem klingonischen Schiff hierher, einer Fähre. Die Reise dauerte zwei Jahre, nach irdischer Zeitrechnung.« »Wieso haben die Klingonen Sie gehen lassen?« »Das war nicht ihre Entscheidung. Ich war ihnen nichts schuldig. Sie hatten mich angelogen, hatten keines ihrer Versprechen gehalten. Ich wußte, daß es so kommen würde, von Anfang an.« Er schaute zu Gilla und ließ seine Stimme etwas freundlicher klingen. »Aber es war meine eigene Entscheidung. Ich mache niemandem Vorwürfe. Nachdem ich für die Klingonen keinen Wert mehr hatte, ließen sie mich in ihrem Raumforschungs-Ministerium arbeiten. Es war keine militärische Aufgabe. Ich hatte ihnen gesagt, daß ich dergleichen nicht machen würde. Ich arbeitete im Archiv. Dort
stieß ich auf einen Bericht über Herzland. Ein klingonisches Schiff war fünf Jahre vor dem ersten Forschungsteam der Föderation dort gelandet.« »Die Klingonen haben nie versucht, den Planeten zu kolonisieren?« »Daran waren sie nicht interessiert. Nicht so nah am Zentrum der Föderation. Sie kamen, um sich zu holen, was immer ihnen nützlich schien. Auf dem Schiff befanden sich etwa zwei Dutzend Klingonen. Sie fanden das Dorf und zogen ein.« »Und was geschah dann?« »Sie wurden wahnsinnig.« Kell gab einen angewiderten Laut von sich. »Diese Klingonen. Was haben Sie denn erwartet?« »Das hört sich nicht gerade wie ein Grund dafür an, herkommen zu wollen.« »War es auch nicht. Jedenfalls nicht am Anfang. Der Bericht machte mich einfach neugierig. Wenn Sie so wollen: das Geheimnis. Ich langweilte mich. Ich versuchte, mehr herauszufinden. Klingonen erleiden selten psychische Störungen. Im Gegensatz zu den Menschen verfügen sie über viele jedermann zugängliche Möglichkeiten, ihre natürlichen, aggressiven Impulse abzureagieren. Sie lassen keine inneren Anspannungen anwachsen, die dann eines Tages ausbrechen können. Ich erfuhr von dem Versuch der Föderation, eine Kolonie auf Herzland zu errichten, und ich fand heraus, daß sämtliche Kolonisten ebenfalls wahnsinnig geworden waren. Irgendwann konnte ich zwei Überlebende der ursprünglichen klingonischen Mission ausfindig machen. Beide waren nach wie vor geistesgestört und hinter Gittern. Ich sprach mit ihnen und stellte fest, daß sie nicht nur Unsinn redeten. Sie waren nicht völlig bei Sinnen, aber ich erkannte, was sie zum Wahnsinn getrieben hatte. Ich nahm die Fähre und kam her. Die Klingonen erwischten mich nicht. Die Galaxis ist groß,
und sie hatten keinerlei Anhaltspunkte dafür, wo mein Ziel lag – und warum ich mich dorthin begab.« »Dann sagen Sie es mir«, bat Kirk. »Warum?« Kell grinste. »Weil ich erfahren hatte, daß ein Mann auf diesem Planeten unsterblich werden kann.« Kirk starrte Kell lange erstaunt an. Das Gesicht des Mannes zeigte keine Regung. Seine Augen verrieten, daß er die Wahrheit sagte. »Und das sind Sie geworden?« fragte Kirk. »Ja.« »Unsterblich?« »Das bin ich.« »Vielleicht sollten Sie das ein bißchen genauer erläutern.« »Es ist eine Frage des Kollektivbewußtseins. Die Danoner sind ein altes Volk. Sie haben mehr über die Natur der Existenz vergessen, als Sie und ich je zu wissen hoffen können. Jeder von ihnen ist eine individuelle Einheit. Und gleichzeitig sind sie mehr, etwas Größeres.« »Eine Mentalkraft?« fragte Kirk. Kell nickte. »So könnte man es nennen. Eine Kraft, die die Essenz jedes Danoners enthält, der je gelebt hat. So etwas kann nie sterben.« »Und Sie sind auch ein Teil davon?« »Ja. Und daher bin ich unsterblich. Oh, mein Körper wird irgendwann vergehen. Es kann ein paar hundert Jahre dauern. Aber der Körper ist mir egal. Hier drin…« Er schlug sich auf die Brust, »…in meiner Seele kann ich nicht sterben.« Kirk versuchte, vorurteilsfrei zu bleiben. Nicht daß er unbedingt an Kells Worten zweifelte, aber er war andererseits davon überzeugt, daß es nicht die volle Wahrheit war. Kell verbarg etwas. Das spürte er ganz deutlich. »Und was hat das alles mit dem zu tun, was Doyle zugestoßen ist? Mit dem Wahnsinn?«
»Weil das der Punkt ist, an dem der Wahnsinn eintritt. Wenn ein Individuum versucht, mit der Ganzheit zu verschmelzen, und dabei versagt.« »Dann wird er verrückt?« »Immer.« »Aber Sie sind nicht wahnsinnig geworden?« »Ich hatte Glück. Und ich war stark. Ich hatte den Willen, es zu schaffen, und ich schaffte es.« »Und Doyle nicht.« »Die Danoner sind zu nett. Sie kennen den Wert der Gabe, die sie besitzen, und bieten sie großzügig jedermann an. Seine individuelle Natur aufzugeben, als Teil eines größeren Ganzen leben zu lernen, das widerspricht allem, woran wir Menschen – oder die Klingonen – glauben. Der durchschnittliche Geist kann diese Belastungen einfach nicht ertragen. Er schnappt über. Ich habe versucht, Doyle zu warnen. Ich habe ihm die Gefahren geschildert. Er wollte nicht auf mich hören. Wer will es ihm verübeln? Mich hätte auch niemand davon abbringen können.« »Hatte er eine Alternative?« Zum ersten Mal wurde Kell zornig. »Es gibt immer eine Alternative, Kirk. Es ist die Wahl zwischen Leben und Tod. Sagen Sie mir. Was würden Sie wählen?« »Ich denke, das kommt auf die Umstände an.« »In meinem Fall spielen sie keine Rolle. Die Danoner verehren mich. Ich kam her und schloß mich der Einheit an. Sie waren im Aussterben begriffen. Sie sind eine alte Rasse, und ein großer Teil ihres Überlebenswillens ist erkaltet. Jahre sind vergangen, seit die letzten Kinder geboren wurden. Ich war jung und voller Energie. Ich habe der Kraft eine neue Zukunftschance gegeben – und den Danonern auch.« »Aber warum nur, Vater?« fragte Gilla. Ihre Stimme klang schmerzvoll.
Kell schaukelte auf den Fersen hin und her und schloß die Augen. »Das ist etwas, das du nicht begreifen kannst, bis du es selbst an dir erfahren hast, Gilla.« »Wollen Sie sie herausfordern?« »Nein!« Kells Augen funkelten zornig. Aber es war mehr als nur Zorn: Er hatte Angst. »Ich möchte, daß sie diesen Planeten so schnell als möglich verläßt.« »Sind Sie nicht ausgesprochen eigensüchtig? Wollen Sie Ihr großes Glück nicht mit uns anderen teilen?« »Mißverstehen Sie mich nicht Kirk. Darum geht es nicht. Ich weiß einfach, wer ich bin – was ich aushalten kann – und was ihr alle nicht ertragen könnt. Als ich beschloß, Teil der Kraft zu werden, hatte ich nichts zu verlieren. Gilla ist jung. Ihr ganzes Leben liegt noch vor ihr. Wenn ich wahnsinnig geworden wäre, was hätte das für eine Rolle gespielt? Was hätte es für einen Unterschied gemacht, wenn ich hier als rasender Irrer oder bei den Klingonen als verächtlicher Verräter krepiert wäre?« Kirk antwortete nicht sofort. Er beobachtete Kell aufmerksam und war mehr und mehr davon überzeugt, daß der Mann Angst hatte. Aber weshalb? Und wovor? Ein Gedanke kam Kirk in den Sinn. »Und Reni Bates? Ist er auch Teil der Kraft?« Kell schüttelte müde den Kopf. »Nein, nicht der alte Narr. Er hat eine Höllenangst. Er war der einzige von den Siedlern, der das Angebot der Danoner abgewiesen hat. Er war zu feige, etwas anzustreben, das größer ist als er selbst als Individuum.« Gilla lehnte sich in ihrem Stuhl vor und stützte die Ellbogen auf ihre Knie. »Du sprichst von dieser Angelegenheit, als sei es eine Art Kraftprobe. Glaubst du das wirklich, Vater?« »In gewisser Weise ja.« Er ging wieder auf und ab, und seine Bewegungen waren ruckartig und hektisch. »Es hat etwas mit dem Erfolgswillen zu tun, dem Willen, Macht zu ergreifen, dem Willen, alles zu riskieren, was man ist, um etwas
Größeres zu werden. Kennst du das Werk des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche?« Gilla nickte schweigend. »Ich habe als junger Mann – ich war noch sehr jung – Nietzsche gelesen«, sagte Kirk. »Dann lesen Sie ihn wieder. Lesen Sie, was Nietzsche über den Willen zur Macht sagt, über den Menschen und den Übermenschen. Das ist es, was ich hier gefunden habe, Kirk. Es ist der nächste Schritt in der Evolution der Arten.« »Nietzsche«, sagte Kirk, »ist wahnsinnig geworden.« Kells Augen funkelten ärgerlich, dann lachte er leise. »Er ja, aber ich nicht.« Er ging auf Gilla zu, streckte ihr eine Hand entgegen und zog sie auf die Füße. Einen Augenblick lang blieb sie vor ihm stehen, doch dann legte sie ihm den Kopf an die Brust. Kell umarmte sie. »Gilla, Gilla. Ich habe dich so sehr vermißt.« Kirk sah, wie steif ihr Rücken war. Er konnte nur vermuten, welche widersprüchlichen Gefühle in ihr toben mußten. Sie befreite sich aus der Umarmung und lächelte. »Ich bin so froh, daß ich dich gefunden habe«, sagte sie. »Jetzt, wo du mich gefunden hast, jetzt, wo du verstehst, was aus mir geworden ist, mußt du auch begreifen, daß du Herzland verlassen mußt.« Gilla schüttelte den Kopf. »Nein, Vater. Ich begreife, warum du Herzland verlassen mußt.« Kell wandte sich hilfesuchend an Kirk. »Sagen Sie es ihr, Captain. Sie sind kein Narr. Machen Sie ihr klar, daß ich recht habe.« »Ich glaube nicht, daß Sie recht haben.« »Dann sind Sie ein Narr.« »Mag sein«, erwiderte Kirk. »Ich bin nicht hergekommen, um darüber zu diskutieren. Ich weiß nicht, wieviel von dem, was Sie mir erzählt haben, richtig oder falsch ist, oder wieviel
Sie einfach für sich behalten und mir nicht gesagt haben. Aber eines weiß ich: Sie sind ein Mensch, ein Bürger der Föderation, und Sie leben auf einer unter Quarantäne stehenden Welt. Ich kann diesen Planeten nicht verlassen, ehe Sie nicht zugestimmt haben mitzukommen.« »Dann werden Sie nie wieder abreisen. Nicht, solange Sie noch bei klarem Verstand sind.« »Das werden wir noch sehen.« Kirk faßte an Kell vorbei nach Gillas Hand. Zusammen verließen sie die Hütte. Draußen war es still und leer. Auf dem Platz warteten die Männer von der Enterprise. Kirk blickte sich um. Doyle war fort.
17
Kirk versammelte seine Leute in seiner eigenen Hütte und skizzierte die wichtigsten Details der Informationen, die er von Kell erfahren hatte. Er hatte zuvor mit McCoy und Spock gesprochen und Scotty auf der Enterprise angerufen, um sicherzugehen, daß alle drei genauestens über alles informiert waren, was er selbst wußte. »Meiner Meinung nach«, schloß er seinen Bericht, »bleibt uns nur eine Möglichkeit. Wenn wir wollen, daß Kell mit uns Herzland verläßt, müssen wir ihn dazu zwingen. Ich habe die Absicht, morgen bei Tagesanbruch einen Versuch in dieser Richtung zu unternehmen. Obwohl Kell ein einzelner gegen uns sechs ist, ist es unmöglich abzuschätzen, wieviel Widerstand wir von den Danonern oder von dieser mysteriösen Kraft zu erwarten haben, was immer und wie real sie auch sein mag. Mit anderen Worten, wenn wir agieren, dann kann sich die Angelegenheit als unglaublich einfach oder ausgesprochen schwierig erweisen. Im Augenblick können wir nicht sagen, was von beiden der Fall sein wird. Hat jemand dazu etwas zu sagen? Irgendwelche Vorschläge, Anmerkungen oder Stellungnahmen?« Sicherheitsmann Mosley hob zaghaft die Hand. Kirk nickte ihm zu. »Mir ist etwas eingefallen, Sir«, sagte Mosley. »Doyles Phaser. Als er zurückkam, hatte er ja keine Kleider mehr an. Die Danoner müssen im Besitz seiner Waffe sein. Meinen Sie, daß sie sie gegen uns einsetzen werden?« Kirk schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß es nur ein simples Problem von Feuerkraft sein wird. Welche Bedrohung die Danoner auch immer darstellen, sie ist wesentlich subtiler. Sonst noch irgendwas?«
»Ja, Captain.« Es war Leutnant Sulu. »Ich wollte Sie gerne etwas über dieses Mentalkraftwesen fragen, von dem Sie gesprochen haben. Worin genau liegt seine Kraft? Wo liegen seine Grenzen? Kann es beispielsweise unsere Gedanken lesen?« »Ich weiß über dieses hypothetische Wesen nur das, was Kell mir gesagt hat. Seine Beschreibung war ausgesprochen ungenau -absichtlich, nehme ich an – , und darum ist es auch mein Wissen darüber. Ich muß gestehen, daß ich keine Ahnung habe, wie ausgeprägt seine Kräfte sind.« »Dann könnte es uns im Augenblick sogar belauschen«, meinte Schang und warf einen Blick über seine Schulter auf die kahle Wand, »und wir würden es nicht einmal wissen.« »Feigheit bringt uns überhaupt nicht weiter«, knurrte Mosley. »Das hat nichts mit Feigheit zu tun«, brauste Schang auf. »Ich meine nur, wir sollten kein unnötiges Risiko eingehen.« Spock mischte sich ein, bevor die Stimmung noch brenzliger wurde. »Ich würde annehmen, daß die Hypothese, die Sie aufgestellt haben, Mannschaftsmitglied Schang, höchstwahrscheinlich, aber nicht ganz außer acht zu lassen ist. Als rein spirituelle Lebensform verfügt die Mentalkraft nicht über eigene Sinnesorgane. Es sind die Danoner – einschließlich Kell –, die ihr als Augen und Ohren dienen. Ohne sie wäre sie blind und taub.« »Was noch einmal unterstreicht, wie wichtig es ist, daß wir unsere Absichten geheimhalten«, sagte Kirk. »Ab heute gibt es keine Pokerrunden mehr wie letzte Nacht. Wenn ein Danoner Ihnen Unsterblichkeit oder sonst irgendwas anbieten sollte, informieren Sie Mr. Spock oder mich sofort.« »Wenn mir das passieren sollte«, meinte Schang, »dann werde ich sie auf der Stelle in die Hölle jagen.« Schang schaute Mosley dabei grimmig entschlossen an.
»Gut«, sagte Kirk und verkniff sich ein Lächeln. »Gibt es sonst noch etwas?« Schang hob die Hand. »Nur noch eines, Sir. Dieser Kell. Er ist nicht geistesgestört wie Doyle und die anderen, von denen Sie uns berichtet haben. Ist das richtig?« »Im großen und ganzen ja, aber ich glaube, ganz stabil ist auch Kell nicht. Wir werden mit ihm außerordentlich vorsichtig umgehen müssen.« Er warf einen Seitenblick auf Gilla, aber sie machte keine Anstalten, seiner Analyse zu widersprechen. »Ist das alles?« Diesmal meldete sich niemand mehr zu Wort. »Also«, sagte Kirk, »ich möchte betonen, daß wir, sobald es dunkel ist, besonders wachsam sein müssen. Ich habe beschlossen, daß wir heute nacht alle in dieser Hütte hier schlafen. Zwei von uns werden jeweils zweistündige Wachen übernehmen, einer in der Hütte, einer draußen.« Der Grund für diese Maßnahme war offensichtlich – eine Wiederholung von Schangs Nickerchen während der letzten Nacht zu vermeiden – aber Kirk hielt es nicht für nötig, darauf hinzuweisen. Obwohl Schang kaum ein Wort darüber verloren hatte, schien er doch einigermaßen beschämt. Doch was geschehen war, war geschehen. »Es wird ein wenig eng sein, aber ich denke, wir werden es aushalten.« »Liegt irgendein besonderer Grund vor, warum wir noch warten, Sir?« fragte Leutnant Sulu. »Ich meine, wir könnten Kell ebensogut sofort holen und nicht bis morgen warten.« »Es gibt zwei triftige Gründe für meine Entscheidung«, erwiderte Kirk. Seine feste Stimme versteckte die Tatsache, daß er insgeheim mit Sulu übereinstimmte. Seine Absicht war ursprünglich gewesen, sofort zu handeln, aber Gilla hatte ihn überredet. Sie glaubte fest, daß Kell, wenn man ihm nur ein wenig Zeit geben würde, seine Meinung ändern könnte. Kirk war überzeugt, daß der eigentliche Grund für ihr Zögern in
ihrer Abscheu gegen jegliche Art von Gewalt lag. »Erstens wäre es mir lieber, wenn Kell sich uns aus freiem Willen anschließen würde, und ich möchte ihm die Gelegenheit geben, das zu tun. Und zweitens sieht es so aus, als seien die Danoner in erster Linie nachtaktiv. Wenn wir bis zum Tagesanbruch warten, schlagen wir zu, wenn ihr Widerstand am schwächsten ist, wenn sie dabei sind, sich zur Ruhe zu begeben. Genügt Ihnen das, Mr. Sulu?« Sulu war etwas erstaunt über die Schärfe in Kirks Stimme. »Ich wollte keine Kritik üben, Sir.« »Nein, natürlich nicht. Ich bitte um Entschuldigung. Aber Sie können etwas anderes für mich tun, Mr. Sulu. Nehmen Sie Schang und Mosley mit in den Wald, und versuchen Sie, so viele Früchte zu sammeln, daß wir die Nacht überstehen. Am besten gehen Sie sofort los. Ich möchte, daß Sie zurück sind, ehe es dunkel wird.« »Ja, Sir.« Nachdem Sulu, Schang und Mosley abmarschiert waren, stand Gilla auf und sagte, sie wolle ein bißchen zum Luftschnappen nach draußen gehen. Kirk hinderte sie nicht. Allein mit Spock und McCoy sagte er: »Nun, meine Herren, was meinen Sie? Ist es das Risiko wert?« »Ich würde sagen, ja, Jim«, erwiderte McCoy. »Ich sehe offengestanden keine andere Alternative.« »Mr. Spock, Sie wirken besorgt.« »Ich habe versuchsweise einen Vorschlag zu machen, Captain, etwas, das ich lieber nicht in Gegenwart der übrigen diskutieren wollte. Da es die Mentalkraft ist, die dem Gelingen Ihres Planes als einziges Hindernis im Wege steht, wäre ich bereit, die Verschmelzung zu versuchen, in sie einzudringen und ihrer Stärke meine vulkanischen Geisteskräfte entgegenzustellen.«
»Und sich gleichzeitig zu zerstören?« Kirk schüttelte energisch den Kopf. »Wir wissen einfach zu wenig über die wahre Natur dieser Kraft, um ein solches Risiko einzugehen. Mit dieser Kraft hat es weit mehr auf sich, als uns bislang bekannt ist. Bei allem gebührlichem Respekt vor Ihren geistigen Kapazitäten, Mr. Spock, ich möchte nicht danebenstehen und zuschauen, wie Sie wahnsinnig werden.« Spock nickte steif. »Wie Sie wünschen, Captain.« »Ich halte es wirklich für besser so.« Kirk stand auf. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich möchte selbst ein wenig Luft schnappen gehen. Ich werden vor Einbruch der Dunkelheit zurücksein.« Gilla wartete vor der Hütte. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir Ihre Gedanken zu verraten?« fragte er sie. Sie zuckte mit den Schultern. »Überhaupt nicht.« »Was halten Sie von einem Spaziergang?« »Hier? Wohin sollen wir denn gehen?« »Wir werden schon was finden. Kommen Sie.« Sie lachte. »Einverstanden, gehen wir.« Kirk und Gilla schlenderten durch das Labyrinth aus Hütten in Richtung des Dorfzentrums. Die Luft war still und geräuschlos wie immer. »Mr. Spock wollte die Verschmelzung mit der Mentalkraft versuchen, nicht wahr?« sagte Gilla beiläufig. Kirk war überrascht. »Woher wissen Sie das?« »Ich habe Sie nicht belauscht. Aber ich kenne die Psyche der Vulkanier ein bißchen. So etwas wie diese Mentalkraft muß einen Mann wie Spock ungeheuer faszinieren.« »Ich habe ihm untersagt, es zu versuchen.« »Hatten Sie Angst, es könnte ihm genauso ergehen wie meinem Vater?« »Ja, ich fürchtete um seine Gesundheit.«
»Aber wieviel ist ein Leben wirklich wert? Ich will nichts dramatisieren, aber ich glaube, es ist eine ehrliche Frage. Im Gegensatz zu Ihnen halte ich nicht viel von Gewalt. Ich glaube nicht, daß wir meinen Vater gegen seinen Willen von hier fortbringen können.« »Dann lassen Sie mich – für den Augenblick – mal Ihren Gedanken folgen.« »Die Danoner sind der Schlüssel. Sind Sie darin mit mir einig? Wenn sie wollen, daß mein Vater fortgeht, dann wird er es tun.« »Die Danoner oder die Kraft?« »Eins von beiden. Ich meine nur, wir müssen berücksichtigen, warum er für sie wichtig ist und warum sie ihn nicht fortgehen lassen wollen. Er sagt, er hat die Kraft wiederbelebt. Ich stelle mir die Frage: War er es, oder nur das, was er repräsentiert – die Menschheit? Könnte jeder andere Mensch die gleiche Rolle übernehmen?« »Ich hoffe, Sie wollen nicht seine Rolle übernehmen!« Sie lachte. »Ich habe doch gesagt, es sei nur ein Gedanke.« Sie hatten den Dorfplatz erreicht. Kirk betrachtete den Steinturm. Hoch oben auf dem Querbalken saßen zwei Danoner, ein dritter hockte in der Gabelung der beiden Diagonalen. Als sie Kirk und Gilla entdeckten, winkten sie ihnen aufgeregt mit ihren kleinen Händen zu. Kirk zögerte einen Moment, dann winkte er zurück. »Müssen wir hierbleiben?« fragte Gilla, die ihre Hände krampfhaft unten hielt. »Nicht, wenn Sie es nicht wollen.« Sie verließen den Platz und gingen weiter zwischen den stillen Hütten hindurch. »Es fällt mir schwer«, sagte Gilla nach ein paar Schritten, »mich nicht mit der Frage zu beschäftigen, was das alles hier zu bedeuten hat. Mein Vater sprach von dem Verschmelzen der Kraft, als sei es eine Kraftprobe, und ich
glaube, daß ich ihn langsam begreife. Wir Menschen sind so an unsere separate, abgeschlossene Existenz gewöhnt. Wir verbringen sechzig, siebzig, achtzig Jahre eingesperrt in unseren Körpern wie Muscheln in ihren Schalen. Mein Vater hat diese Grenze überschritten. Das war sicherlich nicht einfach, und ich bewundere ihn dafür.« »Und er kann ewig leben«, fügte Kirk hinzu. »Ja, und für mich als Jain ist auch das wichtig. Ich glaube an die Wiedergeburt. Ich bin sicher, Sie nicht – nur wenige, praktisch veranlagte Leute tun das –, aber ich bin überzeugt, daß die Seele niemals stirbt, daß sie wieder und wieder geboren wird, daß sie von einem Körper in den nächsten schlüpft, von einem Leben ins nächste, von einer Hülle in die andere, bis einige wenige – die, die am würdigsten sind – endlich befreit werden und von dieser Existenzebene auf eine neue, höhere gelangen, wo die Seele von dem Fluch des ständig Wiedergeborenwerdens erlöst ist. Mein Vater hat diese Erlösung erreicht. Ich beneide ihn.« »Wenn das der Fall ist, warum wollen Sie ihn dann nicht hier auf Herzland bleiben lassen?« »Weil er nicht tot ist.« Sie umklammerte seinen Arm bei diesen Worten. »Darum ist es nicht recht, und er ist nicht glücklich. Er hat etwas Grandioses erreicht, aber er kann es nicht genießen. Wenn sein Körper stirbt, ist das vielleicht etwas anderes. Im Augenblick ist er gleichzeitig tot und lebendig. Ich glaube nicht, daß man das ertragen kann, ohne wahnsinnig zu werden.« »Lassen Sie dabei nicht etwas außer acht?« »Was denn?« »Die Natur dieser Mentalkraft. Spock hat Kontakt mit ihr gehabt. Er hat mir berichtet, daß sie voller Haß ist. Wir haben es hier nicht mit einer wohlmeinenden Gottheit zu tun, Gilla. Sie ist böse.«
»Glauben Sie das wirklich? Böse?« »Ja, böse. Ich weiß, das ist ein schwieriges Wort. Wir leben in einer Zeit, wo uns zu viel bekannt ist, das wir zu verstehen glauben. Wir haben Psychologie, Psychoanalyse, Soziologie, Anthropologie und ein Dutzend anderer Wissenschaften, die uns sagen, warum Leute in gewisser Weise handeln. Vorstellungen von Gut und Böse gehören einer ignoranten, abergläubischen Vergangenheit an. Aber ich zweifle manchmal. Ich mag diese Danoner nicht. Ich mag ihre Mentalkraft nicht. Und eines von beiden – oder beides – hat Ihren Vater weit mehr infiziert, als er zuzugeben bereit ist.« Ihre Wanderung hatte sie zum Waldrand geführt. Kirk entdeckte einen schmalen Pfad, der in den Wald hineinführte, und machte Gilla Zeichen, ihm zu folgen. »Sind Sie sicher, daß wir da hineingehen sollten?« meinte sie zögernd. »Warum nicht. Wir haben Zeit genug.« Sie folgte ihm. Sie hatten erst eine kurze Strecke zurückgelegt, als der Pfad plötzlich abbog und die Bäume den letzten Blick auf das Danonerdorf verdeckten. Kirk spürte Erleichterung. Eine sanfte Brise erhob sich. Er ging beschwingteren Schrittes weiter, wie noch nie, seit er auf diesem Planeten gelandet war. »Ich bin froh, daß wir hergekommen sind«, meinte Gilla. »Es ist so friedlich hier. Dämmrig und voller Geräusche – voller Leben, aber friedlich.« »Mir gefällt es auch.« Auch erhörte es: Vogelgesang, summende Insekten, das Rascheln der Blätter im Wind. Er legte ihr den Arm um die Taille. Der Pfad wurde noch schmaler. Kirk blieb stehen. Auf einer Seite stand ein riesiger, weidenähnlicher Baum mit langen, grünen, tief hängenden Ranken. Er wußte, was sie darunter finden würden: ein
verborgenes, kühles, dunkles und in diesem Klima vermutlich trockenes Fleckchen. »Gehen wir dort hin?« Sie nickte. Sie schlüpften unter dem Vorhang aus Zweigen hindurch. Es war genauso, wie Kirk es sich vorgestellt hatte: ein privates Plätzchen ganz für sie allein.
18
Kirk hielt Wache vor der Hütte. Er hob den Kopf, schaute nach Osten und nickte. Der Himmel wurde wirklich langsam heller. Die Dämmerung war endlich nicht mehr weit. Bald war es Zeit zu handeln. »Mr. Spock«, sagte er leise durch die Türöffnung. »Hier, Captain.« »In ein paar Minuten wird es Morgen.« »Irgendein Zeichen von den Danonern?« »Kein Mucks. Es ist so still wie in einem Kinderzimmer.« »Wann wollen Sie die andern wecken?« »Bald. Geben Sie ihnen noch ein paar Minuten. Ich möchte, daß es hell genug ist, so daß wir keine Lampen brauchen. Ich spreche noch mal mit Scotty, dann legen wir los. Wie steht’s bei Ihnen, Mr. Spock? Irgendwelche Probleme?« »Nein, Captain. Die Wache war reine Routine.« »Ich hoffe, Sie beschweren sich nicht darüber.« »In keiner Weise.« Kirk nickte. Die Nacht war ohne jegliche Zwischenfälle verlaufen. Er und Spock hatten die erste Wache übernommen, gefolgt von McCoy und Mosley, dann Sulu und Schang. Jetzt war er draußen vor der Hütte zum zweiten Mal an der Reihe. Bislang hatte niemand etwas gehört oder gesehen. Das gefiel ihm gar nicht. In seinem Angriffsplan hatte er ein Danonerdorf vorgesehen, das von den nächtlichen Aktivitäten erschöpft war. Schliefen sie? Vielleicht brauchten sie überhaupt gar keine Rast. Woher konnte er die Gewißheit nehmen, daß sie nicht auch jeden Moment aufwachen und ihr Tagwerk bei Tagesanbruch beginnen würden?
Kirk blickte wieder zum Himmel empor. Deutlich zeichnete sich jetzt das wachsende Grau gegen die nächtliche Schwärze ab. Er schaute zu, wie das Grau langsam zum Zenit kroch. Kirk nahm den Kommunikator von seinem Gürtel und klappte ihn auf. »Mr. Scott?« »Hier, Sir.« »Hier unten fängt es langsam an hell zu werden. Ich werde die anderen in wenigen Minuten wecken. Geben Sie uns zwanzig Minuten, bis wir zu Kell gekommen, und fünf weitere, bis wir ihn in unsere Gewalt gebracht haben. Halten Sie sich von da an bereit, uns jederzeit hochzubeamen.« »Wir sind jetzt schon bereit. Ich habe Wachen im Transporterraum aufgestellt, und ich habe vor, mich selbst dorthin zu begeben, sobald wir unser Gespräch beendet haben.« »Ich freue mich darauf, Ihr lächelndes Gesicht wiederzusehen, Scotty.« »Werden Sie bei der ersten Gruppe dabeisein?« »Nein, das ist eines der Dinge, die ich Ihnen sagen wollte. Ich habe beschlossen, daß Mosley und ich hierbleiben und Dr. McCoy und Mr. Spock die Verantwortung für den Transport von Kell übernehmen werden.« »Ich hatte eigentlich gehofft, daß Sie mit der ersten Gruppe kommen werden, Captain.« »Was gibt’s denn, Scotty? Lastet die Bürde der Kommandoverantwortung zu schwer auf Ihren Schultern?« »Durchaus nicht, Sir. Ich meinte nur…« »Ich weiß schon, Scotty, ich weiß. Aber ich bin der Captain.« Kirk redete mit wohlberechneter Unbeschwertheit. »Von mir wird erwartet, daß ich mit meinem Schiff untergehe, oder?« »Das ist doch kein Schiff, Sir.«
»Nein, aber ich bin ein Captain. Warten Sie auf unser Signal. Ich werde bis dahin keine Gelegenheit haben, mit Ihnen zu reden.« »Captain?« »Ja, Scotty? Ist noch was?« »Ich wollte Ihnen nur Hals- und Beinbruch wünschen.« »Danke. Aber warum machen Sie sich Sorgen? Wir haben schon wesentlich gefährlichere Situationen gemeistert.« »Ich weiß, Sir, aber der Planet hat irgendwas Seltsames an sich. Sogar von hier aus, auf dem Bildschirm, kommt mir’s vor, als sei etwas faul damit.« »Na, ich weiß Ihre guten Wünsche zu schätzen. Wir sprechen uns später.« »Ich warte darauf, Sir.« »In Ordnung. Kirk Ende.« Nachdem Kirk seinen Kommunikator wieder am Gürtel befestigt hatte, warf er einen Blick auf den Himmel, der sich jetzt wie ein graues Laken über ihn spannte. Nur noch die hellsten Sterne waren zu erkennen. Er sah sich in der Umgebung um. Die Umrisse der umliegenden Hütten waren deutlich zu sehen. Er lauschte. Nichts. Erst eine stille Nacht, nun ein stiller Tag. Ja, es war Zeit zu handeln. Er ließ sich auf alle viere nieder und kroch in die Hütte. Mr. Spock stand an der Rückwand gegenüber dem Eingang, eine tragbare Lampe zwischen den Füßen. »Jetzt, Captain?« fragte er leise. »Ja, fangen Sie an, die anderen zu wecken.« Spock nickte. Er drehte sich um und ging von einer am Boden schlafenden Gestalt zur anderen und rüttelte sie wach. Kirk wartete ab, bis alle wach und einigermaßen bei sich waren, dann verließ er die Hütte. Mosley folgte dicht hinter ihm, dann kamen Schang, McCoy, Gilla, Spock und Sulu. Kirk hatte am Vorabend versucht, Gilla zu überreden, Herzland zu
verlassen und an Bord der Enterprise auf ihren Vater zu warten. Sie hatte sich geweigert. »Als ich herkam, habe ich mir selbst das Versprechen gegeben, nicht ohne meinen Vater wieder wegzugehen. Es war und ist mir damit ernst, Jim.« In der gleichen Reihenfolge, in der sie die Hütte verlassen hatten, schlichen sie so leise wie fallender Schnee durch das Dorf. Sie erreichten den Dorfplatz, und Kirk schaute zum Turm. Doch nichts – kein grinsender Danoner – störte die düstere Kulisse. Bei einer bestimmten Hütte angelangt, hob Kirk die Hand, und die anderen blieben stehen. Kirk schaute über die Schulter auf Gilla, die nickte. Es war Kells Hütte. »Mosley, Spock«, flüsterte Kirk. »Sie kommen mit. Sulu und Schang, Sie flankieren den Eingang. Pille, gib mir deinen Leuchtstrahler, ich brauche ihn vielleicht.« McCoy zog seinen Leuchtstrahler aus der Erste-Hilfe-Box und reichte ihn Kirk. Das Gerät war ein miniaturisierter Energiespeicher von der Größe eines Daumennagels, der einen hellen Laserstrahl erzeugte. Kirk ging zur Hütte. An der Tür blieb er stehen, ließ sich auf die Knie nieder und blickte hinein. Mit dem Kopf gab er Sulu und Schang das Zeichen, ihre Positionen einzunehmen. Mosley und Spock warteten hinter ihm. Kirk duckte sich und schlüpfte schnell in die Hütte. Drinnen angekommen, sprang er auf die Füße. Es war stockfinster. Er trat einen Schritt vor und spürte den weichen Teppich unter den Schuhen. Eine Hand berührte seine Schulter. Ohne hinzuschauen, wußte er, daß es Spock sein mußte. Kirk rückte ein Stück zur Seite, um Mosley ebenfalls hereinkommen zu lassen. Dann schaltete er den Leuchtstrahler ein und richtete ihn zur Decke.
Kell lag zusammengerollt in einer Ecke. Offenbar schlief er fest. Kirk betrachtete ihn aufmerksam. Seine Brust bewegte sich auf und ab, seine Lippen vibrierten. Das Gesicht des Mannes war völlig ausdruckslos. Kirk hielt den Strahler auf die Decke gerichtet, und seine Schritte wurden durch den dicken Teppich gedämpft, während er zwischen dem Tisch und den Stühlen hindurch zu Kell hinüberging. Spock folgte ihm auf den Fersen, und Mosley blieb bei der Tür stehen. Kirk war auf wenige Schritte an Kell herangekommen, als der Mann unvermittelt aufschreckte. Er schaute Kirk an, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er schüttelte den Kopf. »Kirk, Sie Idiot.« »Ich möchte, daß Sie mitkommen«, sagte Kirk gleichmütig. »Wohin?« »Auf die Enterprise – mein Schiff.« Kell wurde steif. Aus dem Augenwinkel sah Kirk, wie Mosley seinen Phaser zog. »Es wird Ihnen nicht gelingen«, sagte Kell. »Lassen Sie uns das hier friedlich erledigen«, sagte Kirk. »Gilla ist draußen. Ihr zuliebe sollten wir Ärger vermeiden.« »Sie machen einen Fehler. Einen dummen Fehler.« »Überlassen Sie es mir, das zu beurteilen. Kommen Sie mit, Kell? Oder müssen wir Sie zwingen?« Kell rollte sich vom Bett und stand auf. Er war vollständig angekleidet. »Na schön – ich bin bereit.« »Dann gehen Sie voraus. Ich habe mehr Leute draußen. Wollen Sie nichts mitnehmen?« Kirk zeigte auf die Gemälde. »Ich habe nicht vor, lange fortzubleiben.« Kell ließ sich vor dem Ausgang auf die Knie nieder und wandte sich zu Kirk um. »Es wird Ihnen nicht gelingen. Ich hoffe, das ist Ihnen klar. Sie können mich gegen meinen Willen nirgendwo hinbringen.« »Dann lassen Sie’s mich versuchen.«
Achselzuckend kroch Kell durch den Eingang. Kirk machte Mosley ein Zeichen, ihm zu folgen. Nachdem er draußen war, kroch Spock hinter ihm her. Kirk hielt noch immer den Leuchtstrahler in der Hand und bückte sich. Durch die Tür hörte er Sulus leise Stimme. »Captain Kirk?« Kirk hielt inne. »Ja, was ist?« »Ich glaube, es gibt Schwierigkeiten, Sir.« »Ich komme.« Als er den Kopf nach draußen ins Morgenlicht streckte, wußte er, was Sulu gemeint hatte. Der Kreis stand in Doppelreihe um die umliegenden Hütten herum. Es waren ihrer mindestens hundert, schweigend und reglos wie zuvor. Die Danoner hatten sich wieder versammelt.
19
Kirk ließ seinen Blick über die Außerirdischen gleiten, dann schaute er zu Kell, der ihn triumphierend angrinste. »Warum haben Sie mich nicht eher gerufen?« wollte Kirk von Sulu wissen. »Sie müssen sich angeschlichen haben. Ich habe sie erst bemerkt, als ich aufschaute und sie plötzlich alle dagestanden sind. Ich habe keine Ahnung, wie das möglich war, Sir.« »Lassen Sie nur. Mosley, halten Sie Kell im Auge. Wenn er die leiseste Bewegung macht, betäuben Sie ihn.« »Gern, Sir«, grinste Mosley. Offenbar hielt er Kell zumindest teilweise verantwortlich für das, was seinem Freund Doyle zugestoßen war. Gilla und McCoy kamen herbeigerannt. Sie schaute ihren Vater an, setzte an etwas zu sagen und hielt unvermittelt inne. Kell wirkte geistesabwesend, seine Augen waren in weite Ferne gerichtet. Seine Kinnlade hing schlaff herunter. »Was machen wir jetzt?« fragte McCoy ohne eine Spur von Panik in der Stimme. Es war nichts als eine ehrliche Frage. »Wir können nur eines tun, Pille«, erwiderte Kirk. »Weitermachen wie gehabt. Hier, nimm deinen Leuchtstrahler wieder. Ich brauche ihn nicht mehr.« Er faßte an seinen Gürtel. Während er den Kreis der Danoner im Auge behielt, rief er die Enterprise. »Scotty, hier Captain Kirk. Wir sind soweit. Beam in dreißig Sekunden ab jetzt die sechs Leute hoch, die ich dir genannt habe.« »Aye, aye, Sir.« Kirk ließ den Kommunikator sinken, ohne die Verbindung zu unterbrechen. »Pille, Spock, schnappt euch Kell.«
Kirk versuchte, die verstreichenden Sekunden nicht einzeln zu zählen. Die Danoner rührten sich nicht. Kirk schaute die anderen Mitglieder seiner Gruppe an: Gilla war nervös, Sulu entschlossen, Schang aufgeregt, Mosley voll bei der Sache. Spock und McCoy hielten Kell an den Armen fest. ›Ein gutes Team‹, dachte Kirk. ›Hoffentlich kriege ich sie alle heil hier raus.‹ ›Noch zehn Sekunden‹, dachte er. ›Mehr kann’s nicht sein.‹ »Die Kraft ist hier«, sagte Spock leise. »Spüren Sie sie?« Spock nickte. »Ich versuche,…« »Nein!« sagte Kirk mit Schärfe. »Halten Sie sich zum Beamen bereit. Ich will nicht…« In einem Lichtstrudel verschwanden Spock, McCoy, Sulu, Schang, Gilla und Kell. Kirk atmetete aus. ›Hoffentlich…‹ Er brachte den Gedanken nicht zu Ende. Die sechs Verschwundenen waren wieder da. Kirk starrte sie verblüfft an. Scotts besorgte Stimme klang aus dem Kommunikator: »Der Transporter scheint nicht zu funktionieren, Sir. Wir waren dabei, Sie hier zu empfangen, und dann kam nichts.« Kirk hielt den Kommunikator vor seine Lippen. »Sie sind wieder hier. Versuchen Sie es nochmal.« »Sofort, Sir?« »Ja.« Spock ließ Kell los und trat auf Kirk zu. »Captain, ich glaube, ich sollte…« Wieder leuchtete der Transporter auf. Wieder verschwanden die sechs und waren wenige Sekunden später wieder da. Kirk bemerkte ein Lächeln in Kells Gesicht. »Ich hab’s Ihnen vorher gesagt. Es geht nicht.«
Kirk ignorierte ihn. Während er in den Kommunikator sprach, hielt er seine Stimme voll unter Kontrolle. »Haben Sie eine Ahnung, woran es liegen kann, Scotty?« »Nicht die geringste, Captain. Die Computeranalyse ist negativ. Mechanisch scheint das System völlig in Ordnung zu sein. Soll ich es noch einmal versuchen?« »Nein, nicht sofort. Ich glaube, das Problem könnte hier unten liegen.« »Dort, Sir? Aber ich…« »Ich auch nicht, Mr. Scott. Das ist, was ich jetzt herausfinden will.« »Wie Sie wünschen, Captain.« Kirk trat auf den grinsenden Kell zu. »Laß ihn los«, befahl er McCoy, der den Mann immer noch am Arm festhielt. »Jim, nicht«, sagte Gilla und stellte sich zwischen ihn und ihren Vater. »Ich habe nicht die Absicht, ihm etwas anzutun«, antwortete Kirk. »Das können Sie sowieso nicht«, sagte Kell herausfordernd. »Haben Sie das noch immer nicht begriffen? Sie sind ein geschlagener Mann, Kirk. Warum verschwinden Sie nicht von hier und lassen uns in Ruhe? Sie haben es mit einer Kraft zu tun, die weit stärker ist als Sie und Ihre Maschinen.« Kirk schüttelte müde den Kopf. Im Moment war es schwer, Kell nicht recht zu geben. Er schaute Spock an und erkannte sofort, daß etwas nicht stimmte. Die Augen des Vulkaniers starrten blicklos ins Leere, sein Körper war starr. »Spock«, sagte Kirk und ging um Gilla und Kell herum, als wären sie gar nicht da. »Was haben Sie getan?« »Rufen. Schiff.« Spocks Stimme klang wie aus weiter Ferner. »Ich bin… eingetaucht. Rufe Scott und laß ihn… hochbeamen.«
Kirk wußte, was Spock getan hatte: Er hatte seinen Geist mit der danonischen Mentalkraft verschmolzen. Kirk nahm den Kommunikator an die Lippen und sprach hastig: »Scotty. Versuchen Sie es noch mal. Beamen sie alle außer Spock und mir hoch. Sofort.« »Aye, aye, Sir.« Der Schweiß auf Spocks Gesicht ließ seine Haut in der frühen Morgensonne glänzen. Licht blitzte auf, als sich der Transporter in Gang setzte. Die sechs Gestalten begannen zu verschwimmen. Spock schrie auf. Es war ein grauenerregender Ton unerträglicher Agonie. Er faßte sich an den Kopf und stürzte zu Boden. Die sechs Gestalten erschienen wieder. Kirk sprang hinzu, um Spock zu Hilfe zu kommen. Der Vulkanier rollte langsam auf den Rücken. Er begann sich mit den Fäusten ins Gesicht zu schlagen. Blut quoll hervor, grünes, kupferhaltiges Vulkanierblut. Kirk drehte sich der Magen um. Er hörte Kell lachen. »Mosley, Schang, halten Sie seine Arme fest!« befahl Kirk laut. Dann kniete er sich hin und versuchte, Spocks Beine zu fassen, die wild um sich traten. Sulu versuchte ihm zu helfen. McCoy eilte hinzu. Er hatte den Sprayinjektor schon bereit. Spocks Kräfte waren ungeheuerlich. Es brauchte alle Anstrengung der vier Männer, um ihn am Boden zu halten. Als McCoy sich niederbeugte, um die Injektion anzusetzen, wurde Spock plötzlich steif. Kirk konnte spüren, wie sich alle Muskeln in seinem Bein gleichzeitig anspannten. Dann erschlaffte Spock. Kirk schaute sein Gesicht an. Er hatte die Augen geöffnet. Kirk starrte ihn voll staunenden Entsetzens an. Er vermochte seinen Augen nicht zu trauen. Spock weinte. Nasse Tränen rannen ihm über die Wangen.
Kirk richtete sich auf. »Laßt ihn los.« Mosley, Schang und Sulu standen auf. Spock lag am Boden. Sein Körper zuckte krampfartig. »Soll ich…?« fragte McCoy und hielt die Spritze in die Höhe. Kirk nickte. McCoy beugte sich nieder. Spock widersetzte sich nicht, als die Injektion leise zischte. McCoy richtete sich wieder auf. Spock hatte die Augen geschlossen. Sein Atem ging regelmäßig. »Ist er…?« fragte Kirk. »Wird er…?« McCoy schüttelte den Kopf und schaute in die andere Richtung. »Ich weiß nicht mehr als du, Jim.« »Der Narr ist wahnsinnig geworden!« rief Kell triumphierend. »Habe ich Sie nicht gewarnt? Er hat versucht, sich mit einer Kraft einzulassen, die größer ist als er, und nun hat er den Preis dafür bezahlt!« Kirk fühlte sich zu niedergeschlagen, um darauf einzugehen. »Pille, wir müssen Spock irgendwie an Bord bringen.«
20
Kirk saß auf einem umgestürzten Baumstamm am Waldrand und sah zu, wie Gilla Duprée zwischen zwei nahestehenden Hütten hindurch auf ihn zukam. Ihre Gestalt in dem fließenden Gewand war in der zunehmenden Dämmerung nur undeutlich zu sehen, aber er hatte keine Mühe, sie zu identifizieren. Als ihre Schritte sich näherten, wandte er sich wieder ab und schaute in den Wald. Ihre Hand legte sich auf seine Schulter. »Sie sollten nicht allein hier sitzen, Captain.« Er schaute lächelnd auf. »Jetzt bin ich nicht mehr allein.« »Sagen Sie nicht, Sie wußten, daß ich kommen würde.« »Um ehrlich zu sein, nein. Ich habe versucht, nachzudenken.« »Sie waren mutlos?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wirklich. Das bringt nichts.« Er klopfte auf den Baumstamm neben sich. »Wir sind auf einem seltsamen Planeten, und die Danoner sind höchst seltsame Gegner, falls sie das tatsächlich sind. Nein. Ich habe nur versucht, meine Gedanken zu ordnen. Ich wollte sehen, ob ich zu irgendeinem Schluß komme.« »Und?« »Ich fürchte, ich bin nicht viel weitergekommen. Es gibt noch immer zu viel, was wir nicht wissen. Diese Mentalkraft kann besiegt werden, dessen bin ich mir allerdings sicher.« »Weshalb?« »Weil nichts unbesiegbar ist, mit Ausnahme vielleicht eines Gottes, und damit haben wir es hier nicht zu tun.« »Und wie steht es mit dem Teufel?« »Nein, das ist etwas anderes.«
Sie setzte sich neben ihn und strich ihr Kleid glatt. »Sind Sie nicht religiös?« »Nein, ich glaube nicht. Ich stehe eher auf dem wissenschaftlichen Standpunkt: Alles in der Schöpfung hat seine eigenen, bestimmten Grenzen.« »Aber die haben Sie bisher nicht gefunden. Nicht für diese Kraft.« »Noch nicht, aber ich werde es.« »Ich bewundere Ihre Stärke, Jim.« »Tun sie das wirklich? Um ehrlich zu sein, ich bin mir dessen überhaupt nicht sicher. Ich habe unseren Gegner heute morgen drastisch unterschätzt, und Mr. Spock hat dafür büßen müssen, jetzt weiß ich es besser. Aber es gibt einen Ausweg, und wenn ich ihn nicht finde, findet ihn ein anderer. Der Schiffscomputer arbeitet auf Hochtouren und analysiert alle erreichbaren Daten über Gruppenintelligenz. Es muß eine Antwort geben.« Sie nickte geistesabwesend, den Blick in die Ferne gerichtet. »Und was wird aus Mr. Spock? Wird er sich wieder erholen?« Spock befand sich nicht mehr auf Herzland. Im Laufe des Tages hatte Kell Kirk in seiner Hütte aufgesucht, um ihm zu sagen, daß es keine Hindernisse gäbe, falls Kirk wünsche, Spock zu besserer medizinischer Pflege auf die Enterprise zu transportieren. Einen Augenblick lang hatte Kirk den Eindruck gehabt, eine Spur von Humanität in Kells Verhalten zu erkennen, und hatte das Angebot angenommen. Er hatte den protestierenden McCoy mit Spock mitgeschickt. »Ich habe mit Dr. McCoy gesprochen«, sagte Kirk als Antwort auf Gillas Frage, »und er glaubt, es besteht Grund zu Hoffnung. Spocks Zustand ist nicht der gleiche wie der von Doyle. Es gibt keine Anzeichen für einen bleibenden Hirnschaden. Es mag sich eher um einen vorübergehenden Schock als eine dauerhafte Psychose handeln.«
»Ich hoffe es aus ganzem Herzen. Ich mag Mr. Spock. Und es war meine Idee, auf Herzland zu kommen. Wenn wir uns nicht getroffen hätten, wäre das alles nicht geschehen.« »Sie sollten sich keine Vorwürfe machen.« »Wieso? Tun Sie das nicht? Machen Sie sich nicht selbst auch verantwortlich?« »Ich bin verantwortlich. Ich bin der Captain.« Sie lächelte. »Ich dachte, wir hätten vereinbart, daß Sie Jim heißen.« Er lächelte ebenfalls. Ihm gefiel ihre scharfsinnige, gescheite Art. »Sagen Sie mir ehrlich, was Sie von mir denken.« »Wollen Sie das wirklich wissen?« Er nickte. »Ja.« Aber als er es sagte, kam er sich plötzlich reichlich albern vor, wie ein Kind, das nach Komplimenten heischt. Gilla dagegen nahm ihn ernst. Sie dachte lange nach. »Ich halte Sie für einen der komplexesten Menschen, der mir je begegnet ist.« Kirk war ehrlich überrascht. »Als solchen habe ich mich noch nie betrachtet.« »Darf ich einen Vergleich machen? Sie kommen mir vor wie die Muster eines Kaleidoskops.« »Ist das positiv?« »Ich denke schon. Es heißt, Sie sind nicht starr. Sie sind jederzeit bereit, sich zu verändern. Und doch – das ist, was ich mit komplex meine – bleiben Sie sich dabei immer treu. Wenn ich könnte, würde ich Sie in ein Stück einbauen. Das ist der einzige Weg für mich, einer anderen Person wirklich nah zu kommen.« »Was meinen Sie mit einbauen?« »Als Figur. Nicht wirklich Sie selbst, natürlich, nicht Ihre ganze Person – nur die Struktur. Um die herum baue ich meine Stücke auf, und während ich das tue, erfahre ich mehr und mehr über das wahre Individuum. Ich habe eine Reihe kurzer
Stücke um die Gestalten imaginärer Offiziere der Sternenflotte komponiert, aber Sie sind der erste, den ich wirklich kennengelernt habe, seit mein Vater uns verließ. Und Sie entsprechen überhaupt nicht den Erwartungen, die ich mittlerweile hatte.« »Und die waren?« Sie schloß die Augen und konzentrierte sich auf ein geistiges Bild. »Jemand älterer. Bösartiger. Eine kalte, realistische, unemotionale, loyale, zuverlässige, effiziente Person. Ein rauher, aber strenger Zuchtmeister.« »Das klingt nach Captain Bligh.« Sie lachte. »So extrem habe ich es nun auch wieder nicht gemeint. Und außerdem habe ich doch gesagt, daß Sie anders sind.« »In dem Fall gebe ich Ihnen die Erlaubnis.« »Erlaubnis?« »Daß Sie mich einbauen. Mich in einem Stück verwenden. Ich würde es als eine Ehre betrachten, in Ihrem Werk zu erscheinen.« Ihr Lächeln verschwand, und sie wirkte irritiert. »Nicht jetzt«, sagte sie. »Nicht hier.« »Ich meine, wenn Sie wieder zu Hause sind – auf Luna.« »Oh.« Ihr Lächeln kam zurück, aber es wirkte gequält. »Dann werde ich es vielleicht tun«, sagte sie. Kirk schaute an ihr vorbei. Er hatte im Wald irgend etwas gesehen, wenn auch nur ganz undeutlich, und er versuchte, es wiederzufinden. Er konzentrierte sich und ließ seinen Blick durch das dichte Unterholz wandern. Ja. Da war etwas. Er sah es wieder. Ein grauer Schatten unter den großen, grünen Blättern einer Blütenpflanze. Kirk stand auf. Er tat so, als sei er nach wie vor im Gespräch mit Gilla. »Ich glaube, es wird langsam Zeit, daß wir uns wieder…«
Dann sprang er unvermittelt los, erreichte das Gebüsch in wenigen Schritten und faßte mit den Händen durch das dichte Blätterwerk. Er spürte etwas Weiches und zog es hervor. Es war Lola – der Piker von Bates. Das Tier wand sich in Kirks Armen. Er ließ es los. Reni Bates kam hinter einem Baum hervor. »Tun Sie ihr nichts«, sagte er zu Kirk. »Wir sind hergekommen, um zu versuchen, Ihnen zu helfen.«
21
Reni Bates saß auf dem umgestürzten Baumstamm. Lola hatte sich zu seinen Füßen zu einer großen, grauen, pelzigen Kugel zusammengerollt, und Kirk stand hoch aufgerichtet vor ihm. »Mir ist es ernst, Bates«, sagte er. »Ich will, daß Sie mir diesmal die Wahrheit sagen – die ganze Wahrheit. Ich will, daß Sie mir nichts mehr verschweigen.« Bates nickte und befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge. »Sind Sie sicher, daß keiner von diesen Teufeln hier herumschnüffelt?« »Wir sind allein, das sehen Sie doch. Jetzt raus damit!« Bates machte eine hilflose Geste. »Womit soll ich denn anfangen?« »Fangen Sie mit der Mentalkraft an – diesem Gesamtgeist der Danoner. Kell hat uns davon berichtet. Sie haben es nicht einmal angedeutet. Das ist, was die Siedler in den Wahnsinn getrieben hat, und Sie müssen es gewußt haben.« »Das ist eine Lüge, Captain«, sagte Bates leise. »Sie geben zu, daß Sie gelogen haben?« »Nicht ich.« Ein Ausdruck trotzigen Triumphs huschte über sein Gesicht. »Kell hat gelogen.« »Woher wissen Sie, was er gesagt hat? Sie waren doch nicht dabei.« Bates berührte seine Ohren. »Ich habe zugehört. Hinter der Hütte. Ich habe seine ganze Lügengeschichte mitgehört.« »Warum erzählen Sie mir denn nicht den Rest, die Wahrheit?« »Das will ich ja. Aber erst möchte ich etwas von Ihnen. Ein Versprechen. Ich möchte eine Bedingung stellen.«
Kirk hatte immer gewußt, daß Bates vor irgend etwas Angst hatte. Jetzt würde er vielleicht erfahren, wovor. »Nennen Sie Ihre Bedingung.« »Ich will diesen Planeten verlassen. Ich will nach Hause. Ich möchte, daß Sie mir versprechen, mich mitzunehmen, wenn Sie fortgehen.« »Dem steht nichts im Wege. Das Gesetz gilt für Sie genauso wie für Kell. Sie dürfen hier nicht bleiben.« »Und ich möchte Straffreiheit«, sagte Bates noch leiser. Er senkte den Kopf und starrte auf den Boden. »Straffreiheit für was?« »Für das, was ich Ihnen jetzt erzähle. Für das, was ich vor vierzig Jahren getan habe. Ich will Ihr Wort darauf.« »Bevor Sie es mir erzählen, oder danach?« »Vorher.« Kirk überlegte einen Augenblick. Es stand außer Frage, daß Bates kein Wörtchen herausrücken würde, bevor er das Versprechen nicht hatte. »In Ordnung«, sagte Kirk. »Sie haben mein Wort. Ich werde tun, was ich kann, um Ihnen zu helfen. Ich kann Ihnen keine Blanko-Garantie geben, meine Macht ist begrenzt. Aber ich werde tun, was ich kann.« Bates nickte langsam, den Blick nach wie vor starr auf den Boden gerichtet. »Mehr kann ich wahrscheinlich nicht verlangen. Also gut.« Dann schaute er plötzlich auf. »Womit wollen Sie denn, daß ich anfange?« »Fangen Sie mit der Kolonie an«, forderte Kirk. »Mit Ihrer Rolle in dieser Geschichte.« »Das fällt mir am schwersten. Aber ich werd’s tun. Wir kamen alle her, um eine neue Welt aufzubauen. Es gab Bauern, Viehzüchter, Landwirte, Handwerker. Wir waren Pioniere, das Rückgrat einer jeden zivilisierten Gesellschaft. Sie haben Herzland gesehen, Captain. Es ist ein Paradies. Warum soll man sich abrackern und dem Boden nichts als ein paar magere
Ernten abquälen, wenn jeder Baum des Waldes das ganze Jahr über reife Früchte trägt?« »Man tut es«, sage Gilla, die zum ersten Mal seit Bates aufgetaucht war, den Mund aufmachte, »weil dieser Reichtum irgendwann einmal aufgebraucht sein wird. Was sollen dann die Kinder essen?« Bates runzelte die Stirn. »Das ist leicht gesagt. Wenn Sie die Arbeit tun müssen, ist es schwerer. Aber mißverstehen Sie mich nicht. Es war nicht bloße Faulheit. Während der ersten Monate arbeiteten wir hart, aber der Boden war karg. Wenn es Zeit war zu säen, regnete es. Wenn geerntet werden sollte, gab es Sturm. Die Herdentiere starben aus rätselhaften Gründen. Vielleicht hätten wir durchhalten und überleben können. Ich weiß es nicht. Ich weiß, daß wir aufgegeben haben.« »Es muß sehr hart gewesen sein«, sagte Gilla voller Anteilnahme. Bates nickte. Er sprach jetzt direkt zu Gilla. Kirk ließ es geschehen. »Und auf Herzland war das Nichtstun eine sehr verlockende Möglichkeit. Man konnte zum Beispiel den Danonern zuschauen. Keiner von ihnen arbeitete. Ich war der erste, der sich für sie interessierte. Mein Land lag ganz nah bei ihrem Dorf. Wir hatten natürlich immer gewußt, daß sie dort waren, aber unser Vertrag schrieb vor, daß wir uns nicht in ihr Leben einmischten. Außerdem hatten wir genug mit unserer eigenen Arbeit zu tun. Dann mißriet meine Ernte. Meine Ziegen und Rinder und Hühner starben. Ich begann, tagelang im Dorf zu bleiben und mit einigen Danonern zu reden. Dazi war einer von ihnen. Wir freundeten uns an. Bei mir war es vor allem Langeweile, aber die Danoner faszinierten einen jungen Mann wie mich, der bis dahin die Erde noch nie verlassen hatte. Dazi war es, der mir von dem Turm berichtete. Und dann wurde alles anders.« »Der Turm?« fragte Kirk. »Der Turm im Dorfzentrum?«
Bates wandte seinen Blick nicht von Gilla. »Genau der. Darüber hat Kell Sie belogen. Es gibt keine danonische Mentalkraft. Es gibt nur den Turm und das Ding, das darin lebt.« »Wir haben hineingeschaut.« widersprach Kirk. »Der Turm war leer.« Diesmal schaute Bates auf. Sein Blick war fern, verzaubert. »Der Teil, den Sie sehen können, ja. Aber im Boden gibt es noch eine Tür. Machen Sie sich keine Vorwürfe, daß Sie sie nicht entdeckt haben. Sie sollten sie nicht finden. Das Ding, von dem ich spreche, ist wie jeder andere Teufel. Es lebt unter dem Grasboden.« »Wie haben Sie davon erfahren?« »Wie schon gesagt, Dazi berichtete mir davon. Damals waren die Danoner viel zugänglicher. Sie waren bereit und in der Lage zu kommunizieren. Sie waren jünger. Dies ist ihre letzte Generation. Seit über hundert Jahren ist im Dorf kein Kind mehr geboren worden. Was Dazi mir damals nicht erzählte, fand ich dann durch Beobachtung und Rückschlüsse heraus. Die Geschichte fängt tatsächlich vor Tausenden von Jahren an. Die Danoner bewohnten einst die halbe Galaxis. Sie haben sogar der Erde einen Besuch abgestattet.« »Da hat also unsere Teufelslegende ihren Ursprung«, sagte Gilla. Bates sah sie an und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Jedenfalls nicht aus den Gründen, die Sie vielleicht erwarten. Die Danoner waren nicht böse. Damals nicht und vielleicht nicht einmal heute. Sie waren jung, energisch, unternehmungslustig und aggressiv. Einem prähistorischen Höhlenbewohner mußte alles Unbekannte, das vom Himmel kam, bedrohlich erscheinen.« »Was hat das mit dem zu tun, was heute geschieht?« fragte Kirk. Er fing an ungeduldig zu werden. Es war schon fast
dunkel. Er konnte gerade noch die kleinen Augen in Bates’ hagerem Gesicht erkennen. Gilla, die am anderen Ende des Baumstammes saß, war noch weniger deutlich zu sehen. Kirk wollte zurück in seine Hütte zu seinen Leuten. »Entschuldigung«, sagte Bates. »Ich gerate leicht ins Uferlose. Lassen Sie mich von den Torgas berichten. Sie sind eine andere Fremdrasse. Die Danoner begegneten ihnen nahe dem Zentrum der Galaxis. Die Torgas waren nicht humanoid. Sie scheinen schneckenähnlich gewesen zu sein, soweit ich aus den Beschreibungen schließen konnte, Schnecken mit Tentakeln. Die Torgas waren eine junge, unternehmungslustige, expansive, aggressive Spezies. Als sie auf die Danoner trafen, gab es Krieg. Der Krieg dauerte mehrere tausend Jahre.« »Und wo sind die Torgas jetzt?« fragte Gilla. »Wer weiß?« gab Bates zurück. »Vielleicht sind sie vollständig ausgestorben, vielleicht hocken sie so wie die Danoner auf einem einzigen Planeten in einem vergessenen Winkel der Galaxis. Die Torgas scheinen ein wenig stärker gewesen zu sein als die Danoner. Sie kriegten langsam die Oberhand in dem Krieg und vertrieben die Danoner von Planet zu Planet. Schließlich erreichte der Konflikt auch den Heimatplaneten der Danoner. Die Danoner wußten, daß sie entweder erfolgreich Widerstand leisten oder ihr Recht, als Rasse zu überleben, aufgeben mußten. In der Zwischenzeit waren von ihnen nurmehr ein paar hundert übrig. Da entschlossen sie sich, den Turm zu bauen und das Ding entstehen zu lassen, das darin haust.« »Und was ist das Ding?« wollte Gilla wissen. »Ihr Mr. Spock nannte es eine Mentalkraft. Ich nenne es die Große Maschine. Es ist ein Computer, auch wenn das eigentlich keine passende Bezeichnung ist. Die Große Maschine verhält sich zu Ihrem Bordcomputer etwa so, wie ein
Gott zu einem normalen Menschen. Die Danoner fütterten die Gesamtheit all ihres angesammelten Wissens in die Maschine. Und dann gaben sie sich selbst ein. Sie wurden Teil davon.« »Dann hat mein Vater doch nicht die Unwahrheit gesagt?« »Nein. Er hat es nur unterlassen, Ihnen alles zu sagen.« »Aber wozu sollte die Maschine denn gut sein?« »Verteidigung«, erwiderte Bates. »Die Danoner programmierten sich ausschließlich zu ihrem eigenen Schutz, um ihren Planeten gegen Angriffe zu verteidigen.« »Und das war erfolgreich?« Bates nickte. »Ja. Die Torgas haben Herzland nie erobert. Irgendwann müssen sie sich zurückgezogen haben. Aber dann war es für die Danoner zu spät, sich wieder zu erholen. Die Große Maschine hatte die Kontrolle übernommen.« »Sie lebt?« sagte Gilla. »Sie sprechen von ihr, als sei sie lebendig.« »Sie ist so lebendig wie Sie und Kirk und ich und Lola. Die Danoner begannen, die Maschine wie eine Gottheit zu verehren. Sie bringen ihr sogar Opfer dar. Wenn ein Kind geboren wurde, wurde es ebenfalls ein Teil der Maschine.« »Bis es keine Kinder mehr gab«, sagte Kirk, der langsam das Gefühl hatte, etwas zu begreifen. »Genau«, bestätigte Bates. Dann drehte er sich um und schaute Kirk an. »Als Ihr Schiff hier ankam, Captain, haben Sie da den Planeten mit den Sensoren abgetastet?« »Natürlich.« »Und was haben Sie herausgefunden? Nicht auf der Oberfläche meine ich. Die kennen wir. Über das Innere des Planeten – den Kern?« »Den haben wir nicht untersucht«, erwiderte Kirk. »Es schien keine Veranlassung dazu zu bestehen.« »Schade. Ich kann nicht umhin, mir darüber Gedanken zu machen. Mit größerer Wahrscheinlichkeit hätten Sie nichts
entdeckt, aber es bleibt doch eine interessante Vermutung. Ich habe eine Hypothese. Ich glaube, Herzland besitzt keinen Planetenkern mehr im eigentlichen Sinne. Ich glaube, daß Herzland und die Große Maschine ein- und dasselbe sind.« Die unfaßbaren Ausmaße eines solchen Konzepts – ein Computer von der Größe eines Planeten – überwältigten Kirk für einen Augenblick. Er bemühte sich, seinen Sinn für Perspektiven nicht zu verlieren. »Welche Kräfte besitzt denn diese Maschine genau?« »Eine gute Frage«, meinte Bates, »aber eine, auf die es mir schwerfällt zu antworten. Während der Jahre, die ich hier verbracht habe, sind diese Kräfte kaum getestet worden. Ich weiß nur eines: Die Große Maschine kontrolliert das Leben jedes einzelnen Individuums auf diesem Planeten, von der Geburt bis zum Tod und darüber hinaus.« »Sie beschreiben sie wie eine wohlmeinende Größe«, sagte Gilla. Es war inzwischen völlig dunkel geworden, und ihre Stimme wirkte körperlos. »Wie eine Gottheit.« »Es kommt darauf an, was Sie unter wohlmeinend verstehen«, gab Bates zurück. »Eine intelligente Kreatur braucht einen Grund für ihre Existenz. Sie muß in der Lage sein, sich für sich und ihre Kinder eine bessere Zukunft vorzustellen. Die Maschine hat den Danonern diese Möglichkeit genommen. Im Laufe der Zeit hat sie sie getötet. Ich halte es für Völkermord.« »Und die Siedler?« fragte Kirk. »Das haben Sie uns noch immer nicht erklärt.« »Die Maschine hat sie sich einverleibt.« Seine Worte kamen zögernd. »Ich habe mitgeholfen.« »Wie? Und warum?« »Dazi brachte mich eines Nachts in den Turm. Bis dahin hatte er mir nur in verschleierter Form von der Maschine erzählt. Ich hatte ihn gebeten, mir mehr zu zeigen. Ich dachte,
es könnte uns für unsere Ernten nützlich sein. Ich erinnere mich, wie wir durch die Bodentür stiegen, tiefer und tiefer. Ich erinnere mich an Tunnels aus weißem Plastik, Hunderte von ihnen, wie das Labyrinth eines Wahnsinnigen. Wir gelangten in einen großen Raum mit hoher Decke. Dort stand eine Art Stuhl, aus dem lange Kabel wie Haare wuchsen. Dazi wollte, daß ich mich darauf setzte. Ich wollte nicht. Ich hatte Angst. Dann erzählte er mir von der Maschine. Von dem Krieg mit den Torgas – alles. Er erzählte mir, daß, wenn ein Danoner starb, er nie wirklich tot war, weil er Teil der Maschine war. Er sagte mir, ich könnte das auch haben. Er sagte, ich könnte unsterblich werden.« »Haben Sie es versucht?« wollte Gilla wissen. »Ich hätte es getan. Da war etwas Verlockendes an der ganzen Szene. Ich hätte nie widerstehen können. Aber die Maschine wollte mich nicht – noch nicht. Sie wollte, daß ich erst zu den anderen Siedlern zurückginge, ihnen von meiner Entdeckung berichtete und sie herbrächte. Das tat ich. Sie lachten mich aus. Aber sie waren neugierig. Irgendwann kamen sie dann ins Dorf. Die Danoner brachten sie nach unten. Als sie wieder heraufkamen, waren sie wahnsinnig. Jeder von ihnen.« »Und Sie nicht?« »Nein. Ich habe es nie probiert. Ich habe mich nie auf den Stuhl gesetzt. Ich rannte weg. Ich sandte ein Notsignal und versteckte mich im Wald. Das Schiff kam und nahm die anderen mit. Seither verstecke ich mich. Jetzt wissen Sie, warum ich Straffreiheit brauche. Wenn ich nicht gewesen wäre, wären die anderen nicht verrückt geworden.« »Sie haben sie nicht gezwungen«, sagte Gilla. »Nein.« »Wieso ist es dann Ihre Schuld? Und außerdem wird nicht jeder wahnsinnig. Mein Vater zum Beispiel nicht.«
»Nein. Er muß ein außerordentlich starker Mann sein.« »Das ist er«, bestätigte Gilla. »Und außerdem war es ihm egal. Vielleicht ist das der Unterschied. Ihm war egal, ob er lebte oder starb, ob er gesund oder irre war.« »Und jetzt will die Maschine Sie haben«, sagte Bates. »Sie wird Sie nicht mehr fortgehen lassen – niemals. Ich glaube, Kell versuchte zu Anfang, Ihnen zu helfen. Ich habe gelauscht, als er Ihnen sagte, Sie sollten fortgehen, und ich wußte, daß er recht hatte. Er half auch dem anderen Mann fortzugehen. Aber jetzt ist es zu spät. Die Maschine weiß von Ihnen. Sie wird Sie nicht gehen lassen. Sie braucht Sie viel zu sehr.« »Warum denn das?« frage Kirk. »Hat sie mit den Danonern nicht genug? Warum sollte sie uns haben wollen?« »Weil die Danoner aussterben. Was wäre einsamer als eine Gottheit, die keiner anbetet?« Dieser Satz jagte Kirk eine Gänsehaut über den Rücken. »Was raten Sie uns denn zu tun?« »Sie zerstören!« »Wie denn?« »Ihr Schiff ist bewaffnet.« »Die Maschine wurde zur Abwehr von Angriffen gebaut. Was läßt Sie annehmen, daß unsere Phaser ihr etwas anhaben können?« »Wollen Sie es nicht wenigstens versuchen?« Bates war verzweifelt. Aber es war offensichtlich, daß er keine Ahnung hatte, wie man der Kraft der Großen Maschine beikommen konnte. Kirk stand auf. »Kommen Sie mit in meine Hütte. Ich möchte, daß Sie meiner Mannschaft erzählen, was Sie Gilla und mir gerade berichtet haben. Vielleicht können wir alle zusammen – und mit dem Bordcomputer – eine Lösung finden, von diesem Planeten fortzukommen.«
»Natürlich, Captain, natürlich.« Bates klang plötzlich furchtbar müde. Offenbar hatte er von Kirk mehr erwartet und fürchtete nun, daß die Qual seiner Beichte umsonst gewesen war. »Und vielleicht verwandelt sich die Sonne zu einer Nova, und wir sind alle unsere Sorgen los.« Aber er ging mit Gilla und Kirk ins Dorf. Lola blieb ihm auf den Fersen. Sie gingen am Rand des großen Platzes mit dem Turm entlang und steuerten auf ihre Hütte zu. Vor der Tür faßte Gilla Kirk plötzlich am Arm. »Jim, ich möchte mit meinem Vater reden.« Kirk war überrascht. »Warum denn? Sie erwarten doch nicht, daß er uns hilft?« »Nein, darum geht es nicht. Ich will mit ihm reden. Ich komme gleich wieder.« »Ich glaube nicht…« Aber sie war fort. Kirk schaute ihr nach, aber sie war schon nicht mehr zu sehen. Stirnrunzelnd wandte er sich zu Bates. »Kommen Sie.« Sie krochen in die Hütte.
22
In der Hütte saßen Sulu, Mosley und Schang um die Laterne herum. Die Männer waren müde und ziemlich beunruhigt. Als Reni Bates und Lola hinter Kirk herkamen, waren sie verblüfft. »Mr. Bates hat ein paar Dinge zu erzählen«, kündigte Kirk an. »Ich möchte, daß Sie sich anhören, was er zu berichten hat, und mir sagen, ob Sie irgendwelche Ideen haben.« »Was ist mit Gilla, Sir?« fragte Sulu. »Sie wollte mit ihrem Vater reden.« »Dann hat sie ihn gerade verpaßt. Er war bis vor zwanzig Minuten hier.« »Hat er gesagt, was er wollte?« »Er sagte, er wolle einen Handel anbieten. Er sagte, er wüßte ein Mittel, um von Herzland wegzukommen.« »Und das ist?« Sulu lächelte. »Das hat er nicht gesagt.« »Das ist eine Falle, Captain«, schnaubte Reni Bates. »Was immer Sie tun, hören Sie nicht auf ihn. Er spricht als die Stimme der Großen Maschine.« »Was ist denn die Große Maschine?« fragte Sulu. »Das ist eines der Dinge, über die Mr. Bates Ihnen berichten will. Hören Sie ihm zu.« Während Bates seine Geschichte in etwas geordneterer Form wiederholte, ließ Kirk sich in einer Ecke der Hütte auf einen Stapel Felle fallen, lehnte den Kopf und Schultern gegen die Hüttenwand und rieb sich die Augen. Er war hundemüde, und es kostete ihn unendliche Mühe, seine Augen offenzuhalten. Wie Bates war er geneigt, dem Besuch von Kell keine große Bedeutung beizumessen. Es mochte sich später als notwendig erweisen, sich auf einen Handel mit der Maschine einzulassen,
aber dazu war Kirk jetzt noch nicht bereit. Auch wenn die Situation hoffnungslos aussah – eine Handvoll Männer gegen einen ganzen Planeten –, so gab es vielleicht doch noch eine Lösung. Die Minuten verstrichen, währen Bates sprach. Trotz seiner Erschöpfung wurde Kirk immer ungeduldiger – und besorgter. Wo blieb Gilla? Warum hatte sie so plötzlich beschlossen, mit ihrem Vater zu reden? Und wie konnte er sicher sein, daß sie überhaupt die Wahrheit gesagt hatte? Und wenn der Besuch bei ihrem Vater nur eine Ausrede gewesen war? Wenn sie statt dessen mit jemand – oder etwas – anderem sprechen wollte? Er erinnerte sich an gewisse Bemerkungen, die sie gemacht hatte. Seine Besorgnis wuchs. Schließlich hielt Kirk es nicht mehr aus und stand auf. »Ich gehe Gilla suchen«, erklärte er. »Soll einer von uns mitkommen?« bot Sulu an. Kirk schüttelte den Kopf. »Nein. Ich kann das schon alleine.« »Gehen Sie zu Kells Hütte?« »Ja. Wenn ich in einer Stunde nicht zurück bin, rufen Sie das Schiff. Sagen Sie Mr. Scott, daß er das volle Kommando über nimmt, bis Mr. Spock wiederhergestellt ist.« »Erwarten Sie Schwierigkeiten, Sir?« Kirk zwang sich zu einem Lächeln. »Ich glaube, es ist das klügste, immer mit Schwierigkeiten zu rechnen. Mr. Sulu. Dann gibt’s keine Überraschung, wenn sie auftauchen.« »Mir gefällt das nicht, Sir.« »Machen Sie sich nicht so viele Sorgen. Wenn Sie nicht aufpassen, kriegen Sie bald Runzeln auf der Stirn.« Kirk ließ sich auf die Knie nieder und kroch aus der Hütte. Draußen schaltete er McCoys Leuchtstrahler ein, den er sich vor dessen Abreise ausgeborgt hatte – für den Fall eines Unternehmens, wie er es jetzt gerade vorhatte. Er leuchtete die Umgebung ab. Dann machte er sich auf den Weg zu Kells Hütte. Das Dorf wirkte verändert. Wenn er zuvor an den
Hütten der Danoner vorbeigekommen war, hatte er nie bezweifelt, daß, obwohl es so still war, jede von ihnen bewohnt gewesen war. Diesmal nicht. Die Hütten waren leer, dessen war er sich ganz sicher. Die Danoner waren fort. Ohne nachzudenken, beschleunigte er seine Schritte, bis er fast rannte. Erstaunlich, wie die Geschichte von Bates seine Gefühle gegenüber den Danonern verändert hatte. Er betrachtete sie nicht mehr als finstere, teuflische Kreaturen. Nein. Wenn, dann taten sie ihm leid. Die Danoner waren eine einst stolze und nun tragisch aussterbende Rasse. Wie lange würde es dauern, bis die Menschheit ein ähnliches Schicksal erlitt, überlegte er, heruntergekommen von den erstaunlichen Höhen, die sie jetzt einnahmen, in die Tiefen primitiver Wildheit und ein paar kümmerlichen Lehm- und Grashütten? Nichts dauerte ewig. Der Weltraum lehrte einen das. Selbst die Lebensdauer des Universums war endlich. Irgendwann würde unausweichlich der Moment kommen, wo die Schwerkraft ihre Pflicht erfüllte und alles, was jetzt bestand, zu nichts zusammenbrechen würde. Die menschliche Rasse konnte kein besseres Ende erwarten. Und wenn die Zeit gekommen war, wo die letzten Überreste der Menschheit sich in den Ruinen der Erde verkrochen, wer würde diesem letzten Akt als Zeuge beiwohnen? Ein anderes Volk, dachte Kirk, eine Spezies, die gerade jetzt in den kalten Höhlen eines fernen Planeten ums Überleben kämpft. Aus irgendeinem Grund fand er einen gewissen Trost in diesem Gedanken. Der Tod war das Ende, aber ein einsamer Tod war sinnlos. Empfanden die Danoner etwas vergleichbar Tröstliches in der Anwesenheit von Menschen unter ihnen? War das der Grund, daß sie lächelten und winkten? Waren sie froh, beim Sterben nicht alleine zu sein?
Kirk erreichte Kells Hütte. Noch ehe er sich hinkniete, um hineinzukriechen und die Lampe einzuschalten, wußte er, was er vorfinden würde: nichts. Kell war nicht zu Hause. Und keine Spur von Gilla Duprée. Lange stand Kirk in der Mitte des Raumes auf dem Teppich und ließ den Lichtstrahl von einem Gemälde zum anderen, über den Tisch, die Stühle wandern. Dann faßte er einen Entschluß. Er wußte, wo Gilla sein mußte. Ein zorniges Stöhnen kam über seine Lippen. Dann schlüpfte er durch die Tür, richtete sich auf und rannte. In seinem Leben war er noch nicht so schnell gerannt. Sein Herz pochte laut in seiner Brust. Er blieb stehen, als er den Dorfplatz erreicht hatte. Irgend etwas mit dem Turm stimmte nicht. Die Tür stand weit offen, doch diesmal drang ein gelblicher Lichtschein aus der Öffnung. Kirk rannte darauf zu. Eine Stimme brüllte seinen Namen. Kirk blieb stehen und leuchtete in Richtung der Stimme. Kell stand mit hängenden Schultern im Staub neben dem Turm. Er sah unglaublich alt aus. »Kirk«, sagte er mit erstickter Stimme. »Kirk, sie hat mich verlassen.« Kirk hastete über den Platz. Er ließ die Lampe fallen, packte Kell an seiner Tunika und schüttelte ihn heftig. »Wo ist Gilla? Was haben Sie mit ihr gemacht?« »Gilla?« Nur ein winziger Funken von Erkennen lag in seiner Stimme. »Ich habe Gilla nichts getan. Aber sie hat mir etwas angetan.« »Wo ist sie? Raus damit! Wo ist sie?« »Da drin. Mit ihr.« Er nickte in Richtung der Turmtür. »Verstehen Sie nicht, was passiert ist, Kirk? Sie hat mich fallenlassen und statt dessen Gilla genommen. Ich bin allein – völlig allein.«
Kirk ließ ihn los. Er begann zu verstehen, was geschehen war. Es gab nur eine Interpretation für seine Worte: Die Große Maschine hatte ihn im Stich gelassen. Weshalb? Kirk konnte sich nur eine Erklärung dafür denken. Er stürzte durch die Turmtür. »Warten Sie!« brüllte Kell. »Kirk, kommen Sie zurück! Helfen Sie mir! Ich habe Angst! Lassen Sie mich nicht allein!« Im Erdgeschoß des Turmes entdeckte Kirk die Luke in dem Steinboden. Sie stand offen, und das gelbe Licht schimmerte von dort nach draußen. Er kniete nieder und schaute hinein. Eine eiserne Leiter führte durch einen Schacht senkrecht nach unten. Das Licht war grell. Kirk konnte das untere Ende nicht sehen. Ohne zu zögern, schwang er seine Beine über die Öffnung, packte den obersten Holm und begann den Abstieg. Die Sprossen, angepaßt an die Körpergröße der Danoner, lagen nicht weit auseinander, und er konnte zwei oder drei auf einmal nehmen. Er versuchte, nicht ans Fallen zu denken. Der Schacht war wenigster tief, als er von oben vermutet hatte. Nach ungefähr zwanzig Metern erreichte Kirk den Boden. Er bestand aus einer weißen Plastiksubstanz. Seine Stiefel machten ein hohles Geräusch, als er sich im Kreis drehte. Zwei Tunnel aus dem gleichen Material kreuzten sich an dieser Stelle und boten Kirk vier verschiedene Richtungen zur Wahl. Er untersuchte die Wände und den Boden in der Hoffnung, irgendwelche Hinweise zu finden, welche Richtung er einschlagen sollte. Er fand nichts. Die Tunnel hätten seit Jahrhunderten unberührt sein können. Er legte die Hände als Trichter vor den Mund und rief: »Gilla! Sind Sie hier? Ich bin’s, Jim!« Keine Antwort. Ein scharfer, beißender Geruch von Schmieröl lag in der Luft. Kirk hörte ein leises, ständiges Summen. Er legte das Ohr an eine Wand und horchte. Das
Geräusch war jetzt deutlicher zu hören. ›Die Große Maschine‹, dachte er. ›Sie lebt hier.‹ Er überließ es dem Zufall, welchen der Tunnel er hinunter rannte. Seine Füße trabten in stetigem Rhythmus durch eine der Röhren. Je schneller er rannte, desto weniger Zweifel hatte er. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war er absolut sicher, den richtigen Weg gewählt zu haben. Einen Augenblick lang wunderte er sich über diese Gewißheit. Wer oder was lenkte seine Schritte – und warum? Zweifellos die Maschine. Er verdrängte den Gedanken. Er wollte nichts als Gilla finden. Spielte es da eine Rolle, wie er das machte, solange er sie am Ende wirklich fand? Der Tunnel führte um bizarre, verwirrende Kurven, Wenden und Schwenks. Er verzweigte sich häufig und teilte sich wieder und wieder. Manchmal lief Kirk nach links, manchmal nach rechts – aber immer mit Gewißheit. Er erinnerte sich an die Beschreibung, die Bates von dieser Unterwelt gegeben hatte: das Labyrinth eines Wahnsinnigen. ›Ja‹, dachte er. ›Aber wer ist der Wahnsinnge? Und wo steckt er jetzt?‹ Kirk rief Gillas Namen wieder und wieder, doch er erhielt keine Antwort. Lange Zeit war es nur das stetige Summen der Großen Maschine, das das Geräusch seiner Schritte begleitete. Dann hörte er ein anderes Geräusch. Er blieb stehen und lauschte. Stimmen? Weiter vorn? Er rannte noch ein paar Schritte und blieb wieder stehen. Er horchte. Diesmal war er sicher. Stimmen. Aber keine menschlichen Stimmen. Sie klangen hoch und schrill. Danoner, die sich in ihrer eigenen Sprache unterhielten. Kirk rannte weiter. Unvermittelt erreichte er sein Ziel. Er folgte einer scharfen Kurve und befand sich plötzlich in einem großen Raum mit sehr hoher, fast nicht mehr erkennbarer Decke. Außer einem einzigen Sessel mit gepolsterten
Armlehnen in der Mitte war der Raum völlig leer. Hunderte dünner, schwarzer Drähte führten von den Armlehnen und der Rücklehne des Sessels zu der weit dahinterliegenden Wand. Die Danoner standen zu beiden Seiten des Sessels. Es sah aus, als seien sie ausnahmslos anwesend – alle hundert. Und der Stuhl war besetzt. Gilla Duprée saß steif auf seinem Polster. Kirk ging langsam auf sie zu. Gilla stand auf und wandte sich ihm ohne ein Zeichen des Erkennens zu. Ihr Gesicht war eine leere, weiße Maske. Kirk fürchtete schon, sie sei ebenfalls wahnsinnig geworden – so wie Spock, Doyle und all die anderen. Doch dann sagte sie: »Jim, Sie sind hergekommen!« Wenige Schritte vor ihr blieb er stehen. »Gilla«, sagte er stockend. »Gilla, was haben sie Ihnen angetan?« »Mir?« Sie lachte. Ihre Stimme war völlig verändert. Kirk kroch ein Schauder über den Rücken. »Sie haben mir nichts getan. Ich habe es selbst getan.« »Aber warum denn? Warum haben Sie das getan? Sie wußten doch, was das bedeutet!« »Ja. Ich habe einen Vertrag… einen Handel abgeschlossen. Ich gab ihr meine Seele, und sie gab mir… Freiheit.« »Ihrem Vater?« »Und mir auch. Ich habe ihm gesagt, was ich vorhatte. Nachdem wir mit Bates gesprochen hatten, wußte ich, daß mir keine andere Wahl blieb. Er versuchte mich daran zu hindern. Die Danoner kamen mir zu Hilfe. Sie wußten ebenso wie die Maschine, daß ich besser bin als er. Ich bin jünger, stärker, energischer. Die Maschine spuckte ihn aus und nahm mich in ihr Herz. Ich habe überlebt. Und nun kenne ich die Ewigkeit.« »Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Nein, Gilla, das können Sie nicht.«
»Ich werde niemals sterben. Ich werde niemals wiedergeboren werden. Ich bin frei – absolut frei. Wissen Sie, was das bedeutet? Wissen Sie, was man dabei empfindet?« »Sie wissen nicht, was Sie sagen.« »Ich weiß, was ich bin.« Er machte einen Schritt auf sie zu. Sie hob die Hand. »Nicht Kirk. Versuchen Sie es nicht. Lassen Sie mich in Ruhe. Begreifen Sie denn nicht, daß es mir hier gefällt? Daß ich das so will?« »Ich kann nicht glauben…« »Gehen Sie!« Die Bedeutung ihrer Worte drang ihm endlich ins Bewußtsein. »Sie meinen, wir können…« »Ja. Auch das habe ich durchgesetzt. Ich kämpfe mit ihr, mache, daß sie Sie…« Plötzlich faßte sie sich an den Kopf und sackte auf den Stuhl zurück. »Fort!« schrie sie. »Schnell!« Kirk schüttelte den Kopf. Er wußte, daß sie recht hatte, aber er konnte es einfach nicht tun. »Ich werde Herzland nicht ohne Sie verlassen!« »Sie müssen. Wenn nicht, dann werden Sie nie wieder von hier fortkönnen!« »Meinen Sie, daß mich das stört? Verstehen Sie denn nicht? Ich liebe Sie, Gilla. Ich will nicht mehr ohne Sie leben.« Er rannte zu ihr. Er handelte rein instinktiv. Er überlegte nicht, dachte nicht nach, zog die logischen Alternativen nicht in Betracht. Er wollte Gilla, wollte sie in den Arm nehmen, wollte sie vor diesem ungeheuerlichen, unsichtbaren Ding schützen. Er erreichte den Sessel nie. Die Danoner stürzten sich auf ihn. Das war das letzte, womit er gerechnet hätte. Vielleicht hatte die Maschine – oder Gilla – ihnen befohlen, es zu tun. Der massive Angriff warf ihn zurück. Er versuchte seinen Phaser
zu ziehen, aber die kleinen Hände hielten ihn umklammert. Während er mit ihnen rang, konnte er seltsamerweise Gilla noch immer sehen. Sie saß völlig teilnahmslos in dem Sessel. Sie hatte die Augen geöffnet und schaute ihm zu. Kirk verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Die Danoner warfen sich auf ihn. Zähne verbissen sich in seiner Haut. Finger zerrten an seinen Kleidern. Seine Arme und Beine wurden festgehalten, und er konnte sich nicht mehr bewegen. Aus irgendeinem Grund mußte er lachen. Was für ein Tod! Zerquetscht unter dem Gewicht von hundert Teufeln! Er bekam keine Luft mehr, schloß die Augen, öffnete sie wieder. Es machte keinen Unterschied: Schwärze. In der Finsternis hörte er etwas. Eines war ein schrilles Lachen, hysterisch gequält. Er wußte, daß es von Gilla stammte. Das andere Geräusch erkannte er nicht sofort. Doch kurz bevor er das Bewußtsein verlor, begriff er, was es war. Ein Phaser. Jemand schoß mit einem Phaser. Kirk zwang sich, die Augen wieder zu öffnen. Das Licht schlug über ihm zusammen wie eine blendende Woge. Er merkte, daß er wieder atmen konnte. Die Luft drang mit schmerzhafter Gewalt in seine Lungen. Alles tat ihm weh. Er blinzelte in wilder Verzweiflung, um klar zu sehen, was geschah. Ein körperloses Gesicht schwamm vor seinen Augen. Ein vertrautes Gesicht. Verängstigt. Besorgt. Die Lippen bewegten sich, und Laute drangen heraus, aber Kirk konnte die Worte nicht verstehen. Dann erkannte er das Gesicht. Er fühlte wieder, wie Gelächter sich in seiner Brust auftürmte. Was für ein Anblick im Augenblick des Todes! Das Gesicht gehörte dem Bootsmann Albert Schang. Dann verlor Kirk das Bewußtsein.
23
Logbuch des Captains. Sternzeit 4257.1: – empfehle ich also, daß der Planet Herzland nicht nur weiterhin unter Quarantäne gestellt, sondern diese in Zukunft noch schärfer durchgesetzt wird. Die geheimnisvolle Maschinenintelligenz, die den Planeten bewohnt, stellt nach wie vor eine große Bedrohung für das Wohlergehen der Föderation dar, aber nur, solange die danonische Rasse überlebt. Da ihr Aussterben nur noch eine Frage von wenigen Jahren zu sein scheint, verlangt die Situation kein offensives Eingreifen. Die Zeit ist der Verbündete der Föderation. Ich freue mich berichten zu können, daß Mr. Spock weitgehend wiederhergestellt ist und in wenigen Tagen seine Arbeit in vollem Umfang wieder aufnehmen wird. Unser Passagier Jacob Kell befindet sich ebenfalls auf dem Wege der Besserung. Gilla Duprée habe ich in den vorangegangenen Computer-Eintragungen nicht erwähnt, weil… Captain James Kirk legte das Mikrophon aus der Hand und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er saß in der Abgeschlossenheit seines Privatquartiers. ›Nun?‹ fragte er sich ungeduldig. ›Was ist denn nun mit Gilla Duprée? Was willst du eigentlich genau sagen? Die Wahrheit? Daß sie tot ist? Daß sie gleichzeitig tot und lebendig ist?‹ Er schüttelte den Kopf. Was konnte er denn überhaupt sagen? Es klopfte an der Tür. Stirnrunzelnd wandte Kirk sich um. Er hatte strikten Befehl gegeben, nicht gestört zu werden. In den letzten Tagen, seit die Enterprise Herzland verlassen hatte, war er nie aus seinem Privatquartier gekommen und hatte niemanden gesehen und mit niemandem gesprochen. Das
Schiff befand sich in kompetenter Hand. Mr. Scott konnte es ohne Schwierigkeiten zur Sternbasis 13 steuern. Kirk wollte allein sein. Er hatte Wunden davongetragen, die nur in der Einsamkeit ordentlich heilen konnten. Es klopfte wieder – diesmal nachdrücklicher. Ohne nachzudenken, sagte Kirk: »Herein.« Er war selbst überrascht, als er seine Stimme hörte. Dr. Leonhard McCoy trat durch die Tür. Sein Gesichtsausdruck verhehlte in keiner Weise die Sorgen, die er sich machte. Er hielt ein zugedecktes Tablett in den Händen. »Ich habe dir etwas zu essen gebracht«, sagte er, während sich die Tür schloß. »Ich bin nicht hungrig.« »Schang sagt, daß du seit Tagen nichts Anständiges mehr gegessen hast.« »Ich bin trotzdem nicht hungrig.« McCoy stellte das Tablett auf den Tisch und ließ sich auf den Stuhl gegenüber von Kirk nieder. »Jim«, sagte er. »Mir gefällt das nicht. Du hast nicht den geringsten Grund, dich so zu quälen.« »Es wird vorübergehen.« »Wann?« »Wenn wir Sternbasis 13 erreichen. Bis dahin habe ich vor, so weiterzumachen. Hör zu, Pille. Ich habe versagt. Ich bin der Captain. Wenn irgendwer auf Herzland hätte zurückbleiben sollen, dann wäre ich das gewesen. Niemals hätte sie es sein dürfen… Gilla. Ich bin schuld daran, daß es so gekommen ist.« »Da bin ich zufällig anderer Meinung.« »Und was geht dich das an?« »Nun, ich dachte, ich sei dein Freund«, erwiderte McCoy freundlich. Kirk runzelte kopfschüttelnd die Stirn. Er fühlte sich müde, erschöpft, ausgelaugt. Er rieb sich die unrasierten Wangen.
»Also gut, entschuldige bitte, du bist mein Freund. Aber was, zum Teufel, soll ich sonst darüber denken? Sie war jung, erfolgreich und lebendig. Der ganzen Menschheit ging etwas verloren, als sie sich diesem Ding dort hingab. Was für eine Verschwendung – eine fürchterliche Verschwendung. Es gab so verdammt viel, für das sie leben mußte, und ich war verantwortlich.« »Deshalb bin ich gekommen, Jim. Du irrst dich. Gilla hatte nichts mehr, für das sie leben konnte.« Kirk riß erstaunt die Augen auf. »Was willst du damit sagen?« »Genau das, was ich gesagt hab. Gilla Duprée war und ist eine schwerkranke Frau. Denk an ihre Schwindelanfälle. Gilla hat einen bösartigen Tumor, der schon zu weit fortgeschritten ist, als daß er noch mit Laserstrahlen behandelt werden könnte. Gilla hat höchstens noch einen Monat zu leben, wenn überhaupt.« »Nein«, sagte Kirk fast tonlos. »Warum… warum hast du mir das nicht früher gesagt?« »Weil ich es ihr versprochen hatte. Als ich sie zum ersten Mal untersucht habe – auf der Sternbasis –, hatte ich schon Verdacht geschöpft. Später, als sie hier im Herbarium zusammengebrochen war, bestätigte er sich. Sie gab zu, daß sie über ihren Zustand Bescheid wußte. Ich mußte ihr schwören, es niemandem zu sagen. Vor allem dir nicht. Und nicht ihrem Vater.« »Ich kann es nicht g…« »Doch. Ich schon. Denk mal nach, Jim. Was ist Gilla für ein Mensch? Was meinst du, warum sie so verzweifelt nach ihrem Vater gesucht hat? Sie wollte ihn noch einmal sehen, bevor sie starb. Sie verzichtete auf die wenigen letzten Tage ihres Lebens, damit er noch Jahre leben kann.«
»Und er weiß es nicht einmal«, sagte Kirk voll Bitterkeit in seiner Stimme. »Jetzt weiß er es. Ich habe es ihm gesagt. Vor zehn Minuten. Bevor ich herkam.« »Aber mir hat sie nichts davon gesagt.« McCoy beugte sich vor und legte seine Hand auf Kirks Arm. »Gilla Duprée war zu sehr Frau, um dich mit so etwas zu belasten.« »Und wenn sie es mir gesagt hätte? Wenn sie es mir doch bloß gesagt hätte! Dann hätte ich…« »Was denn? Was wäre denn dann anders verlaufen? Du hättest sie trotzdem nicht auf Herzland bleiben lassen wollen. Sie wußte es. Sie hat richtig gehandelt. Und wenn du nur lange genug und ehrlich genug darüber nachdenkst, wirst du zu demselben Schluß kommen.« »Ich hoffe, du hast recht, Pille.« »Das habe ich.« Er stand auf. »Ich glaube, ich sollte langsam wieder gehen. Mr. Spock macht meinen Ärzten die Hölle heiß, und ich glaube, es ist an der Zeit, daß ich ihm den Entlassungsschein ausstelle, damit er wieder seinen ehrbaren Dienst antreten kann.« McCoy öffnete die Tür und schickte sich an hinauszugehen. Dann drehte er sich noch einmal um. »Iß dein Abendessen, Jim. Du willst doch nicht verhungern.« Als Kirk wieder allein war, versuchte er zu tun, was McCoy ihm geraten hatte: Er dachte nach. Über Herzland, über die Danoner, über die Große Maschine. Und vor allem über Gilla Duprée. Am Ende kam er, wie McCoy vorausgesagt hatte, zu dem Schluß, daß Gilla Duprée das einzig Richtige getan hatte. Und dann, nachdem er sich mit der Richtigkeit ihrer Handlungsweise und der Unvermeidlichkeit ihres Todes abgefunden hatte, konnte er um sie trauern. Das tat er.
Und schließlich rückte er seinen Stuhl näher an den Tisch und aß das Mahl, das McCoy ihm gebracht hatte. Es war schon kalt, aber es schmeckte ihm köstlich. Dann rief er die Brücke. »Mr. Scott, hier Captain Kirk. Irgendwelche Vorkommnisse?« Scott konnte weder seine Überraschung noch seine Freude verhehlen. »Absolut keine, Sir. Hier ist alles allernormalste Routine. Eben war Mr. Spock hier. Er wird im Laufe des Tages seinen Dienst wieder aufnehmen.« »Ich auch, Mr. Scott. Ich komme gleich hoch.« »Das freut mich zu hören, Sir.« »Und ich bin sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit während meiner… meiner Abwesenheit.« »Oh, das ist doch nicht der Rede wert, Captain.« »Das zu beurteilen, überlassen Sie mal mir, Scotty.« »Aye, aye, Sir.« Kirk ging in das kleine Badezimmer in einer Ecke seines Quartiers und starrte das müde, verhärmte, rotäugige Gesicht an, das ihm aus dem Spiegel entgegenblickte. Er duschte und rasierte sich und zog eine frische Uniform an. Er war beinahe fertig, als es wieder klopfte. Ohne zu zögern, rief er: »Herein.« Bootsmann Schang steckte zaghaft den Kopf durch den Türspalt. Als er das leergegessene Tablett auf dem Tisch sah, fragte er: »Soll ich abräumen, Sir?« »Kommen Sie rein, Schang.« »Sir?« »Ich sagte, Sie sollen reinkommen. Und machen Sie die Tür hinter sich zu. Ich will mit Ihnen reden.« Schang sprang förmlich herein, blieb vor Kirk stehen, schlug die Hacken zusammen und salutierte zackig.
Kirk erwiderte den Gruß. »Sie haben mir auf Herzland das Leben gerettet, Schang.« Schang wurde verlegen. »Nicht ich allein. Mr. Sulu und Sicherheitsmann Mosley waren ebenfalls mit unten. Es war ein Zufall, daß ich derjenige war, der Sie unter diesen Außerirdischen hervorgeholt hat.« »Ein glücklicher Zufall für mich, ja. Es war verdammt mutig von Ihnen. Ich habe die Absicht, eine Belobigung für Sie alle drei vorzuschlagen.« Schang grinste. »Oh, danke, Sir.« »Noch etwas Schang«, fügte Kirk hinzu. »So sehr ich Ihre Leistungen als mein Steward zu schätzen weiß, ich habe jetzt, wo Doyle ausfällt, eine Vakanz in der Sicherheitsmannschaft. Wenn Sie nicht aus irgendeinem Grund lieber hierbleiben, würde ich Ihnen gern die Möglichkeit anbieten, den Job zu wechseln. Als Sicherheitsmann haben Sie ein wesentlich abwechslungsreicheres Aufgabengebiet und zudem bessere Aufstiegsmöglichkeiten.« Schang konnte seine Freude kaum zurückhalten. »Heißt das, daß ich jetzt zur Mannschaft gehöre, Sir?« »Sie haben immer zur Mannschaft gehört, Schang, die ganze Zeit.« Kirk folgte Schang aus dem Raum. Während Schang sich in die Messe begab, nahm Kirk den Turbolift zur Brücke. Als er auftauchte, entstand verlegenes Schweigen. Nach ein paar Sekunden räusperte sich Fähnrich Chekov und begann, Leutnant Sulu eine Geschichte zu erzählen, die offenbar davon handelte, warum russische Hunde im russischen Winter nicht erfrieren. Kirk war Chekov und seiner blühenden Phantasie dankbar und setzte sich in seinen Kommandosessel. Vor ihm zeigte der Panoramabildschirm die endlose Weite des galaktischen Raumes. Lange saß Kirk einfach da und
schaute auf den Hauptbildschirm. Dann merkte er, daß er grinste. Es tat gut, wieder zu Hause zu sein.