Frederik Pohl: Der Tunnel unter der Welt
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Frederik Pohl: Der Tunnel unter der Welt
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aus: V.C.Harksen (Hrsg.): Die Nacht der fünf Monde, Fischer, '86
Frederik Pohl: Der Tunnel unter der Welt I Am Morgen des 15.Juni erwachte Guy Burckhardt schreiend aus einem Traum.
In seinem ganzen Leben hatte er noch keinen derart realistischen Traum gehabt. Er konnte die scharfe, metallzerfetzende Explosion noch hören und
fühlen, den heftigen Stoß, der ihn gewaltsam aus dem Bett geschleudert hatte, die sengende Hitzewelle.
Krampfhaft zuckte er in die Höhe und starrte in das stille Zimmer und das helle Sonnenlicht, das zum Fenster hereinströmte. Er traute seinen Augen
nicht.
Er krächzte: "Mary?"
Seine Frau lag nicht im Bett nebenan. Die Bettdecken waren zerwühlt und unordentlich, als wäre sie gerade erst aufgestanden, und die Erinnerung an
den Traum war so stark, daß er sich dabei ertappte, wie er instinktiv auf dem Fußboden nachschaute, ob die geträumte Explosion sie nicht
umgeworfen hätte.
Aber sie war nicht da. "Natürlich ist sie nicht da", sagte er zu sich selbst und betrachtete die vertraute Frisierkommode und das Fußbänkchen, das
Fenster, in dem kein Sprung war, die unversehrte Wand. Es war ja nur ein Traum gewesen.
"Guy?" Von unten rief seine Frau fragend nach ihm. "Guy, Schatz, ist alles in Ordnung?"
Mit schwacher Stimme rief er zurück: "Natürlich."
Es entstand eine Pause. Dann erklärte Mary unsicher: "Das Frühstück ist fertig. Bist du sicher, daß alles in Ordnung ist? Ich dachte, ich hätte dich
schreien gehört."
Schon etwas mutiger antwortete Burckhardt: "Ich hatte einen schlechten Traum, Herzchen. Bin gleich unten."
In der Dusche stellte er seine Lieblingsmischung, Lauwarm mit Kölnisch Wasser, ein und erklärte sich selbst, daß das ein ganz schöner Hammer von
einem Traum gewesen war. Aber natürlich waren schlechte Träume nichts Besonderes, und schon gar nicht schlechte Träume, in denen Explosionen
vorkamen. Wer hatte in den letzten dreißig Jahren, in denen alle Leute vor Atombomben zitterten, nicht von Explosionen geträumt?
Immerhin stellte sich heraus, daß sogar Mary davon geträumt hatte, denn als er ihr von seinem Traum erzählen wollte, fiel sie ihm ins Wort: "Davon
hast du geträumt?" Ihre Stimme klang erstaunt. "Stell dir vor, Schatz, ich habe genau das gleiche geträumt! Oder jedenfalls beinahe. Ich habe nicht
direkt etwas gehört. Ich träumte, ich wäre von irgend etwas aufgewacht, und dann war da so eine Art plötzlicher Knall, und dann traf mich etwas
am Kopf. Und das war alles. War dein Traum auch so?"
Burckhardt hüstelte. "Also - nicht direkt", sagte er. Mary war keine von diesen Stark-wie-ein-Mann-, Mutig-wie-ein-Tiger-Frauen. Es war nicht
nötig, daß er ihr alle die kleinen Einzelheiten des Traums erzählte, die ihn so realistisch gemacht hatten. Kein Grund, die gesplitterten Rippen und die
Salzblase in seiner Kehle zu erwähnen und das qualvolle Begreifen, daß das der Tod war. Statt dessen sagte er: "Vielleicht hat es ja unten in der
Stadt wirklich eine Explosion gegeben. Vielleicht haben wir sie gehört und dann davon geträumt."
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16.06.2002
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Mary griff hinüber und tätschelte ihm geistesabwesend die Hand. "Vielleicht", stimmte sie zu. "Es ist gleich halb neun, Schatz. Solltest du dich nicht
beeilen? Du möchtest doch nicht zu spät ins Büro kommen."
Er schlang sein Essen hinunter, küßte sie und eilte hinaus - weniger, um pünktlich zu sein, als vielmehr um nachzusehen, ob er mit seiner Vermutung
recht gehabt hatte.
Aber unten in Tylerton sah es aus wie immer. Als Burckhardt mit dem Bus zur Innenstadt fuhr, blickte er kritisch aus dem Fenster und suchte nach
Spuren einer Explosion. Es gab keine. Wenn überhaupt möglich, sah Tylerton schöner aus denn je: es war ein herrlich frischer Tag, der Himmel
wolkenlos, alle Gebäude waren sauber und einladend. Sie hatten, bemerkte er, das Gebäude der Elektrizitätsgesellschaft, den einzigen
Wolkenkratzer der Stadt, mit dem Sandstrahlgebläse gereinigt - das war deshalb notwendig, weil am Stadtrand das Hauptwerk der Contro
Chemicals lag; die Dämpfe aus den Stufendestillatoren hinterließen ihre Visitenkarte auf Steinbauten.
Im Bus war heute keiner von der üblichen Truppe, so daß es niemanden gab, den Burckhardt nach der Explosion fragen konnte. Und als er Ecke
Fünfte/Lehigh ausstieg und der Bus mit gedämpftem Dieselgestöhn davonrollte, war er schon ziemlich fest davon überzeugt, daß er sich die ganze
Geschichte nur eingebildet hatte.
Er blieb am Zigarrenstand in der Empfangshalle seines Bürogebäudes stehen, aber Ralph war nicht hinter der Theke. Der Mann, der ihm sein
Päckchen Zigaretten verkaufte, war ein Fremder.
"Wo ist Mr. Stebbins?" fragte Burckhardt.
Der Mann gab höflich Antwort. "Krank, Sir. Morgen ist er wieder da. Päckchen Marlins heute?"
"Chesterfields", berichtigte Burckhardt.
"Natürlich, Sir", sagte der Mann. Aber was er aus dem Regal nahm und über die Theke schob, war eine unbekannte, grüngelbe Packung.
"Versuchen Sie doch mal diese, Sir", schlug er vor. "Sie enthalten einen Antihustenfaktor. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, daß man von gewöhnlichen
Zigaretten ab und an richtige Erstickungsanfälle bekommt?"
Burckhardt bemerkte mißtrauisch: "Von der Marke habe ich noch nie gehört."
"Natürlich. Sie ist auch ganz neu." Burckhardt zögerte, und der Mann fuhr eindringlich fort: "Passen Sie auf - probieren Sie sie doch einfach mal aus,
auf mein Risiko. Wenn sie Ihnen nicht schmecken, bringen Sie mir die leere Packung zurück, und ich gebe Ihnen Ihr Geld wieder. Faires Angebot?"
Burckhardt zuckte die Achseln. "Was kann ich schon verlieren? Aber bitte geben Sie mir außerdem noch ein Päckchen Chesterfields, ja?"
Er machte die Packung auf und steckte sich eine Zigarette an, während er auf den Fahrstuhl wartete. Sie schmeckten nicht schlecht, entschied er,
obwohl er mißtrauisch gegenüber Zigaretten war, bei denen man den Tabak in irgendeiner Weise chemisch behandelt hatte. Von Ralphs Vertreter
war er allerdings nicht sonderlich begeistert; es würde einen Haufen Ärger am Zigarrenstand geben, wenn der Mann es bei allen Kunden mit dieser
Hochdruck-Verkaufsmethode versuchte.
Die Lifttür öffnete sich mit einem sanften musikalischen Geräusch. Burckhardt und zwei oder drei andere stiegen ein, und er nickte ihnen zu, während
die Tür sich wieder schloß. Der Musikfaden riß ab, und aus dem Lautsprecher an der Kabinendecke strömte die übliche Werbung.
Nein, nicht die übliche Werbung, erkannte Burckhardt. Er war so daran gewöhnt, überall unfreiwillig von Werbung berieselt zu werden, daß sie sein
äußerer Gehörgang kaum noch registrierte, aber was das im Keller des Gebäudes gespeicherte Programm heute brachte, ließ ihn stutzen. Es lag nicht
nur daran, daß ihm die meisten Handelsmarken unbekannt waren; die ganze Gestaltung war anders.
Lieder mit eindringlich hämmerndem Rhythmus warben für Limonadensorten, die er noch nie getrunken hatte. Es gab einen eilig geschnatterten
Dialog zwischen zwei zehnjährigen Jungen (jedenfalls hörten sie sich so an) über Schokoladenriegel, gefolgt von einem autoritären Baßgedröhn: "Geh
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gleich hin und hol dir einen LECKEREN Schoko-Schmatz und iß deinen SCHMACKIGEN Schoko-Schmatz ganz auf. Das ist Schoko-
Schmatz!" Dann eine schluchzende, weinerliche Frauenstimme: "Ich will aber einen Feckle-Frierer! Für einen Feckle-Frierer würde ich alles tun!"
Burckhardt kam in seinem Stockwerk an und verließ mitten im letzten Werbespot den Aufzug. Irgendwie war ihm unbehaglich zumute. Die
Werbesprüche priesen lauter Marken an, die er nicht kannte; es war kein Gefühl des Vertrauten und Gewohnten damit verbunden.
Aber das Büro war zum Glück normal - nur daß Mr. Barth fehlte. Miss Mitkin, die am Empfäng saß und gähnte, wußte den Grund nicht genau.
"Jemand von zu Hause hat angerufen, das war alles. Morgen ist er wieder da."
"Vielleicht ist er in der Fabrik. Sie liegt gleich bei seinem Haus. Sie schaute gleichgültig drein. "Von mir aus."
Burckhardt fiel plötzlich etwas ein. "Aber heute ist doch der 15. Juni! Termin für die Vierteljahres-Steuererklärung - er muß doch die
Steuererklärung abzeichnen!"
Miss Mitkin hob die Schultern, um anzudeuten, daß das Burckhardts Problem war und nicht ihres. Sie wendete sich wieder ihren Fingernägeln zu.
Zutiefst verärgert begab sich Burckhardt an seinen Schreibtisch. Es war ja nicht so, daß er die Steuererklärung nicht genausogut unterschreiben
konnte wie Barth, dachte er grollend. Es war nur eben nicht sein Job, das war alles; es war eine Verantwortung, die Barth, als Leiter des Stadtbüros
von Contro Chemicals, hätte übernehmen müssen.
Er erwog kurz, Barth zu Hause anzurufen oder zu versuchen, ihn in der Fabrik zu erreichen, gab den Gedanken aber recht schnell wieder auf. Aus
den Leuten in der Fabrik machte er sich im Grunde nicht viel, und je weniger er mit ihnen zu tun hatte, desto besser. Er hatte das Werk einmal
besucht, zusammen mit Barth; es war ein verwirrendes und in gewisser Weise beängstigendes Erlebnis gewesen. Außer ein paar leitenden
Angestellten und Ingenieuren hatte es in der Fabrik keine Seele gegeben - das heißt, korrigierte Burckhardt sich und dachte an das, was ihm Barth
erzählt hatte, keine Menschenseele - nur die Maschinen.
Nach dem, was Barth gesagt hatte, wurde jede Maschine von einer Art Computer beaufsichtigt, der mit seinem elektronischen Schnarren das
Gedächtnis und den Verstand eines tatsächlich existierenden Menschen reproduzierte. Eine unangenehme Vorstellung. Barth hatte ihm lachend
versichert, es handelte sich hier nicht um die Methode Frankenstein - Grabräubereien und in Maschinen verpflanzte Gehirne. Es war ganz einfach so,
daß man die Verhaltensmuster eines Menschen aus seinen Gehirnzellen in röhrenförmige Vakuumzellen übertrug. Dem Menschen tat es nicht weh,
und die Maschine wurde dadurch kein Ungeheuer.
Trotzdem flößten die Maschinen Burckhardt ein unbehagliches Gefühl ein.
Er bemühte sich, nicht immer an Barth und die Fabrik und alle anderen kleinen Widrigkeiten zu denken und nahm statt dessen die Steuererklärung in
Angriff. Es dauerte bis Mittag, ehe er alle Zahlen geprüft hatte - Barth, rief er sich selbst mürrisch ins Gedächtnis zurück, hätte es aus dem Kopf und
seinem privaten Kontobuch in zehn Minuten geschafft.
Er versiegelte die Zahlen in einem Umschlag und ging zu Miss Mitkin hinaus.
"Da Mr. Barth nicht da ist, sollten wir lieber nacheinander Mittag machen", sagte er. "Sie können zuerst gehen."
"Danke." Miss Mitkin nahm träge ihre Tasche aus der Schreibtischschublade und fing an, ihr Make-up aufzutragen.
Burckhardt streckte ihr den Umschlag hin. "Legen Sie mir das bitte in die Post? Das heißt - warten Sie einen Augenblick. Vielleicht sollte ich erst Mr.
Barth anrufen, ob es so in Ordnung geht. Hat seine Frau gesagt, ob er Anrufe entgegennehmen kann?"
"Nichts gesagt." Miss Mitkin tupfte sich sorgfältig die Lippen mit einem Kleenex ab. "War auch nicht seine Frau. Seine Tochter hat angerufen und es
ausgerichtet."
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"Die Kleine?" Burckhardt runzelte die Stirn. "Ich dachte, die wäre irgendwo in der Schule."
"Jedenfalls hat sie angerufen. Mehr weiß ich auch nicht."
Burckhardt ging wieder zurück in sein Büro und starrte angewidert auf die ungeöffnete Post auf seinem Schreibtisch. Er verabscheute Alpträume; sie
verdarben einem den ganzen Tag. Er hätte im Bett bleiben sollen wie Barth.
Auf dem Weg nach Hause hatte er ein komisches Erlebnis. An der Ecke, wo er normalerweise in den Bus einstieg, gab es einen Auflauf - irgend
jemand brüllte etwas über ein neues Gefriergerätemodell -, also ging er einen Block weiter. Er sah den Bus kommen und setzte sich in Trab. Aber da
rief jemand hinter ihm seinen Namen. Er warf einen Blick über die Schulter. Ein kleiner, abgehetzt aussehender Mann eilte auf ihn zu. Burckhardt
zögerte erst, erkannte ihn dann aber. Es war ein flüchtiger Bekannter namens Swanson. Säuerlich stellte Burckhardt fest, daß er den Bus jetzt
ohnehin verpaßt hatte. "Hallo", sagte er.
Swansons Gesicht war von verzweifelter Eindringlichkeit. "Burckhardt?" erkundigte er sich fragend, mit merkwürdigem Nachdruck. Und dann blieb
er einfach wortlos stehen und beobachtete Burckhardts Gesicht, mit einem brennenden Eifer, der zu einer schwachen Hoffnung zusammensank und
schließlich in Bedauern erstarb. Er sucht nach irgend etwas, wartet auf etwas, dachte Burckhardt. Aber was immer er auch wollte, Burckhardt hatte
keine Ahnung, wie er es ihm geben sollte.
Burckhardt hüstelte und wiederholte: "Hallo, Swanson."
Swanson erwiderte nicht einmal den Gruß. Er stieß lediglich einen tiefen Seufzer aus.
"Hat keinen Zweck", murmelte er, offenbar zu sich selbst. Er nickte Burckhardt gedankenverloren zu und wandte sich ab.
Burckhardt schaute zu, wie die gebeugten Schultern in der Menge verschwanden. Es war ein merkwürdiger Tag, einer, der ihm nicht sonderlich
gefiel. Irgendwie ging alles schief.
Während er mit dem nächsten Bus nach Hause fuhr, brütete er darüber nach. Es war ja nichts Schreckliches oder Verheerendes passiert; es war nur
alles so ganz und gar ungewohnt. Da lebt man sein Leben wie alle Leute und errichtet sich ein Netzwerk aus Eindrücken und Reaktionen. Man
erwartet bestimmte Dinge. Wenn man den Medizinschrank aufmacht, erwartet man, daß der Rasierapparat im zweiten Fach liegt; wenn man die
Haustür zusperrt, erwartet man, daß man ihr noch einen kleinen Extraruck geben muß, damit sie schließt.
Es sind nicht die Dinge im Leben, die ordnungsgemäß und perfekt sind, die es einem vertraut machen. Es sind vielmehr die Dinge, bei denen es ein
kleines bißchen hapert - das klemmende Schloß, der Lichtschalter oben auf der Treppe, der einen Extraschubs braucht, weil die Feder alt und
ausgeleiert ist, der Teppich, der einem unweigerlich unter den Füßen wegrutscht.
Es lag nicht einfach daran, daß im Gewebe von Burckhardts Leben irgend etwas nicht so war, wie es sein sollte, sondern daran, daß es die falschen
Dinge waren, die nicht stimmten. Zum Beispiel war Barth nicht im Büro gewesen, aber Barth kam immer.
Beim Abendessen grübelte Burckhardt immer noch darüber nach. Er brütete, obwohl sich seine Frau den ganzen Abend Mühe gab, ihn für eine
Partie Bridge mit den Nachbarn zu begeistern. Die Nachbarn waren durchaus sympathische Leute - Anne und Farley Dennerman. Er kannte sie
schon sein ganzes Leben lang. Aber heute abend schienen auch sie nicht gut aufgelegt und in Grübeleien versunken zu sein; und er achtete kaum auf
Dennermans Klagen darüber, daß der Telefonservice einfach nicht ordentlich funktionierte, oder auf die Bemerkungen seiner Frau über die
widerliche Fernsehwerbung, die man neuerdings vorgesetzt bekam.
Burckhardt war auf dem besten Weg, einen Dauer-Weltrekord in ununterbrochener Geistesabwesenheit zu etablieren, als er sich gegen Mitternacht
mit einer Abruptheit, die ihn selbst überraschte - denn sonderbarerweise war er sich ihrer völlig bewußt - im Bett umdrehte und sofort tief und fest
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einschlief. II Am Morgen des 15. Juni erwachte Burckhardt schreiend.
Der Traum war realistischer als jeder andere, den er je gehabt hatte. Er konnte noch die Explosion hören, den Feuerstoß spüren, der ihn gegen die
Wand geschmettert hatte. Es schien nicht richtig zu sein, daß er hier in einem völlig unversehrten Zimmer kerzengerade im Bett saß.
Seine Frau kam die Treppe hinaufgeklappert.
"Liebling!" rief sie. "Was ist los?"
Er murmelte: "Nichts. Schlecht geträumt."
Sie entspannte sich, die Hand am Herzen. In ärgerlichem Ton begann sie: "Du hast mich wirklich erschreckt -"
Aber ein von draußen hereindringender Lärm unterbrach sie. Man hörte Sirenengeheul und gellendes Klingeln; es war laut und erschreckend.
Die Burckhardts starrten einander einen Herzschlag lang an und rannten dann angstvoll ans Fenster.
Auf der Straße standen keine ratternden Feuerwehrgeräte, sondern nur ein kleiner Lastwagen fuhr langsam auf und ab. Weit geöffnete
Lautsprechertrichter krönten sein Dach. Aus ihnen schwollen die heulenden Sirenentöne, deren Lautstärke ständig zunahm, durchsetzt mit dem
Rattern schwerer Maschinen und dem Scheppern von Alarmglocken. Es war die perfekte Tonaufnahme von Feuerwehrgerätewagen, die bei einem
Großbrand eintreffen.
Völlig überrascht sagte Burckhardt: "Mary, das ist ja gesetzeswidrig! Weißt du, was die da machen? Sie spielen Schallplatten von einem Brand. Was
soll das bloß bedeuten?"
"Vielleicht ist es ein verunglückter Scherz", meinte seine Frau.
Er schüttelte den Kopf. "In zehn Minuten ist die Polizei da", prophezeite er. "Wart's nur ab."
Aber die Polizei kam nicht - nicht in zehn Minuten, überhaupt nicht. Wer immer die Scherzbolde im Auto sein mochten, anscheinend verfügten sie
über eine polizeiliche Genehmigung für ihre Spielchen.
Der Wagen blieb schließlich in der Mitte des Häusergevierts stehen und verhielt sich ein paar Minuten still. Dann knatterte es aus dem Lautsprecher
und eine ungeheuerliche Stimme erhob sich in monotonem Gesang:
"Feckle-Frierer!
Feckle-Frierer!
Feckle-Frierer
muß man haben!
Feckle, Feckle, Feckle, Feckle, Feckle, Feckle -"
Es hörte und hörte nicht auf. Inzwischen gab es im ganzen Block kein Haus, aus dem nicht Gesichter herausglotzten. Die Stimme war nicht nur laut,
sie war fast ohrenbetäubend.
Burckhardt schrie seiner Frau durch den Höllenlärm zu: "Was zum Teufel ist ein Feckle-Frierer?"
"Irgendeine Sorte Gefriergerät, vermute ich, Schatz", kreischte sie wenig hilfreich zurück.
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Urplötzlich verstummte der Lärm, und der Lastwagen stand still da. Der Morgen war noch immer leicht dunstig; die Sonnenstrahlen lagen waagerecht über den Dachgiebeln. Man konnte sich nicht vorstellen, daß noch Sekunden zuvor der ganze stille Häuserblock vom Namen eines Gefriergerätes gedröhnt hatte. "Ein verrückter Werbetrick", sagte Burckhardt bitter. Er gähnte und trat vom Fenster zurück. "Kann mich genausogut anziehen. Das wird ja wohl das Ende gewesen -" Das Gebrüll erwischte ihn von hinten; es wirkte fast wie eine wuchtige Ohrfeige. Eine rauhe, höhnische Stimme, lauter als die Trompete eines Erzengels, heulte: "Haben Sie ein Gefriergerät? Es stinkt! Wenn es kein Feckle-Frierer ist, stinkt es! Wenn es ein Feckle-Frierer vom Vorjahr ist, stinkt es! Nur die neuen Feckle-Frierer sind wirklich gut! Kennen Sie Leute, die ein Ajax-Gefriergerät haben? Schwule haben Gefriergeräte von Ajax! Kennen Sie Leute, die ein Dreifachkalt-Gefriergerät haben? Kommunisten haben Dreifachkalt-Gefriergeräte! Jedes Gefriergerät außer einem brandneuen Feckle-Frierer stinkt!" Die Stimme überschlug sich fast vor kreischender Wirt. "Ich warne Sie! Gehen Sie sofort los und kaufen Sie einen Feckle-Frierer! Beeilen Sie sich! Schnell zu Feckle! Schnell zu Feckle! Schnell, schnell, schnell, Feckle, Feckle, Feckle, Feckle, Feckle, Feckle..." lrgendwann hörte es auf. Burckhardt befeuchtete sich die Lippen. Gerade wollte er zu seiner Frau sagen: "Vielleicht sollten wir doch die Polizei rufen -", als die Lautsprecher von neuem explodierten. Es traf ihn unvorbereitet, sollte ihn unvorbereitet treffen. Es gellte: "Feckle, Feckle, Feckle, Feckle, Feckle, Feckle, Feckle, Feckle. Billige Gefriergeräte ruinieren Ihre Lebensmittel! Es wird Ihnen übel, Sie müssen erbrechen. Sie werden krank und sterben. Kaufen Sie einen Feckle, Feckle, Feckle, Feckle! Haben Sie schon einmal ein Stück Fleisch aus dem Gefriergerät in Ihrer Wohnung genommen und gemerkt, wie verfault und schimmlig es ist? Kaufen Sie einen Feckle, Feckle, Feckle, Feckle, Feckle! Wollen Sie verfaulte, stinkige Lebensmittel essen? Oder wollen Sie vernünfüg sein und einen Feckle kaufen, einen Feckle, Feckle, Feckle -" Das war zuviel. Mit Fingern, die immer wieder in die falschen Löcher bohrten, schaffte er es endlich, die Polizeistation im Ort anzuwählen. Es antwortete ihm nur das Besetztzeichen - offenbar war er nicht der einzige mit dieser Idee-, und während er noch, mit zitternden Fingern, von neuem wählte, hörte das Geschrei draußen auf. Er schaute aus dem Fenster. Der Lastwagen war fort. Burckhardt lockerte seine Krawatte und bestellte beim Kellner noch einen Frosty-Flip. Wenn es nur im Café Kristall nicht immer so heiß wäre! Der neue Anstrich - sengende Rot- und blendende Gelbtöne - war schlimm genug, aber irgend jemand schien auch noch unter dem Wahn zu leiden, es wäre Januar anstatt Juni; im Café war es gute zehn Grad wärmer als draußen. Er kippte den Frosty-Flip in zwei Schlucken hinunter. Schmeckte irgendwie komisch, dachte er, aber nicht schlecht. Jedenfalls kühlte er einen merklich ab, wie der Kel
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