Uller und Niflheim sind zwei von Terra kolonisierte Planeten, auf denen die Uller Company mit modern sten – und gefähr...
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Uller und Niflheim sind zwei von Terra kolonisierte Planeten, auf denen die Uller Company mit modern sten – und gefährlichen – Techniken Bodenschätze abbaut. Unbemerkt von den Ingenieuren, die mit ge waltigen Atomexplosionen die Mineralien des unbe wohnten Planeten Niflheim an die Oberfläche spren gen, haben sich ulleranische Eingeborene das Wissen angeeignet, um eine eigene Atombombe bauen und im geeigneten Augenblick gegen die terranischen Truppen rebellieren zu können. Auch dem terrani schen Geheimdienst sind diese Aktivitäten nicht be kannt. Erst als der Aufstand losbricht, erkennt man die Gefährlichkeit der Situation. Wenn es den Terra nern nicht gelingt, den putschenden Ulleranern mit einer eigenen Bombe zuvorzukommen, ist das Schicksal des Planeten besiegelt ...
Ullstein Buch Nr. 3306 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Titel der Originalausgabe: ULLER UPRISING Aus dem Amerikanischen von Dolf Strasser Umschlagillustration: Paul Lehr Umschlaggraphik: Ingrid Roehling Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1952 by Twayne Publishers, Inc. Übersetzung © 1977 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1977 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3 548 03306 7
H. Beam Piper
Der
Uller-Aufstand
SCIENCE-FICTION-Roman
Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch
Prolog Auf Satans Schemel
Sanft und leise vibrierte der große, gepanzerte Tender unter der Einwirkung des alternierenden Kontragra vitationsfeldes, das ab und zu seine normale Fre quenz von fünfhundert Schwingungen pro Sekunde änderte, wenn der automatische Radar-Höhenmesser auf Grund thermischer Veränderungen eine Aufoder Abtrift registrierte. Manchmal geriet es ein we nig ins Schwanken wie ein Boot auf dem Wasser. Dann schien es, als neige sich auf dem großen Bild schirm, der an der Frontseite der Steuerkabine die Stelle eines Fensters einnahm, die Landschaft ein we nig. Hätte das ungeschützte menschliche Auge die Strahlung von Nu Pupis, Niflheims Zentralgestirn, ertragen können, wäre ihm die ganze Szene in einem lebhaften Irisch-Grün erschienen – der Effekt des stark blautonigen Lichtes auf die gelbe Atmosphäre. Die Visor-Anlage war jedoch mit Filtern versehen, die Gamma-, Röntgen- und den größten Teil der ultravio letten Strahlung blockierten, wobei das fehlende län gerwellige Rot und Orange hinzugefügt wurden, so daß sich die Farben der Dinge nicht allzu sehr von denjenigen unterschieden, die unter den Lichtern des
Sterns vom GO-Typ wie Sol entstehen. Die Luft war schwach gelblich, der Himmel grünlich-gelb, die Wolken grün-grau. Dreihundert Meter unter ihnen lag das, was hier einem Wald entsprach. Die Bäume, die riesige ge zackte Blätter trugen, sahen wie turmhohe Selleriestauden aus. Auch tierisches Leben würde es dort un ten geben – kleine, runde, faustgroße Tiere, die aus sahen wie achtbeinige Krabben und sich von der Ve getation ernährten, und größere von etwa einem hal ben Meter Länge mit gelenkigem Panzer und sech zehn Beinen, welche die kleinen Pflanzenfresser ver schlangen. Die nähere Umgebung bestand aus offe nem Grasland, wenn man eine von grauen oder pa stellfarbenen Gewächsen bestandene Fläche so nen nen wollte; ein unregelmäßig gewundener Wasser lauf zog sich hindurch. Niedrige, nicht mehr als drei hundert Meter hohe Dünen und Hügel bildeten in etwa hundert Kilometern Entfernung den Horizont. Kein menschliches Wesen hatte jemals den Fuß auf Niflheim gesetzt, keines seine Luft geatmet. Dies hät te sofortigen Tod bedeutet: Die Atmosphäre bestand aus einem Gemisch von freiem Fluor und Fluorgasen, der Boden aus metallischem Fluor war feucht vom Säureregen, und in dem »Wasserlauf« floß reine Hy drofluorsäure. Selbst ein normaler Raumanzug hätte hier keinen Schutz bedeutet. Glas, Gummi und Pla
stik hätten sich innerhalb von Minuten aufgelöst. Wenn Menschen auf Niflheim kamen, um in den Bergwerken, Uran-Raffinerien und chemische Fabri ken zu arbeiten, dann in mit eigenem Motorantrieb versehenen gepanzerten Kontragravitationsanzügen; und sie lebten dreitausend Kilometer von dem Plane ten entfernt auf künstlichen Satelliten. Dieser Tender zum Beispiel war mit keinem anderen Raumfahrzeug vergleichbar. Er wies eine Spezialisolierung auf und konnte nur nach Passieren von drei Schleusen betre ten werden – einer äußeren Schleuse, die nach ihrer Schließung nach außen evakuiert wurde, einer mittle ren Schleuse, die ständig evakuiert war, und einer in neren Schleuse, die in den Schiffsraum hinein evaku iert wurde, bevor die mittlere Schleuse geöffnet wer den konnte. Niflheim war schlimmer als ein Planet ohne jede Atmosphäre – viel schlimmer. Der Chef-Ingenieur saß an seinem Steuerpult und nahm die kleineren Korrekturen der Schiffsposition vor, die zusätzlich zur Automatiksteuerung nötig wa ren. Der eine Funker nahm gerade eine Mitteilung der auf einer Umlaufbahn befindlichen Basis auf. Der andere sagte mit Engelsgeduld immer wieder: »Dr. Murillo. Dr. Murillo. Dr. Murillo, bitte melden.« Vor seiner eigenen Instrumentenkonsole sitzend, kaute ein kleiner glatzköpfiger Mann mit gekräuseltem schwarzen Haarkranz und Kräuselbart auf seinem er
loschenen Zigarrenstummel herum und lauschte an gestrengt dem, was in seinem Kopfhörer vernehmbar war – oder auch nicht. Ein paar Hilfskräfte überprüf ten Skalenanzeigen, blätterten in Handbüchern oder starrten angespannt auf den großen Visor-Schirm. Ein großer, rundgesichtiger junger Mann in dreckigem Khakihemd und Shorts – er hatte ungewöhnlich stark behaarte Beine – kritzelte auf einem Notizblock her um und aß Bonbons aus einer Tüte. Und ein schwarzhaariges Mädchen in einem viel zu großen Overall, das auch sonst nicht nach allzuviel aussah, hatte ein Bein über die Armlehne ihres Stuhles hän gen und betrachtete den auf dem Visor-Schirm sicht baren fernen Horizont. »Dr. Murillo. Dr. Mur –« Der Funker unterbrach sich mitten im Wort und lauschte einen Moment. »Ich höre Sie, Doktor; bitte kommen.« Dann einen Augen blick später: »Was ist Ihre jetzige Position, Doktor?« »Ich kann sie sehen«, sagte das Mädchen und deu tete auf die Stelle. »Zwei Uhr, etwa Handbreite über dem Horizont.« Der Mann mit dem Kräuselbart legte das Auge an das gepolsterte Okular des Teleskop-Visors und dreh te an einem Rad. »Sie haben guten Augen, Miss Quin ton«, erklärte er dann. »Nur vier Panzeranzüge; Ah med, fragen Sie ihn, wo der fünfte ist.« »Wir sehen nur vier von Ihren Panzeranzügen«,
sagte der Funker. »Wer fehlt, und warum?« Er warte te einen Augenblick und wandte sich dann zu ihnen um. »Der fünfte ist in der Behandlungsmaschine. Ei ner der Ulleraner, Gorkrink.« Der größere der am Horizont erschienenen Fleck war nur nun als Behandlungsmaschine erkennbar – etwas wie ein übergroßer Kontragravitationspanzer mit einer Bulldozer-Schaufel, einem kurzen Kranaus leger statt einer Kanone und gelenkigen, in Klauen endenden Armen an den Seiten. Die kleineren Punkte wurden zu Panzeranzügen – eiförmigen Dingen mit Armen und Haken rundum. Der Mann mit dem Kräuselbart begann hastig in sein Mikrophon zu sprechen und legte es dann weg. Es gab mehrere Stö ße, und der Panzertender, durch Kontragravitation gewichtslos, schwankte ein wenig, als die Behand lungsmaschine an Bord kam. »Haben Sie jemals eine nukleare Sprengung gese hen, Miss Quinton?« fragte der junge Mann mit den haarigen Beinen und reichte ihr seine Bonbontüte. »Nur Übertragungen in unserem Sonnensystem«, antwortete sie und bediente sich. »Testexplosionen auf dem Mars. Bevor ich hierher kam, hatte ich noch nicht einmal davon gehört, daß man beim Bergbau nukleare Sprengkörper verwendet.« »Also wenn das dieses Mal so gut klappt wie vor drei Monaten, dann lohnt es sich, zuzusehen«, ver
kündete er. »Diese Vulkane sind, na – vielleicht schon länger als tausend Jahre erloschen; also müßte es da unten eine ganz hübsche Gasblase geben. Das Magma muß eine dicke, zähe Masse sein, wie Basalt auf Ter ra. Natürlich hat es in seiner Zusammensetzung kei nerlei Ähnlichkeit mit Basalt – es sind hochkompri mierte Metallfluoride mit sehr großem Metallanteil. Die Vulkane, die wir vor drei Monaten sprengten, entließen eine ganz hervorragende Lava mit Metallen aller Arten – Nickel, Beryllium, Vanadium, Chrom, Iridium sowie Kupfer und Eisen.« »Was für eine Art Gas meinen Sie da?« fragte sie. »Wasserstoff. Dadurch entsteht das Feuerwerk: Mit Fluor gibt es eine explosive Mischung. Die Wasser stoff-Fluor-Verbindung führt zu dem, was hier der Verbrennung entspricht; das Ergebnis ist Fluorwas serstoffsäure, das hiesige Gegenstück zu Wasser. Se hen Sie, der Metallkern dieses Planeten ist – weit we niger dick als derjenige der Erde freilich – von einem Mantel aus Fluorgestein umgeben – Fluorspat und so weiter. Etwas wie Granit zum Beispiel gibt es hier nicht. Deswegen sind die großen Dünen dort draußen das Höchste, was es auf Niflheim an Bergen gibt. Wasserstoff entsteht im Boden, wenn die Säure sich mit den im Gestein enthaltenen reinen Metallen ver bindet.« »Dr. Murillo ist jetzt da«, sagte der Funker. »Hat
eben die innere Schleuse verlassen. Wenn er seinen Druckanzug abgelegt hat, kommt er herauf.« »Sobald er hier ist, löse ich aus«, sagte der Bärtige. »Alles bereit, de Jong?« »Alles bereit, Dr. Gomes«, versicherte ihm einer seiner Assistenten. Die hintere Tür der Steuerkabine öffnete sich, und Juan Murillo, der Seismologe, trat ein, gefolgt von ei nem Helfer. Murillo war ein hochgewachsener, vier schrötiger Mann mit bronzefarbenem Teint; er sah aus wie ein Abkömmling von Marsbewohnern mit ein paar Generationen von Anden-Indianern unter seinen Vor fahren. Hinter Gomes' Stuhl blieb er stehen und warf einen Blick auf die Instrumente. Sein Helfer verharrte bei der Tür. Er gehört nicht der menschlichen Rasse an. Er war zweibeinig und wirkte irgendwie humanoid, hatte aber vier Arme und einen eidechsenähnlichen Kopf. Bis auf einen Gürtel mit einigen Ausrüstungs gegenständen war er völlig unbekleidet. In quiekenden Tönen redete er hastig auf Murillo ein. Murillo wandte sich um. »Ja, wenn du willst, Gorkrink«, sagte er in dem Gemisch aus Englisch, Spanisch, Afrikaans und Por tugiesisch, das im sechsten Jahrhundert des Atom zeitalters Lingua Terrae war. Dann wandte er sich wieder Gomes zu und der Ulleraner ließ sich auf ei nem Stuhl bei der Tür nieder.
»Also, jetzt sind Sie dran, Lourenço. Geben Sie Zunder.« Gomes drückte auf den Knopf der Fernzündung. Aus dem Lautsprecher über ihm kam eine Stimme: »Die Ladung explodiert in sechzig Sekunden ... dreißig Sekunden ... fünfzehn Sekunden ... zehn Sekunden ... fünf Sekunden, vier Sekunden, drei Sekunden, zwei Sekunden, eine Sekunde –« Wie eine Lanze schoß in gut fünfzig Kilometer Ent fernung ein Strahl bläulich-weißen Lichtes in die be ginnende Dämmerung – tatsächlich waren es fünf Strahlen, die aus fünf tiefen, in der Form eines unre gelmäßigen Pentagons von einem Kilometer Durch messer angeordneten Schächten kamen und aus der Entfernung wie ein einziger wirkten. Einen Augen blick später gab es einen grellen, flächigen Blitz; ein riesiger, vielfarbiger Feuerball stieg auf und zog eine Kette von langsamer steigenden Rauchringen hinter sich her. Der Feuerball flachte sich ab und saß dann wie der Kopf eines Pilzes auf der brennenden Gas säule, welche, Flammen und Blitze speiend und sich dann wieder verdunkelnd, die Rauchringe in sich verschlang. Der Panzertender begann zu schlingern, und der Ingenieur und einer seiner Gehilfen hatten alle Hände voll zu tun, um ihn zu stabilisieren. »In etwa einer halben Stunde«, sagte der hochge wachsene junge Mann zu dem Mädchen, »müßte das
richtige Feuerwerk losgehen. Was jetzt dort hoch kommt, sind nur kleinere Trümmer. Sobald die Druckwellen in die richtige Tiefe vorgedrungen sind, wird das Gas freigesetzt, und dann kommen Dampf und Asche, und dann das Magma. Diese Explosion müßte zweimal so stark sein wie die vor drei Mona ten, und bestimmt nicht schwächer als die des Kraka tau auf Terra im Jahr 59 des Voratomaren Zeitalters.« »Nun, auch das, was ich bisher gesehen habe, war wirklich schon sehr eindrucksvoll«, sagte das Mäd chen, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden. »Fahren Sie auf der City of Canberra nach Uller wei ter?« fragte Lourenço Gomes. »Ich wünschte, ich könnte das; aber ich muß noch bleiben und etwa in einem Monat eine weitere Explosion auslösen. Dabei habe ich von Niflheim jetzt wirklich genug. Je eher ich wieder auf einem Planeten bin, wo die Luft nicht rationiert ist, desto lieber.« »Na, was sagen Sie dazu!« rief der junge Mann mit den haarigen Beinen in gespieltem Erstaunen. »Es ge fällt ihm nicht auf unserem hübschen Planeten!« »Hübscher Planet!« Gomes murmelte irgend etwas. »Terra nennt man Gottes Fußschemel; und dreimal dürfen Sie raten, wer seinen Huf auf dieses Ding hier setzt.« »Wann fahren Sie nach Terra?« fragte ihn das Mäd chen.
»Terra? Ich weiß nicht; in ein, zwei Jahren viel leicht. Aber wenn wir die nächste Explosion rechtzei tig über die Bühne kriegen, geht es mit dem nächsten Schiff – der City of Pretoria – nach Uller. Ich soll einige Verbesserungen an Reaktoren vornehmen. Wahr scheinlich werden wir uns also dort sehen.« »Jetzt!« rief der Chefingenieur. »Achtet auf das un tere Ende!« Der Fuß der Säule aus immer noch brodelndem Rauch, Feuer und Staub geriet in heftige Bewegung. Eine Reihe von Blitzen flammte auf; die glühenden radioaktiven Gase wurden von neuem hoch- und durcheinandergewirbelt. Und dann stieg eine riesige Flamme gen Himmel. Reines Wasserstoffgas mußte mit Urgewalt in das durch die Explosion geschaffene Vakuum geschossen sein. Die nächste Feuerentla dung erfolgte horizontal in etwa dreitausend Meter Höhe. Riesige Flammenfetzen, deren Farbe von rot in violett und dann wieder zurück durch das Spektrum in rot überging, flogen davon und lösten sich in der oberen Atmosphäre auf. Dann schossen Geysire aus flüssigem Gestein und heißer Asche in die Höhe; ei nige der weißglühenden Trümmer flogen beinahe in den Säurefluß auf halbem Wege zwischen ihnen und dem Ort der Detonation. »Ein erstklassiges Erdbeben gibt's als Dreingabe«, sagte Murillo, der hispano-indianische Marianer,
nach einem Blick auf die Instrumente. »An die sechs große Risse in der Felsstruktur. Wenn das alles sich erst einmal beruhigt hat und abgekühlt ist, haben wir mehr Erz an der Oberfläche als wir in Zehn Jahren brauchen können, und viel mehr, als wir in fünfzig Jahren mit gewöhnlichen Mitteln hätten heraufbeför dern können.« Etwa fünf Kilometer vom Ort der ersten Sprengung entfernt kündigte eine gewaltige Gasexplosion eine weitere Eruption an. »So, das hätten wir«, sagte der junge Mann und holte eine Flasche aus einer in der Kabinenecke ste henden Segeltuchtasche. »Holt doch mal 'n paar Pla stikbecher, wir haben uns alle 'nen Schluck verdient.« »Richtig«, sagte Gomes. »Tut man etwas nur ein mal, dann klappt es vielleicht zufällig; schafft man es nochmal, dann ist man ein Könner.« Er begann, Pa piere auf seinem Schreibtisch beiseitezuschieben, und das Mädchen im zu großen Overall brachte Trinkbe cher. Der Ulleraner im Hintergrund sprang auf und quäkte entschuldigend. Murillo nickte. »Ja, natürlich, Gorkrink. Wir brauchen dich jetzt nicht mehr.« Der Ulleraner ging hinaus und machte die Tür hinter sich zu. »Dieses Tabu, daß sich Ulleraner und Terraner nicht gegenseitig beim Essen und Trinken zusehen
dürfen«, sagte Murillo. »Was ist das – Bestandteil ih rer Religion?« »Nein, das ist ihre Art von Bescheidenheit«, erwi derte das Mädchen. »Wie einige unserer SexualTabus, die sie ihrerseits nicht im mindestens verste hen ... aber Sie sprachen zu ihm in Lingua Terrae; ich wußte gar nicht, daß es Ulleraner gibt, die das verste hen.« »Gorkrink schon«, sagte Murillo, während er die Flasche entkorkte und die Plastikbecher füllte. »Na türlich kann es wegen der Struktur ihrer Stimmorga ne keiner von ihnen sprechen, genausowenig, wie wir ihre Sprache ohne künstliche Hilfsmittel sprechen können. Aber ich kann in Lingua Terrae mit ihm re den, ohne daß ich mir einen von diesen verdammten Knebeln in den Mund stecken muß, und er gibt dann meine Anweisungen an die anderen weiter. Er ist mir eine große Hilfe gewesen; ich werde ihn nur sehr un gern verlieren.« »Ihn verlieren?« »Ja, sein Jahr ist um. Er fährt auf der Canberra nach Uller zurück. Wissen Sie, es ist einfach unmöglich, die Luft in den Steuerkabinen der Maschinen, mit denen sie arbeiten, hundertprozentig fluorfrei zu halten, und das Fluor spielt ihren Lungen ziemlich übel mit. Er wollte noch drei Monate bleiben, um bei der näch sten Sprengung zu helfen, aber die Medizinmänner
wollen nichts davon wissen ... Er ist aus Keegark, wo immer auf Uller das sein mag; behauptet, ein Fürst zu sein, oder so was. Tatsache ist, daß die anderen alle Kotau vor ihm machen. Jedenfalls ist er ein ver dammt guter Mitarbeiter. Sehr helle; nichts braucht man ihm zweimal zu erklären. Ich kann ihn für jede Art von Arbeit mit Kontragravitation oder mit me chanischen Geräten ohne jede Einschränkung emp fehlen.« »Also, auf uns«, sagte Murillo. »Und auf den ersten Erzabbau mit Atomkraft in der Geschichte.« Sie hoben ihre Becher.
1
Der Oberbefehlshaber Front und Zentrum
General Carlos von Schlichten warf seine Zigarette weg, ballte seine behandschuhten Hände abwech selnd zur Faust und streckte die Finger wieder, korri gierte den Sitz seines Monokels und trat ein paar Schritte nach vorn, während die anderen Offiziere hinter ihm aus dem Unterstand herauskamen – Cap tain Cazabielle, der Kommandierende Offizier; der schokoladenbraune, hünenhafte Brigadier-General Themistokles M'zangwe; der kleine Colonel Hidey oshi O'Leary. In der Ferne, zu ihrer Linken, verlor sich der Horizont in den Wolkenbänken über dem Takkad-Meer; vor ihnen rechts ragte ein zerklüftetes Bergmassiv grau und schwarz zum Himmel empor und verlor sich dann in der Weite. Zweihundert Me ter tiefer, unter der Mauerbrüstung und den beiden Katapult-Plattformen mit den 90-mm-Geschützen, begann der Bergpfad, der dann auf der anderen Seite wieder hinabführte. Vor dem Unterstand war ein kleiner quadratischer Platz von etwa dreißig Metern Seitenlänge. Hier hatte er seinen Aircar geparkt. Die Soldaten waren versammelt. Etwa ein Dutzend von ihnen waren Terraner – ein
paar Leutnants, Sergeanten, Schützen, Techniker, dazu der Fahrer und der Schütze seines eigenen Fahrzeugs. Die anderen, etwa fünfzig, waren Eingeborene von Ul ler. Auf ihren Stummelbeinen mit den breiten sechsze higen Füßen standen sie aufrecht da. Jeder hatte vier Arme, von denen zwei an den Schultern saßen, die an deren etwa in Körpermitte. Ihre gummiartige Haut war schiefergrau und mit stecknadelkopfgroßen, durch Perspiration erzeugten Quarzkügelchen über sät, denn statt aus Kohlenwasserstoff bestand ihr Kör pergewebe aus Silikon. Ihre schmalen Häupter erin nerten unangenehm an Saurierköpfe; sie hatten kleine rote Augen mit doppelten Lidern, schlitzförmige Na senlöcher und einen breiten Mund mit buntschillern den Zähnen. Bis auf Gürtel und Ausrüstung waren sie völlig nackt; ihre Uniform bestand aus dem mit Hilfe einer Schablone auf Brust und Rücken aufgetragenen Emblem der Uller-Charter-Company. Weder aus Wär mebedürfnis noch aus Scham brauchten sie Kleidung. Was ersteres anbetraf, so waren sie Kaltblütler, die Temperaturen zwischen einhundertzwanzig und mi nus einhundert Grad ertragen konnten. Von Schlich ten hatte sie im Freien schlafen gesehen, den Körper von Reif oder gefrierendem Regen bedeckt. Auch hat te er schon beobachtet, daß sie durch kochend heißes Wasser wateten. Was man auf Terra Schamgefühl nannte, war ihnen fremd. Sie waren alle vom selben
Geschlecht – echte Hermaphroditen. Jeder einzelne von ihnen konnte Junge bekommen oder das Ovum ei nes anderen Individuums befruchten. Als er vor fünf zehn Jahren als ehemaliger Hauptmann der Terrani schen Föderation, der eben seinen neuen Posten als Co lonel in der Armee der Uller-Company angetreten hat te, zum ersten Male hierher gekommen war, hatte es einige Zeit gedauert, bis er sich daran gewöhnt hatte, daß aus jeder Abteilung Soldaten als Babysitter abzu stellen waren. Immerhin gab es hier nicht die gleichen Schwierigkeiten mit Squaws und Soldaten wie auf Thor, wo er zuletzt stationiert gewesen war. Ein Airjeep kam direkt aus der Sonne, kreiste ein paarmal über dem Gipfelfort und ließ sich dann ne ben von Schlichtens Kommandofahrzeug auf der Ter rasse nieder. Er war mit mehreren 15-mmMaschinengewehren bestückt, und zwei von den acht 50-mm-Raketenrohren an den Seiten waren leer und trugen frische Sengspuren. Die Duraglaskuppel glitt zurück, und die Besatzung – ein Leutnant als Pilot und ein Sergeant als Schütze – sprang heraus. Von Schlichten kannte sie beide. »Leutnant Kendall, Sergeant Garcia«, begrüßte er sie. »Guten Tag, meine Herren.« Beide salutierten auf die lässige Weise von Terrani schen Soldaten im außerirdischen Dienst und erwi derten den Gruß.
»Was ist mit den Jeels?« fragte er mit einer Geste zu den leeren Raketenrohren. »Ich sehe, Sie hatten einen Feuerwechsel.« »Ja, Sir«, sagte der Leutnant. »Wir hatten Berüh rung mit zwei Gruppen. Die erste davon sichteten wir auf der Ostseite der Berge, etwa drei Kilometer diesseits von den Blue Springs. Etwa die Hälfte da von erledigten wir mit MG-Feuer; der Rest verzog sich in eine große Felsspalte. Wir mußten ihnen zwei Raketen nachfeuern und dann hinunter und ein paar von ihnen mit der Pistole ausschalten. Auf die zweite Gruppe trafen wir dann gut einen Kilometer diesseits von Zortolks altem Fort. Es waren nur sechs; sie wa ren gerade beim Fressen. Haben einen von ihrer eige nen Bande verschmaust, würde ich sagen. Seit wir sie in die Berge hinaufgedrängt haben, kommt das bei ihnen recht häufig vor. Zwei Raketen – keine Überle benden. Überhaupt blieb nicht sehr viel von ihnen übrig. Wir landeten in Zortolks Fort auf ein Bier, und dann hörten wir von Captain Martinelle, daß einer seiner Jeeps eine Bande erwischt hatte. Er nimmt an, daß es die gleiche ist, die vorletzte Nacht aus den Bergen herunterkam und diese Bauern von Fürst Neeldinks Landgut auffraß.« »Bei Gott, freut mich sehr, das zu hören!« Bevor die Terraner nach Uller gekommen waren, hatte man von einem guten Jahr sprechen können, wenn nicht mehr
als fünfhundert Bauern und Landarbeiter von den Jeels getötet und vertilgt worden waren. Der Vorfall vor zwei Tagen war der erste seiner Art in fast sechs Monaten, aber der Adelige, dessen Arbeiter aufge fressen worden waren, machte die Company prak tisch für das Verbrechen verantwortlich. »Ich werde veranlassen, daß Neeldink unterrichtet wird. Je mehr man für diese verdammten Burschen tut, desto mehr verlangen sie von einem ... Sobald Sie wie der Munition gefaßt haben, Leutnant, sollten Sie viel leicht noch einmal dort vorbeischauen, wo Sie diese er ste Bande erledigt haben. Wenn noch welche in der Nähe sind, werden sie sich jetzt dort zu einer Gratis mahlzeit versammelt haben.« Daß das Tabu, welches den Jeels verbot, Stammesgenossen zu fressen, besei tigt worden war, war das Beste, was er im Zusammen hang mit dem Kannibalen-Vernichtungsprogramm seit langem gehört hatte. Er wandte sich Themistokles M'zangwe zu. »Stellen Sie in den nächsten vierzehn Tagen einen Stoßtrupp zusammen. Sagen wir zehn Gefechtsfahrzeuge, etwa zwanzig Airjeeps und ein Bataillon Kragan-Schützen in Truppentransportern. Ach ja, diese nichtsnutzige Konkrook-Miliz von Fürst Jaizerd – die kann wenig stens Fluchtwege abschneiden.« Er wandte sich wie der Leutnant Kendall und Sergeant Garcia zu. »Gute Arbeit, Leute. Und, falls die Synchro-Fotos erweisen
sollten, daß von der ersten Bande welche entkommen sind, macht euch keine Gedanken deswegen. Diese Jeels bringen es fertig, sich auf einem Billardtisch zu verstecken.« Er kletterte in das Kommandeursfahrzeug, gefolgt von Themistokles M'zangwe und Hideyoshi O'Leary. Sergeant Harry Quong und Corporal Hassan Bogda noff nahmen auf den Vordersitzen Platz. Das Fahr zeug hob ab, stellte die Nase in den Wind und stieg dann in spiraligen Schleifen auf. Das Fort unter ih nen, ein Rechteck aus Mauerwerk, das mit seinen Ge schützen den Paß beherrschte, wurde kleiner und kleiner. »Wohin, Sir?« fragte Harry Quong. Er sah auf die Uhr. Siebzehn-hundert; die Zeit er laubt nicht mehr. Zortolks altes Fort, das etwa fünf zehn Kilometer entfernt auf der nächsten Paßhöhe lag, noch zu besuchen. »Zurück nach Konkrook; zur Insel.« Der Pilot zog das Fahrzeug in Richtung Südosten. Die Rotoren der Kaltdüsen begannen zu summen; dann wurden die Heißdüsen eingeschaltet. Der Air car schoß über die Vorgebirge hinweg auf die Kü stenebene zu. Unter ihnen erstreckten sich Wälder, gelb-grün vom frischen Blätterwuchs der zweiten Wachstumsperiode des Äquatorjahres. Der schmut ziggraue Holzrauch im Osten kam von den Holzkoh
lenmeilern dort. Vierzig Jahre brauchte man, um die Wälder hinauf bis zu den Bergen abzubrennen; wenn die Köhler dann so weit waren, stand an der Küste bereits wieder schlagbares Holz. Drüben im Süden konnte er die dunkelgrünen Flächen sehen, wo die Company Schierlingsfichten und Norwegische Tan nen gepflanzt hatte. Mit ein wenig chemischer Dün gung wuchsen sie gut und ergaben bessere Holzkohle als das silikatdurchsetzte einheimische Holz. Dies war der einzige natürliche Brennstoff auf Uller; Kohle gab es selbstverständlich nicht, da gefallene Bäume in wenigen Jahren versteinerten. Auf Uller gab es zu viel Silikon und zu wenig von allem anderen; was auf Terra Kohlenflöze gewesen wären, waren hier Schich ten silikonisierten Holzes. Und natürlich gab es kein Öl. Zur Zeit wurde weniger Holz und Kohle ver braucht als früher; die Uller-Company hatte große Mengen synthetischen Thermokonzentrat-Brennstoffs eingeführt und, wo immer sie auf dem Planeten Fuß faßte, Atomkraftwerke errichtet. Hinter den Wäldern kommt das Agrarland. Die äl teren Güter waren zur Abwehr von Sauriern mit dik ken Wällen aus Stein oder versteinertem Holz und mit breiten Gräben umgeben. Aber die Gräben waren jetzt trocken, und die Wälle verfielen. Einige der neueren Farmen hatten weder Wälle noch Gräben. Auch das war auf die Tätigkeit der Company zurück
zuführen; seit man Bazookas und rückstoßfreie Ka nonen verwendete, waren die riesigen, gepanzerten Tiere im Konk-Isthmus völlig ausgestorben. Als Planet war Uller wirklich alles andere als an heimelnd, dachte er bitter. Manchmal wünschte er, niemals der Verlockung schnellen Aufstiegs und phantastisch hoher Besoldung nachgegeben zu ha ben, um sich der Armee der Uller-Company anzu schließen. Dann wäre er jetzt wahrscheinlich nur Co lonel mit einem Jahressold von fünftausend Sol. Aber ein Colonel in mittleren Jahren würde sich vielleicht auf einem anständigen Planeten wohler fühlen – auf Odin zum Beispiel mit seinen zwei Monden, Hugin und Munin mit ihren weiten Prärien und immergrü nen Wäldern, die aussahen wie die Fichtenwälder auf Terra und sogar so rochen, oder auf Baldur mit sei nen schneebedeckten Bergen und klaren, kalten Flüs sen, oder auf Freya, wo die Frauen so atemberaubend schön waren – als ein General der Company mit fünfundzwanzigtausend im Jahr auf dieser Kreuzung aus Hochofen, Kühlschrank, Windkanal und Stein haufen, wo das Wasser wie Spülicht schmeckte und glitschige Rückstände hinterließ, wo es getrocknet war; wo die Temperatur zwischen den Polen um fast zweihundert Grad variierte; wo nichts, was wuchs, Flossen oder Beine hatte, zu menschlichem Verzehr geeignet war, und wo die Bewohner ...
Natürlich gab es schlimmere Planeten als Uller. Da gab es den kalten, nebligen Nidhog, dessen Äquator zone ein dunstiger Sumpf war, während den Rest ewi gen Eis bedeckte. Da war Bifrost, der seiner Sonne im mer dieselbe Seite zuwandte; eine Seite war glühend heiß, die andere, durch eine schmale, kaum bewohnba re Zwielichtzone von ihr getrennt, wies eine Tempera tur nahe dem absoluten Nullpunkt auf. Da war Mimir, bewohnt von einer Rasse halbintelligenter, mordlusti ger, verräterischer, niederträchtiger Quasi-Kriechtiere. Oder Niflheim. Die Uller-Company hatte auch das An recht auf Niflheim. Sie hatte sich bereit erklären müs sen, die Ausbeutung der Rohstoffvorkommen dieses Planeten zu übernehmen, um das Anrecht auf Uller zu bekommen – ein Paketverfahren, welches die relativen Vorzüge der beiden Planeten hinreichend beleuchtete. Vor ihnen lag die Stadt Konkrook am Delta des Konk. Der Fluß war jetzt ausgetrocknet. Außer im Frühling, wo er sich rotbraun dahinwälzte, war er nie mehr als ein Rinnsal. Der Aircar verlor an Höhe. Die Heißdüsen wurden ausgeschaltet. Sie überflogen Vor orte und gelblich-grüne Parks, niedrige Wohn- und Geschäftsgebäude, hohe Tempel und Paläste, phanta stisch in sich verdrehte Türme, und folgten dann ei ner Straße, die immer häßlicher und schmutziger wirkte, je mehr sie sich dem Industriebezirk an der Küste näherten.
Von Schlichten sah abwesend hinunter, langsam an seiner Zigarette ziehend. Dann aber ging ein Ruck durch seinen Körper; die Muskeln um sein rechtes Auge packten das Monokel fester. Er beugte sich vor und stupste Harry Quong an der Schulter. »Wenden Sie, Sergeant; sehen wir uns diese Straße noch einmal an«, sagte er. »Dort unten scheint ir gendwas los zu sein.« »Ja, Sir; ich habe es auch gesehen«, antwortete der australochinesische Pilot. »Sieht aus, als wären Terra ner von Geeks* überfallen worden. Ein geparkter Air car steht mitten drin.« Das Fahrzeug zog eine Schleife und kehrte langsam noch einmal zu der Stelle zurück. Oberst Hideyoshi O'Leary sah durch sein Fernglas. »Stimmt«, sagte er. »Da sind Terraner in Bedräng nis. Es sind zwei; sie stehen mit dem Rücken gegen eine Wand. Einer von ihnen hat eben einen Pistolen schuß abgegeben.« Von Schlichten hatte bereits das Mikrophon in der Hand, wählte die Nummer der Garnison auf Gon gonk Island und ließ dann den Signalknopf nicht mehr los, bis er Antwort bekam. »Von Schlichten. Befinde mich in Aircar über Kon krook. Blutiger Zusammenstoß in der Fourth Avenue, * Verächtliche Bezeichnung für die Eingeborenen.
Ecke Seventy-third Street.« Kein Terraner konnte sich die Namen der Straßen von Konkrook merken; selbst Einheimische, die von anderswoher kamen, fanden, daß die Nummern leichter zu lernen und zu behalten waren. »Geeks haben zwei Terraner überfallen. Wir gehen jetzt hinunter und versuchen zu helfen. Schik ken Sie sofort Soldaten. Und bleiben Sie am Apparat, mein Pilot wird Sie weiter auf dem laufenden hal ten.« Er warf das Mikrofon nach vorn über Harry Quongs Schulter. Quong fing es auf und begann, schnell und hastig hineinzusprechen, während er mit der anderen Hand steuerte. Von Schlichten nahm eine der fünf Pfund schweren, gezackten Keulen aus einem Gestell. Themistokles M'zangwe hatte bereits seine Pistole gezogen, nahm sie jetzt in die linke Hand und packte mit der Rechten ebenfalls eine Keule. Der irisch japanische Colonel hatte eine Automatik in der einen Hand und einen langen Dolch in der anderen und sah aus wie ein mordlüsterner Kobold. Harry Quong und Hassan Bogdanoff waren schon Veteranen auf Uller; in Situationen wie diese gerieten sie nicht zum erstenmal. Bogdanoff stieg in den Ge fechtsturm, schwenkte das 15-mm-Zwillingsgeschütz herum und begann zu feuern. Quong hielt das Fahr zeug etwa eineinhalb Meter über dem Boden. Zu bei den Seiten sanken Eingeborene tot oder verwundet
nieder. Dann setzte Quong das Fahrzeug so nahe wie möglich bei der Gruppe um die beiden Terraner auf. Von Schlichten öffnete die Luke und sprang aus dem Aircar. O'Leary und M'zangwe folgten. An der Straßenecke stand der andere Aircar, ein dunkelbraunes Zivilfahrzeug. Der eingeborene Fah rer war über das Steuer gesunken. Der Schaft eines Pfeiles ragte aus seinem Nacken. Mit dem Rücken an einer Haustür stehend, schlug ein weißhaariger, bär tiger Terraner mit einer leergeschossenen Pistole um sich. Er war verwundet; Blut lief ihm über das Ge sicht. Seine Gefährtin, eine junge Frau in langem Pelzmantel, wehrte die Angreifer mit einem der lan gen Bolo-Messer der Eingeborenen ab. Von Schlichtens Keule hatte einen kugeligen, zak kenbesetzten Kopf und eine lange Spitze darauf. Er ließ die Kugel auf den Hinterkopf eines Ullaners nie dersausen und stieß einem anderen den Dorn in den Leib. »Zak! Zak!« schrie er auf Pidgin-Ulleranisch. »Jik jik, ihr gottverdammten Eidechsenköpfe!« Der Ulleraner fuhr herum und holte mit einem ge waltigen Messer aus. Sein Mund war weit aufgeris sen. Schaum stand ihm auf den Lippen. »Znidd suddabit!« kreischte er. Von Schlichten parierte den Stoß mit dem stähler nen Schaft seiner Keule. »Selber suddabit, du Geek
Bastard!« schrie er und rammte ihm die Spitze seiner Keule in den offenen Mund. Der Ulleraner sackte zu sammen. Von Schlichten nahm sich sofort den näch sten vor. Drüben hatte einer der Geeks den verwundeten Terraner mit beiden unteren Armen zu fassen be kommen und hob mit der oberen Rechten einen Dolch. Das Mädchen im Pelzmantel holte weit aus und hieb ihm den Arm mit dem Messer ab, stieß ihm dann ihre Waffe in den Hals. Ein Eingeborener, der mehrere Gürtel mit Goldornamenten trug, zog eine terranische Automatik. Von Schlichten riß seine Pisto le hoch, aber ehe er feuern konnte, hatte Hassan Bog danoff bereits die Gefahr erkannt; seine Salve traf den Eingeborenen in die Brust und riß ihn in Stücke. Hideyoshi O'Leary, der von Schlichten gefolgt war, stach einen der Angreifer nieder, das Mädchen gleich zeitig mit seinem freien Arm um die Taille packend. Themistokles M'zangwe ließ seine Keule fallen und nahm den gebrechlich aussehenden Mann auf die Schulter. Zusammen kämpften sie sich zum Aircar zu rück; von Schlichten gab ihnen mit seiner Pistole Feu erschutz. Plötzlich ratterte Maschinengewehrfeuer. Mit ei nem schnellen Blick über die Schulter sah von Schlichten vier Gefechts-Aircars, die schräg herab stießen, die Meute unter Beschuß nahmen, in einem
Looping nach oben zogen, um dann wieder zurück zukehren, dieses Mal gefolgt von drei langen, blau grauen Truppentransportern. Kaum gelandet, spien sie kraganische Söldner aus. Der erste Zug stürmte ein paar Schritte nach vom, ging auf ein Knie nieder und begann, auf das zu schießen, was von dem Mob noch übrig war. Vierhändige Solda ten haben eine verblüffende Feuerkraft, vor allem, wenn sie mit automatischen Gewehren bewaffnet sind, deren zwanzigschüssige Magazine sie mit den unteren Händen auswechseln können, ohne die Waffe zu sen ken. Jetzt war Hufgetrappel zu hören. Eine kleine Kaval leriekompanie des Königs von Konkrook sprengte auf ihren sechsbeinigen, eidechsenköpfigen, schwarzge sprenkelten Tieren herbei. Die einen stürmten in Sei tenstraßen, wo sie mit Lanzen und Säbeln Fliehende niedermachten, während andere abstiegen und mit Pfeil und Bogen zu Werke gingen. Von Schlichten, der im Grunde genommen keine allzu hohe Meinung von den Streitkräften des Königs von Konkrook hatte, mußte, wenn auch widerwillig, zugestehen, daß sie gute Arbeit leisteten. Ein Hauptmann der Eingeborenen-Infanterie, ein Terraner, ging auf ihn zu und salutierte. »Ihnen und Ihren Leuten ist nichts zugestoßen, Herr General?« fragte er.
Von Schlichten warf einen Blick auf den Vordersitz seines Aircars, wo Harry Quong, eine Pistole in der rechten Hand, immer noch ins Mikrofon sprach, wäh rend Hassan Bogdanoff neue Patronengürtel in seine Maschinengewehre einführte. Dann sah er, daß der verwundete Mann ins Fahrzeug geschafft worden war. Das Mädchen lehnte an der Seite des Aircars, hilflos zitternd vor Erregung. »Es sieht so aus, Captain Pedolsky. Sie kamen ge rade noch rechtzeitig; Ihre Fahrzeuge sind wohl mit Hyper-Raumantrieb ausgerüstet? ... Wie geht es ihm, Colonel?« »Er sollte sofort ins Hospital«, antwortete O'Leary. »Ich glaube, er hat eine Gehirnerschütterung.« »Harry, rufen Sie das Hospital an. Sagen Sie, wir bringen die Toten zur oberen Landeplattform ... Also, alles in Ordnung, Captain. Sie sollten mit Ihren Kra ganern noch etwas bleiben, damit sichergestellt ist, daß König Jaikarks Geeks keine neuen Unruhen auf kommen lassen. Auch sollen sie nicht den Eindruck bekommen, als könnten sie die Ordnung hier auch ohne unsere Hilfe aufrecht erhalten; das entspricht nicht den Wünschen der Company!« »Ja, Sir; ich verstehe.« Captain Pedolsky öffnete ei ne Tasche an seinem Gürtel und nahm das künstliche Mundstück heraus, ohne das kein Terraner auch nur halbwegs verständliches Pidgin-Ulleranisch artikulie
ren konnte. Er steckte das Ding in den Mund, wandte sich um und begann, Order zu erteilen. Von Schlichten half dem Mädchen in das Fahrzeug und führte sie zu dem Sitz rechts neben dem seinen. Der Pilot schaltete das Kontra-Gravitationsfeld ein, und der Aircar stieg in die Höhe. »Them, in der Türtasche neben Ihnen müßten einen Flasche und ein Trinkbecher sein«, sagte er. »Ein kleiner Schluck könnte Miss Quinton jetzt sicher nicht schaden.« Das Mädchen wandte sich ihm zu. Selbst in ihrem jetzigen ziemlich mitgenommenen Zustand war sie schön – nicht sehr groß, schwarzhaarig und mit schwar zen, ein wenig schrägen Augen. Auf ihren schwarz lak kierten Fingernägeln hatte sie winzige goldene Sterne – offenbar der letzte Modeschrei von Terra. »Da haben Sie recht, General ... Woher wissen Sie meinen Namen?« »Sie sind seit drei Monaten auf Uller. Und hier gibt es so wenige von uns, daß ziemlich jeder alles über jeden weiß. Sie sind Dr. Paula Quinton, extraterresti sche Soziografin und Feld-Agent der Gesellschaft für den Schutz der Rechte von Nicht-Terranern, wie Mo hammed Ferriera hier.« Er nahm Themistokles M'zangwe Flasche und Becher ab und schenkte ihr ein. »Nicht zu hastig; es ist Honigrum von Baldur, fünfundsiebzigprozentig.«
Er sah zu, wie sie vorsichtig daran nippte, sofort zu husten begann und dann vollends den Becher leerte. »Mehr?« Als sie den Kopf schüttelte, verschloß er die Flasche wieder. »Was wollten Sie denn überhaupt hier?« fragte er dann. »Ich dachte, Ferriera wäre schlau genug, nicht hierher zu kommen, geschweige denn, Sie mitzunehmen.« »Wir wollten einen seiner Freunde besuchen, einen Eingeborenen namens Keeluk. Er scheint gleichzeitig so etwas wie Priester und Arbeiterführer zu sein«, antwortete sie. »Ich werde in Bälde die Arbeitsbedin gungen in den Bergwerken am Nordpol untersuchen, und Mr. Keeluk sollte mir Empfehlungsschreiben für Freunde von ihm in Skilk mitgeben.« Dank seines Monokels gelang es von Schlichten, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Weder M'zangwe noch O'Leary hatten ein solches Hilfsmittel: Der Afrikaner rollte die Augen, der Irisch-Japaner schnitt eine Grimasse. »Wir unterhielten uns eine Weile mit Mr. Keeluk«, sagte das Mädchen, »und als wir das Haus wieder ver ließen, stellten wir fest, daß sich eine Meute zusam mengerottet hatte und unser Fahrer getötet worden war. Natürlich trugen wir Pistolen; sie gehören, wie die Notrationen und der Wasser-Desilikator, zur Überle bensausrüstung, die Sie hier jeden mit sich führen las sen. Meine Waffe war geladen, die Mr. Ferrieras nicht.
Als sie auf uns losgingen, schoß ich ein paar von ihnen nieder und dann bekam ich dieses große Messer zu fas sen ...« »Deswegen sind Sie auch noch am Leben«, bemerk te von Schlichten. »Nur, weil Sie rechtzeitig kamen«, erwiderte sie. »Wie Sie sich keulenschwingend ins Getümmel stürz ten – in meinem Leben habe ich noch nie so etwas Schönes gesehen!« »Und ich nichts Schöneres als die Aircars, wie sie mit ihren Schnellfeuerkanonen diese Meute niedermach ten«, antwortete von Schlichten. Der Aircar überquerte den Konkrook-Kanal und näherte sich den blau grauen Gebäuden der Company auf Gongonk Island. »Wie war das eigentlich, während Sie und Mr. Fer riera in Keeluks Haus waren, Miss Quinton?« fragte Hideyoshi O'Leary. »War Keeluk dauernd bei Ihnen, oder hat er Sie für einen gewissen Zeitraum verlas sen, sagen wir fünfzehn oder zwanzig Minuten, be vor sie gingen?« »Ja, doch, tatsächlich«, erwiderte Paula Quinton überrascht. »Wie kommen Sie darauf? Es war so: Ein Hund begann zu bellen, hinter dem Haus, und Kee luk entschuldigte sich und ...« »Ein Hund?« entfuhr es von Schlichten. »Ein Hund?« echoten die anderen Offiziere, und Harry Quong auf dem Pilotensitz ächzte »Ist doch nicht möglich!«
»Doch ... Aber auf Uller gibt es gar keine Hunde bis auf ein paar, die Terranern gehören. Und war da nicht etwas mit ...?« Von Schlichten hatte sich schon das Mikrofon ge griffen und rief das Kommandofahrzeug am Schau platz der Auseinandersetzung. Der Pilot meldete sich. »Von Schlichten. Grüßen Sie Captain Pedolsky; er soll sofort eine gründliche Durchsuchung des Hau ses, vor dem der Zwischenfall stattfand, und der Nachbarhäuser durchführen. Zu seiner Information: Es handelt sich um Keeluks Haus. Bitten Sie ihn, be sonders nach Generalgouverneur Harringtons Collie und den anderen verschwundenen terrestrischen Tie ren Ausschau zu halten – diese Ziege zum Beispiel oder die Kaninchen. Und bringt mir Keeluk, lebendig und verhörfähig. Ich schicke Verstärkung.« »Aber was ...?« begann das Mädchen. »Deswegen wurden Sie angegriffen«, erklärte von Schlichten. »Keeluk wollte verhindern, daß die An wesenheit des Hundes durch Sie publik würde. Des halb ging er hinaus und ließ sein Rollkommando kommen, das Sie umbringen sollte.« »Aber er war doch nur fünf Minuten weg.« »In fünf Minuten kann ich das ganze Militär von Konkrook in Bewegung setzten. Keeluk hat weder Ra dio noch TV – hoffen wir wenigstens –, aber seine
Truppe ist konzentriert, und er hat einen ziemlich gu ten Stab.« »Aber Mr. Keeluk ist unser Freund. Er weiß, was unsere Gesellschaft für sein Volk zu tun versucht ...« »Und zum Dank dafür hetzt er Ihnen seine Meute auf den Hals. Sehen Sie, er hat doch enormen Einfluß in dieser Gegend. Warum ist er dann nicht einge schritten, als Sie überfallen wurden?« »Sie wollten doch zurück ins Haus, um sich in Si cherheit zu bringen«, fügte M'zangwe hinzu. »Und fanden die Tür verschlossen.« »Ja, aber ... aber was soll denn die ganze Aufre gung wegen des Hundes? Ist er ein heiliges TotemTier der Uller-Company?« »Er heißt Stalin und ist ein Collie wie tausend an dere auf Terra auch. Er wurde gestohlen, und nun hat ihn Keeluk, und wir wollen wissen, warum. Solche mysteriösen Dinge gefallen uns nicht, schon gar nicht, wenn sie zu Mordanschlägen auf Terraner füh ren.« Der Aircar landete vor dem Hospital. Bereitste hendes Personal schaffte den immer noch bewußtlo sen Mohammed Ferriera auf einer Bahre aus dem Fahrzeug. »Sie sollten gleich mitgehen, Miss Quinton«, riet von Schlichten. »Sie haben da ein paar gar nicht sehr schöne Schrammen abgekriegt; diese Geeks haben ei ne Haut wie Sandpapier. Übrigens – diese Briefe, die
Keeluk Ihnen geben wollte, für seine Freunde in Skilk. Haben Sie die?« Sie griff in ihre Jackentasche. »Ja. Die habe ich noch.« »Sie sollten Sie Colonel O'Leary vorlegen. Vielleicht steht mehr darin, als Sie ahnen ... Hid, gehen Sie mit Miss Quinton?«
2
Rakkeed, Stalin und Reverend Keeluk
Von Schlichten saß in einer frischen Uniform am Kopfende des Tisches in Sidney Harringtons Büro. Harrington und Eric Blount, der LieutenantGovernor, saßen sich an den Seiten gegenüber, ein metergroßes ullerisches Schachbrett zwischen sich. Harrington hatte die weiße oder Innenposition. Blount, dunkelblond und wesentlich jünger, hatte schwarz, und seine Figuren rückten unaufhaltsam nach innen vor. »Und dann?« fragte Harrington. Von Schlichten schnippte die Asche von seiner Zi garette. »Nichts Besonderes mehr«, antwortete er. »Keeluk verzog sich, sobald er unseren Aircar sah. Ein paar von seinen Schlägern haben wir mitgenommen. Sie werden jetzt verhört, aber ich bezweifle, ob wir ir gend etwas Neues von ihnen erfahren. Der Hund hat te sich in einem Schuppen hinter dem Haus befun den, war aber dann, wahrscheinlich schon, als Keeluk sein Rollkommando rief, weggebracht worden. Auch eins der Kaninchen muß sich dort befunden haben. Von der Ziege keine Spur.«
Blount machte eine neuen Zug, und von Schlichten nickte beifällig. »Der Aufruhr ist niedergeschlagen worden«, fuhr er fort, »aber wir lassen zwei Kompa nien Kraganer in der Stadt und ein Dutzend Airjeeps, außerdem ein Regiment von König Jaikarks Infanterie – Speerträger und Bogenschützen hauptsächlich – und zwei seiner Kavalleriekompanien. Die nehmen ganz wahllos Massenverhaftungen vor. Da kriegt Jai karks Favoritin am Hofe dann noch mehr Sklaven.« »Oder aber Gurgurk rekrutiert sie«, warf Blount ein. »Er hat in letzter Zeit eine richtige politische Or ganisation aufgebaut. Will versuchen, Jaikark vom Thron zu stürzen, würde ich sagen.« »Daß Gurgurk so etwas wagen würde, halte ich für ausgeschlossen«, sagte der Generalgouverneur. »Er weiß, daß wir ihm das nicht durchgehen lassen wür den. Dazu haben wir zuviel in König Jaikark inve stiert.« »Aber wieso unterstützt Gurgurk dann diesen ver dammten Rakkeed?« wollte Blount wissen. »Gurkurk hat nur zwei Möglichkeiten. Er kann versuchen, Jai kark zu stürzen und die Macht an sich zu reißen. Oder aber er stellt sich auf Jaikarks Seite und arbeitet mit ihm zusammen. Wir unterstützen Jaikark. Rak keed hat diesen Kreuzzug gegen die Terraner gepre digt und gegen Jaikark, den wir kontrollieren. Nun hat Gurgurk Rakkeed unterstützt ...«
»Dafür hast du keinen Beweis«, protestierte Har rington. »Aber mein Geheimdienst hat welche«, schaltete sich von Schlichten ein. »Wir kennen die Summen, die Daten und die Namen der Leute, die Rakkeed das Geld überbrachten. Eric hat absolut recht mit seiner Feststellung.« »Meiner Ansicht nach sieht Gurgurks Plan etwa so aus: Rakkeed wird hier in Konkrook antiterranische Emotionen wecken und sie dann gegen unsere Mario nette Jaikark und gegen uns selbst lenken«, sagte Blount. »Wenn der Konflikt zum offenen Ausbruch kommt, wird Jaikark umgebracht, und dann kommt Gurgurk, besetzt den Palast und schlägt mit Hilfe der Königlichen Armee die Revolte nieder, die er selber in Szene gesetzt hat. Auf diese Weise macht er sich zum Freund der Company, und die meisten der so von ihm Getäuschten werden festgenommen und als Sklaven verkauft. Und König Gurgurk steckt den Erlös ein. Die Frage ist nur: Wird Rakkeed sich auf diese Weise be nützen lassen? Rakkeed ist meiner Ansicht nach grö ßer, als Gurgurk jemals sein wird. Von ihm geht auch die größere Gefahr für die Company aus. Überall, wo irgend etwas nicht in Ordnung ist, steckt Rakkeed dahinter. Nimm diese Geschichte hier zum Beispiel: Keeluk ist einer von Rakkeeds Gefolgsleuten.« »Dieser Rakkeed schlägt sich dir noch auf den
Verstand, Eric!« rief Harrington. »Er ist ein simpler Packtiertreiber, nichts weiter.« Eric Blount nahm Harrington einen Bauern ab. »Dein König ist in Gefahr«, warnte er. »Nebenbei bemerkt: Hitler war ein einfacher Anstreicher.« »Rakkeed hat keine Gefolgschaft, außer beim Pö bel.« Harrington zog heftig an seiner Pfeife und such te nach einer Möglichkeit, seinen König zu schützen. »Das glaubst du«, entgegnete Blount. »Hier in Kon krook ist er häufig bei den adeligen Schiffsbesitzern zu Gast. Die rümpfen sicher die Nase über seine Tischsitten, aber seine Politik finden sie einfach fa belhaft. In Keegark und in den Freien Städten an der Ostküste ist es nicht anders.« »Das letzte Mal, als Rakkeed in Konkrook war, war er Gast des keegarkanischen Botschafters«, sagte von Schlichten. »Wir wissen das von einem Spitzel, den wir beim Botschaftspersonal eingeschleust haben.« »Bist du denn sicher, daß dir dein Spitzel kein Mär chen erzählt hat«, fragte Harrington. »Über Rakkeed hört man doch die verrücktesten Geschichten. Drei Tage nachdem er hier in Konkrook war, soll er acht tausend Kilometer weit weg in Skilk gewesen sein und bei König Firkked eine Audienz gehabt haben.« »Durchaus denkbar«, sagte von Schlichten. »Er reist verkleidet auf unseren Schiffen – Kuliklasse, auf dem Geek-Deck.«
»Wenn wir ihn da mal erwischen könnten, wäre das natürlich sehr gut«, sagte Blount und machte ei nen neuen Zug. »Eine der Unterdeck-Ladeluken müßte versehentlich unverriegelt bleiben, und dann könnte er in zweitausend Meter Höhe von Bord pur zeln.« Er beobachtete, wie Harrington ein scheinbar sinnloses Manöver einleitete. »Sid, die Sache mit dem Hund liegt mir doch etwas im Magen.« »Mir auch. Ich hab an dem Biest nun mal 'nen Nar ren gefressen. Weiß Gott, womit er inzwischen gefüt tert worden ist; und daß die Geeks ihn geklaut haben, gefällt mir schon überhaupt nicht.« »Also, auf die Gefahr hin, für herzlos gehalten zu werden: Mir geht es gar nicht so sehr um Stalin als um die Frage, warum Keeluk ihn versteckt hat, und warum er sich nicht gescheut hätte, die einzigen bei den Terraner in Konkrook, die ihm vertrauen, ermor den zu lassen – nur um zu verhindern, daß dies be kannt würde.« »Ein Mr. Keeluk, ein Priester«, sagte von Schlichten und zündete sich eine neue Zigarette am Stummel der alten an. »Vielleicht brauchte Reverend Keeluk Stalin für sakramentale Zwecke.« Blount sah von seinen Figuren auf. »Rituelle Tö tung?« fragte er. »Oder Schwarze Magie?« Von Schlichten zuckte die Achseln. »Was immer du willst. Vielleicht wollte Rakkeed den Hund, um ihn
vor einer Versammlung für uns zu töten. Oder, um uns in effigie umzubringen. Vielleicht glauben sie, daß wir Stalin verehren und daß sie Macht über uns aus üben können, wenn sie ihn in ihre Gewalt bekom men. Es wäre schon gut, wenn wir etwas mehr über die Psychologie der Ulleraner wüßten.« Es war nicht zum erstenmal, daß er diesen Gedan ken äußerte. Selbst wenn Sex nicht der beherrschende psychologische Faktor war, wie die alten Freudianer glaubten, so war er doch von überaus großer Wich tigkeit; auf Uller freilich waren die meisten Grundbe griffe terranischer Psychologie sinn- und bedeutungs los. Andererseits hatte der durchschnittliche Ullera ner wahrscheinlich Komplexe und Neurosen, die selbst Freud aus dem Häuschen gebracht haben wür den, und ganz ohne Zweifel trieben sie Dinge, bei de nen sogar Krafft-Ebing die Haare zu Berge gestanden wären. »Eines steht fest«, sagte Blount. »Man braucht kei nen Psychologen, um zu wissen, daß achtzig Prozent der Ulleraner uns hassen wie die Pest.« »Ach Unsinn!« Harrington stieß die Worte mit ei ner Wolke Pfeifenrauch hervor. »Ein paar Fanatiker hassen uns und ein paar Händler, die Geld verloren haben, als wir ihre primitive Tauschwirtschaft um krempelten. Neun Zehntel von ihnen haben nur Vor teile von uns gehabt und ...«
»Und hassen uns deswegen nur noch mehr«, un terbrach ihn Blount. »Sie verübeln uns alles, was wir für sie getan haben.« »Was der Raumhafen, den uns König Orgzild von Keegark angeboten hat, eindeutig beweist«, entgeg nete Harrington. »Er haßt uns so sehr, daß er uns in seiner Stadt einen Raumhafen zum Geschenk machen will.« »Was kostet ihn das schon?« gab Blount zurück. »Er stellt das Land – beschlagnahmt aus dem Besitz irgendeines Adeligen, den er wegen Hochverrats hin richten ließ – und die Arbeitskräfte: Zwangsarbeiter. Wir stellen den Stahl, die Maschinen, leisten die In genieurarbeit. Wir kriegen einen Raumhafen, den wir eigentlich gar nicht brauchen, und er das ganze Ge schäft, das der Hafen nach Keegark bringt. Ange sichts der Tatsache, daß Rakkeed in seiner Botschaft hier ein gern gesehener Gast ist, genau wie im könig lichen Palast in Keegark, frage ich mich allmählich, ob er uns nicht nur deswegen hier Schwierigkeiten macht, um uns zu veranlassen, daß wir unsere Hauptbasis in seine Stadt verlegen.« Er machte einen Zug. Sogleich schlug Harrington von der Mitte aus mit einer seiner stärksten Figuren zurück. »Und wessen König ist jetzt bedroht?« krähte er. »Warten wir ab.« Blount bewegte eine Figur im
Halbkreis um das Brett und nahm die gefährliche Fi gur des Gegners. »Jetzt ist ja hoffentlich klar, wessen König bedroht ist.« Harrington fluchte, setzte zu einem Zug an und fuhr dann mit der Hand zurück, als sei die Figur glü hend heiß. Eine Weile saß er da, zog an seiner Pfeife und starrte auf das Brett. »Orgzild ist sich so sicher, daß wir sein Angebot annehmen, daß er zwei neue Reaktoren bauen läßt, um für den mit dem zusätzlichen Geschäft zu erwar tenden größeren Energiebedarf vorzusorgen«, fuhr Blount fort. »Und woher bekommt er das Plutonium?« fragte von Schlichten. »Woher?« erwiderte Harrington. »Er hat uns eben vier Tonnen davon abgekauft, geliefert mit der City of Pretoria.« »Das ist eine ganze Menge«, sagte Blount. »Ich fra ge mich, ob er nicht etwa weiß, wofür man Plutonium außer zur Energieversorgung noch verwenden kann.« »Um Himmels willen!« rief Harrington. »Wenn du so weitermachst, suche ich nächstens noch Einbrecher unter dem Bett ...« »Vielleicht sind da Einbrecher«, sagte Blount und deutete mit seiner Zigarette auf Harringtons bedroh ten König. »Was gedenkst du dagegen zu tun, Sid?«
Er wandte sich von Schlichten zu. »Bevor ich's ver gesse: Was ist mit den Briefen, die Keeluk der Quin ton gegeben hat?« »Alle an Skilkaner adressiert, die wir als RakkeedSchüler und radikale Antiterraner kennen«, erwiderte von Schlichten. »Wir haben die Liste nach Skilk ge funkt; Colonel Cheng-Li, unser Geheimdienstmann dort, hat uns Material über sie zugeschickt, das aus sieht wie Personalakten aus Sing-Sing. Die Briefe selbst haben wir Doc Petrie, dem Spezialisten für ul lerische Philologie, unterbreitet, der sich auch auf das Knacken von Codes versteht; aber der konnte nichts finden. Jedenfalls werde ich Miss Quinton informie ren und ihr raten, sich nicht mit den Leuten einzulas sen, für die Keeluk ihr Briefe gab.« Harrington hatte, allerdings unter Opferung einer Figur, die Bedrohung seines Königs vorerst abwen den können. »Und du glaubst, die wird auf dich hören?« fragte er. »Diese Leute von der Gesellschaft für die Rechte außerirdischer Lebewesen sind doch selbst die reinen Fanatiker. Für die sind wir nichts als blutbefleckte, imperialistische Halunken mit einem Herz aus Stein, und alles, was wir sagen, eine Lüge von Hitlerschen Dimensionen.« »Also, so schlimm sind sie denn wohl auch wieder nicht. Das Mädchen habe ich ja heute erst kennenge
lernt, aber der alte Mohammed Ferriera ist ein an ständiger Kerl. Und ihre Gesellschaft hat wirklich viel Gutes getan. Auf Yggdrasill zum Beispiel haben sie der Leibeigenschaft ein Ende gemacht, und ich weiß, was für Zustände dort herrschten, bevor sie das ta ten.« »Sagtest du nicht, daß sie in nächster Zeit nach Skilk fahren würde?« fragte Harrington. »Nun fährst du doch selbst mit dem Kraganer-Bataillon auf der Aldebaran dorthin. Warum lädst du sie nicht ein, mit dir zu fahren? Du kannst ja recht anziehend auf junge Damen wirken, wenn du dir Mühe gibst. Vielleicht kannst du ihr den einen oder anderen Gedanken ein wenig nahebringen. Sie ist erst seit drei Monaten hier – seit die Canberra von Niflheim kam. Du und ich und wir alle wissen, daß es in den Bergwerken dort unten am Pol eine Menge Dinge gibt, die jedem, der die ört lichen Bedingungen nicht kennt, sehr befremdend vorkommen müssen ...« »Eine allzuschwer zu ertragende Bürde wäre Miss Quintons Begleitung für mich sicher nicht«, antworte te von Schlichten. »Natürlich kann ich für nichts ga rantieren ...« Aus dem Intercom-Lautsprecher auf dem Tisch kamen mehrere Signaltöne. Harrington fluchte, legte seine Pfeife weg, drückte auf einen Knopf und sprach in die Box.
»Gouverneur«, sagte eine Stimme, »eben ist ein Schiff voll Geeks angekommen. Sie haben sich zu ei nem Zug formiert und marschieren auf die Zentrale der Company zu. Eine Kompanie von Jaikarks Garde mit Gewehren; eine königliche Sänfte, etwa dreißig Adelige zu Fuß, eine Geschenktruhe; dann noch ein Zug Soldaten.« »Das wird Gurgurk sein, der uns mitteilen will, wie sehr Seine Besoffene Geekschaft den Vorfall in der Seventy-second Street bedauert«, sagte Harrington. »Die Geschenktruhe wird die übliche Entschädigung enthalten. Lassen Sie Gurgurk und seine Leute hinein mit Ausnahme der Soldaten. Stellen Sie ihm eine Eh renwache. Führen Sie sie in die Empfangshalle und halten Sie sie dort fest, bis ich Ihnen aus der Au dienzhalle das Zeichen gebe, und dann herein mit ih nen.« Er setzte sich wieder an seinen Platz. Sofort nahm Blount eine seiner Figuren. »In vier Zügen bist du matt«, prophezeite er. »Sollen wir noch zu Ende spie len, bevor wir hinübergehen?« »Natürlich; was bedeutet für einen Geek schon Zeit? Gurgurk würde ja glauben, wir hätten Proble me, wenn wir ihn nicht warten ließen ... Guter Gott! Sieht so aus, als wäre ich jetzt wirklich in der Klem me, Eric!«
3
Vierundzwanzig Geek-Köpfe
Generalgouverneur Harrington saß auf der bequem gepolsterten Bank unter dem Dachhimmel der Au dienzhalle, flankiert von Eric Blount und von Schlich ten. Selbst auf diesem erhöhten Sitz sah er nicht son derlich eindrucksvoll aus – mit seinem gegerbten Ge sicht, seinem grauen Schnauzbart, seiner alten Tweedjacke voller Pfeifenasche hätte er genausogut einer von den Landedelmännern aus von Schlichtens Nachbarschaft in Argentinien sein können, wo er sei ne Jugend verbracht hatte. Einem Terraner wäre jeder König von Uller wie eine Mißgeburt aus einem Eid echsenhaus im Zoo vorgekommen. Was für einen Eindruck Harrington auf Ulleraner machte, konnte man nur vermuten. Er nahm das in den Zeughauslisten als »Enuncia tor-ulleranisch« bezeichnete Mundstück aus seiner Jackentasche. Von Schlichten und Blount setzten die ihren ein, und Harrington drückte mit dem Fuß auf den Knopf im Boden. Nach kurzer Zeit öffneten sich die hohen Türen am anderen Ende der Halle, und die Konkrooker Notabeln traten ein, begleitet von einem Dutzend eingeborener Offiziere und einer Eskorte
Kraganer Soldaten. Die Ehrengarde marschierte in zwei Reihen; dazwischen schritt ein unbekleideter, schwer bewaffneter Eingeborener, der einen reichlich geschmückten Speer mit meterlanger Klinge mit allen vier Armen aufrecht vor sich hertrug. Es war der konkrookanische Staatsspeer; er stellte die symboli sche Anwesenheit König Jaikarks dar. Dahinter kam Gurgurk, das konkrookanische Gegenstück eines Premierministers oder Großwesirs. Er trug einen gol denen Helm und eine Art Hemd aus Goldfäden, dazu ein langes Beidhänderschwert, zwei terranische, für eine Hand mit sechs viergliedrigen Fingern konstru ierte Automatikpistolen und ein Paar zueinanderpas sende Dolche. Über das beste Alter eines Ulleraners war er hinaus – siebzig bis achtzig Jahre alt, nach dem abgenutzten Aussehen seiner schillernden Zähne, der Farbe seiner Haut und der hauptsächlich rötlichen Färbung seiner Quarzflecken zu schließen. Jüngere Ulleraner waren hellgrau, unter den Armen weiß, und ihre Quarzflecken waren weißlich bis hellgelb. Gurgurks Gefolge setzte sich aus allen Altersklassen zusammen und trug nicht weniger Eisen an sich als der Premierminister. Die Pistolen stammten alle von Terra, die Schwerter und Dolche entweder von Terra oder den terranischen Stahlwerken auf Volund. Vier Sklaven brachten eine kunstvoll eingelegte, mit Füßen versehene Geschenktruhe herein. Als der
Speerträger die Mitte der Halle erreicht hatte, blieb er stehen und pochte mit seiner Waffe auf den Boden. Gurgurk stellte sich ein paar Schritte links hinter ihm auf, die anderen Adeligen in einem Halbkreis. Von Schlichten betrachtete die Versammlung mißmutig durch sein Monokel. Jetzt erhob sich der Generalgouverneur und stieg von seiner Empore herunter, begleitet von Blount und von Schlichten. Aus dem Augenwinkel sah von Schlichten, wie sich ein paar Kraganer-Söldner unauf fällig in Positionen begaben, wo sie, wenn nötig, die Besucher mit ihren Maschinengewehren niedermä hen konnten, ohne die Terraner zu gefährden. »Willkommen, Gurgurk«, zwitscherte Harrington durch sein Mundstück. »Die Company weiß um die Ehre dieses Besuches.« »Ich komme im Namen meines königlichen Herrn, Seiner erhabenen Majestät Jaikark des Siebzehnten, König von Konkrook und aller Länder im Isthmus von Konk«, quäkte Gurgurk. »Ich habe die Ehre, bei mir Lord Ghroghrank zu haben, den Gesandten Kö nig Orgzilds von Keegark am Hofe meines Königli chen Herrn.« »Und ich«, sagte Ghroghrank, nachdem er gebüh rend willkommen geheißen worden war, »freue mich über die Ehre der Begleitung Fürst Gorkrinks. Er ist der Sonderbotschafter meines Herrschers, Seiner Kö
niglichen und Imperialen Majestät König Orgzild, der sich in Ihrer Stadt befindet, um die Ladung Kraftme tall in Empfang zu nehmen, das von der Company käuflich zu erwerben mein Königlicher Gebieter die Ehre hatte.« Nach erneuten Willkommensbezeugungen für Gorkrink meldete sich wieder Gurgurk mit bellenden Lauten zu Wort. »Mein Königlicher Gebieter, Seine erhabene Maje stät, ist tief bekümmert«, erklärte er feierlich. »Wäre er nicht so überwältigt von Kummer, wäre er in eige ner, Geheiligter Person erschienen, um seinem Schmerz und seiner Beschämung darüber Ausdruck zu verleihen, daß Angehörige der Company in den Straßen der Königlichen Stadt Belästigungen und gewalttätigen Angriffen ausgesetzt sind.« Wenn er nicht völlig high wäre, dachte von Schlich ten bei sich. Die Einheimischen benützten hier eine Droge, welche die kombinierte Wirkung von Ha schisch, Heroin und Yohimbine hatte; Jaikark und seine ganze engere Hofgesellschaft waren süchtig. Wahrscheinlich hatte er von dem Zwischenfall nicht einmal gehört. »Die Soldaten Seiner Erhabenen Majestät kamen den Truppen der Company auf der Stelle zu Hilfe, nicht wahr, General von Schlichten?« sagte Harring ton.
»Innerhalb von Minuten, Euer Exzellenz«, erwider te von Schlichten feierlich. »Promptheit und Wirk samkeit ihres Eingreifens waren exemplarisch.« Gurgurk zeigte sich im Namen seines Königlichen Herrschers überaus erfreut über dieses hohe Lob aus so berufenem Munde. Nachdem Blount in gesetzten Worten Bedeutung und Tiefe der Freundschaft zwi schen der Uller Company und Seiner Erhabenen Ma jestät zum Ausdruck gebracht hatte, unterstrich der keegarkanische Botschafter das Bedauern König Org zilds über den unangenehmen Vorfall, wobei er durchblicken ließ, daß derartige Vorkommnisse in Keegark schlechthin unmöglich waren. Fürst Gorkrink wünschte Mohammed Ferriera, dem großen und guten Freund aller Ulleraner, baldi ge Genesung. Von Schlichten bemerkte, daß ein paar seiner neueren Quarzflecken eine leicht grünliche Färbung hatten – ein sicherer Hinweis darauf, daß er, vor nicht allzu langer Zeit, der fluorhaltigen Luft von Niflheim ausgesetzt gewesen war. Und wenn sich ein Geek-Fürst für ein Jahr als Arbeiter auf Niflheim ver dingte, dann tat er das nur zu einem Zweck: Um ter ranische Technologien kennenzulernen. Gurgurk gab nun bekannt, daß ein so schändliches Verbrechen gegen die Freunde Seiner Erhabenen Ma jestät seine gerechte Bestrafung erfahren habe und gab mit einer seiner unteren Hände das Zeichen, die
Truhe herbeizubringen. Die Sklaven öffneten sie und nahmen zuerst eine Art Teppich heraus, den sie auf dem Boden ausbreiteten. Darauf legten sie, sorgfältig in vier Reihen arrangiert, vierundzwanzig frisch ab getrennte Ulleranerköpfe. Die drei Terraner betrachteten sie. Zwei Dutzend Köpfe waren die Standardzahlung für einen Angriff, bei dem kein Terraner getötet wurde. Offensichtlich waren dies hier die Köpfe der Anführer; gewöhnlich schlug man sie einfach den erstbesten Gefangenen oder zu alten Sklaven ab ohne Rücksicht darauf, ob die Opfer von dem Verbrechen, für das sie da büßen mußten, auch nur gehört hatten. Wenn es der Gesell schaft für den Schutz der Rechte von Nichtterranern mit den Rechten dieser Geeks ernst war, mußte sie sich dafür einsetzen, daß alle diese eingeborenen Prinzen und der ganze Planet der Company über antwortet wurde. Das war von Anfang an die Vor stellung der Terranischen Föderation gewesen; war um hätten sie sonst dem obersten Repräsentanten der Company den Titel »Generalgouverneur« verliehen. Es folgte eine weitere längere Ansprache Gurgurks, begleitet vom zustimmenden Gemurmel der Adeli gen hinter ihm, und eine Antwortrede Sid Harring tons. In steifer Haltung wartete von Schlichten das Ende des Brimboriums ab. Als sich die Delegation schließlich verabschiedet
hatte, rief Harrington einen kraganischen Sergeanten, dem die Rangabzeichen auf alle vier Arme gepinselt waren. »Hinaus mit diesem Aas und in die Verbrennungs anlage damit«, befahl er. »Wenn jemand von euch glaubt, den Teppich und diese Truhe wieder sauber kriegen zu können, kann er sie haben.« »Augenblick noch«, sagte von Schlichten zu dem Sergeanten. Dann nahm er seinen Geek-Enunciator heraus. »Seht ihr diesen Kopf da?« fragte er und be wegte ihn ein wenig mit dem Fuß. »Den habe ich selbst erschossen, während Them und Hid Ferriera ins Fahrzeug schafften. Den da hat Miss Quinton mit ihrem Bolo-Messer erstochen. Und den Hid O'Leary.« Mit der Fußspitze drehte er weitere Köpfe um. »Da haben sie sich selbst Rabatt eingeräumt und einfach zwei Dutzend Köpfe vom Ort des Überfalls mitge nommen. Dieses Abschlachten von abgearbeiteten Sklaven und kleinen Dieben gefällt mir zwar keines wegs, aber das hier auch nicht. Noch vor einem hal ben Jahr hätte sich Gurgurk so etwas nicht erlaubt. Und jetzt lacht er sich hinter unserem Rücken frech in seine vier Fäustchen.« »Das predige ich doch schon dauernd«, stimmt ihm Eric Blount zu. »Diesen Geeks muß man wieder den nötigen Respekt einbleuen.« »Ach Unsinn, Eric«, erregte sich Harrington. »Als
nächstes verlangst du noch, daß wir Jaikark absetzen und selbst das Regiment übernehmen.« »Und was wäre daran so schlecht?« fragte von Schlichten. »Könnten wir das vielleicht nicht? Jai karks Armee könnte unsere Kraganer ebenso wenig aufhalten wie Klopapier einen Elektronenstrahl.« »Mein Gott!« entfuhr es Harrington. »Hört doch endlich mit diesem Gerede auf! Wir sind keine Conqi stadores; wir sind Angestellte eines kommerziellen Unternehmens und sollen hier auf ehrliche Weise Geld machen, indem wir mit diesen Leuten Güter und Dienstleistungen austauschen ...« Er drehte sich um und verließ die Audienzhalle. Von Schlichten und Blount blieben zurück und sahen zu, wie die Geek-Köpfe hinausgeschafft wurden. »Vielleicht bin ich ein wenig zu weit gegangen«, räumte von Schlichten ein. »Vielleicht war das ganze zu abrupt. Er muß sich erst an den Gedanken gewöh nen.« »Zu langsam können wir auch nicht vorgehen«, erwiderte Blount. »Wenn wir warten, bis er sich an ders besinnt, können wir genausogut warten, bis er pensioniert wird. Und das dauert zu lange.« Von Schlichten nickte. »Hast du die grünen Flecken auf der Haut von Fürst Gorkrink gesehen?« fragte er. »Er war auf Niflheim. Vermutlich kam er vor drei Monaten mit der Canberra zurück.«
»Und jetzt ist er hier, um das Plutonium zu holen und mit der Oom Paul Krüger nach Keegark zu brin gen«, sagte Blount. »Ich möchte nur wissen, was für Kenntnisse er sich auf Niflheim angeeignet hat.« »Und ich möchte wissen, was eigentlich in Keegark los ist«, sagte von Schlichten. »Orgzild hat da einen regelrechten Eisernen Vorhang heruntergelassen. Immerhin sind in den letzten drei Monaten vier unse rer besten einheimischen Geheimdienstler in Keegark ermordet worden, und sechs weitere werden dort noch vermißt.« »In einigen Tagen muß ich ja selbst hin, um mit Orgzild über diesen Raumhafen zu sprechen«, sagte Blount. »Ich werde mit Hendrik Lemoyne und MakKinnon reden. Und zusehen, was ich selbst heraus finden kann.« »Wie wär's mit 'nem Drink?« schlug von Schlichten vor und warf einen Blick auf die Uhr. »Gerade die richtige Zeit für einen Cocktail.«
4
In Stanley-Browne gelesen
Von Schlichten und Blount betraten gemeinsam die Bar – die Imitation eines New Yorker Nachtklubs aus dem Ersten Jahrhundert. Der Service war vollautoma tisch. An der Bar-Maschine wählte von Schlichten den Cocktail, für den sie sich entschieden hatten, und füllte einen Vier-Portionen-Krug damit. Als sie sich wieder umwandten, stießen sie fast mit Hideyoshi O'Leary und Paula Quinton zusammen. Das Mädchen trug eine langärmelige Robe, um die Bandage an ihrem rechten Arm zu verbergen, und ihr Gesicht war an einigen Stellen ziemlich dick überpu dert. Ansonsten war ihr nicht anzusehen, was sie vor kurzem noch durchgemacht hatte. »Na, Sie sind ja wirklich prima repariert, Miss Quinton«, begrüßte von Schlichten sie. »Fühlen Sie sich wieder besser? Miss Quinton, ich möchte Ihnen Leutnant-Governor Blount vorstellen. Eric, Miss Pau la Quinton.« »Sehr erfreut, Miss Quinton«, sagte Blount. »Wie ich höre, müssen Sie wie eine Löwin gekämpft haben. Wie geht es übrigens Mohammed? Nichts Ernstliches, hoffe ich; wir mögen ihn alle.«
Ferriera war immer noch bewußtlos, berichtete das Mädchen; er hatte eine Gehirnerschütterung, aber die Ärzte waren zuversichtlich und erwarteten, daß er in ein paar Wochen wieder voll hergestellt sein würde. Von Schlichten lud sie und ihren Begleiter ein, bei ihm und Blount Platz zu nehmen. »Sieht fast aus, als hielten Sie das für einen netten Streich, daß die Leute, denen wir helfen wollten, uns beinahe umbringen«, begann Paula ein wenig zurückhaltend. »Für keinen sehr lustigen«, erwiderte von Schlich ten. »Diesen Streich hat man uns so oft gespielt, daß wir ihn schon nicht mehr komisch finden.« »Ja, die Undankbarkeit der Geeks kennen wir alle«, stimmte Blount zu. »Wenn Sie erst mal etwas länger auf diesem Planeten sind, werden Sie verstehen, was ich meine.« »Nennen Sie sie denn auch so?« fragte Paula etwas enttäuscht. »Vielleicht würde sich, wenn Sie sie nicht mehr Geeks nennten, das Verhältnis bessern. Sie wis sen, daß das ein häßlicher Name ist; im Ersten Vor atomaren Zeitalter bezeichnete man damit Leute, die in der Öffentlichkeit scheußliche Dinge taten ...« »Zum Beispiel Hühnern die Köpfe abbissen«, erklär te Hideyoshi O'Leary. »Wenn Sie nach Norden kom men, dann sehen Sie mal zu, wie die Bauern diese klei nen, sechsbeinigen Iguanas töten, die sie für Nah rungszwecke züchten.«
»Aber das ist eigentlich nicht der Grund, daß wir sie so nennen«, sagte von Schlichten. »Es ist ein laut malendes Wort. Sie haben einige von diesen Sprachen gelernt; Sie wissen, wie sie klingen: Geek-Geek-Geek.« »Übrigens, wissen Sie, wie die Geeks einen Terra ner nennen?« fragte Blount. »Suddabit.« Einen Augenblick lang sah sie ziemlich verwundert drein, ehe sie ihr Mundstück einsetzte. Selbst in Ab wesenheit von Eingeborenen benützte sie dabei ihr Taschentuch, um den Vorgang nicht sichtbar werden zu lassen. »Suddabit«, sagte sie deutlich. »Sud-da-bit.« Sie nahm das Mundstück wieder heraus und steckte es weg. »Ja, genauso sprechen sie es aus!« »Jetzt sagen Sie bloß nicht, daß Sie das noch nie ge hört haben«, sagte O'Leary. »Heute nachmittag in der Seventy-second Street, da haben die Geeks es Ihnen zugeschrien: Znidd suddabit – tötet die Terraner. Das ist das ganze Evangelium des Propheten Rakkeed.« »Sie sehen«, dozierte Eric Blount, »auch das ist wieder einmal so ein Fall, wo niemand dem anderen etwas vorzuwerfen hat ... Zigarette?« »Danke.« Sie beugte sich O'Leary entgegen, der ihr Feuer gab. »Daran soll ich wohl denken, wenn ich, sagen wir, in den Minen am Pol sehe, daß ein paar Aufseher mit Stahlkabeln auf einen Arbeiter ein schlagen.«
»Nun, in einem solchen Fall sollten Sie auch nicht vergessen, daß die Haut eines Eingeborenen gut ei nen Zentimeter dick und wesentlich zäher als die menschliche Haut ist«, erklärte von Schlichten. »Und es könnte auch nicht schaden, wenn Sie einmal fest stellten, wie diese Arbeiter zu Hause behandelt wer den. Zum größten Teil sind sie von den Großgrund besitzern ausgeliehene Sklaven; Tatsache ist, daß die Erlaubnis, in den Pol-Minen zu arbeiten, als Privileg betrachtet wird, das als Belohnung gewährt oder zur Strafe verweigert wird. Tatsache ist außerdem, daß die meisten der Geek-Landbesitzer scharfe Kritik üben an der Art und Weise, wie wir ihre Arbeiter in den Minen behandeln; sie behaupten, daß bei den Arbeitern dadurch Unzufriedenheit über ihre Be handlung zu Hause entsteht.« »Es ist nicht zu leugnen, daß die einheimischen Vorarbeiter und Aufseher zu unnötiger Brutalität neigen, und wir versuchen auch, diese Leute nach und nach abzulösen. Allerdings dürfen Sie nicht ver gessen, daß wir es mit einer von Natur aus brutalen Rasse zu tun haben.« »Natürlich, wenn eingeborene Arbeiter mißhandelt werden, dann immer von anderen Eingeborenen, nie von den lieben und guten Terranern«, antwortete sie. »So war das auf jedem Planeten, den unsere Gesell schaft untersucht hat.«
»Hören Sie mal, Sie kamen doch erst vor kurzem von Niflheim«, wandte von Schlichten ein. »Die Company beschäftigt dort eine nicht geringe Anzahl von Geeks. Haben Sie dort auch brutales Verhalten bemerkt?« »Ich muß in der Tat zugeben, daß die Ulleraner, die dort arbeiten, sehr gut behandelt werden. Freilich dürf te man an einem Ort, wo die Luft fluorhaltig ist, keine Leute mit Silikon-Körpergewebe arbeiten lassen.« »Niemand dürfte man auf diesem Planeten arbeiten lassen!« rief Hideyoshi O'Leary. »Ich war nach meinem Eintritt in die Dienste der Company zwei Jahre lang dort.« »Ich auch«, fügte Blount hinzu. »Und das ist ein Jahr länger, als ein Ulleraner überhaupt auf Niflheim arbei ten darf. Sie wissen doch, wie es zur jetzigen Situation kam? Die Terranische Föderation entdeckte sowohl Ul ler als auch Niflheim. Die Company wurde ursprüng lich nur mit dem Zweck der Ausbeutung Uller ge gründet, aber die Föderation bestand darauf, daß beide Planeten von der gleichen Gesellschaft erschlossen werden müßten. Auf Niflheim sollten vor allem die dortigen Uranvorkommen ausgebeutet werden. Wie sich dann herausstellte, verdient die Company an Niflheim ebenso viel wie an Uller.« »Und eines vergessen Sie vielleicht«, sagte von Schlichten. »Auf Niflheim gibt es etwa tausend Terra ner und nicht mehr als fünfhundert Geeks, die alle auf
dem Planeten selbst bei Bauarbeiten und in den Minen beschäftigt sind und direkt unter terranischer Aufsicht arbeiten. Wir verwenden sie, weil sie vier Hände ha ben. In den komplizierten Kontra-Gravitationsmaschi nen, die dort nötig sind, können sie mehr Hebel auf einmal bedienen als wir. In den Polarminen auf Uller arbeiten etwa zehntausend Geeks unter fünfhundert Terranern, und die meisten von diesen sind Ingenieure oder Techniker, die keine Aufsichtsfunktion haben. Also müssen wir einheimische Vorarbeiter verwen den, und die sind es, die die Arbeiter dann mißhan deln.« »Und denken Sie auch daran«, fügte O'Leary hin zu, »in den Polarminen kann nur etwa zwei Monate im Jahr gearbeitet werden – Mitte September bis Mit te November in der Arktis, und Mitte März bis Mitte Mai in der Antarktis. Da ist man natürlich in Eile und unter Druck.« »Warum sind die Minen ausgerechnet an den Po len? Gibt es nicht auch Abbaumöglichkeiten an Stel len, wo man das ganze Jahr arbeiten kann?« »Keine, die ebenso ergiebig oder gleichermaßen leicht zugänglich wären«, sagte Blount. »Sie kennen die meteorologischen Verhältnisse an den Polen dieses Planeten. Die Temperatur schwankt zwischen etwa einhundertzwanzig Grad im Sommer und minus sieb zig Grad im Winter. Das bedeutet die intensivste
Thermalerosion, die Sie sich vorstellen können – im Frühling schmilzt die Eiskappe, und bis Sommermitte ist das Wasser völlig verdunstet. Dann gibt es heftige, heiße Wirbelstürme, die den leichten Sand wegblasen und die schwereren Bestandteile wie Metalle und Me tallerze zurücklassen. Wenn die Stürme dann aufhö ren, kommen wir. Eigentlich ist es gar kein richtiger Bergbau. Wir kratzen nur das Erz von der Oberfläche und bringen es nach Skilk, Krink und Grank, wo es im Winter verarbeitet wird. Die Hochöfen werden von Einheimischen betrieben; mit der entstehenden Hitze tauen sie die Gefriernahrung für sich und ihre Tiere auf.« »Ja? Wenn Sie glauben, daß sich die Einheimischen in den Minen schlecht behandelt fühlen, dann fordern Sie einmal die Schließung dieser Minen. Die Reaktion der Einheimischen werden Sie ja sehen«, sagte von Schlichten. »Freie einheimische Arbeiter sind nach hiesigen Maßstäben in ein paar Jahren reich; viele von den Sklaven verdienen genügend Prämien, um sich bereits nach einem Jahr freikaufen zu können.« »Wenn die Company tatsächlich so viel Gutes auf diesem Planeten tut, woher kommt es dann, daß die ser Rakkeed, den sie den ›Verrückten Propheten‹ nennen, so viele Anhänger findet?« fragte Paula. »Da kann doch wirklich nicht alles in Ordnung sein.« »Eine berechtigte Frage«, antwortete Blount und
leerte den Rest des Cocktails in sein Glas. »Bei unserer Ankunft auf Uller trafen wir eine Kultur an, die in etwa der europäischen Kultur des Siebten Präatomaren Zeitalters entsprach. Wir leiteten hier eine technische und ökonomische Revolution ein, und solche Revolu tionen fordern eben auch ihre Opfer. Wie zum Beispiel bei uns nach der Erfindung des Automobils die Pfer dezüchter, mußten auch hier bestimmte Klassen und Gruppen darunter leiden. Natürlich laufen alle, die sich den veränderten Bedingungen nicht anpassen konnten, jetzt hinter Rakkeed her und schreien ›znidd suddabit!‹ Dennoch, die Tatsache, daß wir den allge meinen Lebensstandard auf diesem Planeten um et wa zweihundert Prozent angehoben haben, kann nicht einmal Rakkeed bestreiten.« »Rakkeed ist ein Zirk«, sagte von Schlichten. »Die Zirks waren entweder selbst Packtiertreiber oder sie verlegten sich darauf, Karawanen zu überfallen und zu berauben. Seit unsere Luftfrachter das Transport geschäft übernommen haben, zahlt sich beides nicht mehr aus. Deswegen hassen uns die Zirks. Das einzi ge, was sie können oder zu lernen gewillt sind, ist, mit diesen sechsbeinigen Packtieren, die wir Hippo saurier nennen, umzugehen. Einige von ihnen be schäftigen wir in der Kavallerie, ein paar andere als eine Art Gauchos. Der Rest sitzt bloß noch herum und hört Rakkeeds Tiraden zu.«
Beide Cocktailkrüge waren jetzt leer. Colonel O'Leary als der Rangniedrigere stand auf, um Nach schub zu holen. »Die Kaufleute im Norden mögen uns auch nicht. Außer dem Karawanenhandel haben wir ihnen auch ihr lokales Geschäft verdorben, weil die Grundbesit zer früher mit ihnen Geschäfte machten, jetzt aber di rekt mit uns. In Skilk fürchtet König Firkked, daß ihm der Adel seine Macht beschneiden will. Deshalb ver sucht er, sich bei den städtischen Händlern anzubie dern, wodurch er ebenso pro-Rakkeed und anti terranisch ist wie sie. In Krink hat König Jonkvank zwar die Unterstützung seiner Barone, fürchtet sich aber vor seiner Stadt-Bourgeoisie; wir hingegen lei sten ihm finanzielle Hilfe. Also ist er pro-terranisch und anti-Rakkeed. In Skilk läuft Rakkeed unbehelligt herum; in Krink ist auf seinen Kopf ein Preis ausge setzt.« »Jonkvank ist nicht gerade ein Ausstellungsstück«, sagte Hideyoshi O'Leary, der am Tisch stehen geblie ben war. »Ein blutrünstiger alter Mörder, dem ich nicht allein im Dunkeln begegnen möchte.« »Wir können ihm den Rücken zuwenden, ohne Angst haben zu müssen, ein Messer zwischen die Rippen zu kriegen«, sagte von Schlichten. »Und im merhin kann man bis zu, na, achtzig Prozent von dem, was er sagt, glauben. Und das heißt: Sechzig
Prozent mehr als jedem anderen EingeborenenFürsten – bis auf König Kankad natürlich. Die Kraga ner sind die einzigen wirklichen Freunde, die wir auf diesem Planeten haben.« Er überlegte einen Augen blick. »Miss Quinton, neben der Arbeit für Ihre Ge sellschaft betreiben Sie doch auch soziographische Forschungen, nicht wahr?« sagte er. »Ich gebe Ihnen einen Rat: Beschäftigen Sie sich einmal mit den Kra ganern. Ausführlich behandelt sind sie bisher eigent lich nur in einer Anhäufung von Fehlinformationen, Willard Stanley-Brownes Kurze soziographische Ge schichte von Beta Hydrae II. Neunzig Prozent von dem, was Stanley-Browne da schreibt, ist absolut falsch.« »Aber sie sind doch nur eine Parasitenrasse der Terraner«, wandte Dr. Paula Quinton ein. »Solche Rassen findet man überall in der erforschten Galaxie – mitleiderregende kulturelle Bastarde.« Die beiden Männer lachten. Colonel O'Leary, der mit den Getränken zurückkam, wollte wissen, was er versäumt hatte. Blount erzählte es ihm. »Ha! Sie hat diese Schwarte von Stanley-Browne gelesen«, sagte er. »Was ist denn mit Stanley-Browne?« fragte Paula. »Stanley-Browne ist ein Autor, auf den man sich verlassen kann«, versicherte ihr O'Leary. »Was Sie in Stanley-Browne lesen, ist garantiert falsch. Allzu viele Kraganer kennen Sie ja wohl noch nicht. Wir sollten
Sie mit hinübernehmen und König Kankad vorstel len.« »Bei Allah, das sollten wir!« rief von Schlichten, recht angetan von dieser Idee. »Also, Sie fahren doch nächste Woche nach Skilk. Glauben Sie, daß Sie Ihre Arbeiten hier so abschließen könnten, daß Sie am Dienstag 0800 Uhr startbereit sind? Das ist in vier Ta gen.« »Sicher. Warum?« »Nun, ich selbst fahre mit dem gepanzerten Trans porter Aldebaran dort hin. In König Kankads Stadt machen wir einen Zwischenaufenthalt, um ein Batail lon Kraganer mitzunehmen, die in den Polarminen arbeiten sollen, wo auch Sie hinwollen. Wir könnten von hier aus in meinem Kommandofahrzeug abflie gen und in Kankads Stadt warten, bis die Aldebaran kommt. Wir hätten dann etwa zwei bis drei Stunden zu unserer Verfügung. Wenn Sie glauben, daß die Kraganer ›mitleiderregende kulturelle Bastarde‹ sind, könnte Ihnen das die Augen öffnen. Lassen Sie mich noch sagen, daß Stanley-Browne den Ort nur einmal gesehen hat, und zwar aus fünf Kilometer Höhe.« »Nun, sie leben doch einzig und allein davon, daß sie sich als Söldner bei der Uller-Company verdingen, nicht wahr?« »Mehr oder weniger. Sehen Sie, als wir nach Uller kamen, waren sie barbarische Banditen. Sie hatten an
den Karawanenstraßen und Bergpässen Forts errich tet und verlangten Zölle. Auch Raubzüge in das Ter ritorium von Konkrook und Keegard unternahmen sie. Dem mußten wir ein Ende machen. Es kam zu ei nem kleinen Krieg. In ein paar Gefechten wurden sie ziemlich schwer geschlagen, und dann machten wir einen Pakt mit ihnen. Das war vor meiner Zeit, als Jerry Kirke noch Generalgouverneur war. Er schloß einen Vertrag mit ihrem König, kaufte ihre Forts, ent schädigte sie für entgangene Beute und nicht erhobe ne Zölle und erklärte sich bereit, die Stammesangehö rigen als Soldaten zu beschäftigen. Wir haben ihnen viel beigebracht. Aber das werden Sie bei Ihrem Be such sehen. Sie sind keine Kulturbastarde. Sie werden Ihnen gefallen.« »Also gut, General. Ich bin einverstanden«, sagte sie. »Aber ich warne Sie. Falls das ein Versuch sein sollte, mich auf die Doktrin der Uller-Company ein zuschwören und die ungerechte Ausbeutung der Eingeborenen hier zu verschleiern: da werden Sie bei mir kein Glück haben.« »Wichtig ist nur, daß Sie nicht aus einer übertrie benen Abwehrhaltung heraus die Augen vor dem Guten verschließen, was wir hier tun. Nehmen Sie ei nen streng neutralen, wissenschaftlichen Standpunkt ein, dann bin ich zufrieden.« Zwei Stunden und fünf Cocktails später saßen sie
immer noch beisammen und hatten Paula Quinton an die zwanzig Verse von Die Geeks, die losen, sie tragen keine Hosen beigebracht, darunter auch die vier druck fähigen.
5
Es stimmt nicht, darauf ist Verlaß
Unter ihnen wurde Gongok Island kleiner und klei ner. Von Schlichten gab Paula Quinton Feuer und steckte sich dann selbst eine Zigarette an. »Ich war ja neulich ziemlich entsetzt über die Art, wie Sie, Colonel O'Leary und Mr. Blount über Stan ley-Browne herzogen«, sagte sie. »Sein Buch ist prak tisch die Soziographenbibel für diesen Planeten. In zwischen habe ich mich umgehört: Niemand, der eine gewisse Zeit hier war, scheint etwas davon zu halten. Wenn ich nach Terra zurückkehre, werde ich entwe der berühmt, oder die Extraterrestische Soziographi sche Gesellschaft verbrennt mich auf dem Scheiter haufen. In den letzten drei Monaten habe ich mich vielleicht ein wenig zu ausschließlich mit den Rech ten von Nicht-Terranern beschäftigt, um noch viel Forschung betreiben zu können. Aber langsam habe ich tatsächlich den Eindruck, daß vieles in StanleyBrownes Buch der Richtigstellung bedarf.« »Wie kamen Sie überhaupt dazu, Miss Quinton?« fragte er. »Sie meinen zur Soziographie oder zu den Rechten von Nicht-Terranern? Nun, mein Vater und mein
Großvater waren beide extraterrestische Sozio graphen-Anthropologen, deren Objekte nicht anthro pomorph sind – und ich habe ein SoziographieDiplom der Universität von Montevideo. Außerdem habe ich für extraterrestrische Rassen immer Interesse und Sympathie empfunden; eine meiner Urgroßmüt ter war Freyanerin.« »Tatsächlich? Darauf wäre ich nie gekommen – so klein und dunkel, wie Sie sind.« »Eine andere Urgroßmutter war Japanerin«, ant wortete sie. »Mein Familienname ist französisch. Ich habe auch spanisches, russisches und italienisches und englisches Blut in mir ... Die gewöhnliche mo derne argentinische Mixtur.« »Ich bin auch ein Argentino. Aus La Rioja am Fuße der Sierra de Velasco. Meine Familie lebt seit fünf Jahrhunderten dort. Sie kam im Jahr Drei der Atom ära nach Argentinien.« »Wegen der Sache mit Hitler?« »Ja. Der erste, auch ein General von Schlichten, war, glaube ich, das, was man damals einen Kriegs verbrecher nannte.« »Dann sind wir ja direkt Komplizen«, lachte sie. »Die Quintons mußten Frankreich etwa um dieselbe Zeit verlassen; sie waren das, was man Kollaborateu re nannte.« »Vielleicht ist das der Grund, warum sich die Süd
liche Hemisphäre aus dem dritten und vierten Welt krieg heraushalten konnte«, meinte er. »Es gab dort zuviele Abkömmlinge von Leuten, die sich im Zwei ten Weltkrieg die Finger verbrannt hatten.« »Sprechen Sie kraganisch, General?« fragte sie. »Soviel ich weiß, unterscheidet es sich sehr von den anderen äquatorialen Uller-Sprachen.« »Ja. Und dadurch bekommen die Kraganer eine völlig andere semantische Orientierung. Zum Beispiel gibt es in ihren Sätzen keine Subjekt-Objekt-Struktur. Deswegen sind sie völlig areligiös, auch wenn Stan ley-Browne das Gegenteil behauptet. Kausalzusam menhänge sind ihrem Denken fremd, und sie unter scheiden nicht zwischen verschiedenen Wortarten; jedes Wort kann in jeder Funktion verwendet wer den, je nach Zusammenhang. Zeiten werden in sub stantivisch verwendeten Wörtern ausgedrückt, nicht in Wörtern mit Verbalfunktion. Sie haben vier Zeiten. Raum-Zeit-Gegenwart, das Hier und Jetzt. RaumGegenwart und Zeit-Entfernung, womit etwas be zeichnet wird, was es früher hier gab. RaumEntfernung und Zeit-Gegenwart für Dinge, die jetzt irgendwo anders existieren. Und Raum-ZeitEntfernung für etwas, was es zu einem anderen Zeit punkt anderswo gab.« »Man muß sich ja wirklich wundem, daß sie keine Relativitätstheorie entwickelt haben!«
»Das haben sie. Sie verhält sich zur unseren etwa wie das Flugzeug der Gebrüder Wright zu diesem Aircar. Aber ich habe König Kankad einmal die Kee ne-Gonzales-Dillingham-Theorie und die ältere Ein stein-Theorie erklärt, und es war faszinierend, zu beobachten, wie schnell er das auffaßte. Häufig war er mir sogar im Gedankengang voraus.« Der Aircar war jetzt über dem Kraggork-Sumpf und verlor an Geschwindigkeit und Höhe. Die Baumkronen bildeten eine gelbgrüne Fläche, aus der da und dort Wasser oder ein Pfahldorf hervorlugten. »Da leben die Sumpfwilden«, erklärte er ihr. »Das meiste, was Stanley-Browne darüber schreibt, stimmt einigermaßen. Er hatte auch längere Zeit bei ihnen verbracht. Allerdings scheint ihm nicht aufgegangen zu sein, daß sie sich immer noch in dem Zustand des ersten intelligenten Lebens auf diesem Planeten be finden.« »Sie meinen, sie sind die wirklichen Ureinwohner von Uller?« »Sie und die Jeel-Kannibalen, die wir mit allen Mit teln auszurotten versuchen«, antwortete er. »Sehen Sie diesen graubraunen Punkt auf der landeinwärts gelegenen Seite des Sumpfes?« Er zog ein Fernrohr auf einem Schwenkarm herüber, so daß sie durch schauen konnte. »Das ist König Kankards Stadt. Sie steht schon viertausend Jahre und ist immer Kan
kards Stadt gewesen. Es war sogar immer derselbe Kankard, könnte man sagen. Die Kraganer-Könige produzieren ihre eigenen Erben durch Selbstbefruch tung. Es ist ein komplizierter Prozeß; das Produkt ist ein genaues Duplikat des Erzeugers. ›Der jetzige Kankard nennt seinen Erben‹ – ein ziemlich treffen der Ausdruck, wie ich finde.« Er wußte, was sie jetzt durch das Glas sah – ein in den Sumpf vorspringendes Felsmassiv mit einer Stadt darauf. Sie drehte das Fernrohr ein wenig. »Was ist denn das, auf der kleinen Insel dort drüben?« fragte sie. »Eine Gruppe von Flachbauten mit der rot-gelben Ge fahrenflagge.« »Das ist Dynamite Island; die Kraganer haben dort eine Sprengstoff-Fabrik. Sie stellen Nitroglycerin her, außerdem TNT und feste Treibstoffe. Das haben sie natürlich von uns gelernt. Auch ihre eigenen Feuer waffen produzieren sie, und einige davon sind ziem lich extrem – bis zu 25 Millimeter Kaliber bei Geweh ren. Schießen Sie nie mit einem; das bricht Ihnen je den Knochen im Leib.« »Sind sie viel stärker als wir?« Er schüttelte den Kopf. »Nur klobiger, schwerer. Im Gewichtheben sind sie etwa so gut wie wir, im Laufen und Springen jedoch unterlegen. Wir veran stalten öfters Spiele mit den Kraganern, hier, wo die
Geeks uns nicht beobachten können. Übrigens –, daß das ein Schimpfname ist, damit haben Sie recht; einen Kraganer habe ich, glaube ich, noch nie einen Geek genannt. In der Tat haben sie das Wort von uns über nommen und verwenden es für alle Nicht-Kraganer. Nun, wie ich schon sagte, unser Baseball-Team muß ihnen etwas vorgeben, aber ihr Football-Team schießt uns durch Sonne und Mond. Beim Tauziehen brau chen wir zwei Männer für jeden von ihnen. Tennis wiederum versuchen sie gar nicht erst mit uns zu spielen.« »Und die anderen Eingeborenen fertigen keine Feuerwaffen an?« »Nein, und wir werden es ihnen auch nicht bei bringen. Die Seevölker hier in der Äquatorzone sind auf ihre Weise ganz gute empirische Chemiker. Oder besser: Alchimisten. Sie haben entdeckt, wie man Ni troglycerin macht, und benützen es für Sprengungen, Bomben und Minen, oder sie schrauben kleine Kap seln auf die Spitzen ihrer Pfeile. Der größte Teil ihrer Chemie ist ein Nebenprodukt ihrer Versuche, organi sches Material wie Holz vor der Versteinerung zu bewahren. Droben im Norden, wo es sehr kalt wird, haben sie sich aus der Notwendigkeit heraus, den ganzen Winter hindurch Feuer zum Auftauen ihrer Nahrung erhalten müssen, eine Menge Kenntnisse über Metallurgie, Keramik und Pneumatik angeeig
net. Sie bauen auch Luftgewehre, mit denen sie me tallene Pfeile verschießen.« Der Aircar kreiste langsam über der Stadt auf dem hohen Felsen und ließ sich dann auf dem Dach eines burgähnlichen, mit einem Wachtturm versehenen Gebäudes nieder. Etwa ein Dutzend Gestalten erwar teten sie, darunter die fünf Terraner – drei Männer und zwei Frauen, welche die auf dem Turm befindli che Sendestation bedienten. Einer der Kraganer – er war nur mit einem schweren Dolche bewaffnet – kam herüber und schlug von Schlichten grinsend auf die Schulter. »Willkommen!« quäkte er auf Kraganisch, um dann, als er Paula sah, in die im Takkad-Seeland übli che Sprache überzuwechseln. »Ich bin beglückt, Sie zu sehen. Wie lange werden Sie bleiben?« »Bis die Aldebaran von Konkrook kommt, um die Soldaten an Bord zu nehmen«, antwortete von Schlichten in Lingua Terrae. Er sah auf die Uhr. »Zweieinhalb Stunden. Kankad, das ist Paula Quin ton; Paula, König Kankad.« Er holte seinen Geek-Enunciator heraus und steckte ihn sich in den Mund. Es geschah ohne die symboli sche Zuhilfenahme eines Taschentuches, was für jede andere Rasse auf Uller schockierend gewesen wäre. Kankad nahm es ungerührt hin. Von Schlichten er klärte ausführlich Paulas soziographische Arbeit, ihre
Zugehörigkeit zur Gesellschaft für den Schutz der Rechte von Nicht-Terranern und ihre Absicht, die arktischen Minen zu besuchen. Kankad nickte. »Sie hatten recht«, sagte er. »In Ihrer Sprache hätte ich das nicht alles verstanden. Beim Lesen vielleicht, aber nicht beim Hören.« Er legte Paula seine obere rechte Hand auf die Schulter und quäkte etwas, was ungefähr wie ihr Name klang. »Sie sollen eine von den Unseren werden«, sagte er. »Sie müssen wieder kommen, wenn die Arbeit in den Minen endet. Wenn Sie das Verlangen haben, etwas über mein Volk zu er fahren, dann zeige ich Ihnen, was Sie sehen wollen, und sage Ihnen, was Sie wissen möchten. Aber war um bleiben Sie dann nicht gleich hier? Was kümmern Sie diese Geeks in den Minen? Die Company behan delt sie viel besser, als sie es verdienen. Bleiben Sie hier bei uns; Sie werden es nicht bereuen.« »Ich danke Kankad«, antwortete Paula langsam, »aber ich muß weiter. Diejenigen, die mich von Terra hierher gesandt haben, erwarten, daß ich mir selbst ein Bild mache, wie die Arbeiter in den Minen be handelt werden. Aber ich komme zurück; in einhun dert, vielleicht einhundertfünfzig Tagen.« Kankad bleckte grinsend seine buntschillernden Zähne. »Gut! Wir erwarten Sie.« Er winkte einen an deren Kraganer herbei. »Kormork, du wirst Paula Quinton beschützen.« Beim zweiten Mal klang der
Name bereits verständlicher. »Bring sie sicher zurück. Andernfalls tätest du wohl daran, dir ein gutes Ver steck zu suchen.« Zu von Schlichten gewandt fuhr er fort: »Bis das Schiff kommt, haben wir noch reichlich Zeit, Paula die Stadt zu zeigen. Was sie dort sehen möchte, wis sen Sie aber wahrscheinlich besser als ich.« Sie kletterten in ein offenes Schützenfahrzeug und schnallten sich an, und zwei Stunden lang zeigte ihr König Kankad die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Sie besuchten die Schule, wo junge Kraganer in Lingua Terrae unterrichtet wurden und in Johannesburg, Sidney und Buenos Aires gedruckte Bücher lasen. Kankad zeigte ihr die Reparaturwerkstätten, wo mehrere Dutzend Abkömmlinge von kraganischen Häuptlingen unter der Aufsicht von zwei Terranern an Kontragravitations-Ausrüstung arbeiteten; die Waffenfabrik, das Maschinenwerk, physikalische und chemische Laboratorien, das Hospital, die Munitions fabrik, die 155-mm-Batterie, die den Zugang zur Stadt schützte; die Druckerei und die Buchbinderei; das Observatorium und das Kernkraftwerk. Eine halbe Stunde vor Ankunft des Schiffes von Konkrook waren sie wieder auf dem Flughafen, wo ein Trupp von Kraganern seine letzten Vorbereitun gen für die Landung der Aldebaran traf. Irgendwoher zauberte Kankad zwei Flaschen kühlen Kapstädter
Bieres für Paula und von Schlichten. Sich selbst ließ er einen Krug mit kochend heißer, schwarzer Flüssigkeit bringen. Von Schlichten und Paula steckten sich Ziga retten an. Von Zeit zu Zeit an seinem Höllengebräu nippend, kaute Kankad am Stiel irgendeiner Sumpf pflanze. Paula schien über Kankads Mißachtung des Eßtabus nicht weniger überrascht zu sein als über von Schlichtens Nichtbeachtung der Verheimli chungsgebärde, als er seinen Geek-Enunciator einge setzt hatte. »Hier ist der einzige Ort auf Uller, wo es so etwas gibt«, erklärte ihr von Schlichten. »Hier oder im Fel de, wenn terranische und kraganische Soldaten zu sammen sind. Zwischen uns und den Kraganern gibt es keine Tabus.« »Nein«, sagte Kankad. »Keiner von uns kann die Nahrung des anderen essen, und weil unsere Körper verschieden sind, ist gemeinsame Elternschaft unter uns nicht möglich. Aber wir sind Kampfgefährten gewesen und haben mitsammen gearbeitet. Und wir haben voneinander gelernt – mein Volk mehr von Ih rem als Ihr Volk von meinem. Bevor Sie kamen, wa ren meine Leute wie Kinder. Sie schossen mit Pfeilen auf die kleinen Tiere am Strand, kletterten auf Teu felkommraus in den Felsen herum und spielten mit Spielzeugwaffen Krieg. Aber wir werden erwachse ner. Lange wird es nicht mehr dauern, dann stehen
wir neben Ihnen, wie der erwachsene Sohn neben seinem Erzeuger steht. Und wenn dieser Tag kommt, werden Sie sich unserer nicht schämen.« Daß Kankad vier Arme, eine gummiartige, quarzfleckige Haut und einen Eidechsenkopf hatte, bemerkten sie jetzt kaum mehr. »Mein Wunsch war schon immer, daß Leute von hier zum Studium auf Terra kommen«, sagte von Schlichten. »Erst vor kurzem habe ich mit Sid Har rington darüber gesprochen. Er glaubt, es wäre so wohl für Sie als auch für uns von Nutzen.« »Ja. Ich möchte, daß ›Kleines Ich‹, wenn er alt ge nug ist, Ihre Welt besucht«, sagte Kankad. »Und auch noch ein paar andere. Und wenn ›Kleines Ich‹ alt ge nug ist, meine Nachfolge anzutreten, würde ich mich gerne selbst auf Terra begeben.« »Irgendwann werde ich nach Terra zurückkehren; es würde mich freuen, wenn Sie dann mit mir kom men könnten«, sagte von Schlichten. »Das wäre zu schön!« rief Kankad. »So gerne möchte ich Ihre Welt sehen, ehe ich sterbe. Sie muß wunderbar sein. Eine Welt ist das, was man daraus macht, und Ihr Volk muß imstande sein, alles aus Ih rer Welt zu machen, was es nur will.« »Viel hätte nicht gefehlt, und wir hätten aus unse rer Welt einmal eine Wüste wie die an den Polen von Uller gemacht«, erwiderte von Schlichten. »Vor vier
hundert und mehr Jahren gab es bei uns große Kriege mit Waffen, an die, wie ich hoffe, auf Uller nie je mand auch nur denken wird. Unsere gesamte nördli che Hemisphäre, auf der sich unsere bedeutendsten Nationen befanden, wurde verwüstet. In weite Gebie te ist das Leben bis heute noch nicht zurückgekehrt. Aber wir haben diesem Irrsinn noch rechtzeitig ein Ende gemacht. Wir vereinten alle unsere Völker zu einer Nation und schworen, niemals mehr solche Verbrechen zu begehen. Und dann bauten wir Schif fe, mit denen wir zu den Sternen flogen. Sie sollten wirklich unsere Welt sehen und ein paar von den an deren, die wir aufgesucht haben. Sie würden Ihnen gefallen.« »Davon bin ich überzeugt. Und mit Ihnen als Füh rer ...« Einen Augenblick lang verstummte Kankad. Dann wechselte er plötzlich das Thema. »Ich hoffe, Paula nimmt mir das nicht übel. Aber ist Paula nicht von derjenigen Terranerart, die Junge ge biert?« »So ist es, Kankad. Ich habe zwar nie Junge gebo ren, aber ich gehöre in der Tat dieser Terraner-Art an.« »Paula gefällt mir«, sagte Kankad. »Sie ist bis von Terra zu uns gekommen, um uns zu helfen und sich über uns zu informieren. Natürlich brauchen die Kraganer diese Art Hilfe nicht, und die Geeks, die Sie
bei der geringsten Unaufmerksamkeit hinterrücks niederstechen würden, verdienen sie nicht. Aber sie will Näheres über uns erfahren, so wie ich Näheres über Terra erfahren will. Von Schlichten, warum ha ben Sie und Paula nicht Junge mitsammen?« fragte er. »Das wäre doch gut. Dann könnten unsere Jungen Freunde sein, wenn wir alle drei schon lange tot sind.«
6
Nach dem Kaffee kam die schlimme Nachricht
Silberzeug und Teller klapperten. Die einheimischen Kellner räumten ab. Dann hörte man nur noch leises Klirren von Tassen und Untertassen und gelegentliches Klicken von Feu erzeugen. Am Kopftisch schien es am lautesten herzu gehen. »... gefällt mir überhaupt nicht«, sagte BrigadierGeneral Barney Modkovitz, der Kommandierende Of fizier in Skilk, zu seiner Tischnachbarin. »Sie sind ein fach zu brav. Heutzutage ruft einem niemand mehr ›znidd suddabit!‹ nach. Keiner schneidet Grimassen oder steckt sich alle vier Daumen in den Mund und pfeift hinter einem her. Sie schauen einem nur an wie der Farmer eine Woche vor Weihnachten den Trut hahn, und das gefällt mir nun einfach nicht!« »Ach was!« rief Jules Keaveney, der Chef der Terra nischen Niederlassung in Skilk, am Kopfende der Ta fel. »Ihr Soldaten seid alle gleich – entschuldigen Sie, General von Schlichten«, fügte er mit einem Kopfnik ken in Richtung des Ehrengastes hinzu. »Wenn sie kei nen Kratzfuß vor euch machen und sich an die Wand drücken, um euch vorbeizulassen, dann sagt ihr, sie
seien unverschämt. Wenn sie es tun, dann behauptet ihr, sie planten eine Verschwörung.« »Was ich sagen möchte«, wiederholte Modkovitz, »ist dies: Ich erwarte ein bestimmtes Maß an Unord nung und ein gewisses Minimum an offener Feindse ligkeit von seiten dieser Geeks, die – unpopulär wie wir bei ihnen sind – logischerweise vorhanden sein muß. Finde ich beides nicht, dann werde ich stutzig und will wissen, warum.« »Beinahe möchte ich Ihnen zustimmen«, kam von Schlichten seinem Untergebenen zu Hilfe. »Dieses plötzliche Ausbleiben jeglicher Feindseligkeit ist in der Tat ein wenig beunruhigend. Colonel Cheng-Li«, sprach er den örtlichen Geheimdienst- und Polizeichef an. »Vor etwa einem Monat war dieser Rakkeed hier. Gab es da irgendwelche nennenswerte Unruhen? An titerranische Demonstrationen etwa, oder Übergriffe auf Angehörige oder Eigentum der Company?« »Nicht mehr als sonst, General. Eigentlich fing das, wovon General Modkovitz eben sprach, gerade zu diesem Zeitpunkt an. Nur ein paar von Rakkeeds Schülern versuchten, zersetzend auf die Moral von Angehörigen des Fünften Zirk-Kavallerie-Regiments einzuwirken.« »Leutnant-Governor Blount meldet aus Keegark das gleiche unnatürliche Fehlen jeder Feindseligkeit.« »Aber natürlich, General«, sagte Keaveney ein we
nig gönnerhaft. »In Keegark hat König Orgzild alles bestens unter Kontrolle. Er läßt einfach nicht zu, daß ein paar Fanatiker seinem Raumhafenprojekt Scha den zufügen.« »Ich frage mich wirklich, was da dahintersteckt. Vielleicht möchte er uns alle in Keegark zusammenho len, um uns dann mit einem einzigen Überraschungs schlag vernichten zu können«, meinte jemand am un teren Ende des Tisches. »Orgzild wäre nicht so verrückt, etwas Derartiges zu versuchen«, erklärte Commander Dirk Prinsloo von der Aldebaran. »Für ihn ginge das nur zwölf Mo nate lang gut. So lange würde es dauern, bis man auf Terra die Nachricht hat und die Föderation ein Kommando hierher entsendet. Und dann würden die Geeks in kleinen, radioaktiven Fetzen in diesem Sy stem herumfliegen bis hinaus zu Beta Hydrae VII.« »Völlig richtig«, stimmte von Schlichten zu. »Die Frage ist nur: Weiß Orgzild das auch? Ich bezweifle, ob er überhaupt an die Existenz von Terra glaubt.« »Und woher sollen wir dann gekommen sein?« fragte Keaveney. »Möglicherweise nimmt er an, daß Niflheim unsere Heimatwelt ist«, antwortete von Schlichten. »Oder besser gesagt, die künstlichen Satelliten um Niflheim herum. Wo er Niflheim vermutet, wäre allerdings wieder eine ganz andere Frage.«
»Nun, ein Schiff braucht hin und zurück etwa sechs Monate«, meinte Prinsloo. »Wegen des HyperdriveEffekts beträgt die erlebte Fahrzeit im Schiff etwa drei Wochen. Wenn er davon ausgeht, würde er die Ent fernung mit etwa vierhunderttausend Kilometern an setzen – unter Zugrundelegung der Geschwindigkeit unserer Kontragravitationsschiffe hier auf Uller. Wahrscheinlich weiß er nicht mal, daß es Hyperdrive gibt.« »Ja. Und nachdem er uns vernichtet hat, könnte er sogar mit der Idee spielen, mit erbeuteten Kontragra vitationsschiffen eine Invasion Niflheims zu unter nehmen«, mokierte sich Hideyoshi O'Leary. »Das wä re der größte Witz – falls jemand von uns noch da wäre, der darüber lachen könnte.« »Sie glauben nicht an so etwas, General, nicht wahr?« fragte Keaveney. Sein Ton war immer noch leicht spöttisch, verriet aber eine gewisse Unsicherheit. Immerhin war von Schlichten nunmehr seit fünfzehn Jahren auf Uller; er hingegen nur zwei. »Die Psychologie der Geeks ist einfach ein Buch mit sieben Siegeln; je länger ich hier bin, desto weni ger verstehe ich sie.« Von Schlichten leerte sein Glas. »Aber ich kann mir vorstellen, was ihm seine Spione, die als Arbeiter ein Jahr auf Niflheim verbracht ha ben, für Berichte von dort zurückbringen.« »Sie wissen sicher, was Rakkeed verbreitet«, schal
tete sich Colonel Cheng-Li ein. »Es läuft darauf hin aus, daß wir von Niflheim kommen und daß unsere Farmen und Pflanzungen hier der Beginn eines Ver suchs sind, alles eingeborene Leben von diesem Pla neten zu vertreiben und ihn selbst in Besitz zu neh men.« »Aber so etwas hat sich dieser Wilde sicher nicht selbst ausgedacht; er muß es von jemand wie Orgzild haben«, meinte der bärtige Brigadier-General. »Unse re Haupt-Satellitenbasis bei Niflheim versorgt sich mit ihren hydroponischen Gärten und ihren Tierge webskulturen praktisch selbst. Und sie ist groß ge nug, für eine kleine Welt gehalten zu werden. Ja; je mand wie Orgzild oder König Firkked könnte durch aus auf den Gedanken kommen, daß das unser Hei matplanet ist.« »Aber König Kankad sprach doch von ...« begann Paula Quinton. »Es geht um Geeks, nicht um Kraganer.« Von Schlichten gab ihr Feuer. »Sie haben doch das große Beta-Hydrae-Planetarium in Kankads Observatorium gesehen. Es hat damit seine eigene Bewandtnis. Wie Sie wissen, ist den Eingeborenen hier bekannt, daß Uller eine Kugel ist. Selbstverständlich betrachten sie Uller als den Mittelpunkt des Universums. Die Sonne umkreist den Planeten in einer ziemlich komplizier ten, doppelspiraligen Bahn. Als Theorie erklärt das
den größten Teil dessen, was sie beobachten können. Was nicht hineinpaßt, wird einfach ignoriert. In der Universität von Konkrook gibt es ein uhrwerkbetrie benes Modell, das die scheinbare Bewegung von Be ta-Hydrae am Himmel darstellt, und zwar ziemlich genau. Nun, ein paar von unseren Astronomen konstruier ten dieses Planetarium und zeigten es den führenden einheimischen Gelehrten, die gleichzeitig die Hohen priester der hiesigen Religion sind. So etwas wie eine Kombination aus Akademie der Künste und Wissen schaften und Kardinalskollegium. Sie wurden beina he massakriert. Sobald die versammelten Gelehrten das Ding sahen und seine Bedeutung verstanden hat ten, begannen sie zu jaulen und zu heulen und zu schreien und zu kreischen und mit Messern zu fuch teln: Das Planetarium war ein Sakrileg und eine Blas phemie; es unterminierte den Glauben und stellte die Logik auf den Kopf. Ich war damals Brigadier-General in Konkrook – das, was heute Them M'zangwe ist. Als mir der Auf ruhr in der Universität gemeldet wurde, marschierte ich mit einer Kompanie Kraganer hin, und wir räum ten die Halle mit aufgepflanztem Bajonett und trieben die ehrwürdigen Professoren ins Freie. Die Kraganer selbst interessierten sich sehr für das Planetarium und die dahintersteckende Theorie. Ein paar von ih
nen müssen davon nach Hause berichtet haben, denn Kankad kam mit dem nächsten Schiff und wollte es se hen. Er war so begeistert davon, daß Sid Harrington es ihm zum Geschenk machte. Seither ist es eines seiner liebsten Besitztümer. Jedenfalls kann die Denkweise der Kraganer keinesfalls ein Kriterium dafür sein, was im Kopf von jemand wie Orgzild vorgeht.« »Wie hat Ihnen Ihr Besuch in Kankads Stadt gefal len, Miss Quinton?« fragte Hideyoshi O'Leary. »Hal ten Sie die Kraganer immer noch für kulturelle Ba starde?« »Ich war ganz begeistert! Sie haben alles gelernt, was sie von uns lernen konnten, und mit Hilfe unserer Technologie eine eigene Zivilisation entwickelt. Ihre schwere Artillerie zum Beispiel. Sie ist nicht von terra nischen Kanonen kopiert. Und dieses Teleskop im Ob servatorium; haben sie das nicht auch selbst gebaut?« »Ja; von uns hatten sie nur ein paar Bücher über Optik und die Technik des Linsenschleifens. Wissen Sie, die Kraganer hatten erkannt, daß wir keine besse ren Kämpfer als wie sie sind, sondern nur bessere Waffen besitzen. Um die gleichen Waffen zu haben, mußten sie lernen, wie man sie herstellt. Von techni schen Studien kamen sie zur allgemeinen Naturwis senschaft. Die Waffenherstellung war nur ein Anfang; bald war ihnen klar, daß mit denselben Techniken auch noch vieles andere möglich war. Geben Sie ih
nen noch ein Jahrhundert, und sie sind eine der gro ßen Rassen der Galaxie.« »Ja, und es ist gut, daß sie unsere Freunde sind«, fügte Modkovitz hinzu; »schade, daß es nur so weni ge von ihnen gibt und so viele Geeks.« »Ja; die Company sollte hier für alle Fälle nukleare Waffen bereithalten«, sagte ein anderer Offizier. »Dagegen hätte ich doch einiges einzuwenden«, antwortete von Schlichten. »Es ist das gleiche Prinzip, aufgrund dessen man Gefängniswärtern, die mit den Gefangenen in direkten Kontakt kommen, keine Waf fen gibt. Wenn jemand wie Orgzild in den Besitz ei ner Atombombe käme, könnte er sie als Modell be nützen und mit dem Plutonium, das wir für NuklearKraftwerke zur Verfügung gestellt haben, hundert ei gene Sprengkörper bauen. Und dann hätten wir we nig Überlebenschancen. Was man tun sollte, ist viel mehr dies: Einmal ein halbes Hundert Kampfschiffe hierher schicken, damit die Geeks sehen, was wir in der Hinterhand haben. Dann gäbe es sicherlich nicht mehr so viel znidd suddabit hier.« »Ich bin leider ganz und gar nicht mit Ihnen ein verstanden«, sagte Keaveney. »Von meinen Offizie ren höre ich hier schon zu viel Säbelgerassel, als daß Sie solche Tendenzen auch noch unterstützen sollten. Wir sind gekommen, um für die Aktionäre der UllerCompany Dividenden zu verdienen. Und das können
wir nur tun, indem wir Freundschaft, Vertrauen und Respekt der Eingeborenen gewinnen ...« »Mr. Keaveney«, meldete sich Paula Quinton zu Wort. »Die Gesellschaft für den Schutz der Rechte Ex traterrestischer Wesen wollen Sie wohl nicht ernsthaft beschuldigen, eine Politik des Säbelrasselns zu betreiben. Wir haben alles in unserer Macht Befindli che getan, um diesen Leuten zu helfen, und wenn sie für irgend jemand freundschaftliche Gefühle haben sollten, dann uns gegenüber. Nun, vor nur fünf Ta gen wurden Mr. Mohammed Ferriera und ich in Konkrook von einer Zusammenrottung Eingeborener attackiert. Unser Aircar-Fahrer wurde ermordet, und wenn nicht General von Schlichten und seine Solda ten gewesen wären, wären auch wir ums Leben ge kommen. Mr. Ferriera liegt jetzt noch im Hospital. Vielleicht ist es General von Schlichten und seinen Kraganern nicht so sehr um Freundschaft und Ver trauen zu tun. Aber sie bestehen auf Respekt, und zwar auf die einzig mögliche Weise: Indem sie härter und schneller zuschlagen, als die Geeks das können.« »Hört, hört!« kam es vom unteren Ende der Tafel. Von Schlichten blinzelte Paula zu, soweit ihm sein Monokel das erlaubte. Gutes Mädchen, dachte er; sie ist auf unserer Seite! »Gewiß, man muß ...« begann Keaveney. Dann un terbrach er sich. Ein terranischer Sergeant war hinzu
getreten, hatte sich über Barney Modkovitz' Schulter gebeugt und ihm etwas ins Ohr geflüstert. Der bärti ge Brigadier stand sofort auf, nahm seinen Gürtel von der Stuhllehne und schnallte ihn um. Dann ging er um den Tisch herum zu von Schlichten. »Eben kommt eine Meldung aus Konkrook, Gene ral«, sagte er leise. »Sid Harrington ist tot.« Von Schlichten brauchte eine volle Sekunde, um den Sinn seiner Worte zu erfassen. »Guter Gott! Wann? Wie?« »Das ist alles, was wir wissen, Sir«, sagte der Ser geant und gab ihm eine Fernschreibermeldung. »Er reichte uns vor zehn Minuten.« Die Meldung hatte die höchste Dringlichkeitsstufe. Generalgouverneur Harrington war um 2210 in sei nem Zimmer gestorben – keine weiteren Einzelheiten. Von Schlichten sah auf die Uhr. Es war 2243. Kon krook und Skilk befanden sich in derselben Zeitzone; hier war schnelle Arbeit geleistet worden. Er gab den Papierstreifen Modkovitz, der ihn an Keaveney wei terreichte. »Geben Sie das sofort bekannt«, beauftragte ihn von Schlichten und schnallte sein Koppel um. Als er aus dem Bankettsaal eilte, hörte er noch, wie Keave ney an sein Weinglas klopfte. »Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten! Eben hat uns eine bestürzende Nachricht erreicht ...«
7
Bismillah! Sind wir nicht dümmer?
Im Verwaltungsgebäude der Company brannten be reits die Lichter. Der Himmel über den Bergen im Westen ging von Orange in tiefes Purpurrot über. Ein paar hellere Sterne waren bereits zu sehen, als von Schlichten und der Sergeant zum Sendergebäude eil ten. Ein weiblicher Captain empfing ihn. »Wir haben eine Frequenz nach Konkrook, General«, sagte sie. »Kabine drei.« Er nickte. »Danke, Captain ... Wir haben einen guten Freund verloren, nicht wahr?« Ein weiteres Mädchen, eine Technische Sergeantin, befand sich in der Kabine. Auf dem Bildschirm war das Bild seiner Gesprächspartnerin in Konkrook – sie war Leutnant – zu sehen. Die Sergeantin stand auf und wollte die Kabine verlassen. »Bleiben Sie da«, befahl ihr von Schlichten. »Sie übernehmen dann, wenn ich fertig bin.« Er setzte sich vor die Kombination aus Bildschirm und Kamera. »Nun, Leutnant, was ist geschehen?« fragte er. »Wie starb er?« »Durch Gift, nehmen wir an, General. General
M'zangwe hat Autopsie und chemische Analyse an geordnet. Wenn Sie noch zehn Minuten Zeit haben, wird er selbst mit Ihnen sprechen können.« »Rufen Sie ihn. Und sagen Sie mir in der Zwi schenzeit alles, was Sie wissen.« »Der Gouverneur legte sich früh schlafen; morgen früh wollte er auf die Jagd gehen. Sie kennen vermut lich seine Gewohnheiten.« Von Schlichten nickte. Normalerweise nahm Har rington eine Dusche, setzte sich dann im Bademantel an seinen Schreibtisch, zündete sich seine Pfeife an, nahm einen Schluck terranischen Bourbon und be gann dann seine Tagebuchaufzeichnungen. »Etwa um 2210 hörte der kraganische Wachserge ant zehn rasch aufeinander folgende Pistolenschüsse im Zimmer des Gouverneurs. Die Tür war versperrt; er durchschoß das Schloß mit seiner eigenen Pistole und ging hinein. Gouverneur Harrington lag, nur in einen Bademantel gekleidet, auf dem Fußboden – die leergeschossene Pistole in der Hand. Er hatte Schaum vor dem Mund und wand sich in schrecklichen Schmerzen. Offenbar hatte er die Pistole, die er im mer in seinem Schreibtisch hatte, abgefeuert, um Hil fe zu holen. Die Geschosse waren alle in die Decke gegangen. Der Sergeant drückte auf den Notrufknopf neben dem Bett und versuchte dann, dem Gouver neur zu helfen. Aber es war bereits zu spät. Als nach
fünf Minuten der Arzt kam, war er schon tot. In sei nem Tagebuch ist er bis heute mittag gekommen; die Eintragung hörte mitten in einem Satz auf. Auf sei nem Schreibtisch war eine Flasche und ein umge stürztes Glas. Eine weiße Ratte, der man fünfzehn Tropfen aus der Whiskyflasche gab, starb nach etwa neunzig Sekunden mit denselben Symptomen.« »Wer hatte Zugang zu dieser Whiskyflasche?« »Ein Geek-Sergeant, der das Zimmer in Ordnung hält. Etwa eine Stunde vorher war er festgenommen worden bei dem Versuch, die Insel ohne Erlaubnis zu verlassen. Er wird jetzt von den Kraganern vernom men.« Das Gesicht des Mädchens nahm einen Aus druck der Härte an. »Ich hoffe, die werden es ihm tüchtig besorgen!« »Und ich hoffe, daß sie ihn nicht umbringen, bevor er redet.« »Augenblick, General; wir haben jetzt General M'zangwe«, sagte die Frau. »Ich schalte um.« Einen Augenblick lang flimmerte ein Gewirr von verschiedenfarbigen Flecken über den Bildschirm. Dann erschien das schokoladenbraune Gesicht von Themistokles M'zangwe darauf. »Ich weiß bereits, wie er gefunden wurde, und bin auch von der Festnahme dieses Geeks unterrichtet«, sagte von Schlichten. »Haben Sie irgend etwas aus ihm herausbekommen?«
»Er gibt zu, Gift in die Flasche getan zu haben, be hauptet aber, es sei seine eigene Idee gewesen. Aber er ist eines von Father Keeluks Pfarrkindern, und deswegen ...« »Keeluk! Mein Gott, das war es also!« entfuhr es von Schlichten. »Jetzt weiß ich, was er mit Stalin woll te, mit der Ziege und diesen Kaninchen!« Achttausend Kilometer von ihm entfernt stieß Themistokles M'zangwe einen Pfiff aus. »Bismillah! Sind wir denn nicht dümmer?« rief er. »Natürlich brauchten sie terrestrische Tiere, um fest stellen zu können, welches Gift auf Terraner wirkt! Augenblick; ich möchte das nur eben festhalten für den Fall, daß die Kraganer diesen Geek noch fertig gemacht haben.« M'zangwe flüsterte einige Worte in ein Stenofon. »Ist sonst noch etwas, Carlos?« »Ist Eric benachrichtigt worden?« »Wir haben Keegark gerufen, aber er ist in einer Audienz bei König Orgzild, und wir können ihn im Augenblick nicht erreichen.« »Wer hat jetzt in Konkrook das Kommando?« »Noch niemand so richtig. Laviola, der Finanzse kretär, Hans Meyerstein, der Syndikus des Banken kartells, Howlett, der Personalchef, und Buhrmann, der Wirtschaftsdirektor, bilden eine Art von Qua drumvirat. Was passiert, wenn irgend etwas Unvor hergesehenes eintritt, weiß ich allerdings nicht ...« Eine
Hand mit dem Rangabzeichen eines Majors auf dem blau-grauen Uniformärmel erschien auf dem Bild schirm und hielt M'zangwe einen Zettel hin. Er nahm ihn, warf einen Blick darauf und fluchte. Von Schlich ten wartete, bis er ihn ganz durchgelesen hatte. »Und soweit ist es wohl tatsächlich schon«, sagte der Afrikaner. »Eben kommt aus Jaikarks Palast die Nach richt vom Ausbruch einer Revolte, vermutlich unter Anführung von Gurgurk. Die Garde ist, soweit sie nicht selbst gemeutert hat, von den Aufrührern nie dergemacht worden – mit Ausnahme der zwanzig Kraganer, die wir Jaikark zur Verfügung gestellt ha ben. Sie und etwa ein Dutzend von Jaikarks Höflingen mit ihren Helfern verteidigen die Zugänge zu den kö niglichen Gemächern. Der Führer der Kraganer hat sich eben gemeldet; er sagt, die Lage sei sehr bedroh lich.« »Wenn ein Kraganer das sagt, dann heißt das so viel wie hoffnungslos. Wird dieses Gespräch aufge nommen?« Als M'zangwe nickte, fuhr er fort: »Gut. Verwenden Sie diese Aufnahme zur Beglaubigung Ihres Auftrags und übernehmen Sie das Kommando. Jetzt ist es 2258. Ich erkläre mit sofortiger Wirkung den Ausnahmezustand für Konkrook. Informieren Sie Eric Blount, sobald Sie mit ihm Verbindung auf nehmen können. Ich mache mich sofort auf den Weg und müßte gegen 0800 in Konkrook sein.
Und nun zu den Vorgängen im Palast. Schicken Sie eine Kompanie Kraganer mit zehn Airjeeps und vier Gefechtsfahrzeugen hin und lassen Sie Jaikark, sein Gefolge und unsere Kraganer auf Gongonk Island verbringen. Und alarmieren Sie Ihre gesamten Streit kräfte. Bei diesen Palastrevolutionen der Geeks kommt es stets auch zu Tumulten und zu Zusam menstößen. Holen Sie unsere Kraganer heraus, wenn Sie sonst niemand aus dem Palast retten können. Aber es hat keinen Sinn, dreißig bis vierzig Männer zu opfern, um zwanzig zu retten. Und halten Sie mich auch unterwegs auf dem Laufenden.« Er wand te sich der Sergeantin zu. »Bleiben Sie dran; es kommt noch mehr.« Er stand auf und verließ die Kabine. Wenn wir Jai kark aus der Klemme helfen können, kann ihm die Company später ihre Bedingungen diktieren. Wird Jaikark getötet, lassen wir Gurgurk dafür über die Klinge springen und übernehmen die Macht in Kon krook. In jedem Fall kommen wir unserem Ziel, alle diese Geek-Despoten zu beseitigen, einen großen Schritt näher. Und mit Eric Blount als Generalgou verneur ... Der weibliche Captain erwartete ihn, als er heraus kam. »Gift«, sagte er. »Vermutlich steckt Gurgurk dahin ter, möglicherweise auch Rakkeed. Gurgurk putscht
gegen König Jaikark. Ich muß sofort nach Konkrook. Rufen Sie den Militärflughafen und lassen Sie mein Kommandofahrzeug zur Zentrale der Company ...« In diesem Augenblick wurde die Tür des schall dichten Senderaums aufgerissen. Draußen knallten Schüsse. Drei Männer stürzten herein und schlugen die Tür hinter sich zu. Einer von ihnen hatte eine Pi stole in der Hand und stützte mit dem anderen Arm einen weiteren Mann, der an der Schulter eine stark blutende Wunde hatte. Der dritte Mann hatte ein Burp-Gewehr in der Hand. Alle drei trugen Zivilklei dung. Als der Mann mit dem Gewehr von Schlichten sah, lief er auf ihn zu. »General! Die Geeks haben sich gegen uns erho ben!« rief er. »Das Zehnte Regiment meutert. Sie ha ben Unterkünfte, Versorgungsanlagen, Transport fahrzeug-Hangars und Werkstätten besetzt und rük ken jetzt hierher vor. Einzelne Angehörige der ZirkKavallerie haben sich ihnen angeschlossen.« »Und die Kraganer?« »Das Achtzehnte Schützenregiment? Die sind auf unserer Seite. Ich sah, wie die Gruppe von ihnen auf den Mob feuerte.« »Haben Sie noch Munition? Dann wollen wir mal nachsehen, wie es in der Company-Zentrale aus sieht«, sagte von Schlichten. »Captain Malavez, Sie veranlassen das Nötige zur Verteidigung dieser Stati
on. Und das Mädchen in der Kabine soll nach Kon krook melden, was hier passiert ist, und ausrichten, daß ich nicht sofort kommen kann, wie ich es vorhat te.« Er öffnete die Tür, von draußen drang wieder Ge fechtslärm herein. Der Zivilist mit dem Gewehr stürmte als erster hinaus. Von Schlichten zog seine Pistole und folgte ihm. Als er hierher gekommen war, hatte es eben zu dämmern begonnen. Jetzt war das ganze CompanyGelände in grelles Licht getaucht. Irgend jemand muß te die Alarmbeleuchtung eingeschaltet haben. Vor der Company-Zentrale drängten sich graue Gestalten. Vom Dach eines Gebäudes auf der anderen Straßensei te feuerten zwei Maschinengewehre in die Menge. Aus einer Seitenstraße kam eine Gruppe Terraner gelaufen, die mit ihren Pistolen immer wieder hinter sich schossen. Als sie sahen, was bei der Zentrale der Com pany los war, stürzten sie in das Gebäude, von dessen Dach aus gefeuert wurde. Vom anderen Ende der Stra ße her eilte eine Hundertschaft saurierköpfiger ein heimischer Soldaten herbei, unter ihnen einige Terra ner. Von Schlichten wandte sich an den terranischen Captain, der ihnen vorauslief. »Wie steht's, Captain?« »Das Zehnte Regiment und das Fünfte Kavallerie regiment meutern. Die da drüben gehören dazu.« Er atmete schwer. »Es ging alles sehr schnell und wir
hatten keine Zeit mehr, uns mit irgend jemand in Verbindung zu setzen ...« Unweit von ihnen lief eine Terranerfrau in schwar zen Hosen und oranger Jacke über die Straße, verfolgt von Soldaten des Zehnten Eingeborenen-Regiments, die »znidd suddabit!« kreischten. Der Frau gelang es, sich in einem Hauseingang in Sicherheit zu bringen. Ihrer Verfolger nahmen sich, bevor sie die Gefahr überhaupt bemerkten, die Kraganer an. Es fielen keine Schüsse. Die schmalen, scharfen Klingen der Bajonette taten ihr gräßliches Werk. Hinter sich konnte von Schlichten Kraganerstimmen mit einem neuen Schrei hören: »Znidd Geek! Znidd Geek!« Von der Zentrale der Company hallten jetzt Schüs se herüber. Einige Terraner, die an dem Bankett teil genommen hatten, mußten also noch am Leben sein. Er fragte sich, wie lange sie noch aushalten konnten. Vor allem dachte er an Paula Quinton. Mit ausgebrei teten Armen gebot er den Kraganern Halt. »Eine Sal ve, nachladen, dann Angriff mit dem Bajonett!« be fahl er. Jemand gab die Order auf kraganisch weiter. Gleichzeitig knatterten die Gewehre los und spien die nächsten fünf Sekunden ihren todbringenden Ge schoßhagel in die zusammengerotteten Meuterer. Einzelne Schüsse antworteten; er sah, wie der Captain von einem Explosivgeschoß getroffen wurde und ei nige weitere Kraganer niederstürzten.
»Laden! Gewehre sichern!« brüllte von Schlichten. »Attacke!« Unter terranischen Offizieren hätte die Eingebore nentruppe standgehalten. Unter den Offizieren und Sergeanten aus ihren eigenen Reihen aber leisteten sie nur kurz Widerstand. Von Schlichten sah, daß das Eingangstor der Zentrale offen war. Drinnen befan den sich Terraner und etwa ein Dutzend Kraganer. Hideyoshi O'Leary und Barney Modkovitz hatten die Lage dort in der Hand. »Die Warnung erreichte uns etwa dreißig Sekun den, bevor es losging«, berichtete Modkovitz, »und die Kraganer in der Halle brachten uns eine weitere Minute. Natürlich hatten wir alle unsere Pistolen ...« »He! Die Türen sind ja festgekeilt«, entdeckte je mand. »Diese verdammten Geek-Diener!« »Ja; wenn ihr welche erwischt, dann legt sie um!« meinte jemand anderer. »Wenn wir diese Türen zu gekriegt hätten ...« Draußen hatte sich die Menge der Aufrührer neu formiert. Die Maschinengewehre, die während des Nahkampfes verstummt waren, begannen wieder zu hämmern. Die Menge drängte gegen das Gebäude, um ihrem Feuer zu entgehen, und wurde von einer Ge wehrsalve und Bajonetten empfangen. Die Meute wog te wieder zurück, um von neuem von den Maschinen gewehren niedergemäht zu werden. Von drei Seiten
unter Beschuß, floh die Horde bald in wilder Auflö sung in die Richtung, aus der sie gekommen war. Von Schlichten wandte sich um. Nach und nach kamen die belagerten Terraner und ihre kraganischen Gardesoldaten aus dem Gebäude. Er sah Jules Kea veney und seine Frau, Commander Prinsloo von der Aldebaran, Harry Quong und Bogdanoff. Und ... ah! Da war sie. Erleichtert aufatmend winkte er Paula Quinton zu. Angeführt von Major Kormork, marschierten jetzt weitere hundert Kraganer auf den Platz. »Wir waren im Quartier, an Bord der Aldebaran und im Gästehaus auf dem Flughafen«, berichtete Kormork. »Vor fünf zehn Minuten erfolgte der Angriff. Zehn Minuten brauchten wir, um ihn abzuschlagen, weitere fünf Minuten, um hierher zu kommen. Ich habe Eingebo renen-Captain Zeerjeek und dem Rest der Streitkräfte befohlen, die verlorengegangenen Gebäude zurück zuerobern und den Militärflughafen zu entsetzen.« »Ausgezeichnet. Wie ist die Lage auf dem Handels flughafen?« »Die Aldebaran und der Frachter Northern Star sind unbeschädigt. Beide gingen auf Kontragravitation und verblieben in etwa fünfzig Meter Höhe.« »Gut. Ich richte mir meinen Kommandostand in der Sendestation ein. Wo ist Colonel Cheng-Li?« »Hier, General.« Der Geheimdienst- und Polizeiof
fizier drängte sich durch die Menge. »Ich habe im Mi litärflughafen, im Handels-Airport, im Raumhafen, im Kraftwerk und in den Schiffsdocks angerufen. Al le antworteten. Aus dem Stadt-Kraftwerk kommt noch das Fernsehbild; dort scheint es von Geeks zu wimmeln. Captain Leavitt hat im Raumhafen alle einheimischen Arbeiter in einem Reparaturdock zu sammengetrieben und hält sie mit der vorderen 90 mm-Kanone der Northern Star unter Kontrolle. Die Hangars und die Reparatur- und Wartungswerkstät ten antworten nicht.« »Das wollte ich Sie gerade fragen. Danke. Quong, Bogdanoff!« Die Besatzung seines Kommandofahrzeugs nahm Haltung an. »Ihr nehmt Colonel O'Leary an Bord, sobald mein Aircar da ist ... Hid, Sie steigen auf und sehen Sie nach, was los ist. Werfen Sie Fackeln ab, wo es kein Licht gibt. Achten Sie besonders auf das Arbeiterlager und den Maschinenpark südlich des Reservats ... Kormork, Sie nehmen die Hälfte der Leute von der Achtzehnten hier und räumen in den Baracken der Eingeborenentruppe auf. Gefangene werden keine gemacht; wir haben keine Bewacher.« Kormork grinste. Gefangene zu machen, das war einer dieser irrationalen terranischen Gebräuche ge wesen, die kein Ulleraner jemals verstanden hatte.
8
Autorisiert von Generalgouverneur von Schlichten
Wieder in den Sender zurückgekehrt, erfuhr er die neuesten Nachrichten aus Konkrook. Auch dort war unter den einheimischen Arbeitern und Soldaten eine Meuterei ausgebrochen. Er rief Keegark. Eine junge Frau, offenbar eine der Zivilangestellten der Station, antwortete. »Wir brauchen Hilfe, General von Schlichten«, drängte sie. »Die einheimischen Truppen sind in Auf ruhr – mit Ausnahme von zweihundert Kraganern. Sie haben die Docks gestürmt, den Flughafen – alles bis auf die Zentrale der Company. Wir bemühen uns auszuhalten. Aber ihre Zahl geht in die Tausende: Unsere Eingeborenen-Infanterie, Soldaten von König Orgzilds Armee und Stadtbewohner. Alle scheinen Feuerwaffen zu haben ...« »Was ist mit Eric Blount und mit dem Chef der Niederlassung, Mr. Lemoyne?« »Wir wissen es nicht. Sie hatten im Palast eine Un terredung mit König Orgzild. Wir haben versucht, den Palast zu erreichen, aber wir kommen nicht durch. General, wir brauchen dringend Hilfe ...« Wenige Minuten später kam eine Meldung aus
Krink, das siebenhundert Kilometer nördlich der Berge lag. Der dortige Niederlassungschef, ein gewisser Francis Xavier Shapiro, berichtete von Revolten in der Stadt und einer versuchten Palastrevolution gegen König Jonkvank. Zur Abwechslung war es hier die kö nigliche Armee selbst, die meuterte. Das ullerische In fanterieregiment und die beiden Zirk-Kavalleriekom panien in Krink sowie die Kraganer verhielten sich noch loyal. Das alles sah sehr nach Planung aus. Von Schlich ten starrte auf die große Landkarte an der Wand. Ge rade glaubte er, die dem Ganzen zugrundeliegende Logik ein wenig zu verstehen, als Keaveney, der Di rektor der Niederlassung in Skilk, hereintaumelte. »Mein Gott, ganz Uller ist in Aufruhr!« stieß er hervor. »Nicht nur hier in Skilk – überall, wo sich ei ne Niederlassung von uns befindet. Das ist das En de!« »Noch ist es nicht ganz so weit, Mr. Keaveney.« Von Schlichten sah auf die Uhr. Vor nicht ganz einer Stunde hatte die Meuterei der einheimischen Trup pen hier in Skilk begonnen. Gewöhnlich glückten oder scheiterten Aufstände wie dieser in den ersten sechzig Minuten. Vielleicht war die Hoffnung ein wenig verfrüht; aber er glaubte doch zu ahnen, daß dieser hier scheitern würde. »Wenn jeder das Seine tut, wird alles gut gehen«, beschied er Keaveney zu
versichtlicher, als ihm wirklich zumute war. Dann wandte er sich Brigadier-General Modkovitz zu, um zu erfahren, wie es in den Unterkünften der Eingebo renen Truppe stand. »Nicht schlecht, General. Und Hangars, Wartungs hallen und Reparaturwerkstätten dürften alsbald in Kormorks Hand sein.« »... morgen um diese Zeit ist von uns nichts mehr übrig«, wimmerte Keaveney Paula Quinton einer an deren Frau vor. »Und mit der Company ist es aus!« »Wir sollten ihm was zu trinken besorgen, Gene ral«, schlug Modkovitz vor. »Mit ein paar K.O. Tropfen drin.« Colonel Cheng-Li, der Geheimdienstoffizier, ver suchte Keaveney zu beruhigen. Von Schlichten sah sich der Frau in Schwarz und Orange gegenüber, de ren Verfolger am Beginn des Kampfes von den Kra ganern niedergemacht worden waren. »General, König Kankad möchte Sie sprechen«, sagte sie. »Der Apparat in Kabine vier.« »Danke.« Um jedes denkbare Mißverständnis aus zuschließen, steckte er sich seinen Geek-Enunciator in den Mund, bevor er die Kabine betrat. Aus dem Bild schirm sah ihn Kankads Gesicht an. Phil Yamazaki, der Chef des Senders in Kankads Stadt, stand hinter ihm. »Von Schlichten!« Der Kraganer wirkte wie von
körperlichem Schmerz gepeinigt. »Wie kann ich hel fen? Ich habe hier zwanzigtausend bewaffnete Leute, aber nur für fünfhundert Transportmöglichkeiten. Wohin soll ich sie schicken?« Von Schlichten überlegte blitzschnell. Keegark war erledigt. Die Zentrale stand in der Mitte der Stadt, be lagert von zweihunderttausend Soldaten und Unter tanen König Orgzilds. Da die Ulleraner bisexuell wa ren, bildete die gesamte Bevölkerung bis auf die Al ten, die Krüppel und die sehr Jungen das militärische Potential. Wenn er Kankads fünfhundert Krieger dorthin schickte, war das, als schaufelte er sie in ei nen Hochofen. Die Leute in Keegark mußten abge schrieben werden, genauso wie die zwanzig Kraga ner in Jaikarks Palast. »Schicken Sie sie nach Konkrook«, entschied er. »M'zangwe hat dort den Oberbefehl; er braucht Hilfe, um die Farmen der Company halten zu können. Viel leicht kann er zusätzlich Transportmittel bereitstellen. Ich werde ihn anrufen.« »Ich schicke sofort alle Leute los, die ich befördern kann«, versprach Kankad. »Wie steht es bei Ihnen in Skilk?« »Bis jetzt halten wir uns«, antwortete er. »Paula ist hier bei mir; sie läßt bestens grüßen.« Captain Inez Malavez, die Chefin des Senders, steckte ihren Kopf in die Kabine.
»General, dringende Meldung von Colonel O'Lea ry«, sagte sie. »Eingeborene Arbeiter aus den Bergwerk-Wohnlagern versuchen, den Maschinenpark zu stürmen. O'Leary hat bereits seine gesamte Munition verschossen, um sie abzuwehren.« »Ich melde mich wieder«, sagte von Schlichten zu Kankad. »Ich werde sehen, was M'zangwe für den Transport Ihrer Leute tun kann. Bitte schicken Sie so fort so viele nach Konkrook, wie Sie können.« Er verließ die Kabine und nahm sein GeekMundstück heraus. »Barney!« rief er. »General Mod kovitz! Welcher Offizier hat das Achtzehnte Schüt zenregiment unter sich? Major Falkenberg?« »Ja.« »Er soll alle Kraganer, die er entbehren kann, zum Maschinenpark schicken.« Er wandte sich Inez Mala vez zu. »Sie rufen Colonel Jarman an. Melden Sie ihm, was wir von O'Leary gehört haben. Die Geeks dürfen sich unter keinen Umständen der Maschinen bemächtigen. Sobald sie mit KontragravitationsTransportern welche herausholen wollen, soll er sie auf der Stelle abschießen.« In einer Ecke des Raumes hatte jemand eine große Landkarte auf dem Boden ausgebreitet. Paul Quinton und Mrs. Keaveney knieten daneben und verteilten rote und weiße Pillen darauf, die jemand in zwei Fla schen aus der Apotheke auf der anderen Straßenseite
herübergebracht hatte. Die Frau in Orange las ihnen aus einer Hand voll Notizzetteln vor, wohin die Pil len gehörten. Auch andere Dinge waren über die Kar te verstreut – Pistolenpatronen, Zigaretten und Nah rungsmittelkonzentrat-Tabletten. Als Paula ihn sah, richtete sie sich auf. »Die roten sind die unseren, General«, sagte sie. »Die weißen sind die Geeks.« Von Schlichten unter drückte ein Lächeln. Das war schon das zweite Mal an diesem Abend, daß sie diesen Namen benützte. »Die Zigaretten sind Airjeeps, die Patronen Gefechts fahrzeuge, und die Konzentrattabletten Güter- oder Truppentransporter.« »Nicht ganz dem Reglement entsprechend, diese Markierungen. Aber da habe ich schon ganz andere Dinge gesehen ... Captain Malavez!« »Ja, Sir?« »Wir brauchen einen großen TV-Schirm, und eine Kamera in irgendeinem Kontragravitations-Fahrzeug in etwa tausend Meter Höhe direkt über uns, damit wir ein Bild von der Lage bekommen. Ist das mög lich?« »Ich kann es versuchen, Sir. Wir haben einen 2,50 Meter-Rundschirm, der für diese Höhe noch aus reicht. Ich veranlasse das sofort.« Von Schlichten ging in eine leere Sendekabine und rief Konkrook. Ein auf einer erloschenen Zigarre her
umkauender Zivilist verband ihn mit Themistokles M'zangwe. »Wie ist die Lage jetzt?« fragte er. »Hat sich ein wenig gebessert«, antwortete der Graeco-Afrikaner. »Es ist uns gelungen, die Geeks überall zurückzudrängen. Die Drahtzäune um die Farmen auf der Insel stehen unter Strom, und unsere Kampfschiffe verteidigen die Festlandfarmen.« Er zögerte einen Augenblick. »Haben Sie von Eric und Lemoyne gehört?« Von Schlichten schüttelte den Kopf. »Wir haben eben einen Anruf von Colonel MacKin non erhalten, dem Kommandanten von Keegark. Er hat ein paar Gefangene gemacht und sie zum Sprechen gebracht. Alle, die in Orgzilds Palast waren, sind mas sakriert worden. Ein paar von ihnen hatten das Glück, im Kampf getötet zu werden. Eric und Hendrik haben die Geeks lebend erwischt. Sie wälzten sie in einer La che von Thermokonzentrat-Brennstoff herum und zündeten sie dann an. Sobald wir ein paar Kontragra vitations-Schiffe erübrigen können ...« »Ja, gerade darüber wollte ich mit Ihnen sprechen.« Er berichtete M'zangwe von König Kankads Angebot. »Was können Sie an Schiffen zusammenkratzen, um Kraganer einzufliegen?« »Wir haben drei Kanonenboote, die Elmoran, die Gaucho und die Bushranger. Die sind aber als Trans
porter nicht sehr geeignet, und wir brauchen sie selbst ganz dringend. Dann sind da noch einige Frachter ...« »Was ist mit der Piet Joubert?« fragte von Schlich ten. »Die sollte doch heute um 1300 in Konkrook lan den, oder?« M'zangwe fluchte. »Ist auch gelandet. Aber die Geeks haben sie auf der Stelle gestürmt, zwanzig Mi nuten nachdem die Sache hier losging. Sie versuch ten, sich damit davonzumachen, und die Batterie am Kanal hat sie runtergeholt.« »Gut; den Geeks durften sie sie keinesfalls überlas sen. Und die anderen Schiffe?« »Die Procyon ist in Grank; von dort haben wir überhaupt noch nichts gehört, was mir ziemlich ver dächtig erscheint. Auch die Northern Lights ist in Grank. Die Oom Paul Krüger müßte in Bwork gewesen sein, als der Aufstand losging. Die Jan Smuts und die Christiaan De Wett befanden sich beide in Keegark; wir können annehmen, daß Orgzild sie in seine Ge walt gebracht hat.« »Gut. Ich schicke die Aldebaran nach Kankads Stadt; sie soll Ihnen weitere Verstärkung bringen.« »Die können wir brauchen! Und mit der Aldebaran müßten wir in der Lage sein, morgen um diese Zeit eine Offensive gegen die Stadt zu starten. Sonst noch was?«
»Das wär's für den Augenblick. Ich kümmere mich jetzt um die Aldebaran.« Als er die Kabine verließ, hörte er über den allge meinen Lärm hinweg, wie Jules Keaveney mit sich überschlagender Stimme auf die anderen einlamen tierte. Offensichtlich waren Colonel Cheng-Lis Be mühungen, ihn zu beruhigen, ein voller Erfolg gewe sen. »Aber das ist verrückt! Nicht nur hier; überall auf Uller! Wie haben sie das fertiggebracht? Sie haben doch keine Funkgeräte!« »Das weiß ich auch nicht, Jules«, beschwichtigte ihn Modkovitz. »Ich weiß von vielen reichen Geeks, die Empfänger haben, aber niemand hat Sender.« Für einen Augenblick stellte von Schlichten die Sa che mit der Aldebaran zurück. »Sie brauchten keine Sender, Barney«, sagte er. »Sie benützten unsere.« »Wie meinen Sie das?« schrie Keaveney. »Überlegen Sie doch. Harrington wurde in Kon krook vergiftet. Natürlich ging die Nachricht sofort an jede Niederlassung und Handelsstation auf Uller. Und das war das Signal, das sie vereinbart hatten – wahrscheinlich schon vor Monaten. Dieser GeekDiener brauchte nur Gift in Harringtons Whisky zu tun. Den Rest überließen sie uns.« »Und unser Geheimdienst! Hat der geschlafen?« fragte Keaveney wütend.
»Nein; er schrieb Berichte, damit ihr von der Zivil verwaltung etwas in den Papierkorb schmeißen konntet.« Er drehte Keaveney den Rücken zu. »Bar ney, wo ist Dirk Prinsloo?« »Auf seinem Schiff.« »Rufen Sie ihn. Er soll sofort die Aldebaran nach Kankads Stadt fliegen. Sobald er dort ist – das müßte um etwa 1100 sein – soll er so viele Kraganer an Bord nehmen, wie es nur eben geht, und sie nach Kon krook bringen. Von da ab steht er unter M'zangwes Befehl.« »Nach Konkrook?« heulte Keaveney. »Sind Sie wahnsinnig geworden? Brauchen wir hier vielleicht keine Verstärkung?« »Doch. Und ich werde versuchen, sie zu bekom men«, erwiderte von Schlichten. »Und wenn Sie uns jetzt nicht länger im Wege umgingen, wäre ich Ihnen wirklich sehr verpflichtet.« Er ging auf die andere Seite des Raumes hinüber, wo zwei Kraganer und das allgegenwärtige Mädchen in der orangen Jacke versuchten, einen großen run den TV-Schirm zu installieren. Dann warf er einen Blick auf die Landkarte, auf der Paula Quinton und Mrs. Keaveney nach dem, was ihnen eine Sergeantin von handgeschriebenen Notizzetteln vorlas, den je weils neuesten Stand der Dinge markierten. Ein junger Kraganer, der den unteren linken Arm
in einer Schlinge trug, reichte ihm eine Meldung. Guido Karamessinis, der Chef der Niederlassung in Grank, hatte endlich von sich hören lassen. In der Stadt selbst sei es ruhig, hieß es da, doch hätten Kö nig Yoorkerks Truppen den Lufthafen und die Docks mit den Schiffen Procyon und Northern Lights in ihren Besitz gebracht und schickten sich an, das Verwal tungsgebäude der Company einzukreisen. Er wollte wissen, was zu tun sei. Von Schlichten gelang es nach einiger Zeit, ihn auf den Bildschirm zu bekommen. »Es sieht so aus, als versuchte Yoorkerk, beide Kar ten gleichzeitig zu spielen«, sagte er. »Wenn die Re bellion niedergeschlagen wird, wird er sich hinterher als Ihr Freund und Beschützer aufspielen. Ziehen wir den Kürzeren, dann wird er ›znidd suddabit‹ rufen und Ihnen den Kragen umdrehen. Unternehmen Sie im Augenblick nichts gegen ihn. Wir können uns in der Richtung keine weiteren Fronten leisten. Sobald es geht, bekommen Sie Hilfe von uns.« Dann ließ er wieder eine Verbindung mit Krink herstellen. Ein rothaariges Mädchen mit Sommer sprossen um die Nase meldete sich. »Wie steht es bei Ihnen?« fragte er. »Bis jetzt nicht schlecht, General. Alle eingeborenen Soldaten halten zu uns, nicht nur die Kraganer. Jonk vank hat die Meuterer aus seinem Palast geworfen.
Die Straßen zwischen unserer Zentrale und seinem Palast sind noch in unserer Hand.« »Wer sind eigentlich die Aufrührer?« Sie nannte drei von Jonkvanks Regimentern. »Au ßerdem das, was es an Gesindel hier in der Stadt gibt, Priester einer Sekte, die zu Rakkeeds Jüngern gehört, und eine fünfte Kolonne aus Skilk. Mr. Shapiro kann Ihnen die Einzelheiten geben. Soll ich ihn rufen?« »Nicht nötig. Er hat sicher zu tun, und Sie machen Ihre Sache ja sehr ordentlich ... Wie lange, glauben Sie, würde es dauern, bis Sie alle Jonkvank-treuen Truppen in die Stadt bringen können?« »Mindestens einen Tag.« »Gut. Stehen Sie im Augenblick mit Jonkvank in Verbindung?« »Volle audiovisuelle Verbindung, Sir«, antwortete das Mädchen. »Einen Augenblick.« Er holte seinen Geek-Enunciator hervor. Farbige Flecken zuckten über den Bildschirm und ver schwanden wieder. Dann sah ihn das Sauriergesicht eines Ulleraners an. »Euer Majestät«, begrüßte ihn von Schlichten. Jonkvank sagte etwas, was so ähnlich wie von Schlichtens Name klang. »Der Anlaß unseres Ge sprächs ist betrüblich, General.« »Betrüblich für beide von uns, König Jonkvank; wir müssen einander beistehen. Ich höre, daß sich Ihre
Soldaten in Krink gegen Sie erhoben haben und daß sich Ihre loyalen Truppen weit außerhalb der Stadt befinden.« »Das ist das Werk meines Kriegsministers Hurk kurk, der im Solde König Firkkeds von Skilk steht. Mögen ihn Jeels lebendig verschlingen! Ich habe Hurrkurks Kopf hier irgendwo, wenn sie ihn sehen möchten. Aber das bringt meine loyalen Soldaten auch nicht schneller nach Krink.« »Die Köpfe toter Verräter interessieren mich nicht, König Jonkvank«, antwortete von Schlichten in einem Ton, der kaltblütige Grausamkeit ausdrücken sollte. »Zu viele Verräterköpfe sitzen noch auf Verräter schultern ... Welche Regimenter sind Ihnen ergeben, und wo stehen sie jetzt?« Alle befanden sich mindestens einhundertfünfzig Kilometer von Krink entfernt. »Das hat Hurrkurk fein eingefädelt; ich fürchte, Sie sind noch viel zu gnädig mit ihm verfahren«, sagte von Schlichten. »Ich werde die Northern Star nach Krink schicken. So, wie Ihre Regimenter verstreut sind, kann sie nur eines davon auf einmal in die Stadt transportieren. Welches wollen Sie zuerst haben?« Jonkvanks Lippen, bis jetzt grimmig zusammenge preßt, öffneten sich nun zu einem Lächeln. Er stieß ei nen Freudenruf aus, der klang, als laufe ein Junge mit einem Stock ratternd an einem Lattenzaun entlang.
»Gut, General! Gut!« quäkte er. »Das erste Re giment sollen die Mörder in Furnk sein; sie haben alle Gewehre wie Ihre Soldaten. Lassen Sie sie zum Gro ßen Palastplatz bringen. Dann die Totengräber in Jeelznidd, und die ...« »Das hat Zeit, bis die Mörder da sind«, meinte von Schlichten. »Sie sind also in Furnk? Ich schicke die Northern Star sofort dorthin.« »Gut, General! Ich werde Ihnen das nicht verges sen! Und sobald die Arbeit hier getan ist, sende ich Ihnen Soldaten nach Skilk. Die Köpfe derjenigen, die sich an diesem Verrat beteiligten, sollen sich bald zu Bergen türmen!« »Ja. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen; ich werde die nötigen Orders geben ...« Beim Verlassen der Kabine stieß er fast mit Hidey oshi O'Leary zusammen. »Harry und Hassan sind beim Munitionfassen und haben mich abgesetzt. Wol len Sie sich mit uns die Lage ansehen?« »Nein, ich möchte, daß Sie nach Krink fliegen, so bald Harry wieder startbereit ist.« Er erläuterte O'Leary seine Absichten. »Ich nehme an, daß Sie diese Regimenter erst alarmieren müssen, bevor die Star sie aufnehmen kann. Und sobald sich die Dinge in Krink stabilisiert haben, veranlassen Sie Jonkvank, Truppen hierher zu schicken. Sie sind von mir autorisiert, Jonkvank zuzusagen, daß er die politische Kontrolle
über Skilk übernehmen kann, sobald wir Firkkeds Kopf auf den Abfallhaufen geworfen haben.« Jules Keaveney, der immer da zu sein schien, wo man ihn am allerwenigsten brauchen konnte, hörte das und stieß einen Entsetzensschrei aus. »General von Schlichten! Das ist eine politische Entscheidung! Sie haben gar nicht das Recht, derarti ge Versprechungen zu machen. In so einer Angele genheit bedarf es zumindest der Entscheidung des Generalgouverneurs!« »Bis uns Terra einen neuen Generalgouverneur schickt, nehme ich diesen Posten ein«, beschied ihn von Schlichten, der insgeheim Keaveney dafür dank bar war, daß er ihn an die Notwendigkeit eines sol chen Schrittes erinnert hatte. »Captain Malavez! Ge ben Sie sofort eine Mitteilung an alle Stationen hin aus: Nach dem Tod von Generalgouverneur Harring ton und Leutnant-Gouverneur Blount übernimmt Mi litärkommandeur Carlos von Schlichten mit soforti ger Wirkung die Funktion des Generalgouverneurs.« Er wandte sich Keaveney zu. »Sind Sie jetzt zufrie den?« »Nein. Sie haben keinerlei Recht, irgendeine Zivil funktion zu übernehmen, ganz zu schweigen von der allerhöchsten ...« Von Schlichten öffnete sein Pistolenhalfter und richtete die Waffe auf Keaveney. »Hier ist meine Be
rechtigung«, sagte er. »Sie wären gut beraten, sie nicht weiter anzuzweifeln.« Keaveney zuckte die Achseln. »Wie Sie meinen«, sagte er. »Aber daß sich die Uller-Company von so etwas beeindrucken läßt, glaube ich kaum.« »Die Uller-Company«, erwiderte von Schlichten, »sitzt sechseinhalb Parsecs von hier entfernt. Nach Terra und hierher zurück braucht ein Schiff zwölf Monate. Eine Funkmeldung ist in jeder Richtung ein undzwanzig Jahre lang unterwegs.« Er steckte die Pi stole wieder weg. »Vor kurzem haben Sie noch ge mault, wie nötig wir hier Verstärkung brauchen. Jetzt müssen wir eben den Satz von Clausewitz umdrehen und die Politik als eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln sehen.« »Können wir denn lange genug aushalten, bis wir von Terra Hilfe bekommen?« fragte einer von Keave neys Untergebenen. »Bis wir von Terra Hilfe bekommen«, antwortete von Schlichten, »haben wir entweder diese Revolte niedergeschlagen, oder es gibt keinen lebenden Ter raner mehr auf Uller.« Keaveneys entsetzte Miene zu sehen, bereitete ihm fast sadistisches Vergnügen. »Wovon sollen wir denn ein ganzes Jahr leben?« frag te er. »An für menschlichen Verzehr geeigneter Nah rung gibt es auf diesem Planeten nur Vorräte für drei Monate. Wir brauchen die Farmen und die Tierge
webskulturen in Konkrook und die Farmen in Krink und die auf der Ebene von Skilk. Und wir brauchen Frieden und einheimische Arbeiter, um sie zu bestel len.« Eine Zeitlang sagte keiner ein Wort. Dann erinnerte Keaveney daran, daß in drei Monaten das nächste Schiff von Niflheim fällig war, und daß es sämtliche Terraner auf Uller evakuieren könne. »Wer auch nur versucht, an Bord dieses Schiffes zu gehen, den schieße ich persönlich über den Haufen«, versprach von Schlichten. »Schreibe sich das ein jeder hinter die Ohren. Wir werden diese Rebellion nieder schlagen, und wir werden Uller für die Company und die Terranische Föderation halten.« Er sah sich im Kreise um. »Und jetzt begeben sich alle wieder auf ihren Posten. Miss Quinton, mein Adjutant, Colonel O'Leary, wird, wie Sie eben gehört haben, einen Auf trag in Krink übernehmen. Ich möchte, daß Sie jetzt seine Funktion übernehmen. Für die Dauer dieses Krieges verleihe ich Ihnen Rang und Autorität eines Colonel.« Sie war wie vom Donner gerührt. »Aber ich verste he absolut nichts von militärischen Dingen. Hier gibt es sicher Dutzende von Leuten, die besser für so et was qualifiziert sind als ich ...« »Jawohl, und sie haben alle ihre Aufgabe, und ich müßte Ersatz für sie finden und Ersatz für ihren Er
satz. Bei Ihnen ist das nicht nötig. Und was Sie wissen müssen, werden Sie sehr schnell lernen.« Er warf ei nen Blick auf die Landkarte und die Verteilung der roten und weißen Pillen. »Als erstes rufen Sie bitte Jarman im Militärflughafen an. Er soll mir einen Air jeep mit Fahrer schicken. Ich möchte mir selbst ein Bild der jetzigen Lage machen. Barney, Sie vertreten mich während meiner Abwesenheit und weisen Co lonel Quinton ein.«
9
Zurück in die Flasche
Er sah auf die Uhr und pumpte sich dann die stickige Luft und den Tabaksrauch der Sendestation aus den Lungen, während der leichte Airjeep auf die Straße niederging. Null-eins-fünf-zehn – seit dem Ausbruch der Meuterei waren zweieinhalb Stunden vergangen. Über dem Hospital konnte er den Flammenschein der brennenden Eingeborenen-Baracken sehen. Der stärkste Gefechtslärm kam aus der Richtung, wo sich der Maschinenpark und das Bergarbeiterlager befan den. Der Pilot, ein junger Leutnant mit vorwiegend ma layischen und polynesischen Rassemerkmalen, schob das gläserne Kabinendach zurück, um ihn einsteigen zu lassen. »Können Sie mit den Waffen hier umgehen, Sir?« fragte er. Von Schlichten bejahte mit einem Kopfnicken. Kei ne sehr schmeichelhafte Frage; aber der Junge hatte das Recht, sich zu vergewissern, ehe sie starteten. »Ja, das habe ich schon ein- oder zweimal ge macht«, untertrieb er. »Dann also los. Zuerst möchte ich sehen, was im Maschinenpark und im Arbeiterla
ger los ist.« Der Pilot zog den Aircar in die Höhe, hielt auf die Flammen, Explosionen und Magnesium lichter im Süden zu und ging auf volle Beschleuni gung. Das Fahrzeug schoß vorwärts und ging erst auf Schwebeflug, als das umkämpfte Gelände erreicht war. Auf der Landkarte im improvisierten Haupt quartier hatte sich ein Gemisch aus roten und weißen Pillen befunden. Es mußte dafür gesorgt werden, daß sein Stab von Lageveränderungen schneller unter richtet wurde, stellte er fest, denn das Gebiet war völ lig in der Hand von loyalen Truppen. Die meutern den Soldaten und Arbeiter waren in das provisori sche Camp zurückgedrängt worden, wo die Arbeiter auf ihren Abtransport in die Arktis zu warten pfleg ten. Wie er befürchtet hatte, war es den Aufrührern, von denen viele an Kontragravitations-Maschinen ge schult worden waren, gelungen, eine Anzahl von Lastfahrzeugen und Bulldozern in die Luft zu brin gen, wo sie sie offenbar als improvisierte Luftpanzer benutzen wollten. Allerdings schienen Jarmans Kampfschiffe rechtzeitig eingegriffen zu haben, denn sämtliche entwendeten Fahrzeuge lagen zerschellt am Boden. Der Gegenangriff, der sich im wiedereroberten Ma schinenpark formiert hatte, war beim Arbeitercamp auf erstaunlich heftige Gegenwehr gestoßen. Das war ein weiterer Beweis dafür, wie sehr Geheimdienst
und Polizei – und damit auch er selbst – bei der Erfül lung ihrer Aufgabe, das sich zusammenbrauende Gewitter rechtzeitig zu erkennen, versagt hatten. Na türlich war es praktisch unmöglich zu verhindern, daß Ulleraner einheimische Waffen wie Messer, Schwerter, ja sogar Bogen und Luftgewehre besaßen, und mit einer gewissen Anzahl von auf Volund her gestellten automatischen Pistolen mußte man rech nen. Aber der Großteil des Abwehrfeuers kam offen sichtlich von Militärgewehren, und manchmal konnte er auch das gleichmäßige Flackern eines Maschinen gewehres oder die Flammenstöße von rückstoßfreien Gewehren oder Bazookas erkennen. Selbst wenn ei nige dieser Waffen von Meuterern des Fünften Kaval lerie-Regiments dorthin gebracht worden waren, wa ren es doch noch viel zu viele. In mäßiger Höhe über dem Kampfgeschehen schwebend, sah er sechs lange Truppentransporter landen und kraganische Schüt zen ausspeien, die nach der Brechung des Widerstan des in den Unterkünften der Eingeborenentruppe freigeworden waren. Ein wenig später stellten sich nacheinander vier Airtanks ein und feuerten aus ih ren 90-mm-Geschützen. Ihnen folgten zwei Kampf schiffe mit ihren Raketen und Automatik-Kanonen. Die leichten Titaniumhütten, die mit den Arbeitern nach Norden gebracht werden sollten, waren inner halb weniger Augenblicke fast völlig zerstört. Weg
mit den weißen Pillen, dachte er. Zurück in die Fla sche damit. In diesem Jahr würde es keinen Bergbau am Nordpol geben. Und nächstes Jahr würden die Aktionäre um ihre Dividende jammern. Und eine ganze Menge neuer Maschinisten mußte für das nächste Jahr ausgebildet werden. Falls es im nächsten Jahr überhaupt Bergbau gab. Er griff zum Mikrofon und rief den Maschinenpark an. »Von Schlichten. Ich bin direkt über Ihnen. Sind Sie das, Major Falkenberg? Sieht gar nicht so schlecht aus, Major. Haben Sie Verluste?« »Nicht allzu schlimm. Zwanzig bis dreißig Kraga ner und loyale Skilkaner sowie acht Terraner getötet; ebenso viele verwundet.« »Gar nicht schlecht unter den Umständen. Wieviele Hipposaurier-Reiter haben Sie?« »Zirka hundert; viele Saurier wurden erschossen, als wir sie aus den Ställen holten.« »Ich sehe ganze Kolonnen von Geeks, die vom Ar beitercamp auf den Fluß zumarschieren. Greifen Sie an mit allem, was Sie an Kavallerie und Kontragravi tationsschiffen haben. Ich werfe ein paar Fackeln ab, damit Sie die Position erkennen.« »Gut«, antwortete Falkenberg. »Mache ich sofort, General.« »Und holen Sie die Bergbaumaschinen aus dem Park. Wir können sie sowohl in der Luft als auch zum
Barrikadenbau benützen. Vor allem dürfen sie nicht den Geeks in die Hände fallen. Ich schicke Ihnen Hil fe.« »Ist nicht nötig, Sir. Ich habe etwa einhundertfünf zig loyale Nord-Ulleraner – Aufseher und Techniker – die kriegen das schon hin.« »Gut. Lassen Sie das Zeug hinter die Unterkünfte der Eingeborenentruppe bringen und zwischen das Kraftwerk und die Verwaltungsgebäude.« Der Leut nant drückte auf ein paar Knöpfe. »Jetzt kommen die Fackeln.« Sofort waren ein paar Airjeeps da, die sich auf die fliehenden Feinde stürzten. Eine Anzahl von Kraga nern galoppierte auf Hipposauriern auf das Licht der Fackeln zu. »Und jetzt sehen wir uns mal bei den Wartungshal len um«, sagte er. »Und dann bei der Reservation, etwa vier, fünf Kilometer von hier. Das Verhalten von Firkkeds Armee kommt mir merkwürdig vor.« Der Pilot sah ihn an. »Das hat mich auch schon be schäftigt, Sir«, sagte er. »Mir ist unbegreiflich, warum er uns noch nicht angegriffen hat. Natürlich braucht es Zeit, bis sich eine dieser Geek-Armeen in Bewe gung setzt, aber ...« »Er hofft eben, daß die Eingeborenentruppe und die Bergarbeiter allein mit uns fertig werden«, sagte von Schlichten. »Für die Dummheit und Furchtsam
keit unserer Feinde können wir wirklich Gott danken. Wäre Firkked mit ein paar Regimentern bereitgestan den, als das Zehnte Regiment und die Zirks meuter ten, dann hätte er uns in zwanzig Minuten überrollt, und wir wären jetzt alle einen Kopf kürzer.« Der Airjeep ging tiefer; der Pilot machte das Schie befenster neben sich auf. Drunten, ein wenig nördlich des Reservats, war alles ruhig. Dann, ein paar Kilo meter östlich des Reservats, hörte von Schlichten plötzlich etwas – das dumpfe Geräusch einer größe ren Masse, die sich da fortbewegte. »Hören Sie das, Leutnant?« fragte er. »Halten Sie darauf zu – etwa tausend Fuß Höhe. Wenn wir direkt darüber sind, werfen Sie ein paar Fackeln ab.« »Ja, Sir.« Der Pilot hatte seine Stimme zu einem Flüstern gedämpft. »Das sind Geeks. Sie wollen zum Reservat.« »Vielleicht ist es Firkkeds Armee«, dachte von Schlichten laut. »Oder vielleicht der Mob aus der Stadt.« Die Geräusche wurden jetzt klarer, lauter. Er nahm das Mikrofon und stellte die Frequenz des Militär flughafens ein. »Von Schlichten; grüßen Sie Colonel Jarman. Fünf Kilometer östlich des Reservats befindet sich eine größere Kolonne Geeks auf der Straße nach Skilk. Möglicherweise sind es auch Soldaten Firkkeds.
Schicken Sie sofort Kampfschiffe hinüber. Wir werfen Fackeln ab. Und Jarman soll den Hoork-Fluß durch Patrouillen abfliegen lassen. Vielleicht sind das nicht die einzigen Besucher, die da zu uns unterwegs sind.« Die Geräusche kamen jetzt direkt von unten. Der Leutnant sagte: »Die Fackeln, Sir.« Von Schlichten schloß die Augen und öffnete sie dann langsam wieder. Der Pilot hatte den Aircar nach dem Abwurf der Fackeln in einem Looping nach oben gezogen und ging jetzt im Sturzflug nach unten. Den Fuß auf dem Maschinengewehrpedal, die Finger an den Raketenauslösern, starrte von Schlichten durch das Visier. Unten wimmelte es von Geeks, die jetzt wie erstarrt stehengeblieben waren und hypnoti siert zu den Lichtern hinaufstarrten. Eine Sekunde später hatten sie sich gefaßt und feuerten – nicht auf den Airjeep, sondern auf die vier brennenden Ma gnesiumkugeln. Von Schlichten trat auf das Pedal und drückte auf Auslöseknöpfe. Als sie die Geeks hinter sich gelassen hatten, waren noch vier Raketen in seinen Rohren. »Noch einmal das schöne Spiel. Selbe Richtung.« Der Pilot flog eine schnelle Rolle und stieß von der anderen Seite auf die Geeks hinunter, die sich inzwi schen umgedreht hatten und in die Richtung starrten, wo sie den Airjeep zuletzt gesehen hatten. Wieder
nahm sie von Schlichten unter Beschuß. Dieses Mal feuerten die Geeks zurück. Als der Airjeep einen Treffer erhielt, drehte der Pilot sofort ab. »Verdammt, was machen Sie da?« Von Schlichten hatte den Fuß vom Maschinengewehrpedal genom men. »Haben Sie Angst vor den Knallfröschen, mit denen die schießen?« »Es ist nicht wegen dem Fahrzeug oder wegen mir, Sir«, antwortete der Leutnant mit der betonten Förm lichkeit eines weit rangniedrigeren Offiziers, der sei nen Vorgesetzten berichtigt. »Allerdings scheue ich mich, meinen Passagier in Gefahr zu bringen. Gene räle wachsen nun einmal nicht auf den Bäumen, Sir; und als Schießbudenfiguren sind sie auch nicht ge dacht.« Natürlich hatte er recht. Von Schlichten räumte das ein. »Ja, ich bin zu alt für solche Cowboy-Spiele«, sag te er. »Also zurück zum Sender.« Während seiner Abwesenheit hatte jemand eine TV-Kamera auf einem Kontragravitationslifter instal liert, der jetzt, mit einem starken Tensilon-Kabel am Boden verankert, etwa sechshundert Meter über dem Boden schwebte. Auf dem runden Bildschirm war das ganze Reservat der Company zu sehen mitsamt der perspektivisch verkürzten Umgebung, bis hin zu den fernen Lichtern von Skilk. Ein großes Reliefmo dell des Geländes, das man aus dem Büro des Chef
ingenieurs herbeigeschafft hatte, ersetzte jetzt die Landkarte. Sandwiches kauend und Kaffee trinkend saßen Paula Quinton, Barney Modkovitz, Colonel Cheng-Li und – auffallend ruhig – Jules Keaveney vor dem Bildschirm. Ein halbes Dutzend Terraner beiderlei Geschlechts brachten in fieberhafter Eile Po sitionsmarkierungen auf dem Geländemodell an. Ei ner von Captain Inez Malavez' Leuten nahm über Kopfhörer die Lageberichte auf. Alles lief wie eine gut geölte Maschinerie. Auf dem Bildschirm waren, in helles Licht ge taucht, das Zentralgebäude des Schiffsdocks, der Lufthafen, der Raumhafen, die Reparaturwerkstätten und Wartungshallen zu sehen. Die Markierungen auf dem Geländemodell wiesen letztere als wieder völlig in den Händen der Company befindlich aus. Der größte Teil der für die Minen am Nordpol bestimm ten Maschinen war bereits in Sicherheit gebracht worden. Der Rest des Kreises war dunkel – bis auf die fernen Lichter von Skilk, wo das Kernkraftwerk of fenbar immer noch funktionierte. Dann, ohne Vorwarnung, flammte südwestlich von Skilk ein weißer Lichtblitz auf, gefolgt von noch ei nem, dann noch einem. Von Schlichten warf einen Blick auf die Reihe der kleineren Bildschirme. Auf ei nem davon sah er ein Detailbild der Stelle, aufge nommen von einem patrouillierenden Airjeep.
Die Armee König Firkkeds von Skilk war zu guter Letzt auf den Plan getreten. Die Szene auf dem Schirm ähnelte der, die er vorher selbst im Airjeep er lebt hatte. Die skilkanischen Truppen waren in diszi pliniertem Marsch vorgerückt. Aber sie hatten den selben Fehler gemacht wie der Mob, den die Terraner nördlich des Reservats niedergemacht hatten. Nicht an Angriffe aus der Luft gewöhnt, waren sie alle ste hengeblieben und starrten offenen Mundes nach oben. Allerdings hatte eine mit terranischen Waffen ausgerüstete Kompanie das Feuer eröffnet, noch ehe der Aircar sich wieder entfernt hatte. Auf dem großen Schirm war zu sehen, daß Colonel Jarman die meisten der ihm verfügbaren Kontragra vitationsschiffe auf sie geworfen hatte. Neue Licht blitze zuckten auf, und die Feuerspuren von Raketen kurvten nach unten, um auf dem Boden in grellen Entladungen zu enden. Auf dem kleinen Bildschirm erkannte man jetzt, daß die Truppenformationen auf der Straße und links und rechts davon in den Feldern auseinandergebro chen waren. Zuerst sah es aus wie Panik. Doch dann wurde klar, daß Offiziere den einzelnen Gruppen der Flüchtigen Order gaben, sich zu zerstreuen. Jetzt wa ren etwa zehn bis zwölf Gefechtsschiffe und etwa zwanzig Airjeeps im Einsatz. Auf dem unruhigen Bild des Kamerafahrzeugs sah er, wie eine schwere
Rakete inmitten einer Gruppe einschlug, die sich mit Handfeuerwaffen zur Wehr zu setzen versuchte. »Nur feste drauf«, grunzte Barney Modkovitz mit vollem Mund. »Gebt's ihnen ordentlich; so eine Gele genheit kriegt ihr so schnell nicht wieder.« »Warum nicht?« wollte Colonel Paula Quinton wissen. Ihr militärisches Wissen war gewachsen, doch hatte sie noch einige Lücken zu füllen. »Beim nächsten Luftangriff werden sie nicht mehr wie die Salzsäulen stehenbleiben«, antwortete Mod kovitz. »Wie Sie bemerkt haben werden, war das eben schon nicht mehr bei allen der Fall.« Auf dem großen Bildschirm flackerte in der Ge gend des Hoork River Mündungsfeuer auf. Auf dem kleinen Schirm, der das mit der Kamera des Airjeeps aufgenommene Bild gezeigt hatte, wurde es dunkel. Auf dem großen Schirm sah man, wie irgend etwas trudelnd abstürzte. Fast im gleichen Moment schossen dreißig bis vierzig Raketenspuren auf die Stelle zu, von der das Geschoß gekommen war. »Sie hatten eine 75-mm am hinteren Ende der Ko lonne«, rief jemand. »Leutnant Kalanangs Jeep wurde getroffen; Leutnant Vermaas schaltet sich gleich auf seine Wellenlänge.« Auf dem kleinen Schirm wurde es wieder hell. Auf dem großen Schirm leuchteten jetzt Magnesiumlich ter über der Stelle, wo sich das Geschütz der Skilka
ner befunden hatte. Der kleine Schirm zeigte ein mit Kratern durchsetztes Stoppelfeld und die Leichen von zwei Dutzend Eingeborenen. Eine zerborstene 75-mm-Kanone lag auf der Seite. »Soviel wir wissen, war das Firkkeds einziges 75er Geschütz«, sagte Colonel Cheng-Li. »Aber er hat mindestens sechs, möglicherweise bis zu zehn 40er. Merkwürdig, daß wir von denen noch nichts gesehen haben.« »Nun, wissen kann man es nicht«, sagte Jules Kea veney, »aber ich halte für möglich, daß sich alle bei seinem Palast befinden. Firkked weiß ungefähr, wie viel Kontragravitationsschiffe wir haben. Wahr scheinlich wundert er sich, daß wir ihn nicht bom bardieren.« »Er weiß nicht, daß wir König Jonkvank den Palast für eine Armee verkauft haben«, sagte von Schlich ten. »Wieviele Kontragravitationsschiffe könnte denn Firkked für einen Angriff auf uns zusammenkratzen? Ich erwarte jeden Moment eine Geek-Luftwaffe hier.« Colonel Cheng-Li starrte einen Moment auf seine Zigarettenspitze. »Firkked persönlich hat drei zehn sitzige Aircars, etwas ähnliches wie einen Truppen transporter für seine Höflinge, vier Airjeeps mit je zwei 15-mm-Maschinengewehren und zwei große Lastschiffe. Möglicherweise sind zweihundert Fahr zeuge aller Art in Skilk und Umgebung; manche da
von befinden sich aber in den Händen von Eingebo renen, die auf unserer Seite stehen. Ich kann die Zah len vom Polizei-Hauptquartier besorgen.« »Außerdem hat er Thermokonzentrat-Brandsätze und Sprengbomben«, fügte von Schlichten hinzu. »Colonel Quinton, setzen Sie sich bitte mit Ed Wal lingsby, dem Chefingenieur, in Verbindung. Ich er nenne ihn zum Colonel. Er soll dieses Gebäude luft angriffsicher machen. Die Geeks, die Leavitt gefangen genommen hat, können Splittergräben ausheben, Sandsäcke füllen und so weiter. Mr. Keaveney, Sie machen hier eine Art Luftschutzorganisation. Sie werden mit dem auskommen müssen, was niemand anderer will. Setzen Sie sich mit Colonel Jarman und Colonel Wallingsby ins Benehmen. Denken Sie an al les, was hier bei einem Luftangriff schiefgehen könn te, und tun Sie im voraus etwas dagegen.«
10
Die Geek-Luftwaffe und der kraganische Airlift
Um 0245 begann in der nordwestlichen Ecke des Re servats ein Angriff auf die Sprengstoffmagazine. Er erwies sich als relativ schwach. Zwar kostete es eine erhebliche Menge Munition, ihn abzuschlagen, aber nur geringe Verluste unter den Verteidigern. Gegen Tagesanbruch hörten die Angriffe ganz auf. In der Zwischenzeit hatte sich Themistokles M'zangwe aus Konkrook gemeldet. Auf dem Bild schirm war zu sehen, daß er den linken Arm in einer Schlinge trug. »Was zum Teufel haben Sie denn da angestellt?« wollte von Schlichten wissen. »Pfeilschuß, vor etwa einer halben Stunde. Ein we nig weiter rechts, und Brigadier-General Colbert würde jetzt statt meiner mit Ihnen sprechen.« »Nur gut, daß der Pfeil keine Nitro-Kapsel hatte. Wie steht's bei Ihnen? Sind schon Leute von Kankad da?« »Ja, ungefähr sechshundert. Sie kamen in dem ver rücktesten Sammelsurium von Fahrzeugen, das ich jemals gesehen habe. Kankad hat alles aufgeboten, was er überhaupt an Kontragravitationsschiffen hat.
Es ist geradezu ein umgekehrtes Dünkirchen. Kankad will, sobald er kann, selber kommen. Die Geeks hier haben sich eine eigene Luftflotte zugelegt – Lastboo te, Aircars und so weiter – und bombardieren uns hier und die Festlandfarm, hauptsächlich mit Nitro glycerin. Ungefähr zwanzig von ihnen haben wir ab geschossen, aber es kommen immer noch welche. Aber wir sitzen auch nicht auf unseren Händen und haben schon eine Anzahlung für Eric Blount und Hendric Lemoyne abgeliefert. Haben einen FünfzigTonnen-Tank mit Thermokonzentrat gefüllt, ihn mit einem Zünder versehen und ihn mit der Elmoran über der keegarkanischen Botschaft abgeworfen. Der Be hälter muß mitten im Haupthof gelandet sein; inner halb zehn Sekunden kamen Flammen aus jedem Fen ster.« Seine Miene verdüsterte sich. »Aber etwas Schlimmes ist auch passiert«, sagte er. »Nach den an deren haben auch Fürst Jaizerds Leute gemeutert; sie drangen ins Hospital ein und schlachteten alles ab – Patienten, Ärzte und Pfleger. Die Kraganer kamen zu spät, haben aber die Meuterer vernichtet. Jaizerd selbst war der einzige, den sie lebend bekamen, aber er blieb es nicht lange.« »Wie kommen Sie mit der Zivilverwaltung aus?« M'zangwe verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Bis jetzt habe ich noch niemanden festnehmen müs sen. Aber Buhrmann mußten wir mit Gewalt vom
Kommunikator fernhalten. Er wollte Sie anrufen und Ihnen die Hölle heiß machen, weil Sie nicht alle im Norden befindlichen Leute nach Konkrook evakuiert haben.« »Ist der wahnsinnig?« »Nein, er hat nur Schiß. Sie lassen uns alle nachein ander abmurksen, sagt er, statt Konkrook zu retten, indem wir uns dort konzentrieren.« »Sagen Sie ihm, daß ich diesen Planeten halten würde, und nicht nur eine Stadt. Ich fühle mich der Company und ihren Aktionären verpflichtet, falls das bei ihm nicht so sein sollte. Drücken Sie es so aus, und er wird es vielleicht verstehen.« »Ja; bei Meyerstein werde ich auch so verfahren; er ist ganz aus dem Häuschen über das, was das Ban kenkartell bei dieser Geschichte verliert ... Also, so bald es was Neues gibt, melde ich mich wieder.« Gegen 0330 wurde es hell. Die Angriffe auf die Nordwestecke des Geländes hörten gänzlich auf. Wallingsby hatte gut dreihundert skilkanische Arbei ter in Bewegung gesetzt. Jules Keaveney leistete zu von Schlichtens freudiger Überraschung gute Arbeit als Luftschutzorganisator. Colonel Jarmans Airjeeps und Gefechtsschiffe schwärmten in immer weiteren Kreisen aus und säuberten den Luftraum. Und Paula Quinton brachte es neben ihrer anderen Arbeit fertig, eine knappe, aber vollständige Zusammenfassung
der Lage in den anderen von Terranern besetzten Ge bieten des Planeten zu erstellen. Die Situation in Konkrook schien sich zu bessern. Nahezu zweitausend Kraganer, darunter Kankad selbst, befanden sich jetzt auf Gongonk Island und den Festlandfarmen. Die Aldebaran war in Kankads Stadt, um weitere tausend Kraganer an Bord zu neh men ... Aus Keegark kam nichts mehr. Im Morgen grauen hatte Colonel MacKinnon noch gemeldet, daß die Geeks seine letzten Widerstandsnester bedräng ten und daß er im Begriffe sei, die Residenz in die Luft zu sprengen. Dann trat Funkstille ein ... Um 0730 war die Northern Star mit den Mördern beim Palast von Krink gelandet und hatte um 0845 ein weiteres Regiment abgesetzt. Und noch zwei. Guido Karames sinis in Grank befand sich in einem unsicheren Frie denszustand mit König Yoorkerk, der sich noch nicht hatte entscheiden können, ob die Rebellen oder die Company die Oberhand behalten würde, und sich deshalb vor allzu gewagten Schritten in jeder Rich tung hütete ... Um 1100 befahlen ihm Paula Quinton und Modko vitz regelrecht, sich schlafenzulegen. Er zog sich in sein Quartier in der Zentrale der Company zurück, kippte einen dreistöckigen Honigrum und schlief bis 1600. Während er sich rasierte und anzog, konnte er durch das offene Fenster Gewehrfeuer, das wumm
wumm-wumm von 40-mm-Automatik-Kanonen und das Hämmern eines Maschinengewehrs hören. Als er zu seinem Kommandostand im Sendege bäude zurückkehrte, sah er, daß sich ihre Stellungen im Nordwesten weiter vorgeschoben hatten. »Wo ist Colonel Quinton?« fragte er. »Die wäre jetzt für ein Nickerchen an der Reihe.« »Ist schon dabei«, antwortete Major Falkenberg. »Colonel Guilliford ist im Hospital, wurde etwa um 1300 verwundet. Man befürchtet, daß ihm ein Bein amputiert werden muß.« »Sehr betrüblich.« Er deutete auf die Nordwestecke des Bildes auf dem TV-Schirm. »Wessen Idee war das?« fragte er. »Guter Gedanke; ich hätte selbst dar auf kommen sollen.« »Ihre neue Adjutantin«, grinste Falkenberg. »Sie fragte irgend jemand, was diese großen Kuppeln dort drüben bedeuten. Als sie hörte, daß sich zehntausend Tonnen Thermokonzentrat, fünftausend Tonnen Sprengstoff und fünf Tonnen Plutonium darunter be finden, fiel sie beinahe in Ohnmacht. Und dann gab sie diesen Befehl.« Aus Krink war zu hören, daß die Northern Star wei ter loyale Truppen einflog. König Jonkvank, mit dem von Schlichten sprach, war bester Stimmung. »Wir töten die Verräter, wo immer wir sie finden!« jubelte er. »Die Stadt ist ganz gelb von ihrem Blut!
Überall türmen sich ihre Köpfe zu Bergen! Und in Skilk?« »Auch wir haben viele ausgeschaltet«, prahlte von Schlichten. »Und heute abend geht es noch vielen an deren an den Kragen. Wir bereiten Bomben größter Zerstörungskraft vor, die wir auf Skilk niederprasseln lassen werden, bis kein Stein mehr auf dem anderen bleibt und auch nicht das kleinste Kind mehr am Le ben ist!« Jonkvank reagierte wie erwartet. »O nein, General; tun Sie das nicht! Ich habe Ihr Wort, daß Sie Skilk mir überlassen werden. Soll ich einen Trümmerhaufen voller Leichen bekommen?« Von Schlichten zuckte die Achseln. »Ist man stark, kann man seine Feinde mit der Peitsche züchtigen. Ist man schwach, dann kann man sie nur töten. Hätte ich hier fünftausend Soldaten mehr, dann ...« »Oh, ich schicke Soldaten, sobald es nur geht«, be eilte sich Jonkvank zu versichern. »Meine besten Re gimenter: Die Mörder, die Kannibalen, die Scharfrichter ... Aber ich kann jetzt, nachdem wir diese verwerfli che Revolution hier gestoppt haben, die Stadt nicht von Truppen entblößen und riskieren, daß der Auf stand von neuem ausbricht.« Von Schlichten nickte. Jonkvank hatte durchaus recht; auch er selbst würde so argumentiert haben. »Nun, schicken Sie so viele wie möglich hier rüber,
sobald es geht«, sagte er. »Wir werden versuchen, in Skilk so wenig Schaden wie möglich anzurichten, aber ...« Der lange Nachmittag des nördlichen Herbstes zog sich hin. Um 2200 ging schließlich die Sonne unter; eine Stunde später wurde es völlig dunkel. Längere Zeit herrschte unheildrohende Ruhe. Und dann, um 0030 begann die Attacke der Feinde. Sie trieben ganze Herden der sechsbeinigen Fleischtiere in die Minen felder und gegen die elektrischen Zäune, die jetzt das gesamte von der Company gehaltene Areal umgaben, um Breschen zu schlagen. Hinter ihnen kamen skilkanische Soldaten. Jarman warf fünfzehn seiner noch verbliebenen zwanzig Air jeeps und fünf Kampfschiffe in das Gefecht. Kaum waren sie gestartet, als die Radarstation des Handels flughafens sich von Norden her nähernde Flugkörper meldete. Sirenen begannen zu heulen. Scheinwerfer flammten auf. Die Panzertüren und -jalousien der zum Schutz vor den extremen Sommer- und Wintertemperaturen sehr dickwandig erstellten Gebäude wurden elek trisch geschlossen. Noch ehe die Angreifer – vier ganz gewöhnliche, nachträglich mit Maschinenge wehren bestückte Aircars und zehn zu Bombern um gerüstete Transportfahrzeuge – ihr Zielgebiet erreicht hatten, fielen sie bis auf einen der Airjeeps dem kon
zentrierten Abwehrfeuer zum Opfer. Als auch der Bodenangriff abgeschlagen war, schickte von Schlich ten alle seine verfügbaren Kontragravitationsschiffe in die Luft und begann Skilk mit 90-mm-Geschützen zu beschießen. Zahlreiche Brände brachen dort aus, und gegen 0200 stand der Feuerschein himmelhoch über der Stadt. »Das ist Firkkeds Thermokonzentrat-Vorrat«, sagte er zu Paula, die neben ihm vor dem Bildschirm stand. Eine halbe Stunde später mußte er feststellen, daß er zu optimistisch gewesen war. Ein großer Teil des terranischen Thermokonzentrats war vernichtet wor den. Dennoch blieb den Feinden genug, das Reservat und die Gebäude der Company mit Brandsätzen zu überschütten, als ein halbes Hundert LastfahrzeugBomber und fünfzehn Aircars den zweiten Luftan griff vortrugen. Den ersten Angriff hatte von Schlich ten auf dem Bildschirm im Sendegebäude verfolgt. Jetzt befand er sich auf einem Inspektionsgang in den Depots und hatte das zweifelhafte Vergnügen, den zweiten Luftangriff ungeschützt dort zu erleben. Wie beim erstenmal fand auch jetzt ein gleichzeitiger Vor stoß der feindlichen Truppen im Süden statt. Die meisten der angreifenden Kontragravitationsfahr zeuge wurden abgeschossen; mindestens zwei Dut zend davon stürzten auf das Gelände des Reservats. Es war bereits heller Tag, als die letzten Reste der
feindlichen Bodentruppen getötet oder zurückge schlagen waren. Nicht lange danach erschien die gewaltige Northern Star am westlichen Horizont.
11
Von eroberten Fürstentümern
Als von Schlichten wieder den Sender betrat, meldete sich eben Colonel Khalid ib'n Talal von Bord des an fliegenden Schiffes. »Ich komme mit einem von Jonkvanks Regimen tern, den Scharfrichtern, bewaffnet mit terranischen 9 mm-Gewehren und einigen Bazookas. Des weiteren bringe ich eine Kompanie Zirks mit ihren Reittieren und ein Bataillon der Sechsten Eingeborenenarmee. Außerdem habe ich vier mit Terranern bemannte 90 mm-Geschütze. Wie ist bei Ihnen die Lage, General, und wo soll ich landen?« Von Schlichten erläuterte kurz den Stand der Din ge. »Versuchen Sie, westlich der Trümmer des Arbei ter-Camps niederzugehen«, beschied er ib'n Talal. »Der größte Teil von Firkkeds Armee befindet sich in diesem Abschnitt, und ich möchte, daß sie sobald wie möglich von dort verjagt werden. Sie bekommen von uns jede nur mögliche Unterstützung.« Bis nach Krink waren es achthundert Kilometer. Drei Stunden, nachdem sie wieder gestartet war, brachte die Northern Star zwei weitere von König Jonkvanks Infanterieregimentern. Kurz nach 1300, als
der vierte Transport von Krink anlangte, waren die feindlichen Truppen bis über den Hoork River zu rückgeschlagen. Dieses letzte Verstärkungskontin gent war in den östlichen Vororten von Skilk abge setzt worden und begann, sich von dort in die Stadt zu kämpfen. Daß die Befriedung von Skilk nicht ebenso rasch erfolgen konnte, wie von Schlichten es wünschte – daran konnte kein Zweifel bestehen. Straßenkämpfe gegen einen derart erbitterten Feind sind immer schwierig. Von Schlichten entschloß sich, den Palast selbst durch die Northern Star angreifen zu lassen und – gegen den Widerstand von Paula Quinton, Jules Keaveney und Barney Modkovitz – die Operation persönlich zu leiten. Über der Stadt angekommen, stellte er fest, daß die Zirk-Kavallerie von Krink bis auf etwa tausend Meter an den Palast herangekommen war und, unterstützt durch Infanterie, Kontragravitationsschiffe und eini ge Airtanks, eine Massierung von Skilkanern unter Beschuß nahm, deren mangelnde Uniformierung es unmöglich machte, zwischen Soldaten und zivilen Stadtbewohnern zu unterscheiden. Nur sehr wenige von ihnen hatten, wie er durch das Fernglas feststell te, Gewehre. Eine größere Anzahl von Bogenschützen befand sich darunter. Beide Waffen konnten aus fünfzig Meter Entfernung einen Terraner ganz, einen
Ulleraner zur Hälfte durchbohren. Aber aus über hundert Meter Entfernung waren sie schon fast harm los. Einige durch das Bombardement der vorherge henden Nacht verursachte Brände flackerten noch. Firkkeds Thermokonzentrat-Vorräte waren allerdings längst erloschen. Nur noch schwarze, leblose Trüm mer waren in dieser Gegend übrig. Das Schiff ließ sich auf dem Dach des Palastes nie der, während die sechs begleitenden Kampfboote ihm Feuerschutz gaben. Noch bevor es ganz aufge setzt hatte, sprangen Kraganer heraus, rannten zu den Treppenhäusern und warfen Handgranaten hin ein. Die Eroberung des Palastes kostete hohe Verluste. Firkkeds Soldaten und Höflinge, die sehr wohl wuß ten, wie wenig Gnade sie hätten walten lassen, wären sie selbst die Angreifer gewesen, verteidigten sich verzweifelt. Stockwerk für Stockwerk, Korridor auf Korridor, Raum für Raum mußten sie niedergemacht werden. Am Portal des Thronraums kam es zu einem besonders erbitterten Kampf. Schließlich mußten von Schlichten und seine Kraganer über Haufen von To ten klettern, um hineinzugelangen. An Gnade und Erbarmen war jetzt nicht mehr zu denken. Nordullersche Adelige ergaben sich nicht un ter den Augen ihres Königs, und nordullersche Könige gaben ihren Thron nicht lebend preis. Von Schlichten
dachte an die Tradition, die verlangte, daß ein König nur im persönlichen Kampf mit dem feindlichen An führer fallen durfte, durch den Stahl. Mit einem Breit schwert, das er im Treppenhaus an sich gerissen hatte, kämpfte sich von Schlichten zum Thron vor, wo ihn Firkked erwartete, ein Schwert in einer der oberen Hände, den Staatsspeer in der anderen, einen Dolch in beiden unteren Händen. Mit der Linken riß von Schlichten das Bajonett vom Gewehr eines Kraganers und schritt auf den Thron zu. Wie absurd es war, daß er, ein Mensch des Sechsten Jahrhunderts der Atom ära, Repräsentant einer zivilisierten Gesellschaft, sich auf Leben und Tod mit einem barbarischen König du ellieren sollte um einen Thron, den er einem anderen Barbaren versprochen hatte, und was aus Uller werden würde, wenn er zuließ, daß dieses vierarmige Monster ihn tötete – daran wagte er gar nicht zu denken. Ganz so aussichtslos war seine Lage allerdings gar nicht. Mit dem verzierten Staatsspeer ließ es sich, trotz seiner langen, gefährlich aussehenden Klinge, nicht besonders gut kämpfen, zumindest nicht mit einer Hand, und Firkked schien gerade auf Grund der Vielfältigkeit seiner Bewaffnung verwirrt und un schlüssig zu sein. Mit ein paar Hieben gelang es von Schlichten, seinem Gegner das unhandliche Ding wegzuschlagen. Die skilkanischen Adeligen, die selbst zu kämpfen aufgehört hatten, um dem Duell zu
zusehen, stimmten ein fürchterliches Geheul an; offen sichtlich handelte es sich hier um ein schlimmes Omen. Firkked hingegen schien eher erleichtert zu sein, das Ding loszuhaben, packte sein Schwert mit beiden obe ren Händen und führte einen sausenden Schlag nach von Schlichtens Hals. Von Schlichten tauchte darunter hinweg, hackte mit blitzschnellem Hieb eine von Firk keds unteren Händen ab und holte dann zum Stoß ge gen den königlichen Körper aus. Firkked parierte mit seinem verbliebenen Dolch, sprang einen Schritt zu rück, führte einen erneuten Schwertstreich, den von Schlichten mit dem Bajonett in seiner Linken parierte. Blitzschnell konterte er mit dem Jahrtausende alten coup de Jarnac gegen die Innenseite von Firkkeds Bein. Unfähig, das Gewicht seines schweren Körpers auf ei nem Bein zu halten, taumelte Firkked. Und von Schlichten stieß ihm sein Schwert in die Brust und sein Bajonett durch den Hals. Einen Augenblick lang herrschte im Thronsaal To tenstille. Dann warfen die Skilkaner mit einem ent setzlichen Schrei ihre Waffen nieder. Einer der Kra ganer von Schlichtens packte den Staatsspeer mit al len vier Händen und stellte sich feierlich hinter den Sieger. Ein paar andere zerrten Firkkeds Leichnam an den Fuß der Empore, und einer von ihnen zog sein kurzes Schwert und enthauptete ihn.
Am Nachmittag postierte sich von Schlichten auf dem Dach des Palastes, in der Hand den Staatsspeer mit dem darauf aufgespießten Kopf Firkkeds. Ein terrani scher Techniker nahm ihn mit einem TV-Recorder auf. »Dies«, sagte er mit dem Geek-Enunciator im Mund, »ist König Firkkeds Staatsspeer, und hier auf seiner Spitze ist König Firkkeds Kopf. Noch vor zwei Tagen lebte Firkked in Frieden mit der Company, und Firkked war König in Skilk. Hätte er sich nicht unterfangen, seine schwache Hand gegen die UllerCompany zu erheben, dann wäre er jetzt noch am Leben. So wird es allen ergehen, die sich gegen die Company auflehnen ... Schnitt.« Die Kamera stoppte. Ein Kraganer trat hinzu, nahm den Speer mit seiner gräßlichen Last, trug ihn zur nächsten Wand und lehnte ihn dort hin wie ein Stück Bühnendekoration, das erst in der nächsten Szene wieder gebraucht wird. Von Schlichten nahm seinen Geek-Enunciator heraus, wischte ihn ab, steckte ihn ein und zündete sich eine Zigarette an. »Das ist doch wirklich die Höhe!« entrüstete sich Paula Quinton, die während der Aufnahme herauf gekommen war. »Ich dachte, Sie hätten ihn töten müssen, um Ihre Soldaten zu motivieren. Daß Sie es taten, um einen Film für Ihre Freunde zu machen, hätte ich nicht geglaubt. Mir reicht's; Sie können sich einen neuen Adjutanten suchen!«
Von Schlichten starrte sie durch sein Monokel an. »Sie können nicht von Ihrem Posten zurücktreten«, erklärte er ihr. »Rücktritte von Offizieren werden erst nach Beendigung der Feindseligkeiten angenommen. Außerdem möchte ich sowieso nicht, daß Sie gehen; Sie sind der beste Adjutant, den ich je hatte, Hideyos hi O'Leary nicht ausgenommen. Setzen Sie sich, Co lonel.« Er nahm einen tiefen Zug und blies dann langsam den Rauch aus. »Ihre militärisch-politische Bildung bedarf einiger Ergänzungen. In Grank haben wir zwei Schiffe. Das eine ist die Northern Lights, das Schwesterschiff der Northern Star. Das andere ist der Kreuzer Procyon, mit einer Haupt batterie von vier 200-mm-Geschützen das einzige wirkliche Kriegsschiff auf Uller. Wie König Yoorkerk diese Schiffe in seine Gewalt bekommen hat, weiß ich nicht; das wird Gegenstand der Untersuchung von Spezialausschüssen und vielleicht sogar Kriegsgerich ten sein, sobald wir die Dinge so weit stabilisiert ha ben, daß wir uns derartigen Luxus leisten können. Im Augenblick jedenfalls haben wir diese Schiffe drin gend nötig, und deswegen werde ich Hideyoshi O'Leary, sobald er wieder da ist, mit der Northern Star und einer Kraganertruppe nach Grank schicken, um sie zu holen. Das TV-Band, dessen letzte Szene das eben war, ist einer der Hebel, die er ansetzen wird.« »Oh! Ich verstehe!« Erfreut, endlich begriffen zu
haben, nahm sie die Zigarette, die von Schlichten ihr anbot. »Guter alter Nervenkrieg!« »Ja. Eine hübsche kleine Idee meiner Nazivorfah ren. Hideyoshi wird einen Filmabend für König Yoorkerk veranstalten. Wetten, daß er die Procyon und die Northern Lights freigibt und die Blockade der Niederlassung in Grank abbricht, sobald er gesehen hat, wie ihn Firkkeds Kopf auf dieser Speerspitze an grinst? Und das ist nur die letzte Szene, wie ich schon sagte. Ich habe während des ganzen Kampfes Auf nahmen machen lassen; manche davon sind wirklich furchtbar.« »Aber warum mußten Sie selbst mit Firkked kämp fen?« fragte sie. »Das war doch schrecklich riskant – mit Ihren zwei Armen gegen seine vier.« »Ich selbst mußte ihn töten, und zwar mit einem Schwert. Gemäß der hiesigen Tradition bin ich da durch König von Skilk.« »Oh, Euer Majestät!« Sie stand auf und machte ei nen komisch-ehrerbietigen Knicks. »Aber – ich dach te, Sie wollten Jonkvank zum König von Skilk ma chen.« Er schüttelte den Kopf. »Nur zum Vizekönig«, kor rigierte er sie. »Er wird als mein Vasall regieren, und folglich als Vasall der Company. Alsbald wird er dann in Krink auch nicht viel mehr sein als das. Eine gewisse Zeit wird das dauern – zuerst wird es Mili
tärmissionen, Wirtschaftsmissionen, Handelsverträge und so weiter geben – aber so wird er langsam zur Marionette.« Eine halbe Stunde später wurde gemeldet, daß sich König Jonkvanks großes, zieratüberladenes Schiff von Osten nähere. Eine Eskorte von Kampfbooten wurde ihm entgegengeschickt, und ein Kraganerbataillon sowie die überlebenden von Firkkeds Höflingen nahmen auf dem Palastdach Aufstellung. »Seine Majestät, Jonkvank, König von Krink!« rief der frühere Herold König Firkkeds, jetzt Herold Kö nig Carlos von Schlichtens, und schlug mit der fla chen Seite seines Schwertes auf einen Blechschild, als Jonkvank, begleitet von einer Gruppe seiner Adeli gen, von denen einer den Staatsspeer trug, seinem Landeboot entstieg. Als die Gäste über das Dach schritten, schlug der Herold von neuem auf seinen Schild. »Seine Majestät König Carlos von Schlichten«, – es klang ungefähr wie Karlok vonk Zlikdenk – »durch Recht des Siegers König von Skilk!« Gefolgt von einem Höfling mit seinem eigenen Staatsspeer, auf dem noch Firkkeds grinsendes Haupt steckte, schritt von Schlichten seinem königlichen Kollegen entgegen. Jonkvank blieb mit wutverzerrtem Gesicht stehen. »Was ist das?« fragte er. »Sie sagten, ich würde
König von Skilk werden. Ist das die Art, wie Terraner ihr Wort halten?« »Ein Terraner hält immer Wort, Jonkvank«, ant wortete von Schlichten unter Auslassung des Titels – so, wie ein Souverän den anderen anredet. »Ich habe gesagt, daß Sie in Skilk regieren sollen, und dabei bleibt es. Aber so etwas muß dezent geschehen. Und unter der Beachtung von Sitte und Gesetz. Ich habe Firkked im Kampf Mann gegen Mann getötet. An dernfalls wäre der Speer von Skilk auf einen der Nachkommen von Firkked übergegangen. Ist das Ge setz nicht so?« Jonkvank nickte unwillig. »Das ist das Gesetz«, räumte er ein. »Gut. Nun, da ich Firkked auf die im Gesetz vorge sehene Weise getötet habe, gehört sein Speer mir, und was mir gehört, kann ich nach Belieben anderen ge ben. Ich gebe Ihnen hiermit, wie versprochen, den Speer von Skilk. Tragen Sie ihn in meinem Namen.« Der Kraganer, der die Zeremonienwaffe trug, schüttelte Firkkeds Haupt von der Spitze herunter. Ein anderer Kraganer stieß es zur Seite und wischte die Speerklinge mit einem Lappen sauber. Von Schlichten nahm den Speer und gab ihn Jonkvank. »Das ist nicht gut!« protestierte einer der skilkani schen Adeligen. Wenn irgend jemand ein Recht zum Protest hatte, dann er: Ein paar Stunden zuvor war er
an der Spitze seines Gefolges erschienen, um der Company Loyalität zu schwören. »Wenn Sie über uns herrschen, gut. Sie haben Firkked im Einzelkampf ge tötet und sind damit sein rechtmäßiger Nachfolger. Aber daß dieser Fremde den Speer von Skilk be kommen soll, das ist nicht gut!« Durch sein Beispiel ermutigt, quäkten einige von den anderen Zustimmung. »Jetzt hört gut zu!« rief von Schlichten. »Keine Fra ge, daß Krink nicht über Skilk herrschen wird. Aber spielt es eine Rolle, wer den Speer von Skilk hat, wenn es in meinem Namen geschieht? Und König Jonkvank wird kein Fremder sein. Er wird hierher kommen und unter euch leben, und später wird er zwischen Krink und Skilk hin und herreisen und den Speer von Krink in Krink, den Speer von Skilk hinge gen in Skilk lassen. Und in Skilk wird er ein Skilkaner sein.« Das schien alle zufriedenzustellen mit Ausnahme von Jonkvank, und der hatte Verstand genug, nicht weiter zu insistieren. Er ließ sogar den Speer von Krink an Bord seines Fährbootes bringen, damit er den Skilkanern aus den Augen war. Als er eine Stun de später von Schlichten begleitete, um Hideyoshi O'Leary beim Start nach Grank zu verabschieden, ließ er den Speer von Skilk hinter sich hertragen. Als er jedoch – im früheren Schlafraum König
Firkkeds – wieder mit von Schlichten alleine war, ex plodierte er: »Was versprechen Sie denn da diesen Leuten für Unsinn, an den ich mich jetzt halten soll? Daß ich den Speer von Skilk in Skilk und den Speer von Krink in Krink lassen und daß ich hier leben soll ...« »Wollen Sie Skilk behalten?« fragte von Schlichten. »Meine Absicht ist, Skilk zu behalten. Zu allererst aber müssen hier viele Köpfe rollen – sehr viele. Die Köpfe all derer, die diesem Narren von Firkked den Rat gaben, so einen Aufruhr in Szene zu setzen. Die Köpfe derer, die Rakkeed, diesen falschen Propheten, beherbergten, als er hier war. Die Köpfe der abtrün nigen Priester, die dieser schrecklichen Häresie an hingen und ihm erlaubten, im Tempel seine Blas phemien auszuspeien. Die Köpfe derer, die Aufwieg ler nach Krink sandten, um meine Soldaten und Ade ligen zu pervertieren und zu korrumpieren. Die Köp fe derer ...« »All das entspricht durchaus meinen Vorstellun gen«, stimmte von Schlichten zu. »Nur muß es sehr schnell geschehen, bevor die Erinnerung an diese Verbrechen in den Köpfen der Leute verblaßt. Unbe dingt ist darauf zu achten, daß nur jene getötet wer den, denen irgendeine Schuld nachgewiesen werden kann. Dann wird man sagen, daß die Gerechtigkeit König Jonkvanks allen Übeltätern ein Schrecknis ist,
all denen aber, die Frieden halten und den Gesetzen gehorchen, Schutz bedeutet und Schild. So werden Sie den Ruf eines gerechten und weisen Königs erlangen. Und wenn Priester getötet werden müssen, soll es un ter der Aufsicht jener anderen Priester erfolgen, die den Göttern nicht abschworen und dafür von König Firkked aus ihren Tempeln getrieben wurden; und die ses muß im Namen der Götter geschehen. Dann wird man Sie als, frommen und nicht als gottlosen König an sehen. Was die Frage betrifft, warum Sie in Skilk Skil kaner sein müssen, so haben Sie die Worte Flurknurks gehört, und wie sehr ihm die anderen zustimmten. Es darf nicht der Anschein erweckt werden, als wäre die Stadt unter fremde Herrschaft geraten. Und Sie dürfen die Gesetze nicht ändern, außer, das Volk will es so, oder die Steuern erhöhen, und auch die Habe der mit dem Tode bestraften dürfen Sie nicht konfiszieren, denn der Tod der Eltern wird stets schneller verziehen als der Verlust des Erbteils. Und vor allem dürfen Sie keine der Nachkommen Firkkeds am Leben lassen, damit sie sich nicht später gegen Sie erheben.« Tief beeindruckt nickte Jonkvank. »Bei den Göt tern, Karlok vonk Zlikdenk, das ist wirkliche Weis heit! Jetzt kann ich verstehen, warum Leute wie Firk ked gegen Sie oder die Company nie etwas ausrich ten können, so lange Sie der obere Schwertarm der Company sind!«
Einen Augenblick lang war von Schlichten ver sucht, die Urheberschaft der eben vorgetragenen Prinzipien von sich zu weisen, selbst um den Preis dessen, daß er den Namen Niccolo Machiavelli mit einem Geek-Enunciator hätte aussprechen müssen. Dann aber behielten politische Überlegungen die Oberhand. Wenn Jonkvank jemals von Il Principe hör te, würde er auf einer Übersetzung ins Ullerische be stehen, und von Schlichten wäre darüber ebenso glücklich gewesen wie über eine ullerische Überset zung sämtlicher Spezifikationen einer BetazyklusBombe.
12
Der Schatten von Niflheim
Hinter ihnen senkte sich die Sonne tiefer und tiefer dem Horizont zu, während ihr Aircar dem breiten Tal des ausgetrockneten Hoork River folgte. Hassan Bogdanoff steuerte, während Harry Quong noch sei nen Lunch beendete, um dann mit ihm Platz zu tau schen. Von Schlichten holte zwei Flaschen Bier aus dem Kühlabteil der Lunch-Kiste und reichte Quinton eine davon. »Was sollen wir mit den Geeks anfangen«, – sie ge brauchte jetzt das häßliche, herabsetzende Wort un bewußt und ganz gewohnheitsmäßig – »wenn all dies einmal vorbei ist? Wir können doch nicht einfach sa gen: ›Ganz gut gemacht; war wirklich ein hübsches Spiel‹ und dann weitermachen, wo wir Mittwoch abend aufgehört haben.« »Nein. In allen von uns besetzten Teilen dieses Pla neten muß die politische Gewalt von Terranern über nommen werden, und sobald wir die Lage um die Takkad-See herum und nördlich davon stabilisiert haben, werden wir weiter expandieren müssen«, antwortete er. »Keegark, Konkrook und die Freien Städte werden ja relativ einfach sein. Sie haben sich
jetzt gerüstet zum Widerstand gegen uns, und wir können dort mit Gewalt die Herrschaft an uns reißen. Mit Jonkvank mußte ich einen Pakt schließen; mit ihm wird es länger dauern, aber zur rechten Zeit werden wir soweit sein. Wenn ich die beiden so gut kenne, wie ich glaube, werden uns Jonkvank und Yoorkerk sehr bald genügend Vorwände liefern. Dann können wir veranlassen, daß sie auf Grund von Gesetzen regieren und ordentliche Gerichtshöfe einsetzen müssen. Dann muß auch dem Kopfgeldwesen ein Ende gemacht werden, und diese willkürlichen Massenverhaftungen und Arreste für Steuervergehen, die nichts anderes sind als Sklaven-Raubzüge der Geek-Prinzen in ihrem eigenen Volk, müssen aufhören. Überhaupt ist die Sklaverei auch noch abzuschaffen. In ein paar Jahr hunderten kann dann dieser Planet die Zulassung zur Föderation erhalten wie Odin und Freya.« »Wird nicht sehr viel davon abhängen, wen die Company als Harringtons Nachfolger hierher schickt?« »Wenn ich mich nicht sehr täusche, wird die Com pany mich bestätigen«, erwiderte er. »Regierung und Verwaltung von Uller wird noch lange ein überwie gend militärisches Geschäft sein, und die Regierung der Föderation, die einen größeren Anteil an der Company hält als man allgemein annimmt, ist schon immer für eine solche Lösung gewesen. Um ganz si
cher zu gehen, werde ich Hid O'Leary mit dem näch sten Schiff nach Terra entsenden, damit er dort aus führlich über die Lage berichten kann.« »Und Sie glauben, daß bis dahin alles klar ist? Die City of Montevideo soll in etwas weniger als drei Mo naten von Niflheim kommen.« »Bis dahin muß alles klar sein. Länger als einen Monat können wir einen solchen Krieg nicht durch halten. Polizeiaktionen ja, einen richtiggehenden Krieg aber nicht.« »Wegen der Munition?« fragte sie. Angenehm überrascht sah er sie an. »Ihr Wissensstand hat Fortschritte gemacht«, sagte er. »Wissen Sie, selbst viele von den Berufsoffizieren scheinen zu glau ben, daß Munition auf wunderbare Weise in Kontra gravitationsschiffen vom Himmel kommt, wenn sie nur in ein Funkgerät hinein darum beten. Leider ist es nicht so; sie muß ebenso schnell hergestellt werden, wie sie verbraucht wird, und das konnten wir nicht tun. Also müssen wir diese Geeks besiegen, bevor sie uns ausgeht, denn mit Gewehrkolben und Bajonetten werden wir's nicht mehr können.« »Und mit Atomwaffen?« fragte Paula. »Ich sage das nicht gerne – ich weiß, was sie auf Mimir, Fenris und Midgard angerichtet haben und auch auf Terra im Ersten Jahrhundert. Aber vielleicht ist das unsere einzige Chance.«
Von Schlichten trank den letzten Schluck Bier, warf die Flasche in einen Abfallschacht und holte seine Zi garetten heraus. »Eine solche Entscheidung würde ich nicht sehr gern fällen, Paula«, entgegnete er. »Die militärische Anwendung von Kernenergie ist das Letzte – na, bei nahe das Letzte – was ich auf Uller erleben möchte. Glücklicherweise oder auch leider ist das eine Ent scheidung, die ich nicht zu treffen haben werde. Auf dem ganzen Planeten befindet sich keine einzige Atombombe. Die Company hat niemals erlaubt, daß sie hier hergestellt oder gelagert werden.« »Wenn Sie jetzt welche machen, hat, glaube ich, niemand etwas dagegen, General. Plutonium gibt es ja genug. Sie könnten zumindest A-Bomben bauen.« »Es gibt hier niemanden, der auch nur eine Ah nung hat, wie das geht. Die meisten unserer Atom physiker könnten zwar eine konstruieren, aber das dauert mindestens drei Monate, und dann brauchen wir keine mehr, oder wir sind sowieso nicht mehr am Leben.« »Dr. Gomes, der vor zwei Wochen mit der Pretoria kam, kann welche bauen«, widersprach sie. »Auf Niflheim hat er mindestens ein Dutzend hergestellt, die zur Aktivierung von Vulkanen mit erzhaltiger Lava verwendet wurden.« Von Schlichtens Hand, die das Feuerzeug zu seiner
Zigarette führte, hielt einen Augenblick still. Dann zündete er sie an, schnappte es wieder zu und steckte es weg. »Wann war das?« Sie überlegte geraume Weile. Selbst ein RaumschiffNavigator, der solche interstellare Zeitverhältnisse durchrechnen mußte, brauchte dazu längere Zeit. »Vor etwa dreiundfünfzig Tagen Galaktischer Standardzeit. Die erste Sprengung – sechs Bomben – hatten sie ausgelöst, bevor ich von Terra kam. Die zweite sah ich ein oder zwei Tage, bevor ich Niflheim auf der Canberra verließ. Die dritte Sprengung mußte Dr. Gomes dann so lange hinausschieben, daß er erst mit der Pretoria kommen konnte. Warum?« »Ist Ihnen, als Sie auf Nif waren, ein Geek namens Gorkrink begegnet?« fragte er. »Und was für eine Art von Arbeit hat er gemacht?« »Gorkrink? Ich weiß nicht ... Ach ja! Er half Dr. Murillo, dem Seismologen. Sein Jahr war nach der zweiten Sprengung vorbei, und er kam mit der Can berra nach Uller. Dr. Murillo verlor ihn ungern. Lin gua Terrae verstand er perfekt; Dr. Murillo konnte mit ihm reden wie Sie mit Kankad, ohne einen GeekEnunciator zu benützen.« »Gut, aber was für eine Arbeit ...?« »Er half beim Anbringen und Auslösen der A Bomben-Sprengsätze ... Oh! Großer Gott!«
»Das dürfen Sie ruhig nochmal sagen, und denken Sie dabei auch an Allah, Shiva und Kali«, stieß von Schlichten hervor. »Vor allem Kali ... Harry! Sehen Sie zu, ob Sie noch etwas mehr Tempo aus dieser Kiste herausquetschen können. Ich möchte nach Konkrook, solange es überhaupt noch da ist!« Es war bereits völlig dunkel, als Konkrook hinter den East Konk Mountains in Sicht kam – ein fahler Flek ken an der Unterseite der Wolken. Auf Gongonk Is land und in den Farmen der Company südlich davon fingerten Scheinwerferstrahlen über den Himmel. Von Schlichten schaltete das Außenmikrofon an und konnte aus der Ferne Artilleriefeuer hören. Als Harry Quong dann über der Stadt zu kreisen begann, hielt er den Aircar oberhalb der Schußweite der Geschüt ze, während Hassan Bogdanoff über Funk mit Gon gonk Island sprach. In der Stadt war die Lage prekär. An die hundert Großbrände wüteten, und kurz nach ihrer Ankunft wälzte sich ein neues Thermokonzentratfeuer wie ei ne glühende Wolke langsam zum Himmel empor. Drei Artillerieschiffe, die Elmoran, die Gaucho und die Bushranger sowie etwa fünfzig große, in Bomber um funktionierte Frachter pendelten zwischen der Insel und der Stadt hin und her. Neben dem königlichen Palast stand auch das Industriegebiet und der ganze
Hafen in Flammen. Kampfschiffe und Airjeeps gin gen im Sturzflug auf Straßen und Gebäude nieder und beharkten sie mit Bordwaffen. Er sah, wie sechs große Bomber in würdevoller Prozession ein Viertel im Süden der Stadt anflogen, um dort ihre Bomben last auf eine Häuserzeile abzuladen. Als sie auf dem Dach der Company-Zentrale auf der Insel landeten, wurden sie von einem Terraner empfangen, den von Schlichten wenige Tage zuvor noch als Instrukteur auf dem Raumhafen gesehen hatte, der aber jetzt die Rangabzeichen eines Majors trug. Der Art nach, wie er salutierte, mußte er das aus einem alten Film über die ehemalige Französische Fremdenlegion gelernt haben. Von Schlichten grüßte ganz ernsthaft in gleicher Weise zurück. »Alle sind im Büro des Generalgouverneurs, Sir«, meldete er. »Das heißt, in Ihrem Büro. Auch König Kankad ist hier bei uns.« Er begleitete sie zum Aufzug und ging dann zu ei nem Telefon. Als von Schlichten und Paula das Büro erreichten, drängten sich alle an der Tür, um sie zu begrüßen: Themistokles M'zangwe mit einem Arm in der Schlinge; Hans Meyerstein, der Rechtsanwalt aus Johannesburg, der noch mehr Bantu-Blut in den Adern zu haben schien als der Brigadier-General; Morton Buhrmann, der kaufmännische Direktor; La viola, der Finanzdirektor; daneben etwa ein Dutzend
andere Offiziere und Zivilisten. Die Begrüßung war herzlich. Daß sie von seiten der Zivilisten nicht weni ger warm ausfiel als von Seiten der Offiziere, emp fand er als angenehm. »Nun, ich freue mich, wieder hier bei Ihnen zu sein«, wandte er sich an alle. »Lassen Sie mich Colo nel Paula Quinton vorstellen, meine neue Adjutantin; Hid O'Leary hat einen Auftrag im Norden ... Them, hier ist ausgezeichnete Arbeit geleistet worden; neh men Sie das nicht nur als persönliche Gratulation, sondern auch als ausdrückliches Lob für die ganze Mannschaft. Alle haben sich untadelig bewährt.« Er wandte sich König Kankad zu, der in Schulter- und Gürtelhalfter vier Automatikpistolen trug. »Und was ich über die anderen gesagt habe, gilt doppelt für Sie, Kankad«, fügte er schulterklopfend hinzu. »Er hat uns alle gerettet!« sagte M'zangwe. »Das Wasser stand uns hier schon bis zum Hals, als seine Leute kamen. Und dann als Sie die Aldebaran schick ten ...« »Wo ist eigentlich die Aldebaran!« unterbrach ihn von Schlichten. »Ich konnte sie nirgends entdecken.« »Operiert jetzt von Kankads Stadt aus. Sie bombar diert Keegark und sucht nach diesen anderen Schif fen. Prinsloo hat zwar die De Wett dort entdeckt und zerstört, aber die Jan Smuts konnte entkommen, und die Oom Paul Krüger haben wir bis jetzt auch noch
nicht gefunden. Wahrscheinlich sind beide jetzt an der Ostküste, um Verstärkung für Orgzild zu holen«, sagte M'zangwe. »Die Mobilität unserer Truppen ist unsere stärkste Waffe, und Orgzild hatte inzwischen genügend Zeit, sich darüber klar zu werden«, sagte von Schlichten. »Sobald die Procyon da ist, werde ich sie mit Jägerund Aufklärerbegleitung hinausschicken, um diese Schiffe aufzuspüren und zu vernichten ... Wie geht es übrigens Hid in Grank?« Erregtes Stimmengewirr war die Antwort: »Haben Sie es noch nicht gehört, General?« ... »Das ist wirk lich das Höchste!« ... »Laß mich mal erzählen!« ... »Nein, holt Hid an den Kommunikator; es ist seine Geschichte!« Jemand machte sich an der Schaltkonsole zu schaf fen. Die anderen ließen sich an dem langen Konfe renztisch nieder. Laviola, Meyerstein und Buhrmann bugsierten von Schlichten zu Sid Harringtons ehema ligem Stuhl und beeilten sich dann, auch für Paula Quinton eine bequeme Sitzgelegenheit bereitzustel len. Nach einer Weile entwirrten sich die zitternden Farbflächen auf dem großen Bildschirm und formten sich zum Bilde Hideyoshi O'Learys. Er grinste wie ei ne Katze neben dem leeren Goldfischglas. »Also, was ist los?« fragte von Schlichten, nachdem sie einander begrüßt hatten. »Wie hat Yoorkerk der
Film gefallen? Und haben Sie die Procyon und die Northern Lights?« »Yoorkerk war tief beeindruckt«, antwortete O'Lea ry. »Wenn man ihn hört, dann ist er niemals etwas anderes als der ergebenste Freund der Company ge wesen. Was er getan hat, geschah, um – ich zitiere – ›gewisse illoyale Elemente‹ – Zitat Ende – an Über griffen gegen Angehörige und Eigentum der Compa ny zu hindern. Die Procyon ist unterwegs nach Kon krook. Die Northern Lights ist noch hier, die Northern Star in Skilk. Soll ich sie Ihnen schicken?« »Lassen Sie die Northern Star für den Augenblick in Skilk. Sagen Sie unserem treuen und ergebenen Freund Yoorkerk: Die Company erwartet von ihm, daß er Soldaten hierher abstellt und auch für den Kampf gegen Keegark, sobald der losgeht. Nehmen Sie seine am besten bewaffneten, bestausgebildeten Regimenter und bringen Sie sie so schnell wie mög lich hierher. Schicken Sie aber keine von Ihren Kra ganern; behalten Sie sie in Grank, bis wir uns der Freundschaft König Yoorkerks noch sicherer sind.« »Da gibt es eigentlich schon jetzt kaum mehr Zwei fel. Er hat mir nämlich Rakkeed, den Propheten, überstellt ...« »Was?« Von Schlichten spürte, wie ihm sein Mono kel entglitt, und kniff das Auge fester zusammen. »Wen?«
»Du hast verloren, Them; er hat es nicht fallenlas sen«, sagte Hideyoshi O'Leary. »Rakkeed, den Pro pheten! Für den Fall, daß wir unterliegen würden, hatte Yoorkerk unsere Schiffe und Leute. Für den ge genteiligen Fall hielt er Rakkeed im Palast gefangen. Rakkeed glaubte natürlich, dort Ehrengast zu sein, bis Yoorkerks Leute ihn packten und uns auslieferten ...« »Dieser Geek«, sagte von Schlichten, »ist smarter, als es für ihn gut ist. Irgendwann einmal setzt er auf so viele Karten, daß er sich am Ende nur selbst um Kopf und Kragen taktiert.« Argwohn stieg in ihm hoch. »Sind Sie sicher, daß das Rakkeed ist? Sähe Yoorkerk ja ganz ähnlich, uns da einen Dummy un terzujubeln.« O'Leary schüttelte beinahe feierlich den Kopf. »Daran dachte ich auch gleich. Aber es ist der echte; Karamessinis' Polizei- und Geheimdienstoffiziere ha ben mir das bestätigt. Was soll ich denn jetzt mit ihm anfangen – wollen Sie ihn in Konkrook?« Von Schlichten verneinte. »Die Priester dort sollen ihn wegen Blasphemie, Häresie, falschen Propheten tums, Hexerei ohne Lizenz oder wegen irgendeines anderen Religionsverbrechens vor Gericht stellen. Dann, nach einer absolut fairen Verhandlung, sollen König Yoorkerks Soldaten ihn köpfen, sein Haupt öf fentlich ausstellen, darunter groß in allen Eingebore
nensprachen schreiben: ›Rakkeed, der falsche Pro phet‹. Lassen Sie alles auf Videoband aufnehmen, Prozeß und Exekution. Sorgen Sie dafür, daß immer die Priester und Yoorkerks Offiziere im Vordergrund sind und unsere Leute unsichtbar bleiben.« »Seife und Handtuch für General Pontius von Pila tus!« rief Paula Quinton. »Gute Idee; ich habe mich schon gefragt, ob wir nicht Yoorkerk ein kleines Geschenk machen sollen«, sagte Hideyoshi O'Leary. »Ein schönes, dreißigteili ges Silber-Service!« »Gar nicht schlecht«, stimmte von Schlichten zu. »Also, Sie haben Ihre Sache ganz ausgezeichnet ge macht. Ich möchte, daß Sie so bald wie möglich wie der zu uns zurückkehren – übrigens sind Sie jetzt Brigadier-General – aber erst, wenn die Gesamtlage in Grank, Krink und Skilk stabilisiert ist. Auf längere Sicht werden Sie ohnehin Ihr ständiges Hauptquar tier im Norden einrichten müssen.« Nachdem Hideyoshi sich bei ihm bedankt und sich von allen verabschiedet hatte, wandte sich von Schlichten wieder den anderen zu. »Nun, Gentlemen, über den Norden brauchen wir uns wohl in den nächsten Tagen nicht allzu viele Ge danken zu machen. Wie lange glauben Sie, daß es bis zur völligen Befriedung Konkrooks noch dauern wird, Them?«
»Was heißt völlige Befriedigung, General?« wollte Themistokles M'zangwe wissen. »Wenn Sie die Nie derschlagung organisierten Widerstandes von Grup pen meinen, die größer sind als ein paar Dutzend, dann würde ich sagen: Etwa drei Tage. Kleinere Gruppen könnten natürlich noch ein paar Wochen durchhalten, vor allem auf dem flachen Lande ...« »Die können wir vergessen. Wir werden hier für ei nige Zeit eine Art Besatzungsmacht stationieren müs sen; die wird damit schon fertig. Wir müssen uns so schnell wie möglich Keegar vornehmen; sobald wir dort aufgeräumt haben, kommen die Freien Städte an der Ostküste dran.« »Entschuldigen Sie, General, aber ›aufräumen‹ ist ein sehr mildes Wort für das, was wir in Keegark tun sollten«, sagte Hans Meyerstein. »Wir sollten in dieser Stadt keinen Stein auf dem andern lassen und dann mit König Orgzilds Kopf darauf Fußball spielen.« »Aus irgendeinem besonderen Grund?« fragte von Schlichten. »Außer dem Massaker an Blount und Le moyne meine ich?« »Und ob, General!« kam Themistokles M'zangwe Meyerstein zu Hilfe. »Bob, berichten Sie.« Colonel Robert Grinell, der Geheimdienstoffizier, stand auf und nahm die Zigarre aus dem Mund. Er war kurz, stämmig und kahlköpfig, aber ein erfahre ner Soldat der Armee der Terranischen Föderation.
»Nun, General, wir haben in letzter Zeit einiges über den Hintergrund dieser Revolte herausgefun den«, sagte er. »Von Norden aus hatte es wahrschein lich den Anschein, als sei das alles Rakkeeds Werk, und so sollte es auch wirken. Aber der, der das alles in Wirklichkeit ausgeheckt hat, war König Orgzild in Keegark. Es ist uns gelungen, ein paar prominente Konkrookaner festzunehmen« – er nannte ein halbes Dutzend Namen – »die wir zum Sprechen bringen konnten. Mehrere andere haben uns freiwillig Infor mationen geliefert. Orgzild ist der Initiator des Gan zen; Rakkeed war nur sein Laufbursche. Mir wird jedesmal ganz anders, wenn ich nur daran denke, daß er die ganze Schweinerei ein Jahr lang direkt unter unseren Augen geplant hat – bis hin zum Startsignal ...« »Indem er Sid Harrington vergiften ließ und dann die Todesmeldung als Startschuß benutzte?« fragte von Schlichten. »Ich sehe, Sie sind selbst darauf gekommen, Sir. Ja, genauso war es.« Grinell fing an, in Einzelheiten zu gehen, während sich von Schlichten bemühte, seine Ungeduld nicht zu zeigen. Auch Paula Quinton, die neben ihm saß, war unruhig. Genauso wie von Schlichten überlegte sie, was König Orgzild und Fürst Gorkrink jetzt tun mochten. »Und ich weiß sicher, daß der Befehl, Sid Harrington zu vergiften, von der
keegarkanischen Botschaft kam und von Gurgurk und Keeluk diesem Geek hier weitergegeben wurde, der ihm dann das Gift in den Whisky tat.« »Ja. Daß Keegark vernichtet werden muß, ist auch meine Meinung, und ich brauche sofort eine Schät zung, wie lange es dauert, den dafür nötigen nuklea ren Sprengkörper herzustellen. Eine ganz altmodi sche Spaltungsbombe wird genügen.« Einen Augenblick lang trat Stille ein; dann fand Co lonel Evan Colbert, der ranghöchste Offizier unter Themistokles M'zangwe, seine Stimme wieder. »Wenn das ein Befehl ist, General, wird er ausge führt. Vorher möchte ich Sie aber an die Politik unse rer Company bezüglich nuklearer Waffen auf diesem Planeten erinnern.« »Sie ist mir bekannt. Ich kenne auch den Grund da für. Wegen des Mangels an natürlichem Brennstoff auf Uller waren wir gezwungen, Kernkraftwerke zu bauen und den Geeks große Mengen Plutonium für ihren Betrieb zur Verfügung zu stellen. Andererseits möchte die Company nicht, daß die Eingeborenen hier etwas von der Verwendbarkeit nuklearer Energie für Zerstörungzwecke erfahren. Nun, Gentlemen, das ist Schnee von gestern. Dank unserer Leute auf Niflheim kennen sie diese Möglichkeit, und wenn ich mich nicht sehr täusche, hat König Orgzild bereits ei ne Plutoniumbombe vom Nagasaki-Typ des Ersten
Jahrhunderts. Ich neige zu der Annahme, daß er mindestens eine solche Bombe hatte – wahrscheinlich sogar mehr – als die Order an seine Botschaft hier er ging, Generalgouverneur Harrington zu vergiften.« Noch während er die letzten Worte sprach, nahm er eine Zigarette aus seiner Dose, bot sie Paula an und schnappte sein Feuerzeug auf. Er paffte bereits an seiner eigenen, als die anderen endlich begriffen, was er eben gesagt hatte. »Unmöglich!« rief jemand am anderen Ende des Tisches, als könne er mit diesem Ruf ein solches Ge schehen aus dem Bereich des möglichen bannen. Ei ner der Zivilisten wiederholte beinahe wörtlich das, was Jules Keaveney in Skilk gesagt hatte: »Was zum Teufel war mit dem Geheimdienst los? Hat er ge schlafen?« »General von Schlichten«, kam Colonel Grinell ei nigermaßen grimmig auf die Frage zurück. »Was Sie da eben sagten, beinhaltet einen schwerwiegenden Vorwurf gegen meine Abteilung. Wenn Sie sich da nicht im Irrtum befinden, muß ich vor ein Kriegsge richt gestellt werden.« »Ich könnte keine Beschuldigung gegen Sie vor bringen, Colonel. Wenn das vor ein Kriegsgericht ge hörte, dann müßte ich mit Ihnen auf die Anklage bank«, entgegnete ihm von Schlichten. »Es hat aller dings den Anschein, als wäre eine wichtige Informa
tion im Besitz von Leuten gewesen, die nicht in der Lage waren, ihre Bedeutung zu erkennen. Bis heute nachmittag war mir ihre Existenz nicht bekannt. Co lonel Quinton, würden Sie bitte wiederholen, was Sie mir unterwegs sagten?« »Glauben Sie nicht, daß Dr. Gomes das tun sollte, General?« fragte Paula. »Er war es doch, der diese Bomben auf Niflheim konstruierte, und er wird auch die unseren bauen müssen.« »Das stimmt.« Er sah sich um. »Wo ist Dr. Lou renço Gomes, der Nuklearingenieur, der vor zwei Wochen mit der Pretoria kam? Bitte lassen Sie ihn so fort holen.« Verlegenes Schweigen trat ein. Dann räusperte sich Kent Pickering, der Chef des Kraftwerks auf Gon gonk Island. »Aber wußten Sie denn nicht, General? Dr. Gomes lebt nicht mehr. Er wurde schon während der ersten halben Stunde des Aufstands getötet.«
13
Tricks die wir nicht kennen
Nur mit Mühe wurde von Schlichten seiner Bestür zung Herr. »Das ist schlimm, Kent«, sagte er. »Sehr schlimm. Ich habe fest darauf gezählt, daß Dr. Gomes uns eine Bombe bauen würde.« »Einen Augenblick bitte, Herr General.« Das war Air-Commodore Leslie Hargreaves. »Sie halten für möglich, daß König Orgzild eine Atombombe ent wickelt. Wenn das wahr ist, sind wir alle in höchster Gefahr. Angesichts des technologischen Niveaus der Keegarkaner und ihrer sonstigen Möglichkeiten halte ich es allerdings für nicht sehr wahrscheinlich. Bei den Kraganern wäre es natürlich etwas anderes, aber ...« »Paula, fahren Sie doch bitte fort und wiederholen Sie, was Sie mir sagten. Und erwähnen Sie alles, was sonst noch irgendwie relevant sein könnte ... Ist der Rekorder an? Nein? Dann soll ihn jemand einschal ten; ich möchte, daß das aufgenommen wird.« Paula stand auf und begann: »Alle von Ihnen, nehme ich an, kennen die Bedingungen auf Niflheim und wissen, wie die ulleranischen Eingeborenen dort arbeiten. Vielleicht sollte ich aber zunächst erklären,
zu welchem Zweck diese Atomsprengkörper entwor fen und verwendet wurden ...« Er lächelte; sie hatte begriffen, daß er Zeit zum Überlegen brauchte, und sprang von einem Thema zum anderen, um sie ihm zu verschaffen. Er holte Bleistift und Notizblock hervor und begann – bewußt nicht auf das hörend, was sie sagte – scheinbar ge langweilt vor sich hinzukritzeln. Zwei Dinge mußte man wohl annehmen, dachte er sich. Erstens, daß König Orgzild bereits eine Atombombe besaß, die er jederzeit einsetzen konnte; und zweitens, daß auf Gongonk Island eine solche Bombe ohne Dr. Gomes nur nach langwierigen Experimenten hergestellt werden konnte. Wenn diese beiden Annahmen zutra fen, dann hatte er eben das Todesurteil für alle Terra ner auf Uller gehört. Die erste Annahme schien ganz unzweifelhaft. Es gab zu gute Gründe dafür. Er kon zentrierte sich auf die zweite. »... was wir als die Bombe vom Nagasaki-Typ ken nen, der erste Typ der Plutoniumbombe«, sagte Paula gerade. »Heutzutage natürlich ein technisches Fossil, aber ihren damaligen Zweck erfüllte sie, und Dr. Gomes hätte sie mit hier vorhandenen Materialien bauen können ...« Das war eben die Crux. Vom militärischen Stand punkt aus war die Plutoniumbombe ebenso veraltet wie ein Vorderlader zur Zeit des Zweiten Weltkrie
ges. Einen Augenblick lang ließ er die Geschichte der Waffenentwicklung seit dem Beginn des Atomzeital ters vor seinem geistigen Auge Revue passieren. Im großen und ganzen hatten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges Kernwaffen und Raketen die größte Be deutung gehabt. Da war die jetzt ebenfalls veraltete Wasserstoffbombe gewesen, die Betazyklus-Bombe, die Subneutronen-Bombe, die Omegastrahlen-Bombe, die Antimaterie-Bombe, und dann war das Ende der Zivilisation in der Nördlichen Hemisphäre und der Aufstieg einer neuen Zivilisation in Südamerika, Südafrika und Australien gekommen. Nunmehr wa ren Artillerie und Kleinwaffen seiner Truppe bloße Modifikationen der Waffen des Ersten Jahrhunderts, und alle von der Terranischen Föderation benutzten Kernwaffen wurden auf dem Mars von einer kleinen Schar von Experten gebaut, deren wissenschaftliche und technische Kenntnisse dem Rest der Welt fast ebenso unbekannt waren wie früher die Geheimnisse einer mittelalterlichen Gilde. Die alte Atombombe war eine historische Kuriosität, und es gab niemand auf Uller, der eine mehr als laienhafte Vorstellung von der komplizierten Technik moderner Kernwaffen hatte. Es gab eine Reihe von guten Nuklearingenieu ren auf Gongonk Island. Aber wie lange würden sie brauchen, um eine Plutoniumbombe zu konstruieren und sie zu bauen?
»... versteht auch Lingua Terrae sehr gut«, sagte Paula eben. »Er und Dr. Murillo unterhielten sich in zwei Sprachen, genauso wie General von Schlichten und König Kankad. Ich weiß allerdings nicht, ob Gorkrink Lingua Terrae lesen konnte und, wenn ja, welche Papiere oder Pläne er möglicherweise gesehen hat.« »Augenblick mal, Paula«, unterbrach er sie. »Colo nel Grinell, was wissen Sie eigentlich über diesen Gorkrink?« »Er ist der Sohn von König Orgzild«, sagte Grinell. »Wir wußten, daß er vor zwei Jahren nach Niflheim wollte. Angeblich allerdings war er am Hof in Un gnade gefallen und ins Exil geschickt worden. Auf diese Weise sollten wir hinters Licht geführt werden. Was seine Fähigkeit, Lingua Terrae zu lesen, anbe langt: Ich glaube, daß er es kann. Wir wissen, daß er die gesprochene Sprache versteht. Das Lesen könnte er in einer jener Schulen gelernt haben, die Moham med Ferriera vor zehn oder fünfzehn Jahren gründe te.« »Und Dr. Gomes, Dr. Murillo und Dr. Livesey lie ßen überall Papiere herumliegen«, fügte Paula hinzu. »Wenn er als Spion nach Niflheim ging, dann gibt es fast nichts, was er nicht kopiert haben könnte.« »Also, da haben wir's«, sagte von Schlichten. »Als Gorkrink herausfand, daß man mit Plutonium Bom
ben machen kann, besorgte er sich alle Informationen darüber, an die er herankommen konnte. Und sobald er wieder zu Hause war, brachte er sie Pappi Org zild.« »Damit ist immer noch nicht gesagt, daß die KeeGeeks irgend etwas damit anfangen konnten«, wand te Air-Commodore Hargreaves ein. »Ich glaube schon«, meinte von Schlichten. »Sobald Orgzild wußte, daß man eine Plutoniumbombe ma chen kann, gab er einen entsprechenden Auftrag. Und glauben Sie nicht, daß es für ihn so schwierig war wie das Manhattan-Projekt im Ersten Jahrhun dert. Spaltbares Material bedeutet ja kein Problem – wir haben raffiniertes Plutonium über diesen Plane ten gestreut wie Konfetti.« »Aber eine A-Bombe ist ein ziemlich komplizierter Mechanismus, selbst wenn man die Pläne dafür hat«, gab Kent Pickering zu bedenken. »Soweit ich mich er innere, sind mehrere subkritische Massen aus Pluto nium oder U-235 oder irgend so etwas nötig, die durch Explosivladungen plötzlich zusammengbracht werden. Alles muß auf die Tausendstel Sekunde ge nau stimmen. Dazu braucht es eine ganze Menge Elektronik, und ich kann mir nicht vorstellen, die die Geeks die von Hand machen sollen.« »Ich schon«, sagte Paula. »Haben Sie jemals diese Eingeborenen-Goldschmiede arbeiten sehen? Und er
zählten Sie nicht einmal von so einer astronomischen Uhr hier in der Universität ...« »Da hat Paula ganz recht«, sagte von Schlichten. »Und was sie nicht selbst herstellen konnten, könnten sie von uns bekommen haben. Wir haben ihnen eine ganze Menge elektronischer Ausrüstungen verkauft.« »Also gut, sie könnten eine A-Bombe gebaut ha ben«, sagte Buhrmann. »Aber haben sie eine gebaut?« »Unterstellen wir einmal, daß sie es versucht ha ben. Gorkrink kam vor drei Monaten auf der Canberra von Niflheim zurück«, sagte von Schlichten. »Wenn Orgzild entschlossen war, eine A-Bombe zu bauen, dann hätte er das Signal für diesen Aufstand be stimmt nicht gegeben, bevor er entweder eine hatte oder aber wußte, daß es ihm unmöglich war, eine zu bauen; aber nach Ablauf von ganzen drei Monaten hätte er bestimmt noch nicht aufgegeben. Deshalb müssen wir annehmen, daß ihm sein Vorhaben ge lang, und zwar etwa zu dem Zeitpunkt, als er Gor krink hierherschickte, um diese vier Tonnen Plutoni um zu holen, und wahrscheinlich auch um Ghrogh rank zu instruieren, daß er Sid Harrington wie vorge sehen vergiften lassen sollte.« »Und warum hätte er seine Bombe dann nicht gleich bei Beginn des Aufstandes eingesetzt?« wollte Meyerstein wissen. »Warum sollte er? Uns loszuwerden ist nur der er
ste Schritt in Orgzilds Plan«, sagte Grinell. »So lange wir die Geschichte der Geeks zurückverfolgen kön nen, haben die Könige von Keegark versucht, Kon krook und die Freien Städte zu erobern und sich zum Herrn des ganzen Gebietes um die Takkad-See zu machen. Wenn er uns hier in Konkrook vernichtet, kann er mit seinen Truppen kommen und Konkrook nehmen. Oder, wenn wir die Geeks hier niederwer fen, wie es den Anschein hat, kann er uns zusam menbomben und dann in Konkrook einmarschieren. So lange, wie wir hier kämpfen, wird er, glaube ich, warten. Je mehr wir Konkrook zerstören, desto leich ter wird es für ihn sein.« »Wenn das so ist, dann sollten wir uns wohl besser von der Front in Konkrook verabschieden«, sagte La viola. »Und schnellstens anfangen, unsere eigene Bombe zu bauen.« Von Schlichten sah auf den großen Bildschirm, auf dem, von einem in mittlerer Höhe schwebenden Air car aus aufgenommen, der Kampf um Konkrook zu sehen war. »Dem zweiten Teil Ihres Vorschlags stimme ich zu«, sagte von Schlichten. »Wir werden auch eine Art Abfangsystem gegen Bomber von Keegark organisie ren müssen. Und sobald die Procyon da ist, bekommt sie den Auftrag, die Jan Smuts und die Krüger aufzu spüren und zu zerstören. Darüber hinaus müssen wir
Kankads Stadt schützen, denn sie wird auf der Liste von Orgzilds Zielpunkten ganz oben stehen. Was Konkrook anbelangt, so verlasse ich mich auf Ihren Rat, Them. Können wir den Fall der Stadt noch nen nenswert hinauszögern?« M'zangwe schüttelte den Kopf. »Wenn wir Kontra gravitationsschiffe für Patrouillenflüge abziehen, werden sich die Aktionen am Boden natürlich etwas verlangsamen. Aber die Geeks sind schon jetzt mehr oder weniger am Ende.« »Dann hol's der Teufel. Ob wir Orgzild gegenüber viel Zeit gewinnen, wenn wir den Sieg in der Stadt hinauszögern, ist ohnehin zweifelhaft, und wahr scheinlich werden wir die Soldaten hier als Arbeiter brauchen.« Er wandte sich zu Pickering. »Dr. Picke ring, wen schlagen Sie für das Team vor, das unsere Bombe bauen soll?« fragte er. »Nun, Martirano, Sternberg, Howard Fu-Chung und Piet van Reenen ... Sechs bis acht von ihnen kann ich in zwanzig Minuten beisammen haben. In ein paar Stunden haben wir eine Arbeitsplanung und können anfangen. Natürlich muß während der gan zen Zeit ein qualifizierter Mann im Kraftwerk sein, aber ...« »Gut; holen Sie sie zusammen. Die Bombe sollte schon gestern nachmittag fertig sein. Und Sie und alle anderen nehmen wieder Ihren Zivilstatus an. Ich
möchte nicht, daß jemand, der mit der Sache nichts zu tun hat und sich auch nicht auskennt, auf Grund seines militärischen Ranges bei ihnen dazwischen funken kann. Also, lassen Sie so bald wie möglich von Ihren Fortschritten hören.« Er wandte sich Hargreaves zu. »Les, Sie sind für die fliegenden Sicherheitspatrouillen verantwortlich und verhindern mit allen Mitteln, daß Orgzild uns bombardiert, bevor wir ihn bombardieren. Nach Pik kering haben Sie allen anderen gegenüber Priorität.« Hargreaves nickte. »Ja, wir müssen Kankads Stadt genauso schützen wie diesen Ort hier. Von hier nach Kankads Stadt sind es etwa achthundert Kilometer, und etwa zwölfhundert von dort nach Keegard.« Er begann, Zahlen und Schiffsnamen vor sich hin zumurmeln. In etwa fünf Minuten würde er ein Or ganisationsprogramm aufgestellt haben. Bis dahin konnte von Schlichten nur geduldig warten. Sein Blick fiel auf einen schmalgesichtigen, düster drein blickenden Mann in einem grünen Hemd mit den drei konzentrischen Kreisen eines Colonels auf den Ärmeln. Es war Emmett Pearson, der Chef der Kom munikationstruppe. »Emmett«, sagte er, »diese TV-Satelliten in dreitau send Kilometer Höhe. Was für eine Mannschaft könn ten die aufnehmen?« Pearson lachte. »Was für eine Mannschaft, Gene
ral? Weiße Mäuse oder dressierte Kellerasseln? Was größer ist, geht da kaum rein.« »Ja, ich weiß, daß sie automatisch arbeiten. Aber wie werden sie gewartet?« »Von außen. Sie haben so ungefähr die Form einer Kugelhantel – etwa sieben Meter lang, das Rohr drei Meter Durchmesser, und an jedem Ende sitzt eine Kugel von fünf Metern Durchmesser. Das ganze be steht aus auswechselbaren Sektionen. Zur Wartung fliegen unsere Leute in so etwas wie einem kleinen Raumschiff hinauf und arbeiten entweder von außen her oder setzen eine neue Sektion ein und bringen die ausgewechselte in die Werkstatt herunter.« »So; und wie sieht so ein kleines Raumschiff denn aus?« »Wie zwei Fünfzig-Tonnen-Lastfahrzeuge, mit Luftschleusen dazwischen und in der Mitte verbun den. Natürlich luftdicht und isoliert wie ein Raum schiff. Die eine Seite dient als Quartier für sechs Mann Besatzung – manchmal sind sie bis zu einer Woche unterwegs – die andere Seite als Werkstatt.« Das klang interessant. Mit Kontragravitation waren natürlich Begriffe wie »Fluchtgeschwindigkeit« und »Leistungsgewicht« von rein historischem Interesse. »Wie lange«, fragte er Pearson, »würde es dauern, um so ein Fahrzeug mit einem vollständigen Satz De tektor-Instrumenten zu bestücken – Radar, Infrarot-
und Ultraviolett-Sichtgeräte, Elektronenteleskope, Wärme- und Strahlungsdetektoren – und auf eine Höhe von etwa zweihundert Kilometern über Kee gark zu bringen?« »Kann ich leider nicht sagen, General«, antwortete Emmett Pearson. »So etwas muß in der Werft ge macht werden, und mit dem größten Teil des Zeugs hat meine Abteilung gar nichts zu tun. Fragen Sie doch Air-Commodore Hargreaves.« »Les!« rief von Schlichten. »Les, wachen Sie auf!« »Augenblick noch, General.« Hargreaves kritzelte hastig Zahlen auf ein Stück Papier. »So«, sagte er dann und sah auf. »Was gibt es, Sir?« »Emmett hat so eine Art Kleinschiff, das er für die Wartung seiner TV-Satelliten verwendet. Er wird Ih nen sagen, wie es aussieht. Ich möchte, daß Sie alles an Detektorgeräten reinquetschen, was nur geht, da mit das Ding über Keegark stationiert werden kann. Natürlich so hoch, daß es auch Konkrook, Kankads Stadt und die unteren Täler des Hoork und des Konk beobachtet.« »Ich verstehe.« Hargreaves schnappte sich ein Mi krofon, tastete eine Nummer in den Kommunikator ein und begann dann rasch mit leiser Stimme zu sprechen. Nach einer Weile hängte er ein. »In Ord nung, Mr. Pearson – Colonel Pearson, meine ich. Schicken Sie Ihren Raum-Buggy in die Werft. Meine
Jungs machen das schon.« Er notierte sich etwas auf einem weiteren Blatt Papier. »Nun, General, hier ist mein Vorschlag: Die Elmoran wird südlich und östlich von Konkrook patrouillieren, die Gaucho und die Bushranger im Norden und Nordosten. Die Aldebaran bleibt in Kankads Stadt in Reserve. Die leichten Kon tragravitations-Patrouillen stelle ich mir so vor.« Er reichte von Schlichten eine Karte mit roten und blau en Markierungen. »Die roten operieren von Kankads Stadt aus, die blauen von Konkrook.« »So könnte es gehen«, sagte von Schlichten. »Aber da ist noch etwas. Wir müssen das Gebiet von Kee gark mit Strahlungsdetektoren überwachen. Diese Geeks wissen um die von spaltbarem Material ausge hende Strahlungsgefahr, kennen aber nur die ge wöhnlichen Industriereaktoren, die nach oben nur sehr leicht oder gar nicht abgeschirmt sind. Wir müs sen feststellen, wo Orgzilds Bombenfabrik ist.« »Sobald wir Strahlungsdetektoren nach Kankads Stadt schicken können, rüsten wir ein paar schnelle Aircars damit aus.« »In unserem Laboratorium und im Reaktor haben wir Detektoren«, sagte Kankad. »Und meine Leute können noch welche bauen, wenn Sie sie brauchen.« Er überlegte einen Moment. »Vielleicht sollte ich jetzt in meine Stadt zurück. Vielleicht werde ich dort nöti ger gebraucht als hier.«
Kent Pickering, der sich an einem anderen Tisch mit seinen Experten besprochen hatte, kam nun zu rück. »Wir haben jetzt einen Plan, General«, sagte er. »Es wird um einiges schwieriger, als ich angenommen hatte. Keiner von uns scheint genau zu wissen, wie man beim Bau dieser Dinger vorgeht. Uran- oder Plu tonium-Spaltungsbomben sind nämlich schon seit über vierhundert Jahren außer Gebrauch. Aber die technischen Einzelheiten unterlagen noch lange strengster Geheimhaltung, da die Bombe auch durch das Aufkommen neuerer Entwicklungen nicht weni ger tödlich wurde. Als die Geheimhaltung dann auf gehoben wurde, war sie derart veraltet, daß sich nie mand mehr dafür interessierte; Fachbücher erwähn ten sie nur noch in ganz allgemeinen Wendungen. Die Prinzipien gehören natürlich zum ABC der Atomwissenschaft; das ›Geheimnis der A-Bombe‹ be stand nur aus einem Sack voller Ingenieurstricks, die wir nicht kennen und deswegen neu entdecken müs sen. Anordnung der subkritischen Massen, Bau eines funktionsfähigen Detonationsmechanismus – solche Dinge. Sogar die Daten der alten Bomben vom Hiroshimaund Nagasakityp liegen noch vor. Man kann sie zum Beispiel in der Universität von Montevideo oder in der Jan-Smuts-Gedächtnis-Bibliothek in Kapstadt ein
sehen. Aber hier haben wir nichts. Ich werde ein paar Techniker beauftragen, die in der Bibliothek auf Gon gonk Island vorhandene Literatur zu wälzen, aber viel bringt das wohl nicht. Andererseits müssen wir auch der kleinsten Chance nachgehen, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit fast gleich Null ist.« Von Schlichten nickte. »Ich hatte auch nichts ande res erwartet«, sagte er. »Trotzdem – Ihre Bombe muß immer noch seit gestern nachmittag fertig sein; da das aber nicht mehr ganz möglich scheint, dürfen Sie ein wenig – aber nur ein ganz klein wenig – länger brau chen.« »Wie wollen wir's mit der Publicity halten?« fragte Howlett, der Personalchef. »Wir möchten natürlich nicht, daß halbrichtige oder verstümmelte Nachrich ten rausgehen – obwohl ich nicht glaube, daß irgend etwas dadurch noch viel schlechter werden kann – damit die Soldaten bloß noch zum Himmel hinauf stieren und sofort in Panik geraten, wenn sie irgend etwas sehen, was ihnen nicht gleich bekannt vor kommt.« »Ganz richtig. So eine Panik habe ich schon mehr mals erlebt«, sagte von Schlichten. »Das ist so unge fähr das Schlimmste, was man sich vorstellen kann.« »Meiner Ansicht nach sollten wir den Terranern die Wahrheit sagen«, meinte Hargreaves. »Und ihnen er klären, daß unsere einzige Hoffnung darin besteht,
selbst so eine Bombe zu bauen und sie zuerst abzu werfen. Was die Kraganer betrifft ... was glauben Sie, König Kankad?« »Sagen Sie ihnen, daß wir eine Bombe bauen, um Keegark zu zerstören; daß uns allmählich die Muniti on ausgeht und daß dies unsere einzige Hoffnung ist, den Krieg zu beenden, bevor wir keine Munition mehr haben«, sagte Kankad. »Erklären Sie ihnen in etwa, um was für eine Art Bombe es sich handelt. Aber sagen Sie ihnen nicht, daß König Orgzild schon so eine Bombe hat. Mein Erzeuger, der alte Kankad, hat mir erzählt, wie unsere Leute in panischer Angst vor den Waffen der Terraner flohen, als Ihr Volk und meines noch Feinde waren. Was Sie da bauen wollen, verhält sich zu den Waffen, denen sie sich damals ge genüber sahen, wie jene Waffen zu den Pfeilen und Speeren der alten Kraganer ... Und wenn die Geeks von Grank hierher kommen, sagen Sie ihnen, daß der Sieg unser ist und daß sie sich, wenn sie gut kämpfen, die Beute von Konkrook und Keegark teilen können.« Von Schlichten sah auf den großen Bildschirm. Themistokles M'zangwe hatte bereits angeordnet, das Artilleriefeuer zu reduzieren. Auch bombardiert wurde weniger; eine größere Anzahl von Kontragra vitationsschiffen war aus dem Kampf genommen worden. »Damit wäre wohl alles besprochen«, sagte er,
»was zu besprechen ist. Haben wir irgend etwas ver gessen? ... Die Sitzung ist beendet.« Er nahm zusammen mit Paula Quinton den Auf zug zum Dach. Oben beobachteten sie schweigend den jenseits des Kanals wütenden Brand und das Mündungsfeuer der an der stadtwärts gelegenen Sei te stationierten Artillerie. »Am Mittwoch abend dach te ich schon, wir seien am Ende«, sagte Paula schließ lich. »In nur zwei Tagen im Norden aufzuräumen, schien auch ganz unmöglich zu sein. Vielleicht schaf fen Sie es erneut.« »Wenn das noch einmal gut geht, dann bin ich kein General – dann bin ich ein Hexenmeister«, antwortete er. »Dann ist Pickering ein Hexenmeister, meine ich; er ist es, der uns aus der Bredouille zieht, wenn das noch möglich ist.« Er blickte düster über das Wasser, auf dem die Reflexe der Flammen tanzten. »Machen wir uns nichts vor. Wir schlagen wohl nur auf dem Weg zum Galgen um uns, das ist alles.« »Warum sollten wir damit aufhören, bevor die Fall tür sich öffnet?« fragte sie. »Was soll aus den Leuten auf diesem Planeten werden, wenn wir nicht mehr da sind?« »Daran möchte ich gar nicht denken. Kankads Stadt wird die zweite Bombe abkriegen; Orgzild wird es nicht wagen, die Kraganer übrigzulassen, sobald er uns vernichtet hat. Yoorkerk und Jonkvank werden
im Norden Keaveney, Shapiro, Karamessinis und Hid O'Leary den Hals umdrehen; und wenn das nächste Schiff kommt und feststellt, was hier passiert ist, dann schickt die Föderation ein Expeditionscorps und haut diesen Planeten schlimmer zusammen als da mals Fenris.« Vom Lufthafen stieg plötzlich ein halbes Dutzend Aircars auf und nahm Kurs auf Nordosten. Als sie vorbeiflogen, konnte er im Feuerschein der brennen den Stadt sehen, daß mindestens drei von ihnen Ra ketenwerfer aufmontiert hatten. Sekunden später folgte ihnen ein Kanonenboot, dann ein zweites. »Großer Gott; vielleicht ist es jetzt schon so weit«, sagte Paula. »Wenn es so ist, dann sind wir hier genausogut aufgehoben wie irgendwo anders«, antwortete er. »Jetzt können wir nur noch warten.« Eine Ewigkeit schien zu vergehen. Dann flimmerte Licht über den East Konk Mountains auf. Aber es wa ren nicht die Flammenblitze von Explosionen; zum Teil waren es Magnesiumfackeln, zum Teil die Lich ter eines Schiffes. »Das ist die Procyon von Grank«, sagte er. »Da ha ben sich alle eine gute Note verdient – Aufklärer, Jä ger, Schützen. Wenn das der Angriff gewesen wäre, hätten wir eine gute Chance gehabt, ihn zu stoppen.« Zum erstenmal, seit Pickering gesagt hatte, Lourenço
Gomes sei tot, fühlte er sich wieder etwas besser. »Wir können nur froh sein, daß Gorkrink noch nichts von Fernlenkraketen weiß. Solange sie ihre Bomben abwerfen müssen, haben wir eine Chance.« Sie erhoben sich von der Balustrade, auf der sie ge sessen hatten, und zum erstenmal bemerkte er, daß er den linken Arm um ihre Schulter gelegt hatte und daß ihre rechte Hand auf seiner rechten Hüfte ruhte, gerade über der Pistole. Er hob die Papierkladde auf, die sie bei sich getragen hatte, und schob Paula vor sich in den Lift hinein. Erst als sie sich dann trennten, wurde ihm bewußt, daß er den älteren Regeln der Ritterlichkeit gefolgt war und nicht denen des militä rischen Ranges.
14
Von der Kritik in die Pfanne gehauen
Er wachte auf und starrte erschreckt auf die Uhr. Es war 0945. Sich von den Decken befreiend, sprang er von seiner Pritsche und lief ins Bad. Während er sich bemühte, die Wassertemperatur der Dusche zu re geln, beruhigte er sein Gewissen mit der Überlegung, daß ein hellwacher General besser ist als ein schläfri ger, daß er ja gar nichts tun konnte außer hoffen, daß Hargreaves' Patrouillen die Bombe von Konkrook fernhalten würden, bis Pickerings Gehirntrust seine eigene fertig hatte, und daß ein langer Schlaf des kommandierenden Generals für die Moral der Trup pe immer noch besser war als der Anblick eines Be fehlshabers, der in Spiralen herumrennt. Er rasierte sich sorgfältig; Bartstoppeln auf seinem Kinn konnten verraten, daß er bekümmert war. Dann zog er sich an, klemmte sein Monokel ein und rief das Hauptquar tier an. Die Funkerin holte Paula Quinton. Sie war schon seit zwei Stunden auf. »Die Northern Lights kam vor etwa drei Stunden, General«, sagte sie. »Sie hatte vier von König Yoor kerks Infanterieregimentern an Bord – das Siebente ›Ruhmreich und Schrecklich‹, das Vierte ›Die Unbesieg
bare‹, das Zweite, ›Stärke des Throns‹ und das Zwölfte, ›Ewiger Ruhm‹. Es ist der traurigste Haufen, den ich jemals gesehen habe, aber Hideyoshi sagt, sie seien das Beste, was Yoorkerk hat, und immerhin haben al le Gewehre terranischen Modells. General M'zangwe hat sie in Bataillone aufgeteilt und jedem Kraganerre giment eines davon zugeordnet. Vor den Kraganern fürchten sie sich, glaube ich, noch mehr als vor den Rebellen.« Er nickte. Unter den Umständen war das wohl das beste, was man mit ihnen anfangen konnte. Aber M'zangwes schlaue Taktik barg hier die Gefahr eines gänzlich ungewollten Ergebnisses. Gewiß, mit den Kraganern zusammengekoppelt würden diese Geeks bei der Eroberung Konkrooks sehr nützlich sein. Das Problem lag nur darin, daß sie sich unter dem Befehl der Kraganer selbst zu halbwegs guten Soldaten ent wickeln und so eine unerwünschte Verstärkung von König Yoorkerks Armee darstellen würden. Anderer seits – wenn man sie lange genug in den Diensten der Company behielt, dann würden sie vielleicht von Yoorkerk überhaupt nichts mehr wissen wollen und hierbleiben. »Wie sieht es denn in der Stadt aus?« fragte er. »Seit wir die Kontragravitationsschiffe abgezogen haben«, antwortete sie, »hat sich alles verlangsamt, aber die Geeks fallen immer mehr auseinander. Die
Straßen sind voll von Flüchtlingen. Und das Strato sphären-Beobachtungsschiff – sie nennen es ›Him melsspion‹ – befindet sich in einer Höhe von zweihun dertfünfzig Kilometern über Keegark. Radar- und TVSchirme sowie Radiations-Telemeter und andere De tektoren sind aufgeschaltet. In der Werft wird die Nor thern Lights gerade auf ähnliche Weise ausgerüstet. Üb rigens, Aircommodore Hargreaves möchte wissen, ob er ein Paar 150-mm-Kanonen von der Kanalbatterie abziehen und in die Lights einbauen kann.« »Natürlich; er kann haben, was er nur will, so lange es nicht für das Bombenprojekt benötigt wird.« »Himmelsspion meldet normalen Kontragravitati onsverkehr zwischen Keegark und den umliegenden Farmen – Aircars und Lastschiffe – aber nichts Ver dächtiges. Von den Schiffen der Boer-Klasse noch kei ne Spur. Pickering und seine Leute arbeiten wie wahnsinnig, aber sie wirken alle ziemlich frustriert. Major Thornton experimentiert in der Munitionsfabrik mit Ladungen, die die subkritischen Massen schnell genug zusammenbringen. Der größte Teil der Elektro nik-Ingenieure arbeitet an einem Zünder. Hargreaves rüstet eine größere Anzahl kleinerer Fahrzeuge – Kampfschiffe und zivile Aircars – mit Radargeräten aus, damit sie Aufklärungspatrouillen fliegen kön nen.« »Klingt nicht schlecht«, sagte von Schlichten. »Ich
komme gleich und sehe mich um; aber erst einmal brauche ich Frühstück.« In der Haupt-Caféteria, vier Stockwerke tiefer, ging es etwas ruhiger zu als sonst, aber die Leute schienen guter Dinge zu sein. Er brachte einige Zeit im Haupt quartier zu und beobachtete Keegark über TV und Radar. Bis jetzt hatte dort noch keine direkte Aufklä rung mit Strahlungsdetektoren stattgefunden. Aber Hargreaves berichtete, daß mehrere private Aircars dafür hergerichtet wurden. Er machte selbst einen Inspektionsflug über die In sel, besuchte die Farmen auf dem Festland südlich der Stadt und überflog schließlich die Stadt selbst. Aufklärungsflüge dieser Art waren eine archaische Prozedur, und nicht wenige Generale hatten dabei bereits ihr Leben eingebüßt; aber er konnte auch manches sehen, was ihm über TV entgangen wäre. Mehrere Male landete er auf bereits erobertem Gebiet und sprach mit Soldaten und Offizieren. Bemerkens werterweise waren König Yoorkerks Regimenter mit den verwegenen Namen nicht ganz so schlecht, wie Paula geglaubt hatte. Sie durfte bei der Beurteilung anderer Eingeborenertruppen nur nicht von bei Kra ganern anzulegenden Maßstäben ausgehen. Die Be waffnung der Geeks stammte von Volund und war durchaus gut; und die Geeks zeigten sich tapfer und willig und waren durch ihre Eingliederung in Kraga
ner-Regimente gerade genug angestachelt worden, um ihr Bestes zu geben. Gegen Mittag flauten die Kämpfe in Konkrook ab. Auf einem ihrer Widerstandsnester nach dem ande ren hißten die Rebellen die weiße Flagge. Um 1430, kurz nach seiner Rückkehr auf die Insel, kam eine De legation unter dem Konkrooker Gegenstück eines Bürgermeisters über den Kanal. Sie bestand haupt sächlich aus Kaufleuten, die den Staatsspeer von Konkrook überbrachten und sich in weitschweifigen Entschuldigungen ergingen, weil Gurgurks Kopf nicht darauf steckte. Gurgurk, berichteten sie, war in der Nacht zuvor mit einem Aircar nach Keegark ge flohen. Die Küstenbatterie hörte zu feuern auf. Bis auf den Knall einzelner Schüsse aus kleineren Waffen senkte sich Stille über die Stadt. Um 1600 besuchte von Schlichten Pickerings Hauptquartier im Verwaltungsgebäude des Kern kraftwerks. Als er im dritten Stock den Aufzug ver ließ, stieß er mit einem Mädchen zusammen, das, die Arme voll Aktendeckel, eben den Gang entlanglief. Papiere flogen in alle Richtungen. Er bückte sich, um ihr beim Einsammeln zu helfen. »Oh, General! Ist das nicht wunderbar«, rief sie. »Ich kann es einfach nicht glauben!« »Ist was nicht wunderbar?« fragte er. »Oh, Sie wissen noch nicht? Sie haben es!«
»Sie haben es?« Er hob die letzten Papiere auf und gab sie ihr. »Seit wann?« »Seit einer halben Stunde. Und stellen Sie sich vor, diese Bücher waren die ganze Zeit hier, und ... Oh, ich muß mich beeilen!« Und schon war sie im Aufzug verschwunden. In Pickerings Hauptquartier sah er einen der Inge nieure mit einem Stenofon in der einen Hand und ei nem Buch in der anderen. Von Zeit zu Zeit sagte er etwas in das Stenofon. Zwei weitere Ingenieure hat ten ähnliche Bücher vor sich liegen; sie machten No tizen, sahen im Handbuch der Atomphysik nach und tippten etwas in ihre Rechner ein. Pickering lief gerade von einer Gruppe zur näch sten. Er packte ihn am Ärmel. »Nun, was ist?« fragte er. »Ha! Wir haben es!« rief Pickering. »Alles, was wir brauchen! Sehen Sie nur!« Auch er hatte eines dieser Bücher unter dem Arm. Er hielt es von Schlichten hin. Es war ein Roman – ein dicker historischer Roman von etwa sieben- oder achthundert Seiten. Der Um schlag trug das Brustbild einer vollbusigen, jungen Dame mit grünen Augen, rotem Haar und Jadeohr ringen. Im Hintergrund stieg ein Atompilz auf, vor dem ein viermotoriger Propellerbomber des Ersten Jahrhunderts zu fliehen schien. Und das Buch hieß
Blutiger Morgen, verfaßt von einer gewissen Hilde garde Hernandez. »Ja, da ist eine A-Bomben-Explosion drauf«, räum te er ein. »Und es steht alles drin – wirklich alles! Kritische Massen, Sprengladungen, Zünder, alles! Und im An hang gibt es sogar Diagramme, Kopien der Zeich nungen für die Original-Nagasaki-Bombe. Sehen Sie nur!« Von Schlichten wußte nicht mehr von Atomphysik als jeder andere intelligente Laie – genug, um einen Konversions-Reaktor zu reparieren oder zu laden; aber die Zeichnungen sahen tatsächlich echt aus. Es schien sich um Kopien alter Blaupausen zu handeln. Das Englisch des Ersten Jahrhunderts war mit Über setzungen in Lingua Terrae versehen. Auf allen Blät tern stand TOP SECRET und U.S. ARMY CORPS und MANHATTAN ENGINEERING DISTRICT. »Und sehen Sie sich das an!« Pickering schlug eine markierte Seite auf und zeigte sie ihm. »Und das! Da steht praktisch alles drin, was wir wissen wollen!« »Das kapier ich nicht.« Von Schlichten schüttelte un gläubig den Kopf. »Ich habe ein paar Kritiken dieses Wälzers gelesen. Überall wurde er in die Pfanne gehauen: ›Weltkrieg II durch ein Schlafzimmerschlüs selloch‹; ›Duell in Spitzenhöschen‹ – so in der Art.« »Ja, ja, sicher«, räumte Pickering ein. »Aber diese
Hildegarde bildet sich ernsthaft ein, große historische Romane zu schreiben, verstehen Sie. Sie gibt so ein Buch erst in Druck, wenn sie jahrelang recherchiert hat – teilweise läßt sie das auch von einer Herde Bi bliothekare, Doktoranden und anderen derartigen li terarischen Kulis machen. Und sie brüstet sich, daß man ihr niemals auch nur den kleinsten historischen Irrtum nachweisen kann. Nun, in diesem Opus geht es um das alte Manhat tan-Projekt. Die Heldin ist eine Art Super-Mata Hari, die – nacheinander und manchmal sogar gleichzeitig – im Sold der Nazis, der Sowjets, des Vatikans, Tschi ang Kai-Scheks, des japanischen Kaisers und aller möglichen jüdischen Bankiers steht und mit jeder mann schläft bis auf Josef Stalin und Mao Tse-Tung. Und natürlich kennt die das A-Bomben-Projekt von A bis Z. Unter Mithilfe eines Generals, den sie auf fünf zig mulmigen Seiten verführt, bringt sie es sogar fer tig, als blinder Passagier in der Enola Gay mitzuflie gen. Um sich für diese Schwarte zu dokumentieren, hat die Hernandez genau dieselben Quellen benutzt wie Lourenço Gomes – die in der Bibliothek der Universi tät von Montevideo. Sie hatte sogar Zugang zu Foto kopien der alten US-Daten, die General Lanningham nach dem Debakel der Vereinigten Staaten im Jahr 114 des Atomzeitalters nach Südamerika brachte.
Dieser Anhang stammt direkt daraus. Soweit wir es bisher nachrechnen konnten, ist alles völlig authen tisch. Was die Sprengladung anbelangt, müssen wir noch einige Tests durchführen – die genaue Stärke der damals verwendeten Explosivstoffe kennen wir nicht mehr – und auch die Zünder werden wir noch zu testen haben. Aber in einer halben Stunde sollte es uns möglich sein, Pläne für das Gehäuse zu zeichnen. Sobald sie fertig sind, gehen sie sofort zur Gießerei in der Werft.« Mit einem Seufzer der Erleichterung reichte ihm von Schlichten das Buch zurück. »Und ich dachte schon, wir seien alle im Eimer«, sagte er. »Wir wer den Señorita Hildegarde Hernandez auf den Ruinen von Keegark ein fünfzig Meter hohes Denkmal er richten ... Wie sind Sie denn überhaupt auf dieses Ding gekommen?« Pickering deutete auf einen jungen Mann mit rot blondem Haar, der irgend etwas in einen kleinen Computer eingab. »Piet van Reenen; er hat eine Freundin, die Ge schmack an solchem literarischen Kaugummi findet. Sie erzählte ihm, daß alles in einem Buch stehe, das sie eben gelesen hatte, und zeigte es ihm. Wir sind gleich in sämtliche Buchläden gestürmt und haben uns alle greifbaren Exemplare geholt. Jetzt sind wir gerade bei einer Art Gas-Diffusions-Prozeß, um die
Atomphysik von der Pornographie zu trennen. Ich muß sagen, daß Hildegarde auch in Biologie recht firm ist.« »Vielleicht fände sie sogar Spaß daran, einen Ro man über Geeks zu schreiben«, sagte von Schlichten. »Nun, wann glauben Sie, sind Sie mit der Bombe so weit?« »Der Guß der Gehäuse dauert am längsten«, sagte Pickering. »Dennoch dürfte das alles längstens drei Tage dauern. In zwei Wochen liefern wir sie vom Fließband.« »Ich hoffe, wir brauchen nicht mehr als eine. Den noch müssen Sie mindestens ein halbes Dutzend her stellen. Lassen Sie auch ein paar Übungsbomben ma chen, aus Zement oder irgendwas meinetwegen, so lange sie nur das richtige Gewicht und die richtige Form haben und irgendwie Rauch entwickeln. Lassen Sie die bauen, sobald das Gehäuse gezeichnet ist. Dann können wir ein paar Trainingsabwürfe durch führen.« Jedenfalls mußte er sich davor hüten, Hoffnungen zu erwecken, die möglicherweise verfrüht waren. Na türlich unterrichtete er Paula Quinton, Themistokles M'zangwe und – über verschlüsselte Kommunika tormeldung – König Kankad und Aircommodore Hargreaves. Ansonsten konnte man jetzt nur warten und hoffen, daß Hargreaves Orgzilds Bomber von
Gongonk Island und Kankads Stadt fernhalten konn te. Und vor allem, daß Hildegarde Hernandez ihre Leserschaft nicht zum Narren hielt. Er besuchte die Stadt, wo die letzten Widerstandsnester ausgeräu chert wurden, und wo alle, die sich nicht allzu offen sichtlich an der znidd suddabit-Verschwörung beteiligt hatten, jetzt beteuerten, stets die ergebensten Freunde der Terraner und der Company gewesen zu sein. Von Schlichten kehrte nach Gongonk Island zurück und überlegte, ob er eine Generalamnestie erklären oder ein Dutzend Guillotinen in der Stadt errichten sollte, die dann eine Woche lang rund um die Uhr in Betrieb sein müßten. Für beides gab es gewichtige Argumen te. Um 2100 war der letzte organisierte Widerstand gebrochen. Eine Sperrstunde wurde verkündet. In der Stadt kehrte Ruhe ein. Noch schwebte über ihnen das Damoklesschwert aus Keegark. Aber der Gedan ke daran wirkte jetzt nicht mehr so bedrohlich wie noch am Abend zuvor. Von Schlichten und Paula aßen in Broadway Room zu Abend, als das Telefon, das sie an ihrem Tisch hatten installieren lassen, läu tete. »Hier Colonel Quinton«, meldete sich Paula und lauschte einen Moment. »Wann? ... Und woher kam es? ... Ich verstehe. Und die Richtung? ... Sonst noch etwas?«
Das war offenbar alles. Sie legte auf und wandte sich wieder von Schlichten zu. »Der Himmelsspion hat eben den Start eines Schif fes in Keegark registriert. Wahrscheinlich ist es einer der Frachter der Boer-Klasse – entweder die Jan Smuts oder die Oom Paul Krüger. Vermutlich haben die Geeks sie getarnt, nachdem Commander Prinsloo Keegark zum erstenmal mit der Aldebaran bombar dierte. Der Start erfolgte vor zwanzig Minuten; zu letzt befand sich das Schiff siebzig Kilometer nördlich von Keegark über dem Hoork River.« »Das könnte eine Finte sein«, dachte von Schlichten laut, »um unsere Schiffe nach Norden zu ziehen und den Zugang nach Konkrook oder Kankads Stadt zu öffnen. Das aber würde bedeuten, daß sie von der Existenz des Himmelsspions wissen, und das bezwei fle ich, obwohl ich auch da kein Risiko laufen möchte. Sie wissen, daß wir Boden- und Schiffsradar haben, und glauben vielleicht, daß sie unbemerkt das KonkTal heraufschleichen können oder fälschlich für eines unserer Schiffe aus dem Norden gehalten werden.« Er nahm den Hörer auf. »Stellen Sie zu AirCommodore Hargreaves auf der Procyon durch«, sag te er. »Legen Sie das Gespräch in mein Büro, ich bin gleich oben.« Er stand auf. »Essen Sie ruhig zu Ende, und lassen Sie bitte den Rest meines Dinners nach oben bringen«, bat er Paula.
Als er den Saal betrat, in dem das Hauptquartier untergebracht war, hatte man ihm die Verbindung mit der Procyon hergestellt, die sich zwischen Kan kads Stadt und Keegark an der nordwestlichen Ecke der Takkad-See befand. Die Aldebaran, das wußte er, war westlich von Keegark; die Northern Lights, die jetzt zu ihren 90-mm-Geschützen jetzt noch zusätz lich ein Paar 150-mm-Kanonen hatte, war eben in Kankads Stadt angekommen. Er schickte die Aldeba ran auf Patrouille entlang dem Gebirgskamm zwi schen den Flußtälern von Hoork und Konk, die sie von dort aus mit Radar und Detektoren überwachen konnten. Die Gaucho wurde so stationiert, daß sie al ler Voraussicht nach das Schiff der Boer-KIasse aus Keegark abfangen konnte. Die Northern Lights, die wie die Aldebaran in ständiger Verbindung mit dem Himmelsspion stand, nahm die bisherige Position der Aldebaran ein. Schließlich rief er noch Skilk und ließ die Northern Star von dort aus ins Hoork-Tal einfah ren. Jetzt konnte er nur noch warten. Kurz nach dem Ende seines Gespräches mit Skilk brachte Paula Quin ton auf einem Cocktail-Wagen den Rest des Dinners. Nach und nach stellten sich auch die restlichen An gehörigen seines Stabes ein, soweit sie nicht auf der Werft mit der Besetzung von Konkrook oder dem Bombenprojekt beschäftigt waren. Gemeinsam starr
ten sie auf die verschiedenen Bildschirme, die – in Radarmustern, Direktvision, Teleskop-Vision, über Wärme- und Strahlungsdetektoren – zeigten, was nordöstlich von ihnen vorging. Von Keegark gab es kein optisches Bild; offenbar hatte König Orgzild völlige Verdunkelung befohlen. Allerdings half ihm das nichts: Auf dem Radarschirm war die Stadt ganz deutlich zu sehen, und auf den Strahlungs- und Wärmebildern nicht weniger. Auch das Keegarkanische Schiff, das visuell nicht wahr nehmbar war, verriet sich durch die Strahlung seiner Maschinen und das charakteristische Strahlungsmu ster seines Kontragravitationsfeldes. Der Fleck auf dem Radarschirm markierte ebenfalls seine Position. Auch auf dem TV-Schirm war diese Position durch einen Lichtpunkt gekennzeichnet – er stammte von einem mit den Detektoren synchronisierten Gerät des Himmelsspions. Die Schiffe und Kontragravitations fahrzeuge der Company identifizierten sich durch nur von oben sichtbare rote und blaue Blinklichter. Langsam verrann die Zeit. Die fünfundsechzig Sekunden-Minuten dieses Planeten schienen sich zu Stunden zu dehnen. Die Punkte, die das feindliche Schiff und seine Verfolger markierten, schlichen träge dahin; vom Himmelsspion aus zweihundertfünfzig Kilometer Höhe gesehen, waren selbst die gut eintau send Stundenkilometer der Gaucho kaum wahrnehm
bar. Sie tranken Kaffee, bis sie ihn über hatten. Sie rauchten, bis sich die Lungen bogen. Sie starrten auf die Bildschirme, bis sie gewiß waren, sie fortan in je dem ihrer Träume sehen zu müssen. Dann meldete die Gaucho Radarkontakt mit dem keegarkanischen Schiff, das in Schlangenlinien das Konk-Tal herauf kam. Danach gingen die Identifikationslichter der Gau cho aus, und sie berichtete direkt. »... sind jetzt über dem Tal; Höhe etwa dreihundert Meter. Die Lichter sind abgeschaltet. Wir versuchen, es optisch am Himmel zu orten«, hörten sie eine Stimme. »Wir setzen unsere vordere TV-Kamera ein.« Mehrere Male wurde die Wellenlänge wiederholt, und jemand schaltete einen weiteren Bildschirm an. Außer den Sternen am Himmel und der Silhouette der East Konk Mountains war allerdings nichts dar auf zu sehen. »Wir müßten es jetzt jeden Augenblick haben; das Radar zeigt an, daß es sich über den Ber gen befindet. Ah, da ist es – direkt vor Beta Hydrae V; bewegt sich in Richtung Finnegans Goat – die große Konstellation östlich davon. Jetzt muß es gleich in der Mitte des Bildschirms sein; wir nehmen Kurs darauf. Bis die Aldebaran eintrifft, werden wir versuchen, es aufzuhalten ...« Schemenhaft war das feindliche Schiff jetzt im Sternenlicht sichtbar. Tatsächlich handelte es sich um
einen Frachter der Boer-Klasse. Vermutlich war es die Jan Smuts; die Oom Paul Krüger war zuletzt in Bwork gemeldet worden, und daß sie seit dem Beginn des Aufstandes unbemerkt nach Keegark gelangt sein konnte, war wenig wahrscheinlich. Durchaus mög lich war sogar, daß sie bei den Kämpfen in Bwork be reits zerstört worden war. »Wir haben es jetzt geortet und greifen an«, ließ sich die Stimme von der Gaucho vernehmen. »Es hat zwei 90-mm-Kanonen gegen unsere eine; die müssen wir als erstes ausschalten.« Der Widerschein des Mündungs feuers zuckte über den TV-Schirm; das Bild erzitterte unter dem Rückstoß und stabilisierte sich dann wieder. Das feindliche Schiff in der Bildmitte wurde größer und größer, je mehr sich die Gaucho ihm näherte. Noch einmal feuerte das Geschütz; wieder flammte gelbes Licht über den Schirm, wieder vibrierte das Bild. Das feindliche Schiff erwiderte das Feuer, doch gingen sämtliche Schüsse fehl. Offensichtlich waren die Geeks nicht in der Lage, die Radarvisiere richtig zu synchro nisieren und die Raketenzünder auf die entsprechende Entfernung einzustellen. Jetzt gingen die Suchschein werfer der Gaucho an und tauchten das feindliche Schiff in grelles Licht. Es war die Jan Smuts. Der Name war deutlich zu erkennen. Ihr Buggeschütz war ver stummt. Sie begann jetzt ein Wendemanöver, um aus der Heckkanone zu feuern.
»Jetzt eine Raketensalve«, sagte die Stimme. »Ach tung!« In Halb-Sekunden-Intervallen schossen vier mal vier Raketen aus den oberen Rohren. Die ersten vier trafen die Jan Smuts an der unteren Seite und mittschiffs. Der Flammenschein der Detonationen war noch nicht erlo schen, als die zweiten vier Raketen trafen. Den Ein schlag der restlichen Geschosse vermochte niemand mehr zu erkennen. Die Jan Smuts verschwand in einem riesigen Feuerball, dessen greller Schein alle im Raum blendete. Als sie nach dreißig Sekunden wieder sehen konnten, war der Bildschirm dunkel. Auf dem TV-Schirm des Himmelsspions war jetzt das ganze Konk-Tal achthundert Kilometer nördlich von Konkrook erleuchtet. Wärme- und Strahlungsde tektoren spielten verrückt. Von der Jan Smuts und der Gaucho war nichts mehr zu sehen. »Also hatten die Geeks tatsächlich eine A-Bombe«, sagte Themistokles M'zangwe schließlich. »Und ich habe versucht, mir einzureden, die Chancen dafür stünden nur eins zu einer Million. Ich frage mich, wie viele sie noch haben.« »Paula, stellen Sie bitte fest, wer das Kommando der Gaucho hatte. Er dürfte Leutnant gewesen sein. Lassen Sie ihn mit sofortiger Wirkung zum Captain befördern. Das ist vermutlich das einzige, was wir noch für ihn tun können. Alle anderen Mannschaftsmitglieder wer
den in vergleichbarer Weise befördert.« Er drückte auf einen Kommunikatorknopf. »Geben Sie mir Kom mandeur Prinsloo auf der Aldebaran ...« Er beauftragte Prinsloo, Aircars auf die Suche zu schicken. Sie sollten sorgfältig auf Strahlungsgefähr dung achten, andererseits aber sicherstellen, daß kei ne der eventuellen Überlebenden der Gaucho ohne Hilfe blieben. Währenddessen meldete der Himmels spion ein weiteres Schiff am östlichen Horizont, das aus Richtung Bwork kam. Das mußte die Oom Paul Krüger sein. Hargreaves hatte bereits vom Auftau chen des zweiten Frachters erfahren. Er hielt es aber für unrichtig, die Procyon von ihrer bisherigen Positi on abzuziehen, ehe die Aldebaran aus dem Konk-Tal zurück war. Von Schlichten stimmte ihm zu. Ein Drink wäre jetzt angebracht, meinte jemand. Zwar hatten sie eben den ziemlich sicheren Tod von drei terranischen Offizieren, fünfzehn terranischen Mannschaften und zehn Kraganern erlebt. Aber sie hatten in den letzten drei Jahren – oder waren es drei Jahrhunderte? – in so enger Nachbarschaft mit dem Tode gelebt, daß ihre Erschütterung sich in Grenzen hielt. Außerdem war der Beweis erbracht, daß sie sich gegen König Orgzilds Bomben verteidigen konnten; die vorläufige Abwehr dieser tödlichen Gefahr nahm ihnen eine Zentnerlast vom Herzen. Sie waren noch dabei, Cocktails zu mixen, als sich
Pickering meldete. »Eine gute Neuigkeit von des Un ternehmens ›Hildegarde‹. Mindestens eine Bombe wird bis morgen 1500 abwurfbereit sein; vier oder fünf weitere bis zum Ende des folgenden Tages«, sag te er. »Gehäuse brauchen wir keine zu gießen. Nach der Berechnung der erforderlichen Dimensionen stell ten wir fest, daß es auf dem Raumhafen genügend leere Flüssigsauerstoffflaschen oder vielmehr -tanks gibt, die alles aufnehmen können – spaltbares Materi al, Sprengladung, Zünder, alles.« »Ausgezeichnet. Dann stellen Sie bis Sonntag 2400 so viele her wie nur möglich.« Er überlegte einen Moment. »Verschwenden Sie keine Zeit mit den Übungsbomben, von denen ich sprach. Zum Training nehmen wir eine scharfe Bombe. Und werfen Sie die Zeichnungen für das Gußgehäuse nicht weg. Die brauchen wir vielleicht später noch.«
15
Ein Platz in meinem Herzen für Hildegarde
In fünftausend Meter Höhe schwebten die Schiffe der Company am Himmel von Keegark. Da war die Pro cyon, von deren Brücke aus von Schlichten die Bewe gungen der anderen Schiffe und Aircars und auch den fernen Horizont beobachtete. Die Aldebaran be fand sich ein gutes Dutzend Kilometer westlich da von; ihre metallene Außenhaut schimmerte im roten Licht der Abendsonne. Nördlich der Aldebaran ein kleinerer, entfernterer Schimmer: Die Northern Star aus Skilk. Die Northern Lights hielt sich im Osten. Zwischen ihr und der Procyon befand sich ein fünftes Schiff. Durch das Fernrohr konnte er es gerade noch erkennen: Es war die Oom Paul Krüger, die am Tage zuvor nach einer Jagd durch die Berge und östlich von Keegark von der Procyon zurückerobert worden war. Weitab von den anderen Schiffen waren im Sü den ein kleiner, blaugrauer Fleck und ein noch klei nerer Lichtreflex zu sehen – ein zum Bombentrans porter umgerüstetes Müllfahrzeug, der – nicht sehr schmeichelhaft aber zutreffend – auf den Namen Hil degarde Hernandez getauft worden war, und das Artil lerieschiff Elmoran. Durch sein Fernglas konnte er se
hen, wie ein größeres zylindrisches Objekt von der Hildegarde Hernandez auf das improvisierte Bomben katapult am Heck der Elmoran gebracht wurde. Kurz darauf löste sich das Artillerieschiff vom Bomben transporter und steuerte auf die Flotte zu. »General, ich muß wirklich Protest einlegen«, sagte Aircommodore Hargreaves. »So etwas hat keinen Sinn. Diese Bombe kann auch ohne Ihre persönliche Gegenwart an Bord abgeworfen werden, Sir, und Sie bringen sich nur unnötig in Gefahr. Diese Höllenma schine ist überhaupt nicht getestet worden. Sie kann schon auf dem Katapult losgehen, wenn wir sie ab werfen. Und wir können es uns jetzt einfach nicht lei sten, Sie zu verlieren.« »Nein; was würde denn aus uns werden, wenn Sie an Bord gehen und sich mit diesem Apparat in die Luft sprengen«, unterstützte ihn Buhrmann. »Mein Gott, ich hatte immer geglaubt, Don Quixote sei Spa nier gewesen und nicht Deutscher.« »Ich bin Argentinier«, berichtigte ihn von Schlich ten. »Und machen Sie mich bloß nicht unersetzlicher, als ich in Wirklichkeit bin. Them M'zangwe kann meine Stelle einnehmen, Hid O'Leary die seine, Bar ney Modkovitz die Hid O'Learys und so weiter, bis Sie irgendeinen Sergeanten zum Leutnant ernennen. Das alles haben wir ja schon gestern abend durchge sprochen. Zugegeben, wir hatten keine Zeit für lange
Testreihen und müssen deswegen eine unerprobte Waffe verwenden. Unter diesen Umständen schicke ich aber keine Männer hinaus und sehe selbst aus si cherem Abstand zu, wie sie sich möglicherweise in tausend Stücke sprengen. Wenn diese Bombe unsere einzige Hoffnung ist, dann darf bei ihrem Abwurf kein Fehler passieren. Deshalb möchte ich diese Auf gabe nicht einer Mannschaft anvertrauen, die glauben könnte, auf ein Himmelfahrtskommando geschickt worden zu sein. Was der Gaucho passierte, als sie die Smuts erledigte, ist allen noch allzu frisch im Ge dächtnis. Wenn aber ich als derjenige, der den Befehl zu dieser Mission gegeben hat, selbst daran teilneh me, dann sieht die Mannschaft daraus, wie groß mei ne Zuversicht ist, lebend zurückzukehren.« »Nun, dann komme ich auch mit, General«, melde te sich Kent Pickering. »Ich habe das verdammte Ding ja schließlich gebaut, und nach dem Grundsatz, daß sich ein Restaurantbesitzer von Zeit zu Zeit ein mal beim Verzehr seiner eigenen Speisen sehen las sen sollte, muß ich dann doch wohl auch dabei sein.« »Ich sehe noch immer nicht ganz ein, warum wir nicht wenigstens eine Testexplosion durchgeführt haben«, wandte Hans Meyerstein, der Mann vom Bankenkartell, ein. »Das will ich Ihnen erklären«, sagte Paula Quinton. »Es ist durchaus möglich, daß den Geeks von der Exi
stenz unserer eigenen Bombe gar nichts bekannt ist. Vielleicht glauben sie, daß wir unsere atomaren Sprengsätze auf Niflheim für den Bergbau entwickel ten und nicht für militärische Zwecke verwenden. Wahrscheinlich sind sie auch durch den Verlust der Jan Smuts zunächst einmal demoralisiert. Ich persön lich nehme sogar an, daß sowohl König Orgzild wie Fürst Gorkrink an Bord der Jan Smuts waren. Natür lich haben wir im Augenblick dafür keinen Beweis. Dieses Schiff ist mit seiner ganzen Besatzung einfach verdampft; die übriggebliebenen Teilchen registrie ren wir jetzt mit unseren Geigerzählern. Ich jedenfalls bin felsenfest davon überzeugt, daß einer von diesen beiden an Bord war, wenn nicht gar alle beide.« »Paula weiß, wovon sie redet«, quäkte König Kan kad in der Sprache der Takkad-See, die sie alle ver standen. »Es ist genau wie bei von Schlichten, der auf dem Bombenschiff mitfliegen will, um die Mann schaft zu ermutigen. Die Geeks bestehen immer dar auf, daß ihre Könige und Generäle mit ihnen in den Krieg ziehen, besonders, wenn es um etwas sehr Wichtiges geht. Andernfalls, glauben sie, würden die Götter zornig.« »Und wir müssen jetzt gleich losschlagen«, sagte von Schlichten. »Sie haben noch ein paar weitere Bomben. Zwar haben wir sie mit unseren Detektoren noch nicht lokalisieren können, aber die Geeks, die
von Kankads Männern gestern abend gefangenge nommen wurden, sagen, daß mindestens drei gebaut worden sind. Wir dürfen auf keinen Fall riskieren, daß irgendein Fanatiker eine davon in einen Aircar lädt und damit einen Kamikazeflug gegen Gongonk Island macht.« Jetzt drehte die Elmoran mit dem schwarzen Zylin der auf ihrem Heckkatapult bei. Jemand hatte in gro ßen Lettern auf die Bombe gemalt: »BLUTIGER MOR GEN von Hildegarde Hernandez. Mit den besten Wünschen der Autorin an S. M. König Orgzild von Keegark.« Eine Gangway wurde ausgefahren, die das Schiff mit dem Artillerieboot verband. Von Schlichten und Kent Pik kering stiegen von der Brücke hinunter. Die anderen folgten ihnen. Als von Schlichten die Gangway betrat, bemerkte er Paula Quinton hinter sich. »Wo wollen Sie denn hin?« fragte er. »Dahin, wo Sie hingehen«, erwiderte sie. »Ich bin Ihr Adjutant, glaube ich.« »Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich persönlich glaube zwar nicht, daß irgendeine Gefahr besteht; dennoch möchte ich nicht, daß Sie ein unnötiges Risi ko laufen ...« »Ich kenne mich in der Gedankenwelt der Terraner nicht allzu gut aus«, meldete sich jetzt Kankad. »Und von den Terranern, die Junge bekommen, verstehe ich schon gleich gar nichts. Aber ich glaube, daß das
für Paula etwas sehr Wichtiges ist. Erlauben Sie ihr, Sie zu begleiten. Denn wenn Sie alleine gehen und nicht mehr zurückkehren – dann glaube ich, wird sie nie wieder glücklich sein.« Von Schlichten sah Kankad nachdenklich an und fragte sich, wie schon so oft, was eigentlich in diesem Eidechsenkopf vorgehen mochte. Dann blickte er Paula an und nickte schließlich. »Also gut, Colonel. Einspruch zurückgezogen«, sagte er. An Bord der Elmoran unterzogen sie die Bombe, das Katapult sowie das Zielgerät einer letzten Inspek tion und begaben sich dann auf die Brücke. »Startbereit, Sir?« fragte der Kommandant, ein Leutnant Morrison. »Sobald Sie bereit sind, Leutnant. Wir sind hier nur Passagiere.« »Danke, Sir. Wir hatten vor, zur Zielkontrolle die Stadt in etwa zweitausend Metern Höhe anzufliegen, kurz vor den Bergen dann kehrtzumachen, und in fünftausend Meter Höhe zurückzukommen. Sind Sie einverstanden, Sir?« Von Schlichten nickte. »Sie sind der Kommandant, Leutnant. Stellen Sie jedenfalls sicher, daß Ihr Ingeni eur beim Abwurfsignal zuverlässig die Hilfsrakete auslöst. Dreißig Kilometer müssen wir mindestens weg sein, wenn das Ding losgeht.«
Der Leutnant murmelte irgend etwas, was wie ein ganz unmilitärisches »worauf Sie sich verlassen kön nen, mein Bester« klang. »Hoffentlich«, bekräftigte von Schlichten. »Ich habe die Jan Smuts auf dem TV-Schirm gesehen.« Die Elmoran richtete ihren Bug gen Keegark. Die Stadt hob sich als braun-grauer Flecken vom Grund nebel über dem Delta des ausgetrockneten HoorkFlusses ab, wurde dann ein Farbtupfer zwischen dem Fluß, der Bucht und den Hügeln auf der landeinwärts gelegenen Seite, und nahm dann schließlich mit ihren rechtwinklig angelegten Straßenschluchten und ho hen Gebäuden plastische Formen an. Jetzt konnte von Schlichten, der die Stadt ja schon häufig angeflogen hatte, die charakteristischen Punkte erkennen: Den Platz, wo sich König Orgzilds Nitroglyzerin-Fabrik befunden hatte – jetzt ein in fünfhundert Metern Um kreis von Ruinen umgebener, tiefer Krater; die Resi denz, die auch nur ein Krater war, seit Rudolfo MakKinnon sich damit in die Luft gesprengt hatte; die zerstörte Christian De Wett in den Docks der Compa ny; König Orgzilds Palast, rauchgeschwärzt und schwer beschädigt an einer der Ecken, wo die Bom ben der Aldebaran gefallen waren ... Dann ließen sie die Stadt hinter sich und befanden sich über offenem Land. »Wenn wir nur wüßten, wo die anderen Bomben
sind, Sir«, sagte Leutnant Morrison. »Unsere Erkun dungsflüge mit den Strahlungsdetektoren sind leider ohne Erfolg geblieben.« »Ja; das einzige, was wir registrierten, war das Hauptkraftwerk, und die Strahlung von dort war nor mal«, stimmte Pickering zu. »Von den Bomben selbst nicht die geringste Spur. Wahrscheinlich haben sie sie, gut abgeschirmt, irgendwo unterirdisch versteckt.« »Kankads Gefangene wußten nur, daß sie irgend wo in der Stadt sein sollen«, sagte von Schlichten. »Wie wäre es mit der Mitte zwischen dem Palast und der terranischen Residenz als Zielpunkt, Leutnant? Sieht aus wie die Mitte der Stadt.« Das Schiff wendete jetzt und machte sich, rasch an Höhe gewinnend, auf den erneuten Anflug. Morrison wies den Bombenschützen an, sich bereitzuhalten. Schnell näherten sie sich der Stadt und der dahinter liegenden See. Von Schlichten, der auf der Brücke stand, merkte, daß er den Arm um Paula gelegt und sie ein wenig enger an sich gezogen hatte, als es beim Militär sonst üblich war. Dennoch kam es ihm nicht in den Sinn, sie loszulassen. »Es besteht wirklich kein Grund zur Sorge«, versi cherte er ihr. »Pickering hat dieses Ding nach allen Regeln der Ingenieurkunst gebaut und alles, was in diesem Schauerroman stand, aufs genaueste durch rechnen lassen ...«
Auf der Brücke flammten jetzt rote Warnlampen auf, und über die Sprechanlage meldete jemand »Bombe ab!« Von Schlichten zog Paula auf den Boden nieder und kauerte sich neben sie. »Bedecken Sie Ihre Augen«, warnte er sie. »Sie er innern sich noch an den Blitz auf dem Bildschirm, als die Jan Smuts explodierte. Was wir da sahen, war beileibe nicht alles; die Kamera auf der Gaucho war nur zu schnell kaputt.« Er hielt ihr einen Vortrag über Gammastrahlen, ul traviolette Strahlen, Röntgenstrahlen und kosmische Strahlen, um ihre Gedanken irgendwie zu beschäfti gen und selbst nicht daran denken zu müssen, was mit der improvisierten Höllenmaschine, die sie über Keegark abgeworfen hatten, alles schiefgehen konnte. Wenn sie nicht detonierte, würden die Geeks sie fin den und wissen, daß bald eine zweite folgen würde, und dann ... Und dann packte eine unsichtbare Riesenfaust das Schiff, wirbelte es durch die Luft wie der Sturmwind ein vom Baum gefallenes Blatt. Der Donner der Ex plosion war so stark, daß er körperlich fühlbar war. Selbst durch die luftdicht konstruierte Außenstruktur der Elmoran drang jetzt die Hitze herein. Einen Au genblick später kam ein weiterer, dann noch ein ähn licher Stoß. Hinter ihnen in Keegark waren zwei wei tere Sprengkörper losgegangen. Das bedeutete, daß
sie König Orgzilds verbliebene atomare Bewaffnung vernichtet hatten. Splitterndes Glas und das Knallen und Ächzen brechender oder sich verbiegender Teile verrieten, welcher Belastung die Elmoran ausgesetzt war. Das Schiff hatte stark an Höhe verloren. Flu chend mühten sich Morrison und seine Leute an der Steuerung ab, bis es ihnen gelang, es wieder zu stabi lisieren. Von Schlichten rappelte sich auf und half auch Paula wieder auf die Beine. Erst jetzt begriff er, daß sie einander leidenschaftlich geküßt hatten. Und sie hielten einander immer noch in den Armen, als das Rollen und Stampfen des Schiffes verebbte und jemand ihn auf die Schulter tippte. Er ließ Paula los und wandte sich um. Es war Leut nant Morrison. »Was zum Teufel gibt es denn, Leutnant?« fragte er. »Tut mir leid, stören zu müssen, Sir. Aber wir nehmen jetzt wieder Kurs auf die Procyon. Und das würden Sie möglicherweise vermissen.« Er hielt ihm eine runde Glasscheibe hin. »Ich hätte nicht geglaubt, daß es jemals passieren würde – aber immerhin wa ren drei A-Bomben nötig, um Sie von Ihrem Monokel zu trennen.« »Ach, das?« Von Schlichten nahm sein Wahrzei chen und setzte es ein. »Ich habe es nicht verloren«, log er. »Ich habe mich nur seiner entledigt. Wissen Sie
nicht, Leutnant, daß, wenn er eine Lady küßt, kein Gentleman ein Monokel trägt?« Er sah sich um. Sie befanden sich etwa zwei- bis dreihundert Meter über dem Wasser. Das vordere 90 mm-Geschütz war von der Wucht der Explosion of fenbar losgerissen worden; auch die TV-Kamera und das Radargerät konnte er nicht mehr entdecken. Ir gend etwas, wahrscheinlich das Geschütz, war gegen den Vorderteil der Brücke geschlagen – ihr metalle nes Skelett war eingeknickt, das Panzerglas ausge schlagen. Immerhin verrieten die Vibrationen des Schiffes, daß sein Kontragravitationsfeld nicht beein trächtigt war, und auch die Düsen arbeiteten. »Die Schäden wurden durch die zweite und dritte Bombe angerichtet, Sir«, sagte Morrison. »Unsere ei gene Bombe hätte uns nur ein wenig durchgeschüt telt. Aber die zwei Geek-Bomben, das war zu viel ...« »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Leut nant. Sie und Ihre Crew haben sich glänzend ge schlagen, Leutnant – Kommandeur – beste Tradition und so weiter. War mir durchaus ein Vergnügen, Kommandeur. Hoffe, bald wieder bei Ihnen an Bord zu sein, Captain.« Sie fanden Kent Pickering am hinteren Ende der Brücke und sahen mit ihm nach achtern hinaus. Selbst von Schlichten, der H-Bomben und BetazyklusBomben gesehen hatte, war beeindruckt. Ganz Kee
gark war völlig verschwunden unter einer sich nach außen rollenden Wolke aus Staub und Rauch von acht bis zehn Kilometern Durchmesser, welche die Basis einer himmelhoch ragenden Rauchsäule bildete. Einhundertfünfzigtausend Leute waren in dieser Stadt gewesen, auch wenn sie nur Eidechsenköpfe hatten, vier Arme und eine quarzfleckige Haut. Wie viele von ihnen jetzt noch am Leben waren, konnte er nicht ermessen. Er zwang sich, daran zu denken, daß sie die Leute waren, die Eric Blount und Hendrik Lemoyne bei lebendigem Leibe verbrannt hatten. Er erinnerte sich daran, daß zwei der drei Bomben, die dieses Inferno aus Rauch und Feuer ausgelöst hatten, in Keegark von Keegarkanern gebaut worden waren, und daß er, mutatis mutandis, nichts anderes vor Au gen hatte, als Konkrook hätte passieren können. Viel leicht hatte auch jeder Terraner eine Art abergläubi scher Furcht vor für Kriegszwecke verwendeter Kernenergie. Kein Wunder – nach all dem, was sie ih rer eigenen Welt zugefügt hatten. Zumindest, dachte er grimmig, wird der nächste Geek, der auf die Idee kommt, einen Terraner in Thermokonzentrat zu tauchen und ihn dann anzu zünden, den Gedanken fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Und der nächste Geek-Potentat, der ver sucht, eine antiterranische Verschwörung anzuzet teln, oder der nächste verrückte Packtiertreiber, der
znidd suddabit predigt, wird auf der Stelle gelyncht werden. Dies aber mußte die letzte A-Bombe auf Ul ler sein ... Kateridee! tadelte er sich selbst. Das nächste Mal würde es schneller so weit sein, und das übernächste Mal erst recht. Hat man die erste Bombe geworfen, dann führt kein Weg zurück, genausowenig wie nach Hiroshima, mehr als vierhundertfünfzig Jahre zuvor. Und er hatte sich sogar überlegt, wo in den Bergen hinter Bwork er, um seine Aufforderung zur Kapitu lation zu unterstreichen, eine Demonstrationsbombe abwerfen konnte. Kein Zweifel: Entweder führte man sehenden Au ges die unvermeidliche Katastrophe herbei, oder man machte sich rechtzeitig klar, daß Atomrüstung und Nationalismus zusammen nicht auf dem gleichen Pla neten existieren können. Und es ist leichter, ein über kommenes Denkmuster aufzugeben, als ein Stück wis senschaftlicher Erkenntnis. Uller war noch nicht reif für die Mitgliedschaft in der Terranischen Föderation; die Bevölkerung hier mußte sich erst zum Terrani schen Frieden bekehren. Die Kraganer würden dabei eine Hilfe sein – als Prokonsuln und Verwalter, nicht mehr als Söldner. Und sie brauchten bemannte Über wachungssatelliten, und die Niederlassungen der Ter ranischen Föderation mußten aus den Städten heraus, weg von möglichen Explosionsherden. Sid Harring
tons Idee schließlich, die Eingeborenen beim Bau ih rer eigenen Kontragravitationsschiffe zu unterstüt zen, mußte für lange Zeit ad acta gelegt werden. Viel leicht in einem Jahrhundert ... Kankad allerdings hatte eine gute, ja geradezu groß artige Idee gehabt. Von Schlichten selbst war bereits völlig von ihr überzeugt. Und er glaubte auch nicht, daß es viel Mühe kosten würde, Paula diese Idee nahe zubringen, denn schon jetzt hatte sie besitzergreifend seinen Arm umfaßt. Vielleicht würden ihre Enkel und der Kankad dieser kommenden Zeit Uller als zivili siertes Mitglied der Föderation erleben ... Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als das Schiff bei der Procyon beidrehte und die Gangway ausgefahren und festgemacht wurde. Er blickte zu rück auf Keegark – oder das, was einmal Keegark gewesen war. »Weißt du«, sagte Paula gerade, »ohne diese Porno grafin hätte das genausogut Konkrook sein können.« Er nickte. »Ja. Ich hoffe, es macht dir nichts aus – aber in meinem Herzen wird immer ein Platz für Hildegarde sein.« Sie wandten sich ab vom Ort des Grauens und betraten die Gangway. Eigentlich sah es nicht aus, als ginge da ein General und sein Adjutant.