Helmut Scheuer Heinrich Mann: Der Untertan
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Heinrich Mann: Der Untertan Von Helmut Scheuer
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Helmut Scheuer Heinrich Mann: Der Untertan
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Heinrich Mann: Der Untertan Von Helmut Scheuer
Ein ›sozialer Zeitroman‹ – Kunst und Wissenschaft Auch die Romane, in denen ich das Zeitalter besichtigte, brauchten viel Weile, ein hartnäckiges Verweilen. Den Roman des bürgerlichen Deutschen unter der Regierung Wilhelms des Zweiten dokumentierte ich seit 1906. Beendet habe ich die Handschrift 1914, zwei Monate vor Ausbruch des Krieges – der in dem Buch nahe und unausweichlich erscheint. Auch die deutsche Niederlage. Der Faschismus gleichfalls schon: wenn man die Gestalt des ›Untertan‹ nachträglich betrachtet. Als ich sie aufstellte, fehlte mir von dem ungeborenen Faschismus der Begriff, und nur die Anschauung nicht. Mit dem Roman ›Der Untertan‹ kam ich früher als erlaubt. Er mußte die vier Kriegsjahre abwarten. Erst Ende 1918 konnte er gelesen werden, und wurde es wirklich: mit großem äußerem Erfolg bei allen Deutschen, denen der verlorene Krieg zuerst Bedenken über ihren Zustand aufdrängte. Sie sind bald mit ihnen fertiggeworden und haben fortgefahren, wie wenn nichts wäre. Wahrhaftig gäbe ich die Schuld lieber den Fehlern des ›Untertan‹ als ihren.1 Mit dieser Erinnerung aus dem autobiographischen Abriss Ein Zeitalter wird besichtigt (1946) umreißt Heinrich Mann Entstehungs- und Wirkungsgeschichte seines Romans und gibt zugleich den Blick frei auf seine Intention: Er wollte einen ›Typus‹ vorstellen, den »bürgerlichen Deutschen«, und eine Epoche charakterisieren, die gern mit dem © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Namen ihres Regenten als ›wilhelminische Epoche‹ bezeichnet wird. Wie sehr es Mann um das Zeittypische ging, beweist der ursprünglich geplante Untertitel für den Roman: »Geschichte der öffentlichen Seele unter Wilhelm II.«.2 Über die Entstehungs- und Druckgeschichte des Romans sind wir gut informiert.3 Danach hat das Projekt den Autor etwa sieben Jahre beschäftigt, wobei die Jahre 1912– 14 – also unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs – die intensivste Arbeitsphase umfassen. Einige Episoden des Romans wurden bereits in den Jahren 1911 und 1912 im »Simplicissimus« und in anderen Zeitschriften veröffentlicht. 1913 schloss Heinrich Mann einen Vertrag mit der Münchner Zeitschrift Zeit im Bild über einen Vorabdruck, der dann am 1. Januar 1914 begann und nach dem Ausbruch des Krieges am 1. August mit der 32. Folge am 13. August abgebrochen wurde. Als Buch erschien der Roman erstmals 1915 in russischer Sprache, 1916 fertigte der Kurt WolffVerlag einen Privatdruck von wenigen Exemplaren und ließ im Dezember 1918 die eigentliche Erstausgabe folgen, die überaus erfolgreich verkauft und heftig diskutiert wurde. Der Untertan ist wohl neben Professor Unrat (1905) und den Henri-QuatreRomanen (1935, 1938) der bekannteste Roman Heinrich Manns. Weniger bekannt ist, dass Heinrich Mann eine Fortsetzung dieses Romans geschrieben hat, die unter dem Titel Die Armen bereits 1917 erschienen ist und uns Diederich Heßling rund zwei Jahrzehnte später vorführt.4 Zusammen mit dem 1925 erschienenen Roman Der Kopf sah Heinrich Mann seine Trilogie als ein »Kulturbild des Wilhelminischen Reiches« an.5 1925 erschienen im Paul Zsolnay Verlag (Berlin/Wien/Leipzig) die drei Romane unter dem Titel Das Kaiserreich. Die Romane der deutschen Gesellschaft im Zeitalter Wilhelms II. Wobei den einzelnen Romanen folgende Untertitel gegeben wurden: Der Untertan: Roman des Bürgertums, Die Armen: Roman des Proletariats, Der Kopf: Roman der Führer.6
© 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Heinrich Mann hatte schon in den neunziger Jahren seine frühe ästhetizistische Haltung korrigiert und sich entschlossen, »soziale Zeitromane zu schreiben«: »Diese deutsche Gesellschaft kennt sich selbst nicht. Sie zerfällt in Schichten, die einander unbekannt sind, und die führende Klasse verschwimmt hinter Wolken.«7 Diesem sozialkritischen Impetus verdanken auch »der Roman unter feinen Leuten« Im Schlaraffenland (1900) und Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen (1905) ihr Entstehen. Es werden jeweils Facetten der wilhelminischen Gesellschaft beleuchtet – einmal das Zusammenspiel von Kunst und Kapital und zum anderen das autoritäre preußische Schulwesen. Die Romane führen jenen ›Typus‹ des wilhelminischen Bürgers vor, den Heinrich Mann zutiefst verachtet und den er auch in seinen frühen Essays, vor allem in Geist und Tat (1910) und in Reichstag (1911) attackiert hat: »dieser widerwärtig interessante Typus des imperialistischen Untertanen, des Chauvinisten ohne Mitverantwortung, des in der Masse verschwindenden Machtanbeters, des Autoritätsgläubigen wider besseres Wissen und politischen Selbstkasteiers«.8 Heinrich Mann entfaltet die fiktive Biographie des Diederich Heßling in einem realhistorischen Umfeld, das sich präzis auf die Zeit vor der Jahrhundertwende festlegen lässt. Der Erzähler hat eine Reihe von Authentizitätssignalen gegeben, die die Handlungszeit des Romans fixieren: So erlebt Heßling als Student die Februarunruhen von 1892 in Berlin (58 ff.)9 oder verbindet seine Hochzeitsreise mit einer Fahrt nach Rom, um dort dem Kaiser zu begegnen (363 ff.), der tatsächlich im April 1893 den italienischen König besucht hat. Die Geburt der Kinder wird mit Jahreszahlen festgehalten: »Nach Gretchen, die 1894 geboren ward, und Horst, von 1895, folgte 1896 Kraft.« (442) Der Roman endet mit der Einweihung eines Denkmals, das eigentlich zum hundertsten Geburtstag Kaiser Wilhelms I. am 22. März 1897 enthüllt werden sollte. (454) Die Forschung zum Untertan hat zahlreiche weitere Hinweise auf historische Ereignisse nachgewiesen und damit Heinrich Mann als einen kritischen © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Zeitdiagnostiker gezeigt, der die realen politischen, sozial-ökonomischen und kulturellen Strukturen seiner Zeit in den Roman eingearbeitet hat.10 Er war sich bewusst, damit als Erzähler auch einen wissenschaftlichen Anspruch anzumelden. Gern hat er auf die intensiven »Studien« verwiesen, die er für den Untertan getrieben habe. 1922 heißt es in einem Brief: Ich hatte, wo immer ich saß und fremde Zeitungen las, das Problem des deutschen Kaiserreiches in mir. Romane, wie meinesgleichen sie schreibt, sind die innere Zeitgeschichte. [. . .] Durchweg sind meine Romane soziologisch. Den menschlichen Verhältnissen, die sie darstellen, liegen überall zu Grunde die Machtverhältnisse der Gesellschaft.«11 Für diese Art einer Zeitgeschichte in Romanform sah Heinrich Mann in der deutschen Literatur keine Vorbilder. »Der soziale Roman, d. h. der Roman, der in voller Kenntnis der gesamten Gesellschaft geschrieben ist, existierte damals in Deutschland noch gar nicht und war auch nicht leicht zu schaffen.«12 Das klingt im Blick auf die lange Tradition des deutschen ›sozialen Romans‹ überheblich, hat aber seine Berechtigung: Im 19. Jahrhundert war dieser Romantypus, zu dem wir auch den ›Gesellschaftsroman‹ zählen, vorrangig Roman, d. h. er wollte ›erzählen‹, stellte das Individuelle ins Zentrum und ordnete die politische und soziale Kritik der Narration unter. Das lässt sich noch gut in Theodor Fontanes »sozialer Romankunst« (Müller-Seidel) und auch in Heinrich Manns »Roman unter feinen Leuten« Im Schlaraffenland (1900) beobachten.13 So sehr z. B. Heinrich Mann – wie sein Bruder Thomas – den Romanautor Fontane schätzte, es war vor allem die französische Romanliteratur – besonders die von Balzac und Zola –, die ihn inspirierte, einen neuen Typus des ›sozialen Romans‹ zu schreiben. Bei Zola hat er dessen Verbindung der Kunst mit Wissenschaft und Politik bewundert und in ihm © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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einen idealen Repräsentanten des Intellektuellen gesehen, der »Geist und Tat« zu verbinden gewusst habe. (Später wird dieser Typus im Henri Quatre seine heldische Überhöhung erhalten.) Heinrich Mann hat das politische und soziale Engagement der Naturalisten geschätzt, weil damit die Dichter aus ihrem Elfenbeinturm herausgekommen sind, aber er blieb skeptisch gegenüber der ›naturalistischen‹ Darstellungstechnik: »die bloße Richtigkeit sagt noch nichts. Die großen Romane sind immer und ausnahmslos übersteigert gewesen – weit hinausgetrieben über die Maße und Gesetze der Wirklichkeit«.14 Wie Bertolt Brecht, Hermann Broch, Alfred Döblin oder Robert Musil hat Heinrich Mann jedoch die von den Naturalisten geforderte Wahrnehmungsintensität und die damit verbundene Genauigkeit des Erzählens für sich akzeptiert. Er gehörte zu jenen ›modernen‹ Romanautoren, die sich als ›Beobachter einer Gesellschaft‹ verstanden und überzeugt waren, mit ihrem besonderen Blick, d. h. einer ästhetischen Wahrnehmung, die Komplexität der modernen Gesellschaft durchdringen und die (scheinbar) »getrennten Welten« zusammenbringen zu können.15 1931 hat Heinrich Mann seine Idealvorstellung umrissen: »Ein sozialer Romancier liebt seine Menschen nicht nur einzeln und um ihrer selbst willen. Noch mehr bewegt ihn ihre soziale Bedingtheit – die Gesellschaft, die sie hervorbringt«.16 Dieses starke Interesse an den gesellschaftlichen Strukturen war in der wilhelminischen Epoche keineswegs üblich. Auch wenn kritische Wissenschaftler wie Georg Simmel, Werner Sombart und Max Weber einer neuen »Gesellschafts-« und »Kulturwissenschaft« die Wege bahnten, so gab es eigentlich keine ausgebildete Gesellschaftswissenschaft, die Erklärungsmodelle für die Gegenwart suchte. Besonders die Historiker waren einer zeit-, sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Forschung wenig zugeneigt »Diese Abblendung des Bereichs der materiellen Verhältnisse, kollektiven Bedürfnisse und treibenden Konflikte enthielt ein Element der Verdrängung«.17
© 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Gerade um solche Verdrängungsphänomene ging es Heinrich Mann im Untertan. Um diese ideologische Verschleierung des Alltags deutlich werden zu lassen, hat er immer wieder das Theaterspiel in seinen Romanen thematisiert und seine Romanfiguren auch im alltäglichen Rollenspiel vorgeführt.18 Die intendierte Täuschung anderer führt meist zur Selbsttäuschung, d. h. zur Internalisierung der gespielten Rolle. Für Heinrich Mann war der Wilhelminismus auf Lügen aufgebaut, verdeckte mit einer glänzenden Fassade die Zerstörung der alten Wertordnung und betrieb eine Ästhetisierung der Macht. Für ihn war der Repräsentant dieser Epoche, der Kaiser Wilhelm II., ein Schauspieler. Wolfgang Buck spricht im Untertan diese Überzeugung des Autors aus (vgl. z. B. 206) und sieht »das öffentliche Leben« durch »einen Anstrich schlechten Komödiantentums« geprägt: »Die Gesinnung trägt Kostüm, Reden fallen, wie von Kreuzrittern, indes man Blech erzeugt oder Papier« (238). Dem Leben fehlt im Untertan das Authentische, das Unverstellte, es gerät zum »Satyrspiel voll opernhafter Theatralik«.19 Und umgekehrt scheint das Theater das Leben widerzuspiegeln, fühlt sich Diederich Heßling doch bei einer Lohengrin-Aufführung »wie zu Hause« (347). Die Zunahme des Theatralischen im öffentlichen Leben, die gerade im Bürgertum verbreitete Neigung zur ›Lebenslüge‹ haben Autoren schon vor Heinrich Mann konstatiert. Es war Friedrich Nietzsche, der 1882 in Die fröhliche Wissenschaft den Schauspieler-Typus zur Herrschaft drangen sah: Muß nicht der, welcher die Menge bewegen will, der Schauspieler seiner selber sein? Muß er nicht sich selber erst ins Grotesk-Deutliche übersetzen und seine ganze Person und Sache in dieser Vergröberung und Vereinfachung vortragen?20 Und Nietzsches Warnung von 1888 in Der Fall Wagner: »Daß der Schauspieler nicht zum Verführer der Echten wird«,21 hat auch einen Publizisten wie Max Nordau beschäftigt, der mit seinen Die conventionellen Lügen der Kulturmenschheit (1883) © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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großen Erfolg hatte. Von der akademischen Wissenschaft hat ein Außenseiter wie der Historiker Ludwig Quidde mit seinem Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn (1896) einen verschlüsselten Beitrag zu diesem Thema geliefert, denn im historischen Kostüm sollte Wilhelm II. erkennbar werden. Auch Quidde konstatierte einen »theatralischen Schein«. Was er über Caligula bzw. Wilhelm II. schrieb, gilt auch für Heinrich Manns Diederich Heßling und ist zugleich ein frühes Beispiel für eine sozialpsychologische Geschichtsschreibung: Es kommt bei diesem komödiantischen Zuge des Cäsarenwahnsinns wohl zweierlei zusammen, erstens eine krankhaft-phantastische Anlage, gleichsam die stehen gebliebene Neigung des Kindes, seine Phantasiegebilde mit der realen Welt zu verschmelzen, eine Neigung, die sich unter Verhältnissen am besten halten kann, wo an Stelle einfacher Natürlichkeit schon so viel verschrobenes Komödienspiel, so viele Fiktionen herrschend sind, wie an einem Kaiserhofe, und dann zweitens das Bedürfnis, überall und auf jedem Gebiete zu glänzen, ein Bedürfnis, das ebenfalls durch die eigenartige Stellung des absoluten Herrschers krankhaft genährt wird.22 Was kritische Zeitgenossen wie Nietzsche, Nordau, Quidde oder Heinrich Mann mit Empörung beobachteten, ist von einem modernen Sozialwissenschaftler wie Richard Sennett bestätigt worden, wenn er den »Akteur« als einen neuen Typus im 19. Jahrhundert ausmacht: »Die öffentliche Identität der wenigen, die aktiv blieben, machte im 19. Jahrhundert einen bemerkenswerten Wandel durch. Man begann, den Politiker danach zu beurteilen, ob er als Persönlichkeit ebenso überzeugend wirkte wie der Schauspieler auf der Bühne.«23 Heinrich Mann wollte dieses Lügengespinst zerreißen und – wie sein Emile Zola – ein »Erzieher zur Wahrheit« sein.24 Als Schriftsteller fühlte er sich aufgerufen, jene © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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gesellschaftspolitische Diskussion zu führen, der sich die Wissenschaftler verweigerten. Romane wie Der Untertan sind ein gutes Beispiel für die These, Literatur könne eine »Para-Disziplin« zur Wissenschaft sein, weil sie sich mit ihrem besonderen Erkenntnisinteresse als »Speicher wissenschaftlicher Alternativen« erweise.25 Wie Sigmund Freud für seine Psychoanalyse Anregungen in der Dichtung und damit auch Muster seiner Wissenschaft vorgeprägt fand, so war Heinrich Mann vom »wissenschaftlichen Geist« eines Zola und von dessen Absicht angetan, mit dem ›sozialen Roman‹ Gesellschaftsanalyse treiben zu wollen. Dafür musste er die Rolle des Schriftstellers neu bestimmen: »Das Genie muß sich für den Bruder des letzten Reporters halten«, heißt es 1910 in Geist und Tat.26 Es ist nur konsequent, wenn er im gleichen Jahr in seinem Essay Voltaire – Goethe behauptete, der Roman ›erziehe‹ zur Demokratie, sei »gleichmacherisch von Natur« und werde »groß mit der Demokratie«.27 Für Heinrich Mann gab es keine Trennung zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Tätigkeit. Was sein Zeitgenosse Georg Lukács 1910 als Getrenntes beschrieb, war für ihn Gemeinsames: »In der Wissenschaft wirken auf uns die Inhalte, in der Kunst die Formen; die Wissenschaft bietet uns Tatsachen und ihre Zusammenhänge, die Kunst aber Seelen und Schicksale.«28 Heinrich Mann hatte als kritischer Zeitbeobachter wohl frühzeitig erkannt, dass mit der ›Krise des Historismus‹, die ja eine Erkenntniskrise der Wissenschaften meint, besonders die historischen Wissenschaften ihren Anspruch aufgeben mussten, den Königsweg zur Welterkenntnis weisen zu können Schon 1890 erklärte er den »Dichter« zum »Herold seiner Zeit«: »Niemals kann eine spätergeborene Generation den Geist und die Bestrebungen der Vorfahren aus professoralen Geschichtswerken dem innersten Wesen nach erkennen.«29 Erneut erhob damit der Künstler den Anspruch, auf besondere Weise Aufklärung betreiben zu können. Gerade weil Heinrich Mann sich nicht in Idealkonkurrenz zur akademischen Wissenschaft sah, wie es noch bei den Naturalisten © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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der Fall gewesen war, sondern einzig der besonderen ästhetischen Wahrnehmungskraft vertraute, entwickelte er neue Modelle der Gesellschaftsanalyse, die erst in den folgenden Jahrzehnten auch in der akademischen Wissenschaft Anerkennung fanden. Wenn er eine »Geschichte der öffentlichen Seele« bzw. eine »innere Zeitgeschichte« schreiben wollte, so waren das frühe Formen einer Mentalitätsgeschichtsschreibung, wie sie dann in der Zwischenkriegszeit in Frankreich von Historikern um die Zeitschrift Annales entwickelt wurde. Die Suche nach kollektiven Bewusstseinsstrukturen, nach einem »Gesellschaftscharakter« (Erich Fromm), ist ein herausragendes Phänomen des 20. Jahrhunderts. Dazu gehören z. B. die Studien von Wilhelm Reich ebenso wie die Arbeiten aus dem »Frankfurter Institut für Sozialforschung« (seit 1923) oder von Alexander und Margarete Mitscherlich.30 Die Forschung hat eindrucksvoll die Studien zu Autorität und Familie (1936) und zum »autoritären Charakter« (1950) auf den Untertan bezogen.31 Im Zeitalter der ›Massengesellschaft‹ – Gustave Le Bons Psychologie der Massen war schon 1895 erschienen – lag es nahe, der ›Entpersönlichung‹ bzw. ›Entindividualisierung‹ nachzuspüren.32 Heinrich Manns Bemühen um den ›Typus‹ zeigt ihn in einer aktuellen Diskussion seiner Zeit, wie nicht nur ein Blick zu Max Webers Konstruktion eines ›Idealtypus‹ beweist, mit dem Weber einzelne beobachtete soziale Phänomene zu einem fiktiven Ganzen zusammenfasste, sondern auch bei Autoren wie Bertolt Brecht, Hermann Broch, Ernst Jünger oder Kurt Tucholsky wurde es bald üblich, mehr auf das Typische als auf das Individuelle zu schauen. Entwertet wurde mit dieser neuen Sicht die beliebte Vorstellung vom ›großen‹, handlungsmächtigen und selbstbestimmten Individuum. Während noch die Historiker mit ihren Arbeiten Heinrich von Treitschkes Diktum »Männer machen die Geschichte« zu rechtfertigen trachteten, erprobte Heinrich Mann schon in Die kleine Stadt (1909) einen Gesellschaftsromantypus ohne herausragenden Helden und polemisierte in Geist und Tat (1910): »Seine großen Männer! Hat man je ermessen, was sie dies Volk schon © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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gekostet haben?«33 Im Untertan íst Wolfgang Buck das Sprachrohr des Autors, wenn er behauptet, es komme »am allerwenigsten auf große Männer« an (81). 1909 erklärte Heinrich Mann in einer autobiographischen Skizze, sein Weg habe ihn »von der Behauptung des Individualismus zur Verehrung der Demokratie« geführt.34 Mit der Akzentverlagerung vom Individuum zum Typus, vom Einzelnen zum ›Volk‹ – auch ›Masse‹ ist als Begriff bei H. Mann positiv besetzt – und damit von der Individualzur Gesellschaftsgeschichte hatte Heinrich Mann früher als die meisten Wissenschaftler gespürt, dass nur mit einer differenzierten Beobachtungstechnik, mit einer veränderten Neugier die Strukturen der modernen anonymen und komplexen Gesellschaft zu erfassen waren. Er war am ›vergesellschafteten‹ Individuum interessiert und auf der Suche nach der ›Durchschnittspersönlichkeit‹ und einem ›Sozialcharakter‹, wie er auch in der neueren Geschichts- und besonders in der Sozialwissenschaft in den Blick gekommen ist.35 Auch Heinrich Manns Kaiserreich-Trilogie will Epochenaufriss sein und das schildern, was Mann Emile Zolas Les Rougon Macquart-Zyklus zugeschrieben hat: Der Stoff ist das französische zweite Kaiserreich, seine menschliche Geschichte, der Bau und Betrieb seines inneren Lebens, d. h. also, Gesellschaft, Familie, Wirtschaft, Arbeit, der Proletarier, die Besitzenden, die Führer, die Frauen, alles, was ein Geschlecht und ein Reich ausmacht.36
Satire und Realität Es hat lange gedauert, bis Der Untertan als wichtiger Roman in der deutschen Romangeschichte akzeptiert und der satirische Grundzug als eine besondere Art der Wirklichkeitserfassung gewürdigt worden ist.37 Eine an konservativen ästhetischen © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Maximen ausgerichtete Literaturkritik hat in diesem angeblich aus »bitterm Haß und ohnmächtiger Wut«38 geschriebenen Roman nur »ein Zerrbild ohne Wirklichkeitsgrund«, wie Thomas Mann »die Gefahren der Satire« generell beschrieben hat,39 sehen wollen. Während diese Kritiker eine ›poetische‹ Gestaltung und eine versöhnend-humorvolle Grundstimmung vermissten, erkannten andere durchaus schon das ›Moderne‹ am Untertan, wenn sie ihn als »Bürgerspiegel« und »Heinrich Manns Musterknabe(n) Diederich« »als ein rechtes Kind seiner Zeit« zu sehen vermochten und damit den Akzent auf die realistische Darstellung setzten.40 Ein Heinrich Mann verwandter Geist wie Kurt Tucholsky hat behauptet, die Satire »bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird«.41 Den Untertan kann er deshalb als »bescheidene Fotographie« bewerten: »Es ist in Wahrheit schlimmer, es ist viel schlimmer.«42 Anerkannt wird mit solchen Aussagen der Satiriker als Moralist und Aufklärer, der seiner Zeit den Spiegel vorhalte, aber auch an ihr leide und auf Änderung hoffe. »Gute Satiren schrieb nie jemand, er hätte denn irgendeine Zugehörigkeit gehabt zu dem, was er dem Gelächter preisgab«.43 Was Heinrich Mann für Flaubert formuliert hat, lässt sich auch auf ihn selbst beziehen. Er will die gesellschaftliche Realität keineswegs bis zur Unkenntlichkeit verzeichnen, sondern gerade – ähnlich dem zeichnerischen Karikaturisten – die sie bestimmenden Züge hervorheben. H. Mann hat deshalb auch von einem »überrealistisch(en)« Lebenssinn gesprochen44 und wohl damit etwas Ähnliches gemeint wie Hermann Broch, der für einen ›erweiterten Naturalismus‹ eintrat, den er als »Sphäre der traumhaft erhöhten Realität« bestimmte.45 Dass »Karikatur und Excentricität« »aus der beobachteten Wirklichkeit« entstehen müssen, war Heinrich Manns Überzeugung.46 Für ihn gab es »nichts Sensationelleres als das Leben«,47 aber er verweigerte sich einer harmonisierenden, idealisierenden Zusammenschau: »Wer dagegen immer nur beschönigt, abschwächt, vergemütlicht, kommt nie zu der Ehre, bessern zu wollen. Je hübscher die Welt in den Büchern ist, um © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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so häßlicher pflegt sie sich wirklich aufzuführen.«48 Seine Satire will zwar auch unterhalten, aber vor allem provozieren. Beziehungsvoll hat er das Hässliche schon im Namen seines Helden verankert. Es ist die satirische Behandlung des Stoffes, die den Untertan in die frühe Geschichte des ›modernen‹ Romans einordnet, auch wenn bis heute Historiker und Theoretiker des Romans diesen Anteil nicht allzu hoch einschätzen und sich lieber an den Bruder Thomas Mann und dessen ironische Färbung der Romane halten.49 Offensichtlich wird dem satirischen Stil weniger ästhetische Qualität zugesprochen als dem ironischen. Ein Urteil, das sich schon in Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen (1918) finden lässt. Da wird – im Blick auf den Bruder und sein Werk – gegen den »politischen Moralisten, den Mann der inneren Politik und der nationalen Selbstkritik als Satiriker« polemisiert und für eine »ironische Bescheidenheit« plädiert.50 Ironie und Satire – das hat Thomas Mann allerdings bald eingestanden – verdanken sich eher dem »Unterschiede des Temperaments, des Gemüts, der Moralität, des Welterlebnisses«.51 Es gilt also anzuerkennen, dass der ironische und satirische Stil gleichwertige Antworten auf die ›Krise des Romans‹ darstellen und als der Versuch zu werten sind, einer neuen komplexen Welt mit veränderten Erzählmustern zu begegnen. Offensichtlich fasziniert der ironische Tonfall – auch heute noch – die Intellektuellen mehr, da er Distanz schafft und Überlegenheitsgefühle sichert. Auch wenn dem Ironiker durchaus eine scharfe Urteilskraft eignen kann, so zeichnet er sich fast immer durch Zurückhaltung gegenüber dem öffentlichen Leben aus und auch durch Handlungsschwäche. Wolfgang Buck repräsentiert diesen Typus im Untertan. »Unsere Zeit, bester Zeitgenosse« – schon diese Anrede Diederich Heßlings ist pure Ironie – »ist nicht tatbereit. Um seine Erlebnisfähigkeit zu üben, muß man vor allem leben, und die Tat ist so lebensgefährlich.« (206) Wer aber – wie Heinrich Mann es 1907 für sich beschlossen hat – »kein Aesthet« sein will und bekennt: »ich bin radikal im Geistigen, © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Seelischen, Formalen«,52 wer »Geist und Tat« zusammenzwingen, gar »Agitator« sein will,53 muss die Distanz aufgeben, sich einmischen, deutlich und direkt werden – gerade deshalb Überzeichnungen wagen und Anstoß erregen. Das verbindet Heinrich Mann mit anderen Satirikern des frühen 20. Jahrhunderts, z. B. mit Karl Kraus, Carl Sternheim oder Kurt Tucholsky. Satire ist durchaus ein ›naturalistisches‹ Stilmittel, weil sie auf eine verletzende Genauigkeit aus ist und sich jeder Idealisierung verweigert. Ist Ironie das poetische Florett, so Satire der Säbel. Heinrich Mann wollte mit der Satire tiefe Wunden schlagen, um die Strukturen hinter der reputierlich erscheinenden Oberfläche der wilhelminischen Gesellschaft aufzudecken. Wie sein bewundertes Vorbild Emile Zola mag er sich auch als »ArztExperimentator« am moribunden Gesellschaftskörper empfunden haben, aber er war auch jener die wahren Verhältnisse verschleiernden »Ästhetisierung der Politik«54 auf der Spur, die in der Weimarer Republik die intellektuelle Debatte über den aufkommenden Faschismus mitbestimmt hat. Um eine Massensuggestion zu erreichen, werden die eigentlichen politischen oder ökonomischen Interessen durch eine ideologische Rhetorik überlagert, die z. B. auf die gemeinsamen ›nationalen‹ Interessen abhebt. Es ist wiederum Wolfgang Buck, der im Untertan die Meinung des Autors vertritt: »Klasseninteressen, mag sein, aber umgelogen durch Romantik. Eine romantische Prostration vor einem Herrn, der seinem Untertan von seiner Macht das Nötige leihen soll, um die noch Kleineren niederzuhalten.« (237 f.) Heinrich Mann will im Untertan aufzeigen, wie verlogen der neue Bürger vom Typus des kleinen Papierfabrikanten Heßling ist. Wenn dieser einmal »sein Herz sprechen« lässt, »Treue, Opfersinn und mannhaften Idealismus« beschwört (376), dann ergreift bald »wieder die Vernunft das Wort« (377), d. h. es wird »die politische Haltung auf der gesunden Grundlage der Interessen festgelegt« (378). Wie sehr diese rhetorische Camouflage schon zum zeittypischen Phänomen geworden war, hat wiederum Friedrich Nietzsche © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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schon 1882 in der Fröhlichen Wissenschaft beschrieben. Bei vielen Zeitgenossen hat er eine »Falschheit mit gutem Gewissen« beobachtet: »die Lust an der Verstellung als Macht herausbrechend, den sogenannten ›Charakter‹ beiseite schiebend, überflutend, mitunter auslöschend; das innere Verlangen in eine Rolle und Maske, in einen Schein hinein; ein Überschuß an Anpassungs-Fähigkeiten aller Art.55« Auch die »Verkleidung der ›moralischen Menschen‹« hat Nietzsche aufgedeckt. Sollte, so fragt er, »das ganze wohlwollende Verstecken unsrer Handlungen unter die Begriffe Pflicht, Tugend, Gemeinsinn, Ehrenhaftigkeit, Selbstverleugnung nicht seine ebenso guten Gründe haben?« Nietzsche gibt darauf eine Antwort, die zugleich erhellend für den Untertan ist: Der Europäer verkleidet sich in die Moral, weil er ein krankes, kränkliches, krüppelhaftes Tier geworden ist, das gute Grunde hat, ›zahm‹ zu sein, weil er beinahe eine Mißgeburt, etwas Halbes, Schwaches, Linkisches ist . . . Nicht die Furchtbarkeit des Raubtiers findet eine moralische Verkleidung nötig, sondern das Herdentier mit seiner tiefen Mittelmäßigkeit, Angst und Langeweile an sich selbst. Moral putzt den Europäer auf – gestehen wir es ein! – ins Vornehme, Bedeutendere, Ansehnlichere, ins ›Göttliche‹ –56 Mit Diederich Heßling wird uns im Untertan ein Bürger vorgeführt, der die Moral zwar an die Rede, nicht aber an die Tat bindet. Diese Charakterzüge treten durch die Satire überdeutlich hervor. Die satirische Technik des Untertan ist in der Forschung am besten aufgearbeitet worden.57 Dabei wird auf die Funktion der Sprache, z. B. auf die sprechenden Namen – von Diederich Heßling über den Sozialisten Napoleon Fischer bis zum Redakteur Nothgroschen –, auf die Szenenmontage mit ihrer Wiederholungs- bzw. Variationsstruktur – ähnlich wie der junge Heßling den um die Heirat bittenden Vater © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Göppel abfertigt (98 f.), behandelt später der Leutnant von Brietzen Heßling selbst (398 f.) – und auf die zunehmende Identifizierung des Untertans mit seinem Kaiser (vgl. die jeweiligen Schlusspassagen der sechs Teile) hingewiesen. Vor allem wurde immer wieder die raffinierte Zitatenmontage aufgezeigt.58 Wenn Diederich Heßling die »heiligsten Güter« und »herrlichste Tage« beschwört, gegen die »vaterlandslosen Gesellen«, den »Umsturz« oder den »Erbfeind« wettert, führt er markige Worte seines Kaisers im Mund. Wie sehr Zitate als satirisches Mittel eingesetzt werden können, um eine eigentlich unvorstellbare Wirklichkeit zu evozieren, hat auch Karl Kraus mit seiner Tragödie Die letzten Tage der Menschheit (1918/19) demonstriert. Kraus operiert ebenfalls mit Realzitaten, die die herrschende Gesellschaft in ihrer Inhumanität zeigen sollen. Im Vorwort fühlt sich Kraus zu einer Versicherung verpflichtet, die ähnlich auch auf den Untertan anzuwenden wäre: Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate. Sätze, deren Wahnwitz unverlierbar dem Ohr eingeschrieben ist, wachsen zur Lebensmusik. Das Dokument ist Figur, Berichte erstehen als Gestalten, Gestalten verenden als Leitartikel; das Feuilleton bekam einen Mund, der es monologisch von sich gibt; Phrasen stehen auf zwei Beinen –59 Wenn Diederich Heßling die Worte und Reden seines Kaisers in der kleinen Provinzstadt Netzig wiederholt, entlarven sie sich als nichtssagende Phrasen, als verbale Renommage. Das Satirische ist allerdings nicht nur in einzelnen stilistischen Eigenarten oder in der Episodenstruktur des Romans fassbar, sondern bestimmt auch dessen Makrostruktur, © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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denn es handelt sich beim Untertan um eine Travestie des bürgerlichen Bildungsromans. Hatte dieser Romantypus seit dem 18. Jahrhundert die Personwerdung des bürgerlichen Individuums widergespiegelt, waren in ihm die Innenwelten des Menschen erschlossen worden, und hatte er vor allem einen individuellen, unverwechselbaren Bildungsprozess eines nach Autonomie strebenden Individuums nachgezeichnet,60 so desavouiert Heinrich Mann im Untertan solchen Idealismus: Sein ›Held‹ gewinnt keine eigene Persönlichkeitsstruktur, sondern passt sich fremden Lebensmustern an, durchläuft einen zunehmenden Entfremdungsprozess und wird damit nach der Absicht des Autors vielen Zeitgenossen ähnlich. Schon 1907 hält Heinrich Mann für den Roman fest: »Sein Held soll der durchschnittliche Neudeutsche sein, Einer, der den Berliner Geist in die Provinz trägt; vor Allem ein Byzantiner bis ins allerletzte Stadium.«61 Von Zeitgenossen, die wie Heinrich Mann mehr auf die typischen Züge ihrer Mitmenschen achteten, wurde diese satirische Behandlung des Bildungs- und Entwicklungsromans rasch verstanden. 1919 hat Kurt Tucholsky vom »Herbarium des deutschen Mannes«62 und später vom »Anatomie-Atlas des Reichs«63 gesprochen: Ein Stück Lebensgeschichte eines Deutschen wird aufgerollt: Diederich Heßling, Sohn eines kleinen Papierfabrikanten, wächst auf, studiert und geht zu den Korpsstudenten, dient und geht zu den Drückebergern, macht seinen Doktor, übernimmt die väterliche Fabrik, heiratet reich und zeugt Kinder. Aber das ist nicht nur Diederich Heßling oder ein Typ. Das ist der Kaiser, wie er leibte und lebte. Das ist die Inkarnation des deutschen Machtgedankens, das ist einer der kleinen Könige, wie sie zu Hunderten und Tausenden in Deutschland lebten und leben, getreu dem kaiserlichen Vorbild, ganze Herrscherchen und ganze Untertanen.64 © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Es ging Heinrich Mann eben nicht um den Roman einer geglückten Individuation, die sich etwa im Sinne der Goethe’schen Entelechie-Idee quasi als naturhafte Entfaltung des Menschen zu vollziehen hatte,65 sondern um die gesellschaftlichen Kräfte, die die Person formen. So war er nicht an einer intensiven psychologischen und den einzelnen Stationen des Entwicklungsganges nachspürenden Erzählung interessiert. Statt der ruhigen episch-linearen Entfaltung, zeichnet er mit einigen, sehr kräftig ausgemalten Episoden die Grundlinien eines Typus – und will den Leser damit zu vielfältigen Übertragungs- und Analogieversuchen anregen. Die epische Technik der Romane Heinrich Manns ist frühzeitig mit dem Begriff ›dramatisch‹ assoziiert worden. Lion Feuchtwanger hat sich z. B. durch Manns Die kleine Stadt (1909) zur Theorie seines »dramatischen Romans« anregen lassen: Roman: ein Weltbild soll gegeben sein, nicht ein Einzelschicksal bloß, ein Zeitbild zumindest, Hintergründe, Unterströmungen, Belichtungen von verschiedenen Seiten, Umwelt, Ursachen und Ziele, das Bewegte und das Bewegende. Ein dramatischer Roman: kein Verweilen soll sein, kein sanftes Vorwärtsgleiten, Betrachtung soll vermieden, gesagte, nicht gestaltete Wertung vom Autor her soll ausgeschlossen sein. Ruckweise empor soll der Weg gehen, auf starkgegliederten Stufen, das gesprochene Wort sei das Hauptmittel, und Objektivierung alles.66 Hugo Dittberner hat für die frühen Romane Heinrich Manns den glücklichen Begriff von der »szenischen Regie« geprägt: Sie stelle das »Mosaik der sich in ihren Teilen wechselseitig belichtenden Gesellschaft her«.67 Damit ist jene Perspektivenaufsplitterung gemeint, die auch Feuchtwanger angesprochen hat und die zu einem Grundzug des ›modernen‹ Romans geworden ist. Epiker und Historiker hatten © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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im 19. Jahrhundert meist noch an eine geschichtsimmanente Sinnstruktur geglaubt und waren überzeugt, es gelte, nur »die Dinge reden, die mächtigen Kräfte erscheinen zu lassen«, wie es Leopold von Ranke verkündete.68 Entsprach diesem Erkenntnisoptimismus eine klare erzählerische Kohäsion und ruhige Sukzession, so folgte dem Zweifel an dieser geheimnisvollen Sinnstruktur der Geschichte auch eine Verunsicherung in der narrativen Organisation des historischen Stoffes. Hatte schon Gustav Droysen in seiner Historik (1868) vor der »erzählenden Darstellung« gewarnt: »Das so Geschaffene ist eine Totalität, ein in sich Vollkommenes«,69 so hat die Fachwissenschaft doch erst in jüngster Zeit eine energische Diskussion um »Theorie und Erzählung in der Geschichte« geführt.70 Romanautoren wie Heinrich Mann oder Lion Feuchtwanger haben frühzeitig gespürt, dass die ›Krise des Historismus‹ auch eine Krise des Erzählens bedingte und es keineswegs mehr um jene »Gesinnung zur Totalität« gehen konnte, die Georg Lukács noch 1920 in seiner Theorie des Romans in Anlehnung an Hegel’sche Ideen einforderte. Glaubte Lukács noch, mit der »biographischen Form« des Romans dem Individuum ein »Eigengewicht« und ein »vollendetes und immanent sinnvolles Leben« sichern zu können,71 so verweigerte sich Heinrich Mann dieser Illusion einer ästhetisch erzeugten glücklichen Individuation. (Später hat er allerdings in den Henri-Quatre-Romanen diesen Versuch dennoch gewagt.) Er wollte die Bruchstellen der Gesellschaft kenntlich machen, die Existenzkrise des Individuums gestalten und Entfremdungsprozesse erfassen. Die für den ›modernen‹ Roman als typisch herausgestellte ›Entpersönlichung‹ und ›Entfabelung‹ müssen auch als ästhetischer Reflex auf den neuen geschichtsphilosophischen Pessimismus gesehen werden. Als der Glaube verlorenging, dass es für alle Menschen verbindliche Sinn- und Wertmuster gebe und dass sich weder historisch-gesellschaftliche noch individuelle Prozesse final-linear und logisch-kausal entfalteten, als stattdessen an eine »Umwertung aller Werte« (Nietzsche) geglaubt © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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wurde und Geschichte und Individuation als ›offene‹ und kontingente Prozesse gesehen wurden, wollten auch die modernen Romanautoren nicht mehr mit ästhetischnarrativen Mitteln Illusionswelten entwerfen. Sie setzten gegen die scheinbare Sicherheit bestimmter Weltdeutungen den Zweifel und erprobten subjektive und phantasievolle Eroberungen anderer Weltbilder. Sie wollten die Leser in neue Wahrnehmungstechniken einüben, ihnen Mut zu einer sich offen und schwierig gestaltenden Sinndeutung machen. Diese herausgestellte Subjektivität meint nicht Beliebigkeit, sondern ist ein Dialogangebot an den Leser, über den Roman Hilfen bei der Orientierung in einer schwer zu überschauenden Welt zu erhalten. Theodor W. Adorno hat darauf verwiesen, dass die »Parteinahme gegen die Lüge der Darstellung« zwangsläufig zur Zerstörung der alten epischen Formen führen musste,72 z. B. durch die in die Erzählung eingelagerten Reflexionen. Was den Historikern in unserer Gegenwart nahegelegt wurde: sie sollten sich ein Beispiel am diskontinuierlichen Erzählen des modernen Romans nehmen und eine »wechselseitige Ergänzung von Erzählung und Strukturanalyse« probieren,73 war für Heinrich Mann schon für die frühen ›sozialen Romane‹ selbstverständlich. Anders als einer der Hauptvertreter des ›sozialen Romans‹ im späten 19. Jahrhundert, Friedrich Spielhagen,74 glaubte Heinrich Mann nicht mehr an einen ›objektiven‹ Roman und wollte deshalb auch nicht den Erzähler aus dem Roman verdrängen. Ihm lag daran, dass seine Leser die jeweilige Intention des Romans verstanden und erkannten, warum hier erzählt wurde. Da er keine Individual-, sondern eine Sozialgeschichte schreiben wollte und er sich zudem von einer bestimmten Idee leiten ließ: »Die am häufigsten von mir durchgeführte Idee ist eben die der Macht«,75 war er bemüht, diesen der Erzählung »vorgeordneten Sinn«76 erkennbar werden zu lassen. So ist im Untertan der Begriff der ›Macht‹ eine Art metaphorischer Klammer,77 die die »soziale Bilderfolge«78 zusammenhält. Die ›Macht‹ wird in einer Reihe von epischen Momentaufnahmen © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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vergegenwärtigt, die ›dramatisch‹ gestaltet und fast immer satirisch zugespitzt werden. Der Gefahr, dass durch diese Pointierung die Teile gegenüber dem Ganzen zu gewichtig werden, begegnet H. Mann mit Reflexionen bzw. Deutungen, die die Funktion der Episoden herausstellen. Die Idee der ›Macht‹ kommt also im Untertan in doppelter Weise zum Zuge: in der Erzählung und im Kommentar. Wobei dieser Kommentar meist in die Figurenrede verlagert wird. Im Untertan gibt vor allem Wolfgang Buck die entscheidenden Deutungen: So erklärt er den Schauspieler zum »repräsentativen Typus dieser Zeit« (206), beschreibt den »Untertan«-Typus am Beispiel Diederich Heßlings (237 f.), lässt sich mit Heßling auf eine Diskussion über »Geist« und »Tat« ein (317), unterhält sich mit seinem Vater über »Geist und Zukunft« und entwirft ein pessimistisches Bild der Gegenwart (454 ff.). Ausnahmsweise gibt am Schluss dieser letzten Episode Diederich Heßling die Meinung des Erzählers wieder: »aber Diederich fühlte, es wäre besser gewesen, sie hätten einen gesunden Lärm im Lande geschlagen, als daß sie hier im Dunkeln diese Dinge flüsterten, die doch nur von Geist und Zukunft handelten«. (457) Gelegentlich tritt auch der Erzähler hervor und deutet das Erzählte. So werden Diederichs Schulerfahrungen mit wenigen Sätzen umrissen – der Bildungsroman alter Prägung hätte darauf mehr erzählerische Sorgfalt verwandt – und im Anschluss daran wird sofort eine Deutung gegeben, die wiederum zu einer kleinen satirischen Szene überleitet: Denn Diederich war so beschaffen, daß die Zugehörigkeit zu einem unpersönlichen Ganzen, zu diesem unerbittlichen, menschenverachtenden, maschinellen Organismus, der das Gymnasium war, ihn beglückte, daß die Macht, die kalte Macht, an der er selbst, wenn auch nur leidend, teilhatte, sein Stolz war. Am Geburtstag des
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Ordinarius bekränzte man Katheder und Tafel. Diederich umwand sogar den Rohrstock. (13) Das ist nicht nur eine gute Beschreibung des ›autoritären Charakters‹, sondern auch eine Demonstration eines neuen ›dichten‹ Erzählens, bei dem gerade die ›Stilbrüche‹ das Lesevergnügen steigern können und eine Spannung zwischen künstlerischer und historischer ›Wahrheit‹ aufscheint. Heinrich Mann ging es ja nicht um eine Mimesis des Alltags, wie es bei den Naturalisten üblich war, sondern um eine aus der Kunst sich hervordrängende Erkenntnis. Trapp hat einleuchtend beschrieben, dass der Leser bei Heinrich Mann »nicht unmittelbar ein Bild empirischer Wirklichkeit« erhalte, dass aber »mit seinem Wissen und seiner Interpretation sich aus dem Dargestellten ein solches Bild formt«.79 Um diese Vermittlung von ästhetischer und empirischer Wirklichkeit, die der Leser zu leisten hat, ging es Heinrich Mann. Was er an Emile Zola bewundert hat, beschreibt auch sein Selbstverständnis als Autor und auch seine Hoffnung auf die besondere Wirkung eines Romans wie Der Untertan: »Da ließ er denn aus Dokumenten, die ihm alles brachten, Plan, Charaktere, Handlung, eine Wirklichkeit sich bilden und vollenden, die dennoch nur seine war, – aber die Zeit nahm sie entgegen, sie bestätigte seine Wahrheit!«80 Es gibt wenige deutsche Romane, deren ›Wahrheit‹ so sehr von der ›Zeit‹ beglaubigt worden sind, d. h. wo die Leser gerade über die literarische Satire die verstellte empirische Wirklichkeit erschlossen haben. Zwar hat es immer heftige Kritiker gegeben, die diese ›Wahrheit‹ des Untertan leugneten,81 aber selbst für einen Heinrich Mann skeptisch gegenüberstehenden modernen Historiker wie Thomas Nipperdey ist Diederich Heßling noch 1985 »ein spezifisch deutscher Typ, ein Produkt des deutschen politisch-sozialen Systems«. Allerdings ist für Nipperdey der Untertan nicht die
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vorherrschende Figur in der wilhelminischen Epoche, die er zudem viel positiver einzuschätzen vermag als Heinrich Mann: Aber: die deutsche Gesellschaft vor 1914 war auch eine Gesellschaft des Rechts, der relativen Liberalität und der Arbeit; sie war altmodisch segmentiert und zugleich auf dem Weg zum modernen Pluralismus; sie war eine Gesellschaft der Reformen, des Abschieds vom 19. Jahrhundert und der Sozialreformen vor allem, sie war eine Gesellschaft der Kritik; sie hat sich verbürgerlicht und liberalisiert, und sie entwickelte aus sich auch das wachsende Potential einer kommenden Demokratie. Wenn das alles so ist, dann scheint es mir heute viel wichtiger, als gebannt wie seit achtzig Jahren auf das Phänomen des Untertanen zu starren, die Krise des Obrigkeits-Untertanensystems und auch das Erneuerungspotential zu analysieren. Dann erst werden wir das eigentliche historische Charakteristikum der wilhelminischen Gesellschaft und Epoche erfassen.82 Nipperdeys differenzierender Gegenentwurf ist legitim, belegt allerdings nur die These, dass unsere Deutungen durch starke »erkenntnisleitende Interessen« (Habermas) bestimmt werden. Da Heinrich Mann als Zeitgenosse – und auch später aus historischer Sicht – die wilhelminische Gesellschaft skeptischer beurteilte, war seine Neugier auf die bestimmenden Kräfte gerichtet, die einer Humanisierung und Demokratisierung der Gesellschaft entgegenwirkten. Dass sein Erklärungsmodell auch heute noch – gerade nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus – überzeugen kann, belegt die sozial- und strukturgeschichtlich orientierte Geschichte des Kaiserreichs von HansUlrich Wehler. 1973 entwarf Wehler für die wilhelminische Epoche die »Matrix der autoritären Gesellschaft«, die er am deutlichsten in Familie, Schule, Universität, »Studentenverbindungen und Reserveoffizierswesen« erkannte.83 Die Übereinstimmung © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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mit Heinrich Manns Untertan ist eklatant. Und nicht zuletzt scheint hinter dem, was Wehler in seinem Kapitel »Die Untertanenmentalität« festhält, die Figur des Diederich Heßling auf: Eine Art psychisches Pendant zu diesen Institutionen des Obrigkeitsstaates bildete die Untertanenmentalität. Sie gebot, Willensakte, auch Übergriffe der Staatsgewalt passiv hinzunehmen, mit übervorsichtigem Stillschweigen auf die kleinen Schikanen des Alltags zu reagieren, dem Leutnant auf dem Bürgersteig mit gezogener Kappe auszuweichen, noch auf dem kleinen Dorfgendarmen den Abglanz des Staates ruhen zu sehen, mithin sich eher zu fügen als zu protestieren. Diese vornehmlich ostelbische Mentalität, die im freieren Rheinland oder Südwesten nicht selten Verachtung erregte, bildete das Produkt jahrhundertealter politischer und religiöser Traditionen.84
Der »Roman des bürgerlichen Deutschen unter der Regierung Wilhelms des Zweiten« Heinrich Mann hatte in der eingangs zitierten Passage aus Ein Zeitalter wird besichtigt Wert darauf gelegt, seinen Roman auch als Epochenroman verstanden zu sehen. Zwar hat er dazu nicht die distanzierte Vogelperspektive des Historikers gewählt und auch die großen zeitgeschichtlichen Ereignisse nicht berücksichtigt, sondern einen durchschnittlichen »Neudeutschen« vorgestellt, der seine Sozialisation in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts erhält: »Unter der Regierung Wilhelms des Zweiten«, der von 1888 bis 1918 preußischer König und deutscher Kaiser war. Die Gesellschaft des Kaiserreichs, genauer: Preußens, kommt mit ihren Repräsentanten in einem weiten Spektrum vor, aber der Akzent des Romans liegt eindeutig beim Bürgertum. Die © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Vertreter der alten preußischen Machteliten spielen noch eine Rolle im Roman: An einen Junker verkauft Heßling sein Stadtgrundstück (357), in einer Reihe von adligen Offizieren siehe er sein Preußenbild aufs schönste bestätigt (»Den macht uns niemand nach«, 400). Am stärksten tritt die preußische Macht in Gestalt des raubeinig-brutalen Regierungspräsidenten von Wulckow auf den Plan. Heßling liefert sich diesem Provinztyrannen aus, um seinen geschäftlichen Erfolg zu sichern. Am anderen Ende des sozialen Spektrums kommt das Proletariat in den Blick. Zwar werden wir mit dem Elend der Fabrikarbeit vertraut gemacht, z. B. wenn einem vierzehnjährigen Mädchen der Arm in einer Stahlwalze zerquetscht wird (266), aber im Vordergrund steht der ›Arbeiterführer‹ Napoleon Fischer, zuerst Meister in Heßlings Papierfabrik, dann Reichstagsabgeordneter der SPD in Berlin. Heinrich Mann hat diesen Vertreter der »proleatrische(n) Politik« (269) als einen karriereorientierten Mann gezeichnet, der sich geschickt anzupassen weiß. Schon 1911 in der Glosse Reichstag hat Heinrich Mann die Sozialdemokraten als »maßvolle kleine Bürger« bezeichnet.85 1919 in Kaiserreich und Republik hat er zwar die Partei als wichtige Oppositionsbewegung anerkannt, aber ihre Führer der »Heuchelei« geziehen: »Ihr Denken war zuletzt kapitalistisch«. Für das wilhelminische Zeitalter gelte: »es unterstand dem junkerlichen Bürger«.86 Diese ungewöhnliche soziologische Bestimmung lässt sich am Beispiel des Untertan verdeutlichen. Denn mit Diederich Heßling wird dieser Typus wohl am besten getroffen worden sein. Heinrich Mann hat – ähnlich wie sein Bruder Thomas – gespürt, dass gerade das deutsche Bürgertum sein ›Fin de Siècle‹ erlebte und sich um eine neue Selbstbestimmung bemühte. Tatsächlich stellt sich die wilhelminische Ära als eine Übergangsepoche dar, in der sich allmählich die alten sozialen Strukturen auflösten. Nach der Reichsgründung von 1871 erlebte Deutschland eine rasante wirtschaftliche, wissenschaftliche und technische Entwicklung. Zwar bestimmten weiterhin in Preußen die alten Machteliten: adlige Großagrarier (Junker), Militärs und Bürokraten die © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Politik,87 aber daneben konnte sich ein Bürgertum entfalten, das aus der gescheiterten Revolution von 1848 seine Lehren gezogen, sich in der »machtgeschützten Innerlichkeit« (Thomas Mann) einzurichten verstanden und sich vor allem auf die ökonomischen Interessen konzentriert hatte. (Oder sich zum ›Bildungsbürger‹ in feiner Distanz zum lautstarken Weltgetriebe stilisierte.88) »Da jeder einzelne sich lieber beschirmt und dienend sah, wie sollte er an die Demokratie glauben, an ein Volk von Herren.«89 Diese bürgerliche Resignation, die Heinrich Mann in Geist und Tat angeprangert hat, wird auch seinen Untertanen Diederich Heßling bestimmen. Auch wenn dieser gelegentlich die Faust vor Wut ballt (330 f.), die anarchistische Zerstörungslust eines Professor Unrat geht ihm ab. »Das Aufgehen im großen Ganzen!« (51) erscheint ihm als das rechte Gegenmittel gegen die Einsamkeitsgefühle und die tief empfundene soziale Verunsicherung. Diederich Heßling ist weit davon entfernt, ein gesichertes bürgerliches Selbstbewusstsein zu besitzen. Die sozialhistorische Forschung gibt die Gründe an für solche Verunsicherung. Im Blick auf das Ende des 19. Jahrhunderts hat sie eine rasche Dekomposition des traditionellen Bürgertums beschrieben: [. . .] am Vorabend des Ersten Weltkriegs gibt es ›Das Bürgertum‹ als Stand oder Gesellschaftsschicht nicht mehr. Es hat sich in einzelne Gruppen zersplittert, für die es keinen gemeinsamen Nenner mehr gibt. Diese Zersplitterung des alten Bürgertums resultierte aus der starken Differenzierung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Interessen, des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Horizonts seit den siebziger Jahren.90 Diese Aufspaltung des Bürgertums und die damit einhergehenden Konflikte sind im Untertan gut nachgezeichnet. Uns wird ein weites Spektrum bürgerlicher Standpunkte © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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angeboten: Das geht vom Altliberalen und 1848er Buck über die mittleren bzw. kleinen Unternehmer wie Lauer, Klüsing, Göppel, den Warenhausbesitzer Cohn, die Bürokraten wie Bürgermeister Scheffelweis, Staatsanwalt Jadassohn und Untersuchungsrichter Fritzsche, den Arzt Heuteufel, Pastor Zillich, Major a. D. Kunze, Professor Kühnchen bis hin zum Redakteur Nothgroschen und Heßlings Buchhalter Sötbier. Der alte Buck und auch der Buchhalter Sötbier – gegenüber dem auftrumpfenden jungen Heßling nimmt er eine ähnliche Stellung ein wie Bismarck gegenüber Wilhelm II. – haben sich noch eine altständische Bürgerlichkeit bewahrt, pochen auf Redlichkeit und Liberalität, kommen aber gegen den ›neudeutschen‹ Typus nicht mehr an. Wolfgang Buck, der Sohn des Revolutionärs von 1848, ist Heßlings einziger ›Gegner‹. Er ist zwar ein guter Diagnostiker, aber ihm mangelt es an Tatkraft, auch er arrangiert sich: »Wir sollten uns leicht und klein nehmen heute, es ist die sicherste Haltung angesichts der Zukunft« (455). Damit rettet Wolfgang Buck für sich noch etwas vom alten Individualismus des Bildungsbürgertums, aber überlässt – trotz der Mahnung des Vaters – das »Feld« (456) der neuen ›Macht‹, die in Diederich Heßling personifiziert ist. Mag der alte Buck noch den »Geist der Menschheit« beschwören (456), seinem Sohn bleibt nur noch die Resignation, denn die idealistisch-liberale Gesinnung wird von den nationalistischkonservativen Kräften in die Defensive gedrängt. Emmerich hat einleuchtend behauptet, dass »bis auf die Göppels, die Bucks und einige Randfiguren« »die Romangestalten um Heßling herum nur variierte Wiederholungen, Abspiegelungen und Ergänzungen seines Sozialcharakters« seien: »Die Hauptfigur ist, in den Nebenfiguren, gleichsam prismatisch zerlegt in die Spektralfarben.«91 Wenn also im Folgenden Diederich Heßling im Mittelpunkt der Betrachtung steht, so lassen sich doch manche der an ihm beobachteten Charakterzüge und Verhaltensweisen auch bei den anderen Bürgern Netzigs finden. So verbindet Heßling z. B. die Vorliebe fürs Theater und das Rollenspiel mit Wolfgang Buck. Die © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Szene, in der beide betrunken sich mit Zitaten des Kaisers ein Rededuell liefern (319 ff.), lässt sogar eine innere Verwandtschaft der beiden erahnen.92 Diederich Heßling wird vor allem durch eine starke Aufstiegs- und Erfolgsmentalität geprägt. Darin spiegelt sich ein weit verbreitetes Verhalten der bürgerlichen Schichten in dieser Zeit wider. Da das Bürgertum zwischen das erstarkende Industrieproletariat und den die politische Macht ausübenden Adel eingeklemmt war, versuchte es seinen sozialen Spielraum mit einer deutlichen Abgrenzung nach ›unten‹ und einer bewussten Anpassung nach ›oben‹ zu sichern. So trennte sich das Großbürgertum »vom übrigen Bürgertum und wurde feudalisiert«,93 indem es z. B. Adelstitel erwarb oder in den Adel hineinheiratete. Das mittlere und auch das Kleinbürgertum – das zeigt schon Theodor Fontanes soziale Aufsteigerin Jenny Treibel – bemühte sich ebenfalls um die Herrschenden und strebte z. B. nach glanzvoller äußerer Repräsentation, wenn der Aufstieg gelungen war. Diederich Heßling wird in Die Armen als Großindustrieller in der »Villa Höhe« residieren und Adlige und hohe Militärs bei sich empfangen, im Untertan sehen wir ihm bei einer Reihe von Lernschritten zu, die immer wieder seine Bereitschaft zur Anpassung an die herrschende Macht erproben. Dass dieser ›Bildungsprozess‹ nicht ohne Rückschläge und Selbstzweifel verläuft, zeigt vielleicht am eindrucksvollsten die entwürdigende Szene im Amtszimmer des Regierungspräsidenten von Wulckow (329 ff.). Obwohl Heßling erkennt, dass er einem »Menschenschinder« und »Säbelraßler« (330) gegenübersteht und sich ihm »die Fäuste ballten«, lernt er schnell seine Lektion: [. . .] die Herren des Staates, Heer, Beamtentum, alle Machtverbände und sie selbst, die Macht! Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Gegen die wir nichts können, weil wir sie alle lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die
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Unterwerfung dann haben! Ein Atom sind wir von ihr, ein verschwindendes Molekül von etwas, das sie ausgespuckt hat! (331) Da Diederich Heßling kein soziales Selbstbewusstsein besitzt, einzig auf den ökonomischen Erfolg konzentriert ist, gibt er die alten Ideale des liberalen Bürgertums: Freiheit, Humanität, Toleranz und Demokratie auf; sie sind ihm gerade noch gut zu vollmundigen Bekundungen, die seine eigentlichen Interessen verdecken sollen. Wenn er z. B. einen »wohlverstandenen Liberalismus« akzeptieren will, dann nur, »falls man dagegen seine streng nationale und kaisertreue Überzeugung achte«. (165) Auch ein Liberaler wie sein Arzt Dr. Heuteufel wird sich schließlich Diederich Heßling annähern, »weil es eben auf die Dauer niemandem möglich war, den Erfolg zu bestreiten« (447). Wenn es in Professor Unrat durch das ›anarchistische‹ Wirken des Gymnasialprofessors Raat zur »Entsittlichung einer Stadt« kommt,94 so erreicht Diederich Heßling in Netzig Ähnliches: Durch seinen Erfolg fasziniert er die anderen, setzt allmählich neue ›Werte‹ durch und korrumpiert schließlich die ganze Stadt. Hat das alte Bürgertum mit seinem Repräsentanten Buck sich dem Gemeinwesen verpflichtet gefühlt, »der Gerechtigkeit und dem Wohl aller« (427), setzt Heßling dagegen seine neue Philosophie: »Vor allem habe ich Pflichten gegen mich selbst.« (94) oder »Zuerst das eigene Wohl – und gerecht war die Sache, die Erfolg hatte!« (428) oder »Macht geht vor Recht!« (319) (Kundige Leser werden den Unterschied zu Thomas Manns ›Kriegsschriften‹ erkannt haben.) Heßling ist stolz, zu den ›Realpolitikern‹ zu zählen (447), zu den Vertretern des ›Neuen Kurs‹, der in der wilhelminischen Epoche allenthalben verkündet wurde. Er hat nur Spott für »die mit ihrer sogenannten feinen Bildung« (83) übrig. Großzügig wird er auf der Höhe seiner Macht eingestehen, »daß das Deutschland der Dichter und Denker vielleicht auch seine Berechtigung gehabt habe. ›Aber es war doch nur eine Vorstufe, unsere geistigen © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Leistungen heute liegen auf dem Gebiet der Industrie und Technik. Der Erfolg beweist.‹« (447 f.) »Geist« und »Tat«, die Heinrich Mann so gern verbunden gesehen hätte,95 sind im Untertan auf Wolfgang Buck und Diederich Heßling verteilt – wobei Heßlings Taten allerdings jede Vorbildlichkeit abgeht. Dieser »Neudeutsche« entledigt sich – wenn auch unter Skrupeln (»Damit war dem Gemüt Genüge getan, man mußte stark sein«, 99) der bürgerlichen ›Moral‹. Beruft er sich auf seine »Standesehre« (98) oder sein »soziales Gewissen« (99), so kann man sicher sein, dass damit nur sein unsoziales Verhalten und seine Herzlosigkeit kaschiert werden sollen. Heßling ist ohne bürgerliches Standesbewusstsein, kennt keine Solidarität, sondern sieht allein auf seinen Nutzen. Der alte bürgerliche Individualismus ist zum kruden Egoismus eines Materialisten verkommen, der sich dennoch gern auf seine ›Menschlichkeit‹ beruft – jedoch bei passender Gelegenheit vor einer »falschen Humanität« warnt (385). Gerade weil Diederich keine allgemeinverbindlichen Ideale anerkennt, kann er sie dauernd phrasenhaft repetieren – einzig, um von seiner Selbstbezogenheit abzulenken. Bei einer Versammlung »schrie er angestrengt in die nationalen Wogen«: »daß wir so bleiben wollen, wie wir sind, nämlich keusch, freiheitsliebend, wahrhaftig, treu und tapfer!« (385) Obwohl Heßling in solchen Momenten von seinen eigenen Aussagen überzeugt ist, ist er natürlich von all dem das Gegenteil! Mit solchem (Selbst-)Betrug unterscheidet sich dieser aufstiegsorientierte Bürger von einem altständischen (Gewerbe-)Bürger, wie er noch z. B. 1888 in Max Kretzers »sozialem Roman« Meister Timpe vorgestellt worden war.96 Der Drechselmeister Timpe, der auf handwerkliche Wertarbeit setzt, sich seiner ›ständischen‹ Ehre verpflichtet fühlt, scheitert in dieser ›neuen‹ Welt des Konkurrenzkapitalismus. Diederich Heßling hingegen, dessen kleines Unternehmen in einer ähnlichen Krise steckt wie Timpes Handwerksbetrieb, weiß die Mittel, um sich nach oben zu bringen. Ähnlich wie schon Timpes Sohn dient sich auch © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Diederich Heßling den Mächtigen an, sucht Verbündete, intrigiert, kennt vor allem kein Mitleid mit den Konkurrenten und strebt deshalb eine Monopolstellung für seine Produkte an. So bringt es der kleine Papierfabrikant im Untertan zum »Großaktionär von Gausenfeld« und zum »Generaldirektor« (428). In diese äußere Erfolgsgeschichte schreibt sich allerdings eine gegenläufige Geschichte ein: Je mehr Diederich Heßling ökonomischen und gesellschaftlichen Erfolg hat, desto mehr entfremdet er sich seinen ursprünglichen Anlagen. War Diederich »ein weiches Kind« (9), so durchläuft er eine Erziehung zur Härte. Immer wieder ermahnt sich Heßling, nicht ›sentimental‹ zu werden, und übt sich »in rücksichtsloser Energie« (99 f.). Statt zu einer authentischen Person zu reifen, verliert sich Heßling immer mehr an eine Rolle. Es findet eine »Verkümmerung des personalen Ich vor dem Rollen-Ich« statt.97 Auch wenn Heßling zum Schluss des Romans dem Teufel ähnlich scheint (478), so fehlt ihm doch jene diabolische Macht, die Heinrich Mann in seinen frühen, historischen Erzählungen zu gestalten wusste. In den Novellen Pippo Spano (1905), Der Tyrann (1908) oder auch im Essay Choderlos de Laclos (1905) erringen die Figuren eine böse ›Größe‹ mit ihrem Verstellungsspiel, da sie sich ihrer Rolle bewusst bleiben und ein »kindisch grausamer Spieltrieb« ausgelebt wird.98 Dieses Rollenspiel ist Heßling verwehrt, denn das neue bürgerliche Ideal fordert den unverstellten Menschen und hat über das Gewissen eine Kontrollinstanz eingeführt. Heßling spielt – für den Leser eindeutig erkennbar – zwar eine Rolle, aber: »Diederich glaubte, was er sagte.« (77) Im Laufe seiner Ausbildung zur ›Härte‹, die er sich selbst verordnet hat, verinnerlicht Heßling seine Rolle. Die relative Rollensicherheit, die er schließlich gewinnt, ist ein Produkt ständiger Selbstüberredung und Selbstdisziplinierung (»Mehr Haltung, mein Lieber!«, 94). Zwar wird im Untertan das Spiel zwischen Verstellung und Macht in vielfältigen Variationen vorgeführt, aber der Leser lernt immer wieder einen verunsicherten Menschen kennen, der sich auch seinen Selbstzweifeln stellt. Als z. B. © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Heßlings Schwester von ihrem preußischen Leutnant sitzen gelassen wird, erinnert er sich an seine eigene Schäbigkeit gegenüber Agnes Göppel, schreibt sogar nach Berlin und sinniert: »Was hatte er nun? Was hatte man vom Dienst der Macht?« (402) Es wäre falsch, Diederich Heßling mit dem Typus-Begriff seiner Subjektivität zu berauben, ihn von Kindheit an festgelegt und entwicklungslos zu sehen. Das Typische bei Heßling ist die ambivalente Charakterstruktur, das Schwanken zwischen Schwäche und Stärke. Damit wird ein Moment der Unberechenbarkeit bei diesem scheinbar so eindeutigen Charakter erkennbar und – Professor Unrat hat das eindrucksvoll vorgeführt – auch die soziale Gefahr: wegen seiner personalen Instabilität neigt der Untertan-Typus dazu, seine Schwäche – im wahrsten Sinne des Wortes – zu überspielen und Harte zu demonstrieren. Stärke und Macht faszinieren den schwachen Charakter, immer ist er auf der Suche nach einer Vaterautorität und verführbar – wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Deshalb sind die historische Situation und die herrschende Macht wichtig, die solche charakterlichen Dispositionen auszunutzen wissen. Heinrich Mann hat 1919 in Kaiserreich und Republik diesen Typus für den Krieg verantwortlich erklärt: Er kam durch ein Wesen, das gegebene Tatsachen stumpfsinnig verehrte, das Unterwürfigkeit, Grobsinnlichkeit und Härte für Gesetze des Lebens hielt und Menschenverachtung für seine letzte Frucht; das, unsachlich, unwahr und in allem Geistigen frivol, für Höheres nie kämpfen, immer nur raffen und schmatzen, aber nie kämpfen wollte, und das überdies einen solchen Unfug für Reife und Gipfel, sich selbst, den Wechselbalg des Deutschen, für seine Vollendung ausgab. Der Krieg kam durch den Untertan.99
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Was hier im Essay unter der Kapitelüberschrift »Der Untertan« aggressiv und einseitig formuliert erscheint, ist im Roman differenzierter dargestellt worden, denn im Untertan wird dem Leser gezeigt, was im Alltagsleben nur ein sehr guter Menschenkenner durchschaut: Die Stärke ist beim Untertan-Typus kompensierte Schwäche. So ist Diederich Heßling zwar auch »ein Wechselbalg des Deutschen«, aber wir müssen ihn nicht verachten, da der Erzähler unsere Anteilnahme für seinen ›Helden‹ und dessen Deformationsprozess zu gewinnen weiß. Der Erzähler klärt den Leser auf, warum Heßling so werden konnte; er gibt deutliche Zeichen, dass diese individualpsychologische Studie nur auf dem Hintergrund der Epoche zu verstehen sei. Die Gefühlsentfaltung muss also immer auch als Chiffre eines sozialen Prozesses gesehen werden. Zwar wird die individuelle ›seelische‹ Verformung eines Einzelnen geschildert, aber – wie der geplante Untertitel betont – es geht um die »öffentliche Seele«. Nicht nur Heßling ist seelisch krank, sondern die gesamte Epoche. Wie wenig Diederich Heßling zu sich selbst findet, wie stark er einem Selbstentfremdungsprozess erliegt, wird besonders in seinem Gefühlsleben aufgezeigt. Er ist sich seiner Gefühle nie sicher – auch hier spielt er sich und den anderen etwas vor; seine Liebe ist eine Liebe der (Selbst-)Überredung. In einer Zeit, da Sprach- und Erkenntnisnot von anderen Autoren thematisiert werden, erleben wir im Untertan einen sprachmächtigen Mann, dessen Reden scheinbar sinnstiftend und überzeugend sind, denn immer mehr wird er das Sprachrohr allgemeiner Vorstellungen. Dem Leser allerdings bleibt nicht verborgen, dass sich hier jemand meist mit fremden Worten schmückt und keinen eigenen Ton findet. Das gilt nicht nur für »alle diese Kernworte deutschen und zeitgemäßen Wesens« (444), die Diederich Heßling von seinem Kaiser entliehen hat, sondern gerade auch für die Sprache des Herzens. Unfähig in sich selbst hineinzuhorchen, nach eigenen Worten für seine Gefühle zu suchen, greift er zum formelhaften Wortschatz der trivialisierten Gefühlskultur, wie sie z. B. durch die © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Familienzeitschriften à la »Gartenlaube« propagiert wurde. Die satirisch überzogen anmutenden Liebesszenen mit Agnes Göppel, bei denen die beiden vom »sorgenlosen Glück in sonniger Ferne, von Liebe ohne Ende« schwärmen (77), sind ein gutes Beispiel für jene »wässerichte Sentimentalität«, die Schopenhauer bei seinen Zeitgenossen schon beobachtet hat und die kritisch auch in Romanen wie Fontanes Frau Jenny Treibel (1892) oder in Dramen wie Arno Holz’ und Johannes Schlafs Die Familie Selicke (1890) beschrieben worden ist.100 (Hingegen ist die Sentimentalität der im 19. Jahrhundert so erfolgreichen epischen oder dramatischen Familienrührstücke durchaus ernst gemeint.) Das eigene Gefühl hat es schwer, sich gegen solche demonstrative Gefühlsvorbildlichkeit zu behaupten. So verlieren sich Gefühle in Gefühligkeit; echte Gefühle werden kaum noch wahrgenommen. Um sich z. B. nicht schuldig zu fühlen wegen seiner Intrigen gegen die Familie Buck, muss Heßling die anderen erniedrigen: »Der alte Buck hatte blaue Augen, ein menschenfreundliches Lächeln, und er war der falscheste Hund von allen, die die Gutgesinnten umdrohten.« (392) Dass sich Sentimentalität durchaus mit einer dezidierten ökonomischen Gesinnung verbinden kann, hat schon Fontane mit seiner Jenny Treibel gezeigt, die sich gern dem lyrischen Schmelz ihres trivialen Liedes hingibt, das am Schluss so gefühlvoll ein Leben fordert, »wo sich Herz zum Herzen find’t«. Dass sich Herzensbindungen in dieser Zeit – trotz anderer ›bürgerlicher‹ Ideale – mehr nach rationalen Mustern zu gestalten haben, weiß nicht nur Jenny Treibel, als es um die Liebe ihres Sohnes geht, sondern auch Diederich Heßling, als er sein eigenes Leben plant: Er heiratet nicht seine erste Liebe Agnes Göppel, sondern wählt bewusst Guste Daimchen, da diese viel Geld in die Ehe einbringt. Das Gefühl verschwindet keineswegs bei Heßling, sondern erfährt nur die spezifische Umformung zur Sentimentalität, die ja ein Zeichen von Gefühlsunsicherheit ist und sich bei Diederich vor allem dafür eignet, ihn vom ›harten‹ Alltagsgeschäft zu entlasten. So © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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vermittelt ihm z. B. die Kunst – Musik und Theater – eine gefühlvolle Gemütlichkeit, die er durchaus auch gelegentlich im Familienleben zu genießen weiß: Da wird Heßling »jovial« und »gestattete« sogar »Rührszenen und Umarmungen« (345 f.). Wenn er bei der Laienspielaufführung großspurig verkündet: »Das ist Kunst, die zum Herzen spricht« (289), ist das bloße Deklamation und bewegt sich auf dem gleichen Niveau der Unverbindlichkeit wie bei Fontanes Jenny Treibel, denn beide kleinbürgerlichen Aufsteiger sehen in den Gefühlen auch ideelle Tauschwerte in einer Gesellschaft, die alles nach Nutzen und Gewinn zu ordnen scheint. Zwar wird das Gefühl bei den Frauen im Roman stärker entfaltet, aber auch hier gleitet es leicht in die falschen, in übersteigerte Gefühle ab. Diederich Heßlings Mutter ist das beste Beispiel dafür. So sind es in der nach den bürgerlichen Wunschträumen des 18. Jahrhunderts als Liebesgemeinschaft konzipierten Familie nicht die Gefühle, die die Menschen zusammenhalten, sondern die ökonomischen Interessen. Wenn sich Gefühle dennoch in der Familie Heßling entfalten, geraten sie schnell an ihre Grenzen, finden keinen Widerhall beim anderen. Sentimentalität als Ausdruck gestörter Sozialbeziehungen hat aber auch eine gefährliche Komponente: die Gefühlsroheit. Es ist die immer wieder zu beobachtende Gefühlsunsicherheit, die bei Heßling zu extremen Reaktionen führt: Die Sehnsucht nach Gefühlsentfaltung – Diederich Heßling weint sehr gern – führt in die Rührseligkeit, aus der er sich nur mit brutaler Selbstdisziplin herausreißen kann. »Werd ich denn ewig so weich bleiben?« (121) So kann sich gerade in der Geschlechterliebe bei Diederich Heßling keine intensive Bindung einstellen. Anders als die Frauen findet Heßling jedoch als Mann Entschädigung für diesen Verlust an Emotionalität. Es sind die Männerbünde – Studentenverbindung, Militär, Stammtisch, Vereine, Parteien –, die Diederichs Gefühlshaushalt bereichern und ihn zum idealen Untertan erziehen, indem er Disziplin,
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Gottesfurcht und Begeisterung für den Kaiser erwirbt und sich seiner Unbedeutendheit bewusst wird: Jeder einzelne ein Nichts, steigen wir in gegliederten Massen, als Neuteutonen, als Militär, Beamtentum, Kirche und Wissenschaft, als Wirtschaftsorganisationen und Machtverbände kegelförmig hinan, bis dort oben, wo sie selbst steht, steinern und blitzend! (64) Unter Männern kann er sich ›ausleben‹, kann ›weich‹ und ›hart‹ sein, sentimental und brutal. Hier entsteht und festigt sich sein Weltbild, seine verquaste Ideologie, die er als Patriotismus und Kaiserliebe verklärt, die in Wirklichkeit jedoch später gegen seine bourgeoise »Geldsackgesinnung« (Fontane)101 nicht ankommen wird: »Nach dem Rummel der Wahlzeit hieß es nun wieder Geld verdienen.« (418) Die männliche Kameraderie vermittelt ihm das Gefühl emotionaler und sozialer Geborgenheit: »Ihn herausreißen, ihm einzeln etwas anhaben, das konnte keiner!« (32) Selbst den Verlust an Liebe kann die Korporation auffangen: »Er hatte die Weiber kennengelernt, er war mit ihnen fertig. Unvergleichlich idealere Werte enthielt das Bier.« (33 f.) In den Männerbünden werden gegensätzliche Gefühlswünsche befriedigt: Dem Wunsch nach Ein- bzw. Unterordnung – Heßling hat »den soldatischen Geist freudiger Unterwerfung« (50 f.) – tritt der Wunsch nach Selbstaufwertung, ja nach dem Ausleben aggressiver Vorstellungen an die Seite. Die männlichen Gruppen stabilisieren sich einmal über eine gemeinsame Ideologie – im Untertan ist es der Nationalismus – und zum anderen über bestimmte Feindbilder. Im Untertan verachtet man gemeinsam die Frauen, die Liberalen, die Sozialisten, die Juden und den »Erbfeind« Frankreich. Bei den bierseligen Männertreffen kann sich Heßling gehen lassen, kann die Wonnen der Gewöhnlichkeit genießen, d. h. Zoten reißen, sich betrinken und an großen Worten berauschen. © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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In den Männerbünden finden sich die Vertreter des ideell und sozial verunsicherten Bürgertums zusammen. Wer den Untertan nicht so sehr als Roman, sondern als Zeitdokument liest, mag Zweifel hegen, ob ein Fabrikant der repräsentative Typus für den ›Sozialcharakter‹ darstellt. Heinrich Mann kam es auf die Gesinnung an, die den Untertan-Typus auszeichnet, und da war er bei dem Entwurf des Romans überzeugt, »daß in einem wirklich monarchischen Volk zwei Drittel den wesentlichen Zug mit dem Fabrikanten Diederich Hänfling theilen«.102 Schon der ursprünglich gewählte Name »Hänfling« lässt den Fabrikanten eher in die Nähe jener neuen »depossedierten Mittelschichten« (Kracauer) treten, die von einer sozialpsychologischen Forschung für den Erfolg des Nationalsozialismus verantwortlich gemacht worden sind, weil sie sich in ihrer Machtlosigkeit nach einer sie lenkenden Kraft sehnten, aber sich zugleich auch selbst Anteil an der Macht wünschten.103 Dieses Moment hat Heinrich Mann 1929, also in der kritischen Phase der Weimarer Republik, im Vorwort der Neuauflage des Untertan herausgestellt: Was parodierte er? Er selbst, nicht erst der Verfasser seiner Lebensgeschichte, parodierte den nationalen: Stolz und das männliche Selbstbewußtsein. Die Furchtbarkeit der Macht parodierte er, ihre drohende Maske in Politik, Geschäft und überall; er parodierte den weltbeherrschenden Machtwillen. Selbst ohne Verantwortung und offene Mitentscheidung, parodierte der Typ des Untertans wahrhaftig die Macht.104 Tatsächlich hat Diederich Heßling viel mit jenen kleinen Angestellten, Beamten oder auch Intellektuellen gemein, die in der Weimarer Republik ihre soziale – und meist auch ökonomische – Sicherheit verloren hatten und nach Identität suchten und sich nicht selten mit einer bewunderten »persönlichsten Persönlichkeit« (283, 291) © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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zufriedengeben mussten, wie Diederich Heßling mit seinem Kaiser. Es war die Forschung der ›Frankfurter Schule‹, die mit Autorität und Familie (1936) und besonders mit den Studien zum autoritären Charakter (1950) diesen Typus erarbeitet hat.105 Adorno hat den »autoritären Charakter« mit der »›Internalisierung des gesellschaftlichen Zwanges‹« in Verbindung gebracht und den vorherrschenden »irrationalen Zug« herausgestellt: Das Individuum kann die eigene soziale Anpassung nur vollbringen, wenn es an Gehorsam und Unterordnung Gefallen findet; die sadomasochistische Triebstruktur ist daher beides, Bedingung und Resultat gesellschaftlicher Anpassung. [. . .] In der Psychodynamik des ›autoritären Charakters‹ wird die frühere Aggressivität zum Teil absorbiert und schlägt in Masochismus um, zum Teil bleibt sie als Sadismus zurück, der sich ein Ventil sucht in denjenigen, mit denen das Individuum sich nicht identifiziert: in der Fremdgruppe also. [. . .] Die Ambivalenz ist umfassend; sie wird vor allem evident in der Gleichzeitigkeit von blindem Glauben an die Autorität und der Bereitschaft anzugreifen, was schwach erscheint und gesellschaftlich als ›Opfer‹ akzeptabel ist.106 Es ist immer wieder beeindruckend, wie hellsichtig der Schriftsteller Heinrich Mann seine Zeitgenossen gesehen hat. Auch Leo Löwenthal hat 1934 am Beispiel der Dostojewski-Rezeption im Kaiserreich die »Klassenideologie der bürgerlichen Mittelschichten« als eigenwillige Ambivalenz von »Selbsterniedrigung« und »Legitimierung sadistischer Impulse« gekennzeichnet.107 Diederich Heßling entspricht diesem Typus bis in sein Sexualleben, wenn wir an die als sadomasochistisches Liebesspiel gestaltete Schlafzimmerszene denken (»Ich bin die Herrin, du bist der Untertan«, 446). Wer Bedenken gegenüber einer solchen psychoanalytisch geprägten © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Auslegung hat, muss jedoch akzeptieren, dass Heinrich Mann sie selbst im Auge hatte. Ihm ging es um die Prägung der psychischen Dispositionen des Einzelnen durch die Gesellschaft und die dadurch bedingten gesellschaftlichen Verhaltensweisen der Individuen. Diederich Heßlings Konkneipant Gottlieb Hornung gibt für das von den Untertanen vertretene gesellschaftspolitische Modell bezeichnenderweise eine psychologische Deutung: ›Herren und Knechte wird es immer geben!‹ bestimmte Gottlieb Hornung, ›denn in der Natur ist es auch so. Und es ist das einzig Wahre, denn jeder muß über sich einen haben, vor dem er Angst hat, und einen unter sich, der vor ihm Angst hat. Wohin kämen wir sonst!‹ (382) Heinrich Mann war überzeugt, dass die wilhelminische Epoche durch eine »Ideologie des Bösen« bestimmt gewesen sei.108 Im individuellen Charakterbild sollte sich die »öffentliche Seele« widerspiegeln, gesellschaftliche Zwänge als Selbstzwänge sichtbar werden. Es ist also richtig, diese Aspekte des zeitkritischen Romans in den Vordergrund zu stellen und zu zeigen, dass es sich bei dieser Satire keineswegs, wie Thomas Mann gemeint hat, um »Groteskkunst« handelt,109 sondern um das herausragende Beispiel eines politischen Engagements eines Schriftstellers, der seine Zeitgenossen mit der Kunst aufklären und damit neue Wertmaßstäbe vermitteln wollte. Dennoch gilt es, auch der Vielschichtigkeit des Romans Rechnung zu tragen und ihn nicht nur – wie Heinrich Mann 1948 bedauert hat – in der Form »eines romanhaften Leitartikels« zu lesen.110 Der Untertan ist mehr. Er ist vor allem ein ›moderner‹ Roman, mit dem sich der Autor auf ein Gattungsspiel mit den tradierten Formen – Bildungs- und Entwicklungsroman, Gesellschafts-, Zeit- und sozialer Roman – eingelassen und gerade dadurch den notwendigen Traditionsbruch eingeleitet hat. Nicht zuletzt war es die satirische Technik, © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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die dem Epischen und auch dem gesellschaftskritischen Engagement der Schriftsteller neue Ausdrucksmöglichkeiten erschloss. Wer das Politische und Soziale als legitime Sujets schriftstellerischer Arbeit akzeptieren kann, hat im Untertan einen großen Roman vor sich. Keineswegs verstockt zudem die Moral in der Negation, denn es ging Heinrich Mann nicht um einen episch-resignativen Fin-de-siècle-Roman. Er wünschte sich durchaus schon 1906 »generöse, helle und menschenliebende Menschen«, zuerst wollte er jedoch das »Sinken der Menschenwürde« aufweisen.111 Aber es müsste auch am Beispiel des Untertan erkannt werden, was Heinrich Mann generell »für unsere Darstellungen aus der sozialen Wirklichkeit« in Dichtkunst und Politik (1928) formuliert hat Über den Schriftsteller und seine Figuren heißt es: Er kennt sie, aber er kennt heimlich auch ihr verwandeltes Bild. Hinter allem Menschlichen, das er wiedergibt, wartet erst das nie gesehene wahrhaft Menschliche. Dies empfiehlt er, ohne es zu nennen. Dorthin strebt er, so unerlaubt – es der Wirklichkeit und ihren Mächten auch schiene.112
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Literaturhinweise Ausgaben Heinrich Mann: Der Untertan. Leipzig/München: Wolff, 1916 [Privatdr.] – Der Untertan. Roman. Leipzig/[München]: Wolff, 1918. – Ausgewählte Werke in Einzelausgaben. Hrsg. im Auftrag der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin von Alfred Kantorowicz. 13 Bde. Berlin: Aufbau-Verlag, 1951–62. [Der Untertan in: Bd. 4.] – Gesammelte Werke in Einzelausgaben. 14 Bde. Hamburg: Claassen, 1958 ff. [Der Untertan in: Bd. 1.] – Gesammelte Werke. Hrsg. von der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin. Bd. 1 ff. Berlin/Weimar: Aufbau-Verlag, 1965 ff. Neuaufl. [einzelner Bde.] 1991 ff. [Der Untertan in: Bd. 7, 21967.] – Studienausgabe in Einzelbänden. Hrsg. von Peter-Paul Schneider. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag. – Der Untertan. Roman. Mit einem Nachw. und Materialienanhang von Peter-Paul Schneider. 1991. – Der Untertan. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1964. 34. Aufl. 1992. Forschungsliteratur Arntzen, Helmut: Die Reden Wilhelms II. und Diederich Heßlings. Historisches Dokument und Heinrich Manns Romansatire. In: Literatur für Leser 1980. H. 1. S. 1– 14. Betz, Frederick: Erläuterungen und Dokumente: Heinrich Mann, Der Untertan. Stuttgart 1993. © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Emmerich, Wolfgang: Heinrich Mann: Der Untertan. München 1980. Hasubek, Peter: Kreislauf und Katastrophe. Modelle des Endens am Beispiel von Im Schlaraffenland und Der Untertan. In: P. H.: »Der »Indianer auf dem Kriegspfad«. Studien zum Werk Heinrich Manns 1888–1918. Frankfurt a. M. u. a. 1997. S. 121– 161. Hummelt-Wittke, Monika: Heinrich Mann: Der Untertan. München 21988. Kammler, Clemens: Heinrich Manns Untertan. Von der Schwierigkeit der Applikation einer literarischen Figur. In: Diskussion Deutsch 19 (1988) H. 104. S. 574–585. Nägele, Rainer: Theater und kein gutes. Rollenpsychologie und Theatersymbolik in Heinrich Manns Der Untertan. In: Colloquia Germanica 1973. H. 1. S. 28–49. Scheibe, Carl Friedrich: Rolle und Wahrheit in Heinrich Manns Roman Der Untertan. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch. N. F. 7 (1966) S. 209–227. Schneider, Jeffrey: ›The pleasure of the uniform‹. Masculinity, transvestism, and militarism in Heinrich Mann’s Der Untertan and Magnus Hirschfeld’s Die Transvestiten. In: Germanic Review 72 (1997). S. 183–200. Schneider, Peter-Paul: Nachwort. In: Heinrich Mann: Der Untertan. Roman. (Studienausgabe in Einzelbänden. Hrsg. von P.-P. Sch.) Frankfurt a. M. 1991. S. 479– 498. Schröter, Klaus: Zu Heinrich Manns Der Untertan. In: K. Schröter: Heinrich Mann. »Untertan« – »Zeitalter« – Wirkung. Drei Aufsätze. Stuttgart 1971. S. 9–38. Siebert, Ralf: Heinrich Mann: Im Schlaraffenland, Professor Unrat, Der Untertan. Studien zur Theorie des Satirischen und zur satirischen Kommunikation im 20. Jahrhundert. Siegen 1999. Siefken, Hinrich: Heinrich Manns Der Untertan und Hermann Brochs Die Schuldlosen. Zur Satire und Analyse des ›Spießers‹ als ›Untertan‹. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 93 (1974) S. 186–213. © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Süßenbach, Petra: Formen der Satire – Heinrich Manns Roman Der Untertan. Diss. Köln 1972. Vogt, Jochen: Diederich Heßlings autoritärer Charakter. Sozialpsychologisches in Heinrich Manns Der Untertan. In: J. V.: Korrekturen. Versuche zum Literaturunterricht. München 1974. S. 78–95. [Neufass. von: Diederich Heßlings autoritärer Charakter. Marginalien zum Untertan, Seiten 5–9. In: Heinrich Mann. Hrsg. von Heinz-Ludwig Arnold. München 1971. (Sonderbd. Text + Kritik.) S. 58–69.] Weisstein, Ulrich: Satire und Parodie in Heinrich Manns Roman Der Untertan. In: Heinrich Mann 1871/1971. Bestandsaufnahme und Untersuchung. Ergebnisse der Heinrich-Mann-Tagung in Lübeck. München 1973. S. 125–146. Wißkirchen, Hans: Heinrich Mann, Der Untertan: Epochenroman oder Satire? In: Heinrich-Mann-Jahrbuch 11 (1993 [ersch. 1994]). S. 53–72. Wolff, Jürgen: Stundenblätter Der Untertan. Interpretationsmethoden – Arbeitstechniken – Sozialformen. Stuttgart 1979.
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Anmerkungen 1
Heinrich Mann, Ein Zeitalter wird besichtigt, Frankfurt a. M. 1988 (Studienausgabe in Einzelbänden; Fischer Tb., 5929) S. 206 f. 2 Vgl. dazu das Nachwort von Peter-Paul Schneider und den Materialienanhang in: Heinrich Mann, Der Untertan. Roman, Frankfurt a. M. 1991 (Studienausgabe in Einzelbänden; Fischer Tb., 10168). Zum Untertitel: S. 508. 3 Ebd., S. 508 ff. Vgl. auch Hartmut Eggert, »Das persönliche Regiment. Zur Quellenund Entstehungsgeschichte von Heinrich Manns Untertan«, in: Neophilologus 55 (1971) S. 298–316; Wolfgang Emmerich, Heinrich Mann: ›Der Untertan‹, München 1980, S. 27–40. 4 Vgl. Frithjof Trapp, ›Kunst‹ als Gesellschaftsanalyse und Gesellschaftskritik bei Heinrich Mann, Berlin / New York 1975, S. 186–232; Klaus Scherpe, »›Poesie der Demokratie‹. Heinrich Manns Proletarierroman Die Armen«, in: GermanischRomanische Monatsschrift N. F., Bd. 25 (1975) S. 151–176. 5 Hier zit. nach: Heinrich Mann, Die Armen. Der Kopf. Zwei Romane, Düsseldort 1988, S. 653. 6 Ebd., S. 673. 7 Hier zit. nach: Heinrich Mann 1871–1950. Werk und Leben in Dokumenten und Bildern, hrsg. von Sigrid Anger, Berlin/Weimar 21977, S. 80. 8 Heinrich Mann, Macht und Mensch (1919), Frankfurt a. M. 1989 (Studienausgabe in Einzelbänden; Fischer Tb., 5933) S. 31. 9 Hier und im Folgenden wird Der Untertan nach dem Text der Studienausgabe, vgl. Anm. 2, zitiert (zit. als: STA). 10 Vgl. z. B. Eggert (Anm. 3); Ulrich Weisstein, Heinrich Mann, Tübingen 1962, S. 117 ff. © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Brief an P. Hatvani vom 3. April 1922, hier zit. nach: Jürgen Haupt, Heinrich Mann, Stuttgart 1980 (Sammlung Metzler, 189) S. 50. 12 Ebd., S. 65 f. 13 Vgl. Der deutsche soziale Roman des 18. und 19. Jahrhunderts, hrsg. von Hans Adler, Darmstadt 1990 (Wege der Forschung, 630); Walter Müller Seidel, Theodor Fontane. Soziale Romankunst in Deutschland, Stuttgart 21980. 14 Heinrich Mann, Die geistige Lage (1931), in: H. M., Essays, Hamburg 1960, S. 337. 15 Ebd., S. 349. 16 Ebd., S. 348. 17 Jürgen Kocka, »Sozialgeschichte, Gesellschaftsgeschichte«, in: Handbuch der Geschichtsdidaktik, hrsg. von Klaus Bergmann, Annette Kuhn, Jörn Rüsen, Gerhard Schneider, Düsseldorf 31985, S. 165. 18 Vgl. dazu Rainer Nägele, »Theater und kein gutes. Rollenpsychologie und Theatersymbolik in Heinrich Manns Der Untertan«, in: Colloquia Germanica 1973, H. 1, S. 28–49; Friedrich Carl Scheibe, »Rolle und Wahrheit in Heinrich Manns Der Untertan«, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch N. F. 7 (1966) S. 209–227; Monika Hocker, Spiel als Spiegel der Wirklichkeit. Die zentrale Bedeutung der Theateraufführungen in den Romanen Heinrich Manns, Bonn 1977; zur Rolle vgl. auch: STA, S. 313. 19 Nägele (Anm. 18) S. 48. 20 Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, hrsg. von Karl Schlechta, Bd. 2, München 8 1977, S. 154. 21 Ebd., S. 927. 22 L(udwig) Quidde, Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn, 7. Aufl., Leipzig 1894, S. 10, 12.
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Richard Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt a. M. 1986, S. 253. 24 Heinrich Mann, Zola (1915), in: Mann (Anm. 8) S. 43–128. ›Wahrheit‹ ist der Leitbegriff in diesem großen bekenntnishaften Essay. 25 Wolf Lepenies, »Der Wissenschaftler als Autor. Über konservierende Funktion der Literatur«, in: Akzente 2 (1978) S. 129–147, hier S. 145 f. 26 Heinrich Mann, Geist und Tat (1910), in: Mann (Anm. 8) S. 18. 27 Ebd., S. 21. Vgl. auch Hartmut Steinecke, »Roman und Demokratie. Eine exemplarische Diskussion über Probleme des Gesellschaftsromans in Deutschland«, in: H. S., Romanpoetik von Goethe bis Thomas Mann. Entwicklungen und Probleme der »demokratischen Kunstform« in Deutschland, München 1987, S. 21–52. 28 Georg Lukács, »Über Wesen und Form des Essays«, in: G. L., Die Seele und die Formen, Berlin 1911. Hier zit. nach: Ludwig Rohner, Deutsche Essays, Bd. 1, Neuwied/Berlin 1968, S. 34. 29 Brief an Ludwig Ewers vom 8. Februar 1890, hier zit. nach: Heinrich Mann, Professor Unrat, Frankfurt a. M. 1989 (Studienausgabe in Einzelbänden; Fischer Tb., 5934) S. 246. 30 Wilhelm Reich, Massenpsychologie des Faschismus, Kopenhagen 1934; Max Horkheimer (Hrsg.), Studien über Autorität und Familie, Paris 1936; Theodor W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter (1950), Frankfurt a. M. 31980; Herbert Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1965; Alexander Mitscherlich, Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft. Ideen zur Sozialpsychologie, München 1969; Alexander und Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1968. 31 Vgl. Jochen Vogt, »Diederich Heßlings autoritärer Charakter. Sozialpsychologisches in Heinrich Manns Der Untertan«, in: J. V., Korrekturen. Versuche zum © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Literaturunterricht, München 1974, S. 78–95 (vorher: J. V., »Diederich Heßlings autoritärer Charakter. Marginalien zum Untertan«, in: Heinrich Mann, hrsg. von Heinz Ludwig Arnold, München 1971 – Text + Kritik, Sonderbd. –, S. 58–69); Emmerich (Anm. 3) S. 44–50; Hinrich Siefken, »Heinrich Manns Der Untertan und Hermann Brochs Die Schuldlosen. Zur Satire und Analyse des ›Spießers‹ als ›Untertan‹ in: Zeitschrift für deutsche Philologie 93 (1974) S. 186–213. 32 Vgl. dazu Helmut Mörchen, Schriftsteller in der Massengesellschaft. Zur politischen Essayistik und Publizistik Heinrich und Thomas Manns, Kurt Tucholskys und Ernst Jüngers während der Zwanziger Jahre, Stuttgart 1973. 33 Mann (Anm. 8) S. 15. 34 Heinrich Mann 1871–1950 (Anm. 7) S. 122. 35 Vgl. Hans-Ulrich Wehler, »Geschichte und Psychoanalyse«, in H.-U.W., Geschichte als Historische Sozialwissenschaft, Frankfurt a. M. 1973, S. 85–123. 36 Heinrich Mann, Essays, Bd. 1, Berlin 1954, S. 153. 37 Zur Satire vgl. Petra Süßenbach, Formen der Satire in Heinrich Manns Roman »Der Untertan«, Diss. Köln 1972; Wolfgang Emmerich, »Artistik und Aufklärung: die Satire als ›schöpferische Methode‹«, in: Emmerich (Anm. 3) S. 79–87 (hier auch weitere Literatur zur Theorie der Satire). 38 Werner Mahrholz, »Heinrich Manns Untertan«, in: Das litterarische Echo 21 (1918/19) Sp. 518–521. Hier nach: Renate Werner (Hrsg.), Heinrich Mann. Texte zu seiner Wirkungsgeschichte in Deutschland, München 1977, S. 102. Vgl. auch Emmerich (Anm. 3) S. 131. Er gibt weitere Zeugnisse zur Wirkungsgeschichte des Romans wieder. 39 Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen (1918), in: Th. M., Politische Schriften und Reden, Bd. 1, Frankfurt a. M. / Hamburg 1968 (Fischer Bücherei, MK 116) S. 422 (Thomas Mann handelt die Satire im Kapitel »Ästhetizistische Politik« ab). © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Max Hermann-Neiße, »Ein Bürgerspiel«, in: Die Erde 1 (1919) S. 15–17; Paul Block, »Buch des Propheten. Heinrich Manns Roman Der Untertan«, in: Berliner Tageblatt 47, Nr. 639, 14. Dezember 1918, hier zit. nach: Werner (Anm. 38) S. 113, 97. 41 Kurt Tocholsky, »Was darf die Satire?« (1919), in: K. T., Ausgewählte Werke, Hamburg 1965, S. 76. 42 Kurt Tucholsky, »Mit Rute und Peitsche durch Preußen-Deutschland« (1927). Hier zit. nach: Werner (Anm. 38) S. 113. 43 Heinrich Mann, Gustave Flaubert und George Sand (1905), in: H. M., Essays, Hamburg 1960, S. 113. 44 Heinrich Mann, Die geistige Lage (1931), in: Mann, Essays (Anm. 43) S. 337; vgl. auch in: Heinrich Mann 1871–1950 (Anm. 7) S. 75: »Ich habe keine blaue Romantik erfinden wollen, sondern eine Wirklichkeit, intensiver gesehen als man sie sieht.« 45 Vgl. dazu Paul Michael Lützeler, Hermann Broch – Ethik und Politik. Studien zum Frühwerk und zur Romantrilogie »Die Schlafwandler«, München 1973, S. 68 f. Zum Vergleich der Werke Heinrich Manns und Hermann Brochs zum Kaiserreich s. auch: P. M. L., »Heinrich Manns ›Kaiserreich‹-Romane und Hermann Brochs ›Schlafwandler‹-Trilogie«, in: Heinrich Mann. Sein Werk in der Weimarer Republik, hrsg. von Helmut Koopmann und Peter-Paul Schneider, Frankfurt a. M. 1983, S. 183– 210; Siefken (Anm. 31). 46 Brief vom 24. Februar 1901 an A. Langen, in: Heinrich Mann 1871–1950 (Anm. 7) S. 84. 47 Mann, Die geistige Lage (Anm. 44) S. 336. 48 Heinrich Mann, Anatole France (1925), in: Mann, Essays (Anm. 43) S. 133. 49 Vgl. z. B. Theodor W. Adorno, »Standort des Erzählers im zeitgenössischen Roman«, in: Th. W. A., Noten zur Literatur I, Frankfurt a. M. 1958 [u.ö.], S. 68 f.; Hans Blumenberg, »Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans«, in: Nachahmung und © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Illusion, hrsg. von Hans Robert Jauß, München 1969 (Poetik und Hermeneutik, 1) S. 24 f. Für Blumenberg ist die »Ironie zur authentischen Reflexionsweise des ästhetischen Anspruches im modernen Roman geworden« (S. 25); vgl. auch die sich als grundlegende Bestimmung des modernen Romans verstehende Darstellung von Jürgen Petersen, Der deutsche Roman der Moderne. Grundlegung – Typologie – Entwicklung, Stuttgart 1991, wo dem Untertan gerade neun Zeilen gewidmet werden (S. 171) und ›Satire‹ im Stichwortregister nicht erscheint. Vgl. hingegen Dietrich Scheunemann, Romankrise. Die Entstehungsgeschichte der modernen Romanpoetik in Deutschland, Heidelberg 1978, S. 60 ff., wo die »Modalitäten des Traditionsbruchs um 1910" mit den Namen von H. Mann, Carl Einstein, Kurt Hiller und Alfred Döblin verbunden werden. 50 Th. Mann, Betrachtungen (Anm. 39) S. 420, 428. 51 Brief an Karl Strecker vom 18. April 1919, hier zit. nach: STA, S. 599. 52 Brief an M. Brant vom 23. Oktober 1907, hier zit. nach: Heinrich Mann 1871–1950 (Anm. 7) S. 110. 53 Mann (Anm. 26) S. 18. 54 Der Begriff geht auf Walter Benjamins 1963 publizierte Studie Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Nachwort) zurück. Vgl. Wolfgang Emmerich, »›Massenfaschismus‹ und die Rolle des Ästhetischen. Faschismustheorie bei Ernst Bloch, Walter Benjamin, Bertolt Brecht«, in: Lutz Winckler (Hrsg.), Antifaschistische Literatur. Programme, Autoren, Werke, Bd. 1, Kronberg i. Ts. 1977, S. 223–276; vgl. auch Emmerich (Anm. 3) S. 71. 55 Nietzsche, Werke (Anm. 20) Bd. 2, S. 234. Vgl. dazu auch: Klaus Schröter, »Zu Heinrich Manns Untertan«, in: K. Sch., »Untertan« – »Zeitalter« – Wirkung. Drei Aufsätze, Stuttgart 1971, S. 9–38, zu Nietzsche und dem Untertan: S. 24 ff. 56 Ebd., S. 218. © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Vgl. Anm. 37. Vgl. besonders Helmut Arntzen, »Die Reden Wilhelms II. und Diederich Heßlings. Historisches Dokument und Heinrich Manns Romansatire«, in: Literatur für Leser, München 1980, S. 1–14. 59 Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit (Schriften, hrsg. von Christian Wagenknecht, Bd. 10), Frankfurt a. M. 1986, S. 9. 60 Vgl. Emmerich (Anm. 3) S. 51–60 (»Die Umkehrung des bürgerlichen Bildungsromans«). 61 So in einer Notiz um 1907; hier zit. nach: Heinrich Mann 1871–1950 (Anm. 7) S. 125 f. 62 Kurt Tucholsky, »Der Untertan«, in: Die Weltbühne 13 (1919); hier zit. nach: Werner (Anm. 38) S. 109. 63 Vgl. Anm. 42. 64 Vgl. Anm. 62. 65 Vgl. Goethes Werke (Hamburger Ausgabe), hrsg. von Erich Trunz, Bd. 9, Nachdr. München 1981, S. 386 f.: »Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen, Vorboten desjenigen, was wir zu leisten imstande sein werden.« Zur Entelechie-Idee: Bern Neumann, Identität und Rollenzwang. Zur Theorie der Autobiographie, Frankfurt a. M. 1970, S. 136 ff. 66 Lion Feuchtwanger, Thomas Wendt. Ein dramatischer Roman, München 1920, S. 5– 7; hier zit. nach: Romantheorie. Dokumentation ihrer Geschichte in Deutschland seit 1880, hrsg. von Eberhard Lämmert [u. a.], Köln 1975, S. 125; vgl. auch Scheunemann (Anm. 49) S. 71. 67 Hugo Dittberner, Die frühen Romane Heinrich Manns. Untersuchungen zu ihrer szenischen Regie, Diss. Göttingen 1972, S. 62. 68 Leopold von Ranke, Englische Geschichte, Bd. 2 (Sämtliche Werke, Bd. 15), Leipzig 58
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1877, S. 103; hier zit. nach: Jörn Rüsen, Ästhetik und Geschichte. Geschichtstheoretische Untersuchungen zum Begründungszusammenhang von Kunst, Gesellschaft und Wissenschaft, Stuttgart 1976, S. 115. 69 Johann Gustav Droysen, Historik, Darmstadt 1974, S. 284 f. 70 Vgl. Jürgen Kocka / Thomas Nipperdey, Theorie und Erzählung in der Geschichte, München 1979; vgl. auch: Peter Höyng, »›Erzähl doch keine Geschichte‹. Zum Verhältnis von Geschichtsschreibung und erzählender Literatur«, in: Der Deutschunterricht 43 (1991) H. 4, S. 80–88. 71 Georg Lukács, Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik, Neuwied/Berlin 1971, S. 47, 67. 72 Adorno (Anm. 49) S. 68. 73 Rüsen (Anm. 68) S. 115; vgl. auch Hans Robert Jauß, »Geschichte der Kunst und Historie«, in: H. R. J., Literaturgeschichte als Provokation, Frankfurt a. M. 1970, S. 230, wo Jauß dem Historiker empfiehlt, er könnte »dem Paradigma des modernen Romans folgen«. 74 Vgl. Wilfried Hellmann, »Objektivität, Subjektivität und Erzählkunst. Zur Romantheorie Friedrich Spielhagens«, in: Reinhold Grimm (Hrsg.), Deutsche Romantheorien, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1974, S. 209–261; vgl. auch Steinecke (Anm. 27) S. 40 f. 75 Brief an P. Hatvani vom 3. April 1922, hier zit. nach: Haupt (Anm. 11) S. 50. 76 Dittberner (Anm. 67) S. 285. 77 Ich habe diesen Begriff in Anlehnung an Volker Klotz’ Beschreibung der »metaphorischen Verklammerung« in Dramen gewählt. Klotz erklärt damit eine neue Binnenstruktur der »offenen Dramen«, wo »variierte Wortmotive und Bildketten, gespeist aus einem festumrissenen Bildfeld, sich von Szene zu Szene spannen und
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einen inneren Konnex bilden«. In: V. K., Geschlossene und offene Form im Drama, München 61972, S. 105. 78 So hat Heinrich Mann 1931 die Struktur des Untertan beschrieben. Hier zit. nach: STA, S. 619. 79 Trapp (Anm. 4) S. 6. Trapp bietet auch einen »Exkurs über Aspekte von Heinrich Manns Rezeption des Naturalismus«, S. 300–319. 80 Mann (Anm. 24) S. 69. 81 Vgl. dazu die Rezeptionszeugnisse bei Werner und Emmerich (Anm. 38). 82 Thomas Nipperdey, »War die wilhelminische Gesellschaft eine UntertanenGesellschaft?«, in: Deutsche Frage und europäisches Gleichgewicht, hrsg. von Klaus Hildebrandt und Reiner Pommerin (Fs. Andreas Hillgruber), Köln 1985, S. 67–82; wiederabgedr. in: Th. N., Nachdenken über deutsche Geschichte, München 1986, S. 208–224, hier S. 209, 224. 83 Hans-Ulrich Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918, Göttingen 1973, S. 122– 131. Wehler weist ausdrücklich auf Heinrich Manns Der Untertan hin (S. 131). 84 Ebd., S. 133. 85 Mann (Anm. 8) S. 28. 86 Ebd., S. 182. 87 Vgl. dazu Wehler (Anm. 83) S. 69 ff. 88 Vgl. Das wilhelminische Bildungsbürgertum. Zur Sozialgeschichte seiner Ideen, hrsg. von Klaus Vondung, Göttingen 1976. 89 Mann (Anm. 8) S. 15. 90 Karl Erich Born, »Der soziale und wirtschaftliche Strukturwandel Deutschlands am Ende des 19. Jahrhunderts«, in: Moderne deutsche Sozialgeschichte, hrsg. von HansUlrich Wehler, Köln/Berlin 31970, S. 271–284, hier S. 279; vgl. zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte: Friedrich-Wilhelm Henning, Die Industrialisierung in © 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Deutschland 1800 bis 1914, Paderborn 1973; Das deutsche Kaiserreich 1871–1914. Ein historisches Lesebuch, hrsg. von G.A. Ritter, Göttingen 41981. 91 Emmerich (Anm. 3) S. 62. 92 Schröter (Anm. 55) hat Wolfgang Buck genauer analysiert und ihn als »nihilistischen Décadent« gesehen (S. 29) und auch als Komplementärfigur Heßlings, des »Eroberer«-Typus (S. 25). 93 Born (Anm. 90) S. 283. 94 Heinrich Mann, Professor Unrat oder Das Ende einer Tyrannen, Frankfurt a. M. 31991 (Studienausgabe in Einzelbänden; Fischer Tb., 5934) S. 213 (Ende des 15. Kapitels). 95 In seinen großen Exil-Romanen Die Jugend des Königs Henri Quatre (1935) und Die Vollendung des Königs Henri Quatre (1938) hat Heinrich Mann dieses Idealbild entworfen. 96 Max Kretzer, Meister Timpe. Sozialer Roman, Stuttgart 1976 (Reclams UniversalBibliothek, 9829); vgl. Günter Helmes, »Max Kretzer: ›Meister Timpe‹ (1888)«, in: Der Deutschunterricht 40 (1988) H. 2, S. 51–63. 97 Nägele (Anm. 18) S. 31. 98 Heinrich Mann, Choderlos de Laclos, in: Mann, Essays (Anm. 43) S. 25. 99 Heinrich Mann, Kaiserreich und Republik (1919), in: Mann, Essays (Anm. 43) S. 412. 100 Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung (A. Sch., Sämtliche Werke, Bd. 2, Wiesbaden 1949) S. 469–471. Hier nach: Müller-Seidel (Anm. 13) S. 307. Müller-Seidel behandelt die Sentimentalität im Zusammenhang mit Fontanes Jenny Treibel. Vgl. zur zunehmenden Sentimentalisierung am Ausgang des 19. Jahrhunderts besonders Norbert Schöll, Vom Bürger zum Untertan. Zum Gesellschaftsbild im bürgerlichen Roman, Düsseldorf 1973. Zur Sentimentalität im deutschen Naturalismus vgl. Helmut Scheuer, »Arno Holz / Johannes Schlaf: Die Familie Selicke«, in: Interpretationen. Dramen des Naturalismus, Stuttgart 1988 (Reclams Universal© 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Bibliothek, 8412) S. 67–106, bes. S. 87 ff. Wie wichtig diese Diskussion ist, wird deutlich, wenn Schröter (Anm. 55) die Landpartien der beiden Liebespaare in Fontanes Irrungen Wirrungen (1888) und in Der Untertan als »ein Moment persönlicher Selbstverwirklichung« zu sehen vermag und damit den entscheidenden Unterschied – einmal tiefes Gefühl und zum anderen bloße Sentimentalität – aufhebt (S. 38). Vgl. dagegen Siefken (Anm. 31) S. 195 f. 101 Vgl. dazu Müller-Seidel (Anm. 13) S. 302. 102 Hier zit. nach: STA, S. 547. 103 Siehe dazu die in Anm. 30 und 31 genannte Literatur. Zu Kracauer s. Siegfried Kracauer, Das Ornament der Masse, Frankfurt a. M. 1977, S. 98. 104 Hier zit. nach: STA, S. 617. 105 Vgl. Anm. 30. 106 Adorno (Anm. 30) S. 323. 107 Leo Löwenthal, »Die Auffassung Dostojewskis im Vorkriegsdeutschland«, in: Zeitschrift für Sozialforschung, Bd. 8, Nr. 3 (1934) S. 343–382, hier S. 373 f. Vgl. auch L. Löwenthal, Literatur und Gesellschaft. Das Buch in der Massenkultur, Neuwied/Berlin 1964, S. 265, wo Löwenthal diese These bestärkt. Die Leser hätten »in den Helden der Romane Dostojewskijs, die sich selbst und andere quälen, reichen Stoff für Identifikationserlebnisse« gefunden. 108 Mann (Anm. 99) S. 411 f. 109 Th. Mann, Betrachtungen (Anm. 39) S. 422. 110 Brief an Karl Lemke vom 10. Dezember 1948, hier zit. nach: STA, S. 629. 111 Brief an Ludwig Ewers vom 31. Oktober 1906, hier zit. nach: STA, S. 530. 112 Mann, Essays (Anm. 43) S. 305.
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© 1993, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart. Erstdruck: Interpretationen. Romane des 20. Jahrhunderts 1. Stuttgart: Reclam, 1993. (Reclams Universal-Bibliothek. 8808.) S. 7–54.
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