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Nun steht der Mensch zum ersten Male wieder in diesem Aufstand, diesmal antäisch, als klügster Sohn der Erde und V ernichter der Grenzmarken ... »An der Zeitmauer«, p. 249
Alle Rechte vorbehalten Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung d es Verlages
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Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1960
Satz und Druck Ernst Klett, Stuttgart
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ie Frage >>Wo stehen wir heute?« fordert zunächst die Gegenfrage heraus >>Stehen wir denn überhaupt? «. Offenbar befinden wir uns in Bewegung, und zwar in einer Form der Bewegung, die sich weder als Gehen und Schreiten noch gar als Wandel bezeichnen läßt. Diese Bewegung vollzieht sich vielmehr seit geraumer Zeit accelerando: in wachsender Beschleunigung. Das ist vorauszusetzen, wenn man vom Stand der Dinge spricht. Gemeint ist damit eher Posi tion im nautischen Sinn. Es handelt sich mehr um die Beurteilung von Kurven als von Punkten; wir haben eine bessere Vorstellung von unserem Aufbruch und von unseren Zielen als von der Gegenwart. Daher sind wir weniger ruhende und besitzende als planende und in großen Projekten befangene Wesen; das äußert sich in unserer Technik, in unseren Bauten und auch in unseren Urteilen. Das Auge des Beurteilenden hat schnell und immer schneller sich bewegende Objekte zu erfassen, ganz abgesehen davon, daß der Beurteilende selbst sich 9
bewegt. Das vervielfältigt und verschärft die Konflikte, wie sie seit jeher aus der Mannigfaltigkeit der Charaktere und Überlieferungen hervorwuchsen, und diese Konflikte treten nicht nur im Unterschied der Ansichten und Meinungen zutage, sondern sie reichen tief in den Sprachgrund hinab: die Worte werden zwei- und vieldeutig. Der Mensch kann heute nicht als stehendes, sitzendes oder gar thronendes Wesen begriffen werden, nicht als Mitte und Krone der Schöpfung, wie das so oft der Kunst und dem Denken gelungen ist. Er ist in Bewegung, und zwar in einer Bewegung, die nicht nur durch ihn, sondern auch trotz ihm und gegen ihn stattfindet. An diese Tatsache lassen sich sowohl Befürchtung1m wie Hoffnungen anknüpfen.
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In einer Welt der großen und allgemeinen Bewe'\i. \ gung drängt sich notwendig die Frage nach dem Möglichen auf, vor allem nach dem Anteil, den die Willensfreiheit in Anspruch nehmen kann. Wer in dieser Frage einen sicheren Punkt oder auch nur eine hinreichende Überzeugung gewonnen hat, kann in vielen Richtungen Bestimmungen treffen: theologisch, moralisch, juristisch und dann in den sichtbaren Ordnungen. IO
Seiner Natur nach ist der sitzende oder stehende Mensch, von einer stärker~n Aura der Willensfreiheit umgeben als der im Bewegten sich Bewegende. Das wird an den Standbildern sichtbar, wie sie auf der Agora, dem Forum, den großen Plätzen der Renaissance und des Barock errichtet wurden; der Richter, der Gesetzgeber, der Fürst, der Philosoph, der Dichter, der Feldherr oder auch der wohlgeratene Mensch in freier Haltung bilden den ruhenden Mittelpunkt. Er wirkt auch dort glaubwürdig, wo er einen außer- oder übermenschlichen Mittelpunkt repräsentiert. Ohne daß etwas repräsentiert wird, kann kaum ein Standbild errichtet werden oder gar Dauer haben - selbst ein Monarch, der wie Ludwig XIV. sagen konnte: »Der Staat bin ich«, war davon überzeugt, daß er eine andere und über ihm stehende Macht darstellte. Darauf gründet sich das Selbstbewußtsein des Menschen, der sich im Besitz der Willensfreiheit fühlt. Dieses Bewußtsein wird in der Lehensordnung übertragen wie ein Kommandostab, der, wenn er von Hand zu Hand gereicht wird, Befugnis gibt. Das prägt sich noch im Gesicht des letzten Hirten aus. Wie Licht nur innerhalb des Dunklen sichtbar werden kann, so Willensfreiheit nur an einem Anderen, das sie begrenzt. Selbstherrlichkeit ohne dieses Andere, sie mächtig Begrenzende würde sogleich gro~ tesk, absurd, infam werden. Das ist einer der I I
Gründe dafür, daß heute Darstellungen nicht nur des stehenden Menschen, sondern auch des menschlichen Gesichts so schwierig geworden sind. Wir dürfen das nicht, wie es noch weithin geschieht, als Frage der Qualität oder gar der Moral auffassen. Das Standbild eines Colleoni, das wir seines steingewordenen Selbstbewußtseins wegen schätzen, verrät uns wenig über den humanen Rang des Dargestellten, aber viel über seine Zeit. Die Haltung ist nur möglich im Rahmen einer zugleich begrenzten und starken Ordnung, innerhalb deren der.Mensch sich als Mittelpunkt fühlt, wie groß oder klein der Kreis auch sei, über den er verfügt. Wenn in der zweiten Hälfte des 1 9· Jahrhunderts die Renaissance sich zu einem Leitbild entwickelte, so entsprang das den Wünschen einer Zeit, der gerade solche Figuren mangelten. Es entsprang einer Wertung ex contrario, einem Gegensatz zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, wie er bei Burckhardt besonders sichtbar wird. Das Experiment hat inzwischen belegt, daß wir zur Darstellung solcher plastischen Größe unfähig geworden sind.
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Diese plastische Größe, das Monument des Großen Menschen, entspricht in besonderer Weise dem, was wir als historische Größe auffassen. Sie wieder-
um ist mit unserer Auffassung, mit unserer Schätzung der menschlichen Freiheit auf das engste verknüpft. In ihr verbirgt sich das Ferment jenes Abschnittes der Erdgeschichte, den wir als » W eltgeschichte<< auffassen. Freiheit als unbedingte, als Willensfreiheit ist es, die innerhalb dieser Erdschicht den Taten und Werken ihren Glanz gibt und der durch Kämpfe und Leiden unerhörte Opfer gebracht werden. Sie unterscheidet den geschichtlichen Menschen in seiner Kunst, seinem Recht, seinem Handeln sowohl von den Barbarenvölkern als auch den Theokratien, erhebt ihn in seinem Selbstbewußtsein über babylonische Paläste, Pyramiden und Menhirs. Nur in ihm und durch ihn gibt es Staaten-, Kunst- und Kulturgeschichte; Geschichte ist sowohl seine Erfindung wie seine Substanz. Sein Blick ist historisch; was er trifft und beleuchtet, und sei es das Älteste und Fernste, nimmt geschichtlichen Charakter an. Ein solcher Grad von Freiheit, eine solche Wandlung im menschlichen Werten und V erhalten setzt als Ursprung eine neue Distanz gegenüber den Göttern und ihren Ansprüchen voraus. Und in der Tat ist diese Freiheit ein Leitmotiv der Weltgeschichte; sie färbt bereits die Besuche, die Herodot den ägyptischen Priestern in ihren Tempeln abstattet, und schimmert in den Splittern Heraklits. Sie führt von der sokratischen Ironie bis zur Gewis-
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sensfreiheit des Christenmenschen selbst dem Allvater gegenüber und bis zum Materialismus unserer Tage, der als kosmisches Ereignis noch so wenig, und vielleicht von denen am wenigsten begriffen ist, die am stärksten von ihm ergriffen sind. Daß man in Deutschland als dem Lande, in dem die kommenden Dinge seit über hundert Jahren zentral und zuweilen auf prophetische Weise durchdacht wurden, sich mit der Frage des Willens und seiner Freiheit als dem Hauptproblem beschäftigt, hat seinen guten Grund. Dieser denkerischen Leistung gesellt sich die musische Anschauung und gewinnt Form im Gedicht. Ihr haben mit Recht die Griechen Vorbild und Maß gegeben, und eine tiefe Erinnerung, ja Verwandtschaft hat, wie bei Hölderlin und Nietzsche, über den philologischen und historischen Rahmen hinaus zu kongenialer Annhäherung geführt. Aber zurück zu den Standbildern. Im Anblick einer archaischen griechischen Gottheit rührt uns ein Fernes und Fremdes an, ein kultischer Bann, der ihr mit Bildern Ägyptens und Vorderasiens gemeinsam ist. Und doch ist es nur eine kurze zeitliche Spanne, die sie von einer sandalenlösenden Nike oder jener Nike von Samothrake trennt, die uns noch heute weniger als Opfergabe an eine Göttin als an die unbesiegbare und unzerstörbare Idee der Freiheit berührt. Wie der Faltenwurf des Gewandes, doch
auch die Haltung des nackten Gottes sich mildert, und eil\ Lächeln, fast gespenstisch, wie beim Anblick einer anderen, zugleich heiteren und schrecklichen Welt, die kultische Strenge auftaut - das kündet nicht nur einen neuen Apollo, es kündet eine neue Sonne an. Es ist die gleiche Sonne, in deren Morgenröte Herodot die neue, die historische Welt sich breiten sah. Rasch folgen Bilder, denen gegenüber wir schwer unterscheiden können, ob es sich um einen Gott in menschlicher oder um einen Menschen in göttlicher Positur handelt. Gestalten treten aus dem Inneren der Tempel auf den Vorhof, dann auf die freien, offenen Plätze und verändern sich. Das ist die Spanne, die Wandlung, die Reihe von kurzen Schritten, während deren freies philosophisches Denken, eine von der Theologie abgelöste Metaphysik und mit ihr eine neue, heraklitische Tiefe des Wortes möglich geworden sind. Das Menschenbild gewinnt eine freie Haltung, auch in der Strenge, wie beim Wagenlenker von Deiphi oder der Statue vom Kap Artemision. In seiner Darstellung wirkt Kunst und wirken Künstler in unserem Sinne, und damit gewinnt es einen neuen, vom Dargestellten unabhängigen Wert. Es kann ein Gott gemeint sein oder auch ein Mensch, oder beides zugleich. Das ist die Wandlung vom Idol zum Kunstwerk, von der frühen magischen Opfergabe zum Weihgeschenk. IS
Daß das Standbild des Menschen den Mittelpun kt der Städte, die freien Plätze, die Prunk- und Siegesstraßen beherrscht , war nicht immer der Fall. Es gehört zu den Phänomen en des geschichtsbildenden Menschen und seiner Macht. Manches, auch Bilderstürze und Hermenfr evel, wird dem vorausgeg angen sein. Ein großes Beispiel dieser Wende ist die Auf-
stellung des Kaiserbild es im Vorhof des jüdischen Tempels mit ihren unheilvoll en Folgen, die Flavius J osephus beschrieben hat. Daß heute die Aufstellun g von Standbild ern des Großen Menschen an beherrsch enden Orten zum Wagnis geworden ist, hat mannigfac he Gründe, die
sich jedoch in einer zentralen Ursache treffen: dem Ermatten der geschichtsbildenden Kraft. Damit hängt eng zusammen , daß historische Größe, personal verkörpert, unglaubw ürdig geworden ist. Nicht mehr der Ort wird durch den Menschen beherrsch t, sondern der Ort mit seiner Konstellat ion begabt den
Menschen mit funktiona ler Macht. Der Mensch, auch und gerade in der höchsten Position, wird zufällig, wird auswechselbar. Der musische Geist in seiner größeren Nähe zum Sein erfaßt das eher als der historisch oder gar politisch wahrnehm ende. Er wendet sich daher, vor allem in den drei klassischen Formen der Plastik, des Epos und der Tragödie, von der Darstellun g des Großen Menschen ab und Fi-
guratione n des Urgrunde s zu. In der Werkstätt en16
Iandschaft rücken Automate n in den Mittelpun kt. Das kanq nur ein Provisoriu m sein. Jede Entleerung, jede Räumung kündet eine neue Besetzung an, und jeder Abschied eine Verwandl ung, eine Wiederke hr.
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Eine Bewegung , die sich durch wachsende Beschleunigung auszeichnet, ·kann verschiede ne Tendenze n haben - man kann vermuten, daß sie Gesetzen des Sturzes oder auch solchen des Zuges und Schubes folgt. Das wird weithin vom Standort des Beobachters, von seiner Lebenskra ft, seinem Temperam ent,
aber auch seinen Maßstäbe n abhängen. Auch im Reich der Anziehun g gibt es Beschleunigung. An einem Eisenstück, das in das Feld eines Elektroma gneten gerät, werden wir zunächst einige unbestimm te Bewegung en beobachte n, dann eine sprunghaf te Annäheru ng. Die Magnetna del folgt kosmischem Zug. Der Magnet ist die Zukunft; sie wirkt nicht anders als die Vergange nheit. Die tiefere Identität von Zug und Schub liegt außerhalb der Zeit, sowohl in der mechanischen wie in der organischen Welt. Das zu erfassen, bedarf es einer gewissen Schärfung des erkenntnis kritischen Geistes - dem Metaphys iker, und nicht nur ihm, stellt sich die Frage, welchen Anteil an ein und demselben 17
Vorgang einerseits das menschliche Trachten und andererseits der Zug des Schicksals hat. In unsere Sprache übertragen: In welchem Verhältnis wirken an der Beschleunigung unserer Wende menschliche und kosmische Kräfte, wie ist der W eltplan, in dem sich die Staatspläne summieren, dem Erdplan, oder wie ist die Weltrevolution der Erdrevolution koordiniert? Wirkt etwa nur die eine oder nur die andere, stehen beide in Opposition, ergänzen sie sich alternierend, oder sind sie identisch und fallen als spiegelbildliche Hälften in unsere Wahrnehmung? Diese Fragen sind nicht rein spekulativ und theoretisch, sondern es sind zentrale Mad1.tfragen. Sie dienen der Beurteilung nicht nur der Lage, sondern auch der Bewegungen, die innerhalb der Lage möglich sind. Wer heute erfaßt hat, was der Erde dient, gewinnt den Vorrang gegenüber den historischen Ansprüchen. Wo er verändert, wird er geringeren Widerstand, wo er beharrt, wird er festeren Grund finden als jeder, der sich, gleichviel in welcher Absicht, auf ein Gebiet beschränkt~
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Dort, wo sich Notwendigkeit und Freiheit treffen, wo Zug und Schub in ihrer Identität begriffen werden, klärt sich die Aussicht derart, daß ihre Gegenstände weder durch den Willen noch durch die 18
flurcht übermäßig verzerrt werden. Wir wollen hier für unst;.re Untersuchung einen der wichtigsten herausheben: den Staat, der ja als status auf das engste der Frage des Stehens oder des Bestandes entspricht, nn die wir anknüpfen. Tn der Tat lohnt es sich, über diesen Status nachzudenken, der heut vor allem unser Handeln und Leiden bestimmt, der unser Dasein bis in die Einzelheiten formt. Seinen Ansprüchen gegenüber treten alle anderen zurück. Er ist der Löwe, der nicht nur den ersten Anteil fordert, sondern auch über die Aufteilung dessen entscheidet, was übrig bleibt. Längst ist zu seinen Gunsten der Streit beschlossen, der Päpste, Kaiser, Könige und Kanzler durch die J ahrhunderte beschäftigte. Die Staatsgrenzen sind schärfer eingetragen als die der alten Landschaften und Reiche, die sie umschließen oder auch durchschneiden, oft quer durch die Gemeinschaft von Völkern, Rassen, Sprachen und Kulten hindurch. Nicht die Gesellschaft gibt sich im Staat ihre Form, sondern der Staat bestimmt die Form der Gesellschaft bis in ihre Zelle, in die Familie, hinab. Endlich ebnet der Staat auch jene Ansprüche ein und zieht sie an sich, die die Natur an Menschen und Völker stellte: die Sorgen, die um Saat und Ernte, Sommer und Winter, Wasser-, Feuers- und Hungersnöte kreisen und mit dem Wechsel der Gestirne seit jeher gekreist haben.
Daß die Last des Staates damit für den Einzelnen sehr schwer wird, ist nicht zu bestreiten, selbst wenn man bedenkt, daß die menschliche Existenz auch früher ihre Schatten gehabt hat - daß wir also vom absoluten Gewicht, das uns heute bedrückt, das abziehen müssen, was lediglich auf veränderter Lastenteilung beruht. Sie wird an jener Seite des Staates besonders deutlich, auf der er als Versicherungs-, Wohlfahrts- und Fürsorgestaat erscheint.
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A uch der Staat ist nicht von der großen Bewegung ausgeschlossen, die sich accelerando vollzieht. Die Bewegung geht nicht durch ihn hindurch wie etwa Wasser, das ein Maß durchfließt. Ein Teil der Bewegung wird gewiß durch den Staat aufgefangen es ist jener Anteil, den der menschliche Plan und der freie Wille bestimmt. Der Schub greift aber unter den Staat und seine Fundamente, die weder f aktisch noch ethisch Grund fassen. Daher verschieben sich die politischen, juristischen, moralischen Definitionen und Abgrenzungen; sie gewinnen eine vieldeutige, elastische Struktur. Der Staat wird nicht nur für die Einzelnen, er wird auch für die Völker kostspielig. Er lebt von Großräumen, die einen beträchtlichen Teil der Erdober20
fl Liche ausmachen und deren Bevölkerung sich nicht mehr auf Millionen, sondern auf Hunderte von Millionen beläuft. Daß auch diese Ziffern sich sch nell vermehren, ist eines der Symptome der Grundveränderung, Mit dem Anwachsen der vom Plan beherrschten Räume und ihrer Bevölkerungen verbindet sich ein Umschlag in die Qualität. Der Staat wird ungeheuer; ·r bringt neuartige Gebilde hervor und gewinnt •igenschaften, die ihm früher nicht zukamen. Er läßt auch die Großstaaten und Imperien, wie sie um die Juhrhundertwende blühten und deren Souveränität er zum Teil an sich gezogen, zum Teil vernichtet hat, weit hinter sich zurück. Z ur Z eit trägt die Erde zwei solcher Staaten von absoluter Souveränität. Daß Tocqueville ihr Auftreten bereits in der Mitte des vorigen Jahrhunderts vorausgesehen und Rußland und Nordamerika als ihre Träger bezeichnet hat, verrät ein außergewöhnliches Ingenium. Er sagte auch, daß beide das gleiche Ziel haben. Zwischenprognosen, etwa anknüpfend an das Anwachsen des englischen Kolonialreiches oder der deutschen Militärmacht oder auch an die Seeschlacht bei Tsushima, entsprangen flüchtigeren Vermutungen. Das Bild der heutigen Welt, verglichen mit Tocquevilles Voraussage, gibt ein Beispiel für die Schärfe, mit der das Auge eines guten Beobachters das Gefüge sich anschieben21
der Tatsachen zu durchdringen vermag. Sein Blick reicht über Täler und Schluchten hinweg zum Gipfel, der sich in der Ferne abzeichnet.
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Bei diesem Stand der Dinge kann von unbeschränkter Freiheit nur noch in zwei Zentralen die Rede sein. Freiheit sei hier in Hinsicht auf den technischpolitischen Entschluß verstanden, als unbedil.)gte Vorfahrt in jeder Ordnung, in der Staaten auftreten. Inwiefern sich in den Entschlüssen andere Absichten spiegeln oder gar über ihre Durchschlagskraft entscheiden, ist eine andere Frage; sie wird noch gestreift werden. Auch die Souveränität von Großstaaten ist heute beschränkt. Daß diese Tatsache im allgemeinen verschleiert bleibt, beruht auf Rücksichten zweiten Ranges, unter anderem auf Höflichkeit. Sowie die Krise einen gewissen Grad erreicht, tritt sie mit überzeugender Deutlichkeit hervor. Das erinnert an Kinderzimmer, in denen die Kleinen ziemlich lange toben dürfen, ehe die Großen eintreten. Erst wenn die Zimmerbrände in einen Hausbrand auszuarten drohen, sieht man ungeheure Schatten auftauchen. Die Vorstellungen von dem, was nun geschehen könnte, sind unklar; jedenfalls drohen Dinge, die
nicht in das Geschichtsbild, ja nicht einmal in die humane Epoche hineinpassen. Oie Politik hat sich seit dem Barock vergröbert und ouch noch gegenüber jenen Zeiten, in denen Bismarck mit dem Europäischen Gleichgewicht zu rechnen hatte, dessen Erhaltung er einem Jonglieren mit fünf Bällen verglich. Die Waage schwankt heute ~wischen zwei großen Partnern; der Globus ist in eine westliche und eine östliche Hälfte geteilt wobei Ost und West eher als Richtungen denn als Territorien aufzufassen sind. Die Schärfe der Trennung klingt in Worten wie >>Kalter Krieg« und >>Eiserner Vorhang« an. Indessen darf man sich durch die Polemik und ihre Ausschreitungen nicht beirren lassen: bei unbefangener Ansicht erstaunt die große und wachsende Gleichförmigkeit, die sich über die Länder ausbreitet - nicht nur als Monopol der einen oder anderen Konkurrenzmacht, sondern als globaler Stil. Es sind dieselben Leitworte, die überzeugen, wie Friede, Freiheit, Demokratie; es ist ein und dieselbe Technik, die zur Perfektion getrieben wird. Wo die Ideologien verschieden sind, wie hinsichtlich der Wirtschaft, bringen sie doch im Ergebnis immer ähnlichere Formen hervor. Auch die Ideale sind gemeinsam; das wird vor allem dort augenscheinlich, wo die technische Bemühung planetarisch-kosmische Qualitäten gewinnt, wie bei der Raumfahrt, der Ver-
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änderung der Erdoberfläche im geologischen Maßstab, der Aufladung der Atmosphäre und der Entbindung von Erdkräften durch den prometheischen Geist. Die Ähnlichkeit betrifft auch die Symbole, unter denen der Stern eine besondere Rolle spielt. Sie legt die Vermutung nahe, daß es sich bei dem roten und dem weißen Stern nur um das Flackern handelt, wie es auftritt, wenn ein Gestirn sich über den Horizont erhebt. Im Aufstieg wird die Einheit offenbar. 8
Die Ähnlichkeit der Riesenpartner, die, wenn nicht die Territorien, so doch Teile der Souveränität der historischen Staaten an sich ziehen, legt die V ermutung nahe, daß es sich hier um Modelle handelt oder besser noch um Model: um die beiden Hälften der Gußform zur Bildung des Weltstaates. Es würde sich dabei nicht um eine bloße Addition, um eine Verdoppelung handeln, sondern wiederum um ein Umschlagen in die Qualität, um den Anstieg in eine heute noch unvorstellbare Potenz. Die Aussicht ist schon deshalb erfreulicher als andere, weil sie allein die Begrenzung und Zähmung der Machtmittel verspricht, die über die Kontrolle der historischen Staaten und Imperien hinauswuchsen. Über ihre Hortung oder Abschaffung kann nur
von einer Zentrale, vom umbilicus mundi aus entHdlieden werden; die Verwandlung des ungezähmj cn in gezähmtes Erdfeuer setzt den Weltstaat vornus. Sein Nahen kündet sich auch dadurch an, daß Weltbürgerkriegsideen die Politik der Staaten und ihre Händel der Umrisse berauben- ein Vorgang, der einerseits das Bild des klassischen Krieges und :mdererseits die Idee der Grenze schwächt. Das ist ein wichtiger Unterschied gegenüber der Revolution von 1789 und ihrer unmittelbaren Wirkung sowohl auf das Ethos als auch auf die kriegerische Macht der Nationalstaaten. Die Aussicht auf den Weltstaat ist wahrscheinlicher, sein Eintritt ist durch die Vorzeichen begründeter und hinsichtlich des Weltfriedens wünschenswerter als eine neue Aufteilung der.Macht- etwa im Rahmen eines mundus tripartitus, wie er selbst von scharfsinnigen Beobachtern zuweilen verkündet wird. Eine solche Mehrzahl würde die Erlangung oder Wiedererlangung der unbeschränkten Souveränität durch weitere Partner, etwa durch China oder England, voraussetzen. In der Tat sind einige Mächte bestrebt, sich die Symbole dieser Souveränität anzueignen und damit den Ausweis, der Zutritt zum Gipfle! gewährt. Die Symbole innerhalb einer sich accelerando bewegenden Welt sind notwendig dynamisch; ihre eigentliche Rolle kann hier nur gestreift werden.
Das Herrschaftssymbol in einer stabilen, paternitären Welt bringt wie Palast und Thron die Macht des seßhaften, residierenden Menschen zum Ausdruck; es wird auch, wie Szepter und Krone, zu Hand und Haupt Bezug haben. Wenn ein Kurfürst, wie der Brandenburger, den Kurhut mit der Krone vertauscht, so verkündet er damit den Anspruch, mit Königen auf einer Stufe zu stehen. Er muß freilich imstande sein, die Berechtigung dieses Anspruches nachzuweisen, wie es durch Friedrich den Großen geschah, denn die Krone allein hat noch keinen zum König gemacht. Das gilt auch für das dynamische Symbol. Als Herrschaftssymbole innerhalb einer schnell und schneller sich bewegenden Welt sind die am schnellsten und mächtigsten bewegten Spitzen glaubwürdig. Das sind die Raumschiffe und ist überhaupt jene oberste Plattform der sich bildenden Welt, auf der mannigfache Anstiege der Forschung und der Technik sich derart vereinen, daß astronautische Tendenzen möglich geworden sind. Es sind Modelle von Planeten, die dort entstehen. Freilich muß viel zur technischen Leistung hinzutreten, damit solche Gebilde entstehen - einmal Tiefe des Traumes als Essenz von alten Utopien und dann Erdmacht als solche, die trächtig geworden ist und durch das menschliche Ingenium ausstrahlt- mit einem Worte: die Voraussetzungen einer Geburtsstunde. Die Er-
r ·gung, die die Völker angesichts dieser Modelle und ihrer Bahnen ergreift, ist begründet; auch in ihr wirkt der unsichtbare Anteil stärker als der sichtbare. Der symbolische Rang gründet sich nicht auf die praktische Macht, die vielmehr durch ihn zum Ausdruck kommt. Es handdt sich nicht um den Triumph · über Raum und Zeit, auch nicht um die ungeheuren Mühen und Kosten, die den Einsatz ausmachen, und ebensowenig um den Vorrang in der Rüstung, der mit dem Vorsprung in der Raum- und Schwereüberwindung verbunden ist. Im Letzten ist das alles unerklärlich wie die Bildung eines neuen Organs. Daß es höchst gefährlich ist, versteht sich am Rande; die Gefahr läßt sich nicht ausklammern. Die Schicksalsfrage, die dem Menschen gestellt wird, lautet, ob er die neue Welt will, deren Umrisse sich vor ihm abzeichnen. Er hat sie bereits bejaht, und er mußte so antworten. W as die Modelle betrifft, so sieht man den Vorgang am besten so, als ob winzige, stark aufgeladene Teilchen sich über ein großes Feld erhöben -und man tut gut, den technischen Phänomenen daran nicht größeren Anteil einzuräumen als bei jedem anderen Vorgang auch. Sie instrumentieren einen W illen, der jenseits der Technik lebt. Das Spiel der N erven, Muskeln und Bänder, die unsere Hand bewegen, ist weitaus komplizierter, aber um mit ihr
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Geige zu spielen oder ein Bild zu malen, ist es nicht nötig, daß man anatomische Leitfäden studiert. Hier ließe sich einwenden, daß die Hand nicht von Menschen erfunden ist. Das würde zur Gegenfrage führen, was denn an unserer Technik originaler Anteil des Menschen überhaupt ist, einmal in seiner Eigenschaft als Zeitgenosse und sodann als kunstfertiger Spezies im biologischen Sinn. Was da hineinwirkt in das Ephemere, in das hauchdünne Häutchen, das eine Generation oder auch ein J ahrhundert zur Schichtenbildung beiträgt, was da drängt, zieht und kreißt, sowohl an historischen wie an außer- und transhistorischen Kräften, das fällt zwar weniger in die Augen als die technischen Effekte, zu deren Hervorbringung es jedoch in unmittelbarer Beziehung steht. Erst hier eröffnen sich die sinngebenden, sinnbildenden Muster, die hoffen lassen, daß wir uns nicht in eine Sackgasse verrannt haben, in einen blinden Ast des Stammbaums, wie es deren in der Erdgeschichte schon viele gegeben hat.
Wenn wir den umfassenden und einheitlichen Charakter einer solchen Regung auf den Staat beziehen, so bleibt das ein menschlicher Aspekt. Der Staat und selbst der Weltstaat ist eine der Formen unter anderen, in denen diese Einheit begriffen werden kann. Sie war und ist immer vorhanden, tief unter der Mannigfaltigkeit der Wesen und ihrer Bildungen. H ier eröffnen sich neuartige Einblicke, stellen sich Fragen des Erdstils, der auch dort wirkt, wo große Trennungen durch Raum und Art bestehen. Er wirkt nicht nur in den Einzelheiten, sondern tableaubildend. Dafür werden sich die Augen schärfen - es scheint zum Beispiel, daß ein so wichtiges Ereignis wie die Erfindung der Schrift bei voneinander unabhängigen und sehr entfernten Völkern im gleichen Zeitraum eingetreten ist. Das würde auf eine andere »Gleichzeitigkeit« schließen lassen als die von Spengler vermutete. Die eine würde die andere nicht ausschließen. Auch in der Welt der Uhren gibt es Rangordnung.
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Dafür, daß unsere alte Erde wieder einmal ihr Kleid verändern will, wie das schon oft geschehen ist, gibt es mannigfache Anzeichen. Sie recht zu deuten, ist mehr als eine deskriptive und auch mehr als eine prognostische Aufgabe.
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Unser hochgezüchtetes, auf Ursache und Wirkung dressiertes Denken hat uns für solche Erscheinungen fast farbenblind gemacht. Daß etwas sich vorbereitet, erklären wir vor allem durch die histo-
rische Wirkung, den Schub der Tatsachen. Es gibt aber einen ebenso starken Zug der Tatsachen, der von der anderen Seite wirkt; es gibt neben der kausalen eine finale Einwirkung, die beide sich im Augenblick treffen und ihm Form geben. Wie jede Tür zugleich Eingang und Ausgang ist, so kann, je nach der Perspektive des Beurteilenden, die Gegenwart sowohl als Konsequenz begriffen werden wie als Vorzeichen des Eintretenden. Daß das Eintretende Unruhe mit sich bringt, daß es von einer Ahnung des Sinnlosen und selbst des Todes begleitet wird, ist unvermeidbar, denn es kann ja nur eintreten in einen bereits verteilten Raum, auf Kosten bestehender Rechte und Anteile. Andererseits kündet sich gerade dadurch, daß diese Rechte und Anteile fragwürdig werden, das Eintretende an. Es kommen Zeiten, in denen sich niemand recht wohl fühlt; sie erinnern an das unruhige Hin und Her der Raupe, die den Ort sucht, an dem sie sich verpuppt. Was sie jedoch im Grunde suchte und was sie hin- und herzog, war nicht der Ort; es war der Schmetterling. Jede Entwicklung ist auch eine Auswicklung. Der Faden, mit dem der Wurm sich fesselt- es ist derselbe, der den Schmetterling befreit. In ähnlicher Weise ist der Weltstaat nicht nur ein durch die Vernunft Gebotenes und durch den Willen konsequent zu Erreichendes. Wäre dem so, 30
wäre er nur ein logisches oder ethisches Postulat, so würde es schlecht um unsere Zukunft stehen. Er ist auch ein Eintretendes. Im Schatten, den er vorauswirft, verblassen alte Bilder, entleeren sich vertraute Sinngebungen, vor allem die des historisehen Staates und seiner Ansprüche. Das ist der "1 Grund, aus dem seine Kriege verdächtig werden, I seine Grenzen fragwürdig. Das Eintretende sprengt seine Normen; es wirft andere Bilder und andere Begriffe voraus, auch anderes Recht.
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Die Hortung und Anwendung titanischer Mittel, um eine Einzelheit zu nennen, paßt nicht in die Normen, die Völker und Staaten für ihre Beziehungen in Krieg und Frieden untereinander aufstellen. Die Luftfahrt und die überlieferte Aufteilung der Erde stehen offensichtlich zueinander in Widerspruch. Das Flugzeug sollte seinem Wesen nach dem Vogel gleichen, der keine Grenzen kennt, und das Luftmeer sollte noch freier sein als der Ozean. Dennoch ließ sich der Luftverkehr völkerrechtlich noch in Form bringen. Nicht mehr möglich erscheint das mit der Raumfahrt; zur rechtlichen Fixierung eines Satelliten genügen weder römisches noch Völker-Recht. Das ist ein Beispiel für die schrittweise Annäherung des Eintretenden.
Bei der Raumfahrt reichen die rechtlichen Erfahrungen nicht aus, und nicht einmal die physikalischen, auf denen das Recht ja beruht. Hier tritt der Mensch, gleichviel welcher Herkunft, als solcher ins Spiel, als Sohn der Erde und als ihr Sendbote. Er folgt den Tieren, die für ihn sondieren und ihm die Spur weisen. Der Hund ging ihm schon. bei seinen frühesten Jagden voraus. Erst in der Entfernung wird dem Sohn die Einheit der Mutter offenbar und ihre Liebe, die er mit Belebtem und Unbelebtem teilt. Kein Heimweh kann größer sein. Das ist die Bahn, die nicht nur in große Ferne, sondern auch zu neuen, zentralen Heiligtümern führt. 12
Die.Ähnlichkeit der beiden Weltmächte, wie sie am besten zur Unterscheidung von den historischen Großmächten genannt werden, ist nicht nur ein Zeichen des gemeinsamen Zeitstils und seiner Oberfläche, sondern der jn Evolution befindlichen Substanz. Daß Partner von so verschiedener Art und Herkunft zugleich ergriffen werden, deutet darauf hin, daß sie an der Wurzel erfaßt wurden. Für den Beobachter, der nicht nur die Ähnlichkeit, sondern auch die Identität des roten und weißen Sterns erkannt hat, liegt der Schluß nahe, daß diese Tatsache in der politischen Organisation der Erde,
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etwa durch Vertrag, ihren Ausdruck verlangt. Indessen sind die praktischen Ansätze in dieser Rich' tung schwach und ebenso ohnmächtig wie der Völkerbund nach dem Ersten Weltkriege. Der Dualismus überwiegt; das läßt auf einen Abschnitt schließen, in dem die Spannung zu den Bildungselementen zählt. Die politischen Begegnungen haben mit den erotischen gemein, daß sie nicht der Vernunft folgen. Sie greifen tiefer hinab; ein stärkerer Wille wird in ihnen offenbar. So wird man auch in diesem Falle gut tun, sich weniger von Konferenzen, Plänen, Verträgen zu erhoffen als von umfassenden Antrieben. Eine Weltbewegung ist offensichtlich auf derSuche 'nach dem Mittelpunkt. Sie hat die Ordnung der Barockstaaten zerbrochen zugunsten der Nationalstaaten und der auf sie gegründeten Imperien, und sie hat wiederum mit den Nationalstaaten zugunsten der Weltstaaten aufgeräumt. Aber auch dieser Status duldet keine Mehrzahl - das ist der Grund der heutigen Unruhen. Er strebt von den Weltstaaten dem Weltstaat zu, der Erd- oder Globalordnung. Dieses Wachstum ist mit dem Hunger nach immer größeren Energiemengen verknüpft. Ein Wesen, noch embryonal, ziehtwachsend die Blut- und Kraftströme der Erde an sich; diesen saugenden Zug verspürt der Einzelne, und ob er noch so verborgen wohne, und es spüren ihn die Weltstaaten. Sie sind 33
bereits von Bahnen und Anlagen durchsetzt, die über ihre Isolierung hinweg und durch sie hindurch gehen. Wer das erkannt hat, gewinnt inmitten der Bewegung einen Standort, von dem aus sich beurteilen läßt, welche politischen Mittel, Formen, Verfassungen ihrem Schub konform sind und damit voranführen, und welche nicht. Wäre das in Deutschland hinsichtlich der tragenden Ideen und der möglichen Bundesgenossen frühzeitig erfaßt worden, so würde es dem Lande gewaltige Umwege und viel Blut erspart haben. 13
In der deutschen Nationalpolitik war viel Barockpolitik verborgen, schon durch die Fürsteninteressen und die Verbindung mit Ost erreich. In der deutschen Weltpolitik wiederum war viel Nationalpolitik verborgen; deshalb hat sie an Rußland als an ihrem eigentlichen Prüfstein versagt, und zwar in beiden Weltkriegen und sowohl vor wie nach den Kampfhandlungen. Diese Verzettelungen stehen in starkem Widerspruch zur Welt- und Erdmacht der deutschen Metaphysik, in deren Rahmen die heutigen Händel stattfinden; ja man darf sagen, daß für diesen Rahmen nur ein Teil ihrer Kräfte, vor allem Hegels System, in Anspruch genommen ist und daß gewaltige denkerische Reserven brachliegen. 34
Die heutige Trennung ist der äußere Ausdruck dieser Spaltung, die tief hinabführt und weit in die Vergangenheit reicht. Sie hat bewirkt, daß die Reformation und die Revolution nicht wie in England und Frankreich durch ein Entweder-Oder gelöst, sondern mit einem Sowohl-Als-auch in der Schwebe geblieben sind und daß die Bildung des Nationalstaates nicht, wie in Italien, in einem Guß gelungen ist. Was I 848 Fürsten und Volk verfehlt haben und was von der Welt begrüßt worden wäre, weil es im Zuge der Weltströmung lag, wurde nie wieder eingeholt. Die rechte Stunde war versäumt. Das bleiben historische Rückblicke. Sie würden ins Detail führen. In diesem Sowohl-Als-auch, das so oft und innerhalb der zeitlichen Situationen mit Recht beklagt worden ist, verbirgt sich ja noch etwas anderes, noch etwas mehr. Es verbirgt sich darin das Schicksal der Mitte, in der die Fragen nicht so eindeutig und auch nicht so einfach wie an den Rändern zu beantworten sind. Dieses Schicksal hat es mit sich gebracht, daß hier der Nationalstaat nicht so glaubwürdig sich konstituieren konnte wie in anderen Ländern und daß ihm gegenüber von jeher eine Unsicherheit bestand, wie sie noch heute seinen Symbolen, etwa der Flagge und der Hymne, gegenüber zumAusdruck kommt. DerNationalstaathat hiernie wirklich Wurzel gefaßt. Mit diesem Schicksal hängt auch zusammen, daß die 35
Welttrennungslinie das Land und seine Hauptstadt in zwei Hälften teilt. Das ist indessen mehr als N ationalschicksal, es ist Weltschicksal schlechthin und wird auch als solches aufgefaßt.
14 Es geht bei der großen Bewegung, die sich beschleunigt, nicht um das Schicksal dieses oder jenes Volkes, sondern um das Schicksal der Völker, ja des Menschen schlechthin. Auch das wird begriffen; es gehört zu den in das Allgemeinbewußtsein aufgenommenen Tatsachen. Das Thema führt weit hinaus. Es seien hier hinsichtlich des Staates einige Gedanken daran geknüpft. Der Zeitgenosse neigt bekanntlich dazu, den aktuellen Vorgang zu überschätzen, vor allem, wenn er mit Katastrophen verbunden ist. Die Zeit scheint sich dann zu beschleunigen, wie in Katarakten das Wasser schneller fällt. Die Katastrophen haben aber, soweit wir zurückblicken, und wir können heute weit zurückblicken, am menschlichen Habitus wenig verändert und haben ihn kaum jemals in seiner Existenz bedroht. Eher läßt sich vermuten, daß sie, wie etwa Eiszeiten oder jene Bedrohungen, die Wanderungen hervorriefen, den Habitus gefestigt und schärfer geprägt haben. Der Mensch als Spezies
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·hreitet unverletzlich durch den Untergang von Ge-
ncratio!Jen, Völkern und Kulturen hindurch. Die heutige Beängstigung dagegen rechnet nicht nur mit dem Untergang von Individuen und Völkern, sondern mit dem Aussterben der Spezies. Die Formen dieses Untergangs sind eng verflochten mit der menschlichen Intelligenz und ihren Entscheidungen. E s wird dabei weniger an Heilsfragen gedacht wie frühe r in apokalyptischen Visionen, sondern an eine intellektuelle Fehlleistung. Diese Art der Betrachtung verdeckt die eigentliche Tiefe des Abgrundes, indem sie die Lagebeurteilung auf den Rahmen beschränkt, den intelligente und willensfreie Bewegungen ausfüllen. Sie verkennt, daß dieser Rahmen selbst in Bewegung geraten ist. Damit wird das Maß der Gefährdung, aber auch das der bereitstehenden Reserven unterschätzt. Die Bewegung findet also nicht nur innerhalb, sondern auch unterhalb des Rahmens statt. Das ist die U rsache dafür, daß rahmenbildende Begriffe wie etwa Krieg und Frieden oder Tradition und Grenze sich in einer Weise zu verschieben beginnen, für die es der historischen Erfahrung an Belegen fehlt. Daraus erklärt sich der Experimentalcharakter der heutigen Politik: nicht nur die politische Lage hat sich verändert - denn solche Veränderungen sind das Normale und bilden den vom Politiker seit jeher zu meistemden und gemeisterten Stoff. In
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rasmer Veränderung ist vielmehr das historismpolitische Grundgefüge begriffen, und das wiederum erklärt das Unvermögen, die Lage zu meistern, erklärt jene auffälligen Ersmeinungen, die man der intellektuellen Fehlleistung zusmreibt, und die Sprünge, die man sowohl zwischen dem» Guten« und dem »Rimtigen« als auch zwischen den Entschlüssen und dem Vernünftigen klaffen sieht. Die Risse entstammen einer tieferen Tektonik als der des politischen Untergrundes, deshalb entziehen sie sim den dort möglimen Lösungen. Der menschliche Intellekt ist auf Erfahrung angewiesen; wo sie ihn im Stich läßt, beginnt das Experiment. Das wirkt besonders verwirrend in Zeiten, in denen der Intellekt dominiert, nachdem er sim im Staat wie in der Gesellsmaft von den dort gehegten Mächten befreit hat und die Formen durch Wissen bestimmt. Das schafft das vexierende Doppelspiel zwismen einer fast absolut gewordenen geistigen Freiheit und ihrem Unvermögengegenüberdem Zwange einer heraufdrängenden Welt. Eben diese Hochzucht des menschlichen Geistes läßt hoffen, daß er imstande sein wird, über sich hinauszugreifen, und zwar mit einem Zugriff, der erkenntniskritische Schärfe mit Divination vereint. Nur so ist jener Teil der großen Erdbewegung zu erfassen, der sich der Willensfreiheit entzieht aber gerade so aum bestimmbar, was diese Willens-
freiheitinnerhalb der Bewegung, ja durch sie gefördert, auszurichten vermag und welche Hürden ihr ,;uzumuten sind. Vor allem wird abgrenzbar, was an den heraufdrängenden Tatsamen als Menschenwerk bezeichnet werden kann, von dem, was darüber hinausgeht - sei es nun, daß man das Menschenwerk als Auslösung ansieht oder umgekehrt den Riesenwums der mensmlichen Intelligenz und ihrer Pläne als ausgelöst durch andere, unterhalb der historischpolitischen, ja der humanen Ordnung überhaupt, zu vermutenden Ansätze.
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Gibt es innerhalb unserer kurzen Erinnerung, die wir Weltgeschichte nennen, Ersmeinungen, die den Weltstaaten und dem in ihnen sich ankündenden Weltstaat vergleichbar sind? Die Frage ist weder durmaus zu verneinen noch durchaus zu bejahen. Um dieses Paradoxon zu erläutern, bedarf es eines kurzen Blickes auf die Wiederkehr. In der Wiederkehr findet nicht nur eine rhythmische Wiederholung, sondern zugleich ein qualitativer Eintritt statt. Dieser Eintritt kann den Charakter einer Potenz haben, indem etwa an einem bestimmten Neujahrstage nicht nur ein neues Jahrzehnt, sondern auch ein neues Jahrtausend beginnt. Rein ziffernmäßig wiederholt sich hier die Tatsache, 39
daß eine Jahreszahl mit Null endet. Zugleich mit diesem Wechsel innerhalb der Etage vollzieht sich ein Wechsel in drei Stockwerken. Der Eintritt kann auch auf die Substanz verweisen, indem etwa der Vater im Sohn wiederkehrt, wie Philipp in Alexander, und zugleich ein mythischer Ahn weltwendend im Sohne sich manifestiert. Ferner kann reine Wiederholung zu qualitativem Umschlag führen, wie etwa bei dem Vorgang >>Steter Tropfen höhlt den Stein« der Punkt erreicht wird, an dem der Stein durchbohrt ist und der Tropfen den freien Fall fortsetzt. Dieser Gedanke gibt auch monotonen Welten einen besonderen Aspekt: jede Umdrehung hat über
Johrzehnt,
das aber mit dem in ein neues J ahrhundert, ir1 ein neu es Jahrtausend oder noch höhere
Potenzen zusammenfällt. Der Blick sieht den Sekundenzeiger auf eine Marke rücken, die große Zeitolter, vielleicht Äonen trennt. In diesem Falle würden geschichtliche oder selbst vorgeschichtliche Bestände zum Vergleich nicht ausreichen.
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Gegen den Staat hatvon jeher Mißtrauen geherrscht.
den Charakter der mechanischen Wiederholung hinaus noch eine verborgene Bedeutung, die auf Eintretendes zuführt und von ihm ausgerichtet wird.
Seit Anbeginn haben seine Anstrengungen, seine Z ugriffe Befürchtungen erweckt, in denen mehr zum Ausdruck kommt als politische Vorsicht und Anspruch auf Eigenart. Nicht nur der Einzelne und seine
In diesem Sinn und mit dieser Einschränkung ist der Vergleich unserer augenblicklichen Händel mit der Weltbürgerkriegslage aufzufassen, die das augusteische Zeitalter einleitet. Spengler und andere haben den Vergleich hinreichend begründet; er stützt
natürlichen Gemeinschaften wie die Familie, die Sippe, der Stamm, das Volk sehen sich hier einer Forderung ausgesetzt, die tief in die Substanz greift und deren Vor- und Nachteile schwer zu erwägen sind. Das Leben selbst steht an einem seiner großen
sich auf innere Verwandtschaft, auf echte Wiederkehr, und nicht nur auf äußere Ähnlichkeit wie die Beziehung auf die punischen Kriege oder das Zeit-
Kreuzwege. Auf ihm begegnen sich Organismus und Organisation.
alter der Renaissance. Der Vergleich ist zutreffend, aber er ist nicht erschöpfend; er erfaßt nur, um auf das oben angeführte Beispiel zurückzukommen, den Eintritt in ein neues
Die Wahl ist tief und reicht bis in die Zelle hinab. Sie hat ihre Gewinn- und Verlustrechnung. Wenn etwa Lichtsinneszellen sich aussondern, so entspricht dem Gewinn von wahrnehmender ein Verlust an empfindender, an erotischer Kraft. Wenn, wie bei 41
den Schwämmen, ~olonien sich bilden, vermehrt sich die Sicherheit, vermindert sich die Freiheit der in Anspruch genommenen Individuen. Wird, wie bei den staatenbildenden Insekten, durch Arbeitsordnung und Arbeitsteilung die Okonomie in einem Maß gesteigert, das Anhäufung von Vorräten ermöglicht, so wird der Reichtum durch erstaunliche Opfer erkauft. Die Arbeiterin ist ein verstümmeltes, durch Reduktion gezüchtetes Weibchen, der Drohnenmord ein Muster unerbittlicher Staatsräson. Bei den Termiten und Ameisen finden wir Formen, die nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Sklaverei der Idee nach vorwegnehmen. Die Ansätze zur Staatenbildung verteilen sich in ihren mehr oder minder entschiedenen Impulsen über den gesamten Lebensbereich. Hier ist zu trennen zwischen echter Verstaatlichung und bloßer Vergesellschaftung. Liegt etwa Staatenbildung vor, wenn eine Anzahl von Bäumen Wald bildet? Ohne Zweifel zieht der einzelne Baum Nutzen aus dem Zusammenschluß, obwohl er auch Opfer bringt. Ein Opfer liegt darin, daß er den freien Bewuchs einbüßt, das Kleid, das den alleinstehenden Stamm bis zum Fuße verhüllt. Ahnlieh geht es zu, wenn ein Volk sich aus seinen Stämmen zusammenschließt. Im Walde reichen nur die Zweige der den Rand bildenden Bäume bis auf den Boden und bilden so den Windschutz, den kollektiven Schirm.
Heim Anblick einer beliebigen Siedlung oder Menschengruppe wird man sogleich erkennen, ob Staat oder Gesellschaft dominiert. Es gibt hier eine rhythmische und eine geometrische Ursprache. Sich dafür das Urteil zu bewahren, ist wichtig, weil sich hier einer der Risse verbirgt, die den Schwund verursachen. Der Staat zwingt sich nicht nur mit Macht der Gesellschaft auf, die ja immer sein Substrat bleibt, sondern er dringt auch mit List in sie ein, ahmt ihre Formen nach. Das beginnt schon mit der Namengebung, indem etwa Beschlagnahmen, Enteignungen, Zusammenlegungen, die ihrem Wesen und ihrer Absicht nach Verstaatlichung sind, Sozialisierung genannt werden. Das erinnert an Taschenspielerei. Man sieht Eigentum verschwinden und an einer unerwarteten Stelle wieder auftauchen. 17
Die Art, in der sich Ansätze zur Staatenbildung über das Tierreich verteilen, hat etwas Zufälliges. Sie erinnert an die Verteilung der Primzahlen in der Zahlenwelt. Vielleicht werden hier wie dort Gesetzmäßigkeiten entdeckt werden. Beziehungen zwischen der Eigenart der Organismen und ihrer Organisierbarkeit bestehen ohne Zweifel; die Fähigkeit zu einer gewissen Verhornung, Versteinerung oder 43
auch Vererzung bildet eine der Voraussetzungen, wenn auch nicht die einzige. Das Organisierende bedient sich mit Vorliebe anorganischer Elemente zum Aufbau organischer Konstruktionen, wie siegerade bei den »niederen« Gruppen oft in großer Pracht auftreten. Beim Anblick eines Strahlentierchens, einer Herzmuschel oder eines Seeigelpanzers hat man den Eindruck, daß Kräfte einwirken, die jenseits des Lebens hausen, Prägstöcke weniger einer anorganischen als einer überorganischen Weltordnung und ihrer Harmonie. Damit mag wiederum zusammenhängen, daß Staatenbildung mit dem Aufstieg in die höhere Tierwelt selten zu werden scheint. Auch ist hinsichtlich der reinen Organisation das Problem bei den Insekten vollkommener gelöst. Das ist zu bedenken, wenn man den Menschen als Zoon politikon bezeichnen will. Für ihn hängt die Entscheidung, die in anderen Stämmen bereits gefallen ist, noch in der Schwebe, der Guß ist noch flüssig, und das zu seinem Heil. Infolgedessen kann er das Studium der Staatenbildung, sei es innerhalb der Tierwelt, sei es im Rahmen seiner eigenen Geschichte, auf pädagogische und autodidaktische Weise treiben: das ist sein Bilderbuch. Es ist hinsichtlich der Staatenbildung auch kein Fortschreiten zu ermitteln etwa in dem Sinn, daß perfektere Formen später auftreten oder bestimmte Be44
zirke des Tierreichs kennzeichnen. Neben staatenbildenden Arten finden sich nächste Verwandte, die solitär leben. 18
D ie Staatenbildung verdichtet sich nicht mit dem Aufstieg des Systems. Eher läßt sich das Gegenteil beobachten. Daß Wirbeltiere sich vergesellschaften, wie etwa Vögel, die Nistkolonien bauen, ist nicht selten, hat aber zur eigentlichen Verstaatlichung keinen ßezug. Kaum führt die gemeinsame Anstrengung über die Sorge für die Unterkunft hinaus, wie etwa beim Biber dort, wo er sich in urtümlichen Wäldern :;,u Familienverbänden zusammenschließt. Merkwürdiger ist er in der Rolle des Wasserwirtes als in der des Baumeisters. Er legt, um den Wasserstand zu regulieren, lange, hohe und kunstreiche Dämme an. Dadurch werden um seine Ansiedlungen herum die Bäche nicht nur zu Teichen ausgeweitet, sondern es entstehen durch die Fällung der zum Bau verwandten Bäume auch die »Biberwiesen« als umfangreiche Lichtungen innerhalb des Urwaldes. Grabungen haben erwiesen, daß solche Kolonien ein Alter erreichen, das es mit dem unserer Städte aufnehmen kann. Dieser Ansatz verdient deshalb Aufmerksamkeit, weil die Sorge um die Bewässerung auch als eine der Ursachen menschlicher Staatenbildung gilt. 45
Die Arbeit des Bibers kann man zu den Präfigurationen oder Ansätzen rechnen; auch ist er der erste Pfahlbauer. Daß bei den Säugetieren und den ihnen nicht nur in phylogenetischer Hinsicht nahestehenden Vögeln die Staatenbildung auf starke Widerstände stößt, hat seinen besonderen Grund in der ihnen eigentümlichen Sie ist individuell und nicht kollektiv wie in den hochentwickelten Staatsformen der Termiten, Bienen und Ameisen. Wo innerhalb menschlicher Völker und Kulturen daher ein schärferer Ansatz zum Staat gewagt wird, wird bald als eigentlicher Brennpunkt sowohl des Zugriffs als auch des Widerstandes die Familie offenbar. Sie entzieht sich nachhaltiger und zäher der Umformung durch den Staatsplan als das Heer, die Wirtschaft, die Kirche und auch das Individuum. Ihre Stärke liegt darin, daß hier nicht nur eine Einrichtung, ein Stand, ein Sakrament, ein individuelles Schicksal angerührt wird, sondern mit alledem auch die Natur in ihrer Substanz. Hier häufen sich daher die praktischen Maßnahmen, die theoretischen und utopischen Erwägungen. Sie laufen darauf hinaus, das Kind dem Einfluß der Familie zu entziehen, um es in bestimmter Richtung zu typisieren und zu moralisieren, auf Kosten der individuellen Ausbildung. Solche Versuche sind frühzeitig innerhalb der Ein-
1·k htungen zu beobachten, die ihrem Wesen nach d ·m Staat und seiner Prägung konform sind, wie die Anneen - vor allem dort, wo die Bildung besonders :1.11 verlässiger Einheiten beabsichtigt wird. OffiziersI
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stungen, vor religiösen Weihen und Initiierungen sind überall bekannt. Das verknüpft sich mit ungewöhnlichen Zuständen und Anstrengungen. Es kann daher nicht erstaunen, daß sich auch die großen Staatspläne mit der Beschneidung der natürlichen Ansprüche beschäftigen. Sie gehört zu den Auflagen der Organisation an den Organismus, des Staates an die gewachsenen Mächte wie Volk und Familie. Ein Beispiel für die Stärke der Forderung liefert die Tatsache, daß sie in China, dem Vaterlande des Konfuzius, mit besonderer Schärfe erhoben wird.
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Das Wort Stand, das in mannigfacherWeise mit dem Wort Staat verknüpft ist, läßt sich sowohl biologisch wie soziologisch auffassen. Biologisch gesehen existieren, streng genommen, nur zwei menschliche Stände: der männliche und der weibliche. Der biologische Stand färbt der Natur nach auch den soziologischen. Das kann, besond_ers in Zeiten des Nivellements, weitgehend ignoriert und überdeckt werden, nicht nur durch Angleichung von Tracht und Titeln, sondern auch der Rechte, des Verhaltens und der Aufgaben. Der biologische Stand bleibt davon unberührt. Darin verrät sich das stärkere Prinzip. Er ist auch den Sonderungen der Rasse überlegen und erweist in jeder Krisis, bei jedem Einbruch der
Natur in die Arbeitswelt seine unerschütterliche Macht. Hätte Robinson auf dem Eiland statt seines Freitag eine Insulanerin getroffen, so hätte das eine Veränderung im Grund bedeutet, in der Schicksals(igur. Daß sich dainit auch die Modifikationen ge[indert hätten, etwa die Arbeitsteilung, versteht sich om Rand. Oie heutige Angleichung der Geschlechter zählt zu den Erscheinungen des Soges, mit dem sich der Weltsta at ankündet. Sie ist nicht die einzige. Hierher gehört die Einebnung der Rassen, der Stände und Klassen und auch der großen Naturmarken wie jener der Jahreszeiten oder der von Tag und Nacht. Sie werden unter- und eingeordnet dem abstrakten Arbeitstage, der vierundzwanzig Stunden zählt. Hierher gehört ferner das sprunghafte Anwachsen der Erdbevölkerung und die mit ihm Hand in Hand gehende Vergeistigung - ein Wort, das hier in einem ganz allgemeinen, unqualitativen Sinn verstanden werden soll, wie etwa das Auslegen und die Verflechtung von Leitbahnen oder eine magnetische Aufladung. Nicht nur aus solchen Zeichen, sondern vor allem aus ihrer gemeinsamen Anlage läßt sich schließen, daß es sich um große Bereitstellungen handelt, die über den Rahmen der Staatspläne hinausgehen. Sie weisen nicht nur auf eine ungeheure Aufgabe, sondern auch auf deren Einheit hin, auf ein Werk, das nicht nur die
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Staaten und Völker dieser Erde, sondern die Erde selbst betrifft. Unter diesem Gesichtswinkel darf man im Nivellement auch eine Vorgabe, ein Opfer sehen. Es ist nicht das einzige. Auch im Blut, das in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts vergossen worden ist, verbirgt sich ein Anteil, eine Vorgabe, die zum gemeinsamen Guthaben der Völker gehört. Der Ertrag kann ihnen auch nur gemeinsam zuteil werden. Das ist der einzig erträgliche Anblick titanischer Vorgänge. Daß die Kriege chaotisch werden, wird gern durch das Anwachsen der technischen Mittel und ihre Flächenwirkung erklärt. Ihr Riesenw uchs jedoch zählt auch bereits zu den Symptomen der Erdveränderung. Zur Wiederkehr gehört die Ablösung heroischer durch titanische Mächte, die durch die Technik ausgeführt und augenscheinlich wird. Neuartig ist die Erfindung in ihren Einzelheiten, nicht aber in ihren Grundrhythmen.
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Rein als Nivellement gesehen, das auf die Steigerung der Leistung abzielt, stellt sich die Angleichung der Geschlechter als Normung dar, die den Arbeitsvorgang in meßbare, berechenbare Formen zu pressen sucht. Daß dieses Bestreben auf Gebiete über-
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die ihm durchaus widerstreben, macht eine d •r Quellen des modernen Erstaunens aus. Hier 11tischen sich Befriedigung und Abscheu auf eine Weise, die auf den Anteil schließen läßt, den Zwang und W illensfreiheit an der Aktion haben. II ·i der Angleichung der Geschlechter geben männlid1es Denken, männliches H andeln und oft auch die männliche Arbeitskraft das Maß. Sie läuft also im wesentlichen auf die Anpassung der Frau an den I{ hythmus einer von Männern erdachten und geNchaffenen Welt hinaus. Aus dieser Tatsache wird gern der Schluß gezogen, doß wir im Eintritt in eine paternitäre Welt begriff ·n sind. Er ist verfehlt insofern, als die Veränderungen innerhalb der Geschlechtswelt von tieferen, ttmfassenderen Veränderungen abhängen. Von dort, und nicht vom männlichen Intellekt und seinen Plän •n, kommt der Zustrom von Arbeit, der wie bei ·inem Dammbruch bewältigt werden will. Von ihm wird der Mann nicht minder betroffen als die Frau. l<:s handelt sich also nicht um eine neue Arbeitsteilung, sondern in erster Linie um einen neuen und unerhör ten ArbeitsanfalL Das Verhalten des Mannes in dieser Lage ist nicht zu vergleichen dem eines l~:ingeborenen, der seine Frau aufs Feld schickt und dort seine Arbeit von ihr verrichten läßt. Hier ltommt Arbeit nicht in Formen, die sich abweisen oder abwälzen lassen, sondern schubhaft auf uns gr~ift,
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zu, in einer an Wasser- und Feuersnöte erinnernden Art. Würde ein Geschlecht dominieren, so würden die Geschlechtsunterschiede nicht abflachen, sondern sich schärfer abheben. Das gilt auch für jene Theorien, die Tatsachen wie die stärkere Verfügungsgewalt der Frau und ihren wachsenden Anteil am Wissen und Können als die Heraufkunft matriarchaler Strömungen ausdeuten. Das ist nicht der Fall. Sowohl eine patemitäre als auch eine matriarchale Welt würden ganz anders ausseh~n als die unsere. Nicht matriarchale, wohl aber materielle Mächte künden sich in jenem Accelerando an, dem wir ausgesetzt sind und standhalten. Daß es auf beide Geschlechter einwirkt, rührt daher, daß es Schichten entspringt, die unter dem Geschlechtlichen ruhen und ihm Form geben. Daß aus diesen Tiefen auch dem Geschlecht Macht, und zwar ungeteilte Macht zuströmt, wird sich bewahrheiten. Wenn der Urgrund sich regt, so tritt die Hervorbringung in ein sowohl außergeschichtliches wie auch übergeschichtliches Verhältnis ein, eben in das des Ursprunges, der nicht Schöpfung ist, sondern Geburt. Insofern muß der Vater zurücktreten. Unsere Zeit ist im Begriff, ein großes Mutterbild zu konzipieren, das nicht nur die Bildwelt umschließt, in der seit jeher die Mütter der Götter und Menschen geehrt wurden, sondern das auch die Grenz-
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ltlllrke setzt vor den letzten, den Sterblichen ewig Vl' rschleierten Geheimnissen der Materie. Daß logi' her G eist, daß männliches Wissen, unwissend und 1 loch des Zieles sicher, daran mitwirken, gehört zur Werkstättenlandschaft und ihrem Stil. Und auch die Opfer gehören dazu. Was menschliche Schuld ist, I 11 nn zugleich Reinigung der Erde sein.
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I\ ls Nivellement betrachtet und innerhalb des Plans wertet, stößt die Angleichung der Geschlechter uuf Grenzen, die schwer zu brechen sind. Die Ökonomie mit ihren ausgebildeten Mitteln technischer Normung begegnet nicht nur seelischen Widerstäntlcn, sondern auch physiologischen Tatsachen. Wenn sich das Tor einer Fabrik oder eines Bürolumses öffnet und die dem äußeren Anschein nach f.{cschlechtslose Belegschaft uniform herausströmt, ist uuch viel Mimikry dabei. Der Umbau, von oben her h gonnen, reicht nicht bis in die unteren Stockwerke. l).ie Organisation hat den Organismus nur auf der Oberfläche gestreift. l~inem allgemeinen Gesetz zufolge wachsen die Sd1wierigkeiten der Organisation mit der Entwicklungsstufe der Organismen; das Bauen fällt um so leichter, je einfacher die Bausteine sind. Daher sind
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»unentwickelte« oder geschichtslose Völker eher technisch und ideologisch umzuschmelzen als solche von großer und alter Tradition. Das sind Unterschiede der Gußfähigkeit. Nach diesem Gesetz konnte der Plan, wo er Staatenbildung beabsichtigte, bei den weniger entwickelten Formen des Stammbaumes tiefer eingreifen. Innerhalb des menschlichen Arbeitsstaates beschränkt sich die Veränderung auf die Funktion. Eine Frau wird Bergarbeiter, Soldat, Physiker, Gerichtspräsident. Das ändert ihren gesellschaftlichen, nicht aber ihren biologischen Stand. Dagegen beruht die Perfektion des Insektenstaates vor allem darauf, daß mit der Funktion und im Hinblick auf die spezielle Leistung auch der biologische Stand geändert wird. Dort unterscheiden sich nicht nur Mann und Weib, sondern auch andere Stände oft derart, daß sie von Forschern als verschiedene Spezies beschrieben worden sind. Wir blicken in eine abenteuerliche Welt, in der der Beruf oder die Tätigkeit auf das Individuum nicht abfärben, sondern die Gußform bilden, die das So-Sein bestimmt. Das Verhältnis wird im Bienenstaat unmittelbar anschaulich insofern, als die Zellen der Wabe in ihren verschiedenen Normungen eben Gußformen darstellen.
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Ansätze zu solcher Normung sind in der Geschichtsw ·lt oft genug hervorgetreten- und gerade in der <;cschichtswelt, was darauf schließen läßt, daß der Mensch seiner Natur und vielleicht auch seiner Hu•nnnität nach nicht zu den staatenbildenden Arten 1r ·hört, daß also seine Bezeichnung als Zoon politikon ihn nicht im Wesen trifft. Solche Ansätze sind Kastenbildung, Inzucht privi legierter Stände, Mönchtum, Sklavenhaltung, ohne die in der Antike die Kultur undenkbar H 11ien. Abkapselungen durch Gesetz und Sitte kön••cn zu stabilen, Jahrtausende währenden Gemeinden führen, besonders wo rituelle Vorschriften hinzutreten. Kriegsgefangene, die sich auf die Bearbeitung des f•:isens verstehen, können eine Schmiedekaste bilden, die sich durch Hautfarbe, Sprache und Ritual von der Bevölkerung unterscheidet, auch abseits siedelt und sich unvermischt erhält- trotzdem kann man nicht sagen, daß sie einen biologischen Stand bildet wie etwa die Krieger von Termitenvölkern, die a priori für ihre Aufgabe geformt werden. Selbst auf den einsamsten Inseln, den Horten »lebender Fossilien«, hat der Mensch in tausendj ~ihri ger Abschnürung zwar Rassen gebildet, aber weder biologische Stände noch eine besondere Art. 55
Wo er entdeckt wird, ist er Mensch unter Menschen und kann das inzwischen Erreichte mit einem Schritt aufholen. Urteil und Vorurteil, Gesetze und Sitten, die Reinigkeit und Unberührbarkeit bestimmen, können zwischen den Menschen Gebirge auftürmen und Klüfte aufreißen, die kaum zu schließen sind. In dieser Landschaft spielt sich die Geschichte ab, und doch würde sie nicht Geschichte, sondern Naturgeschichte, bloße Zoologie sein, wenn nicht die Willensfreiheit den Rahmen gäbe, der sie begrenzt. Zu ihr als zu einer letzten Instanz führt jede Betrachtung zurück. Sie hat ihre Stunde in der Zeit, und sie verändert die Welt, wo der Geist sich von seinen Schranken befreit. Sie ist das Kennzeichen der species humana und bestimmt als solches, obwohl sie in den Individuen als Ausnahme auftritt, den Weg und die Aufgabe menschlicher Art und Gattung durch die Jahrtausende. V ergliehen mit dem, was der menschlichen Art möglieh ist, bleiben ihre Sonderungen ephemer. Sie haben zu allen Zeiten Opfer gefordert, doch gibt es keine, die nicht durch Evolution abgetragen oder durch Revolution zerstört wurde.
23 \M'nn nun der Staat und mit ihm organisatorisches I ) 'nken gewaltig werden, wie Menschen und Völker
r:: in der Gegenwart erleben, so werden die Geuhren teils über-, teils unterschätzt. Sie liegen wenig •r in der physischen Bedrohung der Völker und ihrer Menschen, einer Bedrohung, die freilich rvident ist, als in der Gefährdung der Spezies als olcher, und zwar vor allem dadurch, daß sie in ihrem Gattungsmerkmal, der Willensfreiheit, befroffen wird. Damit würde das Leuchten höherer GeHittung im Glanz der Perfektion dahinschwinden. l)ic wirkliche Gefahr des Planes liegt weniger darin, dnß er scheitert, als darin, daß er zu billig reüssiert. l)aher ist es wichtig, daß er gegenwärtig von verlit hiedenen Zentralen aus gefördert wird. Das sichert Möglichkeiten, die über die speziellen Staatspläne hinausführen. Mit der Gefährdung der menschlichen Gattung als solcher ist nicht so sehr an ihre physische Bedrohung als an ihre metaphysische gedacht. Geschiehtli ·h gesehen, würde sie das Versiegen der Produkfion im tieferen Sinn bedeuten- also der Hervorbringung im Reich der Kunst, der Dichtung, der Philosophieund auch der Geschichtschreibung. Theologisch handelt es sich um Heilsfragen, biologisch um den Austrieb eines Zweiges vom großen Stamm57
baum in einer Richtung, die unter humanen Gesichtspunkten nicht zu beurteilen ist. Die Eigenart des Menschen liegt in der Willensfreiheit, das heißt im Unvollkommenen. Sie liegt in der Möglichkeit, schuldhaft zu werden, Irrtümer zu begehen. Die Perfektion dagegen macht die Freiheit überflüssig; die rationale Ordnung gewinnt die Schärfe des Instinkts. Auf solche Vereinfachung strebt offensichtlich eine der großen Tendenzen des Weltplans zu. Wir können das aus der Natur wie aus einem Bilderbuch ablesen. An der Schicksalswende, in der sich ein neuer Zweig des Stammbaums bildet, stellt sich die Frage, was menschliches Wollen am Unvermeidlichen vermag. Ob wir in das neue Haus eintreten wollen oder nicht - das steht nicht zur Entscheidung, denn dieser Eintritt gleicht weniger dem eines Menschen als dem eines Äons; das Haus dreht sich wie ein horoskopisches Feld über Menschen und Völker hinweg, zwar unsichtbar, doch gerade deshalb mit unwiderstehlichem Zwang. Eine andere Frage ist die, was mitgenommen werden kann. Es gibt ja auch Erbteil, nicht nur Veränderung. Ob Hauptmerkmale der Menschenart, vor allem die Willensfreiheit, in das neue Haus mitgenommen, ob sie als Erbteil eingebracht oder ob sie dort rudimentär werden - das freilich könnte dem freien Ermessen unterstehen.
Dieser Ermessensanteil bringt etwas Neues in die l·: volution . Geologische Wenden wie die unsere, d1ichtändernde Revolutionen, hat es schon oft geH ·uen, und zauberhafte Welten, die aus ihnen hervorgingen, verraten das Spiel einer gewaltigen, erdgeistigen Kraft. Diese Kraft modelliert und prägt die Geschöpfe in großen Schüben, in denen sich die Schöpfung wiederholt, wie sich im Ausbruch von Vulkanen das alte Erdfeuer wiederholt. Zum erstenMal istnunein Gesd1öpf, und zwar der Mensch als Sohn der Erde, mit ·inem Anteil dieser Kraft begabt. Er nimmt teil an ·inem geologischen Vorgang, und zwar nicht nur dadurch, daß er ihn registriert und beobachtet, sond rn auch dadurch, daß er ihn in formationsbildenler W eise mitbestimmt. Sein Anteil mag bescheiden s in, verglichen mit den Veränderungen geologischer Natur, zu denen er beiträgt- dennoch springt hier die Quelle seinerneuen und unerhörten Macht, nber auch seiner Gefährdung und seiner V erantwortung.
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D aß Organisation nicht primär mit dem Leben verknüpft ist, läßt sich vor allem deshalb vermuten, weil sie an die verschiedensten Lebenskreise herongetragen wird und beliebige Elemente ausformt, 59
um em und dieselbe Tendenz zu verwirklichen. Heißt diese Tendenz »Fliegen« oder »Schwimmen«, so werden Flügel und Flossen auf geniale Weise improvisiert oder vertauscht, indem der Flügel zur Flosse wird, wie bei den Alken und Pinguinen, oder
••ot«gungen; der Bios zieht seinem Wesen nach kugel-, €i-, becher- und tropfenförmige Bildungen 'lLlcr fließende Übergänge vor. Die organisatorische l~inwirkung trägt strahlenförmige, lineare, rechtw inklige Muster heran. Das wird auch überall sicht-
die Flosse zum Flügel, wie beim Fliegenden Fisch. Wenn man den Überfluß bedenkt, den dieses proteushafte Bemühen besonders in den Epochen großer Fruchtbarkeit entfaltet, so bietet nur die Welt der Spiele einen befriedigenden Vergleich. Daß dabei taktische Vorteile der Bewaffnung und ökonomische Konkurrenz ins Gewicht fallen, gehört eben zu den Spielregeln. Wäre der Vorgang auf Nutzen allein berechnet, so würde vieles, vor allem Schönheit und Überfluß, fortfallen. Die Weltwürde monotone, unserer Industrielandschaft ähnliche Muster aufweisen.
hor, wo Staat an das Volk herangetragen wird, sei es
Das ist nicht der Fall. Die Verschwendung nimmt phantastische Züge an, wenn große Einsätze wieder eingezogen werden, wie die Welt der Trilobiten, der Saurier oder der Staaten des frühen Orients. Unerschöpflich scheint die Fruchtbarkeit des. Organismus als der eigentlichen Residenz des Lebens, unerschöpflich aber auch die Phantasie der Organisation. Oft hat es den Anschein, daß der Organismus der Organisation Widerstand leistet, ihr widerspricht. Bereits die einfachen Organe sind konstruktive Ab-
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nn der Wabe des Bienenstockes, sei es am Luftbild
•iner Industriestadt, die inmitten eines Urwaldes c·ntsteht. Volk ist in diesem Sinne ungesonderte, ruhende Kraft. Rivarolleitet seine politischen Maximen durch diese Unterscheidung ein; sie gibt in der 'J'a t einen Angelpunkt: Macht ist organisierte Kraft, Verbindung der Kraft 111it einem Werkzeuge. Das Weltall wimmelt von Kräften, die, um Macht zu werden, auf der Suche nach Organen sind. Der Wind, das Wasser sind J räfte; durch ihre Wirkung auf eine Mühle oder auf ·ine Pumpe, die ihnen als Werkzeug dienen, werden llic Macht. Om·ch diese Unterscheidung von Kraft und Macht Tklärt sich die Herrschaft im Staat. Das Volk ist Kraft, seine Regierung ist Werkzeug; ihre Verbindung bewirkt politische Macht.« Ons sind Beobachtungen eines scharfen politischen L opfes, der physikalische Vergleiche liebt. Es fragt , ich aber: wimmelt das Weltall wirklich von solchen I räften, die »auf der Suche nach Organen sind« 1«lso die danach streben, sich das Joch auflegen zu 61
lassen, das die Organisation dem Organismus bringt? Verlangt es das Wasser in den Bergen wirklich danach, in Kanäle und Talsperren geleitet und durch Turbinen getrieben zu werden, will der Wind sich in Segeln und Mühlenflügeln fangen, will die elektrische Erdkraft, gesondert in Drähte geleitet, den Städten Wärme und Licht geben? Verlangt es den Stier nach dem Pflug, das Volk nach dem Staat? Wer Herrschaft üben will, muß wohl so denken, aber ebensogut ist im Universum das Bestreben zu beobachten, sich dieser Herrschaft zu entziehen. Ebensogut wimmelt es dort von Plänen, Ideen, formativen Tendenzen, Göttern, Halbgöttern, kosmischep Argonauten, die rastlos nach Kräften suchen, um sie zu fesseln, zu bändigen und vor ihren Wagen zu schirren. Von dieser Seite aus gesehen, bietet das Universum das Bild einer ewigen Jagd, bei der große Herren mit Netzen und Stricken unterwegs sind; und wer ihnen in die Hand fällt, darf sich noch glücklich preisen, wenn er ihnen einfach zu dienen hat, ohne uaß sie ihre Händel auf seinem Rücken austragen.
25 \Vle das im großen aussieht, etwa in Spielen von Licht und Dunkel, mag unberührt bleiben. Daß jedenfalls hier auf unserer Erde und in dieser Schicksals-
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tH tmde
die Jagd in vollem Gang ist, erfährt jeder 1m eigenen Leib, nicht nur die Menschen, sondern uuch die Pflanzen und Tiere und die Elemente der unbelebten Natur. I as eigentliche Verhältnis von Organismus und Orl(llnisation erscheint dem Denken deshalb als unlösbar, weil es außerhalb der Zeit beheimatet ist, der C1eist es aber im Neben- und Nacheinander zu betxachten hat. Es hat daher seinen rechten Platz in der Welt der Anschauung und ihrer Bilder, vor allem in den Religionen, und auch dort drückt sich die Unlösbarkeit durch die Tatsache aus, daß es deren ni.cht eine, sondern viele gibt. I fier kulminiert die Freiheit des menschlichen Geistes dem Universum gegenüber; er trifft Entscheidungen, von denen alle anderen abhängen. Was Vater und Mutter eingeräumt, was der Schöpfung, was dem Ursprung zugewiesen wird: das wechselt bei den Völkern und mit den Zeiten, doch hängen n'lle ferneren Zuteilungen davon ab, werden durch c.liese erste bestimmt. Mag es sich beim ersten Einblick in das Universum und die Trennung seiner großen Schichten um Offenbarung, Träume, Gesichte handeln- so beschränkt T sich doch nicht auf die passive Schau kosmischer rdnungen. Der Mensch ist anwesend in seiner Freiheit, mit richterlicher, instituierender Macht. Das wird überall deutlich, wo er Göttern begegnet; die
Antwort des Sirnon Petrus, Matth. t6,r6, ist em Beispiel dafür. Der Vers, in dem Angelus Silesius sagt, daß Gott ohne den Menschen nicht sein kann und ohne ihn im Nu den Geist aufgeben müßte, ist eine der größten und kühnsten Wahrheiten. Die Freiheit des Menschen dem Universum gegenüber bezeugt sich zunächst im Worte: Die Götter erhalten ihren N ainen durch den Menschen, werden von ihm benannt. Daraus ist nicht zu schließen, daß sie Kreationen des Menschen sind. Sie sind vielmehr namentliche Heraushebungen aus dem namenlosen W eltgrund; dort ist ihre Realität, die auf alle Fälle mächtiger ist als das unvollkommene Wort, das sie zu umgrenzen sucht. Sie ist auch mächtiger als jede Personalität, die der Mensch als organisiertes Wesen sich vorstellen und mit Attributen ausschmücken kann. Wenn nun an unserer Wende seit zweihundert Jahren, etwa seit der Errichtung des ersten Blitzableiters, die materialistischen Strömungen accelerando anschwellen, wenn auf dem Erdball Götter und Göttergeschlechter eingezogen werden, so ist das nicht, wie man oft hört, ein nomenklatorischer Akt. Es schmelzen nicht bloßeN amen, nur Geglaubtes, sondern Realitäten ein. Ein Zeichen dafür ist, daß der Urgrund, vertreten durch die Erde, im gleichen Accelerando Macht gewinnt.
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I)aß die Erde in einer innerhalb der menschlichen 'eschichte neuartigen Weise sich zu regen und Einheit anzustreben beginnt, nicht nur politisc.~, sondern auf eine umfassende, ihren Organismus ins Spiel bringende Art, ist schwer mit der Tatsache zu verknüpfen, daß zugleich organisatorische Tendenzen in nie erlebter Stärke ihre Kräfte einspannen. Eher möchte man neue Arten, Urwälder, Überschwemmungen, Vulkane erwarten, Anzeichen chaotischer Fruchtbarkeit. Es muß aber zwis ·1en beiden Erscheinungen ein Zusammenhang bestehen. I lier wäre denkbar, daß der Plan bei den Hervor-
hringungen Geburtshilfe leistet, etwa durch Belehnung von Geschöpfen mit der Fähigkeit, unmittelbare erdgeistige Kraft zu transformieren in mittelbare Intelligenz und umgekehrt. Das war bei dem mächtigsten Sohn der Erde, Prometheus, der Fall, einem Titanen von höchster erfinderischer Kraft, der d n Göttern das Feuer raubte und das Opfer weiH rte. In diesem Sinne leitet heute der Mensch, ni ·ht nur aus seinen geschichtlichen, sondern auch uus seinen vorgeschichtlichen Bahnen heraustretend, di e neue Phase der Evolution: willensfrei als in1 ·lligentes Wesen, aber zugleich befangen in einer Schicksalsstunde und ihrer übermenschlichen Auf-
gabe, also sowohl verantwortlich als auch im Banne erdgeistiger Transformation. Daß er in solcher Wende auch hinsichtlich der Staatenbildung zu Befugnissen gelangen wird, die sich selbst in Utopien schwer voraussehen lassen, ist mehr als wahrscheinlich; es hat sich schon angebahnt. Die politischen Gefahren der Erdumwälzung werden heute vor allem als physikalische begriffen; sie werden bald auch als biologische hervortreten. Hierher gehört nicht nur die Schaffung von neuen Arten, sondern auch von biologischen Ständen durch den Plan. Seit langem treiben Experimente Leitbahnen in dieser Richtung vor.
27 Bei Umwälzungen, die mit hohen Temperaturen und einer geschwängerten Atmosphäre verbunden sind, erwartet man Riesenwuchs, wie in den gärenden Sümpfen der Steinkohlen- oder in den vulkanischen Becken der Saurierzeit. Heut sind solche Geschöpfe bis auf wenige, auch bedrohte Zeugen eingezogen; ihre Spuren sind in den Archiven der Erdrinde verwahrt. Doch in den Staaten, in ihren Städten, Bauten, Anlagen und Waffen wird nun Titanisches erzeugt. Eine Entwicklung, die in Ägypten und Mesopotamien begann, tritt, wenn nicht in ihr Optimum, so
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doch in ihr Maximum. Schon früh hat sich die Frage nnfgeworfen, ob Staatenbildung der humanen Anloge entsp~icht oder ob sie aus diesem Stamm heruos zwar großartige, doch letzten Endes sterile Äste treibt. Seit dem Verfall des babylonischen Turmes hat sich gezeigt, daß immer neue Staaten verschwunden sind, während die Menschheit geblieben ist. Insbesondere wird als böse empfunden, was mit den Staaten und ihrem Wesen verbunden ist. In der Tat bürden sie den Völkern ungeheure Frondienste 1mf, treiben widrige Formen der Abhängigkeit bis ;.ur mehr oder minder verhüllten Sklaverei und suchen die Bevölkerungen zugunsten der Ziffer auf eine Weise zu vermehren, die den freien Wuchs beeinträchtigt. Die Kriege werden aus rationalen, vorwiegend ökonomischen Motiven und mit wachsendem technischem Aufwand geführt und immer häßlicher. Sie gehen nicht mehr auf Abgleichungen in lausewitz' Sinne, sondern auf Massenvernichtung aus. Längst sind sie nicht mehr als Spiel zu fassen, das die Herzen der Menschen und Götter höher schlagen läßt wie in der homerischen Welt. Von jeher hat »der Mensch« die Städte zu meiden gesucht. Die physische, geistige, ethische Freihei t verträgt sich nicht mit ihrer Luft. Nicht nur der Freie, auch der Weise und der von Grund auf ute suchen die Wüsten und die alten Höhlen in den Bergen auf. Dort beschließen sie ihr zeitliches Da-
sein, wie es noch heute in Indien Brauch ist, oder sie kehren als Stifter, als Spender zu den Menschen zurück. In diesem Sinne sagt Zarathustra, nachdem er zehn Jahre mit seinem Adler und seiner Schlange im Gebirge gehaust hat: »Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Mensch werden.«
z8 Das eigentliche Treffen von Organismus und Organisation findet zwischen Freiheit und Herrschaft statt, wobei die Herrschaft mit ihren Ansprüchen eine erdrückende Übermacht gewonnen hat. Den Staat zu verneinen, ihn als Quelle des übels und der Verfälschung des Humanen darzustellen, war von jeher das Kernstück der anarchistischen Meinungen. Allerdings bedürfte der Begriff der Anarchie einer gründlichen Untersuchung und auch Zurechtbiegung, besonders in unserer Zeit, in der es von Nihilisten wimmelt, der reine Typus des Anarchisten · dagegen fast ausgestorben ist. Auch das gehört zu den Anzeichen weit vorgeschrittener Verstaatlichung. Dichter der grenzenlosen Erde wie Walt Whitman ragen als Findlinge in unsere Zeit. Der Anarchist in seiner reinen Form ist derjenige, dessen Erinnerung am weitesten zurückreicht: in
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vorgeschichtliche, ja vormythische Zeiten, und der ~ lnubt, daß der Mensch damals seine eigentliche Bestimmung erfüllt habe. Diese Möglichkeit sieht er noch heute in der menschlichen Anlage und zieht seine Schlüsse daraus. In diesem Sinne ist der Anarchist der Urkonserva1ive, der Radikale, der Heil und Unheil der GesellNehaft an der Wurzel sucht. Vom Konservativen unterscheidet er sich dadurch, daß sein Streben sich nn den rein humanen Zustand heftet, nicht aber an •ine räumlich oder zeitlich aus ihm entwickelte Schicht. Der Konservative hat Tradition; er »Steht« in ihr, daher wird seine Rolle in einer Zeit, in der , lies in Bewegung ist, fragwürdig. Der Konservative st'eht in einem ausgeformten Zustand und sucht ihn m halten, daher verträgt er sich in der Regel gut mit dem Staate, vor allem, wenn patriarchale Elemente in ihm erhalten sind. Der Konservative will die Organisation in einem gewissen Stand bewa hren, aufhalten. Das hängt weniger vom erreicht n Stand als vom Charakter ab, auch von der inner n Ruhe und Sättigung. Während der revolutioniire Geist die Ereignisse vortreibt, schreitet der konservative langsam hinter ihnen her; aber er holt Ni · immer wieder ein. Schafft er es nicht in einer ~cneration, so erreicht er es in den Enkeln; die I•:i nrichtung der stürmischen Großväter wird ehrwürdig.
Der Anarchist kennt keine Tradition und keine Sonderung. Er will nicht vom Staat und seinen Organen in Anspruch genommen oder in Dienst gestellt werden; er kann nicht als Staatsbürger, ja nicht einmal als Angehöriger einer Nation gedacht werden. Die großen Institutionen, Kirchen, Monarchien, Klassen und Stände sind ihm fremd und zuwider; er ist weder Soldat noch Arbeiter. Wo er konsequent ist, muß er auch den Vater, ja ihn vor allem, ablehnen.
29 Die Anarchie als Lehre sucht ihre Leitbilder im Jugendstand der Menschheit; an ihren großen Vertretern fallen daher auch oft die kindlichen Züge auf. Der Anarchist weiß sehr gut, was er nicht will, wie schon sein Name sagt. Er verläßt jedoch das Feld seiner Stärke, wenn er seinen Willen in praxi kundgeben soll. Hier muß er zu einem Denken Zuflucht nehmen, das ihm von Grund auf widerspricht. Das · erklärt die fatale Ähnlichkeit der großen Gesellschaftsutopien mit der Art, durch die in Bienenstöcken und Kasernen das Leben bis in die kleinste Regung geordnet ist. Die Versuche, sie in die Praxis zu überführen, scheitern daher schon in den Anfängen. Den großen Umstürzen folgt unmittelbar ein Zu70
stand der Gesetzlosigkeit, eine Erschütterung bis auf die Grundfesten, die alles möglich erscheinen läßt. • ln ihm treten auch die Anarchisten hervor, und lebhafte Aufmerksamkeit wird ihnen zuteil, große 1Toffnungen knüpfen sich an sie. Ihr Auftritt währt nur kurze Zeit und nimmt ein böses Ende für sie. Für einen Augenblick erscheint die Gesellschaft, der Vesseln ledig, als freie Beute für eine große Konzeption. Es handelt sich aber nur um ein kurzes fnterregnum wie nach dem Tode eines Königs, und Jas organisatorische Denken schreitet zu neuen, schärferen Prägungen. »Der Staat ist tot, es lebe der Staat.« Der Anarchist begegnet nicht nur dem Konservativen, der eine unvergleichlich bessere politische Ausrüstung besitzt. Er stößt auch auf den intelligenten Revolutionär, der den Staat als Machtinstrument erkennt und notwendig sowohl über den Konservativen wie über den Anarchisten triumphiert. Damit wird die Beute »dem Menschen« entzogen oder mit oft sehr feinem Scharfsinn aus der Hand gespielt, etwa in der Form, daß Sozialisierung sich als Verstaatlichung entpuppt. Diese verwickelten Ausein: mdersetzungen sind in den Französischen Revolutionen von 1789 und 1830 und in der Russischen von 191 7 und den sich anschließenden Jahren in ihren Einzelheiten zu verfolgen; ihr gemeinsames Ergebnis ist die immer schärfere Ausprägung staatlicher 71
Ordnungen. Der Vorgang ist umfassend; er spielt nicht nur zwischen Gruppen und Parteien, sondern auch in der Brust des Einzelnen. Hier begegnen sich Idealismus und Realismus, begegnen sich der eigentliche und der historische Mensch, begegnen sich Rousseau und St. Just. Der Typus des Anarchisten hat bei der Vorbereitung der großen Umstürze eine entscheidende Rolle gespielt; sie wären undenkbar ohne ihn. Sein Protest gegen den Staat und gegen die Institutionen kommt aus dem Herzen, kommt aus der vVurzel, er zeigt ein besseres, gerechteres, natürlicheres Bild. D as ist der Vorkampf, in dem Dichter von höchster Kraft auftreten, Geister, die sich enttauscht abwenden, wenn der politische Vollstrecker auf dem Plan erscheint. Die Größe dieses Strebens liegt nicht im Reiche der geprägten Formen; sie liegt im Vorbild, das unerreichbar ist. Es wird von der Morgenröte der Menschheit in ihre ferne Zukunft verlegt und gleicht dem reinen Spiegel, in dem sie ihre Flecken, ihr Ungenügen erkennt. Solange sie das vermag, hat sie noch Willensfreiheit als eigentliches Merkmal der humanen Art.
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Die planetarische Ordnung ist sowohl dem Typus wie der Ausstattung nach bereits vollzogen. Es fehlt nur noch ihre Anerkennung, ihre Deklaration. Sie w äre denkbar durch einen spontanen Akt, dem es in der Geschichte an Beispielen nicht fehlt, oder auch als erzwungen durch überzeugende Tatsachen. l mmer muß Dichtung, müssen Dichter vorangehen. Die weitere Ausdehnung der Großräume in die Iobale Ordnung, der Weltstaaten zum Weltstaat oder, besser gesagt, zum Weltreich, ist mit der BeCürchtung verknüpft, daß nunmehr die Perfektion auf Kosten der Willensfreiheit endgültige Formen gewinnt. Vor allem aus diesem Grunde fehlt es nicht cm Befürwortern einer drei- oder mehrgeteilten W elt. Die Zeichen weisen aber nicht darauf hin. ffenbar ist die Gestalt des Arbeiters stärker noch als der älteste und letzte der großen Gegensätze: nls der von Ost und West. Mit dem Eintritt in seine finale Größe gewinnt der Sta at nicht nur sein räumliches Maximum, sondern ~ugleich eine neue Qualität. In ihr hört er auf, im historischen Sinne Staat zu sein. Damit nähert er sich anarchistischen Utopien, oder zum mindesten widerspricht ihre Möglichkeit nicht mehr der Logik der Tatsachen. Die Machtfragen sind geklärt. Oaß im Verlauf der Revolutionen der politische
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Mensch nach einem Interregnum, in dem alles möglich schien, so bald die Oberhand gewinnt, ist ja nicht zufällig. Er ordnet sich nicht nur die Utopis~en jeder Richtung unter, sondern auch die Planwirte. Der Hauptgrund dafür ist darin zu suchen, daß die menschlichen Staaten sich in einer Weise entwickelt haben, die der Sicherheit den Vorrang gibt. Je mehr aus einem Volk oder aus einer Gruppe von Völkern Staat wird, desto größer werden die Aufwendungen für die Sicherheit. Die Budgets weisen es aus. Auch in dieser Hinsicht, ja in ihr besonders, machen die Weltstaaten finale Anstrengungen. Waffen hat der Mensch von jeher geführt, doch dürfen wir annehmen, daß in den Anfängen der Staatenbildung das, was wir heute militärische Sicherheit nennen, eine geringe Rolle gespielt hat, vielleicht gar keine. Die Arbeitsteilung hatte andere Ursachen und Absichten. Wir dürfen uns den Ursprung der Staaten als eine Art von Auskristallisation vorstellen, zu der sich Kräfte unberührter Böden und Stämme vereinigten. Der Staat, wie er sich in den fruchtbaren Stromtälern bildete, kannte seinesgleichen nicht. Er war, wenn nicht einzigartig, so doch insulär. Sicherungen, die Heere erforderten, können erst viel später unumgänglich geworden sein. Das östliche Mittelmeer mit seinen Küsten- und Grenzländern ist, wie die Mutter vieler Dinge, so auch 74
die der Kriege; zuvor aber, längst bevor Abraham sich aus seiner Heimat aufmachte, muß es Kulturen ohne Kriegsheere gekannt haben. Das große Gewicht, das die Staaten auf die Sicherheit legen und das ihre Form und ihr Schicksal bestimmt, gehört, wenn nicht zu den Merkmalen der Menschengattung, so doch ihrer Subspezies, des Zoon politikon. Es findet sich in derNaturnicht vorgezeichnet; im Bienenstaat wiegen wirtschaftliche Momente ohne Zweifel vor. Sicherheit bei den niederen Stämmen wird oft durch bloßes Zusammenleben, durch Koloniebildung erreicht. Die Form des menschlichen Staates wird durch die Tatsache bestimmt, daß es andere Staaten gibt. Sie wird durch den Pluralismus bestimmt. Das ist nicht immer der Fall gewesen und wird es, hoffentlich, nicht immer sein. Als der Staat auf der Erde eine Ausnahme, als er insulär oder im Sinne des Ursprungs einzigartig war, waren Kriegsheere unnötig, ja lagen außerhalb der Vorstellung. Dasselbe muß dort eintreten, wo der Staat im finalen Sinne einzigartig wird. Dann könnte der menschliche Organismus als das eigentlich Humane, vom Zwang der Organisation befreit, reiner hervortreten.
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ER\IST JÜNGER· DER WELTSTAAT erschien irr Herbst 1960 als Erstdruck in gekürzter Form in dem Buch WO STEHEN WIR HEUTE? -Ierausgegeben von H. Waltet Bähr 256 Seiten. 16,80 DM Dieanderen Beiträge dieses Buches stammen von Max Born Friedrich Heer Arthur Jores Josef Pieper Wilhelm Röpkf Eduard Sprang:r
Martin Buher Hermann Heimpel Klaus Mehnert Adolf Portmann Helmut Schelsky Helmut Thielicke Arnold Toynbee
Hans Freyer Kar! Jaspers Max Picard Emil Preetorius Albert Schweitzer Frank Thiess
ERSCHENEN IM C. BERTELSMANN VERLAG
DIE GESAMTAUSGABE
ERNSTJÜNGER WERKE IN ZEHN BÄNDEN - vom Autor :evidiert und geordnet- macht Hauptstücke seines Werkes wiederzugänglich, die zum Teil jahrzehntelang auf dem Buchmarkt fehlen und schmerzlich vermißt wurden. Andere Schriften, die fast wauEfindbar zerstreut waren, sind nun gesammelt; eine Reihe von bisher unveröffentlichten Arbeiten wird erstmals publiziert. Die einzelnen lände erscheinen seit Frühjahr 1960 in vierteljährlichen Abständo. Über Inhalt und Gliederung der Gesamtausgabe gibt der Sondenrospekt, der auch die Preise verzeichnet, Auskunft. ERNST KLETT VERLAG
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: DER WELTSTAAT
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ERNST JÜNGER
DER WELTSTAAT ORGANISMUS UND ORGANISATION
Von dem geschichtsphilosophischen Standort aus, den Ernst Jünger in seinem Buch "An der Zeitmauer" erreicht hat, wird in dieser neuen Schrift das Verhältnis der beiden großen Mächte in West und Ost gedeutet. Die Spannungen und Gefahren, die durch ihre Existenz in die Welt gekommen sind, werden als Erscheinungen des Übergangs, des Übergangs nämlich zu der globalen Einheit eines Weltstaates begriffen, bei dessen zukünftigem Guß die beiden großen Mächte nicht nur als Modelle, sondern geradezu als die Gußmodel dienen müßten. Diese Entwicklung zum Weltstaat wird von ErnstJünger in einen höchsten Zusammenhang hineingestellt. Sie bietet sich dar als der den Menschen betreffende Aspekt einer geologischkosmischen Bewegung von riesigem Ausmaß, vor der sich die ernste Frage erhebt, ob es gelingen werde, die Freiheit mit der Herrschaft, den Organismus des menschlichen Seins mit einer die Welt umspannenden Organisation in Einklang zu bringen.
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