N e g a s p h ä r e
B a n d
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Nr. 2493
Leo Lukas
Der WELTWEISE
Gestrandet auf dem Ozeanplaneten – sie kämpfen um die nackte Existenz Die Lage für Perry Rhodan und die Menschheit ist verzweifelt: Eine gigantische Raumflotte, die Terminale Kolonne TRAITOR, hat die Milchstraße besetzt. Sie wirkt im Auftrag der Chaotarchen, und ihr Ziel ist kom promisslose Ausbeutung. Die Milchstraße mit all ihren Sonnen und Planeten soll als Ressource genutzt werden, um die Existenz einer Negasphäre abzusichern. Dieses kosmische Gebilde entsteht in der nahen Galaxis Hangay – ein Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Naturgesetze enden. Mit verzweifelten Aktionen gelingt es den Menschen auf Terra und den Planeten des Sonnensystems, dem Zugriff der Terminalen Kolonne standzuhalten. Sie verschanzen sich hinter dem TERRANOVA-Schirm und versuchen, die Terminale Kolonne zu stören. Perry Rhodan indessen bricht mit allen Verbündeten, die er aufbieten kann, nach Hangay auf, um den Krieg ins Herz der Kolonne zu tragen: Ein gewaltiger Erfolg ist die Ausschaltung von GLOIN TRAITOR, der »Nadel des Chaos«, die ursächlich für die Entwicklung der Negasphäre ist. Allerdings ... solange die Nadel des Chaos nicht vollständig zerstört ist, dürfen sich die Galaktiker nicht sicher fühlen. Ihnen helfen kann in dieser Situation nur DER WELTWEISE ...
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Follikeln seiner Schnurrhaare ortete er eine günstige Drift. Er änderte den Kurs, bis er sich in der starken, kalten Strömung befand, die ihm das Voran kommen erleichterte. Eine Weile schoss er ungehindert da hin. Fische verschiedenster Arten und Prolog: Größen wichen ihm hastig aus. Dann Der Wunsch wuchs die üppig grüne Wand des Kelp Im Rüdenheim ging es mächtig waldes vor ihm auf, und Sahmsivil schwamm durch eine Schneise ein. rund. Der bis zu hundert Meter hohe Rie Schon von Weitem war der Lärm zu hören. Sahmsivil schmeckte die Ent sentang ernährte eine bunte Vielzahl fernung zur Hauptinsel; sie betrug gut von Lebewesen – darunter, nicht zu letzt, die Ckornauten. Schon vor zwei Kilometer. Urzeiten hatten Sahm Trotzdem konnte er sivils Vorfahren be bereits Geräusche er Die Hauptpersonen des Romans: gonnen, Teile der kennen: Trommel ausgedehnten Algen schläge, Basspfeifen, Sahmsivil – Der Ckornaute verliert fast alles und gewinnt noch mehr. wälder zu kultivieren, stampfende Schritte, Matheux Alan-Bari – Der Hyperphysiker be ohne das komplexe das Klicken aneinan kommt ein unheimliches Geschenk. Ökosystem allzu sehr derstoßender Hum Laurence Savoire – Ein »Zyklop« kämpft um das Leben des Weltweisen. zu beeinträchtigen. pen ... und Gegröle, Sybel Bytter – Die Prozessorin verliert und Im Prinzip halfen natürlich. gewinnt. sie nur der Natur Je näher er kam, des Pal Astuin und Merlin Myhr – Die Prozes soren müssen ungeahnte Fähigkeiten ent ein wenig nach. Et to klarer unterschied wickeln. wa durch Rodung er einzelne Stimmen, Avorru und Nifolarqe – Die Mor’Daer haben unterschiedliche Vorstellungen vom Para der Baumkronen, falls allen voran Jozzepoks dies. die Winterstürme zu heiseres Kläffen. Sahm schwach ausgefallen sivil verlangsamte sei waren und nicht genüne Schwimmbewegun gend alte Wedel beseitigt hatten, so gen. Gern wäre er aufgetaucht. An der dass zu wenig Licht für den Nachwuchs Meeresoberfläche zu treiben, die Arme bis hinunter zum Meeresgrund drang. Auch die Igelfarmen und Perlschne über dem Bauch verschränkt, und den Wolken beim Vorüberziehen zuzusehen cken-Plantagen stellten keine Bedro erschien ihm ungleich verlockender als hung des ökologischen Gleichgewichts der Besuch im beengten, stickigen Rü dar. Seit unzähligen Zyklen hatten die Ckornauten das Zusammenspiel Tau denheim. Aber es half nichts, er musste sich sender Arten bestens im Griff. Sie dort einfinden und mitfeiern, wenigs lebten im Einklang mit ihrer Umwelt, tens eine Zeit lang. Andernfalls hätte in nahezu perfekter Ausgewogenheit und Harmonie. er Jozzepok tödlich beleidigt. Das war ja gerade das Problem ... Besser brachte er die Pflichtübung Sahmsivil glitt durch den gemäch möglichst rasch hinter sich. Selbst wenn ihm davor graute, seit er die Ein lich wallenden, leise rauschenden Kelpwald auf den unteren Eingang des ladung erhalten hatte ... Sahmsivil beschleunigte wieder, in Rüdenheims zu. Aus dem Gebäude, dem er die Schlagzahl des Schwanzes einem der ältesten der seit vielen Jahr und der Beinflossen erhöhte. Mit den tausenden bestehenden Siedlung Mhu »Heute keine besonderen Vorkommnisse.« Rangliste weitverbreiteter Irrtümer, erster Platz
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irra, drang der Radau nun so laut, dass auch die dicksten Algenstängel erzit terten. Den Text des Liedes, das von vielen rauen Kehlen eher gebellt als gesungen wurde, kannte Sahmsivil in- und aus wendig: Vermehrung! Hurra, Vermehrung! Höchste Verehrung Dem Helden der Vermehrung! Zeugung! Bravo, Zeugung! Tiefste Verneigung Vorm Großmeister der Zeugung! Beschälung! Jippie, Beschälung! Die nächste Zählung Bestätigt die Empfehlung ... Und so weiter. Es war ein Lied, das von Generation zu Generation überlie fert wurde, uralt wie alle Lieder. Nie mand schrieb jemals neue. Wozu auch? Das bestehende Kulturgut reichte völlig aus, um sämtliche Eventuali täten des ckornautischen Gesell schaftslebens abzudecken. Wirklich einschneidende Veränderungen kamen nicht vor. Recht so, befanden Sahmsi vils Zeitgenossen. Er teilte diese Meinung nicht. Aber damit stand er ziemlich alleine da. Hinter der Eingangsschleuse, die notfalls mit einem schweren Gitter ge sichert werden konnte, lag eine Kam mer, von der mehrere Röhren abgingen. Zwei davon führten lotrecht nach oben. In der linken wurde das Wasser auf wärts gepumpt. Sahmsivil überwand dank dieses hydraulischen Hubs bin nen weniger Sekunden vierzig Tiefen meter, durchstieß die Wasseroberfläche und holte erstmals nach dem sechsmi nütigen Tauchgang wieder Luft. Aus dem Tümpel, in den der senk rechte Schacht mündete, katapultierte er sich auf einen breiten, entlang der
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Wände verlaufenden Holzsteg. Unter dem Süßwasserfall im Durchgang rei nigte er sich einige Minuten oberfläch lich, dann betrat er den Ablageraum. Sahmsivil zog das Glasmesser aus der ledernen Scheide am Hüftgürtel und deponierte es in einem freien Spind. Nachdem er die Schnallen der Kreuzgurte geöffnet hatte, nahm er die Harpune vom Rücken, stellte sie eben falls in den Garderobenschrank, schloss die Tür, versperrte sie und zog den Schlüssel ab, den er in einer Falte sei nes Brustfells verwahrte. Waffen waren im Kneipsaal streng verboten. Aus gutem Grund – mehrere Zehnschaften männliche Ckornauten auf einem Haufen neigten sowieso zu Gewalttätigkeiten und unter dem Ein fluss von Alkohol erst recht. Nach den Dünsten zu schließen, die den lang gezogenen, niedrigen Raum erfüllten, waren Schnaps und Stark most schon reichlich geflossen. Etliche Rüden schliefen bereits ihren Rausch aus, teils auf hölzernen Podien, teils im Wasser; der abgestufte Boden lag etwa zur Hälfte unterhalb des Meeresspie gels. Die Übrigen, die noch annähernd bei Sinnen waren, taten ihr Möglichstes, sich gegenseitig zu überschreien. Aus getauscht wurden hauptsächlich Ob szönitäten und scherzhafte Beschimp fungen. Während er sich einen Weg durchs Getümmel bahnte, grüßte Sahmsivil die Jüngeren oder erwiderte die Begrü ßungsworte derjenigen, die älter als er selbst waren, mit den vorgeschriebenen Floskeln. Bei keinem der Grüppchen hielt er sich länger auf. Auch mit na hen Bekannten wechselte er jeweils nur ein paar belanglose Sätze. Trotz dem dauerte es rund zwanzig Minuten, bis er sich an den Brennpunkt des Ge schehens herangearbeitet hatte. Das hintere Drittel des Kneipsaals wurde von einer Höhle im Uferfels der Insel gebildet. An der Rückwand hin
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gen Bärenfelle, Raubfischgebisse und andere protzige Jagdtrophäen. Davor erhob sich eine massive, ehe dem grob aus Stein gehauene, doch im Lauf der Jahrhunderte von zahllosen Hintern spiegelglatt abgeschliffene Sitzmulde. Der Gastgeber des Gelages lümmelte darin, einen Humpen in der Tatze, und ließ sich von der um sein Podest versammelten, johlenden Meu te anhimmeln. Jozzepok wirkte, das musste man ihm zugestehen, noch immer bewun dernswert fit. Er hatte kaum Muskel masse verloren und ebenso wenig Fett angesetzt. Das blauschwarze, seidig schim mernde Fell wies keine einzige schüttere Stelle auf. Falls er Haarim plantate trug, waren sie von exzellenter Qualität. Nur ein gelegentliches, un kontrolliertes Zucken des rechten Beins verriet, dass selbst der große Jozzepok seinem hohen Alter Tribut zollen musste. Seinen scharfen Augen allerdings entging nach wie vor nichts. Er be merkte Sahmsivil sofort. »Oho! Welch Überraschung, welch Ehre!«, kläffte er. »Ein wahrlich sel tener Besuch. An meine Brust, Junge! – Tretet zur Seite, ihr Tranlutscher, macht Platz für den Schullehrer!« Im Halbkreis entstand eine Lücke. Sahmsivil schob sich hindurch. Den Kopf höflich gesenkt, watete er im seichten, von allerlei anderen Flüssig keiten getrübten Wasser zu Jozzepoks Thron. »Möge es dir an dreierlei nie erman geln: Gesundheit, Gewandtheit, Fruchtbarkeit!« Sahmsivil wiederholte die Grußfor mel wortgleich. Den Blick hebend, fügte er hinzu: »Um dich braucht man sich, was das betrifft, offensichtlich keine Sorgen zu machen, Herr Oberjä ger. Deine Potenz hast du ja erst neu lich wieder unter Beweis gestellt. Ich gratuliere.«
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Die Umstehenden klatschten reflex haft und brachen in Hochrufe aus, ge wiss nicht zum ersten Mal an diesem Nachmittag. Jemand stimmte mit schwerer Zunge eine Hymne auf die Männlichkeit an. Andere fielen ein, in mindestens ebenso vielen verschie denen Tonarten, wie Sänger mitjaul ten. Eine Armbewegung Jozzepoks brachte den erbärmlichen Chor schlag artig zum Verstummen. »Wohl wahr, ich kann nicht klagen. Dies ist ein großer Tag für mich. Es erfüllt mich mit Freude und Genugtuung, abermals ein Kind gezeugt zu haben, und zwar nicht ...« Prompt nahm die Meute das Stich wort auf. »Nicht das erste, nicht das zweite«, skandierten sie in anschwel lender Lautstärke, »nicht das zehnte, nicht das zwanzigste, sondern ...«, und jetzt brüllte der ganze Kneipsaal, »das drei-und-drei-ßig-ste!« Die Humpen wurden gehoben, an einander gedroschen und geleert. Fast alle Rüden krakeelten gleichzeitig los, sodass man nur die am lautesten Plär renden und am wenigsten Lallenden verstand. »Auf Jozzepok, den größten Stecher unter der Sonne!« »Nur noch eines, dann hältst du den ewigen Rekord!« »Erzähl uns, wie du’s getan hast!« »Nicht wahr, sie könnte deine Enke lin sein oder doch schon Urenkelin?« »Ich wette, ihr Zinken hat hinterher ordentlich geblutet, har, har.« Sahmsivil bemühte sich, seinen Ab scheu nicht zu zeigen. Die tierischen Vorfahren der Ckornauten hatten im Wasser kopuliert, wobei das Männchen dem Weibchen oft in die Nase gebissen hatte, um sich auf diese Weise festzu halten. Selbstverständlich übten zivilisierte Intelligenzwesen, und zu diesen zählte, bei all seiner Ruppigkeit, auch Jozze pok, eine solch archaische Praxis nicht
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mehr aus. Trotzdem hingen gewisse Idioten zumindest verbal dem Mythos an, dies gehöre bei einer gelungenen geschlechtlichen Vereinigung dazu. »Ruhe! – Wisst ihr trüben Ölfunzeln eigentlich, dass unser pädagogischer Feingeist hier ebenfalls von mir ist?«, kläffte der Jagdmeister. »Jawoll, Fleisch von meinem Fleisch; Nummer siebzehn, wenn ich nicht irre. Obgleich er leider mehr nach der Mutter gerät. Verpflufft! Bringt ihm zu essen und zu trinken! – Komm rauf, Junge, setz dich neben mich.« Sahmsivils schlimmste Befürch tungen trafen ein. Wie ein Schoßtier präsentiert zu werden war ihm pein lich. Jedoch durfte er seinen Erzeuger nicht vor den Festgästen brüskieren. Also kletterte er hoch, hockte sich zu ihm in die Mulde, presste ein Danke schön heraus. Ließ sich Teller und Humpen reichen, stieß mit Jozzepok und dessen Kumpanen an, würgte das Gesöff und die viel zu stark gewürzten Krebse hinunter. Wacker gaukelte er vor, sich zu amü sieren, und machte gute Miene zu schlechten Witzen – immer in der Hoff nung, sein Vater würde ähnlich rapide das Interesse an ihm verlieren wie da mals, unmittelbar nach der Geburt. Aber der Oberjäger war, dampfend vom Fusel, geselliger und gesprächiger als üblich. »Wie schaut es eigentlich bei dir aus mit Sprösslingen? Hast du es endlich geschafft, dein und mein Erbgut weiterzugeben?« Oje! Treffsicher hatte er das heikels te aller Themen gewählt. »Ich will nichts überstürzen, bin schließlich noch jung, außerdem mit meiner Lehr tätigkeit voll ausgelastet ...« »Mal ganz unter uns, mein Junge.« Jozzepok neigte sich herüber und raunte vertraulich: »Du findest doch nicht etwa primär Gefallen am, ähem, eigenen Geschlecht?« »Nein. Obwohl das auch kein Drama wäre. Einige meiner besten Freunde ...«
Er bemerkte den verdrießlichen Ge sichtsausdruck seines Erzeugers und setzte anders als beabsichtigt fort: „... leben ebenfalls einstweilen enthalt sam, um sich voll und ganz ihren Auf gaben widmen zu können. Partner suche und Umwerbung kosten enorm viel Zeit.« »Hm. Na ja, mag sein, wenn man so wenig hermacht wie du. Mir rennen die Fähen geradezu die Tür ein. Kann mich der Angebote kaum erwehren.« Er hieb sich mit der Tatze gegen die Brust und lallte: »Alle wollen sie mei nen ... Samen und so. Alle!« »Herzlichen Glückwunsch. Ich bin stolz auf dich.« Sahmsivil musste zu sehen, dass er schleunigst hier weg kam. Wenn der Alte derart schamlos zu prahlen anfing, wurde es kritisch. Dann flogen bald die Fäuste, Humpen und Möbel. »Apropos Aufgaben – mich ruft die Pflicht. Ich habe heute noch Unter richt.« Das war nicht einmal gelogen und wurde daher von entsprechend glaub haften Duftnoten seiner Markierungs drüsen bestätigt. Jozzepok runzelte misstrauisch die Stirn, schnüffelte, sträubte die Schnurrhaare und winkte ihn schließlich gnädig von dannen. Gerade noch rechtzeitig. Als Sahm sivil aus der Tür des Kneipsaals husch te, hörte er hinter sich ein zorniges Kläffen: »Was? Wie? Willst du damit andeuten, einer meiner Söhne wäre schwul? Na warte, dir werd ich’s ge ben!« Er feixte. Die Leute vom Lazarett dürften in dieser Nacht einiges zu tun bekommen. * Genau genommen hatte Sahmsivil nicht die volle Wahrheit gesagt. Es stimmte zwar, dass eine Unter richtseinheit auf seinem Tagesplan stand, jedoch erst später. Zuvor wollte
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er einen zweiten Besuch einschieben, auf den er sich bedeutend mehr freu te. Durch eine andere hydraulische Röhre gelangte er ins Netzwerk der Kanäle, das die gesamte Hauptinsel umspannte. Am dichtesten war es in den Küstenregionen, wo über neunzig Prozent der Siedlungen lagen, wäh rend zum zentralen Vulkankegel nur wenige Verkehrsadern führten. Das mit Abstand größte Eiland des Archipels besaß annähernd die Form einer Brackbohne, über siebzig Kilo meter lang und an der dicksten Stelle halb so breit. Hier lebten und arbeite ten rund hunderttausend Ckornauten, mehr als auf allen kleineren Inseln zu sammengenommen. Dennoch war aus reichend Platz, dass man einander nicht ständig auf den Schwanz trat. Sahmsivil genoss es, sich von der kräftigen, künstlich generierten Strö mung durchs klare Wasser des Kanal systems tragen zu lassen. Nach dem Aufenthalt im Rüdenheim hatte er sich beschmutzt gefühlt, äußerlich wie in nerlich. Jozzepok. Der ändert sich nie. Warum sollte er auch, wenn alles an dere gleich blieb? Auch die Bevölke rungszahl war, so weit die Aufzeich nungen zurückreichten, im Großen und Ganzen stabil. Sahmsivil nach mehrmals in hohem Tempo Abzweigungen und steuerte da durch auf kürzestem Wege sein Ziel an, einen winzigen Vorort der Siedlung Mhuirra. Unterwegs kam er an allerlei Handwerksbetrieben vorbei: Schmie den, Glashütten, sonstige Manufak turen ... Am häufigsten passierte er Werkstätten und kleine Fabriken, die den Tang weiterverwerteten, der in den Wäldern rings um die Insel geerntet wurde. Kelpasche war reich an Kalzium, Jod und Alkali. Unter anderem konnte sie zur Herstellung von Seife oder Glas verwendet werden. Aber auch Soda
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und Pottasche gewann man aus Kelp, Kohlenhydrate zur Verdickung von Gelee, Speiseeis oder Zahnputzpaste und vieles mehr. Nicht umsonst bezeichneten die Ckornauten ihre Algenwälder als »grü ne Lungen«: Sie waren für die Zivilisa tion ebenso unersetzlich wie für den Einzelnen die Luft zum Atmen. Beklemmung erfasste Sahmsivil, so bald er den Zubringerkanal an der Einmündung des Fjords verlassen hat te und den gezackten Küstenverlauf entlangschwamm. Obwohl er den Bau, in dem er herangereift war, und die Frau, die ihn aufgezogen hatte, über alles liebte, tat es ihm im Herzen weh, sie jedes Mal in noch üblerem Zustand vorzufinden. Ckornauten waren wie ihre anima lischen Ahnen eher Einzelgänger. Sie kooperierten aus Gründen der Ver nunft, und bei besonderen Anlässen hielten sie Zusammenkünfte ab. Für gewöhnlich aber wohnte jeder allein in seinem Bau, grenzte sein be scheidenes Revier säuberlich mit un missverständlichen Duftmarkierungen ab und pflegte abseits der beruflichen Tätigkeit gerade so viele Sozialkon takte wie unvermeidbar. Sie waren nun mal ein selbstgenügsames Völkchen, nicht erpicht auf Unfrieden und sons tige Sensationen. Ausnahmen bestätigten die Regel. Jozzepok zum Beispiel, der verbissene Rekordjäger. Oder Sahmsivil. Vielleicht war er anders, weil seine Mutter bei der Geburt gestorben war. Normalerweise nabelten sich Ckor nauten spätestens mit sieben Jahren, wenn die Wachstumsphase endete, gänzlich von den Eltern ab. Er hingegen suchte Tante Soriskuan, die sich seiner angenommen hatte, auch danach regelmäßig auf. Die Ab stände waren größer geworden, seit er die Ausbildung absolviert und den Posten als Lehrer für Topografie und
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Navigation angetreten hatte. Gleich wohl fühlte er sich Soriskuan verbun den; in der Seele, falls es so etwas gab. Ihr Lachen war das erste gewesen, das er gehört hatte. An ihre Berüh rungen dachte er mit Behagen zurück. Und ihren gutmütigen, grundgesunden Geruch würde er zeitlebens vermis sen. Nicht zuletzt deshalb schockierte ihn das Odeur, das ihn empfing, nach dem er durch die verwitterte, poröse Lederklappe geschlüpft und im Erdge schoss aufgetaucht war: der Gestank von Verfall, Verwesung, Verzweiflung. Soriskuan ruhte in der Wärmekuhle, wie meist. Müll umgab sie; nicht in ge fährlicher Menge, doch bedenklich viel verglichen damit, wie klinisch rein sie früher ihre Wohnung gehalten hat te. »Mein Junge. Mögest du glücklich dahindriften!« »Mögest du glücklich dahindriften, liebe Tante!« Die Doppelbedeutung wurde ihm schmerzlich bewusst. Er tätschelte Soriskuans Nacken. Sie war 29, fünf Jahre jünger als Jozze pok, und doch diagnostizierten die rat losen Heiler »Altersschwäche« und »fortschreitendes allgemeines Organ versagen«. Bei jedem zögerlichen Luftholen rasselte es in ihrer Brust. Die Schnurr haare hingen vergilbt herab. Ein grün licher Schleier überzog ihre Pupillen. Sahmsivil legte sich zu ihr, schmiegte sich an sie und begann mit der Fellpfle ge. Ckornauten besaßen keine Speck schicht, die sie im Winter vor dem kal ten Wasser des Ozeans schützte. Zum Ausgleich mussten sie den Pelz täglich putzen, sorgfältig sauber halten und einfetten. »Reinigen, bürsten, legen und föh nen«, hauchte die Tante matt. »Wie ich es dir beigebracht habe. Du bist ein braver Junge. Viel zu brav. Weißt du das?«
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»Ja, Mammale.« Er wusch sie, kämmte sie, massierte sie am ganzen lahmen, abgemagerten Leib. Das Fell gesunder Ckornauten war extrem dicht, prall von Haaren, bis zu einer halben Million pro Quadrat zentimeter, damit keine Feuchtigkeit durchdringen konnte. Soriskuans schütteren Pelz verunzierten Räude und Schürfwunden. »Verflixt, Tante, warum engagierst du keine Hilfskraft? Du kannst den Haushalt nicht mehr alleine führen. Schon wieder hast du einen Unfall ge habt und dir wehgetan. Wie oft muss ich noch schimpfen mit dir?« »Ach Junge, wieso soll ich Fremde in meinen Bau lassen? Viel lieber ist mir, wenn du das erledigst.« Sahmsivil schnaubte in sich hinein. Das alte Dilemma: Solange er sich um sie kümmerte, akzeptierte sie keine an dere Hilfe. Aber sollte er deswegen den Kontakt abbrechen? Sie einfach vergessen, als ob nichts gewesen wäre? Er lenkte sich mit Näherliegendem ab. Holte den Blasebalg, pustete in die kläglichen Reste ihres Unterfells Luft, die gegen Kälte isolierte und für den nötigen Auftrieb im Wasser sorgte. Widmete sich den empfindlichsten Körperteilen: Kopf, Armen, Beinen, insbesondere den großen Füßen mit den Schwimmhäuten, die sich flossen artig zwischen dem fünften, äußersten, längsten Glied und den übrigen Zehen spannten. »Und du, Sahmsivilchen? Wie geht es dir?« Während er sie, das Werk vollen dend, mit imprägnierendem Öl salbte, antwortete er: »Die Schüler sind an strengend. Quirlen und quengeln her um, nur Unfug im Sinn. Aber du kennst das ja, warst selber Instruktorin.« »Weich mir nicht aus, mein Junge. Du wirkst geknickt. Was betrübt dich?« Er schluckte. Sie hatte ihn nie ver
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standen, doch immer gestützt. Konnte es schaden, wenn er seine Sehnsüchte vor ihr ausbreitete? »Gesetzt den Fall«, sagte er, »wir hätten folgende Wahl: entweder wei terhin ein Leben in Ruhe und Muße zu führen, unbedrängt von Feinden, Na turkatastrophen, sonstigen Widrig keiten, stets ausreichend Verpflegung, ein gemütliches Zuhause, gerade genug Pflichten sowie angenehm banale, nicht übermäßig aufregende Zerstreu ung. Kurz: so wie immer. Ja?« »Oder?« »Oder wir könnten einmal, ein ein ziges Mal, an einem weit über unsere Welt hinaus bedeutsamen Ereignis teil haben. Auf die Gefahr hin, dass wir daran zugrunde gehen. Wie würdest du dich entscheiden?« »Das ist eine ... akademische Frage.« Soriskuan röchelte. »Wenn wenn nicht wäre, wäre ich dein Onkel ... Überdies erachte ich es für müßig, sich mit derlei Hirngespinsten zu verzetteln. Wir wer den geboren, leben, bringen Neue zur Welt, leben noch ein bisschen länger, siechen und sterben. Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Mehr ist nicht. Geh jetzt, mein Junge. Ich danke dir. Gute Nacht.« »Nein!« Sahmsivil rüttelte sie. »Das kann nicht alles sein! Damit gebe ich mich nicht zufrieden. Ich wünschte, die Sterne fielen vom Himmel, zer sprengten unser fahles Idyll, zwängen uns endlich zu anderen, kühneren Ge danken, drängten uns, neue Ideen zu entwickeln, damit ... Tante? – Tan te!« Sie war in seinen Armen entschla fen, ganz ruhig und unauffällig. »Soriskuan. Mammale. Nein. Du kannst mich jetzt nicht allein lassen. Was soll ich ...?« Er watschelte auf und ab in der öligen Pfütze, hin und her, kreuz und quer. Irgendwann schaffte er es, ihr die Augenlider zu schließen. Irgendwann schickte er eine Brieftaube zum nächs
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ten Postrelais, um die Bestattung zu bestellen. Irgendwann sprang er von der Klip pe, tauchte tief hinunter, tiefer, noch tiefer, und schwamm, so schnell er konnte, hinaus ins weite, offene Meer. * »Du bist ein braver Junge. Viel zu brav. Weißt du das?« Sahmsivil, pflichtbewusst zurückge kehrt, ordnete die Hinterlassenschaft seiner Tante. Ein paar Dokumente, ei ne Schatulle voller Halbedelsteine oh ne nennenswerte Kaufkraft ... Mehr war nicht, da hatte sie recht. Es blieb nichts übrig, was die Mühe lohnte. Die ausgediente, schäbige, längst wertlose Einrichtung würde entsorgt werden. Bald würden neue Siedler den Bau am Fjord beziehen, die Schäden tilgen, danach die Wohnung ausräuchern, sich darin breitmachen, billige Bilder auf hängen ... Und das Leben ging weiter wie im mer. Als ob nichts, als ob Soriskuan niemand gewesen wäre. »Viel zu brav. Weißt du das?« * Um Mitternacht traf er seine Schul klasse. Er hatte erwogen, die Unterrichts einheit abzusagen. Seine Rektorin wä re sicherlich damit einverstanden ge wesen. Andererseits, die Schüler, die der Dunkelübung seit Tagen entgegenfie berten, konnten nichts dafür. Vor allem aber hätte Sahmsivil nicht gewusst, wie er die Nachstunden sonst verbrin gen sollte. An Schlaf war nicht zu denken. Der Tod seiner Tante wühlte ihn viel zu sehr auf. Die fünfzehn Kinder erschienen überpünktlich am Treffpunkt, eines
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zappliger als das andere. Alle hatten schon einige Male bei Nacht getaucht. Jedoch war niemand von den neun Jungrüden und sechs Jungfähen je auch nur annähernd bis zur Peripherie des Archipels vorgedrungen. Sahmsivil instruierte sie geduldig. »Ihr sollt lernen, euch in unbekanntem Terrain zu bewegen. Das ist der Sinn der Sache. Ich bin bei euch, ihr braucht also keine Angst zu haben. Allerdings werde ich mich zurückhalten und nur eingreifen, wenn es nötig ist. Erinnert euch an die Regeln, die wir in den vo rigen Lektionen durchgenommen ha ben, und befolgt sie, dann kann nicht viel schiefgehen.« Er kontrollierte die Messer und Har punen, deren Pfeilspitzen und Schäfte ebenfalls aus von Hand geschliffenem Glas gefertigt waren. »Wir halten uns strikt nördlich, bis wir die äußerste In sel erreichen. Ihr wechselt euch mit der Führung ab. Ich korrigiere nur, falls ihr entscheidend vom Kurs ab kommt. Teilt eure Kräfte gut ein, wir haben eine weite Strecke vor uns. Los geht’s!« Übermütig kreischend schnellten sich die Schüler von der Plattform ins Wasser. Sahmsivil folgte ihnen, fast ein wenig neidisch ob ihrer Unbeschwert heit. Ckornauten waren von klein auf bestens für das amphibische Leben gerüstet, nicht nur durch die hydro dynamische Körperform. Verstärken de, knorpelige Anteile in den Atem wegen gestatteten ihnen, lange Tauchgänge bis in hundert Meter Tie fe zu unternehmen, ohne dass ihre überaus leistungsfähigen Lungen kol labierten oder die Nieren geschädigt wurden. Während an Land dem Geruchssinn die höchste Bedeutung zukam, war im Wasser der Sehsinn am wichtigsten. Aber wer nicht auch ohne ihn die Um gebung zu »lesen« vermochte, hatte auf Dauer wenig Chancen gegen Titanhaie,
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Dreispießwale und andere Raubtiere. Außerhalb der um die bewohnten In seln gespannten Sperrnetze musste man jederzeit auf eine Attacke gefasst sein. Ein Sonar hatten die Ckornauten leider nie entwickelt. Dafür registrier ten ihre Vibrissen, die Fühlhaarbüschel im Gesicht und an den Armen, mini male Wasserbewegungen über weite Strecken hinweg. Auf diese Weise konnten sie Objekte in beträchtlicher Entfernung orten. Weiterhin hörten sie ausgezeichnet. Unter Wasser war die Schallgeschwin digkeit aufgrund des dichteren Medi ums fast fünfmal so hoch wie in der Luft und die Absorption des Schalls wesentlich geringer. Ein darauf ge schultes ckornautisches Gehör lokali sierte den Ursprung von Geräuschen fast auf den Dezimeter genau. Nicht zuletzt ging es bei dieser Dun kelübung auch darum, dass die Schü ler ihren chemosensorischen Ge schmackssinn perfektionierten. Damit stellte man feinste Unterschiede im Salzgehalt des Meerwassers fest und nutzte diese Informationen, um be stimmte Ziele zu identifizieren und an zusteuern. Ob Ckornauten außerdem über ein eigenes »Kompass-Organ« verfügten oder sie die Himmelsrichtungen durch eine Kombination sämtlicher Sinne bestimmten – darüber gingen die Mei nungen der Experten auseinander. Je denfalls hielten Sahmsivils Schüler tadellos den Nordkurs. Er war sehr zu frieden mit ihnen. Nach dreieinhalb Stunden legten sie eine Pause ein. Zwischen zwei kahlen Sandbänken, die nur wenige Meter aus dem Wasser ragten, befand sich ein na turbelassenes Kelpwäldchen, in dem Sahmsivil schon öfter gerastet und sei nen Hunger gestillt hatte. Er teilte Wachen ein, jeweils zwei an der Oberfläche sowie in dreißig Metern Tiefe, etwa auf halbmast der Algen
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stängel. Den Rest der Schulklasse ließ er nach Muscheln und Seeigeln tau chen. Er hatte keinen Appetit; vor Kum mer. Dennoch zwang er sich, ausgiebig zu essen. Es wäre unverantwortlich gewesen, sich noch mehr zu schwä chen. Mangels einer subkutanen Speck schicht benötigten Ckornauten zur Aufrechterhaltung ihrer Körperwärme sehr viel Nahrung, die ihr immens effi zienter Metabolismus flott in Kalorien umwandelte. Pro Tag nahmen sie, auf mehrere Mahlzeiten verteilt, eine Men ge von etwa einem Drittel des Körper gewichts zu sich. Sie schlugen sich die Wänste voll, wobei Sahmsivils Schützlinge einhel lig erklärten, die Meeresfrüchte schmeckten um vieles besser als da heim. Danach schwammen sie weiter gen Norden. Plangemäß erreichten sie bei Son nenaufgang ihr Ziel, das entlegenste Inselchen des knapp hundertfünfzig Kilometer durchmessenden Archipels. Nachdem sie das Naturschauspiel der aus dem endlosen Ozean emporstei genden Flammenscheibe gebührend bewundert hatten, stärkten sie sich er neut. »Gut gemacht«, lobte Sahmsivil sei ne Schüler. »Ihr habt euch ein paar Stunden Schlaf redlich verdient. Aber nicht an Land, sondern im Wasser, nach Art unserer Ahnen.« Er zeigte, wie man sich, am Rücken treibend, in Tangwedel der Baumkrone einwickelte, um während der Ruhe phase nicht abzudriften. Sie stellten sich recht geschickt an, zumal fast alle diese uralte Technik bereits kannten. Binnen weniger Minuten waren sie samt und sonders eingeschlummert und schnarchten selig. Sahmsivil hielt Wache; für fünfzehn Quicklebendige und eine Tote. *
Er starrte nach oben; ohne Hoffnung, dort Trost zu finden. Wind kam auf. Das Wetter ver schlechterte sich. Dunkles Gewölk ballte sich dichter und dichter, ver deckte die hellen, auch bei Tag sicht baren Sterne. Und dann fielen sie vom Himmel. Zuerst glaubte er, seine überreizten Nerven würden ihm einen Streich spie len: Aus Trauer und Müdigkeit hallu ziniere er; gaukle sich vor, sein unbe dacht ausgesprochener Wunsch ginge in Erfüllung. Sekunden später merkte er, dass es keine Sterne waren, die aus der Wol kendecke auf ihn herabstürzten. Son dern Vögel, sechs riesige schwarze Vö gel, viel größer als alles Federvieh, das er je gesehen hatte. Sie flogen unheimlich schnell, press ten sich, kurz bevor sie auf die Was seroberfläche geprallt wären, in eine enge Kurve. Umkreisten die kleine, un besiedelte Insel. Verhielten schließlich schräg über ihm, in vielleicht zwanzig Metern Höhe, böse summend wie ein Dutzend aufgescheuchter Bienenvöl ker. Und sie legten Eier. Kugeln plumps ten aus den Bäuchen der schwarzen Vögel, durchsichtige, wie aus glit zernder Luft gesponnene Sphären, in denen dunkle Wesen steckten. Entfernt erinnerten sie an senkrecht aufgerichtete Ckornauten, bloß ohne Schwanz und deutlich korpulenter. Details konnte Sahmsivil nicht ausma chen. Es ging zu schnell, schon waren die Lichtblasen im Meer versunken. Er schnappte nach Luft und stieß ei nen Alarmpfiff aus, mit aller Kraft, die seine Lungen hergaben. Nicht, dass er Angst gehabt hätte. Dafür war er viel zu perplex. Nein, er wollte seine Schüler aufwe cken, damit sie dieses wundersame Er eignis nicht versäumten. Zweifelsohne handelte es sich um eine einmalige, nie da gewesene Begebenheit.
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Der WELTWEISE
Während seines Studiums hatte Sahmsivil oft und oft die historischen Archive nach ungewöhnlichen Vor kommnissen durchsucht, akribisch, nachgerade fanatisch. Diese Marotte pflegte er seit der Schulzeit. Es war ihm nicht gelungen, eine einzige Ab weichung von der jahrtausendelangen, monotonen Routine aufzuspüren. Aber jetzt! Hier! Sein Herz raste. Plötzlich war er hellwach, als hätte jemand einen Bot tich Eiswasser über ihn geleert. Auch seine Schützlinge kamen zu sich, schlaftrunken und grantig nach der zu kurzen, jäh unterbrochenen Ru he. »Was ist los?«, quäkte der dickliche, meist etwas tollpatschige Razzedil. Unmittelbar darauf hob sich, keine zehn Meter hinter ihm, schmatzend ei ne der seltsamen Sphären aus dem Wasser. Das dunkle Wesen darin streck te den Arm in Richtung des Jungrüden aus. Für einen Moment spannte sich ein fingerdickes Seil aus gleißendem Licht zwischen der Kugel und Razzedils Kopf. Der Junge jaulte auf, gellend, doch sein Schrei erstarb sofort wie der. Eine schmorende Wunde klaffte in seiner Stirn. Sein Körper erschlaffte. Weitere Wesen in flirrenden Blasen erschienen an der Oberfläche. Und sie schossen ebenfalls, feuerten aus ihren kurzen, so harmlos aussehenden Har punen Lichtspeere auf die gerade erst erwachten Schüler ab! »Flucht!«, schrie Sahmsivil. Er be freite sich aus der Schlinge des Kelp wedels und tauchte nach unten weg. * Sie waren überall. Wohin er sich auch wendete, eine der grauenhaften Kugeln schien schon auf ihn gewartet zu haben. Zwar wich er mit viel Glück den Feuerstrahlen aus, indem er Haken
schlug und die verrücktesten Finten anwandte, die er im Turnunterricht beim Kampfballspielen gelernt hatte. Aber er schaffte es nicht, die Verfolger abzuschütteln. Verfolger? – Jäger! Ja. Diese zweibeinigen, zweiarmigen Wesen, die ähnliche Schutzausrüstun gen trugen, wie sie Kampfballer ver wendeten, allerdings starrere, unbe quemere, voluminösere, machten Jagd auf ihn und die Kinder. Die Kinder. Sahmsivil konnte ihnen nicht helfen. Er hatte nicht einmal Zeit, seine Harpune vom Rücken zu reißen. Immerhin stellten sich seine Sinne allmählich auf das absolut unge wohnte, fremde Verhalten der Schlan genköpfigen ein. Nach wie vor irritierte ihn, dass etwas, das wie eine übergroße Luftblase aussah, nach Belieben die Richtung wechselte. Aber er begann, Bewegungsmuster zu erkennen. Die Treiber waren siegesgewiss und deshalb nachlässig. Er täuschte Resi gnation vor, lockte sie zu sich, nützte dann eine von den Kelpstängeln abge lenkte Strömung und durchbrach die Umschließung. * Weit kam er nicht. Sie schwammen ihm nach, mühelos, ohne irgendwelche Tempi mit den Extremitäten auszufüh ren. Er ging tief, tiefer, noch tiefer. Seine Muskeln protestierten, seine Lungen brannten. In höchster Not entdeckte er eine von Schlamm halb zugedeckte Öffnung im Meeresboden und quetschte sich hinein. Derlei Grotten hatten erfahrungsge mäß mehrere Ausgänge. Die Inseln des Archipels waren vulkanischen Ur sprungs und ihre unterseeischen So ckel gewöhnlich von Lavaeruptionen perforiert. Dieser Stollen jedoch entpuppte sich
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als Sackgasse. Wo er sich hätte ver zweigen sollen, war das Erdreich ein gestürzt. Felsbrocken, Geröll und Lehm türmten sich auf zu einem lü ckenlosen, unüberwindlichen Hinder nis. Sahmsivil saß in der Falle. Er schloss mit seinem Leben ab. Schon erhellte sich die Grotte. Kaltes Licht ausstrahlend, schwebte eine der furchtbaren Sphären auf ihn zu. Und stoppte, keine drei Meter vor ihm. Das Wesen trug Scheuklappen, wie man sie Seeochsen anlegte, damit sie leichter zu lenken waren. Es hob den Arm, legte den Schlangenschädel schief ... und sprach. Nicht mit Sahmsivil. Anscheinend waren die Laute, deren Sinngehalt er nicht verstand, für jemand anderen be stimmt. Tatsächlich ertönte noch eine zweite, leisere und dünnere Stimme, fast so wie aus einem fernen Schall trichter. Der fremde, böse Jäger verkrampfte. Seine Augen weiteten sich, als habe er soeben eine Nachricht erhalten, die ihn in seinen Grundfesten erschütterte. Ansatzlos drehte er um und entfernte sich. Sahmsivil, zitternd vor Panik, war tete, bis seine Atemwege zu bersten drohten und er keine andere Wahl hat te, als hinauszuschwimmen, und hin auf, lechzend nach Luft. Erster Tag: Zahlen, bitte! Er wusste weder um seinen Namen noch um den Ort, noch darum, wie er ihn erreicht hatte. Bloß, dass er nicht verweilen durfte. Weil er im Wasser lag, in flachem, salzigem Wasser; und ertrinken würde, wenn er seinen Kopf nicht hob. Aber er war zu schwach, um aufzustehen. Kei ne Kraft, kein Gefühl in den alten Glie dern.
Wirre, zusammenhanglose Eindrü cke überschwemmten sein Bewusst sein. Ein grauer Turm in der Thora Road von Terrania City. Eine Frau mit Haaren, die Funken sprühten. Zwei düstere Gestalten ... Hatte er sich berauscht? Nein. Der Geschmack in seinem Mund war nicht jener von Wein. Außerdem nahm er nie mehr als höchstens eine halbe Flasche am Stück zu sich. Ein feines Tröpfchen, zusammen mit dezenter Musik und erbaulicher Lektü re ... Déjà-vu. So hieß das, wenn man das Gefühl hatte, etwas schon einmal ge nau gleich erlebt zu haben, nicht wahr? Echos aus unendlich ferner Vergan genheit. Sie wollten ihm etwas offen baren. Über ihn, seine Person, seine Geschichte. Seine Psyche und Physis. Physik. Mathematik. Dafür hatte er sich interessiert. Rechnen. Glei chungen. Theoreme. Zahlen. Die moch te er. Zahlen, bitte! An diesem Ort gab es viel zu wenige. Kaum Konstanten oder Variable. Nur primitive Formeln. Gelöstes Salz, ja. Natriumchlorid. Jedoch weshalb? Mangelnder Input. Informationsfluss drastisch reduziert, da Vernetzung auf gelöst. Kein Wunder, dass er nicht rich tig denken konnte, so zurückgeworfen auf sich allein. Wie sollte er da erst handeln? Jemand stemmte ihn hoch, verhin derte, dass er noch mehr schluckte, richtete ihn auf. Er keuchte, hustete, spuckte, übergab sich. »Weg vom Ufer!«, sagte der unbe kannte Retter und zerrte ihn weiter. »Komm schon, die Flut steigt. Mach hin, ich muss noch mehr Leute in Si cherheit bringen. Wäre es zu viel ver langt, wenn du langsam auf deinen eigenen Beinen stehen könntest?« Er versuchte es, knickte jedoch im mer wieder ein, musste bei jedem
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Schritt gestützt werden. Ihn fröstelte, obwohl der Nieselregen, der seine nackte Haut benetzte, nicht kalt war. Der andere trug ebenfalls keinerlei Kleidung am Leib. »Ich kenne mich ge nauso wenig aus wie du«, sagte er, irri tierenderweise zwinkernd. »Habe nur etwas früher das Bewusstsein erlangt. – Hier, setz dich hin, lehn dich an die sen Stein und gib bitte nicht den Geist auf. Irgendetwas vermittelt mir den Eindruck, das wäre unserer Sache nicht förderlich.« Er gehorchte, blickte dankbar zu seinem Retter auf und bemerkte, dass er sich geirrt hatte. Das war kein Zwin kern. Der Mann besaß nur ein einziges, rötlich gefärbtes Auge, dafür mit zwei Pupillen. Der ... Zyklop? Dieser Spitzname war unzutreffend, denn das Auge befand sich nicht inmit ten der Stirn, sondern links neben der Nasenwurzel. Unter der rechten Braue hingegen war nur glatte Haut. Erinnerungen schossen ein. Der Ein äugige sah trotzdem besser als die meisten anderen Menschen. Weil er Licht bis weit in die infraroten und ul travioletten Spektralbereiche wahr nehmen konnte. Und er hieß ... »Savoire? – Aber ... du bist tot. Oder?« Keine Antwort. Der schwarzhaarige, fast zwei Meter große, doch sehr ma gere, splitternackte Mann stapfte zu rück in die Brandung, um sich des nächsten schlaffen Körpers anzuneh men. Dr. Laurence Savoire. Geboren vor 53 Jahren auf dem Pla neten Diakat. Gestorben am 1. Novem ber 1347 Neuer Galaktischer Zeitrech nung in GLOIN TRAITOR. Wie auch ich. Die Erkenntnis kam als Schockwel le. Wie wir alle, alle Prozessoren ESCHERS. Ihre Bewusstseine waren vom WELT
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WEISEN aufgenommen worden. Und nach dessen Attentat auf die Nadel des Chaos, auf den Elementar-Quintadim trafer ... ... hätten sie sich entweder als abso lut vernetzte Bestandteile der körper losen Wesenheit wiederfinden sollen – oder das unwiderrufliche Ende, die ersatzlose Löschung, wäre eingetre ten. Stattdessen saß er, Matheux AlanBari, ehemaliger Professor für Hyper physik und Globist des TERRANOVASchirms, dann unheilbar an Kristallpest erkrankt, hier an diesem Strand. Wie war das möglich? Träumte er? Erlag er einer Illusion, wurden ihm die Eindrücke suggeriert? Matheux wühlte seine Finger in den Sand, der sich warm und echt anfühlte. Zog die Hände wieder heraus, betrach tete sie, griff sich an den Bart, betaste te die Nase. Zerrte an seinen langen, verfilzten Haaren, bis es empfindlich wehtat. Kopfschüttelnd schloss er die Augen und horchte in sich hinein. Sein Herz schlug heftig. Sein Rücken juckte. Er spürte auch den dumpfen, gichtigen Schmerz im linken Fuß, der ihn so lang gepeinigt hatte ... Früher. Vor ESCHER. Kein Zweifel, er war wieder ganz der Alte. In seinem alten Körper, mit denselben Beschwerden wie damals, bevor er seine materielle Existenz auf gegeben hatte. Es behagte ihm überhaupt nicht. * Unweit der Stelle, wo er Alan-Bari aufgelesen hatte, fand Laurence Sa voire fünf weitere nackte Terraner, al lesamt ehemalige Prozessoren. Zum Glück waren sie nicht ganz so desori entiert wie der graumähnige, schmer bäuchige Zottel. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie es aus eigener Kraft schafften,
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die flache Düne zu erklimmen, und ih nen keine unmittelbare Gefahr drohte, lief Savoire in lockerem Trab den Strand entlang. Er sah keine Fuß spuren, nirgends Anzeichen von Be siedlung, keinerlei Treibgut außer Mu schelschalen und braune, abgestorbene Algen. Zu seiner Rechten erstreckte sich ein tiefblauer Ozean, von Wind gekräuselt, ebenmäßig bis zum Horizont. Nichts störte die Einförmigkeit der Wasser wüste, weder Insel noch Schiff. Links von ihm, hinter den Dünen, wuchs violettes Gesträuch, das in ei nen Mischwald überging. Vereinzelte, hohe Bäume mit mächtigen, silbrigen Stämmen und dichten Blattkronen ragten weit darüber hinaus. Sie trugen kopfgroße, rosafarbene, stachlige Früchte. Wo war er? Und vor allem, warum? Müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Ihm fehlten jegliche An haltspunkte. Vordringlicher war die Frage: Gab es noch andere Hilfsbe dürftige? Laurence Savoire, der frühere und nun wieder aktuelle Savoire, besaß ei ne schwache telepathische Begabung. Er konnte keine klaren Gedanken le sen; bloß ungefähr Inhalte erahnen und feststellen, ob sein Gegenüber die Wahrheit sagte. Selbst das funktio nierte nicht bei allen und nur auf kur ze Distanz. Ohne anzuhalten, konzentrierte er sich. Die sechs zurückgelassenen Schicksalsgenossen hatte er bereits aus seiner parapsychischen Wahrnehmung verloren. Vor ihm lag leerer, gänzlich unbelebter Sandstrand, dessen Küs tenlinie sich leicht nach links krümmte. Ab und zu, für kurze Augenblicke, vermeinte Savoire aus dem Landesin neren diffuse Impulse zu empfangen. Er war jedoch keineswegs sicher, dass er sich nicht täuschte. Jedenfalls muss
te er zuerst danach trachten, etwaige weitere Bewusstlose, wie und woher auch immer Angeschwemmte, vor dem Ertrinken in der Brandung zu bewah ren. In Sicht war niemand. Es regnete nicht mehr. Die Bewölkung riss auf. Strahlen einer knapp über dem Hori zont stehenden, intensiv dottergelben Sonne erwärmten Laurence Savoires Haut. Morgen oder Abend? Egal. Trotz der im ersten Moment blen denden Helligkeit übersäten zahllose Lichtpunkte die wolkenfreien Stellen des Firmaments: Sterne, dicht an dicht. Wirklich finster wurde es auf dieser Welt vermutlich nie. Wenigstens wusste er nun, dass er sich nach wie vor im Zentrumsbereich der Galaxis Hangay befand. Einige markante Konstellationen ließen sich, wenngleich achsenverschoben, eindeu tig erkennen. Um eine genaue Position zu bestimmen, hätte er freilich tech nischer Mittel bedurft, von denen weit und breit nichts zu sehen war. Wie auch immer. Ein diakatisches Sprichwort fiel ihm ein, welches sogar in die Präambel der Verfassung seines Heimatplaneten aufgenommen worden war. Es lautete: »Sei immer froh über kleine Annehmlichkeiten.« Umgelegt auf Savoires Situation be deutete das: Die Atmosphäre ist atem bar, die Temperatur durchaus erträg lich, du findest dich einigermaßen zurecht – also frohlocke und bete, dass es nicht schlimmer kommen möge! Praktisch zugleich formulierte er den Widerspruch, der ihm schon als Pubertierendem reflexartig eingeschos sen war wie saures Aufstoßen: Das kann ja wohl nicht alles gewesen sein. * »Hier passiert nie etwas.«
»So ein Blödsinn.«
Avorru beugte sich vor, um den Na
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gel seines rechten großen Zehs mit dem Vibra-Schleifer noch exakter in Form zu bringen. »Die hiesige Sonne geht tadellos auf und wieder unter. Je nach dem, wie sich die Gravitationsfelder der Monde überlappen, ändern sich die Gezeiten. Aber das Wichtigste: Tag für Tag bucht die Terminale Kolonne den Bonus auf unsere Konten. Und da wir hier nichts ausgeben ...« »Weil dies gar nicht möglich wäre!« »... werden wir immer reicher, quasi im Schlaf. Was gibt es daran zu nör geln?« »Es ist öde!« Nifolarqe holte mit dem hauchdünn bestrumpften Bein aus und kickte einen Schemel quer durchs Zim mer. »Ich langweile mich zu Tode.« »Schätzchen.« Avorru feilte in aller Ruhe einen lästigen Splint weg. »Bes ser hätten wir es gar nicht treffen kön nen. Hochsicherheitsgebiet, ergo er höhter Sold. Trotzdem Hinterland. Etappe! Das Paradies jedes rechtschaf fenen Soldaten. Du jammerst, dass hier nix passiert? – Das ist ja das Tolle dar an.« »Du hast mir die Wunder des Uni versums versprochen, wenn ich dich auf diesen Posten begleite.« »Und du wirst sie in Bälde sehen, mein Herzflügelchen. Sobald die hohen Herrschaften ihr Geschäft erledigt ha ben und sich’s der Chaotarch Xrayn in seiner Negasphäre gemütlich einge richtet hat, flanieren wir zwei Hüb schen durch die umliegenden Ressour cen-Galaxien und plündern nach Belieben, was nicht niet- und nagelfest ist.« Nifolarqe stampfte mit dem Fuß auf, wobei ihr Rocksaum verheißungsvoll nach oben rutschte. »Ich will aber jetzt schon etwas Neues zum Anziehen.« Der Kommandant der Wachstation von Anun-Faeris beendete gelassen seine Pediküre. »Du wirst entzückend aussehen in dem Pelzmantel, den ich dir aus den Fellen der eingeborenen Halbintelligenzen schneidern lasse.«
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»Ich glaub’s erst, wenn ich ihn anha be. Deine leeren Versprechungen habe ich schon so was von satt.« »He, das Jagdkommando ist unter wegs.« Avorru legte den Schleifer zur Seite und rief die aktuellen Daten auf den Holoschirm. »Na bitte. Sie sind bereits fündig geworden. Alles unter Kontrol le. Eben wird die Beute enthäutet. Fünfzehn tadellose, jugendlich unver sehrte Exemplare. Ein Älterer wehrt sich noch ein wenig, just der, aus dem wir einen perfekten Schalkragen ge winnen könnten. – Dir ist klar, dass ich für deinen Mantel gegen die Vor schriften verstoße?« »Mir ist kalt! Und ich hasse dich, weil du mich nicht mehr liebst.« »Ach was. – Aber wie du beleidigt deinen Bürzel schwingst, das schärft mich immer noch an.« Avorru lachte. Er wollte sie sich ge rade greifen, da ging aus der Ortungs abteilung des Stützpunkts eine Mel dung ein. Ein superhochfrequenter Strah lungspeak war aufgefangen worden, lediglich für Bruchteile von Sekunden und derart gering, dass es sich genauso gut um einen Messfehler gehandelt ha ben konnte. Falls die Geräte richtig anzeigten, hatte der ominöse Vorgang an Koordinaten stattgefunden, die am diagonal entgegengesetzten Ende der selben ausgedehnten Inselgruppe la gen, in dem derzeit das Jagdkomman do operierte. »Nicht einmal ignorieren«, entschied Avorru, der einzige Mor’Daer vom Rang eines Kalmors in diesem Sonnen system. Er wandte sich wieder seiner lasziven Gespielin zu. Abermals unterbrach ihn der gansch karische Daerba, der die Funkstation betreute. »Soeben stellt sich heraus, dass es zwei Peaks waren, Herr Kom mandant; simultan. Wir haben den un gleich stärkeren verzögert registriert, weil sämtliche Sonden im hohen Orbit
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ausgefallen sind. Deshalb verfügen wir derzeit auch nur über normaloptische Aufnahmen. Mit Verlaub, du solltest sie dir trotzdem ansehen.« Avorru verabreichte seinem drallen Freizeitvergnügen einen Klaps auf den knackigen Po, dass es klatschte, dann drehte er sich zum Monitor um – und setzte sich ruckartig kerzengerade auf. »Soll das ein Scherz sein?«, fauchte er ins Mikrofonfeld. »Nichts läge mir ferner, Herr Kom mandant. Bitte entschuldige die grobe Auflösung, aber es handelt sich um rohe, noch unbehandelte Daten, auf grund der von unserer unmaßgeblichen Warte aus angenommenen Dringlich keit ...« »Schweig!« Avorru leckte mit der Zunge über sein Gesicht. Reste von Schuppenschminke würden sich ga rantiert nicht gut machen auf Doku mentarbildern historischer Ereig nisse. Er schloss den Kragen der Uniform jacke. »H-hm. Rechtzeitig Schlussfol gerungen zu ziehen«, sagte er würde voll in Richtung der Kamera, »hat man uns Führungskräfte der Terminalen Kolonne TRAITOR gelehrt. In kri tischen Lagen wie dieser erbringen wir den Beweis, dass die Unterweisungen gefruchtet haben.« Nifolarqe kicherte dämlich, schwang die Hüften und präsentierte ihm ko kett den vom transparenten Slip kaum verhüllten Steiß. Nichts hätte Avorru in diesem Moment weniger interes siert. »Da zwischen den beiden angemes senen, außergewöhnlichen SHF-Emis sionen aller Wahrscheinlichkeit nach ein ursächlicher Zusammenhang be steht«, sagte er gemessen, »setze ich hiermit sechs Aufklärungsgleiter in Marsch, die zufällig gerade im betrof fenen Sektor eine Truppenübung ab halten. Deren Besatzungen haben un verzüglich ihre bisherige Tätigkeit
einzustellen und die vorliegenden Ko ordinaten anzufliegen.« * Eine Barriere aus Felsblöcken ver sperrte ihm den Weg. Laurence Savoire überlegte. Sollte er versuchen, darüber hinwegzuklet tern? Oder sich nach links wenden, ins Landesinnere? Oder doch lieber um kehren, um Alan-Bari und die anderen zu betreuen? Er war geschätzte eineinhalb Kilo meter den paradiesisch unberührten Strand entlanggelaufen, ohne etwas von Bedeutung zu entdecken. Vielleicht hatte er die falsche Seite erwischt. Also zurück? Schon wollte er sich wieder in Be wegung setzen, da hörte er ... Stim men! Aufgeregte Rufe, zu weit ent fernt, als dass er etwas Konkretes verstanden hätte. Jedoch klang es nach Menschen, die sich auf Interkos mo unterhielten. So schnell er konnte, stieg Savoire die Geröllhalde zwischen Düne und Felsen hinauf. Keuchend oben ange langt, schlug er die Richtung ein, aus der die Stimmen kamen. Das violette Gestrüpp hatte Dornen, die seine Schenkel blutig ritzten. Zwi schen den Bäumen kam er besser vor an, wenngleich das Unterholz tückisch war und er aufpassen musste, sich nicht den Fuß zu verknacksen. Schließ lich lichtete sich der Wald. Laurence Savoire trat ins Freie ... ... und blickte auf eine annähernd kreisrunde, mehrere hundert Meter durchmessende Lagune. Sie wurde von einem Landstreifen unterschiedlicher Höhe und Breite umschlossen. Wo die ser nicht bewaldet war, flimmerte da hinter, im Sonnenlicht, das endlos wei te Meer. Sie befanden sich also auf einer ring förmigen Insel; genauer genommen: einem Atoll. Am Rand der Lagune
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stand eine Gruppe unbekleideter Men schen, erregt gestikulierend. Die meisten drehten Savoire den Rü cken zu. Aber eine Frau sah sich gera de um, als suche sie etwas. Sie hatte dunkelbraune Haut und reizvoll damit kontrastierendes, rostrotes, beinahe hüftlanges, zu einem lockeren Zopf ge flochtenes Haar. Er kannte sie, noch aus der Univer sität von Terrania: Sybel Bytter, eine absolute Koryphäe auf dem Gebiet der Fünf-D-Mathelogik. Und der kahle, füllige Mann mit dem schlohweißen Vollbart neben ihr war der Parapsychologe Wilbuntir Gilead, seinerzeit ebenfalls unter den akade mischen »Top Vierzig« des Solsystems gelistet. Die beiden hatten sich ge meinsam dem ESCHER-Projektteam angeschlossen. Während er den Hang hinabrannte, machte sich Savoire durch Rufen und Winken bemerkbar. Nun drehten sich weitere Terraner ihm zu. Er blickte in vertraute Gesichter: samt und sonders Prozessoren, die nach ESCHERS Ende vom WELTWEISEN in sich aufgenom men worden waren. Auch Pal Astuin und Merlin Myhr waren darunter, die bereits in der Frühphase des Projekts als Avatare der Parapositronik in Erscheinung getre ten waren. Laurence erkannte das düs tere Duo erst auf den zweiten Blick, mangels der schwarzen Anzüge, wel che die beiden stets getragen hatten. »Was ist geschehen?«, rief er. Astuin hob die Schultern. »Wir kön nen nur spekulieren. Später. Zunächst sollten wir uns darum kümmern.« Er trat zur Seite und deutete auf die Lagune hinaus. Im klaren grünblauen Wasser dümpelte ein voluminöser Kör per, eine unförmige, weiche, gallertar tige Masse, weißlich gefärbt, aus der einige schlappe Tentakel entsprangen. Von diesem seltsamen Quallenwe sen, bemerkte Savoire bestürzt, gingen die Impulse aus, die er schon vor ei
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niger Zeit empfangen hatte. Sie waren nun präsenter, jedoch weiterhin kraft los und unartikuliert. Wenn er ihnen irgendetwas entnehmen konnte, dann Verbundenheit. »Der Weltweise«, flüsterte er. * »Nicht ganz in der Gestalt, wie er vor der Vergeistigung durchs Medium sei ner Weltkugel trieb. Viel eher eine et was frühere, biologisch lebensfähige Form ...« Savoire sprach wie in Trance. Ihm schien gar nicht aufzufallen, dass er längst ins Wasser geeilt war. »Aber ähnlich genug, um keinen Zweifel auf kommen zu lassen. Er ist es!« Der sandige Untergrund neigte sich nur sehr sacht, sodass Sybel immer noch stehen konnte, als sie und die Üb rigen das Wesen erreichten. Der Erste Kybernetiker streckte die Hand aus und berührte den Weltweisen sanft. »Er lebt«, sagte er leise, fast feier lich. »Auch wenn er keine Reaktion zeigt. Ich spüre, dass zwischen ihm und mir, zwischen ihm und uns allen ein starkes mentales Band existiert.« »Vermittelt er dir eine Botschaft?«, fragte Sybel. »Nein. Er ist ohnmächtig. Und äu ßerst geschwächt. Er liegt im Ster ben.« Sie bekam eine Gänsehaut. »Falls er stirbt ...« »Wäre es auch um uns geschehen. Und zwar endgültig. Dessen bin ich mir sicher.« »Können wir ihm helfen, ihn wenigs tens reanimieren?« »Wenn ich bloß wüsste, wie! Sein Zustand ist kritisch und verschlechtert sich tendenziell eher noch.« Chiranjeeva deBoer, die strohblonde Biochemikerin, schwenkte den Arm, um sich Aufmerksamkeit zu verschaf fen. »Ich glaube, es liegt ein physiolo gisches Problem vor, wie es für im Meer
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lebende Geschöpfe durchaus nicht un üblich ist.« Der Leib des Weltweisen, erklärte sie, sei zwar von Wasser umspült, lage re jedoch zum allergrößten Teil auf dem Sandboden. »Seine Organe wer den vom eigenen Gewicht erdrückt. Dergleichen hat man auch bei gestran deten terranischen Walen beobachtet. Hier ist es zu seicht. Wenn wir ihn ret ten wollen, müssen wir ihn in tieferes Gewässer bringen.« Das klang schlüssig. Da niemandem eine bessere Idee einfiel, schritten sie hurtig zur Tat. Pal Astuin übernahm das Komman do. Er teilte Kleingruppen ein; die ers te sollte in der Lagune nach einer ge eigneten Stelle suchen. »Mindestens drei Meter Wassertiefe, besser mehr!« Das zweite Team wurde an Land ge schickt, um im Wald starke Äste zu be sorgen. »Er ist zu groß, zu schwer; nur mit Muskelkraft bringen wir ihn nicht von hier weg. Hebelwirkung heißt das Zauberwort.« Sybel harrte mit der dritten Gruppe beim Weltweisen aus. Sie konnten zwar nichts für ihn tun; aber es stand zu hof fen, meinte Savoire, dass ihm ihre blo ße Nähe eine gewisse Linderung be scherte. Wilbuntir Gilead, Sybels Lebens partner, stellte die Kardinalfrage: »Was mag passiert sein, nachdem wir den Elementar-Quintadimtrafer manipu liert haben?« »Ich denke, unser Kollektiv ist zwar nicht gestorben«, antwortete der Erste Kybernetiker halblaut. »Allerdings hat der WELTWEISE einen harten Schlag abbekommen, der seine Struktur als Wesenheit ge- oder zerstört hat.« Sybel nickte. »Mit dem letzten Rest Mentalenergie gelang es ihm, diesen Planeten anzusteuern und sich selbst sowie uns zu rematerialisieren; indivi duell, jeweils in früherer Gestalt. Wie es aussieht, war ein Überleben kurz fristig nur in dieser Zustandsform
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möglich. Anderseits, streng logisch be trachtet ...« »Ob er noch mehr bezweckte, indem er so handelte?«, warf Chiranjeeva ein. »Er hat sich völlig ausgepumpt, um uns zu manifestieren. Ich meine, dem muss ein Plan zugrunde liegen.« »Wir sind eindeutig robuster und vor allem mobiler. Wenn ihr mich fragt, be steht unsere Aufgabe darin, den Welt weisen zu schützen, seinen verletz lichen Körper am Leben zu erhalten ... und ihn möglichst bald wieder zu Be wusstsein zu bringen.« Gelang dies, meinte Savoire, und ge wann das uralte Quallenwesen auch sein Denkvermögen zurück – dann konnte hoffentlich der zündende Fun ke zur Wiedervereinigung des WELT WEISEN als höhere, geistige Wesen heit erzeugt werden. Inzwischen hatte Astuins Suchtrupp einen Bereich der Lagune ausgeforscht, in dem die Wassertiefe etwa vier, fünf Meter betrug. Die Distanz von etlichen Dutzend Metern dorthin würde nicht leicht zu überwinden sein. Merlin Myhrs Gruppe brachte aus dem Wald armdicke, bambusartige Stangen, die sie mit Steinen abgeschla gen hatten. Die stabilen Pfähle wurden unterhalb des Gallertkörpers schräg in den Boden gerammt, langsam aufge richtet und nach vorne gepresst. Astuin und einige andere zerrten vorsichtig an den Tentakelauswüch sen, und allmählich, Zentimeter für Zentimeter, rutschte der mächtige Leib in die gewünschte Richtung. Es war Schwerstarbeit. Immer wieder mussten sie von Neu em ansetzen. Aber mit vereinten Kräf ten schafften sie es, den Weltweisen ins tiefere Wasser zu wuchten, wo er tat sächlich, getragen vom eigenen Auf trieb, schwamm. »Du hattest recht, Chiranjeeva«, sagte Savoire, der die ganze Prozedur lang Hautkontakt gehalten hatte. »Er erholt sich ein wenig. Ich spüre, dass
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die unmittelbare Lebensgefahr vorü ber ist.« Erschöpft, aber glücklich umarmten Sybel und Wilbuntir einander. »Sollten wir nicht«, hauchte er ihr neckisch ins Ohr, »unsere wiedergewonnene Kör perlichkeit ausnützen, solange wir noch darüber verfügen?« Sie verdrehte die Augen ... und be merkte am Himmel, weit hinter ihrem Partner, sechs schwarze Punkte, die rasch größer wurden. Die Bauweise war unverkennbar. Ihnen näherte sich ein Geschwader von Gleitern der Terminalen Kolon ne! * Etwas rumorte in seinem Bauch. Matheux Alan-Bari benötigte ein Weil chen, um das unangenehm bohrende Gefühl richtig einzuordnen. Kurz schnürte ihm Panik die Luft ab. Ging die Zentrumspest ins letzte, letale Stadium über? Verwandelten sich seine Eingeweide in Kristallstö cke, sodass er von innen heraus er starrte und elend zugrunde ging? Dann erinnerte er sich. Nein. Er litt bloß unter einer ärgerlichen Nebener scheinung des Stoffwechsels. Sein Ner vensystem informierte ihn darüber, dass er sich in naher Zukunft verkös tigen sollte. Trivialer ausgedrückt: Er hatte Hun ger. Matheux empfand dies als Rückfall. Das Verlockendste an ESCHERS An gebot, sein psychisches Potenzial der Parapositronik einzugliedern, war ge wesen, dass er sich danach nie mehr um die Aufrechterhaltung irgendwel cher widriger Lebensfunktionen küm mern musste. Nur noch rechnen: kalkulieren, ex trapolieren in mathematischen Dimen sionen, die seinem engstirnigen Den ken sonst verwehrt geblieben wären. Damals hatte er mit der materiellen
Existenz gebrochen. Gerne; er bereute den Entschluss keine Sekunde. Umso weniger, als die Parapositronik ihre Mission erfüllt hatte und der WELT WEISE die personalen Bewusstseine der Prozessoren kollektiv in sich ein gliederte. Nun aber sollte Matheux dazu ver dammt sein, doch wieder seine abge nutzte, ausgeleierte, fadenscheinige Hülle durch ein primitives, vollkom men uninteressantes Gelände zu schleppen? Diesen ... Balg zu füttern? Zu hegen, zu reinigen? Ekelhaft. Schon die aufgezwungene Regelmäßigkeit des Atmens verdross ihn. Nicht einmal in Ruhe vor sich hin brüten und diese unwillkommene Wen dung seines Schicksals beklagen durf te er. Die pralle Sonne verursachte ihm Schweißausbrüche, Wallungen, Kopf schmerzen. Notgedrungen hievte er sich hoch und taumelte, jede unbehol fene Regung seiner Extremitäten ver achtend, weg vom Strand, in die schat tige Kühle des Waldes. Eben hatte er sich an einen Baum stamm gelehnt, dessen kratzige Borke den Juckreiz zwischen seinen Schul terblättern milderte, da entstand im näheren Umfeld Hektik. »Feindsichtung!«, plärrte jemand. »Kolonnen-Einheiten im Anflug. Ver steckt euch!« Matheux erhaschte Impressionen von nackten Menschen, die durchs Ge hölz stoben, sich in Felsritzen zwängten, mit bloßen Händen Gruben aushoben, sich hineinlegten und mit Zweigen be deckten ... Wie lächerlich ihm dieses Gebaren erschien! Er blieb stehen, ungerührt, trotzig. Was hatte er zu verlieren außer unver schuldeter Beschwernis? Sturm rüttelte an den Wipfeln. Luft verdrängung; Wirbel, die ein Fluggerät auslöste, das von hoher Geschwindig keit abrupt abbremste ... und durch die Blattkronen der Palmen herabsank,
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krachend und dröhnend, ein schwarzes, bedrohliches Ungetüm. Instinkt gewann die Oberhand über Matheux’ stoische Vernunft. Welche gleich wieder einsetzte; aber erst als er sich im Inneren des hohlen, schlei migen Baumstamms wiederfand. Der Kolonnen-Gleiter landete nicht von ungefähr an diesem Ort. Ein Pla net war groß, die Wahrscheinlichkeit eines Zufalls daher verschwindend ge ring. Etwas musste die Schergen des Chaos auf den Plan gerufen haben. Nun ja. Matheux, Savoire und die Übrigen waren aus dem Nichts ent standen, von einem anderen Ort, aus einer anderen Existenzform hierher versetzt worden. Er wäre ein schlech ter Hyperphysiker gewesen, hätte er angenommen, dass ein solcher Gewalt akt gänzlich ohne Nebenerscheinungen abgelaufen wäre. Keine Frage: Die Besatzung des Gleiters ging einer Fährte nach. Wie zur Bestätigung dieses Gedankens öff nete sich eine Luke in der RicodinKarosserie, und ein Mor’Daer sprang heraus, gepanzert, vor Waffen strot zend. Alan-Bari zog den Kopf ein, drückte sich in den Modder der Baumhöhle, schloss die Augen und ergab sich sei nem Verhängnis. Jeden Moment würde der Kolonnen-Soldat ihn entdecken und kaltblütig abfackeln. Andererseits ... Matheux trug keine Ausrüstung, kein Gramm Metall, Ver bundstoff oder gar Positronik am Leib. Er war nackt; physikalisch gesehen Biomasse, prinzipiell nicht verdäch tiger als die Insekten, die an seinen Waden emporkrabbelten. Viele Insekten. Hunderte Beinchen, Fühler, Mandibeln. Die Viecher be nutzten ihn als Verkehrsweg, mit unge fähr derselben Frequenz wie die Be wohner von Terrania City ihre heiß geliebte Thora Road! Bam, bam, bam. Der Waldboden er zitterte unter den schweren Stiefeln
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des Mor’Daer. Bam, bam, bam. Ein schüchternd, aber solange er weiter ging, war alles gut. Bam, bam … Bam? Er hatte angehalten. Warum? Was war ihm aufgefallen? Hörte er Matheux’ Puls trommeln? Seinen Atem pfeifen? Seine Haut sich kräuseln wegen der brennenden, von den verflixten Insekten abgesonderten Giftstoffe? Die Anspannung wurde Matheux zu viel. Sein Verlangen, hysterisch los zuprusten, steigerte sich ins Unermess liche. Welche Absurdität! Wie konnte er glauben, sich vor dem hochgerüsteten Jäger verbergen zu können? Allein die Hitze, die ein vor Todesfurcht schlot ternder Terraner abstrahlte! Die che mischen Botenstoffe, die er aus schwitzte! Gleich darauf korrigierte er sich. So viel er wusste, verfügten Standard monturen der Kolonnen-Kräfte nicht über Individualtaster. Derart subtile, aufwendig zu justierende Methoden gehörten höchstens in Ausnahmefällen zu deren Repertoire. Angst und Schre cken zu verbreiten reichte normaler weise vollauf. Nur jetzt nicht die Nerven weg schmeißen und davonlaufen! Keinen Mucks. Nicht das geringste Zucken der Gliedmaßen, dann ging das Unheil an ihm vorbei. Abermals kämpfte er mit dem La chen. Gab es ein verbrauchteres Kli schee als dieses Szenario? Fehlte bloß noch, dass ihm eine Spinne übers Ge sicht kroch und einen unwiderstehli chen Niesreiz provozierte! Da war sie schon. Nein, keine Spinne. Eher eine Art kleine Natter. Oder vielmehr ein Wurm. Ein Tausendfüßler, eine Made mit un zähligen kitzelnden Borsten ... Matheux platzte. Innerlich.
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Von außen hörte er, leiser werdend: bam, bam, bam, bam, bam, bam ...
eigene Gesundheit als darum, wie sie den Weltweisen ernähren sollten ...
*
*
Die Gleiter zogen ab. Laurence Savoire und seine Gefähr ten warteten, bis kein Pieps mehr von den Kolonnen-Einheiten zu verneh men war. Dann strampelten sie sich, nach Luft ringend, unter dem Weltwei sen hervor. Ihr verzweifeltes Kalkül war aufge gangen. Glücklicherweise hatten die wenig motiviert wirkenden Mor’DaerSoldaten die Bioformen, die inaktiv im Wasser der Lagune trieben, keines zweiten Blickes gewürdigt. Savoire überließ es den praktischer Veranlagten, das Naheliegende zu or ganisieren und die Insel zu erkunden. Unterstützt von Chiranjeeva deBoer, harrte er bei dem nach wie vor unan sprechbaren Quallenwesen aus. Dessen Zustand besserte sich nicht. Immerhin schien die Todesgefahr fürs Erste gebannt. Im Laufe des Tages stellte sich her aus, dass zweiundzwanzig Exprozes soren, allesamt terranischer Herkunft, auf dem Atoll rematerialisiert waren. Hingegen wurde kein einziges »Schne ckenhaus« eines T-Prognostikers ent deckt. »Mit ihnen außerhalb des Mental verbunds zu kommunizieren«, meinte Chiranjeeva, »wäre uns wohl auch ziemlich schwergefallen.« Die Suchtrupps brachten Wurzeln, Beeren und Früchte, teils exotischen Aussehens und bedenklichen Geruchs, sowie Frischwasser in unterarmlan gen, lila behaarten Pflanzenkelchen. Pal Astuin erklärte die notdürftige Verpflegung für genießbar. Seiner TLD-Ausbildung vertrauend, stillten auch die Übrigen ihren Hunger und Durst. Savoire kaute, ohne viel zu schme cken. Er sorgte sich weniger um die
Bei Einbruch der Dämmerung berei teten sie am Waldrand primitive Schlafstätten aus Blättern. Matheux Alan-Bari säuberte sein Lager peinlich genau von Insekten und sonstigem Krabbelgetier, ehe er sich ächzend nie derließ. Zu seiner eigenen Verwunderung fand er sich allmählich mit der grotes ken Situation ab. Details amüsierten ihn sogar; etwa, dass einige der Prozes soren ihre Blöße mittels umständlich arrangierter Vegetationsteile zu bede cken versuchten. Ihm war das zu dumm. Wieso sollte er Schamgefühl entwickeln vor Leu ten, mit denen er seine intensivsten mathematischen Gedanken geteilt hat te? Das Licht der untergehenden Sonne färbte die Umgebung golden, dann blutrot, dann bräunlich. Matheux streckte seine Beine von sich. Er spreizte die Zehen, wälzte sich zurecht, verschränkte die Hände hinterm Kopf und starrte in den sternklaren, absto ßend fremden Himmel. Zeit seines Lebens als normaler Mensch hatte er Terra nie verlassen. Sollten ihn die abenteuerlustigen Stu denten an der Waringer-Akademie hinter seinem Rücken ruhig als »Heim schläfer« verspotten! Er war immer froh gewesen, dass ihn kein Fernweh plagte. Und jetzt glotzte ausgerechnet er mit den eigenen, alten Augen hinauf ins gleißende Funkeln der Millionen Zen trumssterne von Hangay ... Er runzelte die Stirn, kniff die Lider zusammen. Was war das denn? Aus dem Hintergrund des Lichter meers schälte sich eine stabförmige Kontur. Anfangs so, als hinge hoch über dem Gebiet eine Skapalm-Bark;
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oder ein Raumschiff von ähnlicher, vielleicht etwas länger gestreckter Bauart. Doch je mehr die Reste des Sonnenlichts verblassten, desto deut licher erkannte Matheux, dass sich der dunkle Balken von Horizont zu Hori zont spannte. Nun bemerkten es auch seine Schick salsgenossen. Mutmaßungen wurden laut. Ein Kondensstreifen? Oder ein orbi taler Staubgürtel? – Unsinn, dafür war der Umriss viel zu scharf und ebenmä ßig. Zweifellos handelte es sich um ein künstliches Gebilde. Und zwar um eines von immenser Dimensionierung; so groß wie, nein: länger als der ge samte Planet! Ein riesiges Schiff, eine Raumstation oder ... »GLOIN TRAITOR«, wisperte Ma theux. Zweiter Tag: Recht und (Unter-)Ordnung Das Gerichtsgebäude lag am Fuße des Vulkankegels, buchstäblich zwi schen Wasser und Feuer. An der Westseite endete der Zubrin gerkanal. Dahinter lag nur karges, un wegsames Gebirge. In der Ostwand klafften die Luken der Lavawächter. Außerdem befand sich dort die Hen kersklappe, worunter eine steile Rut sche direkt hinein in die Höllenglut führte. Würde Sahmsivil schon bald diesen Weg ohne Wiederkehr gehen? Dass ihm die höchstmögliche Strafe winkte, wusste er mit Gewissheit; je doch nicht, worin diese bestand. Das Strafmaß schwankte je nach prognos tizierter Bevölkerungsentwicklung. Wuchs die Population gerade, so mussten überführte Schwerstverbre cher ihren letzten Tauchgang ins Mag ma antreten. War sie hingegen eher im Schwinden begriffen, kamen die Übel
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täter mit lebenslänglicher Zwangsar beit in den Schürfminen am Meeres grund davon. Sahmsivil hatte sich nicht erkun-digt, welche Höchststrafe momentan aktuell war. So oder so würde er nie mehr die freie Weite des Ozeans schmecken. Langsam dahinwelken im Faul schlamm oder übergangslos von der Erdhitze verzehrt werden ... Im Zwei felsfall zog er Letzteres allemal vor. Das Verfahren begann. Ohrenbetäu bend laut wummerten die großen, mit Häuten von Titanhaien bespannten Trommeln, in einem dem Herzschlag der Ckornauten nachempfundenen Rhythmus. Spitze Hauben und zere monielle Harpunen tragende, von süß lich duftendem Ritualstaub überzu ckerte Rechtspfleger geleiteten den Angeklagten in den Gerichtssaal. Nicht zu Unrecht galt dieser in ein freitragendes Rippengewölbe einge bettete Raum als Glanzstück der ckornautischen Architektur. Die Em poren und verschlungenen Galerien bildeten einen vollwüchsigen Kelp wald nach. Um das Wohlbefinden der Besucher zu steigern, wurden die Sitz mulden von einem ausgeklügelten Sys tem diskret plätschernder Wasserfälle bespült. Sahmsivil hingegen erkletterte den staubtrockenen Schandpfahl des De linquenten. Er bemühte sich erst gar nicht, einen guten Eindruck zu erwe cken. Was sollte die Verschworenheit davon abhalten, ihn ohne Mitleid ab zuurteilen? Seine Schuld war erwiesen. Er hatte versagt. Mit fünfzehn Schülern war er aufge brochen – und keinen, nicht einen ein zigen der gesamten Klasse, hatte er wieder heimgebracht; nicht mal trau rige Überreste oder irgendwelche Indi zien. Das Meer war wie leer ge schwemmt gewesen, kein Pelzhärchen mehr zu sehen von seinen Schützlin gen; übrigens auch nicht die geringste
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Spur der fremden, grausamen, in Luft blasen gehüllten Jäger. Sahmsivil schauderte. Er roch die Abneigung, die ihm von den Anwesen den entgegenschlug. Die ckornautische Rechtsprechung war sehr offen angelegt. Jeder, der Zeit und Interesse aufbrachte, konnte einen Platz im Gerichtssaal beanspruchen, somit Teil der Verschworenheit werden und seine Stimme einbringen. Gewöhnlich waren die Verhand lungen spärlich besucht. Die Sensati onslust hielt sich in Grenzen; des Wei teren spielten bei den eigenbrötlerischen Ckornauten Familien- und Freund schaftsbande keine besondere Rolle. An diesem Tag allerdings hatten sich angesichts der Schwere des Deliktes insgesamt rund hundert Bekannte und Angehörige der verschollenen Schüler eingefunden. Viel Sympathie durfte Sahmsivil von ihnen wohl nicht erwar ten. Einer der Rechtspfleger verlas die Anklage. Sie lautete auf grobe Ver nachlässigung der Aufsichtspflicht mit Todesfolge in fünfzehn Fällen. »Im betreffenden Gebiet wurden auch nach halbtägiger Fahndung kei nerlei Hinweise auf den Verbleib der dem Instruktor Sahmsivil anvertrauten Minderjährigen gefunden. Daher neh men die beamteten Sachverständigen an, dass die schlafenden Schüler von einer Gezeitenströmung über die Peri pherie des Archipels hinaus ins offene Niemandsmeer gerissen wurden, wo sie vor Entkräftung starben oder Raub tieren zum Opfer fielen. Dem Begleit lehrer wird vorgeworfen, die Tiden falsch eingeschätzt und seine Schütz linge mangelhaft mit Kelpschlingen gesichert zu haben.« Von den Rängen erklangen erbostes Gemurmel und einzelne Verwün schungen. Die Gerichtsvorsitzende rief zur Ordnung, dann sagte sie: »Der Be schuldigte möge nun sprechen, falls er etwas zu seiner Verteidigung vorzu
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bringen hat, oder durch sein Schwei gen die Korrektheit der Anklage bestä tigen.« Sahmsivil hatte lange überlegt, ob er berichten sollte, was tatsächlich ge schehen war. Es verstand sich von selbst, dass man ihn für verrückt hal ten würde. Andererseits war ohnehin alles egal. Da konnte er genauso gut die Wahr heit sagen, und sei es bloß um seiner selbst willen. Wenn er Glück hatte, hielt man seine Aussage im Protokoll fest, womit das schreckliche Ereignis wenigstens für die Nachwelt doku mentiert war. Also erzählte Sahmsivil. Von den rie sigen schwarzen Vögeln, aus denen in durchsichtigen, manövrierfähigen Bal lonen fremde Jäger mit Schlangenköp fen regneten. Von den furchtbaren Harpunen, die tödliche Blitze ver schossen. Und davon, dass seine Schüler erlegt worden waren wie Tiere, erbarmungs los, gezielt, ohne jegliche Skrupel, als handle es sich um groß und giftig ge wordene Saftquallen. Anfangs unterbrachen ihn zahl reiche Mitglieder der Verschworenheit mit Protestgeschrei. Aber je länger er das traumatische Erlebnis schilderte, desto stiller wurde es im Raum. Als Sahmsivil geendet hatte, erfüllte blei ernes Schweigen den Gerichtssaal, und die Ausdünstungen der Zuhörer signa lisierten fassungsloses Entsetzen. »Genau so war es«, bekräftigte er schließlich verunsichert, nachdem viele Atemzüge lang niemand sonst das Wort ergriffen hatte. »Bitte glaubt mir – das Ganze er scheint mir rückblickend selbst wie ein böser Traum. Und doch hat es sich so zugetragen, darauf schwöre ich jeden Eid.« Keine Reaktion. Hörten sie ihm überhaupt zu? »Ich kann nichts dafür. Trotzdem nehme ich die volle Schuld auf mich,
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weil ich die Morde nicht verhindern konnte.« Endlich klärte die Vorsitzende fau chend ihre Kehle und sagte flach, me chanisch, fast tonlos: »Das Hohe Ge richt der Ckornauten von Mhuirra wertet die Stellungnahme des suspen dierten Instruktors Sahmsivil als Ge ständnis. Nunmehr obliegt es der Ver schworenheit, das über ihn zu verhängende Strafausmaß zu präzisie ren.« Äußerst zögerlich hub eine Diskus sion an. Sahmsivil wusste nicht, wie ihm geschah. Weder die Rechtspfleger noch die hundert auf den Katarakten Versammelten gingen auch nur ansatz weise auf seinen Bericht ein! Als hätte er sie dermaßen verstört, dass sie sich weigerten, davon Notiz zu nehmen! Stattdessen verbissen sie sich in vollkommen unwichtige verfahrens technische Details. Etwa, ob die Rektorin der Lehran stalt eine Mitschuld traf, weil sie die Nachtübung genehmigt hatte. Oder wie man Sahmsivils bescheidenen Be sitz als Schmerzensgeld verteilen solle ... Sein Fell sträubte sich. Sie wollen es nicht wahrhaben. Unbewusst suchen sie ihr Heil in totaler Verdrängung. Was nicht sein darf, kann nicht sein. Das gesamte Weltbild der Ckornauten würde auf den Kopf gestellt, umge krempelt, in den Grundfesten erschüt tert, unwiederbringlich zerschmettert werden, falls sie Sahmsivil Glauben schenkten. Es gab keine andere intelli gente Lebensform auf ihrer Welt, hatte niemals eine gegeben. Nichts ändert sich ... Er aber hatte sich nicht in die ewige Stagnation fügen wollen. »Ich wünschte, die Sterne fielen vom Him mel, zersprengten unser fahles Idyll, zwängen uns endlich zu anderen, kühneren Gedanken, drängten uns, neue Ideen zu entwickeln, damit ...« Nach diesem frevelhaften Ausbruch
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hatte Tante Soriskuan ihre lieben, gü tigen Augen für immer geschlossen. Lastete auch ihr Tod auf seinem Ge wissen? So wie das grauenvolle Ende des kleinen, dicken Razzedil und seiner vierzehn Kommilitonen? Den weiteren Verlauf der Debatte verfolgte er nur mit halbem Ohr. Das wertlose, inhaltsleere Gerede plät scherte an ihm vorbei. Sahmsivil horchte erst wieder auf, als donnerndes Trommeln den Abschluss des Verfah rens ankündigte. Die Gerichtspräsidentin richtete sich auf. Auch die übrigen Rechtspfle ger und die Mitglieder der Verschwo renheit erhoben ihre Vorderleiber. »Wir kommen zur Festlegung der Strafe«, leierte die Vorsitzende, die hörbar ihre Bestürzung noch immer nicht vollständig überwunden hatte. »Selbige kann vertagt werden, sollte sich im Hohen Saal ein Ckornaute von Mhuirra befinden, welcher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Urteilsfindung hegt und diese dadurch untermauert, dass er für den Angeklagten bürgt. In diesem Falle hat er unverzüglich eine Kaution in doppelter Höhe des verein barten Schmerzensgeldes zu erlegen.« Das war eine Floskel, reine Formsa che. Niemand würde auch nur ein Barthaar für Sahmsivil rühren. Kein Einziger vom Lehrerkollegium war er schienen. Er hatte keine Freunde mehr; Ver wandte sowieso nicht. Ohne Einspruch abzuwarten, hob die Präsidentin ihre Tatze, um mit der Zeremonialkeule auf den Bal samschwamm zu schlagen. »Somit ge be ich kraft meines Amtes kund ...« Da erscholl vom obersten Rang eine kläffende Stimme: »Ich übernehme die Bürgschaft!« Sahmsivil durchfuhr es siedend heiß. Er war ebenso baff wie alle anderen. Jeder im Raum, ja im ganzen Archipel kannte das charakteristische, heisere Organ.
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Nach einer schockierten Pause fragte die Vorsitzende: »Jozzepok? Oberster Jagdmeister, du beanstandest ...?« »Mein Sohn mag ein Träumtaucher sein, klar. Aber mit Orientierung, Ge zeiten und richtigem Verhalten in Kelpkronen kennt er sich aus. Er gilt zu Recht als bester Navigationslehrer unserer Schule. Keiner kann ihm das Igelblut reichen. Und ausgerechnet Sahmsivil sollen derlei Anfängerfehler unterlaufen, wie man sie ihm vorwirft? Denkt nach, Siedlungsgenossen, da stimmt doch was nicht!« Jozzepok beugte seinen muskulösen Oberkörper über die Reling. »Ich habe den geforderten Betrag bei mir, auf Muschel und Krabbe. Bis zum nächs ten Verhandlungstermin nehme ich den verwirrten Jungen unter meine Obhut. – Irgendwelche Einwände?« * Sie bauten Flöße. Die halbe Nacht hatten sie damit zu gebracht, die Konsequenzen zu erör tern, die sich aus der Sichtung der bal kenförmigen Kontur am Himmel ergaben. Alle waren sich darüber einig, dass es sich nicht um eine ähnliche, eventuell als Reserve im Orbit dieses Planeten deponierte Ersatzstation handelte, sondern um das Original: GLOIN TRAITOR. Selbst die Termi nale Kolonne vermochte nicht gleich zeitig zwei identische Gebilde dieser Größenordnung bereitzustellen. Was die Sachlage nur noch rätsel hafter machte. Definitiv befanden sie sich nicht mehr in der Akkretions scheibe des gigantischen Schwarzen Lochs Athaniyyon, dessen rund 48 Mil lionen Kilometer messender Schwarz schildradius den gravitatorischen Mit telpunkt von Hangay bildete. Trotzdem war die Nadel des Chaos hier! Sie hing, unverrückbar drohend, wie zum Hohn über ihnen am Firma ment, ein überdimensionales Damo
klesschwert, das einen ausgedehnten Streifen des nächtlichen Sternenhim mels verdeckte. Als Fanal ihres Scheiterns? Hatten sie, hatte der WELTWEISE zu hoch gegriffen, sich übernommen, einen Moloch attackiert, der in Wahr heit mit den verfügbaren Mitteln nicht zu bezwingen war? Zahlten sie nun den Preis für ihre Hybris? Sie: die zweiundzwanzig jäh in ihre normalsterbliche Existenz zurückge schleuderten Prozessoren, sowie ihr auf seine Frühform reduzierter Mentor, der Weltweise von Azdun. Ein paar nackte Menschlein und ein lebensbe drohlich ausgelaugtes Quallenwesen maßten sich an, etwas gegen GLOIN TRAITOR unternehmen zu können? Gegen ein Gebilde aus Tausenden Kolonnen-Forts, mehr als 16.000 Kilo meter lang? Vor allem: Was hatte es damit für ei ne Bewandtnis, dass der Weltweise und sie auf diesem Planeten gelandet wa ren – und die Nadel des Chaos stand ebenfalls im selben System? Fragen über Fragen. Antworten: null. * Unausgeschlafen, einen pelzigen Geschmack am Gaumen, übersät mit schmerzhaft geschwollenen Pusteln von Insektenstichen, quälte sich Ma theux Alan-Bari zum Waldrand, um seine Blase zu entleeren. Überall juckte es ihn. Zugleich juck te – das Wortspiel brachte keine Er leichterung – es ihn nicht im Mindes ten, sich der Aufbruchsstimmung anzuschließen, die in ihrem improvi sierten Lager ausgebrochen war. Sie bauten Flöße. Aus Baumstäm men, Lianen, irgendwelchem die Zwi schenräume abdichtenden, in sump figen Pfützen ausgebuddeltem Dreck, den die hyperaktiven Wichtigtuer an schleppten und triumphierend präsen
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tierten, als wäre es das reinste Manna und die Lösung all ihrer Probleme. Savoire und deBoer, die weißblonde, breithüftige Biochemikerin, hatten die Theorie forciert, dass der Körper des Weltweisen Nahrung nur aus strö mendem Wasser aufnehmen könne. Darauf deuteten, meinten sie, unter anderem die bartenartigen Haut schlitze hin. In der abgeschlossenen, seichten La gune, wo sich naturgemäß wenig rührte, würde das Quallenwesen un weigerlich verenden. Man musste es daher ins offene Meer transportieren – über Stock und Stein, Geröllhalden und Dünen hinweg, durch Wald und Buschwerk, auf die Außenseite des ringförmigen Atolls. Ein wahrhaft her kulisches Unterfangen, das dennoch mit Begeisterung in Angriff genommen wurde. Viel Spaß, dachte Matheux. Ohne mich. Er legte sich einfach wieder hin, schloss die Augen und versuchte, sich an die mathematischen Höhenflüge zu erinnern, die ihn innerhalb des Geis tesverbunds beglückt hatten. * »Wir perfekt ausgebildeten Füh rungskräfte der Terminalen Kolonne«, dozierte Avorru in Richtung der Auf nahmegeräte, »bewahren Geduld und kühlen Kreislauf.« Er strich den Kragen seiner Uniform glatt. »Zwar haben die zum Stützpunkt zurückgekehrten Aufklärungs-Ein heiten keine bedeutsamen Erkennt nisse vorzuweisen, und Xrayns Große Nadel antwortet nicht auf unsere An rufe. Gleichwohl werden wir weder ruhen noch rasten, ehe alle Unklar heiten beseitigt sind, und das Heft des Handelns nie aus der Faust geben. Und die Räume eng machen. Nah am Feind stehen. Über den Kampf ins Spiel kom men. Und, äh, und ... und.«
Er schaltete die Sensoren ab. »Na, wie war ich?« Nifolarqe zog eine Schmollschnauze. »Mich friert. Du scherst dich gar nicht mehr um mich und meine Bedürfnisse. Wo ist der Pelzmantel, den du mir ver sprochen hast?« Ansatzlos schlug Avorru nach ihr, dass ihr hübsches Köpfchen mitsamt der aufreizend geschminkten Visage nach hinten flog und gegen ein Ablage bord knallte. »Hast du’s noch immer nicht kapiert, Schlampe? Dies ist ein Ernstfall. Jetzt und hier wird Geschichte geschrieben. Ich für mein Teil werde meinen Beitrag leisten und du ebenfalls. Da dieser Re laisposten unter chronischem Perso nalmangel leidet, brauche ich jede ver fügbare Kraft. Nimm eine ordentliche Dosis Ptewwon gegen deine Sexual hormone, dann wirf dich gefälligst in einen Kampfanzug. Der Spaß ist vorü ber. Weggetreten!« Gesenkten, blutenden Hauptes troll te sie sich. Avorru lehnte sich befrie digt zurück. Er hatte ihr gezeigt, wer der Herr war. Ins Logbuch des Stützpunkts trug er ein: Alles unter Kontrolle. Die Besat zung fiebert den kommenden Aufgaben entgegen. Wir sind bereit, gerüstet und gierig, unser Bestes für GLOIN TRAI TOR zu geben. Dritter Tag: Fischreichtum Es ging ihm besser. Das wog alle An strengungen und Schmerzen auf. Zwar war seine tiefe Bewusstlosig keit noch immer nicht gewichen. Aber seit der Weltweise, durch den körper eigenen Auftrieb an der Oberfläche ge halten, rund sechzig Meter vom Ufer entfernt im offenen Wasser dümpelte, erholte er sich merklich. Laurence Savoire hingegen konnte sich nicht erinnern, jemals derart ka
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putt gewesen zu sein. Er lag bäuchlings auf einem der Flöße, die das Quallen wesen umringten, am Abtreiben hin derten und ihrerseits mit Lianen an Algenstängeln verankert waren. Ihm tat alles weh; er hatte Muskelkater, Verstauchungen und Abschürfungen am ganzen Leib. Den Weltweisen bis an diesen Ort zu bringen war eine arge Plackerei gewe sen. Viele Stunden hatten sie geschuf tet, bis das letzte Hindernis aus dem Weg geräumt und eine Art Rutschbahn errichtet war. Dann erst der Transport selbst ... Doch das Ergebnis rechtfer tigte jede Tortur. Die Mühe hatte sich gelohnt. Mit dem leiblichen Wohl des Weltweisen ging es bergauf; langsam, jedoch un zweifelhaft. Dass er von Stunde zu Stunde kräftiger wurde, nahm Savoire mittlerweile auch ohne direkten Kör perkontakt wahr. Stöhnend drehte er sich auf den Rü cken und blinzelte. Die Sonne stand im Zenit. Mittag; Schichtwechsel. Sein Wachdienst neigte sich dem Ende zu. Prompt rief der Kamerad auf dem Nebenfloß: »Hurra, die Ablösung kommt!« Er deutete auf vier Schwim mer, etwa in halber Distanz zwischen ihnen und dem Strand, und winkte ih nen fröhlich zu. Obwohl er am liebsten rund um die Uhr bei dem bewusstlosen Quallenwe sen geblieben wäre, verspürte Lau rence ebenfalls Erleichterung. Seine Haut rötete sich bedenklich. Ein Son nenbrand hätte ihm gerade noch ge fehlt. Er streckte Sybel Bytter den Arm entgegen und half ihr auf die schwan kenden, glitschigen Baumstämme. »Danke. – Alles okay?«, fragte sie. Laurence bejahte. »Gegen den Zu stand, in dem wir den Weltweisen ge funden haben, wirkt er jetzt wie das blühende Leben.« »An Land geht’s auch ganz gut vor an. Das erste Kanu ist fast fertig.«
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Auf Anregung Pal Astuins hatten sie sich entschlossen, drei primitive Boote zu bauen, die jeweils acht Personen fassten. Sie mussten hier weg, zu ande ren Ufern aufbrechen. Das Rätsel ihrer und GLOIN TRAITORS Anwesenheit ließ sich wohl kaum durch eine längere Robinsonade auf dieser unbewohnten, leidlich idyllischen Insel lösen. Inzwischen hatten Wilbuntir Gilead und die beiden anderen Exprozessoren die benachbarten Flöße geentert. Jene drei Terraner, die zusammen mit Lau rence eingeteilt gewesen waren, spran gen ins Wasser und schwammen zum Atoll zurück. Er wollte sich gerade gleichfalls ver abschieden, da rief Gilead: »Whow! Das müsst ihr euch ansehen, Freunde.« Zuerst erschrak Savoire, als er den merkwürdigen, bräunlich schillernden, mit den Wellen heran brandenden Schaum erblickte. Dann aber bemerk te er, dass es sich um unzählige, annä hernd scheibenförmige Fischchen han delte. Wegen der bronzefarbenen Schuppen konnte man der Illusion un terliegen, Wogen von winzigen Münzen ergössen sich auf sie zu. Der Schwarm umkreiste die Flöße und den Weltweisen, dessen Gallert masse plötzlich zu zucken begann! Seine schlappen Tentakel strafften sich, tasteten nach den Bronzefisch chen, zusehends zielsicherer. An den Spitzen wuchsen in Sekundenschnelle Knospen, die explosionsartig auf sprangen. Dünne weiße Fasern schnell ten heraus, wahre Netze, die mit be achtlicher Effizienz dutzendweise die wimmelnden Proteinmünzen aus dem Meer fischten. Gerührt beobachtete Laurence, wie der Fang in lippenlosen Mundschlitzen verschwand, die sich im Leib der Rie senqualle aufgetan hatten. Der Welt weise aß! Es war eine reine Instinkthandlung. Zu Bewusstsein kam er nach wie vor
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nicht. Trotzdem legte Laurence mit Sy bel ein spontanes Freudentänzchen hin. »Wir sind auf dem richtigen Weg«, jubelte er. Tränen rannen über seine Wangen. * In rasantem Tempo durchpflügten die Seeochsen den Ozean. Das Gespann überwand problemlos die gefährlichen Stromschnellen zwi schen den dieser Seite der Hauptinsel vorgelagerten Korallenriffen. Es sauste hindurch, mit schierer Geschwindig keit und unbändiger Urgewalt. »Heißa, hussa, rassamatatsch! Das, mein Junge, nenne ich eine angemes sene Beschäftigung für echte Rüden.« Erstaunlicherweise übertönte Jozze poks raues Kläffen mühelos das Tosen der Elemente. »Nichts gegen deine hehre Unterrichterei – aber du musst doch zugeben, dass ein solcher Wellen ritt die Säfte ganz anders in Wallung bringt.« Sahmsivil vollführte eine Geste der Zustimmung. Es stimmte, die wilde Fahrt bereitete ihm Spaß; in einge schränktem Maß. Denn anderseits fühlte er sich unwohl, so eng an seinen Erzeuger gepresst, der förmlich vor streng riechender Männlichkeit dampf te. Er wollte nicht undankbar sein. Im merhin hatte ihn Jozzepok einstweilen vor der Henkersklappe oder dröger Zwangsarbeit in den Minen bewahrt. Allein dass er sich um seinen Nach wuchs kümmerte, konnte man ihm gar nicht hoch genug anrechnen. Freilich argwöhnte Sahmsivil, dass auch ein Gutteil Eitelkeit dahin tersteckte. Sein Vater jagte eine jahr tausendealte Rekordmarke. Er wollte unbedingt als derjenige Ckornaute in die Chroniken eingehen, der die meis ten Kinder gezeugt hatte. Haftete einem davon – »Nummer
siebzehn, wenn ich nicht irre« – der Makel an, eines abscheulichen Verbre chens schuldig befunden worden zu sein, fiel ein Schatten auf sämtliche Er güsse aus Jozzepoks ach so fruchtbaren Lenden. Nicht zuletzt deswegen nahm er sich nun seines missratenen Sohnes an: um ihn, wie er schon am Vortag mehrmals betont hatte, »zur Vernunft zu brin gen«. Offenkundig versprach er sich vom Ausflug mit den Seeochsen, dass Sahm sivil dadurch zurück zu seinen Wurzeln fand. Es waren prächtige Tiere, keine Frage; vier Kraftbolzen, gepflegt mit einer Sorgfalt und Liebe, wie sie Jozze pok seinen vielen Fähen und Kindern nicht einmal ansatzweise zukommen ließ. Einige Stunden brausten sie so da hin, Kurs Südsüdost, eines der be rühmtesten Jagdreviere ansteuernd. Entlang der diesseitigen Grenze des Archipels tummelten sich die meisten, größten und gefährlichsten Meeres raubtiere. Das schwebt ihm vor, dachte Sahm sivil, ein Vater-und-Sohn-Abenteuer. Gemeinsam erlegen sie einen mons trösen Titanhai, und schnurstracks be kehrt sich der vom wahren Glauben abgefallene Sohn reumütig wieder zum althergebrachten Einerlei. Damit, fürchtete er, würde er nicht dienen können; sosehr er sich bemühte, das seltene Zusammensein zu genie ßen. Gegen Abend erreichten sie das si chelförmige Atoll, in dessen Kelpwald sie übernachten würden. Jozzepok zü gelte die Seeochsen, federte aus der Korbschale, tätschelte die Quader schädel der braven, abgekämpften Tiere und legte sie an die lange Leine, damit sie in tieferen Gefilden weiden konnten. Auch er und Sahmsivil tauchten. Sie lockerten die verspannten Glieder, dann holten sie sich in trauter Ein
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tracht einige verlockend schleimige Leckerbissen. Das Nachtmahl zelebrierten sie, am Rücken treibend, unter dem kaum be wölkten Sternenhimmel. Wie es sich nach Rüdenart gehörte: so laut wie möglich. »Hör mal«, sagte Jozzepok heiser, nachdem er ausgiebig mit der ver gilbten Daumenkralle Fleischreste aus den Reißzähnen gepult hatte. »Diese Sache am Nordrand. Tragisch. Kinder zu verlieren ... Es gibt nichts Übleres. Aber unter uns – willst du deinem alten Vater nicht verraten, was dort wirklich passiert ist?« Sahmsivil blies Luft aus den Nüs tern. Er hatte fix damit gerechnet, dass die Reise in dieser Aussprache kulmi nieren würde. »Ich muss dich leider enttäuschen. Es war genau so, wie ich es im Ge richtssaal erzählt habe.« »Ach Junge, du verrennst dich in Fantastereien. Denk nicht, dass ich kein Verständnis für deine Ausnahme situation hätte. Ich habe sehr wohl mitgekriegt, wie viel dir deine Tante Soriskuan bedeutet hat. Dass du so kurz nach ihrem Ableben mit deinen Schülern aufgebrochen bist, war ein nachvollziehbarer, wenngleich unver zeihlicher Fehler. Derart angeschlagen und aufgewühlt ...« »Ich habe das erhöhte Risiko be dacht«, bellte Sahmsivil entrüstet, »und mich umso umsichtiger verhal ten. Willst du mir unterstellen, ich hät te aufgrund meiner Seelenpein verges sen, wie man sichere Algenknoten bindet?« »Nein, natürlich nicht. Beruhig dich, mein Junge! Ich frage mich bloß, wieso du in der Hohen Halle eine dermaßen hanebüchene Geschichte aufgetischt hast.« »Weil. Sie. Wahr. Ist.« Jozzepok verdrehte die Augen. »Luftblasen, größer, beweglicher und schneller als Ckornauten. Ja, sicher.«
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»Ich kann’s nicht beweisen. Aber schau doch mal hinauf. Diese Lichter, die Sterne. Das sind, laut ewig ver brieften Berechnungen, Sonnen, ähn lich wie unsere eigene. Planeten kön nen wir nicht sehen. Egal. Die statistische Wahrscheinlichkeit ergibt, dass sich in etlichen von all den Mil lionen Systemen intelligentes Leben entwickelt haben muss. Sobald die Be wohner über Transportmittel verfügen, mit denen sie auch größere Distanzen über...« »Hör auf mit diesen verschwurbelten Utopien! Mal angenommen, du hättest recht – weshalb vermerken die Histo riker nicht einen einzigen Besuch die ser Kerle von da oben?« »Weil unsere Leute, in guter alter Tradition, derlei Begegnungen nie zur Kenntnis genommen haben?« »Schwachsinn. Was würde einen Schreiberling mehr faszinieren?« Sahmsivil antwortete nicht. Etwas irritierte ihn, am Rande seines Ge sichtsfelds ... Nein, mittendrin! Ein dunkler Streifen zog sich übers Himmelsgewölbe, schnurgerade von links nach rechts. Wieso war ihm die ser eigentlich unübersehbar breite Strich im Firmament nicht schon frü her aufgefallen? Erregt zeigte er auf die ungewöhn liche Erscheinung. »Da! Der schwarze Balken, quer über den ganzen Himmel, wie eine Schneise, ein Damm im Ster nenmeer. Hast du so etwas je gese hen?« »Hä? Wo denn? Balken, Schneise, Damm ... Was redest du für wirres Zeug daher? – Junge, du träumst mit offenen Augen. Die letzten Tage waren wohl doch ein wenig zu viel für dich. Du bist überreizt, brauchst dringend Ruhe. Ei ne tüchtige Mütze Schlaf wird dir gut tun.« Sahmsivil gab es auf. Blinde Flecken, erkannte er, sind keine optische Täuschung; sondern ei ne Fehlfunktion des Gehirns.
Vierwöchentliche Beilage zur PERRY RHODAN-Serie. Ausgabe 431.
Abbildung: Cover Wer nicht fragt ... SPEZIAL,
Design durch Herausgeber Rüdiger Schäfer
Vorwort Einen wunderschönen guten Tag!
Inzwischen hat mein zweiter Roman bei PERRY RHODAN-Action die strengen Augen des Lektors überstanden. Mein
Selbstbewusstsein ist wieder auf seinem normalen Stand angekommen; ich habe nicht mehr jeden Tag Angst vor einem
vernichtenden Anruf aus der Redaktion.
Leider bleibt dann weniger Zeit, um die Clubnachrichten zu erstellen ... aber wenn das der Preis ist, den ich zahlen muss,
um einen PERRY RHODAN-Action abzugeben, dann zahle ich ihn wahrhaftig gerne.
Das Schreiben der beiden Hefte erfüllte mir immerhin einen lang gehegten Traum. Wer kann im Leben schon von sich
behaupten, dass er sich zumindest einen Traum erfüllt hat?
Per aspera ad astra! Euer Hermann Ritter
Nachrichten
Empfehlung des Monats
Abenteuerlich
Es ist schon ein großes Lob, wenn ich sagen kann, dass mir im neuen Nova 14 nur ein Tippfehler aufgefallen ist, und selbst da weiß ich nicht, ob er nicht vielleicht Absicht ist. Denn immerhin wird hier Dr. Florian F. Marzin zum »Chefradakteur«. Drei Nachrufe beginnen dieses Heft; zwei auf den verstor benen PERRY RHODAN-Autor Ernst Vlcek, einer auf den ame rikanischen Schriftsteller Thomas M. Disch. Aber die Kurzge schichten machen Hoffnung, dass etwas nachwächst. Der ehemalige PERRY RHODAN-Chefredakteur Florian F. Marzin schreibt mit »Nächstes Mal in Fitzroy« eine bit tersüße Australien-SF-Geschichte, Frank W. Haubold wan delt mit »Das Schiff« stilistisch ein wenig auf den Spuren von Cordwainer Smith, und Thomas Wawerka beschreibt eine neue Nuance des Themas der Parallelwelt mit »Auf der anderen Seite«. Die Kurzgeschichte »Trümpfe in der Hand« von B. Traven oder Rex Marut hat mir nicht gefal len, aber immerhin muss man loben, dass solche klas sischen Werke überhaupt ausgegraben werden. Ein wunderschönes Heft. Die Gesamtredaktion liegt bei Ronald M. Hahn, Werth 62, 42275 Wuppertal (E-Mail
[email protected]). Ein Heft kostet 12,80 Euro, drei Ausgaben 38,40 Euro.
Das Thema »Sprechende Tiere« beherrscht die Abenteuer & Phantastik 61. Der rote Button für »PERRY RHODAN & Mark Brandis« ist auf dem Cover leider kaum zu erkennen. Manche Dinge sind eigenartig (so der Artikel über »Ver wunderliche Leistungen und verblüffende Fakten über Menschen und Tiere« – so etwas erwarte ich in der Wo chenendbeilage meiner Zeitung, nicht in einem Phantas tik-Magazin), dafür sind andere Artikel so schön zu lesen wie der ebenfalls gut illustrierte Beitrag »Mythos Tierver wandlung«. Die sympathische »Autorin aus Leidenschaft« Claudia Kern gibt ein Interview, und der umtriebige Robert Vogel berichtet von seiner Arbeit beim Hörspiel. Nicht umsonst heißt der Artikel »Mark Brandis und PERRY RHODAN – ein Hörspiel-Crossover der Superlative«. Dieses Mal wieder ein schönes Heft, das zusätzlich zu genannten Beiträgen noch eine Fülle von Rezensionen bietet. Herausgeber ist der Abenteuer Medien Verlag, Rostocker Straße 1, 20099 Hamburg (im Internet unter www.aben teuermedien.de). Das Heft kostet im Rollenspielladen und per Bestellung 4,50 Euro.
Online Die Seite von www.RPGNow.com bietet immer wieder zwischendurch mal Downloads für umsonst an. Ange nehm fand ich jetzt den Download von other side of the mirror vom März 2009. Ein nettes, kleines Rollenspielheftchen. Sieben Seiten; nettes Vorwort, ein paar Empfehlungen zum Lesen und Spielen, das alles in einem lustigen, sich selbst nicht sehr ernst nehmenden Ton. Okay, es ist auf Englisch. Aber dafür kostet es nichts.
Fandom Observer Nicht zu Unrecht schreibt Günther Freunek über seine Tätigkeit als Redakteur: »Mich muss man mit den Schu hen voran heraustragen!« Der fandom observer 238 ist ein Überrest aus einer anderen Ära, ein letztes Kleinod der Hochzeit der deutschen Fanzines in den 80ern. Dieses Mal finden sich unter anderem einige Artikel zu der Fantasy-Serie »Elfenzeit« und eine der Genialität des Buches gerecht werdende Besprechung von Michael Cha bons »Die Vereinigung jiddischer Polizisten«. Schön. Wie immer.
Herausgeber ist Martin Kempf, Märkerstraße 27, 63755 Alzenau. Ein Abonnement über zwölf Ausgaben kostet 24 Euro.
Fortean Das englische Magazin über »The World of Strange Phe nomena« hat sich für Fortean Times 246 Charles Darwin und seine Theorien vorgenommen. Es ist schon erschre ckend, wie viele Hirngespinste auf dieser Theorie aufge baut haben – und wie viele Menschen noch daran glau ben, dass der Affe vom Menschen abstammt oder vor uns sprechende Echsen die Welt beherrscht haben. Nein, ich übertreibe nicht und erfinde hier nichts. Lest selbst! Eine wundervolle Sammlung der Eigenartigkeiten! Das Heft kann man direkt über www.forteantimes.com beziehen.
Gucky Wenn mich mein Holländisch nicht trügt, dann ist Gucky 24 die letzte Ausgabe des Heftes (»Dit is waarschijnlijk de laatste Gucky die verschijnt« ist schwer misszuver stehen). Enthalten sind der letzte Teil von »Het mutan tenkorps«, ein Artikel zu den PERRY RHODAN-Taschenbü chern 15 und 16 (mit tollen alternativen holländischen Covern) sowie farbige (!) Nachdrucke der »Star-Galerie« aus den PERRY-Comics. Wo auch immer das Heft hin verschwindet – es war im mer schön anzusehen.
hey! Mystery Am Kisok fand ich dieses Heft vor, das mit der Werbung »Neu!« auf sich aufmerksam machte. Es geht um Vam pire, Mystery und Gothic. Die Artikel haben mich alle nicht überrascht; auch werde ich mir keines der »5 Mega-Pos ter« an die Wand hängen. Vor 20 Jahren hätte es mich gefreut, ein solches Magazin am Kiosk zu finden. Heute ... bin ich entweder zu alt dafür oder stelle erneut fest, dass ich einfach kein Fernsehen schaue (na ja, zwei Stunden die Woche, aber das langt nicht, um hier mitreden zu können!). Das Heft kostet am Kiosk 2,90 Euro. Bei hey! Mystery handelt es sich laut Impressum um eine Sonderausgabe von hey! (das ich auch nicht kenne) und wird herausge geben von der Panini Verlags GmbH, Rotebühler Straße 87, 70178 Stuttgart.
der beliebten Beiträge von Rüdiger Schäfer, dieses Mal zu dem zeitlosen Thema »Frauen & Männer«. Der ACD ist ein Club, den man gerade Jungfans nur emp fehlen kann. Und man lernt sogar noch etwas dazu ... Kontakter des ACD ist Rüdiger Schäfer, Kolberger Straße 96, 51381 Leverkusen (E-Mail kontakter@atlan-club deutschland.de). Der Bezug der Fanzines ist im Mit gliedsbeitrag enthalten.
Karfunkel Das sehr mythisch gehaltene Titelbild verrät schon, dass das Hauptthema von Karfunkel 81 dieses Mal »Die Welt des Mythos und der Mythologie« ist. Der reichhaltig, um nicht zu sagen üppig illustrierte Artikel ist zudem sehr gut. Dazu kommen wieder die im »Lesepult« aufgereihten sehr schönen Buchbesprechungen und die langen Listen mit Veranstaltungen der Mittelalterszene. Nicht verstan den habe ich den Artikel über »Jack the Ripper« in der Serie »Serienmörder der Geschichte«. Hier springt man unnötig auf einen Zug auf; das Thema gehört hier nicht hin. Bis auf Jack: sehr gut. Das Karfunkel erhält man im Zeitschriftenhandel für 6,90 Euro. Näheres zu Bestellmöglichkeiten findet sich unter www.karfunkel.de. Die Redaktion ist zu erreichen unter Karfunkel-Redaktion, Neustraße 43, 52146 Würselen.
Selm Die Selmer Lesungen 3 gehören normalerweise nicht zu meinem Lesefutter. Aber ein Sonderband über Hartmut Kasper alias Wim Vandemaan ist das Lesen wert. Beeindruckend sind die wenigen Zeilen der dürren Biogra fie und die vielen Seiten mit seiner Auswahlbiografie. Der Mann ist eine lebende Schreibmaschine, wenn man das hier alles glauben darf. Wow! Seine launige Begrüßungs rede macht Spaß, das Interview mit ihm ist locker und flockig. Ein schöner Band! Man kann fast nur hoffen, dass ein Science-Fiction-Fanzine das alles nachdruckt. Die Broschüre dokumentiert eine Lesung mit dem Autor am Gymnasium Selm im November 2008; sie wurde von der Jahrgangsstufe 12, Leistungskurs Deutsch, erstellt. Der Preis ist mit zwei Euro angegeben, eine Bestelladres se gibt es nicht.
Intravenös
Skeptiker
Mit einem eigenartigen Font für den Titel wartet intrave nös 183 des Atlan Club Deutschland (ACD) auf. Eine nette Mischung von fanischem Allerlei, gekrönt mit einem Artikel über »Columbo« in der Reihe »Die besten TV-Se rien aller Zeiten«. Die Beilage Wer nicht fragt ... SPEZIAL ist eine Sammlung
Ein gottgleiches Wesen in einer Seifenblase im Rahmen einer schönen, bunten Kinderlandschaft ziert den skep tiker 1/2009. Diese »Zeitschrift für Wissenschaft und kritisches Denken« widmet sich in einer langen Reporta ge dem Kreationismus und seinen Auswirkungen. Wer sich für Werwölfe und deren Mythos interessiert,
findet in »The Morbach Monster« einen unterhaltsamen Streifzug durch die Welt der Mond-Monster. Beeindru ckend fand ich den Bericht über die Dreharbeiten zu einem Text von Shaolin-Mönchen, deren Kräfte bei einer genaueren Betrachtung nicht ganz so beeindruckend sind, wie man sonst denkt. Hochinteressant und (fast) immer kritisch. Herausgeber ist die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V. (kurz GWUP), Arheilger Weg 11, 64380 Roßdorf. Im Internet findet man die Gesellschaft unter www.gwup.org. Das Heft kostet 5,50 Euro.
man mit einer kurzen Postkarte an obige Anschrift. Oder man geht auf die Homepage www.prfz.de.
Star Gate
SOL
Weiter und weiter geht die Reihe Star Gate – das Original.
Erschienen ist jetzt der Doppelband 47/48 mit dem Titel
»Multiversum/Gedankenkontrolle«. Autor beider Ge
schichten ist Wilfried Hary.
Deutsche Science Fiction ist in diesem Bereich immer
noch nicht weit gestreut, allein deshalb lohnt es sich,
diese Reihe zu verfolgen.
Das Heft kostet 6,90 Euro. Herausgeber ist Hary-Produc
tion, Canadastraße 30, 66482 Zweibrücken (im Internet
unter www.HaryPro.de).
Die aktuelle SOL 54 der PERRY RHODAN FanZentrale ist wieder ein sehr schönes Heft geworden. Rüdiger Schäfer berichtet erheiternd aus der Vorstandsarbeit, Rainer Cas tor gibt ein launiges Interview, Jochen Adam erzählt von seinem Leben als Testleser für PERRY RHODAN-Action, und Marco Scheloske illustriert seine Arbeit an dem Star dust-Kartonmodell. Sehr schön – und ich habe nicht einmal alle Punkte er wähnt, die mir gefallen haben. Herausgeber ist die PRFZ, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Der Bezug der Zeitschrift ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Informationsmaterial über den Verein erhält
Mit einem farbigen Cover von Volker M. Gdanitz beginnt Starlight 84. Schade ist, dass der erste Beitrag ein wenig darunter leidet, dass der Drucker wohl etwas Schwierig keiten beim Erstellen der Vorlagen hatte. Ansonsten: schöne Geschichte, gute Illustrationen (viele Fotos) und eine unterhaltsame Aufmachung. Herausgeber ist die Starlight Union (im Internet unter www.starlightunion.de). Die Redaktion liegt bei Werner Brücker, Wiesendamm 147, 22303 Hamburg. Ein Heft kostet sechs Euro.
Starlight
Impressum Die PERRY RHODAN-Clubnachrichten erscheinen alle vier Wochen als Beilage zur PERRY RHODAN-Serie in der 1. Auflage. Anschrift der Redaktion: PERRY RHODAN-Clubnachrichten, Pabel-Moewig Verlag KG, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Bei allen Beiträgen und Leserzuschriften behält sich die Redaktion das Recht auf Bearbei tung und gegebenenfalls auch Kürzung vor; es besteht kein Anspruch auf Veröffentlichung. Für unverlangte Einsendungen wird keine Gewähr übernommen.
Der WELTWEISE
Vierter Tag: Verluste Frühmorgens stachen sie in See. Widerwillig legte Matheux sich ins Ruder. Wiewohl er sich der Mehrheits entscheidung beugte, konnte er dem Unternehmen wenig Positives abge winnen. Warum einen Ort verlassen, an dem man relativ bequem sein Überleben fristete? Und stattdessen in die blanke Ungewissheit paddeln? Das Langboot, ein lächerlich dürf tiges Geflecht aus biegsamen, mit Lehm abgedichteten Stauden, wurde von den Wellen hin und her geworfen, dass Ma theux ernstlich befürchtete, sein Früh stück würde ihm ein zweites Mal durch den Kopf gehen. Unter der Sitzbank drosch das Proviantpaket, in feuchte Blätter gewickelte, ungesalzene Vege tabilien, bei jedem Ruck gegen seine Fersen. Als Generalroute hatten die Wort führer jene Richtung gewählt, aus der die Späh-Gleiter angeflogen waren. Wenn sie viel, viel Glück – oder Pech? – hatten, befand sich in Reichweite ein Stützpunkt der Kolonne. Und damit Technologie und möglicherweise Auf klärung über das Hiersein von GLOIN TRAITOR. Matheux Alan-Bari hörte kurz zu rudern auf und griff sich an die Stirn, um Schweiß abzuwischen. Umgehend geriet das Kanu ins Trudeln. »Rhythmus halten!«, keifte Merlin Myhr, der in diesem Boot den Vor schlagmann gab. »Mann, wir sind keine Galeeren sträflinge!«, maulte Matheux zurück. »Hat auch keiner behauptet. Aber wenn wir Schwung verlieren, ist es umso mühseliger, wieder Fahrt aufzu nehmen.« Sie hatten eine schwere Last im Schlepptau. Der bewusstlose Weltwei se war mittels elastischer Schling pflanzen an allen drei Booten verzurrt,
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was das Navigieren nicht einfacher machte. Ganz abgesehen davon, dass 22 kaum bekleidete Terraner-Manifes tationen und eine immer noch völlig weggetretene Riesenqualle nicht unbe dingt die schlagkräftigste Eingreif truppe in diesem Abschnitt des Uni versums darstellten. Der Gedanke, sie könnten nackt, mit nichts als Lianen und Bambusspeeren bewaffnet, gegen eine Bastion der Ko lonne anrennen, musste bei einigerma ßen nüchternem Verstand als absolut hirnrissig eingestuft werden. Das von Astuin und Savoire ge brachte Argument, dass sie nicht viel zu verlieren hätten, ließ sich natürlich schwer entkräften. Außerdem, tröstete sich Matheux, konnte das nächste Festland nicht allzu weit sein. Darauf deuteten die möwenartigen Vögel hin, die ihnen seit geraumer Zeit immer wieder entgegenkamen und für einige Minuten den kleinen Konvoi mit nerv tötend schrillem Gekreisch begleite ten, bevor sie in Fahrtrichtung ab drehten. Schließlich tauchten am Horizont tatsächlich zwei kleine, nahe beieinan derstehende Inseln auf. Der Kurs musste nur leicht korrigiert werden. Die Kanus gerieten in eine vorteil hafte Strömung. Dadurch kamen sie flott voran. Schon glaubte Matheux, für diesen Tag das Schlimmste über standen zu haben. Da erschienen die Ungeheuer. Rings um die Boote durchstießen ge waltige Rückenflossen die Wasserober fläche, gezackt und knochig, ähnlich dem Kamm eines Stegosaurus. Sie ge hörten zu albtraumhaften Geschöpfen, urzeitlichen Kolossen, wahren Behe moths, mehr als drei Meter lang, mit klaffendem, zahnbewehrtem Maul und einer vorgewölbten Stirn, aus der drei geschwungene Hörner entsprangen. Nicht einem einzigen Stoß eines dieser Spieße würde die dünne Wandung ih rer Kanus standhalten.
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»Keine Panik!«, rief Chiranjeeva deBoer. »Weder wir noch der Weltweise entsprechen irgendeinem Beutesche ma, das sich in diesem fremden Ozean entwickelt haben mag. Mit etwas Glück ziehen sie bald wieder ab.« Leider täuschte sich die blonde Bio chemikerin fatal. Die gehörnten Scheu sale entpuppten sich als Räuber und Allesfresser schlimmster Sorte. Sie at tackierten mit bestialischer Wut. Die Bambuslanzen, mittels derer die Terraner sie von den Booten fernzuhal ten versuchten, nötigten den Tieren nur wenig Respekt ab. Matheux schlug ab und zu blindlings mit dem Ruder ins brodelnde Nass, ohne viel auszurich ten; die meiste Zeit war er ohnehin da mit beschäftigt, nicht über Bord zu gehen. Andere Exprozessoren sprangen ab sichtlich ins Wasser. Denn die Bestien, entnahm Matheux den gebrüllten Kommandos, griffen sogar den ohn mächtigen Weltweisen an. Nahezu übergangslos hatte sich die ruhige See in ein feuchtes Inferno ver wandelt. Matheux wurde auf und ab geschleudert, dass ihm Hören und Sehen verging. Den Lärm und das allgemeine Tohu wabohu übertönte ein Krachen; direkt unter ihm! Der Boden des Bootes zersplitterte, und zwischen seinen Beinen fuhren drei Hornspieße empor. Eine der Spit zen stoppte nur wenige Millimeter vor seinem Unterleib ... Von nackter Panik ergriffen, warf er sich zurück. Die Hörner folgten ihm; nun wühlte sich auch der Schädel des Behemoths durch das Loch. Matheux blickte in zwei mordlüsterne, gelb orange glühende Knopfaugen. Dann geschah etwas sehr Seltsames. Hitze wallte in ihm auf, zugleich Eises kälte. Todesangst und blanker Hass auf das grässliche Vieh verschmolzen zu einem explosiven Gemenge. Und Matheux ... zündete.
LEO LUKAS
Die Augen des Untiers zerbrachen von innen heraus. Haarfeine Risse überzogen die Pupillen, ein weißblaues Glimmen wie Raureif. Keine Sekunde später zerbarsten sie zu winzigen Kris tallen. Ehe er sich fragen konnte, was so eben passiert war, ging Matheux unter. Das Kanu war vollgelaufen, kippte um und sank. Er schwamm sich frei, wobei er un ter dem lecken Boot wegtauchen muss te. Im Wasser trieben rote Schleier und blutige Fleischbrocken, darunter ein grausiges Ding, das wie ein mensch licher Fuß aussah. Eine weitere gehörnte Bestie kam auf ihn zugeschossen, das Maul weit aufgerissen, rote Fetzen zwischen den Zähnen. Abermals sah Matheux AlanBari dem Tod ins Auge, und abermals tötete er in Notwehr. Auf dieselbe Weise wie zuvor kristal lisierte er die Organe des Raubtiers. Woher auch immer ihm diese Fähig keit zugeflossen war – ihre Anwendung kostete ihn immense mentale Energie. Er spürte, dass er das Bewusstsein ver lor, und kämpfte vergeblich dagegen an. * Die Jagd verlief nicht nach Jozze poks Geschmack. »Was ist bloß heute los mit mir?«, knurrte er zornig. »Normalerweise ha be ich einen sechsten Sinn dafür, wo sich das Wild herumtreibt. Aber wir ziehen nur Nieten!« »Auch der beste Jäger hat mal einen schlechten Tag«, versuchte Sahmsivil zu beschwichtigen. »Vielleicht liegt es an der Mondkonstellation, dass die Tiere so übersensibel sind.« Sie hatten sich an eine Herde von Dreispießwalen angepirscht, waren je doch nicht einmal bis auf Schussweite der Harpunen herangekommen, als die sonst alles andere als scheuen Kolosse
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Der WELTWEISE
bereits die Flucht ergriffen hatten. »Flugrattenmist! Gerade um diese Jahreszeit sind sie gewöhnlich leicht zu erwischen, weil die Brunft sie un vorsichtig macht. Weiß auch nicht, was heute abdriftet.« Am späten Nachmittag machten sie dann endlich doch ganz ansehnliche Beute. Gemeinsam erlegten sie eine fast vierzehn Meter lange Meerviper, deren Schwanzklapper der Trophäen wand im Rüdenheim zur Zierde gerei chen würde. Um das Tier aufzubrechen, beför derten sie es mit dem Seeochsenge spann an den Strand einer der unbe siedelten Zwillingsinseln, die zum südlichsten Zipfel des Archipels ge hörten. Dort schlürften sie zur Feier des Tages ein paar vergorene Aus tern. Anschließend gingen sie daran, die Viper auszuweiden. Ihr Muskelfleisch war zäh und für Ckornauten nicht be kömmlich. Allerdings hatten so lange und dicke Exemplare meist Ablage rungen in der Milz und den Nieren; dieser Gries wiederum war eine äu ßerst gefragte Delikatesse. Mit den Glasklingen legten sie die Innereien frei. Jozzepok, wieder deut lich besserer Laune, spendete seinem Sohn Lob, weil er sich dabei recht ge schickt anstellte. »Ich mag ein Lesemolch sein«, wie gelte Sahmsivil lächelnd ab, »aber Tante Soriskuan hat mich viele alte Künste gelehrt. Zwar ist es lange her, dass ich eine solche Beute zerlegt habe. Doch wie es aussieht, erinnern sich die Tatzen besser daran als der Kopf.« Jozzepok lachte zustimmend, dann stutzte er plötzlich. »Sei mal still.« Sie hielten den Atem an und horch ten. Ja, da war etwas. Eigenartige, piepsende Geräusche drangen über die schiefrigen, von Flechten bewachsenen Felsen auf der linken Seite der Bucht. »Klingt mir verdächtig nach einem Speikrakennest.«
Jozzepok wischte das Messer an der gemusterten Schuppenhaut der See schlange ab, steckte es in die Gürtel scheide und schulterte seine Harpune. »Man soll den Tag nicht vor dem Abend schimpfen. Jungkrakenlymphe passt ausnehmend gut zu Viperngries.« Sie erklommen die Schieferfelsen. Dabei bemerkte Sahmsivil, dass sein Erzeuger, so vital er sich gab, an Land ziemlich gravierende Probleme mit den Kniegelenken hatte. Mehr als einmal musste er ihm beistehen, weil die stei fen Beine beim Klettern hinderlich wa ren. Oben, in einer schmalen, windge schützten Scharte, verschnauften sie. »Geh schon mal voran«, japste Jozze pok. »Nicht, dass die Speikrakenjun gen schlüpfen und uns am Ende noch durch die Lappen gehen. Ich komme gleich nach.« Sahmsivil zögerte. Sein Vater sah reichlich mitgenommen aus. Die Wan gen waren blass und eingefallen, die Schnurrhaare hingen welk herab. Der rechte Hinterschenkel zitterte un kontrolliert. Aber das Angebot, bei ihm zu ver weilen, bis er wieder bei Kräften war, hätte Jozzepok mit Sicherheit brüsk ausgeschlagen. Deshalb zwinkerte ihm Sahmsivil aufmunternd zu, bog um die Felszinnen ... ... und erstarrte. Was er unter sich in der Nachbar bucht sah, hatten noch keines Ckornauten Augen erblickt. * Die Bilanz fiel erschütternd aus. Zahlreiche Verletzte, darunter sieben mit schweren Stich- oder Bisswunden. Und vor allem: zwei Tote. Chiranjeeva deBoer war von den ge hörnten Bestien buchstäblich zerrissen worden. Wilbuntir Gilead hatte noch gelebt, als die Gefährten ihn geborgen hatten, war jedoch, bevor sie das
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nächste Eiland erreichten, in den Ar men seiner Lebenspartnerin verstor ben. Die beiden, begriff Laurence Sa voire, waren dieses Mal wirklich und wahrhaftig tot. Für sie würde es auf keine Weise mehr Rettung geben. Falls sich das Geisteskollektiv des WELT WEISEN je wieder formierte, dann oh ne diese zwei Komponenten. So bitter dies war, insbesondere für Sybel, ergab sich unterm Strich auch Positives. Der Weltweise hatte erstmals seit ihrer Versetzung hierher Zeichen psychischer, sogar parapsychischer Aktivität von sich gegeben. Woher sonst sollte die Psi-Fähigkeit gekommen sein, meinte Matheux AlanBari, mit der er die blutrünstigen Drei hörner vertrieben hatte? Er, der im früheren Leben an Kristallpest Er krankte, konnte plötzlich vergleich bare Symptome bei anderen Wesen hervorrufen! Pal Astuin hatte ein ähnliches Erleb nis gehabt. Er berichtete, dass er ein malig und nur auf geringe Distanz, wenige Meter weit, zu teleportieren vermocht hatte. »Von A nach B, ohne Schritt oder Schwimmzug. Unbeab sichtigt; ich wollte einfach möglichst schnell dem Weltweisen, dem die Mee resungeheuer übel zusetzten, zu Hilfe eilen.« Sie waren sich einig, dass die Ener gie dazu nur von ihrem Mentor gekom men sein konnte. Was wiederum be wies: Sein Schicksal war ursächlich mit ihrem verknüpft. Die Attacken der Killerwale hatten ihn kurzzeitig aus der Lethargie gerissen, und er hatte bei zweien seiner Avatare hilfreiche Ta lente zur Entfaltung gebracht. »Könntet ihr diese Psi-Aktionen wiederholen jetzt?«, fragte Savoire. Astuin und Alan-Bari schüttelten simultan die Köpfe. »Die Hitze ist weg«, sagte Pal. Er legte seine Hände an die Schläfen und konzentrierte sich. »Nein. Keine
LEO LUKAS
Chance. Ich beherrsche die Fähigkeit derzeit nicht. Dennoch, ich werte den kurzen Sprung als gutes Omen. Die Mentalkraft des Weltweisen kehrt wieder beziehungsweise erwächst ihm neu.« Auch das Quallenwesen war verletzt worden, zum Glück nur oberflächlich, und die Wundheilung hatte bereits ein gesetzt. Da diese Insel eine Steilküste aufwies, vor der starke Strömung herrschte, konnten der Weltweise und die beiden verbliebenen, leicht beschä digten Boote zwischen Klippen unweit des Ufers vertäut werden. Acht Terraner blieben zur Bewa chung zurück, der Rest ging an Land, um Nahrung sowie Blätter zu suchen, die sich als notdürftige Verbände eig neten. Außerdem hatten sie eine trau rige Pflicht zu erfüllen. Obwohl der Erdboden sehr hart war und ihnen nur Faustkeile als Werkzeug zur Verfügung standen, hoben sie ein Grab aus, worin sie Wilbuntirs Leich nam bestatteten. Sybel Bytter ließ ihren Tränen freien Lauf. Nach einiger Zeit nahm Savoire sie behutsam an der Hand, führte sie einige Schritte zu einem Steinblock und setzte sich mit ihr hin. Worte des Trostes wollten ihm keine einfallen, al so schwieg er; seine Anteilnahme drückte er ohnehin durch die Nähe aus. Die Mathelogikerin verkrampfte sich. Erst dachte Laurence, sie schluch ze. Dann jedoch hob sie das schweiß nasse Gesicht und sah ihn mit verklär tem, in die Ferne gerichtetem Blick an. »Mir ist sehr heiß«, flüsterte sie. »Und ich kann ... hören.« Er verstand nicht, was sie meinte. »Ja?« »Nicht mit den Ohren. Innerlich.« »Telepathisch? Du liest meine Ge danken?« »Nein. Nicht deine. Keine ... mensch lichen.«
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Sie sprach wie in Trance. »Er ist äu ßerst erregt, fürchtet sich sehr. Aber er hat auch Rachegelüste.« »Wer? Der Weltweise?« Sie schüttelte den Kopf. »Der ... Ckornaute. Er erwägt, auf uns zu schie ßen.« »Von wo?« Savoire duckte sich re flexhaft hinter den Stein, zog auch Sy bel herunter. »Kann ihn nicht orten. Jedenfalls sieht er uns von erhöhter Position aus.« Laurence suchte den Hang mit Bli cken ab. Knapp unterhalb der Kuppe, zwischen Felsen verborgen, nahm sei ne Infrarotsicht stark konzentrierte Wärmestrahlung wahr, etwa im selben Ausmaß, wie sie ein mittelgroß ge wachsener, fülliger Terraner abgäbe. »Hab ihn entdeckt.« »Was sollen wir tun?« * Sahmsivil legte die Harpune an, ent sicherte sie und zielte. Es widerstrebte ihm, ohne Vorwar nung einen Pfeil abzufeuern. Anderer seits hatten die Fremden, die seine Schüler ermordet hatten, genauso ge handelt. Und diesmal war das Überra schungsmoment auf seiner Seite. Die Gestalten am Fuße des Hügels wirkten harmlos. Aber das musste nichts heißen. Sie waren scheinbar unbewaffnet und nackt wie Neugeborene, nur an ganz wenigen Stellen schütter bepelzt. Überhaupt wiesen sie höchstens ent fernte Ähnlichkeit mit den Schlangen köpfigen auf, am ehesten noch in Hal tung und Körperbau. War es möglich, dass zwei verschie dene Gruppen von Fremden die Ckornauten heimsuchten, unabhängig voneinander, just zum selben Zeit punkt – nachdem ihr Archipel zuvor für Äonen unbehelligt geblieben war? Statistisch gesehen ein äußerst un
wahrscheinlicher Zufall. Nein, irgendwie mussten die Schuppigen und die Unbehaarten zusammengehören. Das stimmt. Beinahe hätte Sahmsivil vor Schreck abgedrückt. Eine Verbindung besteht ... Dies waren nicht seine eigenen Ge danken! ... insofern, als wir verfeindet sind. Und doch gingen sie ihm durch den Kopf! Nicht als Stimmen, auch nicht als exakt ausformulierte Sätze. Doch er verstand den Inhalt, die eindringlich übermittelte Botschaft. Jene fremden Krieger, die du hasst, weil sie deine Schutzbefohlenen umge bracht haben, nennen sich Mor’Daer. Wir hingegen sind Terraner und guten Willens. Das konnte jeder behaupten. Mit deiner Harpune bist du uns weit überlegen. Wir haben keine Waffen, nicht einmal Messer, bloß ein paar ab gebrochene Bambuslanzen. So leicht ließ sich Sahmsivils Arg wohn nicht ausräumen. Nicht nach all dem Grauen, das ihm kürzlich wider fahren war. Ich komme jetzt aus meiner De ckung, damit du genau siehst, wie schutzlos ich bin. Überzeuge dich – ich habe weder Rüstung noch Energie schirmblase. Eines der Fremdwesen stand auf, hob die Arme über den Kopf und schwenkte sie hin und her. Offensicht lich eine Fähe, denn sie besaß Brüste mit Zitzen. Wenn mich dein Pfeil träfe, würde er mich verletzen oder sogar töten. Schau, meine Haut ist dünn. Ich blute schnell. Sie nahm einen scharfkantigen Stein und ritzte sich damit am Handrücken, der keinerlei Vibrissen aufwies. Rote Tropfen traten aus. Die Fremde hatte die Wahrheit gesagt. Sein Vertrauen gewann sie damit noch lange nicht. Vielleicht wollte sie
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ihn nur hinunter locken, wo ihre Spieß gesellen im Hinterhalt lagen. Verstehe. – Weißt du was, ich gehe dir entgegen. Allein, ganz gemächlich, steige ich zu dir hinauf. Einverstan den? * Die Mathelogikerin hatte ihren Part des mentalen Dialogs halblaut mitge sprochen. Daher konnte sich Laurence Savoire zusammenreimen, dass sie es mit keinem Angehörigen der Kolonne, sondern einem Ureinwohner dieses Planeten zu tun hatten. Er informierte die Kameraden darü ber, dass Sybel Tuchfühlung zu einem potenziellen Verbündeten aufnahm, der schlechte Erfahrungen mit Mor’Daern gemacht hatte. Entsprechend misstrauisch beobachtete er alle Bewe gungen auf dem Plateau. Während Sybel zwischen den Felsen verschwand, gruppierten sich die üb rigen Terraner derart, dass sie einen möglichst arglosen Eindruck erweck ten. Sehr schwer fiel dies nicht ange sichts ihres kläglichen Zustands ... Dann warteten sie, nach außen hin locker, innerlich angespannt. Die Ver letzten stillten ihre Blutungen und ver sorgten die Wunden, so gut es unter diesen Umständen ging. Laurence empfand ein mulmiges Ge fühl dabei, dass Sybel Bytter gänzlich ungeschützt und auf sich gestellt einem Unbekannten gegenübertrat, der den Finger am Abzug einer Waffe hatte. Aber sie hatte den Kontakt etabliert und war als Einzige zu einer Kommu nikation imstande. Translatoren ließen sich nun mal nicht aus ein paar Zwei gen basteln. Überdies war Sybels gemurmelten Sätzen zu entnehmen gewesen, dass ihr telepathischer Ge sprächspartner für das erste Zusam mentreffen keine größere Abordnung akzeptiert hätte. Also warteten sie, Passivität markie
rend, doch bereit, beim leisesten Alarmzeichen aufzuspringen. Savoire behielt die Wärmesignaturen oben an der Hügelkuppe im Auge. Gleichzeitig konzentrierte er sich auf empathische Impulse. Aber die Be gegnung spielte sich am Rande seines Erfassungsbereichs ab. Er konnte nur hoffen, dass er es bemerkte, falls der Verständigungsversuch entgleiste und die Emotionen in Aggressivität um schlugen. Nichts dergleichen passierte. Nach einer Zeitspanne, die sich endlos da hinzog, kehrte Sybel zurück – in Be gleitung zweier Wesen, die frappierend an aufrecht, wenngleich stark vorge beugt gehende, irdische Seeotter erin nerten. Beide trugen keine Kleidung, jedoch breite Ledergurte mit allerlei Taschen um die Hüfte sowie über Brust und Rü cken verkreuzt. Dichtes, glänzendes Fell bedeckte ihre muskulösen Leiber. Der eine hielt eine klobige, martia lisch aussehende Harpune im Anschlag, die mit einem gläsernen Pfeil bestückt war. »Das ist Sahmsivil«, stellte ihn die Mathelogikerin vor. »Ein gutherziger, gebildeter Mann, der unlängst schwer wiegende Verluste hinnehmen musste. Nicht nur dies verbindet uns.« Savoire breitete langsam die Arme aus, zeigte die offenen, nach oben ge drehten Handteller, legte sie an die Brust und verneigte sich. »Bitte erklär ihm, dass wir ihn in unserer Runde willkommen heißen.« »Nichts anderes habe ich ihm ver sprochen.« Sybel grinste, legte den Kopf schief, lauschte einer für die üb rigen Terraner unhörbaren Stimme. »Er meint, du seiest gewiss ein Lehrer wie er. Das erkennt er an deiner aufge setzten Betulichkeit.« Laurence lachte lauthals auf. Bel lend stimmte sein pelziges Visavis ein. Das Eis war gebrochen. *
Der WELTWEISE
Irgendwie mochte Sahmsivil den einäugigen Fremden; und die ebenso energische wie tief betrübte Fähe, de ren Gedanken in seinem Hirn herum spukten, sowieso. Trotzdem blieb er auf der Hut. Seine Harpune hielt er lässig, leicht gesenkt, doch stets auf einen der glatten, ro sigen Bäuche gerichtet; sich und den anderen unmissverständlich versi chernd, dass er am Drücker war. Die Euphorie, die ihn zu über schwemmen drohte, drängte er unter Aufbietung all seiner Willenskraft zu rück. War dies denn nicht das größte Wunder seines Lebens? Er, Sahmsivil, stand außerplanetaren Intelligenzen gegenüber und unterhielt sich mit ih nen auf Augenhöhe! Ohne die tragischen Ereignisse der Vortage hätte er diesen Moment hem mungslos gefeiert. So aber ermahnte er sich bei jedem Atemzug, die Kontrolle zu behalten. Sein Vater hatte ungleich größere Schwierigkeiten, sich in dieser Ex tremsituation zurechtzufinden. Seit er mit der fremden Frau konfrontiert worden war, torkelte er ihr und Sahm sivil hinterdrein wie ein Schlafwand ler, stumm, mit glasigen Pupillen. Einen einzigen Satz hatte Jozzepok während des Abstiegs herausgebracht: »Diese Austern ... die waren wohl allzu übergärig.« Nur auf diese Weise, begriff Sahmsi vil, vermochte der alte Jagdmeister in sein Weltbild einzuordnen, was ihm ge schah: indem er seine Sinneseindrücke als vom Alkohol verursachte Visionen abtat. Am Palaver, das den einleitenden Höflichkeiten folgte, beteiligte sich Jozzepok nicht. Er hockte abseits, in sich versunken sein Fell reinigend, Qua dratzentimeter für Quadratzentimeter, als gäbe es nichts Faszinierenderes. Er tat Sahmsivil leid; doch der konn te sich jetzt beim besten Willen nicht mit seinem Vater befassen.
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Die Terranerin Sybel erläuterte ihm, dass die schlangenköpfigen Soldaten einer bösen Macht dienten, welche das gesamte Sternenmeer unterjochte, in dessen ungefährem Zentrum der Pla net, die Sonne und die Monde der Ckornauten lagen. Schlimmer noch: Dieser Heerwurm unbeschreiblichen Ausmaßes strebte die Umwandlung der ganzen Galaxie in eine obszöne Anomalie an, deren Endform als Ne gasphäre bezeichnet wurde. Dagegen kämpfen wir. Und wir haben einen Teilerfolg verzeichnet. – Letzte Nacht, hast du da den lang ge streckten Balken gesehen, der die Him melslichter verdunkelt? Ja, hatte er. Nicht gleich. Aber dann doch. Dies ist eines der mächtigsten, even tuell das wichtigste Instrument der Chaoskräfte. Wir haben ihm Schaden zugefügt; allerdings vermutlich nicht ausreichend. Einer ihrer Artgenossen redete da zwischen. Die fiependen Töne waren den Lauten, die noch nicht aus dem Ei geschlüpfte Speikrakenjungen von sich gaben, in der Tat verblüffend ähnlich. Ich übersetze: Es würde sehr lange dauern, dich detailliert in alle Hinter gründe einzuweihen, empfing er Sybels Gedankenstimme. Wir würden deshalb gern darauf verzichten. Nicht, weil wir dich für zu beschränkt halten, die Zu sammenhänge und Implikationen zu kapieren; sondern weil wir schlicht nicht die Zeit dafür haben. Was drängte sie? Die entscheidende Auseinanderset zung steht unmittelbar bevor, wenn sie nicht schon längst in vollem Gang ist. Wir müssen unbedingt alsbald heraus finden, warum die Nadel des Chaos, deren Umriss du am nächtlichen Fir mament gesehen hast, hierher versetzt wurde – und wie wir die Pläne der Ko lonne vereiteln können. Sahmsivil wurde es zu kompliziert. Was hatte er mit alldem zu schaffen?
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Ihn interessierte die Gegenwart, das Hier und Jetzt. Wie sollte es weiterge hen? Die Terranerin erklärte, ihr Nahziel bestünde darin, Zugang zu höherwer tiger Technologie und dadurch die be nötigten Informationen zu erhalten. Sie zählte einige Bezeichnungen für Dinge auf und beschrieb Sahmsivil de ren Wirkungsweise geduldig. Doch er musste passen. »Hyperfunk«, »Überlichtaumfahrt«, »Positronik« – diese Wörter sagten ihm nichts. Kommunikation über weitere Distanzen kannten die Ckornauten nur in Form ihrer Kapselmolchschwimmer und des hydraulischen Rohrpost-Sys tems. Für Ferngespräche erhöhten sie die Tragweite ihrer Stimmen unter Wasser durch schallverstärkende Trichter. Aber das war es dann auch schon. Mit Gerätschaften, wie sie Sybel schilderte, konnte er leider nicht die nen. Macht nichts. – Hast du eine Ah nung, ob sich in der Nähe eine Bastion der Mor’Daer befindet und wo diese liegen könnte? Sahmsivil bedauerte. Die riesigen schwarzen Vögel waren von außerhalb des Archipels angeflogen gekommen, übers Niemandsmeer, das sich in alle Richtungen unbezwingbar weit er streckte. Wie der Name schon andeute te, war niemandem je eine Durchque rung des Ozeans gelungen. Aufgrund logischer Überlegungen vermutete Sahmsivil zwar, dass es an derswo auf dem Planeten weitere Ar chipele mit Kelpwäldern und ver gleichbar florierenden Kolonien von Ckornauten gebe. Allerdings mussten die Distanzen dazwischen unüber windbar groß sein; sonst hätten sie schließlich irgendwann einmal Besuch von dort erhalten, oder? *
Laurence Savoires Zuversicht sank. Der Otterhafte war nett, wissbegierig und aufrichtig bemüht, aber keine Hil fe. Mit ihm die Hauptinsel seines Völk chens anzusteuern würde ebenfalls nichts bringen. Die Zivilisation der Ckornauten mochte an die Lebensbe dingungen innerhalb der Inselgruppe perfekt angepasst sein, jedoch auf sehr niedrigem technischen Niveau. Wie man es drehte und wendete – die remanifestierten Exprozessoren saßen fest, ohne Hinweis auf den Standort einer Kolonnen-Station, ohne Funkge räte, ohne ein auch nur annähernd hochseetaugliches Fahrzeug. Ende der Fahnenstange. Game over. Der ältere Ckornaute stieß heisere, gutturale Laute aus. Sahmsivil ant wortete. Sie bellten hin und her. Offen bar stritten sie miteinander. »Sein Vater möchte unverzüglich wieder in die Nachbarbucht, wo sie Beute zurückgelassen haben«, über setzte Sybel. »Hier gäbe es nichts von Wert oder Bedeutung. Sahmsivil, der das Zusammentreffen mit uns als his torisches Ereignis einstuft, ist naturge mäß anderer Ansicht.« Laurence zuckte die Achseln. »Ich jedenfalls gehe zum Weltweisen.« Dass Sybels Psi-Fähigkeit der Xeno-Telepa thie nun schon eine Weile anhielt, stell te ein Indiz für die voranschreitende Gesundung ihres Mentors und somit zumindest einen schwachen Hoff nungsschimmer dar. Sahmsivil schien etwas aufge schnappt zu haben. Er bat, die Terra ner zur Küste begleiten zu dürfen. Oh nehin wolle sein Vater den Rückweg nicht über die Felsen antreten, son dern im Wasser, wo er sich wohler fühle. »Nichts dagegen einzuwenden.« Bei den Klippen angelangt, brachen beide Ckornauten, sobald sie das Gal lertwesen erblickten, in lautes Geheul aus. Außer sich vor Aufregung, nahm
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nun auch der Ältere die Harpune vom Rücken und legte auf den Weltweisen an. »Halt, stopp!«, rief Savoire. Auch ei nige andere Terraner gingen dazwischen. »Was soll das? Der gehört zu uns.« »Jozzepok meint«, sagte Sybel baff, »dies sei so ziemlich die giftigste Le bensform des ganzen Planeten.« * Ein derart gigantisches Exemplar einer Saftqualle war selbst dem Ober jäger noch nie untergekommen. Es musste steinalt sein. Hastig, weil Jozzepok kaum davon abzuhalten war, das Tier sofort zu schlachten, erörterte Sahmsivil den Terranern, was es mit den Saftquallen auf sich hatte. Sie wuchsen langsam, aber stetig. Bis zu einer gewissen Grö ße war ihre Milch wohlschmeckend und bekömmlich. Darüber hinaus galt: je älter und vo luminöser, desto tödlicher das Gift, welches dann auch viele Meter weit verspritzt werden konnte. Deshalb machten Ckornauten, falls sie auf sol che Biester trafen, kurzen Prozess mit ihnen. Hier liegt eine Verwechslung vor, sendete Sybel eindringlich. Die Ähn lichkeit mag bestehen, aber dies ist ganz sicher keine eurer Saftquallen, sondern der Weltweise von Azdun, eine überaus intelligente Wesenheit mit enormem Wissensschatz. Unser ... Sie zögerte, wollte Sahmsivil wohl nicht wieder mit zu vielen Details überschütten. Unser Freund und Leh rer. Unglücklicherweise hat er sich zu sehr verausgabt und ist nun bereits seit Tagen bewusstlos. Wir würden viel dar um geben, könnten wir ihn aus seiner Ohnmacht erwecken. »Bist du dir sicher?« Absolut. Wir kannten ihn schon, lan ge bevor wir auf euren Planeten ge langten, und waren hier permanent in
seiner Nähe. Er hat nie irgendwelche Flüssigkeiten abgesondert, Gift schon gar nicht. Sahmsivil verlagerte sein Gewicht von einer Hinterflosse auf die andere. In der Tat hielten sich auch jetzt meh rere Felllose unmittelbar neben dem Gallertwesen auf, ohne dass dieses sie mit einem ätzenden Schauer attackier te. Gewöhnlich verteidigten Saftqual len ihr Revier schon bei weit vorsich tigerer Annäherung. »Wieso zögerst du, mein Junge?«, kläffte Jozzepok. »Komm her, steh mir bei! Irgendwelche unsichtbaren Ge spenster verstellen mir den Weg.« Sein Gehirn weigerte sich also im mer noch, die Existenz der Terraner, die zwischen ihm und den Klippen eine Barriere bildeten, zur Kenntnis zu nehmen ... Sahmsivil trat zu seinem Vater, pack te ihn am Ellbogen und zog ihn sachte beiseite. »Ich kümmere mich darum. Leg du dich hier in diese Mulde und ruh einstweilen ein wenig aus.« Jozzepok gehorchte widerspruchs los. Auch dies, dachte Sahmsivil, war ein historisches Ereignis. * Es sollte noch besser kommen. Die Überraschungen nahmen kein Ende. Der Ckornaute ließ sich ins Wasser gleiten, wo er sich um vieles eleganter bewegte als an Land. Er schwamm zum Weltweisen, tauchte mehrfach darunter weg und an anderer Stelle wieder auf, studierte ihn eingehend von allen Seiten. Danach bestätigte der Otterhafte, dass zwischen dem ohnmächtigen Rie sen und einer Saftqualle doch erheb liche Unterschiede, allerdings auch verblüffende Gemeinsamkeiten be standen. Deshalb glaube er, den Terra nern eventuell dabei assistieren zu können, das Gallertwesen wieder zu Bewusstsein zu bringen.
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»Wie will er das anstellen?«, fragte Savoire skeptisch. Junge Saftquallen, vermittelte Sybel Bytter, trieben oft stundenlang schla fend dahin, in betäubungsähnlichem Zustand. Das durften sie sich erlauben, da sie für die meisten Meeresräuber, wie zum Beispiel Dreispießwale, erst ab einer gewissen Größe genießbar wa ren – gerade umgekehrt wie im Falle der Ckornauten. Wollte man sie melken, mussten sie zuerst sanft aufgeweckt werden. Dazu gab es Tricks, Kniffe und Griffe ... Sahmsivil legte seine behaarten Tat zen auf die gallertige Oberfläche, strei chelte sie, führte sodann eine Serie massageartiger Berührungen aus, äu ßerst bedächtig, mit imponierender Einfühlsamkeit. Eine erste Reaktion stellte sich schon nach wenigen Minu ten ein. Deutlich erkennbar lockerte sich die unter der transparenten Haut des Weltweisen durchscheinende Mus kulatur. Im selben Augenblick spürte Lau rence Savoire Wärme in sich aufstei gen. Keine abrupte Hitze, wie es Bytter, Astuin und Alan-Bari beschrieben hat ten; hingegen ein allmählich sich stei gerndes Gefühl der Behaglichkeit, ein psionischer Anhauch warmherzigen Vertrauens. Was den Terranern, die im Vorleben allesamt zur militärischen oder wis senschaftlichen Elite gezählt worden waren, auch unter größten Anstren gungen nicht hatte gelingen wollen, bewerkstelligte der simple, ckormau tische Lehrer mit Leichtigkeit. Und vor allem: mit Erfolg! Der Weltweise von Azdun kam zu sich. Fünfter Tag: Mirakel und Wunden Viele Stunden verstrichen von dem Moment an, in dem er mehrere seiner
fremdartigen Augen aufschlug, bis der Weltweise tatsächlich mental zu kom munizieren vermochte. Wahrscheinlich hätte der Vorgang des Erwachens noch länger gedauert, wären die Terraner nicht von Sahmsivil in der richtigen Massagetechnik unterwiesen und vor bildlich angeleitet worden. Im Geist leistete Matheux Alan-Bari dem Ureinwohner des Ozeanplaneten Abbitte. Anfangs hatte er ihn für einen nutzlosen Primitivling gehalten, für eine weitere lebende Naturkatastrophe wie die dreihörnigen Behemoths. Ent waffnen und verscheuchen, so wäre Matheux mit den beiden breitschwän zigen Pelzbeuteln verfahren. Er gab gerne zu, dass er sich geirrt hatte. Überhaupt war er versöhnlich gestimmt und frohen Mutes wie lange nicht mehr; was ziemlich sicher an der parapsychischen Aura lag, die der Weltweise um sich verbreitete. Er strahlte immer intensiveres Wohlwol len aus, gemischt mit Erleichterung und Dankbarkeit. Sämtliche Exprozessoren hatten sich mittlerweile um ihn versammelt, die Verwundeten auf den Klippen, wo sie Lagerfeuer entfacht hatten, die Unver sehrten oder nur leicht Verletzten im Wasser. Auch Jozzepok gesellte sich hinzu. Bei ihm bewirkten die stetig strö menden Wellen der Empathie eine gra vierende Änderung des Verhaltens, wenn nicht seiner gesamten Weltsicht. Bald fragte er, während er beherzt den immer geschmeidiger werdenden Leib des Quallenwesens massierte, den Terranern genauso wissensdurstig Löcher in den Bauch wie sein Sohn. Sybel Bytter kam mit dem Übersetzen fast nicht nach. Lange nach Mitternacht meldete sich der Weltweise erstmals zu Wort. Seine stimmlosen, doch machtvoll und klar formulierten Gedanken erreichten die Menschen ebenso wie die Ckor nauten und waren für beide Gruppen gleichermaßen verständlich; obwohl
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sich die Ausdeutung der zurücklie genden Ereignisse primär an die Ex prozessoren richtete. Folgendes war geschehen: Nach dem Angriff des WELTWEISEN im Ele mentar-Quintadimtrafer, der schein bar sein Ende besiegelte, blieb das Geistwesen eine Zeit lang aktionsun fähig nahe bei der Nadel des Chaos »hängen«. Möglicherweise fing deren hyperenergetischer Schutzschirm es ein und bewahrte es auf diese Weise, selbstverständlich unbeabsichtigt, vor der Vernichtung. Etwa zeitgleich dürfte GLOIN TRAI TOR die Flucht angetreten haben. Erst über dem Planeten Anun-Faeris, als die entsprechende Schirmkomponente abgeschaltet wurde, kam der WELT WEISE wieder genügend zu sich, um festzustellen, dass er in stark geschä digtem Zustand überlebt hatte. Seine Mentalkraft war rapide im Schwinden begriffen. Um Gelegenheit zur Regeneration zu finden, kam er auf die Oberfläche des Ozeanplaneten – und rettete sich in einen Zustand der vorübergehenden, partiellen Zerle gung. In der Hoffnung, dass es die aus der kollektiven Erinnerung psychisch sowie paraphysisch wiedererschaf fenen Persönlichkeiten zustande brin gen würden, den Kernkörper des Weltweisen am Leben zu erhalten, bis er sich ausreichend erholt hatte. Eine Hoffnung, die sich erfüllt hat te ... * Keine besonderen Vorkommnisse, trug Avorru ins Logbuch der Wachsta tion ein. Dann desaktivierte er das Ter minal, erhob sich und trat mit seinem Stiefel wütend gegen den Sockel der Konsole. Widerwillig gab er der Jammer schlampe Nifolarqe recht: Hier auf die ser verfluchten Salzwasserkugel pas sierte wirklich nie etwas!
Sicher, das Erscheinen GLOIN TRAITORS im Faeris-System war eine Sensation ersten Ranges. Aber die Nadel des Chaos gab nun schon den dritten Tag keinen Pieps von sich. Alle seine Funkanrufe blieben unbeantwor tet. Beunruhigend. Extrem beunruhi gend. Dass man den Kommandanten eines bis vor Kurzem unbedeutenden Stütz punkts nicht persönlich über aktuelle Entwicklungen informierte, war wenig verwunderlich. Aber auch aus den manchmal widersprüchlichen Mel dungen, die im Kolonnen-Funk kur sierten, wurde er nicht schlau. Fast hatte er den Eindruck, als ste cke die Terminale Kolonne in Schwie rigkeiten. Wovon KOLTOROC, der Progress-Wahrer, die Herolde und Dualen Kapitäne mit Rücksicht auf die Moral der Truppen nichts an die nie deren Ränge durchsickern ließen. Auch die Nadel des Chaos wurde mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt. Dafür gab es nur eine Erklärung, und diese missfiel Avorru sehr: Der Feind, der bekanntlich den Funkverkehr mit hörte und weitgehend dekodieren konnte, sollte die aktuelle Position der Nadel nicht herausbekommen. Bei Xrayn! Wie weit war es mit der Kolonne gekommen, dass GLOIN TRAITOR sich verstecken musste? Wenn seine Theorie stimmte – und davon ging er aus –, durfte Avorru auf keinen Fall via Relaiskette, zu der sei ne Station gehörte, beim Oberkom mando nachfragen, was die Nadel des Chaos über Anun-Faeris verloren hat te. Damit hätte er ja deren Standort verraten. Er war also dazu verdammt, weiter im Dunkeln zu tappen. Unangenehm. Extrem unangenehm. Nur keinen Fehler begehen! Er steckte in der Zwickmühle. Zum einen war sein kleiner, abgelegener Stützpunkt strategisch viel zu unmaß geblich, als dass die Lenker des
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Hangay-Feldzugs ihn darüber aufklä ren würden, was Sache war. Zum an deren hatte alles, was Avorru tat oder unterließ, durch die bloße Anwesenheit GLOIN TRAITORS immens an Brisanz gewonnen. Mit einem Mal stand er im Schein werferlicht und damit automatisch auch im Fokus jedweder späterer Un tersuchungskommissionen. Bis jetzt hatte er sich keine gröberen Ausrut scher geleistet. Dass man sich auf einem solchen Posten nach Herzenslust privat bereicherte und auch gelegent lich sein Mütchen an der endogenen Bevölkerung kühlte, war allgemeine Praxis und wurde toleriert. Viel mehr musste er aufpassen, dass ihm nicht dieser Tage ein Schnitzer un terlief. Er konnte sich zwar kaum vor stellen, dass seiner kümmerlichen Sta tion irgendeine ausschlaggebende Rolle bei der Genese der Negasphäre Hangay zufallen würde. Aber sicher war sicher. Darum hatte er der Mannschaft die beliebten Plündertouren bis auf Wei teres untersagt und sämtliche Soldaten sowie Gleiter am Stützpunkt konzen triert. Obwohl es exakt null Vorzeichen für einen etwaigen Angriff gab, wollte er sich nichts vorzuwerfen haben. Allerdings würde er spätestens in drei weiteren Tagen die Alarmstufe wieder um einen Grad reduzieren müs sen. Permanente Doppelschichten konnte er seinen Leuten nicht zumu ten. Er hatte sie ganz gut in Schuss ge halten; aber Schlafmangel ließ sich nicht ewig durch Absetzung des aggressionshemmenden Präparats Elamgkonyl kompensieren, das alle Mor’Daer regelmäßig einnahmen. Ir gendwann ging das zu Lasten von Dis ziplin und Konzentration. Umgekehrt war er personell nicht gerade überbesetzt ... Noch so eine ver flixte Zwickmühle, aus der es kein Ent rinnen gab!
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Seiner Brust entrang sich ein tiefer Seufzer. Es war noch gar nicht so lan ge her, da hätte der aufstrebende, ehr geizige Kalmor Avorru fast alles dafür geopfert, wenigstens in die Nähe einer Dienstburg oder gar eines Objekts wie GLOIN TRAITOR versetzt zu wer den. Nun ersehnte er nichts mehr, als dass die Nadel des Chaos so schnell wie möglich wieder aus seinem Aufsichts gebiet verschwinden möge. * Sybel Bytter war froh, als Überset zerin eine Pause einlegen zu können, weil die Ckornauten die Aussagen des Weltweisen unmittelbar erfassten. Freilich bekam sie dadurch Gelegen heit, sich der Trauer um Wilbuntir hin zugeben. Wie schön wäre es gewesen, mit ihm im Mentalverbund einer ver geistigten Wesenheit auf unabsehbare Zeit vereint zu sein! Träumte nicht je des liebende Paar von derartiger Erfül lung? Sie tadelte sich als sentimental und zwang sich, ihre volle Aufmerksamkeit den Enthüllungen des Weltweisen zu widmen. Noch war keineswegs gesi chert, dass das Kollektiv je wieder zu sammenfinden würde. Denn hoch am Himmel stand dro hend, nicht zu übersehen, die dunkle, lang gestreckte Silhouette, derentwe gen sie auf diesen Planeten verschla gen worden und körperlich wiederer standen waren. GLOIN TRAITOR, teilte der Weltweise ihnen allen mit, war für seine Sinne offenkundig lädiert und verbarg sich an diesem Ort gegen Entdeckung. »Ist die Nadel des Chaos manövrier fähig?«, warf der ehemalige Erste Ky bernetiker ein. Ohne genaue Prüfung, zu der ihm momentan die Mittel fehlten, könne er Savoires Frage nicht beantworten, gab der Weltweise zurück. Und um weitere
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Fragen vorwegzunehmen: Eine neuer liche Attacke von seiner Seite lag in keiner Weise im Bereich des Möglichen. Er war noch viel zu gebrechlich, um selbst einzugreifen. »Wie lange wird es sich hinziehen, bis du ... bis wir dazu in der Lage sind?« Zu lange, verstand Sybel. Sie muss ten anderweitig aktiv werden. Anzunehmen war, dass niemand au ßer ihnen Perry Rhodan und dessen Mitstreiter zum Versteck GLOIN TRAITORS lotsen konnte. Dem Aura träger die betreffenden Koordinaten zuzuspielen war deswegen das Gebot der Stunde. »Rhodan? Wer ist das denn schon wieder?«, mischte sich Sahmsivil ein, seine Barthaare raufend. Mein Freund, übermittelte Sybel te lepathisch, sei mir nicht böse, aber dir diese Geschichte ausführlich zu erzäh len würde weit mehr als tausendund eine Nacht beanspruchen. Mit zugleich erheitertem und mü dem Unterton erklärte der Weltweise, er müsse nun wieder eine Weile ruhen, um sich nicht erneut zu überanstren gen. Die Exprozessoren wüssten, was zu tun sei. Einige von ihnen würde er, wie unbewusst bereits ansatzweise ge handhabt, mit den dafür nötigen para normalen Kräften ausstatten. Er schloss die Augen und verstumm te. Das Feuer in Sybels Brust hingegen loderte heller denn je. * Wunder geschahen, wie Sahmsivil sie in seinen kühnsten Gedankenspie len nie für möglich gehalten hätte. Nicht nur, dass er sich mit fremden Intelligenzen unterhalten konnte und einen geringen Prozentsatz dessen, was sie von sich gaben, sogar kapierte. Nicht nur, dass Jozzepok seine Scheu klappen abgelegt hatte und Sahmsivils Faszination für das Neue teilte.
Nein, jetzt vollbrachten die Terraner die unglaublichsten Zaubereien! Einer, ein Großer mit kohlschwarzem Kopfpelz und fast ebenso dunklen, tief in den Höhlen liegenden Augen, ver schwand plötzlich, als habe er sich in Luft aufgelöst – und erschien im selben Moment auf einer anderen, mindestens hundert Meter entfernten Klippe, en thusiastisch winkend; nur um gleich darauf seinen früheren Platz wieder einzunehmen und sich lässig zu vernei gen. Sahmsivil blinzelte. Hatte er Tag träume? Nun war es an ihm, an der Ge nauigkeit seiner Sinneswahrnehmung zu zweifeln und den vergorenen Aus tern die Schuld dafür zuzuschieben. Ihm blieb keine Zeit zum Grübeln. Der Einäugige, den er als Lehrerkol legen entlarvt hatte, hob Steine auf, fünf an der Zahl, und jonglierte mit ihnen. Das wäre noch nichts Umwerfendes gewesen; derlei Kunststückchen führ ten auch manche Ckornauten bei fest lichen Zusammenkünften vor. Dieser Terraner jedoch stützte seine Hände in die Hüften – und die Steine flogen trotzdem weiter im Kreis! Die freundliche Fähe Sybel bemerk te Sahmsivils Verwirrung. Laurence hat eine parapsychische Fähigkeit entwickelt, die Telekinese genannt wird. Die dafür erforderliche Mentalenergie leitet der Weltweise ihm zu, so wie auch mir, damit ich mit dir und Jozzepok kommunizieren kann. Pal Astuin wiederum – das war der Schwarzbeschopfte, meist düster Dreinschauende – habe eine Psi-Gabe zurückgewonnen, die er schon früher ausgezeichnet beherrscht hatte: jene der spontanen, willentlichen Ortsver setzung oder Teleportation. Falls er, erfuhr Sahmsivil, sie in gleichem Aus maß wie zuvor einzusetzen vermochte, sprang Astuin mit einem einzigen Satz von diesem Ende des Archipels zum
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anderen, ja bei Bedarf um ein Viel faches weiter. Und das war noch lange nicht alles. * Auch Matheux Alan-Bari spürte die innerliche Hitze erneut aufwallen. Bis ins Mark erschrocken, wandte er sich ab und bedeckte instinktiv seine Augen mit den Handflächen. Die ihm zugeflossene Kraft war merklich stär ker als beim Kampf mit den Seeunge heuern. Er hatte Angst, seine Kame raden zu kristallisieren, einzig und allein dadurch, dass er sie ansah! Sowenig er sich anmaßte, Kritik am Vorgehen des Weltweisen zu üben – diese Gabe wollte er nicht. Er war Ma thematiker und Hyperphysiker, kein Killer. Mit vor Aufregung halb erstickter Stimme warnte er die anderen, sie soll ten ihm nicht nahe kommen und ihm unter gar keinen Umständen in die Au gen blicken. Dann zog er sich mit ge senktem Kopf, nur so viel als nötig zwischen den Fingern hindurchlin send, auf das Plateau und weiter ins Hinterland der Insel zurück. Warum hatte ihm der Weltweise das bloß angetan? Matheux mühte sich, den in ihm to benden Aufruhr zu besänftigen und rational zu denken. Niemals würde er ihrem Mentor böse Absichten unter stellen. Aber weshalb machte dieser ihn dann zu einer Mordwaffe auf zwei Beinen? Gewiss nicht, um die anderen Ex prozessoren und damit das ganze Un ternehmen zu gefährden. Also traute ihm der Weltweise zu, mit dem un heimlichen Psi-Talent verantwor tungsvoll umgehen zu können. Vorsichtig nahm Matheux die Hände vom Gesicht und fixierte mit dem Blick eine wenige Meter entfernte, im Licht der Sterne und Monde grau schim mernde, verdorrte Baumwurzel. Nichts
geschah, obwohl seine inwendige Hitze nicht nachgelassen hatte. Jedoch fühlte er, dass er das kalte, psionische Feuer jederzeit freisetzen konnte. Er brauchte es nur zu bündeln, auf das Zielobjekt zu fokussieren, den parapsychischen Kanal zu öffnen ... ... und die Wurzel zerfiel in winzige weißblaue Kristalle, die von einer Windbö hinweggeblasen wurden. Schwer atmend ließ sich Matheux auf sein Hinterteil plumpsen. Es funk tionierte. Leider. Ach du ...! Er würde wahnsinnig aufpassen müssen, wenn er sich je wieder in die Gesellschaft von Menschen begeben wollte. Oder Ckornauten, ergänzte er. Jedenfalls musste er seine Emotio nen ständig im Zaum halten. Ausge rechnet er, der zu Verdrossenheit und Temperamentsausbrüchen neigte! Mit dem Schicksal zu hadern war ab sofort ebenfalls untersagt. Zumal dem Ganzen bei vernünftiger Betrachtung eine gewisse Logik innewohnte. Der Weltweise war erschöpft. Um mit seinen Kräften hauszuhalten, ver teilte er die Paragaben an solche Per sonen, wo gewisse Anlagen bereits vor handen waren. Sybel Bytter besaß einen herausragend analytischen Ver stand und konvertierte mühelos ohne Rechnerunterstützung Aussagen aus einem mathematischen System ins an dere. Laurence Savoire jonglierte seit vie len Jahren mit Bällen, aber auch mit Zahlen und kybernetischen Formeln; zudem verfügte er von klein auf über eine schwache psionische Begabung. Pal Astuin war sowieso bereits als ESCHERS Avatar durch Terrania City teleportiert, übrigens fast immer im Duo mit Merlin Myhr ... Und bei ihm hatte seine unheilbare Krankheit den Ausschlag gegeben. Ir gendwie nützte der Weltweise die Zen trumspest, von der die Atomstrukur seiner Körpermoleküle umgewandelt
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wurde, als eine Art psionischen He bel. Ein oder zwei Teleporter, ein Tele kinet, eine auf Fremdwesen speziali sierte Telepathin, dachte Matheux. Und ein alter Narr, dessen Blicke töten können. Na fantastisch. Er begann zu ahnen, was auf ihn zu kam. * Im Morgengrauen inspizierte Avorru die Verteidigungsstellungen. Das tat er jeden Tag, seit er auf Anun-Faeris sta tioniert war. Alter Psycho-Trick aus dem Hand buch für Führungskräfte: Der Kom mandant trat seinen Dienst an, sobald sich das erste Tageslicht zeigte. Hinterher legte er sich für gewöhn lich noch ein paar Stunden hin. Aber das wusste außer ihm nur Nifolarqe, die ab und an sein Lager teilte. Sie und ihre blöde Pelzmantel-Ma nie! Damit hatten die Aufregungen und Beschwerlichkeiten angefangen. Vorher war alles herrlich geruhsam ge wesen. Die Mor’Daer auf der Geschützgale rie salutierten zackig. Avorru ließ sich die Bereitschaft der schweren Strah lenkanonen demonstrieren, deren Ziel
erfassungen mangels lohnender Ziele aufs offene Meer gerichtet waren, er mahnte die Soldaten zu erhöhter Wachsamkeit, gerade weil alles ruhig schien, und ging durch ein Schleusen schott ins Freie. Vor einigen Wochen hatte er auf der Aussichtsterrasse noch mit Nifolarqe diniert. Baldachin, Kerzen, wehmütige Schlachtgesänge, alles sehr roman tisch. Aber die warme Jahreszeit war ein deutig vorüber. Graupelregen fiel, Ne belschwaden umzogen die Kuppel. Ir gendwo kreischten Vögel, höhnisch, als wollten sie ihn auslachen. Er überlegte, ob er den Energie schirm aktivieren lassen sollte, und entschied sich dagegen. »Ressourcen verschwendung wegen durch nichts gerechtfertigter Paranoia«, so etwas las sich nicht gut in der Personaldatei. Und beim kleinsten Batzen Vogeldreck, der die edle Ricodin-Hülle zu ver schmutzen drohte, bauten sich ohne dies in Bruchteilen von Sekunden Prallfelder auf. Avorru wollte sich gerade umdrehen, da nahm er schräg hinter sich eine Be wegung wahr. Er trug volle Kampfmontur und selbstverständlich die zugehörigen Kopfklappen. Zusätzlich zum natür-
PERRY RHODAN-Heft verpasst? Dann einfach nachbestellen bei: TRANSGALAXIS-Buchversand, Postfach 11 27, 61362 Friedrichsdorf/Taunus. Lieferung erfolgt per Bankeinzug (Daten nennen) zzgl. € 3,90 Versand, Ausland € 6,90 oder per Nachnahme (€ 7,50 Versand + Zahlkartengebühr). Bestellungen auch per Internet: www.Transgalaxis.de oder per E-Mail:
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lich gegebenen Ausschnitt bildeten sie ein sehr viel größeres, gestauchtes Panorama des Umfeldes ab. Man konnte damit einen Sichtwinkel von 270 Grad überschauen, ohne den Kopf einen Millimeter drehen zu müssen. Für einen Augenblick glaubte Avorru, mitten über dem vom Sturm zerwühlten Ozean zwei Gestalten ge sehen zu haben, senkrecht vom Him mel fallend wie im Sturzflug, auf die große Entfernung nicht mehr als Strichmännchen. Er konzentrierte sich auf die ungefähre Stelle, jedoch waren und blieben sie verschwunden. Wahrscheinlich ein Trugbild, das ihm die tanzenden Nebelschleier vor gegaukelt hatten. Gleichwohl rief er sofort die Ortungsabteilung an und er kundigte sich, ob in den letzten Minu ten ungewöhnliche Emissionen ange messen worden waren. »Nichts dergleichen, Kommandant«, antwortete der Daerba, ein Gansch kare, den Avorru wegen seiner krieche rischen Art von Herzen verabscheute. »Keine besonderen Vor...« »Jaja, in Ordnung. Ich will eine To talauswertung sämtlicher automa tischer Aufzeichnungen jener Sen soren, die auf die Außensektoren C elf und zwölf ausgerichtet sind. Alles, was wir identifizieren können: Metallkon zentrationen, Sprengstoffe, Reststrah lungen von Waffenmagazinen, Deflek toren, Flugaggregaten ... die gesamte Palette.« »Zu Befehl, Herr! Bis wann möchtest die Ergebnisse?« »Du solltest bereits damit fertig sein.« Nach staunenswert kurzer Zeit be kam er tatsächlich die Nahortungs daten geliefert; in sämtlichen Punkten negativ. Damit stand fest, dass da nichts gewesen war. Er musste sich die Strichmännchen eingebildet haben. Mach dich nicht verrückt!, schärfte er sich ein. Hier passiert nie etwas. Und
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die Nadel des Chaos wird sich auch bald wieder verziehen. * Als Astuin und Myhr zurückkehrten, schlotterten sie erbärmlich. Die Basti on der Kolonne lag 1500 Kilometer weiter nördlich, berichteten sie, und in den frühen Morgenstunden war es dort klirrend kalt. »Wärmt euch erst mal am Feuer«, sagte Laurence Savoire. »Oder besser, am Weltweisen.« Letzteres meinte er natürlich im übertragenen Sinn. Er war beeindruckt. Dass das düste re Duo, TLD-Vergangenheit hin oder her, den feindlichen Stützpunkt so rasch ausforschen würde, hätte er nicht gedacht. »Merlin hat zusätzlich zur Telepor tation die Fähigkeit des Frequenzhö rens akkumuliert«, erklärte Pal Astuin für seinen notorisch mundfaulen Part ner. »Allerdings muss er noch lernen, mit seinem erweiterten Wahrneh mungsspektrum umzugehen.« Myhr verzog den Mundwinkel. »Kann nervig sein, Funkwellen im Hirn.« »Hast du etwas von der Nadel des Chaos, äh ... gehört?«, fragte Laurence. Der verhutzelte Mann mit dem un gesund, fast mumifiziert wirkenden Teint schüttelte den Kopf. »Stellt sich tot.« Auch der auf einer einsamen, kargen Vulkaninsel liegende Standard-Au ßenposten der Kolonne glänzte nicht mit überbordender Aktivität. »Keine Traitanks oder sonstigen Kampfraum schiffe, bloß Hangars für etwa zwanzig Gleiter«, schilderte Pal Astuin. »Nichts Spektakuläres. Eine typische planetare Relaisstation für den Kolonnen-Funk. Allerdings hat der Kommandant, ein Kalmor, wegen der Anwesenheit von GLOIN TRAITOR höchste Alarmstufe angeordnet.« »Nervös, der Typ«, ergänzte Myhr.
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»Überfordert. Weil er weder von der Nadel noch sonst wo Instruktionen kriegt.« »Eineinhalbtausend Kilometer.« Ma theux Alan-Bari, der es nach wie vor vermied, seinen Blick zu heben, bohrte mit dem Daumen ungeniert in der flei schigen Nase. »In unseren handge flochtenen Nussschalen hätten wir es nie und nimmer bis dorthin ge schafft.« Laurence räusperte sich. »Ihr seid die Experten«, sagte er zu den beiden Düsteren. »Als ehemalige Agenten des Liga-Dienstes, meine ich. Wie hoch schätzt ihr unsere Chancen ein, unbe merkt zum Sender des Stützpunks vor zudringen?« »In Anbetracht der uns fünfen vom Weltweisen verliehenen Psi-Fähig keiten: nicht schlecht«, wich Pal Astu in aus. Sein schmächtiger Kompagnon schnarrte: »Vordringen? Achtzig Pro zent. Unbemerkt – zehn.« Sybel Bytter wies auf eine zweitran gige, jedoch nicht ganz unwesentliche Komplikation hin. »Die Kälte dort oben im Norden könnte unsere Reflexe entscheidend beeinträchtigen. Selbst wenn wir annehmen, dass wir die meis te Zeit innerhalb der Station verbrin gen werden: Halb erfroren geben wir leichte Gegner ab.« Alan-Bari schnaufte verächtlich. Ohne aufzusehen, sagte er: »Falls du hier irgendwo eine Boutique findest, spendiere ich dir ein Abendkleid.« »Sehr witzig.« Sie zuckten zusammen, weil wie aus dem Boden gewachsen der jüngere Ckornaute vor ihnen stand. »Diesbe züglich könnte ich Abhilfe anbieten.« Er erntete verdutztes Schweigen. Seit wann sprach er Interkosmo? Laurence begriff. Der Weltweise agierte zwar momentan nicht bewusst, um sich zu schonen; aber was einmal eingeleitet war, lief sehr wohl weiter. So, wie er die fünf Terraner mit Men
talenergie speiste, hielt er auch die Kommunikationsfähigkeit der Ckor nauten aufrecht. »Was schlägst du vor, Sahmsivil?« »In der benachbarten Bucht liegt der Kadaver einer Riesenviper, die mein Vater und ich erlegt haben. Aus ihrer Haut könnte ich euch wärmende Klei dung schneidern.« Wie zum Beweis zog er ein gläsernes Messer aus dem Gürtelhalfter. »Ich denke, das kriege ich ganz passabel hin, Soriskuan sei Dank. Um die Schlangenhaut dauerhaft zu gerben, fehlt uns die Zeit. Aber Jozzepok hat garantiert Chemikalien in seinem Jagdsack, womit sie sich so weit kon servieren lässt, dass sie euch gegen Wind und Wetter schützt und nicht all zu arg müffelt.« Die Terraner, ausgenommen AlanBari, glotzten einander konsterniert an. »Spitzenidee«, sagte Sybel und klatschte in die Hände. »Politisch kor rektes, biologisch unbedenkliches, fair gehandeltes Schlangenleder wollte ich schon immer mal tragen.« »Ich nähe es dir mit Orchideen-Luft wurzeln hautnah auf den Leib. Unter einer Bedingung.« Sahmsivil baute sich in voller Größe über ihnen auf. »Die wäre?« »Ich und meine Harpune kommen mit. Wir haben den Mördern meiner Schüler eine Lektion zu erteilen.« * Er fasste es nicht, dass sie sich auf diesen Irrsinn einließen. Aber da standen sie, sechs wenig glorreiche Halunken, mit dem Welt weisen als siebentem im Hintergrund. Gehüllt in schuppige, kaum abgestor bene, schon gar nicht desinfizierte Fla den von ranziger Epidermis, die nicht roch, sondern stank. Matheux kratzte sich am Hinter kopf. Er, das Musterbeispiel eines
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übervorsichtigen, ja feigen Stubenho ckers, ging in einen Hochrisiko-Ein satz, dessen Ausgang sich nicht im Mindesten berechnen ließ! Der erste Mor’Daer-Soldat, dem er über den Weg stolperte, würde ihn unverzüglich ex terminieren. Es sei denn, ich sehe ihn, bevor er noch den Abzug seiner Waffe betätigen kann ... Ihn schauderte beim bloßen Gedanken. Die Vipernhaut hatte zu guter Letzt sogar noch ein ärmelloses Jäckchen für Sahmsivil hergegeben. Der Ckornaute bedurfte zwar keines Kälteschutzes, doch hatte er das knappe Kleidungs stück mit Stolz übergezogen, als Sym bol seiner Zugehörigkeit. »Wer mit wem?«, fragte Savoire. Merlin Myhr schnappte sich Sahm sivils Pranken und Matheux’ schweiß nasse Hände. * Schlagartig wechselte die Umge bung. Laurence sah sich um. Viel konnte er trotz seines erweiterten optischen Spektrums nicht erkennen. Im matten Schein einer Notausgangsleuchte zo gen sich entlang der Wände Stellagen, auf denen Container gestapelt waren. Ein Lagerraum; unbemannt. »Keine Funkimpulse hier oder in den angrenzenden Räumlichkeiten«, mel dete Myhr. Deswegen hatten sie sich diesen Ort als erstes Sprungziel in der Station ausgesucht. Mor’Daer-Uniformen be saßen eingebaute Normalfunk-Inter koms. Merlin konnte sie also orten. Allerdings bestand immer die Ge fahr, auf Besatzungsmitglieder in Frei zeitkleidung zu stoßen ... Laurence warf Sybel einen fra genden Blick zu. Sie schüttelte den Kopf zum Zeichen, dass sie telepa thisch nichts wahrnahm. Wie weit auf ihre Fähigkeit Verlass
war, musste sich erst noch herausstel len. Weder stand fest, ob sie bei Kolon nen-Soldaten überhaupt wirkte, noch innerhalb welches Radius oder bei welchem Gemütszustand. Als sie Sahmsivil bemerkt hatte, war dieser höchst aufgeregt gewesen. Je denfalls betrug ihre Reichweite deut lich weniger als der Durchmesser des Stützpunkts, sonst hätte Sybel bereits Gedanken auffangen müssen. Erleichterte Grimassen schneidend, zogen die Terraner ihre Schlangen haut-Mäntel aus und legten sie ab. Der Mief, den die provisorisch präparierten Häute absonderten, war so intensiv, dass er für die Eindringlinge innerhalb des Stützpunkts verräterisch sein konnte. Draußen jedoch waren die Dinger Gold wert. Allein schon bei den kurzen, im freien Fall absolvierten Orientie rungsphasen hatten sie die Eiseskälte des Windes auf ein erträgliches Maß abgemildert. Alan-Bari untersuchte einen der Container. »Verschlossen. Soll ich pro bieren, den Kode zu knacken?« »Zeitverschwendung«, sagte Myhr. »Das Waffenarsenal ist in einem ande ren Trakt, bewacht von sechs Solda ten.« Viel Vertrauen in seine Leute schien der Kommandant nicht zu haben ... Sa voire erinnerte sich, dass Mor’Daer ih re Kampfeslust nur schwer zu zügeln vermochten. Da erschien es wohl ange raten, die Schusswaffen außerhalb der Dienstzeit wegzusperren. Das brachte ihn auf eine Idee. »Wir könnten versuchen, als Ablenkungs manöver in einem der Mannschafts quartiere einen Tumult anzuzetteln. Vielleicht verschaffen wir uns damit wertvolle Sekunden.« »Hat was für sich«, gab Astuin zu. »Umgekehrt stoßen wir im Fall einer Entdeckung die Stationsbesatzung verfrüht mit der Nase drauf, dass eine Infiltration im Gange ist.«
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»Dann dürfen wir uns eben nicht entdecken lassen.« »Leichter gesagt als getan. Ich un terstütze deinen Vorschlag trotzdem, mit der Modifikation, dass wir uns in zwei Gruppen aufteilen und zeitlich abgestimmt agieren.« Inzwischen hatte Myhr ausfindig ge macht, in welcher Sektion der große Kolonnen-Funk-Relaissender instal liert war. »Besetzt mit zwei Personen, dem Akzent nach Ganschkaren. Ne benan liegen die Ortungsabteilung und ein weiterer Bereich, in dem viel Be trieb herrscht.« »Die Kommandozentrale?« »Anzunehmen. Ob sich der Kalmor darin aufhält, kann ich nicht sagen, weil er gerade kein Funkgerät benutzt und ich seinen persönlichen Interkom noch nicht identifiziert habe.« Merlin beschrieb Pal Astuin die La ge eines Raums, den er für eine derzeit unbenutzte Werkstätte oder Abstell kammer hielt. Überall sonst im Sektor gab es mehr oder weniger regelmäßige Funkaktivität. Nach kurzer Beratung sprang Astu in mit Savoire und Alan-Bari dorthin. Letzterer stellte ihre stärkste Waffe dar, und Laurence kannte sich am bes ten mit Kolonnen-Technik aus. * Der Cheforter und sein Stellvertreter hatten mächtig Spaß. Immer wieder begeisterten sie sich an den heimlich beschafften Aufzeich nungen, die Avorru angefertigt hatte und in denen er sich bemühte, gute Fi gur zu machen. »Wir perfekt ausgebil deten Führungskräfte der Terminalen Kolonne bewahren Geduld und kühlen Kreislauf ...« Sie lachten keckernd über die Auf geblasenheit ihres Kommandanten und seine klischeehafte, unfreiwillig ko mische Wortwahl. »... nicht ruhen noch rasten, ehe alle Unklarheiten beseitigt
sind, und das Heft des Handelns nie aus der Faust geben ...« Die beste Stelle kam ganz zum Schluss. Avorru verlor den Faden, so dass die Flut von Gemeinplätzen, Me taphern und hohlen Phrasen unvermit telt versiegte. »Und, äh, und ... und.« Und aus. Die beiden Ganschkaren hieben sich gegenseitig auf die Knie vor Entzücken. »Was für ein Clown! Noch mal. Bitte!« Bevor der Daerba den Wunsch er füllen konnte, ertönte aus dem be nachbarten Aufenthaltsraum ein schleifendes Geräusch. Sie schraken zusammen. War da jemand? Wurden sie be lauscht? Etwa gar von einem Spitzel Avorrus, der sie beim Kalmor an schwärzen würde? Der Leiter der Funk- und Ortungs abteilung bedeutete seinem Stellver treter, er solle nachsehen gehen. Falls sie den Lauscher auf frischer Tat er tappten, hatten sie gute Chancen, ihn zum Schweigen zu bringen. Sie besa ßen über so gut wie jedes Besatzungs mitglied kompromittierendes Materi al. In der randlosen Datenbrille des Daerba wurde angezeigt, dass eine Nachricht von der nächstliegenden Re laisstation hereinkam. Er nahm das Gespräch entgegen, tauschte mit dem viele Lichtjahre entfernten Kollegen
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einige Banalitäten aus und leitete zu gleich die mitgeschickte, für eine am Grenzwall operierende Kolonnen-Fäh re bestimmte Depesche weiter. Dann rief er nach seinem Vize. Er erhielt keine Antwort. Fluchend stapfte er ebenfalls in den Aufent haltsraum. Er fand seinen Stellvertreter im rückwärtigen Teil am Boden liegend vor, regungslos, alle viere von sich ge streckt. Aus einer Platzwunde am Hin terkopf floss Blut. Das Gefieder war zusammengedrückt, eine Schwellung im Entstehen begriffen. Gleich daneben lag ein massives Me tallrohr. Damit war die Verletzung her beigeführt worden. Aber wer hatte zu geschlagen? Der Cheforter zog seinen Strahler aus dem Halfter und entsicherte ihn. Bei einem tätlichen Angriff hörte sich der Spaß auf. Hatte einer der von den Doppel schichten gestressten Wachsoldaten durchgedreht? Mal einfach so einem Ortungstechniker eine übergebraten? Abnorm, doch denkbar. Bloß: Wo steckte der Übeltäter? Zwischen zwei Sitzgruppen fungier te ein engmaschiges Gitter als Trenn wand. Darauf waren Zettel mit allerlei halb lustigen Sprüchen und Zeich nungen geheftet. Und dahinter ... Etwas Schweres, Großes traf den Daerba im Rücken. Die mannshohe Kühlvitrine fiel auf ihn und begrub ihn unter sich. Doch er blieb bei Bewusst sein und sah, wie sich über die Ober kante des Trenngitters drei Köpfe er hoben. Obwohl sie gewisse Ähnlichkeiten mit Awour aufwiesen, waren sie si cherlich keine Angehörigen der Kolon ne! Der Cheforter zielte mit dem Strah ler, der plötzlich schwer wurde, als zerre ein unsichtbares Gewicht daran. Mit der anderen Hand nestelte er nach dem Alarmknopf am Hüftgurt. Der Mittlere der drei Exoten, er hat
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te nur ein Auge, rief etwas Unverständ liches. Der Rechte, von dessen Schädel wirre graue Zotteln abstanden, verzog das Gesicht zu einem melancholisch wirkenden Ausdruck. Kälte, wie er sie noch nie verspürt hatte, erfasste den Daerba. Die Welt zersplitterte und er mit ihr. * Laut Merlin Myhr waren in der Ka bine keine Funkgeräte aktiv. Aber Sy bel bemerkte unmittelbar, nachdem sie rematerialisierten, dass sich im an grenzenden Zimmer der Wohnsuite je mand aufhielt! Sie empfing die Gedanken einer weiblichen Person. Einer eitlen, gel tungssüchtigen Frau, die sich gerade selbstverliebt in einem Spiegel bewun derte. Sybel stieß Merlin und Sahmsivil an, legte den Zeigefinger über die Lippen und neigte den Kopf in Richtung des offenen, bogenförmigen Durchgangs. Ihre Begleiter verstanden. Myhr hob fragend die pechschwar zen Brauen. Sollten sie ihr Glück in einem anderen Quartier versuchen? Wo ihnen genau dasselbe passieren konnte wie hier? Achselzuckend horchte Sybel in sich hinein. Je stärker sie sich konzen trierte, desto mehr Gedankenfetzen vernahm sie, von überall her. Manche waren wirr, als träume der Betreffende oder stünde unter Drogen. Aber sie vermochte sie kaum auseinanderzu halten, geschweige denn zu lokalisie ren. Sie vollführte eine Geste des Bedau erns. Da rümpfte Sahmsivil die Knub belnase, witterte, sprang näher zum Durchgang – und stieß ein schauriges, aus tiefster Kehle kommendes, qual volles Geheul aus. Ehe sie ihn davon abhalten konnten, riss er seine Harpune vom Rücken und feuerte sie ab. Merlin und Sybel rann
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ten zu ihm und starrten ins Nebenzim mer. Vor spiegelnden, die gesamte Rück wand einnehmenden Fliesen stand ei ne Mor’Daer. Aus ihrer schuppigen Stirn ragte Sahmsivils gläserner Pfeil. Während sie langsam zur Seite kipp te, erkannte Sybel Bytter, dass die Schlangenköpfige einen bodenlangen Pelzmantel anhatte, der aus zahl reichen Fellen von Ckornauten be stand. Epilog: Das Angebot Während Astuin Schmiere stand, programmierte Savoire die Hyperfunk anlage. Der Kolonnen-Funk-Sender sollte ein starkes, fünfdimensionales Peilsignal ausstrahlen, dessen Klartext aus nur drei Wörtern bestand: Hier GLOIN TRAITOR! Matheux Alan-Bari verfolgte der
weil mit der Datenbrille des ausge knockten Ganschkaren den stationsin ternen Funkverkehr. Noch gab es keine Hinweise darauf, dass die Eindring linge entdeckt worden wären. Sein Herzschlag stockte, als gellend Alarmsirenen ansprangen. Im selben Moment traf eine Meldung ein. »BraBra-Brand im Mannschaftsquartier!«, stotterte er. »Prima«, sagte Savoire. »Genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich bin fertig. In drei Sekunden geht die Botschaft hin aus.« Er schlug auf eine hellgrün blinken de Schaltfläche, dann breitete er die Arme aus. »Und jetzt nichts wie weg!« * Dutzende Kilometer in einem ein zigen Augenblick ... Sie stürzten durch Wolken, Regen schleier und Nebelfahnen, aneinander geklammert, damit Merlin Myhr nicht
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den Kontakt zu seinen Gefährten ver lor. »Hätte mir fast den Schädel ge sprengt, die Sendestärke!«, schrie er gegen den Fahrtwind an. Er war tele portiert, sobald er das Signal empfan gen hatte. Keine Sekunde zu früh. Ein Blitz zerteilte die gräulichen Schwaden, ein dicker, blendend greller Strahl, der vom Himmel zur Oberfläche herabfuhr und in die Kuppel des Stützpunkts ein schlug. Unzweifelhaft kam er aus dem Orbit, aus einer der Fort-Komponen ten GLOIN TRAITORS. Sybel sah noch, wie die Insel mit samt der Relaisstation in einem sich explosionsartig ausdehnenden Feuer ball verging. Dann wechselte die Sze nerie erneut. * Nachdem sie das Refugium jener merkwürdigen, überaus mächtigen Riesenqualle, die sich Weltweiser nannte, erreicht hatten, eilte Sahmsivil sofort zu Jozzepok. Er zeigte ihm das obszöne Kleidungsstück, das er aus dem Mörderheim mitgenommen hat te. »Damit ist erwiesen, dass deine Ge schichte stimmt und immer gestimmt hat«, sagte der Jagdmeister und klopf te ihm anerkennend auf die Schulter. »Ich gratuliere dir, mein Junge. Du wirst ganz gewiss rehabilitiert wer den.« »Lieber wäre mir, es wäre alles nur ein Albtraum gewesen. Wenigstens hat die Missetäter eine gerechte Strafe er eilt.« Sie hielten eine schlichte Trauerze remonie ab, in der sie der fünfzehn Schüler gedachten. Danach gesellten sie sich wieder zu den Terranern. Savoire, der einäugige Lehrer, und seine Gefährten diskutierten gerade, welche Folgen ihr Einsatz nach sich ziehen würde. Sie hatten ihr Möglichs
tes getan. Am Firmament verdunkelte nach wie vor der balkenförmige Um riss die Sterne. Aber die rohrlose Post, die Nachricht vom Aufenthaltsort der Chaosnadel, war nach draußen ge langt. »Ob man sich im Inneren GLOIN TRAITORS über die Konsequenzen im Klaren ist?«, fragte Sybel. »Möglich, dass sie sich trotz des Peilimpulses sicher wähnen«, antwor tete Savoire. »Möglich aber auch, dass GLOIN TRAITOR manövrierunfähig ist und gar keine Wahl hat, als auf po tenzielle Angreifer aus unserem Lager zu warten.« »Und wie geht es für uns weiter?« Sahmsivil spürte wie alle anderen auch den innigen mentalen Schwall, der sie lind umspülte und ihnen an zeigte, dass der Weltweise abermals erwacht war. Seine Gesundung schrei te gut voran, teilte er mit. Dennoch be nötige er noch mehrere Tage der Erho lung, bis er erneut zum WELTWEISEN werden konnte – und im Anschluss daran eine zusätzliche, unbestimmte Spanne, bis er uneingeschränkt akti onsfähig sein würde. Weitere Hilfe gegen die Nadel des Chaos war von ihm oder seinen exter nen Bestandteilen also nicht zu erbrin gen. Alles Übrige lag bei Perry Rhodan und dessen Verbündeten; falls sie die Nachricht aufgefangen hatten ... Bevor es sich wieder zu Ruhe begab, wandte sich das Quallenwesen direkt an die Ckornauten und unterbreitete ihnen ein Angebot. So sie dies wünschten, würden Sahmsivil und Jozzepok ins Geisteskollektiv des WELTWEISEN aufgenommen werden, anstelle der beiden gefallenen Terra ner; jedoch nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung. Sie sollten das Angebot gut beden ken und sich dabei Zeit zu ausgiebiger Beratung gönnen. Ihre Entscheidung mussten sie erst bekannt geben, wenn es so weit war.
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»Ich kann’s euch wärmstens empfehlen«, brummte der Zottelige. »Dann tut einem endlich nichts mehr weh.« Sahmsivil blickte zum Horizont, wo die leuchtende Sichel des kleineren
Monds aus dem Niemandsmeer empor stieg. Auf ewig mit seinem Vater ver eint? »Wir werden darüber reden«, ver sprach er.
ENDE
GLOIN TRAITOR wurde also so wenig zerstört wie der Weltweise getötet! Um der Retroversion zur Durchsetzung zu verhelfen, muss Perry Rhodan mit all seinen Truppen die geschwächte Nadel des Chaos angreifen und vernichten, oder alles ist verloren ... Mit dem verzweifelten letzten Kampf der Galaktiker und der Friedensfahrer gegen die Genese einer Negasphäre beschäftigt sich auch Arndt Ellmer, Autor von Band 2494. Sein Roman erscheint nächste Woche überall im Zeitschriftenhandel unter dem Titel: RETROVERSION
PERRY RHODAN – Erbe des Universums – erscheint wöchentlich in der Pabel-Moewig Verlag KG, 76437 Rastatt. Internet:
www.vpm.de. Chefredaktion: Klaus N. Frick, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Titelillustration: Alfred Kelsner. Innenillustration:
Michael Wittmann. Druck: VPM Druck KG, 76437 Rastatt, www.vpm-druck.de. Vertrieb: VU Verlagsunion KG, 65396 Walluf,
Postfach 5707, 65047 Wiesbaden, Tel.: 06123/620-0. Marketing: Klaus Bollhöfener. Anzeigenleitung: Pabel-Moewig Verlag KG,
76437 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rainer Groß. Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 34. Unsere Romanserien
dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf
ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg Gesellschaft m.b.H., Niederalm 300,
A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustim
mung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen.
Printed in Germany. Mai 2009.
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PERRY RHODAN gibt es auch als E-Books und Hörbücher: www.perryrhodanshop.de
VON NETZEN UND MODELLEN (II)
Die Querionen gehören zu jenen, die schon seit langer Zeit das natürliche Psionische Netz mit der Absoluten Bewegung zur gezielten Fortbewegung verwenden können. Sie nutzten und nutzen die Kosmischen Feld linien und Verbindungen, denen – so weit die bisherige Erkenntnis – ein beachtliches Potenzial im UHF- und SHF-Bereich des hyperenergetischen Spektrums sowie seiner sechsdimensionalen Komponenten zu eigen ist. Anderen Völkern oder Einzelwesen gelingt es, den Energiegehalt der Kosmischen Kraftlinien »anzuzap fen«, nutzbar zu machen oder ihm in Form von PsiMaterie greifbare »Substanz« zu verleihen – sofern Konzentrationspunkte und »Verdickungen« des natür lichen Psionischen Netzes nicht ohnehin (auch) in Gestalt von Hyper- und/oder Psi-Materie vorliegen (können). Letztlich bedienen sich alle Parabegabten des natürlichen Psionischen Netzes – sie nutzen das Potenzial und kanalisieren hierbei die vorhandenen Kräfte, während die Primärkraft ihrer Fähigkeiten der Kosmos selbst liefert! Die zeitweise durch DORIFER erhöhte Psi-Konstante und das in der Folge im Wirkungsbereich dieses Kos monukleotids für die Gänger des Netzes durch die Aus prägung von Norm- und Präferenzsträngen nutzbar gewordene »Gebilde« waren eine »angeregte Form« vergleichbar einem Oberton, während die Kosmischen Kraftlinien an sich den Grundzustand darstellten und darstellen. Eine ähnliche »Aufladung« ist die Quartale Kraft der Universalen Schneise oder im kleineren Maß stab das Mesoport-Netz der Andury. Durch Präferenzstränge konnten sich damals nur Netzgänger per Persönlichen Sprung bewegen. Normstränge dienten dagegen als Transportmedium von Raumschiffen mit Enerpsi-Antrieb. PRC 1326: Dem psionischen Feld des Normstrangs lässt sich ein hy permagnetischer Effekt zuordnen. Die Wirkung des Enerpsi-Antriebs beruht darauf, dass ein UHF-Hyperfeld erzeugt wird, dessen hypermagnetischer Effekt diesel be Polarität besitzt wie jener des Normstrangs. Und – jaja, jetzt kommt’s: Die beiden Effekte stoßen einander ab. Daraus entsteht, je nach Vektorierung des EnerpsiFelds, eine beschleunigende oder bremsende Wirkung. Die Geschwindigkeiten, die ein mit Enerpsi ausgestat tetes Fahrzeug innerhalb des Normstrangs erreichen kann, werden begrenzt durch die Leistungsfähigkeit des Enerpsi-Generators, durch den Aufwand, der betrie
ben werden muss, um Enerpsi-Feld und das Feld des Strangs miteinander zu synchronisieren, und durch gewisse Strömungseffekte (hyperenergetische Wir bel), die im »Kielwasser« des Fahrzeugs auftreten und dessen Vorwärtsbewegung zu hindern versuchen. Die Strangarten unterschieden sich in der Frequenz der ihnen innewohnenden Hyperenergie: Präferenzstränge waren höherfrequent als Normstränge und damit von energiereicherer Natur (PRC 1301, 1327). Ein weiteres Unterscheidungskriterium war neben der Dichte die Kapazität der Feldlinien – modellhaft gesagt: Anzahl der Feldlinien pro Volumeneinheit sowie Querschnitt oder Dicke der Einzelfeldlinie. Angesichts der Nut zungsmöglichkeit via Enerpsi-Antrieb dürfte es auch unterschiedliche Polaritäten gegeben haben. Weitere Unterscheidungskriterien ließen sich durch die Anzahl von Verästelungen, Kreuzungen, Schnittpunkten oder »Knoten« ebenso erkennen wie durch die Länge samt »frei schwingenden Enden« der jeweiligen Verbindung sowie ihr individueller »Verlauf«, der von einer direkt geraden Strecke über Bögen, Schleifen, Spiralen und Wirbel bis zu in sich verschlungenen »Knäueln« rei chen konnte. Ein weiterer Aspekt könnte analog zur allgemeinen Hy perstrahlung im niederfrequenten Bereich des hy perenergetischen Spektrums zu sehen sein. Die natür lichen Hyperemissionen beispielsweise der Sonnen ergeben insgesamt ein Muster einander teilweise ab schwächender, an anderer Stelle auch verstärkender Überlagerung, welches sich überdies wie die Sonnen und ihre Aktivität permanent verändert, von Resonanz effekten begleitet ist und dergleichen mehr – von Tur bulenzen bis im Extrem zu Hyperstürmen unterschied licher Stärke. Hinzu kamen mit den Kalmenzonen weite Abschnitte des Hyperraums, in denen keine Stränge existierten – oder diese zumindest derart geschwächt waren, dass ihre praktische Nutzung ausgeschlossen war. Durch aus möglich, dass es hier einen Übergang zum »alten Zustand« des natürlichen Psionischen Netzes gab. Mag die damalige »Oberton-Anregung« – ähnlich dem Vibra-Psi – eine Sonderform gewesen sein, so gestat ten die beobachteten Charakteristiken dennoch Rück schlüsse auf die Formen und Möglichkeiten des natür lichen Psionischen Netzes. Die »Modell-Eisenspäne«, nach denen wir suchen? Rainer Castor
Liebe Perry Rhodan-Freunde, Band 2500 wirft seine Schatten voraus. Nur noch wenige Wochen sind es bis zum Con in Garching, der im Rahmen der 15. Garchinger Weltraumtage veran staltet und vom Archiv der Astronomie- und Raum fahrt-Philatelie e.V. ausgerichtet wird. Die Organi sation haben in bewährter Manier der PERRY RHODAN-Stammtisch »Ernst Ellert« München und der PERRY RHODAN Online Club e.V. (PROC) übernom men. Termin ist der 17. bis 19. Juli 2009, Ort der Veranstal tung das Bürgerhaus in Garching bei München. Wie auch bei den letzten GarchingCons werden wie der viele Autoren, Künstler und Redakteure der deut schen SF-Szene und natürlich viele Fans im Bürger haus erwartet. Das interessante Con-Programm wird ein breites Spektrum zu PERRY RHODAN, ATLAN und weiteren Serien und Einzelausgaben bieten. Beim GarchingCon 2009 wird der zeitgleich erschei nende PERRY RHODAN-Jubiläumsband Nr. 2500 im Mittelpunkt stehen. Informationen findet ihr auf der Homepage der Ver anstalter: www.garching-con.net Autoren-Geburtstage im Juni 4. Juni: Rainer Castor (48) 22. Juni: Christian Montillon (35) Feedback zur Handlung Markus Schenk,
[email protected] Der Zyklus neigt sich langsam, aber sicher dem Ende zu, und ich wollte da auch meinen Senf hinzugeben. Da sich ja zurzeit noch keine Erklärung finden lässt, wieso sich ARCHETIM damals ausgerechnet die Son ne als Ruheplatz ausgesucht hat, und ich nicht glau be, dass Stardust damit zu tun hat, habe ich eine für mich schlüssige Erklärung gefunden. Sie beruht zwar auf keinen wirklichen Beweisen, aber sie würde alles erklären. Der Nukleus ist ARCHETIM. Der Nukleus wird immer als leuchtender Ball be schrieben. ARCHETIM hatte die gleiche Form ange nommen (zumindest ein Teil von ihm). Ja, ich weiß, als einzige Erklärung ist das sehr dürftig und absolut unzureichend, aber so würde sich alles erklären las sen. Etwa, dass der vorwitzige Dual ohne Probleme davonkommt, dass ARCHETIM sich die Sonne als Ru hestätte ausgesucht hat, dass die Schohaaken zum richtigen Zeitpunkt auftauchen usw. Meiner Meinung nach wird der Nukleus bei der Retro
version weit in die Vergangenheit geschleudert. Kur ze Zwischenfrage: Woher weiß der Nukleus von der Retroversion, wenn alles so geheim war, und wieso braucht er eine Art Anleitung, da das Ganze ja ziem lich schlüssig ist, was dort passieren muss? Einmal ES gefragt oder andere freundliche Superintelli genzen aus der Nachbarschaft, und – schwups – hat man eine Antwort. Das war’s eigentlich schon von mir. Ich werde wahr scheinlich weit danebenliegen, aber genau diese Spekulationen und Überlegungen machen so eine Serie wie PR gleich noch reizvoller. Das Problem wird sein, ES zu suchen und zu fragen.
Und wie lange fliegt man bis zur nächsten freund
lichen Superintelligenz?
Dass der Nukleus aus der Mentalsubstanz der
35.000 Monochrom-Mutanten und des Volkes der Charandiden aus Andromeda besteht, haben wir schon oft erwähnt. Der Nukleus ist also nicht mit ARCHETIM identisch, aber da er seit seiner Ankunft auf Terra Psienergie aus ARCHETIMS Restkörper saugt, der sich in Sol befindet, ist er natürlich auch ein Stück ARCHETIM. Warum ARCHETIM sich die Sonne Sol aussucht, kann bisher nur vermutet werden. Sie hat sich ihre Ruhe stätte schon lange vor ihrem Tod ausgesucht. Wel che Beweggründe und welches Wissen die Superin telligenz zu dem Zeitpunkt hatte, werden wir vermutlich nie erfahren. Klaus Dieter,
[email protected] Ich lese die Serie seit vielen Jahren, bin immer noch begeistert und möchte sie auch noch weitere Jahre lesen. Gerade habe ich Heft Nummer 2483 »Die Nadel des Chaos« hinter mir. Ich glaube, euch geht langsam der Stoff aus. Die letzten drei Hefte waren für mich reine Lückenfüller mit vierzig Prozent interessantem In halt. Band 2481 war für mich der seit Langem schlechtes te Roman. Bei Band 2483 hatte ich alle Hoffnung, nun mal wieder etwas Spannendes zu lesen. Aber die Texte mit Atarin hätte man sich in dieser schweren Zeit und der anstehenden Negasphäre sparen kön nen. Da bringt lieber etwas von den Friedensfahrern. Die haben sicherlich noch einiges in petto. Wenn ihr den Platz bis 2500 nicht voll bekommt,
dann schreibt noch ein, zwei Romane über das Star
dust-System.
Sonst bin ich mit dem Zyklus sehr zufrieden und hof
fe auf Band 3000.
Fein, dass du mit dem Zyklus bisher zufrieden bist.
Dass uns der Stoff langsam ausgeht, kann nicht
sein. Warum ausgerechnet jetzt?
Du kannst getrost auf Band 3000 hoffen, bis dahin
sind es nur noch läppische neuneinhalb Jahre.
Brandon Llanque,
[email protected] In Band 2483 hat ESCHER verschiedene Sub-Supra troniken übernommen und kontrolliert. Warum konn te er nicht deren Rechenleistung seiner eigenen hinzufügen? Auch wenn das zum Beispiel aufgrund von SoftwareKompatibilitätsproblemen nicht ging, konnte er doch die Supratroniken fehlsteuern lassen; ergo verstand er die zu manipulierenden Prozesse; ergo besitzt er (hyper)physikalisches Grundlagenwissen, das den Terranern im Moment noch abgeht; ergo sollte er (falls er überlebt) selbigen einen ordentlichen Ent wicklungsschub geben können. Ich wünsche mir, dass er auf der Hundertsonnenwelt eine neue Heimat findet. KI (Künstliche Intelligenzen) scheinen ja ohnehin die besseren Menschen zu sein; die Posbis, die T-Pro gnostiker, die Quantroniken. Überhaupt lautet meine neuste Theorie, dass die Ho hen Mächte organische Entitäten nur benutzen, weil diese (also wir) blöd genug sind, sich von anderen als Soldaten in deren Konflikten benutzen zu lassen. Und dann auch noch mit Feuereifer dabei sind. Man muss sich das nur mal vorstellen. Aufseiten der Chaotarchen die Supratroniken, aufseiten der Kos mokraten Technotroniken, Quantroniken für das Leben an sich (die wirken übrigens viel lebendi ger als die Terraner des Roten Imperiums), und ES schickt den halbinpotronischen Homunk als Schiedsrichter. Es würde kein einziger Schuss fallen. Die Rechner sind viel zu clever (und mit sich selbst beschäftigt), um sich gegenseitig für irgendwelche »Mächte« um zubringen. Überhaupt, die Quantroniken ... Ich habe den dritten Band noch nicht ganz geschafft, gehe aber davon aus, dass PR es nicht schafft, ent scheidendes Wissen mitzunehmen. Und wieder geht uns Supertechnik durch die Lappen (Riesenseufzer). Allein schon für die Antwort, die die ENGEL DER EIN TRACHT (übrigens der großartigste Name für ein Kriegsschiff, den ich je gehört habe) auf Farashus
Frage gibt, was die Quantronik gerade denkt, könnte ich Wim Vandemaan küssen. Der Zyklus »Das Rote Imperium« (von der Ideendich te her ist er einer) ist insgesamt wirklich klasse. Offenbar wählt ihr den militärischen Lösungsweg zur Vernichtung der Negasphäre. Es wäre herrlich antikli maktisch gewesen, hätte der Virus der Posbis Erfolg gehabt. Eine wirklich mutige Variante wäre das gewe sen, auch wenn ich nicht ganz verstehe, wie sich der Virus zu den restlichen Einheiten hätte verbreiten sollen, da er ja offenbar sofort Wirkung zeigt. Das Stardust-System verspricht spannend zu wer den (bitte keine konservativen, langweiligen neuen Unsterblichen!). TRAITOR mit einem simplen Virus zu besiegen, das wäre dann doch etwas zu einfach gewesen. Ein Heerwurm, der zig Millionen Jahre existiert, sich ständig selbst erneuert, in verschiedenen Universen zum Einsatz kommt ... ESCHER: Seine ganze Vorgehensweise geschieht un ter dem Aspekt, dass die Gegenseite nicht das Ge ringste erfahren darf. ESCHER würde, wenn er die Daten aus den Supratroniken abrufen würde, zuviel Aufsehen erregen. Also scheidet dieses Vorgehen erst einmal aus be ziehungsweise kommt erst dann in Frage, wenn für Savoire plus ESCHER keine Gefahr mehr besteht. Private Spendenaufrufe? Nein, tut mir leid. Wir kön nen das nicht überprüfen, was dahintersteckt. Ein Zyklus-Rückblick Torsten Liebig,
[email protected] Im Großen und Ganzen gefällt mir sehr gut, was ihr da zusammenbastelt. Wir haben im Zuge der TRAI TOR-Invasion ja einiges an Schauplätzen erlebt. Die anfängliche galaxienweite Überlegenheit der Termi nalen Kolonne fand ich sehr toll dargestellt, auch weil ich ein Fan all der kleinen Randvölker bin. Mal wieder ein paar Hefte über die Akonen zu lesen war einfach toll, auch wenn ihr Scheitern traurig war. Nun leben wir in einer Galaxis ohne Sphinx, aber vielleicht kön nen die Kabinette gerettet werden und einzeln um die Sonne kreisen. Die ganze Geschichte um die Friedensfahrer ist zwar toll, wirkt aber ein wenig arg konstruiert. Alaska stie felt durch einen Zeitbrunnen, trifft auf einem wild fremden Planeten in einer unbekannten Galaxie prompt einen Friedensfahrer, und dieser braucht ihn prompt als Nachfolger in einer Organisation, die auch »Die anonymen Einzelgänger« heißen könnte. Und da findet sich gleich auch noch ein Endlager für Kantiran. Die neuesten Enthüllungen über Kamuko verstärken diesen Eindruck noch.
Das alles hätte man etwas diskreter vorantreiben können. Viele der Friedensfahrer selbst sind toll ge zeichnete Charaktere, allen voran Auludbirst und Polm Ombar. Atlans Abenteuer beim Sonnendodekaeder war auch für Nichtleser der ATLAN-Serie toll, hier hat mir der Zyklus fast am besten gefallen, auch im Konflikt mit Dantyren. Es folgte Perrys Zeitreise, die bei mir einen sehr ge mischten Eindruck hinterließ, der sich auf genau ei nen Gedanken reduzieren lässt: Ekatus Atimoss. Spätestens ab Wim Vandemaans Meisterwerk »Der Vektorplanet« wurde der Dual für mich zum absolu ten Sympathieträger, was sich immer mehr verstärk te, auch in der Gegenwart. Ich hoffe stark, dass er uns erhalten bleibt, wenn uns schon die Algorrian bald verlassen. Die Cypron blieben für mich persönlich blass, und auch die Entstehungsgeschichte der Cynos er zeugte in mir nicht das Kribbeln, das ich mir erhofft hätte. Ansonsten hat sich der ganze Ausflug gelohnt, auch seine Nachspiele in der Gegenwart. Andere Ereignisse vermag ich chronologisch nicht mehr ganz einzuordnen, aber doch zu kommentie ren. Die Wasserstoffmächtigen gaben ein eher ohn mächtiges Gastspiel, von dem man sich mehr erwar tet hätte. Aber sie scheinen ja wiederzukommen. Die Rebellen unter den Dunklen Ermittlern haben eine faszinierende Geschichte und plausible Gründe für ihr Handeln, vom Anfang bis zum Schluss. Der Nukleus hat meistens die Hauptaufgabe, nichts zu sagen, und ist in Teilzeit Retter der Terraner oder der Lokalen Gruppe. Umso vergnüglicher lesen sich ESCHER und all seine Ränke und Kabbale und die Verwirrung, mit der die handelnden Personen auf ihn reagieren. Das nervt sicherlich den ein oder anderen. Ich finde es sehr amüsant. Die Einblicke in die Kolonne, ob durch die Effre mi, Genprox-Analysten, Kolonnen-Anatomen oder Oahm’Cara sind stimmig und zeigen sehr anschau lich, warum auch die »Bösen« glauben, für das Rich tige und Gute zu streiten. Die Idee mit den Mikro-Bestien unter Roi Dantons Kommando finde ich toll. Das ist etwas, wovon man noch der eine oder andere Zyklus zehren kann, bis Roi irgendwann die letzte Mikro-Bestie zu Grabe tragen muss. Zum Stardust-System will ich noch nichts sagen, da bin ich erst mal auf den nächsten Zyklus gespannt. Aber die langsame Einführung auch über die beiden PR-Extras finde ich sehr geschickt gemacht. Zwei große Sorgen treiben mich um. Die erste betrifft
das Zyklusende, das nämlich mit Riesenschritten näherrückt und in mir die Befürchtung wachsen lässt, hier solle jetzt in 20 Heften etwas vom Zaun gebrochen werden. Perry hat keine Flotte, keine Superintelligenz (der Nukleus zählt nicht), bloß einen GESETZ-Geber, und ist zu meinem aktuellen Lesestand noch nicht ein mal in Hangay drin. Wenn er das alles in 20 Heften schafft, wäre es schon sehr unglaubwürdig. So, das soll es jetzt erst mal gewesen sein. Bleibt mir noch, eine kleine Anekdote zu erzählen. Ich habe mich durch meine Jugend immer gefragt, wo eigent lich all die anderen PR-Leser sind, da ich nie einem begegnet bin. Jetzt im Wehrdienst hat sich dieses Rätsel gelöst. Hier bei der Luftwaffe lesen nämlich jede Menge Leute PERRY RHODAN oder haben es in ihrer Jugend getan. Seit wir den Heften Deflektorgürtel beilegen ... Scherz beiseite. Alaska wurde von Anfang an immer als Einzelgänger geschildert, der »per Zufall« in Er eignisse stolpert. Es liegt an dem Cappin-Fragment, das ihm eine gewisse Affinität zu kosmischen Vor gängen, Wesen und Gegenständen verschafft. Sein Charakter, die Ausstrahlung des Fragments und der Wert seiner Person werden schnell erkannt. Deshalb war der Friedensfahrer auch so scharf darauf, ihn für seine Organisation zu gewinnen und zu seinem Nachfolger aufzubauen. Was das Zyklusende angeht, so haben wir die einzel nen Handlungsfäden von langer Hand vorbereitet, und jetzt beginnen sie in Hangay zusammenzulau fen. Jürgen Wimmer,
[email protected] Als ich den Roman 2482 »Der ewige Kerker« in Hän den hielt und das Titelbild von Dirk Schulz sah, dach te ich mir, das kennst du doch irgendwoher. Tatsächlich: Wer den Heidelberger Hauptbahnhof ver lässt, kann es gar nicht übersehen. Genau gegen über, vor der »Print Media Akademie« steht das 13 Meter hohe, 15 Meter lange und 90 Tonnen schwe re, stählerne Ungetüm. Also aufgepasst, Leute: Die Zukunft ist näher, als mancher glauben will. Vielleicht könnt ihr ja das angehängte Beweisbild veröffentlichen. Ansonsten sind Heidelberg und sei ne Umgebung sowieso immer einen Besuch wert. Eine Ähnlichkeit ist durchaus vorhanden. Allerdings zeigt die Schimäre von Heidelberg eher ein Pferd mit Stummelflügeln auf zwei Beinen, während es sich bei dem Roboter vom Titelbild des Romans Nummer 2482 eindeutig um einen T-Rex handelt. Den Ver gleich liefert die Grafik auf Seite 4.
Die Grafik der Woche Eingesandt von Jürgen Wimmer
Zu den Sternen! • Euer Arndt Ellmer • VPM • Postfach 2352 • 76413 Rastatt •
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Awour Diese als »Kopfjäger der Kolonne« umschriebenen bleichhäutigen Humanoiden nehmen in der Terminalen Kolonne TRAITOR so etwas wie polizeilich-exekutive Auf gaben wahr und widmen sich der »internen Disziplinie rung«. Awour sind für gewöhnlich haarlos, schlank und bewegen sich grazil und schleichend. Viele von ihnen sind durch Implantate zusätzlich »aufgerüstet«. Diakat Diakat ist der vierte von zwölf Planeten der weißen F3 Sonne Diakats Stern, 2395 Lichtjahre Richtung galak tischer Southside vom Solsystem entfernt. Diakat wurde im Jahr 2809 n. Chr. von Schiffbrüchigen besiedelt, rund 100 Jahre später wiederentdeckt und spielt seitdem kei nerlei bedeutende Rolle. Die Bevölkerung des Planeten liegt bei nur 40 Millionen. Eine gefährliche Umwelt hat diverse genetische Anpas sungen erfordert, teils natürlich, teils künstlich vorge nommen, sodass die Diakater des Jahres 1345 NGZ nur noch in Ausnahmefällen mit Normal-Terranern fortpflan zungsfähig sind. Die genetische Veränderung bewirkt eine Lebenserwartung von nur rund 80 Jahren (gegen über 200 Jahren eines Terraners) sowie die Einäugigkeit der Diakater. Diakater haben nur ein einziges, rötlich gefärbtes Auge, das nicht mittig, sondern etwa an der normalen Position des rechten Auges sitzt und über zwei direkt nebenein anderliegende Pupillen verfügt und räumliches Sehen gewährleistet. Wo ein gewöhnlicher Terraner das linke Auge hat, befindet sich bei den Diakatern nur eine mul denförmige, funktionslose Vertiefung. Die Nase weist einen starken Schiefstand auf. Des Weiteren sind Dia kater infrarotsichtig und haben eine gewisse Empfind lichkeit für ultraviolette Strahlung. Savoire, Laurence Savoire, geboren am 13. August 1294 NGZ, ist ein um weltangepasster Terraner vom Planeten Diakat, auf dem nur 0,8 Gravos herrschen. Er ist 1,97 Meter groß, mager, mit bleicher Haut und stachelig wirkendem schwarzem Haar. Wegen seiner diakattypischen Physiognomie wird der Kybernetiker auf Terra oft als »Zyklop« angesehen. Laurence Savoire verfügt über eine schwache telepa thische Begabung – die ihn zuweilen Gedanken mehr erahnen als erkennen lässt. Er ist von zurückhaltendem, distanziertem Charakter, allerdings keineswegs schüch tern, sondern sich seiner eigenen Qualität in hohem Maß bewusst. Normalerweise trägt Savoire an seiner linken Hüfte ein Holster: Darin befinden sich fünf Lederbälle, die er in Kon zentrationsphasen zum Jonglieren verwendet. Er bewegt
die Bälle mit traumwandlerischer Sicherheit. Die Anzahl der verwendeten Bälle ist dabei ein Spiegelbild der von ihm aufgewandten Konzentration: Mit drei Bällen jon gliert er zur Entspannung oder wenn er über ein Problem nachdenkt, mit fünf Bällen, wenn er sich einem Problem mit voller Konzentration widmet und seine Umgebung praktisch »ausschaltet«. Nach einer hervorragenden, richtungweisenden Promo tion auf Diakat wird Savoire am 1. Juni 1340 NGZ an die Waringer-Akademie berufen, als Mitarbeiter im Fachbe reich Kybernetik. Dort erfährt er, dass sein Forschungs gebiet – zufällig – in fast identischer Weise gerade auch von einem Kybernetiker-Team der Waringer-Akademie bearbeitet wurde, sodass er keineswegs als der bril lante Wissenschaftler dasteht, der er ist, sondern nur als einer unter vielen, noch dazu aus der Provinz. Erst die Bekanntschaft mit Baldwin Carapol fördert seine Karriere, denn durch ihn erhält er Anfang Oktober 1340 NGZ Kenntnis von einem geheimen »Forschungspro jekt«, das für ihn als Kybernetiker potenziell interes sant sein könnte. Allerdings haftet diesem aber in Wis senschaftskreisen ein mehr als schlechtes Etikett an: ESCHER. Dr. Laurence Savoire räumt am 6. Oktober 1340 NGZ sein Appartement in der Waringer-Akademie und zieht im ESCHER-Gebäude ein. Mitte 1342 NGZ wird Savoire offizi ell zu Rodin Kowas Stellvertreter ernannt, nach dessen »Tod« zum Direktor des Geheimprojekts ESCHER und Ersten Kybernetiker. Er begleitet die Parapositronik nach Hangay und ist entscheidend an ihrem Kampf gegen GLOIN TRAITOR beteiligt; am 1. November 1347 NGZ stirbt er dort auch, allerdings wird sein Bewusstsein vom WELT WEISEN aufgenommen, der eine enge Verbindung zu ESCHER unterhielt. Mor’Daer Mor’Daer sind die Soldaten der Terminalen Kolonne TRAI TOR, hoch aggressive, humanoide Wesen (ca. 2,10 Meter groß) mit Schlangengesicht, das aus einem dicht be haarten Schädel entspringt. Die vierfingrigen Kreaturen sind breitschultrig und extrem schmal in den Hüften, auf dem Kopf tragen sie vermeintliche Scheuklappen, die jedoch keineswegs das Sichtfeld verengen, sondern ver größern: Jede Scheuklappe bildet einen sehr viel größe ren als den normalen Blickwinkel ab, wenn auch ge staucht; sodass ein Mor’Daer auf einen Sichtwinkel von 270 Grad kommt. Als Bewaffnung dienen den Mor’Daer schwere Strahler, die für ihre Körper eigentlich viel zu groß und klobig wirken, sowie Körperpanzer. Innerhalb der Kolonne gibt es vier Dienstränge, in die Mor’Daer in folgender Reihenfolge aufsteigen können: Daerba, Morba, Kalmor und Kalbaron.