CHARLES DARWIN
Die Abstammung des Menschen
Original Autor: Charles Darwin Titel: The Descent of Man and Selection in ...
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CHARLES DARWIN
Die Abstammung des Menschen
Original Autor: Charles Darwin Titel: The Descent of Man and Selection in Relation to Sex Jahr: 1871 Sprache: englisch
Übersetzung Übersetzer: Heinrich Schmidt nach der 2. Auflage 1874 aus dem Englischen, 1908 Einführung von Christian Vogel Vorlage Verlag: Alfred Kröner Stuttgart, 4. Auflage 1982 ISBN: 3-520-02804-2
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Einführung von Christian Vogel
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Die Abstammung des Menschen – Einführung
Christian Vogel
CHARLES R. DARWIN, SEIN WERK "DIE ABSTAMMUNG DES MENSCHEN" UND DIE FOLGEN Am 19. April 1882 starb Charles Robert Darwin (geboren am 12. Februar 1809), der Mann, der die Biologie auf eine neue Basis stellte und durch sein Werk und dessen wissenschaftliche sowie weltanschauliche Ausstrahlung unser Denken über den Menschen und seine Entwicklung nachhaltiger geprägt hat als irgendein anderer Wissenschaftler der Weltgeschichte. Aus diesem Anlaß wird hier sein Werk "Die Abstammung des Menschen" in der von Heinrich Schmidt 1932 angefertigten Übersetzung der zweiten Auflage aus dem Jahre 1874 erneut vorgelegt. Dieses Werk führt im Original den Titel: "The Descent of Man and Selection in Relation to Sex" (Die Abstammung des Menschen und die Auslese in bezug auf das Geschlecht) und besteht aus drei Teilen: 1. "The descent or origin of man" (Die Abstammung oder der Ursprung des Menschen), 2. "Sexual selection" (Geschlechtliche Auslese) und 3. "Sexual selection in relation to man" (Geschlechtliche Auslese mit Bezug auf den Menschen). Die hier vorliegende Ausgabe enthält nur den ersten Teil. Diese Unvollständigkeit bedarf einer kurzen Erläuterung. Die Verkuppelung der "geschlechtlichen Auslese" (das ist in Darwins Konzept die selektive Auswahl der Männchen durch die Weibchen nach "Güte"-Kriterien wie "Stärke", "Tüchtigkeit", "Schönheit" usw. zum Zwecke gemeinsamer Nachzucht) mit der Abstammungsproblematik gerade des Menschen erscheint im Rückblick keineswegs zwingend. Für Darwin ergab sich die besondere Verbindung aus seiner Überzeugung, daß die "natürliche Auslese im Kampf ums Dasein" allein die Verschiedenheit der heute lebenden Menschen-"Rassen" nicht befriedigend erklären könne. Am Schluß des 1. Teiles schreibt er daher: "Soweit sind denn also unsere Versuche, die Verschiedenheiten zwischen den Rassen des Menschen zu erklären, vereitelt worden; noch bleibt aber ein bedeutungsvolles Moment übrig, nämlich sexuelle Zuchtwahl, welche ebenso wichtig auf den Menschen wie auf viele andere Tiere gewirkt zu haben scheint. – – – Ich habe demselben daher den zweiten Teil dieses Werkes unter dem Titel 'Sexuelle Zuchtwahl' gewidmet." Bei Darwins unausweichlicher Gründlichkeit ist daraus ein dickleibiges und weitgehend unabhängiges neues Werk entstanden, denn, so sagt Darwin selbst: "Um aber diesen Gegenstand gehörig zu behandeln, habe ich es für nötig gehalten, das ganze Tierreich Revue passieren zu lassen." Das tut der Autor dann in den 11 Kapiteln des umfangreichen 2. Teiles und stellt erst im relativ kurzen 3. Teil die Verbindung zum Menschen wieder her. Diese Verknüpfung erscheint uns heute um so weniger zwingend, als die moderne Anthropologie gerade die wesentlichen unterscheidenden Charakteristika der menschlichen "Rassen" weit besser auf "natürliche Auslese" (im Sinne einer an die äußeren Umweltfaktoren der verschiedenartigen Lebensräume zunehmend besseren Anpassung) als auf "sexuelle Zuchtwahl" glaubt zurückführen zu können. Weil darüber hinaus gerade Darwins Vorstellungen zum Prinzip der "geschlechtlichen Zuchtwahl" zu besonders kontroversen wissenschaftlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen bis in die jüngste Vergangenheit geführt haben, erscheint es uns nicht nur vertretbar, sondern geradezu ratsam, den 1. Teil als vom 2. Teil unabhängig zu betrachten und dem Leser separat vorzulegen. Diesem Vorgehen entsprechend sind im Schlußkapitel "Zusammenfassung und Schluß", das im Original am Ende des 3. Teiles steht, alle jene Passagen ausgelassen worden, die ausschließlich Bezug auf im 2. und 3. Teil behandelte Themen nehmen. Darwin selbst hatte für die zweite Auflage seinem 1. Teil eine kurze Studie aus der Feder seines wissenschaftlichen "Mitstreiters" Sir Thomas Henry Huxley mit dem Titel "Note on the resemblances and differences in the structure and the development of the brain in man and apes" (Bemerkung über die Ähnlichkeiten und Unterschiede im Bau und in der Entwicklung des Gehirns beim Menschen und bei den Affen) aus dem Jahre 1874 angefügt, die am Schluß dieser Ausgabe ebenfalls abgedruckt ist. Ferner enthält diese Ausgabe als Anhang alle Originalanmerkungen des Autors. Nur sie können dem Leser einen Eindruck davon vermitteln, mit welcher Gründlichkeit und mit welch weitgespanntem Horizont Darwin die wissenschaftliche und "philosophische" Literatur seiner Zeit ausgewertet und zur Erläuterung seiner Darlegungen herangezogen hat. Diese "Anmerkungen" stellen zudem eine hervorragende historische Quellensammlung dar, die für die Rekonstruktion des zeitgeschichtlichen Rahmens von Darwins Denken und Werk unentbehrlich ist. Sinn und Zweck dieser Einführung möchte es sein, den Leser zu einer kritischen Lektüre des Originaltextes anzuregen. 100 Jahre nach Darwin sind wir zum einen aus der hitzigen Phase des ideologischen "Nahkampfes" um Darwins Werk, zum anderen aber auch aus der "Trotzphase" (nach dem auftrumpfenden Motto: "Darwin hatte doch recht!") heraus und somit vielleicht eher in der Lage, mit der erforderlichen Distanz beurteilen zu können, was dieser Mann wirklich bewirkt hat und noch bewirkt. Es
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gilt, den unvoreingenommenen Leser für den Doppelaspekt von zukunftweisender Aktualität und historisch-"zeitgeistiger" Gebundenheit in Darwins Argumentationen zur Entstehung des Menschen zu sensibilisieren. "Die Abstammung des Menschen" stellt den Versuch Darwins dar, sein 1859 in dem grundlegenden Werk "Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" entwickeltes Evolutionskonzept auf die Entstehungsgeschichte des Menschen in physischer und psychischer Hinsicht, also einschließlich seiner emotionalen, moralischen und intellektuellen Qualitäten anzuwenden. Es empfiehlt sich daher, zunächst auf die Besonderheiten dieses Evolutionskonzeptes hinzuweisen. In einem weit verbreiteten Allgemeinverständnis wird die Vorstellung einer Evolution der Organismen überhaupt mit dem Namen Darwins in Verbindung gebracht. Solche Vorstellungen haben jedoch eine sehr lange Vorgeschichte in der Naturbetrachtung. Die Idee einer Evolution der Organismen im Sinne einer zu "höherer Vollkommenheit" fortschreitenden Entfaltung zeichnete bereits die neuplatonischen "Emanationslehren" des 14. Jahrhunderts (z. B. bei Albertus Magnus) aus und geht letztlich auf die aristotelische Stufenfolge des Lebendigen nach Maßgabe seiner "Seelenkräfte" zurück. Solche "Stufenleitern" des Organischen wurden in immer feinerer Differenzierung und Verästelung bis in das 18. Jahrhundert aufgestellt (z. B. von Charles Bonnet, 1720 – 1793). Derartige Evolutionsvorstellungen implizierten jedoch nicht per se die Idee einer im Laufe der Erdgeschichte real abgelaufenen genetischen Fortentwicklung der Organismen im Sinne einer modernen Stammesgeschichte (Phylogenie), sondern konnten durchaus mit der Idee vielfältiger göttlicher "Schöpfungspläne" in Verbindung gebracht werden. So widersprachen diese Vorstellungen auch keineswegs dem Prinzip der "Artenkonstanz" in der Zeit, an dem auch Linné, der große Systematiker des 18. Jahrhunderts, noch weitgehend festhielt. Es gab jedoch lange vor Darwin auch schon die Idee einer dynamischen Entwicklung von Lebewesen unterschiedlicher Organisationshöhe, so z. B. in dem unter dem Namen "Telliamed" geschriebenen Werk des B. de Maillet (1656 – 1738). Solche Vorstellungen rüttelten – freilich in sehr spekulativer Form – schon lange am Prinzip der "Artenkonstanz". Schließlich hatte Jean B. de Lamarck (1744 – 1829) in seiner "Philosophie zoologique" (1809) bereits eine "imaginäre" Phylogenie des Menschen aus "äffischen" Vorfahrenformen genau beschrieben, diese dann aber sogleich mit dem berühmten Schlußsatz wieder in Frage gestellt: "Dies würden die Reflexionen sein, die man anstellen könnte, wenn der hier als vorherrschende Rasse betrachtete Mensch sich von den Tieren nur durch seine Organisationscharaktere unterscheiden würde, und wenn sein Ursprung von dem ihrigen nicht verschieden wäre." Lamarck war es auch, der die erste im naturwissenschaftlichen Sinne erklärende Theorie der "Artenveränderung" aufgestellt hatte, wobei er in der zunehmend verbesserten Anpassung der Organismen an ihre Umwelt und ihre eigenen Lebensbedürfnisse den treibenden Motor der Veränderungen sah. Er entwickelte dazu die Vorstellung der "Vererbung von im Verlauf des Individuallebens erworbenen Eigenschaften", die dazu führe, daß Organe bzw. Strukturen, die häufig gleichsinnig gebraucht werden, sich im Laufe des individuellen Lebens und über die direkte Vererbung des jeweils erreichten Zustandes schließlich über Generationen hin ständig verbesserten, während nicht mehr intensiv gebrauchte Organe bzw. Strukturen der Verkümmerung und schließlich der Rückbildung anheimfielen. Das Prinzip der "Vererbung erworbener Eigenschaften" blieb lange vorherrschend und schien so erklärungsmächtig, daß selbst Darwin sich ihm auf die Dauer (trotz anfänglicher Ablehnung) nicht entziehen konnte und dieses Konzept gerade in seinem relativ späten Werk "Die Abstammung des Menschen" wieder zunehmend häufig zur Erklärung solcher Phänomene heranzog, die ihm selbst auf der Basis der "natürlichen Auslese" nicht erklärbar erschienen (s. unten). Er hatte mit seiner als "provisorisch" bezeichneten "Pangenesis"-Hypothese von 1868 sogar über die Natur der diesen Prozeß bewirkenden "Zellkeimchen" ("Gemmulae") in den Geschlechtszellen spekuliert. Bekanntlich waren ihm ja die entscheidenden Vererbungsexperimente von Gregor Mendel aus dem Jahre 1865 vollständig entgangen. Es gab also lange vor Darwin Evolutionsvorstellungen und auch recht detaillierte spekulative Beschreibungen von Evolutionsabläufen, diese jedoch waren in aller Regel (mit Einschränkungen bei Lamarck) als "zielstrebig", also "teleologisch" konzipiert, seien diese "Ziele" nun göttliche Schöpfungspläne oder abgeleitet aus "kosmologischen" Ideal-Vorstellungen, wie Harmonie, ausgewogenes Gleichgewicht, Symmetrie usw., Konzepte also, die ja auch der klassischen Physik durchaus immanent waren. Was generell fehlte, war eine schlüssige "kausale" Theorie der Evolution, eine Theorie, die empirisch und experimentell überprüfbare Angaben über jene dem Geschehen selbst innewohnenden Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten macht, die den Evolutionsprozeß aus sich heraus bewirken und ursächlich steuern. Eine solche Theorie hat Darwin mit seinem epochemachenden Werk "On the Origin of Species by Means of Natural Selection" (Die Entstehung der Arten durch natürliche Auslese) im Jahre 1859 vorgelegt.
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Die gründliche Beschäftigung Darwins mit den Vorgängen der Domestikation hatte ihn zwar zunächst auf die entscheidende Bedeutung der "Auslese" bzw. "Zuchtwahl" durch den menschlichen Züchter aufmerksam gemacht, aber wer "vertrat" den zielbewußten "Züchter" im Naturgeschehen? Setzte diese Art von "Selektion" nicht gerade einen vorgegebenen "Schöpferplan" voraus? In dieser Schwierigkeit dürfte ihm (bereits 1838) die Lektüre der Arbeit von Thomas Robert Malthus: "An Essay on the Principle of Population" (Essay über das Bevölkerungsgesetz) aus dem Jahre 1798 eine wohl entscheidende Anregung gegeben haben. Dort wird für menschliche Populationen ausgeführt, daß diese sich aus eigenem Antriebe übermäßig vermehren würden, was in bestimmten Abständen wegen der damit zwangsläufig eintretenden Ressourcenverknappung zu wiederholten Katastrophen führen müsse, d. h. es müßten regelmäßig große Teile der Bevölkerungen zugrunde gehen. Hier nun konnte "natürliche Selektion" im Sinne des "Überlebens der Geeignetsten" als Auslese ohne "Züchter" ansetzen. Damit stand das Konzept von "natürlicher Auslese" als das vom Leben selbst hervorgebrachte, Evolution produzierende und steuernde kausale Prinzip, und wohlgemerkt ohne jedes Postulat "ideologischer" Zielvorstellungen eines Schöpfers oder irgendwelcher magischen inneren oder äußeren Steuerungskräfte. Darwins Konzept, auf einen verkürzten und zugleich etwas modernisierten Nenner gebracht, hat folgenden Inhalt: Alle Arten von Lebewesen haben die Fähigkeit und die immanente Tendenz, sich exponentiell zu vermehren, und sie tun es, soweit die äußeren Bedingungen das zulassen. Hätte dieses Potential je von einer Art voll ausgenutzt werden können und wäre dies die Reproduktionsnorm, so hätte sich die "Biomasse" unserer Erde längst ins Unendliche ausgedehnt. Die empirische Beobachtung jedoch lehrt, daß sich die Populationen eines "ungestörten" Lebensraumes in der Regel über die Zeit einigermaßen konstant halten, auch wenn unter ungünstigeren Umständen Rückgänge und unter besonders günstigen Übervermehrung, also gewisse Schwankungen zu verzeichnen sind. Das aber heißt nichts anderes, als daß eine große Zahl von Individuen (bei den meisten Organismen sogar die überwiegende Mehrzahl der Individuen!) regelmäßig umkommt, bevor sie sich selbst fortpflanzen können. Ursache dafür ist die Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Umweltressourcen, um die die Individuen (und auch Arten mit ähnlichen Ansprüchen) konkurrieren müssen. Empirisch läßt sich weiterhin zeigen, daß die Individuen einer Population in ihren Eigenschaften variieren, sie sind ungleich. Wenn nun aber bestimmte Eigenschaftsvarianten die Konkurrenzfähigkeit ihrer Träger steigern, was soviel heißt, daß diese besser an die gegebene Situation "angepaßt" sind, dann müssen zwangsläufig die Träger dieser besser "adaptierten" Eigenschaften auch bessere Überlebens- und damit Fortpflanzungschancen haben als andere Artgenossen. Daraus resultiert "natürliche Auslese oder Zuchtwahl" innerhalb einer Generation. Wenn nun aber diese "adaptiven" Eigenschaften oder jedenfalls ein wesentlicher Teil ihrer Ausprägungsvarianz vom "Erbgut" bestimmt und über dieses weitergegeben werden, dann wird sich diese "Selektion" zwangsläufig über die Generationen hin fortsetzen und damit mehr oder weniger schnell zu Veränderungen im Merkmalsgefüge der Populationen und schließlich der Arten führen. Je stärker der "Selektionsdruck" von Seiten der Umweltfaktoren und je weitgehender die Eigenschaftsvarianz vom Erbgut gesteuert wird, desto schneller muß dieser Veränderungsprozeß vor sich gehen. Diesen Prozeß aber nennen wir Evolution: ihr Mechanismus ist interindividuelle Konkurrenz im Kampf um die begrenzten Ressourcen (Darwins "struggle for life"), mithin ein "uregoistisches" Prinzip in einer den Konkurrenzdruck provozierenden Umwelt. Worüber sich Darwin dabei offenbar keine eindeutige Klarheit verschaffen konnte, sind vor allem zwei Dinge: 1) Welches sind die Mechanismen der Vererbung? 2) Wer ist das eigentliche "Subjekt", der "egoistisch handelnde Akteur" dieses "Welttheaters": sind es die Individuen oder die Arten, sind es Populationen, sind es Sozietäten oder die "Erbpartikel" selbst? Hier schwankt er ständig in seinen Aussagen. Wir werden auf diese Punkte noch ausführlicher zurückkommen. Es hieße Darwins Wirkung jedoch erheblich unterschätzen, wenn man das "Neue" in seinem Evolutionskonzept auf die Einführung des "natürlichen" Selektionsmechanismus beschränken wollte. Von erheblich weitreichender Bedeutung ist die Tatsache, daß seine Theorie die "Teleologie" endgültig aus dem Evolutionskonzept der empirischen Biologie verbannte. Trotz mehrfacher späterer Versuche, "ideologische" Momente wieder einzuführen (so z. B. mit der "idealistischen Morphologie" bei Naef, Troll u. a., durch den neu auflebenden "Vitalismus" bei Driesch u. a. oder im naturwissenschaftlich-theologischen "Mischkonzept" von Teilhard de Chardin), steht doch heute offensichtlich endgültig fest, daß solche Vorstellungen in der biologischen Wissenschaft keinen Platz mehr haben. Um eines ganz unmißverständlich klarzustellen: diese Aussage bedeutet natürlich nicht, daß Evolution im Sinne Darwins "ungerichtet" verläuft, nein, ganz im Gegenteil, Selektion produziert gewissermaßen zwangsläufig bestimmte "Kanalisierungen" der jeweils künftigen Entwicklung, weil jede via anpassende Selektion erzwungene
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"Entscheidung" auf dem Wege einer organismischen genealogischen Stammlinie zugleich bestimmte Begrenzungen und Vorgaben für zukünftige evolutive "Entscheidungsspielräume" setzt. Aber: die Richtung ist weder "vorgeplant" noch ist sie exakt vorhersagbar; "Zufälle" und unkalkulierbare Umstände bzw. Bedingungen beeinflussen das Geschehen nachhaltig und in aller Regel unwiderruflich. Dieses Konzept der zwangsläufig durch "natürliche Auslese" erzeugten "Kanalisierung" oder Ausrichtung hat Colin S. Pittendrigh (1958) als "teleonomisch" bezeichnet, und es ist von allergrößter Bedeutung, das klar von jeder Form eines "ideologischen" Prinzips zu unterscheiden. Mit diesem Konzept hat Darwin der Biologie ein neues Gesicht gegeben, er hat ein neues heuristisches Prinzip eingeführt und einen wesentlichen "Paradigmen"-Wechsel eingeleitet, der neuzeitliche Biologie sehr klar und mit entscheidenden methodischen Konsequenzen nicht nur von der älteren Naturgeschichte, sondern auch von der klassischen Physik unterscheidet. Bis in diese weitreichenden Konsequenzen hinein hat weder Darwin selbst noch einer seiner Zeitgenossen und "Mitstreiter" dieses theoretische Konzept ausgearbeitet und formuliert. Wir werden demnach immer wieder unterscheiden müssen zwischen dem, was Darwins Theorie bei konsequenter Anwendung und gedanklicher Weiterführung zu leisten vermag und dem, was Darwin selbst ihr zutraute und was er selbst damit angefangen hat. Ganz offensichtlich trauen wir heute seiner Theorie viel mehr zu, als Darwin selbst seinerzeit angenommen und ihr zumindest in seinem Werk "Die Abstammung des Menschen" zugestanden hatte. Obwohl Darwin auf die Anfrage von A. R. Wallace nach der Berücksichtigung des Menschen im Rahmen seines theoretischen Konzeptes schon 1856 betonte, daß dies ohne Frage das "höchste und interessanteste Problem für den Naturforscher" sei, nimmt er doch in seinem dickleibigen Buch| "Die Entstehung der Arten" (1859) nur mit einem einzigen Satz direkt auf den Menschen Bezug, und dieser Satz steht erst auf der vorletzten Seite seiner Schluß-Zusammenfassung. Es heißt dort knapp: "Licht wird auch fallen auf den Menschen und seine Geschichte." Obwohl sich Darwin nachweislich schon sehr lange mit den Implikationen seiner Theorie für die evolutive Entwicklung des Menschen beschäftigt und fortlaufend Material zu diesem Gegenstand gesammelt hatte, sollten noch einmal 12 Jahre verstreichen, bevor er schließlich 1871 sein Buch "Die Abstammung des Menschen und die Auslese in bezug auf das Geschlecht" veröffentlichte. Ganz ohne Frage hatten ihn dieses Mal noch weit ärgere Skrupel geplagt, als dies schon vor Veröffentlichung seiner "Entstehung der Arten" der Fall gewesen ist. Das Thema schien ihm ein "zu heißes Eisen", da diese Problematik nach seinem eigenen Eingeständnis zu stark mit emotionalen Vorurteilen befrachtet wäre. Zudem waren seine gesellschaftliche und häusliche Umgebung nicht gerade dazu angetan, sein Zaudern zu mindern. Seine Frau Emma, geb. Wedgewood, befürchtete ohnehin, die Anwendung seiner Theorie auf den Menschen würde "Gott noch weiter wegrücken" ("again putting God farther off"). Und gerade diese verstärkten Skrupel verspürt der Leser unweigerlich, wenn er Argumentation und Diktion der "Abstammung des Menschen" mit der "Entstehung der Arten" vergleicht. In der Zwischenzeit freilich hatte Darwins Theorie längst schon in dieser Richtung gewirkt. Im Jahre 1863 hatten gleich mehrere Naturwissenschaftler von Rang, die sich die Theorie Darwins zumindest teilweise zu eigen gemacht hatten, Arbeiten zur biologischen Entwicklung des Menschen im Sinne dieser Theorie herausgebracht. In England waren das der Geologe Charles Lyell mit seinem Buch "Das Alter des Menschengeschlechts" und besonders eindrucksvoll Thomas Henry Huxley mit seinen "Zeugnissen für die Stellung des Menschen in der Natur"; in Deutschland Carl Vogt mit seinen "Vorlesungen über die Natur des Menschen" und Ernst Haeckel mit seinem Vortrag vor der Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte in Stettin über die "Entwicklungstheorie Darwins" unter Einschluß der Abstammungsfrage des Menschen. Unter diesen Publikationen bestechen vor allem die auf nüchterner Empirie und auf souveräner Beherrschung der vergleichenden Anatomie – eine Disziplin, die Darwin selbst zwar als die "Seele der Biologie" bezeichnet hatte, die aber nicht gerade seine persönliche Stärke war – aufbauenden Ausführungen Huxleys. Huxley war es auch, der durch sein früheres "Streitgespräch" mit dem Lordbischof Samuel Wilberforce vor der "British Association for Advancement of Science" in Oxford im September 1860 für einen uns heute noch in vielen Darstellungen der weltanschaulich-ideologischen Auseinandersetzungen um Darwins Theorie genüßlich beschriebenen "Skandal" sorgte, der u. a. zu dem der Frau des Bischofs von Worcester nachgesagten bemerkenswerten Ausspruch geführt haben soll: "Descended from the apes! My dear, let us hope it is not true, but if it is, let us pray that it will not become generally known." (Frei übersetzt: "Nachfahren von Affen! Mein Gott, hoffen wir, daß das nicht wahr ist; sollte es aber doch wahr sein, so laßt uns dafür beten, daß es nicht allgemein bekannt wird.") Darwins Buch "Die Abstammung des Menschen" unterscheidet sich in vieler Hinsicht von den genannten Arbeiten seiner "Vorläufer" auf diesem Gebiet. Es ist zunächst das vielseitigste, was die Breite der Thematik anbelangt. Das Werk betrachtet die Entwicklungsgeschichte des Menschen keineswegs nur, ja,
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nicht einmal vorwiegend von der physischen Seite. Nur die ersten beiden Kapitel konzentrieren sich auf diesen Aspekt, wobei sich Darwin – wie immer – bevorzugt auf die Embryologie stützt, "welche sich stets als der sicherste Führer bei der Klassifikation erwiesen hat". Unzweideutiges fossiles Material aus der menschlichen Stammesgeschichte lag seinerzeit kaum vor, doch legt er selbst auf das vorhandene weit weniger Wert als z. B. Huxley. Die Kernkapitel des Buches (Kapitel 3 – 5) sind der Entstehung der intellektuellen, emotionalen und sittlich-moralischen Fähigkeiten des Menschen gewidmet, wobei Darwin allen von ihm aufgezeigten Unterschieden gegenüber den Verhältnissen bei höher entwickelten Tieren nur graduellen Charakter zuschreibt. Erst das relativ kurze 6. Kapitel beschäftigt sich mit den spezifischen Verwandtschaftsbeziehungen des Menschen zu den heute lebenden anderen Primaten, wobei er sich ganz überwiegend auf die Befunde der sorgfältigen vergleichend-anatomischen Studien von Thomas Henry Huxley beruft. Unter anderem findet sich hier die im Rückblick als bestätigt erscheinende Vorhersage: "Es ist daher wahrscheinlich, daß Afrika früher von jetzt ausgestorbenen Affenarten bewohnt war, die mit dem Gorilla und dem Schimpansen nahe verwandt waren; und da diese beiden Arten jetzt die nächsten Verwandten des Menschen sind, so ist es wahrscheinlicher, daß unsere ältesten Vorfahren auf dem afrikanischen Festland gelebt haben als anderswo." Das abschließende 7. Kapitel schließlich wendet sich der Entwicklung der menschlichen "Rassen" zu. Als fortschrittlich darf hier vor allem die ausgiebige Verwendung demographischer Daten und Statistiken aus verschiedenen Teilen der Welt bezeichnet werden. Hier zeigt sich aber sehr deutlich, daß Darwin sein Kernkonzept, die "natürliche Selektion", für nicht ausreichend hielt, die "Rassen"-Unterschiede der heutigen Menschheit zu erklären. Nicht einmal die Hautfarbenunterschiede – für uns heute geradezu ein Musterbeispiel für die Wirkung differentieller adaptiver Selektion – glaubte er auf "natürliche Auslese" allein zurückführen zu können, sondern hielt in dieser Hinsicht die "sexuelle Zuchtwahl" für wesentlich wichtiger, woraus sich für ihn die Notwendigkeit ergab, seine umfangreiche Abhandlung über "Sexual selection" als zweiten Teil diesem Werk unmittelbar anzufügen (s. oben). Gegenüber den zuvor genannten Publikationen anderer Autoren erscheint dieses Buch vorsichtiger, behutsamer formuliert und in allen Punkten eher auf Ausgleich denn auf irgendeine Form von Konfrontation bedacht. Auch gegenüber seinem eigenen früheren Werk "Die Entstehung der Arten" wirkt es zaghaft, abschwächend, teilweise fast zurücknehmend geschrieben, kurz, es hat insgesamt weniger innovativen Schwung und überzeugende Durchschlagskraft. Die sorgfältige Lektüre entschädigt dafür aber durch die thematische Vielfalt, durch die Vielseitigkeit der Gedanken, Erwägungen und Argumentationen, vor allem aber durch die Fülle der eingearbeiteten Literatur aus den verschiedensten Sachgebieten (Naturwissenschaften, Philosophie, Theologie), unterschiedlicher Geisteshaltung und unter erstaunlich reicher Berücksichtigung fremdsprachiger Autoren (s. die im Anhang zusammengestellten Original"Anmerkungen" Darwins). Diese Vielfalt der Fragestellungen, des sorgfältigen, fast übervorsichtigen Abwägens, des Zögerns und der zahlreichen Eingeständnisse eigener Unsicherheiten, sie lassen in diesem Werk natürlich auch viel deutlicher als in der "Entstehung der Arten" sichtbar werden, wo er selbst mit seinen Erklärungsversuchen an unübersteigbare Grenzen zu stoßen glaubte, wo ihm Probleme mit seinem theoretischen Konzept nicht lösbar erschienen und natürlich auch, wo er besonders zeitgebunden, weltanschaulich "vorbelastet" und "ideologiebefrachtet" argumentiert und urteilt. Darin liegen vielleicht sogar die interessantesten und faszinierenden Gesichtspunkte für die Beurteilung gerade dieses DarwinWerkes. Es erscheint uns heute nur schwer verständlich, warum Darwin in so vielen Punkten einlenkt und seine Theorie weniger überzeugt vertritt als in der "Entstehung der Arten". Offenbar hat ihn so manche Kritik von Fachkollegen etwas verunsichert. Das geht z. B. aus Sätzen wie den folgenden hervor: "Nachdem ich jedoch Naegelis Abhandlung über die Pflanzen und die Bemerkungen verschiedener Autoren über die Tiere gelesen habe, besonders diejenigen von Prof. Broca, gebe ich jetzt zu, daß ich in den früheren Ausgaben meiner 'Entstehung der Arten' der Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl oder des Überlebens des Passendsten vielleicht zuviel zugeschrieben habe." Er habe "früher die Existenz von Strukturen nicht genügend beachtet, welche, soweit wir es jetzt beurteilen können, weder nützlich noch schädlich sind; und das halte ich für eines der größten Versehen in meinem Werke". Und wie entschuldigend gleichsam fügt er als Erklärung für dieses "Versehen" hinzu, daß es ihm zum einen vorwiegend um den Nachweis gegangen sei, daß die Organismenarten "nicht unabhängig voneinander geschaffen worden sind; zweitens, daß bei der Veränderung hauptsächlich die natürliche Zuchtwahl gewirkt habe, wenn auch sehr unterstützt durch die vererbten Wirkungen des Gebrauchs, sowie in etwas geringerem Maße durch die direkte Wirkung der umgebenden Bedingungen". Hier kommen also zwei uns heute ganz "undarwinistisch" anmutende Elemente wieder verstärkt ins Spiel. Seine Verunsicherung zeigt sich verständlicherweise am deutlichsten in den Bereichen, für die ihn schon 1859 seine eigenen Erklärungen nicht voll befriedigt hatten: bei den Problemen der erblichen Fixierung und der Weitergabe der Erbinformationen von Generation zu Generation
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sowie bei der "Gretchenfrage", auf welchem Organisationsniveau sich eigentlich "natürliche Auslese", Selektionswirkungen und damit Evolution überhaupt abspielen. Im Zusammenhang mit allen Fragen bezüglich der Phänomene Erblichkeit und Erbinformationsübertragung mag man es bedauern, daß Darwin die heute so berühmten grundlegenden Experimente von Gregor Mendel nicht kannte, die dieser bereits 1865, an schwer zugänglicher Stelle allerdings, veröffentlicht hatte. Jedoch muß es fraglich bleiben, ob Darwin dessen Ergebnisse überhaupt mit seiner Theorie hätte verbinden können, ist dies doch erst im 3. Jahrzehnt unseres Jahrhunderts nach heftigen Fehden in der sog. "neodarwinistischen synthetischen Theorie der Evolution" (s. unten) gelungen. In der "Abstammung des Menschen" weiß Darwin offensichtlich keinen anderen Ausweg, als wieder verstärkt Lamarcks Vorstellungen über die "vererbten Wirkungen des lange andauernden Gebrauchs oder Nichtgebrauchs der Teile" einzubeziehen, wenn auch – wie er versichert – nicht im Widerspruch zu seinem Prinzip der "natürlichen Zuchtwahl". Im gleichen Sinne wie er berichtet, daß sich die Form der Handschrift oder bestimmte, im Individualleben erworbene "Verstümmelungen" vererbten, meinte er, daß "intelligente Handlungen, die mehrere Generationen hindurch ausgeübt worden sind, in Instinkte verwandelt", vererbt werden könnten. Er bezeichnet Instinkte geradezu als "ererbte Gewohnheiten". Bezogen auf die Zukunft der Menschheit stimmt es ihn sogar zuversichtlich, daß "tugendhafte Gewohnheiten – – – durch Vererbung noch befestigt werden können". Nach unserem gegenwärtigen Verständnis der Darwinschen Theorie "bewertet" die "natürliche Auslese" zwar auf der Ebene der konkurrierenden Individuen (biologisch modern ausgedrückt: individueller "Phänotypen"), sie arbeitet und wirkt jedoch auf der Ebene der "Gene" (Erbinformationsträger) und hat ihre Folgewirkungen schließlich auf der Ebene der Population. Da Evolution über lange Zeiträume hin konsistente und weitgehend stabile Selektionseinheiten voraussetzt, sind die kurzlebigen Individuen, die sich zudem (zumindest bei sich zweigeschlechtig fortpflanzenden Organismen) nicht einmal in annähernd identischen "Kopien" reproduzieren, als Evolutionssubstrat ungeeignet. Auch Arten, "Rassen" oder soziale Verbände als überindividuelle Gebilde sind unter diesen Gesichtspunkten als Selektionseinheiten weitgehend untauglich. Allein die relativ stabilen Erbinformationseinheiten, die Gene, erfüllen die geforderten Voraussetzungen, sie sind langlebig und replizieren sich über hinreichend lange Zeiträume mit ausreichender Genauigkeit. Da das Prinzip der "natürlichen Auslese" auf der strikten Grundlage der Konkurrenz der "Phänotypen" aufbaut, können die Gene nur über ihre "Träger", die Individuen, nicht aber über die Art, "Rasse" oder die soziale Gruppe selektioniert werden, d. h. die Gene müssen ihren "Trägern" zu möglichst günstigen Reproduktionschancen "verhelfen", um damit für ihre eigene Verbreitung in den kommenden Generationen zu "sorgen". Darwin selbst hat diese Konzeption freilich nicht wirklich konstant durchgehalten, in der "Abstammung des Menschen" noch erheblich weniger als in der "Entstehung der Arten". Bemerkungen wie diese: da bestimmte Merkmale "nützlich sind für die Spezies, sind sie aller Wahrscheinlichkeit nach durch natürliche Zuchtwahl entstanden", legen Zeugnis von dieser Unsicherheit des Autors ab. Da er über die Erbinformationsträger und die Art der Informationsübermittlung noch nichts wußte, schwankt er in seiner Selektionsebene ständig zwischen dem Individuum, der "Rasse", der Art und insbesondere mit Bezug auf den Menschen auch zwischen "Stämmen", Völkern und Nationen. Dies zeigt sich vor allem im Bereich des "sozialen Verhaltens", das in Darwins Behandlung der Entwicklungsgeschichte des Menschen eine zentrale Rolle spielt. Schon 1859, in der "Entstehung der Arten" hatte ihn das "Paradoxon" beunruhigt, wie auf der Basis des Prinzips von strikter individueller Konkurrenz kooperative soziale Systeme entstehen konnten, in denen über die eigene Brutfürsorge hinaus wechselseitige "Fürsorge", gruppendienliches Verhalten trotz eines dadurch erhöhten individuellen Risikos oder gar individuelle "Selbstaufopferung im Dienst an der Gemeinschaft" entstehen und sich stammesgeschichtlich durchsetzen konnten. Er sah 1859 in der mit seiner Theorie der "natürlichen Auslese" vereinbaren Auflösung dieses "Paradoxons" sogar einen ganz entscheidenden Prüfstein seines ganzen Konzeptes. Diese Problematik tritt noch verschärft in der "Abstammung des Menschen" zutage, hier vor allem mit Bezug auf die Entstehung und die Fortentwicklung der sittlich-moralischen Qualitäten des Menschen. Innerhalb eines Volkes oder Stammes nämlich hätten die moralisch Hochwertigsten oft weniger Kinder als die weniger "Tugendhaften". "Es ist doch sehr zweifelhaft", – so schreibt Darwin – "ob die Nachkommen der ihren Kameraden mit Wohlwollen, Uneigennützigkeit und Treue entgegenkommenden Eltern in größerer Zahl aufgezogen werden als die Kinder der selbstsüchtigen und treulosen Eltern desselben Stammes. Wer bereit war, lieber sein Leben zu opfern als seine Kameraden zu verraten, wie mancher Wilde getan hat, wird häufig keine Nachkommen hinterlassen können, die seine edle Natur erbten. Die Tapferen, die im Krieg stets an der Spitze der Schlachtreihe kämpfen und ohne Zögern ihr Leben für die anderen in die Schanze schlagen, werden im Durchschnitt eine höhere Anzahl Toter aufweisen als die anderen. Deshalb scheint es kaum wahrscheinlich
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zu sein, daß die Zahl der mit solchen Tugenden geschmückten Menschen oder der Maßstab ihrer Vortrefflichkeit durch natürliche Zuchtwahl, d. h. durch das Überleben der Geeignetsten, erhöht werden könnte; denn wir sprechen hier nicht mehr von einem Stamm, der (dank solcher Tugenden) über den anderen triumphiert." Hier deutet sich der oben erwähnte Sprung zwischen den Selektionsebenen wieder an, denn auf der nächst höheren Ebene, bei der Konkurrenz und Auslese zwischen den Stämmen (die Frage, ob eine derartige "Gruppenselektion" überhaupt evolutiv wirksam werden kann, gehört gerade heute zu den heftig umstrittenen Fragen der sog. "Soziobiologie", s. unten), da funktioniert nach Darwins Überzeugung das Selektionsprinzip sogleich wieder, denn "eine Vermehrung der Zahl gutbegabter Menschen und ein Fortschritt der Sittlichkeit verleiht doch dem Stamm eine ungeheure Überlegenheit über alle anderen Stämme. Wenn ein Stamm viele Mitglieder hat, die aus Patriotismus, Treue, Gehorsam, Mut und Sympathie stets bereitwillig anderen helfen und sich für das allgemeine Wohl opfern, so wird er über andere Völker den Sieg davontragen: dies würde natürliche Zuchtwahl sein." Wie es aber zu dieser Anreicherung "tugendhafter Menschen" innerhalb eines Stammes überhaupt erst kommen kann, das wußte Darwin mit "natürlicher Auslese" offensichtlich nicht zu erklären (übrigens haben nach Darwin noch Generationen von Biologen dieses Problem in ähnlicher Weise übersehen bzw. überspielt, s. unten). Darwin hilft sich in dieser heiklen Situation wieder mit dem Rückgriff auf ein "nicht-darwinistisches" Konzept, er nimmt letztlich einmal mehr Zuflucht zu Lamarck. Seine Erklärung lautet: "Erstens wird jeder Mensch bei zunehmender Vervollkommnung seines Verstandes und seiner Voraussicht bald einsehen lernen, daß er, wenn er seinen Mitmenschen hilft, auch ein Anrecht auf ihre Hilfe erwirbt. Das ziemlich niedrige Motiv führt bald zur Gewohnheit, den Gefährten beizustehen, und die Gewohnheit wohlwollende Handlungen auszuführen, kräftigt sicher das Gefühl der Sympathie, das den ersten Impuls zu wohlwollenden Handlungen bildet." Ansehen und Lob innerhalb der Gesellschaft bekräftigen das tugendhafte Verhalten ständig, es wirkt "ansteckend", wird zur allgemeinen Gewohnheit und "Gewohnheiten neigen nach generationenlanger Ausübung dazu, erblich zu werden". Es handelt sich also nach Darwins Vorstellung um eine indirekte Wirkung auf das Individuum über den Vorteil, den sein Verhalten für seine Sozietät besitzt. "Bei vollkommen sozialen Tieren wirkt natürliche Zuchtwahl zuweilen indirekt auf das Individuum durch die Erhaltung von Abänderungen, welche für die Gesellschaft nützlich sind." Das klingt plausibel, ist jedoch – wie wir gesehen haben – streng genommen mit Darwins Selektionstheorie in dieser Form nicht vereinbar. Wir werden noch sehen, daß Darwin an anderer Stelle einer mit seiner Theorie konformen Lösung schon wesentlich näher gekommen ist. Es kann auch nicht übersehen werden, daß Darwin in der "Abstammung des Menschen" manchmal unversehens wieder in "teleologische" Gedankenführung zurückfällt, die er selbst eigentlich mit seiner Selektionstheorie aus der Evolutionsbiologie verbannt hatte (s. oben). Solche "Rückfälle" äußern sich freilich nur in eher beiläufigen Argumentationen, so etwa in der folgenden: "Man hat oft behauptet, daß die Tiere zuerst gesellig geworden wären, und daß sie sich infolgedessen unbefriedigt fühlten, wenn sie voneinander getrennt werden, und befriedigt, wenn sie zusammenleben können. Es ist jedoch wahrscheinlicher, daß diese Gefühle zuerst entwickelt wurden, damit diejenigen Tiere, welche durch ein Leben in Gesellschaft gewinnen konnten, zusammengeführt würden." Abgesehen davon, daß hier die berühmte Frage nach der zeitlichen Priorität von Henne oder Ei thematisiert wird, kommt Darwin mit solchen Äußerungen der aristotelischen "Teleologie" als einem finalen und zugleich "kausal" bewirkenden Prinzip wieder bedenklich nahe. Weil Darwin – und wie könnte das anders sein! – nicht der "zeitlose Denker und Wissenschaftler" war, zu dem ihn manche populäre Darstellungen gerne "stilisieren" möchten, sondern natürlich ein geistiges Kind seiner Zeit, wird es uns nicht wundern, daß in sein Werk – und das gilt ganz besonders für "Die Abstammung des Menschen" – eine Fülle von Ideen, Konzepten, Denkschemata und ohne Frage auch Vorurteilen seiner Zeit und seiner gesellschaftlichen Umgebung eingeflossen sind, die wir heute als vollkommen "undarwinistisch", zumindest aber als "unwissenschaftlich" bezeichnen würden. Es scheint mir an dieser Stelle besonders wichtig, auf solche Zusammenhänge ausdrücklich hinzuweisen, natürlich nicht mit der Absicht, die biologische "Genialität" Darwins in irgendeiner Weise zu schmälern, sondern einzig zu dem Zweck, einer unkritischen Übernahme aller Darwinschen Gedankengänge als "sakrosankte" Aussagen biologischer Wissenschaft entgegenzuwirken. Besonders in diesem Buche Darwins finden sich zahlreiche "ideologische" Konzepte, die von der modernen Biologie als falsch und mit der sich auf Darwin gründenden wissenschaftlichen Theorie der Evolution als unvereinbar angesehen werden müssen, die teilweise jedoch gerade vermittelt durch Darwins Autorität einen "unseligen", ja, gefährlichen Einfluß auf das Denken und Handeln der sich "darwinistisch" fühlenden Epigonen ausübten. Der sog. "Sozialdarwinismus" mit allen seinen späteren, z. T. katastrophalen Auswirkungen sollte uns allen eine hinreichende Warnung sein. Der einfache Hinweis darauf, daß solche "Entgleisungen" mit dem Inhalt von Darwins Schriften nichts zu tun hätten, ist schlichtweg falsch, der kritische Leser kann sich davon gerade in der "Abstammung des Menschen" an zahlreichen Stellen überzeugen.
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Die Abstammung des Menschen – Einführung
Zu den "undarwinistischen" geistesgeschichtlichen Reminiszenzen gehört z. B. der Rückgriff auf bestimmte Vorstellungen der "idealistischen Naturphilosophie", wie er sich etwa in folgender Passage zeigt: "Wir müssen indes im Auge behalten, daß ein Tier mit bedeutender Größe, Kraft und Wildheit, welches, wie der Gorilla, sich gegen alle Feinde verteidigen kann, wahrscheinlich nicht sozial geworden wäre, und dies würde in äußerst wirksamer Weise die Entwicklung der höheren geistigen Eigenschaften beim Menschen, wie Sympathie und Nächstenliebe, gehindert haben. Es dürfte daher ein unendlicher Vorteil für den Menschen gewesen sein, einer verhältnismäßig schwachen Form zu entstammen. Die geringe körperliche Kraft des Menschen, seine geringe Schnelligkeit, der Mangel natürlicher Waffen usw. werden mehr als ausgeglichen: erstens durch seine intellektuellen Kräfte, die ihn, noch im Zustand der Barbarei, in den Stand setzen, Waffen, Werkzeuge usw. zu formen; zweitens durch seine sozialen Eigenschaften, welche ihn dazu führen, seinen Mitmenschen zu helfen und Hilfe von ihnen zu empfangen." Die menschlichen Besonderheiten entstanden als "Überkompensation" von "natürlichen Mängeln"? Diese Argumentation steht noch ganz in der alten abendländischen Philosophie-Tradition eines platonischen Harmoniekonzepts mit der sich daraus ableitenden Vorstellung eines inneren Ausgleichsstrebens. Vor allem Johann Gottfried Herder hatte in seiner 1770 preisgekrönten Arbeit "Über den Ursprung der Sprache" die Auffassung vertreten, daß sich die Besonderheiten des Menschen gegenüber Tieren auf die "notwendige Kompensation natürlicher Mängel" zurückführen lassen. Noch in unserem Jahrhundert ist diese Theorie insbesondere von Arnold Gehlen wiederbelebt und ausgebaut worden. Gleichwohl ist die Konzeption vollkommen "undarwinistisch". Das einer "notwendigen Kompensation" zwangsläufig vorausgehende Entstehen "physischer Mängel" wäre mittels "natürlicher Auslese" gar nicht zu erklären, auch wissen wir längst, daß der Mensch gegenüber anderen Primaten physisch keineswegs mangelhaft ausgestattet ist. Schließlich ist auch das von Darwin im Einklang mit zeitgenössischen Vorstellungen gezeichnete Bild des Gorillla absolut unzutreffend: Gorillas leben im Naturzustand immer sozial und sind keineswegs "wild", sondern im Gegenteil erstaunlich "friedfertig". Ein weiteres Element, das Konsequenzen für Darwins Argumentationen und Ableitungen hat, sind die uns heute teilweise geradezu rührend-naiv anmutenden "vermenschlichenden" Vor- und Darstellungen tierischen Verhaltens. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, daß Darwin weitgehend auf dilettantische Berichte angewiesen war und daß es eine "Ethologie" im Sinne einer modernen biologischen Wissenschaft mit strengen Dokumentations- und Interpretationskriterien tierischen Verhaltens seinerzeit noch nicht gab. Musterbeispiele für diese Anthropomorphisierungstendenz finden sich z. B. auf den Seiten 84 – 86 und 128/ 129 in der Darstellung von Handlungen der "Liebe", "heldenhafter Hilfeleistungen", "Treue" und "Gefolgschaftstreue" bei verschiedenen Tieren, wobei nicht nur verbal moralische Kategorien aus dem menschlichen in den tierischen Bereich übertragen werden. Man findet hier Gleichsetzungen, die auch heute noch bei vielen "Tierfreunden" auf offene Ohren treffen: nicht zum Vorteil und Nutzen der Tiere übrigens! Solche Anthropomorphismen in der Interpretation tierischen Verhaltens haben natürlich auch Darwins Vorstellungen von den tierischen Vorstufen und von der Entwicklung menschlicher "Moral" nachhaltig beeinflußt. Echte "moralische Qualitäten" entwickeln sich unmittelbar aus "sozialen Instinkten". "Instinkte sind sehr kompliziert und geben bei niederen Tieren besondere Veranlassung zu gewissen Tätigkeiten; aber die bedeutungsvollsten Elemente sind Liebe und Sympathie. Tiere mit sozialen Instinkten haben Vergnügen an der Gesellschaft anderer, warnen einander in Gefahr, verteidigen und helfen einander bei vielen Gelegenheiten". Und wieder: "Da diese Instinkte sehr nützlich sind für die Spezies, sind sie aller Wahrscheinlichkeit nach durch natürliche Zuchtwahl erworben worden." Menschliche Moral sei die direkte und nur graduell angehobene Fortsetzung dieser im Tierreich weit verbreiteten "sozialen Instinkte". Besonders nachdenklich sollte uns jedoch stimmen, daß selbst ein Mann wie Darwin so weitgehend der Suggestion des "Ethnozentrismus" unterlegen ist. Trotz seiner ständigen Versuche, den Menschen und sein Handeln möglichst distanziert zu betrachten, bleibt Darwin gefangen im und offensichtlich fasziniert vom Kultur- und Zivilisationsfortschritt des eigenen Kulturkreises, des christlichen Abendlandes und insbesondere von der intellektuellen und sittlichmoralischen Überlegenheit der "kaukasischen (wir sprechen heute von der 'europiden') Rasse" und der europäischen Nationen. Alle deren zivilisatorischkulturelle Errungenschaften und Eigenheiten, ihre religiösen und moralischen Werte, gesellschaftlichen Normen und Umgangsformen stehen ohne jeden Zweifel an der Spitze des gerade erreichten Zustandes menschlicher Entwicklung. Nicht daß wir heute etwa frei sind von derart "ethnozentrischem" Dünkel, nur scheinen oder sollten wir zumindest auf Grund bitterer, ja katastrophaler Erfahrungen mit der eigenen nationalen und "rassischen" Selbstüberschätzung, Kultur-Egozentrik und "Rassenwahn" heute wesentlich sensibler, hellhöriger und vorsichtiger gegenüber solchen Tönen geworden sein: wir kennen ihre Gefährlichkeit. Auch aus Darwins Text spricht die allgemeine Vorstellung, daß Völker anderer Kulturkreise, anderer Lebensführung, anderer Moralvorstellungen und Religionen unzweideutig noch nicht die hohe Stufe der eigenen Menschlichkeit und Kultur erreicht hätten: je ferner und fremder, desto weniger. Die
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Die Abstammung des Menschen – Einführung
"Wilden" ("savages") – und er denkt hier insbesondere immer wieder an die ihm auf seiner "Beagle"-Reise begegneten Feuerländer – gelten ihm als eine primitive, wenn auch eindeutig bereits menschliche, "Zwischenstufe" zwischen unseren "äffischen Vorfahren" und dem "zivilisierten Europäer" seiner Zeit. Die Geringschätzung von deren Lebensform, und daraus resultierend die Verwunderung über den moralischen Hochstand vereinzelter Taten und einzelner Personen, kommt immer wieder deutlich zum Ausdruck. Ich möchte an dieser Stelle nur einige drastische Beispiele hervorheben. Wenn in naher Zukunft "die zivilisierten Rassen der Menschheit wohl sicher die wilden Rassen auf der ganzen Erde ausgerottet und ersetzt haben, – werden zu derselben Zeit ohne Zweifel auch die anthropomorphen Affen ausgerottet sein. Der Abstand zwischen den Menschen und seinen nächsten Verwandten wird dann noch weiter sein, denn er tritt dann auf zwischen den Menschen in einem – wie wir hoffen können – noch zivilisierteren Zustande als dem kaukasischen (gemeint ist wieder 'europäischen'), und einem so tief in der Reihe stehenden Affen wie einem Pavian, anstatt wie jetzt zwischen dem Neger oder Australier und dem Gorilla". Immerhin räumt Darwin noch ein, daß in bezug auf die geistigen und moralischen Qualitäten der Unterschied zwischen "Wilden" und "anthropomorphen Affen" noch sehr groß sei, "selbst wenn man die Seele des niedrigsten Wilden, welchem der sprachliche Ausdruck für Zahlenbegriffe über vier fehlt, und welcher keine abstrakte Benennung für die gewöhnlichsten Dinge oder Affekte gebraucht, mit der des höchst organisierten Affen vergleicht". Selbstverständlich hielt Darwin die "rassischen" Unterschiede der "moralischen" wie der intellektuellen Qualitäten für erblich. Heute würde man solche Äußerungen ohne Frage mit dem Prädikat "rassistisch" belegen. Der alles am eigenen Erfahrungshorizont und den eigenen Empfindungen messende "Ethnozentrismus" kommt u. a. in folgenden Sätzen zum Ausdruck: "Nach den scheußlichen Ornamenten und der gleich scheußlichen Musik zu urteilen, welche die meisten Wilden bewundern, ließe sich behaupten, daß ihr ästhetisches Vermögen nicht so hoch entwickelt sei wie bei gewissen Tieren, z. B. bei Vögeln.". Oder: "Die wichtigsten Ursachen für den tiefen Stand der Moralität bei den Wilden, gemessen an der unseren, sind erstens die Einschränkung der Sympathie auf die Glieder desselben Stammes; zweitens die Unfähigkeit, die Bedeutung mancher Tugenden, besonders der das Individuum betreffenden, für die allgemeine Wohlfahrt des Stammes zu erkennen. So vermögen z. B. wilde Völker nicht den üblen Einfluß der Unmäßigkeit und der Unkeuschheit bis in seine fernsten Konsequenzen zu verfolgen. Die dritte Ursache ist die geringe Selbstbeherrschung; denn diese ist nicht gekräftigt worden durch eine langandauernde, vielleicht ererbte Gewohnheit (sie!), durch Unterricht und Religion." Im Unterschied dazu würden sich nach Darwin "zivilisierte Völker" nicht gegenseitig vernichten, und nur der "zivilisierte Mensch" wage sein eigenes Leben sogar für Fremde. Manche Wilden hätten nicht einmal eine Religion und entsprechend keine Vokabeln für Gottheiten. Es steht für Darwin außer Frage, daß der (christliche) Monotheismus die höchste Form der religiösen und die Monogamie als Norm für das Zusammenleben der Geschlechter die höchste Form der sittlichen Entwicklung darstellen. Dieses "ethnozentristische" Zerrbild anderer Kulturzustände im Verein mit der bereits erwähnten "Anthropomorphisierung" tierischen Verhaltens kann dann sogar dazu verwendet werden, dem zivilisierten Leser seine eigene "Affenabstammung" schmackhafter zu machen, denn "wer einen Wilden in seiner Heimat gesehen hat, wird sich nicht mehr schämen, anzuerkennen, daß in seinen Adern das Blut noch niedrigerer Kreaturen fließt. Ich für meinen Teil möchte lieber von jenem heroischen kleinen Affen abstammen, der seinen schrecklichen Feind angriff, um das Leben des Wärters zu retten, oder von jenem alten Pavian, der, von den Höhen herabsteigend, seinen eigenen Kameraden im Triumph aus der Mitte einer Hundemeute hinwegtrug, als von einem Wilden, der sich an den Qualen seiner Feinde weidet, blutige Opfer darbringt, ohne Gewissensregung seine Kinder tötet, sein Weib als Sklavin behandelt, keinen Anstand kennt und vom gräßlichen Aberglauben gejagt wird." Sätze, wie die hier zitierten, müssen uns eigentlich zutiefst beschämen nach allem, was wir in diesem Jahrhundert unter uns "zivilisierten" Menschen erlebt haben und noch ständig erleben! Diese hier charakterisierte Denkweise Darwins wurzelt in einer tiefen Fortschrittsgläubigkeit, der so viele naturwissenschaftlich-technisch orientierte Menschen seiner Zeit anhingen und die z. B. in Karl Marx' Deutung der Menschheitsgeschichte als "die Vorgeschichte technisch-ökonomischer Aneignung der Natur durch den Menschen" ihren Ausdruck fand. Kaum verständlich erscheint uns heute schon die Emphase, mit der Darwin das evolutive Erscheinen des Menschen, "das Wunder und der Ruhm des Weltalls", auf der Erde feierte. Darwin hielt es für "richtig und tröstlich", "daß der Fortschritt bei weitem den Rückschritt überwiegt, daß der Mensch, wenn auch langsam und in Unterbrechungen, sich aus dem niedrigsten Zustand zur heutigen Höhe seines Wesens, seiner Sittlichkeit und Religion erhoben habe". Er sah noch voll Zuversicht in die Zukunft der Menschheit: "Ein Ausblick auf fernere Geschlechter braucht uns nicht fürchten zu lassen, daß die sozialen Instinkte schwächer werden; wir können im Gegenteil annehmen, daß die tugendhaften
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Die Abstammung des Menschen – Einführung
Gewohnheiten stärker und vielleicht durch Vererbung noch befestigt werden." Wer würde heute noch diesen Optimismus teilen? Nach alldem erscheint es nicht mehr verwunderlich, daß nur wenig später ganz und gar unwissenschaftliche Ideologien aus diesem Werk Darwins die "biologische" Rechtfertigung für ganz unmoralische Traktate und schließlich politische Handlungen ableiten zu können glaubten: "Sozialdarwinisten", "Rassenhygieniker" und schließlich die nationalsozialistische Ideologie und Praxis, sie alle beriefen sich auch auf Darwin. Ganz ohne Frage, das geht keineswegs ausschließlich auf die Rechnung Darwins, aber ich glaube, keiner wird zu Recht behaupten können, Darwin selbst habe gar nichts damit zu tun. Er hat dem allen Vorschub geleistet, wenn auch ohne jede eigene Absicht, denn er selbst hatte stets davor gewarnt, sein Prinzip der die Evolution der Organismen lenkenden "natürlichen Auslese" in den Bereich moralischer und politischer Handlungs-Maximen zu übertragen! Für Darwin ist der "Kampf ums Dasein" zwischen einzelnen Arten, Rassen und Stämmen ein entscheidender Motor der Veränderung bei tierischen Organismen wie beim Menschen. Auch "das Aussterben ist hauptsächlich die Folge der Konkurrenz eines Stammes mit dem anderen und einer Rasse mit der anderen". In menschlichen Bevölkerungen arbeitet – wie wir gesehen hatten – nach Darwins Vorstellungen die "natürliche Auslese" der Ausbreitung "sittlich höher stehender" Individuen und Bevölkerungsgruppen eher entgegen. In erschreckend "rassistischer" Weise beschreibt er diesen Mechanismus noch einmal nach den Worten eines Autors namens Greg für Groß-Britannien: "Der sorglose, schmutzige, genügsame Irländer vermehrt sich wie ein Kaninchen, der mäßige, vorsichtige, sich selbst achtende, ehrgeizige Schotte in seiner ernsten Sittlichkeit, seinem durchgeistigten Glauben, seiner scharfsinnigen selbstbeherrschten Intelligenz verbringt seine besten Jahre in Kampf und Ehelosigkeit, heiratet spät und hinterläßt wenige Kinder. Gesetzt den Fall, ein Land sei ursprünglich von tausend Sachsen und tausend Kelten bewohnt, so würden nach einem Dutzend Menschenaltern fünf Sechstel der Bevölkerung Kelten sein, aber fünf Sechstel alles Besitztums, aller Macht und Intelligenz würde sich in den Händen des einen Sechstels Sachsen befinden. Im ewigen 'Kampf ums Dasein' würde die untergeordnete, weniger begünstigte Rasse gesiegt haben, und zwar nicht kraft ihrer guten Eigenschaften, sondern kraft ihrer Fehler." Wer kennt solche suggestiven "statistischen Berechnungen" nicht aus der Propaganda der "Rassenhygieniker" des Nationalsozialismus und ihrer Epigonen? Zwar betonte Darwin selbst, daß in "zivilisierten" Bevölkerungen eine Reihe von biologischen Mechanismen (z. B. höhere Sterberaten der "Unmäßigen und Schwachen") sowie sittlich-moralische soziale Institutionen (z. B. eine Justiz, die "Schwerverbrecher" eliminiert, medizinische Instanzen, die Vorkehrungen gegen die Nachzucht von Geisteskranken treffen) diesem an sich zwangsläufigen Trend entgegenwirken. Gäbe es diese jedoch nicht oder würden "Minderwertige sich trotzdem stärker vermehren, führe das zum unweigerlichen Niedergang eines Volkes". Mit diesen und ähnlichen Gedankengängen hat Darwin selbst ohne Frage mit vorbereitet, was wenig später im "Sozialdarwinismus" und den sich daraus ableitenden politischen Ideologien virulent wurde. Diese Ideologien verletzen allerdings drei Prinzipien aus Darwins wissenschaftlicher Theorie der "natürlichen Auslese" und sind daher mit dem biologischen Darwinismus genaugenommen überhaupt unvereinbar, auch wenn Darwin selbst in dieser Hinsicht keineswegs immer konsequent war (s. oben): Zum ersten verschieben sie die Ebene der direkt konkurrierenden Systeme vom Individuum (als Träger der Gene) auf die "Rasse", das Volk, die Nation oder die gesellschaftliche "Klasse": die Selektion soll hier unmittelbar "rassendienliches", "volksdienliches" oder "klassendienliches" Verhalten unabhängig vom individuellen Nutzen oder Schaden, den dieses dem Akteur selbst einbringt, begünstigen; sie soll also gerade das bewirken, was Darwin selbst mit seinem Konzept der "natürlichen Auslese" nicht erklären konnte. Zum zweiten münzen sie Darwins "teleologiefreies" Konzept erneut in ein "ideologisches" um: das Überleben und die stärkere Vermehrung der "Stärkeren" ist nicht mehr nur ein zwangsläufiges Produkt der "natürlichen Auslese", sondern ihr angestrebtes Ziel. Zum dritten wird dieses "Selektionsziel" moralisch bewertet und zur positiven Zielvorstellung politischgesellschaftlichen Denkens und Handelns transformiert, nach dem Motto: wer im Sinne dieser "natürlichen Selektionsziele" handelt, handelt biologisch und moralisch-sittlich richtig und gut. Dieser unwissenschaftliche "Biologismus" hat viel Leid über die Menschheit gebracht und ist auch heute noch keineswegs wirklich überwunden. Es gehört zu den ethischen Verpflichtungen der Biologen, auf diese Pervertierung des Darwinschen Selektions-Konzeptes immer wieder mit aller Deutlichkeit hinzuweisen. Darwin selbst – auch dies muß hier mit allem Nachdruck hervorgehoben werden – hat sich schon in seiner "Abstammung des Menschen" gegen solche "Folgerungen" aus seiner Theorie verwahrt. Zivilisierte Völker – so schreibt er – halten mittels ihrer medizinischen Techniken Kranke und Untüchtige am Leben, leisten
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Die Abstammung des Menschen – Einführung
"Armenhilfe" und verhelfen den Schwachen, körperlich und geistig-moralisch weniger bemittelten Gliedern ihrer Gesellschaft zur eigenen und unbehinderten Fortpflanzung. "Niemand, der etwas von der Zucht der Haustiere kennt, wird daran zweifeln, daß dies äußerst nachteilig für die Rasse ist. Es ist überraschend, wie bald Mangel an Sorgfalt, oder auch übel angebrachte Sorgfalt, zur Degeneration einer domestizierten Rasse führt; außer im Falle des Menschen wird auch niemand so töricht sein, seinen schlechtesten Tieren die Fortpflanzung zu gestatten." Daß wir das dennoch bei uns tun und tun müssen, entspringe unserem tief eingewurzelten "Instinkt der Sympathie", seine Mißachtung hätte den Preis, daß "dadurch unsere edelste Natur an Wert verlöre". "Wir müssen uns daher mit den ohne Zweifel nachteiligen Folgen der Erhaltung und Vermehrung der Schwachen abfinden." Mit dieser ethischen Verpflichtung steht und fällt das, was wir unsere Menschlichkeit nennen, und damit die moralische Qualität, die uns aus dem ganzen Organismenreich heraushebt. Schließlich wird dem Leser dieses Werkes Darwins ambivalentes Verhältnis zur Religion und insbesondere zur Kirche nicht entgehen, das wohl nur aus seiner persönlichen Lebensgeschichte erklärbar ist. Zwar hält er "Gottesglaube" und "Religion", insbesondere monotheistische Religionen, für Zeichen einer sehr hohen menschlichen Entwicklungsstufe, doch kann er natürlich die biblische Schöpfungsgeschichte inhaltlich nicht akzeptieren. Geradezu boshaft schreibt er: "Wer nicht gleich einem Wilden damit zufrieden ist, die Naturerscheinungen als unzusammenhängende Geschehnisse zu betrachten, der kann nicht länger mehr glauben, daß der Mensch seinen Ursprung einem separaten Schöpfungsakt verdankt." Hinsichtlich der entscheidenden Frage, "ob ein Schöpfer und Regierer des Weltalls existiert", zieht er sich allerdings mit dem "salomonischen" Satz aus der Affäre: Diese Frage "ist von einigen der größten Geister, welche je gelebt haben, bejahend beantwortet worden". Es steht nach seiner Biographie außer Zweifel, daß ihn vor allem gesellschaftliche und besondere private Gründe zur Rücksichtnahme bewegten. In einem Brief an Karl Marx vom 13. Oktober 1880 gesteht er ein: "Es ist übrigens möglich, daß der Gedanke an den Schmerz, den ich einigen Angehörigen meiner Familie bereiten würde, wenn ich begänne, direkte Angriffe auf die Religion so oder anders zu unterstützen, mich hier über Gebühr beeinflußt hat." Wenden wir uns jedoch noch kurz dem wissenschaftlichen "Erbe" Darwins und seiner Weiterentwicklung zu. Wir haben bereits mehrfach davon gesprochen, daß Darwjn selbst in seinen Vorstellungen des Phänomens der Erblichkeit und der Weitergabe von Erbinformationen auffallend schwankend blieb. Seine Erklärungen dazu waren stark lamarckistisch geprägt, und wo er sich davon absetzte, berief er sich empirisch überzeugend vor allem auf seinen Vetter Francis Galton, der ab 1865 bei seiner genealogischen Familienstammbaumforschung sich diesen Fragen mit statistischen Modellvorstellungen näherte. Beiden, Darwin wie Galton, war die von Gregor Mendel (1865) erfolgreich eingeleitete Theorie der Merkmalsvererbung – der zweite bedeutende Paradigmenwechsel in der Biologie dieser Zeit – entgangen. Es ist für uns heute nur schwer nachvollziehbar, daß selbst nach der "Wiederentdeckung" der "Mendelschen Gesetze" durch Correns, Tschermak und De Vries (1900) sich die "Gen"-Theorie in den ersten 2 – 3 Jahrzehnten unseres Jahrhunderts weitgehend unabhängig und ohne unmittelbare Querverbindung, ja, teilweise geradezu im Widerstreit zu Darwins Selektions-Theorie weiterentwickelte. Die effektive Vereinigung beider theoretischer Konzepte wurde erst gegen Ende der 20er Jahre durch die aufstrebende Populationsgenetik zu einer evolutionistischen Populationsbiologie erreicht. Sie wird gemeinhin mit Autorennamen wie R. A. Fisher, J. Haldane und S. Wright in Verbindung gebracht. Beide gemeinsam ergaben die Grundlagen für die seither so bezeichnete "neodarwinistische oder synthetische Theorie der Evolution". Diese führte sehr schnell zu den ersten mathematisch formulierten Modellen des Evolutionsgeschehens auf der Basis von Vererbung und "natürlicher Auslese" innerhalb von Populationen. Die dritte entscheidende Komponente unserer heutigen Evolutionslehre lieferte dann die Präzisierung des ökologischen Ansatzes, der bei Darwin noch weitgehend spekulativ, wenn auch für seine Theorie von fundamentaler Bedeutung war, in den 40er und 50er Jahren unseres Jahrhunderts. Die überaus fruchtbare Verbindung von Ökologie, Populationsgenetik und darwinistischer Evolutionsforschung erbrachte empirisch überprüfbare quantitative Modelle und Prognosen über die Auswirkungen des Darwinschen Grundpostulates, daß evolutive Adaptation durch interindividuelle Konkurrenz um bestimmte UmweltRessourcen via Selektion auf der Ebene von Populationen zwangsläufig zu unterschiedlichen Überlebensbzw. Fortpflanzungschancen und damit zu genetischen Veränderungen und Diversifikationen führen müsse. Am längsten blieb das weiter oben bereits angesprochene Darwinsche "Paradoxon" ungelöst, wie auf der Grundlage strikter interindividueller Konkurrenz, ja, einer auf die Steigerung individueller Konkurrenzfähigkeit hinwirkenden Selektion, überhaupt kooperative soziale Systeme, über die
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gemeinsame Pflege der eigenen Nachzucht hinausgehende wechselseitige "Fürsorge" oder gar individuelle "Selbstaufopferung" entstehen und sich erfolgreich durchsetzen konnten, sei es in Form eines gesteigerten eigenen Überlebensrisikos oder in Form der Aufgabe eigener Fortpflanzungschancen bzw. sogar der eigenen Fortpflanzungsfähigkeit. Biologen fassen solche Handlungen heute oft unter der Bezeichnung "altruistisches Verhalten" zusammen. Wir hatten gesehen, wie schwer sich Darwin selbst mit dieser Problematik tat und zu welchen vagen "Hilfskonstruktionen" er dabei greifen mußte. Darwins Theorie genau beim Wort genommen, müßte jeder "Egoist" und "eigennützige Betrüger" in einem solchen sozialen System die höchsten Reproduktionserfolge erzielen, was unter der Voraussetzung, daß an der Ausprägung derartigen Verhaltens das Erbgut beteiligt ist, zwangsläufig eine "Kontraselektion" gegen "altruistisches" Verhalten zur Folge haben müßte. Konsequenz: solche Systeme würden, wenn sie überhaupt je entstehen könnten, sehr schnell wieder verschwinden. Sie existieren aber nicht nur, sondern sie sind im Gegenteil evolutiv offenbar außerordentlich erfolgreich gewesen. Die sog. "Staaten" einiger Insektenarten und vor allem der Mensch selbst sind besonders eindrückliche Zeugnisse dafür. In ihrer ganzen Schärfe wurde diese Problematik eigentlich erst 1964 durch William Hamilton wieder aufgenommen und ihrer "theoriekonformen" Lösung ein entscheidendes Stück näher gebracht. Hamilton wies darauf hin (und entwickelte entsprechende mathematische Modelle), daß neben der seit Darwin allgemein beachteten "direkten Selektion", welche die direkten Nachfahrenzahlen eines Individuums (dessen sog. "Darwin-Fitness") steigern kann, auch eine sehr effiziente "indirekte Selektion" am Werke ist, bei der sich bestimmte "Gene" bzw. deren "Allele"* auf die Weise vermehrt ausbreiten können, daß ihre "Träger"-Individuen anderen Trägern gleichartiger Allele mittels "altruistischen" Verhaltens zu mehr Nachkommen verhelfen. Die Wahrscheinlichkeit dieser Konstellation ist dann am größten, wenn sich genealogisch nahe Verwandte gegenseitig unterstützen, weil diese wegen ihrer gemeinsamen Abstammung am ehesten identische Allelen-Kopien tragen; je näher verwandt, desto größer diese Wahrscheinlichkeit. Und in der Tat ist der Nachweis erbracht, daß nahezu alle aus dem Tierreich bekannten längerfristig konsistenten Sozialverbände auf "Familien"-, d. h. auf genealogischer Verwandtschaftsbasis sich entwickelt haben. Dies gilt auch für die primären Gesellschaftssysteme des Menschen. Solche "nepotistischen" Unterstützungssysteme sind es also, die über "indirekte Selektion" die sog. "Gesamtfitness" (Hamilton nannte das "inclusive fitness") über die genealogischen "Nebenlinien" eines Individuums erheblich steigern und damit die vermehrte Ausbreitung "altruistischer" Gene bzw. Allele in einer Population besorgen können, auch dann, wenn einzelne Träger-Individuen auf Grund ihres "aufopfernden" Verhaltens selbst überhaupt keine Nachkommen haben. Zur Erklärung dieses Phänomens reicht Darwins Konzept der "natürlichen Auslese" vollkommen aus, es bedarf also keiner "Hilfskonstruktion". Francis Galton war in seinem Werk "Hereditary Genius" (1869) diesem Konzept schon relativ nahe gekommen, indem er empirisch nachwies, daß in der verwandtschaftlichen Umgebung von "Genies" hochbegabte Individuen überdurchschnittlich angereichert sind, sei es in direkter Nachfahrenlinie oder auch auf genealogischen Nebenlinien. Das heißt: selbst wenn ein "Genie" selbst keine direkten Nachfahren hat, so werden seine besonderen Erbeigenschaften doch über Nebenlinien weitervererbt und angereichert, letzteres um so mehr, je mehr die Blutsverwandten von den "genialen" Eigenschaften ihres Familienmitgliedes "reproduktiv" profitieren, und das kann z. B. schon auf dem Wege über materielle Vorteile oder höheres gesellschaftliches Ansehen geschehen. Darwin hatte diese Gedanken seines Vetters Galton durchaus wahrgenommen, wofür sich auch in der "Abstammung des Menschen" vereinzelt Hinweise finden. So schreibt er z. B., daß es in einem Volke oder Stamm nicht unbedingt auf die Fortpflanzungsraten der Höchstbegabten selbst ankomme, sondern auf die Anhebung der Reproduktionschancen in der weiteren Verwandtschaft dieser Individuen, die dann zu einer "Verbesserung" des Durchschnitts in dieser Population führe: "Wenn in irgendeinem Volk der Maßstab der Intelligenz erhöht worden und die Zahl der intelligenten Menschen gewachsen ist, so können wir nach dem Gesetz der Abweichung vom Durchschnitt mit Galton annehmen, daß auch die Genies häufiger erscheinen als vorher." An einer Stelle dieses Buches scheint Darwin Hamiltons Konzept von gesteigerter "Gesamtfitness" sogar erstaunlich nahe, doch verfolgt er seinen Gedanken nicht konsequent weiter; es heißt dort: "Selbst wenn sie" (gemeint sind die besonders "ingeniösen" Menschen eines Stammes) "keine Kinder hinterlassen, umschloß der Stamm doch ihre Blutsverwandten." Was nun interindividuelle Unterstützung, Kooperation und "altruistisches" Verhalten anbetrifft, so weist Darwin sogar selbst an vielen Stellen seines Werkes darauf hin, daß wechselseitige Hilfeleistung bei höheren sozial lebenden Tieren "durchaus nicht auf alle Individuen derselben Spezies ausgedehnt" wird, "sondern nur auf die derselben Gemeinschaft". Auch für die menschlichen "Wilden" gelte noch das Prinzip, daß jeder nur seine eigenen Stammesgenossen unterstütze * Unter "Allelen" verstehen Genetiker die Varianten eines Gens, die, als Mutationen auseinander hervorgegangen, sich wechselseitig an ein und demselben "Genort" auf dem jeweils entsprechenden Chromosom "vertreten" können.
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Die Abstammung des Menschen – Einführung
und im Notfall unter Einsatz des eigenen Lebens rette, nicht jedoch den "Fremden". Stellt man noch in Rechnung, daß Darwin betonte, daß soziales Leben im Tierreich generell aus "Brutfürsorge" hervorgegangen sei, so kann man ermessen, wie nahe er der theoriekonformen Lösung seines "Paradoxons" schon gewesen ist. Hätte er selbst alle diese bruchstückhaften Hinweise und Gedanken unter dem Aspekt zusammengebracht, daß soziale Verbände bei Tier und Mensch vorwiegend genealogisch nahe Verwandte umschließen, vielleicht hätten nicht noch einmal 100 Jahre verstreichen müssen, um Hamiltons Argumentation zu entwickeln! Somit ist die "Soziobiologie", wie Edward O. Wilson (1975) dann das von Hamilton eingeleitete theoretische Konstrukt für die darwinistische Erklärung der Entstehung und des evolutiven Erfolges von kooperativem und "altruistischem" Verhalten mit seinen späteren Weiterungen "taufte", das bisher jüngste Kind der Darwinschen Theorie von der "natürlichen Auslese". Das Konzept des "selfish gene" (Dawkins, 1976) reicht aus, die Entstehung hochgradig kooperativer und "altruistischer" sozialer Systeme ganz im Sinne von Darwins Theorie zu erklären. Ein weiteres Prinzip, das in der modernen "Soziobiologie" seit Trivers (1971) eine wichtige Rolle spielt, der sog. "reziproke Altruismus", klingt in Darwins "Abstammung des Menschen" ebenfalls bereits an, wird dann jedoch wieder mittels der lamarckistischen Idee des "Erbfestwerdens" von "Gewohnheiten" ganz "undarwinistisch" weiterbehandelt: ein Individuum kann sich dann ein gewisses persönliches Überlebens- oder Fortpflanzungsrisiko leisten, wenn es davon "ausgehen" kann, daß der Sozialpartner, für den es jetzt seine Unterstützung einsetzt, sich später bei entsprechend umgekehrter Gelegenheit (mindestens) gleichwertig revanchieren wird. So heißt es z. B. bei Darwin: "Erstens wird jeder Mensch bei der zunehmenden Vervollkommnung seines Verstandes und seiner Voraussicht bald einsehen lernen, daß er, wenn er seinen Mitmenschen hilft, auch ein Anrecht auf ihre Hilfe erwirbt. Das ziemlich niedrige Motiv führt bald zur Gewohnheit, den Gefährten beizustehen", und "Gewohnheiten neigen nach generationslanger Ausübung dazu, vererbt zu werden." Ob "ziemlich niedriges Motiv" oder nicht, moderne "Soziobiologen" nehmen ohnehin nicht an, daß bei der Entstehung "altruistischen" Verhaltens primär Einsicht im Spiel sei, sie unterstellen den entsprechenden "Genen" keine bewußten Absichten, sondern konstatieren nur, daß die "natürliche Auslese" zwangsläufig solche "Gene" bevorzugen muß, die ihre "Träger"-Individuen so handeln lassen, als ob sie diese Absicht verfolgten, ganz unabhängig davon, aufweiche Weise im einzelnen dieses Verhalten produziert wird. Also auch hier wieder "Teleonomie" statt "Teleologie" (s. oben), ganz im Sinne einer strikten Anwendung von Darwins Theorie. An dieser Stelle scheint mir jedoch wieder der Hinweis wichtig, daß mit diesem "jüngsten Kind" von Darwins Selektionstheorie erneut die gefährliche "Hydra" des politischen Mißbrauchs von Darwins Evolutionskonzept ihr Haupt erhebt. Auch hier besteht wieder die Gefahr – und sie ist mancherorts bereits virulent! –, daß das, was im organismischen Evolutionsgeschehen wissenschaftlich erkennbar und nachweisbar geworden ist, über eine pseudowissenschaftliche Legitimation zur moralischen Rechtfertigung bestimmter gesellschaftlicher Zustände erhoben, ja, daß es zur Maxime sozialen und politischen Handelns transformiert wird. Organismische Evolution und moralische Zielsetzungen menschlichen Handelns jedoch haben nichts miteinander zu tun! Auch dieses – so meine ich – sollte gerade im neuerlichen Jubiläumsjahr des großen Biologen Darwin unüberhörbar gesagt werden. Der Darwinismus ist keine Weltanschauung, sondern eine wissenschaftliche Theorie. Für die Biologie ist diese Theorie zu der zentralen Theorie überhaupt geworden. Man kann heute geradezu sagen: Eine Naturwissenschaft enthält nur so viel echte Biologie, als sie sich an den Axiomen und Postulaten der darwinistischen synthetischen Theorie der 'Evolution orientiert. Darwins Schriften aber lese man kritisch und bleibe sich der zeitgeschichtlichen Einbindung seines Denkens stets bewußt.
Weiterführende und ergänzende Literatur (Eine Auswahl) ALTNER, Günter (Hrsg.): Der Darwinismus – Die Geschichte einer Theorie. – Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1981. DARWIN, Charles R.: Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl. (Übersetzt von Carl W. Neumann) – Philipp Reclam Jun., Stuttgart 1963. (Erstveröffentlichung: "On the Origin of Species by Means of Natural Selection", 1859). DARWIN, Charles R.: Reise eines Naturforschers um die Welt. (Übersetzt von J. Victor Carus nach der Ausgabe von 1875) – Steingrüben Verlag, Stuttgart 1962. (Erstveröffentlichung: "A Naturalist's Voyage", 1860).
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DARWIN, Charles R.: Autobiographie. – Urania-Verlag, Leipzig-Jena 1959. (Erstveröffentlichung: "The Life and Leiters of Charles Darwin", 1887). GLASS, Bentley; TEMKIN, Oswei und STRAPS, William L. jr. (Hrsg.): Forerunners of Darwin, 1745-1859. – The Johns Hopkins Press, Baltimore 1959 (Paperback-Ausgabe: 1968). HUXLEY, Thomas H.: Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur. (Eingeleitet und in Anlehnung an J. Victor Carus übersetzt von Gerhard Heberer) – Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1963. (Erstveröffentlichung: "Evidences as to Man's Place in Nature", 1863). LAMARCK, Jean B. de: Zoologische Philosophie. (Übersetzt von Heinrich Schmidt, Jena) – Alfred Kröner Verlag, Leipzig 1909. (Erstveröffentlichung: "Philosophie zoologique", 1809). MANN, Gunter (Hrsg.): Biologismus im 19. Jahrhundert. – Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1973. MAYR, Ernst: Evolution und die Vielfalt des Lebens. – Springer Verlag, Berlin-Heidelberg-New York, 1979. MAYR, Ernst und PROVINE, William B. (Hrsg.): The Evolutionary Synthesis. – Harvard University Press, Cambridge/Massachusetts-London 1980. WILSON, Edward O.: Sociobiology – The New Synthesis. – The Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge/Massachusetts-London 1975. ZIMMERMANN, Walter: Evolution – Geschichte ihrer Probleme und Erkenntnisse. – Verlag Karl Alber, Freiburg-München 1953.
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Einleitung
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Die Abstammung des Menschen – Einleitung
Viele
Jahre hindurch habe ich Notizen über den Ursprung oder die Abstammung des Menschen gesammelt, ohne die Absicht, etwas darüber zu veröffentlichen; ich war im Gegenteil entschlossen, nichts davon in die Öffentlichkeit zu bringen, weil ich fürchtete, damit nur die Vorurteile gegen meine Ansichten zu vermehren. In der ersten Ausgabe meiner "Entstehung der Arten" ließ ich es bei der Andeutung bewenden, daß durch dieses Werk Licht verbreitet würde auch über den Ursprung des Menschen und seine Geschichte. Darin lag eingeschlossen, daß der Mensch hinsichtlich seines Erscheinens auf der Erde denselben allgemeinen Schlußfolgerungen unterworfen sei wie jedes andere Lebewesen.
Jetzt liegen die Dinge wesentlich anders. Wenn ein Naturforscher von der Bedeutung Karl Vogts als Präsident des Nationalinstituts von Genf (1869) erklären darf: "Niemand, wenigstens in Europa, wagt mehr, die Erschaffung der Arten, unabhängig voneinander, zu verteidigen", so muß jetzt offenbar eine große Zahl von Naturforschern geneigt sein, die Arten als veränderte Nachkommen anderer Arten zu betrachten. Dies gilt besonders für die jüngeren und aufstrebenden Naturforscher. Die Mehrzahl derselben anerkennt die natürliche Zuchtwahl, wenn auch einige meinen, ich hätte ihre Bedeutung sehr überschätzt. Ob sie recht haben, muß die Zukunft entscheiden. Unter den älteren und angeseheneren Naturforschern gibt es leider auch noch solche, die von einer Entwickelung überhaupt nichts wissen wollen. Den gegenwärtig von den meisten Naturforschern angenommenen Anschauungen werden schließlich auch die Laien folgen; und so habe ich mich denn entschlossen, meine Notizen zusammenzustellen, um zu sehen, inwieweit sich die allgemeinen Schlußfolgerungen meiner früheren Werke auch auf den Menschen anwenden lassen. Dies zu tun, erschien mir um so notwendiger, als ich meine Betrachtungsweise bisher noch nicht auf eine einzelne Art angewendet habe. Wenn wir unser Augenmerk auf eine einzige Form beschränken, so verzichten wir auf die wichtigen Beweismittel, die uns die verwandtschaftlichen Beziehungen ganzer Organismengruppen, ihre geographische Verbreitung in Gegenwart und Vergangenheit und ihre geologische Aufeinanderfolge liefern. Übrig bleiben für die Betrachtung die gleichartigen Bildungen (homologe Strukturen), die rudimentären Organe und die embryonale Entwickelung einer Art, sei es nun des Menschen oder irgend eines anderen Tieres, worauf sich unser Augenmerk richtet. Aber gerade diese großen Gruppen von Tatsachen erheben, wie mir scheint, das Prinzip der allmählichen Entwickelung zur höchsten Wahrscheinlichkeit. Indessen wird es gut sein, auch die Beweiskraft der anderen Tatsachen im Auge zu behalten. In diesem Werke soll nun untersucht werden: erstens, ob der Mensch – wie jede andere Art – von einer früher existierenden Form abstammt; zweitens die Art und Weise seiner Entwickelung; drittens der Wert der Unterschiede zwischen den sogenannten Menschenrassen. Diese Unterschiede im einzelnen aufzuzählen, ist unnötig; diese umfassende Arbeit ist bereits in wertvollen Werken in vollem Umfang ausgeführt worden. Von einer Reihe hervorragender Männer, zuerst von Boucher de Perthes, ist das hohe Alter des Menschen nachgewiesen worden, und dies ist die unentbehrliche Grundlage für das Verständnis seines Ursprungs, deren Richtigkeit im folgenden vorausgesetzt wird. Ich verweise hier meine Leser auf die vortrefflichen Abhandlungen von Charles Lyell, John Lubbock u. a. Auch die Unterschiede zwischen dem Menschen und dem Menschenaffen werde ich nur flüchtig berühren; denn nach der Meinung der berufensten Beurteiler hat Professor Huxley überzeugend nachgewiesen, daß der Mensch in jedem einzelnen seiner erkennbaren Merkmale weniger von den höheren Affen abweicht, als diese von den niederen Vertretern derselben Ordnung (der Primaten oder Herrentiere) verschieden sind. Mein Werk enthält kaum neue Tatsachen; die Schlüsse jedoch, zu denen mich eine flüchtige Übersicht führte, schienen mir interessant genug, um sie auch anderen mitzuteilen. Es ist oft mit größter Entschiedenheit behauptet worden, der Ursprung des Menschen werde immer in Dunkel gehüllt bleiben. Allein, Entschiedenheit wurzelt häufiger in Unwissenheit als im Wissen. Es sind immer nur diejenigen, die wenig wissen, und nicht diejenigen, die viel wissen, welche positiv behaupten, daß dieses oder jenes Problem von der Wissenschaft niemals gelöst werden könne. Die Folgerung, daß der Mensch ebenso wie andere Arten von einer alten, tiefstehenden, ausgestorbenen Form abstamme, ist keineswegs neu. Sie wurde schon vor langer Zeit von Lamarck gezogen, ebenso wie
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später; von mehreren hervorragenden Naturforschern und Philosophen, von Wallace, Lyell, Huxley, Vogt, Lubbock, Büchner, Rolle u. a., besonders aber von Ernst Haeckel. Außer in seiner großen "Generellen Morphologie der Organismen" (1866) hat der zuletzt genannte Naturforscher die Genealogie des Menschen auch in seiner "Natürlichen Schöpfungsgeschichte" eingehend erörtert (1868). Wäre dieses Buch schon vor der Niederschrift meiner Arbeit erschienen, so wäre diese wahrscheinlich nie beendet worden. Fast alle Schlüsse, zu denen ich gekommen bin, finde ich durch diesen Naturforscher bestätigt, dessen Kenntnisse in vielen Punkten viel vollkommener sind als die meinigen.
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Erstes Kapitel Beweise für die Abstammung des Menschen von einer tiefer stehenden Form
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Die Abstammung des Menschen – Erstes Kapitel
Wer zu erkennen wünscht, ob der Mensch der veränderte Nachkomme einer früheren Form ist, wird
wahrscheinlich zunächst untersuchen, ob der Mensch in seinem Körperbau und in seinen geistigen Fähigkeiten irgendwie von der Norm abweicht (variiert), und, wenn dem so ist, ob die Abweichungen gemäß den in der Tierreihe geltenden Gesetzen auch bei seinen Nachkommen auftreten. Er wird weiterhin fragen, ob die Abweichungen – soweit uns unsere Unwissenheit ein Urteil darüber erlaubt – auf dieselben allgemeinen Ursachen zurückzuführen sind und von denselben allgemeinen Gesetzen beherrscht werden wie bei anderen Lebewesen, z. B. von den Gesetzen der Korrelation, der vererbten Wirkungen des Gebrauchs und Nichtgebrauchs usw. Ferner, ob der Mensch ähnlichen Mißbildungen unterworfen ist, Entwickelungshemmungen, Verdoppelung von Teilen usw., und ob sich die eine oder andere seiner nichtnormalen Bildungen als ein Rückschlag auf einen früheren und älteren Typus deuten läßt. Ebenso muß untersucht werden, ob auch der Mensch, wie so viele andere Tiere, Varietäten und Unterrassen erzeugt, die voneinander nur wenig verschieden sind; oder Rassen, die so sehr voneinander abweichen, daß sie als zweifelhafte Arten bezeichnet werden müßten. Endlich, wie es sich mit der geographischen Verbreitung derartiger Rassen verhält und wie das Produkt einer Kreuzung in der ersten wie in den folgenden Generationen beschaffen ist. Und was dergleichen Fragen mehr sind. Sodann wäre als ein sehr wichtiger Punkt zu erforschen, ob sich der Mensch in einem so raschen Verhältnis vermehrt, daß gelegentlich ein harter Kampf um die Existenz daraus entspringt, infolge dessen nützliche Abänderungen, körperliche oder geistige, erhalten bleiben, schädliche dagegen ausgemerzt werden. Endlich, ob die Rassen oder Arten – gleichgültig, wie man sie bezeichnen will – einander verdrängen und ersetzen, so daß manche schließlich vernichtet werden. Wir werden sehen, daß alle diese Fragen für den Menschen offenbar ebenso bejaht werden müssen wie für die anderen Tiere; sie mögen jedoch für jetzt noch zurückgestellt werden. Zunächst wollen wir die mehr oder weniger deutlichen Spuren seiner Abstammung in seiner körperlichen Struktur aufsuchen. In späteren Kapiteln sollen dann auch die geistigen Fähigkeiten des Menschen mit denen der tiefer stehenden Tiere verglichen werden.
Der Körperbau des Menschen. Der Mensch ist ganz augenscheinlich nach demselben Typus gebaut wie die anderen Säugetiere. Alle Knochen seines Skelettes können verglichen werden mit den entsprechenden Knochen eines Affen, einer Fledermaus, oder eines Seehundes. Ebenso ist es mit seinen Muskeln, Nerven, Blutgefäßen und Eingeweiden. Mit dem Gehirn, dem wichtigsten aller Organe, verhält es sich genau ebenso, wie Huxley und andere Autoren gezeigt haben. Bischoff1, ein Zeuge aus dem gegnerischen Lager, räumt ein, daß jede Hauptfurche und -windung im Gehirn des Menschen ihr Analogen im Gehirn des Orang hat. Er fügt hinzu, daß auf keiner Stufe der Entwickelung ihr Gehirn völlig übereinstimme; aber völlige Übereinstimmung kann ja auch gar nicht erwartet werden, sonst müßten auch ihre geistigen Kräfte dieselben sein. Vulpian2 bemerkt: "Die tatsächlichen Unterschiede zwischen dem Gehirn des Menschen und dem der höheren Affen sind sehr gering. Man gebe sich in dieser Hinsicht keiner Illusion hin. In den anatomischen Verhältnissen des Gehirns steht der Mensch den Anthropomorphen (Menschenaffen) viel näher als diese den anderen Säugetieren, selbst die geschwänzten Affen und Makaken nicht ausgenommen." Weitere Einzelheiten über die Ähnlichkeit des Menschen mit den höheren Säugetieren, wie sie sich im Bau des Gehirns und aller anderen Teile des Körpers offenbart, sind hier überflüssig. Indessen wird es gut sein, wenn ich als Zeugnisse für diese Übereinstimmung oder Verwandtschaft ein paar spezielle Tatsachen anführe, die nicht direkt oder nicht augenfällig mit dem Körperbau zusammenhängen. Gewisse Krankheiten können vom Menschen auf andere Tiere übertragen werden und umgekehrt, so z. B. die Wasserscheu, Pocken, Rotz, Syphilis, Cholera, Flechten usw.3, und diese Tatsache erweist die große Ähnlichkeit ihrer Gewebe und ihres Blutes, sowohl in ihrem feineren Bau wie in ihrer Zusammensetzung,
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viel deutlicher als ihre Vergleichung unter dem besten Mikroskop, oder die sorgfältigste chemische Analyse4. Die Affen sind vielen der gleichen nicht ansteckenden Krankheiten ausgesetzt wie wir. So fand Rengger5, der den Cebus Azarae in seiner Heimat lange und mit Sorgfalt beobachtete, daß diese Affen Katarrhe mit den gewöhnlichen Symptomen bekommen, die bei häufigeren Rückfällen auch zur Schwindsucht führen. Auch Schlagfluß, Bauchfellentzündung und grauer Star traten bei diesen Affen auf. Die Jungen sterben oft am Fieber während des Zahnwechsels. Arzeneien hatten dieselben Wirkungen wie bei uns. Viele Arten von Affen haben eine starke Vorliebe für Tee, Kaffee und Spirituoseri. Wie ich selbst gesehen habe, rauchen sie auch mit Vergnügen Tabak6. Brehm behauptet, daß die Eingeborenen Nordost-Afrikas Affen dadurch einfangen, daß sie Gefäße mit starkem Bier ausstellen, an dem sich die Affen berauschen. Er sah ein paar dieser Tiere, die er in Gefangenschaft hielt, in diesem Zustand, und er gibt einen sehr humorvollen Bericht über ihr Benehmen und ihre seltsamen Grimassen. Am folgenden Morgen waren sie sehr schlecht gelaunt und elend; sie hielten ihr schmerzendes Haupt mit beiden Händen und sahen ganz erbärmlich aus; wurde ihnen Bier oder Wein angeboten, so wandten sie sich mit Abscheu ab, labten sich dagegen an Zitronensaft7. Weiser als viele Menschen, rührte ein amerikanischer Affe, ein Ateles, nach einem Branntweinrausch das infame Getränk nie mehr an. Diese an sich unbedeutenden Tatsachen beweisen, wie ähnlich die Geschmacksnerven bei Menschen und Affen sein müssen und in wie ähnlicher Weise ihr ganzes Nervensystem erregt wird. Der Mensch wird von inneren Parasiten geplagt, die zuweilen verhängnisvoll werden, ebenso von äußeren, die sämtlich zu denselben Gattungen oder Familien gehören, die auch andere Säugetiere befallen, bei der Krätzmilbe sogar zu derselben Art8. Wie andere Säugetiere, Vögel und selbst Insekten9 ist auch der Mensch jenem geheimnisvollen Gesetz unterworfen, nach dem gewisse normale Vorgänge, die Trächtigkeit, die Reife, die Dauer mancher Krankheiten, den Mondperioden folgen. Seine Wunden machen denselben Heilungsprozeß durch, und die Stümpfe, die nach einer Amputation seiner Glieder besonders in frühen Embryonalperioden übrig bleiben, besitzen zuweilen die Fähigkeit der Regeneration wie bei den niedersten Tieren10. Der ganze Verlauf der Fortpflanzung, jener höchst wichtigen Funktion, ist bei allen Säugetieren auffallend gleich, angefangen von der Werbung des Männchens11 bis zur Geburt und Aufzucht der Jungen. Die Affen sind bei der Geburt fast ebenso hilflos wie unsere Kinder; und bei gewissen Gattungen unterscheiden sich die Jungen von den Erwachsenen im Aussehen genau so wie unsere Kinder von ihren Eltern12. Als einen wichtigen Unterschied haben einige Schriftsteller angegeben, beim Menschen würden die Jungen viel später reif als bei jedem anderen Tier; wenn wir aber unseren Blick auf die Menschenrassen werfen, die tropische Gegenden bewohnen, so ist der Unterschied nicht eben groß; denn der Orang soll nicht vor dem 10. bis 15. Jahre reif werden13. Der Mann unterscheidet sich vom Weib in der Größe, der Körperkraft, der Behaarung usw., ebenso in geistiger Beziehung, in derselben Weise wie die beiden Geschlechter bei vielen Säugetieren. Im allgemeinen Bau wie in der feineren Struktur der Gewebe, in der chemischen Zusammensetzung und in der Konstitution ist somit die Übereinstimmung zwischen dem Menschen und den höheren Tieren, speziell den anthropomorphen Affen, eine überaus weitgehende.
Embryonale Entwickelung. Der Mensch entwickelt sich aus einem Ei von etwa 1/5 mm Durchmesser, das sich in keiner Hinsicht von den Eiern anderer Tiere unterscheidet. Der Embryo selbst kann auf einer gewissen Entwicklungsstufe kaum von den Embryonen anderer Wirbeltiere unterschieden werden. Auf dieser Stufe verlaufen die Halsarterien in bogenförmigen Ästen, als ob das Blut zu Kiemen geführt werden sollte, die doch bei den höheren Wirbeltieren nicht vorhanden sind. Daß sie früher vorhanden waren, zeigen die Kiemenfurchen an der Seite des Halses. Etwas später entstehen die Gliedmaßen und zwar, wie der berühmte Carl Ernst von Baer bemerkt, aus derselben Grundform wie die Füße der Eidechsen und Säugetiere, ebenso wie die Flügel und Füße der Vögel. "Erst in den letzten Stadien der Entwickelung", sagt Professor Huxley14, "zeigt das Menschenjunge deutliche Verschiedenheiten von dem jungen Affen, der in seiner Entwickelung ebenso weit vom Hunde abweicht, wie der Mensch. So erstaunlich diese Behauptung auch erscheinen mag, sie ist doch nachweisbar richtig." Da manche meiner Leser vielleicht noch niemals die Abbildung eines Embryo gesehen haben, habe ich nebenstehend eine solche von einem Menschen und eine andere vom Hunde von ungefähr derselben Entwickelungsstufe gegeben, beides Kopien nach zwei Werken von zweifelloser Genauigkeit15. Nach den mitgeteilten Feststellungen so bedeutender Autoritäten würde es überflüssig sein, noch mehr Einzelheiten aufzuführen, welche die große Ähnlichkeit des menschlichen Embryos mit den Embryonen
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anderer Säugetiere bezeugen. Es mag jedoch noch hinzugefügt werden, daß der menschliche Embryo verschiedene Struktureigentümlichkeiten aufweist, die bei gewissen niederen Formen dauernd vorhanden sind. Das Herz zum Beispiel ist zuerst nichts als ein pulsierendes Gefäß; die Exkremente werden durch eine Kloake entleert; und das Schwanzbein (os coccygis) ragt wie ein wirklicher Schwanz über die Anlagen der Beine beträchtlich hinaus16. Bei den Embryonen aller luftatmenden Tiere entsprechen gewisse Drüsen, die Wolffschen Körper, den Nieren erwachsener Fische und funktionieren auch wie diese17. Auch noch in einer späteren Entwickelungsperiode lassen sich auffallende Ähnlichkeiten zwischen den Menschen und den tiefer stehenden Tieren beobachten. So gibt Bischoff an, daß die Windungen des Gehirns bei einem menschlichen Embryo aus dem siebenten Monat ungefähr so weit entwickelt seien wie bei einem erwachsenen Pavian18. Wie Professor Owen bemerkt, ist die große Zehe, welche beim Gehen und Stehen
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den Stützpunkt bildet, vielleicht die charakteristischste Eigenheit des menschlichen Körpers19; aber bei einem Embryo von etwa einem Zoll Länge fand Professor Wyman, "daß die große Zehe kürzer als die anderen war und, anstatt den anderen parallel zu laufen, in einem Winkel nach seitwärts stand, wie es bei den Vierhäridern dauernd der Fall ist"20. Ich will schließen mit einem Wort von Huxley; auf die Frage, ob der Mensch in einer anderen Weise entstehe als ein Hund, ein Vogel, ein Frosch oder Fisch, antwortet er: "Die Antwort ist keinen Augenblick zweifelhaft; die Art des Ursprungs und die ersten Stadien der Entwickelung des Menschen sind mit denen der unmittelbar unter ihm stehenden Tiere identisch. Ohne Zweifel steht er in dieser Hinsicht den Affen näher, als diese dem Hunde stehen21.
Rudimente. Obgleich dieser Punkt keine größere Bedeutung besitzt als die beiden vorhergehenden, soll er doch aus mehreren Gründen ausführlicher behandelt werden22. Es läßt sich kein höheres Tier angeben, bei dem nicht irgend ein Teil rudimentär wäre, und der Mensch bildet keine Ausnahme von dieser Regel. Rudimentäre Organe müssen unterschieden werden von eben entstehenden, obgleich in manchen Fällen die Unterscheidung nicht leicht ist. Die ersteren sind entweder durchaus nutzlos – wie z. B. die Brustdrüsen der männlichen Vierfüßer, und die oberen Schneidezähne der Wiederkäuer, die niemals zum Durchbruch kommen –, oder sie sind ihren gegenwärtigen Besitzern von so geringem Nutzen, daß wir schwerlich annehmen können, ihre Entwickelung habe unter den gegenwärtigen Bedingungen stattgefunden. Strenggenommen sind Organe in diesem letzteren Zustand nicht rudimentär, aber sie entwickeln sich dahin. Entstehende Organe hingegen sind, wenn auch noch nicht voll entwickelt, von großer Bedeutung für ihren Besitzer und fähig, sich weiter zu entwickeln. Rudimentäre Organe sind außerordentlich variabel; und das ist teilweise verständlich, da sie nutzlos und infolgedessen nicht mehr der natürlichen Zuchtwahl unterworfen sind. Sie werden oft ganz unterdrückt. In diesem Falle können sie aber gelegentlich wieder auftauchen, und diese Fälle von Rückschlag sind sehr der Beachtung wert. Die hauptsächlichsten Ursachen der Verkümmerung eines Organs scheinen zu sein: Nichtgebrauch während derjenigen Lebensperiode, in welcher das Organ sonst hauptsächlich gebraucht wird – und das ist gewöhnlich während der Reifezeit – verbunden mit Vererbung in entsprechendem Lebensalter ("inheritance at a corresponding period of life"). Der Ausdruck "Nichtgebrauch" bezieht sich nicht bloß auf verringerte Tätigkeit der Muskeln, sondern auch auf verminderten Blutzufluß zu einem Teil oder Organ, sei es, daß es nur geringen Druckänderungen ausgesetzt ist, oder sei es, daß es weniger gewohnheitsmäßig tätig ist. Teile, die in dem einen Geschlecht normal ausgebildet sind, können in einem anderen Geschlecht rudimentär sein, und solche Rudimente haben oft, wie wir in einem anderen Zusammenhang darlegen werden, einen andersartigen Ursprung als die bisher besprochenen. In einigen Fällen sind gewisse Organe durch die natürliche Zuchtwahl reduziert worden, weil sie unter veränderten Lebensbedingungen für den Bestand der Art gefährlich wurden. Der Vorgang der Rückbildung wird wahrscheinlich oft unterstützt durch die beiden Prinzipien der Kompensation und der Ökonomie des Wachstums; aber dieletzten Stadien der Verkümmerung, wenn der Nichtgebrauch alles bewirkt hat, was ihm etwa zugeschrieben werden kann, und die durch die Ökonomie des Wachstums erzielte Ersparnis sehr gering sein würde23, sind schwer zu verstehen. Die letzte und vollständige Unterdrückung eines Teiles, der bereits nutzlos und sehr reduziert ist, in welchem Falle weder Kompensation noch Ökonomie in Frage kommen kann, ist vielleicht verständlich mit Hilfe der Hypothese der Pangenesis. Da indessen das Kapitel der rudimentären Organe schon in meinen früheren Werken erörtert worden ist24, brauche ich hier nichts mehr darüber zu sagen. Rudimentäre Muskeln sind aus vielen Teilen des menschlichen Körpers bekannt25, und nicht wenige Muskeln, die in der Regel bei einigen der tiefer stehenden Tiere vorhanden sind, finden sich gelegentlich beim Menschen in einer sehr reduzierten Form. Jedermann weiß, mit welcher Kraft manche Tiere, besonders Pferde, ihre Haut bewegen oder erzittern lassen; das wird bewirkt durch den Panniculus carnosus. Überreste dieses Muskels in wirkungsfähigem Zustand finden sich in verschiedenen Teilen unseres Körpers; ein solcher ist z. B. der Muskel an der Stirn, durch welchen die Augenbrauen in die Höhe gezogen werden. Das Platysma myoides, welches am Nacken sehr entwickelt ist, gehört ebenfalls zu diesem System. Wie mir Prof. Turner in Edinburg mitteilt, hat er gelegentlich Muskelfasern an fünf verschiedenen Stellen entdeckt, in der Achselhöhle, nahe dem Schulterblatt usw., die alle zu dem System des Panniculus gerechnet werden müssen. Er hat auch gezeigt26, daß der Musculus sternalis oder sternalis brutorum, der nicht dem Rectus abdominalis zuzurechnen, sondern dem Panniculus nahe verwandt ist, unter 600 Menschen im Verhältnis von etwa 3 % vorkommt. Er fügt hinzu, daß dieser Muskel eine ausgezeichnete Illustration für den Satz abgebe, daß gelegentliche und rudimentäre Bildungen der Abänderung in der Anordnung ganz besonders ausgesetzt sind.
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Manche Menschen können noch die oberflächlichen Muskeln ihrer Kopfhaut zusammenziehen, und diese Muskeln sind variabel und zum Teil rudimentär. A. de Candolle hat mir ein merkwürdiges Beispiel von langer Dauer oder Vererbung und ungewöhnlicher Ausbildung dieser Fähigkeit mitgeteilt. Er kennt eine Familie, in welcher ein Glied, das gegenwärtige Haupt der Familie, in seiner Jugend mehrere schwere Bücher durch bloße Bewegung seiner Kopfhaut von seinem Kopf schleudern konnte. Er gewann Wetten durch die Vorführung dieses Kunststückes. Sein Vater, Onkel, Großvater und seine drei Kinder besitzen dieselbe Fähigkeit in demselben ungewöhnlichen Maße. Diese Familie teilte sich in der achten Generation in zwei Zweige, so daß das Haupt des oben erwähnten Zweiges der Vetter im siebenten Grad von dem Haupt des anderen Zweiges ist. Dieser entfernte Verwandte wohnt in einem anderen Teil Frankreichs; als er gefragt wurde, ob er dieselbe Fähigkeit besäße, gab er augenblicklich eine Probe seiner Kraft. Dieser Fall ist ein gutes Beispiel dafür, wie dauerhaft manche Erbstücke von absoluter Nutzlosigkeit sind, vielleicht ererbt von unseren weit zurückliegenden halbmenschlichen Vorfahren: viele Affen können ihre Kopfhaut in großer Ausdehnung auf und nieder bewegen, und sie tun es oft27. Die äußeren Muskeln, die das äußere Ohr bewegen, und die inneren Muskeln, welche die verschiedenen Teile bewegen, sind beim Menschen rudimentär; sie gehören zum System des Panniculus. Sie sind auch variabel in ihrer Entwickelung oder doch wenigstens in ihrer Funktion. Ich habe einen Mann gesehen, der das ganze Ohr vorwärts bewegen konnte; andere können es nach oben, wieder andere nach rückwärts bewegen28; und nach dem, was mir eine dieser Personen sagte, ist es wahrscheinlich, daß die meisten von uns diese Bewegungsfähigkeit wieder erlangen können, wenn wir unsere Ohren öfter berühren und dabei unsere Aufmerksamkeit darauf richten. Die Fähigkeit, die Ohren zu spitzen und sie dabei nach den verschiedenen Richtungen hinwenden zu können, ist ohne Zweifel von der höchsten Bedeutung für viele Tiere, weil sie so die Richtung einer herannahenden Gefahr erkennen; ich habe aber nie gehört – wenigstens nicht mit genügender Beweiskraft –, daß ein Mensch diese Fähigkeit, die doch nützlich für ihn wäre, besessen habe. Die ganze äußere Ohrmuschel kann als ein Rudiment betrachtet werden, mitsamt den verschiedenen Falten und Hervorragungen (Helix und Antihelix, Tragus und Antitragus usw.), die bei niederen Tieren das Ohr spannen und stützen, ohne sein Gewicht sehr zu vermehren. Einige Autoren indessen vermuten, daß der Knorpel der Ohrmuschel dazu diene, dem Hörnerven Schallschwingungen zu übermitteln; aber Toynbee29 kommt nach einer Prüfung der vorliegenden Zeugnisse zu dem Schluß, daß die äußere Ohrmuschel keinen besonderen Nutzen habe. Die Ohren von Schimpanse und Orang sind denen des Menschen außerordentlich ähnlich, die Ohrmuscheln sind ebenfalls nur sehr schwach entwickelt30, und die Wärter in den zoologischen Gärten haben mir versichert, daß diese Tiere ihre Ohren niemals bewegen oder aufrichten; sie sind somit, was die Funktion betrifft, in demselben rudimentären Zustand wie die des Menschen. Warum diese Tiere, ebenso wie die Voreltern des Menschen, die Fähigkeit, ihre Ohren aufzurichten, verloren haben, wissen wir nicht. Es mag sein – aber diese Erklärung befriedigt mich nicht –, daß sie infolge ihres Aufenthalts auf Bäumen und ihrer großen Kraft nur wenig Gefahren ausgesetzt waren, deshalb ihre Ohren eine lange Zeit hindurch nur wenig bewegten und dabei nach und nach die Fähigkeit, sie zu bewegen, einbüßten. In einem parallelen Fall haben große und schwere Vögel auf ozeanischen Inseln die Fähigkeit verloren, ihre Flügel zum Fliegen zu gebrauchen, wahrscheinlich weil sie Angriffen von Raubtieren nicht ausgesetzt waren. Die Unfähigkeit des Menschen und mancher Affen, die Ohren zu bewegen, wird übrigens teilweise kompensiert dadurch, daß sie ihr Haupt frei in einer horizontalen Ebene bewegen und Geräusche aus allen Richtungen auffangen können. Es ist behauptet worden, das Ohr des Menschen allein besitze ein Läppchen; aber "ein Rudiment davon ist beim Gorilla zu finden"31, und wie ich von Prof. Preyer höre, fehlt es nicht selten beim Neger. Der berühmte Bildhauer Woolner machte mich auf eine Eigentümlichkeit am äußeren Ohr aufmerksam, die er bei Männern sowohl als Frauen oft bemerkt und deren Bedeutung er richtig erkannt hat. Seine Aufmerksamkeit wurde zuerst darauf gelenkt, als er an seinem "Puck" arbeitete, dem er spitze Ohren gab. Das veranlaßte ihn. die Ohren verschiedener Affen zu untersuchen, und noch sorgfältiger die des Menschen. Die von ihm beobachtete Eigentümlichkeit besteht in einem kleinen stumpfen Höcker an dem einwärts gefalteten Rand, dem Helix. Wenn er vorhanden ist, ist er schon bei der Geburt entwickelt; nach Prof. Ludwig Meyer ist er häufiger beim Manne als bei der Frau. Woolner hat von einem solchen Fall ein genaues Modell hergestellt und mir die beistehende Zeichnung übersandt (Fig. 2). Dieser Höcker ragt nicht immer einwärts nach dem Mittelpunkt des Ohres, sondern etwas nach außen über die Ebene des Ohres, so daß er sichtbar ist, wenn man den Kopf direkt von vorn oder hinten sieht. Seine Größe und Stellung sind variabel; er steht bald höher, bald tiefer, zuweilen ist er an dem einen Ohr vorhanden, am anderen nicht. Er kommt auch nicht nur beim Menschen vor; ich selbst beobachtete ihn bei einem Ateles beelzebuth im Zoologischen Garten, und E. Ray Lankester, wie er mir mitteilt, bei einem Schimpansen im Hamburger Zoologischen Garten. Der Helix besteht offenbar aus dem nach innen gefalteten äußeren Rande des Ohres, und diese Faltung scheint in irgend einer Weise damit zusammenzuhängen, daß das ganze äußere Ohr beständig nach
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rückwärts gedrückt wird. Bei manchen nicht sehr hochstehenden Affen, wie bei den Pavianen und manchen Makakus-Arten32, ist der obere Teil des Ohres leicht zugespitzt und der Rand ist nicht einwärts gefaltet. Wäre er's, so würde dabei eine kleine Spitze nach dem Inneren des Ohres zu vorspringen, wahrscheinlich ein wenig nach auswärts von der Ebene des Ohres. Und so, glaube ich, ist auch der erwähnte Höcker in vielen Fällen entstanden. Anderseits behauptet Prof. L. Meyer in einem beachtenswerten Aufsatz33, daß das Ganze nur ein Fall bloßer Variabilität sei; daß die Höcker nicht wirkliche Hervorragungen seien, sondern dadurch erzengt würden, daß der innere Knorpel auf jeder Seite der Spitze nicht vollständig entwickelt sei. Ich gebe bereitwillig zu, daß für manche Fälle dies die richtige Erklärung ist, so für die von Prof. Meyer abgebildeten, wo mehrere sehr kleine Spitzen zu sehen sind, oder der ganze Rand buchtig ist. Ich selbst habe das Ohr eines mikrozephalen Idioten gesehen, bei dem sich ein Vorsprung an der Außenseite des Helix befand, nicht an der nach innen gefalteten, so daß diese Spitze nicht auf eine frühere Ohrenspitze bezogen werden kann. Dennoch scheint mir meine ursprüngliche Ansicht, daß der Höcker ein Überrest der Spitze von einem früher aufgerichteten und zugespitzten Ohr sei, in einigen Fällen zu Recht zu bestehen. Ich glaube das, weil er so häufig vorkommt und in seiner Stellung im allgemeinen mit der Spitze eines zugespitzten Ohres übereinstimmt. In einem Falle, von dem mir eine Photographie zugesandt wurde, ist der Vorsprung so groß, daß er ein Drittel des ganzen Ohres einnehmen würde, wenn man sich in Übereinstimmung mit Prof. Meyers Ansicht das Ohr durch gleichmäßige Entwickelung des Knorpels über die ganze Ausdehnung des Randes hin vervollständigt denkt. Aus Nordamerika und England sind mir zwei Fälle mitgeteilt worden, bei denen der obere Rand überhaupt nicht einwärts gefaltet, jedoch zugespitzt ist, so daß es im Umriß dem spitzen Ohr eines Vierfüßlers sehr ähnlich sieht. In dem einen dieser Fälle, dem eines kleinen Kindes, vergleicht der Vater das Ohr mit der Zeichnung, die ich von dem Ohr eines Affen, des Cynopithecus niger, gegeben habe34, und sagt, daß die Umrisse sehr ähnlich seien. Wenn in diesen beiden Fällen der Rand in der gewöhnlichen Weise nach einwärts gefaltet worden wäre, würde ein Vorsprung nach innen zustande gekommen sein. Ich will hinzufügen, daß in zwei anderen Fällen der Umriß etwas zugespitzt ist, trotzdem der Rand der oberen Partie des Ohres in normaler Weise nach einwärts gefaltet ist, in dem einen Falle freilich nur eine schmale Partie. Der umstehende Holzschnitt (Fig. 3) ist eine genaue Kopie von der Photographie eines Orang-Fötus34a (die mir freundlichst von Dr. Nitsche übersandt wurde), an der zu sehen ist, wie verschieden der zugespitzte Umriß des Ohres in dieser Periode von seiner ausgebildeten Form ist, die im allgemeinen der beim Menschen sehr ähnlich ist. Es ist klar, daß ein nach innen vorspringender Höcker entsteht, wenn sich die Spitze eines solchen Ohres herunterfaltet, und das Ohr sich während seiner Weiterentwickelung nicht sehr verändert. Im ganzen genommen scheint es mir also immer noch wahrscheinlich zu sein, daß die fragliche Spitze in manchen Fällen, sowohl beim Menschen wie beim Affen, als Andeutung eines früheren Zustandes aufzufassen ist. Die Nickhaut, oder das dritte Augenlid, ist mitsamt ihren akzessorischen Muskeln und anderen Strukturen besonders gut bei den Vögeln ausgebildet und für diese von großer funktioneller Bedeutung, da sie sehr schnell über den ganzen Augapfel gezogen werden kann. Sie findet sich auch bei manchen Reptilien und Amphibien und bei gewissen Fischen, wie z. B. bei Haifischen. Sie ist ziemlich gut entwickelt in den beiden untersten Abteilungen der Säugetiere, nämlich bei den Monotremen (Kloakentieren) und Marsupialiern (Beuteltieren), sowie bei einigen höheren Säugetieren, z. B. beim Walroß. Beim Menschen, den Affen und den meisten anderen Säugetieren existiert sie als ein bloßes Rudiment, als die sogenannte halbmondförmige Falte35. Der Geruchssinn ist von der größten Bedeutung für die Mehrzahl der Säugetiere; für die einen, wie die Wiederkäuer, dadurch, daß er sie Gefahren bemerken läßt; für die anderen, wie die Fleischfresser, beim Aufsuchen ihrer Beute; für wieder andere, wie den wilden Eber, in dieser zweifachen Hinsicht. Von äußerst geringem Nutzen ist er hingegen, wenn überhaupt, selbst für die dunkelfarbigen Menschenrassen, bei denen er doch viel höher entwickelt ist als bei den weißen und zivilisierten Rassen36; er warnt sie weder vor
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Gefahr, noch führt er sie zu ihrer Nahrung; er verhindert die Eskimos nicht am Schlafen in einer stinkenden Atmosphäre, noch schreckt er viele Wilde vor dem Genuß halbfaulen Fleisches zurück. Bei Europäern ist das Geruchsvermögen bei verschiedenen Individuen sehr verschieden, wie mir ein hervorragender Naturforscher versichert hat, bei dem dieser Sinn sehr hoch entwickelt ist, und der diesem Gegenstand seine Aufmerksamkeit gewidmet hat. Wer an das Prinzip allmählicher Entwickelung glaubt, wird nicht leicht annehmen, daß der Geruchssinn in seinem gegenwärtigen Zustand vom Menschen, so wie dieser jetzt existiert, ursprünglich erworben worden ist. Er erbte die Fähigkeit in einem abgeschwächten und somit rudimentären Zustand von irgend einem früheren Vorfahren, dem sie äußerst nützlich war, und von dem sie unausgesetzt gebraucht wurde. Bei den Tieren, bei denen dieser Sinn hoch entwickelt ist, wie bei Hunden und Pferden, ist die Erinnerung an Personen und Örtlichkeiten fest verbunden mit ihrem Geruch. Wir können im Zusammenhange damit vielleicht verstehen, daß, wie Dr. Maudsley richtig bemerkt hat37, der Geruchssinn beim Menschen ganz merkwürdig mithilft, Ideen und Bilder vergessener Szenen und Gegenden wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Der Mensch weicht von allen anderen Primaten auffällig darin ab, daß er fast nackt ist. Doch finden sich wenige kurze, straffe Haare verstreut über den größten Teil des Körpers beim Mann, feine dunenartige beim Weib. Die verschiedenen Rassen weichen in der Behaarung sehr voneinander ab, und bei den Individuen derselben Rasse sind die Haare sehr variabel, nicht nur in der Menge, sondern auch im Auftreten; so sind bei manchen Europäern die Schultern ganz nackt, während sie bei anderen dicke Haarbüschel tragen38. Es ist kaum zu bezweifeln, daß diese über den Körper zerstreuten Haare die Überbleibsel des gleichmäßigen Haarkleids tiefer stehender Tiere sind. Diese Ansicht wird noch wahrscheinlicher durch die bekannte Tatsache, daß feine, kurze und hellgefärbte Haare an den Gliedmaßen und anderen Teilen des Körpers sich gelegentlich zu dichtstehenden, langen und ziemlich groben dunklen Haaren entwickeln, wenn sie abnorm ernährt werden, wie z. B. in der Nähe alter entzündeter Stellen39. James Paget teilte mir mit, daß oftmals verschiedene Glieder einer Familie einige Haare in ihren Augenbrauen haben, die viel länger als die übrigen sind; es scheint also selbst diese unbedeutende Eigentümlichkeit vererbt zu werden. Auch diese Haare scheinen ihre Repräsentanten zu haben; denn bei einem Schimpansen und bei gewissen Makakus-Arten finden sich auf der nackten Haut oberhalb der Augen zerstreute Haare von beträchtlicher Länge, die unseren Augenbrauen entsprechen. Ähnliche lange Haare ragen aus der Haardecke der Augenbrauenleisten mancher Paviane hervor. Noch merkwürdiger ist das feine, wollähnliche Haar, der sogenannte Lanugo, womit der menschliche Embryo im sechsten Monat dicht bedeckt ist. Es entwickelt sich im fünften Monat zuerst an den Augenbrauen und am Gesicht und besonders um den Mund, wo es viel länger ist als auf dem Kopfe. Ein Schnurrbart dieser Art wurde von Eschricht bei einem weiblichen Embryo beobachtet40. Doch ist dieser Umstand nicht so auffallend, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag; denn die beiden Geschlechter sind während einer gewissen Periode ihrer Entwickelung in allen äußeren Eigenschaften im großen und ganzen ähnlich. Die Richtung und Anordnung der Haare ist in allen Teilen dieselbe wie beim Erwachsenen, unterliegt jedoch großer Variabilität. Die ganze Oberfläche mit Einschluß selbst der Stirn und der Ohren ist dicht bekleidet; aber es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß Handflächen und Fußsohlen ganz nackt sind, wie die unteren Flächen aller vier Extremitäten bei den meisten tiefer stehenden Tieren. Da dies schwerlich eine zufällige Übereinstimmung sein kann, so repräsentiert wahrscheinlich die wollige Bedeckung des Embryos das erste bleibende Haarkleid derjenigen Säugetiere, welche behaart geboren werden. Drei oder vier Fälle sind bekannt, wo Personen geboren wurden, deren Körper und Gesicht dicht bedeckt war mit feinen langen Haaren; und dieser merkwürdige Zustand wird streng vererbt und steht in Korrelation mit einem abnormen Zustand der Zähne41. Prof. Alexander Brandt teilt mir mit, daß er das Gesichtshaar eines derart ausgezeichneten 35jährigen Mannes mit dem Lanugo eines Embryo verglichen und beides in der Textur ganz ähnlich gefunden habe. Es mag daher dieser Fall, wie er bemerkt, betrachtet werden als eine Hemmung in der Entwickelung des Haares, verbunden mit fortgesetztem Wachstum. Wie mir ein Arzt an einem Kinderhospital versichert, ist der Rücken vieler zarter Kinder mit ziemlich langen seidenartigen Haaren bedeckt, und diese Fälle gehören wahrscheinlich in dieselbe Kategorie. Der hinterste Backenzahn oder Weisheitszahn scheint bei den zivilisierten Menschenrassen der Verkümmerung entgegenzugehen. Dieser Zahn ist meistens kleiner als die anderen Backenzähne, ebenso wie beim Schimpansen und Orang; auch hat er nur zwei getrennte Wurzeln. Er durchbricht das Zahnfleisch nicht eher als etwa im siebenten Jahre, und man hat mir versichert, daß er der Zerstörung viel mehr ausgesetzt sei und früher verloren gehe als die anderen Zähne; doch wird dies von einigen hervorragenden Zahnärzten bestritten. Mehr als die anderen Zähne unterliegt er der Variation sowohl hinsichtlich der Struktur, als auch der Zeit seiner Entwickelung42. Bei den melanesischen Rassen dagegen sind die Weisheitszähne gewöhnlich mit drei Wurzeln versehen und meist gesund; sie sind auch in der Größe von
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den anderen Molaren weniger verschieden als bei den Kaukasischen Rassen43. Prof. Schaaffhausen führt diese Verschiedenheit zwischen den Rassen darauf zurück, daß der hintere zahntragende Abschnitt des Kiefers bei den zivilisierten Rassen immer verkürzt sei44, und diese Verkürzung mag, wie ich vermute, dadurch verursacht sein, daß die zivilisierten Menschen sich gewöhnlich von weichen, gekochten Speisen ernähren und so ihre Kiefer weniger brauchen. Mr. Brace teilt mir mit, daß es in den Vereinigten Staaten allgemein gebräuchlich werde, einige Backenzähne der Kinder entfernen zu lassen, weil der Kiefer nicht groß genug wird für die völlige Entwickelung der normalen Zahl45. Am Verdauungskanal ist mir nur ein einziges Rudiment aufgestoßen, nämlich der wurmförmige Anhang des Blinddarms. Der Blinddarm ist eine blind endigende Abzweigung oder ein Divertikel des Darmes, der bei vielen pflanzenfressenden Säugetieren außerordentlich lang ist. Bei dem Koala, einem Beuteltier, ist er tatsächlich mehr als dreimal so lang als der ganze Körper46. Zuweilen ist er in eine lange, allmählich abnehmende Spitze ausgezogen, zuweilen ist er in einzelne Abteilungen zerschnürt.Es scheint, als wenn der Blinddarm infolge veränderter Ernährung oder Lebensweise bei verschiedenen Tieren sehr verkürzt worden sei, wobei der Wurmfortsatz als Rudiment des verkürzten Teiles übrig geblieben ist. Daß dieser Fortsatz ein Rudiment darstellt, läßt sich aus seiner geringen Größe und aus seiner Variabilität beim Menschen schließen, für die Prof. Canestrini Beweise gesammelt hat47. Gelegentlich fehlt er ganz, oder er ist andererseits sehr entwickelt. Sein Lumen ist bisweilen auf die Hälfte oder ein Drittel seiner Länge vollständig verschlossen, so daß der Endteil eine flache, solide Ausbreitung darstellt. Beim Orang ist dieser Fortsatz lang und gewunden; beim Menschen entspringt er vom Ende des kurzen Blinddarms und ist gewöhnlich vier bis fünf Zoll lang, mit einem Durchmesser von etwa ein Drittel Zoll. Es ist nicht bloß nutzlos, sondern verursacht zuweilen den Tod, wovon mir kürzlich zwei Fälle bekannt geworden sind, wenn nämlich kleine harte Körper, wie z. B. Samenkörner, in den Kanal eindringen und eine Entzündung verursachen48. Bei einigen niederen Affen, bei den Lemuriden und Carnivoren, ebenso bei vielen Beuteltieren, findet sich nahe dem unteren Ende des Oberarmbeins ein Loch, das suprakondyloide Foramen, durch welches der große Nerv der vorderen Extremitäten und oft auch die große Arterie hindurchtreten. Nun findet sich im Oberarmbein des Menschen gewöhnlich eine Spur dieses Kanals, welche zuweilen ziemlich gut entwickelt ist, gebildet von einem hakenähnlichen Knochenfortsatz und einem Ligament. Dr. Struthers, der diesen Gegenstand sorgfältig studiert hat, hat jetzt gezeigt, daß diese Eigentümlichkeit zuweilen vererbt wird; sie trat auf bei einem Vater und bei vieren seiner sieben Kinder49. Wenn das Loch vorhanden ist, so tritt der große Armnerv unveränderlich durch ihn hindurch; und das weist deutlich darauf hin, daß es das Homologon und Rudiment des suprakondyloiden Foramen der Säugetiere ist. Prof. Turner hat berechnet, wie er mir mitteilt, daß es bei etwa einem Prozent der rezenten Skelette auftritt. Wenn aber die gelegentliche Entwickelung dieser Struktur beim Menschen, wie es wahrscheinlich ist, ein Rückschlag ist, so ist sie ein Rückschlag auf einen sehr alten Zustand, da sie bei den höheren Affen fehlt. Im Oberarmbein ist eine andere Durchbohrung oder ein Foramen, welches gelegentlich beim Menschen zu finden ist, und welches das interkondyloide genannt werden kann. Er findet sich, jedoch nicht immer, bei verschiedenen Anthropoiden und anderen Affen50 und ebenso bei manchen tiefer stehenden Tieren. Es ist merkwürdig, daß dieses Loch in alten Zeiten viel häufiger gewesen zu sein scheint als gegenwärtig. Mr. Busk hat über diesen Gegenstand die folgenden Tatsachen gesammelt51: "Prof. Broca notierte die Durchbohrung bei viereinhalb Prozent der von ihm auf der Cimetiere du Sud in Paris gesammelten Armknochen; und in der Höhle von Orrony, deren Inhalt der Bronzeperiode zugerechnet wird, waren von 32 Oberarmknochen acht durchbohrt. Dieser außerordentlich hohe Prozentsatz könnte jedoch, wie er meint, darauf zurückzuführen sein, daß die Höhle eine Art Familiengrab gewesen sei. Dupont fand 30 % durchbohrter Armknochen in den Höhlen des Lesse-Tales, welche der Renntierperiode angehören, während Leguay in einer Art von Dolmen bei Argenteuil 25 % beobachtete; und Pruner-Bey fand 26 % in demselben Zustand unter den Knochen von Vaureal. Zu beachten ist ferner die Konstatierung Pruner-Beys, daß dieser Zustand bei Guanchen-Skeletten der gewöhnliche ist." Es ist eine interessante Tatsache, daß sich häufiger bei alten als bei modernen Rassen Strukturen vorfinden, welche den Strukturen tiefer stehender Tiere ähnlich sind. Eine Hauptursache davon scheint mir zu sein, daß die alten Rassen ihren entfernten, tierähnlichen Vorfahren auf der langen Linie der Abstammung etwas näher stehen. Das Schwanzbein, zusammen mit gewissen anderen, später zu beschreibenden Wirbeln, ist, obgleich es beim Menschen als Schwanz funktionslos ist, doch offenbar der Repräsentant dieses Teiles bei anderen Wirbeltieren. In einer frühen Embryonalperiode ist es frei und ragt über die unteren Extremitäten hinaus. Selbst nach der Geburt bildet es in einigen seltenen und anomalen Fällen52 ein kleines äußeres Schwanzrudiment. Das Schwanzbein ist kurz und enthält gewöhnlich nur vier verwachsene rudimentäre Wirbel, die, mit Ausnahme des ersten, nur aus dem Wirbelkörper bestehen53. Sie sind mit ein paar kleinen Muskeln versehen; einer davon ist, wie mir Prof. Turner mitteilt, von Theile ausdrücklich beschrieben
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Die Abstammung des Menschen – Erstes Kapitel
worden als ein rudimentärer Repräsentant des Schwanzstreckers, der bei vielen Säugetieren so kräftig entwickelt ist. Das Rückenmark erstreckt sich beim Menschen nur bis zum letzten Rücken- oder ersten Lendenwirbel nach abwärts; ein fadenförmiges Gebilde (das Filum terminale) verläuft jedoch durch den Kreuzteil des Rückenmarks, ja sogar den Rücken der Schwanzwirbel entlang. Die obere Partie dieses Filaments ist, wie mir Prof. Turner mitteilt, unzweifelhaft dem Rückenmark homolog; der untere Teil besteht jedoch augenscheinlich nur aus der Pia mater, der gefäßführenden Hüllmembran. Auch in diesem Fall läßt sich also sagen, daß das Schwanzbein die Spur eines so wichtigen Gebildes, als das Rückenmark ist, besitzt, obgleich es nicht mehr in einen knöchernen Kanal eingeschlossen ist. Eine andere Tatsache, die ich ebenfalls Prof. Turner verdanke, zeigt, wie genau das Schwanzbein dem wirklichen Schwanz der niederen Tiere entspricht. Luschka hat nämlich neuerdings am Ende der Schwanzknochen einen sehr eigentümlich gewundenen Körper entdeckt, der mit der mittleren Kreuzbeinarterie im Zusammenhang steht; diese Entdeckung veranlaßte Krause und Meyer, den Schwanz eines Affen (Makakus) und einer Katze zu untersuchen, und sie fanden bei beiden einen ähnlich gewundenen Körper, wenn auch nicht am Ende. Das Fortpflanzungssystem zeigt verschiedene rudimentäre Strukturen; sie weichen jedoch in einer bedeutungsvollen Hinsicht von den vorhergehenden Fällen ab. Wir haben es hier nicht zu tun mit dem Überrest eines Teiles, welcher der Art überhaupt in einem funktionsfähigen Zustand fehlt, sondern mit einem Teil, der in einem Geschlecht funktioniert, im anderen als bloßes Rudiment vorhanden ist. Bei dem Glauben an eine separate Schöpfung jeder Art ist das Vorkommen solcher Rudimente ebenso unerklärbar, wie in den vorher gehenden Fällen. Ich werde später auf diese Rudimente zurückkommen und zeigen, daß ihr Vorkommen allgemein auf Vererbung zurückzuführen ist; Teile, die von einem Geschlecht erworben wurden, sind teilweise auch auf das andere übertragen worden. Hier will ich nur ein paar Beispiele von solchen Rudimenten anführen. Es ist bekannt, daß die Männchen aller Säugetiere, mit Einschluß des Menschen, rudimentäre Milchdrüsen besitzen. In verschiedenen Fällen haben sich diese gut entwickelt und eine reichliche Menge von Milch gegeben. Ihre wesentliche Identität in beiden Geschlechtern wird auch bewiesen durch ihre sympathische Vergrößerung bei beiden während der Masern. Die Prostatadrüse, die bei vielen männlichen Säugetieren gefunden worden ist, wird jetzt allgemein als das Homologen des weiblichen Uterus einschließlich des damit verbundenen Kanals betrachtet. Es ist unmöglich, Leuckarts treffliche Darstellung dieses Organs und seine Betrachtungen darüber zu lesen, ohne die Richtigkeit seiner Schlußfolgerung zuzugeben. Das ist besonders deutlich bei denjenigen Säugetieren, bei denen der weibliche Uterus sich gabelförmig teilt: bei den Männchen derselben ist diese Drüse ebenfalls gegabelt54. Es könnten hier noch viele andere rudimentäre Strukturen der Fortpflanzungsorgane aufgeführt werden55. Die Tragweite der drei großen Klassen von Tatsachen die hier mitgeteilt sind, ist nicht zu verkennen. Aber es würde überflüssig sein, hier die sämtlichen Argumente, die ich in meiner "Entstehung der Arten" gegeben habe, zu rekapitulieren. Die homologe Bildung des ganzen Körpers bei den Gliedern ein und derselben Klasse wird verständlich, wenn wir annehmen, daß sie von einer gemeinschaftlichen Stammform abstammen und sich in der Folge an verschiedene Bedingungen angepaßt haben. Nach jeder anderen Ansicht ist die Ähnlichkeit der Hand eines Menschen oder Affen mit dem Fuße eines Pferdes, der Flosse einer Robbe, dem Flügel einer Fledermaus usw. völlig unerklärlich56. Zu sagen, daß sie alle nach demselben ideellen Plane gebaut seien, ist keine wissenschaftliche Erklärung. Was die Entwickelung betrifft, so können wir nach dem Prinzip, daß Variationen in einer ziemlich späten embryonalen Periode auftreten und in einem korrespondierenden Lebensalter vererbt werden, deutlich einsehen, warum die Embryonen von höchst verschiedenen Formen mehr oder weniger den Bau ihres gemeinschaftlichen Stammvaters beibehalten. Keine andere Erklärung ist jemals gegeben worden von der wunderbaren Tatsache, daß die Embryonen eines Menschen, eines Hundes, einer Robbe, einer Fledermaus, eines Reptils usw. anfangs kaum unterschieden werden können. Um die rudimentären Organe zu verstehen, brauchen wir bloß anzunehmen, daß ein Vorfahr die fraglichen Teile in einem vollkommenen Zustand besessen habe, und daß sie unter veränderter Lebensweise sehr reduziert wurden, entweder durch bloßen Nichtgebrauch, oder durch natürliche Zuchtwahl solcher Individuen, die am wenigsten durch überflüssige Teile belastet waren, unterstützt durch andere, schon früher erörterte Mittel. So läßt sich verstehen, warum der Mensch und alle anderen Wirbeltiere nach demselben allgemeinen Modell gebaut sind, warum sie alle dieselben Stadien der Entwickelung durchlaufen, und warum sie allgemein gewisse Rudimente beibehalten haben. Wir sollten darum ihre gemeinsame Abstammung ohne Rückhalt zugeben. Irgend eine andere Ansicht bilden, hieße einräumen, daß unsere eigene Bildung und diejenige aller Tiere um uns her eine bloße Falle für unser Urteil sei. Unsere Folgerung wird noch bedeutend verstärkt, wenn wir die Glieder der ganzen Tierreihe ins Auge fassen und die Beweise, die uns ihre Verwandtschaft, ihre
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Die Abstammung des Menschen – Erstes Kapitel
Klassifikation, ihre geographische Verteilung und geologische Aufeinanderfolge liefern. Es ist nur unser natürliches Vorurteil und die Arroganz, womit unsere Vorväter von Halbgöttern abzustammen erklärten, die uns verleiten, diese Folgerung abzuweisen. Aber die Zeit wird bald kommen, in der es verwunderlich erscheinen wird, daß Naturforscher, die mit der vergleichenden Anatomie und mit der Entwickelung des Menschen und anderer Säugetiere vertraut sind, haben glauben können, daß jedes derselben das Produkt eines besonderen Schöpfungsaktes sei.
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Zweites Kapitel Über die Art der Entwickelung des Menschen aus einer tiefer stehenden Form
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Die Abstammung des Menschen – Zweites Kapitel
Es steht fest, daß der Mensch gegenwärtig einer bedeutenden Variabilität unterliegt. Nicht zwei Individuen
derselben Rasse sind völlig gleich. Wir mögen Millionen von Gesichtern vergleichen, und jedes wird verschieden sein. Ebenso groß ist die Verschiedenheit in den Proportionen und Dimensionen der verschiedenen Körperteile. Die Länge der Beine ist einer der variabelsten Punkte1. Obgleich in einigen Teilen der Erde ein langer Schädel, in anderen ein kurzer Schädel vorherrscht, so besteht doch eine große Verschiedenheit in der Form selbst innerhalb der Grenzen derselben Rasse, wie bei den Ureinwohnern von Amerika und Süd-Australien — die letzteren eine Rasse "wahrscheinlich so rein und homogen in Blut, Sitten und Sprache wie nur irgendeine" — und selbst bei den Einwohnern eines so beschränkten Gebietes wie die Sandwich-Inseln2. Ein hervorragender Zahnarzt versichert mir, daß in den Zähnen beinahe ebenso große Verschiedenheit herrsche wie in den Gesichtern. Die Hauptschlagadern haben so oft einen abnormen Verlauf, daß man es zu chirurgischen Zwecken für nützlich befunden hat, aus 1040 Leichen zu berechnen, wie oft jede Verlaufsart vorkommt3. Die Muskeln sind außerordentlich variabel; so fand Prof. Turner, daß die Muskeln des Fußes auch nicht bei zweien unter fünfzig Leichen völlig gleich waren, und bei einigen war die Abweichung beträchtlich4. Er fügt hinzu, daß die Fähigkeit, die geeigneten Bewegungen auszuführen, in Übereinstimmung mit den verschiedenen Abweichungen modifiziert worden sein müsse. Mr. J. Wood hat 295 Muskelvariationen bei 36 Personen beschrieben5 und bei einer anderen Reihe derselben Zahl nicht weniger als 558 Variationen gefunden, die an beiden Seiten des Körpers vorkommenden als eine gerechnet. In der letzteren Reihe fand sich nicht ein Körper unter sechsunddreißig, der völlig mit den stehenden Beschreibungen des Muskelsystems in den anatomischen Textbüchern übereingestimmt hätte. Ein einziger Leichnam wies die außerordentliche Zahl von 25 verschiedenen Abnormitäten auf. Derselbe Muskel variiert zuweilen in verschiedener Weise; so beschreibt Prof. Macalister6 nicht weniger als zwanzig verschiedene Variationen des Palmaris accessorius. Der alte berühmte Anatom Wolff7 behauptet, daß die inneren Eingeweide variabler seien als die äußeren Teile: "Es gibt keinen einzigen Teil, der sich nicht in verschiedenen Menschen verschieden verhält". Er hat selbst eine Abhandlung über die Auswahl typischer Beispiele für die Darstellung der Eingeweide geschrieben. Eine Erörterung über das ideal Schöne der Leber, Lungen, Nieren usw. in eben der Weise wie über das göttlich Schöne des menschlichen Antlitzes klingt unseren Ohren seltsam. Die Variabilität oder Verschiedenartigkeit der geistigen Fähigkeiten bei den Angehörigen derselben Rasse. Ganz zu schweigen von den größeren Differenzen zwischen den Menschen verschiedener Rassen, ist so notorisch, daß kein Wort darüber gesagt zu werden braucht. Ebenso ist es mit den Tieren; den Leitern von Menagerien ist diese Tatsache bekannt, und wir sehen sie bestätigt bei unseren Hunden und anderen domestizierten Tieren. Brehm besonders behauptet, daß jedes Affen-Individuum von denen, die er in Afrika in Gefangenschaft hielt, seine eigene besondere Veranlagung und Laune gehabt habe; er erwähnt einen durch seine hohe Intelligenz bemerkenswerten Pavian; und die Wärter im Zoologischen Garten zeigten mir einen neuweltlichen Affen, der gleichfalls wegen seiner Intelligenz bemerkenswert war. Auch Rengger betont die Verschiedenheit der geistigen Eigenschaften bei den Affen derselben Spezies, die er in Paraguay hielt; und diese Verschiedenheit ist, wie er hinzufügt, zum Teil angeboren, zum Teil das Resultat der Behandlung oder Erziehung8. Ich habe an anderer Stelle9 die Vererbung so ausführlich erörtert, daß ich hier kaum etwas hinzuzufügen brauche. Hinsichtlich der Vererbung der unbedeutendsten sowohl wie der bedeutungsvollsten Eigenschaften sind noch weit mehr Tatsachen inbezugauf den Menschen als auf die Tiere gesammelt worden. Doch sind die Tatsachen in bezug auf die letzteren reichlich genug. So ist z. B. die erbliche Überlieferung von geistigen Eigenschaften bei unseren Hunden, Pferden und anderen Haustieren unbestreitbar. Außer speziellen Neigungen und Gewohnheiten werden sicher auch allgemeine Intelligenz, Mut, bösartiges und gutes Temperament usw. vererbt. Beim Menschen beobachten wir ähnliches in fast jeder Familie, und wir wissen jetzt durch die bewunderungswürdigen Arbeiten von Galton10, daß das Genie, welches eine wunderbar komplexe Kombination hoher Fähigkeiten umfaßt, zur Erblichkeit neigt. Andererseits ist es ebenso gewiß, daß Wahnsinn und Geisteskrankheiten gleicherweise durch ganze Familien laufen.
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Die Abstammung des Menschen – Zweites Kapitel
In betreff der Ursachen der Variabilität sind wir in allen Fällen sehr unwissend; aber wir können sehen, daß sie sowohl beim Menschen wie bei den Tieren in Beziehung zu den Bedingungen stehen, welchen jede Art während mehrerer Generationen ausgesetzt gewesen ist. Gezähmte Tiere variieren mehr als Tiere im Naturzustand, und dies augenscheinlich infolge der verschiedenen und wechselnden Natur der Bedingungen, denen sie unterworfen worden sind. In dieser Hinsicht gleichen die verschiedenen Menschenrassen den domestizierten Tieren, und dasselbe gilt für die Individuen derselben Rasse, wenn sie ein sehr ausgedehntes Areal, wie etwa Amerika, bewohnen. Wir sehen den Einfluß verschiedener Bedingungen bei den zivilisierten Nationen; die Glieder derselben, verschiedenen Ständen und Berufen angehörend, weisen mehr Abstufungen im Charakter auf als die Glieder barbarischer Nationen. Aber die Gleichförmigkeit der Wilden ist oft übertrieben worden, und in einigen Fällen läßt sie sich kaum behaupten11. Trotzdem ist es ein Irrtum, den Menschen für "weit mehr domestiziert" anzusprechen alsirgendein anderes Tier12, selbst wenn wir nur auf die Bedingungen sehen, denen er ausgesetzt gewesen ist. Gewisse wilde Rassen, wie die Australier, sind nicht verschiedeneren Bedingungen ausgesetzt als viele Arten mit weitem Verbreitungsgebiet. In einer sehr bedeutungsvollen Hinsicht weicht der Mensch von jedem domestizierten Tiere ab: seine Nachkommenschaft ist niemals lange kontrolliert worden, weder durch methodische, noch durch unbewußte Selektion. Keine Rasse oder menschliche Gruppe ist von anderen Menschen so völlig unterjocht worden, daß gewisse Individuen, die ihren Herren irgendwie hervorragend von Nutzen gewesen sind, erhalten und so unbewußt ausgewählt worden wären. [Man denke aber an die jahrhundertelange klerikale Züchtung, die ein frommes, zum Denken wenig befähigtes Geschlecht, und die politische Züchtung, die den Typus des "Untertanen" gezüchtet hat. H. S.] Ebensowenig sind gewisse männliche und weibliche Individuen absichtlich ausgelesen und miteinander gepaart worden, ausgenommen in dem bekannten Fall der preußischen Grenadiere; und in diesem Falle folgte man dem Gesetz der methodischen Zuchtwahl; denn es wird behauptet, daß in den Dörfern, welche die Grenadiere mit ihren großen Weibern bewohnten, viele große Menschen gezüchtet worden seien. Auch in Sparta wurde eine Art Selektion ausgeübt, denn es war vorgeschrieben, daß alle Kinder kurz nach der Geburt untersucht werden sollten; die wohlgebauten und kräftigen wurden erhalten, die anderen dem Untergang geweiht13. Wenn wir annehmen, daß alle Rassen des Menschen eine einzige Art bilden, so ist ihr Verbreitungsgebiet enorm; aber schon gewisse besondere Rassen, wie die Amerikaner und Polynesier, haben sehr ausgedehnte Verbreitungsgebiete. Es ist ein bekanntes Gesetz, daß weitverbreitete Arten variabler sind als Arten mit beschränktem Verbreitungsgebiet; und die Variabilität des Menschen kann zutreffender mit derjenigen weitverbreiteter Arten als mit jener der domestizierten Tiere verglichen werden. Beim Menschen wie bei den Tieren scheint die Variabilität nicht nur durch dieselben allgemeinen Ursachen bewirkt zu werden; hier wie dort werden auch dieselben Körperteile in einer durchaus analogen Weise affiziert. Godron und Quatrefages haben das mit so ausführlichem Detail erwiesen, daß ich hier nur auf ihre Werke zu verweisen brauche14. Monstrositäten, die allmählich in geringe Variationen übergehen, sind ebenfalls beim Menschen und den niederen Tieren so ähnlich, daß bei beiden dieselbe Klassifikation und Terminologie angewendet werden kann, wie Isidore Geoffroy S. Hilaire gezeigt hat15. In dem Buche über Vererbung und Variabilität habe ich die Gesetze der Abänderung in einer flüchtigen Skizze unter folgende Gesichtspunkte gebracht: Die direkte und bestimmte Wirkung veränderter Bedingungen, wie sie sämtliche oder fast alle Individuen einer Art darbieten, die unter denselben Umständen in derselben Weise abändern; die Wirkungen lange fortgesetzten Gebrauchs oder Nichtgebrauchs der Teile; der Zusammenhang homologer Teile; die Variabilität mehrfach vorhandener Teile; Kompensation des Wachstums (von diesem Gesetz habe ich jedoch beim Menschen kein gutes Beispiel gefunden); die Wirkungen des gegenseitigen mechanischen Druckes der Teile (wie z. B. der Druck des Beckens auf den Schädel des Kindes im Mutterleib); Entwickelungshemmungen, die zur Verkleinerung oder Unterdrückung von Teilen führen; das Wiedererscheinen längst verlorener Charaktere durch Rückschlag, und schließlich korrelative Abänderung. All diese sogenannten Gesetze gelten ebenso für den Menschen wie für die Tiere; die meisten sogar für die Pflanzen. Es wäre überflüssig, sie hier alle zu erörtern16; einige sind jedoch so bedeutungsvoll, daß sie ziemlich ausführlich behandelt werden müssen.
Die direkte und bestimmte Wirkung veränderter Bedingungen. Dies ist ein äußerst verwickeltes Thema. Es ist nicht zu leugnen, daß veränderte Bedingungen alle Organismen beeinflussen, manchmal sogar recht beträchtlich. Und es scheint auf den ersten Blick wahrscheinlich, daß dies unabänderlich eintritt, wenn genügende Zeit zur Verfügung steht. Aber ich habe vergebens versucht, evidente Beweise dafür zu bekommen, und starke Gründe lassen sich für das Gegenteil beibringen, mindestens soweit die zahllosen Strukturen in Betracht kommen, die speziellen Zwecken
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Die Abstammung des Menschen – Zweites Kapitel
angepaßt sind. Indessen ist es nicht zweifelhaft, daß veränderte Bedingungen fluktuierende Variabilität in fast unbegrenzter Ausdehnung hervorrufen, wodurch die ganze Organisation in gewissem Grade plastisch gemacht wird. In den Vereinigten Staaten wurden über eine Million Soldaten, die während des letzten Krieges dienten, gemessen und die Staaten, in denen sie geboren und erzogen waren, notiert17. Diese erstaunliche Zahl von Beobachtungen hat erwiesen, daß gewisse lokale Einflüsse direkt die Größe beeinflussen; und wir lernen ferner daraus, "daß der Staat, wo das physische Wachstum zum größten Teil erfolgt ist, sowie der Staat der Geburt einen deutlichen Einfluß auf die Größe auszuüben scheinen. Zum Beispiel wurde festgestellt, "daß der Aufenthalt in den westlichen Staaten während der Jahre des Wachstums eine Zunahme der Größe zur Folge hat". Anderseits ist es sicher, daß die Lebensweise der Matrosen das Wachstum hemmt, wie "die große Differenz in der Größe von Soldaten und Matrosen im Alter von 17 und 18 Jahren" zeigt. Mr. B. A. Gould bemühte sich, die Natur dieser Einflüsse auf die Größe festzustellen; aber er kam zu bloß negativen Ergebnissen, nämlich, daß sie nicht in Beziehung stehen, weder zum Klima, noch zur Meereshöhe des Landes, weder zum Boden, noch "in irgend einem kontrollierbaren Grad" zu dem Überfluß oder dem Mangel an Lebensannehmlichkeiten. Diese letzte Folgerung ist direkt entgegengesetzt derjenigen von Villermé, die aus der Statistik der Körpergröße der in verschiedenen Teilen Frankreichs Konskribierten gewonnen wurde. Wenn wir die Unterschiede in der Größe zwischen den polynesischen Häuptlingen und den niederen Klassen derselben Inseln vergleichen, oder zwischen den Einwohnern der fruchtbaren vulkanischen und der niedrigen unfruchtbaren Koralleninseln desselben Ozeans18, oder wiederum zwischen den Feuerländern an der östlichen und westlichen Küste ihres Landes, wo die Existenzmittel sehr verschieden sind, so läßt sich die Schlußfolgerung kaum vermeiden, daß bessere Nahrung und größerer Komfort die Körpergröße beeinflussen. Die vorstehenden Angaben zeigen jedoch, wie schwer es ist, zu einem entschiedenen Resultat zu kommen. Dr. Beddoe hat kürzlich nachgewiesen, daß bei den Einwohnern Englands der Aufenthalt in den Städten und gewisse Beschäftigungen einen die Größe vermindernden Einfluß haben; und er schließt ferner, daß das Resultat bis zu einem gewissen Grad vererbt wird, wie es auch in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Dr. Beddoe glaubt ferner, "daß, wo nur immer eine Rasse ihr Maximum von physischer Entwickelung erreicht, sie auch an Energie und moralischer Kraft ihr Höchstes erreicht19. Ob äußere Bedingungen irgend eine andere Wirkung auf den Menschen hervorbringen, ist unbekannt. Es könnte erwartet werden, daß Unterschiede im Klima einen deutlichen Einfluß hätten, insofern als Lungen und Nieren bei einer niederen, Leber und Haut bei einer höheren Temperatur zu lebhafterer Tätigkeit angeregt würden20. Früher glaubte man, daß die Hautfarbe und die Beschaffenheit des Haares durch Luft oder Wärme bestimmt würden; aber obgleich kaum geleugnet werden kann, daß dadurch eine gewisse Wirkung hervorgebracht wird, so stimmen doch jetzt beinahe sämtliche Beobachter darin überein, daß die Wirkung selbst nach viele Generationen hindurch andauernder Einwirkung nur sehr gering gewesen ist. Genauer soll das erörtert werden, wenn wir die verschiedenen Menschenrassen behandeln. In bezug auf unsere Haustiere haben wir Gründe zu der Annahme, daß Kälte und Feuchtigkeit das Wachstum der Haare direkt beeinflussen; aber in bezug auf den Menschen ist mir kein gut beglaubigter Beweis hierfür begegnet.
Wirkungen des vermehrten Gebrauchs und Nichtgebrauchs der Teile. Es ist bekannt, daß der Gebrauch die Muskeln des Individuums stärkt und völliger Nichtgebrauch oder die Zerstörung des zugehörigen Nervs sie schwächt. Wird das Auge zerstört, so atrophiert der Sehnerv häufig. Wenn eine Arterie unterbunden wird, so werden die seitlichen Gefäße nicht nur weiter, sondern ihre Wandung wird auch dicker und kräftiger. Wenn eine Niere infolge Krankheit aufhört zu funktionieren, so wird die andere größer und übernimmt die doppelte Arbeit. Knochen werden nicht nur dicker, sondern auch länger, wenn sie ein größeres Gewicht zu tragen haben2l. Verschiedene Beschäftigungen, gewohnheitsmäßig ausgeübt, verändern die Proportionen in verschiedenen Teilen des Körpers. So wurde durch die Kommission der Vereinigten Staaten festgestellt, daß die Beine der im letzten Kriege verwendeten Matrosen 0,217 Zoll länger waren als die Beine der Soldaten, obgleich die Matrosen im Durchschnitt kleiner waren; ihre Arme dagegen waren 1,09 Zoll kürzer, also unverhältnismäßig kurz selbst mit Rücksicht auf ihre geringe Körpergröße22. Diese Kürze der Arme ist augenscheinlich Folge ihres stärkeren Gebrauchs und ist ein unerwartetes Resultat; aber Matrosen verwenden ihre Arme hauptsächlich zum Ziehen und nicht zum Tragen von Lasten. Bei Matrosen ist der Umfang des Nackens größer und ist der Spann höher als bei Soldaten, der Umfang der Brust, der Taille und der Hüften kleiner. Ob diese verschiedenen Modifikationen erblich würden, wenn dieselben Lebensgewohnheiten viele Generationen hindurch eingehalten würden, ist nicht bekannt; aber es ist wahrscheinlich. Rengger23 führt
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die dünnen Beine und starken Arme der Payaguas-Indianer darauf zurück, daß sie Generationen hindurch nahezu ihr ganzes Leben in Kanoes zugebracht und ihre Beine nicht bewegt haben. Andere Autoren sind zu ähnlichen Folgerungen in analogen Fällen gekommen. Nach Cranz24, der lange bei den Eskimos lebte, "glauben die Eingeborenen, daß Scharfsinn und Geschick im Robbenfang (ihrer höchsten Kunst und Tugend) erblich sei; und es ist wirklich etwas daran, denn der Sohn eines berühmten Robbenfängers wird sich auszeichnen, auch wenn er seinen Vater in der Kindheit verloren hat". Aber in diesem Falle ist es die geistige Geschicklichkeit, die ebensogut vererbt wird als die körperliche Bildung. Es wird behauptet, daß die Hände der englischen Arbeiter schon bei der Geburt größer seien als die Hände der besitzenden Klassen25. Nach der Korrelation, die wenigstens in einigen Fällen26 zwischen der Entwickelung der Gliedmaßen und der Kiefer besteht, ist es möglich, daß bei den Klassen, welche nicht viel mit ihren Händen und Füßen arbeiten, die Kiefer schon aus diesem Grunde reduziert werden. Sicher ist, daß sie bei veredelten und zivilisierten Menschen im allgemeinen kleiner sind als bei solchen, die harte Arbeit verrichten, oder bei Wilden. Bei Wilden jedoch wird der stärkere Gebrauch der Kiefer beim Kauen grober, ungekochter Nahrung in einer direkten Weise auf die Kaumuskeln und auf die Knochen, an welchen diese befestigt sind, einwirken27. Bei Kindern ist schon lange vor der Geburt die Haut an den Fußsohlen dicker als an irgend einem anderen Teile des Körpers28; und es ist kaum zweifelhaft, daß dies eine Folge der vererbten Wirkungen des Drucks während einer langen Reihe von Generationen hindurch ist. Es ist allgemein bekannt, daß Uhrmacher und Kupferstecher sehr leicht kurzsichtig werden, während Leute, die viel im Freien leben, und besonders Wilde, im allgemeinen weitsichtig sind29. Kurzsichtigkeit und Weitsichtigkeit neigen sicher zur Vererbung30. Die Inferiorität der Europäer in bezug auf das Gesicht und die anderen Sinne im Vergleich mit Wilden ist ohne Zweifel die gehäufte und vererbte Wirkung eines in vielen Generationen verminderten Gebrauchs; denn Rengger führt an31, daß er wiederholt Europäer beobachtet habe, die unter wilden Indianern aufgezogen waren und ihr ganzes Leben bei ihnen verbracht hatten, und die trotzdem an Schärfe ihrer Sinne den Wilden nicht gleichkamen. Derselbe Naturforscher macht die Bemerkung, daß die zur Aufnahme der verschiedenen Sinnesorgane am Schädel vorhandenen Höhlen bei den amerikanischen Ureinwohnern größer sind als bei den Europäern; und dies beweist offenbar eine entsprechende Verschiedenheit in den Dimensionen der Organe selbst. Auch Blumenbach hat über die bedeutende Größe der Nasenhöhlen in den Schädeln amerikanischer Eingeborener Bemerkungen gemacht, und er bringt diese Tatsache mit ihrem so scharfen Geruchssinn in Beziehung. Die Mongolen der weiten Ebenen von Nordasien haben nach Pallas wunderbar vollkommene Sinne; und Prichard glaubt, daß die große Breite ihrer Schädel, von einem Backenknochen zum andern, Folge ihrer hoch entwickelten Sinnesorgane sei32. Die Quechua-Indianer bewohnen die Hochplateaus von Peru, wo sie beständig eine sehr verdünnte Luft einatmen, und Alcide d'Orbigny konstatiert33, daß infolge dieses Umstands ihre Brustkasten und Lungen außerordentliche Durchmesser erlangt haben. Auch sind die Lungenzellen größer und zahlreicher als bei Europäern. Diese Beobachtungen sind bezweifelt worden; aber Forbes hat sorgfältig viele Aymaras von einer verwandten Rasse gemessen, die in zehn- bis fünfzehntausend Fuß Höhe leben; er teilt mir mit34, daß sie in dem Umfang und der Länge ihrer Körper von den Menschen aller anderen Rassen, welche er gesehen habe, auffällig abweichen. In seiner Tabelle von Maßen wird die Größe jedes Menschen zu tausend genommen, und die anderen Maße auf diese Zahl reduziert. Es zeigt sich hier, daß die ausgestreckten Arme der Aymaras kürzer sind als die der Europäer und viel kürzer als die der Neger. Die Beine sind gleichfalls kürzer, und sie bieten die merkwürdige Eigentümlichkeit dar, daß bei jedem gemessenen Aymara der Oberschenkel faktisch kürzer ist als das Schienbein. Im Mittel verhält sich die Länge des Oberschenkels zu der des Schienbeins wie 211 : 252; bei zwei zu derselben Zeit gemessenen Europäern war dieses Verhältnis 244 : 230, bei drei Negern 258 : 241. Auch der Oberarm ist im Verhältnis zum Unterarm kürzer. Diese Verkürzung des Teils der Gliedmaßen, der dem Körper am nächsten ist, scheint, wie mir Forbes vermutungsweise andeutet, ein Fall von Kompensation in Beziehung zu der bedeutend vergrößerten Länge des Rumpfes zu sein. Die Aymaras bieten in ihrem Körperbau noch einige andere eigentümliche Punkte dar, so z. B. die sehr geringe Entwickelung ihrer Fersen. Diese Menschen sind so vollständig an ihren kalten und hohen Aufenthaltsort akklimatisiert, daß sie, wenn sie früher von den Spaniern in die niedrigeren östlichen Ebenen hinabgeführt wurden, oder wenn sie später, durch die hohen Lohnsätze angelockt, die Goldwäschereien aufsuchten, eine schreckenerregende Sterblichkeitsziffer erreichten. Forbes fand ein paar blutrein erhaltene Familien, die sich zwei Generationen hindurch erhalten hatten, und er machte die Beobachtung, daß sie noch immer ihre charakteristischen Eigentümlichkeiten vererbten. Aber selbst ohne Messung war zu bemerken, daß diese Eigentümlichkeiten sich alle vermindert hatten, und bei der Messung zeigte sich, daß ihre Körper nicht in dem Maße verlängert waren wie die der Menschen auf dem Hochplateau; ihre Oberschenkel hatten sich etwas verlängert; ebenso
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ihre Schienbeine, wenn auch in geringerem Grade. Die genauen Maße kann man in Forbes' Abhandlung nachsehen. Nach diesen Beobachtungen läßt sich, wie ich meine, nicht daran zweifeln, daß Aufenthalt in einer sehr hoch gelegenen Gegend, viele Generationen hindurch, sowohl direkt als indirekt erbliche Modifikationen in den Körperproportionen herbeizuführen strebt35. Mag auch der Mensch während der späteren Zeiten seiner Existenz durch vermehrten oder verminderten Gebrauch von Teilen nicht sehr verändert worden sein, so zeigen doch die hier gegebenen Tatsachen, daß er seine Beeinflußbarkeit in dieser Hinsicht nicht verloren hat, und wir wissen positiv, daß dasselbe Gesetz für die Tiere gilt. Folglich können wir schließen, daß, als in weit zurückliegender Zeit die Vorstadien des Menschen sich in einem Übergangszustand befanden und sich aus Vierfüßern zu Zweifüßern umwandelten, die natürliche Zuchtwahl wahrscheinlich in hohem Maße durch die vererbten Wirkungen des vermehrten oder verminderten Gebrauchs der verschiedenen Teile des Körpers unterstützt worden ist.
Entwickelungshemmungen. Es ist ein Unterschied zwischen Entwickelungshemmungen und Wachstumshemmungen. Teile, die der Entwickelungshemmung unterliegen, fahren fort zu wachsen, während sie ihre frühere Beschaffenheit noch beibehalten. Verschiedene Monstrositäten fallen unter diese Kategorie, und einige sind, wie man weiß, gelegentlich vererbt worden, wie z. B. die Gaumenspalte. Für unseren Zweck wird es genügen, auf die Entwickelungshemmung des Gehirns bei mikrozephalen Idioten hinzuweisen, wie sie Karl Vogt in seiner Abhandlung beschrieben hat36. Ihre Schädel sind kleiner und ihre Hirnwindungen weniger kompliziert als beim normalen Menschen. Die Stirnhöhlen, oder die Vorsprünge über den Augenbrauen, sind bedeutend entwickelt, und die Kiefer sind prognath in einem "erschrecklichen" Grade, so, daß diese Idioten einigermaßen den niederen Typen des Menschen ähnlich sind. Ihre Intelligenz und die meisten ihrer geistigen Fähigkeiten sind äußerst schwach. Sie sind nicht imstande, die Fähigkeit der Sprache zu erlangen und sind einer fortgesetzten Aufmerksamkeit völlig unfähig, aber sehr geneigt, nachzuahmen. Sie sind kräftig und merkwürdig lebendig, beständig herumtanzend, springend und Grimassen schneidend. Sie kriechen oft Treppen auf allen Vieren hinauf und klettern gern an Möbeln oder Bäumen in die Höhe. Wir werden hierdurch an das Entzücken erinnert, mit welchem beinahe alle Knaben Bäume erklettern; und dies wiederum erinnert uns an junge Lämmer und Zicklein, ursprünglich alpine Tiere, welche sich daran ergötzen, auf jeden Hügel zu springen, wie klein er auch sein mag. Idioten ähneln den Tieren noch in anderen Beziehungen; so sind mehrere Fälle berichtet, wo sie jeden Bissen Nahrung erst sorgfältig berochen, ehe sie ihn in den Mund steckten. Einen Idioten hat man beschrieben, der, wenn er Läuse suchte, zur Unterstützung der Hände oft seinen Mund gebrauchte. Sie sind oft unflätig in ihrem Benehmen und haben kein Gefühl für Anstand. In mehreren Fällen war ihr Körper merkwürdig haarig37.
Rückschlag. Viele der hier mitzuteilenden Fälle hätten schon unter der vorigen Überschrift gegeben werden können. Sobald irgend eine Bildung in ihrer Entwickelung gehemmt ist, aber zu wachsen fortfährt, bis sie einer entsprechenden Bildung bei einem tiefer stehenden erwachsenen Gliede derselben Gruppe genau ähnlich wird, kann sie in einem gewissen Sinn als ein Fall von Rückschlag betrachtet werden. Die niederen Glieder einer Gruppe geben uns eine Vorstellung, wie der gemeinsame Stammvater der Gruppe wahrscheinlich gebildet war; und es ist nicht wahrscheinlich, daß ein zusammengesetzter Teil, der auf einer frühen Stufe der embryonalen Entwickelung stehen geblieben ist, imstande sein sollte, in seinem Wachstum so weit fortzuschreiten, daß er schließlich seine eigentümliche Funktion verrichten kann, wenn er nicht diese Fähigkeit während eines früheren Zustandes seiner Existenz erlangt hätte, wo der gegenwärtige Ausnahme(Hemmungs-)zustand normal war. Das einfache Gehirn eines mikrozephalen Idioten kann, insoweit es dem eines Affen gleicht, in diesem Sinne wohl als ein Fall von Rückschlag bezeichnet werden38. Es gibt aber andere Fälle, welche noch eigentlicher in das vorliegende Kapitel des Rückschlags gehören. Gewisse Bildungen, die regelmäßig bei den tiefer stehenden Tieren der Gruppe, zu welcher der Mensch gehört, vorkommen, treten gelegentlich auch bei ihm auf, wenn sie sich auch an dem normalen menschlichen Embryo nicht vorfinden; oder sie entwickeln sich, wenn sie normal am menschlichen Embryo vorhanden sind, in einer für ihn abnormen Weise, so, wie es für die tiefer stehenden Glieder derselben Gruppe normal ist. Diese Bemerkungen werden durch die folgenden Erläuterungen noch deutlicher werden. Bei verschiedenen Säugetieren geht der Uterus allmählich aus einem doppelten Organ mit zwei getrennten Mündungen und zwei Kanälen, wie bei den Beuteltieren, in ein einheitliches Organ über,
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welches, bei den höheren Affen und dem Menschen, mit Ausnahme einer kleinen inneren Falte kein weiteres Zeichen der Verdoppelung zeigt. Die Nagetiere bieten eine vollständige Reihe von Abstufungen zwischen diesen beiden äußersten Formzuständen dar. Bei allen Säugetieren entwickelt sich der Uterus aus zwei einfachen primitiven Tuben, deren untere Teile die Hörner bilden. Beim Menschen bildet sich der Körper des Uterus, nach Dr. Farre, "durch die Verwachsung der beiden Hörner an ihren unteren Enden, während bei denjenigen Tieren, bei welchen kein mittlerer Teil oder Körper existiert, die Hörner unvereint bleiben. In dem Maße, als die Entwickelung des Uterus fortschreitet, werden die beiden Hörner allmählich kürzer, bis sie zuletzt verschwinden oder gleichsam in den Körper des Uterus aufgenommen werden." Die Winkel des Uterus sind noch immer in Hörner ausgezogen, selbst bei so hoch stehenden Tieren wie den niederen Affen und ihren Verwandten, den Lemuren. Nun finden sich nicht selten bei Frauen anomale Fälle, wo der reife Uterus mit Hörnern versehen oder teilweise in zwei Organe gespalten ist; derartige Fälle wiederholen nach Owen "die Entwickelungsstufe der Konzentration", die bei gewissen Nagern erreicht ist. Hier haben wir vielleicht ein Beispiel einer einfachen Hemmung der embryonalen Entwickelung mit nachfolgendem Wachstum und völliger funktioneller Entwickelung; denn jede Seite des teilweise doppelten Uterus ist fähig, die ihm zukommenden Leistungen während der Schwangerschaft zu vollziehen. In anderen und selteneren Fällen sind zwei getrennte Uterushöhlen gebildet, von denen jede ihre eigene Öffnung und ihren Kanal besitzt39. Während der gewöhnlichen Entwickelung des Embryos wird kein derartiger Zustand durchlaufen, und es ist kaum glaublich, wenn auch vielleicht nicht unmöglich, daß die beiden einfachen kleinen primitiven Tuben — wenn der Ausdruck gestattet ist — wissen sollten, wie sie in zwei getrennte Uteri auszuwachsen haben, jeder mit einer wohlgebildeten Mündung und einem Kanal, und jeder mit zahlreichen Muskeln, Nerven, Drüsen und Gefäßen versehen,—wenn nicht früher einmal ihre Entwickelung einen ähnlichen Verlauf genommen hätte, wie bei den noch jetzt lebenden Beuteltieren. Niemand wird behaupten, daß eine so vollkommene Bildung wie der abnorme doppelte Uterus bei Frauen das Resultat bloßen Zufalls sein könnte. Aber das Prinzip des Rückschlags, nach welchem längst verlorene Bildungen von neuem ins Leben gerufen werden, mag als Führer für ihre volle Entwickelung dienen, selbst nach dem Verlauf eines enorm langen Zeitraums. Professor Canestrini kommt nach Erörterung der vorstehenden und analoger Fälle zu demselben Ergebnis. Er führt als ferneres Beispiel noch das Wangenbein an40, welches bei einigen Affen und anderen Säugetieren normal aus zwei Teilen besteht. Dies ist sein Zustand beim menschlichen Fötus im zweiten Monat; und so bleibt es zuweilen infolge von Entwickelungshemmung beim erwachsenen Menschen, und besonders bei den niederen prognathen Rassen. Canestrini schließt deshalb, daß bei irgend einem Vorfahren des Menschen dieser Knochen normal in zwei Teile geteilt gewesen sein muß, die später miteinander verschmolzen sind. Das Stirnbein besteht beim Menschen aus einem einzigen Stück; aber im Embryo und bei Kindern und bei fast allen tiefer stehenden Säugetieren besteht es aus zwei durch eine deutliche Naht getrennten Stücken. Diese Naht bleibt gelegentlich mehr oder weniger deutlich beim Menschen noch nach der Reifeperiode bestehen, häufiger bei alten Schädeln als bei rezenten, und besonders, wie Canestrini beobachtet hat, bei den aus der Driftformation ausgegrabenen und zum brachyzephalen Typus gehörigen Schädeln. Auch hier gelangt er wieder zu demselben Schluß wie bei dem analogen Falle vom Wangenbein. Die Ursache der Tatsache, daß ältere Rassen in gewissen Merkmalen sich tiefer stehenden Tieren häufiger annähern als jüngere, scheint bei diesen und anderen Fällen die zu sein, daß die letzteren in der langen Deszendenzreihe von ihren früheren halbmenschlichen Vorfahren etwas weiter abstehen. Verschiedene andere Anomalien beim Menschen, welche den vorstehenden mehr oder weniger analog sind, sind von verschiedenen Schriftstellern als Fälle von Rückschlag aufgeführt worden; doch scheinen dieselben nicht wenig zweifelhaft zu sein; denn wir müssen außerordentlich tief in der Säugetierreihe hinabsteigen, ehe wir derartige Verhältnisse als normale vorfinden41. Beim Menschen sind die Eckzähne vollkommen wirksame Kauwerkzeuge; aber ihr eigentlicher Eckzahncharakter wird, wie Owen bemerkt42, "durch die konische Form ihrer Krone angedeutet, welche in einer stumpfen Spitze endet, außen konvex, innen flach oder schwach konkav ist und hier an der Basis einen schwachen Vorsprung zeigt. Die konische Form ist am besten bei den melanesischen Rassen, besonders bei den Australiern, ausgebildet. Der Eckzahn ist tiefer und mit einer stärkeren Wurzel als die Schneidezähne eingepflanzt". Und doch dient dieser Eckzahn dem Menschen nicht mehr als eine spezielle Waffe zum Zerreißen seiner Feinde oder seiner Beute; er kann daher hinsichtlich seiner eigentlichen Funktion als rudimentär betrachtet werden. In jeder größeren Sammlung menschlicher Schädel können, wie Haeckel43 bemerkt, einige gefunden werden, bei denen der Eckzahn beträchtlich über die anderen Zähne vorragt, in derselben Weise wie bei den anthropomorphen Affen, nur in einem geringeren Grade. In diesen Fällen bleiben zwischen den Zähnen der einen Kinnlade offene Stellen zur Aufnahme der Eckzähne des
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entgegengesetzten Kiefers. Ein Zwischenraum dieser Art an einem Kaffernschädel, den Wagner abbildet, ist überraschend groß44. Bedenkt man, wie wenig alte Schädel, im Vergleich mit rezenten, untersucht worden sind, so ist es eine interessante Tatsache, daß in mindestens drei Fällen die Eckzähne bedeutend vorragen; und in dem Kiefer von La Naulette sollen sie enorm sein45. Bei den anthropomorphen Affen haben nur die Männchen völlig entwickelte Eckzähne; aber auch beim weiblichen Gorilla und in einem geringeren Grade beim weiblichen Orang ragen diese Zähne beträchtlich über die anderen hervor; deshalb ist die Tatsache, daß, wie man mir versichert hat, Frauen zuweilen beträchtlich vorragende Eckzähne besitzen, kein ernstlicher Einwand gegen die Annahme, daß ihre gelegentlich bedeutende Entwickelung beim Menschen ein Fall von Rückschlag auf einen affenähnlichen Vorfahren sei. Wer die Ansicht verlacht, daß die Form seiner eigenen Eckzähne und deren gelegentliche bedeutende Entwickelung bei anderen Menschen darauf zurückzuführen sei, daß unsere tierischen Ahnen mit diesen furchtbaren Waffen versehen gewesen seien, wird doch wahrscheinlich im Hohnlächeln selbst seine Abstammung offenbaren. Denn, obgleich er diese Zähne nicht mehr als Waffen zu gebrauchen geneigt ist, und nicht einmal die Kraft dazu hat, so wird er doch unbewußterweise seine Fletschmuskeln (wie sie Sir C. Bell46 nennt) zusammenziehen, als wolle er, wie ein Hund, der zum Kampfe gerüstet ist, seine Eckzähne zum Angriff bereitstellen. Gelegentlich entwickeln sich viele Muskeln beim Menschen, welche anderen Vierhändern oder anderen Säugetieren eigentümlich sind. Professor Vlacovich47 untersuchte vierzig männliche Leichen und fand bei neunzehn unter ihnen einen Muskel, den er den ischio-pubicus nennt; bei drei anderen war ein Band (Ligament) vorhanden, welches diesen Muskel ersetzte, und bei den übrigen achtzehn fand sich keine Spur davon. Unter dreißig weiblichen Leichen war dieser Muskel auf beiden Seiten nur bei zweien entwickelt, aber bei drei anderen war das rudimentäre Band vorhanden. Dieser Muskel scheint mithin beim männlichen Geschlecht viel häufiger zu sein als beim weiblichen, und wenn der Mensch von einer niederen Form abstammt, so läßt sich diese Tatsache wohl verstehen; denn der Muskel ist bei mehreren Tieren nachgewiesen worden, und er dient bei ihnen allen ausschließlich nur den Männchen beim Reproduktionsgeschäft. Wood hat in einer Reihe wertvoller Aufsätze48 eine ungeheure Anzahl von Muskelvarietäten beim Menschen bis ins kleinste Detail beschrieben, welche normalen Bildungen bei tiefer stehenden Tieren ähnlich sind. Die Muskeln, welche denen sehr ähnlich sind, die bei unseren nächsten Verwandten, den Affen, regelmäßig vorhanden sind, sind zu zahlreich, um hier auch nur angeführt zu werden. Bei einem einzigen männlichen Leichnam mit kräftigem Bau und wohlgebildetem Schädel wurden nicht weniger als sieben Muskelabweichungen beobachtet, als deutliche Repräsentanten von Muskeln, die verschiedenen Arten von Affen eigentümlich sind. So hatte dieser Mensch z. B. auf beiden Seiten des Halses einen echten und kräftigen Levator claviculae, wie er sich bei allen Arten von Affen findet, und wie er bei ungefähr einer unter sechzigmenschlichen Leichen vorkommen soll49. Ferner hatte dieser Mensch "einen speziellen Abduktor des Metatarsalknochens der fünften Zehe, wie er nach den Demonstrationen von Professor Huxley und Mr. Flower gleichförmig bei den höheren und niederen Affen existiert". Ich will nur noch zwei Fälle anführen. Der Acromio-basilaris findet sich bei allen Säugetieren unterhalb des Menschen und scheint zu dem Gang auf allen Vieren in Beziehung zu stehen50; beim Menschen erscheint er an einer von ungefähr sechzig Leichen. An den unteren Gliedmaßen des Menschen fand Mr. Bradley51 einen Abductor ossis metatarsi quinti an beiden Füßen; dieser Muskel war bis dahin beim Menschen nicht konstatiert worden; erfindet sich aber stets bei den anthropomorphen Affen. Die Muskeln der Hände und Arme, dieser für den Menschen so außerordentlich charakteristischen Bildungen, variieren äußerst leicht, so daß sie dann den entsprechenden Muskeln bei tiefer stehenden Tieren gleichen52. Derartige Ähnlichkeiten sind entweder vollständig und vollkommen, oder unvollkommen, im letzteren Fall aber offenbar Übergangsbildungen. Gewisse Abweichungen sind häufiger beim Mann, andere häufiger bei der Frau, ohne daß wir imstande wären, irgend einen Grund hierfür anzugeben. Nach der Beschreibung zahlreicher Abänderungen macht Mr. Wood die folgende bezeichnende Bemerkung: "Bemerkenswerte Abweichungen von dem gewöhnlichen Typus der Muskelbildungen bewegen sich in Richtungen, welche für Andeutungen irgend eines unbekannten Faktors gehalten werden müssen, der für eine umfassende Kenntnis der allgemeinen und wissenschaftlichen Anatomie von hoher Bedeutung ist"53. Daß dieser unbekannte Faktor Rückschlag auf einen früheren Zustand der Existenz ist, kann als im höchsten Grade wahrscheinlich angenommen werden54. Es ist ganz und gar unwahrscheinlich, daß ein Mensch nur infolge eines bloßen Zufalls abnormerweise gewissen Affen in nicht weniger als sieben seiner Muskeln gleichen sollte, wenn nicht ein genetischer Zusammenhang zwischen ihnen bestände. Stammt auf der anderen Seite der Mensch von irgend einer affenähnlichen Kreatur ab, so läßt sich kein triftiger Grund beibringen, warum gewisse Muskeln nach einem Verlauf von vielen tausend Generationen nicht plötzlich
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wieder erscheinen sollten, in derselben Weise, wie bei Pferden, Eseln und Maultieren dunkelfarbige Streifen auf den Beinen und Schultern plötzlich wieder erscheinen, nach einem Verlaut von Hunderten oder wahrscheinlich Tausenden von Generationen. Diese verschiedenen Fälle von Rückschlagsind denen von rudimentären Organen, wie sie im ersten Kapitel mitgeteilt wurden, so nahe verwandt, daß viele von ihnen ebensogut dort hätten untergebracht werden können. So läßt sich ein menschlicher Uterus mit Hörnern als rudimentärer Repräsentant desselben Organs bezeichnen, wie es gewisse Säugetiere im normalen Zustande besitzen. Manche Teile, welche beim Menschen rudimentär sind, wie das Schwanzbein bei beiden Geschlechtern und die Brustdrüsen beim männlichen Geschlecht, sind immer vorhanden, während andere, wie das suprakondyloide Loch, nur gelegentlich erscheinen, und daher in die Kategorie der Rückschlagsfälle hätten aufgenommen werden können. Diese verschiedenen Rückschlagserscheinungen, ebenso wie die Rudimente im strengen Sinne, offenbaren die Abstammung des Menschen von irgend einer niederen Form in einer nicht mißzuverstehenden Weise.
Korrelative Abänderung. Beim Menschen wie bei den tiefer stehenden Tieren stehen viele Körperteile in einer so intimen Beziehung zueinander, daß. wenn der eine Teil variiert, ein anderer es gleichfalls tut, ohne daß wir in den meisten Fällen imstande wären, irgend einen Grund aufzufinden. Wir können nicht sagen, ob der eine Teil den anderen beeinflußt, oder ob beide von irgend einem früher entwickelten Teile beeinflußt werden. Wie Isid. Geoffroy wiederholt betont hat, stehen so verschiedene Monstrositäten in einem engen Zusammenhang. Homologe Bildungen sind ganz besonders geneigt, gemeinsam abzuändern, wie wir es an den beiden Seiten des Körpers und an den oberen und unteren Gliedmaßen sehen. Meckel hat schon vor langer Zeit die Bemerkung gemacht, daß, wenn die Armmuskeln von ihrem eigentlichen Typus abweichen, sie fast immer die des Beins nachahmen; und so ist es umgekehrt mit den Beinmuskeln. Die Organe des Gesichts und Gehörs, die Zähne und Haare, die Farbe der Haut und der Haare, Farbe und Konstitution stehen mehr oder weniger in Korrelation55. Prof. Schaaffhausen hat zuerst die Aufmerksamkeit auf die offenbare Beziehung gelenkt, welche zwischen einem muskulösen Bau und den stark ausgebildeten Oberaugenbogen (Supraciliar-Bogen) existiert, wie sie für die niederen Menschenrassen so charakteristisch sind. Außer den Abänderungen, welche mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit unter die vorigen Kategorien gruppiert werden können, gibt es noch eine große Klasse von Variationen, welche provisorisch als spontane bezeichnet werden können; für unsere Unwissenheit scheinen sie nämlich ohne irgend welche anregende Ursache zu entstehen. Es kann indes gezeigt werden, daß derartige Abänderungen, mögen sie nun in unbedeutenden individuellen Verschiedenheiten oder in stark markierten und plötzlichen Abweichungen des Baues bestehen, viel mehr von der Konstitution des Organismus abhängen als von der Natur der Bedingungen, welchen er ausgesetzt war56.
Verhältnis der Zunahme. Man weiß, daß zivilisierte Völkerschaften unter günstigen Bedingungen, wie in den Vereinigten Staaten, ihre Zahl in fünfundzwanzig Jahren verdoppeln, und nach einer Berechnung von Euler kann dies in wenig mehr als zwölf Jahren eintreten57. Nach dem ersten Verhältnis würde die jetzige Bevölkerung der Vereinigten Staaten (dreißig Millionen) in 657 Jahren die ganze Erdoberfläche, Wasser und Land, so dicht bedecken, daß auf ein Quadratyard vier Menschen zu stehen kämen. Das primäre und fundamentale Hindernis für die fortgesetzte Zunahme des Menschen ist die Schwierigkeit, Existenzmittel zu erlangen und mit Behaglichkeit leben zu können. Das läßt sich indirekt aus dem schließen, was wir z. B. in den Vereinigten Staaten sehen, wo die Existenz leicht und Raum für viele vorhanden ist. Würden diese Mittel plötzlich in Großbritannien verdoppelt, so würde sich auch unsere Einwohnerzahl rasch verdoppeln. Bei zivilisierten Nationen wirkt das erwähnte primäre Hindernis hauptsächlich dadurch, daß es das Heiraten erschwert. Auch das Sterblichkeitsverhältnis der Kinder in den ärmsten Klassen ist von großer Bedeutung, ebenso, infolge verschiedener Krankheiten, bei den Bewohnern dicht bevölkerter und elender Häuser, die größere Sterblichkeit auf allen Altersstufen. Die Wirkungen schwerer Epidemien und Kriege werden bald ausgeglichen, und sogar mehr als ausgeglichen, bei Nationen, welche unter günstigen Bedingungen leben. Auch Auswanderung kommt als ein zeitweiliges Hindernis der Zunahme in Betracht, aber, bei den ärmsten Klassen, in keiner großen Ausdehnung.
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Wie Malthus bemerkt hat, haben wir Grund zu vermuten, daß die Reproduktionskraft bei barbarischen Rassen tatsächlich geringer ist als bei zivilisierten. Positives wissen wir über diesen Gegenstand nicht, denn bei Wilden ist niemals eine Volkszählung vorgenommen worden; aber nach dem übereinstimmenden Zeugnis von Missionaren und anderen, welche lange unter solchen Völkern gelebt haben, scheint es, daß ihre Familien gewöhnlich klein, große Familien dagegen selten sind. Das mag zum Teil, wie man annimmt, darauf zurückzuführen sein, daß die Frauen ihre Kinder eine sehr lange Zeit hindurch säugen; aber es ist doch auch sehr wahrscheinlich, daß Wilde, die oft große Not leiden und die nicht so viel nahrhafte Kost erlangen wie zivilisierte Menschen, tatsächlich weniger fruchtbar sind. In einem früheren Werke58 habe ich gezeigt, daß alle unsere domestizierten Vierfüßer und Vögel und alle unsere kultivierten Pflanzen fruchtbarer sind als die entsprechenden Arten im Naturzustand. Daß plötzlich mit übermäßiger Nahrung versorgte oder sehr fett gewordene Tiere, oder aus einem sehr armen in einen sehr reichen Boden versetzte Pflanzen mehr oder weniger unfruchtbar werden, ist kein triftiger Einwand gegen diesen Schluß. Wir dürfen daher erwarten, daß zivilisierte Menschen, die in einem gewissen Sinne ganz und gar domestiziert sind, fruchtbarer sind als wilde Menschen. Es ist auch wahrscheinlich, daß die erhöhte Fruchtbarkeit zivilisierter Nationen, wie bei unseren domestizierten Tieren, ein erblicher Charakter wird; es ist wenigstens bekannt, daß beim Menschen eine Neigung zu Zwillingsgeburten durch Familien läuft59. Trotzdem die Wilden weniger fruchtbar erscheinen als zivilisierte Völker, würden sie sich ohne Zweifel rapid vermehren, wenn nicht ihre Zahl durch gewisse Einflüsse streng niedergehalten würde. Die Santali oder Bergstämme von Indien haben in neuerer Zeit für diese Tatsache ein gutes Beispiel geliefert; sie haben sich nämlich, wie Mr. Hunter60 gezeigt hat, in einem außerordentlichen Maße vermehrt, seitdem die Pockenimpfung eingeführt worden ist, andere Seuchen gemildert sind und ihre Kriege rücksichtslos unterdrückt worden sind. Diese Zunahme hätte indes nicht möglich sein können, wenn dieses rohe Volk sich nicht in die benachbarten Distrikte verbreitet und dort um Lohn gearbeitet hätte. Wilde heiraten fast immer; es tritt aber irgend eine kluge Zurückhaltung doch ein, denn sie heiraten gewöhnlich nicht in dem Alter, irr welchem das Heiraten am frühesten möglich ist. Häufig wird von den jungen Männern der Nachweis verlangt, daß sie ein Weib erhalten können, und sie haben gewöhnlich zunächst die Summe zu verdienen, womit sie die Frau von ihren Eltern kaufen. Bei Wilden beschränkt die Schwierigkeit, eine Subsistenz zu finden, ihre Zahl gelegentlich in einer viel direkteren Weise als bei zivilisierten Völkern; denn alle Stämme leiden periodisch unter schweren Hungersnöten. In solchen Zeiten sind die Wilden gezwungen, viel schlechte Nahrung zu verzehren, und es kann nicht ausbleiben, daß ihre Gesundheit dadurch geschädigt wird. Über ihre geschwollenen Bäuche und abgemagerten Gliedmaßen nach und während der Hungersnot sind viele Berichte veröffentlicht worden. Ferner sind sie dann auch gezwungen, viel umherzuwandern, und wie man mir in Australien versicherte, kommen ihre Kinder dabei in großen Mengen um. Da die Hungersnöte periodisch auftreten und hauptsächlich von ungünstigen Jahreszeiten abhängen, so müssen alle Stämme in ihrer Zahl schwanken. Sie können nicht stetig und regelmäßig zunehmen, da für die Versorgung mit Nahrung keine künstliche Vermehrung eintritt. Kommen Wilde in Bedrängnis, so greifen sie gegenseitig in ihre Territorien über, und das Resultat ist Krieg; doch liegen sie in der Tat fast immer mit ihren Nachbarn im Krieg. Bei ihrem Suchen nach Nahrung sind sie zu Wasser und zu Lande vielen Zufällen ausgesetzt, und in manchen Ländern leiden sie auch sehr unter den größeren Raubtieren. Selbst in Indien sind manche Distrikte durch die Tiger entvölkert worden. Malthus hat diese verschiedenen Hindernisse erörtert; er legt aber nicht genug Nachdruck auf dasjenige Hindernis, welches wahrscheinlich das bedeutungsvollste von allen ist, nämlich Kindesmord, besonders die Tötung weiblicher Kinder, und die Gewohnheit, Fehlgeburten zu veranlassen. Diese Gebräuche herrschen jetzt in vielen Teilen der Erde, und Kindesmord scheint früher, wie Mr. M'Lennan61 gezeigt hat, in noch größerer Ausdehnung geherrscht zu haben. Diese Gebräuche scheinen bei Wilden dadurch entstanden zu sein, daß sie die Schwierigkeit, oder vielmehr die Unmöglichkeit eingesehen haben, alle Kinder, die geboren werden, auch zu erhalten. Auch Ausschweifung kann noch zu den erwähnten Hindernissen hinzugerechnet werden; doch ist dies keine Folge des Mangels an Existenzmitteln; daß sie in manchen Fällen (wie z. B. in Japan) absichtlich ermuntert worden ist, als ein Mittel, die Bevölkerung niedrig zu erhalten, läßt sich aus guten Gründen vermuten. In der weit zurückliegenden Zeit, als der Mensch die Würde der Menschlichkeit noch nicht erreicht hatte, wird er mehr durch Instinkt und weniger durch Vernunft geleitet worden sein, wie die Wilden der Gegenwart. Unsere halbmenschlichen Vorfahren werden den Gebrauch des Kindesmords oder der Polyandrie nicht ausgeübt haben; denn die Instinkte der tiefer stehenden Tiere sind nie so verkehrt62, daß sie dieselben regelmäßig zur Zerstörung ihrer eigenen Nachkommenschaft führten, oder daß sie völlig frei von Eifersucht wären. Es wird auch keine kluge Zurückhaltung im Heiraten stattgefunden haben, und die Geschlechter werden sich im frühen Alter bereitwillig vereinigt haben. Daher werden die Vorfahren des
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Die Abstammung des Menschen – Zweites Kapitel
Menschen zu einer rapiden Vermehrung geneigt gewesen sein; aber Hindernisse irgendwelcher Art, entweder periodische oder beständige, müssen ihre Zahl niedrig gehalten haben, stärker noch als bei den jetzt lebenden Wilden. Was die genaue Beschaffenheit dieser Hindernisse gewesen sein mag, läßt sich ebensowenig für unsere Vorfahren wie für die meisten anderen Tiere sagen. Wir wissen, daß Pferde und Rinder, welche nicht gerade sehr fruchtbar sind, sich in einem enormen Verhältnis vermehrt haben, seit sie zuerst in Südamerika dem Verwildern überlassen wurden. Der Elefant, der langsamste Erzeuger unter allen Tieren würde in wenigen Tausend Jahren die ganze Erde bevölkern. Die Zunahme jeder Art von Affen muß durch irgend welches Mittel gehindert worden sein, aber nicht, wie Brehm bemerkt, durch die Angriffe von Raubtieren. Niemand wird annehmen, daß das aktuelle Reproduktionsvermögen der wilden Pferde und Rinder in Amerika anfangs in irgend einem merkbaren Grade vermehrt gewesen wäre, oder daß dieses Vermögen jedesmal wieder abgenommen hätte, wenn ein Bezirk vollständig bevölkert war. Ohne Zweifel wirken in diesem Falle, wie in allen anderen, viele Hindernisse zusammen, und verschiedene Hindernisse unter verschiedenen Umständen. Zeiten periodischen Mangels, die von ungünstigen Jahreszeiten abhängen, sind wahrscheinlich das wichtigste von allen. So wird es bei den Vorfahren des Menschen gewesen sein.
Natürliche Zuchtwahl. Wir wissen jetzt, daß der Mensch an Körper und Geist variabel ist, und daß die Abänderungen entweder direkt oder indirekt durch dieselben allgemeinen Ursachen veranlaßt werden und denselben allgemeinen Gesetzen folgen wie bei den tiefer stehenden Tieren. Der Mensch hat sich weit über die Oberfläche der Erde verbreitet und muß während seiner unaufhörlichen Wanderungen63 den verschiedenartigsten Bedingungen ausgesetzt gewesen sein. Die Einwohner des Feuerlandes, des Kaps der Guten Hoffnung und Tasmaniens in der einen Hemisphäre, und der arktischen Gegenden in der anderen, müssen durch verschiedene Klimate hindurchgegangen sein und ihre Lebensweise viele Male verändert haben, ehe sie ihre jetzigen Wohnstätten erreichten64. Die Vorfahren des Menschen müssen auch wie alle anderen Tiere die Neigung gehabt haben, über das Maß ihrer Existenzmittel hinaus sich zu vermehren; sie müssen daher gelegentlich einem Kampfe um die Existenz ausgesetzt gewesen sein, und infolgedessen dem strengen Gesetz der natürlichen Zuchtwahl. Nützliche Abänderungen aller Art werden daher, entweder gelegentlich oder gewöhnlich, erhalten, schädliche beseitigt worden sein. Ich denke dabei keineswegs an stark markierte Abweichungen des Baues, welche nur in langen Zeitintervallen auftreten, sondern an bloß individuelle Verschiedenheiten. Wir wissen z. B., daß die Muskeln unserer Hände und Füße, welche unser Bewegungsvermögen bestimmen, ebenso wie bei tiefer stehenden Tieren65 unaufhörlicher Variabilität unterliegen. Wenn nun die Vorfahren des Menschen, in irgend einem Gebiet, besonders einem solchen, der in seiner natürlichen Verfassung eine gewisse Veränderung erfuhr, in zwei gleiche Massen geteilt würden, so würde die eine Hälfte, welche alle die Individuen umfaßte, welche durch ihr Bewegungsvermögen am besten dazu ausgerüstet wären, ihre Subsistenz zu erlangen oder sich zu verteidigen, durchschnittlich in einer größeren Zahl überleben bleiben und mehr Nachkommen erzeugen als die andere, weniger gut ausgerüstete Hälfte. Der Mensch ist jetzt, auch im rohesten Zustand, das dominierendste Tier, das je auf der Erde erschienen ist. Er hat sich weiterverbreitet als irgend eine andere hochorganisierte Form, und alle anderen sind vor ihm zurückgewichen. Offenbar verdankt er diese unendliche Überlegenheit seinen intellektuellen Fähigkeiten, seinen sozialen Gewohnheiten, welche ihn dazu führten, seine Genossen zu unterstützen und zu verteidigen, und seiner körperlichen Bildung. Die äußerst hohe Bedeutung dieser Eigenschaften ist durch die endgültige Entscheidung des Kampfes ums Dasein bewiesen worden. Durch seine intellektuellen Kräfte ist die artikulierte Sprache entwickelt worden, und von dieser war sein wundervoller Fortschritt im wesentlichen abhängig. Wie Mr. Chauncey Wright bemerkt66: "Eine psychologische Analyse des Vermögens der Sprache zeigt, daß selbst der geringste Fortschritt darin mehr Gehirnkraft erfordern dürfte als der größte Fortschritt in irgend einer anderen Richtung." Er hat verschiedene Waffen, Werkzeuge, Fallen usw. erfunden und weiß sie zu gebrauchen; er verteidigt sich damit, tötet oder fängt seine Beute und vermag sich auf andere Weise Nahrung zu verschaffen. Er hat Flöße oder Boote gemacht, mit Hilfe deren er fischen und zu benachbarten fruchtbaren Inseln übersetzen kann. Er hat die Kunst entdeckt, Feuer zu erzeugen, durch welches harte und zähe Wurzeln verdaulich und giftige Wurzeln oder Kräuter unschädlich gemacht werden können. Die Entdeckung des Feuers, wahrscheinlich die größte, die je vom Menschen gemacht worden ist, die Sprache ausgenommen, erfolgte in der Zeit vor dem Dämmern der Geschichte. Diese verschiedenen Erfindungen, durch welche der Mensch auch im rohesten Zustand ein solches Übergewicht erlangt hat, sind die direkten Resultate der Entwickelung seiner Beobachtungsgabe, seines Gedächtnisses, seiner Wißbegierde, seiner Einbildungskraft und seines Verstandes. Ich kann daher nicht verstehen, wie Mr.
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Wallace behaupten kann67, daß "natürliche Zuchtwahl den Wilden nur mit einem Gehirn hätte versehen können, das dem eines Affen wenig überlegen wäre." Obgleich die intellektuellen Kräfte und sozialen Gewohnheiten des Menschen von der größten Bedeutung für ihn sind, so dürfen wir doch die Bedeutung seines körperlichen Zustandes, welchem Gegenstand der Rest diesen Kapitels gewidmet ist, nicht unterschätzen. Die Entwickelung der intellektuellen und sozialen oder moralischen Fähigkeiten wird in einem späteren Kapitel erörtert. Selbst mit Präzision zu hämmern ist keine leichte Sache, wie jeder, der das Tischlern zu lernen versucht hat, zugeben wird. Einen Stein so genau nach einem Ziele zu werfen, wie ein Feuerländer, wenn er sich verteidigt oder Vögel tötet, erfordert die höchste Vollendung der in Korrelation stehenden Tätigkeit der Muskeln der Hand, des Armes und der Schultern, und weiterhin einen feinen Gefühlssinn. Um einen Stein oder einen Speer zu werfen, und zu vielen anderen Tätigkeiten, muß der Mensch fest auf seinen Füßen stehen, und dies erfordert wiederum die vollkommene gegenseitige Anpassung (Co-adaptation) zahlreicher Muskeln. Um einen Feuerstein in das roheste Werkzeug zu verwandeln, um einen Knochen zu einer pfeilförmigen Lanzenspitze oder zu einem Haken zu verarbeiten, bedarf es einer perfekten Hand. Denn, wie ein äußerst fähiger Beurteiler, Mr. Schoolcraft, bemerkt68, das Formen von Steinfragmenten zu Messern, Lanzen oder Pfeilspitzen beweist "außerordentliche Geschicklichkeit und lange Übung". Das wird bis zu einem hohen Grad dadurch bewiesen, daß die Urmenschen eine Teilung der Arbeit ausführten; nicht j eder fabrizierte seine eigenen Feuersteinwerkzeuge oder rohe Töpferwaren für sich, sondern gewisse Individuen scheinen sich dieser Arbeit gewidmet zu haben, und sie erhielten ohne Zweifel zum Tausch dafür den Ertrag der Jagd. Die Prähistoriker sind überzeugt, daß eine enorme Zeit verflossen sein muß, ehe unsere Voreltern daran dachten, abgesprungene Feuersteinstücke zu glatten Werkzeugen zu schleifen. Es ist kaum zweifelhaft, daß ein menschenähnliches Tier mit einer Hand und einem Arm, vollkommen genug, um einen Stein genau zu werfen oder einen Feuerstein in ein rohes Werkzeug zu formen, bei hinreichender Übung fast alles machen konnte, was ein zivilisierter Mensch machen kann, soweit bloß mechanische Geschicklichkeit in Betracht kommt. Die Struktur der Hand läßt sich in dieser Beziehung mit derjenigen der Stimmorgane vergleichen, womit bei den Affen verschiedene Signalrufe ausgestoßen oder, wie in einer Gattung (Hylobates) musikalische Kadenzen produziert werden. Aber beim Menschen sind, durch die vererbten Wirkungen des Gebrauchs, völlig ähnliche Stimmorgane der Äußerung artikulierter Sprache angepaßt worden. Wenden wir uns nun zu den nächsten Verwandten des Menschen und somit zu den vortrefflichsten Repräsentanten unserer Vorfahren, so finden wir. daß die Hände der Affen nach demselben allgemeinen Plane wie unsere gebaut, aber viel weniger vollkommen einer verschiedenartigen Verwendung angepaßt sind. Ihre Hände eignen sich nicht so gut zur Lokomotion wie die Füße eines Hundes, wie wir bei denjenigen Affen sehen können, welche, wie der Schimpanse oder Orang69, auf den äußeren Rändern der Handflächen oder auf den umgebogenen Fingern gehen. Dagegen sind ihre Hände für das Erklimmen von Bäumen wunderbar geeignet. Affen ergreifen dünne Zweige oder Seile mit dem Daumen auf der einen und den Fingern und der Handfläche auf der anderen Seite, in derselben Weise wie wir. So können sie auch ziemlich große Gegenstände, wie z. B. den Hals einer Flasche, zum Munde führen. Paviane wenden mit ihren Händen Steine um und scharren ebenso Wurzeln aus. Sie ergreifen Nüsse, Insekten oder andere kleine Gegenstände so, daß dabei der Daumen den übrigen Fingern gegenübergestellt wird, und zweifellos nehmen sie in dieser Weise Eier und Junge aus den Vogelnestern. Amerikanische Affen schlagen die wilden Orangen auf Äste auf, bis die Schale geborsten ist, und zerren diese dann mit den Fingern ihrer beiden Hände ab. Im freien Zustande schlagen sie harte Früchte mit Steinen auf. Andere Affen öffnen Muschelschalen mit den beiden Daumen. Mit ihren Fingern ziehen sie Dornen und Stacheln aus und suchen einander das Ungeziefer ab. Sie rollen Steine bergab oder werfen sie nach ihren Feinden. Aber sie führen doch diese verschiedenen Handlungen ungeschickt aus, und wie ich selbst gesehen habe, sind sie nicht imstande, einen Stein mit Präzision zu werfen. Es scheint mir durchaus nicht richtig zu sein, daß, weil "Gegenstände von Affen nur ungeschickt erfaßt werden, ein viel weniger spezialisiertes Greiforgan" ihnen ebensogut gedient haben würde70, wie ihre jetzigen Hände. Im Gegenteil, ich zweifle nicht, daß eine vollkommenere Hand ein Vorteil für sie gewesen wäre, vorausgesetzt, daß sie damit für das Erklettern von Bäumen nicht weniger geschickt geworden wäre. Wir dürfen vermuten, daß eine so vollkommene Hand wie die des Menschen ungeeignet für das Klettern gewesen wäre; denn die am meisten auf Bäumen lebenden Affen in der ganzen Welt, nämlich Ateles in Amerika, Colobus in Afrika und Hylobates in Asien, haben entweder keine Daumen, oder ihre Finger sind zum Teil miteinander verwachsen, so daß ihre Hände zu bloßen Greifhaken geworden sind71. Sobald irgend ein Glied in der langen Reihe der Primaten dazu kam, weniger auf Bäumen zu leben, sei es infolge einer Veränderung der Art und Weise, seinen Lebensbedarf zu erlangen, oder sei es infolge einer
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Veränderung in den Verhältnissen seines Heimatlandes, so wird auch seine gewöhnliche Fortbewegungsart modifiziert worden sein; es mußte entweder durchaus zum Vierfüßler werden, oder zu einem Zweifüßler. Paviane bewohnen bergige oder felsige Gegenden und klettern nur notgedrungen auf hohe Bäume72; sie haben daher auch fast die Gangart eines Hundes angenommen. Der Mensch allein ist ein Zweifüßler geworden; und wir können, wie ich glaube, zum Teil einsehen, wie er dazu gekommen ist, die aufrechte Stellung anzunehmen, welche eines seiner auffallendsten Merkmale bildet. Der Mensch hätte seine jetzige herrschende Stellung in der Welt nicht ohne seine Hände erreichen können, welche so wunderbar geeignet sind, seinem Willen gemäß tätig zu sein. Wie Sir G. Bell betont73: "Die Hand ersetzt alle Instrumente, und durch ihr Zusammenwirken mit dem Intellekt verleiht sie dem Menschen universelle Herrschaft." Die Hände und Arme hätten aber kaum vollkommen genug werden können, Waffen oder Steine und Speere nach einem bestimmten Ziele zu werfen, solange sie gewohnheitsgemäß zur Lokomotion benutzt worden wären, wobei sie das ganze Gewicht des Körpers zu tragen hatten, oder, wie vorhin schon bemerkt wurde, solange sie speziell dem Erklettern von Bäumen angepaßt waren. Eine derartige rohe Behandlung würde auch das Tastgefühl abgestumpft haben, von dem ihr feinerer Gebrauch zum großen Teil abhängt. Schon aus diesen Gründen allein wird es ein Vorteil für den Menschen gewesen sein, Zweifüßler zu werden; aber es ist auch für viele Handlungen durchaus nötig, daß beide Arme und der ganze obere Teil des Körpers frei bleiben, und zu diesem Zweck mußte er fest auf seinen Füßen stehen. Um diesen großen Vorteil zu erlangen, sind die Füße platt geworden, und die große Zehe ist eigentümlich modifiziert, obgleich dies den beinahe völligen Verlust der Greiffähigkeit mit sich gebracht hat. Es stimmt überein mit dem Prinzip der physiologischen Arbeitsteilung, welches im ganzen Tierreich herrscht, daß in demselben Maße, wie die Hände zum Greifen vervollkommnet wurden, die Füße sich mehr zum Tragen und zur Lokomotion ausbildeten. Doch haben bei manchen Wilden die Füße ihre Greiffähigkeit nicht völlig verloren, wie durch ihre Art des Erkletterns von Bäumen und durch ihre anderweitige Verwendung bewiesen wird74. Wenn es ein Vorteil für den Menschen war, fest auf seinen Füßen zu stehen und seine Hände und Arme frei zu haben, woran nach seinem so hervorragendem Erfolg im Kampf ums Dasein kein Zweifel besteht, dann sehe ich keinen Grund, warum es für die Vorfahren des Menschen nicht vorteilhaft gewesen sein soll, mehr und mehr aufrecht oder zweifüßig zu werden. Sie wurden dadurch mehr und mehr befähigt, sich mit Steinen und Keulen zu verteidigen, oder ihre Beute anzugreifen, oder auf andere Weise Nahrung zu erlangen. Die am besten gebauten Individuen werden im Laufe der Zeit den meisten Erfolg gehabt haben und in größerer Zahl am Leben geblieben sein. Wenn der Gorilla und einige verwandte Formen ausgestorben wären, würde man mit großer Überzeugungskraft und scheinbarem Recht schließen, daß ein Tier nicht allmählich aus einem Vierfüßler in einen Zweifüßler umgewandelt worden sein könnte, da alle Individuen in einem Zwischenzustand erbärmlich schlecht zum Gehen befähigt gewesen wären. Aber wir wissen (und dies ist wohl der Überlegung wert), daß die anthropomorphen Affen jetzt faktisch sich in diesem Zwischenzustand befinden, und doch zweifelt niemand, daß sie im ganzen ihren Lebensbedingungen gut angepaßt sind. So läuft der Gorilla mit einem seitlich wackelnden Gang, schreitet aber gewöhnlich so fort, daß er sich auf seine umgebogenen Hände stützt. Die langarmigen Affen gebrauchen gelegentlich ihre Arme wie Krücken, indem sie ihren Körper z wischen denselben nach vorwärts schwingen; und einige Arten von Hylobates können, ohne daß es ihnen gelehrt worden wäre, mit ziemlicher Schnelligkeit aufrecht gehen oder laufen; doch bewegen sie sich ungeschickt und viel weniger sicher als der Mensch. Kurz, wir sehen bei den jetzt lebenden Affen verschiedene Stufen des Gehens zwischen dem eines Vierfüßlers, und dem eines Zweifüßlers; doch nähern sich, wie ein unparteiischer Beurteiler betont75, die anthropomorphen Affen in ihrem Bau mehr dem zweifüßigen als dem vierfüßigen Typus. In dem Maße, wie die Vorfahren des Menschen sich mehr und mehr aufrichteten, ihre Hände und Arme mehr und mehr zum Greifen und anderen Zwecken und ihre Beine und Füße gleichzeitig zur sicheren Stütze und zur Ortsbewegung modifiziert wurden, werden auch zahlreiche andere Veränderungen in ihrem Körperbau notwendig geworden sein. Das Becken mußte breiter, das Rückgrat eigentümlich gebogen und der Kopf in einer veränderter Stellung befestigt werden, alles Veränderungen, die vom Menschen erworben wurden. Prof. Schaaffhausen76 behauptet, daß "die kräftigen Processus mastoidei des menschlichen Schädels das Resultat seiner aufrechten Stellung sind"; und diese Fortsätze fehlen beim Orang, beim Schimpansen usw., und sind beim Gorilla kleiner als beim Menschen. Es ließen sich hier noch verschiedene andere Bildungen anführen, welche mit der aufrechten Stellung des Menschen verknüpft erscheinen. Es ist sehr schwer zu entscheiden, in wie weit alle diese in Korrelation stehenden Modifikationen das Resultat natürlicher Zuchtwahl, und in wie weit sie das Resultat der vererbten Wirkungen des vermehrten Gebrauchs gewisser Teile oder der Wirkung eines Teiles auf einen anderen sind. Ohne Zweifel wirken diese Mittel der Veränderung oft zusammen; wenn z. B. gewisse Muskeln und die Knochenleisten, an welchen sie befestigt sind, durch beständigen Gebrauch vergrößert werden, so zeigt dies, daß gewisse Tätigkeiten gewohnheitsgemäß ausgeführt werden und von Nutzen sein müssen. Es werden daher diejenigen
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Individuen, welche sie am besten ausführen, in größerer Zahl am Leben bleiben. Der freie Gebrauch der Hände und Arme, zum Teil die Ursache, zum Teil das Resultat der aufrechten Stellung des Menschen, scheint indirekt auch noch zu anderen Modifikationen geführt zu haben. Wie vorhin bemerkt wurde, waren die einstigen männlichen Vorfahren des Menschen wahrscheinlich mit großen Eckzähnen versehen; in dem Maße aber, wie sie allmählich die Gewohnheit annahmen, Steine, Keulen, oder andere Waffen im Kampfe mit ihren Feinden oder Rivalen zu gebrauchen, werden sie auch ihre Kinnbacken und Zähne dabei immer weniger und weniger gebraucht haben. In diesem Falle werden die Kinnladen und im Zusammenhang damit die Zähne an Größe reduziert worden sein, wie wir auf Grund zahlloser analoger Fälle wohl ganz sicher annehmen können. In dem Buche über die sexuelle Zuchtwahl werden wir einem streng parallelen Fall begegnen in der Reduktion oder dem vollständigen Verschwinden der Eckzähne bei männlichen Wiederkäuern, was augenscheinlich zu der Entwickelung ihrer Hörner in Beziehung steht, und bei Pferden in Wechselbeziehung mit der Gewohnheit, die Schneidezähne und Hufe zum Kampf zu benutzen. Wie Rütimeyer77 und andere behauptet haben, ist bei den erwachsenen Männchen der anthropomorphen Affen die Wirkung der bedeutend entwickelten Kiefermuskeln auf den Schädel die Ursache gewesen, weshalb dieser in vielen Punkten so beträchtlich von dem des Menschen abweicht und diesen Tieren "eine wirklich schreckenerregende Physiognomie" verleiht. In dem Maße also, wie die Kinnladen und Zähne bei den Vorfahren des Menschen allmählich an Größe reduziert wurden, wird auch der ausgewachsene Schädel immer mehr dem des jetzt lebenden Menschen ähnlich geworden sein. Wir wir noch sehen werden, wird eine bedeutende Verkümmerung der Eckzähne bei den Männchen fast sicher, infolge der Vererbung, auch die Zähne der Weibchen beeinflußt haben. In dem Maße, wie die verschiedenen geistigen Fähigkeiten nach und nach sich entwickelt haben, wird auch das Gehirn sicherlich größer geworden sein. Niemand, denke ich, zweifelt daran, daß im Verhältnis zu seinem Körper die bedeutende Größe des Gehirns des Menschen verglichen mit den Verhältnissen beim Gorilla oder Orang, in enger Beziehung zu seinen höheren geistigen Kräften steht. Ganz analogen Tatsachen begegnen wir bei Insekten; so sind unter anderem die Kopfganglien bei den Ameisen von außerordentlicher Größe und bei allen Hymenopteren sind diese Ganglien viele Male größer als bei den weniger intelligenten Ordnungen, wie z. B. bei den Käfern78. Auf der anderen Seite denkt niemand daran, daß der Intellekt zweier Tiere oder zweier Menschen genau gemessen werden kann durch den Kubikinhalt ihrer Schädel. Es ist sogar sicher, daß eine außerordentliche geistige Tätigkeit an eine äußerst kleine absolute Masse von Nervensubstanz gebunden sein kann. Die wunderbaren verschiedenen Instinkte, geistigen Kräfte und Affekte der Ameisen sind allgemein bekannt, und doch sind ihre Kopfganglien nicht so groß wie das Viertel eines kleinen Stecknadelkopfes. So betrachtet, ist das Gehirn einer Ameise das wunderbarste Substanzatom in der Welt, vielleicht noch wunderbarer als das Gehirn des Menschen. Die Annahme, daß beim Menschen eine enge Beziehung bestehe zwischen der Größe des Gehirns und der Entwickelung der intellektuellen Fähigkeiten, wird unterstützt durch die Vergleichung von Schädeln wilder und zivilisierter Rassen, alter und moderner Völker, und durch die Analogie der ganzen Wirbeltierreihe. Dr. I. Barnard Davis hat durch zahlreiche sorgfältige Messungen nachgewiesen79, daß die mittlere Schädelkapazität bei Europäern 92,3 Kubikzoll, bei Amerikanern 87,5, bei Asiaten 87,1 und bei Australiern nur 81,9 beträgt. Prof. Broca80 hat gefunden, daß Schädel aus Pariser Gräbern des neunzehnten Jahrhunderts größer waren als solche aus dem zwölften Jahrhundert, in dem Verhältnis von 1484 : 1426, und daß die Zunahme der Größe ausschließlich den Stirnteil des Schädels betraf — den Sitz der intellektuellen Fähigkeiten. Prichard ist überzeugt, daß die jetzigen Bewohner Großbritanniens "viel geräumigere Hirnkapseln" haben als die alten Einwohner. Es muß jedoch zugegeben werden, daß einige Schädel von sehr hohem Alter, wie z. B. der berühmte Neandertalschädel, sehr gut entwickelt und geräumig sind81. In bezug auf die niederen Tiere ist Mr. Lartet82 durch Vergleichung der Schädel tertiärer und jetzt lebender Säugetiere, die zu denselben Gruppen gehören, zu dem merkwürdigen Schlüsse gelangt, daß bei den jüngeren Formen das Gehirn allgemein größer und die Windungen komplizierter sind. Andererseits habe ich gezeigt83, daß die Gehirne domestizierter Kaninchen, verglichen mit denen des wilden Kaninchens oder des Hasen, an Größe beträchtlich reduziert sind, und dies kann dem Umstände zugeschrieben werden, daß sie viele Generationen hindurch in Gefangenschaft gehalten wurden, wobei sie ihren Intellekt, ihren Instinkt, ihre Sinne und ihre willkürlichen Bewegungen nur wenig zu üben brauchten. Die allmähliche Gewichtszunahme des menschlichen Gehirns und Schädels muß auch die Entwickelung der tragenden Wirbelsäule beeinflußt haben, ganz besonders, als er anfing, aufrecht zu gehen. Und in dem Maße, wie diese Veränderung der Stellung allmählich zustande kam, wird auch der innere Druck des Gehirns die Form des Schädels beeinflußt haben; denn viele Tatsachen zeigen, wie leicht der Schädel auf diese Weise affiziert wird. Ethnologen glauben, daß er sogar durch die Form der Wiege modifiziert wird, in
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welcher die kleinen Kinder schlafen. Habituelle Muskelkrämpfe und eine Narbe nach einer schweren Verbrennung können die Gesichtsknochen dauernd modifizieren. Bei jungen Individuen, deren Köpfe infolge einer Krankheit nach der Seite oder nach rückwärts fixiert wurden, hat das eine Auge seine Stellung verändert, und die Form des Schädels wurde modifiziert, offenbar dadurch, daß das Gehirn nun in einer anderen Richtung drückte84. Ich habe gezeigt, daß bei langohrigen Kaninchen selbst eine so unbedeutende Ursache, wie das Herabhängen des einen Ohres, auf dieser Seite fast jeden einzelnen Knochen des Schädels nachzieht, so daß die Knochen der beiden gegenüberliegenden Seiten sich nicht mehr genau entsprechen. Würde endlich irgend ein Tier an allgemeiner Körpergröße zu- oder abnehmen, ohne daß die geistigen Kräfte sich irgendwie veränderten, oder würden die geistigen Kräfte bedeutend vergrößert oder verringert werden ohne eine beträchtliche Änderung in der Körpergröße, so würde doch die Form des Schädels ziemlich sicher verändert werden. Ich schließe das aus meinen Beobachtungen an domestizierten Kaninchen, von denen einige Arten viel größer geworden sind als das wilde Tier, während andere nahezu dieselbe Größe behalten haben; in beiden Fällen aber ist das Gehirn im Verhältnis zur Größe des Körpers beträchtlich kleiner geworden. Ich war nun anfangs sehr erstaunt, als ich fand, daß bei allen diesen Kaninchen der Schädel verlängert oder dolichozephal geworden war; so war z. B. von zwei Schädeln ziemlich derselben Breite — der eine von einem wilden Kaninchen, der andere von einer großen domestizierten Form — der erstere nur 3,15, der letztere 4,3 Zoll lang85. Eine der ausgesprochendsten Verschiedenheiten bei den verschiedenen Menschenrassen ist die, daß der Schädel bei den einen länglich, bei den anderen rund ist; und hier mag wohl die Erklärung gelten, die sich aus dem Falle mit dem Kaninchen ergibt; denn Welcker findet, daß "kleine Menschen mehr zur Brachyzephalie, große mehr zur Dolichozephalie neigen86; große Menschen können mit den größeren Kaninchen verglichen werden, die sämtlich verlängerte Schädel haben oder dolichozephal sind. Danach können wir bis zu einem gewissen Grad erkennen, durch welche Mittel der Mensch die beträchtliche Größe und die mehr oder weniger runde Form seines Schädels erlangt hat, und dies sind gerade Merkmale, welche ihn ganz besonders von den niederen Tieren unterscheiden. Ein anderer äußerst auffälliger Unterschied zwischen dem Menschen und den tiefer stehenden Tieren ist die Nacktheit seiner Haut. Wale und Delphine (Cetacea), Dugongs (Sirenia) und das Flußpferd sind nackt. Dies mag für sie beim Gleiten durch das Wasser von Vorteil sein; in bezug auf den Wärmeverlust wird es nicht nachteilig sein, da die Arten, welche kältere Gegenden bewohnen, von einer dicken Schicht von Tran umkleidet sind, welche demselben Zwecke dient wie der Pelz der Seehunde und Ottern. Elefanten und Rhinozerosse sind fast haarlos, und da gewisse ausgestorbene Arten, welche einstmals in einem arktischen Klima lebten, mit langen Haaren oder Wolle bedeckt waren, so scheint es fast, als wenn die jetzt lebenden Arten beider Gattungen ihr Haar durch den Einfluß der Wärme verloren hätten. Dies erscheint um so wahrscheinlicher, als diejenigen Elefanten in Indien, welche in höher gelegenen und kälteren Gegenden leben, stärker behaart sind87 als die in den Niederungen lebenden. Dürfen wir dann wohl schließen, daß der Mensch von Haaren entblößt wurde, weil er ursprünglich irgend ein tropisches Land bewohnt hat? Die Tatsache, daß die Haare im männlichen Geschlecht hauptsächlich an der Brust und im Gesicht, und in beiden Geschlechtern an der Verbindung aller vier Gliedmaßen mit dem Rumpfe erhalten sind, begünstigt jene Folgerung, – unter der Voraussetzung, daß das Haar verloren wurde, ehe der Mensch die aufrechte Stellung erlangt hatte; denn die Teile, welche jetzt die meisten Haare behalten haben, würde die gegen die Wärme der Sonne am meisten geschützten gewesen sein Der Schädel bietet indessen eine merkwürdige Ausnahme dar; denn er muß zu allen Zeiten einer der am meisten exponierten Teile gewesen sein, und doch ist er dicht mit Haaren bedeckt. Tatsache ist jedoch, daß die anderen Glieder der Ordnung der Primaten, zu welcher der Mensch gehört, und die verschiedene heiße Gegenden bewohnen, mit Haaren bekleidet sind, und gewöhnlich auf der oberen Fläche am dichtesten88; diese Tatsache steht der Annahme entgegen, daß der Mensch infolge der Einwirkung der Sonne nackt wurde. Mr. Belt ist der Ansicht89, daß es in den Tropen für den Menschen ein Vorteil sei, von Haaren entblößt zu sein, da er dadurch in den Stand gesetzt wird, sich von den Zecken (Acari) und anderen Parasiten zu befreien, mit denen er oft behaftet ist, und welche zuweilen Geschwüre verursachen. Ob aber dieses Übel hinreichend groß ist, um zur Enthaarung des Körpers durch natürliche Zuchtwahl zu führen, dürfte bezweifelt werden, da keiner der vielen die Tropen bewohnenden Vierfüßler, soviel mir bekannt ist, ein spezielles Erleichterungsmittel erworben hat. Die Ansicht, welche mir die wahrscheinlichste zu sein scheint, ist die, daß der Mensch, oder vielmehr ursprünglich das Weib, wie wir in dem Buche über sexuelle Zuchtwahl sehen werden, ihr Haarkleid aus ornamentalen Gründen verloren hat, und nach dieser Annahme ist es durchaus nicht überraschend, daß der Mensch in der Behaarung von allen übrigen Primaten so beträchtlich abweicht; denn durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangte Charaktere sind oft bei nahe verwandten Formen außerordentlich verschieden. Nach einer populären Ansicht ist die Abwesenheit des Schwanzes ein hervorragend unterscheidendes
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Merkmal des Menschen; da aber diejenigen Affen, welche dem Menschen am nächsten stehen, dieses Organ gleichfalls entbehren, so betrifft dessen Verschwinden nicht den Menschen allein. Seine Länge ist zuweilen innerhalb einer Gattung sehr verschieden; bei einigen Arten von Macacus ist er länger als der ganze Körper und besteht aus vierundzwanzig Wirbeln; bei anderen ist er nur ein kaum sichtbarer Stumpf und enthält nur drei oder vier Wirbel. Bei einigen Arten von Pavianen sind fünfundzwanzig Schwanzwirbel vorhanden, beim Mandrill aber nur zehn sehr kleine verkümmerte Wirbel, oder, nach Cuviers Angabe90 gar nur fünf. Der Schwanz läuft beinahe immer nach dem Ende hin spitz zu, mag er nun kurz oder lang sein, wahrscheinlich, wie ich vermute, infolge Atrophie der terminalen Muskeln und ihrer Arterien und Nerven infolge von Nichtgebrauch, welche zuletzt zu einer Atrophie der endständigen Knochen führt. Für jetzt kann aber die häufig vorkommende große Verschiedenheit in der Länge des Schwanzes nicht erklärt werden. Hier handelt es sich indessen im besonderen um das völlige äußerliche Verschwinden des Schwanzes. Prof. Broca hat gezeigt91, daß der Schwanz bei allen Säugetieren aus zwei Teilen besteht, die meist unvermittelt voneinander abgesetzt sind. Der basale Teil besteht aus Wirbeln, die mehr oder weniger vollkommen mit Kanälen und Fortsätzen gleich gewöhnlichen Wirbeln versehen sind, während die Wirbel des terminalen Teils keine Kanäle haben, beinahe glatt und echten Wirbeln kaum ähnlich sind. Ein wenn auch äußerlich nicht sichtbarer Schwanz ist beim Menschen und den anthropomorphen Affen wirklich vorhanden, und er ist bei beiden nach genau demselben Typus gebaut. Im terminalen Teil sind die das Os coccygis bildenden Wirbel ganz rudimentär, an Größe und Zahl sehr reduziert. In dem basalen Teil finden sich auch nur wenig Wirbel; sie sind fest miteinander verbunden und in ihrer Entwickelung gehemmt; sie sind aber viel breiter und platter geworden als die entsprechenden Wirbel im Schwänze anderer Tiere; sie bilden das, was Broca die akzessorischen Kreuzbeinwirbel nennt. Diese sind von funktioneller Bedeutung, indem sie gewisse innere Teile stützen, sowie in anderer Weise; ihre Modifikation steht in direktem Zusammenhange mit der aufrechten oder halb aufrechten Stellung des Menschen und der anthropomorphen Affen. Diese Folgerung ist um so vertrauenswürdiger, als Broca früher einer anderen Ansicht war, die er jetzt aufgegeben hat. Die Modifikation der basalen Schwanzwirbel beim Menschen und den höheren Affen dürfte daher direkt oder indirekt durch natürliche Zuchtwahl bewirkt worden sein. Was sollen wir aber zu den rudimentären und variabeln Wirbeln des Endteils des Schwanzes sagen, welche das Os coccygis bilden? Eine Bemerkung, die schon oft verlacht worden ist und ohne Zweifel auch jetzt wieder verlacht werden wird, daß nämlich Reibung an dem Verschwinden des äußeren Teils des Schwanzes mit beteiligt sei, ist doch nicht so lächerlich, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Dr. Anderson gibt an92, daß der außerordentlich kurze Schwanz des Macacus brunneus von elf Wirbeln gebildet wird, eingerechnet die in der Haut verborgenen basalen Wirbel. Das Ende ist sehnig und enthält keine Wirbel; darauf folgen fünf rudimentäre und so kleine Wirbel, daß sie zusammengenommen nur anderthalb Linien lang sind; sie sind beständig in der Form eines Hakens nach einer Seite gebogen. Der freie Teil des Schwanzes, der nur wenig mehr als einen Zoll lang ist, enthält nur noch vier weitere kleine Wirbel. Der kurze Schwanz wird aufrecht getragen; aber ungefähr ein Viertel der Gesamtlänge ist nach links hin auf sich selbst zurückgebogen; dieser terminale Teil, welcher die hakenförmige Partie enthält, dient dazu, "die Lücke zwischen den oben auseinanderweichenden Gesäßschwielen auszufüllen", das Tier sitzt demnach auf ihm und macht ihn rauh und schwielig. Dr. Andersen faßt seine Beobachtungen folgendermaßen zusammen: "Diese Tatsachen scheinen mir nur eine Erklärung zuzulassen. Seiner geringen Länge wegen ist dieser Schwanz dem Affen im Wege, wenn er sich niedersetzt, und er wird dabei häufig unter das Tier gesteckt. Der Umstand, daß er nicht bis über das Ende der Sitzhöcker reicht, erweckt die Vermutung, daß der Schwanz von dem Tier ursprünglich mit Absicht in den Zwischenraum zwischen den Gesäßschwielen hineingebogen worden sei, um zu vermeiden, daß er zwischen diese und den Boden gedrückt würde, und daß die Krümmung mit der Zeit bleibend wurde und sich von selbst einfügte, wenn sich das Tier niedersetzte." Unter diesen Umständen ist es nicht überraschend, daß die Oberfläche des Schwanzes rauh und schwielig geworden ist. Dr. Murie93 hat diese Art und drei andere, nahe verwandte Arten mit unbedeutend längerem Schwänze im Zoologischen Garten sorgfältig beobachtet, und er sagt, daß, wenn sich das Tier niedersetzt, "der Schwanz notwendigerweise auf eine Seite des Gesäßes gedrängt wird; und er mag kurz oder lang sein, die Wurzel ist immer in Gefahr abgescheuert oder wundgerieben zu werden". Da wir nun Beweise dafür haben, daß Verstümmelungen gelegentlich vererbt werden94, so ist es nicht sehr unwahrscheinlich, daß bei kurzschwänzigen Affen der vorspringende, funktionell nutzlose Teil des Schwanzes nach vielen Generationen rudimentär und verdreht worden ist, weil er beständig abgescheuert und wundgerieben wurde. Wir sehen beim Macacus brunneus den vorspringenden Teil in diesem Zustand, und beim M. ecaudatus und mehreren höheren Affen ist er vollständig abortiert. Soweit wir es beurteilen können, ist dann schließlich der Schwanz beim Menschen und bei den anthropomorphen Affen verschwunden, weil der terminale Teil eine sehr lange Zeit hindurch durch Reibung beschädigt wurde, während der basale, von der Haut eingeschlossene Teil reduziert und modifiziert wurde, um ihn der aufrechten oder halbaufrechten
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Stellung anzupassen. Ich habe somit zu zeigen versucht, daß einige der unterscheidendsten Merkmale des Menschen aller Wahrscheinlichkeit nach — entweder direkt, oder häufiger indirekt — durch natürliche Zuchtwahl erlangt worden sind. Wir dürfen nicht vergessen, daß Modifikationen im Bau oder in der Konstitution, die nicht dazu dienen, einen Organismus an seine Lebensgewohnheiten, oder an seine Nahrung, oder passiv an die Umgebungsbedingungen anzupassen, auf diese Weise nicht erworben werden können. Wir dürfen indessen nicht zu sicher sein bei der Entscheidung der Frage, welche Modifikationen für jedes Wesen von Nutzen sind; wir müssen uns daran erinnern, wie wenig wir über den Nutzen vieler Teile wissen, oder was für Veränderungen im Blut oder in den Geweben dazu dienen, einen Organismus für ein neues Klima oder eine neue Nahrung geeignet zu machen. Auch dürfen wir das Prinzip der Korrelation nicht vergessen, durch welches, wie Isidore Geoffroy in bezug auf den Menschen gezeigt hat, viele merkwürdige Bildungsabweichungen untereinander verbunden werden. Unabhängig von der Korrelation führt oft eine Veränderung in einem Teile zu anderen Veränderungen einer vollständig unerwarteten Art, infolge des vermehrten oder verminderten Gebrauchs anderer Teile. Auch ist es gut, sich solcher Tatsachen zu erinnern wie des wunderbaren Wachstums von Gallen auf Pflanzen, verursacht durch das Gift eines Insekts, und der merkwürdigen Farbenveränderungen im Gefieder von Papageien, wenn sie sich von gewissen Fischen ernähren, oder wenn ihnen das Gift von Kröten eingeimpft wird95. Wir sehen dabei, daß die Körperflüssigkeiten, wenn sie zu irgend einem bestimmten Zweck abgeändert werden, andere merkwürdige Veränderungen herbeiführen können. Ganz besonders sollten wir im Auge behalten, daß Modifikationen, welche in vergangenen Zeiten zu irgend einem nützlichen Zweck erlangt oder beständig gebraucht worden sind, wahrscheinlich befestigt und schon lange vererbt wurden. Man kann so den direkten und indirekten Resultaten natürlicher Zuchtwahl eine sehr beträchtliche, jedoch unbestimmte Ausdehnung zuschreiben. Nachdem ich jedoch Naegelis Abhandlung über die Pflanzen und die Bemerkungen verschiedener Autoren über die Tiere gelesen habe, besonders diejenigen von Prof. Broca, gebe ich jetzt zu, daß ich in den früheren Ausgaben meiner "Entstehung der Arten" der Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl oder des Überlebens des Passendsten vielleicht zu viel zugeschrieben habe. Ich habe die fünfte Ausgabe der "Entstehung" geändert, indem ich meine Bemerkungen auf die adaptiven Veränderungen des Körperbaues beschränkte. Nach den Aufklärungen jedoch, die wir selbst in den letzten paar Jahren erhalten haben, bin ich überzeugt, daß sehr viele Bildungen, die uns jetzt nutzlos zu sein scheinen, noch als nützlich werden erkannt werden, daß sie also doch in den Bereich der natürlichen Zuchtwahl fallen. Doch habe ich früher die Existenz von Strukturen nicht genügend beachtet, welche, soweit wir es jetzt beurteilen können, weder nützlich noch schädlich sind; und das halte ich für eines der größten Versehen in meinem Werke. Zur Entschuldigung sei mir zu sagen gestattet, daß ich zwei verschiedene Absichten verfolgte: erstens, zu zeigen, daß die Arten nicht unabhängig voneinander geschaffen worden sind; zweitens, daß bei der Veränderung hauptsächlich die natürliche Zuchtwahl gewirkt habe, wenn auch sehr unterstützt durch die vererbten Wirkungen des Gebrauchs, sowie in etwas geringerem Maße durch die direkte Wirkung der umgebenden Bedingungen. Ich war jedoch nicht imstande, den Einfluß meines früheren und damals fast allgemein verbreiteten Glaubens, daß jede Spezies absichtlich erschaffen worden sei, vollständig zu beseitigen, und dies führte mich zu der stillschweigenden Annahme, daß jedes einzelne Strukturdetail, mit Ausnahme der Rudimente, irgend einen speziellen, wenn auch unerkannten Nutzen habe. Mit dieser Annahme im Sinne würde natürlich jedermann die Wirkung der natürlichen Zuchtwahl, sei es während früherer Zeiten oder sei es in der Gegenwart, zu hoch anschlagen. Einige von denen, welche das Prinzip der Entwickelung annehmen, natürliche Zuchtwahl jedoch verwerfen, scheinen, wenn sie mein Buch kritisieren, zu vergessen, daß ich beide eben erwähnten Gegenstände im Auge hatte. Wenn ich nun auch darin geirrt haben sollte, daß ich der natürlichen Zuchtwahl eine große Macht zuschrieb, was ich aber durchaus nicht zugebe, oder daß ich ihre Macht übertrieben hätte, was an sich wahrscheinlich ist, so habe ich, wie ich hoffe, wenigstens dadurch etwas Gutes gestiftet, daß ich dazu beigetragen habe, das Dogma separater Schöpfungen umzustoßen. Es ist, soviel ich jetzt sehe, wahrscheinlich, daß alle organischen Wesen mit Einschluß des Menschen Struktureigenschaften besitzen, die für sie weder jetzt von irgend einem Nutzen sind, noch es früher gewesen sind, und die daher keine physiologische Bedeutung haben. Wir wissen nicht, wodurch die zahllosen kleinen Verschiedenheiten zwischen den Individuen einer jeden Spezies hervorgebracht werden; denn Rückschlag verlegt das Problem nur um ein paar Schritte rückwärts; und doch muß jede Eigentümlichkeit ihre besondere bewirkende Ursache gehabt haben. Wenn diese Ursachen, welcher Art sie auch seien, längere Zeit hindurch gleichförmiger und energischer gewirkt hätten (und gegen diese Annahme läßt sich nichts einwenden), so würde das Resultat wahrscheinlich nicht bloß eine kleine individuelle Verschiedenheit, sondern eine scharf ausgeprägte und konstante Modifikation sein, wenn auch eine
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Modifikation ohne physiologische Bedeutung. Veränderte Strukturen, welche in keiner Weise nützlich sind, können durch natürliche Zuchtwahl nicht gleichförmig erhalten werden, wennschon alle, welche nachteilig sind, durch dieselbe beseitigt werden. Indessen würde Gleichförmigkeit des Charakters die natürliche Folge der angenommenen Gleichförmigkeit der Ursachen sein, ebenso auch der ungehinderten Kreuzung vieler Individuen. Derselbe Organismus kann daher auf diese Weise im Verlauf aufeinanderfolgender Zeiträume aufeinanderfolgende Modifikationen erlangen, welche in einem nahezu gleichförmigen Zustande überliefert werden, solange die Ursachen dieselben bleiben und freie Kreuzung eintreten kann. In bezug auf diese Ursachen können wir hier, ebenso wie bei den sogenannten spontanen Abänderungen, nur sagen, daß sie viel mehr in der Konstitution des abändernden Organismus als in der Natur der Bedingungen, denen derselbe ausgesetzt war, zu suchen sind.
Schluß. Wir haben in diesem Kapitel gesehen, daß der Mensch wie jedes andere Tier vielfachen individuellen Verschiedenheiten oder geringen Abänderungen ausgesetzt ist, und so war es ohne Zweifel auch mit den Vorfahren des Menschen. Die Abänderungen waren damals wie jetzt Wirkungen derselben allgemeinen Ursachen und unterlagen denselben allgemeinen und komplizierten Gesetzen. Wie alle Tiere sich über die Grenzen ihrer Existenzmittel hinaus zu vermehren streben, so muß dies auch mit den Vorfahren des Menschen der Fall gewesen sein, und dies wird unvermeidlich zu einem Kampfe ums Dasein und zu natürlicher Zuchtwahl geführt haben. Dieser letztere Vorgang wird sehr unterstützt worden sein durch die vererbten Wirkungen des vermehrten Gebrauchs der Teile, und diese beiden Vorgänge werden unablässig wechselseitig aufeinander gewirkt haben. Es scheint auch, daß der Mensch verschiedene bedeutungslose Charaktere durch sexuelle Zuchtwahl erlangt hat. Ein noch unerklärter Rest von Veränderungen muß auf die gleichförmige Wirkung jener unbekannten Faktoren zurückgeführt werden, welche gelegentlich scharf ausgeprägte und plötzlich auftretende Abweichungen des Baues bei unseren domestizierten Pflanzen und Tieren hervorbringen. Nach den Gewohnheiten der Naturvölker und der größeren Zahl der Affen zu urteilen, lebten der Urmensch wie auch die affenähnlichen Vorfahren des Menschen wahrscheinlich gesellig. Bei vollkommen sozialen Tieren wirkt natürliche Zuchtwahl zuweilen indirekt auf das Individuum durch die Erhaltung von Abänderungen, welche für die Gesellschaft nützlich sind. Eine Genossenschaft, welche eine große Anzahl gut ausgestatteter Individuen umfaßt, nimmt an Zahl zu und besiegt andere, weniger begünstigte, auch wenn das einzelne Glied nicht über die anderen Glieder derselben Gesellschaft hervorragt. So haben gesellig lebende Insekten viele merkwürdige Bildungseigentümlichkeiten erworben, welche für das Individuum von geringem oder gar keinem Nutzen sind, wie z. B. der Pollensammelapparat oder der Stachel der Arbeiterbienen, oder die großen Kiefer der Ameisensoldaten. Bei den höheren gesellig lebenden Tieren ist mir keine Struktur bekannt, welche nur zum Besten der ganzen Gesellschaft modifiziert worden wäre, wenn auch einige für dieselbe von sekundärem Nutzen sind. Die Hörner der Wiederkäuer z. B. und die großen Eckzähne der Paviane scheinen von den Männchen als Waffen für den Kampf um das Weibchen erlangt worden zu sein; sie werden aber auch zur Verteidigung der Herde oder Truppe benutzt. Für gewisse geistige Fähigkeiten liegt der Fall, wie wir im fünften Kapitel sehen werden, ganz anders; denn diese Fähigkeiten sind hauptsächlich oder sogar ausschließlich zum Nutzen der Gemeinschaft erlangt worden, wobei zugleich auch die Individuen indirekt einen Vorteil erlangt haben. Den im vorstehenden entwickelten Ansichten ist oft entgegengehalten worden, daß der Mensch eines der hilflosesten und wehrlosesten Geschöpfe der Welt sei, und daß er während seines früheren und weniger entwickelten Zustandes noch hilfloser gewesen sein müsse. Der Herzog von Argyll96 behauptet z. B., daß der menschliche Körperbau von dem der Tiere in der Richtung größerer physischer Hilflosigkeit und Schwäche abgewichen sei; das sei eine Divergenz, die weniger als jede andere bloßer natürlicher Zuchtwahl zugeschrieben werden könne. Er führt an: den nackten und unbeschützten Zustand des Körpers, das Fehlen großer Zähne oder Krallen zur Verteidigung, die geringe Körperkraft des Menschen, seine geringe Schnelligkeit im Laufen und seine geringe Fähigkeit, durch den Geruchssinn Nahrung zu finden oder Gefahren zu vermeiden. Diesen Mängeln könnte noch ein weit bedenklicherer angereiht werden: seine Unfähigkeit, rasch Bäume zu erklettern und dadurch seinen Feinden zu entfliehen. Der Verlust des Haarkleides wird für die Bewohner eines warmen Landes kein großer Nachteil gewesen sein. Denn wir wissen, daß die unbekleideten Feuerländer in ihrem schauerlichen Klima existieren können. Wenn man den wehrlosen Zustand des Menschen mit dem der Affen vergleicht, von denen viele mit großen Eckzähnen ausgerüstet sind, so müssen wir bedenken, daß nur die Männchen solche Zähne im völlig entwickelten Zustande besitzen, und daß sie hauptsächlich zum Kampf mit den Nebenbuhlern gebraucht werden. Und
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Die Abstammung des Menschen – Zweites Kapitel
doch sind die Weibchen, welche nicht damit versehen sind, völlig imstande, ihr Leben zu erhalten. Was die körperliche Größe oder Kraft betrifft, so wissen wir nicht, ob der Mensch von einer kleinen Art abstammt, gleich dem Schimpansen, oder von einer so mächtigen wie dem Gorilla; wir können daher auch nicht sagen, ob der Mensch größer und stärker, oder kleiner und schwächer als seine Vorfahren geworden ist. Wir müssen indes im Auge behalten, daß ein Tier mit bedeutender Größe, Kraft und Wildheit, welches, wie der Gorilla, sich gegen alle Feinde verteidigen kann, wahrscheinlich nicht sozial geworden wäre, und dies würde in äußerst wirksamer Weise die Entwickelung der höheren geistigen Eigenschaften beim Menschen, wie Sympathie und Nächstenliebe, gehindert haben. Es dürfte daher ein unendlicher Vorteil für den Menschen gewesen sein, einer verhältnismäßig schwachen Form zu entstammen. Die geringe körperliche Kraft des Menschen, seine geringe Schnelligkeit, der Mangel natürlicher Waffen usw. werden mehr als ausgeglichen: erstens durch seine intellektuellen Kräfte, die ihn, noch im Zustande der Barbarei, in den Stand setzten, Waffen, Werkzeuge usw. zu formen; zweitens durch seine sozialen Eigenschaften, welche ihn dazu führten, seinen Mitmenschen zu helfen und Hilfe von ihnen zu empfangen. Kein Land auf der Erde hat solchen Überfluß an gefährlichen Tieren wie Südafrika, kein Land birgt größere Gefahren und Beschwerden als die arktischen Gegenden, und doch behauptet sich eine der schwächsten Rassen, nämlich die der Buschmänner, in Südafrika, ebenso wie die der zwergischen Eskimos in den arktischen Gegenden. Die Vorfahren des Menschen standen ohne Zweifel im Intellekt und wahrscheinlich in den sozialen Anlagen noch unter den niedrigsten Wilden der Gegenwart. Es ist aber völlig denkbar, daß sie existiert und sogar sich wohl befunden haben können, wenn sie an intellektueller Ausbildung gewannen, während sie allmählich ihre tierischen Fähigkeiten, wie die des Kletterns usw., einbüßten. Aber selbst, wenn diese Vorfahren hilfloser und wehrloser als jetzt existierende Wildegewesen wären, würden sie keiner speziellen Gefahr ausgesetzt gewesen sein, wenn sie einen warmen Kontinent oder eine große Insel bewohnt hätten, etwa Australien, Neu-Guinea oder Borneo, welches jetzt die Heimat des Orang ist. Und auf so großen Gebieten wird die natürliche Zuchtwahl infolge der Konkurrenz der einzelnen Stämme, in Verbindung mit den ererbten Wirkungen des Gebrauchs, unter sonst günstigen Umständen genügt haben, den Menschen auf seine gegenwärtige hohe Stellung in der organischen Stufenleiter zu erheben.
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Drittes Kapitel Die geistigen Fähigkeiten des Menschen und der Tiere
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Die Abstammung des Menschen – Drittes Kapitel
In den ersten beiden Kapiteln haben wir gesehen, daß der Mensch in seinem Körperbau deutliche Spuren
einer Abstammung von einer tiefer stehenden Form verrät; man könnte jedoch einwenden, daß dieser Schluß irrig sei, da der Mensch sich durch seinen Geist so außerordentlich von allen anderen Tieren unterscheide. Ohne Zweifel ist der Unterschied in dieser Beziehung sehr groß, selbst wenn man die Seele des niedrigsten Wilden, welchem der sprachliche Ausdruck für Zahlenbegriffe über vier fehlt, und welcher keine abstrakte Benennung für die gewöhnlichsten Dinge oder Affekte gebraucht, mit der des höchst organisierten Affen vergleicht1. Der Unterschied würde sicher immer noch ungeheuer groß sein, wenn einer dieser Affen ebensosehr veredelt und zivilisiert worden wäre wie ein Hund im Vergleich zu seiner Stammform, dem Wolf oder Schakal. Die Feuerländer gehören zu den tiefststehenden Barbaren; aber ich war immer wieder überrascht, wie sehr drei Eingeborene an Bord des "Beagle", die einige Jahre in England gelebt hatten und etwas Englisch sprachen, uns in ihren Anlagen und den meisten geistigen Fähigkeiten ähnelten. Wenn außer Menschen kein organisches Wesen irgend eine geistige Kraft aufwiese, oder wenn unsere Kräfte grundverschieden von denen der Tiere wären, so würden wir uns nie davon überzeugen können, daß sich unsere hohen Fähigkeiten stufenweise entwickelt hätten. Aber es läßt sich zeigen, daß ein fundamentaler Unterschied dieser Art wirklich nicht besteht. Müssen wir doch zugeben, daß zwischen den Geisteskräften niederer Fische, einer Lamprete z. B. oder eines Lanzettfisches, und denen eines hochentwickelten Affen ein viel weiterer Abstand besteht als zwischen dem Affen und dem Menschen; und doch ist dieser Abstand durch zahllose Abstufungen ausgefüllt.
Nicht gering ist sicher auch der moralische Unterschied zwischen einem Wilden, wie dem von dem alten Seefahrer Byron beschriebenen Mann, der sein Kind an einem Felsen zerschmetterte, weil es einen Korb mit Seeigeln hatte fallen lassen, und einem Howard und Clarkson; ebenso der intellektuelle Abstand zwischen einem Wilden, der keine abstrakte Bezeichnung kennt, und einem Newton oder Shakespeare. Unterschiede dieser Art zwischen den größten Geistern der höchsten Menschenrassen und den Wilden sind jedoch durch die feinsten Abstufungen verbunden. Daher ist es möglich, daß sie ineinander übergehen und eine aus der anderen sich entwickeln können. Ich werde in diesem Kapitel zu zeigen haben, daß in den geistigen Fähigkeiten kein fundamentaler Unterschied zwischen den Menschen und den höheren Säugetieren besteht. Jeder Teil dieses Themas hätte zu einer selbständigen Abhandlung erweitert werden können, kann an dieser Stelle aber nur kurz behandelt werden. Da es keine allgemein anerkannte Einteilung der Geisteskräfte gibt, werde ich meine Bemerkungen so anordnen, wie es mir für meinen Zweck am passendsten erscheint; ich werde diejenigen Tatsachen auswählen, die den größten Eindruck auf mich gemacht haben, und ich hoffe, daß sie einige Wirkung auf den Leser ausüben. Über die sehr tief stehenden Tiere werde ich einige ergänzende Tatsachen in dem Buche über die geschlechtliche Zuchtwahl anführen und zeigen, daß ihre geistigen Kräfte viel mehr entwickelt sind, als man erwarten sollte. Die Variabilität der Fähigkeiten bei Individuen derselben Art ist ein wichtiger Punkt für uns, und es werden hierzu einige Beispiele zu geben sein. Doch ist es unnötig, zu viel Einzelheiten heranzuführen, denn ich habe durch vielfache Erkundigungen gefunden, daß nach der einmütigen Überzeugung aller, welche Tiere von allerlei Art lange beobachtet haben, die verschiedenen Individuen in allen geistigen Eigenschaften sehr voneinander abweichen. Zu untersuchen, wie die geistigen Fähigkeiten in den niedersten Organismen entstanden sind, ist ein ebenso aussichtsloses Beginnen wie die Forschung nach dem Ursprung alles Lebens. Das sind Probleme, die der fernsten Zukunft vorbehalten sind, wenn sie überhaupt je von Menschen gelöst werden können. Da der Mensch dieselben Sinne wie die Tiere besitzt, müssen auch seine fundamentalen Empfindungen dieselben sein. Auch hat der Mensch einige Instinkte mit ihnen gemein, wie den Selbsterhaltungstrieb, die Geschlechtsliebe, die Liebe der Mutter zum neugeborenen Kind, den Trieb des letzteren, zu saugen usw. Doch hat vielleicht der Mensch etwas weniger Instinkte als die ihm zunächst stehenden Tiere. Der OrangUtan auf den hinterindischen Inseln und der Schimpanse in Afrika bauen Plattformen, auf denen sie schlafen; da beide Arten also dieselbe Gewohnheit haben, könnte man den Schluß ziehen, daß sie auf Instinkt beruhe; es wäre jedoch auch möglich, daß sie das Ergebnis von ähnlichen Bedürfnissen und
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Die Abstammung des Menschen – Drittes Kapitel
ähnlichen Überlegungen ist. Diese Affen vermeiden, wie wir annehmen können, die zahlreichen giftigen Früchte der Tropen, während dem Menschen dies Vermögen fehlt. Doch da unsere Haustiere, die in fremde Länder gebracht und zum ersten Male im Frühjahr zur Weide getrieben werden, häufig giftige Pflanzen fressen, die sie später vermeiden, sind wir wiederum nicht sicher, ob die Affen die Kenntnis der Früchte ihrer eigenen oder der Erfahrung ihrer Vorfahren verdanken. Die geringe Anzahl und verhältnismäßige Einfachheit der Instinkte bei den höheren Tieren stehen in auffallendem Gegensatz zu denen der niederen Tiere. Cuvier hat behauptet, daß Instinkt und Intelligenz in umgekehrtem Verhältnis zueinander ständen; andere dagegen haben angenommen, daß die intellektuellen Fähigkeiten der höheren Tiere sich stufenweise aus ihren Instinkten entwickelt hätten. Aber Pouchet hat in einer interessanten Abhandlung gezeigt2, daß ein solch umgekehrtes Verhältnis in Wirklichkeit nicht besteht. Diejenigen Insekten, welche die wunderbarsten Instinkte besitzen, sind bestimmt auch die intelligentesten. Unter den Wirbeltieren entspricht die geringe Intelligenz der Fische und Amphibien ihren wenig entwickelten Instinkten, und unter den Säugetieren ist das wegen seiner Instinkte merkwürdigste Tier, der Biber, eines der intelligentesten, wie jedermann zugestehen muß, der Morgans ausgezeichnete Arbeit gelesen hat3. Obgleich sich nach Herbert Spencer4 die ersten Spuren der Intelligenz durch die Vervielfältigung und das Zusammenwirken von Reflextätigkeiten entwickelt haben, und obgleich viele der einfacheren Instinkte stufenweise in Reflextätigkeiten übergehen und kaum von ihnen unterschieden werden können – z. B. Saugen junger Tiere –, so scheinen doch die zusammengesetzteren Instinkte unabhängig von Intelligenz entstanden zu sein. Ich will jedoch nicht in Abrede stellen, daß instinktmäßige Handlungen ihren fixierten, nicht angelernten Charakter verlieren und durch andere, dem freien Willen entspringende ersetzt werden können. Andererseits werden intelligente Handlungen, die mehrere Generationen hindurch ausgeübt worden sind, in Instinkte verwandelt, vererbt, so z. B. wenn Vögel ozeanischer Inseln den Menschen fliehen lernen. Diese Handlungen verlieren sozusagen ihren Charakter, denn sie werden nicht mehr von der Überlegung oder der Erfahrung geleitet. Aber die weitaus größte Anzahl der komplizierten Instinkte scheint auf eine ganz andere Art erworben worden zu sein, nämlich durch die natürliche Zuchtwahl von Abweichungen der einfacheren Instinkthandlungen. Diese Abweichungen scheinen aus denselben unbekannten auf das Gehirn wirkenden Ursachen hervorzugehen, die auch die leichten Variationen oder individuellen Differenzierungen in anderen Körperteilen hervorrufen; sie werden häufig, unserer Unkenntnis entsprechend, als spontan bezeichnet. Ich denke, daß wir auch in bezug auf den Ursprung der komplizierteren Instinkte zu keiner anderen Folgerung kommen können, wenn wir an die wunderbaren Instinkte der sterilen Arbeiterameisen und Arbeitsbienen denken, die keine Nachkommen hinterlassen, denen sie die Wirkungen von Erfahrungen und modifizierten Gewohnheiten vererben könnten. Obgleich ein hoher Grad von Intelligenz mit komplizierten Instinkten sicherlich vereinbar ist – wie die eben erwähnten Insekten und der Biber beweisen –, und obgleich Handlungen, die zuerst willkürlich ausgeführt wurden, durch die Gewohnheit bald mit der Schnelligkeit und Sicherheit einer Reflexhandlung vor sich gehen können, so ist es doch nicht unwahrscheinlich, daß freie Intelligenz und Instinkt, welcher als eine ererbte Modifikation des Gehirns zu betrachten ist, sich in ihrer Entwickelung gegenseitig stören. Wir wissen wenig über die Funktionen des Gehirns, aber wir sehen, daß entsprechend der zunehmenden Intelligenz auch die verschiedenen Teile des Gehirns durch vielfach verschlungene Kanäle in eine Verbindung treten müssen; und infolge davon würde jeder einzelne Teil vielleicht weniger geeignet sein, auf besondere Empfindungen und Assoziationen in bestimmter, ererbter, d. h. instinktiver Weise zu reagieren. Es scheint sogar eine Wechselbeziehung zwischen einem geringen Grad von Intelligenz und der starken Neigung zu der Bildung fester, wenn auch nicht erblicher Gewohnheiten zu bestehen; denn, wie ein scharfsinniger Arzt bemerkte, in geringem Grade schwachsinnige Menschen neigen dazu, ihre Handlungen zu gewohnheitsmäßigen und mechanischen zu machen, und sie fühlen sich viel glücklicher, wenn man sie dabei ermutigt. Ich glaubte diese Abschweifung hier einschalten zu müssen, weil wir leicht geneigt sind, die Geisteskräfte der höheren Tiere und besonders des Menschen zu unterschätzen, wenn wir ihre Handlungen, die der Erinnerung an vergangene Ereignisse, der Vorsicht, der Vernunft und der Phantasie entspringen, mit ganz ähnlichen instinkthaften Handlungen der niederen Tiere vergleichen; diese haben ihre Fähigkeiten zu solchen Handlungen Schritt für Schritt durch die Veränderlichkeit der Denkorgane und durch natürliche Zuchtwahl erworben, ohne bewußte Intelligenz auf seilen des Tieres während der aufeinanderfolgenden Generationen. Sicher sind viele intelligente Handlungen des Menschen auf Nachahmung und nicht auf Überlegung zurückzuführen, wie Wallace5 dargelegt hat; jedoch weichen in diesem Punkte auch die Handlungen des Menschen von denen der Tiere ab. Es glückt ihm nicht auf den ersten Versuch, z. B. ein Steinbeil oder ein Boot allein durch seine Nachahmungsfähigkeit herzustellen. Er muß seine Arbeit durch
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Übung lernen. Ein Biber jedoch, der zum erstenmal seine Dämme oder Kanäle errichtet, ein Vogel, der sein erstes Nest baut, eine Spinne, die zum erstenmal ihr kunstvolles Netz spinnt, sie alle arbeiten ebenso vollkommen und gut, als wenn sie alt und erfahren wären6. Um jedoch zu unserem Thema zurückzukommen: Die Tiere empfinden offenbar gerade so gut wie der Mensch Freude und Schmerz, Glück und Elend. Wohl kaum kann Glück deutlicher ausgedrückt werden als durch junge Tiere, wie junge Hunde, Kätzchen oder Lämmer, die wie Kinder miteinander spielen. Daß selbst Insekten miteinander spielen, hat der ausgezeichnete Beobachter P. Huber7 ausführlich beschrieben; er sah Ameisen einander verfolgen und zum Schein einander beißen wie junge Hunde. Die Tatsache, daß die Tiere durch dieselben Gemütsbewegungen erregt werden wie wir, ist so sicher, daß es überflüssig ist, den Leser durch zu viele Einzelheiten zu ermüden. Schreck hat bei ihnen dieselben Wirkungen wie bei uns; ihre Muskeln zittern, ihr Herzschlag wird beschleunigt, die Schließmuskeln erschlaffen, und das Haar sträubt sich. Argwohn, die Folge der Furcht, ist ganz charakteristisch bei vielen wilden Tieren. Ich glaube, daß man nach den Berichten E. Tennents über das Benehmen der als Locktiere benutzten weiblichen Elefanten zugeben muß, daß sie die Täuschung mit Bewußtsein ausführen und genau über ihre Rolle Bescheid wissen. Mut und Furchtsamkeit sind bei den Individuen derselben Art sehr variable Eigenschaften, wie bei den Hunden deutlich zu sehen ist. Es gibt unter den Pferden und Hunden bösartige und launische, während andere sehr gutmütig sind; und diese Eigenschaften werden ohne Zweifel vererbt. Jedermann weiß, daß manche Tiere förmlichen Wutanfällen unterworfen sind und sie durch ihr Betragen verraten. Viele und wahrscheinlich wahre Anekdoten werden erzählt von lang verschobener und überlegter Rache verschiedener Tiere. Sorgfältige Beobachter wie Rengger und Brehm8 stellten fest, daß ihre zahmen amerikanischen und afrikanischen Affen sich sicher rächten. Sir Andrew Smith, ein Zoologe, dessen peinliche Genauigkeit vielen bekannt ist, erzählte mir folgenden Vorfall, dessen Augenzeuge er war. Am Kap der Guten Hoffnung hatte ein Offizier einen Pavian häufig geneckt. Als das Tier ihn nun eines Sonntags zur Parade ankommen sah, goß es Wasser in eine Vertiefung im Boden, bereitete schnell einen schmutzigen Schlamm und warf ihn zum Ergötzen vieler Zuschauer geschickt auf den vorübergehenden Offizier. Noch lange Zeit danach freute sich der Affe mit höhnischem Grinsen, wenn ihm sein Opfer wieder zu Gesicht kam. Die Liebe eines Hundes zu seinem Herrn ist bekannt, so sagt auch ein alter Schriftsteller mit Recht9: "Ein Hund ist das einzige Geschöpf auf Erden, das dich mehr als sich selbst liebt." Ein Hund vergißt selbst im Todeskampf nicht, seinen Herrn zu liebkosen, und jedermann kennt die Geschichte des Hundes, der die Hand des Vivisektors leckte; wenn die Qual des Tieres nicht vollständig durch die Vermehrung an Wissen gerechtfertigt war, und wenn dieser Mann nicht ein Herz von Stein hatte, so muß er bis an sein Lebensende Gewissensbisse gefühlt haben. Wohl durfte Whewell10 fragen, ob noch jemand daran zweifeln könne, daß der Beweggrund der Handlung bei Tieren und Menschen derselbe sei, wenn er neben die vielen Beispiele aufopfernder Mutterliebe bei den verschiedensten Völkern die Erzählungen rührendster Muttersorge bei den Tieren halte. Wir sehen die Mutterliebe noch in den geringfügigsten Kleinigkeiten sich äußern; so sah Rengger eine amerikanische Äffin (einen Cebus) die Fliegen verjagen, die ihr Junges belästigten, und Duvaucel sah das Weibchen eines Gibbon, welches die Gesichter ihrer Jungen in einem Bache wusch. Die weiblichen Affen empfinden den Verlust ihrer Jungen so schmerzlich, daß mehrere, die von Brehm in Nordafrika gefangen gehalten waren, unzweifelhaft daran starben. Verwaiste Junge wurden stets von anderen Affen, und zwar von Männchen wie von Weibchen, an Kindesstatt angenommen und sorgfältig behütet. Ein Pavianweibchen hatte ein so weites Herz, daß es nicht nur junge Affen anderer Arten adoptierte, sondern sogar junge Hunde und Katzen stahl, die es dann immer mit sich herumschleppte. Doch ging seine mütterliche Aufopferung – zu Brehms Erstaunen – nicht so weit, daß es sein Futter mit den adoptierten Jungen geteilt hätte, während Brehm doch beobachtet hatte, daß seine Affen stets alles ganz gewissenhaft mit ihren eigenen Sprößlingen geteilt hatten. Als ein so adoptiertes Kätzchen den mütterlichen Pavian kratzte, zeigte dieser großes Erstaunen darüber und bewies sofort seinen scharfen Verstand, indem er die Füße des jungen Tieres untersuchte und ohne weiteres die Krallen abbiß11. Im Zoologischen Garten hörte ich von einem Wärter, daß ein altes Pavianweibchen (Cebus chacma) einen Rhesusaffen an Kindesstatt angenommen hatte; als aber ein junger Drillpavian und ein Mandrill in demselben Käfig untergebracht wurden, schien jenes doch zu bemerken, daß diese von ihm zwar verschiedenen Arten ihm doch näher verwandt waren, denn es vernachlässigte den Rhesus ganz und adoptierte jene beiden. Ich sah selbst, daß der junge Rhesus über diese Vernachlässigung sehr unzufrieden war und wie ein ungezogenes Kind versuchte, den jungen Drillpavian und den Mandrill zu ärgern und zu reizen, wenn er selbst dabei in Sicherheit blieb, und daß dies Benehmen die große Indignation des alten Pavianweibchens herausforderte. Nach Brehm verteidigen die Affen auch ihren Herrn gegen Angriffe aller
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Art, ebenso wie Hunde Angriffe anderer Hunde gegen ihren Herrn abwehren. Doch greifen wir hier schon in die Gebiete von Sympathie und Treue über, auf die ich noch zurückkommen werde. Einige von Brehms Affen vergnügten sich sehr damit, einen alten Hund, den sie nicht leiden konnten, und andere Tiere in der erfindungsreichsten Weise zu necken. Die meisten der komplizierteren Gemütserregungen sind den höheren Tieren und uns gemein. Jeder hat schon gesehen, wie eifersüchtig ein Hund auf die Zuneigung seines Herrn ist, die dieser einem anderen Geschöpf zuwendet, und dieselbe Tatsache habe ich bei Affen beobachtet. Es beweist, daß Tiere nicht nur lieben, sondern auch den Wunsch haben, geliebt zu werden. Tiere haben offenbar Ehrgeiz. Sie lieben Anerkennung und Lob; ein Hund, der einen Korb für seinen Herrn trägt, zeigt in seinem Äußeren Selbstgefälligkeit und Stolz. Es kann wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß ein Hund das von Furcht verschiedene Gefühl der Scham empfindet und auch etwas ähnliches wie Bescheidenheit zeigt, wenn er allzuoft um Futter bittet. Ein großer Hund verachtet das Kläffen eines kleinen Hundes, vielleicht aus Großmut. Verschiedene Beobachter haben festgestellt, daß Affen sich nicht gern auslachen lassen und sich manchmal einbilden, beleidigt worden zu sein. Im Zoologischen Garten sah ich einen Pavian, der in grenzenlose Wut geriet, wenn ihm sein Wärter einen Brief oder ein Buch mit lauter Stimme vorlas; einmal war seine Wut so groß, daß er in sein eigenes Bein biß, so daß Blut floß. Hunde zeigen auch einen gewissen Sinn für Humor, der nicht mit dem gewöhnlichen Spieltrieb zusammenfällt; wenn man einem von ihnen ein Stück Holz zuwirft, so trägt er es häufig eine kurze Strecke davon, kauert sich damit auf den Boden und wartet, bis sein Herr ganz nahe herankommt, um es wegzunehmen. Dann ergreift es der Hund von neuem und läuft triumphierend damit fort, und dasselbe Spiel wiederholt sich, zur augenscheinlichen Freude des Hundes an dem gelungenen Scherz. Wir wollen uns nun zu den mehr intellektuellen Gemütsbewegungen und Fähigkeiten wenden, die als Grundlage für die Entwickelung der höheren Geisteskräfte von großer Bedeutung sind. Die Tiere freuen sich sichtbar über unterhaltende Anregung und leiden unter der Langeweile, z. B. Hunde, nach Rengger auch Affen. Alle Tiere zeigen Verwunderung, und viele äußern auch Neugierde. Sie leiden manchmal geradezu unter dieser Eigenschaft, z. B. wenn der Jäger Grimassen schneidet und Kapriolen schlägt und sie dadurch anzieht; ich habe das selbst beim Reh beobachtet, und ebenso ist es bei der vorsichtigen Gemse, ja selbst bei Wildenten. Brehm gibt einen merkwürdigen Bericht von der instinktiven Furcht seiner Affen vor Schlangen; doch war ihre Neugierde so groß, daß sie nicht widerstehen konnten, ihr Entsetzen ab und zu in ganz menschlicher Weise herauszufordern, indem sie den Deckel des Kastens lüfteten, in welchem die Schlangen gefangen gehalten wurden. Ich war von diesem Bericht so erstaunt, daß ich eine ausgestopfte, zusammengerollte Schlange in das Affenhaus im Zoologischen Garten mitnahm, und die dadurch hervorgerufene Aufregung war eines der seltsamsten Schauspiele, das ich jemals sah. Drei Arten von Cercopithecus wurden am meisten in Schrecken versetzt; sie flogen im Käfig umher und stießen gellende Warnungssignale aus, die von den anderen Affen verstanden wurden. Nur einige junge Affen und ein alter Anubispavian nahmen keinerlei Notiz von der Schlange. Dann legte ich das ausgestopfte Reptil auf den Boden eines der größeren Wohnkäfige. Nach einiger Zeit umstanden es alle Affen in einem großen Kreis und starrten gespannt darauf, ein Bild, das für den Zuschauer äußerst spaßhaft war. Sie wurden äußerst nervös, so daß sie alle erschrocken auseinanderstoben, als sich nur eine hölzerne Kugel, die sie als harmloses Spielzeug kannten, unter dem Stroh bewegte. Diese Affen betrugen sich ganz anders, wenn man einen toten Fisch, eine Maus12, eine lebende Schildkröte und andere neue Gegenstände in ihren Käfig brachte; obgleich sie zuerst erschraken, näherten sie sich doch bald, betasteten und untersuchten die unbekannten Tiere. Ich verbarg dann eine lebende Schlange in einem Papiersack, dessen Öffnung lose verschlossen war, und brachte sie in einen der größeren Käfige. Einer der Affen näherte sich sofort, öffnete vorsichtig den Sack ein wenig, blinzle hinein und fuhr augenblicklich zurück. Dann beobachtete ich dasselbe, was Brehm beschrieben hat; alle nacheinander, den Kopf hoch erhoben und nach der Seite gewandt, konnten der Versuchung nicht widerstehen, einen raschen Blick in den aufrecht stehenden Sack und auf das gefürchtete Objekt zu werfen, das ruhig auf dem Boden lag. Es könnte fast scheinen, als ob Affen eine Ahnung von zoologischer Verwandtschaft hätten, denn die von Brehm gehaltenen zeigten ein auffallendes, instinktives Grauen vor harmlosen Eidechsen und Fröschen. Von einem Orang weiß man, daß er beim ersten Anblick einer Schildkröte sehr unruhig wurde13. Der Nachahmungstrieb des Menschen ist sehr stark, besonders des Wilden, wie ich selbst beobachtet habe. Bei gewissen Erkrankungen des Gehirns wird diese Neigung zu außerordentlicher Höhe gesteigert. Manche vom Schlage getroffene und andere, an Gehirnerweichung eben erkrankende Personen sprechen unbewußt jedes vorgesprochene Wort aus ihrer eigenen oder einer anderen Sprache nach, und ahmen jede Geste, jede Bewegung nach, die vor ihnen ausgeführt wird14. Desor15 hat bemerkt, daß kein Tier freiwillig eine Handlung des Menschen nachahmt, bis wir zu den Affen emporsteigen, die als lächerliche "Nachäffer"
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bekannt sind. Zuweilen jedoch vermögen Tiere ihre Handlungen untereinander nachzuahmen; so lernten zwei Wolfsarten, die von Hunden aufgezogen waren, bellen, ähnlich wie Schakale16; aber ob man dies freiwillige Nachahmung nennen kann, ist eine andere Frage. Vögel ahmen den Gesang ihrer Eltern und manchmal auch anderer Vögel nach; Papageien sind als Nachäffer jedes oft vernommenen Lautes bekannt. Dureau de la Malle erzählt17 von einem Hund, den eine Katze aufgesäugt hatte, der die wohlbekannte Manier der Katze, ihre Pfoten zu belecken, um damit ihre Ohren und ihr Gesicht zu waschen, nachahmte; dasselbe beobachtete der berühmte Naturforscher Audouin. Ich habe noch mehrere bestätigende Berichte dieser Tatsache erhalten; nach einem von ihnen war ein Hund zwar nicht von einer Katze aufgesäugt, aber doch mit jungen Kätzchen zusammen aufgezogen worden, und dabei hatte er die eben beschriebene Gewohnheit angenommen, die er während seines ganzen Lebens – er starb mit 13 Jahren – nicht wieder aufgab. Dureau de la Malles Hund lernte auch von den Katzen mit einem Ball spielen, ihn mit den Vorderpfoten in Bewegung setzen und danach springen. Ein Berichterstatter teilte mir mit, daß eine Katze in seinem Haus beim Trinken die Pfoten in den Milchtopf steckte und dann ableckte, da die Öffnung für den Kopf zu eng war. Ein Junges dieser Katze erlernte denselben Trick und wandte ihn später an, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot. Es läßt sich von den Eltern vieler Tiere behaupten, daß sie ihre Kinder erziehen, indem sie dem Prinzip der Nachahmung und noch genauer den instinktiven oder ererbten Neigungen ihrer Jungen vertrauen. Wir sehen das, wenn eine Katze ihren Jungen eine lebende Maus bringt, und Dureau de la Malle hat in der oben erwähnten Schrift einen merkwürdigen Bericht von Habichten gegeben, die ihre Jungen zur Gewandtheit und sicheren Schätzung von Entfernungen erzogen, indem sie zuerst tote Mäuse und Sperlinge durch die Luft fallen ließen, welche die Jungen gewöhnlich verfehlten, und ihnen dann lebende Vögel brachten und sie wieder losließen. Kaum eine Fähigkeit kommt an Bedeutung für den Fortschritt des menschlichen Verstandes der Aufmerksamkeit gleich. Die Tiere verraten deutlich, daß sie diese Fähigkeit besitzen, so z. B. wenn eine Katze vor dem Loch sprungbereit auf ihre Beute lauert. Manchmal werden wilde Tiere auf diese Weise so in Anspruch genommen, daß sie leicht beschlichen werden können. Bartlett hat mir ein merkwürdiges Beispiel mitgeteilt, wie verschieden diese Fähigkeit bei Affen entwickelt ist. Ein Mann, der Affen zu allerhand Kunststückchen abrichtete, pflegte gewöhnliche Arten von der Zoologischen Gesellschaft für fünf Pfund pro Stück zu erwerben; doch erbot er sich, den doppelten Preis zu zahlen, wenn man ihm drei oder vier für einige Tage überlassen würde, aus denen er sich dann einen auswählen könne. Als man ihn fragte, wieso es ihm schon so bald möglich wäre zu beurteilen, ob ein bestimmter Affe ein guter Schauspieler werden würde, antwortete er, daß alles von ihrer Fähigkeit, aufzumerken, abhinge. Wenn beim Sprechen und Erklären die Aufmerksamkeit des Affen leicht abgelenkt würde, vielleicht durch eine Fliege an der Wand oder einen anderen geringfügigen Gegenstand, so gäbe er die Sache als hoffnungslos auf. Versuche er, einen Affen durch Strafen zur Aufmerksamkeit zu zwingen, so würde dieser verdrossen. Andererseits könne ein Affe, der sich ihm aufmerksam zeige, leicht abgerichtet werden. Eine Bemerkung über das vorzügliche Gedächtnis der Tiere für Personen und Orte ist fast überflüssig. Mir hat Sir Andrew Smith erzählt, daß ihn ein Pavian am Kap der Guten Hoffnung, der ihn neun Monate lang nicht gesehen hatte, nach dieser Zeit freudig wiedererkannt hätte. Ich besaß einen Hund, der gegen alle Fremden wild und unnahbar war; dessen Gedächtnis prüfte ich absichtlich nach einer Abwesenheit von fünf Jahren und zwei Tagen. Ich ging an den Stall, in dem er sich aufhielt, und rief ihn in meiner gewohnten Weise; er zeigte keine Freude, gehorchte mir aber augenblicklich, kam heraus und folgte mir genau so, als ob ich mich erst vor einer halben Stunde von ihm getrennt hätte. Eine Kette alter Gedankenverbindungen, die seit fünf Jahren geschlummert hatten, wachten augenblicklich in seiner Seele wieder auf. Wie P. Huber18 klar gezeigt hat, erkennen selbst Ameisen ihre zur selben Gemeinschaft gehörigen Artgenossen nach einer Trennung von vier Monaten wieder. Die Tiere können jedenfalls durch irgendwelches Mittel die Zeiträume zwischen wiederkehrenden Ereignissen beurteilen. Die Phantasie ist einer der höchsten Vorzüge des Menschen. Durch diese Fähigkeit verbindet er unabhängig vom Willen frühere Eindrücke und Ideen und schafft so glänzende neue Resultate. Jean Paul Friedrich Richter bemerkt19: "Ein Dichter, der erst überlegen muß, ob er einen seiner Charaktere 'ja' oder 'nein' sagen lassen soll, – zum Teufel mit ihm; er ist ein seelenloser Körper." Der Traum gibt uns den deutlichsten Begriff von dieser Fähigkeit; wie ebenfalls Jean Paul sagt: "Der Traum ist eine Art unwillkürlicher Dichtung." Der Wert der Erzeugnisse unserer Phantasie hängt natürlich von der Menge, Genauigkeit und Klarheit unserer Eindrücke ab, von unserem Urteil, unserem Geschmack in der Auswahl und Verwerfung der unwillkürlich sich darbietenden Kombinationen, und in einem gewissen Grad von unserer Fähigkeit, sie willkürlich zu kombinieren. Da Hunde, Katzen, Pferde und wahrscheinlich alle höheren Tiere, einschließlich der Vögel20, lebhafte Träume haben, was sich aus ihren Bewegungen und
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Lauten erkennen läßt, müssen wir annehmen, daß sie eine gewisse Phantasie besitzen. Es muß etwas ganz Besonderes sein, was Hunde veranlaßt, in der Nacht und besonders bei Mondschein in einer so merkwürdigen und melancholischen Weise zu heulen. Es tun dies nicht alle Hunde. Nach Houzeau21 ist ihr Blick dabei nicht auf den Mond, sondern auf einen ganz bestimmten Punkt in der Nähe des Horizontes gerichtet. Houzeau glaubt, daß ihre Vorstellungen durch die verschwommenen Umrisse der sie umgebenden Gegenstände gestört werden und sich als phantastische Bilder vor ihnen darstellen. Wenn dies zutrifft, so könnte man ihre Vorstellungen beinahe abergläubisch nennen. Von allen Fähigkeiten des menschlichen Geistes steht wohl der Verstand am höchsten. Nur wenige Menschen bestreiten noch, daß auch die Tiere ein gewisses Maß von Verstand besitzen. Fortwährend kann man beobachten, daß Tiere zaudern, überlegen und sich dann entschließen. Es ist bezeichnend, daß Naturforscher bei längerer Vertiefung in die Gewohnheiten eines bestimmten Tieres immer mehr Verstand und immer weniger ungelernte Instinkte zu erkennen glauben22. In späteren Kapiteln werden wir sehen, daß auch einige Tiere allerniedrigster Stufe einen gewissen Grad von Verstand aufweisen. Ohne Zweifel ist es häufig sehr schwer, schart zwischen den Äußerungen des Verstandes und denen des Instinktes zu unterscheiden. So bemerkte Dr. Hayes in seinem Werke "The Open Polar Sea" wiederholt, daß sich seine Hunde beim Betreten dünnen Eises zerstreuten, anstatt die Schlitten, wie gewöhnlich, in einem geschlossenen Haufen zu ziehen, so daß sich ihr Gewicht auf eine größere Fläche verteilte. Oft erhielten die Reisenden dadurch das erste Warnungszeichen, daß die Eisdecke dünn und gefährlich wurde. Handelten hier nun die Hunde aus ihrer individuellen Erfahrung heraus, oder folgten sie darin dem Beispiel der älteren, gewitzteren Hunde, oder einer ererbten Gewohnheit, d. h. dem Instinkt? Dieser Instinkt mag vielleicht vor langer Zeit, als die Hunde zum erstenmal von den Eingeborenen vor die Schlitten gespannt wurden, entstanden sein; oder vielleicht haben schon die Polarwölfe, die Urform der Eskimohunde, den Instinkt erworben, der sie davor warnte, auf dünnem Eise ihre Beute im geschlossenen Rudel zu überfallen. Wir können nur aus den Begleiterscheinungen einer Handlung darauf schließen, ob sie aus dem Instinkt, aus dem Verstand oder aus einer bloßen Ideenassoziation hervorgeht; doch steht ja das letztere im engsten Zusammenhang mit dem Verstand. Prof. Möbius23 erzählt einen merkwürdigen Fall von einem Hecht, der durch eine Glaswand von einem benachbarten, mit Fischen besetzten Aquarium getrennt war. Der Hecht versuchte die anderen Fische zu fangen und stieß dabei oft mit solcher Heftigkeit an die Glaswand, daß er manchmal vollständig betäubt war. Nachdem er dies drei Monate lang getan hatte, lernte er größere Vorsicht üben und tat es nicht mehr. Man entfernte nun die Glasplatte, aber der Hecht griff diese besonderen Fische nicht, obgleich er andere, später eingesetzte, verschlang; so stark war die Idee eines heftigen Stoßes mit dem Angriff auf seine früheren Nachbarn in seinem schwachen Verstand verknüpft. Wenn ein Wilder, der noch nie ein großes Glasfenster gesehen hat, sich nur ein einziges Mal daran gestoßen hat, so wird er für lange Zeit nachher einen Stoß mit einem Fensterrahmen assoziieren; doch würde er zum Unterschied von dem Hecht wahrscheinlich über die Natur des Hindernisses nachdenken und unter ähnlichen Umständen vorsichtig sein. Wir werden jetzt gleich sehen, daß bei Affen ein schmerzlicher oder auch nur ein unangenehmer Eindruck, den eine Handlung ausgelöst hat, manchmal schon genügt, um die Wiederholung derselben zu verhüten. Wenn wir nun diesen Unterschied zwischen dem Affen und dem Hecht einzig darauf zurückführen, daß bei jenem die Ideenassoziationen stärker und nachdrücklicher waren, obgleich der Hecht vor jenem die häufige Wiederholung der schmerzhaften Empfindung voraus hatte, wie wollen wir noch die Behauptung aufrecht erhalten, daß im Falle des Menschen ein ähnlicher Unterschied den Besitz eines fundamental verschiedenen Geistes bedingt? Houzeau24 erzählt, daß seine beiden Hunde beim Überschreiten einer ausgedehnten dürren Ebene in Texas viel unter dem Durst zu leiden hatten und 40 bis 50mal in Vertiefungen hinabjagten, um Wasser zu finden. Diese Vertiefungen waren keine Täler, hatten keinen Baumwuchs und unterschieden sich in ihrer Vegetation nicht von ihrer Umgebung; da sie absolut trocken waren, mußte auch die Witterung feuchter Erde fehlen. Die Hunde benahmen sich so, als ob sie wüßten, daß eine Vertiefung im Boden ihnen die besten Aussichten für eine Quelle böte; Houzeau hat dasselbe Verhalten auch bei anderen Tieren festgestellt. Ich selbst habe gesehen – und gleich mir sicher auch andere –, daß, wenn irgend ein kleiner Gegenstand so weit entfernt von einem Elefanten zu Boden geworfen wird, daß er ihn nicht erlangen kann, er durch seinen Rüssel jenseits des Gegenstandes auf den Boden bläst, um durch den von allen Seiten reflektierten Luftstrom den gewünschten Gegenstand in seine Nähe treiben zu lassen. Ferner teilte mir ein wohlbekannter Ethnologe, Mr. Westropp, mit, daß er in Wien einen Bären beobachtet habe, der mit seiner Pfote in einem seinen Käfig begrenzenden Wasser eine Strömung erzeugt habe, um ein im Wasser schwimmendes Stück Brot in den Bereich seiner Tatzen zu bringen. Diese Handlungen des Elefanten und des Bären können schwerlich dem Instinkt oder der ererbten Gewohnheit zugeschrieben werden, da sie von
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dem frei lebenden Tier wohl nur selten angewandt werden können. Worin besteht nun der Unterschied in diesen Handlungen, wenn sie einmal von einem unkultivierten Wilden, dann von einem der höheren Tiere ausgeführt werden? Der Wilde und der Hund haben oft an niedrigen Stellen Wasser gefunden, und das Zusammentreffen solcher Umstände wurde in ihrem Geist assoziiert. Ein zivilisierter Mensch würde vielleicht einen allgemeinen Satz über den Gegen stand aufstellen; doch ist es nach allem, was wir von einem Wilden wissen, sehr zweifelhaft, ob er das tut, und bei einem Hund ist es ganz ausgeschlossen. Doch würde ein Wilder ebenso wie ein Hund suchen, aber auch ebenso häufig enttäuscht werden; bei beiden scheint es ein ähnlicher Akt der Überlegung zu sein, ob nun ein allgemeiner Satz über den Gegenstand bewußt im Geiste vorgestellt wird oder nicht25. Dasselbe wird auch für den Elefanten und den Bären gelten, die in der Luft oder im Wasser eine Strömung erzeugen. Der Wilde wird sicherlich weder wissen noch überhaupt darüber nachdenken, welches Gesetz bei der Auslösung der gewünschten Bewegung in Anwendung kommt, und doch wird seine Handlung durch einen rohen Prozeß des Nachdenkens geleitet, der ihn ebenso sicher zum Ziele führt wie den Philosophen die längste Kette von Deduktionsschlüssen. Zwischen ihm und den höheren Tieren besteht ohne Zweifel der Unterschied, daß er auch die ganz geringen Umstände und Bedingungen bemerken und auch nach weniger Erfahrung schon ihren Zusammenhang finden lernt; dies ist von allergrößter Bedeutung. Ich führte sorgfältig Buch über die täglichen Fortschritte eines meiner Kinder; und als der Knabe elf Monate alt war und noch kein Wort sprechen konnte, überraschte er mich doch immer wieder durch die große Schnelligkeit, mit der er alle Arten von Gegenständen mit Lauten assoziierte, und die die Auffassungsgabe auch der klügsten mir bekannten Hunde bei weitem übertraf. Aber die höheren Tiere unterscheiden sich in derselben Weise in betreff ihrer Assoziationsfähigkeit von den tiefer stehenden, wie dem Hecht, ebenso in ihrer Fähigkeit, Schlüsse zu ziehen, und in ihrer Beobachtungsgabe. Die schon nach kurzer Erfahrung sich einstellenden Schlußfolgerungen des Verstandes werden durch die im folgenden Abschnitt erzählten Handlungen tiefstehender amerikanischer Affen gezeigt. Rengger, ein sehr sorgfältiger Beobachter, konstatierte, daß seine Affen, denen er zum erstenmal Eier gab, diese auf dem Boden zerschmetterten und so einen großen Teil ihres Inhalts verloren; später jedoch öffneten sie durch vorsichtiges Anschlagen an einem harten Gegenstand die eine Seite und entfernten die Schale mit den Fingern. Als sie sich nur ein einziges Mal an einem scharfen Instrument verletzt hatten, hüteten sie sich wohl, es wieder zu berühren, oder nahmen es doch nur mit der größten Vorsicht zur Hand. Man reichte ihnen oft Zuckerstückchen, die in Papier eingewickelt waren; Rengger verbarg manchmal eine lebende Wespe in dem Papier, die sie beim Öffnen stach. Nachdem das einmal geschehen war, hielten sie das verschlossene Paket stets zuerst ans Ohr, um jede verdächtige Bewegung darin zu entdecken26. Folgende Fälle betreffen Hunde. Mr. Colquhoun27 schoß zwei wilde Enten flügellahm, die auf die ihm entgegengesetzte Seite eines Flusses niederfielen; sein Jagdhund versuchte vergeblich, sie auf einmal herüberzutragen. Obgleich er vorher noch nie einem Vogel nur eine Feder gekrümmt hatte, tötete er jetzt den einen durch einen Biß, brachte die andere Ente herüber und holte hierauf die tote. Col. Hutchinson erzählt, daß zwei Rebhühner von einem Schuß getroffen worden waren; das eine war tot, das andere war verwundet. Das letztere entfloh und wurde vom Jagdhund eingefangen, der auf seinem Rückweg den toten Vogel fand. "Der Hund hielt, anscheinend ratlos, an, und als er nach ein oder zwei Versuchen einsah, daß er das tote Rebhuhn nicht aufnehmen konnte, ohne zugleich das andere entfliehen zu lassen, überlegte er einen Augenblick tötete das letztere dann bedächtig durch einen tüchtigen Biß und brachte sie dann beide. Dies war der einzige bekannte Fall, in dem dieser Hund sich mit Absicht an Wild vergriff." Auch hier finden wir Verstand, wenn auch nicht vollkommen ausgebildet; denn der Jagdhund hätte zuerst den verwundeten Vogel apportieren können und dann erst den toten, wie jener bei den Wildenten. Ich erwähne diese beiden Fälle als von zwei voneinander unabhängigen Zeugen beobachtete, und weil in beiden Fällen die Jagdhunde durch Überlegung dazu kamen, eine ererbte Gewohnheit (– nämlich die, kein Wild zu töten –) zu durchbrechen, und weil sie zeigen, wie stark ausgebildet die Kräfte ihres Geistes sein müssen, um eine fixierte Gewohnheit zu überwinden. Ich will mit der Anführung einer Bemerkung des berühmten Humboldt schließen28. "Die Maultiertreiber in Südamerika sagen: 'Ich gebe dir nicht das Tier dessen Schritt am leichtesten ist, sondern la mas racional, dasjenige, das am meisten Verstand besitzt'"; und er fügt hinzu: "Dieser populäre Ausdruck, der sich auf lange Erfahrung stützt, bekämpft vielleicht die Ansicht von den Tieren als belebten Maschinen besser als alle die Argumente einer spekulativen Philosophie. Trotzdem leugnen sogar heute noch gewisse Schriftsteller, daß die höheren Tiere Spuren von Verstand aufweisen, und sie bemühen sich – wie mir scheint, durch bloße Wortklauberei – alle oben angeführten Tatsachen wegzuerklären29. Ich glaube genügend bewiesen zu haben, daß der Mensch und die höheren Tiere, besonders die Primaten, tatsächlich einige wenige Instinkte gemeinsam besitzen. Allen sind dieselben Sinne,
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Anschauungen und Empfindungen eigen, – sie sind ähnlichen Leidenschaften, Neigungen und Gemütsbewegungen unterworfen; selbst die komplizierteren, wie Eifersucht, Argwohn, Ehrgeiz, Dankbarkeit, Großmut, treffen wir bei beiden; sie versuchen zu täuschen und kennen die Rache; sie sind manchmal für das Lächerliche empfänglich und zeigen sogar Sinn für Humor; sie fühlen Erstaunen und Neugierde; sie besitzen dieselben Fähigkeiten: die Nachahmung, die Aufmerksamkeit, die Überlegung, die Vergleichung und Wahl, das Gedächtnis, die Phantasie, die Ideenassoziation und den Verstand, wenn auch in den verschiedensten Abstufungen. Individuen derselben Gattung differieren in Hinsicht auf ihren Intellekt zwischen absolutem Stumpfsinn und höchster Schärfe. Sie sind auch dem Wahnsinn unterworfen, wenn auch in geringerem Maße als die Menschen30. Trotzdem haben viele Schriftsteller behauptet, daß seine geistigen Fähigkeiten zwischen dem Menschen und allen Tieren eine unübersteigbare Schranke auftürmen. Ich legte früher einmal eine Sammlung von mehr als 20 solcher Aphorismen an; doch sind sie fast wertlos, da ihre große Verschiedenheit und Zahl die Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit eines solchen Versuches zeigen. Man hat behauptet, daß der Mensch allein einer fortschreitenden Vervollkommnung fähig wäre; daß er allein sich des Feuers oder Werkzeuges bediene; daß kein Tier die Fähigkeit der Abstraktion besitze oder allgemeine Begriffe zu bilden vermöge, Selbstbewußtsein habe oder sich selbst verstehen könne; daß kein Tier eine artikulierte Sprache anwende; daß der Mensch allein eine Empfindung für das Schöne besitze, allein wechselnden Launen unterworfen sei, allein Gefühl für Dankbarkeit usw., daß er allein den Glauben an Gott und das Gewissen besitze. Ich werde über die wichtigeren und interessanteren dieser Punkte einige Bemerkungen zu geben wagen. Der Erzbischof Sumner behauptete früher31, daß der Mensch allein einer fortschreitenden Vervollkommnung fähig sei. Daß er einer sehr viel größeren und schnelleren Vervollkommnung fähig ist als alle anderen Tiere, unterliegt keinem Zweifel; er dankt es seiner Fähigkeit, zu sprechen, und erworbene Kenntnis zu überliefern. Wenn wir bei den Tieren vom Individuum ausgehen, so weiß jedermann, der einige Übung im Fallenstellen besitzt, daß junge Tiere sich viel leichter als alte darin fangen und auch von einem Feinde viel leichter beschlichen werden können als alte. Was alte Tiere anbetrifft, so ist es unmöglich, viele am selben Orte mit derselben Fallenart zu fangen oder sie durch dasselbe Gift zu töten; und doch ist es unwahrscheinlich, daß sie alle von demselben Gift verzehrt hätten, und ganz unmöglich, daß sie sich in derselben Falle gefangen haben sollten. Es ist keine andere Annahme möglich, als daß sie durch die Beobachtung ihrer gefangenen oder vergifteten Brüder Vorsicht lernten. In Nordamerika, wo die Pelztiere lange Zeit verfolgt worden sind, entwickeln diese nach dem einstimmigen Urteil aller Beobachter eine fast unglaubliche Vorsicht, List und Scharfsinn; da aber der Fang mittelst Fallen schon sehr lange betrieben wird, kommt hier möglicherweise schon Vererbung hinzu. Man hat mir von verschiedenen Seiten berichtet, daß in Gegenden, in welchen zum erstenmal Telegraphen errichtet werden, sich anfangs viele Vögel töten, indem sie sich an den Drähten verletzen, daß sie aber im Laufe weniger Jahre diese Gefahr vermeiden lernen, wie es scheint, nur durch den warnenden Anblick ihrer getöteten Kameraden32. Bei der Betrachtung ununterbrochener Reihen von Generationen oder der ganzen Rasse muß auffallen, daß Vögel und andere Tiere Vorsicht im Verkehr mit Menschen und anderen Feinden beobachten lernen und diese Eigenschaft wieder verlieren33; und diese Vorsicht ist sicher in der Hauptsache eine ererbte Gewohnheit, d. h. ein Instinkt, zum Teil jedoch auch das Ergebnis individueller Erfahrung. Ein guter Beobachter, Leroy34, fand, daß in Gegenden, wo häufig auf Füchse Jagd gemacht wurde, die Jungen schon beim ersten Verlassen des Baues unzweifelhaft vorsichtiger waren als die Alten solcher Gegenden, in denen sie vor Nachstellungen sicher waren. Unsere Haushunde stammen von Wölfen und Schakalen ab35, und obgleich sie an Verschlagenheit nichts gewonnen und an Vorsicht und mißtrauischem Argwohn verloren haben, haben sich doch einige ihrer moralischen Fähigkeiten höher entwickelt, z. B. ihre Zuverlässigkeit, Treue, ihr Temperament und wahrscheinlich auch ihre allgemeine Intelligenz. Die gemeine Ratte hat mehrere andere Arten in ganz Europa, in Teilen von Nordamerika, in Neuseeland, neuerdings auch auf Formosa und in China bekämpft und zurückgedrängt. Mr. Swinhoe36, der über die beiden letzten Fälle berichtet, schreibt diesen Sieg der gemeinen Ratte über die große Mus coninga ihrer überlegenen Schlauheit zu, und wahrscheinlich stammt diese Eigenschaft von dem unausgesetzten Kampf gegen den Menschen um ihre Existenz, auf den all ihre Fähigkeiten zugeschnitten sind, wie von dem Umstand, daß alle die weniger schlauen, schwachbefähigten Ratten in hartnäckiger Verfolgung durch ihn ausgerottet worden sind. Doch ist es auch möglich, daß der Erfolg der gemeinen Ratte darauf zurückzuführen ist, daß sie schon vor ihrer Berührung mit dem Menschen eine überlegene Schlauheit besaß. Die auf keinen direkten Beweis gestützte Behauptung, daß kein Tier im Lauf der Zeiten seine Intelligenz oder anderen geistigen Fähigkeiten weiter entwickelt hätte, heißt die Frage nach der Entwickelung der Arten überhaupt verneinen. Wir haben gesehen, daß nach Lartet jetzt lebende Säugetiere der verschiedensten Ordnungen größere Gehirne haben als ihre Vorfahren in der Tertiärzeit. Oft hat man behauptet, daß kein Tier ein Werkzeug benutze; aber der Schimpanse zerknackt im
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Naturzustand eine walnußähnliche Frucht mit Hilfe eines Steines37. Rengger38 lehrte einen amerikanischen Affen auf diese Weise ohne große Mühe harte Palmnüsse öffnen; später gebrauchte dieser auf eigenen Antrieb Steine, um auch andere Nüsse und selbst verschlossene Kästen zu öffnen. So entfernte er auch die weiche, unangenehm schmeckende Schale einer Frucht. Ein anderer Affe hatte gelernt, den Deckel eines großen Kastens mit Hilfe eines Stockes zu öffnen, und er benutzte diesen später als Hebel, um schwere Gegenstände zu bewegen. Ich selbst habe einmal einen jungen Orang beobachtet, der einen Stock in eine Spalte steckte, ihn am anderen Ende festhielt und ihn richtig als Hebel benutzte. Von den gezähmten Elefanten in Indien ist bekannt, daß sie Zweige von den Bäumen brechen und sie als Fliegenwedel benutzen, und dasselbe hat man auch bei einem wilden beobachtet39. Ich habe ein junges Orangweibchen gesehen, das sich mit Stroh oder einer Decke bedeckte und schützte, wenn es gepeitscht werden sollte. In den verschiedenen Fällen wurden Steine und Stöcke als Werkzeuge gebraucht; doch werden sie auch als Waffen verwandt. Brehm40 erzählt nach dem Bericht des wohlbekannten Reisenden Schimper, daß in Abessynien die Paviane einer bestimmten Art (Cynocephalus gelada), wenn sie truppweise von den Bergen herabsteigen, um die Felder zu plündern, manchmal mit den Trupps einer anderen Art (C. hamadrvas) zusammentreffen, und daß sich dann ein Kampf entspinnt. Die Geladas rollen große Steine herab, denen die Hamadryas auszuweichen suchen, und dann fahren die feindlichen Parteien mit großem Lärm wütend aufeinander los. Brehm beteiligte sich einmal als Begleiter des Herzogs von Koburg-Gotha an einem Gefecht mit Feuerwaffen gegen eine Schar von Pavianen im Paß von Mensa in Abessynien. Die Paviane ihrerseits rollten so viele Steine, manche von Kopfgröße, den Berg herab, daß die Angreifer sich schleunigst zurückziehen mußten, und der Paß war für die Karawane tatsächlich eine Zeitlang gesperrt. Es verdient erwähnt zu werden, daß die Paviane hier in völliger Übereinstimmung handelten. Mr. Wallace41 sah dreimal weibliche Orangs, die von ihren Jungen begleitet waren, "wie sie Zweige und die große, dornige Frucht des Durianbaums mit allen Zeichen der Wut abrissen und einen solchen Schauer von Geschossen auf uns herabregnen ließen, daß wir dadurch gehindert wurden, dem Baume nahe zu kommen". Wie ich wiederholt gesehen habe, wirft ein Schimpanse jedes Ding, was ihm gerade zur Hand ist, nach seinem Beleidiger; und der oben erwähnte Pavian vom Kap der Guten Hoffnung bereitete zu diesem Zwecke Schlamm. Im Zoologischen Garten gebrauchte ein Affe, welcher schwache Zähne hatte, einen Stein, um sich Nüsse zu öffnen; und mir versicherten die Wärter, daß das Tier, wenn es den Stein gebraucht habe, ihn im Stroh verberge und keinem anderen Affen erlaube, ihn zu berühren. Hier haben wir die Idee des Eigentums; aber diese Idee ist jedem Hunde, der einen Knochen hat, und den meisten oder allen Vögeln in bezug auf ihre Nester eigen. Der Herzog von Argyll42 behauptet, daß die Herstellung eines Werkzeuges zu einem speziellen Zwecke dem Menschen absolut eigentümlich sei, und dies begründete für ihn einen unermeßlichen Abstand zwischen dem Menschen und den Tieren. Es liegt ohne Zweifel ein sehr bedeutender Unterschied darin, aber mir scheint in Sir J. Lubbocks Vermutung43 viel Wahres zu liegen, daß, als die Urmenschen zuerst Feuersteine zu irgendwelchem Zwecke benutzten, sie dieselben wohl zufällig zerschlagen und dann die scharfen Bruchstücke benutzt haben. Von da aus bedurfte es dann nur eines kleinen Schrittes, um die Feuersteine absichtlich zu zerbrechen, und keines sehr großen, um sie roh zu formen. Dieser letztere Fortschritt wird indessen sehr langer Zeit bedurft haben, wenn wir nach dem ungeheuren Zeitraum urteilen, welcher verging, ehe der Mensch der neueren Steinzeit begann, seine Werkzeuge zu schleifen und zu polieren. Beim Zerbrechen der Feuersteine werden, wie Lubbock gleichfalls bemerkt, Funken hervorgesprungen sein, und beim Schleifen derselben wird sich Wärme entwickelt haben: "so mögen die beiden gewöhnlichen Methoden, Feuer zu machen, entstanden sein". Die Natur des Feuers wird in den vielen vulkanischen Gegenden, wo Lava gelegentlich durch Wälder fließt, bekannt geworden sein. Die anthropomorphen Affen bauen sich, wahrscheinlich durch Instinkt geleitet, temporäre Plattformen auf Bäume. Wie aber viele Instinkte vom Verstande kontrolliert werden, so können auch die einfacheren, wie der, sich flache Nester zu bauen, leicht in einen willkürlichen, bewußten Akt übergehen. Es ist bekannt, daß der Orang sich zur Nachtzeit mit den Blättern des Pandanus zudeckt, und Brehm berichtet, daß sich einer seiner Paviane gegen die Sonnenwärme dadurch schützte, daß er eine Strohmatte über den Kopf warf. In diesen Handlungen sehen wir wahrscheinlich die ersten Schritte zu einigen der einfacheren Künste, zu einer primitiven Architektur und Kleidung, wie sie unter den Vorfahren des Menschen entstanden.
Abstraktion, allgemeine Ideen, Selbstbewußtsein, geistige Individualität. Selbst für jemand, der viel mehr Kenntnisse besitzt als ich, würde es außerordentlich schwer sein, zu bestimmen, inwieweit Tiere Spuren dieser hohen geistigen Fähigkeiten aufweisen. Diese Schwierigkeit rührt von der Unmöglichkeit her, zu beurteilen, was in der Seele eines Tieres vorgeht; eine weitere Schwierigkeit
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verursacht die Tatsache, daß die Meinungen der Schriftsteller sehr auseinandergehen über die Bedeutung der oben gegebenen Ausdrücke. Wenn wir nach den verschiedenen, erst vor kurzem veröffentlichten Aufsätzen urteilen, so scheint der größte Nachdruck auf das vermeintlich vollständige Fehlen des Abstraktionsvermögens bei Tieren gelegt zu werden, oder des Vermögens, allgemeine Begriffe zu bilden. Wenn aber ein Hund in der Entfernung einen anderen Hund sieht, so ist es oft ganz klar, daß er nur in abstraktem Sinne wahrnimmt, daß es ein Hund ist; denn sein ganzes Wesen ändert sich plötzlich, wenn er in dem anderen Hund einen Freund entdeckt. Ein neuerer Schriftsteller bemerkt, daß es in allen derartigen Fällen reine Willkür sei, wenn man behauptet, daß die geistige Tätigkeit bei Tieren nicht wesentlich dieselbe sei wie beim Menschen. Wenn einer von beiden das, was er mit seinen Sinnen wahrnimmt, auf einen geistigen Begriff bezieht, so tun es auch beide44. Wenn ich zu meinem Terrier in einem eifrigen Tone sage (und ich habe den Versuch wiederholt gemacht): "Such, such, wo ist es?" so betrachtet er dies sofort als ein Zeichen, daß er etwas aufstöbern soll, sieht sich zuerst schnell rings um und stürzt sich dann in das nächste Dickicht, um irgend einem Wilde auf die Spur zu kommen; findet er nichts, so sieht er sich nach einem Eichhorn auf einem der nahestehenden Bäume um. Zeigen diese Handlungen nicht deutlich, daß der Hund in seiner Seele einen allgemeinen Begriff oder eine Idee davon hat, daß irgend ein Tier aufzuspüren und zu jagen sei? Man kann ohne Zögern zugeben, daß kein Tier Selbstbewußtsein habe, wenn unter diesem Ausdruck verstanden werden soll, daß es darüber nachdenke: woher es komme oder wohin es gehe, oder was das Leben und was der Tod sei usw. Wie können wir aber sicher sein, daß ein alter Hund mit einem ausgezeichneten Gedächtnisse und etwas Einbildungskraft, wie sie sich in seinen Träumen zu erkennen gibt, niemals über die vergangenen Freuden und Leiden auf der Jagd nachdenkt? Dies wäre aber eine Art Selbstbewußtsein. Andererseits erinnert Büchner daran45, wie wenig das abgearbeitete Weib eines verkommenen australischen Wilden, welches nur sehr wenige abstrakte Worte braucht und nicht über vier zählen kann, sein Selbstbewußtsein betätigen oder über die Art seines Daseins nachdenken kann. Es wird allgemein zugegeben, daß die höheren Tiere Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Ideenassoziation und selbst etwas Einbildungskraft und Verstand besitzen. Wenn diese Fähigkeiten, welche bei verschiedenen Tieren sehr verschieden sind, einer Ausbildung fähig sind, so scheint es nicht sehr unwahrscheinlich zu sein, daß die komplizierteren Fähigkeiten, wie die höheren Formen der Abstraktion und des Selbstbewußtseins usw. sich aus der Entwickelung und Kombination der einfacheren herausgebildet haben. Gegen die hier ausgesprochenen Ansichten ist eingewendet worden, daß es unmöglich sei, anzugeben, bei welchem Punkte in der aufsteigenden Stufenleiter die Tiere einer Abstraktion fähig würden usw.; wer aber kann sagen, in welchem Alter dies bei unseren Kindern eintritt? Wir sehen wenigstens, daß diese Fähigkeiten sich bei Kindern in unmerklichen Abstufungen entwickeln. Daß Tiere das Bewußtsein ihrer psychischen Individualität bewahren, ist durchaus nicht fraglich. Wenn meine Stimme eine Reihe alter Assoziationen in der Seele des oben erwähnten Hundes wachrief, so muß er seine geistige Individualität behalten haben, obschon jedes Atom seines Gehirns im Verlauf von fünf Jahren wahrscheinlich mehr als einmal gewechselt hatte. Dieser Hund hätte das vor kurzem gegen alle Evolutionisten vorgebrachte Argument beibringen und sagen können: "Ich verbleibe inmitten aller geistigen Stimmungen und aller materiellen Veränderungen derselbe . . . . Die Lehre, daß die Atome die empfangenen Eindrücke als Erbschaft den anderen an ihre Stelle rückenden Atomen überlassen, widerspricht der Äußerung des Bewußtseins und ist daher falsch; diese Lehre wird eben durch die Theorie der Entwickelung notwendig bedingt; folglich ist diese Hypothese falsch46."
Sprache. Diese Fähigkeit ist mit Recht als einer der Hauptunterschiede zwischen dem Menschen und den Tieren betrachtet worden. Aber der Mensch ist, wie ein äußerst kompetenter Beurteiler, Erzbischof Whately, bemerkt, "nicht das einzige Tier, das sich der Sprache bedient, um das auszudrücken, was in seinem Geiste vorgeht, und welches mehr oder weniger verstehen kann, was in dieser Weise von anderen ausgedrückt wird"47. Der Cebus Azarae in Paraguay gibt in der Aufregung wenigstens sechs verschiedene Laute von sich, welche bei anderen Affen ähnliche Erregungen veranlassen48. Das Mienenspiel und die Gesten von Affen können von uns verstanden werden, und sie verstehen zum Teil die unseren, wie Rengger und andere behaupten. Noch merkwürdiger ist die Tatsache, daß der Hund seit seiner Domestikation in wenigstens vier oder fünf verschiedenen Tönen bellen gelernt hat49. Obgleich das Bellen eine neue Kunst ist, so werden doch ohne Zweifel auch die wilden Stammarten des Hundes ihre Gefühle durch Schreie von verschiedener Art ausgedrückt haben. Bei dem domestizierten Hunde haben wir das Bellen des Eifers, wie auf der Jagd, das des Ärgers ebenso wie das Knurren, das Heulen der Verzweiflung, z. B. wenn sie eingeschlossen sind, das
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Heulen bei Nacht, das Bellen der Freude, wenn sie z. B. mit ihrem Herrn spazieren gehen dürfen, und das sehr bestimmte Bellen des Verlangens oder der Bitte, z. B. wenn sie wünschen, daß eine Tür oder ein Fenster geöffnet werde. Nach Houzeau, der dem Gegenstande besondere Aufmerksamkeit widmete, stößt das Haushuhn mindestens ein Dutzend bezeichnender Laute aus50. Der beständige Gebrauch der artikulierten Sprache ist jedoch dem Menschen eigentümlich; aber er benutzt wie die Tiere auch unartikulierte Ausrufe in Verbindung mit Gesten und den Bewegungen seiner Gesichtsmuskeln51, um seine Gedanken auszudrücken. Dies gilt besonders für die einfacheren und lebhafteren Gefühle, welche mit unserer höheren Intelligenz nur wenig im Zusammenhangstehen. Unsere Ausrufe des Schmerzes der Furcht, der Überraschung, des Ärgers, in Verbindung mit entsprechenden Bewegungen, und das unartikulierte "Sprechen" einer Mutter mit ihrem geliebten Kinde sind eindrucksvoller als alle Worte. Das, was den Menschen von den Tieren unterscheidet, ist nicht das Verständnis artikulierter Laute; denn wie jedermann weiß, verstehen Hunde viele Worte und Sätze. In dieser Beziehung stehen sie auf derselben Entwickelungsstufe wie Kinder im Alter von zehn bis zwölf Monaten, die schon viele Worte und kurze Sätze verstehen und doch nicht ein einziges sprechen können. Nicht also die bloße Fähigkeit der Artikulation ist das unterscheidende Merkmal; denn Papageien und andere Vögel besitzen die Fähigkeit auch. Auch ist es nicht diese bloße Fähigkeit, bestimmte Laute mit bestimmten Ideen zu verbinden; denn es ist sicher, daß manche Papageien, welchen Sprechen gelehrt worden ist, ohne zu irren Worte mit Dingen und Personen mit Ereignissen in Verbindung bringen52. Von den Tieren unterscheidet sich der Mensch bloß durch seine unendlich größere Fähigkeit, die verschiedenartigsten Laute und Ideen zu assoziieren, und dies hängt offenbar von der hohen Entwickelung seiner geistigen Fähigkeiten ab. Wie Horne Tooke, einer der Gründer der edlen Wissenschaft der Philologie, bemerkt, ist die Sprache eine Kunst wie das Brauen und Backen; das Schreiben würde aber ein viel entsprechenderes Gleichnis sein. Sicher ist die Sprache kein Instinkt, da eine jede Sprache gelernt werden muß. Sie weicht indessen von allen gewöhnlichen Künsten sehr weit ab, denn der Mensch hat eine instinktive Neigung zu sprechen, wie das Lallen kleiner Kinder beweist, während kein Kind eine instinktive Neigung zu brauen, zu backen oder zu schreiben hat. Überdies nimmt kein Philolog jetzt an, daß die Sprache durch Nachdenken erfunden worden sei; sie hat sich langsam und unbewußt durch viele Stufen hindurch entwickelt53. Die Laute, welche Vögel hervorbringen, bieten in mehreren Beziehungen die nächste Analogie mit der Sprache dar; denn alle Glieder derselben Art äußern dieselben instinktiven, zur Bezeichnung ihrer Gemütsbewegungen dienenden Laute; alle Singvögel üben ihr Vermögen instinktiv aus. Aber den wirklichen Gesang und selbst die Lockrufe lernen sie von den Eltern oder Pflegeeltern. Diese Laute sind nach Daines Barrington54 "ebensowenig eingeboren wie die Sprache dem Menschen". Die ersten Versuche zum Singen "lassen sich mit dem unvollkommenen Stammeln bei einem Kinde vergleichen. Die jungen Männchen üben sich beständig, oder, wie der Vogelsteller es ausdrückt, sie studieren zehn oder elf Monate lang. Ihre ersten Versuche lassen kaum eine Spur ihres späteren Gesanges erkennen; wenn sie aber älter werden, kann man ungefähr erkennen, was sie erstreben, und endlich kann man ihnen das Zeugnis ausstellen, daß sie ihren Gesang glatt absingen. Nestlinge, welche den Gesang einer verschiedenen Art gelernt haben, wie z. B. in Tirol aufgezogene Kanarienvögel, lehren und überliefern ihre neue Sangesweise ihren Nachkommen. Die unbedeutenden natürlichen Verschiedenheiten des Gesanges bei Individuen derselben Art, welche verschiedene Gegenden bewohnen, können ganz passend, wie Barrington bemerkt, mit Provinzialdialekten verglichen werden; und die Sangesweisen verwandter, wenn auch verschiedener Spezies lassen sich mit den Sprachen verschiedener Menschenrassen vergleichen. Ich habe diese Einzelheiten angeführt, um zu zeigen, daß die instinktive Neigung, eine Kunst sich anzueignen, keine auf den Menschen beschränkte Eigentümlichkeit ist. Was den Ursprung der artikulierten Sprache betrifft, so kann ich, nachdem ich einerseits die äußerst interessanten Werke von Hensleigh Wegdwood, F. Farrar und Prof. Schleicher55, andererseits die berühmten Vorlesungen von Prof. Max Müller gelesen habe, nicht daran zweifeln, daß die Sprache ihren Ursprung der Nachahmung und Modifikation verschiedener natürlicher Laute, der Stimmen anderer Tiere und der eigenen instinktiven Ausrufe des Menschen, unter Beihilfe von Zeichen und Gesten, verdankt. In dem Buche über die sexuelle Zuchtwahl werden wir sehen, daß der Urmensch, oder vielmehr ein sehr früher Stammvater des Menschen, seine Stimme wahrscheinlich dazu benutzte, echt musikalische Kadenzen hervorzubringen, d. h. also zum Singen, wie es heutigen Tages einer der Gibbons tut. Nach einer sehr weit verbreiteten Analogie können wir auch schließen, daß dieses Vermögen besonders während der Werbung der beiden Geschlechter ausgeübt wurde, um verschiedene Gemütsbewegungen auszudrücken, wie Liebe, Eifersucht, Triumph und Herausforderung für die Nebenbuhler. Es ist wahrscheinlich, daß die Nachahmung musikalischer Ausrufe durch artikulierte Laute Worte erzeugt hat, welche verschiedene komplizierte Erregungen ausdrückten. Die große Neigung unserer nächsten Verwandten, der Affen, so wie der mikrozephalen Idioten56 und der barbarischen Menschenrassen, alles nachzuahmen, was sie hören, verdient
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Die Abstammung des Menschen – Drittes Kapitel
Beachtung. Da die Affen sicher vieles von dem verstehen, was von Menschen zu ihnen gesprochen wird, und da sie im Naturzustande ihren Gefährten bei Gefahren Warnungssignale geben57, da ferner Hühner bestimmte Warnungsrufe ausstoßen bei Gefahren auf dem Boden oder am Himmel wegen der Habichte (beide, ebenso wie ein dritter Ruf, werden von Hunden verstanden)58, dürfte da nicht irgend ein ungewöhnlich gescheites, affenähnliches Tier darauf verfallen sein, das Heulen eines Raubtieres nachzuahmen, um dadurch seinen Mitaffen die Natur der zu erwartenden Gefahr anzudeuten? Dies würde ein erster Schritt zur Bildung einer Sprache gewesen sein. Als die Stimme immer weiter und weiter benutzt wurde, werden die Stimmorgane weiter gekräftigt und infolge des Prinzips der vererbten Wirkungen des Gebrauchs vervollkommnet worden sein, und dies wird wieder auf das Vermögen des Sprechens zurückgewirkt haben. Aber die Beziehung zwischen dem fortgesetzten Gebrauch der Sprache und der Entwickelung des Gehirns war ohne Zweifel noch viel bedeutungsvoller. Die geistigen Fähigkeiten müssen bei irgend einem frühen Vorfahren des Menschen viel höher entwickelt gewesen sein als bei irgend einem jetzt lebenden Affen, selbst bevor die unvollkommenste Form der Sprache hat in Gebrauch kommen können. Wir können aber zuversichtlich annehmen, daß der beständige Gebrauch und die weitere Entwickelung dieses Vermögens auf die Seele selbst zurückgewirkt hat, indem sie dieselbe befähigte und ermutigte, lange Gedankenreihen zu durchdenken. Eine lange und komplizierte Gedankenreihe kann ebenso wenig ohne die Hilfe von Worten durchgeführt werden, mögen sie gesprochen werden oder nicht, wie eine lange Berechnung ohne den Gebrauch von Zahlen. Es scheint auch, als wenn selbst eine gewöhnliche Gedankenreihe irgend eine Form von Sprache erforderte oder durch eine solche erleichtert würde; denn die taubstumme und blinde Laura Bridgman gebrauchte ihre Finger, während sie träumte59. Eine lange Reihenfolge von lebhaften und zusammenhängenden Ideen kann aber auch ohne die Hilfe von irgend einer Form der Sprache durch die Seele ziehen, wie wir aus den Bewegungen von träumenden Hunden schließen können. Wir haben auch gesehen, daß Tiere imstande sind, bis zu einem gewissen Grade nachzudenken, offenbar ohne die Hilfe der Sprache. Der innige Zusammenhang zwischen dem Gehirn, wie es jetzt bei uns entwickelt ist, und der Fähigkeit der Sprache zeigt sich deutlich in jenen merkwürdigen Fällen von Gehirnerkrankung, bei denen die Sprache besonders affiziert ist, so daß z. B. die Reproduktion von Substantiven unmöglich ist, während andere Wörter völlig korrekt gebraucht werden können, oder wo Substantiva einer gewissen Klasse vergessen sind, oder alle Substantiva und Eigennamen mit Ausnahme ihrer Anfangsbuchstaben60. Daß der fortgesetzte Gebrauch der Stimmorgane und der geistigen Organe zu erblichen Veränderungen in ihrem Bau und ihren Funktionen führe, ist nicht unwahrscheinlicher als die gleiche Annahme für die Form der Handschrift, welche zum Teil von der Bildung der Hand, zum Teil von der Geistesbeschaffenheit abhängt; und die Form der Handschrift wird sicher vererbt61. Mehrere Schriftsteller, besonders Prof. Max Müller62, haben neuerdings behauptet, der Gebrauch der Sprache setze die Fähigkeit voraus, allgemeine Begriffe zu bilden; und da kein Tier dies Vermögen besitze, sei hierdurch eine unübersteigliche Schranke zwischen ihnen und dem Menschen gezogen63. Was die Tiere betrifft, so habe ich bereits zu zeigen versucht, daß sie diese Fähigkeit wenigstens in einem rohen und Anfangszustand besitzen. Und was Kinder im Alter von zehn bis elf Monaten und Taubstumme betrifft, so scheint es mir unglaublich, daß sie imstande sein sollten, gewisse Laute mit gewissen allgemeinen Ideen so schnell, wie es geschieht, in Verbindung zu bringen, wenn nicht solche Ideen in ihrer Seele bereits gebildet würden. Dieselbe Bemerkung kann auf die intelligenteren Tiere ausgedehnt werden. So bemerkt Leslie Stephen64: "Ein Hund bildet einen allgemeinen Begriff von Katze oder Schaf und kennt das entsprechende Wort so gut wie ein Philosoph. Und die Fähigkeit, zu verstehen, ist ein ebenso guter, wenn auch dem Grade nach niedrigerer Beweis für vokale Intelligenz, wie die Fähigkeit des Sprechens." Warum die jetzt für die Sprache benutzten Organe ursprünglich schon zu diesem Zweck vervollkommnet sein sollten, und zwar eher als andere Organe, ist nicht schwer einzusehen. Ameisen haben ein ziemlich beträchtliches Vermögen, sich mit Hilfe ihrer Antennen untereinander verständlich zu machen, wie Huber gezeigt hat, welcher der Sprache der Ameisen ein ganzes Kapitel widmet. Wir könnten auch unsere Finger als passendes Hilfsmittel benutzt haben, denn eine geübte Person kann einem Tauben jedes Wort einer in einer öffentlichen Versammlung schnell gehaltenen Rede auf diese Weise mitteilen; der Verlust unserer Hände würde aber bei einer solchen Anwendung eine sehr bedenkliche Störung gewesen sein. Da alle höheren Säugetiere Stimmorgane besitzen, welche nach demselben allgemeinen Plan wie die unseren gebaut sind und ebenso als Mittel der Mitteilung benutzt werden, so war es offenbar wahrscheinlich, daß diese Organe noch weiter entwickelt wurden, wenn das Vermögen der Mitteilung selbst sich weiter entwickelte; und dies ist mit Hilfe benachbarter und gut angepaßter Teile bewirkt worden, nämlich der Zunge und der Lippen65. Die Tatsache, daß die höheren Affen ihre Stimmorgane nicht zur Sprache benutzten, erklärt sich ohne Zweifel dadurch, daß ihre Intelligenz nicht genügend entwickelt war. Daß sie
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Die Abstammung des Menschen – Drittes Kapitel
dieselben Organe besitzen, welche bei lange fortgesetzter Übung zur Sprache hätten benutzt werden können, obschon sie sie nicht in dieser Weise benutzen, ist dem Falle parallel, daß viele Vögel, welche Singorgane besitzen, trotzdem niemals singen. So haben die Nachtigall und die Krähe ähnlich gebaute Stimmorgane; die erstere benutzt dieselben zu mannigfaltigem Gesänge, die letztere nur zum Krächzen66. Wenn man fragt, warum der Intellekt der Affen nicht in demselben Grade entwickelt ist wie der des Menschen, so kann die Antwort nur allgemeine Gründe angeben. Bedenkt man unsere Unwissenheit in bezug auf die aufeinanderfolgenden Entwickelungsstufen, so ist es unverständig, irgend eine bestimmtere Antwort zu erwarten. Die Bildung verschiedener Sprachen und verschiedener Spezies und die Beweise, daß beide sich stufenweise entwickelt haben, sind merkwürdig parallel67. Wir können aber den Ursprung vieler Wörter weiter zurück verfolgen als den Ursprung der Arten, denn wir können erkennen, wie sie faktisch aus der Nachahmung verschiedener Laute entstehen. In verschiedenen Sprachen finden wir auffallende Homologien, Folgen des gemeinsamen Ursprungs, und Analogien, Folgen eines ähnlichen Bildungsprozesses. Die Art und Weise, in welcher gewisse Buchstaben oder Laute abändern, wenn andere abändern, erinnert sehr an die Korrelation des Wachstums. Wir finden in beiden Fällen Verdoppelung von Teilen, die Wirkungen lange fortgesetzten Gebrauchs usw. Das häufige Vorkommen von Rudimenten sowohl bei Sprachen als bei Arten ist noch merkwürdiger. Der Buchstabe in dem englischen Worte "am" bedeutete "ich", so daß in dem Ausdruck I am ein überflüssiges und nutzloses Rudiment beibehalten worden ist. Auch beim Schreiben von Wörtern werden oft Buchstaben als Rudimente älterer Formen der Aussprache beibehalten. Sprachen können wie organische Wesen in Gruppen klassifiziert werden, die anderen Gruppen untergeordnet sind, und man kann sie entweder natürlich nach ihrer Abstammung oder künstlich nach anderen Charakteren klassifizieren. Herrschende Sprachen und Dialekte verbreiten sich weit und führen allmählich zum Aussterben anderer Sprachen. Ist eine Sprache einmal ausgestorben, so erscheint sie, wie Lyell bemerkt, gleich einer Spezies niemals wieder. Ein und dieselbe Sprache hat nie zwei Entstehungsorte. Verschiedene Sprachen können sich kreuzen oder miteinander verschmelzen68. Wir beobachten in jeder Sprache Variabilität, und neue Wörter tauchen beständig auf; da es aber für das Erinnerungsvermögen eine Grenze gibt, so sterben einzelne Wörter wie ganze Sprachen allmählich ganz aus. Max Müller69 hat sehr richtig bemerkt: "In jeder Sprache findet beständig ein Kampf ums Dasein zwischen den Wörtern und grammatischen Formen statt; die besseren, kürzeren, leichteren Formen erlangen beständig die Oberhand, und sie verdanken ihren Erfolg ihrer eigenen inhärenten Kraft." Diesen wichtigen Ursachen des Überlebens gewisser Wörter läßt sich auch noch die bloße Neuheit und Mode hinzufügen; denn der Geist des Menschen hat eine starke Vorliebe für unbedeutende Veränderungen in allen Dingen. Das Überleben oder die Beibehaltung gewisser bevorzugter Wörter im Kampf ums Dasein ist natürliche Zuchtwahl. Der vollkommen regelmäßige und wunderbar komplexe Sprachenbau vieler barbarischer Nationen ist oft als ein Beweis entweder des göttlichen Ursprungs dieser Sprachen oder des hohen Kulturzustandes und der früheren Zivilisation ihrer Urheber angesehen worden. So schreibt Friedrich von Schlegel: "Bei den Sprachen, welche auf der niedrigsten Stufe intellektueller Kultur zu stehen scheinen, beobachten wir häufig einen sehr hohen und ausgebildeten Grad von Kunst in ihrer grammatischen Struktur. Dies ist besonders der Fall bei den baskischen und lappländischen und bei vielen der amerikanischen Sprachen"70. Es ist aber sicher ein Irrtum, von irgend einer Sprache als einer Kunst zu sprechen, in dem Sinne, als sei sie mühevoll und methodisch ausgearbeitet worden. Die Philologen nehmen jetzt an, daß Konjugationen, Deklinationen usf. ursprünglich als verschiedene Wörter existierten, die später miteinander vereinigt wurden; und da solche Wörter die augenfälligsten Beziehungen zwischen Objekten und Personen ausdrücken, so ist nicht erstaunlich, daß sie von Menschen der meisten Rassen während der frühesten Zeiten benutzt worden sind. Was die Vervollkommnung betrifft, so wird die folgende Erläuterung am besten zeigen, wie leicht man irren kann: Eine Seelilie besteht zuweilen aus nicht weniger als 150000 Schalenstückchen71, welche alle vollständig symmetrisch in strahlenförmigen Linien angeordnet sind; aber der Naturforscher hält ein Tier dieser Art nicht für vollkommener als ein zweiseitig symmetrisches mit verhältnismäßig wenig Teilen, von denen keiner dem andern gleicht, mit Ausnahme der gleichen Teile auf den entgegengesetzten Seiten des Körpers. Er betrachtet mit Recht die Differenzierung und Spezialisierung der Organe als Beweis der Vervollkommnung. Ebenso bei den Sprachen: die am meisten symmetrischen und kompliziertesten dürfen nicht über die unregel mäßigen, abgekürzten und verbastaräierten Sprachen gestellt werden, welche ausdrucksvolle Worte und zweckmäßige Konstruktionsformen von verschiedenen siegenden oder unterworfenen oder einwandernden Rassen sich angeeignet haben. Aus diesen wenigen und unvollständigen Betrachtungen schließe ich, daß der äußerst komplizierte und regelmäßige Bau vieler primitiven Sprachen kein Beweis dafür ist, daß sie ihren Ursprung einem besonderen
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Die Abstammung des Menschen – Drittes Kapitel
Schöpfungsakte72 verdanken. Auch ist, wie wir gesehen haben, die Fähigkeit artikulierter Sprache an sich kein unüberwindliches Hindernis für den Glauben, daß der Mensch sich aus einer niederen Form entwickelt habe.
Schönheitssinn. Dieser Sinn soll dem Menschen eigentümlich sein. Ich verweise hier nur auf das Vergnügen, welches gewisse Farben, Formen und Laute gewähren, und welches ganz gut ein Sinn für das Schöne genannt werden kann; bei kultivierten Menschen sind indessen derartige Empfindungen innig mit komplizierten Ideen und Gedankengängen verknüpft. Wenn man sieht, wie männliche Vögel mit Vorbedacht ihr Gefieder und dessen prächtige Farben vor dem Weibchen entfalten, während andere, nicht in derselben Weise geschmückte Vögel sich nicht so aufführen, kann man unmöglich zweifeln, daß die Weibchen die Schönheit ihrer männlichen Genossen bewundern. Da sich Frauen überall mit solchen Federn schmücken, so läßt sich die Schönheit solcher Ornamente nicht bestreiten. Wie wir später sehen werden, sind die Nester der Kolibris und die Spielplätze der Kragenvögel (Chlamydera) geschmackvoll mit lebhaft gefärbten Gegenständen ausgeschmückt; und dies beweist, daß sie beim Anblick derartiger Dinge eine Art Vergnügen empfinden müssen. Bei der großen Mehrzahl der Tiere ist indessen, soweit wir es beurteilen können, der Geschmack für das Schöne auf die Reize des anderen Geschlechts beschränkt. Die reizenden Weisen, welche männliche Vögel während der Zeit der Liebe produzieren, werden gewiß von den Weibchen bewundert, wofür später noch Beweise gegeben werden. Wären weibliche Vögel nicht imstande, die schönen Farben, den Schmuck, die Stimmen ihrer männlichen Genossen zu würdigen, so würde alle die Mühe und Sorgfalt, welche diese darauf verwenden, ihre Reize vor dem Weibchen zu entfalten, weggeworfen sein; und dies läßt sich unmöglich annehmen. Warum gewisse leuchtende Farben Vergnügen erregen, kann, wie ich vermute, ebensowenig erklärt werden wie das Wohlgefallen an gewissen Gerüchen und Geschmäcken; Gewohnheit ist aber jedenfalls dabei beteiligt; denn was unseren Sinnen zuerst unangenehm ist, wird ihnen zuletzt angenehm, und Gewohnheiten werden vererbt. In bezug auf Laute hat Helmholtz bis zu einem gewissen Grad aus physiologischen Gründen erklärt, warum Harmonien und gewisse Tonfolgen angenehm sind. Laute, welche häufig in unregelmäßigen Zwischenräumen wiederkehren, sind äußerst unangenehm, wie jeder weiß, der nachts auf einem Schiffe dem unregelmäßigen Klappen eines Taues gelauscht hat. Dasselbe Prinzip scheint auch in bezug auf das Gesicht zu gelten, denn das Auge liebt symmetrische oder Figuren mit einer regelmäßigen Wiederholung. Muster dieser Art werden selbst von den niedrigsten Wilden als Ornamente verwendet; auch sind solche durch geschlechtliche Zuchtwahl zur Verschönerung einiger männlichen Tiere entwickelt worden. Ob wir nun für das durch das Gesicht oder Gehör erlangte Vergnügen in diesen Fällen einen Grund angeben können oder nicht: der Mensch und viele Tiere ergötzen sich in gleicher Weise an den nämlichen Farben und Formen, und an den nämlichen Lauten. Der Geschmack für das Schöne, wenigstens soweit die weibliche Schönheit in Betracht kommt, ist beim Menschen nicht von besonderer Art; denn bei den verschiedenen Menschenrassen ist er sehr verschieden, und er ist selbst bei den verschiedenen Nationen einer und derselben Rasse nicht ein und derselbe. Nach den scheußlichen Ornamenten und der gleich scheußlichen Musik zu urteilen, welche die meisten Wilden bewundern, ließe sich behaupten, daß ihr ästhetisches Vermögen nicht so hoch entwickelt sei wie bei gewissen Tieren, z. B. bei Vögeln. Zweifellos ist kein Tier fähig, etwa den nächtlichen Himmel oder eine schöne Landschaft, oder verfeinerte Musik zu bewundern; ein so hoher Geschmack ist durch Kultur erworben und hängt ab von komplexen Assoziationen. Naturvölker und ungebildete Menschen erfreuen sich nicht daran. Es konnte kaum ausbleiben, daß viele der Fähigkeiten, welche dem Menschen zu seinem allmählichen Fortschritte von unschätzbarem Dienste gewesen sind, wie die Phantasie, die Bewunderung, die Neugierde, ein unbestimmtes Gefühl für Schönheit, eine Neigung zum Nachahmen und das Vergnügen an aufregenden und neuen Dingen, zu den launenhaftesten Änderungen der Gewohnheiten und Moden führten. Ich führe diesen Punkt deshalb an, weil ein Schriftsteller73 seltsamerweise die Laune "als eine der merkwürdigsten und typischsten Unterschiede zwischen Wilden und den Tieren" bezeichnet hat. Wir können aber nicht nur teilweise verstehen, warum der Mensch durch verschiedene, einander widerstreitende Einflüsse launisch wird, sondern auch, daß die Tiere, wie wir später noch sehen werden, in ihren Zuneigungen, Abneigungen und in ihrem Gefühl für Schönheit ebenfalls launisch sind. Wir haben auch Grund zu der Vermutung, daß sie Neuheit ihrer selbst wegen lieben.
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Die Abstammung des Menschen – Drittes Kapitel
Gottesglaube, Religion. Wir haben keine Beweise dafür, daß dem Menschen von seinem Ursprünge an der veredelnde Glaube an die Existenz eines allmächtigen Gottes eigen war. Im Gegenteil sind reichliche Zeugnisse, nicht von flüchtigen Reisenden, sondern von Männern, welche lange unter Wilden gelebt haben, beigebracht worden, daß zahlreiche Rassen existiert haben und noch existieren, welche keine Idee eines Gottes oder mehrerer Götter, und keine Worte in ihren Sprachen haben, um eine solche Idee auszudrücken74. Natürlich ist diese Frage völlig verschieden von der höheren, ob ein Schöpfer und Regierer des Weltalls existiert; und diese ist von einigen der größten Geister, welche je gelebt haben, bejahend beantwortet worden. Wenn wir jedoch unter "Religion" den Glauben an unsichtbare oder geistige Kräfte mitverstehen, so liegt der Fall völlig anders; denn dieser Glaube scheint bei den weniger zivilisierten Rassen ganz allgemein zu sein. Auch ist nicht schwer zu begreifen, wie er entstanden ist. Sobald die bedeutungsvollen Fähigkeiten der Phantasie, Verwunderung und Neugierde, in Verbindung mit einiger Urteilsfähigkeit, teilweise entwickelt waren, wird der Mensch ganz von selbst versucht haben, das, was um ihn her vorgeht, zu verstehen, und er wird auch über seine eigene Existenz zu spekulieren begonnen haben. M'Lennan75 hat bemerkt: "Irgend eine Erklärung der Lebenserscheinungen muß der Mensch sich ausdenken; und nach ihrer Allgemeinheit zu schließen, scheint die einfachste und dem Menschen sich.zuerst darbietende Hypothese die gewesen zu sein, daß die Erscheinungen der Natur solchen zur Tätigkeit antreibenden Geistern in Tieren, Pflanzen, leblosen Gegenständen und auch in den Naturkräften zuzuschreiben seien, wie die sind, deren sich der Mensch bewußt ist. Wie Tylor gezeigt hat, ist es auch wahrscheinlich, daß die Annahme von Geistern zuerst durch Träume veranlaßt worden ist; denn Wilde unterscheiden nicht leicht zwischen subjektiven und objektiven Eindrücken. Wenn ein Wilder träumt, so glaubt er, daß die Bilder, welche vor ihm erscheinen, von weitem hergekommen sind und über ihm stehen; oder "die Seele des Träumers geht auf Reisen aus und kommt heim mit der Erinnerung dessen, was sie gesehen hat"76. Solange aber die Fähigkeiten der Phantasie, Neugierde, des Verstandes usw. in dem Geiste des Menschen noch nicht entwickelt waren, werden ihn seine Träume ebensowenig zu dem Glauben an Geister veranlaßt haben, wie einen Hund. Die Neigung der Wilden, sich einzubilden, daß natürliche Dinge und Kräfte durch geistige oder lebende Wesen belebt seien, wird vielleicht durch eine kleine Tatsache illustriert, welche ich einmal beobachtet habe. Mein Hund, ein völlig erwachsenes und sehr aufmerksames Tier, lag an einem heißen und stillen Tage auf dem Rasen; nicht weit von ihm bewegte ein leiser Luftzug dann und wann einen offenen Sonnenschirm, welchen der Hund völlig unbeachtet gelassen haben würde, wenn irgend jemand dabeigestanden hätte. So aber knurrte und bellte der Hund wütend jedesmal, wenn sich der Sonnenschirm leicht bewegte. Ich meine, er muß rasch und unbewußterweise bei sich überlegt haben, daß Bewegung ohne sichtbare Ursache die Gegenwart irgend eines fremdartigen, lebendigen Bewegers andeute, und kein Fremder ein Recht habe, auf seinem Territorium zu sein. Der Glaube an geistige Kräfte wird leicht in den Glauben an die Existenz eines Gottes oder mehrerer Götter übergehen; denn Wilde werden naturgemäß Geistern dieselben Leidenschaften, dieselbe Rachsucht, dieselbe einfachste Form der Gerechtigkeit und dieselben Neigungen zuschreiben, die sie bei sich selbst beobachten. Die Feuerländer scheinen in dieser Beziehung eine Mittelstellung einzunehmen; denn als der Arzt an Bord des "Beagle" einige junge Enten für die zoologische Sammlung schoß, erklärte York Minster in der feierlichsten Weise: "Oh, Mr. Bynoe, viel Regen, viel Schnee, viel Wind!" und dies wurde offenbar als zu befürchtende Strafe für die Vernichtung menschlicher Nahrung betrachtet. So erzählte er auch, daß heftige Stürme mit Regen und Schnee gewütet hätten, als sein Bruder einen "wilden Mann" getötet hatte. Doch konnten wir niemals entdecken, daß die Feuerländer an etwas unserem Gott Entsprechendes glaubten, noch überhaupt religiöse Gebräuche ausübten. Jemmy Button erklärte in bestimmter Weise und mit berechtigtem Stolz, daß es in seinem Lande keinen Teufel gäbe. Diese letztere Versicherung ist um so bemerkenswerter, als bei den Wilden der Glaube an böse Geister viel verbreiteter ist als der an gute. Das Gefühl religiöser Ergebung ist sehr kompliziert; es setzt sich zusammen aus Liebe, vollkommener Unterwerfung unter ein erhabenes, geheimnisvolles Etwas, einem starken Abhängigkeitsgefühl77, Furcht, Ehrfurcht, Dankbarkeit, Hoffnung auf ein Jenseits und vielleicht noch anderen Elementen. Kein Wesen, dessen intellektuelle und moralische Fähigkeiten nicht mindestens auf einer mäßig hohen Stufe stehen, könnte eine so komplizierte Gemütserregung an sich erfahren. Trotzdem sehen wir einen wenn auch sehr schwachen Anklang an diesen Gemütszustand in der treuen Liebe eines Hundes zu seinem Herrn, die ebenfalls mit der vollständigsten Unterordnung, einiger Furcht und vielleicht noch anderen Gefühlen verknüpft ist. Das Verhalten eines Hundes bei der Rückkehr zu seinem Herrn nach längerer Abwesenheit, – oder eines Affen zu seinem geliebten Wärter –, ist ganz verschieden von ihrem Verhalten ihren Genossen gegenüber. Im letzteren Fall sind die Zeichen ihrer Freude weniger lebhaft; das Gefühl der Gleichheit zeigt
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Die Abstammung des Menschen – Drittes Kapitel
sich in jeder Bewegung. Prof. Braubach geht sogar so weit, zu behaupten, daß der Herr seinem Hunde als ein Gott erscheint78. Dieselben hohen geistigen Fähigkeiten, die den Menschen zuerst zum Glauben an unsichtbare geistige Kräfte brachten, dann zum Fetischismus, Polytheismus und endlich zum Monotheismus führten, müssen ihn, solange sie von den Verstandeskräften nicht kontrolliert werden konnten, unfehlbar zu dem seltsamsten Aberglauben und zu den sonderbarsten Gebräuchen geführt haben. Schon der Gedanke an viele von ihnen ist schrecklich – so das Opfern menschlicher Wesen auf dem Altar blutgieriger Götzen, die Probe, der sich unschuldige Menschen in Gottesgerichten durch Gift oder Feuer unterziehen mußten, Hexengerichte usw. – aber es ist gut, zuweilen einmal über diese Dinge nachzudenken; denn es zeigt sich dabei, wieviel wir der Vervollkommnung unserer Vernunft, der Wissenschaft und der Vermehrung unserer Kenntnisse zu danken haben. Wie John Lubbock79 treffend bemerkt, "ist es nicht zu viel gesagt, daß die entsetzliche Furcht vor unbekanntem Unheil wie eine finstere Wolke das Leben des Wilden verdunkelt und ihm jede Freude verbittert". Diese traurigen indirekten Folgen unserer höchsten Fähigkeiten lassen sich mit den gelegentlichen Verirrungen der Instinkte bei den Tieren in Parallele stellen.
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Viertes Kapitel Die geistigen Fähigkeiten des Menschen und der Tiere (Fortsetzung)
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Die Abstammung des Menschen – Viertes Kapitel
Ich unterschreibe vollständig die Meinung derjenigen Schriftsteller , welche behaupten, daß von allen 1
Unterschieden zwischen dem Menschen und den Tieren das moralische Gefühl oder das Gewissen der weitaus bedeutungsvollste sei. Dieses Gefühl beherrscht, wie Mackintosh2 bemerkt, "rechtmäßigerweise jedes andere Prinzip menschlicher Tätigkeit"; es wird in jenem bedeutungsvollen, kurzen, aber gebieterischen Wörtchen "du sollst!" zusammengefaßt. Es ist das edelste aller Attribute des Menschen; es treibt ihn an, sein Leben ohne Zögern für ein Mitgeschöpf zu wagen, oder nach sorgfältiger Überlegung, einfach durch das tiefe Gefühl des Rechts oder der Pflicht, irgendeiner großen Sache zu opfern. Immanuel Kant ruft aus: "P f l i c h t ! du erhabener, großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst, doch auch nichts drohest, was natürliche Abneigung im Gemüte erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen, sondern bloß ein Gesetz aufstellst, welches von selbst im Gemüte Eingang findet, und doch sich selbst wider Willen Verehrung (wenngleich nicht immer Befolgung) erwirbt, vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich im geheimen ihm entgegenwirken, welches ist der deiner würdige Ursprung, und wo findet man die Wurzel deiner edlen Abkunft?"3 Diese große Frage ist von vielen Schriftstellern von ausgezeichneter Befähigung4 erörtert worden, und meine einzige Entschuldigung, sie hier zu berühren, ist die Unmöglichkeit, sie ganz zu übergehen; dazu kommt der Umstand, daß, soweit mir bekannt ist, ihr niemand ausschließlich von naturwissenschaftlicher Seite her näher getreten ist. Diese Untersuchung besitzt auch ein selbständiges Interesse, als ein Versuch, zu sehen, wie weit das Studium der Tiere Licht auf eine der höchsten psychischen Fähigkeiten des Menschen werfen kann. Es scheint mir in hohem Grade wahrscheinlich zu sein, daß jedwedes Tier mit wohl ausgebildeten sozialen Instinkten (Eltern- und Kindesliebe eingeschlossen)5, unausbleiblich ein moralisches Gefühl oder Gewissen erlangen würde, sobald sich seine intellektuellen Kräfte so weit oder nahezu so weit wie beim Menschen entwickelt hätten. Denn e r s t e n s lassen die sozialen Instinkte ein Tier Vergnügen an der Gesellschaft seiner Genossen empfinden, einen gewissen Grad von Sympathie mit ihnen fühlen und verschiedene Dienste für sie verrichten. Diese Dienste können von einer ganz bestimmten und durchaus instinktiven Natur sein; oder es kann, wie meist bei den höheren sozialen Tieren, der bloße Wunsch, die Bereitwilligkeit vorhanden sein, den Genossen allgemein zu helfen. Diese Gefühle und Hilfeleistungen werden aber durchaus nicht auf alle Individuen derselben Spezies ausgedehnt, sondern nur auf die derselben Gemeinschaft. Z w e i t e n s : sobald die geistigen Fähigkeiten sich hoch genug entwickelt haben, durchziehen Bilder aller früheren Handlungen und Beweggründe unaufhörlich das Gehirn eines jeden Individuums, und es entsteht jenes Gefühl des Unbefriedigtseins, oder selbst Unglücks, welches unabänderlich die Folge eines unbefriedigten Instinkts ist, so oft bemerkt wird, daß der andauernde und stets gegenwärtige soziale Instinkt einem anderen, vorübergehenden nachgegeben hat, der nur augenblicklich stärker war, aber weder seiner Natur nach von Dauer war, noch auch einen lebhaften Eindruck hinterließ. Viele instinktive Begierden, wie der Hunger, sind ihrer Natur nach nur von kurzer Dauer und werden, wenn sie befriedigt sind, nicht leicht und nicht lebhaft reproduziert. D r i t t e n s : nachdem die Fälligkeit der Sprache erworben worden war und die Wünsche der Mitglieder einer Gemeinschaft ausgedrückt werden konnten, wird die allgemeine Meinung darüber, wie ein jedes Mitglied zum allgemeinen Besten zu wirken habe, naturgemäß in einem hervorragenden Grade die Handlungen bestimmt haben. Bei allem Gewicht jedoch, das wir der öffentlichen Meinung beilegen, beruht unsere Schätzung der Billigung oder Mißbilligung unserer Genossen doch auf Sympathie, die, wie wir sehen werden, einen wesentlichen Teil des sozialen Instinkts ausmacht, ja in der Tat sein Grundstein ist. E n d l i ch wird auch die individuelle Gewohnheit eine sehr wichtige Rolle in der Bestimmung des Betragens jedes Gliedes spielen; denn die sozialen Instinkte und die Sympathie werden, wie alle anderen Instinkte, durch die Gewohnheit bedeutend gestärkt, und so ergibt sich der Gehorsam gegenüber den Wünschen und dem Urteil der Gesellschaft. Diese verschiedenen Sätze müssen nun erörtert werden, und zwar einige von ihnen ziemlich ausführlich. Es mag zunächst vorausgeschickt werden, daß ich nicht behaupten will, daß jedes streng soziale Tier genau dasselbe moralische Gefühl wie der Mensch erwerben würde, wenn seine intellektuellen Fähigkeiten
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Die Abstammung des Menschen – Viertes Kapitel
ebenso aktiv und ebenso hoch entwickelt wären wie beim Menschen. Wie verschiedene Tiere einen gewissen Schönheitssinn haben, obwohl sie sehr verschiedene Gegenstände bewundern, so können sie auch ein Gefühl für Recht und Unrecht haben, wenn sie durch dasselbe auch zu sehr verschiedenen Handlungsweisen veranlaßt werden. Um einen extremen Fall anzunehmen: wäre z. B. der Mensch unter genau denselben Zuständen erzogen wie die Stockbiene, so würden ohne Zweifel unsere unverheirateten Weibchen es ebenso wie die Arbeitsbienen für eine heilige Pflicht halten, ihre Brüder zu töten, und die Mütter würden ihre fruchtbaren Töchter zu vertilgen suchen, und niemand würde daran denken, es zu verhindern6. Aber trotzdem würde in unserem angenommenen Falle die Biene oder ein anderes soziales Tier, wie es mir scheint, ein Gefühl für Recht und Unrecht oder ein Gewissen erhalten. Denn jedes Individuum hat wohl ein inneres Gefühl dafür, daß es stärkere und schwächere, dauerhafte und vorübergehende Instinkte hat, so daß oft ein Kampf zwischen den Impulsen entstehen wird; und Befriedigung und Unbefriedigung, ja selbst Unglück werden gefühlt, wenn frühere Eindrücke während ihres beständigen Zuges durch die Seele miteinander verglichen werden. In diesem Falle würde ein innerer Mahner dem Tiere sagen, daß es besser dem einen als dem anderen Impuls gefolgt wäre. Dem einen Zug hätte gefolgt werden "sollen", dem anderen nicht, der eine würde "recht", der andere "unrecht" gewesen sein; ich werde auf diese Ausdrücke zurückkommen.
Geselligkeit (Soziabilität). Tiere verschiedener Art sind gesellig; wir finden sogar verschiedene Spezies zusammenleben, so z. B. gewisse amerikanische Affen und die Scharen vereinigter Krähen, Dohlen und Stare. Der Mensch zeigt dasselbe Gefühl in der starken Liebe zum Hunde, welches der Hund mit Interesse erwidert. Jedermann muß beobachtet haben, wie unglücklich Pferde, Hunde, Schafe usw. sind, wenn sie von ihren Genossen getrennt sind, und welche Freude wenigstens die beiden ersten bei ihrer Wiedervereinigung zeigen. Es ist interessant, über die Gefühle eines Hundes nach zudenken, welcher stundenlang in einem Zimmer bei seinem Herrn oder einem Mitglied seiner Familie ruhig daliegt, ohne daß die geringste Notiz von ihm genommen wird, der aber bellt oder heult, sobald er eine kurze Zeit allein gelassen wird. Wir wollen unsere Aufmerksamkeit auf die höheren sozialen Tiere beschränken und die Insekten ausschließen, obgleich mehrere derselben gesellig leben und einander in mannigfacher Weise helfen. Die gewöhnlichste gegenseitige Hilfe höherer Tiere besteht darin, daß sie mit Hilfe der vereinigten Sinne aller einander vor Gefahr warnen. Jeder Jäger weiß, wie Dr. Jäger bemerkt7, wie schwer es ist, Tieren in einer Herde oder Gruppe nahezukommen. Wilde Pferde und Rinder geben, wie ich glaube, kein Warnungssignal; aber die Haltung eines jeden, welches zuerst einen Feind entdeckt, warnt die übrigen. Kaninchen geben ein Signal, indem sie laut mit den Hinterfüßen auf den Boden klopfen; Schafe und Gemsen tun dasselbe mit den Vorderfüßen und stoßen auch einen pfeifenden Ton aus. Viele Vögel und manche Säugetiere stellen Wachen aus, die Robben, wie man sagt8, gewöhnlich Weibchen. Der Anführer eines Trupps Affen ist zugleich Wachposten und stößt Rufe aus, die entweder Gefahr oder Sicherheit verkünden9. Soziale Tiere leisten einander viele kleine Dienste: Pferde benagen einander, und Kühe lecken einander an jeder juckenden Stelle; Affen suchen einander Schmarotzer ab, und Brehm erzählt, daß, nachdem ein Trupp des Cercopithecus griseo-viridis durch ein dorniges Gebüsch geschlüpft war, jeder Affe sich auf einem Zweig ausstreckte und ein anderer sich zu ihm setzte, "gewissenhaft" seinen Pelz untersuchte und jeden Stachel auszog. Tiere leisten sich auch noch wichtigere Dienste: so jagen Wölfe und andere Raubtiere truppweise und helfen einander beim Angriff; Pelikane fischen in Gemeinschaft. Die Hamadryas-Paviane drehen Steine um, um Insekten usw. zu suchen, und wenn sie an einen großen kommen, wenden ihn so viele, als herankommen können, zusammen um und teilen die Beute. Soziale Tiere verteidigen sich gegenseitig. Bison-Bullen in Nordamerika treiben bei Gefahren die Kühe und Kälber in die Mitte der Herde, während sie die Außenseite verteidigen. In einem späteren Kapitel werde ich auch einen Bericht geben von zwei jungen wilden Bullen in Chillingham, die einen alten gemeinsam angriffen, und von zwei Hengsten, die zusammen einen dritten von einer Herde Stuten wegzutreiben suchten. Brehm begegnete in Abessynien einer großen Herde von Pavianen, welche ein Tal durchquerten; einige hatten bereits den gegenüberliegenden Hügel erstiegen, und einige waren noch im Tale. Die letzteren wurden von den Hunden angegriffen, aber sofort eilten die alten Männchen von den Felsen herab und brüllten mit weit geöffnetem Munde so fürchterlich, daß die Hunde sich rasch zurückzogen. Sie wurden von neuem zum Angriff angefeuert, aber diesmal hatten alle Paviane die Höhen erreicht mit Ausnahme eines jungen, ungefähr sechs Monate alten, welcher laut um Hilfe rufend einen Felsblock erklettert hatte und umringt wurde. Jetzt kam eines der größten Männchen, ein wahrer Held, nochmals vom Hügel herab, ging langsam zu dem jungen, liebkoste ihn und führte ihn triumphierend davon – die Hunde waren zu sehr bestürzt, um ihn anzugreifen. Ich kann der Versuchung
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Die Abstammung des Menschen – Viertes Kapitel
nicht widerstehen, noch eine andere Szene mitzuteilen, deren Zeuge derselbe Naturforscher war. Ein Adler ergriff einen jungen Cercopithecus, konnte ihn aber nicht sofort wegschleppen, da er sich an einen Zweig klammerte. Der Affe schrie laut um Hilfe, worauf die anderen Tiere der Herde mit großem Lärm zum Entsatz herbeieilten, den Adler umringten und ihm so viel Federn ausrissen, daß er nicht länger an seine Beute, sondern an seine Rettung dachte. Dieser Adler, bemerkt Brehm, wird sicher niemals wieder einen einzelnen Affen einer Herde angreifen10. Es ist gewiß, daß in Gesellschaft lebende Tiere ein Gefühl von Liebe zueinander haben, welche erwachsene nichtsoziale Tiere nicht fühlen. Ob sie in den meisten Fällen wirklich mit den Schmerzen und Freuden der anderen sympathisieren, ist zweifelhafter, besonders hinsichtlich der letzteren. Doch berichtet Mr. Buxton, welcher ausgezeichnete Gelegenheit zur Beobachtung hatte11, daß seine Macaws, welche in Norfolk frei leben, ein "extravagantes Interesse an einem Paare mit einem Neste nahmen; so oft das Weibchen dasselbe verließ, wurde es von einer Schar umringt, welche "zu seiner Ehre ein fürchterliches Geschrei erhob". Es ist oft schwer zu entscheiden, ob Tiere Gefühl für die Leiden anderer ihrer Art haben. Aber wer kann sagen, was Kühe fühlen, wenn sie um einen sterbenden oder toten Genossen herumstehen und ihn anstarren? Allem Anscheine nach fühlen sie jedoch, wie Houzeau bemerkt, kein Mitleid. Daß Tiere zuweilen weit davon entfernt sind, Sympathie zu fühlen, ist sicher; denn sie treiben ein verwundetes Tier aus der Herde, oder stoßen und zerren es zu Tode. Dies dürfte beinahe der schwärzeste Punkt in der Naturgeschichte sein, es sei denn die dafür aufgestellte Erklärung richtig, daß der Instinkt oder Verstand der Tiere sie dazu antreibe, einen verwundeten Genossen auszustoßen, damit nicht Raubtiere, mit Einschluß des Menschen, versucht würden, der Herde zu folgen. In diesem Falle ist ihr Betragen nicht viel schlimmer als das der nordamerikanischen Indianer, welche ihre schwachen Kameraden in den Steppen umkommen lassen, oder der Fidji-Insulaner, welche ihre alten oder kranken Eltern lebendig begraben12. Es sympathisieren indessen sicher viele Tiere mit dem Schmerz oder der Gefahr ihrer Genossen. Dies ist bei Vögeln der Fall. Kapitän Stansbury13 fand am Salzsee in Utah einen alten und vollständig blinden Pelikan, welcher sehr fett war und von seinen Genossen lange Zeit, und zwar sehr gut, gefüttert worden sein mußte. Mr. Blyth sah, wie er mir mitteilte, wie indische Krähen zwei oder drei ihrer Genossen, welche blind waren, fütterten; und ich habe von einem ähnlichen Falle bei unserem Haushuhn gehört. Wenn man lieber will, kann man diese Handlungen instinktive nennen; doch sind derartige Fälle viel zu selten, als daß sie der Entwickelung irgend eines speziellen Instinktes zum Ausgangspunkt dienen könnten14. Ich selbst kannte einen Hund, der niemals an einer ihm befreundeten Katze vorüberging, die krank in einem Korbe lag, ohne sie einigemal mit der Zunge zu lecken, – das sicherste Zeichen freundschaftlichen Gefühls beim Hund. Es muß Sympathie genannt werden, was einen mutigen Hund antreibt, sich auf jedermann zu stürzen, der seinen Herrn schlägt. Ich sah jemand zum Schein nach einer Dame schlagen, die ihr kleines, sehr furchtsames Hündchen auf dem Schoße hatte. Der Versuch wurde zum erstenmal gemacht. Das kleine Geschöpf ergriff sofort die Flucht; aber nachdem das vermeintliche Schlagen vorüber war, war es fast rührend zu sehen, wie es unablässig versuchte, seiner Herrin Gesicht zu lecken und sie dadurch zu trösten. Brehm15 berichtet, daß, als ein in Gefangenschaft befindlicher Pavian bestraft werden sollte, die anderen ihn zu schützen versuchten. Es muß auch Sympathie gewesen sein, was in den oben erzählten Fällen die Paviane und Cercopitheci anleitete, ihre jungen Gefährten vor den Hunden und dem Adler zu beschützen. Ich will nur noch ein Beispiel eines sympathischen und heldenhaften Verhaltens von einem kleinen amerikanischen Affen anführen. Vor einigen Jahren zeigte mir ein Wärter im Zoologischen Garten die tiefen, kaum verheilten Wunden in seinem Nacken, die ihm, als er auf dem Boden kniete, ein wütender Pavian beigebracht hatte. Der kleine amerikanische Affe, der im selben Käfig wohnte und dem Wärter sehr zugetan war, fürchtete sich außerordentlich vor dem großen Pavian. Sobald er aber seinen Freund in Gefahr sah, eilte er zu seiner Hilfe herbei, und durch Schreien und Beißen zog er den Pavian so ab, daß der Mann entfliehen konnte und so aus großer Lebensgefahr gerettet wurde. Außer Liebe und Sympathie zeigen die Tiere noch einige andere mit den sozialen Instinkten verbundene Eigenschaften, die bei uns moralisch genannt werden würden. Ich stimme mit Agassiz16 in der Ansicht überein, daß Hunde etwas dem Gewissen sehr Ähnliches besitzen. Hunde besitzen Selbstbeherrschung, die nicht gänzlich Folge der Furcht zu sein scheint. Braubach17 bemerkt, daß sie sich hüten, in der Abwesenheit ihres Herrn Futter zu stehlen. Lange schon betrachtet man sie als die wahren Typen von Treue und Gehorsam. Aber auch der Elefant ist seinem Treiber oder Herrn, den er wahrscheinlich für den Führer der Herde hält, sehr treu. Mr. Hooker teilte mir mit, daß ein Elefant, den er in Indien ritt, so tief in einen Sumpf einsank, daß er bis zum nächsten Tag darin bleiben mußte, wo ihn dann Männer mit Seilen heraushoben. Unter solchen Umständen ergreift der Elefant jeden nur erreichbaren lebenden oder toten Gegenstand mit seinem Rüssel und legt ihn unter seine Knie, um das weitere Einsinken zu verhindern, und der Treiber befand sich in furchtbarer Angst, daß das Tier Dr. Hooker ergreifen und zu
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Tode drücken würde. Aber der Treiber selbst, wie er Mr. Hooker versicherte, war dieser Gefahr nicht ausgesetzt. Diese schonende Rücksicht mitten in einer für das schwere Tier so entsetzlichen Lage ist ein wunderbarer Beweis von edler Treue18. Alle gemeinschaftlich lebenden Tiere, die sich gemeinsam verteidigen oder zum Angriff vorgehen, müssen tatsächlich bis zu einem gewissen Grade einander treu sein; diejenigen, die einem Führer folgen, müssen bis zu einem gewissen Grad gehorchen können. Wenn die Paviane in Abessynien19 einen Garten plündern, folgen sie ihrem Führer im tiefsten Stillschweigen; und wenn ein unkluges junges Tier ein Geräusch macht, so bekommt es eine Ohrfeige von den anderen, die ihm Schweigsamkeit und Gehorsam beibringen soll. Mr. Galton, der häufig gute Gelegenheit hatte, die halbwilden Rinder in Südafrika zu beobachten, sagt20, daß sie jede auch noch so kurze Trennung von der Herde vermeiden. Sie sind vollkommene Sklaven und lassen sich wie solche bestimmen, kein besseres Los wünschend, als von einem Bullen geführt zu werden, der genug Selbstvertrauen besitzt, um diese Stelle einzunehmen. Die Menschen, welche diese Tiere für das Geschirr zähmen wollen, achten sorgsam auf solche, die sich beim Weiden etwas abseits halten und dadurch ihre Selbständigkeit verraten, um sie dann als Leitochsen einzuspannen. Galton fügt noch hinzu, daß solche Tiere selten und wertvoll sind, da sie von den Löwen, die nach solchen einsam wandernden Tieren beständig auf der Lauer liegen, immer bald vernichtet werden. Was den Impuls betrifft, welcher gewisse Tiere dazu treibt, sich zusammenzutun und sich gegenseitig in vielfacher Weise beizustehen, so ist wohl der Schluß zulässig, daß sie dazu in den meisten Fällen durch dasselbe Gefühl der Befriedigung oder der Lust veranlaßt werden, das sie schon von der Ausführung anderer instinktiver Handlungen kennen, oder durch das Gefühl des Nichtbefriedigtseins, das die Unterdrückung der Instinkte erregt. Wir finden das in unzähligen Beispielen; besonders schlagend beweisen es die erworbenen Instinkte unserer domestizierten Tiere. So bildet es das höchste Vergnügen eines jungen Schäferhundes, seine Herde zu treiben und zu umkreisen, ohne aber die Tiere zu zausen. Ein junger Fuchshund ergötzt sich an der Verfolgung des Fuchses, während andere Hunde, wie ich selber beobachtet habe, Füchse ganz unbeachtet lassen. Welch ein starkes Gefühl innerer Befriedigung muß den Vogel, ein so bewegliches Geschöpf, dazu treiben, Tag für Tag auf seinen Eiern zu sitzen. Zugvögel sind ganz unglücklich, wenn man sie am Wandern hindert; vielleicht freuen sie sich auf den Augenblick der Abreise zu ihrem weiten Flug; doch wird man schwerlich annehmen können, daß die von Audubon beschriebene, flügellahme Gans, welche rechtzeitig ihren wahrscheinlich mehr als 1000 Meilen weiten Weg zu Fuß antrat, irgend welche Freude darüber empfand. Einige Instinkte werden nur durch Unlustgefühle, z. B. durch Furcht bestimmt, die zur Selbsterhaltung treibt und sich in einigen Fällen auf besondere Feinde bezieht. Ich vermute, daß niemand die Gefühle der Lust oder der Unlust analysieren kann. In vielen Fällen ist es indessen wahrscheinlich, daß die Instinkte nur infolge der Kraft der Vererbung bewahrt werden, ohne daß Lust oder Unlust mitspricht. Ein junger Vorstehhund, der zum erstenmal Wild wittert, muß allem Anschein nach stehen. Ein Eichhörnchen im Käfig, welches die Nüsse, die es nicht verspeisen kann, betätschelt, als wenn es sie im Boden verscharren wollte, tut das wohl schwerlich aus Lust oder Unlust. Daher dürfte auch die allgemeine Annahme, daß der Mensch zu jeder Handlung durch Lust oder Unlust bewogen werden müsse, irrig sein. Mag aber auch eine Gewohnheit blind und unbedingt und im Augenblick ihrer Ausführung unabhängig von jedem Gefühl der Lust oder der Unlust befolgt werden, so wird doch immer im Falle ihrer plötzlichen und zwangsweisen Unterdrückung ein unbestimmtes Gefühl der Unzufriedenheit entstehen. Man hat oft behauptet, daß die Tiere zuerst gesellig geworden wären, und daß sie sich infolgedessen unbefriedigt fühlten, wenn sie voneinander getrennt werden, und befriedigt, wenn sie zusammenleben können. Es ist jedoch wahrscheinlicher, daß diese Gefühle zuerst entwickelt wurden, damit diejenigen Tiere, welche durch ein Leben in Gesellschaft gewinnen konnten, zusammengeführt würden, ebenso wie das Gefühl des Hungers und das des Vergnügens beim Essen ohne Zweifel zuerst erworben worden sind, um die Tiere zur Aufnahme von Nahrung zu veranlassen. Das Vergnügen an der Gesellschaft anderer ist wahrscheinlich eine Erweiterung der elterlichen oder kindlichen Zuneigung, da der gesellige Instinkt in den Jungen durch langes Zusammenleben mit den Eltern zu entstehen scheint. Diese Erweiterung wird teils der Gewohnheit, in der Hauptsache aber der natürlichen Auslese zuzuschreiben sein. Bei denjenigen Tieren, die durch das Leben in Gesellschaft gewannen, konnten die geselligsten am leichtesten vielen Gefahren entgehen, während die anderen, die sich wenig kameradschaftlich zeigten und einsam lebten, in großer Zahl umkamen. Fragt man nun nach dem Ursprung der elterlichen und kindlichen Zuneigung, die augenscheinlich die Basis der sozialen Instinkte bildet, so müssen wir eingestehen, daß wir die Stufen nicht kennen, die ihre Entwickelung genommen hat. Wohl aber können wir annehmen, daß die natürliche Zuchtwahl dabei die Hauptrolle gespielt hat. Fast mit Sicherheit vermögen wir das bei dem ungewöhnlichen und widerspruchsvollen Gefühl des Hasses zwischen den nächsten Verwandten zu behaupten, z. B. bei den Arbeiterbienen, die die Männchen ihres Staates töten, oder bei der Königin, die ihre Tochterköniginnen
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tötet. Der Trieb, die nächsten Verwandten zu töten, dient in diesem Fall dem Wohle des Staates. Die Liebe der Eltern zu den Kindern, oder ein sie ersetzendes Gefühl, hat sich bei einigen sehr tiefstehenden Tierstämmen, z. B. bei den Seesternen und den Spinnen, entwickelt. Sie findet sich zuweilen auch nur bei einigen Vertretern einer ganzen Tiergruppe, so bei der Gattung Forficula, dem Ohrwurm. Das überaus wichtige Gefühl der Sympathie ist etwas anderes als Liebe. Eine Mutter mag ihr schlafendes Kind leidenschaftlich lieben, aber man kann wohl kaum sagen, daß sie Sympathie für es fühle. Die Liebe eines Menschen zu seinem Hund ist etwas anderes als Sympathie, und ebenso die Liebe des Hundes zu seinem Herrn. Wie früher Adam Smith, so hat Bain neuerdings behauptet, daß der Grund der Sympathie in der starken Nachwirkung früherer Lust- oder Unlustgefühle liege. Daher "erweckt der Anblick eines unter Hunger, Kälte, Ermattung leidenden Menschen die Erinnerung an solche Zustände, die selbst in Gedanken noch unangenehm sind". So werden wir veranlaßt, die Leiden der anderen zu erleichtern, damit unsere eigenen peinlichen Empfindungen beseitigt werden. In derselben Weise werden wir veranlaßt, an den Freuden anderer Menschen teilzunehmen21. Ich sehe jedoch nicht, wie durch diese Ansicht die Tatsache erklärt wird, daß Sympathie in viel stärkerem Maße von einer geliebten Person als von einer gleichgültigen erregt wird. Der bloße Anblick des Leidens würde auch unabhängig von Liebe in uns lebhafte Erinnerungen und Assoziationen erwecken. Die Erklärung mag viel mehr darin liegen, daß sich die Sympathie bei allen Tieren nur auf die Glieder derselben Gesellschaft erstreckt, also auf bekannte und mehr oder weniger geliebte, nicht aber auf alle Individuen derselben Art. Diese Tatsache ist nicht überraschender als die andere, daß sich die Furcht der Tiere auf ganz bestimmte Feinde bezieht. Nicht gesellige Gattungen, z. B. die Löwen und Tiger, haben daher ohne Zweifel Mitgefühl für die Leiden ihrer Jungen, nicht aber mit denen anderer Tiere. Wie Bain gezeigt hat, wird die Sympathie beim Menschen durch Selbstsucht, Erfahrung und Nachahmungssucht verstärkt; denn die Aussicht auf Vergeltung veranlaßt uns, anderen sympathetisch Gutes zu tun; auch wird die Sympathie durch die Gewohnheit verstärkt. Wie kompliziert aber auch der Ursprung dieses Gefühls sein mag, das jetzt von so hoher Bedeutung für alle Tiere ist, die einander helfen und verteidigen, sicher ist, daß die natürliche Zuchtwahl zu seiner Verstärkung beigetragen hat; denn diejenigen Verbände, in denen die größte Zahl der Mitglieder sich durch gegenseitige Sympathie auszeichneten, konnten am besten gedeihen und die größte Anzahl von Nachkommen erzielen. Häufig ist es indessen unmöglich, zu entscheiden, ob gewisse soziale Instinkte erworben wrorden sind durch natürliche Zuchtwahl, oder ob sie das indirekte Resultat anderer Instinkte und Fähigkeiten, wie Sympathie, Überlegung, Erfahrung und Nachahmungssucht, sind, oder ob sie ihre Entstehung langgeübter Gewöhnung verdanken. Ein so auffallender Instinkt wie der, Wachen aufzustellen, welche die Herde vor Gefahren warnen, kann schwerlich das indirekte Ergebnis einer dieser Fähigkeiten sein; er muß daher direkt erworben sein. Andererseits kann die Gewohnheit der Männchen vieler geselliger Tiere, die Gesamtheit zu verteidigen, oder Feinde und Beutetiere in Gemeinschaft anzufallen, die Folge gegenseitiger Sympathie sein. Jedoch muß Mut und in vielen Fällen auch Stärke vorher und zwar wahrscheinlich durch natürliche Zuchtwahl erworben worden sein. Unter den verschiedenen Instinkten und Gewohnheiten sind manche viel stärker als andere, d. h. einige bereiten größeres Vergnügen, wenn sie ausgeführt werden, und erregen ein stärkeres Unlustgefühl, wenn sie unterdrückt werden, als andere; oder, was wahrscheinlich ebenso wichtig ist, sie werden infolge Vererbung beharrlicher befolgt, wenn auch ohne besonderes Lust- oder Unlustgefühl. Wir sind uns selbst bewußt, daß gewisse Gewohnheiten viel schwerer abgelegt oder geändert werden können als andere. Man kann daher bei Tieren häufig einen Kampf zwischen verschiedenen Instinkten oder einem Instinkt und einer gewohnheitsmäßigen Neigung beobachten; so z. B. wenn ein Hund einen Hasen verfolgt, getadelt wird, seinen Lauf unterbricht, zögert, die Jagd wieder aufnimmt oder beschämt zu seinem Herrn zurückkehrt; oder zwischen der Liebe einer Hündin zu ihrem Herrn und der Liebe zu ihren Jungen; denn man sieht sie sich zu ihren Jungen schleichen, als schäme sie sich ein wenig, daß sie ihren Herrn nicht begleitet. Aber das auffallendste, mir bekannte Beispiel von einem Instinkt, der einen anderen bezwingt, ist der Sieg des Wandertriebs über die Mutterliebe.Der erstere ist wunderbar stark. Ein gefangener Vogel stößt sich zur Wanderzeit die Brust an dem Drahtgitter seines Käfigs blutig. Er veranlaßt junge Lachse, sich aus dem süßen Wasser herauszuschnellen, wo sie ruhig weiter existieren könnten, und damit unfreiwilligen Selbstmord zu begehen. Jedermann weiß, wie stark der mütterliche Instinkt ist, der selbst furchtsame Vögel antreibt, großen Gefahren zu trotzen, wenn auch zögernd und im Widerstreit mit dem Selbsterhaltungstrieb. Nichtsdestoweniger ist der Wandertrieb so mächtig, daß im Spätherbst Haus-, Mauer- und Turmschwalben ihre zarten Jungen häufig verlassen und sie so dem Hungertode preisgeben22. Wir können bemerken, daß ein instinktiver Antrieb, wenn er in irgend einer Weise für die Art vorteilhafter ist als ein ähnlicher oder entgegengesetzter Instinkt, durch natürliche Zuchtwahl derstärkere von beiden wird; denn diejenigen Individuen, welche ihn im stärksten Grade besitzen, überleben in größerer
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Anzahl. Ob dies auch der Fall ist mit dem Wandertrieb im Vergleich zur Mutterliebe, mag zweifelhaft sein. Die beträchtliche Dauer und besondere Lebhaftigkeit des ersteren in gewissen Jahreszeiten während des ganzen Tages dürften ihm wenigstens eine Zeitlang eine überlegene Kraft verleihen.
Der Mensch als soziales Tier. Jedermann wird zugestehen, daß der Mensch ein soziales Wesen ist. Wir sehen es in seiner Abneigung gegen Einsamkeit, sowie in seinem Wunsch nach Gesellschaft auch über den Rahmen seiner Familie hinaus. Einzelhaft ist eine der härtesten Strafen. Einige Autoren vermuten, daß die Menschen ursprünglich in einzelnen Familien lebten. Wenn aber auch heutzutage einzelne Familien, oder zwei, höchstens drei zusammen die einsamen Gefilde wüster Länderstrecken durchschweifen, so unterhalten sie doch, so weit ich sehen kann, freundschaftliche Beziehungen zu anderen Familien desselben Distriktes. Solche Familien kommen hie und da zu Beratungen zusammen und vereinigen sich zu gemeinsamer Verteidigung. Daß wilde Nachbarstämme beinah immer miteinander im Krieg liegen, ist kein Beweis gegen die Annahme, daß der Wilde ein soziales Tier sei; denn die sozialen Instinkte erstrecken sich niemals auf alle Individuen derselben Art. Die Analogie in der Mehrzahl der Quadrumanen macht es wahrscheinlich, daß die noch affenähnlichen Vorfahren des Menschen ebenfalls gesellig lebten; doch ist dies für uns nicht von hoher Bedeutung. Obgleich der Mensch, wie er sich uns heute darstellt, nur wenige spezielle Instinkte besitzt und viele verloren haben mag, die seine Vorfahren besaßen, so ist das noch kein Grund, anzunehmen, daß er nicht aus einer sehr entlegenen Periode noch einen gewissen Grad von instinktiver Liebe und Sympathie für seine Gefährten bewahrt haben sollte. Wir sind uns tatsächlich alle bewußt, daß wir solche sympathischen Gefühle besitzen23. Aber unser Bewußtsein sagt uns nicht, ob sie instinktiv sind, entstanden vor langer Zeit in derselben Weise wie bei den Tieren, oder ob sie von einem jeden unter uns in der Kindheitsperiode erworben worden sind. Da der Mensch ein soziales Tier ist, ist es ziemlich sicher, daß er eine Neigung zur Treue gegen seine Gefährten und zum Gehorsam gegen den Führer seines Stammes geerbt hat; denn diese Eigenschaften sind fast allen sozialen Tieren eigen. Er muß infolgedessen etwas Selbstbeherrschung besitzen. Eine ererbte Neigung würde ihn willig machen, gemeinsam mit anderen seine Genossen zu verteidigen und ihnen beizustehen in einer Weise, die nicht zu sehr seinem eigenen Wohl und seinen eigenen starken Trieben entgegen ist. Diejenigen sozialen Tiere, die auf der tiefsten Stufe stehen, werden fast ausschließlich, die höher entwickelten größtenteils von speziellen Instinkten geleitet bei der Hilfe, welche sie den Gliedern derselben Gemeinschaft leisten; aber sie werden auch teilweise durch gegenseitige Liebe und Sympathie angetrieben, augenscheinlich unterstützt von einem gewissen Grad von Überlegung. Obgleich der Mensch, wie eben bemerkt, keine speziellen Instinkte besitzt, die ihm sagen, wie er seinen Mitmenschen helfen soll, so fühlt er doch den Antrieb dazu, und bei seinen vervollkommneten intellektuellen Fähigkeiten wird er natürlich sehr durch Erfahrung und Überlegung geleitet. Instinktive Sympathie führt ihn auch dazu, großen Wert auf die Anerkennung seiner Mitmenschen zu legen; denn die Ehrliebe und Ruhmsucht und das noch stärkere Gefühl des Widerwillens gegen Verachtung und Schande sind, wie Bain deutlich gezeigt hat, "auf Rechnung der Sympathie zu setzen"24. Infolgedessen wird der Mensch stark beeinflußt durch die Wünsche, das Lob und den Tadel seiner Mitmenschen, die sie durch Worte und Gesten ausdrücken. So geben die sozialen Instinkte, die vom Menschen in einem sehr rohen Zustand erworben worden sind, wahrscheinlich sogar von seinen ältesten affenähnlichen Vorfahren, noch immer die Willensimpulse zu seinen edelsten Handlungen; doch werden diese in einem höheren Grade von den ausgesprochenen Wünschen und dem Urteil seiner Mitmenschen, unglücklicherweise aber auch sehr häufig von seinen eigenen selbstsüchtigen Motiven bestimmt. Da aber Liebe, Sympathie und Selbstbeherrschung durch die Gewohnheit stärker werden, und auch die Kraft der Überlegung immer klarer wird, so daß der Mensch auch die Urteile seiner Mitmenschen auf ihren Wert hin prüfen lernt, wird er auch unabhängig von vorübergehenden Lust- oder Unlustgefühlen zu einer bestimmten Lebensführung geführt. Dann wird er erklären können – und wird sich dadurch weit über den Barbaren oder den unkultivierten Menschen erheben –: Ich bin der höchste Richter meines Verhaltens; oder mit den Worten Kants: "Ich will in meiner eigenen Person nicht die Würde der Menschheit verletzen."
Die dauerhafteren sozialen Instinkte überwinden die weniger beständigen. Wir haben indessen bis jetzt den springenden Punkt in der ganzen Frage nach dem moralischen Gefühl noch nicht betrachtet: Woher fühlt ein Mensch, daß er dem einen Instinkt mehr gehorchen soll als einem
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anderen? Warum bereut er es so bitter, wenn er einem starken Gefühl der Selbsterhaltung nachgegeben und sein Leben nicht für die Rettung eines Mitmenschen eingesetzt hat? Warum bereut er, aus Hunger einen Diebstahl begangen zu haben? In erster Linie haben wir offenbar zu bedenken, daß die verschiedenen instinktiven Impulse im Menschen verschieden stark sind. Ein Wilder wagt wohl sein Leben, um das eines Stammesgenossen zu retten, bleibt aber gleichgültig gegenüber einem Fremden. Eine junge, furchtsame Mutter wird sich, vom mütterlichen Instinkt getrieben, ihrem Kinde zuliebe ohne Zögern in die größte Gefahr begeben, nicht aber eines bloßen Mitgeschöpfes wegen. Nichtsdestoweniger hat schon mancher zivilisierte Mann oder Knabe, der niemals vorher sein Leben für einen andern gewagt hat, aber Mut und Sympathie besaß, den Selbsterhaltungstrieb vergessen und sich in den reißenden Strom gestürzt, um einen Ertrinkenden, und wenn es selbst ein Fremder war, zu retten. In diesem Fall wird der Mensch von demselben instinktiven Motiv dazu getrieben, das den kleinen, oben beschriebenen amerikanischen Affen seinen Wärter retten hieß, indem er den viel größeren und gefürchteten Pavian angriff. Solche Handlungen scheinen die einfache Folge davon zu sein, daß der soziale oder mütterliche Instinkt stärker ist als jedes andere Motiv; denn, um eine Folge der Überlegung, momentanen Schmerzes oder Freude zu sein, müßten sie weniger plötzlich ausgeführt werden, wenn auch ihre Unterlassung ein Gefühl des Unbehagens oder gar der Pein auslösen würde. In einem furchtsamen Menschen kann andererseits der Selbsterhaltungstrieb so stark entwickelt sein, daß er sich nicht einmal für sein eigenes Kind in eine solche Gefahr begeben könnte. Ich weiß sehr wohl, daß manche impulsiv ausgeübte Handlungen, wie die oben angeführten, nicht als "moralisch" gelten lassen wollen, da sie mit dem Gebiet des moralischen Gefühls nichts zu tun hätten. Sie wollen diesen Ausdruck für solche Handlungen vorbehalten, die der Überlegung, einem Sieg über entgegengesetzte Begierden, oder einem idealen Motiv entspringen. Doch wird es kaum möglich sein, eine scharfe Grenzlinie solcher Art zu ziehen25. Was ideale Motive anbetrifft, so sind viele Fälle von Wilden berichtet worden, die, frei von allgemeiner Menschenliebe oder religiösen Motiven, mit völliger Überlegung lieber in der Gefangenschaft starben als ihre Gefährten verrieten26. Sicher ist ihr Betragen als ein moralisches zu bezeichnen. Was Überlegung oder die Überwindung widerstrebender Triebe anbetrifft, so kann man auch bei Tieren beobachten, daß sie zweifelnd zwischen entgegengesetzten Instinkten schwanken, z. B. wenn es sich um die Rettung ihrer Jungen oder ihrer Gefährten handelt; und doch werden diese Handlungen nicht moralisch genannt, obgleich sie zum Besten anderer ausgeführt werden. Überdies werden häufig von uns ausgeführte Handlungen zuletzt ohne Überlegung und Zögern vollbracht und können dann kaum von instinktiven unterschieden werden; aber niemand wird behaupten wollen, daß sie dadurch aufhören, moralisch zu sein. Im Gegenteil fühlen wir alle, daß eine Handlung nicht als vollkommen oder als in der edelsten Weise ausgeführt gelten kann, wenn sie nicht ganz impulsiv geschieht, nicht ganz ohne Anstrengung oder Schwanken, so, als ob dem Menschen die dazu erforderlichen Eigenschaften angeboren wären. Allerdings verdient der Mensch, der vor der Tat seine Furcht oder seinen Mangel an Aufopferungsfähigkeit überwindet, in gewisser Hinsicht höhere Anerkennung als der, dessen angeborene Veranlagung ihn ohne Anstrengung zum sittlichen Handeln zwingt. Da wir nicht nach den Motiven einteilen können, bezeichnen wir alle Handlungen einer bestimmten Art als moralisch, wenn sie von einem moralischen Wesen ausgeführt werden. Moralisch nennen wir ein Wesen, das imstande ist, seine früheren und künftigen Handlungen oder Motive zu vergleichen und sie zu billigen oder zu verwerfen. Wir haben keinen Beweis zugunsten der Annahme, daß irgend ein Tier diese Fähigkeiten besitzt. Deshalb nennen wir die Handlungen eines Neufundländers, der ein Kind aus dem Wasser zieht, oder eines Affen, der sich für seinen Gefährten einer Gefahr aussetzt oder einen verwaisten Affen an Kindesstatt annimmt, nicht moralisch. Aber beim Menschen, der allein mit Bestimmtheit als moralisches Wesen zu bezeichnen ist, heißt eine gewisse Art von Handlungen moralisch, ob sie nun mit Überlegung, nach einem Kampf zwischen widerstreitenden Motiven, oder impulsiv, oder als Wirkungen einer allmählich erworbenen Gewohnheit ausgeführt wurden. Kehren wir nun zu unserem eigentlichen Gegenstand zurück. Obgleich gewisse Instinkte stärker sind als andere und so zu entsprechenden Handlungen antreiben, ist die Annahme doch unhaltbar, daß beim Menschen die sozialen Instinkte (einschließlich Empfänglichkeit für Lob und Tadel) größere Stärke besäßen oder durch lange Gewohnheit größere Stärke erworben hätten als der Selbsterhaltungstrieb, der Hunger.der Geschlechtstrieb, die Rachsucht usw. Warum bereut denn dann der Mensch, – obgleich er diese Reue nicht aufkommen lassen will –, daß er dem einen natürlichen Trieb und nicht einem anderen gefolgt ist? Warum fühlt er ferner, daß er sein Verhalten bereuen sollte? In dieser Beziehung unterscheidet sich der Mensch ganz gewaltig von den Tieren. Trotzdem glaube ich, daß es nicht allzu schwer ist, den Grund dieses Unterschiedes mit einiger Sicherheit zu finden.
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Infolge der Aktivität seiner geistigen Fähigkeiten kann der Mensch nicht vermeiden, zu reflektieren; frühere Eindrücke und Vorstellungen gehen deutlich in unablässiger Folge durch seine Seele. Bei solchen Tieren nun, die beständig in Gemeinschaft leben, sind die sozialen Instinkte immer gegenwärtig und tätig. Solche Tiere sind stets bereit, das Warnungszeichen ertönen zu lassen, die Gesamtheit zu verteidigen und ihren Genossen in Übereinstimmung mit ihren Gewohnheiten zu helfen. Sie fühlen zu jeder Zeit, ohne den Ansporn einer besonderen Leidenschaft oder eines Verlangens, einen gewissen Grad von Sympathie und Liebe für sie. Sie sind unglücklich, wenn man sie vereinzelt, und glücklich, wenn sie wieder in ihrer Gesellschaft sind. So ist es auch mit uns Menschen. Selbst wenn wir ganz allein sind, denken wir oft mit Vergnügen oder Mißbehagen an die Meinung anderer über uns, an ihre mutmaßliche Billigung oder Mißbilligung unserer Handlungen; und all dies entspringt der Sympathie, dem fundamentalen Element aller sozialen Instinkte. Ein Mensch, der nicht wenigstens Spuren solcher Instinkte aufwiese, würde ein unnatürliches Ungeheuer sein. Auf der anderen Seite sind Begierden, wie der Hunger, oder Leidenschaften, wie die Rachsucht, vorübergehend und können zu ihrer Zeit vollkommen befriedigt werden. Es ist auch nicht leicht, vielleicht kaum möglich, mit vollkommener Lebhaftigkeit das Gefühl des Hungers oder irgend eines Leides vorzustellen, wie schon häufig bemerkt worden ist. Der Selbsterhaltungstrieb schlummert bis zum Augenblick der Gefahr, und mancher Feigling hielt sich für tapfer, bis er seinem Feind Aug' in Aug' gegenüberstand. Die Begierde nach dem Eigentum eines anderen ist eine der allerbeständigsten; aber selbst in diesem Fall ist die Befriedigung über den erlangten Besitz schwächer als der Trieb danach. Schon mancher Dieb, der nicht gewohnheitsmäßig stahl, war nachher über seine Tat erstaunt27. Der Mensch kann nicht verhindern, daß frühere Eindrücke in seiner Seele beständig wieder auftauchen; hierdurch wird er veranlaßt, die Eindrücke von früher empfundenem Hunger, befriedigtem Rachedurst oder auf andere Menschen abgewälzten Gefahren mit dem fast immer gegenwärtigen Instinkt der Sympathie und mit seiner Kenntnis von dem, was andere als lobens- oder tadelnswert kennen, zu vergleichen. Diese Kenntnis kann er aus seiner Seele nicht verbannen, und sie wird von der instinktiven Sympathie als ein wichtiges Moment angesehen. Es wird ihm dann erscheinen, als ob er von einem momentanen Instinkt oder einer Gewohnheit verführt worden sei, und dies verursacht bei allen Tieren Unbefriedigtsein, ja selbst Pein. Der oben erzählte Fall von der Schwalbe bildet eine, wenn auch negative Erläuterung zu der Behauptung, daß ein temporärer, aber sehr starker Instinkt einen anderen zu überwinden vermag, der gewöhnlich der vorherrschende ist. Zur bestimmten Zeit scheinen diese Vögel nur von einem Trieb, dem Wandertrieb, erfüllt zu sein; ihre Gewohnheiten verändern sich; sie werden unruhig, lärmen umher und sammeln sich in Schwärmen. Während der Zeit des Brütens oder Fütterns ist im Muttervogel der mütterliche Instinkt stärker als der Wandertrieb. Aber schließlich überwiegt doch der beharrlichere Instinkt, und endlich, in einem Augenblick, in dem die Jungen nicht in Sicht sind, fliegt der Vogel davon und verläßt sie. Welche furchtbaren Gewissensbisse müßten den Vogel quälen, wenn endlich am Reiseziel der Wandertrieb schweigt und er, mit großer geistiger Lebhaftigkeit begabt, nicht die Bilder verhüten könnte, die ihm den traurigen Tod seiner Jungen im kalten, öden Norden immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen würden. Im Augenblick der Tat wird der Mensch zweifellos bereit sein, dem stärkeren Impuls zu gehorchen; und obgleich er dabei gelegentlich auch zu den edelsten Handlungen veranlaßt wird, wird er doch viel häufiger seinen selbstsüchtigen Motiven auf Kosten anderer Menschen folgen. Wenn aber dann nach ihrer Befriedigung die früheren, jetzt schwächer gewordenen Eindrücke an dem immer gegenwärtigen sozialen Instinkt gemessen und in Gedanken dem Urteil der Gefährten unterbreitet werden, so wird sich bei seiner großen Empfänglichkeit für die gute Meinung seiner Mitmenschen die Reue sicher einstellen. Er wird Gewissensbisse, Reue, Bedauern oder Scham empfinden; das letztere Gefühl bezieht sich fast ausschließlich auf das Urteil anderer. Er wird den mehr oder weniger festen Entschluß fassen, in Zukunft anders zu handeln, und dies ist Gewissen; denn das Gewissen schaut zurück und dient zugleich als Führer in der Zukunft. Natur und Stärke der Gefühle, die wir Bedauern, Scham, Reue oder Gewissensvorwürfe nennen, hängen augenscheinlich nicht nur von der Stärke des verletzten Instinktes, sondern teilweise auch von der Stärke der Versuchung und noch häufiger von dem Urteil unserer Mitmenschen ab. Welchen Wert der einzelne auf die Billigung der anderen legt, hängt ab von der Stärke seines angeborenen oder erworbenen Gefühls von Sympathie und von seiner eigenen Fähigkeit, die weiteren Folgen seines Handelns in Betracht zu ziehen. Höchst wichtig, wenn auch nicht notwendig, ist ein anderes Element: die Verehrung oder die Furcht vor Göttern oder Geistern, an die ein Mensch glaubt. Dies spricht vor allen Dingen bei Gewissensbissen mit. Einige Kritiker haben hier den Einwand erhoben, daß zwar ein leichtes Bedauern oder auch eine flüchtige Reue durch die in diesem Kapitel aufgedeckten Gesichtspunkte erklärt würden, daß aber das seelenerschütternde Gefühl der Gewissensbisse ein ungelöstes Rätsel bleibe. Ich kann diesem Einwand kein großes Gewicht beilegen. Meine Kritiker definieren nicht, was sie unter Gewissensbissen verstehen; ich
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kann sie nur als das überwältigende Gefühl zerknirschender Reue definieren. "Gewissensbisse" scheint mir zu Reue in demselben Verhältnis zu stehen wie Wut zu Zorn, Todesqual zu Schmerz. Es ist gar nicht seltsam, daß ein so starker und allgemein bewunderter Instinkt wie die Mutterliebe bei seiner Unterdrückung zur Verzweiflung führt, sobald der Eindruck der früheren Ursache der Unterdrückung schwächer geworden ist. Selbst wenn eine Handlung gar keinem besonderen Instinkt zuwiderläuft, sondern uns nur der Verachtung aller unserer Gefährten und Freunde aussetzt, stürzt sie uns in Verzweiflung. Wer wollte daran zweifeln, daß die Verweigerung eines Duells aus Furcht vielen Menschen die bitterste Scham bereitet hat? Mancher Hindu ist durch den Genuß unreiner Nahrung bis auf den Grund seiner Seele erschüttert worden. Noch ein anderer Fall von Gewissensbissen, wie man sie wohl nennen muß, sei hier mitgeteilt. Dr. Landor, der als Beamter in Westaustralien weilte, erzählt28, daß ein Eingeborener auf seiner Farm, nach dem Verlust einer seiner Frauen durch Krankheit, zu ihm kam und sagte, "er sei im Begriff, zu einem entfernten Stamm zu gehen, um dort ein Weib mit dem Speere zu töten und damit eine Pflicht gegen seine verstorbene Frau zu erfüllen. Ich entgegnete, daß ich ihn zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilen würde, wenn er es täte. Er blieb noch einige Zeit auf der Farm, magerte aber außerordentlich ab und klagte, daß er weder schlafen noch essen könne, da ihn der Geist seines Weibes verfolge, weil er kein anderes Leben für das ihre geopfert habe. Ich blieb unerbittlich und versicherte ihn, daß ihn nichts retten könne, wenn er es täte." Trotzdem verschwand der Mann und blieb über ein Jahr abwesend. Als er zurückkehrte, hatte er sich gut erholt. Seine zweite Frau teilte Dr. Landor mit, daß ihr Gatte eine Frau aus einem entfernten Stamm getötet habe; es war jedoch unmöglich, einen gesetzlich gültigen Beweis zu erbringen. Die Verletzung einer vom Stamm geheiligten Regel läßt demnach die tiefsten Gefühle entstehen, und zwar ganz unabhängig von den sozialen Instinkten, es sei denn, daß die Regel auf das Urteil der Gesamtheit gegründet ist. Wie so viele solcher seltsamen Formen des Aberglaubens in der ganzen Welt entstehen konnten, wissen wir natürlich nicht; auch können wir nicht sagen, woher es kommt, daß viele tatsächlich schwere Verbrechen, wie der Inzest, von den Wilden verabscheut werden, wenn auch nicht allgemein. Es ist sogar zweifelhaft, ob in einigen Stämmen Inzest mit demselben Abscheu betrachtet wird wie die Heirat eines Mannes mit einer Frau, die denselben Namen wie er trägt, obgleich sie nicht verwandt sind. "Eine Verletzung dieses Gesetzes ist ein Verbrechen, vor dem die Australier den größten Abscheu haben. Sie stimmen darin mit gewissen Stämmen Nordamerikas überein. Wenn man bei diesen Völkerrassen die Frage stellte, ob es besser sei, ein Mädchen aus einem fremden Stamm zu töten oder eine Angehörige des eigenen Stammes zu heiraten, so würde ohne Zögern eine Antwort erfolgen, die unserer Entscheidung jedenfalls entgegengesetzt wäre"29. Wir können daher die von einigen Autoren aufgestellte Behauptung zurückweisen, daß der Abscheu vor Inzest eine Folge des speziell von Gott eingepflanzten Gewissens sei. Überhaupt ist es wohl verständlich, daß ein Mensch, der von einem so mächtigen Gefühl wie Gewissensbissen beherrscht wird (auch wenn es auf die oben beschriebene Weise entstanden ist), schließlich eine Handlung ausführt, die man ihn als Sühne seiner Schuld zu betrachten gelehrt hat, indem er sich z. B. der Gerechtigkeit selbst ausliefert. Von seinem Gewissen beeinflußt, wird der Mensch durch lange Gewohnheit eine so vollkommene Selbstbeherrschung erwerben, daß seine eigenen Wünsche und Leidenschaften sich schließlich kampflos und ohne Zögern seinen sozialen Sympathien und Instinkten, sowie seinem Gefühl für die öffentliche Meinung unterordnen. Der Hunger und das Rachegefühl werden ihn nicht mehr dazu veranlassen, Brot zu stehlen oder Rache zu nehmen. Es ist möglich, ja – wie wir später sehen werden – sogar wahrscheinlich, daß die Selbstbeherrschung, wie andere Gewohnheiten, vererbt wird. So kommt der Mensch schließlich durch die erworbene oder vielleicht gar ererbte Gewohnheit dahin, zu erkennen, daß er am besten seinen dauernden Impulsen folgt. Das gebieterische " s o l l " scheint nur das Bewußtsein von der Existenz einer Richtschnur seines Verhaltens zu bezeichnen, gleichgültig wie diese entstanden sein mag. Früher muß oft sehr heftig darauf gedrungen worden sein, daß ein beleidigter Mann den Gegner zum Duell herausfordern s o l l e. Wir sagen jetzt sogar, daß ein Vorstehhund stehen und ein Apportierhund apportieren s o l l. Wenn sie es nicht tun, so versäumen sie ihre Pflicht und tun unrecht. Wenn irgend eine Begierde oder ein Instinkt zu einer Handlung führt, die dem Interesse anderer entgegen ist, und dieser Instinkt nach der Handlung immer noch ebenso stark oder noch stärker als der soziale Instinkt erscheint, so wird man kein tiefes Bedauern darüber fühlen, daß man ihm Folge geleistet hat. Doch wird man sich bewußt sein, daß die Mitmenschen unser Verhalten mißbilligen würden, wenn es ihnen bekannt wäre, und wenige sind so bar aller Sympathie, daß sie nicht Mißbehagen spüren, wenn dies eintritt. Wenn er diese Sympathie nicht hat, und wenn die Begierden, die ihn zu unmoralischen Handlungen reizen, stark sind und auch in der Erinnerung nicht von beharrlich wirkenden sozialen Instinkten überwältigt werden, wenn ihm endlich auch das Urteil anderer gleichgültig ist, so ist er seinem Wesen nach ein unsittlicher Mensch30; das einzige ihn etwas zügelnde Motiv ist die Furcht vor Strafe und die Überzeugung, daß es auf die Dauer vorteilhafter für ihn selbst sei, das Wohl anderer Menschen über das eigene zu stellen.
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Offenbar kann jedermann mit einem weiten Gewissen seine eigenen Wünsche berücksichtigen, solange sie nicht den sozialen Instinkten zuwiderlaufen, d. h. das Wohl der anderen Menschen schädigen; aber um vor Selbstvorwürfen ganz sicher zu sein, ist es für ihn doch nötig, die Mißbilligung seiner Mitmenschen, sei sie nun berechtigt oder unberechtigt, zu vermeiden. Auch darf der Mensch nicht die feststehenden Gewohnheiten seines Lebens durchbrechen, besonders wenn sie verständige sind; denn wenn er es tut, wird er sich sicher unbefriedigt fühlen. Ebenso muß er die Ungnade des Gottes oder der Götter zu vermeiden suchen, an die er seinen Kenntnissen oder seinem Aberglauben entsprechend glaubt. Doch kommt in letzterem Fall noch die Furcht vor der göttlichen Strafe als neues Element hinzu.
Betrachtung der rein sozialen Tugenden. Die oben gegebene Ansicht über den Ursprung und die Natur des moralischen Gefühls, das unsere Handlungen leitet, und des Gewissens, das uns tadelt, wenn wir jenem nicht gehorchen, stimmt ganz gut mit dem überein, was wir von dem ersten, noch unentwickelten Zustand dieser Fähigkeit des Menschen wissen. Die Tugenden, welche wenigstens im allgemeinen von den Urmenschen geübt werden mußten, um zu ermöglichen, daß sie überhaupt zu Verbänden zusammentreten konnten, sind dieselben, die auch heute noch als die wichtigsten gelten. Sie werden jedoch fast ausschließlich nur innerhalb der Gemeinschaft eines Stammes gepflegt; die ihnen entgegengesetzten Gesinnungen gelten, wenn sie sich auf Menschen fremder Stämme beziehen, nicht als Verbrechen. Kein Stamm könnte ferner mehr zusammenhalten, wenn Mord, Raub, Verrat an der Tagesordnung wären. Folglich werden solche innerhalb eines Stammes ausgeführte Verbrechen mit ewiger Schmach gebrandmarkt"31, obgleich sie jenseits dieser Grenze nicht unter dieses Urteil fallen. Ein nordamerikanischer Indianer ist sehr mit sich zufrieden und findet den Beifall seiner Gefährten, wenn er einen Angehörigen eines anderen Stammes skalpiert; ein Dyak schneidet den Kopf eines ganz friedlichen Menschen ab und betrachtet ihn als Trophäe. Der Kindermord hat in der ganzen Welt im größten Maßstab geherrscht32, ohne verurteilt worden zu sein. Im Gegenteil wurde der Mord von Kindern, besonders von Mädchen, als vorteilhaft für den Stamm, zum mindesten aber als ungefährlich betrachtet. Auch Selbstmord galt in alten Zeiten nicht allgemein als Verbrechen33, er wurde vielmehr, als ein Beweis von Mut, als eine sehr tapfere Tat betrachtet. Noch heute findet er sich bei einigen halbzivilisierten und wilden Völkern, die ihn ausüben, ohne darum verurteilt zu werden, weil er nicht sichtlich das Wohl des Stammes verletzt. Man hat berichtet, daß ein indischer Thug es im tiefsten Herzen bedauerte, nicht ebenso viele Reisende beraubt und erwürgt zu haben wie sein Vater. In einem sehr rohen Zustand der Zivilisation wird also tatsächlich die Beraubung von Fremden allgemein als eine ehrenvolle Handlung angesehen. Die Sklaverei ist ein Verbrechen, mag sie auch in alten Zeiten manches Wohltätige gehabt haben34; doch selbst von den höchstzivilisierten Völkern ist sie bis in die jüngste Zeit anders beurteilt worden. Die Ursache davon war vor allen Dingen die Tatsache, daß die Sklaven meist von anderer Rasse waren als ihre Herren. Da Barbaren kein Gewicht auf die Meinung der Frauen legen, behandeln sie diese meist als Sklavinnen. Viele Wilde bleiben äußerst gleichgültig bei den Leiden eines Fremden, ja, sie erfreuen sich sogar daran. Es ist ganz bekannt, daß die indianischen Frauen und Mädchen die gefangenen Feinde martern halfen. Manchen Wilden gilt Tierquälerei als das höchste Vergnügen, und Menschlichkeit ist ihnen eine unbekannte Tugend35. Trotzdem finden sich auch Gefühle des Wohlwollens, besonders im Krankheitsfall zwischen den Gliedern desselben Stammes, und erstrecken sich manchmal auch über dessen Grenzen. Mungo Parks rührende Erzählung von der Freundlichkeit einer Negerin aus dem Inneren Afrikas gegen ihn ist wohlbekannt. Viele Beispiele edler Treue der Wilden untereinander könnten angeführt werden; nie aber betrifft diese auch Fremde. Eine allgemeine Erfahrung rechtfertigt den Grundsatz des Spaniers: "Niemals, niemals traue einem Indianer!" Treue ohne Aufrichtigkeit ist ein Unding, und so ist auch diese fundamentale Tugend unter Gliedern desselben Stammes nicht selten. Mungo Park hörte, wie eine Negerfrau ihre Kinder lehrte, die Wahrheit zu lieben. Dies ist wieder eine der Tugenden, die sich so tief in die Seele einwurzeln, daß sie manchmal von Wilden selbst um hohen Preis Fremden gegenüber ausgeübt wird. Aber den Feind zu belügen, wird selten für eine Sünde gehalten, wie die Geschichte der modernen Diplomatie nur zu deutlich lehrt. Sobald ein Stamm einen anerkannten Führer hat, wird auch Ungehorsam zum Verbrechen und kriechende Unterordnung zur geheiligten Tugend. Da in den rohen Urzeiten niemand ohne Mut seinem Stamm nützlich oder treu sein kann, wurde diese Eigenschaft allgemein am höchsten geschätzt; und obgleich in zivilisierten Ländern ein guter, aber furchtsamer Mensch für die Gesamtheit bei weitem nützlicher sein kann als ein tapferer, so können wir doch nicht umhin, den letzteren instinktiv über den Feigling zu stellen. Auf der anderen Seite wurde Klugheit, die nicht das Wohl anderer im Auge hatte, zwar als höchst nützliche Tugend betrachtet, aber niemals hoch eingeschätzt. Da kein Mensch die für das Wohl der Gesamtheit wichtigen Tugenden ohne
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Selbstverleugnung, Selbstbeherrschung und beharrliche Ausdauer entfalten kann, so sind auch diese Eigenschaften zu jeder Zeit hochgeschätzt worden. Der amerikanische Wilde unterwirft sich ohne Klage den entsetzlichsten Qualen, um Tapferkeit und Mut zu beweisen und zu stärken. Wir bewundern ihn unwillkürlich ebenso wie den indischen Fakir, der infolge eines närrischen religiösen Motivs sich an einem in seinem Körper befestigten Haken aufhängt. Die das eigene Selbst betreffenden Tugenden, die nicht offensichtlich das Wohl des Stammes beeinflussen – wenn sie es auch tatsächlich tun – sind von den Wilden nie beachtet worden, obgleich sie jetzt von zivilisierten Völkern hochgeschätzt werden. Die größte Unmäßigkeit ist für Wilde kein Vorwurf. Größte Ausschweifung und unnatürliche Verbrechen herrschen in einer erstaunlichen Ausdehnung36. Sobald die Ehe, ob polygam oder monogam, eine allgemeine Einrichtung wird, entsteht durch die Eifersucht eine erhöhte Aufmerksamkeit auf die speziell weiblichen Tugenden. Da diese dann geehrt werden, dehnen sie sich naturgemäß auch auf unverheiratete Frauen aus. Wie langsam sie sich auf das männliche Geschlecht ausbreiten, sieht man noch heutigentags. Die Keuschheit erfordert ein Höchstmaß von Selbstbeherrschung; deshalb ist sie schon in einer sehr frühen Periode der Sittengeschichte zivilisierter Völker geehrt worden. Infolge davon wurde die unvernünftige Einrichtung des Zölibats seit einer sehr frühen Zeit als Tugend betrachtet37. Der Abscheu gegen die Unzüchtigkeit, der uns so natürlich erscheint, daß wir sie fast als angeboren betrachten, und der eine so wertvolle Hilfe für die Keuschheit bildet, ist eine moderne Tugend, die nach Sir G. Staunton38 ausschließlich den zivilisierten Völkern eigen ist. Das beweisen die alten religiösen Gebräuche vieler Völker, die Zeichnungen an den Mauern von Pompeji und die Sitten vieler wilder Völker. Wir sehen, daß die Handlungen von den Wilden, wahrscheinlich auch von den Urmenschen, nur mit Rücksicht auf den Nutzen, den sie dem Stamme bringen, als gut oder schlecht bezeichnet werden, und daß dabei die Wohlfahrt der Art oder des Individuums keinerlei Rolle spielte. Diese Schlußfolgerung stimmt mit der Ansicht sehr wohl überein, daß das sogenannte moralische Gefühl ursprünglich sich von den sozialen Instinkten abgezweigt habe; beide beziehen sich in erster Linie ausschließlich auf die Gemeinschaft. Die wichtigsten Ursachen für den tiefen Stand der Moralität bei den Wilden, gemessen an der unseren, sind erstens die Einschränkung der Sympathie auf die Glieder desselben Stammes; zweitens die Unfähigkeit, die Bedeutung mancher Tugenden, besonders der das Individuum betreffenden, für die allgemeine Wohlfahrt des Stammes zu erkennen. So vermögen z. B. wilde Völker nicht den übeln Einfluß der Unmäßigkeit und der Unkeuschheit bis in seine fernsten Konsequenzen zu verfolgen. Die dritte Ursache ist die geringe Selbstbeherrschung; denn diese ist nicht gekräftigt worden durch eine langandauernde, vielleicht ererbte Gewohnheit, durch Unterricht und Religion. Ich bin auf die Einzelheiten über die Unsittlichkeit der Wilden39 eingegangen, weil einige neuere Autoren eine sehr hohe Meinung von ihrer Moralität haben oder die meisten ihrer Verbrechen auf mißverstandenes Wohlwollen zurückführen wollen40. Diese Autoren scheinen ihre Folgerungen darauf zu gründen, daß die Wilden diejenigen Tugenden besitzen, welche nützlich, ja notwendig für die Existenz der Familie und des Stammes sind, – alles Eigenschaften, die sie unzweifelhaft und oft in hohem Grad besitzen.
Schlußbemerkungen. Die Philosophen der derivativen Schule41 haben früher behauptet, der Grund der Sittlichkeit liege in einer Art Selbstsucht; neuerdings ist das Prinzip des "größtmöglichen Glücks" in den Vordergrund gestellt worden. Es ist jedoch korrekter, das letztere Prinzip als die Norm und nicht als das Motiv des Handelns zu bezeichnen. Trotzdem schreiben alle von mir studierten Schriftsteller mit wenigen Ausnahmen so42, als ob für jede Handlung ein selbständiges Motiv vorhanden und mit irgend einem Lust- oder Unlustgefühl verknüpft sein müsse. Aber der Mensch scheint oft impulsiv zu handeln, d. h. instinktiv oder gewohnheitsmäßig, ohne bewußtes Vergnügen, in derselben Weise, wie es wahrscheinlich bei einer Biene oder einer Ameise der Fall ist, die blind ihren Instinkten folgen. Inmitten einer großen Gefahr, z. B. einer Feuersbrunst, wenn der Mensch sich ohne Zögern bemüht, einen Mitmenschen zu retten, wird er wohl kaum Vergnügen empfinden. Noch weniger wird er Zeit dazu haben, über das Mißvergnügen nachzudenken, das er wahrscheinlich empfinden würde, wenn er den Versuch nicht machte. Wenn er später über sein eigenes Verhalten in einem solchen Falle nachdenkt, wird er jedenfalls fühlen, daß in ihm eine von dem Suchen nach Vergnügen oder Glück ganz verschiedene Macht verborgen ist; und dies scheint der tief eingegrabene soziale Instinkt zu sein. Bei den Tieren scheint es angebracht zu sein, von ihren sozialen Instinkten zu sagen, daß sie sich mehr
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zum allgemeinen Besten als zum Glück der Art entwickelt haben. Der Ausdruck "allgemeines Bestes" kann vielleicht definiert werden als die Erziehung der größten Anzahl von Individuen zu voller Kraft und Gesundheit und allseitiger Ausbildung ihrer Fähigkeiten unter den Bedingungen, denen sie speziell unterworfen sind. Da sich die sozialen Instinkte des Menschen und der Tiere ohne Zweifel fast in derselben Entwickelungslinie bewegt haben, würde es, wenn es sich als praktisch durchführbar erzeigt, ratsam sein, in beiden Fällen dieselbe Definition zu geben und als Maßstab der Sittlichkeit das allgemeine Beste oder das Wohl der Gesamtheit an Stelle des allgemeinen Glücks anzunehmen. Diese Definition würde aber vielleicht eine Einschränkung in bezug auf die politische Moral erfordern. Wenn ein Mensch sein Leben wagt, um das eines Mitmenschen zu retten, so würde es daher korrekter sein, zu sagen, daß er für das allgemeine Beste handle, als zu sagen, er tue es für das allgemeine Glück der Menschheit. Ohne Zweifel sind Glück und Wohl eines Individuums häufigidentisch; und ein zufriedener, glücklicher Stamm wird besser gedeihen als ein unzufriedener und unglücklicher. Wir haben gesehen, daß schon in einer frühen Periode der Geschichte die ausgesprochenen Wünsche der Gesamtheit großen Einfluß auf das Verhalten des einzelnen ausgeübt haben mag; und da alle nach Glück streben, wird das Prinzip des "größtmöglichen Glücks" ein sehr wichtiger sekundärer Führer und wichtiges Ziel geworden sein. Der soziale Instinkt im Verein mit der Sympathie, die zu unserer Empfänglichkeit für die Billigung oder Mißbilligung anderer führte, hat jedoch sicher als der primäre Impuls und Führer gedient. Damit wäre die Meinung zurückgewiesen, daß man den Grund der edelsten Seite unserer Natur in dem niedrigen Prinzip der Selbstsucht zu suchen habe; es sei denn, daß man die Befriedigung jedes Tieres nach der Befolgung seiner eigenen Instinkte und seine Unzufriedenheit, wenn dies unmöglich war, selbstsüchtig nennen will. Die Wünsche und Meinungen der Glieder derselben Gemeinschaft, die zuerst mündlich überliefert, später aber aufgezeichnet wurden, bilden entweder die einzige Richtschnur unseres Verhaltens oder verstärken doch wenigstens die sozialen Instinkte; indessen haben die Wünsche häufig eine diesen Instinkten zuwiderlaufende Richtung. Ein gutes Beispiel zu dieser Tatsache bildet der "Ehrenkodex" d. h. das Gesetz von der Meinung unseresgleichen und nicht von allen unseren Landsleuten. Ein Vergehen gegen dieses Gesetz hat selbst bei strengster Wahrung der sittlichen Schranken vielen Menschen mehr Qualen bereitet als ein wirkliches Verbrechen. Denselben Einfluß erkennen wir bei dem Gefühl brennender Scham, das viele von uns fühlen, wenn sie sich nach Jahren noch an eine zufällige Nichtbeachtung einer unbedeutenden, aber einmal feststehenden Vorschrift der Etikette erinnern. Das Urteil der Gesamtheit wird im allgemeinen von einer großen Erfahrung dessen geleitet werden, was sich im Laufe der Zeit als das Beste für alle herausgestellt hat; nicht selten aber ist dies Urteil durch Unwissenheit und Mangel an Denkfähigkeit in die Irre geleitet. Daher konnten die seltsamsten Sitten und abergläubischen Gebräuche, die in ausgesprochenstem Gegensatz zum Wohl und Glück der Menschheit stehen, in der ganzen Welt allmächtig werden. Wir erkennen dies an dem Entsetzen eines Hindus, der die Grenzen seiner Kaste überschreitet, wie in vielen ähnlichen Fällen. Es dürfte schwer sein, einen Unterschied zu finden zwischen den Gewissensbissen eines Hindus, der unreine Nahrung zu sich genommen hat, und den Gewissensbissen nach einem Diebstahl; die ersteren sind aber wahrscheinlich schlimmer. Wir wissen nicht, wie so viele abgeschmackte Verhaltungsmaßregeln und religiöse Glaubensformen entstanden sind, noch wie sie sich in allen Teilen der Welt so tief in die Seele der Menschen einprägen konnten. Es ist aber der Bemerkung wert, daß ein dem Gehirn in seiner aufnahmefähigsten Zeit beharrlich eingeschärfter Glaube schließlich fast die Natur eines Instinkts ans zunehmen scheint: das eigentliche Wesen des Instinkts besteht darin, daß er ohne Überlegung befolgt wird. Wir können auch nicht sagen, warum gewisse bewunderungswürdige Tugenden, wie Wahrheitsliebe, von einigen wilden Stämmen höher eingeschätzt werden als von anderen43, noch auch, warum ähnliche Unterschiede zwischen hochkultivierten Völkern bestehen. Da wir wissen, wie fest manche seltsame Sitte, mancher Aberglaube eingewurzelt ist, sind wir von der Wahrnehmung überrascht, daß die das Selbst betreffenden Tugenden uns jetzt so natürlich erscheinen – obgleich sie tatsächlich auf der Verstandestätigkeit beruhen – als ob sie angeboren wären, wenn sie auch von dem Menschen im Urzustände nicht hoch bewertet wurden. Ungeachtet vieler Zweifel kann der Mensch im allgemeinen leicht zwischen den höheren und niederen moralischen Regeln unterscheiden. Die höheren gründen sich auf die sozialen Instinkte und beziehen sich auf die Wohlfahrt anderer. Sie werden durch die Billigung unserer Mitmenschen und unsere eigene Vernunft unterstützt. Die niederen, trotzdem manche von ihnen, die Selbstaufopferung verlangen, schwerlich die Bezeichnung "niedere" verdienen, beziehen sich hauptsächlich auf das Ich und entspringen der durch Erfahrung und Kultur gereiften öffentlichen Meinung. Von rohen Völkerstämmen werden diese nicht befolgt. Wenn der Mensch in der Kultur fortschreitet und kleine Stämme zu größeren Gemeinwesen sich vereinigen, so führt die einfachste Überlegung jeden Einzelnen schließlich zu der Überzeugung, daß er seine
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sozialen Instinkte und Sympathien auf alle, also auch auf die ihm persönlich unbekannten Glieder desselben Volkes auszudehnen habe. Wenn er einmal an diesem Punkte angekommen ist, kann ihn nur noch eine künstliche Schranke hindern, seine Sympathien auf die Menschen aller Nationen und aller Rassen auszudehnen. Wenn diese Menschen sich in ihrem Äußeren und ihren Gewohnheiten bedeutend von ihm unterscheiden, so dauert es, wie uns leider die Erfahrung lehrt, lange, bevor er sie als seine Mitmenschen betrachten lernt. Wohlwollen über die Schranken der Menschheit hinaus, d. h. Menschlichkeit gegen die Tiere, scheint eines der am spätesten erworbenen sittlichen Güter zu sein. Wilden ist es mit Ausnahme gegen ihre Lieblingstiere unbekannt. Wie wenig es noch den alten Römern bekannt war, zeigen in abschreckendster Weise ihre Gladiatorenkämpfe. Die Idee der Humanität war den Gauchos der Pampas ganz neu, wovon ich mich überzeugen konnte. Diese Tugend, eine der edelsten, die dem Menschen eingepflanzt ist, scheint sich bei zunehmender Verfeinerung und Erweiterung unseres Wohlwollens nebenher zu entwickeln, bis sie mit der Ausdehnung desselben auf alle empfindende Wesen ihren Höhepunkt erreicht. Sobald diese Tugend von einigen wenigen Menschen ausgeübt und verehrt wird, dehnt sie sich durch Unterricht und Beispiel auch auf die Jugend aus und eventuell auch auf die öffentliche Meinung. Die höchstmögliche Stufe moralischer Kultur ist die Erkenntnis, daß wir auch über unsere Gedanken eine Kontrolle ausüben und "nicht einmal in unseren geheimsten Vorstellungen die Sünden noch einmal nachdenken sollen, die uns die Vergangenheit so angenehm machten"44. Was jede schlechte Handlung dem Gemüt vertraut macht, erleichtert auch ihre Allsführung um vieles. Wie Marc Aurel vor langer Zeit schon sagte: "Wie gewöhnlich deine Gedanken sind, so ist auch der Charakter deiner Seele; denn die Seele wird von den Gedanken gefärbt45." Unser großer Philosoph Herbert Spencer hat seine Ansichten über das moralische Gefühl dargelegt. Er sagt46: "Ich glaube, daß die Erfahrungen der Nützlichkeit, die durch alle vergangenen Generationen der menschlichen Rasse organisiert und konsolidiert worden sind, entsprechende Modifizierungen hervorgebracht haben, die durch fortgesetzte Überlieferung und Anhäufung in uns zu gewissen Fähigkeiten moralischer Intuition geworden sind; gewisse Erregungen entsprechen dem rechten und unrechten Betragen, die keine ersichtliche Grundlage in Erfahrungen des Individuums über die Nützlichkeit haben." Wie mir scheint, besteht nicht die geringste in der Sache selbst liegende Unwahrscheinlichkeit, daß Neigungen zur Tugend mehr oder weniger stark forterben; denn abgesehen von der Vererbung verschiedener Anlagen und Gewohnheiten bei unseren Haustieren, habe ich von authentischen Fällen gehört, in denen die Neigung zu Diebstahl und Lüge in Familien selbst der oberen Klassen fortzuerben schien. Und da der Diebstahl in wohlhabenden Kreisen ein ziemlich seltenes Verbrechen ist, können wir kaum eine zufällige Übereinstimmung annehmen, wenn diese Neigung in zwei oder drei Gliedern derselben Familie auftritt. Wenn nun aber schlechte Anlagen vererbt werden, so ist es wahrscheinlich, daß auch gute auf die Kinder übergehen. Daß der Zustand des Körpers mit seiner Einwirkung auf das Gehirn großen Einfluß auf die moralischen Neigungen hat, wird besonders denjenigen bekannt sein, die an chronischen Störungen der Darmund Leberfunktionen gelitten haben. Dieselbe Tatsache zeigt sich auch darin, daß "die Zerstörung und Verirrung des moralischen Gefühls oft die ersten Anzeichen geistiger Zerrüttung sind47; bekannt ist auch, daß Geisteskrankheiten häufig erblich sind. Ohne das Prinzip der Vererbung moralischer Neigungen würden uns die Unterschiede, die man in dieser Beziehung zwischen den Menschenrassen annehmen muß, unerklärlich sein. Selbst eine nur teilweise Vererbung tugendhafter Neigungen würde dem primären, mittelbar und unmittelbar von den sozialen Instinkten ausgehenden Impuls eine wertvolle Hilfe sein. Geben wir für einen Augenblick zu, daß tugendhafte Neigungen vererbt werden, so erscheint es wenigstens in bezug auf Keuschheit, Mäßigkeit, Menschlichkeit gegen Tiere usw. wahrscheinlich, daß sie sich dem Geist zuerst durch Gewöhnung, Unterricht und Beispiel eingeprägt haben, die während mehrerer Generationen in derselben Familie fortgesetzt gepflegt wurden. Daß diejenigen Individuen, welche diese Tugenden besaßen, im Kampf ums Dasein besser durchgekommen sind, scheint höchstens von untergeordneter oder gar keiner Bedeutung gewesen zu sein. Mein Hauptgrund, an einer solchen Vererblichkeit zu zweifeln, liegt darin, daß bei konsequenter Anwendung dieses Prinzips auch die sinnlosen Sitten, abergläubischen Gebräuche und Geschmacksrichtungen – z. B. der Abscheu eines Hindus vor unreiner Nahrung – vererbt werden müßten. Ich habe in keinem Fall mit Sicherheit konstatieren können, daß abergläubische Sitten und sinnlose Gewohnheiten vererbt wurden, wenn auch der Gedanke an sich nichts Unwahrscheinliches hat, daß Tiere z. B. Neigung für gewisse Arten von Nahrung oder Furcht vor gewissen Feinden erben sollten. Schließlich werden die sozialen Instinkte, die zweifellos vom Menschen wie von den Tieren zum Besten der Gesamtheit erworben worden sind, vom Anfang an Hilfsbereitschaft und Sympathie bei ihm erzeugt und ihn veranlaßt haben, ihre Billigung oder ihre Mißbilligung zu beachten. Diese Impulse werden ihm in
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der frühesten Periode der Geschichte als der primitive Maßstab für Recht und Unrecht gegolten haben. Als aber der Mensch geistig Schritt um Schritt höher stieg und auch die fernsten Konsequenzen seiner Handlungen ziehen lernte, als sein Wissen bis zu einem Punkte vorgeschritten war, wo es die Verderblichkeit der abergläubischen Gebräuche erkannte, als er mehr und mehr nicht nur das Wohl, sondern auch das Glück seiner Mitmenschen berücksichtigen lernte, als sich sein Wohlwollen, durch wohltätige Erfahrung, durch Unterricht und Beispiel verfeinert und erweitert, schließlich auf die Angehörigen aller Rassen, ja selbst auf die nutzlosen Glieder der Menschheit, die Idioten und Krüppel, und endlich auch auf die Tiere erstreckte, da wurde auch der Maßstab seiner Sittlichkeit größer und erhabener. Und die Ethiker der derivativen Schule und auch einige Intuitionisten geben zu, daß die Sittlichkeit tatsächlich seit den frühesten Zeiträumen der Menschengeschichte eine aufsteigende Linie verfolgt habe48. Da man zuweilen einen Kampf zwischen den verschiedenen Instinkten bei den Tieren wahrnehmen kann, ist es gar nicht überraschend, daß sich auch im Menschen ein Kampf zwischen seinen sozialen Instinkten und den daraus entspringenden Tugenden und andererseits den untergeordneten, augenblicklich stärkeren Trieben und Begierden abspielt. Dies ist, wie Galton49 bemerkt, um so weniger überraschend, als sich der Mensch in einer verhältnismäßig kurzen Zeit aus dem Barbarentum erhoben hat. Wenn wir einer Versuchung erlegen sind, fühlen wir eine gewisse Unzufriedenheit, Scham, Reue oder Gewissensbisse, die den durch die Unterdrückung anderer starker Instinkte hervorgerufenen Gefühlen ähnlich sind. Wir vergleichen den abgeschwächten Eindruck der vergangenen Versuchung mit den immer gegenwärtigen sozialen Instinkten, oder mit Gewohnheiten, die in der frühesten Jugend erworben und fast so stark wie Instinkte geworden sind. Wenn wir in der Versuchung nicht erliegen, so hat dies seinen Grund in der augenblicklichen Übermacht der sozialen Instinkte oder einer Gewohnheit, oder in der Erfahrung, daß diese uns bei einem späteren Vergleich mit der abgeblaßten Erinnerung der Versuchung stärker erscheinen werden und wir durch eine Verletzung derselben uns selbst Leid bereiten. – Ein Ausblick auf fernere Geschlechter braucht uns nicht fürchten zu lassen, daß die sozialen Instinkte schwächer werden; wir können im Gegenteil annehmen, daß die tugendhaften Gewohnheiten stärker und vielleicht durch Vererbung noch befestigt werden. Ist dies der Fall, so wird unser Kampf zwischen den höheren und niederen Impulsen immer mehr von seiner Schwere verlieren, und immer häufiger wird die Tugend triumphieren.
Zusammenfassung der beiden letzten Kapitel. Zweifellos ist der Unterschied zwischen der Seele des tiefststehenden Menschen und der des höchstentwickelten Tieres ganz ungeheuer groß. Ein anthropomorpher Affe würde bei objektiver Beurteilung seines eigenen Zustandes selbst zugeben müssen, daß trotz seiner Fähigkeit, einen Garten nach einem kunstreich ausgedachten Plan zu plündern, oder Steine zur Verteidigung oder zum Öffnen von Nüssen zu benutzen, der Gedanke, aus einem Stein ein Werkzeug zu formen, außerhalb des Bereichs seiner Denkkraft liege. Er müßte zugeben, daß er noch weniger dazu imstande wäre, eine Reihe metaphysischer Vorstellungen nachzudenken, ein mathematisches Problem zu lösen, über die Gottheit nachzudenken, oder die Größe eines Naturvorgangs zu bewundern. Indessen würden wahrscheinlich einige Affen erklären, daß sie tatsächlich die schöngefärbte Haut und das Fell ihrer Ehegenossen bewundern könnten. Sie würden zugeben, daß trotz ihrer Fähigkeit, anderen Affen einige Wahrnehmungen und einfache Bedürfnisse durch Schreie mitzuteilen, der Gedanke, bestimmte Ideen durch bestimmte Laute auszudrücken, noch niemals in ihrem Hirn aufgetaucht sei. Sie könnten behaupten, daß sie immer bereit seien, den Affen derselben Herde in jeder Weise beizustehen, ja selbst ihr Leben für sie zu wagen und ihre Waisen an Kindes Statt anzunehmen; doch würden sie anerkennen müssen, daß uneigennützige Liebe zu allen lebenden Wesen, die edelste Errungenschaft des Menschen, völlig über ihre Fassungskraft ginge. Aber wie groß auch der Unterschied zwischen den Seelen der Menschen und der höheren Tiere sein mag, er ist doch nur ein gradueller und kein prinzipieller. Wir haben gesehen, daß die Gefühle und Anschauungen, die verschiedenen Affekte und Fähigkeiten, wie Liebe, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Neugierde, Nachahmungstrieb, Überlegung usw., deren sich der Mensch rühmt, in ihren Anlagen und manchmal auch in einem ziemlich entwickelten Zustand in den Tieren vorhanden sind. Sie sind auch einer gewissen vererblichen Vervollkommnung fähig, wie der Hund im Vergleich zu Wolf und Schakal beweist. Wenn der Beweis geliefert wäre, daß gewisse hohe geistige Kräfte, wie die Bildung allgemeiner Begriffe, Selbstbewußtsein usw., dem Menschen allein eigen wären – was noch sehr angezweifelt werden kann –, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß diese Eigenschaften das natürliche Ergebnis anderer hochentwickelter intellektueller Fähigkeiten sind, und diese wieder das bloße Resultat eines lange fortgesetzten Gebrauchs der Sprache. Wann das neugeborene Kind die Abstraktionsfähigkeit erwirbt, seines Ichs bewußt wird und darüber nachdenkt, wissen wir nicht, noch können wir dies für die ansteigende Stufenleiter der Organismen
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feststellen. Das halb künstliche, halb instinktive Wesen der Sprache trägt noch das Merkmal ihrer allmählichen Entwickelung an sich. Der veredelnde Glaube an ein göttliches Wesen ist nicht allen Menschen eigen, und der Glaube an aktive geistige Kräfte geht aus seinen anderen geistigen Fähigkeiten hervor. Das moralische Gefühl bildet vielleicht die beste und höchste Unterscheidung zwischen dem Menschen und den anderen Tieren; ich brauche wohl aber diesen Punkt nicht wieder zu erwähnen, da ich mich eben erst bemüht habe, zu zeigen, daß die sozialen Instinkte – die elementarste Grundlage der sittlichen Beschaffenheit des Menschen50 – mit Hilfe aktiver intellektueller Kräfte und der Wirkungen der Gewohnheiten zu der goldenen Regel führen: "Was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen." Dies ist die Grundlage der Sittlichkeit. Im nächsten Kapitel werde ich die mutmaßlichen Stufen und Mittel erörtern, durch welche die verschiedenen intellektuellen und moralischen Fähigkeiten des Menschen sich allmählich herausgebildet haben. Daß eine solche Entwicklung wenigstens möglich ist, kann nicht geleugnet werden: täglich geht sie vor unseren Augen im Kinde vor sich, und wir können eine lückenlose Stufenleiter aufstellen von dem Geiste eines Idioten, der noch unter dem Tiere steht, bis hinauf zu dem Geiste eines Newton.
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Fünftes Kapitel Über die Entwickelung der intellektuellen und moralischen Fähigkeiten während der vorgeschichtlichen und zivilisierten Zeiten
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Die Abstammung des Menschen – Fünftes Kapitel
Das in diesem Kapitel zu behandelnde Thema ist von allergrößtem Interesse, kann aber nur in einer sehr
unvollkommenen und fragmentarischen Weise erörtert werden. Wallace hat in einem schon früher erwähnten vorzüglichen Aufsatz1 den Beweis zu liefern versucht, daß der Mensch nach der allmählichen Erwerbung derjenigen intellektuellen und moralischen Fähigkeiten, die ihn von den Tieren unterscheiden, nur sehr geringe, durch natürliche Auslese und andere Mittel herbeigeführte physische Modifikationen erfahren haben dürfte. Denn der Mensch sei durch seine geistigen Fähigkeiten in den Stand versetzt, "mit unverändertem Körper in harmonischem Verhältnis zu dem sich verändernden Universum zu bleiben. Er besitzt tatsächlich die Fähigkeit, seine Gewohnheiten neuen Lebensbedingungen anzupassen. Er erfindet Waffen, Werkzeuge und strategische Pläne, um sich zu verteidigen oder Nahrung zu verschaffen. Wenn er in ein kälteres Klima auswandert, schützt er sich durch Kleidung, durch Hütten und durch Feuer, und mit Hilfe des letzteren macht er sonst unverdauliche Nahrung genießbar. Er hilft seinen Gefährten auf alle mögliche Weise und denkt auf die Ereignisse der Zukunft. Selbst in einer weit zurückliegenden Periode kannte er schon eine Arbeitsteilung.
Die Tiere dagegen sind darauf angewiesen, ihren Körperbau zu verändern, um bedeutend veränderte Verhältnisse zu überdauern. Sie müssen größere Muskelkraft oder schärfere Zähne und Klauen erwerben, um neue Feinde bekämpfen zu können; oder ihr Körper muß kleiner werden, damit sie sicherer vor Entdeckung sind und der Gefahr leichter entfliehen können. Wenn sie in ein kälteres Klima auswandern, so muß der schützende Pelz dichter oder ihre ganze Konstitution verändert werden. Können sie sich nicht in dieser Weise modifizieren, so werden sie bald aufhören zu existieren. Wie Wallace mit Recht betont hat, liegt die Sache in bezug auf die intellektuellen und moralischen Fähigkeiten des Menschen ganz anders. Diese Fähigkeiten sind variabel, und wir haben allen Grund anzunehmen, daß diese Variationen zu Vererbung neigen. Daher folgt, daß diejenigen durch natürliche Zuchtwahl in hohem Maße vervollkommnet und weiterentwickelt worden sind, die dem Urmenschen und seinen affenähnlichen Vorfahren von großem Nutzen waren. Über die hohe Bedeutung der intellektuellen Fähigkeiten kann wohl kein Zweifel bestehen, da ihnen der Mensch seine hervorragende Stellung auf der Erde verdankt. Wir sehen, daß auf einer sehr niedrigen sozialen Stufe die größte Zahl von Nachkommen von denjenigen Individuen hervorgebracht werden, die mit dem größten Scharfsinn begabt sind, die besten Waffen und Fallen erfinden und benutzen und sich am wirksamsten zu verteidigen verstehen. Die Stämme, welche die größte Anzahl so begabter Menschen umfaßten, mußten an Größe zunehmen und andere bald überragen. Die Zahl hängt in erster Linie von den Subsistenzmitteln ab und diese wiederum teilweise von der physikalischen Beschaffenheit des Landes, in viel höherem Maße aber von dort ausgeübten Künsten und Fertigkeiten. Ein an Zahl wachsender, siegreicher Stamm wird häufig noch vergrößert, indem er andere Stämme aufsaugt2. Die Größe und Kraft der Menschen eines Stammes sind ebenfalls für sein Gedeihen von Bedeutung, und diese wiederum hängt teilweise von der Art und Menge der Nahrung ab. In Europa wurden die Menschen der Bronzezeit von einer stärkeren Rasse mit – wie ihre Schwertgriffe anzeigen – größeren Händen überwunden3; aber ihren Erfolg verdanken sie wahrscheinlich mehr noch ihren überlegenen Fertigkeiten. Alles, was wir von den Wilden wissen, oder erschließen können aus ihren Traditionen und aus alten Denkmälern, deren Geschichte von den gegenwärtigen Einwohnern vollständig vergessen worden ist, liefert uns den Beweis, daß von den entlegensten Zeiten an siegreiche Stämme andere verdrängt haben. Spuren und Überreste erloschener oder vergessener Stämme sind in den zivilisierten Gebieten der ganzen Erde entdeckt worden, von den wilden Ebenen Amerikas an bis hin zu den verödeten Inseln des Großen Ozeans. Heute noch drängen die zivilisierten Völker überall die Barbaren zurück, ausgenommen dort, wo das Klima dem eine tödliche Schranke setzt. Der Erfolg fällt den höher stehenden Völkern hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich, infolge ihrer Künste und Fertigkeiten zu, die Erzeugnisse des Intellekts sind. Es ist nach allen diesen Erwägungen höchst wahrscheinlich, daß sich die intellektuellen Fähigkeiten in der Menschheit durch natürliche Zuchtwahl stufenweise entwickelt haben. Diese Schlußfolgerung genügt für unseren Zweck. Sicher würde es interessant sein, die Entwickelung jeder einzelnen Fähigkeit von der Stufe an, auf der sie im Tier steht, bis zu der, die sie beim Menschen erreicht, zu verfolgen; aber weder meine
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Geschicklichkeit noch meine Kenntnisse würden dazu ausreichen. Es verdient Beachtung, daß, sobald unsere Vorfahren sozial wurden (was wahrscheinlich auf sehr früher Stufe einsetzte), der Nachahmungstrieb, die Überlegung und die Erfahrung einen immer breiteren Raum einnahmen und die intellektuellen Fähigkeiten in einer Weise stark modifizierten, von der wir nur Spuren bei den Tieren bemerken können. Bei den Affen ist ähnlich wie bei den Wilden der Nachahmungstrieb stark ausgeprägt; und die einfache Tatsache, auf die ich schon früher hinwies, daß innerhalb eines gewissen Zeitraums kein Tier an demselben Ort durch dieselbe Art von Fallen gefangen werden kann, beweist, daß Tiere sich Erfahrung zunutze machen, und die Vorsicht anderer nachahmen können. Wenn nun in einem Stamme ein Mensch, der scharfsinniger als die anderen war, eine neue Schlinge oder Waffe oder ein anderes Angriffs- und Verteidigungsmittel erfand, so veranlaßte das allereinfachste eigene Interesse die anderen Mitglieder, es ohne viel Überlegung nachzuahmen, und alle hatten einen Vorteil davon. Die gewohnheitsmäßige Ausübung jeder neuen Fertigkeit mußte in irgend einer Weise auch dazu beitragen, den Intellekt zu schärfen. Wenn die neue Erfindung sehr wichtig war, vermehrte sich der Stamm dadurch, dehnte sich aus und drängte andere Stämme zurück. In einem solchergestalt an Zahl gewachsenen Stamm war naturgemäß die Möglichkeit größer geworden, daß andere hervorragende, erfinderische Mitglieder geboren wurden. Wenn solche Menschen wieder Kinder hinterließen, denen sie ihre geistige Überlegenheit vererben konnten, wurde die Wahrscheinlichkeit der Geburt noch ingeniöserer Mitglieder noch größer, ganz besonders in sehr kleinen Stämmen. Selbst wenn sie keine Kinder hinterließen, umschloß der Stamm noch ihre Blutsverwandten; und von Landwirten4 ist nachgewiesen worden, daß durch die Erhaltung und Nachzucht einer Tierfamilie, die sich beim Schlachten als wertvoll erwiesen hat, die gewünschte Beschaffenheit erlangt worden ist. Wenden wir uns nun zu den sozialen und moralischen Fähigkeiten. Um sozial zu werden, mußten die Urmenschen oder die affenähnlichen Vorfahren des Menschen dieselben instinktiven Gefühle erwerben, die auch andere Tiere zu einem gemeinsamen Leben veranlassen; ohne Zweifel wiesen sie dieselbe allgemeine Disposition dazu auf. Sie müssen sich ungemütlich gefühlt haben, wenn sie von ihren Kameraden getrennt waren, für die sie einen gewissen Grad von Liebe fühlten; sie werden sich gegenseitig vor drohender Gefahr gewarnt und bei Angriff und Verteidigung unterstützt haben. Dies alles bedingt einen gewissen Grad von Sympathie, Treue und Mut. Solche soziale Qualitäten, deren hervorragende Bedeutung für die Tiere von niemand bestritten wird, sind ohne Zweifel von den Vorfahren des Menschen in ähnlicher Weise erworben worden, nämlich durch natürliche Zuchtwahl, unterstützt durch ererbte Gewohnheit. Wenn zwei im selben Gebiet lebende Stämme von Urmenschen in Wettbewerb traten, von denen der eine bei sonst gleichen Verhältnissen eine große Zahl mutiger, einander ergebener und treuer Mitglieder umfaßte, die in Not und Gefahr stets bereit waren, einander zu warnen, zu helfen und zu verteidigen, so ging schließlich dieser Stamm als Sieger aus dem Wettstreit hervor. Vergessen wir nicht, welche überragende Bedeutung der Treue und dem Mut in den unaufhörlichen Kämpfen der Wilden zukommt. Die Überlegenheit disziplinierter Soldaten über undisziplinierte Horden entspringt hauptsächlich dem Vertrauen jedes einzelnen in seine Gefährten. Gehorsam ist, wie Bagehot5 klar bewiesen hat, von höchstem Wert; denn jede beliebige Regierungsform ist besser als gar keine. Selbstsüchtige unverträgliche Menschen können nicht zusammenhalten, und ohne Eintracht kann nichts erreicht werden. Ein Stamm, der die obengenannten Eigenschaften in reichern Maße besitzt, wird sich ausbreiten und über alle anderen den Sieg davontragen; im Lauf der Zeit aber wird auch er seinerseits von einem anderen, noch höher entwickelten Volk überwunden werden. Das hat die Geschichte deutlich gezeigt. So streben die sozialen und moralischen Eigenschaften dahin, langsam fortzuschreiten und schließlich die ganze Welt zu erobern. Aber hier könnte die Frage erhoben werden, woher es kommt, daß in den Grenzen desselben Stammes eine große Anzahl von Gliedern soziale und moralische Eigenschaften erwarben, und wie der Grad des Vorzüglichen erhöht wurde. Es ist doch sehr zweifelhaft, ob die Nachkommen der ihren Kameraden mit Wohlwollen, Uneigennützigkeit und Treue entgegenkommenden Eltern in größerer Anzahl aufgezogen wurden als die Kinder der selbstsüchtigen und treulosen Eltern desselben Stammes. Wer bereit war, lieber sein Leben zu opfern als seine Kameraden zu verraten, wie mancher Wilde getan hat, wird häufig keine Nachkommen haben hinterlassen können, die seine edle Natur erbten. Die Tapferen, die im Krieg stets an der Spitze der Schlachtreihe kämpfen und ohne Zögern ihr Leben für die andern in die Schanze schlagen, werden im Durchschnitt eine höhere Anzahl Toter aufweisen als die anderen. Deshalb scheint es kaum wahrscheinlich zu sein, daß die Zahl der mit solchen Tugenden geschmückten Menschen oder der Maßstab ihrer Vortrefflichkeit durch natürliche Zuchtwahl, d. h. durch das Überleben des Geeignetsten, erhöht werden könnte; denn wir sprechen hier nicht mehr von einem Stamm, der über den anderen triumphiert. Obgleich die Umstände, die eine Erhöhung der Zahl so begabter Menschen innerhalb desselben Stammes herbeiführen, zu kompliziert sind, um einzeln deutlich herausgestellt zu werden, so können wir
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doch einige wahrscheinliche Schritte der Entwickelung verfolgen. Erstens wird jeder Mensch bei der zunehmenden Vervollkommnung seines Verstandes und seiner Voraussicht bald einsehen lernen, daß er, wenn er seinen Mitmenschen hilft, auch ein Anrecht auf ihre Hilfe erwirbt. Das ziemlich niedrige Motiv führt bald zur Gewohnheit, den Gefährten beizustehen, und die Gewohnheit, wohlwollende Handlungen auszuführen, kräftigt sicherlich das Gefühl von Sympathie, das den ersten Impuls zu wohlwollenden Handlungen bildet. Überdies neigen Gewohnheiten nach generationenlanger Ausübung dazu, vererbt zu werden. Ein anderer, viel wirksamerer Antrieb zur Entwickelung der sozialen Tugenden ist das Lob und der Tadel unserer Mitmenschen. Wie wir bereits gesehen haben, ist es zunächst der Instinkt der Sympathie, der uns veranlaßt, anderen Lob oder Tadel zu erteilen, während wir das erstere suchen und das letztere fürchten, wenn es auf uns bezogen wird; und dieser Instinkt ist sicher anfänglich, wie alle sozialen Instinkte, durch natürliche Zuchtwahl erworben worden. Natürlich können wir nicht sagen, auf welch früher Stufe die Vorfahren des Menschen in ihrer Entwickelung so weit waren, das Lob und den Tadel ihrer Gefährten zu beachten und sich danach zu richten. Doch scheint es, als ob schon Hunde Ermutigung, Lob und Tadel empfinden könnten. Die rohesten Wilden kennen das Gefühl des Ruhmes; das beweisen die sorgfältige Aufbewahrung der Trophäen ihrer Tapferkeit, ihre Gewohnheit, zu prahlen und auch die außerordentliche Sorgfalt, mit der sie ihre äußere Erscheinung und ihren Schmuck behandeln. Wenn sie auf die Meinung ihrer Gefährten gar keinen Wert legten, würden diese Gewohnheiten einfach sinnlos sein. Sicher empfinden sie Scham über den Bruch einiger ihrer einfacheren Gesetze und selbst Gewissensbisse, wie der Australier beweist, der abmagerte und nicht mehr schlafen konnte, weil er versäumt hatte, zur Besänftigung seines toten Weibes eine andere Frau zu töten. Obgleich ich keinen entsprechenden Fall kenne, so ist es doch kaum glaublich, daß ein Wilder, der eher sein Leben opfert, als daß er seinen Stamm verrät, der lieber ins Gefängnis geht, als sein Wort zu brechen6, nicht in seiner innersten Seele Gewissensbisse empfinden sollte, wenn er heilig gehaltene Pflichten versäumt. Aus all dem Angeführten können wir schließen, daß der Urmensch schon auf sehr früher Stufe für das Lob und den Tadel seiner Gefährten empfänglich war. Offenbar haben die Mitglieder eines Stammes das dem allgemeinen Besten am vorteilhaftesten scheinende Verhalten gebilligt und das nachteilig scheinende verworfen. Anderen Gutes zu tun – andere so zu behandeln, wie man selbst behandelt zu sein wünschte – ist der Eckstein aller Sittlichkeit. Man kann daher die Bedeutung der Freude am Lob und der Furcht vor Tadel in jenen barbarischen Zeiten kaum überschätzen. Ein Mensch, den zwar kein tiefes, instinktives Gefühl dazu trieb, sein Leben für das Wohl anderer zu opfern, aber der zu solchen Taten durch den Wunsch nach Ruhm veranlaßt wurde, entzündet durch sein Beispiel denselben Wunsch nach Ruhm in anderen Menschen und verstärkt das edle Gefühl der Bewunderung durch Übung. Vielleicht bedeutet so sein Wirken mehr für seinen Stamm, als wenn er Nachkommen zeugt, die seinen eigenen hohen Charakter ererben. Mit der Zunahme der Erfahrung und des Verstandes lernt der Mensch die Folgen seiner Handlungen berechnen, und die das Ich betreffenden Tugenden, wie Mäßigkeit, Keuschheit usw., die, wie wir bereits gesehen haben, in früheren Zeiten vollständig unbeachtet waren, gelangen zu höchstem Ansehen oder werden selbst heilig gehalten. Ich brauche nicht zu wiederholen, was ich darüber im vorhergehenden Kapitel gesagt habe. Schließlich entsteht unser moralisches Gefühl, oder unser Gewissen; ein äußerst kompliziertes Empfinden, entsprungen den sozialen Instinkten, geleitet von der Anerkennung unserer Mitmenschen, geregelt von Verstand, Eigennutz und, in späteren Zeiten, von tiefen religiösen Gefühlen, und befestigt durch Erziehung und Gewohnheit. Es darf nicht übersehen werden, daß, wenn auch ein hoher Grad von Sittlichkeit jedem einzelnen Mann mit seinen Kindern nur ein geringes Übergewicht über die anderen Menschen desselben Stammes gibt, eine Vermehrung der Zahl gutbegabter Menschen und ein Fortschritt der Sittlichkeit doch dem ganzen Stamm eine ungeheure Überlegenheit über alle anderen Stämme verleiht. Wenn ein Stamm viele Mitglieder besitzt, die aus Patriotismus, Treue, Gehorsam, Mut und Sympathie stets bereitwillig anderen helfen und sich für das allgemeine Wohl opfern, so wird er über andere Völker den Sieg davontragen; dies würde natürliche Zuchtwahl sein. Zu allen Zeiten sind in der ganzen Welt Stämme von anderen zurückgedrängt worden; und da die Sittlichkeit ein wichtiges Mittel zu ihrem Erfolg ist, wird der Grad der Sittlichkeit und die Zahl gutbefähigter Menschen überall höher und größer werden. Es ist indessen sehr schwer zu beurteilen, warum gerade dieser Stamm und nicht jener erfolgreich war und die Stufen der höchsten Zivilisation erstiegen hat. Viele Wilde befinden sich heute noch in demselben Zustand, in dem sie vor einigen Jahrhunderten bei ihrer ersten Entdeckung waren. Wie Bagehot bemerkt hat, sind wir leicht geneigt, die fortschreitende Entwickelung als das Normale in der Geschichte der Menschheit anzusehen. Die Geschichte selbst widerlegt diese Annahme. Die Alten kannten diesen
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Gedanken nicht, und den Orientalen ist er heute noch fremd. Eine andere Autorität, Sir Henry Maine7, meint sogar, "der weitaus größte Teil der Menschheit habe niemals auch nur eine Spur von dem Wunsche gezeigt, daß die Einrichtungen des bürgerlichen Lebens verbessert werden möchten." Der Fortschritt scheint das Ergebnis vieler zusammenwirkender günstiger Bedingungen zu sein, die viel zu kompliziert sind, um klar erkannt werden zu können. Man hat aber schon oft bemerkt, daß ein kühles Klima äußerst günstig wirkt, weil es zur Entwickelung von Gewerben und Kunstfertigkeiten zwingt. Die Eskimos haben unter dem Druck harter Notwendigkeit manche wertvolle Erfindung gemacht; für stetigen Fortschritt ist ihr Klima indessen zu rauh. Ein Nomadenleben – in weiten Ebenen, dichten Wäldern oder an den Seeküsten – ist in jedem Fall äußerst nachteilig. Als ich die barbarischen Bewohner des Feuerlandes beobachtete, drängte sich mir plötzlich die Überzeugung auf, daß der Besitz eines bestimmten Eigentums, ein fester Wohnsitz und die Vereinigung vieler Familien unter einem Führer die unentbehrlichsten Grundlagen der Zivilisation seien. Solche Gewohnheiten verlangen fast mit zwingender Notwendigkeit die Bebauung des Bodens; und die ersten Fortschritte in der Bodenkultur sind wahrscheinlich, wie ich schon an anderer Stelle gezeigt habe8, die Folge irgend eines Zufalles gewesen; so können z. B. die Samen irgend eines Fruchtbaumes auf einen Abraumhaufen fallen und dann eine hervorragend schöne Varietät hervorbringen. Jedoch ist das Problem des ersten Schrittes der Wilden zur Zivilisation heute noch zu schwer, um gelöst zu werden.
Die natürliche Zuchtwahl in ihrer Einwirkung auf zivilisierte Völker. Ich habe bisher nur die Entwickelung des Menschen aus dem Zustand des Halbmenschen bis zu dem des heute lebenden Wilden geschildert. Es dürfte jedoch der Mühe wert sein, einige Bemerkungen über den Einfluß der natürlichen Zuchtwahl auf die zivilisierten Völker hinzuzufügen. Dieser Gegenstand ist recht gut von W. Greg9 und früher schon von Wallace und Galton10 behandelt worden. Die meisten meiner Bemerkungen sind diesen drei Schriftstellern entnommen. Unter den Wilden werden die an Körper und Geist Schwachen bald eliminiert; die Überlebenden sind gewöhnlich von kräftigster Gesundheit. Wir zivilisierten Menschen dagegen tun alles mögliche, um diese Ausscheidung zu verhindern. Wir erbauen Heime für Idioten, Krüppel und Kranke. Wir erlassen Armengesetze, und unsere Ärzte bieten alle Geschicklichkeit auf, um das Leben der Kranken so lange als möglich zu erhalten. Wir können wohl annehmen, daß durch die Impfung Tausende geschützt werden, die sonst wegen ihrer schwachen Widerstandskraft den Blattern zum Opfer fallen würden. Infolgedessen können auch die schwachen Individuen der zivilisierten Völker ihre Art fortpflanzen. Niemand, der etwas von der Zucht von Haustieren kennt, wird daran zweifeln, daß dies äußerst nachteilig für die Rasse ist. Es ist überraschend, wie bald Mangel an Sorgfalt, oder auch übel angebrachte Sorgfalt, zur Degeneration einer domestizierten Rasse führt; ausgenommen im Falle des Menschen selbst wird auch niemand so töricht sein, seinen schlechtesten Tieren die Fortpflanzung zu gestatten. Die Hilfe, die wir dem Hilflosen schuldig zu sein glauben, entspringt hauptsächlich dem Instinkt der Sympathie, die ursprünglich als Nebenform des sozialen Instinkts auftrat, aber in der schon früher angedeuteten Weise allmählich feiner und weitherziger wurde. Jetzt können wir diese Sympathie nicht mehr unterdrücken, selbst wenn unsere Überlegung es verlangte, ohne daß dadurch unsere edelste Natur an Wert verlöre. Der Chirurg mag sich hart machen, wenn er eine Operation ausführt; denn er weiß, daß sie zum Besten des Kranken dient. Wenn wir aber absichtlich die Schwachen und Hilflosen vernachlässigen wollten, so wäre das nur zu rechtfertigen, wenn das Gegenteil ein größeres Übel, die Unterlassung aber eine Wohltat herbeiführen würde. Wir müssen uns daher mit den ohne Zweifel nachteiligen Folgen der Erhaltung und Vermehrung der Schwachen abfinden. Doch scheint wenigstens ein ständiges Hindernis dieses Vorgangs zu existieren, nämlich die bei den seh wachen und inferioren Mitgliedern geringere Neigung zum Heiraten als bei den Gesunden. Dies Hindernis könnte noch viel wirksamer werden, wenn die körperlich und geistig Schwachen sich der Ehe enthielten. Allerdings kann dies mehr erhofft als erwartet werden. In jedem Lande mit einem großen stehenden Heer werden die brauchbarsten jungen Leute bei der Konskription genommen oder ausgehoben. Sie werden so im Falle eines Kriegs frühem Tode ausgesetzt, werden häufig zu Lastern verführt und in der Blüte ihres Lebens am Heiraten gehindert. Die kleineren und schwächeren Männer dagegen bleiben zu Hause und haben infolgedessen viel mehr Aussicht, sich zu verheiraten und ihre Art fortzupflanzen11. Der Mensch häuft Eigentum an und hinterläßt es seinen Kindern, so daß die Nachkommen reicher Leute, auch abgesehen von körperlicher und geistiger Überlegenheit, mehr Aussicht auf Erfolg haben als die Armen. Andererseits gelangen die Kinder von kurzlebigen Eltern, die im großen ganzen selbst von schwacher Gesundheit und Kraft sind, früher in den Besitz ihres Erbes als andere, können daher eher heiraten und eine größere Zahl von Nachkommen zeugen, die ihre schwache
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Konstitution erben. Das Erben von Besitz ist an sich durchaus kein Übel; denn ohne die Anhäufung von Kapital könnten die Künste keine Fortschritte machen, durch deren Einfluß sich diezivilisierten Völker vor allem ausdehnten und noch ausdehnen, so daß sie alle anderen, tiefer stehenden Rassen verdrängen. Auch stört die mäßige Anhäufung von Wohlstand den Vorgang der natürlichen Zuchtwahl nicht. Wenn ein armer Mann mäßig großen Reichtum erwirbt, so werden dadurch seine Kinder in Verhältnisse und Berufe versetzt, die genug Kampfund Anstrengung erfordern, so daß der Fähigste an Körper und Geist am erfolgreichsten sein wird. Die Existenz einer Menge gebildeter Menschen, die nicht für ihr tägliches Brot zu arbeiten haben, ist in einem Grad von Bedeutung, der nicht überschätzt werden kann; denn alle intellektuelle Arbeit wird von ihnen verrichtet, und von dieser Arbeit hängt der materielle Fortschritt jeglicher Art ab, andere und höhere Vorteile gar nicht zu erwähnen. Ohne Zweifel degradiert der Reichtum, wenn er zu groß wird, die Menschen zu nutzlosen Drohnen; aber ihre Zahl wird stets beschränkt sein. Und auch hier findet eine Art von Elimination statt; denn täglich sehen wir, wie reiche Narren und Verschwender ihren Reichtum verschleudern. Primogenituren mit Fideikomissen sind ein unmittelbares Übel, obgleich sie früher als Mittel zur Erziehung einer herrschenden Klasse sehr vorteilhaft gewesen sein mögen; und jede Art von Regierung ist besser als gar keine. Die Mehrzahl der Erstgeborenen, auch die an Körper und Geist Gebrechlichen, heiratet, während die jüngeren Söhne trotz ihrer Überlegenheit häufig nicht zur Ehe schreiten können. Doch können unwürdige Erstgeborene, die im Besitz von Familiengütern sind, ihren Wohlstand nicht vergeuden. Aber es sind auch hier wie in anderen Fällen die Verhältnisse des zivilisierten Lebens so kompliziert, daß ausgleichende Hindernisse eintreten. Die durch Primogenituren besitzenden Männer sind Generation nach Generation dazu berechtigt, die schönsten und begabtesten Frauen zu nehmen; im allgemeinen werden diese von gesundem Körper und lebendigem Geiste sein. Die üblen Folgen, die schon daraus hervorgehen, daß ohne Abwechselung stets dieselbe Linie weitergeführt wird, werden dadurch neutralisiert, daß die nach Macht und Reichtum strebenden Edelleute sich mit reichen Erbinnen vermählen. Wiederum sind aber die Töchter von Eltern, die nur ein Kind gezeugt haben, an sich schon zur Unfruchtbarkeit disponiert, wie Galton bewiesen hat12. Daher sterben häufig die Hauptlinien vornehmer Geschlechter aus, und der aufgehäufte Reichtum geht an eine Seitenlinie über; unglücklicherweise wird diese Linie nicht durch Superiorität irgend welcher Art bestimmt. Obgleich demnach die Zivilisation in vielfacher Weise die natürliche Zuchtwahl erschwert, begünstigt sie doch offenbar die bessere Ausbildung des Körpers, indem sie bessere Nahrung und Schutz vor gelegentlichen Notständen gewährt. Dies läßt sich daraus schließen, daß der Zivilisierte bei jedem Vergleich physisch stärker als ein Wilder erscheint13. Er scheint, wie viele abenteuerliche Expeditionen gezeigt haben, auch dieselbe Ausdauer zu besitzen. Selbst der große Luxus der Reichen scheint nicht sehr zu verweichlichen; denn die Lebensdauer unserer Aristokraten aller Altersstufen in beiden Geschlechtern scheint nur wenig kürzer zu sein als die eines gesunden Bürgers der unteren Klassen Englands14. Wir wenden uns jetzt den intellektuellen Fähigkeiten zu. Wenn auf jeder Stufe der Gesellschaft die Mitglieder in zwei Gruppen verteilt würden, deren eine die intellektuell Höheren, deren andere die Inferioren umfaßte, so würde die erstere ohne Zweifel in allen Unternehmungen am erfolgreichsten sein und die größere Zahl von Kindern aufziehen. Selbst in den niedrigsten Lebens Verhältnissen muß Geschicklichkeit und Fähigkeit von Vorteil sein, wenn dieser auch infolge der äußersten Arbeitsteilung in einigen Beschäftigungszweigen nur gering sein wird. Daher wird in den zivilisierten Völkern eine Neigung dazu bestehen, die Zahl der intellektuell Befähigten zu vergrößern und einen höheren Grad von Intelligenz von ihnen zu verlangen. Ich will jedoch nicht behaupten, daß diese Tendenz nicht in anderer Weise mehr als ausgeglichen wird, z. B. durch die Zunahme an Leichtsinnigen und Unvorsichtigen; aber selbst solchen muß Befähigung Vorteil bringen. Häufig hat man gegen Ansichten wie die eben vorgebrachte den Einwand erhoben, daß die hervorragendsten Männer aller Zeiten keine Nachkommen hinterlassen haben, die ihre große Intelligenz erben konnten. Galton sagt darüber15: "Ich bedauere, die einfache Frage nicht lösen zu können, ob und inwieweit Männer und Frauen von großem Genie unfruchtbar sind. Ich habe indessen gezeigt, daß Männer von hervorragenden Fähigkeiten es durchaus nicht sind. Große Gesetzgeber, die Stifter wohltätiger Religionen, große Philosophen und wissenschaftliche Entdecker tragen durch ihre Werke viel mehr zum Fortschritt der Menschheit bei, als wenn sie eine zahlreiche Nachkommenschaft hinterließen. Was die körperliche Struktur angeht, so ist es nicht die Erhaltung scharf markierter, seltener Anomalien, die zum Fortschritt einer Gattung führt, sondern die Weiterzüchtung der im Verhältnis besser Begabten und die Ausscheidung der verhältnismäßig Minderbegabten16. Ebenso wird es sich mit den intellektuellen Fähigkeiten verhalten, da die etwas befähigteren Menschen in jeder Gesellschaftsklasse mehr Erfolg haben als die Unbefähigten und deshalb an Zahl zunehmen, wenn kein Hindernis eintritt. Wenn in irgend einem
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Volk der Maßstab der Intelligenz erhöht worden und die Zahl der intelligenten Menschen gewachsen ist, so können wir nach dem Gesetz der Abweichung vom Durchschnitt mit Galton annehmen, daß auch Genies häufiger erscheinen als vorher. In bezug auf die moralischen Fähigkeiten findet auch eine gewisse Ausscheidung der am schlechtesten Veranlagten selbst in den zivilisiertesten Völkern statt. Verbrecher werden hingerichtet oder für lange Zeit eingekerkert, so daß sie ihre schlechten Eigenschaften nicht weitervererben können. Schwermütige und geisteskranke Personen werden in Gewahrsam gehalten oder begehen Selbstmord. Heftige, streitsüchtige Menschen nehmen oft ein blutiges Ende. Die Ruhelosen, die keine stetige Beschäftigung annehmen wollen – ein Überrest des Barbarentums, der ein großes Hindernis für die Kultur bildet17 –, begeben sich nach neugegründeten Kolonien, wo sie sich als nützliche Pioniere erweisen. Unmäßigkeit wird in so hohem Grade verderblich, daß die voraussichtliche Lebensdauer der Unmäßigen z. B. im Alter von 30 Jahren nur 13,8 Jahre beträgt, während sie sich für die Arbeiter auf dem Lande in England beim selben Alter auf 40,59 Jahre stellt18.Ausschweifende Frauen haben nur wenig Kinder, und ausschweifende Männer schließen selten eine Ehe; beide leiden durch die Entwickelung konstitutioneller Krankheiten. Bei der Zucht von Haustieren ist die Ausscheidung derjenigen Individuen, die in irgend einer wichtigen Beziehung minderwertig sind, auch bei geringer Zahl keineswegs unbedeutend für den Enderfolg. Dies gilt besonders für die unerwünschten Merkmale, die, wie die schwarze Farbe der Schafe, als Rückschlag in einen früheren Zustand erscheinen. Es ist leicht möglich, daß auch bei den Menschen schlechte Anlagen, die ohne nachweisbare Ursache gelegentlich in einer Familie auftreten, als Rückschlag in einen noch wilden Zustand angesehen werden können, von dem uns noch allzu viele Generationen trennen. Diese Annahme scheint tatsächlich durch den ganz alltäglichen Ausdruck anerkannt zu werden, daß solche Menschen das schwarze Schaf in der Familie seien. Nur wenig scheint die natürliche Zuchtwahl bei den zivilisierten Völkern auf einen erhöhten Maßstab der Sittlichkeit und eine Vermehrung der Zahl sittlich hochstehender Menschen hinzuwirken, obgleich die zugrunde liegenden sozialen Instinkte auf solche Weise erworben worden sind. Ich habe jedoch bei der Behandlung der niederen Rassen die Ursachen schon genügend erörtert, die zu einem Fortschritt der Sittlichkeit führten: die Zustimmung unserer Mitmenschen, die Erstarkung unserer Sympathie durch Gewöhnung, Beispiel und Nachahmung, Überlegung, Erfahrung, selbst eigenes Interesse, Unterricht in der Jugend und religiöse Gefühle. Greg und Galton19 haben ein weiteres Hindernis für die Vermehrung einer Klasse hervorragender Menschen in zivilisierten Ländern hervorgehoben, nämlich die Tatsache, daß die Besitzlosen und Leichtsinnigen, die häufig genug noch durch Laster aller Art hinabgezogen werden, fast ausnahmslos früh heiraten, während die Sorgsamen und Mäßigen, welche meist auch in anderen Beziehungen gewissenhaft leben, in vorgeschrittenerem Alter heiraten, um mit ihren Kindern ohne Sorgen leben zu können. Die frühzeitig Verheirateten rufen innerhalb einer gewissen Periode nicht nur eine größere Zahl von Generationen hervor, sie zeugen auch, wie Duncan gezeigt hat, viel mehr Kinder20. Überdies sind die Kinder, die von Müttern in der Blüte ihres Lebens geboren werden, schwerer und größer und deshalb wahrscheinlich lebensfähiger als die aus anderen Lebensabschnitten. So neigen also die leichtsinnigen, heruntergekommenen und lasterhaften Glieder der Menschheit dazu, sich schneller zu vermehren als die gewissenhaften, pflichtbewußten Menschen. Oder, wie Greg den Fall darstellt, "der sorglose, schmutzige, genügsame Irländer vermehrt sich wie ein Kaninchen; der mäßige, vorsichtige, sich selbst achtende, ehrgeizige Schotte in seiner ernsten Sittlichkeit, seinem durchgeistigten Glauben, seiner scharfsinnigen, selbstbeherrschten Intelligenz verbringt seine besten Jahre in Kampf und Ehelosigkeit, heiratet spät und hinterläßt wenig Kinder. Gesetzt den Fall, ein Land sei ursprünglich von tausend Sachsen und tausend Kelten bewohnt, so würden nach einem Dutzend Menschenaltern fünf Sechstel der Bevölkerung Kelten sein, aber fünf Sechstel alles Besitztums, aller Macht und Intelligenz würde sich in den Händen des einen Sechstels Sachsen befinden. Im ewigen 'Kampf ums Dasein' würde die untergeordnete, weniger begünstigte Rasse gesiegt haben, und zwar nicht kraft ihrer guten Eigenschaften, sondern kraft ihrer Fehler." Indessen stellen sich dieser nach abwärts gehenden Bewegung einige Hindernisse entgegen. Wir haben gesehen, daß die Unmäßigen eine hohe Sterbeziffer aufweisen, und daß die Ausschweifendsten wenige Nachkommen hinterlassen. Die ärmsten Klassen häufen sich in den Städten, und Dr. Stark hat nach Statistiken aus Schottland21, die über zehn Jahre umfassen, nachgewiesen, daß die Sterbeziffer in Städten auf allen Altersstufen höher ist als auf dem Land, ja "daß sie während der ersten fünf Lebensjahre fast genau doppelt so hoch ist wie in ländlichen Bezirken". Da diese Angaben sowohl die Reichen als die Armen umfassen, so würde ohne Zweifel mehr als die doppelte Anzahl von Geburten erforderlich sein, um die Zahl der armen Bewohner von Städten auf derselben Höhe zu erhalten wie die auf dem Lande. Frauen werden durch zu frühes Heiraten in hohem Grade geschädigt; in Frankreich hat man gefunden, daß "von den
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verheirateten Frauen im Alter bis zu zwanzig Jahren doppelt so viele starben als unverheiratete desselben Alters". Auch die Sterblichkeit verheirateter Männer unter zwanzig Jahren ist außerordentlich groß22; die Ursache hiervon ist jedoch zweifelhaft. Wenn die Männer, die das Heiraten vorsichtigerweise aufschieben, bis sie eine Familie bequem erhalten können, Frauen im blühendsten Alter wählen – was ja oft geschieht –, so würde das Verhältnis der Zunahme an Zahl in den besseren Klassen nur um weniges verschlechtert werden. Nach einer großen Zahl statistischer Angaben aus dem Jahre 1853 sterben in ganz Frankreich von den unverheirateten Männern im Alter von 20–30 Jahren ein sehr viel höherer Prozentsatz als von den verheirateten; z. B. starben von je 1000 unverheirateten Männern im Alter von 20–30 Jahren jährlich 11,3, während von den verheirateten unter denselben Bedingungen 6,5 starben23. Ähnliche Verhältnisse wurden in den Jahren 1863 und 1864 unter der ganzen Bevölkerung Schottlands im Alter über zwanzig Jahre nachgewiesen: es starben z. B. von je 1000 unverheirateten Männern zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr 14,97, während die Sterbeziffer der verheirateten nur 7,24, also weniger als die Hälfte betrug24. Dr. Stark bemerkt dazu: "Ein Junggesellenleben ist der Gesundheit viel schädlicher als der ungesundeste Beruf oder als der Aufenthalt in einem ungesunden Haus oder einer Gegend, wo niemals auch nur der entfernteste Versuch zu einer sanitären Hebung gemacht worden ist." Er ist der Ansicht, daß die verringerte Sterblichkeit die unmittelbare Folge der "Ehe und der regelmäßigeren häuslichen Gewohnheiten ist, die dieser Zustand mit sich bringt." Ergibt indessen zu, daß die unmäßigen, ausschweifenden und verbrecherischen Männer, deren Lebensdauer gewöhnlich gering ist, meist nicht heiraten; es muß weiterhin auch zugegeben werden, daß Männer mit schwacher Konstitution und ungenügender Gesundheit oder sonstigen geistigen und körperlichen Gebrechen oft nicht heiraten wollen oder abgewiesen werden. Dr. Stark scheint zu dem Schluß gekommen zu sein, daß die Ehe an sich eine Hauptursache zu der Verlängerung des Lebens sei, weil verheiratete ältere Männer in dieser Hinsicht beträchtlich mehr Aussicht vor unverheirateten desselben Alters haben; jedermann wird aber Fälle kennen, in denen Männer wegen ihrer schwachen Gesundheit in ihrer Jugend nicht heiraten konnten, aber ein hohes Alter erreichten, obgleich sie schwach blieben und daher immer eine verhältnismäßig geringe Aussicht auf langes Leben und eine Ehe hatten. Ein anderer bemerkenswerter Umstand scheint Dr. Starks Schlußfolgerung zu unterstützen, nämlich die im Verhältnis zu den Verheirateten sehr hohe Sterbeziffer der Witwen und Witwer in Frankreich; Dr. Farr dagegen schreibt dies der Armut, den nach der Auflösung der Familie eintretenden üblen Gewohnheiten und dem Kummer zu. Im allgemeinen können wir mit Dr. Farr schließen, daß die geringere Sterblichkeit der Verheirateten im Verhältnis zu der der Unverheirateten, die ein allgemein gültiges Gesetz zu sein scheint, "hauptsächlich die Folge der beständigen Ausscheidung unvollkommener und der geschickten Auswahl der besten Individuen innerhalb jeder der aufeinanderfolgenden Generationen ist"; die Auswahl bezieht sich hierbei nur auf die Ehe, sie beeinflußt alle körperlichen, intellektuellen und moralischen Fähigkeiten25. Wir können deshalb annehmen, daß gesunde und gute Menschen, die aus Vorsicht eine Zeitlang unverheiratet bleiben, keine hohe Sterblichkeit aufweisen. Wenn die in den beiden letzten Abschnitten angeführten und vielleicht bis jetzt noch unbekannte andere Hindernisse die leichtsinnigen, lasterhaften und sonstwie minderwertigen Glieder der menschlichen Gesellschaft nicht zurückhalten, sich schneller als die besseren Klassen zu vermehren, so wird das Volk zurückgehen, wie die Weltgeschichte oft genug gezeigt hat. Wir müssen bedenken, daß der Fortschritt kein unabänderliches Gesetz ist. Es ist sehr schwer zu sagen, warum der eine zivilisierte Staat emporsteigt, sich mächtiger entfaltet und weiter ausdehnt als ein anderer, oder warum dieselbe Nation zu einer Zeit schneller fortschreitet als in einer anderen. Wir können nur nachweisen, daß es mit einer Vermehrung der Bevölkerungszahl zusammenhängt, und zwar mit der Vermehrung intellektuell und moralisch hochbegabter Menschen, und mit der Erhöhung des allgemeinen Niveaus. Die Körperbeschaffenheit scheint nur wenig Einfluß zu haben, ausgenommen soweit, als ein kräftiger Körper einen kräftigen Geist zur Folge hat. Verschiedene Schriftsteller haben den Einwand erhoben, daß die alten Griechen, die Intellekt höher standen als irgend eine andere Rasse26, noch weiter fortgeschritten und immer zahlreicher geworden wären und schließlich ganz Europa eingenommen haben würden, wenn die Kraft der natürlichen Zuchtwahl tatsächlich und nicht illusorisch wäre. Hier sehen wir die stillschweigende Voraussetzung, die so oft in bezug auf die Körperbeschaffenheit laut wird, daß Körper und Geist eine angeborene Neigung zu aufsteigender Entwickelung haben. Entwickelung jeder Art hängt jedoch von vielen zusammenwirkenden, begünstigenden Umständen ab. Die natürliche Zuchtwahl wirkt nur in der Weise eines Versuchs. Individuen und Rassen haben unleugbaren Vorteil daraus ziehen können und sind doch vernichtet worden, da sie in anderen Beziehungen nicht genügten. Die Griechen können von ihrer Höhe aus Mangel an Eintracht gesunken sein, oder wegen der geringen Ausdehnung ihres Landes, wegen der bei ihnen herrschenden Sklaverei, oder wegen ihrer extremen Sinnlichkeit; denn sie unterlagen nicht eher, als bis sie "entnervt und
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bis ins innerste Mark verderbt waren"27. Die westlichen Völker Europas, die ihre früheren wilden Vorfahren so ungeheuer überragen und auf dem Gipfel der Zivilisation stehen, verdanken wenig oder nichts von ihrer Superiorität als unmittelbares Erbe den alten Griechen, wenn sie auch den Schriftwerken dieses hervorragenden Volkes viel verdanken. Wer kann mit absoluter Sicherheit sagen, warum die einst herrschende spanische Nation ihre Machtstellung hat aufgeben müssen? Ein noch dunkleres Rätsel ist das Erwachen der europäischen Völker aus dem Dunkel des Mittelalters. In dieser frühen Zeit, wie Galton bemerkt, hatten fast alle weicheren, der beschaulichen Betrachtung und der Bildung des Geistes ergebenen Naturen keine andere Zuflucht als den Schoß einer Kirche, die den Zölibat verlangte28; das mußte geradezu 'jede folgende Generation schädigen. Während derselben Zeit wählte die Inquisition mit äußerster Sorgfalt die freiesten und kühnsten Geister aus, um sie durch den Feuertod oder durch Einkerkerung unschädlich zu machen. In Spanien allein wurden von den wertvollsten Menschen, den Zweiflern und Forschenden, die allein den kulturellen Fortschritt herbeiführen, während drei Jahrhunderten Tausende jährlich dem bürgerlichen Leben entzogen. Der Schaden, den die katholische Kirche dadurch anrichtete, ist unberechenbar, obgleich er ohne Zweifel bis zu einem gewissen, vielleicht beträchtlichen Grad wieder ausgeglichen wurde. Und trotzdem ist Europa in unvergleichlicher Weise emporgestiegen. Die im Verhältnis zu anderen europäischen Nationen hervorragenden Erfolge der Engländer als Kolonisten sind ihrer "kühnen, beharrlichen Energie" zugeschrieben worden, eine Behauptung, die durch einen Vergleich der Fortschritte der Kanadier englischer und französischer Abkunft gut illustriert wird; wer vermöchte aber zu sagen, woher die Energie der Engländer stammt? Es ist augenscheinlich viel Wahrheit in der Annahme, daß die außerordentlichen Fortschritte der Amerikaner und ihr gesamter Volkscharakter das Produkt natürlicher Zuchtwahl sind; denn die energischeren, rastloseren, mutigeren Menschen aller Teile Europas sind in den letzten zehn oder zwölf Menschenaltern nach jenem großen Gebiet ausgewandert und haben dort reiche Erfolge geerntet29. Blickt man auf die ferne Zukunft, so scheint die Ansicht des Rev. Zincke nicht übertrieben zu sein, wenn er sagt30: "Alle anderen Zusammenhänge von Begebenheiten, z. B. die, welche die Geisteskultur Griechenlands oder die römische Kaiserzeit heraufführten, scheinen nur Zweck und Bedeutung zu haben, wenn sie in Verbindung mit dem großen Strom angelsächsischer Auswanderung nach dem Westen betrachtet werden, oder noch besser als notwendige Unterstützung desselben." So dunkel auch das Problem des kulturellen Fortschritts bleibt, so können wir doch wenigstens sehen, daß ein Volk, das innerhalb eines langen Zeitraums die größte Zahl hochintelligenter, energischer, tapferer, patriotischer, gemeinnütziger Menschen hervorbringt, über weniger begünstigte Nationen das Übergewicht erlangt. Die natürliche Zuchtwahl ist eine Folge des Kampfes ums Dasein, und dieser wiederum geht aus schneller Vermehrung hervor. Man muß das Verhältnis, in welchem sich der Mensch vermehrt, tief bedauern – ob dies weise ist, ist freilich eine andere Frage –; denn dies führt in barbarischen Stämmen zu Kindesmord und anderen Verbrechen, in zivilisierten Nationen zu äußerster Armut, zur Ehelosigkeit und den späten Heiraten der Klugen. Da der Mensch aber denselben physischen Übeln wie die Tiere unterworfen ist, hat er kein Recht, Verschonung vor den aus dem Kampf ums Dasein hervorgehenden Übeln zu erwarten. Wäre er in den Urzeiten nicht der natürlichen Zuchtwahl unterworfen gewesen, so würde er allem Anschein nach seine gegenwärtige Stellung nicht erreicht haben. Da wir in vielen Teilen der Erde ungeheuere Strecken fruchtbaren Landes antreffen, das zahlreiche glückliche Familien ernähren könnte, aber nur von einsam schweifenden Wilden bewohnt wird, so läßt sich schließen, daß der Kampf ums Dasein nicht ausreichend war, um den Menschen auf den höchstmöglichen Gipfel der Kultur zu bringen. Nach allem, was wir von dem Menschen und den Tieren wissen, existiert eine genügend große Variabilität in ihren intellektuellen und moralischen Fähigkeiten, um einen Fortschritt durch natürliche Zuchtwahl zu ermöglichen. Ohne Zweifel müssen hierzu viele günstige Umstände zusammenwirken; mit Recht mag man aber einwenden, daß die allergünstigsten Umstände nutzlos gewesen wären, wenn nicht die schnelle Vermehrung einen beständigen harten Kampf ums Dasein hervorgerufen hätte. So sehen wir z. B. in Südamerika, daß ein Volk, welches, wie die spanischen Ansiedler, die Bezeichnung "zivilisiert" wohl verdient, geneigt zu sein scheint, in Indolenz und Ignoranz zurückzusinken, wenn die Lebensbedingungen zu leicht werden. Bei hochzivilisierten Völkern hängt der beständige Fortschritt nur in beschränktem Maße von natürlicher Zuchtwahl ab; denn solche Nationen verdrängen und vernichten einander nicht wie wilde Stämme. Nichtsdestoweniger werden im Laufe der Zeit innerhalb derselben Gemeinschaft die intelligenteren Glieder erfolgreicher sein als die minderbegabten und eine höhere Nachkommenschaft hinterlassen; und dies ist eine Form der natürlichen Zuchtwahl. Die wirksameren Ursachen des Fortschritts scheinen in einer guten Erziehung in der Jugend, wenn das Gehirn am empfänglichsten ist, und in einem hohen Grade der Vortrefflichkeit zu bestehen, den die Fähigsten und Besten in ihrer Persönlichkeit darstellen, und der in Gesetzen, Gebräuchen und Überlieferungen der Nation verkörpert und der
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öffentlichen Meinung aufgenötigt wird. Indessen sollte man stets im Auge behalten, daß die Macht der öffentlichen Meinung davon abhängt, ob wir die Billigung und Mißbilligung der anderen anerkennen oder nicht; diese Anerkennung ist in unserer Sympathie begründet, die sich unzweifelhaft ursprünglich durch natürliche Zuchtwahl als eines der wichtigsten Elemente der sozialen Instinkte entwickelt hat31.
Über die Beweise, daß alle zivilisierten Völker einst Barbaren waren. Das vorliegende Thema ist so vollständig und vorzüglich von John Lubbock32, Tylor, M'Lennan und anderen behandelt worden, daß ich hier nur eine kurze Zusammenfassung ihrer Resultate zu geben brauche. Die von dem Herzog von Argyll33 und früher schon von dem Erzbischof Whately vorgebrachten Argumente für die Ansicht, daß der Mensch als zivilisiertes Wesen in die Welt gekommen sei, und daß die Wilden von dieser hohen Stufe herabgesunken seien, scheinen mir den Vergleich mit den Beweisen für die gegenteilige Ansicht nicht auszuhalten. Sicher ist die Kultur vieler Völker zurückgegangen, und es mag sein, daß manche in die tiefste Barbarei hinabgesunken sind, obgleich ich keine Beweise für diese Möglichkeit angetroffen habe. Die Feuerländer sind wahrscheinlich von anderen kriegerischen Horden gezwungen worden, sich in ihrem ungastlichen Land anzusiedeln, und mögen infolgedessen noch mehr entartet sein; es dürfte aber schwer zu beweisen sein, daß sie etwa tief unter den Botokuden ständen, welche die schönsten Teile von Brasilien bewohnen. Beweise dafür, daß alle zivilisierten Völker Nachkommen von Barbaren sind, bilden die deutlichen Spuren ihres früheren primitiven Zustandes in noch bewahrten Gebräuchen und Ansichten, in der Sprache usw.; andererseits sind Wilde fähig, selbständig eine Stufe in der Zivilisation emporzusteigen und haben es tatsächlich getan. Der Beweis für den ersten Punkt ist höchst merkwürdig, kann aber hier nicht ausgeführt werden. Ich erinnere an Fälle wie die Kunst des Zählens, die ursprünglich durch das Zählen der Finger erst der einen, dann der anderen Hand und schließlich auch der Zehen entstand, wie Tylor an den noch jetzt in manchen Gegenden gebräuchlichen Zahlausdrücken nachgewiesen hat. Spuren davon finden sich in unserem eigenen Dezimalsystem und den römischen Ziffern, wo wir nach der V, die vermutlich ein vereinfachtes Bild der menschlichen Hand darstellte, zur VI usw. übergehen, zu deren Bildung jedenfalls die andere Hand diente. Wiederum "benutzen wir Engländer das Vigesimalsystem, wenn wir von 'three score and ten' sprechen und dabei jedes 'score' als Einheit von zwanzig fassen, für die ein Karibe oder Mexikaner jedenfalls ein 'Mann' sagen würde"34. Nach den Ansichten einer großen und an Anhängern stets zunehmenden Philologenschule trägt jede Sprache die Merkmale ihrer langsamen und allmählichen Entwickelung an sich. Ebenso ist es mit der Kunst des Schreibens: denn Buchstaben sind Rudimente bildlicher Darstellung. Es ist unmöglich, M'Lennans Werk35 zu lesen, ohne zuzugeben, daß fast alle zivilisierten Völker noch Spuren brutaler Gewohnheiten, wie z. B. des gewaltsamen Raubes von Frauen, bewahrt haben. Derselbe Autor wirft die Frage auf, welches Volk des Altertums denn ursprünglich monogam gewesen sei? Ebenso war die ursprüngliche Idee des Rechtes, wie das Faustrecht und andere Gebräuche zeigen, äußerst roh. Viele heute noch lebende Formen des Aberglaubens sind die Überreste früherer falscher religiöser Anschauungen. Die höchste religiöse Vorstellung, der Glaube an einen Gott, der das Böse haßt und das Rechte liebt, war in der Urzeit unbekannt. Wenden wir uns den anderen Beweisen zu. John Lubbock hat gezeigt, daß auch in jüngster Zeit einige Wilde Fortschritte in ihren einfacheren Künsten gemacht haben. Seine äußerst merkwürdigen Berichte über die Waffen, Werkzeuge und Fertigkeiten, deren sich die Wilden in den verschiedensten Gegenden der Erde bedienen, lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß es sich fast ausnahmslos um selbständige Erfindungen handelt, abgesehen vielleicht von der Kunst des Feuermachens36. Der australische Bumerang ist ein wertvolles Beispiel solch einer unabhängigen Entdeckung. Als man zum erstenmal mit den Bewohnern von Tahiti in Berührung trat, waren sie in vielen Beziehungen fortgeschrittener als die Bewohner der anderen polynesischen Inseln. Es gibt keine triftigen Gründe für die Annahme, daß die hohe Kultur der Eingeborenen Perus und Mexikos von außen her eingeführt worden sei37. Viele einheimische Pflanzen wurden dort angebaut und einige einheimische Tiere als Haustiere gehalten. Wir sollten auch bedenken, daß ein wandernder Haufe aus einem halbzivilisierten Land, der etwa an die Küsten Amerikas verschlagen wurde, keinen großen Einfluß auf die Eingeborenen ausgeübt haben kann, wenn diese nicht selbst schon fortgeschritten waren. Denken wir nur an den geringen Einfluß der meisten Missionare. Wenn wir auf weit entlegene Perioden der Erdgeschichte zurückblicken, so finden wir, um Sir J. Lubbocks wohlbekannte Bezeichnungen anzuwenden, eine ältere und eine jüngere Steinzeit, und niemand wird behaupten wollen, daß die Kunst, rohe Feuersteinwerkzeuge zu polieren, eine entlehnte gewesen sei. In allen Teilen Europas bis zu dem fernen Griechenland, in Palästina, in Indien, Japan, Neuseeland und Afrika einschließlich Ägypten sind Werkzeuge aus Feuerstein in Massen gefunden worden; von ihrem Gebrauch wissen die
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Überlieferungen der Einwohner nichts mehr zu sagen. Indirekte Beweise für ihren Gebrauch finden sich auch noch bei den Chinesen und den Juden. Es kann daher kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß sich die Bewohner dieser Länder, die fast die ganze zivilisierte Welt umfassen, einst im Zustand der Barbarei befanden. Es heißt eine erbärmlich niedrige Auffassung von der menschlichen Natur haben, wenn man annimmt, daß die Menschen ursprünglich zivilisiert waren und Stufe um Stufe herabgesunken sind. Es ist offenbar eine richtigere und tröstlichere Annahme, daß der Fortschritt bei weitem den Rückschritt überwiegt, daß der Mensch, wenn auch langsam und in Unterbrechungen, sich aus dem niedrigsten Zustand zur heutigen Höhe seines Wissens, seiner Sittlichkeit und Religion erhoben habe.
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Sechstes Kapitel Über die Verwandtschaft und den Stammbaum des Menschen
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Die Abstammung des Menschen – Sechstes Kapitel
Selbst
wenn man zugibt, daß der Unterschied im Körperbau des Menschen und seiner nächsten Verwandten so groß ist, wie manche Naturforscher behaupten, und obgleich wir tatsächlich zugestehen müssen, daß der Unterschied in bezug auf die Geisteskräfte ungeheuer groß ist, so scheinen mir doch die in den vorigen Kapiteln angeführten Tatsachen aufs klarste darzutun, daß der Mensch von einer tiefer stehenden Form abstammt, wenn auch Zwischenglieder bis jetzt noch nicht entdeckt worden sind. Der Mensch ist zahlreichen geringfügigen und mannigfaltigen Veränderungen ausgesetzt, die durch dieselben allgemeinen Ursachen hervorgerufen und nach denselben allgemeinen Gesetzen geleitet und vererbt werden wie bei den Tieren. Der Mensch hat sich so stark vermehrt, daß er dadurch mit Notwendigkeit einem Kampf ums Dasein und folglich der natürlichen Zuchtwahl ausgesetzt worden ist. Sein Geschlecht hat sich in viele Rassen gespalten, die zum Teil so bedeutend voneinander abweichen, daß sie von den einzelnen Naturforschern schon für verschiedene Arten gehalten worden sind. Sein Körper ist nach demselben homologen Plan gebaut wie der Körper anderer Säugetiere. Er durchläuft als Embryo dieselben Phasen der Entwickelung wie sie. Auch besitzt er noch viele rudimentäre und zwecklose Bildungen, die einst ohne Zweifel nützlich waren. Gelegentlich tauchen wieder Charaktere in ihm auf, die allem Anschein nach seine ältesten Stammeltern besaßen. Wenn der Ursprung des Menschen von dem aller anderen Tiere völlig verschieden wäre, würden diese verschiedenartigen Erscheinungen nichts als eitle Täuschungen sein. Doch ist eine solche Annahme ganz unannehmbar. Andererseits sind diese Erscheinungen bis zu einem hohen Grade verständlich, wenn der Mensch mit anderen Säugetieren zusammen von einer unbekannten niederen Form abstammt.
Einige Naturforscher, die einen sehr tiefen Eindruck von den geistigen Kräften des Menschen empfangen haben, haben die gesamte organische Welt in drei Reiche eingeteilt, in das Menschen-, das Tier- und das Pflanzenreich, und so dem Menschen eine besondere Stelle eingeräumt1. Geisteskräfte können von dem Naturforscher nicht verglichen und klassifiziert werden; aber er kann versuchen, zu zeigen, wie ich es getan habe, daß die geistigen Fähigkeiten des Menschen sich von denen der Tiere nicht der Art nach, wenn auch dem Grade nach ganz ungeheuer, unterscheiden. Ein Unterschied dem Grade nach, und sei er auch noch so groß, berechtigt uns nicht, den Menschen in einem besonderen Reich unterzubringen; das wird vielleicht am besten durch den Vergleich der geistigen Kräfte zweier Insekten bewiesen, nämlich einer Schildlaus und einer Ameise, die ohne Zweifel doch derselben Klasse angehören. Der Unterschied ist hier größer, wenn auch in etwas verschiedener Art, als zwischen dem Menschen und dem höchsten Säugetier. Die weibliche Schildlaus klammert sich im Jugendzustand mit dem Rüssel an einer Pflanze an, saugt den Saft daraus, ohne sich wieder zu bewegen, wird befruchtet und legt ihre Eier; das ist ihre ganze Lebensgeschichte. Um andererseits die Gewohnheiten und Verstandeskräfte der Arbeiterameisen zu beschreiben, würde ein dickes Buch erforderlich sein, wie Pierre Huber gezeigt hat. Ich will jedoch kurz einige Punkte hervorheben. Sicher ist, daß Ameisen einander Mitteilungen machen; oft vereinigen sich mehrere zu derselben Arbeit oder zu gemeinsamem Spiel. Sie erkennen ihre Gefährten nach monatelanger Abwesenheit wieder und empfinden gegenseitige Zuneigung. Sie führen große Bauten auf, halten sie sauber, schließen des Abends die Eingänge und stellen Schildwachen auf. Sie bauen sowohl Wege als Tunnels unter Flüssen und errichten sogar fliegende Brücken, indem sie sich aneinander anklammern. Sie sammeln Nahrung für die Gemeinschaft, und wenn ein Gegenstand an den Bau gebracht wird, der für den Eingang zu groß ist, so vergrößern sie ihn und befestigen ihn dann von neuem. Sie bewahren Samen auf, dessen Keimung sie zu verhindern wissen und den sie an der Sonne trocknen, wenn er feucht geworden ist. Sie halten sich Blattläuse und andere Insekten als Milchkühe. Sie ziehen in regulären Heeren aus zu ihren Kriegen und opfern freiwillig ihr Leben für das gemeine Wohl. Sie wandern nach einem wohl vorbedachten Plane aus. Sie halten Sklaven. Sie bringen die Eier ihrer Blattläuse so gut wie ihre eigenen Eier und Puppen in warme Teile des Nestes, damit die Jungen um so schneller ausschlüpfen; unzählige ähnliche Tatsachen könnten angeführt werden2. Im ganzen genommen ist also der Unterschied in den Geisteskräften der Ameise und der Schildlaus ungeheuer groß, und doch ist es noch keinem Menschen auch nur im Traum eingefallen, diese Insekten in verschiedene Klassen, wieviel weniger in verschiedene Reiche zu stellen. Der Unterschied wird ohne Zweifel durch andere Insekten überbrückt, was bei dem Menschen und den höheren Affen nicht der Fall ist. Wir haben aber allen
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Die Abstammung des Menschen – Sechstes Kapitel
Grund, zu vermuten, daß der Sprung in dieser Reihe einfach daher kommt, daß viele Formen ausgestorben sind. Prof. Owen hat, indem er sich dabei hauptsächlich auf die Struktur des Gehirns stützte, die Säugetiere in vier Unterklassen eingeteilt. Eine derselben reserviert er für den Menschen; in einer anderen bringt er die Beuteltiere samt den Kloakentieren unter; er unterscheidet also den Menschen von allen anderen Säugetieren ebensosehr wie diese beiden Gruppen zusammengenommen. Soviel ich weiß, ist diese Ansicht von keinem Naturforscher angenommen worden, der eines selbständigen Urteils fähig ist, und braucht deshalb hier nicht weiter erörtert zu werden. Wir verstehen, warum eine Klassifikation, die sich nur auf einen einzigen Charakter oder nur auf ein Organ stützt – sei es auch so wunderbar kompliziert und wichtig wie das Gehirn – oder auf die hohe Entwickelung der geistigen Fähigkeiten, sich fast stets als ungenügend erweisen wird. Man hat diesen Grundsatz in der Tat auf die Hymenopteren anzuwenden versucht; wenn sie aber nach ihren Gewohnheiten oder Instinkten klassifiziert wurden, so zeigte sich diese Einteilung als durchaus künstlich3. Klassifikationen können natürlich auf jeden beliebigen Charakter, auf die Größe, die Farbe oder das Lebenselement gegründet werden; doch haben die Naturforscher schon lange die Überzeugung gehegt, daß ein natürliches System existiere. Wie jetzt allgemein zugegeben wird, muß dieses System in seiner Anordnung so weit als möglich die Abstammung berücksichtigen, d. h. die Abkömmlinge derselben Form müssen in eine Gruppe, getrennt von den Abkömmlingen einer anderen Form, zusammengefaßt werden. Wenn aber die Stammformen verwandt sind, so werden es auch ihre Nachkommen sein, und beide vereint bilden dann zusammen eine größere Gruppe. Die Größe der Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen – d. h. die Größe der Modifikation, die jede erlitten hat – wird durch Bezeichnungen wie Gattung, Familie, Ordnung und Klasse ausgedrückt. Da wir keinen Bericht über die Abstammungsreihen haben, so kann der Stammbaum nur dadurch festgestellt werden, daß man den Grad der Ähnlichkeit zwischen den zu klassifizierenden Wesen untersucht. Zu diesem Zwecke sind zahlreiche Punkte der Ähnlichkeit von viel größerer Bedeutung als der Betrag der Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit in einigen wenigen Punkten. Wenn zwei Sprachen gefunden würden, die einander in einer großen Zahl von Worten und Konstruktionen ähnelten, würden sie allgemein als aus derselben Quelle entsprungen anerkannt werden, wenn sie auch in einigen wenigen Worten und Konstruktionen die größten Unterschiede zeigten. Bei organischen Wesen darf ihre Ähnlichkeit nicht auf der Anpassung an gleiche Lebensgewohnheiten beruhen; es können z. B. die Körper zweier Tiere vollständig dem Aufenthalt im Wasser angepaßt sein, ohne daß diese Tiere sich im natürlichen System näher stehen. Hieraus erkennen wir, warum Ähnlichkeiten in nebensächlichen Bildungen, in nutzlosen und rudimentären Organen, die nicht mehr funktionieren oder sich in einem embryonalen Zustand befinden, zur Klassifikation am wertvollsten sind; sie können schwerlich Anpassungen einer späteren Periode sein und offenbaren uns deshalb die alten Linien der Abstammung oder der wahren Verwandtschaft. Wir sehen ferner, warum die bedeutende Modifikation eines einzigen Charakters uns nicht dazu verleiten darf, zwei Organismen weit voneinander zu trennen. Ein Teil, welcher bereits von dem entsprechenden Teil einer nahe verwandten Form beträchtlich abweicht, hat schon, gemäß der Entwickelungslehre, bedeutend variiert; folglich wird er – solange der Organismus denselben verursachenden Bedingungen ausgesetzt bleibt – noch weitere Variationen derselben Art erleiden, die erhalten und fortgesetzt vergrößert werden, wenn sie von Nutzen sind. In vielen Fällen würde die beständige Weiterentwickelung eines Teiles, z. B. des Schnabels eines Vogels oder der Zähne eines Säugetieres, der Art nicht dazu verhelfen, ihre Nahrung zu erlangen oder einen anderen Zweck zu erreichen; beim Menschen jedoch sehen wir keine bestimmten Grenzen für die fortgesetzte Entwickelung seines Gehirnsund seiner geistigen Fähigkeiten, wenigstens soweit ein Vorteil dabei in Betracht kommt. Deshalb sollte bei der Bestimmung der Stellung des Menschen innerhalb des natürlichen oder genealogischen Systems die außerordentliche Entwickelung seines Gehirns nicht schwerer wiegen als eine große Anzahl von Ähnlichkeiten in anderen, weniger wichtigen oder ganz unbedeutenden Punkten. Die meisten Naturforscher, welche den ganzen Körperbau des Menschen einschließlich seiner geistigen Fähigkeiten in Betracht gezogen haben, haben sich Blumenbach und Cuvier angeschlossen und ihn in einer besonderen Ordnung der "Zweihänder" untergebracht und somit in eine gleiche Stellung gebracht wie die Ordnungen der "Vierhänder", "Fleischfresser" usw. Neuerdings sind viele unserer besten Naturforscher zu der zuerst von Linné ausgesprochenen Ansicht zurückgekehrt, dessen Scharfsinn so merkwürdig ist, und haben den Menschen mit den Quadrumanen in eine Ordnung unter dem Namen "Primaten" gebracht. Die Richtigkeit dieser Schlußfolgerung muß anerkannt werden; denn in erster Linie müssen wir im Auge behalten, daß die starke Entwickelung des Gehirns beim Menschen für die Klassifikation von verhältnismäßig geringer Bedeutung ist, und daß die stark ausgeprägten Unterschiede im Schädel des
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Die Abstammung des Menschen – Sechstes Kapitel
Menschen und der Quadrumanen (auf die sich vor kurzem noch Bischoff, Aeby u. a. beriefen) augenscheinlich aus der verschiedenen Entwickelung des Gehirns folgen. Zweitens müssen wir uns daran erinnern, daß fast alle anderen Unterschiede zwischen dem Menschen und den Quadrumanen offenbar auf ihren Lebensgewohnheiten beruhen und in der Hauptsache mit der aufrechten Haltung des Menschen in Beziehung stehen, so der Bau seiner Hand, seines Fußes und seines Beckens, die Krümmung seines Rückgrats und die Haltung seines Kopfes. Die Familie der Seehunde gibt ein gutes Beispiel von der geringen Bedeutung adaptiver Charaktere für die Klassifikation. Diese Tiere weichen in der Form ihres Körpers und im Bau ihrer Glieder vielmehr von den anderen Fleischfressern ab als der Mensch von den höheren Affen; und doch werden in den meisten Systemen, von dem Cuvierschen an bis auf das von Flower4, die Seehunde als eine bloße Familie der Ordnung der Fleischfresser zugezählt. Wenn der Mensch sich nicht selbst klassifiziert hätte, würde er nie daran gedacht haben, eine besondere Ordnung für sich selbst zu gründen. Es würde den Rahmen dieser Arbeit und auch meiner Kenntnisse weit überschreiten, wollte ich auch nur die unzähligen Punkte seines Baues aufzählen, in denen der Mensch mit den anderen Primaten übereinstimmt. Unser großer Anatom und Philosoph, Prof. Huxley, hat diesen Gegenstand ausführlich erörtert5 und kommt schließlich zu dem Ergebnis, daß der Mensch in allen Teilen seiner Organisation weniger von den höheren Affen abweicht, als diese von den niederen Gliedern derselben Gruppe verschieden sind. Daher "ist es durchaus nicht berechtigt, den Menschen in eine besondere Ordnung zu stellen." In einem früheren Teil dieser Arbeit habe ich verschiedene Tatsachen angeführt, welche zeigen, wie genau der Mensch in seiner Beschaffenheit mit den höheren Säugetieren übereinstimmt; und diese Übereinstimmung muß von der großen Ähnlichkeit im Bau der kleinsten Teile und der chemischen Zusammensetzung abhängen. Ich habe als Beispiel angeführt, daß wir denselben Krankheiten und den Angriffen verwandter Parasiten ausgesetzt sind; ferner unsere gemeinsame Neigung für dieselben Reizmittel und die ähnlichen Wirkungen derselben wie auch verschiedener Arzneimittel, und andere Tatsachen mehr. Da kleine unwichtige Ähnlichkeiten zwischen dein Menschen und den Quadrumanen im allgemeinen in systematischen Werken nicht erwähnt werden, und da sie, wenn sie zahlreich vorhanden sind, unsere Verwandtschaft aufs klarste aufdecken, will ich einige solcher Punkte besonders anführen. Die Bildung unserer Gesichtszüge ist offenbar dieselbe, und die verschiedenen Gemütsbewegungen werden durch nahezu gleiche Bewegungen der Muskeln und der Haut besonders über den Augenbrauen und um den Mund herum ausgedrückt. Einige Gesichtsausdrücke sind tatsächlich fast dieselben, wie beim Weinen gewisser Affen oder beim lärmenden Lachen anderer, wobei die Mundwinkel zurückgezogen und die anderen Augenlider gerunzelt werden. Die äußeren Ohren sind auffallend gleich. Beim Menschen springt die Nase bedeutend mehr vor als bei den meisten Affen; aber wir können beim Hoolock Gibbon die Anfänge einer Adlernase erkennen, die beim Nasenaffen (Semnopithecus nasica) bis zu einem lächerlichen Extrem ausgebildet ist. Die Gesichter vieler Affen sind mit Barten geziert, Backenbärten oder Schnurrbärten. Bei einigen Arten von Semnopithecus wächst das Haupthaar zu bedeutender Länge6; bei einem Mützenaffen (Macacus radiatus) strahlt es von einem Punkte auf dem Scheitel aus und teilt sich in der Mitte. Gewöhnlich sagt man, daß die Stirn dem Menschen das edle und durchgeistigte Aussehen gebe; aber auch das dicke Haar des Mützenaffen endet nach unten ganz plötzlich und macht einer so feinen und kurzen Behaarung Platz, daß in einer geringen Entfernung die Stirn mit Ausnahme der Augenbrauen völlig nackt erscheint. Man hat irrigerweise behauptet, daß kein Affe Augenbrauen besitze. In der ebengenannten Art ist bei den einzelnen Individuen der Grad der Nacktheit an der Stirn verschieden entwickelt; Eschricht stellt fest7. daß bei unseren Kindern die Grenze zwischen der behaarten Kopfhaut und der nackten Stirn zuweilen nicht scharf gezogen werden kann, so daß wir hier also einen schlagenden Beweis von Rückschlag auf eine Verwandtschaft und Stammbaum des Menschen Stammform haben, bei welcher die Stirn noch nicht völlig nackt geworden war. Es ist bekannt, daß die Haare an unseren Armen von oben und unten her in einem Punkt am Ellbogen zusammenlaufen. Diese seltsame Anordnung, die der bei den meisten Säugetieren herrschenden ganz unähnlich ist, ist vorhanden bei dem Gorilla, dem Schimpansen, dem Orang, bei einigen Arten von Hylobates und selbst bei einigen wenigen amerikanischen Affen. Bei Hylobates agilis ist jedoch das Haar am Vorderarm in der gewöhnlichen Weise nach unten oder nach dem Handgelenk zu gerichtet. Bei H. lar steht es nahezu aufrecht mit einer ganz geringen Neigung nach vorn, so daß also in dieser letzteren Art das Haar eine Übergangsstellung einnimmt. Es kann kaum bezweifelt werden, daß bei den meisten Säugetieren die Dichte des Haares auf dem Rücken und seine Richtung geeignet ist, den Regen ablaufen zu lassen. Selbst die quergestellten Haare an den Vorderbeinen des Hundes mögen diesem Zwecke dienen, wenn er seine Schlafstellung eingenommen hat. Wallace, der die Lebensgewohnheiten des Orang sorgfältig studiert hat, bemerkt, daß die Konvergenz der Haare nach dem Ellbogen zu dazu dient, den Regen ablaufen zu lassen;
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Die Abstammung des Menschen – Sechstes Kapitel
denn während des Regens sitzt der Orang mit nach oben gebogenen Armen und umfaßt mit seinen Händen einen Zweig oder faltet sie über seinem Kopf zusammen. Nach Livingstone sitzt auch der Gorilla "im strömenden Regen mit über den Kopf erhobenen Händen"8. Wenn die eben gegebene Erklärung richtig ist, was wahrscheinlich ist, so gibt uns die Richtung der Haare an unseren eigenen Armen einen merkwürdigen Bericht von unserem früheren Zustand; denn niemand wird annehmen, daß sie uns jetzt dazu helfen, den Regen ablaufen zu lassen; bei unserer jetzigen aufrechten Stellung wären sie dazu auch nicht mehr passend gerichtet. Es würde indessen voreilig sein, in diesem Punkt dem Prinzip der Anpassung allzusehr zu vertrauen; denn es ist unmöglich, die von Eschricht gegebenen Zeichnungen von der Anordnung der Haare beim menschlichen Embryo – die der beim ausgewachsenen Menschen gleich ist – zu betrachten, ohne mit diesem ausgezeichneten Beobachter darin übeinzustimmen, daß auch noch andere und kompliziertere Ursachen hier mitgesprochen haben. Die Punkte der Konvergenz scheinen in einem gewissen Zusammenhang mit denjenigen Punkten zu stehen, die sich während der Entwickelung des Embryos zuletzt geschlossen haben. Die Anordnung der Haare auf den Gliedern scheint auch mit dem Verlauf der Rückenmarkarterien in Beziehung zu stehen9. Man darf nun aber nicht annehmen, daß die Ähnlichkeiten zwischen dem Menschen und gewissen Affen in den oben erwähnten und vielen anderen Punkten – nackte Stirn, lange Haare des Kopfes usw. – sämtlich notwendig das Resultat einer lückenlosen Vererbung von demselben gemeinsamen Stammvater oder das Resultat späterer Rückschläge seien. Viele dieser Ähnlichkeiten sind mit größerer Wahrscheinlichkeit auf analoge Variationen zurückzuführen, welche, wie ich an anderer Stelle zu zeigen versucht habe10, daher rühren, daß Abkömmlinge derselben Stammform eine ähnliche Beschaffenheit haben und durch die gleichen, ähnliche Modifikationen herbeiführenden Ursachen beeinflußt worden sind. Die ähnliche Richtung des Haares auf dem Vorderarm des Menschen und gewisser Affen wird wahrscheinlich, da dieses Merkmal fast allen anthropomorphen Affen gemeinsam ist, auf Vererbung zurückzuführen sein; doch ist auch dies nicht absolut sicher, da auch mehrere sehr verschiedene amerikanische Affen diese Erscheinung aufweisen. Obgleich, wie wir jetzt gesehen haben, der Mensch durchaus kein Recht hat, eine besondere Ordnung für sich zu bilden, so könnte er doch vielleicht eine besondere Unterordnung oder Familie für sich beanspruchen. Prof. Huxley teilt in seinem letzten Werk11 die Primaten in drei Unterordnungenein: in die Anthropoiden, zu denen nur der Mensch gehört, die Simiaden mit allen Arten von Affen, und die Lemuriden mit den verschiedenen Gattungen der Lemuren. Soweit Unterschiede in gewissen wichtigen Punkten des Körperbaus in Betracht kommen, darf der Mensch ohne Zweifel eine besondere Unterordnung für sich in Anspruch nehmen; und dieser Rang ist zu niedrig, wenn wir hauptsächlich seine geistigen Fähigkeiten ins Auge fassen. Von einem genealogischen Gesichtspunkt aus dagegen scheint es, daß dieser Rang für ihn zu hoch ist, und daß der Mensch bloß eine Familie oder selbst nur eine Unterfamilie bilden dürfe. Wenn wir uns vorstellen, drei Abstammungslinien gingen von einer gemeinsamen Stammform aus, so ist es ganz verständlich, daß nach dem Verlauf von langen Zeiträumen zwei von ihnen so wenig verändert sein könnten, daß sie noch immer als Arten derselben Gattung gelten, während die dritte Linie so sehr modifiziert sein könnte, daß sie den Rang einer distinkten Unterfamilie, Familie oder gar Ordnung verdiente. In diesem Fall ist es fast sicher, daß die dritte Linie infolge Vererbung zahlreiche kleine Ähnlichkeiten mit den anderen beiden zurückbehalten würde. Hier würde dann wieder die bis jetzt noch unlösbare Schwierigkeit eintreten, zu entscheiden, wieviel Gewicht wir bei der Klassifikation stark ausgeprägten Unterschieden in einigen wenigen Punkten – d. h. der Summe der Modifikationen – beilegen, und wieviel der großen Ähnlichkeit in zahlreichen nebensächlichen Punkten, als Andeutung der Abstammungsreihen oder der Genealogie. Den wenigen, aber bedeutenden Unterschieden großes Gewicht beizulegen, erscheint als der naheliegendste und vielleicht sicherste Weg, obgleich es korrekter erscheint, den vielen kleinen Ähnlichkeiten als Andeutungen einer wahren natürlichen Klassifikation, größere Aufmerksamkeit zu schenken. Um uns über den Menschen in diesem Punkt ein Urteil zu bilden, müssen wir einen Blick auf die Klassifikation der Simiaden werfen. Diese Familie wird von fast allen Naturforschern in die Gruppe der Catarrhinen oder Affen der Alten Welt und die Gruppe der Platyrrhinen oder Affen der Neuen Welt eingeteilt. Die ersteren werden, wie schon ihr Name verrät, durch die eigentümliche Bildung ihrer Nasenlöcher und durch das Vorhandensein von vier Prämolaren in jedem Kiefer charakterisiert; die anderen, zu denen zwei ganz verschiedene Gruppen gehören, zeichnen sich durch anders gebaute Nasenlöcher und das Vorhandensein von sechs Prämolaren in jedem Kiefer aus. Es könnten noch einige andere geringe Unterschiede angeführt werden. Nun gehört aber der Mensch durch seine Zahnbildung und den Bau seiner Nasenlöcher und einige andere Merkmale ohne Zweifel zu den Catarrhinen oder den Affen der Alten Welt; den Platyrrhinen gleicht er in keiner Weise mehr als den Catarrhinen, ausgenommen in einigen Merkmalen
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von geringer Bedeutung, die anscheinend durch Anpassung erworben sind. Es ist daher gegen alle Wahrscheinlichkeit, daß einmal einige Arten der Neuen Welt variiert und ein menschenähnliches Wesen hervorgebracht hätten, mit allen den Affen der Alten Welt eigentümlichen Merkmalen, unter gleichzeitigem Verlust aller Charaktere der eigenen Art. Es kann daher kaum ein Zweifel darüber obwalten, daß der Mensch ein Sprößling des Simiadenstammes der Alten Welt und vom Standpunkt der Abstammung aus in die Abteilung der Catarrhinen einzuordnen ist12. Die anthropomorphen Affen, nämlich Gorilla, Schimpanse, Orang und Hylobates, sind von den meisten Naturforschern als besondere Untergruppe von den übrigen Affen der Alten Welt getrennt worden. Ich weiß wohl, daß Gratiolet, der sich auf die Struktur des Gehirnes stützt, die Berechtigung dieser Untergruppe nicht zugibt; sie ist auch zweifelsohne nicht einheitlich. So ist z. B. der Orang, wie St. G. Mivart bemerkt13, "eine der besondersten und aberrantesten Formen in dieser Ordnung." Die übrigen nicht-anthropomorphen Affen der Alten Welt sind von einigen Naturforschern wieder in zwei oder drei kleinere Untergruppen eingeteilt worden; die Gattung Semnopithecus mit ihrem eigentümlich sackförmigen Magen bildet den Typus einer dieser Untergruppen. Nach Gaudry's wundervollen Entdeckungen in Attika scheint dort während des Miocäns eine Form gelebt zu haben, die Semnopithecus und Macacus verbindet. Das illustriert vielleicht die Art und Weise, in der sich einst die anderen und höheren Gruppen miteinandermischten. Wenn man zugibt, daß die anthropomorphen Affen eine natürliche Untergruppe bilden, so können wir folgern, daß irgend ein altes Glied der anthropomorphen Untergruppe der Stammvater des Menschen gewesen ist, da dieser mit jenen nicht nur in allen Merkmalen übereinstimmt, die er mit der ganzen Gruppe der Catarrhinen gemeinsam hat, sondern auch in anderen eigentümlichen Charakteren, wie in der Abwesenheit eines Schwanzes und der Gefäßschwielen, und der ganzen äußeren Erscheinung. Es ist nicht wahrscheinlich, daß ein Glied einer der anderen niederen Untergruppen nach dem Gesetz analoger Variationen ein menschenähnliches Wesen hervorgebracht haben sollte, das den höheren anthropomorphen Affen in so vielen Punkten gleicht. Ohne Zweifel hat der Mensch im Vergleich zu seinen Verwandten einen außerordentlich hohen Grad von Modifikation erlitten, und zwar hauptsächlich als Folge der starken Entwickelung des Gehirns und seiner aufrechten Haltung; trotzdem sollten wir im Auge behalten, daß er "nur eine von verschiedenen besonderen Formen der Herrentiere ist"14. Jeder Naturforscher, der das Entwickelungsprinzip anerkennt, wird zugeben, daß die beiden Hauptabteilungen der Simiaden, die Catarrhinen und Platyrrhinen, mit ihren Unterabteilungen von einem außerordentlich alten Stammvater abstammen. Die ersten Nachkommen dieses Stammvaters werden, bevor sie beträchtlich auseinandergewichen sind, noch eine einzige natürliche Gruppe gebildet haben; doch werden schon einige der Arten oder beginnenden Gattungen durch ihre abweichenden Charaktere die späteren Unterscheidungsmerkmale der Catarrhinen und Platyrrhinen angedeutet haben. Daher werden die Glieder dieser angenommenen ältesten Gruppe weder in ihrer Zahnbildung noch in dem Bau ihrer Nasenlöcher so übereingestimmt haben, wie die heutigen Catarrhinen und andererseits die Platyrrhinen, sondern in dieser Hinsicht den verwandten Lemuriden ähnlich gewesen sein, die in der Form ihrer Schnauzen und Zähne außerordentlich variieren15. Die Catarrhinen und Platyrrhinen stimmen in einer großen Zahl von Merkmalen überein, was sich schon daraus ergibt, daß sie unfraglich zu derselben Ordnung gehören. Die vielen gemeinsamen Charaktere können schwerlich unabhängig von so vielen verschiedenen Arten erworben worden sein; es müssen also diese Merkmale ererbt worden sein. Eine alte Form jedoch, die viele Merkmale mit den Catarrhinen und Platyrrhinen gemein hatte, andere Charaktere in einem Zwischenzustand und vielleicht noch einige wenige, von allen jenen beiden Gruppen angehörigen Merkmalen verschiedene besaß, würde ein Naturforscher ohne Zweifel zu den Affen gezählt haben. Da nun der Mensch vom Standpunkt der Abstammung aus zu den Catarrhinen oder dem Stamm der Alten Welt gehört, so müssen wir schließen, wie sehr sich auch unser Stolz gegen den Schluß empören mag, daß unsere Stammeltern jedenfalls so bezeichnet worden wären16. Wir dürfen jedoch nicht in den Irrtum verfallen, etwa anzunehmen, daß der älteste Stammvater des ganzen Simiadengeschlechts einschließlich des Menschen mit einem jetzt noch lebenden Affen identisch oder einem solchen auch nur sehr ähnlich gewesen sei.
Über die Geburtsstätte und das Alter des Menschen. Wir werden natürlich zu der Frage geführt, wo die Geburtsstätte des Menschen war, auf jener Entwickelungsstufe, als unsere Stammeltern sich von dem Stamm der Catarrhinen abzweigten. Die Tatsache, daß sie demselben Stamm angehören, zeigt deutlich, daß sie die Alte Welt bewohnten, nicht aber Australien oder eine ozeanische Insel, wie wir aus den Gesetzen der geographischen Verbreitung schließen könnten. In jedem großen Gebiet der Erde sind die lebenden Säugetiere nahe verwandt mit den erloschenen Arten desselben Gebietes. Es ist daher wahrscheinlich, daß Afrika früher von jetzt ausgestorbenen
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Die Abstammung des Menschen – Sechstes Kapitel
Affenarten bewohnt war, die mit dem Gorilla und dem Schimpansen nahe verwandt waren; und da diese beiden Arten jetzt die nächsten Verwandten des Menschen sind, so ist es wahrscheinlicher, daß unsere ältesten Vorfahren auf dem afrikanischen Festland gelebt haben als anderswo. Es ist jedoch zwecklos, über diesen Gegenstand zu spekulieren; denn während des Miozäns lebten in Europa zwei oder drei anthropomorphe Affen, von denen der eine, der Dryopithecus17 von Lartet, so groß wie ein Mensch, mit Hylobates nahe verwandt ist. Seit dieser weit zurückliegenden Zeit hat die Erde viele gewaltige Umwälzungen erlebt, und es war auch genügend Zeit für Wanderungen im größten Maßstabe. Wann und wo es auch gewesen sein mag: als der Mensch zuerst sein Haarkleid verlor, hat er wahrscheinlich ein heißes Land bewohnt; übrigens ein günstiger Umstand auch für die Fruchtnahrung, die er, nach Analogie mit anderen Fällen, wahrscheinlich bevorzugte. Wir sind weit davon entfernt, zu wissen, wann der Mensch zuerst von dem Stamme der Catarrhinen abzweigte; aber es muß schon in einer so entfernten Periode eingetreten sein, als die eozäne ist; denn daß die höheren Affen von den niedrigeren bereits im oberen Miozän abgezweigt waren, wird durch die Existenz des Dryopithecus bewiesen. Wir wissen auch gar nicht, wie rasch Organismen überhaupt, mögen sie nun hoch oder niedrig in der Stufenleiter stehen, unter günstigen Umständen modifiziert werden können; indessen wissen wir, daß einige Organismen ihre Form während eines enormen Zeitraums beibehalten haben. Aus dem, was wir im Zustande der Domestikation vor sich gehen sehen, lernen wir, daß innerhalb einer und derselben Periode einige der gleichaltrigen Nachkommen einer Art sich gar nicht verändert zu haben brauchen, einige nur wenig und andere wieder bedeutend sich verändert haben. So mag es mit dem Menschen der Fall gewesen sein, der im Vergleich zu den höheren Affen hochgradig modifiziert worden ist. Die große Lücke in der organischen Kette zwischen dem Menschen und seinen nächsten Verwandten, welche von keiner ausgestorbenen oder lebenden Spezies überbrückt werden kann, hat oft als schwerwiegender Einwurf vorhalten müssen gegen die Annahme, daß der Mensch von einer niederen Form abstamme; diejenigen aber, welche aus allgemeinen Gründen an das allgemeine Prinzip der Entwickelung glauben, werden diesem Einwurf kein sehr großes Gewicht beimessen. Lücken treten an allen Punkten der Reihe auf, mehr oder weniger weit, scharf und bestimmt; so z. B. zwischen dem Orang und seinen nächsten Verwandten, zwischen dem Tarsius und den anderen Lemuriden, zwischen dem Elefanten und in einer noch auffallenderen Weise zwischen dem Ornithorhynchus oder der Echidna und allen übrigen Säugetieren. Aber diese Lücken hängen lediglich ab von der Zahl der verwandten Formen, welche ausgestorben sind. In einer künftigen Zeit, die, nach Jahrhunderten gemessen, nicht einmal sehr entfernt ist, werden die zivilisierten Rassen der Menschheit wohl sicher die wilden Rassen auf der ganzen Erde ausgerottet und ersetzt haben. Wie Prof. Schaaffhausen bemerkt hat18, werden zu derselben Zeit ohne Zweifel auch die anthropomorphen Affen ausgerottet sein. Der Abstand zwischen dem Menschen und seinen nächsten Verwandten wird dann noch weiter sein; denn er tritt dann auf zwischen dem Menschen in einem – wie wir hoffen können – noch zivilisierteren Zustande als dem kaukasischen, und einem so tief in der Reihe stehenden Affen wie einem Pavian, anstatt wie jetzt zwischen dem Neger oder Australier und dem Gorilla. Was das Fehlen fossiler Reste betrifft, welche den Menschen mit seinen affenähnlichen Vorfahren verbinden könnten, so wird niemand auf diese Tatsache viel Gewicht legen, der Lyells Erörterung19 gelesen hat, worin er zeigt, daß in sämtlichen Wirbeltierklassen die Entdeckung fossiler Reste äußerst langsam vor sich geht und vom Zufall abhängt. Auch darf man nicht vergessen, daß diejenigen Gegenden, welche am wahrscheinlichsten solche Reste darbieten, die den Menschen mit irgend einem ausgestorbenen affenähnlichen Geschöpfe verbinden, bis jetzt von Geologen noch nicht untersucht sind.
Die niederen Stufen in der Genealogie des Menschen. Wir haben gesehen, daß der Mensch sich wahrscheinlich von der Abteilung der Catarrhinen oder altweltlichen Formen der Simiaden abgezweigt hat, nachdem diese Abteilung sich von den neuweltlichen Formen abgetrennt hatte. Wir wollen jetzt versuchen, den noch entfernteren Linien seiner Genealogie zu folgen, wobei wir uns in erster Linie auf die gegenseitigen Verwandtschaften zwischen den verschiedenen Klassen und Ordnungen stützen, aber auch, soweit bis jetzt möglich ist, auf die Perioden ihres sukzessiven Erscheinens auf der Erde Rücksicht nehmen. Die Lemuriden stehen unter und nahe bei den Simiaden; sie bilden eine sehr eigenartige Familie der Primaten oder sogar, nach Haeckel und anderen, eine besondere Ordnung. Diese Gruppe ist in einem ganz außerordentlichen Grade verschiedenartig und zerbröckelt, und umfaßt viele aberrante Formen. Wahrscheinlich sind viele ihrer Formen ausgestorben. Die meisten der Überbleibsel leben noch auf Inseln, namentlich auf Madagaskar und auf den Inseln des Malaiischen Archipels, wo sie keiner so scharfen Konkurrenz ausgesetzt gewesen sind wie etwa auf gut bevölkerten Kontinenten. In dieser Gruppe findet man auch viele gradweise Abstufungen, welche, wie Huxley bemerkt20,
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"unmerklich von der Krone und Spitze der tierischen Schöpfung zu Geschöpfen herabführen, von denen scheinbar nur ein Schritt zu den niedrigsten, kleinsten und wenig intelligenten Formen der plazentalen Säugetiere ist". Nach diesen verschiedenen Betrachtungen ist es wahrscheinlich, daß die Simiaden sich aus den Vorfahren der jetzt noch lebenden Lemuriden entwickelt haben, und diese wiederum aus Formen, welche in der Reihe der Säugetiere sehr tief standen. Die Beuteltiere stehen in vielen bedeutungsvollen Merkmalen unter den plazentalen Säugetieren. Sie erscheinen in einer früheren geologischen Periode, und ihr Verbreitungsbezirk war früher viel ausgedehnter als jetzt. Es wird daher allgemein angenommen, daß die Plazentalen sich von den Implazentalen oder den Beuteltieren abgezweigt haben, aber nicht etwa in Formen, welche den jetzt existierenden Marsupialien gleichen, sondern von deren Vorfahren. Die Monotremen sind offenbar mit den Marsupialien verwandt; sie bilden eine dritte und noch niedrigere Abteilung in der großen Reihe der Säugetiere. Heutigentags werden sie nur von dem Ornithorhynchus und der Echidna repräsentiert, und man kann diese beiden Formen als Überbleibsel einer bedeutend größeren Gruppe betrachten, die infolge des Zusammentreffens besonders günstiger Umstände in Australien erhalten worden sind. Die Monotremen sind ganz außerordentlich interessant, da sie in mehreren bedeutungsvollen Punkten ihres Körperbaus zu den Reptilien hinabführen. Bei dem Versuch, die Genealogie der Säugetiere und damit auch des Menschen noch weiter abwärts in der Tierreihe zu verfolgen, kommen wir mehr und mehr ins Dunkle; wie aber ein äußerst befähigter Forscher, Mr. Parker, bemerkt hat, haben wir guten Grund, anzunehmen, daß kein echter Vogel und kein echtes Reptil in die direkte Abstammungslinie eintritt. Wer hier zu erfahren wünscht, was Scharfsinn und Kenntnisse hervorbringen können, mag die Schriften Prof. Haeckels. lesen21. Ich will mich hier mit einigen allgemeinen Bemerkungen begnügen. Jeder Anhänger der Entwickelungstheorie wird zugeben, daß die fünf großen Wirbeltierklassen, nämlich Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische, sämtlich von einer gemeinsamen Stammform abstammen; denn sie haben sehr viel gemeinsam, besonders im embryonalen Zustand. Da die Klasse der Fische am niedrigsten organisiert ist und vor den übrigen auf der Erde erschienen ist, so können wir schließen, daß alle Glieder des Wirbeltierreichs von einem fischähnlichen Tiere abstammen. Die Annahme, daß so verschiedene Tiere, wie ein Affe, ein Elefant, ein Kolibri, eine Schlange, ein Frosch und ein Fisch usw., sämtlich von denselben Eltern entsprossen sein könnten, wird denjenigen ganz monströs erscheinen, welche die neueren Fortschritte der Naturgeschichte nicht mit Aufmerksamkeit verfolgt haben; denn diese Annahme setzt die frühere Existenz von Zwischengliedern voraus, welche alle diese jetzt so äußerst ungleichen Formen eng miteinander verbanden. Es ist sicher, daß Tiergruppen existiert haben oder jetzt noch existieren, welche verschiedene der großen Wirbeltierklassen mehr oder weniger eng miteinander verbinden. Wir haben gesehen, daß der Ornithorhynchus sich den Reptilien nähert; und Prof. Huxley hat entdeckt – und Cope und andere haben seine Entdeckung bestätigt –, daß die Dinosaurier in vielen wichtigen Merkmalen die Mitte zwischen gewissen Reptilien und gewissen Vögeln einhalten; die in Rede stehenden Vögel sind die straußartigen Vögel (offenbar selbst die weitverbreiteten Reste einer größeren Gruppe) und die Archaeopteryx, jene merkwürdigen Vögel der Sekundärzeit, welche einen langen Schwanz hatten wie eine Eidechse. Ferner haben nach Prof. Owen22 die Ichthyosaurier – große Meereidechsen mit Ruderfüßen – viele Verwandtschaftsbeziehungen zu Fischen oder vielmehr, nach Huxley, zu Amphibien. Diese Klasse, welche in ihrer höchsten Abteilung die Frösche und Kröten enthält, ist offenbar mit den Ganoidfischen verwandt. Diese Fische waren in alten geologischen Perioden sehr zahlreich und nach einem, wie man sich auszudrücken pflegt, generalisierten Plane gebaut, d. h. sie zeigten verschiedenartige Verwandtschaften mit anderen Gruppen von Organismen. Der Lepidosiren ist wiederum so nahe mit den Amphibien und Fischen verwandt, daß die Zoologen sich lange gestritten haben, in welche dieser beiden Gruppen er einzustellen sei. Der Lepidosiren und einige wenige ganoide Fische sind dadurch vor völliger Zerstörung gerettet worden, daß sie Flüsse bewohnen, welche schützende Zufluchtshäfen bilden und dieselbe Beziehung zu den großen Wassermassen des Ozeans darbieten, wie die Inseln zu den Kontinenten. Endlich ist ein einziges Glied der ungeheueren und verschiedenartigen Klasse der Fische, nämlich das Lanzettfischchen oder der Amphioxus, so verschieden von allen übrigen Fischen, daß Haeckel behauptet, es müßte eine besondere Klasse im Wirbeltierreiche bilden. Dieser Fisch ist merkwürdig wegen seiner negativen Merkmale; man kann kaum sagen, daß er ein Gehirn, eine Wirbelsäule, ein Herz usw. besitzt, so daß er auch von den älteren Naturforschern zu den Würmern gestellt wurde. Vor vielen Jahren bemerkte Prof. Goodsir, daß das Lanzettfischchen einige Ähnlichkeiten mit den Aszidien darbietet, wirbellosen hermaphroditischen marinen Geschöpfen, die beständig auf einer Unterlage befestigt sind. Sie erscheinen kaum als Tiere und bestehen aus einem einfachen zähen, lederartigen Sacke mit zwei kleinen vorspringenden Öffnungen. Huxley stellt sie zu den Molluskoiden, einer niedrigen Abteilung des großen Unterreichs der Mollusken; neuerdings sind sie aber von einigen Zoologen unter die Vermes oder Würmer
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Die Abstammung des Menschen – Sechstes Kapitel
gestellt worden. Ihre Larven sind in ihrer Gestalt den Kaulquappen etwas ähnlich23 und vermögen frei herumzuschwimmen. Kowalevsky24 hat beobachtet, daß die Larven der Aszidien den Wirbeltieren verwandt sind, und zwar in der Art und Weise ihrer Entwickelung, in der relativen Lage ihres Nervensystems, und in dem Besitze eines Gebildes, welches der Chorda dorsalis der Wirbeltiere sehr ähnlich ist. Kowalevskys Beobachtungen sind von Prof. Kupffer bestätigt worden. Kowalevsky schrieb mir von Neapel, daß er diese Beobachtungen noch weiter geführt habe; sollten seine Resultate sicher begründet werden, so würden sie eine Entdeckung von größtem Werte darstellen. Dürfen wir uns nun auf die Embryologie verlassen, welche sich stets als der sicherste Führer bei der Klassifikation erwiesen hat, so scheint es hiernach, als hätten wir endlich einen Faden zu jener Quelle gefunden, aus der die Wirbeltiere entsprungen sind25. Wir würden danach zu der Annahme berechtigt sein, daß in einer sehr alten Periode eine Gruppe von Tieren existierte, in vielen Beziehungen ähnlich den Larven unserer jetzt lebenden Aszidien, welche in zwei große Zweige auseinanderging; der eine, in der Entwickelung rückwärts schreitend, brachte die jetzige Klasse der Aszidien hervor, der andere erhob sich zu der Krone und Spitze des ganzen Tierreichs, indem er die Wirbeltiere entstehen ließ. Wir haben bis jetzt versucht, in großen Umrissen die Genealogie der Wirbeltiere mit Hilfe ihrer gegenseitigen Verwandtschaft zu entwerfen. Wir wollen nunmehr den Menschen betrachten, wie er gegenwärtig existiert, und ich denke, wir werden teilweise imstande sein, den Bau unserer Vorfahren in den aufeinanderfolgenden Perioden, wenn auch nicht in genauer Zeitfolge, zu rekonstruieren. Dies kann ausgeführt werden mit Hilfe der Rudimente, welche der Mensch noch besitzt, ferner der Charaktere, welche gelegentlich bei ihm infolge eines Rückschlags zur Erscheinung kommen, und endlich mit Hilfe der Gesetze der Morphologie und Embryologie. Die verschiedenen Tatsachen, auf welche ich mich hier beziehen werde, sind in den vorausgehenden Kapiteln mitgeteilt worden. Die Vorfahren des Menschen müssen einst mit Haaren bekleidet gewesen sein; beide Geschlechter hatten Barte. Ihre Ohren waren wahrscheinlich zugespitzt und beweglich; und ihr Körper ausgestattet mit einem Schwanz, der die gehörigen Muskeln besaß. Ihre Gliedmaßen und Körper wiesen viele Muskeln auf, welche jetzt nur gelegentlich wiedererscheinen, aber bei den Quadrumanen normal vorhanden sind. In dieser oder in etwas früherer Zeit liefen die große Arterie und der Nerv des Oberarms durch ein suprakondyloides Loch. Der Darmkanal gab ein Divertikel oder einen Blinddarm ab, viel größer, als er jetzt beim Menschen vorhanden ist. Nach dem Zustande der großen Zehe beim Embryo zu urteilen, war damals der Fuß fähig, zu greifen, und ohne Zweifel waren unsere Vorfahren Baumtiere, welche ein warmes, waldreiches Land bewohnten. Die Männchen hatten große Eckzähne, welche ihnen als furchtbare Waffen dienten. In einer noch viel früheren Periode war der Uterus doppelt, die Auswurfsstoffe wurden durch eine Kloake entleert, und das Auge wurde von einem dritten Augenlide oder einer Nickhaut beschützt. Noch früher müssen die Vorfahren des Menschen Wassertiere gewesen sein; denn die Morphologie lehrt ganz deutlich, daß unsere Lunge eine modifizierte Schwimmblase ist, welche einst als hydrostatisches Gebilde diente. Die Spalten am Halse des menschlichen Embryos zeigen uns, wo einst die Kiemen lagen. In den mit dem Monde oder wöchentlich wiederkehrenden Perioden einiger unserer Funktionen besitzen wir offenbar noch immer Andeutungen unseres einstigen Geburtsortes, eines von den Gezeiten umspülten Strandes. Ungefähr in dieser Periode waren die echten Nieren durch die Wolffschen Körper ersetzt. Das Herz bestand nur in der Form eines einfachen pulsierenden Gefäßes, und die Chorda dorsalis nahm die Stelle der Wirbelsäule ein. Diese uralten Vorläufer des Menschen aus den dunklen Zeiten vergangener Äonen müssen so einfach organisiert gewesen sein wie das Lanzettfischchen oder der Amphioxus, oder sogar noch einfacher. Aber noch ein anderer Punkt bedarf einer ausführlichen Erwähnung. Es ist längst bekannt, daß in dem Wirbeltierreiche das eine Geschlecht Rudimente verschiedener akzessorischer, dem Fortpflanzungssystem angehöriger Teile besitzt, welche eigentlich dem anderen Geschlecht zukommen; und es ist ermittelt worden, daß in einer sehr frühen embryonalen Periode beide Geschlechter echte männliche und weibliche Generationsdrüsen besitzen. Es scheint daher ein weit zurückliegender Vorfahr des großen Wirbeltierreichs hermaphroditisch oder androgyn gewesen zu sein26. Hier stoßen wir aber auf eine eigentümliche Schwierigkeit. In der Klasse der Säugetiere besitzen die Männchen in ihren Vesiculae prostaticae Rudimente eines Uterus mit dem daranstoßenden Kanal, sie besitzen auch Rudimente von Brustdrüsen; und einige männliche Beuteltiere haben Rudimente eines Beutels27. Es ließen sich noch andere analoge Tatsachen hinzufügen. Haben wir nun anzunehmen, daß irgend ein äußerst altes Säugetier zwitterig blieb, nachdem es die hauptsächlichsten Unterscheidungsmerkmale seiner Klasse erworben hatte, nachdem es also von den niederen Klassen des Wirbeltierreichs abgezweigt war? Dies scheint sehr unwahrscheinlich zu sein. Denn wir müssen bis zu den Fischen, der niedrigsten Klasse von allen, hinabsteigen, um jetzt noch existierende hermaphroditische Formen zu finden28. Daß verschiedene akzessorische Teile, die dem einen Geschlecht
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Die Abstammung des Menschen – Sechstes Kapitel
eigen sind, in einem rudimentären Zustande bei dem anderen Geschlechtegefunden werden, kann dadurch erklärt werden, daß das eine Geschlecht diese Organe erlangte, und sie dann in mehr oder weniger unvollkommenem Zustande auf das andere Geschlecht übertrug. Das Buch über die geschlechtliche Zuchtwahl enthält zahllose Beispiele dieser Form der Überlieferung, – so in den Fällen, wo Sporne, besondere Federn oder brillante Farben, welche von den männlichen Vögeln zum Kämpfen oder zum Schmuck erlangt worden sind, in einem unvollkommenen oder rudimentären Zustand auf die Weibchen vererbt worden sind. Daß männliche Säugetiere funktionell unvollkommene Milchdrüsen besitzen, ist in manchen Beziehungen ganz besonders merkwürdig. Die Monotremen haben die ordentlichen milchabsondernden Drüsen mit Mündungen, aber keine Zitzen; und da diese Tiere am Anfange der Säugetierreihe stehen, so ist es wahrscheinlich, daß auch die Stammformen der Klasse milchabsondernde Drüsen, aber keine Zitzen hatten. Diese Folgerung wird unterstützt von dem, was wir von ihrer Entwickelungsweise wissen; denn Prof. Turner teilte mir mit, daß nach Kölliker und Langer beim Embryo die Milchdrüsen deutlich nachgewiesen werden können, noch ehe die Warzen auch nur im mindesten sichtbar sind; und die Entwickelung nacheinander auftretender Teile am Individuum repräsentiert im allgemeinen die Entwickelung nacheinander auftretender Geschöpfe derselben Deszendenzreihe. Die Beuteltiere weichen von den Monotremen durch den Besitz von Zitzen ab, so daß diese Organe wahrscheinlich von den Beuteltieren zuerst erlangt wurden, nachdem sie von den Monotremen sich abgezweigt und sich über dieselben erhoben hatten, worauf sie dann den plazentalen Säugetieren überliefert wurden29. Niemand wird annehmen, daß die Beuteltiere noch Zwitter blieben, nachdem sie ihren gegenwärtigen Bau annähernd erreicht hatten. Wie haben wir es dann zu erklären, daß männliche Säugetiere Milchdrüsen besitzen? Es ist möglich, daß sie zuerst bei den Weibchen sich entwickelt und dann auf die Männchen vererbt haben; aber nach dem Folgenden ist dies kaum wahrscheinlich. Stellen wir uns vor, daß lange, nachdem die Stammformen der ganzen Säugetierklasse aufgehört hatten, Zwitter zu sein, beide Geschlechter Milch gaben und damit ihre Jungen ernährten, und daß, was die Beuteltiere betrifft, beide Geschlechter die Jungen in der marsupialen Tasche trugen. Dies wird nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen, wenn wir uns erinnern, daß die Männchen jetzt lebender Syngnathiden die Eier der Weibchen in ihre abdominalen Taschen aufnehmen, sie ausbrüten und, wie manche annehmen, später die Jungen ernähren30; daß ferner gewisse andere männliche Fische die Eier innerhalb ihres Mundes oder der Kiemenhöhle ausbrüten; daß gewisse männliche Kröten die rosenkranzförmigen Schnüre von Eiern von ihren Weibchen abnehmen, sie um ihre eigenen Schenkel herumwickeln und dort behalten, bis die Kaulquappen ausgekrochen sind; daß gewisse männliche Vögel die Pflicht des Brütens ganz auf sich nehmen, und daß männliche Tauben ebenso gut wie die weiblichen ihre Nestlinge mit einer Absonderung aus ihrem Kröpfe ernähren. Die oben angegebene Vermutung kam mir aber zuerst, als ich sah, daß bei männlichen Säugetieren die Milchdrüsen viel vollkommener entwickelt sind als die Rudimente der anderen akzessorischen Teile des Fortpflanzungssystems, welche eigentlich dem anderen Geschlecht angehören. Die Milchdrüsen und Zitzen können in der Form, wie sie bei männlichen Säugetieren existieren, in der Tat kaum rudimentär genannt werden; sie sind nur nicht vollständig entwickelt und nicht funktionell tätig. Sie werden bei gewissen Krankheiten sympathisch mit affiziert, wie dieselben Organe beim Weibchen. Bei der Geburt und zur Zeit der Pubertät sondern sie oft ein paar Tropfen Milch ab; so in dem merkwürdigen, früher erwähnten Falle, wo ein junger Mann zwei paar Milchdrüsen besaß. Beim Manne und anderen männlichen Säugetieren waren hier und da diese Organe in der Reifeperiode so wohl entwickelt, daß sie eine reichliche Menge von Milch absonderten. Wenn wir nun annehmen, daß während einer früheren, lange dauernden Periode die männlichen Säugetiere ihre Weibchen bei der Ernährung ihrer Nachkommenschaft unterstützten31 und daß später aus irgend einer Ursache (z. B. wenn eine kleinere Zahl von Jungen hervorgebracht wurde) die Männchen aufhörten, diese Hilfe zu leisten, so würde Nichtgebrauch der Organe während des Reifezustands dazu geführt haben, daß sie untätig wurden; und nach zwei wohlbekannten Prinzipien der Vererbung wird dieser Zustand der Untätigkeit wahrscheinlich auf die Männchen im entsprechenden Alter vererbt worden sein. Aber auf einer früheren Altersstufe werden diese Organe unaffiziert geblieben sein, so daß sie bei den Jungen beider Geschlechter gleichmäßig gut entwickelt waren.
Schluß. Carl Ernst von Baer hat die Entwickelung oder den Fortschritt in der organischen Stufenleiter besser als sonst jemand damit charakterisiert, daß dieselbe auf dem Betrag der Differenzierung und Spezialisierung der verschiedenen Teile eines Wesens beruhe, wenn es, wie ich hinzufügen möchte, zur Reife gelangt ist. Da nun Organismen mittelst der natürlichen Zuchtwahl langsam verschiedenartigen Richtungen des Lebens
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Die Abstammung des Menschen – Sechstes Kapitel
angepaßt worden sind, so werden ihre Teile mehr und mehr für verschiedene Funktionen differenziert und spezialisiert worden sein, gemäß dem Vorteil, den die physiologische Arbeitsteilung gewährt. Ein und derselbe Teil scheint oft zuerst für den einen Zweck und dann lange nachher für einen anderen, völlig verschiedenen Zweck modifiziert worden zu sein; und so sind alle Teile mehr und mehr kompliziert gemacht worden. Aber jeder Organismus bewahrt noch immer den allgemeinen Typus des Baues seiner Stammform. In Übereinstimmung mit dieser Ansicht scheint, wenn wir uns den geologischen Zeugnissen zuwenden, die Organisation im ganzen auf der Erde in langsamen und unterbrochenen Schritten vorgeschritten zu sein. In dem großen Reich der Wirbeltiere kulminierte sie im Menschen. Es darf indessen nicht angenommen werden, daß Gruppen organischer Wesen fortwährend unterdrückt werden und verschwinden, sobald andere und vollkommenere Gruppen aus ihnen entstanden sind. Wenn diese auch über ihre Vorgänger gesiegt haben, so brauchen sie doch nicht für alle Stellen im Haushalt der Natur besser zu passen. Einige alte Formen sind am Leben geblieben, weil sie geschützte Orte bewohnten, wo sie keiner sehr scharfen Konkurrenz ausgesetzt waren; und diese unterstützen uns oft bei der Konstruktion unserer Genealogien, indem sie uns ein ungefähres Bild früherer und untergegangener Bildungen geben. Wir dürfen aber nicht in den Irrtum verfallen, die jetzt lebenden Glieder irgend einer niedrig organisierten Gruppe als vollkommene Repräsentanten ihrer alten Vorfahren zu betrachten. Die ältesten Stammformen der Wirbeltiere, von denen wir einen, wenn auch nurundeutlichen Schimmerhaben, bestanden offenbar aus einer Gruppe von Seetieren32, welche den Larven der jetzt lebenden Aszidien ähnlich waren. Diese Tiere gaben wahrscheinlich einer Gruppe von Fischen den Ursprung, so niedrig organisiert wie der Lanzettfisch; und aus diesen müssen sich die ganoiden und andere, dem Lepidosiren ähnliche Fische entwickelt haben. Von derartigen Fischen führt uns ein nur sehr kleiner Schritt zu den Amphibien. Wir haben gesehen, daß Vögel und Reptilien einst innig miteinander verbunden waren, und die Monotremen bringen jetzt in einem schwachen Grade die Säugetiere mit den Reptilien in Verbindung. Für jetzt kann aber niemand sagen, auf welchem Wege die drei höheren und verwandten Klassen, die Säugetiere, Vögel und Reptilien, von den beiden niederen Wirbeltierklassen, den Amphibien und Fischen, abzuleiten sind. Innerhalb der Klasse der Säugetiere sind die einzelnen Schritte nicht schwer zu verfolgen, welche von den alten Monotremen zu den alten Marsupialien führen und von diesen zu den Stammformen der plazentalen Säugetiere. Wir können auf diese Weise bis zu den Lemuriden aufsteigen, und der Zwischenraum zwischen diesen bis zu den Simiaden ist nicht groß. Die Simiaden verzweigten sich dann in zwei große Stämme, die neuweltlichen und die altweltlichen Affen, und aus den letzteren ging endlich der Mensch, das Wunder und der Ruhm des Weltalls hervor. Wir haben auf diese Weise dem Menschen einen Stammbaum von wunderbarer Länge gegeben, aber nicht gerade, wie man meinen könnte, einen Stammbaum von edler Beschaffenheit. Die Welt scheint sich lange auf die Ankunft des Menschen vorbereitet zu haben, wie oft bemerkt worden ist; und dies ist in einem gewissen Sinne durchaus wahr; denn er verdankt seine Entstehung einer langen Reihe von Vorfahren. Hätte ein einziges Glied in dieser langen Kette niemals existiert, so würde der Mensch nicht genau das geworden sein, was er jetzt ist. Wenn wir nicht absichtlich unsere Augen schließen, so können wir nach unseren jetzigen Kenntnissen annähernd unsere Abstammung erkennen, und wir brauchen uns derselben nicht zu schämen. Der niedrigste Organismus ist etwas bei weitem Höheres als der unorganische Staub unter unseren Füßen; und kein vorurteilsfreier Mensch kann irgend ein lebendes Wesen, wie niedrig es auch stehen mag, studieren, ohne in Enthusiasmus über seine wunderbare Struktur und Eigenschaften zu geraten.
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Siebentes Kapitel Über die Rassen des Menschen
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Die Abstammung des Menschen – Siebtes Kapitel
Es ist nicht meine Absicht, hier die verschiedenen sogenannten Rassen des Menschen zu beschreiben, ich
will nur untersuchen, welchen Wert ihre Unterschiede von einem klassifikatorischen Gesichtspunkte aus haben, und wie dieselben entstanden sind. Bei der Feststellung, ob zwei oder mehrere miteinander verwandte Formen als Arten oder als Varietäten zu betrachten sind, werden die Naturforscher in der Praxis durch die folgenden Betrachtungen geleitet: durch die Größe des Unterschieds zwischen ihnen, und ob die Verschiedenheiten sich auf wenige oder viele Punkte ihres Baues beziehen, und ob dieselben von physiologischer Bedeutung sind; spezieller noch, ob diese Verschiedenheiten konstant sind. Konstanz des Charakters ist das, was hauptsächlich bewertet und wonach von den Naturforschern gesucht wird. Wenn gezeigt oder wahrscheinlich gemacht werden kann, daß die in Frage stehenden Formen eine lange Zeit hindurch distinkt geblieben sind, so wird dies ein gewichtiger Grund, sie als Spezies zu behandeln. Selbst ein unbedeutender Grad von Unfruchtbarkeit zwischen zwei Formen bei ihrer Kreuzung, oder bei ihren Nachkommen, wird allgemein als ein entscheidendes Zeugnis für ihre spezifische Verschiedenheit angesehen; und ihre Beständigkeit ohne Kreuzung innerhalb eines und desselben Bezirks wird gewöhnlich als hinreichender Beweis angesehen entweder für einen gewissen Grad von gegenseitiger Unfruchtbarkeit, oder bei Tieren als Beweis gegenseitigen Widerwillens, sich zu paaren. Unabhängig von einer Verschmelzung infolge einer Kreuzung ist das vollständige Fehlen von Varietäten, welche zwei nahe verwandte Formen in einer sonst gut untersuchten Gegend miteinander verbinden, wahrscheinlich das bedeutungsvollste von allen Kriterien ihrer spezifischen Verschiedenheit. Und hier liegt etwas anderes als bloße Konstanz des Charakters zugrunde; denn zwei Formen können äußerst variabel sein und doch keine Zwischenvarietäten erzeugen. Geographische Verbreitung wirkt oft unbewußt, zuweilen bewußt mit, so daß Formen, welche in zwei weit voneinander getrennten Gebieten leben, in denen die meisten anderen Bewohner spezifisch verschieden sind, gewöhnlich auch selbst als verschieden betrachtet werden; doch hilft dies in Wahrheit nichts dazu, geographische Rassen von sogenannten guten oder echten Spezies zu unterscheiden. Wir wollen nun diese allgemein angenommenen Grundsätze auf die Rassen des Menschen anwenden, indem wir ihn in demselben Sinne betrachten, in dem ein Naturforscher irgend ein anderes Tier ansehen würde. Was den Betrag an Verschiedenheit zwischen den Rassen betrifft, so müssen wir dabei unser feines Unterscheidungsvermögen in Betracht ziehen, welches wir durch die lange Gewohnheit der Selbstbeobachtung gewonnen haben. Obschon, wie Elphinstone bemerkt, ein neu in Indien angekommener Europäer zuerst die verschiedenen eingeborenen Rassen nicht unterscheiden kann, so erscheinen sie ihm doch bald äußerst unähnlich1; und ebenso kann der Hindu zuerst keine Verschiedenheit zwischen den verschiedenen europäischen Nationen wahrnehmen. Selbst die verschiedensten Menschenrassen sind einander der Form nach viel ähnlicher, als man zuerst annehmen möchte; gewisse Negerstämme müssen ausgenommen werden, während andere, wie mir Dr. Rohlfs schreibt, und wie ich selbst gesehen habe, kaukasische Gesichtszüge haben. Diese allgemeine Ähnlichkeit zeigt sich deutlich in den französischen Photographien in der Collection anthropologique du Museum in Paris, von Menschen, die verschiedenen Rassen angehören; die größere Zahl derselben kann für Europäer gelten, wie viele Personen, denen ich sie gezeigt habe, bemerkt haben. Nichtsdestoweniger würden diese Menschen, wenn man sie lebendig sähe, unzweifelhaft sehr verschieden erscheinen, so daß wir offenbar in unserem Urteile durch die bloße Farbe der Haut und des Haars, durch unbedeutende Verschiedenheiten in den Gesichtszügen und durch den Ausdruck sehr beeinflußt werden. Es ist indessen zweifellos, daß die verschiedenen Rassen, wenn sie sorgfältig verglichen und gemessen werden, bedeutend voneinander abweichen, – so in der Struktur des Haares, den relativen Proportionen aller Teile des Körpers2, der Kapazität der Lungen, der Form und dem Rauminhalte des Schädels, und selbst in den Windungen des Gehirns3. Es würde eine endlose Aufgabe sein, die zahlreichen Punkte einzeln durchzugehen. Die Rassen weichen auch in der Konstitution, in der Akklimatisationsfähigkeit und in der Empfänglichkeit für verschiedene Krankheiten voneinander ab. Ihre geistigen Merkmale sind ebensosehr verschieden, hauptsächlich allerdings, wie es scheinen will, in ihren emotionellen, nur zum Teil auch in ihren intellektuellen Fähigkeiten. Wer Gelegenheit zur Vergleichung gehabt hat, muß von dem Kontrast
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Die Abstammung des Menschen – Siebtes Kapitel
überrascht gewesen sein zwischen dem schweigsamen, selbst mürrischen Eingeborenen von Südamerika und dem leichtherzigen, schwatzhaften Neger. Ein ziemlich ähnlicher Kontrast besteht zwischen den Malayen und Papuas4, welche unter denselben physikalischen Bedingungen leben und nur durch einen sehr schmalen Meeresstrich voneinander getrennt sind. Wir wollen zuerst die Gründe betrachten, die man zugunsten einer Klassifikation der Menschenrassen als besonderer Arten vorbringen kann, und dann die, welche für die gegenteilige Ansicht sprechen. Wenn ein Naturforscher, der noch niemals zuvor einen Neger, Hottentotten, Australier oder Mongolen gesehen hätte, diese miteinander vergleichen sollte, so würde er sofort bemerken, daß sie in einer Menge von Charakteren voneinander abweichen, von denen einige unbedeutend, einige aber von ziemlicher Bedeutung sind. Bei der Untersuchung würde er finden, daß diese Formen einem Leben unter sehr verschiedenen Klimaten angepaßt sind, und daß sie auch in ihrer körperlichen Konstitution und ihren geistigen Anlagen etwas voneinander verschieden sind. Wenn man ihm dann sagte, daß Hunderte ähnlicher Exemplare aus denselben Ländern herbeigebracht werden könnten, so würde er zuversichtlich erklären, daß sie so gute Spezies seien wie viele andere, welchen er spezifische Namen zu geben gewohnt wäre. Diese Folgerung würde noch bedeutend an Stärke gewinnen, sobald er ermittelt hätte, daß diese Formen ihren Charakter schon viele Jahrhunderte beibehalten haben, und daß Neger, die allem Anscheine nach mit den jetzt lebenden identisch waren, mindestens schon vor viertausend Jahren gelebt haben5. Er würde ferner von einem ausgezeichneten Beobachter, Dr. Lund6, hören, daß die in den Höhlen von Brasilien gefundenen Menschenschädel, welche mit vielen ausgestorbenen Säugetieren dort begraben sind, zu demselben Typus gehören, der jetzt noch über den ganzen amerikanischen Kontinent vorherrscht. Unser Naturforscher würde sich dann vielleicht zur geographischen Verbreitung wenden und würde dann wahrscheinlich erklären, daß jene Formen distinkte Arten sein müßten, welche nicht bloß im Äußeren voneinander abweichen, sondern welche einerseits für heiße, andererseits für feuchte oder auch trockene Länder oder für arktische Gegenden angepaßt sind. Er dürfte sich wohl auf die Tatsache berufen, daß keine einzige Spezies in der dem Menschen zunächststehenden Tiergruppe, nämlich den Quadrumanen, eine niedere Temperatur oder einen einigermaßen beträchtlichen Wechsel des Klimas vertragen kann, und daß diejenigen Spezies, welche dem Menschen am nächsten kommen, niemals bis zur Reife aufgezogen worden sind, selbst nicht in dem gemäßigten Klima von Europa. Einen tiefen Eindruck würde sicher die zuerst von Agassiz7 erwähnte Tatsache auf ihn machen, daß die verschiedenen Rassen über die ganze Erde in dieselben zoologischen Provinzen verteilt sind, welche von unzweifelhaft verschiedenen Arten und Gattungen von Säugetieren bewohnt werden. Dies ist ganz offenbar der Fall mit den Australiern, den mongolischen und Negerrassen des Menschen, in einer weniger scharf ausgesprochenen Weise mit den Hottentotten, aber wieder deutlich mit den Papuas und Malaien, die, wie Wallace gezeigt hat, durch nahezu dieselbe Linie voneinander geschieden werden, welche die große malaiische und australische Tierprovinz voneinander trennt. Die Ureinwohner von Amerika reichen über diesen ganzen Kontinent, und dies scheint auf den ersten Blick der oben angegebenen Regel zu widersprechen; denn die meisten Naturerzeugnisse der südlichen und nördlichen Hälfte sind sehr verschieden. Doch verbreiten sich einige wenige Lebensformen, wie das Opossum, von der einen Hälfte in die andere, wie es früher auch mit einigen der gigantischen Edentaten der Fall war. Die Eskimos erstrecken sich, wie andere arktische Tiere, rund um die ganze Polargegend herum. Man muß auch beachten, daß der Grad der Verschiedenheit zwischen den Säugetieren der verschiedenen zoologischen Provinzen nicht dem Grade der Trennung der letzteren voneinander entspricht, so daß man es auch kaum als eine Anomalie betrachten kann, daß der Neger mehr und der Amerikaner weniger von den anderen Menschenrassen abweicht als die Säugetiere derselben Kontinente, Afrika und Amerika, von denen anderer Provinzen abweichen. Es mag hinzugefügt werden, daß der Mensch allem Anscheine nach ursprünglich keine ozeanische Insel bewohnt hat; und in dieser Beziehung gleicht er den anderen Gliedern seiner Klasse. Bei der Entscheidung der Frage, ob die angenommenen Varietäten einer domestizierten Form als solche klassifiziert werden sollen, oder als spezifisch verschieden, d. h. als von verschiedenen wilden Arten abstammend, würde jeder Zoologe viel Gewicht darauf legen, ob ihre äußeren Parasiten spezifisch verschieden sind. Es würde um so mehr Gewicht darauf gelegt werden, als dies nur ausnahmsweise der Fall ist; denn Denny hat mir mitgeteilt, daß die verschiedensten Arten von Hunden, Haushühnern und Tauben in England von denselben Läusen heimgesucht werden. Nun hat A. Murray sorgfältig die in verschiedenen Menschenrassen abgesuchten Läuse untersucht8, und er findet, daß sie nicht bloß in der Farbe, sondern auch in der Struktur ihrer Klauen und Gliedmaßen voneinander abweichen. In jedem Falle, wo zahlreiche Exemplare erlangt wurden, waren die Verschiedenheiten konstant anzutreffen. Der Arzt eines Walfischfängers im Stillen Ozean hat mir versichert, daß die Läuse, welche einige Sandwich-Insulaner an Bord dieses Schiffes zahlreich bedeckten, im Verlauf von drei oder vier Tagen starben, wenn sie sich auf die
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Körper der englischen Matrosen verirrten. Diese Pedikulinen waren dunkler gefärbt und erschienen verschieden von denen, welche den Eingeborenen von Chile in Südamerika eigentümlich waren, und von denen er mir einige Exemplare gab. Diese wiederum erscheinen größer und weicher als europäische Läuse. Murray verschaffte sich vier Arten aus Afrika, nämlich von den Negern der Ost- und Westküste, von den Hottentotten und von den Kaffern; zwei Arten von den Eingeborenen von Australien, zwei von Nordamerika und zwei von Südamerika. In diesen letzten Fällen darf angenommen werden, daß die Läuse von Eingeborenen kamen, welche verschiedene Distrikte bewohnten. Bei Insekten legt man geringen Verschiedenheiten des Baues, wenn sie nur konstant sind, allgemein spezifischen Wert bei, und die Tatsache, daß die Menschenrassen von Parasiten heimgesucht werden, welche anscheinend spezifisch verschieden sind, könnte ganz ruhig als Argument dafür betont werden, daß die Rassen selbst als distinkte Spezies klassifiziert werden müßten. Wäre unser Zoologe in seiner Untersuchung bis hierher gekommen, so würde er zunächst untersuchen, ob die Menschenrassen bei einer Kreuzung in irgend einem Grade unfruchtbar seien. Er dürfte das Werk von Prof. Broca9, eines vorsichtigen und denkenden Beobachters, zu Rate ziehen, und darin würde er Belege dafür finden, daß einige Rassen völlig fruchtbar untereinander sind, in bezug auf andere Rassen aber auch Belege für das Gegenteil. So ist behauptet worden, daß die eingeborenen Frauen von Australien und Tasmanien mit europäischen Männern selten Kinder hervorbrächten. Indessen sind jetzt die Angaben gerade über diesen Punkt als fast wertlos erwiesen worden. Die Mischlinge werden von den reinen Schwarzen getötet; so ist kürzlich ein Bericht veröffentlicht worden über einen Fall, wo elf junge Mischlinge ermordet und sogleich verbrannt wurden, deren Überbleibsel dann von der Polizei gefunden wurden10. Ferner ist oft gesagt worden, daß Mulatten, untereinander verheiratet, nur wenig Kinder erzeugen. Auf der anderen Seite behauptet aber Dr. Bachman von Charlestown11 positiv, daß er Mulattenfamilien gekannt habe, welche mehrere Generationen hindurch untereinander geheiratet hätten und im Mittel genau so fruchtbar geblieben wären, wie rein Weiße oder rein Schwarze. Frühere Untersuchungen von Sir C. Lyell haben diesen, wie er mir mitteilt, zu derselben Schlußfolgerung geführt12. Bei der Volkszählung für das Jahr 1854 wurden in den Vereinigten Staaten, Dr. Bachman zufolge, 405751 Mulatten gezählt, und diese Zahl scheint gering zu sein; sie dürfte aber zum Teil durch die herabgekommene und anomale Stellung der Klasse und durch das ausschweifende Leben der Frauen zu erklären sein. In einem gewissen Grade werden die Mulatten immer wieder von den Negern absorbiert werden, und dies führt zu einer offenbaren Verringerung ihrer Zahl. Die geringere Vitalität der Mulatten wird in einem zuverlässigen Werke13 als eine wohlbekannte Erscheinung besprochen; und dies könnte vielleicht als ein Beweis für die spezifische Verschiedenheit der beiden elterlichen Rassen vorgebracht werden. Es steht außer Zweifel, daß sowohl tierische als pflanzliche Bastarde, wenn sie von außerordentlich verschiedenen Spezies hervorgebracht sind, einem frühzeitigen Tode ausgesetzt sind; aber die Eltern der Mulatten können nicht als äußerst verschiedene Spezies betrachtet werden. Das gewöhnliche Maultier, dessen langes Leben und große Lebenskraft und dabei große Unfruchtbarkeit notorisch sind, zeigt, daß bei Bastarden verringerte Fruchtbarkeit und Lebensfähigkeit nicht notwendig verbunden sind, und andere analoge Fälle könnten noch angeführt werden. Selbst wenn künftig noch bewiesen werden sollte, daß alle Menschenrassen vollkommen fruchtbar untereinander wären, so dürfte doch, wer sie aus anderen Gründen für distinkte Spezies zu halten geneigt wäre, mit vollem Rechte sagen, daß Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit keine sicheren Kriterien spezifischer Verschiedenheit darbieten. Wir wissen, daß diese Eigenschaften durch veränderte Lebensbedingungen oder durch nahe Inzucht leicht affiziert und daß sie von sehr komplizierten Gesetzen beherrscht werden, z. B. von dem der ungleichen Fruchtbarkeit wechselseitiger Kreuzungen zwischen denselben Arten. Bei Formen, welche als unzweifelhafte Arten klassifiziert werden müssen, besteht eine vollkommene Reihenfolge von denen an, welche bei einer Kreuzung absolut steril sind, bis zu denen, welche fast ganz oder vollkommen fruchtbar sind. Die Grade der Unfruchtbarkeit fallen nicht scharf mit den Graden der Verschiedenheit im äußeren Bau oder in der Lebensweise der Eltern zusammen. Der Mensch kann in vielen Beziehungen mit denjenigen Tieren verglichen werden, welche schon seit langer Zeit domestiziert worden sind, und eine große Menge von Belegen kann zugunsten der Pallasschen Theorie14 vorgebracht werden, nach welcher die Domestikation die Unfruchtbarkeit, die ein so allgemeines Resultat der Kreuzung von Arten im Naturzustande ist, zu eliminieren strebt. Nach diesen verschiedenen Betrachtungen kann man mit Recht betonen, daß die vollkommene Fruchtbarkeit der gekreuzten Rassen des Menschen, wenn sie festgestellt würde, uns nicht absolut daran hindern könnte, sie als distinkte Arten aufzuführen. Abgesehen von der Fruchtbarkeit hat man zuweilen geglaubt, die Charaktere der Nachkommen aus einer Kreuzung ließen erkennen, ob die elterlichen Formen als Arten oder als Varietäten zu betrachten seien; aber nach einem sorgfältigen Studium der Belege bin ich zu der Folgerung gekommen, daß keine allgemeine Regel dieser Art zuverlässig ist. Das gewöhnliche Resultat einer Kreuzung ist die Erzeugung einer
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gemischten oder intermediären Form; in gewissen Fällen schlagen aber manche der Nachkommen auffallend nach der einen, manche nach der anderen Elternform. Dies tritt besonders dann gern ein, wenn die Eltern in Charakteren voneinander verschieden sind, welche zuerst als plötzliche Abänderungen oder Monstrositäten aufgetreten sind15. Ich erwähne diesen Punkt, weil mir Dr. Rohlfs mitteilte, daß er in Afrika häufig gesehen habe, wie die Nachkommen von Negern, die sich mit anderen Rassen gekreuzt hatten, entweder vollkommen schwarz oder vollkommen weiß und nur selten gescheckt waren. Andererseits ist es aber notorisch, daß in Amerika die Mulatten gewöhnlich ein intermediäres Aussehen darbieten. Wir haben nun gesehen, daß ein Naturforscher sich für völlig berechtigt halten könnte, die Menschenrassen als distinkte Arten zu betrachten; denn er hat gefunden, daß sie in zahlreichen Charakteren des Baues und der Konstitution, von denen einige von großer Bedeutung sind, voneinander verschieden sind. Auch sind diese Verschiedenheiten in sehr langen Zeiträumen nahezu konstant geblieben. Unser Naturforscher wird auch in einem gewissen Grade von der enormen Verbreitung des Menschen beeinflußt worden sein, eine große Anomalie in der Klasse der Säugetiere, wenn das menschliche Geschlecht als eine einzige Art angesehen wird. Er wird überrascht gewesen sein, daß die Verbreitung der verschiedenen sogenannten Rassen mit der Verbreitung anderer, zweifellos distinkter Arten von Säugetieren übereinstimmt. Endlich dürfte er betonen, daß die wechselseitige Fruchtbarkeit aller Rassen noch nicht vollständig bewiesen ist, und daß sie, selbst wenn sie bewiesen wäre, noch keinen absoluten Beweis ihrer spezifischen Identität darbieten würde. Andererseits, wenn unser Naturforscher untersuchte, ob die Formen des Menschen sich, wie gewöhnliche Arten, verschieden erhalten, wenn sie in einem und demselben Lande in großen Zahlen untereinander gemischt leben, so würde er sofort entdecken, daß dies durchaus nicht der Fall ist. In Brasilien würde er eine ungeheure Bastardbevölkerung von Negern und Portugiesen bemerken; in Chile und anderen Teilen von Südamerika würde er sehen, daß die ganze Bevölkerung aus verschiedengradig bastardierten Indianern und Spaniern besteht16. In vielen Teilen desselben Kontinents würde er die kompliziertesten Kreuzungen zwischen Negern, Indianern und Europäern antreffen, und nach den Erfahrungen bei Pflanzen sind derartige dreifache Kreuzungen der stärkste Beweis für wechselseitige Fruchtbarkeit der elterlichen Formen. Auf einer Insel des Stillen Ozeans würde er eine kleine Bevölkerung von miteinander vermischtem polynesischem und englischem Blute finden, und auf den Inseln des Fidschi-Archipels eine Bevölkerung von Polynesiern und Negritos, welche sich in allen Graden gekreuzt haben. Viele ähnliche Fälle könnten noch z. B. aus Südafrika angeführt werden. Es sind daher die Menschenrassen nicht hinreichend verschieden, um ohne Vermischung zusammen bestehen zu können; das Ausbleiben einer Vermischung gibt aber den herkömmlichen und besten Beweis für spezifische Verschiedenheit. Unser Naturforscher würde gleichfalls sehr unsicher werden, sobald er bemerkte, daß die Unterscheidungsmerkmale aller Rassen des Menschen in hohem Grade variabel sind. Diese Tatsache fällt sofort jedem auf, wenn er die Negersklaven in Brasilien sieht, die aus allen Teilen von Afrika eingeführt worden sind. Dasselbe gilt auch für die Polynesier und für viele andere Rassen. Es kann bezweifelt werden, ob irgend ein Charakter angeführt werden kann, welcher einer Rasse eigentümlich und konstant ist. Wilde sind selbst innerhalb der Grenzen eines Stammes nicht entfernt so gleichförmig im Charakter, wie behauptet worden ist. Die Hottentottenfrauen bieten gewisse Eigentümlichkeiten dar, welche schärfer markiert sind als diejenigen, welche bei irgend einer anderen Rasse auftreten; aber man weiß, daß sie nicht konstant vorkommen. Bei den verschiedenen amerikanischen Stämmen weichen Farbe und Behaarung beträchtlich ab; dasselbe gilt bis zu einem gewissen und in bezug auf die Form der Gesichtszüge bis zu einem bedeutenden Grade für die Neger in Afrika. Die Form des Schädels variiert in manchen Rassen bedeutend17; und so ist es mit jedem anderen Charakter. Nun haben alle Naturforscher durch teuer erkaufte Erfahrungen gelernt, wie vorschnell der Versuch ist, Arten mit Hilfe inkonstanter Charaktere zu definieren. Aber das gewichtigste aller Argumente gegen die Auffassung der Menschenrassen als verschiedene Arten ist, daß sie ineinander übergehen, und zwar, soweit wir es beurteilen können, in vielen Fällen ganz unabhängig davon, ob sie sich miteinander gekreuzt haben oder nicht. Der Mensch ist sorgfältiger als irgend ein anderes Wesen studiert worden, und doch herrscht die größte Verschiedenheit des Urteils zwischen fähigen Beurteilern darüber, ob er eine einzige Spezies oder Rasse darstellt, oder zwei (Virey), drei (Jacquinot), vier (Kant), fünf (Blumenbach), sechs (Buffon), sieben (Hunter), acht (Agassiz), elf (Pickering), fünfzehn (Bory St. Vincent), sechzehn (Desmoulins), zweiundzwanzig (Morton), sechzig (Crawfurd), oder dreiundsechzig nach Burke18. Diese Verschiedenartigkeit der Beurteilung beweist nicht, daß die Rassen nicht als Arten zu klassifizieren wären; sie zeigt aber, daß sie allmählich ineinander übergehen, und daß es kaum möglich ist, scharfe Unterscheidungsmerkmale zwischen ihnen aufzufinden. Jedem Naturforscher, welcher das Unglück gehabt hat, sich an die Beschreibung einer Gruppe sehr veränderlicher Organismen zu machen, sind Fälle vorgekommen – ich spreche aus Erfahrung – welche dem
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des Menschen völlig gleichen; und ist er zur Vorsicht disponiert, so wird er damit enden, daß er alle die Formen, welche ineinander übergehen, zu einer einzigen Art vereinigt. Denn er wird sich selbst sagen, daß er kein Recht hat, Objekte mit Namen zu belegen, welche er nicht definieren kann. Fälle dieser Art kommen auch in der Ordnung vor, welche den Menschen mit einschließt, nämlich bei gewissen Gattungen von Affen, während in anderen Gattungen, wie bei Cercopithecus, die meisten Arten mit Sicherheit bestimmt werden können. In der amerikanischen Gattung Cebus werden die verschiedenen Formen von manchen Naturforschern als Arten rangiert, von anderen als bloße geographische Rassen. Wenn nun zahlreiche Exemplare von Cebus aus allen Teilen von Südamerika gesammelt würden, und es stellte sich heraus, daß diejenigen Formen, welche jetzt spezifisch verschieden erscheinen, durch kleine Abstufungen allmählich ineinander übergehen, so würden sie von den meisten Naturforschern als bloße Varietäten oder Rassen betrachtet werden; und so haben es die meisten Naturforscher in bezug auf die Rassen des Menschen gehalten. Nichtsdestoweniger muß man bekennen, daß es wenigstens im Pflanzenreiche19 Formen gibt, die man als Arten betrachten muß, welche aber, unabhängig von Kreuzung, durch zahllose Abstufungen miteinander verbunden werden. Einige Naturforscher haben neuerdings den Terminus „Subspezies" angewendet, um Formen zu bezeichnen, welche viele der charakteristischen Eigenschaften echter Arten besitzen, aber kaum einen so hohen Rang verdienen. Wenn wir uns nun die gewichtigen Argumente vergegenwärtigen, die oben für das Erheben der Menschenrassen zur Würde von Arten mitgeteilt wurden, und auf der anderen Seite die unübersteiglichen Schwierigkeiten, sie zu definieren, so dürfte der Ausdruck "Subspezies" hier sehr passend angewendet werden. Aber schon aus langer Gewohnheit wird vielleicht der Ausdruck „Rasse" stets vorgezogen werden. Die Wahl von Ausdrücken ist nur insofern von Bedeutung, als es wünschenswert ist, so weit als möglich dieselben Ausdrücke für dieselben Grade von Verschiedenheit zu gebrauchen. Unglücklicherweise ist dies sehr selten möglich; denn es umfassen die größeren Gattungen allgemein näher verwandte Formen, welche nur mit großer Schwierigkeit auseinandergehalten werden können, während die kleineren Gattungen innerhalb einer Familie Formen einschließen, welche vollkommen distinkt sind; und doch müssen alle gleichmäßig als Arten rangiert werden. Ferner sind auch die Arten innerhalb einer und derselben großen Gattung durchaus nicht in demselben Grade einander ähnlich; im Gegenteil können in den meisten Fällen einige von ihnen in kleine Gruppen um andere Arten herum, wie Satelliten um Planeten, angeordnet werden20. Die Frage, ob das Menschengeschlecht aus einer oder aus mehreren Arten besteht, ist von den Anthropologen, Monogenisten und Polygenisten, sehr lebhaft behandelt worden. Diejenigen, welche das Prinzip der Entwickelung nicht annehmen, müssen die Arten entweder als einzelne Schöpfungen oder als in irgend einer Weise distinkte Einheiten ansehen, und welche Menschenformen sie als Arten zu betrachten haben, müssen sie nach Analogie der Methode entscheiden, welche gewöhnlich bei der Klassifikation anderer organischer Wesen als Arten befolgt wird. Es ist aber ein hoffnungsloser Versuch, diesen Punkt entscheiden zu wollen, bevor irgend eine Definition des Ausdruckes "Spezies" allgemein angenommen sein wird; und diese Definition darf kein unbestimmbares Element einschließen, wie etwa einen Schöpfungsakt. Wir könnten ebensogut ohne irgend eine Definition zu entscheiden versuchen, ob eine gewisse Anzahl von Häusern ein Dorf, ein Flecken oder eine Stadt genannt werden soll. Eine praktische Illustration dieser Schwierigkeit haben wir in den kein Ende nehmenden Zweifeln, ob viele nahe verwandte Säugetiere, Vögel, Insekten und Pflanzen, welche einander wechselseitig in Nordamerika und Europa vertreten, als Spezies oder als geographische Rassen aufgeführt werden sollen; und dasselbe gilt für die Erzeugnisse vieler Inseln, welche in geringer Entfernung von dem nächsten Festlande gelegen sind. Auf der anderen Seite werden diejenigen Naturforscher, welche das Prinzip der Entwickelung annehmen – und dies geschieht jetzt von der größeren Zahl der aufstrebenden Männer – nicht zweifeln, daß alle Menschenrassen von einem einzigen ursprünglichen Stamm abstammen, mögen sie es nun für passend oder nicht für passend halten, dieselben als distinkte Spezies zu bezeichnen, um damit den Betrag ihrer Verschiedenheit auszudrücken21. Bei unseren Haustieren steht die Frage, ob die verschiedenen Rassen von einer oder mehreren Spezies ausgegangen sind, etwas verschieden. Obgleich man zugeben kann, daß alle Rassen ebenso wie alle natürlichen Arten einer Gattung einem und demselben primitiven Stamme entsprungen sind, so läßt sich doch darüber diskutieren, ob alle die domestizierten Rassen, z. B. des Hundes, den jetzigen Grad von Verschiedenheit erlangt haben, seitdem eine Spezies zuerst vom Menschen domestiziert wurde, oder ob sie einige ihrer Charaktere einer Vererbung von distinkten Arten verdanken, die bereits im Naturzustande verschieden geworden waren. In betreff des Menschen kann eine solche Frage nicht entstehen, denn man kann nicht sagen, daß er einmal domestiziert worden wäre. In einem frühen Stadium der Divergenz von einer gemeinsamen Stammform müssen die Unterschiede zwischen den Menschenrassen und ihre Zahl nur klein gewesen sein. Infolgedessen werden diese, soweit
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ihre unterscheidenden Merkmale in Betracht kamen, weniger Ansprüche gehabt haben, als distinkte Spezies betrachtet zu werden, als die jetzt existierenden sogenannten Rassen. Der Ausdruck „Spezies" ist jedoch so willkürlich angewendet worden, daß solche frühe Rassen vielleicht von einigen Naturforschern als distinkte Spezies würden aufgeführt worden sein, wenn ihre Verschiedenheiten, obschon äußerst gering, konstanter gewesen wären als jetzt, und sie nicht ineinander übergegangen wären. Es ist indessen möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, daß die Vorfahren des Menschen in ihren Charakteren bedeutend auseinandergegangen sind, bis sie einander unähnlicher wurden als die jetzt bestehenden Rassen, und daß sie später, wie Vogt22 vermutet, in ihren Charakteren konvergiert haben. Wenn der Mensch mit einem und demselben Ziele vor Augen die Nachkommen zweier distinkter Spezies zur Nachzucht auswählt, so führt er zuweilen, soweit die allgemeine äußere Erscheinung in Betracht kommt, einen beträchtlichen Grad von Konvergenz herbei. Dies ist, wie Nathusius23 gezeigt hat, mit den veredelten Rassen der Schweine der Fall, die von zwei distinkten Spezies abstammen, und in einer weniger deutlichen Weise auch mit den veredelten Rassen des Rindes. Ein bedeutender Anatom, Gratiolet, behauptet, daß die anthropomorphen Affen keine natürliche Untergruppe bilden, daß vielmehr der Orang ein hoch entwickelter Gibbon oder Semnopithecus, der Schimpanse ein hoch entwickelter Macacus, und der Gorilla ein hoch entwickelter Mandrill sei. Wenn man diese Folgerung, welche fast ausschließlich auf Charakteren des Gehirns beruht, zugibt, so würde man einen Fall von Konvergenz, mindestens in äußeren Merkmalen, vor sich haben; denn die anthropomorphen Affen sind sich sicherlich in vielen Punkten einander ähnlicher als es die anderen Affen sind. Alle analogen Ähnlichkeiten, wie die eines Walfisches mit einem Fisch, kann man in der Tat als Fälle von Konvergenz bezeichnen; doch ist dieser Ausdruck niemals auf oberflächliche und adaptive Ähnlichkeiten angewendet worden. In den meisten Fällen würde es indessen außerordentlich voreilig sein, eine große Ähnlichkeit der Merkmale in vielen Punkten des Baues bei den modifizierten Nachkommen einst weit verschiedener Wesen einer Konvergenz zuzuschreiben. Die Form eines Kristalls wird allein durch die Molekularkräfte bestimmt, und es ist nicht überraschend, daß unähnliche Substanzen zuweilen ein und dieselbe Form annehmen können; aber bei organischen Wesen müssen wir doch daran denken, daß die Form eines jeden von einer endlosen Menge komplizierter Beziehungen abhängt, nämlich von Abänderungen, welche Folgen von Ursachen sind, die viel zu verwickelt sind, um einzeln verfolgt werden zu können; – ferner von der Natur der konservierten Abänderungen, die wieder von den umgebenden physikalischen Bedingungen und noch mehr von den umgebenden Organismen abhängen, mit welchen ein jeder in Konkurrenz getreten ist; – und endlich von Vererbung (an sich schon ein fluktuierendes Element) von zahllosen Voreltern her, deren Formen wiederum durch ebenso komplizierte Beziehungen bestimmt worden waren. Es erscheint unglaublich, daß die modifizierten Nachkommen zweier Organismen, wenn diese in einer ausgesprochenen Weise voneinander verschieden waren, jemals so weit konvergieren sollten, daß sie in ihrer ganzen Organisation sich einer Identität näherten. Was den oben angezogenen Fall der konvergierenden Rassen der Schweine betrifft, so haben sich, nach Nathusius, an gewissen Knochen ihrer Schädel Beweise ihrer Abstammung aus zwei ursprünglichen Stämmen noch immer deutlich erhalten. Wären die Menschenrassen, wie es einige Naturforscher vermuten, von zwei oder mehreren distinkten Spezies entsprungen, welche so sehr oder nahezu so sehr verschieden gewesen wären, wie der Orang vom Gorilla, so ließe sich kaum bezweifeln, daß ausgesprochene Verschiedenheiten in der Struktur gewisser Knochen beim Menschen, wie er jetzt existiert, noch immer nachweisbar sein würden. Obgleich die jetzt lebenden Menschenrassen in vielen Beziehungen, so in der Farbe, dem Haar, der Form des Schädels, den Proportionen des Körpers usw., verschieden sind, so werden sie doch, wenn man ihre ganze Organisation in Betracht zieht, als einander in einer Menge von Punkten äußerst ähnlich gefunden. Viele dieser Punkte sind so bedeutungslos oder so vereinzelt, daß es äußerst unwahrscheinlich ist, daß dieselben unabhängig, von ursprünglich verschiedenen Arten oder Rassen, erlangt worden sein sollten. Dieselbe Bemerkung gilt mit gleicher oder noch größerer Kraft in bezug auf die zahlreichen Punkte geistiger Ähnlichkeit zwischen den verschiedensten Rassen des Menschen. Die Eingeborenen von Amerika, die Neger und die Europäer sind ihrem Geiste nach so sehr verschieden, als irgend drei Rassen, die man nur nennen könnte. Und doch, als ich mit den Feuerländern an Bord des "Beagle" zusammenlebte, war ich unaufhörlich von vielen kleinen Charakterzügen überrascht, welche zeigten, wie ähnlich ihre geistigen Anlagen den unserigen waren; und dasselbe war der Fall in bezug auf einen Vollblut-Neger, mit dem ich zufällig eine Zeitlang nahe bekannt war. Wer Tylors und John Lubbocks interessante Werke24 aufmerksam liest, muß einen tiefen Eindruck von der großen Ähnlichkeit der Menschen aller Rassen in ihren Geschmacksrichtungen, Dispositionen und Gewohnheiten bekommen. Sie zeigt sich in dem Vergnügen, welches sie alle an Tanz, an roher Musik, Schauspielen, Malen, Tätowieren und Dekorieren ihres Körpers finden, in ihrem gegenseitigen Verständnis einer Geberdensprache, in dem gleichen Ausdruck in ihren Zügen und in den gleichen unartikulierten
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Ausrufen, wenn sie durch verschiedene Gemütsbewegungen erregt sind. Diese Ähnlichkeit oder vielmehr Identität ist auffallend, wenn man sie mit den verschiedenen Ausdrucksarten und Ausrufen zusammenhält, welche bei verschiedenen Arten von Affen zu beobachten sind. Es sind gute Beweise dafür vorhanden, daß die Kunst, mit Bogen und Pfeilen zu schießen, nicht von einem gemeinsamen Vorfahren des Menschengeschlechts überliefert worden ist: und doch sind, wie Westropp und Nilsson bemerkt haben25, die steinernen Pfeilspitzen, welche aus den entlegensten Teilen der Erde zusammengebracht sind und in den ältesten Zeiten verfertigt wurden, fast identisch; und diese Tatsache kann nur erklärt werden durch die Annahme, daß die verschiedenen Rassen ähnliche Fähigkeiten der Erfindung, ähnliche geistige Kräfte überhaupt gehabt haben. Dieselbe Bemerkung ist von Archäologen26 in bezug auf gewisse weitverbreitete Ornamente, z. B. Zickzacks usw., gemacht worden, ebenso in bezug auf verschiedene einfache Glaubensformen und auf Gebräuche, wie das Begraben der Toten unter megalithischen Bauten. Ich erinnere mich, in Südamerika beobachtet zu haben27, daß dort, wie in so vielen anderen Teilen der Erde, der Mensch allgemein die Gipfel hoher Berge gewählt hat, um auf ihnen Massen von Steinen aufzuhäufen, entweder zum Zweck, irgend ein merkwürdiges Ereignis zu bezeichnen, oder um dort seine Toten zu begraben. Wenn nun Naturforscher eine nahe Übereinstimmung in zahlreichen kleinen Einzelheiten der Gewohnheiten, der Geschmacksrichtungen und Dispositionen zwischen zwei oder mehreren domestizierten Rassen oder zwei nahe verwandten natürlichen Formen beobachten, so benutzen sie diese Tatsachen als Argumente dafür, daß alle von einer gemeinsamen Stammform abstammen, welche in dieser Weise ausgestattet war, und daß folglich alle zu einer Spezies gerechnet werden sollten. Dasselbe Argument kann auf die Rassen des Menschen angewandt werden. Da es unwahrscheinlich ist, daß die zahlreichen und bedeutungslosen Punkte der Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen Menschenrassen im Bau des Körpers und in geistigen Fähigkeiten (ich denke hier nicht an ähnliche Gebräuche) sämtlich unabhängig voneinander erlangt worden sein sollten, so müssen sie von Voreltern ererbt worden sein. Wir gewinnen auf diese Weise etwas Einsicht in den früheren Zustand des Menschen vor seiner allmählichen Verbreitung über die Oberfläche der Erde. Der Verbreitung des Menschen in Gegenden, die durch das Meer weit voneinander getrennt waren, ging ohne Zweifel ein ziemlich beträchtlicher Grad der Divergenz der Charaktere in den verschiedenen Rassen voraus; denn im anderen Falle würden wir zuweilen ein und dieselbe Rasse in verschiedenen Kontinenten antreffen, und dies ist niemals der Fall. Nachdem Sir J. Lubbock die jetzt von den Wilden in allen Teilen der Erde ausgeübten Künste miteinander verglichen hat, führt er diejenigen auf, welche der Mensch noch nicht gekannt haben konnte, als er aus seinem ursprünglichen Geburtsorte auswanderte; denn einmal erlernt, würden sie niemals wieder vergessen worden sein28. So zeigt er, daß der Speer, welcher nur eine Weiterentwickelung der Messerspitze ist, und die Keule, welche nur ein langer Hammer ist, die einzige derartige Hinterlassenschaft sind. Er gibt indessen zu, daß die Kunst, Feuer zu machen, wahrscheinlich schon entdeckt worden war, denn sie ist allen jetzt lebenden Rassen gemeinsam und war den alten Höhlenbewohnern Europas bekannt. Vielleicht war die Kunst, rohe Boote oder Flöße zu machen, gleichfalls bekannt. Da aber der Mensch zu einer Zeit existierte, als das Land an vielen Stellen ein von dem jetzigen sehr verschiedenes Niveau besaß, so kann er wohl auch imstande gewesen sein, ohne die Hilfe von Booten sich weit zu verbreiten. Lubbock bemerkt ferner, wie unwahrscheinlich es ist, daß unsere frühesten Vorfahren hätten bis zehn zählen können, wenn man in Betracht zieht, daß so viele der jetzt lebenden Rassen nicht über vier hinauskommen. Nichtsdestoweniger: die intellektuellen und sozialen Fähigkeiten des Menschen jener Zeit konnten kaum geringer sein als diejenigen der jetzt lebenden niedrigsten Menschen sind. Anderenfalls hätte der Urmensch im Kampf ums Dasein nicht so erfolgreich sein können, wie seine frühe und weite Verbreitung beweist. Aus der fundamentalen Verschiedenheit gewisser Sprachen haben manche Philologen den Schluß gezogen, daß der Mensch, als er sich auszubreiten begann, noch kein sprechendes Tier gewesen sei. Indes läßt sich vermuten, daß Sprachen, weit unvollkommener als irgend jetzt gesprochene, unterstützt von Gesten, benutzt worden sein können, die in den späteren und höher entwickelten Sprachen keine Spuren zurückgelassen haben. Es scheint zweifelhaft, ob ohne den Gebrauch irgend einer Sprache, wie unvollkommen sie auch gewesen sein mag, der Intellekt des Menschen sich bis zu der Höhe hätte entwickeln können, welche schon zu einer frühen Zeit seine vorherrschende Stellung mitbedingte. Ob der Urmensch, als er nur erst wenig Kunstfertigkeiten, und zwar von der rohesten Art, besaß und auch seine Sprache noch äußerst unvollkommen war, schon ein Mensch genannt zu werden verdient, hängt natürlich von der Definition ab, die wir anwenden. In einer Reihe von Formen, welche unmerkbar aus einem affenähnlichen Wesen in den Menschen übergingen, wie er jetzt existiert, würde es unmöglich sein, irgend einen solchen Punkt zu bezeichnen, wo der Ausdruck "Mensch" angewandt werden müßte. Doch ist dies von sehr geringer Bedeutung. Ferner ist es fast vollständig belanglos, ob die sogenannten Menschenrassen als solche oder als Spezies oder Subspezies bezeichnet werden. Doch scheint der letztere Ausdruck der
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angemessenste zu sein. Endlich dürfen wir annehmen, daß, wenn erst das Entwickelungsprinzip allgemeine Annahme gefunden hat, was sicher in sehr kurzer Zeit der Fall sein wird, der Streit zwischen den Monogenisten und Polygenisten still und unbeobachtet absterben wird. Eine andere Frage darf nicht unerwähnt bleiben, ob nämlich, wie man zuweilen annimmt, jede Subspezies oder Rasse des Menschen von einem einzigen Paare von Voreltern abstammt. Bei unseren domestizierten Tieren kann eine neue Rasse leicht von einem einzelnen Paare ausgebildet werden, ja selbst von einem einzigen Individuum, welches einige neue Merkmale besitzt, und zwar dadurch, daß man die variierenden Nachkommen mit Sorgfalt zur Paarung auswählt. Aber die meisten unserer Rassen sind nicht absichtlich von einem ausgewählten Paare gebildet worden, sondern unbewußt durch die Erhaltung vieler Individuen, welche, wenn auch noch so unbedeutend, in einer nützlichen oder erwünschten Art und Weise variiert haben. Wenn in dem einen Lande kräftigere und schwerere Pferde und in einem anderen Lande leichtere und flüchtigere Pferde beständig vorgezogen würden, so könnten wir sicher sein, daß im Laufe der Zeit, ohne daß irgendwelche besondere Paare oder Individuen in jedem der Länder getrennt zur Nachzucht ausgelesen worden wären, zwei verschiedene Unterrassen gebildet sein würden. Viele Rassen sind in dieser Weise gebildet worden, und die Art und Weise ihres Entstehens ist dem Entstehen der natürlichen Arten sehr ähnlich. Wir wissen auch, daß die Pferde, welche nach den Falkland-Inseln gebracht worden sind, während der aufeinanderfolgenden Generationen kleiner und schwächer geworden sind, während diejenigen, welche in den Pampas verwilderten, größere und gröbere Köpfe erlangt haben; und derartige Veränderungen sind offenbar Folgen des Umstands, daß nicht etwa irgend ein Paar, sondern alle Individuen denselben Bedingungen ausgesetzt gewesen sind, wobei vielleicht das Prinzip des Rückschlags unterstützend mitgewirkt hat. In keinem dieser Fälle leiten sich die neuen Unterrassen von einem einzelnen Paare ab, sondern von vielen Individuen, welche in verschiedenem Grade, aber in derselben allgemeinen Art variiert haben; und wir dürfen annehmen, daß die Menschenrassen ähnlich entstanden sind, wobei die Modifikationen entweder das direkte Resultat veränderter Lebensbedingungen oder das indirekte Resultat irgend einer Form von Zuchtwahl war. Auf diesen Punkt werden wirsofort zurückkommen.
Über das Aussterben von Menschenrassen. Das teilweise und vollständige Aussterben vieler Rassen und Unterrassen des Menschen ist historisch bezeugt. Humboldt traf in Südamerika einen Papagei als einziges lebendes Wesen, welches die Sprache eines ausgestorbenen Stammes noch sprechen konnte. Alte Monumente und Steinwerkzeuge aus allen Teilen der Welt, von welchen keine Tradition der gegenwärtigen Einwohner mehr berichtet, weisen auf ausgestorbene Rassen hin. Einige kleine und versprengte Stämme, Überbleibsel früherer Rassen, leben noch in isolierten und gewöhnlich bergigen Distrikten. In Europa standen nach Schaaffhausen29 die alten Rassen sämtlich "tiefer auf der Stufenreihe als die rohesten jetzt lebenden Wilden"; sie müssen daher in einem gewissen Grade von jeder jetzt existierenden Rasse verschieden gewesen sein. Die von Prof. Broca aus Les Eyzies beschriebenen Überreste weisen, obgleich sie unglücklicherweise einer einzelnen Familie angehört zu haben scheinen, auf eine Rasse mit einer höchst merkwürdigen Kombination von niederen oder affenartigen und höheren Merkmalen. Diese Rasse ist "völlig verschieden von irgend einer anderen alten oder modernen Rasse, von der wir je gehört haben"30. Sie war auch von der quartären Rasse der belgischen Höhlen verschieden. Der Mensch kann lange Zeit hindurch Bedingungen widerstehen, welche äußerst ungünstig für sein Bestehen erscheinen31. Er hat lange in den äußersten Gegenden des Nordens gelebt, wo er kein Holz hatte, aus dem er sich seine Boote oder andere Werkzeuge hätte machen können, wo er nur Tran zum Brennen, nur geschmolzenen Schnee zum Trinken hatte. An der Südspitze von Amerika leben die Feuerländer ohne den Schutz von Kleidern oder irgend eines Baues, welcher eine Hütte genannt zu werden verdient. In Südafrika wandern die Eingeborenen über die dürrsten Ebenen, wo gefährliche Tiere in Menge vorhanden sind. Der Mensch kann dem tödlichen Einfluß des Terai am Fuße des Himalaja und den pesthauchenden Küsten des tropischen Afrika widerstehen. Das Aussterben ist hauptsächlich die Folge der Konkurrenz eines Stammes mit dem anderen und einer Rasse mit der anderen. Verschiedene Hindernisse sind fortwährend in Tätigkeit, die Zahl jedes wilden Stammes niedrig zu halten, – so die periodisch eintretenden Hungersnöte, das Nomadenleben, und als Folge davon das Sterben der Kinder, das lange Stillen, Kriege, Naturereignisse, Krankheiten, Ausschweifungen, Frauenraub, Kindesmord, und besonders verminderte Fruchtbarkeit. Wenn eines dieser Hindernisse, sei es auch nur in einem unbedeutenden Grade, verstärkt wird, so wird der betroffene Stamm zur Abnahme neigen, und wenn einer von zwei benachbarten Stämmen weniger zahlreich und weniger machtvoll wird als der andere, so wird der Kampf sehr bald beendet durch Krieg, Abschlachtung,
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Kannibalismus, Sklaverei und Absorption. Selbst wenn ein schwächerer Stamm in dieser Weise nicht plötzlich ausgerottet wird, nimmt er doch, wenn er einmal abzunehmen beginnt, beständig weiter ab, bis er ausgestorben ist32. Wenn zivilisierte Nationen mit Barbaren in Berührung kommen, so ist der Kampf kurz, es sei denn, daß ein tödliches Klima der eingeborenen Rasse zur Hilfe kommt. Von den Ursachen, welche zum Siege der zivilisierten Nationen führen, sind einige sehr deutlich und einfach, andere kompliziert und dunkel. Wir können sehen, daß die Kultivierung des Landes aus vielen Gründen den Wilden verderblich wird; denn sie können oder wollen ihre Gewohnheiten nicht ändern. Sehr verderblich waren in einigen Fällen neue Krankheiten und Laster; eine neue Krankheit veranlaßt viele Todesfälle, bis diejenigen, welche für ihren zerstörenden Einfluß am meisten empfänglich sind, nach und nach ausgerottet sind33. Dasselbe dürfte mit den schlimmen Wirkungen der geistigen Getränke der Fall sein und mit dem unbezwinglich starken Gefallen an solchen, den so viele Wilde zeigen. Ferner: so mysteriös die Tatsache ist, so scheint es doch, als ob das erste Zusammentreffen distinkter und getrennter Völker Krankheiten erzeuge34. Sproat, welcher die Frage des Aussterbens in Vancouver-Island eingehend untersuchte, glaubt, daß veränderte Lebensgewohnheiten infolge der Ankunft von Europäern eine Störung der Gesundheit herbeiführen. Er legt auch großes Gewicht auf eine scheinbar so unbedeutende Ursache, wie die ist, daß die Eingeborenen durch das neue Leben um sich herum „verwirrt und dumm werden. Sie verlieren die Motive zu eigener Anstrengung und erlangen keine neuen an ihrer Stelle"35. Der Grad ihrer Zivilisation scheint ein sehr wichtiges Element bei dem Erfolge der konkurrierenden Nationen zu sein. Noch vor wenigen Jahrhunderten fürchtete Europa das Eindringen östlicher Barbaren; jetzt würde eine solche Furcht lächerlich sein. Merkwürdig ist, wie Bagehot bemerkt hat, die Tatsache, daß die Wilden nicht vor den klassischen Nationen dahinschwanden, wie sie es jetzt vor den modernen zivilisierten Nationen tun. Wäre dies der Fall gewesen, so würden die alten Moralisten sicher über dieses Ereignis nachgedacht haben; aber es findet sich in keinem Schriftsteller jener Periode eine Klage über die untergehenden Barbaren36. Die wirksamste Ursache des Aussterbens scheint in vielen Fällen verminderte Fruchtbarkeit und Krankheit, besonders unter den Kindern, zu sein; beides Folge veränderter Lebensbedingungen, wobei die neuen Bedingungen an sich nicht schädlich zu sein brauchen. Ich bin H. Howorth sehr verbunden, daß er meine Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand gelenkt und mir darauf bezügliche Mitteilungen gemacht hat. Ich habe die folgenden Fälle gesammelt. Als Tasmanien kolonisiert wurde, veranschlagten einige die Zahl der Eingeborenen auf ungefähr 7000, andere auf 20000. Bald war dieselbe bedeutend reduziert, hauptsächlich infolge ihrer Kämpfe mit den Engländern und untereinander. Als nach der berüchtigten, von allen Kolonisten unternommenen Jagd die übrig bleibenden Eingeborenen sich der Regierung überlieferten, bestanden sie nur noch aus 120 Individuen37, welche 1852 nach Flinders Island transportiert wurden. Diese zwischen Tasmanien und Australien gelegene Insel ist vierzig Meilen lang und zwölf bis achtzehn Meilen (engl.) breit; sie scheint gesund zu sein, und die Eingeborenen werden gut behandelt. Nichtsdestoweniger litt ihre Gesundheit sehr. Im Jahre 1834 (Bonwick, S. 250) bestanden sie noch aus siebenundvierzig erwachsenen Männern, achtundvierzig erwachsenen Frauen und sechzehn Kindern, im ganzen aus 111 Seelen. Im Jahre 1855 waren nur noch 100 übrig. Da ihre Abnahme reißend fortschritt und da sie selbst glaubten, anderswo nicht so schnell auszusterben, wurden sie 1847 nach Oyster Cove im südlichen Teile von Tasmanien zurückgebracht. Damals (20. Dezember 1847) waren es noch vierzehn Männer, zweiundzwanzig Frauen und zehn Kinder38. Aber die Veränderung des Aufenthalts tat ihnen nicht gut; Krankheit und Tod verfolgte sie noch immer, und 1864 lebten nur noch ein Mann (welcher 1869 starb) und drei ältere Frauen. Die Unfruchtbarkeit der Frauen ist noch merkwürdiger als die Neigung aller zu Krankheit und Tod. In der Zeit, als in Oyster Cove nur neun Frauen übrig waren, sagten sie Bonwick (S. 386), daß nur zwei jemals Kinder geboren hätten; und diese zwei hätten zusammen nur drei Kinder hervorgebracht. Mit Beziehung auf die Ursache dieses außerordentlichen Verhaltens macht Dr. Story die Bemerkung, der Tod sei den Versuchen, die Eingeborenen zu zivilisieren, gefolgt. "Wenn sie sich überlassen geblieben wären, so daß sie nach ihrer Gewohnheit und ungestört hätten herumschweifen können, so würden sie mehr Kinder erzeugt haben, und die Sterblichkeit wäre geringer gewesen." Ein anderer sorgfältiger Beobachter der Eingeborenen, Davis, bemerkt: "Geburten gab es nur wenige, und Todesfälle waren zahlreich. Dies mag hauptsächlich eine Folge der Änderung ihrer Lebensweise und Nahrung gewesen sein; aber noch mehr eine Folge ihrer Verbannung von der Hauptinsel von Van Diemens Land und der daher rührenden Gemütsdepression" (Bonwick, S. 388, 390). Ähnliche Tatsachen sind in zwei weit voneinander entfernten Teilen von Australien beobachtet worden. Der berühmte Forschungsreisende Gregory erzählte Bonwick, daß "bei den Schwarzen in Queensland der Mangel der Reproduktion bereits fühlbar wäre selbst in den zuletzt besiedelten Teilen, und daß der Verfall
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bald eintreten würde". Von dreizehn Eingeborenen von Sharks Bay, welche den Murchison River besuchten, starben innerhalb dreier Monate zwölf an Schwindsucht39. Die Abnahme der Maoris auf Neuseeland ist von Fenton sorgfältig untersucht und in einem ausgezeichneten Berichte dargelegt worden, aus dem mit einer Ausnahme alle die folgenden Angaben entnommen sind40. Die Zahlenabnahme seit 1830 wird von allen zugegeben, auch von den Eingeborenen selbst; sie schreitet noch immer stetig fort. Obgleich es sich bis jetzt noch immer als unmöglich herausgestellt hat, eine wirkliche Volkszählung der Eingeborenen vorzunehmen, so sind doch ihre Zahlenverhältnisse von den Residenten vieler Distrikte sorgfältig abgeschätzt worden. Das Resultat scheint Vertrauen zu verdienen; es zeigt, daß in den vierzehn Jahren vor 1858 die Abnahme 19,42 % betragen hat. Einige der in dieser Art sorgfältig untersuchten Stämme lebten hundert Meilen voneinander entfernt, einige an der Küste, einige landeinwärts; auch waren ihre Subsistenzmittel und Lebensweise in einem ziemlichen Grade verschieden (S. 28). Ihre Gesamtzahl wurde 1858 auf 55700 angenommen; im Jahre 1872, nach dem Ablauf von wiederum vierzehn Jahren, wurde eine zweite Zählung vorgenommen, und die nun angegebene Zahl beträgt nur 36359, was eine Abnahme von 32,29 % ergibt41! Fenton, nachdem er im einzelnen das Ungenügende der verschiedenen, zur Erklärung dieser außerordentlichen Abnahme herangezogenen Ursachen, wie neue Krankheiten, die Liederlichkeit der Frauen, Trunkenheit, Kriege usw. nachgewiesen hat, kommt aus gewichtigen Gründen zu dem Schlüsse, daß sie hauptsächlich von der Unfruchtbarkeit der Frauen und der außerordentlichen Sterblichkeit der kleinen Kinder abhängt (S. 31, 34). Als Beweis hierfür führt er an (S. 33), daß 1844 ein Jugendlicher auf je 2,57 Erwachsene kam, während im Jahre 1858 ein Jugendlicher erst auf 3,27 Erwachsene kam. Auch die Sterblichkeit der Erwachsenen ist groß. Als eine weitere Ursache der Abnahme führt er ferner die ungleiche Zahl der beiden Geschlechter an: es werden weniger Mädchen als Knaben geboren. Auf diesen letzteren, vielleicht von einer gänzlich verschiedenen Ursache abhängenden Umstand werde ich später zurückkommen. Fenton vergleicht mit Verwunderung die Abnahme in Neuseeland mit der Zunahme in Irland, zwei im Klima nicht sehr unähnlichen Ländern, wo die Einwohner jetzt nahezu ähnliche Lebensweise haben. Die Maoris selbst (S. 35) „schreiben ihren Verfall zu einem Teil der Einführung neuer Nahrung und Kleidung und der damit in Verbindung stehenden Änderung der Lebensgewohnheiten zu"; und wenn wir den Einfluß veränderter Bedingungen auf die Fruchtbarkeit betrachten, wird es sich zeigen, daß sie wahrscheinlich recht haben. Die Verminderung begann zwischen den Jahren 1830 und 1840; Fenton weist nach (S. 40), daß ungefähr um 1830 die Kunst, fauliges Korn (Mais) durch langes Einweichen in Wasser zuzubereiten, entdeckt und reichlich ausgeübt wurde; und dies zeigt, daß eine Änderung der Lebensgewohnheiten unter den Eingeborenen begann, als Neuseeland nur erst dünn von Europäern bewohnt war. Als ich 1835 die Bay of Islands besuchte, waren Kleidung und Nahrung der Eingeborenen bereits sehr modifiziert; sie bauten Kartoffeln, Mais und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse und tauschten dieselben gegen englische Manufakturwaren und Tabak. Aus vielen Angaben im "Leben des Bischofs Patteson"42 geht zur Evidenz hervor, daß die Melanesier der Neuen Hebriden und der benachbarten Archipele in einem ganz außerordentlichen Grade an Krankheiten litten und in großer Zahl umkamen, als sie nach Neuseeland, der Norfolk-Insel und anderen gesunden Orten gebracht wurden, um zu Missionaren erzogen zu werden. Die Abnahme der eingeborenen Bevölkerung der Sandwich-Inseln ist ebenso notorisch wie die von Neuseeland. Von den eines Urteils am meisten Fähigen ist nach ungefährer Schätzung angegeben worden, daß, als Cook die Inseln im Jahre 1779 entdeckte, ihre Bevölkerung ungefähr 300000 betrug. Nach einer oberflächlichen Zählung im Jahre 1823 bestand dieselbe aus 142050 Seelen. Im Jahre 1832 und in verschiedenen späteren Zeiten wurde eine genaue Volkszählung offiziell vorgenommen. Ich habe aber nur die folgenden Resultate erhalten können.
Jahr
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E i n ge b o re ne B evö l ke run g (mit Ausnahme von 1832 und 1836, wo die wenigen Fremden mit eingerechnet wurden)
Jährliches Abnahmeverhältnis, unter der Annahme, daß es zwischen zwei aufeinanderfolgenden Zählungen gleich blieb, da diese in unregelmäßigen Zwischenräumen stattfanden
1832
130313
1836
108579
4,45 %
1853
71019
2,47 %
1860
67084
0,81 %
1866
58765
2,18 %
1872
51531
2,17 %
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Wir sehen hier, daß in dem Zeiträume von vierzig Jahren, zwischen 1832 und 1872, die Bevölkerung um nicht weniger als 68 Prozent abgenommen hat! Dies ist von den meisten Schriftstellern auf die Liederlichkeit der Frauen, die früheren blutigen Kriege, die schwere, den eroberten Stämmen auferlegte Arbeit und auf neu eingeführte Krankheiten, welche sich bei verschiedenen Gelegenheiten als äußerst zerstörend erwiesen haben, geschoben worden. Ohne Zweifel sind diese und andere ähnliche Ursachen in hohem Grade wirksam gewesen und können wohl das außerordentliche Abnahmeverhältnis zwischen den Jahren 1832 und 1836 erklären; die wirksamste Ursache scheint aber die verringerte Fruchtbarkeit zu sein. Nach Dr. Ruschenberger von der Marine der Vereinigten Staaten, welcher diese Inseln zwischen 1835 und 1837 besuchte, hatten in einem Distrikt von Hawaii nur 25 Männer unter 1134 und in einem anderen Distrikt nur 10 unter 637 eine Familie mit drei Kindern. Von 80 verheirateten Frauen hatten nur 59 überhaupt Kinder geboren, und „der offizielle Bericht gibt im Durchschnitt jedem verheirateten Paare auf der ganzen Insel nur ein halbes Kind". Dies ist fast genau dieselbe Mittelzahl wie bei den Tasmaniern in Oyster Cove. Jarves, dessen Geschichte 1843 erschien, sagt, daß „Familien mit drei Kindern von allen Steuern befreit sind; diejenigen, welche mehr haben, werden durch Geschenke an Land und andere Aufmunterungen belohnt". Dies ganz beispiellose Vorgehen der Regierung zeigt klar, wie unfruchtbar die Rasse geworden war. Ein Geistlicher, A. Bishop, stellte im "Hawaiischen Spektator" 1839 fest, daß ein großer Prozentsatz von Kindern in frühem Alter starb; und Bischof Staley teilte mir mit, daß dies noch immer der Fall sei, genau wie in Neuseeland. Es ist dies der Vernachlässigung der Kinder durch die Frauen zugeschrieben worden, ist aber wahrscheinlich zum großen Teile Folge der angeborenen Schwäche der Konstitution bei den Kindern, die zu der verringerten Fruchtbarkeit der Eltern in Beziehung steht. Es besteht überdies noch eine weitere Ähnlichkeit mit dem Fall von Neuseeland, in der Tatsache nämlich, daß ein Überschuß von männlichen über weibliche Geburten statthat. Die Volkszählung von 1872 ergab 31650 männliche auf 25247 weibliche Individuen jeden Alters, das sind 125,36 männliche auf je 100 weibliche, während in allen zivilisierten Ländern die weiblichen Individuen die männlichen überwiegen. Ohne Zweifel mag die geringe Fruchtbarkeit der Frauen zum Teil durch ihre Liederlichkeit zu erklären sein; aber eine viel wahrscheinlichere Ursache ist die Änderung ihrer Lebensgewohnheiten, welche auch gleichzeitig die vermehrte Sterblichkeit, besonders der Kinder, erklären dürfte. Die Inseln wurden von Cook im Jahre 1779, von Vancouver 1794 und später häufig von Walfischjägern besucht. Im Jahre 1819 kamen Missionare an und fanden, daß der König den Götzendienst bereits beseitigt und andere Veränderungen bewirkt hatte. Nach dieser Zeit fand eine rapide Veränderung in fast allen Lebensgewohnheiten der Eingeborenen statt, und sie wurden bald "die zivilisiertesten der Inselbewohner des Stillen Ozeans". Einer meiner Gewährsmänner, Mr. Coan, welcher auf den Inseln geboren ist, bemerkt, daß die Eingeborenen im Verlaufe von fünfzig Jahren eine größere Veränderung in ihren Lebensgewohnheiten durchgemacht haben als die Engländer während eines Jahrtausends. Aus Mitteilungen, die ich von Bischof Staley erhielt, geht nicht hervor, daß die ärmeren Klassen jemals die Art ihrer Nahrung sehr verändert haben, obschon viele neue Früchte eingeführt worden sind und das Zuckerrohr in ganz allgemeinem Gebrauche ist. Infolge ihrer Leidenschaft, den Europäern nachzuahmen, haben sie indessen schon zu einer frühen Zeit ihre Kleidungsart geändert; auch ist der Gebrauch alkoholischer Getränke sehr allgemein geworden. Obgleich diese Veränderungen unbeträchtlich erscheinen, läßt sich nach dem, was in bezug auf Tiere bekannt ist, wohl annehmen, daß sie genügen dürften, die Fruchtbarkeit der Eingeborenen zu verringern43. Endlich gibt Macnamara an44, daß die tiefstehenden und herabgekommenen Bewohner der Andamen, auf der östlichen Seite des Meerbusens von Bengalen, "für jede Veränderung des Klimas außerordentlich empfindlich sind; in der Tat, wollte man sie von ihren heimischen Inseln wegnehmen, so würden sie beinahe sicher sterben, und zwar unabhängig von der Nahrung oder fremden Einflüssen". Er führt ferner an, daß die Bewohner des Tales von Nepal, welches im Sommer außerordentlich heiß ist, und ebenso die verschiedenen Bergstämme in Indien an Dysenterie und Fieber leiden, sobald sie in die Ebenen kommen, und daß sie sterben, wenn sie versuchen, dort das ganze Jahr zu verbringen. Wir sehen also, daß viele der wilden Menschenrassen sehr leicht an ihrer Gesundheit Schaden nehmen, wenn sie veränderten Bedingungen oder Lebensweisen ausgesetzt werden, und nicht ausschließlich, wenn sie in ein neues Klima gebracht werden. Bloße Änderungen in den Gewohnheiten, welche an sich unschädlich erscheinen, scheinen dieselbe Wirkung zu haben; in mehreren Fällen leiden besonders die Kinder. Es ist, wie Macnamara bemerkt, oft gesagt worden, daß der Mensch ungestraft den größten Verschiedenheiten des Klimas und anderen Veränderungen widerstehen könne; dies ist aber nur in bezug auf zivilisierte Rassen wahr. Der Mensch in seinem wilden Zustande scheint in dieser Beziehung beinahe so empfindlich zu sein wie seine nächsten Verwandten, die anthropoiden Affen, welche eine Entfernung aus ihrem Heimatlande niemals lange überleben.
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Verringerte Fruchtbarkeit infolge veränderter Bedingungen, wie bei den Tasmaniern, den Maoris, Sandwich-Insulanern und allem Anscheine nach bei den Australiern, ist noch interessanter als ihre Neigung zu Krankheit und Tod; denn selbst ein geringer Grad von Unfruchtbarkeit, in Verbindung mit jenen andern Ursachen, welche die Zunahme jeder Bevölkerung zu hindern streben, wird früher oder später zum Aussterben führen. Die Verminderung der Fruchtbarkeit kann in manchen Fällen durch die Liederlichkeit der Frauen erklärt werden (wie bis vor kurzem bei den Bewohnern von Tahiti); Fenton hat aber gezeigt, daß diese Erklärung bei den Neuseeländern ebensowenig genügt wie bei den Tasmaniern. In dem oben erwähnten Aufsatze begründet Macnamara die Annahme, daß die Einwohner von Distrikten, welche der Malaria ausgesetzt sind, leicht unfruchtbar werden; doch kann dies auf mehrere der obigen Fälle nicht angewandt werden. Einige Schriftsteller haben die Vermutung ausgesprochen, daß die Ureinwohner von Inseln infolge lange fortgesetzter Inzucht unfruchtbar und kränklich geworden sind; in den obigen Fällen ist die Unfruchtbarkeit zu genau mit der Ankunft der Europäer zusammengefallen, um uns die Annahme dieser Erklärung zu gestatten. Auch haben wir gegenwärtig keinen Grund, anzunehmen, daß der Mensch für die üblen Wirkungen der Inzucht in hohem Grade empfindlich ist, besonders in so großen Bezirken wie Neuseeland und dem Sandwich-Archipel. Es ist im Gegenteil bekannt, daß die jetzigen Einwohner der Norfolk-Insel beinahe sämtlich Vettern oder nahe Verwandte sind, ebenso wie die Todas in Indien und die Bewohner einiger der westlichen schottischen Inseln; und doch scheint ihre Fruchtbarkeit nicht gelitten zu haben45. Eine viel wahrscheinlichere Ansicht ergibt sich durch die Analogie mit den Tieren. Es kann nachgewiesen werden, daß das Reproduktionssystem in einem außerordentlichen Grade (warum, wissen wir nicht) empfindlich ist für veränderte Lebensbedingungen; diese Empfindlichkeit führt sowohl zu guten als üblen Resultaten. Eine große Sammlung von Tatsachen zu diesem Thema habe ich im XVIII. Kapitel des zweiten Bandes meines Buches Variation of Animals and Plants under Domestication ("Vererbung und Variabilität", Kap. 7) gegeben; ich kann hier nur den allerkürzesten Auszug geben; jeder, der sich für die Sache interessiert, mag das angeführte Werk zu Rate ziehen. Sehr unbedeutende Veränderungen erhöhen die Gesundheit, Lebenskraft und Fruchtbarkeit der meisten oder aller organischen Wesen, während von anderen Veränderungen bekannt ist, daß sie eine große Zahl von Tieren unfruchtbar machen. Einer der bekanntesten Fälle ist der, daß gezähmte Elefanten sich in Indien nicht fortpflanzen, trotzdem sie sich in Ava, wo den Weibchen gestattet ist, in gewisser Ausdehnung durch die Wälder zu schweifen, wo sie also unter natürlichere Bedingungen gesetzt sind, häufig vermehren. Daß verschiedene amerikanische Affen, von denen beide Geschlechter in ihrem eigenen Heimatlande viele Jahre lang zusammengehalten worden sind, sich doch nur sehr selten oder niemals fortgepflanzt haben, ist ein noch treffenderes Beispiel, wegen ihrer Verwandtschaft mit dem Menschen. Es ist merkwürdig, eine wie geringe Veränderung in den Lebensbedingungen häufig bei einem wilden Tiere, wenn es gefangen wird, Unfruchtbarkeit herbeiführt; und dies ist um so seltsamer, als alle unsere domestizierten Tiere fruchtbarer geworden sind, als sie im Naturzustande waren; einige von ihnen können den unnatürlichsten Bedingungen widerstehen, ohne daß ihre Fruchtbarkeit vermindert würde46. Gewisse Tiergruppen werden viel leichter als andere durch Gefangenschaft affiziert, und allgemein werden sämtliche Arten einer und derselben Gruppe in derselben Art und Weise affiziert. Zuweilen wird aber nur eine einzige Spezies in einer Gruppe unfruchtbar, während es die anderen nicht werden; andererseits kann auch eine einzelne Spezies ihre Fruchtbarkeit behalten, während die meisten anderen sich nicht mehr fortpflanzen. Werden die Weibchen und Männchen mancher Arten in ihrem Heimatlande gefangen gehalten oder läßt man sie in ihrer Heimat beinahe, aber nicht völlig frei leben, so vereinigen sie sich nie; andere verbinden sich unter gleichen Umständen häufig, bringen aber niemals Nachkommen hervor; andere wieder bringen einige Nachkommen hervor, aber weniger als im Naturzustande; und es ist, da es auf die oben erwähnten Fälle beim Menschen Bezughat, von Wichtigkeit, zu bemerken, daß die Jungen oft schwach und kränklich sind und in einem frühen Alter sterben. Wenn man sieht, wie allgemein dieses Gesetz der Empfindlichkeit des Fortpflanzungssysterns gegen veränderte Lebensbedingungen ist, und daß es auch für unsere nächsten Verwandten, die Quadrumanen, gilt, so kann ich kaum zweifeln, daß es auch auf den Menschen in seinem ursprünglichen Zustande Anwendung findet. Wenn daher Wilde irgend einer Rasse plötzlich dazu veranlaßt werden, ihre Lebensgewohnheiten zu verändern, so werden sie mehr oder weniger fruchtbar, und ihre Nachkommen leiden in der Jugend an ihrer Gesundheit in derselben Weise und aus derselben Ursache, wie es der Elefant und der Jagd-Leopard in Indien, viele Affen in Amerika und eine große Menge von Tieren aller Arten bei der Entfernung aus ihren natürlichen Bedingungen tun. Wir können begreifen, warum Ureinwohner, welche lange Zeit Inseln bewohnt haben, und welche lange Zeit nahezu gleichförmigen Bedingungen ausgesetzt gewesen sind, von irgend welchen Veränderungen in ihren Gewohnheiten speziell affiziert werden, wie es der Fall zu sein scheint. Zivilisierte Rassen können
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sicher Veränderungen aller Art viel besser widerstehen als Wilde; und in dieser Hinsicht sind sie domestizierten Tieren ähnlich; denn wenn diese auch zuweilen in ihrer Gesundheit leiden (wie z. B. europäische Hunde in Indien), so werden sie doch nur selten unfruchtbar, wenngleich ein paar derartige Fälle bekannt geworden sind47. Die Immunität zivilisierter Rassen und domestizierter Tiere ist wahrscheinlich Folge des Umstandes, daß sie in größerem Maße verschiedenen oder variierenden Bedingungen ausgesetzt worden sind und daher sich auch mehr an solche gewöhnt haben als die Mehrzahl wilder Tiere; daß sie früher eingewandert sind, oder von Land zu Land gebracht worden sind, und daß sich verschiedene Familien oder Unterrassen gekreuzt haben. Allem Anscheine nach macht eine Kreuzung mit zivilisierten Rassen eine ursprüngliche Rasse sofort immun gegen die üblen Folgen veränderter Bedingungen. So nahmen die Bastarde der Tahitianer und Engländer, als sie sich auf der Pitkairn-Insel niederließen, so rapid zu, daß die Insel bald übervölkert war; im Juni 1856 wurden sie nach der Norfolk-Insel übergeführt. Sie bestanden damals aus 60 verheirateten Personen und 154 Kindern, also ingesamt 194 Personen. Hier nahmen sie gleicherweise so rapid zu, daß, obgleich 16 von ihnen im Jahre 1859 nach Pitkairn-Island zurückkehrten, sie im Januar 1868 500 Seelen zählten, wobei männliche und weibliche Individuen in genau gleichen Zahlen vorhanden waren. Was für einen Kontrast mit den Tasmaniern! Die Norfolk-Insulaner ve rm eh rt en sich in nur zwölf und einem halben Jahre von 194 auf 300, während die Tasmanier sich während fünfzehn Jahren von 120 auf 46 v e r m i n d er t e n, unter denen nur 10 Kinder waren48. So nahmen auch in dem Zwischenraum zwischen den Zählungen von 1856 und 1872 die Eingeborenen reinen Blutes auf den Sandwich-Inseln um 8081 ab, während die für gesünder gehaltenen Mischlinge um 847 zunahmen; ich weiß indessen nicht, ob die letztere Zahl die Nachkommenschaft der Mischlinge einschließt oder nur die Mischlinge der ersten Generation enthält. Die Fälle, die ich hier mitgeteilt habe, beziehen sich sämtlich auf Ureinwohner, welche infolge der Einwanderung zivilisierter Menschen neuen Bedingungen ausgesetzt worden sind. Wahrscheinlich würde aber Unfruchtbarkeit und schwächliche Gesundheit eintreten, wenn Wilde durch irgend welche Ursache, wie z. B. das Eindringen eines erobernden Stammes, gezwungen würden, ihre Heimstätten zu verlassen und ihre Lebensgewohnheiten zu ändern. Es ist ein interessanter Umstand, daß das hauptsächlichste Hindernis der Domestizierung wilder Tiere, welche ja durch die Fähigkeit einer reichlichen Vermehrung mit bedingt ist, und eines der hauptsächlichsten Hindernisse für wilde Menschen, am Leben zu bleiben und eine zivilisierte Rasse zu bilden, wenn sie mit der Zivilisation in Berührung gebracht worden sind, ein und dasselbe ist, nämlich Unfruchtbarkeit infolge veränderter Lebensbedingungen. Obgleich nun die allmähliche Abnahme und das endliche Erlöschen der Menschenrassen ein sehr kompliziertes Problem ist – beides hängt von vielen Ursachen ab, welche an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten verschieden sind –, so ist es doch einer Art mit dem Problem, das sich beim Aussterben irgend eines der höheren Tiere darbietet – z. B. des Pferdes, welches aus Südamerika verschwand, um bald nachher, innerhalb desselben Bezirkes, von zahllosen Herden des spanischen Pferdes wieder ersetzt zu werden. Der Neuseeländer scheint sich dieses Parallelismus bewußt zu sein, denn er vergleicht sein künftiges Schicksal mit dem der eingeborenen Ratte, welche von der europäischen Ratte jetzt fast ganz ausgerottet ist. Können wir uns auch die Ursachen und die Art und Weise ihrer Wirksamkeit nur schwer vorstellen, so müssen sie uns doch begreiflich sein, solange wir beständig im Sinn behalten, daß die Zunahme jeder Spezies und jeder Rasse fortwährend durch verschiedene Hindernisse aufgehalten wird, so daß, wenn irgend ein neues Hindernis, wenn auch noch so unbedeutend, hinzutritt, die Rasse sicherlich an Zahl abnehmen wird. Und eine Abnahme der Zahl führt früher oder später zum Aussterben. Das Ende wird schließlich in den meisten Fällen durch das Eindringen erobernder Stämme herbeigeführt.
Über die Bildung der Menschenrassen. In einigen Fällen hat die Kreuzung distinkter Rassen zur Bildung einer neuen Rasse geführt. Die eigentümliche Tatsache, daß Europäer und Hindus, welche zu demselben arischen Stamme gehören und eine fundamental gleiche Sprache sprechen, in der äußeren Erscheinung sehr verschieden sind, während die Europäer nur wenig von den Juden abweichen, welche zum semitischen Stamm gehören und eine völlig andere Sprache sprechen, hat Broca49 durch die Annahme zu erklären gesucht, daß gewisse arische Zweige sich während ihrer weiten Verbreitung mit verschiedenen eingeborenen Stämmen reichlich gekreuzt hätten. Wenn zwei in naher Berührung lebende Rassen sich kreuzen, so ist das erste Resultat eine heterogene Mischung. So sagt Hunter bei Beschreibung der Santali oder Bergstämme von Indien, daß sich Hunderte von unmerkbaren Abstufungen verfolgen lassen "von den schwarzen untersetzten Stämmen der Bergländer bis zu den schlanken olivenfarbigen Brahmanen mit ihrer intelligenten Stirn, ihren ruhigen Augen und dem
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hohen, aber schmalen Kopfe; so daß es bei Gerichtshöfen notwendig ist, die Zeugen zu fragen, ob sie Santalis oder Hindus sind50. Ob ein heterogenes Volk wie die Eingeborenen einiger der polynesischen Inseln, die sich durch die Kreuzung zweier distinkter Rassen gebildet haben, wobei nur wenig oder gar keine rassenreine Individuen erhalten sind, jemals homogen werden könne, ist durch direkte Belege nicht ermittelt. Da aber bei unseren domestizierten Tieren eine gekreuzte Zucht im Laufe weniger Generationen mit Gewißheit fixiert und durch sorgfältige Zuchtwahl gleichförmig gemacht werden kann51, so dürfen wir annehmen, daß die freie Kreuzung einer heterogenen Mischlingsbevölkerung während vieler Generationen die Stelle der Zuchtwahl ersetzt und jede Neigung zum Rückschlag überwindet, so daß endlich die gekreuzte Rasse homogen wird, wobei sie auch nicht in gleichem Grade an den Charakteren der beiden elterlichen Rassen Teil zu haben braucht. Von allen Verschiedenheiten zwischen den Menschenrassen ist die der Hautfarbe die augenfälligste und eine der ausgeprägtesten. Verschiedenheiten dieser Art glaubte man früher dadurch erklären zu können, daß die Menschen lange Zeit verschiedenen Klimaten ausgesetzt gewesen seien; aber Pallas zeigte zuerst, daß diese Ansicht nicht haltbar ist, und ihm sind fast alle Antropologen gefolgt52. Jene Ansicht ist hauptsächlich deshalb verworfen worden, weil die Verbreitung der verschieden gefärbten Rassen, von denen die meisten ihre gegenwärtigen Heimatländer lange bewohnt haben müssen, nicht mit den entsprechenden Verschiedenheiten des Klimas übereinstimmt. Einiges Gewicht muß auch auf solche Fälle gelegt werden, wie der ist, daß holländische Familien, die drei Jahrhunderte hindurch in Südafrika gelebt haben, nicht die geringste Farben Veränderung erlitten haben53; ebenso auf die in verschiedenen Teilen der Welt gleichförmige äußere Erscheinung der Zigeuner und Juden, wenn auch die Gleichförmigkeit der letzteren etwas übertrieben worden ist54. Man hat gemeint, daß eine sehr feuchte oder eine sehr trockene Atmosphäre auf die Hautfarbe einen noch größeren Einfluß habe als bloße Hitze. Da aber d'Orbigny in Südamerika und Livingstone in Afrika in bezug auf die Feuchtigkeit und Trockenheit zu diametral entgegengesetzten Folgerungen gelangten, so muß jeder Schluß über diese Frage als sehr zweifelhaft betrachtet werden55. Verschiedene Tatsachen, welche ich an einem anderen Orte mitgeteilt habe, beweisen, daß die Farbe der Haut und des Haares zuweilen in überraschenderweise mit einer vollkommenen Immunität gegen die Wirkung gewisser vegetabilischer Gifte und gegen die Angriffe gewisser Parasiten in Korrelation steht. Es kam mir daher der Gedanke, daß Neger und andere dunkelfarbige Rassen ihre dunkle Farbe dadurch erlangt haben könnten, daß während einer langen Reihe von Generationen die dunkleren Individuen stets dem tödlichen Einflüsse der Miasmen ihrer Heimat entgangen sind. Später fand ich, daß dieselbe Idee schon vor langer Zeit von Dr. Wells geäußert worden war56. Es ist längst bekannt, daß Neger und selbst Mulatten fast vollständig vorn gelben Fieber verschont werden, welches im tropischen Amerika so vernichtend auftritt57. Sie bleiben auch in hohem Maße von den tödlichen Wechselfiebern frei, welche in einer Ausdehnung von mindestens zweitausendsechshundert Meilen (engl.) an den Küsten von Afrika herrschen und die Ursache sind, daß jährlich ein Fünftel der weißen Ansiedler stirbt und ein anderes Fünftel in invalidem Zustand heimkehrt58. Diese Immunität des Negers scheint zum Teil inhärent zu sein, abhängig von irgend einer unbekannten Eigentümlichkeit der Konstitution, zum Teil ein Resultat der Akklimatisation. Pouchet59 führt an, daß die vom Vizekönig von Ägypten für den mexikanischen Krieg erborgten Negerregimenter, welche aus der Nähe des Sudan stammten, dem gelben Fieber fast ebensogut entgingen als die ursprünglich aus verschiedenen Teilen von Afrika ausgeführten und an das Klima von Westindien gewöhnten Neger. Daß die Akklimatisation hierbei eine Rolle spielt, zeigt sich darin, daß Neger für tropische Fieber empfänglicher geworden sind, nachdem sie sich eine Zeitlang in einem kälteren Klima aufgehalten haben60. Auch die Natur des Klimas, in welchem die weißen Rassen lange gelebt haben, hat Einfluß auf sie; denn während der fürchterlichen Epidemie des gelben Fiebers in Demerara im Jahre 1837 fand Dr. Blair, daß das Sterblichkeitsverhältnis der Eingewanderten proportional den Breitengraden des Landes war, aus dem sie gekommen waren. Die Immunität der Neger muß, soweit sie das Resultat einer Akklimatisation ist, in einer ungeheuer langen Zeit erworben worden sein; denn die Ureinwohner des tropischen Amerika, die dort seit undenklichen Zeiten gewohnt haben, werden vom gelben Fieber nicht verschont; H. B. Tristram gibt an, daß es Bezirke in Nordafrika gibt, welche die eingeborenen Bewohner jedes Jahr verlassen müssen, wogegen die Neger in Ruhe dort bleiben können. Daß die Immunität des Negers in einem gewissen Grade mit der Farbe seiner Haut in Korrelation stehe, ist eine bloße Vermutung; sie kann ebensogut mit irgend einer Verschiedenheit in seinem Blute, seinem Nervensysteme oder anderen Geweben in Korrelation stehen. Nichtsdestoweniger schien mir diese Vermutung nach den mitgeteilten Tatsachen und nach dem offenbaren Zusammenhang zwischen dem Teint und einer Neigung zur Schwindsucht nicht unwahrscheinlich zu sein. Infolgedessen versuchte ich zu bestimmen, allerdings mit wenig Erfolg61, wie weit sie Gültigkeit habe. Dr. Daniell, welcher lange an der Westküste von Afrika gelebt hatte, sagte mir, daß er nicht an eine solche Beziehung glaube. Er war selbst
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Die Abstammung des Menschen – Siebtes Kapitel
ungewöhnlich blond und hatte dem Klima in einer wunderbaren Weise widerstanden. Als er im Knabenalter an der Küste ankam, sagte ein alter und erfahrener Negerhäuptling nach seiner äußeren Erscheinung voraus, daß dies der Fall sein würde. Dr. Nicholson schrieb mir von Antigua, nachdem er dem Gegenstand eingehende Aufmerksamkeit gewidmet hatte, er glaube nicht, daß dunkelfarbige Europäer dem gelben Fieber mehr entgingen als diejenigen, welche hell gefärbt wären. J. M. Harris stellt ganz in Abrede, daß Europäer mit dunklem Haar einem heißen Klima besser widerstünden als andere Menschen; im Gegenteil hat ihn die Erfahrung gelehrt, bei der Auswahl der Leute zum Dienste an der Küste von Afrika die mit rotem Haar zu wählen62. Soweit daher diese wenigen Andeutungen reichen, scheint die Hypothese der Begründung zu entbehren, nach welcher die Farbe der schwarzen Rassen daher rühren könnte, daß immer dunklere und dunklere Individuen in denn Fieber erzeugenden Klima ihrer Heimat in größerer Zahl überleben geblieben wären. Dr. Sharpe bemerkt63, daß eine tropische Sonne, welche eine weiße Haut verbrennt und Blasen auf ihr erzeugt, eine schwarze Haut gar nicht schädige; und wie er hinzufügt, ist dies nicht eine Folge der individuellen Gewöhnung, denn nur sechs oder acht Monate alte Kinder werden oft nackt herumgetragen, ohne daß es ihnen etwas tut. Ein Arzt hat mir versichert, daß vor einigen Jahren seine Hände jedesmal während des Sommers, aber nicht während des Winters, hellbraune Flecken bekommen hätten, ähnlich Sommersprossen, aber nur größer, und daß diese Flecken im Sonnenbrand niemals affiziert, die weißen Teile seiner Haut dagegen bei mehreren Gelegenheiten stark entzündet und in Blasen erhoben worden wären. Auch bei den Tieren besteht eine konstitutionelle Verschiedenheit in bezug auf die Empfindlichkeit gegen die Wirkung der Sonne zwischen den mit weißem Haar bedeckten und anderen Teilen der Haut64. Ob das alles von hinreichender Bedeutung ist, um die allmähliche Erlangung eines dunklen Teints beim Menschen durch natürliche Zuchtwahl zu erklären, kann ich nicht beurteilen. Sollte es der Fall sein, so würden wir anzunehmen haben, daß die Eingeborenen des tropischen Amerika eine viel kürzere Zeit dort leben als die Neger in Afrika oder die Papuas in den südlichen Teilen des Malaiischen Archipels, ebenso wie die heller gefärbten Hindus eine kürzere Zeit in Indien gelebt haben müßten als die dunkleren Ureinwohner der zentralen und südlichen Teile der Halbinsel. Obgleich wir mit unseren jetzigen Kenntnissen die Verschiedenheiten in der Färbung der Menschenrassen weder durch einen dadurch erlangten Vorteil, noch durch die direkte Einwirkung des Klimas zu erklären vermögen, so dürfen wir doch die Wirkung des letzteren nicht völlig ignorieren; denn wir haben guten Grund anzunehmen, daß eine gewisse vererbliche Wirkung hierdurch hervorgebracht wird65. Im zweiten Kapitel haben wir gesehen, daß die Lebensbedingungen die Entwickelung des Körpers in einer direkten Weise affizieren und daß diese Wirkungen vererbt werden. Wie allgemein angenommen wird, erleiden die europäischen Ansiedler in den Vereinigten Staaten eine geringe, aber außerordentlich rapid eintretende Veränderung des Habitus. Ihre Körper und Gliedmaßen werden verlängert; und Col. Bernys erzählt als einen guten Beweis hierfür die Tatsache, daß während des letzten Krieges in den Vereinigten Staaten die deutschen Regimenter eine lächerliche Erscheinung darboten, als sie in Kleider gesteckt wurden, die für den amerikanischen Markt angefertigt, und die ihnen in jeder Hinsicht viel zu lang waren. Wir haben auch eine beträchtliche Zahl von Beweisen, welche dartun, daß in den südlichen Staaten die Haussklaven der dritten Generation in ihrer äußeren Erscheinung von den Feldsklaven deutlich verschieden sind66. Wenn wir indessen die Menschenrassen betrachten, wie sie über die Erde verteilt sind, so müssen wir zu dem Schlüsse gelangen, daß ihre charakteristischen Verschiedenheiten durch die direkte Wirkung verschiedener Lebensbedingungen, selbst wenn sie solchen eine enorme Zeit hindurch dauernd ausgesetzt gewesen sind, nicht erklärt werden können. Die Eskimos leben ausschließlich von animaler Kost, sie sind mit dicken Pelzen bekleidet und sind einer intensiven Kälte und lange dauernder Dunkelheit ausgesetzt; und doch weichen sie in keinem außerordentlichen Grade von den Einwohnern des südlichen China ab, welche gänzlich von vegetabilischer Kost leben und beinahe nackt einem heißen, ja glühenden Klima ausgesetzt sind. Die unbekleideten Feuerländer leben von den Meereserzeugnissen ihrer unwirtlichen Küste, die Botokuden wandern in den heißen Wäldern des Innern umher und leben hauptsächlich von vegetabilischen Erzeugnissen; und doch sind beide Stämme einander so ähnlich, daß die Feuerländer an Bord des "Beagle" von mehreren Brasilianern für Botokuden gehalten wurden. Ferner sind die Botokuden, ebenso wie die anderen Einwohner des tropischen Amerika völlig von den Negern verschieden, welche die gegenüberliegenden Küsten des Atlantischen Ozeans bewohnen, einem nahezu gleichen Klima ausgesetzt sind und nahezu dieselben Lebensgewohnheiten haben. Auch durch vererbte Wirkungen des vermehrten oder verminderten Gebrauchs von Teilen können die Verschiedenheiten zwischen den Menschenrassen bis auf einen ganz unbedeutenden Rest nicht erklärt werden. Menschen, welche beständig in Booten leben, mögen etwas verkümmerte Beine haben; diejenigen, welche hohe Regionen bewohnen, mögen einen etwas größeren Brustkasten haben; und diejenigen, welche
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Die Abstammung des Menschen – Siebtes Kapitel
beständig gewisse Sinnesorgane gebrauchen, mögen die Höhlen, in welche diese eingebettet sind, der Größe nach etwas erweitert und infolge hiervon ihre Gesichtszüge ein wenig modifiziert haben. Bei zivilisierten Nationen hat die reduzierte Größe der Kiefer infolge eines verminderten Gebrauchs das beständige Spiel verschiedener Muskeln, welche verschiedene Gemütserregungen ausdrücken, und die vermehrte Größe des Gehirns infolge der größeren intellektuellen Lebendigkeit zusammengenommen eine beträchtliche Wirkung auf die allgemeine Erscheinung im Vergleich mit Wilden hervorgebracht67. Es ist auch möglich, daß vermehrte Körpergröße, ohne eine entsprechende Zunahme der Größe des Gehirns, manchen Rassen (analog den früher angeführten Fällen bei Kaninchen) einen verlängerten, dem dolichozephalen Typus angehörigen Schädel verschafft haben mag. Zuweilen ist auch das wenig aufgeklärte Prinzip der Korrelation wirksam gewesen, wie in dem Falle einer bedeutenden Entwickelung des Muskelsystems und stark vorspringender Überaugenbogen. Die Farbe des Haares und der Haut stehen offenbar miteinander in Korrelation, wie die Textur und Farbe des Haares bei den Mandan-Indianern von Nordamerika68. Die Farbe der Haut und der von ihr ausgehende Geruch stehen gleichfalls auf irgendwelche Weise in Verbindung. Bei den Schafrassen steht die Zahl der Haare auf einem gegebenen Stück Hautfläche in Beziehung zu der Zahl der Schweißdrüsen69. Wenn wir nach der Analogie bei unseren domestizierten Tieren urteilen dürfen, so fallen viele Modifikationen der Struktur beim Menschen unter dieses Prinzip der korrelativen Entwickelung. Wir haben nun gesehen, daß die äußeren charakteristischen Verschiedenheiten zwischen den Rassen des Menschen in einer zufriedenstellenden Weise weder durch die direkte Wirkung der Lebensbedingungen noch durch die Wirkungen des fortgesetzten Gebrauchs von Teilen, noch durch das Prinzip der Korrelation erklärt werden können. Wir werden daher veranlaßt, zu untersuchen, ob nicht unbedeutende individuelle Verschiedenheiten, denen der Mensch im äußersten Maße ausgesetzt ist, im Verlaufe einer langen Reihe von Generationen durch natürliche Zuchtwahl erhalten und gehäuft worden sind. Hier begegnet uns aber sofort der Einwurf, daß nur nützliche Abänderungen auf diese Weise erhalten werden können; und soweit wir beurteilen können (doch sind wir über diesen Punkt beständig der Gefahr eines Irrtums ausgesetzt), ist keine der Verschiedenheiten zwischen den Menschenrassen von irgend einem direkten oder speziellen Nutzen. Davon müssen natürlich die intellektuellen und moralischen oder sozialen Eigenschaften ausgenommen werden. Die große Variabilität der sämtlichen äußeren Verschiedenheiten zwischen den Rassen der Menschen weist gleichfalls darauf hin, daß diese Verschiedenheiten von keiner großen Bedeutung sein können; denn wären sie von Bedeutung, so würden sie schon lange entweder fixiert und erhalten oder eliminiert worden sein. In dieser Beziehung ist der Mensch den von den Naturforschern proteisch oder polymorph genannten Formen ähnlich, welche äußerst variabel geblieben sind, weil, wie es scheint, ihre Abänderungen indifferent und infolge hiervon der natürlichen Zuchtwahl nicht unterworfen sind. Soweit sind denn also alle unsere Versuche, die Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Rassen des Menschen zu erklären, vereitelt worden; noch bleibt aber ein bedeutungsvolles Moment übrig, nämlich s e x u e l l e Z u c h t w a h l , welche ebenso wichtig auf den Menschen wie auf viele andere Tiere gewirkt zu haben scheint. Ich will nicht behaupten, daß geschlechtliche Zuchtwahl sämtliche Verschiedenheiten zwischen den Rassen erklärt. Ein unerklärter Rest bleibt übrig, und wir können in unserer Unwissenheit nur sagen, daß, wie ja Individuen beständig z. B. mit ein wenig runderen oder schmäleren Köpfen oder mit ein wenig längeren oder kürzeren Nasen geboren werden, derartig unbedeutende Verschiedenheiten wohl fixiert und gleichförmig werden können, wenn die unbekannten Kräfte, welche sie herbeiführten, beständig wirken und durch fortgesetzte Kreuzung unterstützt werden. Solche Abänderungen gehören in die provisorische Klasse, welche ich im zweiten Kapitel angedeutet habe, und welche oft, in Ermangelung einer besseren Bezeichnung, spontane Abänderungen genannt werden. Ich behaupte auch nicht, daß die Wirkungen der sexuellen Zuchtwahl mit wissenschaftlicher Genauigkeit angegeben werden können; es kann aber gezeigt werden, daß es unerklärlich sein würde, wenn der Mensch durch ihre Wirksamkeit nicht modifiziert worden wäre, welche zahllose Tiere in so wirksamer Weise beeinflußt hat. Es kann ferner gezeigt werden, daß die Verschiedenheiten zwischen den Rassen des Menschen, in der Farbe, der Behaarung, der Form der Gesichtszüge usw. von einer solchen Art sind, daß man wohl annehmen kann, die geschlechtliche Zuchtwahl habe auf sie eingewirkt. Um aber diesen Gegenstand gehörig zu behandeln, habe ich es für nötig gehalten, das ganze Tierreich Revue passieren zu lassen. Ich habe demselben daher den zweiten Teil dieses Werkes unter dem Titel "S e x u e l l e Z u c h t w a h l " gewidmet.
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Zusammenfassung und Schluß
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E
ine kurze Zusammenfassung wird genügen, um dem Leser die wichtigeren Punkte dieses Werkes ins Gedächtnis zurückzurufen. Viele der Ansichten, die ich ausgesprochen habe, sind sehr spekulativ, und manche werden sich zweifellos als irrig erweisen; aber ich habe in jedem einzelnen Fall die Gründe angegeben, die mir die eine Ansicht annehmbarer machten als eine andere. Es schien mir der Mühe wert, zu versuchen, wie weit das Prinzip der Entwickelung einige der kompliziertesten Probleme in der Naturgeschichte des Menschen aufklären könne. Falsche Tatsachen sind äußerst schädlich für den Fortschritt der Wissenschaft, denn sie erhalten sich oft lange; falsche Theorien dagegen, die einigermaßen durch Beweise gestützt werden, tun keinen Schaden; denn jedermann bestrebt sich mit löblichem Eifer ihre Unrichtigkeit zu beweisen. Und wenn diese Arbeit getan ist, so ist ein Weg zum Irrtum gesperrt, und der Weg zur Wahrheit ist oft in demselben Moment eröffnet. Die wichtigste Schlußfolgerung, zu der wir hier gekommen sind, und die jetzt von vielen kompetenten und urteilsfähigen Naturforschern angenommen wird, ist der Satz, daß der Mensch von einer weniger hoch organisierten Form abstammt. Die Gründe, auf denen diese Schlußfolgerung ruht, werden niemals erschüttert werden. Die große Ähnlichkeit zwischen dem Menschen und den unter ihm stehenden Tieren sowohl in der Embryonalentwickelung als auch in unzähligen bedeutungsvollen oder auch bedeutungslosen Punkten der Struktur und der Konstitution, die Rudimente, die er noch bewahrt, und die abnormen Rückschläge, denen er zuweilen unterworfen ist – das sind Tatsachen, die nicht bestritten werden können. Man hat sie schon lange gekannt, aber bis vor kurzem haben sie uns nichts über den Ursprung des Menschen zu sagen gewußt. Wenn man sie jetzt im Lichte unserer Kenntnisse über die ganze organische Welt betrachtet, ist ihre Bedeutung unverkennbar. Das große Prinzip der Entwickelung steht da klar und fest, wenn diese Tatsachen-Gruppen betrachtet werden in Verbindung mit anderen, wie den wechselseitigen Verwandtschaftsbeziehungen der Glieder einer Gruppe, ihrer geographischen Verbreitung in Vergangenheit und Gegenwart, und ihrer geologischen Aufeinanderfolge. Es ist nicht anzunehmen, daß alle diese Tatsachen eine falsche Sprache reden sollten. Wer nicht gleich einem Wilden damit zufrieden ist, die Naturerscheinungen als unzusammenhängende Geschehnisse zu betrachten, der kann nicht länger mehr glauben, daß der Mensch seinen Ursprung einem separaten Schöpfungsakt verdanke. Er wird sich zur Erkenntnis gezwungen sehen, daß die große Ähnlichkeit eines Menschenembryo mit dem Embryo z. B. eines Hundes, der Bau seines Schädels, seiner Gliedmaßen und seines ganzen Körpers nach demselben Plan wie bei den anderen Säugetieren, unabhängig von dem Gebrauch, zu dem die Teile bestimmt sind, das gelegentliche Wiedererscheinen verschiedener Strukturen, z. B. verschiedener Muskeln, die der Mensch normalerweise nicht besitzt, die jedoch bei den Quadrumanen gewöhnlich sind, und eine Menge analoger Tatsachen in der deutlichsten Weise zu dem Schluß führen, daß der Mensch und die anderen Säugetiere von derselben Stammform abstammen. Wir haben gesehen, daß der Mensch beständig individuelle Verschiedenheiten in allen Teilen seines Körpers wie in seinen geistigen Fähigkeiten aufweist. Diese Verschiedenheiten oder Variationen scheinen auf denselben allgemeinen Ursachen zu beruhen und denselben Gesetzen zu gehorchen, wie bei den tiefer stehenden Tieren. Bei beider herrschen die gleichen Gesetze der Vererbung. Der Mensch vermehrt sich in einem stärkeren Maße als seine Existenzmittel; infolgedessen ist er gelegentlich einem harten Kampf um die Existenz ausgesetzt, und die natürliche Zuchtwahl wird getan haben, was in ihrer Macht steht. Eine Aufeinanderfolge gut ausgeprägter Variationen von ähnlichem Charakter ist durchaus nicht erforderlich; geringe fluktuierende individuelle Verschiedenheiten genügen für die Betätigung der natürlichen Zuchtwahl; anzunehmen, daß in derselben Spezies alle Teile des Körpers der Variation in demselben Grade unterliegen, haben wir keinen Grund. Wir können versichert sein, daß die vererbten Wirkungen des lange andauernden Gebrauchs oder Nichtgebrauchs der Teile viel getan haben und in derselben Richtung wie die natürliche Zuchtwahl. Vormals bedeutungsvolle Modifikationen werden immer wieder vererbt, wenn sie gleich keinen speziellen Nutzen mehr haben. Wird der eine Teil modifiziert, so ändern sich andere Teile nach dem Prinzip der Korrelation, von dem wir Beispiele in vielen merkwürdigen Fällen, von korrelativen Monstrositäten besitzen. Etwas kann auch der direkten und bestimmten Wirkung der umgebenden Lebensbedingungen zugeschrieben werden, wie z. B. reichlicher Nahrung, Wärme oder Feuchtigkeit; und
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schließlich sind auch viele Eigenschaften von geringer, einige von beträchtlicher physiologischer Bedeutung durch sexuelle Zuchtwahl erworben worden. Es ist kein Zweifel, daß der Mensch ebenso wie jedes andere Tier, Strukturen aufweist, die nach unserer beschränkten Kenntnis durchaus keinen Nutzen für ihn haben, noch jemals gehabt haben, sei es im Hinblick auf die allgemeinen Lebensbedingungen, oder sei es für die Beziehungen des einen Geschlechtes zum anderen. Solche Strukturen können durch keine Art von Selektion, auch nicht durch die vererbten Wirkungen des Gebrauchs oder Nichtgebrauchs erklärt werden. Wirwissen, daß viele seltsame und ausgeprägte Besonderheiten der Struktur gelegentlich bei unseren domestizierten Erzeugnissen erscheinen, und wenn ihre unbekannten Ursachen gleichmäßiger wirken würden, so würden sie wahrscheinlich bei allen Individuen einer Art gemein werden. Wir können hoffen, daß wir künftig etwas von den Ursachen solcher gelegentlicher Modifikationen wissen werden, besonders durch das Studium der Monstrositäten; hier versprechen die Arbeiten der Experimentatoren, wie eines Camille Dareste, viel für die Zukunft. Im allgemeinen können wir nur sagen, daß die Ursachen jeder geringen Modifikation wie jeder Monstrosität mehr in der Konstitution des Organismus als in der Natur der umgebenden Bedingungen liegen, wenn auch neue und veränderte Bedingungen für die Anregung organischer Veränderungen von mancherlei Art sicherlich eine bedeutende Rolle spielen. Durch die angeführten Mittel, unterstützt vielleicht durch andere, noch unentdeckte, hat sich der Mensch auf seine gegenwärtige Stellung erhoben. Seitdem er aber die Würde der Menschheit erreicht hat, Hat er sich in verschiedene Rassen, oder, wie sie passender genannt werden können, in Sub-Spezies gespalten. Einige von diesen, wie die Neger und Europäer, sind so verschiedenartig, daß, wenn einem Naturforscher einige Exemplare ohne weitere Information übergeben würden, dieser sie unzweifelhaft als gute und echte Arten betrachten würde. Es stimmen aber alle Rassen in so vielen unbedeutenden Details der Struktur und in so vielen geistigen Besonderheiten überein, daß sie nur durch Vererbung von einer gemeinsamen Stammform erklärt werden können; und eine so charakterisierte Stammform würde wahrscheinlich als Mensch bezeichnet werden müssen. Es darf nicht angenommen werden, daß die Differenz der Rassen untereinander, und aller von ihrem gemeinsamen Stammvater, auf irgend ein Paar ihrer Vorfahren zurückgeführt werden müsse. Im Gegenteil: auf jeder Stufe der Modifikation werden die für ihre Lebensbedingungen besser, wenn auch in verschiedenem Grade ausgestatteten Individuen in größerer Zahl überlebt haben als die weniger gut ausgestatteten. Der Vorgang wird dem ähnlich gewesen sein, dem der Mensch folgte, wenn er zwar nicht absichtlich besondere Individuen auswählte, aber doch die Jungen von allen vortrefflicheren Individuen aufzog und die der minderwertigen vernachlässigte. So modifizierte er langsam, aber sicher, den ursprünglichen Stamm und formte unbewußt einen neuen Zweig. Hinsichtlich der unabhängig von Selektion erworbenen Modifikationen, also Variationen, die auf der Natur des Organismus und der Wirkung der Umgebungsbedingungen beruhen, oder auf veränderten Lebensgewohnheiten, wird kein einzelnes Paar mehr als die anderen Paare desselben Landes modifiziert worden sein; denn alle werden sich beständig miteinander vermischt haben. Wenn man die embryonale Bildung des Menschen betrachtet, die Homologien, die ihn mit tiefer stehenden Tieren verbinden, die Rudimente, die er bewahrt, und die Rückschläge, denen er unterliegt, so können wir uns ungefähr eine Vorstellung machen von dem Zustand unserer Vorfahren und können ihnen den gehörigen Platz im zoologischen System anweisen. Wir erkennen so. daß der Mensch von einem haarigen, geschwänzten Vierfüßer abstammt, der wahrscheinlich auf Bäumen lebte und die Alte Welt bewohnte. Würde dieses Geschöpf in seinem ganzen Bau von einem Naturforscher untersucht, so würde es unter die Quadrumanen eingereiht werden, ebenso sicher, wie der noch ältere Ahne der alt- und neuweltlichen Affen. Die Quadrumanen und alle höheren Säugetiere haben sich wahrscheinlich von alten Beuteltieren abgezweigt, diese durch eine lange Reihe verschiedener Formen von Amphibien-ähnlichen Geschöpfen, diese wieder von Fisch-ähnlichen. In einer sehr weit zurückliegenden Zeit muß die Stammform aller Wirbeltiere ein im Wasser lebendes Tier gewesen sein, welches durch Kiemen atmete, hermaphroditisch war, und bei dem die wichtigsten Organe (wie das Herz und das Gehirn) noch unvollkommen oder auch gar nicht entwickelt waren. Dieses Tier wird den Larven der jetzt lebenden Ascidien ähnlicher gewesen sein als irgend einer anderen bekannten Form. Wenn wir zu dieser Schlußfolgerung vom Ursprung des Menschen gekommen sind, so stellt sich uns der hohe Zustand unserer intellektuellen Fähigkeiten und moralischen Disposition als die größte Schwierigkeit dar. Jeder aber, der das Prinzip der Entwickelung annimmt, muß sehen, daß die geistigen Fähigkeiten der höheren Tiere, welche zwar dem Grade nach, aber nicht der Art nach von denen des Menschen verschieden sind, entwickelungsfähig sind. Der Unterschied zwischen den geistigen Fähigkeiten der höheren Affen und eines Fisches, oder zwischen einer Ente und einer Schildlaus ist ungeheuer; aber ihre Entwickelung bietet keine besondere Schwierigkeit; denn bei unseren Haustieren sind die geistigen Fähigkeiten sehr variabel,
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und die Variationen werden auch vererbt. Niemand zweifelt, daß sie für Tiere im Naturzustand von der größten Bedeutung sind. Somit sind die Bedingungen ihrer Entwickelung durch natürliche Zuchtwahl günstig. Dieselbe Schlußfolgerung kann auf den Menschen angewendet werden; der Intellekt muß für ihn alles bedeutend gewesen sein, selbst in einer sehr weit zurückliegenden Periode, da er ihn in den Stand gesetzt hat, die Sprache zu erfinden und anzuwenden, Waffen, Werkzeuge, Fallen usw. herzustellen, wodurch er, unterstützt durch seine sozialen Gewohnheiten, schon seit langem das über alle anderen Geschöpfe herrschende Tier geworden ist. Ein großer Schritt in der Entwickelung des Intellekts muß erfolgt sein, sobald die halb künstliche und halb instinktive Sprache in Gebrauch kam; denn der beständige Gebrauch der Sprache wird auf das Gehirn zurückgewirkt und eine vererbliche Wirkung hervorgebracht haben; und dies wieder wird der Vervollkommnung der Sprache zugute gekommen sein. Wie Chauncey Wright1 richtig bemerkt hat, mag die Größe des menschlichen Gehirns im Vergleich zu seinem Körper, verglichen mit dem Gehirn tiefer stehender Tiere, zum großen Teil dem frühen Gebrauch einer einfachen Form von Sprache zu verdanken sein – dieser wunderbaren Maschine, die allen Arten von Dingen und Eigenschaften Zeichen beilegt und Gedankenreihen wachruft, die niemals durch bloße Sinneseindrücke entstehen könnten, oder, wenn dies der Fall wäre, doch nicht weiter verfolgt werden könnten. Die höheren intellektuellen Fähigkeiten, wie das Schließen, Abstrahieren, das Selbstbewußtsein usw., entstanden wahrscheinlich aus der beständigen Vervollkommnung und Übung der anderen geistigen Fähigkeiten. Ein noch mehr interessierendes Problem ist die Entwicklung der moralischen Qualitäten. Der Grund dazu liegt in den sozialen Instinkten, worin die Familienbande miteingeschlossen sind. Diese Instinkte sind sehr kompliziert und geben bei niederen Tieren besondere Veranlassung zu gewissen Tätigkeiten; aber die bedeutungsvollsten Elemente sind Liebe und Sympathie. Tiere mit sozialen Instinkten haben Vergnügen an der Gesellschaft anderer, warnen einander in Gefahr, verteidigen und helfen einander bei vielen Gelegenheiten. Diese Instinkte beziehen sich nicht auf alle Individuen der Art, sondern nur auf die von derselben Gemeinschaft. Da sie sehr nützlich sind für die Spezies, sind sie aller Wahrscheinlichkeit nach durch natürliche Zuchtwahl erworben worden. Als moralisches Wesen bezeichnet man ein solches, welches fähig ist, seine früheren Handlungen und deren Motive zu überlegen, dabei die einen gutheißend, die anderen verwerfend; und die Tatsache, daß der Mensch ein Wesen ist, welches Anspruch auf diese Bezeichnung hat, ist der größte Unterschied zwischen ihm und den unter ihm stehenden Tieren. Aber im vierten Kapitel habe ich mich bemüht, zu zeigen, daß das moralische Gefühl entspringt: erstens aus der dauernden und immer gegenwärtigen Natur der sozialen Instinkte; zweitens aus der Bewertung der Anerkennung oder des Tadels der Mitmenschen; drittens aus der großen Aktivität der geistigen Fähigkeiten und äußerster Lebendigkeit früherer Eindrücke. Und in dieser Hinsicht ist er von den tiefer stehenden Tieren verschieden. Mit dieser Beschaffenheit seines Geistes kann der Mensch nicht umhin, rückwärts und vorwärts zu blicken und frühere Eindrücke miteinander zu vergleichen. Wenn nun eine zeitweilige Begierde oder Leidenschaft seine sozialen Instinkte überwältigt hat, reflektiert er und vergleicht den jetzt abgeblaßten Eindruck eines solchen früheren Impulses mit den immer gegenwärtigen sozialen Instinkten; und dann hat er jenes Gefühl der Unzufriedenheit, welches alle unbefriedigten Instinkte hinterlassen, und er entschließt sich, künftig anders zu handeln – und das ist Gewissen. Jeder Instinkt, der dauernd stärker ist als ein anderer, oder länger andauert, veranlaßt ein Gefühl, das wir ausdrücken, wenn wir sagen: wir müssen ihm gehorchen. Wenn ein Vorstehhund fähig wäre, über sein Verhalten zu reflektieren, würde er zu sich selber sagen (wie wir es tatsächlich von ihm sagen): ich sollte den Hasen stellen und nicht meiner vorübergehenden Versuchung nachgeben und ihn hetzen. Soziale Tiere werden teilweise durch den unbestimmten Wunsch angetrieben, ihren Genossen zu helfen, häufiger aber zur Ausführung bestimmter Handlungen. Der Mensch hat denselben allgemeinen Wunsch, seinen Genossen zu helfen, jedoch wenige oder gar keine besonderen Instinkte. Auch ist er von den tiefer stehenden Tieren dadurch verschieden, daß er die Fähigkeit besitzt, seine Wünsche durch Worte auszudrücken. Das Motiv der Hilfeleistung ist beim Menschen ebenfalls sehr modifiziert; es besteht nicht mehr in einem blinden instinktiven Impuls, sondern wird sehr beeinflußt durch Lob oder Tadel seiner Mitmenschen. Lob und Tadel beruhen auf Sympathie, und diese Gemütserregung ist, wie wir gesehen haben, eines der bedeutungsvollsten Elemente der sozialen Instinkte. Sympathie, obgleich als Instinkt erworben, wird sehr gestärkt durch Übung oder Gewohnheit. Da alle Menschen ihr eigenes Glück erstreben, so werden Handlungen und Motive gelobt und getadelt, je nachdem sie zu jenem Endziel führen oder nicht. Und da Glück ein wesentlicher Teil des allgemeinen Wohls ist, so dient das Prinzip des größtmöglichen Glückes indirekt als ein ziemlich fester Maßstab von Recht und Unrecht. In dem Maße, als die Urteilskraft fortschreitet und Erfahrung gewonnen wird, werden die künftigen Wirkungen bemerkt, welche gewisse Linien der Lebensführung für das individuelle wie für das allgemeine Wohl im Gefolge haben; und damit
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kommen die das Individuum betreffenden Tugenden in den Bereich der öffentlichen Meinung und werden gelobt, ihr Gegensatz getadelt. Aber bei den weniger zivilisierten Nationen kommen oft Irrtümer und viele schlechte Gewohnheiten und niedriger Aberglaube in denselben Bereich der öffentlichen Meinung und werden dann als hohe Tugenden geschätzt und ihre Nichtbefolgung als schwere Verbrechen. Die moralischen Fähigkeiten werden gewöhnlich und mit Recht höher geschätzt als die intellektuellen. Aber wir sollten im Auge behalten, daß die Aktivität des Geistes bei der lebhaften Wiedererinnerung früherer Eindrücke eine der fundamentalsten, wenn auch sekundären Grundlagen des Gewissens ist. Dies ist zugleich das stärkste Argument dafür, die intellektuellen Fähigkeiten des Menschenwesens in aller möglichen Weise zu erziehen und anzuregen. Ein Mensch mit einem stumpfen Geist, aber mit wohlentwickelten sozialen Affekten und Sympathien wird zweifellos zu guten Handlungen geleitet werden, wie er auch ein sehr feinfühliges Gewissen haben kann; aber alles, was die Phantasie lebhafter macht und die Gewohnheit zur Überlegung und Vergleichung früherer Eindrücke stärkt, macht auch das Gewissen feinfühliger und kann vielleicht schwache soziale Affekte und Sympathien kompensieren. Die moralische Natur des Menschen hat ihren gegenwärtigen Grad teilweise erreicht durch den Fortschritt seiner Urteilskraft und infolge davon einer gerechten öffentlichen Meinung, besonders aber dadurch, daß seine Sympathien zarter und umfassender geworden sind durch die Wirkungen von Gewohnheit, Beispiel, Unterricht und Reflexion. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß tugendhafte Neigungen nach einer langen Ausübung auch vererbt werden. Bei den zivilisierteren Rassen hatte die Überzeugung von der Existenz einer allwissenden Gottheit einen mächtigen Einfluß auf den Fortschritt der Moral. Schließlich akzeptiert der Mensch Lob und Tadel seiner Mitmenschen nicht als einzige Führer, obschon wenige diesem Einfluß entgehen; die sicherste Richtschnur geben ihm seine eigenen, durch Vernunft kontrollierten Überzeugungen. So wird sein Gewissen der höchste Richter und Mahner. Nichtsdestoweniger liegt der Grund oder der Ursprung des moralischen Gefühls in den sozialen Instinkten mit Einschluß der Sympathie; und diese Instinkte sind ohne Zweifel, ebenso wie bei den tiefer stehenden Tieren, durch natürliche Zuchtwahl erworben. Als größter und bedeutsamster Unterschied zwischen dem Menschen und den Tieren ist häufig der Glaube an Gott dargestellt worden. Es ist indessen, wie wir gesehen haben, unmöglich, zu behaupten, dieser Glaube sei dem Menschen angeboren oder instinktiv. Andererseits scheint der Glaube an alles durchdringende geistige Kräfte universal zu sein; dieser Glaube bedeutet offenbar einen beträchtlichen Fortschritt der menschlichen Vernunft und einen noch größeren Fortschritt seiner Einbildungskraft, Neugierde und seines Wissensdranges. Ich weiß, daß man den behaupteten instinktiven Glauben an Gott als einen Beweis für seine Existenz betrachtet hat. Das ist aber ein etwas unvorsichtiges Argument; denn wir würden dadurch gezwungen, auch an die Existenz grausamer und übelwollender Geister zu glauben; der Glaube an solche ist nämlich noch allgemeiner als der Glaube an eine gütige Gottheit. Die Idee eines allmächtigen und allgütigen Schöpfers scheint im Geiste des Menschen nicht eher zu entstehen, als bis ihn eine lange Kultur erhoben hat. Wer an die Entwickelung des Menschen aus einer niederen Form glaubt, wird natürlich auch fragen, was dies für den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele bedeutet. Wie John Lubbock gezeigt hat, haben die barbarischen Rassen keinen klaren Glauben dieser Art; wie wir jedoch gesehen haben, besitzen Argumente, die auf dem ursprünglichen Glauben der Wilden beruhen, wenig oder gar keinen Wert. Manche Personen fühlen sich bedrückt durch die Unmöglichkeit, zu bestimmen, auf welcher Stufe der individuellen Entwickelung, von der ersten Spur eines winzigen Keimbläschens an, der Mensch zu einem unsterblichen Wesen wird; aber ebenso unmöglich ist eine solche Bestimmung bei der allmählich aufsteigenden organischen Stufenleiter2. Ich weiß, daß manche die Schlüsse, zu denen dieses Werk gelangt, als höchst irreligiös bezeichnen werden; allein, wer dies tut, muß zeigen, warum es irreligiöser ist, den Ursprung des Menschen als einer distinkten Spezies durch die Abstammung von einer niederen Form zu erklären vermittelst der Gesetze der Variation und natürlichen Zuchtwahl, als es ist, wenn man die Entstehung des Individuums durch die Gesetze der gewöhnlichen Reproduktion erklärt. Die Entstehung der Art wie des Individuums sind beide gleiche Teile jener großen Folge von Ereignissen, die unser Geist unmöglich als das Resultat bloßen Zufalls ansehen kann – ob wir nun fähig sind oder nicht, zu begreifen, daß jedes geringfügige Variieren der Struktur, die Vereinigung eines jeden Paares in der Ehe, die Verbreitung eines jeden Samenkornes, und andere derartige Ereignisse samt und sonders einem speziellen Zwecke dienen. Das bedeutungsvollste Resultat dieses Buches, daß der Mensch von einer niedrig organisierten Form abstammt, wird für viele ein großes Ärgernis sein. Ich bedaure das. Aber es kann schwerlich ein Zweifel
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Die Abstammung des Menschen – Zusammenfassung und Schluß
darüber bestehen, daß wir von Barbaren abstammen. Mein Erstaunen beim ersten Anblick einer Herde; Feuerländer an einer wilden und zerklüfteten Küste; werde ich nie vergessen; denn ganz plötzlich fuhr es' mir durch den Kopf: so waren unsere Vorfahren. Diese Menschen waren absolut nackt und mit Farbe beschmiert, ihre langen Haare waren durcheinander gewirrt, ihr Mund schäumte in der Erregung, und ihr Ausdruck war wild, erschreckt und mißtrauisch. Sie kannten kaum irgend eine Kunst, und gleich wilden Tieren lebten sie von dem, was sie gerade erlangen konnten. Sie hatten keine Regierung, und waren erbarmungslos gegenüber allen, die nicht ihrem eigenen kleinen Stamm angehörten. Wer einen Wilden in seiner Heimat gesehen hat, wird sich nicht mehr schämen, anzuerkennen, daß in seinen Adern das Blut noch niedrigerer Kreaturen fließt. Ich für meinen Teil möchte lieber von jenem heroischen kleinen Affen abstammen, der seinen schrecklichen Feind angriff, um das Leben seines Wärters zu retten, oder von jenem alten Pavian, der, von den Höhen herabsteigend, seinen jungen Kameraden im Triumph aus der Mitte einer Hundemeute hinwegtrug, als von einem Wilden, der sich an den Qualen seiner Feinde weidet, blutige Opfer darbringt, ohne Gewissensregung seine Kinder tötet, sein Weib als Sklavin behandelt, keinen Anstand kennt und von dem gräßlichsten Aberglauben gejagt wird. Es ist begreiflich, daß der Mensch einen gewissen Stolz empfindet darüber, daß er sich, wenn auch nicht durch seine eigenen Anstrengungen, auf den Gipfel der organischen Stufenleiter erhoben hat; und die Tatsache daß er sich so erhoben hat, anstatt von Anfang an dorthin gestellt zu sein, mag ihm die Hoffnung auf eine noch höhere Stellung in einer fernen Zukunft erwecken. Aber wir haben es hier nicht mit Furcht und Hoffnung zu tun, sondern allein mit der Wahrheit, soweit wir fähig sind, sie zu entdecken; und ich habe meine Beweise gegeben, so gut ich eben kann. Und wir müssen, wie mir scheint, jedenfalls zugeben, daß der Mensch mit allen seinen edlen Eigenschaften, mit seiner Sympathie für die Niedrigsten, mit seinem Wohlwollen nicht nur gegenüber anderen Menschen, sondern auch gegenüber dem niedrigsten Lebewesen, mit seinem gottähnlichen Verstand, der ihn die Bewegungen und die Einrichtung des Sonnensystems erkennen ließ, daß der Mensch mit all diesen Fähigkeiten und Kräften in seinem Körperbau immer noch die unaustilgbaren Zeugnisse seines niedrigen Ursprungs erkennen läßt.
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Die Abstammung des Menschen – Die Abstammung des Menschen – Zusammenfassung und Schluß
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Anhang
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Die Abstammung des Menschen – Bemerkungen von Thomas Huxley
Bemerkungen über die Ähnlichkeiten und Unterschiede im Bau und in der Entwickelung des Gehirnes beim Menschen und bei den Affen Von Thomas Huxley (1874)
Die Streitfrage über die Natur und die Größe der Unterschiede im Bau des Gehirnes des Menschen und der Affen, die vor ungefähr 15 Jahren zuerst auftauchte, ist noch nicht entschieden, obgleich der Gegenstand des Streites heute durchaus verschieden von dem jener Zeit ist. Man hatte anfänglich immer und immer wieder mit unglaublicher Halsstarrigkeit behauptet, das Gehirn aller, selbst der höchstentwickelten Affen, unterscheide sich von dem des Menschen durch den Mangel der hinteren Lappen der beiden Gehirnhälften mit dem hinteren Horn des seitlichen Ventrikels und dem Hypocampus minor, die sich in diesen Lappen befinden und beim Menschen so auffallend sind. Die Wahrheit jedoch, daß nämlich diese drei fraglichen Bildungen bei dem Gehirn der Affen ebensogut oder noch besser als im menschlichen entwickelt sind, und daß es für alle Primaten (ausschließlich der Lemuren) sogar charakteristisch ist, sie gut ausgebildet zu besitzen, steht heute auf ebenso sicherer Grundlage wie nur irgend ein Lehrsatz der vergleichenden Anatomie. Überdies haben sämtliche Angehörige der langen Reihe von Anatomen der letzten Jahre, die der Anordnung der komplizierten Furchen und Windungen auf der Oberfläche der Gehirnhälften beim Menschen und bei den höheren Affen besondere Aufmerksamkeit zugewendet haben, zugegeben, daß sie bei jenem nach demselben Schema wie bei diesen angeordnet sind. Jede Hauptwindung und Hauptfurche eines Schimpansengehirnes ist deutlich auch im menschlichen vorhanden, so daß die für das eine angewandte Terminologie auf das andere übertragen werden kann. In dieser Beziehung gibt es keine Meinungsverschiedenheit. Vor einigen Jahren veröffentlichte Prof. Bischoff1 eine Monographie über die Gehirnwindungen des Menschen und der Affen, und da die Absicht meines gelehrten Herrn Kollegen gewiß nicht dahin ging, die Bedeutung der Unterschiede zwischen dem Menschen und dem Affen in dieser Beziehung zu verkleinern, freue ich mich, etwas von ihm zitieren zu können: "Daß die Affen und besonders der Orang, der Schimpanse und der Gorilla in ihrer Organisation dem Menschen sehr nahe stehen, viel näher als irgend einem anderen Tier, ist eine wohlbekannte, von niemandem bestrittene Tatsache. Wenn man allein die Organisation ins Auge faßt, würde niemals jemand die Ansicht Linnés angegriffen haben, daß der Mensch nur als besondere Art an die Spitze der Säugetiere, und zwar der Affen zu stellen sei. Beide weisen in allen ihren Organen eine so nahe Verwandtschaft auf, daß die allerschärfste anatomische Untersuchung dazu erforderlich ist, um die tatsächlich bestehenden Unterschiede nachzuweisen. So ist es auch mit den Gehirnen. Die Gehirne des Menschen, des Orangs, des Schimpansen, des Gorilla stehen einander trotz der wichtigen Unterschiede, die sie aufweisen, sehr nahe (l. c. S. 101)." Es besteht also kein Zweifel an der Ähnlichkeit des menschlichen mit dem Affengehirn in fundamentalen Merkmalen, noch auch ein solcher an der wunderbar genauen Übereinstimmung zwischen dem Schimpansen, dem Orang und dem Menschen selbst in "bezug auf die Einzelheiten der Anordnung der Windungen und Furchen beider Großhirnhemisphären. Auch in bezug auf die Unterschiede zwischen den Gehirnen der höchsten Affen und dem des Menschen besteht keine ernstliche Unklarheit mehr über die Natur und Größe dieser Unterschiede. Es wird zugegeben, daß die Großhirnhemisphären des Menschen absolut und relativ größer sind als die des Orang und des Schimpansen, daß seine Stirnlappen weniger durch das bedeutendere Vorstehen des Augenhöhlendaches ausgehöhlt sind, daß seine Windungen und Furchen im allgemeinen weniger symmetrisch angeordnet sind und eine größere Anzahl sekundärer Faltungen aufweisen. Ebenso muß zugegeben werden, daß beim Menschen meist die sogenannte „äußere senkrechte" Spalte, die ein so scharf ausgeprägtes Merkmal des Affengehirns ist, nur schwach angedeutet ist. Ebenso ist aber klar, daß keiner dieser Unterschiede eine scharfe Grenzlinie zwischen dem Gehirn des Menschen und dem des Affen ziehen kann. Die Verwischung der äußeren senkrechten Spalte Gratiolets ist, wie Prof. Turner gezeigt hat2, kein konstanter Charakter des menschlichen Gehirnes. Andererseits ist auch ihre volle Ausbildung kein konstanter Charakter des Gehirnes der höheren Affen. Denn beim Schimpansen ist die mehr oder weniger vollständige Verwischung der äußeren Längsfurche durch „verbindende Windungen" auf der einen oder der anderen Seite von den Professoren Rolleston, Marshall, Broca, Turner immer wieder beobachtet worden. Am Schlüsse einer besonderen Abhandlung über diesen Gegenstand schreibt der letztere3:
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Die Abstammung des Menschen – Bemerkungen von Thomas Huxley
"Die drei eben beschriebenen Gehirne des Schimpansen beweisen, daß die Verallgemeinerung, welche Gratiolet aus dem vollständigen Fehlen der ersten und der versteckten Lage der zweiten verbindenden Windung zu finden versucht hat, indem er sie als wesentliche charakteristische Merkmale in dem Gehirn dieses Tieres bezeichnete, durchaus nicht auf alle Fälle zu übertragen ist. Nur bei einem einzigen Exemplar war der Satz Gratiolets gerechtfertigt. Was die Anwesenheit der überbrückenden Windung anbetrifft, so bin ich zu der Annahme geneigt, daß sie bei der Mehrzahl der bis heute beschriebenen oder dargestellten Gehirne dieses Tieres wenigstens auf einer Hemisphäre bestanden hat. Die oberflächliche Lage der zweiten Brückenwindung ist augenscheinlich weniger häufig und ist bis jetzt, wie ich glaube, nur bei dem Gehirn (A) nachgewiesen worden. Die asymmetrische Anordnung der Windungen beider Hemisphären, auf welche ältere Beobachter in ihren Beschreibungen Bezug genommen haben, wird durch diese Exemplare ebenfalls gut illustriert." (S. 8, 9.) Selbst wenn die Anwesenheit der temporo-okzipitalen oder äußeren senkrechten Furche ein unterscheidendes Merkmal zwischen den höheren Affen und dem Menschen wäre, so würde der Wert eines solchen unterscheidenden Charakters durch die Beschaffenheit des Gehirnes der Platyrrhinen sehr zweifelhaft gemacht. Während nämlich die Temporo-occipital-Furche bei den Katarrhinen, den Affen der Alten Welt, eine der konstantesten ist, ist sie bei den Affen der Neuen Welt durchaus nicht stark entwickelt, bei den kleineren Platyrrhinen fehlt sie ganz, bei Pithecia ist sie rudimentär4 und bei Ateles durch Brückenwindungen mehr oder weniger verwischt. Ein Merkmal, das innerhalb der Grenzen einer einzigen Gruppe so variabel ist, kann nicht von großem systematischen Werte sein. Es ist ferner festgestellt worden, daß der Grad der Asymmetrie zwischen den Windungen der beiden Seiten im menschlichen Gehirn starken individuellen Abänderungen unterliegt und bei den untersuchten Individuen der Buschmänner die Windungen und Furchen der beiden Hemisphären bedeutend weniger kompliziert und viel symmetrischer angeordnet waren als im Gehirn der Europäer, während bei einigen Schimpansen die Kompliziertheit und Asymmetrie derselben auffiel. Besonders ist dies bei einem von Broca abgebildeten Gehirn eines jungen männlichen Schimpansen der Fall. ("L'ordre des Primates", S. 165, Fig. 11.) In bezug auf die absolute Größe ist festgestellt worden, daß der Unterschied zwischen dem größten und dem kleinsten gesunden menschlichen Gehirn größer ist als der Unterschied zwischen dem kleinsten gesunden menschlichen Gehirn und dem größten Schimpansen- oder Gorillagehirn. Überdies gibt es einen Punkt, in dem die Gehirne des Orangs und des Schimpansen dem menschlichen ähneln, in dem sie aber von den niederen Affen abweichen; das ist die Anwesenheit zweier Corpora candicantia, von denen die Cynomorpha nur eines haben. In Hinsicht auf diese Tatsachen stehe ich nicht an, in diesem Jahre 1874 die Behauptung zu wiederholen und sie aufrechtzuerhalten, die ich im Jahre 1865 ausgesprochen habe5: "Soweit die Gehirnstruktur in Betracht kommt, ist daher klar, daß der Mensch vom Schimpansen oder Orang sich weniger unterscheidet als diese von den niederen Affen, und daß der Unterschied zwischen dem Gehirn des Schimpansen und des Menschen im Verhältnis zu dem zwischen einem Schimpansen- und einem Lemurengehirn beinahe bedeutungslos ist." In dem Aufsatz, auf den ich mich bezogen habe, leugnet Prof. Bischoff den zweiten Teil der Angabe nicht, macht aber zuerst die unerhebliche Bemerkung, es sei gar nicht wunderbar, wenn die Gehirne eines Orangs oder eines Lemuren sehr verschieden seien. Sodann fährt er fort, daß „bei einem stufenweisen Vergleich eines menschlichen Gehirnes mit dem eines Orangs, eines solchen mit dem eines Schimpansen, eines solchen mit dem Gehirn eines Gorillas und weiter mit dem von Hylobates, Semnopithecus, Cynocephalus, Cercopithecus, Macacus, Cebus, Callithrix, Lemur, Stenops, Hapale wir keinem größeren oder einem ebenso großen Bruch im Verlauf der Entwickelung der Gehirnwindungen begegnen als der ist zwischen dem menschlichen und dem Gehirn eines Orangs oder Schimpansen". Darauf erwidere ich erstens, daß diese Behauptung, ob wahr oder falsch, durchaus nichts mit der in "Man's Place in Nature" ausgesprochenen Ansicht zu tun hat, da sich diese nicht auf die Entwickelung der Windungen allein, sondern auf den Bau des ganzen Gehirns bezieht. Wenn Prof. Bischoff sich der Mühe unterzogen hätte, Seite 96 des von ihm kritisierten Werkes zu lesen, so würde er dort folgende Stelle gefunden haben: "Und es ist ein beachtenswerter Umstand, daß, obgleich nach unseren heutigen Kenntnissen tatsächlich ein Bruch in der Formenreihe von Gehirnen der Simiaden besteht, dieser Bruch nicht zwischen dem Menschen und den Menschenaffen zu finden ist, sondern zwischen den niederen und den niedrigsten Simiaden, oder mit anderen Worten: zwischen den Affen der Alten und Neuen Welt und
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Die Abstammung des Menschen – Bemerkungen von Thomas Huxley
den Lemuren. Bei jedem bis jetzt untersuchten Lemuren war nämlich das Cerebellum zum Teil von oben aus sichtbar und der Hinterhauptlappen mit dem darin befindlichen Horn und dem Hippocampus minor mehr oder weniger rudimentär. Dagegen ist bei jedem Seidenaffen, bei den Affen der Alten Welt, bei den amerikanischen, den Pavianen und den menschenähnlichen Affen das Kleinhirn vollständig von den hinteren Gehirnlappen verdeckt und besitzt ein großes hinteres Horn mit einem gut avisgebildeten Hippocampus minor." Diese Angaben bildeten einen sehr gewissenhaften Bericht von allem, was zur Zeit ihrer Niederschrift bekannt war, und sie scheinen mir auch durch die nachträgliche Entdeckung von der verhältnismäßig geringen Ausbildung der Hinterhauptlappen bei dem Siamang (Hylobates syndactylus) und dem Brüllaffen nicht allzusehr beeinträchtigt zu werden. Trotz der außerordentlich geringen Größe der Hinterhauptlappen bei diesen beiden Arten wird niemand behaupten, daß ihre Gehirne dem der Lemuren auch nur im mindesten ähnlich wären. Und wenn wir, anstatt Hapale aus seinem natürlichen Platze zu verweisen, wie es Prof. Bischoff ganz ungerechtfertigterweise tut, die von ihm gewählte Reihe der Tiere wie folgt anordnen: Homo, Pithecus, Troglodytes, Hylobates, Semnopithecus, Cynocephalus, Cercopithecus, Macacus, Cebus, Callithrix, Hapale, Lemur, Stenops, so wage ich zu behaupten, daß der große Bruch in dieser Reihe zwischen Hapale und Lemur liegt, und daß dieser größer ist als der zwischen irgendwelchen zwei anderen Gruppen dieser Reihe. Prof. Bischoff ignoriert die Tatsache, daß lange vor seinem Werk Gratiolet die Trennung der Lemuren von den anderen Primaten auf Grund des Unterschiedes in den Charakteren ihrer Gehirne verlangt hat, und daß Prof. Flower die folgenden Bemerkungen im Verlauf seiner Beschreibung von dem Gehirn der javanischen Loris gemacht hat6: "Und es ist besonders beachtenswert, daß in der Entwickelung der Hinterhauptlappen keine Annäherung an das Lemurengehirn mit kleinen Hemisphären bei solchen Affen stattfindet, von denen man meist annimmt, daß sie sich jener Familie in anderen Beziehungen nähern, nämlich den niederen Gliedern der Platyrrhmen." Insoweit der Bau des ausgewachsenen Gehirnes dabei in Betracht kommt, so bestätigen die sehr beträchtlichen Vervollständigungen unserer Kenntnis während der letzten zehn Jahre die Angabe durchaus, die ich im Jahre 1863 aufstellte. Man hat jedoch gesagt, daß die Gehirne des Menschen und der Affen, ihre große Ähnlichkeit im ausgewachsenen Zustand zugegeben, trotzdem ganz verschieden seien, weil sie in der Art ihrer Entwickelung fundamentale Unterschiede aufweisen. Niemand würde die Kraft dieses Beweises bereitwilliger anerkennen als ich, wenn diese fundamentalen Unterschiede tatsächlich existierten. Ich aber leugne ihre Existenz. Im Gegenteil, es besteht sogar eine fundamentale Übereinstimmung in der Entwickelung des Gehirnes bei den Menschen und den Affen. Die Angabe, daß in der Entwickelung des Gehirnes bei den Affen und dem Menschen ein fundamentaler Unterschied vorhanden sei, stammt von Gratiolet. Der Unterschied bestehe darin, daß bei den Affen zuerst die Furchen der hinteren Region der Hemisphären auftreten, während beim menschlichen Fötus zuerst die Furchen auf den Stirnlappen sichtbar wären7. Diese allgemeine Angabe gründet sich auf zwei Beobachtungen; die eine dieser bezog sich auf einen Gibbon kurz vor der Geburt, bei dem die hinteren Windungen "gut ausgebildet", die der Stirnlappen aber "kaum angedeutet" waren (l. c. S. 39)8. Die andere Beobachtung bezieht sich auf einen menschlichen Fötus in der 22. oder 23.Woche der Schwangerschaft; Gratiolet bemerkt, daß die Insel unbedeckt war, daß aber trotzdem „auf dem Vorderhauptlappen Einschnitte vorhanden waren und eine Spalte von geringer Tiefe die Trennung des Okzipitallappens andeutete, der übrigens schon auf dieser Stufe sehr zurückgebildet erscheint. Der übrige Teil der Gehirnfläche ist noch durchaus eben". Drei Ansichten von diesem Gehirn werden auf Tafel II, Fig. 1, 2, 3 des angeführten Werkes gegeben; sie zeigen die beiden Hemisphären von oben, von der Seite und von unten, aber nicht von innen. Bemerkt werden muß, daß die Figur durchaus nicht der Beschreibung Gratiolets entspricht, insofern nämlich, als die Spalte (die anterotemporale) auf der hinteren Hälfte der Oberseite der Hemisphäre ausgeprägter ist als irgend eine der schwach angedeuteten auf der vorderen Hälfte. Wenn die Abbildung genau ist. so rechtfertigt sie in keiner Weise die Schlußfolgerung, welche Gratiolet daran knüpft: "Es besteht demnach zwischen diesen Gehirnen (dem eines Callithrix und dem eines Gibbon) und dem des menschlichen Fötus ein fundamentaler Unterschied. Bei diesem beginnen (essayent) lange vor dem Erscheinen der temporalen Faltungen die Vorderhauptwindungen zu existieren. Seit Gratiolet ist jedoch die Entwickelung der Gehirnwindungen und -furchungen der Gegenstand erneuter Forschung durch Schmidt, Bischoff, Pansch9 und noch eingehender durch Ecker10 geworden, dessen Werk nicht nur das jüngste, sondern auch das bei weitem vollständigste über den vorliegenden Gegenstand ist.
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Die Abstammung des Menschen – Bemerkungen von Thomas Huxley
Die Endresultate ihrer Untersuchungen mögen im folgenden zusammengestellt werden: 1. Beim menschlichen Fötus erscheint die sylvische Spalte im Verlauf des dritten Monats der Schwangerschaft. Im dritten und vierten Monat sind die Großhirnhemisphären glatt und gerundet – mit einziger Ausnahme der sylvischen Depression – und ragen nach hinten weit über das Kleinhirn hinaus. 2. Die sogenannten Furchen (sulci) treten in dem Zeitraum zwischen dem Ende des vierten und dem Anfang des sechsten Monats des Fötallebens in die Erscheinung; doch weist Ecker sorgfältig nach, daß nicht nur im Zeitpunkt, sondern auch in der Reihenfolge ihrer Erscheinung die größte individuelle Mannigfaltigkeit herrscht. In keinem Falle jedoch sind entweder die Vorderhaupt- oder Hinterhauptfurchen die ersten. Die erste tatsächlich erscheinende Furche liegt auf der inneren Fläche der Hemisphäre (weshalb jedenfalls Gratiolet, der diese Seite im Fötus nicht beobachtet zu haben scheint, sie übersah) und ist entweder die innere senkrechte (okzipito-parietale) oder kalkarine Furche, die beide dicht nebeneinander liegen und manchmal auch ineinander übergehen. Im allgemeinen ist die okzipito-parietale zuerst von beiden vorhanden. 3. Im letzten Teil dieser Periode entwickelt sich eine andere Furche, die "posterio-parietale" oder "Rolandsfurche", der im Verlaufe des sechsten Monats die anderen wichtigeren Furchen des frontalen, parietalen, temporalen und okzipitalen Lappens folgen. Es gibt jedoch keine bestimmten Belege dafür, daß eine derselben stets vor der anderen erscheint, und es ist beachtenswert, daß bei dem von Ecker beschriebenen und abgebildeten Gehirn dieser Periode (l. c. S. 212-213, Taf. II, Fig. 1, 2, 3, 4) die anterotemporale Furche (scissure parallele), die für das Affengehirn so charakteristisch ist, ebenso weit, wenn nicht noch deutlicher entwickelt ist als die Rolandsfurche und viel schärfer ausgeprägt als die wirklichen Stirnlappenfurchen. Wie die Dinge jetzt stehen, so scheint es mir, daß die Reihenfolge der Erscheinung der Furchen und Windungen im Gehirn des menschlichen Fötus in vollkommener Harmonie zu dem allgemeinen Leitsatz der Entwickelung und der Ansicht verläuft, daß der Mensch aus irgendeiner affenähnlichen Form hervorgegangen sei, obgleich kein Zweifel darüber bestehen kann, daß diese Form in vielen Beziehungen von allen Gliedern der heute lebenden Primaten verschieden war. Carl Ernst von Baer lehrte uns vor einem halben Jahrhundert, daß verwandte Tiere im Laufe ihrer Entwickelung zuerst die Charaktere der größeren Gruppen annehmen, zu denen sie gehören, und erst allmählich diejenigen erlangen, die sie innerhalb ihrer Familie, Gattung und Art beschränken; gleichzeitig bewies er, daß keine Entwickelungsstufe eines höheren Tieres mit dem ausgewachsenen Zustande eines unter ihm stehenden Tieres genau übereinstimmt. Es ist vollständig richtig, wenn man sagt, daß ein Frosch den Zustand des Fisches durchläuft, insofern, als auf einer Stufe ihres Lebens die Kaulquappe alle Charaktere eines Fisches aufweist und unter die Fische zu rechnen wäre, wenn sie sich nicht weiter entwickelte. Es ist aber ebenso wahr, daß eine Kaulquappe von jedem bekannten Fisch sehr verschieden ist. In derselben Weise kann man mit gleicher Berechtigung von dem Gehirn des menschlichen Fötus im fünften Monat sagen, daß es nicht nur das Gehirn eines Affen, sondern das eines Arktopithecinen oder Seidenaffen ist; denn seine Hemisphären mit den großen Verlängerungen nach hinten, ohne Furchen mit Ausnahme der sylvischen und der kalkarmen, weisen die Charakteristika der Gruppe der ArktopithecinenPrimaten auf. Es ist aber ebenso wahr, wie Gratiolet bemerkt, daß es mit seiner weit offenen sylvischen Spalte von dem Gehirn jedes wirklichen Seidenaffen abweicht. Jedenfalls würde es dem Gehirn eines weit entwickelten Seidenaffenfötus viel ähnlicher sein. Wir wissen jedoch durchaus nichts über die Entwickelung des Gehirns der Seidenaffen. Von den Platyrrhinen überhaupt ist mir nur eine einzige Beobachtung bekannt, die ich Pausch verdanke; dieser fand in dem Gehirn eines Fötus von Cebus Apella neben der sylvischen und der tiefen kalkarinen Spalte nur eine sehr schwach angedeutete antero-temporale Furche (scissure parallèle von Gratiolet). Diese Tatsache zusammen mit dem Umstand, daß die antero-temporale Furche in solchen Platyrrhinen wie den Saimiri vorhanden ist, welche auf der vorderen Hälfte der äußeren Seite der Großhirnhemisphären bloße Spuren von Furchen oder überhaupt keine aufweist, kann, soweit sie geht, wohl einen Beleg zugunsten der Hypothese von Gratiolet darstellen, daß bei den Platyrrhinen die Furchen des Hinterhauptes vor denen des Vorderhauptes erscheinen. Es folgt daraus aber auf keinen Fall, daß die Regel, welche für die Platyrrhinen Gültigkeit hat, auch auf die Katarrhinen auszudehnen sei. Wir haben durchaus keinerlei Kenntnis von der Entwickelung des Gehirnes bei den Cynomorphen, und über die Anthropomorpha nur den schon erwähnten Bericht über das Gehirn eines Gibbon kurz vor der Geburt. Es besteht gegenwärtig auch noch nicht der Schatten eines Beleges, daß die Furchen des Gehirnes eines Schimpansen, eines Orangs
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nicht in derselben Reihenfolge erscheinen wie die des menschlichen. Gratiolet beginnt seine Vorrede mit dem Aphorismus: "Es ist in der Wissenschaft gefährlich, zu eilige Schlüsse zu ziehen". Ich fürchte, daß er diesen Grundsatz vergessen hatte, als er im Verlauf seines Werkes zu der Erörterung über die Unterschiede zwischen den Menschen und den Affen schritt. Jedenfalls würde der geistreiche Verfasser eines der beachtenswertesten Beiträge zu dem richtigen Verständnis des Gehirnes der Säugetiere, das je geschrieben wurde, der erste gewesen sein, das Ungenügende seiner Angaben einzugestehen, wenn er lange genug gelebt hätte, um den Fortschritt der Forschung verwerten zu können. Unglücklicherweise nur sind seine Schlußfolgerungen von Menschen, die nicht die Fähigkeit dazu besaßen, ihre Grundlagen zu kritisieren, als Beweise zugunsten des Obskurantismus verwandt worden11. Wichtig aber ist die Bemerkung, daß, mag Gratiolet mit seiner Hypothese über die Reihenfolge der Erscheinung der temporalen oder frontalen Furchen recht oder unrecht haben, eine Tatsache als sicher bleibt: daß nämlich vor dem Erscheinen einer temporalen oder frontalen Furche das Gehirn des menschlichen Fötus Charaktere aufweist, die sich nur in der niedersten Gruppe der Primaten (abgesehen von den Lemuren) finden. Das ist aber gerade der Umstand, den wir erwarten müssen, wenn der Mensch durch die allmähliche Modifikation derselben Form entstanden ist, aus der die anderen Primaten hervorgegangen sind.
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Anmerkungen
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Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
Erstes Kapitel 1
Großhirnwindungen des Menschen, 1868, S. 96. Die Schlußfolgerungen dieses Autors, wie auch die von Gratiolet und Aeby bezüglich des Gehirns, werden von Prof. Huxley im Anhang besprochen, der im Vorwort dieser Ausgabe angekündigt worden ist.
2
Lecons sur la Physiologie, 1866, S. 890; zitiert bei M. Daily, L'Ordre des Primates et le Transformisme, 1868, S. 29.
3
Vgl. Dr. W. Lander Lindsay im Journal of Mental Science, Juli 1871, und Edinburgh Veterinary Review, Juli 1858.
4
Was ich hier sagte, hat ein Kritiker (British Quarterly Review, Oktober 1871, S. 472) mit großer Härte und Verachtung kritisiert; aber da ich nicht den Ausdruck "Gleichheit" anwende, sehe ich nicht ein, warum ich im Irrtum sein soll. Zwischen einer Ansteckung, die bei zwei verschiedenen Tieren dasselbe oder ein sehr ähnliches Resultat erzeugt, und der Prüfung zweier verschiedener Flüssigkeiten durch ein chemisches Reagens scheint mir doch eine große Ähnlichkeit zu bestehen.
5
Naturgeschichte der Säugetiere von Paraguay, 1830, S. 50.
6
Auch bei Tieren, die auf einer viel niederen Stufe stehen, findet sich diese Vorliebe. A. Nicols teilt mir mit, daß er in Queensland in Australien drei Exemplare von Phascolarctus cinereus gehalten habe, die, ohne alle Anleitung, eine starke Vorliebe für Rum und Tabak entwickelten.
7
Brehm, Tierleben, Bd. I, 1864, S. 75, 86. Über den Ateles S. 105. Über andere analoge Bemerkungen S. 25. 107.
8
Dr. W. Lander Lindsay, Edinb. Vet. Review, Juli 1858, S. 15.
9
Über Insekten vgl. Dr. Laycock, On a general law of vital periodicity. British Association, 1842. Macculloch (Silliman's North American I. of Science, Bd. XVII, S. 305) sah einen Hund, der am Wechselfieber litt. Ich werde später auf diesen Gegenstand zurückkommen.
10
Vgl. Darwin. The Variation of Animals and Plants under Domestication, Bd. II, S. 15; es könnten noch mehr Beweisstücke hinzugefügt werden.
11
Die Männchen verschiedener Arten von Vierhändern unterscheiden zweifellos das menschliche Weib vom Mann. Vor allem, wie ich glaube, durch den Geruch, mehr als durch den Anblick. Youatt, der lange Tierarzt in zoologischen Gärten war, ein vorsichtiger und klug beobachtender Mann, versicherte mir dies auf das bestimmteste, und die Aufseher und anderen Angestellten bestätigten es. Andrew Smith und Brehm bemerkten das gleiche beim Cynocephalus. Auch der berühmte Cuvier erzählt mancherlei, was an Schändlichkeit alles übertrifft was sonst Menschen und Vierhänder miteinander gemein haben. Er erzählt von einem Cynocephalus, der beim Anblick einiger Frauen in Brunst geriet, doch keineswegs von allen in gleichem Maße entbrannt. Immer fand er die jüngere heraus unterschied sie von der Menge und lockte sie mit Stimme und Gebärden.
12
Diese Bemerkung machen in bezug auf Cynocephalus und die Anthropomorphen Geoffroy St. Hilaire und Fr. Cuvier. Histoire nat. des Mammiferes, Bd. I, 1824.
13
Huxley, Man's Place in Nature, 1863, S. 34.
14
Huxley, ebenda, S. 67.
15
Der menschliche Embryo (obere Figur) ist nach Ecker, Icones physiol., 1851-1859, Taf. XXX, Fig. 2. Dieser Embryo war zehn Linien lang, so daß die Zeichnung sehr vergrößert ist. Der Hundeembryo ist nach Bischoff, Entwickelung des Hundeeies, 1845, Taf. XI, Fig. 42 B. Diese Zeichnung ist viermal vergrößert; der Embryo war 25 Tage alt. Die inneren Eingeweide sind weggelassen und die Embryonalhüllen in beiden Figuren entfernt worden. Zu diesen Abbildungen veranlaßte mich Prof. Huxley, dessen Werke "Stellung des Menschen in der Natur" die Idee, sie hier zu geben, entnommen ist. Haeckel hat analoge Figuren in seiner Schöpfungsgeschichte gegeben.
16
Prof. Wyman in Proc. of American Acad. of Science, Bd. IV, 1860, S. 17.
17
Owen, Anatomy of Vertebrates, Bd. I, S. 533.
18
Die Großhirnwindungen des Menschen, 1868, S. 95.
19
Anatomy of Vertebrates, Bd. II, S. 553.
20
Proc. Soc. Nat. Hist. Boston, 1863, Bd. IX, S. 185.
21
Man's Place in Nature, S. 65.
22
Ich hatte bereits eine Skizze dieses Kapitels niedergeschrieben, als ich eine wertvolle Abhandlung von Canestrini in die Hand bekam, der ich noch viel zu verdanken habe: Caratteri rudimentali in ordine all' origine dell'uomo (Annuario della Soc. d. Nat., Modena 1867, S. 81). Unter dem Titel "Dysteleologie" hat Haeckel den Gegenstand vortrefflich dargestellt in seiner "Generellen Morphologie" und seiner "Natürlichen Schöpfungsgeschichte".
23
Gute kritische Bemerkungen über diesen Punkt findet man bei Murie und Mivart in Transact. Zoolog. Soc. 1869, Bd. VII, S. 92.
24
The Variation of Animals and Plants etc., Bd. II. S. 317 u. 397; ebenso in "Entstehung der Arten" (Kröners Volksausgabe, Leipzig S. 275). - Die Hypothese der Pangenesis ist die eigentümliche Vererbungstheorie Darwins, nach welcher der Keim (das Ei) aus "Keimchen" zusammengesetzt ist, die von den einzelnen Organen des Körpers abgegeben werden und sich im Keim sammeln. Von den sehr weit reduzierten Organen, meint Darwin, werden sehr reduzierte und schließlich gar keine Keimchen mehr geliefert [Heinrich Schmidt].
25
Richard (Annales des Sciences Nat. 3. Ser. Zoolog. 1852, T. XVIII, p. 13) beschreibt und bildet ab Rudimente des von ihm sogenannten "muscle pedieux de la main", der nach seiner Aussage zuweisen sehr klein ist. Ein anderer Muskel, "le tibial posterieur", fehlt für gewöhnlich in der Hand, erscheint aber zuweilen in einer mehr oder weniger rudimentären Beschaffenheit.
26
Prof. W. Turner, Proc. Royal Soc. Edinburgh 1866-67, S. 65.
27
Vgl. mein Buch Expression of the Emotions in Man and Animals, 1872, S. 144.
28
Canestrini zitiert ähnliche Fälle aus Hyrtl (Annuario della Soc. dei Naturalisti Modena 1867, S. 97).
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Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
29
The diseases of the ear, von J. Toynbee, F. R. S., 1860, S. 12. Ein hervorragender Physiolog, Prof. Preyer, teilt mir mit, daß er Versuche über die Funktion der Ohrmuschel angestellt habe und fast zu demselben Ergebnis gekommen sei.
30
Prof. A. Macalister, Annals and Mag. of Nat. Hist., Bd. VII. 1871, S. 342.
31
St. George Mivart, Elementary Anatomy, 1873, S. 396.
32
Vgl. auch die Bemerkungen und die Abbildungen von Lemuriden-Ohren in Muries und Mivarts vortrefflicher Abhandlung in den Transact. Zoolog. Soc., Bd. VII, 1869.
33
Über das Darwinsche Spitzohr. Archiv für Path., Anat. und Phys. 1871, S. 485.
34
The Expression of the Emotions, S. 136.
34a
Die von Darwin gegebene Abbildung (Fig. 3) stellt den Foetus eines Makakus, nicht eines Orangs dar (nach G. Schwalbe 1909).
35
I. Müller, Handbuch der Physiologie, 4. Aufl.,Bd. 2, S. 312. Owen, Anatomy of Vertebrates, vol. III, p. 260; derselbe über das Walroß, Proc. Zool. Soc. 8. November 1854. S. auch R. Knox. Great Artists and Anatomists. S. 106. Dies Budiment ist, wie es scheint, bei Negern und Australiern etwas größer als bei Europäern; vgl. Carl Vogt, Vorlesungen über den Menschen, Bd. I, S. 162.
36
Der Bericht, den A. von Humboldt von dem Geruchssinn der Eingeborenen von Südamerika gibt, ist wohlbekannt und auch von andern bestätigt. Houzeau behauptet (Études sur les Facultés Mentales etc., Bd. 1, 1872, S. 91), er habe durch wiederholte Versuche festgestellt, daß Neger und Indianer im Dunkeln Personen an ihrem Geruch erkennen können. Dr. W. Ogle hat einige merkwürdige Beobachtungen gemacht über den Zusammenhang des Riechvermögens mit dem Pigment der Schleimhaut der riechenden Partie der Nasenhöhle ebenso wie der Körperhaut. Ich habe daher im Text von den dunkelfarbigen Rassen gesprochen, die ein feineres Riechvermögen haben als die weißen Rassen. Vgl. Ogles Aufsatz in Medico-Chirurgical Transactions, London, Bd. LIII, 1870, S. 276.
37
The Physiology and Pathology of Mind. 2. Edit. 1868, S. 134.
38
Eschricht, Über die Richtung der Haare am menschlichen Körper. Müllers Archiv für Anat. und Phys. 1837, S. 47. Ich werde öfter auf diesen interessanten Aufsatz Bezug zu nehmen haben.
39
Paget, Lectures on Surgical Pathology, 1853, Bd. I S. 71.
40
Eschricht, a. a. O. S. 40. 47.
41
Vgl. Variation of Animals etc., Bd. II, S. 327. Prof. Alex. Brandt hat mir vor kurzem einen weiteren Fall dazu mitgeteilt von einem Vater und einem Sohn in Rußland. Ich habe von beiden Zeichnungen aus Paris erhalten.
42
Dr. Webb, Teeth in Man und The Anthropoid Apes. Zitiert von Dr. C. Carter Blake in Anthropological Review, Juli 1867, S. 299.
43
Owen, Anatomy of Vertebrates, Bd. III, S. 320, 321 u. 325.
44
Über die primitive Form des Schädels. Englische Übersetzung in Anthropological Review, Oktober 1868, S. 426.
45
Prof. Mantegazza schreibt mir aus Florenz, daß er die letzten Backenzähne bei den verschiedenen Menschenrassen untersucht habe und zu derselben Schlußfolgerung gekommen sei, wie ich sie im Text gegeben habe, nämlich, daß sie bei den höheren oder zivilisierten Rassen auf dem Weg zur Atrophie oder Elimination begriffen seien.
46
Owen, Anatomy of Vertebrates, Bd. III, S. 416, 434, 441.
47
Annuario della Soc. d. Nat., Modena, 1867, S. 94.
48
M. C. Martins (De l'unite organique, in Revue des Deux Mondes, 15. Juni 1862, S. 16) und Haeckel (Generelle Morphologie, Bd. II, S. 278) haben beide auf die merkwürdige Tatsache hingewiesen, daß dieses Rudiment zuweilen den Tod verursacht.
49
Die Vererbung betreffend s. Dr. Struthers in "Lancet", 15. Februar 1873, sowie einen anderen wichtigen Aufsatz, ebenda, 24. Januar 1863, S. 83. Wie man mir sagt, war Dr. Knox der erste Anatom, der die Aufmerksamkeit auf diese eigentümliche Struktur beim Menschen lenkte. S. sein Great Artists and Anatomists, S. 63. Vgl. auch den wichtigen Aufsatz von Gruber über den erwähnten Fortsatz, im Bulletin de l'Acad. Imp. de St. Pétersbourg, Bd. XII, 1867, S. 448.
50
George Mivart, Transact. Phil. Soc., 1867, S. 310.
51
On the Caves of Gibraltar. Transact. Internat. Congress of Prehist. Arch. Third Session 1869, S. 159. Prof. Wyman hat letzthin gezeigt (Fourth Annal Report, Peabody Museum, 1871, S. 20), daß dieses Loch bei 31 Prozent der menschlichen Überreste in einigen Grabhügeln im Westen der Vereinigten Staaten und in Florida auftritt. Es kommt häufig bei Negern vor.
52
Die Beweisstücke dazu hat Quatrefages gesammelt: Revue des Cours Scientifiques, 1867-68, S. 625. 1840 zeigte Fleischmann einen menschlichen Embryo mit einem freien Schwanz, der, was nicht immer der Fall ist, Wirbelkörper enthielt; und dieser Schwanz wurde von den zahlreichen Anatomen der Naturforscherversammlung in Erlangen kritisch untersucht (vgl. Marshall im Niederländischen Archiv für Zoologie Dezember 1871).
53
Owen, On the nature of Limbs, 1849, p. 114.
54
Leuckart in Todds Cyclop. of Anat. 1849-52, Bd. IV, S. 1415. Beim Menschen ist dieses Organ nur 3-6 Linien lang, ist jedoch, wie so viele andere rudimentäre Teile, sowohl in der Entwickelung als in anderen Charakteren variabel.
55
Vgl. über diesen Gegenstand Owen, Anatomy of Vertebrates, Bd. III, S. 675, 676, 706.
152
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
56
In einem vorzüglich illustrierten Werk (La théorie Darwinienne et la creation dite indépendante, 1874) bemüht sich Prof. Bianconi zu zeigen, daß die homologen Strukturen in den obigen und anderen Fällen vollkommen erklärt werden können durch mechanische Prinzipien unter Berücksichtigung ihres Gebrauchs. Niemand hat so gut gezeigt, wie wunderbar solche Strukturen ihren Zwecken angepaßt sind; und diese Anpassung kann, wie ich glaube, durch natürliche Zuchtwahl erklärt werden. Bei der Betrachtung des Fledermausflügels verwendet er (S. 218) etwas, was mir (um Comtes Worte zu gebrauchen) wie ein bloßes metaphysisches Prinzip erscheint, nämlich "die Erhaltung der Säugetiernatur des Tieres in ihrer Integrität". Nur in einigen wenigen Fällen bespricht er Rudimente und nur solche Teile, welche nur teilweise rudimentär sind, z. B. die Afterhufe des Schweines und des Ochsen, die den Boden nicht berühren; er zeigt, daß diese für das Tier nützlich sind. Unglücklicherweise betrachtet er Fälle wie die folgenden gar nicht: die kleinen Zähne, welche das Zahnfleisch des Ochsen nie durchbrechen, oder die Milchdrüsen der männlichen Säugetiere, oder die Flügel gewisser Käfer, die unter den verwachsenen Flügeldecken liegen, oder die Rudimente von Staubfäden und Stempeln bei verschiedenen Blumen, und viele andere derartige Fälle. Obgleich ich Prof. Bianconis Werk sehr bewundere, scheint mir doch die jetzt von den meisten Naturforschern geteilte Ansicht unerschüttert zu sein, daß nämlich homologe Strukturen nach dem Prinzip der bloßen Anpassung nicht erklärlich seien.
Zweites Kapitel 1
Investigations in Military and Anthropological Statistics of American Soldiers, by B. A. Gould, 1869, S. 256.
2
Über die Schädelformen der Eingeborenen von Amerika vgl. Dr. Aitken Meigs in Proc. Acad. Nat. Sc., Philadelphia, Mai 1868. Über die Australier Huxley in Lyells Antiquity of Man, 1865, S. 87; über die Sandwichinsulaner Prof. J. Wyman, Observations of Crania, Boston 1868, S. 18.
3
Anatomy of the Arteries, by R. Quain, Preface, Bd. 1, 1844.
4
Transact. Royal Soc. Edinburgh, Bd. XXIV, S. 175, 189.
5
Proc. Royal Soc., 1867, S. 544; ebenso 1868, S. 485, 524; ebenso in einem früheren Aufsatz, 1866, S. 229.
6
Proc. R. Irish Academy, Bd. X, S. 141, 1868.
7
Act. Acad. St. Petersburg, 1778, Teil II, S. 217.
8
Brehm, Tierleben, Bd. I, S. 58, 87. Rengger, Säugetiere von Paraguay, S. 57.
9
Variation of Animals etc., Bd. II, Kap. XII ("Vererbung und Variabilität", Kap. 1).Hereditary Genius, an Inquiry into its Laws and Consequences, 1869.
10
Hereditary Genius, an Inquiry into its Laws and Consequences, 1869.
11
Bates (The Naturalist on the Amazonas, 1865, Bd. II, S. 159) sagt von den Indianern eines südamerikanischen Stammes: "Nicht zwei von ihnen waren ganz ähnlich in der Kopfform; der eine hatte ein ovales Gesicht mit feinen Zügen, ein anderer ganz wie ein Mongole, breit, mit hervorstehenden Backen, auseinander stehenden Nasenlöchern, schiefen Augen."
12
Blumenbach, Treatises on Anthropology. Engl. Übersetzung 1865, S. 205.
13
Mitford, History of Greece, Bd. I, S. 282. Auch aus einer Stelle in Xenophons Memorabilien, 2. Buch 4 (worauf mich Rev. J. N. Hoare aufmerksam gemacht hat) läßt sich erkennen, daß es ein bei den Griechen anerkannter Grundsatz war, daß die Männer ihre Weiber mit dem Gedanken an die Gesundheit und Kräftigkeit der Kinder wählen sollten. Der griechische Dichter Theognis, der um 550 v. Chr. lebte, sah klar, wie wichtig eine sorgfältig geübte Selektion für die Vervollkommnung des Menschengeschlechts sein würde. Er sah auch, daß Reichtum oft die gehörige Ausübung der geschlechtlichen Zuchtwahl verhindert. Er schreibt: Widder zur Zucht und Esel erspähn wir, Kyros, und edle Ross', und ein jeder will solche von wackrem Geschlecht aufziehn; aber zu freien die schuftige Tochter des Schuftes, kümmert den Edlen nicht, bringt sie nur Schätze ihm zu. Auch nicht weigert ein Weib sich, des Schuftes Gattin zu werden, ist er nur reich; weit vor zieht sie der Tugend das Geld Schätze nur achtet man hoch. Mit dem Schufte versippt sich der Edle und mit dem Edlen der Schuft: Reichtum vermischt das Geschlecht. (Darum wundre dich nicht, Polypaedes, wenn ins Gemeine sinket der Bürger Geschlecht, Edles mit Schuft'gem sich mengt.) Ob er nun selbst wohl weiß, daß ein Schurke von Vater sie zeugte, führt er sie gleichwohl heim, weil der Besitz ihn verlockt Er, der erlaucht, die Verrufne, dieweil die gewaltige Not ihn antreibt, welche des Mannes Sinn, sich zu schicken, gewöhnt, (Die Elegien des Theognis. Übersetzt von W. Binder. Stuttgart 1859, S. 15.)
14
Godron, De l'Espèce, 1859, Bd. II, Buch 3. Quatrefages, Unité de l'Espèce Humaine, 1861; auch die Vorlesungen über Anthropologie in der Revue des Cours Scientifiques, 1866-68.
15
Hist. Gen. et Part, des Anomalies de l'Organisation, Bd. I, 1852.
16
Ausführlich habe ich diese Gesetze erörtert in Variation of Animals and Plants etc., Bd. II, Kap. XXII u. XXIII. M. J. P. Durand hat neuerdings (1868) einen wertvollen Aufsatz über den Einfluß des Milieus veröffentlicht. Er legte, was die Pflanzen betrifft, großes Gewicht auf die Natur des Bodens.
153
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
17
Investigations in Military and Statistics 1869, von B. A. Gould, S. 93, 107, 126, 131, 154.
18
In betreff der Polynesier vgl. Prichards Physical Hist. of Mankind, Bd. V, 1847, S. 145, 283. Auch Godron, De l'Espèce, Bd. II, S. 289. Ein bemerkenswerter Unterschied besteht auch zwischen den nahe verwandten Hindus des oberen Ganges und Bengalens; vgl. Elphinstones History of India, Bd. I, S. 324.
19
Memoirs Anthropolog. Soc., Bd. III 1867-69, S. 561, 565, 567.
20
Dr. Brakenridge, Theory of Diathesis, Medical Times Juni und Juli 1869.
21
Für diese verschiedenen Angaben habe ich Autoritäten angeführt in Variation of Animals etc., Bd. II, S. 297-300. Dr. Jaeger, Über das Längenwachstum der Knochen. Jenaische Zeitschrift, Band V, Heft I.
22
Investigations etc. Von B. A. Gould, 1869, S. 288.
23
Säugetiere von Paraguay, 1830, S. 4.
24
History of Greenland. Engl. Übersetzung 1767 Bd. I, S. 230.
25
Intermarriage. Von Alex. Walker, 1838, S. 377.
26
The Variation of Animals etc., Bd. I, S. 173.
27
Herbert Spencer, Die Prinzipien der Biologie (übers. von Vetter), 1. Bd., S. 497.
28
Paget, Lectures on Surgical Pathology, Bd. II, 1853, S. 209.
29
Es ist eine eigentümliche und überraschende Tatsache, daß Seeleute den Festlandsbewohnern in bezug auf die mittlere Größe der deutlichen Sehweite nachstehen. Dr. B. A. Gould hat nachgewiesen, daß dies der Fall ist (Sanitary Memoirs of the War of the Rebellion, 1869, p. 530); er führt es darauf zurück, daß bei Seeleuten das Sehen "auf die Länge des Schiffes und die Höhe der Masten beschränkt ist".
30
The Variation of Animals etc., Bd. I, S. 8.
31
Säugetiere von Paraguay, S. 8, 10. Ich habe reichlich Gelegenheit gehabt, das außerordentliche Sehvermögen der Feuerländer zu beobachten. Vgl. auch Lawrence (Lectures on Physiology etc., 1822, p. 404). Giraud-Teulon hat neuerdings (Revue des Cours Scintifiques, 1870, p. 625) eine große und wertvolle Zahl von Beweisen gesammelt, welche zeigen, daß die Ursache der Kurzsichtigkeit die emsige Naharbeit ist.
32
Prichard, Physic. Hist. of Mankind, nach Blumenbach, Bd. I, 1851, S. 311; die Angabe von Pallas ebenda, Bd. IV, 1844, S. 407.
33
Zitiert bei Prichard Researches into the phys. hist. of Mankind, Bd. V, S. 463.
34
Forbes' wertvolle Arbeit ist jetzt publiziert (Journal of the Ethnological Soc. of London. New Ser., Bd. II, 1870, S. 193).
35
Dr. Wilckens (Landwirtschaftliches Wochenblatt, Nr. 10, 1869) hat eine interessante Abhandlung veröffentlicht, worin er zeigt, daß domestizierte Tiere in bergigen Gegenden einen modifizierten Körperbau haben.
36
Memoire sur les Microcephales, 1867, S. 50, 125, 169, 171, 184-198.
37
Prof. Laycock bezeichnet die Gesamterscheinung der tierähnlichen Idioten als "theroid" (Journal of Mental Science, Juli oft beobachtet, wie Geistesschwache ihre Nahrung beriechen. 1863). Dr. Scott (The Deaf and Dumb, 2. ed. 1870, S. 10) hat Vgl. über denselben Gegenstand und über die Behaarung der Idioten: Dr. Maudsley, Body and Mind, 1870, S. 46-51. Pinel hat ein auffallendes Beispiel von Behaarung bei einem Idioten mitgeteilt.
38
In Variation of Animals, Bd. II, S. 57 betrachtete ich den nicht seltenen Fall von überzähligen Brustdrüsen bei Frauen als Rückschlag. Es schien mir deshalb wahrscheinlich, weil die überzähligen Drüsen meist symmetrisch auf der Brust stehen, und weil speziell in einem Falle, bei der Tochter einer Frau mit überzähligen Brustdrüsen, eine einzelne fungierende Milchdrüse in der Weichengegend vorhanden war. Ich finde aber jetzt (s. z. B. Preyer, Der Kampf ums Dasein, 1869, S. 45), daß Mammae erraticae auch an anderen Stellen vorkommen, so am Rücken, in der Achselhöhle und am Schenkel; die Drüsen gaben im letzteren Falle so viel Milch, daß das Kind damit ernährt wurde. Die Wahrscheinlichkeit, daß die überzähligen Milchdrüsen auf Rückschlag zurückzuführen seien, wird hierdurch sehr herabgesetzt. Nichtsdestoweniger erscheint mir dies noch immer wahrscheinlich, weil häufig zwei Paar symmetrisch auf der Brust gefunden werden; von mehreren Fällen dieser Art ist mir selbst Mitteilung gemacht worden. Es ist bekannt, daß einige Lemuren normal zwei Paar Milchdrüsen an der Brust haben. Von mehr als einem Paare Brustdrüsen (natürlich rudimentären) beim männlichen Geschlecht (Mensch) sind fünf Fälle bekannt. Vgl. Journal of Anat. and Physiology, 1872, S. 56, in bezug auf einen von Dr. Handsyde angeführten Fall von zwei Brüdern, welche diese Eigentümlichkeit darboten; s. auch einen Aufsatz von Dr. Bartels in Reicherts und Dubois-Reymonds Archiv, 1872, S. 304. In einem der von Dr. Bartels erwähnten Fälle besaß ein Mann fünf Milchdrüsen, eine davon in der Mittellinie oberhalb des Nabels. Meckel von Hemsbach setzt diesen Fall in Parallele mit dem Vorkommen einer medianen Mamma bei gewissen Fledermäusen. Im ganzen dürfen wir wohl bezweifeln, ob sich in beiden Geschlechtern beim Menschen jemals überzählige Brustdrüsen hätten entwickeln können, wenn nicht seine Vorfahren mit mehr als einem einzigen Paare versehen gewesen wären.
154
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
In meinem oben angeführten Werke (Bd. 2, S. 12) schrieb ich auch, wenn auch zögernd, die häufigeren Fälle von Polydaktylie beim Menschen und verschiedenen Tieren dem Rückschlag zu. Dazu wurde ich zum Teil veranlaßt durch die Angabe Prof. Owens, daß einige Ichthyopterygier mehr als fünf Finger haben und daher, wie ich annahm, einen ursprünglichen Zustand beibehalten haben; Prof. Gegenbaur bestreitet indes Owens Folgerungen (Jenaische Zeitschrift, Bd. 5, Heft 3, S. 341). Es scheint aber andererseits in Übereinstimmung mit der Ansicht Dr. Günthers über die Flosse des Ceratodus, welche zu beiden Seiten einer zentralen Reihe von Knochenstücken mit gegliederten knöchernen Strahlen versehen ist, nicht besonders schwierig, anzunehmen, daß sechs und mehr Finger an der einen Seite, oder die doppelte Zahl an beiden Seiten, durch Rückschlag wieder erscheinen können. Dr. Zouteveen hat mir mitgeteilt, daß ein Fall bekannt ist, wo ein Mann 24 Finger und 24 Zehen hatte! Zu der Folgerung, daß das Vorhandensein überzähliger Finger eine Folge des Rückschlags sei, wurde ich hauptsächlich durch die Tatsache geführt, daß derartige Finger nicht bloß streng vererbt werden, sondern auch, wie ich damals glaubte, nach Amputationen wieder wachsen, wie die normalen Finger niederer Wirbeltiere. Ich habe aber in der zweiten Auflage meines Werkes "Variation under Domestication" erklärt, warum ich den berichteten Fällen eines derartigen Wiederwachsens jetzt nur noch wenig Vertrauen schenke. Insofern Entwickelungshemmung und Rückschlag sehr nahverwandte Vorgänge sind, verdient es jedoch Beachtung, daß das Vorhandensein verschiedener Bildungen in einem embryonalen oder gehemmten Zustande, wie ein gespaltener Gaumen, ein zweihörniger Uterus usw., häufig mit Polydaktylismus verbunden ist. Meckel und Geoffroy St. Hilaire haben dies stark betont. Für jetzt ist es jedoch am sichersten, die Idee, daß zwischen der Entwickelung überzähliger Finger und dem Rückschlage auf irgend einen niedrig organisierten Vorfahren des Menschen irgend eine Beziehung bestehe, ganz und gar aufzugeben. 39
Vgl. Dr. A. Farres bekannten Artikel in der Cyclopaedia of Anatomy and Phys., Bd. V, 1859, S. 642. Owen Anatomy of Vertebrates, Bd. III, 1868, S. 687. Prof. Turner in Edinburgh Medical Journal, Februar 1865.
40
Annuario della Soc. dei Naturalisti in Modena, 1867, S. 83. Prof. Canestrini gibt über diesen Gegenstand Auszüge aus verschiedenen Autoren. Laurillard bemerkt, daß er in der Form, den Proportionen und der Verbindung der beiden Wangenbeine bei mehreren Menschen und gewissen Affen eine vollständige Ähnlichkeit gefunden habe, und daß er diese Anordnung der Teile nicht als bloßen Zufall betrachten könne. Einen anderen Aufsatz über dieselbe Anomalie hat Dr. Saviotti in der "Gazetta delle Cliniche", Turin 1871, veröffentlicht, wo er angibt, daß sich Spuren der Teilung in ungefähr 2 % erwachsener Schädel auffinden lassen; er bemerkt auch, daß sie häufiger in prognathen, nicht-arischen Schädeln vorkomme als in anderen. Vgl. auch G. Delorenzi über denselben Gegenstand: "Tre nuovi casi d'anomalia dell' osso malare", Torino 1872. Auch E. Morselli, Sopra una rara anomalia dell' osso malare, Modena 1872. Später hat Gruber eine Broschüre über die Teilung dieses Knochens geschrieben. Ich führe diese Zitate hier an, weil ein Kritiker, ohne Angabe von Gründen oder Bedenken, meine Angaben bezweifelt hat.
41
Eine ganze Reihe von Fällen hat Isid. Geoffroy St. Hilaire mitgeteilt (Hist. des Anomalies, Bd. III, S. 457). Ein Kritiker Journal of Anatomy and Physiology, 1871, S. 366) tadelt mich sehr, weil ich die zahlreichen Fälle von Entwickelungshemmungen, die in der Literatur mitgeteilt sind, nicht erörtert habe. Er sagt, daß nach meiner Theorie "jeder vorübergehende Zustand in der Entwickelung eines Organs nicht bloß Mittel zu einem Ende sei, sondern früher einmal selbst ein Ziel gewesen sei". Dies scheint mir nicht notwendig richtig zu sein. Warum sollen nicht in einer frühen Periode der Entwickelung Abänderungen auftreten können, welche keinen Rückschlag bedeuten? Und doch können solche Abänderungen erhalten und gehäuft werden, wenn sie von irgend welchem Nutzen sind, z. B. indem sie den Entwickelungsverlauf abkürzen und vereinfachen. Und ferner: warum sollen nachteilige Abnormitäten, wie atrophierte oder hypertrophierte Teile, welche sich auf keinen früheren Existenzzustand beziehen, nicht ebensogut in einer früheren Entwickelungsperiode als während der Reife auftreten können?
42
Anatomy of Vertebrates, Bd. III, 1868, S. 323.
43
Generelle Morphologie, 1866, Bd. 2, S. CLV.
44
C. Vogt, Vorlesungen über den Menschen 1863 Bd. I, S. 189, 190.
45
C. Carter Blake, On a jaw from La Naulette. Anthropolog. Review, 1867, S. 295. Schaaffhausen, ibid. 1868, S. 426.
46
The Anatomy of Expression, 1844, S. 110, 131.
47
Zitiert von Prof. Ganestrini im Annuario etc., 1867, S. 90.
48
Diese Aufsätze verdienen von allen denen sorgfältig studiert zu werden, welche kennen zu lernen wünschen, wie häufig unsere Muskeln variieren, und wie sie bei diesen Abweichungen denen der Quadrumanen ähnlich werden. Die folgenden Zitate beziehen sich auf die wenigen oben im Texte berührten Punkte: Proceed. Roval Soc., Bd. XIV, 1865, S. 379-384; Bd. XV, 1866, S. 241, 242; Bd. XV, 1867, S. 544; Bd. XVI, 1868, S. 524. Ich will hier noch hinzufügen, daß Murie und St. George Mivart in ihrer Arbeit über die Lemuriden gezeigt haben, wie außerordentlich variabel einige Muskeln bei diesen Tieren, den niedersten Formen der Primaten, sind (Transact. Zoolog. Soc., Bd. VII, 1869, S. 96). Zahlreiche Abstufungen an den Muskeln, die zu Strukturen führen, wie sie noch bei niedriger stehenden Tieren gefunden worden sind, finden sich auch bei den Lemuriden.
49
Vgl. Prof. Macalister in Proceed. Roy. Irish Academy, Bd. X, 1868, S. 124.
50
Champneys in Journal of Anatomy and Physiology, Nov. 1871, S. 178.
51
Journal of Anat. and Physiol., Mai 1872, S. 421.
52
Prof. Macalister (ebenda p. 121) hat seine Beobachtungen in Tabellen gebracht und findet, daß Muskelvarietäten am häufigsten am Vorderarm sind, dann kommt das Gesicht, dann der Fuß usw.
155
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
53
Rev. Dr. Haugthon teilt einen merkwürdigen Fall von Abweichungen am menschlichen Flexor pollicis longus mit (Proceed. Roy. Irish Academy, Juni 1864, S. 715) und fügt hinzu: "Dieses merkwürdige Beispiel zeigt, daß der Mensch zuweilen diejenige Anordnung der Sehnen des Daumens und der übrigen Finger besitzen kann, welche für den Macacus charakteristisch ist; ob man aber einen solchen Fall so beurteilen soll, als ob hier ein Macacus aufwärts in die menschliche Form, oder ein Mensch abwärts in die Macacus-Form übergehe, oder ob man darin ein angeborenes Naturspiel sehen darf, vermag ich nicht zu entscheiden." Es gewährt wohl Genugtuung, daß ein so tüchtiger Anatom und ein so erbitterter Gegner des Evolutionismus auch nur die Möglichkeit einer der beiden ersten Annahmen zugibt. Auch Prof. Macalister hat (Proceed. Roy. Irish Academy, Bd. X, 1864, S. 138) Abweichungen am Flexor pollicis longus beschrieben, welche wegen ihrer Beziehungen zu den Muskeln der Quadrumanen merkwürdig sind.
54
Seit der ersten Auflage dieses Buches hat Mr. Wood in den Philos. Transact. 1870, S. 83 eine andere Abhandlung erscheinen lassen über die Muskelvarietäten am Halse, an der Schulter und der Brust des Menschen. Er zeigt hier, wie äußerst variabel diese Muskeln sind, und wie oft und wie bedeutend die Abweichungen den normalen Muskeln der tiefer stehenden Tiere ähneln. Er gibt am Ende folgende Zusammenfassung: "Es wird für meinen Zweck genügen, wenn es mir gelungen ist, die wichtigsten Formen nachzuweisen, welche, sobald sie am menschlichen Körper als Varietäten auftreten, in einer hinreichend charakteristischen Weise das darbieten, was man in diesem Zweige der wissenschaftlichen Anatomie als Beweise und Beispiele für das Darwinsche Prinzip des Rückschlags oder das Gesetz der Vererbung betrachten kann."
55
Die Autoritäten für diese verschiedenen Angaben sind angeführt in Variation of Animals etc., Bd. II, S. 320-335.
56
Dieser ganze Gegenstand ist in Variation of Animals and Plants under Domestication, Kap. 23 erörtert worden.
57
Vgl. den für immer denkwürdigen "Essay on the principles of Population", by The Rev. T. Malthus, Bd. I, 1826, S. 6, 517.
58
Variation etc., Bd. II, S. 111-113, 163.
59
Sedgwick, British and Foreign Medico-Chirurg. Review, Juli 1863, S. 170.
60
The Annals of Rural Bengal, by W. W. Hunter, 1868, S. 259.
61
Primitive Marriage, 1865.
62
Der Verfasser eines Artikels im "Spectator" (12. March), 1871, S. 320) macht über diese Stelle die folgenden Bemerkungen: - "Darwin sieht sich gezwungen, eine neue Theorie über den Sündenfall des Menschen einzuführen. Er zeigt, daß die Instinkte der höheren Tiere viel edler sind als die Gewohnheiten wilder Menschenrassen, und sieht sich daher gezwungen, die Lehre wieder hervorzuholen - und zwar in einer Form von wesenhafter Orthodoxie, die ihm selbst ganz unbewußt zu sein scheint - und als wissenschaftliche Hypothese einzuführen, daß der Erwerb der Erkenntnis durch den Menschen die Ursache einer zeitweiligen, jedoch lange anhaltenden moralischen Verschlechterung war, wie sie sich in den vielen widerlichen Gebräuchen wilder Stämme, besonders bei Heiraten, zeigt. Was weiter als dies behauptet die jüdische Überlieferung von der moralischen Entartung des Menschen infolge seiner Sucht nach einer Erkenntnis, die ihm durch seine höchsten Instinkte verboten ist?"
63
Vgl. hierüber einige gute Bemerkungen von W. Stanley Jevons, A deduction from Darwin's Theory. "Nature", 1869, S. 231.
64
Latham, Man and his Migrations, 1851, S. 135.
65
Murie und St. George Mivart sagen in ihrer Anatomie der Lemuriden (Transact. Zoolog. Soc., Bd. VII, 1869, S. 96-98): "Einige Muskeln sind in ihrer Verteilung so unregelmäßig, daß sie keiner der erwähnten Gruppen eingeordnet werden können." Diese Muskeln weichen selbst auf den beiden Seiten eines Individuums voneinander ab.
66
Limits of Natural Selection; in North American Review, Okt. 1870, S. 295.
67
Quarterly Review, April 1869, S. 392. Dieser Gegenstand ist in Mr. Wallaces Contributions to the Theory of Natural Selection, 1870, worin alle hier angezogenen Aufsätze wieder veröffentlicht sind, ausführlicher erörtert worden. Der "Essay on Man" ist sehr gut kritisiert worden von Prof. Claparede, einem der hervorragendsten Zoologen in Europa, in einem Artikel der Bibliotheque Universelle, Juni 1870. Die oben im Texte zitierte Bemerkung wird jeden überraschen, welcher Wallaces berühmten Aufsatz "On the Origin of Human Races deduced from the Theory of Natural Selection" gelesen hat (ursprünglich publiziert in der Anthropological Review, Mai 1864, S. CLVIII). Ich kann mir nicht versagen, hier eine äußerst treffende Bemerkung Sir J. Lubbocks (Prehistoric Times, 1865, S. 479) anzuführen, wo er in bezug auf diesen Aufsatz sagt, daß Mr. Wallace "mit charakteristischer Selbstlosigkeit dieselbe (nämlich die Idee der natürlichen Zuchtwahl) ohne Rückhalt Herrn Darwin zuschreibt, trotzdem es bekannt ist, daß er diese Idee ganz selbständig erfaßt und sie, wenn auch nicht ebenso ausgearbeitet, zu derselben Zeit veröffentlicht hat".
68
Zitiert von Mr. Lawson Tait in seinem "Law of Natural Selection", in Dublin Quarterly Journal of Medical Science, Febr. 1869. Auch Dr. Keller wird als weitere Bestätigung zitiert.
69
Owen, Anatomy of Vertebrates, Bd. III, S. 71.
70
Quarterly Review, April 1869, S. 592.
71
Bei Hylobates syndactylus sind, wie der Name ausdrückt, regelmäßig zwei Finger verwachsen; dasselbe ist, wie mir Mr. Blyth mitteilt, gelegentlich mit den Fingern von H. agilis, lar und leuciscus der Fall. Golobus ist im strengsten Sinne Baumtier und außerordentlich lebhaft (Brehm, Tierleben, Bd. 1, S. 50); ob er aber ein besserer Kletterer ist als die Arten der verwandten Gattungen, weiß ich nicht. Es verdient F.rwähnung, daß die Füße der Faultiere, der vollkommensten Baumtiere der Welt, wunderbar hakenförmig sind.
72
Brehm, Tierleben, 2. Aufl., Bd. 1, S. 163.
73
The Hand, its Mechanism etc. "Bridgewater Treatise". 1835, S. 38.
74
Haeckel erörtert in ausgezeichneter Weise die Schritte, durch welche der Mensch ein Zweifüßler wurde: Natürliche Schöpfungsgeschichte, 1868, S. 507. Dr. Büchner (Vorlesungen über die Darwinsche Theorie, 1868, S. 195) hat gute Beispiele gegeben von Fällen, wo der Fuß des Menschen als Greiforgan gebraucht wird; Büchner hat auch über die Bewegungsweise der höheren Affen geschrieben, die ich im folgenden Abschnitt erwähne. Über den letzten Punkt vgl. Owen, Anatomy of Vertebrates, Bd. III, S. 71.
156
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
75
Broca, La constitution des Vertébres caudales, in La Revue d'Anthropologie, 1872, S. 26 (Separatdruck).
76
"Über die Urform des Schädels" (auch übers, in der Anthropological Review, Okt. 1868, S. 428). Owen (Anatomy of Vertebrates, Bd. II, 1866, S. 551) über die Processus mastoidei bei den höheren Affen.
77
Die Grenzen der Tierwelt eine Betrachtung zu Darwins Lehre, 1868, S. 51.
78
Dujardin, Annal. d. scienc. natur. 3. Sér. 7oolog., Bd. XIV, 1850, S. 203. Vgl. auch Lowne, Anatomy and Physiology of the Musca vomitoria, 1870, S. 14. Mein Sohn, Francis Darwin, hat mir die Zerebralganglien der Formica rufa präpariert.
79
Philosophical Transactions, 1869, p. 513.
80
Les Selections, von P. Broca, in Revue d'Anthropologie, 1873; s. auch das Zitat in C. Vogts Vorlesungen über den Menschen, Bd. I, S. 104-108. Prichard, Physic. Hist. of Mankind, Bd. I, 1838, S. 305.
81
In dem oben zitierten interessanten Artikel hat Broca richtig bemerkt, daß bei zivilisierten Nationen die mittlere Schädelkapazität dadurch herabgedrückt werden muß, daß eine beträchtliche Anzahl von geistig und körperlich schwachen Individuen, die im Zustande der Wildheit sicher zugrunde gegangen waren, erhalten wird. Andererseits enthält bei Wilden der Mittelwert nur die tauglicheren Individuen, die fähig waren, unter äußerst harten Bedingungen leben zu bleiben. Broca erklärt damit die sonst unerklärliche Tatsache, daß die mittlere Schädelkapazität der alten Höhlenbewohner von Lozere größer ist als die der modernen Franzosen.
82
Comptes rendus des Sciences. Paris, 1. Juni 1868.
83
Variation of Animals etc., Bd. I, S. 124-129.
84
Schaaffhausen führt die Fälle von den Krämpfen und der Narbe nach Blumenbach und Busch an (Anthropolog. Review, Okt. 1868, S. 420). Dr. Jarrold (Anthropologia, 1808, S. 115, 116) führt nach Campers und seinen eigenen Beobachtungen Fälle von Modifikation des Schädels an infolge einer Fixierung des Kopfes in einer unnatürlichen Stellung. Er glaubt, daß bei gewissen Handwerkern, wie bei den Schuhmachern, die den Kopf beständig vorgebeugt halten, die Stirn runder und vorspringender wird.
85
Variation of Animals etc., Bd. I, S. 117 über die Verlängerung des Schädels, S. 119 über die Wirkung des Hängens der Ohren.
86
Zitiert von Schaaffhausen in Anthropolog. Review Okt. 1868, S. 419.
87
Owen, Anatomy of Vertebrates, Bd. III, S. 619.
88
Isidore Geoffroy St. Hilaire spricht in der Histoire natur. génér., Bd. II, S. 215-217 über die Behaarung des Kopfes beim Menschen, ebenso über den Umstand, daß die obere Körperfläche bei Affen und anderen Säugetieren dichter mit Haaren bekleidet ist als die untere. Dies ist auch von verschiedenen anderen Autoren bemerkt worden. Prof. Gervais (Hist. natur. des Mammiferes, Bd. I, 1854, S. 28) indessen bemerkt, daß beim C orilla das Haar am Rücken, wo es teilweise abgerieben werde, dünner sei als auf der Bauchseite.
89
The Naturalist in Nicaragua, 1874, S. 209. Als eine Bestätigung der Ansicht Mr. Belts kann ich die folgende Stelle aus Sir W. Denisons Varieties of Vice-Regal Life, Bd. I, 1870, S. 440, zitieren: "Man sagt, es sei bei den Australiern Gebrauch, das Ungeziefer wegzusengen, wenn es lästig wird."
90
St. George Mivart in Proceed. Zoolog. Soc., 1865, S. 562, 583. J. E. Gray, Catalogue Brit. Mus. "Skeletons". Owen, Anatomy of Vertebrates, Bd. II, S. 517. Isid. Geoffroy Saint-Hilaire, Hist. natur. génér., Bd. II, S. 244.
91
Revue d'Anthropologie, 1872. "La constitution des Vertébres caudales".
92
Proceed. Zoolog. Soc., 1872, S. 210.
93
Proceed. Zoolog. Soc., 1872, S. 786.
94
Cf. Browne-Séquards Beobachtungen über die vererbten Wirkungen einer bei Meerschweinchen Epilepsie verursachenden Operation, sowie die analogen Wirkungen der Durchschneidung des Sympathicus am Halse. Ich werde nachher Gelegenheit haben, Salvins interessanten Fall von den Motmots anzuführen, die sich die Fahnen ihrer eigenen Schwanzfedern abbeißen, welche Gewohnheit allem Anschein nach vererbte Wirkungen zur Folge hat. Vgl. auch über den Gegenstand im allgemeinen Variation of Animals etc., Bd. II, S. 22-24.
95
The Variation of Animals and Plants etc., Bd. II S. 280, 282.
96
Primeval Man, 1869, S. 66.
Drittes Kapitel 1
Der Beweis dafür bei Lubbock, Prehistoric Times, S. 354 ff.
2
L'Instinct chez les Insectes, Revue des Deux Mondes, Februar 1870, S. 690.
3
The American Beaver and his Works, 1868.
4
The Principles of Psychology, 2. Aufl., 1870, S. 418-443.
5
Contributions to the Theory of Natural Selection, 1870, S. 212.
6
Um sich darüber zu unterrichten, lese man J. Traherne Moggridges hochinteressantes Werk Harvesting Ants and Trapdoor Spiders, 1873, S. 126, 128.
7
Recherches sur les Mœurs des Fourmis, 1810, S. 173.
8
Alle folgenden hier angeführten Tatsachen, die sich auf die Autorität dieser beiden Naturforscher stützen, sind Renggers Naturgeschichte der Säugetiere von Paraguay, 1830, S. 41-57, und Brehms Tierleben, Bd. I, S. 10-87 entnommen.
9
Angeführt von Dr. Lander Lindsay in seiner Abhandlung Physiology of Mind in the Lower Animals, Journal of Mental Science, April 1871, S. 38.
157
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
10
Bridgewater Treatise, S. 263.
11
Ein Kritiker (Quarterly Review, Juli 1871, S. 72) bestreitet ohne Angabe von Gründen die Möglichkeit dieses von Brehm mitgeteilten Vorganges, um meine Arbeit herabzusetzen. Deshalb versuchte ich, und zwar mit Erfolg, mit meinen eigenen Zähnen die scharfen kleinen Krallen eines fünf Wochen alten Kätzchens festzuhalten und abzubeißen.
12
In meinem Werk Expression of the Emotions S. 43 habe ich einen kurzen Bericht ihres Betragens gegeben.
13
W. C. L. Martin, Nat. Hist. of Mammalia, 1841, S. 405.
14
Dr. Bateman, On Aphasia, 1870, S. 110.
15
Angeführt von Vogt, Mémoire sur les Microcéphales, 1867, S. 168.
16
The Variation of Animals, Bd. I, S. 27.
17
Annales des Sc. Nat. (1. Reihe), Bd. XXII, S. 397.
18
Les Moeurs des Fourmis, 1810, p. 150.
19
Angeführt in Dr. Maudsleys Physiology and Pathology of Mind, 1868, S. 19, 220.
20
Dr. Jerdon, Birds of India, 1862, Bd. I, S. XXI. Houzeau erzählt, daß seine Papageien und Kanarienvögel träumten, Facultés Mentales, Bd. II, S. 136.
21
Facultés Mentales des Animaux, 1872, Bd. II, S. 181.
22
M. L. H. Morgans Werk The American Beaver, 1868, bildet eine anschauliche Erläuterung zu dieser Bemerkung; doch geht er meines Erachtens fast etwas zu weit in der Unterschätzung instinktiver Handlungen.
23
Die Bewegungen der Tiere, 1873, S. 11.
24
Facultés Mentales des Animaux, 1872, Bd. II, S. 265.
25
Prof. Huxley hat mit bewunderungswürdiger Klarheit den Weg analysiert, den ein Mensch so gut wie ein Hund bis zur Aufstellung einer Schlußfolgerung in einem ähnlichen Falle wie oben zurückgelegt. S. seinen Artikel Mr. Darwins Critics in der Contemporary Review, Nov. 1871, S. 462, und in seinen Critiques and Essays, 1873, S. 279.
26
Mr. Belt beschreibt in seinem hochinteressanten Werk The Naturalist in Nicaragua, 1874, S. 119 verschiedene ähnliche Handlungen eines gezähmten Zebus, welche meiner Ansicht nach klar zeigen, daß das Tier Verstand besaß.
27
The Moor and the Loch, S. 45. Col. Hutchinson über Dog Breaking, 1850, S. 46.
28
Personal Narrative. Engl. Übersetzung, Bd. III, S. 106.
29
Ich freue mich, daß auch ein so scharfsinniger Denker wie Mr. Leslie Stephen (Darwinism and Divinity, Essays on Freethinking, 1873, S. 80) bei der Besprechung der angeblich unüberschreitbaren Grenze zwischen der Seele des Menschen Und derjenigen der Tiere sagt: "Die Unterschiede indessen, die man aufgestellt hat, scheinen auf ebenso willkürlichen Voraussetzungen zu beruhen wie so sehr viele metaphysische Unterschiede, nämlich auf der Annahme, daß zwei Dinge, denen man verschiedene Benennungen geben kann, notwendig deshalb auch verschiedener Natur sind. Man kann kaum verstehen, wie jemand, der einen Hund gehalten oder einen Elefanten beobachtet hat, noch Zweifel an der Fähigkeit der Tiere hegt, die wesentlichen Prozesse des verstandesmäßigen Denkens vollziehen zu können.''
30
Siehe Madness in Animals von Dr. W. Lander Lindsay, in Journal of Mental Science, Juli 1871.
31
Angeführt von Sir C. Lyell, Antiquity of Man, S. 497.
32
Ausführlichere Beispiele s. in M. Houzeau: Les Facultés Mentales, II, 1872, S. 147.
33
Vgl. hierzu in bezug auf Vögel, die auf ozeanischen Inseln leben, mein "Journal of Researches during the voyage of the 'Beagle'" 1845, S. 398. Entstehung der Arten, Kröners Volksausgabe, S. 147.
34
Lettres Phil, sur I'Intelligence des Animaux, neue Ausgabe 1802, S. 86.
35
Man suche die Belege dazu im ersten Kapitel des ersten Bandes On the Variation of Animals and Plants under Domestication.
36
Proc. Zoolog. Soc., 1864, S. 186.
37
Savage und Wyman in Boston Journal of Nat. Hist IV 1843-1844, S. 383.
38
Säugetiere von Paraguay, 1830, S. 51-56.
39
The Indian Field, März 1871.
40
Tierleben, Bd. I, S. 79, 82.
41
The Malay Archipelago, Bd. I, 1869, S. 87.
42
Primeval Man, 1869, S. 145,147.
43
Prehistoric Times, 1865, S. 473 ff.
44
Mr. Hookham in einem Briefe an Prof. Max Müller in den "Birmingham News", Mai 1873.
45
Vorlesungen über die Darwinsche Theorie, S. 190.
46
The Rev. Dr. J. M'Cann, Anti-Darwinism, 1869, S. 13.
47
Zitiert in der Anthropological Review, 1864, S. 158.
48
Rengger a. a. O. S. 45.
49
Vgl. The Variation of Animals etc., Bd. I, S. 27.
50
Facultés Mentales des Animaux, Bd. II, 1872, S. 346-349.
51
S. eine Erörterung dieses Gegenstandes in E. Tylors sehr interessantem Buche "Researches into the Early History of Mankind", 1865, Kap. 2-4.
158
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
52
Ich habe darüber mehrere detaillierte Berichte erhalten. Admiral Sir J. Sullivan, den ich als einen sorgfältigen Beobachter kenne, versichert mir, daß ein afrikanischer Papagei, den man lange Zeit in seines Vaters Hause gehalten hatte, gewisse Personen des Hausstandes und ebenso Besucher richtig bei ihren Namen nannte. Beim Frühstück sagte er zu jedermann "Guten Morgen" und abends zu allen "Gute Nacht", wenn sie das Zimmer verließen, ohne je diese Begrüßungen zu verwechseln. Bei Begrüßung von Sir J. Sullivans Vater fügt er dem "Guten Morgen" noch einen kurzen Satz hinzu, den er nach dem Tode des Vaters nicht wiederholte. Einen fremden Hund, der durchs offene Fenster ins Zimmer kam, schalt er heftig aus; ebenso einen anderen Papagei (er rief "you naugthy polly"), der aus seinem Käfig herausgegangen war und auf dem Küchentisch liegende Äpfel aß. Vgl. auch Houzeau, Facultes Mentales, Bd. II, S. 309. Dr. A. Moschkau erzählt mir, daß er einen Star gekannt habe, welcher ankommende Personen mit "Guten Morgen" und fortgehende mit "Leb wohl, alter Junge" begrüßt und sich niemals geirrt habe. Ich könnte noch mehrere solcher Fälle anführen.
53
S. einige gute Bemerkungen hierüber von Prof. Whitney in seinen Oriental and Linguistic Studies, 1873, S. 354. Er bemerkt, daß der Wunsch, sich anderen mitzuteilen, die treibende Kraft ist, die bei der Entwickelung der Sprache bewußt und unbewußt tätig ist: bewußt, insofern es das "zunächst zu erreichende Ziel, unbewußt, sofern es die weiteren Folgen der Handlung betrifft".
54
Hon. Daines Barrington in Philos. Transact., 1773, S. 262. S. auch Dureau de la Malle in Annal. des scienc. natur., 3. Sér. Zool., Bd. X, S. 119.
55
On the Origin of Language von H. Wedgwood, 1866. Chapters on Language von Rev. F. Farrar, 1865. Diese Werke sind äußerst interessant. S. auch De la Physiogn. et de la Parole von Alb. Lemoine, 1865, S. 190. Die Schrift des verstorbenen Aug. Schleicher ist auch von Dr. Bikkers ins Englische übersetzt worden unter dem Titel "Darwinism tested by the science of language", 1869.
56
Vogt, Mém. sur les Microcéphales, 1867, S. 169. In bezug auf Wilde habe ich in meinem Journal of Researches, 1845, S. 206, einige Tatsachen mitgeteilt.
57
S. entscheidende Beweise hierfür in den so oft zitierten beiden Werken von Rengger und Brehm.
58
Houzeau teilt einen merkwürdigen Bericht seiner Beobachtungen hierüber mit in Facultés Mentales des Animaux, Bd. II, S. 348.
59
S. Bemerkungen hierüber von Dr. Maudsley, The Physiology and Pathology of Mind, 2. edit., 1868, S. 199.
60
Viele merkwürdige Fälle der Art sind mitgeteilt worden. S. z. B. Dr. Bateman, On Aphasia, 1870, S. 27, 31, 33, 100 etc. Vgl. auch Inquiries concerning the Intellectual Powers, von Abercrombie, 1838, S. 150.
61
The Variation of Animals etc., Bd. II, S. 6.
62
Lectures on "Mr. Darwins Philosophy of Language", 1873.
63
Das Urteil eines so ausgezeichneten Philologen wie Prof. Whitney wird in bezug auf diesen Punkt viel mehr Gewicht haben als irgend etwas, was ich sagen könnte. Von Bleeks Ansichten sprechend, bemerkt er (Oriental and Linguistic Studies, 1873, S. 297): "Weil die Sprache das notwendige Hilfsmittel des Gedankens ist, unentbehrlich zur Entwickelung des Denkvermögens, zur Deutlichkeit und Mannigfaltigkeit und Komplexität der Begriffe, zur vollen Herrschaft des Bewußtseins, deshalb möchte er mit Unrecht den Gedanken ohne Sprache absolut unmöglich machen, die Fähigkeit mit ihrem Werkzeuge identifizierend. Er könnte ebenso vernünftig behaupten wollen, die menschliche Hand könne nichts ohne ein Werkzeug tun. Von einer solchen Theorie ausgehend, kommt er Müllers schlimmsten Paradoxen ziemlich nahe, daß ein Kind (in-fans, nicht sprechend) kein menschliches Wesen sei, und daß Taubstumme nicht eher in den Besitz der Vernunft gelangten, bis sie gelernt hätten, ihre Finger zur Nachahmung gesprochener Worte zu benutzen." Max Müller gibt (Lectures on Mr. Darwins Philosophy of Language, 1873, dritte Vorlesung) den folgenden Aphorismus in kursivem Druck: "Es gibt keinen Gedanken ohne Worte, ebensowenig wie es Worte ohne Gedanken gibt." Was für eine merkwürdige Definition muß hier das Wort "Gedanke" erhalten haben!
64
Essays on Free-thinking etc., 1873, S. 82.
65
S. einige gute Bemerkungen hierüber in Maudsley, The Physiology and Pathology of Mind, 1868, S. 199.
66
Macgillivray, Hist. of British Birds., Bd. II, 1839, S. 29. Ein ausgezeichneter Beobachter, Mr. Blackwall, bemerkt, daß die Elster leichter einzelne Worte und selbst ganze Sätze aussprechen lernt, als beinahe jeder andere britische Vogel; doch fügt er hinzu, daß er nach langer und aufmerksamer Beobachtung ihrer Natur und Art nie erfahren habe, daß sie im Naturzustande irgend eine ungewöhnliche Fähigkeit im Nachahmen gezeigt habe. Researches in Zoology, 1834, S. 158.
67
S. den sehr interessanten Parallelismus zwischen der Entwickelung der Sprachen und Arten bei Lyell: Das Alter des Menschengeschlechts. Übers. Kap. 23, S. 395.
68
S. Bemerkungen hierüber in einem interessanten Aufsatz von F. W. Farrar, betitelt Philology and Darwinism in "Nature", März 1870, S. 528.
69
"Nature", Januar 1870, S. 257.
70
Zitiert von C. S. Wake, Chapters on Man, 1868, S. 101.
71
Buckland, Bridgewater Treatise, S. 411.
72
Einige treffende Bemerkungen über die Vereinfachung der Sprachen s. bei Sir J. Lubbock, Origin of Civilisation, 1870, S. 278.
73
"The Spectator", Dez. 1869, S. 1430.
74
S. einen ausgezeichneten Aufsatz hierüber von F. Farrar in Anthropological Review, August 1864, S. CCXVII. Weitere Tatsachen s. bei J. Lubbock, Prehistoric Times, 2. Ausg., 1869, S. 564, und besonders die Kapitel über Religion in Origin of Civilisation, 1870.
75
The Worship of Animals and Plants, in Fortnightly Review, Okt. 1869, S. 422.
159
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
76
Tylor, Early History of Mankind, 1865, S. 6. Vgl. auch die drei bemerkenswerten Kapitel über die Entwickelung der Religion in Lubbocks Origin of Civilisation, 1870. In gleicher Weise erklärt Herbert Spencer in seinem geistvollen Aufsatz in der Fortnightly Review (Mai 1870, S. 535) die frühesten Formen religiösen Glaubens in der ganzen Welt dadurch, daß der Mensch durch Träume, Schatten und andere Veranlassungen dazu gebracht worden sei, sich selbst als ein doppeltes Wesen zu betrachten, ein körperliches und geistiges. Da von dem geistigen Wesen angenommen wird, es lebe nach dem Tode fort und sei mächtig, so sucht man es durch verschiedene Geschenke und Zeremonien günstig zu stimmen und fleht es um seinen Beistand an. Er zeigt dann weiter, daß die den frühesten Vorfahren oder Gründern eines Stammes nach irgend einem Tiere oder Gegenstande gegebenen Namen oder Beinamen nach Verlauf langer Zeiträume für Bezeichnungen des wirklichen Stammvaters des Stammes angesehen wurden; und von einem derartigen Tiere und Objekt wird dann geglaubt, daß es noch immer als ein Geist existiere, es wird heilig gehalten und als ein Gott verehrt. Dennoch kann ich mich der Vermutung nicht erwehren, daß es einen noch früheren und roheren Zustand gegeben habe, wo alles, was nur Kraft oder Bewegung äußerte, als mit einer Art von Leben und geistigen, den unseren analogen Fähigkeiten begabt angesehen wurde.
77
S. einen guten Aufsatz über "Physical Elements of Religion" von L. Owen Pike, in Anthropol. Review, April 1870, S. LXIII.
78
Religion, Moral usw. der Darwinschen Artlehre, 1869, S. 53. Es wird angegeben (Dr. W. Lauder Lindsay, Journal of Mental Science, 1871, S. 43), daß schon Bacon und der Dichter Burns derselben Meinung gewesen seien.
79
Prehistoric Times, 2. Auflage, S. 571. In diesem Werk befinden sich ausgezeichnete Erklärungen vieler seltsamer, wunderlicher Sitten der Wilden.
Viertes Kapitel
160
1
S. z. B. über diesen Gegenstand Quatrefages, Unité de l'espèce humaine, 1861, S. 21 etc.
2
Dissertation on Ethical Philosophy, 1837, S. 231 etc.
3
Kritik der praktischen Vernunft (sämtliche Werke, herausgegeben von Rosenkranz, 8. T.), S. 214; Einzelausg. bei Kröner.
4
Bain gibt (Mental and Moral Science, 1868, S. 543-725) eine Liste von 26 englischen Autoren, welche über diesen Gegenstand geschrieben haben, und deren Namen hier allgemein bekannt sind; diesen lassen sich die Namen von Bain selbst, von Lecky, Shadworth Hodgson, Sir .T. Lubbock und noch anderen beifügen.
5
Sir B. Brodie bemerkt, daß der Mensch ein soziales Tier sei (Psychological Enquiries, 1854, S. 192) und stellt dann die anregende Frage: "Sollte dies nicht die strittige Frage über die Existenz eines moralischen Gefühls beilegen?" Ähnliche Ideen sind wahrscheinlich vielen schon gekommen, wie schon vor langer Zeit dem Marc Aurel. John Stuart Mill spricht in seinem berühmten Buche über "Utilitarianism" (1864, S. 46) von dem sozialen Gefühl als einer "mächtigen natürlichen Empfindung" und als "der natürlichen Grundlage des Gefühls für utilitäre Moralität". Ferner sagt er: "Gleich den anderen erworbenen, oben erwähnten Fähigkeiten ist die moralische Kraft, wenn nicht ein Teil unserer Natur, so doch ihr natürlicher Ausfluß, wie jene fähig in gewissem niederen Grade spontan hervorzutreten." Im Gegensatze zu alledem sagt er aber auch: "Wenn nun, wie das meine eigene Überzeugung ist, die moralischen Gefühle nicht angeboren, sondern erlangt sind, so sind sie doch aus diesem Grunde nicht weniger natürlich." Nur mit Zögern wage ich von einem so tiefen Denker abzuweichen; doch läßt sich kaum bestreiten, daß die sozialen Gefühle bei den niederen Tieren instinktiv oder angeboren sind; und warum sollten sie dann beim Menschen es nicht ebenso sein? Bain (s. z. B. The Emotions and the Will, 1865, S. 481) und andere glauben, daß das moralische Gefühl von jedem Individuum während seines Lebens erlangt werde. Nach der allgemeinen Entwickelungstheorie ist dies äußerst unwahrscheinlich. Das Ignorieren der Vererbung geistiger Eigenschaften wird, wie mir scheint, später als ein sehr ernster Fehler in den Werken J. S. Mills angesehen werden.
6
H. Sidgwick bemerkt in einer guten Erörterung dieses Gegenstandes (The Academy, Juni 1872, S. 231): "Eine höher entwickelte Biene würde nach unserer Überzeugung eine mildere Lösung der Bevölkerungsfrage anstreben." Nach den Gewohnheiten vieler oder der meisten Wilden zu urteilen, löst jedoch der Mensch das Problem durch den Mord der weiblichen Kinder, durch Polyandrie und Promiskuität; es läßt sich daher wohl zweifeln, ob es durch eine mildere Methode gelöst würde. Miß Cobbe, welche über dasselbe Beispiel Erörterungen anstellt (Darwinism in Morals, in Theological Review, April 1872, S. 188-191) sagt, die Grundsätze der sozialen Pflicht würden dadurch umgekehrt werden. Damit meint sie, wie ich vermute daß die Erfüllung einer sozialen Pflicht die Individuen schädigen würde; sie übersieht aber die Tatsache, welche sie ohne Zweifel zugeben wird, daß die Instinkte der Biene zum Besten der Gemeinschaft erlangt worden sind. Sie geht so weit, zu sagen, wenn die in diesem Kapitel verteidigte Theorie der Moral jemals allgemein angenommen würde, "könne sie nicht umhin zu glauben, daß in der Stunde ihres Triumphes der menschlichen Moral zu Grabe geläutet würde!" Hoffentlich hängt der Glaube an die Dauer der Tugend auf dieser Erde nicht bei vielen Mensch an einem so schwachen Faden.
7
Die Darwinsche Theorie, S. 101.
8
B. Brown in Proc. Zoolog. Soc., 1868, S. 409.
9
Brehm, Tierleben, 2. Aufl., Bd. I, 1864, S. 115, 162. Über die Affen, welche sich gegenseitig die Dornen ausziehen, s. S. 116. In bezug auf die Hamadryas-Paviane, welche Steine umdrehen, wird die Tatsache nach dem Zeugnis von Alvarez gegeben (S. 158), dessen Beobachtungen Brehm für völlig glaubwürdig hält. Die Fälle, wo die alten Pavianmännchen die Hunde angreifen, s. S. 162, den Adler betreffend S. 118.
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
10
Belt erzählt von einem Affen, einem Ateles, den man nahezu zwei Stunden lang im Walde schreien hörte; dicht bei ihm auf dem Zweige fand man einen Adler sitzen. Der Vogel fürchtete offenbar, ihn anzugreifen, solange er ihm Aug' in Auge dasaß. Nach dem, was Belt von der Lebensweise dieser Affen gesehen hat, glaubt er, daß sie sich gegen die Angriffe der Adler dadurch schützen, daß zwei oder drei zusammenhalten. The Naturalist in Nicaragua, 1874, S. 118.
11
Annals and Magazin of Natural History, Nov. 1868, S. 382.
12
Sir J. Lubbock, Prehistoric Times, 2. edit., S. 446.
13
Wie L. H. Morgan in seiner Schrift The American Beaver, 1878, S. 272 zitiert. Kapt. Stansbury gibt auch einen interessanten Bericht über die Art und Weise, wie ein sehr junger Pelikan, welcher von einer starken Strömung fortgetrieben wurde, von einem halben Dutzend alter Vögel begleitet und in seinen Versuchen, das Ufer zu erreichen, unterstützt wurde.
14
Wie Bain bemerkt: "aktive Hilfe entspringt aus wirklicher Sympathie." Mental and moral science, 1868, S. 245.
15
Tierleben, Bd. I, S. 85.
16
De l'Espèce et de la Classe, 1869, S. 97.
17
Die Darwinsche Artlehre, 1869, S. 54.
18
S. auch Hookers Himalayan Journals, Bd. II, S. 333.
19
Brehm, Tierleben, Bd. I, S. 76.
20
S. seinen äußerst interessanten Aufsatz Gregariousness in Cattle and in Man, Macmillan's Mag., Febr. 1871, S. 353.
21
Man vergleiche dazu das treffliche erste Kapitel von Adam Smiths Theorie of Moral Sentiments und Bains Mental and Moral Science, 1868, S. 244 and 275-282). Bain konstatiert, daß "Sympathie dem, der sie empfindet, indirekt eine Quelle des Vergnügens bedeute", und erklärt dies aus der Reziprozität. Er bemerkt, daß "die Person, welche durch die Sympathie Wohltaten empfing, oder andere an ihrer Stelle, sich durch Sympathie und gute Dienste für jedes Opfer erkenntlich zeigen". Doch wenn, wie es fast den Anschein hat, die Sympathie auch nur ein Instinkt wäre, würde ihre Ausübung wie die jedes anderen Instinktes ein direktes Vergnügen bereiten.
22
Diese Tatsache wurde nach L. Jenyns (s. seine Ausgabe von White's Nat. Hist. of Selborne, 1853, S. 204), zuerst von dem berühmten Tenner in Phil. Transact. 1824 berichtet und ist seitdem von verschiedenen Beobachtern, besonders von Blackwall, bestätigt worden. Dieser sorgfältige Beobachter untersuchte zwei Jahre lang im Spätherbst 36 Nester. Zwölf Nester enthielten junge tote Vögel, fünf Nester dem Ausschlüpfen nahe Eier und drei kaum bebrütete Eier. Ebenso werden viele Vögel, die für die anstrengende Reise nicht alt und kräftig genug sind, ausgestoßen und zurückgelassen. S. Blackwall, Researches in Zoology, 1834, S. 108, 118. Für weitere Belege - obgleich solche kaum nötig sind - ziehe man Leroy, Lettres Phil., 1802, S. 217, heran. In bezug auf Turmschwalben Goulds Introduction to the Birds of Great Britain, 1823, S. 5. Ähnliche Fälle beobachtete in Kanada Adams, Pop. Science Review, Juli 1873, S. 283.
23
Hume bemerkt (An Enquiry concerning the Principles of Morals, Ausg. von 1751, S. 132): "Es scheint notwendig, zu bekennen, daß das Glück und das Elend anderer nicht völlig gleichgültig für uns sind, sondern daß der Anblick des ersteren . . . uns eine heimliche Freude bereitet, die Erscheinung des letzteren . . . einen wehmütigen Schatten über unsere Vorstellungen wirft."
24
Mental and Moral Science, 1868, S. 254.
25
Ich denke hier an den Unterschied, den man zwischen der sogenannten materialen und der formalen Moralität machen will. Ich freue mich, daß Prof. Huxley (Critiq. and Addresses, 1873, S. 287) meiner Ansicht ist. Leslie Stephen bemerkt (Essays on Freethinking and Plain Speaking, 1873, S. 83): "Der metaphysische Unterschied zwischen materialer und formaler Moral ist ebenso unerheblich wie andere derartige Unterschiede."
26
In meiner "Reise eines Naturforschers" habe ich einen solchen Fall von drei Patagoniern erzählt, die sich lieber nacheinander erschießen ließen, als daß sie die Kriegspläne ihres Volkes verraten hätten (Journal of Researches, 1845, S. 103).
27
Feindschaft oder Haß scheint auch zu den dauernden Gefühlen zu gehören, vielleicht mehr als andere. Neid wird definiert als Haß gegen einen anderen wegen eines Vorzuges oder Erfolges; Bacon behauptet (Essay IX): "Der Neid ist unter allen Affekten der zudringlichste und hartnäckigste." Hunde sind sehr geneigt, fremde Menschen und Hunde zu hassen, besonders, wenn diese in der Nähe wohnen und nicht zu derselben Familie, demselben Stamm oder Clan gehören. Dies Gefühl scheint somit angeboren zu sein und ist sicher eines der beständigsten. Es scheint die Ergänzung und Umkehrung des sozialen zu sein. Nach dem, was wir von den Wilden wissen, scheint etwas Ähnliches für sie zu gelten. Wenn dem so ist, so würde für jeden nur ein kleiner Schritt dahin sein, dieses Gefühl auf irgend ein Glied eines Stammes zu übertragen, das ihm etwas zuleide getan hat und sein Feind geworden ist. Es ist auch nicht 'wahrscheinlich, daß das primitive Gewissen einem Menschen Vorwürfe machen würde, der sich an seinem Feinde gerächt hat; vielmehr würde es ihm vorwerfen, sich nicht gerächt zu haben. Böses mit Gutem zu vergelten, den Feind zu lieben, ist eine sittliche Höhe, zu welcher uns die sozialen Instinkte aller Wahrscheinlichkeit nach nicht von selbst erhoben haben würden. Notwendig war es, daß diese Instinkte zusammen mit der Sympathie äußerst sorgfältig gepflegt und mit Hilfe der Vernunft, der Erziehung und der Gottesfurcht entwickelt wurden, bevor diese goldene Regel überhaupt entstehen und befolgt werden konnte.
28
Insanitv in Relation to Law, Ontario, United States, 1871, S. 1.
29
E. B. Tylor in Contemporary Review, April 1873, S. 707.
30
Dr. Prosper Despine führt in seinem Werk Psychologie naturelle (1868, Bd. I, S. 243; Bd. II, S. 169) viele merkwürdige Beispiele aus dem Leben der schlimmsten Verbrecher an, die anscheinend jeglicher Spur von Gewissen ermangelten.
31
S. einen guten Aufsatz hierüber in der North British Review, 1867, S. 395. S. auch M. Bagehots Abhandlungen über die "Bedeutung des Gehorsams und der Eintracht für den Urmenschen" in der Fortnightly Review, 1867, S. 529, und 1868, S. 457 usw.
32
Die vollständigste Abhandlung darüber, die mir bekannt ist, stammt von Dr. Gerland, Über das Aussterben der Naturvölker, 1868. Ich werde den Kindermord noch in einem späteren Abschnitt zu erörtern haben.
161
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
33
S. die hochinteressante Erörterung des Selbstmordes in Leckys History of European Morals, Bd. I, 1869, S. 223. Von den Wilden teilt mir Winwood Reade mit, daß die Neger Westafrikas sehr häufig Selbstmord begehen. Bekannt ist auch, wie häufig er unter den elenden Eingeborenen Südamerikas nach den spanischen Eroberungskriegen war. Über Neuseeland s. die Reise der "Novara", über die Alëuten s. Müller, angeführt von Houzeau in Les Facultés Mentales, Bd. II, S. 136.
34
S. Bagehot, Physics and Politics, 1872, S. 72.
35
S. z. B. Hamiltons Berichte von den Kaffern, Anthropological Review, 1870, S. 15.
36
M'Lennan hat in seinem Werk Primitive Marriage, 1865, S. 176 eine Sammlung von Tatsachen hierzu gegeben.
37
Lecky, History of European Morals, Bd. I, 1869, S. 109
38
Embassy to China, Bd. II, S. 348.
39
Eine Reihe von Belegen zu diesem Gegenstand s. bei Sir John Lubbock, Origin of Civilisation, 1870, Kap. VII.
40
Z. B. Lecky, History of European Morals, Bd. I, S. 124.
41
Diese Bezeichnung wird in einem guten Aufsatz in der Westminster Review, Okt. 1869, S. 498, angewandt. Über das "Prinzip des größtmöglichen Glücks" s. J. S. Mill, Utilitarianism, S. 17.
42
Mill anerkennt (System of Logic, B. II, S. 422) mit der wünschenswerten Klarheit, daß Handlungen durch Gewohnheit ohne das Vorgefühl eines Vergnügens ausgeführt werden können. Ebenso bemerkt H. Sidgwick in seinem Essay über Vergnügen und Begierde (The Contemporary Review, April 1872, S. 671): "Um alles zusammenzufassen, möchte ich im Gegensatz zu der Doktrin, daß all unsere bewußten Willensimpulse darauf gerichtet sind, Lustgefühle in uns zu erregen, behaupten, daß wir überall im Bewußtsein einen besonderen Impuls haben, der auf etwas anderes als auf ein Lustgefühl gerichtet ist, und daß in vielen Fällen dieser Impuls insofern unvereinbar mit dem auf das Ich bezüglichen ist, als die beiden nicht gleichzeitig im Bewußtsein vorhanden sein können." Ein undeutliches Gefühl davon, daß unsere Willensimpulse durchaus nicht immer von einem gleichzeitig oder vorher gefühlten Vergnügen ausgehen, ist, wie ich annehmen muß, eine Hauptursache für die Anerkennung der intuitiven Theorie der Moral und für die Verwerfung der utilitarischen von dem "größtmöglichen Glück". Was diese letztere Theorie anbetrifft, so sind häufig Norm und Motiv des Handelns verwechselt worden, wenn man auch nicht bestreiten wird, daß sie tatsächlich etwas vermischt sind.
43
Gute Beispiele gibt Wallace in Scientific Opinions, Sept. 1869, noch vollständiger in seinen Contributions to the Theory of Natural Selection, 1870, S. 353.
44
Tennyson, Idylls of the King, S. 244.
45
Betrachtungen des Kaisers Marc Aurelius Antoninus. Englische Übersetzung, 2. Ausg., 1869, S. 112. Marc Aurel wurde 121 n. Chr. geboren. (Kröners Taschenausgabe).
46
Brief an Mill in Bains Mental and Moral Science, 1868, S. 722.
47
Maudsly, Body and Mind, 1870, S. 60.
48
Ein Schriftsteller, welcher über eine gesunde Urteilskraft verfügt, bekennt sich in der North British Review (Juli 1869, S. 531) ausdrücklich zu dieser Ansicht. Lecky (Hist. of Morals, Bd. I, S. 143) scheint bis zu einem gewissen Grad der gleichen Ansicht zu sein.
49
S. sein hervorragendes Werk Hereditary Genius, 1869, S. 349. Der Herzog von Argyll (Primeval Man, 1869, S. 188) hat ebenfalls gute Gedanken über den Widerstreit von gut und böse im Menschen geäußert.
50
The Thoughts of Marcus Aurelius, S. 139.
Fünftes Kapitel 1
Anthropological Review, Mai 1864, S. CLVIII.
2
Einige Zeit nach der Verschmelzung nehmen die aufgesogenen Stämme meist an (nach Sir Henry Maine, Ancient Law, 1861, S. 131), daß sie Abkömmlinge desselben Stammvaters seien, den auch ihre Herren verehren.
3
Morlot, Soc. Vaud. Sc. Nat., 1860, S. 294.
4
Beispiele s. dazu in meinem Buch Variation of Animals and Plants under Domestication, Bd. II, S. 196.
5
S. eine beachtenswerte Reihe von Artikeln über Physics and Politics in der Fortnightly Review, Nov. 1867, April 1868, Juli 1869.
6
Wallace gibt Fälle an in seinem Contributions to the Theory of Natural Selection, 1870, S. 354.
7
Ancient Law, 1861, S. 22. Die Bemerkungen von Bagehot finden sich in Fortnightly Review, April 1868, S. 452.
8
The Variation of Animals, Bd. I, S. 309.
9
Fraser's Magazine, Sept. 1868, S. 353. Dieser Artikel scheint vielen aufgefallen zu sein; er rief zwei bemerkenswerte Abhandlungen und eine Entgegnung hervor, die im "Spectator" (3. und 17. Okt. 1868) erschienen sind. Ebenso hat er Auseinandersetzungen veranlaßt in Q. Journal of Science (1869, S. 152), von Lawson Tait in Dublin Q. Journal of Medical Science (Febr. 1869), und von E. Ray Lankester in seinem Comparative Longevity (1870, S. 128). Ähnliche Ansichten wurden früher schon im Australasian (13. Juli 1867) veröffentlicht. Einzelne Gedanken sind diesen Schriftstellern entnommen.
10
Wallace s. Anthropolog. Review; Mr. Galton in Macmillan's Magazine, Aug. 1865, S. 318; ebenso sein Hauptwerk Hereditary Genius, 1870.
11
Prof. H. Fick (Einfluß der Naturwissenschaft auf das Recht, Juni 1872) veröffentlicht gute Gedanken über dieses Thema und andere Punkte.
12
Hereditary Genius, 1870, S. 132-140.
13
Quatrefages. Revue des Cours Scientifiques, 1867-1868 S. 659.
162
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
14
S. die fünfte und sechste nach guten Quellen zusammengestellte Kolumne in E. Ray Lankesters Comparative Longevity, 1870, S. 115.
15
Hereditary Genius, 1870, S. 330.
16
Entstehung der Arten, 5. Aufl. 1869, S. 194. Kap. 4.
17
Hereditary Genius, 1870, S. 347.
18
E. R. Lankester, Comparative Longevity, 1870, S. 115. Die Rubrik der Unmäßigen stammt aus Nelsons Vital Statistics. In bezug auf Ausschweifung s. Dr. Farr, Influence of Marriage on Mortality, Nat. Assoc. for the Promotion of Social Science, 1858.
19
Fraser's Magazine, Sept. 1868, S. 353. Macmillan's Magazine, Aug. 1865, S. 318. Eine abweichende Anschauung entwickelt Rev. F. W. Farrar (Fraser's Mag., Aug. 1870, S. 264).
20
On the Laws of the Fertility of Women inTransact. Royal Soc., Edinburgh, Bd. XXIV, S. 287, als Sonderdruck unter dem Titel Fecundity, Fertility and Sterility, 1871. S. auch Galton, Hereditary Genius, S. 352-357 zu dem oben genannten Thema.
21
Tenth Annual Report of Births, Deaths etc. in Scotland, 1867, S. XXIX.
22
Diese Zitate sind unserer höchsten Autorität über solche Fragen entnommen, nämlich Dr. Farrs Aufsatz: On the Influence of Marriage on the Mortality of the French People, gelesen vor der Nat. Assoc. for the Promotion of Social Science 1858.
23
Dr. Farr, ebenda. Die weiter unten angeführten Angaben sind derselben vortrefflichen Arbeit entnommen.
24
Ich gebe das fünfjährige Mittel aus The Tenth Annual Report of Births, Deaths etc., in Scotland, 1867. Das Zitat nach Dr. Stark ist einem Artikel in den Daily News vom 17. Okt. 1868 entnommen, den Dr. Farr als sehr sorgfältig gearbeitet bezeichnet hat.
25
Dr. Duncan (Fecundity, Fertility, Sterility, 1871, S. 334) bemerkt zu diesem Gegenstand: "Auf jeder Altersstufe gehen die gesunden und wohlgebildeten Individuen aus dem unverheirateten in den verheirateten Stand über und lassen damit in den Reihen der Unverheirateten die Kranken und Unglücklichen überhandnehmen."
26
S. die geistvollen und originellen Beweise zu dieser Behauptung bei Galton, Hereditary Genius, S. 340-342.
27
Greg, "Fräsers Magazine"', Sept. 1868, S. 357.
28
Hereditary Genius, 1870, S. 357-359. Rev. F. W. Farrar bringt Gründe für die gegenteilige Ansicht (Fraser's Magazine, Aug. 1870, S. 257). Sir C. Lyell hatte bereits in trefflicher Ausführung (Principles of Geology, Bd. II, 1868, S. 489) auf den Einfluß der Inquisition aufmerksam gemacht, die durch Auslese das geistige Niveau in Europa herabgedrückt hat.
29
Galton, "Macmillan's Magazine", Aug. 1865, S. 325. Ebenso On Darwinnism and National Life, Nature, Dez. 1869, S. 184.
30
"Last Winter in the United States", 1868, S. 29.
31
Ich bin John Morley für einige kritische Bemerkungen über diesen Gegenstand sehr dankbar; s. ebenso Broca, Les Sélections, in Revue d'Anthropologie, 1872.
32
On the Origin of Civilisation, Proc. Ethnological Soc., Nov. 1867.
33
Primeval Man, 1869.
34
Royal Institution of Great Britain, März 1867. Ebenso Researches into the Early History of Mankind, 1865.
35
Primitive Marriage, 1865. S. ebenso einen anscheinend von demselben Verfasser stammenden vorzüglichen Aufsatz in North British Review, Juli 1869. Ebenso Mr. L. H. Morgan, A Conjectural Solution of the Origin of the Class, System of Relationship in Proc. American Acad. of Sciences, Febr. 1868, Bd. VII. Prof. Schaaffhausen (Anthropolog. Review, Okt. 1869, S. 373) erwähnt "die Spuren von Menschenopfern bei Homer und im Alten Testament".
36
Sir J. Lubbock, Prehistoric Times, 2. Aufl., 1869, Kap. XV u. XVI. S. auch das ausgezeichnete IX. Kapitel in Tylors Early History of Mankind, 2. Aufl., 1870.
37
Dr. F. Müller gibt einige gute Bemerkungen zu diesem Punkt in der "Reise der Novara, Anthropol. Teil" (Abt. III, 1868, S. 127).
Sechstes Kapitel 1
Isidore Geoffroy St. Hilaire gibt in Hist. Nat. Gen. (Bd. II, 1859, S. 170-189) eine detaillierte Zusammenstellung von der Stellung, die verschiedene Naturforscher in ihren Klassifikationen dem Menschen einräumen.
2
Einige der interessantesten Tatsachen, die je über das Leben der Ameisen veröffentlicht worden sind, teilt Mr. Belt in seinem Naturalist in Nicaragua, 1874, mit. S. ebenso das bewunderungswürdige Werk von Mr. Moggridge, Harvesting Ants etc., 1873, ebenso L'Instinct chez les Insects, von George Pouchet, Revue des Deux Mondes, Febr. 1870, S. 682.
3
Westwood, Modern Class of Insects, Bd. II, 1840, S. 87.
4
Proc. Zool. Soc., 1863, S. 4.
5
Evidence as to Man's Place in Nature, 1863, S. 70 f.
6
Isidore Geoffroy, Hist. Nat. Gen., Bd. II, 1859, S. 217.
7
Über die Richtung der Haare usw., Müllers Archiv für Anat. u. Phys., 1837, S. 51.
8
Zitiert von Reade, The African Sketch Book, Bd. I, 1873 S. 152.
163
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
9
Ober die Behaarung von Hylobates s. Nat. Hist. of Mammals von C. L. Martin, 1841, S. 415. Desgl. Isid. Geoffroy über die amerikanischen Affen und andere Arten (Hist. Nat. Gen., Bd. II, 1859, S. 216, 243). Eschricht, ebenda S. 46, 55, 61. Owen Anat. of Vertebrates, Bd. III, S. 619. Wallace, Contributions to theTheory of Natural Selection, 1870, S. 344.
10
Entstehung der Arten, 5. Aufl. 1869, S. 194. (Kap. 5). The Variation of Animals and Plants under Domestication, Bd. II, 1868, S. 348.
11
An Introduction to the Classification of Animals, 1869, S. 99.
12
Dies ist nahezu dieselbe Klassifikation wie die von St. George Mivart (Transact. Phil. Soc., 1867, S. 300) provisorisch vorgeschlagene, wo nach der Abtrennung der Lemuriden die übigbleibenden Primaten in Hominiden, Simiaden - die den Catarrhinen entsprechen - Cebiden und Hapaliden eingeteilt werden; dabei entsprechen die beiden letzten Gruppen den Platyrrhinen. Mivart bleibt bei dieser Ansicht; s. "Nature" 1871, S. 481.
13
Transact. Zoolog. Soc., Bd. VI, 1867, S. 214.
14
St. G. Mivart, Transact. Phil. Soc., 1867, S. 410.
15
Murie und Mivart über Lemuroiden, Transact. Zoolog Soc., Bd. VII, 1869, S. 5.
16
Haeckel kommt zu demselben Schluß. S. "Über die Entstehung des Menschengeschlechts" in Virchows "Sammlung gemeinverst. wissensch. Vorträge", 1868, S. 61. Ebenso seine "Natürliche Schöpfungsgeschichte", 1868, worin er seine Ansicht über die Abstammung des Menschen im einzelnen darlegt.
17
Dr. C. Forsyth Major, Sur les Singes fossiles trouves en Italic: Soc. Ital. des Sc. Nat., Bd. XV, 1872.
18
Anthropological Review, April 1867, S. 236.
19
Elements of Geology, 1865, S. 583-585. Das Alter des Menschengeschlechts 1863 (Übers.), S. 97.
20
Man's Place in Nature, S. 105.
21
Ausführliche Tabellen gibt er in seiner "Generellen Morphologie", Bd. 2, S. CLIII und 425, und mit speziellerer Beziehung auf den Menschen in seiner "Natürlichen Schöpfungsgeschichte", 1868. In seiner Besprechung des letzteren Werkes in The Academy, 1869, S. 42 sagt Prof. Huxley, daß er das Phylum oder die Deszendenzlinien der Wirbeltiere von Haeckel für ausgezeichnet erörtert hält, wenngleich er von ihm in einigen Punkten abweicht. Er äußert auch seine hohe Wertschätzung der allgemeinen Haltung und des Geistes des ganzen Werkes.
22
Palaeontology, 1860, S. 199.
23
Ich hatte die Freude, auf den Falklandinseln im April 1833, und daher mehrere Jahre vor irgend einem anderen Naturforscher, die beweglichen Larven einer Ascidie zu sehen, welche mit Synoicum nahe verwandt, aber, wie es scheint, doch generisch von ihm verschieden waren. Der Schwanz war ungefähr fünfmal so lang wie der oblonge Kopf und endete in einem feinen Faden. Er war, wie ich es unter einem einfachen Mikroskop gezeichnet habe, deutlich durch quere opake Scheidewände geteilt, welche, wie ich vermute, die großen von Kowalevsky abgebildeten Zellen darstellen. Auf einer früheren Entwickelungsstufe war der Schwanz dicht um den Kopf der Larve gewickelt.
24
Mémoires de l'Acad. des Scienc. de St. Pétersburg, Bd. X, Nr. 15, 1866.
25
Bemerken muß ich aber doch, daß einige kompetente Männer diese Folgerung bestreiten; so z. B. Giard in einer Reihe von Aufsätzen in den Archives de Zoologie Experimentale, 1872. Trotzdem sagt aber derselbe Forscher S. 281: "Die Organisation der Aszidienlarve zeigt uns - abgesehen von jeder Hypothese und Theorie - wie die Natur die fundamentale Disposition des Wirbeltiere-Typus (eine Chorda dorsalis) bei einem wirbellosen Tier durch die alleinige Lebensbedingung der Anpassung hervorbringen kann, und diese einfache Möglichkeit des Überganges überbrückt die Kluft zwischen den beiden Unterreichen, wenn man auch noch nicht weiß, wie dieser Übergang in Wirklichkeit vor sich gegangen ist."
26
Dies ist die Schlußfolgerung, zu welcher eine der höchsten Autoritäten in der vergleichenden Anatomie gelangte, nämlich Prof. Gegenbaur, in seinen Grundzügen der vergleichenden Anatomie, 2. Aufl., 1870, S. 876. Er kam zu diesem Resultate hauptsächlich durch das Studium der Amphibien. Nach den Untersuchungen Waldeyers (Eierstock und Ei, ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Sexualorgane, Leipzig, 1870, S. 152 f.) scheint aber die l'ranlage der Sexualorgane auch bei den höheren Vertebraten hermaphroditisch zu sein (zitiert in Journ. of Anat. and Phys., 1869, S. 161). Ähnliche Ansichten haben mehrere Autoren schon lange gehegt, wenn auch bis vor kurzem ohne tatsachliche Grundlage.
27
Der männliche Thylacinus bietet das beste Beispiel dar. Owen, Anatomy of Vertebrates, Bd. 111, S. 771.
28
Hermaphroditismus ist bei mehreren Spezies von Serranus und einigen anderen Fischen beobachtet worden, wo er entweder normal und symmetrisch oder abnorm und einseitig auftritt. Dr. Zouteveen hat mir Belege über diesen Gegenstand mitgeteilt und mir besonders einen Aufsatz von Prof. Halbertsma in den Abhandlungen der Holländischen Akademie der Wissenschaften, Bd. XVI, genannt. Dr. Günther bezweifelt die Tatsache; sie ist aber jetzt von zu vielen guten Beobachtern mitgeteilt worden, als daß sie noch länger bestritten werden könnte. Dr. M. Lessona schrieb mir, daß er die von Cavolini am Serranus gemachten Beobachtungen bestätigt habe. Prof. Ercolani hat gezeigt, daß Aale Zwitter sind (Acad. delle Scienze, Bologna Dezember 1871).
29
Prof. Gegenbaur hat gezeigt (Jenaische Zeitschrift, Bd. VII, S. 212), daß in den verschiedenen Säugetierordnungen zwei verschiedene Typen von Zitzen vorkommen, daß es aber vollständig einzusehen ist, wie beide von den Zitzen der Beuteltiere und diese letzteren von den Milchdrüsen der Monotremen abgeleitet werden können. Vgl. auch einen Aufsatz von Dr. Max Huß über die Brustdrüsen, in derselben Zeitschrift, Bd. VIII, S. 176.
30
Lockwood glaubt (nach dem Zitat im Quart. Journ. of Science, April 1868, S. 269) nach dem, was er über die Entwickelung von Hippocampus beobachtet hat, daß die Wandungen der Abdominaltasche des Männchens in irgend einer Weise Nahrung darbieten. Über männliche Fische, welche die Eier in ihrem Munde ausbrüten, s. einen sehr interessanten Aufsatz von Prof. Wyman in Proceed. Boston Soc. Nat. Hist., Sept. 1857; auch Prof. Turner in Journ. of Anat. and Physiol., Nov. 1866, S. 78. Ähnliche Fälle hat auch Dr. Günther beschrieben.
31
Maddle C. Royer hat eine ähnliche Ansicht vorgetragen in ihrem Origine de l'homme etc., 1870.
164
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
32
Die Bewohner des Meeresstrandes müssen von den Flutzeiten bedeutend beeinflußt werden; Tiere, welche entweder an der mittleren Flutgrenze oder an der mittleren Ebbegrenze leben, durchlaufen in vierzehn Tagen einen vollständigen Kreislauf von verschiedenen Flutständen. Infolge davon wird ihre Versorgung mit Nahrung Woche für Woche auffallenden Veränderungen unterliegen. Die Lebensvorgänge solcher, unter diesen Bedingungen viele Generationen hindurch lebender Tiere können kaum anders als in regelmäßigen wöchentlichen Perioden verlaufen. Es ist nun eine mysteriöse Tatsache, daß bei den höheren und jetzt auf dem Lande lebenden Wirbeltieren, ebenso wie in anderen Klassen, viele normale und krankhafte Prozesse in Perioden von einer oder von mehreren Wochen verlaufen; diese würden verständlich werden, wenn die Wirbeltiere von einem Tiere abstammten, das mit den jetzt zwischen den Flutgrenzen lebenden Ascidien verwandt war. Viele Beispiele solcher periodischen Prozesse könnten angeführt werden, so die Trächtigkeit der Säugetiere, die Dauer fieberhafter Krankheiten usw. Das Ausbrüten der Eier bietet ebenfalls ein gutes Beispiel dar; denn nach Bartlett (Land and Water, Jan. 1871) werden Taubeneier in zwei Wochen ausgebrütet, Hühnereier in drei, Enteneier in vier, Gänseeier in fünf und Straußeneier in sieben. Soweit wir es beurteilen können, dürfte eine wiederkehrende Periode, falls sie nur annäherungsweise die gehörige Dauer für irgend einen Vorgang oder eine Funktion hatte, sobald sie einmal erlangt war, nicht leicht einer Veränderung unterliegen; sie könnte daher fast durch jede beliebige Anzahl von Generationen überliefert werden. Wäre aber die Funktion verändert, so müßte auch die Periode abändern, und würde auch leicht beinahe plötzlich um eine ganze Woche ändern. Ist diese Schlußfolgerung richtig, so ist sie höchst merkwürdig; denn es würden dann die Trächtigkeitsdauer bei einem jeden Säugetiere, die Brütezeit aller Vogeleier und viele andere Lebensvorgänge noch immer die ursprüngliche Geburtsstätte dieser Tiere verraten.
Siebentes Kapitel 1
History of India, 1844, Bd. I, S. 325. Der Pater Ripa macht genau dieselbe Bemerkung in bezug auf den Chinesen.
2
Eine große Zahl von Maßangaben von Weißen, Schwarzen und Indianern ist mitgeteilt in den Investigations in the Military and Anthropolog. Statistics of American Soldiers, von B. A. Gould, 1869, S. 298-358; über die Kapazität der Lungen, ebend. S. 471. Vgl. auch die zahlreichen und wertvollen Tabellen von Dr. Weisbach nach den Beobachtungen von Dr. Scherzer und Dr. Schwarz in der "Reise der Novara" Anthropolog. Teil, 1867.
3
S. z. B. Marshalls Bericht über das Gehirn eines Buschmannweibes in Philos. Transact., 1864, S. 519.
4
Wallace, The Malay Archipelago, Bd. II, 1869, S. 178.
5
In bezug auf die Abbildungen in den berühmten ägyptischen Höhlen von Abu-Simbel sagt Pouchet (The Plurality of the Human Races. Engl. Übers., 1864, S. 50), daß er die Repräsentanten der zwölf oder noch mehr Nationen, die einige Autoren finden wollten, durchaus nicht anerkennbar finde. Selbst einige der am schärfsten markierten Rassen können nicht so eindeutig identifiziert werden, wie es nach dem, was darüber geschrieben worden ist, zu erwarten gewesen wäre. So führen Nott und Gliddon (Types of Mankind, S. 148) an, daß Ramses II. oder der Große stolze europäische Gesichtszüge habe, während Knox, ein anderer überzeugter Anhänger der Meinung von der spezifischen Verschiedenheit der Menschenrassen (Races of Man, 1850, S. 201) bei der Schilderung des jungen Memnon (ein und dieselbe Person mit Ramses II., wie mir Birch sagt) in der entschiedensten Weise behauptet, daß er in seinen Merkmalen mit den Juden in Antwerpen identisch sei. Als ich ferner im Britischen Museum mit zwei Beamten der Anstalt, beides kompetente Beurteiler, die Statue des Amunoph III. betrachtete, stimmten wir darin überein, daß seine Gesichtszüge stark ausgeprägten Negertypus haben. Nott und Gliddon dagegen (a. a. O. S. 146, Fig. 53) beschreiben ihn als "einen Mischling, aber ohne Beimischung von Negerblut".
6
Zitiert von Nott und Gliddon, Types of Mankind, 1854, S. 459. Sie führen auch noch weitere bestätigende Belege an; doch meint C. Vogt, daß der Gegenstand noch weiterer Untersuchung bedürfe.
7
Diversity of Orgin of the Human Races, in Christian Examiner, Juli 1850.
8
Transact. Roy. Soc. Edinburgh, Bd. XXII, 1861, S. 567.
9
On the Phenomena of Hybridity in the genus Homo. Engl. Übers., 1864.
10
S. den interessanten Brief von T. A. Murray in der Anthropolog Review, April 1868, S. LIII. In diesem Briefe wird die Angabe des Grafen Strzelecki widerlegt, daß australische Frauen, welche mit einem weißen Manne Kinder gehabt haben, später mit ihrer eigenen Rasse unfruchtbar wären. A. de Quatrefages hat gleichfalls zahlreiche Belege dafür gesammelt (Revue des Cours scientifiques, März 1869, S. 239), daß Australier und Europäer bei einer Kreuzung nicht unfruchtbar sind.
11
An Examination of Prof. Agassiz's Sketch of the Natural Provinces of the Animal World. Charleston, 1855, S. 44.
12
Dr. Rohlfs schrieb mir, daß er die aus Arabern, Berbern und Negern hevorgegangenen Mischlingsrassen der Sahara außerordentlich fruchtbar gefunden habe. Auf der anderen Seite teilt mir aber Winwood Reade mit, daß die Neger an der Goldküste, trotzdem sie Weiße und Mulatten sehr hoch schätzen, doch den Grundsatz haben, Mulatten sollten nicht untereinander heiraten, da die Kinder nur gering an der Zahl und kränklich wären. Wie Reade bemerkt, verdient diese Annahme Beachtung, da Weiße schon seit vierhundert Jahren die Goldküste besucht und sich dort niedergelassen haben, so daß die Eingeborenen hinreichend Zeit gehabt haben, sich durch Erfahrung hierüber zu unterrichten.
13
Military and Anthropolog. Statistics of American Soldiers von B. A. Gould, 1869, S. 319.
165
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
14
The Variation of Animals etc., Bd. 2, S. 109. Ich möchte liier den Leser daran erinnern, daß die Unfruchtbarkeit der Arten bei ihrer Kreuzung keine speziell erlangte Eigenschaft, sondern abhängig ist von anderen erworbenen Verschiedenheiten, ebenso wie etwa die Untauglichkeit gewisser Bäume, aufeinander gepropft zu werden. Die Natur dieser Verschiedenheiten ist unbekannt; sie stehen aber in einer spezielleren Weise mit dem Reproduktionssystem und viel weniger mit der äußeren Struktur oder mit den gewöhnlichen Verschiedenheiten der Konstitution in Beziehung. Ein für die Unfruchtbarkeit gekreuzter Arten bedeutungsvolles Element liegt allem Anscheine nach darin, daß die eine oder beide seit langer Zeit an feststehende Lebensbedingungen gewöhnt waren; denn wir wissen, daß veränderte Lebensbedingungen einen speziellen Einfluß auf das Reproduktionssystem ausüben; auch haben wir, wie vorhin bemerkt, guten Grund zu der Annahme, daß die fluktuierenden Bedingungen der Domestikation jene Unfruchtbarkeit zu eliminieren strebt, welche bei Arten im Naturzustande ihrer Kreuzung so allgemein folgt. Es ist an anderen Orten von mir gezeigt worden (The Variation of Animals etc., Bd. 2, S. 185 ["Vererbung und Variabilität", Kap. 8] und Entstehung der Arten, Kap. 9) "daß die Unfruchtbarkeit gekreuzter Arten nicht durch natürliche Zuchtwahl erlangt worden ist. Man sieht ja ein, daß es, wenn zwei Formen bereits sehr unfruchtbar geworden sind, kaum möglich ist, daß ihre Unfruchtbarkeit durch die Erhaltung oder das Überleben der immer mehr und mehr unfruchtbaren Individuen vermehrt werden könnte; denn in dem Maße, wie die Unfruchtbarkeit zunimmt, werden immer weniger und weniger Nachkommen erzeugt, welche die Art fortpflanzen könnten, und endlich werden nur in großen Zwischenräumen einzelne Individuen hervorgebracht werden. Es gibt aber selbst einen noch höheren Grad von Unfruchtbarkeit als diesen. Sowohl Gärtner als Köhlreuter haben nachgewiesen, daß bei Pflanzengattungen, welche zahlreiche Arten umfassen, sich eine Reihe bilden läßt von Arten, die bei Kreuzung in abnehmendem Grade Samen geben, bis zu solchen Arten, die niemals einen Samen erzeugen, aber doch noch vom Pollen der anderen Art affiziert werden, wie sich aus dem Anschwellen des Keimes ergibt. Hier ist es offenbar unmöglich, die sterilen Individuen, welche bereits aufgehört haben, Samen zu produzieren, zur Nachzucht zu wählen, so daß also der Gipfel der Unfruchtbarkeit, wo nur der Keim affiziert wird, nicht durch Zuchtwahl erreicht worden sein kann. Dieser höchste Grad und zweifelsohne auch die anderen Grade der Unfruchtbarkeit sind Folgezustände, welche mit gewissen unbekannten Verschiedenheiten in der Konstitution des Reproduktionssystems der gekreuzten Arten zusammenhängen.
15
The Variation of Animals etc., Bd. 2, S. 92.
16
A. de Quatrefages hat in der Anthropolog. Review, Jan. 1869, S. 22 einen interessanten Bericht über das Gedeihen und die Lebenskraft der Paulistas in Brasilien gegeben, welche eine stark gekreuzte Rasse von Portugiesen und Indianern mit einer Zumischung von Blut anderer Rassen darstellen.
17
Z. B. bei den Eingeborenen von Amerika und Australien. Prof. Huxley sagt (Transact. Internation. Congress of Prehistoric. Archael., 1868, S. 105), daß "die Schädel vieler Süddeutscher und Schweizer so kurz und breit sind wie die der Tataren" usw.
18
S. eine gute Erörterung dieses Gegenstandes bei Waitz, Indroduct. to Anthropology. Engl. Übers., 1863, S. 198-208, 227. Mehrere der obigen Angaben habe ich H. Tuttles Origin und Antiquity of Physical Man, Boston 1866, S. 35 entnommen.
19
Prof. Nägeli hat mehrere auffallende Fälle in seinen "Botanischen Mitteilungen", Bd. 2, 1866, S. 294-369 sorgfältig beschrieben. Ähnliche Bemerkungen hat Prof. Asa Gray über einige intermediäre Formen der Kompositen Nordamerikas gemacht.
20
Entstehung der Arten. 5. Aufl. 1869, S. 68, Kap. 2.
21
S. Prof. Huxley, welcher sich in diesem Sinne ausspricht, in Fortnightly Review, 1865, S. 275.
22
Vorlesungen über den Menschen, Bd. 2, S. 285.
23
Die Rassen des Schweins, 1860, S. 46. Vorstudien für eine Geschichte usw. der Schweineschädel, 1864, S. 104. In bezug auf das Rind s. A. de Quatrefages, Unité de l'Espèce Humaine, 1861, S. 119.
24
Tylor, Early History of Mankind, 1865; die Gebärdensprache betr. s. S. 54, Lubback, Prehistoric Times, 2. Aufl. 1869.
25
Über analoge Formen der Werkzeuge s. H. M. Westropp in den Memoirs of Anthropol. Soc., s. auch Nilsson, The Primitive Inhabitants of Scandinavia. Engl. Übers., herausgeg. von Sir J. Lubbock, 1868, S. 104.
26
Westropp, On Cromlechs etc., in Journal of Enthnolog. Soc., mitgeteilt in Scientific Opinion, Juni 1869, S. 3.
27
Journal of Researches: Voyage of the Beagle, S. 46.
28
Prehistoric Times, 1869, S. 574.
29
Übersetzung in Anthropolog. Review, Okt. 1868, S. 431.
30
Transact. Internat. Congress of Prehistor. Archaelog.., 1868, S. 172-175. S. auch Broca in Anthropolog. Review Okt 1868, S. 410.
31
Gerland, Über das Aussterben der Naturvölker, 1868 S. 82.
32
Gerland führt a. a. O. S. 12 Tatsachen zur Unterstützung dieser Behauptung an.
33
S. Bemerkungen in diesem Sinne bei H. Holland, Medical Notes and Reflections, 1839, S. 390.
34
Ich habe eine ziemliche Anzahl sich auf diesen Punkt beziehender Tatsachen gesammelt: Journal of Researches, Voyage of the Beagle, S. 435. S. auch Gerland a. a. O. S. 8 Pöppig spricht von dem "für den Wilden giftigen Hauch der Zivilisation".
35
Sproat, Scenes and Studies of Savage Life, 1868, S. 284.
36
Bagehot, Physics and Politics in Fortnightly Review, April 1868, S. 455.
37
Alle hier gemachten Angaben sind aus J. Bonwick, The Last of the Tasmanians, 1870, entnommen.
38
Dies ist die Angabe des Gouverneurs von Tasmanien, Sir W. Dension, Varieties of Vice-Regal Life, 1870, Bd. I, S. 67.
39
In bezug auf diese Tatsachen siehe Bonwick, Daily Life of the Tasmanians, 1870, S. 90, und The Last of the Tasmanians, 1870, S. 386.
40
Observations on the Aboriginal Inhabitants of New Zealand, von der Regierung herausgegeben, 1859.
41
New Zealand, von Alex. Kennedy, 1873, S. 47.
166
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
42
Life of J. J. Patteson, von C. M. Younge, 1874; s. besonders Bd. I, S. 530.
43
Die vorstehenden Angaben sind hauptsächlich den folgenden Werken entnommen: Jarves, History of the Hawaiian Islands, 1843, S. 400-407; Cheever, Life in the Sandwich-Islands, 1851, S. 277; Ruschenberger wird von Bonwick zitiert, The Last of the Tasmanians, 1870, S. 378; Bishop wird angeführt von Sir Edw. Belcher, Voyage round the World, 1843, Bd. I, S. 272. Die Zählungen der verschiedenen Jahre verdanke ich, auf Fürsprache des Dr. Youmans in York, Mr. Coan; und in den meisten Fällen habe ich Youmans Zahlen mit den in verschiedenen der eben genannten Werke gegebenen verglichen. Die Zählung von 1850 habe ich weggelassen, weil dafür zwei ganz verschiedene Zahlen angegeben sind.
44
The Indian Medical Gazette, Nov. 1871, S. 240.
45
Über die nahe Verwandtschaft der Norfolk-Insulaner s. Sir W. Denison, Varieties of Vice-Regal Life, Bd. I, 1870, S. 410. In bezug auf die Todas s. Col. Marshalls Buch, 1873, S. 110; die westlichen Inseln von Schottland betr. s. Dr. Mitchell in Edinburgh Medical Journal, März bis Juni 1865.
46
S. Variation of Animals etc., 2. Bd., S. 111 ("Vererbung und Variabilität", Kap. 7).
47
Variation of Animals etc., 2. Bd., S. 16.
48
Diese Einzelheiten sind The Mutineers of the Bounty, von Lady Belcher, 1870 entnommen und aus Pitcairn Island, ordered to be printed by the House of Cornmons, Mai 1863. Die folgenden Angaben über die Sandwich-Insulaner stammen aus der Honolulu-Gazette und von Mr. Coan.
49
On Anthropology in Anthropolog. Review, Jan. 1868, S. 38.
50
The Annals of Rural Bengal, 1868, S. 134.
51
The Variation of Animals etc., Bd. 2, S. 95 ("Vererbung und Variabilität", Kap. 4).
52
Pallas in Acta Acad. Petropolit., 1780, Teil II, S. 69. Ihm folgte Rudolphi in seinen Beiträgen zur Anthropologie, 1812. Eine ausgezeichnete Zusammenfassung des Beweismaterials hat Godron gegeben: De l'Espèce, 1859, Bd. II, S. 246 usw.
53
Andrew Smith, zitiert von Knox, Races of Man, 1860, S. 473.
54
S. hierüber A. de Quatrefages in Revue des Cours scientifiques, Okt. 1868, S. 731.
55
Livingstone, Travels and Researches in South Africa, 1857, S. 338, 329. D'Orbigny, zitiert von Godron, De l'Espèce, Bd. II, S. 266.
56
Vgl. einen vor der Royal Society 1813 gelesenen Aufsatz, welcher in seinen Essays 1818 veröffentlicht ist. Einen Bericht über Dr. Well's Ansichten habe ich in der historischen Skizze in meiner "Entstehung der Arten" gegeben. Verschiedene Fälle von Korrelation der Farbe mit konstitutionellen Eigentümlichkeiten habe ich mitgeteilt in Variation of Animals etc., Bd. II, S. 227, 335.
57
S. z. B. Nott und Gliddon, Types of Mankind, S. 68.
58
Major Tulloch in einem Aufsatz, gelesen vor der Statistical Society, 20. April 1840, und mitgeteilt im Athenaeum, 1840, S. 353.
59
The Plurality of the Human Races (Übers.), 1864, S. 60.
60
A. de Quatrefages, Unité de l'Espèce humaine, 1861, S. 205. Waitz, Introduct. to Anthropology (Tibers.), Bd. I, 1863, S. 124. Livingstone führt in seinen Reisen ähnliche Fälle an.
61
Im Frühjahr des Jahres 1862 erhielt ich vom Generaldirektor des medizinischen Departements der Armee die Erlaubnis, den verschiedenen Regimentsärzten im auswärtigen Dienste eine Tabelle zum Ausfüllen zu schicken. Ich habe aber keine Antwort erhalten. Der Tabelle waren folgende Bemerkungen beigefügt: "Da mehrere gut ausgesprochene Fälle bei unseren domestizierten Tieren beschrieben worden sind, wo eine Beziehung zwischen der Farbe der Hautanhänge und der Konstitution bestand, und da es notorisch ist, daß in einem beschränkten Grade eine Beziehung zwischen der Farbe der Menschenrassen und dem von ihnen bewohnten Klima besteht, so erscheint es wertvoll, zu untersuchen, ob bei Europäern zwischen der Farbe ihrer Haare und ihrer Empfänglichkeit für die Krankheiten der Tropenländer irgend eine Beziehung besteht. Wenn die Ärzte der verschiedenen Regimenter, die in ungesunden tropischen Distrikten stationiert sind, die Freundlichkeit haben wollten, zuerst als Maßstab der Vergleichung zu zählen, wie viele Leute in dem Truppenteile, von welchem die Kranken herkommen, dunkle und hell gefärbte Haare und Haare einer mittleren oder zweifelhaften Färbung haben; und wenn dann von denselben Ärzten eine ähnliche Liste über alle Leute geführt würde, welche an Malaria und gelbem Fieber oder an Dysenterie leiden, so würde es sich, wenn Tausende von Fällen tabellarisch zusammengestellt sein würden, sehr bald ergeben, ob zwischen der Farbe des Haares und der konstitutionellen Empfänglichkeit für Tropenkrankheiten irgend eine Beziehung existiert. Vielleicht läßt sich keine derartige Beziehung nachweisen, die Untersuchung ist aber doch des Anstellens wert. Ein positives Resultat dürfte auch von praktischem Nutzen bei der Auswahl der Leute zu irgend einem speziellen Dienste sein. Theoretisch würde das Resultat von höchstem Interesse sein, da es die Mittel erkennen ließe, durch welche eine Menschenrasse, die seit einer unendlich langen Zeit ein ungesundes tropisches Klima bewohnt, dunkelfarbig geworden ist infolge der besseren Erhaltung dunkelhaariger Individuen oder solcher mit dunklem Teint während einer langen Reihe von Generationen."
62
Anthropological Review, Jan. 1866, S. XXI. Dr. Sharpe sagt auch in bezug auf Indien (Man a Special Creation, 1873, S. 118), daß mehrere medizinische Beamte die Beobachtung gemacht haben, daß Europäer mit hellem Haar und blühendem Teint weniger von den Krankheiten tropischer Länder leiden als Personen mit dunklem Haar und bleichem Teint; "so viel ich weiß, scheinen gute Gründe für diese Annahme vorzuliegen". Andererseits ist aber Heddle in Sierra Leone, "von dessen Unterbeamten mehr von dem Klima der westafrikanischen Küste getötet worden sind als von denen irgend eines anderen Mannes" (W. Reade, African Sketch Book, Bd. II, S. 522), direkt entgegengesetzter Ansicht, wie auch Kapitän Burton.
63
Man a Special Creation, 1873, S. 119.
64
Variation of Animals and Plants under Domestication, Bd. II, S. 336, 337.
167
Die Abstammung des Menschen – Anmerkungen
65
Vgl. z. B. A. de Quatrefages (Revue des Cours scientifiques, Okt. 1868, S. 724) über die Wirkung des Aufenthaltes in Abessinien und Arabien, und andere analoge Fälle. Dr. Rolle (Der Mensch, seine Abstammung usw. (1865, S. 99) gibt nach der Autorität Khanikofs an, daß die größere Zahl der deutschen Familien, die sich in Georgien niedergelassen hatten, im Verlaufe von zwei Generationen dunkle Haare und Augen bekommen haben. D. Forbes teilte mir mit, daß die Quechuas in den Anden in der Farbe sehr bedeutend variieren, je nach der Lage der von ihnen bewohnten Täler.
66
Harlan, Medical Researches, S. 532. A. de Quatrefages, Unité de l'Espèce humaine, 1861, S. 128 hat sehr viel Material zu diesem Thema gesammelt.
67
S. Prof. Schaaffhausen in Anthropological Review, Okt. 1868, S. 429.
68
Catlin gibt an (North American Indians, 3. Aufl., 1842, Bd. I, S. 49), daß in dem ganzen Stamme der Mandan-Indianer ungefähr eines unter je zehn oder zwölf Individuen aller Altersstufen und beider Geschlechter helle silbergraue Haare habe, was erblich sei. Dies Haar ist nun so grob und rauh wie die Mähne eines Pferdes, während die anders gefärbten Haare weich und dünn sind.
69
Über den Geruch der Haut s. Godron, Sur l'Espèce, B. II, S. 217. Über die Poren der Haut s. D. Wilckens, Die Aufgaben der landwirtschaftlichen Zootechnik, 1869, S. 7.
Zusammenfassung und Schluß (Entspricht dem Kapitel XXI des II. Teiles [Sexuelle Auslese] der vorliegenden englischen Ausgabe.) 1
On the Limits of Natural Selection, North American Review, Okt. 1870, S. 295.
2
S. eine Erörterung darüber von J. A. Picton, New Theories and the Old Faith, 1870.
Beitrag von T. H. Huxley 1
"Die Großhirnwindungen des Menschen", Abhandlungen der Kgl. Bayer. Akademie, Bd. X, 1868.
2
Convolutions of the Human Cerebrum topographically considered, 1866, S. 12.
3
Notes more especially on the Bridging Convolutions in the Brain of the Ghimpanzee, in Proceedings of the Royal Society of Edinburgh, 1865-1866.
4
Flower, On the Anatomy of Pithecia Monachus, Proceedings of the Zoological Society, 1862.
5
Man's Place in Nature, S. 102.
6
Transactions of the Zoological Society, Bd. V, 1862.
7
"Bei allen Affen entwickeln sich die hinteren Furchen zuerst; die vorderen Furchen entwickeln sich später, auch sind der Okzipitalknochen und das Scheitelbein verhältnismäßig sehr groß beim Fötus. Der Mensch bildet eine merkwürdige Ausnahme, was den Zeitpunkt der Erscheinung der vorderen Furchen anbetrifft. Diese sind nämlich zuerst angedeutet; aber die allgemeine Entwickelung des Stirnlappens, wenn man dabei nur sein Volumen ins Auge faßt, folgt denselben Gesetzen wie bei den Affen." Gratiolet: Mémoire sur les plis cérébraux, de l'Homme et des Primates S. 39, Taf. IV, Fig. 3.
8
Die betreffenden Worte von Gratiolet lauten (1. c. S. 39): "Bei dem Fötus, um den es sich handelt, sind die hinteren Gehirnwindungen gut entwickelt, während die Windungen des Stirnlappens kaum angedeutet sind." Jedoch zeigt die Figur (Taf. IV, Fig. 3) die Rolandsspalte und eine der Stirnfurchen deutlich genug. Trotzdem schreibt M. Alix in seiner "Notice sur les travaux anthropologiques de Gratiolet" (Mém. de la Société d'Antropologie de Paris, 1868, S. 32) folgendermaßen: "Gratiolet untersuchte das Gehirn eines Gibbonembryo, eines so außerordentlich hochstehenden, dem Orang so ähnlichen Affen, daß ihn sehr kompetente Naturforscher unter die Anthropoiden gereiht haben. Huxiey z. B. tut es ohne Bedenken. Am Gehirn eines Gibbonfötus hat nun Gratiolet die Windungen des temporosphenoidalen Lappens schon entwickelt gefunden, während auf dem Stirnlappen noch keine Faltungen bestanden. Er kann also mit Fug und Recht sagen, daß bei dem Menschen die Windungen 'von A bis Z' bei den Affen dagegen 'Z bis A' erscheinen".
9
Über die typische Anordnung der Furchen und Windungen auf den Großhirnhemisphären des Menschen und der Affen, Archiv für Anthropologie, III, 1868.
10
Zur Entwickelungsgeschichte der Furchen und Windungen der Großhirnhemisphären im Fötus des Menschen, Archiv für Anthropologie, III, 1868.
11
Zum Beispiel M. l'Abbé Lecomte in seiner fürchterlichen Schmähschrift: "Le Darwinisme et l'origine de l'Homme", 1873.
168