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für anlautendes mhd. und nhd. /b/ (bitten, bleiben) – die oberdeutsche Variante <-nus> für das Abstraktsuffix ‚-nis‘ (bekenntnis). Utz Maas (1985) hat die für Köln aufgestellte ‚Oberdeutsch-Hypothese‘ auf den niederdeutschen Sprachraum übertragen: Von der Forschung längst noch nicht genügend aufgearbeitet ist die genaue Form des Hochdeutschen in den nicht-niederdeutschen Texten. In der frühneudeutschen Zeit hat sich die spätere neuhochdeutsche Schriftsprache noch keineswegs etabliert (das wird erst nach den Sprachgesellschaften des Barock im 18. Jahrhundert der Fall sein), so daß die Wahl einer nicht-niederdeutschen Form die Wahl einer bestimmten hochdeutschen Schreibsprachvariante erforderte. Hier ist es nun entgegen dem in den Handbuchdarstellungen immer noch zu Lesenden keineswegs so, daß in Norddeutschland der Ablösungsprozeß vom Niederdeutschen als Rezeption des Ostmitteldeutschen verläuft, wie man es traditionell als Konsequenz der Reformation (der Rezeption der LutherSchriften) annahm. (…). Geht man von den kulturellen Spannungen aus, die den hier wirksamen Heterozentrierungsprozeß bestimmen, so ist auch verständlich, daß das Ostmitteldeutsche kein Muster zu Lösungen des kulturellen Konflikts im norddeutschen Raum bieten konnte. Sprachlich war es in zu vieler Hinsicht (gerade im lautlichen Bereich) dem Niederdeutschen ähnlich, als daß es die nötige Demarkation als das „ganz Andere“ hätte gewährleisten können. Hinzu kam, daß die politische und ökonomische Orientierung im 16. und 17. Jahrhundert ohnehin nicht nach Osten, sondern nach Süden verwies. Für die Handelsbeziehungen waren die süddeutschen Großstädte (Nürnberg, Augsburg u. a.) zunehmend wichtig, die politisch administrative Orientierung hatte ihre Zentren im Süden (so etwa das Reichskammergericht), kulturelle Trendsetter (etwa im Bereich der Mode) lagen im Süden und dergleichen mehr, so daß es nicht verwundern kann, daß die „süddeutsche Reichssprache“ (…) auch die sprachlichen Orientierungsmuster bot. (Maas 1985, 617, erneut in DU 1986, 49 f.) geschrieben werden, wobei im Ostoberdeutschen überwiegt. Die Frnhd. Gr. (§ L 44) bemerkt: „Einige Texte scheinen p vor dunklem Vokal (z. B. putter) sowie l und r (pleiben, pruder) zu bevorzugen (…).“ für anlautendes /b/. „Diese schreibung wird jahr für jahr zurückgedrängt und behauptet sich in der letzten Bibel nur in vier bis fünf wörtern“ (Bach 1984, 102). – Vor l und n fällt das e der Vorsilbe ge- aus: glaub, gleich, Gnade, gnedig. – Luther entscheidet sich für das ostmitteldeutsche <-nis> gegen das oberdeutsche <-nus> (Bach 1984, 103). -Graphie stabilisiert, sie bleibt bis 1665 konstant, danach setzt sich die ursprünglich mitteldeutsche, später neuhochdeutsche Form durch.“7 – Meist steht die Vorsilbe ge-; das e wird vor l und n synkopiert. Das Part. Prät. wird bei den eingangs genannten Verben meist ohne die Vorsilbe gegebildet. – Beim Suffix -nis konkurrieren zwischen etwa 1525 und 1600 die mitteldeutsche und die oberdeutsche Variante. „Das 17. Jahrhundert bringt nahezu ausschließlich die Herrschaft der süddeutschen Form, und im 18. Jh. schließlich setzen sich die ursprünglich md. und zugleich neuhochdeutschen Formen durch“ (Macha 1991, 45). 5 6 in „bleiben“, „brauchen“, „bitten“, „beten“, „bringen“. geschrieben.8 Häufiger tritt diese Graphie zwischen 1570 und 1578 auf, „doch bleibt sie immer eine ausgesprochene Minderheitenvariante“ (Fischer 1998, 193). Zwischen 1570 und 1578 zähle ich 27 -Schreibungen. Sie stehen zumeist in Texten aus der Ratskanzlei.9 8 -Graphien (pillich 2, sichtpar) in einer Bittschrift des Rektors der Lateinschule, Betulejus, an den Magistrat der Stadt; 1565.3 Ehrenachtpare in der Anrede. Die höchste Prozentzahl, 50 %, erreichen die -Schreibungen in der Ordnung der Lateinschule von 1578, die in der Ratskanzlei geschrieben wurde. -Graphie, g-, nit), und sie ist von kürzerer Dauer als in Köln ( -Graphie 1570–1578, präfixlose Partizipien 1565–1577, <-nus> seit 1573, nit 1577/1578, uf bis 1578. Oberdeutsche Schreibungen treten, abgesehen von <-nus>, meist nur zwischen 1570 und 1578 auf. Soest -Gra- -Graphien, im „Reversal“ des Hermann Oesthoff von 1596 dagegen vier (= 50 %). Gröninger und Kribbe schreiben 1615 dreizehnmal , elfmal . Alerdinck dagegen verwendet 1634 ausschließlich . Der Gebrauch der -Graphie ist somit geringer als in Köln, jedoch häufiger als in Soest. – Bei der Vorsilbe ,ge-‘ können in der Ratskanzlei schreiberspezifisch zwei Phasen unterschieden werden: Pagenstecher (1571–1601) steht mit ge-, gl-, gn-, ge- auf hochdeutschem, Heinrich Hollandt (1601–1647) mit ge-/(g-), gl-, gn-, (ge-)/- eher auf oberdeutschem Standpunkt. Wie Hollandt haben auch die übrigen Texte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts präfixlose Partizipien: Die Kämmereirechnungen, die Grutamtsrechnungen seit 1638, Gröninger/Kribbe 1615. – Auch beim Abstraktsuffix ‚-nis‘ können zwei Phasen unterschieden werden: 1541, 1542 und 1574 ist <-nis> realisiert, 1573 und dann nach 1590 <-nus>. – Die frühen hochdeutschen Texte aus der fürstbischöflichen Kanzlei (1541, 1542) haben nit. Dies ist auch die Variante des Ratssekretärs Pagenstecher (1571–1601). Eine zweite Phase, die des Nebeneinanders von nicht und nit, beginnt mit der fürstbischöflichen „Originalordnung“ von 1573 (14 nicht, 17 nit). Das leichte Überwiegen der nit-Variante ist auch für den Stadtschreiber Heinrich Hollandt (1601–1647) charakteristisch. In einer dritten Phase setzt sich dann nicht durch. Schon Gröninger/Kribbe 1615 verwenden sechsmal nicht, einmal nit. Der Stadtsekretär Bernard Hollandt (1647–1661) schreibt ausschliesslich nicht. – Auch in Münster wird das regionalsprachliche up von der hochdeutschen Variante uf abgelöst. Diese gilt in den Texten aus der Ratskanzlei und in den Kämmereirechnungen bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts. In den Grutamtsrechnungen finden sich seit etwa 1620 neben uf- auch auf- Belege; letztere machen etwas weniger als 50 Prozent der Fälle aus. Die Variante auf fand zuerst 1596 im Reversal Hermann Oesthoffs ausschließliche Verwendung, dann 1615 im Schreiben Gröningers und Kribbes, schließlich auch 1634 in der Bittschrift Alerdincks. Münster aufweist. – Bei der Synkope des e vertreten die meisten Texte den hochdeutschen, zwei den oberdeutschen Standpunkt. Es sind dies der Landtagsabschied von 1618 und von Bellinghausens Dichtung von 1619. Hier, im Speculum Cometarum, finden sich Gwitter, Gmahl, Gwässer, Gmütes, Gmach, gwaltig, gschwindt u. a. mehr. Präfixlose Partizipien haben die Leichenpredigt von 1588, die Ratsprotokolle Slaphs von 1617, der Landtagsabschied von 1618 und Bellinghausens Speculum von 1619. – Die Verteilung von <-nis> und <-nus> zeigt die Tabelle: –nis Ratsprotokoll 1588, nd. im Verhältnis 1 : 1, präfixloses Partizip Präteriti, <-nus>, nit 20 : nicht 15, vff 26 : auff 17. Der Landtagsabschied ist ein Produkt der landesherrlichen Verwaltung, verfasst von einer hochrangigen Persönlichkeit: Zum sechstenn erinnerten sich die Stende voriger Landtags abschiedenn, daß die V[o]igte Pferde haltenn, Auch die Ambtleute sich bei den anziehenden r[o]tten verfugenn, vnd beßer mughlichkeit die vnderthanen verpitten soltenn, dieweiniger nit ist dahin gewilligt, daß dem Wachtmeister zur Fursten[a]w funff vnd zw[e]ntzig Th(a)l(e)r vff ein pferdt dieß Jahr furerst gefolgt, D[o]ch mit dem außtrucklichen furbedinge d[a]ß daruber von Jhme die haußl[e]ute nicht beschwert werden sollen, Weiln aber vermerckt werde, daß zum Steckenberge der Wachtmeister nit so hart nottig, wehre derselbig [a]bzudancken, vnd seine besoldungh Monatlich vff zehenn Th(a)l(e)r zuuerbeßern, vnd damit ein kundiger Man zum Fuhrer, wie auch zu Jburgk /: da es nottig befunden:/ zwei S[o]ldaten abzudancken vnd vor dern Monatliche besoldung auch ein qualificirte Persohn zum Fuhrer anzuordnen (McAlister-Hermann 1989, 648). im süddeutschen Ortsnamen Regenspurg, sonst ausschliesslich . Zweimal steht . – Die Synkope des e zeigt Braunschweig auf hochdeutschem Standpunkt stehend: ge-, gl-, gn-, dazu vereinzelt einige präfixlose Partizipien. – Dem mnd. Suffix -Schreibungen für initiales /b/ können sich in der meißnischen Kanzlei und in den Luther-Drucken nicht durchsetzen, wohl aber, sozusagen im zweiten Anlauf, zwischen 1590 und 1665 in Köln. Die Städte im ehemals niederdeutschen Sprachgebiet schreiben ganz überwiegend . Ausnahmen mit häufiger -Graphie sind in Soest die Schulordnung von 1578, in Münster das Reversal des Sekretärs der Rechenkammer Hermann Oesthoff von 1596, in Osnabrück der Landtagsabschied von 1618, die beiden letzteren aus den landesherrlichen Verwaltungen stammend. 3. Bei der e-Synkope und beim Part. Prät. kann in den norddeutschen Städten von einem „hochdeutschen“ Standpunkt ausgegangen werden (ge-, gl-, gn-, ge-). In Köln allerdings wird bei den einschlägigen Verben das Part. Prät. präfixlos gebildet. In Münster folgt auf eine eher „hochdeutsche“ (2. Hälfte des 16. Jahrhunderts) in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine eher oberdeutsche Phase ( -Graphien zwischen 1590 und 1665 und präfixlose Partizipien. Mit geringerer Intensität und Dauer sind diese zwei Phasen auch in Westfalen auszumachen. Münster wechselt von -nis, nit, uf zu -nüs, nicht/nit, auf. Hinzu treten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Fälle mit Synkope des e und präfixlose Partizipien. Das Ratsprotokoll der Altstadt Osnabrück ist noch 1588 in niederdeutscher Sprache geschrieben. Der späte Wechsel zum Hochdeutschen ist dafür verantwortlich, dass in Osnabrück die erste Phase fehlt.13 Die hand13 Das Fehlen der ersten, der allgemein-hochdeutschen Phase in Osnabrück ist der Grund dafür, dass Utz Maas der Meinung war, der Schreibsprachenwechsel in Norddeutschland , präfixlose Partizipien, nit treten nur in den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts häufiger auf. – In Braunschweig war der Einfluss der oberdeutschen Schreibmode am geringsten. Vermutlich hat die ostmitteldeutsch-ostoberdeutsche Ausgleichssprache aus dem Raum Leipzig-Wittenberg ins Ostfälische ausgestrahlt. Der ostmitteldeutsche Einfluss geht – vgl. die Variante nicht – bis nach Soest. In Osnabrück treffen die oberdeutsch beeinflusste Kanzleischreibe und die ostmitteldeutsch geprägte Drucksprache aufeinander. Die zweifache Orientierung Osnabrücks kann als mediale Varietätenspaltung bezeichnet werden: -nüs, nit/(nicht), uf im handschriftlichen Verwaltungsschrifttum14, -nis/-nüs, nicht, auf in den Drucken. Es sollte versucht werden, die Frage nach der Gestalt des Hochdeutschen in Norddeutschland zu beantworten. Eine Antwort ist ohne Einbeziehung der schreibsprachlichen Verhältnisse in Oberdeutschland und im West- und Ostmitteldeutschen nicht möglich. Es konnte nur ein vorläufiger Eindruck vermittelt werden. Die Auswertung größerer Korpora für Köln, Soest, Münster, Osnabrück und Braunschweig sowie die Erarbeitung und Auswertung von Korpora für weitere norddeutsche Städte wird das vorläufige Bild ergänzen und verfeinern. -Graphien und e-Synkope im Landtagsabschied von 1618. anlautend, -enlich- statt omd. -entlich-. Bei ihm hat das freilich spezielle Gründe: Die handschriftlichen Vorlagen für die zu druckenden Verordnungen stammen aus der kursächsischen Kanzlei – und diese war, darauf wurde schon hingewiesen, oberdeutschen Einflüssen gegenüber wesentlich offener als die allgemeine kursächsische Schriftlichkeit. Auf der Grundlage eines relativ gleichen Variantenbestandes ergeben sich von hier aus Anwendungsnuancierungen, die jeweils mehr oder weniger deutlich zur Kennzeichnung eines Druckers beitragen können. Bestätigt wird das im Hinblick auf den Gebrauch oberdeutscher Varianten Gesagte von einem Blick auf den Einsatz ostmitteldeutscher Varianten wie z. B. brengen, ader, kegen in der Druckersprache: Neben einem eingeschränkten Kreis von Druckern, der wieder durch generelle Zurückhaltung ihrem Einsatz gegenüber auffällt – der Bibeldrucker Lufft gehört dazu –, lässt sich beim Gros der Drucker zwar auch hier mitunter eine unterschiedliche Häufigkeit des Gebrauchs im Einzelfall nachweisen (und damit wieder Anwendungsnuancierungen), feste Druckerprofile im Sinne von entweder/ oder treten aber nicht hervor, das Maß an relativ einheitlicher Handhabung des Graphembestandes insgesamt wird durch den Einsatz der disponiblen Territorialbestände also nicht sonderlich verzerrt. Vergleicht man an dieser Stelle handschriftlichen Bereich und Druckerbereich miteinander, wird – jeweils auf das Gesamt der beiden Bereiche gesehen – sichtbar, dass die Entwicklung des Einsatzes territorialer Varianten zwar prinzipiell in gleicher Richtung verläuft, sich aber trotzdem nach zwei Seiten hin signifikante Differenzen ergeben: 1. differiert der Umfang des Bestandes an ostmitteldeutschen Varianten in beiden Bereichen in der Weise voneinander, dass derjenige des handschriftlichen Bereichs auch Mitte des 16. Jh. trotz Variantenschrumpfung noch umfangreicher als derjenige des Druckbereiches ist und 2. erfolgt der Einsatz ostmitteldeutscher Varianten unterschiedlich: im Druckbereich nämlich wesentlich einheitlicher im Hinblick auf ihre niedrigere Gebrauchshäufigkeit im Einzelfall als im handschriftlichen Sektor. Exterritoriale Varianten überdecken in beiden Bereichen Wittenberger Schriftlichkeit (das ist die generelle Aussage) nicht den Bestand an territorialen Varianten – auch nicht in speziellen Einzelfällen wie –nus, nit usw., sie
Dieser Übertragung der für Köln formulierten ‚Oberdeutsch-Hypothese‘ auf Norddeutschland schließt sich Mattheier (2000, 1093) an:
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Man denke etwa an den Standardisierungsprozeß der mnd. Schriftsprache im 14. und 15. Jh., in dem sich gerade mit der lübischen Kanzleisprache eine Leitvarietät herauszubilden begann, als dieses Kommunikationsmittel wegen einer Verlagerung der Modernisierungsfaktoren in der Umgebungsgesellschaft in den Süden Deutschlands von der dort üblichen Leitvarietät, dem gemeinen Deutschen, überschichtet wurde.
Der Rezeption des gemeinen Deutschen sei dann in einer zweiten Phase die des Ostmitteldeutschen gefolgt (Mattheier 2000, 1098): Durch die zu Beginn des 16. Jhs. einsetzende Reformation und die daran anschließenden fast 150jährigen kriegerischen Auseinandersetzungen und ökonomisch-kulturellen Verfallszeiten wird die mit der Ausbildung des gemeinen Deutschen begonnene Entwicklung abgebrochen oder doch zumindest umgelenkt (Mattheier 1981). Die oobd. geprägte Orientierung der ersten Leitvarietät wird durch eine eher omd. geprägte dialektale Orientierung ersetzt, (…). Dieser Umlagerungsprozeß erfaßt zuerst die protestantischen Gebiete (…).
Demgegenüber hält Werner Besch (1985, 1802) an der Rezeption des Ostmitteldeutschen fest: Ausschlaggebend für das weitere Schicksal einer gesamtdeutschen Schriftsprache war der rasche Beitritt Norddeutschlands zum Hochdeutschen meißnischer Prägung.
und er betont die Bedeutung der Lutherbibel bei diesem Prozess (2000, 1739): (…); das große nd. Gebiet übernimmt die hd. Sprache der Lutherbibel. Das ist ein entscheidender Vorgang in der Geschichte der nhd. Schriftsprache.
Die ‚Oberdeutsch-Hypothese‘ wurde von Jürgen Macha (1991) für Köln modifiziert. Die Schreibsprache in den von ihm untersuchten Kölner Verhörprotokollen sei im Prinzip hochdeutsch. „Man will ‚Hochdeutsch‘ schreiben“ (1991, 48). Denn: Spätestens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (…) existiert in Deutschland bereits eine Art Hauptströmung neuer, hochdeutscher Schriftlichkeit. (…) Wir haben es auch bei Kanzleischreibungen nicht mehr mit klar diskriminierbaren ‚landschaftlichen Schreibdialekten‘ zu tun, man muß vielmehr einen fortgeschrittenen Vereinheitlichungsprozeß in Rechnung stellen. (…). Es handelt sich (…) um die Übernahme einer bereits existierenden, durchaus noch oszillierenden
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Schreibsprache, die in hochdeutschen Kanzleien gebräuchlich ist und die Anteile heterogener Herkunft aufweist (1991, 49).
Macha unterscheidet zwei sukzessive Phasen. Er erkennt, daß erst das 17. Jh. in einem stärkeren Maße durch bairisch-oberdeutsche Schreibmerkmale gekennzeichnet ist, die Zeit davor besitzt offenbar keine ausgeprägten regionalsprachlichen Präferenzen (…) (1991, 53).
Es kommt um 1600 in Köln zu „einer Art von zeitweiliger bairisch-oberdeutscher Schreibmode“ (1991, 53), ein Reflex der politischen und kulturellen Ausrichtung nach Süddeutschland „mit der Etablierung bayrischer Wittelsbacher als Erzbischöfe“ (1991, 53) und der Gegenreformation. Angesichts der Forschungsergebnisse Machas stellt sich auch für Niederdeutschland dringlich die Frage nach der Gestalt der neuen Zielvarietät. Die Orientierung Westfalens nach Südwesten lässt zumindest für diesen Raum Kölner Schreibspracheinflüsse, und damit auch oberdeutsche Marker, erwarten. Nach einem Blick auf das Gemeine Deutsch, das Meißnische, die Sprache Martin Luthers und das kölnische Hochdeutsch sollen einige Aspekte von hochdeutschen Schreibsprachen aus dem ehemals niederdeutschen Sprachgebiet behandelt werden. Es handelt sich um das Hochdeutsche der südwestfälischen Stadt Soest, der nordwestfälischen Städte Münster und Osnabrück und der ostfälischen Stadt Braunschweig. Es müssen solche Merkmale untersucht werden, von denen erwartet werden kann, dass sie im Untersuchungsgebiet variabel sind.4 Dies bedeutet für unsere Fragestellung: Die Variablen sollten im Ostmitteldeutschen anders realisiert werden als im Oberdeutschen. Im Einzelnen werden behandelt: 1. Die Schreibung für den mhd. Diphthongen /ei/.
4
Unter einer Variablen wird ein linguistisches Element verstanden, das mindestens zwei verschiedene Realisationsmöglichkeiten bietet. Die einzelnen Realisationen einer Variablen werden als Varianten bezeichnet.
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3. Im Präfix ge- „wird e bes. im Obd. getilgt. In der frnhd. Schriftlichkeit fällt dabei e am häufigsten vor l und n (…) aus“ (Frnhd. Gr., § L 39). „Part. Prät. wird überwiegend mit ge- gebildet (…)“ (Frnhd. Gr., § M 87). Nicht selten fehlt die Vorsilbe bei brauchen, geben und gehen. Für die als perfektiv eingestuften Verben werden, kommen, finden, treffen, bringen gilt, „daß sie im Obd. häufiger und länger ohne ge- flektiert werden (…)“ (Frnhd. Gr., § M 87). 4. Das Abstraktsuffix nhd. -nis hat die oberdeutsche Variante <-nus> und die mitteldeutsche <-nis>. Besch (1967, 225–228) bezeichnet <-nis> als mitteldeutsche, niederdeutsche, niederfränkische und oberrheinische Form; <-nus> gilt im Ostalemannischen, Bairischen und Ostfränkischen. Die mitteldeutsche Form setzt sich schliesslich, „wenn auch nur sehr mühsam, gegen die bairisch-ostalem. Tradition durch“ (Besch 1967, 228). 5. Die Negationspartikel ‚nicht‘. Die volle Form gilt im 15. Jahrhundert „verstreut im Bairischen, stark im Ostfränkischen und ausschließlich im Ostmitteldeutschen“ (Besch 1967, 202). Demgegenüber ist die Form mit Ausfall des /ch/ „vor allem wmd. und wobd.“ (Frnhd. Gr., § L 56) belegt. Es handelt sich bei nicht/nit genau genommen weniger um einen ostmitteldeutsch/ostoberdeutschen als vielmehr um einen ostmitteldeutsch/westmitteldeutschoberdeutschen Gegensatz. Die Variable ist daher geeignet zu zeigen, ob auch westmitteldeutsches Sprachgut den Weg nach Norden gefunden hat. 6. Die Präposition ‚auf‘. Bereits im Mittelhochdeutschen bestanden die Varianten ûf und, mit gekürztem û, uf. Aus û wurde, zunächst im Bairischen, au diphthongiert. Im übrigen hochdeutschen Sprachgebiet blieb die Kürze zunächst bestehen. So kann ein ostoberdeutsch/westoberdeutsch-mitteldeutscher Gegensatz postuliert werden. Anhand dieser sechs Kriterien sollen nun für die einzelnen regionalen Schreibsprachen und die norddeutschen Stadtsprachen Variantenkombinationen aufgestellt werden. wg. ai
für Präfix geb
Suffix -nis
‚nicht‘
‚auf‘
Standarddeutsch
ei/(ai)
b
–nis
nicht
auf
Mittelniederdeutsch Gemeines Deutsch
e/ey
b
Gebirge glauben Gnade gebracht ge-
–nis
nicht
up/(op)
ai/(ei)
b/p
ge-/gglgnbracht
–nus
nit
auf
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Robert Peters
Anhand der Dissertation von Gerhard Kettmann (1967) wurden die in der kursächsischen Kanzlei zwischen 1486 und 1546 geschriebenen Formen ermittelt: – Wurde ursprünglich ganz überwiegend <ei> geschrieben, steigert sich nach 1520 der
ei/ai
b/(p)
geglgnge-/(–)
–nüs
nit/(nicht)
auf/(uf) > uf/(auf)
Die für die kursächsische Kanzlei aufgestellte Variantenkombination ist weniger ostmitteldeutsch als erwartet. Zwischen 1520 und 1546 ist ein oberdeutscher Schreibeinfluss auszumachen, in dem gerade der eingangs erwähnte ostmitteldeutsch-ostoberdeutsche Ausgleich fassbar wird. An dieser Stelle sei ein Blick auf die Drucksprache Martin Luthers geworfen. Ich beziehe mich auf die Darstellung Heinrich Bachs (1974/1985 und 1984). – Für den Diphthong /ei/ ist <ei> die regelmässige Form (Bach 1974, 211). – Anfangs steht häufig
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– „Er schreibt anfangs (bis 1521) ausschliesslich nit, bis 1525 schwankt er, später gebraucht er immer nicht“ (Besch 1967, 203). – Luther verwendet fast immer auf (Bach 1974, 197). Martin Luther (Drucke)
ei
b/(p)
geglgnge-
-nis
nit > nicht
auf
Vergleicht man die Variantenkombination der kursächsischen Kanzlei mit der der Drucksprache Martin Luthers, fällt auf, dass die für Luther aufgestellte Kombination „ostmitteldeutscher“ ist als die der Kanzlei.5 Somit ist die Aussage Luthers, er rede nach der sächsischen Kanzlei, als Selbsteinschätzung zu werten, die nicht kritiklos übernommen werden darf.6 In Köln hat das Hochdeutsche in der Mitte des 16. Jahrhunderts die ripuarische Schreibsprache verdrängt. Meine Darstellung stützt sich auf die Untersuchung Jürgen Machas (1991); zudem habe ich die Kölner Hexenprotokolle der Jahre 1629/1630 ausgewertet (Macha, Herborn 1992). – Die Graphie <ei> gilt fast ausschließlich. – Zur Schreibung von anlautend /b/ bemerkt Macha (1991, 44): „Man erkennt, daß sich nach einer Phase des fakultativen Nebeneinanders zum Ausgang des 16. Jahrhunderts die Vorherrschaft der
7
Dies gilt für <ei>,
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– Das ripuarische niet wird zunächst durch das ostmitteldeutsche nicht ersetzt. „Auffällig ist die starke Position von ‚nicht‘ am Ende des 16. Jhs., dann schlägt die Entwicklung abrupt um: nit hat die alleinige Herrschaft während des 17. Jhs. Erst zum 18. Jh. wird die neuhochdeutsch-normgerechte Variante ‚nicht‘ vorherrschend“ (Macha 1991, 45f. und Diagramm II). – In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts treten uf und auf nebeneinander auf, von etwa 1620 an gilt auf (Macha 1991, 46 f. und Diagramm IV). Die Hexenprotokolle der Jahre 1629/1630 gehen von mehrheitlich uf zu mehrheitlich auf über. Köln
ei
b/(p) > p/(b) (1590–1665) >b
geglgn-
–nis/-nüs (2. H. 16. Jh.) > -nüs (1. H. 17. Jh.)
niet > nicht > nit
uf > auf
Die für Köln aufgestellte Variantenkombination zeigt die Ausrichtung am ‚Hochdeutschen‘ in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und die Orientierung an einer bairisch-oberdeutschen Schreibmode um und nach 1600. Nun zu den sprachlichen Verhältnissen im ehemals niederdeutschen Raum, zuerst zu denen im südwestfälischen Soest. Hier steht das von Christian Fischer erstellte Textkorpus zur Verfügung (Fischer 1998). Es besteht hauptsächlich aus innerstädtischen amtlichen Texten; aus Privaturkunden und Verwandtschaftszeugnissen, Kriminal- und Hexenprotokollen, Statuten und einer Schulordnung. Der Schreibsprachenwechsel vom Mittelniederdeutschen zum Hochdeutschen fand in der Soester Ratskanzlei im Jahre 1563 statt. – Schon in den niederdeutschen Texten zwischen 1543 und 1562 ist <ei> zur Hauptvariante geworden (daneben <ey>). Die Schreibung <ei> gilt dann fast ausnahmslos in den hochdeutschen Texten. Selten steht <ey>; einmal – im Hexenprotokoll von 1585 – ist
9
1532.1 gepurt 3. Sg. in einem niederdeutschen Text; 1560.1 drei
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– Beim Präfix ge- steht Soest meist auf hochdeutschem Standpunkt. Nur in den Jahren 1565 bis 1577 gibt es in Texten aus der Ratskanzlei und der Kämmerei e-Synkope auch über gl- und gn- hinaus sowie präfixlose Partizipien. – Ähnlich wie in Köln verläuft die Entwicklung beim Suffix ‚-nis‘. Wird in hochdeutschen Texten bis 1571 überwiegend <-nis> geschrieben, so herrscht zwischen 1573 und ca. 1600 ausschließlich <-nus>. Wie lange diese Phase andauert, kann anhand des Korpus nicht entschieden werden. – Für die Negationspartikel wird in Soest ganz überwiegend nicht verwandt. In den Jahren 1577/1578 belegen zwei Texte aus der Ratskanzlei – ein Bewerbungsschreiben und die schon genannte Schulordnung – insgesamt zehn nit-Schreibungen.10 – Bei der Präposition ‚auf‘ können zwei Phasen unterschieden werden. Zwischen 1565 und 1578 herrscht in den hochdeutschen Texten uf, seit 1583 auf. Fazit: In Soest will man ‚Hochdeutsch‘ schreiben. Auch hier ist eine oberdeutsche Mode zu beobachten. Sie hat aber ein geringeres Ausmaß (
ei
b > b/(p) 1570–78
ge–nis/ gl(-nüs) > -nüs gnge-/1565–1577
nicht > nicht/(nit) 1577/78
uf 1565–78 > auf
Die Formen des oberdeutsch orientierten Stadtschreibers finden sich in der vom Rat erlassenen ‚Ordnung der Lateinschule‘ von 1578: Auf beuelh eines Erbaren Rhats […] beschloßenn / Daß die Collegen Jn der Schulen […] auch ohne erlaubnus deß herren / Rectoris nit außen pleiben; Vnd Jn der / Schulen Jre exercitia lectiones vnnd waß dem ferner / anhengt mit allem vleiß vben vnd prauchen sollen, / Daß sei sich deß vnzeitigen, vngeburtigen vnd vber-/maißigen zechens vnnd drinckens sunderlich aber / mit den scholaren vnd discipulen zumal meiden, / vnd enthalten […] sollen. (Stadtarchiv Soest, A 10412). 10 Dazu kommen ein
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Die Kanzleien der Stadt Münster vollziehen den Schreibsprachenwechsel zwischen 1533 und 1571. In der fürstbischöflichen Kanzlei findet er zwischen 1533 und 1570, in der Ratskanzlei zwischen 1543 und 1571 statt (Peters 1995, 156). Im auswärtigen Schriftverkehr ist er in der fürstbischöflichen Kanzlei 1547, in der Ratskanzlei 1551 abgeschlossen. Ausgewertet wurden: 1. Texte aus der fürstbischöflichen Kanzlei: – die Hofordnung Franz’ von Waldeck, Horstmar, 1. 10. 1536, niederdeutsch (Behr 1998, Nr. 179) – die Restitution der Privilegien der Stadt Münster, 5. 8. 1541 (Behr 1998, Nr. 244) – das Bündnis des Bischofs mit den Städten des Stifts Münster, 20. 5. 1542 (Behr 1998, Nr. 249) – die Originalordnung mit der Münsterischen Rent- oder Rechenkammer, 4. 3. 1573 (Lüdicke 1901) – das Reversal des Sekretärs der Rechenkammer, Hermann Oesthoff, 20. 4. 1596 2. Texte aus der Ratskanzlei: – Ratsprotokolle (Wormstall 1898) – der liber tutorum et procuratorum, ein Verzeichnis über die vor dem Rate erfolgten Verpflichtungen in Vormundschaftsangelegenheiten (Symann 1924–26), von 1548 an geführt – das Toversichtsbuch, ein Stadtbuch, in dem die vom Stadtrat erteilten Zeugnisse zur Empfangnahme auswärtiger Erbschaften aufgezeichnet wurden (1561–1604) (Hövel 1924–26) – das Bürgerbuch (1607–1633) (Hövel 1936). Schreiber sind die Ratssekretäre Hermann tor Floeth (1564–1572), Johann Pagenstecher (1571–1601), Heinrich Hollandt (1601–1647) und Bernhard Hollandt (1647–1661). 3. Private Schriftlichkeit: – ein Schreiben von Gerhardt Gröninger und Melchior Kribbe an den Rat vom 27. 7. 1615 (Wormstall 1898, 230–232) – eine Bittschrift des Everhardt Alerdinck an den Rat vom 7. 12. 1634 (Wormstall 1898, 239 f.). Die Untersuchung der Variablen zeitigt für Münster das folgende Bild: – In allen Texten wird fast ausschließlich die Graphie <ei> geschrieben. Lexemgebunden steht einige Male
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phie auf, das Bündnis des Bischofs mit den Städten des Stifts (1542) hat dagegen ausschließlich . In der „Originalordnung“ von 1573 finden sich nur zwei
ei
b/(p)
ge-, gl-, gn-, ge- (2. H. 16. Jh.) –nis > -nus nit > nicht/ uf > auf > ge-/(g-), gl-, gn-, (ge-)/- (nach 1590) nit (~ 1600) (seit (1. H. 17. Jh.) > nicht etwa 1620)
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Für Osnabrück liegt das Korpus vor, das Judith McAlister und Utz Maas zu ihrem Projekt zur Erforschung der sprachlichen Verhältnisse in dieser Stadt publiziert haben (Maas 1989). Es umfasst mehrere Zeitsegmente. Für unsere Fragestellung sind einschlägig: – das Ratsprotokoll der Altstadt Osnabrück, 1588, niederdeutsch, geschrieben vom Stadtschreiber Georg von Lengerke – die Leichenpredigt auf Regine Hammacher, 1588, hochdeutsch; Verfasser Andreas Ditmar, Druck Jena – die Ratsprotokolle Slaphs, 1617, hochdeutsch – der Landtagsabschied, Osnabrück 1618, hochdeutsch – die Kirchenordnung 1618, hochdeutsch, Druck Osnabrück – der Speculum Cometarum des Rudolf von Bellinghausen 1619, hochdeutsch, Druck Osnabrück – die Warhaffte erzehlung 1626, Druck Osnabrück; eine Rechtfertigungsschrift der Stadt Osnabrück und der Ritterschaft des Stifts gegenüber dem gegenreformatorischen Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg. – Die Osnabrücker Schreiber verwenden <ei> für altes /ei/11 und für initiales /b/. Eine Ausnahme bildet der Landtagsabschied von 1618, der in etwa gleichem Verhältnis und
3
Leichenpredigt 1588
20
–nus 12
Ratsprotokolle 1617
3
Landtagsabschied 1618
2
Kirchenordnung 1618
8
8
Speculum Cometarum 1619
2
1
Warhaffte erzehlung 1626
2
11 Lexemgebunden finden sich aidt (Ratsprotokolle Slaphs 1617), Krayß (Warhaffte erzehlung 1626), Waißlein (Leichenpredigt 1588), Wäisen (Kirchenordnung 1618).
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– Die Negationspartikel lautet in den niederdeutschen Texten (bis einschliesslich 1588) nicht. In den hochdeutschen Texten (1588–1626) ist, im Ganzen gesehen, nicht Haupt- und nit Nebenvariante. In den Ratsprotokollen Slaphs 1617 (14 nit, 11 nicht) und im Landtagsabschied von 1618 (20 nit, 15 nicht) ist
Der Speculum Cometarum des Rudolf von Bellinghausen (1619) diente Utz Maas (1985a, 617) als Beweis für die Existenz oberdeutscher Schriftlichkeit in Norddeutschland.12 12 Vgl. zu Rudolf von Bellinghausen auch Maas (1985 b). Dort heisst es: „Das Ergebnis ist aber trotz der Vorläufigkeit auch so eindeutig: Die sprachlichen Verhältnisse in der frühen Neuzeit machen aus Norddeutschland alles andere als einen ‚Rezeptionsraum‘ für die ostmitteldeutsche (‚hd.‘) Leitform“ (Maas 1985 b, 13).
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So kann es nicht erstaunen, daß ein Osnabrücker Autor zu Beginn des 17. Jahrhunderts seine sprachliche Form einem Nürnberger Vorbild nachschafft: der sog. ‚Osnabrücker Hans Sachs‘ Rudolf Bellinghausen; erstaunlich ist dabei allerdings, daß seine in ganz Norddeutschland erscheinenden Drucke (außer Osnabrück insbesondere noch Braunschweig und Bremen) die oberdeutschen Schreibformen problemlos und konsistent nachdrucken.
Meine Suche nach den oberdeutschen Sprachformen im Speculum Cometarum war weitgehend erfolglos. Der Druck hat <ei> und <ey>, einmal
Aus metrischen Gründen versucht von Bellinghausen, aus mehrsilbigen Wörtern einsilbige zu machen. Osnabrück ei
b b/p LA 1618
ge-/(g- )LA 1618, v.B. 1619) glgnge-/-
–nis/-nüs LP 1588 > -nüs 1617/18 > -nis/nüs
nicht/(nit) > nit/ (nicht) [Hss.], nicht [Dr.]
uf [Hss.] auf [Dr.]
Zur Untersuchung der sprachlichen Verhältnisse im ostfälischen Braunschweig wurden aus dem ersten Band des Braunschweiger Urkundenbuchs (Hänselmann 1872, ND 1975) ‚Ordnungen‘ aus dem 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ausgewählt: Feuerordnungen (1550, 1573, 1647), Wächterordnungen (1563, 1648), der Huldebrief des Herzogs Julius
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(1569), die Ordnung der Prädikantenwahl (1571), die Altstädter Marktordnung (1582), die Vergleichung der drei Stände (1595), Verlöbnis- und Hochzeitsordnungen (1608, 1624) und eine Begräbnisordnung (1650). Die Texte von 1550 und 1563 sind niederdeutsch, ab 1569 sind sie hochdeutsch. Die Ordnungen des 17. Jahrhunderts sind in Braunschweig gedruckt worden. – In den Ordnungen steht fast ausschliesslich <ei>; in den vier Texten zwischen 1571 und 1595 wird das Suffix ‚-keit‘ mit
ei
b
geglgnge-
–nüs/(-nis) nicht nicht/(nit) 1608, 1648
auf/(uf) > auf
Auch in den Braunschweiger Ordnungen will man hochdeutsch schreiben bzw. drucken. Die oberdeutsche Mode zeigt ein ähnlich geringes Ausmaß wie in Soest: Mehrheitsvariante -nüs, einige nit in zwei Texten, Minderheitsvariante uff zwischen 1569 und 1608. Nachdem für die verschiedenen Schreibsprachen Variantenkombinationen aufgestellt wurden, sollen nun einige Bemerkungen zu den einzelnen Variablen folgen. 1. Die oberdeutsche Graphie
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tenspektrums. Martin Luther realisiert die als ostmitteldeutsch geltende Variante <ei>. Auch Köln und die norddeutschen Städte sperren sich gegen die oberdeutsche Graphie. Aus der kursächsischen Kanzlei kann sich die
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Von Beginn der hochdeutschen Überlieferung an gilt in Braunschweig ganz überwiegend <-nüs>. Nur in zwei Ordnungen werden <-nis> und <-nüs> verwendet. Die Stellung der Variante -nüs scheint in Braunschweig gefestigter zu sein als in Osnabrück. Überhaupt überrascht die starke Position der Variante -nüs in norddeutschen Städten. Sie scheint – gegen die Wahl Luthers – die Form der Kanzleien zu sein. 5. Die Variante nicht ist im hochdeutschen Sprachraum nur im Ostmitteldeutschen erwartbar. Die kursächsische Kanzlei übernimmt nach 1510 von Süden nit als neue Mehrheitsvariante. Luther geht dagegen von nit zu nicht über. In Köln hat in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht die Mehrheit, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts herrscht dagegen nit. – Für Soest ist die starke Stellung von nicht kennzeichnend. Ausnahmen bilden zwei Texte aus der Ratskanzlei von 1577 und 1578. Möglicherweise wollen die Soester ein Kölner Signalwort vermeiden. In Münster dagegen setzt die hochdeutsche Schriftlichkeit mit nit ein. Es folgt – in den Jahrzehnten um 1600 – eine Phase des Nebeneinanders von nicht und nit, bis sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts nicht durchsetzt. Die münsterische Entwicklung scheint somit der Kölner diametral entgegengesetzt zu verlaufen. – Für Osnabrück ist die Spaltung in handschriftliche Verwaltungstexte mit mehrheitlichem nit (1617/18) und die Drucke mit nicht charakteristisch. In Braunschweig ist nicht vorherrschend. 6. Die diphthongierte Form auf ist im Bairischen erwartbar. In der kursächsischen Kanzlei findet 1541 ein Wechsel der Mehrheitsvariante, von auf zu uf, statt, doch wohl nur zeitweilig, wie zu vermuten ist. Luther verwendet fast immer auf. In Köln sind wiederum zwei Phasen zu unterscheiden, uf/ auf in der zweiten Hälfte des 16. und auf im 17. Jahrhundert. In Soest herrscht uf zwischen 1565 und 1578. Schon um 1580 hat sich hier auf durchgesetzt. In Münster ist die starke Stellung von uf bemerkenswert. Die Variante auf tritt hier verstärkt erst um 1620 auf. Für Osnabrück ist wieder die zweifache Orientierung kennzeichnend: uf/(auf) in den Handschriften und auf in den Drucken. In Braunschweig existiert uf als Minderheitsvariante zwischen 1582 und 1608. Uf in Westfalen ist vermutlich kölnischem Einfluss zuzuschreiben. Dieser dauert in Münster und in den handschriftlichen Texten aus Osnabrück länger als in Soest. Auf Karte 2 wurden die Variablen ‚-nis‘, ‚nicht‘ und ‚auf‘ kombiniert. Sichtbar wird, dass der ostoberdeutsch-ostmitteldeutsche Ausgleich, mit der Übernahme von -nüs und nit, um und nach 1520 in der meißnischen Kanzlei stattfindet. Der Ausspruch Luthers, er richte sich nach der meißnischen Kanzlei, trifft für die kartierten Variablen nicht zu. Luther vertritt mit -nis,
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Karte 2: Charakteristische Merkmale ausgewählter Schreibsprachen des 16. und 17. Jahrhunderts
nicht, auf die Kombination, die sich dann im 18. Jahrhundert im ganzen deutschen Sprachraum durchsetzen wird. – Für Köln ist mit Jürgen Macha ein Zwei-Phasen-Modell anzusetzen: eine allgemein-hochdeutsche Zielrichtung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (-nis/-nüs, nicht, uf) und die Orientierung an einer bairisch-oberdeutschen Schreibmode in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit der Kombination -nüs, nit, auf. Hinzu kommen in Köln
Ostmitteldeutsch, Gemeines Deutsch oder Hochdeutsch?
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schriftlichen Texte der städtischen und fürstlichen Verwaltung im Zeitsegment 1617/1618 sind mit -nüs, nit/(nicht), uf, präfixlosen Partizipien sowie e-Synkope im Landtagsabschied von 1618 Zeugnisse einer südlichen Orientierung. Die oberdeutsche Schreibmode ist in Münster und den Osnabrücker handschriftlichen Texten etwas weniger ausgeprägt als in Köln. Der Schreibeinfluss aus dem Süden gelangt über Köln nach Münster und Osnabrück. – In Soest, Braunschweig und in den Osnabrücker Drucken überwiegt dagegen die allgemein-hochdeutsche Orientierung. Soest wechselt von der älteren Kombination -nis/(-nüs), nicht, uf zu einer jüngeren, die im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts gilt: -nüs, nicht, auf. Die oberdeutschen Marker
sei vom Mittelniederdeutschen zum Gemeinen Deutsch erfolgt. Der Befund einer südlichen Orientierung, der in Osnabrück zudem nur für die handschriftlichen Texte, nicht für die Drucke gilt, ist voreilig verallgemeinert worden. 14 Hinzu kommen
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Regionalität und Syntax
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Jürgen Macha (Münster)
Regionalität und Syntax: Redewiedergabe in frühneuhochdeutschen Verhörprotokollen 1. Vorbemerkung Dieser Beitrag befaßt sich mit dem Thema ‚Redewiedergabe in frühneuhochdeutschen Hexerei-Verhörprotokollen‘. Es geht also um die Art und Weise einer Dokumentation dessen, was in gerichtlichen Verhandlungen (sehr häufig im Rahmen einer Zwangskommunikation) mündlich geäußert worden ist. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Modusgebrauch in den Verschriftlichungen. Anzumerken ist, daß meine Darstellung – allerdings für einen in der Tat lohnenswerten Zweck! – einer Frühgeburt gleich aus dem fruchtbaren Zusammenhang des ‚Mutterprojekts‘ (dazu weiter unten!) gerissen ist, so daß vieles Notwendige an Verstärkung, an Relativierung und an Zurücknahme von Behauptungen zur Zeit noch nicht geleistet werden kann. Die Erfahrung, daß Walter Haas am Denken freilich mindestens ebenso viel gelegen ist wie am fertig Gedachten, läßt mich meinen ‚Werkstattbericht‘ durchaus frohgemut abliefern.
2. Verhörprotokolle zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit In seinem nach wie vor lesenswerten Aufsatz ‚Verschriftung und Verschriftlichung im Kontext medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit‘ aus dem Jahr 1993 definiert Wulf Oesterreicher: „Verschriftung“ heißt: „… ein gegebener Wortlaut (welcher Konzeption auch immer) wird ins graphische Medium transferiert …“ (Oesterreicher 1993, 272) Dies wird sodann konkretisiert: „Als Beispiele für Verschriftungen lassen sich alle streng am Wortlaut orientierten Protokolle anführen, also etwa Schwörformeln oder Zeugenaussagen.“ (a.a.O. 273) Zumindest für das zweite Exempel aus dem rechtsbezo-
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Jürgen Macha
genen Diskurs lassen sich Zweifel anmelden. Daß Zeugenaussagen oder auch die Aussagen von Beklagten ‚streng am Wortlaut orientiert‘ wiedergegeben, also im angedeuteten Sinne ‚verschriftet‘ würden, ist eher unwahrscheinlich. Ein Überblick über größere Mengen von Verhörprotokollen aus dem Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit läßt vielmehr erkennen, daß die Rede vor Gericht auf unterschiedliche Weise schriftlich reproduziert wird, wobei der Protokolltext sich einer inhaltlichen Zusammenfassung oder einer authentischen Dokumentation annähern kann (vgl. Macha 1991, 41ff.). Niemals handelt es sich jedoch um ‚Transkriptionen‘ des gesprochenen Wortes, stets um ‚transponierte‘, ‚transmutierte‘, in jedem Fall ‚schriftsprachlich inszenierte‘ Versionen (vgl. Seibert 1989, 218 und 244 Anm.9). Solche Fassungen gehorchen Strukturierungsprinzipien eigener Art und sind von ihrer Genese her primär ein Gegenstand der Schriftlichkeitsforschung. Dieser vielleicht überflüssig wirkende Hinweis scheint mir wichtig angesichts der Tatsache, daß gerade die frühe Erforschung von Verhörprotokollen von der Erwartung ausging, die Redewiedergaben der Protokolle enthielten aufgrund ihrer Beziehung zur gesprochenen Sprache auch diesbezügliche Charakteristika, z.B. Lautmerkmale, die im Sinne einer ‚historischen Mundartforschung‘ zu deuten seien (vgl. Müller 1952, 469ff.). Auch wenn entsprechende Hoffnungen insgesamt also eher gedämpft werden müssen, ergeben sich durchaus ‚Fenster zur Mündlichkeit‘ in Verhörprotokollen. So lassen sich direkte Reflexe des Gesprochenen logischerweise vor allem dort finden, wo im Text explizit auf prozeß- und urteilsrelevante Sprechakte bzw. Sprechsequenzen Bezug genommen wird. Man denke etwa an Schmähungen, Versprechungen, aber auch an Segensformeln, Zaubersprüche etc. Solches ist gewissermaßen als ‚originale Rede‘ oder ‚Redewiedergabe zweiten Grades‘ in der indirekten Rede des Protokolls kenntlich gemacht. Irmtraud Rösler etwa hat hierzu aufschlußreiche Niederdeutsch-Belegstellen aus mecklenburgischen Hexereiprotokollen vorgelegt und diskutiert (vgl. Rösler 1997, 15ff.), auch in den Basler Gerichtsakten Müllers (vgl. Müller 1952), im Kölner Hexenprotokoll (vgl. Macha/Herborn 1992) oder in den Duisburger Notgerichtsprotokollen (vgl. Mihm 1994) finden sich entsprechende Passagen, die Rückschlüsse auf die gesprochene Sprache am Ort zulassen. Schon weitaus schwieriger wird es, aus den ‚normalen‘ Verhörwiedergaben ersten Grades Merkmale etwa der lautlichen Dimension herauszudestillieren, die als Indizien für eine historische Sprechweise ‚vor Ort‘ Bedeutung bekommen könnten. Dabei läßt sich nicht leugnen, daß bei detektivisch sorgfältiger Analyse anhand ‚dialektaler Direktanzeigen‘ und ‚Hyperkorrektionen‘ eine Menge über dahinter stehende Regionalsprachen herausgefunden werden kann. Man sollte sich indes stets vor Augen halten, daß zwischen Oralität und Literalität eine starke Brechung
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besteht und daß das ‚schriftsprachliche Gewissen‘ der Kanzleischreiber (Müller 1952, 479) den Protokolltext maßgeblich geprägt hat.
3. Syntaktische Formen der Redewiedergabe Im folgenden geht es nicht um die angesprochenen Reflexe des Gesprochenen im Geschriebenen, sondern um die syntaktische Form der Redewiedergabe ersten Grades, d. h. derjenigen, die sich im Normalfall an ein Verbum dicendi anschließt und die zumeist als indirekte Rede im abhängigen Satz in Erscheinung tritt. Betrachtet man die Textsorte ‚Verhörprotokolle‘ allgemein, so ist prinzipiell auch die Wiedergabe von Fragen und Antworten als Direkte Rede möglich. (Zu denken wäre etwa an die heutige gerichtliche Protokollpraxis von der Art: ‚Die Beklagte antwortet: Der Fremde ist zu mir ins Haus gekommen.‘) Es zeigt sich freilich, daß solche wörtliche Rede sowohl der Verhörten als auch der Verhörenden offenbar nicht ins Muster einer kanzlei- und aktengerechten Vertextung gepaßt hat: Oratio recta, die auf grammatikalische Transformationen wie Konjunktionengebrauch, Modusverschiebung oder Personenverschiebung verzichtet und den Originalton der Aussage übernimmt, kommt außerordentlich selten und wohl nur in konzeptionellen Zwischenstufen vor (vgl. Nolting 2001). In der Regel sind Fragen und Aussagen in die Oratio obliqua überführt worden, wobei – für den Aussagemodus vereinfacht zusammengefaßt – folgende Typen vorfindbar sind:1 Typus 1a: Typus 1b: Typus 2a:
Typus 2b:
1
Die Beklagte antwortet, daß der Fremde zu ihr ins Haus gekommen ist (Konjunktion, Personenverschiebung, Indikativ). Die Beklagte antwortet, der Fremde ist zu ihr ins Haus gekommen (Personverschiebung, Indikativ). Die Beklagte antwortet, daß der Fremde zu ihr ins Haus gekommen sei/wäre (Konjunktion, Personenverschiebung, Konjunktiv I / Konjunktiv II). Die Beklagte antwortet, der Fremde sei/wäre zu ihr ins Haus gekommen (Personenverschiebung, Konjunktiv I/Konjunktiv II).
Nicht nur der Überschaubarkeit halber wird das regierende Verb hier im Präsens wiedergegeben: Präsens und Perfekt bilden in den Verhörprotokollen durchaus den ‚Normaltypus‘, Präteritum-Formen beim einleitenden Verbum dicendi sind die Ausnahme. Vgl. diesbezüglich das schlesische Dokument von 1653 aus Jägerndorf.
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4. Beobachtungen zum Modusgebrauch Ausgangspunkt für genauere empirische Untersuchungen war eine simple Beobachtung, die sich beim Durchmustern größerer Mengen von Verhörprotokollen aufdrängte: Gegen und um 1500 erscheint das Prädikat der indirekten Rede auf andere Weise realisiert als um und nach 1600. Das betrifft vor allem die Verwendung von indikativischen und konjunktivischen Verbformen. Zur Überprüfung dieser Hypothese wurden frühe Verhöraufzeichnungen (von der Mitte des 15. bis zum Ende des ersten Drittels des 16. Jahrhunderts = Zeitraum 1) mit den Protokollen verglichen, die im Münsterschen Korpus (dazu unten!) aus der Zeit von 1580 bis 1650 (= Zeitraum 2) gesammelt sind. Die Ausführungen zu Zeitraum 1 basieren zum einen auf einer Quellenedition von Joseph Hansen 1901. Hansen hat eine Fülle von Verhörprotokollen aus dem ausgehenden Mittelalter zugänglich gemacht, die einen Blick auf frühe Formen der gerichtlichen Untersuchung von Hexereidelikten und deren schriftliche Dokumentationsform ermöglichen. Zudem konnte auf eine Reihe von älteren und neueren Protokoll-Editionen (nicht nur zur HexereiProblematik) zurückgegriffen werden (vgl. Anm. 2). Zwei Beispiele aus der Mitte des 15. Jahrhunderts: Um 1450 findet in Luzern ein früher ‚Hexenprozess‘ statt: Dis nachgeschriben hat Els von Merspurg vergechen. 1. Des ersten, daß sy die kunst kenne und solichs me dann ein frowen gelert habe, das inen die mann hold sin müssend, sy nit geslagend mögend. […] 21. Item, als die andern ir stecken salbeten und rittent, wolt sy iren stecken ouch riten, da wolt er nit gan. 22. Item, es sind zwo hexsen zu Siplingen, heisset die ein Anna Böschin, die ander Els Schudin, der vatter wart erhenckt. (Hansen 1901, 553 ff.)
1459 wird in Andermatt/S. Gotthard das Geständnis einer ‚Hexe‘ aufgezeichnet: Item sy hat och vergigen, sy haby den lüten etwan die milch genomen und die uf der helly gemulchen, und sy ein schwarzy katz allweg danne uf der helly gesin, wenn sy das treib. Item sy hat verjechen, das sy sich machet zu einem wolf, und ist geriten an Gletzmat an den stafel zuo der Nasen, und kommend ander dry frowen zu irra, und jagten das fech […]. Item sy hat och verjechen, das sy Gretty Jutzen het des salbs het zu trinken geben in wasser, das sy siech wart und lang ze bet lag. (Hansen 1901, 572)
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In linguistischer Sicht zeigt sich, daß bei der indirekten Redewiedergabe durchaus grammatische Varianz im Blick auf die Moduswahl vorliegt, ohne daß für die Verwendung von Indikativ oder Konjunktiv klare Steuerungsprinzipien dingfest gemacht werden könnten. Verschiedene Indikativ- und Konjunktivformen folgen z. T. unmittelbar aufeinander. Die Untersuchung weiterer Verhörprotokolle aus dem 15. und dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts bestätigt diesen Eindruck: Das Schwanken bzw. Wechseln zwischen den Modi ist durchaus an der Tagesordnung ist. Hierfür lassen sich Belege aus verschiedenen hochdeutschen Sprachregionen ins Feld führen.2 Auch für den niederdeutschen Raum ist Ähnliches festzustellen, allerdings fällt die Auswertung mittelniederdeutscher Verhörprotokolle unter dem Modusaspekt nicht ganz leicht. Das Mittelniederdeutsche zeigt in weiten Regionen eine starke Formenkonvergenz von Indikativ und Konjunktiv, so daß – etwa bei den Hilfsverben – eine trennscharfe Zuordnung nur möglich ist, wenn eine der flexivischen Schlüsselformen (3. Person Singular Präsens: is gegen si o. ä.; heft gegen hebbe o. ä. 3. Person Singular Präteritum: was gegen were o. ä.) im Text auftaucht. 1529 sucht der Neu-Ruppiner Rat in einer Zaubereisache beim Brandenburger Schöffenstuhl um Rechtsbelehrung nach. Dieser Anfrage liegt das Verhörprotokoll einer befragten Frau bei: Wider bokanth, Thomas Dobbelin hefft ehr ene wortel gebracht in eren eigen huze der meyninghe, sze scolde ock de mageth dar tho holden, dath sze der Wolterschen de wortel in de kleder steke. […] De Dobbelinsche hefft bokanth, ere man hefft szodane water van den perren van Radensleve enthfangen, und is van ener ulen gesaden sampt ener groten wortel. (Stölzel 1901, 110 f.)
Gleichfalls 1529 fragt der Spandauer Rat wegen einer Vergiftungssache beim Brandenburger Schöffenstuhl an. Das beigefügte Verhörprotokoll ist in Hochdeutsch gehalten: Hat anfenglich bekant, das szie Henningk Koroner sein tochter mit vorgifft, von einer krothen gemacht, im tringken vorgeben hat, darumb das szie das medlein ethwann ihm hoppengarten gehoneckt hatte. Hat weiter bekannt, das szie einen priester ern Jacob Boldeken uffm berge vor Brandenburg vorgeben, darum dasz ehr szie hat lassen zur mhumen haus schlepfen. (Stölzel 1901, 113 f.) 2
Vgl. für Südtirol 1506 Behringer 1993, 111; für Thüringen 1526 Peilicke 1980, 12 f.; für Köln 1489, 1516, 1538 Hashagen 1905, 301 ff.; für Duisburg 1537 ff. Mihm 1994, 31; für Münster 1534 Cornelius 1853 u.a.m.
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Ziehen wir hier ein Zwischenfazit zur Moduswahl: In den untersuchten deutschen Verhörprotokollen bis etwa 1530 finden sich nebeneinander (mit wechselnden Dominanzen) sowohl konjunktivische als auch indikativische Formen des finiten Verbs. Offenbar ist für die Schreiber durch das Merkmal ‚Abhängiger Satz‘ (nach einem regierenden Verbum dicendi), durch Personenverschiebung und durch die auch optisch nachvollziehbare Protokollgestalt des Textes der Charakter indirekter Redewiedergabe hinreichend markiert. Der Modus Konjunktiv wird zwar häufig realisiert, er stellt jedoch offenbar keine unabdingbare Konstituente der indirekten Rede dar. Kontrastiert man diesen Befund mit der Situation um 1600, so zeigen sich erhebliche Veränderungen. Der Indikativ in der indirekten Rede, der bis ins 16. Jahrhundert hinein als durchaus gebräuchliches grammatisches Mittel der Gerichtsschreiber gelten kann, wird im Verlaufe des 16. Jahrhunderts nahezu vollständig aus der Textsorte ‚Verhörprotokolle‘ vertrieben. HexereiverhörProtokolle aus der Zeit zwischen 1580 und 1650, die die Korpusgrundlage unseres Münsterschen Forschungsprojekts bilden, zeigen so gut wie keine Varianz mehr im Blick auf Indikativ und Konjunktiv in der Redewiedergabe. Der Konjunktiv ist um 1600 im Gegensatz zum obsolet gewordenen Indikativ die offenbar zwingend gebotene Modusoption, und die Gerichtsschreiber protokollieren diesbezüglich in der Regel – von Lapsus oder separat zu erklärenden Ausnahmen abgesehen – einheitlich und konsequent.
5. Diskussion des Befundes zur Moduswahl Ein Versuch, dieses Resultat in den sprachhistorischen Kontext einzuordnen, kann sich an verschiedenen Bezugsdimensionen orientieren. Hier werden drei Aspekte ansatzweise diskutiert: Rolle des Lateins, Aussagen der Grammatiker sowie andere ‚Domänen der Schriftlichkeit‘ mit ihrer Moduswahl.
5.1 Entwicklungen im Lateingebrauch Es ist unstreitig, daß juristisches Latein im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit für das deutsche Gerichtswesen von ganz erheblicher Bedeutung gewesen ist. Interessant ist es nun, darauf zu schauen, wie das in vielem als Vorbild fungierende Latein in puncto Moduswahl verfahren ist. Hierzu fällt ein Schlaglicht auf den spätmittelalterlichen ‚Malleus maleficarum‘ sowie auf lateinische Verhörprotokolle des 15. Jahrhunderts. Zum Vergleich kommt sodann eine Instruktion zur Hexenverfolgung von 1634 in den Blick.
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1487 publiziert Heinrich Cramer alias Institoris den ‚Hexenhammer‘. Im dritten Teil dieses ‚Malleus‘, der u. a. Vernehmungsschemata für die konkrete Befragung präsentiert, sind die einzelnen Interrogatoria, d. h. Fragstücke beschrieben. Es ergibt sich somit ein Muster für die Fragepassagen eines Verhörprotokolls. Auffällig ist, daß – entgegen aller klassischer Schulgrammatik – im lateinischen Text der indirekten Fragesätze neben dem Konjunktiv auch der Indikativ durchaus benutzt wird: Indikativ: Item interrogatus qui sunt eius parentes si sunt viui vel mortui. Et respondit quod viui in tali loco vel mortui in tali. Item interrogatus vbi fuit nutritus. […] Et dixit quod in tali loco vel tali. Item interrogatus cur illi persone obiecit. dicendo. tu non transibis impune. Et dixit. (Schnyder 1991, 200) Konjunktiv: Item interrogatus cur communis populus eam timeret. Et dixit. Item interrogatus an sciret se esse diffamatam et quod odio haberetur. Et dixit. (Schnyder 1991, 200)
Der Autor des Hexenhammers steht seinerseits wiederum in einer Verschriftlichungstradition, die letztlich bis in die Inquisitionspraxis des 13. und 14. Jahrhunderts zurückreicht. Institoris hat aus der Ketzerverfolgung neben inhaltlich-argumentativen Aspekten offenbar auch formale Elemente übernommen. Lateinische Verhörprotokolle des Spätmittelalters zeigen jedenfalls bei der Moduswahl ähnliche Strukturen wie der z.T. auch daraus geschöpfte Hexenhammer. Einige Belegbeispiele: 1401 findet sich in einem Genfer Verhörprotokoll, eine der Zauberei beschuldigte Frau betreffend: Interrogata, qualia verba dixit, et per que dictum diabolum venire fecit, dicit, quod non recordatur. (Gefragt, welche Worte sie [zur Teufelsbeschwörung] gesprochen hat, und mit welchem Wort sie des Teufels Kommen bewirkt hat, sagt sie, daß sie sich nicht erinnert.) (Hansen 1901, 526; Übersetzungsvorschläge von J.M.)
1437 wird in Briancon, unweit Grenoble in der Dauphiné, das Geständnis eines ‚Hexenmeisters‘ aus Baiern aufgezeichnet: Item plus dixit et confessus fuit, quod dictus Johannes Cunalis habebat unum librum de nigromancia, et cum ipse qui loquitur aperiret dictum librum, statim fuerunt et apparuerunt sibi tres demones, quorum unus vocatur Luxuriosus, alius
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Superbus et alius Avarus dyaboli; et primus apparuit sibi in forma virginis mulieris placibilis duodecim annorum, et cum illo de nocte dormiebat … (Weiters hat er mehr gesagt und bekannt, daß der besagte J.C. ein Buch über Wahrsagerei hatte, und als er selbst, der Sprechende, das besagte Buch öffnete, da sind sofort dagewesen und ihm erschienen drei Dämonenteufel, deren einer L. genannt wird, der andere S. und der dritte A.; und der erste erschien ihm in Gestalt einer reizvollen Kindfrau von zwölf Jahren, und mit ihr schlief er noch im Laufe der Nacht …) (Hansen 1901, 540f.)
1477: Ein Beispiel aus einem Inquisitionsprozeß in Annecy, Savoyen gegen eine der Hexerei Beschuldigte: Item, interrogata si unquam usa fuit aliquibus maleficiis ad dandum infirmitates vel alia mala perpetrandum, dicit quod non usa fuit aliter, nisi modo quo iam in praesentia praefati viceinquisitoris confessa fuit. (Weiters gefragt, ob sie jemals irgendwelche Schadenszauber gebraucht hat, um Notlagen zu erzeugen oder andere Übel zu vollbringen, sagt sie, daß sie nichts anderes gebraucht hat als das, was sie schon im Beisein des vorgenannten Vize-Inquisitors bekannt hat.) (Hansen 1901, 489)
Aus demselben Verhörprotokoll stammt auch das unmittelbar folgende, im Konjunktiv gehaltene Textstück: 1477: „Item, interrogata si unquam fuerit in aliquibus sectis sive sinagogis hereticorum cum aliis complicibus suis ad peragendum actus ibidem fieri solitos, dicit quod non.“ (Weiters gefragt, ob sie jemals bei irgendwelchen Wegen oder Begegnungsstellen der Häretiker mit ihren anderen Komplizen gewesen sei, um Handlungen durchzuführen, die dort üblich sind, sagt sie, nein.)
Der Befund zum Modusgebrauch in lateinischen Verhörwiedergaben und Protokollierungsanleitungen des späten Mittelalters zeigt also wie das deutsche Pendant Varianz: Sowohl in den Fragepassagen als auch bei der Aussagen-Wiedergabe wird im abhängigen Satz gerne der Indikativ benutzt, Konjunktive I oder II treten daneben auf. Offenbar besteht ein weiter Spielraum bei der Gestaltung der indirekten Rede. Dies sieht gut einhundert Jahre später erheblich anders aus, wenn man einem Blick auf lateinische Muster von Verhörfragen/Interrogatorien der nachtridentinischen Zeit trauen kann. Das akademische, an den klassischen Autoren neuorientierte Latein, das sich auf dem Wege über die Universitäten in den gebildeten Gesellschaftskreisen mehr und mehr durchgesetzt hat, drückt auch den vorfindbaren Gerichtsdokumenten seinen Stempel auf. Diese ‚neue Latinität‘ läßt das mittelalterliche Latein, auch dasjenige
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des ‚Malleus‘ etwa, überholt und unangemessen erscheinen.3 Sie ist u. a. dadurch gekennzeichnet, daß im Zuge einer grammatisch-stilistischen Kultivierung auch der eher sorglose Umgang mit der Syntax durch ein Verfahren nach strengeren Maßstäben ersetzt ist. Zum Exempel sei aus einem Interrogatoria-Verzeichnis zitiert, das der in kurkölnischen Diensten stehende Hexenkommissar Heinrich Schultheis 1634 in seiner ‚Ausführlichen Instruction‘ publiziert (vgl. Schultheis 1634, 229 ff.): 1. An inquisitus possit se in aliam figuram seu speciem mutare? 7. An socium vel socios habuerit?
Der insgesamt vier Seiten lange Text enthält bei den Fragen keinerlei indikativische Form, Konjunktive des Präsens und des Perfekts bestimmen nach den Aspekten von Gleichzeitigkeit und Vorzeitigkeit die Gestalt des Prädikats.
5.2 Einfluß der Grammatiker Es hat den Anschein, als ob die Homogenisierungsentwicklung hin zu einer Verwendung des Konjunktivs in der deutschen indirekten Rede nur in sehr geringem Maße auf das Konto von Grammatikern geht. Die ‚schüchternen und unvollkommenen Versuche des 16. Jahrhunderts, die deutsche Sprache in bestimmte Regeln zu bannen‘ (Socin 1888, 251) enthalten kaum entsprechende Hinweise. Weder bei Fabian Frangk (1531) noch bei Valentin Ickelsamer (1534) ist dies verwunderlich, bedenkt man ihr primäres, auf Lautung und Schreibung gerichtetes Darstellungsinteresse. Indes: Auch bei den ‚ersten wirklichen deutschen Grammatiken‘ (Socin 1888, 252), zu denen Laurentius Albertus (1573), Albertus Oelinger (1573) und Johannes Clajus (1578) zu zählen sind, wird das Thema nicht oder nur beiläufig behandelt. Neben einer knappen Bemerkung von Clajus, in abhängigen Nebensätzen sei nach der Consecutio temporis zu verfahren, finden sich nur in Oelingers ‚Vnderricht der Hoch Teutschen Spraach‘ bei der Besprechung des Verbs einige Anmerkungen und Beispiele.4 3
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Vgl. Burke (1989, 48) zur Situation des 16. Jahrhunderts: „In der Kirche existierten das mittelalterliche und das Renaissance-Latein nebeneinander, wie die Exerzitien des heiligen Ignatius Loyola aus dem 16. Jahrhundert beweisen, die aus Ignatius’ eigenem Latein in eine klassischere Form ‚übersetzt‘ wurden.“ Im Zusammenhang mit einem auch bei den Deutschen vorhandenen ‚Modus dubitativus‘ gibt Oelinger Beispiele, die eine Bevorzugung des Konjunktivs erkennen lassen. „Meistens
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Soweit zu sehen, enthalten die grammatischen Darstellungen des 17. Jahrhunderts kaum Gebrauchsregeln für den Modusgebrauch in der indirekten Rede, erst bei Bödiker (1690) und dann – sehr nachhaltig und wirkungsvoll – bei Gottsched (1748) tauchen entsprechende ‚Normative‘ auf (vgl. zum Zusammenhang Guchman 1981, 224 ff.), und zwar solche, in denen eindeutig der Konjunktiv propagiert wird. Dieser präskriptive Strang setzt sich über Adelung (1781) und über die bildungssprachlichen Vorschriften des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart fort.
5.3 Modusgebrauch in anderen ‚Domänen der Schriftlichkeit‘ Aussagen zur Entwicklung in Textsorten nicht-kanzleisprachlicher Art können sich vor allem auf empirische Arbeiten von Mirra M. Guchman zur indirekten Rede in der Frühen Neuzeit stützen. Guchman zeichnet für eine erste Untersuchungsphase (1470–1530), die ungefähr dem hier zugrunde gelegten Zeitraum 1 entspricht, in den Grundzügen ein ähnliches Bild. Ihr Korpus, bestehend aus Fachprosa, Reisebeschreibungen, Chroniken, Dialogstreitschriften, Volksbüchern sowie publizistisch und didaktisch-religiösen Schriften (vgl. Guchman 1981, 223), zeigt für die Zeit um 1500 ein Durch- und Nebeneinander indikativischer und konjunktivischer Formen. Dabei liefern weder Gattung noch regionale Herkunft einzelner Schreiber noch kontextsemantische Faktoren ein eindeutiges Erklärungskonzept für die sprachlichen Wahlen. Indikative dominieren zwar nicht in der indirekten Rede, sie sind jedoch durchgängig präsent (vgl. Guchman 1981, 202). Für die Zeit von 1670 bis 1730, die im Korpus durch didaktische Prosa, wissenschaftliche Prosa, Schelmenromane, galante Romane und Briefe (vgl. Guchman 1981, 234) abgedeckt ist, wird dagegen „in der indirekten Rede eine sehr feste Position“ des Konjunktivs konstatiert (Guchman 1981, 267). Für diese relativ späte Phase der Frühen Neuzeit äußert sich auch Nicole Fernandez Bravo ähnlich: „In der […] Zeit (1669–1785) ist der Indikativ in der indirekten Rede nebensächlich.“ (Fernandez Bravo 1980, 118) Die stellen sie irgendein Verb des Anzeigens oder des Glaubens voran, mit Auslassung der Konjunktion das / wann / dieweil etc. Beispielsweise: Er sagt du wollest kommen / er wölle kommen / ich halt er esse / sie sagen er lauffe / non er wille / er ißt / er laufft etc. So auch: Ich glaub er hab schon geschrieben / non er hatt / etc. An ähnlichen Stellen, wo die Lateiner den Infinitiv Perfekt benutzen, wie dicunt eum occidisse Petrum, sagen die Deutschen Folgendes: Man sagt er habe den Peter umbgebracht / vel man sagt wie das er den Peter zu todt geschlagen habe: quod occiderit Petrum mit Hinzufügung der Kausalkonjunktion quod das / wie das / etc.“ (Oelinger 1573, 152; Übersetzung des Zitats J.M.) Ein Dank für den Hinweis an Fred Bertz.
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Frage, bis zu welchem Zeitpunkt davor der Indikativ aus der indirekten Rede in der fiktionalen Literatur verschwunden ist, läßt sich mangels empirischer Detailarbeiten nicht abschließend beantworten. Wohl kann man freilich für den Schreibusus der Kanzleien begründet feststellen, daß ein konsequentes Verfahren nach der Maxime: Verwende zur Wiedergabe indirekter Rede den Konjunktiv! bei der Protokollierung von Aussagen vor Gericht verhältnismäßig früh, sicherlich schon gegen 1600 eingesetzt hat. Halten wir zur Entwicklung des Modusgebrauchs in Verhörprotokollen zusammenfassend fest: – Dem spätmittelalterlichen Zustand relativer Beliebigkeit in der Wahl von Indikativ und Konjunktiv wird – aus welchen Gründen auch immer – ein Ende bereitet. – Die feststellbare Vereinheitlichung hat sich offenbar flächendeckend vollzogen. Süddeutsche Quellen um und nach 1600 benutzen konjunktivische Formen ebenso durchgängig wie mittel- und norddeutsche. Wir haben es also mit einem die Regionen übergreifenden Uniformierungsoder Konvergenzprozeß in der schreibsprachlichen Gestaltung zu tun, dessen Linien auf eine strikte Kennzeichnung der indirekten Rede durch das grammatische Signal ‚Konjunktiv‘ hinauslaufen. Zumindest im Blick auf die Textsorte ‚Verhörprotokolle‘ läßt sich dieser Effekt im Sinne von ‚funktionaler Modusprofilierung‘ und damit von ‚Sprachkultivierung‘ deuten.
6. Beobachtungen zum Gebrauch der Formen des Konjunktivs Wenn, wie beschrieben, der Konjunktiv um 1600 die Alleinherrschaft im Verhörprotokoll errungen hat, so schließen sich geradezu zwangsläufig weitere Fragen an, etwa: Welche Arten oder Zeitformen des Konjunktivs sind es, die gewählt werden? Welche Motive führen zu einer Entscheidung für Konjunktiv I oder Konjunktiv II? Bleiben oder entstehen hier, nachdem gewissermaßen die Beliebigkeit einer Benutzung des Indikativs in indirekter Rede beseitigt ist, neue Beliebigkeiten im Gebrauch? Wie verhalten sich die einzelnen Sprachlandschaften, d. h. unterliegen syntaktisch-stilistische Realisationstypen möglicherweise regionaler Distribution? Oder wird deren Option durch besondere semantische Qualitäten von Konjunktiv I und Konjunktiv II beeinflußt?
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6.1 Materialgrundlage und Auswertungsverfahren Zu einigen dieser Fragestellungen können auf der Basis des bereits mehrfach erwähnten Münsterschen Forschungsvorhabens erste Antworten versucht werden. In diesem DFG-Projekt bildet die Sprache frühneuzeitlicher Hexerei-Verhörprotokolle aus der Zeit zwischen 1580 und 1650 den Untersuchungsgegenstand. In der Erhebungsphase konnte bis jetzt für Deutschland, die Schweiz und z. T. für Österreich ein Materialkorpus zusammengestellt werden, das intentional flächendeckend einen Blick auf den deutschen Sprachraum gestattet. Das (im Ausbau befindliche) Kernkorpus umfaßt zur
Karte 1: Grundkarte mit Belegorten (Stand: 1. 9. 2001)
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Zeit gut über 100 großenteils EDV-präparierte Verhörprotokolle. Ergänzend kann bei einzelnen linguistischen Themenstellungen – wie etwa bei den hier behandelten Fragen, für die Autopsie und eigene Transkription der handschriftlichen Vorlagen nicht unbedingt nötig sind – auf eine ergänzende Zusatzsammlung zurückgegriffen werden, die aus Teileditionen in landeshistorischen Aufsätzen und Monographien besteht. Die vorstehende Grundkarte zeigt die geographische Verteilung der bis jetzt für den Konjunktivgebrauch ausgewerteten Hexereiverhör-Protokolle. Man erkennt, daß die meisten Regionen des deutschen Sprachraums vertreten sind, daß dies freilich in unterschiedlich starkem Maße der Fall ist. Zwei Gründe sind dafür verantwortlich: Einmal ist unsere Anfrageaktion nicht überall erfolgreich gewesen, zum anderen spiegelt die Beleglage aber auch räumliche Konzentrationen der großen Hexenverfolgungen wider, die im letzten Drittel des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stattgefunden haben: So können etwa das Fränkische, das Hohenzollernsche oder auch das Trierisch-Kölnische als verfolgungsintensive Regionen gelten. Andererseits ist die Kurpfalz (im Unterschied zu anderen, ebenfalls calvinistischen Territorien) relativ prozeß- und demzufolge protokollfrei geblieben. Bevor zum Auftreten und zur Gebrauchshäufigkeit der Konjunktivarten in Kernkorpus und Zusatzkorpus Auskunft gegeben wird, sind die Auswertungsmodalitäten kurz zu erläutern: Als Zählobjekte dienten die finiten Formen der Hilfsverben ‚haben‘ und ‚sein‘, die als selbständige Prädikate oder als Teile zusammengesetzter Prädikate erscheinen können. Dieses Auswertungsverfahren bedeutet zugegebenermaßen eine empfindliche Restriktion der angestrebten Aussagenreichweite, muß man doch bei der Beschreibung und Deutung von Modusformen zwischen den Verbkategorien Hilfsverb, Modalverb und Vollverb unterscheiden. Neben einer ökonomischen Komponente (partielle Hilfe durch Rechner-Suchprogramme) sprach freilich für die vollzogene Wahl auch deren Auftretensfrequenz: Das Erscheinungsbild von Verhörprotokollen ist stark durch Formen von ‚haben‘ und ‚sein‘ geprägt.5 Pro Verhörtext wurde als Richtmaß eine Menge von ca. 100 konjunktivischen Konstruktionen zugrunde gelegt. Die unterschiedliche Gesamtlänge der einzelnen Protokolle hat freilich bisweilen zu quantitativen Beschränkungen geführt.
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Zum Phänomen der ‚infiniten Konstruktionen‘, bei denen im Nebensatz auf die explizite Form des finiten Prädikatsteils verzichtet ist, wird eine eigene Darstellung vorbereitet.
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6.2 Erste Auswertungsergebnisse Eine Zusammenschau der Daten im Blick auf den Gebrauch von ‚habe‘ und ‚hätte‘ bzw. ‚sei‘ und ‚wäre‘ plus Plural (mit den jeweils auftretenden Graphievarianten) zeigt interessante Verwendungsmuster: Ein Teil der untersuchten Protokolle enthält tendenziell obligatorisch (definiert als: zwischen 75 % bis 100 % des Vorkommens) Formen des Konjunktiv I, ein anderer Teil tendenziell obligatorisch solche des Konjunktiv II. Eine dritte Gruppe von Texten zeigt das Nebeneinander beider Formen, wobei sich die jeweiligen Anteile auf 25 % bis 75 % eines Protokolls belaufen können.6 Zur Demonstration seien drei exemplarisch ausgesuchte Protokoll-Ausschnitte präsentiert: Typus I (Konjunktiv I-Herrschaft): Des beekhen Jockhen khündt hab Sie ins Teufels Nahmen auß seinem gehaiß anblasen, dardurch es gesundt worden; seye ahn einem Sontag abents geschehen, alß Sie ein Waagen darum abgeholt. Sie hab sich dem Teüfel Verbunden, seye in Ihrer Camer zu Ihr khumen in eines bauren gestalt, seye Vngefehr bey 8 Jahren od[er] 9 Jahren beschehen, hab bey Ihro damahlen geschlaffen, seye beim hellen Tag beschehen; hab Gott vnd alle heyligen Verlaugnet, auserhalb der Muetter Gottes … (Hechingen/Schwaben 1648)
Typus II bildet den direkten Gegenpart. Tendenziell gegen 100 % der Formen entfallen auf den Konjunktiv II: Ist vormeldet das auf ihrem hofe Heinrich Sandtman, vnnd andern im dorffe viel Viehe abgestorben Illa sagt das were wahr, sieder deme das die junge Fraw Anna Pariß darin kommen were viel Viehe gestorben, wußte aber nicht worher es kehme Ihr vorgehalten das sich das Viehe wunderlich hette, auf die wegen und betten gestiegen Respondit solches wer wahr, wuste aber nicht woher es kehme (Güstrow/Mecklenburg 1623)
Typus III enthält die Varianten in häufigem textinternen Wechsel nebeneinander. Die Verteilung geht nicht in Richtung auf prinzipielle Vorherrschaft einer Variante. 6
Es liegt auf der Hand, daß die hier vorgenommene Einteilung eine stark vereinfachende und äußerst grobkörnige Abbildung der Datenvielfalt bedeutet, sie ermöglicht jedoch erste Annäherungen.
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S[agt]: Sie heiße Margritha, Ihr Vater habe Brose Bradte, Ihr Mann Nicoll Perzsch geheißen, wiße nicht wie alt sie sey, hette sich auch nicht drümb bekümmert, zwey Männer hette Sie gehabt, were etwa 20 jahr alt gewesen, wie sie das erste mahl geheyrathet, den ersten Mann hette Sie 2 Jahr gehabt, Nach deßen tode hette sie 5 jahr im witben stande gelebet, Mit dem andern Manne Nicol Perzschen hette Sie 8 Jahr ehelich gelebet. Vndt were derselbe ohngefehr vor 7 Jahren gestorben, Sey von Jeßnitz bürtig … (Jeßnitz/Sachsen 1640)
Die Auswertung aller bisher gesammelten Protokolle führt nun zu einem nicht unbedingt erwarteten Befund: Im Blick auf den gesamten deutschen Sprachraum ergibt sich nämlich für die beschriebenen Typen der Konjunk-
Karte 2: Sprachlicher Befund zur Verwendung konjunktivischer Formen in der indirekten Rede
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tivverwendung kein chaotisches Raumbild – was bei individuellen Präferenzen der Schreiber durchaus denkbar wäre –, sondern ein schreibsprachgeographisches Muster von überraschender Klarheit.7 Zum Befund und seinen möglichen Deutungen lassen sich einige Überlegungen anstellen: Es zeigen sich Geltungsareale mit klarer Präferenz für Konjunktiv I bzw. Konjunktiv II neben Gebieten, die keine eindeutigen Präferenzen erkennen lassen. In einer sehr groben Perspektive ergibt sich für die Konjunktivverwendung in der geschriebenen indirekten Rede um 1600 eine Dreiteilung des deutschen Sprachraums. Nördlich des 52. Breitengrades dominiert klar der Gebrauch des Konjunktiv II, südlich des 50. Breitengrades ebenso deutlich derjenige des Konjunktiv I. Die dazwischen liegende Mitte hat komplizierte sprachgeographische und textspezifische Verhältnisse, auf die weiter unten eingegangen wird. Zur Lage im Süden: Gerichtsschreiber des westoberdeutschen Raumes scheinen um 1600 klar auf den Konjunktiv I festgelegt. Für die Schweiz läßt sich aufgrund günstiger Quellenlage der Weg zu dieser Präferenz andeuten. In entsprechenden Hexereiverhör-Protokollen findet sich während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts neben Indikativ und Konjunktiv I durchaus auch der Konjunktiv II (vgl. Hansen 1901, 554: Luzern ca. 1450 mit ‚hette‘, ‚were‘ u. ä.; vgl. auch 1901, 563: Luzern 1454; 1901, 573: Andermatt 1459). Zum Ausgang des 16. Jahrhunderts ist dieser Konjunktiv II westoberdeutsch obsolet. Für das ostoberdeutsche Areal muß vorläufig zurückhaltender argumentiert werden: Die bisher ausgewerteten Protokolle, die aus Ortspunkten östlich der Lech-Linie stammen, zeigen zwar gleichfalls tendenziell obligatorischen Konjunktiv I-Gebrauch, hier bedarf es freilich noch vermehrten Materials.8 Die Konjunktiv I-Präferenz reicht
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Bei Karte 2 handelt es sich um eine Punktsymbolkarte zum sprachlichen Befund, wobei die Symbole wie folgt zu verstehen sind: Gefüllter Kreis = tendenziell obligatorisch Konjunktiv I; leerer Kreis = tendenziell obligatorisch Konjunktiv II; hälftig gefüllter Kreis = Konjunktiv I und Konjunktiv II nebeneinander. Dies umso mehr, als Otto Behaghel – allerdings auf der Basis zeitlich, räumlich und textsortenmäßig heterogener, vornehmlich literarischer Quellen (vgl. Behaghel 1899, 98 ff.; speziell zur kargen Ausgangssituation bezüglich Bayerns vgl. S. 63) – zu einem Ergebnis kommt, das diesem vorläufigen Befund zur Kanzleisprachlichkeit entgegensteht. Behaghel sieht in ostoberdeutscher Schriftlichkeit der frühen Neuzeit eher den Konjunktiv II gegeben und betont: „Es besteht nun ein sehr bemerkenswerter Unterschied nach den verschiedenen Gebieten. Was zunächst die Gruppe der Hilfszeitwörter betrifft, so spielt bei den Schriftstellern, die dem Gebiete des heutigen Conj. Praet. (Gemeint ist damit auch Bayern! J.M.) angehören, der Conj. Praes. überhaupt noch kaum eine Rolle.“ (Behaghel
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nach Norden bis zu einer Übergangszone an Mosel und Main, wo das schriftsprachliche Nebeneinander der Konjunktivformen beginnt. Welche Gründe lassen sich zur Erklärung einer solchen, erst einmal frappanten regionalen Distribution syntaktischer Regularitäten ins Feld führen? Mir scheint, man kann gut auf den wegweisenden Beobachtungen aufbauen, die Otto Behaghel vor gut einhundert Jahren veröffentlicht hat. Seine Überlegungen erfahren hier auf spezifischer Textsortenbasis sowohl eine empirische Absicherung als auch eine theoretische Weiterführung. Behaghel sieht – pointiert ausgedrückt – den schriftsprachlichen Zustand um 1600 aus sprechsprachlichen Entwicklungen des ausgehenden 15. und des 16. Jahrhunderts abgeleitet, d.h. genauer: Schreiber aus dem süddeutschen Raum haben – so die These – bei ihrer Wiedergabe erzählter Rede auf einen in der Dialektalität des Südens vollzogenen Prozeß reagiert. Für die Tatsache, daß eine ursprünglich vorhandene Varianz im Konjunktivgebrauch außer Kraft gesetzt wurde, sei letztlich der Prozeß der Nebensilbenabschwächung und -tilgung verantwortlich, der auf dem Weg über eine Apokopierung des auslautenden -e zu grammatischsemantischen Unklarheiten im Flexionsparadigma des Verbs geführt habe. Dies wiederum sei der Grund für eine Ersetzung des Präteritums als Erzählzeit durch das Perfekt. Bei Behaghel liest man: So „[…] hängt auf deutschem Boden der Vorgang (des Präteritum-Schwunds, J.M.) zweifellos mit dem Schwinden der Endsilbenvokale zusammen, der von Süden nach Norden vordrang und beim schwachen Praeteritum die meisten Singularformen des Praes. und des Praet. einander gleich machte […]“ (Behaghel 1899, 210). Der dialektgeographische Befund zum regional vorherrschenden Erzähltempus, wie er nach den DSA-Materialien (Karte 82: kamen) kartiert worden ist, zeigt den gesamten süddeutschen Raum ungefähr bis zu einer Linie Mosel-Main als Perfekt-Gebiet. Eine Projektion des frühneuzeitlichen Befundes zur Schriftsprache in diese Karte ergibt nun grundsätzliche Übereinstimmungen. (Auf die Abweichungen/Ausnahmen ist noch einzugehen.) Vergleichen wir zusätzlich auch die regionalsprachliche Verteilung des Konjunktivs ‚in der indirekten Wiedergabe von Vermutung, Ansicht oder Äußerung (,Konjunktiv der indirekten Rede‘)‘, wie sie in einer Darstellung der Modussysteme in den deutschen Dialekten beschrieben ist (vgl. Saltveit 1983a, 1223), so treten gleichfalls interessante Teilparallelen zutage. Saltveit sieht den Konjunktiv I, wenn überhaupt, dann „nur im Süden gebräuchlich“. 1899, 134) Diese Aussage bleibt zu überprüfen, zumal etwa Christopher Wells in der indirekten Rede der Nürnberger Paumgartner-Briefe, die gegen Ende des 16. Jahrhunderts geschrieben wurden, regelmäßig den Konjunktiv I realisiert findet. Dieser dürfte dort nach Behaghel eigentlich nicht vorkommen! (Vgl. Wells 1990, 267 Anm. 74)
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Karte 3: Frühneuzeitlicher Konjunktivgebrauch und Präteritum-Schwund-Isoglosse nach den DSA-Materialien
Dabei „zeichnen sich alemannische Mundarten durch eine hohe Frequenz des Konjunktiv Präsens aus“ (vgl. 1983a, 1223). Im Mitteldeutschen wie auch im Niederdeutschen fungiere dagegen vornehmlich der Konjunktiv Präteritum als Modus der indirekten Wiedergabe (vgl. Saltveit 1983a, 1225). Angesichts der Gebrauchshomogenität des Südens fallen im frühneuzeitlichen Material einige Ausnahmen auf. Zu nennen sind zwei Belegprotokolle aus dem westmitteldeutschen Raum (Weierweiler 1599 und Lebach 1611), die trotz ihrer Herkunft aus dem Perfekt-Gebiet gegen 100 % Konjunktiv II-Formen aufweisen. Die scheinbare Ungereimtheit paßt freilich
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zu den Angaben einer spezifisch saarländischen Mundartgrammatik, wonach in diesem Teil des Moselfränkischen bei den Hilfsverben (u. a. ‚haben‘ und ‚sein‘) zur indirekten Redewiedergabe die Verwendung präteritaler Formen üblich sei, und zwar „völlig abweichend vom Oberdeutschen“ (vgl. Saltveit 1983a, 1224 f. unter Bezug auf Labouvie 1938, 115). Die DSA-Karte 82 vermerkt übrigens für den betreffenden, unter der Leitform ‚Perfekt‘ stehenden Raum ebenfalls eine Fülle von präteritalen Einzelmeldungen. Zur Lage im Norden: Hier dominiert um 1600 sowohl in den noch niederdeutsch verfaßten Protokollen (etwa aus Depenau/Holstein 1613; Meldorf/Holstein 1618; Stettin 1595; Westerland/Föhr 1614 oder Bremen 1603) als auch in den hochdeutschen Verhörwiedergaben eindeutig der Konjunktiv II. Erwähnenswert ist der Umstand, daß der konsequente Konjunktiv II-Gebrauch in den Verhörprotokollen nicht ausnahmslos mit niederdeutschem Sprachgebiet zusammenfällt: Süd- und zentralwestfälische wie auch ostfälische Ortspunkte zeigen ein anderes, eher gemischtes Bild. (Vgl. zur partiell analogen Mundartsituation in diesen Gebieten Saltveit 1983a, 1225; dazu auch Saltveit 1983b, 298 ff.) Verwickelt gestaltet sich die Lage in der Mitte Deutschlands, wobei ein gewisser Unterschied zwischen ostmitteldeutschen und westmitteldeutschen Gebieten zu bestehen scheint. Im Ostmitteldeutschen gibt es stark überwiegend ein Nebeneinander der Formen, jedoch niemals ein absolutes Vorherrschen des Konjunktiv I. Das ist im Westmitteldeutschen anders: Zwar begegnet auch dort eine Reihe von Nebeneinander-Belegen, auffällig ist freilich die häufige, gewissermaßen in den Süden weisende Konjunktiv I-Bevorzugung, die möglicherweise für eine Orientierung am oberdeutschen Schreibusus spricht. Damit käme ein Element des Sprachprestiges ins Spiel, dessen Relevanz Hermann Paul angesprochen hat. „Endlich aber scheint es, daß die Bevorzugung des Konj. Präs., wie sie viele Schriftsteller zeigen, deren Heimat dem Gebiete des Konj. Prät. angehört, durch ein dunkles Gefühl veranlaßt ist, daß das Präs. das Gewähltere, das Vornehmere sei […].“ (Paul 1920, 312).
6.3 Einordnung in den Forschungszusammenhang Mit den letzten Überlegungen, deren spekulativer Charakter spürbar ist, wird die (vorläufige) Darstellung des Befundes zur Schriftsprachlichkeit frühneuzeitlicher Verhörprotokolle beendet. Die hier mitgeteilten Beobachtungen passen in vielem, keineswegs freilich in allem gut zu der Einschätzung, die Otto Behaghel aufgrund seiner Untersuchungen an Literatur
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verschiedenster Herkunft formuliert hat. Wenn man die geographische Gesamtverteilung des Konjunktivs in der indirekten Rede, überprüft an einer homogenen Textsorte, im Blick hat, so ist die regionale Gebundenheit der gewählten Formen evident. Dieses Resultat entspricht nur bedingt den Ergebnissen von Mirra Guchman, die an einem heterogenen Quellenkorpus und notabene für die Zeit nach 1670 primär die ‚Kompliziertheit und Widersprüchlichkeit der beobachteten Erscheinungen‘ betont (vgl. Guchman 1981, 268). Sie mißt dem ‚regionalen Faktor‘ in diesem Zusammenhang eine eher geringe Rolle zu und hält es für offensichtlich, „[…] daß die Wahl einer konkreten Konjunktivform vor allem vom eigentlichen Inhalt einer Aussage und von den für die Wiedergabe dieses Inhalts gewählten syntaktischen Modellen abhängt.“ (Guchman 1981, 268) Angesichts des hier skizzierten Befundes scheint demgegenüber Skepsis geboten. Mögliche semantische Qualitäten von Konjunktiv I und Konjunktiv II, die sicherlich zum 18. Jahrhundert im Kalkül der Schreibenden sind, scheinen bei den Gerichtsschreibern um 1600 noch keine allgemein verbreiteten Wahlmotive gewesen zu sein. Die frühneuhochdeutsche Grammatik vermerkt diesbezüglich lapidar: „Der Konjunktiv steht, wo ausdrücklich an der Richtigkeit einer Aussage gezweifelt wird; er ist aber auch möglich, wo nicht der geringste Zweifel an der Richtigkeit der mitgeteilten Information besteht […]“ (Reichmann/Wegera 1993, 454). Es wird in Folgeuntersuchungen darum gehen herauszufinden, ob und wie gerade in den ‚Nebeneinander-Regionen‘ mit eventueller Semantizität operiert worden ist und wie der Weg zu unserem heutigen, bereits selbst wieder fragwürdig gewordenen Misch-Paradigma geschriebener indirekter Rede weitergegangen wurde.
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Regionalität und Syntax
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Thomas Klein (Bonn)
Niederdeutsch und Hochdeutsch in mittelhochdeutscher Zeit 1. Die „mhd. Dichtersprache“ und die hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen „Es besteht heute Konsens darüber, dass bis zur Reformation die regionalen Varietäten des geschriebenen Deutsch gleichberechtigt nebeneinander standen.“ (Haas 2000, 1) Bis ins 16. Jahrhundert folgten die Schreibenden wohl tatsächlich in der Regel einer „Regionalmaxime“: „Wähle Variante X, weil sie einheimisch ist (weil man bei uns so schreibt).“ (Haas, ebd.) Auch von dieser Regel hat es freilich Ausnahmen gegeben, echte und bemerkenswerte, aber auch wohl nur vermeintliche Ausnahmen. Der spektakulärste Fall ist die „mhd. Dichtersprache“, Gegenstand einer lange währenden Kontroverse, deren Auf und Ab hier nicht nachzuzeichnen ist. Gegenwärtig überwiegen dieser zweifelhaften Größe gegenüber wohl deutlich Ablehnung oder wenigstens Skepsis, ohne dass sie doch schon gänzlich aus den Handbüchern und den Köpfen verschwunden wäre. Ablehnung und Skepsis sind Folge der intensivierten Hinwendung zum Mittelhochdeutsch der Handschriften, dessen Vielgestaltigkeit bei unvoreingenommener Betrachtung so gar nicht der Erwartung einer einheitlichen mhd. Literatursprache entspricht. Dies war natürlich auch den Befürwortern der „mhd. Dichtersprache“ bewusst, doch war für sie nicht die Textüberlieferung maßgeblich, die aus ihrer Sicht von unfähigen Schreibern nur allzu oft auch sprachlich entstellt war. Allein maßgeblich war die Sprache des Originals, die man zuversichtlich meinte rekonstruieren zu können. Diese Einschätzung hat sich mit der Aufwertung der Textüberlieferung im Verhältnis zur problematischen Größe des Originals gründlich geändert und damit ergab sich auch eine Aufwertung der Sprache der Handschriften und ein mehr oder weniger erklärtes Misstrauen gegen Lachmanns Dichter-Mittelhochdeutsch, ohne dass man sich mit dem Für und Wider in der Sache erneut auseinandergesetzt hätte.
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Betrachtet man die alten Argumente und Gegenargumente erneut vor dem Hintergrund der angewachsenen Quellenkenntnis, so erweist sich die Aussage einiger vermeintlicher Kronzeugen für die Existenz einer mhd. Dichtersprache auf alemannisch-ostfränkischer Grundlage als hinfällig. Zu diesen Kronzeugen zählen insbesondere jene mitteldeutschen und niederdeutschen Autoren und Schreiber, die sich offensichtlich entgegen der Regionalmaxime nicht ihrer heimischen Schreib- und Reimsprache bedienten, sondern sich sprachlich an fremden Mustern orientierten. Ich muss mich hier auf die hochdeutsch schreibenden/dichtenden Niederdeutschen beschränken: Ihr Verhalten erklärt sich wohl aus einem Prestige-Gefälle zwischen Hochdeutsch und Niederdeutsch, für das es auch anderweitige Indizien gibt. Nach vorherrschender Auffassung ist dieses Prestige-Gefälle im 13. Jh. mittelbare Folge der obd. Literaturblüte um 1200, welche die Literatursprache Hartmanns, Wolframs, Walthers zum Muster niederdeutscher, aber auch mitteldeutscher Autoren werden ließ. Dagegen sprechen gleich mehrere gewichtige Gründe: – der besondere Zuschnitt der Schreib- und Reimsprache der hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen – Chronologie und Entwicklung der niederdeutsch-hochdeutschen Schreibsprache – Die Orientierung der hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen nicht am Oberdeutschen, sondern am Mitteldeutschen. Der Entstehungshintergrund der niederdeutsch-hochdeutschen Schreibsprache ist offenbar in politischen und kulturellen Gegebenheiten bereits des 11./12. Jahrhunderts zu suchen, lange bevor von einer „mhd. Dichtersprache“, die ja schwerlich schon vor 1180 anzusetzen wäre, die Rede sein kann.
2. Zum Charakter der niederdeutsch-hochdeutschen Schreibsprache 2.1 Frühe Zeugnisse der niederdeutsch-hochdeutschen Schreibsprache Nach eingebürgerter Sicht waren die hochdeutsch schreibenden/dichtenden Niederdeutschen bemüht, sich einer hochdeutschen Schreibsprache zu befleißigen. Dies sei ihnen nur – je nach Vermögen – teils besser, teils schlechter gelungen.
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Tatsächlich hat die große Mehrzahl der hochdeutsch schreibenden/dichtenden Niederdeutschen und Niederländer1 vom Leiden-Egmonder Willeram über die ostfälischen Rolandslied-Fassungen und Eilhart bis zum Verfasser der Braunschweigischen Reimchronik jedoch keineswegs versucht, sich einem obd. schreibsprachlichen Ideal möglichst weit anzunähern. Sie praktizieren vielmehr eine bewusste Mischung hochdeutscher und niederdeutscher Elemente, die bei allen Unterschieden im Einzelnen eine durchaus eigene Schreib- und Reimsprache darstellt.2 Es geht also nicht um die Übernahme einer fremden Varietät, sondern um die Bildung einer neuen hybriden Varietät. Dies soll im Folgenden durch einen systematischen Vergleich der frühen hierher zählenden Handschriften und der Braunschweigischen Reimchronik dargelegt werden. Das dazu Ausgeführte muss freilich in vielem skizzenhaft bleiben und kann der seit langem dringend nötigen Gesamtuntersuchung der Sprache der hochdeutsch schreibenden/dichtenden Niederdeutschen des 12. bis 15. Jh.s allenfalls vorarbeiten (vgl. einstweilen Klein 1982, 296–461; Beckers 1982). Zunächst eine knappe Vorstellung der hier vor allem berücksichtigten Quellen: Der L e i d e n - E g m o n d e r W i l l e r a m ist, wie Sanders (1974) nachwies, eine um 1100 im nordholländischen Egmond entstandene Redaktion von Willirams von Ebersberg Hoheliedkommentar, welche die hochdeutsche Sprachgestalt ihrer Vorlage partiell beibehält, großenteils aber ins Spätaltniederländische umsetzt (s. auch Gysseling 1980, 123–125). Die M i t t e l f r ä n k i s c h e R e i m b i b e l entstand vermutlich in der ersten Hälfte des 12. Jh.s wohl im südniederfränkisch-westfälischen Grenzgebiet (Werden?). Der Sprachstand des Originals wird am besten von der Fragmenthandschrift A (12. Jh.) bewahrt. Er ist vorherrschend hochdeutsch (mittelfränkisch, aber auch südlichere Merkmale), weist daneben aber auch niederfränkisch-westfälische Anteile auf.3 Die verlorene Handschrift der W i g g e r t s c h e n P s a l m e n wurde in die Mitte des 12. Jh.s datiert. Sie ist, wie einzelne sorbische Glossen zeigen, in sorbischer Nachbarschaft oder im Sorbengebiet entstanden (Dobrilugk/ 1
2 3
Im Folgenden erlaube ich mir, die hierher zählenden Niederländer/Niederfranken mit unter die hd. schreibenden Niederdeutschen zu fassen – dies jedoch einzig zur Vermeidung des noch sperrigeren „hd. schreibende Niederdeutsche und Niederländer“! So schon Guchmann (1964, 112–116), die freilich die Niederdeutsche Apokalypse (13. Jh.) für das „früheste Beispiel einer solchen Mischsprache“ hält (1964, 11). Zur Sprache, die einer erneuten gründlichen Untersuchung bedarf, vgl. einstweilen Busch (1879); Klein (1982, 450 f.).
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Doberlug?). Ihr Sprachstand (Loewe 1892) steht zum einen offenbar im Zusammenhang mit der niederländischen Siedlung des 12. Jh.s östlich von Elbe und Saale (Sanders 1970), zum andern ist er das älteste Zeugnis der niederdeutsch-hochdeutschen Schreibsprache (im engeren Sinne), die in diesem Falle teilweise über das Ostmitteldeutsche hinaus nach Süden orientiert ist (Klein 1982, 398–420). Die S c h w e r i n e r H a n d s c h r i f t S d e s R o l a n d s l i e d e s (= RL) und die Vorlage der S t r a ß b u r g e r R L - H a n d s c h r i f t A entstanden im letzten Viertel des 12. Jh.s im niederdeutschen, und zwar ostfälischen Raum.4 Beide Handschriften sind schreibsprachlich nicht einheitlich: Vermutlich vorlagenbedingt unterscheiden sich in S die Teile S1 (V. 905–1843) und S2 (V. 8599–8805) in einigen Sprachmerkmalen deutlich voneinander. In A heben sich von der ansonsten geltenden nd.-hd. Schreibsprache scharf die obd. Flickverse 977 f. und das Stück A2 (V. 4783–4858) ab, das schreibsprachlich genau zur RL-Handschrift P stimmt. W e r n h e r v o n E l m e n d o r f (Bumke 1999) hat sein Lehrgedicht um 1170–1180 im nordthüringischen Heiligenstadt im Auftrag des dortigen Propstes Dietrich von Elmendorf verfasst. Dichter wie Auftraggeber waren wohl niederdeutscher Herkunft. Auch seine Reimsprache und die Schreibsprache des alten B e r l i n e r F r a g m e n t s B (um 1200) weisen Elmendorf als hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen aus. Dasselbe gilt für E i l h a r t v o n O b e r g , der seinen ‚Tristrant‘ gegen Ende des 12. Jh.s am Braunschweiger Welfenhof gedichtet haben dürfte.5 Die S t a r g a r d e r F r a g m e n t h a n d s c h r i f t S t (frühes 13. Jh.) ist ebenso die Magdeburger Fragmenthandschrift M im niederdeutschen Raum entstanden. Der ‚ K ö n i g R o t h e r ‘ ist wohl um 1160/70 in Bayern von einem hochdeutsch dichtenden Niederdeutschen verfasst worden. Die H e i d e l b e r g e r H a n d s c h r i f t H (1. Viertel 13. Jh.) ist in ihrer Schreibsprache vorlagenbedingt zweigeteilt. Der erste Teil (V. 1- ca. 2894 = Rother H I) zeigt alle wesentlichen Charakteristika der nd.-hd. Schreibsprache, im zweiten Teil (V. 2895–5181) ist diese Schreibsprache dagegen stärker mittelfränkisch überformt.6 4 5
6
Vgl. Klein 1982, 292–383; Gutfleisch-Ziche 1996, 147 f., 159–167; zum Sprachstand beider Fragmenthandschriften vgl. auch Jacobi (1904); Wesle (1928, XXII–XXXVII). Zur aktuellen Forschungslage: Mertens (1995, 207 f.), Johnson (1999, 272–274); zur Beschreibung und Einordnung der Reimsprache Eilharts: Gierach 1908; Cordes 1939; Klein (1982, 452 f.); zur Schreibsprache der Stagarder Fragmente: Klein (1982, 421–446). Zur Reimsprache des König Rother vgl. Edzardi (1873); Klein (1982, 455–457); zur Sprache der Hs. H: Weisleder (1914); Kramer (1960–1968).
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Die ‚ B r a u n s c h w e i g i s c h e R e i m c h r o n i k ‘ , eine Geschichte des Welfenhauses, ist im letzten Viertel des 13. Jh.s entstanden; bei der ältesten Handschrift (Hamburg cod. 18 in scrin.) könnte es sich um das Widmungsexemplar für die Söhne Herzog Albrechts I. von Braunschweig handeln.7 Für RL A und S, Elmendorf B, Eilhart St und Rother H beruhen die folgenden Angaben auf einer grammatischen Komplettauswertung, für die Braunschweigische Reimchronik auf der Auswertung eines Wortformenindex. Die Angaben zum Leiden-Egmonder Willeram und zu den Wiggertschen Psalmen stützen sich auf Sanders (1974) bzw. Loewe (1892).
2.2 Konturen der niederdeutsch-hochdeutschen Schreibsprache Bei den hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen sind im Umgang mit der fremden hochdeutschen Schreibsprache grundsätzlich drei verschiedene Verhaltensweisen zu unterscheiden: – systematische/sporadische Übernahme des fremden Merkmals, z. B. hd. ‹z› in Fällen wie lazen ‚lassen‘ – systematische/sporadische Beibehaltung/Einführung des eigenen Merkmals, z. B. nd. ‹v, u› wie in geven ‚geben‘ – systematische/sporadische Verwendung eines hybriden Elements; dabei kann es sich handeln um – a) Addition oder Kreuzung des fremden und des eigenen Merkmals, z. B. ‹t› + ‹z› in Fällen wie latzen ‚lassen‘ oder der verbale Einheitsplural auf –ent als Kreuzung aus nd. –et und mhd. –en 1. Plural, –ent 3. Plural Präs. Ind. – b) ein doppeldeutiges, sowohl hd. wie nd. interpretierbares Element, z. B. ‹ph› für f bzw. p in Fällen wie sciph ‚Schiff‘, helphen ‚helfen‘, scephen ‚schöpfen‘, phenning ‚Pfennig‘. Kennzeichnend für eine hybride Varietät ist eine bestimmte Kombination dieser drei Typen, und zwar in ihrer systematischen, nicht nur sporadischen Ausprägung. „Systematisch“ heißt dabei, dass es sich um eine bewusstes, gewolltes, nicht etwa nur fehlerhaftes Verhalten handelt. Hyperkorrekte Formen und Schreibungen zählen daher nicht zu den konstitutiven Kennzeichen hybrider Schreibvarietäten, sondern zu ihren unbeabsichtigten Begleiterscheinungen. 7
Zur Reimsprache der Chronik und ihrem Verhältnis zur Reimsprache Bertholds von Holle vgl. Urbanek (1952, 177–212).
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Die hybride Schreibsprache der hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen lässt sich nun vor allem als mehr oder weniger feste Kombination bestimmter konsonantischer Merkmale charakterisieren, zu der einzelne vokalische und morphologische Züge hinzutreten. Ich muss mich hier auf den Konsonantismus und Vokalismus beschränken und beginne mit dem Konsonantismus. Verwiesen sei vorab auf die Tabellen 1 und 3, S. 214 f., 217. In ihnen ist der relevante Ausschnitt des Konsonantismus und des Vokalismus der verglichenen Quellen in verknappter Form und in den wesentlichen Konturen dargestellt. Die häufigste Schreibung ist jeweils zuerst genannt, die minderhäufigen Varianten folgen durch ~ getrennt. Seltene Graphien stehen in runden Klammern, sehr seltene bis vereinzelte in ‹ ›-Klammern, die hier also nicht als Graphemklammern aufzufassen sind. Aus Raumgründen sind Varianten von vergleichbarer Belegfrequenz zu Gruppen zusammengefasst, deren Glieder durch Kommata getrennt erscheinen. Stets in dieser Weise zusammengefasst sind v und u, auch wenn sie sich frequenziell stark unterscheiden. Beim Nebeneinander von u und v wird nur u, beim Nebeneinander von ou und ov nur ou aufgeführt.
2.3 Konsonantismus Den Konsonantismus charakterisiert bei allen Unterschieden im Einzelnen die Grundregel, dass die niederdeutschen Plosive verhochdeutscht, die niederdeutschen Frikative dagegen auch dort niederdeutsch belassen werden, wo ihnen hochdeutsche Plosive entsprechen. Was aber heißt nun genauer Verhochdeutschung der nd. Plosive und Beibehaltung der nd. Frikative?
2.3.1 Verhochdeutschung der niederdeutschen Plosive Die Niederdeutschen sahen sich hier keinem einheitlichem, sondern einem in Sachen der ahd. Tenuesverschiebung bekanntermaßen uneinheitlichen Hochdeutschen gegenüber. Einheitlich ist es nur in der Verschiebung von postvokalischem germ. p, t, k und in der Affrizierung von germ. t in den übrigen betroffenen Positionen. Und in eben diesen Fällen verhochdeutschen auch die Niederdeutschen mit hoher Konsequenz: postvokalisch ‹f/ff›, ‹z/zz›, ‹ch/h› und ‹z› für die mhd. Affrikata z. In der Regel übernehmen die Schreiber dabei auch diese hochdeutschen Graphien. Die Ausnahmen sind:
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Statt ‹z›, ‹zz› findet sich zunächst nur selten, etwas häufiger dann bei den späteren hd. schreibenden Niederdeutschen8 die hybride Graphie ‹tz›, z. B. in der Nd. Apokalypse beslotzen 153, witzen 910, in Könemanns ‚Kaland‘ gesetzen ‚gesessen‘ 109, hatz 137, datz 142, 782, atze (mhd. âz) 383, ledematz 448 (mhd. lidemâz ‚Gliedmaß‘). Schwierigkeiten konnte den nd. Schreibern auch die Verteilung von mhd. ‹zz› nach Kurzvokal und ‹z› sonst gegenüber einheitlichem nd. ‹t› bereiten, daher finden sich bei ihnen nicht selten ‹z› statt ‹zz› und umgekehrt auch ‹zz› für ‹z›;9 so etwa in Rother H I: für mhd. ‹zz› 13 ‹z› neben 35 ‹zz› und für mhd. ‹z› 10 ‹zz› neben 129 ‹z›. Selten nur führte der systematische Ersatz des eigenen t durch hd. z, zz zu Hyperkorrekturen wie lutzer, luzzer ‚lauter‘ Leiden-Egmonder Willeram (Sanders 1974, 280), bitzere ‚bittere‘ Nd. Apokalypse 1055, bizzere 996. Sehr auffällig – und wohl als Hinweis für hochdeutsche Einflüsse auch in der gesprochenen Sprache10 zu werten – sind Formen wie watz (= was ‚war‘) ‚Kaland‘ 782. Statt hd. ‹f/ff›, ‹pf› wird im Leiden-Egmonder Willeram und in der Braunschweigischen Reimchronik vorherrschend, selten auch von anderen hd. schreibenden Niederdeutschen die hybride Graphie ‹ph› benutzt. Vorbild dafür war offenbar ‹ch›, das gleichfalls zwei Lesarten zulässt: als hd. Frikativ [x] und als nd. Plosiv [k], letzteres allerdings beschränkt auf fremde Namen und Wörter wie Christus, Cherubin. Während ‹ph› im Leiden-Egmonder Willeram aber auf die Entsprechungen von germ. p, nl. p, hd. ff/f/pf beschränkt bleibt, wird es in der Braunschweigischen Reimchronik als Kombinationszeichen für mnd. p- und f-Laute jedweder Herkunft verwendet, z.B. – für germ. p: gescaphen 6778, 8438, 9039, gewaphent 2749, 5480, 5990, 6723, hophenunghe 3809, 3927, helphe 102, 105, 947, 2027 u. ö., kamphes 4239 kemphen 8332; – für p < b: ampht ‚Ambt‘ 6491, 8433, 8500, 9176, amphtes 8993, amphlute 6679; – für fremdes p: temphel 3494, Naphels ‚Neapel‘ 3908, 3948; – für germ. f: semphte 1681, 2483, 3342, 7438, 8482, ellenthapht 3372, 3423, 6721, ghescripht 1693, krapht 221, 772, 895 u. ö.; daher dann auch so merkwürdige umgekehrte Schreibungen wie krapt ‚Kraft‘ 6827; – für mnd. f, mhd. b < germ. b: blipht ‚bleibt‘ 4297, 9246, gipht ‚gibt‘ 209, 296, 671, 1412 u. ö. 8 Vgl. besonders Große (1964, § 83). 9 Dies ist allerdings auch in vielen oberdeutschen Handschriften der Fall! 10 Auf die Frage, ob und inwieweit neben der nd.-hd. Schreib- und Reimsprache mit einer auch im außerliterarischen Bereich gesprochenen hochdeutsch gefärbten Sprache in Norddeutschland zu rechnen ist, kann hier nicht weiter eingegangen werden. Urbanek (1952) geht jedenfalls bedenklich weit in der Annahme einer auch am Braunschweiger Welfenhof gepflegten „ritterlichen Umgangssprache“.
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Diese Verwendung von ‹ph› verhüllt, wie man sieht, alle niederdeutsch-hochdeutschen Unterschiede im p-f-Bereich und hatte für den Schreiber zudem den Vorteil, dass er kaum etwas falsch machen konnte. Ein vergleichbares Phänomen aus dem Mhd. ist die Kombinationsschreibung ‹ˇo› für mhd. ou, öu, uo, üe in obd. Handschriften des 11. bis 13. Jahrhunderts (s. unten 2.4). Wie aber verhalten sich die Niederdeutschen dort, wo sie sich einem uneinheitlichen Hochdeutschen gegenübersehen, nämlich bei den Fortsetzern von germ. p und k in den Affrizierungspositionen der ahd. Lautverschiebung? Hier orientieren sie sich sichtlich nicht am Oberdeutschen, sondern an den sprachlichen Verhältnissen ihrer unmittelbaren südlichen Nachbarschaft, also im damaligen (Herzogtum) Franken und in Thüringen, und zwar die westlichen (Leiden-Egmonder Willeram, Mfrk. Reimbibel) eher am westlichen Teil dieses Gebiets, also am Rheinfränkischen (und Mittelfränkischen), die östlichen eher am östlichen Teil, also am ThüringischHessischen und Ostfränkischen. Für mhd. k dagegen schreiben sie daher in aller Regel ‹k› oder ‹c›. Bei seltenem ‹ch› kann es sich um sporadische Übernahmen aus einer obd. Vorlage handeln wie im Leiden-Egmonder Willeram,11 RL S und A und wohl in Rother H. Doch ist ganz offensichtlich in nicht wenigen Fällen auch ohne erkennbaren obd. Einfluss die für die postvokalische Stellung geltende Regel ‚Schreibe ‹ch› für nd. k‘ auch auf den Anlaut oder die postkonsonantische Stellung ausgedehnt worden. Bei sporadischem ‹kh›12 bleibt überdies nur diese innersystemische Analogie als Erklärung. Komplizierter war die Lage im Falle von germ. p in Affrizierungsposition, da sich schreibsprachlich hier rheinfränkisch-mittelfränkisch ‹p›/‹pp› und thüringisch-hessisch ‹ph› (Anlaut), ‹ph›~‹p›/‹pph›~‹pp› ~ ‹ff› (postkonsonantisch/Gemination) gegenüberstanden. Die Folge ist ein Schwanken der hd. schreibenden Niederdeutscher zwischen ‹ph› und ‹p› im Anlaut und ‹ph›, ‹pp›, ‹ff› etc. in der Gemination. Auch hier bot die hybride Graphie ‹ph› einen Ausweg, den wiederum Leiden-Egmonder Willeram und Braunschweigische Reimchronik mit recht weitgehender Konsequenz beschreiten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Grundregel der Verhochdeutschung der nd. Verschlusslaute für mnd. p, t, k mit unterschiedlicher Strenge verwirklicht wird: 1. ganz konsequent bei mnd. t f z, zz in allen Positionen und bei p f f, ff in postvokalischer Stellung; 2. weitgehend 11 Vgl. Sanders 1974: 283. Allerdings überwiegt bei Williram (Breslauer Hs.) ‹ch› nur nach Liquid (25 ‹ch›, 8 ‹k, c›), während im Anlaut neben 148 ‹k, c› nur 22 ‹ch› stehen. 12 So in der Braunschweigischen Reimchronik: kharten 299, khele 4339, khemphlich 3087, khint 3365, khni 1344, khrie 1756, khrien 3366, khunt 65, 2918; daneben ‹ch› nur in cherte 1754.
Niederdeutsch und Hochdeutsch in mittelhochdeutscher Zeit
211
konsequent, aber doch nicht durchweg bei mnd. k f ch in postvokalischer Stellung; 3. nur mit Einschränkung bei mnd. p f ph, ff, pf in Affrizierungsposition; 4. lediglich ausnahmsweise bei mnd. k f ch in Affrizierungsposition. Bestätigt wird diese Abfolge auch dadurch, dass beim Übergang von der nd.-hd. Schreibsprache zur einer rein mnd. Schreibsprache die hochdeutsche Merkmale in genau umgekehrter Reihenfolge abgebaut werden. Insbesondere wird am längsten und weitgehendsten an hd. ‹z, zz, tz› festgehalten.13 2.3.2 Die Wiedergabe von germ. d, mhd. t, mnd. d Bei germ. d, mhd. t ist die Lage ähnlich wie bei germ. p: Dem unverschobenen westmd. d steht östlicheres thüringisch-hessisches t gegenüber, das im Grundsatz zu obd. t stimmt, in den Einzelheiten seiner Distribution aber ein charakteristisches eigenes Gepräge hat: vor allem in konsequentem d nach l (und n) und in lexemspezifischen Abweichungen wie adem mit d, verterben mit t und der Aufgabe des grammatischen Wechsels bei lîden und mîden (also Prät. liden, miden usw.). Der bestimmende Einfluss zunächst der thüringisch-hessischen Schreibsprache und in ihrem Gefolge der jüngeren thüringisch-obersächsischen Schreibsprache auf die meisten hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen ist nun nicht zuletzt daran erkennbar, dass sie die hochdeutsche Scheidung von d und t in dieser thüringischen Ausprägung übernehmen. In den frühen nd.-hd. Handschriften zeichnet sich das jedoch erst tendenziell ab, indem sie nach n und l zumeist deutlich häufiger ‹d› bieten als nach Vokal oder r, und zwar auch in Formen, die obd. in aller Regel ‹t› aufweisen.14 Bei den zum Thüringischen stimmenden Formen wie erliden ‚erlitten‘ RL S 1346 und mide ‚miede‘ 3. Sg. Prät. Konj. Magdeburger Tristrant-Fragment 3433 fragt sich, ob der Ausgleich des Grammatischen Wechsels nicht auf einer Entwicklung innerhalb des Frühmnd. beruht.15 Sicher nachweisbar ist der Einfluss der ostmitteldeutschen d/t-Verteilung dann für die hd. schreibenden Niederdeutschen vom 13. Jahrhundert ab, vor allem ersichtlich am kennzeichnenden ver-, vorterben; so virturbe in der nd.-hd. Heidelberger IweinHandschrift A 7198, vurtirbet Segremors B I 135, vorterben Waldecker Alexan13 Aufschlussreich sind hier insbesondere die Verhältnisse in den Dichtungen Könemanns und ihren Handschriften, vgl. dazu Wolff (1953, 29–36). 14 Vgl. Formen wie alder, zeldende, gelden in den Wiggertschen Psalmen (Loewe 1892, 426); alde 9000, gewaldige 558, (ge)waldihliche 3704, 2213, welde 2357, werlde 5177, uergelden 5082, uergildet 3800, behaldes 2038 in RL A; alde 8685, werlde 1656, manihualde 1103 in RL S. 15 Dafür könnten die Formen irlithen 1346, uermithen 5296 in RL A sprechen.
212
Thomas Klein
der vb 15 und stets in der Braunschweigischen Reimchronik: vorterbe 3941, vorterben 3168, vortarph 1036, vortorben 7282. Ganz anders verhalten sich die beiden frühen westlichen Quellen des Leiden-Egmonder Willeram und der Mfrk. Reimbibel, die ihr eigenes unverschobenes ‹d› nahezu ausnahmslos durchführen.
2.3.3 Beibehaltung der niederdeutschen Frikative Relevant sind hier natürlich nur jene Fälle, in denen einem nd.-nl. Frikativ ein hochdeutscher Plosiv entsprach. Dazu zählen die Reflexe von postvokalischem und postliquidem germ. b und g und in frühmittelniederdeutscher und spätaltniederländischer/frühmittelniederländischer Zeit auch von germ. p, das im zeitgleichem Hochdeutschen bereits zu d geworden war. Die Graphien ‹v, u, f› für postliquides germ. b zählen – das zeigt auch Tabelle 1 sehr deutlich – zu den verbreitetsten Kennzeichen der hybriden nd.-hd. Schreibsprache. Auch dort, wo ‹b› als Regelschreibung gilt wie in RL S, Eilhart St und in der Braunschweigischen Reimchronik, begegnen Frikativschreibungen daneben zumindest als seltene Variante. Charakteristisch gerade für jene letzteren hd. schreibenden Niederdeutschen ist die Schreibung ‹b› teils auch für die Reflexe von germ. f in postvokalischer und -liquider Stellung. Besonders weitgehend wiederum in der Braunschweigischen Reimchronik: Hier wird ‹b› tendenziell zur Entsprechung des hybriden ‹ph›, indem es für mhd. inlautend ‹b›, ‹v›, auslautend ‹b› ~ ‹p›, ‹f› gleichermaßen eintritt: z.B. hob ‚Hof‘ 262, 273, 1509 (32mal), hobe Dat. Sg. 351, 581, 1653, 1661, hobes 4422; brebe ‚Briefe‘ 2293, 5765, 6601, breben Dat. Pl. 4130, 7607; tubel ‚Teufel‘ 4813, tubele 3465, tubeles 6929; pruben (mhd. prüeven) 1567, 2079, 6496, prubest 4690, prubde 6099; elben ‚elf‘ 2230, 6277, 6479, 6614, 6808, elbene 1341, elbenhundert 2300; inlautend daneben – ebenso wie bei mhd. b – auch ‹v›, z.B. breven ‚Briefen‘ 4849 und stets bei mhd. neve: neve 5815, 5837, 8801, neven 5214, 5257, 5433, 5769, 6354, 9165. Besondere Probleme musste allerdings die Auslautposition bereiten. Wollte der Schreiber hier die Auslautverhärtung bezeichnen, so konnte er – auch in Anlehnung an mhd. ‹-p› – zu ‹p› greifen, das daher neben ‹b› gelegentlich vorkommt. Außerdem musste es im Auslaut zwangsläufig zu einer funktionalen Überschneidung mit ‹ph› (und seiner selteneren Variante ‹f›) kommen, da ‹ph› ja gleichfalls für finales f stand, nämlich für hd. f < germ. p. Daher findet sich neben hob auch hoph ‚Hof‘ 3734, 4911, 4916 u. ö. und hof 837; breiph, breyph ‚Brief‘ 8223, 4494, 7992; zwelf 734, 1359, 2290, 3907, zwelfhundert 7737; für mhd. lieb, mnd. lê 4f ‚lieb‘ neben leb 4359, lebliche 1376 und lep 3980, 6086, 7247, lepliche 2954, 4351, 6251 u. ö. auch leiph 8277, leyph 4663,
Niederdeutsch und Hochdeutsch in mittelhochdeutscher Zeit
213
4774, lephliche 4856. leyph konnte zugleich natürlich auch für mhd. lief, mnd. lê 4p ‚lief‘ stehen, z.B. 4501, 4791, 9283. So willkürlich und chaotisch dieses Bild auf den ersten Blick wirken mag, ist es doch, wie dargelegt, die nachvollziehbare Konsequenz des besonderen Zuschnitts der hybriden Schreibsprache der Braunschweigischen Reimchronik. Die Reflexe von germ. g sind – von der Stellung nach n abgesehen – im Niederländischen und Niederdeutschen in allen Positionen, zumindest aber in postvokalischer Stellung, frikativ. Graphisch äußert sich dies allerdings in der Regel nur bei dem stimmlosen Frikativ aus finalem g, der von der großen Mehrzahl der hd. schreibenden Niederdeutschen durch ‹ch› (älter auch ‹h›) bezeichnet wird. Eine andere Möglichkeit bestand darin, ‹g› oder ‹gh› generell als Graphie dorsaler Frikative zu verwenden. Dies ist bekanntlich ein Kennzeichen vor allem mittelfränkischer Quellen des 12./13. Jh.s, begegnet aber auch im mnl. (van Loey 1968, § 111) und mnd. Bereich (Lasch 1914, § 341, 351). Hierher zählen auch Schreibungen wie ‹gh› für finales –ch auch in Fällen wie ough ‚auch‘, spragh ‚sprach‘, gescagh ‚geschah‘, thurgh ‚durch‘ im Leiden-Egmonder Willeram (Sanders 1974, 282) und vereinzeltes (ghe)scagh 8520, 8411 in der Braunschweigischen Reimchronik. Unter mfrk. Einfluss ist dies die Regel in der Mfrk. Reimbibel: erlig 625, gelig 625, oug 342, 355, 384, 422, 535, 546, 552, 554, 556, 612, 614, 615, 633, thog 445, 466, 536, 537, 548, nog 362, 533, 536, 539, noug 556, thurg 353, 423. Die Fortsetzer von germ. p sind im Niederländischen wohl bis zum Ende des 12. Jh.s vom Frikativ zu plosivem d geworden. Im Niederdeutschen vollzieht sich dieser Wandel dialektal unterschiedlich früh seit dem ausgehenden 12. Jh. Das bedeutet, dass auch die rein niederdeutschen Quellen des 13. Jh.s je länger je mehr zur Schreibung ‹d› übergehen. Die Schreibung ‹th› für mhd. d wird man daher nur bei den ältesten einschlägigen Niederdeutschen/Niederländern erwarten dürfen; und bei ihnen findet sie sich der obigen Regel entsprechend denn auch tatsächlich: Leiden-Egmonder Willeram, Mfrk. Reimbibel, Wiggertsche Psalmen, RL A. Erstaunlicherweise setzt aber noch die Braunschweigische Reimchronik diese Tradition fort, indem sie für altsächs. th noch weithin konsequent ‹dh› schreibt. Systematische Störungen der Gleichung ‹th›/‹dh› = mhd. ‹d› sind durchweg erklärbar und geben teils wichtige Aufschlüsse über die Proportion /th/ – /d/ im derzeitigen Niederdeutschen/Niederländischen.16 16 So weist das Schwanken zwischen wrden und seltenerem wrthen ‚wurden‘ gegenüber durchgängigem werthen ‚werden‘ in RL A darauf hin, dass der Ausgleich des Grammatischen Wechsels bei ‚werden‘ im damaligen Ostfälischen vielleicht im Gange, aber jedenfalls noch nicht abgeschlossen war.
214
Tabelle 1: Hybride Konsonantensysteme in niederdeutschen/niederländischen Handschriften des 12./13. Jahrhunderts germ.
p
Leid.-Egmonder Will.
Mfrk. Reimb.
Wigg. Ps.
RL A
RL S
Elmend. B Eilhart St
Rother H I
Br. Reimchr.
Anlaut
ph
p
‹p›
ph~p~‹pf›
ph
ph
‹p›
p~pf
p~ph
nach Vokal
ph~(f, ff)
f~ff
f~ff~(ph)
f / ff
ff/ff~‹ph›
f~ff~ph
f~‹ph›
ff~f~‹ph,pf›
ph~ff
Gemination
ph~(pf)
‹pp›
ph~ff~f
ph~‹ff›
–
‹f›
ff~‹pf,pp›
pph~(pp)
nach Liquid
ph~(f)
–
f~ph
‹p›
f
–
f
ph ~f
nach Nasal
ph
–
p~ph~f
‹ph›
–
‹p›
f
ph
Anlaut
z~(zh, sc)
z~(c)
z~(c)
z~(c)~‹tz›
z
z~(c)
z
z~(c)
z~‹tz›
nach Vokal
z / zz
z ~c
z / zz
z / zz~s~‹tz›
z/zz~‹tz›
z~zz
z~(s,t,tz)
z~(zz,t,c)
zz~z~(tz)
Gemination
zz
c~z~tc
zz~z~(tz)
zz~tz
zz~z~tz
–
zz~z
z~tz
z~(c)
z~(tz)
z
z
–
z~c
z~tz
k~c
k~c~(ch)
k~c~‹ch›
k~(c,ch)~‹kh› k~(c)
k~c
k~c
k~c
ch~‹gch›
ch~(k, c)
ch~k~(hch, h) ch~k
ch~‹g›
ch
ch~‹ck,k›
ch
h~(ch)
ch~h
ch~‹h›
ch~‹c›
ch~‹h,c›
ch ck
f~p
t
nach Konsonant z Anlaut
k~c~(ch)
nach Vokal ch~(h, gh, k) k
ausl. nach Vokal Gemination
g~k~(ch) kk~cc~ck~(cch)
nach Konsonant k~ch~-c
–
ck
kk~ch~k
ck~‹ch›
kk
‹chk›
ck~(k,kk)
k~c
k~c
k~(ch,h,g)
k~ch~‹ck›
k~c~g
k~‹chk›
k
Thomas Klein
Position
germ.
d
g
p
Leid.-Egmonder Will.
Mfrk. Reimb.
Wigg. Ps.
RL A
RL S
Elmend. B Eilhart St
Rother H I
Br. Reimchr.
Anlaut
b
b
b
b~p
b
b
b~‹p›
b
v,u
u,v~f~b
b~‹u›
b~u
b~u,v
v,u~b
b~(v)
‹p›
–
pp
‹pp›
zwischenvokal.
u,v
u
Gemination
bb
–
b
nach Liquid
u,v
u
u,v~f~b
b~‹u›
u~b
b
b~v,u
b~(v)
nach Nasal
b
b
b
b
b
b
b
b
b
ausl. nach Vokal
f
f
f
f~b~‹p›
p~b
b
f~‹ph›
b~ph~f~‹p›
b~p~f~ph
ausl. nach Liquid f
f
f
p~b
–
–
ph~f~b
Anlaut
d~‹t›
d~th
t~(d)
t~d~‹th›
t
t~d
t
t~(d)~‹th›
t~d
zwischenvokal.
d~‹t, th›
d
t~‹d›
t~d~‹th, tt›
t~(d)
d~t
t~‹tt›
t~th~d
t~d
Gemination
dd
dd
tt~t~‹dd›
tt
–
tt
d~‹t›
tt
nach l
d
d
t~d
t~d
d
t~(d)
d~(t)
t~d~(dh)
d~t
nach n
d
d
t~d
t~(d)
d~t
t
d~t
t~(d)
t~d
nach r
d~‹t›
d
t
t
t
d
t
t~d
t
Auslaut
t~d~(tt)
t~(th)
t~(th)
t~(d)
t
t
t~‹z›
t~(d)
t
Auslaut nach n
g
g
c
g
ch~(c,g)
c~(g,k)
c~g
c~‹ch,g›
c~(ch)
Auslaut sonst
gh~ch~(g)
g~‹ch›
ch~c~(g)
h~(c,ch, g)
ch~h~(c,g)
ch~(c)
ch
ch~c,k~g
ch
kk~(k,ch)
‹kk›
–
–
ck
ck
th
th~(d)~‹t›
d
d
d
d~(t)~‹th›
dh~d
gg~g
gg
th
th~(d)
Inlaut
th
th
th
th~d
d
d
d
d
dh~d
Auslaut
th
t~‹th›
–
t
t
d
d
t
t
215
Gemination Anlaut
Niederdeutsch und Hochdeutsch in mittelhochdeutscher Zeit
b
Position
216
Thomas Klein
2.4 Vokalismus Die wichtigsten Unterschiede zwischen dem mhd. und dem spätas.frühmnd. Vokalismus betreffen den Bereich der Langvokale und Diphthonge, vor allem als Folge der ahd. Diphthongierung von germ. e und o auf hochdeutscher Seite und der weiterreichenden Monophthongierung von germ. ai und ou und der Monophthongierung von as. ia (< westgerm. eo) auf niederdeutscher Seite. In vereinfachter Übersicht:17 Tabelle 2 westgermanisch
mhd.
spätaltsächsisch-frühmnd.
lautlich
graphisch
graphisch
lautlich
/ie/
‹ie›
‹ie› f ‹e›
o
/uo/
‹uo› ~ ‹u› ~ ‹u› ~ ‹oˇ ›
‹o›
ai
/ei/
‹ei› ~ ‹ai›
‹e›
/ie/ > /ê(4)/ /ê4/ /ô1/ /ê2/, /ê3/
/ê/
‹e›
/ou/
‹ou› ~ ‹oˇ ›
‹o›
/ô2/
/ô/
‹o›
eo e
au
‹e›
Das Spätaltniederländische/Frühmittelniederländische stimmt hinsichtlich westgerm. e, o, eo zum Mhd., hinsichtlich germ. ai und au zum Niederdeutschen. Die frühen hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen mussten also mit sechs verschiedenen Graphien anstelle der beiden niederdeutschen ‹e› und ‹o› zurecht kommen. Das ist ihnen insgesamt erstaunlich gut gelungen, wie die folgende Tabelle 3 zeigt. Lediglich vereinzelt bieten die älteren nd.-hd. Handschriften auch ‹e, ei, ey› für mhd. ie = mnd. ê4, ‹e› für mhd. ei = mnd. ê3 und ‹o› für mhd. ou = mnd. ô2. Bei den späteren hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen nimmt ‹e, ei, ey› für mhd. ie dann deutlich zu; in der Braunschweigischen Reimchronik ist dies sogar die Regelschreibung. Auch ‹e›, ‹o› für tongedehntes und gesenktes as. i bzw. u, ü und ‹o› für u, ü vor r-Verbindung begegnen später zunehmend – ganz ähnlich wie auch im Mitteldeutschen.
17 Nicht berücksichtigt ist hier wie im Folgenden mnd. ê3, der i-Umlaut von ê2, und die Spaltung von ê2 in ê2a und ê2b, da sie zwar für einzelne Schreibungen hd. schreibender Niederdeutscher, nicht aber für den Gesamtzuschnitt der nd.-hd. Schreibsprache von Belang sind.
217
Niederdeutsch und Hochdeutsch in mittelhochdeutscher Zeit Tabelle 3: Schreibungen für die mhd. Langvokale und Diphthonge mhd.
/uo/, /üe/
/ie/
/ei/
/ê/
/ou/, /öü/
/ô/, /œ/
Leid. Willeram
o~uo
ie~(i)
ei~(e)
e~‹ie›
ou~o~oy
o~(uo, ou)
Mfr. Reimbibel
o~(uo, u, u)
ie~(e, ei, i)
ei
e~(ie)
ou
o
Wigg. Psalmen
o~(~uo~ v)
ie
ei
e
ou~(o)
o
RL A
uo~o~u
ie~(i)~‹e,ei›
ai~ei~‹e, ie›
e
ou~o
o
RL S
o~u~u
ie~(i)~‹e,ei›
ei
e
ou~(oˇ )
o
Elmendorf B
u~u~o,oˇ
ie~i~(e)
ei~‹e›
–
ou~(o)
o
Eilhart St
v,u~‹o, v›
ie~i~‹ei›
ei~‹ee,i›
e~‹ei,ie›
oˇ ,ov~o
o
Rother H I
o~(u,v)
ie~e~i~(ei)
ei~(e,ie)
e~‹ei,ie›
ou~o
o
Braunschw. Reimchr.
o~u
e~ey~(ye)
ey
e
ou
o
Nur in einem Punkte weicht die nd.-hd. Schreibsprache von Beginn an im vokalischen Bereich vom mhd. Schreibsystem ab: Die Entsprechungen von mhd. uo, üe werden mehrheitlich, zumindest aber relativ häufig durch ‹o› oder ‹oˇ › bezeichnet. Eine Ausnahme von dieser Regel macht in den hier betrachteten Quellen nur das Stargarder Eilhart-Fragment St. Die beiden Teile des Schweriner RL-Fragments S unterscheiden sich auch in diesem Punkte deutlich voneinander: Während im Bereich von S2 ‹o› stark dominiert (neben 20 ‹o› nur 3 ‹u›), bietet sich in S1 ein ganz ähnliches Bild wie in RL A, auch was die lexemspezifischen Besonderheiten anbelangt. Die Sonderstellung von ‹o, oˇ › für mhd. uo, üe schon in der frühen nd.-hd. Schreibsprache ist nicht leicht zu erklären. Sie scheint weder graphemsystemisch begründet zu sein noch gibt es einen hochdeutschen Teilraum, indem uo bereits im 11./12. Jh. zu einem o-Laut geworden war, der als Legitimation der eigenen niederdeutschen ‹o›-Schreibung hätte betrachtet werden können. Zu denken wäre jedoch an die im Obd. vom 11. bis ins 13. Jh. verbreitete ‹oˇ ›- (und gelegentlich auch ‹o›)-Schreibung für uo, üe. Diese Graphie ist für die frühmhd. obd. Schriftlichkeit keineswegs so peripher, wie es die mhd. grammatischen Handbücher glauben machen.18 Mit Blick auf diesen Schreibusus könnten sich die hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen berechtigt gefühlt haben, ihre niederdeutsche Graphie ‹o› für mhd. uo, mnd. ô1 beizubehalten. Auffällig ist jedenfalls die Parallele zwischen RL S2 und ei18 Als häufige bis vorherrschende Schreibung begegnet ‹oˇ › für uo, üe, z. B. in den folgenden bairischen und alemannischen Quellen: Otlohs Gebet, Sankt Galler Glaube und Beichte II und III, Süddeutscher Glaube und Beichte, Prüler Steinbuch, Bamberger Glaube und Beichte, Bamberger Blutsegen, Schwäbische Trauformel, Rheinauer Gebete, Gebete und Benediktionen von Muri, Züricher Arzneibuch und Züricher Predigten, Frauenfelder Bruchstücke von Flecks ‚Flore und Blanscheflur‘.
218
Thomas Klein
ner alemannischen Quelle wie den ‚Rheinauer Gebeten‘: beide Handschriften kennzeichnet sowohl vorherrschendes ‹o› bzw. ‹oˇ › für mhd. uo als auch häufiges ‹k› für mhd. ch < germ. k.19 Angesichts der im Mhd. noch stärker verbreiteten Graphie ‹oˇ › für ou fragt sich jedoch, warum dies die hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen nicht in gleicher Weise auch zur ‹o›-Schreibung von mhd. ou = mnd. ô2 veranlasste. Außerdem ist ansonsten – vor allem bei den beiden nordwestlichen Quellen Leiden-Egmonder Willeram und Mfrk. Reimbibel – kein obd. Einfluss erkennbar.
2.5 Profil der niederdeutsch-hochdeutschen Schreibsprache Als Profil der prototypischen hybriden nd.-hd. Schreibsprache ergibt sich für den lautlichen Bereich aus dem Vorstehenden das in der folgenden Tabelle 4 gebotene Bild.20 Ganz verknappt lässt sich sagen: wo Formen wie tach ‚Tag‘ und wif ‚Frau‘ und zo ‚zu‘ zusammentreten, haben wir es nach aller Wahrscheinlichkeit mit der hybriden nd.-hd. Schreibsprache zu tun. Was die Reimsprache der hochdeutsch dichtenden Niederdeutschen anbelangt, so muss hier der Hinweis genügen, dass sie in den meisten Fällen mit den Grundprinzipien der nd.-hd. Schreibsprache übereinstimmt, insbesondere in dem Grundsatz der Beachtung der hd. Verschiebung von p, t, k einerseits und der Beibehaltung der nd. Frikative andererseits. Reimsprachlich äußert sich das so, dass Reime gegen die hd. Tenuesverschiebung gemieden werden, Reime also des Typs bat ‚bat‘: sat ‚saß‘; kaum weniger gemieden werden Reime von mhd. d: t, z. B. rede: stete. Reime, welche nd. Frikative anstelle hochdeutscher Plosive voraussetzen, werden dagegen meist ohne größere Scheu verwendet, Reime also der Typen lof ‚Lob‘: hof ‚Hof‘ und lach ‚lag‘: sach ‚sah‘. Besonders kennzeichnend sind jene Reime, in denen sich die Verhochdeutschung des nd. Plosivs und die Beibehaltung des nd. Frikativs verbinden, also die Reimtypen lach ‚lag‘: sprach ‚sprach‘, lief ‚lieb‘ : rief ‚rief‘. Sie sind ansonsten ein mfrk. Charakteristikum. Wo aber 19 In S2 steht zwischenvokalisch weit überwiegend (25mal) ‹k› (nicht berücksichtigt bei Jacobi 1904, 49): offenliken 8745, 8749, totliken 8655, uortliken 8770, himelrike 8672, rike 8640, 8746, 8795, riken 8775, rikes 8748, geswiken 8776, sonst: ake 8681, geroken 8780, spraken 8734, 8760, beroket 8614, bleiken 8723, gewokeret 8638, sokent 8613, soket 8668, uersuke 8802; daneben nur sechsmal ‹ch›: michel 8783, 8786, micheleme 8675, algemeinliche 8676, riche 8769, mache 8705. 20 In der Übersicht steht ‹v› für ‹u› oder ‹v›, ‹kk› für ‹kk› oder ‹ck›; die zum Niederdeutschen weisenden oder hybriden Graphien sind wieder fett und kursiv hervorgehoben.
219
Niederdeutsch und Hochdeutsch in mittelhochdeutscher Zeit
mfrk. Herkunft wegen einer im Übrigen tendenziell omd. Reimsprache ausscheidet und auch Assonanzen nicht in Frage kommen, können solche Reime ein untrüglicher Hinweis auf einen hochdeutsch dichtenden niederdeutschen Verfasser sein. Tabelle 4: Profil der niederdeutsch-hochdeutschen Schreibsprache germ.
p
t
k
b
d
g
Position
mhd.
nd.-hd. Schreibsprache
mnd.
Anlaut
ph ~ p
ph (~ p)
p
nach Vokal
f/ff
f/ff ~ ph
p
Gemination
pf ~ pp
ph (~ pp, ff)
pp
nach Liquid
f
f ~ ph
p
nach Nasal
pf ~ p
ph ~ p
p
Anlaut
z
z
t
nach Vokal
z / zz
z ~ zz
t
Gemination
zz ~ tz
zz ~ z
tt
nach Konsonant
z
z
t
Anlaut
k ~ ch
k~c
k~c
nach Vokal
ch
ch
k
Gemination
kk ~ ch
kk
ck
nach Konsonant
k~ch~-c
k~c
k~c
Anlaut
b~p
b
b
nach Vokal
b/p
v/f~b
v/f
Gemination
pp
pp
bb
nach Liquid
b/p
v/f~b
v/f
nach Nasal
b/p
b
b/p
Anlaut
t~d
t~d
d
zwischenvokal.
t~d
t~d
d
Gemination
tt
tt
dd
nach l
t~d
d~t
d
nach n
d~t
d~t
d
nach r
t
t
d
Auslaut
t
t
t
Auslaut nach n
c~g
c~g
c~g
Auslaut sonst
c~g
ch
ch
Gemination
kk
kk
gg
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3. Entwicklung und Ausrichtung der niederdeutsch-hochdeutschen Schreibsprache 3.1 An welcher Erscheinungsform des Hochdeutschen orientierten sich die hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen/Niederländer? Die Antwort auf diese Frage ergibt sich schon weitgehend aus dem, was bereits zu einzelnen Punkten der graphischen Regelungen der nd.-hd. Schreibsprache zu bemerken war: Explizit obd. Merkmale im engeren Sinne – bairisch-alemannische Merkmale also, welche die mitteldeutschen und ostfränkischen Quellen der mhd. Zeit nicht teilen – lassen sich weder im konsonantischen noch im vokalischen Bereich als tendenziell regelhafte oder auch nur relativ häufige Züge dieser Schreibsprache ausmachen. Insbesondere gilt dies für obd. ‹ch› für germ. k in Affrizierungsposition und für ostobd. ‹ai› für ei und ‹p› für b im Anlaut. Auch im Formensystem gibt es keine eindeutig obd. Elemente. Wenn sich etwa die hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen teils für her ‚er‘, teils für er entscheiden, so hat das seine Entsprechung in den Quellen aus dem thüringisch-hessischen und rheinfränkischen Bereich. Das nd.-md. he meiden die hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen im allgemeinen ebenso wie die nicht-mittelfränkischen Mitteldeutschen. Die obd. Flexionsendung –iu des Pronomens21 und starken Adjektivs fehlt bei den hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen22 weitestgehend – wie wiederum bei den Mitteldeutschen. Andererseits haben sich die hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen/Niederländer auch nicht am Mittelfränkischen orientiert, obgleich dies doch jene Varietät des Hochdeutschen war, die ihnen sprachlich am nächsten stand. Dies gilt vor allem für den niederfränkisch-niederländischen Bereich. Doch auch der Leiden-Egmonder Willeram und die Mfrk. Reimbibel zeigen mit ihrer Regelform her ‚er‘ und mit durchgängigem oder häufigem iz ‚es‘, thaz ‚das‘,23 dass das Mittelfränkische für ihre hochdeut21 Außer natürlich bei den einsilbigen Pronominalformen siu, diu (< as. siu, thiu), die sich auch im Frühmnd. noch finden (Sarauw 1924, 111, 117); ebenso noch im Zahlwort thriu, driu (z. B. RL A thriu 519, 5013, 8063), vgl. Sarauw (1924, 98). 22 Gelegentlich werden solche Formen aus obd. Vorlage übernommen, so in RL A noch groziu 4821, palwischiu 3678, thisiu 8357 und bemerkenswert häufig in elliu ‚alle‘ 705, 797, 3678, 8162, 8926, 8942, elliv 3313, eliu 5792, ellu 2042, 2004. 23 Zum Leidener Willeram vgl. Sanders (1974, 212, 219): stets iz; nur 3 that neben 110 thaz. In der Mfrk. Reimbibel ist der Einfluss des unmittelbar benachbarten Mittelfränkischen erwartungsgemäß höher. Sie bietet für mhd. daz Konjunktion: 45 that, 9 thaz (= 16,7 %), für
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sche Orientierung nicht allein maßgeblich gewesen sein kann. Für die Beibehaltung der nd. Frikative in der nd.-hd. Schreibsprache insgesamt kann es allerdings eine Rolle gespielt haben, dass es mit dem Mittelfränkischen einen Teilraum des Hochdeutschen gibt, in dem diesbezüglich ganz ähnliche Verhältnisse gelten wie im Niederdeutschen und Niederländischen. Der entscheidende hochdeutsche Bezugspunkt kann das Mittelfränkische aber für die hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen nicht gewesen sein, zumindest für jene nicht, die sich in der d/t-Verteilung sichtlich an der thüringischen Regelung, und damit zugleich an jener der thüringischhessischen Schreib- und Reimsprache, ausrichten. Wenn dagegen die nordwestlichen Schreiber des Leiden-Egmonder Willeram und der Mfrk. Reimbibel für germ. d im An- und Inlaut durchgängig das eigene ‹d› beibehalten und es also vom Prinzip der Verhochdeutschung der nl.-nd. Verschlusslaute ausnehmen, so können dafür die westmitteldeutschen Verhältnisse ausschlaggebend gewesen sein, und zwar wegen ‹d›, ‹dd› auch nach r und in der Gemination gerade auch die (nord)mittelfränkischen Gegebenheiten. Für die hochdeutsche Orientierung scheint sich also für die Frühzeit eine Zweiteilung abzuzeichnen: Im niederländisch-niederfränkischen Nordwesten blickt man auf das Westmitteldeutsche, auf das Mittel- und Rheinfränkische, im niederdeutschen Raum, wenigstens in Ostfalen, aus dem fast alle frühen Zeugnisse der nd.-hd. Schreibsprache stammen, dagegen auf das östlichere Mitteldeutsche und seine thüringisch-hessische Schreib- und Reimsprache. Auch der Maasländer Heinrich von Veldeke schaut bei seiner Rücksichtnahme auf hochdeutsche Reimmöglichkeiten dorthin und gerade nicht auf das benachbarte Mittelfränkische (Klein 1985, 51–86). Innerhalb des thüringisch-hessischen Bereichs wiederum befinden sich die Hessen in einer den hochdeutsch schreibenden Niederdeutschen insofern vergleichbaren Position, als sie sich im Konsonantismus an thüringischen Verhältnissen ausrichten, vor allem was die d/t-Verteilung und den Gebrauch von ‹ph› für germ. p im Anlaut anbelangt. Wie für die Niederdeutschen ihr unverschobenes t anstelle des hd. z, so ist für die Hessen ihr unverschobenes d anstelle des omd.-obd. t das markierte Merkmal, das sie bei einer Fremdorientierung an erster Stelle und unter Umständen als einziges ersetzen. Ein besonders erstaunliches Beispiel für diese Haltung gibt der hessische Schreiber der Trierer Fragmenthandschrift des niederfränkischen ‚Floyris‘ (de Smet, Gysseling 1967, 72–76; Klein 1982, 211–214): Er behält die unverschobenen ‹p›, ‹t›, ‹k› und die Schreibungen ‹u›/‹f› für germ. daz Pronomen/Artikel 33 that, 19 thaz (= 36,5 %); für ez: 1 ith, 23 iz (= 95,8 %); also starke lexemabhängige Unterschiede.
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postvokalisches und –liquides b aus seiner Vorlage durchgängig oder mit wenigen Ausnahmen bei, ändert aber unverschobenes ‹d› ebenso konsequent in ‹t›, und zwar eindeutig nach dem Muster der für die thüringischhessische Schreib- und Reimsprache bestimmenden thüringischen d/t-Verteilung.24 Die thüringisch-hessische Schreibsprache insgesamt scheint wiederum in manchen Zügen am südlich benachbarten Ostfränkischen orientiert zu sein scheint (Klein 1982, 222–224). Für diese Ausrichtung könnte es auch ein metasprachliches Zeugnis geben: bei Ebernand von Erfurt nämlich, der wohl um 1220 seine Legendendichtung über das in Bamberg beigesetzte Kaiserpaar Heinrich II. (1002–1024) und Kunigunde verfasst hat. In einem längeren Epilog äußert sich Ebernand u. a. auch zur Sprachfrage: 4467 ich bin ein Durenc von art geborn: hêt ich die sprâche nû verkorn unt hête mîne zungen 4470 an ander wort getwungen, warzuo wêre mir daz guot? ich wêne er effenlîche tuot, der sich der sprâche zucket an, der er niht gefuogen kan. ‚Ich bin Thüringer meiner Herkunft nach. Hätte ich diese meine Heimatsprache verleugnet und mich zu einer anderer Sprachform gezwungen, wozu hätte mir das taugen sollen? Ich glaube, man verhält sich wie ein Affe, wenn man eine Sprache annimmt, zu der man nicht passen kann/die man nicht beherrscht.‘
Auch hier hat man die „mhd. Dichtersprache“ als Hintergrund vermutet: Das sei die Sprache, die nachzuäffen Ebernand ablehne, der er nicht gevüegen könne und wolle. Eine solche Deutung vernachlässigt zugunsten der nebulösen mhd. Dichtersprache ganz konkrete Hinweise des Textes. Unmittelbar anschließend an die zitierte Stelle wendet sich Ebernand nämlich an das Publikum, auf das er zuvörderst rechnen konnte und musste: die Bamberger. Denn Heinrich und Kunigunde waren ja Bamberger Lokalheilige. Zudem war Kunigunde erst 1200 unter wesentlicher Mitwirkung jenes Domküsters Reimbot kanonisiert worden, der später Ebernand zu seiner Dichtung anregte: 24 Das zeigt sich vor allem daran, dass er einerseits ‹d› nach l in Formen wie alden, teilden, manicfalden stets beibehält, ebenso auch im Part. Prät. geliden mit Ausgleich des Grammatischen Wechsels, andererseits ‹t› auch in der omd. Kennform verteruen ‚zugrunde gehen‘ 350 einführt.
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4475 ir edeln Babenbergêre, nû geldet mir mîn mêre, sint ir die heilegen beide hât, durch die got wunderlîche tât vil dicke hât begangen, 4480 sint ich bin bevangen mit kumber als ich gesprochen hân, daz ir mich armen wellet hân in ûrs gebetes teile.
Der Thüringer Ebernand schreibt also zumindest auch, wenn nicht in erster Linie für das ostfränkische Bamberg. Und aus dieser Konstellation heraus sind – darin ist Hermann Paul (1873, 12 f.) beizupflichten – auch Ebernands Bemerkungen zur Sprachform verständlich. Tatsächlich zeigt seine Reimsprache zwar nur wenig spezifisch Thüringisches; sie ist hinsichtlich ihrer dialektalen Anteile guter mhd. Durchschnitt. Aber vom Ostfränkischen Bambergs, wie es beispielsweise ein Menschenalter später der Renner Hugos von Trimberg zeigt, weichen Ebernands Reime doch hie und da ab. Und dies meinte Ebernand wohl explizit erklären zu müssen. Ist dies richtig, so lehnt Ebernand nicht die Übernahme einer – ja ohnehin allenfalls tendenziell vorhandenen – Literaturkoine ab, sondern er verwahrt sich gegen etwaige Kritik von ostfränkischer Seite. Bezeichnend ist dann freilich immer noch, dass er dies für nötig hielt. Äußerungen dieser Art begegnen in unserer mittelalterlichen Literatur schließlich nur ganz ausnahmsweise. Der besondere Grund mag für Ebernand darin bestanden haben, dass man in Thüringen (und gewiss auch weiter nördlich), wenigstens aber in Ostfranken von einem Mehrwert des „Fränkischen“ ostfränkischer Prägung ausging. Diesem Anspruch stellt sich Ebernand entgegen, indem er auf das sprachliche Toleranzprinzip pocht: ‚Besonderheiten meiner Sprache erklären sich aus meiner Herkunft und sind daher zu respektieren‘. Anders scheint das etwa zur gleichen Zeit der hochdeutsch dichtende Niederdeutsche Albrecht von Halberstadt zu sehen, dessen einschlägige Äußerung daher auch immer wieder als Zeugnis für Existenz und Mehrwert einer obd. höfischen Literatursprache herangezogen worden ist. Albrecht von Halberstadt hat entweder ab 1190 oder ab 1210 im thüringischen Jechaburg im Auftrag Landgraf Hermanns von Thüringen Ovids ‚Metamorphosen‘ verdeutscht, und zwar in einer an der thüringisch-hessischen orientierten Literatursprache. Diese deutschen Metamorphosen sind – abgesehen von einigen Fragmenten des 13. Jh.s – nur in der Bearbeitung Jörg Wickrams erhalten, die Vers und Sprache tiefgreifend umgestaltete. Die sich dar-
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aus ergebende Unsicherheit über den ursprünglichen Wortlaut betrifft auch den Prolog, dem wir alle Information über Albrecht verdanken: 42
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der sîne sinne an ditze bûch zu rechte hât gevlizzen, der ist sult ir wizzen: enweder dirre zweier, weder Swâp noch Beier, weder Dürinc noch Franke. des lât û sîn zu danke, ob ir vundet in den rîmen, die sich zeinander lîmen, valsch oder unrecht: wan ein Sachse, heizet Albrecht, geboren von Halberstat, û ditze bûch gemachet hât von latîne zu dûte. sô vil gûter lûte an tichtenne gewesen ist, daz sie ez an mich habent gevrist, daz wil ich lâzen âne haz, daz man ouch eteswaz genuzze mîner sinne
‚der seinen Verstand eifrig und in geziemender Weise an dieses Buch gewendet hat, der ist – so sollt ihr wissen – keines von beiden: weder Schwabe, noch Bayer, weder Thüringer noch Franke. Daran sollt ihr denken, wenn ihr etwa in den Versen, die aufeinander reimen, Falsches oder Unrichtiges antreffen solltet. Denn ein Sachse mit Namen Albrecht, von Halberstadt gebürtig, hat euch dieses Buch aus dem Lateinischen verdeutscht. Es hat schon so viele vortreffliche Dichter gegeben: dass sie mir diese Aufgabe überlassen haben, das nehme ich gern hin, damit man sich so auch ein wenig an meiner Kunst erfreue‘.
Auch hier also der Rechtfertigungstopos: ‚Lieber Leser/Hörer, sprachliche Eigentümlichkeiten meiner Dichtung erklären sich aus meiner Herkunft‘. Allerdings werden diese Besonderheiten hier als valsch oder unrecht bezeichnet, wobei offen bleibt, ob sie dies nur in der Perspektive anderer Sprachlandschaften sind – dann hätte die Stelle genau dieselbe Funktion wie vergleichbare Äußerungen bei Hugo von Trimberg und Jacob van Maerlant – oder ob sie es gewissermaßen „objektiv“ sind. Letzteres ist wohl wahrscheinlicher. Bezeichnend auch, dass Albrecht zur Rechtfertigung seiner Sprache nicht nur wie Maerlant, Hugo von Trimberg, Ebernand und andere sagt, woher er stammt, sondern auch, woher er nicht stammt, aus dem
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hd. Raum nämlich. Das deutet schon darauf hin, dass das Hochdeutsche für die damaligen Niederdeutschen einen deutlichen Mehrwert besessen haben muss. „Das Hochdeutsche“ muss aber längst noch nicht heißen: die obd. Dichtersprache! Hochdeutsch ist aus nd. Perspektive zunächst der gemeinsame Nenner der Sprachräume, die Albrecht nennt: des Schwäbisch-Alemannischen, des Bairischen, Thüringischen und „Fränkischen“25. Socin (1888, 107) hebt zu Recht hervor, dass Albrecht hier eine Zweiteilung vornimmt, indem „Schwaben und Baiern, die Oberdeutschen, den Thüringern und Franken, den Mitteldeutschen,“ entgegensetzt. Kein Zweifel sodann auch, welche dirre zweier Größen für Albrecht die maßgebliche ist: Besonderen Vorbildcharakter hatte für ihn wie für die andern hd. dichtenden Niederdeutschen eben gerade nicht die Reimsprache oberdeutscher Dichtungen, sondern die regionale md. Literatursprache des ihnen nächstbenachbarten thüringisch-hessischen Raums. Wenn Albrecht seine nd. Herkunft in Reim- und Wortgebrauch auch gelegentlich zu erkennen gibt, nähert er sich von allen hd. dichtenden Niederdeutschen dieser hess.-thür. Literatursprache doch am meisten an; sein Reimgebrauch weicht von dem seines hessischen Zeitgenossen Herbort von Fritzlar nicht wesentlich ab. Von allen hd. dichtenden Niederdeutschen des 12./13. Jh.s hat Albrecht es daher wohl am wenigsten nötig, sich zu rechtfertigen. Hinzu kommt das ambitiöse Unternehmen der Metamorphosen-Verdeutschung: Kein anderer Autor der mhd. Zeit hat sich unmittelbar an eine antike Vorlage gewagt. Und die letzten Verse der zitierten Passage zeigen, dass Albrecht davon wusste und dass es ihm an Selbstbewusstsein keineswegs mangelte. Ob er sich in den vorausgehenden Versen wirklich für eigene Defizite gegenüber einer zumindest als Ideal existierenden hochdeutsche Literatursprache entschuldigen wollte, scheint mir auch daher zweifelhaft.
25 Bei den Franken wird Albrecht vermutlich wenn nicht allein, so in erster Linie an das Herzogtum Franken (sprachräumlich also an das Ostfränkisch-Hessisch-Rheinfränkische) gedacht haben und nicht auch an die Lotharingier (zu deren Status und Identitätsbewusstsein vgl. Bauer 1997).
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3.2 Zur Chronologie und Entwicklung der niederdeutsch-hochdeutschen Schreibsprache Die Annahme, die hochdeutsche schreib- und literatursprachliche Orientierung des niederdeutschen Raums in mhd. Zeit sei auf den Einfluss der mhd. höfischen Literatur und ihrer „Dichtersprache“ zurückzuführen, scheitert vor allem auch an der Chronologie: Längst zuvor schon hat man nämlich im Norden des Kontinentalwestgermanischen begonnen, sich schreibsprachlich hochdeutsch zu orientieren: Eröffnet wird die Reihe durch den nordholländischen Leiden-Egmonder Williram (um 1100); es schließen sich an die Handschrift A der sog. Mfrk. Reimbibel (1. Hälfte [?] 12. Jh.), die Wiggertschen Psalmen (Mitte [?] 12. Jh.) und die Handschriften A und S (letztes Viertel 12. Jh.) des Rolandsliedes. Wie gezeigt weisen all diese Texte und Handschriften schon jene für viele der späteren hd. schreibenden Niederdeutschen kennzeichnende hybride Schreibsprache auf. Auch Veldekes neutrale Reimsprache, die im Grundsatz schon der ‚Servatius‘ (um 1170) zeigt, ließe sich hier vergleichen: Veldeke meidet weitestgehend Reime gegen die hd. Lautverschiebung von germ. p, t, k und von germ. d; deutlich freizügiger verfährt er mit Reimen, welche den frikativen nl. Lautwert der Nachfolger von postvokalischem germ. b und g voraussetzen (Klein 1985, 60, 64–66). Eine sprachliche Südorientierung des Nordwestens bezeugt wohl bereits auch das Annolied (um 1080), dessen Verfasser – obgleich er wohl vorzugsweise für mittelfränkische Adressaten schrieb – eine osthessisch-thüringisch-ostfränkische Reimsprache ohne irgendwelche Konzessionen an das Mittelfränkische benutzte (Klein 1995). Auch frühmhd. rheinische Autoren aus der Mitte bis zweiten Hälfte des 12. Jh.s wie der Pfaffe Lambrecht, der Wilde Mann und Wernher vom Niederrhein zeigen leichte Ansätze zu einer solchen sprachlichen Südorientierung, vor allem in einer gewissen Zurückhaltung gegenüber Reimen des Typs mfrk. d : d = mhd. d : t. Anders als im niederdeutschen, vor allem ostfälischen, Bereich kommt es im Nordwesten aber im 13. Jh. zu einer Trendwende. Nicht nur die mittelniederländischen, sondern auch die ripuarischen Dichter des 13.–14. Jh.s nehmen keinerlei erkennbare Rücksicht nach Süden hin, sondern dichten ohne erkennbare Einschränkung ripuarisch. Im 13. Jh. gilt dies insbesondere für ‚Morant und Galie‘, ‚Karl und Galie‘, das ‚Rheinische Marienlob‘ und Gottfried Hagens Reimchronik der Stadt Köln. Wenn der Dichter des Rheinischen Marienlobs sich wirklich an Gottfried von Straßburg geschult haben sollte, dann hat das auf die phonologisch-flexionsmorphologischen Konturen seiner Reimsprache jedenfalls keinen Einfluss gehabt.
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Während die Ansätze zu einer hd. orientierten Schreib- und Literatursprache im Nordwesten nach Veldeke also jäh abbrechen, setzen sie sich auf niederdeutsche Seite mit vielen Zeugnissen bis ins 14., ja teils noch 15. Jh. fort. Noch zu Beginn des 15. Jh.s dichtet der Mindener Kanoniker Eberhard von Cersne in einer Sprache, die in vielen charakteristischen Zügen mit jener der Braunschweigischen Reimchronik übereinstimmt. Eine Fortsetzung findet damit auch die Ausrichtung hin auf die ostmitteldeutsche Schriftlichkeit, die ein weiteres Jahrhundert später mit und im Gefolge der Durchsetzung der nhd. Schriftsprache für den Großteil Norddeutschlands erneut zu einer schriftsprachlichen Orientierungsinstanz werden wird.
3.3 Entstehungshintergründe der niederdeutsch-hochdeutschen Schreibsprache In scharfem Kontrast zu diesen Prozessen des 16./17. Jh.s bezeugt die hybride nd.-hd. Schreib- und Reimsprache der mhd. Zeit aber wie dargelegt gerade nicht die Existenz e i n e r literatursprachlichen hochdeutschen Leitvarietät, der obd. höfischen „Dichtersprache“. Sie bezeugt nur das Prestigegefälle zwischen Hochdeutsch und Niederdeutsch, ein Gefälle, das offenbar älter ist und andere als literatursprachliche Gründe hat. Mit Blick auf die Chronologie der frühen Zeugnisse der nd./nl.-hd. Schreibsprache müssen diese Gründe bereits im Zeitraum vor etwa 1170 gesucht werden: Es dürfte kein Zufall sein, dass es sich beim ältesten Zeugnis, dem Leiden-Egmonder Willeram, um eine Handschrift von Willirams von Ebersberg Hoheliedkommentar handelt. Williram hat ihn bekanntlich obgleich im bairischen Ebersberg doch im Wesentlichen in jener ostfränkischen Schreibsprache geschrieben, die er in Fulda und vor allem in Bamberg gelernt haben dürfte. Und in dieser ostfränkischen Sprachgestalt ist der Hoheliedkommentar zum verbreitetsten volkssprachigen Text des 11. und 12. Jh.s geworden. Auch aus der Untersuchung der Reimsprache des Annoliedes und ihrer möglichen Hintergründe ergibt sich die Vermutung, „dass sich bereits im 11. Jh. ein Bewertungsgefälle zwischen den deutschen Dialekten derart ergeben hätte, dass man auf der Ebene der volkssprachigen Schriftlichkeit dem Hochdeutschen ostfränkischen Zuschnitts einen höheren Rang zumaß als etwa dem Mittelfränkischen oder Niederdeutschen“ (Klein 1995, 36). Ob die hohe Geltung der Bamberger Schulen im 11./ 12. Jh. (Märtl 1991) und die Bedeutung Bambergs für das Wiedereinsetzen der volkssprachigen Literatur in der zweiten Hälfte des 11. Jh.s aber als Erklärung auch für die Anfänge der nd.-hd. Schreibsprache Niederdeutsch-
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lands im 12. Jh. allein hinreichen, mag man bezweifeln. Entscheidende zusätzliche Impulse dürften da erst vom sächsischen Herzogtum der Welfen seit 1137 und verstärkt in der Zeit des sächsisch-bayerischen Doppelherzogtums Heinrichs des Löwen seit 1156 ausgegangen sein. Allerdings hat dies nichts an der Orientierung der hd. schreibenden Niederdeutschen am Thüringisch-Osthessisch-Ostfränkischen geändert, an der Sprache also des (östlichen) Herzogstums Franken und Thüringens. Diese Ausrichtung zumindest wird bereits ältere, salierzeitliche Wurzeln haben.
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Entregionalisierung im Kölner Buchdruck
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Entregionalisierung im Kölner Buchdruck in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts? 1. Einleitung, Fragestellungen In der Einleitung zur Faksimileausgabe einer in Köln um 1515/18 bei Arnd von Aich „by sant Lupus“ gedruckten Bauernpraktik und Bauernklage schrieb der leider viel zu früh verstorbene Hartmut Beckers (1985, 37f.): Es wäre gewiß ein ebenso reizvoller wie aufschlußreicher Beitrag zur näheren Erforschung der allmählichen Verdrängung der heimischen ripuarisch-kölnischen Sprachtradition durch die sich ausbildende frühneuhochdeutsche Gemeinsprache in Köln, wenn man die Sprachgestalt der einzelnen Lupusdrucke sorgfältig beschreiben und unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Textsorte, ihrer Vorlage und ihres mutmaßlichen Zielpublikums zu erklären versuchen würde. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde sich dabei herausstellen, daß Arnd von Aich einer der entscheidenden Schrittmacher bei der Einbürgerung des Frühneuhochdeutschen als Druckersprache in Köln gewesen ist, und daß ihm in dieser Hinsicht mehr Bedeutung zukommt als dem doch deutlich später hochdeutsch zu drucken beginnenden Jaspar von Gennep, den man lange [und im wesentlichen bis heute] als die für den Sprachwechsel entscheidende Druckerpersönlichkeit ansehen wollte.
Diese speziell auf die fast rein volkssprachliche Produktion der Lupuspresse von Arnd und Johann von Aich (1512–1564) bezogenen Annahmen hat Beckers dann nur noch in Ansätzen in einem Beitrag zum Frings-Kolloquium 1986 (Beckers 1990) ausführen können sowie in einer übergreifenden Darstellung zur Zurückdrängung des Ripuarischen und Niederdeutschen im frühen Kölner Buchdruck (Beckers 1989). In einem Beitrag von 1991 über ein 1547, nochmals 1553 gedrucktes Neues Testament nach der Textfassung Luthers, das Arnd von Aichs Schwiegersohn Laurentius von der Mülen in Bonn und Köln herausgebracht hat, habe ich zu zeigen ver-
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sucht, daß die gewählte schreibdialektal-ripuarische Sprachform dieser Drucke bereits völlig quer zu der üblichen Sprachwahl im Kölner Buchdruck der Zeit stand, aber auch bereits zu der des Druckers von der Mülen selbst in seinen anderen volkssprachlichen Werken zwischen 1541 und 1550. Etwa an diesem Punkt und im angesprochenen Zeitraum will der folgende kleine Beitrag ansetzen, allerdings nicht nur bei den v. a. frühen Drucken der Lupuspresse, sondern unter der erweiterten Fragestellung nach dem spezifischen Beitrag des Buchdrucks an den in den Grundzügen inzwischen ganz gut erhellten Prozessen und Prinzipien, die in Köln/im kölnischen Rheinland zu dem Varietätenwechsel in der Schriftlichkeit (oder zu dem Schreibsprachenwechsel) etwa bis zur Mitte des 16. Jh. geführt haben. Eine solche Erweiterung dürfte insbesondere nach den wichtigen Beobachtungen Robert Möllers (1998, 2001) notwendig werden, wonach nämlich schon im ganzen 15. Jh. nicht nur Kenntnisse, sondern auch klare Anwendungen (mit beachtlichen Frequenzen) von oberdeutschen/hochdeutschen Schriftsprach-Merkmalen (resp. Varianten) im Briefverkehr der stadtkölnischen Ratskanzlei mit im zeitgenössischen Verständnis oberdeutschen Empfängern festzustellen sind, kaum dagegen im regionalen Briefverkehr. D.h. der eigentlich immer schon erwartete Vorlauf des Frühneuhochdeutschen ist inzwischen in einem doch erheblichen Ausmaß für die Südkontakte der Stadt nachgewiesen, das 16. Jh. bringt also nicht ganz den abrupten Wechsel, wie ihn u. a. auch der Verf. mit der Rede von einer gewissen ‚Normierung‘ des regionalen kölnischen Schreibdialekts im 15. Jh. lange im Auge hatte (z. B. Hoffmann/Mattheier 1985, 1848 ff.). Solche ‚Normierung‘ hat offensichtlich nur im begrenzten regionalen und v. a. im intern-städtischen Bereich der Schreib- und Druckpraxis Geltung besessen, dort allerdings durchaus. Im Außenverkehr muß eine latente Heterozentrierung schon im 15. Jh. im kanzlistischen Bewußtsein und Gebrauch vorhanden gewesen sein. Zu diesen neuen Erkenntnissen für das 15. Jh. kommt noch die Problematik der alten (und auch vom Verf. immer wieder nachgebeteten) These, daß der Buchdruck qua Mediumsgesetz, mittels Verbreitungs- und Marktmechanismen entscheidender Promotor und wirksamer Beschleuniger des allgemeinen Sprachausgleichs und – für das Kölnisch-Ripuarische – des Schreibsprachenwechsels im 16. Jh. gewesen sei. Waren die Kanzleien und die professionellen Schreiber nicht vielleicht doch die Vorreiter in der schriftsprachlichen Umstellung, und sind die Drucker – jedenfalls in Köln – nicht nur auf den (längst) angefahrenen Zug gesprungen? Haben die gedruckten Texte in der ersten Hälfte des 16. Jhs. resp. die Drukker, Setzer und Korrektoren vor Jaspar von Gennep (1532–1564) und Lau-
Entregionalisierung im Kölner Buchdruck
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rentius von der Mülen (1541–1550) nicht ähnlich wie die handschriftlichen mühsam und unentschieden zwischen regionalem Schreibdialekt und hochdeutsch-oberländische(r)(n) Schreib- und Drucksprache(n) probiert, experimentiert, geschwankt? Muß man die Vorstellung vom (im objektsprachlichen Bereich der Schriftlichkeit) Buchdruck als Promotor der Sprach-Standardisierung nicht aufgeben? Hinkt er nicht zunächst den Kanzleien und der sprachlichen Modernisierung sogar ziemlich hinterher in den ersten Jahrzehnten des 16. Jhs.? Dazu wäre genauer zu prüfen: In welchen linguistischen Bereichen sind welche Kölner Drucke(r) modern/heterozentriert, in welchen bewahrend/autozentriert mit welchen Anteilen zwischen etwa 1500 und 1530? Genau in diesem Bereich des frühen Kölner Buchdrucks besteht ein auffälliger Mangel an genaueren sprachlichen Analysen von Texten, Textsorten wie Offizinen (vgl. aber Beckers 1993 zu einem kleinen ABC-Buch, Köln 1520 bei Servas Kruffter). Aus diesem größeren Forschungskomplex soll hier nur zwei kleinen Fragestellungen ansatzweise nachgegangen werden. Einmal der Frage, ob sich durch eine genauere regionalsprachliche Einordnung der von der o.g. Lupuspresse herausgebrachten 94 Drucke nach der Bibliographie von Bekkers 1985 und ihrer Vorlagen eine bessere Beurteilung der von ihm behaupteten „Schrittmacher-Funktion“ dieser Offizin für das (Frühneu-)Hochdeutsche in Köln gewinnen läßt. Zum andern soll an drei ausgewählten, von der Textsorte als neuartig geltenden Drucken dieser Offizin vor 1530 sowie – sozusagen als Gegenprobe – an Beispielen der für Köln um und nach 1500 besonders typischen ‚Passien‘- oder Legendendrucke, hier 5 Versionen der Ursula-Verslegende, ein erster Einblick in die Verteilung regionalsprachlicher bzw. schreibdialektaler Merkmale und ihres Abbaus zugunsten (frühneu)hochdeutscher im Kölner Buchdruck zwischen 1500 und 1530 mit Hilfe eines ganz vorläufigen Sets von Variablen versucht werden.
2. Die Drucke der Lupuspresse Im Anhang des eingangs erwähnten Faksimiles der sog. Bauernpraktik hat Beckers (1985) ein Gesamtverzeichnis von 94 Druckwerken aus der Lupuspresse zusammengestellt (91–136), mit Exemplarnachweisen, oft mit Angaben zu Vorlagen und in den meisten Fällen, nämlich der nach Beckers „bemerkenswerteren Titel“ (91), solchen zur ‚Sprachform‘ der Texte. Aus diesen Angaben, die z. T. anhand von mitgeteilten ausführlichen Titelangaben, von Textzitaten und Abbildungen nachzuvollziehen sind, ließ sich die folgende, stark verkürzende Übersicht zusammenstellen. In 7 Spalten wer-
234
Walter Hoffmann
den für (fast) jeden Druck (unter Anwendung hoffentlich vertretbarer Abkürzungen und ohne systematisierende Absichten) mitgeteilt: – die Nummer des Druckes bei Beckers (geklammert, wenn ohne Exemplarnachweis) – ein Kurztitel – der Umfang in Blattzahl, sofern angegeben – eine ganz vorläufige Gattungs- resp. Textsortenzuordnung vom Verf. ohne jeden weiteren Anspruch – die Datierung des Druckes, genau oder geschätzt – (Sprach-)Region und evt. Ort einer Vorlage, sofern angegeben oder zu erschließen – die Sprache(n) des Druckes mit den regionalen Zuweisungen bzw. deren Mischung (Zweite Regionalsprache in Klammern: geringe Anteile; zweite Regionalsprache nach Schrägstrich: etwa gleiche Anteile; Fragezeichen geben die von Beckers vermutete Zuordnung an, die Bezeichnungen der Sprachregionen sind von ihm übernommen, außer „rip.“ für kölnisch-ripuarisch bei ihm; dreizehn Drucke haben mangels ausreichender Indizien keine solchen Sprachform-Angaben erhalten). Tabelle 1: Die Drucke der Lupuspresse Nr.
Titel/Autor
Umfang
‚Gattung‘
Dat.
1
Heiligt. Trier
4
Pilgerb.
1512
lat.
(2)
"
"
"
"
lat.
3
"
"
"
"
hd. (wmd.)
4
Traktat Trier
12
Rel.
1513
hd. (wmd.)
5
Chirurgie
20
Fachpr.
1514
Basel
6
Alb. Magnus
32
Theol.
c 1515
Str./Augsb.
hd.
7
Bauernpr.
8
Progn.
1515/18
hd.
rip. (hd.)
(8)
Laet, J.
8
"
1516/17
nl.
rip./nl.
(9)
Reliquien
28
(10)
Andreas P.
11
Liederbuch
10 1/2
12
Rösslin, E.
64
Pilgerb.
1517
Fachpr.
1518
Fachpr.
‚Vorlage‘
Sprachform
hd.: ndalem.
franz.
c 1518
Augsb.
hd.: oschw.
c 1518
Straßb.
hd.: oberrh.
obd.
rip.
13
Prognostik
8
Progn.
1517/18
14
Simonis, N.
60
Legende
1519
15
Werbebotsch.
8
polit.
1519
16
A. Fresant
4
Progn.
1519
nl./obd.?
rip./hd.
17
J.v. Sacrobosco
28
Fachpr.
1519
hd.: Nbg.
hd.
hd. hd.
235
Entregionalisierung im Kölner Buchdruck Nr.
Titel/Autor
Umfang
‚Gattung‘
Dat.
‚Vorlage‘
Sprachform
18
D. Kolde, Sel.
60
Katech.
c 1520
westf./ nl.
rip.
19
D. Kolde, Chr.
64
Katech.
"
"
rip.
20
D. Kolde, Chr.
8 (Teil)
Katech.
"
"
rip.
21
Sibyllenweiss.
16
Progn.
"
Hs. srhfr.?
rip.
(22)
D. Kolde, Sel.
c 1522
westf./nl.
rip.?
23
Ber. Erdbeben
4
Bericht
1523
franz.
rip.
24
Dialog Zwietr.
4
Reform.
1522/23
hd.: omd.
hd.
25
B. v. Karlstadt
36
"
1523
hd.: omd.
hd.
(26)
J. Virdung
12
Progn.
1523/24
hd.: rhfr.
rip.
27
Grund u. Urs.
12
Rel.
1524
(28)
Kolde, Sel.
29
St. Wacker
(30)
Bericht Pavia
hd.
1524 6
Progn.
1523/24
Bericht
1525
"
hd. Drr.
rip. / hd. hd.?
31
"
8
(32)
Almanach
1 Bl.
1525
rip. (nl.)
1525
rip.?
33
D. Kolde, Sel.
88
Katech.
1526
34
Ber. Mohacs
4
Bericht
1526
rip.
(35)
Passion
?
Rel.
1526
rip.?
(36)
Evang. Hdb.
?
Reformat.
1527
37
Erasmus, Funus
28
Rel.
c 1527
(38)
Ber. Ferd. I.
4
Bericht
1528
39
O. Brunfels
32
Fachpr.
westf./ nl.
rip.
lat.
hd.
n. 1528
obd. Str.
hd. rip./ hd.
40
Herz. Ernst
28
Lit.
c 1529
obd. Aug.?
41
D. Kolde, Sel.
76
Katech.
1529
westf. nl.
(42)
J. Wolmar
7
Progn.
1529
(43)
Cato dt.
Gramm.
c 1529
überall
rip.?
44
7 weise Meister
Chron.
c 1530
obd.?
hd.?
?
rip. rip.
Wechsel Arnd v. Aich > Johann 45
Reterbüchl.
?
c 1530
(46)
Rosswindm.
1 Bl.
c 1530
47
Cato dt.
12
Gramm.
1530
‚überall‘
rip.
(48)
Passion
?
Rel.
1530
?
rip.?
49
Evang. Hdb.
(nur AT)
Reformat.
n. 1530
hd.?
50
Cyprianus Jud.
12
Rel.
1531
hd.
(51)
Ber. Krieg
?
Bericht
c 1530
52
N. Juricic
8
Bericht
1532
(53)
W.v. Isenburg
34
Rel.
c 1532
hd.
54
",Widerleg.
10
Rel.
c 1532
hd.
hd.?
hd. obd.?
hd.
236
Walter Hoffmann
Nr.
Titel/Autor
Umfang
‚Gattung‘
Dat.
55
J. Wolmar
6
56
Erasmus, Miseric. dt. ?
57
Valla
1533
lat.
58
R. Agricola
1533
lat.
59
Spiegel Weish.
4
Rel.
c 1533
rip.
60
J. Wolmar
6
Progn.
1534
rip.?
61
J. Caesarius
44
Rhetor.
1534
lat.
(62)
"
"
1535
lat.
63
Passion
Rel.
c 1535
rip.
(64)
NT
65
Hist. Octavian
92
Chron.
1537
66
Kunckels Ev.
32
(67)
Ber. Krieg
68
Hist. Barbarossa
(69)
Progn.
1533
Rel.
1533
‚Vorlage‘
Sprachform
Dr. Basel?
hd.
rip./ hd.
1536
lat. franz.
hd. hd.
Rel.
1537
Bericht
1537
10
Chron.
150/39
Ber. Täufer
8
Chron.
1536/40
70
Bote, Ulensp.
72
Lit.
1539
Straßb.1533
71
Fischbüchlein
4
Fachpr.
c 1539
Straßb. 1498? rip.
72
Sibyllenweiss.
20
Progn.
c 1540
rip.
73
Hist. Octavian
92
Chron.
"
hd.
74
S. Heyden
56
Gramm.
"
(75–90)
lat. oder kein Exemplar nachgewiesen ?
Rel.
o.J.
91
Psalter
(92)
Reterbüchl.
93
Rosenkranz
94
I. Levitica, Hebraica 52 Ling.
hd. Augsb.1519
hd. hd.
Köln 1536?
hd.
lat. u. rip.
hd.?
o.J. 8
Rel.
o.J.
hd.
Gramm.
1554
lat.
In der Aufstellung nach Beckers konnten von den 94 Drucken der Lupuspresse 13 keine sprachliche Zuordnung erhalten, 16 sind lateinisch, einer (Nr. 74) lateinisch und ripuarisch, einer französisch (Nr. 9). Von den verbleibenden 63 Drucken werden 27 als sicher hochdeutsch [wohl = dialektgeographisch hochdeutsch ohne ripuarisch] gekennzeichnet, 5 mit Fragezeichen, 16 als sicher ripuarisch, 6 mit Fragezeichen. Die restlichen Drucke sind ‚mischsprachlich‘: 2 hochdeutsch mit geringen ripuarischen, einer ripuarisch mit geringen hochdeutschen Merkmalen, 4 mit je etwa gleichen Anteilen, zwei ripuarisch mit unterschiedlich großen niederländischen Anteilen. Ein erster sprachgeschichtlicher Aufschluß ist aus der Chronologie der Drucke zu gewinnen: Die hochdeutschen Drucke überwiegen offenbar erst
Entregionalisierung im Kölner Buchdruck
237
nach 1530, nach dem Tod Arnds von Aich, aber auch die Anzahl der lateinischen Drucke steigt beim Sohn und Nachfolger Johann von Aich. Mit der Zeit nach 1530 ist man aber auch schon in der Phase der ersten und ebenfalls hochdeutschen Drucke der Offizinen eines Jaspar von Gennep in Köln und nach 1540 eines Laurentius von der Mülen in Bonn. Damit wird das Urteil des besten Kenners des frühen Kölner Buchdrucks, Wolfgang Schmitz, bestätigt: Das Ripuarische verliert in den dreißiger Jahren seine herausragende Position und ist seit den vierziger Jahren eine zu vernachlässigende Größe. (Schmitz 1993, 226)
Interessanter erscheint es, die Sprachform der Lupus-Drucke mit der ihrer Vorlagen in Beziehung zu setzen: Werden hochdeutsche ‚Vorlagen‘ verändert, d. h. ripuarisiert, oder werden sie ohne größere Eingriffe in die ursprüngliche Sprachform nur ‚nachgedruckt‘, was geschieht mit ‚einheimischen‘? Es geht also um die Frage nach Entregionalisierung bzw. Regionalisierung der Sprachform in den Drucken, genauer beim Satzvorgang der Texte in dieser Offizin. Bei allen angebrachten Zweifeln an der Aussagefähigkeit der Zusammenstellung, der keine weiteren Textanalysen zugrundeliegen, scheint es doch möglich, die von Beckers behauptete „Schrittmacher-Funktion“ der Lupuspresse für das Frühneuhochdeutsche in Köln zumindest tendenziell zu überprüfen. Dazu habe ich alle Hochdeutsch-Zuweisungen (Beckers verwendet bei Nr. 16 und 17 auch oberdeutsch) für die Sprachform der Lupusdrucke als auch – wenn ermittelt – ihrer Vorlagen hellgrau unterlegt. Eine exakte quantitative Aufschlüsselung ergibt sich bei den mancherlei Fragezeichen hinter fast allen Zuordnungen der Texte wegen ihrer nur bibliographisch-knappen Verzeichnung sicher nicht, tendenzielle, typologische Aufschlüsse wird man aber wohl ableiten dürfen. Um die besondere Situation westfälischer oder niederländischer Vorlagen abzuheben, sind diese dunkelgrau markiert. Es handelt sich um katechetisch-religiöse Texte Dietrich Koldes, Nr. 18, 22, 33 und 41 (Büchlein der ewigen Seligkeit), 19 und 20 (Christenspiegel). Genau diese sind entweder in die kölnisch-ripuarische Regionalsprache umgesetzt worden oder – so wohl beim Christenspiegel – im Anschluß an vorhergehende Kölner Drucke in der ripuarischen Sprachform geblieben: Eine Verhochdeutschung hat jedenfalls bis immerhin 1529 (Nr. 41) offenbar nicht stattgefunden. Ob die dem Drucker selbst zugeschriebene reformatorische Umarbeitung des Christenspiegels zu einem Handbüchlein des evangelischen
238
Walter Hoffmann
Bürgers (Nr. 36, 49, 80), wie Beckers vermutet, hochdeutsche Sprachform aufgewiesen hat, ist mangels Exemplarerhaltung fraglich. (Nr. 49 nach 1530 enthält nur den alttestamentarischen Teil und wurde von Beckers wohl nicht autopsiert. Zu vergleichen ist aber ein Druck dieses Handbüchleins bei von der Mülen, Köln 1541, der nach dem Titelblatt tatsächlich hochdeutsch verfaßt bzw. gesetzt zu sein scheint, s. Piel 1965, Nr. 2.) Für die nach hochdeutschen Vorlagen in der Lupuspresse gedruckten Werke läßt sich einmal das Verfahren feststellen, daß deren Sprachform beibehalten wurde – das vermerkt Beckers gelegentlich ausdrücklich. Aber auch die traditionelle Umsetzung in eine kölnisch-ripuarische Sprachform oder in eine gemischte mit etwa gleichen Anteilen hat offenbar durchaus nicht selten stattgefunden. Zu den gegenüber der Vorlage unverändert hochdeutschen Drucken der Lupuspresse gehören die Nrr. 5, 6, 11, 12, 17, 24, 25, 39, 44(?), 52, 56, 68, 70. Eine Umsetzung in eine kölnisch-ripuarische Sprachform aus hochdeutscher Vorlage ist bei den Texten Nr. 13, 21(?), (26) und 71 erfolgt, eine gemischte Sprachform rip./hd. haben die Texte unter den Nrr. 7, 16, 29 und 40 erhalten. Ein Text ist sogar aus dem Französischen in die regionale Schreibsprache übersetzt worden (Nr. 23, s. Abb. 3/4 bei Beckers). Eine größere Anzahl von Texten hat ‚hochdeutsch‘ als Sprachform-Angabe ohne Benennung von Vorlagen, aber in vielen Fällen dürfte die Entstehung dieser Texte nicht im kölnischen Rheinland erfolgt sein, vor allem aber sind es wiederum Texte überwiegend aus den Jahren nach 1530 bis 1555. Es handelt sich um die Nrr. 14, 15, 27, 30 (?), 46 (?), 49 (?), 50, 51, 53, 54, 66, 67, 69, 91, 93. Für die Beurteilung der „Schrittmacher-Funktion“ kommt hinzu, daß auch eine Reihe solcher Texte ohne bekannte Vorlagen sozusagen direkt in ripuarischer Sprachform gedruckt werden, nämlich die Nrr. 32, 34, 35 (?), 42, 48 (?), 59, 60 (?), 72. Und bei Drucken wie denen der Disticha Catonis deutsch (43, 47) oder den sog. Sibyllenweissagungen (21, 72) wird die vorhandene kölnisch-ripuarische Drucküberlieferung (s. Grebe 1982, Grebe 1989) durchaus fortgeführt, eine Wendung zum Hochdeutschen findet gerade nicht statt. Aus all dem darf man m. E. doch eher den Schluß ziehen, daß in der Lupuspresse mit ihren zahlreichen und vielseitigen Drucken eigentlich keine Offizin zu erkennen ist, die den hochdeutsch-schriftsprachlichen Zug in Köln besonders früh und intensiv in Gang gesetzt hätte. Hochdeutsche Drucke nach hochdeutschen Vorlagen, wie sie in der Lupuspresse in der Tat zahlreich produziert werden, scheinen mir insofern kein positiver Hinweis auf eine aktive Schrittmacher-Funktion für den Varietätenwechsel im Kölner Buchdruck zu sein, als sie einmal in stärkerem Umfang eher nach 1530
Entregionalisierung im Kölner Buchdruck
239
entstehen, und damit dem Oeuvre des Jaspar von Gennep zeitlich doch ziemlich nahekommen, und zum andern die Produktion ripuarischer und v. a. ripuarisierter Drucke bis um 1530 keineswegs gering ist. Umso spannender ist dann die Frage nach einem Vergleich zunächst der in den verschiedenen Lupus-Drucken verwendeten Sprachformen (zu Gennep vgl. Scheel 1893, zu Mülen Hoffmann 1991). Eine genauere Antwort würde natürlich eine umfangreiche Sprachanalyse eines möglichst unter verschiedenen sprachgeschichtlichen Perspektiven gut gestreuten Korpus von Drukken dieser Offizin erfordern, und es müßten auch die Drucke anderer Kölner Druckwerkstätten der Zeit hinsichtlich ihres Sprachgebrauchs vergleichend untersucht werden. Auch dazu kann hier nur ein erster Einstieg versucht und ein mögliches Verfahren vorgestellt werden.
3. Zum Sprachgebrauch kölnischer Drucke zwischen 1500 und 1530 3.1 Textmaterial, Methode Für die folgenden Beobachtungen zur Sprachform von Kölner Frühdrukken wurde kein besonders systematisches Textkorpus zusammengestellt, allerdings sind zeitgenössische Aktualität der Texte wie Bedeutung der Drukker für die Buchproduktion in Köln berücksichtigt. Es wurden zum einen drei Texte aus der Lupuspresse herangezogen, die von der ‚Gattung‘ oder ihrer Textsortenzugehörigkeit her zu den damals neuen oder aktuellen (modernen) gerechnet werden, ohne daß ich hier auf die Problematik solcher Zuweisungen eingehen möchte. Es handelt sich um die von Beckers faksimilierte ‚Bauernpraktik und Bauernklage‘, gedruckt 1515/18, 8 Bl. (Bibliographie Nr. 7), um die ‚Prognostik und Prophezeiungen auf die Jahre 1518–1519‘, gedruckt 1517/18, 8 Bl. (Bibliographie Nr. 13), und den ‚Bericht über die Schlacht bei Mohacs am 28. 8. 1526‘, gedruckt 1526, 4 Bl. (Bibliographie Nr. 34). Die ‚Bauernpraktik‘ ist seit dem ersten Druck Augsburg 1508 in einer Reihe weiterer oberdeutscher Städte gedruckt worden vor dem Lupusdruck, fast gleichzeitig erschien ein Erfurter Druck (Beckers 1985, 14–16). Die ‚Prognostik‘ ist „anscheinend Nachdruck einer wenig älteren obd. Vorlage“ (Beckers 1985, 101). Für den knappen ‚Bericht über die Schlacht bei Mohacs‘ gibt es keine Vorlage, er stellt eine ganz aktuelle New erbarmliche tzydunge dar (Beckers 1985, 115). Aus den in Köln zum Ende des 15. und im frühen 16. Jh. vielfach gedruckten Heiligenlegenden oder Passien – es geht meist um Märtyrer/Mär-
240
Walter Hoffmann
tyrerinnen – habe ich zum andern fünf Drucke der Verslegende der Stadtheiligen Ursula aus bedeutenden Offizinen ausgewählt. Nicht nur die Ermittlung dieser Legendendrucke wurde durch Arbeiten von Ursula Rautenberg erleichtert (Rautenberg 1992, Rautenberg 1996): Ich danke ihr an dieser Stelle insbesondere für die freundliche Überlassung zahlreicher Arbeitskopien nicht nur der Ursula-Texte (kölnische Drucke anderer Legenden wurden zunächst nur gespeichert), die die Analyse überhaupt erst zu diesem Zeitpunkt ermöglicht haben. Genaueste bibliographische und überlieferungsgeschichtliche Angaben finden sich in ihren genannten Arbeiten. Einbezogen ist schließlich noch ein Druck der sog. Sibyllenweissagungen (nach dem Faksimile bei Grebe 1989), ein späterer und umfangreicherer Druck, der unter den insgesamt 7 Drucken dieses Textes in Köln zwischen 1490 und 1525 wohl der letzte ist. Dazu die folgende (verkürzte) Beschreibung dieser Drucke: Ursula Quentel (1503): HJstorie van / sent Vrsule(n) vnd den / eelff dusent Junfferen Jnd eyn suuerlich geystlich liedt va(n) sent Vr / sulen Schyff ader broderschaff Dae by alle kirchen ind gotzhuyser / mit yr principail heyldom der werdiger stat Colne. [Köln: Quentel Erben, nach dem 30. Juni 1503]. 6 Bl. (s. Rautenberg 1996, 289 f.: U IV.1.1). Ursula Landen (1509): DJe historien von sant / Vrsulen vnd den Elff / thausent jonffrauwen vnnd dar bey aller kyrchenn / vn (d) gotzho(e)sser mit yren principail heyltom der wir / diger Stat collen. Köln: [Johann Landen] 1509. 8 Bl. (s. Rautenberg 1996, 294 f.: U IV.2.2; Faksimile Rautenberg 1992, 135–150). Ursula Neuß (1515): Historie von sent / Vrsel vnd de(n) Eylff dusent junfferen. Vnd dae by al / le kyrchen vnd gotzhuyser mit yr principail heildom / der werdiger stadt Coelne. Köln: Heinrich von Neuß [um 1515]. 8 Bl. (s. Rautenberg 1996, 297 f.: U IV.2.5). Ursula Gutschaiff (1517): DJe hystorien vo(n) sant vr / sulen vnd den .xj. thausent jungfrauwen. / vn(d) da bey alle kyrchen/cloistern/vn(d) gotz / heuser mit de(n) oberste(n) heyltu(m) d(er) heilger stat Colne etc. Köln: Hermann Gutschaiff 1517. 8 Bl. (s. Rautenberg 1996, 298 ff.: U IV.2.6).
Entregionalisierung im Kölner Buchdruck
241
Ursula Kruffter (nach 1520): DJe historye van sent Vrsulen / vnd den Eylff dusent Jonfferen. Vnd da by alle / Kyrchen vnd gotzhuyser mit erem principail heil / tom der werdiger Heyliger Stat Coellen. [Köln: Servas Kruffter nach 1520]. 8 Bl. (s. Rautenberg 1996, 300 f.: U IV.2.7). Sibyllenweissagung: Sibillen Wyssagun=gen / vann viel wunderbarer tzo=kunfft / van anfang biß tzom / ende der werelt schriuende. Köln: Vur sent Pauwels im Cuningen [um 1525]. 20 Bl. (nach dem Faksimile in Grebe 1989, 61–99). Diese neun Texte sind anhand eines kleinen, bewußt ‚pragmatisch‘ angelegten Variablenkataloges durchgearbeitet worden mit Hilfe von Such-Makros (Dank an Robert Möller). Die ausgewählten Variablen sollen in erster Linie eine klare Variantenopposition zwischen der traditionellen ripuarischen Schreib- und Drucksprache und der (früh)neuhochdeutschen aufweisen. Ihre Auswahl richtet sich im wesentlichen nach den sprachlichen Kennzeichen, wie sie bei Beckers (1983, 90–98), Hoffmann (1991, 148–165), Möller (1998, 181 ff.) für das 15. und 16. Jh. und für die frühere Zeit im Mittelfränkischen bei Klein (2000, 17–30) sehr ausführlich zusammengestellt sind. Die Debatte um die Details der z. T. schwierigen Beurteilung der Varianten, auch aufgrund ihrer chronologischen wie intratextuellen graphischen Variation, und um die sprachhistorische wie sprachgeographische Rechtfertigung solcher Variablenkataloge soll hier nicht erneut aufgenommen werden. Berücksichtigt sind die folgenden Variablen unter dem Aspekt der Entregionalisierung im frühen Kölner Buchdruck. Sie stammen aus den Bereichen des Konsonantismus, lexembezogener und morphologischer Phänomene, und in geringerem Umfang des Vokalismus (hier sind die graphischen Probleme, die ausdrücklich nicht behandelt werden, am größten), gegebenenfalls mit Wortbeispielen oder ‚Kennwörtern‘ für die zuerst genannte(n) ripuarische(n) Variante(n). Dabei werden nicht alle auftretenden (druck)graphischen Variationsmöglichkeiten berücksichtigt, weil die Auswertung nicht in diese Richtung zielt, aber alle ‚wichtigeren‘, unten aufgelisteten sind abgefragt worden. Für verschiedene Phänomene, z. B. die Frage der nhd. Diphthongierung, wurden nur einzelne Lexeme herangezogen. KONSONANTISMUS: dat # das/daß/dz wat # was it/id/idt # is/es
242
Walter Hoffmann
allet/allit # alles dit # dis/diß p-(im Anl.) /-p(nach Liquid) # pf/f (perd, helpen) vp/up(pe) # vf/vff/uf –ch (Wort-u. Morphemausgang) # -g (dach, ewichkeit) –v-/-f(f) # -b-/-b/p (aver, gaff) d- (Wort- u. Silbenanlaut)/-d(d)- # t-/-t(t)- (dordelduve, hadden) LEXEMATISCHES und MORPHOLOGISCHES: na(e) # nach as # als niet/nyet/neit/neyt # nit/nicht he(e)/hey/hie # er ind(e)/ende # vn(n)d/und van # von wal/wael/wail # wol of(f)/ove # ader/oder is/ys # ist sal(l)/saltu # sol(l)/sol(s)tu (2./3. Sg. Präs.) geschiet/gescheyt (P. II.) # geschien/geschen/geschehen gain/gaen/gayn/stain/staen/stayn # ge(e)n/gehen/ste(e)n/stehen VOKALISMUS: ouch # auch f(v)rouwe # f(v)rauwe (meist in Komposita) –e- # -i- (nur in hemel) hilg/hillich/hilyg # heilig/heiylig/hailig (t)zo # (t)zu (z. T. übergeschriebenes o) # <eu, au> (nur in huys, luyt/lude) dyn/myn/syn # dein/mein/sein by(i) # bei (t)zijt # (t)zeit rich/rijch/rych # reich/reych/raich (z.T. in Komposita) Die nachfolgenden Tabellen 2 und 3 enthalten die Beleganzahlen jeweils unter Nennung nur der jeweiligen ‚Normalform‘ (textgebunden nach Häufigkeit) zunächst der älteren ripuarischen Variante in der jeweils ersten und der hochdeutschen in der jeweils zweiten Spalte. Fehler in der (halb)automatischen Zählung aufgrund von Transkriptions- oder linguistischen Zuweisungsproblemen sind eingeräumt, der tendenziellen Auswertung dürf-
243
Entregionalisierung im Kölner Buchdruck
ten sie nicht im Weg stehen. Besondere Fälle werden in der anschließenden Auswertung angesprochen. Zur Übersichtlichkeit soll es beitragen, daß je Text die hochdeutschen Varianten grau unterlegt werden, und zwar – trotz z. T. geringfügiger Zahlenwerte – mit drei Schattierungsstufen: hellgrau bei 10 % bis zu 30 % hd. Varianten, mittelgrau bei bis zu 60 % hd. Varianten, und dunkelgrau, wenn die hd. Varianten bis zu 100 % der gesamten Variablenbelege ausmachen. Einzelbelege werden dabei nicht berücksichtigt, nicht belegte Varianten durch – in der Zeile markiert.
3.2 Tabellen und Auswertungsansätze In Tabelle 2 sind die Variantenbelege der oben genannten drei Drucke aus der Lupuspresse nebeneinandergestellt. Tabelle 2: Die 32 Variablen in den Drucken der Lupuspresse Bauernpraktik 1515/18
Prognostik 1518/19
Bericht Schlacht 1526
Konsonantismus
Konsonantismus
Konsonantismus
dat: 83
das: 0
dat: 77
das: 0
dat: 31
das: 0
wat: 2
was: 0
wat: 4
was: 0
wat: 2
was: 0
idt: 33
es: 29
it: 11
is: 0
it: 4
is: 0
allet: 1
alles: 1
–
–
–
–
–
–
dit: 2
dis: 0
dit: 0
dis: 1
p: 11
pf: 0
p: 12
pf: 0
p: 6
pf: 0
vp: 86
vf: 0
vp: 14
vf: 0
vp: 5
vf: 0
ch: 149
g: 0
ch: 46
g: 5
ch: 14
g: 2
v: 102
b: 0
v: 71
b: 1
v: 65
b: 0
t: 10
d: 157
t: 13
d: 78
d: 201
Morphologisches
Morphologisches
t: 8 Morphologisches
na: 12
nach: 0
na: 10
nach: 0
na: 5
nach: 0
as: 0
als: 10
as: 0
als: 20
as: 0
als: 18
niet: 23
nicht: 1
niet: 24
nicht: 0
niet: 11
Nicht: 0
he: 24
er: 0
he: 28
er: 0
hie: 15
er: 0
ind: 0
vnd: 167
ind: 1
vnd: 54
ind: 1
vnd: 27
van: 18
von: 1
van: 14
von: 0
van: 19
von: 1
wail: 2
wol: 2
wail: 2
wol: 0
wail: 1
wol: 0
of: 0
ader: 10
of: 2
ader: 4
of: 0
ader: 7
is: 43
ist: 2
is: 35
ist: 2
is: 13
ist: 1
244
Walter Hoffmann
Bauernpraktik 1515/18
Prognostik 1518/19
Bericht Schlacht 1526
sal: 14
sol: 1
sal: 24
sol: 0
sal: 4
sol: 0
–
–
geschiet: 3
geschien: 0
–
–
gen: 0
gan: 7
gen: 0
gan: 1
gan: 2
Vokalismus
Vokalismus
gen: 0 Vokalismus
ouch: 17
auch: 0
ouch: 14
auch: 0
ouch: 9
auch: 0
frouwe: 0
frauwe: 4
frouwe: 0
frauwe: 2
frouwe: 0
frauwe: 1
mynsch: 1
mensch: 0
mynsch: 4
mensch: 0
–
–
hemel: 4
himmel: 0
hemel: 7
himel: 0
–
–
hillig: 0
heilig: 10
hilyg: 19
heilig: 0
hilg: 5
heilig: 0
(t)zo: 25
(t)zu: 0
(t)zo: 59
zu: 2
(t)zo: 29
(t)zu: 0
huyß: 4
haus: 0
hu(i)ß: 4
haus: 0
huiser: 2
haus: 0
luyd: 7
leute: 0
–
–
–
–
–
–
myn: 2
mein: 0
–
–
dyn: 2
dein: 0
dyn: 2
dein:0
–
–
syn: 7
sein: 0
syn: 21
sein: 0
syn: 16
sein: 0
by: 4
bei: 0
by: 13
bei: 0
by: 4
bei: 0
tzijt: 9
zeit: 0
tzijt: 22
zeit: 0
tzijt: 4
zeit: 0
rijch: 2
reich: 0
rich: 19
reich: 0
rich: 3
reich: 0
Ohne die Zusammenstellung der (gelegentlich nicht belegten) VariantenOppositionen für die ausgewählten Variablen zu überschätzen – es fehlt v. a. ein lexematischer Abgleich, wie ihn Beckers (1985) in den Anmerkungen zum Text der Bauernpraktik mit dem der obd. Vorlage fallweise vornimmt –, darf man alle drei Texte aus der Lupuspresse durchaus dem alten, schreibregional-ripuarischen Modell zurechnen. Es lassen sich nur minimale Ansätze hochdeutscher Varianten finden, die zudem noch im 15. Jh. in der stadtkölnischen Verwaltungsschriftlichkeit bereits deutlich vorgeprägt sind, nämlich als, vnd, ader sowie
Entregionalisierung im Kölner Buchdruck
245
schiebungsfällen im Konsonantismus hingegen, die dem stadtkölnischen Schreiber im ganzen 15. Jh. für seine Kommunikation mit den süddeutschen Städten so wichtig waren, daß er sie mit hohen prozentualen Anteilen schrieb, dann auch z. T. die erzbischöfliche Kanzlei in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. (vgl. Möller 1998, 287 f.), taucht in den hier ausgewählten drei Drucken der Lupuspresse nur in der ‚Bauernpraktik‘ 1515/18 hochdeutsches es fast ebenso häufig auf wie das ripuarische idt, sonst keine einzige hochdeutsche Variante in diesem markanten Bereich. Diese ‚Ausnahme‘ folgt einer gewissen vielleicht vorlagenbedingten Distribution: Die 3. Ps.Sing. des Verbum Substantivum hat fast immer die Form is, und sie geht syntaktisch oft – in den Wetterregeln verständlich – einem idt voraus: Is idt wyndich … Dagegen steht es meist im Kotext eines Vollverbs, z. B. regent es, Es spricht … Insgesamt wird also nahezu komplett der ‚alte‘ ripuarische Schreibstand produziert, wie er bis um 1500 mit geringen lexemspezifischen Veränderungen üblich war. Das geschieht mit der ‚Bauernpraktik‘ sogar bei einem Text, der seit 1508 von Augsburg aus „textlich unverändert“ (Beckers 1985, 16) an vielen Orten nachgedruckt wurde. Selbst im Wortschatz dieses Textes ist bei der Ripuarisierung in Köln nur wenig aus dem ursprünglichen Bestand erhalten geblieben, nämlich gerade einmal der aller engell dach statt des kölnischen Fastabend, ansonsten erscheinen die häufigen Tages-, Monatsund Jahreszeitbezeichnungen dieser Wetterregeln sämtlich in ihrer ripuarischen Heteronymik, wie z. B. gudestach ‚Mittwoch‘ oder hartmaen(t) ‚Januar‘. Selbst die wohl kurzfristig parallel zu oder nach nürnbergischen und Augsburger Drucken (1515–1518) publizierte ‚Prognostik‘ 1515/18 ist ebenso vollständig ripuarisiert worden wie die ‚Bauernpraktik‘ und dann auch die ‚Neue Zeitung‘ von der Schlacht bei Mohacs am 28. 8. 1526. Der Drucker Arnd von Aich folgt bei diesen Texten jedenfalls bis gegen 1530 einer ausgeprägten Regionalmaxime: Er passt die fremdregionalen und/oder aktuellen Texte in die Sprache der eigenen Region ein, offenbar ohne Mühen im Sinne von größeren Ausrutschern in Richtung seiner ja auch greifbaren hochdeutschen Drucke. Entregionalisierung als zeitgenössisch mögliche Maxime hat jedenfalls bei diesen Texten keine Rolle gespielt. Daß Arnd von Aich im Gegensatz dazu auch oberdeutsche Vorlagen in ihrer Sprachform ebenso vollständig belassen hat, wie u. a. die beiden Abbildungen (Titelblatt und letzte Seite) eines Chirurgiebüchleins von 1514 bei Beckers (1985, Abb.1 u. 2) zeigen, kann diesen Eindruck nicht entscheidend ändern. Denn auch dieses Nachdruck-Verfahren läßt die – wenn auch andere, hier die niederalemannische Basler – urprüngliche regionale Sprachform unangetastet. Bei der notwendigen Frage nach dem Warum dieser sprachlichen Regio-
246
Walter Hoffmann
nalisierung wird man sicher nach dem Lesepublikum, den Adressaten der Drucke zu suchen haben. Welches Publikum sollte solche ripuarischen oder ripuarisierten, welches die hochdeutschen Texte lesen? Zum Adressatenkreis in einer so großen Stadt wie Köln darf man in unterschiedlichen Sprachen und auch deutschen Varietäten sozialisierte oder (aus)gebildete Bevölkerungsgruppen ansetzen, und der Exemplar-Ausstoß wie der weiträumige Vertrieb solcher Drucke muß auch nicht zu hoch bemessen werden. Es bleibt das schwer lösbare Problem, daß offensichtlich derselben ‚Textsorte‘ zuzurechnende und sogar ziemlich aktuelle Texte, nämlich Prognostiken oder ‚Neue Zeitungen‘ wie z. B. Schlachtberichte – das legt die Übersicht in Tabelle 1 jedenfalls vorläufig nahe – mal in der autochthonen, mal in der fremden Varietät publiziert werden. Es wird offenbar bis gegen 1530 noch häufig auf einen einheimischen und daneben auch schon einen nicht mehr nur einheimischen Adressatenkreis hin publiziert und sprachlich eingerichtet. Deshalb bleibt methodisch wohl nur als weiterführender Untersuchungsschritt, v. a. die (nach Tabelle 1) mischsprachigen Drucke der Lupuspresse (und dann natürlich anderer Offizinen) in diesen frühen Jahrzehnten des 16. Jhs. nach dem Maß ihrer sprachstrukturellen Mischungsverhältnisse daraufhin zu analysieren, ob, wie und wann sich Pfade oder Wege der Entregionalisierung abzeichnen. Die Textsorten- und Überlieferungsgeschichte jedes Textes muß dabei als wichtiger sprachgeschichtlicher Parameter beachtet werden. Einen Ansatz für eine Art ‚Gegenprobe‘ soll die folgende gleichartige Variablen-Darstellung über fünf Drucke der gereimten Kurzfassung der Ursulalegende ermöglichen. Denn dieser Text kann zwar nicht als stadtgeboren bezeichnet werden (dazu Rautenberg 1996, 110–119), die Drucke stehen aber in einer ausgeprägten Kölner Drucktradition. Sie stammen (s. Auflistung oben) aus fünf verschiedenen Druckereien, deren volkssprachliche Produktion durch die Arbeit von Wolfgang Schmitz (1990) bestens aufgeschlossen ist. Der Druck der Sibyllenweissagung von 1525 soll einen chronologisch späten Druck berücksichtigen, der ebenfalls eine solche längere kölnische Überlieferung mit sieben Drucken seit ca. 1490 (Druck von Johann Koelhoff) hinter sich hat (Grebe 1989, 151 ff.).
247
Entregionalisierung im Kölner Buchdruck
Tabelle 3: Die 32 Variablen in fünf Drucken der Ursulalegende und dem der Sibyllenweissagung Ursula Quentel (1503)
Ursula Landen (1509)
Ursula Neuß (1515)
Ursula Gutschaiff (1517)
Ursula Kruffter (n. 1520)
Sibyllenweiss. (1525)
Konsonantismus Konsonantismus Konsonantismus Konsonantismus Konsonantismus Konsonantismus dat: 89
das: 6
dat: 0
das: 97
das: 0
dat: 2
das: 91
dat: 58
das: 0
dat: 193 das: 0
wat: 4
was: 0
wat: 0
was: 27 wat: 6
was: 0
wat: 0
was: 6
wat: 5
was: 0
wat: 16 was: 0
id: 4
es: 3
it: 0
is: 15
it: 8
is: 2
it: 0
es: 11
id(t): 12 es: 0
idt: 23
es: 0
allet: 2
alles: 2
allet: 0
alles: 3
allet: 3
alles: 1
allet: 0
alles: 4
allet: 2
alles: 0
allet: 5
alles: 1
dit: 8
diß: 0
dit: 0
dis: 2
dit: 2
dis: 0
dit: 1
diß: 2
dit: 1
dis: 0
dit: 5
dis: 0
p: 12
pf: 0
p: 7
pf: 0
p: 5
pf: 0
p: 0
pf: 6
p: 4
pf: 0
p: 24
pf: 2
up: 14
uf: 0
up: 2
uff: 14
up:12
uf: 1
up: 0
uff: 15
vp: 3
vff: 10
vp: 50
vf: 0
ch: 38
g: 3
ch: 24
tagh: 7
ch: 31
g: 0
ch: 11
g: 17
ch: 30
g: 1
ch: 78
g: 18
v/f: 52/16
b: 1
v/f: 11/10
b: 73
v/f: 54/12
b: 0
v/f: 2/1 b: 121
v/f: 57/13
b: 1
v/f: b: 1 190/32
d/dd: 260
t/tt: 33 d: 124
t/tt: 133 d: 196
t: 26
d: 80
d: 188
t: 28
d: 319
dat: 44
t: 150
t: 40
Morphologisches Morphologisches Morphologisches Morphologisches Morphologisches Morphologisches na(e): 2 nach: 0 na(e): 5 nach: 3 na: 3 as: 3
als: 11
as: 0
als: 15
as: 2
nach. 1 na: 2
nach: 3 na: 3
nach: 1 na: 18
nach: 0
als. 10
als: 16
als: 10
als: 32
as: 0
as: 0
as: 0
neit: 25 nicht: 0 niet: 23 nicht: 0 niet: 18 nicht: 1 niet: 4
ni(ch)t: niet: 16 ni(ch)t: niet: 40 ni(ch)t: 18 3 4
hee: 39 er: 2
er: 23
hey: 22 er: 1 vnd: 101
hie: 1
he(y): 26
er: 4
he: 34
er: 0
ind: 29
vnd: 85 ende: 1 vnd: 57 ende: 2 vnd: 108
he: 155 er: 0
ind: 52
vnd: 72 ind: 30
van: 9
von: 0
van: 5
von: 28 van: 26 von: 4
van: 0
von: 16 van: 21 von: 1
van: 128 von: 0
wail: 10 wol: 0
wail: 5
wol: 0
wail: 6
wol: 0
wail: 0
wol: 6
wol: 0
wail: 15 wol: 0
wael: 3
ende: 5 vn(n)d: 389
of: 2
ader: 3
off: 1
ader: 2
of: 2
ader: 0
of: 0
oder: 10 of: 1
ader: 2
off: 12
oder: 5
is: 14
ist: 4
is: 0
ist: 29
is: 10
ist: 0
is: 2
ist: 30
iß: 12
ist: 0
is: 27
ist: 16
sal(tu): 7
sol: 1
sal(tu): 13
sol: 1
sal(tu): 5
sol: 1
sal(tu): 2
sol(tu): 6
sal(tu): 10
sol: 1
sal(tu): 48
sol: 1
gegegegegegegegegegegegeschiet: 2 schen: 0 schiet: 4 schen: 0 schiet: 4 schen: 0 schiet: 2 schen: 0 schiet: 3 schen: 0 scheit: 8 schen: 0 gain: 2
gen: 0
–
–
gain: 1
gen: 0
gain: 4
gen: 0
–
–
gain: 15 gen: 0
248
Walter Hoffmann
Ursula Quentel (1503) Vokalismus ouch: 23
auch: 0
Ursula Landen (1509)
Ursula Neuß (1515)
Vokalismus ouch: 1
auch: 29
Ursula Gutschaiff (1517)
Vokalismus ouch: 1
auch: 0
Vokalismus ouch: 0
auch: 35
Ursula Kruffter (n. 1520)
Sibyllenweiss. (1525)
Vokalismus ouch: 2
auch: 15
Vokalismus ouch: 33
auch: 0
frouwe: frauwe: frouwe: frauwe: frouwe: frauwe: frouwe: frauwe: frouwe: frauwe: frouwe: frauwe 4 17 3 33 14 1 0 40 0 31 0 5 mynsch: mensch: mynsch: mensch: – 1 0 1 2 himmel: 0
–
–
mynsch: mensch: minsch: mensch: 0 1 29 14
himel: 2
hemel: 4
hymel: 3
hemel: himmel: 25 7
hilg: 1
heylig: 13
hilg: 9
heilich: 2
(t)zo: 13
(t)zu: 30
tzo: 69
zu: 2
–
–
hemel: 8
himel: 0
hemel: 7
hillich: 0
heilig: 30
hyltom: hai(ei)li- hilg: 1 1 g: 30
heilig: 12
hillig: 0 heylig: 29
(t)zo: 80
zu: 0
(t)zo: 84
(t)zo: 44
zu: 0
tzo: 0
huys: 5
haus: 0
huyss: 2 haus: 0
huys: 3
haus: 0
huyß: 0 heuser: huyß: 2 haus: 0 3
zu: 2
hemel: himmel: hemel: 5 0 5
–
luyde: 8 leute: 0 luydt: 3 leute: 0 lude: 4
(t)zu: 95
leute: 0 luyte: 4 leute: 0 luyde: 6 leute: 0 lude: 16 leute: 0
myn: 5
mein: 0 myn: 6
mein: 0 –
–
myn: 1
mein: 1 myn: 5
dyn: 7
dein: 0
dyn: 8
dein: 0
dyn: 4
dein: 0
dyn: 5
dein: 0
mein: 0 min: 7
mein: 0
dein: 0
din: 10
syn: 32
seyn: 1
syn: 21
sein: 0
sin: 20
sein: 0
syn: 3
dein: 0
sein: 17 syn: 19
sein: 0
syn: 93
by: 4
bei: 0
by: 3
bey: 2
by: 4
bei: 0
sein: 0
by: 1
bey: 7
by: 4
bei: 0
by: 3
tzyt: 4
zeit: 0
zijt: 5
zeit: 0
zijt: 3
zeit: 0
bey: 1
tzijd: 1
tzeit: 5
tzijd: 5
zeit: 0
tzijt: 18 zeit: 1
rich: 12 reich: 0 rich: 11 raich: 1 rich: 10 reich: 0 rijch: 1
dyn: 6
reich: 14 rych: 13 reich: 0 rijch: 9
reich: 0
Schon beim ersten Blick auf diese Übersicht zeigen sich deutliche Differenzen zwischen den einzelnen Drucken. Sucht man zunächst unter chronologischer Perspektive nach einer zeitlichen Abfolge zwischen den Drucken in Richtung einer allmählich fortschreitenden Entregionalisierung, so findet man dafür keinen Anhaltspunkt. Die Sprachform der Sibyllenweissagung stellt sich genauso kölnisch-ripuarisch dar wie die der Ursula-Drucke bei Quentel, Neuß und Kruffter, sie ist sogar eher noch stärker der regionalen Schreibsprache verhaftet als die älteren Drucke. Denn es erscheint in der Sibyllenweissagung keine einzige hochdeutsche Variante im Konsonantismus der sog. Kleinwörter dat usw., nicht einmal ein vf für (jedenfalls in Handschriften) schon stark zurückgedrängtes vp. Sogar der älteste unter den sechs Drucken, der aus der für den Kölner Buchdruck sehr bedeutsamen ‚Quentelei‘ stammt, enthält bereits einige moderne Varianten im Konsonantismus, aber auch in den anderen Bereichen. Eine weitergehende Abwägung des chronologischen Aspekts kann aufgrund der geringen Materialbasis natürlich nicht vorgenommen werden. Ganz auffällig ist aber zum andern, daß zwei Drucke resp. Druckereien/ Drucker ausgesprochen moderne, gegen die traditionelle Sprachform deut-
Entregionalisierung im Kölner Buchdruck
249
lich abgehobene Texte bieten, nämlich Johann Landen bereits 1509 und Hermann Gutschaiff 1517. Die Abweichung der Sprachgestalt dieser Drucke gegenüber denen von Heinrich Neuß 1515 und Servas Kruffter nach 1520 ist zudem noch insofern auffallend, als von der Textüberlieferung her (s. Rautenberg 1996, 116 ff.) die Quentel-Drucke eine gewisse Sonderstellung einnehmen, wogegen die anderen vier Druckereien textgeschichtlich enger zusammengehörende Textversionen bieten, auch wenn es sich insgesamt bei der Reimpassie von St. Ursula um eine „unfeste“ Textüberlieferung handelt (Rautenberg 1996, 115). Auch von der vermuteten Adressatenausrichtung der Reimpassie findet sich kein Argument für die sprachliche Sonderform des Landen- und insbesondere des GutschaiffDruckes. Denn alle Textversionen enthalten zusätzlich zur Reimpassie noch einen Kölner Kirchen- und Reliquienkatalog und ein Bruderschaftslied (s. die Titelangaben der Drucke oben), woraus begründet zu erschließen ist, daß alle Drucke auf den Kölner Reliquienkult zugeschnitten sind (Rautenberg 1996, 119). Ein eingehenderer Blick auf die Verteilung der Varianten in den sechs Drucken erweist den Druck der Ursula-Legende bei Hermann Gutschaiff 1517 als sehr weitreichend entregionalisierten Text, der noch über die klaren Tendenzen in Richtung Verhochdeutschung im Landen-Druck 1509 hinausgeht. Denn in diesem Druck von 1517 sind die konsonantischen Variablen in ihren ripuarischen Varianten nur noch minimal vertreten, aber auch die jungen Entwicklungen im Bereich des Vokalismus, d. h. der sog. nhd. Diphthongierung, sind bereits weitgehend im Druck realisiert, selbst wenn die gering belegten Formen der Lexeme ‚Leute, dein‘ noch die ripuarische Variante aufweisen. Aus dem vorgestellten kleinen Befund darf man wohl den Schluß ziehen, daß bereits Johann Landen, aber v. a. Hermann Gutschaiff in der Sprachformung ihrer Drucke der Ursula-Legende nicht in erster Linie stadtkölnische Adressaten im Blick hatten, sondern eher Pilger aus verschiedenen anderen Regionen Deutschlands. Weiterreichende Schlüsse über diese Ergebnisse hinaus, etwa auf die Sprachformung in weiteren Texten aus diesen beiden Offizinen, können und müssen hier wohl nicht gezogen werden. Dazu wäre es erforderlich – ich wiederhole mich –, erheblich mehr an Textmaterial von Kölner Frühdrucken aus den ersten Jahrzehnten des 16. Jhs. heranzuziehen. Zu verweisen ist an dieser Stelle auch auf den abrupten Wechsel zum Hochdeutschen in der Korrespondenz der stadtkölnischen Ratskanzlei nach 1520 (s. Möller 1998, 186 f.). Vielleicht kann das vorgeschlagene methodische Verfahren dabei hilfreich sein, so daß am Ende die deutliche Lücke in der Erforschung des Schreibsprachenwechsels im frühe(re)n
250
Walter Hoffmann
16. Jh. im kölnischen Rheinland etwas weiter geschlossen werden könnte. Und vielleicht auch erweist sich nach einer solchen materialintensiven Untersuchung des Kölner Frühdrucks bis gegen 1530, daß das Anachronismus-Verdikt gegenüber den Forderungen des bekannten Kölner Schriftspiegels (Köln 1527 bei Servas Kruffter) nach regionalsprachlicher Vielseitigkeit von Kanzleischreibern (s. z. B. Hoffmann 2000, 138) jedenfalls für den Sprachgebrauch im zeitgenössischen Kölner Buchdruck modifiziert werden müßte.
4. Literatur Beckers, Hartmut: Die Kölner Prosabearbeitung des Crane-Romans Bertholds von Holle. In: Niederdeutsches Wort 23, 1983, 83–135. Beckers, Hartmut: Bauernpraktik und Bauernklage. Faksimileausgabe des Volksbuches von 1515/18 gedruckt zu Köln bei Sankt Lupus durch Arnd von Aich. Mit Einleitung, Übersetzung und Anmerkungen sowie einem neuen Gesamtverzeichnis der Lupuspressendrucke Köln 1985. Beckers, Hartmut: Die Zurückdrängung des Ripuarischen, Niederdeutschen und Niederländischen durch das Hochdeutsche im Kölner Buchdruck nach 1500. In: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 112, 1989, 43–72. Beckers, Hartmut: Ripuarisch oder Hochdeutsch. Zur Sprachwahl des Kölner Buchdruckers Arnd von Aich in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts. In: R. Grosse (Hrsg.): Sprache in der sozialen und kulturellen Entwicklung. Beiträge eines Kolloquiums zu Ehren von Theodor Frings (1886–1968). Berlin 1990, 228–239. Beckers, Hartmut: Ein Kölner ABC-Buch von ca. 1520 als kulturhistorische und sprachgeschichtliche Quelle. In: K. J. Mattheier u. a. (Hrsg.): Vielfalt des Deutschen. Festschrift für Werner Besch. Frankfurt u. a. 1993, 261–278. Grebe, Werner (Hrsg.): Cato in Latein und Deutsch. Faksimileausgabe des Volksbuches von 1498 gedruckt in Köln Johann Landen unter sechzehn Häusern. Übersetzt und mit Kommentaren versehen von Werner Grebe. Köln 1982. Grebe, Werner (Hrsg.): Sibyllen Weissagung. Faksimileausgabe des Volksbuches um 1525. Mit Einführung, Übersetzung und Anmerkungen. Köln 1989. Hoffmann, Walter, Klaus J. Mattheier: Stadt und Sprache in der neueren deutschen Sprachgeschichte: eine Pilotstudie am Beispiel von Köln. In: W. Besch u. a. (Hrsg.): Sprachgeschichte, 1. Aufl. Berlin, New York 1985, 1837–1865. Hoffmann, Walter: Rheinische Druckersprache und Reformation. Das Bonner Neue Testament von 1547. In: Rheinische Vierteljahresblätter 55, 1991, 135–175. Hoffmann, Walter: Rheinische Sprachgeschichte im 16. Jahrhundert. In: Macha 2000, 123–138. Klein, Thomas: Rheinische und westfälische Sprachgeschichte bis 1300. In: Macha 2000, 3–48. Macha, Jürgen u. a. (Hrsg.): Rheinisch-Westfälische Sprachgeschichte. Köln u. a. 2000. Möller, Robert: Regionale Schreibsprachen im überregionalen Schriftverkehr. Empfängerorientierung in den Briefen des Kölner Rates im 15. Jahrhundert. Köln u. a. 1998. Möller, Robert: Rheinische Sprachgeschichte von 1300 bis 1500. In: Macha 2000, 51–75.
Entregionalisierung im Kölner Buchdruck
251
Möller, Robert: Köln und das ‚Oberländische‘ im Spätmittelalter. In: Rheinische Vierteljahresblätter 65, 2001, 222–240. Piel, Albert: Geschichte des ältesten Bonner Buchdrucks. Zugleich ein Beitrag zur rheinischen Reformationsgeschichte und Bibliographie. Bonn 1924 [Neudruck 1965]. Rautenberg, Ursula (Hrsg.): Die ‚Historie von Sankt Ursula‘ und die ‚Historie von den elftausend Jungfrauen‘. Aus der Offizin Johannes Landen 1509 und 1517. Faksimileausgabe mit einem Verzeichnis der volkssprachlichen und lateinischen Ursula-Legenden im Kölner Inkunabel- und Frühdruck. Köln 1992. Rautenberg, Ursula: Überlieferung und Druck. Heiligenlegenden aus frühen Kölner Offizinen. Tübingen 1996. Scheel, Willy: Jaspar von Gennep und die Entwicklung der neuhochdeutschen Schriftsprache in Köln. Trier 1893. Schmitz, Wolfgang: Die Überlieferung deutscher Texte im Kölner Buchdruck des 15. und 16. Jahrhunderts. Habilschr. Köln. www.ub.uni-koeln.de/ediss/archiv/1990/schmitz. Schmitz, Wolfgang: Der Sprachwechsel im Kölner Frühdruck. Anmerkungen aus der Sicht der Druckgeschichte. In: H. Nickel u. L. Gillner (Hrsg.): Johannes Gutenberg – Regionale Aspekte des frühen Buchdrucks. Vorträge der internationalen Konferenz zum 550. Jubiläum der Buchdruckerkunst am 26. und 27. Juni 1990 in Berlin. Wiesbaden 1993, 218–226.
252
Walter Hoffmann
Ostmitteldeutsch im 16. und 17. Jahrhundert
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Gerhard Kettmann (Halle)
Ostmitteldeutsch im 16. und 17. Jahrhundert Eine Standortbestimmung am Beispiel Wittenberg 1. Einleitung Einleitend seien einige Sachangaben und der methodische Ausgangspunkt vorangestellt. Die Wahl Wittenbergs als Beispiel für das Ostmitteldeutsche bedarf kaum einer besonderen Begründung – der Stadt fällt anerkanntermaßen zumindest in der ersten Hälfte des 16. Jh. eine Art Zentralfunktion in ihm zu, im Drucksektor obendrein mit starker Außenwirkung. Die Überlieferungslage ihrer Schriftlichkeit erlaubt zudem, über komplexe Aussagen allgemeiner Natur hinaus auch spezielle Detailprobleme der hier im Mittelpunkt stehenden Thematik einzubeziehen.1 Das zugrunde gelegte Textkorpus war zuletzt Ausgangspunkt für Ausführungen über den Medienwechsel im 16. Jh. und seine Auswirkungen auf die Graphematik.2 Ein dort angesprochener, aber nicht explizit verfolgter Problemkreis soll hier im Zentrum stehen: die bei dem Bemühen um eine Standortbestimmung des Ostmitteldeutschen im angegebenen Zeitraum unumgängliche Frage nach der Spezifik der sich in der Wittenberger Schriftlichkeit abzeichnenden Variantengemenglage, dies insbesondere im Hinblick darauf, wie sich regionalspezifisches Variantenpotential und Integrierung landschaftsfremder (also exterritorialer) Varianten zueinander verhalten. Das Etikettensignal Ostmitteldeutsch soll mithin speziell von dem Verhältnis territorial/exterritorial her für das 16./17. Jh. begrifflich präzisiert werden, in den genannten Variantenbereichen ablaufende Entwicklungsprozesse sollen beschrieben und für eine Begriffskonkretisierung nutzbar gemacht werden. Damit bewegt man sich exakt im Umkreis der Frage nach den Regionen und der deutschen Schriftsprache, die implizit die nach der Entwicklung regionaler Schreibsprachen hin zu überregionalen Varietäten beinhaltet – zugespitzt auf die gewählte 1 2
vgl. Kettmann (1967), 76–120. Ders. (1987), 21–100. Kettmann (1996), 69–76.
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Thematik mithin die Frage: Wie ostmitteldeutsch ist in Wittenberg das Ostmitteldeutsche noch zur Untersuchungszeit? Von dem Fixpunkt exterritorialer Varianten her ergibt sich, dass zusätzlich zum Ostmitteldeutschen insbesondere das Süddeutsche, exakter das Ostoberdeutsche, als zweite Regionalsprache in das Blickfeld treten wird. Eine Bedingung stellt sich von der aufgeworfenen Fragestellung her zwangsläufig: Das Variantenpotential der Wittenberger Schriftlichkeit nämlich zunächst von deren Konstituenten handschriftliche Überlieferung einerseits und Druck andererseits überblicksweise zu beschreiben, um von hier aus nachprüfbare zusammenfassende Aussagen über die skizzierte Problemlage präsentieren zu können. Dabei kann auf bereits vorliegende Einzelstudien zurückgegriffen werden (s. Literaturverzeichnis). Dem zeitlichen Ablauf folgend steht zuerst der handschriftliche Bereich im Mittelpunkt.
2. Schreibentwicklung in den Kanzleien Prinzipiell ist davon auszugehen, dass der handschriftliche Bereich der Wittenberger Schriftlichkeit nicht als homogenes Ganzes anzusehen ist – seine sich in der Quellenlage widerspiegelnde Spannweite legt dies von vornherein nahe. Grundsätzlich ist von hier aus in ihm von einem Nebeneinander amtlicher Schriftlichkeit (Stadtkanzlei, Kanzlei des kursächsischen Amtes Wittenberg, Kanzlei der Universität Wittenberg) und privater Schriftlichkeit (Briefe von Bürgern der Stadt, von Universitätsangehörigen, von Angehörigen in Wittenberg angesiedelter kursächsischer Verwaltungsstellen, von Setzern und Korrektoren Wittenberger Offizinen) auszugehen, beide Teilbereiche heben sich in den ihnen zuzuordnenden Textzeugnissen sowohl in der Variantenauswahl wie auch bei der Anwendung der ausgewählten Varianten mit spezifischen Akzentsetzungen deutlich voneinander ab.3 Überblickt man von dieser Vorkenntnis her das Schriftgut der Stadtkanzlei (Schreiben an den Landesherren, präzise geführte Kämmerei-Rechnungen, weniger exakte Eintragungen in Handelsbücher und Gerichtsbücher), zeigt sich, dass die Schreibsysteme der von 1486 bis 1508 amtierenden Stadtschreiber – sie sollen als Ausgangspunkt für die Untersuchung dienen – innerhalb der Grenzen, die ihnen das zu ihrer Zeit im Ostmitteldeutschen gültige phonologische System zog, dessen von dort aus mögliches Variantenpotential in vollem Umfang widerspiegeln – dies nicht nur im Hinblick auf die von hier aus vorgegebenen Möglichkeiten an sich, 3
Kettman (1968), 353–366
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sondern weithin auch im Hinblick auf eine starke Frequentierung der omd. Schibboleths im Einzelfall.4 So dominieren z. B. bei dem zwischen 1486 und 1502 amtierenden Stadtschreiber gerundete Pronominalformen (om, or etc.), sall ‚soll‘, ab ‚ob‘, mhd. iuw als au/aw (naue Rat), ü wird zu o neutralisiert (Torschlossel), anlautend wird zc geschrieben (zcu), für inlautendes -pf- erscheint -pp- (topper), für inlautend -lt- und -nt- wird -ld- bzw. -nd- geschrieben (halden, under). Neben diesen von ihrer Frequenz her omd. Blöcken steht beim gleichen Schreiber aber auch schon reduziertes Befolgen omd. Eigenheiten: ~
Siehe Anm. 1. Daselbst auch die Belegangaben für die zitierten Beispiele.
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Reihe von Fällen ist zudem die Häufigkeit der Varianten im Verhältnis zu den nhd. gültig gewordenen Formen zurückgegangen (ou vor Labial umgelautet zu eu gehört in diesen Kreis), in einer anderen treten diese stärker als beim ersten Schreiber hinter die Varianten zurück: i dominiert so in Nebensilben gelegentlich über e. Betrachtet man das hier als Beispiel gewählte vokalische Feld der dem ersten Stadtschreiber folgenden Stadtschreibergruppe unter dem Gesichtspunkt einer kontinuierlichen Weiterbildung des als Ansatzpunkt gewählten Schreibsystems, lässt sich – auf das Ganze gesehen – eine von e i n e m Bezugspunkt ausgehende und diesen folgerichtig ausbauende geradlinige Entwicklung kaum postulieren: Nahezu jeder Schreiber setzt noch mit einem eigen akzentuierten Mischungssystem – und das ist das Entscheidende – omd. Varianten/nhd. gültig gewordener Pendants ein, ein Zustand, der freilich in die nhd. Zukunft weisende Entwicklungen keineswegs verbaut; diese treten deutlich hervor, obwohl eine teleologische Flussrichtung auf das Neuhochdeutsche nicht erklärtes Ziel der Schreiber gewesen sein kann. Wie aber gestaltet sich das Verhältnis zu exterritorialen Varianten? Spielen sich Entwicklungen lediglich im Umfeld eigenterritorial markierter Varianten ab? Der Überblick über den agierenden Schreiberkreis zeigt, dass prinzipiell die Neigung, exterritoriale Varianten weithin auszuklammern, erhalten bleibt – dies jedoch mit behutsamem Abrücken von ihr. Bei fast allen Schreibern erscheint so nunmehr –lein für –chen (ohne letzteres jedoch zu überdecken), das Suffix –nus beginnt an Raum zu gewinnen, kann –nis ebenfalls aber nicht verdrängen. Nur ein Schreiber greift obd. b für w auf: bebachsen, gebelbe finden sich bei ihm, nur zwei (von sechs) haben neben nicht auch nit. Sich verstärkendes addierendes Vorgehen zeichnet sich von hier aus in Ansätzen ab, keineswegs Ersatz einheimischer Varianten. Auffällig ist, dass solche obd. Varianten In-Dienstgenommen werden, die im weiteren Verlauf der schriftsprachlichen Einigungsbewegung wieder aufgegeben werden, obwohl sie wie im Falle von –nus vom Geltungsareal her die Chance hatten, sich durchsetzen zu können. In summa lassen sich damit in der Wittenberger Stadtkanzlei zu Beginn des 16. Jh. alle für die Zukunft wichtig werdenden Entwicklungen erkennen – freilich keineswegs mit gleicher Intensität Hand in Hand gehend, sondern im Hinblick auf die Übernahme landschaftsfremder Varianten nur erst im Ansatz: ganz im Gegenteil zur Aufgabe regionaler Varianten. Verfolgt man vom vorstehend skizzierten Ausgangspunkt her die Entwicklung in der Wittenberger Stadtkanzlei bis zu dem als Endpunkt gewählten Jahr 1546, wird sichtbar, dass die Schreibsysteme der drei von 1508 bis 1546 amtierenden Stadtschreiber sich grundsätzlich in der aufgezeigten Richtung weiterentwickeln – dies aber mit wichtigen zusätzlichen Merkma-
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len. Alle drei Schreiber setzen jeweils mit einem Modell ein, in dem der Bestand regional markierter Varianten gegenüber dem Vorgänger deutlich verringert wird – sowohl im Hinblick auf die noch gebrauchten Varianten wie auch auf die Variantenfrequenz als solche. Vereinzeltes Aufgreifen von bereits bei Vorgängern ausgesonderten Varianten wie z. B. ~
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sen) bedingtes – sich immer mehr verstärkendes Aufgreifen obd. Schreibungen feststellen, das in Einzelfällen bis hin zu paritätischem Nebeneinander einheimischer und fremder Varianten führt (bei ai für ei) oder gar zum Dominieren über omd. übliche Formen (bei nit/nicht).5 Keineswegs kann freilich die Wittenberger Stadtkanzlei als Prototyp auch für das amtliche Schrifttum anderer in Wittenberg amtierender Kanzleien angesehen werden: Das Schriftgut der Kanzlei des kursächsischen Amtes Wittenberg und das der Universitätskanzlei – beide urkunden in der Stadt neben der Stadtkanzlei – heben sich nach verschiedenen Seiten hin deutlich von dem der Stadtkanzlei ab. Vergleicht man die in den Rechnungen des kursächsischen Amtes Wittenberg praktizierte Orthographie mit der im Schriftgut der Stadtkanzlei fassbaren Schreibung, fällt auf, dass bei den in der Amtskanzlei amtierenden Schreibern zwar auch – ausgehend von einem Abweichungskanon, der im Großen und Ganzen dem der Stadtkanzlei entspricht – zum neuhochdeutschen Stand hin führende Aussonderungsprozesse wirksam werden, aber: Sie gehen im Einzelnen von einer ungleich größeren Variantendichte aus als in der Stadtkanzlei und – das vor allem – sie werden erst später als dort wirksam, ab 1520 nämlich. Erst von diesem Zeitpunkt an vollziehen sich die entscheidenden Vergrößerungen des Invarianzpotentiales durch Ausscheiden omd. Varianten. Bei der vergleichenden Gegenüberstellung mit dem Beginn der Varianteneinengung in der Stadtkanzlei (1508) ist im Hinblick auf die Schreiber zu berücksichtigen, dass das Stadtschreiberamt Universitätsbildung voraussetzte, die ihrerseits von den Amtsschreibern nicht verlangt wurde. Hier werden wichtige Schichtungen sichtbar. Oberdeutsche Varianten finden nur vereinzelt Eingang in die Amtsrechnungen: -nus erscheint zwar nach 1513 häufiger, kann jedoch -nis nicht überdecken, -lein hingegen hat den Vorrang vor -chen. Ein sich deutlich hiervon abhebendes Bild lässt sich aus dem Schriftgut der Kanzlei der Universität Wittenberg herausfiltern, für deren Schreiber wieder Universitätsbildung Voraussetzung war. Wichtig ist zunächst, dass die Dichte (also die Häufigkeit im Einzelfall) ostmitteldeutsch markierter Varianten gegenüber dem kontemporären Gebrauch in der Amtskanzlei, aber auch – und das ist bemerkenswert – gegenüber dem in der Stadtkanzlei erheblich eingeschrumpft ist, dies von Beginn der Ausfertigung von Schriftstücken an (gerichtet zumeist an obere kursächsische Verwaltungsstellen). Ein über dem bisher skizzierten amtlichen Schreibstandard liegendes Schreibniveau wird von hier aus sichtbar – und zwar nicht nur im Hinblick auf das Verhalten omd. Varianten gegenüber (zügiger Abbau vor allem 5
Kettmann (19692), 290, 108, 189.
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ihres okkasionellen Gebrauches), sondern auch im Hinblick gegenüber Varianten oberdeutscher Provenienz. Zwar treten diese analog zur Stadtkanzlei auch erst um 1520/30 stärker auf, aber – und das ist das vom dortigen Gebrauch abhebende Moment – sowohl in wesentlich größerem Umfang des Variantenpotentiales als solchem wie auch in der Häufigkeit im Einzelfall, so dass man von einem regelrechten Modernisierungsschub von dieser Zeit an sprechen kann.6 Auffällig ist wieder die Parallelität zu den in der kursächsischen Kanzlei ablaufenden entsprechenden Prozessen. Überblickt man abschließend von hier aus die Teilkomponente amtliches Wittenberger Schrifttum tritt in ihrem Umkreis die spezielle Dynamik ostmitteldeutscher Schreibentwicklung deutlich vor Augen: Kontinuierlich zunehmende Aufgabe eigenterritorialer Varianten und relativ gleichzeitig in den existierenden Kanzleien in unterschiedlicher Intensität praktiziertes Integrieren oberdeutscher Varianten sind als kennzeichnende Merkmale im Hinblick auf die sprachgeographische Einordnung des Variantenbestandes Ende des 15. bis Mitte des 16. Jh. hervorzuheben.
3. Private örtliche Schreibtätigkeit Eine zweite Teilkomponente Wittenberger Schriftlichkeit wurde unter dem Oberbegriff ‚private örtliche Schreibtätigkeit‘ zusammengefasst. Zu seiner spezifischen Begriffsfüllung ist auf das dazu einleitend Angeführte zu verweisen. Überblickt man diesen Teilbereich als Ganzes, zeichnet sich ab, dass sich die hier einzuordnenden Schreibergruppen nach zwei Seiten hin vom Schreibusus im amtlichen Bereich abheben: 1. Weit unterhalb des dort fassbaren Verschriftlichungsniveaus ist das Schriftgut aus stadtbürgerlichen Vereinigungen (Brüderschaften) einzuordnen. (Schreib-)Sprache ist in diesem (auf die Stadt beschränkten) Umkreis weithin noch Ausdruck regionaler Identität – und diese schließt auch zu Beginn des 16. Jh. die Verwendung niederdeutscher Varianten in sich ein.7 Die Tatsache, dass in Wittenberg dem Variantenausgleichsprozess innerhalb des Hochdeutschen zeitlich ein Überschichtungsprozess des Niederdeutschen vorgelagert ist, darf als Hintergrund dazu nicht außer Acht gelassen werden. 2. Weit über dem im amtlichen Bereich erreichten Schreibniveau ist der – vornehmlich in Briefen fassbare – Schreibusus der in sich mobilen Gelehr6 7
Kettmann (2000), 215. Kettmann (1965), 68–71.
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tengruppe (mehrheitlich gebunden an die Universität) anzusiedeln. Ihre sich über den gesamten deutschsprachigen Raum erstreckende geographische Herkunft und ihr ebenfalls nicht auf enge regionale Bindungen abgestellter Briefwechsel markieren kommunikationsspezifisch einen Kontrapunkt zum regional zentrierten Amtsbereich. Das sind Prämissen, die auch für den graphematischen Status dieser Gruppe von Belang sind: Er zeichnet sich von ihnen her dann auch dadurch aus, dass der regional indifferente invariable Teil des Grapheminventars außerordentlich groß ist und weithin bereits den später im Neuhochdeutschen gültigen Stand erreicht hat; eine Vielzahl bisher aufgetretener territorial bedingter Variationsmöglichkeiten fehlt. Jeweils regional markierte Varianten sind zeittypischem Schreibgebrauch folgend im Einzelfall natürlich keineswegs auszuschließen, sie spielen aber in diesem Umfeld nur noch eine sekundäre Rolle. Ich greife einige Beispiele heraus: Bei den im ostmitteldeutschen Sprachgebiet beheimateten Gelehrten findet sich z. B. nur noch bei wenigen hier einzuordnenden Universitätsangehörigen i für tonschwaches e, omd. üblicher Umlaut von mhd. ou vor Labial nur vereinzelt. Bemerkenswert ist die Zurückhaltung gegenüber den zeittypischen oberdeutschen Varianten in diesem Kreis: ai für mhd. ei, p für anlautendes b-, -nus für –nis sind ebenfalls nur an wenige Schreiber gebunden, bei denen sie zudem lediglich vereinzelt stehen. Das Vermeiden wie auch immer einzuordnender territorialer Varianten wird hier als Prinzip deutlich sichtbar. Die Orthographie der im niederdeutschen Sprachgebiet beheimateten Gelehrten bringt eine Bestätigung des Gesagten. Niederdeutsche Züge sind so gut wie völlig ausgemerzt. Velichte ‚vielleicht‘, plicht ‚Pflicht‘ bei Bugenhagen oder deelhaftig ‚teilhaftig‘ bei dem aus Westfalen stammenden Juristen Otto Beckmann sind – hier wieder nur herausgegriffene – Hinweise auf die Herkunft der Schreiber: mehr nicht, da sie sonst eine sehr ausgeglichene Orthographie aufweisen, in der nur gelegentlich eingestreute, weithin noch im Ostmitteldeutschen als gültige Schreibung dominierende Varianten auffallen (teuffen für tauffen z. B.). Zeittypische oberdeutsche Formen werden auch in diesem Kreis konsequent gemieden. Aufschlussreich ist das Verhalten der aus dem oberdeutschen Sprachgebiet stammenden Gelehrten. Sie weisen naturgemäß – auf das Gesamt gesehen – zwar in höherem Grade als der von seiner Herkunft her ostmitteldeutsch oder niederdeutsch determinierte Gelehrtenkreis oberdeutsche Elemente auf (z. B. ai, p-, nit, ue für mhd. uo, ch- für k-), haben aber – und das ist wieder aufschlussreich – besonders bei längerem Verweilen in Wittenberg – fast stets Schreibungen daneben, die sich in der Regel als neuhochdeutsch gültig in Wittenberg bereits durchgesetzt haben, nur selten aber (wie im Falle des aus Eßlingen stammenden Johann Böschenstein) typisch omd. Varianten
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wie vor- für ver-. Um ein Beispiel herauszugreifen: So schreibt der aus Salzburg stammende Balthasar Loy, nachdem er knapp ein Jahrzehnt in Wittenberg weilt, bereits in der Regel ei statt ai für den mhd. Diphthong ei. In den Schreibgebrauch der Gelehrtengruppe sind (sowohl von ihrem Bildungsgang wie auch von ihrer sozialen Stellung her) die Korrektoren der Wittenberger Druckereien eingebunden – ein insofern wichtiger Umstand, als in letzter Zeit der Einfluss der Korrektoren auch auf die Orthographie der Drucke (und damit auf deren orthographisches Profil) immer wieder hervorgehoben wurde.8 Bei Caspar Cruciger, Georg Rörer und Johann Walther (das sind die wichtigsten aus diesem Umkreis zu berücksichtigenden Korrektoren) ist von hier aus ein relativ hohes orthographisches Niveau zu erwarten. Ihre herangezogenen Handschreiben bestätigen dies voll und ganz: Alle drei bewegen sich auf einer äußerst variantenarmen, diesen Stand konsequent durchhaltenden Linie. Gelegentliche Abweichungen davon sind selbstverständlich nicht auszuschließen – so wenn z. B. bei Rörer brengen für bringen oder bei Walther omd. eu für ou vor Labial erscheint. Oberdeutsche Varianten drücken auch bei den Korrektoren nicht stärker als sonst im Gelehrtenkreis durch, lediglich der aus Deggendorf/Bayern stammende Rörer fällt partiell aus dem Rahmen. Als Ebene zwischen den beiden bisher beschriebenen Teilen privater Schriftlichkeit schließlich schälen sich Schreiben aus der einheimischen Bürgerschaft heraus. Man muss dabei von vornherein berücksichtigen, dass es sich vornehmlich um Schriftgut aus den oberen Kreisen der Bürgerschaft handelt, in tieferen Schichten ließ man unumgängliche Schriftstücke vielfach von Studenten oder Stuhlschreibern anfertigen. Außerordentlich wichtig ist, dass es zwischen den alteingesessenen Wittenberger Bürgerfamilien und der Universität nicht an engen wechselseitigen Beziehungen gefehlt hat9 – ein Umstand, der nicht ohne Einfluss auf das Bildungsstreben des Bürgertums geblieben sein dürfte. So verwundert es daher auch nicht, wenn in den – größtenteils aus den Jahren um 1530 – vorliegenden Briefen Wittenberger Bürger eine Orthographie herrscht, in der sich deutlich das Bemühen abzeichnet, territorialen Varianten keinen großen Raum mehr zu gewähren. Das gelingt nicht immer und nicht in allen Fällen:
Erben (1975), 125 ff., Wolf, H. (1984), 108–125. Schwineköper (1975), 507.
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weniger Raum als dies etwa kontemporär in der Kanzlei des kursächsischen Amtes Wittenberg oder auch beim Personal des Amtes (in dessen Privatbriefen) zu beobachten ist. Nicht teil hat sie freilich andererseits an den (in welcher Stärke auch immer) sich abzeichnenden zeiteigenen Bemühungen, exterritoriale Varianten aufzugreifen. Ein Beispiel: Obd. ai für mhd. ei fehlt völlig in diesem Kreis. Bezahlte Stuhlschreiber verhalten sich in diesem Fall anders: Der Schreiber für die Wittenberger Kramer schreibt stets ay.10 Alle wesentlichen Bereiche der handschriftlichen Überlieferung Wittenbergs sind damit in Kurzcharakteristiken vorgeführt worden, so dass an dieser Stelle ein Resümee über die sich in ihr vollziehende Entwicklung von der Wende 15./16. Jh. bis zur Mitte des 16. Jh. gezogen werden kann. Deutlich zeichnet sich ab, dass sie von zwei Seiten her geprägt wird: 1. In allen ihrer Bereiche erfolgt ein Abbau territorialer Varianten, ohne dass freilich deren Bestand total eliminiert wird. 2. In fast allen Bereichen werden zeittypische oberdeutsche Varianten – die keineswegs in allen Fällen in die spätere Norm einfließen – in die Schreibe übernommen: als zusätzliche Varianten, nicht als Ersatz bisher vorhandener. Insgesamt erfolgt von den beiden zeitimmanenten Entwicklungszügen her in einem Zeitraum von rund 50 Jahren eine nicht unwesentliche Umstrukturierung des orthographischen Profils der Wittenberger Schriftlichkeit in Richtung neuhochdeutsch gültig gewordener Schreibe, die ostmitteldeutsche Grundlage bleibt aber doch – wenn auch gebunden an wesentlich weniger omd. Schibboleths und sinkender Frequentierung der beibehaltenen – noch immer deutlich erkennbar erhalten. Von einer Aufgabe landschaftseigener Identität kann von hier aus keine Rede sein, eher von ihrem Einpassen in die zeiteigene, zu einer übergreifenden Einheit hin tendierende generelle sprachliche Entwicklung. Auffällig ist, dass dies im Wesentlichen durch das Ausscheiden territorialer Varianten geschieht, das immerhin – wie die von Josten beigebrachten Belege zeigen – vor dem Hintergrund der Betonung des Meißnischen als vorbildlicher Sprachform erfolgt.11 Direkter Anschluss an die zeiteigene südliche Schreibtradition hält sich trotz des seit rund 1300 zu beobachtenden südlichen Einflusses auf das Mitteldeutsche in Grenzen, am ehesten werden von der Kanzlei der Universität Wittenberg noch südliche Formen übernommen – offensichtlich in Anlehnung an den Kommunikationspartner kursächsische Kanzlei, dem innerhalb des Landes ein hoher Prestigewert zukam. In der empirischen Wirklichkeit ist demnach keineswegs mit einem paritätischen Vollzug 10 vgl. Anm. 1, 107 11 Josten (1976), 20 ff.
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des festgestellten zweizügigen Entwicklungstrends zu rechnen: Bedingt vor allem durch gruppensoziologische Bindungen (in denen jeweils das Bildungselement eine wesentliche Rolle spielt) tritt er in deutlich differenzierter Weise zutage – ohne dass freilich eine der beiden Komponenten in einer der schreibsprachlichen Gruppen gänzlich außer Sichtweite zu geraten droht.
4. Druckersprache in der ersten Hälfte des 16. Jh. Zusätzliche Fragen wirft der Medienwechsel Handschrift–Druck auf, der Druck verändert bekanntlich die Rahmenbedingungen geschriebener Sprache in entscheidender Weise. Zuerst stellt sich die noch im Sektor des Allgemeinen angesiedelte Frage nach dem generellen Status der sich ab 1519 in größerem Ausmaß entwickelnden Wittenberger Druckersprache innerhalb der gesamten Wittenberger Schriftlichkeit12 – die Frage also, von welchem Ausgangspunkt her der Druck in die schreibsprachliche Entwicklung eingreift: ob er und die tradierte handschriftliche Überlieferung miteinander identisch sind oder ob mit dem Druck (dem in Wittenberg zweifelsohne breit gefächertem Anliegen entsprechend) von vornherein eigene Auswahlprinzipien aus dem allen gleichermaßen zur Verfügung stehenden graphematischen Inventar sichtbar werden. Die Standortbestimmung lässt eindeutige Verhältnisse zutage treten, sie lassen sich in zwei Aussagen bündeln: Zum einen zeichnet sich in den Drucken im Allgemeinen gegenüber der handschriftlichen Überlieferung eine größere Konsequenz in der Handhabung der verbliebenen omd. Varianten ab – also ein in sich geschlosseneres Bild dadurch, dass der weitaus größte Teil der Varianten gegenüber ihrem zur nhd. Norm gewordenen Pendant jeweils nur noch vereinzelt auftritt und damit diesem gegenüber keinen dominierenden Charakter mehr hat. Nur in wenigen Fällen (zur- für zer-, ruge für ruhe, gewest für gewesen z. B.) überwiegt Variantendominanz noch gegenüber okkasionellem Variantengebrauch, wobei Fälle der angeführten Art gemeinhin als omd. Normalschreibung gewertet werden. Zum anderen zeichnet sich von Beginn der Drucküberlieferung an deutlich das Fehlen eines nicht geringen Teiles von im handschriftlichen Bereich trotz aller Bestandsreduzierungen noch immer präsenten omd. Territorialvarianten ab: j- für anlautendes g-, -nd- zu -ng(hingerstellig), -w- für -b- (gegewen) usw. – mithin ein geringerer Bestand an omd. Varianten also. Ergänzend zu dem intensiveren Aufgeben omd. Va12 Kettmann (1995), 143–153.
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rianten, das außerdem dadurch gestützt wird, dass resthafte Schwankungsmöglichkeiten zwischen zwei Varianten häufig nur noch lexemgebunden auftreten (unden, hinden) und dass lautlich bedeutungslose Allographen wie z. B. <ß> für anlautend [s] rigoros abgebaut werden – und dies in einem relativ kurzen Zeitraum – tritt dazu (und das ist eine wichtige Markierung), dass zeittypische oberdeutsche Varianten im Einzelfall jeweils häufiger als im handschriftlichen Umfeld auftreten: nit, ai, -nus, nun für nu etwa. Von Fakten der genannten Art her zeichnet sich so – um die Frage nach dem generellen Status der Wittenberger Druckersprache zusammenfassend zu beantworten – ab, dass mit dem Druck deutlich sichtbar ein neues Moment in den Verschriftlichungsprozess eingebracht wird. Die Skizzierung des generellen Status der Wittenberger Druckersprache entbindet freilich nicht davon, der Anwendungsspezifik der einzelnen sie konstituierenden Offizinen im Detail nachzugehen, mithin deren jeweilige Infrastruktur zu beleuchten. Vom aufgezeigten generellen Status her ist zu erwarten, dass sich gegenüber aus der in sich wesentlich differenzierteren handschriftlichen Überlieferung ablesbaren gruppengebündelten Graphemanwendung ein – wenn auch zeitgebunden relatives – Beieinander der einzelnen Offizinen abzeichnen wird, selbst wenn die unterschiedliche Anzahl in ihnen tätiger Pressen und damit auch Setzer keine im heutigen Sinn geschlossene Größe entstehen lassen kann. Andeutungsweise soll hier – ausgehend von dem Problem des Integrierens exterritorialer Varianten – der Frage nach Anwendungsunterschieden zwischen den Offizinen in eben diesem Punkt wenigstens partiell nachgegangen werden: methodisch von der (mehrfach aufstellbaren) Testreihe mehrere einheimische Drucker – gleiches Jahr – gleicher Autor her. Das sich abzeichnende Bild ist wieder eindeutig, es bestätigt zunächst die Vermutung eines alle Wittenberger Offizinen überdachenden Graphemprofils: In den einzelnen Offizinen wird der in der Wittenberger Druckersprache vorkommende Variantenbestand nämlich bereits nach relativ kurzer Anlaufzeit in weithin übereinstimmender Weise eingesetzt, Angleichung aneinander dominiert; Abweichungen voneinander dokumentieren sich zunehmend nur noch in Unterströmungen nicht oder wenig signifikanter Art. Im Hinblick nun auf die eingegrenzte Frage nach druckereispezifischem Einsatz speziell des Bestandes an oberdeutschen Varianten passt sich die Antwort darauf in dieses Bild ein. Es zeigt sich, dass zwar einige der Drucker (Grunenberg, Lotter, Creutzer) oberdeutsche Varianten prinzipiell gegenüber dem Gros der in der ersten Hälfte des 16. Jh. tätigen Drucker einschränken (wenn auch nicht völlig meiden), alle anderen aber (Cranach-Döring, Schirlentz, Klug, Lufft usw.) – und das ist die Mehrzahl – einen annähernd gleichen Bestand aufweisen.
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Gebrauchsmarkierungen lassen sich von hier aus kaum vornehmen, erst von einem zusätzlichen Kriterium treten sie deutlicher hervor: von der zahlenmäßigen Stärke der jeweiligen Verwendung der oberdeutschen Varianten im Einzelfall. Georg Rhaw z. B. (bekannt vor allem durch seine Musikdrucke) verwendet in seinen Drucken – vornehmlich in solchen von Rechtsverordnungen – häufiger als andere ai für den alten Diphthong ei, -nus als Suffix, ~
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sind aber als ständige Unterströmung stets präsent. Sie werden im handschriftlichen Bereich jeweils – und das ist die die generelle Aussage präzisierende Beobachtung – gruppenspezifisch eingesetzt: in der Weise, dass bildungsrelevante Gruppen und Schreibinstitutionen, die mit der landesherrlichen Kanzlei engen Kontakt haben, sie stärker integrieren als durchschnittliche Normalschreiber. Den landschaftlichen Variantengebrauch auf diese Weise durchsichtiger und seine Entwicklung im Detail überschaubarer machende Aussagen sind, um das hier noch einmal zu betonen, unerlässlich, will man den Weg des Sprachausgleichs zwischen den einzelnen Schreibsprachlandschaften nicht nur konstatieren, sondern im Detail verfolgen – und damit den Balanceakt zwischen dem Beibehalten landschaftseigener Identität und dem Sich-Öffnen gegenüber landschaftsfremdem Sprachgebrauch nicht nur eingeengt auf die Schreibe als solche, sondern auch im Hinblick auf die Schreiber sichtbar werden zu lassen.
5. Druckersprache an der Wende zum 17. Jh. Zum Abschluss soll – wiederum Wittenberger Druckerusus zugrunde legend – ein Blick darauf geworfen werden, wie sich Anfang und Ende des 17. Jh. die Druckersprache im ostmitteldeutschen Bereich präsentiert – ausgehend vom Wissen darum, dass man auch zu diesen Zeiten noch kein vereinheitlichtes Orthographiesystem voraussetzen darf. Zeitgenössische Klagen wie – um ein Beispiel zu zitieren – die von Georg Neumark: „Es scheinet fast unmüglich zu seyn/ daß alle Deutsche in der Orthographie einerley Meinung haben können“13 weisen freilich darauf hin, dass der noch immer ungefestigte Zustand der Orthographie in Handbüchern zur Grammatik, Formularbüchern usw. zunehmend als Belastung und – daraus folgend – als verbesserungsbedürftig angesehen wurde. Ein summierender Überblick über das orthographische Erscheinungsbild Wittenberger Drucke lässt dann auch sowohl im ersten Viertel des 17. Jh. wie auch zu Ende des 17. Jh. erkennen, dass noch immer die beiden Variantenkomplexe Ostmitteldeutsch und Oberdeutsch primär für Anwendungsschwankungen verantwortlich zu machen sind. Entscheidend ist, in welchem Maße jeweils und in welchem Verhältnis zueinander die (bekannten) Varianten das Bild prägen. Zweierlei ist generell dazu zu sagen: 1. dass die omd. Varianten bis auf einen kleinen Kreis von Ausnahmen zunehmend seltener als ihre neuhochdeutschen Entsprechungen gebraucht werden und häufig nur bei be13 Neumark (16672), 336
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stimmten Lexemen auftreten (k für g bei kegen oder Umlaut von a gegen das Nhd. bei erbeiten z. B.) – eine Tendenz, die sich zum Ende des 17. Jh. hin in immer stärkerem Maße durchsetzt. 2. es fällt auf, dass sich die Zahl der oberdeutschen Varianten als solche zwar vergrößert hat (immerhin ein Indiz für eine zunehmende Öffnung gegenüber anderen Landschaften), sie aber nach wie vor im Einzelfall nur selten zur herrschenden Form aufsteigen (ein Beispiel dafür ist zwanzig). Erst von subjektiv möglicher Steuerung des Variantenpotentiales in den einzelnen Druckereien Wittenbergs her wird freilich wieder die Spannweite der Auswahl im Detail sichtbar. Geht man – auf diesen Punkt hinführend – zunächst der den Beispielort Wittenberg in größere ostmitteldeutsche Zusammenhänge einbettenden Frage nach, ob sich zwischen Druckern bedeutender städtischer Druckzentren und solchen in landschaftlich zwar nicht unwichtigen, mit Blick auf das landschaftliche Gesamt aber doch kleinen Druckorten tendenzielle Unterschiede abzeichnen oder lediglich ein gleiches Variantenpotential zeitüblich partiell unterschiedlich eingesetzt wird, lassen sich von einem Vergleich der Drucke von Salomon Gesners Christlicher Leichenpredigt, Wittenberg 1597 bei Zacharias Lehmann und von Georg Raudtes Leichenpredigt, Freiberg 1588 bei Georg Hoffmann aufschlussreiche Hinweise gewinnen – darauf nämlich, dass beide mit einem gemeinsamen Fond von in relativ gleicher Häufigkeit eingesetzten Varianten zwar deutlich ihre Verwurzelung im Ostmitteldeutschen zeigen, in einem Punkt aber dann doch unterschiedliche Wege gehen: Der Wittenberger Drucker gebraucht in seinem Druck entschieden mehr oberdeutsche Varianten als der Freiberger. Nur bei ihm erscheinen so z. B. gelougnet (statt geleugnet), ou vor m ohne Umlaut (Traumen), -tt- für zwischenvokalisches -tnach Länge oder ä als Umlaut von a. Das ist im Hinblick auf das Beibehalten territorialer Eigenständigkeit in kleineren Druckereien keineswegs eine Beobachtung von untergeordneter Bedeutung. Die Schlüsselstellung der Druckpraxis ‚vor Ort‘ ist von dem herangezogenen Illustrationsfall her unschwer abzulesen. Berücksichtigt man, dass zur Skizzierung des gesamtlandschaftlichen Rahmens lediglich e i n Druck eines Ortes prototypisch für den Ort als solchen herangezogen wurde, im Ort selbst von den zeiteigenen Bedingungen her aber noch immer durchaus voneinander abweichende Druckereigenheiten zu erwarten sind (zumal selbst bei e i n e m Drucker Schwankungen auftreten14) zieht dies folgerichtig nach sich, analog zur Überprüfung der Wittenberger Druckersprache in der ersten Hälfte des 16. Jh., wieder die Einheit ‚Druckort‘ in sich zu präzi14 Kettmann (1992), 77.
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sieren – zum einen in Richtung Druckkonstanz des Ortes, zum anderen aber auch in Richtung Druckkonstanz des (gewählten) Einzeldruckers. Wendet man sich dem ersten Punkt zu, ist dieser wieder von einem Vergleich mehrerer Offizinen beim zeitgleichen Druck des gleichen Autors her zu beschreiben, von der Testreihe 1 Autor – mehrere Drucker eines Ortes – (relativ) zeitgleicher Druck mithin. Überprüft man von diesem Ansatz her Leichenpredigtdrucke des schon einmal herangezogenen Salomon Gesner bei Zacharias Lehmann (1597), Georg Müller (1603) und Wolff Meißner (1605) ergibt sich, dass alle drei Drucker aus einem gleichen Variantenpotential auswählen: weithin fehlende Apokope, 1./3. Sg. Prät. st. Verben in der Regel ohne -e, sondern, fern, t-Einfügung vom Typ eigentlich z. B. sind in ihm vertreten. Ergänzt wird die Identität in diesem Punkt durch eine weithin gleiche Frequentierung in Frage kommender Varianten (gewest, seind etwa). Schwankungen im Detail und anders strukturierter Einsatz der einzelnen Variantengruppen schlagen aber durch, wenn Wolff Meißner 1605 gegenüber Lehmann und Müller oberdeutsche Varianten bevorzugt (im Falle von -nus, nit, Nichtkennzeichnung der Länge z. B.). Parallel dazu zeigt er sich bei der Verminderung des Einsatzes von zu- für zer- bereits stärker dem Neuhochdeutschen verpflichtet als die beiden anderen Offizinen.15 Mit Fällen dieser Art werden wieder die Grenzen zeiteigener Einheitlichkeit sichtbar, sie verdecken aber nicht – dies sei expressis verbis hervorgehoben – das immer stärkere Einpegeln der Drucker auf ein bereits hohes Maß an Gemeinsamkeiten im engeren städtischen Umkreis, in das auch der Gebrauch exterritorialer Varianten überhaupt einbezogen ist. Grundiert wird das bisher Angeführte, greift man auch die Frage nach der Druckkonstanz des Einzeldruckers auf und rückt damit die Vorgehensweise in den Offizinen selbst in den Mittelpunkt. Will man diese zu einem Zeitpunkt X überprüfen, empfiehlt es sich, von einem Vergleich verschiedener bei ihnen gedruckter Autoren zum Zeitpunkt X auszugehen, von der Testreihe 1 Drucker – mehrere Autoren – gleicher Zeitpunkt. Als Beispiel dafür sei wieder der Drucker Zacharias Lehmann herangezogen; er druckt 1597 eine bereits zitierte Leichenpredigt von Salomon Gesner, 1601 eine solche von Matthäus Gothus.16 Der Vergleich beider Drucke bestätigt bisher gewonnene Einsichten: Auch in dieser Konstellation ist weitgehend Übereinstimmung zu verzeichnen, absolute Identität fehlt wieder. Gehen beide Drucke – um Kreis und Art der Übereinstimmung anzudeuten – konform im Gebrauch der Rundung, des Umlautes von mhd. u vor m, des zurück15 Kettmann (1993), 284. 16 Gothus (1601), passim.
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haltenden Gebrauches von gewest, des Umlautens von mhd. ou vor Labial, der fehlenden Neutralisierung von
6. Resümee Der eingangs umrissene Fragenkreis ist mit dem zuletzt Angeführten umschritten. Fasst man die Teilantworten auf die ihn konstituierenden Einzelfragen zusammen, ist als generelles Ergebnis festzuhalten, dass der Realitätshintergrund für den Terminus Ostmitteldeutsch sich innerhalb der untersuchten Zeitspanne relativ stark gewandelt hat: Der sprachhistorische Ist-Zustand des Ostmitteldeutschen wird nunmehr zum einen geprägt durch eine starke und zügig voranschreitende Selektion aus autochthon-regionalen Schreiborientierungen, zum anderen durch eine auf das Ganze gesehen zwar unterschwellige, aber doch kontinuierlich zunehmende Addition (also Zusammenführung von korrespondierenden Regionalvarianten) 17 vgl. Anm. 14, 80.
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im Bereich der Integration exterritorialer Varianten. Die Eigenständigkeit des Ostmitteldeutschen wird mithin insbesondere durch eine die Wahlfreiheit der Schreiber und Drucker anhaltend einschränkende Basisreinigung (also Abwahl omd. Varianten) eingeengt, mit der eine kontinuierliche, freilich nie das Ostmitteldeutsche als solches in Frage stellende Aufnahme landschaftsfremder süddeutscher Varianten sowohl als Identifikationsangebot an ein größeres Ganzes wie primär zur Sicherung des entwicklungsbedingt sich wandelnden generellen Kommunikationsrahmens zwar in komplexer Distribution und differenzierter Chronologie, aber doch stetig Hand in Hand geht. Neue sprachliche Wertungshierarchien zeichnen sich von den beiden Entwicklungssträngen her ab, insbesondere das zunehmende Bewusstwerden omd. Varianten als regional beschränkt. Die Gleichberechtigung von Varianten wird damit unterlaufen. Geht man von generellen Aussagen zu Detailaussagen über, die erstere spezifizieren und damit präzisieren, ist zum Komplex des Einsatzes territorialer Varianten ergänzend zu sagen, dass dieser von drei Merkmalen her sein spezifisches Gepräge erhält: 1. durch eine sich vom ersten Viertel des 16. Jh. an abzeichnende starke Schrumpfung des Bestandes sowohl im handschriftlichen als auch im Druckbereich – in beiden Bereichen freilich in unterschiedlicher Weise ablaufend, 2. durch eine im Einzelfall zwar immer noch mehr oder voneinander differierende, insgesamt aber stark abnehmende Häufigkeit des Einsatzes des Restvariantenbestandes bei dominierender Beibehaltung eines aus diesem Prozess weithin ausgeklammerten Restbestandes so genannter ostmitteldeutscher Normalschreibungen wie z. B. eu für ou vor Labial, 3. durch eine zunehmende Lexematisierung einzelner Varianten (wie z. B. -nd- für -nt- in unden, hinden) – ein insbesondere vom Ende des 16. Jh. an zutage tretender Vorgang. Die Integration exterritorialer Varianten – des zweiten Problembereiches des Varianteneinsatzes im Ostmitteldeutschen – lässt einen sich deutlich vom Schrumpfungsprozess im Bereich territorialer Varianten abhebenden Verlauf erkennen, obwohl die Eingliederungstendenz als solche und damit die Öffnung gegenüber einem gesamtsprachlichen Rahmen in den herangezogenen Zeitabschnitten ebenfalls eine Konstante bildet, hinter der Geltungsökonomie – also Sicherung eines weiten Kommunikationsrahmens – zu vermuten sein dürfte. Sowohl der Umfang des Eingliederungspotentiales überhaupt wie auch die Häufigkeit seiner Glieder im Einzelfall aber erreichen bei weitem nicht den Umfang des Schrumpfungspotentiales ostmitteldeutscher Varianten wie auch die Gebrauchshäufigkeit ihres abgesenkten Restbestandes im Einzelfall. Determiniert durch vom Kommunikationsrahmen einzelner Schreibergruppen bzw. schriftsprachlicher Bereiche her
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vorgegebene pragmatische Bedingungen zeichnen sich deutlich voneinander abweichende Entwicklungstendenzen und Bewertungsstrukturen ab. Erst mit dem Buchdruck erfolgt eine Stabilisierung der Aufnahme exterritorialer Varianten auf einheitlicherem und vielfach höherem Niveau – ein Vorgang, der nach sich zieht, dass die Regionalgrundierung des Ostmitteldeutschen zwar zusätzlich zum Schrumpfungsprozess ostmitteldeutscher Varianten zunehmend stärker abgeschwächt wird, aber beim Prozess des Aufeinanderzugehens der Regionen noch immer als determinierender Faktor deutlich erhalten bleibt. Mit einem den Befund auf der graphematischen Ebene ergänzenden Hinweis auf Entwicklungstendenzen im Bereich des im Untersuchungskorpus auftretenden Wortschatzes, insbesondere des Alltagswortschatzes, soll abgeschlossen werden.18 Hier nämlich bleibt – vom sprachgeographischen Koordinatennetz Wittenbergs her diktiert – die Einbindung in territoriale nd./md. Rahmenbedingungen nahezu unverändert erhalten – wenn man so will, als Gegengewicht zu den Umstrukturierungen auf dem graphematischen Sektor.
7. Literatur Erben (1975): Erben, Johannes: Zur Normierung der neuhochdeutschen Schriftsprache. In: G. Bellmann u. a. (Hrsg.): Festschrift für Karl Bischoff zum 70. Geburtstag. Köln, Wien. 117–129. Gothus (1601): Gothus, Matthäus: Eine Christliche Leichenpredigt Bey dem Begrebnis weiland des Ehrnvesten vnd Gestrengen Wilhelmi Reiffensteins. Wittemberg. Josten (1976): Josten, Dirk: Sprachvorbild und Sprachnorm im Urteil des 16. und 17. Jahrhunderts. Bern, Frankfurt/M. Kettmann (1965): Kettmann, Gerhard: Zum Ausklang des Niederdeutschen in Wittenberg. In: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 88. 68–71. Ders. (1967): Zur schreibsprachlichen Überlieferung Wittenbergs in der Lutherzeit (Stadt und Schreibsprache im Frühneuhochdeutschen). In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. Halle 89. 76–120. Ders. (1968): Zur Soziologie der Wittenberger Schreibsprache in der Lutherzeit. In: Muttersprache 78. 353–366. Ders. (19692): Die kursächsische Kanzleisprache zwischen 1486 und 1546. Studien
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18 Kettmann (2001), im Druck.
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und Variantenanwendung (1570–1730). In: J. Schildt (Hrsg.): Aspekte des Sprachwandels in der deutschen Literatursprache 1570–1730. Berlin. 15–117. Ders. (1993): Studien zur ostmitteldeutschen Druckpraxis im 17. Jahrhundert. In: K.J. Mattheier u. a. (Hrsg.): Vielfalt des Deutschen. Festschrift für Werner Besch. Frankfurt/M. 279–288. Ders. (1995): Die Wittenberger Drucker in der Reformationszeit und ihr Umgang mit der deutschen Sprache. In: St. Oehmig (Hrsg.): 700 Jahre Wittenberg. Stadt Universität Reformation. Weimar. 143–153. Ders. (1996): Städtische Schreibzentren und früher Buchdruck (Beispiel Wittenberg): Medienwechsel und Graphematik. In: R. Grosse u.a. (Hrsg.): Textarten im Sprachwandel – nach der Erfindung des Buchdrucks. Heidelberg. 69–76. Ders. (2000): Studien zur amtlichen Schriftlichkeit der Universität Wittenberg in der Reformationszeit. In: J. Haustein u. a. (Hrsg.): Septuaginta quinque. Festschrift für Heinz Mettke. Heidelberg. 209–217. Ders. (2001): Annotationen zum Wittenberger Alltagswortschatz des frühen 16. Jahrhunderts. In: J. Meier u. A. Ziegler (Hrsg.): Deutsche Sprache in Europa. Festschrift für I. T. Piiraineu. Wien. 173–178. Neumark (16672): Neumark, Georg: Poetische Tafeln oder gründliche Unterrichtung zur Vers= und Redekunst. Jena. Schwineköper (1975): Artikel Wittenberg. In: B. Schwineköper (Hrsg.): Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Provinz Sachsen-Anhalt. Stuttgart. 504–511. Wolf (1984): Wolf, Herbert: Beiträge der Korrektoren zum Sprachausgleich Luthers. In: Sprachwissenschaft 9. 108–125.
Personenregister
Personenregister A Adam Petri 16 Adelung 43, 190 Admoni 49 Ágel 46, 53 Agnes 102 Aich, Arnd von 231, 237, 245 Aich, Johann von 231, 237 Albertus 189 Albrecht von Bayern 142 Albrecht von Halberstadt 223, 224, 225 Alerdinck 168, 169 Alvar 140 Ammon 130, 142 Anton von Burgund 137 Auer 67, 68 Avonds 142 B Bach 63, 85, 164, 165 Bader 59 Balan 102 Banta 61 Barbarossa 133 Bauer 119, 225 Bechert 95 Beckers 205, 231, 233, 234, 236, 237, 238, 239, 241, 244, 245, 250 Beckmann 260 Behaghel 196, 197, 199 Behr 168 Behringer 185 Berend 131, 132, 139, 140 Bergmann 59, 122, 123 Berns 136, 146 Berthold von Holle 207 Berthold von Regensburg 13, 139 Besch 8, 21, 30, 61, 63, 80, 137, 140, 141, 157, 161, 163, 165 Beschs 2
Betten 52 Betulejus 166 Beurhaus 158 Bickerton 85 Bischoff 103 Bister 145, 147 Bödiker 190 Bodmer 20, 24 Borchling 91 Bormans 137 Böschenstein 260 Bosl 111 Braune 83, 84, 118 Braunmüller 141 Breitinger 16, 18 Broosen 145, 147 Bulicke 11, 12 Bumke 206 Burdach 83 Burke 189 Busch 205 Byland 16 C Caesarius von Arles 120 Cajot 135 Canisius 13 Caron 136 Chambers 85 Chytraeus 88 Clajus 189 Clavis 112 Clemens 103 Cordes 206 Cornelissen 92 Cornelius 185 Coseriu 32, 134 Cox 92 Cramer 187 Cranach 264
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Personenregister
Creutzer 264 Cruciger, Caspar 261 D Dahl 91, 101 Daneˇs 81 Dante 133 Darquennes 142 De Beaugrande 122 De Grauwe 127, 128, 130, 131, 133, 134, 135, 137, 138, 139, 142, 144, 145, 147, 148 De Keyser 139 De Smet 127, 148, 221 De Vreese 135 De Vries 129 Debus 85 Den Hollander 146 Dibbets 136 Dietrich von Elmendorf 206 Diphthongierung, neuhochdeutsche 102 Ditmar 170 Donhauser 59 Döring 264 Dressler 122 Duijvestijn 147 E Eberhard von Cersne 227 Ebernand von Erfurt 222, 223, 224 Ecke 136 Eco 133 Edzardi 206 Eggers 137 Ehrismann 119 Eickmans 11, 92 Eilhart von Oberg 206, 207, 212 Elmentaler 80, 85, 87 Elspaß 103 Engelstede 92 Erben 81, 261 Ernst 85 F Faber 89, 143 Fernandez Bravo 190 Fischer 166 Frangk 189 Freund 70, 73
Freyer 88 Friedrich II 103 Frings 36, 68, 85, 133 G Gabrielsson 8, 9, 158, 159 Gardt 32, 50, 134 Gärtner 140 Gaulrapp 90 Geerts 149 Geiler von Kaisersberg 89 Gennep, Jaspar von 231, 232, 237, 239 Georg 272 Gerritsen 142 Gesner, Salomon 267, 268 Gessner 139, 143 Geuenich 114, 115 Gierach 206 Gilles 142 Glaser 61, 70, 72, 75 Goossens 80, 127, 130, 132, 133, 135, 138, 139, 141, 142, 145, 147, 148 Gothus, Matthäus 268, 271 Gottfried Hagen 226 Gottfried von Straßburg 226 Gottsched 43, 190 Graser 69, 75 Grebe, Werner 240, 246, 250 Grijp 148 Gröninger 168, 169 Große 81, 209 Grunenberg 264 Guchman 81, 190, 200, 205 Gut 65 Gutfleisch 206 Gutschaiff 240 Gutschaiff, Hermann 247, 248, 249 Gysseling 133, 205, 221 H Haarmann 135 Haas 13, 24, 59, 65, 79, 80, 82, 129, 203 Haase 141 Hammacher 170 Hänselmann 172 Hansen 184, 187, 188, 196 Hartmann von Aue 204 Hartweg 61, 70, 81
Personenregister Hashagen 185 Hätzlerin, Clara 70 Haubrichs 121 Hecht 136 Heimsohn 92 Heinrich 240 Heinrich der Löwe 228 Heinrich I, Bischof 120 Heinrich II., Kaiser 222 Heinrich von Veldeke 221, 226, 227 Heinrichs 85, 88 Heinrich II., Kaiser 222 Helber 6, 12, 13, 129 Henkel 123 Henzen 22, 85 Herborn 182 Herbort von Fritzlar 225 Hermann von Thüringen, Landgraf 223 Herzog Albrecht I. von Braunschweig 207 Herzog Julius 172 Hessmann 144 Himmighöfer 16 Hinskens 67, 68 Hoffmann, Georg 267 Hoffmann, Gerhard 239, 241 Hoffmann, Walter 12, 13, 160, 232, 250 Höfler 87 Hollandt, Bernhard 168, 169 Hollandt, Heinrich 168, 169 Hövel 168 Hugo von Trimberg 223, 224
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Kaufman 82, 95 Kettmann 75, 76, 164, 253, 254, 258, 259, 263, 267, 268, 271 Kleiber 113 Klein 139, 205, 206, 221, 222, 226, 227, 241, 250 Kloss 9 Klug 264 Kluge 91, 96 Knape 134 Knoop 44 Koelhoff, Johann 246 Kolde, Dietrich 237 Koller 19, 130 Könemann 209, 211 Konrad von Megenberg 140 Kramer 206 Krantz 89 Kranz 143 Kremer 144 Kribbe 168, 169 Kriegesmann 138 Kruffter, Servas 233, 248, 249, 250 Kruffter, Ursula 241, 247, 248 Künast 69
J Jacob van Maerlant 224 Jacobi 206 Jakobs 134 Jan I. 142 Jellinek 85 Johnson 206 Josten 24, 87, 90, 262, 271
L Labouvie 199 Lachmann 203 Landen, Johann 240, 247, 248, 249 Lasch 100, 101, 213 Lavater 16, 17, 18 Lebach 198 Lehmann, Zacharias 267, 268 Leuschner 112 Loewe 206, 207, 211 Lotter 264 Louis Ferdinand 103 Loy, Balthasar 261 Lüdicke 168 Lufft 264, 265 Lüschow 91 Luther 22, 134, 140, 146, 157, 160, 162, 164, 165, 174, 175, 231
K Karl der Große 118 Karl V. 140
M Maas 8, 12, 14, 21, 158, 160, 170, 171, 172, 176
I Ickelsamer 43, 189 Ilsung, Sebastian 70
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Personenregister
Macha 147, 160, 161, 162, 165, 166, 174, 176, 182, 250 Märtl 227 Masser 121 Mattheier 8, 12, 14, 21, 30, 32, 52, 58, 61, 63, 65, 67, 68, 69, 80, 81, 82, 129, 130, 147, 159, 160, 161, 232, 250 Maurer 5 McAlister-Hermann 170, 171, 172 McLuhan 79 Meijering 134 Meisen 13 Meissner, Wolff 268 Meister Eckart 132 Menke 135, 147 Mertens 206 Mestmaker 158 Mettke 115 Metzeltin 138, 145 Mezger 15, 16, 18, 19 Mihm 44, 65, 67, 68, 80, 83, 84, 85, 87, 88, 90, 91, 93, 94, 95, 96, 99, 100, 104, 140, 143, 145, 147, 159, 182, 185 Möller 12, 13, 63, 65, 66, 232, 241, 244, 249, 250, 251 Mooijaart 133, 146 Moser, Hans 81 Moser, Virgil 57, 60, 70, 101 Moulin-Fankhänel 59, 122 Mülen, Laurentius von der 231, 232, 233, 237, 238 Müller, Ernst Erhard 182, 183 Müller, Georg 268 Müller, Johannes 131 Müller, Peter O. 43 Munske 48, 49 N Neithart 88 Nelde 142, 145 Neumark 272 Neumark, Georg 266 Neuß 240 Neuss, Elmar 92, 147 Neuß, Heinrich 247, 248, 249 Newton 142 Nicolaus von Wyle 141 Niebaum 11
Nolting 183 Notker 117, 137 O Oelinger 189, 190 Oesterreicher 181 Oesthoff 168, 169, 174 Oskam 146 Otfrid 117 Otto I. 143 Ovid 223 P Pagenstecher 168, 169 Paul 81, 199, 223 Pauli 89 Peeters 136 Peilicke 185 Penner 59 Peters 9, 91, 135, 138, 139, 144, 147, 157, 158, 159, 168 Petrus Canisius 13 Pfaffe Lambrecht 226 Pfeiffer 139 Philipp II. 144 Piel 238, 251 Piscator 22 Pöpping 92 Praetorius 90 Q Quentel 240, 247, 248 R Raible 79 Raudte, Georg 267 Rautenberg 143, 240, 246, 249, 251 Redinger 90 Reichmann 30, 34, 39, 80, 129, 131, 132, 138, 141, 200 Reiffenstein 21, 130, 131, 138, 141, 143, 144 Reineke Fuchs 138 Reiter 137 Rhaw 265 Rörer 261 Rösler 182 Ruusbroeck 132
Personenregister S Salewski 99 Saltveit 197, 198, 199 Sanders 127, 142, 143, 205, 206, 207, 209, 210, 213, 220 Sandøy 141 Sarauw 220 Scaglione 31, 32 Scharnhorst 129 Scheel 239, 251 Scheutz 99 Schieb 115, 133 Schiller 147 Schirlentz 264 Schirmunski 99 Schlegel 32 Schlosser 128 Schludermann 142 Schlusemann 141 Schmidt 103 Schmitt 70, 73, 85, 129 Schmitz 237, 246, 251 Schneider 70 Schnyder 187 Schottel 136 Schröder 124 Schultheis 189 Schützeichel 86 Schwineköper, B. 261, 272 Seibert 182 Socin 13, 87, 88, 89, 189 Sodmann 9, 11 Solms 63, 130 Sonderegger 15, 16, 17, 19, 32, 44, 48, 81, 113, 116, 117, 130, 134, 135, 137, 139, 141, 143, 145 Spick 91, 158 Spiegel 136, 143 Spleiß 18 Sprandel 111 Stanckiewicz 141 Stegeman 141 Steger 131 Steinmeyer 118 Stellmacher 138 Stetter 35, 42 Stevin 143 Stewart 59, 79, 85
Stölzel 185 Stopp 57, 60, 61, 62, 65, 70, 72, 73, 74, 75 Strubell 145 Symann 168 T Teyssier 140, 146 Thomas 134, 141, 143 Thomason 82, 95 Tor Floeth 168 Torquatus 91 Trudgill 67, 69, 82, 85, 99 Turck 91 U Ulrich 17 Urbanek 207, 209 Ursula 240 V Van Boendale 134, 137 Van Coetsem 82, 95 Van Dalen 146 Van den Branden 144 Van der Wal 129, 132, 144, 146 Van Heelus 133 Van Loey 213 Van Wijk 137 Vekeman 136 Veldeke 139 Von Bellinghausen 170, 171, 172 Von Lengerke 170 Von Polenz 48, 57, 61, 79, 81, 127, 128, 130, 137, 140 Von Waldeck 168 Von Wartenberg 170 Von Zesen 136 W Wackers 141 Walch 62, 63, 73 Walther 261 Walther von der Vogelweide 141, 204 Warnke 50 Weevers 134 Wegera 30, 34, 39, 61, 63, 81, 200 Wehler 130
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278 Wehrli 124 Weierweiler 198 Weinsberg 102 Weisleder 206 Weiß 59 Wells 197 Welserin, Philippine 75 Welserin, Sabina 75 Wenzel von Böhmen 137 Wernher vom Niederrhein 226 Wernher von Elmendorf 206, 207 Wesle 206 Weymann 93 Wickram 90, 223 Wiehl 81 Wiesinger 21, 85, 88, 130, 144 Wilde Mann 226 Wildgen 95 Willaert 141, 142
Personenregister Willems 133 Willemyns 132 Williams 145 Williram von Ebersberg 117, 205, 227 Winge 9 Winkelman, Johan H. 142 Winkelmann, Otto 138, 145 Wirrer 145 Wolf, Herbert 17, 272 Wolf, Norbert Richard 61, 132, 142 Wolff, Ludwig 211 Wolfram von Eschenbach 141, 204 Wormstall 168 Wrede 84 Z Ziche 206 Zollinger 15 Zwingli 17, 22
Sachregister
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Sachregister A Abbau von Varianten 262 Abstandssprache 9 Abstraktsuffix 163 accommodation 66 accommodation, long-term 69 accommodation, short-term 69 Addition 269 Adressat 249 Adressatenausrichtung 249 Adressatenkreis 246 Akkommodation 65, 69 Akrolekt 79, 82, 85, 88, 89, 102, 104, 105 Alemannisch 14, 16, 17, 65, 141, 142, 163, 198, 204, 218, 225 Alemannisch (nieder-) 245 Alemannisierung 16 allochthon 103, 104 Allograph 264 Alphabet 43 Althochdeutsch 30, 111, 113, 115, 116, 117, 119, 120, 121, 122, 123 Anachronismus-Verdikt 250 Analogismus 50 Angleichung 79, 80, 264 Annolied 226, 227 Antwerpen 144 Apokalypse, niederdeutsche 209 Apokope 73 Archi-System 112 archivieren 120 Artikellosigkeit 134, 137 Augsburg 69, 112 Ausgleich, ostmitteldeutsch-ostoberdeutscher 164, 173, 174, 175, 177 Ausgleich, schriftsprachlicher 157 Ausgleichsprozess 14, 67, 69, 79, 91, 97, 100, 101 Ausgleichssprache 80 Ausgleichstyp 21
Aussagemodus 183 Ausscheiden territorialer Varianten 262 Aussonderungsprozess 258 B Bairisch 71 Basel 112 Basilekt 85 Basisdialekt 80, 85, 86, 95 Bauernpraktik und Bauernklage 231, 233, 239, 243, 244, 245 Bayrisch 20, 88, 144, 149, 162, 228 Bedingung, pragmatische 271 Beichtformulare 121 Belgien 130 Benrather Linie 99, 139 Bericht über die Schlacht bei Mohacs 239, 243 Berliner Stadtsprache 100 Berufsschreiber 72 Besch 163 Bewertungsstruktur 271 Bibel 9, 15, 17, 120, 122, 124, 146, 164, 265 Bibel (Luther-) 16, 17, 161 Bibel (Mittelfränkische Reimbibel) 205, 210, 212, 213, 218, 220, 221, 226 Bibel, Zürcher 15, 16, 17, 24, 145 Bifurkation 127, 143, 145 Brabant 113 Brabantisch 128, 132, 133, 138, 146 Braunschweig 162, 172, 173, 174, 175, 177 Braunschweigische Reimchronik 205, 207, 209, 210, 212, 213, 216, 227 Briefverkehr 232 Buchdruck, Kölner 231 Büchlein der ewigen Seligkeit 237 Burdach 37 C Christenspiegel 237
280
Sachregister
D Dänische Königskanzlei 9 Dehnung 81, 216 Deutschmaxime 22 Dialekt, reiner 59 Dialektgrenzen 115 Dialektkonvergenzforschung 68 Dialektmerkmale, primäre, sekundäre 99 Dialektologie 85 Dialektraum 118 Dichtersprache, mittelhochdeutsche 6, 113, 115, 203, 204, 222, 226, 227 Diffusion, mündliche 81 Diffusionsmodell 82, 103 Diffusionsmodell, akrolektales 84, 86, 88, 96, 100, 105 Diffusionsmodell, monoglossisches 83, 104, 105 Diffusionsmodell, schreibsprachliches 83 Diffusionsprozess 82, 89, 91 Diglossie 20, 24 Diphthong 6, 13, 66, 73, 74, 89, 132, 162, 164, 257, 261, 265 Diphthonge, mittelhochdeutsche 217 Diphthongierung 39, 40, 71, 72, 74, 81, 84, 89, 102, 163, 175, 241, 249 Diphthongierung, althochdeutsche 216 Diphthongierung, neuhochdeutsche 72, 97, 98, 99, 101 Diphthongierung, schwäbische 71, 72 Direktanzeigen, dialektale 182 Disticha Catonis deutsch 238 Distingemik 32 Distribution, vorlagenbedingte 245 Doppelkonsonanten 71 Dreiphasenmodell 158, 159 Dreissigjähriger Krieg 24 Druck, mischsprachiger 246 Druckersprache 6, 263, 266 Druckkonstanz 268 Duisburg 96, 98, 100 Duisburger Gerichtsbuch 93 E Eigenständigkeit, territoriale 267 Eigentlichkeit 50
Einfluss, oberdeutscher 265 Eingliederungspotential 270 Einheitlichkeit 35 Einzelwort 38 Elite 22 Elsässisch 89 Empfängerorientierung 65 Englisch 83 Entlehnung 66 Entregionalisierung 6, 237, 241, 245, 246, 248, 249 Entrundung 39, 71, 72, 73, 74 Epen 117 Erfurt 112 Ersatz 262 F Flämisch 88, 128, 130, 133, 138, 141, 146 Flandern 113, 130, 132, 133 Floyris 221 Fokussierung 67 Frankfurt 112 Frankfurt an der Oder 90 Französisch 83 Freiburg 112 Friesisch 134 Frikative, niederdeutsche 208, 212, 218, 221 Fulda 118, 120 G Gebrauchshäufigkeit 265, 270 Gegenreformation 21, 162 Geltungsareal 61, 62, 80, 256 Geltungsgrad 61, 80 Geltungsökonomie 270 Gemeines Deutsch 157, 160, 162, 163 Gemeinsprache 31 Georgslied 117 Geschäftssprachen 35 Geuenich 115 Glossen 116, 117, 122, 123 Goethezeit 15 Grammatik, präskriptive 59 Graphematik 253 Grapheminventar 260 Gruuthuuse-Handschrift 142
Sachregister H Haager Liederhandschrift 142 Halle 88 Hammelburger Markbeschreibung 118 Handlungsmaxime 63 Hanse 112, 138, 144 Hansen 184 Hanse-Sprache 9 Hebung 39 Heiligenlegende 239 Hessisch 139 Heteronymik, ripuarische 245 Heterozentrierung 12, 160, 232 Hexenhammer 187 Hexenprotokolle, Kölner 165 Hildebrandslied 117 Hilfsverben 193 Hochdeutsch 137, 157, 203 Hochdeutsch, kölnisches 162 Hochdeutsch, Übernahme 89 Hochgerichtsprotokolle 97 Hochgerichtssprache 98 holländisch 146 homogen 83 Horizontalität 39 Humanistenlatein 51 Hunsrück-Westerwald-Schranke 99 hybride Schreibsprache 213 Hyperkorrektionen 182 I Identifikationsmarker 14 Identität 262, 266, 268, 269 Identität, regionale 259 Identitätsgefühl 113 Identitätsmarkierung 147 Imperfekt 16 Implikationsanalyse 99 Impositionen 95 Impositionssprache 102 Indikativ 16 indirekte Rede 183, 185, 186, 199 Innovationsschub 87 Inschriften 117 Intention 63 Interferenzen 96 Interlinearübersetzung 123 Interpunktion 71
281
Invarianzpotential 258 Iwein 211 K Kaland 209 Kanzlei, kursächsische 164, 174, 175 Kanzleiforschung 36 Karl und Galie 226 Kleinräumigkeit 6 Kleinwörter 248 Klosterliteratur 116 Kodewechsel 21 Kohärenz 122 Kohäsion 122 Koine 81 Köln 84, 99, 100, 102, 112, 165, 166, 174, 175, 176, 177 Kombinatorik 32 Kommunikationserfordernisse 23 Kommunikationsgrenzen 111 Konfession 24 Konfessionalisierung 21 Konfessionsmaxime 14 König Rother 206, 207, 209, 210 Konjunktiv 16 Konsonantenhäufung 71 Konsonantenschreibung 71 Konsonantenverschiebung, althochdeutsche 115 Konsonantismus 208, 221, 241, 243, 247, 248 Kontaktlinguistik 82, 87, 93, 95, 96, 98, 99, 100, 102, 103 Kontaktverhalten 51 kontinentalwestgermanisch 127, 132, 138, 141, 149 Konvergenzprozeß 191 Korrektor 261 Kosmopolit 65 Kulturchauvinismus 53 Kulturnische 17 Kultursprache 31 Kürzung 102, 163 L Landschaftskombinatorik 61, 80 Längezeichen 73 language shift 95, 100, 102, 104, 105 Langvokale, mittelhochdeutsche 217
282
Sachregister
Latein 22, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 133, 135, 141, 186, 188 Lauterschließung 83 Lautieren 43 Lautverschiebung, hochdeutsche 97, 135, 210, 226 Lautwandelprozess 81 Leiden-Egmonder Willeram 205, 207, 209, 210, 212, 213, 226, 227 Leipzig 100 Leitvariante 48 Leitvarietät 2, 161 Lernersprachenhypothese 159 Lexematik 242 Lexematisierung 270 literales Denken 46 Literaturgeschichte 115, 116 Literatursprache 31 Literatursprache, hessisch-thüringische 225 Literatursprache, mittelhochdeutsche 203 Lübeck 138 Lupuspresse 231, 232, 233, 239, 243 Lutherbibel 16, 161 Luthersprache 159 Luxemburg 142 M Mainz 112 Manessische Handschrift 142 Marker 1 Markierungen, transkodische 96, 97, 99, 100, 101, 102, 103 Mazedonien 137 Medienverschiebung 98 Medienwechsel 253, 263 Mediumsgesetz 232 Meissnisch 159, 162 meißnisch 90 Merkmale, allochthone 100 Mesolekt 85 Metamorphosen 223 Metasprache 87, 103, 104, 123, 124 metasprachlich 90 Mischung 96, 256 Mitteldeutsch 13, 14, 20, 21, 23, 24, 60, 118, 163, 165, 198, 204, 216, 220, 221, 225, 262 Mittelfränkisch 220, 221 Mittellage 23
Mittellateins 51 Mittelniederdeutsch 92, 112, 163, 185 Mittelniederländisch 113 mittelrheinisch 86 mittelschichtlich 93, 95 Modernisierungsschub 259 Modusgebrauch 181 Monophthong 71, 73 Monophthongierung 39, 73, 81, 216, 255, 261 Morant und Galie 226 Morphologie 242 Müllenhoff 37 Mündlichkeit 42, 44 Münster 162, 168, 169, 174, 175, 176, 177 Muspilli 117 N Nationalsprache 22, 31 Nebensilbenabschwächung 197 Nebensilbenvokalismus 61 Nebentonvokal 71 Negation 59 Negationspartikel ‚nicht‘ 163 Niederalemannisch 245 Niederdeutsch 106, 135, 144, 162, 198, 199, 203, 213, 216, 221, 259, 260 Niederdeutschland 162 Niederland 13, 140, 143 Niederlande 137, 142, 148 Niederländisch 2, 10, 113, 127, 128, 129, 132, 134, 135, 145, 213, 216, 221 Niederlandisierung 11 Niederrhein 10 Niedersächsisch 9, 148 Norddeutschland 89, 102, 144 Normalschreibung 270 Normierung 48, 232 Nürnberg 112 O Oberdeutsch 162, 260 Oberdeutsch-Hypothese 159, 160, 161 Oberland 13, 21, 244 Obersächsisch 84 Oberschicht 85, 89, 90, 93, 95, 97, 100, 102, 104, 105 Ökonomie 47
Sachregister orales Denken 46 Osnabrück 162, 170, 172, 173, 174, 175, 176, 177 Österreich 130, 144 ostfränkisch 118 Ostlimburgisch 145 Ostmitteldeutsch 2, 14, 23, 57, 100, 101, 102, 105, 106, 112, 145, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 173, 174, 175, 177, 199, 206, 211, 227, 253, 254, 260, 262, 265, 266, 269, 270 ostmitteldt.-ostoberdt. Schreiballianz 157 Ostoberdeutsch 2, 106, 112, 196, 254 P Palatalisierung 101 Parole 32 Perfekt 16 Philologisierung 44, 50 phonologiehistorisch 82 Piscatorbibel 19 Plattdeutsch 135 Plosive, niederdeutsche 208, 210, 218, 221 Pluriarealität 57 plurizentrisch 130 polyzentrisch 39, 145 Präfix ge- 163 pragmalinguistisch 87, 91, 92, 93, 96, 103, 104 Präposition ‚auf‘ 163 Präteritum-Schwund 197, 198 Predigten 117 Prestige 22, 138, 144, 147, 204, 227, 262 Preußen 11 Prognostik und Prophezeiungen auf die Jahre 1518–1519 239, 243 Prominentheit 68 Pronominalform 255 Psalmen, Wiggertsche 226 Q Quelle 86, 91, 92, 93, 96 Quentelei 248 R Randlage 9, 10, 23 Randständigkeit 19 Rationalismus 35
283
Raumgedanke 29 Redewiedergabe 92, 181, 182, 183, 185, 186, 199 Reduzierungstendenz 255 Reformation 157, 160, 161, 203 Regionalisierung 115, 237, 246 Regionalismus 64, 72 Regionalist 65 Regionalmaxime 1, 6, 22, 63, 72, 74, 203, 204, 245 Regula St. Benedicti 122 Reisen 90 Rheinfränkisch 139 Rheinisch 129 Rheinischer Fächer 99 Rheinisches Marienlob 226 Rheinmaasland 80, 91 Rheinmaasländisch 93, 94, 96, 97 Ripuarisch 100, 105, 145 Ripuarisierung 245 ritterlich 88 Rolandslied 206, 207, 210, 211, 212, 213, 226 Rostock 101 Rundung 39, 73, 74, 255, 268 S Sächsisch 143 saliency 68 Schibboleth 255, 262 schichtenspezifisch 93, 96 Schichtung, soziale 84, 87 Schmidt-Wiegand 119 Schreibdialekt, regionaler 233 Schreibdialekte, landschaftliche 161 Schreibmode, bairisch-oberdeutsche 162, 166, 176 Schreibmode, oberdeutsche 177 Schreibniveau 258, 259 Schreibsprache, hybride 208, 218, 226 Schreibsprache, mittelniederdeutsche 211 Schreibsprache, niederdeutsch-hochdeutsche 204, 206, 207, 211, 212, 217, 218, 219, 220, 221, 226, 227 Schreibsprache, thüringisch-hessische 211, 222 Schreibsprache, thüringisch-obersächsische 211 Schreibsprachenersatz 12
284
Sachregister
Schreibsprachenwechsel 8, 12, 159, 166, 168, 232, 249 Schreibtätigkeit, private 259 Schreibtradition, südliche 255, 262 schriftimmanent 106 Schriftlichkeit 5, 42 Schriftlichkeit, amtliche 254 Schriftlichkeit, private 75, 254, 261 Schriftspiegel, Kölner 250 Schriftsprache 30 Schriftsprach-Merkmal 232 Schriftsprachwechsel 21 Schrittmacher-Funktion 233, 237, 238 Schrumpfungsprozess 270 Schwäbisch 71, 89 Schweiz 130, 142, 145 Seeland 133 Segensformeln 117 Segenssprüche 116 Sekundärumlaute 132 Senkung 39, 71, 73, 216 Servatius 226 Sibyllenweissagung 238, 240, 241, 246, 247, 248 Sickermodell 158 Signifikativik 32 situationsspezifische Sprachenwahl 92 Soest 162, 166, 167, 174, 175, 177 Soziolinguistik 68 spätmittelalterlich 111 Spirantenverschluss 97 Sprachausgleich 232, 266 Sprachbewertungssysteme 80 Sprachbewußtsein 143 Sprachgebiet, niederdeutsches 166, 174 Sprachgemeinschaft 5 Sprachgeographie 29 Sprachkontakt 84, 96 Sprachkontaktgeschichte 34 Sprachkritik 89 Sprachkultivierung 44 Sprachnorm 32, 135 Sprachpartikularismus 5 Sprachpyramide 41 Sprachräume 113 Sprachregion 111, 113, 115, 124 Sprachschichtung 88 Sprachverwirrung 5
Sprachwandel, seminatürlicher 59 Sprachwechsel 231 sprecherbezogener Sprachenwechsel 92 St. Gallen 122 Stadtsprachen, norddeutsche 163 Standardisierung 244 Standardisierung, informelle 79, 81, 82, 103 Strahlungstheorie 85 Straßburg 89, 112 Stratifikation, soziale 85 Synonymenreduktion 36 T Tenuesverschiebung 98, 99, 208, 218 Territorialisierung 111, 112, 115 Territorialspezifik 269 Territorialvariante 263 Territorium, Entstehung 111 Textsorte 246 Theodistik 127, 149 Tornedal 137 transkodisch 103 Triglossie 11 Tristrant 206, 211 U Überdachung 80, 145, 147, 148 Überschichtung 8, 12, 14, 21, 39, 58, 66, 148, 161, 259 Übersetzung 116, 141 Uerdinger Linie 99 Umgangssprache 48, 49 Umgangssprachenforschung 99 Unterschicht 95 Ursula-Drucke 248 Ursulalegende 233, 246, 247 V Variablenhierarchien 99 Variablenkatalog 241 Variante, exterritoriale 253, 254, 256, 257, 262, 264, 265, 268, 269, 270, 271 Variante, niederdeutsche 259 Variante, oberdeutsche 258, 259, 260, 261, 262, 264, 265, 267, 268 Variante, regionale 256, 257, 260 Variante, territoriale 257, 261, 265, 270
Sachregister Variantenausgleichsprozess 259 Variantendichte 258 Variantendominanz 263 Varianteneinengung 258 Variantenfrequenz 257 Variantenopposition 241, 244 Variantenpotential 253, 254, 259, 267, 268, 269 Variantenreduktion 34 Variantenschrumpfung 265 Varietät, hybride 205, 207 Varietätenkonsolidierungsprozess 67 Varietätenspaltung, mediale 177 Varietätenspektrum 30 Varietätenwechsel 232, 238 Verhandlungsprotokoll 92 Verhochdeutschung 237, 249 Vermeiden territorialer Varianten 260 Verschriftlichungsniveau 259 Verschriftung 181 Verständnisschwierigkeiten 143 Vertikalisierung 6, 38, 80 Vokalismus 208, 216, 242, 248, 255 Vorbildsprache 98
285
Vorlage, oberdeutsche 245 Vorlesen 117, 120 W Wahlmöglichkeiten 48 Weimarer Klassik 15 Wellentheorie 84 Wertungshierarchie 270 Westmitteldeutsch 95, 99, 100, 101, 102, 157, 163, 198, 199, 221 Westoberdeutsch 2, 60, 157, 163, 196 Wiggertsche Psalmen 205, 207, 211, 213 Wittenberg 253 Wortkombinatorik 43 Wortstabilität 18 Würzburg 115, 118, 119, 120, 122, 123 Würzburger Beichte 120, 121 Würzburger Markbeschreibung 120 Würzburger Markbeschreibungen 118 Z Zaubersprüche 117 Zielvarietät 162 Zwei-Phasen-Modell 176
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Walter Haas
Band 62
Band 64
Heike Baeskow
■ Neue deutsche Sprachgeschichte
■ Abgeleitete Personenbezeichnungen im Deutschen und Englischen Kontrastive Wortbildungsanalysen im Rahmen des Minimalistischen Programms und unter Berücksichtigung sprachhistorischer Aspekte 2002. XX, 769 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-017382-4 Im Rahmen der vorliegenden Monographie werden deutsche und englische Personenbezeichnungen unter Berücksichtigung sprachhistorischer Aspekte und anhand von Merkmalen so beschrieben, daß lexikalisierte Derivate analysiert, zugleich Bedingungen für Neubildungen formuliert und eine explizite Beschreibung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Sprachen ermöglicht werden.
Mentalitäts-, kultur- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge Herausgegeben von Dieter Cherubim, Karlheinz Jakob, Angelika Linke 2002. XI, 415 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-017250-X
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de Gruyter Sprachwissenschaft
Studia Linguistica Germanica