Barbara Schwarz Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht
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Barbara Schwarz Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht
VS RESEARCH Kindheit als Risiko und Chance Herausgegeben von Prof. Dr. Doris Bühler-Niederberger, Bergische Universität Wuppertal
Kindheit ist in den letzten Jahren verstärkt ins Zentrum öffentlicher und fachlicher Diskussionen gerückt: Mangellagen, Verwerfungen und Exklusion, die diese Lebensphase betreffen, sind nicht mehr zu übersehen. Umgekehrt wachsen aber auch Kulturangebote, ein Markt von Lern- und Vergnügungsmöglichkeiten sowie materielle und emotionale Investitionen der Eltern – für das Glück und die Zukunft der Kinder. Kindheiten werden vielfältiger und ungleicher. Vor diesem Hintergrund thematisiert die Reihe einerseits, was „normale Kindheit“ bedeutet, so wie sie Experten definieren und wie sie Sozialpolitik zu garantieren versucht, und andererseits die große Variation realer Kindheiten. In die Analyse sollen auch die Stimmen der Kinder, ihre Einschätzungen und Ansprüche, die in Surveys und Ethnographien ermittelt werden, eingehen. Die Reihe umfasst das Programm einer Soziologie der Kindheit, zu dessen Einlösung aber auch andere Disziplinen beitragen, wie Literatur- und Medienwissenschaft, Erziehungswissenschaft, Ökonomie und Entwicklungspsychologie.
Barbara Schwarz
Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Doris Bühler-Niederberger
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, 2010
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Verena Metzger / Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17786-1
Geleitwort
„Kindheit konstruieren und rekonstruieren“ – so heißt ein Buch von Allison James und Alan Prout (2005), das von sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschern in den letzten Jahren besonders häufig zitiert wurde. Der Titel spricht an, dass die Vorstellung der Besonderheit und der Bedürfnisse des Kindes in gesellschaftliche Institutionen übersetzt und in diesen realisiert wird. Dies ist ein Prozess, der nicht nur im Laufe der Geschichte geleistet wurde, etwa durch die Schaffung zentraler Institutionen wie der Schule und der um das Kind zentrierten Familie, durch das Verbot der Kinderarbeit und andere Maßnahmen des Kinderschutzes, vielmehr wird an dieser Konstruktion stets weitergearbeitet – manchmal sehr gezielt, manchmal als Nebeneffekt anderweitig motivierter Anstrengungen. Zu dieser steten Rekonstruktionsarbeit an den Institutionen der Kindheit, über die letztlich festgelegt wird, was Kinder in unserer Gesellschaft gelten, was sie für Rechte, Freiräume, Chancen haben, welche Entscheidungen ihnen zustehen und was von ihnen verlangt wird, liefert das vorliegende Buch einen wichtigen Beitrag. Es befasst sich mit einer Institution, deren Bedeutung für die Konstruktion von Kindheit bisher noch längst nicht die Beachtung gefunden hat, die sie verdient: dem Recht. Ebenso umfassend wie differenziert wird die geteilte elterliche Sorge nach der Scheidung und bei unverheirateten Eltern dargestellt: Welches sind die geltenden Regelungen im Falle geschiedener Eltern und bei unverheirateten Eltern, welches sind die Regelungen des Umgangsrechts und wie entscheidet das Familiengericht, wenn es zu Klagen kommt. Der Einblick in die gesellschaftlichen Konstruktionsprozesse, den uns Barbara Schwarz damit ermöglicht, ist aufschlussreich. Wir erkennen die Akteure, die Interessen, die Argumentationen, die ausschlaggebend sind, wenn weitreichende Entscheidungen über die Kinder getroffen werden – und um es gleich vorwegzuschicken: Wir erkennen es mit Ernüchterung. Die Rede über das Kindeswohl, über Kinderrechte, über den Akteurstatus, der Kindern zuzubilligen sei, und sogar über Partizipation hat denn doch – bei aller Skepsis – etwas größere Hoffnungen aufkommen lassen als wir sie nach der Lektüre dieser Arbeit noch haben. Die Rechte der Kinder, die so oft herbeigeredet werden, sind hier wohl von Gesetzgeber und Rechtssprechung eher verstanden worden als Rechte am Kind, an „seinem Kind“, das, wie Barbara Schwarz ausführt, Lebenssinn und Sozialprestige verspricht; jedenfalls sind sie als solche Rechte am Kind kodifiziert worden und werden als solche geschützt. Entworfen und mit den rechtlichen Regelungen implementiert wird ein Kind ohne Individualität – ohne persönliche Bedürfnisse oder persönliche Lebensumstände –, ein Kind, das ein „natürliches Bedürfnis“ hat nach seinen beiden leiblichen Eltern, so dass das gemeinsame Sorgerecht die „natürliche Lösung“ ist. Mit diesen Formulierungen argumentierten bereits in den 1990er Jahren die Sachverständigen vor den Parlamentariern, als es um die Einführung des neuen Kindschaftsrechts mit dem
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Geleitwort
geteilten Sorgerecht als seinem Kernstück ging. Als 1998 das neue Gesetz erlassen wurde, lobten sich die Politiker und Politikerinnen abschließend zu den Verhandlungen parteiübergreifend für den hohen Konsens, den sie gezeigt hätten, und die konstruktive Arbeit. Eine Parlamentarierin setzte zu der Lobrede auf ihre eigene Leistung an, dass es vielleicht damit gelungen sei, da und dort „Tränen zu trocknen“, und überhaupt begegne sie jedem Kind, wie wenn es ihr eigenes sein könnte und betrachte es als „das Wichtigste auf der Welt“. Ich habe diese Debatten damals rekonstruiert und geschlossen, dass die unterstellten natürlichen Bedürfnisse des Kindes eine geeignete Argumentationsgrundlage abgaben, um rasch ein Gesetz zu realisieren, mit dem sich die Politiker öffentlichkeitswirksam als gute Menschen darstellen konnten. Eigentlich ging es dabei um die individualisierte Lebensgestaltung von Männern und Frauen und Kindern, diese heikle Gerechtigkeitsfrage musste aber dank eben dieser Argumentation mit dem bedürftigen Kind gar nicht erst debattiert werden. Damit wurde eine Lösung möglich – und zwar mit erstaunlich wenig Widerstand – die „die Rechte der Väter erhöhte, die der Kinder dagegen fast eliminierte und die der Mütter immerhin einschränkte“ (Bühler-Niederberger 2005: 156). Dass es bei dieser Schieflage auch mehr als zehn Jahre später geblieben ist, dass es eben nicht um Rechte der Kinder, sondern lediglich um die Rechte am Kind geht, zeigt die Arbeit von Barbara Schwarz, und sie bilanziert in siebten Kapitel: „Den z. B. im Detail geregelten Umgangsansprüchen der Eltern, den differenzierten Regularien zur Durchsetzung des Umgangs von der Einrichtung einer Umgangspflegschaft bis zur Anwendung von Zwangsmitteln stehen lediglich die sehr allgemeinen Anhörungsrechte von Kinder und Jugendlichen und eine ihnen nur formal verpflichtete Interessenvertretung, die nicht ihr persönliches Vertrauen zu haben braucht, gegenüber.“ Kurz – der Gesetzgeber und die Rechtssprechung haben sich auch in der Folge nicht weiter darum gekümmert, für die Anliegen der Kinder geeignete Instrumente vorzusehen. Die gesetzlichen Instrumente, die es gibt – das zeigen jedenfalls Studien in anderen Ländern – sind wohl ungeeignet, um den Kinderanliegen Gehör und Gewicht zu verschaffen. Maria Eriksson und Elisabet Näsman (2008) untersuchten Familiengerichtsprozesse in Schweden, in Fällen von Kindern, in denen der Vater gewalttätig zur Mutter ist. Seit 1996 verlangt das schwedische Recht, dass die Untersucher in rechtlichen Auseinandersetzungen, die das Sorgerecht für Kinder betreffen, die Sicht des Kindes in Erfahrung bringen und dies dem Gericht mitteilen. Trotzdem wurde 2002 in 49 Prozent der Fälle, in denen es Hinweise auf gewalttätige Auseinandersetzungen gab, ein gemeinsames Sorgerecht angeordnet. Und es wurde sogar in 38 Prozent der Fälle angeordnet, in denen der Vater wegen Gewalt gegen die Mutter rechtskräftig verurteilt worden war. Die Annahme dahinter mag die sein, dass diese Gewalt das Kind nicht betreffe, was die beiden Autorinnen allerdings auf der Basis der Forschungslage negieren. Die Kinder nehmen die Gewalt wahr und beziehen auch gelegentlich explizit Stellung gegen geteiltes Sorgerecht. In den Interviews mit den Forscherinnen gaben die Kinder allerdings an, dass es ihnen nicht möglich gemacht wird, ihre Anliegen in den Gesprächen mit den zuständigen Sozialarbeitern auszudrücken und schilderten subtile und weniger subtile Strategien, wie ihre Mei-
Geleitwort
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nung übergangen wurde. Eine noch laufende Studie von Alan Firth, Chris Jenks und Liz Trindler (2008) untersucht die gesetzlich neu geregelte Familienmediation in Großbritannien. In einer Analyse der Gesprächsprotokolle der Familienmediatoren mit den Eltern zeigen sie auf, dass reale Kinder darin kaum vorkommen, obschon es gerade um die, nämlich um die Sorgerechts- und Besuchsregelungen geht. Vielmehr sprechen die Mediatoren von höchst generellen Kindern – von dem, was „ein Kind braucht“. Die Mediatoren verfolgen dabei die Ideologie, dass die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu beiden Eltern stets wichtig sei, dass man deswegen auf die Zukunft sehen müsse und nicht auf die Vergangenheit – entsprechend werden selbst Fälle gesetzlich bestätigter häuslicher Gewalt herabgespielt –, dass also die Eltern eine gemeinsame Sorge ausüben sollten. Die Väter sprechen hauptsächlich von ihren eigenen Bedürfnissen und ihrer eigenen Situation, die Mütter gelegentlich von einem konkreten Kind und seinen Ängsten und Bedürfnissen, meist aber bereits in einem deutlich strategischen Zusammenhang. Die Lektüre der Protokolle ist ein eindrücklicher und manchmal erschütternder Beleg für das Ignorieren der konkreten Kinder, nun in einem neuen professionellen Gefäß und mit einer neuen professionellen Rhetorik, deren sich auch die Eltern gelegentlich bereits bedienen. Die Annahme, dass ein Einvernehmen unter Eltern doch wohl möglich und jedenfalls anzustreben sein, ist hochgradig ideologisch. Sie wischt die möglichen Zumutungen, die Familien, in denen beide Eltern leben, für Kinder bedeuten können, unter den Tisch. Sie unterstellt nämlich im Wesentlichen Intaktheit der Elternbeziehungen – der Beziehungen zwischen den Eltern als Eltern und zwischen je den beiden Eltern und den Kindern. Die Motive für eine Trennung und Scheidung der Eltern müssten demnach wohl immer in der Paarbeziehung liegen, in der Geschichte zwischen Mann und Frau. Vom Kind aus gesehen, wären die beiden Eltern – einzeln und auch gemeinsam oder jedenfalls kooperierend – gut gewesen. Das geht dann wie Barbara Schwarz zeigt sogar soweit, dass in der deutschen Rechtssprechung Gewalttätigkeit des Vaters gegenüber der Mutter als ein Problem definiert wird, das ja nur das Paar betrifft und nicht die Beziehung zum Kind: Der Vater schlägt also nur die Frau und nicht die Mutter des Kindes, das ist die unterstellte Bedeutung dieses Ereignisses. Funktionieren also Ehen nicht, so waren und bleiben Familien doch stets ein optimaler Ort für Kinder – das ist die naive und ideologische Annahme, die die Soziabilität und Sensitivität von Kindern in einem erschreckenden Maße unterschätzt. Hier wird ein Kind entworfen, dessen natürliches Bedürfnis nach Vater und Mutter so hoch angesetzt wird, dass man es nicht einmal mehr als Familienmitglied wahrnimmt. Man kann einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass diese naive Ideologie des im Regelfall möglichen Einvernehmens die Tragweite von Scheidungen unterschätzt. Die Paarbeziehung wird in dieser Wahrnehmung von der Elternbeziehung getrennt: Ursachen für Scheidungen werden banalisiert, es sind eben Fragen der Paarbeziehung, bloße Herzensangelegenheiten zwischen Mann und Frau, die hier nicht mehr so stehen, dass die Eheleute ihre Ehe fortsetzen möchten. Und weil das eigentlich entgegen dem ist, was man von Eheleuten, die auch Eltern sind, erwarten dürfte, deshalb sollen sie nun als Eltern zusammen bleiben – bis die Volljährigkeit
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Geleitwort
des Kindes sie endlich scheidet. Hier dürfte es sich um ein Zerrbild der Familienwirklichkeit handeln – der Verzerrfaktor scheint mir ein überaus konservativer zu sein. Dass sich Eltern nicht nur trotz, sondern auch gerade wegen ihrer Elternschaft zerstreiten können, weil der Partner oder die Partnerin sich ihrer Ansicht nach dem Kind gegenüber ungünstig verhält, unzuverlässig oder ungeduldig ist, weil man sich von ihm oder ihr mit der Elternschaft sitzen gelassen fühlt, weil man ihn oder sie den Kindern nicht zumuten möchte, weil ein bestimmtes Kind und ein bestimmter Elternteil einfach nicht miteinander zu Rande kommen und das zu beständigem Streit in der Familie führt, weil die Eltern fundamental anderer Ansicht darüber sind, worauf die Kinder denn durch Erziehung in welcher Weise vorzubereiten seien – all solche Streitursachen werden damit negiert resp. als die Ausnahmefälle zugelassen, in denen auch einmal in Sachen Sorgerecht begründet anders entschieden werden könnte. Letztlich werden auch damit die Kinder passiv entworfen, sie kommen nicht in Betracht als möglicherweise Beteiligte und Partei im ganzen Geschehen. Sie werden als die stets unvorbereiteten und ahnungslosen Opfer gesehen. In wie vielen Fällen es sich tatsächlich so verhält, das hat bisher keine Forschung geprüft. Dass es aber Fälle gibt, in denen es sich gerade eben nicht so verhält, dafür dürfte es genügend Erfahrungen aus eigener Anschauung geben. Die neue Regelung des Sorgerechts bei unverheirateten Eltern ist aktuell im Gange, und auch dieses allerneueste Geschehen hat Barbara Schwarz in ihrer Arbeit aufgegriffen. Schon deswegen wünscht man diesem Buch die interessierte Leserschaft, die es auch verdient. Vielleicht könnte ja doch noch an einigen Stellen die aktuell so lautstark geforderte Erhöhung der Väterrechte auch ergänzt werden um eine wachsende Sensitivität für die Anliegen von Kindern, an den Entscheidungen über ihr Leben beteiligt zu sein. Es ist ein Anspruch der Reihe „Kindheit als Chance und Risiko“ das Aufwachsen in unserer Gesellschaft interdisziplinär zu betrachten. Die Verfasserin dieses Bandes ist Juristin und Erziehungswissenschaftlerin, und sie löst diesen Anspruch in ihrem Ansatz mit Gewinn ein. Wuppertal, September 2010
Prof. Dr. Doris Bühler-Niederberger
Literatur Bühler-Niederberger, D. (2005): Kindheit und die Ordnung der Verhältnisse. München: Juventa. Eriksson, M./Näsmann, E. (2008): Participation in Family Law Proceedings for Children whose Father is Violent to their Mother. Childhood 15(2). 259–275. Firth, A./Jenks, C./Trinder, L. (2008): Contesting the Child: The Discursive and Rhetorical Framing of Children in Family Court Mediations. Paper presented to 1st ISA World Forum of Sociology, 2008: Barcelona. James, A./Prout, A. (2005). Constructing and Reconstructing Childhood. London: Routledge (2. Aufl.).
Danksagung
Die Arbeit ist als Dissertation an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg entstanden, das Promotionsverfahren wurde mit der Verteidigung der Arbeit am 20. Juli 2010 abgeschlossen. An dieser Stelle möchte ich mich bei alle Personen bedanken, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Dazu gehören vor allem die Gutachterinnen der Arbeit, Frau Prof. Dr. Heike Deckert-Peaceman, Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, Fakultät Erziehungsund Gesellschaftswissenschaften und Frau Prof. Dr. Konstanze Plett, Universität Bremen, Fachbereich Rechtswissenschaften. Sie haben die Arbeit in allen Stadien sehr hilfreich und konstruktiv begleitet. Frau Prof. Dr. Deckert-Peaceman verdanke ich den Zugang zur Kindheitswissenschaft, Frau Prof. Dr. Plett hat als Juristin mir viele konkrete Anregungen gegeben. Ein herzlicher Dank gilt auch Frau Prof. Dr. Bühler-Niederberger, Bergische Universität Wuppertal, Fachbereich G – Soziologie, für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Kindheit als Chance und Risiko“ und für das Geleitwort. Zum Erfolg der Arbeit hat auch die vielfältige Unterstützung im Freundeskreis beigetragen. Bei Herrn Prof. Heiko Dahle, Hochschullehrer an der Hochschule Bremen im Bereich Recht i. R., bedanke ich mich für seine Ermutigung und Kritik, bei Frau Antje Linder, Fachanwältin für Familienrecht i. R. für ihren durchweg kritischen, sehr genauen Blick, bei Frau Anne Kleinert Alvarado, Sonderpädagogin, für Korrekturlesen und Formatierungshilfe. Frau Dr. Gabriele Roth, akademische Oberrätin an der Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, hat den Kontakt zur Hochschule Ludwigsburg hergestellt und mich bestärkt, ein wissenschaftliches Vorhaben zu beginnen. Zuhören und Geduld sind nicht zu unterschätzende Hilfen bei derartigen Arbeitsprozessen. Allen, die freundlich und zugewandt Verständnis für mich aufgebracht haben, auch meinen beiden erwachsenen Kindern, Anna und Jonas, sei sehr herzlich gedankt. Insbesondere bedanke ich mich bei Frau Waltraud Koopmann, Fachanwältin für Familienrecht in Bremerhaven. Ohne die vielen Gespräche, ohne die Berichte aus ihrem Rechtsalltag wäre die konkrete Idee für diese Arbeit nicht entstanden. Ihre Bestätigung und persönliche Hilfe haben mir gut getan. Bremen, September 2010
Dr. Barbara Schwarz
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1
Der interdisziplinäre Ansatz aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
Die Methodenwahl: Diskursanalyse als Komplexitätszugang . . . . . . Kindheit als Dispositiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einige Elemente einer Theorie der Kindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung des Begriffs der generationalen Ordnung . . . . . . . . Das generationale Dispositiv als Untersuchungsperspektive . . . . . . .
29 31 31 33 34
2
Abstammung und generationale Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.2.1 2.2.2.2
Das Geschlecht als Konstruktionselement von Abstammung . . . . . . . Die Abstammung als Strukturelement der generationalen Ordnung . . Mutterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vaterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ehe und Anerkennung als Vaterschaftsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . Die Anfechtung der Vaterschaft durch den rechtlichen Vater, die Mutter, die Behörde und das Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Anfechtung durch den biologischen Vater und die Rechtsfigur der sozial-familiären Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die rechtliche Klärung der leiblichen Abstammung . . . . . . . . . . . . . . Das Spannungsverhältnis zwischen biologischer Abstammung und dem Schutz familiär-sozialer Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gleichstellung ehelicher Kinder mit Kindern nicht miteinander verheirateter Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichworte zur Geschichte der Nichtehelichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 40 41 41 42
2.2.2.3 2.2.2.4 2.2.2.5 2.2.3 2.3 2.3.1
44 45 47 48 50 51 51
12 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.4 2.4.1 2.4.2 2.5 2.6 3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.4.1 3.3.4.2 3.3.5 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.5 3.5.1 3.5.2
Inhaltsverzeichnis
Ein Jahrhundertleitbild, das Leitbild der traditionellen Familie, implodiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gleichstellung zwischen Kindern verheirateter und nicht miteinander verheirateter Eltern als Generalisierung von Vaterrechten Der „Bastard“ oder das „Niemandskind“ bekam einen Vater . . . . . . . Adoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zustimmungsbedürftigkeit durch Mutter und Vater . . . . . . . . . . . Die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare in Lebenspartnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung . . . . . Abstammung und sorgerechtliche Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59 60 61
Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern im Kontext der generationalen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Altersgrenzen als Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der grundrechtliche Schutz durch Art. 6 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Bezug zur UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) . . . . . . . . . . Stärkung der Rechte und Interessen der Kinder – Kinderrechte in das Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichberechtigung und Funktionsverlust der Ehe als sittliches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ehe im Kindschaftsrecht: Eine Entscheidung der Ehepartner für die gemeinsame elterliche Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Familie als familiäre Lebensgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die familiäre Beziehung als abstrakter Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . Der Familienbegriff im Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Definitionsmacht des Staates über das, was als Familie gilt . . . . Funktionen familienrechtlicher Regelungen im generationalen Dispositiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die patriarchalische Ordnung der Familie – die Familie als kleinste Einheit des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die traditionelle Familie als sittliche Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Familie als sozial-familiäre Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kinder- und Jugendhilfe – sozialstaatliche Einflussnahme auf Kinder und Familien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Grundorientierung des SGB VIII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern- und Jugendlichen . . . . . . . Staatliche Ordnungsbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Kindeswohl als neue, generalisierende rechtliche Orientierung . Das Kindeswohl als verpflichtendes rechtsethisches Prinzip . . . . . . . Die Schwierigkeiten eines einheitlichen Kindeswohlbegriffs . . . . . . .
53 55 57 58 58
63 64 67 68 71 72 73 74 76 77 78 78 79 81 82 83 85 87 89 90 91
Inhaltsverzeichnis
3.5.3
Die Funktion des Kindeswohls als rechtsethisches Prinzip im Recht der Verteilung der elterlichen Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
93
4
Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen – Merkmale sozialer Gegebenheiten, psychischer Bedingungen und justizieller Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 4.3 4.4 4.5 4.5.1 4.6 4.7 4.7.1 4.7.2 4.7.3 4.8
Familie und Familienformen im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Familie in Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiede zwischen Bundesländern, Stadt- und Flächenstaaten . . Besonderheiten allein erziehender Familien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchschnittliche Kinderzahlen, Alter der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . Allein erziehend als Trennungs- bzw. Scheidungsfolge . . . . . . . . . . . Alleinerziehende sind überwiegend Mütter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alleinerziehende sind deutlich ärmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alleinerziehende nehmen häufiger erzieherische Hilfe in Anspruch . Zur psychischen Entwicklung der Kinder von Alleinerziehenden . . . Alleinerziehend – eine etablierte Lebensform . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ehescheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sorgerechtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sorgeerklärungen nach § 1626a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zufriedenheit mit den unterschiedlichen Sorgerechtsmodellen . . Entscheidungen zum Umgangsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kinder in Trennungs- und Scheidungssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . Der so genannte Bindungsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bindung und Resilienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse der Scheidungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Wandel der Familie als Ausdruck pluraler gesellschaftlicher und innerfamiliärer Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97 99 102 102 102 103 103 104 105 106 108 109 109 113 113 114 115 115 116 119 122
5
Sorge nach Trennung oder Scheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
5.1 5.1.1 5.1.2
Die gegenwärtige Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Widerspruchsrecht des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ausgestaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge bei Getrenntleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Geschichte der gemeinsamen elterlichen Sorge unter Einbeziehung der BVerfG Entscheidung vom 03. 11. 1982 . . . . . . . . . Die Zielsetzung der Kindschaftsrechtsreform von 1998 . . . . . . . . . . . Der Einstellungswandel zwischen 1982 und 1998 . . . . . . . . . . . . . . . Der Wandel des Vaterbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 5.3 5.4 5.4.1
125 125 126 126 128 130 130
14 5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.5.4 5.5.5 5.5.6 5.5.6.1 5.5.7
5.6 5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.7 5.8 5.8.1 5.8.1.1 5.8.2 5.8.3
Inhaltsverzeichnis
Die Rechtsprechung zu § 1671 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die BGH-Entscheidung vom 29. Sptember 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . Die BverfG-Entscheidung vom 18. Dezember 2003 . . . . . . . . . . . . . . Die BverfG-Entscheidung vom 01. März 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die BGH-Entscheidung vom 12. Dezember 2007 . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rechtsfigur der tragfähigen sozialen Beziehung – eine formale Beziehung auf der Elternebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Herstellung von Beziehungsfähigkeit unter Bereitstellung öffentlicher Hilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzungskriterien der Unterscheidung zwischen Angelegenheiten des täglichen Lebens und Angelegenheiten, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die zweistufige Kindeswohlprüfung nach § 1671 BGB . . . . . . . . . . . Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge . . . . . . . . . . . . . . Die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil . . . . . . . . Die Übertragungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönlichkeitsrechte und gemeinsame elterliche Sorge . . . . . . . . . . . Die gemeinsame elterliche Sorge als normativer „Normalfall“ . . . . . Zusammenwirken der Eltern als verfassungsrechtliche wie auch rechtsethische Idealform elterlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein möglicher Bezug zur Governance-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzen des Zusammenwirkens und Ausgrenzungen . . . . . . . . . . . . . Das Konzept einer gemeinsamen Sorge ohne gemeinsamen Elternwillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
132 133 135 137 138 140 141 143
145 147 147 148 149 150 151 152 152 153 155
6
Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
6.1 6.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5 6.3.6
Die gegenwärtige Rechtslage (§ 1626a BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschichte des § 1626a BGB und Ziel der Reform . . . . . . . . . . . . . . Die Entscheidung des BVerG vom 29. Januar 2003 . . . . . . . . . . . . . . Die grundsätzliche Bedeutung des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Auflage an den Gesetzgeber, Prüfung der Entwicklung . . . . . . . . Die Berücksichtigung der realen Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Stellungnahmen im Rahmen der Anhörung vor dem BVerfG . . . Die Ausgestaltung des Elternrechts: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die übereinstimmende Willenserklärung als Grundlage gemeinsamer Sorgetragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ausnahmeregelung für Altfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gründe der Mütter, keine gemeinsame Sorge anzustreben . . . . . . . . . Das Leitbild der gemeinsamen Sorge in der BVerfG-Entscheidung . .
6.3.7 6.3.8 6.3.9
157 158 160 160 161 161 162 163 164 165 165 166
Inhaltsverzeichnis
6.3.10 6.3.11 6.4 6.5 6.6 6.7 6.7.1 6.7.2 6.7.3 6.7.4 6.7.5 6.7.6 6.8 6.8.1 6.8.2 6.9 6.9.1 6.9.2 6.9.2.1 6.9.2.2 6.10
Die formale Bedeutung des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Diskussion des Urteils in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drei mögliche Reformmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Die sorgerechtliche Stellung des nichtehelichen Vaters . . . . Die unterschiedliche Rechtslage in anderen Ländern . . . . . . . . . . . . . Die Argumentation der Befürworter einer Reform . . . . . . . . . . . . . . . Einzelfallprüfung und „Eigeninteressen“ der Mütter, ihr möglicher „Machtmissbrauch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die fehlende Berücksichtigung des „natürlichen“ Elternrechts . . . . . Gemeinsame Sorge durch öffentliche Sorgeerklärung des Vaters . . . . Vertrauensmodell gegen Misstrauensmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Benachteiligung des nichtehelichen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Minderheitenposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 03. Januar 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Begründungen des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die abweichende Meinung von Richter Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entscheidung des BVerfG vom 21. Juli 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . Der Verfahrensverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . Der Eingriff in das Elternrecht des Vaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ergebnisse der Umfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Regelung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht verheirateter Eltern im generationalen Dispositiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 167 167 167 168 169 170 170 173 173 174 175 175 176 176 178 179 180 180 181 182 185
7
Umgang und elterliche Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
7.1 7.1.1 7.2
Die geltende Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Recht des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Zusammenhang von Fragen der Verteilung der elterlichen Sorge und des Umgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der grundrechtliche Schutz des Umgangsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele der grundrechtlichen Stellung des umgangsberechtigten Elternteils in der Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Umgangsrecht des biologischen Vaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Bezug zu internationalen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Umgangspflicht in der Entscheidung des BVerfG vom 01. 04. 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung zum Umgangsrecht . . . . . Ausschluss- oder Einschränkungsgründe: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begleiteter Umgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewalt gegenüber dem Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.3 7.3.1 7.3.1.1 7.3.1.2 7.3.1.3 7.3.2 7.4 7.4.1 7.4.2
187 188 188 189 189 190 191 192 194 197 197 198
16
Inhaltsverzeichnis
7.4.3 7.5 7.6
Gewalt zwischen den Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Die Umgangspflegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Umgang aus pädagogischer und rechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . 200
8
Das Verfahren vor dem Familiengericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
8.1
Das Verfahrensrecht im Zusammenhang mit Fragen der Sorgeverteilung und des Umgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Elemente des neuen Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Einvernehmen als Verfahrensziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Der Bezug auf das Cochemer Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Die Überzeugungswirkung von Einvernehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Die Problematik des Einvernehmens in hochstreitigen, Gewalt belasteten Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Einvernehmen in nicht von Gewalt gezeichneten Beziehungen . . . . . 8.2.5 Einvernehmen und das Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge . 8.3 Die Rechte des Kindes bzw. des Jugendlichen im Verfahren . . . . . . . 8.3.1 Die persönliche Anhörung des Kindes bzw. Jugendlichen . . . . . . . . . 8.3.2 Die Neuregelung der Verfahrensfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Die Anhörungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund des Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Die Neuregelung des Verfahrensbeistands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.5 Der Ergänzungspfleger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.6 Die Aufgaben des Jugendamts hinsichtlich der Interessenvertretung des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.7 Die Aufgaben des Gutachters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit, das Beschleunigungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Das Eilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Die Durchsetzung der Entscheidung in Umgangsfragen . . . . . . . . . . 8.7 Der Umgangspfleger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.8 Beweiserhebung, Freibeweis und Strengbeweis im familiengerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.9 Das Kind im prozessualen Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.10 Die mangelnde Ergebnisoffenheit des Verfahrens vor dem Familiengericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11 Der Wille des Kindes im Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11.1 Das Konzept des Kindeswillens und Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . 8.11.2 Die Berücksichtigung des Kindeswillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11.2.1 Der selbst gefährdende Kindeswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11.2.2 Der induzierte Kindeswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11.3 Der Kindeswille aus pädagogischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
206 207 208 209 210 211 213 214 216 216 217 218 218 220 221 223 223 225 226 229 229 231 232 232 233 235 235 236 236
Inhaltsverzeichnis
8.11.4 8.11.5
Der Kindeswille aus rechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der diskreditierte Kindeswille: Das PA-Syndrom bzw. die mangelnde Bindungstoleranz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11.6 Der Kindeswille in der Rechtsprechung anhand von Beispielen . . . . 8.11.6.1 Die Entscheidung des BVerfG vom 18. Mai 2009 . . . . . . . . . . . . . . . 8.11.6.2 Die Entscheidung des Brandenburgischen OLG vom 27. Juli 2009 . . 8.11.7 Die Begrenzung des Kindeswillens im generationalen Dispositiv . . .
17 237 237 240 242 242 244
9
Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
9.1
Das Verhältnis von Pädagogik und Recht im generationalen Dispositiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Wissen um das Kindeswohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abstammung, Zuordnung und pädagogische Leitbilder . . . . . . . . . . . Die Rechtsstellung von Kindern in der generationalen Ordnung – Möglichkeiten von Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Idealform elterlicher Verantwortungsgemeinschaft und die Forschungsergebnisse der Scheidungs- und Umgangsforschung . . . . Ausnahmen als Ausgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die gemeinsame elterliche Sorge und mögliche Alternativen . . . . . . Die Gleichberechtigung der Geschlechter als Gleichheit von Mutter und Vater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erziehungswissenschaftliche Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.1.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7 9.8
247 249 250 251 252 254 255 256 259
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Familien mit Kindern ohne Altersbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Tabelle 2: Familien mit Kindern unter 18 Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Tabelle 3: Familien mit Kindern unter 18 Jahren, Anteil der unterschiedlichen Familienformen bezogen auf die Familien insgesamt . . . . . . . . . . . 100 Tabelle 4: Zahl der Kinder unter 18 Jahren in unterschiedlichen Familienformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Tabelle 5: Aufwachsen der Kinder unter 18 Jahren in unterschiedlichen Lebensformen in Prozent bezogen auf Familien insgesamt . . . . . . . 101 Tabelle 6: Verfahren zur Übertragung der elterlichen Sorge . . . . . . . . . . . . . . . 112 Tabelle 7: Vergleich Baden-Württemberg/Brandenburg, Verfahren zur Übertragung der elterlichen Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Abkürzungsverzeichnis
Abs. AG AWO BGB BGH BeckOK BR-Drs BT-Drs BMFSFJ BMJ BVerfG Destatis DJI DPWV EGMR FamFG FamRZ FÜR jurisPK JGG KJ Ls OLG Os Rn. S. SGB VIII ZERP ZGF
Absatz Amtsgericht Arbeiterwohlfahrt Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Beck`scher Online-Kommentar Bundesratsdrucksache Bundestagsdrucksache Bundesministerium für Familie, Soziales Frauen und Jugend Bundesministerium für Familie Bundesverfassungsgericht Statistisches Bundesamt Deutschland Startseite Deutsches Jugendinstitut Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Familie, Partnerschaft und Recht juris Praxiskommentar Jugendgerichtsgesetz Kritische Justiz Leitsatz bei Gerichtsentscheidungen Oberlandesgericht Orientierungssatz bei Gerichtsentscheidungen Randnummer, Untergliederung bei Gerichtsurteilen und Kommentaren anstatt von Seiten Satz bei Gesetzestexten Sozialgesetzbuch VIII, Kinder- und Jugendhilferecht Zentrum für Europäische Rechtspolitik an der Universität Bremen Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau
Einleitung
Kinder wachsen auf in den von der jeweiligen sozialen Ordnung vorgegebenen politischen und sozialen Bedingungen und in den von diesen geprägten, aber dennoch höchst individuellen familiären Verhältnissen. Es gibt ebenso wenig eine ahistorische wie eine ausschließlich durch gesellschaftliche Vorgaben bestimmte Kindheit. Gesetze im Familien-, Kindschafts- und Sozialrecht geben den Rahmen für eine geordnete Kindheit. Die gesetzlichen Normen regeln die Verhältnisse, die Ansprüche und die Konflikte gemäß den ihnen zugrunde liegenden Vorstellungen, Fantasien und Bildern. Sie steuern den formalen und sozialen Rahmen in dem Familie sich gestalten kann. Familie ist jedoch in ihrem inneren Kern einer Steuerung von außen wenig zugänglich. Sie ist zugleich ein Ort erhöhter Emotionalität, auch ein Sehnsuchtsort, dessen unterschiedliche Facetten in konkreten gesellschaftlichen Kontexten immer wieder neu belebt und konstruiert werden, vor allem über pädagogische Diskurse. Wenn es gegenwärtig um Möglichkeiten und Akzeptanz pluraler Lebensformen (Beck-Gernsheim 2000) geht, dann stellt sich die Frage, ob und inwieweit neue oder sich verändernde Lebensformen sich im vorgegebenen Rechtsrahmen mit gleichen Chancen rechtlich akzeptiert entwickeln können. Diese Arbeit befasst sich mit der Frage der rechtlichen Zuordnung von Kindern zu ihren Eltern, mit der elterlichen Sorge unter den Bedingungen des Alleinlebens eines Elternteils oder der Trennung bzw. Scheidung der Eltern, also dann, wenn eine Sorgerechtszuordnung zu beiden Elternteilen nicht folgerichtiges Ergebnis einer rechtlich vorgegebenen und tatsächlich gelebten Praxis ist. Gesetzliche Sorgerechtszuordnungen sind als Parlamentsentscheidungen Ausdruck gesellschaftlicher Debatten, in denen sich Alltagswissen, Meinungen und Interessen sowie wissenschaftliche Erkenntnisse insbesondere von Pädagogik und Psychologie widerspiegeln. Sie markieren auch die Art und Weise, in der der Staat es sich vorbehält, über kodifizierte Leitbilder allgemeine Lebensweisen und über die Bereitstellung materiell- und verfahrungsrechtlicher Instrumentarien konkrete Konflikte zu steuern. Das Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16. Dezember 1997, das am 01. Juli 1998 in Kraft getreten ist, hat eine grundlegende Neuregelung der elterlichen Sorge bewirkt. Erklärtes Ziel der Reform von 1998 war, so heißt es in der Presseerklärung des Bundesministerium der Justiz vom 01. Juli 2008 zu 10 Jahren Kindschaftsrechtsreform, „vor allem, die Rechtsstellung des Kindes zu verbessern und das Kindeswohl bestmöglich zu fördern“ (BMJ 01. 07. 2008). In der Presseerklärung wird die Reform insbesondere hinsichtlich der Neuregelung der elterlichen Sorge als unumstrittener Erfolg dargestellt: „Der Gesetzgeber hat damit klargestellt, dass es für die betroffenen Kinder das Beste ist, wenn sich die Eltern auch nach der Scheidung einvernehmlich um deren Angelegenheiten B. Schwarz, Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht, DOI 10.1007/978-3-531-92691-9_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
24
Einleitung
kümmern. Inzwischen führen 90% aller Eltern, die sich trennen, die gemeinsame Sorge fort. Dies ist ein großer Erfolg der Reform“,
sagte die Bundesministerin der Justiz Zypries. „Aus einer rechtstatsächlichen Untersuchung zur Kindschaftsrechtsreform wissen wir, dass die gemeinsame Sorge sich positiv auswirkt. Eltern, die nach der Trennung das Sorgerecht behalten, engagieren sich häufig mehr für ihre Kinder. Sie zahlen regelmäßiger Unterhalt und pflegen den persönlichen Kontakt“ (BMJ 01. 07. 2008).
Die Kindschaftsrechtsreform hatte einen großen, über 10 Jahre währenden Vorlauf. Sie wurde sowohl in der rechtlichen wie in der erziehungswissenschaftlichen Literatur unterschiedlich diskutiert. Verbände wie z. B. der Deutsche Juristentag, der Deutsche Juristinnenbund und andere in den Bereichen von Familie, Kindheit und Jugend tätigen Organisationen hatten sich positioniert (Matthiessen 2004). Marlene SteinHilbers stellt mit ihrer interdisziplinären, erziehungswissenschaftlichen Untersuchung bereits im Buchtitel die provokante Frage „Wem ,gehört‘ das Kind?“ (Stein-Hilbers 1994). Diese Frage hat auch heute, über 10 Jahre nach der Kindschaftsrechtsreform und kurz nach der Reform des Verfahrensrechts, in Kraft seit dem 01. September 2009, nichts von ihrer Bedeutung verloren. Stein-Hilbers befürchtet, dass mit der Reform die Rechtsstellung des Vaters – des nichtehelichen Vaters ebenso wie die des geschiedenen – „faktisch“ gestärkt wird, wobei als Strukturprinzip der Verrechtlichung von Geschlechterbeziehungen im Verhältnis zu Kindern jedoch „eine Veränderung der realen Sorge für die Kinder nicht angestrebt wird“ (Stein-Hilbers 1994, S. 221). Für sie soll mit dem Rechtsinstitut der gemeinsamen elterlichen Sorge im „Wirrwarr der neuen Familienkonstellationen ein Ordnungsfaktor mit Bestandskraft fixiert werden. Dies kann als Rückschritt hinter Erkenntnisse über die Bedeutung faktischer, psychosozialer Eltern-Kind-Beziehungen bewertet werden.“ (Stein-Hilbers 1994, S. 219). Stein-Hilbers befürchtet, dass die von einem Leitbild der gemeinsamen Sorge erwartete Befriedungswirkung auf die Konflikte sich trennender Eltern „vor allem als Befriedung der Väter zu begreifen (ist)“ (Stein-Hilbers 1994, S. 220). Das BMJ sieht seine Position bestätigt durch die bisher einzige empirische Begleitforschung zur Reform von Roland Proksch aus dem Jahr 2002 (Proksch 2002). Diese Studie wird in der grundlegenden und umfassenden Untersuchung „Im Interesse des Kindes – Elterntrennung und Sorgerechtsmodelle in Deutschland, Großbritannien und den USA“ von Kerima Kostka (Kostka 2004) vom Ansatz her und methodisch kritisiert (Kostka 2004, S. 410 ff), insbesondere dahingehend, dass Kinder empirisch valide weder direkt befragt worden sind, noch ihre Situation hinreichend berücksichtigt worden ist. Für sie setzt die Studie von Proksch „den Ansatz des Kindschaftsrechtsreformgesetzes fort, Erwachsene stellvertretend über Kindesinteressen urteilen zu lassen“ (Kostka 2004, S. 449). Im Vorwort zu der Studie von Kostka fasst Gisela Zenz das zentrale Ergebnis dieser Studie zusammen:
Einleitung
25
„Für eine pädagogisch motivierte Sorgerechtspolitik werden hier Grenzen des Machbaren erkennbar, die wohl den Abschied von der in Deutschland derzeit dominierenden Idee bedeuten, das Wohl des Scheidungskindes durch fürsorgliche Erzwingung elterlicher Gemeinsamkeit gewährleisten zu können“ (Zenz in Kostka 2004, Vorwort).
Das BMJ berücksichtigt derartige Einwände nicht. Die Kindschaftsrechtsreform wird ausschließlich als Erfolgsgeschichte dargestellt. Dies unter einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive zu prüfen, wird ein Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Die Reform des Verfahrensrechts vom 17. Dezember 2008, in Kraft als FamFG seit dem 01. September 2009, soll diese vermeintliche Erfolgsgeschichte fortsetzen. In der Presseerklärung des BMJ zur Reform des Verfahrensrechts vom 27. Juni 2008 heißt es: „Ein familiengerichtliches Verfahren ist wie kein anderes Gerichtsverfahren von Gefühlen geprägt. Mit unserer Reform wollen wir die Möglichkeiten verbessern, familiäre Auseinandersetzungen vor Gericht so fair und schonend wie möglich auszutragen … Gerade in Kindschaftssachen – etwa bei Streitigkeiten über das Sorge- oder Umgangsrecht – werden Konflikte nicht selten im gerichtlichen Verfahren geklärt. Kinder sind häufig die Opfer familiärer Konfliktsituationen“ (Presseerklärung, BMJ 01. 07. 2008).
Der Gesetzentwurf erhebt den Anspruch, in besonderem Maße die Belange der Kinder zu berücksichtigen. „Sie erhalten einen besseren Schutz und mehr Rechte im Verfahren, sagte Zypries“ (Presseerklärung, BMJ 01. 07. 2008). Ob diese Reform die Belange von Kindern stärkt, ob und inwieweit z. B. ein zentrales Anliegen des neuen Verfahrensgesetzes, Einvernehmen zwischen den Elternteilen herzustellen, tatsächlich den Interessen von Kindern entspricht, oder ob sich hinter den angestrebten „einvernehmlichen Lösungen“ Befriedungen zugunsten Erwachsener, insbesondere von Vätern verbergen, wird ein weiterer Untersuchungsgegenstand sein. Michael Honig hat in einem Aufsatz (Honig 1996) unter Bezugnahme auf den Buchtitel von Marlene Stein-Hilbers auf ein grundsätzliches Problem bei der Rede vom Kindeswohl und der Wahrnehmung von Kinderinteressen aufmerksam gemacht: „Die Paradoxie einer advokatorischen Wahrung von Kinderrechten macht sich darin bemerkbar, dass sich das Wohl des Kindes von den Ansprüchen auf Kinder nicht kategorial unterscheiden lässt, weil die Protagonisten des Kampfes ums Kind ihre Interessensstandpunkte mit den wohlverstandenen Interessen der Kinder begründen“ (Honig 1996, S. 202).
Damit ist eine Schwierigkeit der Arbeit formuliert: Wo geht es um Kinder und deren Rechte, wo um Interessen der Erwachsenen? Können die Interessen von Kindern von denen der Erwachsenen abgetrennt werden bzw. welche Interessenkongruenzen ergeben sich aus gemeinsamen Lebenswirklichkeiten und Perspektiven? Wie kann man sich diesen Fragen methodisch nähern? Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Zunächst wird der hier gewählte erziehungswissenschaftliche Ansatz begründet und der theoretische Zugang und die Methodenwahl vorgestellt. Im zweiten Kapitel werden Abstammungsfragen im Zusammen-
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Einleitung
hang mit Sorgerechtszuordnungsfragen untersucht. Im dritten Kapitel wird das Verhältnis von Staat, Kindern und Familien sowohl unter historisch-funktionalen Gesichtspunkten wie unter den Aspekten Schutz, Intervention und Beteiligung bearbeitet, wobei der zentralen Begründungsfigur, der des Kindeswohls, besondere Bedeutung zukommt. Das vierte Kapitel dient der Darlegung und Diskussion der gegenwärtigen familiären Verhältnisse und ihrer Entwicklungen sowie des Bezugs von unterschiedlichen familiären Lebensformen zu den Bedingungen des Aufwachsens von Kindern. In den Kapiteln fünf bis sieben werden vor allem rechtliche Einzelfragen der Verteilung der elterlichen Sorge behandelt: Gemeinsame elterliche Sorge, alleinige elterliche Sorge, Verteilung der elterlichen Sorge, wenn die Eltern nicht gemeinsam mit den Kindern zusammenleben (§§ 1671 und 1687 BGB); gemeinsame elterliche Sorge durch Sorgeerklärung bzw. durch Ehe (§ 1626a BGB); Fragen des Umgangs mit dem Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt (§ 1684 BGB). Im achten Kapitel werden Verfahrensfragen in Verfahren der Verteilung der elterlichen Sorge und des Umgangs nach den Regelungen des FamFG untersucht. Im letzten Kapitel wird eine Auswertung erfolgen. Es wird die These vorgestellt werden, dass das Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge an die Stelle eines traditionellen Eheleitbildes getreten ist und im gesellschaftlichen Kontext die gleiche Ordnungsfunktion erfüllt. Fragen, wie das mit Pluralitätsansprüchen und Freiheitsvorstellungen zu vereinbaren ist, bilden den Abschluss der Arbeit.
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Der interdisziplinäre Ansatz aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive
Die Gesetze im Bereich von Kindschafts- und Familienrecht sind, wie in anderen Rechtsgebieten auch, nicht nur Deduktionen abstrakter Rechtsvorstellungen, sondern Ergebnisse widerstreitender gesellschaftlicher Interessen und Diskurse, die sowohl gesellschaftliche Entwicklungen und deren unterschiedliche Bewertungen aufnehmen als auch neu konstituieren. Gerade die Gesetze im Bereich von Kindschafts- und Familienrecht sind eng mit gesellschaftlichen, insbesondere pädagogischen Leitbildern verwoben. Als privates und öffentliches Recht verfasst, begründen die aus unterschiedlichen Interessenlagen und Wertvorstellungen entstandenen Regelungen allgemeine Ansprüche sowohl gegen dem Staat (Transferleistungen wie z. B. Kindergeld, Elterngeld, aber auch Hilfe zur Erziehung, Schutz bei Gefährdung) als auch gegen andere Personen, Elternteile gegen Elternteile (Unterhalt, elterliche Sorge, Umgang) und Kinder gegen Eltern (Unterhalt, Umgang, Schutz vor Gefährdung) und setzen somit über allgemeine soziale Normen hinaus konkrete Bedingungen sozialer Wirklichkeit. Ein moderner Familienbegriff hat sich inzwischen soziologisch (Huinink, Konietzka 2007) und rechtlich (Maunz/Dürig/Badura zu Art. 6 GG 2009, Rn. 3) von der traditionellen Form der Ehe gelöst. Leben mit Kindern in seinen vielfältigen Formen, z. B. auch als Mutterfamilie oder ggf. Vaterfamilie, konstituiert heute Familie. Die Rechtsvorschriften im Kindschaftsrecht (elterliche Sorge) sind nicht mehr an die Institution Ehe gebunden, jedenfalls dann nicht, wenn eine Sorgeerklärung von Kindesmutter und Kindesvater vorliegt, d. h. wenn nicht miteinander verheiratete Eltern erklärt haben, dass sie gemeinsam das Sorgerecht für das Kind wahrnehmen (§ 1626a BGB). Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR 03. 12. 2009) und des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 (BverfG 21. 07. 2010) bleibt abzuwarten, wie außerhalb der Ehe die gemeinsame elterliche Sorge geregelt wird. Der Bundesrepublik wurde aufgegeben, Vätern auch ohne Zustimmung der Mütter einen Zugang zur gemeinsamen elterlichen Sorge zu ermöglichen. Die Rechtsvorschriften im Kindschaftsrecht knüpfen allein an die Eltern-Kind-Beziehung an, nicht mehr an die Institution Ehe. Bereits dem ersten Augenschein nach besteht hier eine enge Verbindung zwischen Recht und pädagogischen Leitbildern, nämlich über das „Wissen“, was für Kinder das Beste ist. Recht löst in seiner kodifizierten Form nichtdiskursive Praktiken aus, die über ihre allgemeine Steuerungsfunktion mittelbare und für die einzelnen Betroffenen unmittelbare Auswirkungen haben. Das Material der Untersuchung bilden deshalb Gesetze und Rechtsprechung sowie die diese anregenden und/oder bewertenden unterschiedlichen gesellschaftlichen Diskurse. B. Schwarz, Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht, DOI 10.1007/978-3-531-92691-9_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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1 Der interdisziplinäre Ansatz aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive
Wenn hier ein interdisziplinärer Ansatz gewählt wird, der die erziehungswissenschaftliche Perspektive in den Mittelpunkt stellt, auch wenn Gesetzestexte und gerichtliche Entscheidungstexte zentral zu den Untersuchungsgegenständen gehören, dann folgt das der grundsätzlichen Überlegung, dass die „externen Begründungen“ (Alexy 1978, S. 286) der gesetzlichen Regelungen, der Begründungsfiguren der Einzelentscheidungen sowie der daraus folgenden pädagogischen Praktiken vor allem dem erziehungswissenschaftlichen Bereich entlehnt werden. In einem der Standardkommentare zum BGB zu § 1971 BGB (Verteilung der elterlichen Sorge) heißt es z. B. ausdrücklich: „Richtpunkt und Normziel ist das Kindeswohl in psychosozialem Sinne, nicht die eine oder andere Rechtsstruktur der Eltern-Kind-Beziehungen“ (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2004, Rn. 104). Die Entscheidung für die Erschließung des Untersuchungsgegenstands aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive ist gerade jetzt angezeigt, da gegenwärtig Reformen und Reformdiskussionen weniger auf eine „Verrechtlichung“ von Kindheit abzielen als vielmehr auf eine „Pädagogisierung“ des Rechts. Mit der Kindschaftsrechtsreform, in Kraft seit 01. Juli 1998, sind die in ihrem Kern pädagogischen Leitbilder der gemeinsamen elterlichen Sorge und des Rechts auf gewaltfreie Erziehung rechtlich implementiert worden. Mit dem Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz, in Kraft seit 01. Oktober 2005, ist der Schutzauftrag des Jugendamts bei Kindeswohlgefährdungen pädagogisch und institutionell ausgebaut worden. Mit der Reform des § 1666 BGB, in Kraft seit 12. Juli 2008, sind im Gesetzestext explizit pädagogische Maßnahmen aufgenommen worden, die Familiengerichten stärker als zuvor pädagogische Entscheidungen abverlangen. Die Familiengerichte können entsprechend dem Gesetzestext nunmehr ausdrücklich Eltern Auflagen machen, wie z. B. für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen oder Hilfe zur Erziehung anzunehmen. Das Familienverfahrensgesetz (FamFG), in Kraft seit 01. September 2009, setzt mit seiner zentralen Zielsetzung, Einvernehmen zwischen den Eltern herzustellen, ebenso ein pädagogisches Leitbild in Einzelregelungen um. Auch die Diskussion über die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz folgt eher pädagogischen als rechtlichen Erwägungen: Das Verhältnis zwischen Kindern, Eltern und Staat soll zugunsten von Kindern und Jugendlichen neu gestaltet, die Selbständigkeit von Kindern und Jugendlichen durch Gewährung eigener Anspruchsgrundlagen gefördert und der Kinderschutz gestärkt werden (Künast 2008). Im Geist der Metapher vom „Jahrhundert des Kindes“ und des gleichnamigen Buchs von Ellen Key stellt Künast ein Rilkezitat von 1902 vor Ihren Aufsatz „Kinderrechte in die Verfassung! Wie sonst?“: „Freie Kinder zu schaffen, das wird die vornehmste Aufgabe dieses Jahrhunderts sein.“ Welche Vorstellungen, welche Konstruktionen derartige Großbilder beinhalten und zu welchen Regelungen sie führen, wird ein Untersuchungsgegenstand der Arbeit sein. Juristisch fokussieren sich diese Bilder im Begriff des Kindeswohls. Im BGB Kommentar von Staudinger heißt es, dass „bei Sorgerechtsfragen sein Wohl verbindliche Richtschnur für elterliche oder staatliche
1.1 Die Methodenwahl: Diskursanalyse als Komplexitätszugang
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Maßnahmen“ ist (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2004, Rn. 9). Der Blick auf Kind und Kindheit hat die Kodifikationen im Kindschaftsrecht geprägt und veranlasst, wie immer unterschiedlich er gewesen war und ist. Kindheit und der Blick auf Kindheit ist „ abhängig von höchst unterschiedlichen sozialen, kulturellen, diskursiv vermittelten Vorkehrungen“ (Andresen 2004, S. 158). Der hier gewählte Ansatz ist insofern neu, als er eine Sichtweise eröffnet, die Aufschluss über den Zusammenhang zwischen der gewählten Detailfrage und dem Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen, der „generationalen Ordnung“ (Alanen 1994, S. 101) geben soll. Gesetze, gerichtliche Entscheidungen, Gesetzesauslegungen in juristischen Kommentaren, Rechtstudien und Diskurse in der rechtlichen Literatur werden in ihren Begründungen und Einzelrechtfertigungen in die Untersuchung insoweit einbezogen, als ihr Einfluss auf die Konstruktionselemente einer generationalen Ordnung aufgezeigt wird, die Sorgeverteilung, Umgang und Verfahren konstituieren und legitimieren. Die erziehungswissenschaftliche Perspektive stellt angesichts der Komplexität der sich historisch verändernden Kindheiten und Kindheitsvorstellungen methodisch ein Problem, aber auch eine Chance dar: Das Problem liegt in der Gefahr der Überkomplexität, der möglichen Willkür bei der Auswahl von Einzelthemen und Fragestellungen, die Chance in der Anwendung der Methodologie der Kindheitsforschung, die auf eine Unterscheidung von Kindern und Erwachsenen abzielt und „die Vorstellung einer quasi außergesellschaftlichen Seinsweise „Kindheit“ problematisiert“ (Honig 1999, S. 29).
1.1
Die Methodenwahl: Diskursanalyse als Komplexitätszugang
Angesichts des interdisziplinären Ansatzes und der Komplexität der Fragestellung ist ein methodischer Ansatz zu wählen, der die Komplexitäten nicht etwa reduziert, sondern vielmehr Zugänge eröffnet. Da sich die Themenbereiche und Fragen nicht systematisch von einem Ansatz aus erschließen lassen, sind unterschiedliche Zugänge sowohl aus Sicht der Einzeldisziplinen wie auch wissenstheoretisch, d. h. in Bezug auf unterschiedliche Theorien und hinsichtlich unterschiedlicher Konkretionen erforderlich. Ich werde mich der „Werkzeugkiste“ (Jäger 2009, S. 96) der Foucaultschen Diskursanalyse bedienen, um die jeweiligen Diskurse aufzuzeigen, ihre Zusammenhänge bzw. Widersprüche zu benennen. Dabei beziehe ich mich auf Sekundärliteratur und den aktuellen „Diskurs“ zur Anwendung diskurs- bzw. dispositivanalytischer Verfahren in den Sozialwissenschaften und in der Pädagogik (Andresen 2004, Bettingen 2007, Jäger 2001, Keller 2001, Kerschner, Schneider 2006). Bei der Analyse von Einzelfragen werde ich mit den Methoden der kritischen Textanalyse, der Analyse von statistischem Material sowie mit klassischen juristischen Interpretationsmethoden arbeiten (Rüthers, 2008).
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1 Der interdisziplinäre Ansatz aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive
Auch wenn der Begriff der Diskursanalyse zu einem „inflationären Schlagwort“ geworden ist (Kerschner, Schneider 2006, S. 9), hat er den Vorzug, den Zusammenhang von Wissen, Macht und Subjektivierung aufzeigen (Kerschner, Schneider 2006, S. 16) und verdeutlichen zu können. Diskurse sind Konstitutionsbedingungen des Sozialen, denn in „Diskursen wird Wissen über Wirklichkeit konstruiert, und damit – entgegen allen objektivistischen Annahmen – die Wirklichkeit selbst“ (Bettinger 2007, S. 77). Diskurse haben somit eine Ordnungsfunktion und eröffnen einen Zugang zur Wirklichkeit, der nur in diskursiven Strukturen möglich ist, „die unsere Auffassung von Wirklichkeit bestimmen“ (Bettinger 2007, S. 78). „Sie sind zugleich ein Machtfaktor und tragen zur Strukturierung von Machtverhältnissen in der Gesellschaft bei, sie üben Macht aus, indem sie Wissen transportieren und produzieren“ (Bettinger 2007, S. 81)
und prägen damit das kollektive und individuelle Bewusstsein. Derartige Diskurse verfestigen sich gegebenenfalls zu rechtlichen Regelungen, die nicht-diskursive Praktiken auslösen. Über die Analyse diskursiver Praktiken hinaus führt die Analyse nicht-diskursiver Praktiken und so genannter Sichtbarkeiten bzw. Vergegenständlichungen sowie der Beziehungen dieser Elemente untereinander zum Dispositiv (Jäger 2001, S. 89). Siegfried Jäger zitiert Foucault aus der Interview- und Vortragssammlung „Dispositive der Macht“: „Was ich unter diesem Titel (Dispositiv) festzumachen versuche, ist erstens ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurs, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes wie Ungesagtes umfasst. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann“ (Jäger 2001, S. 91).
Diskurse können über das Bestehende hinausgehen, diskursiv neue Sichtweisen und Möglichkeiten erschließen. Paul Veyne schreibt: „die Entwicklung eines Diskurses oder einer diskursiven Praxis besteht mithin in der Interpretation dessen, was die Menschen taten oder sagten und im Erfassen dessen, was ihren Gesten, Worten und Institutionen zugrunde liegt, etwas, was wir selbst in jeder Minute tun: Wir verstehen uns untereinander. Das Instrument Foucaults entspricht also der gängigen Praxis, nämlich der Hermeneutik, der Erhellung des Sinnes“ (Veyne, Blank-Sangmeister 2009, S. 21, 22).
Auch wenn die Menschen in ihrem Tun und Sagen, in ihren vergesellschafteten Beziehungen und institutionellen Bezügen Machtbeziehungen nirgends aus dem Weg gehen können, sind sie nach Veyne doch in der Lage, sie zu modifizieren, da Macht eine bipolare Beziehung ist (Veyne, Blank-Sangmeister 2009, S. 116). Möglich ist also stets, über das Geregelte und Bestehende hinaus zu denken, neue Diskurse zu versuchen, z. B. zu fragen, ob bestehende gesetzliche Regelungen einschränken und
1.3 Einige Elemente einer Theorie der Kindheit
31
was und wie sie gegebenenfalls einschränken sowie welche anderen Freiheits- bzw. Pluralitätspotentiale möglich sind.
1.2
Kindheit als Dispositiv
Sabine Andresen schlägt als einen Zugang erziehungswissenschaftlicher und historischer Kindheitsforschung vor, mit Foucault Kindheit als Dispositiv neu zu denken (Andresen 2004). Sie identifiziert nach dem gleichnamigen Buch von Ellen Key „Das Jahrhundert des Kindes“ diesen Titel als die zentrale Metapher des Dispositivs des 20. Jahrhunderts (Andresen 2004, S. 159) und die Vorstellung von Kindheit als Moratorium, als zeitliches und räumliches Element des Dispositivs, dem die moderne Ausdifferenzierung in Lebensphasen von Kindheit, Jugend, Erwachsenendasein und Alter zugrunde liegt. U. a. zeigt sie am Beispiel des Begriffs der Reformpädagogik unter Verweis auf Jürgen Oelkers dessen dogmatischen Gehalt auf. Mit dem Reformanspruch gehe zugleich der Anspruch, recht zu behalten einher, wobei „… das Eigentümliche an der Reformpädagogik ist, dass die sanfte Sprache dies zugleich artikulieren und verdecken kann“ (Oelkers, Jürgen: Reformpädagogik; zitiert nach (Andresen 2004, S. 168). Der Ansatz, Kindheit mit Foucault als Dispositiv zu denken, soll nach Andresen für unterschiedliche Fragestellungen genutzt werden können. Wesentlich ist für sie, Kindheit im „sozialkonstruktivistischen Paradigma (als) ein hoch komplexes Konstrukt, das verwiesen ist auf Relationen unterschiedlichster Art, sei es zwischen den Lebensaltern, den Institutionen … oder den Verantwortungsbereichen“ (Andresen 2004, S. 171)
zu sehen. Es gilt, die traditionelle pädagogische Betrachtung von Kind und Kindheit, die „nicht selten auch der Vergewisserung eines normativen Ursprungs [dient]“ (Andresen 2004, 173), zu überwinden.
1.3
Einige Elemente einer Theorie der Kindheit
Der Rückgriff auf Geschichte ermöglicht es, Kindheit sowohl in ihrer historischen und gesellschaftlichen Eingebundenheit zu sehen, wie auch die jeweilige Vorstellung von Kindheit in eben dieser Eingebundenheit als deren spezifische Konstrukte, zu denen auch rechtliche Regelungen und institutionelle Verfestigungen gehören, zu erkennen, zu analysieren und zu dekonstruieren. Für die moderne Kindheitsforschung, deren theoretische Elemente vor allem Michael Honig in seinem „Entwurf einer Theorie der Kindheit“ (Honig 1999) vorgestellt hat und an der ich mich orientiere, ist es konstituierend, aus einer konstruktivistischen Perspektive die Möglichkeiten einer reflexiven, kritischen Auseinandersetzung mit eigenen Paradigmen,
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1 Der interdisziplinäre Ansatz aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive
Modellen und Theorien zu nutzen. Nach Honig wäre jedoch eine bloße Historisierung der Kindheitsverhältnisse als kulturelle Relativierung missverständlich, „ihre Pointe hat sie vielmehr als Methodologie …, das heißt: Sie zielt auf die Unterscheidung von Kindern und Erwachsenen und problematisiert die Vorstellung einer quasi außergesellschaftlichen Seinsweise ,Kindheit‘“ (Honig 1999, S. 29).
Eine konstruktivistisch orientierte Theorie der Kindheit setzt sich nach Honig ab von der Vorstellung des Kindes als Entwicklungswesen, die im Kern ein ahistorisches Bild von der „Natur des Kindes“ beinhaltet. Honig belegt, dass sich die Vorstellung von der Natur des Kindes in unterschiedlicher Weise durch die theoretischen Konzepte des „Jahrhunderts des Kindes“ zieht. Er sieht im Konzept des Entwicklungsalters und des Entwicklungsbegriffs sowie auch des Sozialisationsbegriffs die erfahrungswissenschaftliche Fassung der Vorstellung von der Natur des Kindes, mit der die Aufklärungspädagogik die Autonomie des Kindes gegenüber der Erwachsenenwelt begründet hat. Für ihn ist die „Schlüsselfigur eines derartigen Kindheitsbegriffs nach wie vor das individuelle Kind als werdende Persönlichkeit“ (Honig 1999, S. 59). Am Beispiel des Konzepts „Bedürfnisse von Kindern“ zeigt Honig, dass sich in ihm empirische und normative Elemente vermischen. „Das Konzept der kindlichen Bedürfnisse bildet das Passepartout eines Kindheitsdiskurses, das die psychologische ,Natur‘ von Kindern präskriptiv, als universell gültigen Maßstab für den Umgang Erwachsener mit Kindern entwirft; so konnte das Konzept der Bedürfnisse von Kindern beispielsweise in die Ideologien helfender Berufe eingehen [und in das Recht, BS]. Gleichsam spiegelverkehrt sagt es daher nicht allein, vielleicht sogar nicht einmal in erster Linie etwas über Kinder, sondern über das organisierte Verhältnis der Generationen aus“ (Honig 1999, S. 60).
Ebenso problematisiert Honig die Rede von der „Perspektive von Kindern“. Eine derartige Rede könne zu einer Re-Naturalisierung des Kindheitsbegriffs führen, „wenn nicht sogar zur Erneuerung des ,Mythos Kind‘“ (Honig 1999, S. 80). Er grenzt sich damit von Vorstellungen ab, die Kindern als Akteuren Handlungsfähigkeiten zuweisen, die den historisch-sozialen Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen nicht explizieren. Der Akteursbegriff hatte und hat seine provokante Funktion in der Abgrenzung von Vorstellungen, die Kinder lediglich als potentiell sozial „auf dem Weg, sozial zu werden – sich zu ,sozialisieren‘“ (Alanen 1989, S. 81) sehen. Die Anerkennung von Kindern als Akteure soll nach Leena Alanen nicht nur dazu führen, Kinder als maßgebende Informationspartner anzusehen (Alanen 1997, S. 164), vielmehr soll sie eine Konzeptualisierung von Kindheit ermöglichen, die die „massive Erwachsenenzentriertheit unseres Wissens von Kindheit“ (Alanen 1997, S. 165) in Frage stellt und überwindet. Der Einwand von Honig gegen eine generalisierende Sichtweise „vom Kinde aus“ berührt diesen Aspekt des Akteursbegriffs nicht. Er akzentuiert vielmehr eine Sichtweise, die, ausgehend vom historisch-sozialen Unterschied zwi-
1.4 Die Entwicklung des Begriffs der generationalen Ordnung
33
schen Kindern und Erwachsenen, die Möglichkeit eröffnet, Kinder als „Personen aus eigenem Recht“ und als „Subjekte in Entwicklung“ zu verstehen (Honig 1999, S. 81). Kindheit zu bearbeiten, heißt dann anzuerkennen, dass sie in ihrer „modernen Form das fortwährend konstituierte Resultat von Entscheidungen und Handlungen einer historisch bestimmten sozialen Gruppe (ist), … Kindheit zu bearbeiten erfordert also die Analyse dieser umfassenden sozialen Prozesse, aus deren Zusammenspiel dann – und weniger als Folge eines vorsätzlich bestimmten Ziels – soziale Praxen bestimmt werden können, die Kindheit definieren“ (Alanen 1989, S. 87).
Dem zentralen Ansatz einer Theorie der Kindheit folgend, wird das Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen methodisch als Ausgangsperspektive gewählt. In den Generationenbeziehungen werden Verknüpfungen zwischen den Individuen und den sozialen Systemen hergestellt, sie vermitteln in „ihrer Multiperspektivität die Temporalität des sozialen Wandels mit der von individuellen Entwicklungsprozessen“ (Honig 1999, S. 211), wobei eben das Augenmerk auf das Verhältnis zwischen den Generationen gelegt wird; nicht vom „Kinde aus“ soll gedacht werden, weil bereits das, was als „kindlich“ gilt, z. B. in Form von rechtlichen Altersnormen, durch Erwachsene bestimmt wird.
1.4
Die Entwicklung des Begriffs der generationalen Ordnung
Die schwedische Wissenschaftlerin Leena Alanen hat in einem 1994 erschienenen Artikel (Alanen 1994) zur Theorie der Kindheit, inspiriert von der produktiven Kraft der begrifflichen Unterscheidung zwischen Sex und Gender in der feministischen Forschung, vorgeschlagen, ebenso eine begriffliche Unterscheidung zwischen einer „natürlichen“ und „sozialen“ Kindheit zu finden, wobei sich das Interesse auf die soziale Kindheit beziehen sollte. Mit der Kategorisierung von Sex und Gender, der Zuordnung zum biologischen und sozialen Geschlecht hat sich in der feministischen Forschung als eigenständiger Bereich die Erforschung von Gender im sozialen Leben etabliert. Die in der feministischen Debatte inzwischen geläufige Differenzierung des Genderbegriffs zwischen seinen sozialen und kulturellen Komponenten und dem geschlechtlichen Körper selbst, der ebenso gesellschaftlich begriffen wird (Nicholson 1994), überträgt Honig insoweit auf die Unterscheidung von biologischer und sozialer Kindheit, als er das Konzept einer biologischen Kindheit selbst in Frage stellt (Honig 1999, S. 180). In Anlehnung an Nicholson ist für ihn biologisch fundiert eine Position, die den Körper historisch für weniger variabel hält als andere Persönlichkeits- oder Handlungsmerkmale und aus dieser fehlenden Variabilität kulturübergreifende Gemeinsamkeit ableitet. Zugleich kann nach Honig die erlebte und gelebte Differenz von Kindsein und Erwachsensein, die sich durch Alter und unterschiedliche Körperlichkeit ausdrückt, nicht ausgeblendet werden.
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1 Der interdisziplinäre Ansatz aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive
„Sie bestimmt Kommunikation und Alltag von Erwachsenen und Kindern und stellt Aufgaben, die in spezifischen Sozialbeziehungen [,nicht-reziproke Sorgebeziehungen‘] erfüllt werden“ (Honig 1999, S. 181).
Bühler-Niederberger und Sünker (Bühler-Niederberger, Sünker 2006, S. 38) nehmen diesen Ansatz von Honig auf und entwickeln aus der kindlichen Rückbindung an nicht-reziproke Sorgebeziehungen die Forderung an die Kindheitsforschung, die Arrangements der Sozialisation in weitere Untersuchungen einzubeziehen. Sie begründen das insbesondere mit der „… Tatsache, dass ,Sozialisation‘ als besonderes generationales Arrangement in vielfältiger Weise in die politische und gesellschaftliche Ordnung eingeflochten wurde, ja die moderne Gesellschaft in einem Maße kennzeichnet, dass man diese als eine ,generationale Ordnung‘ … bezeichnen kann“ (Bühler-Niederberger, Sünker 2006, S. 39).
In ihrem Sinn enthält ein moderner Sozialisationsbegriff jedoch keine Vorstellung von „Natürlichkeit“ oder „Zwangsnotwendigkeit“. Generationale Arrangements sollten vielmehr als politische, kulturelle, strukturelle und eben auch rechtliche begriffen werden. Institutionen geordneter Kindheit, wie sie sich gegenwärtig darstellt, sind für sie grundsätzlich politische Konstruktionen. Für eine Forschungsperspektive bedeutet der Bezug auf die Kindheitsforschung hier, den Begriff des generationalen Dispositivs in seinem doppelten Charakter zu begreifen, er wirkt auf beide Kategorien, auf Erwachsene und Kinder, auf Frauen und Männer, auf Mädchen und Jungen. „Lebensgeschichtlich gewendet kann man sagen, dass es die Individuen in ihrem Lebenslauf zweimal erfasst, das gilt längst nicht nur für Frauen.“ (BühlerNiederberger, Sünker 2006, S. 44.)
1.5
Das generationale Dispositiv als Untersuchungsperspektive
Es erscheint sinnvoll, das generationale Dispositiv als Untersuchungsperspektive zu wählen. Die generationale Ordnung steht derzeit unter unterschiedlichsten Aspekten zur Disposition. Nicht nur das Verhältnis zwischen den Generationen ändert sich hinsichtlich gegenseitiger unterschiedlicher Erwartungen und Zuweisungen sowohl in den persönlichen Beziehungen wie in sozialstaatlichen Diskursen und Vorgaben. Es ist nicht nur der „Generationenvertrag“ in den Familien sozialpolitisch neu auszuhandeln, vielmehr ist die generationale Ordnung selbst im Umbruch. Zugespitzt wären zwei Fragen zu stellen: Wird sie auch künftig noch über Blutsverwandtschaft oder eher über Wahlverwandtschaften und real gelebte Beziehungen konstituiert? Bleiben formalisierte Altersgrenzen weiterhin Abgrenzungskriterium oder wird sich als Anknüpfungspunkt eher etwas wie Hilfe- und Unterstützungsbedarf entwickeln? Doris Bühler-Niederberger und Heinz Sünker sprechen von einer neuen generationalen Ordnung der Moderne, in der Kinder und Erwachsene unter stark sozialutilitaristischem Ordnungsinteresse aufeinander verwiesen und unter Begleitung
1.5 Das generationale Dispositiv als Untersuchungsperspektive
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von Experten der Erziehung gegenseitig in die gesellschaftliche Pflicht genommen werden. Diese generationale Ordnung wurde hauptsächlich über Elternschaft und Schule institutionalisiert. Sie führen aus, dass in das neue „generationale Ordnungsdispositiv“ das Geschlecht mit einbezogen worden ist. „Das normative Muster der ,guten‘ Mutter, das seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert mit wachsendem rhetorischen und fürsorglichen Aufwand postuliert wurde, ist gleichzeitig Generationenentwurf, Geschlechtsentwurf, Familienentwurf, und es ist fundamental auf eine soziale Ordnung bezogen, die immer stärker auf [anerzogenen] Selbstzwang, auf ,Sozialisation‘, statt auf Fremdzwang setzte und in der es Positionen nicht zuletzt durch eine ,gute Kinderstube‘ zu legitimieren galt. Die letztere meint nicht nur ein erzieherisches Verhältnis, sondern ganz konkret auch die Verortung und Überwachung der Kinder in der Familie“ (Bühler-Niederberger, Sünker 2006, S. 42).
Diese Familie war historisch durch Aufgaben- und Rollenzuweisungen eine patriarchale. Der zunächst schrittweisen Aufhebung von Einzelvorschriften, die dem Gleichheitsgebot zwischen den Geschlechtern nicht entsprachen, gingen vor allem mit Frauenbewegung und Frauenemanzipation grundlegende gesellschaftliche Veränderungen voraus, die dieses Element des generationalen Dispositivs, die Zuweisung von Muttersein, Mutteraufgabe und Mutterrolle implodieren ließ. Familie alten Typs war und ist nicht mehr möglich. Spätestens und rechtlich generalisierend durchgesetzt ist seit der großen Kindschaftsrechtsreform von 1998 die Rede von Eltern als sprachlich geschlechtsneutralen Wesen, wobei stets zwei Personen gemeint sind, die über prinzipiell gleiche Rechte verfügen und formal gleiche Sorgepflichten zu übernehmen haben. Die Kindschaftsrechtsreform hat grundsätzlich die Ordnung der Familie neu geregelt, einerseits dadurch, dass die rechtlichen Beziehungen der jeweiligen Elternteile zu ihrem Kind individualisiert und formalisiert wurden, andererseits durch den verstärkten pädagogischen Anspruch, Eltern zu Einvernehmen zu verpflichten. Diese Reform ist, wie in vielen Einzelregelungen zu zeigen sein wird, nicht in erster Linie vom Blick auf das Verhältnis zwischen dem Kind und seinen fürsorgenden Erwachsenen getragen, sondern vielmehr von dem auf die Familie, für die neue rechtliche Ordnungselemente zu schaffen waren. Legitimiert worden ist die Reform mit dem Kindeswohl. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff konnte zur Metapher der Reform werden mit erstaunlich geringer Resonanz im pädagogischen Diskurs. Die deutliche Verbesserung der Subjektstellung des Kindes in der Familie durch das kodifizierte Gebot der gewaltfreien Erziehung und durch das Formulieren einzelner Rechte gegenüber Eltern (z. B. Recht auf Umgang mit beiden Eltern) führt ebenso wie die formale Berücksichtigung des Gleichheitsgebots zwischen den Geschlechtern dazu, die Reform als fortschrittlich, in rechtlich linear verlaufender, positiver Weise zu bewerten (Peschel-Gutzeit 2008a). Die vielfältigen Auswirkungen dieser Reform, ihre Wechselwirkungen und möglichen Konfligationen mit gesellschaftlichen Entwicklungen sind nur dann zu erschließen, wenn es gelingt, sie als Ausdruck und Bestandteil des generationalen Verhältnisses in seinen Veränderungen
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1 Der interdisziplinäre Ansatz aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive
zu sehen und zu dekonstruieren. Es erscheint gerechtfertigt zu sein, hier auch unter methodisch pragmatischen Gesichtspunkten nicht vom Kindheitsdispositiv auszugehen, sondern vom generationalen Dispositiv. Das generationale Verhältnis ist unter hochkomplexen Bedingungen gegenwärtig selbst in Bewegung. Neue Familienkonstellationen bilden sich heraus und bedürfen rechtlicher Absicherung, z. B. im Verhältnis gleichgeschlechtlicher Paare zu ihren Kindern. Die generationale Ordnung selbst steht zur Disposition, nicht nur einzelne Ordnungselemente. Die Wahl des generationalen Dispositivs hat für die Herangehensweise den Vorteil, die zu untersuchenden Ordnungsstrategien und Machtimplikationen als Bestandteile generationaler Arrangements und ihrer Veränderungen zu sehen, also die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion der neuen Ordnungs- und Machtelemente diskursiver wie nichtdiskursiver Art im Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen zu stellen.
2
Abstammung und generationale Ordnung
Für die Frage nach generationalen Ordnungsverhältnissen ist die der Abstammung insofern wichtig, als Verantwortlichkeiten für Kinder im Zusammenhang mit der „Entwicklungstatsache“ festgelegt werden. Erst mit der Feststellung der Abstammung wird rechtliche Elternschaft möglich. Die einzelgesetzlichen Abstammungsregelungen begründen rechtliche Elternschaft. Die konkrete Ausgestaltung des Sorgerechts ist rechtlicher Elternschaft und Abstammung nachgeordnet, sie unterliegt im Rahmen des Art. 6 GG der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Das Grundrecht nach Art. 6 GG schützt Elternschaft insgesamt, wobei Elternschaft in erster Linie an rechtliche Elternschaft und die diese konstituierende Abstammung anknüpft. Das Verhältnis zwischen den Generationen wird auf der individuellen Ebene über die Abstammungszuordnung bestimmt. Abstammung ist damit das Ordnungsprinzip der generationalen Ordnung, welches eine Unterscheidung zwischen den Generationen über individuelle Zuordnungen möglich macht.
2.1
Das Geschlecht als Konstruktionselement von Abstammung
In allen Gesellschaften gibt es Regelungen über Verwandtschaft, so unterschiedlich sie auch sein mögen. Über Abstammung wird die Zugehörigkeit zur Verwandtschaft bzw. zur Familie, dem ersten Ort des Aufwachsens von Kindern bestimmt. In der Frühgeschichte und Ethnologie wird zwischen zweiliniger Blutsverwandtschaft (verwandt mit Mutter und Vater) und einliniger Blutsverwandtschaft (reine Patrilinearität bzw. reine Matrilinearität) unterschieden, wobei die einzelnen Erscheinungsformen auch der zweilinigen Abstammung insbesondere in Bezug auf die Rechte der einzelnen Geschlechter völlig unterschiedlich sein können (Wesel 2006, S. 33ff.). Mit der Abstammung kommt das Geschlecht in den Blick, denn über mütterliche oder väterliche Abstammung wird Abstammung in frühen oder indigenen Gesellschaften ebenso geregelt wie die Zugehörigkeit zur Familie in der Moderne. Zu Recht stellt Konstanze Plett fest: „Wenn wir jetzt das Geschlecht von Menschen betrachten, realisiert sich das biologische Geschlecht erst dann, wenn wir zur Familie kommen: das Geschlecht des einzelnen Menschen spielt erst dann eine Rolle, wenn es um die Hervorbringung von Nachkommenschaft geht. Bevor es dazu kommt, ist das Geschlecht der Menschen eigentlich nur ein Potential, das sich realisieren kann, aber nicht muss. … Der Geschlechtsunterschied zwischen Männern und Frauen wird also erst im Zusammenhang mit der Nachkommenschaft bedeutsam“ (Plett 2004, S. 110). B. Schwarz, Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht, DOI 10.1007/978-3-531-92691-9_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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2 Abstammung und generationale Ordnung
Die Gewährleistung von Nachwuchs als Reproduktionsvoraussetzung jeder Gesellschaft ist in frühen Verwandtschaftsgruppen der unterschiedlichsten Art von diesen Gruppen ihren Organisationsformen entsprechend geregelt worden, gegebenenfalls auch durch das Töten von Nachwuchs (Wesel 2006, S. 32). Mit der Herausbildung größerer gesellschaftlicher Einheiten und die diese regelnden Institutionen – Staat, Kirche – ist ein Nachwuchsinteresse entstanden, das die Summe der Interessen der Einzelnen an Nachwuchs übersteigt und „deshalb einen gemeinschaftlichen, sanktionsbewehrten Willen zur Erhaltung privat überschüssigen Nachwuchses erforderlich macht. … In der bürgerlichen Gesellschaft stellen deshalb die vielfältigen Bestimmungen zur Gewährleistung von Nachwuchs niemals nur den Schutz von Einzelinteressen, sondern immer auch schon Bevölkerungspolitik dar“ (Knieper, 1976, S. 57).
Und zu diesen Bestimmungen gehören grundlegend die Abstammungsregelungen. Die konkrete Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Staat, Kindern und Eltern beruht zunächst auf der rechtlichen Fassung der Abstammung. Eine Ausnahme bilden Adoptionsregelungen, die unabhängig von Abstammung zu rechtlicher Elternschaft und Sorgeberechtigung führen. Kindschaftsrecht und Abstammung waren ursprünglich in der bürgerlichen Gesellschaft durchgängig patriarchal geregelt. Die väterliche Gewalt „umfasste praktisch alles“ (Plett 2004, S. 367). Der Vater war bis zum Gleichberechtigungsgesetz von 1957, das am 01. 07. 1958 in Kraft trat, alleiniger Inhaber der elterlichen Gewalt. Die für den Vater geltenden Regelungen sollten auch für die verheiratete Mutter gelten. Allerdings nahm der Gesetzgeber zwei wichtige Bereiche aus: die gesetzliche Vertretung nach Außen und im Streitfall die letzte Entscheidung, der so genannte Stichentscheid, blieben beim Vater. Erst durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juli 1959 (BVerfG 29. 07. 1959) wurden diese Regelungen für nichtig erklärt (dazu Peschel-Gutzeit 2005, S. 186). Das Bundesverfassungsgericht brachte im Sinne des Gleichberechtigungsgebots des Grundgesetzes nach Art. 3 Abs. 2 GG und des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957 den Grundsatz des Einvernehmens zwischen den Eltern, der sich gegen die Vormachtstellung des Vaters richtet, zur Geltung: „Es entspricht damit der allgemeinen Überzeugung, dass dem Wohle des Kindes gerade durch die einverständliche Erziehung und Sorge von Vater und Mutter am besten gedient ist“ (BVerfG 29. 07. 1959, Rn. 67). Bei Nichteinigung bestand und beseht die Möglichkeit, das Familiengericht anzurufen (§ 1628 BGB). Für das uneheliche Kind galten andere Vorschriften: Bis zum „Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder“ vom 19. 08. 1969, in Kraft seit 01. Juli 1970, galt es rechtlich als nicht mit dem Vater verwandt, es hatte einen Amtsvormund, der Staat ersetzte rechtlich die Vaterposition. Nur auf Antrag konnte die Mutter seit dem Familienänderungsgesetz von 1961 selbst zum Vormund bestellt werden. Nach 1970 wurde die Vormundschaft des Jugendamts in eine Pflegschaft umgewandelt. Der Pfleger war zuständig für die Feststellung der Vaterschaft und die
2.1 Das Geschlecht als Konstruktionselement von Abstammung
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Geltendmachung der Unterhalts- und Erbansprüche des Kindes (Buske 2004, S. 234, 344). Mit der Kindschaftsrechtsreform von 1998, in Kraft seit 01. Juli.1998, wurde neben der Neuregelung der elterlichen Sorge zwischen den Eltern die rechtliche Gleichstellung ehelicher Kinder mit Kindern geschaffen, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind. Mit der Festlegung rechtlicher Elternschaft und der formalen Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Verhältnis zu ihren Kindern, unabhängig davon, ob miteinander verheiratet oder nicht, ist das Prinzip der zweilinigen, im Prinzip biologisch bedingten Blutsverwandtschaft rechtlich generalisiert worden. Kinder haben zwei Eltern, unterschieden durch Geschlecht als Mütter und Väter, ausgestattet mit gleichen Grundrechten nach Art. 6 GG. Kinder sind ebenso wie Eltern keine geschlechtsneutrale Kategorie, sie sind rechtlich eindeutig einem Geschlecht zugeordnet. Nach dem Personenstandsgesetz, einem Verwaltungsordnungsgesetz aus dem Jahr 1875, wird das Geschlecht der Kinder festgelegt, die Vornamensregelung muss eindeutig sein (vergleiche Plett 2000). Mit dem Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1980 ist in Ausnahmefällen eine Änderung des Geschlechts möglich. Konstanze Plett führt aus, dass es eine Anerkennung des Geschlechts, das nicht männlich oder weiblich ist, von Rechts wegen bei uns nicht gibt: „Das unmittelbar nach der Geburt festgestellte biologische Geschlecht wird aufgrund ordnungsrechtlicher Vorschriften registriert und damit zu einer nur unter außergewöhnlichen Umständen änderbaren Eigenschaft. Die Zuordnung zum weiblichen oder männlichen Geschlecht wird, so wage ich sogar zu behaupten, durch das Recht essentiell, weil sie vor jeder Sozialisation auf dem Weg vom Säugling zum erwachsenen Menschen erfolgt – und sogar vor jeder weiteren Sexualisierung“ (Plett 2000, S. 182, 183).
Eine freie Geschlechtswahl im Sinne der Entscheidung für ein eigenes, drittes Geschlecht ist für Intersexuelle rechtlich gegenwärtig nicht möglich. Für Plett löst die Zuordnung zu einem Geschlecht eine Dichotomisierung aus, die „dazu verführt, andere Dichotomisierungen mit der Geschlechterdichotomie auf eine hierarchische Weise zu verknüpfen, also etwa gut/böse, schwach/stark, Verstand/Gefühl, Natur/ Kultur, hell/dunkel und dergleichen mehr“ (Plett 2000, S. 183). Rechtlich und tatsächlich führe das zu Strategien, Rechte unterschiedlich zuzuweisen und damit zu Benachteiligungen. Die Zuweisung von Geschlecht ist im Gender Diskurs ausführlich problematisiert worden, auch die biologische Zuweisung von Geschlecht wird als gesellschaftliche gesehen (Nicholson 1994). Im Queer Diskurs geht es nicht nur um die Aufhebung von sozialen Geschlechterrollen, sondern um die Potenz, sich in beiden Geschlechtern bewegen zu können, darum, selbst bestimmt sich ein eigenes „Queer-Geschlecht“ schaffen zu können, indem es möglich wird, traditionell zugewiesene Eigenschaften, z. B. von Mütterlichkeit oder Väterlichkeit soweit zu transzendieren, dass beide gleichermaßen von Frauen und Männern gelebt werden können, nicht nur in Form allgemeiner Fürsorglichkeit, sondern auch mit den jeweils besonderen Akzentuierungen.
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2 Abstammung und generationale Ordnung
Plett weist darauf hin, dass die Geschlechtskategorie unter Gleichberechtigungsaspekten stets bedeutet, dass jede Benachteiligung oder Bevorzugung eines Geschlechts spiegelbildlich eine Bevorzugung oder Benachteiligung des anderen Geschlechts enthält. Solange es eine Geschlechtskategorie gibt und Abstammung am Kriterium des Geschlechts anknüpft, muss also unter Gleichberechtigungsgesichtspunkten eine Abstammung zweilinig sein, eine Abstammung „nur“ von der Mutter oder „nur“ vom Vater wäre mit der Geschlechtskategorie unter Gleichberechtigungsgesichtspunkten nicht zu vereinbaren. Das andere Geschlecht würde benachteiligt werden. Plett lässt sich auf das Gedankenexperiment ein, sich Recht ohne einen sich wie immer gestaltenden Rekurs auf das Geschlecht der Menschen vorzustellen. Geschlecht würde dann nicht mehr Abstammung konstituieren. „Dann müssten andere Anknüpfungspunkte gesucht werden, die am ehesten in jeweils aktuellen Lebenslagen zu finden wären, also etwa: ob jemand für sich selbst sorgen kann oder nicht – weil ,es‘ zu jung, zu alt zu schwach ist oder weil ,es‘ schon für jemand anderes sorgt und deshalb Unterstützung braucht.“ (Plett 2000, S. 184.)
Mit diesem Denkmodell verlässt Plett die gegenwärtigen Gegebenheiten der generationalen Ordnung und wählt den Weg der Freiheit, in der Vorstellung die bestehenden Gegebenheiten aufzuheben, um damit zu „Einsichten in und über unsere Realität“ (Plett 2000, S. 185) zu gelangen. Mit der Antizipation anderer Möglichkeiten wird umso deutlicher, dass Geschlecht ein Konstrukt von Abstammung ist. Die rechtliche Ausgestaltung der Abstammungsregeln nimmt auf das Geschlecht als einziges Anknüpfungsmerkmal Bezug, wobei in neutralisierender Rechtssprache „Eltern“ gleiche Rechte und Pflichten übertragen werden. Die Geschlechtskategorie ist für die Abstammung bestimmend. Mit der Gleichberechtigung von Mutter und Vater individualisieren und neutralisieren sich – wie zu zeigen sein wird – zugleich die Rechte, die beide Elternteile gegenüber dem Nachwuchs haben, ebenso wie die Ansprüche und Rechte von Kindern gegenüber den einzelnen Eltern.
2.2
Die Abstammung als Strukturelement der generationalen Ordnung
Im Diskurs über eine konstruktivistische Theorie der Kindheit wird von einem bestehenden Spannungsverhältnis zwischen „Konstruktion“ und „Entwicklungstatsache“ gesprochen. Mit der „Entwicklungstatsache“, die rechtlich mit der Volljährigkeit endet, ist das Angewiesensein von Kindern auf Begleitung und Unterstützung durch Erwachsene gemeint, ihre Leiblichkeit und nicht eine bestimmte Auffassung darüber, wie sich diese Entwicklung nach der Entwicklungspsychologie zu vollziehen hat (Andresen 2006, S. 19). Aufwachsen geschieht in familiären und öffentlichen Räumen und Bezügen, eingebettet in die Rechtskonstruktionen des Kindschaftsrechts – als öffentliches Recht und Familienrecht. Im Familienrecht stellt die Ab-
2.2 Die Abstammung als Strukturelement der generationalen Ordnung
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stammung die wesentlichen Weichen für die rechtliche Zuordnung der Kinder zu denen, die Aufwachsen und Entwickeln in familiären Zusammenhängen begleiten. Die Abstammung, die an die biologische, zweigeschlechtliche Zeugung anknüpft, ist rechtlich hoch differenziert geregelt. Zwar haben alle „gesetzlichen Regelungen zur Abstammung grundsätzlich die Feststellung der biologischen Herkunft zum Ziel, bezwecken aber auch Rechtsklarheit für die Allgemeinheit und Rechtssicherheit für die beteiligten Personen. Das bedeutet, dass im Einzelfall genetische Herkunft und rechtliche Abstammung auseinander fallen können – für den Rechtsverkehr maßgeblich ist allein die Letztere“ (jurisPK-BGB/Nickel, zu § 1591 BGB, 2008, Rn. 1).
2.2.1
Mutterschaft
Wer Mutter ist, ist seit 1998 abschließend geregelt. Es ist die Frau, die das Kind geboren hat (§ 1591 BGB). Damit wird jede andere, durch die moderne Medizin möglich gewordene Form der Beteiligung von Frauen an der Entstehung eines Kindes ausgeschlossen. Die Regelung ist zwingend und nicht abdingbar, d. h. private Vereinbarungen anderen Inhalts wären nichtig. Alle Spielarten der Ersatz- oder Leihmutterschaft führen nicht zu einer rechtlichen Mutterschaft, eine spätere Geschlechtsumwandlung berührt die Mutterschaft nicht. (jurisPK-BGB, Nickel zu § 1591 BGB, 2008, Rn. 7; Rn. 11). Lediglich durch Adoption kann eine bestehende Mutterschaft aufgehoben werden. Mit der Grundsatzentscheidung, jede Form von Ersatzmutterschaft rechtlich für eine Mutterschaft auszuschließen, geht es um eine schnelle, unabänderliche und eindeutige Zuordnung des Kindes zu einem Elternteil, praktischer Weise zur Mutter, denn die Zuordnung zum Vater ist schwieriger. Die mit der Geburt erfolgte rechtliche Mutterschaft löst die Sorgeberechtigung und die gesetzliche Vertretung aus. Eine Ausnahme bilden die Vorschriften für minderjährige Mütter, nach denen diese Mütter lediglich das Sorgerecht mit der Geburt erhalten. Bis auf die abweichenden Vorschriften bei minderjährigen Müttern hat jedes Kind von Geburt an zumindest einen Erwachsenen als Sorgeberechtigten und gesetzlichen Vertreter. Damit scheint zunächst aufgrund von Geburt und vorausgehender Schwangerschaft die rechtliche Mutter dann privilegiert zu sein, wenn die Vaterschaft noch nicht feststeht. Noch entspricht die tatsächliche Verantwortungsübernahme von Müttern weit überwiegend den gesellschaftlichen Gegebenheiten (Kap. 4), deren entsprechende rechtliche Ausstattung daher angemessen ist. 2.2.2
Vaterschaft
Mit der Aufgabe der Unterscheidung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern im Kindschaftsreformgesetz von 1998 ist eine einheitliche Vaterschaft geschaffen worden, wobei, wie im Recht zuvor, eine biologische Vaterschaft nur dann zu einer Vaterschaft im Rechtssinne führt, wenn einer der drei in § 1592 BGB genannten Zuordnungsgründe – Ehe, Anerkenntnis, gerichtliche Feststellung – vorliegt.
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2 Abstammung und generationale Ordnung
Die Zuordnungsgründe stellen sich unterschiedlich kompliziert dar (Staudinger/ Rauscher zu § 1592 BGB 2004, Rn. 10): 2.2.2.1 Ehe und Anerkennung als Vaterschaftsvoraussetzung Wenn die Mutter des Kindes zum Zeitpunkt der Geburt mit dem Vater verheiratet ist, gilt der Ehemann als Vater des Kindes. Die Anerkennung der Vaterschaft durch den Vater bedarf gemäß § 1595 BGB stets der Zustimmung der Mutter (§ 1595 Abs. 1 BGB) und des Kindes (§ 1595 Abs. 2 BGB), soweit der Mutter die elterliche Sorge nicht zusteht, d. h. wenn sie ihr entzogen worden ist. Grundsätzliches Anliegen des Zustimmungserfordernisses ist, aufgedrängte Anerkennungen zu vermeiden. Der Zustimmungsberechtigte soll die Möglichkeit erhalten, die biologische Richtigkeit der Anerkennung zu prüfen und bei Zweifeln eine gerichtliche Vaterschaftsfeststellung (dritter Zuordnungsgrund) erzwingen zu können (Staudinger/Rauscher zu § 1595 BGB 2004, Rn. 3). Die Neuregelung der Zustimmung ist umstritten. Rauscher hält es für fragwürdig, dass die Mutter das Recht hat, ihre Zustimmung auch im Fall eines berechtigten Zustimmungsbegehrens des biologischen Vater zu versagen (Staudinger/Rauscher zu § 1592 BGB 2004, Rn. 40). Im Staudinger vertritt Rauscher die Position, dass „sowohl die Gewährung eines Zustimmungsrechts der Mutter als auch die weitgehende Beseitigung des Zustimmungsrechts des Kindes“ (Staudinger/Rauscher zu § 1595 BGB 2004, Rn. 5) nicht sachdienlich im Kindeswohlinteresse sei. Er hebt hervor, dass nach der alten Regelung des § 1600c a. F. BGB zur Anerkennung der Vaterschaft stets die Zustimmung des Kindes erforderlich war, und hält die Neuregelung für einen Rückschritt. Dabei lässt er allerdings außer Acht, dass die Zustimmung des Kindes nach altem Recht durch einen dafür eingesetzten Amtspfleger erfolgte. Die Vorschrift war Bestandteil des Nichtehelichkeitsrechts von 1969. Der Mutter wurde die elterliche Gewalt zugestanden, für die Feststellung der Vaterschaft und die Geltendmachung der Unterhalts- und Erbansprüche des Kindes dagegen war in der Regel eine öffentliche Pflegschaft vorgesehen, d. h. der vom Jugendamt bestellte Pfleger musste seine Zustimmung zur Anerkennung der Vaterschaft geben. Hier von einer Beseitigung des Zustimmungsrechts des Kindes zu sprechen, ist eher irritierend. Eine Vaterschaftsanerkennung war gegen den Willen der Mutter möglich. Das neue Recht von 1998 beseitigte diese als Diskriminierung empfundene Vorkehrung, nach der ein Amtspfleger einer Vaterschaft zustimmen musste. Die Zustimmung der Mutter erfolgt nunmehr aus eigenem Recht, nicht aufgrund der gesetzlichen Vertretung des Kindes. Sie entfällt mit der Volljährigkeit des Kindes, das dann selbst zustimmungsberechtigt ist. Für Rauscher „erinnert (die Zustimmungsbedürftigkeit durch die Mutter) an ein feministisches Schema, das das Kind als Besitz der Frau begreift, den es gegen väterlichen Einfluss zu verteidigen gilt“ (Staudinger/Rauscher zu § 1595 BGB 2004, Rn. 5).
2.2 Die Abstammung als Strukturelement der generationalen Ordnung
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Selbst der überwiegend symbolische Gehalt der Vorschrift – sie gilt für die Ebene eines durch Zustimmung hergestellten Einvernehmens, eine Vaterschaftsanerkennung durch Feststellung ist auch ohne Zustimmung möglich – wird als „feministisch“ diskreditiert, der Frau werden Eigentumsansprüche unterstellt. Auffällig ist, dass die im Verfahrensrecht und im materiellrechtlichen Reformdiskurs für zentral erachtete Figur des Einvernehmens zwischen den Eltern (Kap. 8) bei der Frage der Zustimmung zur Vaterschaftsanerkennung, die eine gemeinsame Entscheidung für die rechtliche Zuordnung des Kindes beinhaltet, keine Rolle spielen soll. Ist der Vater anerkennungsbereit, stimmt er konkludent der Verpflichtung zu, Unterhaltszahlungen zu leisten und grundsätzlich Umgang mit dem Kind zu pflegen. Die Mutter stimmt mit der Anerkennung zu, dass sie diesen Mann als rechtlichen Vater in seinen Rechten, insbesondere hinsichtlich des Umgangs akzeptiert. Damit wird dem Kind gegenüber ein tatsächliches Mindestmaß an Übereinstimmung signalisiert. Die Zustimmungsberechtigung der Mutter, die Einvernehmen zur Voraussetzung der Anerkennung macht, soll nach Rauscher zurücktreten, um die Anerkennung allein dem rechtlichen Anerkennungswillen des Vaters – wenn er berechtigt ist – vorzubehalten. Rauscher geht dabei nicht vom Kinde und seiner Selbstbestimmung aus. Dieser Blick hätte eher die Frage nahe gelegt, ob hier die Zustimmung der Kinder grundsätzlich und möglicherweise vor dem Erreichen der Volljährigkeit aus eigenem Recht sachlich angezeigt sein könnte. Die Diskussion über die Zustimmungsbedürftigkeit der Anerkennung der Vaterschaft durch die Mutter verweist auf die Diskussion der gemeinsamen Sorgeerklärung beider Eltern gemäß § 1626a BGB (elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern, Kap. 7), die kindschaftsrechtlich nach geltendem Recht zu einer Gleichstellung zwischen nicht miteinander verheirateten und verheirateten Eltern führt. Rechtliche Elternschaft ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Sorgeerklärung (Staudinger/Coester zu § 1626a 2007, Rn. 40). Zunächst muss die Vaterschaft mit Zustimmung der Mutter anerkannt sein. Bei einer gerichtlich festgestellten Vaterschaft gegen den Willen der Mutter dürfe die Abgabe einer Sorgeerklärung unwahrscheinlich sein. Nur durch Ehe und Sorgeerklärung, denen beide übereinstimmende Willenserklärungen zu Grunde liegen, werden als Rechtsfolge für den Vater ebenso wie für die Mutter die gemeinsame elterliche Sorge und rechtliche Vertretung ausgelöst. In diesen Fällen haben beide Elternteile, sofern die Sorgeerklärung vor der Geburt gemäß § 1626b Abs. 2 BGB abgegeben worden ist, von Geburt des Kindes an oder ab dem Zeitpunkt der Sorgeerklärung die gemeinsame elterliche Sorge. Auch hier ist umstritten, ob der Sorgerechtszugang des Vaters praktisch von der Zustimmung der Mutter abhängig gemacht werden kann (Kap. 7). In der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 03. Dezember 2009 (EGMR 03. 12. 2009) wird die Bundesrepublik verpflichtet, einem rechtlichen Vater auch ohne Zustimmung der Mutter Zugang zur gemeinsamen elterlichen Sorge zu eröffnen. Mit vergleichbarem Tenor verpflichtet das Bundesverfassungsgericht in
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seiner Entscheidung vom 21. 07. 2010 den Gesetzgeber eine Neuregelung der Vorschrift herbeizuführen. In welcher Weise der Gesetzgeber dem nachkommen wird, steht allerdings noch nicht fest (vgl. Kap. 7). 2.2.2.2 Die Anfechtung der Vaterschaft durch den rechtlichen Vater, die Mutter, die Behörde und das Kind Das Anfechtungsrecht ist mit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 grundlegend neu geregelt worden und hat seitdem weitere Änderungen erfahren, insbesondere seit 2004 durch die Möglichkeit der Anfechtung einer bestehenden rechtlichen Vaterschaft durch den biologischen Vater. Nach der Kindschaftsrechtsreform sind Vaterschaftsfragen nicht mehr an den Status ehelich oder nichtehelich gebunden. Die Mutter hatte vor 1998 im Unterschied zum Vater keine Möglichkeit, den Status einer ehelichen Geburt anzufechten. Wenn der Vater bei Kenntnis anderer biologischer Abstammung keine Anfechtung veranlasste, blieb das eheliche Kind sein Kind (jurisPK-BGB, Nickel § 1600 BGB, 2008, Rn. 3). Eine bestehende rechtliche Vaterschaft kann nach § 1600 BGB angefochten werden vom Mann, der durch Ehe oder Anerkenntnis die rechtliche Vaterschaft erworben hat, durch die Mutter, durch das Kind und, wenn zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind keine sozial-familiäre Beziehung besteht, durch den biologischen Vater, den Erzeuger des Kindes. Anfechtungsberechtigt ist auch eine Behörde bei bewusst wahrheitswidriger Anerkennung mit dem Ziel, ausländerrechtliche Vorteile erreichen zu wollen. Weder durch die Mutter noch durch den Vater kann eine Vaterschaft angefochten werden, wenn das Kind mit Einwilligung des Mannes und der Mutter durch künstliche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten gezeugt worden ist (jurisPK-BGB/Nickel zu § 1600 BGB, 2008). Vaterschaftsanfechtungen unterliegen einer Frist von zwei Jahren, die mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Anfechtungsberechtigte von Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen. Die Umstände sind qualifiziert darzulegen (jurisPKBGB/Nickel zu § 1600b BGB, 2008), aus bloßem Verdacht ist eine Anfechtung nicht möglich. Für die Behörde gilt eine einjährige Frist (§ 1600b BGB). Anfechtungsfristen dienen „der Rechtssicherheit, der Wahrung des Rechtsfriedens und der Bestandskraft des Kindschaftsstatus (jurisPK-BGB/Nickel zu § 1600b BGB, 2008, Rn. 3). Wegen der erheblichen Rechtsfolgen rechtlicher Vaterschaft sollen Schwebezustände vermieden werden Das Kind ist unabhängig vom Alter anfechtungsberechtigt. Der Feststellung des wahren Vaters eines Kindes misst die Rechtsprechung „überragende Bedeutung“ für das Kind bei, weshalb das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidungsbefugnis gem. § 1628 BGB hinsichtlich der Durchführung einer Klage auf Anfechtung der Vaterschaft einem Elternteil übertragen kann (jurisPK-BGB/Nickel zu § 1600, 2008, Rn. 27). Das minderjährige Kind muss bis zu seiner Volljährigkeit gesetzlich vertreten werden. Ob nicht auch ein jüngeres, z. B. 13- oder 14-jähriges
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Kind eine Angelegenheit, die von überragender Bedeutung sein soll, selbst vertreten kann, ggf. mittels eines selbst gewählten Verfahrenspflegers, wird weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung diskutiert. Für das Kind, unabhängig davon, ob es volljährig ist oder nicht, beginnt die zweijährige Frist neu, wenn es von Umständen erfährt, auf Grund deren die Folgen der Vaterschaft für das Kind unzumutbar werden (§ 1600b Abs. 6 BGB). Hierbei kann es sich u. a. um den Tod des rechtlichen Vaters, die Eheschließung der Mutter mit dem wirklichen Vater, ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel des rechtlichen Vaters oder um schwere Verfehlungen des rechtlichen Vaters gegen das Kind handeln. Lediglich wirtschaftliche Gründe, die mit der Person des rechtlichen Vaters verbunden sind, reichen nicht aus (jurisPK-BGB/Nickel zu § 1600b BGB, 2008, Rn. 35). Dem Kind wird damit in eingeschränktem Maße ein besonderes Interesse zugebilligt, keine rechtliche Vaterschaft akzeptieren zu müssen aus Gründen, die der Gesetzgeber für unzumutbar hält. Eine erfolgreiche Anfechtung durch die Mutter, den rechtlichen Vater und das Kind hat als Rechtsfolge die Aufhebung der Vaterschaft, nicht deren neue Bestimmung. Eine Ausnahme bildet die erfolgreiche Anfechtung durch den biologischen Vater. 2.2.2.3 Die Anfechtung durch den biologischen Vater und die Rechtsfigur der sozial-familiären Beziehung Das Bundesverfassungsgericht hält in seiner Entscheidung vom 09. April 2003 die ausnahmslose Verwehrung des Anfechtungsrechts eines biologischen Vaters für grundgesetzwidrig. Art. 6 Abs. 2 GG schützt das Recht des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters, die rechtliche Vaterposition zu erlangen, dann, „wenn dem Schutz einer familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinen rechtlichen Eltern nichts entgegensteht.“ (BVerfG 09. 04. 2003, Ls. 2). Der Gesetzgeber hat das Änderungsgebot, verbunden mit der Einschränkung, eine bestehende sozial-familiäre Beziehung vorrangig zu schützen, in die Neuregelung des § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Verbindung mit Abs. 2 vom 30. 04. 2004 aufgenommen. Der Begriff der sozial-familiären Beziehung ist in § 1685 BGB definiert. Er bezieht sich auf den Umgang des Kindes mit anderen engen Bezugspersonen, die faktisch für das Kind Verantwortung getragen haben, d. h. wenn die Person mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat (§ 1685 Abs. 2 BGB). Wörtlich heißt es in § 1600 Abs. 2 BGB „Die Anfechtung setzt voraus, dass zwischen dem Kind und seinem Vater (gemeint ist der rechtliche Vater) keine sozial-familiäre Beziehung besteht“. Im Recht alter Fassung, vor 1998, war diese Beziehung im Status der Ehe enthalten, die Ehe stand unter Schutz. Mit dem neuen Begriff wird eine nicht statusbezogene Anknüpfung gewählt, tatsächlich gelebte Verhältnisse werden als schutzwürdig gekennzeichnet. Dieser Begriff der sozial-familiären Beziehung spielt auch in anderen Zusammenhängen in der Rechtsprechung eine neue, wichtige Rolle
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(Kap. 3, 5). Im Kindschaftsrecht hat sich als neue Schutzfigur die familiär-soziale Beziehung herausgebildet, die weiter zu diskutieren sein wird. Zunächst geht es hier um die Bedeutung dieser Schutzfigur im Zusammenhang mit der Anfechtungsmöglichkeit des biologischen Vaters. Rauscher äußert verfassungsrechtliche und rechtspolitische Bedenken gegen die Neuregelung. Nach seiner Auffassung sollte dem biologischen Vater ein generelles Anfechtungsrecht zugestanden werden (Staudinger/Rauscher § 1600 BGB 2004, Rn. 8). Rauscher konzipiert mit dieser Kritik ein Abstammungsrecht, das dem biologischen Vater unabhängig von bestehenden familiär-sozialen Beziehungen rechtlichen Vaterschaftszugang eröffnen soll, mit dem einzigen Anknüpfungspunkt der biologischen Abstammung: „Jedem anerkennungsbereiten Mann (wie dies gegenüber jeder Mutter selbstverständlich scheint!) dürfen grundsätzlich kindesfreundliche Motive unterstellt werden, auch für den anfechtungs- und anerkennungsbereiten biologischen Vater muss das gelten, zumal, wenn man bedenkt, welche Kosten und Mühen Väter in solcher Situation auf sich nehmen, obgleich ihnen das Schicksal in Gestalt der Kindesmutter den bequemen, von Unterhaltsansprüchen freien, dem Archetypus des verantwortungslosen Schwängerers entsprechenden Ausweg geradezu aufnötigen möchte (der Kommentator erlebt eine solche uneigennützige Haltung nicht selten in Gesprächen mit betroffenen jungen Vätern)“ (Staudinger/Rauscher § 1600 BGB 2004, Rn. 11).
Rauschers Bedenken richten sich gegen den Schutz einer sozialen Familie, die zum Zeitpunkt der Geburt besteht oder einer im Umfeld der Geburt aufgenommenen anderweitigen Beziehung der Mutter. „Hier ist zu bedenken, dass gerade in Fällen, in denen der Vater bereit ist, elterliche Verantwortung zu übernehmen, und zurückgewiesen wird, das Kindeswohl nicht schematisch im Verbleib in einer von der Mutter und ihrem derzeitigen Partner gewollten, aber noch keineswegs nachhaltig verfestigten Kindschaftsbeziehung gesucht werden kann. Warum sollte die Mutter ein Recht haben, einen ihr genehmen Vater auszuwählen und den wirklichen Vater zu verdrängen?“ (Staudinger/Rauscher § 1600 BGB 2004, Rn. 12).
Rauscher verweist den Ehemann oder Lebensgefährten der Mutter, der tatsächlich in die rechtliche Vaterschaft eintreten will, auf die Adoption, der allerdings beide rechtlichen Eltern zustimmen müssen. Es ist aber davon nicht auszugehen, dass ein biologischer Vater, der seine rechtliche Vaterschaftsanerkennung gegen eine bestehende sozial-familiären Beziehung durchsetzen kann, einer Adoption zustimmen würde. Wenn biologische Abstammung automatisch rechtliche Vaterschaft auslösen soll, ohne Anerkenntnis durch die Mutter und unabhängig vom Vorliegen einer sozial-familiären Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater, wird formal eine rechtlich selbständige Vaterlinie konzipiert. Der Verweis auf ein behauptete, jedoch nicht bewiesene Übereinstimmung von Kindeswohl und Vaterinteresse des biologischen Vaters (Staudinger/Rauscher § 1600 BGB 2004, Rn. 36ff.) reicht aus, die Beziehung als eigene Rechtsbeziehung, als individuelle Beziehung zwischen Kind und
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Vater zu entwerfen. Eine rechtliche Generationenbeziehung würde sich auf der Ebene des Verhältnisses des Kindes zu seinen Eltern als eine zweilinige Abstammung darstellen, die rechtlich unabhängig von einander bestünde und unabhängig wäre von den realen Bedingungen des Aufwachsens. Auf der Ebene der BGH-Rechtsprechung gilt bisher, dass der anfechtende biologische Vater die Beweislast dafür trägt, dass keine familiär-soziale Beziehung besteht. Das Gericht ist nicht verpflichtet, über ein Amtsvermittlungsverfahren mit Hilfe des Jugendamts die Existenz einer sozial-familiären Beziehung nachzuprüfen (BGH 30. 07. 2008). Die Entscheidung wird von Herbert Geisler insbesondere hinsichtlich der Zurückhaltung bei der Amtsaufklärung kritisiert, auch er geht im Sinne der Stärkung der biologischen Vaterschaft davon aus, dass es „wünschenswert nicht zuletzt im Interesse des Kindes (wäre), das jedenfalls zum biologischen Vater eine gesicherte lebenslange Verbindung hat“, im Wege der Amtsermittlung unter Einschaltung des Jugendamtes die tatsächliche Abstammung herauszufinden, „um insbesondere einem Bestreben der Kindesmutter, den biologischen Vater als vermeintlichen Störfaktor auszuschließen, Grenzen zu setzen.“ (Geisler, 2008, S. 241, 242). Väterrechte werden, was die Abstammung betrifft, biologisch begründet ausdrücklich gegen die Mutter vertreten. Eine erfolgreiche Anfechtung des biologischen Vaters hat die Aufhebung bestehender Vaterschaft und die Einsetzung des biologischen Vaters als rechtlichen Vater zur Folge. 2.2.2.4 Die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft Wenn eine Zustimmung aus anderen Gründen als dem berechtigten Zweifel an der Vaterschaft, dem Interesse an „Abstammungswahrheit“, also aus „keinem guten Grund“ (Staudinger/Rauscher zu § 1592 BGB 2004, Rn. 43) verweigert wird, ist eine gerichtliche Feststellung der Vaterschaft auf Antrag des Vaters über §1600d BGB möglich. Die Klage des Kindes auf Feststellung der Vaterschaft ist der in der Praxis häufigste Fall. Sie wird zumeist vom Jugendamt als Beistand betrieben, kann aber auch von der Mutter als gesetzlicher Vertreterin des Kindes erhoben werden. Sie dient in der Regel der Sicherung von Unterhaltsansprüchen (jurisPK-BGB/ Nickel § 1600d BGB 2008, Rn. 7). Eine gerichtliche Feststellung ist nur möglich, wenn keine anderweitige Vaterschaft im Rechtssinn besteht (jurisPK-BGB/Nickel zu § 1600d BGB 2008, Rn. 5). Wenn der Platz des Vaters rechtlich nicht besetzt ist, kann der biologische Vater nach geltendem Recht jederzeit die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft erwirken. Ob und inwieweit eine sozial-familiäre Beziehung zwischen Mutter und Kind, die grundrechtlich ebenso als Familie gilt wie eine Familie mit zwei Elternteilen, durch eine Feststellungsklage eines biologischen Vaters, der sozial ein Fremder sein kann, berührt wird, wird nicht diskutiert. Hieran wird deutlich, dass der Schutz der sozial-familiären Beziehung im Sinne des § 1600 Abs. 2 BGB sich nicht auf die ge-
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lebte Beziehung zwischen dem Kind und seinen Eltern, auf die Mutter und den rechtlichen Vater gemeinsam oder Mutter und Kind bezieht, also auf ein Beziehungssystem, sondern lediglich auf den Schutz der Beziehung zum rechtlichen Vater. Gibt es keinen rechtlichen Vater, ist das Kind also vaterlos, kann der biologische Vater jederzeit seine Rechtsansprüche geltend machen. Die Familie einer Mutter, die mit ihrem Kind oder Kindern allein lebt, erfährt, was Abstammungsregeln betrifft, keinen Schutz als gelebte sozial-familiäre Beziehung. Diese Regelung ist ein Beispiel dafür, wie Rechtsregelungen im Kindschaftsrecht nicht persönliche Beziehungen meinen, die „emotional fundierte gegenseitige Bindungen der Beziehungspersonen“ (Lenz, Nestmann 2009b, S. 11) auslösen, sondern sich auf individualisierte Rechtsverhältnisse zum Kind beziehen. 2.2.2.5 Die rechtliche Klärung der leiblichen Abstammung Die hier lediglich im Überblick und hinsichtlich der Gesamtfragestellung dargelegten Abstammungsvorschriften, die ohnehin kompliziert genug sind, werden durch die letzte Reform, in Kraft seit 01. April 2008, noch verwirrender. Der Aufwand, den der Gesetzgeber treibt, Abstammung mit dem Ziel zu regeln, biologische Abstammung rechtlich abzusichern, aber auch sozial-familiäre Beziehungen nicht unberücksichtigt zu lassen, zeigt zugleich die Schwierigkeit, unterschiedliche Abstammungs- bzw. Zugehörigkeitsmodelle – biologische wie soziale – in einer Zeit zu harmonisieren, in der es nicht mehr ein rechtlich vorgegebenes Lebensmodell gibt wie dasjenige, das dem BGB als bürgerliches, patriarchales Familienmodell ursprünglich zugrunde gelegen hat (Plett, Berghahn 2000, S. 346). § 1598a BGB regelt wechselseitige Ansprüche zwischen (Schein-)Verwandten, die das Bestehen oder Nichtbestehen eines Abstammungsverhältnisses überprüfen wollen. Die Vorschrift dient damit nicht der unmittelbaren Korrektur verwandtschaftlicher Verhältnisse (jurisPK-BGB/Nickel, 2008 zu § 1598a BGB, Rn. 1), vielmehr geht es darum, unabhängig vom Anfechtungsverfahren eine Klärung der Abstammung herbeizuführen. Anlass war die Einholung eines heimlichen genetischen Vaterschaftstests durch einen Vater. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung vom 13. Februar 2007 (BVerfG 13. 02. 2007) dem Gesetzgeber aufgegeben, eine Regelung zur Vaterschaftsfeststellung unabhängig von einer Anfechtung zu schaffen. Das neue Recht verpflichtet die für die Untersuchung in Frage kommenden Verwandten, Mutter, Vater und Kind, auf Verlangen des Vaters, der Mutter oder des Kindes in eine genetische Abstammungsuntersuchung einzuwilligen und die Entnahme einer geeigneten genetischen Probe zu dulden. Im Gegenzug sind sie vom Ergebnis der Untersuchung zu unterrichten. In Ausnahmefällen, die eng begrenzt sein sollen, kann das Gericht nach § 1598a Abs. 3 BGB das Verfahren aussetzen, wenn und solange die Klärung der leiblichen Abstammung eine erhebliche Beeinträchtigung des Wohls des minderjährigen Kindes begründen würde. Ansonsten werden keine Bedingungen gestellt. Es muss kein
2.2 Die Abstammung als Strukturelement der generationalen Ordnung
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begründeter Anfangsverdacht wie bei der Anfechtung vorhanden sein, es gibt keine Zeitbegrenzung, das Lebensalter spielt keine Rolle. Der Anspruch auf Mitwirkung zur Klärung kann jederzeit geltend gemacht werden. Die Klärung kann ohne Einschaltung der Gerichte vorgenommen werden. Wenn die rechtliche Vaterschaft mit der biologischen übereinstimmt, sollen Gerichte nicht belangt werden müssen. Ebenso soll die Möglichkeit bestehen, sich mit der Kenntnisnahme des Untersuchungsergebnisses, wenn die Vaterschaft nicht bestätigt worden ist, soweit zufrieden zu geben, dass keine Verpflichtung zur Vaterschaftsanfechtung besteht (jurisPKBGB/Nickel zu § 1598a BGB). Wenn die Klärung erfolgt und das Nichtbestehen einer Vaterschaft festgestellt worden ist, ändert das also zunächst nichts an der rechtlichen Vaterschaft. Gegebenfalls beginnt die zweijährige Anfechtungsfrist des § 1600b BGB, soweit sie nicht abgelaufen ist, soweit also der Berechtigte nicht zuvor Umstände kannte, die gegen eine Vaterschaft sprechen. Das kann dazu führen, dass ein rechtlicher Vater, der lediglich einen vagen Verdacht, aber keine konkreten Anhaltspunkte dafür hat, dass er nicht der biologische Vater ist, zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine Untersuchung gemäß § 1598a BGB einleiten kann. Er hat dann zwei Jahre Zeit, sich zu überlegen, ob er die Anfechtung betreiben will. Dieter Schwab hat den Reformentwurf scharf kritisiert. In Anspielung auf die Begründung des Gesetzes im Regierungsentwurf – dort heißt es: Die „… Regelung soll den Dialog in der Familie und in der Gesellschaft fördern, die Familie in ihrem sozialen Bestand schützen und die Einschaltung von Gerichten möglichst vermeiden …“
– hält Schwab es für absurd, mit der „Erfindung von zeitlich unbegrenzten Ansprüchen unter den Familienmitgliedern den sozialen Bestand der Familie zu schützen“ (Schwab 2008, S. 23). Er kritisiert, dass nach Vorlage des Untersuchungsergebnisses ein Zeitlassen von zwei Jahren möglich ist, um die Vaterschaft anzufechten. „Für Mütter und Kinder entsteht eine herzerfrischende Situation. Zwei Jahre sind ein Drittel der Kindheit und der neunte Teil der gesamten Jugend. Mögen die Psychologen reden von Bindungen, Interesse an stabilen Lebensverhältnissen, systemischem Denken, wie sie wollen – hier geht es um Rechte, die offenbar keine Zumutung einer schnellen Entscheidung vertragen“ (Schwab 2008, S. 26).
Frank und Helms kritisieren den damaligen Gesetzentwurf, der mit einigen Änderungen Gesetz geworden ist, bereits von seiner Anlage her: „Hält man dieses Recht für so fundamental, dass man meint, die deutsche Rechtsordnung müsse (wohl als einzige auf der Welt) ein eigenes Verfahren für die Durchsetzung zur Verfügung stellen, dann muss man auch den Mut aufbringen, denjenigen, der die Klärung der genetischen Abstammungsverhältnisse erzwingt, darauf zu verweisen, dass er sich mit der Befriedigung seines Rechts auf Kenntnis der genetischen Abstammung zufrieden geben muss.“ (Frank, Helms 2007, 1281.)
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2 Abstammung und generationale Ordnung
Frank und Helms hätten es für angemessen und ausreichend gehalten, den qualifizierten Anfangsverdacht als Hürde für ein Anfechtungsverfahren zu relativieren. Nach geltendem Recht bestehen jetzt die §§ 1598a, 1600 und 1600b BGB nebeneinander, d. h. das Ergebnis einer genetischen Untersuchung kann eine zweijährige Anfechtungsfrist nach § 1600b BGB dann auslösen, wenn erst mit dem Ergebnis der Untersuchung der Berechtigte von „Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen“ (§ 1600b BGB). Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war zunächst vorgesehen, dem Kind und dem Vater ausdrücklich eine neue zweijährige Anfechtungsfrist einzuräumen, nicht aber der Mutter. Interessant ist hier die Begründung, weil sie mit aller Deutlichkeit zeigt, wie zunehmend mit der Unabhängigkeit der Rechtsverhältnisse zwischen Müttern und Kindern und Vätern und Kindern argumentiert wird. „Die Möglichkeit einer Fristdurchbrechung (geplante neue Anfechtungsfrist unabhängig von 1600b BGB, BS) ist dem Vater und dem Kind eröffnet, nicht jedoch der Mutter. Dies beruht auf der Erwägung, dass die Mutter durch eine Anfechtung der Vaterschaft auf eine rechtliche Beziehung einwirkt, an der sie nicht unmittelbar beteiligt ist. Da die rechtliche Vater-Kind-Beziehung auf die Mutter lediglich mittelbare Auswirkungen hat, ist auch ihrem Interesse, dieses rechtliche Verhältnis zu beenden, nicht dasselbe Gewicht beizumessen wie dem Interesse von Vater und Kind. Das lässt es als angemessen erscheinen, hinsichtlich der Mutter an der einmal abgelaufenen Anfechtungsfrist festzuhalten“ (BTDrs.16/6561, 04. 10. 2007, S. 15).
Mit dieser Begründung wird eine neue Argumentationsperspektive eröffnet: Die Mutter-Kind-Beziehung und die Vater-Kind-Beziehung werden voneinander unabhängig als zwei voneinander rechtlich und tatsächlich zu trennende Beziehungen gesehen, die lediglich mittelbare Auswirkungen aufeinander haben. Von den realen Bindungen des Aufwachsens in Beziehungssystemen, die eben durch wechselseitige persönliche Beziehungen bestimmt werden, wird damit abstrahiert. 2.2.3
Das Spannungsverhältnis zwischen biologischer Abstammung und dem Schutz familiär-sozialer Beziehungen
Zum generationalen Dispositiv gehört die Frage der konkreten Zuordnung zur Generationslinie. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass die biologische Abstammung allen anderen Generationsverhältnissen vorgelagert ist, muss das gesellschaftlich nicht zwangsläufig bedeuten, dass die rechtliche Zuordnung der biologischen folgen soll. Es ist eben zu fragen, ob bei der rechtlichen Zuordnung der biologischen Abstammung oder den gegebenen sozial-familialen Verhältnissen, die persönliche Beziehungen beinhalten, der Vorzug zu geben ist. Möglicherweise könnte es für die Bedingungen des Aufwachsens aus der Kinderperspektive angemessener sein, die biologische Abstammung lediglich als Anknüpfungspunkt für Abstammung zu sehen, die rechtliche Zuordnung jedoch auf eine gelebte sozial-familiäre Beziehung, auf die persönliche Beziehung auszurichten.
2.3 Die Gleichstellung ehelicher Kinder mit Kindern nicht miteinander verheirateter Eltern
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In der bestehenden Rechtsordnung hat die biologische Vaterschaft größeres Gewicht. Die rechtlichen Regelungen sind darüber hinaus so ausgelegt, dass – wenn keine andere rechtliche Vaterschaft vorliegt – eine rechtliche Vaterschaft immer möglich ist, soweit sie vom biologischen Vater angestrebt wird. Eine sich möglicherweise über Jahre stabil gestaltende sozial-familiale Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Kind oder ihren Kindern ist als persönliche Beziehung nicht geschützt, wenn der biologische Vater seine Rechtsposition mit der Absicht geltend macht, sein Umgangsrecht mit gerichtlicher Hilfe durchzusetzen (Kap. 7). Der Schutz gilt dem rechtlichen Vater, der mit seinem Kind in einer sozial-familiären Beziehung lebt. Begründet werden diese Vorschriften, wie alle im Kindschaftsrecht, mit dem Kindeswohl (Kap. 3).
2.3
Die Gleichstellung ehelicher Kinder mit Kindern nicht miteinander verheirateter Eltern
Mit der Aufhebung der Unterscheidung zwischen Ehelichkeit und Nichtehelichkeit in der Kindschaftsrechtsreform von 1998 kann in Abstammungsfragen nicht mehr an das Rechtsinstitut der Ehe angeknüpft werden. Eine wesentliche Zweckbestimmung der Ehe war, die Verbindung zwischen den Eltern rechtlich herzustellen und Elternschaft zu begründen. Alle Vorschriften im Abstammungsrecht galten bis zur Kindschaftsrechtsreform für eheliche Kinder. Für nichteheliche Kinder gab es eine Vielzahl von Sondervorschriften. Nichteheliche Kinder unterlagen im Gegensatz zu ehelichen Kindern nicht einer generationalen Ordnung, die an eine zweilinige Abstammung, an Mutter und Vater gleichermaßen anknüpfte. Die Generalisierung der Abstammung erfolgte erst mit der Kindschaftsrechtsreform von 1998. Die Geschichte der Nichtehelichkeit gibt Auskunft über die Funktion von Abstammung im generationalen Dispositiv. Mit der Kindschaftsrechtsreform und der Gleichstellung zwischen ehelichen Kindern und Kindern, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind, sind die Rechtsbeziehungen zu den Eltern nicht mehr wie bei der Ehe zu beiden Eltern gemeinsam, sondern als individualisierte Rechtsbeziehungen zwischen dem Kind und den einzelnen Elternteilen konzipiert worden. Abstammung knüpft also nicht mehr generell an das Rechtsinstitut der Ehe an. Vielmehr werden durch die Gesetze die Rechtsbeziehungen zu den einzelnen Elternteilen, zu Mutter und Vater geregelt. 2.3.1
Stichworte zur Geschichte der Nichtehelichkeit
Eine Untersuchung von Sybille Buske zur Geschichte der Unehelichkeit von 1900 bis 1970 trägt den bezeichnenden Titel „Fräulein Mutter und ihr Bastard“ (Buske 2004). Im gegebenen Zusammenhang seien einige Stichworte genannt: Ledige Mütter und ihre Kinder wurden mit der gesellschaftlichen Durchsetzung des kirchlichen Einflusses seit Beginn der Neuzeit in vielfältigster Weise ausge-
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2 Abstammung und generationale Ordnung
grenzt. Den Kindern war der Zugang zu Handwerkszünften und damit zu Ausbildungen ebenso verwehrt wie zu kirchlichen oder weltlichen Ämtern und Würden. Bis ins 18. Jahrhundert hinein wurden ledige Mütter unmittelbar durch rigide Unzuchtsstrafen wie körperliche Züchtigungen, Geld- und Gefängnisstrafen kriminalisiert. Kurzzeitig wurde die Rechtsstellung lediger „unbescholtener“ Mütter und ihrer Kinder durch das Preußische Allgemeine Landrecht aufgewertet, sie wurde vorübergehend der ehelichen angeglichen (Buske 2004, S. 10). Mit der Durchsetzung der bürgerlichen Familie und ihrer rechtlichen Stabilisierung im Familienrecht des BGB von 1900 „wurde die Minderstellung der Mütter und ihrer Kinder erneut kodifiziert. Die patriarchalisch strukturierte eheliche Gemeinschaft mit legitimen Kindern war für alle Schichten zum verbindlichen Leitbild geworden“ (Buske 2004, S. 10). Die BGB-Regelung von 1900 hatte nicht nur „vor allem wirtschaftliche Gründe“, wie Peschel-Gutzeit ausführt. Das uneheliche Kind sollte nicht nur von der „Familie des Vaters ferngehalten werden, um insbesondere jedes Erbrecht des Kindes auszuschließen“ (Peschel-Gutzeit 2008a, S. 473). Die bürgerliche Familie hatte vielmehr wesentliche Ordnungsfunktionen zu übernehmen, sie galt als Institution sittlicher Lebensführung, „mit der es gelingen sollte, gesellschaftlicher Unordnung und Chaos entgegenzuwirken … Demgegenüber galt Unehelichkeit als zentrale Erscheinung von Unsittlichkeit“ (Buske 2004, S. 61, 62). Die Sanktionierungen waren vielfältig und trafen vor allem die Mütter und über diese die Kinder. Nichteheliche Kinder wurden unter Amtsvormundschaft gestellt, das Kind war rechtlich weder mit dem Vater verwandt (bis 1970) noch erbberechtigt (die volle Erbberechtigung gibt es erst ab1998, wobei es allerdings Übergangsregelungen insbesondere für diejenigen Kinder gibt, die vor dem 01. 07. 1949 geboren worden sind, die für alle Jahrgänge geltende ausnahmenslose Erbberechtigung steht immer noch aus). Der „Heiligkeit der Ehe“ sollte dadurch Rechnung getragen werden, dass Kind und Vater und dessen Familie keine rechtliche Verbindung miteinander haben (Buske 2004, SW. 78). Die in der Regel sozial höher gestellte Familie des Vaters sollte von sämtlichen rechtlichen Ansprüchen freigehalten werden. Das BGB sah zwar von Beginn an eine väterliche Unterhaltsverpflichtung vor, aber sowohl die Vaterschaftsanerkennung wie auch väterliche Unterhaltsleistungen waren schwierig durchzusetzen. Mit der Einrede des Mehrverkehrs, auch Dirneneinwand genannt, konnte die Vaterschaft erfolgreich bestritten werden, wenn der Richter dem Mann und dessen Freunden mehr glaubte als der Mutter (Buske 2004, S. 212). Erbbiologische Nachweise waren schwierig zu erbringen oder noch nicht möglich. Der Diskriminierung nichtehelicher Mütter und ihrer Kinder lagen gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen zu Grunde, die über Ehe und eheliche Familie Sittlichkeit und Sexualität lenkten und kanalisierten. Das generelle Abtreibungsverbot war Teil des Lenkungsinstrumentariums. Kirche, Moral und Recht zementierten ein Leitbild, das nach einer eingeschränkt geltenden sozialen, nicht rechtlichen Anerkennung von rassisch untadligen, gesunden „natürlichen“ Kindern im Nationalsozialismus in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts neu belebt wurde (Buske 2004, S. 22ff.).
2.3 Die Gleichstellung ehelicher Kinder mit Kindern nicht miteinander verheirateter Eltern
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Zwar lag grundrechtlich in Artikel 6 Abs. 5 GG ein klarer Auftrag vor: „Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern“.
Dieser Verfassungsauftrag wurde jedoch ignoriert. Einen vergleichbaren Verfassungsauftrag gab es auch in der Weimarer Verfassung. Konstanze Plett schreibt, dass sich „die patriarchalen Geschlechterverhältnisse des BGB vielleicht sogar am deutlichsten im Nichtehelichenrecht“ widerspiegeln (Plett, Berghahn 2000, S. 368). Erst nach der Reform des Nichtehelichenrechts von 1970 war die Mutter sorgeberechtigt. Auf Antrag konnte sie eine Befreiung von der Amtspflegschaft erwirken, die für die Vaterschaftsfeststellung und Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen zuständig war, was in der Praxis allerdings voraussetzte, dass sich die Mutter dem Jugendamt gegenüber „kooperativ verhielt, d. h. den Kindesvater benannte“ (Plett, Berghahn 2000, S. 369). Mütterliche und väterliche Sorgerechte wurden alternativ gesehen. Wenn auf Antrag die Ehelichkeitserklärung des Vaters durch das Vormundschaftsgericht erfolgte, verlor die Mutter die elterliche Sorge, die dann auf den Vater übertragen wurde. Vor 1998 hatten nichteheliche Kinder nur einen eingeschränkten Erbanspruch. Dieser wurde erst mit der Kindschaftsrechtsreform weitgehend durchgesetzt. Plett weist daraufhin, dass das auch eine Folge der deutschen Einheit war. Das DDRRecht kannte eine Unterscheidung zwischen nichtehelichen und ehelichen Kindern nicht. Plett vermutet, dass die volle erbrechtliche Gleichstellung sonst noch später erfolgt wäre (Plett, Berghahn 2000, S. 370). Die Geschichte der Nichtehelichkeit liest sich heute, obwohl erst vor kurzem zur Vergangenheit geworden, wie ein Bericht aus weit zurückliegenden Zeiten, kaum noch nachvollziehbar für die heutige junge Generation. Das führt dazu zu fragen, wie die völlige Auflösung der Gegenüberstellung von Ehelichkeit und Nichtehelichkeit mit ihren vielfältigen Diskriminierungen gesellschaftlich gelang und zum anderen, mit welchen Instrumenten die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern im Verhältnis zu ihren Eltern, Müttern und Vätern, rechtlich durchgesetzt worden ist. Ist die Familie zwischen der nicht verheirateten Mutter und ihrem Kind oder ihren Kindern rechtlich tatsächlich der Familie gleichgestellt worden, die von beiden Eltern mit ihren Kindern gebildet wird, d. h. ist der „Mutterfamilie“ die gleiche innere Autonomie zugebilligt worden wie der Familie mit beiden Eltern, oder ging es um die faktische Stärkung der Stellung des nichtehelichen Vaters, wie Marlene Stein-Hilbers befürchtet hatte (Stein-Hilbers 1994, S. 220)? 2.3.2
Ein Jahrhundertleitbild, das Leitbild der traditionellen Familie, implodiert
Die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts gelten in der Forschung als Zeit des Umbruchs (Buske 2004, S. 20). Mit Verweis auf die Forschungsergebnisse von Herbert (Herbert 2002) führt Buske aus, dass erst jetzt erste Untersuchungen zur Dynamik der
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2 Abstammung und generationale Ordnung
damaligen politischen und sozialen Veränderungsprozesse vorliegen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Schnelligkeit der Veränderung in dieser Zeit im Rückblick heute noch überraschend ist. Innerhalb weniger Jahre, hauptsächlich in dem kurzen Zeitraum von ca. 1965 – 1970, veränderte sich die Einstellung zur Sexualität z. B. derartig radikal, dass eine fast vollständige Aufgabe traditioneller Leitbilder erfolgte. Das Leitbild der Familie als einer Familie von zwei miteinander verheirateten andersgeschlechtlichen Menschen und ihren Kindern verlor an Akzeptanz. Damit ging die bis dahin noch weit verbreitete soziale Diskriminierung von Müttern nichtehelicher Kinder ins Leere. Der kulturelle und soziale Umbruch drückte sich zum einen in unterschiedlichen sozialen Bewegungen aus, z. B. der Frauenbewegung, der Studentenbewegung, aber auch in der Transformation oder Aufgabe gesellschaftlicher Leitbilder, Einstellungen und Deutungsmuster, gerade hinsichtlich Familie und Sexualität. Neue Lebensweisen entwickelten sich als normal und akzeptiert. Einzelne Stichworte der Liberalisierung und Pluralisierung wie Erfindung der chemischen Empfängnisverhütung, der Verbesserung der Chancengleichheit im Bildungsbereich, der Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung der Frau usw. können den Umbruch nur andeuten. Die Untersuchung seiner vielfältigen Ursachen bleibt der historischen Forschung überlassen, wahrscheinlich erst dann, wenn diese Zeit historisierbar, d. h. der zeitliche Abstand groß genug ist. Im gegebenen Zusammenhang reicht die Feststellung des Umbruchs aus: Eine vormals durchgängig diskriminierte Lebensform wurde von nicht wenigen Frauen als attraktiv empfunden, wie Anita Heiliger in ihrem Buch darstellt: „Alleinerziehen als Befreiung: Mutter-Kind Familien als positive Sozialisationsform und als gesellschaftliche Chance“ (Heiliger 1991). „Familie“, schreibt Stein-Hilbers Anfang 1994, „kann unter den gegenwärtigen Realverhältnissen nicht länger als Lebens- und Hausgemeinschaft eines miteinander verheirateten heterosexuellen Elternpaares und den von ihnen abstammenden Kindern betrachtet werden. Zunehmend empfinden sich auch nichteheliche Lebensgemeinschaften, Alleinerziehende, Stieffamilien mit und ohne Trauschein und andere Lebensgemeinschaften als ,Familie‘ und werden als solche wahrgenommen“ (Stein-Hilbers 1994, S. 66).
Stein-Hilbers verweist auf die von den Sozialwissenschaften akzeptierte Definition von Familie als „Verantwortungsgemeinschaft“, in der Erwachsene für Kinder in verlässlichen Beziehungen füreinander einstehen. Dass von den Sozialwissenschaften die unterschiedlichen Familienformen als gleichwertig angesehen wurden und werden, entspricht einem modernen Pluralitätskonzept. Juristinnen und Soziologinnen suchten auch im internationalen Austausch nach angemessener rechtlicher Gestaltung der sich herausbildenden, von Frauen und ihren Kindern dominierten Lebenszusammenhänge. Bereits in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ist befürchtet worden, dass es bei der Diskussion um Gleichberechtigung eher um die Stärkung väterlicher Machtpositionen ging. Jutta Bahr-Jendges schrieb 1986 in der feministisch juristischen Zeitschrift „Streit“ einen Bericht über
2.3 Die Gleichstellung ehelicher Kinder mit Kindern nicht miteinander verheirateter Eltern
55
eine internationale Tagung in Amsterdam zum Thema „Über die politische und rechtliche Entwicklung von elterlicher Sorge und elterlicher Macht“: „Durch den Vergleich der Rechte wie der Entwicklung in den verschiedenen Ländern wurde deutlich, dass hinter der vordergründigen Diskussion um Gleichberechtigung und Gleichbehandlung der Geschlechter tatsächlich derzeit eine Rechtsentwicklung steht, die ausschließlich Rechtsbeziehungen von Kindern und ihren Vätern klärt“. Die Diskussion der Wissenschaftlerinnen und Rechtspraktikerinnen dagegen lief darauf hinaus, den Rechtsstatus an die tatsächliche Übernahme der Sorge, an den „primary caretaker“ binden zu wollen (Bahr-Jendges 1986).
2.3.3
Die Gleichstellung zwischen Kindern verheirateter und nicht miteinander verheirateter Eltern als Generalisierung von Vaterrechten
1998 war es dann rechtlich so weit: Die Statusunterscheidung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern wurde beseitigt. In keinem Rückblick auf Kinderrechte fehlt diese Erfolgsmeldung deutscher Rechtsgeschichte. Peschel-Gutzeit betont 2008: „Seit nunmehr zehn Jahren ist der Begriff der Nichtehelichkeit aus dem Gesetz verschwunden“ (Peschel-Gutzeit 2008a, S. 473). Aus dem „Bastard“ oder dem „Niemandskind“ (Buske 2004, 78), wenn die Vaterschaft ungeklärt war, ist in nur wenigen Jahrzehnten ein anerkanntes, ein „richtiges“ Kind geworden. Das Gesetz, das keinen Unterschied kennt zwischen Nichtehelichkeit und Ehelichkeit, kann sich auf keinen formalen Status als Unterscheidungskriterium berufen. Das Recht kennt bei der Rechte- und Pflichtenverteilung zwischen Eltern, also zwischen Müttern und Vätern, in seiner sprachneutralen Diktion und in seinem formalen Gleichheitsanspruch keinen Unterschied. In ihren rechtlichen Positionen stehen sich beide Eltern, Mütter und Väter, gleich, jedenfalls dann, wenn der Vater rechtlich die Vaterposition erlangt hat. Tatsächlich sind die Lebenswirklichkeiten immer dann divergierend, wenn beide Eltern nicht in bewusster und entschiedener Übereinstimmung gemeinsam mit ihren Kindern leben oder einen übereinstimmenden Modus gefunden haben, gemeinsame Verantwortung für deren Aufwachsen zu übernehmen. Meistens bildet ein Elternteil die stärkere „Verantwortungsgemeinschaft“ mit dem Kind, in der Regel die Mutter (Kap. 4). Der andere Elternteil, in der Regel der Vater, wird als „familienferner“ Elternteil bezeichnet (Häußermann 2009, S. 22). Wie die statistischen Zahlen zeigen (Kap. 4), kann allein erziehend als weibliche Lebensform bezeichnet werden. Die allein erziehende Mutter und auch in der Minderheit der allein erziehende Vater, für den rechtlich die gleiche Problematik gilt, stellen zwar mit ihren Kindern für die Erziehungs- und Sozialwissenschaften eine eigenständige, als vollwertig akzeptierte „ganze“ Familie mit eigenem inneren Beziehungssystem (Huinink, Konietzka 2007) dar. Rechtlich jedoch ist diese Familie über Umgangsrechte (§ 1684 BGB) und Auskunftspflichten (§ 1686 BGB) jederzeit vom anderen Elternteil, in der
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2 Abstammung und generationale Ordnung
Regel vom Vater, erreichbar, der in dieser Familie über eigenständige Rechte verfügt. Der Elternteil, der nicht gemeinsam mit dem Kind oder den Kindern das spezifische, emotionale Klima der Familie alltäglich prägt, also der familienferne Elternteil, kann diese Familie jederzeit mit seinen Rechtsansprüchen konfrontieren. Das war vor der Kindschaftsrechtsreform nicht der Fall. Der rechtliche Vater eines nichtehelichen Kindes hatte gegen den Willen der Mutter zunächst keinen, dann nur einen eingeschränkten Umgangsanspruch, wenn der Umgang dem Wohl des Kindes ausdrücklich „diente“ (§ 1684 BGB a. F.). Schrittweise wurden die Umgangsrechte des nichtehelichen Vaters gestärkt bis zu der geltenden Regelung, die keine Unterscheidung zwischen ehelichen Kindern und Kindern, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind, kennt. Rechtlich gesehen können die 70er und 80er Jahre für ledige Mütter als eine gute Zeit bezeichnet werden. Die soziale Diskriminierung hatte sich praktisch aufgelöst, es konnte sich eine Mutterfamilie als frei gewählte Lebensform herausbilden, die ihre eigenen sozialen und emotionalen Identitäten und Lebenspraktiken suchte. Es bestand die Möglichkeit, die Aufhebung der Amtspflegschaft zu betreiben oder das Jugendamt zu meiden, wenn keine Ansprüche auf Transferleistungen geltend gemacht werden mussten. Marlene Stein-Hilbers registrierte eine Tendenz der Verdichtung des Mutter-Kind-Verhältnisses und einer Verflüchtigung der Vater-KindBeziehung. „Demoskopische Umfragen und eine verbreitete Lebenspraxis belegen, dass junge Frauen sich bewusst für ein Leben mit Kind(ern), aber des Öfteren gegen ein Zusammenleben mit dem leiblichen Vater entscheiden. … Viele Frauen betrachten ein Leben mit Kindern ohne den dazu gehörenden Vater auch als Chance für sich selbst“ (Stein-Hilbers 1994, S. 93).
Als 1988 der Gesetzentwurf zur Erweiterung des Umgangsrechts für Väter nichtehelicher Kinder vorgelegt wurde, haben Frauen sehr schnell die Beschneidung ihrer Möglichkeiten gesehen, ein eigenständiges Leben mit Kindern zu führen. Jutta Bahr-Jendges schrieb in der Zeitschrift „Streit“: „Der Gesamtvater in Bonn beschert den Einzelvätern eine … gesetzliche Neuregelung: Das Umgangsrecht mit ihren nichtehelichen Kindern, das an keinerlei Bedingungen geknüpft ist. Väter bekommen mehr Rechte ohne zusätzliche Pflichten.“ (Bahr-Jendges 1988, S. 99).
Die Diskussion lief nicht gegen „die“ Väter, vielmehr wurde für eigenständige Gestaltungsmöglichkeiten einer Mutterfamilie plädiert. „Es gibt kein Recht der Frau mehr, selbst Mittel und Umstände zu wählen, mit denen und unter denen sie Kinder haben will. Wenn sich Männer heute kooperativ und unterstützend gegenüber Frau und Kindern verhalten, so können sie für Kinder selbstverständlich eine entscheidende emotionale und praktische Bedeutung haben; so wichtig es entsprechend auch ist, Väter zu mehr Kooperation herauszufordern, so problematisch ist jedoch, ihre Position grundsätzlich und zu Lasten der Mütter zu stärken.“ (Bahr-Jendges 1988, S. 100.)
2.3 Die Gleichstellung ehelicher Kinder mit Kindern nicht miteinander verheirateter Eltern
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Die neuen Rechte, das Ausprobieren neuer Lebensformen galt es zu verteidigen. Die Rechtsentwicklung folgte jedoch anderen Grundsätzen: Nicht unter Bezugnahme auf reale Lebensbedingungen oder tatsächlich gelebte sozial-familiäre Beziehungen wurden Rechte und Pflichten zugeordnet, sondern abstrakt, bezogen auf eine Rechtsbeziehung, die wiederum vor allem biologisch begründet wird. Der Artikel von Jutta Bahr-Jendges trägt den bezeichnenden Zweittitel „Ein Kind ohne Vater ist kein Mensch“. 2.3.4
Der „Bastard“ oder das „Niemandskind“ bekam einen Vater.
Die Gleichstellung von nichtehelichen und ehelichen Kindern wurde möglich, wie Lore Maria Peschel-Gutzeit ausführt, durch die allmähliche Angleichung der rechtlichen Stellung beider Eltern (Peschel-Gutzeit 2005, 172). Für den nichtehelichen Vater bedeutete das einen zunehmenden Gewinn von Rechten. Die Entwicklung gilt als noch nicht abgeschlossen. Peschel-Gutzeit fasst die Reform unter Vateraspekten zusammen: „Erst seit dem 01. 07. 1998, also fast 100 Jahre nach In-Kraft-Treten des BGB, kann der nichteheliche Vater, der jetzt der mit der Mutter nicht verheiratete Vater heißt, neben der Mutter Inhaber der elterlichen Sorge werden, freilich nur, wenn die Mutter zustimmt.“ (Peschel-Gutzeit 2005, S. 172.)
Die umstrittene Regelung des § 1626a BGB, die eine übereinstimmende Willenserklärung für die Übernahme der gemeinsamen Sorge voraussetzt (siehe Kap. 6), wird als letzte Hemmstufe einer vollen Gleichberechtigung gesehen. Ein solches Fazit führt zu der Frage, worum es bei dem Kampf um die Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder eigentlich ging: um die Überwindung patriarchalischer Exklusionsstrategien und Aufhebung von Diskriminierungen oder um die Inklusion väterlicher Rechte und Sorgerechtsansprüche? Wenn die Geschichte des Kampfes für die Gleichberechtigung von nichtehelichen und ehelichen Kindern aus männlicher Perspektive als Geschichte wachsender Möglichkeiten der Väter erzählt wird sich für ihre nichtehelichen Kinder zu engagieren, dann kann man erwarten, dass der Prozess von Gleichstellung und väterlicher Emanzipation erst mit der Abschaffung des § 1626a BGB (übereinstimmende Sorgeerklärung) abgeschlossen sein wird. Deutungen und Umdeutungen sind Teil des Diskurses über Sorge und Verantwortung in der generationalen Ordnung. Bereits mit dem kurzen geschichtlichen Rückblick wird deutlich, dass die Anstrengungen und der Kampf derjenigen, die sich für die Gleichstellung einer Lebensform, der Familie der Mutter mit ihren Kindern, mit einer anderen, der Ehe, eingesetzt haben, nicht der Durchsetzung von Väterrechten galten. Gerade die Reform des Nichtehelichen-Rechts zeigt die Zweischneidigkeit eines der formalen Gleichheit geschuldeten Fortschritts bei der Überwindung einer sich über Jahrhunderte hinziehenden Diskriminierung. Die mit der grundlegenden Ver-
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2 Abstammung und generationale Ordnung
änderung der generationalen Ordnung gewonnenen Positionen der Frauen und Mütter, die implizit auch rechtlicher Art waren, werden durch eine neue Verrechtlichung in einer Weise eingegrenzt, die über Gleichstellung zu Einschränkungen, hier der mütterlichen und in Minderheitsfällen auch der väterlichen Unabhängigkeit führt. Der Ausschluss bzw. die Einschränkung väterlicher Rechte, z. B. der Umgangsrechte, ursprünglich mit der Funktion, Mutter und Kind „vaterlos“ und rechtlos zu belassen, bot für eine historisch kurze Zeit Müttern die Möglichkeit, vaterlos in freier Wahrnehmung eigener Rechte neue Lebensformen zu entwickeln. Das neue Recht ist nicht nur Ausdruck der geltenden biologisch geleiteten Abstammungsregelungen, es verfestigt sie auch in doppelter Weise: Zum einen sind die Rechtsbeziehungen der Eltern gegenüber den Kindern als Rechtsbeziehungen der Elternteile zu ihren Kindern weiter individualisiert worden, zum anderen wird über den Umgang die Lebenswirklichkeit der Kinder unmittelbar berührt; das Umgangsrecht des familienfernen Elternteils besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob das Kind weniger oder gar keinen Umgang mit dem familienfernen Elternteil wünscht (Kap. 7). Das Kind hat zwei Elternteile zu haben.
2.4
Adoption
Nach der Abstammung ist die Adoption die zweite Möglichkeit, in rechtliche und hier zugleich stets sorgeberechtigte Elternschaft einzutreten. Das Kind erlangt bei der Adoption durch ein Ehepaar oder durch einen Ehegatten, wenn das Kind das leibliche Kind des anderen Ehegatten ist, die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der Ehegatten. Wenn eine Einzelperson das Kind adoptiert, erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines Kindes des Annehmenden. Die elterliche Sorge steht im Fall der Adoption dem Ehepaar gemeinsam oder der annehmenden Einzelperson zu (§1754 BGB). Bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist eine Adoption durch einen Partner nicht vorgesehen. Die biologischen Eltern verlieren mit der Adoption alle Rechte, auch das Recht auf Umgang. 2.4.1
Die Zustimmungsbedürftigkeit durch Mutter und Vater
Einer Adoption müssen beide Eltern zustimmen (§1747 BGB), wobei es auf die rechtliche Elternschaft, nicht auf die sorgeberechtigte Elternschaft ankommt. Nur in Ausnahmefällen kann die Zustimmung durch das Familiengericht ersetzt werden. Der sorgeberechtigte Elternteil muss seine Pflichten gegenüber dem Kind gröblich verletzt oder durch sein Verhalten gezeigt haben, dass ihm das Kind gleichgültig ist und „wenn das Unterbleiben der Annahme dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde“ (§ 1748 Abs. 1 BGB). In einer Entscheidung zur Stiefkindadoption hat das BVerfG zu dieser Norm restriktive Auslegungsgrundsätze entwickelt (BVerfG 27. 04. 2006). Eine Ersetzung der Zustimmung kann nur in Frage
2.4 Adoption
59
kommen, „wenn die Adoption einen so erheblichen Vorteil für das Kind bieten würde, dass ein sich verständig um sein Kind sorgender Elternteil auf der Erhaltung des Verwandtschaftsbandes nicht bestehen würde“ und wenn keine gelebte Vater-Kind Beziehung vorliegt, wobei allerdings Voraussetzung ist, dass der „Vater selbst durch sein Verhalten das Scheitern eines solchen Verhältnisses zu verantworten hat“ (BVerfG 27. 04. 2006, Rn. 10). Gegen den Willen eines rechtlichen Vaters, der sein Interesse am Kind bekundet, ist keine Adoption möglich. Adoptionen bewirken die vollständige rechtliche und in der Regel tatsächliche Trennung von den biologischen Eltern. Die vorliegenden Regeln lassen weder Übergänge noch Zwischenformen zu. Das Adoptionsrecht hat in seiner Geschichte nicht die Aufgabe, Sorgezuweisungen in sich ausdifferenzierenden Lebensweisen zu ermöglichen. Insofern ist es wahrscheinlich nicht der geeignete Ort für diesbezügliche Reformprojekte. 2.4.2
Die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare in Lebenspartnerschaft
Nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz ist seit 2005 ebenso wie bei Ehepaaren eine Stiefkindadoption möglich, die Regelungen sind angeglichen. Am 23. 07. 2009 stellte Bundesministerin Zypries eine repräsentative Studie des Staatsinstituts für Familienforschung an der Universität Bamberg (Leitung: Marina Rupp) vor, die belegt, dass Kinder in Regenbogenfamilien ebenso gut aufwachsen wie in anderen familialen Beziehungen (BMJ 23. 09. 2009). „Heute ist ein guter Tag für alle, die auf Fakten statt auf Vorurteile setzen – gerade bei weltanschaulich besetzten Themen. Die Untersuchung hat bestätigt: Dort, wo Kinder geliebt werden, wachsen sie auch gut auf. Entscheidend ist eine gute Beziehung zwischen Kind und Eltern und nicht deren sexuelle Orientierung. Nach den Ergebnissen der Studie ist das Kindeswohl in Regenbogenfamilien genauso gewahrt wie in anderen Lebensgemeinschaften. Homosexuelle Paare sind keine schlechteren Eltern, Kinder entwickeln sich bei zwei Müttern oder zwei Vätern genauso gut wie in anderen Familienformen. Die Studie ist außerordentlich belastbar und repräsentativ. Sie belegt auf wissenschaftlich fundierter Grundlage, dass Familie dort ist, wo Kinder sind. Die Ergebnisse der Untersuchung sind ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur vollen gesellschaftlichen und rechtlichen Anerkennung homosexueller Paare. Lebenspartner sind danach unter den gleichen Voraussetzungen wie alle anderen als Adoptiveltern geeignet.“
Zypries nimmt die Studie zum Anlass, analog zur gemeinsamen Ehepaaradoption die gesetzlichen Voraussetzungen für eine gemeinsame Adoption durch Lebenspartner vorzubereiten. Die allgemeinen Adoptionsvoraussetzungen werden davon nicht berührt. Es geht nicht um eine Liberalisierung von Adoptionen oder darum, neue Rechtsmöglichkeiten für neue Lebens- oder Familienformen zu schaffen oder gelebte sozial-familiäre Beziehungen rechtlich abzusichern, sondern um die Gleichstellung von Ehepaaren und Lebenspartnern hinsichtlich der Adoptionsmöglichkeiten. Damit wird aber über die
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2 Abstammung und generationale Ordnung
rechtliche Angleichung hinaus insgesamt die kulturelle und soziale Dimension von Familie in einer Weise erweitert, die der Vielfalt und Pluralität der Lebensbeziehungen nicht nur zur größeren Akzeptanz verhilft, sondern zukünftig auch die Frage verstärkt aufwerfen wird, wie die unterschiedlichen Familienbeziehungen jenseits von biologischer Abstammung rechtlich fundiert werden können. Der Titel der Presseerklärung „Familie ist dort, wo Kinder sind“ signalisiert ein kulturelles und pädagogisches Programm. Dass die bestehenden Rechtsregelungen einem derartigen Programm nicht entsprechen und mit ihm konfligieren, wird in den nachfolgenden Kapiteln belegt.
2.5
Das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung
Im Zusammenhang mit Abstammungs- und familiären Zuordnungsfragen wird das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung diskutiert. Die Entscheidung des BVerfG vom 30. 01. 1989 (BVerfG 30. 01. 1989), die Gesetzeskraft hat, legt das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung fest. Es ist nicht als Leistungspflicht des Staates gestaltet, verfügbare Informationen müssen jedoch zur Kenntnis gebracht werden (Maunz/Dürig/Di Fabio zu Art. 2 GG 2009, Rn. 212). Grundsätzlich besteht ein Auskunftsanspruch des volljährigen Kindes gegenüber der Mutter. Ob aber ein möglicher titulierter Anspruch vollstreckbar ist, d. h. ob eine Vollstreckung mit dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter nach Art. 2 Abs. 1 GG zu vereinbaren ist, ist umstritten und höchstrichterlich bisher noch nicht entschieden. Über das Personenstandsgesetz (§ 63 PStG) hat ein Adoptivkind ab Vollendung des 16. Lebensjahres Einsicht in das Geburtsbuch und in seine Adoptionsakte. Auch die im Weg künstlicher Insemination gezeugten Kinder haben ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Ärzte und Kliniken sind zu Dokumentationen verpflichtet. Allerdings steht eine verbindlich regelnde gesetzliche Grundlage noch aus. Gesetzliche Regelungen, die die Anonymität des Samenspenders zusichern, werden, gemessen am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, für nicht unproblematisch gehalten (Maunz/Dürig/Di Fabio zu Art. 2 GG 2009, Rn. 213). Die Kenntnis der eigenen Abstammung wird für die Identitätsfindung und die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit als von zentraler Bedeutung angesehen. Unabhängig davon, ob diese Einschätzung zutrifft oder vor allem die Bedeutung widerspiegelt, die der biologischen Abstammung zugewiesen wird, ist das Wissen um ihre eigene Herkunft für nahezu alle Menschen gegenwärtig von hoher Relevanz (auch Stein-Hilbers 1994, S. 107). Insofern steht dieses Recht unter grundrechtlichem Schutz. Ob dieser Schutz jedoch die Möglichkeit anonymisierter Samenspenden rechtlich ausschließt bleibt abzuwarten. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gehört zu den Persönlichkeitsrechten des Kindes. Wenn sich aus der Offenlegung der Vaterschaft allerdings Rech-
2.6 Abstammung und sorgerechtliche Befugnisse
61
te väterlicher Abstammungsfeststellungen mit den entsprechenden Rechtsfolgen ableiten lassen, erhebt sich die Frage, ob hier nicht Bereiche mit unterschiedlicher Zielsetzung miteinander verwoben werden. Ein Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung, das zunächst keine Vaterschaftsfeststellungsklage auslösen kann, würde den Interessen des Kindes auf Kenntnisnahme eher entsprechen. Wenn Mütter mit ihrem Kind eine eigenständige sozial-familiäre Lebensgemeinschaft bilden wollen, werden sie bei dem jetzt geltenden Abstammungsrecht eine Offenlegung möglicherweise vermeiden.
2.6
Abstammung und sorgerechtliche Befugnisse
Im gegenwärtigen Recht gibt es keine Regelung, die rechtliche Sorgezuweisungen ohne rechtliche Elternschaft ermöglichen. Lediglich die Bestimmungen des § 1687b BGB gewähren bei der Sorge in alltäglichen Angelegenheiten im Falle eines alleinsorgeberechtigten Elternteils dem Ehepartner oder Lebenspartner Sorgebefugnisse (kleines Sorgerecht). Die Befugnis, in alltäglichen Angelegenheiten mitentscheiden zu dürfen, ist aber ausschließlich Ehegatten oder Lebenspartnern vorbehalten. Es wäre jedoch notwendig, unterschiedliche Sorgebefugnisse zu entwickeln, wenn rechtliche Sorge mit der Vielzahl gelebter tatsächlicher Sorgebeziehungen in größere Übereinstimmung gebracht werden soll, wenn also als Anknüpfung für Rechtsbeziehungen, die im Hinblick auf das Kind gelebten sozial-familiären Beziehungen für wichtiger gehalten werden als der primäre Bezug auf biologische Abstammung. Die Diskussion über sorgerechtliche Befugnisse derjenigen, die tatsächlich Verantwortung tragen, ist erst in den Anfängen. Maria-Susann Mülders hat mit ihrer Rechtsstudie „Sorgerechtliche Befugnisse bei faktischer Elternschaft“ eine erste umfassende Bestandsaufnahme vorgelegt (Mülders 2008).
3
Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern im Kontext der generationalen Ordnung
Thema dieses Kapitels sind die unterschiedlichen staatlichen und gesellschaftlichen Einflussnahmen auf Familie und Kindheit in Form von Gesetzen und Leitbildern sowie ihre Funktionen im generationalen Dispositiv. Aufgezeigt wird mit Hilfe welcher Gesetze und Leitbilder interveniert wird und welche Funktionen diese Interventionen in der generationalen Ordnung erfüllen. Dabei interessieren besonders die Zuweisungen und Anforderungen an die einzelnen Eltern, an Mütter und Väter.
3.1
Altersgrenzen als Abgrenzung
Grundlegendes Element des Status „Kind“ ist sein Rechtsstatus, differenziert festgelegt in unterschiedlichen Altersgrenzen. „Er institutionalisiert das Verhältnis von Kindern und Erwachsenen als Minderjährigkeit.“ (Honig 1999, S. 99.) Altersgrenzen entscheiden in unterschiedlichen Rechtszusammenhängen wer Kind, wer Jugendlicher ist: Im BGB gilt die Volljährigkeitsgrenze mit Vollendung des 18. Lebensjahres. Das BGB kennt mit der Volljährigkeit ab 18 (§ 2 BGB) keinen Jugendlichenstatus. Im Strafrecht gilt die Kindgrenze (Strafunmündigkeit) bis 14, Jugendliche werden bis 18, in Ausnahmefällen bis 21 nach den Vorschriften des JGG bestraft. Gemäß § 36 Abs. 1 SGB I können über 15-Jährige Anträge auf Sozialleistungen stellen, die gesetzlichen Vertreter sind darüber zu unterrichten, sie können gemäß § 36 Abs. 2 diese Handlungsfähigkeit der Jugendlichen einschränken; Anträge auf Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII dürfen sie jedoch nicht stellen, weil das dem Personensorgeberechtigten überlassen bleibt (Kap. 3.4). Im familienrechtlichen Verfahren ist das Kind ab Vollendung des 14. Lebensjahres gemäß § 159 FamFG anzuhören. Ist es jünger, erfolgt die Anhörung, wenn sie für die Entscheidung von Bedeutung ist. Weitergehende Rechte sind damit nicht verbunden (vgl. Kap. 8). Die Unterschiedlichkeit der Altersgrenzen, die formale Status- und Rechtezuweisungen im Verhältnis der generationalen Ordnung vornehmen, lassen diese als willkürlich gesetzt erscheinen, lediglich dem jeweiligen Zweck bzw. der historischen Entstehung verbunden. Diese Willkür wird an drei Altersgrenzen besonders deutlich: Gemäß § 5 des RelKErzG haben Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr ein eigenes, höchstpersönliches Entscheidungsrecht darüber, zu welchem religiösen Bekenntnis sie sich halten wollen. Bereits ab dem 12. Lebensjahr dürfen Kinder nicht gegen ihren Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden. Im Bereich der B. Schwarz, Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht, DOI 10.1007/978-3-531-92691-9_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
64
3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
religiösen Bekenntnisse wird Kindern ein Höchstmaß an Entscheidungsmöglichkeiten zugetraut. Hier gilt der Kindeswille uneingeschränkt. Es wird nicht hinterfragt, ob, wie beispielsweise im Recht der Verteilung der elterlichen Sorge oder im Umgangsrecht, der Wille auf elterlicher Beeinflussung beruht (vgl. Kap. 5–8). Ist diese Vorschrift nur noch Relikt vergangener Zeiten, als Konfirmation und Firmung eine große Rolle spielten, als mit diesen Ereignissen bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts für die überwiegende Zahl der Jugendlichen der Berufseintritt verbunden war? Religionsmündigkeit war im Leben der Jugendlichen von großer Bedeutung, als die überwiegende Mehrheit noch in der christlichen Kirche war. Sie wurde und wird als erster Emanzipationsschritt des Kindes von Kirche und Elternhaus von einem liberalen und säkularen Staat geschützt, der sich christlichen oder anderen religiösen Traditionen verpflichtet fühlt. Den Deutschen Bundestag dürfen erst 18Jährige wählen. Setzt eine Wahlentscheidung für den Bundestag mehr voraus als eine Religionsentscheidung? Eine Legitimation dieser unterschiedlichen Mündigkeit ist nicht ersichtlich. Im SGB II gibt es eine Reihe von Sonderregelungen für junge Erwachsene unter 25 Jahren, nach denen diese sozialrechtlich wie Jugendliche behandelt werden. Es gilt der Grundsatz der „Bindung der u25-Jährigen an den elterlichen Haushalt“ (Grühn 2006, S. 293). Die Frage, ob es sinnvoll ist, junge Menschen bis zum 25. Lebensjahr an den elterlichen Haushalt zu binden, wird vom Gesetzgeber nicht geklärt. In einer Analyse des Zusammenwirkens der Vorschriften kommt Corinna Grühn zu dem Ergebnis, dass die u25-Jährigen nicht etwa in besonderer Weise gefördert, sondern vielmehr belastet werden (Grühn 2006, S. 296), nämlich durch eine Kosten sparende faktische Verlängerung der Abhängigkeit vom Elternhaus, eben durch eine sozialrechtlich induzierte Unmündigkeit. Die Religion darf mit 14 Jahren gewählt werden, der Bundestag mit 18 Jahren, der Wohnort, wenn eine Abhängigkeit von Transferleistungen besteht, mit 25 Jahren. Die generationale Ordnung, die über Altersgrenzen Zuweisungen regelt, ist hinsichtlich ihrer Altersgrenzen äußerst disponibel.
3.2
Der grundrechtliche Schutz durch Art. 6 GG
Der grundrechtliche Schutz des Artikels 6 GG bezieht sich direkt auf das durch Altersgrenzen geregelte Generationenverhältnis. Im Familien- und Kindschaftsrecht wird mit der Volljährigkeit, von einer formalen Beendigung von Kindheit und Jugend ausgegangen. Zusammenfassend wird der Inhalt von Art. 6 GG im Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht wie folgt beschrieben: „Art. 6 fasst mehrere Grundrechtsnormen mit unterschiedlichen Zielen zusammen. Gemeinsam ist ihnen der familiäre Lebensbereich. Dem Staat wird seine Rolle im Verhältnis zu Ehe und Familie, Eltern und Kindern verbindlich zugewiesen. Diesen Bereich soll er einerseits als personalen Freiraum respektieren, andererseits soll er durch gesetzgeberische
3.2 Der grundrechtliche Schutz durch Art. 6 GG
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Ausgestaltung und effektiven Schutz gewährleisten, dass die Voraussetzungen freiheitlicher Lebensformen hier tatsächlich bestehen. Art. 6 enthält Abwehrrechte, Schutzpflichten, Institutsgarantien und Diskriminierungsverbote.“ (Dieterich 2009, Rn. 1.)
Ausdrückliches Schutzgut von Art. 6 GG sind Ehe und Familie, nicht unmittelbar die Kinder. Die Familie ist ein wesentlicher Ort, in dem die Unterscheidung von Kindern und Erwachsenen sozial organisiert wird. Der andere zentrale Ort ist die Schule. Beide Orte sind für die Erziehung der Kinder zuständig. Familie und Schule sind die Orte, die unter dem „Wachen“ der staatlichen Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 2 GG) – Familie – oder unter der „Aufsicht des Staates“ (Art. 7 Abs. 1 GG Schulwesen) – Schule – für eine geordnete Kindheit zu sorgen haben. Damit die Familie leisten kann, was von ihr erwartet wird, wird Art. 6 Abs. 1 GG („Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“) in engen Zusammenhang mit dem sozialen Staatsziel von Art. 20 Abs. 1 GG gesehen (Maunz/Dürig/Badura zu Art. 6 GG 2009, Rn. 75). Über unterschiedliche, sich in der historischen Entwicklung wandelnde Formen der Familienpolitik, insbesondere durch Familienlasten- bzw. Leistungsausgleich, Kindergeldleistungen, soziale Leistungen wie Familienversicherung oder andere familienbezogene Leistungen, wie z. B. Elterngeld und Unterhaltsvorschuss obliegt dem Staat eine Familienförderung, die im besonderen Maß als verpflichtend gilt: „Förderung und Ausgleich durch Sozial- und Steuerrecht sind Sache sozial- und familienpolitischer Gestaltungsfreiheit, deren Spielraum sich in dem Maße einengt, in dem das Schutzbedürfnis für die Familie Förderung und Ausgleich nahe legt oder erzwingt, wie z. B. zur Sicherung des ,Existenzminimums‘“ (Maunz/Dürig/Badura zu Art. 6 GG 2009, Rn. 75).
Die Instrumente, mit denen die Förderung gestaltet wird, ändern sich mit der Veränderung familiärer Leitbilder. Der Einführung eines Betreuungsgeldes für Kinder unter drei Jahren, die nicht öffentliche Einrichtungen besuchen, liegt ein anderes Leitbild zugrunde als dem am Einkommen orientierten Erziehungsgeld oder dem von Ausbauprogrammen für Kindertagestätten. Der Leitbildwechsel (Ostner 2009, S. 73) von der Vorstellung, Kinder seien am besten bei der Mutter aufgehoben, zu der Vorstellung, eine Vergesellschaftung von Erziehung sei sowohl im Interesse von Kindern wie von Erwachsenen, weil sie soziale Kompetenzen der Kinder stärke und über Erwerbstätigkeit Müttern Chancen sozialer Teilnahme biete, führt zu Implementierungen anderer Instrumente. In pluralen Gesellschaften können diese Instrumente unterschiedlichen und, je nach den politischen Aushandlungsprozessen, auch gegenläufigen Charakter haben. Die im Sozialrecht im SGB VIII geregelte Kinder- und Jugendhilfe, die einerseits in der Jugendarbeit auf den Freizeitbereich, auf Orte außerhalb von Familie und Schule abzielt und andererseits über Familienförderung und Hilfe zur Erziehung Kontrolle und Korrekturmöglichkeiten der Familienerziehung bietet, ist ebenso dem sozialen Staatsziel verpflichtet.
66
3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
Dem Wortlaut nach befindet sich die Familie unter dem Schutz, nicht – wie die Schule – unter der Aufsicht des Staates. „Das in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 apostrophierte Wächteramt der staatlichen Gemeinschaft unterscheidet sich von dem eigenständigen Erziehungsauftrag des Staates in der Schule (Art. 7 Abs. 1 GG) und auch von der grundrechtlichen Schutz- und Förderungspflicht zur Unterstützung der Elternverantwortung“ (Maunz/Dürig/Badura zu Art. 6 GG 2009, Rn. 139), also vom allgemeinen Auftrag der Familienförderung.
Das „Wachen“ des Staates gemäß Art. 6 Abs. 2 GG enthält zwei Komponenten: Zum einen ist mit dem „natürlichen Recht der Eltern“ eine Pflichtbindung des Elternrechts gegeben, „nur wenn und soweit die Eltern – sei es auch ohne Schuld – der bei ihnen treuhänderisch aber autonom obliegenden Pflege und Erziehung des Kindes das Wohl des Kindes nachhaltig verfehlen, kann die staatliche Korrektur gerechtfertigt sein“ (Maunz/Dürig/Badura zu Art. 6 GG 2009, Rn. 139).
Zum anderen wird gemäß Art. 6 Abs. 3 eine ausdrückliche Schranke für das staatliche Eingriffsrecht in Bezug auf die Trennung von Kindern und Eltern bestimmt, insofern dies nur auf der Grundlage eines Gesetzes geschehen darf. Die einschlägigen Normen sind die §§ 1666 und 1666a. „In besonderer Betonung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ergänzt § 1666a Abs. 1 BGB die Generalnorm des § 1666 Abs. 1 BGB dahin, dass Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur zulässig sind, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfe, begegnet werden kann“ (Maunz/Dürig/Badura zu Art. 6 GG 2009, Rn. 41).
Der Vorrang der öffentlichen Hilfe verweist auf die Regelungen des SGB VIII (siehe Kap. 3.5). Über Gefährdungssachverhalte, d. h. über die Gefährdung des „körperlichen, geistigen und seelischen Wohls“ des Kindes, gibt es eine umfangreiche Literatur und eine ausführliche und im Wesentlichen hinreichende rechtliche Kasuistik (jurisPK/Bauer zu § 1666 BGB, 2008). Gerade die in der Öffentlichkeit aufgedeckten Todesfälle in Folge von Kindesmisshandlungen haben zu einer breiten Kinderschutzdiskussion und zu Gesetzesänderungen in Richtung der Betonung eines Schutzauftrags geführt, obwohl die Todesrate durch Kindesmisshandlungen entgegen der öffentlichen Wahrnehmung in den letzten 25 Jahren deutlich gesunken ist (Schumann 2009, S. 240, Tabelle S. 255). Die Reformen sind nicht unumstritten. Möglicherweise werden neue Eingriffsformen angestrebt, die das Verhältnis zwischen Eltern und Staat zugunsten staatlicher Eingriffe verschieben (vgl. Kap. 3.4). Allgemeine Schutzpflicht und Förderaufgabe des Staates nach Art. 6 Abs. 1 GG sind rechtlich wesentlich allgemeiner gefasst als die konkrete Ausweisung von Gefährdungssachverhalten im Zusammenhang mit dem staatlichen Wächteramt. Problematisch und streitig wird die Diskussion allerdings dann, wenn staatliche Eingriffe unter den Aspekten von Hilfe und Kontrolle abzuwägen sind und das „Wie“
3.2 Der grundrechtliche Schutz durch Art. 6 GG
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des Eingriffs zur Disposition steht, z. B. bei der Frage, wie der regelmäßige Schulbesuch gesichert werden kann. Ist die Einführung ausdrücklicher familienrichterlicher Gebote zur Einhaltung der Schulpflicht wie bei der Reform des § 1666 BGB zweckdienlich oder dienen Angebotsformen, die auf Interesse der Kinder und Jugendlichen abzielen, z. B. in Form von Schulverweigerer- bzw. Schulvermeiderprojekten durch Abholen der Kinder, gemeinsames Frühstück, Analyse und Abhilfe der einzelnen Schwierigkeiten in Gesprächen mit den Kindern und Jugendlichen, mit der Schule usw. eher diesem Ziel? Die Gesetze, die das Verhältnis zwischen Staat und den einzelnen Bereichen regeln, haben sich seit Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 grundlegend geändert. Wesentliche Elemente des generationalen Dispositivs wie vor allem die rechtlich abgesicherte männliche, väterliche Machtstellung scheinen sich, was den Wortlaut der Gesetzestexte angeht, geradezu aufgelöst zu haben. Spätestens mit der Kindschaftsrechtsreform, nach der Elternschaft unabhängig von der Ehelichkeit als Verhältnis zwischen den einzelnen Elternteilen und ihren Kindern bestimmt wird, scheint die Geschichte der Anpassung des Familienrechts an Art. 3 Abs. 2 GG (Gleichstellung zwischen Mann und Frau) trotz der „Zähigkeit“ (Plett 1994, S. 7) mit der sie erfolgte, abgeschlossen zu sein. Dieter Schwab verweist in der 16. Auflage des Lehrbuchs „Familienrecht“ auf zahlreiche und grundlegende Veränderungen des Familienrechts, wobei die „hauptsächlichen Leitgedanken der Reformen die Herstellung der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie die Stärkung der Rechte und Interessen der Kinder waren“ (Schwab 2008, S. 4). 3.2.1
Der Bezug zur UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK)
Die Diskussion um Kinderschutz und Kinderrechte wird vor dem Hintergrund der UN-Kinderrechtskonvention geführt, wobei die Konvention in erster Linie einen sozialen Schutzcharakter hat, der sich auf alle Lebensbereiche von Kindern bezieht (Coester, Hansen 1994, S. 27). Im Mittelpunkt der UN-KRK von 1989, in Deutschland in Kraft seit 05. 04. 1992, steht ausdrücklich der Schutz der Kinder, nicht der Schutz der Familie. Dieser Schutz ist in erster Linie als sozialer Schutz konzipiert, er richtet sich gegen ökonomische Ausbeutung und bezieht eine umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, gerade auch an Bildung ein. Die drei „P“s der Konvention Protektion (Schutz), Provision (Versorgung) und Partizipation (Teilhabe) sind durch unterschiedliche Grundgedanken miteinander verbunden und konstituieren insgesamt das, was Honig als Zeichen einer transkulturellen Universalisierung von Kindheitsnormen (Honig 1999, S. 97) bezeichnet. Auch für Bühler-Niederberger und Sünker besteht die Bedeutung der Konvention darin, dass sie „die ,best interests of the child‘ (das deutsche Kindeswohl – Einfügung im Text [das allerdings durch seine spezifische Bedeutung in deutschen Recht den englischen Ausdruck ,best interests‘ nicht hinreichend wiedergibt, BS]) im Kontext von Lebenslagen, Lebensweisen, Lebensqualität und politischer Beteiligung thematisiert“.
68
3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
Sie verstehen die Konvention „als relevanten Beitrag zur Neurelationierung des Verhältnisses von Schutz, Versorgung und Partizipation“ bei einer Privilegierung von Partizipation (Bühler-Niederberger, Sünker 2009, S. 180). Insbesondere drei Artikel der Konvention gelten für Fragen des Verhältnisses der Kinder zu ihren Eltern als wichtig: Im Artikel 9 werden die Vertragsstaaten als Normadressaten verpflichtet, das Recht des Kindes auf regelmäßigen Kontakt zu beiden Eltern im Falle einer Trennung zu sichern, im Art. 18 werden die Vertragsstaaten aufgefordert, sich darum zu bemühen, beiden Elternteilen die Verantwortung für ihre Kinder zu ermöglichen und nach Art 12 soll das Recht des Kindes festgeschrieben werden in allen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren, die seine Angelegenheiten berühren, angehört zu werden und seine Interessen zum Ausdruck bringen zu können. Artikel 9 wird als Recht des Kindes auf Umgang mit beiden Eltern im Trennungsfall interpretiert und aus Art. 18 wird entnommen, dass das Modell der gemeinsamen elterlichen Sorge den „Rechten“ des Kindes entspricht (z. B. Liebthal 2004, S. 97ff.). Diese Interpretationen verkennen allerdings die soziale und politische Zielrichtung der Konvention. Es geht nicht darum ihr einzelne „Kinderrechte“ wie „das Recht auf beide Eltern“ zu entnehmen und in bestimmte Sorgerechtsmodelle umzusetzen, sondern um konkrete Verbesserungen von Lebenssituationen hinsichtlich von Schutz, Versorgung und Beteiligung. Die Vertragsstaaten sollen Eltern weltweit grundsätzliche, vor allem soziale Möglichkeiten bieten, die Sorge für ihre Kinder tatsächlich ausüben zu können. Mit Verweis auf die Diskussion in Frankreich (in Frankreich erfolgt die gemeinsame Sorge mit der Vaterschaftsanerkennung, Kap. 6.6) kennzeichnet Irene Thery die Ideologie der neuen Rechte des Kindes, insbesondere des „Rechts auf beide Eltern“ als „postmoderne Form des Paternalismus“: … Sie (macht) die Sache der Kinder zu ihrer Sache und behauptet deren „wirkliche“ (Kennzeichnung im Text) Interessen zu vertreten, ohne dass eine Diskussion hierüber möglich wäre … Das ist nicht mehr jener der sagt. „Sei still mein Kind, ich weiß, was für Dich gut ist“, sondern dieser: „Zögere nicht, sprich Dich aus, denn ich bin Deine Stimme“ (Kennzeichnungen im Text) (Irene Thery 1994, S. 96).
Für Thery wird der Blickwinkel des Kindes dazu verwendet die Interessen der Erwachsenen zu kaschieren. Die Auslegung der Konvention unter dem eingeengten Aspekt der rechtlichen Regelung der elterlichen Sorge, hat nach Kerima Kostka zu einer Instrumentalisierung der Konvention geführt (Kostka 2004, S. 55ff.). 3.2.2
Stärkung der Rechte und Interessen der Kinder – Kinderrechte in das Grundgesetz
Im Zusammenhang mit dem Leitgedanken der Stärkung der Rechte und Interessen von Kindern wird die Einführung von Kindergrundrechten in das Grundgesetz diskutiert. Auch wenn Art. 6 GG in erster Linie Ehe und Familie schützt, hat das BVerfG 1968 in einer Entscheidung mit Gesetzesrang festgestellt, dass das Grund-
3.2 Der grundrechtliche Schutz durch Art. 6 GG
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gesetz „keine Altersgrenzen für die Verleihung von Grundrechten nennt oder kennt“ (Peschel-Gutzeit 2008a, S. 1). Das BVerfG stellte fest: „Das Wächteramt des Staates (GG Art. 6 Abs. 2 Satz 2) beruht in erster Linie auf dem Schutzbedürfnis des Kindes, dem als Grundrechtsträger eigene Menschenwürde und ein eigenes Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit i. S. des GG Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 zukommt“ (BVerfG 29. 07. 1968, Ls. 4).
Die Grundrechtsträgerschaft des Menschen von Geburt an gilt in der Rechtsprechung als nicht mehr umstritten (Peschel-Gutzeit 2008a, S. 2). Inwieweit allerdings die verfassungsrechtliche Konstellation umgesetzt wird und inwieweit und auf welche Weise mögliche Rechtsgüterabwägungen zwischen Elternrechten, Kinderrechten und Eingriffsrechten des Staates legitimiert und entschieden werden, ist im Einzelnen zu klären und unterliegt politischen Aushandlungsprozessen. Renate Künast verspricht sich von der Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz einen „Perspektivwechsel“ zum Kind hin (Künast 2008, S. 478), gerade auch im Sinne der Bereitstellung finanzieller Ressourcen. Sie schreibt: „Die Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft in Bezug auf Kinder darf sich nicht länger auf das denkbar niedrigste Niveau beschränken – die Abwehr von akuten Gefährdungen. Eine moderne Auffassung muss davon ausgehen, dass Staat und Eltern sich nicht antagonistisch gegenüber stehen, sondern an ihren gemeinsamen Interessen anknüpfen und das Zusammenwirken von Eltern und Staat stärken“ (Künast 2008, S. 480).
Wie und inwieweit im Einzelnen die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz deren Rechtspositionen stärkt, bleibt abzuwarten. Dass damit ausgerechnet die Bereitstellung finanzieller Ressourcen erreicht werden kann, legt fast den Verdacht einer politischen Rhetorik nahe. Es ist unwahrscheinlich, dass lediglich die fehlende explizite grundrechtliche Stellung der Kinder Kommunen, Länder und Bund gehindert hätte, Mittel und Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche sowie deren Familien bereit zu stellen. Grundrechte begründen weder individuelle Leistungsansprüche über Mindestbedingungen wie „Existenzminimum“ hinaus, noch verpflichten sie die Leistungsträger zu Leistungen in bestimmter Höhe und Qualität. Das bleibt auf den jeweiligen Ebenen nach wie vor (haushalts-)politischen und fachlichen Entscheidungen überlassen. Ebenso ist in Einzelregelungen auszuweisen, was unter einem Zusammenwirken von Staat und Familie zu verstehen ist. Kann der Staat z. B. eine familiäre Lebensweise wie die der gemeinsamen elterlichen Sorge leitbildmäßig vorgeben? Ist z. B. die Reform des § 1666 BGB von 2008 ein gutes Beispiel für Zusammenwirken von Staat und Eltern, wenn das Familiengericht nunmehr gegenüber den Eltern bestimme Gebote und Verbote aussprechen kann? Fraglich ist, wie bestimmte Gebote, insbesondere das nach § 1666 Abs. 3 Zi. 2 BGB, die Schulpflicht einzuhalten, wirksam durchgesetzt werden sollen, wenn nicht zugleich über den Ausbau attraktiver – kostenintensiver – Angebote von Schule oder Jugendhilfe für Schulverweigerer ein größeres Interesse von Kindern und Jugendlichen an Schule geweckt und die Akzep-
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3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
tanz der Schule erhöht wird. Die Einführung eines ausdrücklichen Gebots gegenüber den Eltern, die Schulpflicht einzuhalten im Rahmen des §1666 BGB, also der Norm, die gerichtliche Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdungen vorsieht, verweist möglicherweise auf eine veränderte Art des „Zusammenwirkens“ von Staat und Familie: Die Ahndung von Schulpflichtverletzungen ist erst nach dem zweiten Weltkrieg in den 60er Jahren in der Praxis liberalisiert worden. Zuvor wurde seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert auf Schulversäumnis der Kinder mit drakonischer Bestrafung der Eltern (Geldbußen, selbst Haftstrafen) reagiert (Bühler-Niederberger 2005a, S. 84). Fast drängt sich hier die Annahme auf, dass auf frühere Muster zurückgegriffen werden soll. Gegenwärtig wird mit Schulpflichtverletzungen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich umgegangen. Rechtlich möglich sind sowohl Bußgeld- und Zwangsgeldentscheidungen wie auch Haft (z. Z. wohl nur in Form von Androhungen insbes. dann, wenn Eltern ihre Kinder selbst beschulen wollen) möglich. Etwas anderes ist es, wenn Politikerinnen und Politiker den Ausbau konkreter Kinderrechte fordern. Künast fordert z. B. die Herabsetzung des aktiven und passiven Wahlalters auf 16 Jahre. Beteiligungsangebote nicht nur pädagogisch wie im SGB VIII (siehe Kap. 3.5) auszuweisen, sondern mit Rechten zu verbinden, hieße tatsächlich die Rechte von Kindern und Jugendlichen stärken. Künast problematisiert zu Recht die fraktionsübergreifende Forderung von 46 Bundestagsabgeordneten nach einem „Kinderwahlrecht“, das von den Eltern wahrgenommen werden soll, was eher auf eine Stärkung von Elternrechten hinauslaufen würde (Künast 2008, S. 481). Für die vorliegende Fragestellung ließe sich noch hinzufügen, nach welchen Kriterien bei Uneinigkeit der Eltern dann gemäß § 1628 BGB das Familiengericht einem Elternteil die Entscheidung übertragen sollte. Wenn für mehr Kinderrechte plädiert wird, sind diese im Einzelnen aufzuzeigen. Ein gut gemeinter Vorschlag wie der von Renate Künast, Kinderrechte in Art. 6 Abs. 2 GG neu aufzunehmen, könnte dann tatsächlich zu einem Mehr an Rechten beitragen, wenn einzelne Rechte an diesem Maßstab konkret, auch hinsichtlich nachvollziehbarer Altersgrenzen, die Kindern und Jugendlichen Entscheidungen zutrauen, ausgewiesen werden: „Jedes Kind hat ein Recht auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und den besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung. Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes und trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen.“ (Vorschlag Künast [Künast 2008, S. 482].)
Johannes Münder schlägt vor, in Art. 2 Abs. 3 GG eine entsprechende Formulierung aufzunehmen: „Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung zu einer freien, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Der Staat fördert dies durch die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. Er schafft die erforderliche Voraussetzung für eine an den Zielen der Entwicklung des Kindes ausgerichtete Gestaltung der Lebensverhältnisse von Kindern“ (Münder 2008, S. 18).
3.2 Der grundrechtliche Schutz durch Art. 6 GG
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Münder will die Kindergrundrechte als Teilhabe- und Leistungsrechte und als Förderungsverpflichtung des Staates verankern. Für ihn bedeutet das, zu überprüfen, welche tatsächlichen Rechte Kindern und Jugendlichen sowohl hinsichtlich der zivilrechtlichen Regelungen (ausdrücklich auch bezogen auf § 1671 Abs 2 Nr. 1 BGB, elterliche Sorge) als auch hinsichtlich der sozialrechtlichen Regelungen haben sollten. Es könnte z. B. geprüft werden, ob das Kindergeld ab einem bestimmten Alter nicht den Kindern selbst zukommen sollte (Münder 2008, S. 19). 3.2.3
Gleichberechtigung und Funktionsverlust der Ehe als sittliches Prinzip
Der andere Leitgedanke, die Herstellung der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, war keineswegs dem Partei nehmenden Reformwillen der Parlamentarier geschuldet. Vielmehr sind die Rechte als Anpassungsleistung des Rechts an veränderte Wirklichkeiten zu verstehen, gemäß Art. 117 GG als verfassungsmäßiger Auftrag oder zum Teil eingefordert durch das Bundesverfassungsgesetz (zunächst das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. 06. 1957). Vor allem aber wurden sie erforderlich durch die gesellschaftliche Veränderung der Stellung der Frau, ihrer Teilnahme am Erwerbsleben und das Einfordern gleicher Rechte trotz erheblicher Widerstände. „Gerade die Anfangsjahrzehnte der Bundesrepublik waren geprägt von einer konservativen Restauration der Geschlechterverhältnisse, auch mittels des Rechts. … Gegen all diese Widerstände hatten die Frauen in der Bundesrepublik zu kämpfen, daher trug das prononcierte Einfordern und Einklagen gleicher Rechte erst allmählich Früchte. Nur langsam wurde die Gleichberechtigung – mehr schlecht als recht – in einfaches Gesetzesrecht umgesetzt …“ (Plett, Berghahn 2000, S. 374).
Die Auflösung der bürgerlichen Familie, die an die Ehe und die hierarchische Stellung der Familienmitglieder zueinander, „d. h. per definitionem (an) die eingeschränkte Rechtssubjektivität der Frau“, S. 124) gebunden war, erforderte über einen langwierigen Prozess in mehreren Etappen (Überblick Schwab 2007b, S. 4, 5) auch rechtlich eine Neuordnung der generationalen Ordnung, die mit der Reform des Verfahrensrechts, dem FamFG, in Kraft seit 01. 09. 2009, einen vorläufigen Abschluss findet. Jede gesellschaftliche und rechtliche Veränderung im Gleichstellungsbereich wird offensichtlich von Widerständen begleitet, die möglicherweise auch die Funktion erfüllen, rechtliche Neuerungen so lange hinaus zu zögern, bis die Funktionen tradierter Institutionen und Vorstellungen sich in den Neuregelungen in anderen Formen und unter anderen Bedingungen generieren können. Die Ehe ist trotz des unveränderten Wortlauts des Art. 6 GG gegenwärtig „mehr und mehr zu einer unter Opportunitätsgesichtspunkten jederzeit auflösbaren Zweckgemeinschaft geworden“ (Zuck 2009, S. 1449), wie in der Rechtswissenschaft festgestellt wird. „Es war ein langer Weg von 1949 bis 2009. Er reicht von einem Ehebegriff, der die Geschlechtsgemeinschaft zwischen Mann und Frau nur in der Ehe erlaubte und dort empfängnisgeleitet zu verwirklichen war, bis zu freien Beziehungen zwischen Mann und Frau. … Die Scheidung ist inzwischen zum Pendant der Ehe geworden. Die dauerhafte Verbindung
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3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
gleichgeschlechtlicher Partner, früher im Einzelfall strafbar, ist legalisiert. Der Mann als Haupt der Familie hat ausgedient. Über die Rollenverteilung in der Ehe entscheiden die Ehegatten selbst“ (Zuck 2009, S. 1453).
Die Institutsgarantie bleibt weiterhin bestehen, aber eher als formale Hülle. Knieper und Heinsohn schreiben bereits 1976, den sich durchsetzenden Gleichberechtigungstrend aufnehmend, dass mit der Gleichberechtigung der Frau, die neben den Rechten auch alle Pflichten erhält, die dem Mann auferlegt waren (Unterhalt, Sorge für die Kinder), die Ehe ihre Funktion verliert. „Aus der Ehe kann nun niemand mehr ökonomische Vorteile ziehen. Sie stellt sich als lockere, einzig durch emotionale Bande gehaltene Verbindung zweier ökonomisch voneinander unabhängiger Lohnarbeiter dar. Pflichten und ökonomische Belastungen erwachsen ihnen erst dann, wenn sie Kinder haben … Die Familie stellt sich insofern als das Nebeneinander aktiver, latenter oder sich in Ausbildung befindlicher Lohnarbeiter dar, deren aufeinander bezogene materielle Fürsorglichkeit allein über staatliche Verordnung den Charakter von Notwendigkeit erhält … Für ein solches Nebeneinander ist die Tatsache der Verheiratung der Eltern relativ unwichtig“ (Knieper, Heinsohn 1976, S. 124).
Mit dem neuen Unterhaltsrecht vom 21. 12. 2007, in Kraft seit 01. 01. 2008, das den Unterhaltanspruch der geschiedenen Ehefrau dem der Frau nachordnet, die ein gemeinsames minderjähriges Kind mit dem geschiedenen Ehemann betreut, hat sich der vorausgesagte Trend erneut bestätigt. Generell gilt nach § 1569 BGB der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit nach einer Scheidung. Lediglich das Ehegattensplitting bleibt „zäh“ einem traditionellen Ehe- und Rollenverständnis verhaftet, weil es hier offensichtlich um den Erhalt von Bestandsprivilegien gerade für Männer geht. Konnte sich im Unterhaltsrecht im Parlament eine Koalition zwischen beruflich erfolgreichen Frauen, für die Erwerbstätigkeit eine Selbstverständlichkeit darstellt und denen ein Hausfrauendasein fremd ist, und Männern durchsetzen, denen die Entledigung alter Eheverpflichtungen genehm war, ist eine entsprechende Koalition in Bezug auf die Abschaffung des Ehegattensplittings angesichts der Vorteile, die Männer daraus ziehen, zur Zeit noch nicht möglich. 1956 galt für den BGH die Ehe als „engste menschliche Lebensgemeinschaft“. Zur „naturgegebenen Ordnung“ rechnete der BGH auch, dass der eheliche Verkehr dem Ziel der Empfängnis dient (zitiert nach Zuck 2009, S. 1450). Diese Ordnungsfunktion muss eine Ehe nicht mehr erfüllen, wenn nichteheliche Beziehungen gesellschaftlich voll akzeptiert sind und die Rechtsbeziehungen zwischen Kindern und Eltern gleich sind, unabhängig davon, ob diese miteinander verheiratet sind. 3.2.4
Die Ehe im Kindschaftsrecht: Eine Entscheidung der Ehepartner für die gemeinsame elterliche Sorge
Mit der Eheschließung wird hinsichtlich der Sorgerechtsregelungen die gemeinsame elterliche Sorge begründet, die regelmäßig seit 1998 auch für den Trennungsfall gilt. Nur hier hat die Ehe noch Auswirkungen auf das Kindschaftsverhältnis.
3.3 Die Familie als familiäre Lebensgemeinschaft
73
Außerhalb der Ehe bedarf die Übernahme der gemeinsamen elterlichen Sorge noch der ausdrücklichen übereinstimmenden Sorgeerklärung der Eltern nach § 1626a BGB (siehe Kap. 6). Mit der generellen Infragestellung der Anforderungen an eine übereinstimmende gemeinsame Erklärung der Eltern für die Übernahme der gemeinsamen elterlichen Sorge in der Reformdiskussion des § 1626a BGB würde jede Übereinstimmung, auch die mit der Eheschließung gegebene, überflüssig werden, setzte sich die weitestgehende Reformposition durch. Nach den am weitesten gehenden Forderungen würde automatisch eine gemeinsame elterliche Sorge mit der Geburt und der Vaterschaftsanerkennung durch den Vater gegeben sein, so wie z. B. in Frankreich (vgl. Kap. 6); es bedürfte keiner gemeinsamen Entscheidung über Eheschließung oder Sorgeerklärung. Coester schreibt zutreffend im Staudinger zu § 1626a BGB, dass gegenwärtig ohne elterlichen Konsens kein gemeinsames Sorgerecht zustande kommt. Er räumt ein, dass das im Fall der Ehe „selbstverständlich“ erscheint – „zur Heirat kann niemand gezwungen werden“. Seine Kritik richtet sich dagegen, dass bei Sorgeerklärungen das Einverständnis von beiden Elternteilen vorliegen muss und plädiert dafür, dass im Fall eines „übernahmewilligen Vaters“ diesem Zugang zur elterlichen Sorge ohne die Zustimmung der Mutter ermöglicht werden soll. Er hält es mit dem in Art. 6 GG garantierten Elternrecht für unvereinbar, dass die „sorgerechtliche Entfaltung des väterlichen Elternrechts praktisch zur Disposition der Mutter“ steht (Staudinger/Coester zu § 1626a 2007, Rn. 34). Andere Autoren halten ein gemeinsames Sorgerecht ohne Sorgeerklärung bei nicht miteinander verheirateten Eltern generell bereits im Fall der Geburt für geboten [z. B. (Spangenberg, Brigitte, Spangenberg, Ernst 2003, (vgl. Kap. 6)]. Würden sich diese Reformpositionen durchsetzen, wäre hinsichtlich des Kindschaftsrechts die Ehe vollständig bedeutungslos (Kap. 6). Insgesamt ist festzustellen, dass die Ordnungsfunktion, die die Ehe im generationalen Dispositiv zu erfüllen hatte, nämlich für die bürgerliche Familie den rechtlichen Rahmen zu setzen, aufgegeben ist. Die Institution Ehe ist als Strukturelement der generationale Ordnung weitgehend unbrauchbar geworden.
3.3
Die Familie als familiäre Lebensgemeinschaft
Rechtlich ist der grundrechtliche Schutz der Ehe gegenüber dem grundrechtlichen Schutz der Familie zurückgetreten. Gemäß den richtungweisenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (30. 01. 2002, 09. 04. 2003) wird in neuen Kommentaren übereinstimmend ein Familienbild bestätigt, das lediglich an das Zusammenleben mit Kindern anknüpft. „Die familiäre Lebensgemeinschaft (ist) ohne Rücksicht darauf, ob sie auf einer Ehe basiert, zum selbständigen Schutzgut erhoben“ (Maunz/ Dürig/Badura zu Art. 6 GG 2009, Rn. 61). Allerdings wird von konservativen Kommentatoren eine vollständige Entkoppelung von Ehe und Familie abgelehnt:
74
3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
„Erweiterungen des Familienbegriffes sind … nur dort mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar, wo sie die Verbindungslinien zwischen Ehe und Familie nicht vollends kappen. Das setzt voraus, dass der Familienbegriff auch im Falle seiner Erweiterung an einem Grundmodell ausgerichtet bleibt, das auf ehelichen oder zumindest prinzipiell ehefähigen Partnerschaften und deren umfassender Gemeinschaft mit Kindern basiert.“
Diese Kommentierung richtet sich ausdrücklich gegen „das Zusammenleben von gleichgeschlechtlichen und deshalb a priori eheunfähigen Verbindungen mit Kindern“ (Uhle, Beck Online Kommentar GG 15. 07. 2009, Rn. 18). Aber auch diese Rechtsauffassung ist bereits von der einzelgesetzlichen Vorschrift eingeholt und überholt worden, die eine Adoption von Kindern der Partner in einer Lebenspartnerschaft ermöglicht (§ 9 Abs. 7 LPartG). 3.3.1
Die familiäre Beziehung als abstrakter Rechtsbegriff
Die Unbestimmtheit des Familienbegriffs und seine Beschreibung als familiäre Lebensgemeinschaft, im neueren Sprachgebrauch eher bezeichnet als sozial-familiäre Beziehung, die nunmehr dem Schutz des Art. 6 GG unterliegt, macht eine Auslegung dessen, was in einfachgesetzlichen Regelungen mit Familie oder sozial-familiärer Beziehung gemeint ist, im Einzelfall richterabhängig. Es scheint sich hier ein neues Richterrecht zu etablieren, das die Anforderungen, die hinsichtlich Intensität und Dauer an eine sozial-familiäre Beziehung gestellt werden, breit gespannten Bewertungen unterwirft. Das BVerfG hat mit seinen oben genannten Entscheidungen den Begriff der sozial-familiären Beziehungen weit gezogen. In der Entscheidung zum Umgangsrecht des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters vom 09. 04. 2003 stellt das BVerfG fest: „Auch der biologische Vater bildet mit seinem Kind eine von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familie, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Der Grundrechtsschutz umfasst auch das Interesse am Erhalt dieser Beziehung. Es verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 GG, den so mit seinem Kind verbundenen biologischen Vater auch dann vom Umgang mit dem Kind auszuschließen, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient“ (BVerfG 09. 04. 2003, Leitsatz 2).
Im konkreten Einzelfall reicht für die Bereitschaft des BVerfG, eine sozial-familiäre Beziehung anzunehmen, die einen Rechtsanspruch auf Umgang auslösen kann, offensichtlich folgender Umstand aus: „Es gibt hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass er (der Beschwerdeführer) der leibliche Vater des Kindes sein kann. Das Kind trägt einen arabischen Namen. Nach Angaben des Beschwerdeführers hat er mit der Mutter des Kindes dessen Namen ausgesucht, mit ihr auch noch in den ersten Lebensmonaten des Kindes zusammengelebt und gemeinsam mit ihr das Kind betreut. Das Kind soll dem Beschwerdeführer ähneln“ (BVerfG 09. 04. 2003, Rn. 108).
In der Entscheidung des BVerfG vom 30. 01. 2002 wird eine familiäre Beziehung dann angenommen, wenn der Vater mitsorgeberechtigt ist, unabhängig davon, wie
3.3 Die Familie als familiäre Lebensgemeinschaft
75
sich konkret die Beziehung gestaltet. In diesem Fall war zu entscheiden, ob die Existenz einer familiären Beziehung ausländerrechtlich ein Abschiebehindernis darstellt. Der Beschwerdeführer, der gemeinsam mit der Mutter sorgeberechtigte Kindesvater, hat nicht ununterbrochen mit Kind und Mutter zusammengelebt, weil er teilweise auf der Flucht war, um eine Abschiebung zu verhindern. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass es auf ausländerrechtliche Erwägungen nicht ankomme. Vielmehr müsse, wenn eine gemeinsame elterliche Sorge vorliegt, eine familiäre Beziehung hinter ausländerrechtlichen Belangen zurücktreten. Es hat in diesem Zusammenhang auch ausgeführt, welche Anforderungen an die Qualität einer solchen Beziehung zu stellen sind und hat die Ausführungen der vorentscheidenden Instanz, des Bundesverwaltungsgerichts, zurückgewiesen, nach denen der konkrete Nachweis einer tatsächlich gelebten Beziehung nicht überzeugen könne. „Eine verantwortungsvoll gelebte und dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft lässt sich nicht nur quantitativ etwa nach Datum und Uhrzeit des persönlichen Kontakts oder genauem Inhalt der einzelnen Betreuungshandlungen bestimmen. Die Forderung nach Erfüllung objektiv messbarer und bestimmbarer Mindestkriterien für die Annahme aufenthaltsrechtlich schützenswerter Betreuungsleistungen lässt die in Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistete und vom Staat zu respektierende Autonomie der Eltern bei der konkreten Umsetzung ihrer elterlichen Pflichten und Rechte und der Ausgestaltung der gemeinsam getragenen Elternverantwortung außer Acht. Hinzu kommt, dass die Entwicklung eines Kindes nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt wird“ (BVerfG 30. 01. 2002, Rn. 29).
Auch wenn das Ergebnis der Entscheidung des BVerfG überzeugt, wird in der Begründung ein abstrakter Begriff der familiären Beziehung etabliert, der sich vor allem auf die formale Mitsorgeberechtigung bezieht und nicht in erster Linie darauf, dass wie im vorliegenden Fall das Kind, vertreten durch die Mutter als Beschwerdeführerin, den Schutz der – hier aus nachvollziehbaren Gründen nur sehr eingeschränkt lebbaren – familiären Beziehung nach Art. 6 GG selbst begehrt. Eine sozial-familiäre Beziehung kann sich rechtlich bereits durch ein Zusammenleben über mehrere Monate begründen bis hin zur bloßen Tatsache der Mitsorge, die das Kind zu einer „prägenden“ geistigen und emotionalen Auseinandersetzung veranlassen soll, auch ohne quantifizierbare Betreuungsleistungen. Im Rahmen des § 1685 BGB gewährleistet das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung neuerdings auch anderen Bezugspersonen (z. B. Großeltern) den Umgang mit dem Kind, soweit das dem Kindeswohl entspricht, auch gegen den Willen desjenigen, bei dem das Kind lebt. Eine sozial-familiäre Beziehung wird dann angenommen, wenn eine enge Bezugsperson tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat; das setzt in der Regel voraus, dass die Person mit dem Kind längere Zeit – wobei diese Zeit eben nicht bestimmt wird und möglicherweise ein halbes Jahr ausreichen kann – in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat (§ 1685 BGB).
76
3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
Der erweiterte Familienbegriff ist „noch für vieles offen“ (Schwab 2007a, S. 5). Der Begriff sozial-familiäre Beziehung assoziiert begrifflich das Bestehen einer real gelebten Beziehung und scheint damit als Anknüpfung geeignet zu sein, tatsächliche und rechtliche Verhältnisse in Übereinstimmung zu bringen. Wenn dieser Begriff allerdings formal geringe Anforderungen stellt, sich mit dem Bestehen einer nur rechtlichen Sorgerechtsbeziehung begnügt und ein Zusammenleben über wenige Monate nach der Geburt als begründend ansieht, dann besteht die Möglichkeit des Abgleitens ins Beliebige, wobei dem Staat, hier dem BVerfG und den Instanzgerichten, die Definitionsmacht zufällt, was als familiäre Lebensgemeinschaft oder sozial-familiäre Beziehung akzeptiert wird. In den angegebenen Beispielsfällen ging es jeweils um die Rechte derjenigen, die nicht die alltägliche Sorge für das Kind tragen, hier um Väterrechte. Es scheint, als würde mit dem Begriff der sozial-familiären Beziehung ein Familienbild etabliert werden, in dem beide Elternteile unabhängig von ihren tatsächlichen Sorge- bzw. Betreuungsleistungen gleichermaßen über rechtliche Präsenz verfügen. Anzumerken ist, dass rechtlich der Begriff der sozial-familiären Beziehung auch für familienähnliche Beziehungen verwendet wird. Der sozialwissenschaftliche Begriff der familialen Beziehung ist nicht übernommen worden. Ich verwende beide Begriffe im jeweiligen Kontext. 3.3.2
Der Familienbegriff im Sozialrecht
Schwab macht darauf aufmerksam, dass dagegen im Sozialrecht ein klar umrissener Familienbegriff definiert worden ist, „der allerdings nicht offen verwendet wird, sondern sich hinter Ausdrücken wie „Bedarfsgemeinschaft“ verbirgt“ (Schwab 2007a). Die Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft ist gemäß § 7 SGB II detailliert geregelt, Anspruchsvoraussetzungen für Transferleistungen bedürfen klarer Regelungen. Bei Menschen, die keinerlei Rechtsbeziehungen zueinander haben, wird nach einem Jahr des Zusammenlebens gesetzlich vermutet, dass sie Verantwortung füreinander tragen, das können auch Stiefeltern und Stiefkinder sein (Schwab 2007a, S. 6). Menschen, die in Wohngemeinschaften leben, müssen ggf. nachweisen, dass keine gegenseitige „Verantwortungsübernahme“, vermutet durch gemeinsames Bett und gemeinsamen Kühlschrank, vorliegt. Schwab hält es mit der Einheit der Rechtsordnung für nicht vereinbar, dass im Familien- und Sozialrecht zwei voneinander unabhängige Konstruktionen von Familie bestehen (Schwab 2007a). Der enge Begriff der Bedarfsgemeinschaft findet allerdings ausschließlich im Rahmen der Gewährung von Transferleistungen nach SGB II und ggf. nach SGB XII Anwendung und ist keineswegs für den gesamten Bereich sozialstaatlicher Familienförderung bestimmend. Für das SGB VIII ist vielmehr charakteristisch, dass je nach Intention der Förderung unterschiedliche Familienbegriffe verwendet werden. Die Förderung der Erziehung in der Familie nach §§ 16ff. SGB VIII – vor allem Bereitstellen von Beratungsangeboten, Familien-
3.3 Die Familie als familiäre Lebensgemeinschaft
77
bildung – z. B. richtet sich an Interessierte, an Mütter und Väter, die „für ein Kind zu sorgen haben oder tatsächlich sorgen“ (§ 17 Abs. 1 SGB VIII). Hier wird eher an einen Familienbegriff angeknüpft, der eine familiale Beziehung meint. Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27ff. SGB VIII dagegen können nur Personensorgeberechtigte beanspruchen. 3.3.3
Die Definitionsmacht des Staates über das, was als Familie gilt
Die Begriffe werden den unterschiedlichen Aufgaben der Ordnungssysteme angepasst, die sie zu erfüllen haben. Im Familienrecht macht die Offenheit des Begriffs sozial-familiäre Beziehung diesen für sich allein ungeeignet, auf individueller Ebene rechtlich eindeutig generationale Verhältnisse zu generieren und zu legitimieren. Mit der rechtlichen Entwertung der Ehe für das Kindschaftsrecht zerfällt auch der traditionelle Familienbegriff. Die Frage „Warum der Staat die Auflösung der Familie zulässt“ (Knieper, Heinsohn 1976, S. 109), beantworten Knieper und Heinsohn vor allem mit der wirtschaftlichen Entwicklung, die eine Erwerbstätigkeit von Frauen notwendig gemacht hat, es erfolgte eine „Freisetzung der Ehefrau zur Lohnarbeiterin“ (Knieper, Heinsohn 1976, S. 125). Der Text, in Zeiten der so genannten Vollbeschäftigung geschrieben, stellt auf die ökonomische Notwendigkeit ab, Frauen in den kapitalistischen Verwertungsprozess zu integrieren. Die bürgerliche Familie konnte mit ihrer Ausweitung auf kleinbürgerliche Schichten zum Zweck der Internalisierung bürgerlicher Anpassungstugenden ihre eigentumssichernde Funktion für die Masse der Lohnarbeiter nicht erfüllen, die nunmehr als Individuen, als Männer und Frauen gleichermaßen, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen hatten. Nach diesem – gewollten und für die wirtschaftlichen Gegebenheiten funktionalen – Funktionsverlust habe der Staat mit unterschiedlichen Instrumenten über die Ausdehnung sozialer und rechtlicher Eingriffsmöglichkeiten, vor allen über Familienpolitik, die Sicherung des Nachwuchses zu gewährleisten versucht, auch über die Übertragung von Rechten an Frauen und Kinder. Aus einer „repräsentativen Familienpolitik“ (Verweis auf Dieter Haensch „Repressive Familienpolitik, Sexualunterdrückung als Mittel der Politik“, Frankfurt 1969 in Knieper, 1976, S. 157) habe sich, widersprüchlich und unzureichend zwar, eine Politik zunehmender Gleichstellung und Gewährung von Rechten für die Kinder entwickelt. Der Staat, das ist eine ihrer zentralen Thesen, habe sich dabei in Ersetzung der Autonomie der bürgerlichen Familie die Steuerungsfunktionen zur Absicherung des Nachwuchses vorbehalten und nutze diese nach Opportunitätserwägungen. In Fortführung dieser Argumentation ist festzustellen, dass nach der allgemeinen Durchsetzung der Erwerbstätigkeit von Frauen, die familienpolitischen Instrumente heute soweit angepasst worden sind, als es nicht mehr generell um Sicherung des Nachwuchses geht, sondern um den Nachwuchs gut ausgebildeter Frauen, denen über das einkommensbezogene Elterngeld Anreize geboten werden sollen, Kinder zu bekommen (vgl. Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz BEEG).
78
3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
Der Staat hat sich in zunehmendem Maß die Definitionsmacht darüber vorbehalten, was Familie ist und wie er seine Förderungs- und Sozialleistungsinstrumente einsetzt. Im Familienrecht bestimmt er, „was mit welcher Rechtswirkung als familiäre oder sozial-familiäre Beziehung anerkannt wird und was nicht“ (Schwab 2007a, S. 7). In der Familienpolitik steuert er über unterschiedliche Förderungskonzepte und Gesetze, welche Gruppen oder Lebensmodelle unterstützenswert sind, im engen Bereich staatlicher Transferleistungen regelt er die Anspruchsvoraussetzungen und gegenseitigen Verantwortlichkeiten jenseits des Familienrechts des BGB. 3.3.4
Funktionen familienrechtlicher Regelungen im generationalen Dispositiv
Wenn gesellschaftliche Institutionen wie Ehe und traditionelle Familie ihre Funktionen nicht mehr erfüllen, ist zu prüfen, wie und inwieweit die Funktionen anders wahrgenommen werden oder ob und inwieweit Freiheitsentwicklungen sie transzendieren. Dazu ist es zunächst erforderlich, sich die traditionellen Funktionen und die sie erfüllenden rechtlich abgesicherten Institutionen und einzelgesetzlichen Regelungen zu vergegenwärtigen. 3.3.4.1 Die patriarchalische Ordnung der Familie – die Familie als kleinste Einheit des Staates 1994 schrieb Konstanze Plett: „Das Familienrecht des BGB ist der Ort des Privatrechtssystems, an dem die Grundlagen für die Diskriminierung von Frauen festgeschrieben wurden: es war und ist die Konstitution des Patriarchats“ (Plett 1994, S. 6). Zweifelsfrei hat die Durchsetzung der Gleichberechtigung neue Freiheiten ermöglicht, allein schon im Erwerbsleben. Es gibt im gegenwärtigen Familienrecht mit seiner geschlechtsneutralen Sprache auch keine offen – dem Wortlaut nach – diskriminierenden Regeln gegenüber Frauen. Eine andere Frage ist, inwieweit die bestehenden Regelungen Frauen, Männern und Kindern tatsächlich die Möglichkeit und Wahlfreiheit rechtlich abgesicherter, unterschiedlicher Lebensweisen eröffnen oder ob die bestehenden Sorgerechtsregelungen gerade Frauen und Kinder in der Gestaltung ihrer Lebenswirklichkeit als allein erziehende Familie (eine weit überwiegend durch Mütter bestimmte Familienform, vgl. Kap. 4) einschränken. Im historischen Rückblick beschreibt Dieter Schwab, dass nach der kurzen Zeit der Aufklärung, in der die Familie ihren Charakter als öffentliche Institution verlor und im französischen Recht unter Einbeziehung der Vertragstheorie und Ansätzen individualrechtlichen Denkens zur Erscheinungsform des Privatrechts wurde, mit der „Restauration“ in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts die auf der Ehe gegründete Familie nicht nur als Teilstruktur der Gesellschaft gesehen wurde sondern als ihr Fundament (Schwab 2007a, S. 2).
3.3 Die Familie als familiäre Lebensgemeinschaft
79
Familie galt „als Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft“ (Friedrich Nathan Volkmar, Philosophie der Ehe, Halle 1794), „die Grundlage alles edleren menschlichen und bürgerlichen Lebens, alles menschlichen und bürgerlichen Glücks“ (Carl v. Rottek, Artikel „Familie“ in das Staats-Lexikon). „In Familien“ – sagt Savigny – „sind die Keime des Staates enthalten, und der ausgebildete Staat hat Familien, nicht die Individuen unmittelbar zu Bestandteilen.“ (Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 1, 1840, S. 343.) Wobei das „Weib … nicht für sich, sondern nur mit der Familie (existiert)“ (Wilhelm Heinrich Riehl, Naturgeschichte des deutschen Volkes 1851–1869, Bd. 3, S. 18f. – alle Zitate nach Schwab 2007a, S. 2).
Die Begründungen, mit denen das Leitbild einer auf Ehe basierenden patriarchalischen Familie implementiert worden ist, standen im engen Zusammenhang mit der Herausbildung nationalstaatlicher Ideen. Der Gründung des Nationalstaats in Deutschland 1871 ging die Entwicklung eines Staatsverständnisses voraus, nach dem der Staat als angestrebter Nationalstaat seine politische Herrschaft „von unten“ zu legitimieren hatte. Der Nationalstaat war unabhängig von seiner Verfassungsform, d. h. auch als autoritär-akklamatorischer Staat, ein Bürgerstaat, in dem der allgemeine Status von Rechtsgleichheit und Staatsunmittelbarkeit galt (Osterhammel 2009, S. 607ff.). Da die Ideen von Rechtsgleichheit und Staatsunmittelbarkeit nur vom männlichen, geschäftstätigen Bürger aus gedacht wurden, der Eigentum zu vermehren und Erbe zu sichern hatte, liegt die These nahe, dass Zuweisung und Funktionsbestimmung der Familie als kleinste Einheit des Staats sich komplementär zu einem Staatsverständnis entwickelt hat, das auf einen Nationalstaat abzielt. Die Familie als „Singular“ – als „Bürger“, als kleinste bürgerliche Einheit – vertrat bürgerliche Interessen gegenüber dem Staat und unterlag zugleich seiner Herrschaft, die sich innerhalb der Familie als patriarchalische Herrschaft des Mannes widerspiegelte. Außerhalb der Ehe gab es im Zusammenleben mit Kindern, wie gezeigt wurde (Kap. 2), keine Familie, keinen Schutz, keine Interessensvertretung, es herrschte Unsittlichkeit. Wenn mit der formalisierten Gleichheit aller Individuen, unabhängig von Geschlecht und Stand, Staatsunmittelbarkeit und Rechtsgleichheit zum durchgängigen Prinzip werden, entwertet sich ein formales Ordnungselement, das die kleinste Einheit rechtlich zu verklammern hatte. Die Ehe als formalisiertes Rechtsinstitut wird als Ordnungsinstrument der staatlichen Ordnung überflüssig. 3.3.4.2 Die traditionelle Familie als sittliche Instanz Wenn von Campenhausen noch 1987 in der Familienrechtstradition des 19. Jahrhunderts hervorhebt, „der Grundrechtsschutz der Ehe sei die einzigartige Leistung der Ehe als sittlich-personale Lebensbeziehung und ihrer daraus folgenden öffentlichen Funktionen“ ([v. Campenhausen, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel. Das Beispiel von Ehe und Familie, VVDStRL 45,7] zitiert nach Plett 1994, S. 10), dann stellt sich angesichts des Funktionsverlustes von Ehe und der auf ihr basierenden
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3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
Familie die Frage, was aus „Sittlichkeit“ und ihrer Wahrnehmung öffentlicher Funktionen geworden ist. Mit Bezug auf Hegel, den Konstanze Plett als „geistigen Großvater“ (Plett 1994, S. 8) des BGB-Ehe- und Familienmodells bezeichnet, beschreibt sie die traditionellen Funktionen der Familie mit einem Hegelzitat wie folgt: „Die Familie vollendet sich in den drei Seiten: a) in Gestalt ihres unmittelbaren Begriffes als Ehe; b) in dem äußerlichen Dasein, dem Eigentum und Gut der Familie und der Sorge dafür; c) in der Erziehung der Kinder und der Auflösung der Familie“ ([Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaften im Grundrisse, 309; 1821, 1970, Frankfurt] zitiert nach Plett 1994, S. 10). Hegel passe die bürgerliche Familie „genau … in die (kapitalistisch-)bürgerliche Gesellschaftsordnung ein … ungeachtet dessen, dass die Voraussetzungen der persönlichen Relevanz von Eigentum und Erbrecht nur bei einem ganz kleinen Teil der Bevölkerung gegeben sind“ (Plett 1994, S. 10).
Für Plett schafft Hegel damit zugleich die Legitimation von Eigentum und Erbrecht und die Teilung der Gesellschaft in „freie, selbständige Personen, die für sich selbst sorgen (und) Leibeigene, für die der Herr oder der Staat sorgt“ ([Hegel, 306; 1821, 1970] zitiert nach Plett 1994, S. 10). Damit erhält die Familie einerseits eine die gesellschaftliche Machtverteilung begründende und legitimierende Funktion. Andererseits hat sie im privaten Bereich, „in welche(m) die Frau ihre substanzielle Bestimmung … hat“ ([Hegel, 319; 1821, 1970] zitiert nach Plett 1994, S. 12), die Sittlichkeit herzustellen, die gerade über die Erziehung der Kinder Akzeptanz und Anpassung an die gegebenen Strukturen garantiert. Der Staat ist nur dem Mann als Rechtssubjekt verpflichtet, dieser hat für die Familie einzustehen. „Die Familie als rechtliche Person gegen andere hat der Mann als ihr Haupt zu vertreten“ ([Hegel, 324; 1821, 1970] zitiert nach Plett 1994, S. 12). Die Mächtigkeit der Familie im Staat und die Mächtigkeit des Mannes als ihr Vertreter nach außen und gegenüber Frauen und Kindern nach innen wird, soweit sie ihre staatstragenden Funktionen erfüllt, belohnt mit der Idee ihrer inneren Autonomie. Schwab fasst zusammen, dass das Familienverständnis im 19. Jahrhundert und bis in das 20. Jahrhundert hinein von der inneren Autonomie der Familie geprägt war. „Da die Familie die Grundlage von Staat und Gesellschaft bildet, kommt dem Staat die Aufgabe zu, sie mit seinen Machtmitteln zu schützen. Die Familie unterliegt nur eingeschränkt der Gestaltung durch staatliche Gesetzgebung; das Rechtliche ist sekundär gegenüber der primär sittlichen Instanz der Familie. Die Familie ist als sozialer Körper weithin autonom“ (Schwab 2007a, S. 2).
Ein derartiges Familienverständnis ist nur möglich bei Zugrundelegung der naturrechtlichen Vorstellung, dass „die Familie unabhängig vom Staat (existiert)“, der Staat sie bereits vorfindet (Schwab 2007a, S. 2). “Ehe und Familie sind naturgegeben“ heißt es noch im Maunz/Dürig von 1980 (zitiert nach Plett 1994, S. 7).
3.3 Die Familie als familiäre Lebensgemeinschaft
3.3.5
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Familie als sozial-familiäre Beziehung
Das Familienrecht im BGB hatte von vornherein eine Sonderstellung im BGB, Ehe und Familie wurden als Institutionen behandelt und geschützt, vertraglichen Regelungen nur zugänglich, wenn gesetzlich ausdrücklich vorgesehen. Angesichts der bereits beschriebenen und entsprechend der ökonomischen Entwicklung auch folgerichtigen, aber auch gerade durch die Frauenbewegung bewusst erkämpften Macht- und Funktionsverluste ist zu fragen, welche Vorstellungen und Konstrukte heute die generationale Ordnung im staatlichen Ordnungssystem bestimmen. Familie als sozial-familiäre Lebensgemeinschaft gesehen, versteht sich zwar generell als Lebensweise von Erwachsenen und Kindern, wird in ihrer äußeren Form aber durch die einzelnen Rechtsbeziehungen zwischen den Kindern und ihren Elternteilen definiert. Was eine sozial-familiäre Beziehung ist, unterliegt der rechtlichen Bewertung dessen, was sich über Abstammung, tatsächlich gelebte Beziehung und Sorgerechtsbeziehung sozial konstituiert hat. Eine sozial-familiäre Beziehung enthält also in ihrer rechtlichen Bestimmung stets ein konstruktivistisches Element. In der Tradition familiärer Autonomie ist Art. 6 GG nach wie vor formal auch als Schutzrecht vor staatlichen Eingriffen ausgestaltet, es „basiert auf der selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Freiheit der die Ehe und die Familie bildenden Personen“. Jedoch ergibt sich Autonomie heute nicht mehr aus der „Immunität der Familie gegenüber dem Staat, sondern als Effekt der Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen“ (Maunz/Dürig/Badura zu Art. 6 GG 2009, Rn. 2). Der Staat tritt dem Einzelnen gegenüber auf, „sobald Kinder geboren sind oder sobald man öffentliche Mittel in Anspruch nimmt“ (Schwab 2007a, S. 7), wobei der Staat stets dann, wenn öffentliche Mittel bereit zustellen sind oder wenn er sein Wächteramt präventiv oder vollziehend wahrnimmt, in seiner Definitions- und Verfahrensmacht gestärkt wird. In einer Gesellschaft, in der Vollbeschäftigung nicht gewährleistet werden kann und in der viele Menschen, vor allem allein erziehende Mütter (s. Kap. 4) auf Transfermittel, auf Grundsicherung angewiesen sind, tritt der Staat als eine die ökonomischen Aspekte privater Beziehungen im Detail regulierende und definierende Instanz auf. Er legt im Sozialrecht Bedarfsgemeinschaften und die daraus resultierenden gegenseitigen ökonomischen Verpflichtungen ihrer einzelnen Mitglieder fest, z. B. des Stiefvaters zu den Kindern der Mutter. Dabei greift er auf ein eher traditioneller Sittlichkeit entnommenes Label, das des „Förderns und Forderns“ (§§ 1ff. SGB II) zurück, welches an (problematische) innerfamiliäre Erziehungsleitbilder erinnert. Familie erfährt in der Bedarfsgemeinschaft eine neue, rechtlich abgegrenzte Definition, die an traditionelle, vormals an Ehe gebundene Unterhaltsbeziehungen anknüpft. Wenn Kinder geboren sind, tritt der Staat als die Instanz auf, die die Zugehörigkeit von Kindern zu ihren Eltern als jeweils individuelle Elternteile über Abstammung und Sorgerecht regelt, eben weil die auf Ehe basierende Familie ihre zuschrei-
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3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
bende Bedeutung verloren hat. Die Herstellung der Sittlichkeit, die Gewährleistung der „guten Kinderstube“ und eines „anerzogenen Selbstzwang(s)“ (Bühler-Niederberger, Sünker 2006, S. 42), d. h. die Internalisierung herrschender Normen und Werte, als deren Garant Ehe und Familie mit großem Begründungsaufwand ausgewiesen worden sind, wird zunehmend über die Kodifizierung positiver Erziehungsziele (z. B. Erziehung zur Selbständigkeit § 1626 Abs. 2 BGB; Recht auf gewaltfreie Erziehung § 1631 Abs. 2 BGB ) und staatlicher, jugendhilferechtlicher Interventionsstrategien, d. h. durch öffentliche Erziehung versucht zu erreichen. Die „innere Autonomie“ der Familie war stets gebunden an die Erfüllung der zugewiesenen Leitbilder. Der Schutz, der Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG zukommt, ist der der staatlichen Ordnung. Familie war zu keinem Zeitpunkt ein freies Gebilde persönlicher Lebensweisen, lediglich in der vorgegebenen generationalen Ordnung erlangte sie die – partielle – Autonomie, über das „Wie“ der Erfüllung zugewiesener gesellschaftlicher Aufgaben zu bestimmen. Wenn nach Art. 6 Abs. 2 GG Pflege und Erziehung als das „natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegenden Pflicht“ anerkannt werden, heißt es zugleich, dass über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft „wacht“. In diesem „Wachen“ ist einerseits der Kinderschutzgedanke aufgehoben, andererseits weist es auf Kontrollansprüche hin, plurale Lebensgestaltungen nur im vorgegebenen Ordnungsrahmen zuzulassen. Der Ordnungsrahmen wird nicht mehr durch die auf der Ehe basierende Familie vorgegeben, sondern gegenwärtig als sozial-familiäre Beziehung definiert und konstruiert. Nicht Schutzrechte Einzelner, nicht mütterliche oder väterliche Autonomie oder Rechte von Kindern stehen im Mittelpunkt, sondern die Kontrolle von Pflege und Erziehung in unterschiedlichen familiären Modellen, deren Gemeinsamkeit sich entsprechend dem vorherrschenden Leitbild im gemeinsamen elterlichen Sorgerecht ausdrückt. Auch wenn, wie Schwab ausführt, der Autonomiegedanke sich heute aus den Persönlichkeitsrechten Einzelner ergibt, findet er nach wie vor seine Grenze in Vorschriften, die insbesondere über Sorgerechtsverteilungen – die stets beide Elternteile sowie die Kinder berühren – die Art und Weise regeln, in der Pflege und Erziehung stattzufinden hat (Schwab 2007a).
3.4
Kinder- und Jugendhilfe – sozialstaatliche Einflussnahme auf Kinder und Familien
Neben den familienrechtlichen Regelungen des BGB enthält vor allem das SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz, KJHG) die rechtliche Grundlage staatlicher Intervention. Zu beachten ist dabei, dass dieses Gesetz, wie alle den Sozialstaat regulierenden Einzelgesetze, dem Grundsatz der Subsidiarität (Münder 2007) verpflichtet ist. Angebote und Hilfen, die von nichtstaatlichen Institutionen und Organisationen dargeboten werden, sind Angeboten staatlicher Träger vorzuziehen, wobei die Finanzierung der Angebote und Hilfen weit überwiegend durch staatliche
3.4 Kinder- und Jugendhilfe – sozialstaatliche Einflussnahme auf Kinder und Familien
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Zuschüsse erfolgt. Da im gegebenen Zusammenhang dieser Aspekt, der für die gesamte Angebotsstruktur, für Wahlmöglichkeiten und Innovationspotentiale von sehr hoher Bedeutung ist, keine grundsätzliche Rolle spielt, werden hier, wenn von sozialstaatlicher Einflussnahme gesprochen wird, die großen Träger in der Kinder- und Jugendhilfe wie Caritas, Diakonie, AWO, DPWV u. a. mitgedacht. Zentrale gesetzliche Grundlage sowohl für die Umsetzung des allgemeinen Förder- und Schutzauftrags des Staates wie auch für die Bereitstellung öffentlicher Hilfen im Falle von Kindeswohlgefährdungen ist das SGB VIII vom 26. 06. 1990. Nach dem am 01. 01. 1991 in Kraft getretenen Gesetz soll entgegen dem alten JWG (Jugendwohlfahrtsgesetz) Hilfe und Förderung vorrangiges Ziel der Kinder- und Jugendhilfe sein, nicht Kontrolle. In § 1 Abs. 1 SGB VIII wird das Programm genannt: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“. Das Gesetz umfasst den gesamten Komplex von allgemeiner Jugendarbeit (Jugendhilfe), Familienförderung, Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen, Hilfe zur Erziehung, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche, andere Aufgaben wie Inobhutnahme, Mitwirkung bei familienrechtlichen und jugendstrafrechtlichen Gerichtsverfahren, und es regelt Fragen der Trägerschaft, der Zusammenarbeit und der Gesamtverantwortung. Es ist die zentrale Vorschrift, die staatliche Interventionen außerhalb von Familie und Schule im generativen Verhältnis sozial organisiert und die zugleich vielfältigen Einfluss auf Familien nimmt. 3.4.1
Die Grundorientierung des SGB VIII
Aus meiner Sicht sind in der Gesamtperspektive des SGB VIII vier Merkmale hervorzuheben (vgl. auch Münder 2007): – Der emanzipatorische Anspruch des Gesetzes hat seine Grenzen in nicht ausgewiesenen konkreten Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen. Ihre mögliche Beteiligung ist Teil der fachlichen Qualität der Arbeit, nicht Ausdruck von Rechten. Kinder und Jugendliche werden eher als Zielgruppe als als Akteure wahrgenommen. – Das Gesetz ist hinsichtlich seiner Angebote und Interventionsmöglichkeiten im Bereich der Hilfe zur Erziehung elternorientiert; auch im Rahmen der Förderung der Erziehung in der Familie richten sich die Angebote in erster Linie an die Eltern. – Kinder- und Jugendarbeit unterliegt im Wesentlichen im Rahmen der allgemeinen Vorschriften (z. B. hinsichtlich des Kinderschutzes oder des Datenschutzes) und der gesetzlich zu erbringenden Pflichtleistungen (z. B. Rechtsanspruch auf einen Kindertagestättenplatz) der Ausgestaltung durch die kommunale Selbstverwaltung. Unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips steuert der Jugendhilfeausschuss – zu dem als ein Teil das Jugendamt gehört – die Jugendhilfeplanung
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3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
(§§ 69ff., §§ 80, 81 SGB VIII). Angebote und Ausstattungen im Bereich der Kindertagesstätten, der Beratungseinrichtungen, der Kinderheime und Wohngemeinschaften, der Jugend- oder Nachbarschaftshäuser usw., der Umfang der bereitgestellten Mittel auch für einzelne Projekte wie z. B. Mädchenhäuser, Jungenbüros, koedukative Sporttreffs oder Schulschwänzerhilfen unterliegen, unabhängig davon, ob in öffentlicher oder freier Trägerschaft, den politischen und fachlichen Aushandlungsprozessen im Jugendhilfeausschuss und in der Gebietskörperschaftsvertretung (z. B. dem Stadtrat). Konzeptionen und Qualität der Arbeit sind der öffentlichen und politischen Diskussion zugänglich. Das beinhaltet einerseits ein starkes Element demokratischer Kontrolle, allerdings durch Erwachsene, solange es kein aktives Wahlrecht für Jugendliche gibt und solange keine formalisierten Beteiligungsformen vorhanden sind. Zwar sollen nach dem sozialpädagogischen Leitgedanken der Partizipation Kinder und Jugendliche beteiligt werden, das „Wie“ und „Wann“ bleibt aber den erwachsenen Entscheidungsträgern überlassen. Der Jugendhilfeausschuss ist eine Veranstaltung ohne Jugendliche. Andererseits besteht in besonderem Maße eine Bindung der Kinder- und Jugendarbeit an die jeweiligen fachlichen und vor allem politischen Diskurse. Die Kinder- und Jugendarbeit steht, wahrscheinlich noch stärker als die den Ländern zugeordnete Schulpolitik, unter dem Einfluss gängiger, sich wandelnder Leitbilder, die nicht zuletzt kommunalpolitisch vermittelt werden. Wenn z. B. das Leitbild gemeinsamer elterlicher Sorge Übereinstimmung findet, werden Beratungsstellen (gemäß § 17 SGB VIII Pflichtberatung) entsprechender Ausrichtung gefördert. – Jugendhilfe hat grundsätzlich eine doppelte Funktion: Es hat einerseits Räume und Hilfe für Kinder- und Jugendliche sowie deren Eltern zur Verfügung zu stellen und andererseits den Kinderschutz in seinen vielfältigen Formen, gerade auch als elementaren Schutz bei Gefährdungen durch die Erziehungsberechtigten, zu sichern, was stets auch mit Kontrollfunktionen verbunden ist. Insbesondere die Kinderschutzfunktion, die eng mit Kontrollaufgaben verbunden ist, unterliegt einem aktuellen Diskurs. Mit dem Anspruch, Kinder schützen zu wollen, sind vielfältige Steuerungen möglich. Seit den in der Öffentlichkeit diskutierten Formen von Kindeswohlverletzungen bis hin zum Tod auch von Kindern, die dem Jugendamt bekannt und in Hilfeprozesse eingebunden waren, wird den „von der Gesetzesidee her“ auch bestehenden, kontrollierenden Aufgaben ein gleichrangiger Platz neben den Hilfeaufgaben eingeräumt (Oberloskamp 2008, S. 45). Der große Bereich des SGB VIII ist hier unter zwei Gesichtspunkten zu berücksichtigen: – In der Gesamtkonstruktion im Hinblick auf das Bild von Kindern als „Akteuren“ bzw. als zu schützenden Abhängigen. Werden Kinder als eigenständige und gemeinschaftsfähige Persönlichkeiten im Jetzt, im jeweiligen Alter und nicht im Hinblick auf ein zukünftiges, wünschenswertes Entwicklungsstadium als Erwachsene gesehen, oder steht eher der Gedanke des Schutzes im Mittelpunkt, und zwar
3.4 Kinder- und Jugendhilfe – sozialstaatliche Einflussnahme auf Kinder und Familien
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des Schutzes vor realen Gefährdungen wie vor möglichen oder vermeintlichen Gefährdungen wie z. B. durch Trennungen? – In seinen Einzelregelungen, die Fragen der Beratung in Sorgeangelegenheiten gerade bei Trennungen und der Mitwirkung in Verfahren vor dem Familiengericht (Kap. 8) berühren. 3.4.2
Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern- und Jugendlichen
Ausdrücklich wird in § 8 SGB VIII das Beteiligungsgebot von Kindern und Jugendlichen festgelegt „Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen“ (§ 8 Abs. 1 SGB VIII). Diese Form der Beteiligung „entsprechend dem Entwicklungsstand“ ohne Altersangabe, ohne Angabe konkreter Mitbestimmungs- oder Verweigerungsmöglichkeiten durchzieht das gesamte Gesetz. Beteiligungsrechte werden wie z. B. in § 36 SGB VIII (Mitwirkung, Hilfeplan) lediglich als Anhörungsund Informationsrechte konkretisiert (Kap. 8). In der allgemeinen Jugendarbeit sind Kinder und Jugendliche Adressaten unterschiedlicher Programme, die pädagogisch sehr wohl weitergehende Beteiligungsformen bzw. Partizipation beinhalten können und solche auch oftmals als Zielsetzung ausweisen (z. B. Stange, Meinhold-Henschel & Schack 2008, Krafeld 2008). Im Bereich der Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27ff. SGB VIII sind Kinder und Jugendliche weder die Antrags- noch die Leistungsberechtigten, was auch von Münder kritisiert wird (Münder 2008, S. 19). Sie dürfen entgegen der Vorschrift des § 36 Abs. 1 SGB I (Recht von Jugendlichen, ab 15 Jahren Anträge auf soziale Leistungen zu stellen) keine Anträge auf Sozialleistungen im Sinne des SGB VIII stellen. Das bleibt den Personensorgeberechtigten überlassen. Auch das Wunsch- und Wahlrecht ist als Recht des Leistungsberechtigten, als Elternrecht, nicht als Recht von Kindern und Jugendlichen ausgestaltet. Gemäß § 17 SGB VIII haben Mütter und Väter, nicht die Kinder und Jugendlichen im Rahmen der Jugendhilfe Anspruch auf Beratung im Trennungs- und Scheidungsfall. Gerade hier wird deutlich, dass eine Trennungsund Scheidungsberatung als Elternfrage gesehen und nicht einmal vom Anspruch her als Frage gedacht wird, die Kinder und Jugendliche als „nicht normative Krise“ (vgl. Kap. 4) unmittelbar berührt. In einer den Reformbedarf aufzeigenden Schrift des Bundesjugendkuratoriums (Bundesjugendkuratorium 2009) werden vielfältige Vorschläge an Bund, Länder und Kommunen gemacht, Partizipation als strukturelles Element auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit zu verankern. Bedauert wird, „dass die Mehrzahl von Kindern und Jugendlichen nicht über ausreichende Beteiligungsmöglichkeiten bei den sie betreffenden Entscheidungen verfügt“ (Bundesjugendkuratorium 2009, S. 5). Partizipation soll sich auf alle „Entscheidungsprozesse des Alltagslebens im Sinne von Alltagsdemokratie“ (Bundesjugendkuratorium 2009, S. 7) beziehen und wird ausdrücklich als „ein Recht“ (Bundesjugendkuratorium
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2009, S. 9) der Kinder bezeichnet. Auch wenn die eher politisch beziehungsweise sozialpädagogisch konzipierten Vorschläge und Überlegungen überzeugen, bleiben sie, was ihre rechtliche Komponente betrifft, vollständig abstrakt. Weder Zielsetzungen noch Umsetzungsvorschläge rechtlicher Reformmöglichkeiten werden erwähnt. Das gilt auch für den Bereich der Familie. Ausdrücklich heißt es im Verweis auf eine empirische Studie der Bertelsmannstiftung, dass Kinder und Jugendliche „in der Familie im Vergleich zu anderen Lebensbereichen am meisten mitbestimmen können; die Kinder sind mit den Möglichkeiten zur häuslichen Mitbestimmung insgesamt zufrieden“ (Bundesjugendkuratorium 2009, S. 13).
Damit sind offensichtlich die Beteiligungsmöglichkeiten innerhalb des familialen Zusammenlebens gemeint. Nachgefragt worden ist nicht, ob die Kinder und Jugendlichen sich im Falle der Trennung mit den fehlenden Mitbestimmungsmöglichkeiten begnügen. Wenn es darum geht, über Fragen des Sorgerechts oder des Umgangs mit zu entscheiden, dann sind die rechtlichen Möglichkeiten äußerst eingeschränkt. Der Kindeswille ist im Kindschaftsrecht ein weit interpretierbarer Begriff (vgl. Kap. 8). Die verhältnismäßig hohe Zufriedenheit der Kinder und Jugendlichen im Bereich familiärer Mitbestimmung zeigt eher einen Wandel der inneren Beziehungen im Generationenverhältnis als eine öffentliche, staatliche Akzeptanz auch rechtlich kodifizierter Partizipation. Nach zwei Normen können Kinder und Jugendliche ohne Altersbegrenzung direkte staatliche Hilfe durch das Jugendamt zunächst ohne Zustimmung der Eltern erwarten: – Nach § 8 Abs. 3 SGB VIII ist eine Beratung von Kindern und Jugendlichen ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigten möglich „solange durch die Meldung an den Personensorgeberechtigten der Beratungszweck vereitelt würde“ (§ 8 Abs. 3). Diese Norm dient häufig als Auffangnorm. Kinder und Jugendliche können sich in diesem Zusammenhang in Kinderschutzsachen aber auch in Trennungs-, Scheidungs- und Umgangsfragen beraten lassen. Wenn Kommunen oder freie Träger Kinder- und Jugendnottelefone oder Beratungen einrichten, bietet diese Norm auch dafür die rechtliche Legitimation. – Gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII können Kinder und Jugendliche jeden Alters um Inobhutnahme bitten. Aufgabe des Jugendamtes ist es dann, das Gefährdungsrisiko einzuschätzen, das Kind oder den Jugendlichen den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zu übergeben oder das Familiengericht anzurufen. Auf der Grundlage dieser Norm sind Einrichtungen des Kinderschutzes für Kinder und Jugendliche, z. B. Mädchenschutzhäuser und Kinderschutzzentren aufgrund politischer Forderungen geschaffen worden. Das SGB VIII ist nach wie vor ein an Rechtspositionen der Personensorge- bzw. Erziehungsberechtigten orientiertes Gesetz. Der folgenden Einschätzung von Honig ist deshalb nur bedingt zuzustimmen:
3.4 Kinder- und Jugendhilfe – sozialstaatliche Einflussnahme auf Kinder und Familien
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„Das KJHG schafft Leistungsansprüche und Beteiligungsrechte von Kindern, vor allem aber soll Jugendhilfe die Lebensbedingungen von Kindern im Sinne einer Prävention sozialer Probleme mitgestalten. Damit wird eine öffentliche Verantwortung für die Lebensbedingungen von Kindern anerkannt“ (Honig 1999, S. 101).
Die Anerkennung öffentlicher Verantwortung ist unbestritten. Unbestritten ist auch, dass diese oftmals in einer Weise wahrgenommen wird, die die Interessen von Kindern und Jugendlichen über unterschiedliche Partizipationsformen in Projekten und sozialpädagogischen Unternehmungen im Bereich der Jugendarbeit und auch im Bereich der Hilfe zur Erziehung zum Tragen bringt. Aber das bleibt dem Impetus und der Kompetenz des in diesen Bereichen tätigen Personals überlassen, seinen pädagogischen Vorstellungen und seiner pädagogischen Qualifikation. Das Gesetz selbst kennt die Eigenständigkeit im Sinne von Kindern als Akteuren eben nicht an. In Situationen der Trennung und Scheidung haben z. B. Kinder und Jugendliche keine eigenen expliziten Beratungsansprüche durch das Jugendamt oder z. B. einen Anspruch darauf, sich übergangsweise auch räumlich von beiden Eltern zu distanzieren, wenn keine Kindeswohlgefährdung vorliegt. 3.4.3
Staatliche Ordnungsbestrebungen
Doris Bühler-Niederberger kennzeichnet die Bemühungen um eine geordnete Kindheit in Familie und Schule in einem historischen Rückblick wie folgt: „Der Blick in die Geschichte der Architektur des generationalen Verhältnisses ist ein Einblick in misstrauische, ängstliche Ordnungsbestrebungen, die sich außerdem paarten mit der kleinkrämerischen Hoffnung auf wirtschaftlichen Profit durch mehr Fleiß.“ (BühlerNiederberger 2005a, S. 52.)
Sie räumt ein, dass das bestehende Arrangement „Unbehagen bereitet“ und Demokratisierungstendenzen in der Familie und in der Gesellschaft in andere Richtungen weisen, betont aber, dass manche Diskussionen und Entscheidungen, die unter dem Stichwort Kinderrechte stehen, den Eindruck erwecken, „dass es vor allem darum gehe, das generationale Dispositiv gegen Einbrüche an seinen Rändern zu verteidigen: Neue Regelungen zur elterlichen Sorge nach der Scheidung sichern die feste Zuordnung der Kinder zu ihren biologischen Eltern und schließen für die Kinder die Möglichkeit aus, familiäre Positionen auch wählen zu können. Diskussionen über das Wahlrecht werden sofort mit der Frage verknüpft, ob damit mehr Akzeptanz gesellschaftlicher Institutionen anerzogen werden könnte … Werden Kinder Gegenstand politischer Debatten, so erscheinen sie in erster Linie als bedürftige Kinder, und die Bedürftigkeit impliziert den Gehalt einer Gefährdung der Kinder und eine Gefahr für die soziale Ordnung.“ (Bühler-Niederberger 2005a, S. 54.)
Bühler-Niederberger verweist darauf, dass das Misstrauen, das dem generationalen Dispositiv in unterschiedlichen Formen staatlicher Kontrolle gegenüber Familie und Schule gleichermaßen innewohnt, sich nicht nur gegen Kinder richtet, sondern eben-
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3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
so auf die Eltern abzielt. Eltern können eben nicht eine sozial-familiäre Beziehung nach ihren Wünschen und Prioritäten bilden und leben, z. B. als rechtlich eigenständige Einelternfamilie. Sie können ihre Beziehung zu ihren Kindern im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterhalb einer Kindeswohlgefährdung nicht soweit frei gestalten, als sie selbst in Absprache mit ihren Kindern z. B. Umfang und Art und Weise des Umgangs festlegen, sondern unterliegen einem System staatlich vorgegebener Leitbilder und Kontrollen (vgl. Kap. 7). Ilona Ostner konstatiert eine zunehmende Entfamilisierung „von oben“. Unter dem Anliegen des Kinderschutzes und der Gefährdung, die sie als „problematisches Problem“ bezeichnet (Ostner 2009, S. 65), führe die Rede vom „Familienversagen“ zu einer Verunsicherung von Eltern, in deren Folge die Überzeugung entstehe, dass „andere – z. B. Professionelle oder allgemeiner: der Staat – es besser können“. Sie führt aus, dass Eltern immer weniger davon überzeugt sind, „es besser zu wissen, obwohl davon ausgegangen werden kann, dass die Sensibilität der Eltern für das Wohl der Kinder stetig zugenommen hat. Dieses vermeintliche Unwissen – man könnte auch sagen: diese Erosion des lebensweltlichen (selbstverständlichen) Wissens – vergrößert nun den Raum für frühzeitigere Eingriffe des Staates in die Familien und hilft, diese zu legitimieren“ (Ostner 2009, S. 82).
Ostner weist darauf hin, dass man gerade nach Vorfällen in Bremen, Wuppertal und Hamburg, bei denen trotz professioneller Hilfen Kinder zu Tode misshandelt worden sind, sich nicht auf berufsmäßige Kontrolleure und Betreuer verlassen kann. Hier ist zudem die Frage, ob das im Kinderschutz vorgegebene Leitbild, nach dem ambulante Hilfen (die erheblich kostengünstiger sind) Fremdplatzierungen vorzuziehen sind, in konkreten Einzelfällen Fehlinterpretationen begünstigt. Wenn dann derartige Fehlentscheidungen hinsichtlich konkreter Gefährdungen zum Vorwand genommen werden, allgemeine Kontrollen zu verdichten, dann dient das nicht dem Schutz einzelner Kinder sondern begünstigt ein Klima sozialstaatlicher Interventionen. Die einzelnen Konkretionen sozialstaatlichen Intervenierens bedürfen sowohl hinsichtlich der Leitbilder als auch der einzelnen Maßnahmen eines genauen Augenmerks. Wenn der Staat es „besser“ können will, sind damit zugleich Einschränkungen familiärer Autonomie verbunden. Wenn frühkindliche Untersuchungen rechtsverbindlich werden, wenn Besuche des Jugendamts nach der Geburt eines Kindes sich durchsetzen, werden Eltern, Mütter und Väter, stärkeren Kontrollen unterworfen, dann werden bestimmte Erziehungsleitbilder zu Lasten des grundrechtlichen Elternvorrangs generalisiert. Die Diskussion über Elternvorrang oder Vorrang der Jugendhilfe verweist für Ostner auf die DDR-Realität einer entfamilisierten institutionellen Kindheit (Ostner 2009, S. 79). Eva Schumann (Schumann 2009, S. 236) weist auf eine Vorverlagerung staatlicher Eingriffsmöglichkeiten bei einer möglichen Kindeswohlgefährdung hin, weil gemäß § 8a Abs. 1 u. 3 SGB VIII das Jugendamt berechtigt ist, sich an das Familiengericht unterhalb der Ebene der Gefährdungsschwelle zu wenden. Gemäß § 157 Abs. 1 S. 1 FamFG soll das Gericht mit den Eltern und ggf. mit dem Kind eine „mögliche“ Kindeswohlgefährdung erörtern. Schumann spricht von
3.5 Das Kindeswohl als neue, generalisierende rechtliche Orientierung
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einem neuen Institut der „möglichen“ Kindeswohlgefährdung (Schumann 2009, S. 233). Sie problematisiert, dass „offen bleibt, wann die mögliche Kindeswohlgefährdung beginnt“ und spricht von einer Verschärfung der Gesetze zu Lasten der Eltern „mit der Folge, dass zahlreiche Eltern künftig unterhalb der Gefährdungsschwelle zum Zwecke der Gefahrerforschung Eingriffe in ihr Elternrecht erdulden müssen, während das eigentliche Problem, der Personalmangel im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe … nicht gelöst wird“ (Schumann 2009, S. 243). Wenn einzelne Leitbilder wie das der gemeinsamen elterlichen Sorge (vgl. Kap. 58) oder das des präventiven Kinderschutzes durch Elternkontrollen mit erheblichem rechtlichen und diskursiven Aufwand durchgesetzt werden, dann hat das zugleich Auswirkungen auf das allgemeine Verhältnis zwischen Staat und Eltern: Wahlfreiheiten und Alternativen werden begrenzt.
3.5
Das Kindeswohl als neue, generalisierende rechtliche Orientierung
Diese Begrenzungen werden über einen Begriff hergestellt, der in seiner inzwischen gängigen Abstraktheit und seinem allgemein verbindlichen Anspruch praktisch jeden Widerspruch verbietet: den des Kindeswohls. Das Kindeswohl ist, wie zu zeigen sein wird, der die neue Ordnung stiftende Begriff im generationalen Dispositiv. Im traditionellen Rechtsverständnis vor der Kindschaftsrechtsreform von 1998 hatte der Kindeswohlbegriff vor allem die Funktion, im Rahmen des Schutzes von Kindern nach §§ 1666 und 1666a BGB als Abgrenzungsbegriff Kindeswohlgefährdungen zu identifizieren und im Rahmen der Sorgerechtsentscheidung im Scheidungsverbund nach dem Maßstab des damals geltenden § 1671 BGB Kriterien für die gerichtliche Entscheidung zu entwickeln, „welchem Elternteil die elterliche Sorge für ein gemeinschaftliches Kind zustehen soll“ (§ 1671 Abs. 1 a. F. BGB). Die zu treffende Regelung sollte dem Wohl des Kindes am besten entsprechen (§ 1671 Abs. 2 a. F. BGB) Für beide Bereiche hatte die Rechtsprechung eine umfangreiche Kasuistik entwickelt, die auf einzelne Sachverhalte und Lebensumstände ausgerichtet war. (Zu § 1671 a. F. BGB vgl. Kap. 5, zu Kindeswohlgefährdungen grundlegend Zenz 1979). Der Begriff des Kindeswohls bezog sich auf konkrete Verhältnisse, auf Gefährdungen oder auf kriterienbezogene Einschätzungen (z. B. Kontinuität, Förderung, Bindung, vgl. Kap.5), welche gegebenen Bedingungen bei der Sorgerechtszuordnung dem Wohl des Kindes am besten entsprechen könnten. Simitis wies 1991 den Kindeswohlbegriff als „universelle Kategorie“ (Simitis 1991, S. 95) aus, wobei es im damaligen Diskurs um eine Abgrenzung zwischen Kinder- und Elternrechten im Zusammenhang mit Kindeswohlgefährdungen ging. Unstreitig war und ist, dass, obwohl dem Kindeswohl selbst kein expliziter Verfassungsrang zukommt, das Kindeswohl ihn „jedoch gleichwohl inne“ hat (Heilmann, Salgo, 2002, S. 959). Heilmann und Salgo sprechen jeder Regelung, die nicht
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3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
mit dem Wohl des Kindes in Einklang zu bringen ist, die Verfassungsmäßigkeit ab, sie falle nicht in den Schutzbereich des Art. 6 GG. 3.5.1
Das Kindeswohl als verpflichtendes rechtsethisches Prinzip
Mit der Kindschaftsrechtsreform ist das Kindeswohlprinzip in § 1697a BGB als allgemein geltender Maßstab eingeführt worden, also in einem Kontext, in dem es darum ging, die Verteilung der elterlichen Sorge zwischen den Eltern neu zu regeln, nicht um Fragen der Kindeswohlgefährdung. Nach § 1697a BGB haben sich am Kindeswohl alle Normen und Entscheidungen zu orientieren. Generalisierender Maßstab ist hier, „was dem Kindeswohl am besten entspricht“ (§ 1697a BGB). Es geht also nicht um Schutz vor Gefährdungen, auch nicht primär um den Ausbau familienfördernder Maßnahmen. Die universelle Kategorie ist ausgebaut und im Zusammenhang mit Fragen der Verteilung der elterlichen Sorge zwischen den Eltern zum allgemeinen Prinzip erhoben worden. Coester schreibt im Staudinger: „Das Kindeswohlprinzip ist beherrschender Leitgedanke des gesamten Kindschaftsrechts. Dieser war als solcher jedoch bisher nicht herausgestellt, vielmehr ist die Maßgeblichkeit des Kindeswohls in einer Vielzahl von Einzelvorschriften, jeweils mit unterschiedlichem Gewicht, ausdrücklich normiert (z. B. §§ 1666, 1671, 1672 BGB). Der durch das KindRG 1998 neu geschaffene § 1697a BGB will das über diesen Einzelvorschriften schwebende Grundprinzip verdeutlichen und zugleich eine Auffangvorschrift bereitstellen für Entscheidungssituationen, in denen das positive Recht den Maßstab für die gerichtliche Entscheidung offenläßt (BT-Drs. 13/4899 13. 06. 1996, S. 110, vgl. Palandt/Diederichsen Rn. 1: ,das allgemein Anerkannte wird zum verpflichtenden rechtsethischen Prinzip‘)“ (Staudinger/Coester zu § 1697a 2007, Rn 1).
Zwar stellt das Kindeswohl keine Generalklausel dar, gerichtliche Eingriffsmöglichkeiten müssen in anderweitigen Vorschriften gesetzlich begründet sein. Auch soll der verfassungsrechtliche Elternvorrang nicht „zur Disposition des richterlichen Kindeswohlverständnisses“ (Staudinger/Coester zu § 1697a 2007, Rn 7) gestellt werden. Dieser Kindeswohlbegriff verweist aber dennoch auf eine grundsätzliche Ausweitung von Auslegungsmöglichkeiten bestehender Gesetze und Begründungsmöglichkeiten für neue Gesetze gerade im Hinblick auf Lebenssachverhalte jenseits von Kindeswohlgefährdung und zwar sowohl im Bereich der Sorgeverteilung zwischen den Eltern als auch im Bereich des präventiven Kinderschutzes. Er ist quasi frei schwebend geworden, nicht mehr gebunden an konkrete Entscheidungssituationen. Er kann für sich von vorn herein reklamieren, das Gute und Richtige zu wollen, ganz allgemein, ohne konkreten Bezug auf reale Konfliktsituationen. Unterscheidungen erfährt der Begriff formal in einer Staffelung der Eingriffsbefugnisse: Im Namen des Kindeswohls muss eingegriffen werden bei Gefährdungen (Gerichtliche Entscheidungen bei Kindeswohlgefährdung, Umgangsausschluss nur bei Gefährdung) und wenn es für das Kindeswohl erforderlich ist (Umgangs-
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einschränkungen). Auf Antrag wird eingegriffen, wenn der Antrag dem Kindeswohl am besten entspricht (Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung auf den Antragsteller, § 1671 BGB) oder wenn es dem Kindeswohl dient (Umgang mit Großeltern und anderen Bezugspersonen). Schumann unterscheidet zwischen positivem (§1697a, Kindeswohlprinzip) und negativem Kindeswohlstandard (§§ 1666ff., Kindeswohlgefährdung), wobei sie betont, dass sich das staatliche Wächteramt auf Gefahrenabwehr beschränkt. Mit Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG müssen sich „Kinder mit etwaigen Nachteilen elterlicher Erziehung abfinden“ (Schumann 2009). Auch in diesen Unterscheidungen wird deutlich, dass der Begriff Kindeswohl mehrere Elemente enthält. Seine Ausgestaltung als rechtsethisches Prinzip zielt auf Leitbilder ab, die, unabhängig von Gefährdungen, Vorstellungen von einem „richtigen“ – dem diesem rechtsethischen Prinzip zugrunde liegenden Verständnis von Kindeswohl entsprechenden – Leben mit Kindern beinhalten. 3.5.2
Die Schwierigkeiten eines einheitlichen Kindeswohlbegriffs
Zentrale Norm der Personensorge ist § 1631 BGB. In der elterlichen Sorge (Personensorge, Vermögenssorge, rechtliche Vertretung) kommt der Personensorge insofern eine herausragende Bedeutung zu, als ihr wichtigstes Element die Erziehung ist, in der sich pädagogisch das Kindeswohl zu konkretisieren hat. Salgo stellt im Staudinger fest: „Die Verfassung wie die einfachgesetzliche Verwendung dieses Begriffs (Erziehung) im Kindschaftsrecht des BGB und im Jugendhilferecht gehen offensichtlich von einem allgemein verbreiteten wie anerkannten Begriff der ,Erziehung‘ aus; nähere Erläuterungen und Definitionen finden sich nämlich in keiner dieser gesetzlichen Bestimmungen. Der inzwischen auch in der Rechtswissenschaft anerkannte Weg, zum Aus- und Auffüllen unbestimmter Rechtsbegriffe die Nachbarwissenschaften, hier insbesondere die Humanwissenschaften, heranzuziehen, bleibt bei diesem Definitionsproblem von eingeschränktem Nutzen“ (Staudinger/Salgo zu § 1631 BGB 2007, Rn. 24).
Salgo hält es deshalb für hilfreich, „sofern die positive Bestimmung des Umfangs und der Grenzen von Begriffen wie Erziehung oder Kindeswohl zunächst Schwierigkeiten bereitet, auf die von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre getroffenen und entwickelten Aussagen hinsichtlich der Sanktionierung bei Nichtgewährleistung dieser Standards zurückzugreifen“ (Staudinger/Salgo zu § 1631 BGB 2007, Rn. 27).
Diese Einschränkung löst nicht, sondern bestätigt eher das Problem, denn unter Kinderschutzgesichtspunkten ist eine Positivdefinition nicht geboten. Soweit der Kindeswohlbegriff auf Gefährdungssachverhalte gemäß §§ 1666 und 1666a BGB (Gefährdung des körperlichen, seelischen oder geistigen Wohls des Kindes, Trennung von der Familie) bezogen wird, haben sich in Literatur und Recht-
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sprechung Kriterien entwickelt, die auf konkret beschreibbare, einzelne Lebenssachverhalte Anwendung finden (z. B. jurisPK-BGB, Bauer § 1666 BGB 2008, Staudinger/Coester zu § 1666 BGB 2004). Der Begriff erfüllt hier dogmatisch und rechtstechnisch Abgrenzungsfunktionen. Er dient dazu, Kindeswohlverletzungen als Voraussetzungen für Interventionen zu benennen und ist in § 1666 BGB als differenzierter Tatbestand gefasst. Gefährdungssachverhalte sind in der Literatur (vgl. z. B. Lipp, Schumann & Veit 2008, Ziegenhain, Fegert 2008, Jordan 2008) ausführlich dargestellt und auch hinsichtlich unterschiedlicher Hilfe- und Eingriffsmöglichkeiten umfangreich beschrieben worden. Die Einführung eines gesonderten, generalisierenden Kindeswohlprinzips wäre für diesen Diskussionszusammenhang nicht erforderlich gewesen. Zurecht schreibt Coester, dass der „Begriff der Kindeswohlgefährdung als Bezugspunkt staatlicher Verantwortung nur als ,negativer Standard‘ verstanden wird: Der Staat konkurriert nicht mit den Eltern um die bestmögliche Kinderförderung …, sondern will nur die Fundamentalbedürfnisse jedes Kindes in körperlicher, geistiger und seelischer Hinsicht sichern.“ (Coester 2008, S. 24.)
Im Zusammenhang mit Kindeswohlgefährdungen hätte es der Einführung einer Norm mit positivem Kindeswohlstandard als rechtsethisches Prinzip nicht bedurft. Auch das in § 1631 Abs. 2 BGB kodifizierte Recht auf gewaltfreie Erziehung lässt sich aus Art. 1 in Verbindung mit Art. 2 und Art. 6 GG direkt ableiten. Die Einführung eines neuen, dem Anspruch nach allumfassenden, abstrakt formulierten „über den Einzelregelungen schwebenden“ Grundprinzips wäre dafür ebenso überflüssig gewesen. Die Feststellung, dass „zwischen der Wertordnung des Rechts und einer sich emanzipatorisch verstehenden Pädagogik hinsichtlich des obersten Erziehungsziels ,Mündigkeit‘ Übereinstimmung (besteht)“ (Staudinger/Salgo zu § 1631 BGB 2007, Rn. 27),
führt ebenfalls nicht weiter, da es dann um die Frage geht, wie Mündigkeit konkret realisiert werden kann, in welchen Rechten von Kindern und Jugendlichen sich „die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortlichen Handeln“ (§ 1626 BGB, elterliche Sorge, Grundsätze) konkret gegenüber Eltern und Staat ausdrückt, auch im SGB VIII, oder wie „Mündigkeit“ z. B. im familiengerichtlichen Verfahren gewährleistet werden kann (Kap. 8). Die von Salgo beklagte Schwierigkeit, Begriffe wie Erziehung und Kindeswohl rechtlich positiv zu definieren, ist einem pluralen und freiheitlichen Verständnis von mehr „Mündigkeit“ inhärent, denn „Mündigkeit“ lässt sich nur kontextabhängig hinsichtlich konkreter familiärer, sozialer oder politischer Situationen diskursiv beschreiben. Die in politischen Auseinandersetzungen entwickelten Gesetze zur Familienförderung bedürfen ebenfalls keines Kindeswohlbegriffs als rechtsethisches Prinzip, auch wenn das Kindeswohl als Legitimation herangezogen wird. Diese Gesetze wer-
3.5 Das Kindeswohl als neue, generalisierende rechtliche Orientierung
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den offen in Abhängigkeit von unterschiedlichen Familienbildern diskutiert, gerade wenn sie gegenläufige Vorstellungen beinhalten, wie z. B. Betreuungsgeld versus Förderung öffentlicher Einrichtungen. 3.5.3
Die Funktion des Kindeswohls als rechtsethisches Prinzip im Recht der Verteilung der elterlichen Sorge
In seiner Funktion als rechtsethisches Prinzip greift der Kindeswohlbegriff weit. Er hat nicht nur die Funktion, tatbestandsmäßig einzelne Lebenssachverhalte zu erfassen und als „universelle Kategorie“ Kinderinteressen in konkreten Kontexten vor Elterninteressen zu stellen, vielmehr wird er zum strukturierenden Element der generationalen Ordnung. Ein so gefasster allgemeiner Kindeswohlbegriff scheint vor allem im Recht der Verteilung der elterlichen Sorge zwischen den Eltern und der Rechtsbeziehungen der einzelnen Eltern zu den Kindern unverzichtbar zu sein. Hier erfährt er seine Bedeutung als rechtsethisches Prinzip: Mit dem Leitbild gemeinsamer elterlicher Sorge geht es nicht darum, in konkreten Lebenssituationen Sorgerechtszuweisungen und Entscheidungen auszuhandeln und festzulegen, sondern einer Sorgerechtsform unter Bezug auf einen positiven Kindeswohlstandard den Vorzug zu geben. In das Recht der Verteilung der elterlichen Sorge zwischen den Eltern fügt sich dieser universell verstandene Kindeswohlbegriff insofern ein, als mit ihm ein allgemeines, universellen Anspruch erhebendes Leitbild etabliert wird. In ihm wird nach dem Funktionsverlust der Ehe als sittliche Instanz aufgehoben, was als „Sitte“ zwischen Eltern und Kindern zu gelten hat, und zwar zwischen den einzelnen Elternteilen und ihren Kindern wie auch zwischen den Elternteilen untereinander. Das Kindeswohlprinzip kann als neue Grundsatznorm über den Einzelvorschriften schweben. Es dient als Legitimation des Leitbildes, der Einzelregelungen und der gerichtlichen Einzelfallentscheidungen, sei es hinsichtlich der Ausgestaltung der gemeinsamen Sorge, der Umgangsregelungen oder des neuen Verfahrensrechts. Das Kindeswohl wird auch in sprachlicher Anknüpfung an die positiv besetzte Konnotation, Kindeswohlgefährdungen auszugrenzen, zum Garant dafür, das Richtige gewollt und getan zu haben. Dieser Begriff wird wie der Begriff „Kind“ generell zum „unerschöpflichen Topos von Erneuerungsbehauptungen“ (Honig 1999, S. 57) und Regelungsvorstellungen (vgl. Kap. 6 bis 9). Dabei bleibt dieser Begriff abstrakt, wird nicht auf die jeweiligen realen Gegebenheiten bezogen und im konkreten Zusammenhang mit ihnen und der ihnen zugrunde liegenden Interessen diskutiert. Das Ausblenden von Interessen, elterlichen, mütterlichen und väterlichen ebenso wie staatlichen Kontrollinteressen macht diesen Begriff universell und unantastbar. Gegen das positiv bestimmte Wohl des Kindes kann niemand etwas vortragen. In der Diskussion über eine Theorie der Kindheit ist betont worden, wie sehr die Berufung auf das Kind zu einer ahistorischen Renaturalisierung des Kindheitsbegriffs führt, die in Konsequenz eine Erneuerung des „Mythos Kind“ bewirkt (Honig
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3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
1999, S. 80), jenseits dessen, was in konkreten Situationen als Kinderrechte zu akzeptieren oder auszuhandeln gilt. Kern dieses Mythos ist die „Natur des Kindes“, die „aller historischer und sozialer Wirklichkeit vorausgeht“ (Honig 1999, S. 57). Seine Bedürfnisse sind dann in der „Natur“ begründet und nicht etwa diskutable Angelegenheiten pädagogischer und/oder politischer Auseinandersetzungen. Ein der „Natur des Kindes“ verhafteter Kindbegriff hat seine rechtsbegriffliche Entsprechung in einem Kindeswohlbegriff, der ebenso an keine historische und soziale Wirklichkeit gebunden oder in Reflexion und Diskurs auf diese ausgewiesen ist. Er behauptet gleichwohl seine Anwendung auf Lebenssachverhalte wie die der Verteilung der elterlichen Sorge. Das Kindeswohl als rechtsethisches Prinzip legitimiert die gemeinsame elterliche Sorge generell und wirkt im Einzelfall entscheidungsleitend. Bühler-Niederberger spricht von einer Naturalisierung deutscher Politik an der Wende zum 21. Jahrhundert und führt als prominentes Beispiel das Kindschaftsrechtsreformgesetz von 1998 an: „Die Bedürfnisse des Kindes wurden explizit biologisch definiert: Das Kind brauchte beide leiblichen Eltern – und vor dieser Stimme der Natur hatten alle anderen Anliegen … zurückzutreten.“ „Eltern bleiben immer Eltern“, sagte Familienministerin Nolte und begründete dieses apodiktische Votum schlicht damit, dass „… der Blickwinkel des Kindes entscheidend ist“ (BT, 192. Sitzung, 25. 09. 1997, Bühler-Niederberger 2005b).
Mit Verweis auf Sachverständigenäußerungen, für die es den „natürlichen“ Bedürfnissen der Scheidungskinder entspricht, keinen seiner Elternteile zu verlieren und für die dementsprechend das gemeinsame Sorgerecht eine „natürliche Lösung“ ist (vgl. Kap. 5), führt Bühler-Niederberger aus, dass „diese universelle Definition kindlicher Bedürfnisse Politiker mit hohem Konsens in eine politische Entscheidung (übersetzten): das neue Kindschaftsrecht mit seinem Kernstück dem geteilten Sorgerecht nach der Scheidung als Regelfall“ (Bühler-Niederberger 2005b, S. 252).
Dass dabei eine Soziologin die gemeinsame elterliche Sorge als „geteilte“ Sorge wahrnimmt (was überwiegend den Alltag auch treffend beschreibt), ist nachvollziehbar, wenn die Anforderungen an die gemeinsame Sorge lediglich ein „Mindestmaß“ an Kommunikationsfähigkeit und Bereitschaft juristisch voraussetzen und tatsächlich die elterliche Sorge in Sorge in alltäglichen Angelegenheiten und Sorge in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind geteilt ist (vgl. Kap. 5), obschon beide Elternteile über das Sorgerecht in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung gemeinsam verfügen. Dass das die beide Sorgeformen verklammernde, über das juristische Verfahren im Interesse des Kindeswohls herzustellende oder absichernde „Einvernehmen“ dabei ebenso abstrakt bleibt wie der Kindeswohlbegriff selbst (vgl. Kap. Verfahren), ist nicht erstaunlich, weil er in Ableitung des Kindeswohlbegriffs und des daraus resultierenden Votums „Eltern bleiben Eltern“ (Titel einer neu aufgelegten Broschüre der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendund Eheberatung, gefördert durch das Bundesministeriums für Familie, Senioren,
3.5 Das Kindeswohl als neue, generalisierende rechtliche Orientierung
95
Frauen und Jugend, Lederle von Eckardstein et al. 2010) entwickelt worden ist und eben nicht als ein pädagogisch empirischer Begriff, der zunächst die Voraussetzungen von Einvernehmen darlegt und diskutiert (vgl. Kap. 8). Zuweisung und Verwendung dieses universellen Kindeswohlbegriffs im Rahmen der gemeinsamen elterlichen Sorge erinnern an den überhöhten und überfordernden Anspruch eines Familienbegriffs, nach dem die auf der Ehe basierende Familie „Grundlage alles menschlichen und bürgerlichen Glücks“ (Carl v. Rottek, Artikel „Familie“ in Das Staats-Lexikon, nach Schwab 2007a) sein sollte. Der Unterschied ist, dass die bürgerliche Familie sich auf eine abschließend definierte Rechtsform, die Ehe, begründete, die gemeinsame elterliche Sorge jedoch weder eine gemeinsame Lebensperspektive der Eltern noch weitergehende rechtliche Verpflichtungen voraussetzt. In der formalen Verklammerung der gemeinsamen Sorge, in der sich das Kindeswohl abstrakt ausdrücken soll, wird das alte Glücksversprechen für das Kind wiederbelebt und als Verpflichtung an die Eltern zurückgegeben, eben die Sorgerechtsform ausfüllen zu müssen Für das „Elternversagen“ bei Kindeswohlgefährdungen oder möglichen Kindeswohlgefährdungen kann ein weit gefasster Kindeswohlbegriff die Legitimation umfassender staatlicher Eingriffe bieten. Die problematische Ausweitung des Kindeswohlbegriffs in dieser Hinsicht wird in der Literatur benannt (Schumann 2009, Coester 2008). Coester spricht davon, dass „je anspruchsvoller das Kindeswohl, desto niedriger die Schwelle für die staatliche Intervention in das elterliche Handeln“ sei (zitiert nach Ostner 2009, S. 77). Dennoch vertritt gerade er die Einführung eines positiven Kindeswohlstandards und eines rechtsethischen Prinzips in Fragen der Verteilung der elterlichen Sorge (Staudinger/Coester zu § 1697a 2007). Auch für Schumann ist der Kindeswohlbegriff hinsichtlich der Verteilung der elterlichen Sorge unproblematisch, er dient für sie hier dem Staat „in der Funktion als Schlichter im Elternkonflikt“ (Schumann 2009, S. 230). Zu fragen ist, ob ein weit gefasster positiver Kindeswohlstandard, wie er für die Legitimation der Regelungen der elterlichen Sorge erforderlich ist, nicht auch seine Ausstrahlung in den Kinderschutzbereich ist. Beeinflusst ein derartiger Begriff den Diskurs und werden mit ihm Leitbilder begründet, dann ist es nahe liegend, dass dieses Denken vom Kinde her sich auf andere Bereiche ausweitet. Eva Schumann problematisiert ein derartiges Denken für den Kinderschutzbereich: „Wenn die Rechte und Pflichten der Eltern nur noch als Reflex der Rechte des Kindes begriffen werden, d. h. das Elternrecht nur noch vom Kind her gedacht wird, dann liegt eine staatliche Kontrolle elterlicher Erziehung nahe, deren Umfang und Intensität nur noch davon abhängt, wie empfindlich die Frühwarnsysteme zum Schutz von Kindern eingestellt werden“ (Schumann 2009, S. 247).
Sie verweist darauf, dass das Familienleben unterhalb der Gefährdungsschwelle eine „freie Entfaltung innerhalb eines staatsfreien Raums zulässt“ und dass diese freie Entfaltung „die Vielfältigkeit der Meinungen in der Fortentwicklung der Gesellschaft und in der Pluralität der Werthaltungen“ (Schumann 2009, S. 247) be-
96
3 Das Verhältnis zwischen Staat, Familie und Kindern
wahrt. Da Trennungen oder Aufwachsen in allein erziehenden Familien für Kinder kein Gefährdungsrisiko im Sinne einer Kindeswohlgefährdung darstellen (Kap. 4), müssten, wenn getrennt oder allein lebende Familien auf der Basis einer an „Elternliebe geknüpfte Einbindung des Kindes in eine Familie“ (Schumann 2009, S. 247) als eigenständige Familienformen tatsächlich anerkannt werden würden, der Schutz ihrer inneren Autonomie ebenso gewährleistet werden. Hinsichtlich der generationalen Ordnung fungieren nicht mehr Ehe und Familie „naturgegeben“ als rechtsethische Basis des generationalen Dispositivs, sondern das ebenso auf Natur, diesmal auf die Natur des Kindes abstellende Kindeswohlprinzip als neues, verpflichtendes rechtsethisches Prinzip. Dieses rechtsethische Prinzip erfüllt seine Funktion in den Regelungen der Verteilung der elterlichen Sorge insofern, als es die gemeinsame elterliche Sorge als verbindliches Leitbild implementiert und legitimiert. Zugleich gilt unter Bezug auf das Kindeswohlprinzip die Sinnhaftigkeit eines regelmäßigen und umfangreichen Kontakts zu beiden Eltern als unumstritten. Der Bezug auf ein derartiges Kindeswohlprinzip erschwert auch eine Diskussion über Kinderrechte im Einzelnen. Unter dem generalisierenden Schirm eines weit gefassten positiven Kindeswohlstandards lässt sich z. B. nicht mehr ergebnisoffen diskutieren, inwieweit Kinder selbst auf Art und Umfang des Umgangs Einfluss nehmen können sollten (Kap. 7, 8).
4
Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen – Merkmale sozialer Gegebenheiten, psychischer Bedingungen und justizieller Praxis
In diesem Kapitel werden Daten über unterschiedliche Familienformen und deren Entwicklung sowie über die justizielle Praxis in Sorgerechtsentscheidungen, insbesondere hinsichtlich der Übertragung der elterlichen Sorge unter dem Gesichtspunkt zusammengestellt, Größenordnungen und Relevanz zu verdeutlichen. Zugleich werden Forschungsergebnisse und Konzepte miteinbezogen, die sich mit Aspekten und Bedeutung des Datenmaterials befassen. Gesellschaftliche Institutionen wie die Familie unterliegen vielfältiger, sich auch widersprechender Entwicklung (Huinink, Konietzka 2007, S. 101). Familienrechtliche Regelungen haben den sozialen Wandel sowohl in Form der Pluralisierung von Lebensformen wie auch der Individualisierung von Lebensentwürfen und Lebensstilen zu berücksichtigen, wenn sie ihre ausgleichende und friedensstiftende Funktion gegenüber familiären Konflikten ausfüllen wollen. Neben der Familie mit beiden Elternteilen, unabhängig davon, ob sie miteinander verheiratet sind oder nicht, sind Familienformen wie die der Mutter- oder auch Vaterfamilie entstanden, in denen ein Elternteil bewusst oder aufgrund sozialer bzw. personaler Gegebenheiten die alleinige Verantwortung gegenüber den Kindern trägt. Historisch hat es eine Vielzahl von Familienformen (Planert 2007) gegeben. Die bürgerliche Kernfamilie hat sich erst im 19. Jahrhundert zum allein akzeptierten Familienmodell herausgebildet. Aufgabe dieses Kapitels ist es, die gegenwärtige Entwicklung von Familienformen darzustellen, justizielle Gegebenheiten zu benennen und zu fragen, welche Folgen für das Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen damit verbunden sind.
4.1
Familie und Familienformen im Wandel
Dem Familienrecht lagen zurzeit seines Inkrafttretens 1900 klar umrissene, wertende, patriarchale Vorstellungen zugrunde, die sich insbesondere in der Ausgrenzung der unehelichen Kinder und der Diskriminierung der Frau gezeigt haben. Mit den großen Familienrechtsreformen von 1957 (Gleichberechtigungsgesetz), 1977/78 (Eherechtsreform, Ablösung des Schuldprinzips durch das Zerrüttungsprinzip, Sorgerechtsreform, elterliche Sorge statt elterliche Gewalt) und 1998 B. Schwarz, Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht, DOI 10.1007/978-3-531-92691-9_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
98
4 Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen
(Kindschaftsreformgesetz) hat das Recht den gesellschaftlichen Veränderungen zögernd Rechnung getragen (Kap. 2, 3). Die Vorstellungen einer „Normalfamilie“ (Ehe, Versorgermodell: Erwerbstätiger Vater, Hausfrau, Kinder) hat lange Zeit Gesetzgebung und Rechtsprechung bestimmt. Dieses Modell der Normalfamilie hat lediglich in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, der „Hochzeit“ der bürgerlichen Familie, annähernd der sozialen Realität entsprochen (Huinink, Konietzka 2007, S. 70). Es war jedoch weit über seine „Hochzeit“ (Huinink, Konietzka 2007, ebenda) hinaus Leitbild für Gesetze und Rechtsprechung. Erst mit der Kindschaftsrechtsreform und der Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder hat der Gesetzgeber die 1977 begonnene Abkehr von diesem Leitmodell bewusst vollzogen. Im Kindschaftsrecht gilt Familie seitdem als Lebensform mit Kindern, unabhängig von der konkreten Rechtsform, wobei allerdings die Sorgerechtsregelungen für alle Familienformen gleichermaßen gelten. Tatsächlich hat sich ein gravierender Wandel von der „Hochzeit“ der traditionellen Familie in den 1950er Jahren bis heute vollzogen. Allein an der Zahl der Eheschließungen wird deutlich, dass diese Lebensform trotz der nach wie vor bestehenden steuerlichen Vergünstigungen tendenziell an Attraktivität verloren hat. Wurden 1950 noch 750 000 Ehen geschlossen, waren es 1995 noch 431 000 und 2007 dann nur noch 374 000. Der Anteil der Eheschließungen hat in diesem Zeitraum von 11 pro 1000 Einwohner auf 4,5 pro 1000 Einwohner abgenommen. Die Scheidungsrate hat geringfügig zugenommen, von 2 Scheidungen pro 1000 Einwohner auf 2,3. Es ist nach den gegenwärtigen Verhältnissen damit zu rechnen, dass jede dritte Ehe im Laufe der Zeit geschieden wird (destatis, Krieger & Weinmann 2008, S. 32). Ein wesentlicher Unterschied zu historisch vielfältigen Lebensformen ist, dass diese Unterschiede durch soziale Gegebenheiten bestimmt waren, gegenwärtig jedoch zumeist auf eigenen Entscheidungen beruhen (Beck-Gernsheim 2000, S. 25). Das Individuum ist aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen freigesetzt und hat vielfältige Optionen, sein Leben zu gestalten. Die Möglichkeit der Biografisierung des eigenen Handelns gilt als Kern der Individualisierungsthese (Huinink, Konietzka 2007, S. 106). Größere Optionsvielfalt eröffnet wachsenden Entscheidungsbedarf. Problematisiert wird, dass es erhebliche Unklarheiten beim Entscheidungsbegriff gibt. Ein Teil der familialen Lebensformen, z. B. der der allein erziehenden Mütter mit schwachem sozialen Status, dürfte, eben was die soziale Lage betrifft, nicht auf bewusster Entscheidung beruhen, sondern ist nach wie vor durch gesellschaftliche Gegebenheiten von sozialer Benachteiligung und sozialer Ungleichheit bestimmt. Im Folgenden werden wesentliche Daten genannt, die den familialen Wandel kennzeichnen und das gegenwärtige Bild sozial-familialen Zusammenlebens verdeutlichen.
99
4.1 Familie und Familienformen im Wandel
4.1.1
Familie in Zahlen
Familie im statistischen Sinn umfasst im Mikrozensus alle Eltern-Kind-Gemeinschaften, d. h. Ehepaare, nichteheliche gegengeschlechtliche oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, Lebenspartnerschaften sowie allein erziehende Mütter und Väter mit ledigen Kindern im Haushalt. Einbezogen sind in diesen Familienbegriff auch Stief-, Pflege- und Adoptivkinder. Eine Altersbegrenzung der Kinder gibt es nur, wenn sie ausgewiesen wird. Eine Familie besteht stets aus zwei Generationen: Eltern bzw. Elternteile und im Haus lebende ledige Kinder (destatis 2007a, Glossar). Damit hat das Statistische Bundesamt einen modernen Familienbegriff übernommen, der von den tatsächlichen Lebensverhältnissen ausgeht. Mit der Angabe „allein erziehend“ wird keine Aussage darüber getroffen, ob eine gemeinsame oder eine alleinige elterliche Sorge besteht. Es geht zunächst nur um die Beschreibung einer eigenständigen Lebensform, einer Familienform, in der ein Erwachsener gemeinsam mit einem oder mehreren Kindern tatsächlich eine sozialfamiliäre Gemeinschaft bildet. Die folgenden Zahlen belegen, dass der Anteil dieser Familienform tendenziell zunimmt. Tabelle 1 zeigt die veränderten Familienformen anhand der Vergleichsjahre 1996 und 2009. Tabelle 1: Familien mit Kindern ohne Altersbegrenzung Paare
Alleinerziehende
Lebensgemeinschaften Zeitpunkt
Familien Paare Eheinsinspaare gesamt gesamt
zudarunter zuMütter sammen nichteheliche sammen Lebensgemeinschaften
Väter
1000 1996
13 155
10 919 10 408
2009
11 913
9 278
plus/ minus %
–9,40
–15,03
511
506
2236
1884
352
8 470
808
803
2635
2281
354
18,62
+58,12
+58,69
+17,84
+21,00
+0,56
(Quelle: destatis 2006, destatis 2010, Mikrozensus 2009, Fachserie 1 Reihe 3, S. 60, Berechnungen BS)
Kennzeichnend sind hier die Abnahme von Familien insgesamt sowie die deutliche Zunahme von Lebensgemeinschaften, ebenso wie die Zunahme von allein erziehenden Müttern. Tabelle 2 zeigt die veränderten Familienformen von Familien mit Kindern unter 18 Jahren.
100
4 Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen
Tabelle 2: Familien mit Kindern unter 18 Jahren Paare
Alleinerziehende
Lebensgemeinschaften Zeitpunkt
Familien zuEheinssammen paare gesamt
zudarunter zuMütter sammen nichteheliche sammen Lebensgemeinschaften
Väter
1000 1996
9429
8125
7673
452
449
1304
1138
166
2009
8225
6665
5963
702
698
1560
1406
154
+55,46
+19,63
+23,55
–7,23
plus/ minus %
–12,77
–17,97 –22,29 +55,31
(Quelle: destatis 2006, destatis 2010, Mikrozensus 2009, Fachserie 1 Reihe 3, S. 60, Berechnungen BS)
Auch hier sind die abnehmenden Zahlen der Ehepaarfamilien, die sehr starke Zunahme der Lebensgemeinschaften und die Zunahme der allein erziehenden Mütter, nicht der Väter, bemerkenswert.
Tabelle 3: Familien mit Kindern unter 18 Jahren, Anteil der unterschiedlichen Familienformen bezogen auf die Familien insgesamt, Veränderungen in Prozent Paare
Alleinerziehende
Lebensgemeinschaften Zeitpunkt
Familien zuEheinssammen paare gesamt
zudarunter zuMütter sammen nichteheliche sammen Lebensgemeinschaften
1000
Väter
%
1996
9429
86,17
81,83
4,79
4,76
13,82
12,07
1,76
2009
8410
81,03
72,50
8,53
8,48
18,97
17,09
1,87
(destatis 2006, destatis 2010a, S. 60, Berechnungen BS)
Fast ein Drittel der Familien sind 2009 keine traditionellen Ehepaarfamilien (lediglich 72,50%), fast ein Fünftel der Familien sind allein erziehend (18,97%). Diese Trends haben im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen.
101
4.1 Familie und Familienformen im Wandel
Tabelle 4: Zahl der Kinder unter 18 Jahren in unterschiedlichen Familienformen Paare
Alleinerziehende
Lebensgemeinschaften Zeitpunkt
Kinder insgesamt
zuEhesammen paare
zudarunter zuMütter sammen nichteheliche sammen Lebensgemeinschaften
Väter
1996
15 604
13 745 13 096
650
644
1859
1639
220
2009
13 271
11 086 10 114
971
966
2185
1989
196
plus/ minus %
–14,95
–19,34 –22,77 +49,38
+50,00
+17,54
1000
+21,35 –10,90
(Quelle: destatis 2006, destatis 2010a, S. 60, Berechnungen BS)
Bei insgesamt deutlich abnehmender Kinderzahl wachsen 49,38% mehr Kinder in Lebensgemeinschaften und 21,35% mehr Kinder bei allein erziehenden Müttern auf. Tabelle 5: Aufwachsen der Kinder unter 18 Jahren in unterschiedlichen Lebensformen in Prozent bezogen auf Familien insgesamt Paare
Alleinerziehende
Lebensgemeinschaften Zeitpunkt
Kinder insgesamt
zuEhesammen paare
zudarunter zuMütter sammen nichteheliche sammen Lebensgemeinschaften
1000
Väter
%
1996
15604
88,08
83,93
4,16
4,13
11,91
10,50
1,41
2009
13271
83,53
76,21
7,32
7,28
16,46
14,99
1,48
(Quelle: destatis 2006, destatis 2010a, S. 60, Berechnungen BS)
Augenfällig ist, dass die überwiegende Mehrheit der Kinder in Paarfamilien lebt. Jedes 6. Kind wächst in einer allein erziehenden Familie auf, wobei die Tendenz deutlich zunehmend ist. Allerdings ist zu beachten, dass die Zahlen des Mikrozensus stets nur eine Momentaufnahme bieten. Im Zeitablauf des Aufwachsens kann es für die Kinder zu einem Wechsel in andere Familienformen kommen, sogar zu mehr-
102
4 Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen
fachen Wechseln. Bei Scheidung oder Trennung wird aus einer Elternfamilie eine Mutter- oder, in deutlicher Minderheit, eine Vaterfamilie, bei einer neuen Partnerschaft würden die Kinder wiederum in eine andere Familienform wechseln. Die Zahlen können nicht die dem ersten Augenschein nach verhältnismäßig große Konstanz des Aufwachsens in Paarfamilien vermitteln (auch Nave-Herz 2009, S. 17). 4.1.2
Unterschiede zwischen Bundesländern, Stadt- und Flächenstaaten
In einem Sonderheft des Statistischen Bundesamts „Familie und Lebensformen“ wird der Mikrozensus zwischen 1996 und 2004 (destatis 2006) differenziert ausgewertet. Bei einer Unterscheidung zwischen neuen Bundesländern einschließlich Berlin und alten Bundesländern wird deutlich, dass der Anteil der allein erziehenden Eltern in den neuen Bundesländern einschließlich Berlin deutlich höher ist: 2004 lebten 14,3% der Kinder in den alten Bundesländern bei allein erziehenden Eltern, in den neuen Bundesländern dagegen 23,6%. Neben der Unterscheidung zwischen neuen und alten Bundesländern ist ein deutlicher Trend der Zunahme von allein erziehenden Familien in den Stadtstaaten zu verzeichnen. Nach dem Mikrozensus von 2004 betrug der Anteil der allein erziehenden Familien in Berlin über 33%, in Bremen zwischen 30 und 33%, in Hamburg zwischen 27 und 30%, in Baden-Württemberg dagegen 17% (destatis 2006, S. 27). Damit ist ein Trend aufgezeigt, der sich angesichts der zunehmenden Zahlen aus 2009 weiter verstärkt haben dürfte. Nach dem Mikrozensus von 2009 waren in Großstädten mit mehr als 500 000 Einwohnern 26% aller Familien mit minderjährigen Kindern Alleinerziehende. In westdeutschen Großstädten waren es 32,5; in Großstädten Ostdeutschlands waren es 31% (destatis 2010, Alleinerziehende, S. 10). Der genannte Trend hat sich demnach weiter bestätigt.
4.2
Besonderheiten allein erziehender Familien
Wenn Mütter sich von vornherein dafür entscheiden, allein mit ihren Kindern zu leben oder nach Trennungen und Scheidungen wachsen Kinder in allein erziehenden Familien bei Müttern oder in der Minderheit bei Vätern auf. Zunächst sollen besondere Merkmale allein erziehender Familien aufgezeigt werden, sodann wird anhand einer Studie des Robert-Koch-Instituts untersucht, welche Auswirkungen dieses Aufwachsen für die psychische Gesundheit der Kinder hat. 4.2.1
Durchschnittliche Kinderzahlen, Alter der Kinder
Die durchschnittliche Zahl der Kinder unter 18 Jahren beträgt bei Berücksichtigung aller Familientypen 1,61, bei Ehepaaren 1,69, in Lebensgemeinschaften 1,39 und bei Alleinerziehenden 1,39. Alleinerziehende betreuen in der Regel in ihrer Familie we-
4.2 Besonderheiten allein erziehender Familien
103
niger Kinder als Ehepaare (destatis 2009a). Nur bei einer Minderheit der Alleinerziehenden wachsen jüngere Kinder auf. Während 15% aller Familien 2004 Kinder unter drei Jahren betreuten, galt dies nur für 8% der Alleinerziehenden (destatis 2004, S. 26). 2006 waren 52% der Kinder, die bei Alleinerziehenden lebten, zwischen 6 und 14 Jahre alt, 25% der Kinder waren 15 Jahre oder älter, 23% waren im Vorschulalter, also unter 6 bzw. 7 Jahren (destatis, Krieger & Weinmann 2008, S. 37). Offensichtlich hat nur eine geringe Anzahl von Müttern die allein erziehende Familienform von Geburt des Kindes an angestrebt. In Ostdeutschland waren 2004 33% der Mütter ledig, in Westdeutschland dagegen nur 18% (destatis 2004, S. 29). 4.2.2
Allein erziehend als Trennungs- bzw. Scheidungsfolge
Nach dem Datenreport von 2006 (destatis, Sacht Krieger & Julia Weinmann 2008) werden Mütter und Väter mit minderjährigen Kindern am häufigsten infolge einer Scheidung allein erziehend. 2006 waren 43% der Mütter und 52% der Väter geschieden. Auf den weiteren Plätzen folgten bei Müttern Ledige mit einem Anteil von 35%, verheiratet getrennt Lebende mit 16% und Verwitwete mit 6%. Bei den Vätern betrug der Anteil der getrennt Lebenden 22%, der der Verwitweten 13% (destatis, Krieger & Weinmann 2008, S. 30). Im Jahr 2009 waren 42% der Alleinerziehenden geschieden, 17% führten getrennte Haushalte, 35% der allein erziehenden Elternteile waren ledig, weitere 6% verwitwet (destatis 2010 Alleinerziehende, S. 11). Ob aus diesen Zahlen gefolgert werden kann, dass das „allein Erziehen in erster Linie eine ungeplante Lebensform von Müttern und Vätern ist, die durch Trennung oder Scheidung … mitten in der Familienphase einsetzt“ (destatis, Krieger & Weinmann 2008, S. 37), ist insoweit zu problematisieren, als in der zitierten Formulierung die Annahme mitschwingt, allein erziehend zu sein, sei quasi die schicksalhafte Konsequenz gescheiterter Paarbeziehungen. Die Zahlen legen zwar nahe, dass die Mehrheit der Alleinerziehenden diese Lebensform nicht von vornherein bewusst angestrebt hatte; die Konnotation des Versagens muss aber keineswegs die realen Verhältnisse widerspiegeln. Vielmehr kann die Zunahme von Entscheidungsmöglichkeiten auch dazu führen, in selbstbewusster Weise vorherige Entscheidungen zu revidieren und eine Lebensform zu wählen, die der Zufriedenheit von Erwachsenen und Kindern im konkreten Fall besser entspricht. Ob die 35% der ledigen allein erziehenden Mütter eine bewusste Entscheidung für diese Lebensform getroffen haben, ist schwer einzuschätzen. 4.2.3
Alleinerziehende sind überwiegend Mütter
2009 waren 90,06% der allein erziehenden Familien mit Kindern unter 18 Jahren Mutterfamilien, 9,87% waren Vaterfamilien (destatis 2010a, Berechnungen nach Tab. 2, BS). 91,03% der Kinder in allein erziehenden Familien leben bei ihren
104
4 Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen
Müttern, 8,97% bei ihren Vätern (destatis 2010a, Berechnung nach Tab. 4, BS). Der Anteil der allein erziehenden Väter an der Gesamtzahl der Alleinerziehenden ist also gering. Auffällig ist, dass Väter vor allem ältere Kinder betreuen. 36% der allein erziehenden Väter betreuten 2009 Kinder im Alter von 15 bis 17 Jahren (destatis 2010b, S. 14). Dagegen lebten bei 31% der allein erziehenden Mütter Kinder im Krippen- oder Vorschulalter (destatis 2010b, S. 14). Man kann davon ausgehen, dass allein erziehend zu sein eine weibliche Lebensform ist. Auch unter dieser Perspektive ist die These, Alleinerziehende würden überwiegend diese Lebensform nicht freiwillig wählen, sie sei vielmehr überwiegend das Resultat gescheiterter Paarbeziehungen, problematisch. Scheidungen werden überwiegend von Frauen beantragt; 2006 wurden von 190 928 Scheidungen 106 631, d. h. 55,8% von Frauen beantragt, 69 197 d. h. 36% von Männern und 15100 (destatis 2008e, S. 30) von beiden. Frauen wählen also bewusst eine andere Lebensform als die der Ehepaarbeziehung, wenn diese nicht mehr befriedigend ist, sie gehen kraft ihrer Entscheidung einen anderen Weg. Im Scheitern von Paarbeziehungen muss nicht zwingend eine Niederlage für die Betroffenen in dem Sinn liegen, dass sie eine Lebensentscheidung oder ein Lebensziel nicht haben verwirklichen können. Leben in Paarbeziehungen kann ebenso eine Lebenserfahrung sein, die unabhängig vom Grad möglichen Leidens eine Entscheidung auslöst, die in ein Alleinleben bzw. allein Erziehen mündet. Nahe liegen könnte auch folgende Interpretation: Frauen trennen sich in ihrem Interesse und im Interesse ihrer Kinder, wenn die Realität der Ehepaarbeziehung oder Paarbeziehung zu einer derartig nachhaltigen Belastung wird, dass ein Alleinleben mit oder ohne Kinder als bessere Alternative erscheint. Das wird in erster Stelle bei Beziehungen mit Gewaltcharakter der Fall sein. 4.2.4
Alleinerziehende sind deutlich ärmer
Das durchschnittliche monatliche Bruttoeinkommen aus nicht selbständiger Arbeit betrug 2006 bei Paaren mit Kindern 3719 Euro, das von Alleinerziehenden, in der Regel also von Müttern, 1255 Euro, also deutlich weniger als die Hälfte. Die öffentlichen Transferleistungen einschließlich Kindergeld betrugen bei Paaren mit Kindern monatlich 597 Euro, bei Alleinerziehenden 572 Euro durchschnittlich. Beim Vergleich der Nettoeinkommen einschließlich öffentlicher und nichtöffentlicher Transferleistungen (z. B. Unterstützung durch die Familie) hatten Alleinerziehende monatlich 1944 Euro zur Verfügung, Paare mit Kindern 3897 Euro (destatis 2008a, S. 30). Nach einer differenzierteren, gewichteten Berechnung hatten 2006 Ehepaare mit minderjährigen Kindern zu 44% ein monatliches Familieneinkommen von 1300 bis unter 2600 Euro. Lebensgemeinschaften verfügten zur Hälfte über ein monatliches Nettoeinkommen in dieser Höhe. Allein Erziehende lebten zu 51% von einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 1300 Euro. Während allein erziehende Väter mit Kindern unter 18 Jahren mehrheitlich (52%) ein Familieneinkommen von 1300 bis unter 2600 Euro monatlich erreichten, mussten die Mütter sich in der Mehrzahl
4.2 Besonderheiten allein erziehender Familien
105
(53%) mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 1300 Euro zufrieden geben (destatis, Krieger & Weinmann 2008, S. 35). Knapp sechs von zehn allein erziehenden Müttern finanzierte sich 2009 überwiegend aus eigener Erwerbstätigkeit. Rund 31% waren auf Transferzahlungen nach SGB II oder Sozialhilfe angewiesen (destatis 2010, S. 24). Festzustellen ist also, dass allein erziehende Mutterfamilien überproportional arm und daher starken sozioökonomischen Belastungen ausgesetzt sind. Dabei sind allein erziehende Mütter zu 60% erwerbstätig. Mütter in Paarfamilien sind mit über 58% fast ebenso häufig erwerbstätig (destatis 2010b, S. 17), allerdings arbeiten erwerbstätige allein erziehende Mütter (42%) deutlich häufiger in Vollzeit als erwerbstätige Mütter in Paarfamilien (27%) (destatis 2010b, S. 18). Fast jede 5. allein erziehende Mutter, die einer Teilzeittätigkeit nachging tat das, weil sie keine Vollzeitstelle finden konnte. Das traf nur auf 9% der Mütter in Paarfamilien zu. 37% der allein erziehenden Mütter, die nicht erwerbstätig waren, suchten im Jahr 2009 aktiv eine Arbeit. Bei nicht erwerbstätigen Müttern in Paarfamilien bemühten sich lediglich 13% um eine Arbeitsstelle. Nach dem Mikrozensus von 2009 haben allein erziehende Mütter (Bildungsstand nach ISCED: 24% niedrig; 59% mittel; 18% hoch) einen etwas geringeren Bildungsstand als Mütter in Paarfamilien (18% niedrig, 60% mittel, 22% hoch) (destatis 2010b, S. 23). Allein erziehende Mütter haben durchschnittlich ein geringeres Familieneinkommen als allein erziehende Väter. 31,2% der Mütter verfügten 2009 über ein Netto-Familieneinkommen von unter 1100 Euro, über ein derartig geringes Familieneinkommen verfügten lediglich 16,7% der Väter. Dagegen hatten 61% der Väter ein monatliches Netto-Familieneinkommen von 2600 Euro und mehr, bei den Müttern waren es 6,8% (destatis 2010b, S. 27) Die Analysen des Mikrozensus 2009 (destatis 2010b, S. 25) zeigen, dass allein erziehenden Mütter etwas häufiger einer Erwerbstätigkeit nachgehen als Mütter in Paarfamilien, dass sie häufiger vollzeittätig sind und häufiger sich aktiv um Arbeit bemühen. Ihr Einkommen ist allerdings das einzige Einkommen, das den Familienunterhalt sichert, es ist zudem deutlich geringer als das allein erziehender Väter. Bei Müttern aus Paarfamilien setzt sich das Familieneinkommen aus zwei Erwerbseinkommen zusammen. Die unterschiedliche ökonomische Lage von Paarfamilien und Eineltern-Mutterfamilien liegt also nicht an der mangelnden Bereitschaft der Mütter, für den Familienunterhalt zu sorgen und dafür die Verantwortung zu übernahmen sondern an der Arbeitsmarktlage und einer Lohnentwicklung, nach der mit einem Einkommen, gerade mit einem Einkommen von Frauen, in der Regel nur sehr schwer eine Familie unterhalten werden kann. 4.2.5
Alleinerziehende nehmen häufiger erzieherische Hilfe in Anspruch
Im Jahre 2008 sind nach der Jugendhilfestatistik insgesamt 343 000 erzieherische Hilfen SGB VIII (§§ 27 SGB VIIIff.) für minderjährige junge Menschen und deren Fa-
106
4 Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen
milien gewährt wurden. Knapp die Hälfe (fast 46%) Hilfe zur Erziehung ging an allein erziehende Elternteile. Verglichen mit dem Anteil von 19% an allen Familien mit minderjährigen Kindern erhielten Alleinerziehende deutlich überproportional erzieherische Hilfe. Jede zehnte allein erziehende Familie nahm derartige Hilfe in Anspruch. Dagegen erhielten nur knapp 2% der zusammenlebenden Eltern Hilfe zur Erziehung. Bei den Hilfeangeboten variierte die Zahl der Alleinerziehenden. Bei der Erziehungsberatung waren es 37%, bei der stationären Unterbringung 65%, bei der ambulanten Sozialpädagogischen Familienhilfe 52%. 73% der Alleinerziehenden, die erzieherische Hilfe in Anspruch nahmen erhielten Transferleistungen nach dem SGB II bzw. dem SGB XII. Lebten die Eltern zusammen, erhielt nur jede zweite Familie (alle Zahlen, destatis 2010b, S. 31) neben erzieherischer Hilfe Transferleistungen. Diese Zahlen zeigen zunächst, dass Alleinerziehende ihren Anspruch auf erzieherische Hilfe häufiger wahrnehmen. Ob sie erzieherische Hilfe auch häufiger angeboten bekommen, weil alleinerziehend zu sein, noch immer für die Kinder als risikobehaftet gilt, kann ebenso so wenig den Zahlen entnommen werden, wie die Frage, ob Alleinerziehende auf Grund ihrer schwierigen ökonomischen Verhältnisse eher auf diese Hilfeformen angewiesen sind. Naheliegend könnte auch sein, dass Alleinerziehenden im Rahmen der Trennung der Eltern erzieherische Hilfe offeriert wird. Einen Hinweis dafür, dass das Kindeswohl von Kindern allein erziehender Eltern eher von Gefährdung bedroht oder es nicht gewährleistet ist (Voraussetzungen des § 27 SGB VII), kann allein diesen Zahl nicht entnommen werden. Dafür wären differenzierte Untersuchungen zur erzieherischen Hilfe erforderlich. 4.2.6
Zur psychischen Entwicklung der Kinder von Alleinerziehenden
Vom Robert-Koch-Institut (RKI) ist eine umfangreiche Studie zur psychischen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen vorgelegt worden (Der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey, KiGGS, Risiken und Ressourcen für die psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, Erhart et al. 2007). In der Teilstudie von 2003 bis 2006 sind Daten von 3331 Mädchen und 3492 Jungen im Alter von 11 bis 17 Jahren aus 167 für die Bundesrepublik repräsentativen Städten und Gemeinden herangezogen worden. Die Studie geht von einem salutogenetischen Ansatz (Darstellung z. B. Gunkel 2004) aus, also von der Frage nach der Entstehung von Gesundheit. Neben Risikofaktoren sind die Faktoren in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt, die Gesundheit schützen und zu Widerstandskraft gegen Stressoren beitragen. Ein weiterer theoretischer Ansatz der Studie ist die entwicklungspsychologische Resilienzforschung, die der Frage nachgeht, welche Einflussgrößen es betroffenen Kindern und Jugendlichen bei vorhandenen Belastungen ermöglichen, sich dennoch zufrieden stellend und gesund zu entwickeln. In der Befragung werden Daten zu personalen Ressourcen (Kohärenzsinn, dispositioneller Optimismus), sozialen Ressourcen (von Gleichaltrigen und Erwachsenen
4.2 Besonderheiten allein erziehender Familien
107
erfahrene und verfügbare soziale Unterstützung, die protektive Rolle sozialer Unterstützung für die gesundheitliche Entwicklung gilt als nachgewiesen) und familiären Ressourcen (familiärer Zusammenhalt, Erziehungsverhalten der Eltern) unterschieden nach den Altersgruppen 11- bis 13-Jährige und 14- bis 17-Jährige erhoben. Unterschieden wird nach den Merkmalen unauffällig, grenzwertig und defizitär (Erhart et al. 2007, S. 800ff.). Die genannten Schutzfaktoren werden differenziert nach verschiedenen soziodemographischen Gruppen untersucht: Geschlecht, Migrationsstatus (Migrant, Nichtmigrant), sozioökonomischer Status (nach dem sog. WinklerSozialschichtungsindex, niedriger, mittlerer, hoher sozialökonomischer Status) und Familie (vollständig, unvollständig). Bei der Unterscheidung von Familie in vollständig und unvollständig ist anzumerken, dass hier eine andere Zuordnung vorgenommen wird als bei der Erfassung durch das Statistische Bundesamt. Kinder, die bei beiden leiblichen Elternteilen oder bei einem leiblichen Elternteil mit einem neuen Partner leben, werden als in einer vollständigen Familie lebend eingeordnet. Kinder, die nur bei einem Elternteil, in Pflegefamilien oder im Heim leben, werden als in einer unvollständigen Familie lebend klassifiziert. Warum hier der eher diskriminierende und in Pädagogik und Sozialwissenschaften seit den 1980er Jahren nicht mehr in Gebrauch befindliche Begriff angewendet wird, bleibt ebenso unklar wie die Frage, warum Heimkinder und Kinder, die bei Pflegeeltern leben, also Kinder mit einem ohnehin erhöhten Belastungsniveau den unvollständigen Familien zugerechnet werden. Insgesamt werden dadurch Wert und Aussagekraft der Studie jedoch nicht geschmälert. Nach dieser Studie werden in der Gesamtauswertung in allen drei Bereichen jeweils knapp 80% der Kinder und Jugendlichen als unauffällig bezeichnet. Die personalen und familiären Ressourcen gelten bei über 10% der Kinder und Jugendlichen als defizitär, bei den sozialen Ressourcen ist dieser Prozentsatz etwas geringer. Als auffälligstes Gesamtergebnis ist hervor zu heben, dass Kinder und Jugendliche mit niedrigem sozialökonomischen Status in allen drei Bereichen über deutlich geringere Ressourcen verfügen. Der Unterschied zwischen hohem und niedrigem sozialökonomischen Status schwankt zwischen 8,9 (soziale Ressourcen), 6,6 (personale Ressourcen) und 4,2 Prozentpunkten (familiäre Ressourcen) (Erhart et al. 2007, Tabellen S. 804, 802, 805, Berechnungen BS). Armut stellt offensichtlich die stärkste Belastung für die psychische Gesundheit dar. Sie ist der größte Risikofaktor für unbelastetes Aufwachsen von Kindern, nicht Migrationshintergrund und nicht das Aufwachsen in allein erziehenden Familien. Ein ebenso auffälliges Ergebnis ist, dass „unvollständige“ Familien wie Familien mit Migrationshintergrund in besonderem Maß von Armut betroffen sind. Wie bei den Migranten werden über 50% (51,2%) der „unvollständigen“ Familien einem niedrigen sozialökonomischen Status zugeordnet, einen mittleren sozialökonomischen Status haben 36,9% der Familien mit Migrationshintergrund und 39,5% der
108
4 Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen
„unvollständigen“ Familien. Einen hohen sozialökonomischen Status weisen 10,9% der Familien mit Migrationshintergrund und nur 9,3% der „unvollständigen Familien“ auf (Erhart et al. 2007, S. 809). Angesichts dieser hohen Belastung durch einen überproportional niedrigen sozialökonomischen Status ist deshalb besonders hervorzuheben, dass bei der Gesamtauswertung die Abweichungen der Ressourcen von Kindern aus unvollständigen Familien gegenüber denen aus vollständigen Familien äußerst gering sind. Im Bereich personale Ressourcen besteht eine Abweichung zugunsten der Kinder aus vollständigen Familien von 0,6%, im Bereich familiäre Ressourcen von 1,5%, wobei hier unklar ist, inwieweit die Aufnahme von Heimkindern und Pflegekindern in diese Gruppe das Gesamtbild beeinflusst. Im Bereich soziale Ressourcen besteht ein leichtes Plus von 0,8% zugunsten der Kinder und Jugendlichen aus unvollständigen Familien (Erhart et al. 2007, Tabellen S. 802, 805, 804, Berechnungen BS). Diese Studie ist die erste groß angelegte Untersuchung, die in dieser Form Vergleiche zwischen Kindern aus Paarfamilien und Kindern aus allein erziehenden Familien zulässt. Das Ergebnis zeigt eindeutig, dass Kinder und Jugendliche aus allein erziehenden Familien keinen höheren Risiken in ihrer psychischen Entwicklung aufgrund der Familienform ausgesetzt sind. 4.2.7
Alleinerziehend – eine etablierte Lebensform
Auch wenn die Mehrheit der Kinder in Ehepaarfamilien aufwächst, steigt die Zahl anderer Familienformen kontinuierlich; insbesondere nimmt die Anzahl Alleinerziehender in den Stadtstaaten (wahrscheinlich in Großstädten insgesamt) und in den neuen Bundesländern zu. Die absolute Zahl von 2 185 000 (16,46% aller minderjährigen Kinder, Tab. 4 und 5) Kindern, die in allein erziehenden Familien aufwachsen, davon 1 989 000 (Tab. 4) bei ihren Müttern, zeigt, dass es sich um eine etablierte Lebensform handelt, die zunimmt. In Berlin sind bereits ca. 33% der Familien allein erziehend. Angesichts des unterdurchschnittlichen Nettoeinkommens von allein erziehenden Müttern beinhaltet diese Lebensform ökonomische Risiken und stellt somit sozialpolitisch ein potentielles Problem dar. Offensichtlich wirken sich Arbeitsmarkt und unzureichende Ganztagsbetreuungsmöglichkeiten insoweit einschränkend auf allein erziehende Mütter aus. Für sie ist es schwer, eine hinreichende Existenz für sich und ihre Kinder aufzubauen. Wie ausgeführt, sind Kinder und Jugendliche aus allein erziehenden Familien in ihrer psychischen Entwicklung nicht stärker gefährdet als Kinder aus Paarfamilien. Diese eindruckvollen Ergebnisse der Studie des Robert-Koch-Instituts (Erhart et al. 2007) zeigen auch, mit welcher pädagogischen Kompetenz Mütter trotz ihrer deutlich schwierigeren sozialökonomischen Situation Kinder und Jugendliche in ihrem Aufwachsen begleiten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage einmal mehr, warum Paarfamilien als „vollständig“ bezeichnet werden, allein erziehende Familien dagegen als „unvollständig“.
4.4 Sorgerechtsentscheidungen
4.3
109
Ehescheidungen
Die Auflösung von Ehen hat in den letzten Jahrzehnten in allen Industrienationen zugenommen. 2005 lag das Scheidungsrisiko in Deutschland bei 54,1% und hat sich somit mehr als verdreifacht (Bodenmann 2009, S. 241). Der Grad der Modernisierung einer Gesellschaft (Bildungsniveau, Berufstätigkeit der Frauen, Einstellung zur Sexualität) soll linear das Scheidungsrisiko widerspiegeln, wobei insbesondere gilt, dass je besser gebildet Frauen und damit ökonomisch unabhängiger vom Mann sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit ist, geschieden zu werden. Frauen mit hohem Bildungsniveau sollen eine 83% höhere Wahrscheinlichkeit einer Scheidung haben als Frauen mit niedriger Bildung (Bodenmann 2009, S. 242). Seit Jahren bleiben die absoluten Zahlen der Ehescheidungen pro Jahr etwas unter 200 000, wobei die Zahl der Ehen mit minderjährigen Kindern dabei knapp die Hälfte beträgt. Über 140 000 Kinder sind jährlich von Ehescheidungen betroffen. Zwei Vergleichszahlen verdeutlichen das Bild: Die Zahl der Ehescheidungen betrug 1999 195 590; in 48,2% der geschiedenen Ehen gab es minderjährige Kinder, deren absolute Zahl 143 723 betrug. 2007 betrug die Zahl der Ehescheidungen 187 072; in 49,0% der geschiedenen Ehen gab es minderjährige Kinder, in absoluten Zahlen waren es 144 981 (destatis 2009b). Nicht nur wegen einer Zunahme außerehelicher Geburten wächst also die Zahl von Alleinerziehenden kontinuierlich, sondern auch, weil nach Scheidungen neue allein erziehende Familien entstehen. Das statistische Hinauswachsen aus dieser Lebensform in Folge von Volljährigkeit wird in absoluten Zahlen mehr als kompensiert. Scheidungen sind ein starker Faktor, der die Lebensform Alleinerziehend generiert. In der Scheidungsforschung werden zwei Hauptfaktoren für ein erhöhtes Scheidungsrisiko verantwortlich gemacht: Psychische Labilität (Neurotizismus) und Kompetenzdefizite insbesondere bei Stressbewältigung (Bodenmann 2009, S. 254). Vergleichsforschungen, inwieweit bei bestehenden und fortgeführten Ehen vergleichbare Konfliktpotentiale vorliegen, liegen allerdings nicht vor. Zu fragen ist, ob es angemessen ist, Ehescheidungen, die regelmäßig in der gegebenen Häufigkeit vollzogen werden, immer noch das Attribut des Scheiterns zu zuweisen oder ob mit dieser Konnotation die traditionelle Leitvorstellung einer lebenslangen Gemeinschaft verbunden ist. Für ein Verständnis, das von der Gleichwertigkeit pluraler Lebensformen ausgeht, gelten Lebensformen nach Scheidungen nicht als Ergebnis von Scheitern, sondern gehörten einschließlich ihrer Folgen für die betroffenen Kinder in den Normalbereich eben dieser Pluralitäten.
4.4
Sorgerechtsentscheidungen
Seit der Kindschaftsrechtsreform 1998 werden vom Statistischen Bundesamt in der Fachserie 10 „Familiengerichte“ Statistiken geführt, die auch Sorgerechtsübertra-
110
4 Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen
gungen im Zusammenhang mit einer Scheidung auf die Mutter bzw. den Vater ausweisen. Zuvor lagen hierzu keine offiziellen statistischen Daten vor. 1996, also vor der Kindschaftsrechtsreform waren 111 862 Sorgerechtsverfahren im Scheidungsverbund (destatis 1996) anhängig (Verbundverfahren, Kap. 5). Vor der Entscheidung des BVerfG vom 03. 11. 1982 (Kap. 5.2), die eine gemeinsame elterliche Sorge erst möglich machte, soll nach der Bundesratsdrucksache 180/96 (BR-Drs. 180/96 22. 03. 1996, S. 46) in 80% der Fälle die elterliche Sorge auf die Mutter und in 14% auf den Vater übertragen worden sein, bei den verbleibenden 6% auf Dritte. Auch nach 1982 wird die elterliche Sorge, wenn die Eltern sich nicht auf eine gemeinsame Sorge geeinigt haben, in der überwiegenden Mehrheit der Fälle auf die Mutter übertragen. Nach einer von 1994 bis 1995 vorgenommenen justizstatistischen Sondererhebung wurde in 17,07% der Fälle die elterliche Sorge den Eltern gemeinsam belassen, in 74,64% der Fälle wurde es allein auf die Mutter und in 8,29% allein auf den Vater übertragen (BR-Drs. 180/96 22. 03. 1996, S. 47). Bei rund neun von zehn Scheidungen, bei denen minderjährige Kinder betroffen waren, verblieb das Sorgerecht 2006 bei beiden Elternteilen, da weder Vater noch Mutter einen Antrag auf alleinige Sorge gestellt hatten. In Scheidungsverfahren, in denen ein entsprechender Antrag gestellt wurde, haben die Gerichte in einem Viertel der Fälle beiden Eltern die gemeinsame elterliche Sorge übertragen. Nur in 6% der Scheidungen ist dem Vater die alleinige Sorge übertragen worden, der Mutter wurde die alleinige Sorge in zwei Dritteln der Fälle übertragen. Im Jahr 2000 dagegen verblieb in 76% der Scheidungen die elterliche Sorge bei beiden Eltern, 2006 waren es 90% (destatis 2008c, S. 54ff.) In der Broschüre des Statistischen Bundesamts „Justiz auf einen Blick“ (destatis 2008c) heißt es: „Das vom Gesetzgeber angestrebte Prinzip der gemeinschaftlichen Sorge der Eltern für die gemeinsamen Kinder nach einer Scheidung ist mittlerweile weitgehend verwirklicht“ (destatis 2008c, S. 55). Die in der Broschüre „Justiz auf einen Blick“ genannten Zahlen beziehen sich auf Sorgerechtsentscheidungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Scheidung. Nur in diesem Zusammenhang werden in der Statistik die Daten zu Sorgerechtsanträgen und gerichtlichen Entscheidungen ausgewiesen. Allgemein werden in der offiziellen Familiengerichtsstatistik „Familiengerichte“, Fachserie 10, Reihe 2.2 die Verfahren Übertragung/Entziehung der elterlichen Sorge nicht differenziert geführt. In allen Daten, die mit Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge gekennzeichnet sind, sind laut Auskunft des Statistischen Bundesamts alle Verfahren zur elterlichen Sorge enthalten, also auch Verfahren nach § 1666 BGB (Sorgerechtsentzug bei Kindeswohlgefährdung. In der Jugendhilfestatistik sind zu §§ 1666/ 1666a BGB nur die Fälle verzeichnet, bei denen das Jugendamt das Familiengericht angerufen hat, 2008 z. B. in 14 906 Fällen (destatis 2008d, Tab. 3). Eine Gegenrechnung ist nicht möglich, weil derartige Verfahren auch von Amts wegen eingeleitet werden können. Es soll bei allen anderen Daten keine Möglichkeit geben, zu differenzieren oder einzelne Normen zu isolieren. Wenn es heißt, dass in 2008 vor den
4.4 Sorgerechtsentscheidungen
111
Amtsgerichten insgesamt 92 732 Verfahren mit dem Gegenstand der Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge erledigt worden sind, dann sind damit alle Verfahren gemeint, die die elterliche Sorge zum Gegenstand hatten (destatis 2008b, S. 18). Die fehlende Unterscheidungsmöglichkeit in der offiziellen Statistik ist unverständlich und weist auf Lücken in der Rechtstatsachenerhebung hin. Es gibt also in der familiengerichtlichen Statistik weder differenzierte Daten über Sorgerechtsentzüge nach § 1666 BGB noch über Übertragungen der elterlichen Sorge außerhalb von Scheidungen, also in abgetrennten Folgesachen, in isolierten Familiensachen und in Familiensachen, in denen die Eltern nicht miteinander verheiratet sind. Die Zahl der Verfahren, die außerhalb von Scheidungen Übertragung und Entziehung der elterlichen Sorge zum Gegenstand hatten, liegt 2008 bei 32 794 (siehe Tabelle 6, Addition Spalte 2 Zeilen 3–5). Wenn es schätzungsweise in zwei Drittel oder selbst in der Hälfte der Fälle um Angelegenheiten der Übertragung der elterlichen Sorge ging (Zirkazahl der Fälle, in denen das Sorgerecht nach § 1671 BGB zugeordnet worden ist), dann ist die Zahl dieser Fälle höher als die, in denen gerichtliche Entscheidungen im Zusammenhang mit der Ehescheidung (Tab. 6, 7733, Spalte 2, Zeile 2) getroffen worden sind. Somit sind die Daten, die sich ausschließlich auf die Entscheidungen im Zusammenhang mit Scheidungen beziehen, zurückhaltend zu interpretieren. 2008 gab es 69 439 Scheidungsverfahren, in denen die elterliche Sorge nach Auflösung der Ehe vom Gericht übertragen worden ist oder mangels eines Antrags nach § 1671 Abs. 1 BGB beiden Eltern weiterhin gemeinsam zustand. In 61 706 also in 88,86% der Fälle ist kein Antrag gestellt worden. Lediglich in 7733 Fällen kam es zu einer Entscheidung. In 24,1% dieser Fälle blieb es aufgrund der gerichtlichen Entscheidung bei der gemeinsamen elterlichen Sorge. In 68% wurde die elterliche Sorge auf die Mutter und in 5,5% der Fälle auf den Vater übertragen (destatis 2008b, 46). Die folgende Tabelle 6 ist nur von begrenzter Aussagekraft, weil in allen weiteren Untergliederungen (ausgenommen Scheidung, Antrag nach § 1671 BGB) u. a. auch die Fälle von Entzug der elterlichen Sorge nach § 1666 BGB enthalten sind. Das erklärt die verhältnismäßig hohen Zahlen der Übertragung der elterlichen Sorge auf Dritte. Die Tabelle zeigt aber dennoch Tendenzen, insbesondere in der Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter bzw. den Vater. Die Zahlen der Tabelle sind der Fachserie Familiengerichte 2008 entnommen und gelten für 2008. Die Berechnungen BS (destatis 2008b, S. 46). Bei über 50% der Fälle ist die alleinige Sorge auf die Mutter übertragen worden, bei knapp über 13% auf den Vater. Der Verbleib der elterlichen Sorge bei beiden Eltern scheint in den Fällen, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Ehescheidung entschieden worden sind, deutlich geringer zu sein. Zwei Vergleichsdaten aus 2008 (s. Tab. 7) sollen auf die unterschiedliche Entscheidungspraxis in den einzelnen Bundesländern hinweisen (destatis 2008b, S. 46ff.). Die Zahlen enthalten die im Zusammenhang mit der Scheidung zu entschei-
112
4 Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen
Tabelle 6: Verfahren zur Übertragung der elterlichen Sorge Verfahren
zusammen
Scheidung, Antrag nach § 1671 (ohne § 1666 u. a.)
Vater
Auf Dritte
Mehrere K. unterschiedl. auf M. oder V.
1864
5263
433
60
113
632
76
417
79
45
15
25 068
2832
12 077
3766
5988
405
7094
649
2725
1100
2542
78
40 527
5421
20 482
5378
8535
611
100
13,37
50,53
13,27
21,06
1,5
Eltern, nicht verheiratet zusammen
Mutter
7733
Abgetrennte Folgesachen Isolierte Familiensachen, Eltern waren oder sind verh.
Übertragung auf beide
Quote %
denden Fälle der Sorgerechtsübertragung und die Fälle, in denen außerhalb von Scheidungsverfahren über Sorgerechtsübertragungen bzw. Entziehung der elterlichen Sorge (nach §§ 1666/1666a BGB – Kindeswohlgefährdung) zu entscheiden war (Quotenberechnung BS). In Baden-Württemberg ist in verhältnismäßig deutlich mehr Fällen die elterliche Sorge auf die Mutter übertragen worden. In Brandenburg verblieb in verhältnismäßig mehr Fällen die elterliche Sorge bei den Eltern oder wurde auf Dritte übertragen. Tabelle 7: Vergleich Baden-Württemberg/Brandenburg, Verfahren zur Übertragung der elterlichen Sorge Bundesländer
EntEntsch. gem. Übertragung Übertragung scheidungen elterl. Sorge auf die Mutter auf den Vater
Übertragung auf Dritte
BadenWürttemberg
3728
533
2032
547
549
Brandenburg
1076
221
367
148
312
Quote Ba-Wü %
100
14,29
54,50
14,67
14,72
Quote Brandb %
100
20,53
34,10
13,78
28,99
4.5 Sorgeerklärungen nach § 1626a BGB
113
Wenn es also in der Broschüre „Justiz auf einen Blick“ heißt, dass in ca. 90% der Fälle die gemeinsame elterliche Sorge erhalten bleibt, dann bezieht sich das lediglich auf die Fälle, in denen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Scheidung die gemeinsame elterliche Sorge entweder durch einen Verzicht auf einen Antrag oder durch eine gerichtliche Entscheidung Bestand hatte. Von den Oberlandesgerichten sind 2008 insgesamt (alle Verfahren der elterlichen Sorge, also einschließlich des Sorgerechtsentzugs wegen Kindeswohlgefährdung) 3600 Verfahren mit dem Gegenstand der Übertragung und Entziehung der elterlichen Sorge erledigt worden, also nur in 3,8% der Fälle, die von den Amtsgerichten insgesamt erledigt wurden.
4.5
Sorgeerklärungen nach § 1626a BGB
Seit 2004 werden bei den Jugendämtern Sorgeregister geführt. Sorgeerklärungen können nach § 1626a BGB (Kap. 6) von den Eltern jederzeit, auch vor der Geburt des Kindes oder wenn das Kind bereits z. B. 12 Jahre alt ist, abgegeben werden. Deutlich wird, dass sie kontinuierlich steigen: 2004: 87 400; 2005: 90 414; 2006: 93 996; 2007: 103 573; 2008: 111 039 (diese Zahlen sind den jeweiligen Jahresstatistiken der Jugendhilfestatistik, Tabelle 3 entnommen; destatis 2010, für 2008 destatis 2008d) 4.5.1
Die Zufriedenheit mit den unterschiedlichen Sorgerechtsmodellen
Es ist zu fragen, ob der gemeinsamen elterlichen Sorge tatsächlich ein gemeinsamer Wille zugrunde liegt, ob also die Paarbeziehung als veränderte Beziehung auch nach der Trennung so weit Bestand hat, dass sie für die betroffenen Kinder eine gemeinsame Sorge trägt oder ob hier ein Leitbild durchgesetzt worden ist. Die rechtlichen Hürden der Sorgeübertragung auf einen Elternteil sind derartig hoch, dass möglicherweise viele Eltern auf einen Antrag verzichten, weil sie ihn für aussichtslos halten oder weil sie die Kinder nicht durch ein Verfahren belasten wollen. Ob also der Umstand, dass 2008 in unmittelbarem Zusammenhang mit Scheidungen nur in 11,14% (destatis 2008b, S. 46) der Fälle ein Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil gestellt worden ist, einen Erfolg in dem Sinn widerspiegelt, dass mit der gemeinsamen elterlichen Sorge für Kinder entspannte Lebensbedingungen entstehen oder ob sich hinter dieser Zahl eine Justizpolitik verbirgt, die lediglich den Erfolg eines massiv durchgesetzten Leitbildes zeigt, wird in der Gesamtauswertung zu diskutieren sein. Was Untersuchungen zur Zufriedenheit mit den unterschiedlichen Sorgerechtsmodellen angeht, liegt bisher nur eine Studie von Roland Proksch vor. Im Rahmen der im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz durchgeführten Implementations-
114
4 Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen
forschung zur Kindschaftsrechtsreform ist im Rahmen der Elternbefragung auch die Zufriedenheit mit den unterschiedlichen Sorgerechtsmodellen erfasst worden. Roland Proksch (Proksch 2002), ein expliziter Befürworter der gemeinsamen elterlichen Sorge als Regelfall, stellt in der Auswertung seiner Untersuchung, die sich ausschließlich auf Eltern nach Scheidungen bezieht und in der ausschließlich die Eltern befragt werden, fest, dass 48,6% der hauptbetreuenden Mütter mit der gemeinsamen elterlichen Sorge „sehr zufrieden/zufrieden“ und 26,5% der hauptbetreuenden Mütter mit der gemeinsamen Sorge „unzufrieden/sehr unzufrieden“ sind, während 87,6% der hauptbetreuenden Mütter mit der alleinigen elterlichen Sorge „sehr zufrieden/zufrieden“ sind und nur 3,5% das Merkmal „unzufrieden/ sehr unzufrieden“ gewählt haben. Mit der gemeinsamen elterlichen Sorge sind 61,6% der umgangsberechtigten Väter „zufrieden/sehr zufrieden“ und nur 15,2% „unzufrieden/sehr unzufrieden“. Mit der alleinigen elterlichen Sorge der hauptbetreuenden Mütter sind dagegen 48,5% der Väter „unzufrieden/sehr unzufrieden“ (Proksch 2002, S. 408). Proksch interpretiert diese Daten dahingehend, dass die gemeinsame elterliche Sorge aus einer Perspektive, die sowohl die hauptbetreuenden Mütter wie die umgangsberechtigten Väter gleichermaßen einbezieht, auf eine höhere Akzeptanz stößt als die alleinige elterliche Sorge. Er setzt dabei auf ein zahlenmäßiges Mittel. Die Zufriedenheit/Unzufriedenheit des betreuenden Elternteils wird gleichwertig mit der Zufriedenheit/Unzufriedenheit des familienfernen Elternteils gesehen. Mütterliche und väterliche Rechte, Bedürfnisse und Akzeptanz des Sorgemodells werden als grundsätzlich gleichwertig angesehen, unabhängig davon, wer in der verantwortlichen Beziehung zum Kind lebt. Kinder sind in der Studie nicht systematisch befragt worden.
4.6
Entscheidungen zum Umgangsrecht
Die Datenlage zum Umgang ist deutlich klarer als die zu Sorgerechtsentscheidungen. Zwar sind auch die Umgangsverfahren eingeschlossen, die möglicherweise Eltern angestrebt haben, denen die elterliche Sorge entzogen worden ist, weit überwiegend wird es sich aber um Umgangsauseinandersetzungen zwischen Eltern handeln (Kap. 7). Die Zahlen haben sich wie folgt entwickelt: 1996 waren es 21 841 Fälle (destatis 1996); 2002 33 800 Fälle (destatis 2002), 2007 38 697 Fälle (destatis 2007b) und 2008 waren es 44 780 Fälle (destatis 2008b, S. 18). Es ist also eine deutliche und kontinuierliche Zunahme der rechtlich ausgetragenen Konflikte über den Umgang zu verzeichnen. Die Umgangsverfahren sind in der Regel ebenso aufwändig wie bei Sorgerechtsverfahren, häufig werden Gutachter bzw. Verfahrensbeistände eingesetzt. Wahrscheinlich ist, dass in vielen Fällen sowohl über das Sorgerecht als auch über den Umgang gestritten wird. Hierzu liegen keine Statistiken vor. Umgangsangelegenheiten sind 2008 1600-mal von Oberlandesgerichten erledigt worden, also nur in 3,57% der Fälle.
4.7 Kinder in Trennungs- und Scheidungssituationen
4.7
115
Kinder in Trennungs- und Scheidungssituationen
Rechtliche Konzeptionen und Zielentwicklungen haben sich gerade im Familienrecht stets auf aktuelle psychologische und pädagogische Diskussionen und Theorien bezogen. Es soll im Folgenden ein Überblick über die Theorien und Forschungsergebnisse gegeben werden, auf die sich die Sorgerechtskonzeptionen beziehen bzw. die für diese relevant sind.
4.7.1
Der so genannte Bindungsstreit
Alle wichtigen familienrechtlichen Reformen sind von den sozial- und erziehungswissenschaftlichen Debatten ihrer Zeit beeinflusst. In den 1960er und 1970er Jahren gewann, insbesondere beeinflusst durch die Autoren Joseph Goldstein, Anna Freud und Albert Jay Solnit (Goldstein, Freud & Solnit 1991), die Vorstellung von der Bedeutung kindlicher Bindungen Einfluss auf die Rechtspolitik. Im Trennungsfall sollte in der Reformdiskussion Ende der 1970iger Jahre bei der Zuordnung der Kinder zu den Eltern, zu Mutter oder Vater, die „am wenigsten schädliche Alternative“ gewählt werden, wobei dafür der Bindungsaspekt ausschlaggebend sein sollte. Dem Kind sollte die Hauptbezugsperson, in der Regel die Mutter, erhalten bleiben (vgl. Kostka 2005, S. 90). In den 1980er Jahren gewann unter dem Einfluss der Väterforschung ein eher systemisch orientierter Ansatz Einfluss. Nach der Scheidung würde die Familie nicht zerbrechen, sondern sich vielmehr rekonstruieren. Das gemeinsame Sorgerecht kam zunehmend in das Blickfeld. Es wurde als das geeignete Mittel angesehen, „die familiären Beziehungen im Umstrukturierungsprozess der Scheidung sowie der Nachscheidungssituation zu berücksichtigen und dem Kind soviel wie möglich von seinen Bindungen zu erhalten“ (Matthiessen 2004, S. 63).
Dabei ging es nicht um den Erhalt personaler Beziehungen zu einem Elternteil sondern unter systemischen Gesichtpunkten um den Erhalt eines rekonstruierten Systems. Dieses Konzept trat von vornherein nicht als eine Option für Sorgerechtsregelungen auf. Es beanspruchte vielmehr, die Regelung anzubieten, die allein das Kindeswohl gewährleisten könne (Matthiessen 2004, S. 63). Vor allem unter Bezug auf die Väterforschung von Fthenakis (Fthenakis 1985b), nach der unabhängig davon, welche Rolle der Vater konkret im familialen Alltag eingenommen hat, der Erhalt beider Eltern als Voraussetzung für eine gesunde psychische Entwicklung angesehen wird, galt und gilt die gemeinsame elterliche Sorge als bessere Lösung. Der „Paradigmenwechsel“ von bindungstheoretischen zu systemorientierten Vorstellungen hat Eingang in die Kindschaftsrechtsreform von 1998 gefunden (Kostka 2005, S. 91). Coester verweist darauf, dass der Gesetzgeber in der Reform der elterlichen Sorge von 1979 den Begriff der Bindung eher umgangssprachlich als emotionale Zunei-
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gung, Verbundenheit, als „gute Beziehung“ gemeint hat (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 219). Im so genannten „Bindungsstreit“ ging es weniger um eine wissenschaftliche Diskussion unterschiedlicher Ansätze –, zumal weder die eher systemisch orientierten Wissenschaftler (insbes. Fthenakis) die Bedeutung von Bindungen bestreiten noch die bindungstheoretischen Positionen zuneigenden Wissenschaftler die Notwendigkeit eines systemischen Blicks auf größere Zusammenhänge wie die Familie insgesamt, soziale Umgebung, Freunde (Kostka 2004, S. 119) verleugnen würden – sondern um psychologisch legitimierte Modelle der Verteilung der elterlichen Sorge, die gegeneinander gestellt worden sind. „Die eigentliche Meinungsverschiedenheit besteht hinsichtlich des grundsätzlich angemessenen staatlichen Interventionsansatzes bei Scheidung: Schaffung klarer Sorgerechtsverhältnisse durch Etablierung einer Restfamilie unter (weitgehendem) Ausschluss des nichtsorgeberechtigten Elternteils (Bindungstheorie) oder Reorganisation der gesamten Familie unter weitest möglicher Einbeziehung beider Elternteile (systemischer Ansatz).“ (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 219.)
Für diese Meinungsverschiedenheiten sind offensichtlich beide theoretische Ansätze instrumentalisiert worden. Kostka fragt, „warum die Systemtheorie so große Auswirkungen hatte“. „Skeptisch zu betrachten“ ist für sie „die Heraushebung der systemischen Familiensicht und Therapie als einzig angemessene Lösung“ mit dem „Anspruch auf Wahrheit“ (Kostka 2004, S. 119). Hier wird das grundsätzliche methodologische Problem deutlich, aus psychologischen Theorien und Ansätzen rechtliche Aussagen und Regelungen abzuleiten. Psychologische Theorien und Forschungsergebnisse sind erheblich differenzierter, als dass sie sich in eindeutige Rechtsregelungen übersetzen ließen. Was in welcher Form für rechtliche Regelungen maßgeblich sein sollte, bedarf eines vielfältigen interdisziplinären Diskurses. Festlegungen auf ein bestimmtes Rechtsmodell behindern derartige Diskurse und führen stets zu einer willkürlichen, instrumentalisierenden Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten. 4.7.2
Bindung und Resilienz
In den letzten Jahren ist die auf Familie bezogene Systemtheorie hinter das Bindungskonzept zurückgetreten, ohne dass damit allerdings der Versuch aufgegeben worden ist, bestimmte Sorgerechtsmodelle psychologisch zu legitimieren. Es scheint gegenwärtig Tendenzen zu geben, die Überlegenheit gemeinsamer elterlicher Sorge mit dem Bindungskonzept begründen zu wollen (Brandenburgisches OLG 27. 07. 2009, Kap. 8.11.5.1), wobei es um die Bindung zum familienfernen Elternteil, in der Regel zum Vater geht. Allerdings haben derartige Vereinnahmungsversuche nichts mit der Bindungstheorie zu tun. Die vom englischen Psychiater und Psychoanalytiker John Bowlby in den 1950er Jahren begründete Bindungstheorie (Bowlby, Hillig 2008) besagt, dass der Säugling aufgrund einer biologisch angelegten Disposition eine starke Bindung zu
4.7 Kinder in Trennungs- und Scheidungssituationen
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einer Hauptbezugsperson entwickelt. Wenn eine primäre Bezugsperson nicht erreichbar ist, können auch sekundäre Bezugspersonen, die vom Kind ersatzweise aufgesucht werden, an deren Stelle treten. Es gilt inzwischen als abgesichert, dass sich dieses Bindungsverhalten „evolutionsbiologisch zur Arterhaltung“ entwickelt hat (Brisch 2008, S. 136). Säuglinge binden sich an die Pflegeperson, die ihre Bedürfnisse in einer feinfühligen Weise beantwortet (Konzept der Feinfühligkeit; Mary Ainsworth in Grossmann, Grossmann 2003). Wenn die Bedürfnisse des Säuglings in der von Ainsworth geforderten feinfühligen Art und Weise beantwortet werden, so besteht die relativ große Wahrscheinlichkeit, dass der Säugling zu dieser Person oder zu diesen Personen eine sichere Bindung aufbaut. Bei Störungen im Bindungsverhalten entstehen Muster von unsicher-vermeidenden, unsicher-ambivalenten oder desorganisierten bzw. desorientierten Bindungen (Brisch 2008, S. 138). Bei einer sicheren Bindung werden die Voraussetzungen für „psychologisch realistisches Denken, Planen und Verhalten“ geschaffen, das „ständig aktualisiert“ werden kann. Es können sich “innere Arbeitsmodelle“ bilden, wenn keine Störungen eines Gleichgewichts zwischen „innerer Kohärenz und äußerer Korrespondenz“ bestehen (Grossmann, Grossmann 2008, S. 280). Für die Bindungstheorie gilt es als wichtig, dass solche Übereinstimmungen nicht nur auf kognitiver Ebene hergestellt werden, sondern auch „für die Gefühle und ihre äußere Korrespondenz in den Ereignissen und ihren sprachlichen Darstellungen. Der Grund ist: Wenn der Zusammenhang zwischen innen und außen gestört ist, dann kommt es zu Desorganisation, Fehlwahrnehmungen und Fehlinterpretationen; es kommt zu Inkohärenz in den Erlebnissen und in den narrativen Geschichten und schließlich zu Konflikten im Umgang mit anderen und mit der Welt, weil die verinnerlichten Arbeitsmodelle von Bindungsbeziehungen nicht mehr passen – und vielleicht nie gepasst haben.“(Grossmann, Grossmann 2008, S. 287). Die „internalen Arbeitsmodelle“ entwickeln sich in ständiger Interaktion des Individuums mit seinem Umfeld zu „Bindungsrepräsentationen“. Diese sind als Konstrukte gemeint, sie sind nicht direkt wahrnehmbar, sondern zeigen sich in der Qualität des Umgangs mit anderen Personen und aus der Art der sprachlichen Darstellung bindungsrelevanter Ereignisse (Gahleitner 2009, S. 149). Damit gelingt es der Bindungstheorie das Augenmerk auf die Qualität der Bindung zu richten und Maßstäbe für die Qualität von Bindung anzugeben. Ein Dreischritt von früh erfolgter Personenorientierung, der Fähigkeit zur Motivklärung und der Möglichkeit zur Entwicklung von Lösungsperspektiven soll einen psychisch sicheren Umgang mit persönlichen Herausforderungen ermöglichen. Grossmann und Grossmann gehen davon aus, dass es für pädagogische Interventions- und Begleitstrategien wichtig ist, die Voraussetzungen gelingender Bewältigung der unterschiedlichen Herausforderungen, die mit jedem Leben und Aufwachsen verbunden sind, zu kennen und zu wissen „wie psychische Sicherheit in kritischen Situationen funktioniert und wie sie zustande kommt“ (Grossmann, Grossmann 2008, S. 296). Der Bindungstheorie liegen vielfältige empirische Untersuchungen zugrunde, sie gilt als wissenschaftlich abgesichert.
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4 Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen
Neben dem Bindungskonzept hat sich in den letzten 20 Jahren das Resilienzkonzept etabliert (Fingerle 2009). Ausgehend von der Frage, warum es Menschen in völlig unterschiedlicher Weise gelingt, mit extrem belastenden, traumatischen Situationen umzugehen, ist ein Konzept entstanden, das nach Schutzfaktoren (protektive Faktoren) und Risikofaktoren (Vulnerabilitäten) unterscheidet. Mit dem Begriff des Kohärenzgefühls nach Antonovsky (Gunkel, Kruse 2004, S. 51), das Schutzfaktoren unterschieden nach Verstehbarkeit (von Eindrücken), Handhabbarkeit (von Konfliktsituationen) und Sinnhaftigkeit (als Lebensgefühl) umfasst, soll die Fähigkeit angezeigt werden, „resilient“ auf konfliktreiche Ereignisse und belastende Situationen zu reagieren. Ein hoher Kohärenzsinn (Sence of Coherence) bietet demnach Bewältigungsschutz. Unter Bezug auf nicht veröffentliche Vorträge von Fthenakis soll der Begriff „Resilienz“ gleichbedeutend sein mit „psychischer Widerstandskraft“ (Hervorhebung im Text) oder der Fähigkeit von Individuen, aber auch Systemen (Familien, Ergänzung BS) erfolgreich mit akut oder chronisch belastenden Situationen (Misserfolgen, Unglücken, Notsituationen, traumatischen Erfahrungen, Risikosituationen; im Text) umzugehen“ (Gunkel, Kruse 2004, S. 28). Fingerle weist darauf hin, dass Resilienz nicht als ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal im Sinne einer „universellen“ Unverletzlichkeit zu verstehen sei, sondern „als eine zumeist begrenzte, von verschiedenen (personalen und sozialen) Schutzfaktoren gespeiste Widerstandsfähigkeit oder Bewältigungskapazität. Diese ist zudem in ihren Ausprägungen relativ und darf daher nicht mit einer völligen Abwesenheit psychischer Probleme gleichgesetzt werden“ (Fingerle 2009, S. 299).
Für Fingerle geht das Bindungskonzept weiter als das Resilienzkonzept mit seinen Schutz- und Risikofaktoren: „Es definiert Konstellationen von personalen und sozialen Ressourcen, die über das Passungsverhältnis funktional verknüpft sind und nicht additiv sondern interaktiv aufeinander bezogen sind. Ganz gleich, durch welche spezifischen Randbedingungen eine sichere Bindung unter den konkreten Lebensbedingungen einer Familie etabliert wird, sie ist in einem umfassenderen Sinne Ressource als ein positives Selbstkonzept oder zeitweilige Unterstützungsangebote in der Gemeinde, denn sie stellt sowohl eine zuverlässige Umwelt als auch adaptive Erwartungshaltungen für die interaktive Kompetenzentwicklung des Kindes dar. Bindungskonstellationen legen daher die Vermutung nahe, dass es möglich sein könnte, abstrakte Organisationsmodelle für Resilienzkonstellationen zu formulieren, die auch für andere Entwicklungsphasen und Lebenswelten geeignet sind“ (Fingerle 2009, S. 303).
Fingerles Interesse geht dahin, Passungsverhältnisse zu identifizieren, die auch bei riskanten Varianten des Bindungsmusters den Erwerb eines verinnerlichten Arbeitsmodells ermöglichen. Fingerle bezeichnet Settings, die funktionale Ähnlichkeit mit dem Setting einer sicheren Bindung haben als Nische. Derartige Nischen, die außerhalb von therapeutischen Settings gedacht sind, sollen die Regulationsfähigkeit einer Person nicht überfordern, eine Förderung der Exploration der Umwelt und der eigenen Fähigkeiten ermöglichen und eine Orientierung auf Ziele bieten, die anschlussfähig sowohl für die eigenen Fähigkeiten wie im weiteren Sinn sozial sind (Fingerle
4.7 Kinder in Trennungs- und Scheidungssituationen
119
2009, S. 204). Denkbar wären z. B. Kindertagestätten, die diese Anforderungen erfüllen. Damit wird eine Perspektive eröffnet, nicht sichere Bindungskonstellationen in späteren Lebensabschnitten zu reversibilisieren. Für mögliche Krisensituationen, die Scheidungen und Trennungen darstellen können, hieße das, dass auch bei nicht verlässlichen Bindungsmustern mit der Bildung neuer Familienkonstellationen andere „Passungsverhältnisse“ ermöglicht werden könnten, die sicherere Bindungsvarianten ermöglichen. Das Augenmerk wäre dann auf die neue Situation für die Kinder und deren Bezugspersonen sowie die Umgebungsbedingungen zu richten. Die kurze Skizzierung einzelner Aspekte gegenwärtiger psychologischer Diskussionen zeigt, dass eine unmittelbare Anwendung oder etwa Übertragung psychologischer Theorien auf Sorgerechtsmodelle stets mit Verkürzungen verbunden ist. Grundsätzliche Theoriebildungen und empirische Untersuchungen beziehen sich regelmäßig auf allgemeine Bedingungen des Aufwachsens und nicht auf konkrete oder kollektive Einzelsituationen. Die familialen Umstände von Bindungskonstituierung und Resilienzentwicklung sowie die auf sie wirkenden sozialen Einflussfaktoren sind individuell unterschiedlich. Hauptbezugspersonen können Mutter oder Vater oder die Großmutter sein. Resilienz kann z. B. durch ökonomische Bedingungen gestärkt oder geschwächt werden, wobei z. B. sowohl Armut wie Reichtum in beide Richtungen wirken können, obschon Armut als allgemeiner sozialer Risikofaktor anerkannt ist. Soziale Faktoren können dazu beitragen, Passungskonstellationen zu begünstigen. Empirisch validierte psychologische und mit ihnen verbundene pädagogische Theorien bieten Deutungen und möglicherweise Erklärungen für individuelles Verhalten und vermitteln allgemeine Einsichten über Konstellationen, die fördernd oder einschränkend wirken können. Sie sind, wie alle Theorien, nicht immun dagegen, dass zentrale Begriffe in verkürzter Weise für bestimmte Interessen instrumentalisiert werden. 4.7.3
Ergebnisse der Scheidungsforschung
Forschungen über Scheidungsfolgen haben im In- und Ausland eine längere Tradition. Kerima Kostka hat in ihrer Untersuchung „Im Interesses des Kindes? Elterntrennung und Sorgerechtsmodelle in Deutschland, Großbritannien und den USA“ Methoden und Ergebnisse der internationalen Scheidungsforschung ausführlich dargestellt (Kostka 2004). Die Studien zur Scheidungsforschung sind äußerst vielfältig, es gibt Längsschnitt- und Querschnittstudien, Einzel- und Metastudien, quantitative und qualitative Untersuchungen mit großen und kleinen, klinischen oder repräsentativen Populationen sowie Zufallsstichproben. Für den vorliegenden Zweck können Ergebnisse nur soweit zusammengefasst werden, dass ein Eindruck entstehen kann, inwieweit diese Forschungsergebnisse Hinweise für Sorgerechtsmodelle zu vermitteln in der Lage sind. Einigkeit besteht in der neueren Scheidungsforschung darüber, dass eine Scheidung kein singuläres Erlebnis ist, sondern sowohl im Vorlauf wie auch im Nachscheidungsgeschehen Erfahrungen und Reaktionen auslöst, die gerade
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4 Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen
bei Kindern eine große Bandbreite haben. Die Scheidungsforscherin Judith Wallerstein geht davon aus, dass sich die Erfahrungen von Kindern und Erwachsenen grundlegend unterscheiden. Kinder und Jugendliche haben wenig Einfluss auf das Geschehen, obwohl die Vor- und Nachscheidungsphase einen großen Teil ihrer Kindheit bzw. Jugend einnehmen kann (nach Kostka 2004, S. 127ff.). Scheidungen können belastenden Charakter haben, stellen aber „per se kein Entwicklungsrisiko“ dar. Kostka konstatiert, dass hinsichtlich von belastenden oder entlastenden Faktoren keine „eindeutigen Kausalitätszuweisungen … allein wegen der Komplexität und Vielfalt der interagierenden Faktoren“ möglich seien (Kostka 2004, S. 128). Uneinigkeit besteht in der Literatur darüber, inwieweit Verhaltensauffälligkeiten von Kindern während der Scheidungsphase durch diese ausgelöst werden oder bereits vorher vorhanden waren. Es gibt eine große Bandbreite möglichen Erlebens des Scheidungsgeschehens, auch langfristig (Kostka 2004 S. 135). Nach einem Phasenmodell von Judith Wallerstein, Julia Lewis und Sandra Blakeslee (Wallerstein, Lewis 2002 nach Kostka 2004, S. 127ff.) wird das Scheidungsgeschehen in drei Phasen verarbeitet. Die erste, akute Phase der Trennung ist mit Wutausbrüchen, Depressionen verbunden, in ihr löst sich die Familie auf. In der zweiten Phase, der Übergangsphase konstituiert sich die neue Familie, neue Lebensstile werden ausprobiert, die Beziehungen neu gestaltet. Diese destabilisierte Phase soll über mehrere Jahre anhalten können. In der dritten Phase soll sich wieder eine Stabilität in den Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern hergestellt haben (Kostka 2004, S. 135). Es gilt als allgemein anerkannt, dass Scheidungen für Kinder und Jugendliche mit Risiken verbunden sind, deren Bewältigung von vielen Faktoren abhängt (Kostka 2004, S. 155). Hervorgehoben wird, dass Kinder von einem Gefühl der Hilflosigkeit begleitet werden, da sie selbst kaum an ihrer Situation etwas ändern können. Auch gelten die ökonomischen Konsequenzen, mit der Scheidungen häufig verbunden sind, als belastend (Kostka 2004, S. 155). Als schwierig gilt auch, dass Eltern in Scheidungssituationen häufig selbst nicht in der Lage sind, „eine schützende Rolle zu übernehmen, da sie selbst die durch die Scheidung ausgelöste Krise zu verarbeiten haben und zu sehr mit ihrem eigenen Kummer beschäftigt sind. Während in anderen Krisensituationen viel durch den Trost der Eltern gelindert werden kann, fällt in der Scheidungssituation die wichtigste Unterstützung für die Kinder weg“ (Kostka 2004, S. 159).
Als besonders ungünstig wird, wenn die Kinder bei der Mutter leben, eine konfliktreiche oder verarmte Mutter-Kind-Beziehung beschrieben, die durch Sorgen und Probleme der Mutter, Krankheiten oder fehlendes Interesse an Elternschaft überlastet ist (Kostka 2004, S. 167). Entsprechend diesen Ergebnissen wird immer wieder hervorgehoben, „dass für die langfristige Anpassung von Scheidungskindern vor allem die Qualität der Beziehung des Kindes zu dem Elternteil, mit dem es lebt – zumeist die Mutter – sowie dessen Erfüllung der elterlichen Aufgaben wichtig ist und dass diese Beziehung gegenüber sonstigen Faktoren eine überragende Bedeutung
4.7 Kinder in Trennungs- und Scheidungssituationen
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hat. Deshalb sei sie möglichst zu fördern und zu unterstützen“ (Kostka 2004, S. 168). Für das „Wohlergehen des Kindes“ sei die Erfüllung der elterlichen Aufgaben durch den betreuenden Elternteil wichtiger als die „Ausübung der Elternrolle durch den umgangsberechtigten Elternteil“ (Kostka 2004, S. 168). Als weiteres zentrales Problem wird die mangelnde Einbeziehung und Information der Kinder genannt, wobei die Eltern aufgrund ihrer Belastungen häufig selbst nicht in der Lage seien, den Kindern das Geschehen angemessen zu vermitteln, weil sie es zunächst selbst nicht hinreichend verstehen könnten. Ausdrücklich mit Verweis auf das Forschungsteam von Judith Wallerstein (25 Jahre nach Beginn der Studie) führt Kostka aus, dass das Bemühen der Eltern, friedlich miteinander auszukommen, die Kinder nicht davor schütze, als Erwachsene dieselben Probleme wie andere Scheidungskinder zu haben. „Die Elternschaft nach der Scheidung sei nicht mit der der Ehe vergleichbar, eine Replikation der kooperativen Elternschaft aus der Ehe nicht möglich, selbst wenn die Eltern sich gut verstünden. Es fehlen der ständige Dialog, die täglichen Erlebnisse und Interaktionen in der Familie“ (Kostka 2004, S. 178).
Nach Kostka stellen Wallerstein und ihr Team 25 Jahre nach Beginn ihrer Studie den „Fokus der Rechtspolitik auf Sorgerecht, Umgang und Unterhalt für das Wohlergehen der Kinder“ generell in Frage. Die Studie bezweifelt vor allem, „die bisherige Ansicht der Gerichte, dass, wenn die Eltern konfliktfrei miteinander umgehen können, die Themen Sorgerecht, Umgang und Unterhalt schnell zu regeln sind, die Eltern ihre Elternschaft wieder aufnehmen werden und das Kind in seiner Entwicklung normal voranschreiten wird. … Das, was das Kind beeinflusse, seien nicht die Regelungen zu Sorgerecht und Unterhalt, sondern die langfristigen Umstände seines Lebens in den Jahren nach der Scheidung“ (Kostka 2004, S. 253).
Wallerstein hat kaum ein Kind getroffen, das sich vom Rechtssystem geschützt gefühlt hat. Kostka stellt in ihrer umfassenden Forschungsarbeit, die nationale und internationale Scheidungsforschungsergebnisse einbezieht, heraus, dass deren Ergebnisse zwar unterschiedlich seien, sich aber aus ihnen keine Präferenzen hinsichtlich eines bestimmten Sorgerechtsmodells ableiten ließen. Die gemeinsame elterliche Sorge kann also nicht als anempfohlenes Ergebnis der Scheidungsforschung gewertet werden. Fthenakis (Fthenakis 2008, S. 29) geht auf der Basis einer Scheidungsforschung, die die Resilienz-Perspektive gewählt hat (insbes. Hetherington, Nohl & Kelly 2003), davon aus, dass „die Scheidung nur einen von einer Reihe familiärer Übergänge (dar)stellt, welche familiäre Beziehungen und kindliche Anpassung beeinflussen. … Bei der Bewältigung familiärer Übergänge sind Risiken und Schutzfaktoren nicht statisch gegeben, sondern die familiäre Situation und die Lebenssituation der Kinder verändern sich während und nach der Scheidung. … Von daher muss berücksichtigt werden, dass Scheidung auch eine Chance
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4 Aufwachsen in unterschiedlichen Familienformen
zur Beendigung von Konflikten, für harmonischere Beziehungen, für erweitertes persönliches Wachstum, Individuation und Wohlergehen darstellen kann“ (Fthenakis, 2008, S. 30).
Fthenakis kommt als einer der ersten Fürsprecher eines generalisierten Modells der gemeinsamen elterlichen Sorge zu dem Ergebnis, dass der „juristische Sorgerrechtstatus an und für sich nicht in signifikanter Weise mit der elterlichen Beziehung oder der kindlichen Anpassung verknüpft (ist)“ (Fthenakis 2008, S. 63). Für ihn bietet die gemeinsame „psychische“ Sorge Vorteile für Eltern „mit höherem Bildungsniveau und ausgeprägter Kindzentrierung“, die eine gemeinsame elterliche Sorge für sich bevorzugen. Die Forschung zeige aber „eindeutig, dass bei Familien mit hohem Konfliktpotential das gemeinsame Sorgerecht die Beziehung nicht heilt“ (Fthenakis 2008, S. 63). Dennoch hält Fthenakis die gemeinsame elterliche Sorge, die er mit dem Attribut psychische Sorge ergänzt und akzentuiert, idealtypisch für die Sorgeform, in der „elterliche Verantwortlichkeiten erfolgreich geteilt“ werden können (Fthenakis 2008, S. 63). Mit dem Zusatzattribut psychisch wird die gemeinsame Sorge von einer formalrechtlichen Organisationsform in eine auf die Qualität der Beziehung abzielende Beziehungsform transferiert, die allerdings einen anderen Beziehungsbegriff beinhaltet als den, der einer tragfähigen sozialen Beziehung als rechtliche Mindestanforderung an die gemeinsame elterliche Sorge zugrunde liegt (vgl. Kap. 5.5.6). Die Ergebnisse der Scheidungsforschung sind offensichtlich nicht geeignet, die gemeinsame elterliche Sorge als die für die Kinder und Jugendlichen günstigste, da die Konflikte am besten entlastende Lösung zu präferieren und zu legitimieren.
4.8
Der Wandel der Familie als Ausdruck pluraler gesellschaftlicher und innerfamiliärer Prozesse
Gezeigt worden sind Trends und Ausdifferenzierungen in der familiären Entwicklung. Nach wie vor hat das traditionelle, auf der Ehe beruhende, Familienmodell hohe Akzeptanz, ohne dass angesichts der Vielzahl anderer Lebensweisen diesem Modell noch Leitbildcharakter zukommen kann. Innerhalb der Ehe wie auch in Formen partnerschaftlichen Zusammenlebens haben sich Rollen und Aufgabenwahrnehmung durch eine zumindest ansatzweise zu verzeichnende Veränderung im väterlichen Verhalten verschoben und eher angeglichen (Nave-Herz 2009). Die wachsende Anzahl allein erziehender, überwiegend mütterlicher Lebensweisen hat unterschiedliche Ursachen, die hier nur angedeutet werden können. Gesellschaftlich spielt der Verlust der Attraktivität eines Versorgermodells ebenso eine Rolle wie die mit der Gleichstellung der Frau verbundene Aufgabe einer fast selbstverständlichen Unterordnung. Insofern sind Freiheitspotentiale entstanden, die allerdings ihre Grenzen in den Bedingungen des Arbeitsmarktes haben. Für Frauen mit Kindern ist es schwierig, ein ökonomisch unabhängiges Leben zu führen. Zugleich unterliegt
4.8 Der Wandel der Familie
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Familie als Sehnsuchtsbegriff, als Wunsch- und Intimitätsort zahlreichen Erwartungen und Projektionen, die Prozesse ihres inneren Wandels auslösen. Erwartungen an Glück und Erfüllungsidealen verändern sich, Individualisierungsansprüche konfligieren mit traditioneller Bezogenheit auf den Partner (Huinink, Konietzka 2007, S. 127ff.). Insgesamt unterliegt Familie erheblichen Veränderungen. Es geht, wie stets bei grundlegenden Veränderungen darum, neue Entwicklungen auch in ihren Ausdifferenzierungen gesellschaftlich und rechtlich soweit zu akzeptieren, dass sie integraler Bestand einer pluralen Gesellschaft werden. Die Veränderungen führen, wie die Studie des Robert-Koch-Instituts belegt (Erhart et al. 2007) und wie die Ergebnisse der Scheidungsforschung zeigen, nicht zu Benachteiligungen von Kindern oder zu generalisierbaren Risiken. Pädagogik und Recht, gerade in Form der Jugendhilfe kommt die konzeptionelle und praktische Aufgabe zu, Vorkehrungen und Gelegenheiten zu schaffen, Kindern und Jugendlichen in unterschiedlichen Lebenslagen und Lebensbeziehungen gleichermaßen Beteiligung und Förderung zu gewährleisten. In einer pluralistischen Gesellschaft allerdings ohne dabei bestimmte Lebens- oder Sorgerechtsmodelle zu präferieren.
5
Sorge nach Trennung oder Scheidung
Aufgabe dieses Kapitels ist es, die Ausgestaltung der elterlichen Sorge nach einer Trennung oder Scheidung darzustellen, die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu untersuchen, zu fragen, welche Vorstellungen und Bilder sich in den Regelungen und Entscheidungen zeigen und welche Ordnungsmuster sich daraus für das generationale Verhältnis ergeben.
5.1
Die gegenwärtige Rechtslage
Bei Bestehen der gemeinsamen elterlichen Sorge ändert sich unabhängig davon, ob die Eltern miteinander verheiratet sind oder nicht, bei einer Trennung oder Scheidung der Eltern seit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 (Kindschaftsrechtsreformgesetz, KindRG vom 16. 12. 1997, BGBl I, 2942, in Kraft seit 01. 07. 1998) zunächst grundsätzlich nichts. Eine Änderung der gemeinsamen elterlichen Sorge kann nur auf ausdrücklichen Antrag eines Elternteils durch das Familiengericht vorgenommen werden. Jeder Elternteil kann beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt (§ 1671 Abs. 1 BGB). Wenn ein solcher Antrag gestellt wird und der andere Elternteil zustimmt, hat das Familiengericht dem beantragendem Elternteil gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB die alleinige elterliche Sorge zu übertragen, es sei denn, dass ein Kind, welches das 14. Lebensjahr vollendet hat, dieser Regelung widerspricht. Stimmt der andere Elternteil der Übertragung der Alleinsorge auf den Antragsteller nicht zu, kann das Familiengericht nach § 1671 Abs. Nr. 2 BGB dem Antragsteller die elterliche Sorge dann übertragen, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung der Alleinsorge oder eines Teils der elterlichen Sorge auf den Antragsteller dem Kindeswohl am besten entspricht. Es kann gleichwohl auf den Fortbestand der gemeinsamen elterlichen Sorge erkennen. 5.1.1
Das Widerspruchsrecht des Kindes
Wenn ein Elternteil dem Antrag des anderen Elternteils auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge nicht widerspricht, überträgt das Familiengericht dem antragstellenden Elternteil die Alleinsorge. Das über 14-jährige Kind kann dem nach § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB widersprechen. Dieses Widerspruchsrecht ist allerdings kein echtes Vetorecht. Das Kind kann lediglich die Bindungswirkung der Einigung der Eltern aufheben, also „nur verhindern, dass der Vorschlag der Eltern vom Gericht ohne Sachprüfung übernommen wird“ (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu B. Schwarz, Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht, DOI 10.1007/978-3-531-92691-9_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
§ 1671 2008, Rn. 23). Eine Entscheidung erfolgt dann nach § 1671 Abs. 2 Nr 2 BGB (Kap. 5.7). Die materiellrechtliche Ausgestaltung des Rechts des Kindes und des Jugendlichen ist also sehr begrenzt. Es gibt kein eigenes Antragsrecht hinsichtlich der Verteilung der elterlichen Sorge. Außergerichtliche Einigungen der Eltern oder gerichtliche Entscheidungen können nicht selbständig angegriffen werden (Kap. 8.3.2.). 5.1.2
Die Ausgestaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge bei Getrenntleben
Bei gemeinsamer elterlicher Sorge wird gemäß § 1687 BGB im Falle des Getrenntlebens unterschieden zwischen Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens und Angelegenheiten, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind. Im Rahmen dieser Trennungssorge können Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens von dem Elternteil allein getroffen werden, bei dem das Kind lebt. Bei Entscheidungen, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, ist Einvernehmen der Eltern erforderlich. Bei Nichteinigung kann ein Elternteil gemäß § 1671 Abs. 1 BGB beantragen, dass ihm ein Teil der elterlichen Sorge übertragen wird. Als mildere Form kann bei Meinungsverschiedenheiten gemäß § 1628 BGB eine gerichtliche Regelung herbeigeführt werden. Nachdem der Stichentscheid durch den Vater mit dem Gleichberechtigungsgesetz von 1957 aufgehoben worden ist, kann das Familiengericht bei Differenzen über Regelungen, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, einem Elternteil die Entscheidung gemäß § 1628 BGB übertragen. Für Peschel-Gutzeit ist die Regelung des § 1628 BGB bei Meinungsverschiedenheiten „ein Teil des vom Gesetz zur Verfügung gestellten Konfliktlösungsprogramms im Elternstreit“ (Staudinger/Peschel-Gutzeit zu § 1628 BGB 2007, Rn. 6).
5.2
Zur Geschichte der gemeinsamen elterlichen Sorge unter Einbeziehung der BVerfG Entscheidung vom 03. 11. 1982
Mit dem ersten Eherechtsreformgesetz vom 14. 06. 1976, in Kraft seit 01. 07. 1977, wurde das Ehescheidungsrecht grundlegend reformiert. Seitdem gilt das Zerrüttungsprinzip statt des Verschuldensprinzips. Nach der damaligen Neufassung des § 1671 BGB entschied das Familiengericht mit der Scheidung in einem Verbundverfahren, welchem Elternteil die elterliche Sorge nach der Scheidung für das gemeinschaftliche Kind zustehen sollte. Die elterliche Sorge nichtehelicher Kinder blieb, ohnehin noch eingeschränkt, stets bei der Mutter. Das Gesetz zur Neuregelung der elterlichen Sorge vom 18. 07. 1979, in Kraft seit 01. 01. 1980, ersetzte den Begriff der elterlichen Gewalt durch den Begriff der elterlichen Sorge und reformierte den § 1666 BGB. Bei Kindeswohlgefährdung war der Eingriffstatbestand nicht mehr an das Verschulden der Eltern gebunden, auch unverschuldetes Versagen der Eltern sollte einen Eingriff rechtfertigen können. Zugleich sind in das Gesetz neue Erzie-
5.2 Zur Geschichte der gemeinsamen elterlichen Sorge
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hungsleitbilder aufgenommen worden wie die Berücksichtigung der wachsenden Selbständigkeit der Kinder und das Verbot entwürdigender Erziehungsmaßnahmen. Bereits im Rahmen dieser Reform ist über die Möglichkeit einer gemeinsamen elterlichen Sorge geschiedener Eltern diskutiert worden (Meckling 2009, S. 77ff.). Der Rechtsausschuss des Bundestags hatte sich damals mehrheitlich dafür entschieden, grundsätzlich auszuschließen, dass die elterliche Sorge nach der Scheidung beiden Eltern überlassen bleibt (BT-Drs. 8/2788 27. 04. 79, S. 62). In Würdigung der Sachverständigenanhörung heißt es, dass gerade bei Streit zwischen den Eltern „klare Verhältnisse im Interesse des Kindeswohls notwendig“ (BT-Drs. 8/2788 27. 04. 79, S. 63) seien. Wenn sich Eltern einig sind, hindere die alleinige Sorge den einen Elternteil nicht, den anderen tatsächlich an der elterlichen Sorge teilnehmen zu lassen. Der Rechtsauschuss schloss sich der Position an, die eine gemeinsame elterliche Sorge im Interesse einer Erziehungskontinuität für nicht sinnvoll hielt. Gegen eine gemeinsame Sorge spräche, „dass damit eine notwendige Entscheidung nur hinausgeschoben würde, da sich die geschiedenen Eltern früher oder später neu orientieren. Damit sei für eine Erziehungskontinuität nichts gewonnen“ (BT-Drs. 8/2788 27. 04. 79, S. 63).
Ausdrücklich hielt der Rechtsausschuss die Regelung für verfassungsmäßig nicht angreifbar, nach der das Familiengericht trotz eines übereinstimmenden Elternvorschlags auf Fortbestand der gemeinsamen elterlichen Sorge einem Elternteil die Alleinsorge zuzuweisen hat. In seiner Entscheidung vom 03. 11. 1982 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG 03. 11. 1982) diese Rechtsauffassung zurückgewiesen und festgestellt, dass eine Regelung, wonach ein gemeinsames Sorgerecht geschiedener Eltern für ihre Kinder selbst dann ausgeschlossen ist, „wenn sie willens und geeignet sind, die Elternverantwortung zum Wohle des Kindes weiterhin gemeinsam zu tragen“, das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verletzt (BVerfG 03. 11. 1982, Ls. 1). Damit war der Regelungsgehalt des damaligen § 1671 BGB, der einen Ausschluss gemeinsamer elterlicher Sorge ausnahmslos auch bei übereinstimmendem Antrag vorsah, nichtig. Das Bundesverfassungsgericht ist in seiner Begründung auf den Meinungsstreit in der Literatur, der sich auch in der Sachverständigenanhörung vor dem Rechtsausschuss widergespiegelt hatte, eingegangen. In der vom Bundesverfassungsgericht durchgeführten Anhörung ist vom Bundesminister der Justiz vertreten worden, dass die Regelung des § 1671 BGB auf einer Abwägung von Kindeswohl und Elternverantwortung beruhe (BVerfG 03. 11. 1982, Rn 31). Auch Einigkeit zwischen den Eltern solle den Gesetzgeber nicht dazu zwingen, ein neues Rechtsinstitut wie das der gemeinsamen elterlichen Sorge für geschiedene Eltern zu schaffen (BVerfG 03. 11. 1982, Rn. 40). Zu befürchten sei vielmehr, dass bei Zulassung einer Ausnahmeregelung in einer „Vielzahl von Fällen eine schnelle, den Interessen des Kindes entsprechende eindeutige Zuordnung zu einem Elternteil unterbleiben würde“ (BVerfG 03. 11. 1982, Rn. 41).
128
5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
Die angehörten Experten aus den Bereichen Pädiatrie und Kinderpsychologie, die Professoren Pechstein und Fthenakis, hatten sich für die Möglichkeit gemeinsamer Elternverantwortung nach der Scheidung ausgesprochen (BVerfG 03. 11. 1982, Rn. 43). Nach Fthenakis stellt die gemeinsame elterliche Sorge „Kontinuität im Höchstmaß“ dar, wenn Kinder zu beiden Eltern gleichermaßen eine starke emotionale Beziehung haben und ihr Interesse auf eine „kindheitslange unauflösliche Eltern-Kind-Beziehung gerichtet ist“ (BVerfG 03. 11. 1982, Rn. 60), Fthenakis hat bereits in dieser Anhörung für eine gemeinsame elterliche Sorge im Regelfall plädiert. Auch Pechstein trat für die Möglichkeit gemeinsamer Sorge ein, für ihn war jedoch die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil in der Mehrzahl der Fälle die angemessene Lösung. Das Bundesverfassungsgericht hat 1982 argumentiert, dass das Elternrecht ein „Freiheitsrecht im Verhältnis zum Staat“ sei und der Staat nur dann in das Erziehungsrecht der Eltern eingreifen könne, wenn dies durch das ihm zustehende Wächteramt gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG geboten sei (BVerfG 03. 11. 1982, Rn. 46). In den Fällen, in denen beide Eltern gemeinsame Verantwortung tragen wollen, „bedarf es keiner Schlichtung widerstreitender Interessen der Eltern durch den Staat“ (BVerfG 03. 11. 1982, Rn. 52). Folgerichtig erkannte das BVerfG keinen rechtfertigenden Grund für die Ausnahmslosigkeit der Regelung des § 1671 BGB. Zum damaligen Zeitpunkt ging es lediglich darum, ob ausnahmsweise bei übereinstimmender Willensbekundung beider Eltern die gemeinsame elterliche Sorge möglich sein sollte. Es stand nicht zur Debatte, ob die gemeinsame elterliche Sorge generell die „bessere Lösung“ darstellt. Verfassungsrechtlich ist lediglich die Ausnahmslosigkeit der Regelung beanstandet worden. Der Staat solle nicht schlichten, wenn ihm bei Einvernehmen der Eltern mangels Kindeswohlgefährdung kein Wächteramt zustehe.
5.3
Die Zielsetzung der Kindschaftsrechtsreform von 1998
Die große Kindschaftsrechtsreform von 1998 diente der Neuregelung der elterlichen Sorge insgesamt und stellt eine wichtige Zäsur dar. Unter dem Anspruch, das Kindeswohl angemessener verwirklichen zu wollen, wurde eine Neukonzeption der elterlichen Sorge entwickelt worden. Erstmalig ist im BGB ein Erziehungsleitbild formuliert, das Kindern ausdrücklich ein Recht auf gewaltfreie Erziehung zugesteht (§ 1631 Abs. 2 S. 1 BGB). Hinsichtlich der Verteilung der elterlichen Sorge war es seitens der Bundesregierung ein wichtiges Anliegen, die Entscheidung von Amts wegen aufzuheben (BT-Drs. 13/4899 13. 06. 1996, S. 31). Die gemeinsame elterliche Sorge sollte fortgeführt werden, wenn kein Antrag auf Übertragung der Alleinsorge gestellt wird. Die Neuregelung der elterlichen Sorge nach Trennung und Scheidung war, wie der Rechtsausschuss hervorgehoben hat, die in der Reformdiskussion „am heftigsten umstrittene Frage“ (BT-Drs. 13/8511 12. 09. 97, S. 66) und zentrales Thema. In der
5.3 Die Zielsetzung der Kindschaftsrechtsreform von 1998
129
Frage der Neuregelung der elterlichen Sorge bei verheirateten Eltern nach Trennung und Scheidung war die Mehrheit des Rechtsausschusses der Meinung, dass dann, wenn die Eltern sich einig sind, es keiner Entscheidung eines Gerichts bedarf. Die gemeinsame elterliche Sorge galt als „die dem Kindeswohl am besten entsprechende Lösung, weil sie die besten Rahmenbedingungen für den Erhalt der Beziehungen des Kindes zu beiden Elternteilen verspricht.“ Offensichtlich als Kompromissformulierung ist konzediert worden, dass „auch“ die Alleinsorge die dem Wohl des Kindes am besten entsprechende Lösung „sein kann“ (BT-Drs. 13/8511 12. 09. 97, S. 66). Übereinstimmung herrschte auch darüber, dass es ein wichtiges Reformziel sei, „im Interesse der Kinder die gemeinsame Sorge auch dann zu ermöglichen, wenn Eltern nicht miteinander verheiratet sind.“ Gegenüber nicht miteinander verheirateten Eltern bestand weitestgehende Einigkeit „darin, dass die gemeinsame elterliche Sorge zu fördern ist, wenn die Eltern sich dazu in der Lage sehen, weil diese Rahmenbedingung am ehesten dazu beitragen kann, dass das Kind Beziehungen zu beiden Elternteilen aufbauen und unterhalten kann.“ (BT-Drs. 13/8511 12. 09. 97, S. 66).
Im Rechtsausschuss bestand Einigkeit, dass die Übernahme der gemeinsamen Sorge eine bewusste Entscheidung der Eltern für dieses Modell voraus setzt. Uneinigkeit gab es zunächst hinsichtlich der Frage, welche Anforderungen in gerichtlichen Verfahren an die Äußerungen des Elternwillens zu stellen sind (BT-Drs. 13/8511 12. 09. 97, S. 66). Der Vorschlag des Bundesrats, die Eltern zu diesem Thema gerichtlich anzuhören, ist jedoch abgelehnt worden, gegebenenfalls könne ein Antrag auf Alleinsorge gestellt werden. „Die Abgabe detaillierter Erklärungen würde keine weitergehenden Ziele erreichen, sie ist vielmehr Ausdruck eines nach Meinung der Ausschussmehrheit unbegründeten Misstrauens gegen diejenigen Eltern, die die gemeinsame elterliche Sorge fortsetzen wollen“ (BT-Drs. 13/8511 12. 09. 97, S. 66). Es ist also davon ausgegangen bzw. implizit vorausgesetzt worden, dass immer dann, wenn ein derartiger Antrag nicht gestellt wird, eine „bewusste Entscheidung“ für die gemeinsame elterliche Sorge vorliegt. Nicht mehr „klare Verhältnisse“ in Form der Alleinsorge eines Elternteils wie 1979 sollten im Interesse der Erziehungskontinuität erreicht werden, vielmehr galt es, die gemeinsame elterliche Sorge als neues Leitbild zu etablieren. In den Beratungen des Rechtsausausschusses ist gefordert worden, die Einführung der gemeinsamen elterlichen Sorge mit der Einführung neuer Angebote der Jugendhilfe zu verbinden. Es wurde die „Notwendigkeit gesehen, Eltern mit dieser Entscheidung nicht allein zulassen, sondern möglichst frühzeitig über Beratungsangebote zu informieren, die sie in der Trennungs- und Scheidungsphase in Anspruch nehmen können. Dies stellt zugleich eine Verzahnung zu den Änderungen des Kinder- und Jugendhilferechts sicher. „… Die in § 17 SGB VIII geregelte Trennungs- und Scheidungsberatung (soll) als Anspruchsleistung für Eltern ausgestaltet werden“ (BT-Drs. 13/8511 12. 09. 97, S. 68), was auch erfolgte. Es besteht, anders
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5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
als bei allgemeinen Leistungen der Jugendhilfe ein voraussetzungsloser individueller Rechtsanspruch auf Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung (Münder, Meysen & Trenczek 2009, zu § 17 SGB VIII). Die „Verzahnung“ von familienrechtlichen und sozialrechtlichen Vorschriften bildete von vornherein einen Kern des Reformanliegens. Der Rückzug des Staats in Form der Aufgabe der obligatorischen Sorgezuweisung im Rahmen des Scheidungsverbunds war also kein vorbehaltsloser. Intendiert war, eine Einflussnahme über sozialrechtliche Maßnahmen erfolgen zu lassen.
5.4
Der Einstellungswandel zwischen 1982 und 1998
Der Gesetzgeber ist mit der Reform weit über die Anforderungen hinausgegangen, die das BVerfG in seiner Entscheidung vom 03. 11. 1982 aufgestellt hat. Die für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge für zentral gehaltene Voraussetzung, nämlich eine durch Antrag dargelegte, bewusste und dokumentierte Willensentscheidung der Eltern, kennt das neue Recht nicht. Die gemeinsame Sorge ist zum normtechnischen Regelfall (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1671 2008, Rn. 1ff.) geworden. Eine Änderung bedarf eines Antrags vor dem Familiengericht. Unmittelbar nach der Reform spricht Schwab (Schwab 1998, S. 457) von einem „abrupten Szenenwechsel“, das neue Kindschaftsrecht lässt seiner Auffassung nach „kaum einen Stein auf dem andern“, die Fortführung der gemeinsamen elterlichen Sorge werde der vom Gesetzgeber vorausgesetzte „Normalzustand“. Für ihn entspricht es nicht der „praktischen Vernunft“, auf einen Antrag auf Übernahme der gemeinsamen Sorge vor dem Familiengericht zu verzichten. Schwab ging davon aus, dass den Erfolgschancen eines Antrags auf Alleinsorge „nicht geringe Hürden“ im Wege stehen. In den 16 Jahren zwischen den beiden Reformen haben sich die Familienstrukturen soziologisch erheblich verändert (Kap. 4). Nicht zuletzt bedingt durch die deutsche Einheit von 1989 und das Hinzukommen der neuen Bundesländer mit ohnehin anderen Familienstrukturen stellt Familie bereits im statistischen Sinn 1998 etwas anderes dar als 1982. Zu den wichtigsten Kennzeichen der Veränderung gehören die Zunahme von Geburten von Kindern, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind, die Etablierung einer neuen Frauengeneration, die sich in der Lage sieht, ihre Kinder allein zu versorgen (Kap. 2.3) und eine Veränderung des Vaterbildes. 5.4.1
Der Wandel des Vaterbildes
Im Rahmen der kulturellen Veränderungen in den 1960/70iger Jahren (Kap. 2.3) hat sich auch ein neues Vaterverständnis herausgebildet. Der Anspruch nichtpatriarchale, partnerschaftliche Familienbeziehungen gestalten zu wollen, führte zu einem Wandel des Vaterbildes und insbesondere in den 1980/90er Jahren auch zu veränder-
5.4 Der Einstellungswandel zwischen 1982 und 1998
131
ten Verhaltensweisen größeren Umfangs. Nach Auswertung mehrerer empirischer Studien wird von Watzlawik u. a. festgestellt, dass die Beteiligung der jungen Vätergeneration an der Erziehung der Kinder zugenommen hat, Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, an der Geburt der Kinder teilnehmen und sich auch gefühlsmäßig stärker den Kindern zuwenden (Watzlawik 2007, S. 25). Insbesondere in den Forschungsarbeiten von Fthenakis ist die Bedeutung des Vaters als männliche Bezugsperson hervorgehoben worden (Fthenakis 1985b, Fthenakis 1985a). Nach Erscheinen der Standardwerke von Fthenakis erfolgte eine Aufwertung der väterlichen Position, die sich nicht nur theoretisch in zunehmenden Publikationen widerspiegelte, z. B. in dem Buch „Kleine Helden in Not“ (Schnack, Neutzling 1996), sondern auch den Alltagserfahrungen einer vermehrten Beteiligung von Vätern an der Fürsorge für ihre Kinder entsprach. Nach Balloff (Balloff 2005) sollen väterliche Zugewandtheit, Feinfühligkeit und Verfügbarkeit zu einer messbaren Kind-VaterBindung führen. Vor allem die feinfühlige väterliche Unterstützung kindlicher Explorationen soll sich „als zentraler Aspekt für eine langfristige sozial-emotional sichere Beziehungs- und Bindungsentwicklung“ (Ballhoff 2005, S. 210) erwiesen haben. Die Anleitung und Unterstützung des Spiels mit dem Kind durch den Vater soll die Kompetenzentwicklung des Kindes fördern. Das Konzept väterlicher Spielfeinfühligkeit ist von Karin Grossmann und Klaus Grossmann entwickelt worden, die Väter im Spiel mit ihren Kindern untersucht haben. „Der spielfeinfühlige Vater fordert den nächsten Entwicklungsschritt (nach der primären Bindung durch die Mutter, BS) und achtet gleichzeitig sorgsam darauf, dass das Kind nicht durch Überforderung sein Interesse verliert“ (Grossmann, Grossmann 2008, S. 288). Ob es sich hierbei um eine begrüßenswerte Möglichkeit väterlichen Engagements handelt und ob auch Mütter oder andere Bezugspersonen Spielfeinfühligkeit entwickeln können, wird nicht diskutiert. Balloff vermerkt, dass in der aktuellen Väter-Forschung „denkbare negative Effekte eines väterlichen Engagements „erziehungsschwacher“ Väter bisher nicht berücksichtigt worden sind“ (Balloff 2005, S. 212). Auch nach den Forschungsergebnissen von Watzlawik ist das Bild des neuen Vaters nicht eindeutig. Gesellschaftliche Zwänge im Arbeitsleben und tradierte Rollenbilder und Unsicherheiten bezüglich eines neuen Vaterschaftskonzepts sollen die Praxis engagierter Vaterschaft (Watzlawik 2007, S. 28) beeinträchtigen. Rosemarie Nave-Herz fasst zusammen: „Wenn auch Veränderungen im Verhalten von Vätern zu beobachten sind, wenn ferner in Bezug auf bestimmte Rollensegmente der Entdifferenzierungsprozess begonnen hat, nämlich die Aufhebung der Zuordnung von expressivem – mütterlichem versus instrumentellem – väterlichen Rollenverhalten, so ist damit aber die polare Anordnung der Vater- und Mutter-Rolle gerade im Hinblick auf die ihnen zugeordneten Funktionen … weiterhin noch immer so stark abgesichert, dass es verfrüht erscheint, von einem Wandel dieser familialen Rollen zu sprechen“ (Nave-Herz 2009, S. 61).
Die neue väterliche Präsenz in der Literatur und, wenn auch eingeschränkt, in der Praxis väterlicher Sorgebeziehungen sind nach Meckling zum „wichtige(n) Ent-
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5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
wicklungsschritt des Sorgerechts“ geworden, der die „Priorität der Alleinsorge“ in Frage gestellt hat (Meckling 2009, S. 91). Nicht nur formale Gleichstellungsdiskurse zwischen Frauen und Männern, sondern deren inhaltliche Akzentuierung in der Bedeutung und Ausgestaltung väterlicher Verantwortungsübernahme haben dazu beigetragen, die Akzeptanz der gemeinsamen elterlichen Sorge zu erhöhen. Ohne die Möglichkeiten väterlicher Fürsorglichkeit in Frage zu stellen, hat Stein-Hilbers darauf hingewiesen, dass die Frage danach „ob ein Kind den Vater – oder auch die Mutter – „braucht“, sich nicht grundsätzlich beantworten (lässt).“ Sie ist vielmehr von konkreten Lebensumständen der Eltern und des Kindes abhängig (Stein-Hilbers 1994, S. 123). Sie führt aus: „Die Annahme einer grundsätzlichen Unverzichtbarkeit oder auch besseren Eignung von Frauen oder Männern für die Erziehung von Kindern lässt sich nicht aufrecht erhalten. Heute kann kaum noch bezweifelt werden, dass sowohl Männer als auch Frauen prinzipiell fähig sind, das Leben eines Kindes mit der notwendigen Liebe, Sorge und Sensitivität zu begleiten. Ebenso wie biologische gegenüber psychosozialer Elternschaft nicht als höherrangig für die Ausgestaltung von Eltern-Kind-Beziehungen bewertet werden kann, ist ein Geschlecht nicht quasi-natürlich besser oder schlechter zur Elternschaft geeignet oder gar unersetzlich für das Kind“ (Stein-Hilbers 1994, S. 133).
Stein-Hilbers fragt, ob angesichts der Annäherung weiblicher und männlicher Verhaltensmuster nicht die Frage nach faktischer und psychologischer Präsenz des gegengeschlechtlichen Elternteils zurücktritt. Sie schreibt „Die derzeitige Überbetonung der väterlichen Bedeutung kann nur zum Teil mit veränderten Realverhältnissen erklärt werden. Sie ist auch als Reaktion auf den väterlichen Bedeutungsverlust in der Biographie von Kindern interpretierbar und verbunden mit Forderungen nach verbesserten Rechtspositionen für Väter.“ (Stein-Hilbers 1994, S. 133.)
5.5
Die Rechtsprechung zu § 1671 BGB
Nachdem der Prozess der politischen Auseinandersetzung über Zielsetzungen und einzelne Regelungsinhalte der großen Kindschaftsrechtsreform mit der gesetzlichen Neuregelung ein vorläufiges Ende gefunden hat, oblag und obliegt es den Gerichten diese neuen Gesetze in Einzelfallentscheidungen auszulegen. Dabei sind zentrale Kriterien und Rechtsfiguren entwickelt worden, die es ermöglichen, die unterschiedlichen Fallgruppen und Streitgegenstände soweit zusammenzufassen, dass verhältnismäßig übereinstimmende Auslegungen möglich sind. Obergerichte können nicht nur die Entscheidungen der unteren Instanzgerichte aufheben und revidieren, sie entwickeln auch die Grundsätze, die für die unteren Instanzgerichte entscheidungsleitend sind, wollen sie nicht eine Aufhebung ihrer Entscheidung in der nächsten Instanz riskieren. Dem Bundesgerichtshof (BGH) als höchstem Instanzgericht kommt es zu, im Rahmen seiner Einzelentscheidungen Leitsätze zu entwickeln, die für die unteren Instanzgerichte richtungweisend sind. Aber auch Be-
5.5 Die Rechtsprechung zu § 1671 BGB
133
schlüsse von Oberlandesgerichten, der zweiten Instanz in Familiensachen, können grundsätzlichen Charakter haben. Das Bundesverfassungsgericht ist keine „Superrevisionsinstanz“. Es überprüft nach einer Verfassungsbeschwerde, die nur möglich ist, wenn der Rechtsweg, der Instanzenweg ausschöpft ist, ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit einer Einzelentscheidung. Stellt das BverfG fest, dass die angegriffene Entscheidung wegen Verstoß gegen Grundrechte verfassungswidrig ist, hebt es sie auf und verweist die Sache an das Instanzgericht zurück. In einem Normenkontrollverfahren überprüft das BverfG die Verfassungsmäßigkeit der Norm selbst (Schaich; Korioth 2007, S. 4, 8, 9). Das Bundesverfassungsgericht gilt als Machtfaktor im politischen System. „Es ist nicht nur, wie die Verfassung es gebietet, Streitschlichter und Schiedsrichter im politischen Machtkampf – es ist auch zu einem politischen Akteur geworden. Es gestaltet, indirekt zwar nur, aber doch auch nachhaltig ganze Politikbereiche mit“ (Vorländer 2007, S.10).
Das gilt gerade für die Familienpolitik. Das BVerfG bestimmt „ganz wesentlich über die Interpretation und Anwendung der Grund- und Bürgerrechte, die Assoziations- und Kommunikationsbedingungen der politischen Vergemeinschaftung, die Räume öffentlicher Freiheit und politischer Beteiligung, die Grenzen öffentlicher Macht und die Sphären privater Freiheit der Bürger“ (Vorländer 2007, S. 11).
Von daher kommen gerade den Entscheidungen und einzelnen Argumentationslinien des Bundesverfassungsgerichts große Bedeutung zu. Die Entscheidungen von BGH und BVerfG sind zentral für rechtliche Wertungen und für die gerichtliche Praxis. Im Folgenden werden vier Grundsatzurteile vorgestellt, die als richtungweisend gelten: 5.5.1
Die BGH-Entscheidung vom 29. Sptember 1999
Im Rahmen seiner Entscheidung vom 29. 09. 1999 zur Aufhebung der elterlichen Sorge und Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den antragstellenden Elternteil (BGH 29. 09. 1999) hat der BGH Entscheidungsgrundsätze entwickelt, die Voraussetzung für die Ausübung gemeinsamer elterlicher Sorge sein sollen. Sie stellen zugleich Kriterien dar, nach denen die gemeinsame elterliche Sorge aufgehoben und die Alleinsorge auf einen Elternteil übertragen werden kann. Die Kindesmutter begehrte die alleinige elterliche Sorge, weil sie keine Basis für ein gemeinsames Sorgerecht Sorge sah. Der BGH stellt fest, dass die Eltern hochgradig miteinander zerstritten waren und dass auch der Prognose nach unüberwindliche Differenzen zwischen den Eltern hinsichtlich des Umgangs sowie der Vermögenssorge bestehen bleiben würden. Der Kindesvater z. B. wollte ein Umgangsrecht zu seiner freien Disponibilität. Bei einem nicht vorher angekündigten Abholen kam es in Gegenwart des sechseinhalb Jahre alten Kindes zu Handgreiflichkeiten, der Kindesvater zahlte keinen Kindesunterhalt, lebte aber verhältnismäßig luxuriös und hatte vom Konto seiner Tochter 15 000 Euro für eigene Zwecke abgehoben.
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5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
Anhand dieses Beispielfalls entwickelte der BGH Mindestanforderungen als Voraussetzung für den Bestand der gemeinsamen elterlichen Sorge. Der BGB führt aus, dass mit der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge nicht generell eine Bevorzugung der gemeinsamen elterlichen Sorge angestrebt worden sei. „Die Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz enthält kein Regel- Ausnahme-Verhältnis in dem Sinn, dass eine Priorität zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge bestehen und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als ultima ratio in Betracht kommen sollte“ (BGH 29. 09. 1999, Rn. 10).
Es soll ebenso wenig eine gesetzliche Vermutung dafür bestehen, dass die gemeinsame elterliche Sorge im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist (BGH 29. 09. 1999, Rn. 10). Der BGH schließt sich der Argumentation des Oberlandesgerichts an, nach der dann, „wenn die Beziehungen der Eltern nicht nur durch mangelnde Konsensfähigkeit, sondern darüber hinaus durch Feindseligkeiten geprägt seien mit der Folge, dass das Kind auch emotional in die Streitigkeiten der Eltern hineingezogen und Loyalitätskonflikten ausgesetzt werde, … die Alleinsorge eines Elternteils dem Kindeswohl am besten entspreche“ (BGH 29. 09. 1999, Rn. 4).
Der BGH hält für die Übernahme gemeinsamer elterlicher Sorge eine Kooperationsfähigkeit und Kooperationswilligkeit der Eltern für unverzichtbar, wobei allerdings die Verweigerungshaltung des Elternteils, der eine Kooperation ablehnt, „verständlich“ (BGH 29. 09. 1999, Rn 4) sein sollte. Mit der Entwicklung dieser Rechtsfiguren – Kooperationsfähigkeit und Kooperationswilligkeit – hat der BGH grundsätzliche Beurteilungskriterien festgelegt, an denen die Möglichkeit gemeinsamer Sorgetragung zu messen ist. Wie zu zeigen sein wird, werden die Kriterien allerdings unterschiedlich interpretiert, wobei insbesondere die Frage, wann eine Verweigerungshaltung als verständlich gewertet wird bzw. wann eine derartige Haltung bereits die Qualität einer Kindeswohlgefährdung erreicht hat, umstritten ist. Generell besteht auch nach dem BGH Urteil kein Zweifel daran, dass die Alleinsorge anders als die Fortsetzung der gemeinsamen elterlichen Sorgegerichtlicher Überprüfung bedarf und darzulegen ist, dass sie dem Kindeswohl tatsächlich besser entspricht. Der BGH stellt fest, dass „nicht jede Spannung oder Streitigkeit zwischen getrennt lebenden Eltern das gemeinsame Sorgerecht ausschließe, sondern dass die Entscheidung nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB maßgeblich darauf abzuheben habe, welche Auswirkungen die mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes haben werde“ (BGH 29. 09. 1999, Rn. 16).
Diese Entscheidung ist in der Literatur kritisiert worden. In der FamRZ z. B. legten einige Autoren dar, dass dieses Urteil mit der Zielsetzung der Reform nicht zu vereinbaren sei. Wolfgang Haase und Doris Kloster-Harz (Haase, Kloster-Harz 2000,
5.5 Die Rechtsprechung zu § 1671 BGB
135
S. 1003) sprechen von „Ein Schritt vorwärts und zwei Schritte zurück?“ und behaupten, dass § 1671 BGB dahingehend zu interpretieren sei, dass die gemeinsame elterliche Sorge der Regelfall ist. Lutz Bode (Bode 2000, S. 478) beanstandet vor allem die Argumentation des BGH, ein Konsens zwischen den Eltern könne in der Realität nicht erzwungen werden. Er weist darauf hin, dass das Recht eine Fülle von Normen enthalte, die darauf abzielen, den Normunterworfenen zu einem erwünschten Verhalten zu veranlassen und ihn gegebenenfalls auch dazu zu zwingen. Winfried Born spricht vom Ende der „modernen Zeiten“ (Born 2000, S. 396). Er sieht die Positionen derjenigen gestärkt, die an die gemeinsame Sorge höhere Anforderungen stellen wollen und sich gegen eine „mehr oder weniger erzwungene harmonische Sorgerechtsausübung aussprechen“. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Auffassungen wird deutlich, warum die Entscheidungspraxis der Gerichte stark differieren kann, wie das folgende Beispiel einer vom BVerfG aufgehobenen Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts zeigt. 5.5.2
Die BverfG-Entscheidung vom 18. Dezember 2003
In dieser Entscheidung (BVerfG 18. 12. 2003) entwickelt das Bundesverfassungsgericht folgende Grundsätze für den Bestand gemeinsamer elterlicher Sorge: Eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern, ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen und die Ausrichtung der Entscheidung am Kindeswohl (BVerfG 18. 12. 2003, Os. 1a). Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser Entscheidung die Rechtsprechung des BGH bestätigt und diejenigen Positionen zurückgewiesen, die in der gemeinsamen Sorge den Regelfall sehen, der auch durchzusetzen ist. Es hat zugleich die verfassungsmäßigen Grenzen zumutbarer Kooperationsbereitschaft aufgezeigt. Mit diesem Beschluss des BVerfG wird ein Beschluss des Brandenburgischen OLG vom 20. 03. 2003 aufgehoben, dem folgende Konstellation zu Grunde lag: Das Familiengericht hatte auf Antrag der Kindesmutter dieser die alleinige elterliche Sorge übertragen. Der Kindesvater war im Jahre 2002 zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten zur Bewährung verurteilt worden, u. a. wegen Körperverletzung sowie versuchter Vergewaltigung der Kindesmutter. Die wiederholten, so genannten Handgreiflichkeiten hatten teilweise über mehrere Stunden gedauert. Die Kindesmutter musste sich in psychologische Behandlung begeben und litt unter Brechreiz und Schlafstörungen. Vor diesem Hintergrund gelangte das Familiengericht zu der Auffassung, dass die Kindesmutter den Kontakt zum Kindesvater aus nachvollziehbaren Gründen ablehne (BVerfG 18. 12. 2003, Rn. 2). Auch nach Anhörung des Kindes ist das Familiengericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die alleinige Sorgetragung der Mutter dem Kindeswohl am besten entspricht. (BVerfG 18. 12. 2003, Rn. 3). Auf die Beschwerde des Kindesvaters hob das Brandenburgische OLG diesen Beschluss auf, ohne über den Antrag der Kindesmutter auf getrennte Anhörung zu
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5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
entscheiden. Die Kindesmutter war unter Vorlage eines ärztlichen Attests zu mündlichen Verhandlung nicht erschienen nicht erschienen, weil sie sich psychisch nicht in der Lage sah, dem Kindesvater, der sie misshandelt hatte, persönlich zu begegnen (BVerfG 18. 12. 2003, Rn. 3, Rn. 14). Das Brandenburgische OLG begründete seine Entscheidung damit, dass zwischen den Eltern ein Grundkonsens in wesentlichen, den Sohn betreffenden Fragen bestehe und die abstrakte Befürchtung der Kindesmutter, es könne in Fragen der elterlichen Sorge zu konträren Positionen kommen, eine Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht rechtfertige. Es verweist darauf, dass die Mutter den Kindesvater in finanziellen Fragen per E-Mail kontaktiert hatte, also zwischen den Eltern objektiv eine Kommunikation möglich sei. Es stelle sich die Frage, „ob – unabhängig vom Verschulden – bei einseitiger Kommunikationsstörung die Erziehungsfähigkeit des nicht kooperationsfähigen Elternteils tangiert ist“ (BVerfG 18. 12. 2003, Rn. 4). Die Verfassungsbeschwerde der Kindesmutter gegen diese Entscheidung hatte Erfolg. In der Begründung führt das BVerfG aus, das Brandenburgische OLG habe verkannt, dass die Ausübung der gemeinsamen Sorge eine tragfähige soziale Beziehung der Eltern voraussetze, das OLG habe sich nicht mit der „nahe liegenden“ (BVerfG 18. 12. 2003, Rn. 13) Frage befasst, ob das bei den vorliegenden Gegebenheiten überhaupt der Fall sein könne und führt weiter aus, die Erwägung „dass die Erziehungsfähigkeit der Beschwerdeführerin in Frage gestellt wäre, sollte sie aufgrund der Misshandlungen ihre Fähigkeit, mit dem Antragsgegner zu kommunizieren, eingebüßt haben“ (BVerfG 18. 12. 2003, Rn. 13),
sei nicht nachvollziehbar. Das BVerfG rügt darüber hinaus, dass das vom OLG durchgeführte Verfahren nicht geeignet ist, zu einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung zu gelangen (BVerfG 18. 12. 2003, Rn. 14). Das OLG hatte trotz Vorlage eines psychiatrischen Attests den Antrag der Kindesmutter auf getrennte Anhörung nicht nur nicht entschieden, sondern wegen ihres Nichterscheinens Ordnungsmittel gegen die Beschwerdeführerin verfügt. Das BVerfG kommt zum Ergebnis, dass die Entscheidung des Brandenburgischen OLG gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verstößt. Gerügt wird, dass das OLG nicht geprüft hat, ob angesichts der vorliegenden Gegebenheiten eine Verständigung der Eltern über wichtige Sorgerechtsfragen überhaupt noch möglich sein kann. Ausdrücklich stellt das BVerfG fest, dass es nicht geboten sei, der gemeinsamen elterlichen Sorge gegenüber der Alleinsorge den Vorzug einzuräumen, ebenso wenig soll vermutet werden können, dass die gemeinsame Sorge nach der Trennung der Eltern „im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung sei“ (BVerfG 18. 12. 2003, Os. 1a). Die Entscheidung des Brandenburgischen OLG mag auf den ersten Blick extrem erscheinen, ist aber kein Einzelfall (Beispiele in Heiliger 2003). Es besteht ein unterschiedliches Spektrum von Rechtsauffassungen hinsichtlich der Frage, welche Anforderungen an Kooperationsfähigkeit und Kooperationswilligkeit zu stellen sind.
5.5 Die Rechtsprechung zu § 1671 BGB
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Mit der in der Entscheidung des BVerfG entwickelten Figur einer tragfähigen sozialen Beziehung werden diese Kriterien ergänzt und in ihrem Realitätsbezug konkretisiert. Das BVerfG hat nach übereinstimmender Meinung allerdings die Schwelle für einen Sorgerechtswechsel von der gemeinsamen Sorge zur Alleinsorge nicht herabgesetzt (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1671 2008, Rn. 319), sondern lediglich die Grenze der Kooperationsfähigkeit formuliert. 5.5.3
Die BverfG-Entscheidung vom 01. März 2004
In dieser Entscheidung legt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG 01. 03. 2004) dar, dass bei Entscheidungen über die Sorgerechtsverteilung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Teilentscheidungen – „als milderes Mittel“ – vorzuziehen sind, „wo immer das dem Kindeswohl dient“ (BVerfG 01. 03. 2004, Os. 1b). Argumentiert wird mit dem grundrechtlichen Elternrecht. Da das Elternrecht grundsätzlich beiden Eltern gleichermaßen zusteht, berühren Sorgerechtseinschränkungen das grundrechtliche Elternrecht und sind daher unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dahingehend zu prüfen, ob gegebenenfalls Teilentscheidungen, die weniger eingriffsintensiv sind, der Vorzug zu geben ist. Im vorliegenden Fall begehrte die Kindesmutter die alleinige elterliche Sorge, weil sie mit den Kindern in ihr Heimatland Spanien zurückkehren wollte. Die vorinstanzlichen Gerichte hatten der Mutter die alleinige Sorge übertragen. Der Kindesvater hatte hiergegen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das BVerfG hob die Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. auf. Gerügt wird, dass das Elternrecht des Kindesvaters nicht genügend berücksichtigt worden ist. Das grundrechtliche Elternrecht könne nur dann eingeschränkt werden, wenn die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der elterlichen Sorge fehlen (BVerfG 01. 03. 2004, Rn. 9), wenn also keine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern vorhanden ist. Im konkreten Fall sei nicht geprüft worden, ob es an einer derartigen tragfähigen sozialen Beziehung fehle. Aus dem Sorgerechtsantrag der Mutter gehe lediglich ein Dissens der Eltern hinsichtlich des Aufenthalts der Kinder hervor. Es gäbe keinerlei Hinweise, dass sich die Differenzen auch auf andere Bereiche beziehen. Beiden Eltern sei vielmehr vom Familiengericht und vom OLG Frankfurt a. M. bestätigt worden, dass sie aufrichtig um das Wohl der gemeinsamen Kinder besorgt seien (BVerfG 01. 03. 2004, Rn. 11). Das BVerfG rügt, die Gerichte hätten nicht geprüft, ob die Eltern auch in anderen Fragen des Sorgerechts nicht über das erforderliche Mindestmaß an Übereinstimmung verfügten. Wenn lediglich der Aufenthalt streitig sei, wäre die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts verbunden mit einer Umgangsregelung ausreichend und weniger eingriffsintensiv (BVerfG 01. 03. 2004, Rn. 12). Das Elternrecht des Vaters sei ohne die Prüfung der Tragfähigkeit der Beziehung insgesamt unverhältnismäßig eingeschränkt worden. Insoweit verletze die Entscheidung des OLG Frankfurt Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Mit dieser Entscheidung verknüpft das BVerfG das grundrechtliche Elternrecht mit dem Sorgerecht in der Weise, dass die Übertragung des Sorgerechts auf einen
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5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
Elternteil stets mit einem Eingriff in das grundrechtliche Elternrecht des anderen Elternteils verbunden ist. Wie bei allen Grundrechtseingriffen ist ein Eingriff in das Elternrecht nur unter Beachtung des strengen Maßstabs des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu legitimieren. Damit erhält die Sorgerechtkonstruktion der gemeinsamen elterlichen Sorge Verfassungsrang und wird nicht als nur eine Form elterlicher Sorge im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 GG gesehen. Inwieweit dann aber noch von gleichberechtigten Modellen von Alleinsorge und gemeinsamer Sorge gesprochen werden kann, ist ebenso fraglich wie die Aussage, dass die alleinige elterliche Sorge keine ultima ratio darstellt. Rechtlich ist es ein Unterschied, ob an die gemeinsame Sorge Mindestanforderungen wie Realitätstauglichkeit oder Kooperationsfähigkeit gestellt werden oder ob jede Übertragung der Alleinsorge als Eingriff in das elterliche Grundrecht des anderen Elternteils gewertet wird. Art. 6 GG hat traditionell das Elternrecht, nicht aber die Regelungen konkreter Sorgerechtsverteilung im Trennungsfall geschützt, sonst wären alle vorherigen Sorgeverteilungsregelungen grundgesetzwidrig. Mit der Entscheidung des BVerfG wird diese Auslegung anders akzentuiert. Wenn die gemeinsame elterliche Sorge in den Schutzbereich von Art. 6 GG gelangt, dann ist das Ausdruck eines veränderten Verständnisses von Familie. Der von Trennung und Scheidung unabhängig grundrechtlich zu schützende Bestand der gemeinsamen elterlichen Sorge kann nicht rechtlich „intern“ gerechtfertigt werden. Die Weiterentwicklung des grundrechtlichen Verständnisses von Art. 6 GG ist vielmehr „externen“ Begründungen geschuldet. Das Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge führt zu einer veränderten Auslegung von Art. 6 GG. 5.5.4
Die BGH-Entscheidung vom 12. Dezember 2007
In seiner Entscheidung vom 12. 12. 2007 hat der BGH (BGH 12. 12. 2007) die Vorentscheidung des Hanseatischen OLG Hamburg bestätigt. Der Kindesmutter ist die Alleinsorge übertragen worden, obwohl nach Auffassung des OLG und des BGH diese für die völlige Zerrüttung der sozialen Beziehung zum Kindesvater verantwortlich ist. Die Mutter hatte sich beharrlich geweigert, den Umgang mit dem Vater in unbegleiteter Form zu zulassen. Die nicht miteinander verheirateten Kindeseltern hatten eine Sorgeerklärung gemäß § 1626a BGB abgegeben. Die Kindesmutter hatte die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und zugleich die Übertragung der Alleinsorge beantragt. Die Vorinstanzen hatten den Anträgen der Mutter entsprochen, dagegen hat der Kindesvater Rechtsmittel eingelegt und selbst die Alleinsorge beantragt. Das Hanseatische OLG Hamburg ist in der Vorentscheidung zu dem Ergebnis gekommen, der Mutter die alleinige elterliche Sorge zu übertragen. Es hat festgestellt, dass, obwohl diese für die völlige Zerrüttung der sozialen Beziehungen zwischen den Eltern hauptsächlich verantwortlich sei, u. a. durch eine starre Verweigerungshaltung hinsichtlich der Gewährung des Umgangs mit dem nichtehelichen Kind und durch unberechtigte Vorwürfe z. B. hinsichtlich sexuellen Kindesmiss-
5.5 Die Rechtsprechung zu § 1671 BGB
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brauchs, die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge ganz oder in Teilbereichen dem Kindeswohl entspricht (BGH 12. 12. 2007, Rn. 12, 13, 17). Obwohl die Mutter bei der Durchführung der gerichtlichen Umgangsregelung jede positive Mitwirkung verweigert hat und weiterhin am Vorwurf des sexuellen Missbrauchs durch den Vater, der gutachterlich nicht bestätigt werden konnte, festhält, hat der BGH die Entscheidung des OLG rechtlich nicht beanstandet. Eine tatsächlich nicht bestehende Verständigungsmöglichkeit könne nicht durch eine „Pflicht zur Verständigung“ ersetzt werden (BGH 12. 12. 2007, Rn 15). Auch wenn die Verweigerungshaltung der Mutter weder durch nachvollziehbare noch billigungswerte Motive gestützt werden kann, würde in derartigen Fällen die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht dem Kindeswohl dienen: „Wenn angesichts der Entwicklungen in der Vergangenheit die begründete Besorgnis besteht, dass die Eltern auch in Zukunft nicht in der Lage sein werden, ihre Streitigkeiten in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge konstruktiv und ohne gerichtliche Auseinandersetzungen beizulegen, ist die erzwungene Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl aber nicht zuträglich. Denn ein fortgesetzter destruktiver Elternstreit führt für ein Kind zwangsläufig zu erheblichen Belastungen, und zwar unabhängig davon, welcher Elternteil die Verantwortung für die fehlende Verständigungsmöglichkeit trägt“ (BGH 12. 12. 2007, Rn .15).
Der BGH hält im vorliegenden Fall auch die Herauslösung eines Teils der elterlichen Sorge als milderes Mittel nicht für geboten. Er stellt fest, dass zwischen den Eltern in keiner Weise eine tragfähige soziale Beziehung vorhanden sei. Die Auffassung wird bereits maßgeblich dadurch getragen, dass die Mutter den Verdacht, der Vater habe die Tochter F. sexuell missbraucht, nicht als ausgeräumt ansehen wolle und weiterhin unverändert an diesem Vorwurf festhalte. Solche Vorwürfe seien „regelmäßig Ausdruck einer völligen Zerrüttung der persönlichen Beziehung zwischen den Eltern, so dass eine soziale Basis für eine künftige Kooperation zwischen ihnen regelmäßig nicht bestehen wird“ (BGH 12. 12. 2007, Rn. 17).
Auch wenn ein derartig schwerer, nicht gerechtfertigter Vorwurf des sexuellen Missbrauchs nach Auffassung des BGH regelmäßig ein Indiz für mangelnde Erziehungseignung ist, könne unabhängig vom Wahrheitsgehalt eines derartigen Vorwurfs von der Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge für das Kindeswohl „nichts Gutes“ erwartet werden (BGH 12. 12. 2007, Rn. 18). Bei der Prüfung, ob der Mutter die Alleinsorge zu übertragen ist, schließt sich der BGH den Argumenten des Hanseatischen OLG an, nach denen die Mutter trotz Einschränkungen eine sichere Bezugsperson ist: „Es hat in tatrichterlicher Verantwortung der besonderen emotionalen Bindung der Kinder an die Mutter und dem Gedanken der Erziehungskontinuität im Haushalt der Mutter unter den hier obwaltenden Umständen ein so hohes Gewicht beigemessen, dass diese Gesichtspunkte das vom Oberlandesgericht zu Recht festgestellte erzieherische Versagen der Mutter in Teilbereichen, nämlich unter anderem in Bezug auf die Herstellung und Erhaltung der Bindungen zum Vater, in der wertenden Gesamtschau doch noch überwiegen. Die da-
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5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
rauf gegründete Schlussfolgerung, dass die Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter dem Kindeswohl – auch gegenüber der Übertragung der Alleinsorge auf den Vater – (relativ) noch am besten entspricht, lässt schon angesichts der außergewöhnlichen Familienkonstellation des vorliegenden Einzelfalles ebenfalls keine offensichtlichen Rechtsfehler erkennen“ (BGH 12. 12. 2007, Rn. 19).
BGH und Hanseatisches OLG haben sich in dieser Entscheidung rechtlich der Kraft des Faktischen gebeugt und mit der Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter dem Prinzip der Erziehungskontinuität Vorrang gegeben. Die Auseinandersetzung um den Umgang ist Gegenstand eines anderen Verfahrens. Der BGH hat rechtlich die realen Verhältnisse soweit in die Entscheidung einbezogen, als er die Grenzen von Recht gerade in familiären Auseinandersetzungen akzeptiert und darauf verzichtet hat, durch die Anwendung abstrakter Rechtsgrundsätze eine ohnehin problematische Realität weiter zu belasten. Unter Kindeswohlgesichtspunkten ist eine Wahl der „am wenigsten schädlichen Alternative“ (Goldstein, Freud & Solnit 1991) getroffen worden. Nach dieser Entscheidung kann ausschließlich in Extremfällen, in denen ein Elternteil jede Kooperation bewusst verweigert, auch ohne nachvollziehbare Gründe, die gemeinsame elterliche Sorge aufgehoben und die Alleinsorge dem die Kooperation verweigernden Elternteil dann übertragen werden, wenn dies im Einzelfall dem Kindeswohl, hier aus Kontinuitätsgründen, am besten dient, trotz eingeschränkter Erziehungsfähigkeit dieses Elternteils. Mit dieser Entscheidung hat der BGH auch eine Eingriffsgrenze aufgezeigt, nämlich die, dass mit einer Verweigerungshaltung allein nicht die Voraussetzungen des § 1666a BGB auf Sorgerechtsentzug gegeben sind. In der Rechtspraxis heißt das allerdings nicht, dass nicht immer wieder Gerichte Beschlüsse auch gegen die Spruchpraxis des BGH fassen, wie z. B. das Brandenburgische OLG in seiner Entscheidung vom 27. 07. 2009 (Brandenburgisches OLG 27. 07. 2009, siehe Kap. 8.11.5.1). 5.5.5
Ergebnisse der Entscheidungen
In diesen vier Entscheidungen sind die zentralen Grundsätze entwickelt worden, die für die Rechtssprechung bestimmend sind und die auch in der Literatur immer wieder diskutiert werden (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009; BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1671 2008). Als Voraussetzungen für den Weiterbestand der elterlichen Sorge gelten wesentlich: Kooperationsfähigkeit und Kooperationswilligkeit der Eltern; eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern und ein Mindestmaß an Übereinstimmung; die Möglichkeit nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein milderes Mittel anzuwenden, konkret die Übertragung der Sorge in einem Teilbereich. Die vier Entscheidungen zeigen, wie hoch die Hürde ist, die alleinige Sorge übertragen zu bekommen. Den Entscheidungen, die sich gegen eine Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge ausgesprochen haben, lagen Extremfälle zu Grunde:
5.5 Die Rechtsprechung zu § 1671 BGB
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Ein gewalttätiger, rechtskräftig verurteilter Vater und eine Mutter mit eingeschränkter Erziehungsfähigkeit – es sind Zumutbargrenzen gezogen worden, in einem Fall gegenüber der Mutter als Opfer der Gewalttätigkeit, im anderen Fall gegenüber dem Kind, dem aus Kontinuitätsgründen ein Wechsel zum anderen Elternteil erspart werden sollte. 5.5.6
Die Rechtsfigur der tragfähigen sozialen Beziehung – eine formale Beziehung auf der Elternebene
Aus den Entscheidungen wird auch deutlich, dass an die Qualität der Rechtsfigur einer tragfähigen sozialen Beziehung eher formale Anforderungen gestellt werden. Es geht um Verständigungsmöglichkeiten in Fragen, die für die Kinder von erheblicher Bedeutung sind. Karl Lenz, der sich mit den unterschiedlichen Beziehungsbegriffen von Max Weber und Georg Simmel auseinander setzt, kennzeichnet den Begriff der „sozialen Beziehung“ im Verständnis von Max Weber wie folgt: „Soziale Beziehung soll ein seinem Sinngehalt nach aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten heißen“ (Weber zitiert nach Lenz 2009, S. 34). Eine soziale Beziehung kann „ganz vorübergehenden Charakters sein oder aber auf Dauer“ (Weber zitiert nach Lenz 2009, S. 35). Weber geht es um den formalen Sinngehalt einer sozialen Beziehung, der Begriff kann damit sehr breit greifen. Für Georg Simmel steht dagegen nach Lenz außer Frage, „dass ein Zusammenhalt durch Nutzungsorientierung und Zwang allein nicht hergestellt und aufrecht erhalten werden kann, sondern einer Abstützung durch Emotionen bedarf“ (Lenz 2009, S. 33).
Das Konzept persönlicher Beziehungen, wie es gegenwärtig diskutiert wird (Lenz, Nestmann 2009a), bezieht sich eher auf das Beziehungsverständnis von Simmel. Es ist gekennzeichnet durch das Moment der „personalen Unersetzbarkeit“, wobei die fortgesetzte Kontinuität einer Beziehung eine „emotional fundierte gegenseitige Bindung der Beziehungspersonen“ hervorbringt (Lenz, Nestmann 2009b, S. 10, 11). Die Rechtsfigur der tragfähigen sozialen Beziehung deckt sich eher mit dem Begriff der sozialen Beziehung von Max Weber. Es geht um Kooperationsfähigkeit und Kooperationswilligkeit in einer Beziehung, die als persönliche Beziehung sich mit der Trennung aufgelöst hat. Erwartet wird eine Beziehungskompetenz, die von dem, was die persönliche Beziehung ausgemacht hat, nämlich die „emotional fundierte gegenseitige Bindung der Beziehungspersonen“(Lenz 2009, S 34) abstrahiert. Orientiert werden soll sich am Sinngehalt der neuen sozialen Beziehung, nämlich sich über Kinder in Fragen, die für diese von erheblicher Bedeutung sind, zu verständigen. Neutral, unbelastet von Emotionen, die objektiven Interessen des Kindes gemeinsam abwägend, sollen die Eltern miteinander kooperieren. Der Begriff der tragfähigen sozialen Beziehung impliziert nicht die Frage, inwieweit das zu Überforderungen gerade des Elternteils führen kann, der emotional noch – positiv oder
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5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
durch Enttäuschung negativ – in der persönlichen Beziehung gebunden ist, eben weil diesem Beziehungsbegriff Emotionalität nicht innewohnt. Unter Zurückstellung von Emotionalität wird Kooperationsbereitschaft erwartet, unabhängig davon, ob ungleiche Machtverhältnisse vorliegen oder die ökonomischen Verhältnisse differieren. Der Idee nach treten sich in dieser sozialen Beziehung die Eltern gleichberechtigt mit dem Ziel gegenüber, den Sinngehalt dieser Beziehung zu verwirklichen, nämlich sich über die Kinder zu verständigen in Angelegenheiten, die für diese von besonderer Bedeutung sind. Ein derartiger Beziehungsbegriff zielt auf eine Trennung zwischen der Elternebene und der Paarebene ab, wobei von der Paarebene als persönliche Beziehungsebene zu abstrahieren ist. Für Flügge ist das besonders problematisch, wenn die Paarebene durch Gewalthandlungen oder Demütigungen des Mannes belastet ist, selbst wenn die Gewaltakte nicht das Ausmaß schwerer Körperverletzung haben. „Gewaltakte des Vaters gegenüber der Mutter werden in der Literatur und Rechtsprechung in der Regel als ,Paarproblem‘ aus der Kindeswohlbetrachtung herausgehalten. Die durch Miterleben der Gewaltakte erfolgenden Schädigungen der Kinder werden nicht debattiert“ (Flügge 2003, S. 245).
Selbst wenn mit der Entscheidung des BVerfG vom 18. 12. 2003 klargestellt worden ist, dass bei erheblichen Gewalthandlungen eine gemeinsame Sorge sich nicht mit dem Persönlichkeitsrecht des geschädigten Elternteils vereinbaren lässt, bleibt die Zumutung, eine soziale Beziehung einzugehen, bestehen, wenn unterhalb der Grenze massiver Gewalt Handgreiflichkeiten und Demütigungen, auch vor den Augen der Kinder die persönliche Beziehung geprägt haben. Es wird erwartet, eine Beziehung neuen Sinngehalts mit demjenigen einzugehen, der möglicherweise die Auflösung der persönlichen Beziehung nur schwer akzeptiert und in seiner emotionalen Gebundenheit erneut aggressiv wird. Flügge weist darauf hin, dass gerade nach der Trennung sich das Risiko erhöht, dass Frauen Opfer von körperlicher und psychischer Gewalt werden. Sie problematisiert, dass Frauen „die Trennung von der Paar- und Elternebene abverlangt (wird), die sie auch beim Kind erzeugen soll. Entsprechend wird dem Mann erlaubt, auf der Paarebene gewalttätig zu agieren, wenn er nur auf der Elternebene, im unmittelbaren Kontakt zu den Kindern, auf Gewalt verzichtet.“ (Flügge 2003, S. 246.)
Unter Bezug auf die Scheidungsforschung hat Fthenakis (Fthenakis 2008, S. 63) festgestellt, dass eine gemeinsame Sorge nur, wenn sie als rechtliche und „psychische“ Sorge gelebt wird, längerfristig positive Auswirkungen auf das väterliche Engagement beim Kind hat (vgl. Kap. 4.6.3). Eine tragfähige soziale Beziehung im oben ausgeführten Sinn ist nicht an die Bedingung eines tatsächlichen, gemeinsamen psychischen Engagements geknüpft. Ob die Wahrnehmung „psychischer“ Sorge gemeinsam durch beide Eltern in Konfliktfällen möglich ist, dürfte fraglich sein.
5.5 Die Rechtsprechung zu § 1671 BGB
143
5.5.6.1 Die Herstellung von Beziehungsfähigkeit unter Bereitstellung öffentlicher Hilfen Für Coester steht fest, dass nach Aufgabe der obligatorischen Verbundentscheidung über die Zuweisung der elterlichen Sorge, der Staat sich nicht zurückzuziehen habe, sondern vielmehr dem sozialrechtlichen Beratungs- und Hilfeansatz „geradezu zentrale Bedeutung“ zukommt. „Nur massive Unterstützung der Familie bei der Erarbeitung eigenständiger Konfliktlösungen lässt eine erweiterte Überantwortung der Kindesinteressen an die als Paar gescheiterten Eltern im Lichte von Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG als vertretbar erscheinen. Insofern steht § 1671 BGB in unauflösbarem Zusammenhang mit § 17 Abs. 2 SGB VIII (Beratung in Fragen der Partnerschaft und Trennung). … Die weitgehende Verlagerung der staatlichen Wächter- und Förderaufgabe auf den beratenden, schlichtenden und vermittelnden Hilfeansatz … kann geradezu als Kennzeichen des neuen Rechts bezeichnet werden.“ (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 19.)
Recht und Verwaltungshandeln – als Angebote der Beratung – werden hier in einer Weise miteinander verbunden, die staatliche Interventionsmöglichkeiten ausweitet und diese zugleich zum Mittel der Durchsetzung bestimmter Rechtsauffassungen werden lässt. Für Coester gehört es inhaltlich zur Elternverantwortung „bei Familienzerrüttung, die Kinder von den Konflikten auf Gattenebene möglichst freizuhalten“ (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 7). Insofern besteht für ihn eine Verpflichtung, gegebenenfalls unter Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen, eine nicht emotionalisierte soziale Beziehung herzustellen. Coester verzeichnet allerdings auch eine „problematische Tendenz mancher Gerichte“ und spricht davon, dass diese Gerichte die gemeinsame elterliche Sorge oktroyieren. „Hier wird nicht die Entscheidung ,aus der Familie‘ gewonnen, sondern versucht, die Familie nach generell vorgegebenen Maßstäben zu formen. Entsprechendes gilt, wenn wegen (angeblicher) Bindungsintoleranz des Betreuungselternteils beim Umgang eine Umplatzierung des Kindes angeordnet wird, ohne die Auswirkungen auf das Kind angemessen zu berücksichtigen“ (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 170, auch Kap. 8.11.5).
Damit grenzt sich Coester zunächst davon ab, in Extremfällen auf Eltern gerichtlich „erzieherisch“ einwirken zu wollen. Für ihn ist im Vorfeld gerichtlicher Verfahren oder parallel zu ihnen eine Verlagerung der staatlichen Wächter- und Förderaufgabe auf die Träger der Jugendhilfe anzustreben, denen die Aufgabe zugewiesen wird, beraten, schlichten und vermitteln zu sollen. Wenn es dann bei vermeintlicher Beratungsresistenz der Eltern zu Entscheidungen kommt, die Sanktionscharakter für die Eltern haben, die eben doch „erzieherisch“ gemeint sind und auch so wirken, werden diese Entscheidungen kritisiert, weil sie in der Regel mit Gefährdungen des Kindeswohls verbunden sind. Nicht gesehen wird jedoch, dass rechtlich verfestigte Leitbilder systemimmanent bei Abweichung Sanktionen hervorrufen können, die ra-
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5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
dikal ausfallen. Wenn es um eine Abwägung geht, das Leitbild abstrakt zu verteidigen oder konkret die einzelnen Interessen, hier die Kinderinteressen zu berücksichtigen, dann werden, je grundsätzlicher überzeugt die Entscheidungsträger von diesem Leitbild sind, desto mehr die einzelnen Kindesinteressen in der Abwägung zurücktreten. Auch nach Coester kann eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern rechtlich nicht erzwungen werden. Über die Erweiterung sozialstaatlichen Handelns sollen aber bessere Voraussetzungen geschaffen werden, eine tragfähige soziale Beziehung herzustellen. Die Entscheidungsmacht darüber, ob eine tragfähige soziale Beziehung besteht, liegt beim Gericht, der Antrag auf alleinige Sorge kann abgelehnt werden. Gemeinsame elterliche Sorge ist ohne die bewusste Zustimmung eines Elternteils möglich. Beratungsangebote und Beratungsverpflichtungen sollen in der Form weniger einschneidend als sanktionierende Gerichtsentscheidungen die erwünschte Akzeptanz für dieses Sorgerechtsmodell bewirken. Jugendhilferechtliches Handeln soll bestimmte Einstellungen oder Einstellungsänderungen fördern. Persönliche Beziehungen, gerade wenn sie auseinander gegangen sind, lassen sich in der Regel aufgrund der ihnen innewohnenden Emotionalität in hochstreitigen Fällen weder durch rechtliche Vorgaben noch durch verpflichtende Hilfen in tragfähige soziale Beziehungen transferieren, wenn dafür keine intrinsische Motivation besteht. Die soll, legitimiert durch ein bestimmtes Kindeswohlverständnis, durch sozialstaatliches Handeln hervorgerufen werden. Ob Jugendhilfe diese zugewiesene Aufgaben personell und fachlich erfüllen kann und auch sollte, wird nicht diskutiert. Wenn das Gericht ein Mindestmaß an Tragfähigkeit der sozialen Beziehung erkennt, wird die gemeinsame elterliche Sorge aufrechterhalten bleiben. Für Kinder, das haben die Ergebnisse der Scheidungsforschung gezeigt (Kap. 4), ist die persönliche Beziehung zum betreuenden Elternteil von größerer Bedeutung, eine tragfähige soziale Beziehung der Eltern kann ein Schutzfaktor unter anderen sein. Wenn sie sich nicht herstellten lässt, ist damit nicht automatisch eine erhöhte Vulnerabilität verbunden. Eine dem Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge geschuldete tragfähige soziale Beziehung muss nicht auf gegenseitigem Verständnis beruhen, muss nicht Mindestanforderungen gegenseitiger Hilfeleistungen beinhalten, benötigt keinen gegenseitigen Respekt. Der familienferne Elternteil, in der Regel der Vater muss also die Erziehungs- und Betreuungsleistung des Elternteils, bei dem das Kind lebt, in der Regel die Mutter, nicht respektieren Eine derartige Beziehung verlangt lediglich eine Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft, formale Absprachen einzugehen. Der Begriff der tragfähigen sozialen Beziehung abstrahiert davon, dass Entscheidungen über Fragen von erheblicher Bedeutung für die Kinder in der Regel mit Diskussionen und Klärungsprozessen zwischen den Eltern und mit den Kindern einhergehen, die nicht nur rational zu führen sind, sondern auch hohe emotionale Anteile beinhalten, auch in Nichtextremfällen.
5.5 Die Rechtsprechung zu § 1671 BGB
5.5.7
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Abgrenzungskriterien der Unterscheidung zwischen Angelegenheiten des täglichen Lebens und Angelegenheiten, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind
Bei der Frage, welche Angelegenheiten für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, ist § 1687 BGB und dessen Auslegung in der Rechtsprechung zu beachten. Schilling (Schilling 2007) nennt folgende Beispiele, die eine Abgrenzung deutlich werden lassen: Als Angelegenheiten, die für das Kind grundsätzliche Bedeutung haben, gelten die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes; eine Verbringung des Kindes ins Ausland, ein Wohnortwechsel des betreuenden Elternteils mit dem Kind, sofern er die Kontaktpflege für den anderen Elternteil erheblich erschwert, also wenn z. B. eine Mutter eine feste neue Stelle oder auch eine Karriereposition in Süddeutschland annehmen will, der Vater aber in Norddeutschland wohnt; die Wahl einer medizinischen Behandlungsmethode (mit Ausnahme einer gewöhnlichen medizinischen Versorgung); die Unterbringung des Kindes in einer Heilanstalt, also auch über eine psychiatrische Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die nicht mit Freiheitsentziehung verbunden ist; die Einwilligung in eine Operation, ausgenommen einer Notoperation; die Einwilligung in langwierige Behandlungen; die Bestimmung des Vornamens des Kindes; der Besuch einer Kindertagesstätte; die Einschulung und Schulwahl; ein Schulwechsel; der Besuch einer weiterführenden Schule; die freiwillige Wiederholung einer Schulklasse; die Wahl der Fächer- und Fächerkombinationen; die Ausbildungs- und Berufswahl; die Unterbringung des Kindes in einem Internat; die Teilnahme an Fernreisen. In Angelegenheiten des täglichen Lebens entscheidet der Elternteil, bei dem das Kind lebt oder bei dem es sich – während des Umgangs beim Wechselmodell – gerade aufhält (Schilling 2007, S. 3236). Solche Angelegenheiten sind z. B.: Wie wann was gegessen wird, ob vegetarisch oder nicht, wann ein jüngeres Kind zu Bett gehen soll, welche Filme es sich anschauen oder wie lange es fernsehen darf. Die Abgrenzung, welche Fragen noch zum täglichen Leben gehören und welche für das Kind von besonderer Bedeutung sind, ist Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. Schilling nennt folgende Beispiele, die nach einzelgerichtlichen Entscheidungen als Angelegenheiten des täglichen Lebens gelten, für die also die Entscheidungskompetenz beim betreuenden Elternteil liegt: Auswahl des Wohnsitzes jedenfalls in der näheren Umgebung des anderen Elternteils, Standardimpfungen, Behandlung gewöhnlicher Kinderkrankheiten, Polypenentfernung, Teilnahme am Gottesdienst, Anmeldung zum Nachhilfeunterricht, Zeugnisunterschrift, Entschuldigung bei Krankheit, Teilnahme an Elternabenden, an Klassenausflügen und Klassenreisen, Umgang mit Freunden, Ernährung und Bekleidung, Schlafenszeiten und hinsichtlich der Vermögenssorge Taschengeld und die Verwaltung kleiner Geldgeschenke. Die Beispiele zeigen, dass die Trennung in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung und von solchen des Alltags zwar eine wichtige Voraussetzung für die praktische Umsetzung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist, dass die Abgrenzung aber
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5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
selbst immer wieder streitig sein kann, zumal, worauf Schilling hinweist, jedes Alltagsproblem unversehens ins Grundsätzliche umschlagen und damit von erheblicher Bedeutung für das Kind werden kann. Die gemeinsame elterliche Sorge setzt also in vielen Bereichen einen kommunikativen Prozess zwischen den Eltern voraus, der über lediglich formale Absprachen hinausgeht. Hinzu kommt, dass es dem betreuenden Elternteil obliegt, die jeweils erforderliche Zustimmung zu erwirken. Der Elternteil, bei dem das Kind lebt, in der Regel die Mutter, ist verantwortlich dafür, vom familienfernen Elternteil die notwendigen Unterschriften z. B. für eine Schulanmeldung oder Abmeldung oder für den Beginn einer Psychotherapie oder für Operation, die keinen Notfall darstellt, einzuholen, was im Einzelfall sehr aufwendig sein kann. Die Konstruktion der Trennung beider Bereiche ähnelt Regelungen, die im alten Nichtehelichenrecht bestanden haben. Die nichteheliche Mutter war für alle Angelegenheiten des täglichen Lebens zuständig, regelmäßig überwacht von der Fürsorgerin im Auftrag des Amtsvormunds oder später des Amtspflegers. Grundsätzlich hatte der Amtsvormund die Möglichkeit, sich seine Entscheidung in allen Dingen vorzubehalten, die für das Kind von erheblicher Bedeutung waren, also in allen oben genannten Angelegenheiten. In der Praxis wurde das unterschiedlich gehandhabt, je nachdem wie viel Eigenständigkeit der Mutter zugebilligt wurde. Bei den aktuell geltenden Regelungen hat der nicht betreuende Elternteil zwar nicht das letzte Wort wie ehemals der Amtsvormund, er ist aber in allen für das Kind wichtigen Angelegenheiten zu fragen, hat ggf. sein Einverständnis durch Unterschrift zu bekunden, z. B. bei einem Schulwechsel. Er kann gemäß § 1671 BGB die Übertragung eines Teilbereichs der elterlichen Sorge beantragen oder gemäß § 1628 BGB das Familiengericht anrufen und die Übertragung der Entscheidungsbefugnis in einem Einzelfall auf sich beantragen. Das muss nicht mit einem Wechsel der Betreuung verbunden sein. Macht der familienferne Elternteil seine Rechte geltend, können ohne seine Zustimmung keine Angelegenheiten geregelt werden, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind. Die zu treffenden Absprachen gehen weit über die Verpflichtung des alleinsorgeberechtigten Elternteils hinaus, gemäß § 1686 BGB dem anderen Elternteil auf dessen Verlangen Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes zu geben. Ob eine Kommunikation über diese Fragen im Rahmen einer formalen sozialen Beziehung im Interesse des Kindes möglich ist oder ob allein durch die Verpflichtung zur Kommunikation nicht Belastungen für die neue Familie entstehen, war im Gesetzgebungsverfahren kein Thema und wird in den die Kriterien setzenden Gerichtsentscheidungen nicht diskutiert. Nur in Extremfällen, wenn es in diesen Fragen zu fortwährenden Auseinandersetzungen kommt, wenn es sich herausstellen sollte, dass die Eltern – wie die Einzelfälle zeigen im Sinne von Devianz – nicht einigungsfähig sind, sind die Voraussetzungen gegeben, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben. Das Gericht muss dabei nicht abwarten, bis die Einigungsunfähigkeit der Eltern zu einer Kindeswohlgefährdung führt (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1671 2008, Rn. 29).
5.6 Die zweistufige Kindeswohlprüfung nach § 1671 BGB
5.6
147
Die zweistufige Kindeswohlprüfung nach § 1671 BGB
Die gemeinsame elterliche Sorge kann nur auf Antrag aufgehoben werden, der zweistufig zu prüfen ist. Zunächst ist zu entscheiden, ob die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl dient. In einem zweiten Prüfschritt wird entschieden, ob die Übertragung der Alleinsorge auf den Antragsteller dem Kindeswohl am besten dient. 5.6.1
Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge
Entsprechend den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien muss es, wenn die gemeinsame elterliche Sorge aufgehoben werden soll, an einer tragfähigen sozialen Beziehung und an Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft fehlen. Das ist insofern weiter konkretisiert worden, als von objektiver Kooperationsbereitschaft und subjektiver Kooperationsfähigkeit der Eltern gesprochen wird. Im BeckOK (Beck Online Kommentar) wird unter Verweis auf viele Einzelentscheidungen dargelegt, dass Wünsche, wie vom anderen Elternteil in Ruhe gelassen zu werden und kleinliche Auseinandersetzungen vermeiden zu wollen, ebenso wenig ausreichen wie Hinweise, eine Verständigung sei nur über Anwälte möglich oder würde zu gesundheitlichen Belastungen führen (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1671 2008, Rn. 28). Für Coester spricht die „generelle Höherwertigkeit der gemeinsamen Sorge“ dafür, dass es nicht zulässig ist, die „Alleinsorge auf Grund einer unsubstantiierten Bevorzugung ,klarer Verhältnisse‘ (Hervorhebung im Text) oder unsubstantiierter Bedenken über die künftige Einigungsfähigkeit der Eltern anzuordnen“ (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn 117).
Für ihn hat das gemeinsame Sorgerecht eine rechtspolitische und rechtsethische Leitbildfunktion einerseits für die Eltern selbst (und) andererseits für staatliche Beratungs- und Förderungsbemühungen. Eltern hätten die Pflicht, die Partnerebene von der Elternebene zu trennen (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 115ff.). Veit gibt im BeckOK die Mehrheitsmeinung wieder: „Aus dieser Pflicht könnten die Eltern nicht entlassen werden, solange ihnen ein gemeinsames Erziehungshandeln zum Wohl des Kindes zumutbar beziehungsweise die darauf gerichtete Erwartung nicht unzumutbar sei, wie etwa bei einem massiven Vertrauensbruch (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1671 2008, Rn 28).
Die Rechtspflicht, Übereinstimmung suchen und finden zu sollen, wird unter Verweis auf familienpsychologische Literatur (Walper 2005) auch kritisch gesehen, da Spannungen zwischen den Eltern in die Eltern-Kind-Beziehung hineingetragen werden und Erziehungskompetenzen unterminieren könnten (BeckOK Bamberger/ Roth/Veit zu § 1671 2008, Rn. 28).
148 5.6.2
5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
Die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil
Wird die Aufhebung der elterlichen Sorge für notwendig gehalten, schließt sich die Prüfung an, ob die Übertragung der Alleinsorge auf den antragstellenden Elternteil, wobei beide Eltern einen Antrag stellen können, dem Kindeswohl am besten entspricht. Hierbei geht es nicht um die Erziehungseignung eines Elternteils. Eine mögliche Erziehungsunfähigkeit wäre ausschließlich im Rahmen der §§ 1666/1666a BGB zu prüfen. Die Prüfung nach § 1671 BGB setzt vielmehr voraus, dass beide Eltern erziehungsfähig sind. Ob also einem Elternteil die Alleinsorge zu übertragen ist, hängt von der Berücksichtigung und Gewichtung der gesamten Verhältnisse ab, die Lösung kann stets nur eine relativ bessere sein, da eben grundsätzlich beide Elternteile geeignet sein können (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1671 2008, Rn. 34). Es soll darum gehen, eine Lösung zu finden, die das Kind am wenigsten belastet. Bezug genommen wird auf die bereits vor der Kindschaftsrechtsreform entwickelten Entscheidungskriterien. Im Rahmen des alten Scheidungsverbundverfahrens, in dessen Rahmen mit der Scheidung eine Sorgerechtszuweisung durch das Gericht erfolgt ist, sind vier wesentliche Kriterien aufgestellt worden, die auch gegenwärtig zur Anwendung kommen: Förderprinzip, Kontinuitätsprinzip, Bindungen des Kindes und Kindeswillen. Nach dem Förderprinzip kommt es darauf an, wer dem Kind die relativ besseren Entwicklungsmöglichkeiten gewähren kann. Im Wesentlichen geht es um eine innere Bereitschaft und erzieherische Eignung aber auch um äußere Merkmale wie Verpflegungsmöglichkeiten und Vermittlung von Bildungschancen. Wenn ein Elternteil unzureichende oder fehlende Bindungstoleranz zeigen sollte, d. h. nicht alles unterlässt, was einen guten Umgang mit dem anderen Elternteil erschweren könnte, dann soll das gegen eine relativ bessere Förderung des Kindes sprechen (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1671 2008, Rn. 35). Nach dem Kontinuitätsprinzip ist der Elternteil besser für die Übernahme der Alleinsorge befähigt, der dem Kind Kontinuität gewährt, es versorgt und das enge und weitere soziale Umfeld gestaltet. In der Regel ist es der Elternteil, bei dem das Kind lebt oder bei dem es seinen sozialen Mittelpunkt hat. Umstritten ist, ob die Hauptbezugsperson stärkster Kontinuitätsgarant ist oder ob die soziale Umgebung stärker zu gewichten ist (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1671 2008, Rn. 42). Praktisch kann diese Frage im Fall von Umzügen der betreuenden Person eine wichtige Rolle spielen. In der Rechtsprechung hat sich allerdings überwiegend die Meinung herausgebildet, dass die Kontinuität zur Hauptbezugsperson für das Kindeswohl die Diskontinuität in anderen Lebensbereichen überwiegt (Motzer 2006, S. 74). Die gefühlsmäßigen Bindungen des Kindes an Eltern, Geschwister und an Dritte wie z. B. an die Großeltern sollen im Wechselspiel mit sozialen Bindungen bewertet werden (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1671 2008, Rn. 45, auch Kap. 4). Die Bindungen, gerade auch die Geschwisterbindungen haben Vorrang gegenüber Trennungsverlusten eines Elternteils. So sollen Geschwister nicht getrennt werden,
5.6 Die zweistufige Kindeswohlprüfung nach § 1671 BGB
149
auch nicht, um zu vermeiden, einem Elternteil die Trennung von beiden Kindern zuzumuten (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1671 2008, Rn. 47). Die Beachtung des Kindeswillens wird in erster Linie durch Verfahrensvorschriften sichergestellt (Kap. 8.11). Er ist sowohl als verbaler oder impulsiver Ausdruck von inneren Bindungen zu beachten, wie auch ab einem bestimmten Alter zunehmend als Akt der Selbstbestimmung (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1671 2008, Rn. 49). Weil bei Äußerungen des Kindeswillens häufig von der Annahme ausgegangen wird, dass dieser beeinflusst ist, kann seine Beachtung im gerichtlichen Verfahren gemindert werden (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1671 2008, Rn. 49). 5.6.3
Die Übertragungsentscheidung
Nach der zweistufigen Prüfung wird über die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil entschieden. Die Prüfung im Rahmen der ersten Stufe stellt insofern die größere Hürde dar, als es hier mit Aufhebung der elterlichen Sorge um die Aufhebung des Rechtsverhältnisses geht. Der nicht betreuende Elternteil kann seine Rechtsinteressen vertreten und den Status quo verteidigen, ohne seine konkreten Lebensbedingungen ändern oder anpassen zu müssen. Das Kind lebt bei Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge wie bei der Übertragung der Alleinsorge weiter beim betreuenden Elternteil, in der Mehrzahl der Fälle also bei der Mutter. Wenn in der zweiten Prüfstufe nur der Antrag eines Elternteils vorliegt, der andere Elternteil also gar nicht die Absicht hat, tägliche Betreuungs- und Erziehungsverantwortung zu übernehmen, wird die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Antragsteller in der Regel dann erfolgen, wenn keine schwerwiegenden Gründe hinsichtlich des Kindeswohls dagegen sprechen. Wird ein Antrag von beiden Eltern gestellt, erfolgt die Prüfung nach den genannten Kriterien im Vergleich zwischen den Elternteilen. Wie von Dieter Schwab 1998 vorausgesagt (Schwab 1998) stehen den Erfolgschancen, eine Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge zu erwirken, „nicht geringe Hürden entgegen“. Die Höhe der Hürden lässt die Ausführungen von BGH und BVerfG, dass das Verhältnis von gemeinsamer elterlicher Sorge und Alleinsorge kein Regel-Ausnahmeverhältnis ist und beide Sorgerechtsmodelle sich gleichberechtigt gegenüber stehen, obsolet erscheinen. Coester spricht 2004 davon, dass die Familiengerichte „zumindest verbal“ auf die von BGH und BVerfG entwickelten Grundsätze eingehen, sich aber „an der Vermutung orientieren, dass das gemeinsame Sorgerecht dem Kindeswohl am besten diene“ (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2004 Rn. 108). Der die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge beantragende Elternteil hat nicht nur unter rechtssoziologischen Gesichtspunkten in dem Sinn eine schwierigere Position, als er den Status quo abändern möchte, der im Streitfall eben den begünstigt, der ihn innehat. Er muss vielmehr äußerst differenziert darlegen, dass es
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5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
an einer tragfähigen sozialen Beziehung mangelt und die Anwendung eines milderen Mittels in Form der Übertragung eines Teils der elterlichen Sorge dem Kindeswohl nicht am besten entspricht.
5.7
Persönlichkeitsrechte und gemeinsame elterliche Sorge
Bis auf einen Aussatz von Sibylla Flügge (Flügge 2008) zu den Grenzen der Pflicht zur gemeinsamen Sorge wird die Frage, inwieweit die Regelungen der gemeinsamen elterlichen Sorge mit den Persönlichkeitsrechten aus Art. 2 GG zu vereinbaren sind, in der Literatur nicht thematisiert. Flügge zeigt auf, dass auch in der Rechtsprechung die Frage nur selten angesprochen wird. Sie verweist auf Urteile, die es den für das Kind sorgenden Müttern gestatten, mit den Kindern in ihre Heimat auszuwandern und insbesondere auf die o. g. Entscheidung des BVerfG (BVerfG 18. 12. 2003), nach der bei erheblichen Gewalthandlungen des Kindesvaters gegenüber der Mutter dieser aufgrund ihrer Persönlichkeitsrechte nach Art. 2 GG nicht zugemutet werden kann, ein Mindestmaß an Kooperationsfähigkeit als Voraussetzung einer tragfähigen sozialen Beziehung aufrecht zu erhalten. Das Persönlichkeitsrecht des Art. 2 GG wird stets dann nicht berührt, wenn beide Eltern zu einvernehmlichen Lösungen kommen. Da aber die Konstruktion des § 1671 BGB die gemeinsame elterliche Sorge ohne bewusste Übereinstimmung zulässt und hohe Hürden die gemeinsame Sorge vor deren Aufhebung schützen, stellt sich die Frage, inwieweit es hier zu Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte der betreuenden Person, zumeist der Mutter kommt und ob und inwieweit diese mit dem Kindeswohl legitimiert werden können. Der betreuende Elternteil kann in wichtigen Fragen seiner Lebensgestaltung immer dann eingeschränkt werden, wenn die Veränderungen seiner Lebensgestaltung für das Kind von erheblicher Bedeutung sind. In diesen Fällen benötigt der betreuende Elternteil die Zustimmung des anderen sorgeberechtigten Elternteils oder eine Entscheidung des Familiengerichts nach § 1628 BGB. Auch wenn zwischen den Eltern keine Gewalthandlungen stattgefunden haben und keine gravierenden Vertrauensbrüche vorliegen, hat der betreuende Elternteil stets die Verpflichtung, in allen Fragen, die für das Kind von besonderer Bedeutung sind und die in vielen Bereichen auch die eigene Lebensplanung und Gestaltung betreffen, mit dem nicht betreuenden Elternteil zu kommunizieren, selbst wenn er kein Interesse an dieser Kommunikation hat und diese als alltagsbelastend empfindet. Der betreuende Elternteil kann, will er weiter mit seinem Kind zusammen leben, daran gehindert werden, einen Umzug vorzunehmen, z. B. um seine beruflichen Möglichkeiten zu verbessern oder sie überhaupt wahrnehmen zu können. Der nicht betreuende Elternteil wird dagegen in seinen Persönlichkeitsrechten nicht berührt, seine Lebensgestaltung bleibt ihm überlassen, es liegt in seinen Möglichkeiten, den Kontakt zum Kind zu gestalten oder auch abzubrechen (Kap. 7). Er behält aber, solange er sorgeberechtigt ist, das Recht, über alle Fragen, die für das
5.8 Die gemeinsame elterliche Sorge als normativer „Normalfall“
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Kind – und zumeist auch für den betreuenden Elternteil – von erheblicher Bedeutung sind, mit zu entscheiden. Diese massiven Eingriffe in die Beziehungsgestaltung und auch Lebensplanung werden gerechtfertigt mit der Pflichtbindung der Elternschaft an das Kindeswohl. Mit der umstrittenen Prämisse, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl am besten entspricht, werden Eingriffe in die persönliche Lebensgestaltung des betreuenden Elternteils, in der Regel der Mutter gerechtfertigt. Flügge führt aus, dass der Schutz des Persönlichkeitsrechts für Frauen besonders notwendig ist, wenn diese sich aus einer von Gewalt geprägten Beziehung befreien wollen (Flügge 2008b, S. 137). Der Staat habe dann die Verpflichtung, sie vor Verletzungen ihrer Gesundheit und ihres Lebens besonders zu schützen. Sie sieht die Grenzen der Zumutung, mit dem anderen Elternteil kommunizieren zu müssen, restriktiv.
5.8
Die gemeinsame elterliche Sorge als normativer „Normalfall“
Die gemeinsame elterliche Sorge ist sowohl entsprechend der Konstruktion der einzelgesetzlichen Vorschriften wie aufgrund der Rechtssprechung zum Normalfall geworden und zwar soweit, dass auch Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte der betreuenden Eltern hingenommen werden. Entgegen der erklärten Absicht des Gesetzgebers und entgegen den Ausführungen des BGH und des BVerfG besteht in der Rechtsrealität faktisch ein Regel-Ausnahmeverhältnis. Die alleinige elterliche Sorge wird nur auf Antrag gewährt, der Antrag kann abgewiesen werden, entscheidend sind die Auslegungskriterien über das, „was dem Kindeswohl am besten entspricht“ (§ 1671 Abs. 2 S. 1) Im Staudinger heißt es, dass „verantwortliches Zusammenwirken der Eltern zum Wohle ihres Kindes auch nach ihrer persönlichen Trennung verfassungsrechtlich wie auch rechtsethisch als Idealform elterlichen Verhaltens betrachtet werden (muss), der generell-abstrakt der Vorrang vor anderen Sorgegestaltungen zukommt“ (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 115).
Coester räumt mit Verweis auf die Scheidungsforschung ein, dass „aus juristischer Sicht aus diesem Forschungs- und Diskussionsstand nur gefolgert werden (kann), dass für die Aussage, gemeinsames Sorgerecht sei dem Kindeswohl im allgemeinen förderlicher als Alleinsorge, gegenwärtig (noch) eine gesicherte Grundlage fehlt“ (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 113).
Daraus schließt er, „dass die rechtliche Organisationsform der Elternsorge eher marginale Bedeutung hat im Vergleich zur gelebten Elternschaft“, die sich an der Idealform des verantwortlichen Zusammenwirkens der Eltern zum Wohle ihres Kindes zu orientieren habe. Normative Vorgaben wie „Idealformen“ benötigen keine empirischen Studien zur Bestätigung ihrer Realitätstauglichkeit, sie sind vielmehr Setzungen, die bestimmte gesellschaftliche Funktionen zu erfüllen haben.
152 5.8.1
5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
Zusammenwirken der Eltern als verfassungsrechtliche wie auch rechtsethische Idealform elterlichen Verhaltens
Die verfassungsrechtlich und rechtsethisch legitimierte neue Idealform elterlichen Verhaltens als die des Zusammenwirkens der Eltern erinnert an die traditionelle Ehe und Familie als sittliche Instanz (Kap. 3.3.1.3). Zwar wird nicht mehr die Familie als Ganzes angesprochen, die Verpflichtung des Zusammenwirkens richtet sich vielmehr an die einzelnen Eltern, die im Interesse einer bestimmten, vorgegebenen Kindeswohlbestimmung zum Zusammenwirken verpflichtet werden. Wenn Familie traditionell der Einübung und Internalisierung gesellschaftlicher Normen und Werte zu dienen hatte, dann ist diese moderne Form des Zusammenwirkens auch der Trennungsfamilie ebenso geeignet, Anpassung an gegebene gesellschaftliche Strukturen zu internalisieren. Zusammenwirken wird nicht als eine Möglichkeit von Aushandlungsprozessen gesehen, sondern als apostrophierter Normalfall, als neu deklarierte soziale Norm, gebunden an eine bestimmte Vorgabe von Kindeswohl und Wahrnehmung von Elternverantwortung. Das rechtsethische Idealkonzept des Zusammenwirkens, gegebenenfalls hergestellt über erzwungenes Einvernehmen (Kap. 8.2) kann, früh gelernt und anerkannt in der Präsenz beider Elternteile unabhängig davon, wie konkret sie das eigene Leben berühren, eine Einübung von Anpassungsverhalten sein. 5.8.1.1 Ein möglicher Bezug zur Governance-Theorie Herrschaft wird nicht mehr durch väterliche Autorität repräsentiert. Die Familie muss nicht mehr als „Keimzelle“ des Staates gedacht werden. Vielmehr liegt in der geforderten Akzeptanz von Einigung und Zusammenwirken ein neuer Herrschaftsanspruch, der sich unmittelbar an die Individuen richtet. Gesellschaftliche Regulationsformen, die bestimmten Leitbildern verpflichtet sind, übernehmen Ordnungs- und Herrschaftsfunktionen. Möglich ist hier ein Bezug auf Aspekte der Governance-Theorie, auch wenn diese Theorie nicht im Zusammenhang mit Familie entwickelt worden ist. Als politische Theorie bietet sie aber Hinweise für Herrschaftsfunktion von „Formen kollektiver Regelungen“ im Sorgerechtsbereich. Nicht mehr vordringlich der Staat und die politisch legitimierten Instanzen (hier auch die Gerichte) steuern die Gesellschaftsgestaltung (Mayntz 2009a, S. 47), sondern es entstehen durch komplexes Zusammenwirken öffentlicher und privater Akteure Regelungsstrukturen, die mit ihrer Akzeptanz politische und gesellschaftliche Wirksamkeit entfalten. Renate Mayntz betont, dass dadurch, dass aus der GovernancePerspektive nicht „einfach von Regelungsstruktur sondern etwas umständlicher von ,Formen der kollektiven Regelung‘ die Rede ist, der Doppelnatur des Begriffs Governance Rechnung getragen wird: ,Governance‘ kann sich sowohl auf eine Handeln regelnde Struktur als auch auf den Prozess der Regelung beziehen, unabhängig von der Wortwahl im Einzelfall sind immer beide Aspekte impliziert“ (Mayntz 2009b, S. 46).
5.8 Die gemeinsame elterliche Sorge als normativer „Normalfall“
153
Gesellschaftlich konstituierte und weitgehend akzeptierte Leitbilder, im Recht kodifizierte Regelungen und die Regulative ihrer Durchsetzung ergänzen einander. Je stärker der diskursive Charakter der Regulative ausgeprägt ist – die Herstellung von Einvernehmen erfolgt im diskursiven Prozess des Austauschens, ggf. mit familienrechtlicher oder sozialrechtlicher Unterstützung, ggf. mit Sanktionierungen – um so größer ist die Chance, dass das Einverständnis über Subjektivierung, über Internalisierung der Leitbilder und Leitideen erfolgt. Familiäre Autonomie als innere Autonomie unter väterlicher Herrschaft ist vor diesem Hintergrund nicht mehr erforderlich. Die einzelnen Elternteile selbst, vor allem die betreuenden Elternteile, d. h. in der Regel die Mütter, subjektivieren Herrschaftsansprüche in Form der Selbst-Verpflichtung Zusammenwirken erreichen zu wollen und Einvernehmen herzustellen Rahmen des vorgegebenen Leitbildes „Eltern bleiben Eltern“ (Lederle von Eckardstein et al. 2010). Ihre individuellen Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der Idealform des Zusammenwirkens werden nicht begrenzt, in diesem Rahmen ist Vielfalt möglich. Ordnungsinstrument zur Herstellung des Zusammenwirkens ist die gemeinsame elterliche Sorge. Ihre rechtliche Bindungsform, so abstrakt sie im Einzelfall auch sein mag, sichert im generationalen Dispositiv Abstammungszuordnungen ebenso wie die Vermittlung moderner gesellschaftlicher Regulationsmechanismen. 5.8.2
Grenzen des Zusammenwirkens und Ausgrenzungen
Coester sieht allerdings, dass die Förderung der gemeinsamen Sorge ihre Grenzen hat, „Ideal und Realität sind nun einmal nicht immer in Einklang zu bringen“ (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 180). „Nicht legitim“ ist für ihn „die Oktroyierung gemeinsamen Sorgerechts, wo dieses erkennbar ungeeignet oder einem Elternteil unzumutbar ist“ (Rn 180). Für ihn gilt, dass in den Fällen, in denen Eltern sich deviant verhalten, es nicht um die Sanktionierung des Elternverhaltens gehen kann, sondern Entscheidungen zu treffen sind, die für die Kinder die „am wenigsten schädliche Alternative“ (Rn 180) darstellen. Damit wird jedoch nicht die der gemeinsamen elterlichen Sorge zugrunde liegende Idee der verfassungsrechtlichen und rechtsethischen „Idealform“ elterlichen Verhaltens relativiert. Es wird lediglich konzediert, dass es Ausnahmefälle gibt. Nur in diesen Ausnahmefällen, denen abweichendes Verhalten der Eltern zugrunde liegt – massives Gewaltverhalten oder unbegründetes, beharrliches Verweigern des Umgangs – soll auf die Durchsetzung der gemeinsamen elterlichen Sorge verzichtet werden. Für Coester ist das Konzept einer „gemeinsamen Sorge ohne Elternwillen“ theoretisch fundierbar. Er sieht jedoch dann ein „erhebliches Gefahrenpotential“, wenn das gemeinsame Sorgerecht in „ideologischem Übereifer propagiert wird, bei dem sozialpolitische Wunschvorstellungen eine nüchterne Beurteilung aus der Sicht des Kindes verdrängen können. Gleiches gilt, wenn unter Betonung einer Konsenspflicht … eine erzieherische Haltung gegenüber den Eltern eingenommen wird, die das Sollverhalten gegenüber der Realität durchsetzen will
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5 Sorge nach Trennung oder Scheidung
… Hierher gehören auch Sanktionstendenzen gegenüber illegitimer, aber strikter und unrevidierbarer Verweigerungshaltung eines Elternteils … Die gescheiterte Partnerbeziehung der Eltern ist ebenso ein Faktum wie die Erfahrung, dass die idealtypische Trennung zwischen ,Partnerebene‘ und ,Elternebene‘ von vielen Betroffenen nicht verstanden wird oder jedenfalls nicht umgesetzt werden kann“ (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 123).
Die Vorstellungen Coesters zeigen einerseits Realistätsbewusstsein, indem sie Ausnahmen zulassen und vor sanktionierenden gerichtlichen und sozialrechtlichen Eingriffen warnen, die zu Lasten der Kinder gehen können. Bei Gewalttätigkeit eines Elternteils gegenüber dem anderen Elternteil soll die Zumutbarkeitsgrenze des Zusammenwirkens erreicht sein, die alleinige Verantwortung geht dann der apostrophierten Idealform ebenso vor wie in den Fällen unrevidierbarer Umgangsverweigerung. Andererseits setzen diese Vorstellungen ein neues Bild von Normalität, dem gegenüber aber Abweichungen möglich sind, wobei diese Abweichungen ursächlich im devianten Verhalten der Eltern liegen. Es geht Coester nicht um die Möglichkeit pluraler Konzepte von Sorgeausübung sondern um für Kinder realitätsgerechte Praktiken der Umsetzung der genannten Idealvorstellung. Eltern, die weder von Gewalttätigkeit bedroht sind noch den Umgang verweigern, sich lediglich nicht von der „Idealform“ elterlichen Verhaltens leiten lassen wollen, sondern eine alleinige elterliche Sorge bevorzugen, weil sie ihr Leben mit Kindern in eigenständiger Verantwortung gestalten wollen, werden mit diesem Ansatz allerdings ebenso aus dem Bereich „normaler“ elterlicher Sorgebeziehungen ausgegrenzt. Die in der Grundsatzentscheidung des BGH aus 1999 getroffene Feststellung, dass zwischen beiden Sorgerechtsmodellen, der gemeinsamen elterlichen Sorge und der alleinigen Sorge kein Regelfall-Ausnahmeverhältnis besteht (BGH 29. 09. 1999) die auch vom BVerfG grundsätzlich bekräftigt wird (BVerfG 18. 12. 2003) widerspricht nach Coester der prinzipiellen Höherwertigkeit der gemeinsamen Sorge nicht. Für ihn ist die „Regelfall-Diskussion nicht der eigentliche Problempunkt … vielmehr (geht es) für das Familiengericht in der einzelfallabhängigen Prognoseentscheidung (darum), ob kindeswohlgedeihliche Kooperation von den Eltern zu erwarten ist oder nicht. … Das zentrale Problem des § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB (§ 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB – Entscheidung darüber, ,was dem Kindeswohl am besten entspricht‘, Ergänzung BS) spitzt sich vielmehr auf die Frage zu, ob und wann trotz fehlender Bereitschaft zum gemeinsamen Sorgerecht zumindest bei einem Elternteil dennoch funktionierende Elternkooperation für die Zukunft erwartet werden kann. … Sind die Funktionsbedingungen gemeinsamen Sorgerechts im Einzelfall gegeben, verletzt die Anordnung von Alleinsorge nicht nur das Kindeswohl, sondern auch das verfassungsrechtliche Elternrecht. Zum zweiten entfaltet das gemeinsame Sorgerecht eine rechtspolitische und rechtsethische Leitbildfunktion einerseits für die Eltern selbst, andererseits für staatliche Beratungs- und Förderungsbemühungen“ (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 116, 117).
Die Definitionsmacht über das, was eine „kindeswohlgedeihliche Elternkooperation“ sein kann, ist damit den Familiengerichten überantwortet. Von der Jugendhilfe
5.8 Die gemeinsame elterliche Sorge als normativer „Normalfall“
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in Form der Beratungs- und Förderangebote wird verlangt, ein bestimmtes Leitbild zu vermitteln. Den Eltern wird aufgegeben Zusammenwirken und Einvernehmen zu einer Zielsetzung werden zu lassen, deren Verwirklichung sie selbst anstreben. Deutlich wird damit nicht nur, dass der Staat sich mit der Aufgabe der obligatorischen Entscheidung über die Zuweisung der elterlichen Sorge im Scheidungsverfahren nicht einfach aus sorgerechtlichen Entscheidungen zurückgezogen hat. Vielmehr ist durch eine Veränderung der rechtlichen Steuerung und durch den Anspruch, eine universelle ethische Überzeugung zu vertreten, ein wirkmächtiges neues Leitbild, das der gemeinsamen elterlichen Sorge, implementiert worden. Familienrechtlich werden zwar zwei Möglichkeiten als gleichberechtigt nebeneinander gestellt, wobei allerdings eine Möglichkeit, die der gemeinsamen elterlichen Sorge, nur eingeschränkt unter besonderen Bedingungen zur Geltung kommen kann, jugendhilferechtlich werden Beratungsangebote auf die Erarbeitung eines „einvernehmlichen Konzepts für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge“ (§ 17 SGB VIII Abs. 2) verpflichtet. Gemeinsame und alleinige elterliche Sorge bilden somit real ein RegelfallAusnahmeverhältnis. Wenn eine gemeinsame elterliche Verantwortungswahrnehmung nicht gelingt, unabhängig davon, ob aus Unvermögen oder weil sie von einem Elternteil nicht gewünscht wird, ist das eine im Prinzip unerwünschte Ausnahme. 5.8.3
Das Konzept einer gemeinsamen Sorge ohne gemeinsamen Elternwillen
Für die gemeinsame elterliche Sorge ist nicht, wie im Vorfeld der Verabschiedung der Kindschaftsrechtsreform diskutiert, eine bewusste Entscheidung beider Eltern notwendig, vielmehr ist eine „gemeinsame Sorge ohne übereinstimmenden Willen“ (Schwab 1998, S. 457; Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 123) möglich. Das Konzept einer rechtspolitischen und rechtsethischen Idealform des Zusammenwirkens beider Eltern bietet dafür die Legitimation. Wenn keine Entscheidungsalternativen im pluralen Sinn, d. h. in einer echten Entscheidung für oder gegen die Übernahme einer Regelung gegeben sind, dann kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass zwei gleichwertige Modelle der Sorgetragung zur Verfügung stehen. Dieter Schwab problematisiert: „Im Streit zwischen Eltern um Sorgerecht und Umgang gibt es, von Ausnahmen abgesehen, einen sicheren Verlierer, nämlich das Kind, dagegen gibt es kein wirksames Recht.“ (Schwab 2007b, Rn. 688). Muss es im Fall der Trennung, der inzwischen soziologisch ein Normalfall ist (Kap. 4), wirklich Verlierer geben oder gehören Trennungen nicht vielmehr zu den lebensgeschichtlichen Ereignissen, deren belastende oder nicht belastende Folgen von der Art und Weise abhängen, wie mit ihnen umgegangen wird? Salutogenetische und bindungstheoretische Forschungen zeigen, dass das Vermögen mit Krisen umzugehen sowohl von sozialen und personalen Bedingungen wie von allgemeiner Resilienz abhängen (Kap. 4). Hinzuzufügen ist, dass auch rechtliche Bedingungen wesentlich dafür sein können, ob Krisen gut oder weniger gut zu bewältigen sind. Die Verpflichtung des betreuenden Elternteils zur möglicherweise dauerhaften Auseinandersetzung mit
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dem familienfernen Elternteil über Angelegenheiten die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, wirkt sich in der Regel auch in Nichtextremfällen auf die Kinder aus, die von diesen Angelegenheiten unmittelbar betroffen sind. Wenn es keine elterliche Sorge gegen den Willen eines Elternteils gäbe, wäre das Gericht, vergleichbar mit dem alten Recht, verpflichtet, auf Antrag eines Elternteils eine alleinige Sorgezuweisung vorzunehmen. Der Mutter oder dem Vater würden vor allem nach Bindungs-, Kontinuitäts- und Fördergesichtspunkten die alleinige Sorge übertragen werden, wobei dem Willen des Kindes eine herausragende Bedeutung zukäme (Kap. 8). Neuere diagnostische Verfahren ermöglichen gegebenenfalls, die Bindungsqualität zu den einzelnen Elternteilen aufzuzeigen (Brisch 2008). Das hätte auf die Gesamtsituation einer Familie, die sich nach eigener Entscheidung konstituiert und in der eine gemeinsame elterliche Sorge nicht ausdrücklich erwünscht ist, möglicherweise eine entlastende Funktion. Damit würde jedoch die Idee einer „Idealform“ elterlicher Verantwortungsübernahme aufgegeben werden. Möglicherweise spielt hier auch eine Rolle, dass vor der Kindschaftsrechtsreform in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Mutter die elterliche Sorge übertragen bekommen hat, weil sie es war, die offensichtlich im Alltag für Bindung, Kontinuität, Sorge und Förderung stand. Wenn Väter sich hier gleichberechtigt um die alleinige Sorge bemühen könnten, hätte das vielleicht zur Folge, dass sie sich bereits während der Zeit des Zusammenlebens stärker im gemeinsamen Alltag für ihre Kinder engagieren, indem sie Versorgungsaufgaben wahrnehmen oder ihre Spielfeinfühligkeit unter Beweis stellen (vgl. Kap. 5.4.1). Für den Elternteil, der sich an der Versorgung und den alltäglichen Verpflichtungen ohnehin weniger beteiligen kann oder will, sichert die gemeinsame Sorge ohne gemeinsamen Elternwillen einen Einfluss über die Trennung hinaus. Sein Interesse wird deshalb auf den Erhalt der gemeinsamen Sorge gerichtet bleiben. Praktisch wird damit bei gegenwärtiger Rollenverteilung und tatsächlicher Präsenz gegenüber dem Kind die väterliche Position gestärkt. Die Fremd- und Selbstverpflichtung Zusammenwirken zu praktizieren, begünstigt sowohl die Machtverteilung zwischen den Geschlechtern als auch die Stabilisierung von Machtverhältnissen insgesamt, weil Anpassungsverhalten eingeübt wird. Die Kindschaftsrechtsreform ist zum Zeitpunkt ihres 10-jährigen Bestehens in der Literatur überwiegend positiv bewertet worden. Kloster-Harz schreibt z. B., das Gesetz habe sich „sehr bewährt“ , dem Gesetzgeber sei „ein großer Wurf“ gelungen, weil dank dieser Gesetzesreform der Streit um das Sorgerecht zur Ausnahme geworden sei und damit „endlich – vielleicht Jahrhunderte zu spät – die Lösung Gesetz geworden (ist), die dem natürlichen Recht der Eltern und Kinder entspricht und nicht zuletzt dem Grundsatz der Gleichheit von Mann und Frau“ (Kloster-Harz 2008, S. 129).
6
Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
Dieses Kapitel dient der Auseinandersetzung mit Fragen der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern. Noch setzt die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern eine Sorgeerklärung voraus, die den übereinstimmenden Willen beider Eltern zeigt für das Kind gemeinsam Sorge tragen zu wollen. Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) (EGMR 03. 12. 2009) ist die bundesrepublikanische Rechtslage in Frage gestellt. Der EGMR hat im Rahmen einer Individualbeschwerde erkannt, dass die im deutschen Recht fehlende Möglichkeit, einem nicht mit der Mutter verheirateten Vater die gemeinsame Sorge unabhängig von einer Sorgeerklärung im Einzelfall zu gewähren, gegen europäisches Recht verstößt (Art. 8 und Art. 14 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – „die Konvention“). Die Bundesregierung hat bis jetzt auf diese Entscheidung noch nicht reagiert. Die Diskussion über die geltende Regelung ist damit allerdings erneut eröffnet. Es bleibt abzuwarten, wie auf die EGMR-Entscheidung und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 rechtspolitisch reagiert wird. Zunächst werden Rechtslage und unterschiedliche Positionen aufgezeigt. Unter Einbeziehung der EGMR-Entscheidung und der BVerfG-Entscheidung vom 21. 07. 2010 wird gefragt, welche grundsätzliche Bedeutung sorgerechtlicher Regelungen von nicht miteinander verheirateten Eltern für die generationale Ordnung haben.
6.1
Die gegenwärtige Rechtslage (§ 1626a BGB)
Nach gegenwärtiger Rechtslage erfordert die gemeinsame elterliche Sorge die persönliche Erklärung der Mutter und des rechtlichen Vaters – die biologische Vaterschaft allein genügt nicht –, dass sie die gemeinsame Sorge übernehmen wollen. Anderenfalls hat die Mutter die elterliche Sorge oder sie und ihr Ehemann gemeinsam. Die formgebundenen Erklärungen können gemeinsam oder getrennt abgegeben werden, bei getrennter Abgabe wird die gemeinsame Sorge wirksam mit Abgabe der zweiten Erklärung. Ein gemeinsames Erscheinen vor dem Jugendamt oder vor einem Notar – diese sind urkundsberechtigt – ist nicht erforderlich. Die Erklärung kann bereits vor Geburt des Kindes abgegeben werden oder auch später, unabhängig vom Alter des Kindes. Sie darf nicht an Bedingungen geknüpft sein, eine Befristung ist nicht möglich. Nach Abgabe der Sorgeerklärungen stehen sich nicht miteinander B. Schwarz, Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht, DOI 10.1007/978-3-531-92691-9_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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6 Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
verheiratete Eltern verheirateten Eltern hinsichtlich der gemeinsamen elterlichen Sorge gleich, auch bei Trennungen. Die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil ist wie bei verheirateten Eltern im Falle der Trennung nach Maßgabe des § 1671 BGB möglich (jurisPK/Schwer 2009, Rn. 1ff.). Das Regelungskonzept des § 1626a BGB beruht auf zwei rechtspolitischen Grundentscheidungen: Es besteht keine originäre Alleinsorge beider Eltern von Geburt an, die Mutter ist Inhaberin der Alleinsorge, wenn keine gemeinsame Sorgeerklärung vorliegt (Staudinger/Coester zu § 1626a 2007, Rn. 8, 9). Die Übernahme der gemeinsamen elterlichen Sorge bedarf der ausdrücklichen Zustimmung beider Eltern, der Vater kann weder dazu verpflichtet werden noch ohne die Zustimmung der Mutter die gemeinsame elterliche Sorge erlangen. Diese Bindung an eine gemeinsame Entscheidung wird kontrovers diskutiert und kennzeichnet einen rechtspolitischen Streit, der mit der Entscheidung des EGMR vom 03. 12. 2009 neue Impulse erhalten hat. Coester geht in der Kommentierung davon aus, dass „die sorgerechtliche Entfaltung des väterlichen Elternrechts praktisch zur Disposition der Mutter“ steht (Staudinger/Coester zu § 1626a 2007).
6.2
Geschichte des § 1626a BGB und Ziel der Reform
Die Möglichkeit der gemeinsamen elterlichen Sorge für nicht miteinander verheirateter Eltern ist mit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 geschaffen worden. Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung vom 07. 03. 1995 (BVerfG 07. 03. 1995) den Gesetzgeber aufgefordert, das Sorgerecht für Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind, neu zu regeln. Es stellte fest, dass dem nichtehelichen Vater verfassungsmäßig ein Elternrecht zustehe und es nicht gerechtfertigt sei, „das Elternrecht … bei nichtehelichen Kindern von vornherein nur einem Elternteil unter völligem Ausschluss des anderen zuzuordnen“ (BVerfG 07. 03. 1995, Ls. 1, Os. 1b zu Ls. 1). Die Reform des § 1626a BGB erfolgte im Rahmen der Kindschaftsrechtsreform und ist damit eingebunden sowohl in die umfassende Sorgerechtsreform, die nach Trennung und Scheidung die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge vorsieht, wenn keine Entscheidung nach § 1671 BGB herbeigeführt wird, wie auch in die Reform des Nichtehelichenrechts, dessen zentrales Ziel die weitestgehende Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder war. Analog zur Ehe ist die Möglichkeit geschaffen worden, bei übereinstimmenden Erklärungen der Eltern den Kindern sorgerechtlich den gleichen Status wie Kindern aus einer Ehe zu gewähren. Das BVerfG hatte in einer Entscheidung vom 07. 03. 1995 die Verfassungswidrigkeit der bestehenden Regelung festgestellt und den Grundsatz entwickelt, dass Väter nichtehelicher Kinder Träger des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sind und eine verfassungskonforme Auslegung es nicht zuließe, das Elternrecht „bei nichtehelichen Kindern von vornherein nur einem Elternteil unter völligem Ausschluss des anderen
6.2 Geschichte des § 1626a BGB und Ziel der Reform
159
zuzuordnen“ (BVerfG 07. 03. 1995, Gs1b). Es bestand also für den Gesetzgeber die Verpflichtung, eine entsprechende gesetzliche Regelung zu entwickeln. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung (BT-Drs. 13/4899 13. 06. 1996, S. 58ff.) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es für die Abgabe der Sorgeerklärungen nicht erforderlich ist, dass die Eltern zusammenleben oder die Absicht darlegen, eine sozial-familiäre Beziehung führen zu wollen. Lediglich der Wille und das Bekunden, die gemeinsame elterliche Sorge zu tragen, sind ausschlaggebend und dieser Wille wird bewusst der elterlichen Autonomie überlassen. Betont wird, dass die sorgerechtliche Stellung der Mutter stark ist, gegen ihren Willen soll eine gemeinsame elterliche Sorge nicht möglich sein. In der Gesetzesbegründung wird davon ausgegangen, „dass eine erzwungene Gemeinsamkeit der Sorge für Kinder, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind, in einer Vielzahl von Fällen dazu führen würde, dass die Eltern ihre Streitigkeiten auf dem Rücken des Kindes austragen und damit das Kindeswohl beeinträchtigen würden“ (BT-Drs. 13/4899 13. 06. 1996, S. 59).
Der Vater soll nur dann gegen den Willen der Mutter die alleinige elterliche Sorge erhalten, wenn sie der Mutter zuvor entzogen worden ist. Da ein Sorgerechtsentzug nur bei Kindeswohlgefährdungen möglich und die Schwelle des § 1666 BGB hoch ist, wird angenommen, dass das nur in wenigen Fällen der Fall sein wird (BT-Drs. 13/4899 13. 06. 1996, S. 6). Der Rechtsausschuss des Bundestages hat in seiner Stellungnahme (BT-Drs. 13/8511 12. 09. 97, S. 66) die Frage aufgeworfen, ob es in bestimmten Fallkonstellationen möglich sein soll, die gemeinsame elterliche Sorge auch gegen den Willen der Mutter zu gewähren. Problematisch erschienen die Fälle, in denen beide Eltern mit dem Kind zusammenleben und die Mutter ohne Angabe von Gründen nicht bereit ist, eine Sorgeerklärung abzugeben. Der Rechtsausschuss ist jedoch mehrheitlich zu dem Ergebnis gekommen, dass eine gegen den Willen der Mutter erzwungene elterliche Sorge für das Kind regelmäßig mit mehr Nachteilen als Vorteilen verbunden ist, „weil sich der Streit seiner Eltern über die Begründung der gemeinsamen elterlichen Sorge verlagern wird auf die Auseinandersetzungen über die Ausübung der elterlichen Sorge“ (BT-Drs. 13/8511 12. 09. 97, S. 66).
Rechtsausschuss und Bundesregierung setzen in ihren Stellungnahmen auch hier, wie bei allen Neuerungen des Kindschaftsrechtsreformgesetzes auf den Ausbau freiwilliger Beratungs- und Hilfsangebote, die die Bereitschaft der Eltern, miteinander zu kooperieren, stärken sollen. Die Regelung des § 1626a BGB war von Beginn an umstritten, kritisiert worden ist die ausnahmslose Zuweisung der elterlichen Sorge an die Mutter gemäß § 1626a II BGB. Das Bundesverfassungsgericht hatte hat in seiner Entscheidung (BVerfG 29. 01. 2003) die bestehende Regelung jedoch grundsätzlich für verfassungsgemäß erklärt.
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6 Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
6.3
Die Entscheidung des BVerG vom 29. Januar 2003
6.3.1
Die grundsätzliche Bedeutung des Urteils
In einer noch offenen Reformdiskussion hat eine BverfG Entscheidung eine besondere Bedeutung, weil in ihr der verfassungsmäßige Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen eine mögliche Neuregelung gestaltet werden kann. Das BVerfG ist grundsätzlich bei der Bewertung von Gesetzen und bei Empfehlungen an den Gesetzgeber zur Zurückhaltung verpflichtet, weil es lediglich die verfassungsmäßige Konformität zu überprüfen hat. Die vielfältigen Möglichkeiten gesetzlicher Einzelgestaltung auszuloten und im gesetzgeberischen Verfahren in eine Form zu bringen, ist allein Aufgabe des Gesetzgebers. Gesetze sind immer auch Ausdruck von Kompromissen, die die unterschiedlichen gesellschaftlichen und parlamentarischen Interessen und Meinungen widerspiegeln. Wenn aber in einer Reformdiskussion über eine mögliche gesetzliche Neuregelung ein Grundsatzurteil des BVerfG vorliegt, dann sind Begründungsfiguren und Rahmen abgesteckt, über die sich die Diskussion nicht hinweg setzen kann. Dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. 01. 2003 (BVerfG 29. 01. 2003) die bestehende Regelung als verfassungsgemäß bestätigt, heißt eben nicht, dass keine Alternativen denkbar sind. Vielmehr geht der Diskussionsrahmen von der Verneinung eines Reformbedarfs bis zu den darzulegenden unterschiedlichen Änderungsvorschlägen, wobei das Urteil des EGMR (EGMR 03. 12. 2009) und die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung vom 21. Juli 2010 (BVerfG 21. 07. 2010), mit der das BVerfG seine Entscheidung vom 29. 01. 2003 revidiert hat, in Richtung eines den Gesetzgeber verpflichtenden Reformbedarfs zeigt. Aufgrund eines Normenkontrollantrags und einer Verfassungsbeschwerde hatte das BVerfG zu entscheiden, ob es verfassungsgemäß ist, dass der Vater eines nichtehelichen Kindes nur dann die elterliche Sorge für das Kind mit der sonst allein sorgeberechtigten Mutter gemeinsam tragen kann, wenn beide entsprechende Sorgeerklärungen abgeben oder einander heiraten (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 1). Beiden Verfahren lagen ähnliche Sachverhalte zu Grunde. Die nichtehelichen Väter hatten über einen längeren Zeitraum vor der Kindschaftsrechtsreform mit den Müttern zusammengelebt und begehrten nach der Trennung aufgrund der veränderten Gesetzeslage nach der Kindschaftsrechtsreform die gemeinsame elterliche Sorge, die von den Müttern jedoch abgelehnt wurde. Grundsätzlich hat das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit der bestehenden Regelung bestätigt, für so genannte Altfälle – für Fälle also, in denen nicht miteinander verheiratete Eltern sich bereits vor Inkrafttreten der Kindschaftsrechtsreform getrennt hatten, ohne dass während des Zusammenlebens überhaupt die Möglichkeit bestand, eine Sorgeerklärung abzugeben – den Gesetzgeber jedoch aufgefordert, eine rechtliche Möglichkeit zu schaffen, dem Vater trotz des entgegenstehenden Willens der Mutter die gemeinsame Sorge zu ermöglichen, soweit eine gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht entgegensteht (BVerfG 29. 01. 2003, Ls. 5). Weil es zu keinem Zeitpunkt für diese Fälle möglich gewesen ist, eine Sorgeerklä-
6.3 Die Entscheidung des BVerG vom 29. Januar 2003
161
rung abzugeben, liegt für das BVerfG hier ein unverhältnismäßiger Eingriff in das grundrechtliche Vaterrecht vor. 6.3.2
Die Auflage an den Gesetzgeber, Prüfung der Entwicklung
Das BVerfG hat seine die Verfassungsmäßigkeit der bestehenden Regelung grundsätzlich bejahende Entscheidung mit der verpflichtenden Auflage an den Gesetzgeber verbunden, die Entwicklung der Abgabe von Sorgeerklärungen zu beobachten. Es soll untersucht werden, ob Eltern, die zusammenleben und über ihre Kooperationsbereitschaft die gemeinsame tatsächliche Sorge für das Kind zum Ausdruck bringen, diese tatsächliche Sorge auch durch Sorgeerklärungen rechtlich absichern (BVerfG 29. 01. 2003, Ls. 3, 4). In den Fällen, in denen die Mutter trotz Zusammenlebens mit dem Vater und mit dem Kind keine Sorgeerklärung abgeben will, soll geprüft werden, ob der Gesetzgeber zurecht davon ausgegangen ist, dass die Mutter sich „nur dann einer gemeinsamen Sorge verweigert, wenn sie dafür schwerwiegende Gründe hat, die von der Wahrung des Kindeswohls getragen werden“ (BVerfG 29. 01. 2003, Os. 4 zu Ls. 3). Ausdrücklich macht das BVerfG in der Urteilsbegründung folgende Einschränkung: „Träfen die Annahmen des Gesetzgebers allerdings nicht zu, sollte sich insbesondere herausstellen, dass es auch bei einem Zusammenleben der Eltern mit dem Kind in größerer Zahl aus Gründen nicht zu einer gemeinsamen Sorgetragung nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB kommt, die nicht vom Kindeswohl getragen werden, würde sich § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB als unvereinbar mit Art. 6 Abs. 2 GG erweisen“ (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 75).
Eine Studie der Frage, warum Mütter ggf. keine Sorgeerklärung abgeben wollen, ist von der Bundesregierung in Auftrag gegeben worden, die Ergebnisse liegen jedoch noch nicht vor (EGMR 03. 12. 2009). 6.3.3
Die Berücksichtigung der realen Verhältnisse
Im Falle der Sorgetragung nicht miteinander verheirateter Eltern berücksichtigt das Bundesverfassungsgericht in Anlehnung an die Argumentation der Bundesregierung (BT-Drs. 13/4899 13. 06. 1996) die realen Verhältnisse, nach denen Kinder gerade nicht miteinander verheirateter Eltern in völlig unterschiedliche Lebensverhältnisse hineingeboren werden. Die Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse erfordere ein rechtliches Regelungskonzept, das den Konsens der Eltern über die gemeinsame Sorgetragung zu deren Voraussetzung macht. Tatsächlich und rechtlich verlässlich und eindeutig stehe bei der Geburt eines Kindes lediglich die Mutter fest. Unter ausdrücklichem Bezug auf die Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse stellt deshalb das BVerG im Leitsatz 1 fest, „dass es verfassungsgemäß (ist), das nichteheliche Kind bei seiner Geburt sorgerechtlich grundsätzlich der Mutter zuzuordnen“ (BVerfG 29. 01. 2003, Ls. 1). Erzwungene Gemeinsamkeit wird nicht mit dem
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6 Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
Grundgedanken der Voraussetzung eines Konsenses für die Übernahme der gemeinsamen Sorgetragung im Interesse des Wohls des Kindes für vereinbar gehalten (BVerfG 29. 01. 2003 Ls. 2). Festgestellt wird, dass allein darin, dass für eine gemeinsame Sorgetragung die übereinstimmende Erklärung beider Eltern notwendig ist, keine Einschränkung des väterlichen Elternrechts liegt (BVerfG 29. 01. 2003, Os. 3 zu Ls. 2). 6.3.4
Die Stellungnahmen im Rahmen der Anhörung vor dem BVerfG
Von der Möglichkeit zur Stellungnahme haben folgende Institutionen und Verbände Gebrauch gemacht: Bundesministerium der Justiz namens der Bundesregierung, Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht, Deutscher Juristinnenbund, Deutscher Kinderschutzbund, Verband allein erziehender Mütter und Väter, Verein Väter für Kinder, Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht. Die Stellungnahmen der Antragssteller der Ausgangsverfahren sind im Rahmen der Verfassungsbeschwerde berücksichtigt worden (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 28). Das Bundesministerium für Justiz hat die Position der Bundesregierung in der Gesetzesbegründung bestätigt, dass eine gegen den Willen eines Elternteils durchgesetzte gemeinsame Sorgetragung zu Konflikten zwischen den Eltern führe und damit mehr Nachteile als Vorteile für das Kind brächte. Es konzediert jedoch, dass die tatsächliche Entwicklung zu beobachten sei, auch unter Berücksichtigung der Rechtsentwicklung in anderen europäischen Ländern und dass gegebenenfalls zu prüfen sei, ob eine Rechtsangleichung und Fortentwicklung des elterlichen Sorgerechts angezeigt sei (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 29). Die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht, der Deutsche Juristinnenbund, der Kinderschutzbund und das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht sehen einen Korrekturbedarf. Sie halten es für notwendig, dass dem Vater im Einzelfall auch gegen den Willen der Mutter die Möglichkeit eröffnet werden sollte, das gemeinsame Sorgerecht mit der Mutter zu erlangen und machen unterschiedliche Regelungsvorschläge (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 31, 32, 33, 34, 37). Der Verein für Väter geht davon aus, dass Frauen vielfach die Abgabe von Sorgeerklärungen ablehnen, um im Trennungsfall keine Nachteile zu erleiden. Er hält die Hürde des § 1666 BGB für einen Sorgerechtswechsel für zu hoch und will generell beiden Eltern den Zugang zur gemeinsamen elterlichen Sorge eröffnen. Der mögliche Streit zwischen den Eltern „vermittele nicht nur Lebensrealität, sondern lege auch den Grundstein für eine spätere eigene Konfliktfähigkeit“. Folgerichtig hält der Verein die bestehende Regelung auch nicht mit Art. 6 Abs. 5 GG (Gleichstellung nichtehelicher und ehelicher Kinder) für vereinbar (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 36). Lediglich der Verband allein erziehender Mütter und Väter vertrat die Auffassung, dass es verfehlt sei, einen gesetzlichen Spielraum, auch für den Einzelfall, zu eröffnen, der die Sorgerechtsposition der Mütter einschränke und macht geltend, dass bei Nichtübereinstimmung der Eltern die Basis für eine gemeinsame elterliche Sorge fehle (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 35).
6.3 Die Entscheidung des BVerG vom 29. Januar 2003
163
Das BVerfG verweist weiter auf die mündliche Stellungnahme der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, hier der Mutter, in der sie erklärt, dass der Umgang ihres Kindes mit seinem Vater konfliktfrei und einvernehmlich geregelt sei und dass die Sicherheit, die ihr die gesetzliche Sorgerechtsregelung gäbe, maßgeblich zu diesem Einvernehmen beigetragen habe (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 39). 6.3.5
Die Ausgestaltung des Elternrechts
In seiner Begründung führt das BVerfG aus, dass die Einbeziehung aller Eltern in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 GG nicht bedeutet, allen Müttern und Vätern gleichermaßen die gleichen Rechte im Verhältnis zu ihrem Kind einzuräumen. Das Elternrecht bliebe vielmehr der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber vorbehalten. Unter Bezug auf seine frühere Rechtsprechung nennt das BVerfG die Voraussetzungen gemeinsamer Elternverantwortung: Eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern, ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen und die Ausrichtung am Kindeswohl. Wenn diese Voraussetzungen fehlen, soll der Gesetzgeber einem Elternteil die Hauptverantwortung zuordnen können (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 48). Das BVerfG verweist insofern auf die Ehe, als mit der Eheschließung sich beide Eltern verpflichten, für das gemeinsame Kind auch gemeinsam die Verantwortung zu tragen. Bei nicht miteinander verheirateten Eltern könne nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass die Eltern in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft leben wollen oder gegenüber dem Kind bereit seien, analoge Verpflichtungen einzugehen. Zwar steige die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften, jedoch würden nichteheliche Kinder in eine Vielzahl anderer Konstellationen hineingeboren (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 50). Unter Bezug auf die Untersuchungen von Vaskovics aus 1997 sollen nur ca. 24% der nichtehelich geborenen Kinder nach der Geburt mit Vater und Mutter zusammenleben. Auch erkennt das BVerfG keine Anhaltspunkte dafür, dass in der Regel der Vater gemeinsam mit der Mutter die Verantwortung für das nichtehelich geborene Kind wahrnehmen will. Unter Bezug auf die sehr unterschiedlichen Konstellationen, in denen der Vater möglicherweise nicht feststellbar ist oder nicht feststeht oder über eine Unterhaltszahlung hinaus keinen Kontakt zum Kind wünscht oder Kontakt zum Kind, aber keineswegs zur Mutter will oder gemeinsam mit der Mutter Verantwortung für das Kind übernehmen möchte, stellt das BVerfG fest, dass es das Kindeswohl verlangt, dem Kind bei seiner Geburt eine Person zuzuordnen, die rechtsverbindlich handeln kann. Das soll eben angesichts der unterschiedlichen Lebensverhältnisse nur die Mutter sein und nicht der Vater oder beide Elternteile gemeinsam (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 53). Das BVerfG geht davon aus, dass „die Mutter die einzige sichere Bezugsperson ist, die das Kind bei seiner Geburt vorfindet“ (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 54). Es geht auf die sich unterschiedlich gestaltende Beziehungsaufnahme zwischen Mutter und Kind einerseits und Vater und Kind andererseits insofern ein, als durch die Schwangerschaft und deren Akzeptanz, also der in der Regel bewussten Entscheidung für
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6 Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
das Kind, die mütterliche Beziehung einen vorgeburtlichen Vorlauf hat, während der Vater diese Beziehung erst nach der Geburt aufbauen kann. Die Übertragung der elterlichen Sorge auf sie soll sicherstellen, „dass für das Kind vom ersten Lebenstag an tatsächlich und rechtlich Verantwortung getragen werden kann“ (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 54). Die vom Gesetzgeber als hinreichendes Fundament einer gemeinsamen ElternKind-Beziehung angesehene übereinstimmende Willenserklärung wird vom BVerfG für ausreichend gehalten, für das Kind eine klare und sichere Verantwortung zu schaffen. Eine Anknüpfung der gemeinsamen Sorge an ein Zusammenleben der Eltern würde eine Prüfung voraussetzen, ob das Zusammenleben eine tragfähige, auf Dauer angelegte Basis für die gemeinsame elterliche Sorge bieten kann. Das BVerfG verneint schon, dass es möglich ist, eine derartige Zukunftsprognose zum Zeitpunkt der Geburt treffen zu können. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine gemeinsame Sorge könnten bei der Geburt ungeklärt bleiben, was zu Lasten des Kindes ginge, das bei seiner Geburt keine eindeutige rechtliche Zuordnung erführe. Abgelehnt wird auch, die gemeinsame Sorge an das Vaterschaftsanerkenntnis zu binden, da bei der Geburt nur für ca. ein Drittel der nichtehelichen Kinder die Vaterschaft anerkannt ist, auch hier müsste die Mutter zunächst die Alleinsorge erhalten (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 57). 6.3.6
Die übereinstimmende Willenserklärung als Grundlage gemeinsamer Sorgetragung
Das Mindestmaß an elterlicher Übereinstimmung als Grunderfordernis für das Gelingen der gemeinsamen elterlichen Sorge im Sinne des Kindeswohls wird für das BVerfG durch eine übereinstimmende Willenserklärung dokumentiert. Unter Bezug auf verheiratete Eltern macht das BVerfG deutlich, dass es eine bewusste Entscheidung für eine Voraussetzung hält, Verantwortung übernehmen zu wollen. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB soll ein Äquivalent dafür sein, dass auch ohne Eheschließung, bei der konkludent davon ausgegangen wird, dass beide Eltern beabsichtigen die gemeinsame Sorge für ihre Kinder zu tragen, durch eine übereinstimmende Willenserklärung eben die gleiche gesetzliche Vermutung einer gemeinsamen Sorgerechtsausübung im Kindeswohlinteresse liegt. Das BVerfG hält es für nicht zu beanstanden, dass der Zugang des Vaters eines nichtehelichen Kindes zur elterlichen Sorge von der Bereitschaft der Mutter abhängt, mit ihm die gemeinsame Sorge tragen zu wollen. Es sieht darin keine unberechtigte Einschränkung des väterlichen Elternrechts, denn auch bei verheirateten Eltern wird mit dem Eheversprechen eine übereinstimmende Willenserklärung abgegeben (BVerfG 29.01.2003, Rn. 64, 68). Damit weist das BVerG auch den Einwand zurück, § 1626a BGB verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sowohl bei Vätern nichtehelicher Kinder wie auch bei Vätern ehelicher Kinder ist die gemeinsame Sorgetragung nur mit Einwilligung der Mutter möglich. Bei der Eheschließung erfolgt die Einwilligung unmittelbar und generell
6.3 Die Entscheidung des BVerG vom 29. Januar 2003
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für alle Kinder, mit der Sorgeerklärung erfolgt sie konkret bezogen auf das jeweilige Kind. Dieser Unterschied wird sachlich durch die unterschiedliche Situation für begründet gehalten (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 90). Das BVerfG hält es für folgerichtig, dass bei vorliegender Sorgeerklärung bei einer Trennung die gemeinsame Sorge weiter bestehen bleibt und wie im Trennungsbzw. Scheidungsfall bei miteinander verheirateten Eltern auch, nur über eine gerichtliche Prüfung nach § 1671 BGB die Alleinsorge einem Elternteil zugeordnet werden kann (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 81). Es sieht aber keinen Bedarf für eine Korrektur dahingehend, dass im Falle eines tatsächlichen Zusammenlebens nach der Trennung dem Vater über eine Einzelfallprüfung die Möglichkeit einer gemeinsamen Sorge eingeräumt werden soll, wenn keine gemeinsame Sorgeerklärung vorliegt. Das BVerfG geht davon aus, dass mit der Trennung die Kooperationsbereitschaft zwischen den Eltern eher abnehme und eine gerichtliche Einzelfallprüfung nur zu weiteren Belastungen für das Kind führt. 6.3.7
Die Ausnahmeregelung für Altfälle
Eine Ausnahme macht das BVerfG allerdings für Altfälle, also für diejenigen Fälle, in denen eine gemeinsame elterliche Sorge durch Abgabe einer Sorgeerklärung rechtlich noch nicht möglich war. Wenn Eltern über einen längeren Zeitraum zusammengelebt und tatsächlich gemeinsam elterliche Verantwortung ausgeübt haben, soll es möglich sein, im Nachhinein durch gerichtliche Einzelfallprüfung auf gemeinsame Sorge zu erkennen. Es würde das Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG verletzen, den Vater von der elterlichen Sorge auszuschließen, wenn die Mutter nach der Trennung „nicht (mehr) bereit ist, eine Sorgeerklärung abzugeben“ (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 82). Dem Argument des BGH, im Rahmen des Merkmals „missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge“ (§ 1666 BGB, alte Fassung) zu prüfen, ob und inwieweit die Mutter das Elternrecht des Vater angemessen berücksichtige, folgte das BVerfG damit ausdrücklich nicht. Eine solche Auslegung von § 1666 BGB sei nicht verfassungskonform, die hohe Eingriffsschwelle des § 1666 BGB soll Eingriffen des Staates vorbehalten bleiben. § 1666 BGB sei regelmäßig nicht geeignet, einen Interessenausgleich zwischen den Eltern herzustellen (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 85). 6.3.8
Gründe der Mütter, keine gemeinsame Sorge anzustreben
Die bereits in der Stellungnahme des Rechtsausschusses diskutierte Frage, ob es Fälle geben könnte, in denen die Mutter trotz des Zusammenlebens mit dem Vater die Sorgeerklärung verweigere, nimmt das BVerfG auf. Es macht sich die Annahme des Gesetzgebers zu eigen, dass bei Zusammenleben sich die Mutter dem Wunsch des Vaters nach gemeinsamer elterlicher Sorge nur dann verweigere, wenn sie schwerwiegende Gründe habe, die von der Wahrung des Kindeswohls getragen sind
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6 Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
und dass sie nicht etwa die Verweigerung einer Sorgeerklärung „als Machtposition gegenüber dem Vater missbraucht“ (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 71). Nur unter dieser Annahme soll es mit Art. 6 Abs. 2 GG vereinbar sein, dass der Gesetzgeber keine gerichtliche Einzelfallprüfung zugelassen hat. Das BVerfG hat die Verfassungsmäßigkeit von § 1626a II BGB somit unter dem Vorbehalt gestellt, dass die Bundesregierung die weitere Entwicklung zu verfolgen hat (Ls. 3,4). Darüber hinaus problematisiert das Gericht die Möglichkeit von Einzelfallprüfungen dahingehend, dass allein gerichtliche Auseinandersetzungen sich zusätzlich zu sonstigen Konflikten zum Nachteil des Kindes auswirken können (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 71, 80). Die Bestätigung der verfassungsmäßigen Rechtmäßigkeit, die gemeinsame elterliche Sorge an eine übereinstimmende Willenserklärung zu binden und hier nicht an Lebenssachverhalte wie z. B. tatsächliches Zusammenleben anzuknüpfen, zeigt, dass das BVerfG auf autonome Entscheidungen von Müttern und Vätern setzt, die selbständig und unabhängig von staatlichen Prüfinstanzen nach ihrem persönlichen Willen Familie gestalten können sollen. Eine Einzelfallprüfung, ob Eltern die ihnen eröffnete Möglichkeit der gemeinsamen Sorge auch tatsächlich nutzen, könnte die elterliche Freiheit beschränken, ohne dass von Anhaltspunkten dafür auszugehen sei, dass eine Alleinsorge dem Kindeswohl zuwider laufe (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 80). 6.3.9
Das Leitbild der gemeinsamen Sorge in der BVerfG-Entscheidung
Das Urteil trägt dazu bei, plurale Entscheidungsspielräume ausschöpfen zu können und private Lebensgestaltung unabhängig von staatlichen Vorgaben oder Überprüfungen zu ermöglichen. Der Prüfauftrag an den Gesetzgeber zu beobachten, ob in nennenswerten Fällen Mütter aus Gründen, die nicht im Interesse des Kindeswohls liegen, eine Sorgeerklärung verweigern, berührt allerdings die freie Entscheidungsmöglichkeit der Mütter, als ihr Verhalten im Prinzip an ein Kindeswohl gebunden werden soll, dem das Verständnis zu Grunde liegt, dass eine gemeinsame Sorge der Alleinsorge vorzuziehen ist. Damit übernimmt das BVerfG auf allgemeiner Ebene den Grundgedanken der Kindschaftsrechtsreform nach dem „die gemeinsame elterliche Sorge grundsätzlich den Bedürfnissen des Kindes nach Beziehungen zu beiden Elternteilen entspricht und ihm verdeutlicht, dass beide Eltern bereit sind, für das Kind Verantwortung zu tragen“ (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 15).
Die alleinige Sorgetragung der Mutter soll somit bei Zusammenleben der nicht miteinander verheirateten Eltern generell unter den Vorbehalt eines bestimmten Kindeswohlverständnisses gestellt und nicht ihrer individuellen Entscheidung überlassen bleiben. Bei der Schwierigkeit eines einheitlichen Kindeswohlbegriffs (Kap. 3.5.2) wird eine Abgrenzung zwischen den so genannten Eigeninteressen der Mütter und den
6.4 Drei mögliche Reformmodelle
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Kindeswohlinteressen je nach Sichtweise desjenigen, der diese Abgrenzung vorzunehmen hat, unterschiedlich ausfallen und letztlich von der jeweiligen Kindeswohlkonzeption abhängen. Das BVerfG geht in Anlehnung an die Position der Bundesregierung davon aus, dass eine Ablehnung der Sorgeerklärung bei Zusammenleben der Eltern nur aus schwerwiegenden, im Kindeswohlinteresse liegenden Gründen geschieht. An diese Einschätzung bindet es die Verfassungsmäßigkeit der Norm. „Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass eine Mutter, gerade wenn sie mit dem Vater und dem Kind zusammenlebt, sich nur ausnahmsweise und nur dann dem Wunsch des Vaters nach einer gemeinsamen Sorge verweigert, wenn sie dafür schwerwiegende Gründe hat, die von der Wahrung des Kindeswohls getragen werden“ (BVerfG 29. 01. 2003, Rn. 71).
Die in diesem Zusammenhang erwähnte Gefahr eines Machtmissbrauchs durch die Mutter wird vom BVerfG nicht näher dargelegt. 6.3.10
Die formale Bedeutung des Urteils
Aufgabe des BVerfG ist nicht, sich zur rechtspolitisch wünschenswerten und seiner Auffassung nach verfassungsmäßig optimalen Gestaltung zu äußern; seine Aufgabe ist vielmehr zu prüfen, ob bestehende Regelungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Dem Gesetzgeber steht ein erheblicher Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Grundsatzurteile wie das vorliegende stecken aber den verfassungsmäßigen Rahmen ab, innerhalb dessen unterschiedliche Lösungen möglich sind. Jede Reformdiskussion zu § 1626a BGB wird deshalb von diesen grundsätzlichen Ausführungen des BVerfG geprägt sein. 6.3.11
Die Diskussion des Urteils in der Literatur
Regelung und Urteil sind in der Literatur weiterhin umstritten. Nach dem Urteil des BVerfG entstand eine lebhafte Diskussion über neuen Reformbedarf. Kritisiert wird vor allem, dass nach der bestehenden Regelung die Entscheidung über eine gemeinsame elterliche Sorge faktisch bei der Mutter liegen soll, weil ohne ihr Einverständnis eine gemeinsame Sorge nicht möglich ist. Das wird für unvereinbar mit den grundrechtlichen Vaterrechten und mit der verfassungsmäßig gebotenen Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern gehalten (Staudinger/Coester zu § 1626a 2007, Rn. 7, 8).
6.4
Drei mögliche Reformmodelle
Coester fasst in der Kommentierung drei mögliche Reformmodelle zusammen (Staudinger/Coester zu § 1626a 2007, Rn. 8), die seiner Auffassung nach geeignet sein können, die so genannte Privilegierung der Mutter aufzuheben und grundrechtliche Vaterrechte zu berücksichtigen. Diese drei Modelle sind diskussionsleitend
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6 Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
und werden auch, wie zu zeigen sein wird, von anderen Autoren in der einen oder anderen Form vertreten: Pauschale gesetzliche Zuweisung des gemeinsamen Sorgerechts an beide (rechtlichen) Eltern, ohne Ansehung ihres Familienstands; gemeinsame Sorge kraft Gesetzes bei zusammenlebenden Eltern ggf. erst bei gewisser Dauer des Zusammenlebens; alternativ: bei Unterhaltsanerkenntnis des Vaters und bei fehlenden Sorgeerklärungen originäre Alleinsorge der Mutter mit (gegenüber der lex lata) erleichterten Korrekturmöglichkeiten auf Antrag des Vaters zugunsten gemeinsamer Sorge oder Alleinsorge des Vaters bei „triftigen Gründen“. Noch gibt es kein konkretes Vorhaben der Bundesregierung zur Änderung. Eine Anhörung der SPDBundestagsfraktion vom 21. 01. 2005 (Manuskripte) und eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen (BT-Drs. 16/6078 13. 07. 2007) zeigen aber, dass auch auf parlamentarischer Ebene weiterhin Diskussionsbedarf besteht. In der Kleinen Anfrage der Grünen heißt es, dass § 1626a Abs. BGB in „unzulässiger Weise auf die Unverzichtbarkeit des Mutterwillens verweise, nicht aber auf den Vorrang des Kindeswohls“ (BT-Drs. 16/6078 13. 07. 2007). Stein des Anstoßes im geltenden Recht ist der Umstand, dass die Mutter nicht nur sorgerechtlich privilegiert ist, sondern – wie vielfältig unterstellt – praktisch die „Entscheidungsmacht“ (Coester 2007, S. 1139) hat, ob und wie der Vater Teilhabe am Sorgerecht erhält. Kritisiert wird weiter, dass der Ausschluss des nichtehelichen Vaters von der Sorgerechtsteilhabe bei fehlender übereinstimmender Willenserklärung zu einer Benachteiligung nichtehelicher Kinder gegenüber ehelichen Kindern führen würde. Die Kritik reicht von der Forderung nach Zulassung von Einzelfallregelungen, die dem Vater Zugangsmöglichkeiten zum gemeinsamen Sorgerecht eröffnen sollen, wenn z. B eine sozial-familiäre Beziehung vorgelegen hat oder aus anderen, nicht näher ausgeführten Gründen, nach denen die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl dienen soll, (Coester 2007, Coester 2005, Fink 2004, Fink 2005, Jonas 2003, Hebeler 2003, Burmeister 2003, Mohr und Wallrabenstein 2004, Humphrey 2003) über die Bindung der Sorgerechtsteilhabe an bestimmte Lebenssachverhalte wie das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung (Oelkers 2004 4. Kap. Rn. 137) bis zur grundsätzlichen Zuordnung des Sorgerechts an beide Eltern (Spangenberg, Brigitte, Spangenberg, Ernst 2003, Carl 2005, Richter 2004). Die Kritiker sind sich darin einig, dass die bestehende Regelung den Vater in seinen grundrechtlichen Elternrechten beschneidet und die Regelung damit verfassungsmäßig bedenklich ist. Die vorgeschlagenen Regelungsmodelle unterscheiden sich darin, welche Gestaltung der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern der Regelfall und welche die Ausnahme sein soll (Altrogge 2008, S. 157).
6.5
Exkurs: Die sorgerechtliche Stellung des nichtehelichen Vaters
Das BVerfG hat mit seiner Entscheidung vom 08. 12. 2005 (BVerfG 08. 12. 2005) die Stellung des nichtehelichen Vaters, der nicht Sorgerechtsteilhaber ist, insofern ge-
6.6 Die unterschiedliche Rechtslage in anderen Ländern
169
stärkt, als im Falle eines Sorgerechtsentzugs der Mutter, dem Vater die elterliche Sorge dann zu übertragen ist, wenn nicht konkret feststellbare Kindesinteressen gegen eine Übertragung sprechen. Dem Wortlaut des § 1680 Abs. 2 S. 1 BGB nach kommt in derartigen Fällen eine Übertragung dann in Frage, wenn sie dem Kindeswohl dient. Nach verfassungskonformer Auslegung ist das immer dann der Fall, wenn ein nichtsorgeberechtigter Vater über einen längeren Zeitraum zumindest in tatsächlicher Hinsicht die elterliche Sorge wahrgenommen hat (BVerfG 08. 12. 2005, Os. 2b). Im vorliegenden Fall lebte das Kind in einer Pflegefamilie. Das OLG hatte die Fördermöglichkeiten des Kindes in der Pflegefamilie für höher eingeschätzt und deshalb den Antrag des Vaters auf Sorgerechtsübertragung abgelehnt. Das BVerfG ist der Auffassung, dass damit das OLG „die grundsätzlich vorrangige Erziehungsverantwortlichkeit“ (BVerfG 08. 12. 2005, Os. 3a) verkannt habe. Unabhängig von der Problematik der Rechtsstellung der Pflegeeltern und des Kindesinteresses hat hier das BVerfG einen Interpretationsrahmen gesteckt, der einmal mehr die starke verfassungsmäßige Stellung des Vaters betont, auch wenn er nicht Sorgerechtsträger ist. Die verfassungsrechtliche Stellung gilt hier abstrakt, sie hat nicht in der Einzelfallprüfung auszuweisen, wo das Kind selbst leben möchte und welche Lebenssituation den Interessen des Kindes am besten gerecht wird. Dieses Urteil hat die Kritiker der bestehenden Regelung des § 1626a BGB insofern bestärkt, als der nichteheliche, nicht sorgeberechtigte Vater in die Position des „Reservevaters“ gerückt ist, was eine stärkere rechtliche Berücksichtigung erfordert (Altrogge 2008, S. 156).
6.6
Die unterschiedliche Rechtslage in anderen Ländern
Im Rahmen der Kritik wird immer wieder auf die unterschiedliche Rechtslage in anderen Ländern hingewiesen (vgl. Humphrey 2003), weshalb hier ein kurzer Überblick erfolgen soll: Ein mutterunabhängiges gemeinsames Sorgerecht besteht in Russland, Estland, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Polen, Spanien, England automatisch mit der Geburt und außereuropäisch in den USA und in australischen Territorialstaaten. Bei freiwilliger Vaterschaftsanerkennung besteht ein gemeinsames Sorgerecht in Italien und in den kanadischen Provinzen, wenn eine sozial-familiäre Lebensgemeinschaft vorliegt. In Frankreich entsteht ein gemeinsames Sorgerecht automatisch bei Vaterschaftsfeststellung innerhalb eines Jahres ab Geburt des Kindes. Eine Alleinsorge der Mutter unter Beteiligung des Vaters mit oder ohne Konsens (Kindeswohlprüfung) besteht in Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland und den Niederlanden. Eine Alleinsorge der Mutter unter Beteiligung des Vaters nur bei Konsens besteht in Deutschland und bei zusätzlicher Kindeswohlprüfung in der Schweiz und in Österreich. Übereinstimmend wird davon ausgegangen, dass im europäischen Rahmen eine Rechtsangleichung notwendig sein wird. Der Verweis auf die anderen Länderregelungen dient regelmäßig als zusätzliches Argument für den
170
6 Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
Reformbedarf des § 1626a BGB. Nach einer rechtsvergleichenden Untersuchung der Länder der europäischen Union fasst der EGMR zusammen, „dass es in den Mitgliedstaaten zwar verschiedene Ansätze gibt, die Mehrzahl der Mitgliedstaaten jedoch eine Beteiligung des nicht mit der Mutter verheirateten Vaters am Sorgerecht unabhängig vom Willen der Mutter oder zumindest durch gerichtliche Anordnung nach einer Kindeswohlprüfung vorsieht“ (EGMR 03. 12. 2009, Rn. 27)
6.7
Die Argumentation der Befürworter einer Reform
Die Argumentationen aller Autoren sind an die von ihnen jeweils vertretenen Sorgerechtskonzepte gebunden. Hier soll auf einige Argumentationslinien eingegangen werden, die die Positionierung der Verfasser verdeutlichen. 6.7.1
Einzelfallprüfung und „Eigeninteressen“ der Mütter, ihr möglicher „Machtmissbrauch“
Coester als Mitautor des auf der Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion am 21. 01. 2005 vorgetragenen so genannten Professorenmodells vertritt eine Reform zugunsten von Einzelfallregelungen. Er hält eine derartige Reform für einen sehr schonenden Eingriff in die bisherige Rechtslage (Coester 2007 S. 1143). Das so genannte Professorenmodell, das auch von Ludwig Salgo getragen wird, sieht vor, dass auf Antrag des Vaters eine Einzelfallprüfung auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge stattzufinden hat, wobei unter Kindeswohlgesichtspunkten dem Antrag stattzugeben ist, wenn die Eltern gemeinsam mit dem Kind zusammengelebt haben. Coester will mit der Reform aber zugleich eine Perspektive der Neuordnung der Sorgerechtsbeziehungen bei nichtehelichen Eltern eröffnen. Grundsätzlich bezweifelt er, dass Mütter nur dann keine Sorgeerklärung abgeben, wenn schwerwiegende im Kindeswohl begründete Vorbehalte sie dazu veranlassen. Er geht davon aus, dass immer dann „Kindes- und Eigeninteressen untrennbar miteinander verquickt“ sind, wenn Mütter Auseinandersetzungen mit dem Vater fürchten und deshalb ihr „Alleinentscheidungsrecht“ (Coester 2007, S. 1138) nicht aufgeben wollen. Coester problematisiert aber, dass bei einem im Prinzip wünschenswerten, gemeinsamen Sorgerecht kraft Gesetz für alle Eltern (Coester 2007, S. 1140) die Mütter, die keine gemeinsame Sorge mit dem Vater wünschen, eine „vorgelagerte Verteidigungslinie bei der Abstammungsfrage“ aufbauen würden. Sie könnten der Vaterschaftsanerkennung ihre Zustimmung verweigern. Bei Betreiben einer gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung durch den Vater hätten sie zunächst einen erheblichen Zeitgewinn. „Mehr Mütter als bisher würden sich in der Abwägung zwischen Mitelternschaft (einschließlich eigenen und kindlichen Unterhaltsansprüchen gegenüber dem Vater) und Alleinelternschaft (ohne Unterhalt) für die zweite Alternative entscheiden mit der Folge des totalen (menschlichen wie finanziellen) Vaterverlustes für das Kind“ (Coester 2007, S. 1140).
6.7 Die Argumentation der Befürworter einer Reform
171
Seine Einwände gegen ein gemeinsames Sorgerecht von Geburt an sind also nicht grundsätzlicher, sondern eher rechtsstrategischer bzw. rechtspolitischer Art. In Auseinandersetzung mit dem Vorschlag, die gemeinsame Sorge an bestimmte Lebenssachverhalte zu binden, geht Coester davon aus, dass bei faktischer Praktizierung gemeinsamer Elternschaft es verfassungsrechtlich vertretbar und rechtstatsächlich auch sinnvoll sein könnte, auch rechtlich auf gemeinsame Sorge zu erkennen, denn „ein stärkeres Indiz für grundsätzliche Elternharmonie und personale VaterKind-Beziehung ist kaum vorstellbar“ (Coester 2007, S. 1141). Aus rechtspraktischen Gründen verwirft er jedoch diese Lösung, es gäbe zu viele Unklarheiten beim Anknüpfungspunkt „familiäre Lebensgemeinschaft“ oder „Zusammenleben der Eltern“, auch seien die Erfordernisse an die Dauer einer derartigen Lebensgemeinschaft unklar. Er unterstellt zudem Müttern ein mögliches „strategisches Verhalten“, das darauf hinauslaufen soll, „Sorgerechtsgemeinsamkeit mit dem Vater vermeiden zu wollen“ (Coester 2007, S. 1142), indem sie vor einem Stichtag der Einbindung in die rechtliche Verantwortungsgemeinschaft mit dem Vater die Familiengemeinschaft vorzeitig aufkündigen würden. Damit, befürchtet er, würde sich die vom Gesetzgeber beabsichtigte Förderung des Kindeswohls in ihr Gegenteil verkehren. Sandra Fink sieht in einer Einzelfalllösung eher eine Übergangslösung, hält sie aber für verfassungsmäßig allein deshalb für geboten, weil sie davon ausgeht, dass die bestehende Regelung der Mutter gegenüber dem Vater eine „Machtposition“ zuweist und damit das Problem des „Machtmissbrauchs“ (Fink 2004, S. 66) drohe. Sie bezieht sich dabei auf die Machtkritik von Max Weber, nach der Macht haben bedeutet, den eigenen Willen gegen den eines anderen und gegen dessen Widerstand durchsetzen und damit das Verhalten anderer Menschen zu lenken können. Sandra Fink stellt dagegen fest, dass es Aufgabe des Rechts sei, die Ausübung der Macht in geregelte Bahnen zu lenken und dem Schutz des Machtunterworfenen zu dienen. Dem Vater, der hier dem Willen der Mutter unterworfen sein soll, soll zumindest über die Möglichkeit von Einzelfallentscheidungen Zugang zur gemeinsamen elterlichen Sorge eröffnet werden. Ob allerdings das Erfordernis der Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen mit dem Ziel, bestimmte Rechtsfolgen auszulösen, Machtverhältnisse überhaupt konstituieren kann, bleibt rechtstheoretisch ebenso unklar wie die Frage, ob eine politische Theorie der Macht auf familiäre Verhältnisse übertragbar ist. Familiäre Beziehungen sind persönliche Beziehungen, politische Beziehungen haben einen anderen Charakter und Sinngehalt. Durchgängig gilt im bürgerlichen Recht, dass die Bereitschaft individuelle Verpflichtungen einzugehen an Willenserklärungen gebunden ist, die, wenn sie übereinstimmend abgegeben werden, gegenseitige Rechtsfolgen auslösen (nur wenige Willenerklärungen bedürfen nicht der Annahme z. B. das Testament, die Minderung, die Kündigung). Lediglich der Staat hat aufgrund seines Machtmonopols die Möglichkeit von Rechtsetzungen unabhängig davon, ob sie von Einzelnen akzeptiert werden oder nicht. Diese Rechtsetzungen haben in den Grenzen grundrechtlicher Freiheitsrechte zu erfolgen und bedürfen besonderer Legitimationen. Sollen Sorge-
172
6 Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
rechtsregelungen nicht miteinander verheirateter Eltern grundsätzlich zunächst nicht deren individuellen Vereinbarungen überlassen bleiben, könnte das hypothetisch insoweit mit Art. 6 GG begründet werden, wenn davon ausgegangen werden würde, dass eine alleinige mütterliche Sorge generell grundrechtliche Vaterpositionen verletze und eine andere Sorgerechtsregelung als die der gemeinsamen elterlichen Sorge auch ohne übereinstimmende Willenserklärung als Voraussetzung für eine gemeinsame Verantwortungsübernahme dem Kindeswohl stets nicht entspräche oder es gefährde. Für diese Annahmen gibt es weder erziehungswissenschaftliche Belege (Kap. 4, 5) noch einen gesellschaftlichen Konsens. In jedem Fall wird bei Regelungen, die staatlich vorgegeben werden ohne dass sie einer übereinstimmenden Willenserklärung bedürfen, die Frage berührt, ob und inwieweit es mit dem freiheitssichernden Charakter des Art. 6 GG als elterliches Grundrecht zu vereinbaren ist, eine „gesetzliche Ausgestaltung … für den Fall elterlicher Einigungsunfähigkeit“ (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 6) vorzunehmen. Zugleich werden auch stets Fragen des Eingriffs in Persönlichkeitsrechte berührt (Kap. 5.7), derartige Eingriffe sind am strengen Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu legitimieren. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat zwar den Begriff der „Machtposition“ verwendet, im Einzelnen aber nicht ausgeführt, was darunter zu verstehen ist. Es hat den Gesetzgeber beauftragt, die weitere Entwicklung zu beobachten. § 1626a BGB soll schließlich nur dann verfassungsgemäß sein, wenn nicht in großer Zahl Mütter aus anderen Gründen als im Interesse des Kindeswohls die Sorgeerklärung verweigern. Welche Gründe das sein könnten und wie hier das Kindeswohl verstanden wird, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Es scheint hier eine Argumentationsöffnung beabsichtigt zu sein, die der am Vorhandensein einer übereinstimmenden Willenserklärung gebundenen Begründung als Bestandteil der Verfassungsmäßigkeit gemeinsamer elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern nicht entspricht. Wenn Michael Coester die erforderliche übereinstimmende Willenserklärung sprachlich in ein Alleinentscheidungsrecht der Mutter umwandelt, wenn Sandra Fink ein gesellschaftspolitisches Machtkonzept, das sich auf politische Herrschaft bezieht auf familiale Beziehungen überträgt, wenn beide Autoren der Mutter per se potentiellen Machtmissbrauch unterstellen, dann liegt dieser Betrachtungsweise ein Zugang zur Sorgeinhaberschaft der Mutter zugrunde, die ihr unterstellt, nicht im Interesse des Kindes zu handeln, wenn sie keine Sorgeerklärung abgeben möchte. Das Leitbild, dass gemeinsame elterliche Sorge stets dem Kindeswohl am besten dient, führt auch hier die Argumentation. Auch Humphrey (2003) hält zunächst die Einführung der Möglichkeit von Einzelfallregelungen für verfassungsmäßig geboten, meint aber, dass selbst bei zutreffender Würdigung von Ausnahmefällen eine erhebliche Benachteiligung des nichtehelichen Vaters gegenüber der allein sorgeberechtigten Mutter bestehen bleibe. Als Korrektiv stellt er sich die Möglichkeit einer am Kindeswohl orientierten, generell erleichterten gerichtlichen Sorgeübertragung auf den nichtehelichen Vater vor. Dem Argument des BVerfG, Gerichtsverfahren seien mit erheblichen Belastungen für das Kind verbunden, wird entgegengehalten, dass
6.7 Die Argumentation der Befürworter einer Reform
173
nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Eingriff in die elterlichen Grundrechte des Vater durch generellen Ausschluss der Sorgerechtsteilhabe höher zu bewerten sei (Humphrey 2003, S. 585). 6.7.2
Die fehlende Berücksichtigung des „natürlichen“ Elternrechts
Mohr und Wallrabenstein (Mohr, Wallrabenstein 2004) problematisieren generell, dass elterliche Sorge als Ehefolgenrecht oder hier als Folgenrecht von Entscheidungen gesehen wird. Art. 6 GG schützt nach ihrer Rechtsauffassung das „natürliche“ Elternrecht. Und Ziel des Abstellens auf das „natürliche“ Elternrecht war und ist, „das Sorgerecht nicht als Ehefolgenrecht zu verstehen, sondern von der Ehe zu lösen und an die Elternschaft selbst als biologisch-soziale Tatsache anzuknüpfen“ (Mohr, Wallrabenstein 2004, S. 195). Eine folgerichtige Argumentation wäre dann, die gemeinsame Sorge von mütterlichen bzw. väterlichen Entscheidungen vollständig zu lösen, sie vielmehr lediglich an biologische und soziale Gegebenheiten zu binden. Ob das den gegebenen unterschiedlichen Verhältnissen aber selbst unter sehr abstrakt verstandenen Kindeswohlinteressen gerecht werden könnte, wird nicht diskutiert. Die Protagonisten einer Lösung zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge von Geburt an, wie u. a. B. Spangenberg und E. Spangenberg, beziehen sich übereinstimmend auf das „natürliche Elternrecht“ (Spangenberg, Brigitte, Spangenberg, Ernst 2003), das dem Vater entzogen sein soll, wenn seine Sorgerechtfertigung von der eigenen Zustimmung und derjenigen der Mutter abhängig gemacht wird. Sie postulieren, dass „Elternverantwortung, die von der Ausübung eines doppelten Wahlrechts abhängt, die Lebensbedingungen eines Kindes erschwert“ (Spangenberg, Brigitte, Spangenberg, Ernst 2003, S. 332). Zudem wird eine Benachteiligung gegenüber ehelichen Kindern darin gesehen, dass der Vater, wenn er denn der „besser geeignete Elternteil“ sein sollte, keine Möglichkeit hat, in das Sorgerecht einzurücken, die nichtehelichen Kinder müssten stets mit der „Alleinsorge der Mutter vorlieb nehmen“. Befürchtet wird, dass die Mutter ihre „Unabhängigkeit“ behalten möchte und weder eine Ehe mit dem Vater eingeht, noch eine Sorgeerklärung abgibt (Spangenberg, Brigitte, Spangenberg, Ernst 2003, S. 333). Erfahrungen von Müttern werden gegen diese verwandt. Weil „eine Mutter, die eine geschiedene Ehe hinter sich hat oder selbst aus einer Scheidungsfamilie stammt, nicht selten Vorbehalte gegenüber den Institutionen von Ehe und Familie“ (Spangenberg, Brigitte, Spangenberg, Ernst 2003, S. 35)
hat, soll der Gesetzgeber von vornherein ein verbindliches Konstrukt gemeinsamer Sorge festlegen. 6.7.3
Gemeinsame Sorge durch öffentliche Sorgeerklärung des Vaters
Richter (Richter 2004, S. 484) hält es entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention, nach der die Rechte aller Kinder ausnahmslos ohne Unterscheidung nach wei-
174
6 Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
teren Merkmalen wie z. B. Status der Eltern am Kindeswohl auszurichten seien, für völkerrechtlich nicht vertretbar, dass der Mutter gemäß §1626a BGB die Alleinsorge zukommt, wenn sie keine Sorgeerklärung abgibt. Die gemeinsame elterliche Sorge sollte allgemeiner rechtlicher Grundsatz sein, die Mutter zumindest verpflichtet werden, ihre Entscheidung soweit am Kindeswohl auszurichten, dass eine gerichtliche Korrektur möglich wird. Er hält dem BVerfG vor, die grundsätzliche Alleinsorge nicht am verfassungsmäßigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überprüft zu haben. Richter geht davon aus, dass § 1626a BGB einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Elternrecht von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG darstelle, weil einerseits eine einseitige Sorgeverteilung generell nicht geeignet sei, dem Kindeswohl zu dienen – er verweist dabei auf die Regelung im französischen Recht – und andererseits diese Regelung nicht erforderlich sei, weil durch weniger eingreifende Regelungen dem Kindeswohl ebenso gut oder sogar besser hätte gedient werden können. Dabei schlägt er vor, z. B. die gemeinsame Sorge von einer einseitigen öffentlichen Sorgeerklärung des Vaters abhängig zu machen (Richter 2004, S. 487). Der Bezug auf die UNO-Kinderrechtskonvention ist insofern problematisch, als die Konvention die Zielsetzung hat, Kinder vor staatlicher Willkür und sozialer Ausbeutung zu schützen. Die allgemeinen Formulierungen der Konvention sind nicht geeignet konkrete Sorgerechtsmodelle zu legitimieren. Das Recht der Kinder auf beide Eltern in Art. 18 der Konvention („Die Vertragsstaaten bemühen sich nach besten Kräften, die Anerkennung des Grundsatzes sicherzustellen, dass beide Eltern gemeinsam für die Entwicklung des Kindes verantwortlich sind“, Wortlaut Art. 18 UN-KRK)
ist als weltweites Recht konzipiert, zwei Eltern zu haben, nicht als Bestimmung konkreter Sorgerechtsformen (vgl. Kostka 2004, S. 52). 6.7.4
Vertrauensmodell gegen Misstrauensmodell
Carl (Carl 2005, S. 165) ist der Meinung, dass auch ein vorbehaltloses gemeinsames Sorgerecht von Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind, der BVerfG-Entscheidung nicht zuwider laufe. Die Ausgestaltung des Sorgerechts liege in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Er spricht davon, dass der Gesetzgeber bisher einem „Misstrauens-Modell“ den Vorzug gegeben habe, das seiner Auffassung nach besser durch ein „Vertrauens-Modell“ abzulösen sei, welches beiden Eltern uneingeschränkt Zugang zur gemeinsamen elterlichen Sorge gewähre. Auch er unterstellt im Missbrauchs-Modell der Mutter die Möglichkeit des Missbrauchs ihrer Machtposition, weil sie nach der Geburt des Kindes die Entstehung „gelebter Elternverantwortung“ verhindern könne. Das Kind soll in Folge dessen den Vater als Elternteil mit „minderen Rechten“ erleben. Er befürchtet, dass eine solche schwache Rechtsposition „in Konfliktfällen zu Gefühlen der Ohnmacht und der Bitterkeit führt und damit nicht selten zu sehr heftigen Reaktionen der betroffenen Väter“ (Carl 2005 S. 166).
6.7 Die Argumentation der Befürworter einer Reform
175
Die Zumutungen an den Vater haben diese Autoren stets gut im Blick, die Zumutungen an die Mutter jedoch, mit einem Mann mit dem sie ggf. gar nichts oder gar nichts mehr verbindet, bis zu 18 Jahre lang verhältnismäßig eng kooperieren zu müssen, werden ausgespart. Stattdessen gilt eine generell bessere Kindeswohlvermutung für die gemeinsame Sorge und eine Machtmissbrauchsvermutung gegenüber der Mutter. Das Leitbild gemeinsamer elterlicher Sorge wird hier gegen die Mütter verwandt, die es für sich und ihr Kind nicht für erstrebenswert halten, eine gemeinsame Sorge mit dem Kindesvater einzugehen. Carl räumt ein, dass aufgrund der unterschiedlichen Lebenssachverhalte, in die Kinder nicht miteinander verheirateter Eltern hineingeboren werden, eine ideale Lösung nicht möglich sei. Beide vorgeschlagenen Reformmodelle – grundsätzliche gemeinsame Sorge mit der gerichtlichen Möglichkeit der Korrektur und grundsätzliche Originärsorge der Mutter mit Einzelfallkorrekturmöglichkeiten – hält er für verfassungsmäßig vertretbar. 6.7.5
Die Benachteiligung des nichtehelichen Kindes
Geltend gemacht wird z. B. von Müller (Müller 2004, S. 9ff.), dass das nichteheliche Kind in seinen Rechten verletzt werden würde, wenn es nicht grundsätzlich über zwei „rechtlich vollwertige Elternteile“ verfüge. Das auch von anderen Autoren immer wieder vertretene Argument, die bestehende Regelung verstoße gegen die Gleichberechtigung von ehelichen und nichtehelichen Kindern, ist jedenfalls im Kontext der Erkämpfung dieser Gleichberechtigung soweit nicht nachvollziehbar, als es immer darum ging, dem nichtehelichen Kind und seiner Mutter die gleichen Rechte einzuräumen, die Mutterfamilie der traditionellen ehelichen Familie gleichzustellen. Es ging nicht um ein Recht des Vaters oder um ein Recht des Kindes auf seinen Vater. 6.7.6
Die Minderheitenposition
Marianne Breithaupt (Breithaupt 2004, S. 488) vertritt in ihrer Stellungnahme zum Aufsatz von Thomas Richter (Richter 2004) die Position, dass § 1626a BGB uneingeschränkt verfassungskonform sei (Breithaupt 2004, S. 488). Sie sieht vielmehr Probleme in der Urteilswirkung für die Vergangenheit, weil für Altfälle Möglichkeiten einer gerichtlichen Überprüfung eröffnet worden sind. Zudem befürchtet sie, dass mit der Verpflichtung des Gesetzgebers zu beobachten, ob Mütter in großer Zahl die Sorgeerklärung aus Gründen verweigern, die nicht im Kindeswohl liegen, eine Reformperspektive zumindest für Ausnahmeregelungen in Aussicht gestellt wird. Für Breithaupt ist die Alleinsorge der Mutter stets dann angebracht, wenn sie tatsächlich die alltägliche Sorge ausübt. Sie hält die Abwertung der Alleinsorge für „eine Diskriminierung, solange es kein Prä der gemeinsamen Sorge gibt, weder rechtlich noch tatsächlich“. Mit der Unterstellung von Macht bzw. Machtmissbrauch
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6 Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
durch die Mütter zeigen ihrer Meinung nach die Kritiker der bestehenden Regelung, dass es ihnen eben nicht um das Kindeswohl geht, sondern um Teilhabe der Väter an Sorgerechtsmacht, gerade im Fall der Trennung. Breithaupt geht davon aus, dass das für sie wünschenswerte Ziel, nämlich dass Mütter und Väter sich gleichermaßen um die Kinder kümmern und Verantwortung übernehmen „weit weg von der Wirklichkeit ist“ (Breithaupt 2004, S. 490). Ihrer Auffassung nach sollte der Gesetzgeber die tatsächliche Entwicklung des Beitrags der Väter zum Aufziehen der Kinder beobachten und prüfen, ob der festgestellte Beitrag es rechtfertigt von gemeinsamer Sorge zu sprechen. Sie spricht generell von einem Sorgerecht ohne Sorge. Verheiratete Mütter hätten zumindest theoretisch die Möglichkeit, den Beitrag des Vaters zum Aufziehen der Kinder gemäß 1360 BGB einzufordern. Diese Möglichkeit haben Mütter nichtehelicher Kinder nicht, auch nicht bei Zusammenleben mit den Vätern. Im Fall der Trennung erhält das Sorgerecht ohne alltägliche Sorgeverpflichtung eine weitere Brisanz. Für Breithaupt ist § 1687 BGB eine Pflegestellenlösung. Männer wollen „bei wichtigen Angelegenheiten gefragt werden und mitentscheiden, die tagtägliche Arbeit für die Kinder und mit den Kindern darf die Mutter allein erledigen“ (Breithaupt 2004, S. 490). Breithaupt sieht allerdings gute Realisationschancen für die Reformbemühungen. Sie geht nicht davon aus, dass heute Müttern eine Rechtssicherheit gegeben werden kann, die über 18 Jahre Bestand haben wird.
6.8
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 03. Januar 2009
6.8.1
Die Begründungen des EGMR
Der EGMR hatte in einer Individualbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland zu prüfen, ob die innerstaatlichen Rechte des Beschwerdeführers auf Achtung seines Familienlebens verletzt und er als unverheirateter Vater diskriminiert worden ist. Behauptet wurde eine Verletzung von Art. 14 in Verbindung mit Art. 8 der Konvention (Art. 8: 1. Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. … Art. 14: Der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.) (EGMR 03. 12. 2009, Rn. 28). Der Gerichtshof betont, dass es in Rechtssachen, die sich aus Individualbeschwerden ergeben, nicht Aufgabe des Gerichtshofs sei, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften abstrakt zu prüfen, „er muss vielmehr prüfen, in welcher Weise diese Rechtsvorschriften unter den jeweiligen Umständen auf den Beschwerdeführer angewendet wurden und ob ihre Anwendung im
6.8 Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)
177
vorliegenden Fall eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers zur Folge hatte“ (EGMR 03. 12. 2009, Rn. 45).
Nicht die deutschen Gesetze standen auf dem Prüfstand, sondern deren konkrete Anwendung auf den Einzelfall. Im zu prüfenden Fall hatte der Kindesvater eines 1995 geborenen Kindes zunächst mit der Mutter zusammengelebt. Das Kind hatte vorübergehend beim Vater gewohnt, während die Mutter eine andere Wohnung im gleichen Gebäude bezogen hatte. 2001 zog das Kind in den Haushalt der Mutter. Es wurde extensive Umgangsregelung praktiziert, nach der der Kindesvater mit dem Kind in unterschiedlichen Zeitintervallen über ca. 4 Monate im Jahr Umgang hatte. Die Kindesmutter wollte zu keinem Zeitpunkt eine Sorgeerklärung abgeben. Nach einer Auseinandersetzung mit der deutschen Rechtslage und der Entscheidung des BVerfG vom 29. 01. 2003 begründet der EGMR seine Position vor allem mit folgender Argumentation: „Wenn in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft die Beteiligten zusammenleben, ist das Kind ,schon allein durch seine Geburt ipso iure Teil dieses ,Familien‘-Verbandes‘. Zwischen dem Kind und seinen Eltern besteht also eine Bindung, die dem Familienleben gleichkommt“ (EGMR 03. 12. 2009, Rn. 37).
Ob ein Familienleben vorliegt, sei eine Tatsachenfrage, die im vorliegenden Fall bejaht wird. Das Zusammenleben soll einen „grundlegenden Bestandteil des Familienlebens“ darstellen, selbst „wenn die Beziehung zwischen den Eltern zerbrochen ist“ (EGMR 03. 12. 2009, Rn. 38). Insofern bedeutet die Ablehnung des Antrags des Beschwerdeführers auf Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts einen Eingriff in das durch Artikel 8 Abs. 1 der Konvention garantierte Recht auf „Achtung seines Familienlebens“ (EGMR 03. 12. 2009, Rn. 40). Einen Verstoß gegen das Ungleichbehandlungsverbot sieht der EGMR darin, dass die nach deutscher Rechtslage folgerichtig getroffene Entscheidung dazu geführt hat, „dass es hinsichtlich der Übertragung des Sorgerechts auf den Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Vater eines nichtehelichen Kindes eine unterschiedliche Behandlung gegenüber der Mutter und gegenüber verheirateten Vätern gegeben hat“ (EGMR 03. 12. 2009, Rn. 48).
Der EGMR erkennt die Rechtfertigungsgründe der Bundesregierung für die innerstaatliche Regelung des § 1626a BGB soweit an, als sie von Kinderschutzgründen getragen sind (EGMR 03. 12. 2009, Rn. 52ff.). Er erkennt jedoch nicht an, dass die allgemeinen Erwägungen im Fall des Beschwerdeführers zutreffen und argumentiert mit den Bedingungen des Einzelfalls. „Die Vaterschaft des Beschwerdeführers stand von Beginn an fest; er lebte mit der Mutter und dem Kind zusammen, bis das Kind dreieinhalb Jahre alt war, und nach der Trennung der Eltern noch weitere zwei Jahre mit dem Kind, insgesamt also mehr als fünf Jahre.
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6 Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
Nachdem das Kind zur Mutter gezogen war, übte der Vater weiterhin ein umfangreiches Umgangsrecht aus und sorgte für die täglichen Bedürfnisse des Kindes. Dennoch war es dem Beschwerdeführer von vornherein kraft Gesetzes verwehrt, eine gerichtliche Überprüfung zu beantragen, ob die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl dienen würde, und eine möglicherweise willkürliche Weigerung der Mutter, dem gemeinsamen Sorgerecht zuzustimmen, durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzen zu lassen“ (EGMR 03. 12. 2009, Rn. 57).
Der EGMR kann die Annahme nicht teilen, „dass das gemeinsame Sorgerecht gegen den Willen der Mutter prima facie dem Kindeswohl widerspricht“ (EGMR 03. 12. 2009, Rn. 59). Er kommt zu dem Ergebnis, „dass bei der in Rede stehenden Diskriminierung der grundsätzliche Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung der ursprünglichen Zuweisung der Alleinsorge an die Mutter nicht in einem angemessenen Verhältnis stand zu dem verfolgten Ziel, nämlich dem Schutz des Wohls eines nichtehelichen Kindes“ (EGMR 03. 12. 2009, Rn. 63).
Der EGMR setzt sich nicht mit der Frage auseinander, inwieweit eine übereinstimmende Willenserklärung als Voraussetzung gemeinsamer Sorgetragung zu akzeptieren wäre. Er bezieht sich ausdrücklich allein auf die tatsächlichen Verhältnisse, die er allerdings allgemein wertet, ohne die Ausführungen der innerstaatlichen Gerichte zum Konfliktpotential der vorliegenden Elternbeziehung zu berücksichtigen. Der Kindeswille wird in diesem Urteil nicht angesprochen, er spielt in dieser Rechtsabwägung keine Rolle. 6.8.2
Die abweichende Meinung von Richter Schmitt
In seinem Minderheitsvotum stellt der Richter Schmitt heraus, dass „in Anbetracht des weiten Beurteilungsspielraums der innerstaatlichen Behörden und im Lichte der besonderen Umstände der Rechtssache der Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Familienlebens im Sinne von Artikel 8 in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und eine etwaige Ungleichbehandlung im Vergleich zur Mutter oder einem geschiedenen Vater für die Zwecke des Artikels 14 gerechtfertigt (ist)“ (Abweichende Stellungnahme Nr. 1).
Er argumentiert wie folgt: Der EGMR habe bei der Prüfung des Einzelfalls nicht berücksichtigt, dass ein innerstaatliches Gericht einen „Streit der Eltern in Grundsatzfragen“ festgestellt habe, der möglicherweise Anlass wäre, eine gemeinsame Sorge aufzuheben (Nr. 4). Weiter sei der vom EGMR behauptete europäische Konsens nicht zu erkennen, es gäbe einen weiten Beurteilungsspielraum und nur in wenigen Ländern sei die Frage der mangelnden Einigung zwischen den Eltern ausdrücklich behandelt. Er hält es nicht für überzeugend, dass „die Schaffung einer Möglichkeit für den Vater, ein gemeinsames Sorgerecht durch gerichtliche Anordnung gegen den Willen der Mutter zu erlangen, die einzige konventionskonforme Lösung sein soll“ (Nr. 5).
6.9 Die Entscheidung des BVerfG vom 21. Juli 2010
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Ausdrücklich verweist Richter Schmitt darauf, „dass die Situation des Beschwerdeführers nicht vergleichbar sei mit der geschiedener Väter, sowie unverheirateter Väter, die zuvor die Sorge aufgrund von Sorgeerklärungen gemeinsam ausgeübt hätten. Bei verheirateten Eltern beruht die gemeinsame Sorge auf übereinstimmenden Erklärungen, die in Form des Eheversprechens zum Ausdruck kommen. Das Recht eines geschiedenen Vaters beruht demnach auf einem Fortbestand seiner Rechtsstellung, die zuvor von beiden Elternteilen begründet wurde. Dies gilt ebenso für nicht miteinander verheiratete Eltern, wenn sie die Sorge bereits zuvor aufgrund von Sorgeerklärung gemeinsam ausgeübt haben. Im Übrigen ist in beiden Fällen die gemeinsame Sorge an die Einwilligung der Mutter gebunden. Der Gesetzgeber durfte vielmehr davon ausgehen, dass Eltern, wenn sie nicht mit einander verheiratet sind und keine Sorgeerklärungen abgeben, die elterliche Sorge nicht gemeinsam ausüben wollen“ (EGMR 03. 12. 2009, Nr. 6 Minderheitsvotum).
6.9
Die Entscheidung des BVerfG vom 21. Juli 2010
Mit der Entscheidung vom 21. 07. 2010 hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung vom 29. Januar 2003 unter ausdrücklichem Bezug auf die Entscheidung des EGMR vom 03. Dezember 2009 und auch auf internationale Regelungen revidiert. Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass das Elternrecht eines Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG verletzt wird, wenn er ohne die Zustimmung der Mutter generell für die Sorge seines Kindes ausgeschlossen ist und nicht überprüfen kann, „ob es aus Gründen des Kindeswohls angezeigt ist, ihm zusammen mit der Mutter die Sorge für sein Kind einzuräumen oder ihm anstelle der Mutter die Alleinsorge für das Kind zu übertragen“ (BVerfG 21. 07. 2010, Ls.).
Damit entspricht die geltende Regelung des § 1626a BGB nicht länger der Verfassung. Das Bundesverfassungsgericht hat darauf verzichtet, dem Gesetzgeber eine Änderungspflicht aufzuerlegen, weil bereits ein neues Gesetzgebungsverfahren angestrebt wird. In der Übergangszeit, d. h. bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung wird vorläufig angeordnet, dass das Familiengericht – in Anlehnung an die Regelung in § 1671 BGB – den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht (Rn. 75). In der Entscheidung wird gerügt, dass der „Vater generell von der Sorgetragung für sein Kind“ ausgeschlossen wird, „wenn die Mutter des Kindes ihre Zustimmung zur gemeinsamen Sorge mit dem Vater oder zu dessen Alleinsorge für das Kind verweigert, ohne dass ihm die Möglichkeit eingeräumt ist, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob er aus Gründen des Kindeswohls an der elterlichen Sorge zu beteiligen oder ihm, auch in Abwägung seines Elternrechts mit dem der Mutter, die alleinige Sorge für das Kind zu übertragen ist“ (Rn. 36).
Das Bundesverfassungsgericht hält es nicht für zu beanstanden, dass der Gesetzgeber das elterliche Sorgerecht für ein nichteheliches Kind zunächst allein seiner Mutter überträgt. Er hält es ebenso mit der Verfassung in Einklang stehend,
180
6 Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
„dass dem Vater eines nichtehelichen Kindes nicht zugleich mit der wirksamen Anerkennung seiner Vaterschaft gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht eingeräumt ist. Eine solche Regelung wäre zwar möglich, sie ist aber verfassungsrechtlich nicht geboten“ (Rn. 35).
Damit ist für den Gesetzgeber ein weites Reformfeld abgesteckt. Dem nichtehelichen Vater muss im Einzelfall unter Kindeswohlgesichtpunkten die gemeinsame Sorge ermöglicht werden, auch gegen den Willen der Mutter. Ob allerdings die weitergehenden Reformvorstellungen zur Geltung kommen, die ausdrücklich als im Rahmen der Verfassung stehend bezeichnet werden, ist Sache des Gesetzgebers. Die parlamentarische Entscheidung wird von einer breiten öffentlichen Diskussion begleitet werden. 6.9.1
Der Verfahrensverlauf
Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegt der Antrag eines Kindesvaters auf Übertragung des Aufenthaltbestimmungsrechts hilfsweise des alleinigen Sorgerechts zu Grunde. Die Eltern des 1998 geborenen Sohnes hatten sich während der Schwangerschaft getrennt. Die Mutter hat die alleinige elterliche Sorge, eine gemeinsame Sorgeerklärung ist nicht abgegeben worden. Als die Mutter innerhalb Deutschlands umziehen wollte, stellte der Vater beim Familiengericht die Anträge auf teilweise bzw. vollständige Übertragung der elterlichen Sorge. Diese wurden vom Familiengericht abgewiesen, weil es nach geltendem Recht nicht möglich ist, dem Vater eines nichtehelichen Kindes ohne Einwilligung der Mutter das Sorgerecht oder Teile von ihm zu übertragen. Gründe, der Mutter das Sorgerecht gemäß § 1666 BGB zu entziehen, hat das Familiengericht nicht gesehen, auch darin nicht, dass der gemeinsame Sohn ausdrücklich beim Vater leben will und die Mutter seit Beginn des Verfahrens teilweise ablehnt. Die Gründe des Kindes, bei seinem Vater leben zu wollen, gehen aus dem Entscheidungstext nicht hervor. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Vaters als unzulässig verworfen, da er nicht beschwerdebefugt sei. Dagegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde des Vaters, der die den Entscheidungen zugrunde liegenden Norm, den § 1626a BGB, für verfassungswidrig hält. Zugleich hält es der Beschwerdeführer den „automatischen Eintritt der gemeinsamen elterlichen Sorge ab Feststehen der Vaterschaft“ für verfassungsrechtlich geboten (Rn. 29). 6.9.2
Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts
Das BVerG führt im Wesentlichen zwei Argumente an, nach denen die bisherige Regelung des § 1626a BGB nicht länger mit der Verfassung in Übereinkunft steht: Zum einen wird ausgeführt, dass ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Elternrecht des Vaters vorliegt, wenn er generell von der Sorgetragung für sein Kind ausgeschlossen wird, zum anderen soll sich nach den vorliegenden Untersuchungen die Annahme des Gesetzgebers, die Mütter würden nur aus Kindeswohlgründen die gemeinsame elterliche Sorge ablehnen, nicht bestätigt haben.
6.9 Die Entscheidung des BVerfG vom 21. Juli 2010
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6.9.2.1 Der Eingriff in das Elternrecht des Vaters Das BVerfG hält es für einen unzulässigen Eingriff in das Elternrecht des Vaters nach Art. 6 Abs. 2 GG wenn ihm das Recht auf „Pflege und Erziehung“ seines Kindes generell vorenthalten wird (BVerG 21. 07. 2010, Rn. 47). Das BVerfG hält die mütterliche Zustimmung als Voraussetzung für den Zugang des Vaters eines nichtehelichen Kindes zur elterlichen Sorge für ein „legitimes Ziel“ (Rn. 49), um Kindeswohlgefährdungen zu vermeiden, die entstehen können, wenn die Eltern ihren Konflikt „auf dem Rücken ihrer Kinder“ (Rn. 50) austragen. Das BVerG hält die Vermutung des Gesetzgebers für zutreffend, „dass eine gegen den Willen eines Elternteils erzwungene gemeinsame Sorge regelmäßig mit mehr Nachteilen als Vorteilen für das Kind verbunden ist“ (Rn. 51). „Es bestehen allerdings Zweifel, ob der generelle, gerichtlich nicht überprüfbare Ausschluss des Vaters eines nichtehelichen Kindes von der elterlichen Sorge bei Zustimmungsverweigerung durch die Mutter erforderlich ist, um eine Kindeswohlgefährdung durch eine gemeinsame Sorgetragung der Eltern oder durch eine Übertragung der Alleinsorge auf den Vater gegen den Willen der Mutter zu verhindern. Jedenfalls ist der darin liegende Eingriff in das Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG unverhältnismäßig im engeren Sinne und verletzt das Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes, weil dieser den Ausschluss des Sorgerechts nicht einer gerichtlichen Einzelfallprüfung am Maßstab des Kindeswohls unterziehen kann“ (Rn. 54).
Für das Bundesverfassungsgericht stellt das Versagen der Einflussnahmemöglichkeit auf die Pflege und Erziehung des Kindes „ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung … einen tiefgreifenden Eingriff in das Elternrecht des Vater dar“ (Rn. 55). Ausdrücklich verweist das BVerfG darauf, dass es rechtlich keinen Unterschied mache, ob es um die Begründung oder die Beendigung der gemeinsamen elterlichen Sorge geht. Der Umstand, dass es bei der Beendigung der gemeinsamen elterlichen Sorge „zumindest in der Vergangenheit zwischen den Eltern einmal ein gewisses Maß an Kooperationsbereitschaft gegeben hat (dokumentiert durch Ehe oder Sorgeerklärung Anm. BS), ist kein tragfähiger Grund für die unterschiedliche rechtliche Behandlung der Fallkonstellationen. Denn in beiden Fällen besteht ein Dissens der Eltern über die Sorgetragung für ihr gemeinsames Kind, der jeweils ein Indiz dafür sein kann, dass eine neu begründete oder weiterhin bestehende gemeinsame elterliche Sorgetragung wegen der elterlichen Konflikte dem Kindeswohl in Zukunft eher abträglich ist. Ob diese Annahme wirklich trägt, kann aber gleichermaßen erst durch gerichtliche Prüfung im Einzelfall geklärt werden.“ (Rn. 58)
Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in seinen Begründungen ausführlich auf die grundrechtlich erforderliche Einzelfallprüfung eingeht, hält es generalisierende Lösungen z. B. in der Form, die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater an die Vaterschaftsanerkennung bzw. -festsstellung zu binden, nicht mit der Verfassung für nicht vereinbar. „Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber das elterliche Sorgerecht für ein nichteheliches Kind zunächst allein seiner Mutter übertragen hat. Ebenfalls
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steht mit der Verfassung in Einklang, dass dem Vater eines nichtehelichen Kindes nicht zugleich mit der wirksamen Anerkennung seiner Vaterschaft gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht eingeräumt ist. Eine solche Regelung wäre zwar möglich, sie ist aber verfassungsrechtlich nicht geboten“ (Rn. 35).
Das BVerfG betont, dass eine Übertragung der Alleinsorge auf den Vater trotz nicht zu beanstandender Ausübung der elterlichen Sorge durch die Mutter einen tiefen Einschnitt in deren Elternrecht darstellen würde (Rn. 66, Rn. 67). „Ihr die Sorge zu entziehen, ist nur gerechtfertigt, wenn es zur Wahrung des väterlichen Elternrechts keine andere Möglichkeit gibt, die weniger in das mütterliche Elternrecht eingreift, und wenn gewichtige Kindeswohlgründe vorliegen, die den Sorgerechtsentzug nahelegen. Weniger einschneidend in das Elternrecht der Mutter als der Entzug der elterlichen Sorge wäre eine gemeinsame Sorgetragung der Eltern“ (Rn. 68).
Angesichts der sehr unterschiedlichen Rechtssprechung zur elterlichen Sorge und zum Umgang dürfte trotz dieser Einschränkung mit der Reform des § 1626a BGB – unabhängig davon, wie sie im einzelnen gestaltet wird – ein neues Feld gerichtlicher Auseinandersetzungen eröffnet werden, gerade dann, wenn weiterhin dem Kindeswillen (vgl. Kap. 8.11, insbesondere 8.11.6) keine maßgebliche Bedeutung zugewiesen wird. In der vorliegenden Entscheidung wollte das Kind beim Vater leben. Die Gründe des Kindes, bei seinem Vater leben zu wollen, sind in der Entscheidung nicht wiedergegeben worden. Rechtlich spielte der Wille des Kindes also keine Rolle. Es gibt auch keine Norm, auf die sich in diesem Fall hätte bezogen werden können, eben weil Kinder aus eigenem Recht kein Antragsrecht haben (Kap. 8). Vom Ergebnis her ist die Entscheidung des BVerfG, hier eine Einzelfallprüfung grundrechtlich für erforderlich zu halten, insofern zu begrüßen, als der Wille des Kindes im Rahmen einer Einzelfallprüfung angehört werden muss und in die erneute Entscheidung einfließen kann. Rechtlich wäre es aber möglich, den Kindeswillen über andere, neu zu schaffende Instrumenten zur Geltung bringen (Kap. 8.3). Die Erforderlichkeit von Einzelfallprüfungen mag aber auch in anderen Konstellationen geboten sein. Inwieweit Einzelfallprüfungen sinnvoll sein können, hängt es davon ab, wie die Reform im Einzelnen ausgestaltet wird. 6.9.2.2 Die Ergebnisse der Umfrage Bereits im Jahr 2003 hat das Bundesverfassungsgericht eingeschränkt, dass § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB sich dann als unvereinbar mit dem Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG erweisen würde, wenn sich herausstellen sollte, dass es – entgegen der Annahme des Gesetzgebers – in größerer Anzahl aus Gründen, die nicht vom Kindeswohl getragen sind, nicht zur gemeinsamen Sorgetragung von Eltern nichtehelicher Kinder kommt (BVerfG 29. 01. 2003). Müttern, die keine Sorgeerklärung abgeben wollen, ist ein möglicher „Machtmissbrauch“ unterstellt worden (Kap. 6.3.8). Es sind empirische Untersuchungen in Auftrag gegeben worden, die die Mo-
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tive der Mütter, keine gemeinsame elterliche Sorge mit dem Kindesvater ausüben zu wollen, untersuchen sollen. Bisher liegt der Öffentlichkeit lediglich eine Umfrage des Bundesministeriums der Justiz aus dem Jahr 2006 vor, vorgestellt in der Bundestagsdrucksache vom 25. Juli 2008 (BT-Drs 16/10047, S. 6ff.) vor, auf die sich das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich bezieht (BVerG 21. 07. 2010, Rn. 25). Es sind 440 Jugendämter und 109 Rechtsanwälte befragt worden. Die Rücklaufquote bei den Jugendämtern betrug 69,8%, die bei den Rechtsanwälten 1,8% (BT-Drs 16/10047, S. 10). 70% bis 80% der Jugendamtsmitarbeiter gaben an, die Mütter wollen die gemeinsame elterliche Sorge nicht, weil sie „nichts mehr mit dem Vater zu tun haben“ und daher „jeden Kontakt auch in Angelegenheiten des Kindes ablehnen“ und weil „die Mütter die Alleinsorge behalten“ möchten, „um allein entscheiden zu können“. In der Umfrage heißt es, dass sich diese Motive vorrangig an den emotionalen Befindlichkeiten der Mutter orientieren. Ebenso gaben aber auch 70% der Jugendämter an, dass kindeswohlorientierte Motive dazu führten, die gemeinsame elterliche Sorge abzulehnen, bei den Anwälten waren es 50% (BT-Drs 16/10047, S. 12). In der Umfrage wird hervorgehoben, dass die Angaben der befragten Teilnehmer „ausschließlich auf Informationen (beruhen), die diese von den beratenden Vätern erhalten haben“. Sie konnten „von den Teilnehmern nicht verifiziert werden. Viele Teilnehmer der Umfrage haben besonders darauf hingewiesen, dass ein Kontakt mit den Müttern nicht bestand. Es ist daher möglich, dass der – hier wiedergegebene – Eindruck der Beratungsperson mit den tatsächlichen Motiven der Mütter nicht übereinstimmt“ (BT-Drs 16/10047, S. 13).
Mit der Frage nach der Plausibilität der Motive der Mütter sollte ermittelt werden, ob die Ablehnung der gemeinsamen elterlichen Sorge für die Beratungsperson nachvollziehbar war. Die Ergebnisse waren unterschiedlich: nur 37% der Anwälte fanden die Motive nachvollziehbar, 58% der Jugendamtsmitarbeiter hielten die Motive der Mütter für plausibel. Aber auch die Frage nach der Plausibilität der Motive der Mütter muss nach Angaben der Verfasser der Umfrage „mit größter Vorsicht interpretiert werden“ (S. 13). Die Beratungspersonen kannten in der Regel ausschließlich die Sicht der die Beratung suchenden Väter. Betont wird deshalb von den Verfassern der Umfrage: „Es ist nicht auszuschließen, dass der hier wiedergegebene Eindruck ein einseitiges und wenig objektives Bild abgibt“ ((BT-Drs 16/10047, S. 13). Zusammenfassend stellen die Autoren der Umfrage fest: „Im Ergebnis hat die Umfrage wichtige erste Erkenntnisse gebracht, jedoch handelt es sich nicht um eine empirisch gesicherte Untersuchung“ [Hervorhebung BS]. Aus den vorgenannten Gründen müssen die Ergebnisse der Umfrage mit größter Vorsicht interpretiert werden. Abschließende Aussagen, ob die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Prüfauftrag herausgestellten gesetzgeberischen Annahmen zutreffen, sind auf ihrer Grundlage nicht möglich (Hervorhebung BS). Die Auswertung der Umfrage und ihre Ergebnisse haben gezeigt, dass eine wissenschaftliche Untersuchung erforderlich ist, um die tatsächlichen Gegebenheiten näher und objektiver zu beleuchten. Hierbei sollen insbeson-
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dere auch Interviews mit den betroffenen Müttern und Vätern durchgeführt werden [nicht mit den Kindern? – Anm. BS]. Das Bundesministerium der Justiz erarbeitet derzeit ein Forschungsdesign und wird auf dieser Grundlage eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag geben“ (BT-Drs 16/10047, S. 14)
Dass sich das Bundesverfassungsgericht auf derartig ungesicherte Ergebnisse bezieht, ist unverständlich. Das Bundesverfassungsgericht stellt hinsichtlich der in Auftrag gegebenen neuen Studie fest, dass „dessen bisherigen Ergebnisse die gleiche Tendenz [aufweisen]“ (BVerfG 21. 07. 2010, Rn. 25). Entgegen den Verfassern der Umfrage des Bundesministeriums für Justiz kann das Bundesverfassungsgericht aus den Ergebnissen der Befragung durch das Bundesministerium für Justiz „eine Tendenz“ herauslesen und führt ohne Quellenangabe eine weitere Studie an, die der Öffentlichkeit im Juli 2010 nicht zugänglich war. Das Deutsche Jugendinstitut (DJI Web-Seite, Projekt: Gemeinsames Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern), das mit einer durch das Bundesministeriums für Justiz geförderten Studie befasst ist, wird nach eigenen Angaben die Ergebnisse im September 2010 vorlegen. Eine wissenschaftliche Diskussion dieser Ergebnisse wird erst dann möglich sein. Die für das Bundesverfassungsgericht wesentliche, entscheidungsleitende Erkenntnis, dass „… die dem geltenden Recht zugrunde liegende Annahme des Gesetzgebers, dass die Zustimmungsverweigerung von Müttern in aller Regel auf einem sich nachteilig auf das Kind auswirkenden elterlichen Konflikt basiert und von Gründen getragen ist, die nicht Eigeninteressen der Mutter verfolgen, sondern der Wahrung des Kindeswohls dienen, … sich nicht bestätigt (hat) (BVerfG 21. 07. 2010, Rn. 36),
kann durch die bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse nicht wissenschaftlich legitimiert werden. Das Bundesverfassungsgericht führt weiter aus „Vor allem aber bestätigen neuere empirische Erkenntnisse die Annahme des Gesetzgebers nicht, dass die Zustimmungsverweigerung von Müttern in aller Regel auf einem sich nachteilig auf das Kind auswirkenden elterlichen Konflikt basiert und von Gründen getragen ist, die nicht Eigeninteressen der Mutter folgen, sondern der Wahrung des Kindeswohls dienen“ (BVerfG 21. 07. 2010, Rn. 59).
Das ist angesichts der Materiallage eine erstaunliche Folgerung. Es ist hier allerdings einmal mehr zu fragen (vgl. Kap. 6.3 und 6.7.1), ob Untersuchungen zu den Motiven der Mütter überhaupt zu weiterführenden Ergebnissen zu führen können, die als Grundlage gesetzgeberischer Regelungen geeignet sind. Eingedenk der methodischen Schwierigkeiten von Motivforschungen können Mütter, die angeben, keinen Kontakt mit dem Kindesvater zu wünschen und allein entscheiden zu wollen, dabei sehr wohl an ihr Kind denken, weil sie für ihr Kind ruhige und kontinuierliche Bedingungen des Aufwachsens sichern wollen. Ob hinter einem derartigen „Sicherheitsbedürfnis“ nicht das Bedürfnis steht, für sich und das Kind günstige familiäre Bedingungen zu schaffen, die „kindeswohlorientiert“ sind, kann
6.10 Die Regelung der gemeinsamen elterlichen Sorge
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durch Befragen wahrscheinlich nur mit außerordentlichem Aufwand herausgefunden werden. Aber auch unabhängig von möglichen konkreten Ergebnissen bleibt die Frage, ob eine übereinstimmende Willenserklärung als Voraussetzung gegenseitiger Verpflichtungen im Interesse des Kindes generell aufgegeben werden sollte, wenn nicht zu belegen ist, dass die gemeinsame elterliche Sorge tatsächlich generell dem Kindeswohl dient (vgl. Kap. 3.5, 4.7, 5.7, 5.8), wenn, wie aufgezeigt worden ist, die gemeinsame elterliche Sorge als „rechtethische Idealform“ (Kap. 5.8) sich lediglich als ein normatives Konstrukt darstellt. Zentral wird sein, dass bei der Vorbereitung der Reform unterschiedliche Positionen diskutiert werden und die Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen und pädagogischen Forschung Berücksichtigung finden. Nach den Erfahrungen mit der Reform des Verfahrensrechts (Kap. 8) ist zu befürchten, dass das nicht der Fall sein wird und normative Aussagen und Überzeugungen für das gesetzgeberische Verfahren bestimmend sein werden.
6.10
Die Regelung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht verheirateter Eltern im generationalen Dispositiv
Wie die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern geregelt ist, kann als Indiz dafür gelten, ob und inwieweit es Entscheidungsmöglichkeiten gibt, andere Sorgerechtsregelungen zu wählen als die, die in der Ehe-Sorgerechtsregelung und analog dazu in der Sorgeregelung gemäß § 1626a BGB vorgesehen sind. Eine Angleichung an Ehe-Sorgerechtsregelungen, ohne dass wie bei der Ehe eine übereinstimmende Willensbekundung als allgemeine Voraussetzung der Sorgerechtsgestaltung gilt, führt zu einer Generalisierung bestehender Ehe-Regelungen hinsichtlich der elterlichen Sorge, allerdings ohne das Element der Übereinstimmung. Die ordnungsstiftende Grundfunktion der Ehe, Familie zu konstituieren, die historisch ihre Bedeutung verloren hat, wird über die gemeinsame elterliche Sorge hergestellt, in Zukunft möglicherweise unabhängig von übereinstimmenden Willenerklärungen und real bestehenden Verantwortungsgemeinschaften mit Kindern. Konkret geht es um die Berücksichtigung der Rechtsposition des Vaters. Setzten sich die Positionen durch, die allgemein eine gemeinsame Sorgetragung bei nicht miteinander verheirateten Eltern, nicht nur auf Antrag und als Ausnahme, befürworten, wäre das mit einer Stärkung väterlicher Rechtspositionen zulasten der von Müttern verbunden. Bezeichnend für die Diskussion ist, dass Fragen der Rechtspositionen von Kindern, d. h. inwieweit sie hier ihre Interessen über Anträge selbst zum Ausdruck bringen könnten oder sollten, nicht thematisiert werden. Es ginge bei einer Regelung, die Vätern generell den Zugang zur elterlichen Sorge mit der Vaterschaftsanerkennung oder der Vaterschaftsfeststellung oder der erklärten Bereitschaft, die elterliche Sorge mittragen zu wollen, ermöglichen würde, um eine Repatriarchalisierung zu Lasten gelebter sozial-familiärer Beziehungen zwischen
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6 Die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
Müttern und Kindern und zu Lasten weiblicher, mütterlicher Selbstbestimmung. Gerade weil sich in der Reform des § 1626a BGB die Berücksichtigung der väterlichen Sorgeposition zugespitzt darstellt, ist sie hoch umstritten und auch von symbolischem Wert.
7
Umgang und elterliche Sorge
Fragen des Umgangs sind von Fragen der elterlichen Sorge zwar rechtlich unabhängig, tatsächlich sind sie jedoch häufig eng mit einander verbunden. In diesem Kapitel werden die Bezüge aufgezeigt und es wird untersucht, wie sich die bestehenden Umgangsregelungen in das Gesamtkonzept der Sorgeverteilungsregelungen einpassen.
7.1
Die geltende Regelung
Das Recht auf Umgang ist in § 1684 BGB unabhängig von der Verteilung der elterlichen Sorge geregelt. „Sorgerecht und Umgangsrecht sind selbständige Rechte“ (Staudinger/Rauscher zu 1684 BGB 2006, Rn. 62). Das Umgangsrecht steht wie das Sorgerecht allgemein unter dem Schutz des Elternrechts aus Art. 6 GG. Jedes Kind hat das Recht auf eine persönliche Beziehung und unmittelbare Kontakte zu beiden Eltern, unabhängig davon wie die elterliche Sorge geregelt ist. Der Elternteil, bei dem das Kind nicht ständig lebt, hat einen grundrechtlich geschützten Anspruch auf Umgang. Ob eine gemeinsame Sorge vorliegt oder ob der Elternteil, bei dem das Kind lebt, die alleinige elterliche Sorge hat, ist dabei gleichgültig. Das Umgangsrecht ist in § 1684 Abs. 1 BGB sowohl als Recht des Kindes wie auch als Elternrecht mit Pflichtcharakter ausgestaltet, „jedes Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt“. Die Eltern haben eine besondere Loyalitätsverpflichtung gegeneinander, sie haben alles zu unterlassen, „ was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert“ (§ 1684 Abs. 2 BGB). Modalitäten des Umgangs werden im Konfliktfall durch das Familiengericht geregelt (§1684 Abs. 3 BGB). Es kann nach der Reform des § 1684 BGB vom 17. 12. 2008, in Kraft seit 01. 09. 2009 eine Umgangspflegschaft anordnen, wenn die Loyalitätspflicht nach § 1684 Abs. 2 BGB von den Beteiligten dauerhaft oder wiederholt verletzt wird. Eingeschränkt werden kann das Umgangsrecht nur, wenn es für das Kindeswohl „erforderlich“ ist (§ 1684 Abs. 4 S. 1 BGB), ein Ausschluss über längere Zeit oder auf Dauer ist nur bei Kindeswohlgefährdung möglich (§ 1684 Abs. 4 S. 2 BGB). Das Familiengericht kann in diesen Fällen anordnen, dass der Umgang nur in Anwesenheit mitwirkungsbereiter Dritter stattfindet, als so genannter begleiteter Umgang (§ 1684 Abs. 4 BGB). Einen Unterschied zwischen nichtehelichen und ehelichen Kindern gibt es seit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 nicht mehr. Zuvor konnten nichteheliche Väter den Umgang gerichtlich nur unter der Voraussetzung durchsetzen, dass der Umgang dem Kindeswohl dient. Das Umgangsrecht gilt ebenso für Eltern, deren Kinder nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit ihnen leben, z. B. bei Pflegefamilien oder im Kinderheim. B. Schwarz, Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht, DOI 10.1007/978-3-531-92691-9_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
188 7.1.1
7 Umgang und elterliche Sorge
Das Recht des Kindes
Kinder und Jugendliche haben nur soweit eine eigene Rechtsposition hinsichtlich des Umgangs als ihnen in § 1684 Abs. 1 BGB „das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil“ gewährt wird. Ein Verweigerungs- oder Gestaltungsrecht haben sie nicht. Kommt es zu Umgangskonflikten zwischen Eltern und Kindern, müssen diese über die antragsberechtigten Eltern ausgetragen werden. Bei Umgangsrechtskonflikten sind die Entscheidungen grundrechtlich am Kindeswohl auszurichten. Das Kindeswohl gilt als übergeordneter, bestimmender Maßstab (Staudinger/Rauscher zu 1684 BGB 2006, Rn. 21). Auch wenn Rauscher einräumt, dass es aus juristischer und aus psychologischer Sicht umstritten ist, inwieweit die Beziehung des Kindes zu dem Elternteil, bei dem es nicht lebt, grundsätzlich von vorrangigem Wert für die Sozialisation des Kindes ist, geht er davon aus, dass Kinder „bei zwei Geschlechtern, Vater und Mutter, familienpsychologisch geborgen sein sollen“. Umgang sei auch Erziehung, Erziehung habe Sozialisationszweck, somit diene das Umgangsrecht der Sozialisation (Staudinger/Rauscher zu 1684 BGB 2006 Rn. 33, 35, 41), unabhängig davon, ob das Kind oder der Jugendliche die „Sozialisation“ durch den anderen Elternteil braucht oder wünscht. Inwieweit der Kindeswille in Umgangsverfahren berücksichtigt wird, ist Thema des Kap. 8.11 (Verfahren). 7.2
Der Zusammenhang von Fragen der Verteilung der elterlichen Sorge und des Umgangs
Rechtlich sind Fragen des Umgangs und der Verteilung der elterlichen Sorge voneinander unabhängig, vor Gericht werden sie in gesonderten Beschlüssen entschieden, auch wenn die Verfahren zusammengefasst sind. Das Umgangsecht folgt einer eigenen Rechtssystematik. Die Rechtsprechung hat wie bei Fragen der Verteilung der elterlichen Sorge Entscheidungskriterien entwickelt, die allerdings sehr unterschiedlich sein können, wie die beispielhaft aufgeführten gerichtlichen Entscheidungen zeigen. Tatsächlich und im Erleben von Kindern und Eltern bestehen in den konkreten Auseinandersetzungen enge Beziehungen zwischen den Fragen des Sorgerechts und der Ausübung des Umgangsrechts. Bei gemeinsamer elterlicher Sorge werden Streitigkeiten und Konflikte häufig über Fragen des Umgangs ausgetragen (Sarres 2008; S.131; Proksch 2002, S. 132ff.). Die konkrete Vorbereitung und Durchführung des Umgangs wie auch die Nachwirkungen der Umgangstermine werden häufig zur „Zerreißprobe“ (Sarres 2008, S. 131) für alle Beteiligten. Sarres spricht von einer „Regelfall-Verlagerung“ von Streitigkeiten über die gemeinsame elterliche Sorge auf das Umgangsrecht (Sarres 2008). Die Konfliktträchtigkeit von Umgangsfragen ist, was deren Intensität betrifft, unabhängig davon, ob die Eltern die gemeinsame Sorge haben oder nicht. Die Häufigkeit der streitigen Auseinandersetzungen nimmt aber bei Alleinsorge zu (Proksch 2002, S. 151). Umgangsfragen bilden erfahrungsgemäß die Hauptkonfliktebene,
7.3 Der grundrechtliche Schutz des Umgangsrechts
189
innerhalb derer in der Lebenswirklichkeit die Auseinandersetzungen zwischen den Eltern und zwischen Eltern und Kindern konkret ausgetragen werden, selbst wenn nur ein kleiner Teil der Konflikte rechtshängig wird. In der Rechtsstatistik ist eine kontinuierliche Zunahme der Umgangsauseinandersetzungen zu verzeichnen (Kap. 4).
7.3
Der grundrechtliche Schutz des Umgangsrechts
Unumstritten steht das Umgangsrecht wie das Sorgerecht allgemein, nicht die konkrete Verteilung der elterlichen Sorge, unter dem Schutz des Art. 6 GG (Staudinger/ Rauscher zu 1684 BGB 2006, Rn. 20). Das Umgangsrecht wird als verfassungsrechtlich vorgesehener „Rest“ (Münchner Kommentar zum BGB, Finger zu § 1684 BGB 2008, Rn.16) der elterlichen Sorge gesehen, der, obwohl die rechtliche elterliche Sorge nicht fortbesteht, gleichwohl aus Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich zu schützen ist. Der nichtsorgeberechtigte Elternteil gilt zudem als „Reserveelternteil“ (BVerfG 01. 04. 2008, Rn. 21), der im Falle des Ausfalls des sorgeberechtigten Elternteils Sorgeverantwortung zu übernehmen hat. Auch wegen dieser Möglichkeit soll über den Umgang der Kontakt zum anderen Elternteil erhalten bleiben. Der verfassungsrechtliche Schutz bezieht die Wohlverhaltensklausel und Loyalitätspflicht des anderen Elternteils mit ein (Münchner Kommentar zum BGB, Finger zu § 1684 BGB 2008, Rn. 16). Das Umgangsrecht ist ein absolutes subjektives Recht, das nicht nur gegenüber Dritten gilt, sondern auch gegenüber dem sorgeberechtigten oder mit sorgeberechtigten Elternteil (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1684 BGB 2008, Rn. 4). Aufgrund dieses Rechtscharakters kann das Umgangsrecht weder durch längeres Nichtausüben noch durch eine nur eingeschränkte Ausübung verwirkt werden, d. h. selbst wenn ein umgangsberechtigter Elternteil das Kind aus eigenem Verhalten jahrelang nicht gesehen hat, kann er jederzeit sein Umgangsrecht aufleben lassen. Bei Umgangskonflikten zwischen den Eltern sind sowohl die Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger zu berücksichtigen, wobei bei einer Rechtsgüterabwägung die Grundrechtspositionen des umgangsberechtigten Elternteils in der Rechtsprechung in der Regel mehr wiegen (Wanitzek 2008, S. 942). 7.3.1
Beispiele der grundrechtlichen Stellung des umgangsberechtigten Elternteils in der Rechtsprechung des BVerfG
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung vor der Entscheidung vom 01. 04. 2008 zum erzwungenen Umgang (7.3.1.3) keinen Zweifel daran gelassen, dass das Umgangsrecht, wenn gutachterlich keine Gefährdung des Kindeswohls erkannt wird, gegen den Willen des betreuenden Elternteils durchzusetzen ist. Bei hartnäckiger Weigerung des betreuenden Elternteils, hier der Mutter,
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7 Umgang und elterliche Sorge
hat das entscheidende Gericht zu erwägen, ob „das Verhalten der Mutter das Wohl des Kindes womöglich gefährden könnte“ (BVerfG 09. 06. 2004, Rn. 13). Das Gericht ist dann verpflichtet, eine entsprechende Sachverhaltsaufklärung durch Hinzuziehung eines Gutachters zu betreiben. Zum Umfang des Umgangs hat das Bundesverfassungsgericht der Beschwerde eines Vaters entsprochen, dem die Übernachtung eines noch nicht 3-jährigen Kindes bei ihm versagt worden war. Das OLG München hatte unter Berücksichtigung der Einwände der Kindesmutter, das Kind sei noch zu klein, Fremdübernachtungen nicht gewohnt, es würde irritiert reagieren, es sei nicht zu erkennen, inwiefern eine Übernachtung dem Kindeswohl dienen könne. Das BVerfG sieht darin jedoch eine Verletzung der Grundrechtspositionen des Vaters. „Diese Argumentation greift indessen von verfassungs- wegen zu kurz. Sie berücksichtigt die Bedeutung des Elternrechts des Beschwerdeführers unzureichend“ (BVerfG 26. 09. 2006, Rn. 18, 19). Eine Einschränkung des Umgangs soll verfassungsrechtlich nur in Frage kommen, wenn nachweislich eine Einschränkung des Umgangs für das Kindeswohl erforderlich ist. Damit wird die Prüfung einzelner Umgangsregelungen unter den Vorbehalt des grundgesetzlichen Schutzes gestellt, eine extensive Umgangsregelung muss sich nicht anhand der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls ausweisen. In einer Entscheidung vom 01. 12. 2008 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG 01. 12. 2008) den Beschluss auf Ausweisung eines Ausländers zurückgewiesen, weil eine Ausweisung Umgangskontakte verunmöglichen würde und damit Grundrechte aus Art. 6 Abs. 2 GG des Kindesvaters beschnitten werden würden. Das BVerfG weitet seine bisherige Rechtsprechung, nach der regelmäßig der Schutz einer bereits gelebten Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind hinter einwanderungspolitische Belange dann zurück treten soll, wenn weder dem Kind noch seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik zumutbar ist (BVerfG 23. 01. 2006, Rn. 17), dahingehend aus, dass Umgangskontakte selbst unter problematischen Einzelfallbedingungen – das Kind lebt bei Pflegeeltern, beiden Eltern sind Teile der elterlichen Sorge wegen Gewaltverhalten entzogen – diesem Schutz unterliegen: „Bei der Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, zumal auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und daher unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 GG steht … Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt.“ (BVerfG 01. 12. 2008, Rn. 27.)
7.3.1.1 Das Umgangsrecht des biologischen Vaters Unter dem grundrechtlichen Schutz des Art. 6 GG stehen die rechtlichen Eltern. Da es für den Kindesvater im Falle eines Kindes von Eltern, die nicht miteinander ver-
7.3 Der grundrechtliche Schutz des Umgangsrechts
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heiratet sind, der Vaterschaftsanerkennung bedarf, kann der biologische Vater vom Umgangsrecht ausgeschlossen bleiben. Nach der Rechtsprechung immer dann, wenn die Mutter mit einem anderen Mann, der rechtlich als Vater anerkannt ist, in einer sozial-familiären Beziehung lebt. In einem Nichtannahmebeschluss vom 20. 09. 2006 lehnt das BVerfG (BVerfG 20. 09. 2006) das Umgangsbegehren eines biologischen Vaters ab, der mit seinem Kind zu keinem Zeitpunkt in einer sozialfamiliären Beziehung gelebt hat. Das Kind lebt mit seiner Mutter und dem rechtlichen, nicht biologischen Vater zusammen. In einer Entscheidung vom 09. 04. 2003 hat das BVerfG (BVerfG 09. 04. 2003) ein Recht des biologischen Vater auf Umgang festgestellt, wenn dieser mit seinem Kind in einer sozial-familiären Beziehung gelebt hat. Der Ausschluss des Umgangs des biologischen Vaters ist für verfassungswidrig erklärt worden, wenn zwischen dem biologischen Vater und seinem Kind eine sozial-familiäre Beziehung bestanden hat: „Die Abstammung wie die sozial-familiäre Verantwortungsgemeinschaft machen gleichermaßen den Gehalt von Art. 6 Abs. 1 GG aus. Fallen die leibliche und die rechtliche Vaterschaft auseinander, gibt die Grundrechtsnorm keine starre Gewichtung dafür vor, welchem der beiden Merkmale, die die Elternschaft ausmachen sollen, der Vorrang einzuräumen ist und bestimmt insoweit kein Rangverhältnis zwischen der biologischen und der sozialen Elternschaft“ (BVerfG 09. 04. 2003, zu Ls. 1, 1a).
Das BVerfG hat dem Gesetzgeber eine Gesetzesänderung aufgetragen, die mit der Reform des § 1685 BGB auch erfolgt ist. Mit dieser Argumentation hat das BVerfG auf die tatsächlichen Lebensverhältnisse abgestellt. 7.3.1.2 Der Bezug zu internationalen Regelungen Das Recht des Kindes auf persönliche Beziehungen und unmittelbaren Kontakt zu beiden Eltern steht nicht nur unter grundrechtlichem Schutz, sondern ist darüber hinaus ausdrücklicher Bestandteil von Art. 9 Abs. 3 der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK). Die Bundesrepublik ist diesem Abkommen beigetreten und erkennt die dargelegten Regelungen als bindendes Recht an. Insbesondere in der Entscheidung des BVerfG vom 01. 12. 2008 (7.3.1 ausländerrechtlicher Schutz) drückt sich die Zielsetzung der internationalen Schutznorm des Art. 9 Abs. 3 der UN-Kinderrechtskonvention aus: Es geht darum, staatlicherseits Umgang zu ermöglichen und nicht von vornherein durch ausländerrechtliche oder andere rechtliche Regelungen einzuschränken. Regelungsebene und Intentionalität der UN-KRK beziehen sich auf staatliche Gesetzgebung und staatliches Handeln, weniger darauf, wie sich in unterschiedlichen Gesellschaften Einzelfallkonflikte oder typische Konfliktkonstellationen darstellen und welche Lösungen zu akzeptieren sind. Im Rahmen des Europarechts kennt der EGMR insbesondere bei Sorgerechtsentscheidungen an,
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7 Umgang und elterliche Sorge
„dass die Behörden einen großen Ermessensspielraum haben. Einer genaueren Kontrolle bedarf es jedoch bei weitergehenden Beschränkungen, wie beispielsweise bei Einschränkungen des Umgangsrechts der Eltern durch diese Behörden“ (EGMR 12. 07. 2007, Rn. 64).
Das Umgangsrecht und dessen Ausgestaltung unterliegt einem hohen sowohl grundrechtlichen als auch internationalen Schutz. 7.3.1.3 Die Umgangspflicht in der Entscheidung des BVerfG vom 01. 04. 2008 In seiner Grundsatzentscheidung vom 01. 04. 2008 hat das BVerfG die in § 1684 BGB statuierte Umgangspflicht ausdrücklich bestätigt. Es hält lediglich die Erzwingung der Umgangspflicht durch Zwangsandrohung dann nicht für geboten, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass diese Erzwingung dem Kindeswohl dient. „Die Geeignetheit eines mit Zwangsmitteln herbeigeführten Umgangs ist deshalb daran zu messen, ob er dem Kindeswohl dient“ (BVerfG 01. 04. 2008, Rn. 85). Wenn allerdings das Kindeswohl einen erzwungenen Umgang erfordert, soll es dem umgangsunwilligem Elternteil zumutbar sein, „zu einem Umgang mit seinem Kind notfalls auch mit Zwangsmitteln angehalten zu werden“ (BVerfG 01. 04. 2008, Rn. 90). In dem zur Entscheidung anstehenden Einzelfall hat das BVerfG verneint, dass der erzwungene Umgang dem Kindeswohl dienen kann. Einmal mehr wird in der Entscheidung die große Bedeutung des Umgangs hervorgehoben. „Der Umgang zwischen Eltern und ihrem Kind ist nicht lediglich eine mögliche Ausdrucksform elterlicher Erziehung, sondern eine grundlegende Basis für die Eltern-KindBeziehung und damit ein wesentlicher Bestandteil des von Art. 6 Abs. 2 S. 1 geschützten Elternrechts“ (BVerfG 01. 04. 2008, Rn. 74).
Zugleich aber wird ausgeführt, dass ein Umgang, der nur mit Zwangsmitteln gegen seinen umgangsunwilligen Elternteil durchgesetzt werden kann, „in der Regel“ (BVerfG 01. 04. 2008, Ls. 3) nicht dem Kindeswohl dient. Nur in Ausnahmefällen, nach einer Prüfung, inwieweit das Mittel der Zwangsgeldandrohung einen Umgang herbeiführen kann, der Kindeswohl dient, soll eine Zwangsgeldandrohung verfassungskonform sein. Generell gilt: „Der durch die Zwangsmittelandrohung bewirkte Eingriff in das Grundrecht des Elternteils auf Schutz der Persönlichkeit ist insoweit nicht gerechtfertigt, es sei denn, es gibt im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass ein erzwungener Umgang dem Kindeswohl dienen wird“ (BVerfG 01. 04. 2008, Ls. 3).
Unter Bezug auf eine Studie von Altrogge (Altrogge 2007, S. 167, S. 207) führt das BVerfG aus, dass es keine sozialwissenschaftlichen Untersuchungen über die Wirkungen eines erzwungenen Umgangs auf das Kind gibt, die Frage also nur abstrakt rechtlich ausgefüllt werden kann. Altrogge betont in einem Aufsatz aus 2007, dass die Vollstreckbarkeit einer Umgangsentscheidung gegen einen Elternteil zur Durchsetzung des Rechts des Kindes auf Umgang theoretisch und praktisch möglich sein muss, weil das Umgangsrecht als subjektives Recht des Kindes gestaltet ist und sub-
7.3 Der grundrechtliche Schutz des Umgangsrechts
193
jektive Rechte grundsätzlich durchsetzbar sein müssen (Altrogge 2007, S. 411). Diese Position vertritt auch das BVerfG, allerdings mit der Einschränkung, dass die Durchsetzung mit Zwangsmitteln lediglich in Ausnahmefällen ein geeignetes Mittel sein kann, einen Eingriff in den Persönlichkeitsschutz des Art. 2 GG des umgangsunwilligen Elternteils zu legitimieren. In einem solchen Fall muss der Umgang dem Kindeswohl ausdrücklich dienen. Peschel-Gutzeit stellt fest, „dass sich das BVerfG im Hinblick auf die Vollstreckbarkeit des Umgangs mit dem Abstellen auf die Kindeswohldienlichkeit von der Bestimmung des §1684 Abs. 4 BGB entfernt hat“ (Peschel-Gutzeit 2008b, 1929).
Nach dieser Vorschrift darf das Kindeswohl nur eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, wenn es anderenfalls gefährdet werden würde. Peschel-Gutzeit hebt den grundsätzlichen Aspekt der Entscheidung hervor, nachdem der Prüfmaßstab, dass in das Umgangsrecht des Kindes nur eingegriffen werden kann, wenn dem Kind durch den Umgang Schaden drohe, allein nicht ausreichend sein soll, um mit Androhung von Zwangsgeld in das Persönlichkeitsrecht des umgangsunwilligen Elternteils einzugreifen. Auf der Ebene der Vollstreckbarkeit, im gegebenen Einzelfall durch Androhung von Zwangsgeld, muss nach der BVerfG Entscheidung ausdrücklich geprüft werden, ob die Kindeswohldienlichkeit einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht rechtfertigt. „Diese Entscheidung ist aus einem systematischen Grunde besonders wichtig: Das BVerfG stellt ausdrücklich auf die Kindeswohldienlichkeit des erzwungenen Umgangs ab und nicht darauf, ob ein erzwungener Umgang das Wohl des Kindes gefährden könnte“ (Peschel-Gutzeit 2008b, 1929).
Sie gibt zu bedenken, dass damit das Recht auf Umgang zu einer nicht durchsetzbaren Pflicht wird, also zu einer „Naturalobligation“ wird, wenn ein Elternteil beharrlich den Umgang verweigert. Für sie stellt sich weiter die Frage, mit welcher Begründung dann Kinder gezwungen werden sollen, den Elternteil zu sehen, den sie nicht sehen möchten. Diese Fälle kämen weit häufiger vor, als der vom BVerfG entschiedene Fall. In derartigen Fällen ist der betreuende Elternteil verpflichtet, mit erzieherischen Mitteln auf die Kinder einzuwirken, unterlässt er das oder gelingt es ihm nicht, kann es zu Vorwürfen mangelnder Bindungstoleranz oder Verletzung des Loyalitätsgebots bis zu der Folge kommen, dass seine Erziehungsfähigkeit in Frage gestellt wird. Nach PeschelGutzeit wird hier – jedenfalls bisher – mit zweierlei Maß gemessen. „Wenn ein gegen den Willen des umgangsberechtigten Elternteils erzwungener Umgang dem Wohl des Kindes nicht dient, kann ein gegen den Willen des umgangsverpflichteten Kindes erzwungener Umgang seinem Wohl ebenso wenig dienen. In diesem Fall stehen das Elternrecht auf Umgang und das geschützte Persönlichkeitsrecht des Kindes gegeneinander und zur Abwägung.“
Sie verlangt, dass Kindern zukünftig derselbe Schutz gewährt wird wie umgangsunwilligen Eltern: „Mögen auch diese Kinder künftig von zwangsweiser Durchsetzung eines solchen Umgangs verschont werden“ (Peschel-Gutzeit 2008b, S. 1929).
194
7 Umgang und elterliche Sorge
Das BVerfG hebt in seinen Ausführungen ausführlich die Grundrechtsträgerschaft des Kindes hervor: „Das Kind hat eigene Würde und eigene Rechte. Als Grundrechtsträger hat es Anspruch auf den Schutz des Staates und die Gewährleistung seiner grundrechtlich verbürgten Rechte. … Das Kind ist nicht Gegenstand elterlicher Rechtsausübung, es ist Rechtssubjekt und Grundrechtsträger, dem die Eltern schulden, ihr Handeln an seinem Wohl auszurichten“ (BVerfG 01. 04. 2008, Rn. 71).
Auch wenn in der Entscheidung die Frage der Berücksichtigung der Grundrechtsträgerschaft des Kindes, wenn dieses den Umgang verweigert, nicht anstand, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Argumentation des BVerfG in einem derartigen Fall auf die Entscheidungsfindung hätte. Sibylla Flügge stellt im gleichen Sinn fest: „Es ist sicher kein Zufall, dass das Persönlichkeitsrecht zuerst als Grenze der Umgangspflicht eines Vaters thematisiert wird. Interessant ist, welche Erkenntnisse sich daraus für die Grenzen des Umgangsrechts im Interesse der das Kind betreuenden Person und im Interesse des Kindes selbst herleiten lassen“ (Flügge 2008b, S. 113).
Für die Persönlichkeitsrechte der das Kind betreuenden Person fordert sie eine Abwägung zwischen dem durch Art. 6 GG geschützten Elternrecht und dem durch Art. 2 GG geschützten Persönlichkeitsrecht. Sie fordert, das Recht der betreuenden Person, in der Regel das der Mutter, auf Wahrung ihrer Privatsphäre und ihrer persönlichen Beziehungen zu schützen, „denn die Pflicht zu Ermöglichung des Umgangs verpflichtet sie, in persönliche Beziehungen zum anderen Elternteil ihres Kindes zu treten, auch wenn sie eine solche Beziehung nicht aufnehmen oder fortsetzen will“ (Flügge 2008b, S. 114).
Nach der BVerfG-Entscheidung steht der Wille des Kindesvaters, eine Beziehung zur Mutter seines Kindes nicht aufnehmen oder fortsetzen zu wollen, soweit unter ausdrücklichem Schutz des Art. 2 GG als dieser Wille nicht durch Zwangsmaßnahmen gebrochen werden darf (BVerfG 01. 04. 2008, Rn. 76). Zu fragen ist, ob dieser vom BVerfG streng gefasste Prüfmaßstab auch gegenüber einer das Kind betreuenden Mutter zur Anwendung kommen wird. Auswirkungen hatte die Entscheidung bereits auf die FGG-Reform: Der Rechtausschuss hat in seiner Empfehlung die zwangsweise Durchsetzbarkeit der Umgangspflicht eines umgangsverweigernden Elternteils von einer Soll- in eine KannBestimmung umgewandelt (BT-Drs. 23. 06. 2008 zu § 35 FamFG). 7.3.2
Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung zum Umgangsrecht
Anders als bei der gemeinsamen elterlichen Sorge wird beim Umgangsrecht kein Mindestmaß an Übereinstimmung oder gemeinsamer Kommunikationsfähigkeit voraus gesetzt. Der betreuende Elternteil ist vielmehr an seine Loyalitätspflicht gebunden. Wenn er, d. h. in der Regel sie, die Mutter, den Umgang hintertreibt, kann
7.3 Der grundrechtliche Schutz des Umgangsrechts
195
das dazu führen, ihre Erziehungsfähigkeit grundsätzlich in Frage zu stellen mit der Folge, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht bzw. das Sorgerecht zumindest teilweise zu entziehen. Wenn faktisch der Umgang des umgangsberechtigten Elternteils durch Umzug vor allem ins Ausland erheblich erschwert wird, kann es zu Grundrechtskonflikten zwischen Art. 6 GG und der in Art. 2 GG garantierten Freizügigkeit kommen. In einer Entscheidung des OLG Frankfurt am Main (OLG Frankfurt am Main 11. 05. 2005) ist einer Mutter von zwei zwölfjährigen Kindern das gesamte Sorgerecht entzogen und auf den in Kalifornien lebenden Vater übertragen worden, der kein Deutsch spricht. Begründet worden ist diese Maßnahme mit der Verweigerungshaltung der Mutter, den Kindern Umgang mit dem Vater zu gewähren. Im Leitsatz heißt es: „Einer Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf den anderen erziehungsgeeigneteren Elternteil (steht) nicht entgegen, dass die Kinder derzeit nicht bei ihm leben können, weil sie dies wegen eines induzierten Willens nachdrücklich ablehnen. In diesem Fall kann das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf einen Ergänzungspfleger übertragen werden. Mit der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Ergänzungspfleger kann die Verpflichtung verbunden sein, mit dem sorgeberechtigten Elternteil Kontakt zu halten und ihn zu informieren, damit er für die Kinder anstehende Entscheidungen treffen kann. Der Ergänzungspfleger ist dann gehalten, das Aufenthaltsbestimmungsrecht so auszuüben, dass die Entscheidungen des sorgeberechtigten Elternteils beachtet werden“ (OLG Frankfurt am Main 11. 05. 2005).
Die Mutter hat die Kinder zwar tagtäglich zu betreuen, alle Entscheidungen liegen jedoch allein in der Hand des sorgeberechtigten Vaters. Flügge spricht in einer Besprechung der Entscheidung von der Mutter als „Versorgungspflichtige ohne Recht“ (Flügge 2008c, S. 38). Sie schreibt: „Durch den vollständigen Entzug des Sorgerechts wird den Kindern signalisiert, dass ihre Mutter zu verantwortungsvollen Entscheidungen nicht in der Lage, jedenfalls aber nicht berechtigt ist. Doppeldeutiger und widersprüchlicher könnte die Verhaltensanforderung, die das Gericht an die Kinder stellt, kaum sein“.
Die Mutter steht vollständig unter Kontrolle des sorgeberechtigten Vaters, der alle Entscheidungen allein zu treffen hat, nicht nur die von erheblicher Bedeutung und unter Kontrolle des Ergänzungspflegers, der das Aufenthaltsbestimmungsrecht hat. Sie hat nicht einmal die Rechte von Pflegeeltern. Der Titel der Urteilsbesprechung von Sybilla Flügge „Rechtspädagogik als Risiko“ kommentiert diese Entscheidung treffend. Unter Bezug auf den BVerfG-Beschluss vom 09. 06. 2004 (BVerfG 09. 06. 2004) hat das OLG Rostock festgestellt, dass „wenn der sorgeberechtigte Elternteil im gerichtlichen Umgangsverfahren ohne sachlichen Grund die Begutachtung des Kindes verweigert, ihm dieser Teilbereich der Sorge gem. § 1666 BGB entzogen und auf einen Pfleger übertragen werden kann. … Um die Begutachtung durchzusetzen, kann der Gerichtsvollzieher beauftragt werden, notfalls unter An-
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7 Umgang und elterliche Sorge
wendung von Gewalt, das Kind der Kindesmutter wegzunehmen und dem Gutachter zu übergeben“ (OLG Rostock 20. 04. 2006, Ls. 1 und 2).
Das Verbot der Gewaltanwendung mit dem Ziel der Umgangserzwingung (§ 90 Abs. 2 FamFG) soll hier nicht gelten. Das OLG Rostock geht grundsätzlich davon aus, dass „zum körperlichen, geistigen und seelischen Wohl eines Kindes i. S. d. § 1666 BGB u. a. auch ein konfliktfreier Umgang eines Kindes mit beiden Elternteilen gehört“ (OLG Rostock 20. 04. 2006, Rn. 36). Es sieht also in erheblichen Umgangskonflikten eine potentielle Kindeswohlgefährdung. Der Gutachter sollte auch feststellen, welchen positiven Einfluss der Umgang mit dem Vater auf das Kind haben kann. Zwar hat das Kind einen Umgang abgelehnt, aber das Gericht hält es „nicht für ausgeschlossen, dass L. sich in gewisser Weise für den Vater interessiert“ (OLG Rostock 20. 04. 2006, Rn. 25) und sieht im Verhalten der Mutter, eine Begutachtung abzulehnen, eine mögliche Kindeswohlgefährdung, die zu eben auch eine Wegnahme unter Anwendung von Gewalt rechtfertigt. Salzgeber hält in seiner Urteilsanmerkung dagegen, dass eine derart erzwungene Begutachtung des Kindes vor dem Hintergrund der langjährigen Unterbrechung des Kontaktes zu seinem Vater und der verweigernden Haltung der Mutter eine erhebliche Belastung des Kindeswohls darstelle und außerdem von geringem Nutzen sei (Salzgeber 2007). In Fragen von Umzügen hat das OLG Köln der Absicht eines umzugswilligen Elternteils nach Art. 2 GG einen grundsätzlichen Vorrang eingeräumt. „Beabsichtigt der das Sorgerecht beantragende Elternteil ins Ausland umzusiedeln, so steht dem Elternrecht des anderen Elternteils auf möglichst freien Umgang mit seinem Kind aus Art. 6 GG das Recht des antragstellenden Elternteils auf örtlich freizügige Lebensgestaltung und Freizügigkeit aus Art. 2 GG entgegen, das anderenfalls in unangemessener Weise tangiert würde, wenn man wegen eines solchen Umzugs aus grundsätzlichen Erwägungen generell eine Sorgerechtsübertragung auf ihn verbieten würde. Das verfassungsrechtliche Prinzip der praktischen Konkordanz gebietet es, die Grundrechte beider Elternteile zu optimaler Wirksamkeit gelangen zu lassen und so einander zuzuordnen, dass jedes von ihnen weitestgehend Wirksamkeit erlangt. Das in Art. 6 Abs. 2 GG verbriefte Elternrecht des anderen Elternteils hat, wenn nicht Kindeswohlinteressen dagegen stehen, hinter das persönliche Freiheitsrecht des das Sorgerecht begehrenden Elternteils nach Art. 2 Abs. 1 GG zurückzutreten. Bei der vorzunehmenden Abwägung der Elterninteressen ist mit zu berücksichtigen, ob und in welchem Umfang Umgangskontakte zwischen dem anderen Elternteil und seinem Kind auch nach dessen Übersiedlung ins Ausland möglich sind“ (OLG Köln 18. 01. 2006, Ls).
Mit dieser Entscheidung wird eine Entscheidung des OLG Zweibrücken bestätigt, nach der der Mutter, die als Kanadierin nach Kanada gegen den Willen des Kindesvaters auswandern wollte, das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen worden ist (OLG Zweibrücken 13. 07. 2004). Das OLG Frankfurt hat 2002 dagegen eine Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland von der Einwilligung des Vaters abhängig gemacht (OLG Frankfurt 16. 09. 2002).
7.4 Ausschluss- oder Einschränkungsgründe
7.4
197
Ausschluss- oder Einschränkungsgründe
Der Umgang kann unter verschiedenen Gesichtpunkten eingeschränkt bzw. ausgeschlossen oder in Form eines begleiteten Umgangs organisiert werden 7.4.1
Begleiteter Umgang
Der begleitete Umgang kann gerichtlich angeordnet werden, um das Recht auf Umgang zu gewährleisten und um dem Kind den Umgang zu ermöglichen, wenn nicht auszuschließen ist, dass der Umgang das Kindeswohl beeinträchtigt, wobei allerdings die Gefährdung konkret benannt werden muss. Das BVerfG (BVerfG 29. 11. 2007) hat der Verfassungsbeschwerde eines Vaters stattgegeben, dem die Instanzgerichte lediglich einen begleiteten Umgang gewährt haben, weil bei ihm pädophile Neigungen nicht ausgeschlossen werden konnten. „Die von Verfassungs wegen für eine Umgangseinschränkung erforderliche, konkrete Gefährdung des Kindes kann nicht schon dann angenommen werden, wenn infolge möglicherweise pädophiler Neigungen des umgangsberechtigten Elternteils ein ,Restrisiko‘ verbleibt. Dies stellte das Elternrecht des Umgangsberechtigten unverhältnismäßig hinten an und bedeutete keine Herstellung eines ausgewogenen Ausgleichs der Grundrechte der Beteiligten. Die längerfristige Anordnung begleiteten Umgangs beschränkt nicht nur den Beschwerdeführer massiv in seinem Elternrecht, sondern greift auch intensiv in das Recht des Kindes ein, mit seinem umgangsberechtigten Elternteil grundsätzlich ohne Beobachtung durch Dritte Umgang zu pflegen“ (BVerfG 29. 11. 2007, Rn. 21).
Im Zusammenhang mit der Anordnung begleiteten Umgangs hält das Brandenburgische OLG in seiner Entscheidung vom 03. 04. 2008 fest, dass nur bei einer Kindeswohlgefährdung begleiteter Umgang angeordnet werden kann, weil ein begleiteter Umgang einen Eingriff in das Elternrecht darstelle. Für die Legitimation eines derartigen Eingriffs soll es einer sicheren Tatsachengrundlage bedürfen, die ggf. gutachterlich festgestellt sein müsse. „Es muss sich im jeweiligen Einzelfall eine konkrete Gefährdung feststellen lassen, die auf einer sicheren Tatsachengrundlage beruht“. (Brandenburgisches OLG 03. 04. 2008, Rn. 13). Ein „Restrisiko“ müsste jedoch nicht ausgeschlossen werden. Begleiteter Umgang ist also nur unter besonderen, restriktiv auszulegenden Bedingungen möglich. Er stellt jedoch ein Instrument dar, das vor Umgangseinschränkungen oder Umgangsausschlüssen in Betracht zu ziehen ist. In einer breit angelegten Studie unter der Leitung von W. E. Fthenakis und P. S. Dietrich sind Literatur und Forschungsprojekte zum Thema Umgang und begleiteter Umgang unter Einbeziehung auch internationaler Erfahrungen untersucht worden (Dietrich, Fthenakis 2008). M. Gödde kommt im Rahmen dieser Studien nach der Auswertung unterschiedlicher Konzepte und Modelle zum begleiteten Umgang hinsichtlich der Frage, ob mit dem begleiteten Umgang eine dauerhafte Verbesserung der kindlichen Befindlichkeit verbunden sei, zu dem Ergebnis, dass es dazu keine Befunde gebe, die
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7 Umgang und elterliche Sorge
sich generalisieren ließen. Hinsichtlich der Qualität der Beziehung zwischen Kind und Besuchselternteil seien die Ergebnisse nicht eindeutig. „Sie deuten darauf hin, dass bereits positive Beziehungen durch Umgangsbegleitung gestärkt werden, während die Entwicklung für belastete Beziehungen sehr langsam verläuft bzw. auch stagnieren oder sich verschlechtern kann“ (Gödde 2008).
J. Fichtner kommt im gleichen Untersuchungsrahmen bei der Evaluation und Qualitätssicherung eines konkreten Projektes zum begleiteten Umgang zu ähnlichen Ergebnissen. „Bei einem erheblichen Teil der Kinder konnten in der vorliegenden Stichprobe anhand beobachtbarer Anzeichen ihres Erlebens Hinweise auf einen günstigen Verlauf festgestellt werden … Bei etwa einem Viertel der Kinder zeigte sich aber eine eher ungünstige Entwicklung, die sich durch eine anhaltend hohe oder steigende emotionale Belastung und eine geringe bzw. abnehmende Spielfreude auszeichnete. Der begleitete Umgang ist somit ein Instrument mit Chancen, aber auch mit Risiken. … Besonders bei einer voraus gegangenen ausgeprägten Kontaktverweigerung des Kindes und bei einer hohen vorab eingeschätzten Belastung in der Beziehung zwischen Umgangsberechtigten und Kind stieg die Wahrscheinlichkeit, dass der begleitete Umgang zu einer Zunahme der emotionalen Belastung für das Kind führte“ (Fichtner 2008a, S. 550, 551).
7.4.2
Gewalt gegenüber dem Kind
Eine Einschränkung oder ein Ausschluss kommt entsprechend dem Gesetzestext nach § 1684 Abs. 4 BGB nur dann in Betracht, wenn es das Kindeswohl erfordert. Dazu gehören regelmäßig die Fälle, in denen die Umgangsberechtigten, in der großen Mehrzahl die Väter, sich eines sexuellen Missbrauchs schuldig gemacht haben bzw. insofern ein dringender Tatverdacht besteht (AG Bremen 26. 01. 2006). Einschränkung und Ausschluss des Umgangs sind am Maßstab des § 1666 BGB (Kindeswohlgefährdung) zu messen. Der EGMR (EGMR 25. 09. 2007) hat die Beschwerde eines Vaters ablehnt, bei dem der Umgang für zwei Jahre ausgeschlossen worden ist. Der Vater hat sich gegenüber seiner Tochter nach Feststellung der Instanzgerichte hoch manipulativ verhalten, die 12- bzw. 13-jährige Tochter wollte ihren Vater nicht sehen. Der Mutter ist aufgegeben worden, eine Therapie für die Tochter zu veranlassen, um das Kind für den Umgang zu stabilisieren. Die zweijährige Aussetzung des Umgangsrechts ist damit begründet worden, dass früher nicht mit Ergebnissen der Therapie zu rechnen sei. Mit 14 bzw. 15 Jahren soll die Jugendliche dann soweit stabil sein, dass der Vater sein Recht auf Umgang wahrnehmen kann. Inwieweit eine derartige Vorstellung realistisch ist, wird nicht diskutiert. 7.4.3
Gewalt zwischen den Eltern
Bei Gewalt zwischen den Eltern wird unterschiedlich entschieden. Soweit ein Gewaltschutzverfahren anhängig ist, wird in der Regel ein Konflikt angenommen, der
7.5 Die Umgangspflegschaft
199
Auswirkungen auf das Umgangsrecht hat. Das Amtsgericht Bremen hat den Umgang eines Vaters vorübergehend ganz ausgeschlossen, weil der Mann bereits gewalttätig gegenüber der Mutter gewesen ist und sie bedroht hat. In der Begründung heißt es: „Das Miterleben von Gewalttätigkeiten zwischen den Eltern schadet dem Kindeswohl, im Übrigen haben die Kinder ein vitales Interesse daran, dass ihre Mutter nicht verletzt wird“ (AG Bremen 08. 08. 2008).
Dieser Beschluss stellt jedoch eine Ausnahme dar. Im Falle latenter oder nicht gerichtsanhängiger gewalttätiger Auseinandersetzungen oder anderer gravierender Schwierigkeiten auf der Paarebene wird in der Regel erwartet, dass die Eltern die Paarebene von der Elternebene trennen und Bindungstoleranz zeigen (Kap. 8). Es gilt die Annahme, dass Umgangskontakte trotz schwer gestörter Elternbeziehungen dem Kind stets dienen. Im Staudinger heißt es zum Umgangsrecht: „Die Anerkennung des hohen Schutzmaßstabs des Art. 6 Abs. 2 GG für das Umgangsrecht beruht auf der Erkenntnis einer überragenden Bedeutung des Umgangsrechts für die Entwicklung des Kindes“ (Staudinger/Rauscher zu § 1684 BGB 2006, Rn. 30),
wobei allerdings nicht auf erziehungswissenschaftliche oder sozialwissenschaftliche Studien verwiesen wird, die dieses Erkenntnis belegen könnten. 7.5
Die Umgangspflegschaft
Mit dem FamFG vom 01. 09. 2009 ist das Institut des Umgangspflegers im materiellen Recht eingeführt und in § 1864 Abs. 3 BGB neu geschaffen worden. Nach altem Recht sind jährlich bereits ca. 750 Umgangspflegschaften (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 345) angeordnet worden. Voraussetzung war allerdings, dass dem pflichtverletzenden Elternteil für die Dauer des Umgangs das Aufenthaltsbestimmungsrecht unter den strengen Voraussetzungen des § 1666 BGB entzogen und ein Ergänzungspfleger nach § 1909 BGB mit dem Aufgabenkreis Umgang bestellt worden ist. Mit der Schaffung des neuen Rechtsinstituts soll die Herausgabe des Kindes und die Durchführung des Umgangs erleichtert werden. Nach der Begründung der Bundesregierung soll die Anordnung der Umgangspflegschaft auf die Fälle beschränkt werden, in denen die betreuende Person das Umgangsrecht in erheblicher Weise vereitelt. „Die hohe Schwelle der Kindeswohlgefährdung (§1666 BGB) muss jedoch künftig nicht mehr erreicht werden. Eine Prognose über die Auswirkungen des unterbleibenden Umgangs auf das Kindeswohl, die häufig nur mit einem Sachverständigengutachten möglich ist, wird damit entbehrlich. … Das Gericht hat hier die Rechtspositionen der Eltern untereinander auszugleichen, so dass die strengen Voraussetzungen für einen Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht nicht vorliegen müssen“ (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 345).
Es soll aber sichergestellt werden, dass das Instrument der Umgangspflegschaft „nur in schwerwiegenden Umgangskonflikten zur Anwendung kommt“ (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 426), die aber unterhalb der Grenze des § 1666 BGB liegen.
200
7 Umgang und elterliche Sorge
Für die Bundesregierung stellt die Umgangspflegschaft keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Elternrecht des betreuenden Elternteils dar, es geht vielmehr darum, „das ebenfalls von Artikel 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Umgangsrecht des anderen Elternteils durchzusetzen“ (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 426). Die Umgangspflegschaft soll lediglich der Durchführung des ohnehin schon vom Familiengericht angeordneten Umgangs dienen. Nach der Vorschrift des § 90 Abs. 2 FamFG unterliegt der Umgangspfleger einem Gewaltanwendungsverbot. Wenn das Kind sich dem Umgangspfleger verweigert oder die betreuende Person das Kind dem Umgangspfleger nicht übergibt, entsteht die Frage, ob darin die Gerichte in Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung (Herausgabe an einen Gutachter s. o.) eine Kindeswohlgefährdung im Sinn des § 1666 BGB erkennen, die Gewaltanwendung rechtfertigen könnte. Salgo (Salgo 2008a, S. 404) kritisiert die Einführung dieses Rechtsinstituts im materiellen Recht; es gäbe zu wenig Untersuchungen zur bisherigen Praxis der Umgangspflegschaften, verfassungsrechtlich sei problematisch, dass nicht das Kindeswohl sondern der Interessensausgleich der Eltern im Mittelpunkt stehe, die Umgangspflegschaft mit faktischen Sorgerechtseinschränkungen verbunden sei und deren pädagogische bzw. psychologische Legitimation, nämlich dass ein nicht stattfindende Umgang stets mit Kindeswohlgefährdungen verbunden sei, humanwissenschaftlicher Forschung nicht standhalte. Veit hält die Umgangspflegschaft für ein ungeeignetes Mittel zur Erreichung elterlicher Kooperation (Veit 2008, S. 480). Mit Verweis auf die BVerfG-Entscheidung zu § 1884 BGB (BVerfG 01. 04. 2008) fordert sie, dass die vom BVerfG entwickelten Grundsätze auch für die Anordnung einer Umgangspflegschaft zu gelten haben, „geht es doch hier auch um eine Art Zwang gegen den nicht loyalen Elternteil, sei es gegen den betreuenden, sei es gegen den umgangsberechtigten Elternteil“ (Veit 2008, S. 481). Sie hält die Einführung des neuen Rechtsinstituts mit Blick auf die unterhalb des § 1666 BGB liegende Eingriffsschwelle verfassungsrechtlich für bedenklich und der Rechtsprechung des BVerfG zuwider laufend. Lapidar fordert sie, die Regelung „ist deswegen zu streichen“ (Veit 2008, S. 481). Die Regelung ist jedoch geltendes Recht und zentraler Bestandteil der Reform des Verfahrensrechts (Kap. 8). Es ist schwer vorstellbar, dass sie in absehbarer Zeit gestrichen wird. Im Lichte der Entscheidung des BVerfG vom 01. 04. 2008, nach der die Kindeswohldienlichkeit von erzwungenem Umgang grundsätzlich in Frage gestellt worden ist, bleibt abzuwarten, ob in weiteren Entscheidungen diese Infragestellung nur für den Unterhaltsberechtigten, in der Regel den Vater gilt.
7.6
Umgang aus pädagogischer und rechtlicher Sicht
Umgangsleitbilder orientieren sich an intensivem Umgangskontakt, bei dem die umgangsberechtigten Eltern, in der Regel die Väter in „aktiver Elternschaft“ „die Kom-
7.6 Umgang aus pädagogischer und rechtlicher Sicht
201
petenzen einbringen können, die sich als ausschlaggebend für eine positive Entwicklung des Kindes erwiesen haben“ (Gödde, Fthenakis 2008, S. 77). Es soll also nicht um „die übliche Bevorzugung von Freizeitaktivitäten“ gehen. Umgang soll vielmehr so gestaltet werden, „dass Alltagsaktivitäten auch beim außerhalb lebenden Elternteil durchgeführt werden und dabei Routinen entstehen können. Auf diese Weise wird die Beziehung bedeutsam bleiben oder sogar an Bedeutung gewinnen“ (Gödde, Fthenakis 2008, S. 77).
In einer umfassenden Auswertung von Studien und Metastudien zum Umgang, in die nationale und internationale Forschungsergebnisse einbezogen worden sind, hat sich für Gödde und Fthenakis eindeutig herausgestellt, dass sich positive Auswirkungen auf Befindlichkeiten der Kinder bei intensivem Kontakt zum Vater ergeben, „wenn die elterliche Kommunikation gut ist. Wenn es ihnen (den Eltern) gelingt, dem auch in Deutschland verbreiteten Gedanken der fortbestehenden Elternschaft (,Eltern bleiben Eltern‘ – Klammer im Originaltext) gerecht zu werden und das anspruchsvolle Modell einer weiterhin geteilten Erziehungsverantwortung zu leben“ (Gödde, Fthenakis 2008, S. 84).
Das sagt zunächst, dass elterliche Übereinkunft nach einer Trennung, wenn sie freiwillig erfolgt und von beiderseitigem Willen getragen ist, ein erfolgreiches Modell für Kinder und beide Eltern sein kann, Kontakte miteinander zu erhalten. Dieses Ergebnis sagt jedoch nichts darüber aus, ob dieses Modell tatsächlich als generalisierendes Leitbild geeignet ist. Das war auch nicht Thema der Untersuchung. Entsprechend der Fragestellung der o. g. Untersuchung wird die Eltern-KindBeziehung zum familienfernen Elternteil untersucht unter Einbeziehung der Frage, inwieweit sich der Kontakt zum Vater positiv auswirkt. Die Untersuchung zeigt angesichts der Vielfalt von Umgangsgestaltungen eher uneindeutige Ergebnisse. Zusammenfassend wird hervorgehoben, dass nicht die Häufigkeit des Kontakts über eine gute Beziehung entscheide, sondern die Kompetenzen des Vaters von zentraler Bedeutung seien (Gödde, Fthenakis 2008, S. 74). Am deutlichsten sollen sich die Kompetenzen in der „Leistung von regelmäßigen Unterhaltszahlungen (zeigen) und im Bereich des erzieherischen Engagements“ (Gödde, Fthenakis 2008, S. 74). Regelmäßige Unterhaltszahlungen gingen mit einer positiven Entwicklung des Kindes einher. Angemerkt sei hier, dass dieser auch aus allgemeinen Alltagserfahrungen zu bestätigende Sachverhalt in der Umgangsrechtsprechung keine Rolle spielt. Unterhaltsfragen sind unabhängig von Sorgerechts- und Umgangsfragen und werden auch durchgehend unabhängig voneinander bewertet. Ein weiteres Ergebnis ist, dass Müttern eine zentrale Rolle als „gate-keeper“ zukommt, „inwieweit sich die Beziehungen zwischen Vätern und Kindern entwickeln, im positiven wie im negativen“ (Gödde, Fthenakis 2008, S. 82). Das soll für Kernfamilien wie für Scheidungsfamilien gleichermaßen gelten. Die Frage, inwieweit die Bereitschaft von Müttern die „gate-keeper“-Rolle zu übernehmen, mit den Kompetenzen des Vaters zusammenhängt und seinem Vermögen, der neuen Familie mit Respekt und Unterstützung zu begegnen, wird nicht diskutiert.
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7 Umgang und elterliche Sorge
In ihrem Fazit führen Gödde und Fthenakis aus, dass Väter im Sinn des von ihnen vertretenen Leitbildes eine wichtige Funktion für ihre Kinder erfüllen können; dass jedoch nicht die Häufigkeit des Kontaktes an sich, sondern die Qualität der Beziehung eine entscheidende Rolle spielt. Angesichts des hohen Konfliktpotentials in Trennungsfamilien sollen nach Experteneinschätzungen aus den USA in ca. 25% der Scheidungsfamilien Kontakte zwischen dem Kind und seinem außerhalb lebenden Elternteil nicht wünschenswert seien, weil die Kinder dadurch übermäßig belastet werden würden. Aus dem letztgenannten Aspekt ziehen Gödde und Fthenakis den Schluss, dass in Problem belasteten Trennungsfamilien nicht die Ermöglichung von Kontakt an sich das Ziel der Intervention sein kann, vielmehr müsse es darum gehen „die individuellen Kompetenzen des außerhalb lebenden Elternteils zu stärken wie auch das Konfliktniveau zwischen den Eltern zu senken“ (Gödde, Fthenakis 2008, S. 94). Gödde und Fthenakis sehen eine Wechselwirkung zwischen den Kompetenzen des familienfernen Elternteils, dem Verhalten der Mutter und der Ermöglichung unbelasteten Umgangs. Bei Parentifizierungsprozessen wird nicht nur, wie beim PAS-Konzept oder dem Konzept der mangelnden Bindungstoleranz (Kap. 8.11) die Mutter allein verantwortlich gemacht. Für Fthenakis führen Konflikte zwischen den Eltern zu erheblichen Belastungen für die Kinder. „Konflikt ist schädlich, Konflikt plus häufiger Umgang mit strittigen Eltern ist äußerst destruktiv“ (Fthenakis 2008, S. 63). Ausgehend vom Leitbild einer aktiven Elternschaft sind Konflikte im Umgang für Gödde und Fthenakis Anlass zu sozialstaatlichen Interventionen. Ein Hinnehmen der Konfliktsituation im Sinn einer Entlastung schaffenden Umgangsunterbrechung kommt für sie nicht in Betracht, obwohl sie in der Untersuchung keine Anhaltspunkte dafür genannt haben, dass mangelnde Kontakte zum familienfernen Elternteil zu Vulnerabilitäten führen können. Wenn der Elternkonflikt sich nicht lösen lässt, bleibt die Situation für sie praktisch offen, Umgangszwang jedenfalls lehnen sie im Interesse des Kindes ab. Unter Bezug auf Meta-Analysen aus der Scheidungsforschung geht Salgo davon aus, dass mangelnde Kontakte zum getrennt lebenden Vater nicht generell mit Belastungen für Kinder verbunden sind, ein verminderter Kontakt vielmehr als hilfreicher Ausweg dienen kann, wenn Eltern ihre Konflikte nicht überwinden können (Salgo 2008, S. 61). Salgo vermerkt: „Es entstand in den letzten Jahren bei der Betrachtung rechtspolitischer Vorhaben bei der Lektüre mancher Urteile sowie auch fachlicher Stellungnahmen der Eindruck, Umgang müsste unter allen Umständen, um fast jeden Preis durchgesetzt werden.“ (Salgo 2008b, S. 401.)
Er weist darauf hin, dass es in der nationalen und internationalen Scheidungsforschung keine Belege dafür gibt, dass Umgang an sich vorteilhaft für die kindliche Entwicklung sei, gelungener Umgang sei vielmehr abhängig von der Qualität der Beziehung. Einen möglichen sozialen Abstieg durch Scheidung würden Kinder als gravierender erleben als einen fehlenden oder unregelmäßigen Umgang.
7.6 Umgang aus pädagogischer und rechtlicher Sicht
203
In der Rechtsprechung wird dem Umfang des Umgangsrechts ein großes Gewicht eingeräumt. Es gilt als üblich, dass Kinder an zwei Wochenenden im Monat von Freitagnachmittag bis Sonntag, die Hälfte der Ferien und abwechselnd an hohen Feiertagen beim Umgangsberechtigten sind, unabhängig davon, ob der betreuende Elterteil berufstätig ist (Brandenburgisches OLG 03. 04. 2008, Rn. 19; Büte 2005). In einer Entscheidung des Brandenburgischen OLG vom 29. 12. 2009 (Brandenburgisches OLG 29. 12. 2009) wird dem antragstellenden Vater eines zweijährigen Kindes ein vierzehntägliches Umgangsrecht von freitags 15.00 Uhr bis sonntags 17.45 und mittwochs von 6.45 bis 17.45 sowie umfangreiche Feiertags- und Ferienregelungen unter Androhung eines Zwangsgeldes in der Höhe von bis zu 25 000 Euro eingeräumt. Der Vater hatte einen noch weitergehenden Umgang beantragt. Das Brandenburgische OLG hat dem mit dem Verweis nicht stattgegeben, dass „das Umgangsrecht nicht dazu (dient), eine gleichberechtigte Teilhabe beider Elternteile am Leben des Kindes, etwa in Form eines Wechselmodells, sicherzustellen“ (Brandenburgisches OLG 29. 12. 2009, Ausdruck ohne Rn.). Es blieb mit der weitgehenden Umgangsregelung für das zweijährige Kind unterhalb des Vorhalts, ein Wechselmodell ermöglichen zu wollen. Was eine derartig weitgehende Umgangsregelung für ein Kleinkind und dessen Bindungskonstituierungen bewirken kann, dessen Eltern nicht Einvernehmen praktizieren können oder wollen, die möglicherweise unterschiedliche Vorstellungen von einer Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen haben, wird nicht ausgeführt. Was weitgehender Umgang auch in einer konfliktarmen, sich aber nicht durch intensive Kooperation auszeichnende Beziehung zwischen den Eltern im Einzelfall für eine berufstätige Mutter oder einen berufstätigen Vater und ihren Kindern bedeuten kann, die gerade an Wochenenden die gemeinsame Zeit für die Stabilisierung ihrer Familie benötigen, um den Anforderungen des Alltags gerecht zu werden, wird nicht diskutiert. Nach herrschender Meinung gilt in der Rechtsprechung unabhängig von den Ergebnissen der Scheidungs- und Umgangsforschung auch hinsichtlich des Umgangs die Idealform elterlichen Zusammenwirkens als Leitbild. Insofern sind die Fragen von Umgang und elterlicher Sorge sowohl unter pädagogischen wie unter rechtlichen Aspekten eng miteinander verbunden. „Eltern, die Umgangsprobleme meistern, werden in der Regel auch eine gemeinsame Sorge im Übrigen bewältigen können“ heißt es bei Rauscher (Staudinger/Rauscher zu 1684 BGB 2006, Rn. 36). Die Möglichkeit, dass es bei Sorgerechtzuweisung an einen Elternteil unter Verzicht auf die Idealvorstellung beiderseitiger aktiver Elternschaft unterschiedliche Umgangskontakte in Qualität und Häufigkeit geben könnte, die entlastet von hohen Ansprüchen Offenheit und Gelassenheit ermöglichen, wird unter dem Druck des Leitbildes nicht gesehen. Kinder und Jugendliche hätten in nicht konfliktfreien Elternbeziehungen dann möglicherweise eine bessere Chance, aus sich selbst heraus die Qualität der Beziehung zum familienfernen Elternteil auszuprobieren. Eltern, die Trennungen konfliktarm oder -frei gestalten können, hochkompetente Eltern und ebenso hochkompetente Kinder und Jugendliche, die gegenseitig aufeinander bezo-
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7 Umgang und elterliche Sorge
gen im selbst gewählten nahen oder ferneren Kontakt zu einander bleiben, sind keine Adressaten rechtlicher oder sozialstaatlicher Konfliktlösungsstrategien, sie regeln ihre persönlichen Beziehungen eigenständig. Ob es realitätsgerecht ist, über rechtliche und sozialstaatliche Interventionen persönliche Beziehungen herstellen zu wollen, die in einem möglichst nahen Kontakt zueinander für alle Beteiligten befriedigende Lösungen bieten, kann bezweifelt werden. Fraglich ist ebenso, ob das überhaupt ein Ziel sein kann, das in einer pluralen Gesellschaft den unterschiedlichen Gegebenheiten und Interessen entspricht.
8
Das Verfahren vor dem Familiengericht
Das Verfahren vor dem Familiengericht gehört zu den institutionalisierten Praktiken, mit denen materielles Recht durchgesetzt wird. In ihm spiegeln sich die zentralen Leitbilder wieder. Von den einzelnen Regelungen und einzelnen Praktiken ist abhängig, wie und inwieweit die Ziele, die mit dem materiellen Recht verbunden sind, in der Rechtspraxis zur Geltung kommen. Im folgenden Kapitel werden die verfahrensrechtlichen Fragen unter Einbeziehung der Reform des Verfahrensrechts diskutiert. Am 01. 09. 2009 ist das FamFG – Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – in Kraft getreten (BGBl 22. 12. 2008, in Kraft 01. 09. 2009). Es löst das alte FGG – Gesetz über Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – ab. In diesem Gesetz ist u. a. das familienrechtliche Verfahren von Grund auf neu geregelt worden. Ziel war es, eine moderne und allgemein verständliche Verfahrensordnung zu entwickeln, in der „materielles Recht schnell und effektiv durchgesetzt werden kann zugleich aber die Rechte des Einzelnen, insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör, garantiert sind“ (BTDrs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 1). Die fachliche Notwendigkeit der Reform insgesamt ist unumstritten. Viele Einzelvorschriften sind zusammengefasst, klarer zugeordnet und rechtstechnisch leichter erkennbar und anwendbar geworden (Meyer-Seitz, Frantzioch & Ziegler 2009). Kritik gibt es vor allem hinsichtlich der Regelungen des familiengerichtlichen Verfahrens (FamFG), auf die im folgenden Kapitel eingegangen wird. Die Reform ist die umfassendste Verfahrensrechtsreform der letzten Jahre. Nach dem Verfahrensrecht werden u. a. Familien- und Vormundschaftsangelegenheiten wie z. B. Betreuung und Unterbringung geregelt und entschieden. Familienrechtsangelegenheiten und Vormundschaftsrechtsangelegenheiten sind immer Angelegenheiten höchstpersönlicher Art, es geht stets um Fragen, die in allgemeine Persönlichkeitsrechte eingreifen können. Welchen Beitrag das Verfahrensrecht hier zur Gerechtigkeit durch Verfahren leisten kann und soll, zeigt sich insbesondere darin, in welcher Weise den Betroffenen rechtliches Gehör gewährt wird, wie sie selbst ihre Interessen und Wünsche einbringen können. In diesem Sinn ist im neuen Recht z. B. der Beteiligtenbegriff im § 7 FamFG neu geregelt und klarer gefasst worden (Kroiß, Seiler 2009, S. 28). Auch im alten FGG kam diesen Fragen eine große Bedeutung zu. Die freiwillige Gerichtsbarkeit kannte und kennt keine Parteien wie im zivilrechtlichen Verfahren nach ZPO, vielmehr vertreten unterschiedliche Beteiligte ihre Interessen (§ 7 FamFG), der Richter ermittelt von Amts wegen (§ 26 FamFG), die Beteiligten sollen bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken (§ 27 FamFG), sie sind selbst zu laB. Schwarz, Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht, DOI 10.1007/978-3-531-92691-9_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
den, haben also persönlich vor dem Gericht zu erscheinen und sind in der Regel persönlich anzuhören (§ 34 FamFG). Grundsätzlich sind derartige Verfahren beteiligungsfreundlich. Erklärtes Ziel ist es, diejenigen, die durch gerichtliche Entscheidungen in ihrem „innersten Lebensbereich“ (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 1) berührt oder eingeschränkt werden können, bereits durch das Verfahren zu schützen bzw. mit ihnen gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Vor dem Familiengericht müssen sich Eltern und ggf. die Kinder und Jugendlichen, soweit diese verfahrensfähig sind, von einem Rechtsanwalt vertreten lassen (§ 114 FamFG). Im Verfahren vor dem Familiengericht spielt der Gedanke, Einvernehmlichkeit in Kindschaftssachen zwischen den Betroffenen erreichen zu wollen, eine wichtige Rolle. Nach § 52 FGG a. R. sollte das Gericht in Kindschaftssachen, insbesondere bei Auseinandersetzungen zwischen den Eltern in jeder Lage des Verfahrens auf ein Einvernehmen der Beteiligten, d. h. der Eltern hinwirken. Das Hinwirken auf Einvernehmen (§ 156 FamFG) ist im neuen Recht, wie zu zeigen sein wird, ausgebaut und konkretisiert worden. Es soll stets dann erfolgen, wenn, wie es ausdrücklich heißt, es dem Kindeswohl nicht widerspricht (§ 156 I S.1 FamFG). Im Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 164) wird ausgeführt, dass die Neukodifizierung des familienrechtlichen Verfahrens dazu genutzt werden soll, „die Bedeutung des personalen Grundkonfliktes aller familiengerichtlichen Verfahren zu betonen und konfliktvermeidende sowie konfliktlösende Elemente zu stärken“. Man könnte sagen, dass ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anders als ein Verfahren vor dem Zivilgericht auch diskursive Elemente enthält, dass es bei einem solchen Verfahren nicht in erster Linie auf die Parteienvorträge ankommt. Dennoch sollte nicht unterschätzt werden, dass es auch bei Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit um streitige Angelegenheiten geht, gerade bei Auseinandersetzungen um das Kind, die die Beteiligten ganz offensichtlich nicht selbst lösen können und deshalb ein Gericht als Entscheidungsinstanz anrufen.
8.1
Das Verfahrensrecht im Zusammenhang mit Fragen der Sorgeverteilung und des Umgangs
Zu fragen ist, ob und inwieweit die Verfahrensregeln die materiell-rechtlichen Entscheidungsprozesse beeinflussen können, d. h. ob bzw. inwieweit sie möglicherweise dazu beitragen, Entscheidungsprozesse über die Verteilung der elterlichen Sorge oder über den Umgang zu präjudizieren. Dabei ist die Frage von besonderem Interesse, ob die verfahrensrechtlichen Vorschriften gegenüber den materiell-rechtlichen Vorschriften soweit hinreichend neutral sind, als dass durch einzelne Verfahrensregelungen nicht Effekte ausgelöst werden, die bestimmte Auslegungen oder Leitbilder begünstigen. Zu prüfen ist zum einen, ob und inwieweit die verfahrensrechtlichen Vorschriften und Anforderungen dazu beitragen können, das Leitbild der gemeinsamen elterliche Sorge im Verfahren selbst zu verfestigen und zum anderen,
8.1 Das Verfahrensrecht und Fragen der Sorgeverteilung und des Umgangs
207
inwieweit Kinderinteressen, die nicht von vornherein dahingehend definiert werden, dass ihnen stets ein Grundbedürfnis nach intensivem Kontakt zu beiden Eltern zugrunde liegt, im Verfahren unter der Einbeziehung des Kindeswillens hinreichend berücksichtigt werden. Wenn als wesentliche Elemente der Reform das Hinwirken auf Einvernehmen, das Beschleunigungsgebot von Verfahren über das Umgangs- und Sorgerecht, die Einführung eines hauptsacheunabhängigen einstweiligen Rechtsschutzes sowie wirkungsvolleren Regelungen zur Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen über das Umgangsrecht und zur Kindesherausgabe (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 164) genannt werden, ist im Einzelnen zu prüfen, inwieweit diese neuen Regelungen nicht vor allem Instrumente sind, das Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge besser durchzusetzen. Dem anderen wesentlichen Ziel der Reform, der „Verstärkung der Beteiligungsund Mitwirkungsrechte betroffener Kinder“ (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 164), soll insbesondere die Konkretisierung der Regelungen über die persönliche Anhörung des Kindes dienen. Inwieweit die Regelungen geeignet sind, die Rechte der Kinder zu stärken, ist ebenso zu prüfen wie die Frage, wie die beteiligten Professionen, die zum Teil mit erweiterten Rechten ausgestattet sind und per gesetzlicher Aufgabenbeschreibung die Interessen des Kindes wahrzunehmen haben, dessen Interessen und Willen tatsächlich vertreten können. 8.1.1
Elemente des neuen Verfahrensrechts
Der Reform gingen umfangreiche Beratungen im Bundestag (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007), im Bundesrat (BR-Drs. 309/07 10. 05. 2007) und im Rechtsausschuss des Bundestages (BT-Drs. 16/9733 23. 06. 2008) voraus. Der Rechtsausschuss hat eine Anhörung (Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags 13. 02. 2008) zum familiengerichtlichen Verfahren durchgeführt. Er hat seine Beschlussempfehlung unter wesentlicher Nichtbeachtung der Expertenanhörung vorgelegt. Diese ist vom Bundestag verabschiedet worden (BGBl 22. 12. 2008, in Kraft 01. 09. 2009). In der Expertenanhörung ist die Gesetzesvorlage lediglich von einigen Rechtsanwälten (Bergschneider 13. 02. 2008) und Richterinnen bzw. Richtern (Häußermann 13. 02. 2008) vorbehaltlos begrüßt worden. In diesen Stellungnahmen werden die Begründungen zum Gesetzentwurf grundsätzlich positiv aufgenommen. Die Mehrzahl der Sachverständigen hat die Vorlage gerade im Hinblick auf die Regelungen, für Entscheidungen zur Verteilung der elterlichen Sorge und zum Umgang gelten, kritisiert. Auch nach Verabschiedung und nach Inkrafttreten der Reform am 01. 09. 2009 sind unterschiedliche, positive wie kritische, Stellungnahmen veröffentlicht worden (Lipp, Schumann & Veit 2009, Willutzki 2009). Nach dem neuen FamFG werden alle familienrechtlichen Streitsachen vor dem zuständigen Familiengericht verhandelt, wobei das Verfahren vom Gericht geleitet wird. Es ermittelt auch dann, wenn das Verfahren nicht von Amtswegen, sondern auf
208
8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
Antrag eröffnet wird, wie es bei Fragen der Sorgeverteilung und des Umgangs in der Regel der Fall ist. Das Gericht untersucht dabei die Sachverhalte, die es für eine Entscheidung für notwendig hält und nimmt die geeignet erscheinenden Beweise auf, wobei es die Interessen der Beteiligten zu beachten hat und diese zur Mitarbeit verpflichtet sind (§§ 23ff. FamFG). Grundsätzlich folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip, dass ein wirkungsvoller Rechtsschutz im materiellrechtlichen Sinn nur dann geleistet werden kann, wenn die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen gegeben sind. Mit der Neukodifizierung sind bereits bestehende und neu entstandene Elemente, die den Beteiligten Rechtsschutz gewähren sollen, wie Förderung der gerichtlichen und außergerichtlichen Streitschlichtung, Beschleunigung von Umgangs- und Sorgerechtsverfahren, Stärkung der Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte, Durchsetzung von Umgangs- und Herausgaberegelungen, Verfahrensreduzierung durch hauptsache-unabhängigen einstweiligen Rechtsschutz, Erweiterung der Zuständigkeit des Familiengerichts unmittelbar in das Verfahrensrecht integriert worden (Wagner 2009, S. 85, 86).
8.2
Einvernehmen als Verfahrensziel
Der hohen Wertung von Einvernehmlichkeit zwischen den Eltern in Auseinandersetzungen um Sorgeverteilung und Umgang basiert auf der Vorstellung, dass dieses Einvernehmen dem Kindeswohl am besten dient. Diese Prämisse ist sowohl aus pädagogischer wie aus rechtlicher Perspektive normativ. „Eltern bleiben Eltern“ (Lederle von Eckardstein et al. 2010) ist der Titel einer 2010 in der 16. Auflage (1. Auflage 1989 412 000 Exemplare, jetzt 2 561 000 Exemplare) erschienenen Broschüre, die von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e.V. (DAJEB) herausgegeben und vom BMFSFJ unterstützt wird. Es heißt dort: „Nur wenn es Eltern gelingt, sich so zu trennen, dass sie ihrer Verantwortung als Eltern gerecht bleiben, kann die Trennung für das Kind auch eine Chance bedeuten“ (S. 3) und „Die wichtigste Hilfe, die Sie Ihrem Kind in der Trennung bieten können, besteht darin, als Vater und Mutter weiterhin verfügbar zu bleiben. … Ihr Kind hat ein Recht auf beide Eltern und es braucht beide. … Fest steht, dass Kinder dann am ehesten eine Trennung verkraften können, wenn diese Zusammenarbeit (der Eltern) gelingt“ (S. 5). „Für Ihr Kind ist es wichtig, Sie beide als Eltern zu behalten“ (S. 19).
Aus dem Bereich der Erziehungs- und Sozialwissenschaften gibt es für derartig generalisierende Aussagen keine abgesicherten empirischen Belege (Kap. 4). Rechtlich leitet sich diese Vorstellung aus einer Kindeswohlbestimmung ab, der ein naturrechtliches Verständnis von der Elternschaft beider Eltern und der die Überzeugung zugrunde liegt, dass Kinder beide Eltern stets brauchen, unabhängig davon, wie die Elternschaft konkret gelebt wird (Kap. 3.5). Gemäß § 156 FamFG (Hinwirken auf Einvernehmen) soll das Gericht in jeder Lage des Verfahrens, die die elterliche Sorge bei Trennung und Scheidung, den Auf-
8.2 Einvernehmen als Verfahrensziel
209
enthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, auf Einvernehmen der Beteiligten hinwirken, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das Gericht kann die Eltern zu einer Teilnahme an einer Beratung durch die Beratungsstellen und -dienste der Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe insbesondere zur Entwicklung eines einvernehmlichen Konzepts für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge und der elterlichen Verantwortung verpflichten (§ 156 Abs. 1 S. 4 FamFG). Diese Anordnung ist nicht selbständig anfechtbar und nicht mit Zwangsmitteln durchsetzbar. Gemäß § 81 Abs. 2 Nr. 5 FamFG kann das Gericht demjenigen die Kosten des Verfahrens auferlegen, der einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nicht nachgekommen ist (Wagner 2009, S. 87). Ingeborg Rakete-Dombeck bezeichnet die Verknüpfung von Anordnung einer Beratung und möglicher Kostennachteilen bei mangelnder Mitarbeit als „Zuckerbrot und Peitsche“. Sie führt aus: „Das Verfahren bleibt damit einigungs- und vermittlungslastig statt auf eine gerichtliche Entscheidung ausgelegt, die durch derartige Bemühungen keineswegs überflüssig wird. Eine Einigung unter Androhung einer Kostenfolge für den Fall der Nichtwahrnehmung der Beratung bedeutet eine Einigung unter Druck. Das ist insbesondere in Kindschaftssachen unangemessen“ (Rakete-Dombeck 2009, S. 97).
Rakete-Dombeck spricht von einer „Einigungsfixiertheit“ des neuen Verfahrensrechts, das überwiegend elternorientierte Lösungen anstrebt und die Interessen des Kindes nicht in den Mittelpunkt stellt. Sie problematisiert die „verschiedenen Zwänge“ mit denen Einigung nach dem Cochemer Modell durchgesetzt werden soll (Rakete-Dombeck 2009, S. 104). Flügge hält es nicht mit der Funktion des Gerichts für vereinbar, Richtern oder Richterinnen aufzugeben, einvernehmliche Lösungen durch pädagogische bzw. psychologische Interventionen zu erzwingen (Flügge 2008a, S. 1), unabhängig davon, dass sie dazu in der Regel gar nicht in der Lage sind. Bei Fragen des Einvernehmens ist zwischen der grundsätzlichen Frage des Einvernehmens über die gemeinsame elterliche Sorge, um die es hier in erster Linie geht und zwischen Einvernehmen in Umgangsangelegenheiten zu unterscheiden. Einvernehmen in Umgangsangelegenheiten kann sich in Absprachen und Regelungen ausdrücken, die sehr viel geringere Anforderungen an eine Beziehung zwischen den Eltern stellen. 8.2.1
Der Bezug auf das Cochemer Modell
Hinsichtlich des Ziels Einvernehmen herzustellen und das Verfahren beschleunigt durchzuführen bezieht sich der Gesetzentwurf ausdrücklich auf das Cochemer Modell (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 164). Auf der Webseite des Arbeitskreises „Trennung und Scheidung“ im Landkreis Cochem-Zell erscheint als Logo ein Kinderbild mit dem Titel „Cochemer Modell: Ihr seid zwar kein Paar mehr, aber Ihr bleibt immer meine Eltern“ (Cochemer Modell 2010a). Dieses Motto entspricht der Aussage „Eltern bleiben Eltern“. Nach Aussagen des Arbeitskreises führt das
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8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
Cochemer Modell in 98% der Fälle, auch in hochstreitigen Fällen und in Kinderschutzsachen, zu einvernehmlichen Lösungen und Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Salgo kritisiert, dass es zu diesem Modell lediglich Selbstdarstellungen und keine wissenschaftlichen Untersuchungen gibt (Salgo 13. 02. 2008, S. 3). Der Protagonist des Modells, der Familienrichter Jürgen Rudolph räumt selbst ein, „eine Auswertung … steht noch aus“ (Rudolph 2007, S. 57), gibt aber an, „die Nachhaltigkeit … ist sicher“ (Rudolph 2007, S. 58). Trotz mangelnder empirischer Absicherung hat dieses Modell maßgeblichen Einfluss auf das FamFG genommen, wird zunehmend in verschiedenen Familiengerichtsbezirken praktiziert und von Ländern und Kommunen gefördert (Cochemer Modell 2010b). Die Ausführungen von Willutzki verdeutlichen den normativen Charakter dieses Modells: „Die Erkenntnis, dass eine gütliche und einvernehmliche Lösung dem Kindeswohl zuträglicher ist als jede noch so gut begründete Entscheidung, die nahezu zwangsläufig immer wieder Gewinner und Verlierer hinterlässt und damit zugleich den Keim zu weiteren Auseinandersetzungen legt, ist inzwischen zur Binsenweisheit geworden. Es überrascht nicht, dass der Gesetzgeber sich bei der Umsetzung dieser beiden Ziele ausdrücklich auf die Praxis des Cochemer Modells berufen hat. Die von Cochem propagierten Ergebnisse sind unbestritten beeindruckend und haben den Gesetzgeber bewogen, Elemente der Cochemer Praxis in das neue Verfahren aufzunehmen“ (Willutzki 2009, S. 327).
Das Modell wird einer umstrittenen Grundannahme angepasst und überzeugt diejenigen, die diese Grundannahme teilen. Salgo kritisiert, dass sich das neue Verfahrensrecht offensichtlich ausschließlich auf das Cochemer Modell bezieht und nicht die Erkenntnisse der in- und ausländischen Scheidungsforschung berücksichtigt (Salgo 2009), S. 154). Er fragt, warum „alle bewährten Methoden zur Vorbereitung einer so grundlegenden Reform des gerichtlichen Verfahrens mit dem Zauberwort ,Cochemer Modell‘ außer Kraft gesetzt werden konnten. … Lässt sich der Deutsche Bundestag und dessen Rechtsausschuss etwas vormachen?! …Dass die Rechtspolitik der Bundesregierung, aber auch mancher Landesminister diesem Zauber erliegt, verwundert kaum: Schwierigkeiten, Leid, Streit um Umgang und Sorgerecht … können angeblich zum Verschwinden gebracht werden. Welcher auch um Ressourcen besorgte Rechtspolitiker wird nicht diesen (Heils)Versprechungen erliegen?“ (Salgo 2009, S. 155, 156).
8.2.2
Die Überzeugungswirkung von Einvernehmen
Die große Überzeugungswirkung von Einvernehmen wird dann deutlich, wenn man sich die Situation vor der Kindschaftsrechtsreform von 1998 vergegenwärtigt. Automatisch wurde in jedem Verfahren im Verbund über das Sorgerecht, über das Umgangsrecht und über den Unterhalt vom Gericht entschieden. Eltern und Kindern waren den Entscheidungen des Gerichts und in der Regel den vorangegangenen Einschätzungen des Jugendamts unterworfen. Martiny spricht 1988 von einer Justizialisierung (Martiny, 1988, S 328) der Familienbeziehungen, die er nicht für hilfreich hält. Für ihn wirken „gerichtliche Versuche wie beim Umgangsrecht Interaktion von
8.2 Einvernehmen als Verfahrensziel
211
Menschen näher zu regeln, … nur zu oft ebenso rigide wie hilflos“. Deshalb ist für ihn trotz des Konflikts „eine möglichst weitgehende Regulierung durch die Eltern selbst anzustreben“ (Martiny 1988, S. 327). Martiny setzt sich als Konfliktminimierung dafür ein, einen Bereich abzustecken, in denen der andere Elternteil unter dem Vorbehalt des Kindeswohls nicht eingreifen können sollte und sieht in derartigen Begrenzungen eine Chance für einen „Brückenschlag“ zwischen den Eltern. Darüber hinaus empfiehlt er Zurückhaltung bei der Rechtsausübung und setzt auf die Einigungsfähigkeit der Eltern und die von ihnen vorgelegten Regelungsvorschläge zur elterlichen Sorge, zum Umgang und zum Unterhalt. Zugleich führt er aus, dass die Rechtsausübung immer dann, wenn „die Privatsphäre oder die Lebensgestaltung“ eines Elternteils, in der Regel des versorgenden Elternteils berührt wird, die Rechtsausübung noch „größeren Beschränkungen als sonst“ unterliegt. Für ihn muss z. B. ein Auswanderungsverbot stets scheitern (Martiny 1988, S. 328). Die Forderung nach Einvernehmen zwischen den Eltern hat sich als Gegenvorstellung zu einem üblichen eher rigiden richterliches Eingreifen in die private Lebensgestaltung von Scheidungseltern entwickelt. Elterliche Autonomie sollte auch nach einer Trennung und Scheidung weitgehend erhalten bleiben. Diese Vorstellung von Einvernehmen und Einigungsfähigkeit hat einen grundsätzlich anderen Charakter als die, die sich im Cochemer Modell und in den Vorschriften des FamFG widerspiegelt. Es geht um die Behauptung elterlicher Eigenständigkeit gegenüber einer eingreifenden Familiengerichtsbarkeit und nicht um eine Verpflichtung, die der Umsetzung eines bestimmten Sorgerechtsmodells dient. Begriffe wie Einvernehmen assoziieren Konfliktfreiheit und Verständigung und haben zunächst im Alltagsverständnis ein hohes Maß an Attraktivität. Inwieweit sie jedoch Leitbild im Verfahrensrecht sein können, ist vor dem Hintergrund der Funktion, die sie im Kontext der Rechtsregelungen zu erfüllen haben, in Frage zu stellen. 8.2.3
Die Problematik des Einvernehmens in hochstreitigen, Gewalt belasteten Fällen
Die Kritik am Gebot Einvernehmen herzustellen, bezieht sich in erster Linie auf hochstreitige, Gewalt belastete Fälle. Salgo führt aus, dass bei Gewaltstrukturen in Paarbeziehungen oder gegenüber dem Kind eine derartige Einigung nicht nur nicht erzwungen werden kann, sondern auch nicht im Interesse des Kindes oder des schwächeren Partners, in der Regel der Mutter liegt. Das generelle Gebot, Einvernehmen herzustellen, stehe vielmehr dann einem wirksamen Gewaltschutz entgegen, wenn nicht bei allen auf Konfliktschlichtung und Einvernehmen zielenden Maßnahmen eine von Amts wegen durchzuführende Prüfung vorausgeht, ob häusliche Gewalt vorliegt (Salgo 13. 02. 2008, S. 22). Die Einschränkung, dass ein Hinwirken auf Einvernehmen dann unterbleiben soll, wenn dies dem Kindeswohl widerspricht (§ 156 Abs. 1 Satz 1 FamFG), wird nicht für ausreichend gehalten, eine mögliche Gewaltproblematik angemessen zu klären. Salgo problematisiert die Aussage
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8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
des Gesetzgebers, dass der Überzeugung, Einvernehmen prozessual durchsetzen zu können, „Erkenntnisse der Rechtsprechung und der Wissenschaft“ (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 164) zugrunde liegen. Es fehle jeder Hinweis darauf, um welche Erkenntnisse es sich handeln könnte, es gebe lediglich den Hinweis auf das „Cochemer Modell“, das eben wissenschaftlich nicht hinreichend und neutral evaluiert sei. Die Erklärung, Einigung sei in nahezu allen Fällen möglich, habe offensichtlich genügt. Generell hält er dem Gesetzentwurf, der weitgehend zum Gesetz geworden ist, vor, sozial- und humanwissenschaftliche Forschungsergebnisse nicht berücksichtigt zu haben. Er spricht von „Einvernehmen um jeden Preis“ und gibt zu bedenken, dass, selbst wenn alle auf Einvernehmen zielende Anstrengungen zu begrüßen seien, es Fallkonstellationen gäbe, in denen „die Wahrung des Kindeswohls und Sicherheitsfragen im Vordergrund stehen müssen“ (Salgo 13. 02. 2008, S. 4). In der Stellungnahme des Juristinnenbundes wird darauf hingewiesen, dass von häuslicher Gewalt betroffene Elternteile bei gemeinsamen Gesprächsterminen überhaupt nicht in der Lage sind, sich gleichberechtigt mit dem anderen Elternteil auseinanderzusetzen. Betont wird generell die Notwendigkeit, Einvernehmen nicht verordnen zu wollen, sondern die Erörterungen „ergebnisoffen“ (Deutscher Juristinnenbund 13. 02. 2008, zu § 156 FamFG) zu führen. Auch die Kritik von Sibylla Flügge (Flügge 13. 02. 2008) bezieht sich vor allem auf eine Unterschätzung der Gefährdungspotentiale, die in vorschnellen einvernehmlichen Lösungen liegen kann. Sie schreibt, dass „der Zwang zur Einigung“ gerade in der Trennungsphase, einer Phase „höchster Aggressivität“ auch Streit verschärfend wirken kann und die Gefährdung im Falle gewaltgeprägter Beziehungen erhöht (Flügge 13. 02. 2008, S. 2). Lena Stadler belegt in ihrer Studie „Ex-Partner-Stalking im Kontext familienrechtlicher Auseinandersetzungen“ (Stadler 2009), dass Mütter (aufgezeigt wird, dass weitgehend überwiegend Frauen Stalkingopfer sind) und über die Mütter auch die Kinder durch Stalking ihrer Ex-Partner in ihrer psychischen und sozialen Gesundheit erheblich beeinträchtigt werden (Stadler 2009, S. 23). Sie sieht Stalking in einem engen Zusammenhang mit häuslicher Gewalt (Stadler 2009, S. 41) und bezeichnet Kinder als „sekundäre Stalkingopfer“ (Stadler 2009, S. 43). „Die Kinder werden sowohl indirekt (z. B. über die Belastungen der Mütter) als auch direkt (über Manipulationen, Ausfragen) in das Stalking miteinbezogen … und auf das vielfältigste in ihrem Lebensalltag beschnitten … Der Blick für Kinder als Mitbetroffene muss geschärft werden“ (Stadler 2009, S. 416).
Einvernehmen in Stalkingfällen herstellen zu wollen, dürfe ähnlich problematisch sein wie in Fällen unmittelbarer Gewalt, wobei, wie Stadler zeigt, Stalking und Gewalt in einem engen Zusammenhang stehen. Stalking muss nicht mit unmittelbarer Gewalt verbunden sein, geht dieser aber häufig voraus. (Stadler 2009, S. 41). Für sorge- und umgangsrechtliche Erwägungen gehört Stalking nach Lena Stadler in den Bereich der hochstreitigen, konfliktbehafteten elterlichen Auseinandersetzungen. Gegebenfalls können im Interesse der Kinder vergleichbare Maßnahmen wie
8.2 Einvernehmen als Verfahrensziel
213
Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf den betreuenden Elternteil und/ oder Umgangseinschränkungen oder Umgangsausschlüsse angemessene Maßnahmen sein. 8.2.4
Einvernehmen in nicht von Gewalt gezeichneten Beziehungen
Nach der Regelungsstruktur der elterlichen Sorge wird Einvernehmen stets dann konkludent vorausgesetzt, wenn kein Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge gestellt wird, die gemeinsame elterliche Sorge also auch nach Trennung und Scheidung bestehen bleibt (Kap. 5). In prozentual wenigen Fällen, in denen ein Antrag gestellt wird, kann auf Bestand der gemeinsamen elterlichen Sorge entschieden werden oder sie wird in der Mehrzahl der Fälle auf die Mutter übertragen (Kap. 4.4, Tab. 6) Wenn ein Antrag auf Alleinsorge gestellt wird, ist davon auszugehen, dass auch bei Beziehungen, die nicht von Gewalt gezeichnet sind, die Kommunikationsstruktur soweit belastet oder das Konfliktpotential so hoch ist, dass ein Elternteil den Austausch über Fragen der elterlichen Sorge mit dem anderen Elternteil meiden will. Ob Einvernehmen auch in den Fällen, in denen keine Gewaltstrukturen herrschen und keine Kindeswohlgefährdungen zu verzeichnen sind, das geeignete Mittel ist, Kinderinteressen zu entsprechen, wird nicht problematisiert. Wenn Eltern auch in erheblichen Konfliktsituationen einvernehmliche Regelungen finden, ist das für sie sinnvoll, soweit sie diese mit ihren Kindern abgesprochen haben. Die im FamFG vorgesehene erweiterte Möglichkeit des gerichtlich gebilligten Vergleichs nach § 156 Abs. 2, der ggf. auch von der Zustimmung des Kindes abhängig gemacht werden sollte (Wagner 2009, S. 88), bietet dafür eine Lösung an. Das Gericht hat einen Vergleich zu billigen, soweit dieser dem Kindeswohl nicht widerspricht. Möglich sind aber auch Fallkonstruktionen, in denen der betreuende Elternteil, in der Regel die Mutter, zunächst die neue Familie nach seinen bzw. ihren Möglichkeiten soweit neu gestalten und festigen will, dass das Ziel des Einvernehmens mit dem alten Partner und Kindesvater vor dem Ziel eine neue, veränderte familiale und emotionale Stabilität für die Kinder und für sich zu schaffen, zurücktritt. Wie es den Kindern nach einer Trennung geht, wie sie mit dieser nichtnormativen Krise umgehen, hängt im Wesentlichen vom Vermögen des betreuenden Elternteils ab die neue Familie zu gestalten, die persönlichen Beziehungen den neuen Gegebenheiten anzupassen und nicht von einer verordneten Einigung beider Eltern (Kap. 4). Mit Verweis auf die Scheidungsforschung weist Kerima Kostka darauf hin, „dass für die Anpassung des Kindes weniger der Kontakt zum nicht betreuenden Elternteil von Bedeutung ist als vielmehr eine konfliktfreie Atmosphäre, die Stabilität und Qualität der Beziehung zum betreuenden Elternteil und dessen Ausübung der Elternrolle sowie – auch sozioökonomisches – Wohlergehen“ (Kostka 2008, S. 163).
Streit über die Ausübung der elterlichen Sorge oder über den Umgang kann den für die Alltagsgestaltung verantwortlichen Elternteil soweit belasten, dass ihm die Übernahme der neuen Elternrolle, die Gestaltung des neuen Familiensystems schwerer
214
8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
möglich wird. Ob ein Einigungsdruck hier nicht eher kontraproduktiv ist, weil er über den betreuenden Elternteil auch die Alltagsatmosphäre der Kinder berührt, wird nicht diskutiert. In diesem Zusammenhang könnte eine salutogenetisch orientierte erziehungswissenschaftliche Forschung über Bedingungen sich neu konstituierender Familienzusammenhänge oder Systeme nach Veränderungen oder Krisensituationen hilfreich sein. Gerichtliche Entscheidungen, die sich an Kindesinteressen und der Stabilisierung seiner veränderten Lebenswirklichkeit orientieren, könnten möglicherweise besser dazu beitragen, neue Realitäten zu schaffen oder zu festigen als ein elternorientierter Einigungszwang. Die Unterteilung der Trennungssorge in Sorge in alltäglichen Angelegenheiten und in Sorge in Angelegenheiten von besonderer Bedeutung, die eine gemeinsame elterliche Sorge überhaupt erst praktisch lebbar macht, führt, wenn nicht eine bewusst gewollte hohe Verständigungsmöglichkeit und Bereitschaft zwischen beiden Elternteilen vorliegt und günstige Rahmenbedingungen vorhanden sind, zu veränderten persönlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Eltern und ihren Kindern. Der familienferne Elternteil ist für das neue Familiensystem mit seinen alltäglichen Strukturen, seiner spezifischen Intimität und Emotionalität eben nicht von gleicher Bedeutung wie der Elternteil, der gemeinsam mit seinen Kindern lebt. Möglicherweise lebt der familienferne Elternteil bereits in einem neuen Familiensystem oder baut es auf. Bei unterschiedlicher Anteilnahme am Leben der Kinder von einer gleichen Interessensgewichtung beider Eltern auszugehen heißt, die Leistungen des Elternteils, der für den Alltag der neuen Familie verantwortlich ist, zu unterschätzen. Der Elternteil, bei dem das Kind lebt, also in der Regel die Mutter, befindet sich soweit in einer primären Verantwortungsposition als er der neuen Familie eine Gestalt zu geben hat. Diese Mutter oder in der Minderheit der Fälle dieser Vater ist es, der bzw. dem bei einem Einigungszwang die größere Anpassungsleistung abverlangt wird. Die Ausgestaltung eines neuen gemeinsamen Lebens mit dem Kind an die Maßgabe der Einigung mit dem anderen, dem familienfernen Elternteil zu binden, kann eine erhebliche Belastung für die Konstituierung der neuen Familie darstellen. 8.2.5
Einvernehmen und das Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge
Mit der verfahrensrechtlichen Zielsetzung Einvernehmen herzustellen, ist eine gute Trennung oder Scheidung eine einvernehmliche. „In diesem neuen tonangebenden Modell erweisen sich diejenigen geschiedenen Eltern als „gute“ Eltern, denen es gelingt, nach dem Scheitern als Ehe-Paar die Rolle des „Eltern-Paares“ einzunehmen (Barone 2008, S. 22). Barone problematisiert mit Irene Thery, dass damit die Konflikte einer Beziehung, die zum Scheitern geführt und nach dem Scheitern grundsätzlich auch bestehen bleiben, negiert werden. Die Behauptung, eine Trennung zwischen Paar- und Elternebene sei möglich, verleugne die Realität „der unvermeidbaren, komplexen und sehr mächtigen Zusammenhänge zwischen zwei angeblich ungleichartigen Welten von ,Paar-Ebene‘ und ,Eltern-Ebene‘“ (Irene Thery nach Ba-
8.2 Einvernehmen als Verfahrensziel
215
rone 2008, S. 22). Barone weist darauf hin, dass im verordneten Einvernehmen derjenige sich zu beugen hat, der die Konflikte austragen will (Barone 2008, S. 20) und Ansprüche stellt, wie z. B. zunächst eine belastende Kommunikation mit dem anderen Elternteil, dem ehemaligen Partner meiden zu wollen, um Kraft für die neue Familienkonstellation zu gewinnen. Wenn tatsächlich Kinderinteressen und nicht Rechtsansprüche des nicht betreuenden, familienfernen Elternteils im Mittelpunkt stünden, würden sich gerichtliche Entscheidungen auf die Zukunft und die Stabilisierung der neuen Beziehungsstrukturen und Gegebenheiten richten. Einvernehmen wäre dann ein abgeleitetes Ziel, nicht Selbstzweck, wie es in den Formulierungen erscheint. Die Voraussetzungen von Einvernehmen werden nicht diskutiert. Eine ergebnisoffene Zieldiskussion ist ebenso wenig möglich, solange es darum geht, ein bestimmtes Leitbild durchzusetzen. Das Verfahren ist dem Leitbild verpflichtet. Die Rechtsanwältin Rakete-Dombek sieht in der verordneten Kooperation einen massiven Eingriff in das Elternrecht, „der das ,Wächteramt‘ des Staates deutlich überspannen dürfte“ (Rakete-Dombeck 13. 02. 2008, S. 4). Zugleich befürchtet sie, dass der „Einigungszwang“ und die ihn begleitenden rigiden Sanktionsmaßnahmen (Kostenfolgen, Ordnungsgeld) dem Prinzip der Freiwilligkeit entgegen stehen und Einigkeit „um welchen Preis auch immer“ als einzig wünschenswertes Ziel betrachtet wird. Auch Coester schränkt ein, dass „die Familiengerichte keine Erziehungsfunktion gegenüber kooperationsunwilligen Eltern (haben), die vermittelnde Einwirkung auf die Eltern und die sozialrechtlichen Hilfsansätze nicht zu massiver Druckausübung ausarten (dürfen) …: Wie das Elternrecht durch unbegründete Beendigung des gemeinsamen Sorgerechts verletzt werden kann so umgekehrt auch durch Zwang zur Sorgegemeinschaft, wo deren Funktionsbedingungen fehlen … Dass hier auch für das Kind nichts Gutes zu erwarten ist, liegt auf der Hand“ (Staudinger/ Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn. 118).
Coester zeigt eine Grenze gerichtlichen oder sozialstaatlichen Einigungsbemühens auf, ohne jedoch das Leitbild in Frage zu stellen. Unklar ist, wie mit denjenigen verfahren werden soll, die sich den Einigungsbemühungen widersetzen, welche gesellschaftlichen Ausgrenzungen sie zu erwarten haben, wenn sie Hilfen ablehnen. Befürwortern des Einvernehmens gehen die verfahrensrechtlichen Regelungen nicht weit genug. Sie fordern, Einvernehmen auch materiellrechtlich zu verankern. Tilo Wend fordert z. B. den Eltern in einer BGB-Bestimmung aufzuerlegen, „einvernehmlich eine Konzeption für die Ausübung der elterlichen Sorge zu erarbeiten“ (Wend 2009, S. 192). Zugleich schlägt er vor, den Beratungsanspruch im SGB VIII um einen Anspruch auf Familienmediation zu ergänzen. Recht würde damit materiellrechtlich an ein ideologisches Leitbild über Kinderinteressen und Elternschaft ausgerichtet werden (Kostka 2004, S. 103). Das individuelle generative Verhältnis ändert sich in der Regel mit einer Trennung, die persönlichen Beziehungen werden neu gestaltet. Über das Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge und einen verordneten Einigungszwang an einer ge-
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8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
nerationalen Ordnung festzuhalten, die die Rechtspositionen beider Eltern auch im Trennungsfall als grundsätzlich gleichberechtigt wertet und dies mit einem Verständnis von Kindeswohl legitimiert, nach dem Kinder stets beide Eltern brauchen, läuft darauf hinaus, einem Familienbild Vorschub zu leisten, das an Unauflösbarkeitsvorstellungen anknüpft. Barone fragt, ob damit nicht „das Dogma von der Unauflösbarkeit, diesmal nicht der Ehe, sondern der Familie“ (Barone 2008, S. 22) wiederkehrt.
8.3
Die Rechte des Kindes bzw. des Jugendlichen im Verfahren
Das zweite große Ziel der Reform ist die „Verstärkung der Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte betroffener Kinder“ (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007 S.164). Folgende Maßnahmen sollen diesem Ziel unmittelbar dienen: Die Regelungen über die persönliche Anhörung des Kindes, die Neuregelung der Verfahrensfähigkeit, die Neuregelung über den Verfahrensbeistand als Interessenvertretung des Kindes. Allen gerichtlichen Entscheidungen in Angelegenheiten der elterlichen Sorge dürfen nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen die Beteiligten sich hinreichend äußern konnten (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1626 BGB 2008, Rn. 40). § 37 FamFG steht für diesen Grundsatz. Das Gericht entscheidet nach seiner freien Überzeugung (§ 37 I FamFG) und darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten einschränkt, nur auf Tatsachen und Beweise stützen, zu denen sich dieser Beteiligte äußern konnte (§ 37 II FamFG). Insofern sind Anhörungen und die Art und Weise, wie sie durchgeführt werden, für die Beteiligten von großer Bedeutung. Die Beteiligten, zu denen die Kinder und Jugendlichen, die Eltern, und auch das Jugendamt gehören (§ 7 FamFG), sind stets persönlich anzuhören. Im Rahmen der Elternanhörung wird problematisiert, dass nicht ausdrücklich auf Antrag eine getrennte Anhörung der Eltern möglich ist (Flügge 13. 02. 2008, S. 3). Dies wäre besonders im Vermittlungsverfahren angezeigt (§ 165 FamFG), das immer dann zum Tragen kommt, wenn ein Elternteil die Durchführung einer gerichtlichen Entscheidung oder eines gerichtlich gebilligten Vergleichs über den Umgang mit dem Kind vereitelt oder erschwert. Für Nothhafft ist eine getrennte Anhörung gerade in hochkonflikthaften Situationen notwendig, weil unter möglichem Einfluss von Gewalterfahrungen Frauen in Gegenwart des ehemaligen Partners sich nicht frei äußern können oder wollen (Nothhafft, Deutsches Jugendinstitut 13. 02. 2008, S. 15). 8.3.1
Die persönliche Anhörung des Kindes bzw. Jugendlichen
Die Regelung über die persönliche Anhörung des Kindes (§ 159 FamFG) ist im Wesentlichen gleich geblieben. Ein Kind ist erst ab Vollendung des 14. Lebensjahres
8.3 Die Rechte des Kindes bzw. des Jugendlichen im Verfahren
217
verpflichtend anzuhören, jüngere Kinder nach Maßgabe der Einschätzung der Erforderlichkeit durch das Gericht (§ 159 Abs. 2 FamFG). Dabei hat das BVerfG insoweit Maßstäbe gesetzt, als eine mangelnde Anhörung von jüngeren Kindern zu Verfahrensfehlern führen kann (BVerfG 26.09.2006). Bei Umgangsentscheidungen heißt es, sei es notwendig, den Kindeswillen „durch eine Anhörung des im Entscheidungszeitpunkt fast drei Jahre alten Kindes … zumindest aber durch einen dem Kind … bestellten Verfahrenspfleger in Erfahrung (zu) bringen“ (BVerfG 26. 09. 2006, Rn. 24).
Das Kind ist regelmäßig über das Verfahren und über die Entscheidungen zu informieren, soweit keine Nachteile für das Kind zu befürchten sind. Ihm ist dabei Gelegenheit zur Äußerung gegeben (§ 159 Abs. 4 FamFG); nach der Neufassung der Norm ohne Altersbeschränkung. Nothhafft kritisiert, dass nicht vorgesehen ist, das Kind im Vermittlungsverfahren anzuhören (Nothhafft, Deutsches Jugendinstitut 13. 02. 2008). Für sie wird mit der Durchführung eines Vermittlungsverfahrens deutlich, dass die Eltern zu keiner einvernehmlichen Lösung finden konnten. Ihnen soll verdeutlicht werden, welche „Folgen das Ausbleiben des Umgangs für das Wohl des Kindes haben kann“ (§ 165 III FamFG), wobei das Kind eben nicht anzuhören ist. Als mögliche Folge für die Eltern, d. h. für denjenigen, der den Umgang behindert, soll auf Ordnungsmittel oder Maßnahmen in Bezug auf die elterliche Sorge (§ 165 V FamFG) hingewiesen werden. 8.3.2
Die Neuregelung der Verfahrensfähigkeit
Neu geregelt ist im FamFG die Verfahrensfähigkeit von Kindern bzw. Jugendlichen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, soweit sie nach bürgerlichem Recht ein ihnen zustehendes Recht geltend machen können (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Mit dieser Einschränkung erfolgt eine Bindung an die Rechte, die im BGB Kindern und Jugendlichen als subjektive Rechte gewährt werden. Dazu gehört insbesondere das Widerspruchsrecht des Kindes nach § 1671 Abs. 2 BGB. Über das Widerspruchsrecht hinaus besteht jedoch nach § 1671 BGB „kein subjektives Recht des Kindes auf eine bestimmte Gestaltung der elterlichen Sorge oder eines Teils davon, etwa des Aufenthaltsbestimmungsrechts, was sich schon daraus ergibt, dass der Gesetzgeber entgegen mancher Forderungen dem Kind im Rahmen des § 1671 BGB kein eigenes Antragsrecht zugebilligt hat“ (Heiter 2009, S. 87).
Das über 14-jährige Kind ist damit in diesen Fragen nicht verfahrensfähig, kann also keine diesbezüglichen Anträge selbständig beim Familiengericht stellen. Schael kritisiert, dass das FamFG „nicht einmal soweit (geht), Minderjährigen ab Vollendung des 14. Lebensjahres generell für alle ihre Person betreffenden Verfahren, die … Verfahrensfähigkeit zuzuerkennen“ (Schael 2009, S. 267).
218
8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
Weil auch die materiellrechtliche Vorschrift zum Umgang (§ 1684 BGB) kein Mitwirkungsrecht des Minderjährigen formuliert, ist das Kind auch hier nicht verfahrensfähig. Ihm steht kein selbständiges Antragsrecht z. B. über Aussetzung oder Gestaltung des Umgangs zu. Mit der Neuregelung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG hat lediglich das „Auseinanderfallen von materieller und formeller Beteiligung Minderjähriger durch das FamFG ein Ende gefunden“ (Schael 2009, S. 266). Das selbständige Beschwerderecht des über 14-jährigen Kindes in allen Angelegenheiten, die seine Person betreffen, ohne Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters hat sich im Grundsatz nicht verändert (§ 60 FamFG). 8.3.3
Die Anhörungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund des Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention
Nach Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention sichern die Vertragsstaaten Kindern zu, dass sie sich in allen sie berührenden Angelegenheiten eine eigenen Meinung bilden können, die angemessen zu berücksichtigen ist (Art. 12 Abs. 1 UN-KRK). Es soll ihnen in allen sie berührenden Gerichts- und Verwaltungsverfahren unmittelbar oder über einen Vertreter Gelegenheit zu rechtlichem Gehör gegeben werden. Mit Verweis auf Salgo, der in Art. 12 UN-KRK einen Grundsatz von „fundamentaler Bedeutung“ sieht, führt Kostka aus, dass es bei der Sichtweise, den Willensäußerungen des Kindes eine zentrale Bedeutung zukommen zu lassen, nicht um sein Recht zur Selbstbestimmung geht, sondern zunächst darum, in die Entscheidungsprozesse mit einbezogen zu werden (Kostka 2004, S. 54). Festzustellen ist, dass Kindern und Jugendlichen mit der FamFG Reform entgegen der Aussage der Ministerin keine weiter selbständigen Rechte im Verfahren gewährt werden. Tatsächlich haben sich die Anhörungsmöglichkeiten für Scheidungskinder gegenüber der Rechtslage vor dem Kindschaftsrechtsreformgesetz von 1998 verringert, nämlich dadurch, dass sie nicht mehr wie im Verbundverfahren – quasi automatisch – zur Verteilung der elterlichen Sorge angehört werden. Wenn kein Elternteil einen Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge stellt, kommt es nicht zu einem Verfahren, das den Kindern oder Jugendlichen rechtliches Gehör bieten könnte (Kostka 2004, S. 94ff.). Kinder und Jugendliche haben in diesen Fällen in der für sie wichtigen Angelegenheit keine Möglichkeit, Anträge zu stellen und ihre eigene Meinung zu äußern, weil es gar kein Verfahren gibt. Sie haben weder in Sorgerechts- noch in Umgangsrechtsangelegenheiten ein selbständiges Recht Anträge zustellen und sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Insofern bleibt festzustellen, dass die Rechte von Kindern und Jugendlichen im familiengerichtlichen Verfahren nach wie vor eingeschränkt sind. 8.3.4
Die Neuregelung des Verfahrensbeistands
Das Rechtsinstitut des Verfahrenspflegers, auch Anwalt des Kindes genannt, wurde im neuen Verfahrensrecht zum Verfahrensbeistand ausgebaut. Zur Verfahrenspfleg-
8.3 Die Rechte des Kindes bzw. des Jugendlichen im Verfahren
219
schaft gibt es umfangreiche Literatur, insbesondere Salgo hat die Grundsätze des Rechtsinstituts dargelegt und sieht es im Zusammenhang mit der Vertretung des Kindes nach Art. 12 UN-KRK (Salgo 2002). Salgo schätzt die Verfahrenspflegschaft insgesamt als positiv ein. Trotz einiger Abstriche „konnte von der Verfahrenspflegschaft als einer Erfolgsgeschichte gesprochen werden“ (Salgo 2009, S. 178). Nach § 158 I FamFG bestellt das Gericht dem minderjährigen Kind einen geeigneten Verfahrensbeistand, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Formal gibt es an einen Verfahrensbeistand auch nach dem neuen Recht keine Qualifikationsanforderungen, er muss weder eine juristische noch eine sozialarbeiterische oder psychologische Ausbildung haben, ein Umstand, der immer wieder kritisiert worden ist (Rakete-Dombeck 13. 02. 2008, S. 7), auch von Salgo, einem der wichtigsten Protagonisten dieses Rechtsinstituts im Sinne einer Interessenvertretung des Kindes (Salgo 2006). Gemäß § 158 Abs. 2 FamFG ist ein Verfahrensbeistand u. a. immer dann erforderlich, wenn das Interesse des Kindes zu denen seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht, bei Umgangsbeschränkungen und Ausschlüssen sowie bei Verfahren mit Kindeswohlgefährdungen. Veit begrüßt, dass erstmals Aufgaben und Befugnisse des Verfahrensbeistands umschrieben werden (Veit 2009, S. 196). Der Verfahrensbeistand ist Beteiligter und kann im Interesse des Kindes Rechtsmittel gegen die gerichtlichen Entscheidungen einlegen. Das Gericht kann dem Verfahrensbeistand zusätzliche Aufgaben übertragen, z. B. Gespräche mit den Eltern oder weiteren Bezugspersonen zu führen sowie am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung über den Verfahrensgegenstand mitzuwirken (§ 158 IV FamFG). Die Bestellung eines Verfahrensbeistands oder deren Aufhebung sowie die Ablehnung einer derartigen Maßnahme sind nicht selbständig anfechtbar (§ 158 V FamFG). Nothhafft kritisiert, dass der Verfahrensbeistand aktiv an der Herstellung des Einvernehmens zwischen Eltern mitwirken soll, weil daraus Rollenkonflikte zu Lasten des Kindes entstehen könnten. Sie problematisiert weiter, dass es keinen im Gesetz verankerten Kontrollmechanismus für die Arbeit des Verfahrensbeistands gibt, andere Beteiligte können keine Beschwerde einlegen (Nothhafft, Deutsches Jugendinstitut 13. 02. 2008, S. 14). Barbara Veit kritisiert grundsätzlich, dass in der Reform versäumt worden ist, eine klare, rein subjektive Interessenvertretung des Kindes zu entwickeln. Wie Nothhafft sieht sie die Gefahr von Rollenkonflikten zu Lasten des Kindes. Das objektive Kindeswohl zu ergründen, sei Aufgabe des Gerichts, der Verfahrensbeistand werde nach der bestehenden Regelung „zum Beauftragten des Gerichts“ und zu einer Person, „die den Weisungen des Gerichts unterliegt“, er gerate in eine „Zwitterstellung“. Sie hält es für notwendig, dem Verfahrenspfleger die Möglichkeit zu bieten, allein an Kindesinteressen orientiert, als Anwalt des Kindes, in stärkerer Unabhängigkeit vom Gericht zu agieren (Veit 2008, S. 479). Insbesondere bliebe es im Zusammenhang mit der zusätzlichen Aufgabe nach §158 Abs. 4 S. 3 FamFG, Gespräche mit den Eltern zu führen und ggf. auf Einvernehmen hinzuwirken,
220
8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
„unklar, ob der Verfahrensbeistand im Umfang der nach dieser Norm vom Gericht übertragenen Aufgaben nur Beauftragter des Gerichts und damit der Suche nach der kindeswohlgerechten Entscheidung verpflichtet ist, oder ob er weiter subjektiver Interessenvertreter des Kindes bleibt“ (Veit 2009, S. 199).
Mit der Bindung des Verfahrensbeistands an die gerichtliche Aufgabenübertragung, insbesondere am Einvernehmen mitzuwirken, wird das Ziel, eine unabhängige Interessenvertretung herzustellen, konterkariert. Darüber hinaus würde es eine unabhängige Interessenvertretung des Kindes erforderlich machen, dass das Kind Einfluss auf die Auswahl des Verfahrensbeistands hat, ein Umstand, der in der Literatur keine Beachtung findet. Das Kind hat, wie die anderen Beteiligten auch, kein Beschwerderecht. Die Auswahl des Verfahrensbeistands obliegt ausschließlich dem Gerichts. Die Unanfechtbarkeit soll sicherstellen, dass die Beistandsbestellung nicht den Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung abbremst (Coester 2009, S. 59). Selbst wenn, wie in Fällen von Kindeswohlgefährdung, dieses Anliegen nachvollziehbar ist, hätte eine Lösung angestrebt werden können, die es Kindern und Jugendlichen ermöglicht, Einfluss auf die Auswahl des Verfahrensbeistands zu nehmen. Wie soll ein Verfahrensbeistand die Interessen von Kindern, auch jüngeren Kindern, vertreten, wenn diese ihn nicht akzeptieren? Ausdrücklich gilt, dass der Verfahrensbeistand nicht der gesetzliche Vertreter des Kindes oder Jugendlichen ist (§ 8 Abs. 4 S. 4 FamFG). Das kann dazu führen, dass dann, wenn Kinder und Eltern Beteiligte in einem Verfahren sind, Kindern anstatt des Verfahrensbeistands ein Ergänzungspfleger (§1909 BGB) zuzuordnen ist. 8.3.5
Der Ergänzungspfleger
In einer Stellungnahme des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) zur Erforderlichkeit einer Ergänzungspflegschaft für Kinder und Jugendliche als Beteiligte in familiengerichtlichen Verfahren vom 28. 10. 2009 heißt es: „Die Möglichkeit, beim Bestehen eines Gegensatzes zwischen den Interessen des Kindes und den Interessen der Eltern … für das Kind in Kindschaftssachen (§ 158 FamFG) einen Verfahrensbeistand zu bestellen, führt nicht dazu, dass ein teilweiser Entzug der elterlichen Sorge nach den §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 BGB und das Bestellen eines Ergänzungspflegers entbehrlich ist.“
Angemerkt wird, dass „das geltende Recht … zu einem vom Gesetzgeber wohl nicht intendierten Bedeutungsverlust der Verfahrensbeistandschaft“ führen kann, in denen Minderjährige nicht verfahrensfähig sind (Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, DIJuF, 28. 10. 2009). Das OLG Stuttgart hält im Fall von Sorgerechtsentscheidungen die Bestellung eines Verfahrensbeistands für ausreichend: „1. Die Beteiligtenstellung Minderjähriger in Kindschaftssachen führt nicht pauschal zur Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers in Sorgerechtsverfahren. 2. Bei
8.3 Die Rechte des Kindes bzw. des Jugendlichen im Verfahren
221
erheblichen Interessengegensätzen zwischen Kind und vertretungsberechtigten Eltern kann die Bestellung eines Verfahrensbeistandes ein milderes Mittel zur Sicherung der Verfahrensrechte des Kindes darstellen“ (OLG Stuttgart 26. 10. 2009, Leitsatz).
Das DIJuF schlägt vor: „Der Verfahrensbeistand (sollte) zur Vertretung eines Kindes oder Jugendlichen befugt sein, für das/den er bestellt wurde. Ein Eingriff in die elterliche Sorge ist gleichwohl nicht erforderlich, wenn in § 158 FamFG eine Regelung … getroffen würde, nach der bezogen auf das Verfahren, für das er bestellt wurde, Handlungen des Verfahrensbeistands solchen der Sorgeberechtigten vorgehen“ (Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF), 28. 10. 2009).
Wie in der Rechtspraxis das Verhältnis von Verfahrensbeistand und Ergänzungspfleger gesehen wird, bleibt abzuwarten. Deutlich wird aber einmal mehr die Berechtigung der Kritik von Barbara Veit, dass es nicht gelungen ist, eine klare, subjektive Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche zu schaffen (Veit 2008). 8.3.6
Die Aufgaben des Jugendamts hinsichtlich der Interessenvertretung des Kindes
Nach dem SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) gehört gemäß § 50 I SGB VIII die Mitwirkung in den Verfahren vor den Familiengerichten zu den Aufgaben des Jugendamts. Das Jugendamt hat das Gericht bei allen Maßnahmen, die die Sorge für das Kind oder den Jugendlichen betreffen, zu unterstützen. Es soll erzieherische und soziale Gesichtspunkte zur Entwicklung des Kindes einbringen und auf Möglichkeiten von Hilfe hinweisen (§ 50 II SGB VIII). Gemäß § 162 I FamFG ist das Jugendamt in kindschaftsrechtlichen Verfahren, soweit sie die Person des Kindes betreffen, anzuhören. Ein schriftlicher Bericht ist nicht ausreichend. Dem Jugendamt sind die Entscheidungen bekannt zu machen und es kann gegen die gerichtlichen Beschlüsse Beschwerde einlegen (§ 162 III FamFG). Gemäß § 17 Abs. 3 wird die „Rechtshängigkeit von Scheidungssachen, wenn gemeinschaftliche minderjährige Kinder vorhanden sind sowie Namen und Anschriften der Parteien dem Jugendamt mit (geteilt), damit dieses die Eltern über das Leistungsangebot der Jugendhilfe nach Absatz 2 unterrichtet“.
Das Jugendamt hat also rechtlich eine starke Stellung im Verfahren. Es ist als unabhängige und selbständige Institution im kindschaftsrechtlichen Verfahren zu beteiligen. Das Gericht hat keinen Einfluss auf die personelle Auswahl oder die Art und Weise, wie das Jugendamt die ihm übertragenen Aufgaben ausführt. Gericht und Jugendamt haben unterschiedliche Aufgaben. Der „Systemzweck der Kinder- und Jugendhilfe (Schutz und Förderung des Wohles des jungen Menschen) wird dem Systemzweck der Justiz (Rechts- und Verfahrensschutz, bindende Streitentscheidung bzw. Sanktionierung) nicht untergeordnet“ (Münder, Meysen & Trenczek 2009, Vorbemerkung zu §§ 50 bis 52, Rn. 7 SGB VIII). Die Verpflichtung, das Familiengericht
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8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
zu „unterstützen“ und im Verfahren „mitzuwirken“ (§50 SGB VIII) heißt, eine eigenständige, an Kinderinteressen orientierte, fachlich legitimierte Position in das Verfahren einzubringen, nicht, das Gericht nach dessen Vorstellungen zu unterstützen (Münder 2007). Die in § 50 Abs. 1 und 2 SGB VIII festgelegten Unterstützungs- und Mitwirkungsrechte des Jugendamts ergänzen die parallelen Beratungs- und Leistungsverpflichtungen gegenüber den Familien, insbesondere die Konfliktberatung junger Menschen nach § 8 Abs. 2 und 3 SGB VIII, die Trennungs- und Scheidungsberatung nach § 17 SGB VIII sowie die Beratung und Unterstützung bei Fragen des Personensorge-, Umgangs- und Unterhaltsrechts nach § 18 SGB VIII. Diese Leistungen werden insgesamt als „integrale, sich ergänzende Bestandteile des ganzheitlichen Hilfeauftrags des Jugendamts“ (Münder, Meysen & Trenczek 2009), zu § 50 SGB VIII, Rn. 5, 6) gesehen. Gemäß § 17 Abs. 2 SGB VIII soll die Trennungs- und Scheidungsberatung Eltern „unter angemessener Beteiligung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen bei der Entwicklung eines einvernehmlichen Konzepts für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge unterstützen“. Nach § 156 Abs. 1 FamFG soll das Familiengericht auf die Dienste der Träger der freien Jugendhilfe hinweisen. Diese sollen die „Entwicklung eines einvernehmlichen Konzepts für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge“ ermöglichen. Der Hilfeauftrag in der Trennungs- und Scheidungsberatung gemäß § 17 SGB VIII beinhaltet ausdrücklich das Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorgewahrnehmung. Die Vorgabe eines konkreten Leitbildes ist einmalig im Sozialgesetzbuch VIII. Beratungs- und Hilfeangebote sind allgemein an einer Erziehung des Kindes oder des Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (§ 1 Abs. 1 BGB) und am Vorrang elterlicher Verantwortung (§ 1 Abs. 2 SGB VIII) auszurichten. In den einzelnen Normen, insbesondere in denjenigen, die konkrete Hilfe organisieren, wird die Mitwirkung von Kinder und Jugendlichen betont (z. B. § 36 SGB VIII Mitwirkung, Hilfeplan). Weitergehende inhaltliche Vorgaben werden nicht gemacht. Die Implementierung des Leitbilds gemeinsamer elterlicher Sorgewahrnehmung im Jugendhilferecht wird, trotz der Betonung der Eigenständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe gegenüber dem gerichtlichen Verfahren, in der Literatur nicht problematisiert. Der Auftrag der Jugendhilfe insgesamt und ihre Einbindung in die jeweilige kommunale Selbstverwaltung (Jugendhilfeausschuss) bietet Chancen dafür, die Interessen der Kinder unter Partizipationsgesichtspunkten wahrzunehmen und unterschiedliche, über Beratung hinausgehende Angebote für Kinder und Familien in eine sozialraumorientierte Sozialarbeit zu integrieren. So können z. B. Bürgerhäuser Gruppenarbeit für Trennungskinder mit Informationen über den Ablauf eines familiengerichtlichen Verfahrens sowie über ihre Rolle und Rechte anbieten oder Freizeiten für allein erziehende Mütter und Väter mit ihren Kindern organisieren oder auch Wochenenden für umgangsberechtigte Väter und Mütter gemeinsam mit den Kindern durchführen. Kommunen können auch Informationsschriften herausgeben, die ohne die Herausstellung eines Leitbildes allgemein verständliche und nützliche Informationen zum Kindschaftsrecht bieten, wie die Broschüre „Informationen zum
8.4 Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit, das Beschleunigungsgebot
223
Kindschaftsrecht“ der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) zeigt (Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau, ZGF, 2010). 8.3.7
Die Aufgaben des Gutachters
Der Gutachter erhält seinen konkreten Auftrag gemäß § 163 FamFG vom Gericht. Er hat „sein diagnostisches Vorgehen nicht nur mit der Absicht zu planen, die gerichtliche Fragestellung zu beantworten, sondern sollte sich in seiner Methodenauswahl davon leiten lassen, welche Hilfen sie ihm bei der Bewältigung des familiären Konfliktes und der besonderen Stützung des Kindes bieten“ (Salzgeber 2005, S. 93).
Auf Anordnung des Gerichts kann der Gutachter im Rahmen seines Gutachterauftrags ebenfalls auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken (§ 163 II FamFG). Inwieweit der Gutachter mit einem derartigen Auftrag seine Rolle in der gebotenen Neutralität wahrnehmen kann, bleibt unklar und ist aus der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Gutachter, die eigene Standards für familiengerichtliche Gutachten entwickelt haben, vertreten ein Neutralitätsgebot hinsichtlich der konkret zu entwickelnden Lösungen (Salzgeber 2005) . Rakete-Dombeck weist darauf hin, dass forensische Sachverständige im familiengerichtlichen Verfahren für derartige Einigungsbemühungen in der Regel nicht ausgebildet sind. Der Elternteil, der eine Einigung für nicht erstrebenswert oder sinnvoll hält, wird den Gutachter als befangen erleben und zu befürchten haben, dass dieser ihm Einigungsverweigerung attestiert (Rakete-Dombeck 13. 02. 2008, S. 7). Sie bezieht sich auf die Empfehlungen des Vorstands des Deutschen Familiengerichtstages, wonach ein Sachverständiger nicht mit der Herstellung von Einvernehmen, sondern mit der Erarbeitung einer kindgerechten Empfehlung zu beauftragen ist. Der vom Rechtsausschuss nach der Anhörung eingefügte Absatz 3 in § 163 FamFG bewirkt, dass eine förmliche Beweisaufnahme nach § 30 Abs 3 FamFG in Kindschaftssachen nicht dazu führt, dass das Kind als Zeuge vernommen wird. Hierdurch soll eine zusätzliche Belastung des Kindes durch Befragung als Zeuge in Anwesenheit der Eltern und anderer Beteiligter ausgeschlossen werden (MeyerSeitz, Frantzioch & Ziegler 2009, S. 254).
8.4
Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit, das Beschleunigungsgebot
Zu den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen wirksamen Rechtsschutzes gehört insbesondere die Gewährung von Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit, auch bei Streitigkeiten um das Umgangs- und Sorgerecht (BeckOK Bamberger/Roth/Veit zu § 1626 BGB 2008, Rn. 29).
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8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
Im FamFG ist dieser Grundsatz dahingehend verwirklicht, dass in Kindschaftssachen, bei Gefährdung des Kindeswohls und bei Fragen, die den Aufenthalt des Kindes und den Umgang betreffen, das Gericht die Sache in einem Termin, der spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens stattfinden soll, erörtern soll. Das Jugendamt ist anzuhören (§ 155 II FamFG). Wenn es in diesem Termin zu keiner Einigung kommt, wird mit den Beteiligten der Erlass einer einstweiligen Anordnung erörtert (§ 156 III FamFG). Wenn die Teilnahme an einer Beratung oder an einer schriftlichen Begutachtung angeordnet wird, ist der Umgang durch eine einstweilige Anordnung zu regeln (§ 156 III FamFG). Eingefügt worden ist, dass vor dem Erlass einer einstweiligen Anordnung das Kind angehört werden soll. Das Beschleunigungsgebot von Angelegenheiten, die das Kindeswohl im Sinne einer Kindeswohlgefährdung nach § 1666 und §1666a BGB berühren, wird übereinstimmend begrüßt (Salgo 13. 02. 2008, Rakete-Dombeck 13. 02. 2008). Kritisch wird das Gebot allerdings hinsichtlich der Möglichkeit gesehen, in derartig kurzer Zeit Einvernehmen sowohl hinsichtlich der Umgangsregelungen und der Regelungen über den Aufenthalt des Kindes herzustellen. Es wird geltend gemacht, dass diese Zeit zu kurz für eine ausreichende Sachverhaltserhebung sei (Rakete-Dombeck 13. 02. 2008, S. 6). Gerade bei komplexen Gefährdungslagen, insbesondere bei nicht auszuschließender Gewalt, wird es nach Auffassung von Susanne Nothhafft den Jugendämtern nicht möglich sein, eine solide Anamnese durchzuführen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten (Nothhafft, Deutsches Jugendinstitut 13. 02. 2008, S. 11). Auch wenn bei häuslicher Gewalt zeitnahe Entscheidungen nach dem Gewaltschutzgesetz den unmittelbaren Schutz der betroffenen Frauen und Kinder sicherstellen können, reicht nach Nothhafft unter Bezug auf Erfahrungen von Frauenhäusern die Zeit nicht aus, die Möglichkeit von Gewalterfahrungen auszuschließen oder die Auswirkungen von häuslicher Gewalt auf Umgangs- bzw. Aufenthaltsregelungen abzuklären. Für Angelika Nake vom Deutschen Juristinnenbund stellt sich ebenfalls die Frage, ob häusliche Gewalt innerhalb dieser kurzen Frist für das Gericht oder für andere Beteiligte immer erkennbar ist. Sie verweist insbesondere auf psychische Misshandlungen, die ebenso belastend sein können, jedoch noch schwerer feststellbar sind (Nake, Deutscher Juristinnenbund 13. 02. 2008, S. 12). Ingeborg Rakete-Dombeck problematisiert den Erörterungscharakter dieses ersten Termins, für sie stehen sinnvolle und eingehende Beratung einer Beschleunigung oft entgegen. Derartig eingehende Beratungen bedürfen für sie als Grundlage Berichte, eben hinreichende Sachverhaltsermittlungen. Nach der neuen Verfahrensordnung sollen die Gerichte ungelernte Sozialarbeit leisten und lediglich aufgrund von Anhörungen Einvernehmen herstellen oder Entscheidungen treffen. Für Rakete-Dombeck erfüllen die neuen, an Mediationsverfahren angelehnten Modelle nicht die Erwartungen der Bevölkerung auf eine möglichst zügige gerichtliche Entscheidung des Konflikts. Die Erfahrungen von Eltern, die möglicherweise bereits Beratungen und Mediationen hinter sich haben und nun vom Gericht erneut in eine Beratung/Mediation „abgeschoben“ werden, seien frustrierend (Rakete-Dombeck 13. 02. 2008, S. 6).
8.5 Das Eilverfahren
225
Sibylla Flügge stellt fest, dass gerade in der Zeit kurz nach der Trennung Aggressivität, Trauer, Enttäuschung besonders groß seien und diese heftigen Emotionen einem vielleicht zukünftig möglichen Einvernehmen zunächst entgegenstehen. Sie stellt fest: „Warum mit einer schnellen Terminierung, wie es in der Begründung heißt, eine Eskalierung des Elternkonflikts vermieden werden kann, erschließt sich weder vor dem Hintergrund psychologischer Forschung noch auf der Basis alltäglicher Lebenserfahrung“ (Flügge 13. 02. 2008, S. 4).
Problematisiert wird von den vorgenannten Autoren und Autorinnen übereinstimmend, dass gerade bei Umgangsregelungen keine Notwendigkeit für das rigide Beschleunigungsgebot besteht. Salgo arbeitet unter Bezug auf die Scheidungsforschung heraus, dass die Untersuchungen weitgehend übereinstimmend davon ausgehen, dass nicht die Häufigkeit, sondern die Qualität des Umgangs für die kindliche Entwicklung entscheidend sei, was auch von Väterforschern wie Fthenakis (Fthenakis, Reichert-Garschhammer 2008) bestätigt worden ist. Umgangsunterbrechungen in Krisensituationen oder in einer Zeit notwendiger Abklärungen müssten keineswegs zu Belastungen der Kinder führen. Für Salgo ist das Hauptanliegen der Reform „Umgang um jeden Preis“ zu ermöglichen (Salgo 13. 02. 2008, S. 4). 8.5
Das Eilverfahren
Umstritten sind die Regelungen zur einstweiligen Anordnung (§§ 49ff. FamFG) hinsichtlich von Entscheidungen bei Kindeswohlgefährdung. Die Möglichkeit eines selbständigen Eilverfahrens jedoch wird hinsichtlich des Umgangs besonders kritisch gesehen, weil es hinsichtlich der Umgangsregelung keine Anfechtungsmöglichkeit gibt und Entscheidungen in unmittelbarer Krisensituation bei fehlendem Einvernehmen der Eltern getroffen werden. Im Entwurf war ein Anfechtungsrecht desjenigen Elternteils vorgesehen, dessen Umgangsrecht ausgeschlossen wird. Nach einer Kritik an dieser Regelung und der Forderung nach einem Beschwerderecht auch für den das Kind versorgenden Elternteil (Flügge 13. 02. 2008, S. 7) sieht nunmehr das FamFG keine Beschwerdemöglichkeit in Umgangssachen für beide Eltern vor (§ 57 FamFG). Das heißt, noch in der unmittelbaren Trennungsphase, die eben häufig hochgradig konfliktbehaftet ist, werden Umgangsregelungen geschaffen, die nicht anfechtbar sind und bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren gelten. Wenn ein Antrag auf Durchführung eines Hauptsacheverfahren gestellt wird, kann das Gericht eine Frist setzen, vor deren Ablauf der Antrag unzulässig ist (§ 52 II FamFG). Die Frist darf drei Monate nicht überschreiten. Für diese Zeit und für den Zeitraum zwischen Antragstellung und Terminierung des Hauptsacheverfahrens, der mehrere Monate betragen kann, liegt dann eine Umgangsregelung fest. Die Vorschriften führen dazu, dass in Krisensituationen der Trennung Kindern und dem betreuenden Elternteil die als üblich geltenden Umgangsregelungen von z. B. zwei
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8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
vollen Wochenenden im Monat mit Übernachtungen (Büte 2005) vorgeschrieben werden können, ohne dass bei einer derartig kurzzeitigen Entscheidung eine Möglichkeit besteht, Gefährdungsrisiken auszuschließen. Möglicherweise wäre es gerade in hoch belasteten Trennungssituationen eher im Interesse des Kindes, der neuen Familie Zeit zu geben, sich erst einmal selbst zu finden, selbst dann, wenn kein Gefährdungsrisiko vorliegt. Die Vorstellung des Gesetzgebers, dass „nur eine sofortige Regelung des Umgangs die Gefahr einer für das Kindeswohl abträglichen Unterbrechung von Umgangskontakten zwischen dem Kind und dem nicht betreuenden Elternteil“ (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007) vermeidet, lässt sich durch sozialwissenschaftliche Forschungen nicht belegen (Nothhafft, Deutsches Jugendinstitut 13. 02. 2008, Walper 2003). Salgo führt unter Verweis auf die Scheidungsforschung aus, dass Umgang lange nicht die Bedeutung hat, die ihm vom Gesetzgeber und Gerichten beigemessen wird. Mit Hinweis auf Walper (2003) hält er die Aussetzung von Umgang nicht nur bei häuslicher Gewalt, sondern auch in anderen Fallkonstellationen, in denen Eltern ihre Konflikte ungehemmt austragen, für notwendig (Salgo 13. 02. 2008, S. 10). Nothhafft weist darauf hin, dass Konflikte zwischen den Eltern, gerade wenn sie heftig ausgetragen werden und mit Gewalt verbunden sind, stets die Kinder beeinträchtigen. „Kinder sind deshalb nie nur Zeugen häuslicher Gewalt, sondern immer auch Opfer“ (Nothhafft, Deutsches Jugendinstitut 13. 02. 2008, S. 9). Sie bezieht sich auf zwei Studien des BMFSFJ, um auf die besonderen Gefährdungen durch Umgang gerade in der hochkritischen Trennungshase hinzuweisen. Nach der ersten Studie (BMFSFJ 2002) werden 70% der Frauen, die bereits Gewalterfahrungen hatten, während der Besuche oder der Übergabe erneut misshandelt, 58% der Kinder erlitten Gewalt während der Umgangszeit. Nach der zweiten Studie (BMFSFJ 2004) erhöht sich das Gewalt- und Tötungsrisiko für Frauen und Kinder in der Trennungsphase um das 5fache. Für sie birgt deshalb „ein nicht umfassend vorbereiteter früher erster Termin mit einer sich sofort anschließenden Einstweiligen Anordnung oder Einigung im Termin die Gefahr, bestehende dysfunktionale Strukturen und Machtgefälle zu verfestigen“ (Nothhafft, Deutsches Jugendinstitut 13. 02. 2008, S. 109).
Ob mit Beschleunigungsgrundsatz und Eilverfahren das Ziel der Reform erreicht wird, „für Kinder eine bessere Kontaktherstellung und Anbahnung zu garantieren, wenn deren Eltern sich scheiden lassen“ (Zypries 27. 06. 2008), kann unter Bezug auf die sozial- bzw. erziehungswissenschaftliche Forschung in Frage gestellt werden. 8.6
Die Durchsetzung der Entscheidung in Umgangsfragen
Laut der Bundesministerin für Justiz nützt eine „gute Entscheidung“ nur dann etwas, wenn sie „effektiv und schnell vollstreckt“ werden kann“ (Zypries 27. 06. 2008). Deshalb ist die Möglichkeit der Verhängung von Ordnungsmitteln (§ 89 FamFG), Ord-
8.6 Die Durchsetzung der Entscheidung in Umgangsfragen
227
nungsgeld bzw. Ordnungshaft neben den Zwangsmitteln (§ 90 FamFG) eingeführt worden. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Anders als Zwangsmittel dienen Ordnungsmittel nicht ausschließlich der Einwirkung auf den Willen der pflichtigen Person, sondern haben daneben Sanktionscharakter“ (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 218). Das Ordnungsgeld kann im Unterschied zum Zwangsgeld auch im Nachhinein verhängt werden. Die Ministerin gibt ein Beispiel an: „Wenn, wie es in so einer Art von Konflikten häufig vorkommt, die Mutter dem Vater das Kind am Wochenende nicht gibt und immer freitags anruft und sagt, das Kind sei leider krank“,
kann mit einem Ordnungsgeld das Verhalten im Nachhinein sanktioniert und damit auch für die Zukunft eine Verhaltensänderung erreicht werden. Deutlich wird, welche Konfliktfälle die Ministerin vor Augen hat: Die Mütter wollen den Umgang des Kindes mit dem Kindesvater vermeiden. Ob diese Mütter tatsächlich einem Häufigkeitstypus entsprechen, oder einem Bild von Umgang verweigernder Mütter, das der Realität nicht standhält, ist unklar. Jedenfalls gibt es keine sozialwissenschaftlichen Untersuchungen, die einen derartigen Häufigkeitstypus belegen könnten. Der Konflikt um Umgang wird jenseits aller Untersuchungen zum Problem des unangemessenen Verhaltens der Mütter. „Ziel ist, im Interesse des Kindes, dass das Kind mit beiden Elternteilen Kontakt hat. Deshalb ist es wichtig, dass man mit finanziellen Sanktionen dazu angehalten werden kann“ (Zypries 27. 06. 2008).
Im ursprünglichen Entwurf war in § 89 FamFG vorgesehen, dass bei Zuwiderhandlungen gegen einen Vollstreckungstitel zur Herausgabe von Personen und zur Regelung des Umgangs Ordnungsmittel in Form von Ordnungsgeld (bis zu 25 000 Euro) oder ggf. Ordnungshaft angeordnet werden soll. Diese Sollvorschrift ist nach dem Urteil des BVerfG (01. 04. 2008) in eine Kannvorschrift umgewandelt worden (Kap. 7). Aber auch die Kannvorschrift stellt die Möglichkeit erheblicher Sanktionsmaßnahmen dar. Begrüßt wird die Einführung der Ordnungsmittel, die sich in der Rede der Bundesministerin beispielhaft gegen Mütter richten, in der Stellungnahme von Bergschneider (Bergschneider 13. 02. 2008, S. 4). Er spricht von einem „wirksamen Mittel“, das der Familienrichter nun in der Hand hat. Salgo macht geltend, „dass nach derzeitigem Erkenntnisstand vieles dafür spricht, dass die Ausweitung von Zwangsmaßnahmen im Umgangskontext zusätzliche Probleme schafft statt welche zu lösen“ (Salgo 13. 02. 2008, S. 13). „Es besteht die Gefahr, dass die zahlreichen verschärften Instrumente zur Durchsetzung von Umgang im FGG-RG noch mehr Leid schaffen und eine kaum absehbare Kostenflut auslösen“ (Salgo 2009, S. 160).
Der Verpflichtete hat detailliert zu erläutern, warum er an der gerichtlichen Anordnung gehindert war. Der Elternteil, bei dem das Kind lebt, soll nach dem Willen des
228
8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
Gesetzgebers sogar den Nachweis erbringen, wie er auf das Kind eingewirkt hat, wenn das Kind dem Umgang gegenüber ablehnend gegenüber steht. „Beruft sich etwa ein Elternteil nach Zuwiderhandlung gegen eine gerichtliche Umgangsentscheidung auf den entgegenstehenden Willen des Kindes, wird ein fehlendes Vertretenmüssen nur dann anzunehmen sein, wenn er im Einzelnen darlegt, wie er auf das Kind eingewirkt hat, um das Kind zum Umgang zu bewegen“ (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 218).
Wenn sich nun die von der Bundesministerin zitierte Mutter auf den Kindeswillen berufen würde, weil vielleicht ihr 10- oder 12-jähriges Kind lieber zum Sport oder zum Kindergeburtstag will oder einfach nicht zu Papa will, weil es sich dort unwohl fühlt und Kopfschmerzen angibt, dann muss diese Mutter belegen, wie sie auf ihr Kind eingewirkt hat. Hier stellt sich die Frage, ob der Staat befugt ist, die in § 1684 II BGB festgelegte Loyalitätspflicht, d. h. die Pflicht, alles zu unterlassen, was das Verhältnis zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt, dahingehend zu erweitern, dass er verlangen kann, positiv auf das Verhältnis des Kindes zum anderen Elternteil einzuwirken. Wenn eine Mutter oder ein Vater verpflichtet wird, das Erziehungsideal der Reform, nämlich dass der Kontakt zu beiden Eltern grundsätzlich dem Kindeswohl dient, aktiv auszufüllen, kann damit ein unzulässiger Eingriff in das Elternrecht nach Art. 6 I GG des betreuenden Elternteils verbunden sein. Offensichtlich soll der betreuende Elternteil im Rahmen seiner Wohlverhaltenspflicht, die als Unterlassungspflicht formuliert ist, zu einem aktiven Erziehungsverhalten verpflichtet werden, das ihm widerstrebt. Fraglich ist, ob ein derartiges Verhalten dem betreuenden Elternteil überhaupt möglich ist und ob es nicht mit anderen Erziehungsvorstellungen wie z. B. mit denen von Authentizität konfligieren würde. Sibylla Flügge verweist auf amerikanische Studien, nach denen stets die Kinder im Verlauf der Zeit jeden Kontakt zum Vater abgebrochen haben, die gerichtlich zum Umgang gezwungen worden waren. Zwangsmaßnahmen sind für Flügge geeignet dem Kind „ein tiefes Gefühl der Machtlosigkeit zu vermitteln“ (Flügge 13. 02. 2008, S. 4). Das Verhältnis zum getrennt lebenden Elternteil, auf dessen Veranlassung Macht ausgeübt wird, wird in der Konsequenz ebenso untergraben wie das zum betreuenden Elternteil, der nicht hinreichend Schutz bieten kann. Ordnungsgeld geht zu Lasten des Kindes, jedenfalls bei geringem Einkommen, Ordnungshaft ohnehin, das Kind kommt ins Heim oder muss zum Vater, weil die Mutter im Gefängnis ist. Sibylla Flügge fordert, auf alle Zwangsmittel zur Durchsetzung des Umgangs zu verzichten. Salgo bezeichnet als Quintessenz der nationalen und internationalen Scheidungsforschung, dass nicht der Umgang selbst, sondern „seine Art und Qualität das Entscheidende (sind)“ (Salgo 2009, S. 161). Das Unterbleiben von Umgang muss nicht zu Fehlentwicklungen führen, „indes ist erwiesen, dass bei Misshandlung und Vernachlässigung, bei Konfrontation des Kindes mit häuslicher Gewalt sowie bei fortwährenden schweren Konflikten der Eltern
8.8 Beweiserhebung, Freibeweis und Strengbeweis im familiengerichtlichen Verfahren
229
untereinander der Umgang für das Kind zu schwerwiegenden Konflikten führen kann“ (Salgo 2009, S. 161).
Das Gericht kann gemäß § 90 FamFG zur Vollsteckung von Entscheidungen über die Herausgabe von Personen die Anwendung unmittelbaren Zwangs anordnen (§ 90 FamFG). § 90 II FamFG schließt wie § 33 FFG (alte Fassung) allerdings die Anwendung unmittelbaren Zwangs gegenüber dem Kind dann aus, wenn das Kind herausgegeben werden soll, um das Umgangsrecht auszuüben. Konkret heißt das, wenn es um die Herausgabe in Zusammenhang mit einer Kindeswohlgefährdung geht, darf das Kind ggf. unter Anwendung von Gewalt mitgenommen werden, was im Fall einer erheblichen Kindeswohlgefährdung bei Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes notwendig und angemessen sein kann. Um das Umgangsrecht auszuüben, darf kein unmittelbarer Zwang gegen das Kind angewendet werden.
8.7
Der Umgangspfleger
Wie bereits im Kapitel zum Umgang dargestellt, ist das im materiellen Recht (§ 1684 BGB) eingefügte Institut des Umgangspflegers hoch umstritten und stößt auf breite Ablehnung (Flügge 2008b, Salgo 2008a, Veit 2008). Dem Kind wird eine weitere Person zugeordnet, die für sein vermeintliches Wohl zu sorgen hat. Nach Salgo wird es die Aufgabe des Umgangspflegers sein, „Umgang mit fast allen Mitteln durchzusetzen“ (Salgo 2009, S. 168). Nach Veit soll der Umgangspfleger die Eltern durch die Ausübung eines gewissen Drucks bewegen nach einiger Zeit die Durchführung des Umgangs selbst zu regeln. Veit wendet ein, dass auch hier „der aus dem gemeinsamen Sorgerecht bekannte Grundsatz (gilt), dass sich Gemeinsamkeit nicht erzwingen lässt“ (Veit 2009, S. 202). Sie hält es für zweifelhaft, dass durch den Umgangspfleger das Ziel, einen konfliktfreie Umgang und Kooperation zwischen den Eltern herzustellen, erreicht werden kann (Veit 2009, S. 202). Mit dem Umgangspfleger wird dem betreuenden Elternteil ein Teil der elterlichen Sorge entzogen. Verfahrensrechtlich wirkt sich das dahingehend aus, dass der betreuende Elternteil hinsichtlich des Umgangsrechts kein Beschwerderecht hat. Gemäß § 60 FamFG könnte das über 14 Jahre alte Kind, vertreten durch einen Rechtsanwalt, selbst Beschwerde einlegen, wobei es allerdings fraglich sein dürften, ob sich Umgang gegen den Willen eines 14-jährigen Jugendlichen praktisch überhaupt durchsetzen lässt.
8.8
Beweiserhebung, Freibeweis und Strengbeweis im familiengerichtlichen Verfahren
Gemäß § 30 FamFG ist ein Strengbeweis auch in kindschaftsrechtlichen Verfahren möglich. Das bedeutet, dass wie im allgemeinen zivilrechtlichen Verfahren eine Par-
230
8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
tei, hier ein Beteiligter, die zur Begründung eines Antrags vorgetragenen Tatsachen nach den strengen Regeln der Zivilprozessordnung zu beweisen hat. Die Möglichkeit des Strengbeweises im kindschaftsrechtlichen Verfahren wird von Flügge problematisiert. Durch Anwendung der zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften zum Strengbeweis würde das Kind nach Flügge noch stärker zum Streitobjekt von Elterninteressen werden. Zwar soll im familiengerichtlichen Verfahren „Flexibilität“ (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 189) erhalten bleiben und das Gericht entscheiden, ob eine förmliche Beweisaufnahme entsprechend der Zivilprozessordnung stattfinden soll (§ 30 I FamFG). In den Fällen aber, in denen das Gericht seine Entscheidung maßgeblich auf die Feststellung einer Tatsache stützen will, die von einem Beteiligten ausdrücklich bestritten wird, soll eine förmliche Beweisaufnahme stattfinden (§ 30 III FamfG). Das Bestreiten soll substantiiert sein, der Beteiligte muss darlegen, warum er ein Freibeweisergebnis für falsch hält und es ist, um einen Strengbeweis zu erzwingen, „ein Mindestmaß an objektiv nachvollziehbarer Begründung für die Ablehnung des Freibeweisergebnisses zu fordern“ (BT-Drs. 16/6308 07. 09. 2007, S. 190). Flügge macht geltend, dass dann, wenn sich ein begründeter Verdacht einer Misshandlung vor Gericht nicht durch Zeugen oder Gutachter beweisen ließe, das Gericht im Strengbeweisverfahren gezwungen wäre, einen Antrag abzulehnen, der das Kind vor weiteren Misshandlungen schützen könnte, auch wenn die im Freibeweisverfahren gewonnenen Erkenntnisse dafür sprächen, dem Antrag stattzugeben (Flügge 13. 02. 2008, S. 2). Weiter problematisiert sie, dass der Strengbeweis in der Regel die Anwesenheit beider streitenden Parteien während der Beweisaufnahme voraussetzt. Durch eine Konfrontation mit ihrem gewalttätigen Partner könnte die Frau in unnötiger Weise gefährdet werden. Flügge fordert daher, den Strengbeweis in kindschaftsrechtlichen Verfahren auszuschließen. Salgo vertritt die Auffassung, dass die Einführung des Strengbeweises in Kindschaftssachen zu einer „massiven Streitverschärfung“ führen würde und abzulehnen sei (Salgo 13. 02. 2008, S. 25). Er schlägt stattdessen vor, den Richtern genügend Zeit einzuräumen, „damit sie in Kindschaftssachen umfassend ihrer Verpflichtung zur Ermittlung von Amts wegen“ nachkommen können. Zugleich macht er geltend, dass im Falle eines Strengbeweises die in Strafverfahren geltenden Regeln zum Opferschutz zur Anwendung kommen sollten. Auch Nothhafft hält die Einführung des Strengbeweises für nicht sinnvoll, für sie muss auch im allgemeinen Verfahrensrecht „das Kindeswohl als Strukturmerkmal Einzug finden“ (Nothhafft, Deutsches Jugendinstitut 13. 02. 2008, S. 16), der Strengbeweis würde dem zuwiderlaufen. Aufgrund dieser Kritik ist in § 163 Abs. 3 FamFG aufgenommen worden, dass eine Vernehmung des Kindes als Zeuge nicht stattfindet. Damit wird zwar dem Kind im familiengerichtlichen Verfahren die Rolle des Opferzeugen erspart, die generelle Problematik wird davon allerdings nicht berührt.
8.9 Das Kind im prozessualen Ablauf
8.9
231
Das Kind im prozessualen Ablauf
Für notwendige Anhörungen wird der Kontakt zum Richter hergestellt, der sich für seine Amtsermittlung hinreichend Zeit zu nehmen hat. Das Jugendamt muss ausführlich mit dem Kind sprechen und seine Situation eruieren, will es eine fachlich angemessene Stellungnahme abgeben. Verfahrensbeistände oder Ergänzungspfleger sollen die Interessen des Kindes umfassend vertreten, sie müssen, um seinen Willen feststellen und einschätzen zu können, das Kind erst einmal kennen lernen. Möglicherweise wird ein Gutachten erstellt, der Gutachter wird sich mit dem Kind beschäftigen und benötigt Zeit um ein den Standards entsprechendes Gutachten abgeben zu können. Wenn ein Umgangspfleger eingesetzt wird, begegnet das Kind einer weiteren Person, wenn gegebenenfalls der Umgang begleitetet soll (Kap. 8.6) ebenso. In konfliktbehafteten Fällen ist das Kind in der Trennungsphase möglicherweise Befragungen und Begleitungen mehrerer Personen ausgesetzt, die sein Wohl und seinen Willen erkunden wollen und sollen und sein Vertrauen erringen möchten, um es für die Mitarbeit bei den zugewiesen Aufgaben zu gewinnen. Für die Kinder sind bis zu einer Klärung in der Hauptsache etliche Termine zu organisieren. Welche Bedeutung, welche Auswirkungen ein derartiges prozessuales Setting für das Kind hat und welche Anforderungen an dieses Setting zu stellen sind, das sich aus einzelnen Settings mit unterschiedlichen Fachstandards zusammensetzt, ist bisher nicht Forschungsgegenstand. Aus der Alltagsperspektive ist anzumerken, dass das Kind allein durch die Häufigkeit unterschiedlicher Kontakte erheblichen Belastungen ausgesetzt sein kann. Im Zusammenhang mit der Feststellung des Kindeswillens spricht Dettenborn bei möglichen Fehleinschätzungen von der Gefahr einer „sekundären Kindeswohlgefährdung“ (Dettenborn 2007, S. 82). Von mehreren Personen unterschiedlicher Profession wird verlangt, sich aus der jeweiligen Fachperspektive mit dem Kind oder dem Jugendlichen und seinen Interessen auseinander zu setzen und Stellung zu beziehen. Demgegenüber stehen die eingeschränkten Möglichkeit des Kindes oder Jugendlichen im Verfahren selbst rechtlich agieren zu können oder über eine eigene subjektive Interessensvertretung ihres Vertrauens zu verfügen. Welche Auswirkungen die vielfältigen und unterschiedlichen Interventionen haben können, bleibt empirischen Untersuchungen überlassen. Dass diese Interventionen Veränderungen in der familiären Binnenstruktur, in den emotionalen und affektiven Beziehungen auslösen, dürfte eine „Binsenwahrheit“ (Rakete-Dombeck 13. 02. 2008, S. 7) sein. Ob allerdings die Erwartung des Gesetzgebers aufgeht, dass, wenn mehrere Fachleute am Einigungsvorhaben mitwirken, tragfähige Einigungen zu Stande kommen, bleibt abzuwarten. Deutlich wird, dass bei dem Bestreben nach Einvernehmen die „Person des Kindes nicht mitgedacht ist – der Elternkonsens … steht im Mittelpunkt“ (Coester 2009, S. 55).
232 8.10
8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
Die mangelnde Ergebnisoffenheit des Verfahrens vor dem Familiengericht
Die in der Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestags vorgebrachte Kritik ist im Wesentlichen im FamFG nicht berücksichtigt worden. Im Unterschied zur Begründung des FFG-RG, in der als wissenschaftliche Referenz, wenn überhaupt, ein zweifelhaftes, nicht evaluiertes Modell angegeben (Cochemer Modell) wird, beziehen sich die Kritiker auf zahlreiche sozial- und humanwissenschaftliche Forschungen, die bei der Erarbeitung des FamFG ausgeblendet wurden, vor allem hinsichtlich des Diskurses über häusliche Gewalt. Obwohl die Reform offensichtlich umstritten ist, gibt es bis jetzt keinen Beschluss über eine qualifizierte Begleitforschung. Wie die Rede der Bundesministerin Zypries (Zypries 27. 06. 2008) vor dem Bundestag zur Begründung des Gesetzes vermuten lässt, bestanden seitens der Bundesregierung keine Zweifel daran, dass sich diese Reform in der Praxis bewähren wird. Der traditionell eher diskursive Charakter eines Verfahrens im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit wird durch die Detailregelungen der Reform nicht gestärkt. Eher das Gegenteil ist der Fall. Einigungspflicht, die Verpflichtung von Gutachtern und Verfahrensbeiständen gegebenenfalls am Einvernehmen mitzuwirken, Beschleunigungsgrundsatz, unanfechtbares Eilverfahren, die Möglichkeit des Strengbeweises weisen auf ein Reformleitbild hin, nach dem die Einheit der Familie in Form von Einvernehmen hinsichtlich der elterlichen Sorge und des Umgangs auch nach der Trennung im vermeintlichem Interesse des Kindes aufrecht erhalten werden soll. Möglicherweise übt die Verfahrensreform tatsächlich Einigungszwang aus. Allein um ein Kind nicht den Belastungen des Verfahrens auszusetzen, also um eine „sekundäre Kindeswohlgefährdung“ (Dettenborn 2007, S. 81) zu vermeiden, werden Eltern, gerade der betreuende Elternteil, in der Regel die Mutter, soweit wie möglich außergerichtliche Einigungen anstreben, um den gelebten Familienalltag nicht durch ein derartiges gerichtliches Verfahren weiter zu belasten. Ob dieser Effekt aber den Interessen des Kindes dient, bleibt zweifelhaft und wird, wenn keine umfassenden human- bzw. sozialwissenschaftlichen Begleitforschungen stattfinden, auch nicht zu belegen sein. Wenn gesetzliche Regelungen auf Widerstand stoßen, werden immer Wege gesucht und gefunden, die Vorschriften zu umgehen oder ins Leere laufen zu lassen. Anwälte und Anwältinnen werden z. B. ihren Mandanten raten, Einvernehmen zu signalisieren und in der Praxis das zu tun, was sie für richtig halten, soweit wie möglich unterhalb der Ebene eines offenen Konfliktes.
8.11
Der Wille des Kindes im Verfahren
Reinhart Lempp hat in seinem 1983 erschienenen Werk „Gerichtliche Kinder- und Jugendpsychiatrie“ (Lempp 1983) unter anderem die Bedeutung des Kindeswillens
8.11 Der Wille des Kindes im Verfahren
233
umfassend herausgestellt. Inzwischen gilt die Beachtung des Kindeswillens psychologisch, pädagogisch und rechtlich als geboten (Salzgeber 2005, Dettenborn 2007, Zitelmann 2001). Der materiellrechtliche Bezug zum Kindeswillen ist § 1626 Abs. 2 BGB zu entnehmen: Die Berücksichtigung des „wachsenden Bedürfnisses des Kindes zu selbständigem, verantwortungsbewusstem Handeln“ gehört zu den Grundsätzen der elterlichen Sorge. Verfahrensrechtliche Regelungen, wie gerichtliche Anhörungen, geben Kindern und Jugendlichen die Gelegenheit, ihre Interessen, ihre Fragen und ihren Willen zu äußern. Grundsätzlich gilt, dass bei Entscheidungen des Familiengerichts der Kindeswille erheblich ist, aber immer nur unter Berücksichtigung weiterer Kriterien. Nach Salzgeber ist es unzulässig, „dem Kind die Entscheidungskompetenz für eine Sorgerechts- oder Umgangsentscheidung zu überlassen, auch wenn die Eltern damit einverstanden wären, da die Verantwortung zwischen den Eltern zu entscheiden, zu einer unverhältnismäßigen Belastung für das Kind führen würde“ (Salzgeber 2005, S. 327).
Damit wird deutlich, dass es nicht darum geht, Anhörungen zu Durchsetzungsinstrumenten des Kindeswillens zu machen, sondern darum, durch rechtliches Gehör das Kind oder den Jugendlichen als Beteiligten in das Verfahren einzubeziehen, ihm im Sinn von Art. 12 der UN – Kinderrechtskonvention (Kap. 8.3.3.) die Gelegenheit zu geben, seinen Willen zu äußern und diesen Willen unter Akzeptanz der Subjektstellung des Kindes oder Jugendlichen zum Teil der Entscheidungsfindung werden zu lassen. 8.11.1
Das Konzept des Kindeswillens und Altersgrenzen
Für Maud Zitelmann korrespondiert der juristische Begriff des Kindeswillens mit psychologischen Verständnissen, die den „menschlichen Willen als eine zentrale steuernde Instanz des Selbst beschreiben“ (Zitelmann 2001, S. 235). Dieses Selbstkonzept beinhaltet eine Sichtweise, nach der Mensch vom Säuglingsalter an in seiner Bezogenheit auf andere Menschen und Objekte und in seinem Bestreben nach Autonomie akzeptiert wird. Der Wille des Kindes wird als „Manifest der kindlichen Selbstbestimmung“ ebenso gesehen wie als „Indikator“ von Bindungen an andere Menschen und Beziehungen zu ihnen (Zitelmann 2001, S. 236). Für Dettenborn sind vier Mindestanforderungen zu stellen, damit vom Vorliegen eines kindlichen Willens ausgegangen werden kann: 1. Zielorientierung, d. h. eine Vorstellung davon, was sein soll; 2. Intensität, d. h. das Vorhandensein eines Beharrungsvermögens auch bei Schwierigkeiten; 3. Stabilität, d. h. die Willenstendenzen sollten über eine angemessene zeitliche Dauer gegenüber verschiedenen Personen und unter verschiedenen Umständen beibehalten werden; 4. Autonomie, d. h. der Wille sollte sich als „ein Baustein zur Selbstwerdung des Kindes, Bestätigung des Subjektseins und Beweis für Selbstwirksamkeitsbezeugungen“ darstellen. Nach die-
234
8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
sem Autonomiekonzept wird nicht ausgeschlossen, dass Fremdeinflüsse an der Formierung des Willens beteiligt sind (Dettenborn 2007, S. 70). Nach Dettenborn zeigen sich die Möglichkeiten kindlicher Willensbekundungen ab dem 3. bzw. dem 4. Lebensjahr. Unter Auswertung der psychologischen Forschung schreibt er, dass ab diesem Alter Kinder verstehen, „dass mittels Denkens Situationen konstruiert und interpretiert, also aktiv im Kopf repräsentiert werden. Sie verstehen, dass Menschen innerhalb einer so konstruierten Welt handeln, auch wenn die Repräsentationen falsch sind. Kinder bemerken, dass man selbst oder andere etwas annehmen können, was nicht stimmt“ (Dettenborn 2007, S. 72).
Nach Auswertung unterschiedlicher Forschungsergebnisse erwerben Kinder im Alter von 3 bis 4 Jahren „die Fähigkeit, zwischen Überzeugungen und Realität zu differenzieren“. Damit verbunden ist das „Verstehen falscher Überzeugungen“, sie können zwischen absichtlichen und zufälligen Handlungen unterscheiden und verfügen über den „Kernbegriff der Absicht“ sowie über „Werkzeuge zur Erklärung und Vorhersage des Verhaltens von Bezugspersonen“. Die Voraussage von Gefühlen gelingt in der Regel schon 3-Jährigen. Im vierten Lebensjahr entwickeln Kinder die Fähigkeit, auf den „Informationsstand des Zuhörers Rücksicht zu nehmen“, also z. B. darauf, ob dieser einen berichteten Vorfall gesehen hat oder nicht. Bei 3-jährigen Kindern ist die Möglichkeit zur „Täuschung anderer“ beobachtet worden, sie können ihren Willen verbergen oder modifiziert mitteilen. Die Kompetenz des „Bedürfnisaufschubs“ beginnt sich bei 3- bis 4-Jährigen zu entwickeln. Selbstkontrolle im Sinne des Verzichts wird im Alter von vier bis fünf Jahren bedeutsam, diese „Qualität des Motivmanagements“ soll erst ermöglichen, sich zu entscheiden, was man „wollen möchte“ (Dettenborn 2007, S. 75, 76). In diesen Fähigkeiten sieht Dettenborn die Voraussetzungen für Willensäußerungen, die mittels unterschiedlicher diagnostischer Verfahren, auch nonverbaler, aufgezeigt werden können. Mit zunehmendem Alter können die „rationale Fundierung der Willens“ und die „Ausdruckskompetenz“ wachsen (Dettenborn 2007, S. 77, 78). Für ihn gibt es jedoch keine weiterführenden Altersgrenzen. Er warnt: „Das Vorurteil, der Wille kleinerer Kinder sei prinzipiell weniger differenziert, vernünftig und beachtlich, gefährdet die Diagnostik am meisten“ (Dettenborn 2007, S. 78). Von daher kritisiert Dettenborn die in der Rechtsprechung übliche Differenzierung der Beachtung des Kindeswillens nach Alterstufen. Für Dettenborn ist zunächst die Kenntnisnahme des Kindeswillens Voraussetzung für die Prüfung, inwieweit er zu berücksichtigen ist. Er hält es für eine „seltsame Schleife“, dass Kinder unter 14 Jahren nur dann anzuhören sind, wenn nach § 50b Abs. 1 a. F. FGG (neu § 159 Abs. 2 FamFG, dem Inhalt nach unverändert) die Anhörung „für die Entscheidung des Gerichts von Bedeutung“ ist. Er schreibt: „Das kann aber oft erst dadurch festgestellt werden, dass man Inhalt und Merkmale des Kindeswillens zur Kenntnis genommen hat“ (Dettenborn 2007, S.106). Auch wenn in der gerichtlichen Praxis Anhörungen von jüngeren Kindern inzwischen üblich
8.11 Der Wille des Kindes im Verfahren
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sind, bleibt die Frage, warum der Gesetzgeber die hier dargestellten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse, die international anerkannt sind und zum Zeitpunkt der Reform allgemein zugänglich waren, nicht umgesetzt und eine allgemeine Anhörung auch jüngerer Kinder nicht festgelegt hat. 8.11.2
Die Berücksichtigung des Kindeswillens
Nach Dettenborn sind bei der Berücksichtigung des Kindeswillens zwei Aspekte zu beachten: 1. sind die Gefährdungsfolgen zu prüfen, die auftreten können, wenn der Kindeswille beachtet wird und 2. sind mögliche Gefährdungsfolgen zu prüfen, „wenn dem Kindeswillen nicht gefolgt wird, z. B. Resignation, Hilflosigkeit, Labilisierung des Selbstwertgefühls“ (Dettenborn 2008, S. 584). Maud Zitelmann belegt in ihrer Studie „Kindeswohl und Kindeswille im Spannungsfeld von Pädagogik und Recht“, dass vernachlässigte, misshandelte bzw. sexuell missbrauchte Kinder „ihr Selbst, also das Zentrum des Wollens, vergleichsweise unzureichend entwickeln, wahrnehmen und wertschätzen können und oft nicht in der Lage sind oder es vermeiden, anderen Menschen ihre tatsächlichen Gefühle, Wünsche und Befürchtungen mitzuteilen. Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlungen gehen damit alles andere als spurlos an der Autonomieentwicklung des Kindes vorbei“ (Zitelmann 2001, S. 264).
Für sie bedarf es daher in Kinderschutzsachen (Kindeswohlgefährdungen nach §§ 1666, 1666a BGB) anderer Konzepte, den Kindeswillen im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen als in Sorgeverteilungs- und Umgangssachen, in denen es in der Regel nicht um eine Gefährdung des Kindeswohls geht. In Trennungsfamilien haben Kinder „ihre Fähigkeiten zur Eigenverantwortung und Selbstbestimmung unter Umständen durchaus in gesicherten Beziehungen entwickeln und erproben können“ (Zitelmann 2001, S. 266). Von daher hat der Kindeswille in Sorgerechtsangelegenheiten einen anderen Stellenwert als in Kinderschutzsachen. 8.11.2.1 Der selbst gefährdende Kindeswille Für Dettenborn sind interne Faktoren (erhöhte Vulnerabilität, Traumatisierungserlebnisse, Angst-Bindungen, Überforderung im Erwachsenenstreit) und externe Faktoren (dauerhafte Belastung des Kindes und mangelnde Befriedigung angemessener Bedürfnisse, irritierende Angebotswettbewerbe von Trennungseltern) dafür ursächlich, dass es zu einem Kindeswillen kommen kann, dessen Befolgen „Lebensverhältnisse herstellen würden, die im Missverhältnis zur objektiven Bedürfnislage des Kindes stehen“ (Dettenborn 2007, S. 85, 86). Unbestritten ist, dass an die Bewertung des Kindeswillens in Kinderschutzverfahren wegen eines möglicherweise selbst gefährdenden Kindeswillens andere Anforderungen zu stellen sind als in Verfahren, in denen keine Kindeswohlgefährdung vorliegt. In Kinderschutzsachen, also wenn ein Schutzbedarf für das Kind indiziert ist, „kann sich die Bedeutung des Kindeswillens zugunsten der objektiven Interessen reduzieren“ (Dettenborn 2008, S. 585).
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8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
8.11.2.2 Der induzierte Kindeswille Dettenborn geht davon aus, dass die Beeinflussung von Kindern bzw. ihres Willens und ihrer Einstellungen eine „Begleiterscheinung familienrechtlicher Konflikte“ (Dettenborn 2008, S. 586) ist. Er diskutiert die streitige Frage, ob es gerechtfertigt ist, die so entstandenen Willensbekundungen als weniger bedeutsam einzuschätzen. Mit Verweis auf Reinhart Lempp u. a. stellt er zunächst fest, dass jeder menschliche Wille beeinflussbar ist. Dettenborn grenzt Beeinflussung von Induzierung dadurch ab, dass Induzierung nicht die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes fördern will, sondern intendiert, Meinungen des Kindes zu erzeugen um eigene Ziele in einem Konflikt durchzusetzen und die Erfolgsaussichten des Konfliktpartners zu mindern. Er räumt ein, dass Induzierung auch durch Selbsttäuschungen des Induzierenden erzeugt werden können, also nicht nur mit bewusster Täuschungsabsicht erfolgen (Dettenborn 2008, S. 587). Wenn infolge einer Induzierung neue psychische Realitäten entstanden sind, sind sie nicht „als bloße Spiegelung fremder Einflüsse abzuwerten“. Gegen den dahinter stehenden Kindeswillen zu entscheiden, kann für das Kind zu „Hilflosigkeit, Ohnmachtsgefühlen und Selbstwertlabilität“ (Dettenborn 2008, S. 588) führen. Dettenborn spricht von einem Dilemma und hält eine differenzierte Risikoabwägung für notwendig, wobei es bei fehlerhafter Risikoabwägung zu „sekundärer Kindeswohlgefährdung“ kommen könne, deren Folgen zu Lasten der Kinder und der betroffenen Erwachsenen gingen (Dettenborn 2007, S. 83). 8.11.3
Der Kindeswille aus pädagogischer Sicht
Zu fragen ist, ob es auch unterhalb der Grenze eines selbst schädigenden Kindeswillens im Interesse des Kindes angezeigt sein kann, dessen Willen nicht zu folgen. Mit dem Konzept der Mindestanforderungen an den Kindeswillen hat Dettenborn ein Instrumentarium zur Verfügung gestellt, nachdem der Kindeswille von vorübergehenden spontanen Äußerungen oder situativ bedingtem Verlangen unterschieden werden kann, was ermöglicht, den Kindeswillen in Bezug zu den realen Lebensverhältnissen zu setzen. Dieses Konzept ist soweit auch tauglich für eine allgemeine Berücksichtigung des Kindeswillens. Wenn ein Kindeswille im Rahmen dieser Mindestanforderungen vorliegt, spricht aus pädagogischer und psychologischer Sicht nichts dagegen, ihm grundsätzlich zu folgen, soweit die Gegebenheiten es zulassen. Es geht nicht darum, den Kindeswillen gegen eine grundsätzliche Entscheidungsverantwortung gerade der Erwachsenen, der mit dem Kind in einer Verantwortungsgemeinschaft leben, zu behaupten. Der Kindeswille kann vielmehr bei grundsätzlicher Akzeptanz der Entscheidungszuständigkeit derjenigen, die für das Aufwachsen Verantwortung tragen, als Ausdruck von Bedürfnissen und Artikulation von Selbstbestimmungsansprüchen zur Kenntnis genommen und in den Entscheidungen konkret berücksichtigt werden. Entsprechend pädagogischen Vorstellungen von Autonomieentwicklung und Partizipation, nach denen sich „viele eine Verbesserung der Lebenssituationen von Kindern nur noch durch eine aktive Beteiligung und Mitentscheidung dieser selbst
8.11 Der Wille des Kindes im Verfahren
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vorstellen können“ und die auf „kindliche Subjektivität“ mit der „Priorität von Partizipation anstelle von Stellvertretung“ (Bühler-Niederberger, Sünker 2009, S. 181, 182) setzen, wäre es geboten, dem Kindeswillen, soweit das im Rahmen der Lebensbedingungen möglich, ist Raum zu geben. Es kann allerdings auch Pläne oder Sachzwänge im Leben der fürsorgenden Erwachsenen geben, gegenüber denen der Kindeswille zurückzutreten hat, was mit den Kindern auszuhandeln oder ihnen gegenüber zu begründen wäre. Grundsätzlich tragen im Rahmen der Verantwortungsgemeinschaft die Erwachsenen die Verantwortung für die konkreten Gegebenheiten des Aufwachsens, anderenfalls würde eine Überforderung der Kinder entstehen. 8.11.4
Der Kindeswille aus rechtlicher Sicht
Aus rechtlicher Sicht stellt sich die Frage in Sorge- und Umgangsangelegenheiten anders. Beide Rechte sind als Rechte der Eltern ausgestaltet, die Rechte sind grundrechtlich geschützt. Wenn z. B. die Interessen des umgangsberechtigten Elternteils und der Wille des Kindes oder des Jugendlichen gegeneinander stehen, kommt es zu einer Rechtsgüterabwägung zwischen dem Elternrecht und dem Persönlichkeitsrecht des Kindes, dem der Kindeswille zugeordnet wird (BVerfG 18. 05. 2009), die möglicherweise dazu führt, das Kind Anpassungszwängen auszusetzen. Hier zeigt sich einmal mehr die Problematik der Konstruktion des § 1684 BGB als grundrechtlich geschützte, detailliert formulierte Anspruchsgrundlage des umgangsberechtigten Elternteils. Das Recht des Kindes ist lediglich als Recht auf Umgang kodifiziert, eine materiellrechtliche Möglichkeit den Umgang abzulehnen, gibt es nicht. Legitimiert wird das über die allgemeine Annahme, dass der Umgang mit beiden Eltern stets dem Kindeswohl dient (Kap. 7). Über den im Verfahrensrecht gewährten Anspruch auf Anhörung und rechtliches Gehör den Kindeswillen tatsächlich zu berücksichtigen, ist daher auch in hochstreitigen Fällen nicht oder nur eingeschränkt möglich. Da im FamFG, wie bereits ausgeführt, Kindern- und Jugendlichen weder eine erweiterte Verfahrensfähigkeit noch eine subjektive Interessenvertretung des eigenen Vertrauens gewährt worden ist, sind auch die Möglichkeiten, den Kindeswillen aus eigenem Recht vorzutragen begrenzt. Die Bewertung des Kindeswillens obliegt dem Gericht, das sich mit den Stellungnahmen unterschiedlicher, im Verfahren beteiligten Professionen auseinanderzusetzen hat. Wenn Dettenborn bereits bei der gutachterlichen Stellungnahme vom Risiko sekundärer Kinderschutzverletzung spricht, dürfte sich dieses Risiko unter den gegebenen verfahrensrechtlichen Regelungen eher noch verstärken 8.11.5
Der diskreditierte Kindeswille: Das PA-Syndrom bzw. die mangelnde Bindungstoleranz
Das Parental-Alienation-Syndrom (PAS) ist 1987 erstmals von Richard Gardner, einem amerikanischen Psychiater, dargestellt worden. Es soll das Verhalten des
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8 Das Verfahren vor dem Familiengericht
betreuenden Elternteils, in der Regel der Mutter, in Trennungssituationen und die darauf folgenden Reaktionen des Kindes gegenüber dem anderen Elternteil beschreiben. Die betroffenen Kinder sollen derartig von einem Elternteil beeinflusst sein, dass sie den anderen Elternteil, in der Regel den Vater, abwerten und ablehnen. PAS-Vertreter sprechen von Programmierung und Gehirnwäsche (nach Salzgeber 2005, S. 399). Wenn das PAS vorliegt, soll das rechtlich als Kindeswohlgefährdung gewertet werden. Nach Salzgeber und Dettenborn (Salzgeber 2005, Dettenborn 2007) sollte der Begriff PAS in der fachwissenschaftlichen Diskussion vermieden werden. „Der Terminus PAS wurde nicht wissenschaftlich erarbeitet … Eine wissenschaftliche Untersuchung, wie sie zur Begründung eines im Rahmen des Familienrechts herangezogenen Krankheitssyndroms notwendig wäre, fand nie statt“ (Salzgeber 2005, S. 400).
Nach Fegert reichen die von Gardner beschriebenen Symptome, wie Verunglimpfung und Herabsetzung des anderen Elternteils, das Fehlen der in solchen Konflikten typischen Ambivalenz der Kinder, eine reflexartige Unterstützung des entfremdenden Elternteils im elterlichen Konflikt, Ausdehnung der Feindseligkeit und Ablehnung auf Freunde oder die erweiterte Familie, nicht aus, PAS als Syndrom von klinischem Wert zu bezeichnen (Fegert 2008, S. 199). Fegert hält das PAS deshalb eher für eine „Plädierformel“ als für die Beschreibung eines gestörten Verhaltens. „Das so genannte PAS oder die gezielte Umgangsvereitelung (führen) häufig zu nur noch ideologisch geprägten Auseinandersetzungen, die wenig zur differenzierten Behandlung des Einzelfalls beitragen“ (Fegert 2008, S. 196).
Es wird für kindeswohlgefährdend gehalten, wenn mit Bezug auf das PAS dem betreuenden Elternteil die elterliche Sorge entzogen wird (Dettenborn 2007, Fegert 2008). Wenn Kinder als Opfer eines „Programmierungsprozesses“ oder als Opfer einer „Gehirnwäsche“ dargestellt werden, führt das zu einer „völligen Außerkraftsetzung des vom Kind dargelegten Kindeswillens“ (Fegert 2008, S. 201). In diesem Sinn geht bei PAS nicht um ein klinisches Syndrom von Krankheitswert sondern um ein Konzept, den Kindeswillen zu diskreditieren, jedenfalls von dem Elternteil, in der Regel dem Vater, der unabhängig vom Kindeswillen das Umgangsrecht, dessen Ausweitung oder die Aufhebung einer Aussetzung begehrt. Das PAS-Konzept hat nicht nur die amerikanische Rechtsprechung erreicht, sondern ist seit Jahren auch Thema der deutschen Sorge- und Umgangsrechtssprechung, wobei das PAS-Konzept allerdings unterschiedlich gewertet wird. Fegert (Fegert 2008, S. 196) hat bis Mitte 2000 insgesamt 13 Eintragungen zu PAS in der juristischen Datenbank juris gefunden. Im Januar 2010 gibt es unter Familienrecht und PAS insgesamt 1873 Eintragungen, nur auf gerichtliche Entscheidungen bezogen sind es 328 Eintragungen. Allein diese Zahlen zeigen, dass das PAS Konzept in Umgangs- und Sorgerechtsentscheidungen eine starke Präsenz hat, unabhängig davon, ob diesem Konzept gefolgt wird oder nicht. Fichtner verweist auf die einflussreichste Initiative der bundesdeutschen Väterrechtsbewegung, den „Väteraufbruch für
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Kinder e.V“ (VAfK), der das PAS-Konzept für seine Arbeit nutzt und auf deren Internetseite er umfangreiches Material über das PAS gefunden hat (Fichtner 2008b S. 243). Auf der Web-Seite des „Väteraufbruch für Kinder e.V.“ ist zwar ein Link zu PAS noch aufgeführt, die Seite selbst ist jedoch gestrichen worden (VAfK 2010). Offensichtlich wird der Web-Auftritt gerade überarbeitet. Der Begriff PAS scheint in den Hintergrund getreten oder aufgegeben zu sein. Am Konzept hat sich allerdings nichts geändert. Statt des Begriffs PAS wird von mangelnder Bindungstoleranz eines Elternteils, in der Regel der Mutter, gesprochen. Auch im Beschluss des Brandenburgischen OLG vom 27. 07. 2009 (Brandenburgisches OLG 27. 07. 2009) wird der Begriff PAS nicht verwendet, stattdessen wird mit dem Begriffen der mangelnden Bindungstoleranz und der Induzierung des Kindeswillens dem gleichen Konzept gefolgt. Hintergrund des Begriffswandels ist offensichtlich die wissenschaftliche Kritik am PAS-Konzept. Für Jörg Fichtner ist das PAS-Konzept an eine bestimmte Form von Männlichkeit geknüpft, es geht um eine „neu entstandene Form von Mannsein, eine aus Scheidungserfahrungen heraus motivierte Väterlichkeitsform, die sich einen Platz erkämpft innerhalb der hegemonialen Männlichkeit“ (Fichtner 2008b, S. 246).
Fichtner verweist insbesondere auf die Organisation „Väteraufbruch für Kinder e.V.“. Für ihn hat diese Form der Männlichkeit nichts mit fürsorglicher Wahrnehmung von Vaterschaft, mit „neuen Vätern“ zu tun, die in einem Diskurs vor allem der 1960/70er Jahre ihren Anspruch auf verlässliche und praktische Verantwortungsübernahme für ihre Kinder formuliert haben. Vielmehr nutzt das PAS „den Rekurs auf das Kindeswohl und die alte Debatte um die neuen Väter, um einer spezifischen Form von Väterlichkeit zu Einfluss zu verhelfen. Eine Form von Väterlichkeit, die aber mit dem einen wie mit dem anderen nur scheinbar zu tun hat“ (Fichtner 2008b, S. 234).
Er bemängelt bei den Anhängern des PAS einen „eklatanten Mangel“ an Konzepten väterlichen Handelns. Es gehe primär um eine unterstellte Pathologie der MutterKind-Beziehung, wobei dieses Pathologiekonzept „ den Ausweis der existentiellen Bedeutung des Vaters für seine Kinder (beinhaltet), da seine bloße Gegenwart und nur diese Heil für die leidenden Kinder bringt“ (Fichtner 2008b, S. 242). Auch wenn statt PAS nunmehr der Begriff der mangelnden Bindungstoleranz Verwendung findet, hat sich jedoch an den politischen Forderungen der Väterorganisationen nichts geändert. Es werden nach wie vor keine Konzepte väterlichen Handelns vorgestellt, es geht vielmehr um die gleichen Forderungen, die zuvor unter Berufung auf das PAS aufgestellt worden sind, wie „die gemeinsame Sorge ab Feststellung der Vaterschaft“, die „zwingende“ Einhaltung von Umgangsregelungen“, die „Garantie des kontinuierlichen Umgangs mit dem getrennt lebenden Elternteil“, die „gesetzliche Einführung“ des Cochemer Modells und z. B. die Einbeziehung von Selbsthilfegruppen (Vätergruppen) in Entscheidungen, um „langfristig
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eine bessere Umsetzung des Familienrechts zu erreichen“. Das „Hauptanliegen“ des Vereins ist die Aufrechterhaltung der Beziehung der Kinder zu beiden Eltern „als unentziehbares und unverzichtbares Grund- und Menschenrecht“ (VAfK 2010). 8.11.6
Der Kindeswille in der Rechtsprechung anhand von Beispielen
Anhand der im Folgenden dargestellten Entscheidungen wird die unterschiedliche Berücksichtigung des Kindeswillens beispielhaft aufgezeigt. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung vom 08. 03. 2005 der Klage eines Vaters stattgegeben, bei dem die Instanzgerichte den Umgang ausgeschlossen hatten, weil der 81/2-jährige Junge jeden Kontakt mit seinem Vater abgelehnt hatte. Das BVerfG hält dem OLG Celle vor, es habe seine Entscheidung „allein auf den geäußerten Willen des achteinhalbjährigen Kindes gestützt“ und nicht geprüft „inwieweit dieser geäußerte Kindeswille auch tatsächlich mit dem Kindeswohl im Einklang steht (BVerfG 08. 03. 2005, Rn. 9). Das OLG Brandenburg setzt in einer Entscheidung vom 16. 04. 2008 voraus, dass bei jüngeren Kindern „regelmäßig davon auszugehen ist, dass diese noch nicht in der Lage sind, einen autonomen Willen zu bilden. Hierfür ist die verstandesmäßige und seelische Reife, die eine tragfähige, selbstbestimmte und vernunftgeleitete Entscheidung über den Aufenthalt voraussetzt, erforderlich. Regelmäßig bildet der Kindeswille vor Vollendung des 12. Lebensjahres eines Kindes keine relativ zuverlässige Entscheidungsgrundlage, weil er noch nicht Ausdruck einer autonomen Selbstbestimmung ist“ (Brandenburgisches OLG 16. 04. 2008, Rn. 28).
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG 27. 06. 2008) hat in Entscheidungen über den Aufenthalt des Kindes hervorgehoben, dass eine Missachtung des Kindeswillens dann zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG führen kann, wenn ein Wechsel des Aufenthaltsbestimmungsrechts versagt wird, obwohl das Kind mehrfach und begründet diesen Wunsch geäußert hat. Der Elternteil, zu dem das Kind wechseln möchte, würde in seinen Grundrechten verletzt werden. Das BVerfG wiederholt seine bisherigen Grundsätze, dass der Kindeswille bei Sorgerechtsentscheidungen zu berücksichtigen sei, soweit er mit dem Kindeswohl zu vereinbaren ist (BVerfG 27. 06. 2008, Os 3a) und ihm bei zunehmenden Alter des Kindes größeres Gewicht beizumessen ist. In dem zur Entscheidung anstehenden Fall sind beide Eltern gleichermaßen für erziehungsfähig gehalten worden. Das Kind war ein normal entwickelter Junge, der die 6. Klasse eines Gymnasiums altersgerecht besuchte und zu seinem Vater nach Berlin ziehen wollte. Die Instanzgerichte sind dem Antrag des Vaters auf Abänderung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht nachgekommen. Das BVerfG sieht hierin eine Grundrechtsverletzung, weil der dem Kindeswohl zugeordnete Kindeswille nicht hinreichend gewürdigt worden ist, am Kindeswohl sich jedoch alle Entscheidungen auszurichten hätten (§ 1697a BGB). Das Kind sei in seiner „Individualität als Grundrechtsträger“ zu berücksichtigen,
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„weil die sorgerechtliche Regelung entscheidenden Einfluss auf das weitere Leben des Kindes nimmt und es daher unmittelbar betrifft. Hierzu gehört, dass der vom Kind aufgrund seines persönlichen Empfindens und seiner eigenen Meinung geäußerte Wille als Ausübung seines Rechts auf Selbstbestimmung bei der Entscheidung über sein zukünftiges Verbleiben bei einem Elternteil hinreichend Berücksichtigung findet“ (BVerfG 27. 06. 2008, Os 3b, Rn. 31).
In der Entscheidung des OLG Hamm (OLG Hamm 08. 01. 2009) heißt es: „Bei einem 15-jährigen Kind, das im Zuge langjähriger Auseinandersetzungen der Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts durchgehend den persönlichen Umgang mit dem Vater ernsthaft und nicht fremdbestimmt verweigert hat, ist im Regelfall der Ausschluss des persönlichen Umgangs bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Kindes gerechtfertigt“ (Ls. 2).
Der Wille von älteren Kindern bzw. Jugendlichen wird in der Regel seitens der Gerichte respektiert. Aus pädagogischer Sicht fragt sich allerdings, wie ein Umgang gegen den Willen eines 15-jährigen Kindes überhaupt durchgesetzt werden kann, unabhängig davon, ob die Entscheidung auf einem selbstbestimmten oder möglicherweise induzierten Kindeswillen basiert. Zwangsmittel können gegen Kinder und Jugendliche nicht eingesetzt werden (§ 90 FamFG). In der Entscheidung des OLG Nürnberg vom 22. 06. 2009 (OLG Nürnberg 22. 09. 2009) verlangt der Vater Umgang gegen den entschiedenen Willen der 11jährigen Tochter, hier noch mit ausdrücklichem Verweis auf das PAS. Das Gericht hat sich der Stellungnahme des Sachverständigen angeschlossen, dass es „eindimensional sei, in hoch konflikthaften Familienstreitigkeiten Kinder lediglich als hilflose Objekte anzusehen, die von einem Elternteil manipuliert würden. Diese Betrachtung würde im vorliegenden Fall die aktuellen Wünsche und Bedürfnisse, … ihre Erfahrungen und Ängste unberücksichtigt lassen“ (OLG Nürnberg 22. 09. 2009, Rn. 38).
Das Gericht hat den Umgang in Hinblick auf den hohen verfassungsrechtlichen Rang des Umgangsrechts (OLG Nürnberg 22. 09. 2009, Rn. 51) befristet bis 2010 ausgesetzt. Diese fünf Entscheidungen spiegeln die unterschiedliche Berücksichtigung des Kindeswillens wider und zeigen, dass in den Einzellfallabwägungen sowohl psychologische wie pädagogische Forschungsergebnisse und Überlegungen Einfluss gewinnen. Sie zeigen aber auch, dass Vor- und Alltagsverständnisse eine entscheidungsleitende Rolle spielen. Rechtspraktiken sind stets von den jeweiligen Diskursen abhängig und der Diskurs über die Berücksichtigung des Kindeswillens ist noch verhältnismäßig neu. Im familienrechtlichen Verfahren ungleiche Teilhabechancen auszugleichen und veränderte Settings zu etablieren (Honig 2009, S. 43), die andere Unterscheidungen zwischen Kindern und Erwachsenen zulassen als die von Stellvertretung oder einer Politik und Sorge für Kinder ist selbst ein gesellschaftlicher Prozess. Inwieweit es gelingt, hinsichtlich der Verfahrensregelungen eine Politik mit Kindern (Bühler-Niederberger, Sünker 2009, S. 180) zu entwickeln und Raum für
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kodifizierte Partizipation zu geben ist, ist Teil der Frage nach veränderten Ordnungskonzepten im generationalen Dispositiv. Im Folgenden werden zwei Entscheidungen dargestellt, die sich in der Berücksichtigung des Kindeswillens widersprechen. Gerade die Entscheidung des Brandenburgischen OLG zeigt, dass auch unmittelbar zuvor getroffene Entscheidungen des BVerfG nicht berücksichtigt werden, wenn es gilt, rechtspolitische Vorstellungen in Einzelfallentscheidungen zu exemplifizieren. 8.11.6.1 Die Entscheidung des BVerfG vom 18. Mai 2009 Das Bundesverfassungsgesetz hat in einer Entscheidung vom 18. 05. 2009 (BVerfG 18. 05. 2009), Entscheidungskriterien entwickelt, nach denen der Kindeswille zu beachten ist. Vom OLG Dresden war der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das 8-jährige Kind wegen Umgangsvereitelung entzogen worden. Das BVerfG stellt fest: „Die Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ist nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren“ (BVerfG 18. 05. 2009, Os. 1b). Das BVerfG kritisiert, dass die Entscheidung des OLG Dresden unzureichend begründet, „warum es dem geäußerten Kindeswillen letztlich keine Beachtung beimisst“ (BVerfG 18. 05. 2009, Os. 2c). Unmissverständlich zeigt das BVerfG die Bedeutung des Kindeswillens auf: „Mit der Kundgabe seines Willens macht das Kind zum einen von seinem Recht zur Selbstbestimmung Gebrauch. Denn jede gerichtliche Lösung eines Konflikts zwischen den Eltern, die sich auf die Zukunft des Kindes auswirkt, muss nicht nur auf das Wohl des Kindes ausgerichtet sein, sondern das Kind auch in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen, weil die sorgerechtliche Regelung entscheidenden Einfluss auf das weitere Leben des Kindes nimmt und es daher unmittelbar betrifft“ (BVerfG 18. 05. 2009, Rn. 19).
Die Nichtbeachtung des Kindeswillens eines 8-jährigen Kindes wird als ein Verstoß gegen dessen Selbstbestimmung gewertet. 8.11.6.2 Die Entscheidung des Brandenburgischen OLG vom 27. Juli 2009 In der Entscheidung des Brandenburgischen OLG vom 27. Juli.2009 (27. 07. 2009) wird der Kindesmutter das Sorgerecht für zwei Kinder, 11- und 8-jährig, wegen „mangelnder Bindungstoleranz“ entzogen und auf den Vater übertragen. Die Kinder hatten seit Mitte 2006 praktisch keinen Kontakt zum Vater, das jüngere Kind wenige Stunden begleiteten Umgang, das ältere Kind sah seinen Vater einmal auf einem vom Gericht initiierten Termin, in dem Einvernehmen hergestellt werden sollte (27. 07. 2009, Rn. 5). Der erklärte Kindeswille insbesondere des 11-jährigen Kindes, weder Umgang mit dem Vater zu wollen noch in dessen Haushalt zu wechseln, wurde für unbeachtlich erklärt, weil er „nicht autonom“ ist. „Dass ein Wechsel in den Haushalt des Kindesvaters dem erklärten Kindeswillen widerspricht, kann hinzunehmen sein, wenn der Kindeswille nicht autonom ist“ (Brandenburgisches OLG 27. 07. 2009, Ls. 2).
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Aus dem vom Gericht zitierten Gutachten wird weder die Vorgehensweise des Gutachters deutlich, noch wird auf die Willensäußerungen der Kinder differenzialdiagnostisch eingegangen. Festgestellt wird eine fehlende Bindungstoleranz der Mutter. Auch die Ergänzungspflegerin, eine Mitarbeiterin des Jugendamts, stellt „ein von der Mutter induziertes „inneres Verbot …, dem Vater positiv zu begegnen und sich ihm positiv zuwenden zu dürfen“ fest (Brandenburgisches OLG 27. 07. 2009, Rn. 22), ohne das allerdings im Einzelnen zu belegen. Weder Gutachterin noch Ergänzungspflegerin gehen auf die Gesamtsituation der Kinder und deren konkrete Willensäußerungen ein. Ebenso wird weder von ihnen noch vom Gericht näher dargelegt, ob oder inwiefern die Kinder in ihrer Entwicklung beeinträchtigt sind oder was es für die Kinder hieße, nach drei Jahren Kontaktunterbrechung in einen für sie zunächst fremden Haushalt überzuwechseln. Das Gericht stellt lediglich fest: „dass die Entscheidung, dem Vater das Sorgerecht zu übertragen, mit einem Umzug von C. heraus aus seiner gewohnten Umgebung in den Haushalt des Vaters verbunden sein wird. Die Kontinuität seiner bisherigen Entwicklung erleidet also – ebenso wie bei V. – einen ,Bruch‘. Angesichts der dargelegten Kindeswohlgefährdung … muss dieser ,Bruch‘ indes hingenommen werden“ (Brandenburgisches OLG 27. 07. 2009, Rn. 46).
Es liegt jedoch offensichtlich nichts vor, das sich als konkrete Gefährdung der Kinder beschreiben ließe. Die Kindeswohlgefährdung wird allein in der mangelnden Bindungstoleranz der Mutter gesehen. Ausdrücklich heißt es, es sei „nicht in Frage zu stellen, dass sich die Mutter vordergründig umsichtig um die Kinder kümmert und für sie sorgt. Das entscheidende Defizit in Bezug auf ihre Erziehungsfähigkeit, das sie letztlich als Erziehungsberechtigte disqualifiziert, besteht darin, dass sie keinerlei Bindungstoleranz in Bezug auf das Vater-Kind-Verhältnis aufbringt“ (Brandenburgisches OLG 27. 07. 2009, Rn. 29).
Das Brandenburgische OLG folgt dem PAS-Konzept ohne es zu benennen. Es ersetzt PAS mit „mangelnder Bindungstoleranz“ und induziertem Kindeswillen ohne die Begriffe zu erläutern, ohne aufzuzeigen, welche vorhandenen Bindungen der Kinder toleriert werden sollen bzw. ob nach drei Jahren Kontaktlosigkeit überhaupt noch Bindungen bestehen und ohne darzulegen, wie sich die vorgeblichen Induzierungen vollziehen. Fragen sekundärer Kindeswohlgefährdung durch ein Verfahren, das die Meinung der Kinder, ihren Willen vollständig ignoriert, ihn nicht einmal diskutiert, sondern von vorn herein als induziert diskreditiert, werden entsprechend dem vom Gericht vertretenen Konzept nicht einmal ansatzweise geprüft. Es geht dem Anschein nach ausschließlich um abstraktes Elternrecht, unabhängig vom Kindeswillen und unabhängig von einer differenzierten Risikoeinschätzung, was eine derartig einschneidende Entscheidung bei den Kindern auslösen kann. Auch rechtlich wird auf eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit verzichtet, die rechtfertigen könnte, der Kindesmutter die gesamte Personensorge anstatt lediglich einen Teilbereich, das Aufenthaltsbestimmungsrecht, zu entziehen.
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Der Vollzug des Beschlusses des Brandenburgischen OLG hätte zur Folge, dass das Verbot des unmittelbaren Zwangs gegen ein Kind zur Durchsetzung des Umgangsrechts (§ 90 Abs. 2 FamFG) nicht zur Anwendung käme. Die Kinder könnten mit Polizeigewalt von der Mutter entfernt werden, weil das Gericht auf Kindeswohlgefährdung erkannt hat. Es ist gerade nach der vorgestellten BVerfG-Entscheidung nicht nachzuvollziehen, wie das Brandenburgische OLG zur dem Ergebnis kommen kann, das schärfste Instrument des staatlichen Wächteramts, den Entzug der gesamten Personensorge, bei einer von ihm festgestellten mangelnder Bindungstoleranz der Kindesmutter einzusetzen. Unter pädagogischen Gesichtspunkten ist es naheliegend, dass die Entscheidung des Brandenburgischen OLG mit der Trennung der Kinder von ihrer Mutter, mit dem „hinzunehmenden Bruch“ und mit der vollständigen Ignorierung und Diskreditierung des Kindeswillens eine Kindeswohlgefährdung hervorrufen kann. Auch wenn auf den Begriff PAS verzichtet wird, entspricht diese Entscheidung dem PAS-Konzept, nunmehr unter den Begriffen mangelnde Bindungstoleranz und Induzierung des Kindeswillens. 8.11.7
Die Begrenzung des Kindeswillens im generationalen Dispositiv
Der Wille des Kindes erscheint im Verfahrensrecht in erster Linie als Anhörungsrecht. Die verfahrensmäßigen Rechte von Kindern und Jugendlichen, ihren Willen aus eigenem Recht zur Kenntnis und Geltung bringen zu können, sind dagegen schwach. Die Berücksichtigung des Kindeswillens in der Rechtsprechung ist unterschiedlich. Immer dann, wenn von einer Beeinflussung ausgegangen wird, tritt die Erheblichkeit des Kindeswillens zurück. Kriterien, die eine Unterscheidung zwischen einem beeinflussten und autonomen Kindeswillen ermöglichen, werden in der psychologischen Literatur diskutiert und angegeben, finden auch in der Rechtsprechung insbesondere des BVerfG Anwendung, werden jedoch in Einzelfällen von der Rechtsprechung zum Teil eklatant ignoriert. In diesen Fällen wird allein die Tatsache, dass ein Kind keinen Kontakt zum anderen Elternteil wünscht, mit dem Vorliegen einer Beeinflussung in Form von fragwürdigen Konzepten wie mangelnder Bindungstoleranz der Betreuungsperson und eines induzierten Kindeswillens erklärt. Im Ergebnis ist zusammenfassend festzustellen: Die Rechtsstellung des Kindes bzw. Jugendlichen im familiengerichtlichen Verfahren unterscheidet sich von der Rechtsstellung der Erwachsenen, der Eltern und der anderen Verfahrensbeteiligten grundlegend. Sie sind formal hauptsächlich Anzuhörende ohne die Möglichkeit Anträge aus eigenem Recht stellen zu können, ohne die Möglichkeit, Einfluss auf die Auswahl von Verfahrensbeistand oder Ergänzungspfleger nehmen zu können, die ihre Interessen vertreten sollen, ohne jedoch ihr Vertrauen besitzen zu müssen. Bei außergerichtlichen und bei gerichtlichen Einigungen der Eltern sind sie nicht anzu-
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hören. Das Verfahren ist auf Eltern und Erwachsene zentriert, obwohl es gerade bei Sorgerecht- und Umgangsangelegenheiten zentral um Fragen von Kindern oder Jugendlichen geht, die für sie von erheblicher Bedeutung sind. Die verfahrensrechtliche Unterscheidungspraxis zwischen Kindern und ihren Eltern objektiviert im generationalen Dispositiv eine Differenz, die mit der Kategorie der Partizipation, nach der Kinder auch im Sinn des Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention „an Entscheidungen über ihre Lebensverhältnisse real zu beteiligen sind“ (Bühler-Niederberger, Sünker 2009, S. 182), nicht zu vereinbaren ist. Partizipation als performativer Akt (Bühler-Niederberger, Sünker 2009, S. 182) ist mehr als Anhörung, sie hat sich in der verfahrensrechtlichen Subjektstellung im Einzelnen auszuweisen.
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Fazit und Ausblick
In der Gemengelage unterschiedlicher Variationslinien des generationalen Dispositivs wurden weder Aussagen über die „Richtigkeit“ pädagogischer Theorien oder pädagogischen Handelns noch über die juristischer Kodifizierungen getroffen. Es wurden allerdings die jeweiligen Funktionen im gesellschaftlichen Kontext dargestellt und analysiert. Das Dispositiv wird wie jedes Dispositiv in seinem prozesshaften Charakter gedacht (Kap. 1). Nicht nur durch den Veränderungsbedarf des § 1626a BGB werden sich neue Entwicklungen herausbilden. Die angesprochenen Themen und Fragen sind auch Teil anderer gegenwärtiger Diskurse wie die des Kinderschutzes oder der Kinderarmut, die ebenfalls Fragen des generationalen Dispositivs berühren.
9.1
Das Verhältnis von Pädagogik und Recht im generationalen Dispositiv
Die Figur des Kindes unterliegt in Pädagogik und Recht dem Einfluss und dem Anspruch zweier Regelungs- und Definitionsbereiche, die einerseits seine Bedürftigkeit und seinen Bedarf bestimmen und andererseits die Regularien und institutionellen Zusammenhänge gestalten, die dem Kind das geben sollen, was es vermeintlich braucht. Der in der Kindschaftswissenschaft entwickelte Ansatz, pädagogische Vorstellungen in ihren gesellschaftlichen und historischen Kontexten zu dekonstruieren, wurde auf die Vorstellungen vom Kind im Recht angewendet. Recht bedient sich Kindheitsvorstellungen, die ebenso wie in der Pädagogik davon abhängig sind, was unter Kind verstanden wird. Ein Beispiel dafür ist im historischen Kontext die Unterscheidung von ehelichen und nichtehelichen Kindern und die damit verbundenen unterschiedlichen pädagogischen, sozialen und rechtlichen Zuweisungen (Kap. 3). Die Vorstellungen vom Kind in Pädagogik und Recht bedingen einander und verfestigen sich gegenseitig. In welchem Bereich sich z. B. das wirkmächtige Bild „Kinder brauchen beide Eltern“ (Kap. 5, 8) zunächst herausgebildet hat, ist dabei sekundär. Entscheidend ist das Zusammenspiel pädagogischer und rechtlicher Deutungen und Praktiken. Kind und Kindheit sind das primäre Sujet von Pädagogik; Recht greift auf Kind und Kindheit stets zu, wenn es um Fragen der Abstammung, der Bestimmung des Rechtsstatus des Kindes als minderjährig und um das Verhältnis zwischen Staat und Familie geht (Kap. 3). In Anlehnung an die von Michael Honig als zentral benannten Elemente des Status Kind (Rechtsstatus, Sozialstatus, kulturelle Dimension; Honig, 1999, S. 99) lässt sich Folgendes zusammenfassen: B. Schwarz, Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht, DOI 10.1007/978-3-531-92691-9_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
248
9 Fazit und Ausblick
– Sein Rechtsstatus wird in doppelter Weise über die Erwachsenen bestimmt, durch die Zuordnung zu den Eltern als Zuordnung zu Mutter und Vater und durch die Rechtspositionen, die Kindern durch den Staat gewährt werden, unterschieden nach Schutzrechten sowie selbständig wahrnehmbaren Rechten als Ausdruck von Partizipation. Aufgezeigt wurde, dass im Unterschied zu einer Pädagogik, die den Akteurbegriff für Kinder in Anspruch nimmt, konkrete, selbständig wahrnehmbare Partizipationsrechte im Recht nur schwach ausgeprägt sind (Kap. 2, 3, 8). Der Rechtsstatus von Kindern wird primär durch familiäre Einbindung und das Elternrecht bestimmt. Im Fall von Trennungen geht der Staat über das allgemeine Wächteramt, das Kinderschutz gewährleisten soll, hinaus und präferiert mit dem Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge eine Sorgeverteilungsregelung, welche Kinder in unterschiedlicher Weise und im Prinzip weitgehend unabhängig von ihrem Willen an beide Eltern bindet (Kap. 8). – Der Sozialstatus von Kindern aus Trennungsfamilien ist überwiegend dadurch geprägt, dass die Mütter die alltäglichen Versorgungsaufgaben wahrnehmen (Kap. 4). Diese Mutterfamilien sind aufgrund allgemeiner gesellschaftlicher Verhältnisse, insbesondere durch eine immer noch von Benachteiligung gekennzeichnete Stellung der Frau in der Arbeitswelt und durch nicht ausreichende oder fehlende Bereitstellung geeigneter Bildungs- und Versorgungseinrichtungen, überproportional von Armut geprägt oder bedroht (Kap. 4). Eine Generalisierung ist dabei nicht möglich. Familienformen sind nicht in erster Linie abhängig vom Sozialstatus, sondern auch Resultat freigesetzter Entscheidungsmöglichkeiten und innerer familialer Entwicklungen, wobei die Entscheidung für eine Lebensform als allein erziehende Mutter erst mit der sozialen Akzeptanz von Kindern unabhängig vom formalen Status der Eltern (verheiratet oder nicht) an Attraktivität gewonnen hat (Kap. 3, 4). – Zur kulturellen Dimension gehört der Anspruch, dass Leben in unterschiedlichen Familienformen als gleichwertig gilt, Kindheit und Familie sich in optionalen Gestaltungsformen im generationalen Dispositiv etablieren können. „Familie ist dort, wo Kinder sind“ (Kap. 2). Rechtlich dagegen wird leitbildmäßig an einer Sorgeorganisationsform, an der gemeinsamen elterlichen Sorge, festgehalten, die gleichermaßen für alle Familienformen gelten soll. Die unterschiedlichen familialen Lebensweisen sollen sich an diesem Leitbild orientieren. Dieser Widerspruch kennzeichnet die kulturelle Dimension. Ihm liegt im Prinzip die Geschlechterfrage zugrunde. Sie durchzieht sowohl grundsätzlich als Frage genereller Zugriffsmöglichkeit auf das Kind wie im Einzelfall als Frage konkreter Zuordnung im Trennungsfall diese Dimension und berührt sowohl den Rechtsstatus als auch den Sozialstatus (Kap. 5, 6, 7). Weil Kinder Sozialprestige versprechen und Lebenssinn vermitteln (Kap. 1), wird der Zugang zum Kind in Form von Umgang und Verfügungsmacht in Form von elterlicher Sorge, selbst wenn nur eingeschränkt in Angelegenheiten, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, sozial und kulturell hoch bewertet. Das Bild „Eltern bleiben Eltern“ wirkt auch
9.1 Das Verhältnis von Pädagogik und Recht im generationalen Dispositiv
249
auf das Selbstverständnis des familienfernen Elternteils und dessen Anspruch auf „sein“ Kind (Kap. 5, 7, 8). 9.1.1
Das Wissen um das Kindeswohl
Der Begriff des Kindeswohls ist im Zusammenhang mit der Kindeswohlgefährdung (§ 1666/1666a BGB) ein unbestimmter Rechtbegriff, der empirisch auszufüllen ist. Rechtlich besteht hinsichtlich der einzelnen Tatbestandsmerkmale der Gefährdung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls eine ausdifferenzierte Kasuistik, die sich auf medizinische, psychologische und pädagogische Forschungsergebnisse bezieht, die empirisch als abgesichert gelten. Über die Auslegung der Norm besteht weitgehende Übereinstimmung. Es gibt weder grundlegende Differenzen in der Literatur noch stark divergierende gerichtliche Entscheidungen (Kap. 3). In Rahmen der Erziehungswissenschaft würde eine Positivbestimmung des Kindeswohlbegriffs außerhalb allgemeiner pädagogischer Vorstellungen von Emanzipation und zunehmender Eigenverantwortung nicht nur an methodischen Fragen scheitern, sondern einem Wissenschaftsverständnis von der gesellschaftlichen und historischen Relativität pädagogischer Theorien und pädagogischen Handelns zuwider laufen. Eine konkrete positive Kindeswohlbestimmung ist in der Regel zweckbestimmt und damit normativ. Sie geht von einer Zielsetzung aus, wie das Kind sein soll, nicht, wie es ist. Weil etwas für das Kind als gut bestimmt wird, sind entsprechende Regelungen erforderlich. Die Positivbestimmung, dass Kinder beide Eltern brauchen, soll das elterliche Zusammenwirken als rechtsethische Idealform legitimieren, die verfassungsrechtlich eines besonderen Schutzes bedarf (Kap. 3, 5). Die Brisanz der Positivbestimmung liegt darin, dass sie dem Zweck untergeordnet ist, eine bestimmte Sorgerechtsform als Idealform auszuweisen. Die Aussage „Kinder brauchen beide Eltern“ mag zunächst eine Position wiedergeben, in der Alltagsüberzeugungen oder Wünsche und Sehnsüchte zum Ausdruck kommen. Sie mag auch, als Frage formuliert, empirische Untersuchungen veranlassen. Als Rechtsregelungen begründendes Leitbild wird die Aussage „Kinder brauchen beide Eltern“, oder etwas anders formuliert, „Eltern bleiben Eltern“ zum Kindeswohldiktum, gegen das es keine Einwände gibt. Eine alleinige elterliche Sorgeübernahme ist gegenwärtig nur möglich, wenn sie sich gegenüber dieser positiven Kindeswohlbestimmung besonders ausweist, sie muss im Einzelfall – rechtlich und tatsächlich als Ausnahme – dem Kindeswohl am besten entsprechen (§ 1671 Abs. 2 BGB), kommt also nur in Betracht, wenn der Einzelfall der Idealform nicht entspricht (Kap. 5). Dieses Wissen um das Kindeswohl, das sowohl ein bestimmtes pädagogisches wie juristisches Wissen darstellt, bedarf keines empirischen Nachweises, es muss nicht gefragt werden, „wie ist das Kind“ (Bühler-Niederberger, Sünker 2006, S. 28 mit Verweis auf Siegfried Bernfeld, 1925). Es leitet sich ab aus einem „natürlichen“ Elternrecht, das gegenwärtig beide biologischen Eltern, Mutter und Vater, meint und Anspruch auf universelle Geltung erhebt (Kap. 3). Ein „natürliches“ Elternrecht be-
250
9 Fazit und Ausblick
darf der Legitimation durch Abstammung, soziale Elternschaft kann sich nicht als „natürlich“ präsentieren (Kap. 2).
9.2
Abstammung, Zuordnung und pädagogische Leitbilder
Der Streit um Abstammungsregelungen (Kap. 2) ist somit eng mit Fragen der Legitimation von Sorgerechtsfragen verbunden. Es hat sich auch gezeigt, dass sich trotz vielfältiger Veränderungen der Formen familialen Zusammenlebens, insbesondere durch Zunahme von allein erziehenden Familien und der Geburt von Kindern, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind (Kap. 4), die Regularien der generationalen Ordnung in ihrer grundsätzlich generalisierenden Zuordnung nicht verändert haben. Abstammung und Zuordnung der Kinder zu den biologischen und rechtlichen Eltern sind konstitutiv, wobei nur ein bestimmtes Modell der Zuordnung, nämlich das der generellen Zuordnung zu beiden Eltern in Form der gemeinsamen elterlichen Sorge als rechtsethisch erstrebenswert gilt (Kap. 2, 5). Eine Demokratisierung hat allerdings insoweit stattgefunden, als die Unterwerfung unter die alleinige väterliche Autorität aufgegeben wurde und nunmehr eine Zuordnung zu Mutter und Vater erfolgen soll. Die in der Übergangszeit geltenden rechtlichen Regelungen der Übertragung der elterlichen Sorge im Fall der Scheidung auf den Elternteil, der in der Lebenswirklichkeit des Kindes am stärksten präsent war, in der Regel die Mutter, wurden in Folge zunehmender Verallgemeinerung und gesellschaftlicher Akzeptanz mütterlich determinierter Lebensformen, insbesondere mit der Etablierung allein erziehender Mutterfamilien aufgegeben (Kap. 3). Scheidungskinder und nichteheliche Kinder bildeten keine Ausnahme mehr, Diskriminierungen gingen ins Leere. Als rechtlich selbständige Sorgeform mit alleiniger Sorgeinhaberschaft hat sich die Mutterfamilie, aber auch die Vaterfamilie nicht etablieren können. Hinter die gegenwärtige Rechtspositionierung biologischer und rechtlicher Elternschaft tritt zurück, dass Lebensweisen von sozialer Elternschaft eingeschränkt werden, die Anknüpfungstatbestände für rechtliche Sorgezuweisungen auslösen könnten und im Interesse der Kinder oder ihrem Wunsch nach auch auslösen sollten, auch bei sozialer Vaterschaft (Kap. 2). Dass ein Widerspruch zwischen der Forderung nach Anerkennung sozialer Elternschaft unter anderem in Form gleichgeschlechtlicher elterlicher Lebensformen und der Möglichkeit ihrer rechtlichen Absicherung besteht, zeigt sich in der Regel erst in zugespitzten Konfliktfällen, die konkreten Entscheidungsbedarf auslösen. Selbst wenn Pädagogik zunächst die Möglichkeit hat, sich von rechtlichen Regelungen fern zu halten, ist ihr eigenes Feld stets betroffen, wenn eine Lösung oder Bearbeitung von Konflikten, die erheblich belasten, eben nicht nur juristische, sondern auch pädagogische Handlungs- und Interventionsstrategien erfordern. Die mit dem Recht des Kindes „auf beide Eltern“ und der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern begründete Sorgerechtsform der gemeinsamen elter-
9.3 Die Rechtsstellung von Kindern in der generationalen Ordnung
251
lichen Sorge wird über vielfältige familienrechtliche und sozialrechtliche Regularien durchgesetzt (Kap. 5, 8). Charakteristisch ist dabei, dass den Ordnungsregularien ihre in Zielsetzung und Ergebnis einheitliche Ausrichtung über eine Konvergenz von politisch durchgesetzten Regelungen in Form von Gesetzen, gerichtlicher Rechtspraxis sowie über sozial und kulturell implementierte pädagogische Leitbilder gelingt (Kap. 3, 5, 8).
9.3
Die Rechtsstellung von Kindern in der generationalen Ordnung – Möglichkeiten von Partizipation
Die generationalen Arrangements sind rechtlich soweit unterlegt, als sie den Erwachsenen Verantwortlichkeiten und Vertretungsbefugnisse zuweisen, wobei diese, auch wenn sie zunächst den Eltern zukommen, jederzeit durch öffentliche Interventionen ergänzt oder ersetzt werden können (Kap. 3). Kindern oder Jugendlichen werden Partizipationsmöglichkeiten insbesondere als pädagogische Zielsetzungen und Praktiken in pädagogischen und sozialarbeiterischen Programmen eröffnet (Kap. 3). Partizipation erfährt aber gerade in familienrechtlichen Regelungen, materiellrechtlichen wie verfahrensrechtlichen, Einschränkungen durch weitgehend fehlende, eigenständig durch Kinder und Jugendliche wahrnehmbare Rechtsansprüche (Kap. 8). Das Verhältnis Kind/Erwachsene wird über rechtliche Regelungen konstruiert, die trotz partizipatorischer Ansprüche Abhängigkeiten von elterlicher und auf allgemeiner Ebene stärker noch von öffentlicher Entscheidungsmacht generieren (Kap. 8). Das Problem liegt dabei nicht in der grundsätzlichen Entscheidungs- und Verantwortungsträgerschaft der Eltern, in den Kindheit ausmachenden „nichtreziproken Sorgebeziehungen“ und auch nicht in der grundsätzlichen Eingriffsmöglichkeit des Staates bei Kindeswohlgefährdungen in der Wahrnehmung seines Wächteramts, sondern, wie insbesondere im Kapitel zum Kindeswillen gezeigt wird (Kap. 8), in den mangelnden rechtlichen Vorkehrungen, Kindern die Artikulation ihrer Interessen aus eigenem Recht zu ermöglichen und diese in die Entscheidungsprozesse systematisch einzubeziehen. Den z. B. im Detail geregelten Umgangsansprüchen der Eltern, den differenzierten Regularien zur Durchsetzung des Umgangs von der Einrichtung einer Umgangspflegschaft bis zur Anwendung von Zwangsmitteln stehen lediglich die sehr allgemeinen Anhörungsrechte von Kinder und Jugendlichen und eine ihnen lediglich formal verpflichtete Interessenvertretung, die nicht ihr persönliches Vertrauen zu haben braucht, gegenüber (Kap. 7, 8). Die Proklamation allgemeiner Kinderrechte allein führt in der Regel nicht zu einer verbesserten Subjektstellung, weil Proklamationen unter Vorgabe des Blickwinkels „vom Kinde aus“ Erwachseneninteressen kaschieren können oder in Form abstrakter Deklaration nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sind, eine konkrete Verbesserung von Lebenslagen oder Rechtspositionen zu erreichen (Kap. 2). Die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Kindern und Erwachsenen in der genera-
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9 Fazit und Ausblick
tionalen Ordnung erhält mit der Ausdifferenzierung familialer Lebensformen eine weitere Komponente: Es geht nicht nur um das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern, sondern zwischen Kindern und einzelnen Eltern, wenn sich durch Nichtanwesenheit eines Elternteils oder durch Trennung und Scheidung die Beziehungen zu den einzelnen Eltern hinsichtlich realer Verantwortlichkeit und Sorge unterscheiden. Aufwachsen vollzieht sich in unterschiedlichen familialen Zusammenhängen, unterschiedlich möglicherweise auch in den einzelnen biographischen Abläufen (Kap. 4). Die Rechtsstruktur der generationalen Ordnung allerdings soll für die unterschiedlichen Lebensformen einheitlich sein, ausgerichtet am Modell der gemeinsamen elterlichen Sorge.
9.4
Die Idealform elterlicher Verantwortungsgemeinschaft und die Forschungsergebnisse der Scheidungs- und Umgangsforschung
Auffällig ist, dass die Auswertung der empirischen Forschungsergebnisse zu Scheidung und Umgang gleichermaßen und im Prinzip übereinstimmend zeigen, dass bei Konflikten zwischen den Eltern häufiger Umgang und gemeinsame Sorgewahrnehmung, die vielfältige Absprachen verlangt, die Kinder eher belastet, als dass sie geeignet ist, entspannte Situationen des Aufwachsens zu ermöglichen (Kap. 5 u. 7). Zu diesen Ergebnissen kommen auch Wissenschaftler wie z. B. Fthenakis, der sich von Beginn der Diskussion an als Befürworter der gemeinsamen elterlichen Sorge und umfassender Umgangsregelungen profiliert hat (Kap. 5, 7). In der Rechtsliteratur werden diese evidenten Forschungsergebnisse überwiegend nicht bestritten (Kap. 5, 7). Die Schlüsse, die daraus gezogen werden, berühren jedoch nicht das Konstrukt der „Idealform“ gemeinsamer elterlicher Verantwortungsübernahme. Aus den beschriebenen Belastungen, die unmittelbar im Scheidungs- oder Trennungszusammenhang auftreten können und deren Bewältigungsmöglichkeiten, wie die aller Krisen im biographischen Verlauf, von einer Vielzahl von Variablen abhängen, werden gegebenenfalls einzelne Details isoliert, um der Behauptung, bei Trennungen der Eltern könnten durch deren Zusammenwirken die Belastungen für die Kinder minimiert werden, Erfahrungsrelevanz zu geben (Kap. 5). Selbst wenn die wesentlichen Aussagen der Risiko- und Scheidungsforschung nicht ignoriert werden, wenn es, wie von Coester konzediert wird (Kap. 5), „noch“ keine empirischen Belege dafür gibt, dass das Kindeswohl am besten in der Sorgerechtsform der gemeinsamen elterlichen Sorge zur Geltung kommt, wird mit einem positiv definierten Kindeswohlbegriff auf der Idealform gemeinschaftlicher elterlicher Verantwortungswahrnehmung bestanden, auch wenn diese in der Trennungssorge gemäß § 1687 BGB in Sorge für Angelegenheiten des täglichen Lebens (ein Elternteil, bei dem das Kind lebt) und Sorge in Angelegenheiten, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind (beide Elternteile), ohnehin zu einer praktisch unterschiedlichen Sorgewahrnehmung führt. Die Rechtsform der gemeinsamen elterlichen Sorge ist nicht als tatsächliche und all-
9.4 Die Idealform elterlicher Verantwortungsgemeinschaft
253
tägliche auf die Lebenswelt bezogene, gemeinsame Verantwortungsübernahme konzipiert. Sie wird vielmehr als abstraktes, einem Ideal verpflichtetes Prinzip verstanden, das allerdings in Angelegenheiten, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, unmittelbar in die Lebenswirklichkeit eingreift (Kap. 5). In unterschiedlicher Weise werden bei Nichtgelingen elterlicher Übereinstimmung rechtliche oder sozialrechtliche, d. h. interventionistische Lösungen angeboten. Vor allem wird angestrebt, das System der Einigungshilfen in Form von Beratungs-, Mediations- und Therapieangeboten auszubauen, das den vorgegebenen pädagogischen Leitbildern folgen soll, wobei die Adressaten Mütter und Väter sowie die Kinder selbst sind. Einvernehmen wird zum komplementären Idealbild der Idealform gemeinsamer elterlicher Verantwortungsgemeinschaft. Es gilt als erstrebenswertes Verhalten in den Beziehungen zwischen den Eltern. Die Internalisierung von Einvernehmen als ideale Konfliktlösungsform kann auch wichtige Weichen stellen für Verhalten in anderen Konfliktlagen, auch in gesellschaftlichen und politischen Konflikten (Kap. 5 u. 8). Die Einübung von „Sittlichkeit“, die in ihrem Kern stets auf Anpassung an gesellschaftliche Herrschaftsformen ausgerichtet war (Kap. 2 u. 3) und sich in der Herstellung von Einvernehmen ausdrückt, erfolgt nicht mehr nur im familiären Austausch und durch Anpassung innerhalb der Familie, sondern in Krisensituationen in Form vorgegebener Bewältigungsstrategien. Wenn sich die Familie auflöst und neu konstituiert, gilt nicht mehr wie ehemals bei der Scheidung das sittliche Modell der Ehe und Familie als in Frage gestellt. „Sittlichkeit“ bleibt vielmehr durch den Anspruch auf Einvernehmen und gemeinsamer Sorgewahrnehmung gewahrt. Dieser Anspruch überdauert das Auseinandergehen. Man könnte sagen, dass das Rechtsinstitut der gemeinsamen elterlichen Sorge das allgemeinverbindliche frühere Zwangsinstitut der Ehe abgelöst und im generationalen Dispositiv zentrale Ordnungsfunktionen hinsichtlich von Zuordnung und Kontrolle übernommen hat. Der Kontrolle unterliegen mit diesem neuen Institut sowohl die Erwachsenen als Eltern wie auch die Kinder (Kap. 5). Der Staat tritt in unterschiedlichen Interventionsformen auf. Er regelt über die generalisierende Wirkung materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Gesetzgebung den rechtlichen Rahmen der Familienorganisation und der Formen der Auseinandersetzung, bietet über Jugendämter und Wohlfahrt Hilfen an, übt Kontrollen aus und überlässt gemäß der Gewaltenteilung die Einzelfallentscheidungen den Gerichten. Zugleich bilden sich im Geflecht unterschiedlicher Interessen und Entwicklungen Meinungen und Überzeugungen heraus, die die Art und Weise staatlicher Interventionen beeinflussen. Wenn sich staatliches Handeln und gesellschaftliche Vorstellungen von dem, was richtig ist, mit verhältnismäßig hohem Konsens herausgebildet haben und übereinstimmen, können sozial und formal hochwirksame Leitbilder wie die der gemeinsamen elterlichen Sorge und des elterlichen Einvernehmens präsentiert und kodifiziert werden. Wer sich formalisierten und sozial etablierten Leitbildern wie z. B. dem des Einvernehmens nicht fügt, hat mit Sanktionen zu rechnen, konkret z. B. durch eine Verpflichtung, Kosten zu tragen, durch soziale
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9 Fazit und Ausblick
Missbilligung in Form verpflichtender Teilnahme an Beratungen bzw. Therapien oder durch gerichtliche Entscheidungen (Kap. 8). Der Staat hat sich mit der Aufgabe der obligatorischen Sorgerechtszuweisung bei der Kindschaftsrechtsreform von 1998 (Scheidung und automatische richterliche Sorgezuweisung unter Berücksichtigung elterlicher Anträge, Kap. 5) nicht aus der Regelung der Sorgeverteilung zurückgezogen, er hat vielmehr über das rechtlich und jugendhilferechtlich abgesicherte Leitbild (Kap. 5, 8) seine Steuerung geändert. Der Gewinn, auf übereinstimmender Basis eine gemeinsame elterliche Sorge nach Trennung und Scheidung ohne staatliche Rückkoppelung, d. h. ohne gerichtliche Entscheidung wahrnehmen zu können, relativiert sich angesichts eines universellen Anspruch erhebenden, pädagogisch legitimierten, staatlich abgesicherten und geförderten Leitbildes.
9.5
Ausnahmen als Ausgrenzungen
Bei Beziehungen, die von Gewalt zwischen den Eltern belastet sind, insbesondere dann, wenn das Gewaltschutzgesetz zur Anwendung kommt, werden Abweichungen von der „Idealform“ gemeinsamer Sorgetragung im Interesse des Kindes überwiegend akzeptiert, insbesondere nach der Rechtsprechung des BVerfG (Kap. 5). Die Notwendigkeit der Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf den von der Gewalt betroffenen Elternteil ist in der Regel nicht umstritten, inwieweit in derartigen Fällen auch Umgangseinschränkungen erforderlich sein sollten, aber schon. Der Stellenwert des Gewaltdiskurses ist für Verteilungsfragen der elterlichen Sorge insoweit von Bedeutung, als er nicht nur vermittelt, dass die Durchsetzung einer Idealform Kinder erheblich belasten und ihnen Schaden zufügen kann, sondern auch, weil er die Grenzen und den normativen Charakter der Idealform dekonstruiert: Familie war und ist historisch von Herrschaftsverhältnissen geprägt (Kap. 2, 3), die sich stets auch in unmittelbarer Gewalt geäußert haben und äußern. Die Proklamation einer Idealform abstrahiert von der historischen und gesellschaftlichen Gebundenheit elterlicher Sorgewahrnehmung und vom Geschlechterverhältnis. Auch bei Konflikten, in denen unmittelbare Gewalt keine Rolle spielt, wird von psychologischer und auch von rechtlicher Seite in der neueren Literatur konzediert, dass sich Einvernehmen nicht in jedem Fall erzwingen lässt (Kap. 5, 7, 8). Wenn über gerichtliche Entscheidungen versucht wird, in jedem Fall die gemeinsame elterliche Sorge als „Idealform“ durchzusetzen, werden diese Entscheidungen zum Teil als „krasse“ Fehlentscheidungen kritisiert, auch von denjenigen, die die Idealform elterlicher Verantwortungsgemeinschaft herausstellen (Staudinger/Coester zu § 1671 BGB 2009, Rn 118). Mit der Akzeptanz von Grenzen bei der Durchsetzung von Einvernehmlichkeit in Konfliktfällen wird aber das Leitbild als solches keineswegs infrage gestellt. Weil Erfahrung auf die Dauer nicht ignoriert werden kann und von denjenigen, die ihre Positionen empirisch begründen wollen, auch nicht vernachlässigt werden soll, werden Ausnahmen konstruiert, für die die Leitbilder keine Anwendung
9.6 Die gemeinsame elterliche Sorge und mögliche Alternativen
255
finden sollen. In hochgradig streitigen Fällen soll Einvernehmen nicht über rechtliche Sanktionen gegen den Elternteil durchgesetzt werden, der vermeintlich das Einvernehmen behindert, weil den Kindern damit Schaden zugefügt werden könnte, im Extremfall dadurch, dass sie aus ihrer Umgebung herausgenommen werden (Kap. 5, 8). Ein Leitbild-Ausnahmeverhältnis wirkt sich jedoch in der Regel stets diskriminierend auf die Ausnahmen aus, es wird letztlich eine „gute“, einvernehmliche Elternschaft gegen eine unzureichende, weil nicht zu Einvernehmen fähige, ausgespielt. Weil diese Ausnahmen, solange sie rechtlich als zu begründende Ausnahmen gelten, regelmäßig der Einzelfallprüfung bedürfen, kommt es immer wieder zu Entscheidungen, die in der Literatur als Fehlentscheidungen benannt und kritisiert werden und die auch, wenn es zu entsprechenden Verfahren kommt, von übergeordneten Gerichten zurückgewiesen oder aufgehoben werden (Beispiele Kap. 5, 7, 8). Allerdings sind die beklagten Fehlentscheidungen einem System immanent, in dem nur eine einzige Sorgerechtsform als Idealform gilt: Bei dem gegebenen weiten richterlichen Beurteilungsspielraum werden Grundüberzeugungen immer entscheidungsleitend sein.
9.6
Die gemeinsame elterliche Sorge und mögliche Alternativen
Betont wird immer wieder, dass im Zusammenhang mit der Scheidung in über 90% der Fälle die gemeinsame elterliche Sorge erhalten bleibt. Der Umstand, dass dieses Sorgerechtsmodell, bei dem die tatsächliche Sorge leistenden Elternteil, in der Regel den Müttern, häufig nicht zur Zufriedenheit führt (Kap. 4), wird dabei ebenso wenig berücksichtigt wie die Fälle, in denen später im Rahmen von isolierten Familiensachen Sorgerechtsänderungen angestrebt werden. Über diese Anträge gibt es in der offiziellen Familiengerichtsstatistik keine genauen Zahlen, weil diese Fälle nicht ausdifferenziert erhoben werden (Kap. 4). Die Erfolgsmeldung, 90% der Eltern behielten die gemeinsame elterliche Sorge bei, suggeriert eine sehr große Akzeptanz, die weder der genauen Analyse gerichtlicher Streitfälle noch weiterer empirischer Untersuchungen über die tatsächliche Zufriedenheit mit diesem Modell sowohl beim versorgenden Elternteil wie bei Kindern und Jugendlichen (derartige Befragungen gibt es nicht) standhalten würde. Aufgezeigt wurde, dass die gemeinsame elterliche Sorge als Sorgeform ohne gemeinsamen Elternwillen rechtlich weitgehend durchgesetzt wird (Kap. 5). Insofern verweist diese Zahl nicht nur auf tatsächlich gewollte Übereinkunft. Andererseits zeigt die Zahl auch, dass eine gemeinsame elterliche Sorge von vielen Eltern gewollt ist. Das alte Verbundsystem war mit einer generellen Einmischung des Staates in familiäre Entscheidungen behaftet. Die neue Regelung ist insofern mit einer Entstaatlichung verbunden. Wenn kein Antrag gestellt wird, erfolgt keine Prüfung. Dass über die konkrete Ausgestaltung der Regelungen und die diese verfestigenden Leitbilder die alleinige elterliche Sorge als gleichermaßen mögliche Sorgerechtsgestaltung optional nicht zur Verfügung steht, relativiert den Entstaatlichungsgedanken. Gerade die Anstrengungen, über sozialstaatli-
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9 Fazit und Ausblick
ches Handeln das Leitbild durchzusetzen, bestätigen, dass der Staat sich aus diesem Feld keineswegs zurückgezogen hat. Einige Autoren, insbesondere Kerima Kostka (Kostka 2004, S. 527), kritisieren, dass Kindern und Jugendlichen nach der neuen Regelung nicht mehr wie im Rahmen des alten Verbundsystems die Gelegenheit geboten wird, über Anhörung ihre Sicht darzulegen (Kap. 5, 8). Eigenständig wahrzunehmende Verfahrensrechte (z. B. die Möglichkeit, selbst Anträge über Sorgezuordnungen stellen zu können, Kap. 8) könnten hier Abhilfe schaffen, ohne die Frage einer generellen Überprüfung familiärer Entscheidungen neu zu stellen. Weil eine generelle Überprüfung elterlicher Entscheidungen als Eingriff in die familiäre Autonomie verstanden und das Gefühl vermittelt wird, in eigenen Verhaltensmöglichkeiten beschränkt zu werden, ist der Wegfall der obligatorischen Sorgerechtszuweisung im Scheidungsverbund wahrscheinlich von vielen Eltern begrüßt worden. Möglicherweise führt das Unbehangen, sich richterlichen Entscheidungen unterwerfen zu müssen, auch dazu, keine Anträge auf die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge zu stellen und die gemeinsame Sorge soweit zu akzeptieren. Es ging es nicht darum, das Modell der gemeinsamen elterlichen Sorge generell in Frage zu stellen, da es in vielen, möglicherweise auch in der Mehrzahl der Fälle für alle Beteiligten, auch für die Kinder, zu befriedigenden Lösungen führen kann. Es ging vielmehr darum, dass dieses Modell, wenn es den Vorzug als bestes Modell erhält und die Qualität einer rechtsethischen Idealform zugewiesen bekommt, gesellschaftlich und im Einzelfall seine Schattenseiten zeigt: Optionalität wird eingeschränkt, selbst gewählten Lebensweisen werden entgegen dem Anspruch einer pluralen Gesellschaft keine rechtlichen Regelungen zugestanden, die diese Lebensweisen in ihrer Selbständigkeit schützen. Wenn die gemeinsame elterliche Sorge tatsächlich an einen übereinstimmenden Elternwillen gebunden wäre, Kinder und Jugendliche die Möglichkeit hätten, diese Übereinstimmung zu akzeptieren oder über Antragsrechte ggf. in Frage zu stellen, könnte das Modell der gemeinsamen elterlichen Sorge seine Überzeugungswirkungen entfalten. Voraussetzung dafür wäre, dass sich ein Modell alleiniger Sorgetragung ebenso bewähren könnte, nach dem auf Antrag eines Elternteils und unter Berücksichtigung des Kindeswillens die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge stets auf einen Elternteil zu erfolgen hätte (der ein anderer als der den Antrag stellende Elternteil sein könnte). Die gemeinsame elterliche Sorge könnte gerichtlich nicht gegen den Willen eines Elternteils verfügt werden oder möglicherweise nur in Ausnahmefällen aufgrund des Kindeswillens.
9.7
Die Gleichberechtigung der Geschlechter als Gleichheit von Mutter und Vater
Die Geschlechterfrage erhält eine unmittelbare Relevanz in Abstammungs- und Sorgerechtszuweisungsfragen. Möglicherweise kann es in Bezug auf die Kinder, die in
9.7 Die Gleichberechtigung der Geschlechter als Gleichheit von Mutter und Vater
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gleichberechtigten Partnerschaften oder in Lebenspartnerschaften aufwachsen, besser gelingen, im Fall einer Trennung Streitigkeiten zwischen den Eltern auf Fragen von tatsächlicher Wahrnehmung elterlicher Verantwortung zu reduzieren oder bei ähnlicher Verantwortungswahrnehmung auch in zugespitzten Konfliktsituationen praktikable Lösungen auf den Einzelfall bezogen zu entwickeln. Die Frage nach mütterlicher oder väterlicher Sorgeteilhaberschaft über den Einzelfall hinaus stellt sich jedoch zugleich grundsätzlich als Frage der Ordnung zwischen den Geschlechtern. Es geht in den Rechtsregelungen nicht nur um Einzelfalllösungen, sondern ebenso darum, ob abstrakt die Gleichberechtigung der Geschlechter gewahrt bleibt. Die Idee, der Vorstellung nachzugehen, es könnte keine Bindung an ein Geschlecht geben (Kap. 2, Plett 2000), hat ihren Reiz in allen anderen sozialen Zusammenhängen, ihr könnte auch in Fragen tatsächlichen Sorgeverhaltens nachgegangen werden. In Fragen von Abstammung und rechtlicher Sorgezuordnung verweist sie jedoch auf die Härte einer Begrenzung: Geschlecht begründet unterschiedliche Möglichkeiten. Deshalb kommt dem Streit über die Frage des Erwerbs von Sorgeteilhaberschaft nach § 1626a BGB eine große symbolische Bedeutung zu, und deshalb wird er polarisierend geführt (Kap. 6). Zunehmend werden Sorgeerklärungen abgegeben (Kap. 4), die gemäß § 1626a BGB die gemeinsame elterliche Sorge ebenso auslösen wie die Ehe. Es wird in der Literatur und – zurückhaltender – in der Rechtsprechung des BVerfG den Müttern, die keine Sorgeerklärung abgeben, unterstellt, möglicherweise Machtmissbrauch auszuüben (Kap. 6). Die am weitesten gehenden Forderungen sind, eine gemeinsame elterliche Sorge mit einer einseitigen Vaterschaftsanerkennungserklärung zu begründen oder dem biologischen und/oder rechtlichen Vater auf Antrag eine Sorgeinhaberschaft zu gewähren, wenn er sich bereit erklärt, Verantwortung für das Kind zu übernehmen oder wenn die Mutter dem Sorgerechtsbegehren des Vaters nicht widerspricht, was nur bei qualifizierten Hinweisen auf mögliche Gefährdung des Kindeswohls möglich wäre (Kap. 6). Eine derartige Sorgeübertragung würde in der Form der Trennungssorge nach § 1687 BGB nur für die Angelegenheiten gelten, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind (Kap. 5). Hier stehen nicht die konkreten Bedingungen des Aufwachsens zur Diskussion, es geht vielmehr um den Zugriff auf Ordnungselemente des generationalen Dispositivs. Kinder brauchen Mütter und Väter um der Geschlechterordnung willen, nicht als reale und im Alltag erlebte Bezugs- und Verantwortungspersonen. Die Gleichheit der Geschlechter soll einen rechtlich gleichermaßen möglichen Zugriff auf die nächste Generation legitimieren, unabhängig von einem Einverständnis zwischen den Eltern, gemeinsam tatsächliche Verantwortung für ihr Kind übernehmen zu wollen, und unabhängig davon, wie tatsächliches Sorgeverhalten die Lebenswirklichkeit der Kinder bestimmt. Eine Generalisierung des Zugriffs scheint nötig, weil mit der Gleichstellung von ehelichen Kindern und Kindern, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind, es keine „illegitimen“ und damit sozial zu vernachlässigenden, ausgrenzbaren Kinder mehr gibt. Nur legitime Kinder, also vormals ausschließlich eheliche Kinder, hatten ein Recht
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9 Fazit und Ausblick
auf einen Vater und standen unter seinem Schutz und seiner Gewalt (Kap. 3). Und dieses väterliche Recht soll – zumindest als Recht, über alle Angelegenheiten, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, mitzubestimmen – nunmehr allen Kindern zuteil werden. Die Rechtsposition des Vaters soll nicht an elterliche Übereinstimmung in Form der Ehe oder der Sorgeerklärung gebunden sein. Die mütterliche, weibliche Selbstbestimmung, entscheiden zu können, ob und mit wem sie die Verpflichtung gemeinsamer Elternschaft eingehen will (Kap. 6), wird als möglicher Machtmissbrauch diskreditiert. Die unterschiedlichen Beziehungen, die zu einer Geburt führen können – sporadische, flüchtige, von vornherein mit Illusionen und Selbsttäuschungen verbundene, hochintensive oder auf Dauer angelegte Liebesbeziehungen – und die das Verhältnis zwischen Mann und Frau soweit bestimmen, als sie einen lebbaren Rahmen für das Aufwachsen des Kindes bieten können oder eben nicht, werden für das Kind als nicht erheblich gewertet. Die Entscheidungsfreiheit der Frau, verantwortliche Bindungen einzugehen, hat hinter dem mächtigen Anspruch einer generationalen Zuordnung zu Mutter und Vater, verbunden mit dem Rechtsanspruch, Entscheidungen über das Kind ausüben zu können, zurückzutreten. Darüber, wann und wie der Vater ohne Übereinstimmung mit der Mutter eine gemeinsame Sorge durchsetzen kann, gibt es in der Literatur unterschiedliche Auffassungen. Die Mindestforderung ist, dem Vater in Ausnahmefällen die Möglichkeit zu geben, in die gemeinsame elterliche Sorge einrücken zu können, wenn er sich tatsächlich an der Sorge beteiligt hat (Kap. 6). In diese Richtung geht auch die Entscheidungen des EGMR und die des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 (Kap. 6). Welche Konsequenzen der Gesetzgeber aus diesem Beschluss ziehen wird, ist noch unklar. Die Öffnung für Einzelfallentscheidungen ist unumgänglich. Inwieweit damit eine generelle Öffnung verbunden sein wird, ist abhängig davon, wie die einzelnen Tatbestandsmerkmale, die eine gemeinsame elterliche Sorge ermöglichen können, formuliert werden. Die Geschlechterfrage scheint ursächlich dafür zu sein, dass es zwischen den beiden Sorgerechtsformen, der alleinigen und der gemeinsamen elterlichen Sorge, nur schwer eine allgemeine, gesellschaftlich akzeptierte, gleichberechtigte Koexistenz geben kann. Männer und Frauen unterliegen hinsichtlich der Frage des Zugangs zur „Ressource Kind“ unterschiedlichen Möglichkeiten und Begrenzungen. Es entsteht die Frage, ob diese Differenz in einer pluralen Gesellschaft soweit auszuhalten oder zu akzeptieren ist, als unter Bezug auf die Gleichberechtigung nicht auf dem gleichen Zugriff auf das Kind bestanden wird, nicht Einschränkungen weiblicher Selbstbestimmung als der Gleichberechtigung gezollt, gefordert und hingenommen werden. Zygmunt Baumann beschreibt in „Moderne und Ambivalenz“, dass „im Idealfall der pluralen und pluralisierten Welt der Postmoderne jede Lebensform prinzipiell erlaubt oder, besser gesagt, … keinerlei allgemeine Prinzipien evident (oder unbestritten evident – Anm. im Text) (sind), irgendeine Lebensform unzulässig (zu) machen.“ Und „sobald die Differenz aufhört, Druck auszuüben, und nicht als ein Problem konstruiert wird, das nach Handeln und Lösung ruft, wird die friedliche Koexistenz von verschie-
9.8 Erziehungswissenschaftliche Perspektiven
259
denen Lebensformen möglich (Hervorg. im Text). Das Prinzip der Koexistenz könnte (einfach nur: könnte, Anm. im Text) das Prinzip der Universalisierung ersetzen“ (Bauman 2005, S. 127).
Der Text steht nicht im Zusammenhang mit der Geschlechterfrage, er verweist aber auf Möglichkeiten: Kann sich das Verhältnis von Frauen und Männern zu ihren Kindern anders als durch gleiche Rechtszugriffe gestalten, können andere Anknüpfungssachverhalte als Abstammung und rechtliche Zuordnungen Sorgebeziehungen regeln, kann die Vorstellung eines universellen rechtsethischen Prinzips einer gemeinsamen elterlichen Verantwortungsgemeinschaft aufgegeben werden? Und was würde eine generationale Ordnung ausmachen, die koexistentielle Lebensweisen ermöglicht ohne Freiheitsoptionen einzuschränken?
9.8
Erziehungswissenschaftliche Perspektiven
Aufgezeigt wurde, dass mit dem Anspruch, allein die Leitbilder der gemeinsamen elterlichen Sorge und des Einvernehmens entsprächen dem Kindeswohl, Universalismen behauptet und tradierte Ansprüche von Unauflösbarkeit wiederbelebt werden. Die tatsächlichen Lebenszusammenhänge des Aufwachsens von Kindern sind in diesem Kontext sekundär. Es geht um Rechtspositionen und zwar in erster Linie um die Rechtspositionen des Vaters, grundsätzlich um Zugang zur rechtlichen Sorgeteilhaberschaft. In der Arbeit wurden Fragen des Unterhalts nicht thematisiert, weil das über die Fragestellung hinausgegangen wäre. Hingewiesen wurde darauf, dass Unterhalt, Umgang und elterliche Sorge voneinander unabhängig geregelt sind. Nach der hier dargelegten Position, die dafür plädiert, eine gemeinsame elterliche Sorge tatsächlich vom gemeinsamen Willen beider Eltern abhängig zu machen, wäre zu prüfen, ob z. B. im Fall von alleiniger Sorge, die ausdrücklich von einem Elternteil, z. B. von der Mutter angestrebt wird, ohne dass der Kindesvater z. B. durch Gewaltverhalten dafür Anlass gegeben hätte, der andere Elternteil von Unterhaltsverpflichtungen zumindest teilweise freigestellt werden sollte. Im Unterhalt zeigt sich konkrete Verantwortungsübernahme. Zuverlässige Unterhaltszahlungen gelten auch als ein Indiz für engagiertes Verhalten des familienfernen Elternteils (Kap. 5, 7). Wenn sich die Beziehung zwischen der neuen Familie und dem familienfernen Elternteil hingegen als nicht tragend erweist, ist zu diskutieren, ob der familienferne Elternteil gleichermaßen unterhaltsrechtlich zu belasten ist. Dabei werden zivilrechtliche Unterhaltsfragen und im Fall von Armut Fragen öffentlicher Transferleistungen berührt, die beide wahrscheinlich sehr schwierig zu klären sind. Deutlich wurde, dass Kindern trotz partizipatorischer Ansprüche und trotz eingeräumter Anhörungsmöglichkeiten insgesamt im Konfliktfeld elterlicher Zuordnungen und Umgangsbefugnisse rechtlich nur wenige Artikulationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Für die Kindheitsforschung ist es wesentlich, den Blick auf
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9 Fazit und Ausblick
die Bedingungen und Möglichkeiten von Kindheit freizugeben, nicht für ein bestimmtes Bild vom Kind zu plädieren, nicht ein Wissen zu referieren, was Kind ist oder was seinen Interessen entspricht, sondern zu fragen, „wie Kindheit möglich ist“ (Honig 2009, S. 51). Für Honig sind dabei bisher „vernachlässigte Dimensionen generationaler Ordnungen wie Verletzlichkeit, Angewiesenheit und nicht-reziproke Sorge“ zu beachten. Forschungen darüber, wie sich z. B. für Kinder und Jugendliche das Verhältnis zu den Erwachsenen als Mütter und Väter in Krisensituationen darstellt, die gemeinsam mit ihnen die Lebenswirklichkeit gestalten oder zu denen sie Kontakt halten möchten oder nicht, könnten die Bedingungen verdeutlichen, die für eine Bewältigung der Krise günstig sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Erwachsenen sozial oder über Rechtssetzungen den gesellschaftlichen Verhältnissen, die diese Lebenswirklichkeit prägen, ebenso unterworfen sind wie die Kinder. In gerichtlichen Verfahren sind Kinder und Jugendliche auf Erwachsene angewiesen. Wie diese Angewiesenheit organisiert wird, könnte ein weiteres Forschungsthema sein. Es ist ein Ergebnis dieser Arbeit, dass Rechte von Kindern und Jugendlichen, gerade Verfahrensrechte im Kontext von Entscheidungen über sie und über die Bedingungen ihres Aufwachsens, einer Verletzlichkeit und Angewiesenheit von Kindern nicht widersprechen, sondern diese vielmehr respektieren. Zu welchen sekundären Verletzungen die geltenden materiellen Rechtsnormen und Verfahrensregelungen führen können, bedarf weiterer Untersuchungen (Kap. 8). Die Beachtung der bisher vernachlässigten Dimensionen von Angewiesenheit und nicht-reziproker Sorge heißt für den Kindeswillen nicht, ihn gegen die grundsätzliche Verantwortlichkeit von Erwachsenen auszuspielen. Es heißt vielmehr, ihn in einem anderen Maß als bisher zur Kenntnis zu nehmen und ihm formale Artikulationsmöglichkeiten einzuräumen. Die „Entwicklungstatsache“ und die Angewiesenheit der Kinder auf Erwachsene erfordert, dass die Entscheidungen von den Erwachsenen getroffen werden, auch, um Kinder nicht zu überfordern. Zu einer im pädagogischen Sinn verantwortlichen Entscheidung gehört allerdings, dass Entscheidungen von denjenigen getroffen werden, die in tatsächlicher Verantwortungsgemeinschaft mit dem Kind leben oder dass, wenn Entscheidungen von Dritten, d. h. von Gerichten zu treffen sind, die Kompetenzen derjenigen, die diese Verantwortungsgemeinschaft konkret gestalten, besonders berücksichtigt werden. Wenn wie im geltenden Recht, die Gesetze die Beziehungen zu den Eltern als individualisierte Rechtsbeziehungen zu den einzelnen Elternteilen (Kap. 2) regeln, die als jeweiliges Elternrecht mit gleichen grundsätzlichen Ansprüchen verbunden sind, dann werden diese Beziehungen in einer Weise rechtlich bestimmt, die von der tatsächlichen Verantwortungsgemeinschaft abstrahiert. Die Legitimation, dass das generell dem Kindeswohl dient, wurde dekonstruiert. Die für die Kindheitsforschung aufgestellte Forderung, Naturalismen zu überwinden (Bühler-Niederberger, Sünker 2009, S. 178), kann eine Ausstrahlung in die Rechtswissenschaft haben, wenn Naturalismen wie die, die sich im „natürlichen Elternrecht“ ausdrücken, hinterfragt werden. An die von Marlene Stein-Hilbers noch vor der Kindschaftsrechtsreform gestellte Frage
9.8 Erziehungswissenschaftliche Perspektiven
261
„Wem gehört das Kind?“ kann angeknüpft werden: Es geht nicht nur um die Auseinandersetzung zwischen den Eltern um das einzelne Kind, nicht nur um die gesellschaftlichen Funktionen bestehender Rechtsregelungen, sondern darüber hinaus um die Verortung des Eltern/Kind-Verhältnisses als persönliches Beziehungsverhältnis von Kindern zu ihren Eltern, jeweils konkret zu ihren Müttern und Vätern. Und es geht darum, wie der Staat auf dieses Verhältnis einwirkt, sowie um die Regularien und widerstreitenden Interessen, um die Manifestationen von Leitbildern, die dieses Beziehungsverhältnis beeinflussen, wobei das Beziehungsverhältnis als ein pädagogisches zu sehen ist. Dabei ist eine relationistische Sichtweise erforderlich. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern als Verhältnis zwischen Kindern und ihren Müttern und ihren Vätern ist im Zusammenhang der tatsächlichen Sorge- und Verantwortungsbeziehung zu beschreiben, so, wie es sich in der konkreten, sozial, politisch und rechtlich bestimmten Lebenswirklichkeit darstellt. Ein Zitat von Doris Bühler-Niederberger und Heinz Sünker zeigt ein Anliegen der Arbeit und zugleich eine erziehungswissenschaftliche Forschungsperspektive: „Abgewehrt werden soll … der kolonisierende Zugriff von Erwachsenen auf Kinder, auch da, wo es vorgeblich um das ,Kindeswohl‘ geht, insbesondere dort, wo gute Absichten, moral panics und Klasseninteressen [oder Geschlechterinteressen, BS] ineinander greifen“ (Bühler-Niederberger, Sünker 2009, S. 179).
Das Thema der Verteilung der elterlichen Sorge zwischen den Eltern wird mit einer weiteren Ausdifferenzierung der Familienbeziehungen an Aktualität gewinnen. Für die Frage, wie das Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen in Familien- und Verantwortungsbeziehungen rechtlich und sozial organisiert wird, sind die Aspekte von Partizipation und Selbstbestimmung hervorzuheben, sollen in einer pluralistischen Gesellschaft Voraussetzungen für ein Gelingen gleichberechtigten und gleichermaßen zu fördernden Aufwachsens dargestellt werden.
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