Atlan - Der Held von Arkon Nr. 243
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Atlan - Der Held von Arkon Nr. 243
Die Drachenwelt Reise in die Vergangenheit - und zur Schatzkammer der Sterne von H. G. Ewers
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Feinde ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindli che Rückschläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fort zusetzen. Gegenwärtig ist Atlan allerdings nicht in der Lage, an diesem Kampf mitzuwirken, da er sowie ein paar Dutzend seiner Gefährten von der ISCHTAR im Bann AkonAkons, des Psycho-Tyrannen, stehen, gegen dessen Befehle es keine Auflehnung gibt. Akon-Akon, der mit Atlans und Fartuloons Hilfe den »Stab der Macht« in Besitz nehmen konnte, treibt die von ihm beherrschte Gruppe von Männern und Frauen durch einen neuen Transmittersprung weiter ins Ungewisse und Unbekannte. Der Kristallprinz und Fartuloon werden dabei Augenzeugen einer Legende. Ihre Bewußtseine machen eine Reise in die Vergangenheit – und sie geraten auf DIE DRACHENWELT …
Die Drachenwelt
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Die Hautpersonen des Romans:
Akon-Akon - Ein »waches Wesen« wird geboren.
Atlan und Fartuloon - Die beiden Arkoniden auf einem Trip in Akon-Akons Vergangenheit.
Raimanja - Akon-Akons Mutter.
ANTE - Der letzte derer von SQUARAS.
Vritra - Ein junger Drache.
1. Keuchend hastete Raimanja den spärlich bewachsenen Hang hinab und warf sich un ten förmlich zwischen die haushohen Farn wedel. Sekunden später schwoll das vorher leise Summen zu einem lauten Brausen an, dann fegte ein elliptischer Schatten über das Blät terdach des Farnwaldes. Das Brausen wurde schwächer, verwandelte sich wieder in ein leises Summen und erstarb schließlich ganz. Raimanja rappelte sich auf, strich sich das schweißverklebte Haar aus dem Gesicht, schraubte ihre Wasserflasche auf und trank bedächtig einen langen Schluck. Danach schraubte sie die Verschlußkappe wieder zu und verließ den Farnwald. Sie wußte, daß sie damit auch ihre Sicht deckung vor den umherstreifenden Gleitern der Akonen verließ. Doch die Gefahren, die im dichten Farndschungel lauerten, waren so vielfältig, daß Raimanja das Risiko, von den Akonen entdeckt und eingefangen zu wer den, vorzog. Allerdings wollte sie es ihren Entführern auch nicht zu leichtmachen. Darum blieb sie so nahe am Farndschungel, daß sie sich mit wenigen Sätzen in Sicherheit bringen konn te, falls sich wieder ein Gleiter nahte. Rund fünf Stunden marschierte sie so über grasbewachsenen Boden, nacktes Ge stein, durch flache Bachläufe und über einen schmalen Grat. Dann entdeckte sie in der Felswand, die sich zur ihrer Linken auf bäumte, einen zirka drei Meter breiten und zehn Meter hohen Spalt, durch den helle Lichtbahnen flossen. Im ersten Augenblick ihrer Entdeckung erschrak Raimanja. Sie ging auf ein Knie
nieder und brachte ihren Impulsnadler in Anschlag. Doch dann wurde ihr klar, wie dieses Phänomen zustande kam. Auf ihrer Seite der Felswand herrschte trübes Dämmerlicht, weil die weißgelbe Sonne Ytzica so tief stand, daß der direkte Blick auf sie durch die Felswand verwehrt wurde. Mit Ausnahme jenes Spaltes natürlich. Raimanja lächelte erleichtert. Sie zog die Sonnenblende ihrer Mütze tief über die Au gen, dann tauchte sie in dem Spalt unter. Als sie ihn zur Hälfte durchquert hatte, drehte sie sich um. Jetzt war sie nicht mehr geblen det und konnte demzufolge die helle Be leuchtung zu ihren Gunsten ausnutzen. Die Arkonidin sah, daß die Wände des Spaltes so glatt waren, als wären sie mit ei ner Energiefräse in die Felswand geschnitten worden. Ein glasartiger Überzug hatte sie davor bewahrt, von den Kräften der Erosion zerfressen zu werden. Nur an einigen Stellen schimmerte der glatte Fels grün, gelbbraun und bläulich. Hier hatten sich irgendwelche mineralhaltigen Gase niedergeschlagen. Raimanja runzelte nachdenklich die Stirn. Sie zweifelte nicht daran, daß der Spalt nicht auf natürliche Weise entstanden war. Folg lich mußten schon früher Intelligenzen auf Perpandron gelandet sein – und sie hatten diesen spaltförmigen Durchbruch sicher nicht zum Zeitvertreib geschaffen. Vorsichtiger noch als zuvor setzte Rai manja ihren Weg fort. Nach siebzehn weite ren Schritten erreichte sie das jenseitige En de des Durchbruchs – und wieder blieb sie stehen. Sie legte als zusätzlichen Blendschutz die linke Hand schräg über die Augen, dann mu sterte sie das schüsselförmige Tal, das un mittelbar vor ihr lag. Es mochte zwei Kilo
4 meter durchmessen, war ringsum von hohen steilen Felswänden eingezäunt und barg ge nau in seiner Mitte ein hohes, ungeheuer massiv wirkendes Gebäude, dessen Wände aus kreuz und quer geschichteten Basalt stempeln bestanden. Das Gebäude war auf einem – natürlichen oder künstlichen – Hü gel errichtet, der terrassenförmig abfiel. Auf den Terrassen standen die Überreste anderer Gebäude: teilweise bewachsene Mauern, die ebenfalls aus Basaltstempeln errichtet wor den waren. Raimanja sah auf den ersten Blick, daß diese Stadt tot war. Jedenfalls wurde sie schon lange nicht mehr von ihren Erbauern bewohnt, denn zwischen den Mauerresten wuchsen Farne, Palmen und Lianen. Krummschnäblige Vögel lärmten, pelzbe wachsene kleine Primaten turnten spiele risch auf Palmen und Mauern, und unter armlange Echsen lagen auf den Mauerkro nen, um die letzten Sonnenstrahlen dieses Tages auszunutzen. Es war ein überaus friedliches Bild, das sich Raimanjas Augen bot. Die Arkonidin beschloß, die Nacht zwischen den Mauern dieser Stadt zu verbringen. Vielleicht fand sie im Hauptgebäude sogar einen Platz, wo sie sicher vor umherstreifenden Nachtraub tieren war. Dann konnte sie endlich einmal länger als nur eine halbe Stunde schlafen. Während sie die Terrassen hinaufstieg, neugierig von den Primaten und Krumm schnäblern beobachtet, dachte sie an die letzten Tage zurück – und ihre Stirn um wölkte sich. Die akonischen Wissenschaftler hatten sie medizinisch untersucht und – ohne ihr Ein verständnis – das in ihr keimendes Leben so manipuliert, daß ihr Kind ein waches Wesen werden würde. Jedenfalls hatten die Akonen es ihr anschließend so erklärt. Raimanja war alles andere als erbaut dar über gewesen. Sie hatte sich über Interkom mit Caycon in Verbindung setzen wollen, aber die Akonen hatten ihr erklärt, daß Cay con sich eines Beiboots bemächtigt hatte und noch vor der ersten Transition geflohen
H. G. Ewers sei. Raimanjas Hoffnung, daß Caycon Hilfe holen würde, hatten die Akonen brutal durch ihre Aussage zunichte gemacht, daß Cay cons Fluchtfahrzeug infolge seiner unmittel baren Nähe beim Transitionspunkt durch die Strukturerschütterung in seine Einzelteile zerlegt worden wäre. Caycon war also tot. Oder doch nicht? Drei Tage lang war Raimanja in ihrer Ka bine geblieben, hatte nur wenig gegessen und kaum geschlafen. Erst als das akonische Raumschiff auf dem Planeten Perpandron landete, erwachte sie aus ihrer Lethargie. Sie sah, daß die Akonen in der Nähe des Landeplatzes mit dem Ausheben einer großen Grube begannen. Auf ihre Frage er klärte man ihr, daß dort der sogenannte Schlafkristall untergebracht werden sollte, in dem ihr Sohn nach der Geburt wachsen und schlafen sollte, gegen alle nur denkbaren Gefahren geschützt. Später sollte er wieder erweckt und nach Arkon eingeschleust wer den. Die Akonen hatten vor, Raimanjas Sohn als ihr Werkzeug zu benutzen. Er soll te infolge der Fähigkeiten, die sie ihm ga ben, ein Herrscher über das Reich der Arko niden werden und seine Untertanen zur ako nischen Kultur und Lebensweise zurückfüh ren, so daß die Arkoniden sich – ohne es zu wissen – in Akonen verwandelten. Als Raimanja das erfuhr, hatte sie be schlossen, sich und ihren Sohn nicht zu einer nie dagewesenen Art von Invasion auf Ar kon mißbrauchen zu lassen. Lieber wollte sie sich und ihn mit töten, als das zuzulas sen. Sie floh in einem unbewachten Augen blick in den Dschungel und nahm genug an Waffen und Ausrüstung mit, um längere Zeit allein auszukommen. Das lag nun schon zwei Tage zurück. Am ersten Tag ihrer Flucht hatte Raimanja, meist bis zum Hals im Wasser, in einem ausgedehnten Sumpfgelände gelegen und auf die Gleiter gelauscht, die die weitere Umgebung des gelandeten Raumschiffs ab suchten. Am darauffolgenden Tag, als die Suchgleiter ihr Suchgebiet weiter weg verla gerten, war sie aus dem Sumpf gestiegen
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und hatte sich, relativ unbehelligt, immer weiter vom Raumschiff entfernt. Sie war überzeugt davon, daß sie dieses Spiel noch einige Tage im gleichen Stil wei terführen konnte, ohne daß die Akonen merkten, daß sie stets vor ihr herliefen, an statt hinter ihr her.
* Auf der mittleren Terrasse blieb Raimanja stehen und beobachtete die dunkelgrüne Schlange, die wenige Meter vor ihr über den Boden kroch. Sie ekelte sich vor Schlangen und hätte diese am liebsten getötet, aber sie wußte, daß sie ihre Energiewaffen nur in Fällen höchster Not benutzen durfte. Die Entladungen wären von den Ortungsgeräten der Akonen angemessen worden. Also wartete sie, bis die Schlange ver schwunden war. Danach setzte sie ihren Weg fort. Die Sonne versank, bevor sie den Hauptbau erreicht hatte. Aber das Streulicht reichte noch aus, um ihr den Weg zu zeigen. Große Vogelschwärme strichen über den perlmuttfarbenen Abendhimmel, zogen an der Sichel eines schmutzigweißen Mondes vorbei und ließen sich irgendwo auf Baum kronen, an Steilhängen oder anderen Schlaf plätzen nieder. Als Raimanja vor der düsteren Wand des Hauptbaues stand, lauschte sie eine Weile, ob sie von irgendwoher das Summen eines Gleiterantriebs hörte. Doch alles blieb still. Da schaltete sie ihren Handscheinwerfer ein und richtete den Lichtkegel auf die Mauer. Langsam schritt sie an der Mauer entlang. Dabei stellte sie fest, daß die Basaltstempel teils sechs-, teils achteckig waren. Raimanja kam allmählich zu der Vermu tung, daß sie keine Originalbauten vor sich sah, sondern Nachbauten, die aus dem Mate rial viel älterer und verfallener Bauwerke er richtet worden waren. Primärzivilisation und Sekundärzivilisation – und beide offenkun dig ausgestorben. Endlich entdeckte Raimanja den Zugang ins Innere des Hauptbaues. Es war ein recht
eckiges Tor, eine Aussparung im Mauer werk, nicht mehr und nicht weniger. Rai manja leuchtete hinein, ließ den Kreis des Lichtkegels über Wände und Boden wan dern und sah eine riesige Halle mit nackten Wänden, tropfender Decke und einem mit Staub, Unrat und Tierresten bedeckten Bo den. Eine wenig einladende Stätte. Plötzlich stutzte Raimanja. Genau in der Mitte der Haile stand ein würfelförmiger Block von etwa zwei Metern Kantenlänge. Er schimmerte in einem trüb glasigen Hellgrün, und es ließ sich nicht auf Anhieb sagen, ob er aus Metall, Plastik oder Stein war. Aber das alles hätte Raimanja nicht stut zig gemacht. Es war die fleckenlose Sauber keit dieses Blocks, die sie sich nicht erklären konnte. Nicht einmal eine dünne Staub schicht bedeckte seine Oberfläche, kein von der Decke fallender Wassertropfen schien ihn je benetzt zu haben. Raimanja blinzelte verwirrt. Sie konnte sich nicht erklären, wieso der Block inmitten dieses Unrats und Staubes so sauber geblieben war, als würde er täglich von schwebenden Wesen geputzt. Von We sen, die schwebten, ohne Luftwirbel zu er zeugen, die ja beim Wegflug Staub hochge rissen und über den Block gepudert hätten. Gab es hier intelligente Vogelwesen? Raimanja verzog spöttisch die Lippen. Aus einem Trivideokursus für Galaktobiolo gie wußte sie, daß Vögel prinzipiell keine Intelligenz im Sinne bewußten Denkens ent wickeln konnten, weil ein fliegendes Wesen leicht sein muß, ein großes Gehirn aber schwer ist und einen entsprechend stabil ge bauten Schädel benötigt, dessen Schwere wiederum starke Nackenmuskeln voraus setzt – und so weiter. Aber die Frau wurde schnell wieder ernst. Sie suchte einen Unterschlupf für die Nacht. Die Halle war ihr jedoch wegen des Unrats verleidet, außerdem ging von dem kubischen Block etwas aus, das ihr Angst einflößte. Zwar sagte sie sich, daß es nur die Angst vor
6 dem Unbegreiflichen war; dennoch scheute sie davor zurück, die Halle zu betreten. Ein Poltern ließ sie herumfahren. Raimanja sah, daß auf einer der mächti gen Mauern ein erschreckendes Lebewesen aufgetaucht war. Von der Körperform glich es annähernd einem Arkoniden, war aber dreimal so groß, nackt und offenbar ge schlechtslos. Die rötlich schimmernden Haa re, die aus der Haut sprossen, waren so dünn, daß sie kaum zu sehen waren. An Stelle einer Nase vermochte Raimanja nur zwei Löcher zu erkennen, darunter einen breiten Mund – und darüber in der Stirn ein einziges großes, rot glühendes Auge. Ein Zyklop! durchfuhr es Raimanja. Der Zyklop hatte bei seiner Klettertour einen achteckigen Basaltstempel von der Mauerkrone gestoßen, eine beachtliche Kraftleistung, denn der Stempel wog minde stens eine Tonne. Über den Krach, den der abstürzende Stempel verursacht hatte, war das Wesen offenkundig selber erschrocken. Es streckte den Kopf über den Rand der Mauerkrone und äugte nach unten. Raimanjas Herz schlug schneller, so daß sie den Puls in der Halsschlagader klopfen hörte. Leise schob sie sich durch das Tor in die Halle. Sie wußte nicht, ob das zyklopen hafte Wesen sie bereits entdeckt hatte, aber sie wußte, daß sie auf jeden Fall einer Ent deckung vorbeugen mußte, falls sie noch nicht erfolgt war. Der Zyklop sah ganz so aus, als könnte er ihr gefährlich werden – trotz ihrer Energiewaffen. Drinnen schaltete Raimanja ihren Hand scheinwerfer aus, entsicherte den Impulsn adler und spähte um die Torkante vorsichtig nach draußen. Der riesige Zyklop hangelte an hervorste henden Stempelenden die Mauer herab. Un ten richtete er sich zu voller Größe auf und spähte mit seinem einzigen großen Auge in die Runde. Raimanja wartete nicht, bis er sie sah. Sie löste sich vom Tor und ging langsam rück wärts, bis sie an den grünen Kubus stieß. Der Zyklop war ihr bisher nicht gefolgt.
H. G. Ewers Doch wenn er in die Halle schaute, würde er sie sehen, obwohl es hier fast ganz dunkel war. Sein großes Auge schien darauf hinzu deuten, daß er nachts so gut sah wie ein Ar konide am Tage. Die Arkonidin beugte der Entdeckung vor, indem sie um den Kubus herumging und auf der anderen Seite stehenblieb. Da der Würfel sie überragte, würde der Zyklop sie auch dann nicht sehen, wenn er durch das Tor in die Halle spähte. Dich nicht, aber die Fußspuren, die du hinterlassen hast! wisperte etwas in ihr.
* Ich hatte das Gefühl, als sträubten sich mir die Haare – was natürlich bei einem Be wußtseinsinhalt nicht möglich war. Etwas hatte sich der Arkonidin gedank lich mitgeteilt – und ich hatte es ebenfalls wahrgenommen. Doch ich wußte nicht, wo her dieses Wispern gekommen war, denn nirgends war ein intelligentes Lebewesen zu sehen, das dafür in Frage gekommen wäre. »Was ist los, mein Junge?« erkundigte sich Fartuloon. Er war, wie Akon-Akon und unsere Gefährten auch, als Bewußtseinsin halt weit in die Vergangenheit geschleudert worden. Nachdem wir in der ersten Phase unserer körperlosen Zeitwanderung passive Zeugen der Geschehnisse geworden waren, die zur Entführung von Caycon und Raimanja von Arkon und später zum Tode Caycons ge führt hatten, schien die geheimnisvolle Kraft des Kerlas-Stabes uns diesmal zu Zeugen für Raimanjas Schicksal bestimmt zu haben. »Was los ist?« gab ich verwundert zu rück. »Machst du dir keine Gedanken über die wispernde Stimme, die zu Raimanja sprach?« »Wenn ich eine wispernde Stimme gehört hätte, würde ich mir Gedanken darüber ma chen«, erklärte mein Pflegevater. »Wer hat denn gesprochen? Akon-Akon?« »Das glaube ich nicht«, erwiderte ich. »Die Stimme kam aus Raimanjas Inneren.«
Die Drachenwelt »Dort befindet sich Akon-Akon auch«, meinte Fartuloon. »Dann wäre er ja zweimal vorhanden«, entgegnete ich. »Ist so etwas überhaupt möglich?« »Es muß wohl«, erklärte Fartuloon. »Aber ich glaube nicht, daß es der Embryo war. Er ist noch so klein, daß das Gehirn noch gar nicht vorgeformt sein kann, und die beson deren Fähigkeiten, die ihn als waches Wesen auszeichnen, sind bestenfalls anlagemäßig vorhanden.« »Akzeptiert«, erwiderte ich. »Aber wer oder was war es dann?« Intelligenz ist nicht von der Existenz ei nes Gehirns abhängig. »Das ist mir auch klar«, sagte ich, im Glauben, Fartuloon hätte die letzte Bemer kung gemacht. »In einem Gehirn manife stiert sie sich nur in konzentrierter Form, aber …« Ich stockte. »Was faselst du da?« fragte mein Pflege vater. »Der Wispernde hat zu mir gesprochen – beziehungsweise gedacht«, antwortete ich. »Zuerst dachte ich du wärst es gewesen und wollte dir antworten.« »Ich verstehe«, erwiderte Fartuloon. »Aber warum kannst du den Wispernden hö ren und sonst niemand?« »Irrtum!« entgegnete ich. »Raimanja hört ihn auch. Schau sie dir doch einmal an!« Tatsächlich machte die Arkonidin einen verstörten Eindruck. Sie blickte nach links und rechts. Das schien zu beweisen, daß sie alles mitbekommen hatte, was der Wispernde geäußert hatte – ganz gleich, ob es an sie oder an mich gerichtet gewesen war. Es war nur natürlich, daß sie aus den Mitteilungen des Wispernden auf einen weiteren Ge sprächspartner schloß und daß sie bestrebt war, ihn zu sehen, wenn sie schon den Wis pernden nicht zu sehen vermochte. Das kann ihr zum Verhängnis werden! wisperte es. Sie merkt nicht, daß der Einäu gige die Halle betritt. Ich brauche deine Hil fe, der du aus einer noch ungeborenen Zeit kommst.
7 Diesmal merkte ich schnell, daß nicht mein Pflegevater, sondern der Wispernde zu mir »gesprochen« hatte. Ich sah, daß die Warnung berechtigt war. Der Zyklop stand unter dem Torbogen und schickte sich an, in die Halle einzudringen. Wenn er Raimanja überraschte, so daß sie nicht dazu kam, auf ihn zu schießen, war sie verloren. Dieses Wesen hätte mit bloßen Fäusten einen Kampfroboter zerschlagen können. »Aber wie kann ich helfen?« gab ich zu rück. »Wen meinst du diesmal?« fragte Fartu loon. »Den Wisperer!« dachte ich. »Bitte, störe mich vorläufig nicht. Es geht darum, Rai manja zu retten.« Ich bin ANTE! wisperte es. Du kannst nur helfen, wenn du dich nicht dagegen wehrst, von mir aufgesogen zu werden. Die fünfund sechsdimensionalen Energien deines so genannten Bewußtseinsinhalts werden mich wieder zum körperlichen Leben erwecken. »Und was geschieht mit mir – bezie hungsweise mit meinem Bewußtseinsin halt?« erkundigte ich mich. »Wird mein in dividuelles Bewußtsein aufhören zu existie ren?« Wir werden miteinander verschmelzen, aber du wirst der passive Teil bleiben. Aber meine körperliche Existenz wird von kurzer Dauer sein. Wenn sie erlischt, bist du wieder frei. »Bevor du dich unüberlegt auf etwas ein läßt, erkläre mir, worum es geht!« drängte Fartuloon. Ich verstand, daß mein Pflegevater sich um mich sorgte. Aber ich sorgte mich seltsa merweise nicht um meine Sicherheit. Der Wispernde, der sich ANTE nannte, hatte mir Vertrauen eingeflößt. Außerdem war keine Zeit mehr für Diskussionen. Der Zyklop hat te den Kubus, hinter dem Raimanja stand, fast erreicht. »Einverstanden!« erklärte ich. Im nächsten Moment wurde es finster – aber nicht für lange. Sekunden danach tauchte ich auf, als wäre mein Bewußtseins
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inhalt ein Schwimmer, der von einem Tauchausflug an die Wasseroberfläche zu rückkehrte. Aber bei mir war die Wasseroberfläche das Gehirn eines fremden Lebewesens. Hier war ich aufgetaucht, hatte mich mit dem Be wußtsein des Fremden vermischt und blickte durch seine Augen. Ich erkannte bald, daß ich in dem hellgrü nen Würfel stand und daß dieser Würfel im mer heller und heller wurde. Der Kontakt mit Fartuloon war abgerissen. Dafür konnten der heranstapfende Zyklop und Raimanja mich – beziehungsweise den Körper, in den ich geschlüpft war – sehen. Der Zyklop blieb stehen, als wäre er ge gen einen Dinosaurier gerannt. Raimanja aber riß Augen und Mund auf, ließ ihren Im pulsnadler fallen und schrie gellend …
2. Raimanja wich mit abwehrend ausge streckten Händen zurück, bis ihr Rücken ge gen die hintere Hallenwand stieß. Aus weitaufgerissenen Augen starrte sie voller Grauen auf das entsetzliche Wesen, das dem Würfel entstiegen war. Es hatte ge wisse Ähnlichkeit mit einem Arkoniden, doch das betraf nur die Körperform. Die körperliche Beschaffenheit unterschied sich ganz gewaltig von der eines Arkoniden. So bestand die Körperoberfläche des We sens aus einer transparenten Substanz. Den noch konnte man dahinter keine Muskeln, Sehnen und Knochen oder Organe wie Herz, Lungen, Leber und so weiter sehen. Statt dessen pulsierte hinter der glasartigen Ober fläche rötliches Feuer. Dort, wo bei einem Arkoniden das Gehirn war, befand sich bei diesem Wesen eine nebelhafte graugelbe Masse, in der es hin und wieder grell auf blitzte. Raimanja schüttelte sich. Da erst sah sie, daß ihr der Zyklop in die Halle gefolgt war. Das riesige Ungeheuer stand auf der anderen Seite des inzwischen transparenten Würfels und starrte das Feuer-
wesen an. Plötzlich öffnete das Feuerwesen den Mund – und eine blauweiße Stichflamme fauchte zu dem Zyklopen und hüllte ihn in eine lodernde Flammensäule. Das Ungeheu er heulte auf, warf sich herum und raste mit brennendem Fell ins Freie. Raimanja hörte das Geheul des Zyklopen noch lange. Es wurde allmählich leiser, weil das Ungeheuer sich von dem Hauptbau ent fernte. Dann hörte sie nichts mehr. Als das Feuerwesen einen Schritt in ihre Richtung tat, riß Raimanja ihren Blaster aus der Gürtelhalfter. Das Feuerwesen blieb stehen und breitete die Arme aus. »Du hast von mir nichts zu fürchten, Rai manja«, sagte es. »Ich habe, den Zyklopen nicht vertrieben, um dich an seiner Stelle umzubringen. Im Gegenteil, ich will dir hel fen, so gut ich kann und so lange ich kann. Du bist auf der Flucht und suchst einen Un terschlupf, nicht wahr?« Raimanja machte eine bejahende Geste, hielt aber den Blaster weiter schußbereit. »Ich habe den Unterschlupf gefunden«, erklärte sie. »Irgendwo in dieser alten Rui nenstadt werde ich einen Platz finden, an dem ich vor wilden Tieren und Ungeheuern sicher bin. Ich brauche keine Hilfe. Wer und was bist du überhaupt?« »Ich bin ANTE«, antwortete das Feuer wesen. »Der letzte lebende Bewohner von SQUARAS.« »Warum sind die anderen Bewohner aus gestorben?« erkundigte sich Raimanja. Kleine Flammen leckten aus ANTES Oh ren und verschwanden wieder. »Sie sind nicht ausgestorben, Raimanja, sondern nur an einen anderen Ort gegangen, weil es ihnen hier zu langweilig wurde. In den Körpern unseres Volkes brennt ein un ruhiges Feuer, Raimanja. Einst führten wir gewaltige Kriege, weil es uns Spaß machte, zu kämpfen.« »Gegen wen habt ihr gekämpft?« fragte Raimanja interessiert. »Gegen uns selbst – gegen wen sonst!«
Die Drachenwelt gab ANTE zurück. »Wir teilten uns in zwei Lager auf, bestimmten die Regeln und leg ten die offenen Jahre fest. Danach kämpften wir. Es waren herrliche Zeiten. Leider kam in der dritten Phase des Kampfes auf der Ge genseite ein Diktator an die Macht, der die Regeln mißachtete und alle Mittel einsetzte, um seiner Seite den Sieg zu erringen. Wir waren nicht darauf gefaßt und verlo ren. Aber wir gaben nicht auf. Wir bildeten Raumkommandogruppen, besetzten die mei sten Planeten der Gegenseite und erklärten die Bewohner zu Geiseln. Damit wollten wir den Diktator zwingen, alle erschwindelten Vorteile rückgängig zu machen und aus schließlich nach den Regeln zu kämpfen. Er konnte unseren Gruppen nichts anha ben, da sie auf jedem besetzten Planeten ei ne Sonnenbombe versteckt hatten, die beim Angriff der Gegenseite gezündet werden würde. Aber der Diktator setzte keine Solda ten ein. Er verhandelte. Doch wir konnten uns nicht einigen. So blieb es praktisch bei einem Unentschieden. Unsere Kommando gruppen wurden auf den Geiselwelten seß haft, nahmen sich Geiseln als Frauen und pflanzten sich fort.« ANTE ließ Dampf aus seinen Nasenlö chern steigen. Hinter seinen gläsernen Kör perwandungen tobten Energieentladungen. »So verlief das herrliche Unternehmen im Sande. Die zweite Generation der Geisel nehmer kannte die Aufgabe ihrer Väter zwar noch, hielt sich aber nicht daran. Die vorher so säuberliche Trennung meines Volkes in zwei Parteien verwischte sich mehr und mehr. Das Leben wurde unsagbar langwei lig. Sie gingen und ließen mich zurück, ein gefroren in einem Block aus Pyonit, für kur ze Zeit belebt durch eine Wesenheit, die in einigen Jahrtausenden erst geboren werden wird. Du kannst hier nicht bleiben, Raimanja. Du mußt nach Amalek und dich unter den Schutz der Schwarzen stellen. Aber meide die Geflügelten, denn sie sind der Feind al les Lebendigen!« »Warum sollte ich nach Amalek gehen,
9 was immer das ist?« entgegnete Raimanja. »Ich will selber bestimmen, was ich zu tun und zu lassen habe. Verschwinde, ANTE!« Die pulsierende Glut in ANTE verfärbte sich rötlich. Das Wesen ließ die Arme sin ken. »Ich dränge mich dir nicht auf, Raimanja. Aber ich werde über dich wachen, solange ich nicht in den Block zurückkehren muß.« ANTE verschwand von einem Augen blick zum andern. Raimanja blickte fassungslos auf die Stel le, an der das Feuerwesen eben noch gestan den hatte. Staub und Unrat waren von dort verschwunden. Der saubere Fleck aber sah so aus, als würde Raimanja ihn durch eine Wassersäule betrachten. Er wirkte optisch verzerrt. Die Arkonidin fragte sich, wie ANTE ver schwunden war. Sie wußte, daß es Deflek torgeräte gab, mit denen man sich praktisch unsichtbar machen konnte. Doch sie hatte bei ANTE weder ein Deflexgerät noch über haupt ein Gerät bemerkt. Wie immer dieses seltsame, unheimliche Wesen auch ver schwunden sein mochte, es mußte dieses Verschwinden ohne technische Hilfsmittel bewerkstelligt haben. Aber wie, das blieb Raimanja ein Rätsel. Nach einiger Zeit kehrten Raimanjas Ge danken wieder zu den nächstliegenden Pro blemen zurück. Sie mußte sich einen siche ren Unterschlupf suchen, in dem sie die Nacht verbringen konnte. Da die Nacht schon angebrochen war, wollte sie sich aber nicht aus der Ruinenstadt entfernen. In der Halle war es ihr jedoch zu schmutzig – und zu unheimlich. Erst jetzt wurde sie gewahr, daß die Hel ligkeit, die hier herrschte, von dem durch sichtigen Kubus ausstrahlte. Das machte ihr diesen Ort noch unheimlicher. Dennoch kehrte sie zu dem Würfel zurück, einmal, weil ihre Hauptwaffe dort lag und zweitens, weil sie ihre Wißbegier nicht bezähmen konnte. Sie schlug einen Bogen um die Stelle, an der ANTE verschwunden war, hob ihren Im
10 pulsnadler auf und schob den Blaster in die Gürtelhalfter zurück. Danach spähte sie in den Kubus. Genau im Mittelpunkt gab es ei ne etwa faustgroße kugelförmige Stelle, die die gleiche optische Verzerrung aufwies wie der Fleck auf dem Boden, an dem ANTE zu letzt gestanden hatte. Raimanja tippte die Wandung des Wür fels mit der Mündung ihres Impulsnadlers an. Sie hatte insgeheim erwartet, daß der Lauf ungehindert eindringen würde. Doch er stieß auf durchaus massiven Widerstand. Die Arkonidin trat ein paar Schritte zurück, legte den Nadler an und zielte durch das Elektronenkreuzvisier auf den Verzerrungs punkt. Ihr Finger näherte sich dem Schuß auslöser, zog sich dann aber wieder zurück. »Es ist zu gefährlich«, sagte Raimanja zu sich selbst und setzte den Impulsnadler wie der ab. »Wer weiß, was ein Schuß auslösen würde.« Langsam durchquerte sie die Halle, trat durch das Tor und blickte sich aufmerksam um. Der Himmel war beinahe wolkenlos, so daß das Licht des Mondes und der Sterne ausreichte, um sich zu orientieren. Raiman jas Augen paßten sich nach kurzer Zeit so gut an, daß sie im Umkreis von zwanzig Metern Einzelheiten erkennen konnte. Was dahinter lag, ließ sich wenigstens umrißhaft sehen. Bewußt verzichtete Raimanja auf den Ge brauch ihres Handscheinwerfers. Sein heller Lichtkegel wäre der Besatzung eines Glei ters, der zufällig dieses Gebiet überfliegen konnte, sicher nicht entgangen, und wenn die Akonen erst wußten, wo sie sich auf hielt, würden sie sie innerhalb kurzer Zeit wieder einfangen. Nach ungefähr einer halben Stunde ent deckte die Arkonidin in halber Höhe einer rund fünfzehn Meter hohen Mauer aus Ba saltstempeln eine Art Nische, die dadurch entstanden war, daß einige Basaltstempel sich verschoben hatten. Sie kletterte hinauf. Oben leuchtete sie ganz kurz in die Nische, sah, daß sich kein Tier hier eingenistet hatte und kroch erleich-
H. G. Ewers tert hinein. Hier wollte sie übernachten. Nachdem sie ihren Durst aus der Wasser flasche gestillt und ein paar Konzentratriegel gegessen hatte, streckte sie sich aus, sicherte den Impulsnadler und schloß die Augen. Sie war so erschöpft, daß der Schlaf schon im nächsten Moment über sie kam.
* Als sie erwachte, wußte sie zuerst gar nicht, wo sie sich befand. Sie hörte klat schende und pfeifende Geräusche und nahm an, daß diese Geräusche sie geweckt hatten. Als sie sich aufrichten wollte, stieß sie mit der rechten Hand versehentlich an ihren Im pulsnadler. In einem Reflex griff sie nach der fortrutschenden Waffe und konnte sie gerade noch festhalten, bevor sie in die Tiefe stürzte. Erst dadurch wurde sie sich wieder be wußt, daß sie sich in der Nische einer ural ten Mauer aus Basaltstempeln aufhielt, daß sie hier geschlafen hatte, und daß die Mauer zu den Überresten einer ehemals großen Stadt gehörte. Raimanja verharrte auf den Knien und lauschte auf das Klatschen und Pfeifen. Plötzlich tauchte ein Schemen in ihrem Blickfeld auf. Sie sah ihn überhaupt nicht, weil er vor der tiefstehenden Sichel des Mondes vorbeistrich und sich deshalb für einen Augenblick scharf und deutlich abhob. Ein Drache! durchfuhr es sie. Das Wesen war rasch wieder von der Dunkelheit verschlungen. Aber wenig später tauchte ein zweites auf – und diesmal konnte Raimanja deutlich den echsenhaften Rumpf und die riesigen lederartigen Flughäute se hen, die den Rumpf mit kraftvollen Bewe gungen durch die Luft trugen. Dabei ent standen die klatschenden Geräusche, die sie geweckt hatten. Wieder ertönte ein Pfiff, wurde durch einen anderen Pfiff beantwortet. Raimanja zog unwillkürlich den Kopf ein, als ein Dra che etwa zwanzig Meter an ihrem Versteck vorbeiflog und sich dann auf der Krone der
Die Drachenwelt gegenüberliegenden Mauer niederließ. Die Flughäute falteten sich zusammen; der auf einem mannslangen kräftigen Hals sitzende Schädel vollführte ruckartige Drehbewegun gen. Dann gellte ein durchdringender Pfiff auf. Kurz darauf vernahm die Arkonidin wie der das Klatschen von Flughäuten, diesmal aus noch größerer Nähe. Ein Luftschwall kam von oben herab, dann ging eine schwa che Erschütterung durch die Mauer. Sand rieselte an Raimanjas Gesicht vorbei. Ein Drache mußte auf der Krone »ihrer« Mauer gelandet sein. Er stieß den anscheinend obligatorischen Pfiff aus, der aus solcher Nähe beinahe oh renbetäubend war. Raimanja fühlte sich gar nicht wohl in ihrer Haut. Die Drachen schie nen die uralte Stadt zu ihrem nächtlichen Sammelplatz erkoren zu haben. Es ließ sich nicht voraussehen, wie sie reagieren würden, falls sie sie entdeckten. Waren sie Fleisch fresser, würden sie sie als willkommene Beute betrachten. Doch selbst dann, wenn die Drachen Vegetarier waren, mußten sie sie nicht als Störenfried ansehen und würden sie nicht deshalb über sie herfallen? Die Arkonidin beschloß, sich ruhig zu verhalten und darauf zu hoffen, daß die Tie re sie nicht entdeckten. Immer mehr Pfiffe ertönten. Die klat schenden Fluggeräusche schwollen an, dann verebbten sie allmählich. Raimanja gewann den Eindruck, als hätte sich auf jeder Mauer ein Drache niedergelassen. Die folgenden Pfiffe waren leiser und differenzierter. Sie klangen beinahe so, als unterhielten sich die Drachen auf diese Weise. Raimanja wurde neugierig. Sie kroch auf Händen und Knien bis zum äußersten Rand ihrer Nische und streckte den Kopf aus der Deckung. Im nächsten Augenblick ertönte ein gellender Pfiff, der lauter war als alle an deren Pfiffe, die sie bisher gehört hatte. Dann verstummten schlagartig alle Ge räusche. Die Arkonidin wußte, daß sie entdeckt worden war. Sie wußte auch, daß sie sich so
11 tief wie möglich in die Nische zurückziehen sollte. Doch sie konnte es einfach nicht, weil sie zu stolz dazu war. So kniete sie sich hin, entsicherte den Impulsnadler und wartete auf den Angriff der Drachen. Als die Zeit verstrich und nichts geschah, regte sich die Hoffnung in Raimanja, daß sie dieses Abenteuer wider Erwarten doch über leben könnte. Anscheinend waren die Dra chen alles andere als angriffslustig. Sie schienen aber auch nicht erbaut darüber zu sein, daß sie nicht unter sich waren. Lange Zeit blieb es still, dann setzte ein Hinüber und Herüber an Pfeifsignalen ein. Anschließend schwangen sich die ersten Drachen in die Luft. Sie ließen sich einfach von »ihrer« Mauerkrone nach unten fallen, flatterten dabei heftig mit den Flughäuten und erreichten auf halber Mauerhöhe ausrei chend Geschwindigkeit, um Höhe zu gewin nen. Doch die Drachen hatten, offenbar infolge ihrer Ratlosigkeit, wie sie auf die Störung reagieren sollten, zu lange gewartet. Noch war nicht mehr als ein Viertel ihrer Zahl ge startet, als die Sonne aufging und die Stadt mit Helligkeit überschüttete. Und mit der Helligkeit kam der Gleiter! Er tauchte so plötzlich über einer gestarte ten Gruppe auf, daß die Drachen völlig über rascht wurden. Sie setzten sofort zu einem Ausweichmanöver an, aber es sah so aus, als würde sich eine Kollision nicht vermeiden lassen – es sei denn, der Gleiterpilot reagier te folgerichtig. Aber die Reaktion der Gleiterbesatzung fiel ganz anders aus, als Raimanja sich hätte vorstellen können. Drei Akonen tauchten über dem Rand des offenen Fahrzeugs auf. Sie hielten Strahlenkarabiner in den Händen und eröffneten ein mörderisches Dauerfeuer auf die Drachen. Die Energiestrahlen schnitten durch Flug häute, fauchten über grüngoldene Schuppen haut, schmolzen gepanzerte Rückenkämme und entluden sich krachend in Echsenschä deln, deren Mäuler weit aufgerissen waren. Überall stürzten sich nunmehr die Dra
12 chen von ihren Mauersitzen, kämpften sich mit klatschenden Flughäuten kreischend und pfeifend in die Lüfte und versuchten, den Ort zu verlassen, der ihnen zum Verderben zu werden drohte. Keiner von ihnen ver suchte auch nur, den Gleiter anzugreifen. Die Besatzung des Gleiters aber schien von einem Blutrausch gepackt worden zu sein. Sie feuerte wild mit den Strahlenkara binern auf die startenden Drachen, die ent weder sofort starben oder verletzt abstürzten und sich zuckend am Boden wanden. Raimanja hatte dem Gemetzel fassungslos zugesehen. Das Entsetzen über die schreck liche Tat hatte sie gelähmt. Ohne darüber nachzudenken, welche Folgen ihre Hand lungsweise für sie haben konnte, legte sie ih ren Impulsnadler an, bewegte ihn, bis der Gleiter genau im Elektronenkreuz des Vi siers blieb, dann schaltete sie auf Dauerfeuer und drückte auf den Auslöser. Die auf nadeldünne Ballungen kompri mierte Energie jagte in kurzen Intervallen aus der Mündung. Der Impulsschauer wan derte durch den Gleiter, fraß sich durch, wanderte wieder zurück und zerhämmerte und zerfetzte das Fahrzeug innerhalb weni ger Sekunden zu einem glühenden Trüm merhaufen, der jaulend und kreischend ab stürzte und seine Bestandteile über eine Mauer verstreute. Schweratmend legte Raimanja die Waffe beiseite. Allmählich lichtete sich der Nebel wieder, der in ihrem Gehirn gewesen war, während sie ununterbrochen auf den akoni schen Gleiter geschossen und sogar noch auf die herabregnenden Trümmer gehalten hatte. Als ihr bewußt wurde, daß sie nicht nur einen Gleiter abgeschossen hatte, sondern daß die Besatzung dabei umgekommen war, zitterte sie am ganzen Körper. Es war nicht die Furcht vor Bestrafung, die ihr sicher war, wenn die Akonen sie wieder einfingen. Es war die Erkenntnis, daß es grundsätzlich ein wahnwitziges Verbrechen ist, wenn in telligente Lebewesen andere intelligente Le bewesen töten. Sicher, der große Befreiungskrieg war erst
H. G. Ewers seit zwölf Arkonjahren vorbei, und in ihm hatte die Forderung gegolten, so viele Fein de wie möglich zu töten, soviel feindliches Machtpotential wie nur möglich zu zerstören und so viele Planeten, auf denen der Feind eventuell Fuß fassen konnte, wie nur mög lich zu verwüsten. Doch diese Forderung war der Furcht um die eigene Existenz ent sprungen und deshalb noch verständlich. Raimanja dagegen hatte weder getötet, um ihr eigenes Leben zu retten noch das anderer Intelligenzen, sondern aus bloßem Abscheu. Ihr war übel, als sie mit weichen Knien ihre Mauer hinabstieg. Sie bemühte sich, nicht auf die verstreuten Überreste des Glei ters zu sehen. Über ihr flatterten die letzten Drachen davon, schwangen sich über die Talhänge und tauchten danach sofort wieder hinab. Raimanja wußte, daß sie so schnell wie möglich verschwinden mußte. Die Energie entladungen waren sicher vom Raumschiff geortet worden. Außerdem mußte der Aus fall der Funkverbindung mit der Gleiterbe satzung inzwischen aufgefallen sein. In Kür ze war mit dem Auftauchen anderer Gleiter zu rechnen. Die Arkonidin hatte vorgehabt, das Tal durch den gleichen Spalt zu verlassen, durch den sie es betreten hatte. Doch in der Aufre gung mußte sie die falsche Richtung gewählt haben. Jedenfalls stand sie plötzlich vor ei ner geschlossenen unübersteigbaren Wand. Und im nächsten Moment hörte sie das anschwellende Summen von Gleitern, die sich dem Tal näherten! Verzweifelt blickte sie nach links und rechts. Der untere Teil des Hanges war von Buschwerk überwuchert. Notfalls mußte sie sich dort verstecken. Aber sie wußte, daß sie sich nicht lange verbergen konnte, wenn die Verfolger erst einmal ungefähr wußten, wo sie sich befand. Dann konnten sie nämlich mit Detektoren nach der schwachen Streu strahlung suchen, die der Mikroreaktor ihres Intervallnadlers emittierte. Da entdeckte sie einen Drachen, der sich im Gebüsch bewegte. Es war ein ziemlich
Die Drachenwelt kleines Exemplar, wahrscheinlich ein junges Tier – und es schleifte eine Flughaut nach, war also verwundet. Impulsiv ging Raimanja auf den Drachen zu, wollte ihm helfen. Aber der Drache fauchte und zischte warnend, dann arbeitete er sich mit verzweifelter Anstrengung tiefer ins Gebüsch – und plötzlich war er ver schwunden, als hätte der Boden ihn ver schluckt. Die Arkonidin runzelte die Stirn. Als sie begriff, was geschehen war, eilte sie auf das bewußte Gebüsch zu und teilte die Zweige mit den Händen, arbeitete sich hinein. Das Summen der Gleiter schwoll weiter an – und blieb dann ungefähr konstant. Das bedeutete, daß die Gleiter das Tal erreicht hatten und in großer Höhe ihre Kreise zogen und beobachteten. Raimanja blieb an einer Schlingpflanze hängen und weinte fast, weil sie sich nicht gleich losreißen konnte. Wütend trat und schlug sie um sich, stürzte und schimpfte, weil ihr der Impulsnadler aus der Hand fiel. Sie raffte ihn wieder auf, kroch auf allen vieren weiter und entdeckte plötzlich, wor auf sie aus dem Verschwinden des Drachen jungen geschlossen hatte: den Eingang einer Höhle! Raimanja verließ sich darauf, daß das Drachenjunge sich viel zu sehr fürchtete, um sie anzugreifen. Sie kroch weiter und in die Höhle hinein. Der Gang, in den sie geriet, war höchstens anderthalb Meter hoch und etwa zwei Meter breit. Früher schien er hö her gewesen zu sein, denn Erde und Stein brocken unter ihren Händen und Knien be wiesen der Frau, daß der Gang im Verlauf vieler Jahrhunderte – ja, vielleicht sogar Jahrtausende – von hereingespültem Geröll und angeschwemmter Erde aufgefüllt wor den war. Nach einer Weile schaltete Raimanja ih ren Handscheinwerfer ein, richtete sich auf und blickte sich um. Der Gang führte in sanfter Neigung ab wärts, wie sie sofort vermutet hatte. Wie weit er ging, konnte Raimanja nicht ahnen.
13 Aber der junge Drache war nicht mehr zu sehen, also mußte die Höhle noch ein ganzes Stück tiefer in den Berg gehen. Raimanja seufzte, sicherte den Intervalln adler, hängte sich die Waffe am Riemen über den Rücken und marschierte zügig los. Sie hoffte, daß die Höhle einen zweiten Aus beziehungsweise Eingang besaß und daß sie ihn durch diesen Gang erreichen würde.
* Ich war ein Teil des Wesens geworden, das sich ANTE nannte. Deshalb wußte ich mehr über ANTE, als ein Außenstehender je hätte erfahren können. Eigentlich war ANTE kein typischer Ver treter seines Volkes. Er war zwar auf die Art und Weise entstanden, die bei seinem Volk als die natürliche Art und Weise galt, aber infolge bestimmter Manipulationen hatte er eine starke Ausprägung aller Fähigkeiten mitbekommen, die bei seinem Volke als Überlebensfähigkeiten gelten oder galten. Als sein Volk fortging, wurde er in dem bewußten Kubus energetisch konserviert und zurückgelassen, damit eventuelle Ver sprengte seines Volkes bei der Heimkehr je manden fänden, der ihnen wirksam zu hel fen vermochte. Aber der Zustand der energetischen Kon servierung hatte wohl zu lange gedauert, länger jedenfalls, als ganz bestimmte Stoffe, die zur Steuerung des Konservierungszu stands dienten, stabil blieben. ANTE hatte die Fähigkeit verloren, den Konservierungs würfel zu verlassen. Als er Kontakt mit mei nem Bewußtseinsinhalt bekam, erkannte er, daß er diese Schwierigkeit überwinden konnte, wenn er seine Geisteskraft mit Hilfe meiner sogenannten Trägerwelle auflud. Das war geschehen. Zuerst erschrocken, dann verwundert hatte ich begriffen, daß ANTE sich von einem Arkoniden minde stens so stark unterschied wie ein Raum schiff von einer Regenwolke. Sein Metabo lismus ließ sich mit keinem anderen Meta bolismus vergleichen, der mir je begegnet
14 war. Er schien die Macht zu besitzen, kos mische Energien auf sich zu lenken, in sich zu konzentrieren und sie für seine Zwecke auszunutzen. Und doch war er kein Ungeheuer, sondern ein denkendes, fühlendes und mitfühlendes Wesen. Er hatte Raimanja vor dem Zyklo pen gerettet und ihr weitergehende Hilfe an geboten. Es war nicht seine Schuld, daß Rai manja ihn zurückgewiesen hatte. Schuld dar an war der ausgeprägte Eigensinn dieser Frau, der sicher durch ihre Schwangerschaft noch verstärkt wurde. Aber was meinte ANTE mit Amalek? Was meinte er mit den Schwarzen und den Geflügelten? Sprach er von der Stadt auf Perpandron, in die ich mich mit meinen Ge fährten vor einiger Zeit auf der Flucht vor den Goltein-Heilern verirrt hatte? Meine Ge danken führten mich irre, denn ich dachte an etwas, das weit in der Relativzukunft lag. Dennoch formulierte ich meine Gedanken gemäß der subjektiven Erfahrung, daß diese Zukunft für mich schon geschehen war – vor vielen Tausenden von Jahren. Aber jetzt, in der Zeit kurz nach dem großen Befreiungskrieg meines Volkes, lag diese Episode objektiv viele tausend Jahre in der Zukunft. Wenn ich die Stadt, die ich viele tausend Jahre später finden würde, hier und heute sehen konnte, mußte sie viel bes ser erhalten sein als bei meinem ersten Be such. Vielleicht fand ich dann heraus, wer sie gebaut hatte. Doch alle meine diesbezüglichen Gedan ken brachen jäh ab, als mit ANTE – und da mit auch mit mir – etwas Unbegreifliches geschah. Eben noch hatten wir in der riesi gen Halle Raimanja gegenübergestanden – und im nächsten Augenblick befanden wir uns in einer Art wallendem bleichen Nebel. Doch da ich so eng mit ANTE verbunden war, war das für mich nicht lange unbegreif lich. Plötzlich wußte ich, daß das, was ich als wallenden bleichen Nebel sah, die glei che Halle war – beziehungsweise die Halle, wie sie sich dem Auge auf einem anderen Energieniveau darbot.
H. G. Ewers Das mag simpel klingen, aber wer diese Erklärung als phantastisches Wortgeklingel abtut, möge bedenken, daß sich unseren Sin nen immer nur ein arg begrenzter Ausschnitt des Seins erschließt. Einen weiteren Aus schnitt machen wir uns mit Hilfe von techni schen Instrumenten zugänglich. Dennoch bleibt der größte Teil aller Phänomene des Universums uns verschlossen. Vielfach er halten wir niemals eine Ahnung davon – und wenn, dann fehlen uns die Möglichkeiten, solchen Ahnungen auf den Grund zu gehen. Ich weiß nicht, ob wir in ferner Zukunft mit technischen Mitteln die verschiedenen Energieniveaus wechseln können, aber ich weiß, daß es sie gibt. Sie ergeben sich ganz einfach aus der Tatsache, daß die Ladung der Atome – vereinfachend ausgedrückt – unterschiedlich ist, aber doch meist ein be stimmtes Niveau hält, wodurch es zum dau erhaften Bestand eines Energiegehalts mit der größten Wahrscheinlichkeit des natürli chen Auftretens kommt, unserer uns vertrau ten Existenzebene. Oberhalb und unterhalb dieses »normalen« Energieniveaus treten je doch mehr oder weniger massive Abwei chungen auf, in denen sich eine unbekannte und sicher schwankende Anzahl von andere Existenzebenen herauskristallisiert. Diese verschiedenen Existenzebenen haben nichts mit Zeitebenen oder Paralleluniversen ge mein. Wer sie erreichen will, braucht dabei weder durch die Zeit noch durch den Raum zu reisen; er muß lediglich seinen Energie gehalt verändern – beziehungsweise die von irgendwoher projizierten Ladungen, aus de nen sich alle »materiellen« Gebilde, also auch wir, zusammensetzen. ANTE war dazu offenkundig in der Lage, ohne Maschinen benutzen zu müssen. Ich fragte mich noch, wie er von einer anderen Existenzebene aus verfolgen wollte, was mit Raimanja geschah, als ich spürte, daß ich dabei den entscheidenden Faktor spielte. Der Bann, der mich zwang, meine Auf merksamkeit auf Raimanja zu richten, war so stark, daß er eine Art Fenster zwischen der normalen Existenzebene und der, in die
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ANTE sich zurückgezogen hatte, aufbaute, einen Strom von Atomen, die ihre Ladungen sprunghaft veränderten und dadurch aus wertbare Informationen aus Raimanjas Ebe ne in unsere Ebene brachten. Und ich sah, daß die Ereignisse auf Per pandron sich zuspitzten …
3. Raimanja blieb stehen und schaltete ihren Handscheinwerfer aus. Mit angespannten Sinnen schaute und lauschte sie zurück. Ihr war gewesen, als hätte sie weit hinter sich das Knirschen von Stiefelsohlen auf körniger Erde und Geröll gehört. Es war möglich, daß die Akonen den Höhlenein gang ebenfalls entdeckt hatten und ihr ge folgt waren. Aber sosehr sie ihre Sinne auch öffnete, sie hörte keine Schritte von Verfolgern und sah auch kein Licht hinter sich. Sie schaltete ihren Handscheinwerfer wieder ein und ging weiter. Nach einiger Zeit gelangte sie an kahlen Felsboden. Weiter war das hereinge spülte Geröll und die Erde nicht gekommen. Raimanja sah, daß der Felsboden so glatt war, als wäre er künstlich planiert worden. Als sie die Querrillen entdeckte, die man kaum sehen, aber gut fühlen konnte, wenn man mit den Fingern darüberfuhr, wurde ih re Vermutung, der Höhlengang sei vor lan ger Zeit von intelligenten Wesen angelegt worden, zur Gewißheit. Ihre Zuversicht erhöhte sich dadurch, denn wenn der Höhlengang von intelligen ten Wesen angelegt worden war, dann muß te er zu einem Ziel führen – und dort, so hoffte die Arkonidin, würde sie sicher einen Weg an die Oberwelt finden. Doch als die Stunden verstrichen und der Gang unverändert mit schwachem Gefälle weiterführte, kamen Raimanja wieder Zwei fel, ob sie auf diesem Wege jemals wieder die Oberwelt erreichen würde. Sie wußte schließlich nicht, zu welchem Zweck man diesen Gang angelegt hatte. Vielleicht stellte er eine Verbindung zwischen zwei Konti
nenten dar und war früher mit schnellen Fahrzeugen befahren worden. Eine Entfer nung von mehreren tausend Kilometern zu Fuß zu gehen, mit nur einer halben Flasche Wasser und Konzentraten für rund zehn Ta ge, war aber unmöglich. Als Raimanja durch einen Blick auf ihren Armband-Chronographen feststellte, daß sie sich seit rund sieben Stunden durch den Gang bewegte, beschloß sie, eine Rast ein zulegen und danach umzukehren. Ein knapp kniehoher Steinwürfel, der an der rechten Gangwand lag, lud sie förmlich ein, sich hinzusetzen. Ächzend ließ Raimanja sich nieder – und prallte im nächsten Moment sehr unsanft mit dem Gesäß auf den harten Felsboden. Der Schmerz und der Zorn trieben ihr Tränen in die Augen. Sie rappelte sich auf und entsi cherte den Intervallnadler, weil sie sich für den Schmerz impulsiv an irgend etwas rä chen wollte. Als ihr die Unvernunft ihrer Handlungsweise klar wurde, sicherte sie die Waffe beschämt wieder. Sie musterte die Stelle, an der der Stein würfel gelegen hatte. Er war verschwunden, aber nicht spurlos. Dort, wo er gelegen hatte, zeichnete sich auf dem Boden ein Quadrat ab: Fugen. Der Würfel war demnach im Bo den versunken, aber seine Oberfläche lag auf gleichem Niveau wie der Gangboden. Raimanja runzelte die Stirn. Sie war davon überzeugt, daß der Stein würfel nicht grundlos versenkbar gemacht worden war. Irgend etwas mußte damit bezweckt worden sein. Noch während die Arkonidin überlegte, ertönte ein dumpfes Rollen. Es schien von rechts zu kommen, und als Raimanja den Kopf in diese Richtung wandte, sah sie, wie ein Teil der Felswand sich in die übrige Wand zurückzog und dann nach links ver schob. Nach etwa zwei Minuten hatte sich eine zirka drei mal vier Meter große Öff nung gebildet. Raimanja leuchtete hindurch und erblickte auf der anderen Seite eine ebe ne rote Felsplatte und dahinter einen runden See, dessen Wasser so klar war, daß man bis
16 auf den Grund sehen konnte. Unwillkürlich kaute Raimanja auf ihrer Unterlippe, während sie mit einem Ent schluß rang. Einerseits lockte das klare Was ser, und die Existenz der Geheimtür verriet, daß die Bewohner dieser Anlage nicht woll ten, daß Unbefugte die Verbindung zwi schen Gang und See entdeckten – anderer seits wollte Raimanja die Möglichkeit nicht ausschließen, daß es sich um eine Falle han delte, in die die Erbauer eventuelle Verfol ger zu locken und damit für immer auszu schalten pflegten. Die Entscheidung wurde Raimanja abge nommen, als irgendwo weit hinter ihr Ge räusche ertönten, wie sie entstanden, wenn jemand stolpert und stürzt. Gleich darauf er scholl eine halblaute Verwünschung, gefolgt von einem scharf geflüsterten Befehl. Also waren die Akonen doch hinter ihr her – und sie bemühten sich offensichtlich, so leise zu sein, daß Raimanja sich sicher fühlte. Die Arkonidin lächelte spöttisch. Jetzt aber hatten die Akonen sich doch ver raten. Abermals ertönte ein dumpfes Rollen. Raimanja sah, daß die Türplatte sich wieder über die Öffnung zu schieben begann. Sie preßte die Lippen zusammen und sprang hinüber. Mit ausdruckslosem Gesicht beob achtete sie, wie die Platte die Öffnung wie der völlig verschloß. Sie bewegte sich dabei auf Steinkugeln, die in einem T-förmigen Wasserbett lagen. Als die Öffnung endgültig geschlossen war, ertönte ein gedämpftes scharfes Knacken. Raimanja nahm an, daß es das Geräusch war, mit dem der Steinwür fel auf der anderen Seite wieder aus dem Boden sprang. »Hoffentlich kommt keiner der Akonen auf den Gedanken, den Steinwürfel als Sitz gelegenheit zu benutzen«, sagte die Arkoni din zu sich selbst. Sie hörte ein Klatschen und Schleifen und fuhr herum. Der Lichtkegel ihres Hand scheinwerfers fingerte über die Oberfläche des Höhlensees und verharrte auf einer schwachen Wellenbewegung, die sich in
H. G. Ewers Richtung Seemitte ausbreitete. Die Arkonidin hob den Scheinwerfer an, aber sein Licht reichte nicht bis zum gegen überliegenden Ufer, von dem aus die Wel lenbewegung ihren Anfang genommen ha ben mußte. Raimanja zögerte nur kurz. Sie ahnte, wodurch die Wellenbewegung ausge löst worden war, und wenn ihre Ahnung nicht trog, brauchte sie sich nicht zu fürch ten. Sie wandte sich nach links und ging mit weitausgreifenden Schritten am roten Felse nufer entlang. Der Lichtkegel wanderte vor ihr her, schwenkte einmal nach links, dann nach rechts. Raimanjas Schritte wurden von den Wänden des Felsendoms als Echos re flektiert. Doch Schritte und Echos blieben zu Raimanjas Verwunderung die einzigen Geräusche. Das Klatschen und Schleifen wiederholte sich nicht. Als der Lichtkegel auf eine reglose Ge stalt und auf grüngoldene Schuppenhaut fiel, blieb Raimanja abrupt stehen. Der junge Drache lag halb im klaren Wasser. Er mußte seine Wunden gekühlt haben und war dabei bewußtlos geworden. Doch glücklicherweise war sein Kopf mit den Atemöffnungen auf festen Boden gesunken, sonst wäre er er trunken. Die Arkonidin riß sich aus ihrer Erstar rung, eilte zu dem Tier und hob das Lid ei nes Auges an. Das Auge verriet tiefe Be wußtlosigkeit, aber auch, daß das Tier lebte. Raimanja versuchte, den Drachen ganz aufs Trockene zu ziehen. Es war mühsam, denn das Tier wog ungefähr anderthalb mal soviel wie sie. Aber schließlich schaffte sie es doch. Anschließend untersuchte sie die verletzte Flughaut. Sie stellte fest, daß die verbrann ten Partien ohne medikamentöse Unterstüt zung der körperlichen Regeneration nur un ter starker Narbenbildung verheilen würden, so daß der Drache wahrscheinlich niemals mehr fliegen konnte. Raimanja hätte ihre Flucht niemals ge wagt, wenn es ihr nicht gelungen wäre, eine komplette medizinische Einsatzausrüstung
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mitzunehmen. Dazu gehörte die bei Raum fahrern obligatorische Medobox, deren Mi kropositronik in der Lage war, jede Diagno se zu stellen und die entsprechende Therapie auszuwählen. Ein konzentrierter Vorrat an hochwirksamen Stoffen, die durch zahlrei che Kombinationsmöglichkeiten in ihrer Wirkung außerordentlich vielseitig waren, befand sich ebenfalls in dem flachen kasten förmigen Gerät. Raimanja setzte die Box mit der Untersei te auf den schlanken Hals des Drachenjun gen. Es dauerte etwas länger als bei einem Akonen oder Arkoniden, bis die Positronik die genaue Diagnose gestellt hatte. Das kam von dem andersartigen Metabolismus des Drachen. Aber schließlich fuhr die Medobox drei dünne Tentakelarme aus, die in den Dü senköpfen von Hochdruckinjektionspistolen ausliefen. Es zischte, dann zogen sich die Tentakelarme zurück. Die Arkonidin tat ein übriges und sprühte aus einer flachen Dose Heilplasma auf die schweren Brandwunden. Sie war gerade fer tig damit, als der muskulöse Schwanz des Tieres hochzuckte und ihr einen heftigen Schlag ins Gesicht versetzte. Raimanja spürte, wie sie durch die Wucht des Schlages angehoben und fortgeschleu dert wurde. Sie schmeckte Blut im Mund, sah Sterne vor ihren Augen tanzen und hörte ein lautes Klatschen. Dann erlosch ihr Be wußtsein.
* Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf der rechten Seite. Sie öffnete die Augen – und schloß sie geblendet wieder. Also haben mich die Akonen doch gefan gen! dachte sie resigniert. Sie wollte etwas sagen, aber ihre Ge sichtsmuskeln gehorchten ihr nicht. Die Mundpartie fühlte sich stark geschwollen an; die Lippen waren aufgeplatzt. Das erinnerte Raimanja daran, daß der Schwanz des Drachen sie ins Gesicht getrof fen hatte – wahrscheinlich eine unbewußte
Reflexbewegung des zu sich kommenden Drachenjungen. Aber Raimanja erinnerte sich auch daran, daß sie in den See gestürzt war. Das hatte sie noch erfaßt, bevor sie ihr Bewußtsein verlor. Warum war sie nicht ertrunken? Waren die Akonen so schnell gekommen, daß sie sie vor dem Ertrinken bewahren konnten? Sie unterbrach ihre Überlegungen, als sie dicht vor sich ein schleifendes Geräusch wahrnahm. Hinter der grellen Helligkeit der Lampe bewegte sich etwas. Ein ledriger Hautlappen streifte über die Lampe und riß sie um, so daß der Lichtkegel nun an Rai manja vorbeiging. Die Arkonidin erkannte verblüfft, daß sie anscheinend mit dem Drachenjungen allein war. Demnach mußte das Tier sie aus dem Wasser gezogen und damit vor dem Ertrin ken gerettet haben – und es hatte sie auf die Seite gelegt, damit sie während ihrer Ohn macht nicht an der eigenen Zunge erstickte. Eine erstaunliche Verhaltensweise für ein Tier! Konnte ein Tier sich überhaupt so folge richtig verhalten, wie es das Drachenjunge getan hatte? Der Drache war zur Bewegungslosigkeit erstarrt, als die Lampe umfiel. Jetzt rührte er sich wieder. Sein Hals streckte sich; der Kopf näherte sich vorsichtig der Frau. Die gelben Augen mit der smaragdfarbenen Iris musterten Raimanja. »Danke, Vritra!« sagte sie, das arkonidi sche Wort für »Drache« anwendend. »Ich danke dir!« Der Drache schnaubte leise, dann stieß er einen halblauten Pfiff aus, bewegte die ge spaltene Zunge im Maul und sagte undeut lich auf Lemu, einer alten galaktischen Spra che: »Du hast mir geholfen, ich habe dir gehol fen. Es schmerzt mich, daß ich dich schlug. Ich wollte es nicht.« Raimanja schluckte. Sie war dabei gewesen, dem Drachenjun gen Intelligenz zuzusprechen. Aber daß er
18 sogar in der Lage war, sich sprachlich aus zudrücken und mit ihr zu verständigen, daß hätte sie niemals erwartet. Allerdings hätten die meisten Arkoniden nicht verstanden, was der Drache sagte. Lemu war eine tote Spra che, die nur in den herrschenden Kreisen ge sprochen wurde, wenn man sich über die Masse herausheben wollte. Raimanja be herrschte sie nur unvollkommen, aber es reichte, um die Worte des Drachen zu ver stehen. »Ich weiß«, sagte sie, diesmal auch das Lemu verwendend. »Wollen wir Freunde sein? Und hast du einen eigenen Namen?« »Ja, gern«, erwiderte der Drache. »Ich ha be einen eigenen Namen. Er lautet Xypldl maklollmnt. Mit deiner verwachsenen Zun ge wirst du ihn nur schwer aussprechen kön nen. Deshalb nenne mich weiter Vritra, wenn du möchtest.« »Einverstanden«, sagte die Arkonidin. »Und ich bin Raimanja. Kennst du dich hier aus, Vritra?« »Ich war schon oft hier«, antwortete Vri tra. »Hinter dem Höhlensee liegt ein Gang, durch den man zur Halle der Blinden Spie gel kommt. Es sind drei Spiegel, von denen einer manchmal zum Weg nach Amalek wird.« »Amalek!« entfuhr es Raimanja. »Warum will mich jeder nach Amalek schicken? Was ist dieses Amalek eigentlich?« »Ich schicke dich nicht nach Amalek«, er klärte der Drache lispelnd. »Wir mögen Amalek nicht, denn es ist eine Stätte, an der sich in alten Zeiten die Gejagten verkrochen, um von der Schlange, die ihnen durch die Himmel folgte, nicht gefunden und vernich tet zu werden. Die Gejagten sollen seltsame Wesen gewesen sein, klug und voller Bos heit. Sie bauten sich eine Stätte, die so in sich gekrümmt ist wie ihr Charakter es war. Als sie starben, blieben ihre Diener zurück, Spiegelbild ihrer Herren: eine Hälfte gilt als Beschützer von friedlichen Besuchern, die andere Hälfte versucht, Besucher in Fallen zu locken und umzubringen.« »Eigenartig«, meinte die Arkonidin.
H. G. Ewers »Wenn das so ist, warum versuchte ANTE dann, mich nach Amalek zu schicken?« »ANTE – das Feuerwesen?« fragte Vritra leise. »Ja, es beschützte mich im Hauptbau der alten Stadt vor einem Zyklopen.« »Aber ANTE, das Feuerwesen, schläft seit Äonen«, erklärte der Drache. »Es war tet, ob Leute seines Volkes dereinst zurück kehren. Tritt das ein, soll ANTE sie angrei fen, um ihnen klarzumachen, daß sie hier keinen faulen Frieden finden werden.« Raimanja seufzte. »Eine verschrobene Mentalität haben die se ANTE-Leute! Aber vielleicht ist das alles relativ. Vielleicht würden sie die arkonidi sche Mentalität als verschroben bezeich nen.« »Warum sich darüber Gedanken machen, Raimanja«, meinte das Drachenjunge. »Ich habe Hunger. Kommst du mit in die Halle der Blinden Spiegel?« »Gibt es dort etwas zu essen?« erkundigte sich die Arkonidin. »Manchmal findet sich etwas dort«, ant wortete Vritra. »Aber trink zuerst von dem Wasser des Sees. Es ist gut und belebend.« Raimanja befolgte den Rat. Sie leerte ihre Wasserflasche, füllte sie mit dem klaren Wasser des Sees und trank so viel, daß sie für die nächsten fünf bis sechs Stunden ge nug haben würde. Danach ließ sie sich von dem Drachenjun gen führen. Sie leuchtete den Weg mit dem Handscheinwerfer aus und hielt sich an Vri tras Rückenkamm fest. Die Brandwunden der Flughaut waren von einem milchigen Film überzogen, ein verläßliches Anzeichen dafür, daß der Heilungsprozeß mit Macht eingesetzt hatte und zügig voranschritt. Wahrscheinlich würde Vritra in zwei Tagen wieder fliegen können. Raimanja fühlte sich ungewöhnlich frisch. Sie überlegte, ob das tatsächlich auf das See wasser zurückzuführen war, das sie getrun ken hatte. Möglicherweise enthielt es eine Spur Arsen, das in geringer Dosis sehr bele bend sein sollte. Die Arkonidin hatte früher
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von einem Chemiker gehört, der sich jahr zehntelang mit Arsen gedopt hatte. Da sein Metabolismus sich mit der Zeit immer stär ker daran gewöhnte, reagierte er bald nicht mehr auf kleinste Dosen, so daß der Mann die Dosierung allmählich immer mehr erhö hen mußte. Als er eines Tages von einer Schlange gebissen wurde, wobei die Schlan ge ein paar Tropfen seines Blutes schluckte, starb die Schlange innerhalb von anderthalb Minuten an Arsenvergiftung. Raimanja wunderte sich, daß sie an solche Nebensächlichkeiten dachte, während sie mit einem Drachen durch die Unterwelt ei nes fremden und unheimlichen Planeten wanderte, auf der Flucht vor Akonen, die ihr das Kind entfremden wollten und im Unge wissen über das Schicksal ihres geliebten Caycon, dem die Flucht mit einem Beiboot des Akonenschiffs gelungen war. Woher hätte Raimanja wissen sollen, daß Caycon sich im relativistischen Raumflug befand und sich, obwohl für ihn subjektiv nur wenige Stunden vergehen würden, infol ge der Zeitdilatation noch rund dreieinhalb Arkonjahre darin befinden würde …
* Vielleicht war die Zeit, die ich durch die Schuld von Akon-Akon anscheinend sinnlos vertan hatte, doch im Endeffekt nicht nutz los vergeudet. Ich hielt es für einen Gewinn, daß ich durch die Beobachtung Raimanjas mehr über Perpandron erfahren hatte. In meiner Jetztzeit hatte ich über diesen Planeten nur gewußt, daß die Goltein-Heiler ihn als ihren Behandlungsplaneten benutz ten. Ich hatte auch die Legende von Caycon und Raimanja gekannt, mich allerdings frü her nie dafür interessiert, da ich sie für ein romantisches Märchen hielt. Inzwischen wußte ich viel mehr. Ich wußte, daß es auf Perpandron intelli gente Drachenwesen gegeben hatte, die sich offenkundig in den unterirdischen Anlagen einer vergangenen Zivilisation ausgezeich net auskannten und die vorhandene Technik
folgerichtig benutzten, sofern sie noch funk tionierte. Außerdem hatte ich durch Vritra erfahren, daß die Stadt, in die ich in meiner Jetztzeit – also in der Relativzukunft – ver schlagen worden war, nicht von dem glei chen Volk erbaut worden war, das die Stadt im Tal bewohnt und vielleicht auch die un terirdischen Systeme angelegt hatte. Die »in sich gekrümmte« Stadt war viel mehr von Lebewesen erbaut worden, die durch den Weltraum geflohen waren, um nicht von einer mysteriösen Schlange gefun den und vernichtet zu werden. Wahrschein lich waren die Flüchtlinge gescheiterte Re volutionäre oder einfach nur Verbrecher ge wesen, deren Denken nicht mehr in norma len Bahnen verlaufen war und die sich eine Zufluchtsstätte geschaffen hatten, die ihrer krankhaften Psyche entsprach: kugelförmig, in sich abgeschlossen, mit Zweckgravopo lung und von Wesen bewacht, von denen die einen alle Fremden umzubringen und die an deren alle Besucher zu beschützen trachte ten. Und dann hatte es auf Perpandron irgendwann noch die Wesen gegeben, die mit AN TE verwandt waren. Ein Volk, dem an kämpferischen Auseinandersetzungen so viel gelegen war, daß es sich über einen Ab trünnigen empörte, der im Krieg die Ent scheidung suchte und dadurch das Verbre chen beging, den Krieg zu beenden. Ihr Götter Arkons! Es gibt wahrhaftig nichts, was es nicht gibt!
4. »Gleich sind wir in der Halle der Blinden Spiegel!« zischelte das Drachenkind. Raimanja blickte sich um. Der Lichtkegel ihres Handscheinwerfers glitt über die glat ten Wände eines Korridors mit rechteckigem Querschnitt. Die Luft war warm, aber nicht schwül. Ab und zu kam aus winzigen Spal ten und Löchern ein frischer Luftstrom, und manchmal rieselte klares Wasser aus haar feinen Rissen, dort, wo die Seitenwände an die Decke stießen. Das Wasser wusch die
20 Wände sauber, spülte fingerhoch über den Boden und verschwand dann in kleinen Ab flußöffnungen. »Ich glaube, wer diese Anlage erbaute, hat sie weniger für seine Generation als für spätere Generationen erbaut, die nicht über sein eigenes technisches Wissen verfügten und darum nicht in der Lage waren, Repara turen vorzunehmen.« Raimanja blickte ihren neuen Freund fragend von der Seite an. Vritra wischte mit dem Schwanz über den Boden. »Vielleicht dachten die Erbauer, ein Le ben ohne Anwendung technischer Produkti onsmittel wäre angenehmer als ein Leben für die Technik«, sagte er lispelnd. »Vielleicht wußten sie nicht, daß man un glücklich ist, wenn man etwas benutzt, des sen Funktionsweise man zwar versteht, weil sie auf primitiven Prinzipien beruht – aber das man nicht weiterentwickeln kann, weil die Basiskenntnisse fehlen.« Raimanja dachte bei sich, daß das Dra chenjunge ein richtiger kleiner Philosoph sei. Sie fragte sich, ob die Drachen von Per pandron die Nachfahren jener Intelligenzen waren, die die unterirdischen Anlagen und die Stadt im Tal errichtet hatten. Vielleicht hatte dieses Volk auf dem Zenit seiner tech nologischen oder technokratischen Entwick lung geglaubt, eine Rückkehr zur natürli chen Lebensweise würde ein glücklicheres oder mindestens zufriedeneres Leben garan tieren. Wenn es sich so verhielt, dann hatten sie nicht recht behalten, denn die Drachen wa ren nicht damit zufrieden, daß sie die einfa chen technischen Hinterlassenschaften ihrer Vorfahren benutzen konnten. Sie hätten gern mehr gewußt, immer mehr, um alles zu be greifen, was ihnen unbegreiflich geblieben war. Als der Lichtkegel auf eine stählern schimmernde Platte fiel, erklärte Vritra: »Das ist das Tor zur Halle der Blinden Spiegel.« Erstaunt bemerkte Raimanja, daß das Ma-
H. G. Ewers terial des Tores fast genau so aussah wie Ar konit, jenes Metallplastik, daß die Arkoni den zur Fertigung von Raumschiffszellen benutzten. Vielleicht war es in seiner Zu sammensetzung sogar identisch mit Arkonit. Irgendwie schien es nicht zu den Felskorri doren und den auf Steinkugeln gelagerten Türen zu passen. Auch der Öffnungsmechanismus paßte nicht dazu. Das Metallplastiktor teilte sich in der Mitte, als Raimanja und Vritra noch zir ka drei Schritte davon entfernt waren. Mit schwachem schabenden Geräusch glitten die Torhälften auseinander und gaben den Weg frei. Irgendwo in den Korridorwänden müssen Sensoren verborgen sein, die die Annähe rung von Personen registrieren und dadurch den Öffnungsmechanismus einschalten! dachte die Arkonidin. »Vorsichtig!« warnte das Drachenjunge. »Manchmal ist Böses in der Halle.« Raimanja begriff zwar nicht, was Vritra darunter verstand, doch vorsichtshalber ent sicherte sie ihren Intervallnadler und hielt ihn so, daß sie jederzeit aus der Hüfte heraus feuern konnte. Sie wollte mit der linken Hand den Scheinwerfer schwenken, um in kürzester Zeit möglichst viel von der Halle auszu leuchten, aber als sie und Vritra durch die Türöffnung schritten, schaltete sich die Be leuchtung ein: Hunderte von kugelförmigen Leuchtkörpern, die frei in halbkugelförmi gen Deckennischen schwebten, wahrschein lich von Kraftfeldern gehalten. Ein Wesen, so groß wie ein Wildrind, aber fast völlig von schwarzer schleierarti ger Haut verhüllt, schoß aus der linken hin teren Ecke auf Vritra und Raimanja zu, schleuderte ihnen seine schwarzen Hautschleier entgegen und stieß einen Schrei aus, der Raimanjas Nerven so vibrie ren ließ, als wären es hart angeschlagene In strumentensaiten. Die Arkonidin ächzte erschrocken und überrascht, riß sich aber zusammen. Sie ließ sich auf das rechte Knie sinken, hob den
Die Drachenwelt Kolben des Intervallnadlers an die rechte Wange, ging ins Ziel und drückte auf den Feuerknopf. Das Zentrum des Wesens wurde zerris sen; der Rest wirbelte in großen schwarzen Fetzen heran, klatschte hinter Vritra und Raimanja an die Hallenwand und fiel zu Bo den. Ein winziges Teil schwarzer Substanz traf Raimanjas Stirn. Die Arkonidin schrie schmerzgepeinigt auf und wischte es mit dem Ärmel weg. »Das brennt fürchterlich«, sagte sie. »Es sieht auch aus wie eine Brandwun de«, meinte Vritra mit bebender Stimme. »Ich glaube, wenn du nicht deine Waffe hät test, würden wir jetzt beide tot sein.« »Was mag das gewesen sein?« sagte Rai manja zu sich selbst. Was von dem Zentrum – oder dem Rumpf – des Wesens übrig war, bot sich den Blicken als unförmiger Klumpen einer schwarzen Masse dar, die Hitze und Aasge ruch ausstrahlte. Dünne, aber offenkundig sehr kraftvolle peitschenähnliche Muskel schnüre gingen von dem Rumpf aus und en deten an den Fetzen, die von den schwarzen Hautschleiern des Angreifers übriggeblieben waren. Die Arkonidin erschauderte. Sie hielt ihre Waffe weiterhin schußbereit und schaute nach anderen Angreifern aus. Doch außer dem einen schien es keine zu geben. Dafür entdeckte Raimanja in der Mitte der riesigen Halle drei gläsern glitzernde und schimmernde doppeltmannshohe Ovale, de ren untere Siebtel sich in einer kegelförmi gen Bodenvertiefung befanden. Alle drei Ovale drehten sich langsam entgegen dem Uhrzeigersinn. »Die Blinden Spiegel!« sagte Vritra ehr fürchtig. »Seltsame Spiegel!« erwiderte Raimanja und näherte sich den Ovalen. Da die Gebilde sich drehten, sah sie nacheinander alle Sei ten und bemerkte, daß keine Fläche so glatt war, daß sie den größten Teil der auftreffen den Lichtstrahlen regelmäßig reflektierte. Also waren diese Spiegel gar nicht in der
21 Lage, Gegenstände, die sich vor ihnen be fanden, abzubilden. Natürlich, deshalb werden sie ja als Blin de Spiegel bezeichnet! überlegte die Arkoni din. Aber warum dann überhaupt als Spie gel? Sie wollte das Drachenjunge fragen, da geschah mit einem der Ovale etwas Uner klärliches. Seine Drehung verlangsamte sich und hörte schließlich ganz auf. Die ebene Fläche, auf die Raimanja blickte, wurde all mählich heller, glatter – und plötzlich sprang der Frau das Bild förmlich in die Augen. Doch es war kein Spiegelbild, sondern das Bild einer künstlichen Welt unter einem künstlichen Himmel …
* Der ovale Spiegel zeigte mehr, als ein richtiger Spiegel hätte zeigen können. Nach einiger Zeit stummer Betrachtung erkannte Raimanja, daß das, was sie für die Oberfläche einer ganzen Kunstwelt gehalten hatte, in Wirklichkeit eine gigantische Halle war. Goldfarbene Helligkeit erfüllte die Halle. Sie kam aus keiner lokalisierbaren Quelle, sondern war einfach da, als schöpfte sie ihre Energie aus dem Tanzen der Atome, dem Zusammenspiel von Kernballungen und den sie umkreisenden Elektronen. Die Wände der Halle verliefen in geschwungenen, teil weise sogar verschnörkelten Linien und er gaben einen Gesamteindruck, der die geisti ge Gesundheit eines Intelligenzwesens in Frage stellen mußte, das diese Schwünge und Schnörkel längere Zeit betrachtete. Raimanja blinzelte verwirrt. Sie kniff die Augen zusammen, um die fremdartigen Skulpturen und Statuen, Figuren und Statu etten besser sehen zu können, die in zahllo sen Nischen und Erkern oder auf Vorsprün gen standen. Langsam ging Raimanja auf diesen Spie gel zu. Vritra eilte an ihr vorbei, stellte sich ihr in den Weg.
22 »Tu es nicht, Raimanja!« bat er. »Es ist nicht gut, in die Schatzkammer von Amalek zu gehen. Über ihr liegt ein gefährlicher Bann, der schon viele tötete, die es wagten.« Die Arkonidin blieb stehen. »Ich verstehe nicht«, sagte sie. »Das ist doch nur ein Bild – und noch nicht einmal ein Spiegelbild. Wie könnte ich in ein Bild hineingehen?« »Du irrst dich, Raimanja«, erwiderte das Drachenjunge beschwörend. »Das ist wirk lich ein Spiegelbild. Der Spiegel bildet nur etwas ab, das sich nicht hier, sondern woan ders befindet. Es hat irgend etwas mit der Projizierung der endlichen Unendlichkeit auf kleinsten Raum zu tun, mit einer Ver windung der Raum-Zeit-Struktur. Ich kann es nicht anders sagen, weil ich es selbst nicht verstehe, sondern nur einmal eine ähn liche Erklärung gehört habe.« »Ich verstehe es auch nicht«, meinte die Arkonidin. »Aber ein Experiment könnte uns zeigen, was es mit dieser Abbildung auf sich hat.« Sie nahm einen Konzentratwürfel aus der Verpackung, schob ihn sich in den Mund und warf die Verpackung gegen die Spiegel fläche. Als sie auftraf – oder eindrang – blitzte es funkenartig auf. Die Spiegelfläche schien zu verschwimmen, wurde aber sofort wieder klar. Raimanja sah, daß die glitzernde Ver packung nunmehr Teil jenes Spiegelbildes war. Sie flog ein Stück durch die gigantische Halle und fiel dann zu Boden. »Das begreife ich nicht«, sagte Raimanja fassungslos. »Es ist – wie Zauberei. So, als wäre der Spiegel ein Tor, durch das man in eine andere Welt kommen kann.« Sie schluckte, als das Bild im Spiegel ver schwamm, dann verblaßte und sich auflöste. Der Vorgang dauerte kaum drei Herzschläge lang, danach sah die Spiegelfläche genauso aus wie die Flächen der anderen beiden Ovale. »Ein blinder Spiegel ist kein Tor mehr«, erklärte Vritra. »Aber wenn sich die Bilder zeigen, dann wird aus einem Blinden Spie-
H. G. Ewers gel ein Tor. Das Böse, das uns angriff, ist durch ein solches Tor gekommen.« Raimanja sah, daß ein anderes Oval sich plötzlich langsamer drehte. Nach kurzer Zeit kam es zum Stillstand – und dann wurde die der Arkonidin zugewandte Fläche zur Flä che eines Spiegels. Das Bild zeigte eine vor dünnem Nebel halb verhüllte karge Landschaft. Reifbe deckte verkrüppelte Gewächse standen gleich Gnomen in der Nebelwelt. Mehrere große Tiere mit zottigen Fellen und krum men Hörnern standen dicht beisammen im Hintergrund. Im Vordergrund erhoben sich Lebewesen, die bisher unsichtbar für Rai manja gewesen waren, weil sie offenbar flach auf dem Boden gelegen hatten. Raimanja runzelte verwundert die Stirn, denn die Lebewesen waren ähnlich gebaut wie Arkoniden, nur gedrungener – und sie trugen Fellkleidung und statt Energiewaffen Speere und Steinschleudern. Diese Wesen huschten hinter Krüppelgewächsen näher an die Tiergruppe heran, dann blieben sie unbe weglich stehen. Plötzlich stieß einer der Jäger einen schrillen Pfiff aus. Im nächsten Moment flo gen Steine und Speere zu den Tieren. Eines wurde mehrfach getroffen und wankte; die anderen Tiere stoben davon. Die Jäger stürmten schreiend vor, schleuderten weitere Speere auf das verwundete Tier, das lang sam zusammenbrach. Langsam verschwamm das Bild, verblaß te und löste sich auf. »Das war nicht Perpandron, sondern eine andere Welt«, sagte Raimanja tonlos. »Eine sehr kalte und unfruchtbare Welt. Dort möchte ich nicht leben.« »Niemand kommt dorthin«, erklärte Vri tra. »Alle Gegenstände, die wir durch diesen Spiegel werfen, verschwinden spurlos.« »Die Entfernung ist zu groß«, meinte Rai manja. »Aber eigentlich ist die Entfernung immer zu groß, denn ein Spiegel kann doch nur als Tor dienen, wenn es etwas zeigt, was unmittelbar hinter ihm ist. Ich begreife das alles nicht.«
Die Drachenwelt Als der dritte Spiegel ebenfalls seine Drehbewegung verlangsamte, richtete sie seine Aufmerksamkeit auf ihn. Auch hier wurde die der Frau zugewandte Seite immer glatter, bis sie schließlich so glatt wie die Funktionsfläche eines Spiegels war. Raimanja sah zuerst nur Dunkelheit – und in der Dunkelheit einige leuchtende Flecken, die etwas aus der Finsternis rissen, das ein männliches Gesicht sein mußte. Es war schmal, edel zugeschnitten und besaß eine hohe Stirn. Die Farbe der Augen war nicht zu erkennen, da sie grelles Licht reflektier ten. Aber das Gesicht war starr, unbeweg lich. Und ein Stück darunter fiel Helligkeit auf Hände, die einen seltsamen Stab hielten. Aber die Hände waren viel seltsamer als der Stab. Der sichtbare Teil ihrer Innenflächen war mit Sternsymbolen bedeckt, die auf eine geheimnisvolle Weise von innen heraus leuchteten. Je länger Raimanja hinschaute, desto bes ser stellten sich ihre Augen auf die Dunkel heit ein, die nicht vollkommen war, wie sie bald erkannte. Sie sah noch viele Gesichter und dazu Gestalten, die reglos verharrten. Die Gestalten waren nur undeutlich zu se hen, aber die Konturen waren die von Arko niden. Sie standen anscheinend in einem alten zerfallenen Bauwerk, durch dessen zer störte Decke bleigraues Dämmerlicht sicker te … »Das zeigte dieser Spiegel noch nie zu vor«, lispelte das Drachenjunge aufgeregt. »Sonst war dort immer eine Halle mit son derbaren Sockeln. Aber sie war nicht zerfal len, und sie war immer leer gewesen – bis manchmal auf ein paar Tiere.« Raimanja wußte nicht, was sie dazu sagen sollte. Ihr kam das alles unheimlich vor. Sie hätte viel dafür gegeben, wenn sie die Mög lichkeit bekommen hätte, nach Arkon zu rückzukehren. Es interessierte sie nicht ein mal, als auch dieses Spiegelbild wieder er losch. Plötzlich ertönte ein dumpfer Knall, dem eine Erschütterung des Bodens folgte.
23 »Was war das?« fragte Vritra. Langsam drehte Raimanja sich um und blickte auf das Metallplastiktor, das sich hinter ihnen wieder geschlossen hatte. »Eine Explosion«, sagte sie tonlos. »Ich fürchte, die Akonen haben Detektoren ein gesetzt, als sie merkten, daß sie mich anders nicht finden würden. Sie ermittelten unge fähr, in welche Richtung ich geflohen war und sprengten sich einen Weg in dieses Gangsystem. Wohin können wir gehen, da mit sie uns nicht einholen, Vritra?« »Hier geht es nicht weiter, Raimanja«, antwortete das Drachenjunge. »Wir können nur den gleichen Weg zurückgehen.« »Dann würden wir auf die Akonen sto ßen«, entgegnete die Arkonidin. Sie drehte sich um und preßte die Lippen zusammen, als der erste Spiegel seine Dreh bewegung abermals verlangsamte. »Es gibt nur einen Weg, den durch diesen Spiegel«, erklärte sie entschlossen. »Ich werde in die Schatzkammer von Amalek ge hen. Kommst du mit, Vritra?« »Ich fürchte mich«, gab Vritra zischelnd zurück. »Zu viele sind schon in die Schatz kammer von Amalek gegangen und vom lautlosen Tod geholt worden.« Die Arkonidin schlug mit der flachen Hand an den Kolben ihres Intervallnadlers. »Ich kann mich wehren. Gegen die Ako nen reicht das nicht, aber vielleicht gegen den lautlosen Tod.« Goldfarbene Helligkeit strahlte vom er sten Spiegel aus, erleuchtete eine Halle: die Schatzkammer von Amalek. »Komm!« flüsterte Raimanja. Sie ging zögernd ein paar Schritte auf den Spiegel zu, dann holte sie tief Luft, nahm Anlauf und sprang. Etwas wie ein schwacher Stromschlag jagte durch ihren Körper. Grelles Licht blen dete sie, ertrank in absoluter Finsternis, die wiederum von goldenen Strahlen abgelöst wurde. Raimanja strauchelte, fing sich wieder und blickte sich wachsam in der Schatzkam mer von Amalek um. Von einem Spiegel
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war hier nichts zu sehen. Dafür tauchte, scheinbar aus dem Nichts kommend, plötz lich Vritra in der Luft auf und landete auf al len vieren neben der Arkonidin. Und im nächsten Augenblick dröhnte eine furchterregende Stimme auf …
* Zuerst wunderte ich mich darüber, daß Raimanja die sogenannten Spiegel nicht als das identifizierte, was sie waren: nämlich Materietransmitter. Aber die Erklärung fiel mir relativ schnell ein. Die Arkoniden kannten zu Raimanjas Zeit offenbar noch keine Transmitter. Viel leicht war einigen ihrer Wissenschaftler – und sicher auch den Wissenschaftlern der Akonen – klar, daß sich Materie prinzipiell wegen ihrer energetischen Basis genauso oder ähnlich wie Funkwellen durch den Raum senden und empfangen lassen mußte. Aber von der Erkenntnis eines Prinzips bis zu deren Verwirklichung war manchmal ein langer Weg. Ich brauchte es nur mit meinem langen Weg zu vergleichen. Das Ziel stand seit lan gem fest: die Absetzung Orbanaschols und die Erneuerung des Großen Imperiums. Dennoch waren meine Freunde und ich bis lang immer in Kreisen getappt. Zuerst in dem aus vielen kleinen Kreisen bestehenden großen Kreis, der uns mit einem Stein der Weisen narrte, der sich als simple Maschine entpuppte – und nun in dem AkonAkon-Kreis, bei dem das Ziel noch so ver schwommen war wie die morgendlichen Ge danken eines Rauschgiftsüchtigen. Als ich in dem einen Transmitterspiegel das Gesicht Akon-Akons erblickte und da nach uns alle – reglos in der halbverfallenen Transmitterstation stehend –, hatte ich an ei ne Halluzination geglaubt. Aber aus den Ge danken von ANTE hatte ich herausgelesen, daß so etwas tatsächlich möglich war, weil sich mit Hilfe »andersartiger« Energienive aus nicht nur Fenster in andere Räume, son dern auch in andere Zeiten öffnen ließen.
Doch als ich spürte, daß ANTE diese Tat sache dazu benutzen wollte, um Raimanja durch das Zeitfenster aus der Relativvergan genheit in meine Jetztzeit zu stoßen, entsetz te ich mich so darüber, daß mein Bewußt seinsinhalt diesem seltsamen Wesen entglitt. Ich treibe ab! teilte ANTE mir mit. Wa rum hast du dich gegen mich gewehrt, At lan? »Du warst dabei, ein Zeitparadoxon zu schaffen«, antwortete ich. Es gibt keine Zeitparadoxa! »Genauer gesagt: Es darf keine Zeitpara doxa geben. Da sie aber im Ansatz verur sacht werden können, verändert sich schlag artig die Ausgangssituation. Dadurch wird das heraufziehende Paradoxon im Keime er stickt. Die Wirkung kann so einschneidend sein, als hätte es tatsächlich ein Zeitparado xon gegeben.« Vielleicht hättest du dir dadurch viele Umwege erspart, Atlan. Wäre mein Vorha ben geglückt, brauchtest du wahrscheinlich den Umweg über Akon-Akon nicht zu gehen. Möglicherweise wäre dein Vater niemals er mordet worden, so daß du ein ganz norma les Leben als Kristallprinz führen könntest. »Vielleicht – wahrscheinlich – möglicher weise«, erwiderte ich. »Es gibt also keine Gewißheit?« Niemals ist etwas gewiß! erklärte ANTE. »Also auch nicht, daß niemals etwas ge wiß ist«, entgegnete ich sarkastisch. Richtig! meinte ANTE. Ich verliere den Kontakt. Falls du mich brauchst, ich kehre in den Kubus zurück. Vielleicht kann ich dir irgendwann helfen. Ich spürte, wie ANTE sich von mir ent fernte. Dann war ich nur noch das körperlo se Etwas, das man Bewußtseinsinhalt nennt – beziehungsweise nennen konnte. Ich bemerkte noch, daß das Spiegeltor, durch das Raimanja in die Schatzkammer von Amalek geflohen war, wieder blind war, so daß ich der Arkonidin nicht folgen konn te. Dennoch befand ich mich im nächsten Augenblick in unmittelbarer Nähe Raiman
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jas. Das erinnerte mich wieder daran, daß es für einen gepolten Bewußtseinsinhalt offen bar keine räumlichen und zeitlichen Hinder nisse gab.
5. Raimanja lauschte dem dumpfen Dröhnen der Stimme. Sie verstand die Sprache nicht, in der die Stimme redete, aber sie konnte sich denken, daß die fremdartigen Worte an sie gerichtet waren. Vritra stand auf dem Boden der giganti schen Halle, hatte den Kopf hochgereckt und schiefgelegt. Sein Schweif zuckte unru hig. »Du machst mich nervös«, sagte Raiman ja. »Wir sind doch gut angekommen, oder?« »Aber hier droht uns Gefahr«, zischelte Vritra. »Ich fühle, wie sich die Gefahr von allen Seiten nähert. Vielleicht sollten wir zu rückgehen.« »Hier gibt es doch keinen Zauberspiegel«, erwiderte die Arkonidin. »Man kann sie nicht sehen«, erklärte das Drachenjunge. »Aber es muß sie dennoch geben, denn manchmal kamen Gegenstände und Tiere von der Schatzkammer in die Hal le der Blinden Spiegel. Wenn wir herumpro bieren, werden wir die Stelle finden.« »Nein!« sagte Raimanja wild entschlos sen. »Lieber will ich gegen den lautlosen Tod kämpfen, als mich freiwillig in die Ge walt der Todfeinde meines Volkes bege ben!« »Dann werden wir jetzt kämpfen müs sen«, sagte Vritra und fauchte drohend. Die Drohung galt nicht Raimanja, wie die Arkonidin im nächsten Moment erkannte. Sie galt den Giganten, die aus zahllosen Öff nungen in den Wänden hervorgekommen waren und sich absolut lautlos in ihre Rich tung bewegten. Auf den ersten Blick sahen die Giganten genauso aus wie der Zyklop, dem Raimanja in der Stadt im Tal begegnet war. Jedes Ge schöpf war dreimal so groß wie ein Arkoni de und hatte nur ein einziges rundes Auge
im Gesicht. Doch im Unterschied zu jenem Zyklopen waren diese Wesen haarlos, und ihre grau weißen Körper waren in golden schimmernde Rüstungen gekleidet. In den Händen tru gen sie Lanzen, Schwerter und Schilde. Es war gespenstisch anzusehen, wie sie in Ab ständen von zirka einer Sekunde alle gleich zeitig einen ruckhaften Schritt vorwärts gin gen, ohne dabei ein Geräusch zu verursa chen. Raimanja spürte sofort, daß mit diesen Zyklopen etwas nicht stimmte. Bald wurde ihr auch klar, was das war. Sie bemerkte, daß die Rüstungen dieser Giganten unein heitlich und unvollständig waren. Teile, die irgendwann verlorengegangen waren, hatte man nicht ersetzt. Andere Teile der Rüstun gen waren miteinander vertauscht worden, so daß die Formation trotz der Gleichheit der Bewegungen wie ein achtlos zusammen gewürfelter Haufen von Söldnern wirkte. »Sie handeln wie Automaten«, flüsterte sie dem Drachenjungen zu. »Wahrscheinlich sind sie die Nachfahren einer Wachtruppe, die schon seit Generationen keinen Befehls haber mehr besitzt und nur das nachahmt, was von einer Generation an die nächste überliefert worden ist.« »Um so gefährlicher sind sie für uns«, gab Vritra zurück. Raimanja mußte sich dieser Logik beu gen. Mit einer Truppe, die keinen Komman deur besaß, konnte man nicht verhandeln. Sie würde stur irgendwelche Befehle befol gen, die jemand ihren Vorfahren gegeben hatte – oder von denen sie sich einbildeten, sie von ihren Vorfahren übernommen zu ha ben. Sie entsicherte ihren Intervallnadler. Den noch hatte sie fast zu lange gezögert. Die Zyklopen hatten ihre Lanzen gehoben und wollten sie auf die beiden Eindringlinge werfen. Raimanja handelte intuitiv der Lage entsprechend. Sie feuerte einen verhältnis mäßig eng begrenzten Fächer, komprimier ter Energieballungen ab, versetzte Vritra einen Stoß und lief auf die Lücke zu, die
26 sich in der Formation der Giganten gebildet hatte. Das Drachenjunge begriff und blieb dicht neben ihr. Hinter ihnen bohrten sich die stählernen Lanzenspitzen genau dort in den Boden, wo Raimanja und Vritra eben noch gestanden hatten. Die Formation der Zyklopen reagierte, als wäre sie ein einheitlicher Organismus. Wie in einem zentral gesteuerten Reflex verän derten die Einzelwesen ihre Position so, daß die Lücke geschlossen wurde, die die Ener gieballungen in die Phalanx gerissen hatten. Ihre Schwerter hoben sich drohend. Erneut schoß Raimanja, und wieder rissen die sonnenhell flammenden Energienadeln eine Lücke in die Phalanx des lautlosen To des: Und wieder schloß sich die Formation, zog sich gleichzeitig um die Arkonidin und das Drachen junge zusammen. Raimanja war keine Kriegerin. Sie hatte getötet, weil sie wußte, daß ihr keine andere Wahl blieb. Aber der Anblick der Opfer er füllte sie mit Entsetzen. Sie merkte, daß sie nicht endlos weitertöten konnte. Ein kamp ferprobter Mann oder eine kampferprobte Frau hätten Dauerfeuer auf eine Stelle der feindlichen Phalanx geschossen und wären dort durchgebrochen. Raimanja dagegen wich in die Mitte der Halle zurück und beschränkte sich auf ein zelne Schüsse vor die Füße von Zyklopen, die ihr, am gefährlichsten erschienen. Aber diese Wesen waren eines so gefährlich wie das andere. Sie verhielten sich, als führten sie eine rituelle Handlung aus. Die Arkonidin schoß noch einmal gezielt auf die heranrückenden Zyklopen, dann brach sie psychisch zusammen, warf die Waffe weg und schlug die Hände vors Ge sicht. Ringsum schwangen lautlos scharfge schliffene Schwerter empor, holten zum To desstreich aus … Plötzlich geriet die Formation der Zyklo pen durcheinander. Zwischen ihnen, vor und hinter ihnen tauchten Männer in Kampfan zügen auf, als wären sie aus dem Nichts ge kommen. Sie wirkten winzig und unschein bar gegen die rotäugigen Giganten, aber sie
H. G. Ewers handelten mit der Kompromißlosigkeit er fahrener Raumsoldaten, die schon unzählige Male dem Tode ins Angesicht geschaut und dabei überlebt hatten. Die Entladungen von Blastern erfüllten die Halle mit sonnenhellen Blitzen und oh renbetäubendem Krachen. Getroffene Zy klopen wankten und stürzten, doch die ande ren Giganten hoben ihre Schwerter gegen die neuen Eindringlinge, bis auch sie die Opfer der überlegenen Waffen und der Ent schlossenheit ihrer Gegner wurden. Als Ruhe eintrat, merkte Raimanja, daß sie innerhalb einer Energieblase atmete, die von den Schutzschirmprojektoren zweier Akonen erzeugt wurde, die dicht an sie her angetreten waren. Andernfalls wäre sie wahrscheinlich in der Hitze umgekommen, die in der Halle herrschte. Sie blickte sich um, von dem Schock noch immer halb gelähmt. Die Zyklopen waren sämtlich tot. Aber was war aus Vritra ge worden? Das Drachenjunge war nicht zu se hen. Hatte es noch rechtzeitig fliehen kön nen, oder war es von den Energiestrahlen aufgelöst worden? Einer der Akonen, der ihr mit seinem Schutzschirmprojektor das Leben gerettet hatte, wandte ihr das Gesicht zu. Es lag un ter der transparenten Scheibe seines Druck helms, deshalb erkannte sie es nicht so gleich. Es kam ihr nur bekannt vor. »Ich bin Orthrek«, half der Akone ihrer Erinnerung nach. »Mein Trupp befreite dich aus der Polizeistation auf Arkon. Du hast uns ganz schön irregeführt. Dennoch hättest du dir sagen müssen, daß du uns nicht auf die Dauer davonlaufen kannst.« »Ihr seid durch den Zauberspiegel …?« flüsterte Raimanja. Orthrek lachte trocken. »Mit Zauberei hatte das gewiß nichts zu tun, Raimanja«, erklärte er. »Aber das ist jetzt nicht wichtig.« »Wo ist Vritra?« erkundigte sich die Frau. »Wer ist Vritra?« fragte Orthrek zurück. »Meinst du die kleine Echse, die davonlief, als wir auf die Zyklopen schossen?«
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»Das Drachenjunge, ja«, antwortete Rai manja. »Ist es entkommen?« »Wir hatten keinen Grund, auf ein flüch tendes Tier zu schießen«, sagte der Akone. Seine Augen verengten sich, verrieten Är ger. »Aber du hattest auch keinen Grund, auf den Gleiter zu schießen, der dich im Tal der Ruinen aufspürte. Warum hast du es ge tan?« »Die Besatzung richtete grundlos ein Blutbad unter den Drachen im Tal an«, er klärte Raimanja. »Es … es war Wahnsinn. Ich konnte nicht anders, als auf sie zu schie ßen.« »Das Weib hat unsere Leute ermordet!« warf ein anderer Akone ein. »Sei still, Khelva!« fuhr Orthrek ihn an. »Wenn das stimmt, was Raimanja sagte, dann geschah der Gleiterbesatzung recht. Und ich denke, sie lügt nicht.« Er wandte sich wieder an die Frau. »Komm, wir bringen dich zum Schiff zu rück, Raimanja«, sagte er. »Du brauchst größte Schonung – in deinem Zustand.« Er sah sich in der Halle um. Plötzlich run zelte er nachdenklich die Stirn. »Diese Halle – sie ist phantastisch, ir gendwie faszinierend«, sagte er gedehnt. Seine Augen funkelten. »Eigentlich der rechte Ort, um einen künftigen Herrscher heranwachsen und formen zu lassen. Ich werde mit Tekla von Khom darüber spre chen.« Raimanja wollte fragen, was der Akone gemeint hatte, doch sie kam nicht mehr dazu. Ihr wurde schwarz vor den Au gen, dann schwand ihr Bewußtsein.
* Endlich bekam ich wieder Kontakt mit Fartuloon – beziehungsweise mit seinem Bewußtseinsinhalt. »Ich bin froh, daß es dich noch gibt«, meinte mein Pflegevater. »Ich dachte schon, du wärst verlorengegangen.« »Ich war nie in Gefahr«, erwiderte ich. »Aber auf Perpandron sieht es anders aus, als ich es in Erinnerung habe.«
»Selbstverständlich. Es ist ja auch einige Jahrtausende früher. Bis du zum erstenmal hierherkommst, muß sich vieles verändert haben. Ich frage mich nur, wie lange wir diesmal hierbleiben müssen. Wenn wir die ganze Vorgeschichte Akon-Akons beobach ten sollen, dann wird das ziemlich lange dauern. Raimanja ist ja gerade im ersten Monat schwanger.« Ich antwortete nicht gleich, denn die Vor stellung, im günstigsten Fall viele Monate und im ungünstigsten viele Jahre als Be wußtseinsinhalt in der Vergangenheit her umgeistern zu müssen, versetzte mir einen gelinden Schock. Und als ich dann antworten wollte, merk te ich, daß sich das Problem auf wundersa me Art von selbst gelöst hatte – denn die Szene, in die ich gerissen wurde, bewies mir, daß es etwa acht Monate später war …
6. Raimanja stieß einen gellenden Schrei aus, dann verstummte sie und sank mit schweißüberströmtem Körper auf das Kopf teil des Pneumobetts zurück. Verschiedene matte Geräusche waren in der folgenden Stille zu hören, dann ertönte ein zaghafter Laut, dem bald heftiges Ge schrei folgte – der Protestgesang eines Neu geborenen, das die konstant auf Körpertem peratur gehaltene Flüssigkeit des MiniUrozeans gezwungenermaßen verlassen hat te und aus der totalen Geborgenheit in ein rauhes feindliches Leben gerissen worden war. Ein akonischer Mediziner deckte Raiman ja mit einer Thermodecke zu. Sie schaute ihn aus großen Augen an; ihre Finger glitten unruhig über die Decke. Ein zweiter Mediziner trug etwas auf den Armen, das in eine transparente Folie halb eingeschlagen war. Er lächelte und legte das Bündel in Raimanjas Arme. Zuerst traute sich die Arkonidin nicht, den Inhalt des Bündels anzuschauen. Sie fürchte te, die Manipulationen der Akonen hätten
28 aus ihrem Kind ein Monstrum gemacht. Aber dann zwang sie sich doch dazu, es an zusehen – und ihr Herz vollführte einen re gelrechten Freudensprung. Es war ein ganz normales Arkonidenkind – und ein strammer Junge! Raimanja weinte vor Freude, bedeckte den rosigen Körper ihres Kindes mit Küssen und stammelte liebevolle Worte. Das leise weinende Kind wurde ruhiger und schlief schließlich ein. Eine Hochdruckinjektionsdüse zischte. Raimanja achtete nicht darauf. Sie spürte nur nach einiger Zeit, daß eine wohlige Mü digkeit sie überkam. Seufzend schloß sie die Augen und schlief ein. Als sie erwachte, war das Kind ver schwunden. Raimanja rieb sich die Augen, gähnte und schaute sich nach ihrem Baby um. Ihrer Meinung nach mußte es in ihrer Kabine untergebracht sein. Doch ihr Bett war das einzige in der Kabine. Raimanja wollte gerade den Interkoman schluß neben ihrem Pneumobett einschalten, als sich das Schott öffnete und der Akone eintrat, den sie als Tekla von Khom, den Wissenschaftlichen Kommandanten des Un ternehmens, kannte. »Wo ist mein Kind?« fragte die Arkonidin mit schwacher Stimme. Tekla von Khom lächelte. »Akon-Akon befindet sich in guter Ob hut«, erklärte er. »Sein Gesundheitszustand könnte nicht besser sein, Raimanja.« »Ich will ihn sehen!« sagte Raimanja. »Und wie kommen Sie dazu, meinem Kind einen Namen zu geben? Niemals werde ich zulassen, daß er Akon-Akon heißt. Mein Sohn soll den Namen seines Vaters tragen!« Tekla von Khom machte eine Geste, die andeuten sollte, daß er sich über dieses The ma nicht zu streiten wünschte. »So wirst du ihn Caycon nennen – und wir nennen ihn Akon-Akon. Er soll, wenn er erwachsen ist, selbst entscheiden, welchen Namen er für immer tragen will.« »Einverstanden«, erwiderte Raimanja, halb beschwichtigt. »Wann wird man mir
H. G. Ewers Caycon bringen?« »Wir werden deinen Sohn besuchen, so bald der Arzt dich noch einmal untersucht hat«, antwortete Tekla von Khom. Raimanja gab sich vorerst damit zufrie den. Nachdem der Wissenschaftler die Kabi ne verlassen hatte, verging etwa eine halbe Stunde, bis der Arzt eintraf. Er untersuchte Raimanja gewissenhaft und erlaubte ihr da nach, an diesem Tag für eine Stunde aufzu stehen. Kaum hatte die Arkonidin sich angeklei det, als auch schon Tekla von Khom kam, um sie abzuholen. Er führte sie aber zu ihrer Verblüffung nicht in eine andere Abteilung des Hospitaltrakts des Schiffes, sondern in einen Gleiterhangar. »Ist mein Sohn nicht im Schiff?« fragte Raimanja aufgeregt. »Sei ganz ruhig, Raimanja«, sagte Tekla von Khom. »Dein Sohn hat den besten Platz erhalten, den es auf ganz Perpandron gibt. Steig ein, ich, bringe dich zu ihm!« Raimanja gehorchte, denn sie wollte schließlich ihren Sohn sehen. Tekla von Khom steuerte den Gleiter über eine grasbe deckte Ebene, auf der Verfärbungen sich zu geometrischen Mustern und stilisierten Tier bildern formten. Dahinter lag, von niedri gem Buschwerk eingezäunt, eine Stadt mit sonnengebleichten quaderförmigen Stein bauten, Kuppeln und gepflasterten Straßen und Plätzen. Das Ganze wurde von einem zirka hundertfünfzig Meter hohen vierecki gen Turm aus rotem Stein überragt. Aber die Stadt schien verlassen. Gras wu cherte zwischen Mauerritzen und den Fugen der Pflastersteine; die Mauern der Bauwerke zeigten erste Spuren erosiver Zerstörung. Tekla von Khom bemerkte Raimanjas Neugier und sagte, ironisch lächelnd: »Nichts besteht ewig, Raimanja. Aber diese Stadt ist noch zu gut erhalten und könnte durch puren Zufall aus dem Welt raum entdeckt werden. Wir werden sie spä ter künstlich altern. Übrigens ist diese Stadt später als jene gebaut worden, die du Ama lek nanntest. Von ihr drohen keine Gefah
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ren, aber in Amalek lauern Fallen und Robo ter. Ich habe den Weg zur Schatzkammer mit Signalbojen markieren lassen, denn sehr leicht verirrt man sich hier. Außerdem wird unser Weg von mehreren Kampfgruppen ab geschirmt.« »Warum benutzen wir nicht die Spiegel?« erkundigte sich die Arkonidin. Teklas Gesicht verdüsterte sich. »Die hat Orthrek zerstören lassen«, sagte er zornig. »Angeblich, weil von einem der sogenannten Spiegel gefährliche Fremdintel ligenzen herüber und durch den anderen Spiegel in die Schatzkammer kommen könnten. Es scheint da irgendwo eine Nebel welt zu geben, auf der sich die Überleben den eines lange zurückliegenden Weltraum kriegs immer noch bekämpfen. Oder Or threk wollte seine Stellung als Mitglied des Energiekommandos bloß hochspielen, was weiß ich.« »Orthrek ist vom Geheimdienst?« fragte Raimanja entsetzt. Sie hatte früher von eini gen Aktionen des akonischen Energiekom mandos gehört – und was sie gehört hatte, war schlimm gewesen. Tekla von Khom lächelte grimmig. »Ich mag die Methoden des Energiekom mandos auch nicht besonders, aber Tatsache ist, daß dein Volk uns schon vor fünfzig Jah ren ausgelöscht hätte, wenn ein paar kleine Agentengruppen des Energiekommandos eure Schlagkraft damals nicht empfindlich geschwächt hätten. Und nun geht es in die Unterwelt.«
* Für Raimanja war der Flug zur Schatz kammer ein Alptraum. Nachdem der Gleiter eine Öffnung in der Oberflächenstadt pas siert hatte, war er durch irrsinnig gewundene halbdunkle Gänge geflogen, die scheinbar immer wieder zum Ausgangspunkt zurück führten. In kurzen Abständen sah die Arkonidin große Scheinwerfer leuchten. In ihrer Nähe hielten sich schwerbewaffnete Raumlandes
oldaten auf. Manchmal waren keine Solda ten zu sehen; dafür krachten und knatterten in den verborgenen Gängen dahinter die Entladungen von Energiewaffen. Tekla von Khom steuerte den Gleiter nach den Anzeigen des Pulsationspeilers auf dem Armaturenbrett. Das Gerät empfing die Si gnale der Bojen und bestimmte danach die Position. Einmal entdeckte Raimanja den Vorder körper eines riesigen käferartigen Wesens, der aus einer Stollenmündung ragte. Vor ei nem tellerförmigen Rückenschild saß ein Schädel – dreimal so groß wie der Kopf ei nes Arkoniden oder Akonen, schwarz wie ein Kohlensack und mit riesigen Facettenau gen und Fühlern bewehrt. Die Arkonidin konnte nicht feststellen, ob der Riesenkäfer noch lebte. Während der Gleiter vorbeihuschte, rührte er sich jeden falls nicht. Nur seine schwarze Oberfläche funkelte und schillerte, als die Lichtkegel der Gleiterscheinwerfer darüber hinweg wischten. Später schwebte der Gleiter durch eine Halle. Rechts lagen zwei umgeworfene Scheinwerfer, von denen nur noch einer leuchtete. Drei Raumlandesoldaten lagen verkrümmt daneben. Aus einer dahinter be findlichen Gangöffnung zuckte immer wie der ultrahelles Wabern, begleitet von don nernden Entladungen. Dort wurde offen sichtlich gekämpft. »Sollten wir nicht versuchen, Ihren Leu ten zu helfen?« fragte Raimanja. Tekla von Khom preßte die Lippen zu sammen. »Nein!« erklärte er hart. »Die dort kämp fen und vielleicht sterben, sollen ja gerade verhindern, daß wir ernsthaft gefährdet wer den. Wir dürfen nichts anderes tun, als unbe irrt weiterzufliegen.« Plötzlich öffnete sich links ein breiter Spalt in der Hallenwand. Eine Wolke seltsa mer, unheimlicher geflügelter Wesen quoll oder wallte daraus hervor. Raimanja sah, daß die Wesen sich mit Hilfe großer, schimmernder Flügel durch die
30 Luft bewegten, daß sie vier Beine und einen annähernd würfelförmigen Kopf besaßen und von einem kurzhaarigen Fell bedeckt waren. »Die Geflügelten!« flüsterte Raimanja, als sie sich der Warnung von ANTE erinnerte. »Wie?« fragte der Akone. Bevor er begriff, was die Arkonidin vor hatte, hielt Raimanja schon seinen Blaster in der Hand und feuerte auf den Schwarm der Geflügelten. Einige der Wesen explodierten so heftig, als trügen sie Sprengladungen am Leib. Glühende Fetzen jaulten über den Gleiter hinweg; einer streifte Teklas rechten Oberarm, zerriß die Kombination und fügte dem Akonen eine Fleischwunde zu. Tekla von Khom stieß eine Verwün schung aus und riß den Gleiter steil nach oben. Raimanja wäre beinahe über den Bor drand gefallen. Mit der linken Hand klam merte sie sich fest, mit der rechten hielt sie weiter den Blaster und schoß auf die Geflü gelten, die sich anschickten, dem Fahrzeug zu folgen. Wieder gab es heftige Explosionen. Ein Splitterregen prasselte gegen den gepanzer ten Boden des Gleiters. Es hörte sich an, als trommelten Hagelkörner auf ein leeres Ei senfaß. »Das müssen robotische Konstruktionen sein«, meinte Tekla von Khom, als sie die Halle hinter sich gelassen hatten. »Lebewesen wären nicht so heftig explo diert. Aber beim Rückflug hältst du dich bit te zurück, Raimanja. Die Geflügelten sind die besten Wächter, die wir uns für AkonAkon denken können.« »Caycon!« fuhr Raimanja ihn an. Der Akone nahm ihr gelassen den Blaster aus der Hand, schob ihn in seinen Gürtel halfter zurück und setzte den Flug ungerührt fort. Durch einen großen Schacht schwebten sie schließlich in die Schatzkammer hinab. Raimanja hätte die Schatzkammer nicht wiedererkannt, wenn nicht die goldene Hel ligkeit gewesen wäre. Der Raum selbst sah völlig anders aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Seine Wände waren begradigt worden,
H. G. Ewers die meisten der Unebenheiten beseitigt. Nur noch wenige Vorsprünge ragten aus dem Fels, gekrönt von Tier- und Menschenstatu en. Die zahllosen verspielten Nischen und Erker waren verschwunden. Der gewaltige Saal hatte seinen Charakter völlig verändert; er hätte in einem akonischen Herrscherpalast stehen können. Und noch etwas war anders geworden. In der Mitte der gewaltigen Halle erhob sich ein gläserner Turm von ebenfalls ge waltigen Dimensionen. Mit einem Durch messer von zirka dreißig Metern stieg er naht- und fugenlos aus dem geglätteten, mit einer schimmernden Masse überzogenen ehemaligen Steinboden, stieg bis hinauf zur scheinbar himmelhohen Decke und schien sich dort noch fortzusetzen. Raimanja blickte verwundert auf den glä sernen Turm, dann richtete sie ihre Auf merksamkeit auf den tiefschwarzen Sockel, der im Innern des Turmes stand. Das Materi al des Sockels schien das Licht seiner Um gebung aufzusaugen, so daß kein einziges Photon reflektiert wurde. Auf dem Sockel aber befand sich ein gläserner Würfel von etwa drei Metern Kantenlänge – und mitten in diesem Würfel schwebte oder schwamm ein Kind. »Caycon!« schrie Raimanja und stürzte auf den Turm zu. Sie prallte gegen die Wand und merkte an der besonderen Art des elastischen Wider stands und einer gewissen Wärmeausstrah lung, daß der Turm nicht gläsern war. Seine Außenhülle bestand aus einem Energiefeld. Raimanja fühlte sich an den Armen ergrif fen und zur Seite geführt. Einer der Männer, die sie führten, war Tekla von Khom, den anderen erkannte sie als Orthrek. »Was habt ihr mit meinem Sohn ge macht?« schrie Raimanja und versuchte, sich loszureißen. »Es geht ihm besser als irgendeinem Kind im Universum«, erklärte Tekla von Khom. »Das, worin er sich befindet, ist sein kristal lener Mentor. Dort wird dein Sohn achtzehn Jahre lang bleiben, wird von seinem Mentor
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ernährt, gepflegt, behütet und erzogen wer den, bis er erwachsen ist. In diesem Augen blick schaltet sich das Mentorprogramm ab, dafür wird das Schlafprogramm aktiviert. Dein Sohn wird schlafen, bis wir zurückkeh ren, um ihn aus dem Schlafkristall zu befrei en und nach Arkon zu bringen.« »Das ist ungeheuerlich!« schrie Raimanja und wand sich in den fest zupackenden Hän den der beiden Akonen. »Ihr seid Untiere, Dämonen! Laßt meinen Sohn frei – oder die Götter sollen euch zu Staub zerblasen!« Es gelang ihr, sich von Teklas Griff zu befreien und dem Wissenschaftler den Ell bogen ins Gesicht zu stoßen. Tekla von Khom taumelte zurück. Orthrek schnaufte unwillig, dann lähmte er Raimanjas periphe res Nervensystem mit einem Spezialgriff. »Sie hat durchgedreht«, erklärte er. »Wir müssen sie in die Bordklinik bringen und mit unserem Start warten, bis sie sich von dem Schock erholt hat.« Tekla von Khom tupfte sich die blutenden Lippen mit einem Tuch ab. »Diese Frau ist verzweifelt und zu allem fähig«, sagte er. »Ich würde sie in einen langjährigen Unterkühlungs-Tiefschlaf ver setzen lassen, wenn unsere Berechnungen nicht ergeben hätten, daß Akon-Akon sich nur dann voll entwickeln kann, wenn seine Mutter auf dem gleichen Planeten lebt, so daß er ihre emotionelle Ausstrahlung emp fängt.« Die beiden Männer hoben Raimanja an und legten sie in den Gleiter. Dann stiegen sie dazu und starteten.
Jedenfalls wußte ich jetzt, daß mein erster Eindruck, den ich, in der Relativzukunft be ziehungsweise meiner eigenen Zeitepoche von der riesigen Halle gewonnen hatte, falsch gewesen war. Ich hatte angenommen, die Halle wäre von Architekten gebaut wor den, die sich grundlegend von denen unter schieden, die die in sich gekrümmte Stadt erbaut hatten. Jetzt wußte ich, daß das nicht stimmte und daß dieser Eindruck deshalb entstanden war, weil in der Halle nachträg lich von den Akonen Umbauten vorgenom men worden waren, um den Mentorkristall unterzubringen. Während Raimanja zum Raumschiff zu rückgebracht wurde, bemerkte ich, daß die Lähmung ihres peripheren Nervensystems schneller abklang, als es bei dem von Or threk angewandten Griff normalerweise der Fall gewesen wäre. Ich wunderte mich dar über, denn wie ich den Agenten des akoni schen Energiekommandos kennengelernt hatte, pflegte er perfekte Arbeit zu leisten. »Vielleicht ist Orthrek abgelenkt wor den«, teilte mein Pflegevater mir mit. »Wodurch?« erkundigte ich mich. Als Antwort erhielt ich den Eindruck ei nes Lächelns. Fartuloon schien sich über meine Unwissenheit zu amüsieren. Folglich beruhte meine Unwissenheit darauf, daß ich die bekannten Fakten nicht folgerichtig ver arbeitet hatte. Ich dachte angestrengt nach. Dabei beob achtete ich weiterhin die Arkonidin und be merkte, daß sie sich nichts anmerken ließ, sondern die Gelähmte spielte. Raimanja hatte demnach etwas vor …
* Es war ein eigentümliches Gefühl, die Geschehnisse auf Perpandron zu beobach ten, waren sie doch die Vorgeschichte von Ereignissen, in denen ich Jahrtausende spä ter eine aktive Rolle spielen würde – oder wie man sich sonst ausdrücken konnte, wenn man in der Vergangenheit von einer Relativzukunft sprach, die man bereits als Gegenwart erlebt hatte.
7. Raimanja zitterte innerlich, doch äußer lich war ihr nichts anzumerken. Sie wunderte sich, daß Orthrek das Ab klingen der Lähmung nicht bemerkte. An scheinend war der Einzelkämpfer so von der Unfehlbarkeit seiner Nahkampftricks über zeugt, daß er gar nicht auf den Gedanken kam, sich davon zu überzeugen, ob die Wir
32 kung seines Lähmgriffs anhielt oder nicht. Dennoch war es schwierig für die Arkoni din, sich so zu verhalten, als ob sie sich nicht bewegen – ja, nicht einmal mit den Li dern oder den Lippen zucken – konnte. Or threk hatte ihr die Lider herabgezogen, da mit die Augäpfel nicht austrockneten, und sie hütete sich davor, sie auch nur einen Spaltbreit zu öffnen. Aber sie konnte alles hören, was um sie her geschah – und sie hörte jedes Wort, das zwischen Orthrek und dem Wissenschaftli chen Kommandanten gewechselt wurde. Da durch erfuhr sie, daß die Akonen in Kürze starten und Perpandron verlassen würden. Sie selbst sollte in der kleinen Siedlung zu rückgelassen werden, die die Akonen in der Nähe ihres Landeplatzes angelegt hatten. Tekla von Khom würde der akonischen Regierung Bericht erstatten und ihr damit die Möglichkeit geben, achtzehn Jahre spä ter wieder ein Raumschiff nach Perpandron zu schicken, um den Jungen abzuholen. Da Raimanja zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gebraucht wurde, würde man sie einfach auf dem Planeten zurücklassen. Letzteres schreckte die Arkonidin nicht so sehr wie der Gedanke, daß ihr Sohn von den Feinden ihres Volkes dazu mißbraucht wer den sollte, die Arkoniden indirekt wieder unter den Einfluß der Akonen zu bringen. Ganz abgesehen davon, daß der junge Cay con, der bereits vor der Geburt genetisch manipuliert worden war, im Mentorkristall seine angestammte Persönlichkeit voll und ganz verlieren würde. Raimanja war entschlossen, alles zu tun, um das zu verhindern. Sie legte sich auch einen Plan zurecht. Er würde allerdings nur gelingen, wenn Orthrek nicht doch noch merkte, daß sie nicht mehr gelähmt war. Orthrek merkte nichts. Im Raumschiff angekommen, brachten die beiden Akonen Raimanja ins Bordhospi tal und wiesen die Mediziner an, sie zu ver sorgen. Da die Ärzte gerade drei Raumlan desoldaten operierten, die bei den Kämpfen im Labyrinth der Stadt Amalek schwer ver-
H. G. Ewers letzt worden waren, kümmerte sich vorläufig nur ein Medoroboter um sie. Der Robot stör te sich nicht daran, daß die periphere Läh mung verschwunden war. Er injizierte Rai manja ein mildes Sedativum, kombiniert mit einem schnellwirkenden Regenerationsprä parat, und ließ sie dann in ihrer Kabine al lein. Kaum hatte der Medoroboter die Hospi talkabine verlassen, richtete Raimanja sich auf, suchte ihre Kleidung zusammen und zog sich an. Sie fühlte sich etwas träge. Das kam von dem Sedativum, aber solange sie in Bewegung blieb, würde seine Wirkung nicht stärker werden. Sie durfte nur nicht ausru hen und die Augen schließen. Das Schott der Kabine war unverschlos sen, da Orthrek sicher war, daß Raimanja noch einige Zeit gelähmt bleiben würde. Aber als die Arkonidin auf den Korridor trat, wäre sie beinahe von einigen Akonen umge rannt worden, die schwerverwundete Män ner begleiteten. Medoroboter verabreichten den Verwundeten noch während des Trans ports Injektionen. Schon glaubte Raimanja sich verraten, da waren die Akonen auch bereits vorbei. Sie hatten sie kaum angesehen. Raimanja be griff, daß diese Männer mit ihren eigenen Problemen reichlich beschäftigt waren und gar nicht daran dachten, sich auch noch um sie zu kümmern. Für einen Augenblick spürte die Arkoni din Mitleid mit diesen Männern in sich auf wallen. Sie verdrängte dieses Gefühl, indem sie sich immer wieder sagte, daß diese Leute Feinde waren und daß sie niemals zu ihrer Basis zurückkehren durften, wenn die Arko niden nicht erneut unter die Herrschaft der Akonen geraten sollten. Sie gelangte unbehelligt zur Waffenkam mer. Aber als sie versuchte, das Panzer schott zu öffnen, mußte sie erkennen, daß sie das niemals schaffen würde. Das elektro nische Sperrschloß war so kompliziert, daß es sich nur mit dem Original-Kodegeber öff nen lassen würde. Und gewaltsames Ein dringen kam auch nicht in Frage, da bei ei
Die Drachenwelt nem entsprechenden Versuch eine Alarman lage aktiviert worden wäre. Raimanja schlich weiter durch das Schiff. Als sie nach einstündigem Umherirren merkte, daß sie so nichts erreichen würde, kehrte sie in die Bordklinik zurück und be waffnete sich mit einer Injektionspistole, de ren Kammer mit einer Kapsel schnellwir kendem Betäubungsmittel gefüllt war. Sie verbarg die Pistole in der hinteren Beinta sche ihrer Kombination und verließ die Kli nik wieder. Diesmal begab sie sich zum Wohndeck für einfache Mannschaftsdienstgrade. Neben den Kabinenschotten waren Leuchtplatten an den Wänden, die anzeigten, ob der jewei lige Bewohner an- oder abwesend war. Dar unter befanden sich die Meldetasten, mit de nen eventuelle Besucher sich zu melden hat ten. Raimanja drückte die Meldetaste einer be legten Kabine. »Wer ist da?« klang es aus dem Lautspre chergitter der Gegensprechanlage. »Ich!« flüsterte Raimanja geheimnisvoll. Wie sie erwartet hatte, siegte die Neugier des Bewohners. Das Schott öffnete sich. Raimanja trat ein und sah sich einem kräftig gebauten Raumlandesoldaten gegenüber, der offenbar soeben geduscht hatte. »Was willst du?« fragte der Soldat. Raimanja näherte sich ihm. »Was soll ich schon wollen!« erwiderte sie mit laszivem Lächeln. »Ich bin schließ lich noch keine alte Frau.« Sie blieb dicht vor dem Akonen stehen, blickte zu ihm auf und fingerte mit der rech ten Hand nach der Injektionspistole. In den Augen des Raumsoldaten glomm Begierde auf, dann wurde sie von Zorn ver drängt. »Verschwinde!« fauchte er. »Minderwertiges Gezücht derer, die auf ih rer Welt die Nahrung mit eigenen Händen erzeugen! Wie kannst du es wagen, dich ei nem Akonen anzubieten!« Er holte zu einem Schlag aus. In diesem Augenblick preßte Raimanja ihm den Dü
33 senkopf der Injektionspistole in die Halsgru be und drückte auf den Auslöser. Die Augen des Raumsoldaten verdrehten sich. Seine erhobene Hand sank schlaff her ab. Dann brach er wie vom Blitz gefällt zu sammen und stürzte polternd zu Boden. Raimanja zog ihm den Blaster aus der Gürtelhalfter, öffnete das Griffstück und nahm das Energiemagazin heraus. Es war ein frisches Magazin und noch voll. Raimanja verbarg das Magazin in einer Tasche ihrer Kombination und eilte in die Triebwerkssektion. Da sie sich schon immer besonders für die Transitionstechnik interes siert hatte, besaß sie auf diesem Gebiet eini ge Spezialkenntnisse. Außerdem genügte das Wissen um einige wenige Einzelheiten. Raimanja öffnete eine Abdeckplatte, erkannte darunter die Pole des Energieschockauslösers, der jenen Hoch energieschock erzeugte, der notwendig war, um die Sprungtriebwerke eines Raumschiffs schlagartig zu aktivieren. Die Arkonidin befestigte das Energiema gazin mit Klebeband so zwischen den bei den Polen des Energieschockauslösers, daß es genau in der Überschlagszone lag. Da nach legte sie die Abdeckplatte wieder dar über, kehrte in ihr Klinikzimmer zurück und legte sich aufs Pneumobett. Als die Mediziner kamen, um sie zu un tersuchen, schlief Raimanja fest …
* Eine Woche danach wurde Raimanja aus der Bordklinik entlassen. Orthrek brachte sie mit einem Gleiter in die kleine Siedlung ne ben dem Landeplatz. »Hier wirst du leben, während AkonAkon in seinem Mentorkristall heran wächst«, erklärte er. »Du hast im Lagerhaus Vorräte für ein ganzes Jahr, so daß du dich in aller Ruhe auf das Leben als Jägerin um stellen kannst. Ein Brunnen, den wir gebohrt haben, wird dich mit Wasser versorgen, und ein Roboter wird dir die niedrigsten Arbei ten abnehmen.«
34 Raimanja protestierte nicht, weil sie si cher war, daß es nicht so kommen würde, wie der Akone es ihr erklärte. »Welche Waffen bekomme ich für die Jagd?« fragte sie ruhig. Orthrek blickte sie ein wenig verwundert von der Seite an. – Er hatte offenbar wilden Protest erwartet und konnte sich die gelasse ne Haltung der Arkonidin nicht erklären. »Du bekommst einen Intervallnadler mit hundert Energiemagazinen, ein automati sches Gewehr, das Raketen mit hochbrisan ten Sprengköpfen verschießt, ausreichend Munition, einen Handblaster sowie ein Vi bratormesser und verschiedene andere Gerä te und Werkzeuge.« »Wo sind diese Waffen?« erkundigte sich die Arkonidin. Orthrek lächelte. »Sie sind in der Waffenkammer im Haupthaus. Allerdings ist die Kammer mit einem Zeitschloß gesichert, das sich erst ei ne halbe Stunde nach unserem Start aus schaltet. Dafür wirst du sicher Verständnis aufbringen.« Raimanja lächelte undefinierbar. »Die überlegenen, hochzivilisierten Ako nen fürchten das primitive arkonidische Bar barenmädchen«, sagte sie sarkastisch. »Natürlich, das verstehe ich, zumal ihr euch zu Recht fürchtet.« »Wir Akonen werden noch existieren, wenn man im Universum nicht einmal mehr den Namen Arkoniden kennt«, erwiderte Or threk stolz. »Und weißt du auch, warum, Raimanja?« Die Arkonidin lächelte. »Weil ihr euch jeden Tag von Kopf bis Fuß wascht, euch niemals mit minderwerti gen Subjekten fortpflanzt und fest daran glaubt, daß ihr das Monopol auf den höch sten Intelligenzquotienten habt«, spottete sie. »Ihr seid so intelligent, daß ihr gar nicht mehr wißt, was Schläue ist.« Orthrek musterte die Arkonidin argwöh nisch. »Wenn ich nicht wüßte, daß du die gan zen Tage über ständig überwacht wurdest,
H. G. Ewers ich würde denken, du hättest irgend etwas angerichtet«, sagte er. Dann lächelte er her ablassend. »Aber du willst mich nur beunru higen. Ich weiß wohl, was Schläue ist, Rai manja, sonst lebte ich schon lange nicht mehr.« Er faßte sie am Arm und führte sie ins Haupthaus. Raimanja sah, daß das Gebäude alles enthielt, was jemand brauchte, der den Rest seines Lebens hier wohnen sollte. We der eine vollautomatische Küche fehlte noch die Wasch- und Reinigungsautomaten, An näherungsdetektoren, eine Schaltzentrale mit Pulten für die Rundumverteidigung gegen wilde Tiere, für die beiden Fusionsmeiler, die die Siedlung versorgten, für Rechenope rationen mit Hilfe einer kleinen Positronik und für die Herstellung von synthetischen Nahrungsmitteln und Getränken. Raimanja wunderte sich über den Luxus, den die Akonen ihr überließen. Doch sie sagte natürlich nichts, denn sie wußte ja, daß sie Perpandron nie wieder verlassen würde – und sie wußte außerdem, daß sie hier nicht allein leben würde, sondern zusammen mit ihrem Sohn Caycon. Als Orthrek sich von ihr verabschiedete, ließ er den Gleiter zurück. Raimanja sah ihm nach, wie er zu dem großen Kugelraum schiff hinüberging und es durch die Mann schleuse betrat. Wenig später baute sich um die Raumkugel ein flimmerndes Feld auf, dann stieg es langsam und mit durchdringen dem Summen in die Höhe. Es befand sich bereits außer Sichtweite, als die Impulstriebwerke im Ringwulst ge zündet wurden. Das Donnergrollen, in den oberen Schichten der Atmosphäre von Per pandron ausgelöst, rollte heran und verebbte wieder. Raimanja holte tief Luft, dann schwang sie sich in den Gleiter und zog ihn hoch. Mit maximaler Beschleunigung trieb sie ihn vor wärts, in Richtung auf die Stadt Amalek. Als sie die Oberflächenstadt erreichte, sah sie, daß die Akonen sie künstlich gealtert hatten, wie es ihre Absicht gewesen war. Die Stadt hatte sich in ein Ruinenfeld ver
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wandelt, und die Ruinen sahen so aus, als wären sie durch viele Jahrtausende natürli chen Zerfalls entstanden. Schon keimte zwi schen ihnen der Samen von Bäumen und an deren Pflanzen, die die Akonen in Zuchtbe hältern in den Boden gebracht hatten, um dafür zu sorgen, daß die Ruinen so bald wie möglich überwuchert wurden. Raimanja hatte große Mühe, die Stelle wiederzufinden, an der sie damals mit Tekla von Khom in die Stadt Amalek eingedrun gen war. Sie entdeckte sie nach längerer Su che schließlich unter der Ruine eines mäch tigen Torbogens. Dieser Torbogen war da mals nicht dagewesen. Die Akonen hatten ihn also nachträglich angebracht, um den Eingang zu tarnen. Raimanja fühlte, wie ihr Herz klopfte. Bald würde sie bei ihrem Sohn sein. Sie steuerte den Gleiter unter den Torbogen, so daß er genau über der Öffnung hing. Dann ließ sie ihn absinken. Als der Boden des Gleiters sich auf glei cher Höhe mit dem Rande der Öffnung be fand, gab es eine grelle Entladung. Der Glei ter wurde herumgewirbelt, streifte einen steinernen Torbogen, ratschte funkensprü hend an einem Mauerrest entlang und lande te in einem staubigen Gebüsch. Raimanja war nicht angeschallt. Sie wur de aus dem offenen Fahrzeug geschleudert, rollte über einen niedrigen Sandhügel und stürzte in einen natürlich wirkenden Teich, der von den Akonen angelegt worden war. Wahrscheinlich rettete der Sturz ins Was ser ihr das Leben. Der Anprall gegen eine Mauer hätte sie zumindest schwer verletzt. Raimanja tauchte unter, kam prustend wie der hoch und schwamm zügig zum Ufer. Sie war wütend auf die Akonen, die den Eingang nach Amalek mit einem Energie schirm versiegelt hatten, ohne sie zu warnen. Aber sie war nicht gewillt, so schnell aufzu geben.
* Raimanja hatte stundenlang nach einem
zweiten Eingang in die Stadt gesucht – ver geblich. Körperlich und geistig erschöpft kehrte sie schließlich an den geschützten Eingang zurück. Sie setzte sich auf einen niedrigen Mauerrest, stützte das Kinn in die Hände und gab sich der Resignation hin. Nach einiger Zeit blickte sie auf und be merkte, daß die Sonne tief stand. In weniger als einer Stunde würde es dunkel werden, dann war es nicht ratsam, sich allein in der Wildnis herumzutreiben. Die Arkonidin be schloß, ihr Vorhaben für heute aufzugeben und zur Siedlung zurückzukehren. Müde schlurfte sie zu dem auf der Seite liegenden Gleiter, um festzustellen, ob er noch flugfä hig war. Sie mußte dabei an dem kreisrunden Loch vorbei, unter dem Amalek lag. Versehent lich stieß ihr linker Fuß an einen Stein. Der Stein flog davon, rollte über das Loch und verschwand darin. Raimanja schloß in Erwartung eines Ent ladungsblitzes reaktionsschnell die Augen. Als der Blitz ausblieb, öffnete sie sie und trat verwundert an den Rand des Loches. Von dem Stein war nichts mehr zu sehen. Die Arkonidin trat zurück, hob einen et was größeren Stein auf, warf ihn auf die Öffnung zu und beobachtete diesmal zwi schen gespreizten Fingern hindurch. Sie konnte genau sehen, wie der Stein in die Öffnung fiel und in den darunter liegenden Schacht stürzte. Rasch trat sie wieder vor und lauschte. Kurz darauf vernahm sie das Aufprallgeräusch. Der Energieschirm war erloschen! Raimanja konnte es sich nicht erklären. Sie wußte nur, daß sie die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen durfte. Sie kümmerte sich nicht mehr um den Gleiter, weil sie fürchtete, daß sich der Schutzschirm in der Zeit, die sie brauchte, um das Fahr zeug zu untersuchen, wieder schloß. Ohne zu zögern, sprang sie in den Schacht. Es war ein Risiko, aber die Sorge um ih ren Sohn ließ Raimanja das Risiko eingehen, sich zu Tode zu stürzen. Sie verließ sich auf die Aussage Tekla von Khoms, nachdem die
36 Schächte innerhalb von Amalek mit einer Detektorschaltung versehen worden waren, die bewirkte, daß sich Antigravfelder akti vierten, sobald ein intelligentes Wesen einen Schacht betrat. Jetzt spürte Raimanja am eigenen Leibe, daß diese Aussage stimmte. Sie war kaum einen Viertelmeter tief gefallen, als ein Kraftfeld sie mit schwachem Ruck auffing, sich dann abschwächte und sie sanft nach unten schweben ließ. Erst als die Arkonidin den Grund des Schachtes erreichte, erinnerte sie sich an die Schwarzen und die Geflügelten, die sie bei ihrem ersten Besuch der Stadt gesehen hatte und von denen die Geflügelten sich als ag gressiv, heimtückisch und gefährlich erwie sen hatten. Sie preßte die Lippen zusammen, als ihr klar wurde, daß sie, waffenlos wie sie war, überhaupt nicht für eine gewaltsame Auseinandersetzung gerüstet war. Die erste Begegnung mit Geflügelten mußte tödlich für sie ausgehen. Dennoch drang sie in die geheimnisvolle Anlage ein. Die Sorge um ihr Kind war stär ker als alle Ängste. Nachdem ihre Augen sich an das eigenartige Licht gewöhnt hat ten, das eine Orientierung erleichterte, drang sie bis zu einer Art Verteilerhalle vor. Dort blieb Raimanja allerdings ratlos ste hen. Es mündeten sechs Tunnels in die Ver teilerhalle. Die Frage war, welcher Tunnel sie näher an die Schatzkammer mit dem Mentorkristall bringen würde. Während die Arkonidin verbittert die Tunnelöffnungen musterte, spürte sie, wie sich etwas in ihr Bewußtsein schob, etwas, das wie eine Ein gebung oder eine innere Stimme war. Drei rote Sonnen! Raimanja zuckte zusammen, als sie im nächsten Augenblick in der einen Tunnel mündung drei rote Lichtpunkte schimmern sah. Sie nahmen die Positionen der Eck punkte eines gleichschenkligen Dreiecks ein und schwebten offenbar schwerelos in der Luft. Die Arkonidin schluckte, zögerte aber noch. Eine Weile später bemerkte sie, daß
H. G. Ewers die drei roten Lichtpunkte sich langsam um einen unsichtbaren gemeinsamen Schwer punkt drehten – wie es drei Sonnen gleicher Konstellation tun würden. Das gab den Ausschlag. Entschlossen betrat Raimanja den Tunnel mit den drei roten Sonnen. Sie verschwan den spurlos, als sie die Tunnelmündung durchschritten hatte. Dafür leuchteten sie an der nächsten Kreuzung auf und wiesen ihr abermals den Weg. Beinahe wie in Trance, wie in einem Traum, in dem einem alles gelingt, gelangte Raimanja in die von goldener Helligkeit er füllte riesige Halle mit dem Mentorkristall. Erst dort erwachte sie aus der Trance. Sie blickte durch die Energiehülle, sah ihr Kind und wollte darauf zueilen. Im letzten Moment besann sie sich darauf, daß die energetische Außenwand des Turmes sie schon einmal aufgehalten hatte. Sie würde niemals zu Caycon gelangen, wenn sie nicht zuvor den betreffenden Energieschirmpro jektor ausschaltete. Verzweifelt irrte Raimanja in der Halle umher, suchte nach einer Schaltung – doch es gab keine. Komm! Raimanja erstarrte. Da war sie wieder ge wesen, diese eigenartige innere Stimme, die sich von außen in ihr Bewußtsein zu schie ben schien. Und auch der Inhalt ihrer Bot schaft sprach dafür, daß sie von außen ge kommen war. Die Arkonidin schaute zu ihrem Kind. Kann ein Baby sich telepathisch mittei len? fragte sie stumm. Und kann es Energie schirme zusammenfallenlassen? Wie zur Antwort begann der zylindrische Energieschirm zu flackern. Der gläserne Turm schrumpfte und erlosch. Langsam sank der schwarze Sockel in den Boden, bis nur noch das, was wie ein gläserner Würfel aussah, über dem Boden schwebte – und in ihm das Kind. Zuerst zögernd, dann mit festem Schritt, ging Raimanja auf den gläsernen Würfel zu, streckte vorsichtig die Hände aus – und
Die Drachenwelt seufzte erleichtert, als die Hände mühelos durch die Wand des Würfels drangen. Als Raimanjas Hände sich behutsam unter das Kind legten, richteten sich die großen rötlichen Augen auf sie – und Raimanja glaubte in ihnen bewußtes Begreifen zu se hen. Aber sie war viel zu glücklich, um sich Gedanken über solche zweitrangigen Wahr nehmungen zu machen. Sie hob das Kind aus dem gläsernen Würfel, drückte es an ih re Brust und ging unbeirrbar den Weg zu rück, den sie gekommen war. Stunden später schwebte sie den Schacht aufwärts, betrat festen Boden und erblickte im bleichen Schein des Mondes den auf der Seite liegenden Gleiter. Irgendwo in der Nä he schlich Getier herum. Deshalb wagte Rai manja nicht, das Baby abzulegen, während sie den Gleiter überprüfte. Sie kletterte hin ein, schaltete und merkte, daß die Gyrotrone ausgefallen waren, so daß das Fahrzeug sei ne Fluglage nicht automatisch stabilisierte. Es ließ sich jedoch noch starten und be schleunigen – und ein Scheinwerfer brannte noch. Raimanja startete, zog den Gleiter vor sichtig hoch und steuerte ihn zur Siedlung zurück. Sie atmete auf, als sie schräg unter sich den Hauptbau erblickte. Im nächsten Augenblick erschrak sie – denn kaum fünfhundert Meter vom Haupt bau entfernt stand eines jener diskusförmi gen akonischen Beiboote auf seinen Landes tützen im Gras. Akonen auf Perpandron, das konnte nur bedeuten, daß einige Männer der Zerstörung ihres Schiffes entkommen und zurückgeflo gen waren. Verstört wollte Raimanja den Gleiter von der Siedlung wegsteuern, da blitzte es unten grell auf. Der Energiestrahl fraß sich in das heckseitige Pulsationstriebwerk, sodaß der Gleiter nicht mehr beschleunigt werden konnte. »Wenn du nicht sofort landest, schießen wir dich herunter!« schrie eine zornige Stim me. Mit Rücksicht auf das Baby verzichtete
37 die Arkonidin auf einen Fluchtversuch. Sie verringerte die Leistung des Antigravprojek tors – und kurz darauf setzte der Gleiter zwi schen dem Hauptbau und einem Nebenge bäude auf. Aus dem Schatten eines großen Baumes traten drei Akonen auf den mondbeschiene nen freien Platz. Sie trugen einfache Raum schiffskombinationen, die an vielen Stellen zerfetzt waren, hatten zerkratzte blutige Ge sichter und hielten drei Blaster auf Raimanja gerichtet. »Wie hast du es fertiggebracht, unser Schiff zur Explosion zu bringen?« fragte der mittlere der drei Männer. Raimanja erkannte Orthreks Stimme und antwortete stolz: »Indem ich nicht nach einer perfekten Methode, sondern nach einer möglichst star ken Wirkung strebte. Eine Akonin hätte in meiner Lage versagt.« »Dafür wirst du büßen!« Das war die Stimme des Schiffskommandanten Perc von Aronthe. »Nein, warte!« sagte Tekla vom Khom. »Worauf sollen wir warten?« rief Orthrek zornig. »Wir sind verpflichtet, Raimanja zu bestrafen, denn sie hat durch einen Sabota geakt ohne zwingende Not getötet und unse ren Plan gefährdet. Die Auslöschung ihrer Intelligenz ist die einzige angemessene Stra fe und beugt gleichzeitig weiteren feindli chen Akten vor.« »Nicht so voreilig«, sagte nun auch Perc von Aronthe. »Bedenke, daß unser Beiboot niemals zur Basis zurückkehren kann. Sein Aktionsradius ist zu gering. Und unser Funkgerät ist zu schwach, um den nächsten unserer Stützpunkte zu erreichen. Wir wer den demnach für immer auf Perpandron bleiben müssen, denn die Basis weiß nicht, wohin wir das wache Wesen brachten. Den Planeten Perpandron haben wir erst später ausgewählt. Wenn wir schon bis zu unserem Tode hier bleiben müssen, ist es da nicht besser, wir sind zu viert als nur zu dritt?« »Das ist richtig«, pflichtete Orthrek ihm bei. »Außerdem müssen wir Raimanja, als
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Mutter des wachen Wesens, beschützen.« Raimanja glaubte ihren Ohren nicht zu trauen, als sie den unmotivierten Stim mungsumschwung bei den drei Akonen be merkte. Es schien ihr, als würden sie un merklich geistig gesteuert. Anders war ihr sprunghaft verändertes Verhalten nicht zu erklären. Sie drehte sich so, daß das Mondlicht voll auf Caycon fiel und schaute dem Baby ins Gesicht. Aber sie konnte nichts entdecken, was ihr Kind von einem anderen Kind unter schied. Oder hatte Caycon verschmitzt gelä chelt? Raimanja wandte sich wieder den drei Schiffbrüchigen zu, die verwirrt und verle gen vor ihr standen. »Ihr werdet müde sein«, sagte sie. »Und Caycon braucht Nahrung und Ruhe. Gehen wir ins Haupthaus!« »Ja, Raimanja«, sagte Tekla von Khom, senkte den Kopf und ging mit hängenden Schultern zum Hauptbau. Seine Gefährten folgten ihm. Orthrek hielt Raimanja die Tür auf.
* Ich wunderte mich, denn die drei Akonen hatten offenbar nichts dagegen, daß AkonAkon in der Siedlung blieb. Warum überhaupt Akon-Akon? Warum nannte sich das »wache Wesen« so, wie es seine akonischen Manipulatoren gewollt hat ten und nicht so, wie seine Mutter es ge wünscht hatte? Und überhaupt: Es erschien mir undenkbar, daß ein Arkonide, dessen Namen gleich zweimal den Namen des Tod feindes enthielt, auch nur die geringste Chance gehabt hätte, auf Arkon in eine füh rende Position zu kommen. Er wäre, ob gei stige Beeinflussung oder nicht, innerhalb weniger Wochen einem Attentat zum Opfer gefallen. »Vielleicht haben die Akonen sich die Namensgebung nicht ausreichend überlegt«, teilte Fartuloon mir mit. »Akonen überlegen sich alles genau«, er-
widerte ich. »Aber lassen wir das einmal beiseite. Sollen wir vielleicht achtzehn Jahre lang auf Perpandron herumgeistern – und das im Sinne des Wortes –, bis dieser Cay con-Akon erwachsen ist?« Kaum hatte ich das ausgesprochen, als mir schwindlig wurde. Noch bevor ich mei ne eigene Frage, ob ein Bewußtseinsinhalt unter Schwindelanfällen leiden konnte, be antwortet hatte, teilte mir mein Pflegevater mit: »Offenbar erspart uns eine Art Zeitservice das jahrelange Herumgeistern. Oder solltest du noch nicht gemerkt haben, daß Raiman jas Sohn die Statur eines sechsjährigen Ar koniden hat?«
8. Raimanja hörte den vereinbarten Pfiff, blickte nach links und erkannte lächelnd Or threk, der ihr zuwinkte. Der Akone stand unter einem Sdellabaum, auf dem lange wurstförmige Früchte wuch sen, die nach der Reifung zu Boden fielen und verschiedenen Tieren als willkommene Leckerei dienten. Besonders die Khurus, pferdeähnliche Tiere mit kurzen Rüsseln und scharfen Hauern, waren scharf auf Sdel labaumfrüchte. Und das war der Grund, warum Orthrek und Raimanja hier standen. Tekla und Perc hätten inzwischen auch schon da sein müssen. Die vier Personen waren am frühen Morgen von der Siedlung aufgebrochen und an vier verschiedenen Punkten am Rand der Khailek-Sümpfe aus dem Gleiter gestiegen. Der riesige Sdella baum in der Mitte des Sumpfgebiets war der Treffpunkt, den sie vereinbart hatten. Wer zuerst dort ankam, sollte warten und sich be reithalten, die Tiere abzuschießen, die die später Kommenden vor sich her trieben. Raimanja freute sich, daß Orthrek und sie zuerst angekommen waren. Im Laufe der Jahre war die gegenseitige Abneigung im mer geringer geworden – und bevor die Ar konidin und der Akone es sich versahen, war
Die Drachenwelt aus gegenseitiger Respektierung so etwas wie Zuneigung geworden, vielleicht sogar Liebe. Auf jeden Fall aber wußten beide, daß sie sich aufeinander verlassen konnten, und daß keiner von ihnen etwas tun würde, was dem anderen – und besonders Caycon – schaden konnte. Tekla von Khom und Perc von Aronthe verhielten sich dem Paar gegenüber weitge hend neutral. Sie akzeptierten die Verbin dung, die normalerweise von jedem Akonen als abartig bezeichnet worden wäre. Rai manjas ursprüngliche Ahnung, daß ihr Sohn selbst einen geheimnisvollen Einfluß auf die Akonen ausübte und sie auf unerklärliche Weise veranlaßte, zusammenzuhalten und für sein und Raimanjas Wohlergehen zu sor gen, hatte sich längst zur Überzeugung ver dichtet. Manchmal kam der Arkonidin ihr eigener Sohn unheimlich vor. Doch das waren An wandlungen, die schnell vorübergingen. Ca ycon war ein Kind, dessen Erziehung kei nerlei Probleme aufwarf. Vielleicht, weil es insgeheim selbst bestimmte, wie es erzogen werden sollte. Raimanja lächelte, dann wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und spähte durch das Wipfeldach nach oben. Sie sah, daß die Sonne den Zenit bereits überschritten hatte. »Orthrek!« rief sie leise. Der Akone blickte zu ihr und machte eine fragende Handbewegung. »Wenn wir nicht bald umkehren, sind wir bei Einbruch der Dunkelheit noch im Sumpfgebiet«, sagte Raimanja. »Ich weiß«, erwiderte Orthrek. »Aber wir müssen noch warten. Tekla und Perc könn ten sich verirrt haben. Wenn sie verspätet eintreffen und wir sind schon weg, dann fin den sie womöglich nicht mehr aus den Khai leks heraus.« »Ich weiß«, gab Raimanja zurück. Es war nicht das erstemal, daß der Wis senschaftler und der Raumschiffskomman dant sich auf Perpandron verirrt hatten. Bei de Männer waren fast total spezialisiert ge wesen – der eine auf die Koordinierung wis
39 senschaftlicher Fachgebiete und der andere auf die Sternnavigation – und konnten sich nur bis zu einem gewissen Grade auf völlig andere Lebensbedingungen umstellen. Eine Stunde verging, ohne daß die beiden Männer sich gezeigt hätten. Aber auch die Khurus ließen sich an diesem Tage nicht se hen. Schließlich kam Orthrek zu Raimanja herüber. »Wir kehren um«, sagte er. »Und zwar gehen wir in die Richtung, aus der Perc kommen sollte. Er hat den Gleiter zuletzt ge flogen, und wenn er ihn am vereinbarten Platz abgestellt hat, dann werden wir ihn dort finden. Mit ihm können wir besser nach den beiden suchen.« Die Arkonidin gab ihr Einverständnis mit einer Geste zu verstehen. Schweigend wand ten sie sich nach Süden. Unter ihren Stiefel sohlen schmatzte der sumpfige Boden. In sekten schwärmten gleich Rauchwolken auf. Sie näherten sich den beiden Personen, tra fen aber keine Anstalten, sich auf sie zu stürzen. Anscheinend spürten sie instinktiv, daß das Blut von Akonen und Arkoniden für sie ungenießbar war. Und plötzlich stießen Raimanja und Or threk auf Perc – oder vielmehr auf das, was von ihm noch übriggeblieben war. Eine gelb und rot gefleckte Raubkatze kauerte über dem Leichnam und hob fau chend den Kopf, als sie den Mann und die Frau witterte. Die Reißzähne in dem aufge rissenen Maul drohten furchterregend. Orthrek zögerte keinen Augenblick. Er legte den Intervallnadler an, ging mit der Waffe ins Ziel und drückte den Auslöser. Fünf Energiebündel jagten zur der Raubkat ze, fuhren durch sie hindurch und entflamm ten ihr Fell. Das Tier sprang mit allen vieren hoch – und sackte dann tot über Percs schlimm zu gerichtetem Leichnam zusammen. »Wir hätten ihn nicht allein gehen lassen sollen, aber er bestand ja darauf«, sagte Or threk leise. Raimanja hörte nur mit halbem Ohr hin. Sie lauschte einem pfeifenden Laut nach,
40 der aus großer Entfernung herübergeweht war. Der Laut kam ihr bekannt vor. Er erin nerte sie an ein Erlebnis, das sie vor knapp sieben Jahren auf diesem Planeten gehabt hatte. »Was hast du, Raimanja?« fragte der Akone. Erneut ertönte ein Pfiff, diesmal so laut, daß auch Orthrek ihn nicht überhören konn te. Er wußte sofort, woher er ihn kannte, ob wohl auch er ihn vor rund sechs Jahren zum letztenmal gehört hatte. »Ein Drache«, sagte er. »Sie sind harm los, nicht wahr?« »Die ich damals kennenlernte, waren es«, antwortete Raimanja. »Obwohl ich mich zu erst vor ihnen fürchtete, weil ich heimlich in ihren nächtlichen Versammlungsort einge drungen war.« Orthrek entspannte sich etwas. Plötzlich rauschte es in der Luft. Ein ge flügeltes Tier mit langem Hals und dreiecki gem Schädel bremste seinen Flug vor der schirmförmigen Krone eines Ukalandobau mes und flatterte vor einer bestimmten Stelle herum. »Tatsächlich, ein Drache«, stellte Orthrek fest. »Aber was will er dort oben?« »Vritra?« rief die Arkonidin. Und lauter: »Vritra!« Der Drache flatterte heftiger, und plötz lich hieb aus dem undurchsichtigen Blattge wirr der Ukalandobaumkrone eine krallen bewehrte Tatze nach ihm. Im nächsten Moment hatte Raimanja ih ren Blaster gehoben, gezielt und gefeuert. Im Blattgewirr ertönte lautes Kreischen. Blätter, Zweige und Äste gerieten in wilde Bewegung. Raimanja feuerte abermals. Das Kreischen brach ab. Rauch und Dampf schossen explosionsartig aus der Baumkro ne, dann stürzte der qualmende Körper einer Raubkatze sich überschlagend heraus, fiel in die Tiefe und schlug klatschend auf dem sumpfigen Boden auf. Der Drache hörte auf zu flattern, breitete die lederhäutigen Schwingen weit aus und segelte herab. Vor Raimanja landete er,
H. G. Ewers reckte den Kopf und schaute sie an. »Raimanja!« sagte er. »Wir haben uns lange nicht gesehen, doch ich vergaß dich nie.« »Danke, daß du uns gewarnt hast«, sagte Orthrek. »Die Raubkatze wollte sich in der Krone über mich schleichen und dann sprin gen, nehme ich an. Ohne deine Hilfe wäre ich jetzt tot.« »Ich habe es für Raimanja getan«, erklärte Vritra, der längst zu voller Größe herange wachsen war. »Sie braucht dich. Wenn sie dich nicht brauchte, hätte ich nicht einge griffen, denn du und deinesgleichen, ihr habt diese Welt meinem Volk verleidet. Seit es die Blinden Spiegel nicht mehr gibt, küm mern wir nur noch dahin, und wir werden bald ausgestorben sein.« Orthrek senkte verlegen den Kopf. Raimanja streckte die Hand aus und be rührte zaghaft den Kopf des Drachen. »Sei ihm nicht böse, Vritra«, bat sie. »Er wußte nicht, daß ihr unter der Zerstörung der Blinden Spiegel leiden würdet. Können wir etwas für dein Volk tun?« »Ich glaube nicht«, antwortete Vritra. »Vielleicht erholen wir uns aus eigener Kraft. Ich muß jetzt weiter.« »Vielen Dank und alles Gute, Vritra«, sagte Raimanja. »Ich hoffe, wir sehen uns bald einmal wieder.« »Vielleicht!« erwiderte der Drache, schwang sich empor und flog dicht über den Wipfeln der Bäume davon. Orthrek blickte auf den Leichnam Percs. »Wir müssen ihn begraben und dann so fort weitergehen«, sagte er.
* Sie fanden den Gleiter, den Perc abge stellt hatte, kurz vor Sonnenuntergang am Südrand des Sumpfgebiets. Orthrek öffnete das Fahrzeug mit seinem Impulskodegeber und schwang sich hinter die Kontrollen. Raimanja nahm wortlos ne ben ihm Platz, dann startete der Mann den Gleiter. Er steuerte ihn mit Höchstgeschwin
Die Drachenwelt digkeit in nördliche Richtung, überflog den riesigen Sdellabaum in der Mitte des Sumpf gebiets und drosselte die Geschwindigkeit. »Falls Tekla nicht zu weit nach Osten oder Westen abgekommen ist, müßten wir ihn sehen«, sagte der Akone. »Es wird gleich dunkel sein«, erwiderte Raimanja. Die Arkonidin hatte sich angeschnallt und beugte sich aus der offenen Seitentür, um das Gelände unter dem Gleiter besser beob achten zu können. Mehrmals sah sie Bewe gung, aber es stellte sich jedesmal heraus, daß es sich um Tiere handelte. Als es dunkel wurde, schaltete Orthrek die Scheinwerfer an und aktivierte die Au ßenlautsprecher des Fahrzeugs. Seine viel fach verstärkte Stimme dröhnte auf das Sumpfgelände herab und rief nach dem Wis senschaftler. Aber Tekla von Khom antwortete nicht. Nachdem sie das gesamte Gelände zwi schen dem Sdellabaum und Teklas Aus gangspunkt abgesucht hatten, zog Orthrek den Gleiter höher und ging auf Heimatkurs. »Heute erreichen wir nichts mehr«, er klärte er. »Morgen früh kommen wir wieder hierher und suchen weiter.« Obwohl es sinnlos ist! dachte Raimanja. Oder doch nicht? Hat es nicht immer Sinn, helfen zu wollen? Helfen wir nicht letzten Endes uns selbst, wenn wir versuchen, ande ren zu helfen? Unser Streben mag nutzlos sein; sinnlos ist es gewiß nicht. »Du bist so nachdenklich, Raimanja«, sagte Orthrek leise und legte ihr eine Hand auf das linke Knie. »Du trauerst der Vergan genheit nach, nicht wahr?« Raimanja lächelte verloren und legte ihre Hand auf die Orthreks. »Haben wir nicht alle etwas, dem wir nachtrauern, Orthrek? Ich glaube, wir sollten das sogar ganz bewußt tun. Nur dürfen wir dabei nicht vergessen, daß die Vergangen heit nicht mehr beeinflußt werden kann, wohl aber die Zukunft.« »Du bist sehr klug«, erwiderte Orthrek. »Heute verstehe ich nicht mehr, wie ich ein
41 mal auf dich herabsehen konnte, als wärest du im Vergleich zu Akoninnen minderwer tig. Aber ich nehme an, daß Akon-Akon für meinen Gesinnungswandel verantwortlich ist.« »Warum sagst du Akon-Akon, obwohl du weißt, daß ich diesen Namen nicht gern hö re?« »Ist das so schwer zu verstehen?« fragte Orthrek zurück. Raimanja sah dem Mann ins Gesicht und begriff. Orthrek mied den Namen Caycon deswegen, weil er nicht daran denken woll te, daß die Frau, mit der er zufrieden und so gar glücklich zusammen lebte, einst einen Arkoniden namens Caycon geliebt hatte. Mit der Erinnerung an jenen Caycon war ein seltsames Gefühl verbunden. Raimanja fragte sich, ob es Wehmut war oder Schmerz. Sie kam zu dem Ergebnis, daß sie keinen Schmerz verspürte. Dazu war die Zeit mit Caycon wohl zu kurz gewesen: Verwundert stellte sie fest, daß sie sich mit Orthrek stärker verbunden fühlte. Ihn kannte sie dreimal so lange wie Caycon, und mit Orthrek hatte sie mehr durchgemacht als mit Caycon: die Schwierigkeiten, sich gegen ei ne Natur zu behaupten, in der es eigentlich keine Existenzberechtigung für humanoide Lebewesen gab, die Überwindung des Zivi lisationsvakuums und was der Schwierigkei ten mehr waren. Sie beschloß, sich daran zu gewöhnen, daß ihr Sohn Akon-Akon hieß. Dieses Opfer erschien ihr mit einemmal nicht zu groß, wenn sie damit Orthrek glücklicher machen konnte. »Flieg etwas schneller, Orthrek!« sagte sie. »Akon-Akon wird schon auf uns war ten.« Ein glückliches Lächeln erhellte das harte Gesicht des Akonen. Um seine Mundwinkel zuckte es kaum merklich. »Ja«, erwiderte er leise. »Ich beeile mich, Raimanja.« Als der Gleiter vor dem Hauptgebäude der Siedlung landete, sahen die Frau und der Mann, daß die Tür geöffnet war. Ein breiter
42 Lichtstreifen fiel von drinnen auf die mit ro ten Steinplatten befestigte Terrasse. Raimanja war beunruhigt. Sie sprang aus dem Fahrzeug, eilte ins Haus und rief nach ihrem Sohn. Doch Akon-Akon meldete sich nicht. Sie kehrte nach einem schnellen Rundgang wieder auf die Terrasse zurück. Orthrek stand unbeweglich draußen, hielt den Intervallnadler locker in der rechten Hand und drehte sich lautlos auf den Absät zen. Seine Miene verriet, daß er angestrengt in die Wildnis lauschte. Raimanja wußte, daß Orthrek in der Iden tifizierung kaum hörbarer Laute einige Klas sen besser war als sie. Deshalb blieb sie so fort stehen und wagte kaum zu atmen. Nach einer Weile stand Orthrek plötzlich still. Er lauschte noch einen Moment, dann blickte er zu Raimanja und flüsterte: »Wahrscheinlich ist er in diese Richtung gegangen.« Er deutete nach Südosten. »Ich gehe allein. Paß du hier auf, Raimanja!« Bevor die Frau etwas darauf erwidern konnte, war Orthrek mit langen federnden Schritten zwischen den nächststehenden Bäumen untergetaucht. Raimanja ging von dem hellen Rechteck der Tür weg, daß sie im Schatten stand, dann zog sie ihren Blaster und wartete geduldig. Ungefähr eine halbe Stunde verging, dann tauchten Orthrek und Akon-Akon zwischen den nächsten Bäumen auf und kamen auf die Terrasse zu. Raimanja atmete auf und steck te den Blaster in die Gürtelhalfter zurück. Danach trat sie aus dem Schatten. »Mutter!« sagte Akon-Akon. »Guten Abend!« »Guten Abend, Akon-Akon!« erwiderte Raimanja. »Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Warum bist du allein und nachts in den Wald gegangen, mein Junge?« Die großen rötlichen Augen des Jungen blickten die Mutter an. »Ihr brauchtet euch keine Sorgen zu ma chen«, erklärte er mit überraschend präziser Ausdrucksweise – jedenfalls für einen Sechsjährigen. »Die Tiere tun mir nichts, und die Paths kann man leider nur nachts be-
H. G. Ewers obachten. Am Tage schlafen sie in ihren Erdlöchern.« »Die Paths?« fragte Raimanja, der der Name nichts sagte. »Es sind Wesen, die auf dem Nicht-Weg gehen«, sagte der Junge. »Sie stammen nicht von Perpandron und bleiben auch nicht hier, sondern befinden sich auf der Durchreise.« »Ich habe einige bizarre Leuchtflecke ge sehen, als ich Akon-Akon suchte«, warf Or threk ein. »Sie tauchten wie aus dem Nichts auf und verschwanden nach einiger Zeit wieder ins Nichts.« »Das waren Paths«, sagte Akon-Akon. »Sie suchen etwas, aber ich habe noch nicht herausbekommen, was sie suchen. Kann ich jetzt etwas zu essen haben?« »Selbstverständlich«, erwiderte Raimanja lächelnd, strich ihrem Jungen über den zer zausten Haarschopf und schob ihn vor sich her ins Haus. Plötzlich stutzte sie und beugte sich vor, drehte Akon-Akons Handflächen nach oben, so daß sie sie genau betrachten konnte. »Was ist los?« erkundigte sich Orthrek, der hinter ihr gegangen war und nun eben falls stehenblieb. »Seine Handflächen!« stieß Raimanja her vor. »Sieh doch, Orthrek!« Der Akone ging um Raimanja herum, zog Akon-Akons Hände zu sich heran und mu sterte die Handflächen. »Sternsymbole«, flüsterte er. »Sie sehen aus wie eintätowiert und sie … Raimanja, schalte doch bitte einmal das Licht aus!« Raimanja gehorchte. Als es dunkel wurde, kehrte sie zu AkonAkon zurück – und sah ganz deutlich die rötlich leuchtenden Symbole, die stilisierte Sterne darzustellen schienen. Wenn Raiman ja den Kopf bewegte und die Sternsymbole aus einem anderen Blickwinkel ansah, ver änderte sich die Farbe. »Haben diese Paths das getan, AkonAkon?« fragte sie beunruhigt. »Nein«, antwortete ihr Sohn. »Ich nehme an, es hat mit der bewußten Manipulierung zu tun«, erklärte Orthrek.
Die Drachenwelt
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»Zwar sind mir die Details unbekannt, aber ich hörte damals davon, daß dafür gesorgt sei, daß das wache Wesen auch äußerlich unverwechselbar als solches erkannt werden würde.« »Was ist?« fragte Akon-Akon. »Bekomme ich nun etwas zu essen?« »Sofort!« antwortete Raimanja und schal tete die Beleuchtung wieder ein.
* Die Entwicklung war – meiner Ansicht nach – absolut logisch verlaufen. Nur eines störte mich, weil es nicht so verlaufen war, wie wir bisher immer ange nommen hatten. Akon-Akon war nicht im Mentorkristall aufgewachsen, hatte also auch nicht die für ihn gedachte Erziehung und Bildung genießen können. Zwar gaben sich Raimanja und Orthrek redlich Mühe, ihm das Wissen ihrer Zivilisationen zu ver mitteln, aber da beide nur jeweils einen Aus schnitt aus den vielfältigen Wissensspektren beherrschten, mußte sein Wissen notwendi gerweise lückenhaft bleiben. Ich wartete darauf, daß Raimanja in die Stadt im Tal zurückkehrte und die Halle mit dem Kubus aufsuchte, in dem ANTE gefan gen war, denn ich wollte versuchen, Kontakt mit dem seltsamen Wesen aufzunehmen. Da ich aber an die Nähe der Arkonidin gefesselt war, konnte ich das nur, wenn Raimanja sich persönlich in die Nähe des Kubus begab. Vorerst aber wurde mein Bewußtseinsin halt wieder durch die Zeit gewirbelt – und als ich wieder klarsehen konnte, stellte ich fest, daß weitere acht Jahre vergangen waren …
9. »Du bist heute vierzehn Jahre alt gewor den, mein Junge«, erklärte Raimanja. »Du darfst dir etwas Besonderes wünschen.« Raimanja hatte das Gefühl, als sagte sie das nicht gänzlich aus freien Stücken. Sie wußte inzwischen, daß Akon-Akon die Kraft
besaß, Orthrek und sie zu beeinflussen, also nahm sie an, daß er ihr diese Worte eingege ben hatte. Akon-Akon blickte zuerst seine Mutter an, danach den Akonen, den er manchmal Vater nannte, obwohl er wußte, daß er nicht sein leiblicher Vater war. »Ich möchte in die Stadt der Drachen ge hen«, sagte er. »In die Stadt der Drachen?« fragte Or threk verständnislos. »Auf Perpandron gibt es keine Stadt der Drachen.« »Ich glaube, ich weiß, was er meint«, warf Raimanja lächelnd ein. »Die Ruinen stadt im Tal, in der ich zum erstenmal den Drachen begegnete.« Sie wandte sich wieder an Akon-Akon. »Ist das richtig?« »Das ist richtig, Mutter«, antwortete der Junge. »Aber was willst du dort?« fragte Or threk. »Ich spüre, daß uns von dort aus Gefahr droht«, erklärte Akon-Akon ernst. »Vielleicht können wir sie abwenden, wenn es uns gelingt, mit ANTE zu sprechen.« »Meinst du das Feuerwesen aus dem grü nen Würfel, von dem deine Mutter uns er zählte?« erkundigte sich der Akone. Er wandte sich an Raimanja. »Sagtest du nicht, es wäre nicht in den Würfel zurückgekehrt, sondern hätte sich praktisch in Luft aufge löst?« »Das sagte ich«, antwortete die Arkoni din. »Aber ich gab damit nur meinen Ein druck wieder. Vielleicht ist ANTE längst in seinen Würfel zurückgekehrt. Er hat mir ein mal gegen den Zyklopen geholfen. Es dürfte also nichts schaden, wenn wir versuchen, Kontakt mit ihm aufzunehmen.« »Einverstanden«, sagte Orthrek. »Es ent spricht zwar nicht meiner Vorstellung von einer Geburtstagsfeier, aber der Wunsch des Geburtstagskindes ist mir Befehl.« Mit schlecht verhohlenem Stolz beobach tete Raimanja, wie ihr Sohn in die Kampf kombination stieg, die Orthrek aus einer normalen akonischen Kampfkombination passend angefertigt hatte. Akon-Akon war
44 groß für seine vierzehn Jahre, allerdings noch etwas schlaksig. Aber das Gesicht zeigte die Züge eines Arkoniden aus edlem Geblüt. Sie selbst und Orthrek zogen ebenfalls Kampfkombinationen an und rüsteten sich mit Energiewaffen aus. Akon-Akon dagegen lehnte es ab, eine Waffe zu tragen. Anschlie ßend stiegen sie in den Gleiter, der immer noch zuverlässig arbeitete. Allerdings hatte Orthrek ihn jedes Jahr einmal gründlich überholt, denn bei ihren teilweise weiten Streifzügen über Perpandron wäre es höchst fatal gewesen, wenn das Fahrzeug plötzlich ausfiel, während sie sich vielleicht Tausende von Kilometern von der Siedlung entfernt befanden. Nachdem Orthrek den Gleiter gestartet und auf Kurs gebracht hatte, wandte er sich an Akon-Akon, der neben ihm saß und frag te: »Genaueres über die Bedrohung weißt du nicht, Junge, oder?« Akon-Akon blickte starr geradeaus. »Nein, Vater«, antwortete er. »Ich spüre nur, daß etwas auf Perpandron angekommen ist und sich in der Ruinenstadt zu schaffen macht.« Orthrek wechselte einen Blick mit Rai manja. Er merkte, daß sie beunruhigt war und ge stand sich ein, daß er ebenfalls Unruhe spür te. Vierzehn Jahre lang waren sie auf Per pandron gewesen. Es war ihnen nicht immer leichtgefallen, ohne jeden Kontakt zur Zivi lisation auf einem wilden ungezähmten Pla neten leben zu müssen. Aber nun fragte sich Orthrek, ob sie sich nicht glücklich schätzen durften, daß sie so lange hatten allein blei ben dürfen. Wenn etwas Fremdes nach Per pandron gekommen war, konnte das bedeu ten, daß der relative Frieden, in dem sie mit der Natur des Planeten gelebt hatten, für im mer zerstört wurde. Als die Geländemarkierung, die die Nähe des betreffenden Tales verriet, am Horizont auftauchte, drückte Orthrek das Fahrzeug tiefer und drosselte die Geschwindigkeit.
H. G. Ewers »Am besten landen wir außerhalb der Stadt vor dem Felsspalt, durch den ich da mals – vor vierzehn Jahren – in die Stadt ge langte«, schlug Raimanja vor. Sie beschrieb Orthrek die Lage der Fels spalte, so daß er den Gleiter nach ihren An gaben steuern konnte. Als das Fahrzeug vor dem Spalt aufsetzte, blieben sie alle sitzen und lauschten. Sie hörten die normalen Ge räusche der Wildnis: das Lärmen von Baum bewohnern, das Kreischen von Vögeln und in regelmäßigen Abständen das klagende Rufen eines Umaluks. Erst nach einiger Zeit wurde ihnen klar, daß diese Geräusche von überall kamen, nur nicht aus der Richtung, in der die Ruinenstadt lag. Akon-Akon schwang sich schweigend ins Freie und ging auf den zirka drei Meter brei ten und zehn Meter hohen Felsspalt zu, des sen Wände so glatt waren, als wären sie mit einer Energiefräse in die Felswand geschnit ten worden. »Warte!« rief Orthrek und eilte dem Jun gen nach. Unterwegs entsicherte er den In tervallnadler. Akon-Akon hörte nicht, sondern ging un beirrt weiter. Orthrek begab sich an seine linke Seite, während Raimanja an die rechte Seite ihres Sohnes eilte. Die Arkonidin ver mochte kaum die Angst um ihren Sohn zu verbergen. Nach vierunddreißig Schritten erreichten die drei Personen das jenseitige Ende des Durchbruchs und blieben stehen. Von hier aus konnten sie das rund zwei Kilometer durchmessende runde Tal überblicken. Raimanja sah, daß sich in den vergange nen vierzehn Jahren – eigentlich waren es fast fünfzehn Jahre gewesen – nichts verän dert hatte. Auf dem Hügel in der Mitte des Tales thronte noch immer das ungeheuer massiv wirkende Bauwerk, dessen Wände aus kreuz und quer geschichteten Basalt stempeln bestanden. Aus den terrassenför mig abfallenden Hügelflanken standen die Überreste anderer Gebäude: teilweise be wachsene Mauern, die ebenfalls aus Basalt stempeln errichtet worden waren.
Die Drachenwelt Aber als Raimanja damals hierher geraten war, hatten überall im Tal krummschnäblige Vögel gelärmt, pelzbewachsene kleine Pri maten waren spielerisch auf Palmen und Mauern herumgeturnt, und kleine Echsen hatten sonnenhungrig auf den Mauerkronen gelegen. Heute fehlten alle diese Tiere. Die Stadt im Tal wirkte dadurch wie eine Gruft. Wieder setzte sich Akon-Akon in Bewe gung. Sein Gesicht war ausdruckslos; nur die Augen schienen stärker als sonst zu strahlen. Mit den Bewegungen einer Mario nette stieg er ins Tal hinab. »Es sieht aus, als würde er beeinflußt!« flüsterte Raimanja mit angstvoll geweiteten Augen. »Müssen wir ihn nicht zurückhal ten?« »Ich fürchte, er würde sich nicht zurück halten lassen«, entgegnete Orthrek. »Wir werden ihm folgen und ihn beschützen, wenn etwas angreifen sollte.« Sie gingen zwei Schritte hinter dem Jun gen her, der inzwischen die unterste Terras se erreicht hatte und sich an den Aufstieg machte. Plötzlich packte Raimanja Orthreks Arm und preßte ihn zusammen. »Dort!« flüsterte sie und deutete auf einen buntgefiederten Vogel, der unter einem Strauch lag. Er lag auf der Seite, und seine Beine waren steif vom Körper abgespreizt. »Er ist tot.« »Ich habe ihn schon gesehen«, erwiderte Orthrek. Er deutete zur nächsten Mauerrui ne. »Die sind auch tot.« Raimanja sah, daß am Fuß der Mauerrui ne drei der pelzbedeckten kleinen Primaten lagen. Ihre Haltung verriet unmißverständ lich, daß sie tot waren. Raimanja erschau derte. Sie wollte ihrem Sohn zurufen, er sol le umkehren. Doch sie merkte, daß sie es nicht konnte. Während sie weitergingen, entdeckten sie immer mehr tote Tiere. Orthrek untersuchte einige von ihnen flüchtig, konnte aber keine Verletzungen erkennen. Er war ratlos, und Raimanja war es auch. Nur Akon-Akon schien genau zu wissen, was er wollte. Als der Junge den Hauptbau erreichte,
45 wandte er sich nicht dem Tor zu, sondern schritt um das Bauwerk herum. Auf der an deren Seite blieb er stehen – und Raimanja und Orthrek folgten seinem Beispiel. Auf dem ebenen Boden hinter dem Hauptbau stand ein seltsames Fahrzeug, eine Konstruktion aus silbrig schimmerndem Ma terial, die aus einer zu einem großen Ring geformten Röhre bestand, auf der an Streben ein eiförmiger Körper verankert war, so groß wie drei normale Fluggleiter und ohne erkennbare Öffnung. Die drei Personen standen einige Minuten unbeweglich und starrten das fremdartige Fahrzeug an. Erst dann nahmen sie das leise dünne Pfeifen wahr, das aus dem Innern des eiförmigen Körpers zu dringen schien.
* »Vielleicht geht eine gefährliche Strah lung von dem Ding aus«, sagte Raimanja. Akon-Akon wandte sich um. »Ich weiß nicht, woraus die Bedrohung besteht, aber sie ist da«, erklärte er. »Wir müssen versuchen, Kontakt mit ANTE her zustellen. Nur ANTE kann uns helfen.« Er ging zu dem Tor im Hauptbau und schritt hindurch, ohne zu zögern. Orthrek und Raimanja folgten ihm. Sie schalteten ih re Handscheinwerfer ein, da das Tageslicht nur spärlich in die gigantische Halle sicker te. »Er ist kleiner geworden!« entfuhr es der Arkonidin. Sie deutete auf den trüb hellgrünen Block von zirka anderthalb Me tern Kantenlänge, der genau auf dem Mittel punkt des Hallenbodens stand. »Er hat nur noch drei Viertel der früheren Kantenlänge.« »Verhaltet euch bitte still!« befahl AkonAkon. Er trat auf den Kubus zu und legte seine Handflächen auf zwei der Seitenflächen. Ein schwaches Knistern ertönte, dann trat wieder Stille ein. Plötzlich strahlten im Innern des Würfels rötliche Sternsymbole auf, bildeten eine Konstellation, die sich majestätisch langsam drehte.
46 Dabei strebten die Sternsymbole allmäh lich auseinander – und in dem angedeuteten Hohlraum zwischen ihnen formte sich eine annähernd humanoide Gestalt, deren Kör peroberfläche durchsichtig war. Unter der glasartig erscheinenden Körperoberfläche aber pulsierte rötliches Feuer – und dort, wo bei einem Arkoniden das Gehirn war, wogte und wallte eine graue Masse, in der es hin und wieder grell aufblitzte. Orthrek holte hörbar Luft. »Martianec, der Gott des Feuers und des Krieges!« stieß er hervor. »Ich hielt es im mer für eine Sage, aber das ist er wirklich.« »Es ist ANTE«, sagte Akon-Akon und trat von dem Würfel zurück. Kurz darauf wurde der Würfel immer hel ler, bis von ihm nur noch ein zartgrüner Schimmer zu sehen war. Und durch diesen zartgrünen Schimmer hindurch stieg das Feuerwesen. »Es ist kleiner als damals«, sagte Raiman ja. ANTE wandte sich der Arkonidin zu. Kleine Flammen leckten aus seinen Ohren und verschwanden wieder. »Meine Kraft verrinnt, seit die Zeitkapsel gelandet ist«, erklärte er. »Diejenigen mei nes Volkes, die auf der Suche nach Abenteu ern auswanderten, müssen einen Fehler be gangen haben. Jemand versucht, ihre Exi stenz auszulöschen, bevor sie auswanderten. Er schickte die Zeitkapsel, doch er traf nicht die richtige Zeitphase. Er kann mich auslö schen, aber er kann nicht verhindern, daß mein Volk seinen Fehler begeht, der wahr scheinlich seinem Volk zum Verhängnis wurde.« »Wer ist mit der Zeitkapsel gekommen?« erkundigte sich Orthrek. »Der Tod«, antwortete ANTE lakonisch. »Wir sahen, daß der Tod im Tal seine Ernte gehalten hat«, erklärte Raimanja. »Er wird sich über ganz Perpandron aus breiten und alles Leben zerstören«, warf Akon-Akon ein. »ANTE, du mußt uns hel fen. Vernichte die Zeitkapsel!« »Das kann ich nicht«, erwiderte das Feu-
H. G. Ewers erwesen. »Ich kann nur versuchen, sie in ei ne Zeitphase zu drängen, wo sie keinen Schaden anrichten kann.« Orthreks Augen glitzerten. »So ist Zeitreise also doch möglich«, sag te er nachdenklich. »Unsere Wissenschaftler stritten sich darüber. Die führenden Leute erklärten, Zeitreisen wären niemals mög lich.« Aus den Augen von ANTE schossen zwei dünne Blitze. »Alles erscheint unmöglich, solange es nicht über das Stadium der Hypothese hin ausgelangt«, entgegnete er. »Und auch die meisten Theorien werden angezweifelt, be vor sie durch ihre praktische Anwendung bewiesen werden. Wäre Zeitreise unmög lich, so würdest du dich in diesem Moment nicht selbst beobachten können, AkonAkon.« »Ich – mich selbst?« fragte der Junge und schaute sich verstört um. Er lachte unsicher. »Du treibst deine Späße mit mir, ANTE.« »Ich spaße nie«, erklärte das Feuerwesen. »In einigen tausend Jahren wirst du erken nen, daß ich die Wahrheit sagte. Orthrek, wohin gehst du?« Orthrek, der sich leise von seinen Gefähr ten entfernt hatte, blieb abrupt stehen. »Ich sehe mir die Zeitkapsel an«, antwor tete er. »Komm zurück!« rief ANTE. »Es würde dir nichts nützen, die Funktionen der Zeit kapsel zu durchschauen. Außerdem ist es gefährlich, dem Gerät zu nahe zu kommen.« »Ich halte mich nicht lange auf«, erklärte Orthrek und stürmte aus der Halle. Raimanja wollte ihm folgen, aber sie konnte sich plötzlich nicht von der Stelle rühren. Wild fuhr sie zu ihrem Sohn herum. »Laß mich gehen, Akon-Akon!« befahl sie. »Oder hole auch Orthrek zurück!« »Ihn kann ich nicht mehr beeinflussen«, entgegnete der Junge. »Die Ausstrahlung der Zeitkapsel überlagert meine Kraft, und Or threk befindet sich bereits im Bereich dieser Interferenz.« »Dann laß mich gehen!« schrie seine
Die Drachenwelt Mutter ihn an. »Du bist mein Sohn und mußt mir gehorchen!« »Weil du meine Mutter bist, werde ich dich nicht in den Tod gehen lassen«, sagte Akon-Akon leise. »Ich will versuchen, die Zeitkapsel so schnell wie möglich in eine andere Phase abzudrängen«, erklärte ANTE. »Vielleicht schaffe ich es, bevor Orthrek sich zu lange in ihrer Nähe aufgehalten hat. Alles Gute für euch!« Das Feuerwesen leuchtete von innen her aus in blutigem Rot. Gleichzeitig schrumpfte es. Ein hohles Singen und Klingen erfüllte die Luft, die innerhalb der Halle plötzlich flimmerte. Immer schneller schrumpfte das Wesen, das sich ANTE genannt hatte. Dabei verstärkte sich sein Leuchten so sehr, daß Raimanja geblendet die Hände vor die Au gen preßte. Akon-Akon schien das grelle Leuchten nichts auszumachen. Er starrte un verwandt hinein, bis ANTE mit einem son nenhellen Aufblitzen auf die Dimension Null geschrumpft war. Von draußen kam ein schrilles Pfeifen. Durch das Tor flackerte grünes Licht und er losch in dem Moment, in dem das Pfeifen verstummte. Als Raimanja merkte, daß sie ihre Füße wieder bewegen konnte, eilte sie auf das Tor zu. Doch bevor sie es erreichte, wankte Or threk herein. »Ich habe es gesehen«, flüsterte er mit be legter Stimme. Seine Augen waren unnatür lich geweitet, und er zitterte wie im Fieber. »Ich habe es gesehen!« Raimanja schluchzte auf und stützte Or threk. »Bist du verletzt?« erkundigte sie sich angstvoll. Orthrek lächelte geistesabwesend. »Nicht verletzt«, sagte er. »Ich habe ein Wunder gesehen. Aber dann war es weg. Wo bin ich?« »Bei mir, bei Raimanja«, sagte die Arko nidin. »Komm, wir gehen nach Hause!« Akon-Akon tauchte an der anderen Seite des Akonen auf. Gemeinsam führten er und
47 Raimanja Orthrek zum Gleiter. Dort betteten sie ihn auf die Rücksitze. Raimanja startete das Fahrzeug und flog mit Höchstgeschwin digkeit zu der Siedlung. Als der Gleiter auf setzte, wandte sie sich zu Akon-Akon um, der neben Orthrek saß. »Schnell, wir müssen ihn ins Haus brin gen!« sagte sie. Der Junge sah sie ausdruckslos an. »Es eilt nicht«, flüsterte er. »Er ist tot.«
* Ich hatte mich ANTE noch einmal zur Verfügung gestellt. Doch diesmal hatte ich – im Gegensatz zu unserem ersten Zusammen wirken – so gut wie nichts begriffen. Dabei hätte ich vor allem gern mehr über die Zeitkapsel gewußt, die – einige Jahrtau sende vor meiner Jetztzeit – auf Perpandron angekommen war. Die Frage, welche Zivili sation wohl diese Zeitkapsel gebaut und auf den Weg geschickt hatte, würde mich sicher mein ganzes Leben bewegen. Das Motiv jener Leute dagegen hatte ich aus den Andeutungen des Feuerwesens ent nehmen können. Sein Volk, das den Krieg zu seinem Lebensinhalt erkoren hatte, mußte bei seinen Streifzügen mit einer Zivilisation zusammengestoßen sein, die dem Krieg kei nen Reiz abgewinnen konnte. Es hatte ent sprechend hart reagiert und eine Zeitkapsel losgeschickt, die die Entstehung einer Zivili sation auf Perpandron und damit die Entste hung einer Gefahr für sie selbst unterbinden sollte. Dank dem Eingreifen von ANTE war ih nen das mißlungen. Es war sicher besser so, denn niemand besaß das Recht, die Entste hung einer fremden Zivilisation überhaupt zu verhindern, auch dann nicht, wenn diese Zivilisation im Lauf ihrer galaktischen Aus breitung auf den falschen Weg geriet und andere Zivilisationen gefährdete. Ich bedauerte, daß mein Bewußtseinsin halt an Raimanja gefesselt war. Dadurch hatte ich Orthrek nicht folgen und nicht se hen können, was er gesehen hatte – und was
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ihn anscheinend getötet hatte. Und was mochte in Akon-Akons Bewußt seinsinhalt vorgegangen sein, als er sich selbst beobachtete – beziehungsweise sein jüngeres Ich, das rein biologisch nur vier Jahre von seinem Jetztzeit-Zustand entfernt war, zeitmäßig aber viele Jahrtausende! Ich wollte mich mit meinem Pflegevater in Verbindung setzen, aber bevor es dazu kam, spürte ich abermals den Wirbel der Zeit, der meinen Bewußtseinsinhalt mit sich riß …
10. Raimanja wischte sich den Schweiß von der Stirn und spähte über die hitzeflimmernde Steppe. Ungefähr einen Kilometer vor ihr kreisten Vogelschwärme über der Wasserfläche eines Sees. Sie fächelten sich mit dem Schlagen ihrer Flügel Kühlung zu, denn die Strahlen der Sonne brannte an diesem Tage beson ders heiß herab. Am gegenüberliegenden Ufer des Sees sah Raimanja die Ausläufer des Schwarzen Dschungels. Orthrek hatte ihn so genannt, weil er in ihm die schwarz glänzenden Trümmer eines ehemaligen Tempels ent deckt hatte. Das lag fast vier Jahre zurück. Orthrek hatte mit Raimanja hierher zurück kehren wollen, um die Trümmer genau zu untersuchen. Das Auftauchen der Zeitkapsel hatte diesen Plan zunichte gemacht – jeden falls was ihn selbst betraf. Raimanjas Augen verdunkelten sich. Sie hatte den Verlust des Mannes, der früher einmal ihr Feind gewesen war, immer noch nicht ganz verwunden. Seit seinem Tode war sie stiller geworden, war nur noch selten auf die Jagd gegangen und hatte oft stunden lang an Orthreks Grab gesessen. Akon-Akon war taktvoll genug gewesen, sie weitgehend in Ruhe zu lassen. Er hatte sich immer öfter den Gleiter ausgeborgt, um Erkundungsflüge zu unternehmen. In letzter Zeit war er immer unruhiger geworden, so, als würde er ein bestimmtes Ereignis erwar-
ten. Die Arkonidin fragte sich, ob das daran lag, daß die akonischen Genetiker bei der Manipulation des Embryos bereits eine Er wartungshaltung vorprogrammiert hatten, die nach achtzehn Jahren zum Durchbruch kommen sollte. Immerhin war vorgesehen gewesen, daß Akon-Akon nach Erreichen des achtzehnten Lebensjahrs von den Ako nen abgeholt und auf Arkon eingeschleust werden sollte. Das würde allerdings nicht geschehen, denn die akonische Regierung hatte niemals erfahren, welcher Planet für die Geburt des wachen Wesens ausgewählt worden war. Raimanja selbst hatte es verhindert, indem sie dafür sorgte, daß das Raumschiff, das diese Nachricht an die akonische Regierung übermitteln sollte, beim ersten Transitions versuch explodierte. Die Frau lächelte bei dem Gedanken dar an, wie zornig Orthrek gewesen war, als er zusammen mit den anderen beiden Überle benden der Explosionskatastrophe in einem kleinen Beiboot wieder auf Perpandron lan dete. Er hätte sie am liebsten getötet, doch Akon-Akon hatte schon als Baby seine Kraft so einsetzen können, daß er andere Personen in seinem Sinne lenkte – und es war in sei nem Sinne gewesen, daß die überlebenden Akonen und seine Mutter gut zusammenar beiteten und für sein Wohl sorgten. Langsam bewegte sich Raimanja weiter über die Steppe. Sie trug nur leichtes Ge päck und einen Intervallnadler. Akon-Akon wollte am Nachmittag mit dem Gleiter zu ihr stoßen und ihr bei den Untersuchungen der schwarzen Trümmer helfen. Er war, nachdem er sie in der Steppe abgesetzt hatte, zur Stadt der Drachen geflogen. Was er dort wollte, verriet er nicht. Irgendwie aber muß te es mit der Unrast zu tun haben, die ihn seit einiger Zeit beherrschte. Als die Frau vor sich eine Gruppe Raub katzen entdeckte, schlug sie einen Bogen darum. Die Haltung der Tiere deutete darauf hin, daß sie satt und träge waren. Folglich würden sie nicht angreifen, wenn Raimanja
Die Drachenwelt ihnen nicht zu nahe kam. Als sie sie sahen, hoben sie die Köpfe, schauten desinteressiert herüber und verfielen dann wieder in ihren Verdauungshalbschlaf. Raimanja wanderte am Ufer des Sees ent lang. Die Hitze störte sie nicht besonders, denn auf Arkon war es auch heiß gewesen, sogar meist noch heißer als auf Perpandron. Zahllose Vögel tummelten sich am und im Wasser, und genauso viele kreisten in nied riger Höhe über dem See. Die Vögel küm merten sich kaum um die Frau. Sie beobach teten sie lediglich und flatterten ein paar Schritte weiter, wenn Raimanja ihre Flucht distanz unterschritt. Als Raimanja in den Schatten des Dschungels eintauchte, blieb sie stehen, um ihren Augen Gelegenheit zu geben, sich von dem grellen Sonnenschein an die grünliche Dämmerung zu gewöhnen. Es wäre zu ge fährlich gewesen, halb blind in den Wald zu gehen. Nicht einmal so sehr wegen der großen Räuber, sondern wegen der giftigen Schlangen und Riesenkäfer, die erst gefähr lich wurden, wenn man versehentlich auf sie trat. Raimanja wanderte gern durch die Dschungel Perpandrons. Sie kannte ihre Ge fahren, wußte, wie sie ihnen ausweichen oder ihnen begegnen konnte und erfreute sich daran, die Tier- und Pflanzenwelt zu be obachten. Viele Tiere verhielten sich ausge sprochen zutraulich, vor allem in den Gebie ten, in denen Raimanja und Akon-Akon noch nie gejagt hatten. Gegen Mittag erreichte die Arkonidin die Lichtung, auf der Orthrek die schwarzen Trümmer gefunden hatte. Es handelte sich um eine kreisrunde Lichtung von zirka fünf hundert Metern Durchmesser, auf der kein einziger Baum oder Strauch wuchs. Die Ve getation bestand ausschließlich aus höch stens kniehohen Gräsern und Kräutern, die von dem schwachen Wind zu wellenförmi ger Bewegung angeregt wurden. Raimanjas Augen funkelten erregt, als sie die großen tiefschwarzen Platten, Dreiecke und Würfel sah, die sich an fünf Stellen der
49 Lichtung bis zu fünfzehn Meter hoch türm ten. Die Arkonidin sah sofort, daß das Mate rial nicht etwa bearbeiteter Fels war, son dern ein künstlich hergestelltes Material von hoher Dichte. Die Überreste einer weiteren untergegan genen Zivilisation? War Perpandron in sei ner Vergangenheit immer wieder Zufluchts ort von Raumfahrern gewesen, die sich hier so sicher vor Verfolgern wähnten, daß sie mit dem Aufbau einer Zivilisation anfingen? Und warum hatte sich keine dieser Zivilisa tionen über den ganzen Planeten ausgebrei tet? Was hatte die Raumfahrer oder ihre Nachkommen wieder weitergetrieben? Ein Gedanke kam Raimanja, der so phan tastisch, aber zugleich auch so faszinierend war, daß sie sich völlig geistesabwesend über die Lichtung bewegte. War die Zeitkapsel, von ANTE in eine an dere Phase abgedrängt, vielleicht zum ruhe losen Wanderer durch die Zeiten geworden, der in bestimmten Abständen immer wieder auf Perpandron stieß und dort seine unheil volle Wirkung entfaltete und die, die hier Zuflucht gefunden zu haben glaubten, tötete oder vergrämte? Raimanja lächelte und ließ ihren Geist in die Realität zurückkehren. Im nächsten Au genblick glitt sie aus. Ihre Arme ruderten haltsuchend, stießen gegen die spiegelglatte Wandung eines trichterähnlichen Schlundes, dann wurde Raimanja von dem Schlund ver schlungen. Eine Falle! dachte sie, während sie eine glatte schiefe Ebene hinabrutschte und es dunkel um sie wurde. Kurz darauf prallten ihre Füße gegen harten Widerstand. Raimanja geriet nicht in Panik. Sie merk te, daß ihre Fahrt beendet war und drehte den Kopf, bis sie den Lichtkreis sah, der die Öffnung des Trichters markierte, in dem sie sich gefangen hatte. Sie zweifelte nicht dar an, daß es sich um die Falle eines Tieres handelte, auch wenn sie ein Tier, das so große Trichterfallen baute, bisher nicht ken nengelernt hatte. Zehn Minuten später mußte sie einsehen,
50 daß sie sich nicht aus eigener Kraft befreien konnte. Die Wandung war so glatt, daß ihre Hände und Füße keinen Halt fanden. Sie war zudem so hart, daß nicht einmal die Klinge ihres Vibratormessers eindrang. Als Raimanja von draußen ein Rascheln und rhythmisches Knirschen hörte, griff sie nach ihrem Intervallnadler – und griff ins Leere. Beunruhigt tastete sie den Grund des Trichters ab, wo sie ihre Waffe vermutet hatte, aber vergeblich. Der Intervallnadler mußte ihr bereits draußen entfallen sein. Im nächsten Augenblick verdunkelte sich die Trichteröffnung. Raimanja nahm ihr Vi bratormesser in die Hand und spähte nach oben. Es dauerte einige Zeit, bis sie die Kon turen eines Schlangen- oder Echsenkopfes erkannte, so groß wie der Schädel eines Zy klopen und mit zwei Reihen nach hinten ge richteter Zähne sowie zwei dolchartigen Giftzähnen bewehrt. Eine armlange gespal tene Zunge schob sich aus dem Maul des Tieres und tastete nach dem Gesicht der Frau. Raimanjas Hand mit dem aktivierten Vi bratormesser zuckte vor, beschrieb einen Halbkreis. Die rasend schnell vibrierende Klinge schnitt zwei unterarmlange Enden der gespaltenen Zunge ab. Von der Trichter öffnung kam ein überraschtes Fauchen, dann schoß der Reptilschädel in die Falle. Der Oberkiefer mit den beiden furchterregenden Giftzähnen holte zum tödlichen Biß aus. Die Arkonidin sah keine andere Möglich keit, als dem Zuschnappen des Kiefers zu vorzukommen. Wieder zuckte ihr Arm vor, holte diesmal von oben aus und fuhr dann kraftvoll herab. Die vibrierende Klinge teilte den Oberkiefer, glitt an einem Giftzahn ab und wurde fortgeschleudert, als die Riesen schlange trotz ihrer Verletzung noch zubiß. Raimanja klammerte sich mit der Kraft der Verzweiflung an die beiden Giftzähne. Die kleineren Haltezähne zerrissen ihre Kombination und fügten ihr tiefe Fleischwunden zu. Aber sie hielt eisern fest. Das riesige Reptil spürte die Beute zwi schen den Zähnen und riß den Kopf aus der
H. G. Ewers Falle zurück. Um Raimanja wurde es schlagartig hell. Ihre Hände klammerten sich weiterhin um die schlüpfrigen Giftzähne. Die Füße kamen frei und stemmten sich ge gen den Unterkiefer. Mit einem kraftvollen Aufschwung beförderte Raimanja sich auf den Schädel des Reptils, wurde herabge schleudert und kroch beharrlich auf die Stel le im Gras zu, an der sie ihren Intervallnad ler entdeckt hatte. Als die Riesenschlange, die wegen des Verlusts ihrer Zunge, also ihres Organs, mit dem sie die Umgebung nach Gerüchen abta stete, gehandikapt war, sie endlich erspäht hatte und erneut zustoßen wollte, jagte Rai manja ihr eine volle Serie hochkomprimier ter Energieballungen in den Schädel, der daraufhin mit einem dumpfen Knall zer barst. Dann brach die Arkonidin bewußtlos zusammen. Sie sah nicht mehr, daß ein ein zelner Drache über ihr kreiste und dann mit kraftvoll schlagenden Schwingen davonflog. Akon-Akon traf zwei Stunden später auf der. Lichtung ein. Ein Drache hatte ihn in der Ruinenstadt aufgestöbert und ihn nicht eher in Ruhe gelassen, bis er in den Gleiter gestiegen und ihm gefolgt war. Er ließ den Gleiter hart aufsetzen, sprang heraus und eilte zu seiner Mutter. Raimanjas Körper wies unzählige tiefe Wunden auf, beide Unterschenkel waren gebrochen, aber das wäre nicht so tragisch gewesen, wenn ihre Haut sich nicht auf eine Weise verfärbt hätte, die typisch war dafür, daß die betref fende Person das Gift eines Reptils von Per pandron im Blut hatte. Akon-Akon sah, daß Raimanjas Medobox fehlte. Er fand sie vor der Trichteröffnung im zerdrückten Gras, setzte sie seiner Mutter auf die Brust und schaltete sie ein. Doch das Gerät arbeitete nicht. Etwas mußte in seinem Innern zerbrochen sein, wahrscheinlich, als das Reptil sich darüber gewälzt hatte. Als Raimanja die Augen aufschlug, nahm Akon-Akon ihren Kopf behutsam zwischen seine Hände. »Mutter!« flüsterte er. Raimanja lächelte.
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»Ich wäre gern länger bei dir geblieben, mein Junge«, flüsterte sie kaum hörbar. »Lebe wohl! Vielleicht treffe ich – irgendwann und irgendwo – deinen Vater wieder.« Ihr Gesicht verzerrte sich. Sie bäumte sich röchelnd auf, dann sank sie ruckartig zurück. Der Kopf fiel schlaff zur Seite. Akon-Akon schloß ihr die Augen. Die Tränen liefen ihm übers Gesicht, als er Rai manja zum Gleiter trug, sie hinein bettete und hinter den Kontrollen Platz nahm. Er wußte, daß er nun ganz allein auf Per pandron war und allein bleiben würde, wenn zu seinen Lebzeiten niemand auf dieser ver gessenen Welt landete. Plötzlich stutzte er. Zu Lebzeiten? Mit Hilfe des Schlafkri stalls konnte er doch so lange leben, bis je mand kam und ihn weckte. Akon-Akon beschloß, seine Mutter im Grab Orthreks zu bestatten und dann nach Amalek zu gehen, um seinen Platz im Schlafkristall einzunehmen – und zu warten …
* Eisige Kälte, durchdrungen von einem schwachen rhythmischen Pulsieren: die er sten Anzeichen der Rückkehr des Bewußt seinsinhalts in den eigenen Körper. So viele Empfindungen waren in der Ver gangenheit auf mich eingestürmt, daß sich mein Geist nicht sofort im Körper zurecht fand. Erst nach und nach stellten sich die vielfältigen Rückkopplungsfunktionen wie der ein. Ich spürte, daß ich am ganzen Kör per zitterte und daß mir der Schweiß aus brach, aber dabei handelte es sich wohl nur um eine Art Rückversetzungsschock. Als ich mich umsah, entdeckte ich alle unsere Gefährten in der gleichen Haltung, in der ich sie zuletzt gesehen hatte – vor Tau senden von Jahren oder vor wenigen Sekun den. Mit Ausnahme von Akon-Akon. Der Junge war aus seiner Starre erwacht. Auf seinem Gesicht spiegelte sich eine brei te Skala von Gefühlen wider. Langsam hob
er die Hände, die den Kerlas-Stab hielten. Der seltsame Stab wirkte stumpfer als vor unserer körperlosen Reise durch die Zeiten. Wahrscheinlich hatte sich die Kraft, die un sere Zeitversetzungen ermöglicht hatten, verbraucht. Doch ich war sicher, daß in dem mysteriösen Stab noch andere Kräfte schlummerten. Ich fing einen bedeutungsvollen Blick Fartuloons auf. Mein Pflegevater schien sich die gleichen Fragen zu stellen wie ich. Die Herkunft Akon-Akons war geklärt, desgleichen seine Bestimmung. Aber ich konnte mir nicht vor stellen, daß er nach Arkon gehen würde, um zu versuchen, seine Bestimmung zu erfüllen. Als der Embryo manipuliert wurde, waren die Voraussetzungen völlig andere als heute, Jahrtausende später. Außerdem hatte Akon-Akon nicht, wie es das Programm der Akonen vorsah, seine achtzehn ersten Jahre im Mentorkristall ver bracht. Alles, was er in jenen achtzehn Jah ren hatte lernen sollen, hatte er nicht gelernt. Das erklärte wahrscheinlich seine bisherigen Fehlreaktionen. Aber, und das erschien mir wichtiger, ich hatte gesehen, daß Akon-Akon in der ver trauten Umgebung von Perpandron sich nicht schlechter Verhalten hatte, als es jeder andere Arkonide getan hätte. Was immer die Akonen aus ihm gemacht hatten, er war ein vernünftiges Wesen mit starken Empfindun gen und ausgeprägtem Sinn für Gut und Bö se. Mit seinen besonderen Fähigkeiten konn te er große Taten vollbringen: im Sinne des Bösen oder des Guten. Es war noch alles of fen. Ich schüttelte diese Gedanken ab, blickte nach oben, wo die Strahlen der Morgenson ne durch das defekte Dach der Station fiel, und sagte: »Ein neuer Tag ist angebrochen!« ENDE
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