Stefan Nacke Die Kirche der Weltgesellschaft
Stefan Nacke
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Stefan Nacke Die Kirche der Weltgesellschaft
Stefan Nacke
Die Kirche der Weltgesellschaft Das II. Vatikanische Konzil und die Globalisierung des Katholizismus
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation Universität Bielefeld – gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
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1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Katrin Emmerich | Marianne Schultheis VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17339-9
Inhalt
Vorwort ................................................................................................................ 7 Die Kirche der Weltgesellschaft 1.
Einleitung .................................................................................................. 9 1.1 Rezeptionsliteratur und »Globalisierung« ...................................... 14 1.2 Konzilshermeneutik ....................................................................... 22 1.3 Ausgangsthesen .............................................................................. 39 1.4 Weltgesellschaftstheorie ................................................................ 44
Das Zweite Vatikanische Konzil 2.
»Weltereignis Konzil« ............................................................................ 59 2.1 Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung ................................ 59 2.2 Charismatische Vorbereitung ......................................................... 64 2.3 Bürokratische Planung ................................................................... 69
3.
Interaktion als »Ausnahmezustand« ....................................................... 83 3.1 Anwesenheit .................................................................................. 86 3.2 Erscheinung .................................................................................. 103 3.3 Gestik ........................................................................................... 107 3.4 Sprache ......................................................................................... 114
4.
Verfahren zur Entscheidungsfindung .................................................... 119 4.1 Ordnung ....................................................................................... 121 4.2 Rollen .......................................................................................... 128 4.3 Autonomie .................................................................................... 135 4.4 Lernprozesse ................................................................................ 138
5.
Weltpublikum versus »Konzilsgeheimnis« .......................................... 159 5.1 Kontrolle ...................................................................................... 162 5.2 Koproduktion ............................................................................... 170 5.3 Kooperation ................................................................................. 175
6
Inhalt
6.
Konflikte kontra »Einmütigkeit« .......................................................... 181 6.1 Strukturen .................................................................................... 187 6.2 Steuerung ..................................................................................... 197 6.3 Streit ............................................................................................ 202 6.4 Stelle ............................................................................................ 209
Die Globalisierung des Katholizismus 7.
Weltgesellschaft als konziliares »ad extra« .......................................... 217 7.1 Sozialdoktrin oder Gesellschaftsethik ......................................... 225 7.2 Funktionale Differenzierung der Weltgesellschaft ...................... 233 7.3 Inklusion statt Exklusion ............................................................. 245 7.4 Kommunikative Anschlüsse ........................................................ 252
8.
Neue politische Ökologie ..................................................................... 261 8.1 Weltgemeinwohl .......................................................................... 266 8.2 Weltstaat ...................................................................................... 270 8.3 Staatenwelt ................................................................................... 276 8.4 Weltöffentlichkeit ........................................................................ 284
9.
Die »Soziale Frage« als weltökonomisches Thema ..............................291 9.1 Knappheit und Verteilung .............................................................295 9.2 Weltmarkt und Geldmarkt .............................................................300 9.3 Arbeit und Kapital .........................................................................307 9.4 Frieden durch Entwicklung ...........................................................312
10.
Entgrenzung der Ökumene als religiöse »Relativitätstheorie« ..............319 10.1 Säkularisierung als Globalisierung ...............................................320 10.2 Diversität der Kirchen ...................................................................325 10.3 Alterität der Religionen .................................................................335 10.4 Irrtum und Wahrheit .....................................................................345
Literatur .............................................................................................................351 Abkürzungen .....................................................................................................385 Abbildungen/Tabellen .......................................................................................386
Vorwort
Das vorliegende Buch ist die gekürzte Fassung meiner im Juli 2008 der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld vorgelegten Doktorarbeit, die am 10. Februar 2009 verteidigt wurde. Eine Dissertation ist eine Schöpfung ganz eigener Art, zumal diese sogar explizit die Weltgesellschaft thematisiert. Doch im Unterschied zum Herrn, der mit Nichts anfangen musste, konnte ich als ihr Autor aus dem Vollen schöpfen und für diese Fülle ist hier der angemessene Ort, zu danken. Zunächst einmal wurde das Projekt ermöglicht durch ein Doktorandenstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Graduiertenkollegs »Weltgesellschaft – Die Herstellung und Repräsentation von Globalität« der Universität Bielefeld. In diesem Zusammenhang danke ich seiner Sprecherin, Frau Prof. Dr. Bettina Heintz, für das anregende und maßgeblich von ihr verantwortete soziologische Studienprogramm, für das mir und meinen eigenen Fragestellungen stets entgegengebrachte freundliche Interesse sowie für die Gewährung einer Publikationsbeihilfe. Aus dem interdisziplinären und in unterschiedlichen Bereichen forschenden Kollegiatenkreis, der durch die verschiedenen Formen von Weltgesellschaftstheorie zusammengehalten wird, möchte ich Pfarrer René Unkelbach und Dr. Tobias Werron hervorheben. Ihnen besonders danke ich für erfolgreiche Zusammenarbeit und so manchen guten Rat. Auch über die Lerngemeinschaft der Promotionsphase hinaus bleibe ich ihnen herzlich verbunden. Vor allem aber danke ich Herrn Prof. Dr. Hartmann Tyrell, der mir in vielen Gesprächen sowie in seinen Lehrveranstaltungen die Bielefelder Türen zur Soziologie öffnete und sich schnell bereit fand, die Erstbetreuung dieser Arbeit mit großem Engagement und persönlichem Interesse zu übernehmen. Gleicher Dank gilt Herrn Prof. Dr. Dr. Karl Gabriel als Zweitbetreuer, dessen Institut für Christliche Sozialwissenschaften bereits während meiner theologischen und philosophischen Studien in Münster nicht nur ein räumliches Zentrum war. Nicht zuletzt möchte ich meinen Eltern Gisela und Bernhard Nacke danken, und dies für viel mehr als nur dafür, dass sie mich als Erste mit meinem Studienobjekt vertraut machten, sowie meinem Bruder Christian mit seiner Frau Isabel, auf die in allen Dingen stets Verlass ist. Gewidmet ist die Arbeit meiner lieben Frau Katrin, die mir nicht nur beim Laufen gezeigt hat, dass Durchhalten zum Ziel führt und ohne die mir alles Nichts wäre.
1. Einleitung
Das Zweite Vatikanische Konzil ist das Weltereignis des Katholizismus im 20. Jahrhundert, und es wirft seine Schatten, wie es scheint, auch tief in das Folgejahrhundert. Angesichts dieser Bedeutung hat es bemerkenswert kontingente Anfänge. Das Vorhaben eines allgemeinen Konzils wurde von Papst Johannes XXIII. zur größten Überraschung auch seiner unmittelbaren Umgebung im Januar 1959 vor einer kleinen Gruppe von Kardinälen, die zum Abschluss der Weltgebetsoktav für die Einheit der Christen in St. Paul vor den Mauern versammelt waren, eher beiläufig angekündigt.1 Rückblickend hat der Papst später des Öfteren gesagt, er sei damit einer »plötzlichen Eingebung« gefolgt. Schien es zunächst möglich, dass mit dieser Ankündigung an eine Wiedereröffnung des 1870 unterbrochenen Vatikanums gedacht sei, so befand der Papst fünf Monate später, es solle »Concilio Vaticano Secondo« genannt werden. Dieses Konzil sollte ausdrücklich ein pastorales Konzil sein und die Sprache der Negation und der dogmatischen Verurteilungen vermeiden. Zu den kontingenten Umständen des Anfangs gehört auch die eigentümlich ambivalente Vorbereitung des Konzils, nämlich das wenig abgestimmte Nebeneinander von päpstlichen Eigeninitiativen hier und der offiziellen Arbeit der von der Kurie dominierten Vorbereitungskommissionen dort. Nach dreijähriger Vorbereitung versammelten sich im Oktober 1962 in Rom die relevanten Repräsentanten der katholischen Kirche (Bischöfe, Patriarchen, Äbte) aus aller Welt und traten zum Zweiten Vatikanischen Konzil zusammen; alles in allem ca. 2.500 Teilnehmer. Es war die Eröffnungsansprache Johannes XXIII., die, indem sie den kirchlich-modernitätspessimistischen »Unglückspropheten« widersprach, dem Anfang seinen besonderen Akzent verlieh. Mit seinen Ausdrücken »Aggiornamento« und »die Zeichen der Zeit erkennen« formulierte der Papst zugleich Leitformeln des Konzils. Überdies konnten sich die Konzilsväter durch den Papst ermutigt fühlen, die Verantwortung für den Konzilsverlauf Manche Kreise waren regelrecht geschockt, so ignorierte die (für den Vatikan offiziöse) katholische Zeitschrift »La Civiltà Catholica« beispielweise mehrere Monate lang die Ankündigung des Konzils, vgl. Alberigo 1997a, S. 22. Formal ist für das Folgende anzumerken, dass alle Kursivsetzungen (auch in Zitaten), wenn nicht anders gekennzeichnet, von Autor dieser Studie stammen. Verwendete Literatur wird in Kurzform in den Fußnoten und vollständig im Literaturverzeichnis angegeben, Verweise auf Konzilstexte dagegen wie üblich durch Kürzel und Ziffernangabe der laufenden Absatznummerierung in Klammern im Text selbst (vgl. Abkürzungsverzeichnis). 1
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Die Kirche der Weltgesellschaft
selbst in die Hand zu nehmen, was sie im Fortgang des Konzils mehr und mehr taten. Dies geschah unter den Augen der Weltöffentlichkeit, ›beobachtet‹ von einer Gruppe offizieller Vertreter der anderen christlichen Konfessionen (später auch von katholischen Laienvertretern) sowie von einer großen Anzahl Journalisten, sowohl der katholischen als auch der weltlichen Presse, und begleitet von einer Reihe offizieller und inoffizieller theologischer Berater. Zu Beginn des Konzils war die Dauer dieses Weltereignisses nicht abschätzbar. Vor allem die kurialen Planer hatten ein vergleichsweise kurzes Konzil im Sinn, in Gestalt einer zügigen Überarbeitung und Approbation der vorbereiteten Texte. Das einmal zusammengetretene Konzil entwickelte dann aber seine eigene interaktive Dynamik, die schließlich vier Sitzungsperioden nötig machte. Schon in die erste Unterbrechungsphase fielen der Tod Johannes XXIII. und das anschließende Konklave. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Konzil noch kein einziges Dokument verabschiedet, und die Leistung Pauls VI., des neuen Papstes, für den Fortgang des Konzils bestand nicht zuletzt darin, die Väter zu Entscheidungen zu drängen. Man braucht nur die Quantität der Teilnehmer und darüber hinaus das Konfliktpotenzial einer sich durchhaltenden Majoritäts-/Minoritätskonstellation zu bedenken, um sich die beträchtlichen Organisations- und Verfahrensprobleme dieser Bischofsversammlung deutlich zu machen. Das Konzil war in bemerkenswertem Maße, was Verfahrensordnung und Krisenmanagement angeht, eine ›lernende Organisation‹. Es wurde dann über die drei folgenden Sitzungsperioden weiter- und schließlich zu Ende geführt. In der dritten Session, im November 1964, kam es im Zusammenhang einer direkten Papstintervention im Sinne der Minoritätsauffassung zu den heftigsten Auseinandersetzungen in der Konzilsaula. 2 Insbesondere in der letzten Periode, hinsichtlich der bisweilen von »Torschlussstimmung« die Rede war, gelang aber die von großen Mehrheiten getragene Verabschiedung einer Reihe wichtiger Dokumente. In die vierte Sitzungsperiode fiel auch die Rede Papst Pauls VI. vor der UN-Generalversammlung in New York (Oktober 1965), die die Weltorganisation als solche und ihre Rolle für den Weltfrieden nachdrücklich affirmierte und die ihrerseits dann auch in die Konzilsakten aufgenommen wurde. Am vorletzten Tag des Konzils wurden im Dezember 1965 noch bedeutende Dokumente wie die Pastoralkonstitution Gaudium et spes und die Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae verabschiedet. Die Ansprache des Papstes im Rahmen der feierlichen Abschlussliturgie nahm am Tag danach ausdrücklich noch einmal Bezug auf die Eröffnungsworte seines Vorgängers. Nach dem Ende des Konzils setzte ein vielschichtiger Dokumentations-, Rezeptions- und Interpretationsprozess seiner sechzehn verabschiedeten Dokumente ein, der bis heute nicht zum Stillstand gekommen ist. Im Zehnjahresrhythmus sind die Jahrestage des Anfangs bzw. Endes des Konzils oder der 2
Vgl. unter dem Stichwort »Duell« oder »schwarze Woche« Kapitel 6.3.
Einleitung
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Verabschiedung einzelner Dokumente immer neu Anlass, seine Geltung und Zukunftsbedeutung zu thematisieren, und mit jedem neuen Jahrzehnt scheint sich die Perspektive, unter der das geschieht, zu verschieben. Auch über 40 Jahre nach dem Abschluss und nun 50 Jahre nach seiner Einberufung ist das nicht anders. So ist auffällig, wie sehr in letzter Zeit das Konzil unter Globalisierungsvorzeichen behandelt wird.3 Überdies hat sich eine eigene, bemerkenswert reflexive »Konzilshermeneutik« entwickelt; gerade an den Konzilstexten wird heute das Problem von »Geist oder Buchstabe« kontrovers debattiert. Auch das dürfte die Vielfalt und Vielzahl der Literaturproduktion zum Thema »II. Vatikanum« vermehrt haben. Zumindest den außertheologischen Beobachter müsste der Umfang erstaunen, in dem das Konzil gerade in letzter Zeit zum Gegenstand historischer und systematisch-kommentierender Darstellungen und Deutungen gemacht wird. Einiges davon soll am Anfang dieser Arbeit unter soziologischen Vorzeichen zur Sprache kommen. Bei diesen Vorzeichen geht es um zwei Dinge: Einerseits soll die angedeutete Globalisierungsperspektive auf das Konzil genauer in den Blick genommen werden. Zu dieser passt nicht zuletzt die Weltkirchensemantik der Konzilszeit und ebenso die Weltkirchenerfahrung, die das Konzil seinen Teilnehmern so nachhaltig vermittelte. Schon sehr früh hat ja Karl Rahner, der berühmte Konziltheologe, das II. Vatikanische Konzil als den »erste[n] amtliche[n] Selbstvollzug der Kirche als Weltkirche« bezeichnet, worauf später weiter einzugehen sein wird. Sein Schüler Johann Baptist Metz hat dem die Kennzeichnung des Konzils als »Aufbruch zu einer kulturell polyzentrischen Weltkirche« hinzugefügt. 4 Andererseits geht es in dieser Einleitung zunächst um die Beobachtung innertheologischer Deutungskämpfe, die in auffälliger Weise (auch) in zeitlichen Kategorien ausgetragen werden. So wird lebhaft um die kirchengeschichtliche Frage von Kontinuität bzw. Diskontinuität gestritten, nicht zuletzt, was das Verhältnis des II. zum I. Vatikanum betrifft. Strittig ist auch die Frage des ›Abgeschlossenseins‹ des Konzils, die seiner ›Verwirklichung‹ oder seiner ›Zukunft‹. So versteht sich beispielsweise der 1983 unter Papst Johannes Paul II. promulgierte Codex Iuris Canonici in gewissem Sinn als letztes und abschließendes Konzilsdokument »als Vervollständigung der vom II. Vatikanischen Konzil vorgestellten Lehre« 5. Beide Probleme, die im Weiteren bestimmend sind, wurden deutlich in der ersten AnNoch vor zehn Jahren stand für Theologen, Soziologen und Historiker die Begrifflichkeit von Modernität und Modernisierung konzilsinterpretatorisch im Vordergrund; vgl. Kaufmann/Zingerle 1996. Vgl. zur wissenschaftlichen Resonanz runder ›Konzilsgeburtstage‹ z.B. die Themenhefte theologischer Fachzeitschriften: »Das II. Vaticanum – eine vergessene Zukunft«, das Heft 11 der internationalen Zeitschrift für Theologie, Concilium 41. Jg., 2005; ferner »Das unerledigte Konzil. 40 Jahre Zweites Vatikanum«, Herder Korrespondenz Spezial 10/2005. 4 Vgl. Metz 1987. 5 So der Papst selbst im Geleitwort zur Neuausgabe des CIC, vgl. Johannes Paul II. 1983/2001, S. XIX. 3
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Die Kirche der Weltgesellschaft
sprache zum Ausdruck gebracht, die der neue Papst Benedikt XVI. am Tag nach seiner Wahl vor den versammelten Kardinälen gehalten hat. Dort bekräftigt er, dass er sich »weiter um die Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzils bemühen werde, auf den Spuren meiner Vorgänger und in treuer Kontinuität mit der zweitausendjährigen Tradition der Kirche. In diesem Jahr wird der 40. Jahrestag des Abschlusses der Konzilsversammlung (8. Dezember 1965) gefeiert. Die Konzilsdokumente haben im Laufe der Jahre nicht an Aktualität verloren; ihre Lehren erweisen sich sogar besonders nützlich in Bezug auf die neuen Anliegen der Kirche und der jetzigen globalisierten Gesellschaft«.6 Warum gestaltet sich der Rezeptionsprozess des Konzils bis heute so konfliktreich? Schon während des Ereignisses selbst bildeten sich innerhalb der Generalversammlungen der über 2500 Konzilsväter in der Aula von St. Peter schnell zwei Fraktionen: Einerseits eine Majorität, die sich reformorientiert vom »Aggiornamento« und der pastoralen Offenheit der Reden Papst Johannes XXIII. inspirieren ließ; andererseits eine wohlorganisierte Minorität, die sich an den Inhalten der in der Vorbereitungszeit des Konzils erarbeiteten Schemata orientierte. 7 Fast alle diese Schemata, die überwiegend eine Festschreibung der gegenreformatorischen und antimodernen Theologie und Ekklesiologie des Jahrhunderts der Pius-Päpste waren und dem Konzil auf ›Verbesserung‹ hin vorgelegt werden sollten, scheiterten in der ersten Konzilsperiode auf teilweise spektakuläre Weise an der Mehrheit der Konzilsväter. Die an die Ablehnung anschließende Entscheidung zu einer grundsätzlichen Neubearbeitung der Texte eröffnete nicht nur die Möglichkeit der Neuformulierung, sondern auch die von neuen Auseinandersetzungen, wobei man nun aber um die Herstellung eines möglichst breiten Konsenses bemüht war. 8 Dieses Konsensbemühen, das der Minderheit in Vielem entgegenzukommen suchte, ist in den schließlich approbierten Texten deutlich erkennbar. Als Kompromissergebnis findet sich hier ›Altes‹ und ›Neues‹ teilweise unvermittelt nebeneinander. Diese Inkohärenz machte die Konzilsdokumente von Beginn an interpretationsbedürftig, und sie hat im Gefolge des Konzils die Dissense um ihre Auslegung geradezu provoziert, was sich bis heute in einer immensen theologischen und kirchenamtlichen Textproduktion niederschlägt.9 So meinte zehn Jahre nach dem Konzil – in einer Zeit, die von Debatten um den »Lefebvre-Integralismus« einerseits und die lateinamerikanische Befreiungstheologie andererseits bestimmt war – der (damals noch) Regensburger Professor Joseph Ratzinger, dass die »wirkliche Rezeption des Konzils« noch gar nicht begonnen habe, und er plädierte »für die Entdeckung des wirklichen Konzils und Vertiefung seines wahVerlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 168, S. 23. Raguer 1997, S. 201ff. 8 Alberigo 1997, S. 680ff. 9 Es werden immer wieder Versuche untergenommen, sich in Bezug auf den Rezeptionsprozess zu orientieren, indem man ihn in Phasen einteilt, z.B. jüngst noch Lehmann 2006. 6 7
Einleitung
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ren Wollens«. 10 In Rom fand zwanzig Jahre nach Konzilsende eine außerordentliche Bischofssynode statt, als deren erstes Ziel Papst Johannes Paul II. »die Erneuerung des außerordentlichen Klimas und des Geistes des Konzils« nannte. 11 Zugleich sollte es darum gehen, Interpretationsverbindlichkeiten herzustellen und die »Verwirklichung« des Konzils voranzubringen. Allerdings kann von einer Durchsetzung von Interpretationsverbindlichkeiten zumal innerhalb der Theologie schwerlich die Rede sein, und dies um so weniger, je mehr der theologische Diskurs es sich zur konzilshermeneutischen Aufgabe macht, auch neue »Zeichen der Zeit« in den Rezeptionsprozess und die Konzilsauslegung einzubeziehen. 12 So gilt das Konzil bis heute als (teilweise) unverwirklicht, und in soziologischer Sicht ist seine Rezeption, d.h. die weltweite Inkorporierung der Konzilsbeschlüsse in den katholischen Alltag, eine seit über 40 Jahren andauernde Konfliktgeschichte, an der Theologie, Lehramt sowie die kirchliche und darüber hinausgehende Öffentlichkeit beteiligt sind. Die Auseinandersetzungen entwickeln sich entlang einer Reihe von unterschiedlichen Dichotomien, von denen einige kurz genannt seien: Neben kirchenpolitischen Differenzierungen des Typs ›konservativ/progressiv-liberal‹ findet sich, zumal seit den 1980er Jahren, der kirchenorganisatorische Gegensatz von bischöflich-ortskirchlicher Kollegialität und römisch-kurialem Zentralismus. Mit letzterem korreliert teilweise der ekklesiologische Streit um eine der zentralen semantischen Innovationen des Konzils, also die Selbstbeschreibung der Kirche als Gemeinschaft (»communio«) und deren mögliche Entgegensetzung zum hierarchischen Prinzip. Hinzu kommt in der schon angedeuteten zeitlich-entwicklungsbezogenen Hinsicht der Gegensatz von ›traditional‹ und ›modern‹; hier stehen Positionen, die das Konzil für abgeschlossen erklären und es ad acta gelegt sehen wollen, solchen gegenüber, die es erst als den »Anfang eines Anfangs« 13 begreifen. Es wird zudem darum gerungen, inwieweit das Konzil in der Kontinuität mit der ihm voranliegenden Tradition und Lehre steht, oder ob es vor allem einen Bruch darstellt, der zur Unterscheidung einer ›vorkonziliaren‹ und einer ›nachkonziliaren‹ Kirche nötigt. Strittig ist weiterhin die exegetische Frage, welches Kriterium für die Deutung des Konzils und die Interpretation seiner Texte gelten soll: der pfingstliche »Geist des Konzils«, wie er im Erleben seiner Teilnehmer zum Ausdruck kam, oder die buchstabengetreue Orientierung an den Texten. Was vor diesem Hintergrund dazu berechtigen kann, vom Zweiten Vatikanischen Konzil in Bezug auf den Katholizismus allgemein als einem Prozess hin zur »Kirche der Weltgesellschaft« zu sprechen, wie es der Titel dieser Studie Vgl. Ratzinger 1976. Vgl. hierzu Kasper 1986. 12 Z.B. Hünermann 2006. 13 Vgl. z.B. Richter 1991. 10 11
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Die Kirche der Weltgesellschaft
unterstellt, soll zu Beginn in vier Schritten erläutert werden: Um einen ersten Eindruck über den (wissenschaftlichen) Diskussionsstand gewinnen zu können, wird zunächst die aktuelle und thematisch einschlägige Literaturlandschaft in den Blick genommen (1.1). Zur Sprache kommen dabei die verschiedenen Gattungen wissenschaftlicher Konzilsliteratur. Neben den Fragen, unter welchem thematischen Schwerpunkt neuerdings das Konzil behandelt wird und was ein Konzil überhaupt ist, wird der innertheologische Diskurs über Probleme und Kriterien für eine ›richtige‹ Konzilshermeneutik gestreift (1.2). Hier ist es aktuell von besonderem Interesse, wie Papst Benedikt XVI. auf jüngste Konflikte reagiert und welchen Weg das römische Lehramt für nunmehr das fünfte Jahrzehnt kirchlicher Auseinandersetzung mit dem Konzil vorschlägt. Vor dieser Folie können dann – auch inspiriert von Äußerungen eines weiteren Konzilstheologen, des schon genannten Jesuitenpaters Karl Rahner – die zentralen Forschungsfragen sowie das erkenntnisleitende Interesse der Arbeit formuliert und in Thesen entfaltet werden (1.3). Dies ermöglicht in einem weiteren Schritt die methodische Rückkopplung der Argumentation in den Kontext sowohl ihres theoretischen Rahmens (soziologische Weltgesellschaftstheorie) als auch ihres empirischen Materials (1.4). 1.1 Rezeptionsliteratur und »Globalisierung« Zunächst geht es also um den gegenwärtigen Rezeptionsdiskurs und die ihn widerspiegelnde Literatur.14 Die dabei aufzuführenden neueren theologischen und kirchengeschichtlichen Werke bewegen sich allesamt innerhalb der bereits angedeuteten Konfliktkonstellationen; durchweg sind sie bestimmt von der Absicht, das Erbe des Konzils tradierend zu sichern und ihm, wie gern formuliert wird, ›seine Zukunft offen zu halten‹. Zugleich geht es dabei häufig – der Komplexität des Gegenstandes entsprechend – um die Resultate langjährig-kooperativer, teilweise internationaler, wohlorganisierter und institutionell geförderter Forschungsarbeiten, die nun in mehrbändigen Großpublikationen präsentiert werden. Alle in Frage kommenden wissenschaftlichen Literaturgattungen werden dabei bedient: Neueditionen der Konzilstexte selbst, umfassende historische Gesamtdarstellungen und ausgiebige systematische Kommentarwerke. Eine Reihe von wissenschaftlichen Tagungen befasst sich mit speziellen Einzelfragen und ihre Ergebnisse werden publiziert vorgestellt.15 Der von dem Tübinger DogmatiDa es unmöglich geworden ist, die ausufernde Rezeptionsliteratur zum Konzil in ihrer Gesamtheit zu überblicken, werden hier exemplarisch für den deutschen Sprachraum einige repräsentative Projekte vorgestellt. Aus dem nordamerikanischen Kontext sei stellvertretend die Studien von Greely 2004 und Wilde 2007 genannt. 15 Vgl. dazu beispielsweise die Reihe »Programm und Wirkungsgeschichte des II. Vatikanums«, die von Peter Hünermann und Hubert Wolf herausgegeben wird. 14
Einleitung
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ker Peter Hünermann herausgegebene Sammelband »Das II. Vatikanum – christlicher Glaube im Horizont globaler Modernisierung« ist ein aus diesem Kontext für unsere Fragestellung besonders einschlägiges Werk, auf dessen Beiträge im Folgenden immer wieder zurückzukommen sein wird. Neben solchen Resultaten des etablierten Wissenschaftsbetriebs befassen sich auch eine Reihe Monographien disziplinvariierend und häufig als Qualifikationsschriften mit dem Konzil. Einige sollen hier genannt werden: Mal geht es – wie bei Rudolf Uertz 2005 – um die politikwissenschaftlich ambitionierte ideengeschichtliche Einbettung der mit dem Konzil einhergehenden auffälligen Diskontinuität des kirchlichen Verständnisses von Religionsfreiheit. Ein anderes Mal steht fundamentaltheologisch das neue kirchliche Selbstverständnis als universales Heilssakrament im Vordergrund, so bei Thomas Ruckstuhl 2003. Bernhard Fresacher 2006 untersucht die v.a. von Max Seckler in den 1980er Jahren unterstellte konziliare Wende von Instruktion zur Kommunikation.16 Ansgar Kreuzer 2006 geht es neben anderem um die Suche nach soziologischen Anschlüssen aus der Perspektive der Pastoralkonstitution Gaudium et spes, eines einzelnen, aber zentralen Dokuments des Konzils. Neben dem Anfang der 1990er Jahre erstmals publizierten und dann in immer neuen Auflagen erschienenen Einleitungsband von Otto Hermann Pesch 2001, der sowohl die Geschichte des Konzils als auch die Systematik seines Inhalts kommentierend und anekdotenreich beschreibt, ist neuerdings von Knut Wenzel 2005 als weitere Einführungsliteratur eine »Kleine Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils« auf den Markt gebracht worden. In neuerer Zeit sind auch einige Arbeiten, die einzelnen Konzilstheologen gewidmet sind, erschienen. Wie Maximilian Heinrich Heim 2005 die Ekklesiologie Joseph Ratzingers im Bezug auf die Kirchenkonstitution Lumen gentium reflektiert, fragt Günther Wassilowsky 2001 nach dem Beitrag Karl Rahners zur Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums und Ulrich Graf von Plettenberg 2005 untersucht den Einfluss der Theologie Yves Congars auf die konziliare Konzeption des Verhältnisses von kirchlichem Amt und Laikat. Der Rezeptionsprozess des Konzils generiert also nicht nur vielfältige wissenschaftliche Aktivitäten (Tagungen, Schriften, Theorien), sondern er spornt auch publizistisch-verlegerische Leistungen an: Als Konzilsergebnisse liegen seine Texte z.B. in Deutschland seit den 1960er Jahren in einer handlichen Taschenbuchausgabe des Herder-Verlags vor.17 Gleich zwei ›katholische Verlage‹ präsentieren nun neuerdings, getrennt voneinander und mit enormem publizistischen Aufwand, ihre eigenen lateinisch-deutschen Editionen, wobei der HerderVerlag eine komplette, dem Lateinischen besonders nahe kommende Neuübersetzung herausgibt. 18 Schöningh bietet dagegen, in der deutschen Ausgabe heVgl. Seckler 2000. Mittlerweile in der 30. Auflage: Rahner/Vorgrimler 2003. 18 Vgl. Hünermann 2004a. 16 17
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Die Kirche der Weltgesellschaft
rausgegeben von Josef Wohlmuth (2000-2002), den ›vertrauten‹ (bischöflich lizensierten) deutschen Text der 1960er Jahre im Rahmen einer Quellensammlung aller erhaltenen Dekrete der ökumenischen Konzilien. Gerade der Zusammenhang der dort in Bd. 3 gemeinsam edierten Texte neuzeitlicher Konzilien (Trient, Erstes Vatikanum, Zweites Vatikanum) macht die erhebliche Quantität der Texte des Zweiten Vatikanums augenscheinlich. 19 Damit zu der großen historischen Darstellung: Mit dem Namen Giuseppe Alberigo verbindet sich seit den späten 1980er Jahren das ambitionierte und internationale Kollektivprojekt einer fünfbändigen und in sieben Sprachen erscheinenden »Geschichte des II. Vatikanischen Konzils«.20 Weil dieses Grundlagenwerk für die Arbeit zentrale Bedeutung hat, muss etwas genauer darauf zu sprechen gekommen werden. Für Alberigo stellt sich die Frage, ob das Konzil, wie es in den 1970er Jahren verstanden worden sei, »einfach eine umfangreiche Sammlung von Texten« darstellt. Dagegen insistieren er und seine Mitarbeiter auf den Mehrwert des Ereignisses, dem »Geist des konziliaren Geschehens«. 21 Diesen zu erschließen, ihn historisch wieder zugänglich zu machen, um ihn innerkirchlich wiederzubeleben, ist eines der Grundmotive der Forschergruppe. Dabei vermeiden die Autoren eine »mechanische Darstellung«, d.h. eine einfache Schilderung der Abfolge der Debatten und Abstimmungen in den Generalkongregationen usw. Sie wollen dem Leser vielmehr einen »pluriformen« Einblick in das Konzilsereignis ermöglichen, ihn auf die »Innenseite«, also nah an sein Interaktionsgeschehen führen und die damit verbundenen Lernerfahrungen der Konzilsteilnehmer ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Auf diese Art sollen selbst Konzilsteilnehmern rückblickend neue Einblicke geboten werden. Die empirische Grundlage dieser Forschung ist ein ungeheurer Schatz bisher unzugänglichen Quellenmaterials, das Alberigo zusammengetragen hat: Protokolle, persönliche Notizen, Tagebücher usw. Aufschlussreich ist ferner die durch die Ausweitung des Quellenmaterials ermöglichte Neubewertung der Sitzungspausen des Konzils (intersessiones), in denen nach der Ablehnung fast aller Schemata der Vorbereitungszeit neue Textgrundlagen erarbeitet werden mussten; die Autoren sprechen hier vom »unsichtbaren Konzil«. Wie sehr im Übrigen gerade das Werk Alberigos und seiner Mitarbeiter den oben genannten Konflikten zugehört, zeigt sich nicht zuletzt an den kritischen Rezensionen, die jedem einzelnen der fünf Bände (der italienischen Ausgabe) von Seiten des Osservatore Romano zuteil geworden ist. Durchweg missbilligt der römische Kritiker (ein Kurienbischof) dabei die Tendenz, das Konzil als
Diese Quellensammlung wurde zu Konzilszeiten von Giuseppe Alberigo begonnen, um den Konzilsvätern bei ihrer Arbeit Hilfestellung zu bieten. 20 Vgl. dazu auch die positive Besprechung Damberg 2005. 21 Alberigo 1997, S. XXVI. 19
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Bruch mit der vorkonziliaren Epoche darzustellen und die Konzilstexte vor allem vom »Geist des Konzils« her zu interpretieren.22 Über 40 Jahre nach dem Konzil wird nicht nur über das Konzil fächerübergreifend promoviert oder habilitiert, werden dessen Texte nicht nur wieder ediert und ihre Entstehungsgeschichte reflektiert, sondern sie werden auch neu und umfangreich (theologisch) kommentiert. Für die Herausgeber des auf fünf Bände angelegten und inzwischen abgeschlossenen Großprojektes »Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil«, Peter Hünermann und Bernd Jochen Hilberath, stellt das Konzil das bedeutendste Ereignis der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts dar, dessen Programm bis heute noch nicht eingelöst sei; zu tiefgreifend seien die Neuorientierungen gewesen, zu stark die Beharrungskräfte. Vor dem Hintergrund der historischen Forschung der vergangenen Jahrzehnte (einschließlich des ›Alberigo-Projektes‹), die insbesondere die Entstehungsgeschichte freigelegt habe, will das ambitionierte Kommentarwerk die Konzilsaussagen klären und zu einem Gesamtbild des II. Vatikanums verdichten, um damit der theologischen Auseinandersetzung und der kirchlichen Rezeption neue Impulse zu vermitteln. Dabei verfolgen die verschiedenen Autoren des Gemeinschaftsprodukts sowohl eine diachrone als auch eine synchrone Strategie: Einerseits werden alle sechzehn Dokumente einzeln, bis in ihre Kapitel und Nummern hinein, umfassend erläutert und als ganze jeweils abschließend theologisch und pastoral gewürdigt. Es wird aber auch darauf Wert gelegt, »Differenzen und Konvergenzen mit der vorkonziliaren ›mainstream‹-Theologie herauszuarbeiten«. 23 Andererseits wird im abschließenden Band ein neuer Schritt zur »Erschließung und Vergegenwärtigung« getan, indem in Oberthemen, die auf den Einzelkommentaren aufbauen, eine systematische Gesamtkommentierung vorgenommen wird. Für die vorliegende Arbeit besonders wichtig bleibt neben diesem neuen Kommentarwerk auch die zeitgenössische Kommentierung der Konzilstexte, die zusammen als Ergänzungsbände zum Lexikon für Theologie und Kirche noch in den 1960er Jahren erschienen. Diese, teilweise von selbst als Periti an der Erarbeitung der Dokumente Beteiligten verfassten Texte, bleiben als authentische ›O-Töne‹ grundlegend für die wissenschaftliche Reflexion wie für die deutende kirchliche Rezeption. Reflektiert man den jeweiligen thematischen Schwerpunkt der literarischen Auseinandersetzung im Verlauf des Rezeptionsprozesses, so fällt auf, dass das Zweite Vatikanische Konzil neuerdings und ex post stark unter Globalisierungsvorzeichen behandelt wird. Für die Rezeption nach 40 Jahren stehen unverkennbar ›Globalisierung‹ und ›Weltgesellschaft‹ im Vordergrund.24 Es ist in DeutschDiese Rezensionen sind auch in dem vom selben Autor herausgebrachten Band erschienen: Marchetto 2005. Vgl. auch ders. 2005a. 23 Hünermann/Hilberath 2004, S. VIII. 24 Vgl. nur Hoping 1998, S. 97: »In den zentralen Konzilsdokumenten hat sich die katholische Kirche ein Programm für den Weg in die Weltgesellschaft gegeben.« 22
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land insbesondere der Tübinger Theologe Peter Hünermann, der als Promotor dieser Deutung zu nennen ist. Hier soll nun in einem ersten Schritt auf diese Rezeption eingegangen werden, um anschließend anhand des konziliaren Textkorpus zunächst in Ansätzen zu zeigen, inwieweit diese Deutungslinie berechtigt ist. Von Beschreibungen des Konzils als »Ereignis von Weltkirche« 25 war oben bereits die Rede; diese Beschreibung war schon zeitgenössisch so naheliegend wie geläufig. Und viele Autoren bringen nun diese Ereignisbeschreibung in Zusammenhang mit der heute aktuellen Globalisierungsrhetorik. Josef Wohlmuth etwa nimmt den Globalisierungsfaden dahingehend auf, dass er das Konzil zwar als »noch zu eurozentrisch« erklärt, ihm aber doch »das Siegel radikalerer Internationalität« attestiert, das »den Weg ins neue Jahrtausend« gewiesen habe.26 An dieser Stelle ist ein weiteres Mal auf den bereits angesprochenen Tagungsband »Das II. Vatikanum – christlicher Glaube im Horizont globaler Modernisierung« zurückzukommen, der das Thema »Globalisierung« schon im Titel trägt und einem Projekt entstammt, das sich die »Erforschung des II. Vatikanischen Konzils als eines weltkirchlichen Ereignisses im Kontext der Globalisierung zum Ziel gesetzt hat«. In seinem Eröffnungsbeitrag bekräftigt Franz-Xaver Kaufmann u.a. den Eindruck, dass die im Rezeptionsprozess bisher vorherrschende Modernitätssemantik durch Begriffe wie Internationalisierung und Globalisierung verdrängt wird. Nach Kaufmann trägt die katholische Kirche als »ältester global player« immer schon den universalen Anspruch des Christentums. Sie mache im entstehenden globalen Bewusstsein angesichts der anderen Weltreligionen aber zugleich die Erfahrung, dass sie – historisch gesehen – ein partikuläres Phänomen geblieben ist, »und zwar im doppelten Sinne einer Partikularität des Religiösen mit Bezug auf die Zukunftsperspektiven der Menschheit und einer Partikularität des Christlichen bzw. Katholischen mit Bezug auf das Religiöse«. 27 Diesen Partikularitäten zum Trotz könne aber das Christentum von seiner universalistischen Botschaft nicht ablassen. Auf die soziologischen Zeitdiagnosen von der »sich formierenden Weltgesellschaft« bzw. der Globalisierung lässt sich als Theologe in demselben Band vor allem Helmut Hoping ein.28 Hier ist es (noch nicht eingelöstes) Programm, über die Beschreibung des Konzils als »Ereignis von Weltkirche« hinauszugelangen und es eingebettet in den weiteren Kontext der sich formierenden Weltgesellschaft zu beschreiben. Mit der vorliegenden Arbeit wird, wie unten weiter erläutert, genau an dieser Stelle angesetzt. Doch zurück zu dem vielzitierten Band: Dieser enthält dann in seinem zweiten Teil eine Serie von Beiträgen, die
Ruggieri 1998, S. 31ff.; vgl. insbesondere Sander 2006, S. 383ff. Wohlmuth 2002, S. X. 27 Kaufmann 1998, S. 30. 28 Hoping 1998, S. 83ff. 25 26
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den »Beziehungen des Konzils zu den kulturellen Großräumen« gewidmet sind und dies in einer Art von Kontinentalberichterstattung anbieten.29 Das II. Vatikanum ist das erste Konzil der Kirchengeschichte, welches die Kirche selbst in den Mittelpunkt seiner Reflexionen stellt. Die vom Konzil getroffene Entscheidung, das neue kirchliche Selbstverständnis einerseits in einer Perspektive ad extra, auf die innergesellschaftliche Umwelt der Kirche hin zu formulieren, und es andererseits ad intra, die eigene Sozialform betreffend zu entwerfen, ist soziologischer Denkungsart nicht fern. An dieser Stelle muss nun, um im folgenden Kapitel die Grundthese der Studie entfalten zu können, etwas vorgegriffen und schon teilweise das empirische Material angesprochen werden. Von den vier großen vom Konzil verabschiedeten Konstitutionen – das Konzil verabschiedet insgesamt 16 Dokumente und bedient sich dabei unterschiedlicher Gattungen30 – sind es vor allem zwei, die in dieser Hinsicht die entscheidenden sind, für die allerdings auch in besonderem Maße gilt, dass sie aufeinander zu beziehen sind: Es sind ad intra die dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium und ad extra die Pastoralkonstitution Gaudium et spes über die Kirche in der Welt von heute. In seinem Kommentar zur ersten dieser beiden Kirchenkonstitutionen beschreibt Peter Hünermann die konziliaren Innovationen wie folgt:31 Mit Lumen gentium habe sich die Ekklesiologie von Stil und Rhetorik des (gegenreformatorischen) Konzils von Trient und des I. Vatikanums verabschiedet; die Kirchenlehre habe die juristisch-univoken und stark negatorischen Redeweisen zugunsten eines komplexeren Kirchenbegriffs überwunden. Damit lösten sich Engführungen im kirchlichen Selbstverständnis, die der älteren Selbstentgegensetzung der Kirche zu einer defizitären »Welt« entstammten und Solche ›Länderberichterstattung‹ hat in der Rezeptionsliteratur Tradition und gehört selbstverständlich in solche Publikationen. Vgl. dazu beispielsweise für Europa Dobbelaere/Voyé 1996, Alberigo 1998; für Lateinamerika Beozzo 1998, 2002, Eckholt 2005; für Nordamerika Komonchak 1998, Zöller 1998; für Afrika Mutombo-Mwana 1998, Ozankom 2005; für Asien Müller 1998, Phan 2002, Evers 2005. Regionale Rezeption ist in vielen Beiträgen in Kaufmann/Zingerle 1996, aber auch in Pottmeyer/Alberigo/Jossua 1986 Thema. Vgl. allgemein zur Lage der Rezeption auch Autiero 2000. 30 Vgl. zu den verschiedenen Gattungen der Textproduktion des Konzils sowie zum Zusammenhang der diversen Dokumente Hünermann 2006a, S. 56 ff., v.a.: »Die Dekrete umfassen ebenso wie die Konstitutionen […] lehrhafte und disziplionäre Momente. Sie stellen nicht einfach disziplinäre Applikationen der Konstitutionen dar. Vielmehr reflektieren sie kirchliche Sachverhalte im Einzelnen, welche in den Konstitutionen […] nur kurz angesprochen sind. Auch die Erklärungen […] enthalten Lehr- und Disziplinarmomente. Sie unterscheiden sich darin nicht von den Dekreten oder den Konstitutionen. Man kann auch nicht behaupten, dass sie von geringerem theologischen Gewicht als die Dekrete seien. Man könnte allenfalls sagen, dass der in diesen Erklärungen angesprochene Sachverhalt gleichsam konzentrierter, punktueller ist als der in den Dekreten behandelte jeweilige Inhalt. In ihrer Vielfalt bezeugen diese Dokumente, dass das Konzil nicht beansprucht, das Mysterium der Kirche in allen wichtigeren Ausprägungen und hinsichtlich aller bedeutenderen Fragestellungen erschöpfend und umfassend aufgegriffen zu haben. Es waltet hier eine gewisse Fragmentarität. Eine solche Fragmentarität ist für Konstitutionen bzw. Verfassungstexte charakteristisch.« Ebd., S. 57f. 31 Hünermann 2004, S. 263ff. 29
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die diese auf die kirchliche Autorität angewiesen erscheinen ließen. An ihre Stelle trete eine Selbstbeschreibung, die biblische und patristische Begriffe zurückgewinne und die Kirche als ein in Welt und Gesellschaft »pilgerndes Volk Gottes« bestimme. Dabei wird in Lumen gentium, wie Hünermann ausführt, »zum einen die moderne globale Situation des unmittelbaren Nebeneinanders von Konfessionen und Religionen aufgegriffen. Diesem pluralen Nebeneinander [...] wird eine vom christlichen Glauben her entworfene Grundlage gegeben. Darüber hinaus wird eine Pragmatik entfaltet, die ebenso das Moment der Religionsfreiheit und des Respekts, des Dialogs, wie der Glaubensverkündigung umfasst«. Und der Autor fährt fort: »Eine solche Sicht der Religionen und eine solche Pragmatik unterscheiden sich wesentlich vom Konzept der Aufklärung, die meinte, die Religion in die Sphäre des Privaten verbannen zu können, und sie damit zugleich in ihren Eigentümlichkeiten nivellierte. [...] Das Kapitel über das Volk Gottes ist von großem Gewicht für ein vertieftes Verständnis von Kirche«. 32 Die Suche nach begrifflichen Anschlussmöglichkeiten für die Globalisierungsthematik in den Konzilstexten selbst führt besonders auf die Pastoralkonstitution Gaudium et spes,33 die eine originäre Erfindung der Konzilsversammlung ohne direkte Vorgeschichte während der Vorbereitungszeit ist und den deutlich längsten Konzilstext ausmacht. In diesem Dokument wird, was die Kirche und ihre innergesellschaftliche Umwelt angeht, die ad extra-Perspektive breit entfaltet; ›innergesellschaftliche Umwelt‹ heißt dabei soziologisch auffällig ›innerweltgesellschaftliche Umwelt‹. Und man darf sagen, dass hier und in benachbarten Texten ein spezifisch katholischer Beitrag zur »›Entdeckung‹ der Weltgesellschaft« gefunden werden kann.34 Gaudium et spes steht überdies – um schon auf weiteres empirisches Material zu verweisen – in einem engen zeitlichen Zusammenhang zu drei päpstlichen Sozialenzykliken, die die Konstitution sachlich vorarbeiten bzw. sie fortführen. Zu nennen ist zuerst die in der Vorbereitungszeit des Konzils erschienene Enzyklika Mater et magistra (1961) von Johannes XXIII., die »die jüngsten Entwicklungen des gesellschaftlichen Lebens« zum Gegenstand hat: hier wird nicht nur auf die neuen Kommunikationsmittel und »das fast völlige Verschwinden von Entfernungen zwischen den Völkern« Bezug genommen, es werden zudem »die gesellschaftliche Verflechtung« und mit ihr die Weltwirtschaft ins Spiel gebracht, von »universalem Gemeinwohl« gesprochen und die ›soziale Frage‹ aus ihrer nationalstaatlichen Rahmung gelöst und auf der »Weltebene« angesiedelt. Die hier praktizierte, mit der neuscholastischen Deduktion brechende soziologienahinduktive Methode setzt sich fort in Pacem in terris (1963). Diese zweite SozialEbd., S. 403f. Kreutzer 2006 deutet die Pastoralkonstitution zwar soziologisch umfangreich informiert, aber weiterhin im modernisierungstheoretischen Paradigma. 34 Dieser wäre bei Greve/Heintz 2005 noch nachzutragen. 32 33
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enzyklika Johannes XXIII., die kurz nach der Kubakrise und während der ersten Sitzungspause des Konzils erschien, hält an der Thematik des Weltgemeinwohls fest und bezieht sie nun aber auf die Politik; einerseits auf die innerstaatliche, vor allem aber auf das Verhältnis zwischen den Staaten, nämlich auf den Weltfrieden. In diesem Text wird die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1948 nachdrücklich gewürdigt, es wird die Idee von der Notwendigkeit einer »universalen politischen Gewalt« entfaltet und der UNO gerade in ihrer »Hauptfunktion, den Frieden unter den Völkern zu schützen und zu festigen«, der Rücken gestärkt. Zu nennen ist schließlich, nun nach dem Konzil, die ›Entwicklungsenzyklika‹ Populorum progressio (1967) von Papst Paul VI., die sich die Sprache der zeitgenössischen Entwicklungstheorien und die Idee der Einen Welt zu eigen macht. Ihr Kernanliegen ist weltweite Solidarität und die Kritik der Unterentwicklung. Die Botschaft ist nicht zuletzt, dass »Entwicklung der neue Name für Frieden« ist.35 Die Vorwegnahme dessen, was in der heutigen Zeit die Sprache und Botschaft von Globalisierung besagt, gilt nun erst recht für Gaudium et spes selbst, den Text, der vielen als das wichtigste Dokument der Tradition kirchlicher Soziallehre überhaupt gilt. Mit dieser explizit an alle Menschen adressierten Konstitution wollten die Konzilsväter, die »Zeichen der Zeit« beachtend, Gegenwart und Wirken der »Kirche in der Welt von heute« darlegen. Dabei gehen sie von den dominanten sozialstrukturellen Wandlungen der Zeit aus (Industrialisierung, Urbanisierung, Migration, weltweit ungleiches Wohlstandswachstum). Zugleich entwickeln sie eine induktiv vorgehende Sozialethik, die auf der Personenwürde gründet und diese für die ganze und »eine Menschheitsfamilie« geltend macht. Der Gemeinschaftsakzent, der auf der Menschheit und ihrer Einheit liegt, wird in der Sprache von Gaudium et spes ins Familiale gewendet. Was nun für die Menschheitsfamilie in der Moderne, in »der heutigen Welt« maßgeblich ist, ist »die Zunahme der gegenseitigen Verflechtung unter den Menschen, zu deren Entwicklung der heutige technische Fortschritt ungemein viel beiträgt«. (GS 23) Es sind aber gerade diese Konditionen, die »allzu große wirtschaftliche und gesellschaftliche Ungleichheiten zwischen den Gliedern oder Völkern der einen Menschheitsfamilie« zum Ärgernis werden lassen: Sie »widersprechen der sozialen Gerechtigkeit, der Billigkeit, der menschlichen Personwürde und dem gesellschaftlichen und internationalen Frieden«. (GS 29) Betont Gaudium et spes einerseits wie die genannten Enzykliken die Einheit und Verflochtenheit der Weltgesellschaft und die daraus folgenden globalen Solidaritätsimperative, so ist es andererseits gerade dieser Konzilstext, der der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft am nachhaltigsten Rechnung trägt.
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Vgl. zur Entwicklungsbegrifflichkeit und zum zeitgenössischen Hintergrund von Populorum progressio die umfangreiche Einführung Kauss 1967.
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Im Rückgriff auf die Schöpfungstheologie, auf »den Willen des Schöpfers«, wird den »irdischen Wirklichkeiten« nunmehr legitime Autonomie, Eigengesetzlichkeit sowie »eigene Gutheit« zugesprochen, und es sind zunächst die moderne Wissenschaft und Technik, die dabei ›schöpferisch‹ in den Blick kommen. (GS 37) Diesem Leitgesichtspunkt der Autonomie folgt Gaudium et spes auch in der näheren Thematisierung von Ehe und Familie, sodann der Bildung, Kunst und Kultur, aber vor allem des Wirtschaftslebens und der Politik. Und der Autonomiegesichtspunkt kommt, was das Feld der Religion angeht, besonders stark in der erwähnten Erklärung über die Religionsfreiheit zum Tragen. Weltgesellschaftsbezogen ist nun entscheidend, dass der Blick des Konzils auf die genannten sozialen Handlungsfelder durchweg ein globaler ist, denn für sie alle (mit Ausnahme von Ehe und Familie) ist unterstellt, dass sie weltweite Zusammenhänge herstellen und bedeuten. In enger Berührung mit den genannten Enzykliken behandelt Gaudium et spes oberhalb der Nationalstaaten die Politik wesentlich als Weltpolitik und die Wirtschaft als Weltwirtschaft. Und in Mater et magistra heißt es: »Jedes Problem von einiger Bedeutung, stelle es sich nun auf dem Gebiet der Wissenschaft, der Technik, der Wirtschaft und Gesellschaft, der Politik oder der Kultur, übersteigt darum sehr oft die Möglichkeiten eines einzelnen Landes. Es steht oft in internationalen, ja weltweiten Zusammenhängen.« 36 Es geht nun nicht darum, die Konzilstexte weltgesellschaftstheoretisch zu vereinnahmen, wohl aber darum, herauszustellen, dass die globale Orientierung des weltkirchlichen Konzils der 1960er Jahre Perspektiven zur Sprache gebracht und artikuliert hat, wie sie uns die aktuelle Globalisierungsdebatte immer wieder als Neuheiten zu präsentieren pflegt, was in den folgenden Kapiteln noch zu explizieren ist.
1.2 Konzilshermeneutik Im Gegensatz zur neuerlichen Globalisierungsthematik, die mit einer Ausnahme, auf die noch zurückzukommen ist, erst seit wenigen Jahren akut ist, ist das hermeneutische Thema der ›richtigen Rezeption‹ ein nachkonziliarer Dauerbrenner. Im Zentrum steht dabei eine Kontroverse grundsätzlicher Art, nämlich die Frage, inwieweit mit dem Konzil in soziologischer Sicht etwas Neues gegeben ist und ob sich bei seiner Analyse ein auch sein Vorgängerkonzil einbeziehender historischer Vergleichshorizont lohnen kann. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, kurz die Unwahrscheinlichkeit des Zustandekommens der Konzilsversammlung Revue passieren zu lassen und danach die divergierenden Konzils36
Johannes XXIII., Mater et magistra, zitiert nach Utz/von Galen 1976, S. 721.
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verständnisse, welche bereits die maßgeblich beteiligten Theologen während des Konzils leiteten, zu entfalten. Mit einer fundamentaltheologischen Perspektive und einem soziologischen Ausblick werden dann Erklärungsversuche für die Frage in Aussicht gestellt, warum dieser Rezeptionskonflikt bis heute so heftig andauert. Schließlich gilt es sich einer (kirchenpolitisch) interessanten Einlassung von ›höchster Stelle‹ zu widmen, die der neue Papst wohl als Orientierung im Ringen um das richtige Verständnis als notwendig erachtete und hier nicht unerwähnt bleiben soll.
Kontroverse Als Ergebnis von Vorbereitungen im Vorlauf zu den Arbeiten am neuen Kommentar ist der schon erwähnte Tagungsband »Das II. Vatikanische Konzil – christlicher Glaube im Kontext globaler Modernisierung« entstanden. Dieses für die vorliegende Studie besonders einschlägige Buch kreist thematisch um die beiden Brennpunkte »globale Modernisierung« und »das Konzil als Ereignis von Weltkirche« und enthält in seinem ersten Teil hermeneutische Reflexionen und begriffliche Klärungen. Für die meisten Autoren des Tagungsbandes ist das Zweite Vatikanum das Forum, in dem sich die Kirche der Moderne stellt; sie vertreten somit mehr oder minder die Diskontinuitätsthese. Widerspruch erfährt diese Sicht von protestantischer Seite, nämlich durch Friedrich Wilhelm Graf als erklärtem ›Kulturprotestanten‹:37 Den unter katholischen Theologen habitualisierten Gegensatz von Erstem und Zweitem Vatikanischen Konzil stellt er nachdrücklich in Frage. Er sieht die konzilseuphorischen katholischen Theologen einem »kirchenhistorischen Fortschrittsmodell verpflichtet« und plädiert zum Ende des 20. Jahrhunderts bezogen auf das Zweite Vatikanum dafür, weniger nach elementaren Differenzen und Brüchen zu suchen. Statt dessen gelte es, auch kirchenbezogen »produktive« modernitätskritische Kontinuitäten zu beachten und die »Leistungskraft konservativer Modernität« ernst zu nehmen. Graf plädiert daher für mehr Gelassenheit auf Seiten der liberalen Vertreter in den »aktuellen innerkatholischen Kulturkämpfen«. Darüber hinaus aber setzt er gegen die Dialogrhetorik des Konzils den Verdacht der kirchlich-großorganisatorischen Wahrnehmung strategischer Interessen: Die »konziliaren Verständigungsprozesse« seien in Wirklichkeit nur der Versuch, »durch Konsensbildung nach innen hin Einflusschancen in der Gesellschaft zu bewahren oder zu stärken«. Es sei mithin, so Graf, soziologisch naiv, die »dialogische Anspruchsrhetorik« der Konzilsväter »für bare Münze zu nehmen«.38 37 38
Graf 1998, S. 49ff. Ebd., S. 57.
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Gegenüber dieser Sicht der Dinge ist man geneigt, den Vorwurf der soziologischen Naivität an Graf zurückzugeben: Die Freigabe so komplexer, schwerlich planbarer und unberechenbarer Prozesse, wie sie mit dem Konzilsunternehmen verbunden sein mussten, bloß interessenbedingt zurechnen zu wollen, hieße, einen arg unterkomplexen Standpunkt zu beziehen. Graf übersieht die ja kalkulierbaren Risiken des Versuchs einer »Konsensbildung nach innen«: mit dem Konzil und seinen uneindeutigen Kompromissaussagen wurden die Auseinandersetzungen doch eher entfacht als konsensrhetorisch beschwichtigt. 39 Im Übrigen scheint Graf aber auch die mit dem Zweiten Vatikanum vollzogenen innerkirchlichen Veränderungen zu unterschätzen, die schon während des Konzils zu einem gewandelten kirchlichen Verhältnis in Bezug auf die innergesellschaftliche, zumal politische Umwelt geführt haben, wie in den folgenden Kapiteln analysiert wird. Hier ist beispielsweise auf die bereits erwähnte ideengeschichtlich angelegte politikwissenschaftliche Habilitationsschrift von Rudolf Uertz zurückzukommen, die eine der ›revolutionärsten‹ Diskontinuitäten zum Gegenstand hat, welche das Konzil herbeiführte: den kirchlichen Bruch mit ihrer traditionsreichen Ablehnung der Religionsfreiheit. Ausgangspunkt von Uertz’ Studie »Vom Gottesrecht zum Menschenrecht. Das katholische Staatsdenken von der Französischen Revolution bis zum II. Vatikanischen Konzil (1789-1965)« ist eine innerkirchlich-postkonziliare Debatte der späten 1960er Jahre, nämlich der Streit zwischen dem Dominikanerpater und Sozialethiker Arthur F. Utz und dem Rechtswissenschaftler Ernst-Wolfgang Böckenförde. »Diese streiten um die Frage: Hat das II. Vatikanum mit der Akzeptanz der Menschenrechte, insbesondere der verfassungsrechtlichen Anerkennung der Religions- und Gewissensfreiheit und des weltanschaulichen neutralen Verfassungsstaats, seine bisherige Lehre bloß erweitert und vertieft oder lehrt es nun etwas grundlegend Neues?« 40 Uertz zeigt unbestreitbar, dass das kirchliche Lehramt (einschließlich des Papstes des Ersten Vatikanums, Pius IX.) die mit der Französischen Revolution verbundenen Forderungen nach individuellen Menschenrechten, insbesondere
»Man kann Kommunikation nicht als Programm zur Maximierung von Konsens verstehen, weil Kommunikation ja immer auch die Möglichkeit von Dissens und Ablehnung produziert. Ihr Effekt ist nicht Konsens, sondern die laufende Öffnung der Situation für die Entscheidung über Konsens und Dissens. Mehr Beteiligung wäre daher nur sinnvoll, wenn man ein möglichst frühzeitiges Kristallieren von Widerstand und Dissens erreichen wollte. Mögliche Gegner sollen sich melden, sich festlegen und dadurch zugleich ihre eigene Position so spezifizieren und individualisieren, daß sie als Position zurechenbar wird. Das würde aber bedeuten: die Situation auf einen Konflikt zulaufen zu lassen, der dann nur noch hierarchisch entschieden werden kann, und dies wiederum würde voraussetzen, daß die Spitze der Hierarchie sich zunächst einmal zurückhält und abwesend bleibt, da sie andernfalls ihre Distanz zum Konflikt verlieren und ihn nicht mehr aus der Stellung eines noch unabhängigen Dritten heraus entscheiden könnte.« Vgl. Kieserling 1999, S. 379. 40 Uertz 2005, S. 22. 39
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die Religions-, Gewissens- und Meinungsfreiheit als Irrlehren verurteilte.41 Das Zweite Vatikanum hingegen erklärte – noch in den 1950er Jahren kaum vorstellbar – die Religionsfreiheit in seiner Erklärung Dignitatis humanae zur kirchlichen Lehre. Es ist kein Zufall, dass insbesondere eine nordamerikanische Bischofsinitiative diese Wende herbeiführte; vorbereitet und unterstützt von dem Theologen John Courtney Murray. Seitdem tritt die Kirche, und trat nicht zuletzt Papst Johannes Paul II. auf der politischen Weltbühne als Anwalt nachdrücklich für die Wahrung dieser Menschenrechte ein.42 Nach Uertz konnte die katholische Politik- und Staatsdoktrin den freiheitlichen Verfassungsstaat der pluralistischen Gesellschaft, der mit den Menschrechten verbunden ist, erst zu dem Zeitpunkt positiv würdigen und theoretisch begründen, zu dem das innerkirchliche Selbstverständnis eine Wendung vom Recht der (von der Kirche auszulegenden) Wahrheit hin zum Recht der Person, das durch ihre Würde begründet wird, vollzogen hatte. Dabei begrenzt Uertz seine Darstellung, die man teilweise wie einen umfassend fundierten Widerspruch zu Grafs Einlassung lesen kann, nicht auf die vorkonziliar dominante neuscholastische Theologie und ihr Naturrecht, sondern relativiert vielmehr diese innerkatholisch als eine Schule neben anderen (Traditionalismus, Konstitutionalismus und politischem Katholizismus). Ein besonders interessanter Ertrag seiner Arbeit ist dabei die Feststellung: »Die Lehre des II. Vatikanums hatte sicherlich beträchtlichen Einfluss auf das politik- und sozialethische Denken von Theologen und Laien; im großen und ganzen handelt es sich aber bei den politik- und gesellschaftstheoretisch relevanten Konzilsdokumenten um einen Nachvollzug dessen, was Katholiken in Forschung, Lehre und Praxis schon seit Jahrzehnten in eigener Verantwortung und z.T. gegen die kirchenoffizielle Position vertreten haben«. 43 Hier zeigt sich ganz im Sinne Grafs die große Leistungskapazität konservativer Weltanschauung in konkreten Zusammenhängen. Um aber gerade die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider vatikanischen Konzilien erfassen zu können, ist es, wieder entgegen Grafs Rat, hermeneutisch durchaus instruktiv, sie zu kontrastieren. Dafür kann man beispielsweise auf die dreibändige Monografie von Klaus Schatz über das Erste Vatikanum zurückgreifen. 44 Dieses wird gemeinhin vor allem mit der Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit verbunden, und ein kontrastiv auffälliger Zug dieses Konzils ist die Rücksichtslosigkeit, mit der gerade dieses Dogma gegen eine ablehnungsentschlossene Minderheit durchgesetzt wurde. Im Verhältnis zur Unfehlbarkeit stellt die Geltendmachung des Jurisdiktionsprimats durch das Erste Stellvertretend für vieles der als Anhang zu Enzyklika Quanta cura am 8. Dezember 1864 erschienene Syllabus errorum in Utz/Galen 1976, S. 163ff.; vgl. Uertz 2005, S. 31ff. 42 Vgl. dazu z.B. Ruh 2002. 43 Uertz 2005, S. 24. 44 Vgl. Schatz 1992-94. Den Konzilsvätern selbst lag genau für diesen Vergleich Aubert 1964/1965 vor. 41
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Vatikanum – in derselben Konstitution pastor aeternus – die bis heute viel weniger präsente Konzilsentscheidung dar. Schon Max Weber aber sah in ihr, unter Bürokratisierungsvorzeichen, die deutlich schwerwiegendere Maßnahme des Konzils. Legt man den Jurisdiktionsprimat extensiv aus, so besagt er, dass die Ortskirchen ›Filialen‹ der römischen Kirche und ihre Bischöfe bloße Ausführungsorgane des Papstes sind. 45 Bei Klaus Schatz wird nun deutlich, dass auch auf dem Konzil selbst »die päpstliche Jurisdiktionsgewalt [...] nicht entfernt in derselben Radikalität problematisiert wurde wie die Unfehlbarkeit« 46 und er fügt hinzu: Aus »heutiger Sicht erscheint dies seltsam: greift der konkrete, zentralistisch gehandhabte Jurisdiktionsprimat doch viel mehr in das alltägliche Leben der Kirche ein als die nur sehr selten aktualisierte Unfehlbarkeit. Aus damaliger Sicht sah dies jedoch anders aus. Die konkrete geschichtlich gewordene päpstliche Jurisdiktionsgewalt war gewohnte und gelebte Wirklichkeit; sie wurde daher mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit in die ersten Jahrhunderte hinein projiziert, selbst dort, wo man in der Unfehlbarkeit viel kritischer dachte«.47 So ist es dann sachlich unvermeidlich, dass auch in der Darstellung von Schatz jene dramatischen Vorgänge ganz in den Vordergrund treten, die das Konzil dahin brachten, sich mit der zunächst gar nicht vorgesehenen Thematik der päpstlichen Unfehlbarkeit etc. auseinanderzusetzen. Es waren nicht zuletzt die (konzilsexternen) kontroversen publizistischen Begleiterscheinungen in kirchlicher und gesellschaftlicher Öffentlichkeit, die es der seinerzeitigen großen Konzilsmehrheit opportun erscheinen ließ, den ›Unfehlbarkeitskurs‹ einzuschlagen, und zwar in dezidierter Negation zu seiner öffentlichen Ablehnung. In einer als bedrohlich empfundenen, sich modernisierenden Umwelt ging es, wie Schatz resümiert, für die Katholiken am Ende des 19. Jahrhunderts darum, gegen die geistigen Verunsicherungen der Zeit auf Sicherheit zu setzen. »Die geschichtliche Funktion des Unfehlbarkeitsdogmas [...] lag in der globalen Sicherheit, die es der um den Papst gescharten Kirche auf den Weg gab, in der Überzeugung, daß nichts passieren könne, solange man mit dem Papst in Einheit bleibt«. 48 Sicherheit aber besagte Autorität, und »›Autorität‹ gegen ›Autonomie‹« wurde so zu einem »grundlegende[n] Leitmotiv des Konzils« 49, das sich in politischer Hinsicht in die Rivalität mit den Nationalstaaten der Zeit verlängerte. Zwar beendete der Deutsch-Französische Krieg (1870-1871) das Erste Vatikanum vorzeitig, womit der Verlust des Kirchenstaates und des letzten Restes weltlicher Souveränität des Papstes Hand in Hand ging. Gleichwohl war die römische Autorität zumal für die neu entstandenen Nationalstaaten etwas, das sie als Vgl. zum Thema Einheit und Vielfalt bzw. Spannung von Welt- und Ortskirche auch den Tagungsband Werbick/Schumacher 2006. 46 Schatz 1994, S. 92. 47 Ebd. 48 Ebd., S. 307. 49 Ebd., S. 303. 45
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ihrer Souveränität bedrohlich empfinden konnten; Bismarck hat das während des preußischen Kulturkampfs deutlich ausgesprochen. Vergleicht man hiermit das Politikverhältnis des Zweiten Vatikanums, so hat dieses mit dem Nationalstaatsprinzip unbedingt seinen Frieden gemacht, es hat die »Zeichen der Zeit« der modernen Welt positiv gelesen: Die »Autonomie der irdischen Sachbereiche«, der Politik wie der modernen Wissenschaft, der Familie wie des Wirtschaftslebens – und mithin die notwendige Selbstbeschränkung diesen gegenüber – ist in den Konzilstexten (zumal in Gaudium et spes) kirchlich expliziert und ratifiziert. Der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft, so darf man soziologisch sagen, ist damit eindrucksvoll und positiv Rechnung getragen; im Hinblick auf die Erklärung über die Religionsfreiheit war davon bereits die Rede. Was andererseits die innerkirchliche Hierarchie angeht, so akzentuiert die lang umkämpfte Kirchenkonstitution Lumen gentium anders als der Text von 1870 gerade die Kollegialität der Bischöfe und das Eigenrecht ihrer Ortskirchen: »Sie sind nicht als Stellvertreter der Bischöfe von Rom zu verstehen, denn sie haben eine ihnen eigene Gewalt inne und heißen in voller Wahrheit Vorsteher des Volkes, das sie leiten«. (LG 27) Systematik Neben dem interessanten Befund, dass es dem Rezeptionsprozess neuerdings neben dem gegenseitigen Ausspielen von Konservativität und Modernität besonders um die Globalisierungsthematik geht, stellen sich natürlich die noch früher ansetzenden, fundamentalen Fragen, was man überhaupt unter dem Begriff ›Konzil‹ im Kontext von Kirche und Katholizismus allgemein zu verstehen hat, 50 auf welche Erwartungsstrukturen die überraschende Konzilsankündigung Johannes XXIII im Januar 1959 traf und vor allem, wie wichtige Akteure damals ihr Handlungsfeld begriffen haben. Für ein Verständnis dessen lohnt es sich, einen Blick zurück werfen und zunächst die ›Unwahrscheinlichkeit‹ des Zweiten Vatikanums herauszustellen: Nach dem vorzeitigen Ende des Ersten Vatikanischen Konzils 187051 wurde die konsultative, partizipative und repräsentative Idee der Konzilstradition schnell wieder zu einem vornehmlich außerkatholischen Phä-
Vgl. zu den unterschiedlichen Konzilsideen im Laufe der Kirchengeschichte und besonders zu den beiden Vatikanischen Konzilien die Studien von Sieben 1993. 51 Vgl. Schatz 1994, S. 207ff.: Angesichts der Rom einnehmenden italienischen Truppen der nationalen Einheitsbewegung wurden die Sitzungen zunächst unterbrochen und, weil aus Majoritätssicht in Sachen Universalepiskopat und Unfehlbarkeit alles geregelt war, zunächst auf unbestimmte Zeit vertagt. 50
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nomen. Sie wirkte noch am lebendigsten in den orthodoxen Kirchen.52 Aber auch auf protestantischer Seite gibt es nach den Initiativen zu einem »Weltparlament der Religionen« 53 eine konsultative Dynamik mit konsolidierenden Folgen, denn anlässlich des Treffens des Ökumenischen Rates 1948 in Amsterdam schließen sich die beiden nach ihren Gründungskonferenzen benannten amerikanisch-protestantischen Bewegungen »Life and Work« (1925) und »Faith and Order« (1927) zusammen. Im Ökumenischen Rat waren auch die Orthodoxen vertreten und ›Ökumene‹ hatte außerkatholisch Konjunktur, da fast alle nichtkatholischen Christen diesem Rat in kurzer Zeit angehörten: »Der Heilige Stuhl weigerte sich nicht nur, sich der Bewegung anzuschließen, wie es ihm gleich von Anfang an vorgeschlagen worden war, sondern er verbot auch seinen Mitgliedern die Teilnahme. [...] Im allgemeinen bleibt der Vatikan vorsichtig, um nicht zu sagen mißtrauisch gegenüber dem, was aus dem Genfer Rat geworden ist, nämlich eine religiöse Organisation, die auf die Elemente von Regierungsstrukturen verzichtet.« 54 Innerkatholisch gab es zwar Sondierungen in Bezug auf eine mögliche Wiederaufnahme des Ersten Vatikanischen Konzils, aber es wäre »abenteuerlich«, diese Wiederaufnahmeversuche als Etappen in Richtung Zweites Vatikanum zu bewerten. 55 So wurde bis in die populärtheologische Literatur hinein die Auffassung vertreten, dass nach der Definition der Unfehlbarkeit innerkatholisch das Zeitalter der Konzilien endgültig vorbei sei. War also auf globaler Ebene der Weg für solche Konsultationen versperrt, ging es auf unteren Ebenen weiter und der episkopale Koordinierungsbedarf verschaffte sich mit vereinzelten nationalen Bischofskonferenzgründungen auf regionaler Ebene Raum.56 Doch jeder »horizontale Koordinierungsversuch wird, soweit die Initiative nicht von Rom selbst ausgeht, als potentielle Bedrohung aufgefaßt; so sehr war der Vatikan von vertikalen oder pyramidalen Vorstellungen geprägt«. Die Kirche ist »seit dem Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr eine römische Kirche geworden«.
So hielt die russische Kirche mitten in den revolutionären Umwälzungen 1917/1918 ein Reformkonzil ab und die Synode von Konstantinopel rief 1920, von den Bemühungen um den neuen Völkerbund beeindruckt, zur Gründung einer Gesellschaft der Kirchen nach seinem Vorbild auf. 53 Vgl. zu dieser im Kontext der Weltausstellungsbewegung entstandenen Initiative die Studie Lüddeckens 2002. 54 Fouilloux 1997, S. 69. 55 Man kann von einer Phase der Entspannung sprechen, nachdem die »Hypothek der römischen Frage«, die durch den vollständigen Verlust weltlicher Souveränität des Papstes angesichts italienischer Nationalstaatsbildung 1870 als Irritation zurückgeblieben war, durch die Lateranverträge 1929 mit Mussolini gelöst war. Vorher empfand sich der Papst als »Gefangener im Vatikan«, vgl. Hales 1957, S. 444ff. 56 Ab Mitte des 19. Jahrhunderts sind einzelne Initiativen auf nationaler Ebene zu verzeichnen, angefangen in Deutschland mit der Fuldaer Bischofskonferenz 1848, den drei amerikanischen Nationalkonzilien 1852, 1866 und 1884 sowie dem chinesischen Konzil 1924. In den 1950er Jahren kommt Fahrt in die Sache und es schießen Bischofskonferenzen wie Pilze aus dem Boden. Als ihre Statuten 1959 genehmigt werden, sind es weltweit bereits 40 anerkannte Konferenzen. 52
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Angesichts eines in dieser Weise durchgesetzten innerkatholischen Zentralismus ist es hermeneutisch von großem Interesse, welche unterschiedlichen Konzilsbegriffe bereits die einflussreichen (reformorientierten) Berater des dann überraschend doch einberufenen II. Vatikanums hatten. Peter Hünermann differenziert hier zwei Typen theologischer Entwürfe über die spezifische Konzilsfunktion und das Verhältnis von Konzil und Kirche:57 Der eine, vertreten durch den französischen Dominikanerpater Yves Congar und den Schweizer Hans Küng, sieht im Konzil einen privilegierten Vollzug von ›Kirche-Sein‹. Für den anderen, repräsentiert durch den deutschen Jesuiten Karl Rahner und den jungen Theologieprofessor Joseph Ratzinger, ist ein Konzil Vollzug amtlicher Kirchenleitung. Zur ersten Sichtweise fallen einem unweigerlich die soziologischen Begrifflichkeiten ›Efferverszenz‹ (Durkheim) und ›herrschaftsfreier Diskurs‹ (Habermas) ein, wenn das Konzil vollkommener Ausdruck kirchlichen Lebens und Gemeinschaft im Bund mit Gott sein soll, wie Hünermann in Bezug auf Congar feststellt. Hinsichtlich der Integration innerkirchlich-konziliarer Umwelt baue gerade dieser auf starke Prämissen: »Er setzt als Basis ein vollendetes Kommunikationsgeschehen von jeweiligem Bischof und Teilkirche voraus, das gleichsam eine individualisierte Gestalt aufweist, so daß sich dann durch die Kommunikation auf dem Konzil – selbstverständlich im Hinblick auf die anstehenden Sachfragen – ein gesamthafter Sinn des Glaubens zu artikulieren vermag. Das Konzil ist wesentlich Communio oder Kommunikation der Kirche aus dem Glauben.« 58 Küng geht noch einen Schritt weiter, indem er das Konzilsgeschehen und sein inneres Maß nicht bloß als Ausdrucksgeschehen von Kirche, »sondern als völlig kontingentes – weil auf ganz anderer Ebene als Kirche-Sein spielendes – Kommunikationsgeschehen [begreift], das wesentlich von der Repressionsfreiheit des Diskurses bestimmt sein muß«. 59 Von dort her entscheide sich in diesem stark erfahrungsbezogenen Ansatz die Frage nach der Glaubwürdigkeit. Demgegenüber scheint es in der anderen, stärker auf Sachfragen bezogeneren Perspektive in sozialwissenschaftlicher Terminologie ausgedrückt, mehr um »Legitimation durch Verfahren« (Luhmann) zu gehen, wenn Rahner das Institutionelle und das Charismatische in der Kirche vor allem amtstheologisch unterscheidet: »Das Konzil gehört zum institutionellen Bereich der Kirche. Die Kirche besitzt eine Verfassung, sie ist durch das Bischofskollegium ›mit dem Papst als seiner personalen Spitze‹ geeint und geleitet. Dieses eine Rechtssubjekt, der päpstlich geeinte Episkopat, handelt in unterschiedlichen Formen, von denen eine das Konzil ist.« 60 Auch für Ratzinger habe das Konzil die Funktion einer konsensuellen Auslegung der Tradition, der gemeinsamen Ordnung der Kirche Vgl. Hünermann 1998. Ebd., S. 73. 59 Ebd. 60 Ebd., S. 74. 57 58
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sowie ihrer rechten Leitung. Das Konzil ist für Ratzinger somit »als Dienst eine Lebensbedingung der Kirche, aber nicht selbst Kirche oder Kirche-Sein, und zwar im Blick auf schwerwiegende Fragen, die sich der Kirche stellen.«61 Ratzingers Konzilskonzeption sei im Unterschied zu Rahner damit durchaus offen auch für Elemente, die den Ereignischarakter des Konzils reflektieren. Wenn schon die am Konzil aktiv Beteiligten in ihrem jeweiligen Handlungsbewusstsein so stark divergieren, wie viel komplizierter gestaltet sich die Situation für den seine Ergebnisse rezipierenden nachkonziliaren Katholizismus? Die bis heute nachvollziehbaren Konfliktlinien nehmen ihre jeweiligen Ausgangspunkte in den vom Konzil verabschiedeten Texten selbst, wo sie unterschiedliche Anschlüsse finden. Hermann Josef Pottmeyer begründet die divergierende Anschlussfähigkeit der Texte aus ihrem Entstehungskontext heraus. Besondere Beachtung verdiene dabei das methodische Verfahren, mit dem das Konzil beide Anliegen – Erneuerung der Kirche und Wahrung der Kontinuität – miteinander verbunden habe. Dieses Verfahren sei im Wesentlichen das der Juxtaposition: »Neben eine Lehre oder These in vorkonziliarer Formulierung wird eine Lehre oder These gestellt, die einen ergänzenden Aspekt formuliert.« 62 Zu meinen, solche Juxtaposition zweier Thesen sei bloßer Formelkompromiss, sei viel zu kurz gedacht. Die Grenze des Konzils liege darin, dass es ihm nicht gelungen sei und auch wohl nicht gelingen konnte, das Nebeneinander in eine neue Synthese zu binden. Doch schon dieses unaufgelöste Nebeneinander sei ein Fortschritt, weil durch sie vorkonziliar vertretene Thesen als zu einseitig relativiert und eine Orientierung für eine Weiterentwicklung des Glaubensverständnisses gegeben würden: »Gerade in dem methodischen Verfahren des Konzils zeigt sich deshalb sein Charakter als ein Konzil des Übergangs.« 63 Durch andauernd einseitig-selektive Interpretationen in den Auseinandersetzungen um die ›richtige‹ Rezeption vom Typ ›progressiv/konservativ‹ etc. würden die Schlachten des Konzils bloß weiter geschlagen und genau die wollte das Konzil durch Juxtaposition eigentlich beenden. In Richtung der sogenannten progressiven Interpreten geht die Feststellung Pottmeyers, dass diese bisweilen vergessen würden, dass »das Konzil nichts von den Dogmen des Konzils von Trient und des Vaticanum I zurückgenommen hat. Wohl hat es deren Formulierungen in dem Sinne relativiert, daß es deren Formulierung nicht mehr als absolut letzten Entwicklungsschritt des Glaubensverständnisses betrachtete«. 64 Vor allem die mit dem Motto »um der Treue zum Konzil über das Konzil hinaus« verbundenen Ambitionen
Ebd., S. 75. Pottmeyer 1986, S. 58. 63 Ebd., S. 59. 64 Ebd., S. 61. 61 62
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ständen in der Gefahr weiterer hermeneutischer Missverständnisse, wenn es dabei nicht um neue Synthesen gehe.65 In seiner Rekonstruktion, warum es für die Kirchenleitung notwendig geworden sei, ein Konzil einzuberufen, weist Hünermann darauf hin, dass diese sich in einer dilemmatischen Krise befunden habe, die dadurch gekennzeichnet gewesen sei, dass sie trotz eigener, »geistgetragener« Leitungsvollmacht eine gewisse »Ohnmachtslage« registrieren musste. Die Glaubensrationalität hatte auf neue Problemstellungen zu reagieren und dabei mögliche Irritationen zu bewältigen. Dass sich aber zur Behebung dieser »Ohnmacht« die rationalitätsaffine – weil diskursive – Form des Konzils als Instanz zur Wahrheitsfindung herausgebildet habe, sei, so der Dogmatiker mit Blick auf die Unfehlbarkeitsentscheidung des Ersten Vatikanums, keineswegs selbstverständlich.66 Statt anderweitig denkbarer, beispielsweise auch »charismatischer Lösungen« sei aber eben die übereinstimmende Bezeugung des Glaubens das angemessene Vergewisserungszeichen für eine Kirche, welche für sich selbst beanspruche, eschatologische WahrFür das angemessene Verständnis des Konzils, so Pottmeyer, ist die Rezeption neben der Interpretation der Ergebnistexte insbesondere auf deren Entstehungsbedingungen, also auf die Ereignisdimension verwiesen, mit der sich in unserem Zusammenhang die eingangs erwähnten konzilsgeschichtlichen Bemühungen verbinden. Doch solche Historisierungen schaffen Fresacher zufolge eine paradoxe Situation: »Um zu dem Geschehen zu kommen, produziert sie Texte. Was sie erreicht, ist nicht das historische Ereignis, sondern seine Beschreibung [...] Was sie tut, ist, den Beschreibungen eine weitere Beschreibung hinzuzufügen. Die ganze Wahrheit steht ihr nicht zur Verfügung«. Fresacher 2006, S. 27. Dass mit der eher unbefriedigenden Form der Juxtaposition als konziliarem Konsensergebnis aber nicht gleich jede Interpretation möglich wird, also weder das Extrem der Konfrontation noch das der nivellierenden Relativierungen, thematisiert auch Joseph Ratzinger, wenn er sich in seiner »Theologischen Prinzipienlehre« ebenso wie Pottmeyer mit den nachkonziliaren Schwierigkeiten befasst, indem er das geflügelte Wort ›Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht‹ variiert und vor zu harmonischen Erwartungen warnt: »Ein Konzil, das nicht dogmatisierte und niemanden ausschloss, schien niemanden treffen, niemanden abstoßen, nur alle anziehen zu können. In Wahrheit ist es ihm nicht anders ergangen als den Kirchenversammlungen zuvor«. Ratzinger 1982, S. 385f. 66 Vgl. zu Rationalität auch Hünermann 1998, S. 75f.: »Im Bezug auf das Traditionsverständnis der Theologie bedeutet dies, daß die Selbigkeit des Glaubens gerade durch die je neuen Glaubensauslegungen vermittelt ist, und zwar so, daß die Innovationen, die aus dem Potential der Tradition erfolgen, ihrerseits jeweils Stiftung von Kontinuität sind. Die Bewährung der Glaubensüberlieferung in der Auslegung trägt so den Charakter eines Wahr-Machens, eines Be-währens im wörtlichen Sinne. [...] Die angesprochene Unterbrechung des Verstehens ereignet sich in der Dimension des Religiösen mit besonderer Radikalität. Ihren Ausdruck findet die Religiosität darum immer in symbolischer Form, die die unterschiedlichen Formen der Rationalität umgreife und mitbezeichnen [...] In diesem geschichtlichen Sinne steht der Glaube angesichts von Umbruchserfahrungen jeweils im ganzen auf dem Spiel. Gläubige Existenz kann nie in ruhigen Besitz umschlagen. Der Weg des Glaubens in der Geschichte, der Weg der Überlieferung ist ein Weg der Erneuerung [...] Jede wahrhaft innovative Glaubensauslegung, die auf eine unvorhersehbare Situation mit bislang unbekannten Fragen antwortet, besitzt von daher einen Doppelcharakter: Sie muß in ihrer Neuheit – als Bewährung der Selbigkeit des überlieferten Glaubens – in einer rationalen Form, d.h. durch ein Weisheitsurteil auf die Tradition rückführbar sein. Sie wird auf der anderen Seite den Charakter einer ungeschuldeten Gnadengabe besitzen.« 65
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heitsinstanz zu sein. Hünermanns »kategoriale Synthesis« für ›Konzil‹ lautet dann, dass ein Konzil die Versammlung derjenigen ist, die mit der Verkündigung des Evangeliums amtlich beauftragt sind und denen mit Blick auf eine gegebene Problemlage eine gemeinsame Sprachgestalt des Glaubens fehlt. Indem diese nun im Glauben zusammentreten, werde ihr konsensuelles Resultat zu einem Zeichen der Vergewisserung: »Das neue Resultat hat – sofern es in Schrift und Tradition wurzelt – gerade in der neu erbrachten übereinstimmenden Lehre das Siegel der Authentizität.« Weil aber zum Konsens im Glauben nicht nur die übereinstimmende Verkündigung des Glaubens, sondern ebenso das übereinstimmende Glauben durch die Gemeinde gehöre, hat sich das Zeichen der Übereinstimmung der verkündigenden Amtsträger durch die Rezeption der Kirche zu bewähren. 67 Die von Hünermann präsentierte Konzils- und Rezeptionshermeneutik – im Sinne eines Synchronizität mit Diachronizität verbindenden (wahrheitstheoretischen) Kohärenzmodells – führt ihn in einem weitergehenden Schritt auch zu einer »kategorialen Synthesis« der Bedeutung von Konzilsentscheidungen. Dabei wird deutlich, dass es beim Konzil um den Konsens über autoritative Weisungen in Form performativer Sprachgestalten geht. Diese hätten die Struktur von »Weisheitsurteilen«, welche die »Selbigkeit des Glaubens«, wie er in den Überlieferungsinstanzen bezeugt sei, in neuen Situationen bewähren müssen. Weil sie grundsätzlich rationaler Natur sind, seien sie prinzipiell auch gleichermaßen kritisierbar und falsifizierbar. Im postkonziliaren Rezeptionsprozess komme u.a. der Theologie die Aufgabe zu, die Problemgemäßheit der vorgelegten Weisheitsurteile zu evaluieren, Problemüberhänge kenntlich zu machen und so die Tragweite des vorgelegten Glaubenskonsenses zu bestimmen sowie gegebenenfalls Anschlussklärungen zu erarbeiten bzw. zu postulieren. Von den Konzilsentscheidungen gebe es zwar keine Appellationsmöglichkeiten an eine höhere Instanz, aber so eindeutig unaufhebbar sie seien, blieben sie doch in ihrer (empirischen) Verbindlichkeit auf ›Rezeption‹ angewiesen. 68 Die Konzilstexte sind eben aus einer spezifischen Pragmatik heraus entstanden, ohne die ihr Sinn nicht nachvollziehbar sei. Für Hünermanns Rekonstruktion dieser Pragmatik ist zunächst die Convocatio Concilii konstitutiv, also die Einberufung des Konzils durch Papst Johannes XXIII., dessen Intentionen in seiner Ansprache zu Konzilseröffnung klar zum Ausdruck kommen. 69 Als AufEbd., S. 78. Ebd., S. 81: »Sie erreichen ihren Sinn erst in der Aufnahme von Seiten des Volkes Gottes. Sie sind insofern begrenzte, endliche, ergänzungsbedürftige Worte. [...] Die Weisung wird – je nach Rezeption – zur gelungenen oder weniger gelungenen Weisung. Die Art und Weise, wie eine konziliare Weisung die Konsonanz mit der Tradition repräsentiert, ist relativ einfach zu überprüfen. [...] In der Rezeption erweist sich, ob die Krisen- und Situationsanalyse, die in der Ausarbeitung der Weisung vorausgesetzt wird, treffsicher oder nicht so genau geleistet worden ist.« 69 Vgl. die Eröffnungsrede in Hünermann 2006, S. 482ff. 67 68
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gabe dieses ausdrücklich ›pastoralen‹ Konzils fordert der Papst dort, dass sich die Kirche ihrer ursprünglichen Verantwortung gegenüber Gott und der Welt neu stelle und entsprechende Offenheit unter dem Leitwort »Aggiornamento« gewinne. Dies solle weniger als Anpassung an die Zeit (Modernisierung), sondern vielmehr durch »Sich-Vertiefen in ihre ureigensten Quellen« geschehen, was zu entsprechenden neuen Ausgestaltungen des kirchlichen Lebens führe.70 Mit dem in dieser Rede gezeichneten Bild vom Konzil als einem neuen Pfingsten tritt der Papst in gewisse Distanz zur Kirche in ihrer faktischen Ausprägung, um aus dieser Distanz heraus die Kirche zu einer erneuerten Identitätsbestimmung zu führen: »Die Pragmatik, die hier vorgeschlagen und zielhaft vorgestellt wird, ist eine Pragmatik hermeneutischer und zugleich geschichtlicher Art. Es geht um die Profilierung authentischer Identität. In der christlichen Tradition – und zwar im Individualbereich – wurden solche Vorgänge als Bekehrungsprozesse verstanden und praktiziert [...] Die reale Durchführung einer solchen Pragmatik für eine Großkörperschaft wie die Kirche stellt allerdings – im Rahmen der modernen Menschheitsgeschichte – ein Novum dar.« 71 Im Anschluss hieran ist es interessant, den Kontext der Einberufung des II. Vatikanums mit dem seines Vorgängerkonzils zu vergleichen. Dabei zeigt sich deutlich ein Unterschied zwischen dem weltgesellschaftlichen Novum einer großkörperschaftlichen »Bekehrungspragmatik« auf der einen und einer von Papst Pius IX. in politisch unruhigen Zeiten stark konkurrenzempfindlichen ›Demonstrationspragmatik‹ auf der anderen Seite. 72 Die Aneignung der nach Hünermann »neuen institutionellen Bekehrungspragmatik« seitens der Konzilsteilnehmer des Zweiten Vatikanums verlief zwar erst zögerlich, dann aber zunehmend wie nachhaltig und von einer breiten Mehrheit getragen, da sie von Johannes XXIII. »lediglich zielhaft und nicht ope-
Hünermann 1998a, S. 112. Ebd., S. 113. 72 Vgl. die fast beiläufige Ankündigung des Konzils durch Johannes XXIII. im Gegensatz zu der dramatisch inszenierten Ankündigung des Ersten Vatikanums im Kontext einer Heiligsprechungsfeier von Märtyrern durch Pius IX. Samerski 2001, S. 345ff. und ders. 2006. 70 71
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rational programmiert« gewesen sei und so großen Interaktions-Spielraum für den Selbstbestimmungswillen des Konzils gelassen habe. 73 Neben der Entscheidungslage des Konzils ist also seine Ereignisdimension gleichermaßen ernst zu nehmen. Will man ein angemessenes Verständnis des Konzils gewinnen, ist es notwendig, »zu den Sachen selbst« (Husserl) zu kommen, also direkt in das Phänomen des »Weltereignisses Konzil« einzutauchen. Bei allen hermeneutischen Problemen mit den Texten des Konzils richtet sich der Blick verstärkt wieder in die Aula als Hauptort des Geschehens, denn die spezielle Konsensthese des Konzils erkläre, wie Bernhard Fresacher in seiner bereits erwähnten Habilitationsschrift ausführt, »Anwesenheit zur Bedingung des Verstehens und verpflichtet die Anwesenden zur Zustimmung. Sie kann die andere Lage der Zeit nach dem Konzil, in der es als Erlebnis der Begegnung unter Anwesenden abwesend ist, ebensowenig erfassen wie Akzeptanz oder Nichtakzeptanz des Konzils, einschließlich seiner Nichtbeachtung«.74 Die dem Konzil oft unterstellte epochale »kommunikative Wende« 75 bestehe eben nicht in der Alternative Kommunikation statt Instruktion – denn was sei Instruktion anderes als Kommunikation? –, statt dessen gehe es vielmehr um die Variation der Form von Kommunikation, wobei das Konzil »eine spezifische Präferenz für Partizipation und Dialog pflegte. Diese Art Reflexion macht es zu einem modernen Konzil im Unterschied zu früheren. Dabei lässt sich – und darauf kommt es an – seine Reflexionssemantik von seiner Reflexionslage unterscheiden, der Text von seinem Kontext, wenn man so will.« 76 Rezeptionskonflikte resultieren innertheologisch auch aus der Perspektivenkonkurrenz unterschiedlicher Disziplinen. Hier ist neben der historischen und systematischen Position vor allem auch die kirchenrechtliche mitzudenken – Johannes XXIII. hatte bei der Einberufung ja auch eine Kodexreform mitangeHünermann kontrastiert dann die beschriebenen päpstlichen Aktivitäten mit den unterschiedlichen Reaktionen auf die Convocatio Concilii und stellt fest, dass die erstaunliche Diskrepanz zwischen dem Verhalten der Konzilsväter vor dem Konzil und den späteren eigentlichen Konzilsaktivitäten viel von seinem Staunen erregenden Charakter verliere, wenn man berücksichtige, dass »die Bischöfe für sich und als einzelne die vorgeschlagene Pragmatik realistischer Weise gar nicht aufgreifen konnten.« Hünermann 1998a, S. 114. Er begründet also gerade aus der sozialisierenden Dimension der ungewohnten Konzilsinteraktion das unerwartete Einschwenken der großen Konzilsmehrheit auf die Vorstellungen des Papstes. Im Gegensatz dazu sei der »Geist der Vorbereitungskommissionen« von den Arbeitsweisen des Heiligen Offiziums unter Kardinal Ottaviani imprägiert gewesen und zeigte »die Pragmatik von Hütern des Glaubens«. Ebd. Im Unterschied zur innerkirchlich-institutionellen Vorbereitung des Konzils habe die Pragmatik Johannes XXIII. in der Öffentlichkeit wirksamer werden können. Dies liegt sicherlich auch daran, dass der Papst die Kommunikation seiner Ideen zunehmend massenmedial kanalisierte und – auf breites Interesse stoßend – dort intensive Erwartungshaltungen aufbaute: »Während man bis dahin die Kirche lediglich als fixierte Institution kennt, zeigt sich kirchliches Leben plötzlich als ereignishaft.« Ebd., S. 115. 74 Fresacher 2006, S. 36. 75 Seckler 2000. 76 Ebd., S. 47. 73
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kündigt –, der es ja letztlich um eine verbindlich-praktische Auslegung des Konzils nunmehr von der Warte der für die Kirchenorganisation verbindlich geltenden Codex Iuris Canonici geht. 77 Hier kann eine soziologische Perspektive zu Differenzierungen beitragen: André Kieserling macht darauf aufmerksam, dass mit zunehmendem zeitlichen Abstand zu einem Ereignis Entkopplungsprozesse in Bezug auf verschiedene Gedächtnisformen einsetzen. »Das Gedächtnis der Organisation erinnert sich nur an Entscheidungen und vergißt alles andere«, dagegen sei das Gedächtnis der Interaktion wie der Interaktionsteilnehmer ganz anders konditioniert: »So entsteht aus der Differenz von Interaktion und Organisation die Differenz zwischen offizieller und inoffizieller Gedächtniskultur des Systems, zwischen legitimer und illegitimer Systemgeschichte.« 78 Interaktion bevorzuge eine »handlungstheoretische« Kultur des Erinnerns, sie könne Erinnerung im Unterschied zum Organisationsgedächtnis nur in Form von Narration ordnen. Für das Zusammenleben wichtig werde – und das gilt besonders für den konziliaren Rezeptionsprozess – diese allgemeine Differenz der Gedächtnisleistung als Anlass von Konflikten, in unserem Fall zwischen verschiedenen innertheologischen Disziplinprägungen oder kirchenpolitischen Optionen. Lehramt Es gehört in den Bereich der Spekulation, inwieweit sich der Papst hinsichtlich dieser und speziell der eingangs erwähnten und sich besonders um das ›Alberigo-Projekt‹ entfaltenden römischen Kontroverse genötigt sah, Stellung zu nehmen. Es ist gleichwohl bemerkenswert, was er – der nunmehr als Papst als ordentlicher Vertreter des kirchlichen Lehramtes gerade für die hierarchisch-organisatorische Dimension von Kirche steht – in seiner ersten Weihnachtsansprache vor der Kurie anlässlich des vierzigjährigen Abschlusses des Konzils über seine Rezeption mitzuteilen hat, so dass im Folgenden etwas ausführlicher darauf eingegangen werden muss. 79 Benedikt XVI. sieht die Schwierigkeit der Rezeption des Konzils in großen Teilen der Kirche durch eine Konfrontation zweier gegensätzlicher Hermeneutiken begründet. Die eine, die er als massenmedial und innertheologisch besonders einflussreich ansieht, bezeichnet er als »Hermeneutik der Diskontituität«, die andere, die er favorisiert, sei dagegen eine »›Hermeneutik der Reform‹, der Erneuerung des einen Subjekts Kirche«. Die erste riskiere den Bruch zwischen vorkonziliarer und nachkonziliarer Kirche, denn ihre Vertreter behaupteten, dass »die Konzilstexte als solche noch nicht wirklich den KonVgl. z.B. dazu die Debatte Lüdecke 2006 mit Bier 2006, ob es richtig ist, den späteren Codex aus der Konzilsperspektive heraus zu verstehen oder umgekehrt das Konzil vom Codex her auszulegen. 78 Kieserling 1999, S. 386. 79 Im Folgenden stammen nicht anders gekennzeichnete Zitate aus: Benedikt XVI. 2005. 77
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zilsgeist ausdrückten. Sie seien das Ergebnis von Kompromissen, die geschlossen wurden, um Einmütigkeit herzustellen, wobei viele alte und inzwischen nutzlos gewordene Dinge mitgeschleppt und wieder bestätigt werden mußten. Nicht in diesen Kompromissen komme jedoch der wahre Geist des Konzils zum Vorschein, sondern im Elan auf das Neue hin, das den Texten zugrunde liegt: nur in diesem Elan liege der wahre Konzilsgeist [...] Mit einem Wort, man solle nicht den Konzilstexten, sondern ihrem Geist folgen. Unter diesen Umständen entsteht natürlich ein großer Spielraum für die Frage, wie dieser Geist denn zu umschreiben sei, und folglich schafft man nur Raum für Spekulationen.« Das Missverständnis liegt für den Papst also bereits in dem zugrundeliegenden Konzilsbegriff, wenn unter ›Konzil‹ eine Art verfassungsgebende Versammlung verstanden würde. Dies sei deswegen falsch, weil doch die »eigentliche Kirchenverfassung« gar nicht kirchlich zu ratifizieren sei, sie sei ihr vielmehr vorgegeben. Im Folgenden begründet Benedikt XVI. seine Position, indem er an Reden seiner Vorgänger anschließt, also an die in der Eröffnungsansprache Johannes XXIII. und die Abschlussrede Pauls VI. empfohlene Hermeneutik der Reform im Sinne einer anspruchsvollen Verbindung von Dynamik auf der einen und Treue zur Tradition auf der anderen Seite. Dass diese Rezeptionsweise es schwerer gehabt habe und bisher schlechter überzeugen konnte, liege vor allem daran, dass das Konzil das grundsätzliche Verhältnis von Kirche und Moderne neu bestimmen und sich hierbei besonders dem wichtigen Thema Anthropologie neu habe widmen müssen. Dieses Verhältnis habe schon mit dem Prozess gegen Galilei problematisch begonnen und sei im Folgenden an den Konfrontationen mit Entwicklungen der Philosophie (Kant: Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft), den Naturwissenschaften (Gott überflüssig machen), im politischen Kontext in Folge der Französischen Revolution sowie im Zusammenstoß mit radikalem Liberalismus regelrecht zerbrochen. Dies habe »im 19. Jahrhundert seitens der Kirche unter Pius IX. zu harten und radikalen Verurteilungen eines solchen Geistes der Moderne geführt«. In der Zwischenzeit habe diese Moderne selbst einige Entwicklungen durchgemacht: Der Papst nennt die Amerikanische Revolution, stellt weiter fest, dass auch Naturwissenschaften ihre Grenzen bedenken, und schließlich würden katholische Staatsmänner (!) beweisen, dass es einen säkularen modernen Staat geben kann, der nicht zugleich wertneutral sein müsse. Diese Entwicklungen seien die drei großen Herausforderungen des Zweiten Vatikanischen Konzils geworden. Es sind Fragen bezüglich des Verhältnisses von Glauben und moderner Wissenschaft, hinsichtlich des Bezugs von Kirche zum modern-pluralistischen Staat sowie schließlich das Problem der religiösen Toleranz: »Es ist klar, daß in all diesen Bereichen, die in ihrer Gesamtheit ein und dasselbe Problem darstellen, eine Art Diskontinuität entstehen konnte und daß in gewissem Sinne tatsächlich eine Diskontinuität aufgetreten war. Trotzdem stellte sich jedoch heraus, daß, nachdem man zwischen verschiedenen konkreten Situationen und ihren Ansprü-
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chen unterschieden hatte, in den Grundsätzen die Kontinuität nicht aufgegeben worden war«. Aber genau darum geht es dem Papst: In diesem Zusammenspiel von Kontinuität und Diskontinuität auf den verschiedenen Ebenen liege die Natur der »wahren Reform«. Der konziliare Entwicklungsprozess des Neuen unter Bewahrung des Alten sei ein umfassender Lernprozess gewesen, in dem Sinn, dass »die Entscheidungen der Kirche in bezug auf vorübergehende, nicht zum Wesen gehörende Fragen – zum Beispiel in Bezug auf bestimmte konkrete Formen des Liberalismus oder der liberalen Schriftauslegung – notwendigerweise auch selbst vorübergehende Antworten sein mußten, eben weil sie Bezug nahmen auf eine bestimmte in sich selbst veränderliche Wirklichkeit. Man mußte lernen, zu akzeptieren, daß bei solchen Entscheidungen nur die Grundsätze den dauerhaften Aspekt darstellen«. Bei aller Lernbereitschaft, dem Überdenken und Korrigieren vergangener Entscheidungen habe die Kirche trotz »scheinbarer Diskontinuität« ihre »wahre Natur und Identität« bewahrt, so der Papst. Während die vorliegende Studie aus soziologischer Perspektive vor allem das (weltgesellschaftstheoretische) Innovationspotenzial des Konzil herausarbeiten will, ist es Anliegen Benedikts XVI., in seiner Weihnachtsansprache zu betonen, dass die Kirche nach dem Konzil zwar nicht mehr die gleiche, aber immer noch dieselbe sei. Nicht zuletzt aus kirchenpolitischen Gründen beteuert er: »Die Kirche war und ist vor und nach dem Konzil dieselbe eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, die sich auf dem Weg durch die Zeiten befindet.« 80 Wenn jemand erwartet habe, dass das neue und grundsätzliche ›Ja‹ zur Moderne alle Spannungen löse und die so erlangte ›Öffnung gegenüber der Welt‹ alles in reine Harmonie verwandeln würde, dann habe er die der Moderne selbst inhärenten Spannungen und Widersprüche unterschätzt. Der Schritt, den das Konzil getan habe, um auf die Moderne zuzugehen, gehöre letztlich zum nie endenden Die Aufhebung der Exkommunikationen der vier illegitim geweihten Bischöfe der »Piusbruderschaft« Anfang 2009 zeigt den pragmatischen Kontext, in den hinein die päpstliche Deutungsweise des Konzils gesprochen wurde: Es geht um die Vermeidung eines Schismas, das durch dauerhafte Abspaltung traditionalistisch orientierter Gruppierungen unvermeidbar wäre. Nicht die gemeinschaftsstiftende Intention, wohl aber das ›bedingungslose Vorgehen‹ Benedikts XVI. in diesem Fall wurde in der Öffentlichkeit heftig kritisiert. Vgl. zum Vorgang und seiner Bewertung Hünermann 2009 sowie kritisch dazu auch Horn 2009. Zudem verschärfte ein zeitnah veröffentlichtes Fernsehinterview des offensichtlich Holocaust-leugnenden britischen »Pius-Bischofs« Richard Williamson den gesellschaftlichen Skandal. Dies veranlasste schließlich Benedikt XVI. zu der außergewöhnlichen Reaktion in Form eines Erklärungsschreibens des Papstes an das Bischofskollegium, indem auch Informationspannen und Organisationsfehler seitens des Vatikans eingeräumt werden, vgl. Benedikt XI. 2009. Nebeneffekt des unrühmlichen Vorfalls und seines mangelhaften Managements, der zumindest in Westeuropa auch zum Ansehensverlust des Papstamtes und vor allem der vatikanischen Behörden geführt hat, ist, dass durch die umfangreiche Berichterstattung in der medialen Öffentlichkeit ein neues Bewusstsein für das Zweite Vatikanische Konzil als gegenwärtigem ›katholischen Dreh- und Angelpunkt‹ entstanden ist und dass zum anderen in der öffentlichen Auseinandersetzung mit den »Pius-Brüdern« vor allem die Anerkennung der Lehre des Zweiten Vatikanums als unumgängliches Kriterium einer möglichen kirchlichen Rehabilitation sich festgeschrieben hat. 80
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Problem des Verhältnisses von Glaube und Vernunft, womit Benedikt XVI. auf sein »Spezialthema« rekurriert. Der Inhalt dieses Verhältnisses sei »in den Konzilstexten natürlich nur in groben Zügen dargelegt, aber die Richtung ist damit im Wesentlichen festgelegt, so daß der Dialog zwischen Vernunft und Glauben, der heute besonders wichtig ist, aufgrund des Zweiten Vaticanums seine Orientierung gefunden hat. Jetzt muß dieser Dialog weitergeführt werden, und zwar mit großer Offenheit des Geistes, aber auch mit der klaren Unterscheidung der Geister.« Vor dem Hintergrund dieser Papstrede gewinnen auch frühere Einlassungen Ratzingers in den theologischen Rezeptionsdiskurs neue Aktualität und sollen (der Vollständigkeit halber) nicht unerwähnt bleiben: In einem Beitrag anlässlich des zehnjähigen Konzilsabschlusses bringt der damalige Dogmatikprofessor eine kritische Bestandsaufnahme der Diskussion und findet mahnende Wort gegen eine zu selektive Lektüre: Es gehe darum, dass man das Zweite Vatikanum ganz lesen müsse, und zwar orientiert auf die zentralen theologischen Texte zu und nicht umgekehrt, dann könne solche Besinnung für die Kirche fruchtbarer werden und zur Konsolidation in nüchterner Reform helfen. »Nicht die Pastoralkonstitution mißt die Kirchenkonstitution, schon gar nicht die isoliert genommene Intention der einleitenden Anschnitte, sondern umgekehrt: Nur das Ganze in der richtigen Zentrierung ist wirklich Geist des Konzils.« 81 Ratzinger tritt retardierenden Befürchtungen entgegen, indem er bemerkt, dass die eigentliche Rezeption des Konzils noch gar nicht begonnen habe und dass »es keine Rückkehr zum Syllabus geben kann, der eine erste Markierung in der Auseinandersetzung mit dem Liberalismus und dem heraufsteigenden Marxismus sein mochte, aber kein letztes Wort sein kann. Weder Umarmung noch Getto können auf die Dauer das Problem der Neuzeit für den Christen lösen.« 82 Es bleibe dabei – hier bezieht er sich auf den Titel des damals vielzitierten Bandes von Hans Urs von Balthasar83 –, dass die »Schleifung der Bastionen« eine fällige Aufgabe gewesen sei. Einige Jahre später betont er, mittlerweile als Münchner Kardinal, noch einmal die übergreifende Verantwortung des gesamten Katholizismus für die Auslegung und Inkorporierung der mit dem Ereignis einhergehenden Beschlüsse und beschreibt damit das Eigengewicht des Rezeptionsprozesses: Das Konzil habe seine Lehraussagen zwar mit eigener Vollmacht formuliert, seine geschichtliche Bedeutung werde aber erst bestimmt »durch den Prozeß der Klärung und Ausscheidung, der sich im Leben der Kirche anschließend vollzieht: Auf diese Weise hat die ganze Kirche am Konzil teil; es kann gar nicht in der Versammlung der Bischöfe allein zu Ende gebracht werden.« 84 Ratzinger 1976, S. 48. Ebd., S. 49. 83 Vgl. Balthasar 1952. 84 Ratzinger 1982, S. 391f. 81 82
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Der vom Konzil induzierte Wandel des Katholizismus wurde nun auch lehramtlich in seiner Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität mit päpstlichamtscharismatischer Authentizität mithilfe des »Reform-Begriffs« ratifiziert. Dabei wurde die stets beibehaltene Identifizierbarkeit als Katholizismus in der Literatur – wie im vorangegangegen Abschnitt gezeigt – zunehmend als spezifisch ›katholischer Globalisierungsprozess‹ rezipiert. Dieser bis heute andauernde Prozess ist ein Beispiel dafür, dass die ambitionierte ›Generation Konzil‹, die einen vielschichtigen, thematisch variantenreichen und bisweilen äußerst kontrovers geführten Rezeptionsprozess gestaltete, doch erfolgreich war, ihr Charisma institutionalisierend zu ›veralltäglichen‹. Fresacher spricht diesbezogen eher skeptisch von einem neu entstanden Traditionalismus und von einem Bürokratismus, der das Konzil und die Erinnerung daran regelrecht verwalte. Für den diesbezüglich hoffnungsvoller gestimmten ehemaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, sind die institutionellen Großprojekte wie die ›Alberigo-Geschichte‹ oder der ›Hünermann/HilberathKommentar‹ eher »ein eindringliches Beispiel dafür, dass auch eine jüngere Theologengeneration, die nicht selbst am Entstehen der Texte beteiligt war, sich heute die Dokumente von damals authentisch und verbindlich, historisch verlässlich und zugleich gegenwartsbezogen aneignet.«85 Die vorliegende Studie ist Teil dieses variantenreichen konziliaren Rezeptionstraditionalismus und betrachtet diesen Kontext aus soziologischer Perspektive gewissermaßen in der Absicht eines ›teilnehmenden Beobachters‹. Damit dies aber redlich geschehen kann, ist zunächst die theoretische Perspektive zu erläutern und sind vor allem die zugrundeliegenden Erklärungsabsichten offenzulegen. 1.3 Ausgangsthesen Wenn im Folgenden die der Studie zugrunde liegenden Forschungsfragen und Hypothesen dargelegt werden, wird ein Rezeptionsstrang wieder aufgegriffen, der erstaunlicherweise bereits früh – wenn auch nicht mit dieser Begrifflichkeit – die Globalisierungsthematik mit der Katholizismusthematik86 zusammengebracht hat und neuerdings wieder aktuell geworden ist. In diesem Sinn sollen die weltgesellschaftstheoretischen Argumente zunächst wissenssoziologisch illustriert werden. In einem für uns sowohl thematisch einschlägigen wie auch historisch weit ausgreifenden geschichtstheologischen Argument stellt der spätere KonzilstheoLehmann 2006, S. 26. Katholizismus war zunächst ein Begriff der Fremdbeschreibung, bevor er zur Selbstidentifikation genutzt wurde. Vgl. zur Soziologie des Katholizismus einschlägig Gabriel/Kaufmann 1980 und darin Nell-Breuning 1980. 85 86
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loge Karl Rahner in einem Text von 1953, also neun Jahre vor dem Zusammentreten des Konzils, eine Verbindung von ›Katholizismus‹ einerseits und dem, was heute unter ›Globalisierung‹ geläufig ist, andererseits fest. Das Erstaunliche dieser frühen Beschreibung von Weltgesellschaft ist, dass Rahner eigentlich kontraintuitiv das Phänomen ›Katholizismus‹ als ein Produkt von ›Globalisierung‹ ansieht und nicht, wie man meinen könnte, gerade umgekehrt die Globalisierung als Ergebnis eines katholischen Universalitätsanspruchs auffasst. Er argumentiert stattdessen, dass in dem Moment, wo sich die Kirche weltweit ausbreitet – sie also wenigstens prinzipiell überall vorhanden ist und damit geographisch wie gesellschaftlich ihr »Außen« verliert –, sie zwangsläufig entstehende Konflikte im »Inneren« bewältigen muss. Dies habe das Ergebnis, dass sie sich durch interne Differenzierungsprozesse unter anderem konfessionalisiere. Es geht Rahner hierbei sowohl um die Herausforderungen, die mit der Konfrontation unterschiedlicher Religionen oder den Kirchenspaltungen einhergingen, aber auch um das säkularisierende Phänomen der ›Entchristlichung‹ des vormals religiös vitalen europäischen Kontinents: »Solange die Kirche faktisch auf einen Kultur- und Geschichtskreis, den abendländischen, beschränkt war, konnte der ›Widerspruch‹ ›von außen‹ kommen, weil es eben ein ›Außen‹ gab, und darum konnte umgekehrt die Kirche in diesem abgegrenzten Bezirk gleichsam ›omnipotent‹ die unwidersprochene Führerin und Herrin des Bezirks sein; sie konnte dennoch ›von außen‹ ihre Gegner haben: praktische Häresien, im letzten orientalischen Ursprungs, und den christlichen Erbfeind, den Türken. Im Augenblick aber (der für seine Entwicklung natürlich Jahrhunderte brauchen kann), da es dieses ›Außen‹ nicht mehr gibt, weil die Kirche auch äußerlich weltuniversal wird und (was sich gegenseitig bedingt) die getrennten Völkergeschichten zu einer einzigen Menschheitsgeschichte zusammenfließen, in der jedes Volk, jede geschichtliche Situation für jedes andere ein inneres Moment wird, kann der Widerspruch zur Kirche, geschichtstheologisch gesehen, gar nicht mehr von ›außen‹ kommen, er ›muß‹ [...] mitten in der Christenheit als Spaltung und Abfall aufstehen. [...] Tatsächlich sehen wir auch, daß der Beginn der Spaltung und Entchristlichung des einen Abendlandes durch Reformation und Renaissance-Aufklärung just in dem Augenblick beginnt, da auf dem Substrat der europäischen Weltexpansion die Kirche auch faktisch Weltkirche zu werden anfängt. In dem Augenblick, da sie sich anschickt, Kirche aller Heiden zu werden, beginnt sie auch, Kirche überall unter Heiden zu werden.« 87 In einem nur kurz nach dem Konzil als Lexikonartikel erschienenen Beitrag spezifiziert Rahner die Herausforderungen für die Kirche als Weltkirche, zu der sie durch das Konzil im Unterschied zum 19. Jahrhundert geworden sei: Einerseits umfassten ihre eigenen Führungsgremien nunmehr Vertreter aller Nationen und Rassen; das viel entscheidendere Moment seien aber die Entwicklungen der 87
Rahner 1953, S. 57.
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profanen Weltgeschichte. Im Unterschied zu früheren Zeiten der Isolation seien, angefangen mit dem europäischen Kolonialismus des 16. Jahrhunderts, nunmehr die verschiedenen Kulturen zu »einer aktuellen Völkerfamilie« mit einer gemeinsamen Weltgeschichte zusammengewachsen: Dies sei in dem Sinne geschehen, dass »heute jede partikulare Geschichte (eines Volkes, einer Kultur, eines Kontinentes) zu einem empirisch mitbestimmenden Moment an jeder anderen partikulären Geschichte geworden ist«.88 In dieser Situation der einen Weltgeschichte müsse die Kirche ihren weltkirchlichen Charakter an vielen Stellen nun auch deutlicher in Erscheinung treten lassen: Durch möglichst rasche Gründung eines einheimischen Priestertums und Episkopats, durch Aufnahme aller gleichberechtigten Kulturen und Volksmentalitäten in ihr Leben, durch Abbau des früheren Europäismus in den Missionen, durch Internationalisierung der römischen Kurie, durch Einheimischmachung der Liturgie, welche eine differenzierte Weltliturgie und nicht bloß lateinische (fast stadtrömische) Liturgie sein müsse. Daneben solle sich dieser weltkirchliche Charakter deutlicher als früher nicht nur im Handeln des Papstes als oberstem Garanten und Repräsentanten der sichtbaren Einheit der Kirche, sondern auch durch das Handeln des Gesamtepiskopats als ihrem obersten kollegialen Führungsgremium zeigen. Dies solle besonders im Dialog und in der Zusammenarbeit mit anderen weltgesellschaftlichen Institutionen, welche die »Einheit der Menschheitsfamilie und ihrer Geschichte« gesellschaftlich repräsentierten, geschehen. Rahner benennt hier konkret die Vereinten Nationen, die Unesco und den Weltkirchenrat.89 Aus der Perspektive von 1980 bezeichnet der Theologe dann (wie schon beschrieben) rückblickend das Zweite Vatikanische Konzil als den »ersten amtlichen Selbstvollzug der Kirche als Weltkirche« und markiert dessen Innovationen durch den Kontrast mit dem vorkonziliaren Katholizismus. Dabei hebt er besonders auf die Missionsanstrengungen sowohl des 16. Jahrhunderts90 als auch die erneuerte und umfassende Missionsbewegung des 19. Jahrhunderts 91 ab, wenn er von dem kirchlichen Verhältnis zur Welt außerhalb Europas als vom »Tun einer Exportfirma« spricht, »die eine europäische Religion, ohne die eigentliche Ware verändern zu wollen, in alle Welt exportierte wie ihre sonstige sich überlegen haltende Kultur und Zivilisation«. 92 Gerade im direkten Vergleich mit dem Ersten Vatikanum identifiziert er einen neuen, vor allem qualitativen »Sprung zur Weltkirche«: »Man braucht es nur mit dem I. Vatikanum zu vergleichen, um die Erstmaligkeit formal-rechtlicher Art dieses Konzils zu sehen. [...] Es gab wirkDers. 1969, S. 1340. Ebd., S. 1342. 90 Vgl. zur Jesuitenmission im 16. Jahrhundert den Band Meier 2000. 91 Vgl. zur katholischen Missionsbewegung im 19. Jahrhundert Weichlein 2005 sowie Hünermann 2005, S. 223-243. Dieser neue Missionsschub empfand sich in direkter Konkurrenz zur protestantischen Weltmission, vgl. Tyrell 2004. 92 Rahner 1980, S. 288. 88 89
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lich ein Weltkonzil mit einem Weltepiskopat«. 93 Und schließlich räumt er ein, dass die beim Konzil neu entstandene Theologie zwei Seiten habe und deswegen in hohem Maße interpretationsbedürftig sei: »Es ist die Theologie eines Übergangs.« 94 Auch das nachkonziliare theologische Bemühen sei mehr von einem Ausweichen auf bloße Pastoral- und Religionspädagogik geprägt. Statt dessen, so wünscht sich der Dogmatikprofessor an seinem Lebensabend, müsse die Theologie ihren Status als bloß westliches Exportprodukt endlich überwinden und selbst »Welttheologie« werden. Nicht nur die neuen außereuropäisch-kontextuellen Theologien, sondern auch die westlich-nachkonziliare Theologie habe nicht abschätzbaren Nachholbedarf, 95 genau diese »müßte ja missionarisch sein«. 96 Vor dem Hintergrund dieses innertheologischen Deutungsangebotes geht es dem der Studie zugrundeliegenden soziologischen Forschungsprogramm – als Fremdbeschreibung theologischer Selbstbeschreibung, also im Sinne einer Beobachtung zweiter Ordnung – darum, zu erklären, dass anhand des Zweiten Vatikanums nun vor allem qualitative Veränderungen analysiert werden. Darin zeigt sich der Kontrast zu einem vorrangig quantitativen und sich homogenisierend auswirkenden katholischen Expansionsprozess im 19. Jahrhundert, dem nach dem 16. Jahrhundert »zweiten konfessionellen Zeitalter«, 97 der sowohl von einer erneuten Missionsbewegung als auch von weltweiter Migration getragen war. Dabei soll dieser soziale Wandel vom ›ultramontan-eurozentrischen‹ zum ›weltkirchlichen‹ Katholizismus als ein neuerlicher Globalisierungsschub vorgestellt werden. Es geht also bei der These der ›Globalisierung des Katholizismus‹ um den Nachvollzug eines Prozesses, dessen Dynamik als von der ›Kirche als Gegengesellschaft‹ (societas perfecta) hin zu einer ›Kirche der Weltgesellschaft‹ beschrieben werden soll. Diese Entwicklung leitet in Bezug auf die vorkonziliarkatholische Situation, die in der entsprechenden Literatur durch Begriffe wie »Subgesellschaft«, »Milieu« oder »Versäulung« gekennzeichnet ist, bedeutende Ebd., S. 290. Ders. 1980a, S. 309. 95 »Die Zuschreibung einer epochalen Wende an das Konzil, sei es im engeren Sinn kirchlich beziehungsweise religiös, sei sie im weiteren Sinnen sozial und kulturell gemeint, geht ihr eher zu leicht von der Hand. [...] Im Moment spricht vieles dafür, dass das Vatikanum II zwar ein Gegenstand reger theologischer Interessen (die heute andere sind als früher: die Historisierung und der Traditionalismus des Konzils sind Beispiele dafür) ist, dass aber zugleich sein Einfluss in dem, was es promulgiert hat, nur schwer nachzuweisen ist. Viele Probleme die es aufgeworfen hat, warten nach wie vor auf ihre Bearbeitung, oder werden von Stellen bearbeitet, für die es keine Rolle spielt. ›Der Faden scheint gerissen‹. Vom Konzil geht kein Risiko mehr aus. Das, was Rahner als die epochale Signatur des Konzils bezeichnet hat, erscheint als ein unabgeschlossenes Projekt: der ›Sprung zur Weltkirche‹, der ›nicht bloß einen quantitativen Zuwachs der bisherigen Kirche bedeutet, sondern eine theologische [...] Zäsur in der Kirchengeschichte‹.« Fresacher 2006, S. 56 96 Rahner 1980a, S. 310. 97 Vgl. Blaschke 2001. 93 94
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und nachhaltige Innovationen auf mindestens drei verschiedenen Ebenen ein. 98 Damit sind insbesondere solche Sachverhalte angesprochen, die allgemein mit Begriffen wie Ultramontanismus, Integralismus oder auch Intransigenz bezeichnet werden. In Bezug auf den Ultramontanismus als der systembildend-zentrumsfixierten katholischen Reaktion auf die globale Ausbreitung der modernen Gesellschaftsform im 19. Jahrhundert schafft das Zweite Vatikanische Konzil, so wird zu zeigen sein, durch innerkirchliche Reorganisationen neue Anschlussfähigkeiten.99 Die erhöhte Weltgesellschaftskompatibilität, prägnant ausgedrückt durch den Wunsch zu »weltweiter Inkulturation«, beruht dabei vor allem auf inneren Diversifizierungen. Komplementär zu der durch das Erste Vatikanische Konzil verstärkten vertikalen Primatsstruktur wird nunmehr die horizontale Dimension betont. So werden auch kollegial-konsultative, patriarchale und charismatische Organisationsstrukturen reaktiviert. Durch z.B. die Forderung nach kontextuellen Theologien, die Einführung landessprachlicher Liturgie und der weltweiten Verbreitung nationaler Bischofskonferenzen wird größere Komplexitätsreduktionskapazität ad extra durch Komplexitätssteigerung ad intra erzeugt. Das Phänomen des katholischen Integralismus100 kann im Sinne einer eigentümlichen innerkatholischen Kopie funktionaler Differenzierung, dem als gesellschaftlich dominant unterstellten Differenzierungsprinzip, gedeutet werden. So verfügt die im gesellschaftlichen Exklusionsbereich als eigenes Milieu hoch integrierte Subgesellschaft des Katholizismus z.B. über eigene Ästhetik wie Neugotik und Nazarenerstil, katholische Presse, Sportvereine, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Parteien sowie Gewerkschaften. Hierbei sind vor allem folgende Neubewertungen des Konzils aufzuzeigen: Die gesellschaftlichen Funktionssysteme werden in ihrer (relativen) Autonomie sowie – besonders interessant – in ihrer globalen Dimension, z.B. als Weltpolitik, Weltwirtschaft, Weltreligion(en), etc. wahrgenommen. Hierbei nötige kontextuelle Anschlussfähigkeiten verschafft dabei ein auch die individuelle Religionsfreiheit umfassender neuer Menschrechtsbegriff.
Vgl. z.B. Vanderstraeten 1999, Horstmann/Liedhegener 2001. Vgl. zum Begriff des Ultramontanismus Conzemius 2002, Ebertz 1993a, 1987, 1980, Gabriel 1980, Pottmeyer 1975, Raab 1962. 100 Die Definition in Nell-Breuning 1960 lautet: »Integralismus ist der Name für einen rel.[igiösen] Totalitarismus, der aus dem Glauben (allein) die Antwort auf alle Fragen des privaten u.[nd] des öff.[entlichen] Lebens entnehmen will, folgerecht den verschiedenen Kultursachgebieten nicht nur die absolute, sondern auch eine relative Eigenständigkeit abspricht u.[nd] sie (oder mindestens die Betätigung der Gläubigen in diesen Bereichen) grundsätzlich der potestas directa der Kirche unterstellen will.« 98 99
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Mit diesen detailliert anzuzeigenden Neubewertungen ändert sich auch das bisher treffend mit Intransigenz 101 beschriebene Kirche/Welt-Verhältnis. Vormalige ›Unversöhnlichkeit‹, in gewisser Weise auch Selbstexklusion, scheint nun überwunden und statt dessen ein neuer Inklusionsmodus gefunden. Dadurch, dass Kirche von ihrem omnipotenten Selbstverständnis ablässt und sich selbst primär auf den religiösen Kommunikationszusammenhang beschränkt, wird sie zu einem Teil der funktional differenzierten Weltgesellschaft, anstatt wie bisher zu ihrem ›Gegenteil‹. Die Umstellung in der Selbstbeschreibung von Gesellschafts- auf Gemeinschaftssemantik, die Ersetzung des Selbstverständnisses als einer societas perfecta102 durch die neue communio-Theologie ermöglicht neue ›Verweltgesellschaftung‹ durch ›Verweltgemeinschaftung‹. Diese Überlegungen stehen als Erkenntnisinteresse der folgenden Untersuchung voran und haben sich dort zu erweisen. Doch zunächst gilt es, die hinter der These von einer neuen Verweltgesellschaftung oder Globalisierung des Katholizismus stehenden Theorieentscheidungen offenzulegen. 1.4 Weltgesellschaftstheorie Nachdem hermeneutische Fragestellungen als ein eigenes Thema des kirchlichkonziliaren Rezeptionsprozesses vorgestellt wurden, ist an dieser Stelle ein weiteres Mal auf diesen Typ Metareflexion zurückzukommen. Gleichsam in einer Beobachtung dritter Ordnung geht es darum, einleitend zu klären, welcher Art die vor allem soziologisch disziplinierte ›Fremdbeschreibung‹ sein soll, mit der dann im Sinne einer Beobachtung zweiter Ordnung jenen vorrangig innerkatholischen und deswegen meist theologisch formulierten ›Selbstbeschreibungen‹ von Konzil und seinem Rezeptionsprozess begegnet werden wird. 103 Der im Folgenden dargestellte und zwischen Interdisziplinarität und Transdisziplinarität104 changierende methodische Ansatz ist nicht zuletzt durch den Gegenstand der Analyse legitimiert, da das Konzil selbst, d.h. in seinem Geschehen wie in seinen Texten, die klassischen theologischen Fragestellungen transzendiert. Karl GaEs ist auffällig, dass es dieser Begriff weder in der zweiten noch in der aktuellen dritten Auflage zu einem Eintrag ins LThK gebracht hat. Er kommt aber in der ›Alberigo-Geschichte‹ vor und bedeutet ›Unversöhnlichkeit‹. 102 Dieser in der Neuscholastik wieder aufgegriffene Begriff wird häufig auf Bellarmin (1542-1621) zurückgeführt. Vgl. dafür Dietrich 1999, v.a. S. 325ff, sowie besonders umfangreich für das katholische Staatsdenken von der Französischen Revolution bis zum II. Vatikanum Uertz 2005. 103 Vgl. dazu auch Kieserling 2004. 104 Vgl. zur wissenschaftsinternen Differenzierung in Disziplinen und deren Integration den frühen Aufsatz von Stichweh 1979. Die unterschiedlichen Konzepte von Inter-, Trans-, Multidisziplinarität etc. werden neuerdings in einer ausführlichen Studie von Balsiger 2004 diskutiert, vgl. v.a. S. 133188. In den 1980er Jahren hat sich auch Franz-Xaver Kaufmann mit der Thematik interdisziplinärer Wissenschaftspraxis beschäftigt, vgl. hierzu Kaufmann 1983 sowie 1987. 101
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briel bringt diesen Befund in einem hermeneutische Fragen diskutierenden Beitrag auf folgende Formel: »Die konziliare Pragmatik erzwingt für die katholische Kirche zum ersten Mal eine differenzierte, zwischen Gefährdungen und Potentialen unterscheidende Gegenwartsanalyse moderner Gesellschaftlichkeit.« 105 Für ein auch theoretisch angemessenes Verständnis dieses Zusammenhangs charakterisiert Gabriel zunächst das speziell geistesgeschichtliche Umfeld des Konzils. Hierbei sei es zu einem zeitlichen Zusammenfall der »konziliaren Öffnung« mit einer lokalen »Entbettung« wichtiger Aspekte des modernen Institutions- und Wertgefüges sowie ihrer Expansion über den ganzen Globus hinweg gekommen. Zu den hieraus resultierenden Herausforderungen gehörten nicht nur die Notwendigkeit einer Neuverständigung hinsichtlich der religiös-pluralen Weltsituation mit der neuzeitlichen Freisetzung individueller Religiosität, sondern auch das Akzeptieren der modernen Ausdifferenzierung eigener ethisch-philosophischer, wissenschaftlicher und öffentlich-medialer Kommunikationszusammenhänge und dortiger Selbstverständigung. Schließlich ist hier das Aufgeben jeglicher Versuche einer Aufrechthaltung des herkömmlichen kirchlichen Anspruchs kommunikativer Kontrolle und Letztlegitimation dieser Prozesse zu nennen. 106 Diese Kontextualisierung kontrastiert Gabriel nun andererseits mit dem spezifischen Konzilsbeitrag derjenigen innertheologischen Disziplin, welche sich für die Registrierung gesellschaftlicher Wandlungsprozesse und theoretischer Durchdringung möglicher »Wechselwirkungen« (Simmel) zuständig erklärt. Dabei fällt das Zeugnis für die zu Konzilszeiten großteils neuscholastisch imprägnierte katholische Soziallehre oder christliche Sozialwissenschaft denkbar schlecht aus, wenn Gabriel an den innersoziologischen Positivismusstreit erinnernd resümiert: »Der Dauerstreit um das Werturteil trennt normativ ausgerichtete Sozialwissenschaften von jenen, die sich auf das wissenschaftliche Erklären beschränken möchten. Eine direkte inhaltliche Wertbindung – so wird man formulieren können – bringt die Sozialwissenschaften um ihr Potential an Wirklichkeitserschließung. Dies läßt sich an der katholischen Soziallehre etwa zeigen, insofern sie sich als eine direkt wertgebundene Sozialwissenschaft versteht. Es ist kein Zufall, daß die katholische Soziallehre sich dort auf ganzer Linie für die konziliare Intention als unbrauchbar erwies, wo es dem Konzil um die Erschließung der modernen gesellschaftlichen Wirklichkeit in ihren historischen Bezügen ging. Die Soziallehre zeigte sich geradezu als ein Hindernis, jenseits ihrer aus überzeitlich gedachtem sozialen Sein abgeleiteten Sollensaussagen etwas von der bestimmenden Wirklichkeit moderner Gesellschaftsentwicklung erkennbar zu machen. Wie das Beispiel der traditionellen katholischen Soziallehre verGabriel 1998. »Auf dem sicheren Boden der neuscholastischen Semantik wurden Ersatzdiskurse inszeniert, in denen die modernen ›Gegner‹ vorgeführt und einem Prozeß kognitiver Degradierung unterzogen wurden. [...] Das Konzil bricht mit der neuzeitlichen katholischen Tradition, die christliche Botschaft als prinzipiell antiemanzipatorische Kraft in Anschlag zu bringen.« Ebd., S. 40. 105 106
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deutlicht, stehen normative Sozialwissenschaften in der Gefahr, interessensbesetztes Immunisierungswissen anzuhäufen und in undurchschaute Funktionszusammenhänge der Stabilisierung sozialer Milieuzusammenhänge hineinzugeraten.« 107 Soweit das Konzil in seinen Formulierungen jene neuscholastischen Immunisierungen hinter sich ließ und statt dessen neue reflexionstheoretische Affinität bewies, zeigen die von ihm eingeführten theologischen Begrifflichkeiten wie »in der Gesellschaftsgeschichte Spuren der Heilsgeschichte finden« oder »die Zeichen der Zeit erkennen« historisch versierte wie soziologienahe transdisziplinäre Weite und eröffnen neue Anschlüsse auch in Richtung Geschichts- und Sozialwissenschaften. Jene transdisziplinären Anknüpfungspunkte können – so die dem Anliegen der Studie zugrundeliegende These – in der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Rezeptionsprozesses, also ex post und reflexiv, fruchtbar gemacht werden, indem sie in einem ersten Schritt in der interdisziplinären Rezeption entschlüsselt und im zweiten Schritt dort jeweils disziplinintern mit den jeweiligen Wissens- und Theoriehaushalten vermittelt werden. Im Rahmen dieser Studie steht dabei eine gesellschaftstheoretisch informierte Soziologie im Vordergrund. Für den ersten Schritt liegt, so Gabriel, auch von »den Intentionen des Konzils selbst« her, Gesellschaft und Kirche in ihren historischen Bezügen zu begreifen, »eine bis in die Methodologie sich auswirkende Kooperation zwischen historischen und sozialwissenschaftlichen Zugängen nahe.«108 Diesem Kooperationsvorschlag wird im Folgenden nachgegangen; da es aber aus Kapazitätsgründen unmöglich ist, umfangreiche eigene historische Forschungen zu betreiben, wird hierfür auf die Texte des Konzils selbst und, im Sinne einer ›Metastudie‹, neben zeitgenössischen und neueren Kommentierungen109 besonders auf die mit dem ›Alberigo-Projekt‹ angezielte neue historische Darstellung des Zweiten Vatikanums zurückgegriffen. Die dort gezeitigten Ergebnisse werden dann als Material einer ›Zweitauswertung‹ zugeführt. Diese ›Vorarbeiten‹ erlauben es, ohne eigene Grundlagenforschung gleich generalisierend, differenzierend und spezifizierend in die soziologische Auswertung übergehen. Dabei geht es uns nicht primär darum, »fremde Wörter vertraut [zu] machen, sondern umgekehrt vertraute fremd« 110, d.h. das Potenzial einer soziologischen Perspektive für eine innovative »Abklärung der Aufklärung« 111 zu nutzen. Was also die andere, die Ebd., S. 45f. Ebd. 109 Vgl. die von internationalen Autorenkollektiven erarbeiteten und vielsprachig übersetzten Kommentare Baraúna 1966, 1966a, 1967 (zur Kirchenkonstitution Lumen gentium und Pastoralkonstitution Gaudium et spes), die Kommentierungen aller Konzilstexte in den Ergänzungsbände des LThK der 2. Auflage sowie neuerdings den ›Hünermann/Hilberath-Kommentar‹ (HthK-VatII). 110 Kieserling 2004, S. 293. 111 Vgl. Luhmann 1970/2005. 107 108
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sozialwissenschaftliche Dimension angeht, erscheint auch Gabriels darüber hinausgehender Vorschlag aufschlussreich, für die ›Zweitauswertung‹ die verschiedenen Emergenzniveaus des Sozialen112 als eigenständige Analyseebenen fruchtbar zu machen. Bei der Beschreibung des mit dem Konzilsprozess113 einhergehenden Wandels soll also gleichermaßen auf Gesellschafts-, Institutions-, Organisations, Interaktions- und Individualebene abgestellt werden. 114 Damit zum zweiten Schritt, der disziplininternen, innersoziologischen Vermittlung: Die neuerlich starke Thematisierung des Konzils unter ›Globalisierungsvorzeichen‹ soll zum Anlass genommen werden, den Gegenstand der Studie in den Kontext soziologischer Weltgesellschaftsforschung zu stellen. Für die religions-, christentums- nicht zuletzt kirchensoziologische Forschung im Allgemeinen115 und die wissenschaftliche Rezeption des Konzilsgeschehens im Besonderen war im Gegensatz dazu lange Zeit »Modernität« das Paradigma.116 Doch bereits Ende der 1990er Jahre stellte Franz-Xaver Kaufmann fest, dass die Modernitätssemantik durch eine neue Semantik, und zwar der Internationalisierung und Globalisierung, verdrängt werde. Für die Rekonstruktion des Verhältnisses von Katholizismus und Globalisierung formuliert er gleichsam programmatisch, die Kirche müsse erfahren, »dass dieses entstehende globale Bewusstsein sie selbst als ein partikuläres Moment definiert, und zwar im doppelten Sinne einer Partikularität des Religiösen mit Bezug auf die Zukunftsperspektiven der Menschheit und einer Partikularität des Christlichen bzw. Katholischen mit Bezug auf das Religiöse.« 117 Der Soziologe bringt hier beide entscheidenden Momente der katholischen Globalisierung, die in Bezug auf das Konzil expliziert werden sollen, zum Ausdruck: Globalisierung als ein qualitativer Prozess, der über eine rein quantitative weltweite Expansion hinausgeht, bedeutet für die Kirche einerseits die Auseinandersetzung damit, dass moderne Gesellschaft sich primär und zunehmend funktional differenziert. Andererseits gibt es aber auch ein wachsendes Bewusstsein einer eigenen katholischen Partikularität in Bezug auf das allgemein Religiöse. Wenn hier also in Bezug auf den Katholizismus von Globalisierung in einem qualitativen Sinn gesprochen wird, wird es immer auch um diese doppelte Relativierung gehen. Vgl. zur Soziologie des Emergenz-Begriffs Heintz 2004. Vgl. den zeitgenössischen Titel von Waltermann 1966 »Konzil als Prozeß«. 114 »Die besondere Bedeutung der Soziologie für das II. Vatikanum dürfte eine nicht unerhebliche Ursache darin haben, daß sie – zumindest in der Konzilsphase – am ehesten in der Lage war, Denkund Analysemöglichkeiten für den Übergang zu einer Weltgesellschaft wie zu einer Weltkirche bereitzustellen.« Gabriel 1998, S. 43. 115 Z.B. Kaufmann 1989 und Gabriel 1992. 116 Z.B. Kaufmann/Zingerle 1996, neuerdings auch wieder Kreutzer 2006. Vgl. zu Themen und Forschungsstand deutschsprachiger Religionssoziologie auch Ebertz 1997a, Gabriel 2000c, WohlrabSahr 2000. 117 Vgl. Kaufmann 1998, S. 30. Die Globalisierung des Katholizismus thematisiert beispielsweise für den nordamerikanischen Bereich auch Casanova 2001. 112 113
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Damit zum Globalisierungsbegriff selbst sowie zu seinem theoretischen – im Unterschied zum alltagssprachlichen – Gebrauch: Der Ausdruck ›Globalisierung‹ hatte vor der eben geschilderten Verwendung in der Religionssoziologie bereits eine sprunghafte Karriere als ›Modewort‹ Anfang der 1990er Jahre sowohl in der Öffentlichkeit als auch im sozialwissenschaftlichen Diskurs hinter sich. Der Begriff ›Globalisierung‹ wurde durchgehend konzeptionell unterschiedlich und regelrecht inflationär verwendet, mal als empirisches Phänomen, mal als Erklärungsmuster.118 Was ist unter Globalisierung zu verstehen? Globalisierung sei als Begriff im Singular erfunden und in die Kommunikation gebracht worden, wie Hartmann Tyrell ausführt, als die Globalisierung, die sich gegen ihren Gegen- und Feindbegriff, den Nationalstaat, wende, diesen unterlaufe und überwinde.119 Im ideologischen, neoliberal-politischen Sprachgebrauch gehe es auch weiterhin mit der Globalisierunsgsformel als Legitimationsfigur um den Abbau wohlfahrtstaatlicher Strukturen angesichts vermeintlicher Standortnachteile. In einem zunehmend weltwirtschaftlichen Wettbewerb erfordere die (wirtschaftliche) Globalisierung wie ein ›Naturgesetz‹ eine Homogenisierung regionalpolitischer Unterschiede. Doch neben solchen, teilweise stark vereinfachenden, unterkomplexen Sprachgebräuchen gibt es für den Soziologen, so Tyrell, eine differenziertere, nämlich die Pluralverwendung des Begriffs. Dabei gehe man von einer Mehrzahl von Globalisierungen aus, welche, nun jeweils mit dem Possessivpronomen verbunden, etwas Bestimmtes im Auge haben, nämlich eine Globalisierung dieses oder jenes speziellen Sachverhaltes. Eine Wortverwendung in diesem Sinne mache diverse heterogene und grenzüberschreitende Bewegungen nach außen, Ausdehnungen von Reichweiten, Netzverdichtungen und zunehmende Interdependenzen auch in ihren Einzigartigkeiten begreifbar. Und schließlich kann man mit einem solch pluralistischen Globalisierungsbegriff auch den speziellen Pfad der Globalisierung des Katholizismus im Unterschied zu anderen gesellschaftlichen Phänomenen beschreiben und sogar diverse einzelne Dimensionen dieses Prozesses herausdestillieren: Über den Fall der religiösen Globalisierung des Katholizismus hinaus sind dann auch seine politische, wirtschaftliche etc. Globalisierung zu thematisieren. Der flüchtige Blick in die Konzilstexte (oben) zeigte bereits, dass dort durchweg von »zunehmend weltweiter Verflechtung«, »Menschheitsfamilie« und Ähnlichem die Rede ist. Diese in den 1960er Jahren für die Zeit- und Gesellschaftsdiagnose des Konzils gebrauchte Semantik stellt, so ist rückblickend zu sagen, eine direkte Vorwegnahme von Bedeutungsgehalten von heute als Innovationen präsentierter Globalisierungsbegrifflichkeiten dar. In diesem Sinne ist zu attestieren, dass die Konzilsväter – wohl aufgrund ihrer neuen und ungewohnten 118 119
Dürrschmidt 2002. Tyrell 2005a.
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›Weltkirchenerfahrung‹ beim Konzil – in ihrer gesellschaftlichen Gegenwartsbeschreibung dezidiert und sehr früh ein ausgesprochenes Weltgesellschaftsbewusstsein entwickelten. 120 Wie sehr die Weltgesellschaftsdimension beim Konzil selbst präsent war, zeigt im Übrigen auch ein weiterer ›O-Ton‹, vom noch jungen Konzilstheologen Joseph Ratzinger aus seinem Bericht über die vierte Konzilsperiode: Der Text der dort behandelten Pastoralkonstitution verweise »auf die neue Situation des Menschen, der in einer geschichtlichen Stunde lebt, in welcher der Pluralismus der einzelnen Kulturen immer mehr von der alle gemeinsam erfassenden technischen Zivilisation überdeckt wird, die so zu einer wachsenden Vereinigung der Menschheit führt.« 121 Bezogen auf die primär funktional differenzierte Gesellschaft reagierende kirchliche Lehre von der Autonomie der irdischen Sachbereiche führt er aus: »Christlich handeln heißt sachgerecht handeln, ohne falsche Direktheit kirchlicher Reglementierung, die dem Eigenanspruch der Dinge und der Differenz zwischen Kirche und Reich Gottes widerspräche, aus der die Vorläufigkeit des Kirchlichen und die Begrenzung seiner innerweltlichen Kompetenz resultiert.« 122 Schließlich kommen sogar die globalen Ausmaße des weltgesellschaftlichen Teilbereichs Religion in den Blick: Die neuentdeckte globale Dimension wirkt sich über die direkten Konzilsteilnehmer auch auf der Ebene ihrer theologischen Berater aus, welche für die wissenschaftliche Rezeption des Ereignisses und seiner Textergebnisse internationale Zeitschriften gründen, die weltweit in den verschiedenen Hauptsprachen erscheinen. Daneben entstehen anhaltend internationale wie mehrsprachig übersetzte Publikationen, die die Konzilsberatungen nun in Kommentarform kontinuieren. So Rahner und Schillebeeckx im Vorwort der ersten Ausgabe von Concilium über die neue Zeitschrift, die hinsichtlich der neuen Fragen neue Antworten in allen theologischen Disziplinen durch eine »überall auf der Erde« vertretenen Fachtheologen geben will und so »in jeder Hinsicht ›katholisch‹ sein will«. »In dieser Zeitschrift soll die Theologie eines jeden Landes der anderer Länder zu ihrer Entwicklung helfen. [...] Deshalb will die Zeitschrift in einer besonderen Weise auf dem zweiten Vatikanischen Konzil weiter aufbauen«. Rahner/Schillebeeckx 1965, 1.2. So sind dort hinsichtlich der neuen katholischen Selbstbeschreibung u.a. der Franzose Congar 1965 mit einem Beitrag über die »Kirche als Volk Gottes« und der Deutsche Ratzinger 1965a über den neuen Kollegialitätsbegriff des Konzils vertreten. Der Italiener Alberigo 1965 reflektiert mit Zeitbezug über eine Neubewertung der auf dem Konzil von Trient aufbauenden Tradition. Der Niederländer Schillebeecks 1965 bringt unter der Überschrift »Kirche und Menschheit« vor allem das neue Globalitätsbewusstsein zum Ausdruck und der Franzose Aubert 1965a thematisiert aus Historikerperspektive unter dem Stichwort »Religionsfreiheit« den katholischen Bezug zur politischen und religiösen Umwelt. Interessant ist, dass im zehnten Jahrgang in einem religionssoziologischen Schwerpunktheft dieser Zeitschrift die theologischen Fachgrenzen auch durch einen Beitrag von Luhmann 1974 über die »Institutionalisierte Religion gemäß funktionaler Soziologie« überschritten werden. Bereits auf den postkonziliaren Rezeptionsprozess reagierend entsteht 1972 eine weitere internationale Zeitschrift, die angesichts sich abzeichnender Polarisierungen einen neuen Ansatz versucht: »Mit der Fixierung einer ›Linie‹, der Kursfestlegung ›Mitte‹ oder ›Links‹ oder ›Rechts‹ ist einer solcher Ansatz nicht zu gewinnen. Er kann nur ›Oberhalb‹ des großen Feldes liegen, in welchem sich die Fronten heute begegnen.« Greiner 1972. Vgl. dazu auch die Beiträge »Communio – Ein Programm« von Baltharsar 1972 und »Credo ... Sanctorum Communionem« von Lubac 1972. 121 Ratzinger 1966, S. 45. 122 Ebd., S. 48. 120
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»Wenn es schon Tatsache ist, daß die Bewegungsrichtung der menschlichen Geschichte unaufhaltsam auf die Vereinigung der Menschheit zugeht, dann darf diese Vereinigung nicht bloß Vereinigung in Wirtschaft und technischer Verrichtung sein, sie muß Vereinigung im Eigentlichen des Menschen werden, Einheit des Geistes und so wiederum Einheit in dem, worin der Geist sein Höchstes hat: seiner Stellung zu Gott.« 123 Genau dieses vergleichsweise frühe Weltgesellschaftsbewusstsein muss zumindest als empirisches Phänomen im Kontext der Vorgeschichte zur soziologischen »Entdeckung der Weltgesellschaft« Berücksichtigung finden, welche bereits zwei Jahrzehnte vor dem geläufigen Globalisierungsdiskurs stattfand und die, theoriegeschichtlich gesehen, an die Entwicklungs-, Dependenz- und Modernisierungstheorien der Nachkriegszeit anschloss. 124 Bereits in den 1970ern entstanden also im soziologischen Raum – so zeigen es Jens Greve und Bettina Heintz – unabhängig voneinander in Stanfort unter der Leitung von John W. Meyer, in Zürich durch Peter Heintz und in Bielefeld durch Niklas Luhmann diverse Theorieansätze, die allesamt auf Weltgesellschaft zielen.125 Bei allen Unterschieden hinsichtlich der Gegenstände und Erklärungsabsichten dieser Theorien haben jene drei Parallelentdeckungen ihre Gemeinsamkeit darin, dass sie von einer gegebenen Entwicklung eines globalen Zusammenhangs ausgehen. Mit der Weltgesellschaft ist für sie ein umfassendes System gegeben, welches die Rahmenbedingungen aller anderen sozialen Einheiten und Prozesse vorgibt. Im Unterschied zum Globalisierungsdiskurs der 1990er Jahre ist in den früheren Ansätzen der Weltgesellschaftstheorien die Erklärungsrichtung umgekehrt: Anstatt Monoperspektiven wie Expansionen und Verdrängungen zu beschreiben, wird hier mit gesellschaftstheoretischer Sicht auf das Ganze vornehmlich makrodeterministisch argumentiert. Das heißt, alle sozialen Phänomene gelten als Phänomene der Weltgesellschaft (nicht bloß die Wirtschaft) und es ist gerade die Einheit Weltgesellschaft als eine übergeordnete Ebene, die als theoretischer Bezugspunkt und Vergleichsrahmen Diversitäten und Heterogenitäten auf unteren Ebenen in den Blick bekommen und problematisieren lässt. In der Frage, welches dieser Angebote Referenztheorie der Studie über die konziliare Verweltgesellschaftung des Katholizismus werden soll, ist angesichts des konfliktreich ausgetragenen konziliaren Rezeptionsprozesses die Entscheidung dahingehend gefallen, eine möglichst neutrale Position anzusteuern. Ausschlag für die Wahl der systemtheoretischen Variante von Weltgesellschaftstheorie ist nun einerseits, dass dieser Theorietyp eher deskriptiv als normativ arguEbd., S. 62. An dieser Stelle ist auch auf die nach Abschluss des Manuskripts erschienene erste Sozialenzyklika Benedikts XVI. hinzuweisen, in der er vor allem in Anschluss an Populorum progressio von Paul VI. explizit Globalisierung zum Thema hat. Vgl. zur Diskussion auch Marx 2009 und Bremer 2009. 124 Vgl. Greve/Heintz 2005 sowie Wobbe 2000. 125 Vgl. dazu z.B. Heintz 1982 und Meyer 2005. 123
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mentiert. Andererseits ist von Bedeutung, dass mit ihm sowohl vom Anspruch als auch vom Grad der Ausarbeitung dieser Gesellschaftstheorie her eine regelrechte »Supertheorie« 126 vorliegt, deren Ausdehnung beinahe jeden gesellschaftlichen Gegenstand umfasst. Letzteres korrespondiert auch mit dem thematischen wie quantitativen Umfang der konziliaren Neuorientierungen. Niklas Luhmann, dessen Version von Weltgesellschaftstheorie also in dieser Arbeit begrifflich im Hintergrund steht, stellt in seiner Theorie der Weltgesellschaft auf Kommunikation als sozialer Basiseinheit ab.127 Für ihn ist es bekanntlich die Umstellung der primären gesellschaftlichen Differenzierungsform von Schichtung auf funktionale Differenzierung128 im Zuge des Umbruchs zur modernen Gesellschaft, die aus den benachbarten Gesellschaften im Plural die eine Weltgesellschaft im Singular entstehen lässt. Dabei konstituiere sich Weltgesellschaft in der Moderne mithilfe der modernen Kommunikationsmittel und Verkehrstechniken zumindest als potenziell verwirklichte globale kommunikative Erreichbarkeit. Außerhalb des denkbar umfassendsten Kommunikationszusammenhangs Weltgesellschaft kann es Luhmann zufolge keine Sozialität mehr geben und, was für diesen Zusammenhang interessant ist, eben auch keine religiöse.129 Zugleich ist ›Luhmanns Weltgesellschaft‹ ausgesprochen dezentral: Die verschiedenen gesellschaftlichen Funktionssysteme werden dabei als thematisch spezialisierte, also als wirtschaftlicher neben dem rechtlichen, politischen, sportlichen, touristischen etc. Kommunikationszusammenhänge begriffen. 130 In der modernen Gesellschaft ist es Sache des Individuums als Außenstehendem, in seiner Biografie seine jeweiligen Inklusionsmodi in die verschiedenen Funktionssysteme kohärent zu verbinden. 131 Die Funktionssysteme spannen weltweite Sinn- und Vergleichshorizonte auf, denen sich unabhängig von regionalen UnterLuhmann 1984, S. 19. Luhmann 1971. 128 Funktionale Differenzierung markiert bei Luhmann historisch den Endpunkt einer Entwicklung von zunächst primär segmentär und dann stratifikatorisch differenzierten Gesellschaften. Daneben sind eine Reihe weiterer Unterscheidungen möglich wie nach Zentrum/Peripherie, Inklusion/Exklusion etc. Tyrell 1998 identifiziert in seinen soziologischen Anmerkungen zur Differenzierungstheorie »Teilung«, »differentiation from« und »Ausdifferenzierung« als drei Varianten in der Rede von Differenzierungen: (1) ein Ganzes teilt sich in seinem Inneren zu verselbständigten und gegeneinander qualitativ heterogen gewordenen Teilen mit der Kehrseite erhöhter Interdependenz (z.B. funktionale Differenzierung); (2) Prozesse der Trennung und Interdependenzunterbrechung hin zu einer höheren Autonomie heterogen spezialisierter Systeme; (3) als Ausdifferenzierung/Systembildung innerhalb von Systemen, wobei die jeweiligen Systemreferenz zu beachten sind. 129 Religion ist nur innergesellschaftlich, das registriert auch die Pastoralkonstitution Gaudium et spes als »Kirche in der Welt von heute«. 130 Vgl. zum System der Religion Luhmann 1977, 2000; Tyrell/Krech/Knobloch 1998 und Stichweh 2001. 131 Vgl. zum Thema Individualisierung Gabriel 1996 und 2006. In diesem Zusammenhang soll jedoch weniger der Nachfrageseite als vielmehr der Angebotsseite in Form institutionalisierter Kirchlichkeit des Katholizismus Raum gegeben werden. 126 127
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schieden einzelne Kommunikationen zuordnen lassen. Religiöses ist dabei nichts Außergesellschaftliches oder, weil es auch ›Außerirdisches‹ thematisiert, Irrationales, Unmodernes und deswegen weltgesellschaftlich in der Defensive Stehendes. Stattdessen finden religiöse Kommunikationen in einem eigenen, eben dem gesellschaftlichen Teilbereich Religion, Anschluss.132 Von der abgrenzbaren Einheit dieses Kommunikationszusammenhangs schließt Luhmann aber nicht auf die Entwicklung einer global einheitlichen Weltreligion, vielmehr prognostiziert er einen Zuwachs an innerreligiöser Diversität in der Weltgesellschaft.133 Dieser Vielfalt muss sich besonders in der Weltgesellschaft eine ›sich globalisierende‹ katholische Kirche stellen. Der sich entlang der Unterscheidung Transzendenz/Immanenz134 fortsetzende gesellschaftliche Kommunikationszusammenhang Religion entwickelt kulturell höchst unterschiedliche Ausformungen, so dass es religionswissenschaftlich nicht gelingt, einen einheitlichen Religionsbegriff zu bilden.135 Für diese Untersuchung steht deswegen die Frage im Vordergrund, wie das Konzil mit der christlich geprägten Version dieser Unterscheidung auf die anhaltend innerreligiöse und kulturelle Pluralität strukturell wie semantisch reagiert, wie also die Heil/Unheil-Verteilung ausfällt: Die Beschreibung der religiösen Globalisierung des Katholizismus (wie auch der anderen Dimensionen) muss somit die Dynamik jener Spannungseinheit von eigener Identifikation mit der Universalität des Erlösungsversprechens Christi auf der einen und faktischer Partikularität als eine unter anderen Kirchen, kirchlichen Gemeinschaften und Religionen auf der anderen Seite thematisieren. Bezüglich ihres Explanandums lehnt sich die Studie nicht zuletzt an die Definition eines frühen Beitrags Karl Gabriels an und betrachtet als Katholizismus »jene Sozialform der Christentumsgeschichte, in der die katholische Tradition ihre traditionelle Identität und Selbstdeutung innerhalb einer Gesellschaftsformation aufrecht erhält, die auf funktionaler Differenzierung, Organisationsbildung und gesellschaftlicher Entobjektivierung religiös-weltanschaulicher Deutungssysteme beruht.« »Über das Registrieren der empirischen Tendenzen einer Auflösung des Katholizismus als ungebrochener Einheit von Bürokratisierung, Sakralisierung der Organisationsstruktur und sondergesellschaftlicher Formierung hinaus, sprechen einige Gründe für eine wachsende gesellschaftstheoretische Unwahrscheinlichkeit eines Fortbestandes des Katholizismus als Sozialform der Christentumsgeschichte.« 136 Dieser skeptischen ZukunftsVgl. zur Genese der Medienvielfalt religiöser Kommunikation Tyrell 2002, dargestellt anhand eines historischen Vergleichs innerhalb jüdisch-christlicher Tradition. 133 Luhmann 2000. 134 Luhmann 1987. 135 Einen synthetisierenden Überblick über den Religionsbegriff in den verschiedenen wissenschaftlichen Verwendungen gibt Pollack 1995. 136 Gabriel 1980, S. 212.222. 132
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prognose, die vor allem auf den europäischen Kontext bezogenen ist, wird hier in einer weltgesellschaftlichen Perspektive entsprochen: Als Explanans wird einerseits ein mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil einhergehender Wandel vom ultramontan-eurozentrischen zum weltkirchlichen Katholizismus herausgestellt, andererseits aber am Begriff des Katholizismus als einer fortgesetzt sozial evoluierenden Wissens- und Glaubensform (Konfession) festgehalten. Systemtheoretisch gewendet geht es dieser Arbeit um die für den Katholizismus in Bezug auf das Konzil zu explizierende spezifische Einheit von Variation (vorkonziliare Bewegungen, alternative Theologien)137 , Selektion (Konzil als Entscheidungsmechanismus) und Stabilisation (Rezeption)138 , wobei besonders die konziliaren Entscheidungen semantisch in den Blick genommen werden sollen. Niklas Luhmann hat Ansätze seiner Weltgesellschaftstheorie zwar früh expliziert, diese sind aber vom Umfang seiner sonstigen Forschung her gesehen eher randständig geblieben. Der Luzerner Soziologe Rudolf Stichweh macht diese Theoriekonzeption auch dadurch für empirische Forschungen anschlussfähig, indem er spezifische weltgesellschaftliche Eigenstrukturen als Erfindungen der modernen Gesellschaft identifiziert. Als eine solche Eigenstruktur ist für das Zweite Vatikanum besonders die Struktur des Weltereignisses relevant. 139 Mit dem Begriffsangebot »Weltereignis« kann man auch die mit dem Konzil verbundene Prozesshaftigkeit einsichtig machen: Die aus vorkonziliarer Perspektive unwahrscheinliche Konzilsdynamik wird durch »Kommunikation unter Anwesenden« 140 ausgelöst. Das Weltereignis bietet ein Forum für weniger kontrollierbare und so im Effekt innovativere globale Interaktionsprozesse unter den Konzilsteilnehmern. Über die Passgenauigkeit des Zweiten Vatikanischen Konzils mit der Analysekonstruktion ›Weltereignis‹141 hinaus legen mindestens vier weitere Gründe eine Anlehnung an diese zunehmend elaborierte Version von Welt-
So z.B. Bibelbewegung, liturgische und patristische Bewegung, Diakonatsbewegung, Jugendbewegung etc. Die progressiven, nicht zum Mainstream gehörenden und in vorkonziliarer Zeit eher gemiedenen Theologen waren als Periti unter den Bischöfen nun viel stärker gefragt als die Konservativen, vgl. Raguer 2000, S. 205. 138 Dass diese dritte Dimension des Schemas Antizipation/Konzil/Rezeption harmonisch verläuft, soll damit nicht gesagt werden. Vielmehr werden im Rezeptionsprozess nur bestimmte Angebote des Konzils durch Inkorporierung kirchlich stabilisiert und andere eben weiter problematisiert, was dann neuerlicher Anlass für Variationen sein kann. Man könnte von diesem Zusammenhang, auf die Zentrum/Peripherie-Differenz abhebend, aber auch von einem zweistufigen Selektionsprozess reden. Zuerst entscheidet das Zentrum, dann wird an der Peripherie über das Ergebnis des Zentrums entschieden, bis wieder genügend Anlass für erneute zentrale Problematisierungen entsteht. Da wir in unserem Zusammenhang aber mehr die zeitliche Perspektive des Ereignisses einnehmen, unterscheiden wir die drei Phasen vorher/Ereignis/nachher. 139 Vgl. dazu Kapitel 2. 140 Vgl. Kieserling 1999, darüber hinaus verweise ich nochmals auf Waltermann 1966. 141 Vgl. auch Pottmeyer 2007. 137
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gesellschaftstheorie als begrifflichem Hintergrund für die Beschreibung und Erklärung der religiösen Globalisierung des Katholizismus nahe:142 Erstens ist das noch von Papst Johannes XXIII. in seiner Eröffnungsansprache angeregte und von dem belgischen Kardinal Suenens dann in der Debatte vertretene Organisationsprinzip für die Konzilsarbeit zu nennen, und zwar die konzilseigene Unterscheidung der Perspektiven ad intra und ad extra. Diese Differenzierung zwischen Fremd- und Selbstreferenz in der Selbstbeschreibung entspricht der für Soziologen nicht nur in Grenzfragen aufschlussreichen Unterscheidung System/Umwelt: Was unterscheidbar ist, kann auch aufeinander bezogen werden. In diesem Sinne steht neben dem Weltereignis des Konzils vor allem der dort neu formulierte gesellschaftliche Integrationsmodus (»Kirche der Weltgesellschaft«) im Vordergrund dieser Studie. Zweitens war die durch vorkonziliare Bewegungen thematisch vorbereitete konziliare Neuorientierung an frühchristlichen Beständen des Neuen Testaments und der Patristik der Motor des innerkirchlichen Reformprozesses. Für die Frage, welche Traditionsressourcen aktualisiert wurden, sind auch die Ergebnisse einer quantitativen Untersuchung über den semantischen Konzilshaushalt von Giuseppe Alberigo aufschlussreich: »Unter Zugrundelegung der Konzilsausgabe Conciliorum Oecumenicorum Decreta, Bologna 31973, beträgt der Umfang der Beschlüsse des Vaticanum II 30% aller Konzilstexte der Geschichte zusammengenommen. Die Schriftzitationen des Vaticanum II betragen 51% der Bibelzitate aller Konzilien zusammen (1364 von 2633). [...] Die Patristischen Zitationen in allen Konzilien belaufen sich auf 471, davon finden sich 286 in den Texten des Vaticanum II, was einer Quote von 60% entspricht.« 143 Diese Selbstreflexion ad intra auf die Traditionsressourcen des christlichen Anfangs entspricht im systemtheoretischen Jargon dem Konzept der »Selbstreferentialität«. Drittens ist in Bezug auf die Ebene der Gesellschaft das beim Konzil neu erarbeitete Umwelt- und Gesellschaftsverständnis von enormer Bedeutung, das nunmehr aufgrund der Anerkennung der relativen Autonomie »weltlicher Sachbereiche« (GS 36, 76) funktionaler Differenzierung Rechnung trägt.144 Die verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereiche werden ad extra in ihren globalen Dimensionen wahrgenommen und thematisiert, z.B. Politik als Weltpolitik oder Wirtschaft als Weltwirtschaft. Hiermit einhergehend wird aber auch ein eigener
So bezieht sich z.B. Hoping 1998 hinsichtlich »Pragmatik und Programmatik des II. Vatikanums im Kontext der Globalisierung« direkt auf Luhmann. Es gibt darüber hinaus eine Reihe theologischer Arbeiten, die sich intensiv mit dem ›luhmannschen‹ Ansatz von Systemtheorie befassen: z.B. Dallmann 1994, Guggenberger 1998 und Hafner 2003. Da unsere Untersuchung aber vorrangig empirisch angelegt ist, sollen diese Literaturen nicht weiter diskutiert werden. 143 Alberigo 1985, S. 315. 144 Vgl. auch Kaufmann 1996, S. 28. Vgl. zur funktionalen Differenzierung als Herausforderung und Chance für Religion und Kirche auch Karle 2001. 142
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kirchlicher Funktionsverlust realisiert und in Richtung der Gesellschaft eine »Verweltlichung der Welt« zugelassen.145 Und viertens kann eine Analyse des Weltereignisses Zweites Vatikanum, welche die spezifische Globalisierung des Katholizismus explizieren will, heuristisch von einem weiteren systemtheoretisch-begrifflichen Differenzierungsangebot profitieren, nämlich der Ebenenunterscheidung Interaktion, Organisation und Gesellschaft.146 Eine in dieser Weise analytisch-deskriptive Sichtweise kann vielleicht auch zur Entschärfung des eingangs erwähnten Konflikts um die richtige Konzilsrezeption, konkret dem aufgekommenen Vorwurfs eines gegeneinander Ausspielens von »Geist« und »Buchstabe«, beitragen. Globalaussagen auf Gesellschaftsebene werden fundiert durch die Verbindung mit einer Reflexion über tieferliegende Meso- und Mikroprozesse. 147 Mit der vorliegenden Studie wird im Rahmen der Debatte um eine angemessene Konzilshermeneutik ein globalisierungstheoretischer Ansatz favorisiert und dieser Vorschlag mithilfe einer breit angelegten empirischen Analyse belegt.148 Dabei sollen Einseitigkeiten vermieden werden, wie sie in der häufig nach dem ›entweder-oder-Muster‹ geführten Auseinandersetzung um den Geist und den Buchstaben des Konzils vorkommen. Ereignisdimension und formales Ergebnis des Konzils werden gleichermaßen berücksichtigt. Wenn es also im Folgenden um Topografie geht, ist dies gleich in einem doppelten Sinne gemeint. Einerseits geht es um einen Überblick über den Aufbau der Arbeit, andererseits um die Ausrichtung der verschiedenen textlichen Konzilsergebnisse. Ausgehend von den vier gewichtigen Konstitutionen im Zentrum des Geschehens konkretisiert sich der konziliare Wandel in einer Reihe von Dekreten und Erklärungen, die mehr oder weniger eindeutig der konziliaren Umweltbeschreibung des Katholizismus (ad extra) sowie der nunmehr weltkirchlichen Selbstbeschreibung (ad intra) zuzuordnen sind.
Hier geht es besonders um das Verhältnis von Katholizismus zum weltgesellschaftlichen Funktionssystem Religion. Vgl. darüber hinausgehend zur Säkularisierungsdebatte auch Gabriel 2003. 146 Vgl. Luhmann 1975. Wie Tyrell 2005, S. 38 feststellt, operiert Luhmann mit dieser sozialen Differenzierung in einem Beitrag erstmals über die Organisierbarkeit von Religion, vgl. Luhmann 1972. 147 Vgl. auch den alternativen Vorschlag einer Ebenendifferenzierung in Gabriel 1998, S. 43ff. 148 Für einen Überblick über die diversen Ansätze zur Konzilshermeneutik vgl. neuerdings Bredeck 2007, S. 82-127. 145
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Die Kirche der Weltgesellschaft
Abbildung 1:
Die in der Studie gewählte Aufstellung der Konzilstexte ad intra
ad extra Medien (IM)
Laien (AA) Bischöfe (CD)
Ökumene (UR)
Ostkirchen (OE) Kirche (LG)
Priester (PO) Liturgie (SC)
Priesterausbildung (OT)
Pastoral (GS)
Religionsfreiheit
Offenbarung (DV)
Orden (PC)
Christliche Erziehung (GE)
Mission (AG)
Nichtchristlliche Religionen (NA)
Textgattungen (fett: »Konstitutionen«; kursiv: »Dekrete«; normal: »Erklärungen«)149
Der Aufbau der Studie profitiert also einerseits von der Ebenenunterscheidung (Interaktion, Organisation, Gesellschaft) und profiliert im Zugriff der Kapitel zwei bis sechs den Interaktionszusammenhang des Weltereignisses des Zweiten Vatikanischen Konzils. Im Zugriff der Kapitel sieben bis zehn wird dann andererseits vor allem anhand funktionaler Differenzierung die mit der konziliaren »ad extra«-Beschreibung einhergehende Globalisierung des Katholizismus nachvollzogen. Nach Joseph Ratzingers Bericht über die erste Sitzungsperiode sei die eigentliche Frage, die diesbezüglich im Hintergrund der Konzilsdiskussionen gestanden habe, ob die antimodernistische Geisteshaltung, die Linie der Abschließung, der Verurteilung, der Defensive bis fast ängstlichen Ablehnung hin fortgesetzt werden solle oder ob die Kirche, nachdem die nötige Abgrenzung besorgt sei, ein neues Blatt aufschlagen und in eine neue, positive Begegnung mit ihren Ursprüngen, mit ihren Brüdern, mit der Welt von heute treten könne. Dadurch, dass sich eine so deutliche Mehrheit des Konzils für die zweite Alternative entschieden habe, sei das Zweite Vatikanische Konzil »zu einem neuen Anfang
149
Rahner separiert in seinem Übersichtsvorschlag außerdem die Dokumente über die kirchlichen Stände. Vgl. Rahner 1966a
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geworden« und »über den Rang einer Fortsetzung des Ersten Vatikanischen Konzils hinausgewachsen; denn Trient und Vaticanum I dienten der abschließenden Bewegung, der Sicherung und der Begrenzung, das gegenwärtige Konzil hat sich auf den Boden des dort geleisteten einer neuen Aufgabe zugewandt.«150 Was macht nun die neue Vergesellschaftung des Katholizismus, die man auch als Verweltgesellschaftung bezeichnen kann, aus?
150
Ratzinger 1963, S. 43f.
2. »Weltereignis Konzil«
Wenn es im Folgenden um das »Weltereignis Konzil« selbst geht, ist zunächst festzustellen, dass diese Bezeichnung dem Zweiten Vatikanum nicht erst ex post aufoktroyiert wird. Vielmehr entstammt der Ausdruck der zeitgenössischen Berichterstattung und beschreibt das journalistisch-intuitiv, was die wissenschaftliche Globalisierungsforschung erst kürzlich auf den weltgesellschaftstheoretischen Begriff gebracht hat. 1 Sofern also zunächst die Empirie und Theorie des Begriffsgebrauchs von »Weltereignis«2 in Bezug auf das Zweite Vatikanische Konzil im Vordergrund steht, wird im Weiteren der theoretische Rahmen auf das empirische Phänomen angewendet. Dies geschieht in dem Sinne, dass mit der Genese des Zweiten Vatikanums und seinen intensiven Vorbereitungsarbeiten ein grundlegendes theoretisches Kriterium für das Vorliegen eines Weltereignisses im Sinne einer weltgesellschaftlichen Eigenstruktur thematisiert wird, liegt doch das Besondere des Weltereignisses als »Erfindung der modernen Weltgesellschaft« in seiner Planung. So wichtig dieser Aspekt für die theoretische Kategorisierung des Untersuchungsgegenstandes ist, so einflussreich wird diese Perspektive auch auf der empirischen Seite des Phänomens sein, denn Vorbereitung geschieht hinsichtlich des Zweiten Vatikanums – wie zu zeigen ist – auf bürokratische wie auf charismatische Weise, was großen Einfluss auf die spätere und eigentlich ereignisinterne Dynamik haben wird. 2.1 Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung Zunächst also zum »Weltereignis« als einer zeitgenössischen Selbstbeschreibung des Interaktionszusammenhangs Zweites Vatikanum: Es ist der spätere Chefredakteur der deutschsprachigen theologischen Wochenzeitschrift »Christ in der Gegenwart«, Manfred Plate, der seinen 1966 bei Herder in Freiburg erschienenen Band mit »Weltereignis Konzil« betitelt, mit ihm ins Konzilsgeschehen einVgl. zu dem von Rudolf Stichweh geprägten Begriff den Band Nacke/Unkelbach/Werron 2008. Etymologisch gesehen stammt der zweite Teil des Kompositums ›Welt-Ereignis‹ von ›Auge‹, ›vor Augen stellen‹, ›eräugnen‹ im Sinne von ›monstrare‹, ›sich erweisen oder zeigen‹ ab und führt in der Verbindung mit dem vorrangestellten ›Welt‹-Begriff zu einer nicht zuletzt ästhetisch konnotierten Semantik im Sinne einer sich bewusstmachenden spezifischen ›Welterfahrung‹. Vgl. dazu die einschlägigen Artikel Grimm/Grimm 1862, Sinn 1972, Lorenz 1980, Pfeifer u.a. 1989. 1 2
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Das Zweite Vatikanische Konzil
führen und neben seiner »Darstellung« auch seinen »Sinn« und sein »Ergebnis« beschreiben möchte. Das Zweite Vatikanische Konzil, das alle erfasst habe, sei ein »Weltereignis gewesen – und ist es noch, indem es nun weiterwirkt in den großen Leib der katholischen Kirche hinein« 3. Das Fernsehen trage dieses Weltereignis in jedes Haus und bei seinem Ende hätten alle gewusst, »wie tief das ›Ereignis Konzil‹ in die Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts eingreift und eingegriffen hat. Das Zweite Vatikanische Konzil war kein äußeres ›Schauspiel‹ gewesen. In St. Peter sind die Konzilstribünen abgebrochen, aber die neue Sprache der Kirche ist geblieben, beginnt den Erdkreis zu durchdringen.« 4 Plate illustriert seine Diagnose mit einer dichten Interaktionsbeschreibung. So ist für ihn von besonderer Bedeutsamkeit, dass die Bischöfe Zeit für »einen ausgiebigen, gründlichen Kontakt untereinander« gehabt hätten, man habe sich einmal mit Kollegen, die gleiche Aufgaben in anderen Situationen zu bewältigen hatten, aussprechen können: »Schon die Sitzordnung in der Konzilsaula, wie oft bemerkt wurde, förderte diesen Kontakt: man saß nicht, wie bei früheren Konzilien, in nationalen Gruppen beisammen, sondern in der Abfolge des Weihedatums. Folge war, daß man oft neben völlig unbekannte Bischöfe aus anderen Völkern und Erdteilen zu sitzen kam, von denen man erst noch Namen und Stellung kennenzulernen hatte.« 5 Auch sei der Horizont dadurch erweitert worden, dass das Weltereignis nicht nur Bischöfe, sondern auch die berühmtesten Theologen der
Plate 1966, S. 11. »In allem muß aber das Innere gesehen werden, das religiöse Ereignis, das auf dem Konzil zum Sprechen gekommen ist«. Ebd. Neun Jahre später legt Plate 1975 einen Band nach, der sich mit der 1971 bis 1975 in Würzburg stattfindenden gemeinsamen Synode der westdeutschen Bistümer befasst, die zur Konzilsrezeption beitragen sollte. Er kontrastiert (global/national) das »Weltereignis Konzil« nun mit dem Titel »Das deutsche Konzil«. 4 Plate 1966, S. 85. 5 Ebd., S. 105. Ebd., S. 105f.: »Unverbindliche Gespräche weiteten sich oft zu fruchtbaren Diskussionen über aktuelle Konzilsprobleme aus, die den eigenen, begrenzten Horizont fast unbemerkt erweiterten. In der Konzilsaula war zur Erholung und Erfrischung bei den Sitzungen (das Gestühl war schmal und unbequem!) ein kleiner Imbißraum eingerichtet worden, in dem man rauchen, Kaffee oder Limonade trinken, ein Sandwich essen konnte. Der Prozeß des gegenseitigen Kennenlernens wurde weiter durch die Tatsache gefördert, daß viele Bischöfe in ihren römischen Unterkünften ebenfalls Seite an Seite mit fremden Konzilsvätern aus allen Kontinenten und Sprachen wohnten, miteinander lebten, beteten und arbeiteten. Jeden Tag fuhr man im gemeinsamen Bus zur Konzilsaula. Neue Freundschaften wurden in all diesen Begegnungen geschlossen, einer führte dem anderen weitere Bekanntschaften zu, ›interessante‹ Männer waren gefragt, Kreise und Gruppen bildeten sich, die viele Probleme miteinander besprachen.« 3
»Weltereignis Konzil«
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katholischen Kirche versammelt habe.6 Und der Journalist vergisst bei seiner Anwesenheitskontrolle nicht, die nichtkatholischen Beobachter zu erwähnen, die zu diesem Weltereignis eingeladen waren.7 Dennoch sind es Plate zufolge vor allem die »publizistischen Mittel«, die das Konzil »zu einem überall diskutierten Weltereignis« gemacht haben: »Pressekonferenzen, Fernsehübertragungen und Rundfunkkommentare gehörten mit zum Konzil.« 8 Denn nicht nur die Welt sei als Publikum durch Presse und Fernsehen von den Geschehnissen in Rom informiert worden, sondern auch umgekehrt hätten die Teilnehmer des Weltereignisses durch die Medien erfahren, was die »Welt wirklich erwarte«. Auch die (äußere) Fremdbeschreibung des Weltereignisses mit den häufig gebrauchten »Fremdwörtern« wie »Dynamik«, »Mobilität« und »Evolution« sei ereignisintern auf vielfältige Resonanz gestoßen. Wenn in diesem und den folgenden Kapiteln bei der Analyse des Zweiten Vatikanischen Konzils fremdbeschreibend mit »Weltereignis« ein Begriff der Globalisierungsforschung verwendet wird, korrespondiert dieser in vielerlei Ebd., S. 107: »Sie waren einfache Priester und durften in der Aula nicht sprechen – aber viele von ihnen waren als ›Periti‹, als Konzilstheologen (auf dem Höhepunkt des Konzils gab es rund 400 von ihnen) zu den Generalkongregationen auf den Tribünen als Zuhörer zugelassen. In den Kommissionen, wo sie ebenfalls nicht mit abstimmen konnten, hatten sie aber doch Sitz und Einfluß als Berater, Berichterstatter, als Ausarbeiter von Texten, Stellungnahmen und Gutachten. Die meisten der Konzilstexte stammen ja nicht aus den Federn von Bischöfen, sondern sind von diesen Theologen erarbeitet worden. Jeder Konzilsvater konnte zudem einen Theologen als persönlichen Berater mit nach Rom nehmen, der zwar nicht in St. Peter hinein durfte, dem er aber alle geheimen Konzilsdokumente aushändigen konnte. Neben diesen konziliaren Kontakten mit der Erneuerungstheologie standen unzählige Begegnungen draußen in Rom, in den Pressezentren, in Versammlungen von informellen Konzilsgruppen, in Vorträgen, Konferenzen, Diskussionen über Konzilsfragen und -themen. Diese Vorträge, manchmal geradezu theologische Vorlesungen, führten tiefer in die behandelte Materie ein. Die Bischöfe hatten Gelegenheit, die erstklassigen Spezialisten für liturgische, biblisch-exegetische, dogmatische, pastorale, historische Fragen zu hören. Sie hatten auch Zeit für diese Vorlesungen, konnten sich ganz dem Studium der neuesten Forschung widmen – was sie in der aktuellen Seelsorgetätigkeit gewiß nicht oft haben! Viele von ihnen hatten vor Jahrzehnten studiert und manchmal den Anschluss an die moderne theologische Entwicklung verloren.« 7 Ebd., S. 109: »Als das Konzil eröffnet wurde, saßen ganz vorne in der Konzilsaula, schräg gegenüber dem Papstthron und in der Nähe des Präsidententisches, rund 40 ›Beobachter‹, die 17 nichtkatholische Kirchen und Gemeinschaften offiziell vertraten oder als persönliche Gäste des Sekretariates für die Einheit geladen waren. In der vierten Session war diese Zahl einschließlich der Stellvertreter auf über 100 angewachsen, die Zahl der vertretenen Gemeinschaften hatte sich auf 29 vermehrt! Diese Beobachter, denen auch die geheimen Dokumente des Konzils zugänglich waren, wurden zu einem entscheidenden Moment der inneren Entwicklung des Konzils.« 8 Ebd., S. 144. »Natürlich war besonders in der Tagespresse, in der öffentlichen Meinung der Aktualität viel Sensation, viel Oberflächliches. Als im Herbst 1062 rund 1000 (!) Journalisten nach Rom zur Konzilseröffnung gingen, wollten sie eben bei dem ›großen Ereignis‹ dabeisein. Aber sie spürten bald, daß hier ›Geschichte‹ gemacht wurde. [...] In vielen Kommentaren der weltlichen Presse blickte man tiefer, als es an diesen Stellen sonst üblich ist, über politische Fragestellung weit hinausgehend, ins Geschichtlich-Theologische hinein. Ganze theologische Traktate konnte man in Tageszeitungen finden.« Ebd., S. 149. 6
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Das Zweite Vatikanische Konzil
Hinsicht mit dem seinerzeit journalistisch benutzten Begriff.9 Im Kontext seiner Forschungen zur Theorie der Weltgesellschaft hat Rudolf Stichweh den Vorschlag gemacht, als Indizien für die Entstehung einer Weltgesellschaft nach Strukturen Ausschau zu halten, die als speziell »weltgesellschaftliche Eigenstrukturen« gelten können und unter anderem das Weltereignis als eine solche ausgemacht.10 Diese ›Erfindung‹ der modernen Weltgesellschaft, für die vor allem das Kriterium der bewussten Inszenierung, des Geplant-Seins in seinem Vorfeld gelte, habe in den mittelalterlichen Kreuzzügen ihre Vorgeschichte und beginne ihre moderne Karriere als Eigenrealität im Sinne einer emergenten Ordnung der entstehenden Weltgesellschaft mit der Londoner Weltausstellung von 1851. 11 Von diesem relativ neuen Typus unterscheidet Stichweh weitere Formen von Weltereignissen und nennt zunächst das ›natürliche Weltereignis‹, wie es beispielsweise im Erdbeben von Lissabon, das bereits Goethe als Weltereignis bezeichnet hatte, oder aktueller in der Tsunami-Katastrophe vorliegt und bei dem außergesellschaftliche Ursachen mit enormer sozialer Resonanz verbunden sind. 12 Eine andere Variante sind die vielfach erst aus einer ex-post-Perspektive zu identifizierenden historisch-politisch-moralischen Weltereignisse wie beispielsweise die Reformation, die Französische Revolution oder der Zweite Weltkrieg. Schließlich wird die Typologie des Weltereignisses durch die epidemischen Medienereignisse komplettiert. 13 Der wichtigste Unterschied des Weltereignisses als Eigenstruktur der Weltgesellschaft zum historischen Weltereignis liege darin, dass seine Artifizialität durch Planung erzeugt werde, dass ihm also bereits im Entstehungsprozess ein konstruktiver Charakter zukomme und nicht erst ex post als Artefakt der Beobachtung. Wenn das Zweite Vatikanum als Weltereignis analysiert werden soll, steht entsprechend eher seine handlungstheoretische Produktion im Vordergrund als seine erkenntnistheoretische Rekonstruktion. Es geht um das Ereignis selbst und weniger um den mit ihm verbundenen Rezeptionsprozess. Zur Rede von einem Weltereignis in diesem Sinne berechtigt das Vorliegen weiterer Merkmale, insbesondere die ereignisinterne ›reflexive Identifikation‹ als einer Erzeugung von Erwartung von Weltbedeutsamkeit und Mitteilung derselben. Darüber hinaus sind Weltereignisse räumlich-temporal begrenzt und beruVgl. zum Zusammenhang von Konzil und Weltereignis auch Pottmeyer 2008. Vgl. Stichweh 2001a, 2003, 2008. 11 Vgl. zu Weltausstellungen als Weltereignisse Wegner 2008, zum Parlament der Weltreligionen im Kontext der Weltausstellung von 1893 Lüddeckens 2002, v.a. S. 163-197; sowie zur Verbindung von diesem Parlament mit dem »Weltethos-Projekt« von Hans Küng das Heft Concilium 4/2001, dort v.a. die Beiträge Hasselmann 2001 sowie Gebhardt 2001. 12 Vgl. zum Erdbeben von Lissabon Goethe 1962, S. 26; zur Tsunami-Katastrophe als Weltereignis Holzer 2008 sowie zum Erdbeben von San Francisco als Impuls für die Entwicklung der Weltgesellschaft Röder 2008. 13 Vgl. zum Typus des Medienereignisses am Beispiel der Berichterstattung der Ermordung Kennedys Morgner 2008 sowie zum Weltjugendtag als Medienevent Hepp/Krönert 2008. 9
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hen somit auf »Lokalisierbarkeit«. Häufig tendierten sie zur Zyklizität, indem sie regelmäßig wiederholt zu weltgesellschaftlicher »Routinisierung« beitragen. Als zentral wird aber die Frage der Teilnehmerrekrutierung herausgestellt: »Es werden weltweit alle eingeladen, es sollen alle teilnehmen, die für einen bestimmten Sachbereich wichtig sind.« Doch über die Inklusion von Leistungsträgern (Eliteninklusion) geht es auch um die Inklusion des Publikums, die sich in der Regel zweistufig vollziehe als Kombination der Einbeziehung von Zuschauern vor Ort mit einem massenmedialen Publikum durch Rundfunk- und Fernsehübertragung: »Ein Weltereignis ist eine Interaktion unter Anwesenden – mit globaler Inklusion eines beobachtenden Publikums.«14 Die zunehmende Prominenz dieser weltgesellschaftlichen Eigenstruktur beruht darauf, dass Weltereignisse gute Gelegenheiten für »globale Interaktion« darstellen, wofür Bettina Heintz als Prozessbegriff mit ihrer restriktiven Definition folgende Faustregel anbietet, die, wie gezeigt werden soll, zutreffend auf das Zweite Vatikanum angewandt werden kann: »Von globalen Interaktionen soll nur gesprochen werden, wenn alle drei Kriterien erfüllt sind: Wenn erstens der Abwesenheit eines globalen Publikums Rechnung getragen wird und sich die Teilnehmer potentiell weltweit rekrutieren (Sozialdimension); wenn sich die Interaktion zweitens auf ein Nachher rekurriert (Zeitdimension); und wenn sie sich drittens thematisch auf globale Zusammenhänge bezieht (Sachdimension).« 15 In der von Stichweh angesetzten, über 150 Jahre andauernden Geschichte des ›Weltereignisses‹ als ›weltgesellschaftlicher Eigenstruktur‹ macht der Soziologe zwei Trends aus, die für diesen Zusammenhang bestätigt werden können: Einerseits wirke die funktionale Differenzierung als Kernprozess der Ausbildung der Weltgesellschaft auch auf die Ausgestaltung von Weltereignissen, denn während zunächst Weltereignisse wie etwa die frühen Weltausstellungen funktional diffus gewesen seien, gebe es die Tendenz zur funktionalen Ausdifferenzierung bzw. Dekontextualisierung in dem Sinn, dass bestimmte Ereignisse nur innerhalb spezieller (Funktions-)Kontexte auf Aufmerksamkeit stoßen, wie eben Schachweltmeisterschaften nur einen Teil Sportinteressierter begeistern.16 Andererseits gebe es eine Ablösung vom Raum, von nationalen und regionalen Kontexten. Beide Trends haben bezüglich des Zweiten Vatikanums Entsprechungen: Zum einen war in Bezug auf funktionale Differenzierung das Erste Vatikanum noch in dem Sinne diffus, als es politische Souveränitätsvorstellungen (Macht) im Jurisdiktionsprimat mit religiösen und in der Unfehlbarkeitsdefinition mit wissenStichweh 2008, S. 24. In dieser Hinsicht sind die beiden vatikanischen Konzilien klassische Weltereignisse im Unterschied zum Konzil von Trient, was unter seiner geringen Beteiligungsrate litt. Vgl. zum Konzil von Trient Venard 1998 oder Jedin 1978, S. 81ff. 15 Heintz 2007, S. 6. 16 Vgl. zur Ausdifferenzierung und Globalisierung des Funktionssystems Sport in Abhängigkeit zu dieser weltgesellschaftlichen Eigenstruktur die Studien Werron 2008, 2008a sowie den auf die publikumsinklusivere Fußballweltmeisterschaft bezogenen Beitrag Eisenberg 2008. 14
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schaftlichen Kontexten (Wahrheit) vermischte, während sich das Zweite Vatikanum durch reflexive Selbstbeschränkung primär dem religiösen Bereich zuordnete. Zum anderen gibt es seit dem Zweiten Vatikanum mit neuen innerkirchlichen Organisationsstrukturen wie z.B. den Weltbischofssynoden und den Bischofskonferenzen neue Formen auch ortsungebundener analoger Welt- und Regionalereignisse. 2.2 Charismatische Vorbereitung Weltereignisanalyse des Zweiten Vatikanums wird in diesem Kapitel anhand des grundlegenden Kriteriums für das Vorliegen eines Weltereignis im weltgesellschaftstheoretischen Sinne begonnen, nämlich seiner ex ante-Planung. Als das Konzil für viele »aus heiterem Himmel« und so spontan wie beiläufig wirkend von Johannes XXIII. am 25. Januar 1959 in St. Paul vor den Mauern vor einer Gruppe von Kardinälen angekündigt wurde, begann sogleich seine Vorbereitung – oder besser gesagt, die eine Form seiner Vorbereitung, nämlich die des Papstes, bei der er, über sein Amtscharisma hinausgehend, durch seine persönliche Ausstrahlungskraft öffentlich wirksam dem Zukünftigen Orientierung gab. 17 Von dieser Form ›charismatischer Vorbereitung‹ des Konzils zu unterscheiden ist die in weiten Teilen parallel dazu stattfindende bürokratische Weise. Anfänglich durch kuriale Stellen, die später um der römischen Kurie Außen- wie Nahestehende ergänzt wurden, konnte die Konsternierung angesichts der Ankündigung des Konzils zunächst nur langsam überwunden werden. Nach dem Ablegen früher Ignorierungsstrategien wurde dann von der Öffentlichkeit völlig abgeschirmt und im Geheimen das Kommende planend in Angriff genommen.18 Und schließlich ist zu bedenken, dass ein Konzil der katholischen Kirche angesichts ihres Organisierungsgrades nicht voraussetzungslos ist und es formale Richtlinien für eine Einrufung gibt, die durch das Kirchenrecht festgelegt sind. So lauten beispielsweise die Bestimmungen des heute geltenden Canon 338 des Codex Iuris Canonici: »Allein dem Papst steht es zu, ein Ökumenisches Konzil einzuberufen, ihm persönlich oder durch andere vorzusitzen, ebenso das Konzil zu verlegen, zu unterbrechen oder aufzulösen und dessen Dekrete zu genehmigen. Sache des Papstes ist es auch, die Verhandlungsgegenstände des Konzils zu bestimmen und die Geschäftsordnung für das Konzil zu erlassen; den vom Papst vorgelegten Vgl. zu dem von der Organisationssoziologie (Etzioni) in den 1960ern diskutierten empirischen Phänomen der »doppelten Führung« Gabriel 1974: »Das Legitimationsdefizit bei einem hohen Formalisierungsgrad – so lassen sich diese organisationssoziologischen Argumentationen zusammenfassend interpretieren – soll durch die Identifikationschancen eröffnenden und gleichzeitig die formalen Strukturen verdeckende Gestalt des charismatischen Führens kompensiert werden.« 18 Die offiziöse Zeitschrift La Civiltà Cattolica ignorierte mehrere Monate lang die unerwartete Ankündigung völlig, vgl. Alberigo 1997, S. 22. 17
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Themen können die Konzilsväter andere hinzufügen, die vom Papst zu genehmigen sind.« 19 Die Rolle des Papstamtes ist also im Vorlauf eines Konzils besonders einflussreich und genau hier fallen große Differenzen zwischen der Amtsausübung durch Johannes XXIII., der eher nebenbei und unscheinbar sein Vorhaben verkündete, und der seines Vorgängers Pius IX. auf. Dieser nutzte im 19. Jahrhundert nach langen und intensiven Vorbereitungen die zu den 1800-Jahr-Feiern des Martyriums der Apostel Petrus und Paulus angesetzten Heiligsprechungen, um, dramatisch inszeniert, das Erste Vatikanum einzuberufen und so der politisch unstabilen und als gefährlich empfundenen Welt die Einheit des Katholizismus zu demonstrieren.20 Erst lange nach seiner Konzilsankündigung entschied sich Johannes XXIII. für die Bezeichnung Zweites Vatikanum und reagierte so auf Sorgen, dass das neue Konzil die Fortsetzung des 1870 auf unbestimmte Zeit unterbrochenen Ersten Vatikanums werden könne, wie man an einem von Alberigo kolportierten Notizbucheintrag Johannes XXIII. sehen kann: »Nach Hause zurückgekehrt, fand ich, daß das nun vorbereitete ökumenische Konzil es verdient, Concilio Vaticano Secondo genannt zu werden, weil das letzte von Papst Pius IX. 1870 abgehaltene Konzil den Namen Erstes Vatikanisches Konzil trug – Vatican le premier«. 21 So kontingent und überraschend einfach es seinen Anfang nahm, so neuartig wollte der Papst sein Konzil haben, aber nicht ohne Kontinuität zum Konzil Pius’ IX.: Es sollte einen pastoralen Ansatz verfolgen mit einer induktiven Methode anstatt der deduktiven. Mit der Namensfestlegung ist auch den Ort festgesetzt – das Zentrum des Katholizismus, die Stadt Rom. Der Papst folgte während der Vorbereitungsarbeiten dem Grundsatz des Hl. Bernhard: »Alles sehen, vieles übersehen und ein wenig korrigieren«. So sei sein Führungsstil subtiler und leiser gewesen, als man es sonst von einem Papst gewohnt war, so dass auch immer wieder der Eindruck entstehen konnte, er ließe sich treiben von Meinungen und Einflüssen oder würde den Überblick verlieren. Statt dessen aber verstand es der Papst, zwischen den Zeilen zu sprechen und seine Ideen zu verwirklichen, indem er auf den ›langen Atem ihrer Überzeugungskraft‹ vertraute. Sein persönliches Charisma setzte immer wieder in Interaktionssituationen Impulse und suchte die Öffentlichkeit: in Gesprächen, bei Reden vor Versammlungen oder auch bei Radioansprachen als eine Art simulier-
Vgl. CIC, 147. Vgl. auch den entsprechenden Kommentar Hartelt 1999. Vgl. Schatz 1992, S. 90-115. Vgl. zu den Heiligsprechungen aus historischer Sicht Samerski 2001 und 2006 sowie zur Funktion von Heiligsprechungen die weberianische Deutung Bienfait 2006: Das durch Versachlichung bedrohte Amtscharisma des Papstes werde mit dem personalen Charisma der Heiligen verbunden. 21 Zitiert nach Alberigo 1997a, S. 55. 19 20
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ter, weil bloß einseitiger Interaktion.22 Eine besondere Interaktionssemantik ist die Audienz, die Form, in der man im Allgemeinen beim Papst Gehör finden kann. Dieser nutzt sie nun andersherum zur Mitteilung und Verbreitung seiner Vorstellungen vom Konzil. So wird beispielsweise von einer Audienz des Papstes mit dem italienischen Staatspräsidenten Antonio Segni am 3. Juli 1962 berichtet, in der Johannes XXIII. wenige Monate vor der Konzilseröffnung einerseits die Differenz von Religion und Politik abgrenzend betonte und sich andererseits zur Universalität des Konzilsvorhabens äußerte: Der Papst im Vatikan sei eine Sache, der Präsident im Quirinal eine andere. Stattdessen seien alle Nationen der Erde, alle aufrichtigen und aufgeschlossenen Menschen eingeladen zu »diesem großen Unterfangen weltweiter Erneuerung im funkelnden Licht nicht von materiellen Waffen der Zerstörung, sondern der ewigen Grundsätze der christlichen Ordnung, die verstanden, wiederhergestellt und den sich verändernden Bedingungen der Völker und Familien angepasst« werde. Diesbezüglich erinnerte der Papst den Präsidenten auch an seine eben erschienene Sozialenzyklika und betont die Globalität des kommenden Weltereignisses: »Sie wissen, daß wir vor einem Jahr angesichts des Näherrückens des Konzils ein wichtiges Dokument über die soziale Frage veröffentlicht haben, das auf sehr erfolgreiche Weise beständig in allen Ländern der Erde begeisterte Zustimmung und Applaus hervorruft. Mater et Magistra widmet sich den Problemen der Gerechtigkeit und der sozialen Liebe, und die Enzyklika schlägt Vereinbarungen und Lösungen vor, die eine Vorbereitung und ein Vorgeschmack sehr wichtiger Grundsätze sind, welche es verdienen würden, von einem Konzil proklamiert zu werden«.23 In einer anderen Audienz, diesmal mit dem belgischen Kardinal Suenens, gestand der Papst auch seine konzilsbezogenen Sorgen, wie Suenens nachträglich berichtet: »Am selben Morgen sagt er mir noch: ›Ich weiß, was mein Beitrag zum Konzil sein wird ... Es wird das Leiden sein.‹ Ich wusste nicht, an welche Art von Leiden er dachte. Ich glaubte, es handele sich um den Kampf, den er führen müsse, damit seine Umgebung das Konzil weder bremst noch blockiert.«24 Eine obligatorische Rede vor 350 ›Jungarchitekten‹ aus fünfzehn Ländern Europas am 2. September 1962 nutzte Johannes XXIII., um seine theologische und pastorale Innovationsbereitschaft auch im Gegensatz zur römisch-kurialen Tradition zu verdeutlichen: »Das Konzil will ein neues Haus auf den im Laufe der Geschichte gelegten Fundamenten mit allen göttlichen und menschlichen Mitteln, über die die Kirche verfügt, erbauen«. 25 Und auf andere Weise befördert Vgl. zu Charisma und Interaktion Johannes XXIII. auch die Studie Kaufmann/Klein 1990 sowie das schon zu Konzilszeiten in deutscher Übersetzung ediert vorliegende »Geistliche Tagebuch« des Angelo Giuseppe Roncalli (Capovilla 1964), darüber hinaus zeitgenössisch und besonders affirmativ Hales 1960 und Schwaiger 1999, S. 310-343. 23 Zitiert nach Wittstadt 1997, S. 487f. 24 Ebd., S. 489. 25 Ebd. 22
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der Papst die massenmediale Inszenierung des zukünftigen Konzils als Weltereignis, so wandte er sich beispielsweise in einer vom Radio übertragenen Rede an den deutschen Katholikentag. Als besonders wichtig wird jedoch seine Rundfunkbotschaft vom 11. September 1962 angesehen, in der er sich in Erwartung der Konzilseröffnung direkt an die Welt richtete und auf die Unterscheidung zwischen innerer Struktur der Kirche (ad intra) einerseits und Lebensäußerung der Kirche (ad extra) andererseits zurückgriff.26 So ist bemerkenswert, dass der Papst in dieser Rede mit der Kirche nicht statische oder juridische, sondern dynamische und geschichtlich-prozesshafte Kategorien verband. Das Ziel des Konzils sei, Lösungen der Sozialen Frage, die aufgrund der Würde des Menschen und dessen christlicher Berufung zu fordern seien, in klarer Sprache anzubieten, wofür der Papst wiederum auf Mater et Magistra verweist. Weitere Themen dieser Ansprachen waren »die Kirche der Armen«, »ein solidarisches Miteinander«, »Religionsfreiheit im Staats-Kirchen-Verhältnis« sowie, alles übergreifend, die Friedensthematik. Zusammenfassend ging es Johannes XXIII. entsprechend seines personalen Charismas mit dem Konzil um Folgendes: »Der Grund seiner Einberufung, der Grund dafür, dass es gewünscht, vorbereitet und erwartet wird, ist die Fortsetzung oder besser die kraftvolle Erneuerung der Antwort der ganzen Welt auf das Vermächtnis des Herrn.« 27 Der Stellenwert dieses Beitrags Johannes XXIII. zu den Konzilsvorbereitungen wird folgendermaßen resümiert: »Die Radiobotschaft ist nach Sprache und Inhalt ein ureigenes Werk Roncallis. Er beschäftigte sich wochenlang mit dem Redemanuskript, setzte bewußt und gezielt völlig andere Akzente als in den Schemata der Vorbereitungskommissionen. Die Radiobotschaft stellt einen Kontrapunkt dar zu theologischen und dogmatischen Starrheit der Texte, die in der Tradition römisch-kurialer Sprache entstanden waren«.28 In dem auf die Ansprache reagierenden Echo der Weltpresse wurden besonders die universalmenschlichen Bezüge herausgestellt: Es gehe bei dem Konzil also nicht bloß um die Katholiken, sondern um alle Menschen guten Willens; und auch politisch linksgerichtete oder sogar sozialistische Zeitungen Italiens hätten diese Radiobotschaft thematisert. Gemäß seinem Amtscharisma als ›geistiger Führer‹ und entsprechend seiner Vorstellungen vom zukünftigen Konzil als einem neuen Pfingsten gehören zur geistlichen Vorbereitung Johannes XXIII. auf das Konzil auch Exerzitien und Wallfahrten. Er »selbst sah in der Konzilsvorbereitung in erster Linie eine spirituelle Übung, um fähig zu werden, den Anruf des Geistes zu hören« und fuhr, um sich von der großen mittelalterlichen Gestalt des heiligen Franziskus inspirie-
Übersetzt abgedruckt in Hünermann/Hilberath 2006, S. 476-481. Ebd., S. 477. 28 Wittstadt 1997, S. 495. 26 27
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Das Zweite Vatikanische Konzil
ren zu lassen, per Eisenbahn nach Assisi, in Begleitung des Staatspräsidenten Antonio Segni sowie des Ministerpräsidenten Amintore Fanfani. 29 Gerade vor dem Hintergrund dieser deutlichen Hinweise Johannes XXIII. über die Art des von ihm gewünschten Konzils und seines öffentlichen Charismas ist die (sachlich-)inhaltliche Differenz zu dessen bürokratisch-geheimen Vorbereitung frappierend. Der amerikanische Kirchengeschichtler Joseph A. Komonchak sieht dennoch gewisse Mehrdeutigkeiten auch im Vorgehen des Papstes, schließlich sei dieser selbst für die Struktur und Richtung der Konzilsvorbereitungen letztverantwortlich gewesen. Zu den vielen wichtigen Entscheidungen, die der Papst selber traf, gehörte beispielsweise auch der folgenreiche Beschluss, dass Latein die offizielle Sprache sein sollte. Andererseits schuf der Papst mit dem Sekretariat für die Einheit der Christen auch innovative Strukturen, unterstützte seinen Leiter, den deutschen Jesuiten und Kurienkardinal Augustin Bea, in dessen Bemühungen um weitreichendere Kompetenzen und bestand grundsätzlich auf der Unterscheidung von Konzilsvorbereitung und Kurie. Vor diesem Hintergrund ist die Haltung des Papstes zum Ergebnis der Vorbereitungsarbeiten wieder verwunderlich, war doch seine Zustimmung immer erforderlich, bevor irgendein Schema in die Konzilsagenda aufgenommen und an die Bischöfe versandt werden konnte. Nach Komonchaks Auffassung scheint man aber Johannes XXIII. immer erst ganz am Ende des Vorbereitungsprozesses (als es für Änderungen schon zu spät war) um seine Zustimmung ersucht zu haben. Obwohl es unklar sei, wie genau der Papst die Vorbereitungsarbeit während ihres Verlaufs verfolgte, bestehe doch kein Zweifel, dass er relativ früh zumindest über die Kritik an der Vorbereitung des Konzils informiert wurde. »Der Papst scheint es vorgezogen zu haben, den Konzilsvätern selbst die Entscheidung darüber zu überlassen, was ihrem Wunsch entsprechend das Konzil zu sein und zu tun hätte. Das Drama der ersten Konzilssitzung – ebenso wie die abschließende Beurteilung der Vorbereitungsarbeit – sollte in der Tatsache begründet liegen, daß, um der Vision des Papstes gerecht zu werden, die Bischöfe des II. Vatikanums es für notwendig erachteten, einen beträchtlichen Teil der für seine Vorbereitung geleisteten Arbeit zurückzuweisen.«30 So zurückhaltend und ambivalent der Papst also als Leiter seiner Behörde agierte, so stark und eindeutig wirkte er in direkten Interaktionszusammenhängen. Besonders nachhaltig gelingt ihm dies in seiner Ansprache Gaudet Mater Ecclesia am Beginn des Weltereignisses zur Eröffnung des Konzils, in der er die Konzilsteilnehmer zur Übernahme von Eigenverantwortung ermutigte.31 Diese Rede präsentierte die Konzilsvision des Papstes in Reinform: Das Wort »Aggior-
Vgl. ebd., S. 500. Komonchak 1997, S. 401. 31 Übersetzt in Hünermann/Hilberath 2006, S. 482-490. 29 30
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namento« 32 findet Eingang in die offizielle Sprache des Konzils und vor den »Unglückspropheten« warnend fordert der Papst zu einer Abkehr von der Kultur der Angst und des Misstrauen auf. Der zentrale Punkt dieser Ansprache ist: »Für den Papst gibt es kein goldenes Zeitalter der Kirche in der Weltgeschichte, etwa jene Zeit des katholischen Staates und einer christlichen Gesellschaftsordnung [...] Die Idealvorstellung für die Kirche ist daher nicht die Restauration jenes angeblichen goldenen Zeitalters [...] Im Gegenteil: Er scheint eine Besserung im Leben der Welt wahrzunehmen«.33 Genau jene ›päpstliche Kombination‹ von Optimismus und Fortschritt mit einer neuen Fähigkeit zu Relativierungen und zum Denken in größeren Vergleichshorizonten befähigte das Konzil, über bloße Fortschreibungen der pianischen Ära der Kirchengeschichte hinauszukommen und begründete die mit dem Versammlungsbeginn einsetzende Dynamik, die ergebnisoffen war: »Johannes XXIII. hat das Konzil damit eröffnet, daß er einen Weg aufgezeigt hat und kein Programm.« 34 Aufschlussreich für das Verständnis seiner Persönlichkeit und vor allem in Bezug auf seine Meinung über die Vorbereitungsarbeiten ist auch ein Tagebucheintrag einen Monat nach Eröffnung, in dem der Papst die Debatten des Konzils reflektiert: »Auch heute hörte ich Interessantes aus all diesen Stimmen. Größtenteils sind sie kritisch gegenüber den vorgelegten Schemata (Kard. Ottaviani), die zwar von vielen gemeinsam vorbereitet worden sind, aber die ein wenig präpotente Festsetzung durch einen einzelnen und das Fortbestehen einer Mentalität verraten, die sich nicht von den Fesseln der scholastischen Lektion zu befreien vermag. Die Halbblindheit dessen, der nur ein Auge hat, wirft einen Schatten auf die Gesamtschau. Natürlich ist die Reaktion stark, bisweilen allzu stark. Aber ich denke, daß die gute Absicht schließlich die Oberhand gewinnen wird.« 35 2.3 Bürokratische Planung Neben der Vorbereitung des Konzils durch den Papst, die von dessen persönlichem Charisma geprägt war, standen formale Organisationsbemühungen. Sie mussten der leicht antizipierbaren und in ihrem Ausmaß nicht zu überschätzenden Komplexität des kommenden Konzils Rechnung tragen. Damit es gelingen konnte, musste hinsichtlich der Bedingungen seiner Möglichkeit über vieles entschieden werden: Infrastruktur, Themen, Teilnehmer, Verfahrensordnungen, etc. Als verantwortliche Instanz für den systematischen Ablauf der Verknüpfung dieser Einzelentscheidungen wurde zunächst auf die Kurie als eine bereits vorhanVgl. zum Aggiornamento-Begriff neuerdings die Studie Bredeck 2007. Riccardi 2000, S. 18f. 34 Ebd., S. 23. 35 Zitiert nach Riccardi 2000, S. 81. 32 33
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dene Infrastruktur zurückgegriffen. Dieser Zusammenhang wurde während der dreijährigen Vorbereitungsarbeiten sowohl strukturell wie personell stetig erweitert. Zur Reduktion zukünftiger Interaktionskomplexität wurde für das operative Geschäft also auch auf den Aufbau von Organisationskomplexität gesetzt, wobei dann – der organisatorischen Eigenlogik entsprechend – anders geartete Dynamiken als die der päpstlichen Initiative zum Vorschein kommen mussten. Die rekursive Vernetzung von Vorschlägen und Entscheidungen in einer hierarchischen Gremienstruktur bedeutete für die meisten der dort involvierten Personen aber das größte Maß an Effektivität, und so gingen die ›Planer‹ des Konzils auch nur von einer kurzen Dauer aus, in der die zukünftige Versammlung ihr vorgelegte Dokumente schnell ratifizieren würde – was sich aber im Nachhinein als falsch erweisen wird. Welch großes Konfliktpotenzial von Anfang an die Konkurrenzkonstellation Organisation/Interaktion bereit halten kann, wird z.B. anhand des häufigen Phänomens einsehbar, dass Entscheidungen in größeren Interaktionszusammenhängen faktisch in die Gremien abwandern. »Zusammen mit den Gremien wird eine Unterscheidung von öffentlicher und nichtöffentlicher Interaktion erzeugt [...] In der nichtöffentlichen Interaktion wird die Rücksicht auf öffentliche Darstellbarkeit zu einem Gesichtspunkt neben anderen reduziert, auf den es vor allem bei der Darstellung, nicht aber bei der Herstellung der Entscheidung ankommt. [...] Durch Abspaltung von Gremien wird das Verfahren mindestens zweistufig. Es muß entschieden werden, wer an den Entscheidungen des Gremiums mitwirkt, und häufig auch noch darüber, wer befugt ist, diese Personalentscheidung zu treffen. Sehr viel an Entscheidung geht damit in die Vorbereitung und Vorvorbereitung der eigentlichen Interaktion. Das Abstimmen der Abstimmungen setzt eine eigene, zeitraubende Art von Mikropolitik frei, die ihrerseits teils auf geplante und teils auf ungeplante Interaktionen zurückgreift. Häufig wird man wissen, wer welche Interessensgruppen vertritt. In anderen Fällen wird das eigens geregelt. So oder so entsteht die Figur der Vertreters, der gegenüber den Vertretenen rechenschaftspflichtig bleibt.« 36 Wie das zukünftige Konzil selbst also ein Gremium darstellen wird, das stellvertretend für die ganze Kirche über die Gestaltung deren Zukunft entscheiden will, standen am Anfang seiner gremiengetragenen Vorbereitungsphase die Bemühungen, die Zentrum/Peripherie-Distanz zu überwinden, die sich durch die Unterscheidung von Weltkirche aus der Perspektive Roms auf der einen und jeweils lokal situierter und damit kontextdivergierender Ortskirche auf der anderen Seite ergibt: Indem das Instrument einer umfassenden thematischen Befragung aller zukünftigen Teilnehmer angewandt wurde, wollte man inhaltliches Material für die Erarbeitung der später dem Konzil vorzulegenden Schemata erhalten. Nach der dann überraschend erfolgenden Zurückweisung fast aller dieser Vorbereitungsergebnisse durch die spätere Konzilsversammlung in Form einer Aufleh36
Kieserling 1999, S. 383.
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nung der Interaktionslogik gegen ihre organisatorische Rahmung – was den Dauerkonflikt des Konzils ausmachen wird – wurde die notwendig gewordene Neubearbeitung der Konzilsdokumente großenteils aus Praktikabilitätsgründen wieder in Gremien verlagert und den Konzilskommissionen zugewiesen. Und schließlich bleibt auch die Rezeption der Konzilsergebnisse nach seinem Abschluss der Kontrolle von Gremien vorbehalten. An dieser Stelle geht es aber um die bürokratische Weise der Vorbereitung des Konzils, die nach seiner überraschenden Ankündigung doch erstaunlich schleppend begann. Ganze vier Monate später, nämlich am Pfingstsonntag, den 17. Mai 1959 fiel die Entscheidung zur Bildung der »Vor-Vorbereitenden Kommission« Antepraepatoria, wobei man sich in deren Strukturierung thematisch an die entsprechenden Zuständigkeitsbereiche der verschiedenen Kurienkongregationen anlehnte. Aus diesem Grund fehlten verschiedene thematische Bereiche, welche später zentrale Fragen der Konzilsarbeit werden sollten, wie etwa die liturgische Erneuerung und die Bedeutung der Bibel für die Kirche. Vor allem habe es keine Gesamtperspektive für die Konzilstätigkeit gegeben. Bei der Besetzung der Kommission, die mit der Aufgabe betraut wurde, aus den Ratschlägen und Anregungen des katholischen Episkopats sowie Stellungnahmen katholischer Fakultäten eine grundlegende Materialsammlung zu erstellen, sei vor allem auf die Sicherung der Vertretung aller Kurienkongregationen geachtet worden. Alberigos Meinung nach hatte diese vor-vorbereitende Phase den Zweck, »die Überraschungen und den Widerstand zu mildern, die der Papst mit seiner Entscheidung erregt hatte. Sie zielte gleichzeitig darauf ab, schnell die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen, die für eine vollständige und uneingeschränkte Konsultation der Weltkirche sorgen konnte.« 37 Dieses von der Kongregation für außerordentliche Kirchenangelegenheiten und dem Staatssekretaritat geleitete Unternehmen scheint schon in jenem frühen Stadium vor allem außerhalb Italiens Unbehagen geweckt zu haben, das Alberigo in der Frage formuliert: »War das Konzil einer äußerst begrenzten Gruppe hoher Bürokraten anvertraut, die in ihrer Mehrheit nicht einmal Bischöfe waren?« 38
37 Alberigo 38
1997a, S. 51. Ebd., S. 53.
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Das Zweite Vatikanische Konzil »Konzilsvorbereitung des II. Vatikanums« und Kurienstruktur39
Abbildung 2:
Vorvorbereitende Kommission
Kardinalstaatssekretariat
Vorsitz: Sekretär:
Kardinalstaatssekretär Tardini (+1961), Cicognani
Kardinalstaatssekretär Tardini Msgr. Felici
Römische Konsultationen (offener Brief, ohne Fragebogen) Rücklauf der Vota: Gliederung nach Lehrbuchstruktur/CIC Konsultation der Kongregationen für kommentierende Vorschläge Motu-Proprio-Entwurf zur Organisation der Vorbereitung angelehnt an Vorbereitung des I. Vatikanums (Ergänzungen vom Papst) Papst ernennt die Kommissionsmitglieder: 1/3 Römer, 2/3 der Kurienkonsultatoren sind vertreten Versandt der vom Papst gebilligten Quaestiones an die Vorsitzenden der Vorbereitungskommissionen
Zentrale Vorbereitungskommission Vorsitz: Generalsekretär:
Papst Johannes XXIII. (nur 13 Mal anwesend) Msgr. Felici
Vorbereitungskomissionen
Kardinalskongregationen
Subkommission
Theologische Kommission
Sacra congregatio Sancti Officii
»Verbesserung der Schemata«
Kommission für Bischöfe und Diözesen
Sacra congregatio Consistorialis
Kommission für die Disziplin des Klerus und des christlichen Volkes
Sacra congregatio Concilii
Kommission für die Ordensleute
Sacra congregatio negotiis religiosorum sodalium praeposita
Kommission für die Disziplin der Sakramente
Sacra congregatio de disciplina Sacramentorum
Kommission für die Heilige Liturgie
Sacra congregatio Rituum
Kommission für die Studien und Seminare
Sacra congregatio de Seminaris et Universatibus studiorum
Kommission für die Ostkirchen
Sacra congregatio pro Ecclesia Orientali
Kommission für die Weltmission
Sacra congregatio de Propaganda Fide
Kommission für das Laienapostolat
Ständiges Komitee der Kongresse des Laienapostolats
Subkommission »Gemischte Angelegenheiten«
Subkommission »Technik und Organisation«
Subkommission »Geschäftsordnung«
Sekretariate Sekretariat für Presse, Fernsehen und Film
Rundfunk,
Sekretariat für die Einheit der Christen
39
Vgl. auch Mörsdorf 1960 und Caprile 1968a.
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Bei einer feierlichen Vollversammlung dieser Kommission am 30. Juni in Anwesenheit des Papstes und unter Vorsitz Kardinal Tardinis setzte sich der Papst mit seinem Wunsch einer Änderung der Verfahrensweise für die Bischofskonsultation durch: Statt der geplanten Orientierungsfragebögen sollte ein einfaches, allgemein gehaltenes Schreiben an die jeweiligen Stellen versandt werden. Der Papst optierte somit für ein offenes Verfahren bei der Befragung der zukünftigen Teilnehmer und wollte jede Beeinflussung, die wie ursprünglich geplant mit einer Art Leitfadenunterstützung gegeben wäre, vermeiden. Organisatorisch sollte das hierarchische Zentrum die thematische Vielfalt, die von der peripheren Basis zu erwarten war, nicht unterdrücken. Es ist der französische Historiker Étienne Fouilloux, der den Vorgang und vor allem die beeindruckende Menge der Antworten, die mehr als 2000 Dokumente ausmachen und später Stoff für acht Bände der Acta et documenta concilio Vaticano II apparando abgeben sollten, unter qualitativen wie quantitativen Gesichtspunkten untersucht hat.40 Seine Ergebnisse dokumentieren den interessanten Versuch, dem Weltereigniskriterium der Repräsentativität in einer Verschränkung von Person und Thematik zu entsprechen. Bei einem Gesamtpotenzial von 2.812 Adressen habe es einen Rücklauf von über 76% gegeben, so der französische Historiker, der dieses Resultat nach funktionalen Gesichtspunkten weiter aufschlüsselt: Dabei hätten sich von 62 Hochschulen lediglich 51 (82,2%) zu einer Antwort bereitgefunden, was für Institutionen, die sich im Auftrag der Kirche der intellektuellen Arbeit widmen sollen, wenig sei. Besonders ›fleißig‹ seien dagegen die Diplomaten, Nuntien oder Ähnliche gewesen (91,8%), sicherlich auch dadurch bedingt, dass diese Gruppe die Abfassung von Berichten gewohnt sei. Die Rücklaufquote von den Diözesanbischöfen sei mit 87,2% aber sehr bemerkenswert, dagegen hätten sich die apostolischen Vikare (68,4%), die Ordensoberen (64,7%), die Titularbischöfe (56,5%) sowie die apostolischen Präfekten (46,9%) wohl weniger angesprochen gefühlt. In geographischer Hinsicht gebe es nicht so große Differenzen: »Im kontinentalen Vergleich gibt es nämlich eine nur relativ geringe Abweichung zwischen Mittelamerika als dem Klassenprimus (88,1%) und Ozeanien als dem Schlußlicht (68,5%). Man wird lediglich die ausgezeichnete afrikanische Reaktion feststellen (83,3%), die höher als die europäische ist (79,9%)«. 41 Einerseits hätten 600 potenzielle Konzilsväter nicht geantwortet, andererseits gebe es auch Mehrfachantworten und schließlich sei eine breite Mehrheit der Antworten, dem Wunsch der vorvorbereitenden Kommission gemäß, in lateinischer Sprache abgefasst worden. Fouilloux vermerkt in dieser Sache auch die Ausnahme einiger mit Rom unierter Kirchen, deren Reaktionen auf Französisch oder Italienisch abgefasst waren, um deutlich zu machen, dass sie weitere Latinisierungen nicht tolerieren würden. Mit Deutschland, Mexiko und Indonesien habe es auch drei national-kooperative 40 41
Vgl. Fouilloux 1997. Ebd., S. 111.
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Das Zweite Vatikanische Konzil
Antworten gegeben, wobei besonders die deutsche Antwort später auf globales Interesse gestoßen sei. Inhaltlich gesehen ergibt Fouillouxs Analyse zwar einen quantitativen Überhang »konformistischer Antworten« mit juridischem Kommentar, z.B. betrafen mehr als 2.000 von 9.438 konkreten Vorschlägen den Klerus, andererseits seien aber auch thematische Innovationen vorgeschlagen worden. Dabei sei es vor allem um eine genaue Definition der Rolle des Bischofs, um die Beschleunigung der Liturgiereform sowohl in kanonischer als auch in pastoraler Richtung sowie um die Wiederherstellung des ständigen Diakonats gegangen. Weiter unterscheidet der Historiker drei Kategorien: In der ersten wird das »Konzil als Krönung jahrhundertelanger Intransingenz« verstanden. Gefordert werde hier »ein Konzil, das definieren und verurteilen soll, um den römischen Katholizismus noch besser von seiner Umgebung abzuheben«. 42 Weiter gehe es um die Erhöhung des Hl. Josef, meistens aber um Maria, deren Miterlöserschaft oder Funktion als universale Mittlerin von Gottes Gnaden – Fouilloux spricht diesbezüglich sogar von einer regelrechten »marianische[n] ›Besessenheit‹« 43 –, sowie um die Ächtung der Irrtümer der modernen Welt (Kommunismus, Existentialismus, Situationsethik) und um eine bessere Organisation des vatikanischen Verwaltungsapparats. Regional zugeordnet kämen diese Voten vornehmlich aus romanischen Ländern, in denen der Katholizismus eine »Vormachtstellung« innehabe. Als extremes Beispiel fordert die Universität von Salamanca sogar die Abfassung eines neuen Syllabus. Der zweiten Gruppe von Antworten, die der französische Historiker als »Voten im Sinne Johannes XXIII.« identifiziert, geht es gegensätzlich zur ersten um eine grundsätzliche Anpassung der katholischen Kirche an ihre aktuelle Umwelt. Fouilloux hebt die Qualität ihrer theologischen Reflexionen hervor und lokalisiert diese Einlassungen im kontinentalen Nordwesteuropa sowie aus den Kirchen des orientalischen Ritus stammend. Inhaltlich werde in diesen reformorientierten Reaktionen all das abgelehnt, was das interkonfessionelle Verhältnis belasten könnte. Statt dessen wird der Schutz der Exegese vor repressiven Eingriffen, eine Reform des Index, die Abschaffung des Antimodernisteneid, methodische Änderungen des Hl. Offiziums und eine erneuerte Theologie des Episkopats sowie des Laikats gefordert. Auch wird der Wunsch nach einer Liturgiereform zum Ausdruck gebracht, welche eine stärkere Beteiligung der Gläubigen und den Gebrauch der Landessprache vorsehe sowie Konzelebration zulasse. Das Kennzeichen der letzten, dritten Kategorie von Antworten sei ihre inhaltliche Uneinheitlichkeit. Dem Historiker fällt auch die abwartende Haltung römischer Stellen, bei dieser Konsultation mitzuwirken, sowie das im kirchlichen Zentrum vorherrschende ängstlich-aggressive intellektuelle Klima auf, was er folgendermaßen 42 43
Ebd., S. 125. Ebd., S. 127.
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erklärt: »Fast ein Jahrhundert nach der Definition von Primat und Unfehlbarkeit sind viele römische Theologen nach wie vor der Meinung, daß die Erweiterung der päpstlichen Vorrechte, d.h. in der Folge auch der ihren, die beste Art und Weise sei, die katholische Identität zu unterstreichen und sie gegen jede Beeinträchtigung zu schützen. So läßt sich verstehen, daß diese Kreise die offene Konsultation des Episkopats als eine Art Zurückweisung ihrerseits verstanden«.44 Mit Blick auf den Entwicklungsstand von Kommunikationstechniken ist es interessant, wie mit dieser Vielzahl innerkatholischer Vorstellungen über Reformbedürfnis wie Reformrichtung divergierenden Inhalts ohne die heutigen Textverarbeitungsprogramme organisatorisch verfahren wurde. Für die Analyse dieses immensen Konvolutes unter Zuhilfenahme von Verschlagwortung und Karteikarten kam es zu einer folgenreichen Entscheidung über die anzulegende Systematik: »Die Voten der Bischöfe sind demgemäß nach zwei Ordnungsschemata zu gliedern, nach den Abschnitten theologischer Lehrbücher und nach dem Kodex des kanonischen Rechts.« 45 Auf diese Weise wurde die Materialsammlung durch das Sekretariat der »Tardini-Kommission«, wie es Fouilloux schildert, nach dem Beispiel des Syllabus in einen ihm vertrauten konzeptuellen Rahmen gepresst: »Die angewandte deduktive Methode – eine Methode, in der sich übrigens der intellektuelle Habitus Roms widerspiegelt – mit ihrer Reduktion vom Komplexen zum Einfachen, vom Heterogenen zum Homogenen oder vom Pluralistischen zum Mehrheitlichen findet ihren Höhepunkt [... in diesem] Abschluß des Verfahrens«. 46 Nach diesem Vorspiel, das vom 16.06.1959 bis zum 20.02.1960 dauerte, sollte es zur ›eigentlichen Vorbereitung‹ kommen, welche analog zu der des Ersten Vatikanums organisiert wurde, nämlich durch Bildung von Fachkommissionen unter der Leitung einer Zentralkommission. Überraschend im Blick auf die Umsetzung dieses Vorschlags ist die ausdrückliche Betonung Johannes XXIII., er wolle jede Verquickung von Konzil und Kurie vermeiden. 47 Denn von den schließlich 842 ausgewählten und vom Papst berufenen Persönlichkeiten wohnte Ebd., S. 156. Ebd., S. 159. 46 Ebd., S. 164. 47 Vgl. Fouilloux 1997, S. 179f.: »Der aufgestellte Plan umfaßt nun also neben der Zentralkommission zehn Kommissionen, wovon neun den jeweiligen Dikasterien entsprechen, während die zehnte ohne weiteres in die Nähe des ständigen Komitees der Kongresse für das Laienapostolat gestellt werden kann. Abgesehen vom Sekretariat für die Massenmedien [...] bleibt die einzige wirkliche Neuerung der ›Rat‹ bzw. das Sekretariat für die Einheit [...] Alle Mitglieder der Kommissionen werden vom Papst ernannt [...] Die Zentralkommission setzt sich neben Prälaten aus der ganzen Welt aus den Vorsitzenden und Sekretären der Einzelkommissionen zusammen; Vorsitzender ist der Papst oder sein Stellvertreter [...] Die Kopie der Organisationsstruktur der Kurie ist fast perfekt [...] Der Sieg der Kurie wurde am 6. Juni komplettiert durch die Ernennung der Kommissionsvorsitzenden: Es sind mit Ausnahme von Cento (Laienapostolat) und Bea (Sekretariat für die Einheit) die Präfekten der entsprechenden Kongregationen.« 44 45
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Das Zweite Vatikanische Konzil
ein Drittel in Rom (37,71%) und nicht nur mehr als ein Viertel (26,36%) gehörten der Kurie an, sondern fast zwei Drittel ihrer Konsultatoren waren auch in den neugeschaffenen Vorbereitungskommissionen vertreten: »Auf diese Weise hat die Kurie das, was sie anfänglich auf Geheiß des Papstes hatte aufgeben müssen, letztendlich wieder reichlich zurückerobert. Dies geschah ohne größeren Widerstand Johannes’ XXIII. in einem stillschweigenden Kompromiß, wobei sein Wunsch nach Aggiornamento offensichtlich auf der Strecke blieb.« 48 Den zehn Vorbereitungskommissionen, die entsprechend den Kongregationen der römischen Kurie geschaffen wurden, wurden neben der Zentralkommission weitere drei Sekretariate, mit Themen wie »Kommunikationsmedien«, »Infrastruktur« sowie »getrennte Brüder« beauftragt, zur Seite gestellt. Beklagt wurde von Seiten der Presse die Geheimhaltungspflicht, deren strikte Auslegung wie eine »Chinesische Mauer« wirkte und die Vorbereitung nach außen abschirmte. Ebenso wurde die fehlende Beteiligung von Laien, insbesondere von weiblichen Personen bei der Vorbereitung des Konzils kritisiert: »Selbstverständlich waren keine Frauen, weder Laien noch Ordensangehörige, Mitglieder einer Kommission.« 49 Erwähnenswert, nicht nur wegen der außergewöhnlichen Aufgabe als persönliche Kontaktstelle in Bezug auf die Ökumenizität des Konzils, sondern auch deswegen, weil es das einzige Gremium war, welches aufgrund einer päpstlichen Entscheidung kontinuierlich, also über die Vorbereitungszeit hinaus auch während des Konzils unverändert agieren kann und zunehmend an inhaltlichem Einfluss gewinnt, ist das Sekretariat »Zur Förderung der Einheit der Christen« unter der Leitung von Kardinal Bea und seinem niederländischen Sekretär Willebrands. Dieses rekrutierte seine Mitglieder aus unterschiedlichen Regionen (Nordamerika, England, Holland, Deutschland, Schweiz) und umfasste Vertreter wichtiger katholisch-ökumenischer Organisationen, auffälligerweise aber keinen Vertreter des Heiligen Offiziums. Immer wieder kam es zu Kompetenzanfragen, die letztlich durch päpstliche Interventionen gegenteilig beschieden werden mussten. Beispielsweise bezeichnete der Jesuit und niederländische Landsmann Willebrands, Sebastian Tromp, als Sekretär der mit dem »Einheitssekretariat« theologisch zunehmend (konfrontativ) konkurrierenden Theologischen Kommission jenes abwertend als ein bloßes »Informationsbüro«. Als deutlich wurde, dass die Arbeit der übrigen Vorbereitungskommissionen nicht durch ökumenische Sensibilität gekennzeichnet sein würde, begann das Einheitssekretariat mit offensichtlicher Unterstützung des Papstes, 50 selbst Texte für die Vorlage beim Fouilloux 1997. Komonchak 1997, S. 201. 50 »Am 22. Oktober wurde in der Aula angekündigt, daß der Papst das Sekretariat für die Einheit der Christen in den Rang einer Kommission erhoben habe.« Riccardi 2000, S. 53. Alle Befugnisse aus der Vorbereitungszeit werden übernommen, u.a. die Zuständigkeit für die Nichtkatholiken, es kann Mitglied in gemischten Kommissionen werden und darf eigene Schemata vorlegen. 48 49
»Weltereignis Konzil«
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Konzil auszuarbeiten. Die größten Divergenzen zur Theologischen Kommission gab es dabei in Fragen bezüglich des Staats/Kirchen-Verhältnisses oder der Religionsfreiheit. Tabelle 1: Arbeit der Vorbereitungskommissionen Vorsitzender KomKardimissionen/ nal/ Sekretariate Sekretär Theologie (T) Ottaviani/ Tromp Bischöfe (B) Marella/ Gawlina Klerus und Ciriaci/ Volk (K) Berutti Orden (O) Valeri/ Rousseau Sakramente (S) Masella/ Bidagor Liturgie (L) Larraona/ Bugnini
40 (128h)
6
154
25.04.1961
51 (170h)
2
180
20.05.1961
71
1
156
12.04.1961
66 (371h)
10
128
27.02.1961
31 (111h)
1
132
17.04.1961
40
5
224
04.03.1961
54+7
11
124
23.02.1961
17
7
112
24.04.1961
7 Einheiten 1 (300h) 28 Tagungen 1 (411h)
172
06.07.1961
84
19.10.1961
60
08.03.1962
Mitglieder 33
Kon Nati sul- onatato- litären ten 36 16
24
28
19
15%
7
34
34
23
k. A.
20
26
29
14
50%
1
26
15
18
40%
0
25
37
21
5% **
13
39
32
16
k. A.
12
29
30
24
k. A.
4
24
32
20
29%
6
40
29
25
10%
3
20
26
21
30%
3
1 (K)
Bea/ 17 Willebrands
20
13
***
14
4 6 Tagungs- 4 (S, L, St, O) wochen
Studien und Pizzardo/ Seminare (St) Mayer Ostkirchen (O) Cicognani/ Wilykyj Weltmission Agagian/ (W) Matthew Laienapostolat Cento/ (La) Glorieux Presse, Rund- (res. Erzb.) funk, Fernse- O’Connor/ hen, Film (P) Deskur Einheit der Christen (E)
EingeSeibrach- tente zahl Sche (gePapstmata samt) besuch 9 492 14.02.1961
Subkom Anteil mis- Gemischte Plenarder sio- Kommissi- sitzunKurie nen onen gen * 5 0 52 (140h) 3 (O, K) 3 (B, O, P) 3 (B, K, L) 1 (E) 4 (O, St, W, E) 2 (L, E) 1 (E) 1 (L) 0
* Die anfängliche Überzahl von »Römern« wurde durch spätere Nominierungen geändert. ** 18% hatten irgendeine Verbindung zur Kurie. *** Kein Vertreter des Hl. Offiziums. Neben Bea werden zwei weitere Kurienmitglieder namentlich genannt. Datenquellen: Komonchak 1997 und Caprile 1968a
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Das Zweite Vatikanische Konzil
Dieser Gegensatz dramatisierte den Verlauf der Konzilsvorbereitung: »Sie unterschieden sich klar in ihrer Aussage sowie in den von ihnen angewandten theologischen Methoden und Begriffen. Dahinter standen die noch tiefgreifenderen Unterschiede in der Einschätzung der politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen, deren Ergebnis die Welt war, in der sich das Konzil versammeln sollte.« 51 Die Periode der sogenannten Vorbereitungszeit abschließend, wurden drei Monate vor Beginn des Konzils am 13.07.1963 sieben Schemata an die zukünftigen Konzilsväter versandt. Diese spiegelten den Geist sowohl der neuscholastisch-römischen Theologie wie auch des Heiligen Offiziums wider, deren Richtung sich während der Vorbereitungszeit durchgesetzt zu haben schien. Nicht nur die Theologische Kommission ging angesichts dieses politischen Erfolgs davon aus, dass die Texte nun auch ohne Schwierigkeiten das Konzil passieren und dieses bald abgeschlossen sein würde. Es kam aber anders: »Trotz der Kürze der Zeit legten noch 176 zukünftige Konzilsväter ihre Animadversiones zu den Schemata vor. Damit äußerten sich zwar weniger als 10% der späteren Konzilsväter zu den Schemata, aber die Eingaben verteilen sich auf 38 Länder, und sämtliche Erdteile sind vertreten [...] Eine substantielle Kritik findet sich in erster Linie in den Animadversiones aus Frankreich (28) und aus den von Frankreich beeinflußten Gebieten (ehem. französische Kolonien, französisch sprechender Teil Kanadas), aus Deutschland (11) und den Niederlanden, aber auch in Schreiben der Bischöfe aus den Entwicklungs- und Missionsländern.« 52 Nach Meinung des französischen Kardinal Gerlier von Lyon seien die Texte zwar philosophisch und theologisch auf einem hohen Niveau, verfehlten aber völlig die Frage nach der Aufgabe der Kirche in der heutigen Zeit, so die Kritik. Insbesondere die Intention des Hl. Vaters, ein pastorales Konzil abzuhalten, sei nicht berücksichtigt worden, das Konzil dürfe nicht ein Konzil des theologischen Apparates sein, es müsse ein Konzil der Bischöfe werden. Und wie die Geschichte lehrt, sollten die Texte der Theologischen Kommission bis auf den bald zurückgewiesenen Text über die Offenbarung »De fontibus« nicht einmal mehr auf die Tagesordnung des Konzils gelangen. Eingang in ein späteres Konzilsdokument fanden von der gesamten Vorbereitungsarbeit neben dem eher unbedeutenden Text über die Kommunikationsmittel nur noch das Liturgieschema. Für Alberigo sah es am (offiziellen Beginn des Weltereignisses) 11. Oktober 1962 so aus, als müsse das Konzil seine Arbeit von vorne anfangen, mehr als 90% der vorbereiteten Papiere sollten von der Konzilsversammlung völlig außer acht gelassen werden. Paradoxerweise sei die Kontrolle, welche die römische Kurie über die Vor-Vorbereitungsphase erhielt, und ihre Hegemonie in der Vorbereitung bis zu dem Grad kompromittiert gewe51 52
Ebd., S. 340. Wittstadt 1997, S. 473.
»Weltereignis Konzil«
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sen, dass sie auf einer bürokratischen Ebene ausgeübt worden sei. Auf dieser Ebene wurde sie vor einem auf das letzte Jahrhundert begrenzten historischen Horizont und eingefahrenen Strukturen durchgeführt und konnte weder Orientierungsimpulse des Papstes noch Innovationspotenziale der Basis aufnehmen. Statt mit dem Ausbau eines kritischen Wahrnehmungsapparats kirchliches Sensorium zu differenzieren, wurde die ›auf Schema F‹ beruhende Verwaltung optimiert. Diesbezüglich fasst der Mentor der »Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils« die Forschungen des Autorenkollektivs zusammen: »Wir finden keine Hinweise darauf, daß man [in der Vorbereitungszeit] die epochalen Entwicklungen wahrnahm, die sich zu Beginn der sechziger Jahre zu zeigen begannen: von der Entspannung zwischen West und Ost bis zum Ende des kolonialen Zeitalters; von der neo-industriellen Explosion auf beiden Seiten des Atlantik bis zur Verarmung der ›Dritten Welt‹. Euro-Zentrismus, oft als Romano-Zentrismus interpretiert, war noch die herrschende Sichtweise.« 53 Abbildung 3:
Die Vorbereitung der Konzilsaula im Hauptschiff des Petersdoms
Zur Vorbereitung gehört schließlich auch, dass die Lokalität des zukünftigen Weltereignisses präpariert wird: Das Zweite Vatikanum findet, wie der Name sagt, ebenso wie sein Vorgänger im Zentrum des römischen Katholizismus statt, das durch die Grabstellen der Apostelfürsten Petrus und Paulus auf dem Vatikan53 Alberigo
1997b, S. 563.
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Das Zweite Vatikanische Konzil
hügel markiert und durch die Zeiten hindurch und verstärkt seit dem 19. Jahrhundert Ziel von Pilgerschaft und Wallfahrt gewesen ist. Es ist genau genommen im Hauptschiff des Petersdom zu lokalisieren, in dem für die Konzilszeit provisorisch eine Aula mit Rängen und Tribünen eingerichtet wird. Seiner bekannten barocken Ästhetik taten, so wird berichtet, die Aufbauten durch dekorativ verwendete Stoffe, Teppiche und Polster aber keinen Abbruch. Abschließend ist festzuhalten: Damit ein Ereignis überhaupt zu einem Weltereignis werden kann, das auch über den ihm angestammten Rahmen hinaus resonanzfähig wird, bedarf es insbesondere für seine profane Vorbereitung in vielfacher Weise Organisation. Sie ist diejenige soziale Form, welche polykontexturale Anschlüsse in besonderem Maße sicherstellt. Ein Konzil muss finanziert sein, was auf seinen wirtschaftlichen Bezug hinweist; es gibt eine eigene Konzilspolitik, die nicht unbeeinflusst von der politischen Weltsituation betrieben werden kann; Liturgien folgen bestimmten Ästhetiken; Massenmedien suchen Adressen, von denen sie Informationen erhalten wollen usw.; all dies muss, wenn es einen Zusammenhang ergeben soll, organisiert werden. Organisation als die soziale Form, deren kommunikative Basiseinheit Entscheidungen darstellen, wird nach Fresacher aber auch gebraucht, um die mit einem so großen Interaktionszusammenhang, wie ihn das Konzil darstellt, einhergehende Komplexität auf ein handhabbares Maß zu reduzieren und vielleicht in bestimmte Richtung zu lenken: Die »Beschränkung der Zeit, der Rede- und Arbeitszeit, durch die Geschäftsordnung und die Moderation; die Selektion der Themen und 80 Voten durch die Kommissionen außerhalb der Aula und während der intersessiones, die in der Form der Abwesenheit des Konzils dieses Konzil sozusagen unsichtbar beeinflussten – eine im Vergleich zu früheren Konzilien neue Dimension; die Exklusivität des Latein, das die wenigsten beherrschten, und das die Figuration der leaders mit – von Ausnahmen abgesehen – europäischer Dominanz förderte«. 54 So ist die Notwendigkeit der Organisationsdimension für das ›Weltereignis Konzil‹ in pragmatischer Hinsicht so einsichtig wie sie in religiöser Sicht ein Fremdkörper bleibt, der trotz oder gerade wegen der »Verkirchlichungsprozesse« im 19. Jahrhundert erklärungsbedürftig ist.55 Aber wie André Kieserling gesellschaftstheoretisch bezogen feststellt, muss man in allen Funktionssystemen der modernen Gesellschaft, also auch religionsbezogen, heute nicht nur mit Interaktion, sondern auch mit Organisation rechnen. Beide Begriffe bezeichnen Sozialsysteme eigener Art, die nicht durch Dekomposition des Gesamtsystems gebildet werden, sondern jeweils eigene Grundlagen der Ausdifferenzierung in Anspruch nehmen. Innerhalb dieser differenzierten Gesamtordnung komme Organisation eine gleichsam vermittelnde Position zu: »Es liegt an Organisationen, die gesellschaftliche Funktion so weit zu spezifizieren, daß das 54 55
Fresacher 2006, S. 51. Vgl. Gabriel/Kaufmann 1980, Kaufmann 1987, S. 39-44 sowie ders. 2000, S. 88-97.
»Weltereignis Konzil«
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Verhalten in der unmittelbaren Interaktion daran anschließen kann.« 56 Organisation hat also zunächst dienende Funktion im Sinne einer ›Ermöglichung von Interaktion‹, andererseits bekommt, wie noch zu sehen sein wird, organisatorische Rahmung für die Interaktion auch ambivalente Züge: »Die Interaktion gerät damit zunächst einmal unter den Druck von Erwartungen, die letztlich aus einer anderen Systemebene stammen« 57. Nicht zuletzt wird Organisation gebraucht, um parallel mehr als ein Thema vorzubereiten, zu behandeln, weiterzuführen etc. Bloße Interaktion kann Themen nur sukzessive verkraften (eines nach dem anderen), sonst würde sie in viele unterschiedliche, jeweils themenzentrierte kleinere Interaktionssysteme zerfallen.58 Wie der Interaktionszusammenhang des Weltereignisses Konzil sich historisch gestaltete, so dass ein anderer Konzilsberichterstatter rückblickend sagen kann: »Das Konzil wird zur Welt« 59, ist Gegenstand der folgenden interaktionssoziologischen Analyse, die sich an Stichwehs Definition anlehnt: »Ein Weltereignis ist eine Interaktion unter Anwesenden – mit globaler Inklusion eines beobachtenden Publikums.« In ersten Schritt wird also die Interaktionslogik thematisiert, die beim »Ausnahmezustand« des Konzils Raum greifen konnte (Kapitel 3). Dann geht es um die Besonderheit der Verfahrenslogik, die mit dem Interaktionszusammenhang des Konzils, der vor allem ein Entscheidungsmechanismus ist, zu tun hat (Kapitel 4). Wie weit trotz des Konzilsgeheimnisses das Zweite Vatikanum ein Weltpublikum ansprechen konnte, ist Thema des fünften Zugriffs (Kapitel 5), so dass schließlich die für das Konzil relevanten Konfliktdynamiken besprochen werden können (Kapitel 6).
Kieserling 1999, S. 339f. Ebd., S. 340. 58 Das Beispiel des schulischen Unterrichts macht dieses einsichtig: Er kann nur dann als ein Interaktionssystem stattfinden, wenn es gelingt, die Aufmerksamkeit auf das Unterrichtsgespräch zu lenken und aus der Lehrerperspektive zu verhindern, dass ›gequatscht‹ wird, dass also andere Themen Banknachbarn in eigenständige Interaktionssysteme involvieren. 59 Galli/Moosbrugger 1966a, S. 61. 56 57
3. Interaktion als »Ausnahmezustand«
Das Außergewöhnliche am Interaktionszusammenhang des »Weltereignisses Konzil« ist – im Unterschied zu anderen Situationen kirchlicher Leitungsformen, dass diese Sozialform für die beteiligten Akteure, also für die Teilnehmer vor Ort, aber auch sichtbar für das Weltpublikum, Erkenntnisformen bereithält, die über rein versprachlichte Rationalität hinausgehen und auf Kopräsenz basieren. Das Besondere an der Interaktion ist die Ermöglichung reflexiver Wahrnehmung. Im Gegensatz dazu wird, so André Kieserling, die traditionelle Auszeichnung des Denkens vor der Wahrnehmung unter anderem dadurch begründet, dass man meinte, nur der Denkprozess, nicht auch der Wahrnehmungsprozess könne reflexiv werden, indem er auf sich selbst oder auf einen anderen Prozess gleicher Art angewandt werde. Man konnte sich ein Denken des Denkens, nicht aber eine Wahrnehmung der Wahrnehmung vorstellen: »Nun gibt es aber durchaus eine Reflexivität auch des Wahrnehmens. Man muß sich nur die sozialen Situationen, nämlich Situationen mit mehr als einem Prozessor für Wahrnehmungen vorstellen, und schon sieht man, daß auch Wahrnehmung wahrgenommen werden kann, nämlich am anderen.« 1 Reflexive Wahrnehmung beschreibt der Soziologe also als präkommunikative Sozialität, mit für die Interaktion folgenden Implikationen, dass »sie präkommunikative mit kommunikativer Sozialität kombiniert [...] Diese Kombination von präkommunikativer und kommunikativer Sozialität läßt sich für andere Sozialsysteme nicht oder wenn doch, dann nur durch Rückgriff auf Interaktion realisieren.« 2 Besonders interessant sind dabei die Überraschungen, also die unerwarteten Erfahrungen, welche als informativer ›Mehrwert‹ die Emergenz des Ereignisses als einer eigenständigen Systemebene ausmachen. Inwieweit dabei aus positiven wie negativen Erwartungsenttäuschungen Lernbereitschaft entstehen kann, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es gelingt, deren Normativität kognitiv einzuholen.3 Bereits die Eröffnung dieses großen Interaktionszusammenhangs durch die Einberufung des Konzils kam unerwartet. Wie gestaltet sich die auf die überraKieserling 1999, S. 117. Ebd., S. 119. 3 Vgl. zu Erwartung, Enttäuschung, Normativität und Kognitivität Luhmann 1975a/2005, S.68ff sowie zum überraschenden Neuigkeitswert eines Weltereignisses Torp 2008. 1 2
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Das Zweite Vatikanische Konzil
schende convocatio durch den Papst erfolgende congregatio der Väter? Für das Konstitutionsprinzip der Interaktion als einer eigenständigen sozialen Ebene hat Kieserling die Formel geprägt, dass sie »Personen in Hörweite und Körper in Griffnähe« bringe. Der nachgeborene Beobachter steht außen vor und kann sich über vierzig Jahre nach dem Konzil nur von Dritten erzählen lassen, wie es gewesen sei; er ist also auf die Arbeit der Historiker angewiesen. Doch die Antwort auf die Frage, warum gerade zu diesem bestimmten Zeitpunkt globale Interaktion in Form eines Konzils inszeniert wurde, bleibt angesichts der Unwahrscheinlichkeit seiner Einberufung aufgrund der Unfehlbarkeitsdefinition des Ersten Vatikanums, welche solche Zusammenkünfte überflüssig machen sollte, eher unklar. Sie wird vor allem in der Person Johannes XXIII. zu suchen sein.4 Neue technische Entwicklungen in Sachen Kommunikation und Transport wie Flugzeug und Telekommunikation sind zwar die Bedingungen seiner Möglichkeit, sie erklären aber nicht das Zustandekommen des Konzils, denn gerade vor dem Hintergrund neuer Kommunikationsmedien gilt: »Interaktion wird etwas besonderes, wenn Kommunikation auch in anderer Form möglich ist.« 5 So überraschend das Konzil Realität wurde, sind weltweite Zusammenkünfte in Form von Kongressen innerkatholisch durchaus erprobt, wie beispielsweise der Eucharistische Weltkongress zeigt, der 1960 in München stattfand und für viele zukünftige Konzilsväter gern genommener Anlass zur Vorbereitung auf das Konzil war.6 Doch das Konzil selbst ist von anderer Dimension, deren sozialer Inklusionsbereich in seinem Ausmaß ebenso wie die sachthematische Breite für den Zusammenhang der Interaktion gefährlich wird: Vor diesem Hintergrund liegt die interne Sprengkraft des Interaktionszusammenhangs ›Weltereignis Konzil‹ vor allem im Zeitlichen, wie man an dem journalistischen Bericht über das KonSo gibt es die Vorstellung, dass bereits im Konklave, aus dem Angelo Giuseppe Roncalli als Johannes XXIII. hervorging, ein mögliches Konzil thematisiert wurde. 5 Kieserling 1999, 242. Die »gewaltige Spannweite zwischen stabilen und labilen, strukturellen und prozessualen, integrativen und adaptiven Systemkomponenten ist wahrscheinlich der entscheidende Vorzug elementarer Interaktionen, aus dem sich ihr universelles Vorkommen und ihre funktionale Unentbehrlichkeit selbst innerhalb ausgesprochen überräumlich konstituierten Sozialsysteme (Verwandtschaften, Kirchen, Wissenschaftsdisziplinen u.a.) erklärt.« Geser 1990, S. 230. 6 Vgl. zur Geschichte der Eucharistischen Weltkongresse allgemein, die 1881 in Lille beginnt und vor dem Konzil an wechselnden Orten in der Welt 37 Mal veranstaltet werden, Pratzner 2002. Zum Eucharistischen Weltkongress 1960 in München »statio orbis«, dortiger »Selbstdarstellung von Kirche« und »Konzilsvorbereitung« vgl. Ratzinger 1961a, S. 232: »Damit ist der Eucharistische Kongreß von München zu einem Markstein der liturgischen und theologischen Entwicklung geworden, wegweisend für die ganze Kirche. Er hat ein neues Modell eines Eucharistischen Kongresses geschaffen, das von dem bisherigen nicht unerheblich abweicht, in Zukunft aber nicht mehr wird übergangen werden können. Er hat insofern zweifellos ein gut Stück Konzilsvorbereitung geleistet, jene gereinigte neue Selbstdarstellung der Kirche mit anbahnen geholfen, die nach dem Willen des Papstes als Frucht des Konzis reifen soll.« 27 Kardinäle mit Bild und weitere 377 Bischöfe aus 57 Ländern und Weltregionen sind in der Dokumentation des Weltkongresses namentlich als Teilnehmer aufgeführt, vgl. Egenter/Pirner/Hofbauer 1961, S. 17ff. 4
Interaktion als »Ausnahmezustand«
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zil zu dem fortgeschrittenen Stadium seiner dritten Sitzungsperiode sehen kann: »Ein Konzil ist ein Ausnahmezustand; wird es zur Gewohnheit, verliert es an Glanz. [...] Viele Bischöfe drängten nach Hause. Etwas zur Abkürzung mußte ja tatsächlich geschehen.« 7 Abbildung 4:
Hören und Sehen in der Konzilsaula
Zur Analyse des stets prekären Interaktionszusammenhangs wird im Folgenden auf einen Differenzierungsvorschlag des Schweizer Soziologen Hans Geser zurückgegriffen, der interaktionsbezogen zwischen den Ebenen »Anwesenheit« (3.1), »Erscheinung« (3.2), »Gestik« (3.3) und »Sprache« (3.4) unterscheidet. Das Interessante dieses Analysemodells ist, dass hierbei die höheren Ebenen Galli/Moosbrugger 1965, S. 49: »›Wollte man in voller Gründlichkeit alle Fragen einer wünschbaren Neuorientierung der Kirche behandeln, dann müßte das Konzils nicht drei oder vier, sondern acht, neun oder zehn Sessionen abhalten – und wir werden durchhalten.‹ Also sprach voll Ingrimm ein amerikanischer Bischof, als er befragt wurde, was er zu der Tendenz gewisser machtvoller Kreise denke, die dahin strebten, mit der dritten Session das Zweite Vatikanische Konzil abzuschließen. Nun, er war ein Amerikaner; er hatte Geld, und ein zahlreicher Klerus stand ihm zur Seite; seine Diözesanangelegenheiten waren wohlgeordnet, und ein tüchtiger Generalvikar vertrat ihn in seiner Abwesenheit. Ganz ein anderes Bild boten die Entwicklungsländer. War dort ein Bischof abwesend, drohte alles in sich zusammenzufallen; die Finanzen waren knapp; mitten im Aufbau war die ständige Gegenwart des Bischofs fast unerlässlich. Überdies ging das Schlagwort von der ›provisorischen Kirche‹ um. Vieles wurde nicht erledigt, weil man abwarten wollte, welche Änderungen das Konzil bringen werde. Mochte das Schlagwort auch übertrieben sein – jedes Schlagwort hat eine Schlagseite –, ein richtiger Kern lag ihm doch zugrunde.« 7
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Das Zweite Vatikanische Konzil
jeweils in allen niedrigeren Niveaus fundiert sind, so dass »sich Sprache immer nur im Medium der Gestik, die Gestik nur vermittelst persönlicher Erscheinung und diese wiederum nur auf der Basis von Anwesenheit konstituiert.« Mit einer Spitze gegen rein linguistische Diskurstheorien, welche »mündliche Verbalkommunikation« von ihrem mitkonstituierenden nonverbalen Kommunikationskontext isolieren, weist er auf die in der Interaktion angelegte semantische Spezifikation hin, die gegenläufig zu ihren Konstitutionsbedingungen »von oben nach unten« wirkt: »So erhalten beispielsweise Anwesenheiten erst im Kontext gestischer Kundgaben und diese wiederum oft nur im Rahmen verbaler Begleitkommunikationen ihren spezifischen Sinn; und nur der Sprache eignet die Fähigkeit, den Sinn kommunikativer Kundgaben medienimmanent zu konstituieren.« 8 Während spätere Kapitel der Studie auf die Literalität des Konzils zu sprechen kommen und dessen die Vergesellschaftung des Katholizismus betreffenden ›Textergebnisse‹ interpretieren, geht es hier um deren interaktive Entstehungsvoraussetzungen, also gleichermaßen um die Oralität, Visualität und, wenn man so will, die Haptik des Konzils, dessen interaktive Weltereignishaftigkeit in der zeitgenössischen Beobachtung von Gallis emphatisch so zum Ausdruck kommt: »Heute, da die technischen Errungenschaften die Welt zu einer Welt machen, bergen solche menschlichen Beziehungen den Schlüssel zum Frieden der Menschheit. Beim Konzil was es nicht anders. [...] Die Kräfte des Glaubens und der Liebe müssen ›entbunden‹, sie müssen ›verkörpert‹, sie müssen mit lebendigem Fleisch ›umkleidet‹ werden. Das geschieht eben erst in der Begegnung von Mensch zu Mensch. Dieses Erlebnis fehlte bis heute in der Mehrzahl. Am Konzil wurde es Wirklichkeit. Es begegneten sich Bischöfe aller Kontinente auf der Straße, im Restaurant, bei Empfängen, im Hotel, wo sie wohnten. Die Kontaktbegabten spielten eine unvorhergesehene Rolle. Viele sagen: Hier begann eine Wende der Kirche zum universalen Denken, deren Tragweite erst spätere Zeiten erkennen werden.« 9 3.1 Anwesenheit Die Besonderheit von Interaktionen als Sozialsystemen ist, dass »sie körperlich anwesende menschliche Personen als ihr basales Trägermedium benutzen«10. Man kann dichotomisch differenzieren, Anwesenheit und Abwesenheit ist gleichermaßen objektiv wie voraussetzungsfrei feststellbar. Während in sachlicher Hinsicht pure Anwesenheit die Rahmenbedingungen der Interaktion generell inhaltsfrei konstituiert, gibt es sozial und zeitlich gesehen wenig GeneralisieGeser 1990, S. 228. Galli/Moosbrugger 1963, S. 96. 10 Geser 1990, S. 208. 8 9
Interaktion als »Ausnahmezustand«
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rungsmöglichkeit, denn das Strukturbildungsprinzip Anwesenheit beruht zum einen auf der Nichtsubstituierbarkeit der anwesenden Personen, welche dann durch »Wegbleiben« oder »Weggehen« entweder das System variieren oder es sogar auflösen. Anwesenheit, die im Horizont verschiedener Alternativen eine Frage der Wahl war, wird selbst zur kommunikativen Kundgabe: »Unstrittigen Handlungscharakter aber haben jene Anwesenheiten, die auf expliziten vorgängigen Vereinbarungen beruhen und/oder zur deren Zustandekommen aufwendige Ortsveränderungen (Reisen u.a.) notwendig waren.« 11 Gerade bei vielbeschäftigten Elitepersonen, wie es Bischöfe sind, ist »Anwesenheitsmanagement« gefordert und physische Anwesenheit ein »knappes Gut«, so dass »Dasein« einerseits die Basisintegration des Interaktionssystems ausmacht und andererseits als quantifizierbare und objektivierbare Größe die einfachste Form der »Sozialen Kontrolle« darstellt. Bei den folgenden vier Anwesenheitsgruppen als Teilnehmer am Interaktionszusammenhang des Konzils geht es zunächst um die Kategorie der Konzilsväter selbst, deren Versammlung definitorisch ein Konzil ausmacht. Doch ist ihre gesteigerte Anzahl, ihre globale Repräsentativität sowie ihre gesteigerte Internationalität, also das, was Rahner dazu bewog, vom Konzil als dem »ersten Selbstvollzug von Weltkirche« zu sprechen, bloß eine logische Folge des eingangs als quantitativen Globalisierungsschub gekennzeichneten katholischen Expansionsprozesses im 19. Jahrhundert. Innovationen oder Effekte ›lernender Organisation‹ im Sinne einer nun auch qualitativen Globalisierung sind dagegen, wie noch zu zeigen ist, vor allem dort sichtbar, wo darüber hinaus innerchristlich über die Beteiligung der nichtkatholischen Beobachter Ökumenizität angestrebt wird. Schließlich zeigt sich innerkirchlich Strukturenvielfalt dadurch, dass neben den theologischen Beratern auch Laienvertreter geladen werden, so dass über Expertise hinausgehend das Konzil wenigstens im Prinzip den aus dem Mittelalter stammenden Charakter einer ›alle‹ inkludierenden Standesversammlung zurückgewinnt. Patres Concilii Der Interaktionsspielraum hat sich deutlich vergrößert: Das Zweite Vatikanum umfasste viermal so viele Teilnehmer wie noch das Erste Vatikanische Konzil. Im Vorfeld sind 2851 Einladungen verschickt worden, damit erhielten 85 Kardinäle, acht Patriarchen, 533 Erzbischöfe, 2131 Bischöfe, 26 Äbte und 68 Ordensobere die Berechtigung zur Konzilsvaterschaft. Die Geladenen kamen aus 79 Ländern, 38% stammten aus Europa, 31% aus Amerika, 20% aus Asien und O-
11
Ebd., S. 209.
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zeanien sowie 10% aus Afrika.12 Von den ca. 500 Bischöfen, die der Einladung zur Eröffnung nicht folgen konnten, begründeten an die zweihundert, dass ihr Gesundheitszustand die Reise nicht gestatte; weitere 200 stammten aus dem Territorium des ›Ostblocks‹. Die Ankunft von Bischöfen aus dem Ostblock war aufgrund der mit Repressalien verbundenen schwierigen Ausreisebedingungen besonders beachtet, so dass ihre Gruppe sofort in Privataudienz vom Papst empfangen wurde. 13 Die meisten Teilnehmer gelangten mit dem Flugzeug an den Tagungsort und hatten so trotz größter Distanzen geringe Reisezeiten von wenigen Stunden. Der Flughafen Fiumicino (Rom) wurde durch die geballte Ankunft der Väter in den Tagen vor dem Konzil regelrecht zu einem klerikalen Ort mit entsprechenden Hinweis-/Orientierungsbeschilderung für die Konzilsteilnehmer. Nach der Weiterfahrt mit dem Zug in die Innenstadt standen am Bahnhof in Rom Empfangsdelegationen bereit. Es gab mit den australischen Bischöfen aber auch Prälaten, die mit dem Seeweg eine etwas antiquierte Reiseform wählten, dieses aber bewusst taten, um die an Bord zur Verfügung stehende Reisezeit zum gründlichen gemeinsamen Studium der ausgearbeiteten Schemata zu nutzen. Das bunte Bild der Bischöfe aus den verschiedenen Erdteilen sorgte vor der mediterranen Kulisse für eine herzliche Atmosphäre in Rom.14 Mit allen Sekretären und theologischen Sachverständigen sind es 7.500 Personen, die in Rom erwartet wurden, um direkt oder indirekt an den Arbeiten des Konzils teilzunehmen; zählt man die Beobachter und Presseleute noch dazu, waren im Zusammenhang mit dem Konzil etwa 10.000 Menschen in Rom, die
Vgl. hierzu und im Folgenden Wittstadt 1997. Vgl. das Beispiel des Erzbischofs von Prag, Joseph Beran, der während der ersten drei Perioden interniert war und an der Ausreise aus der Tschechoslowakei gehindert wurde. Nachdem er schließlich freigelassen, an der vierten Sitzungsperiode teilnehmen durfte und gleich demonstrativ zum Kardinal ernannt wurde, konnte er nicht wieder in die Heimat zurückkehren. Vgl. dazu Galli/Moosbrugger 1966, S. 278. Bei Bischofsversammlungen (Synoden) in der Gegenwart stellen sich solche Fragen nunmehr nur hinsichtlich der Volksrepublik China. 14 Kontrastiv hierzu liest sich die Schilderung der Anreisebedingungen beim Ersten Vatikanum bei Schatz 1993, S. 4f.: »Wir sind hierher geflogen! – so drückt Ketteler sein Empfinden in einem Brief an seinen Bruder Wilderich aus, nachdem er die damals etwa 1100 Bahnkilometer von Mainz nach Bologna in 32 Stunden (nicht gerechnet einen dreistündigen Aufenthalt in Padua), also mit einem Durchschnitt von 34 km/h, zurückgelegt hat. Reisebedingungen, die bereits zwei bis drei Jahrzehnte später langsam, primitiv und geradezu abenteuerlich erscheinen mochten, wurden damals doch als höchst komfortabel und rasch empfunden. Zwei berühmte Verkehrswege wurden im Vorjahre des Konzils vollendet. Der eine war die im Mai 1869 fertiggestellte Pazifikbahn, die eine Eisenbahnverbindung durch den ganzen nordamerikanischen Kontinent schuf. Der andere war der Suezkanal, am 17. November feierlich eröffnet, wichtig für den Schiffsweg nach Indien und dem Fernen Osten. [...] Nicht mehr nach Tagen, sondern nach ein bis drei Monaten bemaß sich die Reise für die Konzilsväter aus Übersee [...] Eine wesentliche Erleichterung vor allem in den Reisekosten stellte es dar, daß die französische Regierung alle Missionsbischöfe gleichwelcher Nationalität auf den Schiffen der französischen Kriegsmarine zum Konzil reisen ließ.« 12 13
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alle untergebracht werden mussten. In der Hauptstadt der Weltkirche befinden sich Seminare, Studien- und Ordenshäuser nahezu aller Nationalitäten, so dass die Mehrzahl der Väter in religiösen Häusern beherbergt werden konnte. Die ca. 140 Bischöfe aus den ›reichen‹ USA mieteten für sich und ihre Begleiter, insgesamt also für vierhundert Personen, drei komfortable Hotels, darunter auch das Grand Hotel. Damit sind (bereits vorgreifend) auch sozialstrukturelle Unterschiede zwischen den Teilnehmern angesprochen – vor allem hinsichtlich der finanziellen Potenz, die eigene Unterkunft und Reise selbst zu bestreiten, wozu ca. 1.000 nicht in der Lage waren. Da dies ausdrücklich kein Hindernis für die Teilnahme sein sollte, übernahm der Heilige Stuhl die Kosten der Unterbringung von schließlich 3.000 Personen (Bischöfe, Sekretäre und private Theologen) mit Herkunft aus der »Dritten Welt«, für die die Finanzierung der Teilnahme aus Mitteln schwierig war. Für die Deckung der Kosten wurden zwar anfänglich Grundstücksveräußerungen aus dem Besitz des Vatikans in Erwägung gezogen, doch blieb dies unnötig, da schließlich genügend Mittel von Gläubigen gespendet wurden. Größere Solidaritätsbeiträge kamen von den Nordamerikanern sowie von der Deutschen Bischofskonferenz. Von »sozialstruktureller Stratifikation« zu sprechen, wäre zu heftig, gab es doch hinsichtlich der offiziellen Seite des Konzils Bemühungen, nicht aus dem Amt resultierende Statusdifferenzen aus dem Blickfeld zu halten und bei Bedarf sehr diskret zu helfen. 15 Dass Unterschiede dennoch registriert wurden, wird aber durch folgendes Bonmot deutlich: »Der Transport von den Unterkünften zur Peterskirche und zurück vollzog sich in Sonderbussen, die die Konzilsorganisatoren bei römischen Unternehmen gechartert hatten und deren festgelegte Routen alle Unterkünfte berührten. Die Kardinäle bewegten sich in luxuriösen PKWs mit dem Kennzeichen SCV, Sacra Città del Vaticano, fort; das waren Mercedes, auf die die Römer maliziös das Wort aus dem Evangelium anwandten: ›Iam receperunt mercedem suam – sie haben ihren Lohn (mercedes) schon empfangen‹ (Mt 6,16).« 16 Unter Berufung sowohl auf offiziell-vatikanische wie auf offiziös-journalistische Statistiken bringt Raguer in seiner Untersuchung bezüglich der Zusammensetzung der Konzilsteilnehmer leicht divergierende Zahlen, deren unterschiedliches Entstehen damit begründet sein kann, dass diese teilweise neben innerkirchlichen auch politische Veränderungen im Konzilsverlauf berücksichtigen. »Nach einer offiziellen vatikanischen Information belief sich die Zahl der Galli/Moosbrugger 1964, S. 125: »Es gibt eine Ausgleichskasse, in welche die reichen Bischöfe einzahlen für die armen. Die Kasse ist anonym, damit niemand weiß, was er gegeben hat. Man will keinen Druck ausüben noch Anlass geben zu Geschwätz. [...] Es werden auch keineswegs alle armen Bischöfe aus dieser Kasse bezahlt. Wir trafen eine schwarze Exzellenz, die uns sagte, ›Wie ich mein Zimmer bezahlen werden, weiß ich noch nicht. Ich habe viele um Hilfe gebeten. Einer wird es schon auf sich nehmen.‹« 16 Raguer 2000, S. 212. 15
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Teilnahmeberechtigten bei der ersten Sitzungsperiode auf 2904; faktisch anwesend waren allerdings nur 2449 (89,34%). Nach offiziösen Statistiken, die unter Journalisten kursierten, waren zum Konzil 2778 Personen geladen. Davon waren 87 Kardinäle und Patriarchen (3,4%), 1619 Erzbischöfe und Residentialbischöfe einer Diözese (58,2%), 975 Titular- oder Weihbischöfe (35%) und 97 Generalobere von Orden und Kongregationen. Von den Konzilsvätern waren 939 Ordensleute (38%), der Rest gehörte zum Weltklerus.« Hinsichtlich der territorialen Repräsentativität sieht die Konzilszusammensetzung so aus: »Die Teilnehmer kamen aus 116 verschiedenen Staaten: 849 aus Westeuropa, 601 aus Lateinamerika, 332 aus Nordamerika, 256 aus dem asiatischen Raum, 250 aus Schwarzafrika, 174 aus dem kommunistischen Block, 95 aus der arabischen Welt und siebzig aus Ozeanien. Westeuropa mit seinen 33,70% der katholischen Weltbevölkerung entsandte 31,60% der Konzilsväter, während Lateinamerika mit 35,53% aller Katholiken der Welt nur 22,33% stellte. Relativ überrepräsentiert waren Schwarzafrika mit 4,08% der Katholiken und 9,30% der Väter, die arabische Welt mit 0,51% der Katholiken und 3,53% der Väter, Asien und Ozeanien mit 6,71% der Katholiken und 12,10% der Väter sowie Nordamerika mit 8,69% der Katholiken und 12,36 der Konzilsväter.« Insgesamt seien 1894 Konzilsväter kontinuierlich bei allen vier Sitzungsperioden dabei gewesen. Bereits der quantitative Unterschied des Zweiten Vatikanums gegenüber allen früheren Konzilien verursachte einen qualitativen Wandel, indem diese bis dahin weltweit größte beschlussfassende Versammlung notwendigerweise in ihrem Arbeitsmodus auch auf moderne Methoden parlamentarischer Praxis zurückgreifen musste. Darüber hinaus seien die an der Kontaktbörse der Erfrischungsbar im Nebenraum der Konzilaula entstandenen Netzwerke zwischen den Episkopaten verschiedener Länder für die Ergebnisse von besonderer Wichtigkeit gewesen.17 Nun zu der mit der allgemeinen Anwesenheit der Interaktionsteilnehmer besonderen Auffälligkeit des Zweiten Vatikanums: Eine früher eher marginalisierte Gruppe mit nunmehr großem Einfluss auf den Konzilsverlauf waren die nicht mit den politisch definierten Ostblockvertretern zu verwechselnden Ostkirchenvertreter, die als Unierte die im Laufe der Jahrhunderte nach der mittelalterlichen Kirchenspaltung wieder mit Rom verbundenen Teile orthodoxer Kirchen repräsentierten. Jan Grootaers zielt auf ihr liturgisches Eigenleben, den Beitrag ihrer auf der patristischen Tradition beruhenden Theologie, ihre Lebenserfahrung mit dem Begriff Partikularkirche hinsichtlich des beim Konzil von den Quellen her wiederbelebten katholischen Kirchenbildes, wenn er diesbezüglich feststellt: »Diese Mitwirkung hat deutlich werden lassen, daß die lateinische Kirche, und sei sie noch so zahlreich, noch nicht die katholische Kirche ist. Die besten Redner der Ostkirchen haben gezeigt, daß diese wirklich katholische Kirche kein 17
Vgl. ebd.
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Monolith ist und keineswegs an eine gegebene Kultur gebunden, sondern daß sie alle Kulturen aufnehmen kann.« 18 Herausragend ist hier die charismatische Figur des Patriarchen Maximos IV., der es ablehnte, den Begriff der »Partikularkirche« allein für den Osten zu verwenden, da die lateinische Kirche ebenfalls eine Partikularkirche sei. Auch erinnerte er daran, dass der Bischof von Rom selbst zunächst der Patriarch des Westens sei. Die Versammlung der Konzilsteilnehmer zu einem umfassenden Interaktionssystem ermöglichte auch eine Veränderung der Wahrnehmung, aus der größere Aufmerksamkeit für die horizontale Dimension resultierte. Sie beeinflusste unter dem Begriff »Kollegialität« auch die inhaltliche Arbeit des Konzils. Diese innerkatholische Horizontale war lange Zeit durch vertikal-hierarchische Organisationsstrukturen aus dem Bewusstsein verdrängt. Entgegen daraus resultierender Vereinzelungstendenzen der Ortsbischöfe an der Peripherie (Basis) gegenüber dem hierarchisierten Zentrum wurden nun neue Vergemeinschaftungsprozesse unter den Bischöfen ›auf gleicher Augenhöhe‹ befördert. Solche ›Netzwerkbildungen‹19 wurden auch dadurch erleichtert, dass neu entstandene Kontakte mit schon vorhandenen Strukturen verknüpft werden konnten. Als Beispiel hierfür profitierte der Kölner Kardinal Frings hinsichtlich seiner Popularität von ›weltkirchlichen‹ Bekanntschaften, die er aufgrund der Gründung des Hilfswerks Misereor20 wie auch der in der Nachkriegszeit entstandenen Bistumspartnerschaft zwischen Köln und Tokio zum Konzil mitbrachte. Diese innovativen Erfahrungen der Horizontalen gewinnen an Eigendynamik und wirken aktivierend auf die Identität und das Amtsverständnis der Teilnehmer, welche sich ihres eigenen Stellenwertes neu bewusst werden, der über die bloß hierarchisch-intermediäre, die Zentrum/Peripherie-Differenz überbrückende Vermittlungsfunktion römischer Entscheidungen hinausgeht. So zählt auch Grootaers zu den ersten Konsequenzen der Verständigungsprozesse auf dem Konzil »eine offensichtliche Veränderung in den Beziehungen der Bischöfe untereinander. Nachdem sie sich gegenseitig entdeckt haben, knüpfen die Bischöfe untereinander ein Netz aus brüderlichen und dauerhaften Beziehungen, das zuvor undenkbar war. Darin liegen ein Wechsel im Stil und eine neue Qualität des kirchlichen Lebens.«21 Doch das Bild dieses Episkopaleffektes ist keineswegs homogen; Ungleichzeitigkeiten wie auch grundsätzlich divergierende Selbstverständnisse sind gut an den Hirtenschreiben der Zeit ablesbar: Dabei ist in Bezug auf die ›horizontale Offenheit‹ die Bewertung der journalistischen Berichterstattung über das Konzil durch die Bischöfe ein aufschlussreiches Thema. Hierbei sind starke Kontraste zu verzeichnen; einerseits Einverständnis signalisierende, regelrechte »LobesGrootaers 2000, S. 553. Bommes/Tacke 2006. 20 Vgl. Angel 2002, v.a. S. 45ff. 21 Grootaers 2000a, S. 620. 18 19
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hymnen« des niederländischen Episkopats und andererseits die heftigen Anklagen gegen die Presse, welche sich an politischen oder unbedeutenden Aspekten des Konzils aufhalte und so das wahre Gesicht des Ereignisses verdecke, wie beispielsweise der italienische Bischof Pelaia von Tricarico moniert. Besonders interessant ist es aber, wenn die neuen römisch-horizontalen Konsultationserfahrungen auf die Ortsebene der einzelnen Diözese übertragen werden und für die Ausübung des episkopalen Lehramtes nunmehr auch auf konsultative Methoden zurückgegriffen wird: »So war der Hirtenbrief, den Bischof de Smedt (Brugge) im April 1963 dem Thema Familie widmete, das Ergebnis einer aktiven Mitarbeit von mehreren Tausend Laien, die sich durch die Zusendung von Vorschlägen am Zustandekommen des Textes beteiligt hatten.« 22 Alberigo beschreibt die Interaktionsbedingungen des Anfangs und den damit verbundenen Lernprozess zu Beginn des Konzils in der Weise, dass anfänglich die in Rom zusammengekommenen Bischöfe in ihrer großen Mehrheit ein nur »schwaches konziliares Bewusstsein« gehabt hätten und der Beginn der Konzilsarbeiten durch ein Klima devoter Unterordnung gekennzeichnet gewesen sei. Das römische Heimspiel der Kurie wirkte angesichts der Fremdheit vieler Väter zunächst verunsichernd. Doch diese Not wird schnell zur interaktiven Tugend: Die große Mehrheit kommt von der Peripherie und möchte sich angesichts ihrer Fremdheit im Zentrum erst einmal kennenlernen. Dass aber entgegen der Vorstellung vieler die erste Arbeitsperiode ohne irgendeine abschließende Entscheidung zu Ende gegangen ist, ist ein Indiz für eine unmissverständliche Ablehnung der Vorbereitungsarbeit und ein Zeugnis dafür, dass das Konzil sich seiner historischen Rolle zunehmend bewusst wurde. 23 Melloni stellt hinsichtlich der zweiten Sitzungsperiode, bei der 400 neue Teilnehmer in den Prozess integriert werden mussten, weitere Fortschritte fest: »Statt ein wenig von den Experten geführt zu werden, organisieren sie sich nun selbst in kleinen Arbeitsgruppen und ziehen dann ihre Experten bei, damit diese ihnen helfen. Sie sind offensichtlich mehr bei ihrer Sache und aktiver als im letzten Jahr. Sie leben das Konzil in allem Ernst.« 24 Die Konzilsversammlung musste also im Laufe der sich über vier Jahre erstreckenden Sitzungen mit unterschiedlichen ›Anwesenheitsquoten‹ zurechtkommen, was ihrer Akzeptanz aber keinen Abbruch tat.25 So waren in der dritten Sessio 2.366 oder 80,23 Prozent von insgesamt 3.074 Teilnahmeberechtigten Ebd., S. 622. 2000, S. 681. 24 Melloni 2002, S. 61. 25 Neben gesundheitlichen Problemen und politischen Konditionen wurden auch pragmatische Gründe für Abwesenheiten beim Konzil angeführt. So z.B. sagte der Bostoner Erzbischof Richard Kardinal Cushing, der »nur für die Judenfrage und zur Verteidigung der Erklärung zur religiösen Freiheit« in Rom weilte, dass jedesmal, wenn er fortginge, sein Caritas-Fond darunter leide; er beziffert den geschätzten täglichen Verlust auf 20.000 Dollar. Vgl. Galli/Moosbrugger 1966, S. 277. 22
23 Alberigo
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anwesend, was im Vergleich der niedrigste Prozentsatz bei allen vier Sitzungsperioden war. 26 Interessant ist, dass, wohl um ›Konzilsfreiheit‹ zu signalisieren, der Papst außer bei öffentlichen Sitzungen wie Eröffnungsfeiern oder für die Promulgation von Konzilstexten die ›normalen‹ Generalkongregationen als Abwesender per Videoübertragung von seinem Arbeitszimmer aus verfolgte und sich in seinem Konzilsvorsitz durch entsprechende Organe vertreten ließ.27 Observatores Das Novum des Zweiten Vatikanischen Konzils schlechthin ist, dass die verschiedenen christlichen Konfessionen eingeladen waren, Vertreter als Beobachter zu entsenden. Die Anwesenheit von Nichtkatholiken, die während der Sitzungen in der Aula für alle sichtbar vorne gegenüber den Kardinälen ihren Platz hatten, prägt den dort gepflegten Interaktionsstil und ist – auch ohne dass den Beobachtern ein Rederecht eingeräumt wurde – folgenreicher als erwartet. In den Redebeiträgen in der Aula kann man nicht mehr bloß über die anderen – vielleicht sogar abfällig – sprechen, man muss sie vielmehr direkt ansprechen, denn sie sind ja anwesend. Die Diskontinuität zum Ersten Vatikanum, bei dem keine nichtkatholischen Vertreter anwesend waren, ist schon am Sprachgebrauch ablesbar: Nicht werden Abwesende als Schismatiker und Häretiker beschimpft, sondern Anwesende kommunikativ so eingebunden, dass sie als »getrennte Brüder« direkt adressiert werden. So richtet sich z.B. Paul VI. in der Eröffnungsansprache zur zweiten Session, seiner ersten Konzilsansprache als Papst, mit den Worten an sie: »Hier wendet sich Unsere Ansprache mit Ehrfurcht an die Vertreter der von der katholischen Kirche getrennten christlichen Bekenntnisse, die jedoch von ihr eingeladen wurden, in der Eigenschaft als Beobachter dieser feierlichen Versammlung beizuwohnen. Wir grüßen sie von Herzen. Wir danken ihnen für ihre Anwesenheit. Durch ihre Vermittlung senden Wir unsere Botschaft der Väterlichkeit und Brüderlichkeit an die ehrwürdigen christlichen Gemeinschaften, die sie hier vertreten. Unsere Stimme zittert, Unser Herz pocht, denn ihre heutige Nähe ist für uns ebenso unaussprechlicher Trost und froheste Hoffnung, wie ihre weiterdauernde Trennung Uns zutiefst schmerzt.« 28 Schon die Ankündigung des Konzils ruft eine Welle ökumenischer Begeisterung hervor, welche sich mit der Einrichtung des Einheitssekretariats noch verstärkt. Davon zeugt auch die 1960 erschienene Monographie »Konzil und Wiedervereinigung«, mit der der junge Schweizer Theologe Hans Küng VorstelVgl. Komonchak 2006, S. 12. Wittstadt 1997, S. 544. Ausnahmen bestätigen die Regel: So besucht Paul VI. auch einmal eine Arbeitssitzung des Konzils. 28 Zitiert nach Galli/Moosbrugger 1964, S. 19. 26 27
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lungen von einem möglichen Unionskonzil nährte. Dass das Zweite Vatikanum dies nicht leisten konnte, war genauso klar wie die mit solchen Titeln transportierte Motivationslage vieler Katholiken an der Basis. Aus mitteleuropäischer Sicht ging es in Sachen Ökumene aber vor allem um die Verbesserung des Verhältnisses zum Protestantismus, und so äußerte Papst Johannes XXIII. am 30. August 1959 dass, wenn Vertreter der ›getrennten Brüder‹ beim Konzil anwesend zu sein wünschten, sie willkommen seien. 29 Mit der sich anschließenden Einladung musste als Komplikation auch die amtlich-katholische Praxis, nach der bisher in ökumenischen Fragen offiziell neutrales Verhalten angesagt war, einen Kurswechsel vornehmen. Nun musste man die andere Seite zu etwas einladen, zu dem man in der Vergangenheit selbst nicht bereit war: »Eine Schwierigkeit auf dem Weg zur Anwesenheit von Nichtkatholiken auf dem Konzil war jedoch der langjährige Grundsatz des Hl. Offiziums, daß Katholiken nicht im Status von offiziellen Beobachtern an Zusammenkünften des Weltrats der Kirchen [...] teilnehmen konnten.« 30 Hier zeigt, sich wie Interaktionslogik auf Reziprozität gebaut ist, da Einladungen der einen Seite von der anderen zu erwidern sind; und wenn die eine eine Einladung annimmt, ist die andere unter Zugzwang. Dennoch: Die katholische Kirche ist andersherum auch nach dem Konzil nicht Mitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf, arbeitet aber in verschiedenen Bereichen dort mit, so z.B. in einer seit 1965 bestehenden gemeinsamen Arbeitsgruppe. Der protestantische Professor Cullmanns, der als Gast des Einheitssekretariats Konzilsbeobachter war, äußerte sich bei einer Pressekonferenz über die konkrete ökumenische Inklusivität des Weltereignisses so: »Wenn ich uns allmorgendlich unsere Plätze, die beinahe Ehrenplätze sind, gegenüber den Kardinälen einnehmen sehe, wenn der Konzilssekretär jeden Morgen nach der Messe das exeant omnes‹ (alle sollen hinausgehen) ausspricht und wir auf unseren Plätzen bleiben können, wundere ich mich immer wieder von neuem über die Art und Weise, mit der wir wirklich ganz in dieses Konzil hineingenommen sind.«31 Hier zeigt der Theologe den Unterschied in der Geheimhaltungspraxis auf, der gemacht wird zwischen bloß in öffentlichen Sitzungsanteilen wie beispielsweise der allmorgendlichen Messe in der Aula zugelassenen Journalisten, die im Eigentlichen der Interaktion also außen vor bleiben müssen, und den dort als passiven, aber teilnehmenden Beobachtern. Die Präsenz von nichtkatholischen Christen als Konzilsbeobachter und Vertreter ihrer jeweiligen Konfessionen und Kirchen in der Aula zeigt unter Repräsentativitätsgesichtspunkten den symbolischen Interaktionsgehalt des »Weltereignisses Konzil« vom Anspruch eines ökumenischen
Vgl. Komonchak 1997, S. 360. Ebd. 31 Zitiert nach Galli/Moosbrugger 1963, S. 73. 29 30
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Konzils: Indem seine soziale Inklusivität auf Teilnehmerseite den innerkatholischen Bereich überschreitet, gewinnt das Konzil gesamtchristliche Bedeutung. Die Kompetenzen des zunächst nur mit der Kontaktpflege zur protestantischen Seite beauftragten Einheitssekretariats wurden schnell auch auf die orthodoxen Kirchen ausgedehnt, nachdem diese sich über die Untätigkeit der entsprechenden Vorbereitungskommission beklagten. »Ende 1961 brachte Bea dies Papst Johannes zur Kenntnis, und dieser gab seine Einwilligung dazu. Von da an war das Sekretariat zuständig für alle ökumenischen Belange.«32 Allein der Gedanke an die Anwesenheit nichtkatholischer Christen beim Konzil bewirkte eine Reihe metaphernreicher semantischer Reaktionen wie etwa »Tauwetter der Beziehung Moskau/Rom« oder »Ende der Gegenreformation« 33. Doch nach der langen katholischen Abstinenz in Sachen Ökumene konnte das Zweite Vatikanische Konzil wohl ein wichtiger Motor werden, durfte sich jedoch nicht zum ökumenischen Gravitationszentrum aufspielen: »Die Entsendung von Beobachtern durch das Patriarchat von Moskau bereits zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils hatte den Eindruck von Flitterwochen zwischen Rom und Moskau geschaffen. Dieser Eindruck wurde während der Zwischensession 1962/ 63 noch verstärkt, allerdings mit zwei sehr unterschiedlichen Folgen: zum einen der Intensivierung von Zeichen der Verbundenheit zwischen Rom und Moskau; zum anderen aber und paradoxerweise der neuen Eifersucht, mit der sich Konstantinopel darum bemühte, eigene Vertreter zu entsenden, wenn auch ohne unmittelbaren Erfolg.« 34 Vor dem Hintergrund der Konzilseinladung offenbarten sich also ›katalytisch‹ auch innerorthodoxe Abstimmungsschwierigkeiten und Missverständnisse, die aber im Laufe des Konzils aus dem Weg geräumt werden sollten. Einerseits abgesondert, andererseits aber herausgehoben, gut sichtbar und in gewisser Weise privilegiert waren (in der ersten Sitzungsperiode) die 54 Nichtkatholiken in der Aula auf einer Sondertribüne platziert, d.h. 46 Beobachter und acht Gäste, die aufgrund ihrer Sympathie für den Katholizismus persönlich geladen waren »wie der Prior von Taizé, Roger Schutz, oder der Theologe der Kommunität, Max Thurian, oder aufgrund ihres Einsatzes für die Einheit der Christen, wie der Exeget Oscar Cullmann. [...] Die Baptist World Alliance war die einzige der großen protestantischen Konföderationen, die die Einladung durch den Vatikan nicht angenommen hatten, doch ihr Präsident, Joseph H. Jackson, nahm als Gast teil« 35. Ihre Zahl stieg von 68 in der zweiten auf 83 in der dritten Periode; die Gesamtzahl der repräsentierten Kirchen, Gemeinschaften und VereiEbd., S. 366. Vgl. den Titel des Bandes des evangelischen Konzilsjournalisten Hampe 1964 sowie postkonziliar den von Rahner/Galli/Baumhauer 1967: »Reformation aus Rom. Die katholische Kirche nach dem Konzil«. 34 Grootaers 2000a, S. 651. 35 Raguer 2000, S. 214. 32 33
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nigungen von 22 auf 24. Die Zahl der anwesenden Nichtkatholiken, die durch die zur Verfügung gestellte Simultanübersetzung dem lateinischen Konzilsgeschehen weitaus besser folgen konnte als viele Väter, schwankte im Laufe des Konzils, jedoch mit steigender Tendenz. Allerdings gelang in geografischer wie in konfessioneller Hinsicht keine vollständige Repräsentativität in Bezug auf die Gesamtheit der christlichen Kirchen, so dass die protestantische Seite zunächst stärker repräsentiert war. Dass sie als nichtkatholische Christen beim Konzil aber willkommen waren, drückte sich in zustimmenden Gesten beim freundlichen Empfang aus: »Schon bei der ersten Generalkongregation erhob sich lebhafter Applaus in der Konzilsaula, als einige Redner die anwesenden Beobachter erwähnten.« 36 Wenn man bezüglich der Beobachter über die ›Anwesenheit‹ hinaus schon auf ›Erscheinung‹, ›Gestik‹ und ›Sprache‹ vorgreifen möchte, kann man sagen, dass ihre zunächst diffuse Rolle als nicht Rede- und Stimmberechtigte, aber doch nicht bloß Außenstehende und Unbeteiligte sowie sogar auf verschiedene Weise ins Konzilsgeschehen involvierte Beobachter im Laufe des Konzils ihr volles Profil gewinnt: Dass sie mehr als bloß sachliches Interesse, nämlich der Wunsch zum Mitvollzug in die Aula führte, zeigten sie z.B. dadurch, dass sie bei feierlichen Anlässen in der Aula eigene liturgische Gewänder trugen.37 Die besondere Ambivalenz, welche mit der Anwesenheit von Nichtkatholiken für die katholische Versammlung verbunden ist, zeigt sich auch an dem differenzierten ›Grenzregime‹, das die Geschäftsordnung des Konzils unter dem Begriff ›Konzilsgeheimnis‹ versuchte. Dort wurde in drei Abschnitten festgelegt, dass Beobachter, Sonderfälle ausgenommen, zu öffentlichen Sitzungen der Konzilskommissionen zugelassen würden, jedoch kein Rede- und Stimmrecht. Zwar könnten sie sich frei mit den sie entsendenden Gremien verständigen, hätten aber mit allen anderen das Konzilsgeheimnis zu wahren. Das Sekretariat war verantwortlich für die Überwachung der Beziehung zwischen den Beobachtern und dem Konzil.38 Gerade diese Berichterstattung der nichtkatholischen Beobachter in Form persönlicher Zeugnisse und ›Protokolle‹ war es, die nach der ersten Konzilsperiode dazu beitrug, die Dynamik der ökumenischen Bewegung zu beschleunigen. Dabei ging es nicht bloß um Rechenschaft gegenüber den sie entsendenden Instanzen, vielmehr hätten die Beobachter als Delegierte ganzer Religionsgemeinschaften die Notwendigkeit empfunden, dies auch gegenüber der ›öffentlichen Meinung‹ ihrer jeweiligen Konfessionen zu tun. Über den eher passiven Einfluss ihrer Anwesenheit auf die ›Tonlage der Konzilsdebatten‹ hinaus liege gerade hierin die Aufwertung der Rolle der Konzilsbeobachter, die sich zunächst außerhalb der Aula im auf diese rückwirkenden gesellschaftlichen Diskurs aktiEbd., S. 218. Vgl. Plate 1966, S. 273. 38 Vgl. Komonchak 1997, S. 365. 36 37
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ver entfalten konnte. In seiner umfassenden Würdigung der Konzilsversammlung umreißt Lukas Vischer, Sekretär des Zentralkomitees des Ökumenischen Rates der Kirchen, die aus seiner Sicht für die Ökumene wichtigsten Punkte: Neben dem gemeinsamen Glaubensbekenntnis »im selben Herrn« habe das Konzil die ekklesiologische Bedeutung der nichtkatholischen Kirchen zu klären, das Thema der Religionsfreiheit und dabei besonders die Frage der gemischtkonfessionellen Ehen zu behandeln sowie über die Möglichkeit eines gemeinsamen christlichen Zeugnisses in der Gesellschaft von heute nachzudenken. Vischer sieht auch, dass die durch die katholische Kirche geschaffene neue Lage Rückwirkungen auf die anderen Kirchen und die Ökumenische Bewegung als Ganze haben werde, doch trotz der Öffnung auf römisch-katholischer Seite solle darauf geachtet werden, dass »nicht zwei Bewegungen mit unterschiedlicher Konzeption nebeneinander gestellt werden, die zueinander in Konkurrenz treten könnten.«39 In einer aus katholischer Sicht Umkehrung des Sachverhaltes vermuteten die reformierten Kirchen französischer Sprache, dass die »Rückkehr der Katholiken zum gemeinsamen Glauben der ersten Christen« unwahrscheinlich sei. Der protestantische Theologe Karl Barth dagegen nahm die ökumenische Öffnung der ersten Konzilsdebatten sehr positiv auf und auch die Vollversammlungen der verschiedenen Konfessionsfamilien wie des Lutherischen Weltbundes, der anglikanischen Kirche mit ihrem Kongress von Toronto sowie die erste methodistische Weltkonferenz in Lake Junaluska North Carolina beschäftigten sich mit dem Konzil: »All diese Versammlungen achteten darauf, Beobachter der römisch-katholischen Kirche einzuladen – ein offensichtliches Ergebnis der ersten Konzilsperiode«. 40 Die Gruppe der nichtkatholischen Beobachter bildete, abgegrenzt von der übrigen Versammlung beim Konzil, ein eigenes System, das sich auch zunehmend unter der Führung der Delegierten des Weltkirchenrates selbst organisierte: »Bei einer Zusammenkunft am 17. September [1964] kamen die Beobachter überein, ein kleines Organisationskomitee zu bilden«. 41 Zudem war die Gruppe durch das konziliare Organ des Einheitssekretariats, welches mit der ›Betreuung‹ betraut war, strukturell mit der Versammlung gekoppelt und zunehmend in die thematische Auseinandersetzung inkludiert. Mit den sogenannten und in den Sitzungsperioden regelmäßig stattfindenden »Dienstagstreffen« wurde ein eigenes Forum etabliert, bei dem die auf dem Konzil anstehenden Themen diskutiert und konkrete Anmerkungen, Bedenken und Vorschläge eingebracht werden konnten.
Grootaers 2000a, S. 643. Vgl. dazu auch Vischer 2008. Ebd., S. 648. 41 Komonchak 2006, S. 19. 39 40
98 Abbildung 5:
Das Zweite Vatikanische Konzil Dienstagstreffen
Auf diese Weise gelang es, größere Sensibilität für ökumenisch bedeutsame Themen zu erzeugen, was schließlich auch zu dem Reflex in der konziliaren Selbst- und Umweltbeschreibung beitrug, der eine verstärkte Hinwendung zur Bibel und Patristik als allen Christen gemeinsames ›Kulturgut‹ widerspiegelt: »Man sieht, wie sich gewisses Zusammenwirken zwischen Beobachtern und Konzilsvätern entwickelt und wie erstere durch ihre überzeugenden Hinweise die Akteure des Zweiten Vatikanischen Konzils und die Redaktion gewisser Texte beeinflussen können.« 42 Die stille, aber einflussreiche Anwesenheit der Beobachter in den Generalkongregationen und ihre bedeutsamen Wortmeldungen auf dem indirekten Weg über das Einheitssekretariat werden somit direkt »zur internen Aktivität des Konzils« gezählt. 43 Zu den institutionellen Anzeichen einer zunehmenden Inklusion kann man, neben der Papstaudienz gleich zu Anfang und den Dienstagstreffen im Einheitssekretariat, schließlich auch am Ende des Konzils den gemeinsamen Abschlusswortgottesdienst in St. Paul vor den Mauern zusammen mit dem Papst zählen, den Mario von Galli und Bernhard Mossbrugger als mit dem »Charakter des Unerhörten« behaftet bezeichnen.44 Periti Aus dem innerkatholischen Bereich waren – zunächst nur aus funktionalen Gründen – neben den Teilnehmern qua Amt theologische und kirchenrechtliche Fachexperten geladen. Ansonsten dominierten, der innerkatholischen Stratifikation entsprechend, die episkopalen Hierarchiespitzen als oberster Rang der Klerikerschicht. Erst im Zuge des Papstwechsels hin zum »Katholische Aktion«-afFamerée 2002, S. 192. Soetens 2002, S. 341f. 44 Galli/Mossbrugger 1966, S. 161. 42 43
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finen Paul VI. sollte sich der innerkatholische Inklusionsbereich des Konzils, wenn auch auf pure Anwesenheit beschränkt, also ohne weitere Mitwirkungsrechte, schrittweise um Elemente einer umfassenderen ›Ständevertretung‹ erweitern. 45 Die also von vorneherein als Experten und Berater vorgesehenen offiziellen und vom Papst ernannten 224 Periti entstammten allen Bereichen der theologischen Wissenschaften, Hilfswissenschaften und sonstigen einschlägigen Fachund Sachbereichen. 46 Es waren Dogmatiker, Moraltheologen, Bibelwissenschaftler, Kirchenrechtler und profane Rechtswissenschaftler, Soziologen, Historiker, Kirchen- und Konzilsgeschichtler, Pastoraltheologen, Liturgiewissenschaftler sowie Lateinkundige aus mehr als dreißig verschiedenen Ländern vertreten, ohne dass dabei eine möglichst gleichmäßige Verteilung angestrebt oder erreicht wurde. Größeren Einfluss hatten die theologischen Fakultäten und Schulen von Jerusalem, Löwen, Innsbruck, Saulchoir, Lyon-Fourviere sowie die deutschen Fakultäten.47 Diesen durchweg dem Klerikerstand zugehörigen Periti war aber nicht der Status der Mitgliedschaft des Konzils zugebilligt, so dass sie auf die Funktion von Helfern reduziert waren. Ihre Aktivität beschränkte sich neben Vortragstätigkeiten im Umfeld des Konzils offiziell auf die Kommissionsarbeit, zu der man vom Kommissionsvorsitzenden berufen wurde. Keiner von ihnen ist jemals eingeladen worden, in der Konzilsaula eine Rede zu halten. Entsprechend dem mehr auf theologische Innovation als auf Rekapitulation zielenden konziliaren Bewusstseinsbildungsprozess waren sachbezogen nach Raguer die »›progressiven‹ Periti [...] viel stärker gefragt als die ›konservativen‹, vielleicht deshalb, weil diese letzteren nichts Neues zu sagen wußten, was nicht schon in Handbüchern stand, nach denen die Bischöfe einst studiert hatten.« 48 Während die Einladung zum Konzil für die Experten relativ unbeschränkte Anwesenheit in den Foren des Konzils ermöglichte, wurde eine darüber hinausgehende sprachliche Inklusion in den Interaktionszusammenhang im Sinne eines Rederechts restriktiver gehandhabt. Noch auf dem Konzil von Trient war der Einfluss der Theologen hörbarer. 49 Anlässlich von Kompetenzstreitigkeiten wurde der offiziell zugebilligte Status dieser bestellten Experten aber auch zunehmend in Frage gestellt, auf reine Beratungsfunktion reduziert und ihr Aktionsspielraum durch Auflagen eingeschränkt. Dies dokumentiert zur Halbzeit des Konzils eine in der ersten Arbeitssitzung der dritten Sitzungsperiode in Umlauf gebrachte Liste mit HandlungsanVgl. zur katholischen Laienbewegung und vor allem zur »Katholischen Aktion« Steinmaus-Pollak 1988. 46 Neben den offiziellen Konzilsperiti stand es den Vätern frei, weitere ›private‹ Berater zu beschäftigen. 47 Vgl. Wittstadt 1997, S. 506-519. 48 Raguer 2000, S. 205. 49 Vgl. Venard 1993, S. 350. 45
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weisungen: »Verlangte die erste dieser Normen von den Periti, auf jede Frage mit Wissen, Klugheit und Objektivität zu antworten, verbat ihnen die zweite, ›Meinungen oder Ideen in Umlauf zu bringen, Interviews zu geben oder öffentlich die eigenen Ansichten über das Konzil zu vertreten‹ und die dritte forderte sie auf, das Konzil nicht zu kritisieren und auch keine Informationen an Außenstehende weiterzugeben«.50 Dabei ging es darum, die Außendarstellung des Konzils mindestens auf seine Väter (zu denen die Theologen nicht zählen), wenn nicht auf die entsprechenden Konzilsorgane zu monopolisieren. Der erwähnte ›Episkopaleffekt‹ hatte eben auch Rückwirkungen auf das Amtsverständnis in Bezug auf das Konzil, dessen Protagonisten als Entscheidungsträger gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf sich kanalisieren wollten. Konzilsrepräsentanten sind nicht die Berater, denen es durch öffentliche Mobilisierungen um Steigerung ihres Einflusses auf Richtungsentscheidungen geht, sondern die offiziellen Entscheider selbst. Ganz zu schweigen von dem Kontrollbedürfnis der Konzilsbürokratie, dass unter dem Gesichtspunkt des Konzilsgeheimnis ausgelebt wurde. Auditores Die Bischofsversammlung war trotz ihrer großen ›Kollegialitätserfahrung‹ aber keine Veranstaltung reiner Selbstbespiegelung, sondern sie beschäftigte sich auch thematisch mit den anderen Rollen kirchlicher Existenz (Ordensleute, Priester), so im Nachgang zum Weltkongress für das Laienapostolat im Oktober 1957 auch mit dem Laientum. Dabei blieb es keine ausschließlich inhaltliche Befassung, vielmehr wurden in diesen Fragen sowie bei der Abfassung entsprechender Texte – wenn auch erst spät – Laien direkt involviert: »Die Premiere dieses historischen Ereignisses fand am 26. und 27. Februar [1963] statt und betraf unmittelbar das Schema über das Laienapostolat, kurz bevor es in der Vollversammlung der Kommission präsentiert wurde. Eine zweite Konsultation, diesmal ausführlicher und mit offiziellerem Charakter, befaßte sich mit dem Schema XVII. [die spätere Pastoralkonstitution Gaudium et spes] Sie fand Ende April 1963 statt. Dem neugewählten Papst Paul VI., zuvor schon ein großer Förderer der Laien in Italien, kam es dann zu, den Entschluß zu fassen, Laien-Auditoren (auditores) zum Konzil einzuladen. Diese Entscheidung wurde am 14. September 1963 öffentlich gemacht.« 51 Der Sonderstatus, der schon durch ihre Bezeichnung als Komonchak 2006, S. 15. Vgl. Grootaers 2000, S. 526f. »In der zweiten Sitzungsperiode war das entscheidene Ereignis in dieser Hinsicht die Teilnahme von 13 Laienauditoren an den Konzilsversammlungen, die auf die Entscheidung von Paul VI. zurückging. Dieser war durch seine achtjährige Tätigkeit als kirchlicher Mitarbeiter der italienischen katholischen Universitätsvereinigung für die Zusammenarbeit mit den Laien sensibilisiert.« Soetens 2002, S. 368. 50 51
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»auditores« mitschwingt, verpflichtete zunächst auf vernehmende Passivität. Diese seit der zweiten Sitzungsperiode zur Anwesenheit in der Aula Geladenen sind also weder als stimmberechtigte Teilnehmer noch als berichterstattende Beobachter und eigentlich auch nicht als für die Klärung von theoretischen Fachfragen vor Ort, aber aus ihrer praktischen Betroffenheit heraus in gewisser Weise in Analogie zum Expertenstatus der Periti zu identifizieren. Auffällig ist die geschlechtsspezifische Zusammensetzung, nämlich die Abwesenheit der Frauen: die Auswahl der zunächst 13 Personen umfassenden Laiengruppe traf ausnahmslos Männer, welche auf der St. Andreas-Tribüne im Petersdom ihren Platz fanden – also nicht auf gleicher Ebene wie Konzilsväter und Beobachter, sondern distanzierter und von oben herab, wo sie zusammen mit den Beratern das Geschehen verfolgen konnten und außerhalb der Generalkongregationen regelmäßig zum gemeinsamen Studium der Themen des Konzils zusammenkamen. Zunehmend wurden sie auch offiziell bei der Ausarbeitung verschiedener Schemata um Rat gefragt, blieben aber in der Aula stumm: »Obwohl einige Konzilsväter den Wunsch vorbrachten, Laien auch in der Konzilsaula zu hören, ging das nur innerhalb des ausgesprochen offiziellen Rahmens der Reden in Erfüllung, die am 3. Dezember 1963 beim Gedächtnis des Trienter Konzils gehalten wurden.« 52 Es bedurfte also eines innerkonziliaren Ausnahmezustandes, das offiziell begangene Gedächtnis des 400-jährigen Jubiläums des Abschlusses des Konzil von Trient, dass in diesem Zusammenhang zwei Laien in der Aula zum Sprechen kommen konnten. Ein besonderer Fall, der in die Anwesenheitsgruppe der Auditores gehört, ist die Zulassung von Ordensfrauen zum Konzil. Immerhin stellen sie die größte Gruppe ›professioneller Katholiken‹. In einer Rede Pauls VI. vor einer größeren Gruppe von Ordensfrauen der Diözese Albano, weniger als eine Woche vor der Wiederaufnahme der Konzilsverhandlungen, verkündigte er in diesem Kontext eine in letzter Minute getroffene, aber für die Konzilsgeschichte revolutionäre Entscheidung: »Wir haben Anordnung getroffen, daß auch einige qualifizierte und ergebene Frauen als Zuhörerinnen mehreren feierlichen Riten und Generalversammlungen der kommenden dritten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils beiwohnen, und zwar solchen Versammlungen, deren zur Diskussion gestellte Fragen das Leben der Frau besonders interessieren; wir werden so in einem ökumenischen Konzil zum ersten Mal vielleicht einige wenige – das ist selbstverständlich –, aber bedeutungsvolle und gleichsam symbolische weibliche Vertretungen haben; von euch Ordensfrauen zuerst und dann von den großen katholischen Frauenorganisationen, damit die Frau weiß, wie sehr die Kirche sie in der Würde ihres Seins und ihrer menschlichen und christlichen Sendung ehrt.« 53 Bei Auswahl und Einladung von Frauen stand im Unterschied zu den 52 53
Ebd. Zitiert nach Komonchak 2006, S. 25.
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Periti Repräsentativität im Vordergrund, einerseits organisatorisch in Bezug auf die gleichmäßige Vertretung der verschiedenen internationalen Frauenverbände und andererseits der territoriale Bezug auf den Herkunftskontinent bei der Auswahl von Ordensfrauen. Über die Integration von weiblichen Ordensangehörigen und verbandlich organisierten Frauen sind auch zwei Kriegerwitwen symbolisch als »Zeuginnen für die Schrecken des Krieges und des Strebens nach Frieden« benannt worden, jedoch ist hinsichtlich dieses schleppenden Inklusionsprozesses zu konstatieren: »Verheiratete Frauen waren nicht dabei, und es sollte noch bis zur vierten Sitzungsperiode des Konzils dauern, daß ein Ehepaar eingeladen wurde: José und Luz-Marie Alvares-Icaza.« 54 Keine Frau habe als Mitglied oder Beraterin je an der Vorbereitungskommission oder anderen Konzilskommissionen teilgenommen, und es habe zu keinem Zeitpunkt in der Konzilsgeschichte offizielle Expertinnen gegeben. Für das Konzil gestaltete sich also Kopräsenz beider Geschlechter als ein zunächst nicht gesehenes Problem. Während von Veranstalterseite Kopräsenz problematisiert wird, werden von Teilnehmerseite deren Trennungsbemühungen kritisiert. In Bezug auf die spät erfolgte Anwesenheit von Frauen beim Konzil versuchten die Veranstalter ›grenzerhaltende Mechanismen‹ zu etablieren, die angesichts egalisierender Tendenzen in der zeitgleichen päpstlichen Lehrverkündigung55 und aus heutiger Perspektive nur noch als Kuriosität mitteilbar sind:56 So wurde für die Frauen eine eigene Kaffeebar eingerichtet, »›damit sie sich nicht unter die Leute in den beiden anderen Bars mischten‹. Vielleicht war es unvermeidlich, daß diese neben der ›Bar Jonas‹ und der ›Bar Abbas‹ gelegene Frauenbar unter den Anglophonen als ›Bar Nun‹ (Nun=Nonne) bekannt wurde, ein Wortspiel mit dem Ausdruck ›bar none‹ (=ausnahmslos). Der Versuch, Frauen und Männer getrennt zu halten, schlug jedoch fehl, und zwar auf Grund des Wunsches beider Seiten, sich miteinander zu unterhalten und zusammenzuarbeiten.« Diese Segregationsversuche konnten also aufgrund ihrer so offenkundigen Deplatziertheit nur ein Fall spöttischer Ironie werden und humorvolle Reaktionen hervorrufen. Darüber hinaus sind die paternalistischen Vorbehalte und Vorkehrungen in Sachen thematisch-intellektueller Belastbarkeit von Frauen heute wie damals noch verhältnismäßig unterhaltsam: »Eine der Gasthörerinnen, Sr. Mary Luke Tobin, sagte, als ihr mitEbd., S. 26f. Vgl. vor allem Nr. 41. der Enzyklika Pacem in terris, die Johannes XXIII. während der ersten Intersessio veröffentlichte und in der er drei Merkmale der ›Zeichen der Zeit‹ aufführt: »An zweiter Stelle steht die allgemein bekannte Tatsache, dass die Frau am öffentlichen Leben teilnimmt, was vielleicht rascher geschieht bei den christlichen Völkern und langsamer, aber in aller Breite, bei den Völkern, welche als Erben anderer Überlieferungen auch andere Lebensformen und Sitten haben. Die Frau, die sich ihrer Menschenwürde heutzutage immer mehr bewusst wird, ist weit davon entfernt, sich als seelenlose Sache oder als bloßes Werkzeug einschätzen zu lassen; sie nimmt vielmehr sowohl im häuslichen Leben wie im Staat jene Rechten und Pflichten in Anspruch, die der Würde der menschlichen Person entsprechen.« 56 Vgl. zur Soziologie der Geschlechterdifferenzierung einschlägig Tyrell 1986. 54 55
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geteilt wurde, sie könne an den für Frauen interessanten Sitzungen teilnehmen: ›Gut, dann kann ich ja an allen teilnehmen.‹« 57 Was aber als regelrecht skandalös empfunden wurde, ein großes Presseecho hervorrief und als Beispiel für die teilweise großen Ungleichzeitigkeiten des Konzils angesehen werden kann, ist der Fall der Korrespondentin Eva Fleischer, die mit physischer Gewalt zurückgehalten worden sei, als sie zusammen mit ihren männlichen Kollegen die Kommunion empfangen wollte. Dies stellte sich auch im Nachhinein nicht als ein sachliches Missverständnis, sondern als eine im Einklang mit dem Willen der Organisatoren stehend und nur im Affekt der konkreten Situation bloße Überreaktion dar, aus der man lernend weitere entsprechende Vorkehrung zu treffen wusste: »Zwar ging ihr später eine Entschuldigung zu, aber wenn danach wieder Journalisten zur Teilnahme an einer Konzilsmesse eingeladen waren, wurden Frauen ausdrücklich davon ausgeschlossen.« Diese Steigerung von geschlechtsdifferenter Segregation über Paternalismus bis hin zu rigorosem, auf die innerkirchlich höchstrelevante Kommuniongemeinschaft bezogenen männlichen Exklusivismus sind rückwirkend wohl als jene Eskalationsstufen eines klerikalistischen Rückzugsgefechtes anzusehen, welches den Weg für die bis heute unhysterisch-gängige Praxis bei Bischofssynoden oder Ähnlichem freimachte. Keinesfalls war damit jedoch ein homogener Wille des Konzils kommuniziert: »Kardinal Suenens sagte, er wolle persönlich bei Paul VI. vorstellig werden, damit Frauen die Erlaubnis erhielten, die Kommunion aus seiner Hand zu empfangen.« 58 3.2 Erscheinung Die sich an die dichotomisch scharf von ›Abwesenheit‹ zu unterscheidende ›Anwesenheit‹ – also an die (Sozial-)kontrolle des »Daseins« – anschließende Frage gilt seiner Art und Weise, also dem »Sosein«. Ist die Erscheinung auch nonverbal und in vielerlei Hinsicht nichtintentional, kommt ihr in der Interaktion aber große Relevanz zu und so bilden sich an ihr viele Erwartungshaltungen. Eine ganze Reihe von Attributen beeinflussen präkommunikativ die Wahrnehmung, wie z.B. Alter, Geschlecht, körperliche Verfassung (Gesundheitszustand/ Müdigkeit), Bekleidung, Physiognomie, Hautfarbe, habitualisierte Körperhaltungen, Körpermanipulationen (z.B. Bartwuchs), Kleidungsstücke, Brillen, Schmuck und äußere Objekte (Requisiten wie die Mercedes). »Die relativ hohen Unkontrollierbarkeiten und Unvorhersehrbarkeiten kollokaler Interaktionsprozesse entstehen vor allem daraus, daß praktisch alle intentionalen Handlungen und Sprechakte unvermeidlicherweise über das Medium der ›äußeren Erschei57 58
Komonchak 2006, S. 27. Ebd., S. 24.
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nung‹ vermittelt werden, deren dreifache Problematik darin beruht, daß sie erstens auf Grund zugeschriebener (z.B. biologischer) Merkmale nur in begrenztem Maße autonom gestaltet und verändert werden kann, zweitens das Ergebnis eines für den dekodierenden Rezipienten ›spontanen‹, nicht bewußt gestaltbaren kognitiven Auffassungsvorgangs bildet und drittens als Ausgangsbasis für spekulative Schlußfolgerungen über die ›dahinter‹ stehende persönliche Charakterstruktur fungiert.« 59
Abbildung 6:
Alltägliche Pauseninteraktionen der Konzilsväter vor dem Petersdom
Zunächst ist anhand der Erscheinung situativ zu unterscheiden, ob es sich um eine außeralltäglich-feierliche Zusammenkunft oder um eine alltägliche Arbeitssitzung handelt. So beschreibt der Konzilsjournalist den imposanten Einzug der Väter bei der Eröffnungsliturgie wie folgt: »Ein langer Zug von Bischöfen zieht über den Petersplatz. Sie schreiten erstaunlich beschwingt. Sie tragen schlichte, prunklose weiße Gewänder. Eine ebenfalls weiße schmucklose Mitra bedeckt ihr Haupt.« 60 Aber auch bei den normalen Generalkongregationen ist die Erscheinung der Konzilsväter hochgradig formalisiert, Kleidervorschriften je nach Weihegrad zeigen jedem auf den ersten Blick den hierarchischen Status an: Bi-
59 60
Geser 1990, S. 214. Galli/Moosbrugger 1963, S. 27.
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schöfe tragen violett und Kardinäle purpur.61 Einzig die Ordensvertreter und unierten Ostkirchenführer fallen aufgrund ihre ›habituellen‹ Eigentraditionen auf, zumeist als schwarze Flecke (ihrer Habite) im Bild des Betrachters. Letztere können unter feierlichen Umständen auch Kronen tragen anstatt Mitren. Letztlich individualisiert ist neben Körpergröße und Umfang nur das Gesicht. Bei den Unierten leuchten im Kontrast zu ihren dunklen Gewändern zumeist weißergraute Bärte, während das Gros der römisch-katholischen Väter glatt rasiert ist. Viele tragen der zeitgenössischen Mode entsprechende Brillen. Nicht einmal die Gesichtsfarbe lässt angesichts der vielen europäischen Missionsbischöfe nach afrikanischer oder europäischer Herkunft unterscheiden, wohl aber kann man davon ausgehen, dass ›Farbige‹ die Vertreter eines relativ neuen indigenen Klerus sind. Die meisten Konzilsväter tragen als Zeichen ihrer Bischofwürde ein Kreuz vor der Brust sowie einen Bischofsring an der Hand. Von der Altersstruktur war die größte Gruppe zu Beginn des Konzils zwischen 42 und 62 Jahren alt. 62 Folgende Anekdote stellt eine kuriose personale Kontinuität zum Ersten Vatikanum her: »Der Italiener Alfonso Carini, Titularbischof von Seleukia in Isaurien, der als siebenjähriger Knabe beim I. Vatikanum als Akolyth ministriert hatte, vollendete am 9. November sein 100. Lebensjahr. Als in seiner Abwesenheit Kardinal Frings dies in der Generalversammlung dieses Tages bekannt gab, erhoben sich alle Konzilsväter und applaudierten, und am Ende der Sitzung verlas Mons. Felici das Telegramm, mit dem das Konzil Bischof Carini gratulierte und ihm noch viele Jahre wünschte. Der alte Herr nahm an den meisten Generalkongregationen des ersten und an einigen der zweiten Sitzungsperiode teil, doch am 6. November 1963 starb er und konnte so bei der dritten und vierten Sitzungsperiode nicht mehr zugegen sein. Der jüngste Teilnehmer war Bischof Alcides Mendoza Castro von Abancay in Peru; er pflegte den greisen Carinci in seiner Unterkunft abzuholen und zusammen mit ihm zum
»Man staunt zum Beispiel über die Kleidervorschriften für Kardinäle und Bischöfe: Seide oder Wolle, rot, violett oder weiß, diese oder jene Strümpfe, diese oder jene Schuhe und Schnallen und hunderterlei Dinge dieser Art. Ein deutscher Bischof öffnete mir seinen Kleiderschrank: ›Das alles muß ich mitschleppen, um hier bestehen zu können‹, sagte er verzweifelt. Wen wird das heute erbauen? Welcher Seelsorgezweck wird damit erfüllt? Das stammt nicht vom Evangelium, es kommt aus der Fürstenzeit, es atmet Hofluft. Ich habe vernommen, daß auch dieser Punkt jetzt bei der Liturgie verhandelt wird: Vereinfachung der Bischofskleider, Verschwinden der reinen Ehrengewänder in der Liturgie.« Galli/Moosbrugger 1963, S. 58. 62 Nach Geburtsjahren gestaffelt ergibt sich Raguer zufolge diese Einteilung: vor 1871 9 zwischen 1871 und 1880 124 zwischen 1881 und 1890 418 zwischen 1891 und 1900 521 zwischen 1901 und 1910 981 zwischen 1911 und 1920 604 nach 1920 24 61
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Vatikan zu kommen.« 63 Raguer weist darauf hin, dass das Alter der Väter ihre inhaltlichen Positionen nicht präjudiziert. Die friedfertige und auf triumphalistische Demonstrationen verzichtende Vielfalt der Versammlung, die das »Schauspiel von Bischöfen aus aller Herren Länder« bot, beeindruckte die Versammlungsteilnehmer selbst, was sie durch Äußerungen wie die des Generalabts der Prämonstratenser Camels kundtun, der von einem »Parlament Gottes« sprach, oder wie die von Monsignore Garrone, der gesagt haben soll: »Die Kirche macht heute sozusagen die physische Erfahrung ihrer Universalität. Schon früher haben wir an sie geglaubt und sie in unserem Credo proklamiert; künftig jedoch realisieren wir sie aus verschiedenen Gründen auch sinnlich.« 64
Abbildung 7:
Päpstliche Insignien
Das Konzil gibt auch den Rahmen für die letzten Auftritte überkommener Herrschaftsinsignien der Päpste ab, soweit Johannes XXIII. und Paul VI. sich noch nicht gegen das Protokoll durchsetzen konnten. So manches Accessoire wurde als »pharaonenhaft« 65 und für den zeitgenössischen Kontext unangemessen empfunden. Johannes nutzte aber die Gelegenheit, beim feierlichen Einzug zur Konzilseröffnung eine Mitra anstatt seiner Dreifachkrone, der Tiara, zu tragen, um ein Zeichen bischöflicher Kollegialität und seines Respekts vor dem von ihm versammelten Konzil zu setzen. Paul VI. geht noch während des Konzils soweit, seine in ihrer Aufmachung bereits sehr modern und nüchtern gestaltete Tiara mit einem feierlichen Akt in der Aula abzulegen, als das Thema »Armut in der Raguer 2000, S. 206f. Zitiert nach ebd., S. 209. 65 »Zeremonien wird die Kirche immer lieben. Aber sie müssen das Unsichtbare durch das Sichtbare deutlich machen. Sie dürfen nicht, wie ein Bischof sagte, an ›Pharaonen‹ erinnern.« Galli/Moosbrugger 1964, S. 88. 63 64
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Welt« behandelt wird, und sie den amerikanischen Katholiken – dankbar für viele Spenden – als Geschenk zu überreichen. Als Zeichen seines päpstlichen Hirtenamtes aktiviert er die Ferula, den seit dem siebten Jahrhundert üblichen Bischofsstab, der, anstatt oben gewunden zu sein, ein Kreuz trägt. So wie seine Nachfolger im Petrusamt auf eine Krönung zugunsten einer feierlichen Amtseinführung verzichten, bei der sie ein Pallium als besondere Stolaform und Metropolitenzeichen überreicht bekommen, übernehmen sie auch den Brauch des Kreuzstabes.
3.3 Gestik Alle nicht-verbalen und auf körperlichen Bewegungsabläufen beruhenden persönlichen Kundgaben sind im Folgenden unter der Stichwort Gesten gemeint. Gesten können aber nur aufgrund einer vorgängig konstituierten persönlichen Erscheinung einerseits generiert und andererseits sinnhaft gedeutet werden. Gesten gelten als Äußerungen, die im Unterschied zum strengen Nacheinander von Sprechakten ein reiches Spektrum verschiedener Verhalten ermöglichen, welche zu emittieren wie zu registrieren aber Zeit verbraucht. »Werden dieselben kommunikativen Inhalte parallel auf verbaler und auf nonverbaler Ebene emittiert, gelingt es, dem Kommunikationsprozeß viel höhere ›Robustheit‹ zu verleihen, so daß ihre adäquate Rezeption und Dekodierung selbst unter widrigen Situationsbedingungen gesichert werden kann. [...] Generell haben solch ›doppelt enkodierte‹ Kommunikationsakte die Eigenschaft, sich prägnanter aus dem Umfeld der übrigen (simultanen) wahrnehmbaren Ereignisse auszudifferenzieren und dementsprechend auch in der Erinnerung stärker haften zu bleiben, so daß beispielsweise gesprochene Sätze besser ins Gedächtnis eingehen, wenn sie von ausdrucksvollen Körpergesten begleitet werden«.66 Eindrucksvoll als Geste war das Geschenk Pauls VI. zum Ende des Konzils, als er jedem Konzilsvater als Symbol für die Kollegialität einen Ring zukommen ließ, der zusammen mit einer Teilnehmerurkunde überreicht wurde. »In der Urkunde hieß es, der Ring möge als Zeichen des Wohlwollens des Papstes und der engen Verbindung in der Liebe zwischen Papst und Bischöfen angesehen werden. Der Ring zeigt ein Bild Chris-
66
Geser 1990, S. 218.
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ti, neben ihm die Apostelfürsten Petrus und Paulus, innen das päpstliche Wappen. Er ist nicht geschlossen, so daß er jedem Finger angepaßt werden kann.« 67
Abbildung 8:
Feierlicher Einzug zur Konzilseröffnung sowie Konzilsring des Würzburger Weihbischofs Kempf
So über den Bischofsring des aktuellen Aachener Bischof Mussinghoff, der ihn aus dem Nachlass des 1986 verstorbenen Weihbischofs Joseph Buchkremer übernommen hat (vgl. www.kirche-imbistum-aachen.de/kiba/dcms/traeger/4/bistum-ac/bischof/insignien.html). Die Internetrecherche am 28.04.2008 ergab weitere Zeugnisse für eine sich aus der symbolischen Geste institutierenden Tradition einer apostolisch-sukzessiven Weitergabe dieses Präsentes. So z.B. Erzbischof von Bamberg: »Mein Bischofsring ist ein ›echter Konzilsring‹, den Papst Paul VI. am Ende des Konzils allen Bischöfen geschenkt hat. Bischof Eduard Schick, der an allen Sitzungen des Konzils teilgenommen hat, hat ihn mir geschenkt. Als ich ihn zu einem Juwelier brachte, um ihn etwas enger machen zu lassen, hat dieser mir geraten, ein Double anzufertigen, damit das Original geschont werden könne. Diesem Vorschlag habe ich zugestimmt. So trage ich im Alltag die Kopie, zu den besonderen Anlässen das Original. Dieser Ring ist mir Zeichen der Treue zu meinem Bistum Bamberg und zur katholischen Kirche. Er weist mich darüber hinaus tagtäglich auf das Zweite Vatikanische Konzil hin. Es ist mir Ausgangs- und Bezugspunkt meines christkatholischen Lebens und bischöflichen Dienstes. Entsprechend den Konstitutionen und Dekreten des Konzils will ich als Katholik leben und als Bischof meinen Dienst erfüllen.« (www.eo-bamberg.de/eob/dcms/sites/bistum/erzbistum/erzbischof/insignien. html) Vgl. auch die Predigt von Bischof Schlembach anlässlich seiner Demission: »Der Bischofsring an meiner rechten Hand gehörte meinem Vorvorgänger, Isidor Markus Emanuel. Er hatte ihn wie alle Konzilsbischöfe zum Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils am 8. Dezember 1965 von Papst Paul VI. erhalten. Dieser Konzilsring war für mich eine einzigartige Kostbarkeit und die stete Verpflichtung, Bischof im Sinne des Zweiten Vatikanums zu sein. Ich bemühte mich, so gut ich konnte, ihr nachzukommen.« (www.cms.bistum-speyer.de/www1/index.php?myELEMENT=13 370&mySID=2b5e3a5e8d34b062fac31bed93f7757a). 67
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Weil ihr Handlungscharakter so undeutlich ist, erlauben Gesten bloß eingeschränkte immanente Verständlichkeit und sind für verschiedenartige und leicht revidierbare Deutungen offen. Wichtig für die richtige Rezeption ist daher der Kontext: »Dementsprechend bleibt der kommunikative Sinngehalt der meisten gestischen Kundgaben völlig unverständlich, wenn man die umfassenden Handlungspläne, situativen Konstellationen oder institutionellen Rahmenbedingungen nicht kennt, innerhalb derer sie sich vollziehen.« 68 So ist der gesellschaftlich konstruierte Raum immer auch symbolisch differenziert und die wahrnehmbaren symbolischen Implikationen lassen auch zwischen legitimen und nichtlegitimen Orten und Zeiten möglicher Anwesenheit von Personen unterscheiden. Die über Räumlichkeit wahrnehmbaren Systemgrenzen erzeugen ein Minimum an vorauszusetzenden Vorverständnis: »Soweit die funktionale Differenzierung der innergesellschaftlichen Großsysteme ihrerseits wahrnehmbar ist, vermittelt die Wahrnehmung dann auch Aufschlüsse über den Funktionskontext, in dem eine anlaufende Interaktion stehen würde. Wer sich beim Gottesdienst blicken läßt, dem kann innerhalb einer Gesellschaft, die Abwesenheit beim Ritual unsanktioniert läßt, die höchstpersönliche Bereitschaft zur Teilnahme an religiöser Interaktion unterstellt werden.« 69
Abbildung 9:
»Inthronisation« des Evangeliums
68 69
Geser 1990, S. 221. Kieserling 1999, S. 126.
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Damit zur rituellen Seite des Interaktionszusammenhangs. So ist zwar evident, dass das Konzil dem religiösen Bereich zugehört, aber es ist darüber hinaus vor allem – als dessen Hochform – Liturgie. Neben dem Ort des Geschehens in der katholischen ›Welthauptkirche‹ St. Peter in Rom ist dies am eindringlichsten anhand der täglichen Inthronisation eines kostbaren Evangeliars an zentraler Stelle der Aula sowie der allmorgendlichen gemeinsamen Eucharistiefeier ablesbar. Bei der Eröffnungsfeier drücken sich symbolisch wahrnehmbar die Grundkoordinaten des Konzils aus. Es beginnt mit der Selbstreferenz signalisierenden Inszenierung der Alterität eines Buches durch die Inthronisierung des Evangeliars, »einem Akt, mit dem jede Konzilsversammlung eröffnet wird«, und der Schrifttreue symbolisiert. Die Eröffnungsfeier endet mit dem »Ritus der Oboedienz, der Gehorsamsleistung, von seiten der Kardinäle, der Patriarchen, des Generalsekretärs Msgr. Felici und zweier Vertreter jeder Kategorie von Konzilsvätern. Diese Geste besteht darin, daß die Väter vor dem auf seinem Thron sitzenden Papst die Knie beugen. Nach dem Ritus der Oboedienz spricht Johannes XXIII. das Glaubensbekenntnis und die Eidesformel. Letztere wird von den Vätern wiederholt, während das Credo unter dem Schweigen der Bischöfe vom Chor der Basilika gesungen wird.« 70 Neben der Huldigung der Schrift ist es also die ausdrückliche wechselseitige Anerkennung im Sinne eines Lehenverhältnisses mit Hilfe voreinander vollzogener Glaubensbeteuerung von Kollegium auf der einen und Primat auf der anderen Seite. Dabei standen die Konzilsteilnehmer zwei unterschiedlichen Papstpersönlichkeiten mit ihren differierenden Führungsstilen und Konzilsvisionen gegenüber. Einerseits hinterließ Johannes XXIII. in seiner Rede zum Abschluss der ersten Sitzungsperiode der Versammlung sein Modell vom Konzil als ein neues Pfingsten für die Kirche: »Das gemeinsame Anliegen aller wird es sein müssen, dass alle Gläubigen auf die Arbeit des Konzils eine großmütige und treue Antwort geben. Dann wird ohne Zweifel jenes heißersehnte ›neue Pfingsten‹ aufleuchten, das die Kirche mit größerer geistiger Kraft erfüllen und ihre mütterliche Sorge und ihre heilbringende Kraft in allen Tätigkeitsbereichen besser zur Geltung bringen wird. Dann wird das Reich Christi auf Erden einen neuen Aufschwung erfahren. Dann endlich wird auf dem Erdkreis heller und vernehmbarer die Frohbotschaft von der Erlösung des Menschen widerhallen in den höchsten Rechten des allmächtigen Gottes, in den Banden der Liebe zwischen den Menschen und der Friede, der auf dieser Welt den Menschen guten Willens versprochen worden ist, neu erstarken.« 71 Auf der anderen Seite steht der ›rationalere‹ Konzilsbegriff Pauls VI., den er in seiner ersten Enzyklika Ecclesiam suam als einen Dialog der Kirche mit der modernen Welt entfaltet. Dies habe dazu beigetragen, dass die Konzilsväter ihre 70 71
Riccardi 2000, S. 14. Zitiert nach der Übersetzung in Hünermann/Hilberath 2006, S. 494-499, hier S. 498.
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Auffassung vom Konzil selbst wesentlich hätten verändern müssen, wenn sie mit seiner Autorität zu verschiedenen Problemen des modernen gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens Stellung nehmen wollten. Das Konzil musste sich wandeln von einem Instrument eines nach innen gerichteten Lehramtes hin zu einem repräsentativen Gremium, welches sich den Problemen der profanen Gesellschaft öffnet. In ihrer Fortschreibung des Konzilsauftrags divergieren die päpstlichen ›Fremdbeschreibungen‹ an entscheidender Stelle, was vor allem durch die Hinzunahme der modernen Gesellschaft als konziliarem Umweltbezug geschieht. Dies wird zu einer dynamisierenden Herausforderung für das Selbstbewusstsein der Konzilsväter und wirkt zurück auf die Gesamtausrichtung des ›Interaktionszusammenhangs Konzil‹: »Während sich das Konzil während der ersten beiden Sitzungsperioden selbst als ein Konzil der großen Reformen verstand, definierte es sich nun als etwas anderes: Es verstand sich und bot sich selbst der katholischen Kirche als moralische Instanz für die gegenwärtige Welt an. Das Wissen darum, daß die diesbezüglichen Fragen die gegenwärtige historische Situation betreffen und deshalb kontingenter Natur sind, hatte zur Folge, daß auch die entsprechenden Erklärungen des Konzils kontingenten Charakter hatten. Auf diese Weise vollzog sich eine bemerkenswerte Veränderung gegenüber der traditionellen Lehrauffassung, derzufolge sich ein Konzil als ein außerordentliches Organ des kirchlichen Lehramtes innerhalb des Koordinatensystems absoluter und zeitloser Wahrheit bewegen müsse und deshalb seine Lehraussagen für alle Ewigkeit gültig sein müßten.« 72 Im Unterschied zum Ersten Vatikanum ist das historische Gefühl der Beteiligten für strukturelle Variabilität eine neue Grundkoordinate des Zweiten Vatikanums. Es ist also die auf Evolution im Sinne eines ›Fortschreitens des Reiches Gottes auf Erden‹ zielende Wahrnehmung der Zeitdimension, die nicht zuletzt auch ihren sozialen Niederschlag in Veränderungen bezüglich des primären konziliaren (sozialen) Kommunikationsmediums Liturgie fand. Ein Konzil wird gefeiert und seine Elemente wie Ansprachen, Gebete und andere symbolische Handlungen sind liturgische Elemente. Nicht nur die feierliche Eröffnung, auch
72
Tanner 2006, S. 314.
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das Zusammentreten der Konzilskongregationen war ein liturgischer Akt.73 In der Anfangsphase des Konzils wurde die Ästhetik der konziliaren Liturgie als wenig ansprechend empfunden. Die Väter waren mit individuellem Brevier- oder Rosenkranzgebet abgelenkt oder ins Gespräch mit den Sitznachbarn vertieft, so war »die konziliare Liturgie [...] doch weniger ein Modell als vielmehr ein beklagenswertes Zeugnis für die Notwendigkeit der Reform [...] Eine Synode oder ein Konzil hat eine kanonische, aber auch eine liturgische Dimension, und diese ist wichtiger als jene.« 74 In der dann bewussteren Wahrnehmung dieses Kommunikationsmediums gewinnen im Fortgang des Konzils zwei Aspekte an Bedeutung: Einmal ermöglicht das Weltereignis als Interaktionszusammenhang mit nicht nur im lateinischen, sondern auch in wechselnden uniert-ostkirchlichen Riten gültig gefeierten Gottesdiensten für die Teilnehmer die Erfahrung einer legitimen, aber unerwarteten liturgischen Vielfalt. Dieses muss um so nachhaltiger gewesen sein, als in der vorkonziliaren Zeit durch starke Homogenisierungstendenzen vorhandene Eigenliturgien der lateinischen Kirche zugunsten eines einheitlichen römischen Ritus verdrängt wurden. Die umfangreiche liturgische Erfahrung des Konzils selbst bestärkte die gefassten Beschlüsse in mehr als eine Richtung. Einerseits sei das Sichabwechseln der liturgischen Feiern in den verschiedenen Riten für viele lateinische Bischöfe zu einem Seminar über eine vielfältige Verschiedenheit geworden, das äußerst nützlich sei, um ihnen zu helfen, aus ihrem Komplex der ›Einheit des römischen Ritus‹ herauszufinden; andererseits habe die praktische Erfahrung einer Privatzelebration am frühen Morgen, der oft noch die Anwesenheit bei einer weiteren Messe und immer bei der Messe im Petersdom folgte, die Jeder Arbeitstag beginnt mit einer gemeinsamen Eucharistiefeier und dem täglichen Gebet der Konzilsväter: »Hier sind wir, Herr, Heiliger Geist./ Hier sind wir, mit ungeheuren Sünden beladen, doch in Deinem Namen ausdrücklich versammelt./ Komm in unsere Mitte, sei uns zugegen,/ ergieße Dich mit Deiner Gnade in unsere Herzen!/ Lehre uns, was wir tun sollen,/ weise uns, wohin wir gehen sollen,/ zeige uns, was wir wirken müssen,/ damit wir durch deine Hilfe dir in allem wohlgefallen!/ Du allein sollst unsere Urteile wollen und vollbringen/ Denn Du allein trägst mit dem Vater und dem Sohne den Namen der Herrlichkeit./ Der Du die Wahrheit über alles andere liebst,/ lass nicht zu,/ dass wir durcheinanderbringen, was Du geordnet hast!/ Unwissenheit möge uns nicht irreleiten,/ Beifall der Menschen uns nicht verführen, Bestechlichkeit und falsche Rücksichten uns nicht verderben!/ Deine Gnade allein möge uns binden an Dich!/ In Dir lass uns eins sein/ Und in nichts abweichen vom Wahren!/ Wie wir in Deinem Namen versammelt sind,/ so lass uns auch in allem, vom Geist der Kindschaft geführt,/ festhalten an der Gerechtigkeit des Glaubens,/ dass hier unser Denken nie uneins werde mit Dir,/ und in der Welt, die da kommt,/ für rechtes Tun wir ewigen Lohn empfangen!/ Amen.« Zitiert nach der Übersetzung in Hünermann 2006, S. 490f. 74 Raguer 2000, S. 220. Vgl. dazu auch die journalistische Beobachtung: »Wer nur die Debatten des Konzils hört, hält es für ein Parlament wie jedes andere auch. Wer aber die Bischöfe geschart um die Confessio Petri beten sah, wer lange Reihen täglich sich zum Beichtstuhl drängen sah, wer vor jeder Sitzung die Messe, ›das Geheimnis Gottes‹ miterlebte, der wußte oder spürte doch, daß das ein geheimnisvolles ›Parlament‹ war, mit dem sich andere nicht vergleichen können.« Galli/Moosbrugger 1964, S. 28. 73
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Notwendigkeit bestätigt, Einfluss zu nehmen auf eine Praxis, deren Grenze alle erfahren können. Hier schließt sich auch der zweite Aspekt an: Indem es dem Konzil aufgrund der durch innerkatholische Alterität induzierten strukturellen Relativität erleichtert wurde, zwischen Medium und Form zu unterscheiden, war auch die Reformierbarkeit und Veränderbarkeit der Liturgie viel leichter einzusehen. Neben der neuen Zulassung von Heterogenität durch die Einführung der Landessprachen, um das Kirchenvolk aktiv zu beteiligen, ist das zweite Ergebnis der ersten großen Konzilsentscheidung, der Liturgiekonstitution Sacrosanctum concilium, die partizipative Möglichkeit zur Konzelebration. Diese wurde noch während des Konzils eingeräumt und von den Vätern selbst als befreiend erlebt, da sie auf Klerikerebene gemeinschaftsbezogen sozial inklusiv wirkte.75 Dass einige ›Reformen‹ noch während des Konzils aktualisiert werden konnten, hatte auch Rückwirkungen auf den Interaktionszusammenhang: »Die Konzelebration am 3. Oktober erscheint den führenden Männern der liturgischen Bewegung wie ein Wunder. Nicht weniger bedeutungsvoll aber wird die auf Antrag gewährte Erlaubnis für die Laienauditoren sein, in der morgendlichen Konzilsmesse (11. Oktober 1963) zu kommunizieren.« 76
Vgl. Kaczynski 2004. Während im römisch-katholischen Ritus die einzige Weise, als Priester an einer Eucharistiefeier teilzunehmen, die ›Privatmesse‹ war, ist in den Ostkirchen die Konzelebration lebendige Tradition geblieben. An diese normale Feierform der Alten Kirche knüpfen auch Bemühungen in der Liturgischen Bewegung an. Mit der entsprechenden Liturgiereform des Konzils soll nun den Konzelebranten vollamtlich-sakramentales Handeln als ›Mitkonsekrierende‹ ermöglicht werden: Alle an der Konzelebration beteiligten Priester sprechen den Einsetzungsbericht gemeinsam, eine Höchstzahl von Konzelebranten ist dabei nicht festgelegt. Vorgeschrieben wird Konzelebration nunmehr für neu geweihte Bischöfe und Priester in der Weihemesse, empfohlen wird sie für Feiern des Bischofs mit seinem Presbyterium. Für die neue Form, die auf der Leistungsseite eine Mehrzahl von Personen erlaubt, sind Identifikation und Rollenkonsistenz wichtig: Zelebranten müssen liturgische Kleidung tragen, die Feier gemeinsam beginnen und untereinander die Dienste aufteilen. Die neue Konzilsregelung wirkt entlastend und hat postkonziliar die Praxis tiefgreifend verändert, doch eine theologische und spirituelle Aufarbeitung und Klärung steht weiterhin noch aus. Vgl. Häusling 1997. 76 Melloni 2002, S. 66. In der Konzilsberichterstattung heißt es: »Diese Gesten symbolischer Art – denn um solche geht es – können nur von jenen in ihrem ganzen Sinngehalt gewürdigt werden, die das Konzil miterlebt haben als Bischof, Theologe, Berater, Beobachter, Journalist und Journalistin, Laienvertreter und Laienvertreterin, kurz von jener eigenartigen und einzigartigen Gemeinschaft, die in den letzten vier Jahren aus allen Teilen der Welt zusammengewachsen ist. Ganz gleich ob sie in dieser Zeit Freundschaft geschlossen oder sich – oft heftig – bekämpft haben. Ganz gleich, ob einer die Rolle des lichten oder des dunklen Engels (o ja, auch die dunklen und einer Kirchenversammlung nicht würdigen Akteure gab es auf diesem Theater) gespielt hat, eine Einheit, ein Ensemble sind sie alle geworden. Das ist eine sehr persönliche Gemeinschaft, und zugleich ist es mehr, denn sie spielten vor aller Welt; die ganze Menschheit sah zu, und jeder von ihnen vertrat ja auch eine Menschengruppe, so daß es eine Art Welttheater war, was da vor sich gegangen ist.« Galli/Moosbrugger 1966a, S. 74. 75
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Abbildung 10: Konzelebrationen in der Konzilsaula
3.4 Sprache Obwohl klar ist, dass es kein rein sprachliches Interaktionssystem geben kann, geht es im Folgenden um die intentionale Interaktionsebene der Sprache. Sprache ist immer sekundär, denn bevor man miteinander spricht, hat man sich wechselseitig bereits als Person aufgefasst. Diese nichtverbale »Zusatzkommunikation« ist Geser zufolge nicht nur nicht entbehrlich, sondern kann im symbiotischen Fall sogar von besonderer Bedeutung sein, denn Gesten unterliegen nicht wie Sprechakte denselben rigiden Zwängen temporaler Sequenzialisierung. Gerade bei asymmetrisch verteilten Redechancen sind sie für die meisten Teilnehmer überhaupt die einzige Möglichkeit, in den Kommunikationsprozess zu intervenieren. Vor allem auf der sprachlichen Interaktionsebene kommt das Charakteristikum der Interaktion »Flüchtigkeit« besonders zum Ausdruck, da besonders größere Interaktionszusammenhänge zentrifugalen Kräften ausgesetzt sind. Weil in Gesprächssystemen Zuhörer nicht in der Lage sind, gleichzeitig mehreren Sprechern zu folgen, herrscht, wenn sie funktionieren, ein impliziter oder expliziter »Kommunikationsvertrag«, der den Redezutritt exklusiv regelt. Zumindest auf Zeit besteht ein Monopol: »So ist es für verbale Kommunikationssysteme charakteristisch, daß sie ihre Einheit nur unter Bedingungen der ›Monofokalität‹ (bzw. der ›zentrierten Interaktion‹) wahren können. [...] Ein erstes Integrationsproblem entsteht dadurch, daß es unvermeidlich ist, dem jeweiligen Sprecher eine generalisierte, ihm allein vorbehaltene Vorzugsstellung einzuräumen, indem
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man ihm in pauschaler Weise ›die Plattform überläßt‹ [...] Wer immer den herausgehobenen Monopolstatus des ›ratifizierten Sprechers‹ momentan innehat, befindet sich in der völlig autonomen Position desjenigen, der alles sagen kann, was er will; und wer immer die rein rezeptive Rolle des ›bloßen Zuhörers‹ akzeptiert, begibt sich in die verletzliche, ausbeutbare Situation«.77 Aus diesem Basisantagonismus und der spürbaren Knappheit an Redezeit folgt auch, dass jeder Sprecher zukünftige Redechancen der übrigen Teilnehmer reduziert. Dieses wird ebenso wie der Sachgehalt der Äußerungen stets dem Redner individuell zugerechnet, denn Sprechakte gelten als prototypischer Fall von intentionalem Handeln. Gespräche sind Handlungssysteme, in denen sich die Teilnehmer gegenseitig unterstellen, dass ihre Sprechakte jeweils zu verantwortende, absichtsvolle Handlungen sind. Das Konzil verfügt über einen expliziten Kommunikationsvertrag, der den Konzilsvätern fremdbestimmt als Geschäftsordnung vom Papst vorgegeben wird. Doch, wie im Kapitel vier gezeigt wird, kann sich das Verfahren wenigstens zum Teil den Interaktionsbedürfnissen anpassen. Das Konzil ist ein gezielt eingerichteter Interaktionszusammenhang, in dem es klassischerweise um den sachthematischen Austausch und um die Klärung von Streitfragen geht. Das Zweite Vatikanum, dem kein konkretes Problem voranging, das gelöst werden musste, macht schließlich Kirche selbst zum Thema. Die versammelten Väter als der engere Kreis der Konzilsinteraktion können sich auf der Ebene sprachlicher Verständigung auf zwei Weisen beteiligen. Zum einen geht es um die qualitative Kundgaben, die anfänglich hauptsächlich als orale Redebeiträge viel Zeit in Anspruch nahmen und später ersatzweise verschriftlicht (literalisiert) ›zu Protokoll gegeben‹ werden konnten. Andererseits besteht die Möglichkeit, in Form von Abstimmungen quantifizierbare Kundgaben zu machen, wodurch die meisten Väter in den Interaktionszusammenhang aktiv inkludiert werden können. Doch zunächst zu den Auffälligkeiten der gesprochenen Sprache. Die wichtigste Voraussetzung ist die akustische Verständlichkeit. So konnte dem Problem des Ersten Vatikanums, der schlechten Akustik in der in einem Seitenschiff von St. Peter installierten Konzilsaula, die den Nachvollzug vieler Konzilsredner unmöglich machte,78 dadurch begegnet werden, dass trotz der nun im viel längeren Hauptschiff der Kathedrale eingerichteten und viel größeren Aula des Zweiten Vatikanums eine vorzüglich funktionierende Lautsprecheranlage dafür sorgte, dass auch auf den Tribünen und ›hinteren Rängen‹ der Periti jedes Wort verständlich war. In der Aula waren an verschiedenen Orten Mikrophone angebracht, zu denen sich die vom Präsidenten aufgerufenen Redner, noch während ihr Vorredner sprach, ohne Zeitverlust begeben konnten. Mit der Entscheidung Johannes XXIII., dass Latein die einzige offizielle Konzilssprache sein sollte, 77 78
Geser 1990, S. 224. Vgl. Schatz 1993, S. 317ff.
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wurde der zunächst angedachte Plan einer simultanen Übersetzungsanlage in die wichtigsten Weltsprachen wieder fallengelassen. Die nationale Heterogenität in der personalen Zusammensetzung der Versammlung wurde nicht auf die offiziell in ihr verwendeten Sprachen ausgedehnt, statt dessen die konziliare Kommunikationsform folgenreich homogenisiert. Dies erwies sich als zweischneidiges Schwert: Einerseits ging es darum, von neuem die Verbindung zwischen der Universalität des Katholizismus und der Latinität vorzuführen, was nur die ›selbstbewussten Orientalen‹ durch Verwendung des Französischen bei ihren Reden boykottierten; andererseits gab es Probleme mit der Verständlichkeit des Lateinischen, da diese ›tote Sprache‹ von verschiedenen Vätern mit äußerst unterschiedlichen Akzenten gesprochen worden sei. Für viele Bischöfe war Latein kein Kommunikationsmedium, da sie schlichtweg nicht verstanden, was gerade gesagt wurde: »Sogar geringfügigen Verfahrensfragen wurde Aufmerksamkeit nur dann zuteil, wenn die Sachen übersetzt wurden. Es kann ohne Übertreibung behauptet werden, daß die Beobachter, für die eine Übersetzung zur Verfügung gestellt worden war, weitaus fähiger waren, der Debatte zu folgen, als viele Bischöfe.« 79 So verstärkte die restriktive Haltung in Sachen Sprache auch die zentrifugalen Kräfte des Interaktionszusammenhangs, wie man der zeitgenössischen Berichterstattung über die erste Session entnehmen kann: »Schon in den letzten Tagen reisten viele Bischöfe ab. Die Zahl der Teilnehmer sank Schritt für Schritt bis auf nur wenig über 2100. Das geschah aus Hirtensorge, nicht aus Langeweile oder Verzweiflung – von wenigen Fällen abgesehen: Kardinal Cushing (67) sagte, als er das Flugzeug nach Boston bestieg, wo er Erzbischof ist: ›Ich verstehe nichts von dem Latein. Ich habe dem Hl. Vater vorgeschlagen, eine Simultanübersetzungensanlage auf meine Kosten einzubauen. Aber so verliere ich meine Zeit, das kann ich vor Gott nicht verantworten. Wenn der Papst meinen Vorschlag annimmt, will ich gern wiederkommen.‹ Wird der Papst annehmen? Vielleicht für die zweite Sitzungsperiode; beide Teile wären dann befriedigt: Man spricht Latein, aber hören kann jeder seine eigene Sprache wie an Pfingsten die aus Persien, Phrygien, Mesopotamien heute Amerika, Japan, Jugoslawien. Jedenfalls entspräche das dem Wunsch vieler.« 80 Kardinal Cushing missversteht zwar die Vielfalt der Interaktionsoptionen des Konzils, weil er sie auf die Aula reduziert betrachtet, wählt aber die konsequenteste und weitgehendste, nämlich die Exitoption. Erfolgversprechend ist der Interaktionszusammenhang des Weltereignis Konzils vor allem für mehrsprachige Teilnehmer. Keineswegs ist nämlich der Interaktionszusammenhang auf das Latein der offiziellen Sitzungen beschränkt, vielmehr zeigen sich noch in der Aula (Kaffeebars), besonders aber im Nahumfeld des Konzils in Rom vielfältige und z.T. weitaus einflussreichere Foren des Gesprächs. Neben Latein, Italienisch und Französisch 79 80
Lamberigts 2000, S. 149. Galli/Moosbrugger 1963, S. 57.
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geht es hier auch auf Deutsch zur Sache, wie man an einer Bildunterschrift in der Konzilsberichterstattung sehen kann: »Diesen afrikanischen Bischof trafen wir beim Deutschstudium: ›Man findet sich heute in der Theologie nicht zurecht, wenn man nicht Deutsch kann.‹« 81 Die sozial inklusivere Form der Willenskundgabe der Teilnehmer waren die Abstimmungen in der Konzilsaula. Diese quantifizierbare Kommunikationsform wurde gegen Ende des Konzils in zunehmenden Maße gebraucht. Zum einen war dies möglich, weil durch die qualitativ geführten Diskussionen bereits entsprechende Alternativen ausgearbeitet waren, zum anderen war die inhaltliche Debatte, mit Vorgaben versehen, aufgrund des Zeitdrucks oftmals outgesourced. Angesichts der Größe der Konzilsversammlung und der vielfach notwendigen Abstimmungen – Jedin kommt für die vier ca. dreimonatigen Sitzungsperioden des Konzils auf insgesamt 540 Abstimmungen – war es sehr hilfreich, dass diese von einem Lochkartensystem computertechnisch unterstützt wurden. Auf diese Weise dauerte die Auszählung in der Regel nur eine halbe Stunde, so dass an einem Sitzungstag ohne Schwierigkeit mehrere Abstimmungen nacheinander durchgeführt werden konnten. 82 Schließlich gab es auch weitere räumliche Vorkehrungen zur Entlastung des Interaktionszusammenhangs. Neben der technischen Ausstattung der Aula mit elektronischer Beleuchtung, einer Mikrofonanlage, Geräten zur Tonaufnahme, Vorrichtungen für Fernsehübertragungen, einem telefonischen Kommunikationssystem sowie weiteren Maßnahmen in Bezug auf Sanitätsfragen, Sicherheit und Ordnung (die extra ausgebauten Sanitäreinrichtungen blieben auch nach Ende des Konzils fester Bestandsteil des Petersdoms)83 war eine sozial äußerst wirksame Vorkehrung die Einrichtung von Kaffeebars in der Aula, die vielfach frequentiert, während der Sitzungen unter anderem Erfrischungsgetränke anboten. Solche »organisatorische[n] Eingriffe in die normale Verteilung der Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens von Zufallskontakten« entsprechen dem, was Kieserling, anhand der Aufstellung von zentralen Kopiergeräten an Universitäten oder der Platzierung von »Quengelware« in Kaufhäusern analysiert.84 Während des Konzils sorgten die Kaffeebars für Ausbruchoptionen aus dem straffen Reglement sowie für viel Gelegenheit zum Smalltalk, bei dem man durchaus auch an andernorts gemachte Kontakterfahrung anknüpfen konnte. Schließlich muss noch auf die Größe des Interaktionszusammenhangs zu sprechen gekommen werden: Die physische Anwesenheit von so vielen gleichzeitig scheint der Grund für mentale Abwesenheit mancher zu sein, vor allem aber ist sie für den Interaktionszusammenhang Konzil eine DifferenzierungsurEbd., S. 97. Jedin 1968, S. 618. 83 Vgl. Wittstadt 1997, S. 540-551. 84 Kieserling 1999, S. 369. 81 82
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sache für eine ungleiche Rollenverteilung in Leistungsträger auf der einen und Publikum auf der anderen Seite. So ist es für Kieserling unbestreitbar, »daß es in großen Interaktionen zwangsläufig zur Entstehung eines passiven Publikums kommt mit der Gefahr, daß die Aktiveren sich mit konsensfähigeren Formulierungen um dessen Zustimmung statt um die Diskussion und Lösung spezifischer Probleme bemühen.« 85 Die Abhängigkeit der Dauer von Verständigungsprozessen von der Gruppengröße ist leicht nachzuvollziehen, und hinsichtlich des konziliaren Reformvorhabens ist beides so unvermeidbar wie auch Ursache seines prekären Verlaufs.
85
Ebd., S. 380.
4. Verfahren zur Entscheidungsfindung
Das Zweite Vatikanische Konzil trägt starke Verfahrenszüge und ist unter diesem Gesichtspunkt auch mit anderen gesellschaftlichen Verfahren vergleichbar.1 Während es theologisch gesehen – und dies deutet sich ja auch innerkonziliar im »Aggiornamento« der Convocatio Johannes XXIII. an – darum geht, mit dem Konzil die katholische Tradition objektiv für die damalige Gegenwart möglichst wahr und richtig zum Ausdruck zu bringen und die Form des Konzils als ein Mechanismus zur Wahrheitsfindung gebraucht wird, interessiert in der soziologischen Perspektive beim Verfahren mehr das Problem der Legitimität. Legitimität meint dabei die faktisch verbreitete Überzeugung von der Gültigkeit des Rechts oder einer Ordnung. Diese ist in Bezug auf den Katholizismus im Zuge zunehmend funktionaler Differenzierung der Gesellschaft unter Druck geraten, so dass für Johannes XXIII. hinreichend Gründe für die Einberufung des Konzils vorlagen. 2 Wenn das Konzil also über einen lockeren Interaktionszusammenhang hinaus vor allem auch die feste Form eines Verfahrens annimmt, geht es innerkatholisch wie vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Umwelt der Sozialform des Katholizismus darum, durch seine Einberufung und die Art seiner Durchführung Legitimität für seine Entscheidungen zu erzeugen, mit denen es eine aktuelle wie verbindliche katholische Welt- und Selbstbeschreibung liefern will: Beim Konzil steht die katholische Identität auf dem Spiel und das Verfahren soll sie stabilisieren.
Einen anderen Schwerpunkt in Sachen Legitimation legt Zingerle 1996, wenn er das Konzil aus Sicht der soziologischen Charismatheorie interpretiert und zwar als Recharismatisierung der Konzilsversammlung nach dem Modell der apostolischen Urgemeinde, deren Kollektivcharisma durch den Rezeptionsprozess gleichermaßen verklärt wie durch die Konzilstexte veralltäglicht wird. 2 Für das, was hier innerkatholisch problematisiert wird, stellt Luhmann gesamtgesellschaftlich fest: »Bei hoher Komplexität und Variabilität des Sozialsystems der Gesellschaft kann die Legitimation politischer Macht nicht mehr einer naturartig vorgestellten Moral überlassen, sondern muß im politischen System selbst erarbeitet werden.« Luhmann 1969, S. 30. Wenn man das Konzil selbst als eine Organisation betrachtet, als einen spezifischen Entscheidungsmechanismus, stellt sich das Problem wie folgt: »Als primäre Mechanismen der gesellschaftlichen Mobilität sind es gerade Organisationen, die in Traditionsprozessen gewachsene und selbstverständlich legitimierte soziale Strukturen zur Disposition stellen und verändern. Als Folge weicht die ›fraglose‹ Legitimität der sozialen Wirklichkeit dem Bewußtsein ihrer positiven, künstlichen Setzung, die sich vor dem Horizont anderer Möglichkeiten rechtfertigen muß.« Gabriel 1976, S. 321. Vgl. zur Theorie der Legitimationskrise in Auseinandersetzung mit Gehlen, Schelsky, Claesens und Habermas auch Gabriel 1974. 1
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Das Zweite Vatikanische Konzil
Abbildung 11: Aufgrund der computergestützten Abstimmungen per Lochkarte und Magnetstift sind Ergebnisse innerhalb einer Stunde mitteilbar
Dass aber die im Verfahren getroffenen Konzilsentscheidungen, wie in der Einleitung ausgeführt, auf spätere Rezeption angewiesen bleiben und dass sie angesichts der Komplexität der modernen Gesellschaft und der global divergierenden Umweltbedingungen des Katholizismus sehr allgemein abgefasst sein müssen, ist genauso einsichtig wie dass Legitimation selbst kein operationales Ziel eines Konzils, sondern nur eine Funktion sein kann, die im Verfahrensablauf mit erfüllt werden muss.3 Denn Legitimation resultiert Luhmann zufolge nicht nur aus der Wahl geeigneter Mittel für einen vorgestellten, in der Ferne liegenden erreichbaren Zweck, sondern hänge vielmehr von oft latent bleibenden Aspekten des sozialen Verhaltens ab. Instrumentelles Handeln ist somit von symbolisch-expressivem Handeln zu unterscheiden und es kommt darauf an, wie die Beteiligten in implizierte Rollen und die Nichtbeteiligten durch dramatische Darstellung des Verfahrens »in seinen Sinn« einbezogen werden können. Instrumentelle wie expressive Funktionen dienen gleichermaßen der Erhaltung von Systemen und sind durch ihren zeitlichen Index unterschieden.4 Doch wird nach Luhmann häufig verkannt, dass Verfahren nicht nur als Mittel zum Zweck auf eine nicht reale Zukunft weisen, sondern vor allem ihre Funktion für die jeweils gegenwärtige »Dieser Komplexität moderner Gesellschaften kann nur durch Generalisierung des Anerkennens von Entscheidungen Rechnung getragen werden. Es kommt daher weniger auf motivierte Überzeugungen als vielmehr auf ein motivfreies, von den Eigenarten individueller Persönlichkeiten unabhängiges (und insofern wahrheitsähnliches!) Akzeptieren an, das ohne allzuviel konkrete Information typisch voraussehbar ist.« Luhmann 1969, S. 32. 4 »Eine Steigerung der Komplexität sozialer Systeme ist nur dadurch erreichbar, daß die Erfüllung mancher Bedürfnisse vertagt und auf Umwegen erreicht wird. Zwecke dienen dazu, solche Umwege zu motivieren und aktuelle Verzichte oder Anstrengungen im Hinblick auf zeitlich entfernte Wirkungen zu rechtfertigen.« Luhmann 1969, S. 226. 3
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Situation haben, eben für expressives Handeln und aktuelle Selbstdarstellung. Gerade diese Seite führt uns direkt in das Verfahren des Zweiten Vatikanums selbst, das nun thematisiert wird: So sehr es beim Konzil um Entscheidung und Abstimmungen geht, kann sein Verfahren aber nicht bloß auf eine festgelegte Folge bestimmter Handlungen reduziert werden. Ein solches Verständnis würde das Verfahren als Ritual begreifen, bei dem jeweils nur eine Handlung richtig erscheint. Ein Ritual schließt Handlungen so zu einer Kette zusammen, dass sich die eine ohne Wahlmöglichkeit aus der anderen ergibt. Ritualisierung legt also Handlungen stereotypisierend fest. Es ist unbestritten, dass der Interaktionszusammenhang des »Weltereignisses Konzils« rituelle Anteile hat, die hinsichtlich der liturgischen Dimension des Konzils oben bereits beschrieben wurden. Doch auch im Verfahren gibt es »rituelles Zeremoniell«, das häufig zum Überspielen von »Verlegenheitssituationen« gebraucht wird, wie sie beispielsweise zu Verfahrensbeginn auftauchen und dann abgearbeitet werden. 5 Denn wie im Folgenden zu sehen ist, sind Verfahren, obwohl ihre Aufgabe ist, verbindliche Entscheidungen zu erarbeiten, nicht vorherbestimmt. Verfahren sind vielmehr strukturierte Prozesse und haben als Systeme ein Verhältnis zur Welt. Man kann Innen von Außen unterscheiden im Sinne der Differenz von Systemkomplexität und Weltkomplexität: »Diese Funktion der Reduktion von Komplexität wird im wesentlichen durch Strukturbildung erfüllt [...]. Durch Strukturbildung gewinnt das System eine ›offene‹ Identität, die Variationsmöglichkeiten nicht ausschließt, aber sie einschränkt«.6 Diese Offenheit provoziert ein Interesse für den Verlauf eines Verfahrens, für seine Entscheidungsgeschichte. In diesem Sinne geht es im Folgenden um die Analyse der Verfahrenslogik des Interaktionszusammenhangs »Weltereignis Konzil«, die in vier Schritten expliziert werden soll, indem zunächst auf seine Ordnung abgestellt (4.1) und dann thematisiert wird, dass es für ein erfolgreiches Verfahren um die Erfüllung von zugewiesenen oder eingenommenen Rollen und ihre Spielfelder geht (4.2). Danach wird nach der Autonomie des Verfahrens Konzil gefragt (4.3) und schließlich werden verfahrensimmanente Lernprozesse problematisiert (4.4). 4.1 Ordnung Voraussetzung von Verfahren sind zunächst strukturelle Rahmenordnungen, innerhalb derer sie als ein Teilsystem eines größeren, sie überdauernden Systems fungieren und in dem sie eröffnet und abgeschlossen werden. Verfahren wie ein Konzil werden veranstaltet und bekommen Vorgaben aus ihrer Umwelt in Form 5 6
Ebd., S. 38. Ebd., S. 42.
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von Verhaltensvorgaben. »In diesem Rahmen besitzen sie aber Autonomie für den Aufbau einer eigenen Geschichte, und es ist diese Verfahrensgeschichte, durch die sie die ihnen überlassene Komplexität weiter reduzieren.« 7 Es geht also bei ›geordneten Verfahren‹ um die Beachtung einer Reihe von Regeln formaler und informeller Art: Durch Regeln der Irrelevanz, durch Regeln der Zulassung von Personen und der Einführung von Themen, durch Übersetzungsregeln und durch Regeln der Definition dessen, was stört oder gar das System zerstört und was zur Vermeidung dessen getan werden kann, wird das Verfahren eingegrenzt und für einige Zeit zu einer gewissen Autonomie erweckt, bis die Entscheidung fällt. In dem Maße aber, wie sich das Verfahren entwickelt, reduzieren sich die Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten: »Jeder muß auf das Rücksicht nehmen, was er schon gesagt oder zu sagen unterlassen hat. Äußerungen binden. Verpaßte Gelegenheiten kehren nicht wieder. Verspätete Proteste sind unglaubwürdig. Nur durch besondere Kunstgriffe kann schon reduzierte Komplexität wieder geöffnet, neue Unsicherheiten geschaffen, Geschehenes wieder ungeschehen gemacht werden, und im allgemeinen weckt solches Agieren gegen die Tendenz zur Entscheidung den Unwillen der anderen Beteiligten, besonders, wenn es zu spät versucht wird.« 8 Dies wird auf das Konzil bezogen weiter unten anhand der Stichworte »Ermüdung« und »Probeabstimmung« noch zu behandeln sein. Alle am Verfahren Beteiligten arbeiten zusammen an der Verfahrensgeschichte mit der Konsequenz, dass sie sich auf ein gemeinsames Tempo einigen müssen. Bei diesem »Zwang zur Synchronisation« geht es für den einen zu schnell und den anderen zu langsam; der Schnellere, der Geschultere, der mit Ortskenntnis hat hier Vorteile, der Langsamere dagegen steht unter Zugzwang und fühlt sich unterlegen und ausgeliefert. Dies kann jedoch im Verfahren selbst thematisch und dann regelkonform (z.B. durch Vertagung) problematisiert und behandelt werden. Aufgrund seiner speziellen Ordnung kann ein Verfahren mit Kritik und Alternativen umgehen. »Verfahren können daher Funktionen übernehmen, die einfacheren Systemen verschlossen sind, namentlich Funktionen der kooperativen Wahrheitssuche von divergierenden Standpunkten aus und Funktionen des Darstellens und Austragens von Konflikten. [...] Das macht es möglich, Konflikte unter der Ideologie gemeinsamer Wahrheitssuche auszutragen«.9 Die »Eigenkomplexität«, die das Verfahren benötigt, hängt von der Komplexität der Entscheidungsaufgabe ab und dies steht in Zusammenhang damit, ob bestimmte
Ebd., S. 43. Ebd., S. 45. 9 Ebd., S. 50f. 7 8
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Entscheidungsprämissen im Entscheidungsprozess vorausgesetzt oder erst geschaffen werden müssen, was nicht ohne Einfluss auf die Verfahrensdauer ist. 10 Die Geschäftsordnung des Zweiten Vatikanums ist von dem Kirchenhistoriker Hubert Jedin, selber Konzilsperitus und bekannt geworden durch seine dreibändige »Geschichte des Trienter Konzils«, schon in der zeitgenössischen Ausgabe der Konzilstexte in den Ergänzungsbänden der zweiten Auflage des Lexikons für Kirche und Theologie beschrieben worden.11 Interessant ist, dass der Ordo Concilii celebrandi – das Konzil bleibt im kirchlichen Verständnis immer Teil der Liturgie und wird zelebriert – nicht wie noch beim Ersten Vatikanum als ein Apostolisches Schreiben verfasst ist, vielmehr wurde er daran angelehnt und nach dem Vorbild des Codex Iuris Canonici in Gesetzesform in 70 Artikel gegliedert. Damit ist bereits eine fortgeschrittene Juridifizierung innerkirchlichen Denkens angezeigt.12 Die Geschäftsordnung, die von einer Vorbereitungskommission erarbeitet und vom Papst in Kraft gesetzt wird, gliedert die Konzilsverhandlungen in Sessionen, Generalkongregationen und Kommissionen, bestimmt die Sitzordnung, die Art der Zeremonien und beschreibt die Rechte aller am Konzil Beteiligten und damit seinen Geschäftsgang. Stimmberechtigt waren die Kardinäle, auch wenn sie nicht Bischöfe waren, sowie die residierenden Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe, Titularbischöfe, Äbte oder Prälaten mit bischöflicher Jurisdiktion, die Vorsteher monastischer Kongregationen und die Generaloberen der exemten Priesterorden.13 Der Artikel 7 § 1 der Geschäftsordnung beschreibt hinsichtlich der Organe des Konzils die thematische Beauftragung seiner verschiedenen Kommissionen (Glaubens- und Sittenlehre, Bischöfe und Diözesanverwaltung, orientalische Kirchen, Disziplin der Sakramente, Klerus und christliche Volk, Religiosen, Missionen, Liturgie, Priesterseminare, Studien und katholische Erziehung, Apostolat der Gläubigen und Kommunikationsmittel). Daneben gibt es Sekretariate technischer Art sowie das Sekretariat für die Einheit der Christen, dem »eine ähnliche, wenn auch weit umfassendere Funktion zufiel wie den zehn früher genannten Konzilskommissionen«.14 Von den theologischen und kanonistischen Sachverständigen durften ausschließlich die Periti »kraft päpstlicher Autorität« und die durch Schreiben des Kardinalstaatssekretärs ernannt wurden, an den Generalkongregationen teilnehmen und dort nur aufgefordert das Wort ergreifen. Man hat aber keinen Theologen im Ver»Rationalere Arbeitstechniken entwickelt die Praxis vor allem mit Hilfe von schematisierten Regeln für die Abfassung von Voten und Entscheidungen. Solche Regeln legen die Darstellung des Arbeitsergebnisses fest und steuern dadurch gleichsam von hinten das, was zur Herstellung der Darstellung getan werden muß.« Ebd., S. 66. 11 Vgl. Jedin 1968. 12 Vgl. zur Geschäftsordnung des I. Vatikanischen Konzils Schatz 1992, S. 132ff. 13 Exemte Priesterorden sind dadurch gekennzeichnet, dass sie außerhalb der Vollmachten des jeweiligen Ortsbischofs stehen. 14 Jedin 1968, S. 615. 10
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lauf des Zweiten Vatikanischen Konzils gebeten, in der Aula zu sprechen. Für eine Tätigkeit in den Konzilskommissionen mussten sie durch deren Vorsitzende berufen werden. Von diesen Periti zu unterscheiden sind die privaten Berater der Konzilsväter, welchen nicht das Recht zukam, an offiziellen Sitzungen teilzunehmen, die aber selbstverständlich zur Geheimhaltung ihrer Kenntnisse über Konzilsvorgänge und -texte verpflichtet waren. 15 Der Papst ernannte weiter einen Generalsekretär und wählte die Mitglieder des Präsidiums, welches mithilfe von Promotoren und Notaren für die Anlage des Konzilsarchivs sowie die Aufbewahrung der Akten, die durch protokollarische Aufnahme von Schreibern und Stenographen entstanden, sorgte. Soweit die klassische Besetzung eines Konzils. Völlig neu dagegen waren die ›Beobachter‹ (observatores), die auf Einladung des Heiligen Stuhls und im Auftrag der nicht mit Rom verbundenen Kirchen und Kirchengemeinschaften am Konzil teilnahmen. Zwar ohne eigenes Stimmrecht, hatten sie dennoch die Berechtigung, bei den ›geheimen‹ Generalkongregationen und den ›öffentlichen‹ Sessionen, nicht aber in den Sitzungen der Kommissionen anwesend zu sein. Abbildung 12: Generalkongregation aus Sicht des Präsidiums und Eröffnungsfeier vom Eingang aus
Als Ort der Vollversammlungen des Konzils war das Hauptschiff des Petersdoms bestimmt, die Kommissionssitzungen fanden anderswo in Rom statt. Die Teilnehmer wurden angehalten, in den feierlichen Sessionen ihrer geistlichen Würde entsprechende Kleidung in weißer Farbe zu tragen, in den Generalkongregationen war ›normale‹ Amtskleidung erlaubt. Alle Teilnehmer des Konzils mit Ausnahme der Beobachter mussten das Glaubenbekenntnis ablegen. 15
Vgl. auch Komonchak 1997, S. 374.
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Im Geschäftsgang der Generalkongregationen wurde – je nachdem, ob es um ein ganzes Dokument oder nur um ein Kapitel ging – zwischen General- und Spezialdebatte differenziert: Bei Abstimmungen gab es die drei Möglichkeiten, mit placet Zustimmung, mit non placet grundsätzliche Ablehnung sowie mit placet iuxta modum Überarbeitungsbedarf auszudrücken. Alternativ dazu konnte das Votum durch Aufstehen oder Sitzenbleiben kommuniziert werden. Beschlüsse galten als gefasst und angenommen, wenn sie die Zweidrittelmehrheit erreichten. Die Geschäftsordnung wirkte zumindest in einem Fall auch ineffizient für den Geschäftsgang, so der von Giuseppe Ruggieri berichtete Fall, der in Verbindung mit der emotionalen Aufwühlung der Konzilsväter bei den Auseinandersetzungen über die Absetzung des noch aus der Vorbereitungszeit stammenden Offenbarungsschemas De fontibus steht:16 Nach einer strategisch-geschickten Formulierung der Abstimmungsfrage entstand dort jene Verwirrung, die letztlich für ein von der Mehrheit nichtintendiertes Ergebnis sorgte, nämlich ein knappes Verfehlen der für die Absetzung des alten und für die Freigabe der Arbeit an einem neuen Text notwendigen Zweidrittelmehrheit: »Es blieb aber die Tatsache, dass wegen des Fehlens von 105 Stimmen – einer lächerlich kleinen Zahl angesichts der Menge der abgegebenen Stimmen – das Konzil in einer unumkehrbaren Krise zu versinken schien. Aus dieser Sackgasse musste ihm eine außerordentliche Initiative des Papstes heraushelfen.« 17 Nur durch einen päpstlich autoritativen Akt dem normalem Geschäftsgang gegenüber konnte in diesem Fall also die gewünschte Interaktionsautonomie wieder hergestellt werden – eine besondere konzils-organisatorische Lernsituation. Kieserling macht darauf aufmerksam, dass für solche »Entscheidungen des Unentscheidbaren« Großorganisationen von Zeit zu Zeit an der Spitze ihres Systems eine Art von ›inkompetenzkompensationskompetenter Instanz‹ benötigen: »Das wird normalerweise durch Hierarchie symbolisiert«.18 Hierarchie drückt sich auch in der Sitzordnung aus. Zum einen hatten die Kardinäle ihren Platz – vom Eingang aus gesehen – vorne links in der Nähe des Präsidiums, aber auf den Rängen. Zum anderen wurden die übrigen Konzilsväter egalisierend ihrem Ernennungs- bzw. Weihealter nach platziert, mit der Folge, dass einander ›Fremde‹ zusammen und die Nationen völlig getrennt saßen. In diesem Zusammenhang kam es zu einem kleinen Eklat, der sich mit der (Wieder-)Entdeckung innerkatholischer Heterogenität beziehungsweise der Alterität Johannes XXIII. notiert diesbezüglich in sein Tagebuch: »Es ist vorherzusehen, dass es einige Auseinandersetzungen geben wird. Einerseits hat man bei der Abfassung [des vorbereiteten Schemas] den genauen Absichtserklärungen des Papstes in seinen offiziellen Reden nicht Rechnung getragen. Andererseits haben nicht weniger als acht Kardinäle, die sich auf diese Reden stützten, dem Hauptpunkt der Vorlage allen Wert abgesprochen. Der Herr möge uns beistehen und uns wieder einig werden lassen.« Zitiert nach Ruggieri 2000, S. 300f. 17 Ebd., S. 310. 18 Kieserling 1999, S. 374f. 16
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der westlich-lateinischen Kirche mit den uniert-orthodoxen Ostkirchen als innerkatholischer Ost/West-Konflikt herausstellte: Die Patriarchen sahen sich bei dieser Regel falsch verortet. Entsprechend der angewandten Geschäftsordnung des Konzils waren sie den Kardinälen einschließlich der Kardinalsdiakone nachgeordnet und auf die Ränge verteilt, was in den Augen der östlichen Kirchenvertreter, die im Hinblick auf Geschichte und Symbole sehr sensibel waren, als ungerecht empfunden wurde, denn »tatsächlich hätten einige von ihnen, denen ein apostolischer Ursprung zuerkannt wird, den Vortritt vor den Kardinälen haben müssen, die ja ursprünglich nur der Hausklerus des Bischofs von Rom waren. Auch wenn sie sich in der Neuzeit zu ›Kirchenfürsten‹ entwickelt haben und die Prärogative der Papstwahl genießen.« 19 Abbildung 13: Präsidiums- und davor Moderatorentisch sowie die Ehrenplätze der unierten Patriarchen
Die wahrnehmbaren Spannungen resultierten aus einem sich gegen Zwangsegalisierung sträubenden ›Ego‹-Bewusstsein von eigener Bedeutung und Tradition. Von Seiten der Konzilsleitung und des Papstes reagierte man darauf, dass die Raguer 2000, S. 222. Vgl. auch Riccardi 2000, S. 10: »Die östlichen Patriarchen vertreten die großen Bischofssitze der Christenheit des 1. Jahrtausends – nach dem Bischofssitz Roms. Die Anerkennung ihrer Rolle stellt einen entscheidenden Schritt dar, damit ein Dialog zu einer festen Einrichtung werden kann. Die unierten Patriarchen hinter den Kardinälen einzuordnen bedeutet zu behaupten, es gebe nur eine einzige Kirche, die Kirche Roms. Dagegen hatte die Pentarchie, d.h. die Gemeinschaft zwischen den fünf Patriarchalsitzen des Mittelmeerraumes, die Einheit in der Kirche des 1. Jahrtausends sichtbar gemacht. Das Konzil von Florenz hatte anerkannt, dass der Rolle der Patriarchate der ihr eigene traditionelle Platz in der Kirche zukomme. Ein Patriarch des Ostens kann nicht hinter den Kardinälen rangieren und in der päpstlichen Liturgie vor dem Papst den Ritus der Obödienz vollziehen wie die Kardinäle und Bischöfe. Ein Patriarch des Ostens vertritt ungeachtet der reduzierten Größe seiner Kirche eine Schwesterkirche Roms. Man versteht, daß diese Auffassung im Caeremoniale Romanum nicht zum Ausdruck gekommen ist, weil sie in der Ekklesiologie Roms nicht legitim erschien. Die Stellung der Unierten, die sich dieser ihrer Rolle bewußt waren, war daher schwierig.« 19
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Patriarchen, die von ihrem Selbstverständnis auf derselben Stufe wie der Patriarch des Abendlandes (der Papst) stehen, zu Kardinälen ernannt wurden und einen Ehrenplatz ganz vorne gegenüber den Kardinälen und unterhalb der berühmten Petrusfigur zugewiesen bekamen. Durch Inklusion in die römische Hierarchie und Platzierung an herausgehobener Stelle konnte für dieses für die Konzilsplaner unerwartete Problem zumindest eine pragmatische Lösung gefunden werden. Im Unterschied zur zunächst skandalisierten innerkatholischen Behandlung uniert-ostkirchlicher Konzilsteilnehmer war die Positionierung der außerkatholisch-ökumenischen Gäste und Beobachter des Konzils in der Aula völlig unproblematisch: Sie saßen vorne rechts seitlich zum Präsidium. Dazu nochmals das Zitat von dem protestantischen Theologieprofessor Oscar Cullmann: »Endlich zu unserer Anwesenheit hier: Ich unterschreibe ganz, was Kardinal Bea diesbezüglich gesagt hat: Sie ist ein Wunder. Wenn ich uns allmorgendlich unsere Plätze, die beinahe Ehrenplätze sind, gegenüber den Kardinälen einnehmen sehe, wenn der Konzilssekretär jeden Morgen nach der Messe das ›exeant omnes‹ (alle sollen hinausgehen) ausspricht und wir auf unseren Plätzen bleiben können, wundere ich mich immer wieder von neuem über die Art und Weise, mit der wir wirklich ganz in dieses Konzil hineingenommen sind.«20 In gewisser Weise waren die nichtkatholischen Observatores den katholischen Periti gegenüber noch bevorteilt, saßen sie doch auf demselben Niveau wie die Konzilsväter selbst, während die Theologen von oben herab das Konzilsgeschehen etwas distanzierter aus der Perspektive der Balkontribünen aus verfolgen konnten.
Abbildung 14: Tribüne der Periti oberhalb der Ränge sowie Sitzplätze der nichtkatholischen Beobachter
Zitiert nach Galli/Moosbrugger 1963, S. 73. Cullmann hebt auch auf die Geheimhaltungsregeln des Konzils ab, nach der nichtkatholische Beobachter gleichsam wie die Periti den Generalkongregationen beiwohnen konnten während beispielsweise Journalisten nach der obligatorischen Messe als unbefugte den Tagungsraum zu verlassen hatten. 20
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Die zeitgenössische Berichterstattung beschreibt die in der ersten Session gegebenen Anfangsschwierigkeiten und Unklarheiten in Bezug auf die Prozedur des Konzils aus der Beobachterposition des Journalisten und gibt interessante Einblicke in die damalige Stimmungslage hinsichtlich des Verhältnisses von Interaktion und Verfahrensordnung. Es fehle ein eindeutiger Versammlungsleiter. Dass sich im Konzil Gruppen bildeten, sei nicht nur kein Übel, sondern eine Notwendigkeit. In den Generalversammlungen sei ein Gespräch völlig unmöglich, dafür seien sie viel zu groß. Die Konzilsteilnehmer müssten sich daher die harten Regeln gefallen lassen, welche in der Geschäftsordnung enthalten seien: »Drei Tage vor der Versammlung muß ein Votant sich schriftlich melden. Er darf ein zweites Mal in der gleichen Sitzung nicht das Wort ergreifen. Er muß sein Votum auf zehn Minuten beschränken. So wird hier also nur abgestimmt und nicht verhandelt. Das aber trotzdem für das Gelingen dieses Weltkonzils unerläßliche Gespräch verlegt sich aus der Konzilsaula hinaus in die Zeit zwischen den Plenarversammlungen. Der bisherige Ablauf zeigt das mit voller Deutlichkeit. Ein Gespräch im Konzilsraum fand nur am Vorstandstisch statt, wie bei einer Table ronde, während die Masse der Bischöfe völlig im Dunkel des Zuschauens blieb. Sie wurde erst in den nationalen Bischofskonferenzbesprechungen im kleinen Kreis mobil. Freilich das genügt nicht. Von einem Kreis muß zum andern Kontakt aufgenommen werden.« 21 Auch erste Reaktionen in Form einer Variation der Geschäftsordnung werden umgehend gemeldet und direkt auf den Systemerhalt des Konzils im Sinne sozialer Inklusivität bezogen: »Der Eifer ließ nach. Die Abreisen mehrten sich. [... N]un, die getroffene Regelung scheint geringfügig. Der Papst gab dem Rat der zehn Konzilspräsidenten das Recht, den Abbruch einer Debatte zu beantragen, wenn ihnen das Thema erschöpfend beleuchtet scheint. Der Rat machte sogleich für das Kapitel zwei (hl. Messe) von der Vollmacht Gebrauch. Man stimmte ab durch Sicherheben bzw. Sitzenbleiben, und fast einstimmig war man für Beendigung der Debatte. Vielen scheint es fraglich, ob diese Maßnahme genügen wird, um den Ablauf des Konzils erheblich zu beschleunigen. Warum greift man nicht energischer durch?« 22 In der zweiten Sitzungsperiode wird Paul VI. mit weiteren Änderungen reagieren und den Sitzungsverlauf durch die Einführung des Leitungsamtes der vier Moderatoren optimieren. 4.2 Rollen Durch Beteiligung am Zeremoniell werden laufend die Entscheidungsprämissen bestätigt, immer weniger Kritik wird möglich und wenn, dann kanalisiert durch die Ausübung von zugewiesenen und angenommenen Rollen. Einerseits sind die 21 22
Ebd., S. 35f. Ebd., S. 75.
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Entscheidungen, die im Verfahren erarbeitet werden sollen, so programmiert, dass sich Verantwortlichkeiten spezifizieren und insofern die Entscheider unter Druck setzen lassen. Andererseits kann nur deswegen, »weil die Struktur des Verfahrenssystems Verhaltensmöglichkeiten offenläßt, also noch offene Komplexität in sich aufnimmt, [...] das Verhalten der Beteiligten als eine Rolle angelegt sein, die sie noch auszufüllen haben und die daher Persönlichkeiten mit ihrer Selbstdarstellungen und ihren anderen Rollenbeziehungen in das Verfahren hineinzieht und bindet.« 23 Die Differenz von Konzil und anderen typischen Verfahren, wie beispielsweise Gerichtsverfahren, ist, dass hier schwerer die Rolle innerhalb des Verfahrens von der außerhalb des Verfahrens zu unterscheiden ist. Während in anderen Fällen die Ausdifferenzierung des Verfahrens aus der Gesellschaft die Rolle gegen Folgeverantwortung in anderen Rollen abschirmt, sind die Konzilsväter durch das Thema des Konzilsverfahrens in doppelter Weise betroffen: Sie müssen zum großen Teil auch über ihre eigene Zukunft entscheiden.24 Weil es um Struktur und Semantik des Katholizismus geht und, regelrecht als Ergänzung der Beschlüsse des Ersten Vatikanums, die sich mit dem Jurisdiktionsprimat und der Unfehlbarkeit des Papstes befassten, nun auch Stellenbeschreibungen für den Episkopat formuliert werden sollen, ist die Motivation der mehrheitlich bischöflichen Konzilsteilnehmer grundsätzlich hoch. Dennoch bleibt die Ungewissheit, welche Entscheidung zustande kommen wird: »Die Ungewißheit motiviert, mit anderen Worten, die Annahme einer Rolle und damit auch des Rollenkontextes, der die Ungewißheit schrittweise absorbiert. Fehlt es an solcher Ungewißheit, wie zum Beispiel bei politischen Wahlen mit feststehender Einheitsliste oder bei ›Schauprozessen‹, dann liegt kein eigenständiges Verfahren vor, sondern eine ritualistische Darstellung der Werte eines anderen Systems, die dann auch extern motiviert werden muß.« 25 Gelingende Rollenübernahme und damit die Effizienz des Verfahrens hängt von vielen Faktoren ab. Es geht um die Wahrung der Glaubwürdigkeit der eigenen Darstellung trotz taktisch geschicktem Verhalten, wofür man in sachlicher Hinsicht auf komplementäres (Funktionen) sowie sozial korrespondierendes Rollenverhalten anderer
Luhmann 1969, S. 47. Vgl. auch ebd., S. 130. Konzilsintern wird eher die Unterscheidung Theorie/Praxis verhandelt als die Differenz der Rollen innerhalb und außerhalb des Verfahrens, wie an folgender Beobachtung ersichtlich: »Wen ich von den [...] Bischöfen auch antreffe, der ist nach wenigen Minuten des Gesprächs bei der Frage, die er mit besorgter Miene stellt: ›Und wie wird sich denn das alles in der Praxis auswirken?‹« Galli/Moosbrugger 1966a, S. 49. 25 Luhmann 1969, S. 51. 23 24
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angewiesen ist. Schließlich geht es um die Konsistenz des eigenen Verhaltens, denn die Selbstdarstellung legt einen auf eine bestimmte Persönlichkeit fest.26 In diesem Sinn sind die Ereignisse gleich zu Beginn des »Weltereignisses Konzil« im Oktober 1962 in der Aula und besonders das Verhalten einiger Kardinäle sehr aufschlussreich. Es handelt sich gleich am Anfang des Verfahrens um eine dramatische Geltendmachung der Interaktionslogik gegenüber der Verfahrenslogik. Diese verdankt sich einer spezifischen Rollenübernahme einiger weniger und erleichtert auf diese Weise einer Mehrheit von Teilnehmern die Rollenübernahme als ›Konzilsväter‹. Andrea Riccardi berichtet von den »Turbulenzen« des Tages nach der feierlichen Eröffnungsliturgie, der eigentlich für die Wahlen zu den Konzilskommissionen vorgesehen war. Doch anstatt den hierfür vorgefertigten Listen zu folgen, kam es für die Versammlung eindrucksvoll und überraschend zu einer Geschäftsordnungsdebatte: »Während die Väter sich gelehrig anschicken abzustimmen, erhebt sich Kardinal Liénart, Erzbischof von Lille, und ergreift von seinem Platz am Tisch des Präsidiums, dessen Mitglied er ist, das Wort. Der betagte Mann, der schon von Pius XI. zum Kardinal kreiert worden war, war eine Gestalt, die bei den Bischöfen hohes Prestige genoß. Mit seiner Wortmeldung – genauer gesagt: einem in lateinisch gelesenen kurzen Antrag zur Geschäftsordnung – bittet er, die Wahl möge um einige Tage aufgeschoben werden, damit die Väter Zeit finden könnten, einander kennenzulernen, und damit die Bischofskonferenzen Zeit fänden, ihre eigenen Listen zu erarbeiten. Die Wortmeldung wird unterbrochen von einem langen Applaus. Kardinal Frings unterstützt – auch im Namen von Döpfner und König – den Schritt seines französischen Kollegen«.27 Der Quellenlage nach ist das Geschehen als eine Konvergenz und nicht als ein Komplott wahrgenommen worden, wie auch die Reaktion des Bischof Gantin aus Benin zeige: »Es war so, als hätte man jedem von »Der Sinn der offiziellen Gerichtsverfahren, dem sich Inszenierung und Verhalten der Beteiligten unterordnen müssen, besteht in der Darstellung eines Vorgangs der Entscheidungsfindung auf Grund von Normen. [...] Die einen treffen die Entscheidung, die anderen müssen sie als Prämissen ihres Verhaltens beobachten. Beide Hauptrollen, denen Nebenrollen wie Protokollführer, Sekretäre, Polizisten, Boten bzw. Anwälte und Berater zugeordnet sein können, haben entsprechend ihrer unterschiedlichen Stellung im Verfahren unterschiedliche Darstellungsleistungen zu erbringen und daher eine unterschiedliche Verantwortung für den störungsfreien Verlauf. Beider Leistungen müssen sich, soll das Verfahren gelingen, komplementär ergänzen, sich also gegenseitig die ›implizierenden Rollen‹ abnehmen. Das setzt voraus und führt dazu, daß sich gemeinsame Sinnperspektiven, gemeinsame Hintergründe, unstreitig bleibende Informationen zu einem System von Annahmen und Symbolen verfestigen, das nicht ohne schwerwiegende Störungen des Verfahrens – und daher Risiken für die Beteiligten – in Frage gestellt werden kann. [...] Eine Quelle der Spannung liegt in dem unterschiedlichen Grad an Personalisierung der Darstellung auf beiden Seiten. Die Person des Entscheidenden muß aus der Darstellung ausgeschaltet werden, weil die Entscheidung als eine Folgerung aus Normen und Fakten erscheinen soll. [...] Damit hängt zusammen, daß Situationen, die von einer Seite routinemäßig behandelt werden, für die andere dagegen außergewöhnliches Erleben bedeuten, ebenfalls unstabil sind.« Ebd., S. 107f. 27 Riccardi 2000, S. 33. 26
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uns gesagt: Du wirst nicht mehr getragen werden, sondern du wirst selbst Träger sein.« 28 Der Konzilsreporter nutzt zur Beschreibung der Vorgänge direkt Interaktionssemantik: »Man wollte wenigstens für einige Kommissionen neue Männer, welche die Mängel der alten ergänzen konnten. Dieser Weg erforderte aber naturgemäß Umfragen und ein gewisses, globales Sich-Kennenlernen der verschiedenen Kontinente. Abgestimmt wurde über den Vorschlag der beiden Kardinäle Liénart und Frings nicht, sondern das Präsidium der Zehn erkannte das Begehren als durchaus berechtigt.« 29 Auf den Konzilsverlauf habe die Wahlunterbrechung in der Weise innovativ gewirkt, dass diese nun ermöglichte, dass zu denen, die schon an den vorbereitenden Schemata gearbeitet hatten, sich neue Personen hinzugesellen konnten und dadurch der »Textarbeit« mit der Autorität des kaum eröffneten Konzils bemerkenswerte Diskontinuität verschafft wurde. Zwar blieb auch nach der Wahl, die von den bereits bestehenden Bischofskonferenzen hastig vorbereitet wurde, die Leitung jeder einzelnen Kommission in Kurienhand. Immerhin waren aber nur noch 57% der nunmehr gewählten Mitglieder dieser Kommissionen an den Formulierungen der Schemata der Vorbereitungszeit beteiligt, so dass 43% für neue Perspektiven sorgen konnten. Durch die Inanspruchnahme seines Rechtes, die Kommissionen durch weitere Ernennungen zu ergänzen, nutzte der Papst die Gelegenheit, die durch die erfolgten Wahlen verursachten regionalen Ungleichmäßigkeiten auszugleichen: »Evident scheint der Wille, die Vertretung der unterrepräsentierten Episkopate zu verstärken. Dazu gehörten z.B. der polnische, schweizerische, irische, portugiesische und afrikanische Episkopat«.30 Damit zur Rollenübernahme innerhalb der speziellen konziliaren Spielfelder: Welche Implikationen die Kommissionsmitgliedschaft mit sich bringen sollte, wem mit Übernahme dieser Rolle die damit einhergehende Loyalitätsverpflichtung vorrangig zu gelten habe (Aula oder Kommission) und schließlich, ob durch eine ›funktionale‹ Delegiertenrolle jegliche Individualität als Konzilsteilnehmer absorbiert sei, war zunächst durchaus umstritten. Als Beispiel eines solchen kommissionsinternen Konfliktes berichtet Giuseppe Ruggieri von einer heftigen Kontroverse in der Liturgiekommission: »Kardinal Léger droht, aus der
Ebd., S. 35. Galli/Moosbrugger 1963, S. 33 sowie S. 34: »Die Konzilsleitung selbst hat vor der Wahl am 16. Oktober jedem Bischof ein Heft überreicht, in dem alle erarbeiteten Listen – es sind ihrer 34 – enthalten waren, als Handreichung für den einzelnen Konzilsvater, der dabei natürlich völlig frei blieb. Wie die Wahl ausgegangen ist, wird morgen in der Plenarversammlung bekannt werden. An sich gilt das absolute Mehr beim ersten und zweiten Wahlgang. Beim dritten erst soll die relative Mehrheit genügen.« 30 Ebd., S. 53. 28 29
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Kommission auszuscheiden, wenn die Mitgliedschaft bedeute, nicht die Freiheit des Wortes in der Aula zu haben.« 31 Abbildung 15: Offizielle »Interaktionsfelder« des Konzils Papst (Johannes XXIII./Paul VI.) Vorsitz des Konzils; Approbation der Vorlagen; Kreation der Konzilsorgane; Bestimmung des Präsidiums und der Moderatoren; Einladung von Beobachtern, Gästen und Auditores; Ernennung der Periti und von zusätzlichen Kommissionsmitgliedern sowie Promulgation der Konzilsentscheidungen Sekretariat für Präsidium Koordinierungskommission außergewöhnliche Präsidenten: Kardinäle Tisserant, Liénart, Tappouni, Angelegenheiten Gilroy, Spellman, Pla y Deniel, Frings, Ruffini, Präsident: Caggiano, Alfrink (ab II. Session auch Wyzynski, Kardinalstaatssekretär Siri, Meyer) Präsident: Cicognani Kardinalstaatssekretär Generalsekretär: Msgr. Felici - zunächst Versammlungsleitung Cicognani Sekretär: Msgr. Felici - Überwachung der Geschäftsordnung Koordination der In der II. Session eingeführt: Sekretär: Msgr. Felici Arbeiten während der Intersessiones Moderatoren/Delegaten Mit der II. Session Kardinäle Döpfner, Suenens, Lercaro, Agagianian aufgehoben. Mit der I. Intersession - Sitzungsleitung (Probeabstimmung) eingeführt In der II. Session eingeführt: Konzilskommission für Lehrfragen des Glaubens und der Sitten Pressekomitee Präsident: Kardinal Ottaviani Vorsitzender: Erzbischof - Er-/Überarbeitung von O’Connor Schemata Sekretär: Msgr. Vallainc (vormals Konzilspressebüro) Öffentliche Sitzungen Akkreditierte Journalisten Nur in öffentlichen Sitzungen in der Aula zugelassen
- Eröffnung/Abschluss von Sessionen - Endabstimmungen - Feierliche Promulgationen (Unterschrift aller Konzilsväter)
Konzilskommission für Bischöfe und Leitung der Diözesen Präsident: Kardinal Marella
Konzilskommission für die orientalischen Kirchen Präsident Kardinal Cicognani Ernannte Periti Konzilskommission für die Sakramentenordnung - Berufbar für Präsident: Kardinal Masella Kommissionsarbeiten Konzilskommission für die - Ohne Stimm- und Disziplin für Klerus und Rederecht in der Aula Volk Präsident: Kardinal Ciriaci Geheime Generalkongregationen Konzilskommission für die Ordensleute - Wahl von Kommissionsmitgliedern Präsident: Kardinal Valeri Relationen (Vorstellung der Schemata) Sekretariat für die Einheit Konzilskommission für die - Interventionen der Konzilsväter der Christen Missionen (mündl./schriftl.) Präsident: Kardinal Bea Präsident: Kardinal - Abstimmungen (placet/non placet/placet Agaganian iuxta modum) - Kontakt zu protestanti Konzilskommission für die - Schriftliche Vorschläge (Modi) schen und orthodoxen Liturgie Kirchen und kirchlichen Präsident: Kardinal Larraona Gemeinschaften Konzilskommission für - Er-/Überarbeitung von Seminarien und katholische Schemata Erziehung - Betreuung der Gäste und Präsident: Kardinal Pizzardo Beobachter Konzilskommission für das Apostolat der Laien und die Massenmedien Präsident: Kardinal Cento Gäste/Nichtkatholische Beobachter Auditores (Laien/Ordensschwestern) - Anwesenheit in öffentlichen Sitzungen und bei den - Anwesenheit in öffentlichen Sitzungen und bei den Generalkongragationen Generalkongragationen - Konsultationen mit dem »Einheitssekretariat« - Konsultationen mit der »Laienkommission«
31
Ruggieri 2000, S. 290.
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Am Ende der ersten dreimonatigen Sitzungsperiode der großen Versammlung wurde auch der Organisationsbedarf für die Phase der Konzilsunterbrechung, der intersessiones klar. Johannes XXIII. berief hierfür eine spezielle Koordinierungskommission, die wiederum dem Kardinalstaatssekretär unterstellt war. Die Hoffnung mancher Konzilsteilnehmer, dass diese Koordinierungskommission größer sein und so als eine Art ›kleines Interimskonzil‹ die Konzilsarbeit hätte kontinuieren können, wurde nicht zuletzt dadurch enttäuscht, dass die Personen, welche antipodisch inhaltliche Ausrichtungen vertraten – Kardinal Ottaviani von der Theologischen Kommission und Kardinal Bea vom Einheitssekretariat – die großen Abwesenden der Koordinierungskommission gewesen seien. Nach der Wahl Pauls VI. zum neuen Papst, die auch in diese erste intersessio fiel, kam es aber dieser Koordinierungskommission zu, unter anderem mit der Einrichtung des neuen, aus vier Moderatoren bestehenden Leitungsgremiums die vom neuen Papst inspirierte Reorganisation der Leitungsorgane des Konzils vorzunehmen. Gerade weil dieses Moderatorengremium so klein gehalten und gleichzeitig umfangreich mit Kompetenzen ausgestattet wurde – es bekam die Aufgabe, die Konzilsversammlungen mit päpstlichem Exekutivmandat zu leiten – zeigte sich bei den diesbezüglichen Personalentscheidungen durch den Papst dessen im Unterschied zu seinem Vorgänger anders gearteter Führungswille:32 »Es versteht sich von selbst, daß die Wahl der Kardinäle Suenens, Lercao und Döpfner als Moderatoren die Mehrheitsströmung des Konzil repräsentierten. Die Ernennung von Kardinal Agagianian, dem einflußreichen Präfekten der Kongregation De propaganda fide und Mitglied der Kurie, konnte als Gegengewicht dienen.« 33 Im weiteren Verlauf des Konzils nahm das Gewicht der Kommissionen in dem Maße zu, wie es eine nicht mehr mit den Formulierungen der Vorbereitungszeit konforme Ausrichtung gewann und damit grundsätzliche Revisionen der Texte notwendig wurden, welche in aufwendigen Verfahren von diesen Gremien verwaltet werden mussten. Alberigo analysiert als Ursache für die hierbei häufig auftretenden ›retardierenden Momente‹ einerseits die Personalunion von Kommissionsvorsitz und kurialer Kongregationsleitung, da durch diese Verquickung institutionelle Solidarität mit Entwürfen der Vorbereitungszeit greifen konnte und andererseits die »Tatsache, daß [die Kommissionen] in den ersten Tagen gewählt worden waren, als die Versammlung noch keine eigene Struktur angenommen hatte.« 34 Soziologisch interessant ist, dass sich zur Lösung dieser Konflikte, die in und zwischen verschiedenen Gremien entstandenen, neben der inhaltlichen Argumentation, die auf sachthematischen Konsens (wahr/falsch) zielte, sich soziale Mechanismen mit auf Appellation oder Reputation abstellenden Strategien etaVgl. auch Melloni 2002, S. 10. Grootaers 2000, S. 610. 34 Alberigo 2002, S. 577. 32 33
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blieren konnten. Diese generierten ihre für sich einnehmende Potenz vor allem über die Unterscheidung von mehr oder weniger Prestige. Als Beispiel für eine solche Appellationsstrategie kann das eindrucksvolle, von Giovanni Miccoli überlieferte Schreiben Kardinal Beas an Paul VI. gelten, in dem sich der von einer Mehrheit getragen wissende Kardinal gegen den versuchten Entzug der Zuständigkeit seines Sekretariates für Bearbeitungsverantwortung über die Schemata »Nichtchristlichen Religionen« sowie »Religionsfreiheit« wehrte: »Nun kann aber kein Zweifel darüber bestehen, daß der oben erwähnte Entzug der Zuständigkeit bei vielen Konzilsvätern, ja bei ganzen Episkopaten große Bestürzung und große Ängste verursachen würde, da sie ja sehr deutlich gezeigt haben, daß sie dem Sekretariat volles Vertrauen schenken. Diese Bestürzung würde einer schnellen Fertigstellung und Approbation dieses Dokumentes, wie sie dem Willen aller und der öffentlichen Meinung entspricht, gewiß nicht förderlich sein. Außerdem würde eine solche Vorgehensweise selbstverständlich als ein Affront gegen die vom Konzil frei gewählten Organe und als ein Anschlag auf seine Freiheit betrachtet werden. Ich will gar nicht reden von dem katastrophalen Eindruck, den dies alles auf die öffentliche Meinung in aller Welt machen würde, so daß der gute Name des Konzils und – es sei mir gestattet, dies hinzuzufügen – auch die Autorität Eurer Heiligkeit, die doch die Freiheit des Konzils immer gewissenhaft geschützt hat, beschädigt würden.« 35 Der Kardinal betont in seinem Schreiben das von einem äußeren Publikum ›Beobachtetwerden‹, er stellt die ›Weltereignisdimension‹ in den Vordergrund und damit auf die Expressivität des Verfahrens ab. Damit wendet er Verfahrensexternes zu einem konzilsinternen Argument. ›Appellation‹ war aber nicht nur ein Instrument der Konzilsmajorität. Das mögliche Eingreifen des Papstes in die Kommissionsarbeiten regte gerade auch die Gegner der Generallinie der Konzilsmehrheit an, unzählige Appelle, Bittschriften und Gutachten direkt an den Papst zu richten. Oftmals sei es hierbei darum gegangen, Kommissionsauseinandersetzungen gleichsam zu ›überspringen‹, indem man sich direkt an den Papst wandte.36 Während die Appellationsstrategie sich hierarchisch-vertikale Strukturierungen37 zunutze macht, geht es dem Mechanismus der Reputationsstrategie eher um verstärkte horizontale Fundierungen, indem antizipiert wird, wie breite-
Zitiert nach Miccoli 2006, S. 218: »Der tosende Beifall, mit dem er [von der Generalversammlung] bereits begrüßt wurde, als er ans Mikrophon trat, wiederholte sich am Ende seiner Rede: eine Huldigung an ihn als Persönlichkeit, aber wahrscheinlich auch ein Hinweis darauf, daß man sich der vielen Schwierigkeiten bewußt war, die das Schema hatte überwinden müssen, ehe es zur Diskussion in der Aula gelangen konnte.« Vgl. darüber hinaus ders., S. 158. 36 Vgl. Burigana/Turbanti 2006, S. 591: »Paul VI. hatte solche Anregungen gar nicht nötig, um seine eigene Stimme während der Erarbeitung der Schemata zu Gehör zu bringen. Im Frühjahr 1965 erbat er nämlich von Personen, die nicht am Konzil beteiligt waren, Gutachten zum Zweck einer Art von Kontrolle der Kommissionsarbeiten.« (z.B. vom französischen Philosophen Maritain) 37 Vgl. zum Hierarchiebegriff kurz Kieserling 1999a. 35
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re Zustimmung erzielt werden kann. Dies ist eher unbürokratisch, nimmt aber insbesondere die Art und Weise der Rollenausübung Dritter war. Als Beispiel hierfür kann die interessante Situation im Kontext der Entstehungsgeschichte der späteren Pastoralkonstitution gelten, von der die italienischen Autoren berichten: »Bezeichnend war aber auch das Bemühen der Zentralen Subkommission der Gemischten Kommission für das Schema XIII, einige deutsche Theologen wie Rahner, Ratzinger, Grillmeier und Semmelroth in seine Arbeit einzubeziehen, um so zu versuchen, Mißtrauensbekundungen seitens der deutschsprachigen Bischöfe gegenüber dem Schema zuvorzukommen, an denen es schon in den vorausgegangenen Monaten nicht gefehlt hatte. Beiziehen wollte die Zentrale Subkommission auch Philips, und zwar in Anbetracht seiner besonderen Fähigkeiten als Vermittler und außerdem wegen seines Ansehens, das er sich durch seine Arbeit an De Ecclesia erworben hatte.« 38 Aber auch das ›Normalverfahren‹ der Kommissionsarbeit musste zu Anfang des Konzils erst entwickelt und erprobt werden; es richtete sich in der Regel nach einem dreistufigen Ablauf:39 Zunächst wurden zu dem behandelten Text die Stellungnahmen und Änderungsvorschläge (modi) aus der Aula gesammelt und klassifiziert und durch die theologischen Berater (Periti) geprüft, sodass sich danach ein Durchgang durch diverse Arbeitsgruppen (Subkommissionen) anschließen konnte. Der schließlich erarbeitete Text wurde in der Vollversammlung der Kommission diskutiert sowie verabschiedet und dann der Aula als neue Version vorgelegt. 4.3 Autonomie Nun steht die Frage im Raum, inwieweit man von dem Konzil als einem autonomen Verfahren sprechen kann. Dies ist insofern wichtig, da hiervon der Grad der sozialen Generalisierung seines Ergebnisses abhängt, was die wesentliche Bedingung für die Legitimation der Entscheidung ist. Theologisch wird dies unter dem Begriff ›Konzilsfreiheit‹ verhandelt, soziologisch geht es um Ausdifferenzierung und um die Festlegung der Grenzen des Verfahrens gegenüber seiner Umwelt, also um die Reichweite der Entscheidungsmöglichkeiten des Systems. 40 So ist einerseits anzumerken, dass im Verlauf des Konzils Paul VI. je nach Grad Burigana/Turbanti 2006, S. 599; vgl. auch ebd., S. 615. Vgl. ebd., S. 601. 40 »Einen Entfaltungsspielraum als soziales System hat das Verfahren nur deshalb, weil in Fragen des Rechts und der Wahrheit Ungewißheit besteht, und nur, soweit diese Ungewißheit reicht. Die Ausdifferenzierung von Verfahren bezieht sich auf den Prozeß der Absorption dieser Ungewißheit und besagt, daß dieser Prozeß durch verfahrensinterne und nicht externe Kriterien gesteuert wird.« Luhmann 1969, S. 60. 38 39
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der Kontroverse zunehmend restriktiv verfährt. Er grenzt den konziliaren Entscheidungsspielraum dadurch ein, dass er Themen wie Kurienreform, Bischofssynode, Zölibat oder Geburtenregelung von der Tagesordnung nimmt und entweder selbst entscheidet oder auf postkonziliare Zeiten vertagt. Inwieweit dies andererseits die Autonomie des Konzils in Frage stellt oder das Konzil erst durch solche Maßnahmen für eigene Entscheidungen befähigt wird, gehört in den Bereich der Spekulation. Luhmanns Kriterium für gegebene Autonomie, das er anhand einer Analyse von Gerichtsverfahren entwickelt, lautet knapp, dass von Autonomie auszugehen ist, wenn und »soweit im Verfahren selbst die Gesichtspunkte erarbeitet werden, die das weitere Verhalten im Verfahren und vor allem das Ergebnis bestimmen.« Dies kann man für den Konzilsverlauf sehr wohl bestätigen. Der Soziologe unterscheidet weiter zwischen Autonomie einerseits und Autarkie andererseits, bei letzterer gehe es vor allem um die Austauschprozesse zwischen System und Umwelt: »Ein System ist autark in dem Maße, als es solche Austauschbeziehungen drosseln, sich also von einer Umwelt unabhängig machen und aus sich selbst heraus existieren kann. Der Begriff der Autonomie bezieht sich dagegen auf die Steuerung dieser Austauschprozesse durch systemeigene Strukturen und Prozesse, setzt also gerade voraus, daß das System nicht autark ist.« 41 Als relevante Umwelt nimmt das Konzil vor allem die Kurie wahr, deren Verwaltungsentscheidungen für viele Konzilsväter undurchsichtig bleiben und mit der sie im kirchlichen Alltag um Entscheidungshoheit konkurrieren. Umgekehrt ist für manche Kurienvertreter das Konzil eine höchst lästige Sache. Hier vertraut man zur Lösung innerkirchlich anfallender Probleme auf erprobte Verfahren zentralisierter Kirchenverwaltung, die seit den Entscheidungen des Ersten Vatikanums Ende des 19. Jahrhundert rasch ausgebaut wurden. Genau hier ist der Auslöser für die Einberufung des Konzils als absichtliche Herbeiführung eines ›Ausnahmezustandes‹ zu suchen: Denn durch Bürokratisierung ist zwar verwaltungsintern eine Rationalisierung des Entscheidungsvorgangs im Sinne von Automatisierung von Entscheidungsprozessen möglich, dies ist aber immer mit einem geringeren Maß an Legitimation verbunden. 42 Der sich hier abzeichnende Zielkonflikt ist nicht nur einer zwischen Konzil auf der einen und Kurie auf der anderen Seite, sondern entfaltet sich auch innerkonziliar, und das scheint gewollt gewesen zu sein. Johannes XXIII. hatte in der Vorbereitung des Konzils explizit auf der Trennung von Konzil und Kurie bestanden, doch gerade vor diesem Hintergrund Ebd., S. 69. »Die Ordnung von Entscheidungsschritten unter dem Gesichtspunkt rationaler Problemverarbeitung und hoher Chancen für brauchbare Ergebnisse, wie die moderne entscheidungstheoretische Organisationsforschung sie anstrebt, wird kaum eine Form annehmen können, die zugleich ein Optimum an werbender Wirkung erbringt und dem Bürger das Gefühl des Beteiligtseins an einer eigenen Sache vermittelt. Gerade in den Augen des Publikums trennen sich dann Effizienz auf der einen und Befriedigungswert oder Legitimität der Entscheidung auf der anderen Seite.« Ebd., S. 207. 41 42
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ist auffällig, wie Konzil und Kurie dennoch verquickt wurden und der Papst dies durch eigene Entscheidungen beförderte. Nicht nur, dass die Gremienstrukturen des Konzils bis auf wenige Ausnahmen stets mit denen der päpstlichen Verwaltung parallelisiert wurden; der Konzilsberichterstatter Mario von Galli gibt auch weitere Beispiele für die vom Papst selbst erzeugte Gemengelage von Kurie und Konzil: »Erstens weihte er reihenweise kuriale Beamte zu Titularbischöfen und Erzbischöfen, nur damit sie am Konzil teilnehmen konnten. Kardinal Frings hat in der zweiten Session dagegen Protest eingelegt [...]. Zweitens verband er durch Personalunion – entgegen seiner ursprünglichen Absicht – die Leiter der päpstlichen Kongregationen (Ministerien) mit den Präsidenten der Konzilskommissionen. Den Höhepunkt erreichte diese Verschmelzungstendenz unter Paul VI., als der Kardinalstaatssekretär Cicognani zugleich Präsident der Koordinierungskommission wurde.« 43 Die sich durch jene Maßnahmen ausdrückende Intention richtet sich aber wohl nicht gegen die Autonomie des von ihm selbst initiierten Konzils, vielmehr scheint sich der Papst zunutze machen zu wollen, dass die Inszenierung von Verfahren, wie Luhmann sagt, dazu in die Lage versetzen kann, angesichts einer ungewissen Zukunft und einer Überforderung durch unübersehbare Komplexität »gegenwärtige Sicherheit zu schaffen und ein darstellendes, expressives, sinnerfülltes, verpflichtendes Verhalten in der Gegenwart zu ermöglichen« und so integrierend zu wirken. 44 Es geht Johannes XXIII. also um die Institutionalisierung eines außeralltäglichen Mechanismus, der unter anderen als den gewohnten Bedingungen operiert und alternativen Rationalitätskriterien folgt. Mit dem Konzil sollen inhaltlichhomogene Orientierungen aufgegeben und Divergenzen zur Entfaltung gebracht werden, so dass das Potenzial für Komplexitätsreduktionskapazität wächst. Dies gelingt aber nur in dem Maße, wie die verschiedenen Prozesse koordiniert werden, wie also »der Output des einen als Input des anderen in Betracht kommt. Die Differenzierung des Gesamtsystems kommt in dieser Zeitfolge darin zum Ausdruck, daß die Entscheidung eines Verfahrens im nächsten nur mehr wie eine Tatsache behandelt, also pauschal übernommen und nicht nochmals erarbeitet oder kontrolliert wird; und die Integration kommt dadurch zustande, daß diese Ergebnisübernahme erfolgt und die Verfahren nicht etwa nebeneinander Galli/Moosbrugger 1965, S. 13. Vgl. Luhmann 1969, S. 232. Eine solche Funktionalisierung des Verfahrens Konzil provoziert als Folgeproblem einen erhöhten Koordinationsbedarf, der bei jeder Arbeitsteilung anfällt und den Steigerungszusammenhang von Differenzierung und Integration, Differenzierung und Autonomie der Teilsysteme, Spezifizierung und Generalisierung sowie die unvermeidliche Diskrepanz von Struktur und Funktion in einem Zusammenhang hält. Vgl. ebd., S. 242. »Funktionale Differenzierung ermöglicht es einem System, verschiedenartige Prozesse nebeneinander einzurichten, die nicht in einem Verhaltenskontext zusammengefaßt werden könnten. So kann das System nicht nur die Vorteile der Spezialisierung von Fähigkeiten gewinnen, sondern auch Widerspruchvolles nebeneinander geschehen lassen, kann unter entgegengesetzten Prämissen zugleich operieren und dadurch die Zahl seiner Handlungsmöglichkeiten, seine Komplexität, steigern.« Ebd., S. 247. 43 44
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Das Zweite Vatikanische Konzil
herlaufen.« 45 Das Konzil ist also als autonomes Verfahren zu begreifen, indem einerseits gezeigt werden kann, dass in seiner internen Entscheidungsgeschichte in später liegenden Vorgängen bereits erreichte Innovationen übernommen werden und andererseits im externen Zusammenspiel von Konzil als zeitlich begrenztem ›Ausnahmezustand‹ und Kurie als dauerhafter Zentralverwaltung sich letztere in ihren eigenen zukünftigen Operationen an den Errungenschaften des Sonderverfahrens orientiert. Entsprechende Rezeptionskonflikte scheinen diesbezüglich vorprogrammiert. Dies zeigt auch die konzilsinterne Vorkehrung, dass über die Approbation der Texte hinaus die Kontrolle ihrer Rezeption nicht der Kurie als ›zentralkirchlicher Normalbehörde‹ überlassen wurde, sondern das Konzil seinen Einfluss dadurch kontinuieren konnte, dass hierfür eigene Organe geschaffen wurden. Die Parallelität der Zuständigkeiten und die daraus resultierende weitere Kompetenzkonkurrenz begann bereits, als das Konzil noch tagte und für die verhältnismäßig früh approbierte Liturgiekonstitution Ausführungsbestimmungen und -institutionen geschaffen wurden. Alberigo berichtet von der optimistischen Euphorie, die im Frühjahr 1964, als das »Consilium« als Modell für diese Organe gegründet wurde, verhindert habe, dass die abschreckende Wirkung wahrgenommen werden konnte, welche diese Entscheidung innerhalb einer sich ihrer Monopolstellung bedrohten römischen Kurie gehabt haben musste:46 »In Rom vollzog sich unter den Augen des Konzils auch eine immer schärfer werdende Konfrontation zwischen dem ersten nachkonziliaren Organ, dem Consilium ad exequendam constitutionem de sacra liturgia – unter dem Vorsitz eines der Moderatoren, Giacomo Lercaro – einerseits und der Ritenkongregation der Kurie andererseits. Damit bestätigte sich der Eindruck, daß es einen institutionellen Widerstand der Kurienorgane gab, die nicht akzeptieren wollten, daß mit der tätigen Sorge des römischen Stuhls für die loyale Durchführung der Konzilsbeschlüsse andere Organe als die bereits vor dem II. Vatikanum bestehenden betraut wurden.« 47 4.4 Lernprozesse In dem Maße, wie man einem Verfahren Autonomie attestiert, impliziert dies sogleich die Unterstellung, dass es die Kriterien seiner Steuerung aus dem eigenen Verlauf zieht. Es kommt also auf die Entscheidungsgeschichte an und hierbei ergeben sich automatisch Umstrukturierungen von Erwartungen, mit anderen Worten Lerneffekte: »Man kann nach dem Verfahren nicht mehr dieselben ErEbd., S. 245. 2002, S. 594f. 47 Ders. 2006, S. 752. 45
46 Alberigo
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wartungen hegen wie vor dem Verfahren. Die Frage ist aber, ob dieser Lerneffekt im Verfahren gesteuert und [...] in die Selbstauffassung der Beteiligten aufgenommen wird oder ob er erst nach der Entscheidung durch ein Enttäuschungserlebnis zustande kommt. In diesem Fall wird der Lernvorgang unberechenbar. Der Enttäuschte wird seine Erfahrungen, Verhaltensweisen und Ziele in einer ›abweichenden‹ Rolle neu organisieren und versteifen.« 48 Da Verfahren nicht nur bleibende Einsichten, sondern auch bleibende Enttäuschungen erzeugen, gebe es diese Lerneffekte nur dann, wenn es aus der Perspektive der Beteiligten nicht völlig unverständlich und kontingent verläuft, sondern ihnen vielmehr Einsichten in die Kausalität des eigenen Handelns, wie beispielsweise die Überzeugungskraft der eigenen Argumentation ermöglichten. Die Teilnahme am Verfahren nötigt grundsätzlich, seinen »dekorativen Rahmen«, die entsprechende Verteilung der Rollen und Entscheidungskompetenzen mitzubestätigen. Ist man einmal in den »Trichter des Verfahrens« geraten, bewegt sich alles auf eine Entscheidung hin, vieles ist Luhmann zufolge »unbezahlte zeremonielle Arbeit«. Anders als der Lerneffekt ist dessen Verweigerung aber problematisch, denn dabei kommt dem Verfahren neben der »Spezifizierung der Unzufriedenheit« vor allem die Absorption daraus resultierender Proteste zu. Hier sind »Abweichungsstabilisierungen« häufig mit Statusverlust im Sinne der Mehrheit verbunden: »Der Verlierer wird zum Sonderling, zum Querulanten, zu einem, dessen Lieblingsthema man kennt und nach Möglichkeiten vermeidet.« Es geht bei der Legitimation durch Verfahren häufig nicht um realen Konsens und gemeinschaftliche Harmonie. »Überhaupt kann Legitimität als ›Internalisierung‹ einer Institution als persönliche Einverseelung sozial gebildeter Überzeugungen nicht vollständig begriffen werden«. 49 Soziales Lernen In diesem Sinne ist das Zweite Vatikanische Konzil als Verfahren gut unter dem Stichwort ›lernende Organisation‹50 zu beschreiben, wenn man sich auf seine formale Struktur bezieht und dabei Veränderungen nachvollzieht, die diese Ebe-
Luhmann 1969, S. 111. Ebd., S. 118.119. 50 Diese Begrifflichkeit ist in der jüngeren Vergangenheit zu einem beliebten Thema pädagogischer, betriebs- und verwaltungswirtschaftlicher Studien und Qualifikationsschriften geworden, vgl. etwa Howaldt 2004, Brodowski 2005, Lederer 2005 oder Emde 2006. Innerreligiöse Reformprozesse unter diesen Begriff gebracht hat kürzlich auch ein protestantisches Autorenteam, vgl. Projektgruppe »Lernende Organisation Kirche« 2004. 48 49
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ne in Reaktion auf Interaktionserfahrungen im Verfahrensverlauf widerspiegelt. 51 Dabei wird im Folgenden der Fokus mehr auf die Ordnung des Konzils und auf durch sie beschriebene Stellen gerichtet, bei denen zunächst zwar Rollenerwartung und Funktionszuschreibungen, weniger aber die sie ausfüllenden Persönlichkeiten im Interesse stehen, bis sie später gegen die organisatorische Vereinnahmung protestierend wieder auftauchen. Dies hat mit dem Organisationsbegriff zu tun, der hier in Anlehnung an systemtheoretische Beiträge nicht einen Verbund von Personen, sondern vielmehr eine bestimmte rekursive Vernetzung von Entscheidungen bezeichnet. Erst mit einer solchen Beschreibung wird es möglich, einen Unterschied zwischen ›personalem Lernen‹ und ›organisatorischem Lernen‹ zu machen, auf den es hier ankommt. Wenn also im Folgenden in Bezug auf das Konzil ›organisatorisches Lernen‹ thematisiert wird, geht es darum, wie seine Geschäftsordnung den Geschäftsgang regelt und wie diese Regeln, die als Entscheidungsprämissen die Interaktionsbedingungen der unterschiedlichen Ebenen steuern, aufgrund von gemachten Interaktionserfahrungen variiert werden können. Die Ausgangsbeschreibung des fundamentalen Problems zu Anfang des Konzils lautet in den Worten des zeitgenössischen Beobachters: »Äußerlich gesehen haben wir eine Woche der Reden im Konzil hinter uns. Wohlgemerkt, abgestimmt wurde noch über gar nichts. [...] Wie immer es auch sei, die bisherige Art der Behandlung erfordert dringend eine Vereinfachung. Es geht nicht an, daß zu jeder Vorlage [...] etwa 160 Redner das Wort ergreifen, die sich in vielen Aussagen wiederholen. Sonst dauert das Konzil zehn Jahre und mehr.«52 Das Konzil beginnt in seiner ersten Session sehr stockend, die hohen Erwartungen vieler Teilnehmer und die nichtvorhandene Erfahrung in der Organisation eines so großen Interaktionszusammenhangs bewirken allenthalben das Gefühl von Ineffizienz. War es noch die Entscheidung Johannes XXIII., für die intersessio eine Koordinierungskommission einzurichten, so gab es durch den Papstwechsel zu Paul VI. in derselben Unterbrechungsphase neuen Schwung für eine umfassendere, jene Erfahrungen berücksichtigende zweite Auflage der Geschäftsordnung. Aber das hierbei gezeitigte Ergebnis blieb selbst hinter den Erwartungen des Papstes zurück: »Paul VI. sagt zu Suenens, der Text entspreche nicht ›in allem‹ seinen Vorstellungen.« 53 Zwar wurde die Leitung des Konzils neu geordnet, d.h. das Präsidium auf der einen Seite vergrößert, ihm aber auf der anderen Seite mit der Einführung der Moderatoren auch Leitungsbefugnisse entzogen. Insgesamt wurde der InklusiEine andere Möglichkeit, das Konzil als ›lernende Organisation‹ zu behandeln, wäre das Verfolgen religionspädagogischer Fragestellungen, was beispielsweise der Katholizismus allgemein durch das Konzil lernt. Man könnte auch auf die Lerngemeinschaft Konzil, also auf die vielen einzelnen Lernerfahrungen seiner Teilnehmer abstellen. 52 Galli/Moosbrugger 1963, S. 58. 53 Melloni 2002, S. 13. 51
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onsbereich des Konzils erweitert, indem nun auch Laien als Sachverständige und Hörer (auditores) zugelassen waren. Ungeregelt blieb aber weiterhin die Funktion der Kommissionen im Verhältnis zur Aula in dem Sinne, dass diesen klar gemacht würde, dass sie bloße Dienstfunktion hätten und der Versammlung untergeordnet seien. Auch die Beziehungen zwischen Papst, Staatssekretariat und den Moderatoren blieben weiterhin undurchsichtig. 54 So musste Paul VI. – als Beispiel personalen Lernens – nach seinem Rollenwechsel vom Konzilsteilnehmer zu dessen Vorsitzenden sich selbst erst aneignen, sich durchzusetzen. Immerhin gelangen durch Modifikationen der Geschäftsordnung eine Reihe von Vereinfachungen. Beispielsweise konnten die teilweise durch Wiederholungen sehr langatmigen Debatten unter Umständen dadurch verkürzt werden, dass Sprecher im Delegiertensinne im Namen einer Gruppe auftraten oder die Moderatoren in die Lage versetzt wurden, den Schluss der Debatte mit einfacher Mehrheit beschließen zu lassen. Der Geschäftsgang insgesamt wurde vereinfacht, indem durch die neue Mehrheitsregel in Form einer ›einfachen Mehrheit‹ die Zurückweisung von Schemata erleichtert und Vorlage von Neuentwürfen ermöglicht wurde. Dieses lässt auch Rückschlüsse auf das Versammlungsklima zu, hatte sich doch gezeigt, dass die angestrebten Reformbemühungen von einer sehr breiten und um Kollegialität bemühten Masse getragen waren. Kieserling zufolge kann die Mehrheitsregel nur praktiziert werden, wenn man darauf verzichte, das Abstimmungsverhalten vorweg schon moralisch zu schematisieren »etwa in dem Sinne, daß nur der Zustimmende Achtung verdient, der Dissentierende dagegen der allgemeinen Mißachtung ausgesetzt wird. [...] Gäbe es schon aus moralischen Gründen nur eine einzig richtige Entscheidung, dann hätte man ja moralisch gar keine Wahl. Das Thema der Entscheidung muß daher moralisch neutralisiert werden können. Hier liegt eine der wichtigen Funktionen der Kollegialität. Kollegen sind in der Interaktion immer auch damit beschäftigt, einander zu versichern, daß sie sich unabhängig vom Entscheidungsverhalten und unabhängig vom Ausgang des Entscheidungsverfahrens achten können.« 55 Für die bei der Revision der Geschäftsordnung angezielten Optimierungen des Konzilsverfahrens waren auch die diskontinuierlichen Personalentscheidungen aufschlussreich, besonders dann, wenn damit signalisiert wurde, dass mit betroffenen Personen bestimmte Strukturen oder Institutionen identifizierbar sind. Einerseits war dies der Fall bei der Ernennung des Löwener Universitätsprofessors Gérard Philips zum zweiten Sekretär der Theologischen Kommission, die einen Nichtkurienangehörigen an eine von einflussreichen Kurienmitarbeitern wie Kardinal Ottaviani und seinem Sekretär Tromp dominierte Schaltstelle »Einen Monat später gerät Paul VI. unter enormen Druck, was zwar den meisten verborgen bleibt; aber er hat eben den Knoten des Gewissens der Versammlung noch nicht durchgehauen: Der ›Kelch‹ der notwendigen Klärung der Rollen in Konfliktfällen geht nicht an ihm vorüber.« Ebd., S. 14. 55 Kieserling 1999, S. 377. 54
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Das Zweite Vatikanische Konzil
der Konzilsorganisation brachte. Und andererseits wurde der Titularerzbischof O’Connor zum Vorsitzenden eines aus 14 Konzilsvätern bestehenden Pressekommitees (Comitato per la Stampa) ernannt, das mit Aufsicht über das Presseamt betraut war, so dass von diesem Zeitpunkt an von einem selbständigen Presseamt des Konzils gesprochen werden darf. Dies reagierte auf die konzilsexterne große Nachfrage nach Informationen und bedeutet ein ›Lernen nach außen‹ hin. Wie effektiv die Einbeziehung der Interaktionskreativität in die organisatorische Formalstruktur des Konzils durch die Einführung des Moderatorengremiums gewesen ist, sollte sich besonders an der Stelle zeigen, als die Debatte über das Kapitel ›Kollegialität‹ sowie bezüglich der ›Wiedereinführung des Ständigen Diakonats‹ – beides im Kontext der späteren Kirchenkonstitution Lumen gentium – außer Kontrolle geraten schien. Da das Konzil nicht wie ein politisches Parlament klare Fraktionen kennt und die Mehrheitsverhältnisse entsprechend unklar waren, wurde zur Konfusionsvermeidung eine Orientierungs- oder Probeabstimmung über die strittigen Punkte vorgeschlagen: »Am 23. Oktober beschloß der Präsidialrat auf Antrag der Moderatoren, dem Konzil fünf Fragen vorzulegen, von denen ausdrücklich gesagt wurde, daß sie nicht als Endabstimmung zu gelten hätten, sondern nur die Mehrheitsverhältnisse erkunden sollten, um der Kommission die Arbeit zu erleichtern.« 56 Im weiteren Verlauf des Konzils wurde es mit der Verabschiedung einzelner Dokumente, allen voran der Liturgiekonstitution, notwendig, auch die formale Inkraftsetzung dieser Texte vorzunehmen. Die entsprechende Bestätigungsformel, mit der der Papst einen vom Konzil approbierten Text offiziell promulgierte und die somit auch zur Geschäftsordnung des Konzils gehörte, sollte – dem ›Geist‹ des Zweiten Vatikanums folgend, also die sachliche Auseinandersetzung lernend aufgreifend – ihre Autorität daraus ziehen, dass sie ›kollegial‹ benennt, dass der Papst als Promulgator zugleich Glied und Haupt des Konzils ist. Beraten durch eine wissenschaftlichen Studie und nach reiflicher Überlegung kam Paul VI. zu einer allgemein als gelungen angesehen Lösung: »Was in dieser Konstitution im gesamten und im einzelnen ausgesprochen ist, hat die Zustimmung der Väter gefunden, und Wir, kraft der von Christus Uns übertragenen Apostolischen Vollmacht, billigen, beschließen und verordnen es zusammen mit den Ehrwürdigen Vätern im Heiligen Geiste und gebieten zur Ehre Gottes die Veröffentlichung dessen, was so durch das Konzil verordnet ist.« 57
56 57
Jedin 1968, S. 620. Ebd., S. 621.
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Zeitliches Lernen Mit der zweiten Hälfte des Konzils, ohne dass dieser Zeitpunkt damals abschätzbar war – das Konzil hatte vorab keine definierte Dauer –, erfolgten weitere Straffungen für dessen Arbeit in der Aula, u.a. Restriktionen wie beispielsweise eine Verkürzung der Redezeit auf acht Minuten oder die Anmeldung von Redebeiträgen mehrere Tage im Voraus durch Abgabe eines Redemanuskriptes. Dadurch verlagerte sich zunehmend die interaktive Dimension in die Gremien, nur noch dort konnte der konziliare Aushandlungsprozess als Kombination von Aktion und Reaktion stattfinden, wie bereits Jedin feststellt: »Obwohl der Grundgedanke der GO [=Geschäftsordnung], daß nur die Vollversammlung des Konzils Beschlußrecht über die vorgelegten Texte besitzt, aufrechterhalten wurde, verlagert sich infolge des starken Zeitdrucks, unter dem das Konzil während der letzten Wochen stand, das Schwergewicht der Konzilsarbeit eindeutig in die Konzilskommissionen, denen die Redaktion der Texte anvertraut war. Die GK [=Generalkongregationen] wurden seltener, ihr Hauptinhalt waren die Abstimmungen.« 58 Die folgenden Lerneffekte betreffen also Fragen des Timings, der knappen Zeit, der Dauer. So ist ein Ergebnis ›lernender Organisation‹ auch, dass durch immer effizientere Gestaltung der organisatorischen Rahmung der konziliare Interaktionszusammenhang immer mehr Züge der ursprünglich aus der Vorbereitungszeit stammenden Konzilsidee annimmt, nämlich als eine bloß Vorlagen ratifizierende Konzilsversammlung. Zwar wurde mit Kieserlings Worten »die Entscheidung zu einer Outputkategorie der Interaktion erklärt« 59, aber die ihr inhärente »präkommunikative Sozialität reflexiver Wahrnehmung« ist eben nicht vollständig als Entscheidung wiederzugeben. Frustrationen für die Zeit nach dem Konzil waren so vorprogrammiert. Als ein Beispiel für extensives Traktieren des konziliaren Entscheidungsmechanismusses, das aufgrund der Interaktionskomplexität aus offizieller Sicht notwendig war, kann der Abstimmungsplan Philips zu der bereits als umstritten erwähnten Kirchenkonstitution gelten. Dessen detailliertes Vorgehen wurde später abgemildert umgesetzt: »Mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit, einzelne Änderungen von den Artikeln zu trennen, die sie betreffen, und in der Furcht, daß separate Abstimmungen zu jeder Änderung einige hundert Abstimmungen erforderlich machen würden, schlug Philips zu den ersten sechs Kapiteln 81 Abstimmungen vor: zehn für Kapitel I, 16 für II, 29 für III, zehn für IV, sechs für V und zehn für VI (man beachte die viel größere Zahl von Abstimmungen zu Kapitel III); für die übrigen Kapitel VII und VIII, die noch auf dem Konzil diskutiert werden sollten, rechnete er mit ungefähr zwanzig Abstimmungen. In Anschluß an diese Abstimmungen wäre dann noch eine allgemeine Abstimmung über jedes 58 59
Ebd. Kieserling 1999, S. 372.
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einzelne der acht Kapitel erforderlich.« 60 Im Endeffekt brauchte man aber für das besonders inkriminierte dritte Kapitel bloß 39 Einzelabstimmungen und für alle anderen zusammen nur noch weitere dreizehn. Trotz der dynamisch selbsttransformierenden Organisationsstrukturen des durch die Größe seines Interaktionszusammenhangs notgedrungen hohen Formalisierungsgrades ist aber auch festzuhalten, dass sich mit der Zeit eine Versammlungskultur einspielen konnte, welche der Wahrnehmung von Affektivität durchaus Platz einräumte. Dies geschah aber immer weniger auf der Ebene sprachlicher Verständigung, sondern mehr durch Gesten, die auch akustisch vernehmbar sind, wie beispielsweise der Ausdruck von Protest oder Zustimmung durch spontanen Applaus, oder die optisch wahrzunehmen sind als Rührung in Form von Tränen, von denen von Zeit zu Zeit auch berichtet wird. Insgesamt verschiebt sich der Verfahrenscharakter unter dem Eindruck ›verrinnender Zeit‹ von mehr oralen Interaktionsanteilen hin zu größerer Literalität im Sinne schriftlicher Abstimmungen über Textvorlagen, was kurioserweise den Faden der Konzilsplanung aus der Vorbereitungszeit wieder aufnimmt, hatte man dort doch die Vorstellung von einer zügigen Approbation der ausgearbeiteten Texte. Wohl auch aufgrund des Eindrucks der nahenden Lebensgrenze und verbunden mit der Hoffnung auf Vollendung des eigenen Lebenswerkes, ging selbst Johannes XXIII. nur von maximal zwei notwendigen Sitzungsperioden aus. 61 Doch nach der unerwarteten Durchsetzung des dann offen ausgetragenen Interaktionsbedürfnisses der Konzilsteilnehmer – symbolisiert durch die Verschiebung der Kommissionswahlen gleich am ersten Tag, um »Zeit zu haben, sich kennenzulernen« – resultierte aus der Zurückweisung der alten Schemata weiterer Zeitbedarf für die entsprechende Neubearbeitung.
Tabelle 2:
Eckdaten der Konzilschronik
Zeitpunkt
Ereignis
25.01.1959
Ankündigung des Konzils
16.06.1959
Errichtung der »Vorvorbereitenden Kommission«
18.06.1959
Konsultation künftiger Konzilsväter
20.02.1960
Versand der Themensammlung an römische Kongregationen
05.06.1960
Ernennung der Vorbereitungsorgane
15.05.1961
Enzyklika Mater et magistra
25.12.1961
Einberufungsbulle Humanae salutis
60 61
Komonchak 2006, S. 44. Vgl. Riccardi 2000, S. 25.
Phase Vorvorb it bereitung
Vorbereitung
Diskussionsthemen
Verfahren zur Entscheidungsfindung 13.07.1962
Versand eines ersten Teils der Schemata an die Konzilsväter
11.10.1962
Eröffnungsfeier des Konzils im Petersdom
13.10.1962
1. Generalkongregation: Vertagung der Wahl zu den Konzilskommissionen 36 Generalkongregationen 640 Konzilsreden 33 Abstimmungen
08.12.1962
Schlusszeremonie der ersten Sitzungsperiode
17.12.1962
Errichtung der Koordinierungskommission
28.03.1963
Gründung der Kommission zur Revision des Kirchenrechts
11.04.1963
Enzyklika Pacem in terris
03.06.1963
Tod Johannes‘ XXIII.: Das Konzil ist suspendiert
145
I. Session
Liturgie, Offenbarung, KommunikationsKommunikations mittel, Ostkirchen, Kirche
I. Intersession
21./22.06.1963 Konklave: Papstwahl Pauls VI.; Fortsetzung des Konzils 13./14.09.1963 2. Auflage der Geschäftsordnung; Ernennung der Moderatoren 29.09.1963
Eröffnung der zweiten Sitzungsperiode -
II. Session
43 Generalkongregationen 637 Konzilsreden 92 Abstimmungen
Kirche, Bischöfe, Ökumenismus Ök i
04.12.1963
Annahme und Promulgation von Sacrosanctum Concilium und Inter mirifica 4.-06.01.1964 Wallfahrt Pauls VI. ins Heilige Land, Begegnung mit Patriarch II. InterAthenagoras session 06.08.1964 Antrittsenzyklika Ecclesiam suam 08.09.1964
Zulassung von Auditorinnen
14.09.1964
Eröffnung der dritten Sitzungsperiode
11.1964
»Schwarze Woche« -
21.11.1964
III. Session
48 Generalkongregationen 618 Konzilsreden 147 Abstimmungen
Annahme und Promulgation von Lumen Gentium, Unitatis redintegratio und Orientalium Ecclesiarum, Paul VI. Proklamation Mariens als »Mutter der Kirche«
2.-05.12.1964 Papstreise zum Eucharistischen Weltkongress in Bombay 06.04.1965 14.09.1965
III. Intersessio Errichtung des Kuriensekretariats für die Ungläubigen (Präsident: Kardinal König) Eröffnung der vierten Sitzungsperiode IV. Session
Kirche, Bischöfe, Religionsfreiheit, Religionsfreiheit nichtchristliche Religionen, Offenbarung, Laienapostolat, Priester, Ostkirchen, Kirche in der Welt von heute, Missionen, Orden, Priesterausbildung, Erziehung, Ehe
4.-05.10.1965 Papstreise nach New York zur UNO 11.10.1965 28.10.1965 18.11.1965
146. Generalkongregation: Papst klammert Thema »Zölibat der Priester« aus Annahme und Promulgation von Christus Dominus, Optatam totius, Perfectae caritatis, Gravissimum educationis und Nostra aetate Annahme und Promulgation von Dei Verbum und Apostolicam actuositatem
Religionsfreiheit, Kirche in der Welt von heute, Missionen, Priester
146 07.12.1965
Das Zweite Vatikanische Konzil Annahme und Promulgation von Gaudium et spes, Presbyterium ordinis, Ad gentes und Dignitatis humanae -
08.12.1965
41 Generalkongregationen 332 Konzilsreden 250 Abstimmungen
Feierlicher Abschluss des Konzils auf dem Petersplatz
Fett = öffentlichhe Sitzung
Diese zeitliche (Aus-)Dehnung wurde als notwendiger sozialer und sachthematischer Lernprozess wahrgenommen, als eine Entwicklung, deren Erfahrung sich nachher anders darstellt als die Erwartung vorher, was legitimerweise Zeit in Anspruch nimmt. Die das Zeitmanagement betreffenden Interventionen Pauls VI. in die Verfahrensweise des Konzils lösen den Konflikt zwischen Interaktionsund Organisationsbedarf nicht auf, und dies provoziert bei vielen Verfahrensteilnehmern Misstrauen. Zu Beginn der dritten Sitzungsperiode werden die Konzilsväter von der Konzilsleitung dazu gedrängt, keine Zeit durch Wiederholung von Argumenten zu verschwenden, irrelevante Fragen aufzuwerfen oder zu lange Reden zu halten. Außerdem wird mitgeteilt, dass, um die Aufmerksamkeit der Bischöfe auf die Diskussionen und Abstimmungen zu konzentrieren, die Kaffeebars nicht vor 11 Uhr öffnen würden: »Wer zu einem Text zu sprechen wünschte, mußte seinen Namen registrieren lassen und mindestens fünf Tage vor dem vorgesehen Beginn der Diskussion eine Zusammenfassung seines Redebeitrags abliefern. [...] Wenn die Redeliste voll war, konnte der amtierende Moderator noch jemand anderem die Redeerlaubnis zum Gegenstand der Debatte erteilen, aber nur unter der Bedingung, daß dieser im Namen von mindestens siebzig anderen Bischöfen sprach [...] Schließlich war es niemandem, außer mit ausdrücklicher Genehmigung des Präsidenten, erlaubt, schriftliches Material welcher Art auch immer in der Konzilsaula oder in ihrer Nähe zu verteilen.« 62 Diese Erfahrung von Befristung und Knappheit als Ausdruck einer neuen Zeitökonomie reflektiert der französische Theologe Congar in seinem Konzilstagebuch mit Bezug auf die Systemebenenunterscheidung als durch Organisation zurückgedrängte Interaktion. Rationalisierungsprozesse diskreditieren anfängliche Vergemeinschaftungserfahrungen: »Offensichtlich will man vermeiden, Zeit zu verlieren, aber bedroht man damit nicht eine gewisse Fülle des Konzilsereignisses selbst, so wie sie uns die Erfahrung der vergangenen zwei Sitzungsperioden zu erleben erlaubt hat? Für unseren Teil haben wir in Rom den unersetzbaren Gewinn einer brüderlichen und feierlichen Konzilsversammlung wie dieser erfahren, die Tatsache, vereint zu sein, das Hören verschiedener Stimmen und die Rolle, die selbst Verspätungen spielen, die Dauer der gemeinsamen Anwesenheit und des Aufeinander-Hö62
Komonchak 2006, S. 35.
Verfahren zur Entscheidungsfindung
147
rens, um zum Verstehen bestimmter Dinge zu kommen. Ein Konzil ist nicht nur eine Maschine zur Abstimmung von Texten [...] An dem Tag, an dem das Konzil keine Zeit mehr zu verlieren weiß, wird ihm ein Teil seiner Bestimmung fehlen. Eine gewisse Feldwebelattitüde in der zu sehr auf ›Effizienz‹ bedachten Organisation der Debatten könnte gerade das Hauptinteresse dieser Diskussionen und der Konzilsversammlung töten, um das es geht.« 63 Der deutsche Peritus Otto Semmelroth bestätigt diesen Eindruck in seinem Tagebuch, indem er den organisatorischen Beschleunigungsambitionen mit dem wachsenden Misstrauen auf Seiten der am Interaktionszusammenhang Beteiligten die emotionale Seite entgegenstellt: »Viele Bischöfe sind recht böse über das Tempo, mit dem beim Konzil vorgegangen wird. Sie sind verärgert, daß die Frist für die Anmeldung der Interventionen so früh ist. Man sieht gar nicht, warum das so sein muß, und hat den Verdacht, daß die Kurie eben doch dafür sorgen will, daß das Konzil mit dieser Sitzung zu Ende geführt wird.« 64 Zwar habe der Papst nach nicht wenigen Phasen des Zögerns dann doch akzeptiert, dass 1965 eine vierte und letzte Konzilsperiode stattfinden sollte, doch war nicht klar, wie diese große Zahl von zu klärenden Fragen durch einen »engen Trichter« der etwa zehn Arbeitswochen gelangen konnte. Dies sei umso fragwürdiger gewesen, da sich die Konzilsteilnehmer bewusst waren, dass die bei dieser letzten Gelegenheit anstehenden Themen, welche vor allem das Kirche/Gesellschafts-Verhältnis betrafen, bisher in der Versammlung noch keinen »Reifungsprozess« hinter sich hatten. Dieser Reifungsprozess musste daher auf die Gremienebene, also in die Kommissionen delegiert werden, welche die Zeit der intersessio stellvertretend für die Versammlung zur Erarbeitung tragfähiger Vorschläge nutzen sollten. Dass das durch den damit einhergehenden Kontrollverlust entstehende Machtvakuum der Versammlung mit Ungewissheiten und Frustrationen gefüllt wurde, ist evident. Sicher war nur, dass das Konzil mit der folgenden vierten Sitzungsperiode zu Ende gehen würde, weil der Papst so entschieden hatte. Aber neben dem subjektiv vermittelten erhöhten Zeitdruck durch den Papst, der auf Abschluss drängte, waren die objektiven Schwierigkeiten für die nichteuropäischen Konzilsväter angesichts der wiederholten langen AufentZitiert nach ebd., S. 36. Aufschlussreich für den anhaltend hohen Interaktionsbedarf der Konzilsteilnehmer ist auch die journalistische Beobachtung aus der vierten Session: »Zu einem ›sonderbaren Konzil‹ freilich werden auch die Generalversammlungen, die nur noch abstimmen, nichts mehr diskutieren. Zwischen den Abstimmungen gibt es notwendige Pausen. Da beginnen die Bischöfe naturgemäß, sich zu unterhalten. Vergeblich bat der Generalsekretär Felici am 27. Oktober, sich in den ›leeren Augenblicken‹ ruhig zu verhalten und Stillschweigen zu beobachten, denn die Abstimmungen bedeuten doch ›das Einbringen der Ernte‹ von so viel Mühe und Arbeit. Diesen Augenblick gelte es in gespannter Stille und Hoffnung zu erwarten. Aber Bischöfe sind meist nüchterne Männer, und schöne Vergleiche beeindrucken sie nicht ... Dann versuchte man es mit Schallplatten, die während der Pausen fromme Musik spielten. Aber nicht allzu viele dieser Männer, deren Handwerkszeug der Hirtenstab ist, erwiesen sich als musikalisch.« Galli/Moosbrugger 1966a, S. 47. 64 Zitiert nach Sauer 2006a, S. 285. 63
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Das Zweite Vatikanische Konzil
halte in Rom nicht von der Hand zu weisen. So kam aufgrund der erfahrenen und erwarteten Schwierigkeiten sowie der Dauer beim Verfassen und Approbieren der Schemata sogar der Vorschlag auf, das Konzil nach dem Modell von Trient längere Zeit zu vertagen, um in seiner Pause »den Prozeß des ›Aggiornamento‹ in Fragen der Lehre und der Praxis der Kirche zu vertiefen«.65 Der wahrnehmbare Wunsch zur Beendigung, damit einhergehend auch einsetzende ›Torschlusspanik‹ sowie die Ungewissheit vor der endgültigen Entscheidung für eine vierte und letzte Sitzungsperiode wirkten stark desorientierend auf die Zukunftsprognosen. Mit dieser starken Restriktion durch unabweisbare Befristung setzte sich als Interaktionsbedingung der letzten Periode schließlich das überwunden geglaubte Konzilsmodell der Vorbereitungszeit vollends wieder durch: Ein »kurzes Konzil mit Berichten zur Vorstellung der Schemata, Einreichung eventueller Änderungswünsche, Abstimmung und Promulgation der Texte, und dies alles ohne – oder fast ohne – Debatten.« 66 – mit dem nicht unerheblichen Unterschied, dass das Konzil nun an der Erstellung seiner Vorlagen effektiv beteiligt war. Sachliches Lernen Zwar wurden bereits in der Phase der Vorbereitung die sachthematischen Erwartungen der zukünftigen Teilnehmer des Konzils durch die Konsultationen abgefragt, doch setzten sich mit der Geltendmachung der Interaktionsebene zu Beginn der Versammlung in Rom andere Prioritäten als die aufgrund der organisatorischen Vorbereitung erwartbaren durch. In diesem Sinne kann man auch von thematischen Lerneffekten des Konzilsverfahrens sprechen. Themen stellen den Sachbezug der Interaktion her. Kieserling führt zu der Frage, welche Funktion Themen als Beitrag zur Fortsetzung interaktiver Kommunikation haben, aus, dass diese Unterscheidung von Thematik und Funktion nicht nur für einen externen Beobachter zu treffen ist. Auch interpenetrierende Beobachter, »psychische Systeme«, welche an der Interaktion teilnehmen, könnten dabei unter Umständen den Eindruck gewinnen, dass es nicht um das Thema, sondern um etwas anderes gehe. Wenn dann vordergründig ein bestimmtes Thema verhandelt und hintergründig die z.B. die soziale Dimension der Reputation als Anerkennungs- oder Machtfrage im Raum steht, könne die Interaktion selbst gleichsam in einer Metadiskussion »die Funktion ihrer Themen aufzuklären versuchen. Das setzt freilich voraus, daß die Interaktion sich selbst von der Gesellschaft unterscheiden Burigana/Turbanti 2006, S. 571. Ebd., S. 575. Vgl. dazu auch die Darstellung der Geschichte des Konzils von Rahner/Vorgrimler 1966/2003, S. 34ff., die für das Verhältnis von Konzilsreden (abnehmend) und Abstimmungen (zunehmend) im Konzilsverlauf auf folgende Zahlen kommen: 1. Sitzungsperiode: 640 Reden, 33 Abstimmungen; 2. Sitzungsperiode: 637 Reden, 92 Abstimmungen; 3. Sitzungsperiode: 618 Reden, 147 Abstimmungen; 4. Sitzungsperiode: 332 Reden, 250 Abstimmungen. 65 66
Verfahren zur Entscheidungsfindung
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kann.« 67 Entsprechend ist auch Konzilsinteraktion von Kirchenorganisation zu differenzieren. Doch ist klar, dass Themen die Teilnahmechancen ungleich verteilen und auf diese Art sozial exklusiv wirken können. 68 Es gibt einerseits die berühmten Stars und Beliebtheitshelden, die das Konzil auch hatte, wie z.B. Kardinal Bea, und andererseits die sogenannten ›Hinterbänkler‹, denen es mangels Bildung, Sprachverständnis, Aufmerksamkeit oder einfach Informationen schwer fiel, dem Geschehen zu folgen. Grundsätzlich kann bei aller Vorder- und Hintergründigkeit der Interaktion dieselbe immer nur ein Thema verkraften, weiteres oder anderes muss sich dann anschließen, um sukzessiv behandelt zu werden. Um hier Zeit zu sparen, bedarf es der organisatorischen Unterstützung für mögliche Simultanität, wo also Konzilskommissionen schon etwas vorbereiten, was ›erst viel später dran kommt‹. Für den eigentlichen Interaktionszusammenhang des »Weltereignisses Konzil«, den die Aula ausmacht, entstand entlang der dort getätigten Beiträge so etwas wie eine Themengeschichte. Hierbei ist klar, dass sich immer nur Späteres auf Vorhergegangenes beziehen kann und die von Alberigo kritisierte »mangelnde Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Themenbereichen, die dem II. Vatikanum als Erblast aus der Vorbereitungszeit überkommen war«, wird erklärbar: Da »Osmose« eben nur in Prozessrichtung möglich ist, kann einseitig die späte Pastoralkonstitution auf der früheren Kirchenkonstitution aufbauen und nicht umgekehrt.69 Bemerkenswert ist aber der grundsätzliche Trend, dass das Konzil die Folge seiner Themen thematisch von innen nach außen gestaltete, angefangen von der speziell innerkirchlichen Liturgiereform als erstem Konzilsergebnis bis zur Erklärung über die Religionsfreiheit mit gesellschaftsweitem Bezug am vorletzten Tag des Konzils. Da die Interaktion keine eigene Systemdifferenzierung kennt, wie Kieserling weiter ausführt, könne sie nur einzelne Episoden anhand des laufenden Kieserling 1999, S. 182. »Themen, die keine informativen Beiträge stimulieren, lenken die Aufmerksamkeit von der Sachdimension auf die Sozialdimension um, ohne sie selbst zum Thema machen zu müssen. Dasselbe gilt, wenn das Thema lediglich Reflexionsfunktion erfüllen würde. Dann wäre die Interaktion ihr einziges Thema«. Ebd., S. 197. Vgl. als konziliares Beispiel die berühmte Konfrontation zwischen den Kardinälen Frings und Ottaviani in Abschnitt 6.3. 68 Das gegenteilige Beispiel eines sozial-inklusiven Lerneffekts ist das von Galli beobachtete und im Konzilsverlauf gesteigerte Bedürfnis nach Erreichbarkeit und nach breiter Adressierbarkeit der Konzilsteilnehmer durch seine Leitung im Sinne einer zunehmenden kommunikationsstrukturellen Abbildung von »Kollegialität« in der Konzilsorganisation: »Ganz am Ende der ersten Konzilssession gab es eine Liste mit den römischen Adressen der Bischöfe. Sie ist heute veraltet – und eine neue wird vermutlich erst am Ende dieser Session zu haben sein. [...] Oh, ewiges Rom! Es ist ein tolles Gemisch raffiniertester Organisation und größter Schlamperei.« Galli/Moosbrugger 1964, S. 122. Im Unterschied dazu wurden bereits zwei Tage nach Eröffnung der vierten Session »die Präsidenten aller Bischofskonferenzen oder ähnlicher Gebilde aufgefordert, ihre römische Adresse und ihre Telefonnummer, mit der sie ›wirklich‹ zu erreichen sind, der Konzilsleitung bekanntzugeben.« Dies. 1966a, S. 8. 69 Alberigo 2002, S. 588. 67
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Das Zweite Vatikanische Konzil
Wechsels der Schwerpunkte ihrer Themen differenzieren: »Der Fall ist nicht selten, daß Interaktionen ihre Themen zugleich als Leitfaden für Externalisierungen und als Reflexionsformel für eigene Systemidentität benutzen. Das setzt [...] voraus, daß das Thema als solches formulierbar ist«.70 Als ein geschlossenes System kann die Interaktion sich nicht anders als über Themen auf ihre Umwelt beziehen, und so macht das Konzil Kirche wie Gesellschaft zu seinem Thema. Dass aber die Gesellschaft hohe Erwartungen an das Konzil hat, ist konzilsintern bewusst und findet dort gleich zu Anfang seinen Reflex in einer Botschaft der Konzilsväter an alle Menschen und Nationen, der aber massenmedial wenig Resonanz zuteil wird. 71 Die Nuntium ad omnes homines et nationes ist eine versöhnliche Botschaft der Anteilnahme, die den Frieden und die soziale Gerechtigkeit thematisiert, gleichzeitig wird aber in der Debatte auch anderes mitverhandelt: »Da gibt es bei einigen die Sorge wegen des zu horizontalen und irenischen Ton des Textes: Die Intervention von Msgr. Parente vom Sacrum Officium äußerte z.B. die Sorge, daß kein einziges Mal von der katholischen Wahrheit als Heilmittel gegen die Übel der Gegenwart gesprochen werde.« 72 Abschließend soll es verfahrensbezogen noch um drei sachthematische Phänomene gehen, die Aufschluss über weitere Lerneffekte geben: Zunächst der verfahrensinterne Fall eines ›thematischen Ermüdungsunfalls‹, dann die Innen-/ Außendifferenz berührende Frage möglicher Thematisierungsschwellen und schließlich die ›Zeichen der Zeit‹ als konziliarer Gegenbegriff dazu. Zunächst also zum ›Ermüdungsfall‹: Nach dem ersten heftigen Konflikt in Lehrfragen und nachdem sich das Konzil durch sein Abstimmungsverhalten hinsichtlich der Zurückweisung des Schemas über die Offenbarung De fontibus selbst in die Sackgasse manövriert hatte, so dass dem mehrheitlichen Willen nur noch durch Eingreifen des Papstes entsprochen werden konnte, vermerkte Erzbischof Stourm bei seiner Vorstellung des Schemas über die sozialen Kommunikationsmittel in der Aula einleitend scherzhaft, dass »dieses Schema den Konzilsvätern zur Diskussion übergeben worden sei als eine Gelegenheit zur Entspannung nach den ziemlich vollgeladenen Tagen vor ihrer gegenwärtigen Sitzung.« 73 Der Erzbischof führt weiter aus, dass die sozialen Kommunikationsmittel ein großes Angebot für die Verkündigung des Evangeliums darstellten, und drei wichtige Fragen die Vorbereitungen zu diesem Papier beschäftigt hätten: die Rolle der Kirche als Lehrerin, als Mutter und als Koordinatorin auf diözesaner, nationaler und internationaler Ebene. Zwar findet der Text in der Aula während der knappen Zeit der drei Tage, die für seine Diskussion verwandt wurden, allgemeine Anerkennung, insgesamt wird ihm aber wenig Aufmerksamkeit Kieserling 1999, S. 199. Vgl. den Text in Hünermann 2006, S. 491-494. 72 Riccardi 2000, S. 61. 73 Lamberigts 2000a, S. 316. 70 71
Verfahren zur Entscheidungsfindung
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entgegengebracht. 74 Kardinal Bea etwa fordert konkrete institutionelle Reformen, wie beispielsweise die Einrichtung einer vatikanischen Presseagentur. Es wurde darüber hinaus die Länge des Dokuments bemängelt und auch die eigene Kompetenz kritisch reflektiert: man stellte sich die Frage, ob das Schema für ein ökumenisches Konzil überhaupt ein angemessenes Thema behandle und ob darin den im Umgang mit den Medien sehr erfolgreichen Laien genügend Raum gelassen werde. Die ökumenische Dimension wird durchaus wahrgenommen, z.B. durch den amerikanischen Kardinal Spellmann, der »aufgrund seiner Erfahrungen in den Vereinigten Staaten in den Medien eine Gelegenheit zur Kooperation zwischen Katholiken und Nicht-Katholiken in Ausrichtung auf die Heiligung der Menschheit und Gesellschaft als ganzer« sah.75 Auch werden Weltgesellschaftsargumente gebracht: »Die technologisch eröffneten Möglichkeiten für Universalität müßten in Dienst genommen werden, um die gute Nachricht in der ganzen Welt zu verkünden [...] Die Medien, so wurde festgehalten, böten auch die Gelegenheit, eine Front für die Ausbreitung und die Verteidigung der fundamentalen menschlichen Werte und der Menschenrechte zu schaffen.« 76 Neben Praktikabilitätsgesichtspunkten, die von den afrikanischen Bischöfen hervorgehoben werden, da Radio und Fernsehen die wichtigsten Kanäle für ihre Predigt der christlichen Botschaft darstellten, sehen auch die Bischöfe mit Herkunft »hinter dem Eisernen Vorhang« die Potenziale der Kommunikationsmedien für die Verkündigung. Neben den positiven Äußerungen gab es auch Klagen, dass das Schema zu wenig die mit den Kommunikationsmitteln verbundenen Gefahren anprangere. Bei der Abstimmung wurde es schließlich »in der Substanz« von 2.138 von 2.160, also von 99 Prozent der Konzilsväter gebilligt. Damit war es im Grundsatz angenommen, so dass – den Statuten entsprechend – die weitere Überarbeitung nur noch Detailfragen betreffen durfte. Regelrecht ermüdet und mental noch abgelenkt von den Erfahrungen der ersten Lehrauseinandersetzungen um das Offenbarungsschema, bemerkten die Väter nicht, dass das aktuell behandelte Schema noch stark der eben zurückgewiesenen Instruktionstheologie anhing und bloß die instrumentelle Dimension der massenmedialen Wirklichkeit, nicht aber deren Autonomie realisierte. Als es dann in der zweiten Session erneut debattiert wurde, kam die von Alarmierungen dreier katholischer Journalisten aus den USA ausgelöste Opposition zu spät: Das Schema entspreche nicht dem Aggiornamento, es sei ein regelrechter Rückschritt und werde zukünftig als klassisches Beispiel für die Unfähigkeit des Konzils zitiert werden, sich mit der umgebenden Welt auseinanderzusetzen.77 Und auch heute noch schreibt sein aktueller Kommentator: Das »Dekret scheint etwas Vgl. zum Konzilsthema »Medien« unter dem Gesichtspunkt funktionaler Differenzierung auch Kapitel 7.2. 75 Lamberigts 2000a, S. 323. 76 Ebd., S. 326. 77 Vgl. Famerée 2002, S. 219. 74
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Das Zweite Vatikanische Konzil
peinliches an sich zu tragen«, 78 was schnell ins Bewusstsein gelangt sein muss, denn dieser unterkomplexe und mit einem geringen Innovationsgrad versehene Text wurde nach dem Konzil schnell durch die Pastoralinstruktion Communio et progressio ersetzt. 79 Dieses Beispiel zeigt als weitere Grundkoordinate des Interaktionszusammenhangs »Weltereignis Konzil« die Notwendigkeit, angesichts begrenzter Aufmerksamkeit Ermüdungen einzukalkulieren. Da Themen nicht nur den Verlauf des Interaktionszusammenhangs, sondern eben auch die Autopoiesis der Gesellschaft strukturieren, ist es interessant wahrzunehmen, wie sich die Interaktion thematisch von ihrer Umwelt abgrenzt. Kieserling schlägt für die Reflexion dieser Frage den Begriff der »Thematisierungsschwelle« vor.80 So eine über Thematisierungsschwellen gesteuerte Systemidentität bilde in der Wahrnehmung von Teilnehmern der Interaktion wie von außenstehenden Beobachtern Erwartungsstrukturen aus, die in der Erfahrung positiv eintreffen oder negativ enttäuscht werden können, was dann einen Wandel der Systemidentität (also »Lernen«) offensichtlich mache. Was für die Einzelaktion gilt, hat auch Folgen für den übergeordneten Interaktionszusammenhang und wirkt wiederum auf die Einzelinteraktionen zurück: »In Form der Erwartbarkeit solcher Erwartungen wirkt der Interaktionszusammenhang an der Selbststeuerung der Einzelinteraktionen mit. Die einzelne Interaktion erfährt sich dann selbst als Glied einer Kette von Interaktionen.« 81 In der jüngeren Konzilsgeschichte kann als Beispiel für die Überwindung einer solchen Thematisierungsschwelle die nach anfänglich starken konzilsinternen ›Opportunitätsbedenken‹ erfolgte Aufnahme des Themas der Unfehlbarkeit auf die Tagesordnung des Ersten Vatikanums gelten, die erst dann, insbesondere um ein Zeichen der Stärke zu setzen, vorgenommen wurde, als gerade diese Opportunität in öffentlichen Kontroversen in der katholischen und liberalen Presse bestritten wurde. 82 Das auffällige Beispiel für die Nichtüberwindung einer solchen Schwelle ist die ›Frauenfrage‹ beim Zweiten Vatikanum. Während Johannes XXIII. in seiner Enzyklika Pacem in terris, die kurz vor seinem Tod während der ersten Unterbrechungsphase des Konzils veröffentlicht und darum auch als ›konziliares Vermächtnis‹ verstandenen wurde, die »Frauenfrage« neben dem »sozialen Aufstieg der Arbeiterklasse« und dem spürbaren »Trend zur Ausbildung einer Weltgesellschaft« als eine von drei grundlegenden Signaturen der Gegenwart ansieht, bleibt dieses Thema beim weiteren Konzil unterbelichtet. Für Johannes galt noch: »Unsere Gegenwart ist durch drei Merkmale gekennzeichnet: Vor allem stellt man den wirtschaftlich-sozialen Aufstieg der Arbeiterklasse fest [...] An zweiter Stelle steht die allgemein bekannte Tatsache, daß die Frau Vgl. Sander 2004, S. 235. Vgl. Päpstliche Kommission für die Instrumente der sozialen Kommunikation 1971. 80 Kieserling 1999, S. 205. 81 Ebd., S. 221f. 82 Vgl. für den Weg des Unfehlbarkeitsthemas in die Debatten des Konzils Schatz 1993. 78 79
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153
am öffentlichen Leben teilnimmt. [...] Die Frau, die sich in ihrer Menschenwürde heutezutage immer mehr bewußt wird, ist weit davon entfernt, sich als seelenlose Sache oder als bloßes Werkzeug einschätzen zu lassen; sie nimmt vielmehr sowohl im häuslichen Leben wie im Staate jene Rechte und Pflichten in Anspruch, die der Würde der menschlichen Person entsprechen. Schließlich bemerken wir in unseren Tagen, daß die ganze Menschheitsfamilie im sozialen wie im politischen Leben eine völlig neue Gestalt angenommen hat. Da nämlich alle Völker für sich Freiheit beanspruchen oder beanspruchen werden, wird es bald keine Völker mehr geben, die über andere herrschen, noch solche, die unter fremder Herrschaft stehen«. 83 Die in der Frauenfrage nicht überwundene konziliare Thematisierungsschwelle ist den Zeitgenossen nicht unbemerkt geblieben. So schreibt beispielsweise Oswald von Nell-Breuning in seinem Kommentar zur Pastoralkonstitution Gaudium et spes: »Befremdlich ist, daß weder hier noch an den späteren Stellen, wo von der Teilnahme aller am politischen Leben die Rede ist [...], der Frauen gedacht wird. Auch hierin bleibt die Constitutio hinter ›Pacem in terris‹ zurück, die den christlichen Völkern nachrühmt, sie seien in bezug auf die Anerkennung der Menschenwürde der Frau und ihrer Gleichberechtigung den nicht-christlichen voraus, und die sich ausdrücklich unter Berufung auf die Menschenwürde der Frau für deren politische Gleichberechtigung [...] einsetzt.« 84 Es war wohl auch Johannes XXIII., der mit seiner Enzyklika das Wort der »Zeichen der Zeit« über die Thematisierungsschwelle des Konzils gehoben hat, so dass es sich diesen Begriff zu eigen machen konnte. Noch vor Konzilsbeginn war mit Mater et magistra das Wort in der Welt und deren Neuigkeiten wurden kenntnisreich registriert: Der Papst stellt die gesellschaftlichen Kontextveränderungen gleichsam als Anlass für das Schreiben heraus, mit dem er an vorhergehende Sozialenzykliken anknüpft und reagiert auf diese Veränderungen, indem er
83 84
Pacem in terris, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 2957. Nell-Breuning 1968a, S. 519.
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Das Zweite Vatikanische Konzil
die Kirche mithilfe einer umfangreichen Charakterisierung der modernen Gesellschaft thematisch in ihre neue Lage versetzt.85 Vor diesem Hintergrund thematisiert der Papst als neue soziale Frage die Spannungen zwischen Landwirtschaft und Dienstleistungsgewerbe, zwischen den unterschiedlich entwickelten Gebieten innerhalb eines Landes und auf Weltebene zwischen den Völkern und verschafft damit dem Konzil als »Zeichen der Zeit« einen innovativen Begriff von »Weltgesellschaft«: »In vielen Ländern beteiligt die Demokratisierung eine wachsende Zahl von Bürgern aller sozialen Schichten an der politischen Verantwortung. Immer tiefer greifen die Regierungen in Wirtschaft und Gesellschaft ein. Nach dem Untergang der Kolonialherrschaft erreichten die Völker Asiens und Afrikas ihre politische Selbständigkeit; es wachsen die Verflechtungen der Völker untereinander und damit die Abhängigkeit der Völker voneinander; es entstehen und entwickeln sich auf Weltebene immer weitere überstaatliche Organisationen und Gremien wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Art, mit dem Ziel, das Wohl der weltweiten Völkergemeinschaft zu gewährleisten.« 86 In seinem Kommentar zur Pastoralkonstitution betont Ratzinger in Bezug auf die Rezeption des Begriffs »Zeichen der Zeit« von Johannes XXIII. durch das Konzil: In »den Geschehnissen der Zeit sind die Zeichen des göttlichen Willens nicht einfach ›aufzuspüren‹, sondern zu ›unterscheiden‹«. Man dürfe es »als einen glücklichen Griff bezeichnen«, dass auf diese Weise jenes Unterfangen über die »›weltliche‹ Zielsetzung hinaus in seinem geistlichen Anspruch und seiner geistlichen Tiefe durchsichtig wird. Insgesamt wird man die Meinung des Konzilstextes dahingehend interpretieren dürfen, daß er einer einseitig nur christologischen und ›chronologischen‹ Sicht gegenüber den pneumatologischen und ›kairologischen‹ Aspekt in den Vordergrund rückt«. 87
Der technische Fortschritt habe zur Entdeckung von Atomkraft und ihrer Nutzbarkeit für friedliche wie für militärische Zwecke geführt, man könne heute fast unbegrenzt synthetische Stoffe chemisch herstellen, es gebe umfangreiche Automatisierung in der Gütererzeugung und in den Dienstleistungen, die Landwirtschaft erfahre vielfältige Modernisierungen, insbesondere das Nachrichtenwesen, also Rundfunk und Fernsehen hätten zu einem Verschwinden der Entfernungen zwischen den Völkern geführt. Schließlich registriert Mater et magistra auch ein stetig wachsendes Verkehraufkommen, dabei stoße man sogar in den Weltraum vor. Die technischen Errungenschaften hätten in vielen Ländern zu einem Wandel der gesellschaftlichen Sozialstrukturen geführt, so dass es durch die Einführung umfassender Systeme sozialer Sicherheit erweiterte Sozialversicherungsleistungen gebe, die Elementarbildung erhöht worden sei, der Wohlstand auf immer breitere Schichten der Bevölkerung ausgedehnt sei, es zu einer Annäherung zwischen den verschiedenen Schichten der Bevölkerung komme und es schließlich aufgrund der besseren Informationsmöglichkeiten eine wachsende Anteilnahme »des einfachen Mannes« an den Ereignissen in der ganzen Welt gebe. 86 Mater et magistra, zitiert Utz/Galen 1976, S. 667. 87 Ratzinger 1968, S. 314. 85
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Tabelle 3: Eckpunkte einer Textgenese der ›Konzilserfindung‹ Gaudium et spes Zeiitlich Phase Datum »Interaktionsform«
Sozial Ort
I. 01.12.62Treffen von 50 BiSessischöfen on
Belgisches Kolleg/ Rom 4./5.12. Generalkongregation Peters62 dom
I. Januar KoordininierungsInter- 1963 kommission session
Vatikan
Februar- Gemischte Kommissi- Vatikan Mai on 1963 11. Publikation der En- Vatikan April zyklika 1963 4. Juli Koordinierungskom- Vatikan 1963 mission
Sachlich Hauptakteure
Aktion/Thema/Beschluss
Kardinäle Suenens, Lercaro, Liénart, Léger, Montini
Diskussion über eine Neuordnung der Schemata
Kardinäle Suenens, Montini
Vorschläge für die Ordnung der Schemata nach ad intra/ad extra und ein neues Schema »Kirche und Welt«
Kardinal Suenens
Da keine neue Bischofskommission zur Ausarbeitung des Schemas gewählt werden kann, Bildung einer Gemischten Kommission aus Mitgliedern der Theologischen Kommission und der für das Laienapostolat. Berücksichtigung diverser Schemata aus der Vorbereitungszeit. Differenzierung in pastoralen/ dogmatischen Teil. Fünf aufeinander folgende Textversionen
Diverse theologische Experten (u.a. auch Laien) Papst Johannes XXIII. Pacem in terris
Kardinal Suenens (Berichterstatter)
Textkritik führt zur Bildung einer Zentralen Unterkommission mit Neubearbeitungsauftrag sowie diverser Unterkommissionen für Einzelkapitel, weitere Kleriker wie Laien sollen als Experten hinzugezogen werden. 6.-21. Internationale Arbeits- Auf Cerfaux, Philips, Erarbeitung einer Skizze für den dogmati09.63 gruppe Einladung Prignon, Delhaye, schen Teil (Adressatenfrage, Weltbezug). Kardinal Thils, Dondeyne, Ein Brief Vischers vom Ökumenischen Suenens Moeller, Congar, Rat der Kirchen mit Ratschlägen spielt in Rahner, Rigaux, Tucci der Debatte eine Rolle. Philips erarbeitet in Meeinen Text, der den Konzilsvätern zu cheln Beginn der II. Session verteilt wird. II. 29.11.63 Gemischte Kommissi- Vatikan Allgemeiner Beschluss Nachdem der Text in keiner GeneralkonSession über Vergrößerung der gregation behandelt wurde, stillschweion Konzilskommissionen: gende Übereinkunft über separate Instrukacht neue Mitglieder tionen; aber Beauftragung einer Ausschussgruppe, einen pastoraleren Text auf für die Gemischte der Basis des bisherigen zu erarbeiten. Kommission II. 30.12.63Zentrale Unterkom- Vatikan Beschluss über Leitlinien des neuen Intermission Schemas: evangelische Wahrheiten, Diasessilog, Zeichen der Zeit, Volk Gottes, pluraon listische Gesellschaft.
156
Das Zweite Vatikanische Konzil 1.-3.02. Zentrale Unterkom1964 mission
Zürich
März 64 Gemischte Kommissi- Vatikan on April 64 Zentrale Unterkom- Vatikan mission 4.-6.06. Gemischte Kommissi- Vatikan 1964 on 26. Juni Koordinierungskom- Vatikan 1964 mission Sommer Bischofsgruppe Polen 6. August 63 10.-12. 09.64
Publikation der Enzyklika Zentrale Unterkommission
u.a. Kardinal Cento, Ottaviani Bericht von Kardinal Urbani Wojtyla
Diskussion über den Rang der »AnhangKapitel« Annahme des Textes, der mit Billigung des Papstes an die Väter zu versenden ist. Erarbeitung eines Positionspapiers
Vatikan
Paul VI.
Ecclesiam suam
Vatikan
Bildung einer dogmatischen Unterkommission mit Garrone und Philips für Überarbeitung des I. Kapitels. Präventive Verschickung einer Liste mit Verbesserungen an die Konzilsväter. Konzilsväter Grundsätzliche Billigung (1576/296 Stimmen). Diskussion über: Atheismus, warum die Kirche von irdischen Dingen spreche, Person und Familie, Kultur, Entwicklung, Frieden, atomare Waffen. Der Anhang sei z.T. präziser: Zusammenführung der beiden Textteile. Seitdem Diskussions- Reorganisation der Redaktionsarbeit beteiligung von Frauen (Laien- und Ordensauditorinnen) Wahl von acht neuen Mitgliedern, weitere Konzilsväter werden zur besseren Repräsentation wenig vertretener Kontinente kooptiert (u.a. Wojtyla). Koordination der Textarbeiten durch zentrales Redaktionskomitee (Häring) Festlegung eines Zeitplanes
III. 20.10- Generalkongregatio- PetersSessi- 5.11. 64 nen dom on
10.11.64 Zentrale Unterkommission
11/64
Vatikan
Mehrere Sitzungen der Vatikan Gemischten Kommission
III. 30.12.64Koordinierungskom- Vatikan Intermission sessi- 31.01.- Zentrale Unterkom- Ariccia on 6.02.65 mission 8.-13. 02.64
Ausschusssitzung
u.a. mit Vischer vom Diskussion des Textes der AusschussgrupÖkumenischen Rat der pe in französischer Sprache: theologische Interpretation der Situation der heutigen Kirchen Welt mit biblischem und soziologischem Anliegen Erstmals Laienaudito- Abstimmung ergibt: der auf Latein überren setzte Text ist Diskussionsgrundlage Redaktionskomitee Diskussion und Redaktion des Textes
Rom
Februar/ Redaktionssitzungen Paris, Rom, März 65 Löwen
Diskussionen diverser Unterkommissionen, u.a. schlägt Wojtyla im Namen der polnischen Bischöfe vor, ausdrücklicher den Atheismus zu behandeln. Mitglieder der Zentra- Deskriptiver Teil des Textes wird als zu len Unterkommission optimistisch, soziologisch und abendlänund Präsidenten ihrer disch beurteilt. Unterk. Hauptmann, Moeller, Überarbeitung/Übersetzung des Textes Philips, Hirschmann, Tucci
Verfahren zur Entscheidungsfindung 29.03.- Gemischte Kommissi- Rom 8.04.65 on
April/ Redaktionssitzungen Rom, Paris, Mai 65 Löwen 11. Mai Koordinierungskom- Rom 1965 mission
Philips
157 Überprüfung der Bibelzitate und Vermeidung von Wiederholungen werden angemahnt. Zustimmung zum Zeitplan. Ein Schema mit zwei Teilen (dogmatisch/Anwendungen). Bzgl. Textgattung findet »Pastoralkonstitution« Mehrheit.
Nach Zustimmung des Papstes wird der Text an die Konzilsväter versandt. Trotz der offiziellen Version auf Latein werden englische, deutsche, spanische und italienische Übersetzungen angefertigt (neben dem französischen Original). Sommer Deutsche und italieni- u.a. Fulda deutsche und italieni- Voneinander unabhängige Positionspapiesche Bischofskonfesche Bischöfe re werden verfasst und an das Redaktions65 renz komitee versandt. Zusammenkunft Rom Hirschmann, Rahner, Das Schema wird vor allem von deutsch17. Volk, Reuß, HengsSeptemsprachigen Bischöfen kritisiert, franzöber 65 bach, Ancel, Garrone, sischsprachige Bischöfe verteidigen den Musty, Elchinger, Text. Beschluss zur Beteiligung deutschDaniélou, Garrone, sprachiger Theologen (schärfste Kritiker) bei der Textredaktion. Congar, Philips IV. 21.09.- Generalkongregatio- Peters- Konzilsväter Gesamtannahme des Textes mit 2111 Sessi- 8.10.65 nen dom Placet zu 44 Non placet und 1 Iuxta moon dum 10/65 Redaktionssitzungen/ Vatikan u.a. Philips, Haupt12./13.11: Vorlegung des textus recognitus mann Gemischte Kommission 15.-17. Generalkongregatio- Peters- Konzilsväter 33 Abstimmungen 11.65 nen dom Felici, Guano, Kardinal Suenens (Berichterstatter)
13.11.- Redaktionssitzungen Vatikan 7.12.65 7.12.65 9. öffentliche Sitzung Petersdom Daten vgl. Moeller 1968
Konzilsväter, Papst
20.000 Modi wurden klassifiziert. Schwerpunkte bei den Themen Atheismus, Ehe und Krieg Annahme der Pastoralkonstitution mit 2309 zu 75 bei 7 ungültigen Stimmen sowie Promulgation
5. Weltpublikum versus »Konzilsgeheimnis«
Unter dem Gesichtspunkt Öffentlichkeit/öffentliche Meinung, der im Folgenden leitend ist, soll nun der Bezug des »Weltereignisses Konzil« zu seinen gesellschaftlichen Funktionskontexten angesprochen werden, insbesondere zu den modernen Massenmedien sowie zur Politik. Dabei kann schon vorab die von Stichweh ausgemachte Tendenz dieser »weltgesellschaftlichen Eigenstruktur« nachvollziehbar gemacht werden, nämlich ihre funktionale Ausdifferenzierung.1 Denn auf das Zweite mehr noch als auf das Erste Vatikanum bezogen, wird man im Unterschied zu früheren Konzilien Distanz zur Politik sowie eine primäre Verortung im Religiösen bestätigen können. Bereits das Konzil von 1870 war – anders als frühere Konzilien – von der Politik unabhängig in dem Sinne, dass auf seiner Akteursebene als Teilnehmer der Konzilsinteraktionen Staaten und ihre Vertreter nicht zugelassen waren. Politik gehörte auch schon beim Ersten Vatikanum in den Bereich des Publikums. Den Teilnehmern der Konzilsinteraktion ging es bekanntlich in Sachen Deklaration des Universalepiskopats um die Reorganisation einer effektiven Repräsentanz eines betont transnational-ultramontanen Katholizismus. Vor allem ging es um die Optimierung demonstrativer Kapazitäten ›katholischer Wahrheiten‹ gegenüber der Welt. Vor diesem Hintergrund ist besonders interessant, wie sich das verordnete wie offiziell strikt eingehaltene Konzilsgeheimnis höchst kontraintuitiv auswirkte. Wie Schatz zeigt, waren es gerade die öffentliche Polarisierung im Vorfeld sowie die konzilsbegleitenden publizistischen Kontroversen – ausschließlich aus Indiskretionen gespeist –, welche das zunächst gar nicht vorgesehene Thema der Unfehlbarkeit auf die konziliare Tagesordnung brachten. So führte die Öffentlichkeitsverweigerung auf der einen Seite anderseits dazu, dass gerade durch die Infragestellung der Opportunität eines möglichen Konzilsthemas in der Umwelt des Konzils viele Konzilsväter zu der Überzeugung gekommen waren, dass nun erst recht ein Zeichen katholischer Stärke und Entschlossenheit benötigt werde. 2 Das wie eine Interdependenzunterbrechung wirkende Konzilsgeheimnis verursachte auch, dass – ohne irgendeine institutionelle Vorkehrung zur Informationssteuerung auf Konzilsseite – die katholische wie weltliche Presse weniger darstellend als parteilich im Sinne einer politischen Drohkulisse im Umfeld konziliarer Debatten aufgefasst werden konnte. So ergibt sich 1 2
Vgl. Stichweh 2008. Vgl. Schatz 1992, S. 197-286 sowie ders. 1993, S. 219-278.
160
Das Zweite Vatikanische Konzil
für das Erste Vatikanische Konzil das Paradox, vom eigenen Anspruch ein ›Weltereignis‹ zu sein und sich doch vor der Welt zu verstecken: Wenn es ein ›Medienereignis‹ war, dann nicht wegen seiner exklusiven Form, sondern trotz dieser.3 Obwohl die Konstellationen des »Weltereignisses Konzil« des Zweiten Vatikanums ganz andere sind, bleiben auch sie, wie zu zeigen ist, immer noch vom Konzilsgeheimnis bestimmt. Wie geht dies mit Stichwehs Definition zusammen: »Alle Weltereignisse sind auch Medienereignisse und für manche Weltereignisse gilt dies in einem zugespitzten Maße, weil sie vor allem Artefakte medial vermittelter Kommunikation sind«? 4 Eigentlich müsste aus der dem Konzil beigegebenen Verfahrenslogik heraus unter dem Gesichtspunkten »Expressivität« und »Darstellung« in gewisser Weise ein Drang zur Öffentlichkeit resultieren. Nicht zuletzt dürfte es für Johannes XXIII. in dem Maße den Ausschlag zur Ankündigung des Konzils gegeben haben, als es ihm für den Katholizismus neu um »Legitimation durch Verfahren« ging. Allein auf Bürokratie, also auf ›Kurieninternes‹ zu setzen, hätte als »einverseelender Mechanismus« kaum den erwarteten Erfolg haben können, denn, mit Luhmann gesagt: »Bürokratie und Publikum liegen dafür zu weit auseinander«. Um den anvisierten Geltungsanspruch im sozialen Leben konsensuell verwirklichen zu können, muss ein Verfahren zunächst abgegrenzt und dann zwischen Leistungsträger vor Ort und einem Publikum ›zu Hause‹ unterschieden werden können. 5 Um aber die zum Gelingen notwendige »unbeteiligte Teilnahme« des Publikums am Verfahren zu ermöglichen, ist dessen Öffentlichkeit wichtig. Dabei müsse der Ablauf des Verfahrens, so Luhmann, für die Unbeteiligten miterlebbar sein. Daneben komme es vielmehr auf potenzielle Zugänglichkeit an und nicht so sehr auf aktuelle Präsenz und auf wirkliches Hingehen und Zuschauen. Entscheidend ist, dass die Möglichkeit dazu offensteht: »Diese Möglichkeit stärkt das Vertrauen oder verhindert zumindest das Entstehen jenes Mißtrauens, das an allen Versuchen der Geheimhaltung sich ansetzt. Die Funktion des Verfahrensprinzips der Öffentlichkeit liegt in der
Mit der gegebenen sozialen Inklusivität auf Teilnehmerseite, seiner thematischen Befassung mit Globalität, die, wenn sie auch gegen die Welt gerichtet ist, planerisch eine zeitlich nach dem Konzil liegende Wirklichkeit betrifft, sind alle Kriterien für »globale Interaktion« erfüllt, vgl. Heintz 2007. 4 Vgl. Stichweh 2008, 5 »Es kann nicht jedermann hinzutreten und mitreden. Außerdem hat das Prinzip der begrenzten Zulassung die latente Funktion eines Mechanismus zur Isolierung einzelner Interessenten. [...] Das bedeutet jedoch nicht, daß die Einstellung der Nichtbeteiligten für die Legitimation durch Verfahren schlechthin irrelevant wäre. Das Gegenteil trifft zu. Legitimierung ist Institutionalisierung des Anerkennens von Entscheidungen als verbindlich. Institutionalisierung heißt aber, daß Konsens über bestimmte Verhaltenserwartungen vermutet und als Handlungsgrundlage benutzt werden darf. Das ist nur möglich, wenn Konsens in großem Umfange tatsächlich besteht oder doch durch Nichtäußerung von Dissens fingiert wird.« Luhmann 1969, S. 122. 3
Weltpublikum versus »Konzilsgeheimnis«
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Symbolbildung, in der Ausgestaltung des Verfahrens als eines Dramas, das richtige und gerechte Entscheidungen symbolisiert.« 6 Die außeralltägliche Verfahrensinszenierung eines Konzils kann durch sein größeres öffentliches Resonanzpotenzial anders inklusiv wirken als es die alltägliche Kurienverwaltung vermag. Zwischen den beiden Vatikanischen Konzilien liegt ein Unterschied gerade in diesem Öffentlichkeitsmanagement. Während das Zweite in Bezug auf Geheimhaltung sich als lernfähig erweist und nicht zuletzt daraus die anhaltende Autorität seiner Beschlüsse zieht, bleibt es bis heute in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit meist bei einem ›polemischen Verhältnis‹ zum Ersten Vatikanum. Doch umgekehrt ist natürlich nicht zu erwarten, dass Öffentlichkeit als Verfahrensprinzip das Zweite Vatikanische Konzil dazu führt, sich vollständig und immer beobachten zu lassen. So gibt es eine Reihe nicht darstellbarer Komponenten im Entscheidungsvorgang: »Zu diesem unsichtbaren Teil des öffentlichen Verfahrens gehören vor allem die Entscheidungen über die Darstellung des Entscheidens. Das öffentliche Verfahren enthält dann bestenfalls Bruchstücke des Prozesses der Herstellung von Entscheidungen; im übrigen dient es einer ausgewählten und vorbereiteten Darstellung der Herstellung des Entscheidens. Aber das genügt für seine symbolisch expressive Funktion, und auf diese Funktion kommt es bei der Legitimierung des Entscheidens an.« 7 Abbildung 16: Präsenz von Kameramännern bei »öffentlichen Sitzungen« in der Aula
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Ebd., S. 124. Ebd.
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Während Massenmedien mit ihrer Vermittlungsleistung dem Zuschauer die Notwendigkeit physischer Präsenz sowie konkrete Synchronisation seines Zuschauens mit dem Ablauf des Verfahrens ersparen – als Rezipient kann man den Zeitungsbericht vom Konzil dann lesen, wenn man Zeit dazu hat oder die Lektüre notfalls unter- oder gar abbrechen –, kann die Anwesenheit von Journalisten für die Verfahrensinteraktion selbst durchaus beeinträchtigend sein. Das ist der Fall, wenn der Aufbau und die Betätigung ihrer technischen Apparaturen so umfangreich werden, dass sie als ein besonders Drama das Verfahren physisch oder durch diskrepante Stilmomente symbolisch zu stören beginnen: »Wenn Photographen herumlaufen oder in die Knie gehen, um den richtigen Winkel für einen Schnappschuß zu erwischen, Apparate surren und zu klicken beginnen, Blitzlichter oder Scheinwerfer die agierenden Personen beleuchten, Aufnahmeinstruktionen geflüstert werden müssen, Fehler gemacht und korrigiert werden, kann das die Aufmerksamkeit vom Hauptgeschehen ablenken oder gar den Primat des Hauptgeschehens in Frage stellen.« 8 Doch die Bereitschaft der Protagonisten, diese »zeremonielle Arbeit« mitzuleisten, ist ein selbstverständlicher Bestandteil der Erwartung des Publikums. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden für das II. Vatikanum aufgezeigt werden, wie aus anfänglicher Kontrolle der Massenmedien durch das Konzilsgeheimnis und der daraus resultierenden Konzentration der Berichterstattung auf die Person Johannes XXIII. (5.1) mit dem Konzilsbeginn ein Prozess einsetzt, der schließlich zur Zirkularität und Koproduktion von Weltereignis und Medienereignis führt und zwar im Unterschied zum Ersten Vatikanum gleichsinnig mit der Mehrheit der Konzilsväter (5.2). Schließlich wird es gerade der neue Bezug zu den Medien sein, der dann im Sinne von Kooperation sich auch auf das seinerzeitige konziliar-kirchliche Politikverhältnis auswirkt und neue Anschlüsse ermöglicht (5.3). 5.1 Kontrolle Die spätere Anwesenheit so vieler Journalisten beim Konzil wie auch die Berichterstattung in seinem Vorfeld verweisen auf eine große Erwartungshaltung, welche weltweit mit der Ankündigung des Konzils einherging. Aber gerade in Bezug auf die ›Medienereignislogik‹ ist das Konzil eine ›lernende Organisation‹, denn zunächst einmal war die sich an seine Ankündigung anschließende lang andauernde Vorbereitungszeit, dem bürokratischen Usus römischer Stellen entsprechend, geprägt von dem Begriff des Konzilsgeheimnisses: »Bürokratische Verwaltung ist ihrer Tendenz nach stets Verwaltung mit Ausschluß von Oeffentlichkeit. Die Bürokratie verbirgt ihr Wissen und Tun vor Kritik, soweit sie irgend 8
Ebd., S. 127.
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kann.« 9 Entsprechend einer System/Umwelt-Unterscheidung ist der Versuch eines strikten Grenzregimes in gewisser Weise für die extensive und thematisch umfassende Vorbereitungszeit auch nachvollziehbar. Der Interaktionslogik entsprechend wird der Umweltbezug über Sachthemen im System repräsentiert und reflexiv dort abgesichert. Das Grenzregime kann aber auch zur Immunisierung dienen und vor möglichen Relevanzbereichen abschirmen, deren Komplexität die eigene übersteigt. Es »scheint gerade die durchgehaltene Fremdreferenz der Unterstützung durch diese forcierte Art selbstreferentiellen Operierens zu bedürfen. Umgekehrt muß die aufdringliche, nämlich im Wahrnehmungsbereich präsente Umwelt entsprechend beruhigt oder künstlich draußen gehalten werden. Man bevorzugt Räume, deren Türen sich verschließen lassen und zu denen Unbefugten der Zutritt untersagt werden kann.« 10 Entsprechend waren die Mitglieder der mit der inhaltlichen Vorbereitung des Konzils befassten Kommissionen zu strenger Geheimhaltung verpflichtet und jeglicher Informationsfluss stand unter Kontrolle. War also die Presse zunächst nicht vorgesehen, änderte sich dies bereits in der Planungsphase schrittweise, beginnend mit dem Novum einer ersten Pressekonferenz in der Geschichte des Heiligen Stuhls. Hierbei informierte Kardinalstaatssekretär Domenico Tardini offiziell die Öffentlichkeit über die Arbeiten zur Vorbereitung des Konzils und kündigte die Einrichtung eines Pressebüros an. 11 Dann herrschte von dieser Warte wieder Funkstille und die Konzilsvorbereitung verlief während der Jahre 1960 und 1961 in totaler Abgeschlossenheit, welche nur bei wenigen Anlässen durchbrochen wurde. »Der Sekretär des Konzils, Pericle Felici, hielt Anfang Dezember in Rom einen Vortrag über Konzil und Presse, zwei Wochen später gewährte Tardini dem englischen Fernsehen ein Interview, gegen Ende Februar 1961 trat Bea im französischen und deutschen Fernsehen auf, und Kardinal König empfing in Wien Journalisten.« 12 Diese unsystematischen und deswegen unbefriedigenden Einzelaktivitäten konnten den Erwartungen der internationale Presse kaum genügen. Aufgrund des daraus resultierenden Informationsmangels hat sich die Aufmerksamkeit der sich zunächst interessiert zeigenden »öffentlichen Meinung« zunehmend abgeschwächt. Innerkirchlich verbreiteten sich Befürchtungen einer römischen Monopolisierung der Vorbereitungsarbeiten. Es schien, als sei das Konzil nicht nur eine interne Angelegenheit der katholischen Kirche, sondern bleibe auch allein den »römischen Arbeitsbefugten« vorbehalten. Niemand habe aufgrund der verdeckt bleibenden systematisierenden und anonymisierenden Auswertung der Konsultation der zukünftigen Konzilsväter ein Gesamtbild von den bischöflichen Vorstellungen gehabt, noch sei es für die interessierte Öffentlichkeit aufgrund Weber 1921, S. 572. Kieserling 1999, S. 200. 11 Vgl. Boezzo 1997, S. 403. 12 Boezzo 1997, S. 405f. 9
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des Konzilsgeheimnisses möglich gewesen, die Arbeiten der vorbereitenden Kommissionen richtig einzuschätzen. 13 Erst ein Jahr vor dem offiziellen Beginn des Konzil, also nach bereits zwei Jahren Arbeit ›hinter den Kulissen‹ wurde mit Msgr. Vallainc, der bereits Pressebeauftragter der italienischen Katholischen Aktion war, eine »erprobte Person« zum Verantwortlichen für das Pressebüro ernannt. Dieser platzierte ›umgehend‹ – einen Monat später – zur Information einer breiteren gesellschaftlichen Öffentlichkeit als ersten Nachrichtendienst einen Text im Osservatore Romano. Darüber hinausgehende Information blieben weiterhin ein Desiderat. Von der allgemeinen journalistischen Berichterstattung kann man für den Bereich innerkatholischer Publizistik eine im Vorfeld des Konzils geführte ›gelehrte‹ Debatte differenzieren, die in Spezialzeitschriften stattfand und auch Bischöfe und führende Persönlichkeiten der Ökumene einbezog. Hier überwand man geographisch-sprachliche Grenzen und unterschied sich auch thematisch von den üblichen Periodika der religiösen Presse, die sich um Orientierung an den dürftigen offiziellen Informationen bemühte.14 Hierbei ist der Befund bemerkenswert, dass sich aufgrund der bürokratisch ausgeübten Geheimhaltung die Berichterstattung ganz auf die »Stimme des Papstes« und dessen öffentlich zugängliches Charisma konzentrierte. Seine Reformorientierung konnte die konzilsbezogene Erwartung der innerkatholischen Öffentlichkeit nachhaltig prägen. Trotz der Enttäuschung über die »Vorherrschaft der Kurie« bei der Vorbereitung gibt es ein ständig steigendes Interesse am Konzil. Die Presseagenturen spezialisieren sich, religiös-kirchliche Nachrichten gewinnen zunehmend an Präsenz und die Thematik bekommt ökumenische Eigendynamik, da sich nach der ausgesprochenen Einladung auch Stimmen aus der anglikanischen, orthodoxen und protestantischen Welt über das kommende Konzil und ihre diesbezüglichen Erwartungen äußern. Insgesamt kann man festhalten, dass das Zweite Vatikanum im Unterschied zu seinem Vorgänger auf ein freundlich gestimmtes massenmediales Umfeld trifft: »Im Unterschied zum Ersten Vatikanischen Konzil hat es auf der Welt kaum eine konzilsfeindliche Presse gegeben. Die öffentliche Meinung stand auf der Seite des Konzils.« 15 Mit dem Zusammentreten des Konzils und den Eröffnungsfeierlichkeiten ist nun der Zeitpunkt gegeben, an dem die von der Erfahrung seiner VorbereitungsVgl. ebd., S. 411. Vgl. zur Diskussion über die »Theologie des Konzils« z.B. das über die personalen Zusammensetzungen der Vorbereitungskommissionen informierende, sich mit vielen inhaltlichen und hierbei auch globlisierungsaffinen Themen befassende und sich mit Fragen an das Konzil richtende Bändchen Mauer u.a. 1961. Für einen Überblick vgl. die den Stand innertheologischer Debatten über das bevorstehende Konzil reflektierende Studie Sieben 1993, S. 244-277. 15 Wittstadt 1997, S. 520. Vgl. zu dem schwierigen massenmedialen Verhältnis des Ersten Vatikanums sowie zu den publizistischen Kontroversen im Kontext der Diskussionen um die umstrittene Unfehlbarkeit Schatz 1993, S. 219ff sowie S. 226-278. 13 14
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zeit stammenden Erwartungen der Teilnehmer wie des Weltpublikums ihrem konziliaren Praxistest entgegengehen. Voller Erwartung auf das Kommende schildert Kardinal Lercaro aus Bologna in einem Schreiben an seine Mitarbeiter vom 11.10.1962 den offiziellen Konzilsbeginn.16 Wie man an der Reflexion seiner Wahrnehmung der über sieben Stunden dauernden Eröffnungsliturgie des Konzils sehen kann, drängt sich dem Kardinal zu Beginn vor allem die Sozialdimension auf: Massenmedien (Fernsehen), kircheninterne Stratifikation (Papst, Kollegium, Kardinäle, Bischöfe), Unterscheidung von Teilnehmern und Weltpublikum, Repräsentativität wie individuelle Herkunft der Teilnehmer, Anwesenheit von nichtkatholischen Beobachtern wie Politikvertretern. In Bezug auf die Sachdimension stellt der Kardinal auf den religiösen Kontext des Ereignisses ab: Anwesenheit des Heiligen Geistes, Altar, Evangeliar. Auch in der meist über die Massenmedien vermittelten gesellschaftlichen Außenwahrnehmung des Konzils (öffentliche Meinung) werden mit dem Konzil hochgesteckte Erwartungen verfolgt. Dabei dominieren in der Sachdimension vor allem organisatorische Themen wie Reform, Einheit und Episkopat. Dies wurde besonders durch publizistische Aktivitäten gefördert, z.B. durch den ungewöhnlichen Erfolg des Bandes »Konzil und Wiedervereinigung« des Schweizer Theologen Hans Küng, der 1960 auf Deutsch erschien und sofort in mehrere
Zitiert nach Riccardi 2000, S. 16: »Heute morgen wurde also das Konzil eröffnet. Ich will hier nicht die wirklich feierliche Zeremonie beschreiben, weil ich vermute, dass Ihr sie im Fernsehen verfolgt habt; und dann wäre es für mich zu schwierig und sicherlich zu langatmig, euch nochmals den Ablauf der Riten zu schildern. Statt dessen will ich Euch einige meiner Gedanken sagen. Zunächst will ich sagen, dass ich mich gewiß niemals so in die Kirche Gottes eingetaucht gefühlt habe wie heute: Der Papst war da und das ganze (oder fast das ganze) Heilige Kollegium, die Bischöfe aus der ganzen Welt, alle um den in der Mitte stehenden Altar versammelt, auf dem zunächst das Opfer gefeiert wurde; dann wurde das Evangelienbuch inthronisiert; der Blick der ganzen Welt war auf dieses Geschehen gerichtet, wie es die Anwesenheit der Delegationen so vieler Nationen und der von uns getrennten Kirchen bekundete [...]; all dies ließ die Lebendigkeit der Kirche empfinden, ihre Einheit und zugleich ihre Vielgestaltigkeit, ihre menschliche und ihre göttliche Dimension; und in mir, der ich mich als ein Glied dieser Kirche fühlte, das mit besonderen Aufgaben und Vollmachten betraut ist, weckte es ein tiefes Empfinden der Freude und Dankbarkeit. Ich fand in der Konzilsaula meinen Platz zwischen Kardinal Wyszynski (der auf dem ganzen Prozessionsweg den meisten Applaus und die meisten Sympathiebekundungen der Menge erhielt) und Kardinal McIntyre. Vor mir hatte ich die Kardinäle Spellman, Ruffini und Caggiano (Buenos Aires); nicht weit von mir befand sich Präsident Segni mit seinem Gefolge und Prinz Albert von Belgien; mir gegenüber sah ich den Abt und einen Mönch des kalvinistischen Klosters Taizé [...] Ich empfand den dringenden Wunsch, dass der Heilige Geist dieses Unternehmen leiten möge, von dem alle so viel erwarten. Aber das wiederholte Gebet der riesengroßen Versammlung, dem sich das Gebet so vieler Seelen in aller Welt beigesellt, gibt uns die Gewissheit, dass der Geist des Herrn in dieser Arbeit mit uns sein wird. Begleitet Ihr alle uns nur mit Eurem Gebet [...] und lasst es Euch gut gehen. Ich umarme und segne Euch.« 16
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Sprachen übersetzt sowie in diversen Zeitschriften besprochen wurde. 17 In Bezug auf die Öffentlichkeit des Konzils gab es nachhaltige »Auswirkung des ›Phänomens Konzil‹ auf große Teile der Weltgesellschaft«, wie Alberigo für die Anfangsphase herausstellt: Zunächst sei die »katholische Welt« und zunehmend auch die anderen christlichen Gemeinschaften so »in den Bann« gezogen worden, dass sich das Gefühl einer alles umfassenden »historischen Wende« ausgebreitet habe: »Folglich manifestiert sich der ›Konzilseffekt‹ mit einer explosiven, unerwarteten und ansteckenden Energie.« 18 In deutlichem Kontrast zu dieser Außenwahrnehmung steht im Inneren sowohl die anfängliche Passivität der Bischöfe als auch eine bemerkenswerte Resignation der Berater. Es habe angesichts des äußeren Erwartungsdrucks und der als prekär eingeschätzten Lage der konziliaren Vorbereitung eine regelrechte »Sinnkrise« bei den Theologen gegeben, so dass der Vorabend des Konzils von der Furcht geprägt gewesen sei, die Welt zu enttäuschen.19 Damit aus den Vorbereitungen im Geheimen ein ›Medienereignis‹ werden kann, braucht es innerorganisatorische Umstellungen von ›Kontrolle‹ auf ›Koproduktion‹. Papst Johannes XXIII. weiß hierum und sorgt bei den Journalisten mit seiner Art für ein gutes Klima, indem er sich in einer Ansprache an sie kurz vor Beginn im Rahmen einer Audienz in der Sixtinischen Kapelle wie folgt äußert: »Die heutige Audienz will Unsere Wertschätzung bezeugen, die Wir für die Vertreter der Presse hegen [...] Ihre Verantwortung ist groß, werte Herren. Sie stehen im Dienst der Wahrheit, und in dem Maße, in dem Sie ihr treu sind, entsprechen Sie der Erwartung der Menschen [...] Dadurch daß Sie der Wahrheit dienen, werden Sie ›zur Abrüstung der Geister‹ beitragen, was die erste Voraussetzung für die Wiederherstellung eines wahren Friedens auf dieser Erde ist.« 20 Zwar hat der Papst in seinem moralischen Appell an die Presseleute noch nicht rezipiert, dass es massenmedial mehr auf Neuigkeit und weniger auf Wahrheit Boezzo 1997, S. 424 berichtet von einer »explosionsartige[n] Verbreitung der Idee Küngs von notwendigen und hinreichenden Verknüpfung zwischen Reform und Einheit«. Andere Publikationen in diesem Kontext sind die »Kleine Konzilsgeschichte« Jedin 1959 oder das bereits genannte Bändchen der Herder-Bücherei mit »Fragen an das Konzil« Mauer u.a. 1961. 18 Vgl. Alberigo 2000, S. 696. Vgl. dazu auch den Titel von Hales 1966: »Die große Wende. Johannes XXIII. und seine Revolution«. 19 Vgl. Riccardi 2000, S. 3: »Das Unbehagen Congars ist fast körperlich; K. Rahner sieht nichts, was zu retten wäre; für Ratzinger hat das Vorbereitungsmaterial keinerlei Fähigkeit, die Kirche anzusprechen. Schillebeeckx ist nicht milder gestimmt. De Lubac sieht keinen Spielraum für eine Beteiligung. Sogar Philips, Colombo und Congar, die Mitglieder der Theologischen Kommission gewesen waren, haben sich noch nicht für einen Weg zum Handeln entschieden. Es handelt sich nicht nur um die Sorge, daß das Zweite Vatikanum zu einem bloß zeremoniellen Konzil werden könnte, dazu bestimmt, das zu ratifizieren, was von den Kommissionen fabriziert worden war, also ein fast unnützes Ereignis. Die Furcht reicht tiefer: Das Konzil läuft Gefahr, angesichts der hoffnungsvollen Erwartungen der Gläubigen, der anderen christlichen Gemeinschaften und der öffentlichen Meinung zu einem tatsächlichen Nichts zu verkommen.« 20 Zitiert nach Wittstadt 1997, S. 523. 17
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ankommt, aber die Bedeutung des Journalismus für den Erfolg des Konzils wird erstmals positiv eingeschätzt. In Bezug auf weitere institutionelle Vorkehrungen zur Verbesserung der Darstellung des Konzils in der Öffentlichkeit intervenieren die deutschen Bischöfe, vertreten durch Weihbischof Walther Kampe, in einer anderen Audienz beim Papst. Sie regen erfolgreich die Einrichtung weiterer kommunikativer Dienstleistungen neben dem offiziellen Konzilspresseamt in Form nach Sprachgruppen sortierter Pressezentren an. 21 Zu den Vorkehrungen zu Konzilsbeginn gehört auch ein mit einhundert Schreibmaschinen, dreißig Telefonanschlüssen und Fernschreibern ausgestatteter Pressesaal. Dessen Kapazitäten durften jedoch nicht ausgereicht haben, denn in kurzer Zeit akkreditieren sich zunächst 400, dann 600 und 1000 Personen, und im Laufe der ersten Sitzungsperiode steigt die Anzahl der vom Pressebüro herausgegebenen Akkreditierungskarten für Wortberichterstatter auf 1255. Doch mit Bezug auf den Professionalisierungsgrad dieser großen Zahl akkreditierter Journalisten kann man davon ausgehen, dass es sich maximal um ein Drittel hauptberuflicher Journalisten handelte. Die Mehrzahl katholischer Publikationen rekrutierten in Rom ansässige Priester oder Ordensleute für ihre Korrespondentenbedarfe. Es ist wohl die außerordentlich große und weltweite Popularität Johannes‘ XXIII. gewesen, die dieses bisher nicht gekannte Maß öffentlicher Anteilnahme an innerkirchlichen Auseinandersetzungen in den Medien verursachte.22 Dem Vgl. dazu auch ebd., S. 525-528: »Das Konzilspressebüro bestand aus sieben Abteilungen für die wichtigsten modernen Sprachen: Englisch, Französisch, Italienisch, Polnisch, Spanisch, Deutsch und Portugiesisch. [...] Aber selbst die Sprachgruppenleiter mußten zunächst sehen, daß sie an hinreichende Informationen gelangten. [...] Den Sprachgruppenleitern ist es zu verdanken, daß sie im Laufe des Konzils die Informationsmöglichkeiten ständig verbesserten [...] Um effizient arbeiten zu können, hatten sich die katholischen Nachrichtenagenturen zu einer Arbeitsgemeinschaft für die Konzilsberichterstattung zusammengeschlossen und in Rom eine Gemeinschaftsredaktion in der Via Domenico Silvieri 30 eingerichtet. Der Arbeitsgemeinschaft gehörten die Agenturen Kathpress (Österreich), KNP (Niederlande), KNA (Deutschland), KIPA (Schweiz) und CIP (Belgien) an. [...] Der Druck seitens der Journalisten auf das Informationswesen der Konzilsleitung verfehlte aber seine Wirkung nicht. Gut einen Monat nach Konzilsbeginn zeichnete sich ein Fortschritt in der Pressepolitik ab. Jetzt durften je zwei der Leiter der sieben Sprachgruppen im Konzilspressebüro an den Generalkongregationen des Konzils teilnehmen [...] Mit Beginn des Konzils als eines Weltereignisses stieg auch die Bedeutung der anderen Medien Film, Funk und Fernsehen. Es war von Anfang an geplant, über alle wichtigen Ereignisse des Konzils Filmaufnahmen zu machen und einen Dokumentarfilm in Farbe vorzubereiten. Anfang Oktober 1962 wurde für Filmberichte über das Konzil das in Rom befindliche Instituto nazionale Luce beauftragt. Für Rundfunkaufnahmen sollte allein Radio Televisione Italiana (RAI) zuständig sein.« Ab der zweiten Periode gab es auch ein Koordinierungszentrum, vgl. Grootaers 2000a, S. 662: »Bei der Wiederaufnahme des Konzils übernimmt das CCCC [=Centrum Coordinationis Communicationum de Concilio] zahlreiche Übersetzungsarbeiten, die Verteilung von Dokumenten verschiedener Zentren einschließlich solcher im Ausland, sowie die Organisation von fünfzig internationalen Pressekonferenzen im Jahr 1963. Fünfzehn Personen arbeiten Vollzeit im CCCC und vier Teilzeit während der zweiten Konzilsperiode.« 22 Vgl. Raguer 2000, S. 14 sowie Wittstadt 1997, S. 529. 21
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massenmedialen Individualisierungsbedürfnis entsprechend wird das Themenspektrum angeführt vom immensen Interesse an der Persönlichkeit Johannes‘ XXIII. Er wird von der Times aus den protestantisch dominierten USA zum »Mann des Jahres« erklärt; und seine charismatische Wirkung wird auch bei der Anteilnahme an seinem Tod und der in der ersten intersessio stattfindenden Beerdigung deutlich. 23 Diesem personalisierten Interesse folgt die Aufmerksamkeit für Innovationen und den entsprechenden Neuigkeitswerten, die in Zusammenhang mit dem Reformbegriff stehen, und damit verbunden die Schilderungen bedeutender konziliarer Ereignisse. Aufgrund der Anschaulichkeit der Liturgien kann umfangreich und dem massenmedialen Dramaturgieinteresse folgend von Papstaudienzen und Eröffnungsfeierlichkeiten berichtet werden: »Das Szenario der Eröffnung ist großartig. Die zum ersten Mal vom Fernsehen übertragenen Bilder zeigen ein Konzil – und von welchem Ausmaß! – der breiten Öffentlichkeit. Das italienische Staatsfernsehen, die RAI, bietet in Verbindung mit einigen europäischen Fernsehanstalten eine Direktübertragung, aber die Bilder werden nach 13 Uhr auch in den Vereinigten Staaten von Amerika übermittelt.« 24 Weitere Themen der Berichterstattung sind funktionssystemübergreifende Fragen z.B. der Kirchenpolitik, ob die aus dem Ostblock stammenden Bischöfe an ihrer Teilnahme gehindert werden, oder innertheologisch Streitfragen der Kirchenstruktur oder der Ökumene.
Die Berichte ähneln dem, was man in Zusammenhang mit dem öffentlichen Sterben Papst Johannes Paul II. vor nicht allzu langer Zeit wieder erleben konnte, vgl. Grootaers 2000, S. 602: »In den letzten drei, endlos scheinenden Tagen des Todeskampfes von Johannes XXIII. berichteten die Radionachrichten auf der ganzen Welt Stunde um Stunde. Die Endphase der Krankheit, die den Papst niederstreckte, machte mit einem Mal offenkundig, daß sich die Weltöffentlichkeit ohne Rücksicht auf Meinungsunterschiede in einer Art Alarmzustand befand. Die warmherzige Offenheit eines liebenswürdigen Papstes hatte sich von der Stadt Rom auf den Erdkreis ausgedehnt, von der urbs auf den orbis. Es war wie eine Flutwelle der Sympathie. Die Beerdigungsfeierlichkeiten, die im Fernsehen übertragen wurden, bewegten die öffentliche Meinung von Gläubigen und Ungläubigen. Letzten Endes war es ein regelrechtes Plebiszit, wie es in der Geschichte des Papsttums beispiellos war. Das Ereignis dieses Plebiszites wirkte auf die römische Kurie wie eine Betäubung. [...] In den Kreisen des Vatikans hatte man nicht vorhergesehen, daß diese rundliche Person, die ihr ländliche Herkunft ebenso wenig verbarg wie ihre Lücken im intellektuellen Bereich, eine solche Ausstrahlung haben würde. Die Offenheit, die durch diesen Papst in all ihren Aspekten öffentlich vertreten wurde, konnte nur den Verzicht der Kirche auf eine Politik der Macht bedeuten. So schlug für manchen Verantwortlichen in Rom die Stunde der Gewissenserforschung: Wie war es zu erklären, daß eine solche Haltung der ›Schwäche‹ wie die von Johannes XXIII. solche Erfolge zeitigen konnte? Nach den Zeugnissen der damaligen Zeit sprach der verstorbene Johannes XXIII. stärker und lauter als er es jemals zu Lebzeiten getan hatte.« 24 Riccardi 2000, S. 12. 23
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Abbildung 17: Resonanz des Weltereignisses in der Münsteraner Lokalzeitung
Das Konzil trifft massenmedial auf regional heterogene Resonanz. Der ›Reformgeist‹ bestimmte nicht in allen Ländern in gleichem Maße die öffentliche Erwartung. Mit dem Grad der Reformerwartung korrespondiert in der Regel auch die Dichte der Berichterstattung in den Zeitungen. Vor allem blieb die Information über das Konzil in der kommunistisch geführten Presse Osteuropas gering, die meisten Zeitungen durften überhaupt nicht über das Konzil berichten. Im Vergleich der internationalen Zeitungen in der sogenannten westlichen Welt ist aber eine insgesamt positive Einstellung zum Konzil zu bestätigen, wobei durchaus Schwerpunktunterschiede in der Berichterstattung auszumachen sind: »In den mehr katholischen Ländern war ein beherrschendes Thema die Erneuerung der Kirche, in nichtkatholischen Ländern stand die Frage der Wiedervereinigung der Christen im Vordergrund. Alle aber wurden beherrscht von der Frage nach Frieden auf Erden und einem brüderlichen Zusammenleben. Hier verbanden sich die Hoffnungen der Menschheit mit den von Johannes XXIII. geäußerten Intentionen des Konzils.« 25 Ein interessantes, weil kontraintuitives Paradox ist dabei, dass es gerade die großen nichtkatholischen (und häufig liberal ausgerichteten) Zeitungen gewesen sind, die das größte Interesse zeigten und mit eigenen, ständigen Korrespondenten beim Konzil vertreten waren. So ist zu beobachten, dass »sich die katholische Presse im allgemeinen nicht an vorderster Front befand. Das mag aus einer moralisierenden Tendenz gegenüber dem Konzil heraus der Fall gewesen sein (Deutschland), aus einer zu engen Bindung an den Episkopat (Italien und Großbritannien), oder auch aus intellektueller Bequemlichkeit gegenüber einem unerwarteten kirchlichen Ereignis (Spanien und Belgien). Zu den Ausnahmen von dieser Regel muß man allerdings die großen katholischen Zeitungen in Kanada und den Niederlanden zählen. Dank guter Kontakte mit einem 25
Wittstadt 1997, S. 537.
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lokalen Episkopat von offener Geisteshaltung und dank einer ernsthaften theologischen Vorbereitung erscheinen sie schon bald als regelrechte Avantgarde, und das auch in Rom.« 26 Außerdem erstaunlich sind die Fälle, in denen die Nachfrage größer war als das Angebot. So habe es Abonnentenklagen gegeben, nur unzureichend vom Konzil informiert zu werden. Der unbefriedigte Wissensdurst der Öffentlichkeit fand spätestens in der ersten intersessio seine Kanalisation bei den zahlreichen Vorträgen der »Frontkämpfer auf Heimaturlaub«, denen stets großer Erfolg beschieden war, weil sie die »Lücken der journalistischen Berichterstattung« ausfüllten. Schließlich wird sogar von der Neugründung zweier Zeitschriften berichtet, der katalanischen »Concil Aviu« und der niederländischen »Vaticanum Secundum«, welche in direkter Folge des Konzils entstanden, inhaltlich ausschließlich dem Konzil gewidmet waren und schnell große Leserschaft fanden. Hinzuzufügen ist hier aber auch die bis heute aktive internationale theologische Fachzeitschrift »Concilium«, die im Anschluss an das Konzil seine theologische Auseinandersetzung kontinuieren wollte.
5.2 Koproduktion Wie sich nun der Prozess konziliarer Umstellung von Kontrolle der Medien auf Kooperation mit den Medien gestaltete, ist sehr gut an den Selbstreflexionen des Konzilsjournalisten Mario von Galli SJ ablesbar, die er im Kontext seiner gemeinsam mit dem Fotografen Bernd Moosbrugger herausgebrachten Berichtbände über die vier Sessionen in Bezug auf seine Arbeitsbedingungen als Pressemann vor Ort anstellt.27 Seine Berichte behandeln nur die Zeiträume des Zusammengetretenseins des Konzils und nicht die intersessiones. Noch der erste Band muss völlig ohne Kolportage inhaltlicher Beiträge der (geheimen) Generalkongregationen auskommen, in den drei folgenden Bänden sind solche dann Grootaers 2000, S. 655. Dort auch: »Unter diesen großen nichtkonfessionellen Zeitungen waren: in der Schweiz die neue Züricher Zeitung und die Nationale Zeitung; in Deutschland die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Die Zeit; in Frankreich Le Monde (wo die sehr langen Artikel von H. Fesquet das Privileg hatten, niemals gekürzt zu werden); in den USA die New York Times; in den Niederlanden der Nieuwe Rotterdamse Courant; in Italien neben anderen der Corriere della Serra. In Italien hatte eine politisch gefärbte Interpretation des Konzils häufig die Perspektiven verzerrt (bei den Rechten); umgekehrt erfuhr die Konzilsberichterstattung ein aufrichtiges und unerwartetes Interesse in großen und vielgelesenen Wochenzeitungen der Linken wie etwa L’Espresso.« »Wiederum im (frankophonen) Kanada und in den Niederlanden hat auch die Konzilsberichterstattung in Radio und Fernsehen ihre weiteste Verbreitung gefunden. Radio Canada widmete dem Konzil seine tägliche Sendung! Der katholische Rundfunk der Niederlande bewilligte außerdem hohe Unterstützungszahlungen für das Dokumentationszentrum, das von Beginn des Konzils an in Rom eingerichtet wurde.« 27 Vgl. zu dem seinerzeit im deutschsprachigen katholischen Raum sehr prominenten Journalisten und Jesuitentheologen Schifferle 1994 und 2000. 26
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aufgrund verbesserter Informationsorganisation möglich. So ist zunächst Berichterstattung auf die öffentliche Feier der Konzilseröffnung und das sich in Rom abspielende Nahumfeld des Konzils beschränkt. Vor diesem Hintergrund fragt der Jesuit, »welche Rolle die Journalisten, Radio- und Fernsehleute am Konzil spielten«? In gewissem Sinn als einzige Laien – da zu diesem Zeitpunkt noch keine Auditores zugelassen waren – waren selbst katholische Journalisten im Vergleich mit den Beobachtern (obersvatores) der anderen christlichen Kirchen schlechter gestellt, da diese bei den Generalversammlungen anwesend sein durften, was ersteren verwehrt blieb. Auch wurden die nichtkatholischen Gäste anders als die Journalisten wöchentlich vom Sekretariat für die Einheit der Christen mit einer eigenen Einführung über den Gang der Verhandlungen informiert. Gegen diese als Ignoranz gegenüber den Funktionsweisen der modernen Gesellschaft wahrzunehmende strenge Geheimhaltungspraxis in der ersten Sitzungsperiode des Konzils wendet sich der verärgerte Konzilsberichterstatter wie folgt: Man könne den Journalisten »nicht einfach totschlagen. Man kann keine Mauer gegen ihn aufbauen; denn man braucht ja auch die öffentliche Meinung. Was will man gegen sie? Die Kirche ist eine ›Stadt auf dem Berg‹. So hat der Herr selbst sie genannt. Man kann sie nicht verstecken, nicht eingraben. Sie liegt da, weithin sichtbar. Und das muß sie, denn sie soll ein ›Licht‹ sein. Ein Licht stellt man nicht unter den Tisch. Ein Licht will hell machen, das Dunkle durchdringen. Die modernen Mittel zu leuchten sind aber die Presse, die Illustrierten, das Radio, das Fernsehen. Das ist eine Tatsache. Es hat keinen Sinn dies zu leugnen. Und die Leute, die diese Nachrichtenmittel bedienen, sind eben die Publizisten, die Menschen, die die Ereignisse ›publik‹, das heißt öffentlich machen.« 28 Während zu Anfang des Konzils noch keine Informationen über die Diskussionen in den Generalkongregationen zur Verfügung stehen, wird in der zweiten Session die mangelnde Transparenz hinsichtlich der Diskussionsgrundlagen deutlich: »Zwei Dinge fehlen zur Fülle eines reibungslosen Nachrichtenwesens. Erstens, die Journalisten müßten Einblick in die Texte der Schemata erhalten. Ich verstehe, daß man sie nicht ›publizieren‹ will, da sie ja Roharbeit darstellen. Aber für den Publizisten hängen die Interventionen in der Luft, wenn er nicht genau weiß, worauf sie bezogen sind.« 29 In der dritten Session sind Fragen der Galli/Moosbrugger 1963, S. 38. Interessant ist, dass entgegengesetzt zum exklusiven Gebaren beim Informationsfluss seelsorgerische Dienstleistungen selbstverständlich sind. So wird von der allsonntäglichen »Journalistenmesse« berichtet, »mit je anderssprachiger Predigt. Es sprachen Msgr. Felici; Weihbischof Fulton Sheen, der große und formvollendete Radioprediger aus den USA; Kardinal Rugambwa Bukowa (Afrika), der ›schönste Kardinal von allen‹ sagen die Römer, die seine hohe schlanke Gestalt bewundern; der gütige Pariser Kardinal Feltin; der gelehrte Kardinal König aus Wien und der weltoffene Erzbischof von Saragossa, Casimiro Moricillo Gonzalez, ein kleiner Mann mit vielfaltigem Gesicht, der uns nicht wie alle anderen über die Pflicht der gewissenhaften Berichterstattung predigte, sondern über die Weltprobleme, die das Konzil in Angriff nehmen müsse. Keine Predigt war langweilig.« Ebd., S. 44. 29 Dies. 1964, S. 146. 28
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Bildberichterstattung erwähnenswert: »Papst Johannes nannte das Konzil ein ›Schauspiel‹; damit war den Photographen der Zutritt gesichert. Andererseits ist ein Konzil kein Badestrand und kein Lustspiel; es ist ein menschliches, aber heiliges Spiel; damit war den Photographen der Zutritt beschränkt. Photographen können sehr störend sein, und nicht jeder hat das nötige Fingerspitzengefühl.« 30 Abbildung 18: Pressekonferenz Johannes‘ XXIII. in der Sixtina sowie Versammlung des neuen Pressekomitees
Als schließlich in der letzten Periode die Kontroversen um die spätere Pastoralkonstitution vor allem in den Gremien und nicht in der Aula stattfinden, notiert von Galli: »Das Interesse der Weltöffentlichkeit hat sich dreier Themen vor allem bemächtigt: der Aussagen über den Atheismus, über die Ehe und über den Krieg. Für den Journalisten ist es schwierig, Informationen über das zu erhalten, was hinter verschlossenen Türen der Kommissionen und Subkommissionen vor sich ging. Während die Vorgänge in den Generalkongregationen sich jetzt im vollen Licht der Öffentlichkeit abspielen, liegt über dem Dialog, der in den Kommissionen vor sich geht und in den (durchaus legitim) der Papst selbst gelegentlich eingreift, nach wie vor der samtene Vorhang des Schweigens. Es war daher begreiflich, daß die öffentliche Meinung, die nun einmal – ich möchte sagen: Gott sei Dank! – ein integrierender Bestandteil des Konzils geworden ist, 30
Dies. 1965, S. 32.
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nicht unerheblich nervös und unruhig wurde durch die Bruchstücke dieses Dialogs, die ihr zu Ohren kamen.« 31 Nachdem man anfänglich das Konzilsgeheimnis extensiv ausgelegt hatte, stellte man schrittweise von Kontrolle auf Koproduktion um. Die Herstellung von Zirkularität gelingt aber vollends erst dann, wenn die massenmediale Berichterstattung als funktionale Äquivalente für einen selbstorganisierten, innerkonziliaren und neuigkeitsbasierten Informationsfluss vom Konzil – so schon die journalistische Selbstbeschreibung – selbst integriert wird. Letzteres war nicht nur aufgrund der Restriktionen beim Kommunikationsmedium ›Konzilssprache Latein‹ und seiner exklusiven Wirkung stark eingeschränkt. Die Komplexität aufgrund der Größe und inneren Differenzierung des Interaktionszusammenhangs trug ebenfalls ihren Teil dazu bei.32 Schließlich gelingt mit zunehmender Einbeziehung der Massenmedien die passgerechte Kombination der verschiedenen Ebenen einer sich als vierstufig-konzentrisch erweisenden Öffentlichkeit: So wird ein Informationskreislauf zwischen gesellschaftlicher, innerkirchlicher und konziliarer Öffentlichkeit hergestellt, der die innerorganisatorisch-planerische Öffentlichkeit mitbestimmt. Er lässt das »Weltereignis Konzil« durch massenmediale Koproduktion zusätzlich zu einem Medienereignis werden, das vielfältige Beobachtungszusammenhänge im Sinne verschiedener Teilnehmer-/Zuschauerkonfigurationen miteinander verschränkt und so Zentrum mit Peripherie verbindet. Entsprechendes wird auch von den Historikern berichtet, wenn z.B. Grootaers im Konzilsgeheimnis eine Art ›Abweichungsverstärkung‹ im Sinnes eines »Bumerangeffekts« sieht, »indem die Anordnung von Schweigen und Geheimhaltung zu einer regelrechten Explosion freier Information beiträgt«, welche nunmehr unkontrolliert das Geschehen der Versammlung beeinflusst und dort unweigerlich zu Auseinandersetzungen führt.33 Das Pressebüro sei eingezwängt zwischen dem »Hammer der Weltpresse« und dem »Amboss des Konzilsgeheimnisses«, welches ihm die konservativen Kräfte aufgenötigt hätten. Der Konflikt geht soweit, dass das Heilige Offizium in Überschreitung eigener Kompetenzen sogar damit droht, das Pressebüro zu schließen, weil es angeblich das Konzilsgeheimnis und die Geschäftsordnung des Konzils verletzt habe.34 Ande-
Dies. 1966a, S. 70. Vgl. dazu auch Melloni 2002, S. 78: Das »Aktivwerden von Informatoren und die Aufmerksamkeit der Presse [sorgt] immer wieder für Gleichgewicht und Verständlichkeit [...] in einer Diskussion, die geführt wird in dem üblichen und oft schwer verständlichen Latein, das nach 10.30 (wenn die beiden Bars des Konzils öffnen) zahlreiche Prälaten in die Seitenschiffe treibt: Die nicht immer unparteiischen Berichte der Journalisten [...] in den Händen haltend, erkennen sie besser die unterschiedlichen Meinungen, sammeln Antworten auf die eben gehörten Rede und Einwände dagegen, überdenken die Fragestellungen und planen klärende Wortmeldungen.« 33 Grootaers 2000a, S. 662. 34 Vgl. Raguer 2000, S. 266. 31 32
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rerseits veränderte bereits die massenhafte Anwesenheit der Journalisten das Bewusstsein der Konzilsväter in dem Sinne, dass »auch die Bischöfe allmählich zu der Überzeugung gelangten, daß das Konzil etwas wirklich Wichtiges sei. Außerdem lasen die Bischöfe die Berichte in den Zeitungen und Zeitschriften, und mehr als einem half diese Lektüre, die Vorgänge in der Konzilsaula zu verstehen.« 35 Von höchster Autorität kommt es dann ab der zweiten Sitzungsperiode im Kontext der Revision der Statuten durch Papst Paul VI. auch zu einer Lockerung des Konzilsgeheimnisses: »Lediglich eine Woche vor der feierlichen Wiedereröffnung des Konzils Ende September 1963 teilte der Kardinalstaatssekretär in einem Schreiben namens des Heiligen Vaters Msgr. Felici die neuen Vereinbarungen mit: Die Geheimhaltung werde von nun an für die Schemata und die Kommissionsarbeit aufrechterhalten, während für die Diskussionen in der Vollversammlung ›die nötige Diskretion‹ einzuhalten sei.« 36 Der Beobachtung des Konzils durch Journalisten auf der einen Seite entspricht, dass die andere Seite das ›Beobachtetwerden‹ selbst beobachtet und sich so dort die Inklusionsbereitschaft verstärkt. So ist das Zweite Vatikanum im Unterschied zu seinem Vorgängerkonzil dadurch charakterisiert, dass es ein zunehmend entspannteres Verhältnis zum Konzilsgeheimnis und damit einhergehend größere Offenheit in Richtung Massenmedien gewinnen konnte. Hiermit korrespondiert mit deeskalierender Wirkung, dass es auch nicht wie das Erste Vatikanum einer aggressiv-konzilsfeindlichen Presse ausgesetzt war. 37 Grootaers erklärt dies damit, dass das Selbstbewusstein des Konzils das einer pastoralen Versammlung gewesen sei, die darauf angewiesen war, dass ihre Botschaft an die Öffentlichkeit weitergegeben wird. Umgekehrt konnte die Botschaft des Konzils auf Seiten der öffentlichen Meinung so viel Resonanz erzeugen, weil das konziliare Umfeld in positiver Weise Erwartungsenttäuschung erlebte. Dies geschah, indem es lernbereit authentische Meinungen und eine Freiheit der Debatte dort entdeckte, wo man es mit einer klerikalen und allem Anschein nach monolithischen Organisation für unvereinbar hielt: »Diese Meinungsfreiheit in einer Kirche, die bislang als intolerant und autoritär angesehen wurde, war bereits eine erste und sehr klare Botschaft, welche die Aufmerksamkeit der großen Öffentlichkeit auf sich zog. Diese Meinungsfreiheit aber trat nur dank der ungesteuerten Berichterstattung der Presse zutage.« 38 So erklärt der belgische Historiker den Kern der für ein Medienereignis notwendigen Koproduktion von Konzil und Massenmedien. Melloni ergänzt mit Bezug auf die symbolische Schließung dieser neuen zirkulären Systembildung: »Die Anwesenheit der Journalisten beim Konzil ist eindrucksvoll; sie Ebd., S. 272. Grootaers 2000a, S. 666. 37 Vgl. kontrastiv zur kontroversen Öffentlichkeit des Ersten Vatikanums, die vor allem über das Thema der Unfehlbarkeit angeheizt wurde, Schatz 1993, S. 219-275. 38 Grootaers 2000a, S. 669. 35 36
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macht sich überall bemerkbar und ist zugleich nicht recht greifbar. Die Zähflüssigkeit der Verfahrensweise und der Debatte, der systematische Boykott gegen jederlei Bemühung, die Erlaubnis für eine Simultanübersetzung der Diskussion zu erlangen, die Tatsache, daß die Geschäftsordnung keine Methode der Beteiligung vorsieht, die mehr Formen aufweist als die Alternative zwischen der bloßen Ausübung des Stimmrechts oder aber einer vorbereiteten Intervention in der Aula – all dies bewirkt, daß der Wunsch nach Informationen auf Seiten der Bischöfe selbst oder auf Seiten der Öffentlichkeit groß und in hohem Maße unbefriedigt bleibt. Die Presseleute fungieren daher als Multiplikatoren von Informationen, als Verbreiter von Stimmungen und Urteilen, als Sammler von Notizen, welche die Konzilsväter untereinander austauschen [...] Und nicht zufällig wird es eine der ersten Aktionen des ›Moderators‹ Lercaro sein, beim Staatssekretariat darum zu bitten und auch zu erreichen, daß alle Konzilsväter auf Kosten der Vatikankasse für die gesamte Periode ein Abonnement der von Raniero La Valle als Chefredakteur geführten Bologneser Tageszeitung ›L’Avvenire d’Italia‹ geschenkt bekommen.« 39 Schließlich sind für die Bedeutung der journalistischen Anwesenheit beim Konzil auch noch zwei weitere Phänomene anzufügen: Einerseits gibt es als Beispiel für die wechselseitige Beobachtung im innerpublizistischen Bereich und für die rasche Diffusion qualitativ hochwertiger Berichterstattung die von dem Redemptoristen Joseph Murphy unter dem Pseudonym Xavier Rynne als »Letters from Vatican City« verfassten Beiträge für das amerikanische Blatt »The New Yorker«. Sie konnten innerhalb Jahresfrist für jede Sitzungsperiode des Konzils als vierbändige Reihe auf Deutsch übersetzt durch den Kölner Publikumsverlag Kiepenheuer & Witsch einer breiten Öffentlichkeit in Europa zugänglich gemacht werden. 40 Andererseits sind als Beispiel für die Rückwirkung der Berichterstattung über das Konzil auf das Konzil sowie die konziliare Wertschätzung der journalistischen Arbeit die vom Limburger Weihbischof Walther Kampe als Konzilsteilnehmer herausgegebenen Bände zu nennen. Sie legen dem interessierten Publikum eine Auswahl der Tages- und Wochenpresse über das Konzil zur Vertiefung im katholischen Echter-Verlag (Würzburg) wieder vor. 41 5.3 Kooperation Eine wichtige soziale, auf die ego/alter-Differenz abstellende Auffälligkeit (»wer ist außer mir noch da«) ist in gewisser Weise die bemerkenswerte Abwesenheit der Politik als ›alter‹ auf der Akteursebene des Konzils. Im Unterschied zu den Melloni 2002, S. 36f. Vgl. Rynne 1964, 1964a, 1965, 1967. 41 Vgl. Kampe 1963, 1964. 39 40
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antiken Konzilien unter Vorsitz des Kaisers oder den mittelalterlichen Ständevertretungen, wo das Konzils selbst den Spielraum der Aushandlung politischer Interessen ausmachte, ergibt sich in Bezug auf den klassischen (okzidentalen) Konflikt zwischen Imperium und Sacerdotium für die beiden Vatikanischen Konzilien eine andere Konstellation. Obwohl 86 Sonderdelegationen mit politisch-nationalem Bezug zur Eröffnungsfeier des ›Weltereignisses Konzil‹ des Zweiten Vatikanums – quasi als Publikumsgäste, die die Bedeutung des Ereignisses herausstreichen – gesandt waren, gab es während des Konzils keine Beeinflussung der Kirche durch staatliche Mächte: »Die ›Fürsten‹ – und das ist etwas ganz Neues – bleiben außerhalb des Entscheidungsraums des Konzils. Die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils unterhält keine privilegierten Verbindungen zu einer bestimmten Politik oder zu einem bestimmten Staatsmodell«. 42 Dies galt im Prinzip auch schon für das Erste Vatikanum, wo in dessen Vorfeld erstaunlicherweise die Frage einer Konzilsbeteiligung katholischer Staaten während dessen Vorbereitung kaum diskutiert wurde. Vielmehr sei das Problem lange überhaupt nicht gesehen und dann erst im letzten Moment angegangen worden mit dem Ergebnis, dass es keine Einladung an die katholischen Staaten gegeben habe; stattdessen wurde eine mögliche Mitarbeit durch Sonderbotschafter eingeräumt, welche aber von der politischen Seite nicht in Anspruch genommen wurde. 43 Die Determinanten eines unsicheren politischen Umfeldes der beiden Konzilien wirkten trotz aller Analogie unterschiedlich. Der Abzug der französischen Schutztruppen im Kontext des Deutsch-Französischen Krieges im August 1870 ermöglichte die Invasion des italienischen Militärs in Rom, leitete damit das Ende des Kirchenstaates ein und bewirkte das Ende des Ersten Vatikanums: »Einen Monat nach der Einnahme Roms, drei Wochen bevor die Konzilsväter wieder nach Rom hätten zurückkehren sollen, vertagte Pius IX. das Konzil fristlos, da nun seine Freiheit nicht gewährleistet sei.« 44 Der Kalte Krieg mit seiner ZuEbd., S. 19. Schatz 1992, S. 122. Besonders interessant ist aber Schatz’ Befund, dass, wo doch der Liberalismus gemeinhin auf der Trennung von Staat und Kirche bestehe, gerade bei den liberalen innerkirchlichen Kreisen die Bereitschaft zur Staatsintervention beim Ersten Vatikanum deutlich größer gewesen sei – dies natürlich aus pragmatischen Gründen, um alle Mittel zur Verhinderung der Unfehlbarkeitsdefinition in Bewegung zu setzen: »Interessiert an der Verhinderung der Unfehlbarkeitsdefinition, auch mit politischen Mitteln, waren meist nur die liberalen Katholiken. Die antikirchlichen Liberalen waren zwar durchweg daran interessiert, gegen die Unfehlbarkeit zu polemisieren, sehr wenig oder gar nicht aber daran, ihre Definition zu verhindern; ja, sie brauchten diese oft geradezu zu ihrer Selbstprofilierung. Einen politischen Machtfaktor jedoch pflegten einerseits die Ultramontanen, andererseits die laizistischen Liberalen darzustellen. Beide wünschten die Unfehlbarkeit, die ersteren in sich, die zweiten als Feindbild zur eigenen Identität und als Anlaß zum kommenden Kulturkampf. Von da aus standen die Chancen zu einer politischen Intervention von vornherein schlecht.« Ders. 1993, S. 293. 44 Ders. 1994, S. 210. 42 43
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spitzung in der Kuba-Krise während der Anfangszeit des Konzils bedeutet nun umgekehrt für das Zweite Vatikanum eine neue Erfahrung nun (indirekter) politischer Relevanz der Kirche, ohne als Partei des Konflikts selbst politisch beteiligt zu sein. Päpstliche Friedenspolitik gelingt vor diesem Hintergrund nur in Kooperation mit den Massenmedien. Die Abwesenheit politischer Interessensagenten in der Versammlung sowie die eigene Unabhängigkeit, die aus neuerdings praktizierter politischer Äquidistanz resultiert – man schlägt sich auf keine, auch nicht auf die westliche Seite, da befürchtet wird, dass die hinter dem Eisernen Vorhang auch vertretene Weltkirche von neuen Repressionen bedroht werde45 – wirkt sich so aus, dass dem Papst eine spürbare Vermittlungsrolle zuwächst. Für die Friedensinitiative Johannes’ XXIII. war die Kontaktaufnahme zunächst durchaus problematisch, da der Heilige Stuhl zu keiner der beiden Supermächte diplomatische Beziehungen unterhielt. Hier kommen die Massenmedien wieder ins Spiel, und zwar kooperativ: Seine dann auf französisch gehaltene Radioansprache, welche jede direkte Anrede an Kennedy vermied und sich vielmehr an »alle Menschen guten Willens« richtete, hatte bemerkenswerte massenmediale Resonanz in beiden Lagern. Die New York Times druckte sie am nächsten Tag ab, aber auch in der staatsatheistisch-offiziösen Prawda wurde ein Bericht veröffentlicht.46 Nach der dann doch auf diplomatischem Weg erfolgten Lösung der militärisch bereits zugespitzten Kubakrise schloss sich eine gegenseitig persönliche Achtung bezeugende Korrespondenz zwischen dem römischen Pontifex Maximus einerseits und dem sowjetischen Ministerpräsidenten und Ersten Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, Chrustschow, andererVgl. dazu die nach der Auseinandersetzung mit dem Liberalismus vor allem in Abgrenzung zu sozialistischen Ideen entwickelte Katholische Soziallehre und Formierung eines sozialen und politischen Katholizismus, z.B. Rauscher 1981, 1982. Hier ist es interessant, wie der Referenzzeitraum im Klappentext beschreiben wird: »Die zeitliche Begrenzung zur Gegenwart wurde mit dem Jahr 1963 gesetzt, das nicht nur das Ende der Ära Adenauer markiert, sondern auch die vorkonziliare Phase des deutschen Katholizismus«. 46 Prawda, 26.10.1962, S. 5; zitiert nach Fogarty 2000, S. 117f.: »Rettet die Welt. Erklärung von Papst Johannes XXIII. Vatikan, 25. Oktober (TASS) Papst Johannes XXIII. in Rom hat einen Aufruf zur Verteidigung des Friedens veröffentlicht ›An alle Menschen guten Willens‹. Er sagte heute, in einer im Programm nicht vorgesehenen Ansprache in Radio Vatikan, dass seine Worte ›aus der ganzen Tiefe eines besorgten und traurigen Herzens‹ kämen. ›Wieder einmal‹, sagte der Papst, ›ziehen sich drohende Wolken über dem Horizont der Welt zusammen, die unzählige Millionen von Familien mit Angst erfüllen.‹ Im Hinblick darauf wiederholte Papst Johannes XXIII. seinen Aufruf an die Staatsmänner: ›Ihre Einsicht muß erleuchtet werden; sie müssen auf den Schrei der Not achten, der sich von allen Enden der Welt zum Himmel erhebt, von unschuldigen Kindern und von Alten, von einzelnen und von der ganzen Menschheit: ›Friede, Friede‹.‹ ›Heute‹, sagte er, ›wiederholen wir den Aufruf an euer Herz und rufen die Staatsmänner auf, dem Schrei der Menschheit nicht achtlos zu begegnen. Sie müssen alles in ihrer Macht stehende tun, um den Frieden zu bewahren. Dadurch werden sie die Menschheit vor den Schrecken eines Krieges bewahren, dessen schreckliche Folgen keiner vorhersehen kann. Sie müssen weiter verhandeln.‹ ›Verhandlungen auf jeder Ebene und an jedem Ort zustimmen, diesen Verhandlungen wohlgeneigt zu sein und sie zu beginnen – dies wäre ein Zeichen von Klugheit und Umsicht, das den Segen des Himmels und der Erde hätte.‹« 45
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Das Zweite Vatikanische Konzil
seits an. »Als Papst Johannes XXIII. im Juni starb, fand ein kaum gemeldetes Ereignis statt: Die sowjetischen Schiffe im Hafen von Genua senkten ihre Fahnen auf Halbmast.« 47 In der Außenwahrnehmung in Kreisen des politischen Katholizismus führt die unerwartete Erfahrung katholischer Neutralität in politischen Fragen bei dem durch den Tod Johannes‘ XXIII. in der ersten intersessio notwendig gewordenen Konklave dazu, dass gegenüber dem Mailänder Kardinal Montini Misstrauen zum Ausdruck gebracht wurde: »Dies ist der Fall bei Bundeskanzler Adenauer, der davon träumt, daß Kardinal Testa gewählt werden könnte, so daß die Schäden in Grenzen gehalten werden könnten, die Johannes XXIII. bezüglich der Beziehungen zur kommunistischen Welt bereits angerichtet habe [...] Dies gilt auch für den Präsidenten der Italienischen Republik, der auf dem Umweg über Luigi Gedda zu verstehen gibt, daß die christlich-demokratische Rechte gegen die Wahl eines Mannes sei, der allzu empfänglich sei für Versuche des Sekretariats der Christlich-Demokratischen Partei Italiens, eine stabile Mehrheit für eine Mitte-Links-Koalition zustande zu bringen.« 48 Mit der Änderung der politischen Weltlage durch den Sturz Chruschtschows in Moskau am 15. Oktober 1964, dem Medienereignis der Ermordung Kennedys,49 der Verschärfung der Situation in Vietnam infolge eines immer massiveren Eingreifens der USA, der Ankündigung, dass die Volksrepublik China die Atombombe besitze und dass damit das nukleare Monopol der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs gebrochen war, gibt es ab der dritten Sitzungsperiode Anzeichen für stärkeren politischen Druck auf das Konzil. Dies galt insbesondere in Bezug auf die Debatten über die Religionsfreiheit und eine mögliche Erklärung über die Juden sowie hinsichtlich der Überlegungen zur Legitimität der Unterhaltung von Arsenalen mit Nuklearwaffen: »Verschiedene Regierungen zeigen sich empfindlich gegenüber der Möglichkeit, daß sich das Konzil in eine ihnen nicht genehme Richtung wenden könnte. Dies gilt für die franquistische RegieFogarty 2000, S. 124. »Als er sich zum Aufbruch anschickte, ging Chruschtschow an seinen Schreibtisch, um ›Weihnachtsgrüße‹ an Kennedy und Johannes XXIII. aufzuschreiben. An den Präsidenten und Frau Kennedy sandte er einfach seine Wünsche zu den Feiertagen. Aber an den Papst schrieb er: ›Bitte nehmen Sie aus Anlaß der Heiligen Weihnachtstage diese Grüße und Glückwünsche von einem Mann entgegen, der ihnen gute Gesundheit und Kraft wünscht für ihre bleibende Suche nach Frieden und Glück der ganzen Menschheit‹.« Antwort von Johannes XXIII.: »Vielen Dank für ihre liebenswürdige Übermittlung guter Wünsche. Wir geben sie von Herzen zurück mit denselben Worten, die zu uns von oben gekommen sind: Friede auf Erden den Menschen guten Willens. Wir machen Sie auf zwei Dokumente zu Weihnachten für dieses Jahr aufmerksam, die um die Erstarkung eines gerechten Friedens unter den Menschen flehen. Daß uns der gute Gott erhören und auf den Eifer und die Aufrichtigkeit unserer Anstrengungen und Gebete antworten möge. Möge Friede geschaffen werden in Deiner Kraft, o Herr, und Überfluß in Deinen Türmen. Beste Wünsche für den Wohlstand des russischen Volkes und aller Völker der Welt.« Johannes XXIII. an Chruschtschow, 21.12.1962; zitiert nach ebd., S. 123. 48 Melloni 2002, S. 2 (Fußnote 2). 49 Vgl. Morgner 2007. 47
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rung in Spanien im Hinblick auf die Religionsfreiheit, für die Regierungen der arabischen Staaten, für Israel und die großen zionistischen Weltorganisationen angesichts der Möglichkeit einer Sympathieerklärung für das jüdische Volk und schließlich für die Vereinigten Staaten von Amerika für den Fall einer Äußerung des Bedauerns gegenüber der atomaren Aufrüstung. Die verfügbaren Quellen zeigen die Auswirkungen dieser Pressionen auf das vatikanische Staatssekretariat, während es äußerst schwierig ist, einen unmittelbaren Einfluß auf das Verhalten der Episkopate – mit Ausnahme der wenigen arabischen Bischöfe – und einzelner Konzilsväter festzustellen. Die Freiheit des Konzils wurde damit zwar auf die Probe gestellt, aber nicht wirklich verletzt.«50 Doch bleibt dieser Druck diffus, da er sich nur indirekt über die kulturellen Imprägnierungen je nach Herkunftskontext der Väter entlädt. Der Interaktionszusammenhang »Weltereignis Konzil« ist bei aller mühsam errungenen Offenheit ein geschlossenes System, dessen Umweltkontakt auch weiterhin nur über Selbstreferenz laufen kann.
50 Alberigo
2006, S. 733.
6. Konflikte kontra »Einmütigkeit«
Im Vorfeld der Entscheidung über die Unfehlbarkeit des Papstes beim Ersten Vatikanum entspannte sich eine Geschäftsordnungsdebatte über das sogenannte Unamitätsprinzip: Vor allem die damalige Majorität idealisierte und begründete die ›moralische Einmütigkeit‹ argumentativ damit, dass die Legitimität des Konzils vor den »Feinden der Kirche« sowie sein Eindruck auf die Welt verstärkt würden. 1 Diese Überlegungen führten, gepaart mit einer kompromisslosen Verhandlungsführung der Mehrheit, dazu, dass die Minderheit, die eine Definition der Unfehlbarkeit ablehnte, notgedrungen noch vor der Endabstimmung abreiste, um das Bild der Einheit nicht einzutrüben. Letztendlich konnte aber das auf Geschlossenheit bedachte Handeln des Ersten Vatikanums nicht verhindern, dass in seiner Folge ein Teil der durch die Unterlegenen repräsentierten Katholiken sich als ›Altkatholiken‹ schismatisch absonderte. Auch das Zweite Vatikanum hatte seine Konflikte, die zwischen Mehrheit und Minderheit ausgetragen wurden. Ohne dass mit solch exklusiv wirkender Rigorosität operiert wurde, ging es auch hier durchaus hart zur Sache. Wie konnten regelmäßig, ohne dass eine Seite ausgebootet wurde, so beachtliche wie fast einstimmige Endergebnisse erzielt werden? Diese Frage führt auf die spezifische Konfliktstruktur des mit dem Konzil gegebenen Interaktionszusammenhangs. Luhmann zufolge setzt grundsätzlich jeder Konflikt eine strukturierte Gesellschaft voraus und korreliert mit dieser in seiner Form. So ist vor dem hoch differenzierten Hintergrund eines Konzils in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anders zu streiten als beim Apostelkonzil der Urgemeinde. Neben der gesellschaftlichen Evolution verändert auch die Größe des Interaktionssystems den Kommunikationsstil: Es ist ein Unterschied, ob es sich um 2.500 Konzilsväter handelt oder um eine Auseinandersetzung in einer kleinen Kommunität. So oder so tendieren Konflikte zur Generalisierung, was weitere unnötige Konflikte schafft. Dies macht es nötig, Konflikte umzustrukturieren und in Konflikte über Entscheidungen zu verwandeln, und dafür sind allgemein anerkannte Regeln erforderlich: »Zum anderen muß gleichwohl die Ernsthaftigkeit des Konfliktes erhalten bleiben. Die Form darf nicht zu einem Zeremoniell erstarren, das wie ein Turnier aufgeführt wird, während die wirklichen Konflikte auf andere Weise entschiedener nicht entschieden werden. [...] Institutionalisierung von Konflikten 1
Vgl. Schatz 1993 Kapitel II, vor allem S. 170ff.
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Das Zweite Vatikanische Konzil
ist nur erreichbar, wenn es gelingt, Macht vorläufig zu suspendieren und doch zu erhalten.« 2 Einerseits müssen hinreichend ambivalente Situationen geschaffen werden, die aber andererseits wieder in einer bestimmten Art geregelt sein müssen. Die am Streit Beteiligten unterwerfen sich bestimmten Verhaltensnormen im Sinne von Spielregeln und erkennen sich wechselseitig als Parteien an. Dadurch erhalten die Handlungen eine Form, »welche eine Vorstellung des Gegners vermittelt, die dessen eigener Selbstauffassung entspricht und von ihm in seinem eigenen Handeln bestätigt wird. Dadurch wird das Verfahren als System integriert und in Betrieb gehalten« und dies in dem Maße, wie es sich moralisiert. 3 Konflikte sind besondere Formen der Vergesellschaftung. ›Miteinandersein‹ heißt eben nicht in jedem Fall, so Hartmann Tyrell, dass Subjekte in friedvoller Harmonie zusammenleben, auch ein Gegeneinander kann ›Sinn‹ machen. Konflikt bedeute interaktionstheoretisch die doppelte Geltendmachung von Selbständigkeit und Handlungsautonomie im Miteinanderhandeln zweier Subjekte: »Gegenüber der ›Eintracht‹ eines entlasteten und eingespielten Interagierens, das die Selbständigkeit der Subjekte ganz im Unthematischen läßt, bricht im Konflikt ›Entzweiung und Dissoziation‹ auf; die Subjekte erfahren wechselseitig ›ihre Differenz‹ und ihr je eigenes Handeln und Wollen im Widerspruch zu dem Anderen«.4 Für den Interaktionszusammenhang des Konzils bedeutet dies, das Mehrheit und Minderheit wechselseitig die Intentionen der jeweils anderen Seite negieren, was zu folgender Grundformation führt: Während sich die Minorität sachlich an einen zeitlich überschaubaren Teil der überkommenen Tradition gebunden fühlt und in diesem Sinne sozial ausgreifend den Gesamtkatholizismus disziplinieren will – im Blick sind hier vor allem Lehräußerungen der Päpste aus dem 19./20. Jahrhundert und eine idealisierte Erinnerung an innerkatholisch-kulturelle Homogenität aus vermeintlich ›besseren Tagen‹ –, hat die Majorität einen umfassenderen Traditionsbegriff, der die ganze Kirchengeschichte einbezieht, und entwickelt aus der Erfahrung ihrer Gebrochenheit eine dynamischeres Weltund Selbstverständnis.
Luhmann 1969, S. 102. Ebd., S. 104. Vgl. auch S. 105: »Die Beteiligten können ihr Recht nicht mehr in der reinen Behauptung, in der Intensität des Durchhaltens ihrer Erwartungen darstellen; sie müssen es moralisieren, das heißt: es mit einer Projektion der Möglichkeiten weiteren gesellschaftlichen Zusammenlebens verbinden. Der Preis für diesen Erfolg ist ein gebrochenes Verhältnis zur Wahrheit und zum Recht.« 4 Tyrell 1976, S. 258. 2 3
Konflikte kontra »Einmütigkeit« Tabelle 4: Promulgation (Session)
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Texte des Zweiten Vatikanums nach »Gattungen« Konstitution
4.12.1963 Sacrosanctum (II) Concilium Über die heilige Liturgie 4.12.1963 (II) 21.11.1964 Lumen Gentium (III) Über die Kirche 21.11.1964 (III) 21.11.1964 (III) 28.10.1965 (IV) 28.10.1965 (IV) 28.10.1965 (IV)
Dekret
Inter mirifica Über die sozialen Kommunikationsmittel
Orientalium Ecclesiarum Über die katholischen Ostkirchen Unitatis redintegratio Über den Ökumenismus Christus Dominus Über die Hirtenaufgabe der Bischöfe Optatam totius Über die Ausbildung der Priester Perfectae caritatis Über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens
2225 1960/164
1806 2110/39 4790 2137/11 5982 2319/2/1 2987 2318/4 3189 2325/4
Gravissimum educationis 2604 2290/35 Über die christliche Erziehung Nostra aetate 1117 2221/88/1 Über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen 2996 2344/6
28.10.1965
7.12.1965 (IV)
Wort- Endabum- stimmung fang (ja/nein/ ungültig) 7806 2147/4
16200 2151/5
28.10.1965 (IV)
18.11.1965 Dei Verbum (IV) Über die göttliche Offenbarung 18.11.1965 (IV) 7.12.1965 Gaudium et spes (IV) Über die Kirche in der Welt von heute 7.12.1965 (IV)
Erklärung
Apostolicam actuositatem Über das Laienapostolat
7016 2340/2 23335 2309/75/7
Presbyterium ordinis Über Dienst und Leben der Priester Ad gentes Über die Missionstätigkeit der Kirche
7.12.1965 (IV) Datenquellee: Rahner/Vorgrimler 19666/2003, Schmiedl 2006
7896 2390/4 9870 2394/5 Dignitatis humanae 3195 2308/7/6 Über die Religionsfreiheit
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Das Zweite Vatikanische Konzil
Wie man am Ergebnis des Verfahrens aber sehen kann, ist es beim Zweiten Vatikanischen Konzil gelungen, die sich in der beschriebenen Grundkonstellation von Majorität und Minorität manifestierenden Konflikte bis zu seinem Abschluss entweder durch Überzeugungsarbeit zu lösen oder zumindest in die Latenz zurückzudrängen. In dem Maße, wie sich der eingespielte Konsens als brüchig erweist, werden im postkonziliaren Rezeptionsprozess zugedeckte Konflikte sporadisch immer wieder offen zutage treten und neue Auseinandersetzungen in andere Arenen getragen.5 Inwieweit es sich im Konzil oder danach um echte oder unechte Konflikte handelt, ob sie als »Durchgangsphase bei der Erreichung von ›außerhalb‹ des Konflikts liegenden Zwecken« oder zur Abfuhr aggressiver Tendenzen als Selbstzweck inszeniert wurden, ist letztlich zweitrangig, denn: »So gesehen [...] besteht zwischen dem ›echten‹ und dem ›unechten Konflikt‹, ›zwischen dem Konflikt als Mittel und dem Konflikt als Selbstzweck‹ hinsichtlich der Sinnstruktur des ›Handels gegeneinander‹ kein qualitativer Unterschied«. 6 Ein Konflikt ist eine von seinen Parteien beidseitig geteilte Situationsdefinition und hat, so Tyrell, vor diesem Hintergrund eine reflexive Struktur, die sich, je nach Positionierung, in unterschiedlichen Handlungsstrategien niederschlägt. Übereinstimmung herrsche aber in der Deutung der Interaktion als »Handeln gegeneinander«. Fremdes Handeln sei dabei zwar in Grenzen durchaus wechselseitig kognitiv erwartbares Handeln, was durch Antizipation eine gewisse Koordination der Interaktion ermögliche. Solche Koordination der Konfliktinteraktion, wie sie etwa im Gegenüber des Zweikampfes zwischen lauernden, abwartenden Kontrahenten gegeben sei, erfordere ein hohes Maß an Aufmerksamkeit füreinander und eine nicht weniger konzentrierte Verhaltenskontrolle, »denn es kommt hier darauf an, die Absichten, Tendenzen und Bereitschaften des Anderen schon im Voraus aus Signalen und Andeutungen in seinem Verhalten zu erschließen und darauf entsprechend zu reagieren, und zwar im Sinne eines ›Zuvorkommens‹ oder Voranpassens.« 7 Nicht nur für die Kontrahenten kann in diesem Sinn der eigene Handlungsrahmen und das handlungsleitende Interesse des anderen durchsichtig sein, auch für den zeitgenössischen Beobachter ist dies transparent, wie Mario von Galli selbstkritisch die Rolle des zunächst konfliktexternen Journalisten bei seiner Konfliktbeschreibung reflektiert: »Dem Folgenden möchVgl. innerkirchlich direkt im Anschluss an das Konzil den Streit in den Niederlanden und für den deutschsprachigen Raum die Auseinandersetzungen um die Gemeinsame Synode der Bistümer Westdeutschlands. Aktuellere Beispiele sind das ›Kirchenvolksbegehren‹ oder für die ›Jungen Kirchen‹ in den ehemaligen Missionsgebieten (vor allem Lateinamerika) die Konfrontationen mit der ›Befreiungstheologie‹ sowie z.T. schon kirchenextern die Konflikte mit der Priestervereinigung ›Pius-Bruderschaft‹ oder das infolge eigenmächtiger Bischofsweihen entstandene kleine französische Schisma um den ehemaligen Erzbischof Marcel Lefebrve. 6 Tyrell 1976, S. 262. 7 Ebd., S. 263. 5
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te ich vorausschicken, daß man nicht immer gleich von ›Intrigen‹ reden sollte, wo im Grunde nichts anderes als das politische Spiel in Funktion tritt. Auch das hat seine geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze; erst wo sie überschritten werden, wo das Spiel ›unfair‹ wird, kann von ›Machenschaften‹ und ›Intrigen‹ geredet werden. Es gehört auch zur Fairneß der Presse, diese Grenze zu beachten, denn sonst geschieht es nur zu leicht, daß sie ein geschicktes Spiel, wenn es in ihrem Sinn läuft, mit Lob überhäuft, wenn aber der Gegner obenaufschwingt, als ›empörend‹ verdammt. Die bloße Tatsache, daß mit solchen der Politik entlehnten Waffen am Konzil auch gerungen wird, kann kaum verurteilt werden. Von Johannes sagte man, er habe ein ›furbo‹. Er hatte eine liebenswürdige Schläue. Auch das war eine Art ›Politik‹.« 8 So ist die Konzilsdynamik, also das, was den großen Interaktionszusammenhang »Weltereignis Konzil« am Laufen hält, neben der Verfahrenslogik und dem immer stärker spürbaren äußeren Zeitdruck vor allem eine Konfliktdynamik, deren Konstellation und Bauweise im Folgenden untersucht wird. Dabei wirkt die Anwesenheit so vieler kulturell-heterogener Personen für einen längeren Zeitraum an einem Ort wie ein Biotop und stellt eine günstige Gelegenheit für diverse Vergemeinschaftungsdynamiken dar.9 Das Interesse an der gegenseitigen Wahrnehmung, an Begegnung und Kennenlernen, die ›Weltkirchenerfahrung‹ stand zunächst ausdrücklich im Vordergrund. Dieser komplexe Hintergrund bot in seiner Diffusität vielfältige Anknüpfungspunkte für interne Strukturbildungsprozesse, wobei unterschiedliche Muster sozialer Formierungen bedient wurden: Neben der organisatorischen Rahmung des Interaktionszusammenhangs durch die allgemeine Kirchenverfassung, die Institution der Kurie als zentrales Verwaltungsorgan des Papstes sowie der konzilsinternen Gremienstruktur (Kommissionen, Ämter) soll im Folgenden vor allem auf Gruppen- und Netzwerkbildungen abgestellt und deren Einflussnahme auf die zentrale Konzilsinteraktion, die Verhandlungen der Generalkongregationen rekonstruiert werden. Wenn es nun konzilsbezogen um Strukturen und Strategien geht, ist zunächst zu klären, was soziologisch unter ›Gruppe‹ oder ›Netzwerk‹ verstanden wird. Tyrell, der den Systemtyp ›Gruppe‹ genau zwischen Interaktion und Organisation ansiedelt, sieht den Unterschied zur Interaktionsebene zunächst temporal: Während Interaktionssysteme vor allem zeitlich limitiert seien, »sie beginnen, wenn man sich trifft, und enden, wenn man auseinandergeht«, hätten Gruppen im Kontrast dazu »mehr Zeit«, sie erschöpften sich nicht in singulärer Interaktion und man könne ihnen auch angehören, wenn man nicht bei jedem Gruppentreffen dabei ist. Entscheidend sei aber: Wo »›interaktive Verdichtung‹ sich Galli/Moosbrugger 1965, S. 38. Vgl. allgemein zu interkultureller Organisationskommunikation und Weltgesellschaft auch Theis 1992. 8 9
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zur Gruppenbildung konsolidiert und dabei ›mehr‹ herauskommt als nur ein lockeres Netzwerk persönlicher Verbindungen, da entwickelt sich im Gruppenprozeß die Vorstellung von ›Zugehörigkeit‹ (des einzelnen) und ›Zusammengehörigkeit‹, eventuell eine Art ›Wir-Gefühl‹.« 10 Wo dies geschehe, seien zwei Strukturfragen geklärt: Erstens werde eine Systemgrenze etabliert, die darüber befinde, wer dazu gehört und wer nicht; zweitens verselbständige sich der Systemzusammenhang der Gruppe gegenüber der Interaktionsebene, indem die Gruppe Identität und Bestand oberhalb ihrer einzelnen Begegnungen und Treffen gewinne. Alles in allem scheint Zugehörigkeit das tragende Prinzip des Systemtypus Gruppe zu sein: Sie beschreibt, so Tyrell weiter, einen bestimmten und unverwechselbaren Kreis von Personen und hebt auf das besondere Verhältnis der Menschen untereinander ab, welches durch den Gebrauch der Personal-/Possessivpronomen »wir« und »unser« kommunikativ symbolisiert wird. Hierbei gehe es um die Zusammengehörigkeit von allen mit allen, die zeitlich auf Bestand und Dauer ausgerichtet sei und aufs »Unmittelbarste« dränge, nämlich gruppeninterne Interaktion. Schließlich würden Gruppen im Unterschied zur Interaktion eine punktuelle Nichtanwesenheit verkraften, diese aber als Abwesenheit registrieren. Während es gruppenbezogen also auf Zughörigkeit ankommt, scheint es bei Netzwerken um etwas anderes zu gehen. Michael Bommes und Veronika Tackes gemeinsame Studie geht davon aus, dass Netzwerke durch die Kombination von Adressen entstehen und sich stabilisieren. Es werden also heterogene Personen und Organisationen aus unterschiedlichen Bereichen miteinander vernetzt. Dabei komme es gerade auf die Polykontextualität an, wenn individuell unterschiedliche Inklusions- und Exklusionsmodi partikular miteinander ins Spiel gebracht werden. Netzwerke fänden dabei ihren Halt nicht wie Funktionssysteme in der Sachdimension oder wie stratifikatorische Systeme in der Sozialdimension, sie stützten sich auch nicht konstitutiv wie Interaktionssysteme auf Anwesenheit und die Reflexivität von Wahrnehmung. Aufschlussreich sei dagegen der Vergleich mit formalen Organisationen: »Ähnlich wie diese auf der rekursiven Verknüpfung von Entscheidungen beruhen, bilden Netzwerke ihre Strukturen durch die rekursive Verknüpfung von Reziprozitätserwartungen. Aber anders als Organisationen, die im Prinzip alles wieder zum Gegenstand von Entscheidungen machen können, bleiben Netzwerke mit ihrer weiteren Strukturbildung unabdingbar an ihren partikularen Ausgangspunkt, die Verknüpfung von heterogenen Adressen und die darüber vermittelten Leistungen, gebunden.« 11 Netzwerke gründeten nicht in gleicher Weise auf Formalität wie Organisationen, ihre Stärke liege aber Tyrell 1983, S. 82. Dieser Aufsatz ist in einem Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie erschienen, das sich insgesamt mit dem Thema »Gruppensoziologie« beschäftigt. In seinem zweiten Beitrag in diesem Zusammenhang führt Tyrell 1983a seine begrifflichen Überlegungen am Feld der Familie vor. 11 Bommes/Tacke 2006, S. 58. 10
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in der mit ihnen möglichen Verschränkung von Universalismus und Partikularismus: Während Individualisierung von Leistungskapazitäten in den unterschiedlichen Kontexten erst in der modernen Gesellschaft auf der universellen Freigabe des Einzelnen durch funktionale Differenzierung aufbaue, bleibe die mit einem Netzwerk gegebene spezifische Kombination und der resultierende Gesamtleistungsgehalt unabdingbar partikular. Die besondere Bedeutung eines solchen Netzwerkbegriffs liegt, so die Autoren weiter, weltgesellschaftstheoretisch vor allem darin, dass man mit ihm Strukturen sozialer Beziehungen erfassen kann, die sich nicht mehr auf räumliche Nähe oder soziale Anschaulichkeit von Interaktionen stützen. Reziprozitätserwartungen in Netzwerken sind anders gelagert als die Zugehörigkeit zu Gruppen: Während letztere auf die ganze Person zielen, kommen bei der ersteren eher partikulare Momente zum Tragen, wie es beispielsweise auch Strategien seien können. Im Folgenden werden zunächst die grundlegenden Strukturen des Interaktionszusammenhangs, die sich innerkonziliar schnell gebildet haben untersucht (6.1), um danach und vor diesem Hintergrund solche unterschiedliche Steuerungsintentionen thematisieren zu können (6.2). Dem folgt die Analyse zweier offen ausgetragener Streitigkeiten, die für das »Weltereignis Konzil« als paradigmatisch gelten (6.3), so dass schließlich mit der Beschreibung der zentralen Stelle im Gegenüber zum Konzil und dem Personalwechsel darauf unterschiedlich wahrgenommene Papstrollen sichtbar gemacht werden können (6.4). 6.1 Strukturen Eine grundlegende Struktur des Zweiten, aber auch schon des Ersten Vatikanums ist die Differenzierung der Versammlung in eine antipodisch-dichotomische Konstellation von Majorität und Minorität. Interessant ist im Vergleich beider Konzilien, dass das quantitative Verhältnis in Bezug auf die bezogene Position zueinander konträr verläuft. Zwar sind jeweils diejenigen, die substanzielle Veränderungen verfolgen, in der Mehrheit, aber die jeweiligen Mehrheiten beider Konzilien verfolgen kontradiktorische Programmrichtungen: »Das Thema Nummer Eins, welches zur Scheidung der Geister führte, war vom Zusammentritt der Konzilsväter an die Unfehlbarkeit« 12, so Klaus Schatz über das Erste Vatikanische Konzil. Wie aber die Verhältnisse des Zweiten Vatikanums sein würden, wusste man lange nicht. Es sind zunächst kleine Ereignisse, die Aufschluss über die Stimmungslage bringen. Ein Beispiel, dass Lamberigts anführt, ist die Situation, in der Kardinal Ottaviani in der Debatte über die Kommunion unter beiderlei Gestalten sowie über die Konzelebration während der ersten Sitzungsperiode seine Redezeit in einem solchen Maße überschritt, dass er vom 12
Vgl. Schatz 1993, S. 23ff.
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Vorsitzenden Kardinal Alfrink unterbrochen werden musste: »Alfrinks Unterbrechung und der überwältigende Applaus, der ihm folgte, ließ Ottaviani so wütend zurück, daß er sich volle zwei Wochen nicht mehr in den Generalversammlungen blicken ließ.« 13 An der Reaktion des Vorsitzenden des Heiligen Offiziums ist einerseits ersichtlich, wie kränkend die Durchsetzung einer egalisierenden Geschäftsordnung gegenüber dem sich subjektiv auf Hierarchie bezogenen selbst eingeräumten Gewohnheitsrecht wirkte. Der Applaus zeigt andererseits auch, dass der mit der Geltendmachung solcher Gewohnheitsrechte verbundene Unmut eines Großteils der Versammlung an dieser Stelle endlich sein Ventil finden konnte. Es war schließlich die erste Abstimmung des Konzils, die mehr Klarheit über die Verhältnisse brachte. Die Überraschung war enorm, als das Schema über die Liturgiereform von 2.162 von 2.215 Konzilsvätern angenommen wurde. »Kaum drei Prozent der Konzilsväter standen hinter all jenen abweichenden Stimmen, die das Schema entweder abgelehnt, radikale Änderungen gefordert oder gewollt hatten, daß es wegen der vorhandenen theologischen oder pastoralen Irrtümer an die Theologische Kommission weitergereicht werde.«14 Innerhalb des Konzils gab es also eine viel größere Mehrheit für Reformen als es nach Anteil und Inhalt der Debattenbeiträge den Anschein hatte. Für Ruggieri liegt das entscheidende Ereignis aber in der etwas später erfolgenden Debatte über das Offenbarungsschema De fontibus revelationis, in der sich eine für die Zukunft des Konzils und infolgedessen für die katholische Kirche selbst entscheidende Wende vollzogen habe: »Von der Pacelli-Kirche, die der Moderne im wesentlichen noch feindlich gegenüberstand und darin die letzte Erbin der Kirche der Restauration war, hin zu einer Kirche, welche die Freundin aller Menschen ist, auch wenn diese Kinder der modernen Gesellschaft, ihrer Kultur und
Lamberigts 2000, S. 152. Vgl. auch Pesch 2001, S. 73: »Die Redezeit wurde im übrigen auf 10 Minuten beschränkt, später auf 8 Minuten. Das wurde eisern durchgehalten – auch gegenüber den Kurienkardinälen, die anfangs glaubten, in dieser Hinsicht Sonderrechte in Anspruch nehmen zu können.« 14 Ebd., S. 178. »Als am 14. November die Zeit zur Abstimmung heranrückte, stellte sich die Situation wie folgt dar: Eine kleine Gruppe war deutlich am Werk, die fast systematisch jede wichtige Reform zurückwies. Diese Gruppe umfaßte Personen, die Mitglieder entweder der Kongregation des Heiligen Offiziums, der Ritenkongregation oder der Kongregation für die Seminarien gewesen (z.B. Ruffini) oder noch aktiv waren. Zugleich umfaßte die Gruppe einen Teil des englischsprachigen Episkopats, wofür Spellmann, Mcintyre und Godfrey als gute Beispiele stehen. Eine zweite ziemlich zahlreiche Gruppe war für eine gemäßigte Anpassung an die Zeitverhältnisse. Eine dritte Gruppe, die hauptsächlich aus Bischöfen der Dritten Welt, die vielleicht die radikalsten unter den Konzilsvätern waren, bestand, forderte eine gründlichere und fundamentalere Anpassung der Riten an die lokale Situation und Mentalität. Diese letzte Gruppe erfreute sich außergewöhnlicher Unterstützung von seiten der professionellen Liturgiker.« Ebd., S. 177. 13
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ihrer Geschichte sind.« 15 In der Diskussion über das Offenbarungsschema wurde das mehrheitliche Votum über eine pastorale Ausrichtung der Lehraussagen des Konzils deutlich. Dabei sind die Reden, mit denen die für das Schema Verantwortlichen es der Versammlung vorstellen, sehr aufschlussreich, da sie anzeigen, dass der Ort der inhaltlichen Auseinandersetzung nicht mehr die Aula ist. Es haben sich andere, weniger hierarchisch-zentral kontrollierbare Strukturen gebildet, wodurch sich der Interaktionszusammenhang nochmals ausgeweitet hat, so dass der Aula nunmehr primär eine Spiegelfunktion für die Ergebnisse externer, horizontal-interaktiver Eigendynamiken zukommt: »Weder Ottaviani noch Garofalo stellen das Schema vor, sondern sie verteidigen es gegen die von ihnen vorhergesehenen Einwände. So sind nicht sie diejenigen, welche die Debatte eröffnen, sondern sie antworten nur auf eine Debatte, die außerhalb der Konzilsaula schon eröffnet worden ist.« 16 Während bereits an dem Sachthema der Liturgie der breite Reformwille einer großen Mehrheit deutlich wurde, entwickelt die Majorität dann in der Auseinandersetzung über die Offenbarungstheologie erst ihr für das Folgende typische Verhaltensmuster: Wie Ruggieri die mit der Zusammenkunft des Konzils ausgelöste Interaktionsdynamik erklärt, lag dem ein dreistufiger Prozess zugrunde: Er beginnt damit, dass der Papst für das Konzil eine pastorale Zielsetzung vorschlägt, setzt sich fort, indem das Konzil sich diese bereits anhand seiner Eröffnungsbotschaft Gaudet mater ecclesia zu eigen macht und wird schließlich dadurch ratifiziert, dass die Mehrheit in Widerspruch dazu stehende Schemata konsequent ablehnt. Soweit zur Majorität des Zweiten Vatikanums. Wie sieht es bei der sogenannten Minderheit aus? Zwar ist zur Kennzeichnung der Unterschiede ein politisches Vokabular im Sinne der Differenz Regierung/Opposition eher verfehlt – es gibt ja keine Konzilsregierung – doch scheint es gerade die prinzipiell opponierende Haltung zu sein, welche eine Charakterisierung der Minorität leichter macht, die sich von der eher diffusen Mehrheit mit ihren diversen Reformvorstellungen eindeutig abhebt. Besonders deutlich wird dies im Kontext der Auseinandersetzungen über die Erklärung zur Religionsfreiheit, an der sich die Geister schieden. Wie Miccoli ausführt, widersprach dieser Text so offenkundig den traditionellen Lehräußerungen der Kirche, dass es beiRuggieri 2000, S. 273 spielt hier auf den Geburtsnamen des Vorgängers von Johannes XXIII. an, Papst Pius XII.: »Einige Stunden später, von 18.00 bis 20.00 Uhr, einige Kilometer von der Villa S. Maria entfernt, standen sich in der Domus Mariae die Weltepiskopate gegenüber: das Präsidium des CELAM, die beiden Sekretäre der afrikanischen Bischofskonferenzen, Vertreter des Episkopats Japans, Indiens, Ceylons, Vietnams, Burmas, der Philippinen; für Europa sind es Vertreter der Bischöfe Deutschlands, Frankreichs, Englands, Irlands, Belgiens, Spaniens, und Italiens. Aus Nordamerika sind einige Bischöfe aus den USA und Kanada anwesend. Nur der australische Kontinent ist nicht vertreten [...] Gegen das Schema sprachen sich aus: Deutschland, Japan, Indien und Ceylon, die Philippinen, Afrika und der CELAM. Für viele blieb aber eine entscheidende Frage offen: Mit welchen Mitteln würde es möglich sein, das Schema abzulehnen?« Ebd., S. 290f. 16 Ebd., S. 293. 15
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nahe nach einem Widerruf der besonders eindeutig formulierten Lehraussagen der Päpste der beiden letzten Jahrhunderte aussah. Genau dies sei der Punkt, der die Verfechter der Unveränderbarkeit und Unantastbarkeit jener Lehre alarmierte und die andere Seite des Konzils unter den Generalverdacht eines neuerlichen ›Neomodernismus‹ stellen ließ. Dabei respektierte das ausschließlich auf die nähere Vergangenheit reduzierte Geschichtsbewusstsein sogenannter ›Traditionalisten‹ weder sachliche Verweise auf historisch veränderte Rahmenbedingungen noch die Lehrautorität des aktuellen Papstes Johannes XXIII. und seiner Enzyklika Pacem in terris, obwohl sie doch selbst in besonderem Maß auf »Autorität« und »Hierarchie« abstellten. Als Beispiel dafür kann ein von Kardinal Siri kolportierter, in gewisser Weise ›majestätsbeleidigender‹ Ausspruch gelten, der gesagt haben soll, »die Idee, ein Konzil einzuberufen, sei einem Viertelstündchen Wahnsinn von Johannes XXIII. zuzuschreiben«.17 Mentalität und Anliegen der Minderheit kommen auch in einer Korrespondenz des Theologen von Bischof Lefebrves, Don Berto, klar zum Ausdruck. 18 Über die Schilderung solcher Betroffenheiten, die sich direkt gegen französische Aufklärung und italienische Nationalstaatsbildung richten, hinausgehend bekundet Kardinal Siri in aggressiverer Weise antiwissenschaftliche Affekte, wenn er über das Zweite Vatikanum sagt: »Die Geschichte dieses Konzils ist zum Teil die Geschichte der Periti; denn es kam eine große Anämie theologischen Bewußtseins zum Vorschein, Väter sind ganz auf irgendeinen Peritus, auf irgendein Professorchen angewiesen, das sie mit sich hergeschleppt haben.« 19 Und regelrecht antisemitische Haltungen werden in Äußerungen des der Kurie nahestehenden Kardinal Ruffini deutlich: Miccoli 2006, S. 133, vgl. dort Fußnote 80. Zitiert nach ebd., S. 134f: »Es geht nicht mehr um Lehre, Gerechtigkeit und katholische Tradition. Es geht darum, unter dem Vorwand eines ›aggiornamento‹ eine wesentliche Veränderung des Katholizismus herbeizuführen und als verpflichtend aufzuerlegen. Und da man dies nicht ›per arma lucis‹ bewerkstelligen kann, versucht man es auf eine gewaltsame Art, heute lärmend und morgen in aller Stille, heute überstürzt und morgen langsam, heute mit Tricks und morgen im Dunkeln, alles ausgeheckt für den Triumph des Irrtums. Möge Ew. Exzellenz als Beispiel (für vieles andere!) nur das Schema ›de liberate religiosa‹ nehmen. Es ist zwar geändert worden. Aber war es nicht schon ein Gewaltakt, daß der erste Text, der die Unterschrift ›Rousseau‹ oder ›Mazzini‹ hätte tragen können, in den Rang eines Konzilsschemas erhoben wurde? [...] Hier ist die besondere Zielsetzung (wobei die allgemeine Zielsetzung darin besteht, die Lehre, ja den katholischen Glauben in der Substanz zu verändern), die fundamentalsten Prinzipien des Naturrechts völlig zu zerstören, um sie durch ein rationalistisches Pseudorecht zu ersetzen – mit dem zusätzlichen Vorteil, so das gesamte Gebäude der römischen Päpste niederzureißen, es zu erledigen mitsamt der Enzyklika ›Quanta cura‹ und dem ›Syllabus‹. Diese Leute haben einen wütenden Haß auf den Syllabus [...] Die Kirche schulde der Menschheit Wiedergutmachung für den Syllabus; Pius IX. habe in Sachen Lehre geirrt [...] Vom ›Ja‹ zum ›Nein‹, von der einen Aussage zur widersprüchlichen oder gegensätzlichen, wäre das ein bloßes ›aggiornamento‹? Wäre es nicht vielmehr eine substantielle Veränderung? Meines Erachtens, Exzellenz und Hochwürdigster Herr, wissen die Gegner, daß es sich um eine substantielle Veränderung handelt, sie wissen es, und sie wollen es. Sie wollen nicht diskutieren, sondern sie wollen etwas aufnötigen«. 19 Zitiert nach ebd., S. 144. 17 18
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»Gewiß kann es keinem entgehen, daß die Juden noch heute der Lehre des Talmud folgen, nach der die anderen Menschen verachtet werden, weil sie Tieren ähnlich seien; alle haben auch bewiesen, daß sie oft unserer Religion feindlich gesonnen sind. Stimmt es denn nicht, daß – um nur ein Beispiel anzuführen – die überall verbreitete gefährliche Sekte der Freimaurer, deren Mitglieder von der dem Apostolischen Stuhl vorbehaltenen Exkommunikation betroffen sind, weil diese Sekte Machenschaften gegen die Kirche anzuzetteln pflegt, von den Juden gestützt und gefördert wird? Ich möchte daher, daß in der Erklärung, die jetzt mittels unserer Diskussion einer Prüfung unterzogen wird, die Juden nachdrücklich ermahnt werden, auf die Liebe, die wir ihnen in aller Aufrichtigkeit erweisen, mit Liebe antworten.« 20 Schließlich ist es ein Kennzeichen der Mentalität der Minorität, dass sie Legitimität für die eigene Identität durch Infragestellung der Rechtgläubigkeit der anderen schöpft: Wie Miccoli berichtet, steigerte sich unter »den Kurialen« und weiteren Mitgliedern der Minderheit die Ablehnung bestimmter Theologien zu einer Gegnerschaft gegen das Konzil als solchem. In den Kongregationen der römischen Kurie seien Klagen über »dieses verfluchte Konzil« zu hören gewesen, das »die Kirche in den Ruin treibe«. Besonders komme dies in einer Konzilsbeschreibung zum Ausdruck, die einem wichtigen Mitglied der Kongregation für Seminare und Universitäten zugeschrieben worden sei: Das Konzil sei eine »verhängnisvolle Komödie von dreitausend Nichtsnutzen mit ihrem goldenen Kreuzen auf der Brust, von denen manche weder an die Dreifaltigkeit noch an die Jungfrau Maria glauben.« 21 Ihre strukturelle Basis hatte die Minorität in der Vereinigung Coetus Internationalis Patrum, einem Netzwerk von Sympathisanten um einen kleinen, sehr diszipliniert organisierten Kern formaler Mitglieder um den Gründer, den brasilianischen Erzbischof und Steyler Missionar de Proenca Sigaud und seinem wichtigsten Mitarbeiter, dem französischen Bischof Lefebvre herum. Letzterer koordinierte die Gesamtleistung des Netzwerkes, welches auf diese Weise zu einem Katalysator der Minderheit avancierte. 22 Am meisten seien der italienische, spanische, phillipinische, lateinamerikanische sowie französische Episkopat durch seine propagandistischen Aktivitäten beeinflusst worden, so Raguer. Der Historiker berichtet auch von Unterstützung seitens der Lateranuniversität und dem Römischen Seminar; darüber hinaus habe es auch politische Kontakte gegeben: »Notorisch war die Verbindung zwischen dem Coetus und politischen Organisationen der Rechten, die einen religiös-ideologischen Deckmantel suchten, wie etwa im Fall der Bewegung ›Eigentum, Familie und Tradition‹, die zwar aus Brasilien stammte, aber in den konservativsten und konterrevolutionärsten MiZitiert nach ebd., S. 185. Zitiert nach ebd., S. 202. 22 Vgl. Framerée 2002, S. 200ff. Vgl. dort auch die namentliche Liste der »eingeschriebenen Mitglieder«. 20 21
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lieus ganz Lateinamerikas und auch Spaniens fest verwurzelt war«.23 Das vom Coetus gesteuerte Netzwerk bleibt auch über das Konzilsende hinaus aktiv und beschreibt sich noch 1990 in einem Werbeblatt als »die weltweit größte bürgerlich-kulturelle antikommunistische Kraft mit katholischer Orientierung«. Während des Konzils gewann der Coetus die für die Stabilität als Netzwerk notwendige wechselseitige Reziprozitätserwartungen aus den von Mitgliedern und Sympathisanten gemeinsam vertretenen Überzeugungen in Form einer umfassenden Ideologie: »Sein Konservativismus zeigt sich bei allen Themen, die auf dem Konzil beraten werden: im unhistorischen Zugang zu den Glaubenswahrheiten, im römisch-katholischen Triumphalismus, im Argwohn gegenüber Veränderungen, in der Angst vor ökumenischer Öffnung [...] Seine ›konterrevolutionäre‹ Obsession ist ebenso kennzeichnend für ihn, wie seine heftige Opposition gegenüber sozialdemokratischen Christen«.24 Der Coetus verfolge einen radikalen Ultramontanismus gegen alles, was formal eine Schwächung des päpstlichen Absolutismus bedeuten könne. Aufschlussreich für die dahinterliegende Motivation der eigenen Machterhaltung ist, dass mit dem Papst die Kurie direkt identifiziert werde, dass man also besser von einem kurialen Absolutismus sprechen müsste, woraus sich auch sein zäher Widerstand gegen die ›neue‹ Doktrin der Kollegialität erklären lässt. Vor dieser Kollegialität hat man im Coetus Angst und befürchtet regelrecht »episkopalistische Exzesse«. Die Leistungskapazität des mit dem Coetus gegebenen Netzwerkes liegt zunächst in der Kanalisation von Informationen, indem es wöchentliche Vorträge veranstaltete und schriftliche Versionen dieser Vorträge publizierte, aber auch in der Koordination und Anregung von Wortbeiträgen in der Aula. Besondere Wirksamkeit erreichen die Inszenierungen des Netzwerkes durch folgende Doppelstrategie: »Wenn der Coetus die Konzilsväter als einzelne anspricht, wie zum Beispiel bei der Verteilung von Rundbriefen, präsentiert er sich ausdrücklich als kollektive Größe; wendet er sich jedoch umgekehrt an die Gesamtheit der Konzilsväter etwa bei den Reden in aula, dann spricht jeder Redner in seinem eigenen Namen«. Auch seine außergewöhnlich starke institutionelle Verankerung ist bedeutsam: »Der Coetus erfreut sich jedoch nicht nur wichtiger Unterstützung, er ist auch in die Leitungsorgane des Konzils eingeführt: Dank der Kardinäle Ruffini und Siri ist er im Präsidentschaftsrat vertreten.« 25 Auf Resonanz trafen die Aktivitäten des Netzwerkes bei bis zu 450 Personen. Wenn Raguer die verschiedenen innerkonziliaren Gruppierungen in der Aula bezeichnet, gebraucht er für die mit dem Coetus verbundene konservative Richtung »Fraktion der kurialen Eiferer« einen politischen Begriff. Es ist auffällig, wie extrem konservative Vorstellungen innerhalb des Konzils mit Überzeugungen im politischen Bereich Raguer 2000, S. 237. Vgl. auch Fußnote 90. Framerée 2002, S. 201 25 Famerée 2002, S. 204, 205. 23 24
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korrespondieren. 26 Umgekehrt, so stellt Raguer auch fest, sei gerade der kuriale Zentralismus von Beginn des Konzils an zahlreichen konservativen Bischöfen aus Italien, Dalmatien, Irland, England, Nordamerika und Armenien auch suspekt gewesen und man habe sich dagegen gewehrt. Wenn man die späteren Abstimmungsergebnisse und die dabei regelmäßig für jedes Konzilsdokument erzielte beinahe vollständige Zustimmung der Versammlung mit dem hier geschilderten Defektionspotenzial in Zusammenhang bringt und dabei berücksichtigt, dass bis zu einem Viertel der Teilnehmer in dieser Richtung ansprechbar waren, kann man feststellen, mit welchem Nachdruck man im Unterschied zum Ersten Vatikanum die Einbindung der Minderheit in die Konzilsdynamik des Zweiten Vatikanums betrieben hat.27 Das Spektrum der Mittel zur Konsensherstellung reicht dabei von Überzeugungsarbeit bis hin zu inhaltlichen Zugeständnissen. Die Mehrheit der Väter selbst aber strukturierte ihre außerhalb der Aula stattfindenden Konzilsaktivitäten und Kontakte in einer Vielzahl anderer formeller und informeller (teilweise ad hoc) Arbeitsgruppen, welche sich aus unterschiedlichen Anlässen und thematisch variierend bildeten. Herausragend war die Gruppe »Die Kirche der Armen«, die mit ihrer sozialstrukturellen Orientierung an eine entsprechende Intervention des Erzbischofs von Bologna, Kardinal Giacomo Lercaro, der von der französischen Arbeiterpriesterbewegung inspiriert war, während der ersten Sitzungsperiode anschloss. 28 Über fünfzig Bischöfe aus verschiedenen Ländern, unter anderem Kardinal Montini, der spätere Paul VI., waren beteiligt. Besonders kam das Anliegen von Vertretern aus der ›Dritten Welt‹ zum Ausdruck: »Zur lauten Stimme dieses Teils der Welt sollten beim Konzil vor allem zwei Männer werden: Mons. Helder Camara Pessoa, zu Beginn des Konzils noch Weihbischof von Rio de Janeiro und seit 1964 Erzbischof von Olinda und Recife im sogenannten ›Hungerdreieck‹ des brasilianischen Nord-
Vgl. Raguer 2000, S. 249: »Die kurialen Eiferer (italienisch zelanti) trugen im übrigen durchaus die Kennzeichen von Politisierern (policanti). Sie interessierten sich lebhaft für italienische Politik, und mittels der Katholischen Aktion und der Comitati Civici stützten sie die Politik der Demokrazia cristiana, wollten sie aber gleichzeitig auch kontrollieren. Innerhalb dieser Partei suchten sie deren rechten Flügel stark zu machen und widersetzten sich der Öffnung nach links [...] Was die internationale Politik anging, pflegte die kuriale Eiferfraktion einen strammen Antikommunismus, die Identifikation der katholischen Sache mit dem sogenannten westlichen Bündnis (der NATO) und Sympathie für die Außenpolitik der USA sowie für gewisse autoritäre Regimes in Europa, Lateinamerika und in der Dritten Welt«. 27 Schatz 1993, S. 185ff. berichtet davon, dass »bei Pius IX. eine innere Verbitterung gegenüber der Minorität« vorherrschte und zu Verhärtungen führte. Das Ergebnis des Umgangs des Ersten Vatikanums mit seiner innerkonziliaren Opposition ist die Abreise der Minoritätsvertreter vor der entscheidenden Abstimmung, welche dann nur unter Ausblendung historischer Tatsachen als einmütige erscheinen konnte. 28 Vgl. zu dem Experiment der Arbeiterpriester Straßner/Schmidt 2005 sowie die zeitgenössische religionssoziologische Untersuchung des Schelsky-Schülers Gregor Siefer 1960. 26
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ostens, und Mons. Georges Mercier von den Afrikamissionaren« 29. Schließlich scheinen auch Väter aus den sozialistischen Ländern einen wichtigen Einfluss ausgeübt zu haben, wobei diese eine Lockerung der gängigen Verknüpfung zwischen der kirchlichen Soziallehre und einem bestimmten individualistischen Verständnis vom Privateigentum angestrebt hätten. Mehr in Form eines Netzwerkes funktionierte der sogenannte »mitteleuropäische Block« mit den Kardinälen Frings, König, Liénart, Suenens und Alfrink als seinem harten Kern. Er wurde auch »weltweite Allianz« genannt, weil dieser lose Zusammenschluss zahlreicher Bischöfe aus allen Weltregionen gerade für Vertreter aus der ›Dritten Welt‹, welche keine eigenen angesehenen Periti hatten, theologische Beratung als Leistungskapazität des Netzwerks vorhielt. Über das durch Verknüpfung gesteigerte theologische Knowhow hinaus war eine besondere Leistung dieses Netzwerkes die gute Verbindung zur Presse und den wichtigen Informationszentren-/diensten: »Durch diese Informationsbahnen wurde erreicht, daß der größte Teil der katholischen und darüber hinaus der nichtkonfessionellen Presse der ganzen Welt die Stellungnahmen des mitteleuropäischen Blocks stützten, was natürlich bei den anderen Konzilsvätern nicht ohne Wirkung blieb«. 30 Die »Delegiertenkonferenz« trägt, da sie als Organ zur wechselseitigen Information der verschiedenen nationalen Episkopate gegründet wurde, auch mehr Organisationszüge und wurde aufgrund ihrer großen Basis als kleines »Konzil en miniature« zu einer echten Repräsentationsinstanz des großen Konzils, vielleicht sogar zu einem Vorläufer für nachkonziliare Institutionen: »Manche Konzilsväter traten für eine Fortsetzung nach dem Konzil ein; die Konferenz sollte dann, wenn auch nicht mit offiziellem Charakter, den Senat des Papstes ergänzen.« 31 Während die Konzilssprache in der Aula ausschließlich Latein war, konnten hier die Debatten auf Englisch und Französisch stattfinden, Textvorschläge wurden aber weiter auf Latein gemacht. Die Attraktivität dieser quasioffiziellen Struktur zeigt auch das schnelle quantitative Anwachsen ihres Inkusionsbereichs, die Häufigkeit der Interaktion – die Treffen fanden bald wöchentlich (freitags) statt – sowie schließlich das Bedürfnis, eigene Pressekontakte zu unterhalten. Zunächst mit Bezug zur regionalen/nationalen Herkunft traf sich die sogenannte »französische Gruppe«. Ursprünglich gegründet als interne Diskussionsgruppe des französischen Bischofskollegiums und der Missionsbischöfe, erweiterte sie sich zu einem Bischöfen und Periti aus aller Welt offenstehenden Kreis. Wenn auch dessen erarbeiteten Texten weniger Verbindlichkeit zugemessen wurde, ging es doch bei ihren wöchentlichen Mittwochstreffen hauptsächlich um eine Vorabverständigung unter den Bischöfen mit dem Ziel, Wiederholungen in den Reden in der Aula zu vermeiden. Erwähnenswert sind auch die Gruppen Raguer 2000, S. 238. Ebd., S. 244. 31 Ebd., S. 245. 29 30
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Gleichgesinnter, welche sich aufgrund ihrer kirchlichen Funktionen ergaben, wie beispielsweise die Gruppe der Ordensoberen, die Gruppe der Ordensbischöfe sowie die Gruppe der Missionsbischöfe. Obwohl letztere als ein freier Zusammenschluss am besten als Studiengruppe zu bezeichnen sei, erschien sie der Kurie als »gefährlich«. Vor der Konzilsdebatte über jedes Schema veranstaltete man eine Diskussion. Zweimal legte man Gegenentwürfe zum Gesamttext vor und formulierte viele Male modi, von denen einige Eingang ins Missionsdekret fanden.32 Eine besondere Rolle in der Strukturierung des Konzils bekommen aber die nationalen Bischofskonferenzen, die, wenn sie nicht schon vor dem Konzil bestanden, 33 sich während des Konzils konstituierten und nachkonziliar mit der Umsetzung seiner Beschlüsse betraut wurden. 34 Das Besondere an ihnen ist, dass sie, obwohl sie nicht im Reglement vorkommen, regelrecht zu »intermediären Instanzen« 35 des Konzils wurden. Der römische Historiker Riccardi beschreibt es so: Man »entschied sich dafür, nicht nach ›Nationen‹ oder ›Sprachen‹ am II. Vatikanum mitzuwirken, sondern es wurde die Rolle der Konferenzen anerkannt. [...] Um der Anonymität zu entgehen, mußte man nun nicht mehr bloß Beziehungen in der Kurie oder innerhalb der Konzilsleitung suchen. Als die unmittelbare Bezugsgröße erwies sich nun eben die Bischofskonferenz.«36 Die Bewährungsprobe kommt gleich zu Anfang des Konzils bei der Wahl zu den Kommissionen, wofür die bereits formierten Bischofskonferenzen Listen aushandeln. Besonders erfolgreich ist dabei die »europäische Liste«, weil sie durch ihre Transnationalität, mit deutschen, französischen, belgischen, österreichischen und niederländischen Bischöfen bestückt, Zustimmung diverser Episkopate erhalten kann. So bezeichnete auch Kardinal Montini die erste bischöfliche Zusammenkunft als Vgl. ebd., S. 259. »Die Bischofskonferenzen stellen keine einförmige Größe dar, sondern es gibt ziemlich viele Unterschiede hinsichtlich ihrer Funktionen, ihrer Arbeitsbereiche und ihrer Tradition. Erst seit 1959 führt das Annunario Pontificio die funktionierenden Bischofskonferenzen auf und erkennt so ihren offiziellen Charakter, wenn auch bloß sieben von 43 ein endgültig approbiertes Statut hatten. [...] Das Pontifikat Pius’ XII. bedeutete einen besonderen Impuls in diese Richtung: 1955 wurde der CELAM als Koordinierungsorgan der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen geschaffen [...] Tatsächlich sind in der Sicht des Vorgängers Johannes’ XXIII. die Bischofskonferenzen wichtige Gliederungen in der einheitlichen Struktur des Katholizismus.« Riccardi 2000, S. 42f. 34 Vgl. zum Thema ›Bischofskonferenz‹ als Struktur des Konzils und ›Kollegialität‹ als Inhalt der konziliaren Auseinandersetzung sowie als postkonziliare Realität die umfangreiche Studie Winterkamp 2003 (für unseren Zusammenhang besonders S. 9-52). 35 Kaufmann 1989a verwendet den Begriff intermediär in Bezug auf die Bischofskonferenz in einer postkonziliaren Perspektive als eine Strukturbeschreibung der Kirche zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung. Interessant ist dabei seine Reflexion des Subsidiaritätsprinzips, bei der er feststellt, dass es, bezogen auf die Bischofskonferenz als relativ neue Form, einseitig gehandhabt wird, nämlich nur von oben nach unten. Der Bischofskonferenz als solcher werde dabei wohl nicht zugetraut, die römische Kurie zu entlasten. 36 Riccardi 2000, S. 41. 32 33
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italienische Nationalversammlung, zu der Kardinal Siri aufrief, als ein »historisches Ereignis«. Selbst in diesem europäischen Land hatte es bisher bloß Regionalkonferenzen gegeben. Die zugebilligte Rolle der Bischofskonferenzen macht auch einen wichtigen strukturellen Unterschied des Zweiten zum Ersten Vatikanum aus. Bei letzterem sei die Konzilsleitung, der Papst und der Kardinalstaatssekretär eher misstrauisch gegenüber nationalen Versammlungen gewesen: »Eine unvoreingenommene Einstellung wurde vor allem dadurch erschwert, daß in Minoritätseingaben zur Geschäftsordnung die Forderung aufgestellt wurde, diese nationalen Versammlungen zu einem offiziellen Strukturprinzip des Konzils zu machen. Demgegenüber lautete die klassische Antwort, vor der ›Ökumenizität‹ des Konzils habe das Prinzip der ›Nationalität‹ zu verschwinden; die Nation sei kein Strukturprinzip des ökumenischen Konzils und der Kirche überhaupt.« Ein Vorstoß in Richtung einer offiziellen Einteilung des Konzils in nationale Sektionen blieb Episode. 37 Im Unterschied dazu war das Zweite Vatikanum von vorneherein viel strukturoffener. Seine Chronik vermerkt in Bezug auf Vollversammlungen und andere Bischofstreffen offiziell 447 Sitzungen. 38 Der nordamerikanische Historiker Fogarty beschreibt das Besondere der neuen Situation in der Form, dass nach dem Abschluss des Ersten Vatikanums der Weltepiskopat sich wieder getrennt habe und jeder einzelne Bischof nur noch in direkter Orientierung nach Rom, aber mit wenig Sinn für seine horizontalen Verbindungen zu anderen Bischöfen gelebt habe. Das Zweite Vatikanische Konzil sollte dagegen ebendiese Verbindungen theologisch aufwerten, und zwar in Form der Definition von Kollegialität als einem konstitutiven Element der Kirchenstruktur: »Wie im Hinblick auf die Tiefendimension der Kirche besonders wache Persönlichkeiten, wie Congar und Semmelroth, in ihren Tagebüchern notieren, begann die bischöfliche Kollegialität unmittelbar wirksam zu werden, noch bevor sie formuliert werden sollte. Die Bischöfe entdeckten, daß durch Sich-Versammeln und Kommunikation neue und noch nicht dagewesene Einstellungen geschaffen wurden. Aber außerdem und zur gleichen Zeit fand ein neues ›Wiedereintauchen‹ der Bischöfe in den Sinngehalt des ›Volk Gottes‹ statt.« 39 Neben solchen semantischen Erfahrungen sind es strukturelle Entscheidungen, die den Verlauf des Konzils beeinflussen: »Die Zusammenarbeit zwischen Bischöfen und Theologen bedeutete auch, das Konzil der Kontrolle Ottavianis zu entreißen [...] Die französische und die deutsche Gruppe bauten eine parallele Struktur zu den offiziellen Kommissionen auf, und diese sollten sich schließlich beim Konzil durchsetzen.« 40 Für viele Episkopate war gerade der Interaktionszusammenhang des »Weltereignisses Konzil« die Vgl. Schatz 1993, S. 37f. Vgl. Caprile 1968, S. 631. 39 Fogarty 2000, S. 91. 40 Ebd., S. 101. 37 38
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günstige Gelegenheit, ohne die es solche Selbstorganisierungsprozesse nicht geben konnte, weil Umweltbedingungen in den Herkunftsgebieten hinderlich wirkten. So bildete sich für die Zeit des Konzils eine panafrikanische Gruppe, aber auch die Orientalen profitierten diesbezüglich von dem Aufenthalt in Rom.41 Wie attraktiv die vielfältigen Strukturbildungen außerhalb der Aula, also die Ausbildung des mit dem Zweiten Vatikanum verbundenen pluriformen Interaktionszusammenhangs für viele Väter gewesen ist, zeigt ein afrikanisch-deutscher Vorschlag für eine Reorganisierung der konziliaren Arbeitswoche, der in der zweiten Sitzungsperiode aufkam: »Sie schlugen vor, daß zwei oder drei Tage frei von den Generalkongregationen sein sollten, um Zeit zu lassen für das Debattieren in den Bischofskonferenzen, die gedacht waren als Vermittlungsinstanzen nach dem Muster der alten nationes des Konzils der mittelalterlichen Christenheit.« 42 6.2 Steuerung Die grundlegenden Strategien beim Konzil sind durch drei Steuerungsintentionen gekennzeichnet, die jeweils auf unterschiedliche Sinnbezüge zielen. So ist mit einem sachthematischen Bezug der Vorschlag verbunden, die Gegenstände des Konzils ad intra, die Kirche selbst betreffend, und ad extra, in gesellschaftlicher Hinsicht zu differenzieren. Namentlich stehen hierfür die Kardinäle Suenens aus Belgien sowie der norditalienische Montini, der spätere Papst, und natürlich Papst Johannes XXIII. selbst, der diese Unterscheidung in seiner Rundfunkbotschaft bereits zu Beginn des Konzils wie folgt vorstellte: »Die Kirche muss gesucht werden als das, was sie ihrer inneren Struktur nach ist, Lebenskraft nach innen (ad intra), bereit, vor allem ihren Kindern die Schätze erleuchteten Glaubens und heiligender Gnade zu zeigen, die in jenen letzten Worten ihren Ursprung haben. [...] Betrachtet man die Kirche in ihren Lebensäußerungen nach außen (ad extra), in ihrem Bezug auf die Bedürfnisse und Nöte der Völker, die durch menschliches Schicksal eher zur Wertschätzung und zum Genuss der Güter der Erde hingelenkt werden, so fühlt sie die Pflicht, durch ihre Lehrtätigkeit
»Ihre Mitglieder hatten ein ›Generalsekretariat der Bischofskonferenzen von Afrika und Madagaskar beim II. Ökumenischen Vatikanischen Konzil‹ organisiert. Laut der Antwort, die dessen Generalsekretär, P. Joseph Gréco SJ, während der dritten Sitzungsperiode mündlich auf Anfrage von Gómez de Arteche gab, ist diese Gruppe schon in den ersten acht Tagen des Konzils als allererste entstanden.« Raguer 2000, S. 225ff. 42 Melloni 2002, S. 72. 41
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ihrer Verantwortung nachzukommen: ›Auf dass wir durch die zeitlichen Güter so hindurchgehen, dass wir die ewigen nicht verlieren‹«.43 Entsprechend dieser Unterscheidung wird in den Kapiteln sieben bis zehn dieser Studie entsprechend der Ausgangsthese des mit dem Konzil einhergehenden Wandels von der Kirche als Gegengesellschaft hin zur Kirche der Weltgesellschaft die in der »ad extra«-Richtung sich in den Konzilstexten ausdrückende neue Form katholischer Verweltgesellschaftung nachvollzogen, so dass an dieser Stelle die beiden anderen Steuerungsintentionen im Vordergrund stehen: Mit starkem Sozialbezug gehen die in der ›Alberigo-Konzilsgeschichte‹ als »Gegner der zweiten Vorbereitung« 44 Bezeichneten vor, indem sie vielfach auf Exklusion setzen, um diejenigen in den Kommissionen auszugrenzen, die sich daran machen, Überarbeitungsaufträge aus der Aula umzusetzen. Dagegen hat der Plan des Münchener Kardinals Döpfner, den Paul VI. direkt nach seiner Wahl zum Papst zu erstellen bittet, eindeutig Zeitbezug: Er will durch Reduktion des Materials die Verhandlungen beschleunigen und auf diese Weise bereits erreichte Innovationen vor ›Zerfaserung‹ sichern. Beide Steuerungsintentionen gewinnen Einfluss auf den Konzilsverlauf, ohne sich jedoch in ihren jeweiligen Intentionen direkt durchsetzen zu können. Mit dem Ende der ersten Sitzungsperiode und dem Beginn der ersten intersessio verlagert sich das Interaktionsfeld von der öffentlich sichtbaren Aula, in der die Massen wirkten, wieder in die verschiedenen Konferenzräume und Hinterzimmer des Vatikans. Zwar ernannte Johannes XXIII. für die Kontinuität der Arbeiten und zur Verbesserung der Führung des Konzils eine Koordinierungskommission und überließ auf diese Weise die Regie der formalen Aufarbeitung der Interaktionsergebnisse der ersten Periode nicht bloß kurialen Stellen. Dennoch sei die Unterbrechung der normalen Aktivitäten der Konzilsversammlung von Dezember 1962 bis Oktober 1963 eine ausgesprochen günstige Gelegenheit für eine breit angelegte Zurücknahme von Ergebnissen gewesen, die zwar bereits in Reichweite lagen, aber noch nicht vollends errungen waren.45 Dabei war die institutionelle Verbindung von Konzilskommissionen mit den Kurienkongregationen durch personelle Verquickung durchaus folgenreich, da innerkuriale Konkurrenzverhältnisse auf das Konzil übertragen wurden. Nachhaltig wirkte sich dies vor allem in der Theologischen Kommission aus, der eine zentrale Rolle bei der Überwachung der Formulierung der Konzilstexte zukam: »Die Hauptsorge von Kardinal Ottaviani und S. Tromp SJ war nicht so sehr, eine privilegierte PoJohannes XXIII., Rundfunkbotschaft vom 11. September 1962, in Hünermann/Hilberath 2006, S. 476-481, hier S. 477. 44 »Die Untersuchung der Ereignisse im Verlauf der zehn Monate der Zwischensession läßt keinen anderen Schluß zu, als daß die Gegner des konziliaren Aggiornamento in keiner Weise die Waffen gestreckt hatten. [...] Die Verteidiger der Vorbereitungstexte werden jetzt zu Gegnern einer zweiten Vorbereitung«. Grootaers 2000, S. 440f. 45 Vgl. ebd., S. 421. 43
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sition unter den Konzilskommissionen zu erlangen. Ihre Sorge war vielmehr, die besondere Autorität zu bewahren, die das Heilige Offizium der päpstlichen Kurie hatte erringen können – häufig in Konkurrenz zu anderen Kurienbehörden, insbesondere denen des Staatssekretariats. Sie befürchteten, daß eine Schwächung ihres Ansehens auf dem Konzil die fatale Konsequenz einer Schwächung der Position an der römischen Kurie haben könnte.« 46 Die Aktivitäten der »Gegner der zweiten Vorbereitung« lassen sich in drei Methoden zusammenfassen: Erstens verweigerte Ottaviani vielfach die Zusammenarbeit mit anderen Kommissionen, welche sich an die Überarbeitung der Texte im Sinne des in der Aula Gesagten machen wollten. Nach seiner Meinung behielten die Schemata der Vorbereitungsperiode ihre Bedeutung voll und ganz: »In den Augen der Gegner einer ›zweiten Vorbereitung‹ waren die Texte aus der vorkonziliaren Phase mit größter Sorgfalt und um den Preis ununterbrochener Anstrengung vorbereitet worden. [...] Sie verdienten deshalb ein besseres Schicksal als die Kritik oder gar Herabwürdigung«. 47 Wo eine Zusammenarbeit nicht verhindert werden konnte, suchte Ottaviani interaktionsverweigernd zweitens den Ausweg in einer »Politik des leeren Stuhls«. Er delegierte meist seinen Mitarbeiter, Kardinal Browne, zu den Sitzungen und versuchte danach, die in seiner Abwesenheit erzielten Ergebnisse umzustürzen.48 Beliebt war drittens auch das »System der Rumpfkommissionen«, indem man in manchen Kommissionen die Wahlen ignorierte, mit denen das Konzil ihre Zusammensetzung neu bestimmt hatte, oder die zu denen aus der Vorbereitungszeit des Konzils neu hinzugestoßenen Neumitglieder in die Schranken zu verweisen suchte. »In dieselbe Kategorie von Phänomenen gehört der mißtrauische Empfang, der den von der Konzilsversammlung gewählten Mitgliedern in bestimmten Kommissionen bereitet wird. In seiner Note vom 23. Januar 1963 schreibt Kardinal Marella: die ›Neulinge‹ sollten nicht meinen, sie könnten das Schema wieder bei Null anfangen lassen.« 49 Solch subversives Gebaren legten aber längst nicht alle Kommissionen an den Tag; es gab durchaus auch Kooperation, Dienst- und Lernbereitschaft. Dennoch beschreibt Grootaers folgenden Trend: »Liest man die Protokolle der Koordinierungskommission, so tritt klar zutage, daß die Mitglieder, die nicht zur Ku-
Ebd., S. 437. Ebd., S. 589. 48 Ebd., S. 441f. 49 Ebd., S. 589ff. »Man könnte die hier zutage tretende Einstellung mit den Worten zusammenfassen, daß in den Augen von Marella die Qualität der Vorbereitungsphase des Konzils jede ›zweite Vorbereitung‹ zu einer überflüssigen und sogar gefährlichen Angelegenheit machte. [...] Die Anweisungen von Kardinal Marella werfen ein lebendiges Licht auf die Motive, welche die Leiter der Konzilskommissionen dazu bewegt hatten, diese trotz der wiederholten Versprechungen nicht einzuberufen. Die Strategie, die während der Zwischensession 1962/63 voll und ganz aufgegangen war, sollte die Konzilsdebatte im November 1963 jedoch nicht überstehen.« Ebd. S. 544f. 46 47
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rie gehörten [Döpfener, Liénart, Suenens], freier in ihren Beurteilungen waren und eher den Anweisungen folgten, die Johannes XXIII. für die Vorbereitung der zweiten Konzilsperiode erteilt hatte.« 50 Besonders aufschlussreich für das »Weltereignis Konzil« als Interaktionszusammenhang ist aber Grootaers Konnex, dass mit der Hartnäckigkeit, mit der die ›Verteidiger der Vorbereitungsschemata‹ in gewissen Konzilskommissionen jede grundsätzliche Neuausrichtung verweigerten, die unerwartete Konsequenz verbunden ist, dass im Schatten der offiziellen Dokumente alternative Schemata auftauchen, die mehr den Wünschen der Konzilsmehrheit entsprachen. 51 Indem die verschiedenen Interaktionsarenen in Zusammenhang gebracht und gehalten werden, waren also auch Ausgleichsmechanismen vorhanden, die extreme Einseitigkeiten harmonisierend abdämpften und Ausgeschlossenes wieder ins Spiel brachten. Die Gegner wurden auf die sichtbare Auseinandersetzung in der Aula verwiesen. Ihre Position blieb unverändert, die Strategie wurde aber angepasst, wie Komonchak für den Fall der Debatte über die Kollegialität berichtet. Hierbei ging es beispielsweise um den Versuch, durch eine Vermehrung der Placet-iuxta-modum-Voten in der Schlussabstimmung zum entsprechenden Kapitel die Debatte darüber wiederzueröffnen, obwohl das Dokument bereits von der Versammlung angenommen war: »Zu diesem Zweck wurde eine Liste vorgeschlagener Modi vorbereitet und verbreitet, von denen die meisten in direktem Widerspruch zu den mit den positiven Voten der Konzilsversammlung über die Änderungsvorschläge gerade angenommenen Erklärungen standen. Diese Modi wurden in Form von leicht abtrennbaren Stimmkarten gedruckt (›Hier abschneiden‹, stand auf jeder Karte); auf jeder von ihnen war die gewünschte Textänderung und die entsprechende Begründung vermerkt sowie Raum für die Unterschrift vorgesehen.« 52 Um dieser Strategie, die auf unreflektiert-träges Agieren der Masse setzte, effektiv begegnen zu können, waren die Führungspersonen der Majorität herausgefordert, die intellektuelle Auseinandersetzung zu forcieren und dafür entsprechende Aufklärungsarbeit zu leisten. 53 Hinter der anderen, mit dem Namen des deutschen Kardinal Döpfner verbundenen Steuerungsintention stand das Ansinnen des gerade frisch zum Papst gewählten Paul VI., das Konzil zu einem guten Abschluss zu bringen. Nachdem dieser als Mailänder Kardinal selbst die Teilnehmerrolle erlebt und in dieser PerEbd., S. 439f. Vgl. ebd., S. 591. 52 Komonchak 2006, S. 94. 53 »Bischof Luis E. Henríquez, ein Mitglied der Kommission für die Glaubenslehre, verfaßte einen zweiseitigen Ratgeber, der ebenfalls weite Verbreitung fand, in dem er die Bischöfe eindringlich bat, nicht Modi zu unterschreiben, die hektographiert in Hunderten von Kopien zirkulierten; statt dessen könnten sich die Bischofskonferenzen treffen und sich über eine kleine Anzahl von Modi verständigen, die dann von so wenig Mitgliedern wie möglich präsentiert würden, und alle anderen Mitglieder könnten mit placet stimmen.« Ebd., S. 95. 50 51
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spektive Erfahrungen mit der inspirierenden und offenen Konzilsführung durch den charismatischen Johannes XXIII. gemacht hatte, wollte er die Verfahrensformen rationalisieren. Nach dem Eröffnungsimpuls standen für den Erfolg des Weltereignisses in Form greifbarer Ergebnisse noch notwendige Schließungsleistungen aus. Dabei ging es um Konzentration und sachliche Komplexitätsreduktion vor allem vor dem Hintergrund zeitlicher Befristung. Zu diesem Zweck erbat sich der Papst bei Vertrauenspersonen eine Reihe von Gutachten, unter anderem eben auch von Döpfner, welcher das Ziel einer drastischen Vereinfachung der Tagesordnung des Konzils verfolgte. So arbeitete der Kardinal den ganzen Juli an dem Auftrag, mit dem er betraut worden war und verfasste das vier Punkte umfassende Papier »Überlegungen zur Fortführung des Konzils«. Döpfner machte konkrete Vorschläge, um die Fortführung des Konzils zu sichern, indem dessen Arbeitsbedingungen verbessert und eine Auswahl über seine Themen getroffen werde sollte.54 Wie der Papst war er der Überzeugung, dass das Konzil seine eigentliche Aufgabe bereits geleistet habe und weitergeführte Reformabsichten die Gefahr einer Vertiefung der Spaltung zwischen den Parteien beinhalteten: »Der Papst und der Kardinal wollten ein dynamisches Konzil, und zwar auch auf Kosten der Streichung gewisser Themen oder der Kürzung der Dokumente. [...] Als wirksam erwies sich die Vision Döpfners jedenfalls auf der Ebene der Arbeitsmethode. Seine Vorschläge zur Kürzung von Texten und zur Abkürzung von Debatten bezogen sich nicht bloß auf einzelne Fälle oder besondere Themen, sondern geschahen immer im Interesse des Gesamtanliegens des Konzilsereignisses.« 55
»I. Die Fortführung des Konzils sichern, das heißt: 1. seine Hauptzielsetzung der Erneuerung der Kirche im Sinne ihres pastoralen Auftrags aufrecht erhalten; 2. dies verbinden mit einer ökumenischen Öffnung und mit einer der Menschheit zugewandten Verfügbarkeit; 3. eine wirkliche Freiheit der Debatte garantieren, und zwar auch dadurch, daß die morgendlichen Generalversammlungen von fünf auf vier Tage verkürzt werden, so daß die Kommissionen und die Bischofskonferenzen mehr Zeit zur Verfügung haben; 4. der Papst soll in der von Johannes XXIII. dem Konzil gegenüber eingeschlagenen Linie weitermachen, indem er dessen Geschäftsordnung so interpretiert, daß er dem Konzil Freiheit läßt, und indem er in enger Gemeinschaft mit dem Bischofskollegium bleibt; 5. die Leitung der Konzilskommissionen erneuern, ohne auch die Schaffung neuer Kommissionen für besondere Problembereiche auszuschließen. II. Die Arbeitsbedingungen des Konzils mit der Wiederaufnahme seiner Sitzungen verbessern, nämlich: 1. die Koordinierungskommission stärken; 2. die Geschäftsordnung überarbeiten und vervollständigen; 3. die Beziehungen zur Presse verbessern, 4. auch Laien unter die Beobachter aufnehmen; 5. die liturgischen Feiern des Konzils erneuern. III. Unter den Themen eine Auswahl treffen, nämlich: 1. sich konzentrieren auf: De Ecclesia, sodann auf De oecumenismo und De revelatione; 2. zu Beginn der nächsten Sitzungsperiode soll die Koordinierungskommission eine ›Information über den Stand der Arbeiten‹ vorlegen; 3., 4., 5. und 6. Hinweise bezüglich der verbleibenden Schemata. IV. Praktische Hinweise bezüglich der Arbeitsweise während der Sitzungspause, und zwar in dem Sinne, daß sie von langer Dauer sein sollte, so daß die dritte Sitzungsperiode erst 1965 stattfände und die letzte wäre.« Vilanova 2002, S. 412. 55 Ebd., S. 485. 54
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Die Umsetzung des Vorschlags, dass die Konzilssitzungen sich darauf beschränken sollten, die Hauptthemen zu diskutieren und über diese Konsens zu erzielen, während dann nachkonziliaren Kommissionen die Erläuterung und endgültige Formulierung der Dokumente anvertraut werden würde, stieß aber auf Widerstand. In gewisser Weise mit orientierender Wirkung und trotzdem nicht unproblematisch war die damit verbundene Einteilung in zentrale und mehr periphere Texte, zusammen mit dem Vorschlag, dass auf die letzteren bezogen nur Thesensammlungen erstellt werden sollten, die durch nachkonziliare Gremien zu Texten ausgearbeitet werden könnten. Weil sich dieses in den verschiedenen Vorbereitungsgruppen nicht einheitlich durchsetzen konnte, wurde der Vorschlag schließlich fallengelassen. Er hatte dennoch den Effekt, spürbar den Zeitdruck im Bewusstsein aller Beteiligten zu erhöhen. Beide Strategien, sowohl die der konzilsinternen, das Konzil ablehnenden Gegnerschaft, als auch die von Seiten der hierarchischen Spitze des Konzils, verfehlten schließlich ihr direktes Steuerungsziel. Dies geschah, weil sie jeweils die unkontrollierbaren Eigendynamiken des Interaktionszusammenhangs unterschätzten, dessen Einheit aus Sicht der Mehrheit zu wichtig war, weil er die Bedeutung eines Weltereignisses hatte. Obwohl die Strategien sich nicht durchsetzen konnten, sind ihnen gleichwohl Nachwirkungen nicht abzusprechen: Das Konzil wird nach vier Sitzungsperioden beendet und in seinen sechzehn Dokumenten müssen an empfindlichen Stellen innovationsrelativierende Zugeständnisse verkraftet werden. 6.3 Streit Die strukturell dominierende Majoritäts/Minoritäts-Differenz in der Konzilsversammlung, die mit einem effektiv organisierten öffentlichen Auftreten einer zahlenmäßig kleinen Minderheit verbunden war, welche in der Verfolgung ihrer subversiven Strategie diverse Steuerungsinstrumente in Anschlag brachte, provozierte auch offen ausgetragene Streitigkeiten, bei denen die Konflikte im Sozialen – symbolisch verdichtet zu zwei zeitlichen Ereignissen – selbst Interaktionsthema wurden. Solches ist für die Bildung einer kulturellen Identität des Systems als ›Selbstreferenzialität‹ zwar sinnvoll, wurde aber durchaus als Krise wahrgenommen. Ein offener Streit vor dem Hintergrund des theologischen Begriffs vom »Weltereignis Konzil« als einem universell wahrheitsgenerierenden Mechanismus, dessen qualitativer Erfolg vom quantitativen Kriterium einer möglichst einmütigen Zustimmung abhängt, musste hochgradig desorientierend wirken. Dies war besonders angesichts einer Konzilsgeschichte bedeutsam, die nicht nur von sachthematischen Einigungsprozessen berichten kann, sondern immer auch als eine Geschichte sozialer Exklusion zu verstehen ist. Die diversen Schismen stehen kontradiktorisch zum christlichen, auf Gemeinschaft zielenden
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Ausgangsimpuls. Beim Ersten Vatikanum hatte die Spaltung des Konzils zur Folge, dass die die Unfehlbarkeitsdefinition strikt ablehnende Minderheit, kurz bevor sie zur Abstimmung gestellt wurde, abreiste, um auf diese Weise zwar entgegen eigener Überzeugung, aber aus institutioneller Solidarität mit der Kirche indirekt (durch Abwesenheit) für ein eindeutiges Abstimmungsergebnis zu sorgen.56 Die beiden Ereignisse, an denen sich die Spannungen des Zweiten Vatikanums anschaulich kristallieren, sind einmal der »Waffengang« der Kardinäle Frings und Ottaviani, der eine inszenierte Konfrontation zwischen Ortskirche und Kurie darstellt und zum anderen die sogenannte »schwarze Woche«, in der der Papst einerseits den Konflikt mit der Mehrheit einkalkuliert, um andererseits die Minderheit einzubinden. Zunächst zu dem berühmt gewordenen Rededuell der Kardinäle Frings und Ottaviani, das am 8. November 1963 in St. Peter stattfand und das Frings durch seine Intervention im Rahmen der Debatte über ›Bischöfe und Bistümer‹ eröffnete: Frings wendete sich gegen den Versuch der Herabwürdigung einer bereits durchgeführten Abstimmung über das Bischofskollegium und stellte gegen anderslautende Äußerungen klar, dass die Konzilskommissionen Instrumente der Generalversammlung seien und nicht umgekehrt die Versammlung dem Diktum von Kommissionen zu folgen habe. 57 Der Kölner Kardinal griff unter Beifall der Aula durch seine Kompetenzanfrage direkt gewichtige Kurieninstitutionen an: »Die Verfahrensweise des Sanctum Officium entspricht in vielen Fällen nicht mehr unserer Zeit, gereicht der Kirche zum Schaden und den Nicht-Katholiken zum Ärgernis. Die Aufgabe derer, die viele Jahre im heiligen Officium zum Schatz der geoffenbarten Wahrheit arbeiten, ist sehr schwer und dornenreich, doch auch bei dieser Behörde darf keiner wegen Glaubensfragen Angeklagter verurteilt oder gerichtet werden, ohne daß zuvor er oder sein Ordinarius (Bischof) gehört wurden; ohne daß er die Gründe kennt, die gegen ihn und seine Schriften angeführt werden; ohne daß ihm zuvor Gelegenheit gegeben wurde, sich zu verbessern.« 58 Der Kardinal forderte darüber hinaus für alle römischen Kongregationen die Trennung von Verwaltung und Jurisdiktion und stellte fest, dass die Anzahl der in der Kurie residierenden Bischöfe zu reduzieren sei. Das Vgl. zur Diskussion über Unamität Schatz 1993, S. 173ff., zur Abreise der Minorität Schatz 1994, S. 152ff. und zu dem mit dem Ersten Vatikanum einhergehenden Schisma (Altkatholiken) ebd., S. 251ff. 57 »In der Generalkongregation vom 8. November ergreift Kardinal Frings das Wort nicht nur, um die Methoden der römischen Kurie zu kritisieren, sondern auch, um im Zusammenhang mit der Kollegialität zu bekräftigen, daß eine Kommission kein neues Urteil über ein Schema fällen könne, das bereits in der Aula diskutiert wurde. Eine Kommission könne nicht den Willen der Konzilsväter interpretieren, denn sie sei nur das Instrument der Generalkongregation. Worauf Kardinal Ottaviani in einer heftigen Antwort erwidert, daß die Glaubenskommission nicht an das Votum vom 30. Oktober gebunden sei und die fünf Fragen, die von den Moderatoren ausgearbeitet wurden, seiner Kommission zur Überprüfung hätten vorgelegt werden müssen.« Soetens 2002, S. 356. 58 Zitiert nach Pesch 2001, S. 98. 56
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Bischofsamt sei eben kein Ehrenposten und dasselbe gelte für die Priester: »Viele kuriale Aufgaben könnten ebenso von Laien ausgefüllt werden«.59 Die improvisierte Reaktion Ottavianis auf die Angriffe auf seine Person und die von ihm vertretene Institution verlief »unter dem Eindruck heftiger emotionaler Beteiligung und sogar mit Schluchzen in der Stimme«. Die Emotionen blieben nicht in der Aula, sondern fanden ihren Reflex in einer Reihe von Tagebüchern, die der Historiker ausgewertet hat: Ottaviani habe an Prestige verloren, so jemand könne nicht Vorsitzender der Theologischen Kommission sein. Man zeigte sich schockiert von der Autoritätsanmaßung in der Erwiderung Ottavianis, bei der er den Papst und Heiliges Offizium in eins setze.60 Aber: »Ottaviani wird letztlich jedesmal geschlagen, immer nach hartem ermüdenden Kampf.« Die spontane Reaktion Kardinal Suenens auf das Gerücht, dass prominente Minderheitsvertreter das Konzil protestierend verlassen wollten, sei gewesen: »Um so besser wenn sie gingen«. In einem zeitgleichen Memorandum, das an den Papst gerichtet war, wurde vermutet: »Wir sagen sogar, daß eine wachsende Zahl von Konzilsvätern den Eindruck hat, daß der Vorsitzende der Theologischen Kommission das Konzil aufheben würde, wenn das in seiner Macht läge.« 61 Diese Konfrontation bekam ihr Presseecho wohl auch, weil sie dort wegen ihres emotionalen Gehalts dramatisch inszeniert werden konnte. Dennoch war sie auch eine perfekte Illustration der Divergenzen zwischen Mehrheit und Minderheit in Bezug auf die Kollegialität und die Beziehung zwischen Bischöfen, Papst und römischen Kongregationen. Die Medienresonanz resultiert aus dem Interesse an biografischer Individualisierbarkeit von Konflikten, welche mit der günstigen Gelegenheit für Weltstarrollenbildung im Kontext eines Weltereignisses korrespondiert und deren Effekt eine Identifikation des Weltpublikums mit den ›Heldenmythen‹ ist. Das innerkonziliare Ergebnis war, dass noch am Abend der Debatte der Papst Kardinal Frings bat, Vorschläge für die notwendige Strukturreform des Hl. Offiziums auszuarbeiten, bei deren Abfassung der spätere Vorsitzende der Kongregation für die Glaubenslehre – seiner Nachfolgeorganisation –, Kardinal Ratzinger maßgeblich beteiligt sein wird. Die Funktion dieser skandalisierbaren Auseinandersetzung der Kardinäle innerhalb der Aula war nicht zuletzt, im Zentrum des Interaktionszusammenhangs des »Weltereignisses Konzil« Organisationsfragen problematisierend Famerée 2002, S. 151. Galli/Moosbrugger 1964, S. 104 bringen den folgenden Ausschnitt aus der Replik Ottavianis: »Mit höchstem Nachdruck müssen die Vorwürfe zurückgewiesen werden, die ein Vorredner gegen die höchste römische Kongregation (des Hl. Offiziums), deren Präsident der Papst selber ist, erhoben hat. Nur aus Unkenntnis (um nicht mehr zu sagen) können solche Vorwürfe vorgebracht werden. Die Beschlüsse und Urteile dieser kurialen Behörde werden nur auf Grund von Gutachten erster Fachleute aus dem Ausland und bedeutenden Professoren der römischen Universitäten und erst in letzter Verantwortung von der Kongregation getroffen und vom Papst selbst bestätigt.« 61 Zitiert nach Soetens 2002, S. 354. 59 60
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kommunikabel zu machen und auf diese Weise das Verhältnis von Konzil und Kurie zu klären. Dessen Hauptproblematik lag einerseits in der Parallelstruktur von Konzilskommissionen und römischen Kongregationen, bestand jedoch vor allem darin, dass die Vorsitzenden der Kommissionen zugleich Leiter der Dikasterien waren. Nun war das Anliegen, diese Konzilskommissionen zu reformieren, formulierbar. Wie diesem Wunsch entsprochen wird, ist sehr aufschlussreich für die Stilistik des römischen Konfliktmanagements: »Die Operation ›Kommissionsreform‹ war entsprechend den römischen Usancen ausgeführt worden, d.h. ohne jemanden aus einer Position zu entfernen, sondern im Gegenteil durch eine Vermehrung der beteiligten Personen.« 62 Indem durch Ergänzungswahlen und weitere Ernennungen Interaktionsspielräume in den Kommissionen erweitert werden, können sich Themenschwerpunkte harmonischer verschieben, ohne dass durch harte Exklusionsmaßnahmen ›Gegner‹ in Dissidentenrollen exponiert werden, wodurch der Konflikt nur auf andere Ebenen verlagert würde. So zeigt der weitere Verlauf des Konzils, dass gerade dieses passierte: Wenn auch der tatsächliche Einfluss der Minorität, wie sich in den Abstimmungen gezeigt habe, weit geringer war, als man von ihren Interventionen her angenommen hatte, sei sie doch sowohl innerhalb wie außerhalb des Konzils sehr aktiv gewesen. Auf beträchtliche Unterstützung aus den Reihen der römischen Kurie zählend, habe sie leichten Zugang zum Papst gehabt, auf den sie großen Druck ausüben konnte. Vielleicht war die Majorität zu naiv und in gewissem Sinne »lustlos« gewesen und habe nach der geschilderten Auseinandersetzung zu Beginn der dritten Sitzungsperiode zu geglaubt, dass »das Spiel schon gelaufen und zu ihren Gunsten entschieden war. Sie sah daher keine Notwendigkeit für irgendeine Art organisierter Strategie, wie sie der Coetus Internationalis Patrum betrieb. Im Vertrauen auf die Arbeit der Kommissionen war sie zufrieden mit der Beschleunigung der Debatten, in denen ihre Protagonisten oft entweder merkwürdig schweigsam oder aber nur selektiv wahrnehmbar waren. Zumindest in den ersten Wochen der dritten Sitzungsperiode, als die entscheidenden Abstimmungen über das Schema De Ecclesia stattfanden, waren die Reden allgemein nicht von hoher Qualität, die Debatten verliefen aus Mangel an Rednern im Sand und die Konzilsversammlung zeigte kein großes Interesse; die Beobachter waren empört darüber, daß sich die Konzilsaula, kaum daß die Kaffeebars geöffnet hatten, zur Hälfte leerte.« 63 Die andere hier zu schildernde Gegebenheit hat ihren Zeitpunkt gegen Ende der dritten Sitzungsperiode, als das fortgeschrittene Konzil neben der Liturgiekonstitution und dem Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel immer noch keine weiteren Ergebnisse in Form von verabschiedeten Dokumenten vorzuweisen hatte. Unter dem Begriff »schwarze Woche« sind verschiedene Dyna-
62 63
Ebd., S. 360. Komonchak 2006, S. 5.
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miken zu einem »Ereignis innerhalb des Ereignisses« des Konzils verdichtet. 64 Das, was die Mehrheit der Konzilsväter besonders irritierte, betraf die soziale Dimension, denn es trat offensichtlich der Papst, ohne selbst direkt anwesend zu sein, als weiterer Akteur im Zentrum des Interaktionszusammenhangs in der Aula auf. Mit dem dann folgenden, nicht von der Geschäftsordnung des Konzils gedeckten, autoritativen Verhalten der Kirchenleitung und dem damit bewusst einkalkulierten Konflikt erweitert sich die allgemeine Konfliktkonstellation des Konzils von einer Zweierformation Mehrheit/Minderheit oder Konzil/Kurie zu einer Dreierstruktur von Papst, Kurie und Konzil. Dies geschah thematisch, als es um die Kernfrage des Konzils, nämlich um die Ergänzung der Ergebnisse des Ersten Vatikanums und dessen Begriff vom päpstlichen Primat ging. Durch eine neue Lehre des Bischofsamtes sollte die ultramontan-hierarchische Ekklesiologie durch die Integration einer erneuerten ›Communio‹-Theologie abgelöst oder zumindest komplementär ergänzt werden. Die »schwarze Woche« beschreibt als Konglomerat ein zeitliches Zusammenfallen von vier einseitig getroffenen sensiblen Entscheidungen: Da war zunächst der Aufschub der von vielen dringend erwarteten Abstimmung über die Erklärung zur Religionsfreiheit in die nächste Sitzungsperiode im Folgejahr. Darauf folgte die unerwartete Präsentation der Nota explicativa praevia, einer amtlich verbindlichen Interpretationshilfe für das heikle Kollegialitätsthema der Kirchenkonstitution, der sich einer Einfügung von 19 Modi in den endgültigen Text des Ökumenismus-Dekrets anschloss, ohne dass eine Möglichkeit einer weiteren Diskussion gegeben wurde. Schließlich überraschte die unerwartete Proklamation des marianischen Titels der Mater Ecclesiae durch den Papst während der Abschlussfeierlichkeiten der Sitzungsperiode. Alle vier Aspekte hatten in der Versammlung den Effekt großer Frustration, das Gefühl der Begeisterung wich bei den Beteiligten einer Atmosphäre der Verdächtigung und des Misstrauens, und erst aus der Distanz des Historikers kann wohl die Komplexität der Faktoren, die zur »schwarzen Woche« geführt haben, heute viel stärker gewürdigt werden. In einer Reihe von Mitteilungen des Generalsekretärs des Konzils, Erzbischof Felicis, zu Beginn der Generalkongregation am 16.11.1964 kündigte dieser unter anderem jene Nota explicativa praevia an, die, bewusst verklausuliert ausgedrückt, »von einer höheren Autorität«, also dem Papst, vorgelegt sei und dem »Vom 14. November bis zum feierlichen Abschluß der dritten Sitzungsperiode am 21. November 1964 sorgten einige Zwischenfälle für eine Menge Verwirrung in der Konzilsversammlung. Aufgrund der Erschütterung, die man in dieser Woche durchmachte, wurde sie seither als ›la settimana ner‹, ›la semaine noire‹, also die ›schwarze Woche‹, bezeichnet. Der Ausdruck stammt vermutlich von Bekkers, dem Bischof von Herogenbusch in den Niederlanden; er sprach von einer ›sombre semaine‹, also einer ›dunklen Woche‹. Giovanni Caprile SJ berichtete über diese Reaktion Bekkers`und machte dabei aus der ›sombre semaine‹ die ›settimana nera‹. Xavier Rynne seinerseits kommentierte die Spannungen, die am 19. November ihren Höhepunkt erreichten, und nannte diesen Tag den ›schwarzen Donnerstag‹.« Tagle 2006, S. 449. 64
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dritten Kapitel von De Ecclesia vorangestellt werde. »Entscheidend ist, daß, obwohl Felici davon als von einem unmittelbar mitgeteilten (›communicatur‹) Akt sprach, in Wirklichkeit niemand, auch kein Mitglied der höchsten Gremien des Konzils, davon wußte.« 65 In seinem zeitgenössischen Kommentar zu diesem Text stellt Ratzinger die Intention der Aktion des Papstes heraus, benennt aber auch die damit verbundenen Irritationen, wenn er schreibt: Rückschauend »wird man feststellen können, daß damit nicht nur die weiter angespannte Auslegung der Kollegialitätsidee eindämmt werden sollte, sondern daß die Geste sich ebenso an die Adresse der kollegialitätsfeindlichen Minderheit richtete, die im Lichte der Nota das Gegenstandslose ihrer Opposition erkennen und sich zu Zustimmung zum Text ermutigt fühlen sollte, was in der Tat erreicht wurde. [...] Ob dieser Erfolg zu teuer erkauft worden ist durch eine zu starke Abschwächung der Lehre, wird erst die zukünftige Entfaltung und Entwicklung des in der Konstitution Angelegten zeigen können.« 66 Als drei Tage später Kardinal Tisserant in seiner außergewöhnlichen Initiative und ohne sich mit den Moderatoren zu verständigen mitteilte, dass der Präsidialrat des Konzils aufgrund der Einwände einiger Konzilsväter beschlossen habe, dass nach der Verlesung der Relatio, mit der das Schema zur Religionsfreiheit in der Aula vorgestellt wurde, keine Abstimmung stattfinden solle, war die Reaktion der Väter heftig und emotional. Dies äußerte sich nicht zuletzt darin, dass die Relatio, welche von Emil Joseph de Smendt gehalten wurde, achtmal von starkem Applaus unterbrochen und am Schluss mit anhaltenden Ovationen, dem längsten Beifall des Konzils überhaupt, bedacht wurde. 67 Umgehend wurden in der Konzilsaula fünf Anlaufstellen eingerichtet, wo die Konzilsväter eine Bittschrift an den Papst unterzeichnen konnten, in der gefordert wurde, dass die Abstimmung am nächsten Tag doch stattfinden sollte. 456 Konzilsväter sandten Protestbriefe an den Papst, so auch der Relator der Erklärung selbst: »Ich fürchte, daß die Erklärung über die ›Religionsfreiheit‹ während der vierten Sitzungsperiode ähnlichen Sabotageakten ausgesetzt sein wird, wie bereits während dreier Sitzungsperioden hintereinander. Wie die meisten Bischöfe verlasse ich Rom zutiefst traurig und angewidert wegen der kaum zulässigen Methoden, deren sich bestimmte einflußreiche Mitglieder der Minderheit unentwegt bedienen und die auf der Ehre und dem Ansehen der heiligen Kirche äußerst schwer lasten.« 68 Aufgebracht von kontinuierlichen Versuchen, durch ständiges Aufwerfen von Verfahrens- und dogmatischen Fragen die Lehraussagen über den Episkopat und die Kollegialität zu verhindern, betraf aus Sicht der Majorität der eigentliche Konflikt nicht die Feststellung der Notwendigkeit, das Schema zu überarbeiten, Ebd., S. 453. Ratzinger 1966a, S. 349. 67 Vgl. Tagle 2006, S. 456.467. 68 Zitiert nach ebd., S. 468. 65 66
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sondern die Frage, wer es überarbeiten sollte. Der Papst selbst sympathiesierte persönlich mit den Petenten und versicherte dann in der Abschlussansprache zur dritten Periode den Fortgang der Behandlung dieses wichtigen Themas: »Die hierüber geführten Diskussionen werden wir auf der letzten Session des Konzils fortsetzen, wenn das Schema ›Über die Religionsfreiheit‹, das aus Zeitmangel vor dem Abschluss dieser Session nicht mehr durchberaten werden konnte, wie auch das andere Schema ›Die Kirche in der Welt dieser Zeit‹ – das das Konzil bereits beschäftigt hat, das aber in dieser Session nur kurz behandelt worden ist – auf der nächsten und letzten Session nach allen Seiten hin dargelegt sein wird.« 69 Als über die Verschiebung der Abstimmungen über den Text zur Religionsfreiheit informiert wurde, wurden auch eine Reihe von Textveränderungen zum Schema De oecumenismo mitgeteilt, die der Papst vorgenommen hatte. Zwei Tage vor der angesetzten Abstimmung darüber war klar, dass diese nicht mehr wie verfahrensüblich diskutiert werden könnten und wohl auch nicht sollten. Die Hektik dieser Woche kommt in der Berichterstattung zum Ausdruck, welche unter dem Pseudonym Xavier Rynne erscheint: »In der Druckerei des Vatikans, wo am Donnerstagabend das Dekret über den Ökumenismus gedruckt wurde, wurden plötzlich gegen 21 Uhr die Maschinen angehalten. Einige Angehörige von Kardinal Beas Sekretariat kamen eilig herbei; danach wurde der Druck fortgesetzt. Augenscheinlich herrschte einige Ungewißheit, ob das Dekret am Samstag verkündet würde. Das Titelblatt trug nicht die üblichen Worte: ›Zur Vorlage in der öffentlichen Sitzung am 21. November.‹ Anscheinend versuchten einige deutsche Bischöfe, das Dekret bis zur Vierten Sitzungsperiode aufzuschieben in der Hoffnung, daß es dann von seinen Entstellungen befreit werden könnte.« 70 In der Abschlusssitzung der dritten Konzilsperiode, zwei Tage später, proklamierte der Papst zudem zur völligen Überraschung der meisten Väter den neuen marianischen Titel »Mutter der Kirche«. Diese Aktion war umso überraschender, als es hinlänglich bekannt war, dass es die Kommission für die Glaubenslehre aus dogmatischen, pastoralen und ökumenischen Gründen abgelehnt hatte, diesen Titel in die Kirchenkonstitution Lumen gentium aufzunehmen. Die päpstliche Initiative war zwar keine offizielle Handlung des Konzils, dennoch fand sie in seinem Kontext statt und hatte paradoxe Wirkungen: »Angesichts der Spannungen der letzten Woche der dritten Sitzungsperiode wurde diese päpstliche Initiative von nicht wenigen Konzilsvätern und Beobachtern in gewissem Sinne als ›gegen‹ das Konzil gerichteter Akt betrachtet. Doch die Verkündigung wurde – zur Verwirrung einiger Konzilsväter und Beobachter – mit donnerndem Applaus, mit Tränen und allerlei Gefühlsausbrüchen erwidert.« 71
Zitiert nach Hünermann/Hilberath 2006, S. 538. Rynne 1965, S. 309. 71 Tagle 2006, S. 460. 69 70
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Zusammenfassend kann man davon ausgehen, dass die Minderheit jede sich bietende Lücke im Verfahren ausgenutzt hat und ihren Zeitplan während der gesamten dritten Sitzungsperiode unaufhaltsam verfolgen konnte: Die »schwarze Woche« habe dabei den Höhepunkt ihrer kontinierlichen Arbeit gebildet, mit der sie das zögerlich-ängstliche Temperament Pauls VI. geschickt für ihre Ziele ausnutzen vermochte. Aufschlussreich sei diese Zeit auch für die Nachlässigkeit der Mehrheit gewesen, die, wenn sie sich einmal durchgesetzt hatte, sich gern nach wie dem Sieg in einem entscheidenden Kampf ausruhte, aber nicht wachsam genug gewesen sei, »die Rückkehr des Gegner zu bemerken«. Die Ereignisse der »schwarzen Woche« habe die Mehrheit in einem Moment der Unachtsamkeit ereilt und divergierende Positionen in den eigenen Reihen offenbart. Schließlich rückte die »schwarze Woche« den Papst selbst in das Zentrum der Kritik.72 6.4 Stelle Schließlich kommt bei all der Konfliktdynamik auch die Papstrolle als zentrale Stelle des Konzils neu in den Blick und dies ist nicht zuletzt deswegen interessant, weil das Konzil an dieser Stelle auch einen Personalwechsel verkraften musste. Noch während der ersten intersessio starb Johannes XXIII.; das Konzil wurde für die Zeit des Konklaves ausgesetzt und anschließend aufgrund der Entscheidung des neuen Papstes Paul VI. fortgeführt. Der Personalwechsel macht es möglich, wenn man von den biographisch-psychischen Unterschieden beider Persönlichkeiten absieht, 73 auch das divergierende Amtsverständnis und unterschiedliche Rolleninterpretationen mit Bezug auf das Konzil näher zu untersuchen. Dabei werden vor allem die unterschiedlichen päpstlichen Funktionswahrnehmungen in Abhängigkeit der jeweiligen historischen Gegebenheiten in den Blick genommen. Ein vordergründiges, auf Sympathie abstellendes wechselsei»Sein Charakter, seine Gewissenhaftigkeit und der von ihm bevorzugte Stil, Dinge in Angriff zu nehmen, trugen zu den Unwägbarkeiten der Woche bei. Ihm war vorgeworfen worden, die Minderheit zu bevorzugen. Dieses Urteil stellt jedoch nicht die ganze Wahrheit dar, wie Belege aus jüngerer Zeit gezeigt haben. Sein Pragmatismus sagte ihm, daß er bei der Umsetzung der Konzilsbeschlüsse auf die Kurie angewiesen war. Deshalb müsse man ihre Zustimmung zu den Konzilsbeschlüssen erreichen. Seine Interventionen wurden manchmal als Verteidigung seiner päpstlichen Privilegien angesehen. Er war jedoch der Meinung, daß er als Papst wie jeder andere Bischof auch das Recht habe, am Konzil teilzunehmen. Sein feinfühliges Gewissen forderte von ihm, daß er allem, was das Konzil promulgiere, seine persönliche Zustimmung müsse geben können. Ob zu Recht oder zu Unrecht glaubte er ernsthaft, daß er viele Positionen der Mehrheit teile und daß diese hinter ihm stehe. Seine Interventionen sah er nicht als Torpedierung der Mehrheit an, sondern als eine Möglichkeit, eine breitere Zustimmung von seiten der Konzilsväter zu erreichen. Seine Strategie war in sich stimmig: Sei auf die größtmögliche Zustimmung der Konzilsväter bedacht, halte dich an die Regel der aufeinanderfolgenden Schritte, höre dir alle Meinungen an, besonders die der Opposition, reagiere auf alle Schwierigkeiten, die eine Zustimmung behindern könnten.« Ebd., S. 527f. 73 Vgl. stellvertretend für diverse Papstbiographien Schwaiger 1999, S. 310ff. 72
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tiges Ausspielen beider Konzilspäpste, wie dies häufig der Fall ist, ist aus soziologischer Perspektive nicht angesagt: So ist vorweg für den Vergleich festzuhalten, dass mit der ›kreativen Öffnungsfunktion‹ durch Johannes XXIII. die nicht zu vernachlässigende ›Schließungsleistung‹ Pauls VI. korrespondiert. Erst der Zusammenhang beider Dimensionen verschafft dem Konzil eine eigene und vielfach anschlussfähige Entität als Weltereignis. Mit der (Er-)Öffnungsfunktion Johannes‘ XXIII. geht ein durchaus paradoxes Verhalten einher: Als Initiator des Konzils wirkt er in Interaktionssituationen dynamisch-visionär (z.B. Eröffnungsrede), als bürokratischer Letztentscheider in vielen organisatorischen Fragen aber eher retardierend (Latein als Konzilssprache, Approbation der Vorbereitungsschemata). Wenn man hier jedoch eine Mehrebenenorientierung unterstellt, löst sich diese Paradoxie zu einer Doppelstrategie in Form eines Vollinklusionsprogramms auf, ›alle mitzunehmen‹. Es zeigt sich der päpstliche Respekt vor der kollegialen historischen Institution des Entscheidungsmechanismusses Konzil, dem er als legitimationserzeugendem Verfahren und Instrument zur Wahrheitsgenerierung viel zutraut. Illustriert werden kann dies mit einer Bemerkung von Congar, die er noch während der Vorbereitungszeit notiert: »Man hatte den Eindruck – bestätigt von den Leuten, die aus Rom kamen und den letzten Klatsch dieses armseligen Hofes berichteten –, daß in Rom eine ganze Mannschaft damit beschäftigt war, das Projekt des Papstes zu sabotieren. Man fügte auch hinzu, daß der Papst sich darüber vollkommen im klaren war«. 74 Wie unzufrieden der Papst selbst mit der inhaltlichen Vorbereitung des Konzils war, beschreibt sein im Kontext der Debatte über das Offenbarungsschema De fontibus vorgenommener Tagebucheintrag vom 14. November 1962: »Es ist vorherzusehen, daß es einige Auseinandersetzungen geben wird. Einerseits hat man bei der Abfassung (des vorbereiteten Schemas) den genauen Absichtserklärungen des Papstes in seinen offiziellen Reden nicht Rechnung getragen. Andererseits haben nicht weniger als acht Kardinäle, die sich auf diese Reden stützten, dem Hauptpunkt der Vorlage allen Wert abgesprochen. Der Herr möge uns beistehen und uns wieder einig werden lassen.« 75 Die Rolle, die Johannes XXIII. einnimmt, ist die einer Mosesfigur, welche das anvertraute Volk bis an die Grenze des verheißenen Landes führt, ohne es selbst zu betreten. Denn in der kurzen Phase seiner Konzilsleitung kam es zwar zur Entscheidung über die Ablehnung und Zurückweisung der Vorbereitung, darüber hinaus aber zu keiner positiven Entscheidung im Sinne eines konkreten Konzilsergebnisses: alles blieb offen. Nachhaltig beeinflusst hat Johannes das Konzil weniger direkt als vielmehr indirekt durch seine allgemeine Lehre, die er teilweise parallel zum Konzil verkündete und auf die sich die Väter beziehen konnten. Neben den AnZitiert nach Alberigo 1997a, S. 48. Zitiert nach Ruggieri 2000, S. 300f. Auch die Vertreter der Minderheit sorgen sich. Kardinal Siris Tagebuch beschreibt die Gefahr eines Sieges der »Häresie«. 74 75
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sprachen in der konkreten Interaktion nutzte der Papst als Instrument die Form der Enzyklika. Vor allem Pacem in terris zeigt seine Wirkung: »Diese Enzyklika trägt dazu bei, den Stil der kirchlichen ›Soziallehre‹ zu erneuern und ihre Horizonte auf der internationalen Ebene auszuweiten.« 76 Während des Konklaves – und der damit einhergehenden Unterbrechung des Konzils – scheint Kontinuität ein Thema gewesen zu sein. So sei die normale Fortsetzung der wichtigste Punkt gewesen, der im Konklave auf dem Spiel gestanden habe zwischen der »Konzilspartei« einerseits, der unter anderem die Kardinäle der Peripherie angehörten, und den Konservativen andererseits, welche ein Pontifikat angestrebt hätten, das »die Seite umschlagen« und sich anderen Themen zuwenden würde. Mit der Wahl Kardinal Montinis zum Papst sei ein Kompromiss erzielt worden, indem man sich mit dieser Person für mehr strukturelle Modernisierung als tiefgreifende Reformen entschieden habe: »Die positive Seite der Wahl von Montini besteht natürlich in der intellektuellen Offenheit des neuen Papstes gegenüber den großen Bewegungen der liturgischen, ökumenischen und theologischen Erneuerung [...] Ein weiterer ›konstruktiver‹ Einfluß dieses Konklaves auf den späteren Ablauf der Konzilsversammlungen bestand in der Reorganisation der strategischen Ordnung, die Paul VI. noch vor dem Ende der Zwischensession unternimmt.« 77 Im Verhältnis des Konklaves zum Konzil ist auffällig, dass der Wechsel im Pontifikat, der traditionellerweise immer Ursache beträchtlicher Diskontinuitäten ist, das konziliare Klima nicht zerstört habe: Es »ist vielmehr das Konzilsereignis, das offensichtlich das Konklave beeinflußt.« 78 Es wird davon berichtet, dass bereits Johannes XXIII. dem Mailänder Kardinal Zeichen besonderer Wertschätzung zukommen ließ, die im Umfeld des päpstlichen Hofes als Quasidesignierung verstanden worden seien. Beispielsweise sei der Kardinal während der Konzilsarbeit im Vatikan untergebracht gewesen und stand zu herausragenden Ereignissen der Liturgie vor.79 Doch bei aller Kontinuität ändert sich mit dem Personal Stil und Atmosphäre des Konzils, was als spürbare Versachlichung registriert wird und Congar mit dem Wandel vom »Lichtkonzil Johannes XXIII.« zum »Dialogkonzil Pauls VI.« beschreibt. Das Verständnis Pauls VI. vom Papstamt und seinen Funktionen ist ein anderes als das Johannes‘ XXIII.: In Bezug auf die Kurie erklärt Paul VI. – selbst lange Mitglied der Kurie – zwar, dass auch die residierenden Bischöfe einen aktiven und ständigen Anteil an der Arbeit der Kongregationen haben müssten, doch habe er auch Verständnis dafür, dass »die Kurie ›bisweilen ihr Befremden Grootaers 2000, S. 599. Vgl. ebd., S. 604: »Konzil und Konklave sind zwei Einrichtungen der Konsensfindung, die trotz wesentlicher Unterschiede dennoch zahlreiche vergleichbare Aspekte aufweisen. Sie sind insofern vergleichbar, als sie privilegierte Momente der Meinungsfreiheit und Kollegialität inmitten starrer und monarchischer Strukturen darstellen.« 78 Alberigo 2000, S. 693. 79 Melloni 2002, S. 1. 76 77
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und ihre Sorge hat durchblicken lassen‹: aber er fordert für die Zukunft Übereinstimmung in den Anschauungen und ›geistige Konformität mit dem, was der Papst gebietet oder wünscht.‹« 80 Beim Konzil entstandene ›kollegiale‹ Vorstellungen über eine Kurienreform und die Kontinuierung des Konzils als einem ständigen Rat des Papstes begegnet dieser dadurch, dass er beide Themen, weil sie »Instrumente des Primats« seien, von der Tagesordnung nimmt und diese dann in Eigenregie in Form der Bischofssynode ein- und als Kurienreform durchführt.81 Von seinem Selbstverständnis her versteht sich Paul VI. durchaus der Konzilsmajorität zugehörig, wie die folgende Situation nach der Probeabstimmung über Orientierungsfragen zeigt: »Als der Papst die Moderatoren empfängt und dabei sagt ›Wir haben gesiegt!‹, ist das nicht eine bloße Rede im pluralis Maiestatis. Der Gedanke vom Sommer, die Blockade des Konzils zu brechen, indem man ihm zur Bildung einer Mehrheit verhilft [...] hat sich [...] als überzeugend siegreich erwiesen«. 82 Und gerade bei der Ausübung seiner Funktion als Promulgator getroffener Konzilsentscheidungen – erstmals bei der Liturgiekonstitution und dem Mediendekret – zeigt sich seine Sensibilität für das von der Mehrheit verfochtene Kollegialitätsthema, indem er dafür nach eingehenden Studien eine ausgewogene Formulierung findet:83 »Im Namen der Allerheiligsten und Ungeteilten Dreifaltigkeit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Beschlüsse, die soeben vor diesem rechtmäßig versammelten Heiligen und Allgemeinen Zweiten Vatikanischen Konzil verlesen worden sind, haben die Zustimmung der Väter gefunden. Und Wir, kraft der von Uns übertragenen Apostolischen Vollmacht, billigen, beschließen und verordnen sie zusammen mit den ehrwürdigen Vätern im Heiligen Geiste und gebieten zur Ehre Gottes die Veröffentlichung dessen, was durch das Konzil verordnet ist.« 84 Mit dem Wechsel von Johannes XXIII. zu Paul VI. verschieben sich auch die interaktiven Konzilskoordinaten. So habe sich das Gewicht der Ratschläge Beas und Suenens vermindert und Ottaviani sei nicht mehr »der erste Carabiniere« der Rechtgläubigkeit. Im Gegensatz dazu habe der theologische Berater Ebd., S. 16. Vgl. zur gegenwärtigen Situation der Organisation der Zentrale der katholischen Kirche die interessante Studie Reese 2002. 82 Melloni 2002, S. 125. 83 Historische »Studien des Benediktiners C. Vagaggini zeigten, daß die Formeln in der Tat im Laufe der Zeit aufgrund historischer, theologischer und juristischer Faktoren variierten: eine jede verfolgte ein spezifisches Interesse.« Soetens 2002, S. 378. 84 Zitiert nach Kaczynski 2002, S. 257: »Während der Öffentlichen Sitzung am Mittwoch, dem 4.12.1963, am 400. Jahrestag des Konzils von Trient, stimmten 2147 Väter mit placet, 4 mit non placet über die Constitutio de sacra Liturgia ab. Nach Bekanntgabe dieses Ergebnisses, das mit großem Beifall aufgenommen wurde, sprach der Papst die Approbationsformel, in der er deutlich zum Ausdruck brachte, daß er dabei zusammen mit den Vätern (una cum... Patribus) tätig werde und es sich bei den Beschlüssen, die er bestätige, um konziliare, also synodal gefaßte handle«. 80 81
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Pauls VI., Carlo Colombo, und hätten vor allem die Kardinäle Döpfner und Ruffini sowie der Jesuit Bertrams an Einfluss gewonnen. 85 Die größte Koordinatenverschiebung vollzieht der Papst aber in seiner Amtsausübung selbst, indem er nicht mehr so distanziert wie sein Vorgänger dem Konzil »freien Lauf« ließ, sondern statt dessen aktiv (harmonisierend, vermittelnd, kontrollierend, zeitlich drängend) seine Person in die Interaktion einbrachte. Dabei riskierte Paul VI. bewusst, ›zwischen die Fronten zu geraten‹, wenn er seinem Amtsverständnis, als Papst persönlich für alles letztverantwortlich zu sein, folgte.86 So konzentrierten sich die Kräfte der Minderheit systematisch darauf, neben der Arbeit in der Aula vor allem Druck auf den Papst auszuüben. Dabei wurde auch vor Drohungen und (bisweilen vorlauten) Vorschlägen nicht Halt gemacht, wie beispielsweise in dem folgenden von Larraona verfassten Minderheitsvotum von 18.10.1964: »Um alles Unvorhergesehene zu vermeiden, was es dem Heiligen Vater erschweren könnte, seine höchste Freiheit beim Treffen einer Entscheidung von solcher Wichtigkeit auszuüben, wäre es unserer Ansicht nach opportun, ja sogar notwendig, daß diese in autoritativer Weise und direkt vom Heiligen Vater selbst getroffen wird, ohne zuvor die Meinung des Konzils zu erfragen und daher ohne Rücksicht auf Abstimmungen. Eine solche autoritative Intervention – von vielen erhofft – wäre über die praktisch erneute Bestätigung des Primats hinaus auch heilsam im Hinblick auf eine schnellere Wiederherstellung des für den Fortgang der Dinge notwendigen Gleichgewichts und würde allen helfen, sich wirklich Rechenschaft zu geben bezüglich der Komplexität und der Schwere der zur Diskussion stehenden Fragen.« 87 Der Papst antwortete: »Die ›persönliche Note‹ zum Konzilsschema ›De Ecclesia‹ hat bei uns, wie Sie sich gut vorstellen können, Überraschung und Verwirrung ausgelöst: wegen der Anzahl und Würde der Unterzeichner; wegen der Schwere der gegen die Lehren des Schemas selbst erhoVgl. Alberigo 2002, S. 575. »Paul VI., der in der zweiten Sitzungsperiode gewöhnlich zur Konzilsmehrheit gehalten hatte, wie er es übrigens auch 1962 als Konzilsvater schon getan hatte, scheint in dieser dritten Sitzungsperiode eher seine Rolle als Moderator und Vermittler zwischen den Mitgliedern der Versammlung zu betonen. [...] Andererseits vermindert Paul VI. – mittels eines besonders engen Kontaktes mit Konzilssekretär Felici und außerdem mit Kardinalstaatssekretär Cicognani – den Abstand zur Kurie, und so verhindert er, daß diese sich direkt mit der Konzilsminderheit solidarisiert. [...] In den alltäglichen Beziehungen zwischen Papst und Konzil sind die Petitionen, die einzelne Gruppen von Bischöfen an Paul VI. richteten, von zunehmender Bedeutung. Der Papst reagiert darauf oft damit, daß er sich lieber schon während der redaktionellen Bearbeitung der Texte durch die Kommissionen und Subkommissionen einschaltet, statt erst in der darauf folgenden Phase der Debatte in der Aula. Dadurch vermied er es, daß verspätete Eingriffe traumatisch erlebt wurden – wie bei dem Eingriff, der zur Nota explicativa praevia geführt hatte, oder bei dem Eingriff in das Schema über die Missionen. Dieses Vorgehen forderte aber auch eine äußerst diskrete, wenn nicht gar geheime Art des Eingreifens. Dies hatte negative Rückwirkungen auf die Harmonie im Verhältnis zwischen der Versammlung und dem Papst, da es Verständigungsschwierigkeiten und Verdächtigungen nährte. Darunter litt die ruhig-gelassene Stimmung und die Versammlungsdynamik.« Alberigo 2006, S. 746ff. 87 Zitiert nach Komonchak 2006, S. 80. 85 86
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Das Zweite Vatikanische Konzil
benen Einsprüche, und zwar mit radikal gegenteiligen und, nach unserer privaten Meinung, von strittigen Argumenten getragenen Behauptungen, wegen des Augenblicks, in dem die ›Note‹ uns erreichte, nämlich in der Nacht, unmittelbar vor der Eröffnung der dritten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils, als es nicht mehr möglich war, das Schema einer erneuten Prüfung zu unterziehen; wegen der leicht vorhersehbaren sehr schweren und unheilvollen Auswirkungen auf den Ausgang des Konzils, und damit auf die Kirche als ganze, auf die römische insbesondere, für den Fall, daß die Vorschläge, die uns in dieser ›Note‹ gemacht wurden, umgesetzt würden.« 88 So wie der Papst zunehmend unter Druck gerät, nutzt er an anderer Stelle seinen Gestaltungsspielraum und etabliert innovativ als neues Instrument von Kirchenleitung das Modell der Pastoralreise und stellt dies bewusst in den Dienst des Konzils: Als dessen Botschafter tritt er in seinen Unterbrechungszeiten und noch während der letzten Sitzungsperiode drei Reisen an, von denen jede einem thematischen Schwerpunkt folgt. Dem religiösen Thema innerchristlicher Ökumene war die Reise nach Jerusalem gewidmet, 89 innerkatholisch wurde die weltkirchliche Dimension mit dem Besuch des Eucharistischen Kongress in
Zitiert nach ebd., S. 81. »Der begeisterte Empfang der Massen in Jerusalem und Nazareth, die zum guten Teil aus Muslimen bestanden, konnte den Papst, der sich sehr beeindruckt davon zeigte, in dieser Hinsicht nur in seinen Absichten bestärken. Was das Judentum betraf, so sah der Papst es in seinem religiösen Charakter und unter biblischen Blickwinkel: auf dieser Ebene suchte er die Öffnung nicht auf der Ebene des israelischen Staates. Die Treffen mit dessen Vertretern am 5. Januar blieben im Rahmen einfacher offizieller Höflichkeit. Das hinderte allerdings die israelische Bevölkerung nicht, der Papstreise großes Interesse entgegenzubringen.« Soetens 2002, S. 396f. Zu den ökumenischen Begegnungen: »Ihnen vor allem – und der Tatsache, daß überhaupt ein Papst zum ersten Mal seit Anfang des 19. Jahrhunderts Italien verließ – war damals das weltweite Echo zu verdanken, das dem Ereignis zuteil wurde. Insgesamt kam es zu acht gegenseitigen Besuchen mit den orthodoxen und dem armenischen Patriarchen sowie mit Vertretern anderer christlicher Gemeinschaften. Die prägendste Begegnungen waren jedoch die beiden Treffen vom 5. und 6. Januar mit dem Patriarchen von Konstantinopel, und das nicht nur in den Augen der öffentlichen Meinung, sondern auch in der Wahrnehmung des Papstes. [...] Der gegenseitige Austausch, besonders das private Gespräch am Abend des 5. Januar, die Gesten, besonders der gemeinsame Segen am 6. Januar, die hohe Symbolik der Geschenke, die wiederholten Umarmungen und die enthusiastischen Reaktionen des katholischen und orthodoxen Auditoriums schufen eine Atmosphäre von hoher Intensität und außergewöhnlicher emotionaler Beteiligung.« Ebd., S. 397f. 88 89
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Bombay gewürdigt,90 und das Politische kam in seiner Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen zum Ausdruck. Zur Ausgangsfrage des Kapitels zurückgekehrt, wie trotz der im Konzil manifesten Konfliktkonstellation Abstimmungsergebnisse erreicht werden konnten, die so umfassende Konsense symbolisieren, kann man mit dem Historiografen seines Vorgängerkonzils vergleichend resümieren: »Der wesentliche Unterschied zwischen 1. und 2. Vatikanum liegt nicht im Verhältnis von Papst und Konzil, sondern von Mehrheit und Minderheit, bzw. wesentlich auch darin, daß die rein formalrechtlich gravierenderen päpstlichen Eingriffe im 2. Vatikanum, vor allem die Pauls VI. im Dienste des Konsens und der Berücksichtigung der Minorität standen. Obwohl die Zwei-Drittel-Mehrheit zur rechtsgültigen Annahme eines Dekrets genügte, wurde immer, selbst um den Preis erheblicher Konzessionen und Abschwächungen, die moralische Unamität gesucht und auch überall am Ende erreicht.« 91
Bezüglich seiner Reise zum 38. Eucharistischen Weltkongress »betonte Papst Montini mehrmals die enge Verbindung zwischen seiner ›Pilgerfahrt‹ nach Indien und dem II. Vatikanum, da beide Ereignisse grundlegende Elemente in der Definition der neu angebrochenen Zeit der Zuwendung der Kirche zur Welt seien.« Burigana/Turbanti 2006, S. 560. So sagt der Papst bei einer Generalaudienz: »Die Katholizität der Kirche verweise auf ›die vielfältige Verschiedenheit der menschlichen Lebensformen, die immer noch größer werden können; und all diese menschlichen Lebensformen können eingehen in den geheimnisvollen Leib Christi‹; die Kirche sei imstande, alle Menschen zu versammeln, und sie lebe in Einheit und zugleich in vielfältiger Verschiedenheit. [...] Daher sehe man mit Freude, wie sich unter den katholischen Christen ein Prozeß der größeren Einsicht in weit entfernte Wirklichkeiten entfalte, wenn dies auch nicht die Notwendigkeit mindere, ›wirklich ›katholisch‹ zu werden, das heißt, sich um die größte Treue zu der Einheit zu bemühen, die Christus in seiner Kirche von uns fordert, und ganz offen zu sein für die Brüderlichkeit, welche die Kirche predigt und fördert, um gerade eben so katholisch zu sein, wie Christus will‹. Bei dieser Audienz bezog sich Montini ausführlich auf das Echo, das seine Reise in den Massenmedien ausgelöst hatte. Man muß nämlich vermerken, daß seine Worte zugunsten des Friedens, des interreligiösen Dialogs, der gegenseitigen Respektierung der Traditionen, auch der nichtchristlichen, von den Tageszeitungen so sehr herausgestrichen wurden, daß die kritischen Kommentare, die während und nach der ›schwarzen Woche‹ über Paul VI. niedergegangen waren, dadurch neutralisiert wurden.« Ebd., S. 565. 91 Schatz 1994, S. 202. 90
7. Weltgesellschaft als konziliares »ad extra«
Mit dem Übergang zu diesem Kapitel geht ein methodischer Wechsel einher. Von der interaktionslogischen Beschreibung des »Weltereignisses Konzil« wird umgeschwenkt auf die Interpretation seiner schriftlichen Ergebnisse. Der Schwerpunkt verlagert sich von der Oralität auf die Literalität. Mit beiden Herangehensweisen wird das gleiche Interesse verfolgt, nämlich nachzuvollziehen, wie sich die »Kirche als Gegengesellschaft« zur »Kirche der Weltgesellschaft« wandelt. So wie dabei zunächst konzilsbezogen die Struktur des Weltereignisses im Vordergrund stand, geht es in diesem und den folgenden Kapiteln um die Einordnung seiner Welt- und Selbstbeschreibung und dabei vor allem um die Rekonstruktion des mit dem Konzil neu einhergehenden weltgesellschaftlichen Integrationsmodus des Katholizismus. Die Globalisierungsdebatte umfasst konträre Positionen. Auf der einen Seite gibt es die Vorstellung, die Weltgesellschaft sei eine unifizierende Kraft (»McDonaldisierung«), die die Diversität der Welt reduziert, alles Heterogene homo- genisiert.1 Auf der anderen Seite möchte man die präexistierende Diversität im System der Weltgesellschaft erhalten und gefördert wissen im Sinne einer Koexistenz »multipler Modernen«.2 Stichweh plädiert für einen dritten Weg, wenn er unter dem Begriff »weltgesellschaftlicher Eigenstrukturen« nach Strukturmustern speziell der Weltgesellschaft fragt. Sein Theorievorschlag »ruht auf einem kumulativen Modell sozialer Strukturbildung, das sich sozialen Wandel nicht als Substitution neuer Strukturen für alte Strukturen vorstellt. Stattdessen postuliert es plurale Ebenen der Strukturbildung in sozialen Systemen, und dies bedeutet, dass sich neue Strukturen über die alten Strukturen legen, aber sie nicht zum Verschwinden bringen.« Und er spannt einen weiten Zeithorizont, wenn er betont, »dass die Eigenstrukturen der Weltgesellschaft nicht als Erfindungen zu verstehen sind, die gerade erst gemacht worden sind. Bei einigen von ihnen handelt es sich um Strukturmuster, die bis in die Antike und das europäische Mittelalter zurückgehen. Dieser Sachverhalt weist einmal mehr darauf hin, dass die Weltgesellschaft ein System mit einer langen Geschichte von mindestens fünfbis sechshundert Jahren ist.« 3 Einerseits treten in der Geschichte der Weltgesellschaft diese Strukturbildungsformen immer prominenter hervor, andererseits, Vgl. zur Debatte Dürrschmidt 2002, S. 104ff. Vgl. Eisenstadt 2006. 3 Stichweh 2006a, S. 241. 1 2
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Die Globalisierung des Katholizismus
und das ist das Neue, könne die Weltgesellschaft erst an Profil gewinnen, wenn diese Formen der Strukturbildung einen hinreichenden Grad der Artikulation erfahren haben. 4 Eine von Stichweh als »Eigenstruktur der Weltgesellschaft« beschriebene Sozialform war ausführlich Thema der vorangegangenen Kapitel. So wurde zunächst das Weltereignis des Konzils und vor allem seine Innenseite als ein Interaktionszusammenhang analysiert. Die Form des Weltereignisses ist vor allem dadurch relevant, dass sie zur reflexiven Repräsentation und damit zur Konstitution von Welt beiträgt. Dass mit Rom als dem Austragungsort des Zweiten Vatikanischen Konzils die Weltstadt – so eine andere Eigenstruktur – schlechthin ausgewählt wurde, ist zumindest in kulturgeschichtlicher Hinsicht (aus europäischer Perspektive) evident. Es verweist zugleich auf das organisatorische Zentrum der Weltkirche wie auch auf die damit verbundene katholische Tradition, die bei dem Weltereignis ›auf dem Spiel steht‹. Aufschlussreich – aber aus Platzgründen hier nicht möglich – wäre auch eine Analyse der konziliar-ekklesiologischen Selbstbeschreibung aus der Perspektive der »formalen Organisation« als einer weiteren weltgesellschaftlichen Eigenstruktur. Von Interesse für die katholische Kirche als transnationaler Weltorganisation wäre neben der neuen Corporate Identity als »gemeinschaftlich pilgerndes Volk Gottes«, der Beschreibung der Mitgliedschaftsrollen (allgemeines Priestertum) und der Neuregelung innerkirchlicher Führungsstrukturen (Bischofssynode/Bischofskonferenz) die Frage, wie intern globale Personaltransfers und Wissenstransfers funktionieren: »Heute gibt es viele Typen globaler Organisationen. Aber dasjenige, was bemerkenswert ist, wenn man sich die meisten dieser Organisationen ansieht, ist diese Kompatibilität von Globalität und Lokalität, von globaler Verbundenheit und lokaler Situiertheit.« 5 Ein weiterer Anwärter für die Liste weltgesellschaftlicher Eigenstrukturen ist hinsichtlich des Klerus als der besonderen Form der Kirchenmitgliedschaft auch schon angesprochen worden, nämlich die Struktur der epistemischen Gemeinschaften: Stichweh sieht insbesondere im modernen Anschluss an die Professionen des Mittelalters (neben den Klerikern auch Ärzte und Juristen) z.B. bei den Linux-Entwicklern vor allem einen wissensgesellschaftlichen Ausweis: »In unserer Gesellschaft dagegen fungiert die epistemische Communitiy als jene Form der Strukturbildung, die sich am besten dafür eignet, die Pluralisierung und Diversifikation von Wissen im Prozess der Entstehung der Weltgesellschaft zu repräsentieren«. 6 Angeführt wird Stichwehs explizit offene Liste signifikanter Eigenstrukturen der Weltgesellschaft aber – an Luhmanns frühe Beobachtungen der 1970er Sie sind Quellen von Diversität: »alle in Frage kommenden Eigenstrukturen der Weltgesellschaft erweisen sich im Gegensatz zu lokaler Homogenität als eindrucksvolle Mechanismen der Produktion von nichtlokaler und weltweit distribuierter Diversität.« Ebd., S. 255. 5 Ebd., S. 245. 6 Ebd., S. 250. 4
Weltgesellschaft als konziliares »ad extra«
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Jahre anschließend – von dem Funktionssystem als dem »wahrscheinlich bedeutsamsten Kandidaten«. Die Ausdifferenzierung von thematisch spezialisierten Funktionssystemen bilde globale Kommunikationszusammenhänge heraus, wie Weltwirtschaft, Weltwissenschaft oder Weltliteratur, in denen globale Semantiken produziert und Eigenkulturen konstituiert werden, die nicht mehr auf traditionelle Regionalkulturen reduzierbar seien. Dabei seien das wichtigste Merkmal des weltdurchdringenden Impetus der Funktionssysteme die binären Codes, auf denen sie aufruhten: »Diese binären Codes erzeugen eine Dynamik, die ausnahmslos eine globale Dynamik ist. Die Begriffe, die von den Codes benutzt werden, sind generalisierte Symbole, deren Leistung gerade auch darin besteht, dass sie die jeweilige Funktion aus anderen Kontexten (i.e. aus den Relevanzen der anderen Funktionssysteme) herauslösen. Diese Herauslösung (›Disembedding‹) kann auch als eine Art Reinheit verstanden werden, die jede Vermischung mit Gesichtspunkten, die sich anderen Funktionssystemen verdanken, abweist. Aus diesen Überlegungen kann man ableiten, dass in einer ersten Annährung die Theorie der Weltgesellschaft mit der Theorie funktionaler Differenzierung nahezu identisch ist«.7 Eine neue Art ›Verweltgesellschaftung des Katholizismus‹ nachzuweisen, ist somit nicht ohne Beantwortung der Frage möglich, wie innerkirchlich auf die Dynamik des gesellschaftsstrukturellen Differenzierungsprozesses reagiert wird. Aus diesem Grund ist in diesem und in den folgenden Kapiteln »funktionale Differenzierung« der rote Faden. Religionssoziologische Plausibilität erhält die weltgesellschaftliche Eigenstruktur des Marktes durch das Diktum vom »Weltmarkt der Religionen« in religionsökonomischen Ansätzen. 8 Stichweh arbeitet hierbei allerdings mit einem soziologischen Markt-Begriff, demzufolge man sich einen Spiegel vorzustellen habe, in dem sich Teilnehmer an einem Markt wechselseitig beobachten mit der operativen Folge eines Konkurrenz-Bewusstseins. Im Folgenden wird dabei die Beobachtung von Veränderungen des kirchlichen Konkurrenzverhaltens von Interesse sein. Es ist nicht zu viel vorweg genommen, wenn vorausgeschickt wird, dass das, was zu Kulturkampfzeiten einst politisch mit dem Staat ausgetragen wurde, nunmehr auf dem Feld der Religion zu suchen ist. Schließlich ist von Stichweh mit der Form delokalisierter Netzwerke, die Personen und Organisationen verbinden, eine weitere Eigenstruktur der Weltgesellschaft angesprochen. Gerade hierbei lässt sich der Wandel in Fragen der gesellschaftlichen Integration des Katholizismus gut bearbeiten. Im Folgenden wird es also um neue Formen weltgesellschaftlicher Vernetzung einer Weltkirche gehen, für die das Konzil entsprechende strukturelle Kopplungen eingeht und neue Institutionalisierungen vornimmt. Ebd., S. 243f. Vgl. auch Luhmanns »und-so-weiter-These« in ders. 1975, S. 67. Vgl. zum religiösen Marktmodell und zu den religious economics den Überblick bei Graf 2004, S. 19-30. 7 8
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Nach der konstantinischen Wende, mit der das Christentum zur Einheitsreligion und dann zur mittelalterlichen Christianitas wird, gibt es bereits mit dem Investiturstreit im 12. Jahrhundert erste Differenzierungen zwischen Imperium und Sacerdotium.9 Vor allem aber der Einheitsverlust in Fragen des Glaubens, Herrschens und Wissens im Kontext der Weltereignisse von Reformation und Französischer Revolution sowie im Prozess der Aufklärung fördert kirchliches Defensivempfinden. 10 Die vom Konzil beobachtete innergesellschaftliche Umwelt der Kirche wird dementsprechend als zunehmend säkularisiert bezeichnet (Interdependenzunterbrechungserfahrung) und damit wird zu Konzilszeiten begrifflich an zeitgenössische sozialwissenschaftliche Vorstellungen angeschlossen. Innerhalb der Modernisierungstheorien reüssiert, entsprechend dem Dualismus traditional/modern, insbesondere der ›Säkularisierungsgrad‹ zum Ausweis für die Modernität der Gesellschaft oder einer Regionalkultur.11 Dies hatte in den 1960er Jahren auf kirchlicher Seite und besonders im Kontext des Konzils den theoretischen Reflex in Bemühungen um eine »Theologie der Welt«, die Rechenschaft über ihr »Weltverständnis im Glauben« geben wollte.12 Soviel Resonanz den Sozialwissenschaften innerkonziliar auch zukommen sollte, so dynamisch verlief auch dort die fachinterne Theoriebildung – mit der Folge, dass in den 1970er Jahren die Annahmen von vor einem Jahrzehnt bereits wieder kritisiert wurden. 13 Seitdem ist auf religionssoziologischer Seite besonders das Säkularisierungstheorem wieder fraglich geworden. 14 Noch die jüngere Zeit wird prominent als »postsäkular« diagnostiziert und weit über den akademischen Bereich hinaus ist die »Rückkehr der Religion(en)« ein gesellschaftliches Thema geworden.15 Vgl. Mirgeler 1961, S. 109ff sowie Kaufmann 1989, S. 77ff. Vgl. z.B. zu den Folgen der Französischen Revolution auf das katholische Staatsdenken Uertz 2005 sowie hinsichtlich der »Kirche im Prozeß der Aufklärung« Metz/Moltmann/Oelmüller 1970. 11 Vgl. zu der zum Konzil zeitgenössischen Debatte um ›Säkularisierung‹ die auf einem Vortrag aus dem Jahre 1962 aufbauende Studie Lübbe 1965. 12 Vgl. dazu den Sammelband Metz 1965 mit Beiträgen namhafter Theologen und kirchennaher Intellektueller (Baltharsar, Biser, Metz, de Lubac, Schlette, Congar, Schillebeeckx, Ratzinger, Scheffczyk, Schnakenburg, Deissler, Vögtle, Dirks, Pieper, Splett, Rahner und Böckenförde) sowie die kurz darauf erschienene Monographie Metz 1968. Unter dem Titel »Säkularisierung als Interpretationskategorie« problematisiert Ruh 1980 und 1982 die theologische Verwendung dieses Begriffs und fragt nach der Bedeutung des christlichen Erbes in der modernen Geistesgeschichte. Zur allgemeinen Begriffsgeschichte von ›Welt‹ Braun 1978. 13 Vgl. zur Kritik an der Modernisierungstheorie Wehler 1975. 14 Vgl. zur Bedeutungsvielfalt des Begriffs ›Säkularisierung‹ Marramao 1992, zum Stand der religionssoziologischen Debatte Tyrell 1996, S. 440ff und Pollack 2003, S. 1-27. 15 Vgl. Habermas 2001, kritisch dazu Joas 2002, sowie Riesebrodt 2000. Das Zusammenziehen der drei Phänomene ›Trennung von Staat und Kirche‹, ›Rückgang religiöser Überzeugungen und Praktiken‹ sowie ›Privatisierung der Religion‹ auf den einen Begriff der Säkularisierung hat Casanova 1996 eindrücklich infrage gestellt. Zum Öffentlichkeitsanspruch von Religion vgl. auch Gabriel 2003. 9
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Für Luhmann macht der Begriff Säkularisierung vor allem im Zusammenhang mit funktionaler Differenzierung als der neuzeitlichen Form primärer Differenzierung des Gesellschaftssystems Sinn. Säkularisierung sei ein Begriff, »der in eine Gesellschaft gehört, deren Strukturen ein polykontexturales Beobachten nahelegen und deshalb Vorentscheidungen über Annehmen oder Ablehnen [...] erfordern. [...] So verstanden führt der Begriff der Säkularisierung den, der ihn trotz allem benutzt, nicht zu der Hypothese, Religion habe in der modernen Gesellschaft an Bedeutung verloren. Eher wird die Aufmerksamkeit auf die Frage gelenkt, mit welchen semantischen Formen und mit welcher Disposition über Inklusion oder Exklusion von Mitgliedern die Religion auf die Voraussetzung einer säkularisierten Gesellschaft reagiert. Säkularisation wird als Provokation der Religion beobachtet, und darin liegt auch, daß es mehrere, vielleicht inkompatible, vielleicht kulturell akzeptierbare, vielleicht ›merkwürdige‹ Formen geben kann, mit denen die Religion dieser Provokation begegnet.«16 Funktionale Differenzierung ist also die Provokation, auf die im Religionssystem mit der Beschreibung der Gesellschaft und ihrer Welt als ›säkularisiert‹ reagiert wird. In diesem Sinne kann Luhmann dann auch sagen: »Säkularisierung heißt also nicht: Funktions- oder Bedeutungsverlust der Religion, vielleicht aber vorübergehende (?) Schlechtanpassung an die Bedingungen der modernen Gesellschaft.«17 Wenn mit Luhmann also unter Säkularisierung eine spezifische Perspektive auf funktionale Differenzierung verstanden werden soll und dabei, an Stichweh anknüpfend, die Globalisierungsdynamik der Funktionssysteme in Rechnung gestellt wird, kann man das Säkularisierungsproblem des Konzils in die Frage nach der katholischen Weise gesellschaftlicher Inklusion übersetzen. Dabei erscheint das zeitgenössische innerkirchliche Säkularisierungsverständnis als ein Indiz für die neuartige Verweltgesellschaftung des Katholizismus, die mit der vom Konzil induzierten Verweltkichlichung einhergeht.18 Damit ist auch die weitere Thematik der Untersuchung umschrieben: In den folgenden Teilen der Arbeit steht nun die innerkirchliche Resonanz kirchlicher Außenseite im Wandel von der ›Kirche als Gegengesellschaft‹ zur ›Kirche der Weltgesellschaft‹ zur Debatte, was dem theologisch durchaus gepflegten moralischen Anspruch, Kontrastgesellschaft zu sein, keinen Abbruch tut. 19 Das Zweite Vatikanum war sich von Anfang an des mit ihm gegebenen Weltereignischarakters ebenso bewusst wie der Notwendigkeit, das kirchliche Inklusionsthema zu behandeln. Dem entspricht der erste debattierte und verabschiedete Konzilstext als euphorische »Botschaft der Konzilsväter an die ganze Menschheit«, dem es aber – obwohl oder gerade weil er an die Welt gerichtet war Luhmann 2000b, S. 284f. Ebd., S. 301. 18 Vgl. zur Interdependenz von Säkularisierung und Inklusion für die protestantische Seite und systemtheoretisch informiert Lehmann 2002, S. 27ff. 19 Vgl. dazu Diskussionen bei Hilpert 1991, S. 245ff und Höhn 1985, 259ff. 16 17
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– an Resonanz mangelte: Es fehlte an dem für den Erfolg der Kommunikation notwendig identifizierbaren Adressaten.20 Ganz anders und den Umstand reflektierend, dass Umweltkontakt nur selbstreferenziell möglich ist, ist es bei den für die ad extra-Perspektive einschlägigen Texten, die nach langen Auseinandersetzungen und zum Teil in letzter Minute verabschiedet wurden. Diese liegen im Folgenden als empirisches Material für die Analyse der neuen gesellschaftlichen Verortung des Katholizismus zugrunde und bedienen sich aller schon bekannten konziliaren Textgattungen. Von besonderer Relevanz ist dabei die Pastoralkonstitution Gaudium et spes (Über die Kirche in der Welt von heute), die, wie der Titel vermuten lässt, die Perspektive einer Beobachtung zweiter Ordnung einnimmt. Einerseits hat sie die Rolle einer der vier schwergewichtigen Konzilskonstitutionen und verkündet Bleibendes. Andererseits aber, und durchaus paradox, will sie durch das Präfix ›Pastoral‹ der gesellschaftlichen Dynamik Rechnung tragen, was in der späteren Rezeptionsgeschichte immer wieder zur Infragestellung ihres dogmatischen Rangs geführt hat. Desweiteren müssen in Sachen konziliarer ›Vergesellschaftung der Kirche‹ auch folgende Dekrete und Erklärungen Berücksichtigung finden: Inter mirifica (Über die sozialen Kommunikationsmittel), Unitatis redintegratio (Über den Ökumenismus), Gravissimum educationis (Über die christliche Erziehung), Nostra aetate (Über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen) und Dignitatis humanae (Über die Religionsfreiheit). Aufgrund des inneren und thematischen Verweisungszusammenhangs werden zudem mit den päpstlichen Enzykliken von Johannes XXIII., Mater et magistra und Pacem in terris, sowie Ecclesiam suam und Populorum progressio von Paul VI. einbezogen. Das Prozessuale des Konzils drückt sich sozial aus in der abschließenden »Botschaft des Konzils an die Stände« und sachlich in der zeitlich dem Konzil nachgelagerten und als Revision des oben genannten frühen Konzilstextes gedachten Pastoralinstruktion Communio et progressio (Über die Instrumente der sozialen Kommunikation veröffentlicht im Auftrag des II. Vatikanischen Konzils). 21 Welcher Art die zentralen konziliaren semantischen Umstellungen im verlautbarten kirchlichen Selbstverständnis sind, kann man folgender Passage gleich
Der sich v.a. mit der Friedens- und Gerechtigkeitsthematik befassende Text ist greifbar in Hünermann/Hilberath 2006, S. 491-494. »Man muß sagen, daß die Botschaft kein großes Echo in der Presse gefunden hat und daß sie schnell vergessen wurde. Dennoch bezeugt dieser Text das Bedürfnis, zu bekunden, daß die Kirche sich mit Sympathie ad extra ausrichtet.« Vgl. Riccardi 2000, S. 62. 21 Vgl. zur Pastoralinstruktion den Kommentar zur bischöflich approbierten Übersetzung von Hans Wagner in Päpstliche Kommission für die Instrumente der sozialen Kommunikation 1971. 20
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zu Anfang von Gaudium et spes entnehmen.22 Dieser Abschnitt vom Beginn der Pastoralkonstitution ist wie eine Gegenrede zum Syllabus des 19. Jahrhunderts zu lesen. Alle im Folgenden wichtigen Begrifflichkeiten sind hier versammelt. Vor allem ist es das Dialogmotiv, das die Haltung vormaliger Verurteilungen negiert, auf der anderen Seite aber auch Kosten mit sich bringt, wenn es häufig moralisch eingeschränkt an »alle Menschen guten Willens« adressiert wird. Den Eindruck der Pastoralkonstitution als explizitem Gegensyllabus beschreibt auch Ratzinger: »Begnügen wir uns hier mit der Feststellung, daß der Text die Rolle eines Gegensyllabus spielt und insofern den Versuch einer offiziellen Versöhnung der Kirche mit der seit 1789 gewordenen neuen Zeit darstellt. Erst diese Einsicht erklärt einerseits den Getto-Komplex [... E]rst sie läßt andererseits den Sinn dieses merkwürdigen Gegenübers von Kirche und Welt verständlich werden: Mit ›Welt‹ ist im Grunde der Geist der Neuzeit gemeint, dem gegenüber sich das kirchliche Gruppenbewußtsein als getrenntes Subjekt erfuhr, das nun nach heißem und kaltem Krieg auf Dialog und Kooperation drängte«. 23 Wie anders wird doch sachlich wie stilistisch noch einhundert Jahre zuvor in der Enzyklika Quanta cura des Papstes des Ersten Vatikanums, Pius IX., kommuniziert. In deren Anhang mit dem Syllabus errorum ist die berühmte Liste von 80 kirchlich verurteilten Irrtümern der Zeit beigefügt.24 Dort warnt der Papst »Als Zeuge und Künder des Glaubens des gesamten in Christus geeinten Volkes Gottes kann daher das Konzil dessen Verbundenheit, Achtung und Liebe gegenüber der ganzen Menschheitsfamilie, der dieses ja selbst eingefügt ist, nicht beredter bekunden als dadurch, daß es mit sich in einen Dialog eintritt über all diese verschiedenen Probleme; daß es das Licht des Evangeliums bringt und daß es dem Menschgeschlecht jene Heilskräfte bietet, die die Kirche selbst, vom Heiligen Geist geleitet, von ihrem Gründer empfängt. Es geht um die Rettung der menschlichen Person, es geht um den rechten Aufbau der menschlichen Gesellschaft. Der Mensch also, der eine und ganze Mensch, mit Leib und Seele, Herz und Gewissen, Vernunft und Willen steht im Mittelpunkt unserer Ausführungen. Die Heilige Synode bekennt darum die hohe Berufung des Menschen, sie erklärt, daß etwas wie ein göttlicher Same in ihm eingesenkt ist, und bietet der Menschheit die aufrichtige Mitarbeit der Kirche zur Errichtung jener brüderlichen Gemeinschaft aller, die dieser Berufung entspricht. Dabei bestimmt sie kein irdischer Machtwille, sondern nur dies eine: unter Führung des Geistes, des Trösters, das Werk Christi selbst weiterzuführen, der in die Welt kam, um der Wahrheit Zeugnis zu geben; zu retten, nicht zu richten; zu dienen, nicht sich bedienen zu lassen.« (GS 3) 23 Ratzinger 1976, S. 40. Mit Gaudium et spes werden »situationsbedingte Einseitigkeiten an der durch Pius IX. und Pius X. vollzogenen Positionsbestimmung der Kirche gegenüber der mit der französischen Revolution eröffneten neuen Geschichtsphase weitgehend korrigiert«. Ebd., S. 39. 24 Vgl. zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Syllabus Wolf 1998. Der Syllabus adressiert in sozialer Hinsicht nach innen den liberalen Katholizimus und nach außen die weltanschauliche und strukturelle Konkurrenz durch Bewegungen (Sozialismus, Kommunismus, Geheim- und Bibelgesellschaften) und Staatsorganisation. Er spricht darüber hinaus sachthematisch die Funktionskontexte Religion (Relativität der Heilswege, Protestantismus), Wissenschaft (Aktualität der scholastischen Methoden), Recht (Rechtspositivismus, Religionsfreiheit), Politik (Kirchenstaat, Staatskirchen), Erziehung (Schulwesen, Studienordnung), Moral und Familie (Eheschließung) an und stellt sich gegen liberale Menschenrechte (Religions-, Meinungs- und Gewissensfreiheit), um gegenüber einer – so unterstellt – sich ausbreitenden ›Kultur der Indifferenz‹ die kirchliche Autorität zu bekräftigen. Zum Wortlaut lateinisch/deutsch die Quellensammlung Utz/Galen 1976, 34-53. 22
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vor denen, die auf die weltliche Gesellschaft den »böswilligen, unsinnigen Grundsatz des sogenannten Naturalismus« anwenden und »dreist« die Lehre verbreiteten, das Staatswohl und der menschliche Fortschritt verlange gebieterisch, dass die menschliche Gesellschaft ohne jede Rücksicht auf den Glauben aufgebaut und geleitet werde. Eine solch falsche Auffassung der Gesellschaftsordnung begünstige, so der Pius-Papst weiter, »jene irrige Ansicht, die der katholischen Kirche und dem Seelenheile höchst verderblich ist und von Unserm unmittelbaren Vorgänger Gregor VI. als ›Wahnsinn‹ erklärt wurde, nämlich, ›die Freiheit des Gewissens und die Gottesverehrung seien jedes einzelnen Menschen Eigenrecht, das in jedem Staat mit ordentlicher Verfassung gesetzlich umschrieben und gewahrt werden müsse [...]‹.« 25 Wo die Religion aus dem Staat verbannt werde sowie Lehre und Autorität der göttlichen Offenbarung verachtet würden, so die Selbsteinschätzung des Pontifex, da verdunkelten sich auch und verlören sich »der wahre Begriff der Gerechtigkeit und des menschlichen Rechts« und an die Stelle der »wahren Gerechtigkeit« und des »legitimen Rechts« trete die rohe Gewalt. 26 Wenn man unter ›Globalisierung des Katholizismus‹ einen vom Zweiten Vatikanischen Konzil induzierten Wandel von der Kirche als Gegengesellschaft hin zur Kirche der Weltgesellschaft verstehen will, muss man sich mit der vom Konzil beschriebenen Umweltperspektive des Katholizismus auseinandersetzen. Im Folgenden geht es dementsprechend um den Nachvollzug der Diskontinuitäten im Kirche/Gesellschafts-Verhältnis, auf die Ratzinger hingewiesen hat. Dabei tritt eine erstaunlichen Konvergenz von systemtheoretischer Weltgesellschaftstheorie auf der einen und der neuen konziliaren Semantik auf der anderen Seite zutage, die sich in Begriffen wie ›Dialog‹, ›Autonomie‹, ›Welt‹, ›Menschheit‹ und ›Menschenrechte‹ ausdrückt, so dass in vielerlei Hinsicht das konziliare »ad extra« mit dem soziologischen Verständnis von funktionaler Differenzierung etc. korrespondiert. Vier Aspekte sind genauer zu untersuchen. Zunächst geht es um den kirchlichen Perspektivwechsel, hinsichtlich dessen unterstellt wird, dass das Konzil für den Weltbezug des Katholizismus eine neue BeobachZum Text der Enzyklika vgl. Utz/Galen 1976, 165ff. »Denn wer immer je die heiligen oder weltlichen Dinge in Verwirrung zu bringen, die gute gesellschaftliche Ordnung zu zerstören, alle göttlichen und menschlichen Rechte zu vernichten suchte, hat [...] alle seine schandbaren Pläne, Bestrebungen und Machenschaften mit Vorzug auf die Täuschung und die Entsittlichung der noch unvorsichtigen Jugend gerichtet, hat seine ganze Hoffung auf die Verderbnis der Jugend gesetzt. [...] Im Anblick eines solchen Durcheinanders von entarteten Anschauungen haben Wir im Bewußtsein Unserer apostolischen Pflicht in Sorge um Unsern heiligen Glauben, um die rechte Lehre, um das Heil der Seelen, das Uns von Gott anvertraut wurde, um das Wohl der menschlichen Gesellschaft selbst, abermals Unsere Stimme erhoben. Alle verkehrten Meinungen und Lehren also, die Wir in diesem Schreiben einzeln angeführt haben, weisen Wir kraft unserer apostolischen Vollmacht zurück, verbieten sie und verdammen sie und fordern, daß alle Söhne der katholischen Kirche sie voll und ganz zurückgewiesen, verboten und verdammt betrachten.« Ebd. 25 26
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tungsebene etabliert hat, so dass an Stelle der herkömmlichen monologisch-deduktiven Sozialdoktrin nunmehr eine dialogisch-induktive Gesellschaftsethik tritt (7.1). Dies ermöglicht, so die zweite Annahme, dem Konzil einen neuen Gesellschaftsbegriff, mit dem die neuzeitlichen Umstellungen der Gesellschaftsstruktur von stratifikatorischer auf funktionale Differenzierung aus kirchlicher Sicht nachvollziehbar werden. Hier geht es gerade um die neue ›Welt‹-Begrifflichkeit des Konzils, die – soweit schon vorab – einerseits Perspektivenpluralität zulässt, mit der aber andererseits vor allem die Globalität der Weltgesellschaft und ihrer Teilsysteme ins Wort gefasst wird (7.2). Auf Basis des erneuerten christlichen Personalismus werden vom Konzil und in den Sozialenzykliken ad extra in der Regel »alle Menschen guten Willens« adressiert. Damit wird zum einen ein neues moralisches Kriterium für die Beurteilung gesellschaftlicher Inklusions- und Exklusionsphänomene gewonnen und zum anderen universalisierend Weltgesellschaft selbst realisiert (7.3). Und schließlich sind auf diese Weise diejenigen internen semantischen Ressourcen erschlossen, mit denen unter dem profanen Begriff der Menschenrechte ad extra neu kommunikative Anschlussfähigkeit erzeugt werden kann (7.4).
7.1 Sozialdoktrin oder Gesellschaftsethik Die zum Ende des 19. Jahrhunderts innerkirchlich entstandene katholische Soziallehre wird einerseits durch den im Kontext des Kulturkampfes entstandenen politischen Katholizismus und andererseits durch den Sozialkatholizismus gesellschaftlich repräsentiert. Letzterer reagiert praktisch auf die Soziale Frage, die mit der europäischen Industrialisierung Anfang des Jahrhunderts und der damit einhergehenden Pauperisierung und Proletarisierung breiter Bevölkerungsmassen aufgekommen war. Verkündet wird die katholische Soziallehre durch Lehrschreiben wie z.B. die Sozialenzyklika von Papst Leo XIII. »Rerum novarum« von 1891, die mit der Ausbildung einer selbständigen Sozialdoktrin auf die mit dem Liberalismus und dem Sozialismus gegebenen zeitgenössischen ideologischen Herausforderungen antwortet. 27 Gleichsam als ein harmonisierender ›dritter Weg‹ gegenüber den konfliktiven, auf die Durchsetzung individueller Eigenoder kollektiver Klasseninteressen beruhenden Gesellschaftsmodellen (Weltanschauungen) entsteht so im kirchlichen Raum eine ambitionierte, für das kirchliche Außenverhältnis nunmehr maßgebliche Prinzipienlehre. Diese beruht, dem
Noch zehn Jahre nach Abschluss des Konzils betiteln Utz/Galen 1976 ihre Quellensammlung lehramtlicher Texte mit »Die katholische Sozialdoktrin«. Zum politischen und sozialen Katholizismus vgl. auch zeitgenössisch Maier 1962. 27
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allgemeinen theologischen Trend folgend, auf neuscholastisch-naturrechtlichen Argumentationsfiguren »Sozialnatur des Menschen«. 28 Gewissermaßen neoaristotelisch auf dem Gemeinwohlgedanken (bonum commune) aufbauend, werden unter den Begriffen Solidarität, Subsidiarität und Personalität gemeinschaftliche Sozialprinzipien ontologisiert und gesellschaftlich als verbindlich erklärt. Die Funktion dieser sozialmetaphysischen Bemühungen liegt dabei in dem Versuch, durch Vernunftgründung gesellschaftliche Plausibilität (trotz pluralistischen Kontextes) für die Soziallehre der Kirche zu erzeugen. Dabei gilt letztere den Neuscholastikern zusätzlich als die authentische Interpretin des prinzipiell für jeden einsehbaren Naturrechts.29 Besonderen Einfluss gewinnen die Jesuiten Oswald von Nell-Breuning und Gustav Gundlach, die die »Solidarismus«-Lehre ihres Ordensbruders Heinrich Pesch fortschreiben.30 Auf dieser Basis sowie aufgrund ihrer römischen Beratungstätigkeiten können sie sich direkt in die päpstliche Sozialverkündigung einbringen, was vor allem in Quadragesimo anno von Pius XI. gelingt. Diese erscheint 1931 als zweite explizite Sozialenzyklika nunmehr im zeitlichen Kontext faschistischer Entwicklungen in Italien (und später auch in Deutschland) und will mit der Formulierung des Subsidiaritätsprinzips einen Abwehrmechanismus gegen die Einfluss gewinnenden totalitären Ideologien etablieren, bei dem es um den »Aufbau der Gesellschaft von unten« geht. 31 Das in diesem Zusammenhang referierte und empfohlene gesellschaftliche Leitbild einer »berufsständischen Ordnung« ist Ausdruck des zu dem Zeitpunkt innerkirchlich vorherrschenden Begriffs einer primär stratifizierten Gesellschaftstruktur, der innerkirchlich andauern wird: Noch 1958, im Jahr vor der Einberufung des Konzils, repetiert beispielsweise Anton Rauscher: »Die berufsständische Ordnung erweist sich dann als die orgaLeo XIII. hatte in seiner Enzyklika Aeterni patris den Thomismus kirchenweit als Reflexionstheorie verbindlich gemacht. Auch in der aktuell-›quasiamtlichen‹ systematischen Darstellung im »Kompendium der Soziallehre der Kirche«, noch 2004 vom Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden Johannes Paul II. gewidmet (in deutscher Sprache ders. 2006), wird der Prinzipienkatalog entfaltet, vgl. ebd., S. 131ff. 29 Vgl. Kaufmann 1973, Korff 1985. 30 Vgl. z.B. die 1968 zum ersten Mal erschienenen »Baugesetze der Gesellschaft« Nell-Breuning 1990, die posthum veröffentlichten Textsammlungen Gundlach 1964 sowie Pesch 1905ff. Zum System des Solidarismus vgl. auch Große Kracht 2003, 2005, 2007. 31 »Die theologisch-naturrechtliche Fundierung, die vor allem in den großen Orden und der deutschen Universitätstheologie vorherrschte, beeinflußte – aufgrund der besonderen Verbindung vor allem deutscher Jesuiten als moraltheologische und sozialethische Berater zur Kurie – die päpstliche Sozial- und Morallehre, die ihrerseits anschließend zumeist von denselben Theologen interpretiert und hinsichtlich ihres Verbindlichkeitsanspruchs näher entfaltet wurde. Diese Doppelrolle als Ideengeber und Interpret zeichnet vor allem die Jesuiten Gustav Gundlach, Oswald von Nell-Breuning und Josef Fuchs aus. Ihre Rolle als führende Kommentatoren der päpstlichen Soziallehre führt zwangsläufig dazu, den kirchenamtlich vorgegebenen Kanon mit besonderer Hingabe zu bewahren und im Hinblick auf konkrete Anwendung und Lehre den Spielraum, den die Sozialdokumente erlauben, mit aller denkbaren Vorsicht auszuloten.« Vgl. Uertz 2005, S. 407. 28
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nisatorisch-natürliche Aufgliederung der menschlichen Gesellschaft vermittels des Leistungsprinzips in die verschiedenen Berufsstände als Funktionsträger ihrer Ordnung, die in ihrem solidarischen Zusammenwirken das ›Gemeinwohl‹ der Gesamtgesellschaft dauernd verwirklichen. Berufsständische Ordnung ist ›körperhaft und dauerhaft gewordene Solidarität des Staatsvolkes‹. Mithin stellt die Idee der berufsständischen Ordnung nicht nur eine mögliche, sondern die naturgemäße Ordnung der Gesellschaft dar, da diese auf dem natürlichen Prinzip der ›Leistung‹ aufbaut.« 32 Deontologische Legitimation führt zu deduktiver Argumentation und autoritativem Anspruch, wie man auch anhand des sozialethischen Lehrbuchs des Schweizer Dominikanerprofessors Arthur-Fridolin Utz aus dem gleichen Jahr sehen kann: Demzufolge sei Sozialethik eine Wissenschaft, »die befiehlt. Der Befehl ist aber inhaltlich voll und ganz bestimmt durch die sachliche, also ontologische Analyse.« Solange die Menschen noch in ihrer Vernunft ansprechbar seien, müsse grundsätzlich die Möglichkeit bestehen, das Gemeinschaftsleben nach einer »echten Sozialethik« zu formen. Wo dies nicht mehr der Fall ist, da werde Sozialethik zur reinen Ideologie. Verhängnisvoll wäre es aber, dem Trend der modernen Gesellschaft ins subjektive Wertempfinden nachzugeben und auf eine Darstellung dessen, was »eigentlich für alle bindend und verpflichtend ist«, zu verzichten. Die Folge wäre, dass »einzig die Soziologie die Normen des Zusammenlebens aufstellen würde im Sinne der soziologischen Ethik«. 33 Wenn auch nicht direkt ausgesprochen, geht es dem Schweizer Autor in der Frage, wer über die wahre Ordnung der Gesellschaft entscheiden soll, um die Begründung der Autorität der Kirche und indirekt um den eigenen Stellenwert als selbstbeRauscher 1958, S. 126. Besonders in Österreich findet dies in der Zwischenkriegszeit Anklang, vgl. dazu das theoretische und praktische Wirken Johannes Messners, vor allem seine Schrift von 1936. Nach dem Konzil – was den Umschwung illustriert – richtet Rauscher das sozialethische Prinzip Subsidiarität, welches er oben im Lichte der Enzyklika Quadragesimo anno im Zusammenhang dortiger Ausführungen zur »berufständischen Ordnung« gedeutet hat, auf die Kirche selbst: »Immer schon stand die Kirche in Wechselbeziehung zur Welt und zur menschlichen Gesellschaft, aber man kann ohne Übertreibung feststellen, daß ihr noch niemals die eigene Gesellschaftlichkeit und Geschichtlichkeit so eindeutig und umfassend zum Bewußtsein gekommen ist als auf dem II. Vatikanum. Auch in der früheren Epoche des Christentums bestimmten die kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse den Rahmen der konkreten Wirkungsmöglichkeiten der Kirche und ihrer Verkündigung des Evangeliums; erst recht gilt dies vom christlichen Mittelalter in Europa, als die Kirche, zumindest äußerlich gesehen, eine oft kaum noch unterscheidbare Einheit mit der Profangesellschaft einging. [...] Die Verselbständigung der Kultursachgebiete und der soziale Differenzierungsprozeß der Neuzeit mußten demgegenüber die Frage nach dem Selbstverständnis der Kirche neu aufwerfen.« Vgl. Rauscher 1969, S. 301, sowie ebd., S. 311: »Dem subsidiären Verständnis der Kirche steht auch deren hierarchische Struktur nicht im Wege, weil das Amt, wie das Konzil betont, wesenhaft Dienst am Volke Gottes ist. Insofern eignet dem Amt ein strikt funktionaler Charakter, wodurch freilich seine spezifische Bedeutung für die Kirche weder geschmälert noch eingeengt wird.« 33 Utz 1958, S. 71. 32
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wusster katholischer Sozialethiker: »Von der ontologischen Begründung her hat die innergesellschaftliche Autorität folgende Funktion: Wirksamer Garant zu sein, daß 1. das justum sociale stets im Sinne des Gemeinwohls inhaltlich bestimmt und 2. auch tatsächlich von den Gemeinschaftsgliedern verwirklicht werde. [...] Das Gemeinwohl als wesentlich vom Einzelwohl unterschiedene Rechtsnorm verlangt eine Kompetenz, welche innerhalb der Gesellschaft den Gesellschaftsgliedern das justum sociale aufzuerlegen berechtigt ist. Diese Kompetenz kann, wie die ontische Sicht gezeigt hat, nicht zugleich allen Gesellschaftsmitgliedern mitgeteilt werden, weil diese als solche die Garantie für die einheitliche Durchführung zu leisten außerstande sind. Jene Macht also, welche das Gemeinwohl begründet, muß logischerweise auch die rechtliche Befugnis mitschaffen, aufgrund welcher im Sinne des Gemeinwohls das justum sociale den Gesellschaftsgliedern verbindlich aufgetragen wird.« 34 Der einleitend in Sachen ›Säkularisierung‹ beschriebene gesellschaftliche Bedeutungsverlust des Katholizismus ist mit solcher Redeweise auf triumphalistische Weise kaschiert. Wenn dann das Konzil den Sprachgebrauch variiert, wird die Sinnleere bewusst, so dass innerkatholisch manche Enttäuschte diesem Konzil die Verantwortung für den ›kirchlichen Niedergang‹ zuschreiben werden. Aufschlussreich ist nun, dass mit dem Wechsel des Pontifikats von Pius XII. zu Johannes XXIII., der Einberufung des Konzils durch ihn sowie durch die Wahl des Mailänder Kardinals Montini zu seinem Nachfolger Paul VI. neue Netzwerke aktiviert werden: Diese nutzen das Interaktionsforum des Weltereignisses und sind in der Lage, alternative, auf Erfahrungswissen beruhende oder wissenschaftliche Regionaltraditionen weltkirchlich zu globalisieren.35 So wird beispielsweise bei der Abfassung der Enzyklika Pacem in terris von Johannes XXIII. der italienische Soziologieprofessor von der Lateranuniversität Pietro Pavan zu Rate gezogen. Dieser wiederum kann als Konzilsperitus zusammen mit Ebd., S. 253ff und weiter: »Die innergesellschaftliche Autorität ist durch Teilhabe an der vorgesellschaftlichen Autorität konstitutiv für die Gesellschaft. [...] Wer nun dafür die Kompetenzen übernehmen soll, ergibt sich aus der Beantwortung folgender Frage: Wie weit sind die Gesellschaftsglieder tatsächlich intellektuell und sittlich gereift, um ein geringeres Maß tatsächlichen Eingreifens der Autorität zu rechtfertigen, um sogar (im Hinblick auf den Staat) in demokratischer Streuung der Gewalt aktiv Teilhabende der Autorität zu werden?« 35 In Kapitel 2 berichteten wir von Abneigung des Bundeskanzler Adenauers gegen Kardinal Montini als neuem Papst: »Möglicherweise war es P. Gustav Gundlach SJ, der Adenauer diese Einschätzung Montinis vermittelte, denn Adenauer pflegte sich bei Gundlach über römische Entwicklungen zu informieren [...] In seiner jüngst erschienenen Autobiographie berichtet Hans Küng von einer Unterredung, die er 1954 mit Gundlach führte. Küng beschwerte sich bei ihm über die Behandlung der französischen Arbeiterpriester durch den Vatikan. Selbst im Vatikan seien damit nicht alle einverstanden und als Beispiel dafür nannte er Mons. Montini. Daraufhin habe Gundlach in höchster Erregung ausgerufen: ›Wenn ich einen im Vatikan eliminieren könnte, dann wäre es der Montini‹! Die Wahl Montinis zum Papst muss für Gundlach ein Schock gewesen sein. Zwei Tage danach starb er und noch heute rätsele man darüber – meint Küng –, ob post hoc oder propter hoc.« Pottmeyer 2006a, S. 245. 34
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seinem Kollegen, dem nordamerikanischen Jesuiten John Courtney Murray, großen Einfluss auf die Gestaltung der Konzilserklärung zur Religionsfreiheit (DH) nehmen. Paul VI. gibt zur besseren Einschätzung diverser Konzilsvorlagen verschiedene Gutachten bei dem französischen Philosophen Jaques Maritain in Auftrag. 36 Gerade die heterogenen kulturellen Herkunftskontexte der Konzilsväter werden auf weltkirchlicher Ebene wechselseitig plausibilitätsverstärkende Wirkung erzielen. Dies ist sowohl bei dem vom kommunistischen Staatsatheismus geprägten polnischen Weihbischof Karol Józef Wojtya und späteren Papst Johannes Paul II. der Fall, wie auch bei Weihbischof Dom Helder Camara, der eindrücklich die brasilianischen Verhältnisse vermittelnde Vertreter der ›Kirche der Armen‹. Der semantische Niederschlag als Resultat dieser neuen Koalitionen in den Konzilstexten wird auch von späteren Kommentatoren begriffssensibel registriert. Für den deutschen Sprachraum kann man dies anhand des um Verständnis bemühten Nell-Breunings, dem verdienten, aber beim interaktiven Konzilsgeschehen weitgehend außen vor bleibenden deutschen ›Nestor der katholischen Soziallehre‹, auf die Pastoralkonstitution bezogen feststellen: Aus dem, was »égalité« für das französische Denken bedeute, ließe sich wohl ein vollkommeneres Verständnis dessen erschließen, was dort wie schon in Mater et magistra als Ungleichgewicht beklagt werde. Dem nicht voll und ganz mit der französischen Mentalität Vertrauten bleibe das jedoch verschlossen. Auch sei der Sinngehalt des in der Pastoralkonstitution an mehreren Stellen wiederkehrenden Begriffs »socialisation« nur Franzosen voll zugänglich.37
So Burigana/Turbanti 2006, S. 591. Vgl. für die zeitgenössisch auch in Deutschland vorhandene Resonanz der Lehren Maritains Steinkamp 1967. 37 »Ein Konzilsvater hätte gerne diesen Ausdruck vermieden gesehen, weil er meinte, was die Franzosen alles in dieses Wort hineingeheimnissen, vermöge nur ein Franzose nachzuvollziehen. Daran ist gewiß etwas Richtiges, aber das Konzil hat den Franzosen den Gefallen getan, ihr Lieblingswort zu verwenden. Im soziologischen Wortsinn (in der Psychologie hat das Wort eine andere Bedeutung) bezeichnet ›socialisation‹ im Wesentlichen das, was wir als das Netzwerk der sozialen Beziehungen und dessen ständig zunehmende Verdichtung und das immer stärkere Einbezogen- und Erfaßtwerden des Menschen durch dieses Netzwerk zu bezeichnen pflegen.« Diese Episode ist dem Autor so wichtig, dass sie gleich an zwei Stellen des einschlägigen zeitgenössischen Kommentarwerkes zu den Konzilstexten gebracht wird: Nell-Breuning 1968, S. 491 sowie ders. 1968a, S. 526. Vgl. zu den Nationalismen in Fragen der Beratungs- und Deutungshoheit in Bezug auf die kurz nach dem Konzil 1967 von Paul VI. veröffentlichte ›Entwicklungsenzyklika‹ Populorum progressio Krauss 1967, S. 138: »Dieser Humanismus im Ansatz der ganzen Enzyklika ist wohl der wirkliche Grund, warum sie so sehr als ›französisch‹ empfunden wird. Wenn es auch nicht stimmt, daß französische Dominikaner dem Papst bei ihrer Abfassung zur Hand gegangen sind, so hat doch das Werk P. Lebrets OP unverkennbaren Einfluß gehabt. Daneben darf nicht außer acht gelassen werden, daß die neuere französische Nationalökonomie in einigen ihrer hervorragendsten Vertreter ein besonderes Augenmerk darauf gelegt hat, die Wirtschaftsprobleme zu ›humanisieren‹, d.h. in ihren menschlichen Dimensionen verständlich zu machen. Zu nennen wären hier besonders Francois Perroux, Alain Barrère, Jean Marchal und André Piettre, die viele Aussagen der Enzyklika inspiriert haben dürften.« 36
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Mit seiner ersten Sozialenzyklika Mater et magistra von 1961 macht Johannes XXIII. mit der ursprünglich von der belgischen Arbeiterjugend (CAJ) entwickelten Methode die induktive Vorgehensweise zum neuen weltkirchlich verbindlichen Standard sozialethischer Reflexion. Er hält fest, dass sich die Grundsätze der Soziallehre gewöhnlich in folgenden drei Schritten verwirklichen ließen: »Zunächst muß man den wahren Sachverhalt überhaupt richtig sehen; dann muß man diesen Sachverhalt anhand dieser Grundsätze gewissenhaft bewerten, schließlich muß man feststellen, was man tun kann und muß, um die überlieferten Normen nach Ort und Zeit anzuwenden. Diese drei Schritte lassen sich in den drei Worten ausdrücken: sehen, urteilen, handeln.« 38 Diese Vorgabe setzt sich auch in der päpstlichen Sozialverkündigung Pauls VI. fort, wie Heinrich Krauss anhand von Populorum progressio ausführt: Die Bemühung, die Enzyklika weder als Schultraktat noch als gelehrten Beitrag oder akademischen Vortrag, sondern als Brief von Mensch zu Mensch erscheinen zu lassen, sei unverkennbar und habe nichts mit einer mangelnden wissenschaftlichen Fundierung der Aussagen zu tun. Auch dort, wo der Papst entschieden und energisch spreche oder konkrete Vorschläge mache, um nicht ganz im Allgemeinen und Vagen zu bleiben, müsse dies auf dem Hintergrund eines echten Suchens gesehen werden, das gemeinsam und in ehrlicher Fragestellung an Wissenschaft und Praxis erfolge. »Der Papst möchte das Denken der Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche in eine bestimmte Richtung lenken, erhebt aber keineswegs die Prätention, daß die gemachten Vorschläge die einzig richtigen und möglichen sind.« 39 Und Mater et magistra, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 733. Dies entspricht den methodischen Reflexionen der »Kulturethik« des österreichischen Professors für Ethik und Sozialwissenschaften aus Wien, Johannes Messner, der theoretische wie politisch-praktische Erfahrungen in Österreich in Sachen berufständische Ordnung hat, vgl. Messner 1954, S. 231ff.: »Wie jede Wissenschaft, so muß auch die Ethik bei der Ergründung der sittlichen Wahrheit und der sittlichen Ordnung, ausgehend von der Erfahrung, mit Hilfe von begrifflichem und urteilendem Denken ihrem Ziel zustreben. Dabei arbeitet das Denken hauptsächlich mit Folgeurteilen. Diese können zweierlei Art sein: induktive, beruhend auf Erkenntnissen, die unmittelbar durch Analyse der Erfahrung gewonnen sind, und deduktive, beruhend auf Begriffen, deren unmittelbare Begründung anderweitig gesucht wird. Wir haben den empirisch-induktiven Weg gewählt. [...] Diesen Weg dem begrifflich-deduktiven vorzuziehen, schien uns deshalb geboten, weil der letztere mit philosophischen oder theologischen Begriffen arbeitet, zu denen heute aus ideologischen oder psychologischen Gründen vielen der Zugang außerordentlich erschwert ist. Das begrifflich-deduktive Verfahren ist nicht so sehr um die Analyse der Erfahrungstatsachen bemüht, als vielmehr um ihre Einordnung in das Gesamtbild der Wirklichkeit, wie es von einer metaphysisch-religiös bestimmten Grundauffassung der Welt her gesehen wird. Für dieses Verfahren steht der Endzweck des menschlichen Handelns als eines Vernunftwesens mit wesenhaft bewußt zweckbestimmten Handeln am Anfang, verbunden mit dem Nachweis, daß dieser letzte Zweck nur Gott sein kann und die ihm in Gott als höchstem Gut in Aussicht stehende unendliche Erfüllung seines Glücksverlangens. [...] Für ein Denken wie das moderne ist der empirisch-induktive Weg leichter gangbar. Er muß bei der von jedem täglich erlebten Erfahrung ansetzen. [...] Dieser sittlichen Erfahrung vermag sich auch die Großzahl derer nicht entziehen, die von vornherein allem religiösen und metaphysischen Denken mit Skepsis begegnen wollen.« 39 Krauss 1967, S. 132. 38
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auch das Konzil nimmt den neuen Faden auf, dies insbesondere in Gaudium et spes, wie Yves Congar kommentierend deutlich macht: »Entsprechend der induktiven Methode, die in diesem I. Teil der Pastoralkonstitution angewendet wird, wollte man nicht einfach nur sagen, die Kirche habe eine Aufgabe hinsichtlich der Welt, im Hinblick auf deren eigenes Leben als Welt, sondern man wollte es zeigen.« 40 Nicht bloß stilistischen Einfluss nimmt Paul VI. als zweiter Konzilspapst mit seiner Antrittsenzyklika Ecclesiam suam, die er noch vor der dritten Sitzungsperiode veröffentlicht. Inhaltlich vor der Versuchung eines naiven Konservatismus warnend, macht er folgenden formalen Vorschlag: Statt einer ungenügenden Haltung »treuen Bewahrens« müsse die Kirche zu einem Dialog mit der Welt kommen, in der sie nun einmal lebe, es gehe darum, dass sich die Kirche selbst zum Wort, zur Botschaft, zum Dialog mache: »Dieser Gesichtspunkt ist einer der wichtigsten im heutigen Leben der Kirche; er ist, wie bekannt, Gegenstand eines besonderen und umfassenden Studiums des ökumenischen Konzils; Wir wollen Uns nicht auf die Prüfung der einzelnen Themen dieser Studien einlassen, damit die Konzilsväter sie in Freiheit behandeln können. Wir möchten Euch, ehrwürdige Brüder, bevor Ihr zur dritten Konzilssitzung zusammentrefft, nur einige Gedanken zur Erwägung vorlegen, um die Beweggründe, die die Kirche zu diesem Dialog drängen, seine Methoden, seine Ziele klarer zu machen. Es geht uns dabei um die rechte innere Verfassung, in der der Dialog geführt werden soll, nicht um die einzelnen Dialogpunkte [...] Wir können nicht anders vorgehen, in der Überzeugung, daß der Dialog unser Apostolisches Amt kennzeichnen muß«. 41 Für den Papst liegt der transzendente Ursprung des Dialogs im Plan Gottes selbst. Religion sei nichts anderes als Beziehung zwischen Gott und dem Menschen und deren dialogische Form das Gebet: »Der Dialog des Heils wurde frei durch göttliche Initiative eröffnet [... S]elbstlose Liebe wird unseren Dialog leiten müssen [...] Darum soll auch unser Dialog keine Grenzen und keine Berechnungen kennen. Der Dialog des Heils zwingt niemanden, ihn aufzunehmen [...] So wird unsere Sendung [...] nicht mit äußeren Zwangsmitteln vorgehen, sondern sie wird nur auf den zulässigen Wegen menschlicher Erziehung, innerer Überzeugung, gemeinsamer Besprechung, immer unter Achtung der persönli-
Congar 1968, S. 398. Vgl. auch ebd., S. 399: »Trotz allem bleibt es wahr, daß die Pastoralkonstitution das christolologische Fundament der Beziehungen zwischen der Kirche und der Welt nicht betont entwickelt hat. Das kommt unserer Meinung daher, daß sie alle Menschen, Christen, und Nichtchristen, Glaubende und Nichtglaubende, ansprechen will [...], sie wollte nicht an die erste Stelle eine Aussage setzen, die den Glauben schon voraussetzt. Darum hat sie auch im allgemeinen eine induktive Methode angewandt, die vom Bekannteren zum weniger Bekannten fortschreitet; aus diesem Grund stehen die christologischen Aussagen am Ende eines jeden Kapitels. [...] Die Kirche ist in die Geschichte der Menschen eingefügt, weil sie aus Menschen gebildet ist [...]; so ist die Welt zugleich der Schauplatz der menschlichen Geschichte und der Verwirklichung des Heilsplanes Gottes.« 41 Ecclesiam suam, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 1639. 40
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chen und staatsbürgerlichen Freiheit das Geschenk des Heils anbieten [... U]nser Dialog soll seiner Natur nach allgemein sein, katholisch«.42 Bezüglich alternativer Formen der Beziehung von Kirche zur Welt – sie könnte »danach trachten, sich aus dem Verkehr mit der profanen Gesellschaft herauszuhalten [..., diese mit] Bannfluch zu belegen und Kreuzzüge gegen sie zu predigen [... oder] theokratische Herrschaft über sie auszuüben« – empfiehlt der Papst dem Konzil den Dialog, der nicht nach einem allgemeinen Schema vorgehen dürfe, sondern sich der Eigenart des Partners und der gegebenen Wirklichkeit anpassen müsse: »Dies ist eine Forderung, die sich aus der heutigen allgemeinen Art und Weise ergibt, das Verhältnis zwischen dem Heiligen und dem Profanen aufzufassen. Sie ergibt sich aus dem Dynamismus, der die moderne Gesellschaft ergriffen hat [... S]ie schließt eine aprioristische Verurteilung, eine beleidigende und gewohnheitsmäßige Polemik und eitles, unnützes Reden aus. Wenn sie auch gewiß nicht auf eine Bekehrung des Partners abzielt, da sie seine Würde und seine Freiheit achtet, so sucht sie dennoch dessen Vorteil und möchte ihn zu einer vollständigen Einheit der Gesinnung und Überzeugung führen.« 43 Wenn also, wie gezeigt und im Umfeld des Konzils geschehen, nicht mehr die Kirche die Welt belehren will, sondern vielmehr (selbstbezüglich) über »Kirche in der Welt« reflektiert wird, ist zum einen selbstreferenziell eine neue Beobachtungsebene erschlossen (zweiter Ordnung). Zum anderen spiegelt sich im Außenverhältnis nicht nur der Wandel des gesellschaftlichen Differenzierungsbewusstseins wieder, sondern es ergeben sich auch konkret neue Umweltreferenzen, wenn aus Doktrin Ethik wird. Dies lässt sich für die kirchliche Reflexionstheorie anschaulich in der Umkehrung eines weiteren Quaestiones-DisputataeTitels in der für die Kirche neuartigen Frage demonstrieren: ›Wieviel Öffentlichkeit verträgt die Theologie?‹ Welche Öffentlichkeit ist angesprochen? Mit Fresacher gefragt: »Wie lässt sich das Verhältnis von christlichem Glauben und Welt unter den soziologisch und epistemologisch beschreibbaren Bedingungen der modernen Gesellschaft und des modernen Bewussteins heute theologisch erkläEbd., S. 1643. Ebd., S. 1645. »Bis zu welchem Grade muß die Kirche sich den historischen und örtlichen Umständen anpassen, in denen sie ihre Sendung ausübt? Wie muß sie sich gegen die Gefahr eines Relativismus schützen, der ihre dogmatische und moralische Treue antastet? [...] Die Welt wird nicht von außen gerettet. Man muß, wie das menschgewordene Wort Gottes, gewissermaßen mit den Lebensformen derjenigen eins werden, denen man die Botschaft Christi bringen will [...] Noch bevor man spricht, muß man auf die Stimme, ja sogar auf das Herz des Menschen hören; man muß ihn verstehen und achten [...] Der Irenismus und der Synkretismus sind im Grunde nichts anderes als Formen des Skeptizismus hinsichtlich der Kraft und des Inhalts des Wortes Gottes«. Ebd., S. 1649. Vgl. zum Dialog als Form der Kommunikation und Wahrheitsfindung in der Kirche dreißig Jahre nach Veröffentlichung von Ecclesiam suam Lehmann 1994 sowie die vom späteren Rottenburger Bischof Fürst 1997 herausgegebenen Quaestiones disputatae, hier »Dialog als Selbstvollzug der Kirche?« Darin mit Bezug auf die Communio-Theologie des Konzils Pottmeyer 1997 sowie den Kommentar zu einem Papier des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Ebertz 1997. 42 43
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ren? Der Begriff Dialog, auf den das Konzil dafür zurückgreift, bietet [...] keine Erklärung, sondern vielmehr eine Problemanzeige.« 44 Weiter unten wird der Dialogfaden nochmals aufgenommen und der neue Sprachgebrauch des Konzils kritisch hinterfragt. Mit dieser neuen Perspektive läutet das Konzil eine Universalisierung kirchlicher Sozialethik ein und dabei avanciert Weltgesellschaft unhintergehbar als reflexionstheoretischer Rahmen.45 7.2 Funktionale Differenzierung der Weltgesellschaft Seit dem 13. Jahrhundert ist die römische Kurialformel »Urbi et orbi« zur Spendung des apostolischen Segens des Papstes bekannt. Sie reflektiert seine Doppelfunktion als Bischof von Rom und Papst der weltweiten Christenheit. Dieser liturgische Reflex symbolisiert den programmatischen Universalitätsanspruch des Katholizismus mit seiner Zentrum/Peripherie-Distinktion in räumlicher Begrifflichkeit. Trotz der Geläufigkeit dieser Unterscheidung gebraucht das Zweite Vatikanum sie in seinen Texten nicht. Indem sich das Konzil vielmehr von der damit verbundenen imperialen ›Herrschafts-Konnotation‹ löst, setzt es – so die hier vertretene These – Kapazitäten frei, um in Sachen ›Globalisierung des Katholizismus‹ nunmehr die anderen Sinndimensionen des Weltbegriffs auszuloten. Ganz überwiegend verwendet das Konzil deshalb, wenn es ›Welt‹ sagt, das lateinische Wort mundus. Doch aus begriffsgeschichtlicher Perspektive ist auch dieser Ausdruck nicht ohne Vergangenheit:46 Die mittelalterliche Welt-Metaphorik und noch der spätere Barock war geprägt von dem Motiv des contemptus mundi, das auf weltlicher wie auf geistlicher Seite gleichermaßen das Trügerische einer endlichen Welt zeigt. Angesichts der Verlockungen nötigt dieses Trügerische zur Fresacher 2006, S. 87. Vgl. zu dieser Ausweitung des Blickfeldes, die bereits vor dem Konzil einsetzt, Krauss 1967, S. 90: »Die Bedeutung einer eigentlichen Sozial- und Gesellschaftslehre für die Missionsgebiete wird erst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg stärker erkannt. 1950 empfahl ein Brief des Staatssekretärs Montini vom 19. August an den Missionskongreß, der anläßlich des Heiligen Jahres in Rom stattfand, den Missionaren das Studium der sozialen Frage [...] Die Enzyklika ›Evangelii praecones‹ vom folgenden Jahr 1951 legte dann ein solches Gewicht auf die sozialen Fragen der Missionsländer, daß manche darin sogar den Hauptpunkt dieser Enzyklika gesehen haben. Dabei ist in diesem Zusammenhang wichtig, das Pius XII. hinsichtlich der Sozialarbeit als Begründung die Gerechtigkeit sehr stark betont, nicht nur die Nächstenliebe. Damit wird die Wichtigkeit der Arbeit an den Ordnungen und Strukturen des weltlichen Bereichs unterstrichen und der etwas zu individualistische Zug der karitativen Arbeit überwunden. Ausdrücklich wird eine Rücksichtnahme auf die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Missionswerke gefordert. Die ferner in der Enzyklika enthaltene Aufforderung an die Missionsoberen, zur Leitung der Sozialwerke Laien heranzuziehen und von einheimischen Laien geleitete Verbände und Einrichtungen zu gründen und zu fördern, bedeutet eine Absage an alles, was an den bisherigen Sozialwerken der Mission – natürlich teilweise aus den Umständen heraus – bislang paternalistische oder klerikale Züge trug.« 46 Vgl. zur Begriffsgeschichte von ›Welt‹ nochmals Braun 1978. 44 45
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Entlarvung des schönen Scheins und nimmt für den weltmännischen Minnesänger ebenso wie für den weltflüchtigen Klostermann als versucherische »frouwe werlt« Gestalt an. Im Sinn eines »Labyrinthes der Welt« wird vor ihrer Verkehrtheit in didaktischer Absicht gewarnt, auf der irdischen Pilgerschaft nicht ihrer scheinbaren Weisheit zu verfallen. Die sich im herkömmlichen Begriff mundus ausdrückende Antithetik von Gott und Welt verweist auch auf die jeweilige Seite der intendierten Primäridentifikation: Während das Erste Vatikanum die Kirche vor allem als göttliche Institution auf Erden im Gegenüber zur Welt darstellte und angesichts der katholischerseits als bedrohlich empfundenen Umwelt als organisatorische Maßnahme den päpstlichen Universalepiskopat (inklusive der Unfehlbarkeit) definierte, 47 verortet das Zweite Vatikanum, wie man bereits der Überschrift seiner Pastoralkonstitution entnehmen kann, die Kirche genau auf der anderen Seite, und zwar in der Welt als »ecclesia in mundo huius temporis«. Wie das Konzil nach dieser Standpunktverschiebung (von Gott auf Welt) das innerweltlich Äußere des Katholizismus sieht, ist die Grundfrage dieses und der folgenden Kapitel. Dem zweiten Abschnitt von Gaudium et spes zufolge steht ihr dabei direkt die »Welt der Menschen«, die »Gesamtheit der Wirklichkeiten« als »Schauplatz der Geschichte« vor Augen. An dieser Welt sind kirchlicherseits jetzt die »Zeichen der Zeit« zu diagnostizieren, als deren herausragende Novität nunmehr die spürbare Einheit dieser Welt als »mundus suam unitatem« beschrieben wird. Aus der innerweltlich wechselseitigen Abhängigkeit wird zunächst innerweltliche Solidaritätsnotwendigkeit abgeleitet (GS 4). Weiter verweist die Pastoralkonstitution darauf, dass sich die heutige Welt (mundi hodierni) in einer ambivalenten Situation – zugleich eine der Stärke wie der Schwäche – befinde und ihre Zukunft aufgrund alternativer Möglichkeiten offen stehe. Charakteristisch sei gerade die »gegenseitige Verflechtung« der Menschen, deren Entwicklung der »technische Fortschritt« fördere und die als gesellschaftliche Verflochtenheit (nessetudines sociales) sogleich normativ gewendet wird: »Je mehr nämlich die Welt zusammenwächst, desto offenkundiger greifen die Aufgaben der Menschen über die Sondergruppen hinaus und erhalten allmählich Bedeutung für die Welt als ganze. Das wird nur dann zur Auswirkung kommen, wenn die Einzelnen und ihre Vgl. Erstes Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über den Glauben, Constitutio dogmatica de fide catholica, in Wohlmuth 2002, S. 807: »Damit wir aber unserer Verpflichtung, den wahren Glauben von Herzen zu umfassen und standhaft darin zu verharren, genügen können, hat Gott durch seinen einziggeborenen Sohn die Kirche eingesetzt und sie mit deutlichen Kennzeichen seiner Einsetzung ausgestattet, damit sie von allen als Hüterin und Lehrmeisterin des geoffenbarten Wortes anerkannt werden kann. Denn allein zur katholischen Kirche gehört all das, was göttlicherseits zur offensichtlichen Glaubwürdigkeit des christlichen Glaubens so vielfach und wunderbar angeordnet wurde. Ja, die Kirche ist schon für sich allein wegen ihrer doch erstaunlichen Verbreitung, ihrer außerordentlichen Heiligkeit und unerschöpflichen Fruchtbarkeit in allem Guten, wegen der katholischen Einheit und der unüberwindbaren Stabilität ein großartiges und beständiges Glaubwürdigkeitsmotiv und ein unzerbrechliches Zeugnis ihrer göttlichen Sendung.« 47
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Gruppen die sittlichen und gesellschaftlichen Tugenden bei sich selbst pflegen und in der Gesellschaft zur Geltung bringen; dann werden sie mit der notwendigen Hilfe der göttlichen Gnade wahrhaft neue Menschen und Erbauer einer neuen Menschheit.« (GS 30, vgl. auch 9 sowie 23) Als besonderes Merkmal der gegenwärtigen Welt beschreibt das Konzil zunächst ihren globalisierten Zustand und es ist auffällig, dass es für die Beschreibung des Äußeren Gemeinschaftssemantik gebraucht: »Durch Arbeit und Geisteskraft hat der Mensch immer versucht, sein Leben reicher zu entfalten. Heute jedoch hat er, vor allem mit den Mitteln der Wissenschaft und der Technik, seine Herrschaft beinahe über die gesamte Natur ausgebreitet und breitet sie beständig weiter aus. Vor allem dank den zwischen den Völkern zunehmenden Beziehungen der mannigfaltigsten Art erfährt und gestaltet sich die Menschheitsfamilie allmählich als eine die ganze Welt umfassende Gemeinschaft« (universo mundo communitatem). (GS 23) Sich selbst in den Beschreibungsgegenstand einbeziehend, zitiert die Pastoralkonstitution die frühere Kirchenkonstitution, wenn sie nun im Vergesellschaftungskontext »dynamismo sociali hodierno« die kirchliche Relevanz in Fragen »gesunder Sozialisation« und Vergesellschaftung (processum sanae socializationis et consociationis) herausstellt: »Förderung von Einheit hängt ja mit der letzten Sendung der Kirche zusammen, da sie ›in Christus gleichsam als Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit‹ [vgl. LG 1] ist. So zeigt sie der Welt, daß die wahre Einheit in der äußeren gesellschaftlichen Sphäre aus einer Einheit der Gesinnungen und Herzen erwächst, aus jenem Glauben und jener Liebe nämlich, auf denen im Heiligen Geist ihre unauflösliche Einheit beruht.« (GS 42) Nachdem in Gaudium et spes der innerweltliche Solidaritätsbedarf der Gesellschaft mit Gemeinschaftssemantik eruiert wird, wird der Text selbstreflexiv, wenn er die Rolle der Kirche in dieser Welt behandelt: In Solidarität mit der Welt teile sie doch das gleiche irdische Geschick, wenn Kirche gleichsam zum »Sauerteig« und zur »Seele« (fermentum et veluti anima societas humanae) der umzugestaltenden menschlichen Gesellschaft werde. Mundus ist somit als sozialer Begriff gefasst und als kirchlich relevante Welt meint das Konzil – so ist es ex post nicht überinterpretiert zu sagen – die Weltgesellschaft. Neben der analytischen Globalisierungsthematik verweist das Konzil zugleich immer normativ mit mundus als der lateinischen Variante des griechischen kosmos auf die innerweltliche Ordnungsdimension. Durch die dabei mitlaufende Unterscheidung von Natur und Kultur in sozialer Hinsicht kann sie mit eigener Semantik anschließen und zwischen göttlicher Schöpfung und humaner Verantwortung differenzieren: »Gleichzeitig wächst die Überzeugung, daß die Menschheit nicht nur ihre Herrschaft über die Schöpfung immer weiter verstärken kann und muß, sondern daß es auch ihre Aufgabe ist, eine politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung zu schaffen, die immer besser im Dienst des Menschen steht und die dem Einzelnen
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wie den Gruppen dazu hilft, die ihnen eigene Würde zu behaupten und zu entfalten.« (GS 9) Wie Gott als Schöpfer der Welt angesprochen wird, gilt der Mensch im Kollektivsingular als Schöpfer der Kultur (homo auctor culture). (GS 55) Kulturell sieht das Konzil die Zeichen der Zeit sowohl durch Wissenschaft, die kritisches Urteilsvermögen befördere, tiefere Erklärung des menschlichen Tuns biete und die Dinge unter dem Gesichtspunkt ihrer Wandelbarkeit erscheinen lasse, als auch durch einen immer einheitlicheren Lebensstil und homogenere ethische Haltungen geprägt. Industrialisierung wie zunehmende Verstädterung trieben Vergemeinschaftungsprozesse voran, schafften als neue Form eine Massenkultur »novas culturae forma (massculture)« 48, aus denen ein neues Lebensgefühl, neue Handlungsoptionen und Freizeitgestaltung erwachsen. »So bildet sich allmählich eine universalere Form der menschlichen Kultur, die die Einheit der Menschheit um so mehr fördert und zum Ausdruck bringt, je besser sie die Besonderheiten der verschiedenen Kulturen achtet.« (GS 54) Wenn das Konzil nach innen gerichtet (ad intra) in seiner neuen Selbstbeschreibung des Katholizismus in der Kirchenkonstitution (LG) sowie im Dekret über das Laienapostolat (AA) als Beschreibung von Mitgliedschaftsrollen den spezifischen »Weltauftrag der Laien« profiliert, ist es auch für diesen »ad extra«-Zusammenhang interessant, dass die Kirchenkonstitution feststellt, dass es vor allem die (kirchlichen) Laien (gleichsam als ›moralische Sanitäter‹) sein sollen, die in Zusammenarbeit mit der Hierarchie die Einrichtungen und Verhältnisse der Welt (conditiones mundi) von Gewohnheiten zur Sünde zu heilen suchen sollen unter der Maßgabe, alles nach der Norm der Gerechtigkeit umzugestalten: »Auf diese Weise erfüllen sie die Kultur und die menschlichen Leistungen mit sittlichem Wert.« (LG 36) Noch ganz aus der analytischen Beobachtungsperspektive beschreibt das Konzil die zeitliche Dimension seiner Weltwahrnehmung als eine »rasche Beschleunigung« des Gangs der Geschichte, der zunehmend die diversen internen Abläufe der menschlichen Gemeinschaft zu einem einheitlichen Schicksal vereine, dessen Nachvollzug neue kognitive Anstrengungen verlange: »So vollzieht die Menschheit einen Übergang von einem mehr statischen Verständnis der Ordnung der Gesamtwirklichkeit zu einem mehr dynamischen und evolutiven Verständnis. Die Folge davon ist eine neue, denkbar große Komplexheit der Probleme, die wiederum nach neuen Analysen und Synthesen ruft.« (GS 5) Die konziliare Futurologie erschöpft sich als Eschatologie aber nicht in empirischer Analyse, vielmehr deutet sie ihre gesellschaftstheoretischen Befunde im Licht eigener Reflexionstheorie, wenn sie einerseits normativ mahnt, dass der Mensch in seinem Ringen um die Welt sich selbst nicht »ins Verderben« bringe. Die Er48
Hier zitiert das Konzil auf Englisch im lateinischen Originaltext einen Begriff der kritischen Theorie, wendet diesen aber ins Positive.
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wartung einer kommenden neuen Erde (novae terrae) müsse vielmehr zur sorgenden Gestaltung dieser Erde anregen, orientiert am »wachsenden Leib der neuen Menschenfamilie« als einer ermutigenden Vorstellung von der künftigen Welt (novi saeculi).49 Gerade die folgende eschatologische Verknüpfung hat in der Rezeption dem Konzil gegenüber – ob berechtigt oder nicht – vielfach zur Unterstellung eines naiven Fortschrittsoptimismus geführt:50 »Obschon der irdische Fortschritt eindeutig vom Wachstum des Reiches Christi zu unterscheiden ist, so hat er doch große Bedeutung für das Reich Gottes, insofern er zu einer besseren Ordnung der menschlichen Gesellschaft beitragen kann.« (GS 39) Besonders das Dekret zum Laienapostolat wird hier konkreter, wenn es die »zeitliche Ordnung« mit Bibelbezug schöpfungstheologisch deutet und hinsichtlich der Güter des Lebens und der Familie, der Kultur, Wirtschaft und Kunst, des beruflichen Schaffen, der Einrichtungen der politischen Gemeinschaft sowie der internationalen Beziehungen feststellt, dass Entwicklung und Fortschritt in diesen Bereichen nicht bloß Hilfsmittel zur Erreichung letzter menschlicher Ziele darstellen, sondern vielmehr einen gottgewollten Eigenwert sowohl jeweils für sich In Bezug auf die Pastoralkonstitution stellt Congar 1968 in seinem Kommentar heraus, dass die Menschen durch eschatologische Berufung keineswegs von ihren irdischen Aufgaben abgelenkt würden, sie sei vielmehr besondere Verpflichtung dazu. Dennoch müsse bekannt werden, dass dies nicht immer ganz erkannt und so lange Zeit eine gewisse ›Weltverachtung‹ (vgl. auch gregorianische Reform) begünstigt wurde: Man könne sagen, dass »das Vaticanum II durch Dokumente wie ›Gaudium et spes‹ und die Erklärung über die Religionsfreiheit das Blatt des Mittelalters endgültig umgedreht hat.« Ebd., S. 401. Das Mittelalter sei vorbei und der »zeitliche Bereich« werde nicht mehr der Kirche untergeordnet, was aber nicht bedeute, dass die Eschata bzw. das Heil etwas Äußerlich-Fremdes sei, vielmehr hätten sie im Blick auf Natur und Geschichte als Vollendung zu gelten. Christen verzichteten nicht auf irdisches Wirken, wenn sie ihr Tun und ihr Leben auf die Eschata hin ausrichteten, gehe es hierbei doch (im Unterschied zum katholischen Integralismus) um die Verwirklichung der integralen Berufung als Menschen: »So in ihrer existentiellen und konkreten Situation gesehen, ist die Welt nicht so sehr das Gegenüber in Konkurrenz zur Kirche als vielmehr die Materie der Kirche selbst«. Ebd., S. 402. So gesehen dürfe man die Kirche nicht bloß auf den ›religiösen‹ Bereich des Kults einschränken. Dennoch könne die Unterscheidung zwischen dem Bereich des Heiligen und dem des Profanen Sinn machen, verhängnisvoll werde sie aber, »wenn sie zur materiellen Trennung der beiden Bereiche im Leben der Menschen führen wollte. In dieser Hinsicht kann für den Christen alles heilig sein: es gibt nur das Profane, das er selbst durch die Sünde zum Profanen macht.« Ebd., S. 403. 50 Ratzinger 1968 sieht den Impuls zu dieser optimistischen Sicht der Welt und des Menschen in der Rede Johannes‘ XXIII. zur Eröffnung des Konzils diesem gleichsam mit auf den Weg gegeben, in der dieser sich den ›Unheilspropheten‹ entgegengestellt habe, welche immer nur eine Entwicklung zum Schlimmeren hin erkennen wollten: »Der Impuls, von dem Johannes ausging, wies freilich in eine etwas andere Richtung: einer Mentalität, die sich einzig an das Mittelalter als an das Idealbild kirchlichen Seins anklammerte und daher im Grunde die Wiederherstellung des Mittelalters als Leitbild ihres Handelns und Denkens vor Augen hatte, stellt er die Auffassung entgegen, daß jede Zeit der Kirche neue Möglichkeiten bietet und daß die Kirche sich daher in den Möglichkeiten ihrer jeweiligen Zeit auswirken und auf diese antworten muß. So ist sein Optimismus wesentlich Absage an die Mittelalterromantik, die darauf vergißt, daß jede Zeit Gottes ist und in ihrer jeweiligen Heutigkeit dem Heute Gottes geöffnet werden kann und soll.« Ebd., S. 319. 49
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selbst als auch als Teil der gesamten zeitlichen Ordnung (universi ordinis temporalis) ausdrücke: »›Und Gott sah alles, was er geschaffen hatte, und es war sehr gut‹ (Gn 1,31). Diese natürliche Gutheit von alldem erhält seine spezifische Würde durch die Beziehung dieser Dinge zur menschlichen Person, zu deren Dienst sie geschaffen sind. Endlich hat es Gott gefallen, alles, das Natürliche und das Übernatürliche, in Christus Jesus zu einer Einheit zusammenzufassen, ›so daß er selbst in allem den ersten Rang hat‹ (Kol 1,18). Dennoch nimmt diese Bestimmung der zeitlichen Ordnung in keiner Weise ihre Autonomie, ihre eigenen Ziele, Gesetze, Methoden und ihre eigene Bedeutung für das Wohl der Menschen. Sie vollendet sie vielmehr in ihrer Bedeutung und ihrem Eigenwert. Zugleich richtet sie sie auf die volle Berufung des Menschen auf Erden aus« (terram). (AA 7) Damit zur sachlichen Dimension des konziliaren Weltverständnisses, derzufolge in der ganzen Welt (universo mundo) der Sinn für Autonomie und zugleich für Verantwortlichkeit wachse. Dies nimmt das Konzil als Indiz für »die geistige und sittliche Reifung der Menschheit«, stellt es aber vor das Dilemma, wie einerseits kulturelle Autonomie als rechtmäßig anerkannt werden könne, ohne andererseits einen rein innerweltlichen und bisweilen auch religionsfeindlichen Humanismus zu fördern: »Inmitten all dieser Antinomien muß die menschliche Kultur heute so entwickelt werden, daß sie die volle menschliche Persönlichkeit harmonisch ausbildet und den Menschen bei den Aufgaben behilflich ist, zu deren Erfüllung alle, vor allem aber die Christen, in einer einzigen menschlichen Familie brüderlich vereint, berufen sind.« (GS 55, 56) Einerseits differenziert das Konzil in seiner weltgesellschaftstheoretischen Makroperspektive nach räumlichen Kriterien, wenn es regional diverse Pfadabhängigkeiten je »nach Verschiedenheit der Länder und der Entwicklung der Völker« bei der Integration von Sozialisation, gesellschaftlicher Autonomie und personaler Entfaltung einräumt, andererseits beschränkt es die kirchliche Zuständigkeit entsprechend ihrer Sendung Christi, auf den religiösen Bereich, da sich diese Sendung nicht »auf den politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Bereich« beziehe, »das Ziel, das Christus ihr gesetzt hat, gehört ja der religiösen Ordnung an.« (GS 42)51 Auf diese Weise öffnet das Konzil der Kirche den Weg für ein funktionales Verständnis gesellschaftlicher Differenzierung, indem einerseits mit Bezug auf
Dort wird, wohl um die Kontinuität der neuen Lehre zu beweisen, eine Ansprache Pius‘ XII. wie folgt wörtlich zitiert: »Ihr göttlicher Stifter Jesus Christus gab ihr weder einen Auftrag noch eine Zielsetzung auf der Ebene der Kultur. Das Ziel, das Christus ihr anweist, ist streng religiös [...]. Die Kirche muß die Menschen zu Gott führen, damit sie sich ihm vorbehaltlos hingeben [...]. Die Kirche kann dieses streng religiöse und übernatürliche Ziel nie aus den Augen verlieren. Der Sinn all ihrer Tätigkeiten, bis zum letzten Artikel ihres Rechtsbuches, kann nur der sein, direkt oder indirekt zu diesem Ziel beizutragen.« Beim Sozialisationsbegriff (GS 75) gibt es einen direkten Verweis auf die Enzyklika Mater et magistra von Johannes XXIII. 51
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Galilei der Anschluss an die neuzeitliche Entwicklung des Weltbegriffs52 gefunden wird. Andererseits kann es nun um die richtige Autonomie der irdischen Wirklichkeiten (de iusta rerum terrenarum autonomia/rerum temporalium autonomia) gehen. 53 Als Quintessenz dieses Abschnittes kann folgendes Zitat aus der Pastoralkonstitution gelten: »Nun scheinen viele unserer Zeitgenossen zu befürchten, daß durch eine engere Verbindung des menschlichen Schaffens mit der Religion die Autonomie des Menschen, der Gesellschaften und der Wissenschaft bedroht werde. Wenn wir unter Autonomie der irdischen Wirklichkeiten verstehen, daß die geschaffenen Dinge und auch die Gesellschaften ihre eigenen Gesetze und Werte haben, die der Mensch schrittweise erkennen, gebrauchen und gestalten muß, dann ist es durchaus berechtigt, diese Autonomie zu fordern. Das ist nicht nur eine Forderung der Menschen unserer Zeit, sondern entspricht auch dem Willen des Schöpfers. Durch ihr Geschaffensein selbst nämlich haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre Wahrheit, ihre eigene Gutheit und ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methoden achten muß. Vorausgesetzt, daß die methodische Forschung in allen Wissensbereichen in einer wirklich wissenschaftlichen Weise und gemäß den Normen der Sittlichkeit vorgeht, wird sie niemals in einen echten Konflikt mit dem Glauben kommen, weil die Wirklichkeiten des profanen Bereichs und die des Glaubens in demselben Gott ihren Ursprung haben. [...] Deshalb sind gewisse Geisteshaltungen, die einst auch unter Christen wegen eines unzulänglichen Verständnisses für die legitime Autonomie der Wissenschaft vorkamen, zu bedauern. Durch die dadurch entfachten Streitigkeiten und Auseinandersetzungen schufen sie in der Mentalität vieler die Überzeugung von einem Widerspruch zwischen Glauben und Wissenschaft.« (GS 36) Mit Bezug auf Wissenschaft spricht das Konzil an dieser Stelle besonders ein Funktionssystem explizit an. Nach Ratzinger ist aber der hier gebrauchte Begriff von Wissenschaft nur als eine besondere Betätigungsform des menschlichen Geistes zu verstehen, welche sogar »das eigentlich Menschliche« – was Braun 1978 erinnert aus begriffsgeschichtlicher Perspektive daran, dass es die Entdeckungen an der Wende zum 16. Jahrhundert waren (Kolumbus, Magellan, Kopernikus und Galilei), die die bekannte Welt zur Alten Welt werden ließen und eine Rede von Welt im Plural nötig machten. 53 Vgl. zur Autonomie als »Schlüsselbegriff« des Konzils aus theologischer Sicht die Studie Losinger 1989. Kaufmann 1996, S. 28 sieht als Soziologe hier den Anschluss an funktionale Differenzierung gegeben. Kreutzer 2006, S. 262ff erkennt im konziliaren Bild der modernen Gesellschaft deutliche Analogien zwischen modernem Selbstverständnis (im Spiegel der Modernisierungstheorie) und der theologischen Zeitdiagnostik in dem Sinne, dass Merkmale der Modernität wie Differenzierung, Säkularisierung und hermeneutisches Verstehen in Gaudium et spes theologisch verarbeitet werden: In Bezug auf die Dichotomie von moderner und traditionaler Gesellschaft gebe es das Pathos des Neuen, die kulturoptimistischen Momente trügen den Charakter positiver Normativität und hinsichtlich des evolutionistischen Motivs gehe es um eine Akzeptanz des Wandels. 52
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sich in Form der »Weisheit« ausdrücke – auslasse. Das Konzil stellt dem Wissenschaftsbegriff jedoch den höhergeschätzten Begriff der Weisheit gegenüber. Kritisch bemerkt Ratzinger in Bezug auf die Umweltbeschreibung dieses Funktionskontextes eine mangelnde Verarbeitung moderner Philosophie und angrenzender Wissenschaften. Für die Pastoralkonstitution sei aber festzustellen, dass der augustinische Wissenschaftsbegriff als Gegenpol zur Weisheit mit dem heutigen Verständnis von Wissenschaft (science) korrespondiere: »Dieser platonisch inspirierte Begriff der Wissenschaft als Wissen vom Erscheinenden kommt dem naturwissenschaftlichen Wissensbegriff mit seinem notwendigen methodischen Positivismus und seiner Ausklammerung der Frage nach der Wahrheit des Seins sehr nahe und bietet daher mit Recht den Verfassern den Ansatzpunkt, um auch heute auf der Notwendigkeit der Sapientia zu insistieren. Sie definiert die Möglichkeit, vom Sichtbaren zum Unsichtbaren vorzustoßen und die Phänomene zu überschreiten auf die ›intelligible Wirklichkeit hin‹, die der Mensch ›mit wahrer Gewißheit‹ zu berühren vermöge.« 54 In diesem Kontext erinnert Ratzinger an das Bekenntnis des Ersten Vatikanums, der Möglichkeit ›sicherer‹ Gotteserkenntnis aus der Vernunft. Mit der Verwendung des Scientia-sapientia-Schemas ziele das Zweite Vatikanum dagegen auf seinen eigentlichen Leitbegriff, das Humanum. Dies ermögliche erneut – nun auf anderer Ebene – kritische Distanz zum Fortschrittsgedanken. Das Voranschreiten der Wissenschaft und der durch sie ermöglichten »artes« bringe noch keine Sicherung der Zukunft des Menschen. Diese bleibe solange gefährdet, wie dem Zuwachs an Wissenschaft noch ein Mangel an Weisheit gegenüberstehe. »Das Neue, die Entdeckungen des menschlichen Verstandes, ist an sich nicht auch schon das Humanere, es muß erst humanisiert werden durch ›Weisheit‹. Die Vermenschlichung des Menschen wird von der Wissenschaft allein nicht besorgt. Ob also die Fortschritte der Wissenschaft Fortschritte des Menschen sind, entscheidet jeweils erst der Mensch selbst. So ist hier jede mechanische Wissenschaftsgläubigkeit und die Hoffung auf erlösende Macht des technischen Fortschritts durch das Prinzip ›Weisheit‹ als das eigentlich Menschliche in Frage gestellt.« 55 Was das Konzil also primär auf die Welt der Wissenschaft als kirchlicher Umwelt bezogen feststellt, in dieser Arbeit aber nicht weiter ausgeführt werden kann, ist leicht auf andere Kontexte übertragbar. Es zeigt sich ein neues kirchliches Sensorium für innergesellschaftlich funktionale Differenzen sowie für die Pluralität der Welten, obwohl oder gerade weil – wie Johannes Messner in seinem zeitgenössischen Kommentar vermerkt56 – vom Konzil kein einheitlicher Gesellschaftsbegriff gebildet wird. Auf diese »konstitutive Simultaneität diverser ›Welten‹« hatte bereits im Entstehungsprozess der Pastoralkonstitution der daRatzinger 1968, S. 326f. Ebd., S. 328. 56 Vgl. Messner 1969, hier S. 82. 54 55
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malige Erzbischof Wojtya mit einem bemerkenswerten Votum hingewiesen. 57 Dabei ging es mit Bezug auf den in der dritten Sitzungsperiode noch als Schema vorliegenden Text um das Verhältnis von Kirche und Welt hinsichtlich der kirchlicherseits auf die Welt gerichteten Ambitionen: Kirche sei einerseits motiviert, aus dem großen »Schatz ihrer Wahrheit schöpfend«, ihre »Liebe zu den Menschen« zu verdeutlichen. Indem sie aber andererseits die Position des Lehrmeisters einnehme, »setzt sie sich von selbst über die Welt und fordert von dieser ihr gegenüber Gehorsam«. Das Konzil müsse im Gegensatz dazu deutlich machen, »dass die Welt uns nicht so sehr in autoritativer Weise lehren sieht, sondern dass wir uns vielmehr zusammen mit ihr auf der Suche nach der wahren und angemessenen Lösung schwieriger Probleme menschlichen Lebens befinden.« Um einer »ekklesiastischen Mentalität« vorzubeugen, empfiehlt der spätere Papst Johannes Paul II. den Konzilsvätern, auf seine didaktischen Erfahrungen als Universitätsprofessor Bezug nehmend, die Verwendung »heuristischer Methoden«, welche der Welt in der Schülerposition erlaube, die Wahrheit gleichsam aus sich selbst heraus zu finden. Der Text der zukünftigen Pastoralkonstitution sei deshalb nicht nur für die Welt außerhalb der Kirche zu formulieren, »sondern auch für die Kirche in der Welt – oder vielmehr in jenen unterschiedlichen ›Welten‹, wie wir schon gesagt haben. Es ist erforderlich, dass die Kirche in diesem Schema nicht nur mit der Welt spricht, sondern dass sie sich als in dieser Welt präsent zeigt.« 58 Das hier angesprochene empirische Material bietet gute Anschlussmöglichkeiten an die unsere Untersuchungen leitende Gesellschaftstheorie Luhmanns, als deren primäres Thema bekanntlich funktionale Differenzierung gilt. In »Soziale Systeme« setzt Luhmann den Weltbegriff als Begriff für die Sinneinheit der Differenz von System und Umwelt ein und gebraucht ihn auf diese Weise als »differenzlosen Letztbegriff«: »Der Weltbegriff bezeichnet eine Einheit, die nur für Sinnsysteme aktuell wird, die sich von ihrer Umwelt zu unterscheiden vermögen und daraufhin die Einheit dieser Differenz reflektieren als Einheit, die zwei Unendlichkeiten, die innere und äußere, umfaßt. Welt in diesem Sinne wird also durch die Ausdifferenzierung von Sinnsystemen, durch Differenz von System und Umwelt konstituiert.« 59 Die traditionelle Zentrierung des Weltbegriffs um eine Mitte oder auf das Subjekt ist damit theorietechnisch aufgegeben, an dessen Stelle rückt die Zentrierung um die Differenz von System und Umwelt:
Vgl. Fresacher 2006, S. 59, Tanner 2006, S. 329ff sowie Sander 2005, S. 632ff. Wojtya 1964, zitiert nach Sander 2005, S. 633. 59 Luhmann 1984, S. 284. »Insofern ist sie (anders als die phänomenal gegebene Welt) nichts Ursprüngliches, nichts Archehaftes, sie ist eine Abschlußeinheit als Anschlussvorstellung an eine Differenz. Sie ist Welt nach dem Sündenfall. [...] Vor allem gewinnen wir mit diesem Weltbegriff die Möglichkeiten, Forschungen vorschlagen zu können, die die Semantik von ›Welt‹ mit der sozialstrukturellen Entwicklung des Gesellschaftssystems in Zusammenhang bringen.« Ebd. 57 58
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Luhmanns Welt ist zwangläufig multizentrisch und das Erstaunliche ist: die Welt des Konzils ist es auch. Neben dem Thema Wissenschaft behandelt die konziliare Selbstbeschreibung in ihren diversen Texten auch die kirchlichen Bezüge zu anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen. Während in dieser Studie weiter unten weltkirchliche Polykontexturalität besonders anhand der – historisch gesehen früh ausdifferenzierten und globalisierten – gesellschaftlichen Teilbereiche Politik, Wirtschaft und Religion vor allem in den drei folgenden Kapiteln behandelt wird,60 ist an dieser Stelle kurz mit den Referenzen auf Massenmedien einerseits und Familie andererseits noch auf zwei Fälle zu sprechen zu kommen, die deswegen interessant sind, weil ihnen in unterschiedlicher Weise ein besonderes postkonziliares Nachspiel beschieden sein sollte. Zunächst zum ersten Beispiel, dem Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel Inter mirifica, mit dem das Konzil den nicht auf den religiösen oder politischen Bereich beschränkten Öffentlichkeitsanspruch der Kirche dokumentiert, indem sie direkt auf die massenmediale Umwelt Bezug nimmt:61 Dem Text wird aufgrund seiner im Konzilsgeschehen frühen Beratung und Verabschiedung noch ein »präkonziliarer Charakter« zugeschrieben, weil die in seinem weiteren Verlauf errungenen Innovationen nicht berücksichtigt werden konnten. Schon die Entstehungsgeschichte als vermeintlich leichtgewichtiger »Lückenbüßer« in einer Ermüdungsphase des Konzils nach heftigen und anstrengenden Debatten über liturgische Fragen und die »Quellen der Offenbarung« sollte es, wie bei der Vorstellung der entsprechenden Diskussionsgrundlage in der Aula durch Kardinal Cento ausdrücklich formuliert wurde, den Konzilsvätern »zur Entspannung« dienen. Mangelnde Aufmerksamkeit und zu späte Interventionen durch fachkundig-kritische Äußerungen von außen verhinderten eine angemessene Bearbeitung und sorgten für allzu rasches Durchwinken des Stoffes. Dieser offenbarte in seinen über die »katholische Presse« hinausgehenden Äußerungen im Sinne einer ›ethischen Gebrauchsanweisung‹ zur Wahrung der »objektiven sittlichen Ordnung« (IM 6) und »Bildung und Verbreitung richtiger öffentlicher Meinungen« (IM 7) ein vornehmlich instrumentelles Verständnis der Medienwelt im Sinne technisch optimierter Verbreitung kirchlicher Verkündigung. Entsprechend sollte die Journalistenausbildung »insbesondere die Soziallehre der Kirche berücksichtigen«. (IM 15) Dem Bewusstsein der Unterkomplexität in der Behandlung des Sachverhalts stand eine im Hinblick auf die überkomplexe Interaktionssituation inadäquate formalorganisierte Rahmung durch Verfahrensordnung und einen großen Erwartungsdruck, Ergebnisse präsentieren zu müssen, gegenüber. Die so Vgl. zur Ausdifferenzierungsgeschichte Stichweh 2005, S. 163ff. Osterhammel/Petersson 2003, S. 27ff setzen ihre Geschichte der Globalisierung bei Fernhandel, Großreichen und Ökumenen an. 61 Vgl. Kapitel 2 sowie die Kommentare Schmidthüs 1966, Sander 2004 (dort auch weitere Literatur) und Framerée 2002, S. 206ff. 60
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registrierte Suboptimalität dokumentiert sich einerseits in dem schlechtesten Abstimmungsergebnis im gesamten Konzilsvergleich (immerhin 164 NeinStimmen und 27 Enthaltung bei 1960 Ja-Stimmen). Sie zeigt sich andererseits aber auch in der inner- und dann intertextuellen Vorkehrung der Beauftragung einer einzurichtenden Stelle, ein nachkonziliares Pastoralschreiben zu besorgen. (IM 23) Dies gewinnt dann 1971 Gestalt in der von der Päpstlichen Kommission für die Instrumente der sozialen Kommunikation veröffentlichten umfassenden Pastoralinstruktion Communio et progressio, welche explizit auf die ›Autonomie-Passage‹ in Gaudium et spes 36 Bezug nimmt, indem sie ihre Grundsätze »aus dem Wesen der sozialen Kommunikation und der Eigengesetzlichkeit eines jeden Mediums« entfalten will.62 Das zweite Beispiel mit postkonziliaren Folgen beschreibt den kirchlichen Bezug zur familialen Umwelt, den das Konzil im Kontext der Pastoralkonstitution an herausgehobener Stelle macht. Gleich das erste Kapitel des sich mit den Konkretionen befassenden zweiten Teils der Konstitution handelt von der »Förderung der Würde der Ehe und Familie«, bezüglich dessen Hartmann Tyrell folgende Punkte herausstellt:63 Zunächst hole der Konzilstext in Sprache und Beschreibung die gesellschaftliche Intimisierung der Familie und besonders der Ehe nach, »die Liebe« sei erstmals als »eheliche Liebe« seine Leitvokabel. DaVgl. Communio et progressio 14 sowie den Kommentar Wagner 1971. Selbstverständlich wird auch hier eine gesellschaftsethische Position präsentiert. Für Luhmann 2004 liegt dagegen die Funktion der Massenmedien vor allem »im Dirigieren der Selbstbeobachtung des Gesellschaftssystems«, einer Beobachtung, welche die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit selbst erzeugt und in diesem Sinne – weil sie Anstoß zu weiterer Kommunikation im System gibt – autopoietisch ablaufe. Gerade ihre Präferenz für Information, die durch Publikation ihren Überraschungswert verliere, also ständig in Nichtinformation transformiert werde, »macht deutlich, daß die Funktion der Massenmedien in der ständigen Erzeugung und Bearbeitung von Irrititation besteht – und weder in der Vermehrung von Erkenntnis noch in einer Sozialisation oder Erziehung in Richtung auf Konformität mit Normen. Als faktischer Effekt dieser zirkulären Dauertätigkeit des Erzeugens und Interpretierens von Irritation durch zeitgebundene Information (also als Unterschied, der einen Unterschied macht) entstehen die Welt- und Gesellschaftsbeschreibugen, an denen sich die moderne Gesellschaft innerhalb und außerhalb des Systems ihrer Massenmedien orientiert«. Ebd., S. 174. Die Irritabilität ergebe sich daraus, dass das System ein an allen Operationen mitwirkendes Gedächtnis habe und damit Inkonsistenz erfahren und ausgleichen könne, woraus folgt, dass das System selbst Realität erzeugen kann. Im Unterschied »zum Funktionssystem der Massenmedien« könne Wissenschaft auf kognitive Zugewinne spezialisiert werden, während das Rechtssystem die Ordnung des normativen, kontrafaktisch durchgehaltenen und insofern lernunwilligen Erwartens übernehme. Aber im Normalfall orientiere sich die gesellschaftliche Kommunikation weder an Wissenschaft noch an Recht: »Aber sie kann in der modernen Weltgesellschaft auch nicht dem nur lokal, nur im engsten Umkreis anfallenden Alltagswissen überlassen bleiben. Es scheint demnach die Funktion der Massenmedien zu sein, diesem weder kognitiven noch normativ spezifizierten Bedarf abzuhelfen. Die Massenmedien garantieren allen Funktionssystemen eine gesellschaftsweit akzeptierte, auch den Individuen bekannte Gegenwart, von der sie ausgehen können, wenn es um die Selektion einer systemspezifischen Vergangenheit und um die Festlegung von für das System wichtigen Zukunftserwartung geht.« Ebd., S. 175f. 63 Vgl. Tyrell 1996 sowie den zeitgenössischen Kommentar zu diesem Textabschnitt Häring 1968. 62
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mit revidiere das Konzil die auf Augustinus zurückgehenden Lehre von den überpersönlichen Ehegütern und Ehezwecken; Ehe sei nunmehr eher »Bund« als »Band«. Desweiteren beschreibe die Pastoralkonstitution Familie nicht mehr von den familialen Rollen her, sondern von den »interpersonalen Beziehungen«. Damit entfielen auch der traditionalistisch-ständisch-kleinbürgerliche Charakter des herkömmlich-kirchlichen Familienbildes sowie die Sonderzuwendung zur weiblichen Seite. Der Akzent auf Beziehung mache es leichter, einerseits »Ehe« von »Elternschaft« zu unterscheiden und andererseits der »ehelichen Liebe« einen besonderen Eigenwert zuzuerkennen. »Ehe« sehe das Konzil mehr als personales Verhältnis und weniger instrumentell als Einrichtung zum Primärzweck der Reproduktion, das kirchliche »Ehesakrament« werde nicht mehr vorrangig als »Elternweihe« verstanden. Vollends ins Positive gewendet sei die Auslegung der ehelichen Sexualität aber dadurch, dass »der Konzilstext die Zeugung (theologisch) als Mitwirkung an ›der Liebe Gottes des Schöpfers‹ versteht«. Die in der konziliaren Selbstbeschreibung vorgenommenen semantischen Umstellungen von Herrschaft auf Liebe seien konsequent durchgehalten, der Akzent auf Gleichheit und Reziprozität gelegt. Familie werde nun selbst zur ecclesiola, zur »Kirche im Kleinen«, und dementsprechend resümiert Tyrell für das Zweite Vatikanum: das »Konzil vollzog im Sinne der Öffnung zur ›Welt von heute‹ in schönen Worten und theologisch inspiriert das nach, wofür die bürgerliche Kultur seit dem späten 18. Jahrhundert [...] die Weichen gestellt hatte: die ›Autonomisierung‹ und Intimisierung der (Ehe und) Familie [...] Dazu bedurfte es aber des Bruchs mit den konservativen und angestrengt traditionalistischen Sprachmustern des 19. Jahrhunderts«. 64 In Bezug auf dieses zweite Beispiel scheint die Nachhaltigkeit jener kirchlich-semantischen Umstellungen in dem Maße beeinträchtigt, wie im Fortgang die strukturelle Korrelation von Familie und Religion (hier Kirche) zunehmend als Parallelität ihrer Deinstitutionalisierungsprozesse, nämlich als abnehmende Inklusivität beider Funktionskontexte, ins lehramtliche Bewusstsein kommt. 65 Während hinsichtlich des massenmedialen Komplexes des Zweiten Vatikanums die Innovationen anschließend nachgeholt wurden, sind sie in Sachen Familie postkonziliar kirchlicherseits wieder eingeholt. Zumindest bleiben einstmalige Autonomisierungen deutlich relativiert, wenn man an die »katholischen Dilemmata« in Folge von Humanae vitae denkt. Die Enzyklika Pauls VI. von 1968 Tyrell 1996, S. 357. Mit »Deinstitutionalisierung« ist bei Tyrell diesbezüglich nichts anderes gemeint »als der Abbau dessen, was die konservative Reaktionsbildung des 19. Jahrhunderts dort ›institutionell‹ aufgebaut und was (zumal in der Bundesrepublik) in der ›restaurativen‹ Ära der Nachkriegszeit eine bemerkenswerte ›Nachblüte‹ gehabt hat; es geht also nicht um ›Enttraditionalisierung‹, sondern um den Geltungs- und Plausibilitätsverlust des konservativen Denkens, auch der konservativen Rhetorik. Dazu gehört nicht zuletzt auch das Verschwinden der Resonanzfähigkeit für das Begleitvokabular der Institutionensemantik«. Ebd., S. 360. 64 65
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provozierte eine eigentlich ungewollte, aber bis heute anhaltend gesteigerte selektive Aufmerksamkeit und Resonanz der Öffentlichkeit für kirchliche Äußerungen auf diesem Feld. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich in ihr eine zunehmende Verhärtung und Exponierung der Kirchenspitze auf dem normativen Feld von Ehe, Sexualität und Empfängnisverhütung ausdrückt.66 Jegliche Äußerungen in diesem Bereich stehen seitdem in der Gefahr, Distanzierungen zwischen kirchlichen Normen einerseits und dem gesellschaftlichen Wertesystem andererseits zu perpetuieren. 67 7.3 Inklusion statt Exklusion Entsprechend der weltanschaulichen Umstellung auf einen primär funktional differenzierten Gesellschaftsbegriff sucht das Konzil gesamtgesellschaftliche Integration – wie an den Beispielen oben dargestellt – nunmehr auf ethischem Weg. Dies kann als moralisches Reflexionsangebot verstanden werden, obwohl oder gerade weil es selbstbezüglich den kirchlichen Inklusionsmodus, wie in Kapitel zehn gezeigt wird, vor allem auf den religiösen Kommunikationszusammenhang beschränkt. Hier ist der Ort, den konziliaren Dialog-Begriff kritisch zu würdigen. Auf dem Weg von der Kirche als Gegengesellschaft zur Kirche der Weltgesellschaft markiert das Konzil den entscheidenden Unterschied dadurch, dass es besonders in seiner Pastoralkonstitution Kirche selbst als einen Kommunikationszusammenhang entwickelt und gesellschaftliche Integration erreichen will, indem es ihren kommunikativen Inklusionsbereich systematisch »menschheitsweit« ausgedehnt. Neben diesem in der Hauptsache selbstreferenziell bleibenden Programm wird das Inklusionsmotiv auch nach außen gewendet und als (moralische) Forderung normativ gefasst (als Interdependenzimperativ). Die
Vgl. Paul VI. 1968 sowie die sogenannte »Königsteiner Erklärung« der deutschen Bischöfe 1968, in der diese u.a. auf die Gewissensfreiheit der einzelnen Gläubigen bei nicht unfehlbaren Äußerungen des kirchlichen Lehramtes hinweisen. Noch 20 Jahre nach Humanae vitae sieht sich der Münstersche Bischof Lettmann pastoral motiviert und kirchenrechtlich informiert in verschiedenen Beiträgen für die Bistumszeitung zu Klarstellungen in Fragen der »Verantworteten Elternschaft« veranlasst, vgl. ders. 1989, S. 84-100. Auf eine ausführlichere Behandlung konziliarer Referenzen auf die gesellschaftlichen Subsysteme Erziehung und Kunst muss hier aus Platzgründen verzichtet werden, vgl. dazu die entsprechenden Passagen in SC, OT und GE. Selbst zu den vergleichsweise jungen Funktionssystemen Sport und Tourismus finden sich in den Konzilstexten Aussagen, vgl. AA 14 oder GS 61. 67 Man beachte hier nur die ›Resonanz‹ auf den »Gebärmaschinen«-Begriff des Augsburger Bischofs Mixa in der familienpolitischen Debatte in Deutschland 2007. 66
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konziliar vielfach traktierte Begrifflichkeit von Dialog und Menschheit weist auf das neue Paradigma hin.68 Zunächst nochmals zur thematisch intern wie extern breit gefassten Verwendung von Dialog: Dieser wird beispielsweise empfohlen zur Klärung von Meinungsverschiedenheiten (GS 43), als innerkatholischer Kommunikationsmodus (mit Bezug auf die Bischofskonferenzen) (AG 20), für den »brüderlichen« Austausch mit den »getrennten Brüdern« (UR 9, 11), aber auch den Nichtchristen (AG 16, 41) und Atheisten (GS 21, 92), auf organisatorischer Ebene mit den getrennten abendländischen Kirchen über die Themen Heilige Schrift, Abendmahl, Sakramente, Liturgie und Dienstämter (UR 19, 21, 22, 23) ebenso wie mit den getrennten Ostkirchen (UR 14, 18), innerkatholisch den Priestern und Ordensleuten mit der Welt (GS 43), den Bischöfe mit den Menschen (CD 13), über die Wahrheit (DH 3) und mit oder besser: zu Gott (GS 19). So sieht Ratzinger auch die formale Struktur der Pastoralkonstitution von der »Idee des Dialogs« bestimmt: »Ein Dialog erfordert bekanntlich als Bedingung seiner Möglichkeit dreierlei: zunächst zwei sich gegenüberstehende Partner, zwischen denen einerseits ein gewisser Unterschied oder sogar Gegensatz bestehen muß, über den das Gespräch hinausführen will, zwischen denen aber andererseits ein Minimum an Übereinstimmung nötig ist, damit überhaupt ein Gespräch stattfinden kann.« 69 Wenn das Konzil mit seiner Pastoralkonstitution einen Dialog eröffnen will, sind gleichermaßen zu klären, mit wem und über was geredet werden soll. In gewisser Weise handelt es sich hier um eine künstliche Selbstentgegensetzung. Der Theologe verweist auf die aus dem Bereich der Interaktion auf die gesellschaftliche Ebene übertragene Dialog-Ambition des Konzils. Zeitlich gesehen wird der Dialog mit den Konzilstexten eröffnet, daneben gibt es aber wichtige sachliche wie soziale Voraussetzungen: Zuerst ist nach dem Adressaten der Dialogeröffnung zu fragen. Mit Blick auf die Urgemeinde und das neutestamentliche Geschehen erinnert Ratzinger daran, dass die Dialoge Jesu oder die frühchristliche Missionspredigt als damalige Form des Dialogs mit den Nichtchristen sich nicht an völlig Fremde gewandt haben, sondern innerhalb eines gemeinsamen geistigen Klimas ausgetragen wurden. Das Konzil konnte in seinem selbstreferenzielBesonders emphatisch fordert Paul VI. in der Dialogenzyklika Ecclesiam suam mit Blick auf das Konzil, dass die Kirche »bereit sein muß, den Dialog mit allen Menschen guten Willens innerhalb und außerhalb ihres eigenen Bereichs zu führen. Niemand ist ihrem Herzen fremd. Niemand steht außerhalb ihres Aufgabenbereichs. Niemand ist ihr feindlich, der es selbst nicht sein will. Nicht umsonst nennt sie sich katholisch, nicht umsonst ist sie beauftragt, in der Welt Einheit, Liebe und Frieden zu fördern [...] Die Kirche verkennt nicht die Ausmaße einer solchen Sendung. Sie kennt die Mißverhältnisse der Statistiken zwischen dem, was sie wirklich ist, und der Bevölkerungszahl der Erde. Sie ist sich der Grenzen ihrer Kräfte bewußt, sie weiß schließlich um ihre eigenen menschlichen Schwächen und die eigenen Fehltritte. [...] Aber die Kirche ist sich bewußt, Same, Sauerteig, Salz und Licht der Welt zu sein. Die Kirche nimmt die umwälzende Neuerung der modernen Zeit zur Kenntnis.« Ecclesiam suam, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 1653. 69 Ratzinger 1968, S. 314. 68
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len Rückgriff auf den christlichen Anfang auf einen ähnlichen »›Vorhof‹ des Christlichen« nicht ohne Weiteres zurückgreifen. Für einen alternativen Anknüpfungspunkt bei ihrem Bemühen um adäquate Anrede konnten die Konzilsväter aber an die Idee der homines bonae voluntatis von Johannes XXIII. anschließen, mit der dieser bereits seine Enzyklika Mater et magistra (1961) begann und die seitdem zum Standardauftakt kirchlicher Sozialverkündigung geworden ist.70 Mangels kultureller Homogenität der modernen Weltgesellschaft basiert, wie an der Adressierung an »alle Menschen guten Willens« ablesbar ist, das kirchliche Inklusionsbemühen nunmehr auf Moral; das Gewissen wird also zum »Knotenpunkt der Gemeinsamkeit« und zur »eigentlichen Drehscheibe des Dialogs«. Dass es sich hier in gewisser Weise um einen rhetorischen Kunstgriff handelt und die Benennung des kirchlichen Gesprächspartners symbolisch und somit unklar bleibt, ist auch dem zeitgenössischen Kommentator bereits bewusst. Die Kirche finde ihr Gegenüber im Menschengeschlecht, etwa im Nichtchristen, Nichtgläubigen usw. Aber sie könne sich auch nicht aus Dialoggründen selbst aus ihm ausklammern, um künstlich eine Solidarität herzustellen, die in Wahrheit ohnedies »ihr Geschick« sei. »Das Unverständnis der Redaktoren des Textes für diesen Sachverhalt kann man wohl nur aus einem tief eingewurzelten Extrinsezismus des kirchlichen Denkens und aus der langjährigen Gewöhnung an die Ausklammerung der Kirche aus der allgemeinen Entwicklung wie aus dem Rückzug in eine kleinkirchliche Sonderwelt verstehen, von der aus man nun zur übrigen Welt zu sprechen versucht.« 71 Von diesem Einwand einmal abgesehen, versetzt die extrapolierte Selbststilisierung das Konzil aber auch in die Lage, sein kommunikatives Inklusionsprogramm ad intra wie ad extra gleichermaßen vergemeinschaftend in Anschlag zu bringen, was sich auch durch die Verwendung desselben Begriffs zeigt: So ist nach außen formuliert, dass Christus die Menschheit in einer übernatürlichen Solidarität (supernaturali quadam solidarietate) zu einer Familie zusammengefasst habe (AA 8) und zugleich nach innen gerichtet, dass hinsichtlich der brüderlichen Gemeinschaft in der Kirche die Solidarität (quae solidarietas) stetig wachsen solle. (GS 32) In Zusammenhang mit der Frage nach dem sachlichen Gehalt steht auch der zweite Punkt der Dialogthematik, demzufolge sich im Kirche/Welt-Verhältnis alles um »wahre Humanität« drehen soll. War oben mit dem »guten Willen« ein rein formales Kriterium an die Stelle inhaltlicher Bestimmtheit gesetzt, so macht Dies gilt für die zweite »Sozialenzyklika« Johannes‘ XXIII. Pacem in terris (1963) genauso wie für Populorum progressio (1967) Pauls VI. und die Sozialenzykliken Johannes Pauls II. Laborem exercens (1981), Sollicitudo rei socialis (1987) und Centesimus annus (1991), vgl. KAB 1992. Die aktuelle »Globalisierungsenzyklika« Benedikts XVI., Caritas in veritate (2009), entspricht dieser Traditon. In seinen beiden bisherigen Weltrundschreiben Deus caritas est (2005) und Spe salvi (2007) wendet er sich, obwohl gesellschaftsrelevante Themen behandelt werden, »an die Bischöfe, Priester, Diakone, an die gottgeweihten Personen und an alle Christgläubigen«. 71 Ratzinger 1968, S. 316. 70
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Ratzinger im Folgenden darauf aufmerksam, dass gegenüber dem wesentlichen theologischen Ausgangspunkt der frühen Christen als »Gottesfürchtige« nun das anthropologische Motiv in den Vordergrund trete. So müsse regelrecht von einer Anthropozentrik der theologischen Konzeption des Textes die Rede sein: »Man wird wohl sagen dürfen, daß hier erstmals in einem lehramtlichen Text ein neuer Typus einer ganz christozentrischen Theologie auftritt, die von Christus her Theologie als Anthropologie wagt und dadurch gerade erst radikal theologisch wird, indem sie über Christus auch den Menschen in die Rede von Gott einbezieht, die tiefste Einheit der Theologie aufdeckend.« 72 Menschheit meint im Allgemeinen, als Kollektivbegriff gebraucht, zunächst nur quantitativ die Gesamtheit aller Menschen und dies mit Gleichheitsakzent, da begrifflich von allen Unterschieden der Konfessionen, Religionen, Länder, Kulturen, Rassen etc. abstrahiert wird. 73 Diese Gleichheit wird aber angesichts der Erfahrung einer jenseits der Christianitas liegenden Welt im Kontext der europäischen Expansion problematisch und wirkt sich semantisch auf das Verständnis von ›Menschheit‹ mit Konsequenzen in der Ethik wie im Recht als Gattungsbegriff aus.74 Der in der Aufklärung vollzogene Wandel zum Telosbegriff geschah nicht ohne Einfluss der humanistischen Theologie, welche Menschheit und Menschlichkeit als sozialethisches Schlagwort zu Barmherzigkeit parallelisiert hatte. Dieser Wandel betont nach der anthropologischen Wende nun in kritischer Absicht besonders die qualitativen Bedeutungsgehalte des Begriffs: Die bisher religiös fundierte Vorstellung der Menschenwürde im Sinne eines göttlichen Gnadenerweises, die nicht den Erhalt, sondern den Verlust der Menschenwürde thematisiert, wird abgelöst durch eine dynamische Auffassung des Gewinns von Menschenwürde: »Entscheidend an diesem Begriff der ›Menschenwürde‹ ist, daß sie nicht als eine der menschlichen Natur als solcher zukommende Wertqualität, sondern als Rechtstitel verstanden wird, auf den das menschliche Wesen als potentieller Adressat allgemein verpflichtender Normen Anspruch erheben darf. ›Menschenwürde‹ als Selbstzweckhaftigkeit, Selbstbestimmung, Selbstgestaltung wird als gelungene Selbstdarstellung bürgerlicher Subjektivität verstanden.« 75
Ebd., S. 350. Vgl. zur Begriffsgeschichte von ›Menschheit‹ Bödeke 1982. 74 Der innerkirchlich innovative Reflex auf diesen mit der Globalisierung gegebenen äußeren Impuls war mit Joseph Höffner als Münsteraner Bischof auf dem Konzil präsent. Dieser hatte in seiner in den 1940er Jahren während der NS-Diktatur entstandenen Habilitationsschrift »Christentum und Menschenwürde« (1969 unter dem Titel »Kolonialismus und Evangelium« neu aufgelegt) die Entwicklung eines ius gentium durch die spanischen Spätscholastiker aufgearbeitet, vgl. dazu Hilpert 2006. Zu Höffner als Gründungsdirektor des Instituts für christliche Sozialwissenschaften in Münster und als Kölner Kardinal und späterem Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz vgl. Gabriel/ Große Kracht 2006. 75 Bödeke 1982, S. 1083. 72 73
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An dieser Stelle klinkt sich das konziliare Vokabular mit seinem Begriff der »wahren Humanität« wieder in den Menschheitsdiskurs ein, indem nun aus religiöser Perspektive deutlich gemacht werden soll, dass gerade im christlichen Glauben an Gott die wahre Humanität, die volle Menschlichkeit des Menschen erreicht werde und dass so die Idee der Humanität, unter der der heutige Atheismus dem Glauben entgegentrete, als die »Angel des Gesprächs« und »als das Medium des Dialogs« walten kann: »Das Gottesproblem wird im Spiegel der Humanitätsidee angegangen und deshalb auch der Atheismus vom Gesichtspunkt des Humanismus her untersucht. Die ganze Konstitution könnte man von da aus ein Gespräch des Christen mit dem Ungläubigen über die Frage, wer und was eigentlich der Mensch sei, bezeichnen.« 76 Hintergrund und vielleicht auch ein besonderer Movens der Argumentationsstruktur des Themas Menschheit ist, wie man an dieser zeitgenössischen Äußerung erkennen kann, die vom Konzil implizit gehaltene zeitgeschichtlich-ideologische Auseinandersetzung mit der kommunistischen Gesellschaftstheorie des Marxismus. Von jeglicher Polemik befreit konnte sie nun auf der Ebene der Begriffsbildung geführt werden.77 Vorbereitet war solche Begriffsarbeit auf Kirchenseite bereits in der Vorkriegszeit durch christliches Philosophieren wie auch durch das von Theologen erarbeitete Konzept eines »christlichen Personalismus«, welches auch deshalb konzilsweit Anschluss finden konnte, da Person wesentlich ein christlich geprägter Begriff ist. 78 Zur Grundlage gesellschaftsethischen Urteilens macht das Konzil somit die Integrität der Person, und zwar aller Menschen, nicht zuletzt im Sinne einer jedem Einzelnen zukommenden Freiheit zur Inklusion in die diversen gesellschaftlichen Teilbereiche und zum Schutz vor ungewollten Exklusionskumulationen. Luhmann hat diese Thematik gegen Ende seiner wissenschaftlichen Arbeiten mit Bezug auf die Erklärungskraft einer allein auf funktionale Differenzierung abstellenden Theorie aufgegriffen und ihre Probleme, die vor allem bei der Berücksichtigung von Ländern der peripheren Moderne in der EntwicklungsfraRatzinger 1968, S. 315. »Freilich wird man die Art, wie ›Volk Gottes‹ hier zu einer Art empirischen Begriff gemacht wird, nur höchst bedenklich finden können.« Ebd. Ratzinger bemerkt außerdem, dass »bei dieser Art, von Kirche zu sprechen, die Gefahr nicht gering ist, von neuem in eine bloß soziologische und dann auch ideologische Sicht der Kirche abzusinken, die gerade an den wesentlichen Erkenntnissen der Liturgiekonstitution und der Konstitution über die Kirche vorübergeht, indem sie sich eines zum Schlagwort vereinfachten und veräußerlichten Begriffs bedient«. Ebd. 77 Vgl. den Band Garaudy/Metz/Rahner 1966, der auf zwei Tagungen, die (›gemäßigte‹) Marxisten und Theologen auf der Insel Herrenchiemsee zur Diskussion versammelten, zurückgeht; dazu auch Lehmann 1967. Von verschiedener Seite gab es Erwartungen, das Konzil solle ein Dokument über den Kommunismus (Verurteilung) erstellen, was aber aufgrund der Sorge über verstärkte Repression gegen die Kirchen im Ostblock vermieden wurde. 78 Vgl. zur Durchsetzung des christlichen Personalismus Uertz 2005, S. 439ff. Ratzinger 1966b klärt in einem Beitrag zu einer interdisziplinären Tagung über »Das Personverständnis in der Pädagogik und ihren Nachbarwissenschaften« theologiegeschichtlich, dogmatisch und exegetisch angeleitet die christlichen Wurzeln des Personbegriffs. 76
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ge auftauchen, eingeräumt. Einerseits hebt er die evolutionäre Unwahrscheinlichkeit dieser Differenzierungsform heraus, welche die Regelung der Inklusion den einzelnen Funktionssystemen überlässt, andererseits verweist er darauf, dass die funktional differenzierte Gesellschaft in der Lage ist, extreme Ungleichheit in der Verteilung öffentlicher wie privater Güter zu erzeugen und zu tolerieren. So seien querziehende Tendenzen, Unterschiede zu stabilisieren und zu funktionsübergreifenden gesellschaftlichen Statuspositionen auszubauen, nicht zu verleugnen. In manchen Bereichen der Weltgesellschaft komme es zu einer kaum noch überbrückbaren Kluft zwischen Inklusionsbereich und Exklusionsbereich, welche dazu tendiere, »die Funktionen einer Primärdifferenzierung des Gesellschaftssystems zu übernehmen. Das heißt, daß große Teile der Bevölkerung auf sehr stabile Weise von jeder Teilnahme an den Leistungsbereichen der Funktionssysteme ausgeschlossen sind und daß im gegenüberstehenden Inklusionsbereich nichtvorgesehene Formen der Stabilisierung eingerichtet sind, die die Chancen dieser Leistungsbereiche parasitär nutzen und für die Erhaltung dieses Netzwerkes eigene Mechanismen der Inklusion und der Exklusion ausbilden. Von Ferne und ohne viel Verständnis für die Bedingungen struktureller Stabilität wird eine solche Lage dann als ›Entwicklungshindernis‹ beschrieben.«79 Rudolf Stichweh hat dieser These einer neuen Primärdifferenzierung zwar widersprochen, aber festgestellt, dass das eine weltweite Gesellschaftssystem, das sich durch globalisierte Funktionssysteme konstituiert, dazu führt, dass Exklusion immer weltgesellschaftsintern zu verstehen ist. Dies geschehe auf Basis lokaler oder regionaler Sonderbedingungen in einzelnen Funktionssystemen und in problematischen strukturellen Kopplungen von Funktionssystemen: »In diese Weltgesellschaft ist eine Vielzahl von einzelnen Exklusionsbereichen eingebettet, die untereinander global nicht vernetzt sind. Für diese Exklusionsbereiche drängt sich die physikalische Analogie der ›schwarzen Löcher‹ auf. Die Welt wäre dann eine Art von Universum, das von ›schwarzen Löchern‹ durchzogen ist.« 80 Gleichzeitig weist Stichwehs Einwand auf das normative Potenzial einer solchen Sichtweise hin, finde man doch in der modernen Gesellschaft keine Legitimationsgrundlagen für Exklusion. Er schlägt deshalb vor, Inklusion und Exklusion in der Weltgesellschaft als hierarchische Opposition zu behandeln: »In einer hierarchischen Opposition fungiert einer der beiden Begriffe einer zweistelligen Unterscheidung zugleich als Oberbegriff, der den Unterschied der beiden Seiten übergreift. [...] Die Hierarchie in der gegenbegrifflichen Opposition impliziert hier also nicht Stabilität und Invarianz, sie ist vielmehr verantwortlich für die Dynamik der Inklusions- und Exklusionsverhältnisse«. 81
Luhmann 1995, S. 235. Stichweh 2005, S. 58f. 81 Ebd., S. 61ff. 79 80
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So bleibt am Ende dieses Abschnitts die Frage bestehen, ob die neue Form dialogisch-gesellschaftlicher Integration mit ihrem ›inklusiven Moralismus‹82 kirchlicherseits erfolgreich zum Stopfen jener Löcher beitragen kann, wo sich über rein semantische Innovationen hinaus auch strukturelle Kopplungen ergeben und welche Felder es sind, in denen für das neue katholische Selbstverständnis positive Resonanz erwartbar scheint. Durch das Absehen von einer primär naturrechtlichen Argumentation im Kommunikationszusammenhang des Konzils steigen aber – so könnte man annehmen – die Chancen für Lernbereitschaft bei etwaigen Erwartungsenttäuschungen, im Unterschied zu einer bloß normativen
Bei seinem Bemühen, Moraltheorie ohne moralische Begriffe zu betreiben, identifiziert Luhmann 1978 S. 65ff, ausgehend von der Interaktionssituation (Ego/Alter), die drei funktionalen Äquivalente für eine auf Achtung/Missachtung basierende Moral: Erstens Anschlussrationalität, die mit weitgetriebener funktionaler Differenzierung und Systemautonomie gut in Einklang zu bringen sei, während Moralität gerade an diesen Strukturbedingungen zu scheitern drohe. »Der Verkehr zwischen den Funktionssystemen kann ohne Eingriff in deren Entscheidungsdispositionen anschlußrational abgewickelt werden«. Doch sei bei diesem Äquivalent problematisch, dass die Sequenzialisierung den Zeithaushalt der Gesellschaft belaste, Zeit knapp und Synchronisierung schwierig werden lasse: »Sie bietet keinerlei Gewähr für das Ausschöpfen der Chancen zu sozialer Rationalität im Sinne gemeinsamer Wohlfahrt.« Recht als zweites funktionales Äquivalent für Moral erweitere dagegen die Prämissen für Anschlussrationalität durch eine Technik kontrafaktischer Stabilisierung von Verhaltenserwartungen: »Das Recht ermöglicht es, anschlußrational zu handeln, auch wenn die Anschlüsse noch gar nicht gelegt sind. Man kann sie einklagen.« Die Notwendigkeit für Appelle entfällt. Schließlich sei die Grundhaltung Egos, wenn dieser für sich selbst die Systemreferenz Alters wähle, als Liebe zu bezeichnen, doch Liebe sei unkonditionierbar und damit bleibe sie unverantwortlich. »Entsprechend ist Stabilität in der Liebe nicht erreichbar durch Konsens in der wechselseitigen Konditionierung, sondern nur auf der Ebene der Reflexivität, auf der zur Maxime wird, daß der Liebende gerade als Liebender die Umwelt sein kann, die der Geliebte braucht; daß also Ego für Alter nicht nur Alter, sondern alter Ego sein kann, also Ego auch sich selbst als Liebender lieben kann.« Ebd., S. 70. Zwar habe Moral eine spezifische Funktion im sozialen System der Gesellschaft, »aber sie läßt sich gleichwohl nicht als Teilsystem der Gesellschaft ausdifferenzieren. Ihre Funktion liegt dafür zu tief, sie ist zu sehr mit den Prozessen der Bildung sozialer Systeme verquickt, als daß sie einem Sozialsystem zur besonderen Pflege übertragen werden könnte.« Ebd., S. 89. Schließlich: »Zur Moral treten in den komplexeren Gesellschaften zwar funktionale Äquivalente hinzu wie Liebe oder Anschlußrationalität; sie können die Moral aber nicht ersetzen, sondern nur entlasten und seitlich abstützen« Ebd., S. 91. Dies auf die (höhere) Ebene der Gesellschaftsreferenz (Alter) von Kirche (Ego) übertragen, führt zur These, dass das Konzil sich (mit Moral und ihren funktionalen Äquivalenten) zugleich auf allen vier Feldern bewegt und neben seiner (anthropologischen) Gesellschaftsethik als moralischer Reflexion auf die gesellschaftliche Wirklichkeit funktionaler Differenzierung zwar zeitversetzt, aber durchaus anschlussrational reagiert (vgl. hier Abschnitt b sowie die Kapitel 5-7). Mit dem im folgenden Abschnitt diskutierten Menschenrechtsbezug im Außenverhältnis setzt das Konzil primär auf Recht und übt sich schließlich durch seine ausgiebige Solidaritätssemantik (»Sauerteig«) in »sozialer Liebe« und wird so in vielfacher und besonderer Weise zur Kirche der Weltgesellschaft. Vgl. dazu die frühe römische Dissertation Höffner 1935. Die Enzyklika Deus caritas est von Papst Benedikt XVI. 2006 gewinnt vor diesem Hintergrund besondere Dignität. 82
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Reaktion, die enttäuschte Erwartungen kontrafaktisch aufrechterhält und tendenziell eher aufrüstet.83 7.4 Kommunikative Anschlüsse Da die moderne, funktional differenzierte Weltgesellschaft auf eine gesellschaftseinheitliche Inklusionsregelung verzichten muss und diese Frage ihren Funktionssystemen überlässt, hat sich – nach Luhmann – für diese Ordnung ein semantisches Korrelat entwickelt, mit dem das Thema problematisierbar wird: »So gibt es seit dem 18. Jahrhundert die Bürger- wenn nicht gar Menschenrechte der Freiheit und der Gleichheit, mit denen die Unvorhersehbarkeit der Inklusionen und ihrer Folgen registriert wird.« 84 Das Konzil thematisiert die operativen Dimensionen kirchlicher Vergesellschaftung85 genau zum Zeitpunkt der Auseinandersetzungen innerhalb der Vereinten Nationen um die sogenannte »zweite Generation der Menschenrechte«. Diese mündet 1966, ein Jahr nach Konzilsende, in die beiden Pakte über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (ICESCR) einerseits und über die bürgerlichen und politischen Rechte (ICCPR) andererseits. Das Konzil bezieht sich an verschiedenen Stellen ausdrücklich auf die dort behandelten Gehalte.86 Neben der Gleichzeitigkeit von konziliarer Debatte über Menschenrechte und dem menschenrechtlichen Implementationsdiskurs auf der Ebene der Vereinten Nationen gibt es noch eine andere Koinzidenz, bei der im Fall dieser Studie die Theoriegeschichte mit der Empiriegenese korrespondiert. Hierbei geht es um die Zeitgleichheit der Publikation von Luhmanns Promotion, seiner ersten differenzierungstheoretischen Schrift, die »Grundrechte als Institution« thematisiert, und der Promulgation der Pastoralkonstitution Gaudium et spes durch das Konzil im Dezember 1965. Diese behandelt die gleiche Thematik wie Luhmann unter Vgl. zur Differenz von normativer und kognitiver Reaktion bei Erwartungsenttäuschung den frühen Weltgesellschaftsaufsatz Luhmann 1975, S. 68ff. 84 Luhmann 1995, S. 232. 85 Vgl. für eine postkonziliare und kircheninterne Perspektive hinsichtlich kirchlicher Vergesellschaftung Ebertz 1993. 86 Vgl. zu den Dokumenten die Quellensammlung Bundeszentrale für politische Bildung 2004 sowie zur Geschichte der beiden Menschenrechtspakte Köhler 1987. Vgl. aus sozialpolitischer Perspektive Kaufmann 2003. Angesprochen auf die Frage nach der Möglichkeit einer »letzten gemeinsamen Begründung der Menschenrechte für religiöse und nichtreligiöse Menschen« vertritt der Philosoph Willi Oelmüller eine pragmatische Position, in der er vor allem auf eine zweigleisige Menschenrechtspraxis abstellt. Ihm geht es um die Simultanität einerseits in struktureller Hinsicht mit Bezug auf die Verrechtlichung von Menschenrechten in staatlichen Verfassungen und durch zwischenstaatliche Organisationen (z.B. internationaler Strafgerichtshof) und zugleich andererseits um semantische Arbeit hinsichtlich der Formulierung von Idealen, Deklarationen und Konventionen. Vgl. Oelmüller 1999. In Sachen Semantik vgl. zur Philosophie der Menschenrechte Brieskorn 1997 und Bielefeld 1998 sowie aus theologischer Sicht Hilpert 1991. 83
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den Begriffen »relative Autonomie der irdischen Wirklichkeiten« und »Menschenrechte/Menschenwürde«, begreift sie aber von einer anderen semantischen Tradition. Inwieweit der materiale Wertansatz im Empirischen mit der funktionalen Argumentation im Bereich der Theorie konvergieren kann, wird im Folgenden zu zeigen sein. Aus einer Perspektive, die noch ganz auf den Nationalstaat beschränkt ist, erklärt Luhmann in seiner Dissertation, die wie ein Kommentar zum bundesdeutschen Grundrechtekatalog des Grundgesetzes zu lesen ist, die Funktion dieser Grundrechte: Er verortet sie weniger emanzipationsgeschichtlich als Moment aktiver Herstellung der Differenzierung relativ autonomer Kommunikationsstrukturen, sondern in der Erhaltung der die gesellschaftliche Gesamtordnung konstituierenden Differenzierung gegenüber Gefährdungen, die aus den Systemtrennungen und den damit verbundenen wechselseitigen Abhängigkeiten entstehen. 87 So beschreibe das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit den nötigen Handlungsspielraum, sich als Persönlichkeit, also als selbstbewusste individuelle Einheit darstellen zu können. Die sich hieran anschließende Glaubens- und Meinungsfreiheit, die Freiheiten der Kontaktaufnahme, des Erwerbens und Besitzes sowie der politischen Mitwirkung hätten allesamt die Funktion der Garantie von Ausdruckschancen der Persönlichkeit, für die eigene Selbstauffassung soziale Anerkennung und Bestätigung zu gewinnen. Weil aber darüber hinaus diese Auffächerung in Einzelgrundrechte die soziale Differenzierung in mehrere relativ autonome Sphären gesellschaftlicher Sinnbildung widerspiegle, reichten sie »in jene anderen Sondersphären der Gesellschaft, nämlich die der Meinungsbildung (Kultur, Institutionen), der Kapitalbildung (Wirtschaft) und der Machtbildung (Staat) hinein«.88 Die Grundrechtsordnung beziehe sich nicht auf die »natura humana«, vielmehr liege die Funktion einzelner Grundrechte in der Stabilisation der erforderlichen Distanz des politischen Systems zu den gesellschaftlichen Prozessen, welche die Voraussetzungen der Differenzierbarkeit aktualisierten. Grundrechte entsprechen also einer sich Vgl. Luhmann 1965, S. 72. Weiter polemisiert Luhmann regelrecht gegen (innerjuristische) naturrechtliche Legitimationsversuche, die versuchten, Aussagen über das Sein von Rechtsnormen als wahr zu beweisen. Dieses sei jedoch durch die Einengung des neuzeitlichen Wahrheitsbegriffs auf intersubjektive Gewissheit verunmöglicht. Die Einsicht in die wechselseitige logische Unableitbarkeit von Sein und Sollen verbiete aber nur eine spezifische Art der Verbindung von empirischer und normativer Wissenschaft: »Sie schließt insbesondere eine funktionale Verbindung nicht aus, die darin bestehen könnte, daß die Faktenwissenschaft die Bezugsprobleme definieren, im Hinblick auf welche die Funktion des Normativen schlechthin sowie die Funktion bestimmter Normen untersucht werden kann.« Ebd., S. 39. Dabei sei die Ablösung des Rechts von religiösen, moralischen und wissenschaftlichen Vorstellungs- und Begründungszusammenhängen sowie seine Positivierung eine neuzeitliche Errungenschaft: »Die Positivierung ist nur durch Überantwortung der Rechtssetzung an das politische System möglich und dadurch droht das Recht seine alte Funktionen, politische Macht zu legitimieren und zu begrenzen, zu verlieren. Der Staat, der Recht setzt, kann sich nicht mehr auf Recht berufen. [...] Die Funktion der Staatsmachtbegrenzung enthält mithin den fortwirkenden Kern der älteren ›naturrechtlichen‹ Grundrechtstheorie«. Ebd., S. 41. 88 Ebd., S. 79. 87
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aus der sozialen Differenzierung ergebenden Problemkonstellation: Sie »verhindern eine Entdifferenzierung und Simplifizierung der Sozialordnung, indem sie verschiedene Untersysteme der Gesellschaft mit ihren getrennten Kommunikationskreisen und unterschiedlichen Sondersprachen gegen Tendenzen zur Politisierung der Sozialordnung abschirmen.« »Sie hemmen die strukturell bedingten Expansionstendenzen des politischen Systems im Interesse der Erhaltung einer differenzierten Kommunikationsordnung, die in ihren einzelnen Sphären auf spezifische funktionale Probleme der Gesellschaft bezogen ist. Sie finden ihre Daseinsrechtfertigung also im Dilemma von Struktur und Funktion, im Problem der funktionsgerechten Strukturierung der Sozialordnung, also in einem Problem, das erst in differenzierten Sozialordnungen auftauchen kann.« 89 Zusammenfassend kann man mit Barbara Kuchler darauf hinweisen, dass bei Luhmann die Grundrechte nicht den Menschen und seine angeborenen, unveräußerlichen Rechte schützen, sondern die Symmetrie der verschiedenen gesellschaftlichen Funktionssysteme.90 Wenn man den nationalstaatlichen Bezug der Grundrechtsreflexionen verlässt und nun aus weltgesellschaftlicher Perspektive die Globalisierung des Rechtssystems in den Blick nimmt, kann das globale »Menschenrechts-Recht« auch als Globalverfassung im Sinne einer strukturellen Kopplung von Recht und Politik auf der Ebene der Weltgesellschaft verstanden werden.91 Thorsten BonaEbd., S. 187.197. Vgl. Kuchler 2006. Luhmann geht es also um die Entkopplung oder Ent-Punktualisierung der Beziehungen zwischen dem politischen System und anderen Teilsystemen der Gesellschaft: »Autonomes Operieren der Massenmedien, der Wissenschaft, der Wirtschaft und des Rechts ist also nur möglich, wenn diese Systeme auf relativ hohen Generalisierungsebenen ans Politiksystem gekoppelt sind und die operative Ebene von Kopplungen freigehalten wird.« Ebd., S. 14. Kuchler vergleicht im Folgenden Luhmanns Verständnis des Rechtsstaats mit seiner Position zum Wohlfahrtsstaat: »Viele Einrichtungen des Wohlfahrtsstaates im weitesten Sinn (öffentlich finanziertes Bildungs- und Wissenschaftssystem, staatliche Gesundheitsvorsorge usw.) sind genaue Verkörperungen der Figur der Entpunktualisierung und stärkeren Generalisierung von Zwischen-System-Beziehungen. Der Wohlfahrtsstaat unterbricht Punkt-zu Punkt-Kopplungen zwischen der Wirtschaft und anderen Teilsystemen, indem er das Operieren dieser Systeme von der Notwendigkeit punktueller Geldzahlungen entlastet und ihre Geldversorgung, mithin ihre Kopplung an Wirtschaft [...], auf höheren Generalisierungsebenen sicherstellt.« Ebd., S. 15. Während der Rechtsstaat bei Luhmann aber ein Korrelat funktionaler Differenzierung sei, sehe dieser den Wohlfahrtsstaat als Fremdkörper in der funktionalen Differenzierung, was empirisch nicht zuletzt deswegen nicht einsichtig sei, da beide historisch gesehen ungefähr gleichzeitig auftreten. Der Grund für Luhmanns Präferenz sei, dass der Wohlfahrtsstaat der Politik in der Gesellschaft eine gewisse Zentralstelle verschaffe, indem Politik für die Autonomiesicherung der anderen Systeme zuständig gemacht werde. Der Staat werde zum Garanten der funktionalen Differenzierung. »Das Beharren auf Symmetrie prädestiniert Luhmann somit zu einer einseitigen – überspitzt könnte man sagen: asymmetrischen – Sicht des Wohlfahrtsstaates oder macht jedenfalls seine Theorie an diesem Punkt anfällig für das Eindringen privater politischer Meinungen.« Ebd., S. 21. 91 Vgl. Fischer-Lescano 2005 sowie allgemein zum polykontextural-fragmentierten Weltrecht die Studie ders./Teubner 2006. 89 90
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cker vertritt in diesem Zusammenhang die These, dass die Menschenrechtsnormen neben ihrer regulativen Funktion auch die Funktion haben, die Weltgesellschaft selbst als soziale Ordnung symbolisch zum Ausdruck zu bringen. Die Geltung von Menschenrechten sei auf die Ebene der Weltgesellschaft übergegangen. Indem sie zur Entgrenzung der vormals territorial differenzierten Weltgesellschaft beitragen, hätten Menschenrechte Anteil an der Evolution der Weltgesellschaft selbst: »Sie können nämlich auf der Ebene der Weltgesellschaft als eine Art Sekundärinklusion gelten, die schließlich in dem Maße zum Wandel politischer Inklusion führt, wie internationales Recht einen weltgesellschaftlichen Bezugspunkt für das politische System darstellt.« 92 Der vom internationalen Recht mit den Menschenrechten geschaffene (kontrafaktische) Erwartungshorizont etabliert einerseits ein Recht jenseits des Staates, andererseits haben Menschenrechte auch ökonomische oder religiöse Bedeutung (Kosten durch Imageverlust/Legitimationsfragen). Schließlich prägen sie die Identität gesellschaftlicher Akteure, so dass man auch von einer indirekten Implementation sprechen kann und zwar in dem Sinne, dass der Symbolwert der Menschenrechte auf ihre Geltung durchschlägt. 93 Bonacker sieht die weltgesellschaftliche Integrationsleistung der Menschenrechte weniger durch ihren verpflichtenden Charakter oder aufgrund intersubjektiver Geltung gegeben, sondern vielmehr dadurch, dass ihr symbolischer Gehalt unterschiedslos gegenüber unterschiedlichen Deutungen wird. Während die Institutionalisierung eines Inklusionsmechanismus eine Ordnung über Zugehörigkeiten und damit verbundene Erwartungen stabilisiere, wirke ein deutungsoffenes Symbol dadurch integrativ, dass es für die symbolische Sichtbarkeit dieser Ordnung sorge. Uneindeutigkeit sei dabei eine notwendige Begleiterscheinung universeller Normen, entsprechend sei auch die Allgemeine Menschenrechtserklärung eine Behauptung ohne Begründung und damit offen für viele Begründungen (naturrechtliche, demokratietheoretische, ethnozentrische etc.). Dass unterschiedliche Akteure Menschenrechte dann unterschiedlich erleben, mache genau ihren integrativ-sozialen Sinn als »institutionell verankert[e] Möglichkeit, Menschenrechte unterschiedlich zu erleben«, aus. Auf die Konzilsdynamik bezogen ist zu bestätigen, was Bonacker allgemein festhält: Dem Prozess der symbolischen Systemintegration der Weltgesellschaft durch Bonacker 2003, S. 126. »Als Rechtsnormen gelten Menschenrechte zwar in erster Linie kontrafaktisch. Aber ihre faktische Befolgung hängt [...] in entscheidendem Maße davon ab, ob sich die Akteure mit diesen Normen identifizieren, ob also die Normen, auf die sie ihr Handeln hin orientieren, auch die Identität der Akteure verkörpern. Gelingt dies nicht, so basiert die Geltung von Normen lediglich auf Zwang – um den Preis geringer Stabilität. Menschenrechte dürfen folglich nicht nur als internationale Rechtsvorschriften gedeutet werden, durch die sich in rechtlicher Hinsicht eine Weltgesellschaft, genauer: eine Weltgesellschaft des Rechts herausbildet. Vielmehr drücken sie in kultureller Hinsicht damit auch das Selbstverständnis von Akteuren aus, das sich infolgedessen von vorwiegend nationalen oder regionalen Identifikationsmustern löst und einen weltgesellschaftlichen Bezugsrahmen konstituiert.« Ebd., S. 129. 92 93
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Menschenrechte entspricht ein Prozess einer symbolischen Sozialintegration auf der Akteursebene. Dies geschieht, indem die Deutungsoffenheit der Menschenrechte von Akteuren (sozialen Bewegungen wie Staaten, hier die Katholische Kirche) zum Anlass genommen wird, die eigene Selbstbeschreibung an der symbolischen Dimension der Menschenrechte zu orientieren und sich selbst auf diese Weise als Akteure der Weltgesellschaft zu verstehen und auch als solche wahrnehmbar zu werden. Für den Katholizismus ist es Papst Johannes XXIII., der mit der Enzyklika Pacem in terris, die kurz vor seinem Tod im Juni 1963 mitten in der ersten intersessio am 11. März proklamiert wurde, es dem Konzil ermöglichte, die kirchenamtlich hergebrachte und von der Frage der Religionsfreiheit bestimmte ablehnende Haltung gegenüber den Menschenrechten aufzugeben.94 Wie oben geschildert, ist die Menschenrechtserklärung der gedankliche Anknüpfungspunkt für die päpstlichen Reflexionen über Rechte und Pflichten der Menschen und seine Mahnungen zum Weltfrieden:95 »Ein Akt von höchster Bedeutung ist die ›Allgemeine Erklärung der Menschenrechte‹, die am 10. Dezember 1948 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen angenommen wurde. [...] Wir verkennen nicht, daß gegenüber einigen Kapiteln dieser Erklärung mit Recht von manchen Einwände geäußert worden sind. Nichtsdestoweniger ist diese Erklärung gleichsam als Stufe und als Zugang zu der zu schaffenden rechtlichen und politischen Ordnung aller Völker auf dieser Welt zu betrachten. Denn durch sie wird Vgl. den ganz unter dem Eindruck des öffentlichen Sterbens Johannes XXIII. (analog dazu dann Johannes Paul II.) stehenden Kommentar von Josef Hünermann 1963. Die Enzyklika trägt in weiten Teilen die Handschrift von Pietro Pavan, dem Berater des Papstes in gesellschaftlichen Fragen. 95 Für den Wandel der Haltung im Bereich der katholischen Intellektuellen in dieser Frage vgl. den gleichsam als Reputationssammlung und moralische Aufwertung wirkenden Kommentarband zum Ereignis der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, herausgegeben von dem französischen Konvertiten und einflussreichen Philosophen Jaques Maritain 1951. Darin u.a. der Abdruck eines Briefes Gandhis an den Generaldirektor der UNESCO: »Lieber Herr Dr. Huxley! Da ich ständig unterwegs bin, empfange ich meine Post niemals zur rechten Zeit. So ist leider auch Ihr Brief an mich, auf den Sie sich in Ihrem Schreiben an Pandit Nehru bezogen haben, nicht in meinen Besitz gelangt. Aber sie geben ja allen, mit denen Sie in Korrespondenz stehen, reichlich Zeit, um zu antworten. Diese Zeilen schreibe ich gerade in der Eisenbahn; wenn ich morgen in Delhi ankomme, wird der Brief mit Maschine getippt. Ich fürchte nun, Ihren Anfragen nicht gerecht werden zu können. Es stimmt zwar, daß ich sehr wenig Zeit habe; aber vor allem muß ich zugeben, nur wenige klassische oder moderne literarische Werke gelesen zu haben, trotzdem ich mich gerne mit einigen von ihnen einmal vertraut machen würde. Seit meiner Jugend führe ich so ein bewegtes Leben, daß ich zum Lesen keine Muße fand. Von meiner Mutter, die zwar ungebildet, aber dafür doch sehr klug war, habe ich gelernt, daß sämtliche Rechte, die Anerkennung verdienen und dauernden Bestand haben können, aus der erfüllten Pflicht entstehen. So kommt uns doch selbst das Recht zum Leben nur zu, wenn wir unsere Pflicht als Bürger der Welt erfüllen. Nach diesem Grundprinzip ist es nicht mehr schwierig, die Pflichten des Mannes und der Frau zu definieren und jedes Recht mit der entsprechenden Pflicht, die zunächst erfüllt werden muß, in Verbindung zu bringen. Jedes andere Recht wird sich als widerrechtlicher Besitzt herausstellen, für den es sich kaum zu kämpfen lohnt. Herzliche Grüße M.K. Gandhi«. 94
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die Würde der Person für alle Menschen feierlich anerkannt [...] Es ist daher zu wünschen, die Vereinten Nationen möchten ihre Organisation und ihre Mittel immer mehr der Weite und dem hohen Rang ihrer Aufgabe anzupassen imstande sein«. 96 Trotz konvergierender Zielrichtung argumentiert in der Folge das Konzil – anders als bei Luhmanns ›Funktionalismus‹ – vornehmlich anthropologisch und versucht auf diese Weise, Menschenrechte nunmehr als kohärent mit der katholischen Partikulartradition darzustellen. Diese Legitimationsbemühungen schließen explizit an die Allgemeine Menschenrechtserklärung an, z.B. durch Fußnotenverweis im Vorwort von Gravissimum educationis sowohl auf den Text von 1948 und die Erklärung der Rechte des Kindes von 1959 als auch direkt auf Pacem in terris. 97 Gaudium et spes führt dann das gesellschaftliche Gemeinwohl und die personale Würde als fundamentale Kriterien kirchlicher Begründung von Menschenrechten ein. Dementsprechend müsse alles dem Menschen zugänglich gemacht werden, was dieser für ein wirklich menschliches Leben braucht: »Nahrung, Kleidung und Wohnung, sodann das Recht auf eine freie Wahl des Lebensstandes und auf Familiengründung, auf Erziehung, Arbeit, guten Ruf, Ehre und auf geziemende Information; ferner das Recht zum Handeln nach der rechten Norm seines Gewissens, das Recht auf Schutz seiner privaten Sphäre und auf die rechte Freiheit auch in religiösen Dingen.« (GS 26) Zugleich ist der konziliare Personalismus theologisch vermittelt durch die biblische Vorstellung des Menschen als Ebenbild Gottes, von der das Konzil prinzipielle Gleichheit ableitet und vielfältigen Diskriminierungsschutz fordert, »sei es wegen des Geschlechts oder der Rasse, der Farbe, der gesellschaftlichen Stellung, der Sprache oder der Religion«. Darüber hinaus beklagen die Väter, dass es den Grundrechten noch an globaler Geltung mangele: So werde beispielsweise Frauen die »frei[e] Wahl des Gatten und des Lebensstandes oder die gleiche Stufe der Bildungsmöglichkeit und Kultur, wie sie dem Mann zuerkannt wird, verweigert.« Trotz aller berechtigten Unterschiede, die mit der (natürlichen) Individualität des Einzelnen einhergehen, sei doch die Personwürde universal. Für die gesellschaftliche Rahmenordnung, die für die Lebensbedingungen des Einzelnen verantwortlich ist, folgert das Konzil: »Allzu große wirtschaftliche und gesellschaftliche Ungleichheiten zwischen den Gliedern oder Völkern in der einen Menschheitsfamilie erregen Ärgernis; sie widersprechen der sozialen Gerechtigkeit, der Billigkeit, der
Pacem in Terris, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 2995. Vgl. auch den Kommentar zu der in Deutschland wenig beachteten Erklärung über die christliche Erziehung Siebenrock 2005 (dort weitere Literatur). Ratzinger 1967a hält unmittelbar nach dem Konzil kritisch fest: »Man muss leider sagen, dass dieser Text von den Vätern nicht mit großer Liebe behandelt worden ist. Er ist mehr durch die Hintertür der verschiedenen Ermüdungsstadien durchgeschlüpft und schöpfte so die Möglichkeiten nicht aus, die ihm die konziliare Anthropologie geboten hätte.« 96 97
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menschlichen Personwürde und dem gesellschaftlichen und internationalen Frieden.« (GS 29) Vor diesem Hintergrund reflektiert die Pastoralkonstitution selbstbeschreibend die Rolle der Kirche: Da Gott als Schöpfer und Erlöser zugleich der Herr der Profangeschichte wie der Heilsgeschichte ist, ist in seiner göttlichen Ordnung auch die richtige Autonomie der Schöpfung und besonders des Menschen aufgehoben und in ihre eigene Würde eingesetzt. So erschließe die Kirche bei allem Respekt vor der Würde des individuellen Gewissens den Menschen die letzte Wahrheit über ihre eigene Existenz. »Durch kein menschliches Gesetz können die personale Würde und die Freiheit des Menschen so wirksam geschützt werden wie durch das Evangelium Christi, das der Kirche anvertraut ist«. (GS 43) Dieser Selbstbeschreibung folgt umgehend und betont respektvoll die Bewertung ihrer innergesellschaftlichen Umwelt. Mit großer Achtung blickt das Konzil auf »alles Wahre, Gute und Gerechte, das sich die Menschheit in den verschiedenen Institutionen geschaffen hat«. Die Kirche habe »keinen dringlicheren Wunsch«, als sich zum Wohl aller frei entfalten zu können. (GS 42) Wie selbstverständlich fordert das Konzil im Kontext von Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit und des Minderheitenschutzes auch »Recht auf privates und öffentliches Bekenntnis der Religion«. (GS 73) Es weist dann in Dignitatis humanae die Sorge für das Recht auf religiöse Freiheit »sowohl den Bürgern wie auch den sozialen Gruppen und Staatsgewalten, der Kirche und den anderen religiösen Gemeinschaften« gleichermaßen zu. Insbesondere wird die politische Organisation des Staates in Abkehr von bisheriger katholischer Staatsdoktrin in Religionsfragen (These/Hypothese) für Gleichbehandlung und Diskriminierungsschutz in Verantwortung genommen:98 »Der Schutz und die Förderung der unverletzlichen Menschenrechte gehört wesenhaft zu den Pflichten einer jeder staatlichen Gewalt. Die Staatsgewalt muß also durch gerechte Gesetze und durch andere geeignete Mittel den Schutz der religiösen Freiheit aller Bürger wirksam und tatkräftig übernehmen und für die Förderung des religiösen Lebens günstige Bedingungen schaffen, damit die Bürger auch wirklich in der Lage sind, ihre religiösen Rechte und die religiösen Pflichten zu erfüllen, damit der Gesellschaft selber die Werte der Gerechtigkeit und des Friedens zugute kommen, die aus der Treue der Menschen gegenüber Gott und seinem heiligen Willen hervorgehen.« (DH 6) Wie die veränderte Haltung der Kirche zu den Menschenrechten die gesellschaftliche Inklusion verändert, wo also neue Anschlüsse gefunden werden, soll konkret in den drei folgenden Kapiteln anhand der besonders sichtbaren Funkti-
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Vgl. dazu auch Kapitel 10.
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onskontexte Politik, Wirtschaft und Religion gezeigt werden, so dass dort neue katholische Institutionalisierungen nachvollziehbar sind. 99
Luhmann 1970a übersetzt für ein größeres Erkenntnispotenzial den Institutionenbegriff ins Prozesshafte, Dynamische und Funktionelle und lässt die Frage offen, was eine Institution ist und mit welchem Recht sie gilt. Am Beispiel der Interaktion stellt er heraus, dass diese nicht allein über Verhaltenserwartungen, sondern auch über Erwartungserwartungen gesteuert werden kann. Hier ergäben sich aber Probleme der Stabilisierung, denn Erwartungserwartungen seien einem potenzierten Enttäuschungsrisiko ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund interpretiert Luhmann den Mechanismus der Institutionalisierung und fragt, was Institutionalisierung leiste und wie es möglich sei, trotz des begrenzten und nicht wesentlich erweiterbaren Potenzials für aktuellen Konsens in einer überaus komplexen, sinnhaft konstituierten Welt die notwendigen Abstimmungen des Erwartens und Verhaltens zu schaffen. Institutionalisierung sei also Verfestigung von Konsensunterstellungen im Sinne von Generalisierung von Konsenserfahrungen. Mit der Zunahme der Komplexität des Gesellschaftssystems steige auch die Komplexität des Möglichkeitshorizontes. Zunehmende Differenzierung des Gesellschaftssystems in funktional-spezifische Teilsysteme könne hier als Korrelat gelten. Es steige der Abstand des Möglichen vom Wirklichen, es gehe nicht um fertige Institutionen, sondern um Institutionalisierung: »Extrapoliert man die Linien dieser Argumentation, gelangt man zur Vorstellung einer Weltgesellschaft, die sich selbst als äußerst komplex und kontingent begreift, die ihre Zukunft als offen und ihre Strukturen als prinzipiell variabel ansieht. Eine solche Gesellschaft muß ihren Mechanismus der Institutionalisierung offenhalten, das heißt für Unabsehbares, nahezu Beliebiges Konsensunterstellungen erzeugen können.« Ebd., S. 38. 99
8. Neue politische Ökologie
Angefangen vom Karikaturenstreit als einer medialen Form der Auseinandersetzung, weiter über die Schärfe der Kontroversen in den ›Blätterwäldern‹ bis hin zu politischen Ausweisungen religiöser Gruppen – man denke nur an die preußischen Jesuitengesetze – besteht eine erstaunliche Analogie zwischen gegenwärtigen Kolportagen über den Islamismus und denen über den Katholizismus vor über einhundert Jahren – darauf hat jüngst José Casanova diskurstheoretisch vergleichend aufmerksam gemacht. 1 Die berühmte Prognose des »Clash of Civilisations« 2 des amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel P. Huntington, die er in seinem gleichnamigen und weit über die Fachkreise hinaus resonanzstarken Buch entfaltet, geht von einer primär geopolitisch-räumlich strukturierten und vorrangig zwischen verschiedenen Gesellschaften verlaufenden Konfliktlinie aus. Autoren wie Christopher Clark und Wolfram Kaiser hingegen beschreiben aus ihrer historisch versierten Perspektive auf den begrifflichen Vorläufer dieses ›reißerischen‹ Titels, nämlich den Kulturkampf im Europa des 19. Jahrhunderts, die politisch relevanten religiös-kulturellen Auseinandersetzungen vielmehr als ein gesellschaftsinternes Problem.3 In ihrer weltgesellschaftstheoretisch sehr gut anschlussfähigen, regional aber auf die europäische Situation und auf das Geschehen um den Katholizismus beschränkten Perspektive profilieren sie – trotz aller Aufmerksamkeit für die regional-heterogenen Entwicklungspfade der diversen europäischen ›Nationalkatholizismen‹ – gerade die transnationalen und europaweiten Dimensionen dieser heiß geführten Konfrontationen: Diese werden ausgetragen zwischen einer zunehmend sich ultramontan gebenden katholischen Kirche und den sich ausbildenden Nationalstaaten um gesellschaftliche Relevanz hinsichtlich kollektiver Verbindlichkeiten in der Wissenschafts-, Schul-, Familien- und Kirchenpolitik (Ausbildung des Klerus, Besetzung von Bischofsstühlen, Curricula, Eheschließung). So untersucht einerseits Clark für das katholische Lager die mit der religiösen Revitalisierung und Romanisierung zusammenhängenden Prozesse und zeigt, dass gerade durch eine inflationäre Rhetorik in der massenhaft verbreiteten katholische Presse eine Art virtueller Realität entstanden war. In dieser konnten europaweit über die regionalen Konfliktbezüge hinaus
Vgl. Casanova 2006. In der deutschen Ausgabe »Kampf der Kulturen«, Huntington 1998. 3 Vgl. Clark/Kaiser 2003. 1 2
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gemeinsame Themen und grenzüberschreitende Solidarisierungen greifen.4 Antagonistisch dazu rekonstruiert Kaiser andererseits auch den Antiklerikalismus als ein authentisches Glaubenssystem im Kontext der immer dichter werdenden Kommunikation einer partiell europäisierten Öffentlichkeit. So muss von beiden Seiten aus betrachtet der Kulturkampf als Konflikt zweier disparater Europa erscheinen. 5 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit Religionspolitik grundsätzlich kulturkämpferisch ausgetragen werden muss und ob nicht auch andere, verträglichere Formen der Interdependenz von Religion – insbesondere von Katholizismus – und Politik denkbar sind.6 Für den Zusammenhang dieser Studie ist auch ein anderer Befund Huntingtons interessant: Immer noch auf das Verhältnis von Religion und Politik bezogen, bemerkt der Politikwissenschaftler, dass gerade die »dritte Welle der Demokratisierung« im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts stark von Religion und religiösen Gruppen und besonders von der katholischen Kirche, und zwar positiv, beeinflusst war.7 Und in der Tat fanden Demokratisierungsprozesse seit den sechziger Jahren in einem außergewöhnlichen Ausmaß in katholischen Ländern (Spanien, Brasilien, Polen, Philippinen) statt oder wurden von katholischen Minderheiten in erheblichem Maße forciert. So muss man hier fragen, wie sich der Katholizismus von seiner in die Defensive geratenen Lage regenerieren, ein besseres Verhältnis zum profanen Staat entwickeln und zu einer kreativen politischen Rolle finden konnte. Will man sich die katholisch-politischen Innovationen seit den 1960er Jahren vor Augen führen, hat man sie vor dem Hintergrund des Geschehens um das Zweite Vatikanische Konzil zu sehen. Dessen Veränderungen in der Selbst- und Umweltbeschreibung sind für die soziale Wirklichkeit des Katholizismus in vielerlei Hinsicht bestimmend geworden. Gerade Kontrastierungen der politischen Umwelten des Zweiten mit denen des Ersten Vatikanums sind für das Verständnis jenes innerkirchlichen Prozesses aufschlussreich, der als zweiter Globalisierungsschub vom eurozentrisch-ultramontanen zum weltkirchlichen Katholizismus vorgestellt wurde. Er sollte das katholische Selbstverständnis von Kirche von einer Gegengesellschaft zu der Kirche der Weltgesellschaft verändern. So steht noch das Erste Vatikanum im direkten Zusammenhang mit der verspäteten Nationalstaatsbildung in Italien und Deutschland, wurde es doch durch den Ausbruch des deutsch-französischen Kriegs vorzeitig beendet. Aufgrund der damit einhergehenden Eroberung Roms durch die italienischen Truppen verlor der Papst mit dem Kirchenstaat schließlich den letzten Rest weltlicher Souveränität. Vgl. Clark 2003. Vgl. Kaiser 2003. 6 Vgl. hierzu die Studie Sellmann 2007 über die Frage nach öffentlicher Religion als Ressource sozialer Ordnung, die sich systematisch an sozialwissenschaftlichen Positionen in Anschluss an Hobbes, Durkheim und Simmel abarbeitet. 7 Vgl. Huntington 1991, aber auch Casanova 2006 und Gabriel 2007a. 4 5
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Dadurch mutierte das Kirchenoberhaupt einerseits demonstrativ zum »Gefangenen im Vatikan«, avancierte aber andererseits, gestärkt durch die Definition des Universalepiskopats, zum ultramontanen Führer eines nunmehr prinzipiell transnationalen Katholizismus. Entsprechend warnte Bismarck in der berühmten Zirkulardepesche an die Regierungen Europas auch davor, dass die einheimischen Katholiken nun als Vasallen eines fremden Souveräns zu betrachten seien.8 Die kulturell verstandenen Konflikte waren in Europa nach der Französischen Revolution und der Säkularisation von 1803 geprägt von organisatorischer Rivalität zwischen sich national zentralisierender und zunehmend rechts- und wohlfahrtsstaatlich ausgreifender Nationalstaatshoheit einerseits und der Verteidigung überkommener kirchlicher Ansprüche andererseits. Diese Konflikte sind als eine aktualisierende Verschärfung des mit dem Investiturstreit beginnenden langen gesellschaftlichen Differenzierungsprozesses von Sacerdotium und Imperium zu verstehen.9 Dabei zog die katholische Staatsdoktrin im 19. Jahrhundert ihr zum gesellschaftlichen Diskurs alternatives Potenzial aus dem zunächst traditionalistischen und dann besonders neuscholastischen Anschluss an vormoderne Theorien. 10 Nach dem Ersten Vatikanum beanspruchte die politische Integration des Katholizismus viele Etappen und ihre Geschichte trägt durchaus paradoxe Züge: 11 Zunächst war das kirchenpolitische Ziel des politischen Katholizismus (hier einmal abgesehen von sozialpolitischen Ambitionen) selbstbezüglich beschrieben – je nach Quantität des katholischen Bevölkerungsanteils mit der ›These‹ eines katholischen Staates oder der ›Hypothese‹ weitgehender institutioneller Sonderrechte für die katholische Minderheit. Die größte Sorge galt der libertas ecclesiae. 12 Wo vom Vatikan nicht grundsätzlich wie in Italien unterbunden, gelang die gesellschaftliche Integration des politischen Katholizismus auf dem Feld der Sozialpolitik (vgl. Kapitel 9). In der restaurativen Zeit nach der Zäsur durch die nationalsozialistische Diktatur und den Zweiten Weltkrieg sind die Parteien der sogenannten »Christlichen Demokratie« beim Wiederaufbau des
Vgl. Schatz 1994, S. 298ff. Vgl. Kaufmann 1989, S. 77ff. 10 Vgl. Uertz 2005 und Große Kracht 1997, S. 87ff. 11 So vereinbaren im Vorfeld des Ersten Weltkriegs die Vertreter katholischer Soziallehre völlig unreflektiert ihre ultramontane Papstorientierung mit patriotischem Nationalismus, wie z.B. die von dem katholischen Multifunktionär (Zentrumspolitiker, Verbandssekretär, Universitätsprofessor und Priester) Franz Hitze 1914 an den deutschen Kaiser gerichtete Ergebenheitsadresse zeigt. 12 Vgl. zum politischen Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert Lönne 1986. 8 9
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zerstörten Europas vor allem als moralische Ressourcen gefragt und operieren zunehmend unabhängiger vom Klerus.13 Mit den Staats-/Kirchen-Verhältnissen der etablierten Ordnungen der westlichen Welt – vom deutschen Kooperationsmodell bis hin zum laizistischen Systems Frankreichs – hat sich der vorkonziliare Katholizismus bereits als modus vivendi arrangiert. Für die Kirche weiterhin problematisch dagegen war die Situation in den in Bezug auf Religion repressiv eingestellten Ländern des Ostblocks. 14 Doch zur grundsätzlichen Reform kirchlicher Religionspolitik kommt es schließlich im Kontext des Zweiten Vatikanischen Konzils, dessen politisches Umfeld in dramatischer Weise durch den Kalten Krieg bestimmt war. Dieser brachte die weltpolitische Lage mit den Ereignissen des Berliner Mauerbaus oder der Kubakrise an der Rand globaler Vernichtung durch die Atombombe – die Pastoralkonstitution spricht hier von den »wissenschaftlichen Waffen«. (GS 80f.) Angesichts dieser global empfundenen Bedrohung, aber auch durch die weltweite Durchsetzung des Nationalstaatsprinzips im Zug der Entkolonialisierung in den 1950er/60er Jahren entsteht aufseiten der Kirche bereits im Vorfeld des Konzils ein verstärktes Interesse an den Aktivitäten der Institution der Vereinten Nationen (einschließlich der Allgemeinen Menschenrechtserklärung). Diese sind auch aus Kirchensicht eine notwendige und ausbaufähige weltpolitische Bühne, so dass es noch während des Konzils mit Paul VI. zu einem ersten Besuch eines Papstes und einer Rede vor der Vollversammlung kommt. In der Auseinandersetzung mit den Menschenrechten und vor allen mit den kommunistischen Regimen macht sich die Kirche nunmehr politisch vor allem für die libertas religiosae, die individuelle Religionsfreiheit stark. Wie diese freiwillige politische Indienstnahme für die Religionsfreiheit anderer und die neue parteipolitische Neutralität und Äquidistanz sowie der katholische Einsatz für freiheitliche und säkularisierte Staatlichkeit zu erklären ist, soll im Folgenden thematisiert werden. Besonders plakativ kommt der neu gewonnene politische Vgl. zur »Christlichen Demokratie« Maier 1972 und 1973. Die Verschiebungen im Zuge der Teilung Deutschlands ergeben z.B. für den Katholizismus den neuen Fall, nicht mehr in der Minderheit zu sein und nach langer Inferiorität umfassende gesellschaftspolitische Wirkung entfalten zu können. Interessant für den innerkatholischen Bewusstseinswandel ist die Feststellung von Uertz, dass die Dynamik nicht zentral generiert wird, sondern von der Peripherie aus das Zentrum unter Zugzwang setzt: »Die Lehre des II. Vatikanums hatte sicherlich beträchtlichen Einfluß auf das politik- und sozialethische Denken von Theologen und Laien; im großen und ganzen handelt es sich aber bei den politik- und gesellschaftstheoretisch relevanten Konzilsdokumenten um einen Nachvollzug dessen, was Katholiken in Forschung, Lehre und Praxis schon seit Jahrzehnten in eigener Verantwortung und z.T. gegen die kirchenoffizielle Position vertreten haben.« Ders. 2005, S. 24. 14 Heute gibt es nennenswerte (Kultur-)Konflikte nur noch in China, vgl. aktuell dazu das apostolische Schreiben von Benedikt XVI. vom 27. Mai 2007 an die Bischöfe, die Priester, die Personen des gottgeweihten Lebens und an die gläubigen Laien der katholischen Kirche in der Volksrepublik China (http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/letters/2007/documents/hfben-xvilet007052 7_china_ge.html). 13
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Habitus des Katholizismus in dem Diktum des Gemeinsamen Wortes beider Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland zum Ausdruck. Dies hat zwar die deutsche Situation im Blick, stellt aber durchaus systematisch wie ein Reflex auf das berühmte ›Böckenfördeparadox‹15 fest: »Die Kirchen wollen nicht selbst Politik machen, sie wollen Politik möglich machen«.16 Zumindest für die offizielle Seite vermeidet der Katholizismus im Kontext der vielfach registrierten religiösen Revitalisierung das fundamentalistische Missverständnis einer Fortsetzung der Religion mit politischen Mitteln. 17 Dabei ist die neuerdings konsensorientierte politische Vergesellschaftung des Katholizismus aus differenzierungstheoretischer Perspektive herausgefordert, die Balance zu halten zwischen einer nach dem Ende des Staatskirchentums wieder staatsnahen ›zivilreligiösen‹ Indienstnahme zur politischen Legitimation einerseits und einer antistaatlichen und ›zivilgesellschaftlichen‹ Überstrapazierung von Leistungen religiöser Organisationen in Form eines ›Wächteramtes‹ als gesellschaftlichem Moralgaranten andererseits. Abbildung 19: Paul VI. spricht vor den Vereinten Nationen in New York
Vgl. Böckenförde 1991, S. 112f.: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Andererseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwangs und autoritativen Gebots, zu garantieren versuchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückfallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat. Die verordnete Staatsideologie ebenso wie die Wiederbelebung aristotelischer Polis-Tradition oder die Proklamierung eines ›objektiven Wertesystems‹ heben gerade jene Entzweiung auf, aus der sich die staatliche Freiheit konstituiert. Es führt kein Weg über die Schwelle von 1789 zurück, ohne den Staat als Ordnung der Freiheit zu zerstören.« 16 Vgl. EKD/DBK 1997, Nr. 4. 17 Vgl. Riesebrodt 2000. Zur von Jürgen Habermas ausgehenden zeitgenössischen Gesellschaftsbeschreibung als ›postsäkular‹ vgl. Habermas 2001, Gabriel 2003, Große Kracht 2003a. 15
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Für die Beschreibung des konziliaren Recyclings politischer Ökologie des Katholizismus ist folgendes einschlägige Material heranzuziehen: die Enzyklika Pacem in terris von Johannes XXIII., Passagen aus der Pastoralkonstitution Gaudium et spes sowie die Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae. Mit funktionaler und segmentärer Differenzierung sowie mit Blick auf das innerpolitische Verhältnis von Zentrum und Peripherie werden für die Analyse Differenzierungsvorschläge Niklas Luhmanns aufgegriffen, so dass sich die Argumentation in folgende Schritte strukturiert: In den ersten beiden Abschnitten wird die katholische Globalisierung des Politikbegriffs einerseits unter dem Stichwort ›Weltgemeinwohl‹ auf die Funktion bezogen thematisiert (8.1); andererseits wird mit dem konziliaren Begriff der »universalen politischen Gewalt« ein speziell weltpolitischer Institutionalisierungsvorschlag aufgegriffen (8.2). Danach geht es um den katholischen Perspektivwandel auf die innerpolitisch segmentäre Differenzierung einer polyzentrischen Staatenwelt (8.3) und schließlich wird das Feld der ›Weltöffentlichkeit‹ als der postkonziliar angemessene Ort kirchlicher Religionspolitik erörtert (8.4). 8.1 Weltgemeinwohl Das gesellschaftsethisch Neue des Zweiten Vatikanischen Konzils ist, dass es in seiner ad extra-Perspektive – korrespondierend zu seinem verweltgemeinschaftenden Begriff der Menschheitsfamilie – konsequent seinen Politikbezug ausbaut, dessen Fundamente im Kontext der Konflikte mit der europäischen Nationalstaatsentwicklung und im Anschluss an überkommene Vorstellungen formuliert wurden. Sein wertgeladener Begriff vom Gemeinwohl wird ausgeweitet und so zur grundsätzlichen Forderung des »Weltgemeinwohls« globalisiert. Aus der Beobachtung zunehmend globaler Interdependenz leitet die Pastoralkonstitution ab, dass »das Gemeinwohl, d.h. die Gesamtheit jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und leichteres Erreichen der eigenen Vollendung ermöglichen, heute mehr und mehr einen weltweiten Umfang annimmt und deshalb auch Rechte und Pflichten in sich begreift, die die ganze Menschheit betreffen. Jede Gruppe muß den Bedürfnissen und berechtigten Ansprüchen anderer Gruppen, ja dem Gemeinwohl der ganzen Menschheitsfamilie Rechnung tragen.« (GS 26) Was für ein Politikverständnis verbirgt sich dahinter und inwieweit kann dem Konzil, unterwegs von der Kirche als Gegengesellschaft hin zur Kirche der Weltgesellschaft, gerade mit dem politischen Begriff des Weltgemeinwohls Weltgesellschaftskompatibilität unterstellt werden? Für Luhmann ist der alltagsgebräuchliche Versuch, mit dem Gemeinwohlbegriff zu verdeutlichen, dass Kommunikationen politisch gemeint sind, zu allgemein und wenig aussagekräftig. Er definiert dagegen das politische Bezugsproblem mit der gesellschaftlichen
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Notwendigkeit, kollektive Verbindlichkeiten festzulegen. Selbst wenn es keine ausdifferenzierte Politik gebe, bleibe das Bereithalten einer Kapazität für kollektiv verbindliches Entscheiden als politische Funktion gesellschaftlich nicht kompensierbar: »Es geht um Kommunikationen, die sich als Entscheidungen darstellen, also als kontingent auftreten. Bindung soll sagen, daß eine Entscheidung als nicht mehr in Frage gestellte Prämisse für weitere Entscheidungen fungiert.« 18 Die systemtheoretische Perspektive befasst sich hinsichtlich Politik also mit dem Phänomen der Macht und dem Prozess der Durchsetzung und zunächst weniger mit definierten Werten und Prinzipien. Im historischen Prozess gesellschaftlicher Ausdifferenzierung habe sich mit dem Verlust der gesellschaftlichen Zentralstellung der Politik (Primat der Politik) diesbezüglich – so die systemtheoretische Position weiter – in der politischen Praxis eine Unterscheidung etabliert, die als binärer Code die stete Gleichzeitigkeit von Regierung und Opposition in allen Entscheidungssituationen aufzeigt. Nun geht es in der Politik um die unterschiedliche Positionierung von Werten und Interessen im Horizont von Entscheidungsoptionen. Legitimität im Sinne ideeller Geltung hat dann praktisch gesehen die Bedeutung von Popularität und steht damit in direktem Bezug zur Implementabilität. Alles, was politische Relevanz gewinnen soll, muss in relevante Differenzen politisch konstruiert werden. Die Autonomie der Politik in der funktional differenzierten Gesellschaft führt zu der nicht mehr auflösbaren Tautologie: »Was politisch ist, kann nur das politische System selbst bestimmen«.19 Resonanz und Anschlussfähigkeit entscheiden also, ob etwas politisch ist oder nicht. Während noch im klassischen Verständnis bloß an das Gemeinwohl zu appellieren war, um politische Relevanz zu erzeugen, sind beispielsweise religionspolitische Ambitionen in der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft nur noch indirekt anzubringen. Der Soziologe geht noch einen Schritt weiter: Angesichts des seit dem 18. Jahrhundert gebildeten Gegenbegriffs des Privatinteresses könne die alte Lehre des bonum commune nicht einmal mehr als Kontingenzformel taugen. Während die Gemeinwohlformulierung noch glauben ließ, öffentliche und private Interessen seien ihrer Natur nach zu unterscheiden, gebe es heute kaum mehr private Interessen, die nicht als öffentliche deklariert würden und entsprechend keine öffentlichen Interessen, deren Förderung nicht auch Privates unterschiedlich begünstige oder benachteilige. In diesem Sinne müsse der Gemeinwohlbegriff durch die Vorstellung prozeduralisierbarer Legitimität ersetzt werden, durch einen Legitimitätsbegriff, der die nötige Zukunftsoffenheit antizipiere, also durch den Begriff der Demokratie. Es kann nach diesen Ausführungen weder die Aufgaben der Kirche sein, die Rolle der Regierung oder der Opposition einzunehmen, noch – diese Unterscheidung aufhebend – von einer höheren Warte aus kollektiv verbindlich das Welt18 19
Luhmann 2000a, S. 84. Ebd., S. 119.
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gemeinwohl festzustellen. Das will das Konzil mit seinen Äußerungen auch gar nicht mehr. Vielmehr reformuliert es mit seiner Erklärung über die Religionsfreiheit zum einen das kirchliche Eigeninteresse in einer generalisierenden Sprache und gibt auf diese Weise der weiterhin traktierten Gemeinwohlsemantik einen spezifischeren Gehalt: Dadurch, dass die herkömmlichen libertas ecclesiae-Forderungen in der auf der Menschenwürde beruhenden Erklärung Dignitatis humanae in der individuellen wie universellen Religionsfreiheit aufgehen, ist auf sachthematischer Ebene und menschenrechtsbasiert politische Anschlussfähigkeit erzeugt. Diese ist in der Lage, selbst grundsätzliche Dissense aufgrund partieller Konsense zu kompensieren (neue Koalitionsfähigkeit).20 Wenn es um Menschenwürde geht, kann und muss kirchlicherseits nun postkonziliar prinzipiell mit jedem und um alles verhandelt werden, und deswegen richtet sich das Konzil und richten sich die päpstlichen Lerschreiben immer wieder an »alle Menschen guten Willens«.21 Zum anderen entspricht der Universalisierung des politischen Gehalts komplementär die konziliare Globalisierung des kirchlichen Bezugssystems Politik. Mit dem Begriff des Weltgemeinwohls nimmt das Zweite Vatikanum konsequent eine Makroperspektive ein, nach der bereits auf der Ebene der Erzeugung politischer Legitimität segmentäre und teilweise heterogene (nationale) Interessen vermittelt werden müssen. Hieraus resultiert schließlich auch die normative Selbstverpflichtung der Kirche zur institutionellen Indienstnahme für diese Vermittlungsfunktion. Und schließlich markiert die andauernde Gemein-
»Das Vatikanische Konzil erklärt, daß die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, daß alle Menschen frei sein müssen vom Zwang sowohl von seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlicher Gewalt, so daß in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen – innerhalb der gebührenden Grenzen – nach seinem Gewissen zu handeln. Ferner erklärt das Konzil, das Recht auf religiöse Freiheit sei in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person selbst gegründet, so wie sie durch das geoffenbarte Wort Gottes und durch die Vernunft selbst erkannt wird. Dieses Recht der menschlichen Person auf religiöse Freiheit muß in der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft so anerkannt werden, daß es zum bürgerlichen Recht wird.« (DH 2) 21 »Somit obliegt die Sorge für das Recht auf religiöse Freiheit sowohl den Bürgern wie auch den sozialen Gruppen und den Staatsgewalten, der Kirche und den anderen religiösen Gemeinschaften, dies je nach ihrer eigenen Weise und je nach der Pflicht, die sie dem Gemeinwohl gegenüber haben. Der Schutz und die Förderung der unverletzlichen Menschenrechte gehört wesenhaft zu den Pflichten einer jeden staatlichen Gewalt. Die Staatsgewalt muß also durch gerechte Gesetze und durch andere geeignete Mittel den Schutz der religiösen Freiheit aller Bürger wirksam und tatkräftig übernehmen«. (DH 6) 20
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wohlformulierung auch den kirchlichen Selbstanspruch, zwar nicht das Gewissen der Politik zu sein, wohl aber zum politischen Gewissen beizutragen. 22 Mit Bezug auf die Politik als gesellschaftliches Subsystem und dessen Gedächtnis bringt Luhmann ›die Werte‹ zwar an anderer Stelle, aber eben doch wieder ins Spiel.23 Dabei unterscheidet er das Gedächtnis des Gesellschaftssystems als ganzem von dem Spezialgedächtnis der ausdifferenzierten Politik und kontrastiert darüber hinaus Werte gegenüber Interessen. Ein System, das mit abstrakteren Wertbeziehungen arbeite, könne viel mehr Vergessen verhindern als wenn es bloß auf konkrete, situationsbezogene, also räumliche und personenbezogene Merkmale angewiesen ist. Der Unterschied von Werten und Interessen sei, dass gemeinhin Werte normativ stilisiert und Interessen als Fakten behandelt würden. Darüber hinaus bezögen sich Werte auf die Primärfunktion des Gedächtnisses, zwischen Vergessen und Erinnern zu diskriminieren. Dies spiegele die Notwendigkeit des Wiederfreimachens von Kapazitäten für weitere Operationen wider. Die Orientierung an Werten verhindere somit mechanische Wiederholungen, die zwangsläufig durch Identifikationen mit bestimmten Interessen gegeben seien, denen es ja um konkrete Befriedigung geht. Werde dagegen eine Realisierung gesellschaftlich anerkannter Werte angemahnt, was in der Regel durch Protestbewegungen, die nicht nur für sich selbst, sondern für andere sprechen, geschehe, werde der Bestand vorhandener Interessen durch neue Interessensbekundungen bereichert und ergänzt: »Das Gedächtnis nimmt hier, sobald mit moralischem Nachdruck gesprochen wird, die Form des Gewissens an – allerdings einer Art von Gewissen, von denen es mehrere geben kann.« 24 Politisch ist also von einer Pluralität von Gewissen auszugehen. Durch die kommunikative Verwendung von Werten und Interessen bezieht sich das politische System auf seine Umwelt, »sei es auf die Gesellschaft im ganzen (Werte), sei es auf einzelne Sektoren oder Gruppen oder Individuen (Interessen).« 25 Dadurch, dass das kirchliche Selbstverständnis bei aller sachlich-wertgebundenen Parteilichkeit nicht selbst die organisatorische Form einer politischen Partei annimmt, kann katholischerseits nunmehr effektiv und authentisch mit den Mitteln der Protestbewegung Politik betrieben werden. Die entscheidende Bewegung des Konzils selbst aber war dabei die Reformulierung des kirchlichen Vgl. in diesem Zusammenhang das Konzept der anamnetischen Rationalität einer Theologie nach Auschwitz der postkonziliar entstandenen neuen politischen Theologie, Metz 1992 und Manemann 1995, sowie zur seinerzeitigen Kritik Maier 1970. Für eine Interpretation der politischen Theologie des Konzils aus der Perspektive der (älteren) politischen Theologie Carl Schmitts vgl. Barion 1968. Die Antinomien von alter und neuer politischer Theologie können hier aus Platzgründen nicht diskutiert werden: Zur Unterscheidung der Geister vgl. Rainer 1996 sowie Manemann 2002. 23 Die Ausdifferenzierung spezifischer Funktionssysteme erfordert auch die Ausbildung eines systemspezifischen Gedächtnisses, »das die Rekursionen und die sich daraus ergebenden ›Eigenthemen‹ der jeweiligen Systeme betreut.« Vgl. Luhmann 2000a, S. 182. 24 Ebd., S. 183. 25 Ebd., S. 187. 22
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Eigeninteresses der libertas ecclesiae in den gesellschaftlich akzeptierbaren Wert der libertas religiosae und damit die Generalisierung durch wertgebundene Aufdauerstellung gesellschaftspolitischer Integration des Katholizismus. 8.2 Weltstaat Mit seiner in vielerlei Hinsicht bedeutenden Enzyklika Pacem in terris26 gelingt Johannes XXIII. noch zwei Monate vor seinem Tod eine entscheidende Steilvorlage für die konziliaren Verhandlungen über das Verhältnis von Religion und Politik. Über die kirchliche Rezeption der Menschenrechte hinaus begreift der Papst dort das politische Feld nicht nur grundsätzlich als ein weltpolitisches, sondern fordert auch organisatorische Konsequenzen, welche gegenwärtigen Debatten um gelingende Organisation von ›Weltinnenpolitik‹ bereits Rechnung tragen: Der Papst analysiert eine immer größere Zusammenarbeit und innere Verbundenheit zwischen den Menschen der ganzen Welt und den Regierungen der verschiedenen Länder, die nicht zuletzt von den Fortschritten in Wissenschaft und Technik begünstigt würden. Die Volkswirtschaften der verschiedenen Staaten seien so sehr verflochten, dass ökonomisch gesehen »aus diesem Zusammenschluß gewissermaßen eine Wirtschaftsgemeinschaft der ganzen Welt entsteht.« 27 Während in der Vergangenheit politisch gesehen die Mittel des Naturrechts, des Völkerrechts und des internationalen Rechts ausreichend dafür gewesen seien, dass die einzelnen »Staatslenker« mit Hilfe von Diplomaten, durch laterale Zusammenkünfte und Gespräche auf höchster Ebene sowie durch Instrumente wie Konventionen und Verträge selbst hinreichend für das Gemeinwohl sorgen konnten, hätten sich heute die Beziehungen der Staaten untereinander stark verändert und dies vor allem in Bezug auf »Sicherheit und Frieden in der ganzen Welt«. Es fehle nicht »am guten Willen oder an Unternehmergeist«, sondern ihre Autorität verfüge nicht über die nötige Macht. Deshalb sind aus Sicht des Papstes die Ausgestaltung staatlicher Organisation sowie der Einfluss, über welchen die einzelne Staatsgewalt bei allen übrigen Nationen des Erdkreises verfüge, ungenügend für die Förderung des gemeinsamen Wohls aller Völker: »Da aber heute das allgemeine Wohl der Völker Fragen aufwirft, die alle Nationen der Welt betreffen, und da diese Frage und Organisation und deren Mittel einen dementsprechenden Umfang haben, deren Wirksamkeit sich somit über den ganzen Erdkreis erstreckt, so folgt um der sittlichen Ordnung willen zwingend, daß eine universale politische Gewalt eingesetzt werden muß. Diese allgemeine politische Gewalt, Über das Politische hinaus ist Johannes XXIII. auch künstlerische Resonanz zuteil geworden: Textauszüge der Enzyklika dienten dem französischen Komponisten Darius Milhaud (1892-1974) als Libretto für sein Oratorium »Pacem in terris« (Op. 404). 27 Pacem in terris, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 2989. 26
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deren Macht überall auf Erden Geltung haben soll und deren Mittel in geeigneter Weise zu einem universalen Gemeinwohl führen sollen, muß freilich durch Übereinkunft aller Völker begründet und nicht mit Gewalt auferlegt werden.« 28 Dies formuliert der Papst im Kontext der zeitgenössischen Ost/West-Konfrontation, sucht nach einem Lösungsmechanismus und findet ihn im direkten Anschluss an die Vereinten Nationen in der Installation einer »politischen Autorität« auf globaler Ebene. Dem zeitgenössischen politischen Umfeld entsprechen nicht nur die bewusste sachthematische Ausweitung im Sinne einer Universalisierung des Politischen auf der einen Seite, sondern auch die Versuche zur Beschränkung politischer Potenz in der sozial-organisatorischen Wirklichkeit auf der anderen Seite. Dies lässt sich an der folgenden Übertragung des Subsidiaritätsprinzips auf die globale Ebene ablesen, das in der Auseinandersetzung mit dem Nationalstaat entwickelt wurde. 29 Analog zum dort angezeigten nationalgesellschaftlichen Stufenaufbau sollten durch das Subsidiaritätsprinzip nun weltpolitisch »auch jene Beziehungen geregelt werden, welche zwischen der Autorität der universalen politischen Gewalt und den Staatsgewalten der einzelnen Nationen bestehen.« Dieser universalen Autorität komme als besondere Aufgabe zu, jene Fragen zu behandeln und entscheiden, die sich bezüglich des universalen Gemeinwohls stellten. Dies wird durchaus funktional differenziert gesehen, denn diese Fragen seien gleichermaßen in wirtschaftlicher, sozialer und politischer wie auch in kultureller Hinsicht zu stellen: »Fragen, die wegen ihres Gewichtes, wegen ihres weitverflochtenen Zusammenhangs und ihrer Dringlichkeit als zu schwierig angesehen werden müssen, als daß sie von den Lenkern der Einzelstaaten glücklich gelöst werden könnten. Es ist natürlich nicht Aufgabe dieser universalen Autorität, den Machtbereich der Einzelstaaten einzuschränken oder ihre Angelegenheiten an sich zu ziehen. Sie muß sich im Gegenteil um die Schaffung solcher Daseinsbedingungen auf der ganzen Welt bemühen, in denen nicht nur die Staatsgewalt jeder einzelnen Nation, sondern auch die einzelnen Menschen und die sozialen Gruppen in größerer Sicherheit ihre Angelegenheiten erledigen, ihre Pflichten erfüllen und ihre Rechte ausüben können.«30 Während Johannes XXIII. in seinen normativen Überlegungen die weltpolitische Funktion einer »universalen Autorität« – von einem Weltstaat ist hier direkt nicht die Rede – aus dem Problemlösungsdefizit auf der (unteren) Ebene der Nationalstaaten ableitet, macht der Soziologe Rudolf Stichweh genau die umgekehrte Abfolge des historischen Prozesses der Entstehung von Weltpolitik deutlich. Die modernen Staaten seien erst nach dem von Portugal im 15. Ebd., S. 2991. Das Subsidiaritätsprinzip ist seit der Enzyklika Quadragesimo anno von Pius XI. von 1931 Bestandteil der kirchlichen Sozialverkündigung. Dort wurde es, veranlasst von Erfahrungen totalisierender Staatlichkeit faschistischer Regime in Italien und später auch in Deutschland, eingeführt. Vgl. zum Subsidiaritätsprinzip der katholischen Gesellschaftslehre auch Gabriel 2000a. 30 Pacem in terris, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 2993. 28 29
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Jahrhundert ausgehenden neuzeitlichen Prozess der (europäischen) Aufteilung des Erdballs, also nachdem es bereits Weltpolitik gab, entstanden: »Daraus folgt zunächst einmal, dass der National- und Territorialstaat Weltpolitik und Weltgesellschaft als bereits existierende Strukturen voraussetzt, dass er als Institution der Weltpolitik und der Weltgesellschaft entsteht und nur als eine solche angemessen verstanden werden kann.« 31 Die staatliche Binnendifferenzierung der Weltpolitik sei erst der zweite Schritt gewesen und habe sich langsam vollzogen. Der National- und Territorialstaat selbst sei als eine Form der Globalisierung zu verstehen, gleichsam als eine Globalisierung von oben, die an die Stelle einer sehr losen Kontrolle älterer Staatsformen über Räume und Kulturen nun intensive Formen der Penetration des Raumes und der versuchten Kontrolle von Kultur setze. Die heute bekannte Situation resultiert aus dem im Umfeld des Konzils stattfindenden Dekolonialisierungsprozess und sei insofern als »eingefroren« zu betrachten, als kein Staat mehr ohne Kosten eines anderen Staates sein Territorium vergrößern könne. Genauso unwahrscheinlich wie die Ausdehnungstendenzen einzelner Staatssysteme sei umgekehrt eine weitere Vermehrung der Anzahl der Staaten der Welt durch andauernde innerstaatliche Sezessionsversuche aufgrund kleinteiliger nationaler politischer Souveränitätsansprüche.32 Statt dessen prognostiziert Stichweh – nah am ›katholischen‹ Subsidiaritätsprinzip – weitere weltpolitische Dynamik im Bereich eines Mehrebenenmodells geschachtelter Staatlichkeiten. Angesichts der häufigen Rede vom Weltstaat und seines damit verbunden »schlechten Rufes« fragt auch der Bielefelder Politikwissenschaftler Mathias Albert, ob man unter Weltstaat ausschließlich eine weltweite Ausdehnung des bekannten Nationalstaatsmodells zu verstehen habe.33 Wo bislang je nach politischer Fasson vom Weltstaat in negativem Sinne als Weltzentralstaat oder in positivem Sinne als Weltföderation die Rede gewesen sei, verständen neuere soziologische und politikwissenschaftliche Annäherungsversuche an das Thema den Weltstaat dezidiert als eine Manifestation einer globalen Staatlichkeit, welche sich zu anderen Formen von Staatlichkeit auch inklusiv verhalten könne. Wenn es um die (wissenschaftliche) Beschreibung emergenter Strukturen im weltpolitischen System geht, solle man aber nicht zu schnell mit dem Staatsbegriff operieren, obwohl die fortschreitende Verrechtlichung der Weltpolitik unbestreitbar sei, wobei – hier bezieht sich Albert auf Fischer-Lescano – zunehmend der Menschenrechtschutz das Fundament einer Globalverfassung bilde.34 Produktiver als analytischer Zugriff sei die Frage nach neuen Formen von Weltstaatlichkeit, also Stichweh 2006, S. 26. Ausnahmen wie der Zerfall Jugoslawiens oder die Teilung der Tschechoslowakei können diese Regel bestätigen, denn trotz diverser regionaler Rivalitäten dauert z.B. die Einheit Spaniens oder Belgiens länger an als immer wieder prognostiziert wird. 33 Vgl. Albert 2006. 34 Vgl. Fischer-Lescano 2005. Vgl. auch Kapitel 4d. 31 32
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»nach der Herausbildung von Eigenstrukturen des politischen Systems Ausschau zu halten, welche die nationalstaatlich abgesicherten Funktionen des politischen Systems auf einer globalen Ebene zu substituieren in der Lage sind. Weltgesellschafts- und Globalisierungsperspektive sind sich bislang einig in der Diagnose, dass kein Analogon zum modernen Staat auf globaler Ebene entsteht.« 35 Albert vermutet, dass die Tabuisierung des Weltstaatsbegriff mit den formalen Souveränitätsvorstellungen und ihrer normativen Absicherung in der Charta der Vereinten Nationen (Selbstbestimmungsrecht und Einmischungsverbot) zusammenhängt, die zum bestimmenden Attribut moderner Staatlichkeit geworden ist. 36 Am Beispiel der europäischen Integration könne man aber erkennen, dass Souveränitätsverlagerung nicht Verlagerung politischer Kontrolle als solche bedeute, sondern in der rechtlich abgesicherten Verlagerung (durch Verträge) dieser Kontrolle bestehe: »Weltstaatlichkeit ist in diesem Sinne als eine Form inklusiver Staatlichkeit zu verstehen« 37, die nur dort entstehe, wo keine Souveränitätsansprüche exklusiv gegeneinander in Anschlag gebracht werden. Vor allem komme sie ohne die formalen Attribute von Staatlichkeit und (noch) ohne eine nennenswerte Weltstaatsemantik aus. Auch das Konzil spricht nicht explizit und direkt vom »Weltstaat«, doch die kirchliche Begriffsarbeit der 1960er Jahre fasst ihr politisch-innovatives Gesellschaftsverständnis, vermittelt durch den kircheninternen Begriffsapparat, immerhin in das normative Diktum von der »Autorität der universalen politischen Gewalt«. Dies muss zumindest als früher Vorläufer künftiger Weltstaatssemantik gewertet werden. Thematisch führt nun das Konzil die facettenreiche Liste weltpolitisch-organisatorisch drängender Felder mit der Ausgangsproblematik an, die auch die neuzeitlichen Gesellschaftsvertragstheoretiker in der Folge von Hobbes anregte, nämlich die Befriedung weltweiter latenter (kalter) und offener (heißer) Kriegszustände. 38 Doch entgegen einer eindimensionalen Perspektive, in der Friede als Thema auf das politische Feld beschränkt bleibt, geht es dem Konzil um eine Einbettung der politischen Problematik in eine gesamtgesellschaftliche Reflexion. Wie in Gaudium et spes festgehalten, besteht Friede eben nicht darin, dass »kein Krieg ist; er läßt sich auch nicht bloß durch das Gleichgewicht entge35 Albert
2005, S. 229. Auffallend ist in diesem Zusammenhang der Vergleich der Stichwörter des katholischerseits maßgeblichen Lexikons für Theologie und Kirche: Während die zweite, noch vor und während der Konzilsarbeiten erschienene Auflage noch keinen Eintrag »Souveränität« aufweist, findet sich dieser in der momentan gültigen und seit 2001 abgeschlossenen Auflage sehr wohl (vgl. für die dritte Auflage den Artikel des Staatsrechtlers Paul Kirchhoff 2000). Stattdessen kennt die zweite Auflage den Begriff der »Staatlichen A.[utorität]«, der dort in Bezug zum Gemeinwohlgedanken (begründend wie begrenzend) entfaltet wird, vgl. Fellermeier 1964. In der dritten Auflage verschwindet er als eigener Eintrag. Souveränität ist als Begriff nach dem Ersten Vatikanum für den Universalepiskopat des Papstes reserviert, vgl. Pottmeyer 1975. 37 Albert, S. 230f. 38 Für einen Überblick über die philosophische Vertragstheorie vgl. Kersting 1994. 36
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gengesetzter Kräfte sichern; er entspringt ferner nicht dem Machtgebot eines Starken; er heißt vielmehr mit recht und eigentlich ein ›Werk der Gerechtigkeit‹ (Is 32,17)«. (GS 78)39 Friede, der nicht zu besitzen, sondern immer neu zu erringen sei, habe seinen Ursprung in der Nächstenliebe, und obwohl es hier um die weltpolitische Ebene geht, gebraucht das Konzil personifizierendes Vokabular. Doch abgesehen von der idealen Form einer gerechten und darum friedlichen Welt muss es realpolitisch zunächst um die Vermeidung von Krieg gehen. Krieg ist als politisches Instrument aufgrund seiner Unmenschlichkeit und den mit ihm verbundenen materiellen und moralischen Schäden spätestens seit der Atombombe desavouiert: »Jede Kriegshandlung, die auf Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen«. (GS 80) Ist Krieg aber unausweichliche Realität, betont das Konzil einschränkend die Geltung des (natürlichen) Völkerrechts, pocht auf die Einhaltung internationaler Konventionen (zum Schutz der Verwundeten und Kriegsgefangenen) und empfiehlt gesetzmäßige Vorkehrungen zugunsten von Wehrdienstverweigerern. Angegriffenen Staaten aber spricht das Konzil das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht ab. Für die Ächtung des Krieges bedarf es, so die Pastoralkonstitution, einer »weltweiten Aktion«, einer Übereinkunft aller Nationen: »Dies erfordert freilich, daß eine von allen anerkannte öffentliche Weltautorität eingesetzt wird, die über wirksame Macht verfügt, um für alle Sicherheit, Wahrung der Gerechtigkeit und Achtung der Rechte zu gewähren«. (GS 82) Besonderen Regelungsbedarf auf globaler Ebene sehen die Väter in der paradoxen und Unsummen verschlingenden Vorstellung, dass Abschreckung friedenssichernd sei: »Der Rüstungswettlauf ist eine der schrecklichsten Wunden der Menschheit«. (GS 81) Über friedenssichernde, letztlich also rechtsstaatliche Funktionen hinaus schreiben die Konzilsväter der weltpolitischen Ebene auch wohlfahrtsstaatliche Komponenten zu, die vor allem weltweiten Vergemeinschaftungsprozessen dienen sollen. Zum Abbau von weltweiten Ungerechtigkeiten, wirtschaftlichen Ungleichheiten, Hilfeverzögerungen, Herrschsucht, Missachtung der Menschenwürde und egoistischen Leidenschaften müsse die Zusammenarbeit von bestehenden internationalen Institutionen besser koordiniert und es müssten neue Organe gebildet werden. Aufgrund der wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit brauche die Völkergemeinschaft zur Sicherung des allgemeinen Wohls der Menschheit eine Ordnung, die den heutigen Aufgaben entspreche. Zwei Themen werden hier besonders herausgestellt: Zum einen die Frage der internationalen Wirtschaftszusammenarbeit (vgl. GS 85f.), hinsichtlich derer die Praktiken des Vgl. zu dem sich hier abzeichnenden Paradigmenwechsel von der (traditionellen) Ethik des »gerechten Kriegs« zur Ethik des »gerechten Friedens« weiterführend das gleichnamige Wort der deutschen Bischöfe 2000 sowie für einen knappen historischen Überblick katholischer Friedensethik Hoppe 2003. 39
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Welthandels sich von Grund auf dahingehend zu ändern hätten, dass im Rahmen einer weltumfassenden Wirtschaftsordnung hochentwickelte Länder den neuen Nationen Kredite und Kapitalinvestitionen gewährten. Zum anderen spricht das Konzil auch die diffizile Problematik des Bevölkerungswachstums an, bei der aber einschränkend gelten müsse, dass nach »dem unveräußerlichen Menschenrecht auf Ehe und Kinderzeugung [...] die Entscheidung über die Zahl der Kinder vom rechten Urteil der Eltern ab[hängt] und [...] keinesfalls dem Urteil der staatlichen Autorität überlassen werden [kann]«. (GS 87)40 Schließlich wird auch kirchenintern globale Solidarität eingefordert, denn das »Ärgernis soll vermieden werden, daß einige Nationen, deren Bürger in überwältigender Mehrheit den Ehrennamen ›Christen‹ tragen, Güter in Fülle besitzen, während andere nicht genug zum Leben haben«. (GS 88) In ökumenischer Zusammenarbeit sollen Christen in den vorhandenen internationalen Institutionen mitarbeiten. Das Konzil verweist auch auf diverse eigene »katholische« internationale Organisationen, hält aber die Schaffung eines gesamtkirchlichen Organs für zweckmäßig, was nach dem Konzil und auch infolge des Impulses der Enzyklika Populorum progressio Pauls VI. 1967 durch die Gründung des päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden mit diversen kontinentalen und nationalen Kommissionen »Justitia et pax« auch geschieht.41 Es ist der scharfsinnige Analytiker Oswald von Nell-Breuning, der im Kommentar der einschlägigen Konzilstexte auch Ungleichzeitigkeiten in der neuen Sozialverkündigung kritisiert. Die Pastoralkonstitution habe zwar Innovationen der Enzyklika von Johannes XXIII. aufgenommen, diese seien aber ungenügend verarbeitet worden: »Wer mit ›Pacem in terris‹ diese für die heutigen Verhältnisse überholte Vorstellung hinter sich gelassen hat und die Einzelstaaten nur noch als Gliederungen der zur politischen Einheit zusammengewachsenen Gesamtmenschheit anzusehen vermag, wird dieser Sinngebung von ›communitas politica‹ einen beklagenswerten Rückschritt oder, vielleicht besser gesagt, eine bedauerliche, aber vielleicht heute noch nicht zu umgehende Anpassung an den zur Zeit bestehenden oder mindestens nachwirkenden Stand der Dinge erblicken.« 42 So sieht der katholische Sozialethiker gerade die vom Konzil gebrauchte Gemeinschaftssemantik an dieser Stelle als unterkomplex verwendet, nämlich noch ganz im »klassischen Sinne«. Damit ist die Wende zur Weltpolitik zwar eingeleitet, aber noch nicht ganz vollzogen. Politischer Partner der Kirche und der Rahmen der »vita publica« sei im konziliaren Verständnis immer noch primär der Einzelstaat.
»Über die wissenschaftlichen Fortschritte in der Erforschung von sicheren und moralisch einwandfreien Methoden, die den Eheleuten bei der Regelung der Kinderzahl helfen können, sollen die Menschen in kluger Weise unterrichtet werden«. (GS 87) 41 Vgl. Osner 1996. 42 Nell-Breuning 1968a, S. 517. 40
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8.3 Staatenwelt Ganz entgegengesetzt zur verbreiteten und befürchteten Annahme, dass die Globalisierung des Politischen unausweichlich auf den alles homogenisierenden »Welteinheitsstaat« hinauslaufe, bleibt empirisch festzustellen, dass die Welt weiterhin voller über Namen und Territorien zu identifizierender Staaten ist. Luhmann zufolge ist es geradezu umgekehrt, so sorge gerade das politische System der Weltgesellschaft für Staatenbildung in allen Territorien. Globalisierung drückt sich also nicht in der Auflösung einzelner Staaten aus, vielmehr verlagere sich der Primärbezug der Staaten von der Horizontalen in die Vertikale: »Die Abhängigkeit einzelner Staaten von bestimmten anderen Staaten nimmt ab und ihre Abhängigkeit vom politischen System der Weltgesellschaft nimmt zu. Damit verliert der Begriff der Souveränität seine Funktion des Schutzes gegen Übermacht und driftet in Richtung auf Verantwortung für regionale Ordnung. Weder in der Form von ›Herrschaft‹ noch in der Form von ›Kultur‹ oder ›Werten‹ setzt der Begriff Weltgesellschaft Zentralisation voraus.« 43 Anstelle des herkömmlichen Souveränitätsbegriffs als Quelle der Legitimation des Staates tritt zunehmend der Prozess der internationalen Anerkennung. Und wie man am aktuellen Beispiel Afghanistan sehen kann, entwickelt sich das weltpolitische System sogar regelrecht zum Initiator und Garanten von Staatlichkeit. In der gegenwärtigen Weltgesellschaft beschreibt Politik ein Funktionssystem unter anderen, dessen Leistung es ist, kollektiv bindendes Entscheiden kommunikabel zu machen. Das Subsystem Weltpolitik ist – von oben betrachtet – intern wiederum segmentär in einzelne Territorialstaaten differenziert, so kann die politische Funktion unter regional extrem unterschiedlichen Bedingungen praktiziert werden. Durch die Aufteilung der Weltpolitik in Territorialstaaten wird Politik kompatibel mit kulturellen, klimatischen und ökologischen Unterschieden, vor allem aber mit weltgesellschaftlich selbst generierten, weil weltwirtschaftlich erzeugten Ungleichheiten. Von unten gesehen ermöglicht die Einheit Nation als vergemeinschaftende Identifikationsoption, von Unterschieden beispielsweise im Bereich der Religions- oder Schichtzugehörigkeit abzusehen. Während von oben der Staat eine Vielfalt diverser Heterogenitäten an den einen Kommunikationszusammenhang Politik heranführt, sind von unten die Bürger vor dem Staat wie vor Gott im Idealfall alle gleich. Wenn Demokratie ein Indikator für die Optimierung der politischen Funktion ist, so Luhmann, könne dies nur über segmentäre Zweitdifferenzierungen erreicht werden, was zur Folge habe, dass einzelne Staaten sich im Ausmaß der Realisierung von Demokratie unterscheiden. Auf diese Weise eröffne sich ein Experimentierfeld, auf dem erprobt werden könne, wie sich Politikziele intern erreichen lassen. Doch sei der Nationalstaat nicht nur ins politische System der 43
Luhmann 2000a, S. 221.
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Weltgesellschaft eingebunden, sondern zugleich auch eine wichtige »Schubkraft in Richtung Globalisierung« anderer Funktionssysteme. Dies wurde bereits mit Blick auf das Religionssystem angesprochen, als es um die ultramontane Reaktion des Katholizismus und dessen homogenisierenden Globalisierungsschub im Kontext der europäischen Staatengründungen im 19. Jahrhundert ging. So sich auf der Grundlage des Nationalstaats weltweit der Trend zur kulturellen Schließung und Inklusion der Gesamtbevölkerung durchsetzt, was im Sinne einer – wie Stichweh es genannt hat – Steigerung der partizipativen »Input-Inklusion« durch Demokratisierung und der leistungsberechtigenden »Output-Inklusion« durch Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Strukturen geschieht, 44 so verringert sich Luhmann zufolge andererseits die Wahrscheinlichkeit, dass andere Funktionssysteme ›politisiert‹ würden: »Interdependenzen erzeugen regionale Unterschiede auch in dem Ausmaß, in dem Forschung gefördert und Religionsfreiheit akzeptiert wird, Wirtschaft sich entwickeln, gedruckt und gefunkt werden kann. Das wird niemand bestreiten. Aber die Limitierung solcher Einflüsse auf staatlich kontrollierte Regionen heißt zugleich, daß sich in den entsprechenden Funktionssystemen gleichwohl Weltperspektiven durchsetzen, die in den einzelnen Regionen Beachtung erzwingen. Dies mag für Religion und Recht in anderer Weise gelten als für Wissenschaft und für Wirtschaft. Großräumige Religionsgebiete wie das des Islam mögen sich halten; großräumigen Wirtschaftsgebieten wie dem des Sozialismus ist es nicht gelungen, sich gegen die Weltwirtschaft abzudichten. [...] Die Segmentierung des weltpolitischen Systems in Staaten schützt die Eigendynamik anderer Funktionssysteme, ohne damit regionale Effekte unterschiedlicher politischer Förderung oder Behinderung auszuschließen.« 45 Wie die katholische Kirche sich der Weltreligion im Singular als weltgesellschaftlichem Subsystem stellt, ist in dieser Studie Thema des Abschlusskapitels. Inwieweit aber im Konnex zur staatlichen Segmentierung des weltpolitischen Systems innerkatholische Globalisierung stattfindet, muss hier besprochen werden: Nach dem Verlust kirchenstaatlicher Souveränität wird sich der Katholizismus in der ›Zwischenkonzilszeit‹ durch die Initiativen dreier Päpste sukzessive »im Spannungsfeld zwischen Fundamentalopposition und Versöhnungsdiplomatie« 46 politisch konsolidieren und dabei allmählich ein neues Verhältnis von Kirche und säkularem Staat vorbereiten. Zu nennen ist zum einen das sogenannte Ralliement-Modell Leos XIII. (1878-1903), das unbeschadet einer neuthomistisch erneuernden Bekräftigung kirchlich-traditioneller Staatslehre nach innen für den pragmatischen Ausgleich französischer Katholiken mit dem Konstitutionalismus warb (»Acceptez la République«). Darüber hinaus forderte bereits dieser Papst mit Bezug auf die Soziale Frage in seiner Sozialenzyklika Rerum NoStichweh 2006, S. 30. Luhmann 2000a, S. 223. 46 Vgl. Große Kracht 1997, S. 159ff. 44 45
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varum (1891) direkte Staatsinterventionen im Sinne des Ausbaus wohlfahrtsstaatlicher Instrumente.47 Nach Ende des »langen 19. Jahrhunderts«, wie diese Periode von der Französischen Revolution bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs von Historikern tituliert wird, konnte sich Benedikt XV. (1914-1922) zunächst durch die innovative Besetzung des Themas »katholische Weltmission« profilieren. Mit der Enzyklika Maximum illud spricht erstmals ein Papst nicht bloß über die heimatliche Unterstützung von Missionaren, sondern auch über die Sendung der Kirche als Mission vor Ort, über missionarische Methoden und Organisation. Vor allem aber seine umfangreichen, wenn auch vergeblichen Friedensinitiativen im Kontext des Ersten Weltkrieges und nach dessen Ende die Versöhnungsmission zwischen Kriegsgewinnern und -verlierern sind stilprägend. Wie José Casanova herausstellt, ist es Benedikt XV., der den Aufstieg der katholischen Kirche als moralische Institution begründete (Vatikan als zweites Rotes Kreuz).48 Der unter seinem Vorgänger begonnene Ausbau diplomatischer Beziehungen wird konsequent von Pius XI. (1922-1939) fortgesetzt. In dessen Pontifikat fällt neben der Einführung technischer Errungenschaften wie einer umfangreichen Telefonanlage und der Rundfunkstation im Vatikan sowie der Etablierung der Missionswissenschaft als eigenständige theologische Disziplin durch die Apostolische Konstitution Deus scientiarum dominus (1931) vor allem der Abschluss der Lateranverträge. Diese ziehen ihre besondere Bedeutung aus der Kombination dreier Rechtscorpora, »dem Errichtungsabkommen der Vatikanstadt, dem Konkordat zwischen dem faschistischen Staat und der Kirche sowie der Finanzvereinbarung, die der Römischen Kurie wirtschaftliche Unabhängigkeit und weltweite Aktionsmöglichkeiten gewährleistet.« 49 Ausdruck der so wiedererlangten katholischen Souveränität ist eine umfangreiche Konkordatspolitik: Von 1922 bis 1937 werden mit Lettland, Bayern, Polen, Rumänien, Litauen, Italien, Preußen, Baden, Österreich, Deutschland, Jugoslawien, der Tschechoslowakei, Frankreich, Portugal und Ecuador Konkordate abgeschlossen sowie diverse Nuntiaturen neu
Seine zwischen Prinzipien und Pragmatik ambivalente ›Staatslehre‹ beschreibt Leo XIII. darüber hinaus in den Enzykliken Diuturnum illud (1881), Immortale Dei (1885) sowie Au milieu des sollicitudes (1892), wobei diese Dokumente, wie Rudolf Uertz 2005, 236ff hervorhebt, aufgrund ihres kirchenrechtlichen Status nicht nach wissenschaftlichen Kohärenzgesichtspunkten zu werten seien. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sie eben Ausdruck der Bemühungen sind, neue Gedanken und Konstellationen in Übereinstimmung mit der traditionellen Lehre zu formulieren, so dass ›alte‹ und ›neue‹ Elemente neben- und gegeneinander stehen und das Alte durch das Neue mehr und mehr überlagert und durchtränkt werden. Für den Zusammenhang politischer Ökologie des Katholizismus erinnert der Politikwissenschaftler an ein Diktum des Staatsrechtlers Josef Isensee, der diesbezüglich von einem »Kompostierungseffekt« sprach. 48 Vgl. Schwaiger 1999, S. 161f. 49 Rossi 2004, S. 19. 47
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errichtet.50 Dies alles mündet schließlich in den fünfziger Jahren in die Mitgliedschaft des Vatikans als Beobachter unter dem völkerrechtlich relevanten Titel »Heiliger Stuhl« bei den Vereinten Nationen und in der Folge in diversen weiteren internationalen Organisationen wie z.B. der KSZE.51 Mit dem in seiner Sozialenzyklika Quadragesimo anno (1931) formulierten Subsidiaritätsprinzip begegnet Pius XI. normativ einschränkend den totalisierenden Ambitionen der politischen Ideologien und Regimen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Doch bei der hier beschriebenen äußeren Annäherung der Kirche an das weltpolitische System der Staatenwelt sind auch innere Assimilierungsprozesse im Sinne einer »doktrinären Versteifung« und »Verstärkung der institutionellen Dimension der Kirche« nicht zu leugnen, auf die Giuseppe Alberigo hinweist. Innerhalb des römischen Zentrums habe eine schrittweise, aber merkliche Verrückung der Achse stattgefunden, ohne dass formale Veränderungen vorgenommen worden seien: »Die Rolle der Kongregationen des Hl. Offiziums und Konstistoriums verliert an Dominanz zugunsten des zunehmenden Gewichts, das von der Kongregation für die außerordentlichen Angelegenheiten und vom Staatssekretariat ausgeübt wird als den Organen, die politische Entscheidungen und den Staatsbeziehungen vorstehen. Die diplomatische Karriere wird die bevorzugte Laufbahn, um die höchsten Grade der kirchlichen Karriere zu erreichen, wie die Wahl des Staatssekretärs Kardinal E. Pacelli (Pius XII.) zum höchsten Pontifikat 1939 zeigen wird.« 52 Auch der Konzilspapst Johannes XXIII. blickt auf die klassische diplomatische Karriere zurück und war in Sofia, Istanbul, Athen und Paris Nuntius, bevor er Kardinal und Patriarch von Venedig und dann Kirchenoberhaupt wurde. So traditionell sein Werdegang auch in das bestehende System der Staats/KirchenVerhältnisse eingebunden war, so erstaunlicher ist die Innovationskraft seiner in der Friedensenzyklika enthaltenen Staatslehre. Zwar hält auch dieser Papst zu»Immer größere Bedeutung gewann die Politik der Konkordate. Sie hatte unter anderem das Ziel, die Bedeutung der politischen Autoritäten und der Ortskirche im Einflußbereich der Bischöfe zu verringern. Das bringt auch eine größere Bedeutung der Nuntien mit sich, die, insofern sie ›Außenstellen‹ des Staatssekretariats sind, an Zahl zunehmen und für immer bedeutendere Funktionen gegenüber den Regierungen und gegenüber den Ortskirchen eingesetzt werden. Mit dem Ende des ersten Weltkrieges steigt die Zahl der Nuntiaturen plötzlich auf 29 (1922) gegenüber 20 im Jahre 1914, denen 15 apostolische Delegationen beigeordnet werden [...] (Annuario pontificio 1922). Im Laufe des Pontifikats von Pius XI. nehmen die Nuntiaturen zu auf 38, und die apostolischen Delegationen steigen auf 23 (Annuario pontificio 1939). Um diese Entwicklung besser einordnen zu können, ist es nützlich sich zu vergegenwärtigen, daß die Kirchlichen Bezirke von 1036 im Jahr 1899 auf 1200 im Jahr 1939 stiegen, die Missionsbezirke von 175 auf 496, die ›Titel‹ von 350 auf 772. [...] Diese Prozesse haben den Effekt, daß sie die zentrale kirchliche Bürokratie vergrößern, während symmetrisch dazu die Laien an den Rand gedrängt werden, die noch in die lokale Verwaltung der Diözesen verwickelt waren. Die kirchlichen Institutionen werden ein ›klerikales‹ Monopol in einem zuvor unbekannten Ausmaß«, Alberigo 1998, S. 142. 51 Vgl. zur neueren Konkordatspolitik Lill 1990. 52 Alberigo 1998, S. 141. 50
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nächst und grundsätzlich fest, dass sich alle Autorität letztlich von Gott herleite. Mit dem Begriff Autorität ist aber hauptsächlich eine auf das Gemeinwohl zielende »geistliche Gewalt« gemeint und gleichzeitig ein Legitimitätskriterium der politischen Herrschaft mitgeliefert, denn im Umkehrschluss habe staatliche Gewalt eben nur im Einklang mit der göttlichen Autorität Verpflichtungskraft. Das Neue ist, dass aus dieser prinzipiellen Aussage keine Konkretion über die Form politischer Herrschaft abgeleitet wird. Im Gegenteil wird sogar explizit Demokratiekompatibilität betont. Stilistisch ist dabei interessant, die Rhetorik zu beobachten, denn das Neue wird mit einer doppelten Verneinung (Litotes) eingeführt: Daraus, dass die Autorität von Gott stamme, sei durchaus nicht zu folgern, dass die Menschen keine Möglichkeit hätten, diejenigen zu wählen, die an der Spitze des Staates stehen sollen, die Staatsform zu bestimmen und den Umfang sowie die Art und Weise der Gewaltausübung abzugrenzen. »Daher kann diese Lehre mit jeder demokratischen Regierungsform in Einklang gebracht werden, die diesen Namen wirklich verdient.« 53 Es sind ausdrücklich die regionalen Differenzen des weltpolitischen Systems, die eine einheitliche und universal geltende Empfehlung einer bestimmten Staatsform unmöglich machen: So will der Papst keine generellen Aussagen über die angemessenste Art und Weise treffen, in der die Staatsgewalt ihre Aufgaben in Gesetzgebung, öffentlicher Verwaltung sowie Rechtssprechung zu erfüllen habe. Um tatsächlich festzustellen, in welcher Form ein Staat regiert werden solle, müssten vielmehr der augenblickliche Zustand und die Lage eines jeden Volkes in Betracht gezogen werden. Bei aller Diversität der Weltgesellschaft habe aber grundsätzlich das Prinzip der Gewaltenteilung zu gelten: »Wir meinen aber, es ist der Menschennatur angepaßt, wenn das Zusammenleben der Bürger so gestaltet wird, daß es auf jener Dreigliederung von Behörden beruht, die den drei hauptsächlichen Aufgaben der Staatsgewalt sachlich entsprechen dürfte«. 54 Neben der regionalen Kontextabhängigkeit sieht der Papst auch die zeitliche Dynamik, Vorläufigkeit und Begrenztheit jeder Rechtsordnung und plädiert entgegen der deduktiv-statischen Tradition kirchlicher Staatsdoktrin für Induktion und Flexibilität: So trage die Ordnung eines Staates, die mit den Geboten der moralischen Ordnung und mit einer entsprechend fortgeschrittenen Reife der politischen Gemeinschaft im Einklang steht, in hohem Maße zur Verwirklichung des Gemeinwohls bei. Und doch »ist in unseren Tagen das Gesellschaftsleben so mannigfach, so vielfältig und so lebendig, daß die rechtliche Ordnung, wenn auch mit großer Klugheit und vorausschauender Umsicht ausgearbeitet, den Bedürfnissen häufig nicht gewachsen scheint.« 55
Pacem in terris, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 2961. Ebd., S. 2967. 55 Ebd., S. 2969. 53 54
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Schließlich behandelt der Papst mit Bezug auf das auch im Bereich der Massenmedien geltende Wahrheitsgebot die sogenannte ›vierte Gewalt‹.56 Nach der Staatslehre wird der weltpolitische Rahmen thematisiert, denn hinsichtlich des politischen Kontextes der 1960er Jahre und der dort stattfindenden europäischen Freigabe der Kolonien zur nun globalen Diffusion des Nationalstaatsprinzips57 stellt der Papst heraus, dass aus den Differenzen zwischen den ›neuen‹ und ›alten Nationen‹ in Bezug auf den wissenschaftlichen Fortschritt und hinsichtlich kultureller oder wirtschaftlicher Entwicklung keinerlei Herrschaftsbeziehungen ableitbar sind. Vielmehr sollten sie Ansporn sein, zum gemeinsamen Fortschritt aller Völker beizutragen: »Die Menschen können nicht ihrer Natur nach anderen überlegen sein, da alle mit der gleichen Würde der Natur ausgezeichnet sind. Folglich unterscheiden sich auch die staatlichen Gemeinschaften nicht voneinander hinsichtlich der ihnen von Natur aus innewohnenden Würde«. Neben innenpolitischen Staatsaufgaben, der Sorge für die Infrastruktur eines Landes (Straßenbau, Transportmittel, Kommunikationsmöglichkeiten, Trinkwasserversorgung, Wohnungsbau, sanitäre Hilfe, Bildung, Erholungsmöglichkeiten) und der Garantie der Rechtsordnung, welche einseitige Privilegierungen zu vermeiden und Privatinitiative zu fördern habe, spricht der Papst mit den Themen Minderheiten, Flüchtlinge und Abrüstung auch weltinnenpolitische Herausforderungen an. Wenn der sich im 19. Jahrhundert durchsetzende Nationalstaat nicht für jede Ethnie erreichbar sei, entspreche es aber umso mehr »den Geboten der Gerechtigkeit, wenn die Staatslenker sich tatkräftig bemühen, die Lebensbedingungen der Minderheit zu heben, namentlich in dem, was deren Sprache, Kultur, Herkommen und Gebräuche sowie wirtschaftliche Unternehmungen und Initiativen betrifft«. 58 Hinsichtlich der Problematik der Wirtschaftsflüchtlinge zieht der Papst Investition der Migration vor, so dass »soweit möglich, das Kapital die Arbeit suche, nicht aber die Arbeit das Kapital.« Grundsätzlich betont Johannes XXIII. die menschliche Würde aller Flüchtlinge, aus der auch das individuelle Recht abzuleiten sei, »sich in diejenige Staatsgemeinschaft zu begeben, in der man hofft, besser für sich und die eigenen Angehörigen sorgen zu können.« Es sei die allgemeine Pflicht der »Staatslenker«, ankommende Fremde aufzunehmen, soweit dies das »wahre Wohl ihrer Gemeinschaft« zuließe.
»Ferner gebietet die Wahrheit, daß man sich bei dem Gebrauch der vielfältigen Möglichkeiten, die durch den Fortschritt der modernen Publikationsmittel geschaffen wurden und durch welche die gegenseitige Kenntnis der Völker gefördert wird, von vornehmer Sachlichkeit leiten lasse. Dies schließt nicht aus, daß es für die Völker gerechtfertigt ist, ihre Vorzüge in das rechte Licht zu rücken. Abzulehnen sind jedoch jene Formen der Nachrichtengebung, durch die unter Mißachtung der Gebote der Wahrheit und Gerechtigkeit der Ruf eines Volkes verletzt wird.« Ebd., S. 2975. 57 Vgl. zur Geschichte der Kolonien Osterhammel 2003. 58 Pacem in terris, zitiert nach Utz/Galen, S. 2977. 56
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Angesichts der in der Ost/West-Konfrontation unkontrollierbar gewordenen Gefährdung der Welt als ganzer, die bedingt ist durch wechselseitige Abschreckung mit dem Drohpotenzial eines atomaren Erstschlags, hält der Papst Aufrüstung als friedenssichernde Strategie für fundamental falsch. Er entwickelt folgendes Alternativregime: »Deshalb fordern Gerechtigkeit, gesunde Vernunft und Rücksicht auf die Menschenwürde dringend, daß der allgemeine Rüstungswettlauf aufhört; daß ferner die in verschiedenen Staaten bereits zur Verfügung stehenden Waffen auf beiden Seiten und gleichzeitig vermindert werden; und daß endlich alle auf Grund von Vereinbarung zu einer entsprechenden Abrüstung mit wirksamer gegenseitiger Kontrolle gelangen«.59 Zwischenstaatliche Konflikte seien nicht militärisch, sondern multilateral konsultativ mit den vertraglichen Mitteln des Völkerrechts zu lösen, widerstrebe es doch im Zeitalter, das sich rühme, Atomzeitalter zu sein, der Vernunft, den Krieg noch als das geeignete Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten. Zwar kann das Konzil, wie oben mit Nell-Breuning festgestellt, in den politischen Fragen kaum mit der inspirierenden Vorlage Johannes XXIII. mithalten. Es bringt aber mit der selbstrelativierenden Erklärung eines grundsätzlichen Privilegienverzichts in seiner Pastoralkonstitution die politische Innovation, die man als Schlussstein auf dem Weg zur positiven Anerkennung einer Gesellschaft, deren funktional differenzierte Teilbereiche autonom sind, betrachten kann. Ausgehend von der grundlegenden Gesellschaftsbeschreibung als eine pluralistische (»societas pluralistica«) unterscheidet das Konzil die Praxis des Christen als Staatsbürger von seinem Handeln im Namen der Kirche. Die Kirche sei in ihrer Aufgabe und Zuständigkeit nicht mit der »politischen Gemeinschaft« zu verwechseln. Selbstbeschreibend wird die kirchliche Unabhängigkeit von jeglichem politischem System betont und die eigene politische Identität als »Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person« herausgestellt. Grundsätzlich aber gelte, dass die »politische Gemeinschaft« auf der einen und die Kirche auf der anderen Seite voneinander unabhängig und autonom seien und dennoch dem gleichen Menschen dienen. Dem Konzil zufolge erhält die Kirche ihre politische Relevanz durch ihre religiöse Existenz, denn indem sie das Evangelium verkünde, trage sie dazu bei, dass sich innerhalb der Nationen und zwischen den Völkern Gerechtigkeit und Liebe entfalteten. In diesem Sinne formuliere die Kirche auch weiterhin ihre Soziallehre und bediene sich »des Zeitlichen«, soweit es ihrer Sendung erforderlich sei. Zentral für den konziliaren Paradigmenwechsel in der Umorientierung von der libertas ecclesiae zur libertas religiosae ist aber, dass die Kirche » ihre Hoffnungen nicht auf Privilegien« setze, »die ihr von der staatlichen Autorität angeboten werden. Sie wird sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten, wenn feststeht, daß durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt ist«. (GS 76) 59
Ebd., S. 2983.
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Diese Formulierung ist entgegen ihrer selbstgewählten Form mehr programmatisch als selbstbeschreibend und antizipiert bestenfalls als Willensäußerung den für die politische Zukunft des Katholizismus verbindlichen Standard. Nell-Breuning zufolge hat das Konzil hier »einen Wechsel ausgestellt«, der erst »eingelöst« werden muss. 60 Für das Verhältnis der Kirche zur Welt der Staaten ist nun begrifflich einiges in Bewegung gebracht. Der Sozialethiker sieht in den Enzykliken Johannes XXIII. den großen Verdienst, »über das, was Aristoteles im Blickfeld haben konnte, hinausgeführt und mit Nachdruck das gesamtmenschheitliche Gemeinwohl herausgestellt und damit das staatliche Gemeinwohl seiner Stellung als Abschluß und Vollendung menschlicher Vollkommenheit entsetzt, zur bloßen Stufe einer vielstufigen Leiter abgewertet zu haben.«61 Lange habe die amtliche Kirche gegenüber der Demokratie große Zurückhaltung geübt; mit den Staatsenzykliken Leos XIII. seien nicht die Staatsvölker, sondern die Fürsten angesprochen gewesen, mit denen der Papst sozusagen wie mit seinesgleichen verkehrte. Mit der kirchlichen Neigung, die Struktur weltlicher Autorität möglichst nahe an die »kraft göttlichen Rechts hierarchische Struktur der Kirche« heranzurücken, um so Staat und Kirche selbst als ihrer sozialen Struktur nach eng miteinander verwandt und einander zugeordnet erscheinen zu lassen, habe das Konzil endgültig Schluss gemacht. Aber: »Auch die vorliegende Konzilskonstitution geht nicht so weit, die Lehre von der Volkssouveränität oder, anders ausgedrückt, von der prinzipiell demokratischen Struktur des Staates sich formell
Auch Benedikt XVI. legt in seiner ersten Enzyklika Deus Caritas est großen Wert auf die hier verhandelte Differenz von Religion und Politik und weist der Politik die Ordnungsaufgabe nach Maßgabe der Gerechtigkeit zu: »Gerechtigkeit ist Ziel und daher auch inneres Maß aller Politik. Die Politik ist mehr als Technik der Gestaltung öffentlicher Ordnungen: Ihr Ursprung und Ziel ist eben die Gerechtigkeit, und die ist ethischer Natur. So steht der Staat praktisch unabweisbar immer vor der Frage: Wie ist Gerechtigkeit hier und jetzt zu verwirklichen? Aber diese Frage setzt die andere, grundsätzlichere voraus: Was ist Gerechtigkeit? Dies ist eine Frage der praktischen Vernunft; aber damit die Vernunft recht funktionieren kann, muss sie immer wieder gereinigt werden, denn ihre ethische Erblindung durch das Obsiegen des Interesses und der Macht, die die Vernunft blenden, ist eine nie ganz zu bannende Gefahr. An dieser Stelle berühren sich Politik und Glaube. Der Glaube hat gewiss sein eigenes Wesen als Begegnung mit dem lebendigen Gott – eine Begegnung, die uns neue Horizonte weit über den eigenen Bereich der Vernunft hinaus öffnet. Aber er ist zugleich auch eine reinigende Kraft der Vernunft selbst. Er befreit sie von der Perspektive Gottes her von ihren Verblendungen und hilft ihr deshalb, besser sie selbst zu sein. Er ermöglicht der Vernunft, ihr eigenes Werk besser zu tun und das ihr Eigene besser zu sehen. Genau hier ist der Ort der Katholischen Soziallehre anzusetzen: Sie will nicht der Kirche Macht über den Staat verschaffen; sie will auch nicht Einsichten und Verhaltensweisen, die dem Glauben zugehören, denen aufdrängen, die diesen Glauben nicht teilen. Sie will schlicht zur Reinigung der Vernunft beitragen und dazu helfen, dass das, was recht ist, jetzt und hier erkannt und dann auch durchgeführt werden kann.« Benedikt XVI. 2006, S. 37f. 61 Nell-Breuning 1968a, S. 520. 60
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zu eigen zu machen; stillschweigend aber geht sie von ihr als schlechthin selbstverständlicher Voraussetzung aus.« 62 8.4 Weltöffentlichkeit Nach Luhmanns Unterscheidung sozialer Ebenen (Interaktion, Organisation und Gesellschaft) hat man den Staat als politische Organisation anzusehen. Der politischen Organisationen gibt es aber mehr als bloß eine: Die politische Funktion, Kapazität für kollektiv bindendes Entscheiden bereit zu halten, kann weder von nur einer noch von jeder politischen Organisation erfüllt werden. Um den Unterschied zwischen staatlicher Organisation und anderen politischen Organisationen zu verdeutlichen, zieht Luhmann, ausgehend von der funktionalen Differenzierung der Weltgesellschaft und der segmentären Differenzierung des ausdifferenzierten Subsystems Weltpolitik in Territorialstaaten, eine weitere Differenzierung ein: »Erst auf der nächsten Ebene der Differenzierung bedient sich die gesellschaftliche Subsystembildung der Autopoiesis von Organisationen. Um was zu erreichen? Die beste Antwort dürfte sein, daß auf dieser Ebene das (territorial)politische System sich im Schema von Zentrum/Peripherie differenziert und daß es dieses Differenzierungsmuster nur mit Hilfe von Organisationen erreichen kann«.63 Während über die segmentäre Differenzierung regionale Unterschiede und kulturelle Pfadabhängigkeiten weltpolitisch integrierbar sind, hat die politikinterne Differenzierung nach dem Muster Zentrum/Peripherie die besondere Funktion, Einheit und Komplexität zugleich zu ermöglichen. Die Einheit der Komplexität des Systems lasse sich dadurch denken, dass man von einer Zentralorganisation, eben dem Staat ausgeht, für den alle anderen politischen Organisationen wie Interessensverbände und Parteien (zu ergänzen sind üblicherweise auch Kirchen und Gewerkschaften) »Zulieferungsdienste« erbringen. Der Vorteil dieser Zentrum/Peripherie-Differenzierung liege gerade darin, dass sie im Zentrum andere Formen der Differenzierung ermöglicht als in der Peripherie. Gleichzeitig sehe sie davon ab, die verschiedenen Differenzierungsformen über ein eindeutiges Rangverhältnis zu koppeln: »Nur im Zentrum bilden sich Hierarchien, während die Peripherie zur Wahrung höherer Komplexität und Unkoordiniertheit segmentär differenziert bleiben kann: mehrere politische Parteien, mehrere Interessensorganisationen, mehrere Produktionsbereiche und Märkte.« 64 Ebd., S. 524. Aus heutiger Perspektive weitsichtig ergänzt der Jesuit: »Zwar versuchen die Einzelstaaten noch, an ihrer Souveränität festzuhalten, und in der heutigen internationalen Politik gebärden sie sich noch als souverän und werden als souverän behandelt, aber diese Souveränität ist mehr und mehr durchlöchert; sie ist fragwürdig geworden. Die Formel Leos XIII. zu wiederholen wäre – zumal nach ›Pacem in terris‹ – ein Anachronismus.« Ebd., S. 531. 63 Luhmann 2000a, S. 244. 64 Ebd., S. 251. 62
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Durch die Beobachtung des offiziellen Machtkreislaufs von der Peripherie aus entsteht nun in dieser Pluralität mit der öffentlichen Meinung ein »Gegenkreislauf informaler Macht«. Dieser funktioniert komplementär als kontinuierliches politisches Wahrheitsäquivalent zu den bloß sporadisch stattfindenden politischen Wahlen. Er drückt laufend die Machtverhältnisse in korrigierbaren Prognosen künftiger Wahlergebnisse aus und ermöglicht ihre Diskussion. Semantisch problematisch ist nach Luhmann die Singularverfassung des Begriffs »öffentliche Meinung«. Er deute aber darauf hin, dass nicht nur eine Vielzahl von Meinungen gemeint sein können, sondern dass »öffentliche Meinung« zugleich selbst als ein Medium der Meinungsbildung aufgefasst werden müsse: Öffentliche Meinung sei für die Politik »der Heilige Geist des Systems. Sie ist das, was als öffentliche Meinung beobachtet und beschrieben wird. Man kann sie als einen durch die öffentliche Kommunikation selbsterzeugten Schein ansehen, als einen Spiegel, in dem die Kommunikation sich selber spiegelt.« 65 Und er fügt hinzu, dass der Gebrauch der Spiegelmetapher auch Idealisierungen und Moralisierungen einschließe und richtet polemisch gegen Theoretiker des »öffentlichen Vernunftgebrauchs«, dass empirisch gesehen die unterstellten Konsensleistungen weniger zu beobachten seien und dass die von der Pressefreiheit gedeckten, »durch die Druckerpresse publizierten Konflikte nicht zur Destillierung von Vernunft führen, sondern zur Destillierung von Ideologien«. 66 Großen Einfluss auf die Bildung der öffentlichen Meinung haben zum einen natürlich die Massenmedien in ihrer Funktion, innergesellschaftlich die Welt entlang des Codes Information/Nichtinformation zu repräsentieren, zumal Religion und Oberschicht als ehemals zuständige Instanzen dieses im Übergang zur modernen Gesellschaft aufgeben mussten. Zum anderen gebe es aber einen stetigen Bedarf für neue und weitere Peripherie, die das politische System in die Lage versetze, flexibler und offener vermeintlich vernachlässigte Themen aufgreifen zu können. Die dafür gefundene gesellschaftliche Form werde gemeinhin mit dem Begriff der neuen sozialen Bewegung und dem der Protestbewegung beschrieben. Spätestens hier taucht die Religion wieder auf, wobei, wie an den weltweiten religiösen Revitalisierungen in Form diverser Fundamentalismen ablesbar ist, das Differenzierungsniveau der innerpolitischen Unterscheidung von Zentrum und Peripherie auch immer wieder unterschritten wird. Mit dem Wandel von der Kirche als Gegengesellschaft zur Kirche der Weltgesellschaft, den das Zweite Vatikanum vollzieht, sind für den politisch ambitionierten Katholizismus auch neue Rahmenbedingungen beschrieben. Die Lösung von der Staatsfixierung und die nun mögliche explizite Menschenrechtsorientierung ermöglichen dem Katholizismus eine Reformulierung des selbstbezogenen religiösen Interesses an Kirchenfreiheit in den gesellschaftlichen Wert der Reli65 66
Ebd., S. 286. Ebd., S. 282.
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gionsfreiheit aller. Dies bedeutet, dass auch katholischerseits zwar Partei ergriffen werden kann und soll, aber kirchlich nicht mehr Partei gebildet werden darf. Mit der Rezeption des Zweiten Vatikanums in der Reform des Kirchenrechts ist dies ausdrücklich in einer katholischen Variante der »Unvereinbarkeit von Amt und Mandat« kirchlich verbindlich gemacht: »Öffentliche Ämter anzunehmen, die eine Teilhabe an der Ausübung weltlicher Gewalt mit sich bringen, ist den Klerikern verboten.« 67 Während nun die Laien aufgefordert sind, ihrem Weltapostolat entsprechend implizit an allen ihren gesellschaftlich denkbaren Positionen (gleichsam wie ein Sauerteig von innen) die Welt christlich zu erneuern und die christliche Motivation von Politikern explizit gewünscht und gefördert wird, soll die kirchliche Hierarchie jetzt von der politischen Hierarchie strikt getrennt sein. 68 Während die Laien also ins politische Zentrum gerückt werden, bleibt die Institution Kirche eine Organisation politischer Peripherie. Trotz bestehender Unklarheiten um den Begriff der »Katholischen Aktion« – die innerkonziliare Vermittlung regional divergierender Politikerfahrungen gelang nur unzureichend – geht es dem Konzil vor allem um den Politiker als einen individuell zu überzeugenden Menschen; es geht außerdem nicht mehr um die Bildung von katholischen Parteien, sondern um Meinungsbildung. Betont wird mit diesem grenzüberschreitend-universalisierenden Programm kirchlicher Verweltgesellschaftung die sachthematische Verbindung, für die über die kirchliche Zuwendung zum Menschenrechtsdiskurs neue Artikulationsmöglichkeiten gewonnen werden. Hieran ist dem Katholizismus, jedenfalls in politischer Perspektive, mehr noch als an einer sozial identifizierbaren institutionellen Zugehörigkeit zur Kirche gelegen. Die öffentliche Mitarbeit an der Meinungsbildung erachtet das Konzil für den kirchlich organisierten Katholizismus auch unter Bedingungen funktional differenzierter Gesellschaft und autonomer Politik zu Recht als legitim. Dafür steht mit der »katholischen Presse« ein bereits in den Krisenzeiten des Kulturkampfes erprobtes Instrument zur Verfügung. Neu ist für den Katholizismus auch nicht das Bewegungselement, da z.B. die sichtbarsten Innovationen des Konzils auf den Erfahrungen der liturgischen Bewegung beruhen. Neu ist aber die sich nach der Erosion des katholischen Milieus und subgesellschaftlicher Strukturen postkonziliar durchsetzende Diversität innerkatholischer Bewegungen im Zuge der »Pluralisierung der Sozialform des Katholizismus« in den 1960er Jahren.69 Nun vernetzen sich innerkirchlich befreiungstheologische Basisgemeinden des Südens mit ökumenisch wie ökologisch inspirierten Eine-Welt-Gruppen des Nordens. Sie komplettieren das Bild neben dem global agierenden bereits etablierten Verbandskatholizismus und den bischöflichen Hilfswerken. Vieles davon gehört in den Bereich der neuen soziaCIC, Can. 285 §3. Vgl. in Kapitel 3 die Abschnitte zur Programmatik und Mitgliedschaft. 69 Vgl. Gabriel 1988, 2000a, 2000b, 2000c. 67 68
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len Bewegungen und der neuen religiösen Bewegungen, initiiert eigene und beteiligt sich auch an außerkirchlichen Kampagnen unter dem solidarischen Motto »Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung«.70 Diese neuen Formen globaler Solidaritätspraxis kirchlicher Akteure, welche gezielt die politische Weltöffentlichkeit adressieren, korrespondieren in gewisser Weise mit dem, was Luhmann in Bezug auf die Protestbewegungen ein wenig bissig bemerkt hat: Sie erscheinen dem Soziologen etwas ›uneigentlich‹, da sie als Bewegungen weder von selbst Betroffenen initiiert seien noch mit ihren stellvertretenden Thematisierungen, die auf Skandalisierung von Menschenrechtsmissachtungen basieren, selbst die Dysfunktionen der Funktionssysteme beseitigen würden: »Die sozialen Bewegungen beruhen ja auf der Annahme, die Probleme müßten woanders gelöst werden. Sie praktizieren das Prinzip, auf fremden Pferden moralisch zu voltigieren. Das ist eine Struktur. Aber die Anlässe sind Benachteiligungen oder die Nicht-Inklusion, die faktische Nicht-Inklusion von Personen«. 71 So wird häufig sehr moralisch kommuniziert, nicht aber selbst die Verantwortung übernommen, »auf der anderen Seite einzusteigen, um es dort besser zu machen«.72 Vielmehr geht es dem Protest um Aufmerksamkeitsgewinnung, was seine Nähe zu den Massenmedien zeigt.73 Die Peripherie protestiere, nicht aber gegen sich selbst, vielmehr solle das Zentrum ihrem Protest Rechnung tragen. Da es in der modernen Gesellschaft kein gesamtgesellschaftliches Zentrum mehr gebe, existierten Protestbewegungen nur in Funktionssystemen, die Zentren ausbilden, vorrangig also in der Politik: »Die Form des Protestes unterscheidet sich von der Form der politischen Opposition in einer verfassungsmäßig geordneten Demokratie. Die Opposition ist von vornherein Teil des politischen Systems. Das zeigt sich daran, daß sie bereit sein muß, die Regierung zu übernehmen bzw. an ihr mitzuwirken. Das hat einen disziplinierenden Effekt«.74 Kirche kann durchaus uneins mit der Regierung sein. Doch will sie das erreichte Differenzierungsniveau nicht unterschreiten, muss sie opponieren, ohne selbst Opposition zu werden. Genau hier liegt der Grund für den Protest und die Gesellschaftskritik als häufige politische Formwahl religionspolitischer MotivaVgl. die Formel des vom ökumenischen Rat der Kirchen initiierten »konziliaren Prozesses«, unter der auch die katholischen Beiträge zu fassen sind. 71 Luhmann 1996, S. 188. 72 Vgl. die Unterscheidung von »Gesinnungsethik« und »Verantwortungsethik« in Max Webers berühmtem Vortrag von 1919, »Politik als Beruf«, Weber 1992, S. 71. 73 »Der Protest inszeniert ›Pseudoereignisse‹ (wie die Massenmedienforschung sagt), das heißt: Ereignisse, die von vornherein für Berichterstattung inszeniert sind und gar nicht stattfinden würden, wenn es die Massenmedien nicht gäbe. Protestbewegungen bedienen sich der Massenmedien, um Aufmerksamkeit zu gewinnen, aber nicht (wie neuere Forschungen zeigen) zur Rekrutierung von Anhängern. Zirkuläre Verhältnisse spielen sich ein. Schon in der Planung ihrer eigenen Aktivitäten stellen die Bewegungen sich auf die Berichtsbereitschaft der Massenmedien und auf Televisibilität ein.« Luhmann 1996, S. 212. 74 Ebd., S. 206. 70
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tionen, die nach der konziliaren Anerkennung der Autonomie des Politischen zunächst auch nicht anders denkbar scheint: Die Vorstellung der Regierungsübernahme in Form eines katholischen Gottesstaates ist heute absurd. So gibt es historisch betrachtet aber nach der unfreiwilligen politischen Depotenzierung des Katholizismus im 19. Jahrhundert und dem sich anschließenden kulturkämpferischen ›Marsch durch die Institutionen‹ einschließlich katholischer Parteien und erfolgreicher Regierungsbeteiligungen (beispielsweise des preußischen Zentrums) nach der konziliaren Zäsur des Zweiten Vatikanums folgende Situation: Neben einer individualisierten christlich-katholisch integrierten Laienbiografie eines Politikers auf der einen und einer im luhmannschen Sinne demotivierenden, weil bloß destruktiven (außerparlamentarischen) Protesthaltung auf der anderen Seite eröffnet sich der berühmte ›dritte Weg‹: Jenseits von Regierung und Opposition ist das Modell der Nichtregierungsorganisation eine konstruktive Option katholischer Religionspolitik, welche Verantwortung nicht scheut und große Bandbreiten bedienen kann. So bringen sich beispielsweise neue religiöse Bewegungen wie die von S. Egidio in Bürgerkriegen friedensvermittelnd ein oder lassen sich kirchliche Hilfswerke wie Misereor von IWF und Weltbank in Entwicklungs- und Entschuldungsprozesse in Monitoringprogramme einbeziehen.75 Vor allem aber der Vatikan als katholischer Global Player steht im Zentrum nicht bloß des folkloristischen oder historischen, sondern auch des politikwissenschaftlichen Interesses. 76 Auf Basis weltkirchlicher und immer noch staatsanaloger Infrastruktur (Diözesen/Nuntiaturen) funktioniert das Papstamt als effektives Bindeglied zwischen Engagement und Administration in Sachen horizonterweiternder Weltöffentlichkeitsschutzpolitik77 : Nachdem Paul VI. noch während des Konzils mit den Pastoralreisen, die ihn auch zu den Vereinten Nationen führten, ein neues weltpolitisches Instrument erschloss, hat Johannes Paul II. als Virtuose auf der Klaviatur der Weltöffentlichkeit als ein »Gegenmodell zum Kampf der Kulturen« 78 u.a. mit den Weltfriedensgebeten in Assisi religiöse Weltereignisse
Vgl. Overkamp 2000. Vgl. Kallscheuer 2000, 2005 sowie Reese 2002 und Rossi 2004. 77 Vgl. zum theologischen Konzept der Öffentlichkeitsschutzpolitik Große Kracht 1997, S. 445f. 78 Vgl. Gabriel 2008 sowie darin Nacke 2008. 75 76
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inszeniert, die für die politische Ökologie des Katholizismus eine Fortsetzung der Politik mit religiösen Mitteln bedeuten kann. 79
Vgl. dazu Böckenförde 1969, S. 372f.: »Es kann immer wieder zu jener (äußersten) Situation kommen, daß schon und gerade die einfache und unbedingte Verkündigung der christlichen Wahrheit, ohne jede politische Überdetermination, Gegenstand der politischen Dissoziation wird, etwa weil sie die Position der Mächtigen in Staat und Gesellschaft oder ihre Praktiken bedroht. In diesem Fall müssen die Träger des kirchlichen Amtes die politische Herausforderung, die in der Wahrnehmung ihres Verkündigungsauftrags liegt, annehmen und die Entschlossenheit haben, in das politische Spannungsfeld einzutreten. Die Euthanasiepredigten des Bischofs von Münster, Graf Galen, waren Verkündigung und politische Tat zugleich, und letztere um so mehr, als ihnen nicht entgegengehalten werden konnte, sie stellten eine Überschreitung des kirchlichen Verkündigungsauftrags dar. An dieser Stelle liegt denn auch das eigentliche Problem des Hüter- und Wächteramts der Kirche, in dem dargelegten sehr begrenzten Umfang ist die Kirche mit diesem Hüter- und Wächteramt in der Praxis oftmals überfordert.« 79
9. Die »Soziale Frage« als weltökonomisches Thema
Wenn es nun globalisierungstheoretisch um den Funktionskontext Wirtschaft geht, so gilt sogleich einschränkend, dass es im Folgenden nicht um die Beschäftigung mit Fragen in Bezug auf Kirche als ökonomisch relevantem Global Player sowie dessen eigene wirtschaftliche Operationen geht. Dies wäre als eine andere Art Arbeit gewiss auch möglich, denn Kirche reicht als multireferenzielle Organisation auf vielfältige Weise mit ihren Belangen ins Wirtschaftliche hinein und ist volkswirtschaftlich durchaus ein gewichtiger Faktor, so z.B. mit einer langen Tradition in Deutschland als einer der größten Arbeitgeber in der Sozialwirtschaft. 1 Hier geht es aber im Folgenden weniger um die Wirtschaft und das Wirtschaften selbst, vielmehr werden die wirtschaftlichen Wechselwirkungen mit der religiösen Tradition des Katholizismus thematisiert. Dabei geht es vor allem um die Antworten des Konzils auf seine Fragen nach der ›richtigen‹ Einbettung von Wirtschaft, also nach ihrer gesellschaftlichen Rahmung. Mit dem Konzil werden diese ›Rand‹-Fragen in den Mittelpunkt gestellt und die »Wirtschaftsethik einer Weltreligion« (Max Weber) untersucht, welche als Reflexionstheorie tendenziell mehr eine katholische Fremdbeschreibung der ökonomischen Welt (ad extra) als eine Selbstbeschreibung hauseigener Ökonomie ist. Innerkirchliche Resonanz hat das Wirtschaftssystem im Zuge seiner Ausdifferenzierung vor allem und zunächst in der sozialen Bewegung des Sozialkatholizismus gehabt. Anfangs geschah dies als karitatives Handeln als Reaktion auf die mit der Industriellen Revolution in Europa einhergehende Proletarisierung und Pauperisierung breiter Bevölkerungsschichten.2 Als Sozialbewegung an der politischen Peripherie gestartet, gewinnt diese Ausgangslage mit zunehmendem Gesellschaftsbewusstsein auch sozial- und wirtschaftspolitische Relevanz. Im Umbruch von der stratifikatorisch differenzierten Agrar- und Ständegesellschaft auf die funktional differenzierte Arbeits- und Klassengesellschaft geschieht dies je nach regionalem Kontext pfadabhängig:3 In Deutschland z.B. stoßen katholische Sozialpolitiker mit der Zentrumspartei ins Zentrum der Politik vor und bilden so ein Gegengewicht zur Sozialdemokratie und den Nationalliberalen und Zur aktuellen Situation kirchlicher Caritas in Bezug auf Europa und Deutschland vgl. Gabriel 2007. Monzel 1980, S. 232ff. charakterisiert diesen »neuen Stand« durch Vermögenslosigkeit, Zwang zu dauernder Lohnarbeit, Warencharakter der Arbeit, wirtschaftliche Existenzunsicherheit, Erblichkeit des Zustands, geringes soziales Ansehen und proletarische Bewusstseinshaltung. 3 Vgl. die »Klassischen Gesellschaftsbegriffe« in Kneer/Nassehi/Schroer 2001. 1 2
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Konservativen.4 Für die hier angezielte, mehr wissenssoziologische Perspektive ist es interessant, dass am Ende des 19. Jahrhunderts parallel zur profan-wissenschaftlichen Konsolidierung von Soziologie und Religionssoziologie5 eine Christliche Gesellschaftslehre als spezifisch gesellschaftliche Außenperspektive auf das Phänomen Religion zumindest in Deutschland auf katholischer Seite (und geradezu gegenläufig) im theologischen Kontext etabliert wird. Sie thematisiert das Soziale nur andersherum vom religiös-kirchlichen Standpunkt aus. So kirchendistanziert die Klassiker des soziologischen Denkens ihren Prozess von der »Soziologie statt Religion« zur Religionssoziologie gestalten, umso erstaunlicher ist der katholische Reflex z.B. auf Emile Durkheims funktionalen Religionsbegriff. Dieser thematisiert bekanntlich den Zusammenhalt der Gesellschaft, bei dem es um die spezifisch religiöse Integrationskraft geht, und findet seinen Widerhall in der katholischerseits entwickelten Lehre vom »Solidarismus« (Pesch). Mit ihr wollte man die mit den vorherrschenden Gesellschaftstheorien des Liberalismus und Sozialismus einhergehenden Engführungen auf den Individualismus oder Kollektivismus überwinden und auf der »Sozialnatur« des Menschen beruhende »Baugesetze der Gesellschaft« (Nell-Breuning) begründen.6 Und, um einen anderen Klassiker zu nennen, geht es wie bei Max Webers berühmter Protestantismus/Kapitalismus-These auch in der katholischen Gesellschaftslehre vor allem um die Interdependenz von Religion und Wirtschaft, und dies weniger deskriptiv, sondern in normativer Absicht und mit (gestalterischer) Stoßrichtung auf das Ökonomische gewendet. 7 Doch ebenso wenig wie angesichts der Trennung von europäischer Pastoral auf der einen und Weltmission auf der anderen Seite anfänglich die Globalität der Sozialen Frage in den Sinn kam, gelang über die deutschsprachige Entwicklung hinaus die Etablierung einer christlichen Sozialwissenschaft als theologische Disziplin. Bis heute wird global gesehen zumeist katholische Soziallehre als ein Traktat der Moraltheologie gelesen. 8 Mit der ersten Sozialenzyklika Rerum Novarum 1891 von Leo XIII. war aber ein lehramtlicher Denkimpuls gegeben, die Problematik der Sozialen Frage weniger moralisch als vielmehr sozialethisch aufzufassen, gesellschaftliche Lagen als strukturelle Resultate zu begreifen und das ordnungspolitische Inklusi-
Vgl. zu den unterschiedlichen Entwicklungen in Deutschland, Italien und Frankreich Lönne 1986. Vgl. für die wissenschaftssoziologische Rekonstruktion des Prozesses von der »›Soziologie statt Religion‹ zur Religionssoziologie« Tyrell 1995a. 6 Vgl. allgemein und zu den Klassikern der Religionssoziologie den Reader Gabriel/Reuter 2004, zu Durkheims »Dilemma der organischen Solidarität« Tyrell 1985 und zum Konzept des »Solidarismus« Nell-Breuning 1990. 7 Vgl. zu Webers Religionssoziologie Tyrell 1990, 1992, 1993a. 8 Eine die verstreuten Einzelstudien zusammenführende wissenschaftssoziologische Untersuchung zur Geschichte der Christlichen Sozialwissenschaft/Katholischen Gesellschaftslehre ist ein andauerndes Desiderat. 4 5
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onsprogramm einer Entproletarisierung theologisch anzubinden (Bildung, Arbeitsschutz, Vermögensbildung, Mitbestimmung, Lohngerechtigkeit, Versicherungen, Genossenschaften). So sind die im besonderen Maße deutschen ›Klassiker‹ kirchlicher Soziallehre vielfach nationalökonomisch gebildet und sozialpolitisch orientiert: Der jesuitische Vordenker Heinrich Pesch (1854-1926), u.a. als Schüler beeinflusst vom Kathedersozialisten Gustav von Schmoller, entwickelt ab 1905 seine im Katholischen einflussreiche »Solidarismus-Lehre« in dem fünfbändigen »Lehrbuch der Nationalökonomie«.9 Der erste Lehrstuhlinhaber dieses neuen Fachs, Franz Hitze (1851-1921), ist darüber hinaus auch als Verbandssekretär und Parlamentarier direkt sozialpolitisch aktiv.10 In seiner Sozialenzyklika Quadragesimo anno von 1931, bei der er von deutschen Fachleuten beraten wurde, blickt Pius XI. wohlwollend auf diese wissenschaftlichen Bemühungen zurück.11 Zwar ist die innertheologisch-wirtschaftswissenschaftliche Auseinandersetzung vor allem ein deutschsprachiges Regionalphänomen, dennoch wird ihm durch die katholische Hierarchie vermittelt globale Resonanz beschieden. Wenn es auch in seinem Selbstverständnis durchaus extrovertiert ist, steht es dem politischen Geschäft zunehmend distanziert gegenüber und nimmt immer mehr die Form von Politikberatung an. Zwei Beispiele aus der vorkonziliaren Zeit verdeutlichen dies: Nachdem Oswald von Nell-Breuning SJ als Kopf hinter Quadragesimo anno identifiziert wurde, wird sein Einfluss auf das »Godesberger-Programm« der deutschen Sozialdemokratie gleichermaßen geltend gemacht wie in Bezug auf das christdemokratische Lager die Gutachten des späteren Kölner Kardinals und Konzilsvaters Joseph Höffner beispielsweise in Fragen der Dynamisierung der Rente gewichtig waren. 12 In Sachen gesellschaftlicher Integration hatte es der Sozialkatholizismus dem kulturkämpferischen politischen Katholizismus gegenüber erheblich leichter: Zum einen gibt es mit der organisatorischen Konkurrenzsituation durch die »Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation« 13 in politischer Hinsicht einen Verdrängungswettbewerb, in dem Kirche – selbst institutioneller Teil des Konflikts – sich mehr oder weniger erfolglos zur Wehr setzte. In sozial- und Vgl. Pesch 1905. Bis 1923 folgten vier weitere Bände. Vgl. zur Geschichte des ersten Lehrstuhls für Christliche Gesellschaftslehre, der in Münster 1893 gegründet wurde, Hermanns 2006 sowie zu Hitze Gabriel/Große Kracht 2006a. 11 »So entstand im Lichte und unter der Wegleite des Leoninischen Rundschreibens wirklich eine katholische Gesellschaftswissenschaft, deren weitere Ausgestaltung und Bereicherung mit unverdrossener Hingabe jener erlesenen Männer obliegen, denen Wir den Ehrennamen ›Helfer der Kirche‹ gaben. Auch sie vergraben ihre Wissenschaft nicht, sondern stellen sie hinein in den Lärm und Kampf des Tages. Beispielsweise nennen wir nur: mit ebenso großem Nutzen wie Zulauf veranstaltete Lehrgänge an Katholischen Universitäten, Akademien, Seminarien; soziale Tagungen und ›Wochen‹ in großer Zahl und mit schönen Erfolgen; Studienvereinigungen; endlich zweckentsprechende, gediegende Schriften aller Art für die verschiedensten Leserkreise.« (QA 20) 12 Vgl. zu Letzterem auch Kaufmann 2006. 13 Vgl. den gleichnamigen Beitrag Böckenförde 1967. 9
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wirtschaftsethischer Perspektive ist das Feld jedoch anders bestellt: Hier stehen sich schematisch nationalliberale Kapitalisten und internationalistische Sozialisten antipodisch gegenüber. Deren Gegensatz wird katholischerseits gleichsam in der Rolle eines ›ausgleichenden Dritten‹ als individualistische bzw. kollektivistische Einseitigkeit identifiziert und kann durch die Verbindung mit dem umfassenderen »christlichen Menschenbild« (dialektisch) versöhnt werden.14 Zum anderen setzen sich hier, auf Kontinuität bedacht, grundsätzlich revolutionsallergisch-sozialreformerische gegen sozialromantisch-revolutionsaffine Bemühungen durch. Sie generieren aufgrund der verhältnismäßig frühen Umstellung von katholischem Strukturkonservativismus auf wertkonservative Programmatik und der Ausbildung einer Prinzipienethik ein hohes Maß an sozialpolitischer Anschlussfähigkeit und Flexibilität. 15 Auf unseren Untersuchungsgegenstand bezogen wird es genau diese Differenz von Struktur- und Wertkonservativismus sein, der die Konzilsdebatten anheizt und die Rezeptionskonflikte der im Umfeld des Zweiten Vatikanums vollzogenen wirtschaftsordnungsbezogenen Neuorientierungen innerhalb und außerhalb der katholischen Tradition aufheizt:16 Vor dem Hintergrund der im Kalten Krieg miteinander konkurrierenden Gesellschaftsmodelle des Kapitalismus und Sozialismus werden in der wirtschaftspolitischen Debatte auch religiöse Ressourcen je nach politischem Standpunkt apologetischlegitimatorisch wie kritisch-progressistisch in Anschlag gebracht. Mit der Frage, wie nun die lange auf die europäischen Industriestaaten verengte Sicht der Sozialen Frage im Umfeld des Konzils bereits von Johannes XXIII. in Mater et magistra (1961) geweitet und in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes (1965) sowie in der an das Konzil anschließenden Sozialenzyklika Populorum Progressio (1967) von Paul VI. verbindlich globalisiert wird, ist die Ausgangsfragestellung dieses Kapitels: 17 Zunächst geht es dabei um die wirtschaftliche Funktion allgemein und den kirchlichen Eigentumsbegriff im Besonderen (9.1). Davon abgeleitet schließt sich das Thema der richtigen Steuerung Neben Distanzierungen gibt es immer wieder Annährungen; so vertrat der frühe Hitze 1877 auch Vorstellungen eines »Christlichen Sozialismus«. Mit der Sozialismusrezeption in der katholischen Soziallehre ist vor allem der Name Theodor Steinbüchels verbunden, vgl. dazu Lienkamp 2000. Vgl. zur Debatte über das Verhältnis von »Christentum und Liberalismus« auch den Dokumentationsband Forster 1960 einer in der Katholischen Akademie in Bayern veranstalteten Tagung u.a. mit Beiträgen von Eric Voegelin, Erich Mende und Gustav Gundlach S.J. Zum Thema »Wirtschaftsliberalismus und katholisches Denken« vgl. auch die parallel zum Konzil entstandene und 1965 fertiggestellte Dissertation Grenner 1967. 15 Vgl. einführend zur Prinzipienethik Anzenbacher 1997, 178ff sowie Marx/Wulsdorf 2002, S. 148ff. 16 Vgl. die durchaus kritischen Beiträge des frühen Kommentarbandes über »Das Konzil zur Wirtschaftsgesellschaft« Weber/Schreiber/Rauscher 1966. 17 Wie wichtig diese Enzyklika Pauls VI. für den Katholizismus bis heute ist, zeigt auch die nach Abschluss des Manuskripts erschienene erste Sozialenzyklika Benedikts XVI. 2009, mit der dieser in Sachen Globalisierung explizit an Populorum progressio anschließt. Vgl. Zur Enzyklika und ihrer ersten Resonanz Kruip 2009. Sehr kritisch äußert sich Daniel Deckers in der F.A.Z. vom 8.07.09, wenn er sie in seinem Beitrag auf S. 1 als »katholisches Selbstgespräch« bezeichnet. 14
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des wirtschaftlichen Prozessierens an (9.2), so dass es dann darum gehen kann, wie dessen Resultate (Gewinner/Verlierer) bilanziert werden (9.3) und endlich, auf welche Weise die globalen Dimensionen der Sozialen Frage die neuen ökonomischen Perspektiven des konziliaren Katholizismus bestimmen (9.4). 9.1 Knappheit und Verteilung Wirtschaftliche Kommunikationen kommen in allen Gesellschaftsformationen dann vor, wenn es um die Verständigung über den Zugriff auf knappe Güter geht. Wenn wirtschaftlich gemeinhin von Produktion oder Tausch die Rede ist, ist dies Luhmanns »Wirtschaft der Gesellschaft« zufolge aber nur dann berechtigt, wenn Kosten anfallen. Er führt weiter aus: Zahlungen, um die es im wirtschaftlichen Subsystem als Letztelement geht, haben dabei wie Handlungen die besondere Eigenschaft, temporär zu identifizierende, zeitpunktmäßige Ereignisse zu sein. Diese zeitliche Bestimmtheit wird im wirtschaftlichen Kontext vor dem Hintergrund konsumorientierter Nachfrage als Knappheit kommuniziert, so dass das Paradox entsteht, dass die aufgrund von Spezialisierung ermöglichte Vermehrung zeitbeständiger und somit lagerfähiger Güter auf der einen Seite (Angebot) deren Knappheit auf der anderen Seite zur Folge hat (Nachfrage). Die wirtschaftliche Grunderfahrung ist darüber hinaus gleich die einer zweiten Knappheit, nämlich neben der weltbedingten Knappheit von Gütern und Leistungen die artifizielle Knappheit des Geldes. Die gesellschaftliche Aufgabe der Wirtschaft ist es, einen sozialen Mechanismus zur Verfügung zu stellen, der »eine zukunftsstabile Vorsorge mit je gegenwärtigen Verteilungen verknüpft«. Die eigentliche Funktion der Wirtschaft liegt, so Luhmann weiter, »gerade in der Erzeugung und Regulierung von Knappheiten zur Entproblematisierung künftiger Bedürfnisbefriedigung. Das Bezugsproblem der Wirtschaft ist, mit anderen Worten, die je gegenwärtige Zukunft; man könnte auch sagen: die Reizbarkeit der Gegenwart durch die Zukunft; oder: das soziale Problem des gegenwärtigen Leidens an Knappheit, die andere verursachen.« 18 Angesichts prinzipieller Knappheit neben dem wichtigen Thema langfristiger Dauerbefriedigung mit Konsumgütern geht es zeitlich vor allem um gegenwärtig zu entscheidende Verteilungskonflikte. Hierbei verschärfen sich innerwirtschaftlich angelegte Spannungen dadurch, wie Luhmann einräumt, dass »die Wirtschaft« in der Erfüllung ihrer Funktion dazu tendiert, die Verteilung ungleich zu vollziehen, also den ›Reichen‹ mehr zu geben als den Luhmann 1988, S. 65. Wenn unter »Erlösung« und »Fülle des Lebens« die Sicherstellung ausreichend materieller Versorgung verstanden wird, beschreibt das wirtschaftliche Bezugsproblem in seiner zeitlichen Dimension immanent genau das, was theologisch transzendenzbezogen eschatologisch und soteriologisch aufgefasst wird. Unter diesen Voraussetzungen kann die ökonomisch basierte Gesellschaftstheorie des Marxismus alles Weitere nur als Projektion und Form der Vertröstung auffassen. 18
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›Armen‹, beispielsweise bei der Kreditvergabe oder verursacht durch die höhere Mobilität von Geldanlagen. Trotz dieses systemimmanenten Konfliktpotenzials bleiben die anderen gesellschaftlichen Subsysteme stets darauf angewiesen, dass die Wirtschaft funktioniert, denn andernfalls »müßten diese Systeme selbst wirtschaftliche Funktionen miterfüllen, müßten sich selbst versorgen, würden zu multifunktionalen Einrichtungen regredieren und dadurch im heutigen Sinne des Begriffs ›korrumpiert‹ werden.« 19 Will man nun Kommunikationen als wirtschaftliche identifizieren, ist Rentabilität oder Profitabilität der Faktor, und der Bezug zur ›Effizienz‹ als gesellschaftlicher Wert ist das, was ein Kalkül als wirtschaftlich auszeichnet. Mengenknappheit dient als Kontingenzformel. Anders als der kommunikationsbasierte systemtheoretische Ansatz beschreibt die Pastoralkonstitution das wirtschaftliche Bezugsproblem und legt ihren Schwerpunkt auf Humanität, »ist doch der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft«. (GS 63) Trotz allen Fortschritts hinsichtlich Produktionstechniken und weltweiter Vernetzung, der die Wirtschaft in den Stand setze, »die gestiegenen Bedürfnisse der Menschheitsfamilie besser zu befriedigen«, wird kritisch diagnostiziert: Angesichts der »Versklavung« der Menschen durch die Universalität des ökonomischen Denkens hinsichtlich ökonomischer und sozialer »Gleichgewichtsstörungen« von Luxus auf der einen und Elend auf der anderen Seite, zwischen den verschiedenen Sektoren von Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen, innerhalb von Nationen sowie unter den diversen Völkern bedürfe es zur Wahrung des Weltfriedens gleichermaßen institutioneller Wirtschaftsreformen wie des Gesinnungswandels im persönlichen wie internationalen Leben. Die die Systemlogik transzendierende Perspektive konziliarer Gesellschaftsethik wird nun wirtschaftsbezogen trotz aller Autonomiebeteuerungen dadurch betont, dass die Konzilsväter sich von einer außerökonomischen Zweckbestimmung leiten lassen, die als Resultat des Produktionsprozesses nicht Gewinn und Macht, sondern Dienst am (ganzen) Menschen ist.20 Wirtschaft wird als Teil einer übergeordneten Einheit wahrgenommen: »Alle wirtschaftliche Tätigkeit ist – nach der ihr arteigenen Verfahrensweise und Gesetzmäßigkeiten – Ebd., S. 133. »Die Abhängigkeiten zwischen den Teilsystemen ergeben sich aus dem Redundanzverzicht, der seinerseits die Grundlage für eine hohe Spezifikation und Leistungsfähigkeit der Teilsysteme ist. Ein Leistungsaustausch mag, vor allem auf Organisationsebene, trotzdem eine mehr oder weniger wichtige Rolle spielen und das System vor einer Übersteigerung seines Prinzips bewahren.« Ebd. 20 In diesem Zusammenhang erscheinen moderne Produktionsweisen mit katholischem Gedankengut kompatibel, wie Paul VI. zugesteht: »Im Gegenteil ist gerechterweise der unersetzbare Beitrag anzuerkennen, den die Organisierung der Arbeit und der industrielle Fortschritt zur Entwicklung geleistet haben.« Populorum progressio, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 763. Doch auch Idiosynkrasien und spezifisch-biografische Nähe können die Soziallehre bestimmen, wie man am »übergroße[n] Eifer, mit dem Johannes XXIII. aus der Güte seines Herzens seine lieben Bauern, wie ein schweizerischer Autor (J. Bleß) es so schön ausdrückt, gleich mit einem ganzen Blumenstrauß agrartechnischer und agrarpolitischer Ratschläge beschenkt hat«, sehen kann, vgl. Nell-Breuning 1968a, S. 530. 19
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immer im Rahmen der sittlichen Ordnung so auszuüben, daß das verwirklicht wird, was Gott mit den Menschen vorhat.« (GS 64) Und gemäß seines allgemeinen Inklusionsprogramms geht es dem Konzil in Wirtschaftsfragen normativ grundsätzlich um zweierlei, zum einen um die Beteiligung möglichst vieler (GS 65) und zum anderen um den »Abbau übergroßer sozialökonomischer Unterschiede«. (GS 66)21 Dass auf das Letztere bezogen hier nicht von notwendiger Gleichheit die Rede ist, hat für das Konzil sicherlich anthropologische Ursachen, trägt aber auch dem Umstand Rechnung, dass wirtschaftlich gesehen Bedürfnisse ungleich verteilt sein müssen, so dass »Güter bei gleichem Preise als mehr oder als weniger attraktiv erscheinen können. Anders formuliert: Die Umwelt des Wirtschaftssystems muß dafür ausreichend komplex sein. Andererseits muß Geld im System ungleich verteilt sein, so daß Preise für den einen zu hoch, für den anderen dagegen erschwinglich oder sogar ohne spürbaren Aufwand erschwinglich sind. In beiden Hinsichten ist Ungleichheit Ausgangsbedingung und Produkt der Wirtschaft, und Gleichheit wäre tödliche Entropie.« 22 Der seinerzeitige Kommentator Nell-Breuning betont (nicht ohne Stolz): Während die Bindung aller »Kultursachbereiche«, also auch der Wirtschaft, an »das Sittengesetz« in kirchenamtlichen Verlautbarungen oft ausgesprochen werde, finde sich die Anerkennung ihrer relativen Autonomie (»erstmals klar formuliert in ›Quadragesimo anno‹ n. 42«) nur selten. Für »den Dialog mit den jeweils Beteiligten, hier also den wirtschaftenden Menschen und den Vertretern der Wirtschaftswissenschaften, ist sie [aber] unerläßliche Voraussetzung.« 23
Wenn das Konzil verschiedentlich von Ungleichheit anstatt von Ungleichgewicht spreche und damit Unterschiede in der Versorgungslage und der dadurch bestimmten Lebenshaltung verschiedener Landesteile oder Länder oder im Tempo des wirtschaftlichen Fortschritts beschreibt, sei dies – so Nell-Breuning – deskriptiv so zutreffend wie normal. Normativ problematisch sei Ungleichheit aber in der Hinsicht, dass »die einen absolut (nicht relativ!) zuwenig haben, zum andernmal, daß diejenigen, die mehr haben, als sie benötigen, davon nicht den rechten Gebrauch machen.« Und es gehe hier um die Frage, »ob die Ungleichheit, wenn sie auch kein malum in se seu intrinsecus malum ist, doch eines Rechtfertigungsgrundes bedarf«. Rein ökonomisch sei aber festzustellen, dass bestimmte Ungleichheiten (Ungleichgewichte, Disproportionen, Mängel der Komplementarität) dem wirtschaftlichen Fortschritt selbst abträglich seien, vor allem bezüglich des Ziels, die weiterwachsende Menschenzahl auch nur mit dem Notwendigen zu versorgen. Solchen Ungleichheiten stehe das Konzil ausgesprochen kritisch gegenüber. Mit seiner neuen theologischen Fundierung bleibt es aber sachgerecht: »Auch aus der an späterer Stelle eingehend behandelten ›Widmung der Erdengüter an alle Menschen‹ (Artikel 69) leitet das Konzil, obwohl es sie unter verteilungspolitischer Rücksicht betrachtet, nicht die offenbar törichte Folgerung ab, allen Menschen sei vom Schöpfer die gleiche Menge zugedacht.« Vgl. Nell-Breuning 1968, S. 489ff. 22 Luhmann 1988, S. 112. Hiervon gehen auch die »Gerechtigkeitsgrundsätze« des amerikanischen Moralphilosophen John Rawls aus, die dieser in seiner »Theorie der Gerechtigkeit« in den 1960er Jahren entwickelt und mit denen er ab 1971 breite Debatten in der politischen Philosophie ausgelöst hat. Zu diesem für die postkonziliare Sozialethik einflussreichen außertheologischen Theorieansatz »gerechtfertigter Ungleichheiten« vgl. neben Rawls 1979 u.a. Hinsch 2002. 23 Nell-Breuning 1968, S. 492. 21
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Im Umfeld des Konzils problematisiert man mit den Eigentumsfragen wirtschaftliche Grundsatzentscheidungen und greift weiterentwickelnd auf die sozialkatholische Tradition zurück. 24 Eigentum beschreibt zunächst als juristischer Ausdruck den exklusiven Zugriff auf bestimmte Güter und gewinnt im ökonomischen Kalkül durch die Differenz öffentlich/privat seine Bedeutung. Gleichwohl ist neben der Legalität und Effizienz auch die Frage der Legitimität ein fundamentales Thema, wie Johannes XXIII. kurz vor Konzilseröffnung in Mater et magistra naturrechtlich begründet: Das »Recht auf Privateigentum, auch an Produktionsmitteln, gilt für jede Zeit.« 25 Wo aber ein politisches Regime dieses Recht verwehre, sei auch die Ausübung der menschlichen Freiheit in wesentlichen Dingen eingeschränkt oder ganz aufgehoben. Indem der Papst den Konnex von Privateigentum und Freiheit so stark macht, stellt er auf dessen Anreizwirkung ab. Auf dieser Basis kann dann auch die Norm verankert werden, in der das Inklusionsprogramm zum Ausdruck gebracht wird: »Mit gleichem Nachdruck muß alles unternommen werden, damit alle Kreise der Bevölkerung in den Genuß dieses Rechtes gelangen [...] Breitere Streuung des Eigentums ist, wenn jemals, so heute ganz besonders geboten. [...] Bei kluger Anwendung bereits erprobter Verfahrensweisen dürfte es nicht schwer sein, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in diesen Ländern so zu lenken, daß sie den Zugang zu privatem Eigentum erleichtert und verbreitert, beispielsweise zu dauerhaften Gebrauchsgütern, Wohnhaus, Grundstück, Geräten für den handwerklichen oder bäuerlichen Familienbetrieb, in Wertpapieren verbriefte Kapitalanlagen in Mittel- oder Großunternehmen.« 26 Dass es neben dem Privateigentum aber auch öffentliches Eigentum geben muss, liege daran, dass dem Staat, der dieses zu verwalten habe, um des Gemeinwohls willens immer größere Aufgaben zukommen. Gegen Zentralisations- und Konzentrationsmechanismen wird hier sogleich einschränkend das Subsidiaritätsprinzip angesprochen und in beide Richtungen harmonisierend in Anschlag gebracht: So müsse gemeinwohlorientiert einerseits verhindert werden, dass »innerhalb der staatlichen Verwaltung selbst wirtschaftliche Macht sich in den Händen weniger anhäuft«, und andererseits die Sozialpflichtigkeit des Eigentums zur Geltung kommen, denn die »soziale Funktion des privaten Eigentums entspringt [...] aus dem Eigentumsrecht selbst.« 27 Wo Johannes XXIII. noch sozialphilosophisch argumentiert, verschärft die Pastoralkonstitution ihre Umweltbeschreibung schöpfungstheologisch und postuliert für den Wirtschaftskontext sogleich die Widmung der irdischen Güter an alle Menschen in dem Sinne, dass Gott die Erde zum Nutzen aller Menschen und Völker bestimmt habe. (GS 69) Aus dieser grundsätzlichen Teilhabe aller resulVgl. zur »Sozialethik des Eigentums« aus philosophischer und theologischer Perspektive Spieß 2004. 25 Mater et magistra, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 689. 26 Ebd. 27 Ebd., S. 693. 24
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tiert normativ die (gestufte) Partizipation aller an jeder Form von Eigentum. Nicht nur öffentliches Eigentum darf nicht privatisierend zweckentfremdet werden, sondern auch »persönliches Eigentum« ist insofern als »Gemeingut« anzusehen, dass in Analogie zum Weltenschöpfer seine ›koschöpferische‹ Verwendung produktiv sein muss, indem es nicht nur seinem Eigentümer Nutzen bringt. So fundamental diese Aussagen sind, so kritisch kommentiert Nell-Breuning: »Tatsächlich kommt denn auch das, was für die soziale Funktion des Eigentums wesentlich ist, nämlich es produktiv zu nutzen und dadurch die Bedürfnisse sei es einzelner anderer, sei es unbestimmt vieler, sei es aller zu befriedigen, nur durch die sehr allgemeine Wendung zum Ausdruck«. 28 Es bleibe appellativ und beschränke sich auf den distributiven Aspekt, wenn es heiße, dass damit alle das Nötige wie Angemessene haben, man bereitwillig abgeben und auf diese Weise den Bedürftigen helfen solle. In der Tat sind die Ableitungen der Pastoralkonstitution, dass allen das Recht zustehe, »einen für sich selbst und ihre Familien ausreichenden Anteil an den Erdengütern zu haben«, oder dass, wer sich in »äußerster Notlage befinde«, das Recht habe, »vom Reichtum anderer das Benötigte an sich zu bringen«, genauso abstrakt wie die Feststellung, dass hinsichtlich der Vielfalt von »Einrichtungen sozialer Vorsorge und Sicherung« in »wirtschaftlich fortgeschrittenen Ländern« darauf zu achten sei, dass »die Staatsbürger nicht zu Passivität gegenüber der Gesellschaft verleitet werden.« Gaudium et spes präferiert eindeutig einen liberalen Eigentumsbegriff und gebraucht zur Begründung das gleiche Motiv wie Luhmann in seiner Dissertation »Grundrechte als Institution«: Die private Verfügung über »äußere Güter« trage zur »Selbstdarstellung der Person« bei und versetze in die Lage, eine Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft zu spielen. 29 Dennoch gilt: »Das Recht auf Privateigentum schließt aber die Rechtmäßigkeit von Gemeineigentum in verschiedenen Formen nicht aus. Die Überführung von Gütern in Gemeineigentum kann nur von den zuständigen obrigkeitlichen Stellen entsprechend dem, was das Gemeinwohl fordert, und in dieser Begrenzung sowie gegen billige Entschädigung erfolgen«. (GS 71) Seinen in manchen Kreisen kolportierter Ruf als »roter Papst« forciert schließlich Paul VI., wenn er in seiner kurz nach dem Konzil veröffentlichten Enzyklika Populorum progressio (1967) in dieser Sache weitergehend betont, dass das Privateigentum »für niemand ein unbedingtes und unumschränktes Recht« sei und niemand befugt sei, »seinen Überfluß ausschließlich sich selbst vorzubehalten, wo anderen das Notwendigste fehlt.« 30 Endlich erachtet er unter Umständen auch Enteignungen als gerechtfertigt und gewinnt mit Äußerungen wie, dass »egoistische Spekulationen keinen Platz haben dürfen« und es keinesfalls erlaubt sei, dass »Bürger mit übergroßen Einkommen aus den Schätzen und Nell-Breuning 1968, S. 506. Vgl. Luhmann 1965, S. 108ff. 30 Populorum progressio, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 759. 28 29
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der Arbeit des Landes davon einen großen Teil ins Ausland schaffen, zum ausschließlichen persönlichen Nutzen, ohne sich um das Unrecht zu kümmern, das sie ihrem Lande damit zufügen«, bis heute aktuelle Brisanz.31 9.2 Weltmarkt und Geldmarkt Wenn es wirtschaftlich um den Zugriff auf knappe Güter (Eigentum/Konsum) geht, erlaubt die evolutionäre Zweitcodierung des Eigentums durch Geld dem System also, Knappheit zugleich als notwendig und als kontingent zu sehen und sich durch kontingente Knappheit führen zu lassen. Luhmann führt weiter aus, dass diese »Duplikation der Knappheit« und ihre qualifizierte Zweitform es nun ermöglichen, den Tausch auf Umgang mit Knappheit zu spezialisieren. Sobald es Banken gebe, löse sich der Geldmechanismus in einem begrenzten, aber entscheidenden Umfang vom Sparen, denn diese überführten nun die Paradoxie von Knappheit und Überfluss unter die eigene Regie. So kann nun von ihnen organisatorisch gesteuert Geld zugleich im Überfluss vorhanden und knapp für andere sein. 32 Mit der Duplikation von Knappheit wird schließlich die Gesamtheit der wirtschaftlichen Relevanzen dupliziert: »Geld ist daher nicht nur Bargeld und das in Banken verfügbare Geld, sondern der Gesamtwert allen Eigentums, gesehen unter dem Gesichtspunkt seiner Liquidierbarkeit. Alle Güter haben demnach eine Doppelexistenz: als Gut und als Geld.« 33 Wenn gesellschaftstheoretisch Zahlungen als Letzteinheiten des Wirtschaftssystems identifiziert sind, ist Geld ihr Kommunikationsmedium. Und ob es in den Klingelbeutel kommt oder die Steuerkasse klingelt, Geld bleibt, so Luhmann, immer Teil des Wirtschaftssystems. Was sich ändert, sind die externen Relevanzen, also die Zwecke, für die Geld eingesetzt wird, und diese brauchen nicht unbedingt wirtschaftsimmanente Zwecke zu sein. Indem durch den Einsatz des Kommunikationsmediums Geld von persönlichen Attributen, von vorherigen oder künftigen Bekanntschaften abstrahiert wird, schwächt sich auch die ›SoziaEbd., S. 761. Vgl. beispielsweise den Fall Zumwinkel. Innerkirchlich gibt es (amtlich-offiziell) eine verhältnismäßig späte Resonanz auf Prozesse dieser binnenwirtschaftlichen Ausdifferenzierungen von Güter- und Finanzwirtschaft. Das offizielle Kompendium der Soziallehre der Kirche verweist unter dem Stichwort »Finanzsystem« in kurzen Abschnitten auf Ansprachen und Botschaften Johannes Paul II. seit 1997, vgl. dazu Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden 2006, S. 267ff. 33 Luhmann 1988, S. 201. Dort führt er auch finanzpolitisch weiter aus, dass, wenn man diesen Geldbegriff akzeptiert, es sinnlos werde, »nach einer letzten ›Deckung‹ des Geldwertes außerhalb des Geldes zu suchen. Weder Geld noch harte Devisen, noch Sachwerte, noch die Autorität des Staates garantieren den Geldwert. Die Garantie liegt vielmehr in der Knappheit selbst. [...] Mit dem Übergang zur Geldwirtschaft wird der Eigentumscode nicht etwa entbehrlich. Im Gegenteil: Mit ›Zweitcodierung‹ soll gerade gesagt sein, daß der Geldcode auf dem Eigentumscode aufbaut und dessen Funktionsfähigkeit voraussetzt.« 31 32
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lität‹ des Tausches. Doch sei es nicht der durch fortgeschrittene Geldwirtschaft erzeugbare höhere Formalisierungsgrad, sondern der Vorgang, dass das Geld andere etablierte Symbole wie »nachbarliche Reziprozität« oder »heilsdienliche Frömmigkeit« ersetzen und eintrocknen lasse. Dies bringt den Soziologen dazu, in der sozialen Entleerung neben eines erhöhten Kompatibilitätsgrad (Freiheitszuwachs) auch eine Diabolizität des Symbols zu erkennen. Dies liegt in der für Universalisierung notwendigen Spezifikation, welche erneut Öffentlichkeit von Privatheit unterscheidet: »Wenn dieser Substitutionsprozeß vollzogen ist, können Dankespflichten, Nachbarschaftshilfen, Freundlichkeiten und schließlich die Religion selbst ›privatisiert‹ und auf dieser Basis dann wieder ›kultiviert‹ werden. Im öffentlichen Raum dominieren die sie ersetzenden Medien, neben Geld vor allem rechtliche strukturierte politische Macht und wissenschaftlich unbestreitbare Wahrheit.« 34 Zwar verhindert die Symbolizität des Geldes nicht, dass es für karitative Zwecke verwendet werden kann, doch muss nun die ökonomische Orientierung einkalkuliert werden, dass es zur Erreichung andere Zwecke aufgespart wird. Abstraktion, Spezialisierung und Universalisierung führen dazu, dass im Tauschvorgang die Informationen asymmetrisch verteilt sind und man sich schnell hinsichtlich Qualität und Wert übervorteilt fühlen kann. In solchen Situationen werde mehr Divergenz als Konvergenz bewusst – aber Divergenz natürlich nur auf der Basis eines Konvergenzversuchs. Verallgemeinernd folgert Luhmann, dass symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien diabolisch generalisierte Kommunikationsmedien sind, denn Verbindendes und Trennendes kommen im selben Vorgang zum Ausdruck.35 Eindimensionalitäten ökonomistischer Diskurse kritisierend, betont Luhmann, dass eine Geldtheorie, die nur den Tausch im Blick hat, genannte Phänomene gar nicht registrieren und es als soziale Angelegenheit für Hilfsaktionen beiseite schieben werde: Dass »es soziale Probleme sind, ist natürlich nicht zu bestreiten. Es wären aber keine sozialen Probleme, wenn es keine wirtschaftlichen Probleme wären, wenn also Normalbeteiligung an Wirtschaft für alle sichergestellt wäre.« 36 Während Luhmann damit die Unterkomplexheit einer rein ökonomischen Perspektive beschreibt, wendet sich Nell-Breuning umgekehrt scharf gegen den Fachmangel auf konziliarer Seite und beanstandet Vernachläs-
Ebd., S. 242f. Seine eigenwillige Semantik erläutert Luhmann so, dass in der religiösen Kosmologie der Teufel die Funktion hatte, die moralische Differenz in die Welt einzuführen. Der »arme Teufel« hätte, ob er wollte oder nicht, in der Beobachtung Gottes böse werden müssen. Auf die Ebene der alternativen Gesellschaftsmodelle übertragen folgert Luhmann in humoristischer Absicht: »Wer den Kapitalismus moralisch ablehnt, verdankt seine Position zwar dem Teufel; und der Sozialismus ist, wenn man Gutes, das heißt Schlechtes, von ihm sagen will, in diesem Sinne vom Teufel.« Ebd., S. 266. 36 Ebd., S. 262f. 34 35
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sigungen in Gaudium et spes. 37 Es klingt regelrecht erbost, wenn Nell-Breuning ausführt, geradezu »nichtssagend« seien dortige Äußerungen zur Währungsfrage. Während noch Mater et Magistra der Stabilität des Geldwertes mit Rücksicht auf ein geordnetes Wachstum große Bedeutung beimesse, lasse das Konzil völlig offen, ob Geldwertstabilität über wirtschaftliche Vernunft hinaus nicht auch eine Frage der Gerechtigkeit sei. Unverkennbar sei das Konzil hier an eine Grenze gestoßen: »Alle deutschen Fachwissenschaftler würden es eindeutig dahingehend belehren, daß Inflation immer wirtschaftspolitische Kurpfuscherei ist. [...] Das Konzil hat die Konsequenz daraus gezogen und begnügt sich mit zwei Sätzchen, die etwas und doch nichts sagen. Mit offen ausgesprochenem Bekenntnis ›ignoramus‹ – mangels ausreichender Kenntnis des Gegenstandes und der einschlägigen Sachfragen können wir nicht urteilen, die ethischen Prinzipien nicht darauf anwenden – hätte es vielleicht mehr Ehre eingelegt, bestimmt sich nichts vergeben.« 38 Während das Konzil aus der Perspektive der äußeren Umwelt fremdbeschreibend zur Wirtschaft Stellung bezieht und auf diese Weise gesellschaftsethisch Werte zur Geltung bringen will, analysiert Luhmann die wirtschaftliche Steuerungsfunktion »Markt« als eine »innere Umwelt«, als eine wie ein Spiegel wirkende Grenze, an der Konsum aus Sicht von Produktion und Distribution wahrgenommen werden kann. Die so ermöglichte wirtschaftliche Selbstbeobachtung unterscheide sich von der elementaren Operation der Zahlungen dadurch, dass sie sich auf Preise beziehe, an denen Zahlungen orientiert werden (synchrone und diachrone Preisvergleiche). Das Wirtschaftssystem sei somit ein sich selbst beobachtendes System, organisiere es doch eigene Selbstbeobachtung, indem es in sich selbst Märkte als System/Umwelt-Grenzen einführt. Mit dieser internen Differenzierung kann auch zwischen Selbstbeobachtung (laufendes Erleben) und Selbstbeschreibung (Anfertigung semantischer Artefakte) unterschieden werden, was zu dem erkenntnistheoretischen Problem führt, dass sich die Wirtschaft infolge ihrer Beschreibung selbst ändert. Man denke diesbezüglich nur an Börsenhysterien und das Phänomen der Selffulfilling Prophecy. Vor diesem Hintergrund zieht Luhmann den Schluss: »Der Gegenbegriff zu Marktwirtschaft, den man jetzt ins Auge fassen muß, ist nicht Planwirtschaft und nicht Staatstätigkeit, sondern Subsistenzwirtschaft. Eine solche Wirtschaft läuft ohne nennenswerte monetäre Vermittlung ab. Ihr fehlt daher die über den Geldmechanismus laufende Zentralisierung, und ihr fehlt vor allem das durch Preise ermöglichte Beobachten des Beobachtens.«39 In diesem Sinne erfüllt also Dort beschränkt man sich für das Thema auf folgende Aussagen: »In Sachen der Währung hüte man sich dem wahren Wohl der eigenen oder fremden Nationen zuwiderzuhandeln. Darüber hinaus treffe man Vorsorge, daß die wirtschaftlich Schwachen nicht durch Änderungen des Geldwertes ungerecht geschädigt werden.« (GS 70) 38 Nell-Breuning 1968, S. 509f. 39 Luhmann 1988, S. 97. 37
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der Markt des Wirtschaftssystems die gleiche Funktion wie die Öffentlichkeit im politischen System, indem er als systeminterne Umwelt fungiert.40 Als besonderer und mit Hilfe der Banken organisierter Markt ist der Geldmarkt ein wirtschaftlicher »Eigenmarkt«. Die Banken hätten das Zentralprivileg, ihre eigenen Schulden mit Gewinn verkaufen zu können, also Zahlungsfähigkeit ›kapitalistisch‹ verwerten und in Zahlungsfähigkeit verwandeln zu können, damit seien sie parasitär tätig. Nach Luhmann funktioniert der Geldmarkt in hohem Maße selbstreferenziell, da er sich an der Reflexivität des Mediums Geld orientiert, also Geld mit Zinsen verkauft (Finanzierung, Kredite). Er bilde intern als Besonderes eine durch Bankorganisation vermittelte Hierarchie, indem das zweistufige Banksystem von Zentralbanken auf der einen Seite und weiteren Banken auf der anderen Seite die möglichen Geldmarktreaktionen filtert und limitiert. Zwar sei es unmöglich, das Wirtschaftssystem als solches als Hierarchie zu organisieren, aber Hierarchisierungen spielten doch eine gewisse Rolle.41 Die regionale Wirtschaftsräume übergreifende und deswegen dezidiert weltgesellschaftliche Perspektive des Konzilskatholizismus kommt nun darin zum Ausdruck, dass hinsichtlich der wirtschaftlichen Globalisierung vor allem ›Marktversagen‹ diagnostiziert wird. Dies gilt gleichermaßen hinsichtlich des Welthandels und des Geldmarktes. Aufgrund defizitärer und gesamtgesellschaftlich gesehen suboptimaler (welt-)wirtschaftlicher Steuerung durch den Markt als innere Wirtschaftsumwelt verlagert sich die gesellschaftsethische Aufmerksamkeit auf die politisch zu gestaltende Rahmung wirtschaftlicher Autopoiesis durch die äußere Umwelt: Der Entwicklungsstand der Industrieländer wird analog zur Individualebene nun als regionalgesellschaftliches (öffentliches) Eigentum gesehen, das auf der Ebene der Weltgesellschaft ebenso sozialpflichtig zu einer dem
Als kircheninterne wirtschaftliche Aktivitäten und in gewisser Weise als spezielle Form von ›Schattenwirtschaft‹ zu registrieren sind die weltkirchlichen Initiativen von Eine-Welt-Gruppen, die eigene Läden betreiben (Gepa) und so versuchen, durch alternative Märkte Werte wie »fairer Handel« zu etablieren. 41 Luhmann 1988, S. 118. Die Frage sei letztlich, »in welchem Umfange das Zentralprivileg der gewinnbringenden Umwandlung von Zahlungsunfähigkeit in Zahlungsfähigkeit genutzt werden kann (soll, darf). Für Entscheidungen darüber ist eine Zentralbank erforderlich, die sich nicht primär nach eigener Rentabilität richten muß, da sie nicht zahlungsunfähig werden kann, sondern allenfalls den Verlust der freien Konvertibilität der durch sie kontrollierten Währung riskiert. Strukturell wird die Entparadoxierung des Systems mithin durch eine Hierarchie gewährleistet, die (wie jede Hierarchie) mindestens drei Ebenen aufweisen muß: Zentralbank, Geschäftsbanken und Bankkunden (Unternehmen, Haushalte). [...] Die Hierarchisierung des Bankensystems ermöglicht eine Kombination von Zentralisierung und Dezentralisierung: Von Zentralisierung des Mediums Geld und von Dezentralisierung der Entscheidung über Operationen.« Ebd., S. 146f. 40
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Gerechtigkeitskriterium genügenden Weltwirtschaftsordnung beizutragen habe. 42 Hierbei soll ein durch theoretische Einsicht in die Prozesse erzeugter (individueller) Gesinnungswandel ordnungspolitisch in einen (gesellschaftlichen) Bedingungswandel münden. Denn es würde, wie die Pastoralkonstitution beschreibt, den »aufstrebenden Völkern« nicht helfen, »wenn die Praktiken des heutigen Welthandels sich nicht von Grund auf ändern. Darüber hinaus müssen von den hochentwickelten Ländern Hilfen in Form von Zuschüssen, Krediten und Kapitalinvestitionen gewährt werden.« (GS 85) Der folgende Artikel fügt noch »einige praktische Normen« hinzu, wenn in Richtung der »Entwicklungsländer« ausgeführt wird, dass sie in Sachen des »Fortschritts« sich nicht auf »fremde Hilfe« verlassen, sondern eigene Ressourcen generieren sollen. Andererseits bestehe eine Hilfspflicht der hochentwickelten Länder und die wirtschaftlichen Verhältnisse seien weltweit unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips zu ordnen, was kulturell begründet wird: »Jeder Teil der Menschheitsfamilie trägt in sich und in seinen besten Traditionen einen Teil des geistigen Erbes, das Gott der Menschheit anvertraut hat, wenn auch viele seine Herkunft nicht kennen.« (GS 86)43 In seiner dem »Fortschritt der Völker« verpflichteten Enzyklika führt Paul VI. die konziliare Lehre mit päpstlicher Autorität weltwirtschaftsbezogen-konkretisierend weiter und hält kritisch fest, dass die »Spielregeln der freien Marktmechanismen« für sich alleine die internationalen Beziehungen nicht bestimmen dürfen. Sie seien dort von Vorteil, wo die Partner unter nicht allzu ungleichen wirtschaftlichen Bedingungen handelten. Dort habe der Markt im Einklang mit dem Gerechtigkeitsempfinden Anreizwirkungen und stachele den Fortschritt an. »Aber es ist etwas anders, wenn die Bedingungen von Land zu Land ungleich sind: die Preise, die sich frei auf dem Markt bilden, können ganz verderbliche Folgen haben. Man muß es einfach zugeben: damit ist das Grundprinzip des Liberalismus als Regel des Handelns in Frage gestellt.«44 Wie in den einzelnen Volkswirtschaften hochentwickelter Länder Ausgleichsmechanismen institutionalisiert seien (Soziale Marktwirtschaft), müsse Entsprechendes für die Handelsbeziehungen »zwischen den reichen und armen Ländern« gelten: »Ohne den freien Markt abzuschaffen, sollte man doch seinen Wettbewerb in den Grenzen
Dies steht vor dem Hintergrund der Entkolonialisierung ganz im Einklang mit der seinerzeitigen Modernisierungstheorie, die jeweilige regionalgesellschaftliche Institutionenarrangements weltgesellschaftlich vereinheitlicht und entlang der Unterscheidung traditional/modern auf den realisierten Entwicklungsgrad hin einstuft. Dabei geht es um die Harmonisierung und Öffnung der Märkte, indem nicht wie in der Dependenztheorie Abkopplung, sondern weltgesellschaftliche Integration gepredigt und mithilfe von Wissens- und Kapitaltransfer (Kredite) im Sinne von Investition in Produktion und Infrastruktur Wettbewerbsverzerrungen abgebaut werden sollen (siehe Kapitel 6d). 43 »Dieser bedeutsame Hinweis erinnert sehr an die diesbezüglichen Forderungen der Entwicklungsländer auf der Genfer Konferenz von 1964 für Welthandel und Entwicklung«. Krauss 1967, S. 101. 44 Populorum progressio, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 783. 42
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halten, die ihn gerecht und sozial, also menschlich, machen«. Andernfalls führe nur zu oft der freie und ungezügelte Wettbewerb zu einer »Wirtschaftsdiktatur«. 45 Ungehemmter Liberalismus begünstige, statt dass die Wirtschaft dem Menschen diene, die Entwicklung einer Wirtschaftsdiktatur entsprechend der Vorstellung, »wonach der Profit der eigentliche Motor des wirtschaftlichen Fortschritts, der Wettbewerb die oberste Norm der Wirtschaft, das Eigentum an den Produktionsmitteln ein absolutes Recht, ohne Schranken, ohne entsprechende Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber darstellen.«46 Zu Konzilszeiten befindet sich die Welt, entsprechend des herrschenden Kalten Krieges, technologisch im Wettlauf zum Mond, militärisch im Wettrüsten (vgl. z.B. die geostrategischen Stellvertreterkriege), vor allem aber in wirtschaftlicher Hinsicht territorial in westliche und östliche Einflussgebiete aufgeteilt. Dabei stehen in der Frage der richtigen Wirtschaftsordnung mit dem marktwirtschaftlichen und dem planwirtschaftlichen Modell ideologisch aufgeladen zwei konkurrierende Alternativen bereit, anhand derer auch im Westen unter Formeln wie »Freiheit oder Sozialismus« (politische) Lagerkämpfe bestritten werden. Doch wie oben dargelegt, sind die eigentlichen wirtschaftlichen Alternativen durch Markt- oder Subsistenzwirtschaft beschrieben, denn Luhmann zufolge ist durch wirtschaftliche Ausdifferenzierung und dortige Innendifferenzierung mit dem Markt eine interne Umwelt entstanden. Auch eine zentral geplante (Geld-) Wirtschaft bleibe Marktwirtschaft: »Sie kann nur die Spezifikation der Differenzierung von Konkurrenz, Tausch und Kooperation nicht sehr weit treiben, weil das gesamte System als Kooperation organisiert ist [...] Preise versagen als Mittel der Information [...] Die Paradoxie der Knappheit wird als Differenz von Mengenentscheidungen und Allokationsentscheidungen organisiert und damit politisiert.« 47 Die semantische Konfrontation von Kapitalismus und Sozialismus stamme mehr aus der politischen Sphäre als aus der Wirtschaft selbst, und nur deshalb lasse sie sich in politisch kontrollierten regionalen Unterschieden zum Ausdruck bringen: »Das kann unter Umständen zum Krieg führen, kann aber 45 Ebd. Umgangssprachlich ist das gegenwärtige Gefühl einer »Wirtschaftsdiktatur« die Globalisierungserfahrung. Neu ist nur, dass sie nun auch in den Ländern der ›Ersten Welt‹ gemacht wird. 46 Ebd., S. 761. Diese Aussagen stehen in semantischer Kontinuität mit der klassischen Lehre vom »gerechten Preis«, die sich, so Luhmann, vor allem auf moralische Vorgaben, damit auf allgemeine Bedingungen menschlichen Zusammenlebens und im Besonderen auf Schichtung bezog: »Sie richtete sich gegen rein individuelles Gewinnstreben unter Ausnützung aller sich anbietenden Möglichkeiten. Die Semantik ›gerechter Preis‹ ist mithin zu lesen vor dem Hintergrund der Differenz von Gemeinwohl (das jedem Individuum sein Recht zukommen läßt) und Eigensucht. Schon der ›gerechte Preis‹ wurde natürlich als ein variabler Preis angesehen. Nicht das Verhindern der Anpassung an sich ändernde Verhältnisse war das Problem, sondern das Verhindern der ungerechtfertigten Ausbeutung von Chancen aus reinem Gewinntrieb. [...] Preisregulierungen scheitern jedoch praktisch am Fernhandel sowie an den Finanzinteressen der politischen Herrschaft und der Kirche.« Luhmann 1988, S. 24. 47 Luhmann 1988, S. 106.
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nicht verhindern, daß es gleichwohl ein Weltwirtschaftssystem gibt, dessen Eigendynamik aller regionalen Willkür Grenzen zieht.« 48 Da die Konzilsväter mit Rücksicht auf die Situation der Katholiken hinter dem Eisernen Vorhang sich einer Kritik des Kommunismus explizit enthalten wollen, sind ihre konziliaren Formulierungen diesbezüglich vergleichsweise konziliant: Statt einseitiger Bewertung wird programmatisch vor dem Resonanzraum des Konflikts zweier Modellalternativen ein dritter Weg entfaltet. Paul VI. traut dabei staatlicher Organisation wirtschaftlich einiges zu. 49 Gleichsam wie in einer »konzertierten Aktion« 50 fordert der Papst die Entwicklung eines gemeinsamen Programms, das »dem Werk, das getan werden soll, Sinn und Wert« gibt, und, indem »es sich um eine Verbesserung der Welt bemüht«, »dem Menschen selbst ein höheres Maß an Würde und Kraft« verleiht.51 Die Situation verlange Programme, die, aufeinander abgestimmt, wirksamer und besser als eine gelegentliche, dem guten Willen Einzelner überlassene Hilfe seien. Dabei habe jedes Programm zur Steigerung der Produktion nur so weit Berechtigung, als es dem Menschen diene. Entwicklung bedeute in diesem Sinne neben dem wirtschaftlichen auch »sozialen Fortschritt«. Zwar reicht es für den Papst nicht, einseitig den allgemeinen Reichtum zu vermehren, um ihn dann anschließend an die Bedürftigen angemessen zu verteilen, doch betont er die Notwendigkeit weltweiter Solidarität in produktiven Dingen: Wenn es auch richtig sei, dass jedes Volk die Gaben, »die ihm die Vorsehung als Frucht seiner Arbeit geschenkt hat«, zunächst für sich beanspruchen dürfe, könne kein Volk seinen Reichtum für sich allein verlangen: »Der Überfluß der reichen Länder muß den ärmeren zustatten komEbd., S. 146f. Damit steht der Papst in der Tradition der katholischen Soziallehre, die seit Rerum novarum dem Staat Lösungskompetenz für die Soziale Frage zutraut. 50 Der in Deutschland zu Zeiten der Großen Koalition von Bundesfinanzminister Karl Schiller geprägte Begriff der »konzertierten Aktion« wurde eigeninteressenüberwindend zur Beschreibung der Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden für die Erfordernisse des »gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts« erfunden. 51 Dies trifft sich mit Luhmanns Vorstellungen zum Gebrauch des Geldcodes, der auch nur mit Hilfe von Programmen benutzbar sei. Sie zeigen an, »ob es angebracht und richtig ist, zu zahlen oder nicht zu zahlen. Dies wiederum setzt Wirtschaftsunternehmen bzw. Haushalte voraus, in deren Rahmen Dispositionsmöglichkeiten und Verwendungssinn von erworbenen oder abgestoßenen Gütern kalkulierbar werden. Von Wirtschaftsunternehmen kann man sprechen, wenn die Zahlung unter der Annahme geleistet wird, daß sie direkt zum Wiedergewinn der entsprechenden Zahlungsfähigkeit (nach Möglichkeit mit Profit) führt.« Luhmann 1988, S. 249. Der Soziologe beschreibt zwei Arten von Programmen, Investition und Konsum. So wie es in der Wissenschaft mit Theorien und Methoden zwei Arten von Programmen gebe, »legt sich auch die Wirtschaft auf zwei verschiedene Weisen auf richtige Zahlungen bzw. Nichtzahlungen fest. Sie ordnet ihre Präferenzen, zum Beispiel in der Form von marktorientierten Investitionsprogrammen oder in der Form von Reihenfolgen, in denen Konsumbedürfnisse zu befriedigen sind. Sie muß aber zweitens immer auch die Zahlungsfähigkeit (Liquidität) berücksichtigen, also Budgets aufstellen, an deren Grenzen sie sich halten muß. Mit dem eigenen Programmtypus artikuliert sie Umweltorientierung, also Fremdereferenzen, mit dem anderen Selbstreferenz.« Ebd., S. 250. 48 49
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men. Die Regel, die einmal zugunsten der nächsten Angehörigen galt, muß heute auf die Gesamtheit der Weltnöte angewandt werden.« 52 Private wie öffentliche Investitionen, Geschenke und Kredite seien noch ungenügend, wenn sie nicht von einer übergeordneten Vision geleitet wären: »Es geht darum, eine Welt zu bauen, wo jeder Mensch, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der Abstammung, ein volles menschliches Leben führen kann, frei von Versklavung seitens des Menschen oder einer noch nicht hinreichend gebändigten Natur; eine Welt, wo die Freiheit nicht ein leeres Wort ist, wo der arme Lazarus an derselben Tafel mit dem Reichen sitzen kann.«53 9.3 Arbeit und Kapital Der wirtschaftliche Prozess wird kirchlicherseits anhand der Kollektivsingulare des Arbeiters, Unternehmers, Arbeitgebers und Eigentümers sowie des Armen und des Reichen personalisierend bilanziert, so dass sich nach ›Gewinnern‹ und ›Verlierern‹ abrechnen lässt. 54 Das in diesem Zusammenhang auf die Wirtschaft projizierte katholische Inklusionsprogramm bezieht dabei in Humanisierungsabsicht stets den ganzen Menschen ein und steht im Kontext und in Konkurrenz zu anderen gesellschaftspolitischen Ambitionen der Entproletarisierung (als HerzJesu-Sozialismus gegen den real existierenden Sozialismus). Im Folgenden ist es aber instruktiv, auf den Unterschied zwischen der wirtschaftlichen Selbstbeschreibung und der Selbstbeschreibung des Gesamtsystems der Gesellschaft zu achten. Diesbezüglich tragen die hier als grundlegend vorgestellten repräsentativen Äußerungen des Konzilskatholizismus wohl zur Seite der gesellschaftlichen Selbstreflexion bei. 55 Für Luhmann ist das Zentrale dieser Unterscheidung, dass »wirtschaftswissenschaftliche Reflexionstheorien gegenüber der Differenz von reich und arm kühles Blut bewahren« müssen, während die gesamtgesellschaftliche Reflexion genau dies nicht kann. Attribute wie reich und arm seien in alteuropäischer Gesellschaft bloß ein Aspekt der Stratifikation und in diesem Sinne Teil der akzeptierten (gottgewollten) Ordnung gewesen. Mit der Auflösung der ständischen Ordnung sei diese Differenz auf der Ebene der Gesellschaftstheorie Populorum progressio, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 775. Ebd. 54 Es ist gerade die Pastoralkonstitution (GS 12ff), die in ihrem prinzipiellen (ersten) Teil eine umfassende Personenlehre entfaltet. 55 Vor diesem Hintergrund bleibt die ›katholische Soziallehre als Wirtschaftsethik‹ im normativen Kurzschluss auf wirtschaftliches Operieren als alteuropäisches Residuum unterkomplex, wenn beispielsweise mit ständegesellschaftlichen Lösungen (»Berufsständische Ordnung«) auf klassengesellschaftliche Problemanzeigen hin experimentiert wird. Sie gewinnt erst in der Perspektive eines Beobachters zweiter Ordnung Innovationspotenzial, dann aber nicht als wirtschaftliche Selbstbeschreibung, sondern in Form eines Beitrags zur Gesellschaftstheorie, der die Funktionsweisen gesellschaftlicher Subsysteme berücksichtigt, so z.B. das Konzil bei der Entdeckung der Weltgesellschaft. 52 53
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übriggeblieben, von der die Wirtschaftstheorie (als Reflexionstheorie eines gesellschaftlichen Subsystems im Umfeld funktionaler Differenzierung) sich distanzieren müsse: »Die Reflexion des Wirtschaftssystems wechselt sozusagen ihre Anlehnung aus; statt auf Religion, Moral, Recht und Politik stützt sie sich jetzt auf Wissenschaft und gewinnt damit größere Freiheiten in der Selbstbeschreibung.« 56 Die katholische Grunderfahrung ist, dass mit dem Umbruch zur modernen, funktional differenzierten Gesellschaft, wenn die »Soziale Frage« gestellt wird, es mehr als eine Antwort gibt (wissenschaftliche Weltanschauung). Im Zuge dieses Umbruchs und am Anfang des autonomen Wirtschaftens (neben den Märkten auch auf der Seite der Produktion durch Arbeitsteilung, Spezialisierung, Industrielle Revolution) stellte sich die Hoffnung eines »Wohlstands der Nationen« 57 jedoch nicht an jeder Stelle ein, stattdessen brachen innergesellschaftlich Gegensätze auf. Dies ist verschiedentlich auf den Begriff gebracht und als Konflikt benannt worden, wobei nach Luhmann die Unterscheidung von Kapital und Arbeit »eine eigentümliche semantische Karriere« durchlaufen habe: »Sie beginnt zu früh, und sie endet zu spät«. Weil sie viel stärker dichotomisiert sei als die Unterscheidung von reich und arm mit ihren vielen Zwischenstufen, habe sich der Gegensatz von Kapital und Arbeit hervorragend dazu geeignet, soziale Klassen zu identifizieren. Doch der Begriff »Arbeiterklasse« sei auch schon vor Marx geläufig gewesen. Wo die traditionelle Ständelehre mindestens drei Stände postulierte, gebe es mit Arbeit und Kapital als Begriff und Gegenbegriff eine Reduktion auf nur zwei Klassen, mit der die gegebenen (statischen) Ordnungsgarantien wegbrechen: »Wenn man überdies den Unterschied der beiden Klassen als Gegensatz auffaßt, wird die alte Ordnungssemantik von oben und unten in eine Kampfsemantik überführt. Die Instabilität einer Zweierbeziehung wird benutzt, um Änderungserwartungen zu stimulieren. Die sozialen Perspektiven werden von Herkunft auf Zukunft umgestellt. Im ›Kapital‹ von Karl Marx wird diese dynamische Einstellung nochmals verdichtet. Mit Mitteln der ökonomischen Analyse wird gezeigt, daß die Kapitalisten sich selbst ruinieren und die Arbeiter ausgebeutet werden. Ausbeutung kann man aber länger aushalten als Selbstruinierung. Die Arbeiterklasse wird überleben. Sie wird durch Wegfall der Kapitalistenklasse in eine klassenlose Gesellschaft übergehen«.58 Soweit Luhmanns Sicht auf den historischen Materialismus, dem er vorhält, dass sein Angebot, die Gesellschaft vom Gegensatz von Arbeit und Kapital her zu denken, zu früh formuliert gewesen sei, denn Europa sei zu Anfang des Jahrhunderts noch weitgehend agrarisch geprägt gewesen. Zwar habe sich die landwirtschaftliche ProdukLuhmann 1988, S. 82. Der Soziologe generalisiert diese Aussage, indem er diese Erkenntnis auf den Prozess gesellschaftlicher Differenzierung selbst bezieht: Reflexionstheorien reagierten auf gesellschaftliche Differenzierung und verstärkten dadurch gesellschaftliche Differenzierung. 57 Smith 1999/1789. 58 Luhmann 1988, S. 161.153. 56
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tion teilweise bereits im Blick auf Gewinnerwartung organisiert, Grundbesitz sei dagegen aber noch nicht als Kapital, also eben nicht im Vergleich mit anderen Investitionsmöglichkeiten kalkuliert worden. Die Soziale Frage bekomme somit erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert das Gewicht, das unter dem Stichwort »two nations« die Gesellschaft spalte, und ziehe ihre Problematik aus der unterschiedlichen Konfliktfähigkeit der entsprechenden Klassen.59 Der »Kapitalist« könne sein Geld in Staatspapieren anlegen und auf weniger arbeitsaufwendige Technologien ausweichen: »Mehr als zuvor ist die Beschäftigung von Arbeitern für ihn kontingent geworden, also eine Option mit Alternativen. Besonders was Geldanlagemöglichkeit angeht, ist dies eine der vielen unbeabsichtigten Folgen des Wohlfahrtsstaates und seiner Verschuldung. Wenn aber die eine Partei Ausweichmöglichkeiten hat, muß die andere dies in Betracht ziehen. Die Freiheit der einen Seite wird zur Reflexion der anderen, und die vielen negativen Anreize, die unter der Gesetzgebung des Wohlfahrtsstaates auf die Beschäftigung von Arbeitern gesetzt sind, verstärken diesen Effekt noch«. 60 Anders als der religionskritische historische Materialismus, der den ökonomischen Konflikt von Kapital und Arbeit als geschichtsphilosophische Klassentheorie zu einer Gesellschaftstheorie ausweitet, bildet die katholische Soziallehre kein geschlossenes System, sondern bleibt als eine Prinzipienethik ein »Gefüge offener Sätze« 61 und versteht sich in besonderem Maße als antirevolutionär: Nicht von außen sollen die Umstände umgestülpt werden, sondern – wie im Bild des Sauerteigs ausgedrückt – von innen organisch verändernd entwickelt werden.62 Die Präferenz der Reform ist aber keinesfalls vertröstend gemeint, sondern optiert beharrlich für Aktivierung, Partizipation und Inklusion des »Pro»Schon seit mehr als dreihundert Jahren gibt es in Europa aber keine Hungersnöte mehr, und die großen sozialen Erfindungen des späten 19. Jahrhunderts wie Sozialversicherung und Margarine tun ein übriges, um diese Auffassung als reichlich anachronistisch erscheinen zu lassen. Dennoch gibt es jene Ungleichheit der Konfliktfähigkeit«. Ebd., S. 166. 60 Ebd., S. 167. 61 Vgl. Hermann Josef Wallraff 1965, dessen Beitrag als Teil einer Festschrift (Achinger/Preller/Wallraff 1965) zum 75. Geburtstag Nell-Breunings im letzten Jahr des Konzils erschien. Wieweit in der universitären katholischen Sozialethik die Konkurrenz durch die Gesellschaftstheorie eines real existierenden Sozialismus im Umfeld von Nell-Breuning eine Rolle spielte, zeigt darin der systemimmanent kritisierende Beitrag Fetscher 1965 über die »Konzeption der kommunistischen Zukunftsgesellschaft zwischen Doktrinarismus und Realismus«. 62 Paul VI. konstatiert z.B. in Populorum progressio, dass jede Revolution bloß neues Unrecht und neue Störungen hervorbringe: »Das Entwicklungswerk verlangt kühne, bahnbrechende Umgestaltungen. Drängende Reformen müssen unverzüglich in Angriff genommen werden«, denn die »Einzelinitiative und das freie Spiel des Wettbewerbs können den Erfolg des Entwicklungswerkes nicht sichern.« Populorum progressio, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 765. In der postkonziliaren Debatte gibt es diesbezüglich Auseinandersetzungen vor allem im Kontext der südamerikanischen Befreiungstheologie. Vgl. zur Differenz von Entwicklung und Befreiung am Beispiel der mexikanischen Kirche Kruip 1988 sowie hinsichtlich der Konfrontationen mit dem brasilianischen Befreiungstheologen Leonardo Boff Marx 1990. 59
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letariats« in die Wirtschaftsgesellschaft. Wirtschaftsethik wird vorrangig als Arbeits- und Unternehmensethik formuliert.63 Angesichts der humanisierenden Personalisierungen des wirtschaftlichen Sachverhaltes durch das Konzil fällt Nell-Breuning aber auf, dass die Schlüsselfigur der Wirtschaft, der Unternehmer, mit keinem Wort erwähnt wird, noch nicht einmal dort, wo von dem Unternehmen und dessen rechter Gestaltung die Rede ist. Als Funktionsträger zählt das Konzil »Eigentümer, Arbeitgeber, leitende und ausführende Kräfte« (GS 68) auf, was für den sozialethischen Kommentator deswegen befremdlich wirkt, dass entgegen der sonst vom Konzil streng eingehaltenen Regel, zuerst die Arbeit als den personalen und danach erst die Sachmittel (Eigentum, Kapital) als den instrumentalen Faktor aufzuzählen, hier plötzlich die Eigentümer an erster Stelle stehen. Unklar sei auch, wen das Konzil mit »Arbeitgeber« meine: »Daß Funktionsträger und nicht die Funktionen aufgezählt werden, ist nicht zuletzt deswegen unglücklich, weil die größten Schwierigkeiten für die rechte Ordnung oder Gestaltung des Unternehmens sich gerade daraus ergeben, daß namentlich in der großen Zahl der kleinen und mittleren Unternehmen ein und dieselbe Person vielfach Trägerin mehrerer Funktionen ist«.64 Abgesehen davon profiliert sich der konziliare Sozialkatholizismus aber in besonderer Weise als Arbeitsethik, wenn z.B. in Gaudium et spes betont wird, menschliche Arbeit habe Vorrang vor allen anderen Faktoren des wirtschaftlichen Lebens, denn diese seien nur »werkzeuglicher Art«. (GS 67) Als »Ausfluss der Person« sei sie ein Beitrag zur Vollendung des Schöpfungswerkes Gottes und dem Erlösungswerk Christi, so dass dem Konzil zufolge gleichermaßen eine Pflicht zur wie ein Recht auf Arbeit besteht. Arbeit müsse so entlohnt werden, dass das materielle Leben gleichermaßen wie das soziale, kulturelle und spirituelle Dasein angemessen gestaltet werden kann. Die »Werktätigen« dürften nicht zu »Sklaven ihres Werkes« werden und der gesamte Produktionsprozess sei vielmehr »auf die Bedürfnisse der menschlichen Person und ihre Lebensverhältnisse auszurichten«, so dass jedem ausreichend Ruhezeiten und Muße als Gelegenheit zur Entfaltung seiner Anlagen und Personwerte zukämen. 65 In seiner noch vor Beginn der Konzilssitzungen 1961 veröffentlichten Sozialenzyklika Mater et magistra benennt Johannes XXIII. die Zielrichtung, um die
Vgl. zur konziliaren Sozialtheologie der Arbeit kurz Nacke 2006 sowie zeitgenössisch und auf die Sozialverkündigung Johannes XXIII. bezogen der in der Festschrift für Nell-Breuning erschienene Beitrag Welty 1965. 64 Nell-Breuning 1968, S. 499. 65 Dazu ders. ebd., S. 497: »In einen einzigen Satz wird die Lehre früherer päpstlicher Dokumente, insbesondere ›Quadragesimo anno‹ (nn. 63-75), über die Lohngerechtigkeit zusammengepreßt. Das Bestreben des Konzils, nicht nur naturrechtlich zu argumentieren, sondern auch echt theologische Aussagen zu machen, kommt zur Geltung in der Aussage, die Arbeit trage nicht nur bei zur Vollendung des Schöpfungswerkes, sondern nehme – in rechter Weise Gott dargeboten – sogar am Erlösungswerk Jesu Christi teil.« 63
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es der katholischen Soziallehre im Unterschied zum historischen Materialismus geht, nämlich Entproletarisierung durch Wirtschaftswachstum mit folgender Konsequenz: »Wenn aber der Ertrag steigt, so verlangen Gerechtigkeit und Billigkeit auch eine im Rahmen des Gemeinwohls mögliche Erhöhung des Arbeitslohnes. Dadurch wird den Arbeitern erleichtert, Ersparnisse zu bilden und ein bescheidenes Vermögen zu erwerben.« 66 Dass dies weltweit gesehen wie ein frommer Wunsch daherkommt und die Sachanalyse zeigt, dass Arbeit am Markt vielfach unter Wert verkauft werden muss, bereitet dem Konzilspapst »Kummer«: In vielen Ländern und ganzen Erdteilen werde so geringer Lohn gezahlt, dass Familien unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssten, was vor allem angesichts des »Überflusses« und hemmungslosen »Luxus weniger Reicher in schreiendem und beleidigendem Gegensatz« stehe. Dazu werde vielfach ein hoher Anteil des volkswirtschaftlichen Ertrags für ein falsch verstandenes nationales Prestige verschwendet und »ungeheure Summen für Rüstungen« aufgewandt. Wegen dieser ungerechten Ausgangslage dürfe die Höhe des Arbeitslohnes »nicht einfachhin dem freien Wettbewerb überlassen bleiben« und »auch nicht vom Stärkeren nach Willkür diktiert werden. Sie muß sich vielmehr unbedingt an den Maßstab von Gerechtigkeit und Billigkeit halten. Dazu ist geboten, dem Arbeiter einen Lohn zu zahlen, der für ihn selbst zu einem menschenwürdigen Leben ausreicht und ihm ermöglicht, die Familienlasten zu bestreiten.« 67 Als Maßstab zur entsprechenden Lohnfindung präsentiert der Papst eine vierstufige Kriteriologie, bei der zunächst die produktiven Leistungen des Arbeitnehmers, dann die wirtschaftliche Lage des Beschäftigung gebenden Unternehmens, dann die Erfordernisse des volkswirtschaftlichen Gemeinwohls (besonders im Hinblick auf die Vollbeschäftigung) und schließlich das »weltwirtschaftliche Gemeinwohl« zu berücksichtigen sei. In welcher Weise dies operationalisiert werden soll, wird aber nicht beschrieben. Über die Frage nach einer gerechten Entlohnung hinaus zeigt sich das katholische Inklusionsprogramm vor allem bei den Vorstellungen über die richtige Organisation des Produktionsprozesses, also der »Unternehmensverfassung«.: Die Pastoralkonstitution definiert Unternehmen als »Personalverbünde« (GS 68), bei denen in wirtschaftlichen wie sozialen Angelegenheiten Arbeitnehmer bei den Entscheidungen beteiligt werden sollen, in größeren Einheiten durch frei gewählte Abgesandte. Für die Interessensauseinandersetzung ist eines der grundlegenden Rechte der menschlichen Person im Arbeitsverhältnis, in Freiheit eigene Organisationen zu gründen; Streik als »letzter Behelf« in der Verteidigung von Arbeiterrechten bleibt legitim. Auch hier kommt die globale Dimension neu Mater et magistra, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 691. Ebd., S. 677: Das katholische Konzept des Familienlohns beruht auf dem in den 1960er Jahren noch gängigen System der »Versorgerehe«, bei dem ein Partner (die Frau) für die Familie zuständig ist und der andere Partner (der Mann) als Ernährer erwerbstätig ist. 66 67
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ins Bewusstsein: In Mater et magistra hatte Johannes XXIII. bereits den weltweiten Aufschwung der Arbeiterorganisationen lobend hervorgehoben: »Sie treiben die Arbeiter nicht mehr in den Klassenkampf, sondern leiten sie zu sozialer Partnerschaft an.« 68 Und schließlich komplettiert die Forderung, dass »die Arbeiter in geeigneter Weise in Mitbesitz an ihrem Unternehmen hineinwachsen«, endgültig die Alternative zu »kommunistischen Vorstellungen« der Auflösung und Verstaatlichung sämtlichen Privateigentums. So wird hinsichtlich der Forderungen zur Vermögensbildung in »Arbeitnehmerhand« auch das »wirtschaftliche Produktivvermögen« einbezogen und auf diese Weise langfristig der Unterschied zwischen Arbeit und Kapital durch Beteiligung derselben Person an beiden Dimensionen des Wirtschaftens aufgelöst. 69 Die sozialkatholischerseits projektierten wirtschaftlichen Veränderungen sind also zeitlich mehr evolutiv als revolutionär auf organische Entwicklung ausgerichtet; sachlich sind sie eher induktiv angelegt, da sie von den gegebenen Umständen ausgehen, die von innen her zu reformieren sind; sozial schließlich sind sie auf Ausgleich statt auf Konflikt gerichtet. Ohne es als solches direkt zu bezeichnen, profiliert Johannes XXIII. in Wirtschaftsfragen schließlich auch das Nachhaltigkeitskriterium, denn »schließlich ist dafür zu sorgen, daß der erreichte Wohlstand und die Kulturstufe nicht nur der Gegenwart, sondern auch kommenden Zeiten zuguten kommt.« 70 9.4 Frieden durch Entwicklung Die Perspektive des konziliaren Sozialkatholizismus auf die Wirtschaft ist vornehmlich die einer Fremdbeschreibung. Das Innovative des Konzils ist dabei, dass Wirtschaft als Weltwirtschaft wahrgenommen wird. Dies geschieht in einer besonderen Form, nämlich indem die Soziale Frage nun global gestellt und entsprechend Weltgesellschaftsanalyse in globalem Maßstab mit normativer Absicht betrieben wird – und zwar ebenso wie in der vormalig-»alteuropäischen« Form Ebd., S. 685. »So versteht sich, daß Unser Gedenken und Unser väterliches Wohlwollen sich den verschiedenen Berufsorganisationen und Gewerkschaften zuwenden, die, von christlichem Gedankengut beseelt, in den verschiedenen Erdteilen am Werke sind. Wir wissen, wie schwierig der Einsatz Unserer geliebten Söhne war, wissen aber auch um ihren Erfolg, wenn es galt, im nationalen Bereich oder auf Weltebene die Rechte der Arbeiter wahrzunehmen und deren wirtschaftliche und kulturelle Lage zu heben. [...] An dieser Stelle können Wir es nicht unterlassen, von Herzen Unseren Glückwunsch und Unsere Hochachtung der Internationalen Arbeits-Organisation (IAO) auszusprechen. Seit vielen Jahren leistet sie mit Geschick und Erfolg ihren wertvollen Beitrag dazu, im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu verwirklichen.« Ebd., S. 687. 69 Ebd., S. 679. Vgl. darüber hinaus zu den sozialethischen Überlegungen in der deutschen Debatte über Vermögensbildung, Beteiligung am Produktivvermögen, Investivlohn etc. Höffner 1961, Wiegmann 1961 und Adenauer 1962, Becher 1993. 70 Mater et magistra, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 681. 68
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mit dem Ziel der Kompensation nun weltwirtschaftlicher Disfunktionalitäten. Wirtschaftliche Probleme sind dabei, wie Johannes XXIII. in Mater et magistra ausführt, gleichermaßen gesinnungsethisch und bedingungsethisch anzugehen, die Rahmenbedingungen also wirtschaftspolitisch zu gestalten. Zwar komme der »Privatinitiative des einzelnen« Vorrang zu, aber es bedürfe »auch des tätigen Eingreifens der staatlichen Gewalt, um in der rechten Weise die Wohlstandssteigerung zu fördern, so daß mit ihr zugleich ein sozialer Fortschritt verbunden ist und sie so allen Bürgern zustatten kommt.« 71 Wissenschaftliche Fortschritte und bessere Produktionstechniken versetzten den Staat zunehmend in die Lage, »Spannungen zwischen den verschiedenen Wirtschaftszweigen, zwischen den verschiedenen Gebieten ein und derselben Nation wie zwischen den verschiedenen Nationen auf Weltebene zu mildern«. So wird von Staatsführungen gefordert, dass »sie sich in vielfältiger Weise, umfassender und planmäßiger als früher, wirtschaftspolitisch betätigt und dafür angepaßte Einrichtungen, Zuständigkeiten, Mittel und Verfahrensweisen ausbildet.« 72 Doch auch für die Politik gibt es kirchlicherseits in der ihr zugebilligten Reichweite Einschränkungen, denn gemäß dem Subsidiaritätsprinzip soll einerseits »die Sorge des Staates für die Wirtschaft« im Sinne eines Eingreifens in das »Gemeinschaftsleben« nur soweit gehen, dass der Raum für Privatinitiative nicht einschränkt wird. Im Gegenteil soll dieser Bereich vielmehr so ausgeweitet werden, dass andererseits »die wesentlichen Rechte jeder menschlichen Person« gewahrt bleiben. Dazu gehöre an erster Stelle das Recht und die Pflicht der Einzelnen, für den Lebensunterhalt für sich und seine Angehörigen selbst zu sorgen. Paul VI. wird diesen Gedanken zwei Jahre nach dem Konzil in seiner Sozialenzyklika Populorum progressio weltpolitisch so fortschreiben, dass er benachbarten Entwicklungsländern empfiehlt, ihre Territorien über die Grenzen hinweg zu einheitlichen Wirtschaftsräumen zusammenzufassen und gemeinsame Programme zur Koordination von Investitionen, Produktion und Güteraustausch aufzustellen. Und er hat auch internationale Organisationen im Blick, wenn er seiner Hoffnung Ausdruck gibt, dass »die Organisationen, die mehrere oder sogar fast alle Nationen umfassen, durch zweckdienliche Umorganisation Wege finden, die es den Entwicklungsländern möglich machen, aus den Engpässen, in denen sie sind, herauszukommen und in Treue zu ihrem Wesen die Mittel zu ihrem sozialen und menschlichen Fortschritt zu finden.« 73 Es ist bereits sein Vorgänger Johannes XXIII., der für die päpstliche Soziallehre den »eigentlichen Durchbruch zum Problem der Entwicklungsländer voll-
Ebd., S. 669. Ebd., S. 671. 73 Populorum progressio, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 787. 71 72
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zieht« 74, wenn er als die »Neue[n] Seiten der Sozialen Frage« – über den herkömmlichen Antagonismus von Arbeitnehmern hinaus – unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit auch die sachlichen wie territorialen Konkurrenzverhältnisse der »verschiedenen Wirtschaftszweige untereinander«, der »wirtschaftlich unterschiedlich gestellten Gebiete ein und desselben Landes« und schließlich der »gesellschaftlich in verschiedenem Grade entwickelten Länder« berücksichtigt.75 Wenn die Perspektive der sozialen Gerechtigkeit auf die Weltebene übertragen wird, stehen nicht mehr primär Personen und Familien im Vordergrund, sondern Nationen und Völker werden zu relevanten Vergleichseinheiten, deren diverse »Eigenarten« Bestand haben. Sie sollen sich vor kultureller Homogenisierung hinsichtlich des »Lebensstils« hüten. Während Quadragesimo anno 1931 zwar auch schon von wirtschaftlicher Zusammenarbeit auf Weltebene spricht, sich damit aber mehr gegen damalige Autarkiebestrebungen einzelner Industriestaaten richtet »als gegen die Bevormundung der unterworfenen Völker durch die Kolonialmächte«, 76 ist bei Johannes XXIII. Globalität bereits prinzipielles Analyseprinzip: »Jedes Problem von einiger Bedeutung, stelle es sich nun auf dem Gebiet der Wissenschaft, der Technik, der Wirtschaft und Gesellschaft, der Politik oder der Kultur, übersteigt darum sehr oft die Möglichkeiten eines einzelnen Landes. Es steht oft in internationalen, ja weltweiten Zusammenhängen.« 77 Und Paul VI. konkretisiert dies im Sinne einer ›Globalisierung der sozialen Frage‹ folgendermaßen: »Heute ist – darüber müssen sich alle klar sein – die soziale
So der Kommentator der späteren Enzyklika Pauls VI. über die seines Vorgängers: Für Mater et magistra »ist charakteristisch, daß die ›soziale Frage‹ nicht mehr allein im rechten Verhältnis von Kapital und Arbeit gesehen wird, obwohl auch hierüber noch wichtige Dinge gesagt werden. Es wird auch noch auf andere Forderungen der sozialen Gerechtigkeit eingegangen: auf die Tatsache, daß die Landwirtschaft in den Industriestaaten fast überall ein benachteiligter Bereich geblieben ist, ferner darauf, daß sich innerhalb der einzelnen Länder gewisse Regionen ungenügend entwickelt haben, sowie schließlich auf das Problem des Ausgleichs zwischen den Völkern verschieden hoher Wirtschaftsstufe.« Krauss 1967, S. 94. 75 So heißt es schon hinsichtlich globaler Institutionen in Mater et magistra, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 707: »Es liegt Uns viel daran, offen zu bekunden, wie sehr Wir die Arbeit der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) begrüßen, die sich vor allem die Aufgabe stellt, die Zusammenarbeit zwischen den Völkern in den wirtschaftlich unterentwickelten Ländern zu modernisieren und jenen Völkern zu helfen, denen es an Nahrungsmitteln fehlt.« 76 Vgl. Krauss 1967, S. 92. In der Sozialenzyklika lautet es diesbezüglich unter Nr. 89 knapp: Die »verschiedenen Völker sollten angesichts ihrer starken gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit und Ergänzungsbedürftigkeit durch gemeinsames Raten und Taten zwischenstaatliche Vereinbarungen und Einrichtungen schaffen zur Förderung einer wahrhaft gedeihlichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit untereinander.« 77 Mater et magistra, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 721. 74
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Frage weltweit geworden« und die sozialen Konflikte haben ein »weltweites Ausmaß angenommen«. 78 Inwieweit die Interaktionsdimension, also »Kommunikation unter Anwesenden«, beim Weltereignis Konzil den katholischen Horizont von eurozentrischer Verengung weltgesellschaftlich geweitet hat, ist gerade an der Entstehungsgeschichte der Pastoralkonstitution ersichtlich. Während die »überseeischen Gebiete« bislang ausschließlich als Missionsländer und somit als Evangelisierungsobjekte begriffen wurden, gewinnt die »Dritte Welt« beim Konzil eine neue Bedeutung. Nachdem viele von dort stammende Bischöfe an den ersten Entwürfen bemängelten, dass in diesen hinsichtlich der Sozialen Frage nur von den hochentwickelten Ländern die Rede war, wurde im Zuge der weiteren Bearbeitung der ursprüngliche Text so verwandelt, dass sich schließlich Gaudium et spes den wesentlichen Problemen der Entwicklungsländer stellte: Dies zeigt, dass »man in den Jahren seit ›Mater et Magistra‹ die Fragen, die die Entwicklungsländer betreffen, in einem ganz neuen Zusammenhang zu sehen begonnen hat: nicht mehr nur als eine der Aufgaben, die heute neben vielen anderen der Menschheit gestellt ist, sondern als eine Problematik, die alle sozialen Probleme betrifft, sie sich in der heutigen Menschheit stellen«. 79 Durch die mit der Horizonterweiterung einhergehende Relativierung von »Mission« verlagert sich innerkatholisch der Schwerpunkt von »Evangelisierung« auf »Entwicklung«. Dies ergänzt das bisher einseitige, weil bloß aufs Religiöse bedachte Inklusionsprogramm um weitere Komponenten, die in erster Linie wirtschaftlicher Art sind. Gaudium et spes vollzieht dabei nun mit Blick auf die Weltebene denselben Prozess wie die zu Beginn auf den europäischen Nationalstaat bezogene Soziallehre, die ihre Sozialreform auch mit karitativer Arbeit begann, und thematisiert zunächst Entwicklungshilfe:80 Materielle Hilfen »sollen von der einen Seite großherzig und ohne Profitsucht gewährt und von der anderen in ehrenhafter Haltung entgegengenommen werden. Um zu einer echten weltumfassenden Wirtschaftsordnung zu kommen, muß auf übertriebenes Gewinnstreben, nationales Prestige, politische Herrschsucht, militaristische Überlegungen und Machenschaften zur Populorum progressio, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 745.749. »Diese wesentliche Öffnung und dieser Sinn für Ganzes findet auch Ausdruck in der immer wiederkehrenden Aussage, die Probleme müßten, weil Probleme des Menschen, in ihrer weltweiten Ausdehnung, in ihrer Weltweite gesehen werden. Der Ausdruck ›Weltweite‹ kehrt im Text neunmal wieder (PP 3,4,9,51,65,72,78,84).« Krauss 1967, S. 137. 79 Ebd., S. 98. Vgl. zur Textgenese der Pastoralkonstitution Sander 2005, S. 616ff sowie Moeller 1968, 242ff. 80 Im Grunde wird nur ein alter Grundsatz der päpstlichen Soziallehre auf neu gesehene Situationen übertragen, wie auch Krauss beschreibt: »Im letzten Jahrzehnt hat sich ein ähnlicher Prozeß bezüglich der Entwicklungsländer vollzogen. Dachte man zunächst bei der Hilfe für ihre Not in Kategorien der Caritas oder des paternalistischen kolonialen Wohlfahrtsstaats, um später von ›Hilfe zur Selbsthilfe‹ und schließlich von internationaler Wirtschafts- und Sozialpolitik zu rechen, so kann man eine Parallele bei den christlichen Sozialreformern des 19. Jahrhunderts finden.« Ebd., S. 121. 78
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zwangsweisen Verbreitung von Ideologien verzichtet werden.« (GS 85) Der darauf folgende Abschnitt weist aber die Hauptverantwortung sogleich einschränkend den betroffenen Ländern selbst zu. Das Entwicklungsproblem sei nicht allein ein Verteilungsproblem und Entwicklungshilfe könne nur subsidiäre »Hilfe zur Selbsthilfe« (GS 86) sein. Nell-Breuning kommentiert diesen Abschnitt in Kenntnis der seinerzeitigen sozialwissenschaftlichen Modernisierungsdebatte durchaus kritisch: Zwar weise das Konzil zutreffend darauf hin, dass es nicht genüge, materielle Hilfen zu gewähren, sondern dass es um Anleitungen gehen muss, »diese Hilfen in der rechten Weise zu nutzen«. Doch dies sei weder alles und noch nicht einmal das Wesentliche: »Der ungeheure Vorsprung, den heute die fortgeschrittenen Länder vor den sogenannten Entwicklungsländern haben, beruht entscheidend darauf, daß wir nicht nur im wirtschaftlichen Bereich, sondern weit darüber hinaus ›rationell‹ verfahren, diese dagegen ›traditionell‹.« 81 Diese Unterscheidung bildet auch den Anknüpfungspunkt für den von Paul VI. geprägten umfassend-qualitativen Entwicklungsbegriff, der auf das ganze Humanum zielt und mit dem er davor warnt, auf Weltebene und in den Entwicklungsländern die Irrtümer zu wiederholen, welche die Industrielle Revolution in Europa mit sich gebracht hatte. Menschliche Entwicklung sei eben nicht gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Wachstum. »Wahre Entwicklung muß umfassend sein, sie muß jeden Menschen und den ganzen Menschen im Auge haben«. 82 Wenn es Paul VI. mit seinem Begriff »Entwicklung« um den »Fortschritt der Völker« geht, beinhaltet dies unter Wertgesichtspunkt auch die Lösung eines Zielkonflikts, denn jedes Wachstum habe zwei Seiten: »Einerseits ist es unentbehrlich, damit der Mensch mehr Mensch werde, andererseits sperrt es ihn wie in ein Gefängnis ein, wenn es zum höchsten Wert wird«. Das ausschließliche Streben des Menschen nach (äußeren) wirtschaftlichen Gütern verhindere sein »inneres Wachstum« und stehe seiner wahren Größe entgegen: »Der Schandfleck der Habsucht deutet sowohl bei Völkern wie bei einzelnen in offensichtlicher Weise auf eine moralische Unterentwicklung hin.« 83 Den moralischen Zustand der Welt im Sinn, stellt der Papst fest: Die »Welt ist krank«; ihr »Übel« liege weniger darin, dass es keine Hilfe gebe oder dass wenige alles abschöpften,
Nell-Breuning 1968, S. 563. Auch fehlen dem Sozialethiker die Ausführungen über internationale und supranationale Institutionen von Pacem in terris und vor allem die Beschreibung der Aufgabe, eine Instanz zu schaffen, die autorisiert und tatsächlich imstande ist, das »gesamtmenschliche Gemeinwohl« zu garantieren. Zwar habe auch Pacem in terris unter Entwicklungshilfe an erster Stelle wirtschaftliche Maßnahmen genannt, aber auch den ganzen sozialen und politischen Bereich, das kulturelle Leben, das Gesundheitswesen und den Sport aufgezählt. Vor diesem Hintergrund müsse umso mehr auffallen, dass das Konzil sich fast ganz auf die wirtschaftliche Entwicklungshilfe beschränkt. Vgl. ebd., S. 562. 82 Populorum progressio, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 753f. 83 Ebd., S. 757. 81
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vielmehr liege es »im Fehlen des brüderlichen Geistes unter den Menschen und unter den Völkern.« 84 Diesem Mangel an (solidarischer) Gesinnung begegneten Entwicklungshelfer als Elemente eines universalen Humanismus gleichermaßen wie der aufrichtig geführte Dialog zwischen den Kulturen und den Menschen. Dieser sei umso nötiger, als dass die »zu großen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Unterschiede unter den Völkern [...] Spannungen und Zwietracht hervor[rufen] und [...] den Frieden in Gefahr« brächten. Dem Papst geht es somit letztlich um die wirtschaftlich verursachten politischen Konsequenzen, die dann zu erwarten sind, wenn es wirtschaftlich nicht an Chancengleichheit, sondern an Chancen überhaupt mangelt, wenn sich also Exklusion kumuliert und strukturell verfestigt. 85 Friede bestehe nicht einfach im Schweigen der Waffen oder im schwankenden Gleichgewicht der Kräfte: »Er muß Tag für Tag aufgebaut werden mit dem Ziel einer von Gott gewollten Ordnung, die eine vollkommenere Gerechtigkeit unter den Menschen herbeiführt.« 86 Mit dem Slogan »Entwicklung ist der neue Name für Frieden«87 wird der wirtschaftlich-politische Konnex als moralisches Statement auf den Punkt gebracht. Die für die Realisierung dieser Programmatik notwendige »internationale Zusammenarbeit auf Weltebene braucht Institutionen, die [...] vorbereiten, aufeinander abstimmen, leiten, bis hin zur Schaffung einer Rechtsordnung«. In motivierender Absicht fügt Paul VI. hinzu: »Manche mögen solche Hoffnungen für utopisch halten. Es könnte aber sein, daß sich ihr ›Realismus‹ als irrig erweist, daß sie die Dynamik einer Welt nicht erkannt haben«. 88 Neben der semantischen Arbeit am Begriff (Entwicklung), die auf die Etablierung einer neuen Wahrnehmungs- und Analyseebene folgt (Weltwirtschaft), werden auch strukturelle Konsequenzen gezogen, die mit den Forderungen zur Schaffung einer »Weltautorität« im politischen Bereich durchaus korrespondieren. Mit seinem Vorschlag des Aufbaus eines Weltfonds möchte Paul VI. einen Dialog zwischen allen Beteiligten institutionalisieren und denkt dabei nicht allein an das Gespräch zwischen Geber- und Empfängerländern. Dadurch, dass Ebd., S. 787. Vgl. zum Thema »Exklusion« Stichweh 2005. Auch für Luhmann gibt es einen Grad an Armut, der dazu zwingt, zu jeden Bedingungen in größtmöglichem Umfange zu arbeiten. Es gelte – in den 80er Jahren gesprochen – besonders für Arbeitslose, die auch bei herabgesetzten Ansprüchen keine Möglichkeit hätten, Arbeit zu finden: »Das sind Strukturbedingungen, im Hinblick auf die man, auf sozialistischer Seite, mit Recht argumentiert, es fehle unter privatkapitalistischen Bedingungen an Freiheit. Die Inklusion in die Wirtschaft wird in diesem Bereich (wenngleich es nicht zutrifft, daß die Betroffenen nie in ihrem Leben Eigentum besessen oder Geld ausgegeben haben) minimiert, und die Konsequenz ist, daß die Betroffenen das Geld als das Geld der anderen, als diabolisches Medium erleben. Sie werden entsprechend nicht bereit sein, den Zugriff auf knappe Güter zu tolerieren, nur weil dafür gezahlt wird. Sie tolerieren, weil ihnen keine andere Wahl bleibt.« Luhmann 1988, S. 261. 86 Populorum progressio, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 793. 87 Ebd., S. 799. 88 Ebd., S. 795. 84 85
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dieser Fonds sich über eine Beschränkung der Rüstungsausgaben speisen soll, wird klar, dass es dem Papst mit diesem Instrument auch um die Integration der in zwei Blöcke aufgespaltenen Industrienationen geht. So ist mit diesem Vorschlag neben dem angezielten Ausgleich von Geldmarktversagen hinsichtlich der Finanzierung von Entwicklungsmaßnahmen (Kredite, Investitionen, Infrastruktur) ein Teil einer großen (politischen) Friedenskonzeption beschrieben: »Der Weltfonds soll die bisherigen Schranken der Machtblöcke überspringen und somit mehr sein als die bereits im Rahmen der Vereinten Nationen bisher existierenden Einrichtungen ähnlicher Art (Weltbank usw.), die fast ausschließlich vom Westen gespeist werden.« 89 Der seinerzeitige Kommentator der »Entwicklungsenzyklika« Pauls VI. wendet sich gegen Ende seiner Ausführungen gegen den schnell aufgekommenen Verdacht, dass es sich bei dem neuerdings starken Interesse vieler Christen und auch des Papstes für Fragen der Entwicklungshilfe um eine Säkularisierung der Missionsidee handele, dass der ursprüngliche Evangelisierungswille auch innerkatholisch hinter mehr allgemein menschliche, zivilisatorische und humanitäre Zielsetzungen zurücktrete. Doch: »In Wirklichkeit ist das Interesse für die Entwicklungsländer eine Ausweitung des Bemühens um gerechte gesellschaftliche Strukturen, das im 19. Jahrhundert im Einsatz für die ›soziale Frage‹ seinen Anfang genommen hat.« 90 Wie schwer es aber ist, adäquate Bezüge aus der eigenen religiösen Tradition unter den komplexen Bedingungen funktional differenzierter Gesellschaften zur Geltung zu bringen, beschreibt Nell-Breuning auf die Pastoralkonstitution des Konzils bezogen lakonisch so: »Die Kürze dieser Artikel spricht dafür, daß eine Theologie der Wirtschaft zu entwerfen und anzureichern keine leichte Sache ist.« 91
Krauss 1967, S. 127. Ebd., S. 130. 91 Nell-Breuning 1968, S. 516. 89 90
10. Entgrenzung der Ökumene als katholische »Relativitätstheorie«
Am Ende dieser Studie über das Zweite Vatikanum und die Globalisierung des Katholizismus sollen die Ergebnisse nicht einfach in Form einer Zusammenfassung wiederholt werden. Statt eines einfachen Resümees werden die Hauptargumente vielmehr einer Probe aufs Exempel unterzogen, indem ihr Kontext variiert wird, um sie nun unter religiösen Gesichtspunkten soziologisch Revue passieren zu lassen. Wenn in der Überschrift dieses Schlusskapitels von »Relativitätstheorie« 1 gesprochen wird, soll damit zweierlei ausgedrückt werden: Es geht zum einen nicht, wie man meinen könnte, um (abwertende) Relativierungen, sondern vielmehr um Relativität als katholisch-konziliares Bewusstsein, in ein neues Koordinatensystem gestellt zu sein. Und es ist zum anderen von ›Theorie‹ im Unterschied zu ›Praxis‹ die Rede, weil die Konzilsentscheidungen Planungsentscheidungen sind, Entscheidungsprämissen, deren Wirkungen sich noch entfalten müssen und die sich in der postkonziliaren gesellschaftlichen Wirklichkeit zu bewähren haben, also auf Rezeption angewiesen bleiben. Zu Beginn dieser Studie wurde davon ausgegangen, dass die beiden Vatikanischen Konzilien zur Beschreibung des kirchlichen Wandels gut zu konfrontieren sind. Das Erste Vatikanum brachte für die Ausgangsfragestellung eine erste Antwort, die als erster Globalisierungsschub einer Kirche als Gegengesellschaft vorgestellt wurde. Er geschah im zeitlichen Kontext dieses Konzils in Form einer quantitativen Expansion, und Karl Rahner hat dies Geschehen mit dem Tun einer Exportfirma verglichen. Das Zweite Vatikanum, so die zentrale Unterstellung, vollzieht den Wandel von der Kirche als Gegengesellschaft zur Kirche der Weltgesellschaft vor allem dadurch, dass es nunmehr der funktionalen Primärdifferenzierung der Gesellschaft Rechnung trägt. Das bedeutet die Notwendigkeit, bei aller Polykontexturalität der Organisation des Katholizismus sachlich zu klären, welcher Art der vorrangige Gesellschaftsbezug sein soll. Seitdem die Kirche seit der Hellenisierung des Christentums ihren gesellschaftlichen Gesprächspartner vor allem in der Philosophie fand, geht es ihr um die gesellschaftliche Repräsentanz von Wahrheit. Und ab der Konstantinischen Wende zur Staatsreligion sind politische Konnotationen nicht zu leugnen. Nach allen Friktionen angesichts 1
Diesen Begriff verdanke ich einer Diskussion mit dem Essener Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck im Institut für Diakonat und pastorale Dienste des Bistums Münster im Januar 2007.
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innerchristlicher Schismen im Mittelalter und neuzeitlicher Konfessionalisierungen sowie außerchristlicher Konfrontationen mit Judentum und Islam kulminierte dies unter Souveränitätsgesichtspunkten in der Universalepiskopatsdefinition des Ersten Vatikanums. Es verband Unfehlbarkeit mit dem Jurisdiktionsprimat, als ob die Wahrheit nach dem gesellschaftlichen Verlust der Zentralperspektive organisatorisch gegen die Gesellschaft autoritativ repräsentierbar wäre. Nach der Auflösung der alteuropäischen Christianitas als gesellschaftlicher Einheit und der zunehmenden Überlagerung stratifikatorischer Regionalgesellschaften durch funktionale Differenzierung (Welthandel etc.) wird für den Katholizismus häufig ein Rückzug ins Ghetto notiert (Ratzinger). Im Folgenden sind unter religiösen Gesichtspunkten über die bereits behandelten Texte hinaus vor allem das Dekret über den Ökumenismus, Unitatis redintegratio, sowie die Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, Nostra aetate, zu thematisieren. In einem ersten Schritt werden dabei die konziliaren Errungenschaften mit dem System des Ultramontanismus als dem Erbe, das das Zweite Vatikanum auch in dieser Hinsicht anzutreten hatte, kontrastiert (10.1). Danach geht es um die konziliare Entgrenzung der Ökumene zunächst als neuer Form christlicher Verweltgemeinschaftung des Katholizismus (10.2), um diese anschließend auch als neue religiöse Verweltgesellschaftung zu begreifen (10.3). Zum Schluss soll empirisch belegt werden, dass diese Umstellungen aus neuerlichen Differenzierungen im katholischen Wahrheitsbegriff resultieren (10.4). 10.1 Säkularisierung als Globalisierung Mit der Ausbildung des Systems des Ultramontanismus stellte sich der Katholizismus den gesellschaftlichen Herausforderungen von Säkularisierung und Globalisierung. Bevor diese erste kirchliche Reaktion auf die Dynamiken moderner Gesellschaft in Erinnerung gerufen wird, ist noch Begriffliches zu klären: Ähnlich diffus wie das Wort Globalisierung zumeist umgangssprachlich und auf den Bereich der Wirtschaft (Stichwort Standortwettbewerb) bezogen angewandt wird (vgl. Einleitung), so ist auch Säkularisierung als ebensolcher Prozessbegriff (wie auch Modernisierung) eine Chiffre, hinter der sich vieles verbergen kann. Mit Säkularisierung sind, wie José Casanova festgehalten hat, mindestens drei unterschiedliche Behauptungen verbunden. So werde unter diesem Begriff zum einen »die Ablösung und die Emanzipation weltlicher Bereiche von religiösen Einrichtungen und Normen verstanden, zum anderen aber auch der Niedergang religiö-
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ser Überzeugungen und Verhaltensformen und drittens die Abdrängung der Religion in die Privatssphäre.« 2 Unstrittig ist aber die Resonanz von »Säkularisierung« als konzilszeitgenössischem Begriff in der kirchlichen Reflexionstheorie z.B. in Form einer »Theologie der Welt«.3 Ohne als Begriff in den Konzilstexten selbst vorzukommen, geht es dem Zweiten Vatikanum in seiner Beschreibung des kirchlichen Weltverhältnisses implizit um eine Reaktion auf Säkularisierung. Explizit gibt es in der zweiten Auflage des maßgeblichen »Lexikons für Theologie und Kirche«, die zeitgleich zu den Konzilsverhandlungen 1964 erschien, unter »Säkularisierung« einen Eintrag von Alfons Auer. Demzufolge ist der Kern von Säkularisierung als moderner »Profanität« der »Autonomismus«. Die irdischen Bereiche würden ausschließlich aus den ihnen immanenten Gesetzlichkeiten verstanden: »die puren Spielregeln der Macht bestimmen die Politik, die des bloßen Nutzens die Wirtschaft, die der reinen Form die Kunst, die der möglichen Verfügbarkeit der Technik. Das M[ittel]A[lter] hatte alle diese Bereiche in seine irdischgeistl[ichen] Gesamtordnung hineingebunden u[nd] sie letztlich der direkten od[er] wenigstens indirekten kirchl[lichen] Regelung unterstellt. Das geschah nicht selten unter Verkennung der Eigenständigkeit der Welt.« 4 Für das theoretisch-begriffliche Problem von Säkularisierung und Globalisierung als reflexiontheoretischer Beschreibung des gesellschaftlichen Kontextes des Konzils sowie dessen Ausgangsbedingungen ist bei Niklas Luhmann ein gemeinsamer Nenner zu finden: Mit seinem Insistieren auf funktionaler Differenzierung als Primärdifferenzierungsform der modernen Gesellschaft kann er die divergierenden Prozessbeschreibungen auf einen gemeinsamen Sachverhalt zurückführen. Globalisierung ist in diesem Sinne als der Prozess zu verstehen, der die eine Weltgesellschaft durch weltweite Ausdehnung der Funktionssysteme (»und-so-weiter-These«)5 und durch Überlagerung anderer herkömmlicher und regional divergierender Differenzierungsformen durch funktionale Differenzierung entstehen lässt. Somit ist Globalisierung die in der modernen Form gesellschaftlicher Differenzierung angelegte Dynamik, die die verschiedenen Funktionssysteme mit ihren jeweiligen Problembezügen zu weltweiten Vergleichhorizonten werden lässt. Weltgesellschaft konstituiert sich dann mithilfe der sozialen
Vgl. Casanova 2004, S. 272. Es stellt sich die Frage, ob beispielsweise die anhaltende religiöse Vitalität in der modernen ›Vorzeigegesellschaft‹ der Vereinigten Staaten als Ausnahme die Säkularisierungsregel bestätigt oder ob dieser Befund kritisch die Regel hinterfragen lässt. Wie diese beantwortet wird, hängt wohl davon ab, ob entsprechende Erwartungsstrukturen im Falle der Erwartungsenttäuschung normativ aufrechterhalten oder kognitiv und lernbereit verändert werden. Inwieweit diesbezüglich neuerliche Hilfskonstruktionen wie das Habermassche Diktum von der »Postsäkularität« weiterführend sind, sei dahingestellt. Vgl. Habermas 2001. 3 Vgl. die verschiedenen Beiträge in Metz 1965 sowie ders. 1968. 4 Auer 1964, S. 253. 5 Vgl. Luhmann 1975, S. 67. 2
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Basiseinheit Kommunikation durch kommunikative Anschlussfähigkeit und Erreichbarkeit. Während funktionale Differenzierung so einerseits auf Vereinheitlichung drängt, geht es dabei andererseits besonders um Unterscheidung und Trennung verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche und spezieller Logiken.6 Auf diese Unterschiedlichkeiten bezogen, gebraucht Luhmann Säkularisierung als Begriff, der in eine Gesellschaft gehöre, deren Strukturen ein polykontexturales Beobachten nahelegen, nur ungern. Andererseits führe der Säkularisierungsbegriff, wenn man ihn trotz allem benutze, –wie oben beschrieben – aber nicht zu der Hypothese, Religion habe in der modernen Gesellschaft an Bedeutung verloren.7 Funktionale Differenzierung ist also vielmehr als die Provokation zu verstehen, auf die im Religionssystem mit der Beschreibung der Gesellschaft und ihrer Welt als ›säkularisiert‹ reagiert wird: »Säkularisierung heißt also nicht: Funktionsoder Bedeutungsverlust der Religion, vielleicht aber vorübergehende (?) Schlechtanpassung an die Bedingungen der modernen Gesellschaft.« 8 Wenn man nun auf die gesellschaftliche Wirklichkeit des Katholizismus vor dem Konzil schaut, 9 haben beide Dynamiken Spuren hinterlassen. Mit der (neuzeitlichen) Verweltlichung der Gesellschaft ist und war schon immer gleichzeitig das Phänomen der Globalisierung des Katholizismus verbunden.10 Dies zeigen die umgehend den Entdeckungen der Neuen Welt folgenden Missionsanstrengungen, welche in den Zeiten der Gegenreformation mit der Jesuitenmission erste Professionalisierungen erfuhren. Sie wurden im 19. Jahrhundert als dem »zweiten konfessionellen Zeitalter« 11 forciert und in direkter Konkurrenz zur wohlorganisierten protestantischen Weltmission12 zu einem Programm katholischer Welterschließung ausgebaut. Auch auf katholischer Seite trägt eine große Missionsbewegung mit vielfältigen Ordens- und Vereinsgründungen zu diesem Globalisierungsschub bei. Bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts werden »amtskirchlicherseits« aus den der römischen Propaganda fide unterstellten apostolischen Vikariaten schrittweise eigene Diözesen, zunehmend auch mit indigenem Klerus. Vgl. Tyrell 1998. Vgl. Luhmann 2000b, S. 284f.: »Eher wird die Aufmerksamkeit auf die Frage gelenkt, mit welchen semantischen Formen und mit welcher Disposition über Inklusion oder Exklusion von Mitgliedern die Religion auf die Voraussetzungen einer säkularisierten Gesellschaft reagiert. Säkularisation wird als Provokation der Religion beobachtet, und darin liegt auch, daß es mehrere, vielleicht inkompatible, vielleicht kulturell akzeptierbare, vielleicht ›merkwürdige‹ Formen geben kann, mit denen die Religion dieser Provokation begegnet.« 8 Ebd., S. 301. Vgl. auch Kapitel 4. 9 Vgl. zur gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit Berger/Luckmann 1969/2004 (im amerikanischen Original 1966). 10 Vgl. Rahner 1953. 11 Vgl. Blaschke 2001. 12 Vgl. Tyrell 2004 6 7
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Mit diesem ersten Globalisierungsschub ist die eine Seite des katholischen Systems des »Ultramontanismus« beschrieben, dessen Begriff in der Auseinandersetzung mit gegenteilig orientierten »Transalpinen« um den Universalepiskopat des Papstes gebildet wurde. Mit ihm kann seit dem Ersten Vatikanum die weltkirchliche Situation zutreffend kennzeichnet werden: Ultramontanismus als das Erbe, das das Zweite Vatikanum anzutreten hatte, zeigt die quantitative Expansion eines kulturell eurozentrischen und hierarchisch streng romorientierten Katholizismus in alle Welt. In gewisser Weise ist die ultramontane Globalisierung des Katholizismus auch als ein Gegenphänomen zur Ausbildung der europäischen Nationalstaaten im 19. Jahrhundert zu lesen, denn der globalisierte Katholizismus erscheint nicht nur als ein prinzipiell transnationaler, sondern auch als ein nach außen kulturkämpferischer Katholizismus. Damit ist die andere Seite des Systems des ultramontanen Katholizismus, das Säkularisierungsproblem, angesprochen und vor allem das, was Luhmann mit »vorübergehender Schlechtanpassung« meint. Dies führte im Katholischen zur Ausbildung einer regelrechten Gegengesellschaft, welche sich selbst aber durchaus als »societas perfecta« verstand. Die Stichworte der jüngeren Kirchengeschichte wie Syllabus13 und Antimodernisteneid14 rufen umgehend ins Bewusstsein, wie uneins der Katholizismus mit seiner innergesellschaftlichen Umwelt war. Und diese Verschiedenheit zeigt sich unversöhnlich: Katholische Intransigenz auf der einen und staatliche Hoheitsvorstellungen auf der anderen Seite führten politisch auf den Feldern Familie, Bildung und Kirchenorganisation zu Konflikten bei der Eheschließung, bezüglich katholischer Schulen und der Klerusausbildung sowie vor allem hinsichtlich der Besetzung kirchlicher Ämter. Die katholische Staatsdoktrin verfolgte dabei ganz pragmatisch nach quantitativen Gesichtspunkten im Falle katholischer Bevölkerungsmehrheit die These des katholischen Staates. Für den Fall katholischer Bevölkerungsminderheit stand die Hypothese umfassender staatlicher Garantien zur Wahrung der libertas ecclesiae, der institutionellen Freiheit der Kirche. Gleichzeitig zum Ausbau des Nationalstaats erfasst der organisationsgesellschaftliche Bürokratisierungsschub die katholische Kirche in Form einer »Verkirchlichung« (Kaufmann): Getragen vom katholischen Milieu konnten regelrecht Subgesellschaften entstehen, die eine Lebenswirklichkeit einer katholisch integrierten Biografie ›von der Wiege bis zur Bahre‹ ermöglichten. Der hier anschließende Begriff des Integralismus beschreibt die eigentümlich innerkatholisch-funktionale Differenzierung, die mit katholischen Schulen, Sportvereinen, Parteien, Gewerkschaften und sogar speziellen Kunstformen (Nazarenerstil) eigene Welten der gesellschaftlichen Öffentlichkeit entgegensetzte. Nach außen hin sorgten religiöse Traditionserfindungen
13 14
Vgl. Wolf 1998. Vgl. Trippen 1993.
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wie die Heiligrock-Wallfahrt in Trier oder groß inszenierte Heiligsprechungsfeierlichkeiten in Rom für den bekannten katholisch-triumphalistischen Gestus. Dies alles zeigt sich nun symbolisch verdichtet im Ersten Vatikanum, dessen »Konzilsidee« Hermann Josef Sieben zufolge davon geprägt ist, »vor der Welt« und »gegen die Welt« katholische Geschlossenheit und Einheitlichkeit zu demonstrieren.15 Dabei ist dieses Demonstrationsmotiv zeitgenössisch vergleichbar mit anderen, profanen Repräsentationsbemühungen wie beispielsweise mit der erstmals zwanzig Jahre zuvor 1851 in London beginnenden Reihe der Weltausstellungen.16 Nur wurde dort die Welt gezeigt und neben der europäischen Überlegenheit lag der Reiz für das interessierte Publikum in der (kulturellen) Vielfalt und im Exotischen (vgl. die vorgeführten Eingeborenen). Hier dagegen sind es innerkatholische Homogenisierungsambitionen, theologische Standardisierung durch das verordnete neuscholastische Naturrecht und hierarchische Restrukturierungen:17 An erster Stelle steht dabei die Definition des Universalepiskopats, welche Unfehlbarkeit und Jurisdiktionsprimat des Papstes regelt und deren Wirkungen durchaus ambivalent sind. So wendet sich einerseits Bismarck nach dem Konzil in einer Zirkulardepesche an die Staatenführer Europas und gibt dort seinen Befürchtungen Ausdruck, ein Teil der Bevölkerung folge künftig einem »ausländischen Souverän«. Andererseits fühlt sich Papst Pius IX. selbst angesichts des Verlustes des Kirchenstaats in Folge des Deutsch-Französischen Krieges zum Ende des Konzils als ein »Gefangener im Vatikan«. Wie introvertiert sich der Katholizismus dieser Zeit zeigte, ist schließlich gut an den ökumenischen Einladungen zum Ersten Vatikanum abzulesen, die durchaus als ignorant wahrgenommen werden konnten. Das römische Schreiben ist in der orthodoxen Welt zumeist nicht einmal angenommen worden, denn in dem sich dort ausdrückenden römischen Primatanspruch sah man die Zerstörung der brüderlichen Einheit der Kirchen: »der Bischof von Rom habe sich im Sinne der Koinonia mit den übrigen Patriarchen ins Benehmen setzen müssen, wenn er ein ökumeni-
Vgl. zur Konzilsidee des Ersten Vatikanums Sieben 1993, S. 161ff. Vgl. zur Geschichte der Weltausstellungen Wegner 2008. 17 Vgl. Kaufmann 1973, S. 78ff. 15 16
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sches Konzil wolle, anstatt einseitig und autoritativ vorzugehen.« Ebenso konnten sich auf der anderen Seite die Protestanten vorgeführt vorkommen.18 Anstelle einer trotzig-introvertierten Abwehrhaltung »Gegen-die-Säkularisierung«, bei der als Ausgleich für die Einflussverluste in Europa quantitatives Wachstum im Sinne einer globalen Expansion des europäischen Katholizismus angestrebt wurde, wird beim Zweiten Vatikanum ein qualitativer Prozess in Gang gesetzt. Für die Darstellung dieses Prozesses hin zu einer nunmehr sachgerechteren (religiösen) Integration als weltkirchlicher Katholizismus sollen nun abschließend anhand der Konzilstexte in umgekehrter Richtung der dreistufige Weg des klassischen fundamentaltheologisch-apologetischen Kurses von der demonstratio religiosa zur demonstratio christiana bis hin zur demonstratio catholica rekonstruiert werden, den Paul VI. in seiner Enzyklika Ecclesiam suam aktualisiert hat. Dort sprach er von den konzentrischen Kreisen, in denen der Dialog stattfinden sollte, deren Mittelpunkt das Christusgeschehen selbst sei: unter den Christen, mit den verschiedenen Religionen und schließlich mit der Infragestellung der Religion als solcher. 10.2 Diversität der Kirchen Im Kontext der neuzeitlich-innerreligiösen Pluralisierung hat man für das Christentum einen »Verkirchlichungsprozess« festgestellt, der so lange unproblematisch sei, wie mit ›Kirche‹ nicht nur theologisch das ›Volk Gottes‹, sondern empirisch ein die amtskirchlichen Strukturen ergänzendes soziales Substrat der Christlichkeit umfasst werde. Für Franz-Xaver Kaufmann bedeutet »Verkirchlichung des Christentums« nun nicht per se das Verschwinden eines solchen Substrates. Im Gegensatz dazu könne zumindest für den katholischen Bereich in der Periode zwischen dem Ersten und Zweiten Vatikanum eine breit ausgreifende transnationale Subkulturbildung und damit konfessionsspezifische Vergesellschaftung beobachtet werden. Innerhalb derer konnte die Tradierung der katholischen Tradition relativ problemlos erfolgen. »Die amtskirchlichen Strukturen Vgl. Schatz 1992, S. 128f.: »Am 22. März beschloß daher die Zentralkommission, sie seien ein Aggregat von Laien und deshalb in globo anzusprechen, nicht wie die Orthodoxen, die eine reguläre Hierarchie haben, durch ihre Führer.« Pius IX. plädierte aber dafür, dass »interessierten Protestanten in Rom eine außerkonziliare Möglichkeit des Dialoges mit katholischen Theologen in halboffizieller Form gegeben würde. [...] Dem entsprach das päpstliche Schreiben Iam vos omnes an die Protestanten, datiert vom 13. September 1868. Schon durch die Platzierung 5 Tage nach dem Schreiben an die orthodoxen Kirchenoberhäupter wollte man ausdrücken, daß man beide nicht auf eine Stufe stellte. Um Unterschied zu letzteren handelt es sich um keine Einladung zum Konzil, sondern um einen Appell, aus Anlaß des kommenden Konzils die eigene Position zu überdenken, sich aus einem Zustand zu erheben, in welchem sie ihres Heiles nicht sicher sein können und in den einen Schafstatt Christi zurückzukehren. Der Appell richtete sich an die einzelnen Protestanten, nicht an die Kirchen als solche.« 18
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wurden durch eine Vielzahl konfessionsspezifischer Vergemeinschaftungsformen ergänzt, welche vor allem für die Diaspora bedeutungsvoll wurden, während in den homogen katholischen Gebieten ohnehin traditionale Sozial- und Kulturformen den Gefährdungen der Modernisierung entgegenstanden.« Problematisch werde die »Verkirchlichung des Christentums« erst in dem Maße, als die konfessionsspezifischen Sozialformen und Subkulturen erodierten und nunmehr die amtskirchliche Organisation zur dominierenden Trägerin kirchlicher Traditionsbestände werde. 19 Nun zeigt sich am Zweiten Vatikanum aber gerade der ›amtskirchliche‹ Versuch, auf der Organisationsebene – und Organisation gehört nach Weber als »Zweckverband« zur Gesellschaftsseite – Vergemeinschaftungsprozesse zu initiieren und so die Unterscheidung von Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung zu unterlaufen. Mit seinen kirchenorganisatorischen Entscheidungen will das Konzil für den Katholizismus Umstellungen von Verkirchlichung auf Verweltkirchlichung bewirken. Dabei geht es um ein Mehr an Gemeinschaft und um ein neues Verständnisses von Gemeinschaft im weltkirchlichen Sinne. Für den religiösen Kontext gilt Luhmann zufolge seit den innerreligiösen Pluralisierungen der Neuzeit das Bekenntnis, also die Konfession als Mitgliedschaftsregel. Entsprechend können wir die konziliare Selbstbeschreibung der »einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche« im Folgenden mit organisationsoziologischen Begrifflichkeiten von Programm, Mitgliedschaft, Stellen und Kommunikationsstrukturen zusammenfassen, um sie dann mit der innerchristlichen Umweltbeschreibung des Konzils zu konfrontieren. Programmatisch vollzieht das Konzil in Sachen »Katholizität« Selbstrelativierung und Universalisierung zugleich, wenn die Kirchenkonstitution Lumen gentium (Licht der Völker) die »Kirche als Heilssakrament« und »Volk Gottes« beschreibt und diese weniger institutionell als instrumentell verantwortlich für die Glaubenstradierung macht. Glaubenstradierung »zum Heil der Völker« geht der Offenbarungskonstitution Dei verbum (Wort Gottes) zufolge auch nicht mehr in Form belehrender Instruktion, die man nur rational nachvollziehen braucht. Sie beschreibt vielmehr als gemeinschaftlich-affektiver Kommunikationsprozess ein aktuell-präsentisches Geschehen. Dieser Prozess bleibt auch nicht pastoral introvertiert und kulturell gebunden, sondern sucht missionarisch weltgesellschaftsweite Öffnung, wenn das Konzil die Kirche, wie im Titel des Missionsdekrets Ad gentes, zu den Völkern gesandt weiß. Hier weisen Stichworte wie »Inkulturation« und »kontextuelle Theologien« auf das neue weltkirchliche Bewusstsein eines legitimen innerkatholischen Pluralismus hin. Auf der Ebene der Mitgliedschaft betont das Konzil mit dem Begriff des »allgemeinen Priestertums«, dem durch die Taufe jedes Kirchenmitglied angehört, innerkirchlich nun generell eine Gleichverteilung der Grundoption zur Hei19
Kaufmann 1978, S. 135f.
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ligkeit. Wenn davon doch ein besonderes Priestertum unterschieden wird, wird dies neuerdings mit dessen Dienst für das Allgemeine legitimiert. Und obwohl als weitere Innovation die Laien mit dem Dekret zum Laienapostolat erstmals als eigener kirchlicher Stand mit besonderem Weltauftrag als ›moralische Sanitäter‹ anerkannt werden, wird die alte kirchliche Ständelehre durch eine Beschreibung innerkatholisch-funktionaler Differenzierung abgelöst. Alles steht im Dienst der Gemeinschaft und ist auf die Gemeinschaft bezogen. Ordensleute sind nicht mehr durch ihren status perfectionis ausgezeichnet, sondern dadurch, dass sie für die Gemeinschaft ›eschatologisches Zeichen‹ sind. Schließlich wird auf der Ebene des Klerus als der besonderen Form kirchlicher Mitgliedschaft durch die Wiedereinführung des Amtes des Ständigen Diakons, das auch für verheiratete Männer offen ist, eine gerade auf Sozialität gerichtete Spezialisierung vorgenommen. Insbesondere durch die Stellenbeschreibung des Bischofsamtes vollzieht das Konzil seine Ergänzung zum Ersten Vatikanum, was nicht zuletzt auf die besondere Interaktionserfahrung der mehrheitlich episkopalen Konzilsväter zurückzuführen ist. So wird dem Primat des Papstes nun die Kollegialität der Bischöfe komplementär an die Seite gestellt. Dies wird durch die Identifikation der Gruppe der Bischöfe mit der Gruppe der neutestamentlichen Apostel legitimiert (apostolische Sukzession). Zwei wichtige Folgen hat die Aktualisierung dieses Gemeinschaftsmoments an dieser Stelle: Einerseits wird den Ortsbischöfen in Verbindung mit den anderen Bischöfen als Kollegium weltkirchliche, d.h. über die Jurisdiktion der eigenen Diözese hinausgehende Verantwortung zugesprochen. Andererseits wird dadurch vor allem die Ortskirche im Verhältnis zur Weltkirche und ihrer römischen Zentrale gestärkt. So ist es nun z.B. die Kirche von Münster, die in bischöflicher Verbindung mit allen anderen Ortskirchen und dem Bischof von Rom als Kirche im eigentlichen Sinne zu beschreiben ist und die Ortsbischöfe haben nicht mehr nur als ›Filialleiter‹ einer Außenstelle Roms zu gelten. Schließlich optiert das Zweite Vatikanum in Fragen der Einheit/Einzigkeit im Unterschied zu seinem Vorgängerkonzil für eine Diversifizierung innerkatholischer Kommunikationsstrukturen. Anders als die vormaligen Latinisierungsbemühungen und hierarchisierenden Vereinheitlichungstendenzen, die von dem offiziell verbindlich gemachten neuscholastischen Theologiestandard gestützt wurden, sind nun neue Organisationselemente denkbar und wünschenswert. Innerkirchlich ermöglichen sie neben stratifikatorischen und funktionalen Gesichtspunkten auch segmentäre Differenzierungsformen. Gleich eine der ersten Entscheidungen des Konzils war die Einführung der Landessprache in der Liturgie. So wird das bisher obligatorische wie für viele unverständliche Latein ablöst, was den Gottesdienstbesuchern partizipativ-gemeinschaftlich einen aktiveren Mitvollzug erlaubt. Diese nun nach innen gerichtete pastoral verstandene Inkulturation findet ihre Entsprechung auf organisatorischer Leitungsebene
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durch die weltweite Verbindlichmachung nationaler Bischofskonferenzen, die in manchen Ländern bereits praktiziert wurden. Mit diesem Nationalprinzip wird innerkatholisch nun genau das zur Regel, was der transnationale Ultramontanismus unterbinden wollte. Offen geblieben ist letztlich der zeitgenössisch und u.a. vom jungen Konzilstheologen Joseph Ratzinger unterbreitete Vorschlag, auch für die lateinische Kirche die Patriarchatsstruktur (Verwaltungsbezirke) einzuführen. Damit sollte zwischen einem einheitlichen Lehramt auf der einen Seite und einer mehr an die kulturellen Unterschiede herangeführten Disziplin auf der anderen Seite stärker differenziert werden. Insgesamt kann man aber sagen, dass die Konzilsentscheidungen für ein Mehr an unterschiedlichen Organisationselementen innerkatholische Komplexitätsreduktionskapazitäten befördert. Gleichzeitig werden eine Vielfalt von Vergemeinschaftungsoptionen auf den unterschiedlichen weltkirchlichen Ebenen eröffnet. Was also beim Zweiten Vatikanum schon auf der Interaktionsebene neu ins Bewusstsein gekommen war, dass nämlich die Kirche nicht nur aus einer lateinischen Tradition besteht, sondern es daneben auch noch einen Katholizismus orientalisch-byzantinischer Tradition gibt,20 würdigt das Konzil in einem eigenen Dokument, dem Dekret über die katholischen Ostkirchen, Orientalium ecclesiarum. Über bloße Anerkennungsfloskeln hinaus wird dort auch eine besondere gesamtkirchliche Relevanz betont: »Da die Einrichtung des Patriarchats in den Ostkirchen die überlieferte Form der Kirchenregierung ist, wünscht dieses Heilige Ökumenische Konzil, daß, wo es nötig ist, neue Patriarchate gegründet werden. Ihre Errichtung ist dem Ökumenischen Konzil oder dem römischen Papst vorbehalten.« (OE 11) Neben der primatialen und der synodalen Struktur bekommt also auch die patriarchale Struktur grundsätzliche Bedeutung für die ganze Kirche zugesprochen, so Rahner, »und zwar an sich auch für den lateinischen Zweig der katholischen Kirche, gerade weil dieser konkret fast mit der Weltkirche identisch geworden ist. Kirchliche Großeinheiten mit eigener Disziplin, eigener Liturgie, eigenem theologisch-spirituellen Erbe könnten sich (Afrika, Asien, Südamerika) auch in Zukunft ›divina Providentia‹ neu herausbilden.« 21 Der zeitgenössische Kommentator des Dekrets, Johannes Hoeck, macht in diesem Zusammenhang auch auf die ökumenische Bedeutung dieser innerkatholischen Struktur aufmerksam: »Die patriarchale Struktur der Kirche prinzipiell abzulehnen hieße heute nicht nur die unierten Kirchen aufgeben, sondern es hieße auch die katholische Kirche endgültig und unwiderruflich mit der lateinischen gleichsetzen und damit auf eine Wiedervereinigung mit den orthodoxen Kirchen für immer zu verzichten.« 22 Vgl. zur Geschichte der verschiedenen byzantinischen und orientalischen unierten Kirchen Hilberath 2005, S. 6. 21 Rahner 1966, S. 232. 22 Hoeck 1966, S. 377. 20
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Auffällig ist, dass derselbe Ausdruck, ecclesia particularis, sowohl bei der Bezeichnung von Ortskirchen (Bistümer, Diözesen) im Kontext innerkatholischer segmentärer Differenzierung (dem Nebeneinander lokaler Entitäten) als auch in Bezug auf die Heterogenität der Riten gebraucht wird. Der Begriff zielt also zugleich auf Territorialität wie auf Kulturalität. Ein solch egalisierender Sprachgebrauch trägt besonders zum Abbau der historisch gesehen berechtigten ostkirchlichen Sorge vor römischen Homogenisierungs-, weil Latinisierungsbestrebungen bei. Das Dekret bestätigt ausdrücklich die gleiche Würde der diversen katholischen Teilkirchen und verabschiedet damit die traditionelle Konzeption vom Vorrang des lateinischen Ritus. Es ratifiziert eine Communio-Ekklesiologie, »welche nicht länger die römische Kirche als Mutterkirche und alle übrigen als Töchterkirchen oder Stiefgeschwister versteht. Ja, die römische Kirche kann sich nicht einmal mehr als die ältere Schwester betrachten, was ja immer die Gefahr mit sich bringt, illegitimerweise die Mutterrolle zu übernehmen.« Die Gleichheit bringe der Text dadurch zum Ausdruck, dass er von den Teilkirchen »sowohl des Ostens als auch des Westens« spricht.23 Neben der gesamtkirchlichen Etablierung der Landessprachen in den Gottesdienst des Westens durch die als erstes Konzilsdokument überhaupt verabschiedete Liturgiekonstitution Sacrosanctum concilium und der Wiedereinführung des Amtes des Ständigen Diakons in Verantwortung der Bischofskonferenzen durch die Kirchenkonstitution – beides in der orientalisch-byzantinischen Tradition lebendige Praxis – bringt das Ostkirchendekret interkatholisch in liturgischen Fragen wichtige Klärungen.24 Wesentlich ist die Auflösung des lateinischen Missionsmonopols in Artikel 3: »Alle genießen dieselben Rechte und haben dieselben Verpflichtungen, auch bezüglich der unter Oberleitung des römischen Papstes auszuübenden Verkündigung des Evangeliums an die ganze Welt (vgl. Mk 16,15).« Für die Globalisierung des Katholizismus in der ad-intra-Perspektive kann man mit dem Schweizer Theologen Johannes Feiner festhalten: Katholizität wird »nicht im Sinne einer geographische Universalität, also in einem ›quantitativen‹ Sinn gefaßt, d.h. als Ausbreitung der Kirche über alle Länder und Völker. Die Apologetik der neueren Zeit hatte vor allem diesen Aspekt der Katholizität der
Hilberath 2005, S. 31. »(1) Die ostkirchlichen Priester spenden das Sakrament der Firmung gültig, auch wenn dieses in Verbindung mit der Taufe gefeiert wird. – (2) Sie können die Firmung ›ostkirchlichen‹ Gläubigen wie ›lateinischen‹ Gläubigen spenden. – (3) Das Gleiche gilt für die lateinischen Priester, welche die Vollmacht zu Spendung haben. Neu ist, dass die Firmung auch getrennt von der Taufe gespendet werden könnte und dass die Beschränkung auf den Ritus aufgehoben wird. Bis dato war es orientalischen Priestern nicht erlaubt, lateinische Christen zu firmen. Schließlich ist zu beachten, dass die Firmung durch einen Priester eines anderen Ritus an der Rituszugehörigkeit des Empfängers nichts ändert, d.h. ein im ostkirchlichen Ritus gefirmter römisch-katholischer Christ bleibt ›lateinischer‹ Katholik.« Ebd., S. 49. 23 24
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Kirche hervorgehoben. [... Das Konzil] visiert ausschließlich die innere, ›qualitative‹ Katholizität, d.h. die Mannigfaltigkeit in der Einheit der Kirche, bzw. die Einheit in der Vielfalt, die sich sowohl aus der vielseitigen geschöpflichen Virtualität des Menschen als auch aus der Fülle der Gnadengabe Christi ergibt.« 25 Die Erkenntnis, dass es auch außerhalb der römisch-katholischen Kirche gültige Taufen gibt, dass der Inklusionsbereich des (römisch-) Katholischen sich also nicht voll auf das Christliche erstreckt (Partikularität), wird in Verbindung gebracht mit einer nicht mehr nur individualistischen Sicht auf diesen Außenbereich (»abtrünnige« Einzelpersonen). Dies führt zur Wahrnehmung außerkatholischer, dennoch christlicher Gemeinschaften und stellt das Konzil vor das Problem der Formulierung des Verhältnisses von Kirche und Kirchen, also zum Singular/Plural-Problem in der christlichen Selbstbeschreibung. 26 In der Zeit vor dem Konzil ignorierte die katholische Kirche die von Protestanten und Orthodoxen vorangetriebene ökumenische Bewegung, wobei hier sicherlich die offizielle Haltung von privaten Initiativen zu unterscheiden ist. Dennoch konnte innerchristliche Heterogenität im innerkatholischen Begriffsapparat nur schismatisch und häretisch Resonanz finden, Ökumene war nur als Rückkehrökumene unter das römische Dach denkbar. Das Konzil verdankt seinen Bewusstseinswandel hin zu einer positiveren Auseinandersetzung mit den anderen Konfessionen auch einem komplexeren Geschichtsbewusstsein. Historisch gesehen führten die unterschiedlich induzierten christlichen Ausdifferenzierungen zu diversifizierten Sozialformen: Während es in Ökumenefragen hinsichtlich der älteren Spaltung Katholizismus/Orthodoxie aus katholischer Sicht
Feiner 1967, S. 65. Für den Konzilstheologen Joseph Ratzinger ist wichtig, dass auch das Neue Testament einen Plural von Kirchen kennt: »1. [...] Dieser Plural meint im Neuen Testament (dessen geschichtliche Lage freilich auch weiterhin anders ist als die unsrige) nicht konfessionell getrennte Gemeinschaften, sondern die vielen Gottesversammlungen, die dennoch zusammen eins sind, und zwar eins nicht nur durch irgendwelches gemeinsames Wollen, sondern eins in der Konkretheit des miteinander geteilten Wortes und Leibes Jesu Christi. 2. Dieser Plural ist in der katholischen Theologie prinzipiell immer möglich geblieben. Dem ist allerdings sofort hinzuzufügen: 3. Dieser Plural ist faktisch in der katholischen Kirche immer weiter zurückgetreten gegenüber einem zentralistischen System, in welchem die Ortskirche von Rom gleichsam alle andern Ortskirchen in sich hineingezogen und so den Einheitsaspekt verkürzt und uniformiert hat. In dieser dritten Tatsache, die das Konzil deutlich zu sehen sich müht, liegen einerseits wesentliche Ansatzpunkte der Kirchentrennungen, andererseits aber auch die positiven Ansatzpunkte für die katholische Kirche jetzt im Hinblick auf die ökumenische Bewegung, die als solche aus einer Situation hervorgewachsen ist, welche im Neuen Testament unbekannt war und daher dort auch keine unmittelbare Antwort findet. Die Tatsache nämlich, daß der Plural ›die Kirchen‹, den es legitim in der Kirche geben sollte, dort immer mehr zurücktrat, war ja der Grund dafür, daß dieser Plural, dem man in der Kirche keinen genügenden Raum gewährte, sich nun außerhalb ihrer, in der Verselbständigung der einzelnen Kirchen entfaltet hat. Wenn das Konzil solches erkennt, bedeutet dies die Einsicht, daß Uniformität und Einheit nicht identisch sind, daß vor allen Dingen in der Einheit der katholischen Kirche wieder die Vielheit der Kirchen zum Leben erweckt werden muß.« Ratzinger 1964, S. 64f. 25 26
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keine Probleme mit dem Kirchenbegriff gibt, stellt sich damals wie heute das Problem in Bezug auf den späteren Protestantismus anders dar. Der reformatorische Bruch mit Rom sei Ratzinger zufolge »hingegen anderer Art. Er stellte das bisherige Kirchenverständnis grundsätzlich in Frage und schuf eine neue Gemeinschaftsform: das Bekenntnis. Es dominiert nun das Wort gegenüber dem Sakrament und der Hierarchie.« 27 Dass angesichts unüberbrückbar erscheinender dogmatischer Divergenzen beim Zweiten Vatikanum dennoch konstruktive Ergebnisse für die Ökumene möglich waren, ist sicherlich vor allem dem Stellenwert der Interaktionsebene zuzurechnen. Schon die Konzilsankündigung durch Papst Johannes XXIII. provozierte ja hohe ökumenische Erwartungen in Bezug auf ein mögliches »Unionskonzil«. 28 Besonders aber prägte die päpstliche Einladung nichtkatholischer Gäste als Beobachter in der Konzilsaula den dortigen Interaktionsstil. So war in den Debatten nun nicht mehr bloß über die anderen zu reden, vielmehr waren die anwesenden Repräsentanten selbst zu adressieren, jegliche Polemik wäre unter diesen Umständen schlicht taktlos gewesen. Der Beitrag Papst Pauls VI. bestand nicht nur in seiner freundschaftlich-herzlichen Begegnung, unter anderem mit dem ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Athenagoras I., in Jerusalem und der darauf folgenden gegenseitigen Aufhebung der alten Exkommunikationen in Bezug auf die orthodoxe Seite. Auch die anerkennende Erwähnung anglikanischer Märtyrer bei einer katholischen Kanonisationsfeier hinsichtlich der protestantischen Seite ist bedeutungsvoll.29 Der Wandel des katholischen Habitus vom Triumphalismus gegenreformatorischer Apologetik hin zu einem demutsvollen Auftreten kommt direkt bei seiner ersten Ansprache am 29.9.1963 zum Ausdruck, mit der Paul VI. als Nachfolger des kurz zuvor verstorbenen Johannes XXIII. die zweite Konzilsperiode eröffnet: »Wenn uns eine Schuld an dieser Trennung zuzuschreiben ist, so bitten wir demütig Gott um Verzeihung und bitten auch die Brüder um Vergebung, wenn sie sich von uns verletzt fühlen. Was uns betrifft, sind wir bereit, der Kirche zugefügtes Unrecht zu verzeihen und den großen Schmerz ob der langen Zwietracht und Trennung zu vergessen. Möge der himmlische Vater diese Unsere Erklärung gnädig annehmen und zwischen uns allen den wahren brüderlichen Frieden wiederherstellen.« 30 Als eine der folgenreichsten strukturellen Entscheidungen auf der Organisationsebene des Konzils selbst gilt aber die Einrichtung des von dem Ebd., S. 69. Solche regelmäßig von römischen Stellen wiederholte Feststellungen werden durchaus als Provokation empfunden, vgl. dazu auch den Beitrag von Jürgen Kaube in der F.A.Z. vom 12.06.2007, S. 35. 28 Beispielweise traf Hans Küng 1960 mit seiner thematischen Verknüpfung von Reform mit Ökumene schon im Vorfeld des Konzils auf starke öffentliche Resonanz. Vgl. zum ökumenischen Erwartungshorizont auch Hilberath 2005, S. 73ff. 29 Feiner 1967, S. 67. 30 Zitiert nach Hünermann/Hilberath 2006, S. 510. 27
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deutschen Jesuiten Kardinal Bea geleiteten Sekretariats für die Einheit der Christen durch Johannes XXIII. Zunächst nur mit der Kontaktpflege und Betreuung der protestantischen Konzilsbeobachter betraut, wird sein Aufgabenbereich im Laufe der Vorbereitungen und des Konzils immens ausgeweitet.31 Die größten Innovationen wurden von dieser Stelle in die Aula gebracht. Eine wichtige Voraussetzung für das Ökumene-Dekret ist das neu entwickelte konziliare Kirchenverständnis als instrumentelle Sicht auf die Institution Kirche als Heilsmittel (auxilium salutatis). Mit dem schon von der Kirchenkonstitution bekannten Begriff »Kirche als Heilssakrament« ist die theologische Formel gefunden, die den innerchristlichen Vergleichpunkt ausmachen kann. 32 Schließlich wendet sich das Dekret über den Ökumenismus, Unitatis redintegratio, gleichermaßen an die Orthodoxie wie den Protestantismus: Es betont anerkennend in Richtung der einen den Reichtum ihrer liturgischen, geistlichen und rechtlichen Erbstücke der ersten tausend Jahre gemeinsamer Tradition sowie in die andere Richtung die dort realisierte Christozentrik und praktizierte zentrale Stellung der Heiligen Schrift. Gemeinsames wie Trennendes wird nun wertungsfrei dargestellt. Zudem werden für die Beschreibung des eigenen Bezugs gegenüber beiden Varianten nichtkatholischen Christentums semantische Differenzierungen als Spezifizierungen der Lehre der Kirchenkonstitution vorgenommen. Zunächst wird gewissermaßen egalisierend von Spaltungen der Kirche (scissiones) und nicht etwa von Abspaltungen gesprochen. Zur Bezeichnung der nichtkatholischen Konfessionen nimmt das Konzil die Anregung des Wiener Kardinals König auf und ersetzt den bisherigen negierenden Sprachgebrauch (Schismatiker/Häretiker) vollständig und positiv durch »andere Kirchen und kirchliche Gemeinschaften«. Als Kriterium der Kirchlichkeit gelten dabei einerseits die auf zeitliche Kontinuität abstellende apostolische Sukzession und andererseits eine umfangreiche sakramentale Praxis. Bezüglich der überkommenen Vorstellung von der Heilsnotwendigkeit der Kirche »extra ecclesiam nulla salus« 33 gelingt Vgl. zur Rivalität mit der Theologischen Kommission des Konzils unter Leitung von Kardinal Ottaviani z.B. Komonchak 1997, S. 308ff. 32 Inwiefern kommt das Institutionell-Ursprüngliche, von dem die katholische Kirche ausgeht, dass sie es authentisch tradiere (subsitit), in den verschiedenen christlichen Organisationsformen zum Tragen? Dazu der Ökumeniker Johannes Feiner in seinem Kommentar: »Die katholische Kirche wird hier also als Institution gesehen und beurteilt, wie auch die anderen Kirchen nur nach ihrem institutionellen Aspekt beurteilt werden [...] Der Text sagt weder, daß alle Katholiken sich der in ihrer Kirche gegebenen Heilsmittel bedienen, noch, daß diesen in allen Katholiken die Heilsgnade entspreche. [...] Das Dekret vergleicht die katholische Kirche mit den nichtkatholischen Kirchen und Gemeinschaften unter dem institutionellen Aspekt und hebt die Bedeutung der institutionellen ekklesialen Elemente für die Einheit der Kirche und den Aufbau des (sichtbaren) Leibes Christi hervor«. Feiner 1967, S. 57. 33 Das stereotype Axiom geht zurück auf Origenes, Cyprian, Hieronymus, Augustinus etc. und dokumentiert die schroffe Exklusivität der frühen Kirche in heidnischer Umwelt. Diese rigoristische Polarität, die dann auf Juden, Häretiker, Schismatiker ausgeweitet wurde, wird erst ab dem 19. Jahrhundert schrittweise zurückgenommen, vgl. Kern 2006, S. 1347. 31
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es, den schmalen Grat zwischen einstmaligem Rigorismus einerseits und der relativistischen Gefährdung durch den Indifferentismus andererseits darin zu finden, dass nunmehr von einer Hierarchie der Wahrheiten ausgegangen werden kann und einzelne Heilselemente auch im nichtkatholischen Bereich identifizierbar werden. Im Unterschied zum herkömmlichen juristischen Begriff der societas eröffnet die neue kirchliche Selbstbeschreibung von Lumen gentium als communio – also Gemeinschaft statt Gesellschaft – neue Perspektiven. Ausgangspunkt der neuen Argumentationslinie ist: a) die Feststellung, dass die in nichtkatholischen Glaubensgemeinschaften aktuell Lebenden nicht für die Trennungen verantwortlich sind; b) diese stehen in einer zwar nicht vollkommenen, aber in einer gewissen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche; c) in ihren eigenen Gemeinschaften finden sich Elemente des kirchlichen Lebens – mit dem Elemente-Begriff wird an die Toronto-Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen von 1950 angeschlossen – und schließlich d) nur in der katholischen Kirche kann man die Fülle der Heilsmittel erlangen (subsistit). Mit diesem Lernprozess ist der entscheidende Perspektivwechsel verbunden, dass im Zentrum der Ökumene nicht die (katholische) Kirche selbst steht, sondern dass es Christus ist, an dem sich alle Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften auszurichten haben. Die von der katholischen Kirche getrennten Christen sind – das ist nun katholische Lehre – also nicht von Christus getrennt.34 Als Folge dieser Selbstdezentralisierung braucht es katholischerseits kein separates Programm einer Rückkehrökumene mehr. Stattdessen folgt die Selbstinklusion zur ökumenischen Bewegung im Singular. Von der Verwirklichung der Einheit der Christen als das Fernziel aller Bemühungen können nun realistischere Nahziele ausdifferenziert werden. Diese Bereiche betreffen jeden der ekklesiologischen Grundvollzüge diakonia, liturgia und martyrium. Keine Einschränkungen bestehen mehr, so das Konzil, in der diakonischen Dimension, vielmehr gibt es hier die Option größtmöglicher Zusammenarbeit auf allen Ebenen, von der Caritas vor Ort bis hin zur globalen Entwicklungszusammenarbeit. In Bezug auf die Dimension der liturgia ist festzuhalten, dass das häufige ökumenische Gebet und der gemeinsame Wortgottesdienst allgemein gewünscht wird. Speziell mit der Orthodoxie sei auch schon eine communio in sacris wenigstens prinzipiell möglich, während das »gemeinsame Abendmahl« mit der protestantischen Seite bis heute ausgeschlossen bleibt. Schließlich geht es auf der Ebene des Glaubenszeugnisses (martyrium) zur Verständigung über Gemeinsames und Trennendes zunächst um die Theologie als Reflexionstheorie: Ökumene soll Querschnittsthema aller theologischen Disziplinen sein. »Das heißt, eine in konfessioneller Binnen- perspektive betriebene Theologie kann keine
34
Vgl. Hilberath 2005, S. 119.
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genauere Erkenntnis der Wahrheit erlangen!« 35 Hierbei ist die biblisch-patristische Sprache, weil allen gemein, der bevorzugte Kommunikationsmodus. 36 Zusammenfassend ist hinsichtlich der innerchristlichen Diversität der Kirchen festzustellen, dass die katholischerseits herkömmlich gepflegte Fundamentaldichotomie von eigener Rechtgläubigkeit kontra Häresie in der Umwelt mit dem Konzil sowohl durch Abstraktionsleistung (sichtbare/unsichtbare Kirche) als auch durch Ausdifferenzierung von Heilselementen, deren Quantifizierbarkeit graduelle Anerkennungsverhältnisse (näher/ferner) ermöglicht, entschärft wird. ›Die anderen‹ kommen so nicht mehr nur individuell, sondern auch in ihren sozialen Zusammenhängen (Kirchen und kirchliche Gemeinschaften) in den Blick, das Konzept der Rückkehrökumene wird hinfällig. Grundlegend ist dabei ein neues Bewusstsein von der Instrumentalität des Institutionellen (Kirche als Heilssakrament), so dass die ehemals ›egozentrische‹ Perspektive relativiert wird und sich der Vergleichspunkt von der (römisch-)katholischen Kirche hin zu einem gemeinsamen Zentrum (Christus) verschiebt. Kooperation und Wettbewerb sind nun kommunikativ geregelt, der neue Modus ist, über den Dialog hinausgehend, vergemeinschaftende Praxis.
Ebd., S. 145. Bezüglich der organisatorischen Seite sind an dieser Stelle katholischerseits zwei jüngere lehramtliche Initiativen zumindest zu erwähnen: Erstens die mit seiner Enzyklika Ut unum sint vom 25.5.95 verbundene Einladung von Papst Johannes Paul II., der sich dort ausdrücklich als im Dienst des Bischofs von Rom an der Einheit der Christen sieht, eine Primatsausübung zu finden, die auf nichts Wesentliches ihrer Sendung verzichte, sich aber dennoch der neuen Situation öffne. Vgl. Johannes Paul II. 1995, Nr. 95f. In Nr. 24 führt er aus: »In diesem Zusammenhang möchte ich jene besondere Erfahrung in Erinnerung rufen, die die Pilgerschaft des Papstes zwischen den Kirchen in den verschiedenen Erdteilen und Ländern der heutigen oikumene darstellt. Ich bin mir bewußt, daß das II. Vatikanische Konzil den Papst auf diese besondere Aufgabe seines apostolischen Amtes hinorientiert hat. Das Konzil hat diese Pilgerschaft des Papstes in der Erfüllung der Rolle des Bischofs von Rom im Dienst der Gemeinschaft zu einer klaren Notwendigkeit gemacht. Meine Pastoralbesuche haben fast immer eine ökumenische Begegnung und das gemeinsame Gebet von Brüdern und Schwestern eingeschlossen, die nach der Einheit in Christus und seiner Kirche suchen.« Und andererseits die Erklärung Dominus Iesus vom 6.8.2000 der Glaubenskongregation, welche im Gegensatz dazu besonders die innerchristlichen Unterschiede in Erinnerung ruft: Es geht um den Unterschied zwischen der Kirche Jesus Christi, die in Fülle in der katholischen Kirche subsistiere und den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, welche bloß eine Vielfalt von Elementen der Heiligung und Wahrheit realisierten. Dabei hängen Einzelelemente von der Fülle ab. Einheit der Kirchen gibt es dadurch, dass Teilkirchen durch apostolische Sukzession und gültige Eucharistie gemeinsam und mit Christus verbunden sind. Die fehlende Einheit sei die bleibende Wunde, die die Kirche daran hindere, ihre Universalität in der Geschichte voll zu verwirklichen. Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre 2000, Nr. 16f. Solche Kultivierung von Differenzen ist ihrer öffentlich wie theologisch kritischen Resonanz gewiss – siehe z.B. Rainer 2001. 35 36
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Abbildung 20: Begegnung Pauls VI. mit dem Patriarch von Konstantinopel, Athenagoras I., im Hl. Land
10.3 Alterität der Religionen Weber zufolge ist Vergemeinschaftung dann gegeben, wenn die Beziehungsgefüge auf subjektiv gefühlter, affektueller oder traditionaler Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruhen – wie es mehr oder weniger in der innerchristlichen (Konflikt-)Geschichte der Fall ist. Umgekehrt liegt Vergesellschaftung vor, wenn die Einstellungen des sozialen Handelns auf wert- und zweckrationalem Interessenausgleich gründen. Folglich eröffnen sich für den Katholizismus beim Konzil über das Christliche hinaus auch im allgemein Religiösen neue Anschlüsse in Form einer neuen Verweltgesellschaftung.37 So konnte gezeigt werden, dass das Konzil mit seiner Pastoralkonstitution einen neuen Umweltbezug gewinnt, indem es auch der funktionalen Primärdifferenzierung der Gesellschaft Rechnung trägt. Aufgrund ihres »Geschaffenseins« durch den Schöpfer hätten »alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre Wahrheit, ihre eigene Gutheit und ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methoden achten muß.« (GS 36) Katholische Gesellschaftsreferenz soll also von rationaler Einsicht in die Eigengesetzlichkeiten verschiedener Teilbereiche geleitet sein, wenn es wie in den ad extra gerichteten Konzilstexten und den sie vorbereiten37
Vgl. zu »Vergemeinschaftung« und »Vergesellschaftung« Weber 1972, S. 21.
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den oder ausführenden Sozialenzykliken um den »Dialog mit der Welt« und um die »Menschheitsfamilie« geht. Zusätzlich wird die Gesellschaft immer auch als Weltgesellschaft aufgefasst. Für das Konzil, das sich selbst und den Katholizismus in seiner Polykontexturalität wahrnimmt, ist beispielsweise politische Umwelt Weltpolitik. Dem ausdrücklichen Privilegienverzicht38 im Kleinen entspricht die Forderung nach einer Weltautorität im Großen. So führt eine der drei Pastoralreisen Pauls VI. noch während des Konzils nach New York zu den Vereinten Nationen, und die Kirche setzt Gaudium et spes 76 zufolge ihre Hoffnungen nicht auf Privilegien, die ihr von der staatlichen Autorität angeboten würden. Vielmehr werde sie sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten, wenn feststehe, dass durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt sei. Damit ist für den nachkonziliaren Katholizismus im Politischen der Weg eröffnet, Abstand von der Staatsanalogie zu gewinnen. Stattdessen kann er zunehmend in Form der Verantwortung übernehmenden Nichtregierungsorganisation zwischen den Protestbewegungen an der politischen Peripherie und den legitimitätsbedürftigen Machtzentren intermediär vermitteln, ohne selbst Regierung oder Opposition sein zu wollen.39 Wenn dann auch Wirtschaft als Weltwirtschaft wahrgenommen und auf vielfältige Verflechtungen hingewiesen wird, geht es dem Konzil vornehmlich um die Globalisierung der Sozialen Frage und um einen entwicklungspolitischen Ausbau der klassischen katholischen Soziallehre. So prägte vor allem Paul VI. in seiner Sozialenzyklika Populorum progressio, die kurz nach Konzilsende erschien, den Slogan »Entwicklung ist der neue Name für Frieden«. Hierin haben skeptische Zeitgenossen bereits eine Säkularisierung der Missionsidee gesehen, gewissermaßen als Kompensierung eines Einflussverlustes an anderer Stelle. Und in der Tat kann man mit Kaufmann feststellen, dass die Kirche angesichts des entstehenden globalen Bewusstseins ihre Partikularität erfahren hat »und zwar im doppelten Sinne einer Partikularität des Religiösen mit Bezug auf die Zukunftsperspektiven der Menschheit und einer Partikularität des Christlichen bzw. Katholischen in Bezug auf das Religiöse.« 40
»Sehr wichtig ist besonders in einer pluralistischen Gesellschaft, daß man das Verhältnis zwischen der politischen Gemeinschaft und der Kirche richtig sieht, so daß zwischen dem, was die Christen als Einzelne oder im Verbund im eigenen Namen als Staatsbürger, die vom christlichen Gewissen geleitet werden, und dem, was sie im Namen der Kirche zusammen mit ihren Hirten tun, klar unterschieden wird. Die Kirche, die in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden darf noch auch an irgendein politisches System gebunden ist, ist zugleich Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person. Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind je auf ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom.« (GS 76) 39 Nicht von ungefähr wurde die »dritte Demokratisierungswelle« im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts stark von religiös-kirchlichen Gruppen beeinflusst. Vgl. Huntington 1991, Casanova 2006, Gabriel 2007a. 40 Kaufmann 1998, S. 30. 38
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Wenn der Katholizismus sich um einen rationalisiert-sachlichen Gesellschaftsbezug bemüht, ist die Frage, worauf er sich bezieht, wenn er unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung gemeinhin primär dem religiösen Teilbereich der Gesellschaft zugeordnet wird.41 Luhmann definiert im religionsbezogenen Teil seiner Gesellschaftstheorie Sinn als das allgemeinste Medium für Formbildung überhaupt, Sinn sei die Einheit der Differenz von Wirklichkeit und Möglichkeit. 42 Diese zu thematisieren sei die Leistung der Religion für die Gesellschaft: »Es sind mithin auch keine Defekte, Sorgen, Unsicherheiten, die mit Religion kompensiert werden, sondern eine notwendige Bedingung jeder Festlegung – sei es im Erleben oder Handeln, sei es durch psychische oder durch soziale Systeme – auf etwas-und-nichts-anderes. [...] Außerdem ergibt sich – mehr beiläufig, aber ausbaufähig –, daß Religion als letzten Abschlussgedanken nur ein Paradox anbieten kann und als darauf bezogene Operationsweise nur das, was man gemeinhin ›Glauben‹ nennt.« 43 Mithilfe der Leitdifferenz vom Immanenz und Transzendenz können im Religionssystem religiöse Operationen von anderen Operationen unterschieden werden. Im Unterschied zu Kaufmann, der den Religionsbegriff vor allem als ein problemanzeigendes Wort gebraucht und dabei von einer Diversität von Leistungen und Funktionen der Religion aus-
Die Funktion eines Funktionssystems liegt nicht im Funktionssystem selbst, sondern im umfassenden System der Gesellschaft: »Das heißt dann auch, daß die jeweilige Funktion zugleich das Schema ist, über das sich (wenn es zu funktionaler Differenzierung kommt) das Teilsystem auf das Gesamtsystem bezieht und seine Mitwirkung an Gesellschaft realisiert. Mit der Systemreferenz Gesellschaft und mit der dadurch gegeben Unterscheidbarkeit ist ferner gesagt, daß Religion unter modernen Bedingungen dem Doppelkriterium der Universalität und der Spezifität zu genügen hat. Universalität – das heißt, daß religiöse Probleme in jeder Kommunikation auftreten können, auch aus Anlaß von spezifisch organisatorischen Operationen oder solchen, die dem Funktionssystem der Wirtschaft, der Wissenschaft, des Rechts, der Politik usw. zugeordnet sind; so wie umgekehrt Religion natürlich Geld kostet, sich ans Recht halten muß, politisch unangenehm werden kann usw. Die operative Schließung funktionssystemspezifischer oder organisationspezifischer Art schließt nicht aus, daß jedes System eine gesamtgesellschaftliche Universalkompetenz für die eigene Funktion wahrnimmt.« Luhmann 2000b, S. 142. 42 Vgl. ebd., S. 20. »Sinnformen werden als religiös erlebt, wenn ihr Sinn zurückverweist auf die Einheit der Differenz von beobachtbar und unbeobachtbar und dafür eine Form findet. Religion hat nichts mit ›Sinnkrise‹ zu tun [...] Religion versteht Sinn auch nicht als ›Bedürfnis‹, das zu befriedigen wäre.« Ebd., S. 35. 43 Ebd., S. 36. 41
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geht,44 legt Luhmann Wert auf die Einheit des Systems. Gäbe es verschiedene religiöse Funktionen, die nicht auf eine Grundfunktion zurückführbar wären, könnte man nur schwer erkennen, was Religion eigentlich ausmache. Innerhalb des einen Religionssystems blieben trotz dieser Einheit divergierende Religionen durchaus zu identifizieren, deren Differenzierung eher dem Prinzip der Segmentierung folge. In der modernen, säkularisiert zu beschreibenden Gesellschaft sei somit Religion durchaus vorhanden »und vielleicht sogar mit einer Intensität und mit Ansprüchen, die sich in älteren Gesellschaftsformationen nicht oder nur gekoppelt an Askese, an ›Austritt‹ aus der Gesellschaft finden«. Aber weil ihr dort nicht mehr die Rolle der notwendigen Vermittlungsinstanz zukomme, welche die Beziehung aller gesellschaftlichen Aktivitäten zu einem Gesamtsinn herstelle, sei die alte Vorstellung, Religion diene der gesellschaftlichen Integration, hinfällig: »Die These Durkheims, Religion habe eine solidaritätsstiftende, moralisch integrierende Funktion wird heute kaum mehr vertreten. Religion gehört, ganz im Gegenteil, zu den erstrangigen Konfliktquellen, und dies nicht nur in der modernen Gesellschaft.« 45 Angesichts funktionaler Differenzierung nun von einem Funktionsverlust der Religion zu sprechen, wie es unter Säkularisierungsvorzeichen häufig geschehe, erscheint Luhmann – wie oben beschrieben – zu ungenau. Vielmehr müsse mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass unter der Bedingung eines Rückzugs aus vielen anderen Funktionsbereichen und eines Verzichts auf Sozialkontrolle sowie der Legitimierung politischer Macht die »Chancen für Religion« sogar steigen.46 Religion sei auch unter modernen Bedingungen deutlich von anderen Funktionssystemen zu unterscheiden, weil sie sich letztlich an ihrem Kaufmann setzt in Bezug auf Religion nicht auf einen Rekurs auf einen allgemeinen oder substanziellen Religionsbegriff, für ihn fungiert ›Religion‹ vielmehr als problemanzeigendes Wort und bildet einen analytischen Rahmen zur Untersuchung diverser Leistungen und Funktionen von Religion, »nämlich (1) Identitätsstiftung, (2) Handlungsführung, (3) Kontingenzbewältigung, (4) Sozialintegration, (5) Kosmisierung, (6) Weltdistanzierung.« Kaufmann 1989, S. 85. »Heute gibt es offenkundig keine Instanz und keinen zentralen Ideenkomplex, die im Stande wären, all diese sechs Funktionen zugleich zu erfüllen; in diesem Sinne gibt es ›Religion‹ nicht mehr. Wir müssen von der Annahme ausgehen, daß entsprechend der allgemeinen Funktionsdifferenzierung die auf die genannten Probleme gerichteten Leistungen heute von verschiedenen Instanzen erbracht werden«. Ebd., S. 86. »Religion als gesamtgesellschaftliches Phänomen, also als Kommunikation über Antworten hinsichtlich der oben unterschiedenen zentralen Fragen oder Probleme zeigt in einer pluralistischen Gesellschaft notwendigerweise einen diffusen Charakter.« Ebd. S. 87. 45 Luhmann 2000b, S. 120f. Diesem Konfliktpotenzial begegnen als Weltereignisse die katholisch initiierten Weltfriedensgebete der Religionen in Assisi, vgl. dazu sowie zu der damit einhergehenden Synkretismusdebatte Riedl 1998. 46 Vgl. Luhmann 2000b, S. 145: »Vielmehr ändert der strukturelle Umbau der Gesellschaft in Richtung funktionale Differenzierung auch die Semantik, mit der die Gesellschaft Funktionen und anderes beschreibt. Also vermutlich auch den Sinn von ›Religion‹. Das erschwert zeitdistante Vergleiche und zwingt sie zu einem Rückzug auf die abstrakte Terminologie einer Beobachtung zweiter Ordnung.« 44
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eigenen Code, den kein anderes Funktionssystem benutzt, orientiert. Das zwinge zu der Einsicht, dass es in der modernen Weltgesellschaft ein weltweit operierendes Funktionssystem für Religion gebe, welches sich durch Unterscheidung von anderen Funktionssystemen als Religion bestimme. Das religionsbezogene Singular/Plural-Problem führt Luhmann in Analogie zum politischen System mit einer Vielzahl von Staaten und zum Wirtschaftssystem mit einer Vielzahl von Märkten zu einer gleichzeitigen Rede von »der Religion der Gesellschaft« und »der Weltgesellschaft und ihrer Religionen« 47: »Auch das System der Religion findet sich segmentär differenziert in eine Vielzahl von Religionen, die der Notwendigkeit Rechnung tragen, daß Glaubensangebote spezifiziert werden müssen und daß dies zwangsläufig zur Diversifikation führt. Dabei kann auf unterschiedliche Traditionen Rücksicht genommen werden, vornehmlich in den Hochreligionen, die voraussetzen können, daß schon bekannt ist, um was es sich handelt, wenn von Religion die Rede ist. Aber auch Neubildungen sind denkbar, die auf unterschiedliche soziale Situationen reagieren und auf unterschiedliche Gründe für Widerstand gegen das, was die moderne Gesellschaft an Formen der Lebensführung nahelegt.« 48 Das Zweite Vatikanum hatte vor diesem Hintergrund den Katholizismus religionsbezogen also auf zweierlei einzustellen: Einerseits geht gesellschaftliche Integration unter den Bedingungen einer funktional differenzierten Weltgesellschaft nicht mehr im Rückgriff auf das mittelalterliche Modell einer Christianitas, was bisher sowieso nur zu sondergesellschaftlichen Lösungen geführt hat. Andererseits ist auch die Religion als gesellschaftlicher Teilbereich nicht vollständig katholisch zu organisieren. Das Konzil reagiert auf diese Herausforderungen entsprechend seiner allgemein-theologischen Wende zur Anthropologie auch hier mit einem anthropologischem Religionsbegriff:49 »Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je die Herzen der Menschen tief bewegen: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde?« (NA 1) Vgl. Luhmann 1995a. Luhmann 2000b, S. 272. Vgl. auch ebd., S. 273: »Von der katholischen Kirche zum Voodoo-Kult, vom Inkarnationsglauben der Spiritisten bis zum Zen-Buddhismus: es ist immer noch Religion; und dies nicht wegen eines heiligen Zentralmysteriums oder weil die Glaubensartikel ineinander übersetzbar sind, sondern deshalb, weil sich alle religiösen Formen in der Gesellschaft als Religion von anders gerichteten Funktionssystemen, aber auch von der religionsfreien Alltagskommunikation unterscheiden; und zwar: selbst unterscheiden, gleichgültig ob die Umwelt diese Unterscheidung mitvollzieht oder nicht. Das konstitutive Prinzip ist nicht Einheit, sondern Differenz. Im Gesamtkontext weltgesellschaftlicher Religiosität scheint die Varietät und damit auch die Evolutionschance heute weit größer zu sein, als es im 19. Jahrhundert absehbar war. [...] Oberflächlich gesehen scheint diese hohe Diversität, Zerstreuung und Variabilität der Erscheinungen gegen die Annahme eines ›Systems‹ zu sprechen. Aber das täuscht.« 49 Vgl. für eine postkonziliar-anthropologisch interessierte Dogmatik die Studie Overbeck 2000. 47 48
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Ohne auch nur ansatzweise die verwickelte Entstehungsgeschichte von Nostra aetate hier entwickeln zu können, bleiben zwei Aspekte doch erwähnenswert: Zum einen ist es die Einzelinitiative des französischen Historikers Jules Isaac, bei einer Audienz während der Konzilsvorbereitungen Papst Johannes XXIII. ein Dossier mit aus jüdischer Sicht wichtigen Reformthemen zu unterbreiten. Der Papst erteilt im Folgenden »seinem« Kardinal Bea mündlich den Auftrag, mit dem Einheitssekretariat einen Text über das Verhältnis zu den Juden zu präparieren. 50 Zum anderen ist die sogenannte »Wardi-Affaire« deswegen aufschlussreich, weil sogar der jüdische Weltbund sich von der Einladung, nichtkatholische Beobachter zum Konzil zu entsenden, angesprochen fühlte. Er ernannte ohne Rücksprache mit dem Vatikan den israelischen Regierungsbeamten Dr. Chaim Wardi zum inoffiziellen Beobachter und Vertreter, was von arabischen Gegnern einer Annäherung zwischen Judentum und katholischer Kirche als Komplott gewertet wurde. Zudem brachte es Rom nach außen in diplomatische Not und erschwerte nach innen die organisatorische Rahmung einer von großen
Über das Verhältnis des Papstes zum Judentum wird auch berichtet: »Der erste Schritt wurde von Johannes XXIII. anläßlich seiner Papstwahl vollzogen. Sie wurde der Regierung des Staates Isreal mitgeteilt, obgleich der Hl. Stuhl diese Regierung nicht anerkannte und mit ihr keinerlei diplomatische Beziehungen unterhielt. Als Antwort telegraphierte Doktor Isaac Halevy Herzog, der Großrabbiner von Israel, ›aufrichtige Segenswünsche‹. Ein weiterer kleinerer Schritt erfolgte anläßlich der Karwoche des Jahres 1959. Bis zu diesem Zeitpunkt sangen in der Liturgie des Karfreitags die Katholiken während der ›Großen Fürbitten‹ folgende Passagen:›Wir beten auch für die treulosen Juden...‹; und weiter: ›Allmächtiger ewiger Gott, der Du in Deiner Barmherzigkeit nicht einmal die jüdische Treulosigkeit ablehnst...‹ Diese Ausdrücke mußten in jüdischen Ohren feindselig und auch das Gewissen feinfühligerer Christen verletzen. Johannes XXIII. ordnete ihre Streichung an. [...] Zwei weitere Handlungen Johannes’ XXIII. sind von den Juden sehr geschätzt worden. Die eine ereignete sich am 17. Oktober 1960: Beim Empfang von 130 Vertretern des United Jewisch Appeal betrat der Papst in seiner charakteristischen Leutseligkeit den Audienzsaal, öffnete die Arme und rief: ›Ich bin es, Josef, euer Bruder.‹ Die Äußerung, die genau an den Augenblick erinnert, da Josef sich seinen Brüdern in Ägypten offenbarte (Gen 45,3), rief tiefe Bewegung hervor. Zu der anderen, für die Juden vielleicht wichtigeren Handlung kam es am 17. März 1962. Johannes XXIII. fuhr im Auto auf der Uferstraße des Tiber und befand sich vor der Synagoge von Rom. Der Papst ließ das Verdeck des Wagens öffnen und segnete eine Gruppe von Juden, die gerade aus dem Gotteshaus herauskam. Rabbi Toaff, Augenzeuge dieses Ereignisses, erinnert sich, daß ›nach einem Augenblick verständlicher Verwirrung die Juden ihn umringten und ihm begeistert applaudierten. In der Tat war es das erste Mal in der Geschichte, daß ein Papst die Juden segnete, und dies war vielleicht die erste echte Geste der Versöhnung.‹« Boezzo 1997, S. 444f. Die neuerdings wieder eingeräumte Möglichkeit, die Messe nach dem kurz vor dem Zweiten Vatikanum neu herausgebrachten (tridentinischen) Messbuch zu feiern, hat in der Frage der Karfreitagsbitte erneut zu Irritationen geführt, vgl. dazu auch die Berichterstattung in der F.A.Z. vom 22.08.2007, S. 32. 50
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Teilen doch gewünschten thematischen Auseinandersetzung. 51 Zunächst aus politischen Gründen zurückgehalten, dann aber als ein Teil des Ökumenismusdekret doch dem Konzil vorgelegt, befand u.a. Patriarch Maximos es als in dieser »Familienangelegenheit« unpassend platziert und forderte eine Erweiterung dieses Textes in Richtung Muslime. Schlussendlich wurde die Erklärung zum Judentum dann das »Herzstück« der Erklärung zu den nichtchristlichen Religionen, die als kürzester Text des Konzils angenommen wurde. Für die Konzilsgeschichte bringt dieser Vorgang eine erste explizite und positive Beschäftigung der Kirche mit der Pluralität der Religionen, denn bis zur Antrittsenzyklika Ecclesiam suam von Paul VI., die während dieser Auseinandersetzung erschien, gab es überhaupt keine Theologie der Religionen: »Das traditionell apologetische Modell in der Wahrnehmung der anderen Religionen, das stark von Fragen der Inkulturation und Assimilation im Kontext der Christianisierung geprägt war, weicht einem dialogisch-verstehenden Modell anerkannter und ermöglichter Freiheit anderer.« 52 So handelt das Konzilsdokument Nostra aetate von der Haltung der Kirche (ecclesiae habitudine) im Sinne einer idealtypischen Wesensbeschreibung; seine primären Adressaten sind die eigenen Mitglieder, also Katholiken. Darüber hinaus hat es jedoch die Funktion einer Dialogeröffnung, indem es über die Kirche als »bleibendes Subjekt des Dialogs« spricht. Schon die Kennzeichnung des Gegenstands im Titel der Erklärung »nichtchristliche Religionen« zeigt eine Entscheidung für einen bestimmten semantischen Zusammenhang: Der Rückgriff auf traditionelles Begriffsgut wie Heiden/Ungläubige wird vermieden. Stattdessen geht es um Religionen im Plural, also um soziale, geschichtliche und kulturelle Größen, und der Religionsbegriff wird mehr phänomenologisch als philosophisch bestimmt, am ehesten noch anthropologisch. Das Dokument meidet insgesamt die religionswissenschaftliche Begriffsdebatte, schließt aber das Christentum in den Religionsbegriff mit ein. Auch in diesem Zusammenhang geht das Konzil von einem Zusammenwachsen der Menschheit (Weltgesellschaft) aus, welches eine tiefere Sicht ihrer Gemeinsamkeiten erfordert. Die Einheit aller Menschen, die grundlegender sei als die Verschiedenheiten der Rassen und Religionen, wird emphatisch betont und in Bezug zur Kirche gebracht: »Die katholische Kirche verwirft nichts von dem, was in diesen Religionen wahr und Vgl. dazu Oesterreicher 1967, S. 406f.: Für das ursprüngliche »Judenschema« wirkte die unerwartet große politische Resonanz in der islamischen Welt (Massenmedien, Protestdemonstrationen), die innerkonziliar als bedrohliche Unruhe wahrgenommen wurde (»Der ›heilige Krieg‹ gegen die Erklärung«, vgl. ebd., S. 458ff), als innere Thematisierungsschwelle, die die Opportunität des Verfahrens in Frage stellten. Nach der endgültigen Verabschiedung des Dokuments besuchte Kardinal König vermittelnd im Frühjahr 1965 die Al Azira Universität in Kairo. Innerkonziliar gab es aber neben der mehrheitlichen Euphorie für das Thema auch am Rande Aktualisierungen des Phänomens eines katholischen Antisemitismus, vgl. ebd. S. 465f. 52 Siebenrock 2005, S. 615. 51
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heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebeweise, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet«. (NA 2) Deskriptiv im Ton und anerkennend in der Sache wird unter anderem ausdrücklich die Theozentrik des Hinduismus, sein Bezug zum göttlichen Geheimnis herausgestellt, sowie der edle achtfache Pfad des Buddhismus und dessen Erfahrungen der Erleuchtung und Befreiung als authentisch qualifiziert. Auch die Lehren, Lebensregeln und heiligen Riten anderer Religionen böten den Menschen Orientierung. In Bezug auf die abrahamitischen Religionen wird einerseits die Hingabe der Muslime an den Willen Gottes und ihre monotheistische Glaubenweise gewürdigt, ohne dabei Differenzen u.a. im Jesusverständnis auszublenden. »Zum ersten Mal wird der Glaube der Muslime von einem Konzil ›mit Wertschätzung‹ als monotheistische Glaubensform anerkannt.« 53 Andererseits ändert sich der Duktus und es wird familial, wenn das Judentum thematisiert wird: Die im Judentum wurzelnde Identität der Kirche ist spürbar, wenn davon gehandelt wird, dass die Glaubensgeschichten Israels der »gute Ölbaum« seien, dem auch die Kirche der Heiden wie »wilde Schösslinge« eingepfropft sein. Alle Aussagen, die nach Substitution des auserwählten Volkes klingen, werden vermieden, jegliche Vorstellung einer jüdischen Kollektivschuld am Tode Jesu vehement zurückgewiesen und Verfolgungen wie »Manifestationen des Antisemitismus« strikt verurteilt. »Die Juden sind konstitutiv in die Suche nach dem kirchlich-christlichen Selbstverständnis und jeder Beziehung der Kirche zu ihnen eingebunden, weil die Grundlage im Evangelium nicht hinreichend verstanden werden kann, ohne auf das aktuelle Judentum zu horchen.« 54 Vervollständigt wird die neue »Theologie der Religionen«55 am Ende des Konzils durch die in dieser Arbeit mit politischem Bezug bereits erwähnte Erklärung zur Religionsfreiheit, einem Text, der stark vom nordamerikanischen Konzilstheologen John Courtney Murray SJ und dem späteren Kardinal Pietro Pavan, der auch Johannes XXIII. bei seiner Enzyklika Pacem in terris beriet, beeinflusst wurde:56»Diese Freiheit besteht darin, daß alle Menschen frei sein müssen von jeglichem Zwang sowohl von seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlicher Gewalt, so daß in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, priEbd., S. 658. Ebd., S. 663. 55 Man könnte sie auch als inklusivistisch bezeichnen, vgl. Schmidt-Leukel 2005, S. 128ff. 56 Bereits im Missionsdekret gibt es Äußerungen zur Religionsfreiheit:»Die Kirche verbietet streng, daß jemand zur Annahme des Glaubens gezwungen oder durch ungehörige Mittel beeinflußt oder angelockt werde, wie sie umgekehrt auch mit Nachdruck für das Recht eintritt, daß niemand durch üble Druckmittel vom Glauben abgehalten werde.« (AG 13) Vgl. zur Theologie von Murray auch die Studie Sebott 1977. 53 54
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vat und öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen – innerhalb der gebührenden Grenzen – nach seinem Gewissen zu handeln«. (DH 2) Die »Sozialnatur des Menschen« erfordere also, dass der Mensch innere Akte der Religion auch zum äußeren Ausdruck bringen kann, dass er zusammen mit anderen in religiösen Dingen in Gemeinschaft stehe und seine Religion gemeinschaftlich bekennen könne. 57 Freiheit vom Zwang in religiösen Dingen, die dem Einzelnen zukomme und ihm auch zuerkannt werden müsse, gelte dann auch, wenn er in Gemeinschaft handle. Die in der seinerzeitigen Kommentierung dieser Stellen aufwendig betriebenen Beteuerungen der Kontinuität dieser Aussagen mit der überkommenen Lehre zeigen, welche Revolution in diesen wenigen Zeilen geschieht, mit denen die konziliare Wende zu den Menschrechten endgültig ratifiziert wird.58 Entsprechend heftig fiel in traditionalistischen Kreisen seine anhaltende Opposition aus, die sogar bis zum späteren und bis heute problematischen Schisma um den französischen Bischof Lefebvre reichte. Im katholischen Selbstverständnis war historisch das Staats-Kirchen-Verhältnis stets prekär: Das bisher bloß korporativ begriffene Recht »Religionsfreiheit« stellte sich bei katholischer Bevölkerungsminderheit als Frage der Sicherheit kirchlicher Integrität dar; im Mehrheitsfall galt – wie bereits erwähnt – ohnehin innerkirchlich die These vom katholischen Staat. Diese politische Theorie stellt für Ratzinger eine Verwechslung von Glaube mit institutionellem Rechtsanspruch dar und sei für die Kirche eine bedenkliche Hypothek: »Der Versuch, den durch die moderne Wissenschaft bedrohten Glauben mit Mitteln staatlicher Protektion zu schützen, hat diesen Glauben erst recht von innen ausgehöhlt und ihn vielfach an der nötigen geistigen Regeneration gehindert. Er hat die Vorstellung von der Kirche als Feind der Freiheit gefördert, die Wissenschaft und Fortschritt, die Produkte der menschlichen Geistesfreiheit, zu fürchten habe, und ist eine der mächtigsten
»Es geschieht also ein Unrecht gegen die menschliche Person und gegen die Ordnung selbst, in die die Menschen von Gott hineingestellt sind, wenn jemandem die freie Verwirklichung der Religion in der Gesellschaft verweigert wird, vorausgesetzt, daß die gerechte öffentliche Ordnung gewahrt bleibt.« (DH 3) 58 Vgl. den argumentativ aufwendigen und mit vielen Textbeispielen belegten Rekonstruktionsversuch, der gerade die Kontinuität der Lehre des II. Vatikanums mit der früherer Päpste aufweisen soll: So »kann man mit Recht behaupten, dass die in der Erklärung des II. Vatikanums enthaltene Lehre implizit, wenngleich noch dunkel, im Werk Leos XIII. enthalten ist.« Murray 1967, S. 142. Hier werden historische (kulturelle und politische) Kontextabhängigkeiten von der ›eigentlichen Lehre‹ unterschieden und späteres in Dignitatis humanae als schon prinzipiell angelegter Bestand ausgewiesen, der nur noch expliziert werden müsse: »Abschließend lässt sich sagen, daß die Lehre von Dignitatis humanae völlig im Rahmen der Tradition liegt. Sie ist neu in dem Sinne, wie zur Tradition ja zugleich Wachstum und Fortschritt mit dazugehören. Bestätigung des Rechts auf Religionsfreiheit hat es von Seiten der Päpste bereits vor dem II. Vatikanischen Konzil gegeben.« Ebd., S. 163. Rudolf Uertz 2005 geht gerade dieser Frage nach Kontinuität/Diskontinuität in seiner ideenpolitischen Studie nach. Auch Ernst Wolfgang Böckenförde greift dieses Thema auf, vgl. F.A.Z. vom 7.12.2005, S. 39. 57
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Wurzeln des Antiklerikalismus geworden.« 59 In der Aula gab es tatsächlich Befürchtungen, mit der Freigabe individueller Religionsfreiheit werde jegliche Gewissensbindung der Menschen gelöst, es stand sogar die Frage im Raum, ob es ein Menschenrecht auf Irrtum gebe. Dabei »mußte ihnen entgegen gehalten werden, daß bei der gestellten Frage es gar nicht um ›die Wahrheit‹ oder ›den Irrtum‹ geht, sondern um das Zusammenleben von Menschen«. 60 Schon der Titel der Erklärung, Dignitatis humanae (die Würde des Menschen), deutet den mit der Erklärung vollzogenen Paradigmenwechsel an. Priorität hat nicht mehr die libertas ecclesiae, sondern die libertas personae. Das Subjekt der Religionsfreiheit ist nunmehr die menschliche Person selbst.61 Bei der mit der Erklärung eingeläuteten ›Kopernikanischen Wende‹ geht es dem Konzil um die Pazifizierung des innergesellschaftlichen Pluralismus. Dies geschieht, indem zuerst zwischen innen und außen differenziert und dann die Wahrheitsfrage auf die Innenseite gezogen wird. Pietro Pavan bekräftigt diese Ambition und betont im zeitgenössischen Kommentar, dass die Religionsfreiheit nur die Dimension des äußeren Rechtsverhältnisses, nicht aber Wahrheitsfragen thematisiere: »Die religiöse Freiheit, welche die Erklärung behandelt, betrifft, wie gesagt, jedoch nur die Beziehungen zwischen den Personen im menschlichen Zusammenleben, und sie besteht in einer Freiheit von äußerem Zwang. Daher bleibt die katholische Lehre über die einzige wahre Religion, über die einzige Kirche Jesu Christi und über die moralische Verpflichtung der Menschen dieser gegenüber unberührt.« 62 Dem Umschlag in das andere Extrem, einer liberalistischen Privatisierung der Wahrheit, entgeht das Konzil dadurch, dass es nun mit der Personenwürde als Basis ein neues Niveau gesellschaftlicher Öffentlichkeit erreichen kann. Die Forderung nach Religionsfreiheit beruhe daher nicht auf Relativierung oder Verzicht auf Wahrheitsanspruch, sondern auf deren angemessener gesellRatzinger 1965, S. 32. Ders. 1966, S. 18. 61 Vgl. zu den hieraus entstehenden Konsequenzen für das Verhältnis von Religion und Öffentlichkeit Casanova 2004. »Person wird beschrieben als mit Vernunft und freiem Willen begabt und zur Verantwortung gerufen, die von einer inneren Pflicht gedrängt wird, bevorzugt die religiöse Wahrheit zu suchen, an ihr festzuhalten und als Ordnung des Lebens zu realisieren. [...] Die Religionsfreiheit hat also eine ›ontologische‹ Wurzel und bleibt deshalb auch für jene bestehen, die dieser Pflicht nicht nachkommen.« Siebenrock 2005, S. 174. 62 Pavan 1967, S. 709. Vgl. auch ebd., S. 716: »Aber der tiefste Grund, warum die Inhalte des religiösen Glaubens nicht Gegenstand des Rechts auf religiöse Freiheit sind und sein können, liegt darin, daß die Beziehung zwischen der Person und diesen Inhalten nicht ein Rechtsverhältnis ist; es ist vielmehr eine metaphysische oder logische oder moralische Beziehung. Da das Rechtsverhältnis wesentlich eine intersubjektive Beziehung ist, kann es nur zwischen physischen und moralischen Subjekten oder Personen bestehen. [...] Damit ist nun deutlich, daß die Probleme des wahren oder irrigen, richtigen oder falschen Gewissens in dem Dokument überhaupt nicht berührt werden. Der Grund dafür ist, daß es sich bei ihnen um Probleme moralischer und nicht rechtlicher Art handelt. Sie gehören direkt und formell zu der Beziehung zwischen Person und Wahrheit und nicht zu der Beziehung zwischen Person und Person.« 59 60
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schaftlicher Integration. Es gehe um einen der Wahrheit angemessenen Vollzugsprozess: »Damit verabschiedet das Konzil die Vorstellung von Religion als öffentlichen Kult, in dem die politische Funktion der Religion zum Ausdruck kommt, eine widersprüchliche Gesellschaft zusammenzuhalten«. 63 Die Erklärung zur Religionsfreiheit ist der Schlussstein einer neuen Wahrnehmung der kirchlichen Außenverhältnisse. Die funktional differenzierte Gesellschaft ist eine dezentrale Gesellschaft. Damit ist der neuzeitlich-aufklärerische Freiheitsgedanke innerkirchlich eingeholt und die anthropologische Wende gesellschaftspolitisch übernommen. Gemeinwohl bedeutet nun nicht die Förderung einer bestimmten Religion und ihrer Zwecke, es stellt vielmehr die gesellschaftlichen Bedingungen eines angemessenen personalen Freiheitsvollzugs dar. Das Recht auf religiöse Freiheit ist letztendlich die »gesellschaftliche und soziologische Garantie dafür, dass der Glaubensakt auch real frei ist«. 64 Mit dieser Konzilserklärung gewinnt der Katholizismus nunmehr Anschluss an die allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, die kaum zwanzig Jahre früher formuliert wurde. 10.4 Irrtum und Wahrheit Die konziliare Entgrenzung der Ökumene hat zwei Dimensionen. Innerchristlich erreicht das Zweite Vatikanum die Integration des Katholizismus in die ökumenische Bewegung im Singular sowie weitgehend pragmatische Vergemeinschaftungen in den Feldern, die nicht als zwingend Trennende ausgespart und zukünftigen Vergemeinschaftungen überlassen bleiben.65 Innerreligiös ist die katholische Vergesellschaftung als eine religiöse Tradition von einem neuen Sachinteresse an den diversen Formen des Religiösen getragen und vor allem gestützt durch das neue Selbstverständnis von Religionsfreiheit. In Bezug auf die gesellschaftliche Funktion der Religion, Sinn kommunikabel zu halten, gibt es – in ökonomischen Metaphern ausgedrückt – die Umstellung von bisheriger Anbietermentalität (in Form von Wahrheitsdeklarationen) auf größere Kunden-
Siebenrock 2005, S. 171. Ebd., S. 188. 65 Strategisch interessant ist, dass z.B. in der ökumenischen Auseinandersetzung mit dem Protestantismus der Weg eingeschlagen wurde, durch gemeinsame theologische Kommissionsarbeit, also durch gesellschaftliche Rationalisierung Trennendes aus dem Weg zu räumen, um neue Vergemeinschaftungspotenziale zu generieren. Vgl. u.a. die Beiträge des Bandes Schreiner/Wittstadt 1988. 63 64
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orientierung. 66 Die innerkatholischen Umstellungen, die den eigenen Wahrheitsanspruch nicht tangieren, sondern vielmehr die Bedingungen der modernen Gesellschaft respektieren, ihm Geltung zu verschaffen, sind maßgeblich für den Wandel von der Kirche als Gegengesellschaft hin zur Kirche der Weltgesellschaft: Äußere Rationalisierungen korrespondieren mit einem Mehr an innerer Flexibilität und erweitern auf diese Weise den möglichen katholischen Kommunikations- und Resonanzraum. Bereits in Pacem in terris hatte Johannes XXIII. in seiner pastoralen Art angeregt, den Irrenden vom Irrtum zu unterscheiden und zwar auch, wenn es sich um Menschen handle, die im Irrtum oder in ungenügender Kenntnis über Dinge befangen seien, welche mit religiös-sittlichen Werten zusammenhingen. Im Blick sind hier nicht zuletzt Angehörige oder Sympathisanten staatsatheistisch-kommunistischer Regime des Ostblocks, die direkt anzusprechen das Konzil aus Sorge vor Repressionen dort lebender Katholiken vermied.67 Der aus der katholischen Perspektive dem Irrtum Verfallene höre nicht auf, Mensch zu sein und verliere nie seine persönliche Würde. So sei es durchaus angemessen, bestimmte Bewegungen, die sich mit wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Fragen oder der Politik befassten, zu unterscheiden von falschen philosophischen Lehrmeinungen über das Wesen, den Ursprung und das Ziel der Welt und des Menschen, auch wenn diese Bewegungen aus solchen (irrenden) Lehrmeinungen entstanden seien: »Wer könnte übrigens leugnen, daß in solchen Bewegungen, soweit sie sich den Gesetzen einer geordneten Vernunft anpassen und die gerechten Forderungen der menschlichen Person berücksichtigen, etwas Gutes und Anerkennenswertes finden kann?« 68 Etwas deutlicher wird Paul VI., wenn er als »äußersten der konzentrischen Kreise«, die er in seiner Dialogenzyklika beschreibt, »die Welt« und »die Menschheit« vorstellt, deren Teil die Kirche sei, in der es aber viele bekennende Religionslose gebe. In der festen Überzeugung, dass die theoWenn der Wahlspruch Benedikts XVI. weiterhin »Cooperator veritatis« (Mitarbeiter der Wahrheit) lautet, dann ist dies nicht mehr organisatorisch im Sinne des Universalepiskopats auf der Ebene der Unfehlbarkeit gemeint, sondern vielmehr als Angebot für den öffentlichen Vernunftgebrauch, der sich gegen die »drohenden Pathologien der Religion und der Vernunft« wendet, »die notwendig ausbrechen müssen, wo die Vernunft so verengt wird, dass ihr die Fragen der Religion und des Ethos nicht mehr zugehören« und der mehr den Lehrstuhl als einen Regierungssitz sucht. Allerdings wären mögliche Nebenfolgen, wie der »Regensburger Vorlesung« beschieden, nicht auszublenden gewesen. Vgl. Benedikt XVI. 2006, S. 27f. 67 Die Pastoralkonstitution wendet sich nur indirekt gegen den Kommunismus: »Unter den Formen des heutigen Atheismus darf jene nicht übergangen werden, die die Befreiung des Menschen vor allem von seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Befreiung erwartet. Er behauptet, daß dieser Befreiung die Religion ihrer Natur nach im Wege stehe, insofern sie die Hoffnung des Menschen auf ein künftiges und trügerisches Leben richte und ihn dadurch vom Aufbau der irdischen Gesellschaft abschrecke. Daher bekämpfen die Anhänger dieser Lehre, wo sie zur staatlichen Macht kommen, die Religion heftig und breiten den Atheismus aus, auch unter Verwendung, vor allem in der Erziehung der Jugend, jener Mittel der Pression, die der öffentlichen Gewalt zur Verfügung stehen.« (GS 20) 68 Pacem in terris, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 3001. 66
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retische Grundlage der Leugnung Gottes falsch sei, seien vor allem die »gottesleugnerischen und die Kirchen verfolgenden ideologischen Systeme« zu verurteilen, Systeme, welche häufig identisch mit ökonomischen, sozialen und politischen Ordnungsformen seien, unter denen besonders der gottlose Kommunismus hervorzuheben sei. Unter diesen Voraussetzungen werde die Hypothese eines Dialogs sehr schwierig, »um nicht zu sagen unmöglich, obwohl wir keinen von vorneherein ausschließen, der sich zu den genannten Systemen bekennt und deren Regierungsformen bejaht [...] Das ist der Grund, warum der Dialog hier aufhört. Die sogenannte Kirche des Schweigens z.B. redet nicht mehr. Sie spricht nur durch ihre Leiden«. 69 Man lasse sich unbeschadet der eigenen Überzeugung aber nicht abbringen, in der Seele des modernen Atheisten nach den Motiven seiner Verwirrung und seiner Leugnung zu suchen, die einerseits von unruhiger Angst befallen, andererseits aber von Leidenschaftlichkeit und utopischen Wünschen erfasst, oft auch beseelt von Großmut seien, »erfüllt von einem Traum von Gerechtigkeit, von einem Fortschritt, der zu einer vergöttlichten idealen Gesellschaft führen soll«. 70 Die Auseinandersetzung mit dem Atheismus habe, so Paul VI., schließlich umso bessere Aussichten, je mehr er in logische Gedankengängen gründete, die häufig denen klassischer Schulphilosophie nicht unähnlich seien. Die Pastoralkonstitution befasst sich dann phänomenologisch mit den verschiedenen Formen des Atheismus, wird aber im gleichen Absatz auch selbstbe-
Ecclesiam suam, zitiert nach Utz/Galen 1976, S. 1657. Dignitatis humanae fasst dies folgendermaßen: »Gott selbst hat dem Menschengeschlecht Kenntnis gegeben von dem Weg, auf dem die Menschen, ihm dienend, in Christus erlöst und selig werden können. Diese einzige wahre Religion, so glauben wir, ist verwirklicht in der katholischen, apostolischen Kirche [...] Alle Menschen sind ihrerseits verpflichtet, die Wahrheit, besonders in dem, was Gott und seine Kirche angeht, zu suchen und die erkannte Wahrheit aufzunehmen und zu bewahren. In gleicher Weise bekennt sich das Konzil dazu, daß diese Pflichten die Menschen in ihrem Gewissen berühren und binden, und anders erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als kraft der Wahrheit selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt. Da nun die religiöse Freiheit, welche die Menschen zur Erfüllung der pflichtgemäßen Gottesverehrung beanspruchen, sich auf die Freiheit von Zwang in der staatlichen Gesellschaft bezieht, läßt sie die überlieferte katholische Lehre von der moralischen Pflicht der Menschen und der Gesellschaften gegenüber der wahren Religion und der einzigen Kirche Christi unangetastet.« (DH 1) 69 70
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züglich, wenn sie die möglichen Ursachen des Atheismus anspricht.71 Gewiss seien die, »die in Ungehorsam gegen den Spruch ihrs Gewissens« willentlich religiöse Fragen zu vermeiden suchten, selbst nicht ohne Schuld, aber für die Kirche sei »eine gewisse Verantwortung« auch nicht bestreitbar. Zu den verschiedenen Ursachen des Atheismus zähle eben auch eine kritische Reaktion gegen die Religionen, und z.T. vor allem gegen das Christentum: »Deshalb können an dieser Entstehung des Atheismus die Gläubigen einen erheblichen Anteil haben, insofern man sagen muß, daß sie durch Vernachlässigung der Glaubenserziehung, durch mißverständliche Darstellung der Lehre oder auch durch die Mängel ihres religiösen, sittlichen und gesellschaftlichen Lebens das wahre Antlitz Gottes und der Religion eher verhüllen als offenbaren.«72 Wenn das Bisherige notwendig für eine neue weltgesellschaftliche Integration des Katholizismus war, wird hier der Wandel zur Kirche der Weltgesellschaft hinreichend vollzogen, denn wenn die Kirche auch den Atheismus eindeutig verwerfe, »so bekennt sie doch aufrichtig, daß alle Menschen, Glaubende und Nichtglaubende, zum richtigen Aufbau dieser Welt, in der sie gemeinsam leben, zusammenarbeiten müssen. Das kann gewiss nicht geschehen ohne einen aufrichtigen und klugen Dialog.« (GS 21)
»Manche leugnen Gott ausdrücklich; andere meinen, der Mensch könne überhaupt nichts über ihn aussagen; wieder andere stellen die Frage nach Gott unter solchen methodischen Voraussetzungen, daß sie von vornherein sinnlos zu sein scheint. Viele überschreiten den Zuständigkeitsbereich der Erfahrungswissenschaften und erklären, alles sei nur Gegenstand solcher naturwissenschaftlicher Forschung, oder sie verwerfen umgekehrt jede Möglichkeit einer absoluten Wahrheit. Manche sind, wie es scheint, mehr interessiert an der Bejahung des Menschen als an der Leugnung Gottes, rühmen aber den Menschen so, daß ihr Glaube an Gott keine Lebensmacht mehr bleibt. Andere machen sich ein solches Bild von Gott, das jenes Gebilde, das sie ablehnen, keineswegs der Gott des Evangeliums ist. Andere nehmen die Frage nach Gott nicht einmal in Angriff, da sie keine Erfahrung der religiösen Unruhe zu machen scheinen und keinen Anlass sehen, warum sie sich um Religion kümmern sollten. Der Atheismus entsteht außerdem nicht selten aus dem heftigen Protest gegen das Über in der Welt oder aus der unberechtigten Übertragung des Begriffs des Absoluten auf gewisse menschliche Werte, so daß diese an Stelle Gottes treten. Auch die heutige Zivilisation kann oft, zwar nicht von ihrem Wesen her, aber durch ihre einseitige Zuwendung zu den irdischen Wirklichkeiten, den Zugang zu Gott erschweren.« (GS 19) 72 Vgl. dazu auch Ratzinger 1968, S. 343f.: »Aber daß sie darüber hinaus auf ihren eigenen Anteil an der ganzen Frage des Marxismus, auf die Mangelhaftigkeit ihres eigenen ›Humanismus‹ sich besinnen und so die umfassende, auch sie selbst angehende Frage, die der Marxismus bedeutet, annehmen muß ist nicht weniger klar. Daß sich die Kirche im Konzil zu diesem Schritt entschlossen hat, ist das eigentliche Drama, das hinter dem Artikel 20 steht und ihn als einen Meilenstein in der Kirchengeschichte unseres Jahrhunderts erscheinen läßt, der an Bedeutung wohl wenig hinter der Entscheidung zurückbleibt, welche die Erklärung über die Religionsfreiheit darstellt. Hier ist eine neue Haltung gewonnen, die grundlegend sein wird für die Möglichkeit, in den Strukturen und unter den Voraussetzungen unseres Jahrhunderts den Glauben zu verkünden. [...] Vor allen sei aber darauf zu achten, dass »das Nein zum Atheismus nicht mit dem Wort ›damnat‹ (verurteilen), sondern mit ›reprobat‹ (zurückweisen) formuliert wird: Das Konzil hat gemäß dem Wunsch des Papstes Johannes, auf Verurteilungen verzichtet«. 71
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Die religiöse Globalisierung des Katholizismus, so lässt sich abschließend und zusammenfassend festhalten, hat mit dem Zweiten Vatikanum nach der Expansion zur Weltkirche im 19. Jahrhundert und den Zentralisierungen des Ersten Vatikanums einen zweiten, nun qualitativen Schub erhalten. Die Sozialform Konzil als Entscheidungsmechanismus ist zwar eine kirchengeschichtlich frühe Errungenschaft, aber erst in der Moderne sind die beiden vatikanischen Konzilien hinreichend zu Weltereignissen geworden, welche global repräsentativ Teilnehmer rekrutieren und zusammen mit dem weltumspannenden katholischen Resonanzkörper globale Interaktionen ermöglichen. 73 Globale Omnipräsenz auch über Jahre hinweg wird durch die zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Kommunikationstechniken sowohl an diözesaner Peripherie wie im römischen Zentrum erreicht. Bei den nun qualitativen Innovationen des Zweiten Vatikanums resultiert die Zunahme an Weltgesellschaftskompatibilität ad extra aus einer gesteigerten Komplexitätsverarbeitungskapazität ad intra:74 Der neue Umweltbezug beruht auf einer veränderten Selbstreferenz. Die innere Heterogenität, die bislang bestenfalls ignoriert, meist aber mit Uniformierungsabsicht und Standardisierungstechniken (Latinisierung, Neuscholastik) traktiert wurde, wird nun zum positiven Identifikationspunkt des Katholischen, was auch eine entsprechende Strukturenvielfalt aktiviert. Semantische Umstellungen in der Selbstbeschreibung von Gesellschaft zu Gemeinschaft (Volk Gottes) und hin zu einem instrumentellen Institutionenbegriff (Kirche als Heilssakrament) ermöglichen eine Selbstdezentralisierung. Im innerchristlichen Kontext machen hier nicht mehr historisch kontingente Strukturen wie die Kirche selbst den Vergleichspunkt aus, sondern vielmehr die Anfangsinitiative, also das Christusevangelium selbst ist der Kern, um den sich das Christliche dreht. Eine Ausdifferenzierung einzelner Heilselemente sowie ihre Identifizierung auch in außerkatholischen christlichen Zusammenhängen schafft kommunikative Anknüpfungspunkte, über die als ökumenischer Dialog strukturelle Kopplungen möglich werden. Analog funktioniert dies auch im interreligiösen Bereich, dort aber angesichts multiplizierter kultureller Komplexität verhaltener (Vergemeinschaftung/Vergesellschaftung). Dennoch stimulieren die bei anderen realisierten Wahrheitselemente zu positiver Anerkennung und zum interreligiösen Dialog. In beiden Fällen können hergebrachte Dichotomien (Heiden/Gläubige und Rechtgläubige/Häretiker) zugunsten variabel-gradueller Identifikation (Vergemeinschaftung) flexibilisiert werden. Sie bietet durchaus auch Projektionsflächen für ein »Ökumenisches Science-fiction«, wie man Otto Kallscheuers humoristischem Konzilsbericht »Pfingsten 2035« entnehmen kann, vgl. Kallscheuer 1991, S. 235-256. 74 Vgl. Pollack 1995, S. 188: »Religiöse Erneuerungsbewegungen, Reformen, Neustiftungen und andere Innovationen sind Formen, die auf ein Übermaß an Kontingenzvernichtung (Erstarrung, Ritualismus, Dogmatismus), Dogmenbildungen, Ritualisierungen, Hierarchisierungen dagegen Formen, die auf ein Übermaß an Kontingenzproduktion (religiöser ›Wildwuchs‹) reagieren.« 73
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In Verbindung mit der Aussage von der »Autonomie der irdischen Wirklichkeiten« führt dies dazu, dass sich der gesellschaftliche Inklusionsmodus des Katholischen wandelt: Vormalige integralistische Versuchungen sind durch die primäre Selbstintegration ins Religiöse aufgehoben. Voraussetzung dafür ist, dass die »mosaische Unterscheidung« 75 wahr/falsch nunmehr als Aspekt der Selbstreferenz hinsichtlich eigener Offenbarung und Tradition interpretiert wird. Im anerkannt pluralistischen Umweltbezug bleibt diese Unterscheidung sublimiert durch eine neuerdings individualisierte Auffassung von den Menschenrechten, insbesondere der Religionsfreiheit: Glaube korrespondiert notwendig mit Überzeugung. Menschenrechte und Religionsfreiheit werden schließlich auch zum operativen Medium in den Interdependenzen mit anderen gesellschaftlichen Funktionskontexten (Politik, Wirtschaft etc.). Der Entscheidungsmechanismus Konzil, der innere Widerstände überwindet und als selbstreflexiver Aushandlungsprozess praktiziert wird, erzeugt einen neuen, nunmehr religiös globalisierten Katholizismusbegriff: vom ultramontan-europäischen hin zu einem weltkirchlichen Katholizismus. Das »Weltereignis Konzil« und seine Entscheidungen sind als solche für empirische Untersuchungen ein geeigneter Gegenstand, an dem Globalisierungsprozesse gut sichtbar werden. In vielerlei Hinsicht geht es dort aber um Programmatik und insofern um Entscheidungsprämissen; außerdem bleibt es bei einer Beschreibung aus der Zentrumsperspektive. Generelle Aussagen über die postkonziliare Sozialgestalt des Katholizismus allgemein können nicht getroffen werden. Inwieweit die konziliaren Globalisierungsambitionen in die weltgesellschaftliche Wirklichkeit der Weltkirche eingedrungen sind, wäre in Untersuchungen zum Rezeptionsprozess zu thematisieren, das Thema dieser Studie beschränkte sich auf den Stand der Planung. Mithilfe von Ebenendifferenzierung und funktionaler Differenzierung konnte aber die katholische ›Verweltgemeinschaftung‹ und ›Verweltgesellschaftung‹ beim Zweiten Vatikanum umrissen werden: So ist deutlich geworden, dass die Globalisierung des Katholizismus, die das Konzil induziert hat, vor allem einen qualitativen Wandel beschreibt, nämlich den Prozess von der ›Kirche als Gegengesellschaft‹ hin zur ›Kirche der Weltgesellschaft‹. Nach außen wird auf Säkularisierung und Globalisierung so reagiert, dass der Umweltbezug des Katholizismus nunmehr funktionaler Differenzierung Rechnung trägt. Nach innen werden durch organisatorische Maßnahmen Vergemeinschaftungsoptionen realisiert, die den ultramontanen Katholizismus aus der Verengung seiner Verkirchlichung herausführen und zu seiner Verweltkirchlichung beitragen.
Vgl. zur mosaischen Unterscheidung und ihrer Sublimierung Assmann 2003, besonders S. 164. Ratzinger 2003, 170ff reagiert auf die öffentliche Debatte im Vorfeld zu Assmann 2003 wie auch Schnädelbach 2005. 75
Literatur Im Folgenden ist die der Studie zugrunde liegende sowie die in der Studie zitierte Literatur verzeichnet. Achinger, Hans/Preller, Ludwig/Wallraff, Hermann Josef (1965/Hg.): Normen der Gesellschaft. Festgabe für Oswald von Nell-Breuning zu seinem 75. Geburtstag, Mannheim. Adenauer, Paul (1962): Zur sozialethischen Bewertung eines gesetzlichen Investivlohns, in: Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften Bd. 3, Münster, 311-330. Alberigo, Giuseppe (1965): Das Konzil von Trient in neuer Sicht, in: Concilium Jg. 1 (1/ 1965), 574-583. Alberigo, Giuseppe (1985): Die Rezeption der großen christlichen Überlieferung durch das Zweite Vatikanische Konzil, in: Löser, Werner/Lehmann, Karl/Lutz-Bachmann, Matthias (Hg.), Dogmengeschichte und katholische Theologie, Würzburg, 303-320. Alberigo, Giuseppe (1997a): Die Ankündigung des Konzils von der Sicherheit des SichVerschanzens zur Faszination des Suchens, in: Ders./Wittstadt, Klaus (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils 1959-1965 Band I. Die Katholische Kirche auf dem Weg in ein neues Zeitalter, Mainz, 1-60. Alberigo, Giuseppe (1997b): Vorbereitung für welche Art von Konzil?, in: Ders./Wittstadt, Klaus (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils 19591995 Band I. Die Katholische Kirche auf dem Weg in ein neues Zeitalter, Mainz, 561-570. Alberigo, Giuseppe (1998): Das II. Vatikanum und der kulturelle Wandel in Europa, in: Hünermann, Peter (Hg.), Das II. Vatikanum – christlicher Glaube im Horizont globaler Modernisierung, Paderborn, 139-157. Alberigo, Giuseppe (1998/Hg.), Geschichte der Konzilien, Wiesbaden. Alberigo, Giuseppe (2000): Die Konziliare Erfahrung: Selbständig lernen, in: Ders./Wittstadt, Klaus (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils 19591965 Bd. II. Das Konzil auf dem Weg zu sich selbst, Mainz, 679-698. Alberigo, Giuseppe (2002): Abschließende Überlegungen. Die neue Gestalt des Konzils, in: Ders./Wittstadt, Klaus (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils Bd. III. Das mündige Konzil, Mainz, 573-600. Alberigo, Giuseppe (2006): Großartige Ergebnisse – Schatten von Ungewissheit, in: Ders./Wassilowsky, Günther (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils 1959-1965 Bd. IV. Die Kirche als Gemeinschaft, Mainz, 727-755. Alberigo, Giuseppe/Wassilowsky, Günther (2006/Hg.): Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils 1959-1965 Bd. IV. Die Kirche als Gemeinschaft, Mainz. Alberigo, Giuseppe/Wassilowsky, Günther (2008/Hg.): Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils 1959-1965 Bd. V. Ein Konzil des Übergangs, Ostfildern. Alberigo, Giuseppe/Wittstadt, Klaus (1997/Hg.): Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils 1959-1965 Bd. I. Die Katholische Kirche auf dem Weg in ein neues Zeitalter, Mainz.
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Abkürzungen AA AG CCEO CD CIC CIC2 DH DV GE GS HThK-VatII IM KKK LG LThK2 LThK-E LThK3 NA OE OT PC PO SC UR
Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (1990) Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe Christus Dominus Codex Iuris Canonici (1917) Codex Iuris Canonici (1983) Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humae Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung über die christliche Erziehung Gravissimum educationis Zweites Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes Herders theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel Inter mirifica Katechismus der Katholischen Kirche (1992/1997/2003) (Neuübersetzung aufgrund der Editio Typica Latina, Oldenbourg) Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium Lexikon für Theologie und Kirche (2. Auflage) Lexikon für Theologie und Kirche Ergänzungsband (2. Auflage) Lexikon für Theologie und Kirche (3. Auflage, Sonderausgabe) Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die katholischen Ostkirchen Orientalium Ecclesiarum Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester, Optatam totius Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Heilige Liturgie Sacosanctum Concilium Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über den Ökumenismus, Unitatis redintegratio
Abbildungen/Tabellen Abbildungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Eigene Darstellung Eigene Darstellung Vgl. Plate 1966, S. 29 Vgl. Galli/Moosbrugger 1966a, S. 91 (links) und Galli/Moosbrugger 1965, S. 2 (rechts) Vgl. Galli/Moosbrugger 1963, S. 62 Vgl. Galli/Moosbrugger 1963, S. 82 Vgl. Galli/Moosbrugger 1966a, S.14f. (links) und Galli/Moosbrugger 1966a, S. 44 (rechts) Vgl. Plate 1966, S. 32 (links) und http://www.museum-am-dom.de/ katalog/details.php?museum=domschatz&sort=time&time=1800&i d=106 (abgerufen am 12.07.08) (rechts) Vgl. Galli/Moosbrugger 1966a, S. 125 (links) und Galli/Moosbrugger 1964, S. 31 (rechts) Vgl. Galli/Moobrugger 1965, S. 19 Vgl. Galli/Moosbrugger 1964, S. 155 Vgl. Galli/Moosbrugger 1963, S. 54 (links) und Fischer 2005, S. 104 (rechts) Vgl. Galli/Moosbrugger 1966a, S. 90 (links) und Galli/Moosbrugger 1964 S. 103 (rechts) Vgl. Plate 1966, S. 232 (links) und Galli/Moosbrugger 1963, S. 65 (rechts) Eigene Darstellung Vgl. Plate 1966, S. 144 (links) und Galli/Moosbrugger 1965, S. 33 (rechts) Vgl. Westfälische Nachrichten 1962 Vgl. Galli/Moosbrugger 1963, S. 39 (links) und Galli/Moosbrugger 1964, S. 144 (rechts) Vgl. Galli/Moosbrugger 1965, S. 32 Vgl. Galli/Moosbrugger 1964, S. 165
Tabellen 1-4: Eigene Darstellung