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Der Autor Gregory Heath, 1956 in Southington/USA geboren, wuchs in England auf und lebt seit 1965 in der Bundesrepublik, zur Zeit mit vier Katzen in Hockenheim. Nach dem Studium der Germanistik arbeitete er als Fernseh- und Rundfunkredakteur, Drehbuchschreiber und Gagreferant für zahlreiche RTL-Comedy-Shows, bis ihn Thomas Gottschalk als Autor nach München holte.
Klappentext Der seltene Fall eines Buches für Katzenfreunde und Katzenhasser. Köstliche und kuriose Erlebnisse aus dem Alltag eines katzennärrischen Ehepaars. Die samtpfotigen Hausgenossen im Viererpack halten Besitzer und Nachbarschaft, Behörden und Kollegen durch ihre bloße Anwesenheit auf Trab. Mit treffendem Witz entlarvt der Münchener Fernsehautor Gregory Heath die Marotten von Katzen und Menschen – und schont dabei weder sich noch andere.
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Dieses eBook ist nicht zum Verkauf bestimmt.
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Gregory Heath
Die lieben Katzen und andere Verwandte
Fischer Taschenbuch Verlag 7-9 Tausend Januar 1998 Veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, Oktober 1997 Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München © F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München 1995 Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck ISBN 3-596-13.248 7 4
Von Katzenhaltern und anderen Verrückten Die Welt in ihrer Gesamtheit teilt sich in zwei Teile, von denen der eine aus Katzenverrückten, der andere aus Katzenhassern besteht. Katzenhasser hassen nicht nur Katzen, sondern auch Katzenverrückte. Letzteren hingegen ist solche Feindseligkeit fremd, es sei denn, es handelt sich um Katzenhasser. Der typische Katzenverrückte ist weiblich, hübsch, tolerant, gutmütig – und mit mir verheiratet. Der typische Katzenhasser ist weiblich oder männlich, hübsch oder häßlich, tolerant oder kleinmütig, ledig oder verheiratet – und kommt uns nicht ins Haus. Katzenhasser können nicht verstehen, warum sich Katzenverrückte in die Tyrannei eines Tieres fügen und dafür auch noch ein Vermögen ausgeben. Das verstehen Katzenverrückte auch nicht, aber dafür sind sie ja verrückt. Verrücktsein ist für sie das Normalste auf der Welt. Wer etwas anderes behauptet, ist entweder selbst verrückt oder aber ein schäbiger Katzenhasser. Und Katzenhasser kommen uns bekanntlich nicht ins Haus. Bei uns verkehren nur Normale – sagen die Verrückten. Also alle.
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Am Anfang war die Katze Am späten Samstagabend der Schöpfung blickte der Allmächtige auf sein Werk und legte die Füße hoch. Er freute sich auf seinen ersten Ruhetag; der erste Sonntag der Menschheitsgeschichte konnte kommen. Der Allmächtige war zufrieden. Plötzlich aber vernahm er an der Tür ein seltsames Geräusch, er stand auf, um nachzusehen. Es war die Katze. »Großer Herr«, sprach die Katze und strich dem Allmächtigen dabei um die Beine. »Deine Schöpfung ist gar wunderlich und schön, und auch ich bin zufrieden. Du gabst mir ein prächtiges Fell, das mich vor Kälte schützt, du gabst mir schöne weiche Pfoten, mit denen ich mich lautlos anschleichen kann, und du gabst mir scharfe Krallen und einen biegsamen Körper, der mich zum guten Jäger und Kletterer macht. Und trotzdem kann ich nicht verhehlen, daß mir noch eine Kleinigkeit fehlt.« Der alte Herr legte die Stirn in Falten und überlegte, was er vergessen haben könnte. Die Katzentür konnte es nicht sein; deren Erfindung war erst für später vorgesehen. Dasselbe galt für das Katzenstreu, dem erst die Domestizierung vorausgehen mußte. »Sprich!« forderte der Allmächtige seine Besucherin auf. »Was fehlt dir?« »Es ist nur eine Kleinigkeit, Herr«, sprach die Katze und wischte sich vor Aufregung mit der Pfote über die Barthaare. »Es soll ja auch keine Kritik sein…« »Frei heraus damit!« befahl der Allmächtige leicht ungehalten, weil er seine Sonntagsruhe gefährdet sah. »Was ist es?« »Nun«, sprach die Katze und ringelte ihren Schwanz um die Vorderfüße. »Ich bin nicht wehrhaft genug! Meine Krallen und Zähne sind zwar hervorragende Waffen gegen Mäuse und andere Nagetiere, und mit meiner Sprungkraft kann ich manchem Vogel einen Schrecken einjagen. Aber dem Menschen bin ich machtlos ausgeliefert.« Unruhig schaute der Allmächtige auf seine Uhr, die Katze nutzte die Pause, um fortzufahren.
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»Dem Löwen und dem Tiger hast du übergroße Reißzähne und furchtgebietende Pranken gegeben, die Schlange kann sich mit Gift zur Wehr setzen, und selbst der Igel kann mit seinen Stacheln den Menschen in Schach halten. Nur ich, Herr, ich bin wehrlos und deshalb ein wenig unglücklich.« »Was schwebt dir vor?« fragte der Allmächtige. »Willst du Flügel wie die Vögel haben oder dich wie der Wurm in der Erde verkriechen können?« »Ich weiß es nicht«, sagte die Katze traurig. »Vielleicht wäre ein großer Stoßzahn wie beim Elefanten oder beim Nashorn gut.« »Wie du willst«, sprach der Herr und verpaßte der Katze zwei mächtige Hauer aus edelstem Elfenbein. Sofort verlor das Tier das Gleichgewicht und fiel bewegungsunfähig vornüber. »Ich glaube, Stoßzähne sind doch nicht das richtige«, klagte die Katze noch unglücklicher als zuvor. »Wenn sie nur nicht so groß wären! Vielleicht wäre ein spitzer Schnabel besser!« Wieder erfüllte der Herr ihren Wunsch und ersetzte die kleine Stupsnase durch einen wuchtigen, dolchartigen Schnabel. Aber ach, die Katze war erneut nicht zufrieden. »Ich glaube, ein Schnabel ist doch nicht das richtige«, jammerte sie und hackte unbeholfen auf den Boden. »Wie soll ich denn jetzt mein Fell pflegen? Vielleicht wäre ein schwerer Echsenpanzer besser!« Und wieder erfüllte der Herr ihren Wunsch, und wieder war die Katze unzufrieden, und wieder wünschte sie sich etwas anderes. Aber ganz gleich, was ihr der Allmächtige auf den Leib schneiderte, die Katze wurde immer trauriger. Inzwischen war es bereits eine Minute vor Mitternacht, der siebte Tag, an dem die Schöpfung abgeschlossen sein sollte und der Allmächtige ruhen wollte, rückte erbarmungslos näher. Da schaute der Herr auf das arme Kätzchen und sprach: »Um mit dem Menschen fertig zu werden, brauchst du keine Stoßzähne, keinen Schnabel und auch keinen Panzer. Ich gebe dir jetzt nämlich eine Waffe, die wirkungsvoller ist als jede Pranke oder jedes Gift! Die Menschen werden dir ehrfürchtig zu Füßen liegen: Ich schenke dir das Schnurren!« Im selben Augenblick schlug die Uhr zwölf, begleitet von einem wohligen Laut, der aus der Tiefe einer überglücklichen Katzenkehle kam. Da sah 7
der Herr, daß es gut war, nahm den schnurrenden Pelzknäuel auf den Schoß und sagte: »Ich habe sechs Tage lang schwer gearbeitet und brauche jetzt ein wenig Entspannung. Meinen ersten Sonntag will ich gemeinsam mit dir verbringen.« Sprach’s und rollte sich mit dem Kätzchen zu einem Schläfchen aufs Sofa.
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Der große Wurf Hin und wieder verzichtet meine Frau auf jegliche weibliche Diplomatie und wird ohne Umschweife direkt, so auch damals, kurz bevor ich mir am Kaffee die Lippe verbrühte: »Ich möchte wieder ein Tier haben«, sagte die stolze Besitzerin dreier Schildkröten, einer Gelbstirnamazone, einer weißen Maus und eines pflegebedürftigen Igels. Durch die Suche nach einer brandlindernden Salbe gelang es mir, etwas Zeit zu gewinnen, ich wußte jedoch, daß ich den drohenden Schaden nur noch begrenzen, nicht aber vermeiden konnte. Und die Unentbehrliche ließ nicht locker: »Ich will eine Katze, am besten aus dem Tierheim, die Farbe ist mir egal.« »Einen Moment«, protestierte ich und erinnerte sie an das einzige Verbot, das ich je verhängt hatte, nämlich das Verbot, ein Tierheim zu besuchen. Nur einmal hatte sie sich dem Verbot widersetzt und war mit reicher Beute heimgekehrt: drei deutsche Doggen, vier kleine Terrier-Mischlinge und 25 süße, niedliche Kuschelkätzchen. Es dauerte ein halbes Jahr, bis wir die Tiere in der weitläufig begeisterten Verwandtschaft verteilt hatten, es war die größte Bewährungsprobe unserer Ehe seit ihrem vorletzten Tierheimbesuch. Instinktiv nahm ich meine gewohnte Position ein: »Nein, nein und nochmals nein«, sagte ich streng und hoffte, daß ich auf diese Art mit zwei Katzen davonkommen würde. Und tatsächlich, das weitere Gespräch verlief wie abgesprochen. »Eigentlich brauchen wir zwei Kätzchen«, sinnierte sie, »wir sind ja schließlich auch zu zweit.« In dieser Phase der Diskussion griff ich auf eine bewährte rhetorische Taktik zurück und signalisierte Bereitschaft – allerdings unter erschwerten Bedingungen. »Also gut«, seufzte ich laut, um ihr zu demonstrieren, wie schwer mir das Opfer fiel. »Ich bin mit zwei Katzen einverstanden. Aber meine muß ganz schwarz sein und weiße Tennissocken tragen.«
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»Prima«, frohlockte die Unentbehrliche, »da habe ich genau das richtige für dich. Lunas Katze hat nämlich vor kurzem geworfen, laß uns am besten gleich hinfahren.« »Jetzt ist es aber genug«, schrie ich auf, als meine Frau wie aus dem Nichts in Straßenkleidung dastand. »Komm schon!« ermahnte sie mich trocken, »Luna erwartet uns in zehn Minuten.« Schnell rechnete ich durch: Luna wohnte gerade um die Ecke, die Fahrt dorthin, sozusagen ein Katzensprung, würde also höchstens zwei Minuten in Anspruch nehmen; demnach hatte die Unentbehrliche von vornherein acht Minuten für meinen Protest einkalkuliert. Diesen Erfolg durfte ich ihr nicht gönnen: Ich ging widerstandslos mit. In Lunas Badezimmer begrüßte uns ein vierfaches, klägliches Miauen. Wie auf Eiern laufend, tapste uns ein Quartett wuscheliger Angorabällchen entgegen, zwei bunte, eine graue und eine undefinierbare, die wie die Farbpalette eines abstrakten Malers aussah. Aber keine schwarze, und schon gar keine mit weißen Söckchen. Doch dann geschah etwas Überraschendes. Zielstrebig und unter Ausrufung infantilster Kosenamen ging meine Frau auf die Kätzchen zu, legte, guttural gurrend, drei der Tiere in einen Korb, nahm diesen auf und wandte sich zu mir: »Wir können gehen!« Augenblicklich erkannte ich die einmalige Chance, mit nur drei Katzen nach Hause zu kommen. Schnell griff ich meiner Frau unter den Arm, um sie einerseits hinauszubegleiten, andererseits um sofort einen Würgegriff anbringen zu können, falls sie sich doch noch nach der vierten Katze bücken sollte. Mein Triumph ließ mich sogar vergessen, daß meine Farbwünsche rücksichtslos übergangen worden waren. Den Abend verbrachten wir gemeinsam meist unter dem Sofa, das sich die Neuankömmlinge als erstes Versteck auserkoren hatten und das sie auch unter größtem Einsatz lockender Wollknäuel und aufregender Stricknadeln nicht verlassen mochten. Jeden schmerzhaften und lebensgefährlichen Versuch meinerseits, die Tierchen hervorzuholen, quittierte meine Frau mit Aussprüchen wie »Sind sie nicht süß?« oder »Sind sie nicht süß?« oder »Sind sie nicht süß?« – ihr Einfallsreichtum kannte angesichts des über10
wältigenden Erlebnisses keine Grenzen. Erst als uns das Hansaplast ausging, begaben wir uns glücklich und zufrieden zu Bett. »Weißt du«, flüsterte ich der Unentbehrlichen schlaftrunken zu. »Ich bin stolz auf dich, daß du der vierten Katze widerstanden hast.« »Danke«, säuselte sie mir ins Ohr und strich dabei zärtlich über meine Wundverbände. »Aber die vierte hole ich morgen ab. Die Katzenmutter soll sich doch langsam daran gewöhnen können, daß ihre Kinder nicht mehr da sind. Eine Katze kann das doch gar nicht begreifen, verstehst du?« Ich verstand sehr wohl und drückte unter Schmerzen ihre Hand. »Ich liebe dich«, sagte ich leise und freute mich auf die vierte. Irgendwo würde sich an dem Tier doch ein kleines schwarzes Fellstück finden lassen. Und die Füßchen konnte man zur Not auch in Mehl tauchen, oder nicht?
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Zerstörungswut Oberflächliche Beobachter könnten meinen, daß unsere vier Katzen ganz gewöhnliche Tiere seien: ohne Rasse, ohne Stammbaum, ohne Erziehung. Sie sind es natürlich nicht! Gegenüber Besuchern geben wir ihre Rasse als ›Europäisch Kurzhaar‹ an, ihre Ahnenreihe läßt sich lückenlos bis zur Mutter zurückverfolgen, und ihre Erziehung richtet sich nach den liberalen Summerhill-Prinzipien des britischen Chaos-Pädagogen A. S. Neill. Eine andere Erziehungsmethode ist ohnehin nicht möglich. Katzen sind ja schließlich keine Hunde. Leider! Hunde kann man anketten oder durch ganztägiges Gassigehen beruhigen. Der einzige Vorteil von Katzen ist, daß sie nicht bellen. Aber das tun Kanarienvögel auch nicht. Ansonsten gilt: Cave felidam! Katzen sind einfach süß. Man achte zum Beispiel auf den hinreißenden Anblick eines sich wohlig streckenden Tiers. Der Schwanz stellt sich keck in die Höhe, die Barthaare richten sich lustig nach vorn, der Mund öffnet sich zu einem zufriedenen Gähnen – und die Vorderkrallen malträtieren das teuerste Möbelstück der gesamten Wohnung. Einfach süß! Als nach zwei Wochen ›süßer Heimsuchung‹ unsere Sofagarnitur aussah, als hätten wir sie mehrmals durch die Häckselmaschine gejagt, traf meine Frau eine weise Entscheidung. »Wir müssen ihnen einen Kratzbaum kaufen«, sagte sie entschlossen, während sie den von zarten Krallen aufgerissenen Wohnzimmerteppich wieder anzukleben versuchte. »Vielleicht hören sie dann auf, sich an unseren Möbeln zu vergreifen.« Der neu angeschaffte Kratzbaum erwies sich als außerordentlich hilfreich. Vor allem diente er als Sprungrampe, von der aus sie nun auch die Vorhänge leichter erreichen konnten. Für einen Comic akustisch übersetzt, verlief der Vorgang wie folgt ›Galoppelgaloppel‹ (Anlauf bei voller Geschwindigkeit), ›ratschratschratsch‹ (blitzschnelles Erklettern des Baumes), ›zsssst‹ (beinahe lautlose Flugkurve vom Baum zum Vorhang), ›rrrrtttrrrttt‹ (Zwischenlandung und sanftes Zubodengleiten mit 12
dem Vorhang), ›galoppelgaloppel‹ (Abgang und neuer Anlauf bei voller Geschwindigkeit). Verantwortungsbewußt wie ich bin, erklärte ich das Wohnzimmer zur Tempo-30-Zone und führte Radarkontrollen ein. Die schnellste Raserin wurde mit einer Geschwindigkeit von über 112 km/h gemessen. Die Androhung einer Gefängnisstrafe verpuffte wirkungslos, die Betroffene hatte gerade die schwedischen Gardinen zerrissen. Nützliche Erziehungshilfen waren auch die eigens über einen Spezialversand bestellten Eckenschoner aus Damast. Im Winkel über die Zimmerecken gedübelt, blieb zumindest das darunter liegende Tapetenstück heil. Die Kratzecken selbst waren zum Krallenwetzen freilich nicht so attraktiv wie die Rauhfasertapete zwei Zentimeter daneben. Vielleicht meinten die Katzen, die Faser sei noch nicht rauh genug. Auf jeden Fall haben wir auf unsere Katzen ein Patent angemeldet. Als rein biologische Tapetenlöser sind sie um ein Vielfaches wirksamer als jedes bisher erhältliche chemische Mittel. Als unsere Wohnstuben-Rambos ihren vegetarischen Appetit an unserer üppigen Pflanzenansammlung zu stillen begannen, beschlossen wir zu handeln und räumten die Wohnung gänzlich leer. Ohne Pflanzen und Möbel ist das Wohnen zugegebenermaßen etwas ungemütlich, aber der Anblick unserer vier süßen Kätzchen entschädigt uns für vieles. Und außerdem hat es noch keinem geschadet, sein Essen auf dem blanken Parkettboden zu sich zu nehmen. Ungeschützt sind jetzt noch allein die Zimmerdecken, obwohl wir bereits heimlich beobachten konnten, daß sich die Katzen offenbar im Pyramidenbau üben. Unsere Phantastischen Vier wollen womöglich im Stile der Bremer Stadtmusikanten hoch hinaus. Vielleicht schaffen sie es ja eines Tages, auch die Deckentapeten aufzufräsen, meine Frau und ich haben für diesen Fall die Abmachung getroffen, daß wir die herabhängenden Fetzen nicht antasten und als lustige Girlanden interpretieren. Besuchern werden wir erklären, daß wir unsere schmucklos gewordene Wohnung für Fasching herrichten. Bis es soweit ist, überlegen wir noch, welche Namen wir den Kätzchen geben. Hehre Bezeichnungen aus der griechischen Mythologie schwe13
ben mir vor: Aphrodite, Hera, Athena oder Eurydike stehen zur Auswahl, auch wenn meine Frau an ihren kindisch-lächerlichen Namen Biene, Baggi, Balou und Daumen hängt. Einen Vorschlag hat die Unentbehrliche allerdings schon abgelehnt. In einem schwachen Moment war mir der Gedanke gekommen, die kleinen Süßen als ›samtpfötige Abrißbirnen‹ zu bezeichnen und einfach durchzunumerieren. Aber so wie ich die Entscheidungsfindungen in unserem Hause kenne, wird es wohl bei Biene, Baggi, Balou und Daumen bleiben. Mir soll es recht sein. Für meine süßen kleinen Kätzchen tue ich doch alles.
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Darf ich vorstellen…? Von Anfang an lag mir meine Frau in den Ohren: »Du kannst nicht über unsere Katzen schreiben, ohne sie einzeln vorzustellen!« ermahnte sie mich täglich und ließ drohend erkennen, daß sie es ernst meinte. »Immerhin sind unsere Katzen die Hauptfiguren deines Buches, oder etwa nicht?« »Ja, schon«, wandte ich diskussionsbereit ein. »Aber wer soll sich für vier Einzelporträts interessieren?« »Ich natürlich«, entrüstete sich die Unentbehrliche – und damit waren die nachfolgenden Kapitel beschlossen. Darf ich also vorstellen?
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Der Daumen – zwischen Adorno und Adonis Der Daumen ist eine von vier Lieblingskatzen meiner Frau und ist trotz seines Namens eine sie. Ursprünglich die schwächste des Wurfs, erhielt sie zunächst den Namen Däumelinchen, was später – nach gezielter Mastkur – zu Däumling verkürzt wurde. Um der weiteren Figurveränderung gerecht zu werden, mußten wir den Namen ein erneutes Mal stauchen, seither heißt sie kurz und knapp: der Daumen. Der Daumen hat ein ungewöhnlich zartes Fell von undefinierbarer Farbe. Je nach Lichteinfall schimmert es mal braun, mal gelb, mal rot, mal schwarz und läßt auch keine Mischfarbe aus. Manchmal, wenn im abendlichen Gegenlicht sogar ein sanftes Grün aus den Haarspitzen leuchtet, erinnert der Daumen an eine erdig-moosige Hügellandschaft in der Eifel. Diese Vorstellung erfordert zwar etwas Phantasie, aber meiner Frau gefällt der Vergleich bestimmt. Trotz seiner ruhigen Art und seiner überragenden Intelligenz (der Daumen gehört zu den vier intelligentesten Katzen der Welt) ist er kein trockener Intellektueller. So ist der Daumen der Erfinder des sogenannten Langnese-Blicks. Wenn er meine Frau anschaut, schmilzt sie regelmäßig wie Eis in der Sonne. Ob der Daumen eine hübsche Katze ist, darüber kann man sich streiten – allerdings nicht mit uns. Für uns – und unsere Meinung ist bindend – gehört der Daumen zu den vier schönsten Katzen der Welt… Nach der unumstößlichen Überzeugung meiner Frau stammt der Daumen in direkter Linie von der altägyptischen Falbkatze bzw. der Rasse der Abessinier ab. Daß seine Eltern ursprünglich europäische Hauskatzen waren, ist hierzu kein Widerspruch, sondern unterstreicht nur, wie ungewöhnlich der Daumen ist. Überhaupt gehört der Daumen zu den vier ungewöhnlichsten Katzen der Welt – falls wir das noch nicht erwähnt haben. Der Daumen verfügt über ein bestaunenswert ausgeprägtes Gehör. Selbst im tiefsten Schlaf kann er unterscheiden, ob in der Küche gerade eine Dose mit Tomaten oder mit Katzenfutter geöffnet wird. Ein kurzes Zucken mit der Ohrspitze verrät seine 16
Aufmerksamkeit, die erst dann erlischt, wenn er das Geräusch identifiziert hat. Auf alle Fälle dreht er sich dann um und schläft weiter – mit schnödem Futter kann man den Daumen nicht bestechen. Unterstützt wird diese Charakterstärke durch seine Fähigkeit, sämtliche Schranktüren mit den Krallen zu öffnen, um sich am Futter selbsttätig zu bedienen; oder um es endlich einmal anzusprechen: Der Daumen gehört zu den vier charakterstärksten Katzen der Welt. Der Daumen nimmt auf der nach oben offenen Beliebtheitsskala meiner Frau zweifelsohne den 1. Platz ein. Als ich sie einmal fragte, für welche Katze sie sich entscheiden würde, wenn sie nur eine auswählen dürfte, kam ihre katzenschlaue Antwort wie aus der Pistole geschossen: »Für alle vier natürlich.« Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich behaupten: Meine Frau gehört zu den fünf intelligentesten Katzen der Welt…
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Die Biene – Hummeln im Hintern Nachdem der liebe Herrgott den Regenbogen, den Buntspecht, die Südseefische und vieles andere mehr geschaffen hatte, schaute er auf seine Palette und sah, daß von allen Farben kleine Reste übriggeblieben waren. Nach kurzer Überlegung, was damit zu tun sei, schloß er für einen Augenblick die Augen und schuf die Biene. Die Biene, das erste bunte Graffiti-Gemälde auf weißem Pelz, ist in der Tat ein ungewöhnliches Tier, das selbst auf den von eigentümlichen Kreaturen bevölkerten Galapagosinseln auffallen würde. Neben ihrer der Chaostheorie nachempfundenen Fellzeichnung besticht sie nämlich zusätzlich durch riesige ferkelfarbene Fledermausohren, mit denen sie die zärtlich geflüsterten Erziehungsmaßnahmen ihrer Menschen ignoriert. Vielleicht reagiert sie ja wie die Fledermäuse auf Ultraschall und schaltet nur beim klackenden Geräusch eines Dosenöffners auf normale Akustik um. Mit Flausen im Kopf und Pfeffer im Hintern hält uns die Biene immer in Bewegung, auch dann, wenn uns gerade nicht nach Bewegung ist, zum Beispiel um drei Uhr morgens. Zu nächtlicher Stunde kann es dann schon passieren, daß meiner Frau ausnahmsweise ein leiser Fluch über die Lippen schlüpft, aber ernsthaft böse bin ich dann nicht – zumindest nicht mit der Biene! Bei aller übermütigen Poltrigkeit ist die Biene sehr sensibel und außerordentlich schnell beleidigt. Eine zu hohe oder zu tiefe Stimmlage, ob beabsichtigt, unbeabsichtigt oder auch nur erkältungsbedingt, wird mit Liebesentzug nicht unter drei Wochen bestraft – Bewährung bei guter Führung und einer täglichen Portion gekochten Kabeljaufilets möglich. Als die kleinste unserer vier Glückskatzen muß sich die Biene eine gewisse Wehrhaftigkeit erhalten. Was meine Frau bisweilen leichtfertig als nackte Angriffslust bezeichnet, ist in Wahrheit nichts anderes als eine vorsorgliche Wahrung der Intimsphäre und des eigenen Futternapfes. Manchmal will die Biene eben ihre Ruhe.
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Zu diesem Zweck halten die Biene und ich täglich eine private Schmusestunde nach dem Essen ab. Eifersüchtig wie eine Katze muß es meine Frau dann hinnehmen, daß wir uns die Bettdecke überziehen und uns gegenseitig in den Mittagsschlaf schnurren. Was soll’s, denke ich dann. Andere Männer haben auch ihre Freundinnen, und ich habe eben meine Konkubiene! »Gib es doch zu, daß die Biene deine Lieblingskatze ist!« versucht mich die Unentbehrliche manchmal festzunageln, wenn ich mal wieder frei nach Peter Kraus ein swingendes ›Sugar sugar Biene‹ intoniere. »Du verkennst meine Verantwortung«, winde ich mich unter Aufbietung aller rhetorischen Winkelzüge. »Nicht die Biene ist meine Lieblingskatze – sondern ich bin ihr Lieblingsmensch!«
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Baggi – die Feinschmeckerin Baggi ist ein Prachtexemplar einer bislang nur noch unentdeckten Edelrasse und wird daher ungerechterweise als gewöhnliche, getigerte Hauskatze der Gattung ›Europäisch-Kurzhaar‹ verkannt. Dabei kommt ihre dunkelgraue Fellzeichnung höchstens noch bei einigen wenigen Millionen anderen Katzen des Kontinents vor. Im Licht der untergehenden Sonne allerdings erkennen gewisse, mit mir verheiratete Frauen in ihrem Fell eine Spur auberginefarbenen Purpurs, eine Farbe, die die Unentbehrliche neuerdings auch als Lidschatten aufträgt. Von Baggi haben wir weitaus mehr als von den anderen Katzen, sie ist nämlich mit Abstand die dickste. Baggi ist ein leidenschaftlicher Esser, weshalb wir ihr zu Ehren unsere Küche in ›Baggis Kochstudio‹ umbenannt haben. Angesichts einer dreifachen Konkurrenz hat sie ihre Eßweise derart ökonomisiert, daß sie bei der Nahrungsaufnahme auf Kauen völlig verzichten kann. Zur Vertilgung größerer Trockenfutterportionen zum Beispiel renkt sie ihren Unterkiefer einfach aus und pflügt mit ihm wie mit einem Schaufelbagger über den Boden. Eine ähnliche Eßkultur ist unseres Wissens nur noch bei Walen gesichtet worden, wenn sie mit aufgesperrtem Maul mehrere Hektar Plankton auf einmal abgrasen. Baggi ist von allen unseren Lieblingskatzen die sprachbegabteste. Wenn sie nicht gerade ißt oder schläft, unterhält sie sich mit uns – meist über das Thema Essen. Dabei übertrifft ihr diesbezüglicher Wortschatz die Menge an verfügbaren Katzenfuttermarken um ein Vielfaches. Ihre Sprachbegabung kommt uns bei der Erziehung sehr entgegen. Aufmerksam lauscht sie unseren wortreichen Erklärungen, warum es zum Beispiel verboten ist, die Zimmerpflanzen umzugraben, und ebenso wortreich erklärt sie uns, warum sie es trotzdem tut. Die meiste Zeit des Tages verbringt Baggi aber hoch oben im Katzenbaum in ihrer Hängematte. Wie ein überreifer Riesenapfel schwebt sie dann schlafend über der Erde und lädt zum Pflücken ein, was wir uns natürlich trotz größter Verführung verbit20
ten. Schon einmal wurden die Menschen wegen einer verbotenen Obsternte aus einem biblischen Idyll vertrieben, wir müssen die Geschichte ja nicht wiederholen. Nur gelegentlich verläßt Baggi ihren schützenden Adlerhorst, zum Beispiel in der Neujahrsnacht inmitten der ärgsten Knallerei. Wenn sich ihre Schwestern ängstlich unter das Bett verkriechen, weiß Baggi den konkurrenzlosen Zugang zu den Katzentellern zu schätzen und verleibt sich ein üppiges Vier-GängeMenü ein. Erst dann flüchtet sie aus Angst vor dem Feuerwerk zu den anderen. Vermutlich deshalb nennt der Lateiner den Prototypen aller Hauskatzen felis silvestris. Ansonsten hat Baggi einen Lieblingstraum, in dem sie einen Werbespot für Katzenfutter dreht. Der Clou: Die Szene, in der sie den Teller leerputzt, muß 20mal wiederholt werden, und als Belohnung bekommt sie zum Schluß etwas zu essen. Ja, mit Baggi verbindet uns eine wahrlich dicke Freundschaft.
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Balou, das schöne Burgfräulein Balou erinnert im Aussehen an einen knackigen Rohkostsalat mit frischen Karotten, Kohlrabi und unbehandelter roter Bete. Da sie gern im Korb mit den schmutzigen Kleidern schläft, rechnen wir sie zur Buntwäsche, die aber trotz des hohen Weißanteils an Brust und Bauch ausschließlich bei 30 Grad behandelt werden möchte. Bügelfrei, versteht sich. Balou selbst teilt unsere Meinung, daß sie prinzessinnenhaft schön ist. Wenn sie auf der sonnendurchfluteten Fensterbank posiert, scheint sie zu erwarten, daß jeden Moment Leonardo da Vinci zum Porträtieren vorbeikommt. Bis dies geschieht, läßt sie sich von uns täglich photographieren. Da Balou nach dem Vorsatz lebt: man ist so adelig, wie man sich fühlt, wirkt sie wie eine höfische Edeldame, die Probleme hat mit ungeschlachten, bürgerlichen Menschen. In der Anfangszeit gaben wir ihr daher den Namen ›Lady Butterworth‹, der sich allerdings nicht durchsetzen konnte. Irgendwie fiel es uns schwer, mit einer Dame dieses Namens über so profane Dinge zu reden wie Kratzverbot, Nachtruhe oder Stubenreinheit. Mit ihrem neuen bürgerlichen Namen ›Balou‹ hat sie sich schnell angefreundet: Sie hört bei ihm genauso weg wie bei dem alten. Eitel, wie sie ist, hält sie sich gern im Badezimmer auf und schaut meiner Frau stundenlang beim Schminken zu. Das heißt natürlich nicht, daß meine Frau sich stundenlang schminken muß, vielmehr dauert die kosmetische Pflege nur so lang, weil Balou intensiv gestreichelt und vor allem gebürstet werden will. Es liegt also immer an Balou, wenn wir wieder zu spät zu einer Veranstaltung kommen. Sagt meine Frau. Zweimal am Tag zeigt unser schönes Burgfräulein jedoch eine ganz andere Seite ihres Charakters und legt jede höfische Vornehmheit ab. Dann gebärdet sie sich wie ein übermütiges Fohlen auf der Koppel; seitwärts galoppierend und mit peitschenartig gekrümmtem Schwanz verwandelt die wie vom Hafer gestochene Balou unsere Wohnung in eine Rennbahn für zweijährige Stuten. In solchen Momenten nennen wir sie despektierlich ›das Pferd‹. 22
Fasziniert ist das Pferd vor allem vom Öffnungsmechanismus der Balkontür. Wie vor der Klagemauer in Jerusalem sitzt sie ohne Unterlaß davor und jammert mit Silber im Blick und Gold in der Kehle so lange, bis man die Nerven verliert und ihr aufmacht. Anschließend verweilt sie ebenso lange unmittelbar auf der Schwelle und beweist, daß sie wie alle Katzen über die übersinnliche Fähigkeit verfügt, an zwei Orten gleichzeitig zu sein: Balou ist immer sowohl drinnen als auch draußen, womit sie sicherlich auch den mythischen Türwächter Zerberus in die Verzweiflung getrieben hätte. Warum sollten wir uns also über die paar Frostbeulen, die uns das phantastische Phänomen im Winter regelmäßig beschert, aufregen? Ansonsten genießen wir täglich den besonderen Liebreiz, den uns Balou entgegenbringt. Zugegeben, wir dürfen sie nur selten in den Arm nehmen oder gar auf den Schoß, und auch Schnurren will sie meist nur dann, wenn sie sich ausgiebig im Spiegel bewundert hat. Daß sie aber uns und nur uns liebt, zeigt sie jedesmal, wenn wir Besuch haben: Dann läßt sie sich nämlich nicht einmal blicken. Wenn das keine typisch kätzische Liebeserklärung ist?
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Vier bildhübsche Katzen Alles in allem führen meine Frau und ich eine harmonische Ehe. Beide sind wir ihrer festen Überzeugung, daß ich zu wenig Geld verdiene, beide haben wir eine gänzlich divergente Vorstellung von Urlaub, und beide schwören wir unisono auf vollkommen unterschiedliche Weltanschauungen. Nur selten sind wir nicht einer Meinung, dann aber handelt es sich nur um Kleinigkeiten. Eine dieser Kleinigkeiten ist blond, jung, attraktiv und heißt Luna. Mit ihren Idealmaßen 90-60-90 finde ich Luna vor allem geistig-platonisch interessant, meine Frau hingegen hält von solchen optischen Intellektualitäten nichts: Sie selbst ist dunkelhaarig. Kurzum: Meine Frau ist eifersüchtig und hat dazu auch allen Grund. Neben ihren geistigen Vorzügen ist Luna nämlich zu allem Überfluß auch noch die Vorbesitzerin unserer Katzen. In Lunas Badezimmer erblickte unsere Viererbande das Licht der Welt, Luna war es, die – neben der Katzenmutter – die erste Bezugsperson für unsere Zuckerwattebällchen darstellte. Und noch heute fragt Luna regelmäßig nach, wie es denn ihren Kätzchen gehe! »Das sind nicht ihre Kätzchen!« erregt sich meine Frau jedes Mal aufs Neue. »Wann kapiert dieses blonde Gift endlich, daß es meine Kätzchen sind?« In der Anwendung von Possessivpronomen vergißt mich die dunkelhaarige Egoistin schon einmal. »Laß sie doch reden«, werfe ich bei solchen Gelegenheiten schlichtend ein und stelle mir dabei vor, wie das blonde Gift im Bikini aussieht. Ich weiß gar nicht, was meine Frau gegen Luna hat!? Unseren Ehealltag belasten derlei Vorstellungen nur in der Art, daß meine Frau unter lautstarkem Gelächter bevorzugt Blondinenwitze zum besten gibt. ›Schwarzen Humor‹ nennt dies die Unentbehrliche, eine Bezeichnung, die mir buchstäblich an den Haaren herbeigezogen scheint. So jedenfalls standen die Dinge noch bis vor kurzem.
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Mit der Ankündigung Lunas, ihre Kätzchen mal besuchen zu wollen, änderte sich jedoch alles. Zunächst reagierte meine Frau völlig normal und steigerte ihren Output an Blondinenwitzen um 120 Prozent. Dann aber beschlichen sie vermehrt Zweifel. »Meinst du, die Katzen könnten Luna mehr lieben als mich?« fragte sie mich in einer stillen Minute. »Aber nein«, beruhigte ich sie. »Katzen sind doch treue Tiere – wenn ihnen der Sinn nicht gerade nach Opportunismus steht.« Gerade noch rechtzeitig konnte ich einem fliegenden Katzenteller ausweichen, die häßlichen Flecken, die der nachfolgende Wassernapf an der Tapete hinterließ, verdienen kaum eine Erwähnung. »Na, wo sind denn meine kleinen süßen Kätzchen?« flötete Luna, als ihr die stark unterkühlte Hand meiner Frau die Tür öffnete. »Ich muß doch sehen, was aus ihnen geworden ist in der Fremde.« »Fühlen Sie sich wie zu Hause«, erwiderte der Eisschrank neben mir und fügte abgewandt hinzu: »Aber führen Sie sich nicht so auf!« Ihre Herzlichkeit kannte keine Grenzen. Herzlicher noch als meine Frau waren aber die Katzen selbst. Wie auf ein geheimes Kommando hatten sie sich bei der Ankunft Lunas in unauffindbare Verstecke begeben. Erst als wir im Schlafzimmer zu dritt auf dem Boden herumrobbten und mit einer Taschenlampe unter das Bett leuchteten, erkannten wir weit in die hinterste Ecke gedrückt vier schattige Umrisse, die man bei wohlwollender Interpretation als Katzensilhouetten identifizieren konnte. Selbst intensivste Lockversuche blieben erfolglos, die Katzen hatten beschlossen, an diesem Tag auf menschliche Gesellschaft zu verzichten. Mit einem Mal taute der Kühlschrank an meiner Seite auf: »Seien Sie nicht böse, Luna«, säuselte die Unentbehrliche plätschernd wie ein vom Eise befreiter Frühlingsbach. »Unsere Katzen haben nun mal Angst vor Fremden! Aber glauben Sie mir: Es sind vier bildhübsche Tiere.« Als hätte ich nur auf dieses Stichwort gewartet, holte ich flugs unser Photoalbum hervor und reichte es Luna. Wenn schon nicht in natura, sollte sie die Katzen wenigstens auf Bildern zu Gesicht bekommen. 25
Es wurde ein herrlicher Abend. Scherzend und Katzengeschichten austauschend, verplauderten die beiden Damen die Zeit, ich wiederum tat mich an den gereichten Plätzchen und am verstohlenen Anblick unserer blonden Besucherin gütlich. Als wir wieder allein und die Katzen unter dem Bett hervorgekrochen waren, schmiegten wir uns zu sechst zärtlich aneinander. »Weißt du«, verfiel die Dunkelhaarige in ein leichtes Gurren. »Luna ist eigentlich ganz nett.« »Stimmt!« sagte ich glücklich und nahm die Hübscheste unserer Familie in den Arm. »Wir sind halt wieder einmal der gleichen Meinung.«
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Nach Hause »Ich kann doch nicht meine Katzen alleine lassen!« sagt meine Frau mit regelmäßiger Empörung, wenn ich unverschämterweise mal wieder das Thema Urlaub anspreche. »Und außerdem«, pflegt sie das Gesprächsritual zu vervollständigen: »Ohne meine Katzen ist ein Urlaub sowieso kein Urlaub.« Solche Äußerungen der Unentbehrlichen sind selbstverständlich keine Diskussionsbeiträge oder Verhandlungsangebote. Es sind vielmehr ›letzte Worte‹, zu diskutieren oder verhandeln gibt es da nichts. Sie könnte genausogut sagen: »Urlaub kommt nicht in Frage!« Aber das hätte dann nichts mehr mit Diplomatie zu tun. Meint sie. Und dennoch gelang es mir einmal, die Unentbehrliche zu einem ausschweifenden Kurzurlaub für einen Tag zu überreden. Sie bestand lediglich auf drei voneinander unabhängigen Katzensittern, die, nach Vorlage eines jeweils aktuellen polizeilichen Führungszeugnisses, sich wechselseitig kontrollieren sollten. Nach zähen Verhandlungen (mit meiner Frau) konnte ich ihre Mutter, meinen Bruder sowie die Nachbarin für den Dienst an der Katze gewinnen. Wir fuhren los. Nach fünf Minuten auf der Autobahn befahl die Unentbehrliche, eine Telefonzelle anzufahren. »Ich habe ein schlechtes Gefühl wegen der Katzen«, sagte sie knapp und rief bei den Katzensittern an. Zehn Minuten später kehrte sie mit bekümmerter Miene zum Auto zurück. »Ist etwas mit den Katzen?« fragte ich besorgt. Die Unentbehrliche biß sich auf die blassen Lippen. »Wenn man den Katzensittern glauben darf, dann nein«, sagte sie mit erkennbar nagendem Zweifel. »Alle drei haben übereinstimmend berichtet, daß sie schlafen.« »Na bitte!« rief ich erleichtert aus und bemühte einen hilfreichen Spruch: »›Wer schläft, sündigt nicht!‹« »Laß diese blöden Sprüche«, fauchte es vom Beifahrersitz. »Oder findest du es normal, daß die Katzen um diese Zeit schlafen?« 27
Kurze Zeit später drängte es die Unentbehrliche erneut zum Telefon. Neuerlicher Anruf bei den Katzensittern, und wieder besorgte Miene bei meiner Frau. »Sie schlafen angeblich immer noch«, faßte sie das Telefongespräch zusammen. »Bist du sicher, daß dein Bruder vertrauenswürdig ist?« Um den Kurzurlaub nicht unnötig zu gefährden, stellte ich meinem Bruder geschwind eine schriftliche Bürgschaft aus, die ich unter den scharfen Blicken meiner Frau unterschreiben mußte. Nach einem argwöhnischen Vergleich der Unterschrift mit den Angaben in meinem Personalausweis ging es endlich weiter. Die Reise verlief allerdings so, als hätte man mehrere blasenschwache Kinder im Auto. Alle paar Kilometer wollte die Unentbehrliche austreten und zu Hause anrufen, mein Fahrstil verkam zu einem quälenden ›Stop and go‹ – allerdings ohne Stau. Nach drei Stunden Fahrt – wir hatten gerade mal 25 Kilometer zurückgelegt – passierte etwas Entscheidendes. Von einem neuerlichen Anruf kehrte meine Frau noch besorgter zurück als zuvor. »Baggi!« röchelte sie mir schon von weitem entgegen. »Baggi…!« »Was ist mit Baggi? Ist sie aus dem Bett gefallen?« »Viel schlimmer«, japste sie erregt. »Seit unserer Abfahrt schläft sie. Und das heißt, sie hat drei Stunden nichts gegessen. Wir müssen sofort umkehren. Baggi muß krank sein!« Nur der Vollständigkeit halber erwähne ich meinen zaghaft vorgetragenen und selbstverständlich nutzlosen Einwand, daß es für eine Katze, und vor allem für unsere Baggi, normal sei, zwei Drittel des Tages schlafend zu verbringen. Aus langjähriger Eheerfahrung mit meiner Frau war mir schnell klar: Dieser Urlaub war vorüber. Zu Hause angekommen, wurden wir von den Katzensittern schon erwartet. Mein Bruder tat sich als Wortführer hervor. »Gut, daß ihr kommt. Wir haben regelrecht kämpfen müssen, um wach zu bleiben. Oder hast du schon mal versucht, vier 28
schlafende Katzen zu beaufsichtigen? Das wirkt geradezu ansteckend. Wenn nicht ständig das Telefon geklingelt hätte…« Derweil stürzte sich die Unentbehrliche auf unsere Phantastischen Vier und zwang sie mit intensivem Streicheln, ein Lebenszeichen von sich zu geben. Erst als auch Baggi das linke Augenlid leicht anhob und sich schnurrend auf die andere Seite wälzte, beruhigte sie sich langsam wieder. Als die Katzensitter gegangen waren, nahm ich hoffnungsvoll und nicht ohne Hintergedanken meine Frau in den Arm. »Siehst du«, sagte ich gurrend wie eine bettelnde Katze. »Wir können jederzeit in Urlaub fahren. Unsere vier haben uns überhaupt nicht vermißt!« »Bist du verrückt?« schnauzte die Unentbehrliche angriffslustig zurück. »Wenn uns die Katzen nicht vermissen, dann geben wir ihnen offenbar zu wenig Liebe.« Mehr sagte sie nicht, aber ich wußte, was sie meinte: Wir müssen öfter zu Hause bleiben. Der Urlaub jedenfalls ist für die nächsten Jahre gestrichen.
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Eine Bettgeschichte In meinem Sportverein gelte ich neuerdings als großer Casanova. Und das kam so. Beim Duschen nach dem Training regte ein bestimmter Körperteil offenbar die Phantasie meiner Kameraden an. »Na, du alter Schwerenöter? Welche Mieze hat dir denn den Rücken zerkratzt?« meinte ein süffisant grinsender Kollege und machte die übrige Duschgesellschaft auf meinen geschundenen Oberkörper aufmerksam. In einem Anflug von naivem Männlichkeitswahn hielt ich dagegen. »Eine?« empörte ich mich und rieb mir die Seife aus den Augen, um dann wahrheitsgemäß fortzufahren. »Du meinst vier Miezen!« Augenblicklich bedachte mich die Herrenrunde mit anerkennenden Blicken, einigen Kameraden fiel die Kinnlade herunter, so daß sie bei weiterlaufender Dusche eine unfreiwillige Mundspülung erhielten. Seitdem gelte ich, wie gesagt, als großer Casanova. Ich weiß nicht genau, warum ich den wahren Sachverhalt damals nicht rückhaltlos aufklärte und verriet, daß unsere vier Katzen mich gelegentlich als Kratzbaum benutzen. Vielleicht wollte ich nur eine Salve gröbster Herrenwitze verhindern oder aber das Duschwasser war zu kalt, und ich wollte den Reinigungsprozeß nicht über Gebühr in die Länge ziehen. Vielleicht aber tat mir die unvermutete Anerkennung meiner Männlichkeit auch ein kleines bißchen gut. Und das kann ich erklären. Seit wir Katzen haben, stehen meiner Frau und mir bei der Erfüllung sogenannter ehelicher Pflichten gewisse Hindernisse im Weg. Nicht, daß wir uns nicht mehr liebten oder das Gefühl der zueinander drängenden Körper nicht mehr kannten. Das ist es nicht. Was unserem Liebesleben Probleme bereitet, ist vielmehr eine vierköpfige Bande haariger Voyeure, die sich beim ersten Anzeichen anbahnender Zärtlichkeit zwischen meiner Frau und mir ins Schlafzimmer begeben. Körperlichen Gefühlen der beschriebenen Art nachzugeben, ist dann schwierig, wenn sich 30
etwa der Daumen wie eine ägyptische Tempelkatze auf dem Fensterbrett postiert und despektierlich auf uns beide herabsieht. Manchmal habe ich den Eindruck, daß er in solchen Augenblicken mit unerbittlicher Strenge über den neuzeitlichen Verfall der platonischen Ideenlehre sinniert. Erschwert werden unsere Bemühungen aber auch durch andere Störungen. Geradezu potenzschwächend kann sich etwa ein gezielter Tritt in schmerzempfindliche Körperregionen auswirken, genauso wie ein wohliges Rekeln über die gesamte Breite des Kopfkissens oder ein ausgiebiges Füße jagen, wann immer auch nur die kleine Zehe sich unter der Decke hervorwagt. Um unsere Ehe zu retten, mußten wir zur grausamsten aller Maßnahmen greifen: Zu bestimmten Zeiten sperrten wir unsere vier wuscheligen Präservative einfach aus dem Schlafzimmer aus. Das mehrkrallige Kratzen an der Tür zum Sperrbezirk läßt sich mit viel Herzlosigkeit und vor allem mit besonders tief eingeführten Ohrstöpseln halbwegs ertragen. Es dauerte lange, bis unser schlechtes Gewissen gegenüber unseren Lieblingen ein wenig nachließ und ein geregelt zu nennendes Eheleben zuließ. Nur in der Anfangszeit mußte ich meine schuldbewußte Frau gelegentlich trösten. »Weißt du«, sagte ich ihr einmal zärtlich flüsternd, »ich habe gelesen, daß es sowieso unhygienisch ist, Katzen ins Bett zu nehmen.« »Ach!« wunderte sie sich in ihrer unendlichen Milde. »Meinst du, die Katzen könnten sich bei uns anstecken?«
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Der geniale Zug Schon seit Wochen raubte mir der Schachcomputer ›Chesster‹ den letzten Nerv. Selbst das penible Studium der Züge renommierter Schachgrößen von Tal über Tarrasch bis hin zu Kasparow und Nohsik nutzte nichts – mit jeder Niederlage litt mein intellektuelles Selbstbewußtsein mehr. Nach der fünfunddreißigsten Blamage hintereinander begann ich allerdings, eine moderne gesellschaftliche Entwicklung besser zu verstehen: Ich beschloß, eine Abhandlung zu schreiben über ›Die Entstehung von Gewalt und Aggression gegenüber technischen Geräten‹. Daß die Welt auf dieses epochale Traktat verzichten muß, hat sie ausschließlich unserer Katze Biene zu verdanken. Kurz bevor ich nämlich meine Studien mit Hilfe eines gußeisernen Vorschlaghammers empirisch umsetzen wollte, kletterte besagte Biene auf meinen Schreibtisch und spazierte schnurrend und heftig haarend über die Tastatur. Unter wüstesten Beschimpfungen wie: »Das darfst du aber nicht, meine kleine süße Biene« wollte ich das Tier verscheuchen, als der Computer plötzlich unbekannte Signale von sich gab. Ich traute meinen Augen kaum. ›Chesster‹ gab auf, die Biene hatte per Pfotendruck den genialen Zug gefunden und ihn mattgesetzt. Diese unglaubliche Entdeckung war der Beginn meiner beispiellosen Karriere als Schachexperte. Schwierigste Schachrätsel gab ich in den Computer und überließ der Biene die Steuerungsmaus – schon erschien in Sekundenschnelle die Lösung auf dem Bildschirm. Meine ersten internationalen Erfolge erzielte ich im sogenannten Fernschach. Bald sandte mir die ganze Welt scheinbar unlösbare Problemstellungen, die ich meiner kongenialen Partnerin zur Bearbeitung weiterreichte. Reihenweise suchten renommierte Großmeister bei mir Rat, den ich gegen eine Palette besten Katzenfutters gerne erteilte. Einschlägige Verlage traten an mich heran und orderten Fachbücher, die mit sprichwörtlichem Bienenfleiß in kürzester Zeit geschrieben und auf den Markt geworfen wurden. Für die Publikationen im englischsprachigen Bereich wählte ich die entsprechende Übersetzung für Biene: 32
bee. Besonders reißenden Absatz fanden die gleichzeitig vertriebenen Autoaufkleber mit Sprüchen wie ›Don’t worry, bee happy‹ oder ›To bee, or not to bee‹, und auch in Deutschland setzte sich der Spruch ›Schwebe wie ein Schmetterling und stich wie eine Biene‹ vor allem bei der jugendlichen Bevölkerung durch. Nicht zuletzt durch Betreiben meiner Frau, die die anderen drei Katzen ein wenig vernachlässigt sah, begann ich, die Arbeit am Computer auch an sie zu delegieren. Aber trotz beachtlicher Erfolge reichten die Schachleistungen von Baggi, Daumen und Balou nicht ganz an die der Superbiene heran, was aber keineswegs von Nachteil ist. Nach längeren Versuchsreihen habe ich nämlich festgestellt, daß die Stärken unserer Lieblinge verteilt sind. Baggi etwa ist bei kniffeligen Haushaltskalkulationen unschlagbar, Balou wiederum läßt deutliche Vorteile in der Textverarbeitung erkennen. Der Daumen schließlich hat sich auf die computergesteuerte Zukunftsforschung spezialisiert, zur Zeit arbeitet er an einem neuen Softwareprogramm, bei dem anhand von kolorierten Graphiken der Bedarf an Whiskas und Kitekat im Jahre 2100 dargestellt und errechnet werden kann. Verbesserungswürdig bin allein noch ich, den die komplizierte Computerwelt der Katzen längst überfordert. Aber ich wäre der erste Mensch, dem seine Katzen keine Rätsel aufgeben, oder etwa nicht?
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Das Masthäkchen Es war an einem verregneten Wochenende, als ich mich beim Mittagsschläfchen auf dem Sofa plötzlich etwas eingeengt fühlte: Baggi, unsere muntere Rundliche, hatte im Freßnapf nichts Brauchbares mehr gefunden und sich schnurrend zum Verdauungsschlaf abgelegt. Um Luft ringend, wandte ich mich an meine Frau. »Findest du nicht, daß Baggi in letzter Zeit ein bißchen zu dick geworden ist?« »Baggi ist nicht zu dick!« kam postwendend die eingeschnappte Antwort. »Sie hat nur einen kleinen Kopf!« Die verblüffende Logik der Unentbehrlichen brachte mich nur kurzfristig aus dem Konzept, auch wenn ich ihr teilweise recht geben mußte. Baggi erinnerte tatsächlich an einen massigen Bodybuilder mit einer Stecknadel zwischen den Schultern. Allerdings an einen Bodybuilder ohne Muskeln… Zu meiner großen Überraschung signalisierte die Unentbehrliche Bereitschaft, für Baggi einen Diätplan zu erstellen. Das zeigte mir erst, wie groß der Handlungsbedarf bereits war. Hungernden Menschen kann man raten, sich von Essensverführungen aller Art fernzuhalten. Aber wie macht man das einer Katze klar? Vor allem, wenn diese drei Schwestern hat, die von Diät etwa soviel halten wie ich – oder eben Baggi. Kurz und gut: Die Diät wurde für das Tier zur Qual. Schon den ganzen ersten Tag verbrachte sie im zähen Kampf mit der Kühlschranktür, die trotz erheblicher Kratz- und Bißschäden bis zuletzt ihren Widerstand aufrechterhielt. Baggi sackte erst gegen Abend erschöpft davor zusammen – wie ein Panzerknacker, dem kurz vor der Safeöffnung das Gas für den Schneidbrenner ausgegangen ist. Bereits früh reifte in uns die Erkenntnis, daß Baggi unserer Zuwendung noch dringender bedurfte als je zuvor. Abwechselnd nahmen die Unentbehrliche und ich das jammernde und darbende Tier auf den Arm und trugen es kreuz und quer durch das Haus, ähnlich wie ein plärrendes Baby, das man so lange umherträgt, bis es ein Bäuerchen macht. Bei Katzen haben Bäu34
erchen diesen erlösenden Effekt nicht. Nur einmal am Tag stellte Baggi das qualvolle Miauen ein, wenn wir ihr eine wohlrationierte Portion Whiskas light servierten. Die Schreipause dauerte freilich nie länger als den Bruchteil einer Sekunde, in der sie den Teller im Stile eines nordamerikanischen Hurrikans leerfegte. Weil wir diesem Naturschauspiel eine wissenschaftliche Nachweisbarkeit verleihen wollten, haben wir Baggis Eßvorgang mit einer hochauflösenden Spezialkamera festgehalten. In der Superzeitlupe erkennt man, daß Ober- und Unterkiefer mit der Frequenz eines Kolibriflügels aufeinanderschlagen. Es ist dies der Höhepunkt eines abendfüllenden Dokumentarstreifens, den wir unseren weniger werdenden Freunden bei regelmäßigen Filmabenden vorführen. Neben der Futterrationierung stand natürlich auch ein sportives Aerobictraining auf dem Diätprogramm. Hierbei hielt es Baggi aber offenbar mit Churchill ›No sports‹ und zeigte das Temperament einer skandinavischen Wanderdüne. Nur mit Mühe und Geduld, vor allem aber mit einer an den Schwanz gebundenen Glocke, brachten wir sie auf Trab und jagten sie von einem Stockwerk des Hauses zum nächsten. Vergleichbare Erfolge erzielten wir nur, wenn wir hinter ihrem Rücken Luftballons platzen ließen oder den allseits gefürchteten Staubsauger in Stellung brachten. Schon nach drei Wochen zeitigte unsere Abmagerungskur deutliche Resultate. Baggi war derart abgemagert, daß sie wieder ohne fremde Hilfe auf die schwindelerregende Höhe des Fernsehsessels springen konnte. Das Ende der Diät war gekommen. Noch einmal konsultierten wir zum Abschluß die Waage und triumphierten: Gewichtsverlust insgesamt: 9 Kilo. Ein Kilo bei Baggi, jeweils vier bei mir und meiner Frau.
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Eine schwere Operation Kätzchen im Teeniealter sind süß, drollig, anschmiegsam und vor allem nervig. Erst recht, wenn sie rollig werden. »Ich halte das nicht aus!« platzte mir eines Nachts der Kragen, als unsere halbwüchsige Viererbande mich zum zehnten Mal mit tiefkehligem Lustgestöhn am Einschlafen hinderte. »Es wird Zeit, daß wir sie sterilisieren lassen«, sprach ich zu meiner Frau, die wie zufällig auch noch wach lag. »Und das halte ich nicht aus!« erwiderte meine Leidensgenossin. »Was ist, wenn sie aus der Narkose nicht mehr aufwachen?« Dann könnte ich endlich durchschlafen, dachte ich bei mir, wohl wissend, daß ich die Unentbehrliche mit diesem Argument nicht überzeugen würde. Darum blieb ich sachlich und sprach von einem routinemäßigen Eingriff. »Routinemäßig?« echauffierte sie sich. »Eine Blinddarmoperation ist auch nur Routine, und trotzdem können bei jedem zehnten Eingriff Komplikationen auftreten. Da ist die Wahrscheinlichkeit bei vier Katzen…« Auf diesen Einwand hatte ich freilich nur gewartet. Vorbereitet, wie ich war, griff ich nach dem Taschenrechner, den ich unter dem Kopfkissen deponiert hatte, und präsentierte ihr eine Rechnung. »Apropos Statistik«, hob ich an und ließ meine Finger über die Tasten fliegen. »Wenn wir unsere Katzen nicht sterilisieren lassen, dann werfen sie jeweils zweimal im Jahr je 3 Junge, macht pro Jahr 24 kleine Kätzchen. Nehmen wir an, die Hälfte des Wurfs ist wieder weiblich, dann haben wir nach einem Jahr 4+12 Katzen x 2 Würfe x 3 Junge = 96 Katzen. Im zweiten Jahr sind es bereits 270, nach drei Jahren sind wir bei 810, nach fünf Jahren bei 7290 Katzen. Und wenn man bedenkt, daß jede Katze neun Leben hat, dann liegen wir bei 65.610 Katzen – allein nach fünf Jahren! Was sagst du dazu?« »Gib mir den Rechner!« herrschte mich die Unentbehrliche an und riß mir das Gerät aus der Hand. »Ich muß mal nachrechnen, wie viele Katzenklos wir dann brauchen.«
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Währenddessen lehnte ich mich zurück und vertraute auf die Überzeugungskraft der nackten Zahlen. Mehrere Rechenoperationen später erklärte mich die Statistik zum Sieger. »Wir müssen die Katzen sterilisieren lassen!« verkündete die Unterlegene. »Ich kann doch nicht mein Leben als Toilettenfrau verbringen!« Unsere Wahl fiel schnell auf eine renommierte Tierklinik, die speziell für die medizinischen Bedürfnisse von Kleintieren eingerichtet ist. Dem Chefarzt eilte ein exzellenter Ruf voraus. Das war zweifellos unser Mann! Am Tag X ließen sich unsere Katzen von ihrem sechsten Sinn leiten und verkrochen sich völlig verängstigt unter das Bett. Woher wissen diese Viecher nur, wann der Gang zum Tierarzt ansteht? Erst nachdem wir stundenlang mit Engelszungen auf sie eingeredet und das Bett in seine Bestandteile zerlegt hatten, ließen sie sich unter Verwendung dickster Handschuhe und eines entsprechenden Gesichtsschutzes zum Transport bewegen. Als besonderer Anreiz erwies sich dabei wohl die Innenausstattung meines Autos, das seit der Behandlung durch vier noch unsterilisierte Katzen erheblich im Wert gesunken ist. Besser wurde es erst nach Verabreichung starker Beruhigungstinkturen, die ich in einer Überdosis zu mir nahm. »Bei der Operation will ich dabei sein«, sagte die Unentbehrliche dem Arzt gleich zur Begrüßung und musterte ihn von Kopf bis Fuß, ob er denn auch in guter Verfassung sei. »Es tut den Tieren gut, wenn sich eine vertraute Person um sie kümmert.« Nervenschwach, wie ich bin, zog ich mich ins Wartezimmer zurück und gesellte mich zu den anderen Tierhaltern, die wie werdende Eltern von einer Hinterbacke auf die andere rutschten. Neben mir saß ein stattlicher Deutscher Schäferhund, der hin und wieder seltsame Röchelgeräusche von sich gab. »Das kommt von den Flöhen«, erklärte mir der Besitzer. »Der Arzt hat festgestellt, daß sie Husten haben.« »Und das macht solche Geräusche?« fragte ich erstaunt. »Die Flöhe haben Keuchhusten«, kam prompt die Antwort. »Von dem ständigen Geröchel kann Bello kaum noch schlafen.« Mein Vertrauen in den Chefarzt wuchs von Minute zu Minute. 37
Derweil fixierte ich immer wieder die Tür zum OP-Saal, wo ich meine Familie leidend wußte. Eine Stunde verging, ohne daß etwas Außerordentliches geschah, nur hin und wieder kam eine vermummte Schwester heraus, die ich natürlich sofort bestürmte, ob denn alles in Ordnung sei. Es war mir egal, wie oft sie den guten OP-Verlauf betonte – sobald ein weißer Rock auftauchte, rannte ich ihm hinterher. Plötzlich aber flogen die Rockschöße der Schwestern etwas schneller, und Hektik brach aus. Angespannt wirkende Menschen in weißen Kitteln stürzten in den OP-Saal hinein und wieder heraus, über Lautsprecher wurden weitere Ärzte herbeigeordert, an der Decke begannen rote Alarmleuchten zu blinken, ein Stimmengewirr wie unmittelbar nach dem Einsturz des babylonischen Turms setzte ein – und mittendrin stand ich, binnen Sekunden um Jahre gealtert und katzenseelenallein mit meiner Verzweiflung. Hatte mich die Unentbehrliche nicht gewarnt vor der Wahrscheinlichkeit von Komplikationen bei vier Katzen? Warum hatte ich nur gelacht, als sie sagte, sie würde die Operation nicht aushalten? »Herr!« betete ich und hob die Hände gen Himmel. »Laß meine Frau einmal Unrecht haben, bitte, nur dies eine Mal.« Und tatsächlich ging in diesem Augenblick die Schwingtür zum OP auf, und heraus trat der Chefarzt. »Herr Doktor«, stürzte ich mich auf ihn. »Seien Sie ehrlich zu mir…« »Seien Sie völlig unbesorgt«, versuchte er mich zu beruhigen, während meine Arme sein rechtes Knie umklammerten. »Es war nur ein kleiner Schwächeanfall. Ist längst wieder in Ordnung, in ein paar Stunden ist sie wieder putzmunter. Man darf eben solche Eingriffe nicht unterschätzen, wissen Sie.« »Welche war es?« fragte ich noch immer schlotternd. »Eine der bunten oder eine graue? Ich kann es nicht ertragen, wenn meine Kätzchen leiden.« Erstaunt schaute mich der Arzt an und schüttelte mich von seinem Bein ab. »Ihre Kätzchen? Wer redet denn von Ihren Kätzchen? Den Schwächeanfall hatte Ihre Frau! Als sie sah, daß alles gut verlaufen ist, fiel sie einfach um!« Solidarisch, wie ich bin, ergriff nun auch mich ein Schwächeanfall, der eine ähnliche Hektik wie zuvor auslöste. Meine Frau und ich haben die 38
Operation inzwischen gut überstanden, zum Glück werden wir von vier süßen kleinen Kätzchen gepflegt.
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Aus Büchern lernen Seit meine Frau diese vielen Psychologiebücher geschenkt bekommen hat, belehrt sie mich unablässig über meine Fehler im Umgang mit unserer vierköpfigen Katzenbrut. »Schrei Baggi nicht an!« schreit sie mich zum Beispiel an, wenn unser dickes Monstrum gerade mal wieder den zartblättrigen Philodendron ausgegraben hat. »In den Büchern steht, daß man Katzen durch Schreien nur dazu erzieht, vor den Menschen Angst zu haben.« »Das ist ja meine Absicht!« erkläre ich dann und beobachte genüßlich, wie mir die völlig verängstigte Katze um die Beine streicht. Meistens folgt dann eine mehrstündige Exkursion ins Reich des felinen Behaviorismus, wie meine Frau das kätzische Verhalten neuerdings nennt. »Katzen lernen auf drei verschiedene Weisen«, doziert sie dann gerne. »Durch Beobachtung, durch die klassische oder durch die operante Konditionierung.« Zwar verstehe ich nicht einmal die Hälfte dessen, was mir die selbsternannte Professorin für an- und redegewandte Verhaltensforschung erzählt, aber durch ihre Ausführungen sind meine Schlafstörungen seit kurzem wie weggeblasen. Besonders beeindruckend sind ihre wissenschaftlichen Analysen zu bislang weit unterschätzten Alltagsphänomenen wie dem sogenannten Biofeedback. Wenn beispielsweise ein Überschallflugzeug gerade über unserem Haus die Schallmauer durchbricht, nahm ich bisher in naiver und, ich muß schon fast sagen, unverantwortlicher Weise an, die Katzen verkröchen sich aus Angst. Jetzt weiß ich, daß die Hirnanhangdrüse das weithin geläufige Adrenocorticotrophische Hormon (ACTH) freisetzt und die Nebennierendrüse dazu stimuliert, Corticosteroide auszuschütten. Diese wiederum wandern zurück in die Hirnanhangdrüse und stoppen die ACTH-Produktion. Kein Wunder, daß uns Katzen bislang so viele Rätsel aufgaben!
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Was ich anfangs für eine aufgeblasene Marotte der Unentbehrlichen gehalten hatte, entwickelte sich bald zu einer kreativen Lebensaufgabe mit Zukunft und dem gänzlichen Verlust der Fähigkeit, sich verständlich auszudrücken. Schlichtes Erbrechen (oder wie ich beim Aufwischen salopp sage: Kotzen) gibt es bei unseren Katzen nicht mehr, meine Frau spricht nur noch von psychogenen Verdauungsstörungen (die sich bei mir übrigens auch einstellen). Weitere Perlen der tiefenpsychologischen Katzensprache sind auch die Ausdrücke Agoraphobie (Gegenteil von Platzangst) anstelle des umständlichen »Ihr könnt mich ködern, wie ihr wollt, aber ich bleibe unter dem Bett versteckt!« – oder das zungenfreundliche assoziative Markieren für »Wenn ihr mir nichts zu essen gebt, dann ziele ich aus Rache am Katzenklo vorbei!« Geradezu von künstlerischem Wert ist hingegen ihr Fachausdruck für einen aufgerichteten Katzenschwanz: Nach dem lateinischen Wort für Schiffsegel hat meine Frau die Neuschöpfung erektiles VelumSyndrom kreiert. Mit meinem untrüglichen Blick für musische Talente und meiner begrenzten Fähigkeit, wissenschaftliche Vorträge in wachem Zustand zu ertragen, ermunterte ich meine Frau, ihre sprachliche Artistik einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mit Erfolg. Zur Zeit befindet sie sich auf einer Vortragsreise durch die USA, der sich eine Gastprofessur an der Universität von Moskau anschließen soll. Ich selbst habe inzwischen meinen Beruf aufgegeben und das Management meiner Frau übernommen. Um der nicht abebbenden Anfragenflut Herr zu werden, muß ich wohl bald eine Sekretärin einstellen. Wenn auch Sie sich an meine gelehrte Gattin wenden möchten, schlagen Sie einfach nach im ›Who is Who der Wissenschaft‹. Sie finden ihre Adresse allerdings nicht unter ›K‹ wie Katzen, sondern unter ›S‹ wie Schlafstörung. Ihre ermüdenden Vorträge haben sie weltweit zur absoluten Expertin auf diesem Gebiet gemacht. Auf Wunsch nimmt sie auch Masseneinschläferungen vor. Gegen Vorkasse, versteht sich. Als ihr ausgeschlafener Manager muß ich leider darauf bestehen.
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Verpackung ist alles Erst wenn der letzte Vorhang zerrissen ist und die letzte Tapete zerkratzt, und wenn der letzte Teppich zernagt und aufgeschlitzt ist, vielleicht werdet ihr dann merken, daß man Katzen nicht essen kann. Autoaufkleber eines Katzenhalters Besorgt ließ die Unentbehrliche ihren Blick durch unsere Wohnung wandern und dachte unwillkürlich an Andreas Gryphius: »›Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden‹«, murmelte sie vor sich hin und lieferte mir die neuzeitliche Übersetzung des Dichterwortes hinterher: »Diese Katzen kriegen aber auch alles kaputt!« stöhnte sie nachhaltig. »Schau nur, was sie jetzt wieder gemacht haben!« Ich staunte, denn meines Wissens beherbergte unsere Wohnung nichts mehr, das man kaputt machen könnte. Unbekümmert fragte ich daher bei der Unentbehrlichen nach. Sofort intensivierte sie ihre Lautstärke: »Sie haben den Kleiderschrank geplündert. Auf den Kleiderbügeln hängen nur noch Lamettastreifen!« Wie immer, wenn das Blut der Unentbehrlichen in Wallung geraten war, schlug ich auch diesmal einen beruhigenden Ton an. »Reg dich nicht auf!« sprach ich sanft wie ein Sedativum und pries ihr die Vorteile des Unglücks. »So kommst du wenigstens zu einer neuen Garderobe.« Die Unentbehrliche aber bekam plötzlich einen unangenehmen Zug um den Mund. »Was heißt hier ich?« fauchte sie. »Die Katzen haben deinen Kleiderschrank geknackt! Du brauchst eine neue Garderobe!« Nur mit Mühe konnte sie mich an einer vierfachen Strangulation mit ausgewählten Lamettastreifen hindern, indem sie ihrerseits tranquilierend auf mich einredete. »Laß die Katzen in Ruhe«, sprach sie und streichelte meine zum Würgegriff erstarrten 42
Hände. »Sie haben nur zu wenig Abwechslung, sie brauchen neues Spielzeug.« »Neues Spielzeug?« entgegnete ich scharfsinnig. »Sollen wir ihnen etwa eine eigene Wohnung kaufen?« Als wäre sie auf meine Einwände vorbereitet, zauberte sie den Katalog eines Heimtierspezialversands mit ausgewiesenem Katzenspielzeug hervor. Erstaunlicherweise hatte sie den Bestellschein schon ausgefüllt: weiße und graue Spielmäuse, Rasseln, Glocken, unterschiedliche Bälle und Lärm verursachende Kugeln aller Art. Fast wie früher, als man Mottenkugeln verwendete, um Kleiderschädlinge fernzuhalten. Trotz der hohen Preise einigten wir uns auf die Bestellung und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Ausgehen konnte ich ohnehin nicht, da ich über keine heile Straßenkleidung mehr verfügte, tagsüber schlich ich bei heruntergelassenen Rolläden in Kleidern meiner Frau durch die Wohnung. Schon bald lieferte die Post einen mittelgroßen Karton, in den sich umgehend unzählige spitze Krallen und reißwütige Zähne hineinfrästen. Das einzige, mit dem die Raubkätzchen nicht spielten, war die Rechnung – und natürlich der eigentliche Kartoninhalt. Unbeachtet wurden die Spielmäuse, Rasseln, Glocken und Kugeln links liegengelassen, die Verpackung hingegen erwies sich zumindest kurzzeitig als ideales Spiel- und Versteckgelände. »Jetzt habe ich es!« rief meine Frau aus und steckte mir beiläufig die Rechnung zu. »Die Katzen brauchen eine Spielhöhle! Schau, hier im Katalog wird ein ›Pussy-Home‹ angeboten.« Bereits einen Tag später brachte uns die Post ein riesengroßes Paket mit ebensolcher Rechnung; ich bemühte mich, das ›Pussy-Home‹ gewissermaßen als Maßnahme im Rahmen eines kalkulierten Katastrophenschutzplanes zu betrachten. Aber auch dies konnte die Rechnung nicht schmälern, geschweige denn die Katastrophe abwenden. Die Katastrophe gefiel sich diesmal in der vielzitierten ewigen Wiederkehr des gleichen. Mit Hingabe zerlegten die Katzen die Verpackung, das ›Pussy-Home‹ selbst aber inspizierten sie so kurz wie ein bestochener TÜV-Beamter das Auto, der nur in den Auspuff schaut, um den 100-Mark-Schein zu entfernen. Zwei kleinere, aber gezielte Prankenhiebe – schon erlosch ihr 43
Interesse und unser Umtausch- bzw. Rückgaberecht. Und wieder blendete mich meine Frau mit einer neuen Erkenntnis: »Die Katzen brauchen Kartons zum Spielen!« rief sie aus und reichte mir meinen zerrissenen Mantel. »Besorge ihnen doch bitte ein paar Bananenkisten aus dem Altpapier des Supermarkts.« Noch immer ohne passende Straßenkleidung stahl ich mich mit einem tief ins Gesicht gezogenen Hut aus dem Haus, die ›Aktion Bananenkiste‹ begann. Unterwegs steckten mir einzelne Passanten kleine Geldbeträge zu, vermutlich verwechselten sie mich mit einem mittellosen Bettler. Oder sollte es etwa doch keine Verwechslung gewesen sein? Obwohl ich den Blick stets demütig zur Erde gerichtet hielt und nur gelegentlich aufschaute, um heimtückisch lauernden Laternenpfählen und anderen Hindernissen aus dem Weg zu gehen, blieb mein ehrenrühriger Auftritt von den klatschsüchtigen Überwachungsorganen der Nachbarschaft nicht unbemerkt. Fortan galt ich als streunender Tippelbruder, der sein Essen aus Mülltonnen zusammenklaubt, in einer Mischung aus Abscheu und Mitleid wich man mir folglich aus. Unter diesem rapiden Reputationsschwund litt ich mehr als meine Frau. Zwar mied sie es, mit mir in der Öffentlichkeit gesehen zu werden, und auch, daß sie sich am Telefon mit ihrem Mädchennamen meldete, fand ich nur allzu verständlich. Ansonsten freilich hielt sie fest zu mir wie ein Sekundenkleber, der so heißt, weil er höchstens für eine Sekunde hält. Abgesehen davon, daß sie ab einem gewissen Zeitpunkt für getrennte Schlafzimmer plädierte, wollte sie mir offenbar treu bleiben, bis daß der Tod uns scheidet. Allerdings auch keine Minute länger… Trotzdem ist ihr nicht daran gelegen, daß ich mein neues Schmuddelimage aufgebe. Zu groß ist nämlich das Entsorgungsproblem, das uns die vielen ausgedienten Bananenkartons mittlerweile aufbürden. Unsere eigene Altpapiertonne ist permanent überfüllt, notgedrungen müssen wir auf die Tonnen unserer Nachbarn ausweichen. Und daß ich als Tippelbruder in fremder Leute Mülltonnen herumschnüffele, gehört bereits zum normalen Erscheinungsbild unserer Gegend. Sollen sie sich doch wundern, daß ihre Tonnen immer voll sind, schließlich 44
kann ich mich auf ein biblisches Recht berufen, das da besagt: ›Geben ist seliger denn Nehmen‹.
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Ein Haar in der Suppe Es war an einem Sonntagabend, meine Frau und ich saßen vor der Mattscheibe und schauten uns ›Traumhochzeit‹ an. An einer besonders rührseligen Stelle blickte ich verstohlen auf die Unentbehrliche und erschrak. Rollte da nicht eine kleine Träne die Wange hinunter? Ich rückte näher an sie heran. »Frau«, sprach ich tröstend, »du mußt nicht weinen. Du bist doch schon verheiratet.« »Rede keinen Unsinn!« gab die Unentbehrliche barsch zurück. »Ich habe nur ein Katzenhaar im Auge.« Und schon stand sie auf und ging ins Bad. Durch diese nüchterne Erklärung war der romantische Fernsehabend zunächst einmal unterbrochen, also erhob ich mich, klopfte mir schnell noch etwa 50 Gramm Katzenfell aus den Kleidern und ging ins Bett. Als meine Frau hinzukam, hatte sich ihre Laune nicht gebessert. »Du könntest dich mal wieder rasieren«, sagte sie im Tone steigerbarer Kritik. »Und außerdem: Seit wann hast du so viele Haare auf der Brust?« Mit einer stets bereitliegenden Bürste entfernte ich die Katzenhaare von den besagten Körperteilen und drehte mich zum Schlafen um, kaum behindert durch die verbliebenen Haare in der Bettdecke und in der Matratze. Schon nach drei Stunden hatte ich mich derart müde gekratzt, daß ich problemlos einschlief. Seit der Heimsuchung durch vier süße, samtpfötige Kleintiger, die unter ganzjährigem Haarausfall leiden, ist unser Leben eine haarige Sache geworden. Nichts in unserem Hause bleibt von dem Phänomen des permanenten Haarbefalls verschont, selbst an Orten, die die Katzen unseres Wissens noch nie betreten haben, stäuben uns Juckreiz auslösende Härchen oder auch ganze Haarbüschel entgegen – sogar aus frisch geöffneten Konservenbüchsen. Besonders hübsche Zeichnungen hinterlassen die Haare auf einer frischen Butter, und auch die Lichtbrechungen, die die Haare in einem perlenden Glas Sekt hervorrufen, haben durch46
aus ihren Reiz. Weniger angenehm ist freilich das gehäufte Auftreten von Katzenfell im Tee oder auf der Pizza, auch wenn man sich an alles irgendwann einmal gewöhnt. Schließlich ist die Unentbehrliche die einzige Ehefrau der Welt, die täglich einen neuen Pelzmantel aus Haarmelin erhält. Leider lehnt sie Mäntel dieser Art aus Tierschutz-Gründen ab. Inzwischen glauben wir, ohne die Haare nicht mehr leben zu können. Oder anders gesagt: Wir können nicht mehr ohne die Haare leben, weil uns die Katzen keine Wahl lassen. Täglich produzieren sie neue und verteilen sie laut schnurrend in der Wohnung, das heißt mit einer Ausnahme: Die Katzenschüsseln verschonen sie, schon mehrfach haben sie das Essen verweigert, wenn sich darin Haare befanden… Da ein Hadern mit dem Schicksal wenig Zweck hat, nehmen wir es, so gut wir können, mit Humor und passen auch unseren aktiven Wortschatz den Verhältnissen an. So nehmen wir seit längerem zum Beispiel nur noch Haar-Milch zu uns, und auch sonst haben wir uns geradezu zu sprachlichen Haarsadeuren entwickelt. Seit neuestem verbreitet meine Frau sogar das Gerücht, ich hätte in Haarvard studiert und daß wir uns auf Haarwaii kennengelernt haben. Beide Behauptungen sind natürlich haarsträubende und haarnebüchene Lügen. Eines Tages aber, als ich mich gerade von einem hartnäckigen und haarbedingten Niesanfall erholt hatte, sprach ich in ernstem Tone zu meiner Frau. »Laß uns doch heute mal auswärts essen. Ich möchte zu gerne wissen, wie es ohne Haare schmeckt.« Als Vorspeise brachte uns der Kellner eine Suppe. Ungläubig starrten wir in das flüssige Fett, aus dem mehr Augen herausschauten als hinein. Und tatsächlich: In der Suppe befand sich kein einziges Haar. Angesichts der ungewohnten Situation stocherten wir lange hilflos in der Brühe herum, nur gelegentlich wagten wir es, eine Löffelspitze zu kosten. Plötzlich lehnte sich die Unentbehrliche abrupt zurück und flüsterte mir etwas zu: »Ich kann das nicht essen! Ohne Haare ist es einfach zu fad!« Im gleichen Augenblick nahm sie ihre Handtasche auf den Schoß und förderte daraus eine kleine, reich verzierte Silberdose zutage. Sie öffnete sie und griff, als habe sie ein Salzfäßchen 47
vor sich, mit Zeigefinger und Daumen hinein. Es waren Katzenhaare! Feinste Katzenhaare jedweder Couleur, mitgebracht aus der heimischen Produktion. Eine kleine Prise dieses kulinarischen Sahnehäubchens genügte, und das wohlige Schlürfen der Unentbehrlichen ward im gesamten Restaurant vernehmbar. Nach einem exorbitanten Mahl mit mehreren Gängen machten wir uns auf den Weg nach Hause und zogen Bilanz. »Weißt du«, sagte die Unentbehrliche mit sattem Timbre in der Stimme, »auswärts essen ist schon etwas Feines. Aber zu Hause schmeckt es mir immer noch am besten.« Sie hatte wieder einmal vollkommen recht, die Unentbehrliche. Wie immer. Sie bringt die Dinge eben ganz genau auf den Punkt. In diesem Fall sogar haargenau.
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Der sechste Sinn Wenn meine Frau eine Katze wäre, würde ich behaupten, sie verfügt über einen sechsten Sinn. Wie aus heiterem Himmel kann sie die Nase in den Wind stellen und in dunkler Vorausahnung ein bevorstehendes Unglück wittern. Schon oft hat sie einen Besuch der Zeugen Jehovas vorhergesagt, angeblich erkennt sie sie bereits an ihrer apokalyptischen Art, an der Haustüre zu klingeln. Auch wenn das Telefon läutet, weiß die Unentbehrliche meist schon vor dem Abheben, wer anruft. »Ich stehe jetzt nicht auf, das ist bestimmt wieder für dich«, sagt sie und trifft mit ihrer Vorhersage ins Schwarze: Sie steht tatsächlich nicht auf! Ihre hellsichtigen Fähigkeiten haben sie mit der Zeit empfänglich gemacht für Omen und Vorzeichen aller Art. Mühelos sagt sie anhand des Vogelflugs globale Naturereignisse wie die nächste Jahreszeit voraus, etwa: »Es wird Frühling«, aber auch persönliche Schicksale gehören zu ihrer Spezialität: Wenn wieder einmal ein Vereinsabend auf der Tagesordnung steht, weiß sie schon vorher, wie und vor allem wann er zu Ende geht: »Um zehn bist du zu Hause«, prognostiziert sie dann – und behält fast immer recht. Schwierig wird es allerdings, wenn die Unentbehrliche Zeichen erkennt, die sie nicht zu deuten weiß – dann werde auch ich zum Hellseher, der den gefährdeten Familienfrieden vorhersagt. Zum Beispiel, als unsere Katzen eines Tages ohne erkennbaren Grund unruhig wurden. Jammernd streunten sie durch die Wohnung und sandten hilflose Blicke an ihre ebenso ratlosen Menschen. Selbst in der Not gereichte Extraportionen Sardinenstückchen linderten die Qual nur kurzfristig, kaum war der letzte Happen verschlungen, setzt das vierfache Miauen sogar noch stärker ein. »Vielleicht steht uns ein Erdbeben bevor?« rätselte die Omengläubige und hielt sich vorsorglich an der Wand fest. »Tiere haben für solche Dinge einen sechsten Sinn, weißt du?« Ich
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nickte zustimmend, obwohl ich nur das Sprichwort kannte, wonach die Ratten ein sinkendes Schiff verlassen. Aber Katzen? »So tu doch endlich was!« unterbrach sie meine einsamen Überlegungen, nun schon selbst unruhiger als die Tiere. »Während ich mir das Hirn zermartere, was die Unruhe bedeuten kann, drückst du nur deinen Hintern platt!« Ich verstand sofort, daß diese Äußerung nicht als Prognose gemeint war, und rief beim seismologischen Institut der Universität an. Nein, versicherte man mir dort, Anzeichen für ein bevorstehendes Erdbeben gebe es nicht, im übrigen stamme das letzte Beben in unserer Gegend aus der Zeit der Kontinentaldrift, von einer akuten Bedrohung könne also nicht ausgegangen werden. »Dann zieht bestimmt ein schweres Unwetter auf!« gab die Unentbehrliche nicht nach und veranlaßte mich, diesmal beim meteorologischen Institut anzurufen. Nein, machte man mir auch dort glaubhaft, Anzeichen für ein bevorstehendes Unwetter gebe es nicht, im übrigen liege über ganz Europa ein wolkenloses Hoch, von einer akuten Bedrohung könne also nicht ausgegangen werden. »Dann riechen die Katzen die Fäulnis im Gemäuer!« setzte die Unentbehrliche ihre Spekulationen über den nahen Weltuntergang fort. »Bestimmt kracht uns gleich das Haus zusammen.« Die folgenden Stunden verbrachte ich mit der Suche nach Rissen in den Wänden und Schimmelbildung an der Tapete. Das Ergebnis war niederschmetternd: kein Riß, kein Schimmel, dafür aber eine Unentbehrliche, die nicht lockerließ: »Vielleicht droht uns ein Felsrutsch, direkt vor unserem Haus?!« Ich ersparte mir den Anruf im petrographischen Institut und beruhigte meine Frau mit eigenem Wissen: »Wir leben hier nicht in der Schwäbischen Alb! Es gibt bei uns weit und breit keine Felsen!« »Wer weiß?« zweifelte die Unentbehrliche meine geologischen Kenntnisse an. »Vielleicht wissen wir nur nichts davon, weil der Fels eben noch nicht gerutscht ist. Du kennst wohl nicht die Geschichte des Dorfes Elm. Da sind die Katzen auch kurz vor einem Felssturz getürmt. Und Elm liegt auch nicht auf der Schwäbischen Alb, sondern in den Schweizer Bergen!« 50
»Da hast du es!« triumphierte ich. »Die Schweiz ist mit Felsen geradezu übersät. Wir aber leben in Deutschland, fernab von allen Steinschlägen und Felsrutschen!« »So, so!« schoß die Unentbehrliche zurück. »Du glaubst also, die Katzen sind nur zum Spaß nervös!?« »Solange sie essen wollen, kann es nicht so schlimm sein«, erwiderte ich überlegen und rief die Viecher zu einer Extrarunde Katzentabs. »Siehst du«, sagte ich lässig aus dem Mundwinkel und beobachtete, wie die Katzen mein Ablenkungsmanöver einfach ignorierten. Statt dessen setzte ein Katzenjammer ein, als wäre ich ihnen auf den Schwanz getreten. Jetzt drückten auch mich die übelsten Vorahnungen. In einem Blitzrundruf telefonierte ich nacheinander mit dem anaestologischen, dem biometrischen, dem serologischen, dem radiologischen, dem genetischen sowie dem tropenhygienischen Institut, aber keiner der genannten Einrichtungen war eine Gefahr bekannt, die der Aufklärung unseres Falles dienlich gewesen wäre. Als auch die Kriminologen und Paläontologen nicht weiterhalfen, packte mich die verzweifelte Wut. »Verdammter Mist«, rief ich aus, meine übliche zurückhaltende Ausdrucksweise vergessend. »Was haben die Katzen nur?« Plötzlich riß die Unentbehrliche die Augen weit auf und erstarrte zur Salzsäule. »Um Himmels willen, schnell!« schrie sie. »Hol die Schaufel und einen großen Plastikbeutel! Vielleicht können wir das Unglück gerade noch abwenden!« Wie ein übereifriger GSG-9-Beamter schoß ich in den Keller, um die geforderten Utensilien zu besorgen, begleitet vom jämmerlichsten Gejaule, das ich je von vier Katzen gehört habe. Als ich schweißüberströmt zurückkehrte, herrschte eine wundersame Ruhe. Die Katzen lagen auf dem Teppich und putzten sich, als wäre nichts geschehen. »Was ist passiert?« fragte ich, noch immer nach Luft ringend. »Ist ein Flugzeug auf unser Haus gestürzt, und ich habe es noch nicht bemerkt, weil ich schon im Himmel bin?« »Du kannst ganz beruhigt sein«, sagte die Unentbehrliche sichtlich entspannt. »Das Unglück ist gerade noch einmal an uns vorbeigegangen.« 51
»Welches Unglück denn?« stieß ich kurzatmig hervor. Die Unentbehrliche lächelte und fuhr mir zärtlich durch das aufgewühlte Haar. »Ich hatte vergessen, die Katzenklos zu säubern!«
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Gute Vorbilder Der moderne Mensch hat heutzutage viele Möglichkeiten, sein Geld für unnütze Dinge auszugeben. Das protzige Auto für den Herrn wirkt auch im Stau noch beeindruckend, für die sicherheitsbewußte Dame sind hochkarätige Edelsteine und Schmuck eine unvergängliche Zierde für jeden Tresor. Und wer trotz aller Bemühungen nicht weiß, wie er sein Geld verprassen soll, kann sich ja ein Kind anschaffen. Da rinnt die Mark nahezu von allein durch die Finger. In ganz hartnäckigen Fällen von Verschwendungsmangel empfiehlt sich der Versuch, eine Katze zu erziehen, nach dem Motto: Ist dir ein Tierpsychologe zu billig, dann verschleudere dein Geld für Katzenratgeber in Buchform. Ganze Bibliotheken füllen sich inzwischen mit Katzenliteratur, der Kaufkraft sind also keine Grenzen gesetzt. (Pädagogische Katzenbücher findet man in der Buchhandlung übrigens nicht unter ›P‹ wie Pädagogik oder ›K‹ wie Katzen, sondern unter ›S‹ wie Satire. Scheuen Sie sich auch nicht, sich als ›Satire-Fan‹ zu outen, und begegnen Sie der Frage des freundlichen Buchhändlers, ob Sie das Buch als Geschenk wollen, stets mit der Antwort: »Nein, zum Lesen!«). Auch in unserem Hause sind die Bücherregale mit wortreichen Ratlosigkeiten zum Thema Katzenerziehung gefüllt. ›Katzenerziehung leichtgemacht‹, oder ›Wie verstehe ich meine Katze richtig?‹ oder ›Das Prinzip Summerhill‹ – so oder ähnlich lauten die satirischen Titel, die wir als enzyklopädische Meterware in unserem Wohnzimmer horten, wenn auch nicht immer in einwandfreiem Zustand. Manche Bücher sind eben nach der gezielten Perforation durch unzählige kleine Katzenkrallen ein wenig aus dem Leim gegangen – seither gleichen sie mehr einer Loseblattsammlung. Oder anders ausgedrückt: Wenn Katzen zur Schule gehen müßten, wären die Klassenzimmer voll mit schwererziehbaren Kindern! Der Hauptgrund für ihre absolute Erziehungsresistenz liegt meines Erachtens in ihrer Unbestechlichkeit. Hunde, Kleinkinder oder Beamte kann man durch aufmerksame Zuwendungen wohlwollend stimmen, Katzen hinge53
gen haben immer ihren eigenen Sturkopf: Hätte Pawlow seine Versuche mit Samtpfoten anstelle von Hunden gemacht, wäre er sicherlich nicht so bekannt geworden. Die schönsten Erziehungserlebnisse bescherten uns zweifellos die Ratschläge eines Satirikers namens Kühl. Da Katzen durch Beobachtung lernen, empfiehlt dieser, muß man ihnen im Stile einer Katzenmama selbst vormachen, was man von ihnen will. Als könnte man einer Katze etwas vormachen… Trotzdem nahmen wir uns diesen verheißungsvollen Ansatz zu Herzen und erprobten ihn in der Praxis. Als erstes versuchten wir, den Katzen das lästige Krallenwetzen an der Tapete abzugewöhnen. Mehrere Stunden am Tag verbrachte meine Frau in gymnastischer Verrenkung vor der eigens installierten Kratzecke und forderte die lieben Tierchen zur Nachahmung auf. Der Erfolg war geradezu bahnbrechend: Zwar ließen die Katzen auch künftig nicht von der Tapete ab, dafür aber waren die langjährigen Rückenbeschwerden der Unentbehrlichen wie weggeblasen. Ermuntert durch diese Fortschritte nahmen wir das nächste Problem schon viel optimistischer in Angriff. Aus bislang ungeklärten Gründen verlangt es Katzen ja stets nach jener Futtersorte, die gerade nicht auf dem Teller liegt. Streng nach der Kühlschen Demonstrationsmethode legte ich mich also auf den Küchenboden und tat mich an verschmähten Nierenstückchen und Schleckertöpfchen gütlich. Als ich fertig war, schrieen die Katzen – wie gehabt – nach neuem Futter, und zwar zu Recht; schließlich hatte ich den armen Viechern alles weggefressen. Schwieriger war da schon die pädagogische Einweisung in die richtige Benutzung des Katzenklos. Abwechselnd machten meine Frau und ich das behutsame Scharren im Katzenstreu vor und bewirkten tatsächlich eine Verhaltensänderung. Offenbar pikiert über die menschliche Verunreinigung ihres Klos, suchten sie in den nächsten Tagen andere Plätze für ihre Geschäfte auf, so daß wir angesichts der vielen versteckten ›Tretminen‹ beinahe den Kampfmittelbeseitigungsdienst zu Hilfe rufen mußten. Die größte Aufmerksamkeit erzielten wir jedoch mit unserer Demonstration ›Wie besteige ich einen Kletterbaum?‹. Ge54
schickt wie ein übergewichtiger Koala klammerte ich mich am Stamm fest und redete von meiner erhöhten Position auf die Katzen ein. Als wohnten sie einer ungewöhnlichen Theateraufführung bei, versammelten sich meine Schüler im Halbkreis und schienen Szenenapplaus geben zu wollen. Weitaus mehr belustigt zeigten sie sich freilich, als ich plötzlich den Halt verlor und wie ein brüchiger Ast vom Baum fiel. Erst im letzten Moment konnte ich den Fall bremsen, indem ich mich am Vorhang festhielt und so, wie mit einem Fallschirm ausgestattet, zu einer weichen Landung in der üppigen Kakteensammlung meiner Frau ansetzte. Noch bevor ich notärztlich versorgt werden konnte, zeigten sich die Katzen von ihrer gelehrigsten Seite und wandelten auf ihres Lehrers Spuren: Baum rauf, Vorhänge runter – und plumps! mit allen vieren voran in die Pflanzen! Man kann Katzen eben doch etwas vormachen! Inzwischen haben meine Frau und ich jegliche Erziehungsversuche aufgegeben und überlegen, ob wir unsere Erfahrungen in einem Ratgeber zusammenfassen sollen. Leider hat sich bislang noch kein Verleger bereit gefunden, ein solch dünnes Werk zu publizieren. Im Grunde reicht uns nämlich eine einzige Seite, auf der zu lesen wäre: »Geben Sie es auf!«
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Der Floriansjünger Florian, zehnjährige Lieblingsbrut unserer Lieblingsnachbarn Horst und Ingrid Hufnagel, ist nach eigenen Angaben ein erklärter Tierfreund. Wir hingegen halten seine Tierliebe eher für erklärungsbedürftig: Jedenfalls stellt er mit jedem Besuch, den er unseren vier Katzen abstattet, unsere Freundschaft zu seinen Eltern auf eine ernste Probe. Unsere Beschwerden darüber, daß er unsere Schutzbefohlenen ständig am Schwanz zieht, lassen seine Mutter kalt: »Mit Kanemanns Hund spielt er genauso«, wischt sie unsere Argumente einfach vom Tisch und überhört auch den Einwand, daß Hunde derlei Tierversuche ebensowenig mögen wie Katzen. Wenn wir nicht miteinander befreundet wären, hätten wir ihr schon längst mal gesagt, was wir in Wirklichkeit von ihr halten! Schöne Freunde haben wir… Zu den festen Folterrequisiten im Florianschen Horrorkabinett gehören neben Knallfröschen und Stinkbomben auch scheinbar unerschöpfliche Bestände an Knetmasse, die er den Katzen unter freudigem Gegluckse ins Fell schmiert. »Vielleicht sollte ich ihm auch mal eine schmieren!« schlug ich eines Tages meiner Frau vor, obwohl sie grundsätzlich gegen Gewalt ist. »Das ist wieder einmal typisch!« reagierte die Unentbehrliche ungewohnt heftig. »Wenn es um die Dreckarbeiten im Haushalt geht, bist du immer spurlos verschwunden. Aber beim Vergnügen! Da bist du wieder der erste, der ›Hier!‹ schreit.« Nur mit Mühe konnte ich sie beruhigen, indem ich ihr das Erstschlagsrecht garantierte. »Hör mal, Florian«, redete ich dem prachtvollen Folterknaben einmal ins verkümmerte Gewissen. Er hatte den Katzen gerade die Ohren mit Büroklammern zusammengeheftet. »Warum bleibst du nicht einfach zu Hause und schaust den ganzen Nachmittag fern, so wie das jedes normal gestörte andere Kind auch tut?« »Meine Mami erlaubt das nicht«, erwiderte das altkluge Sympathiebündel. »Mami sagt, daß im Fernsehen zuviel Gewalt gezeigt wird!« 56
Nach dieser pazifistisch verkleideten Kriegserklärung wandte ich mich an die Unentbehrliche: »Frau!« sagte ich mit einem entschlossenen Blick, den ich General Schwarzkopf während der Live-Übertragung des Golfkriegs abgeschaut hatte. »Wir können nicht warten, bis unsere Katzen einen psychischen Defekt erleiden. Wir müssen handeln. Ich plädiere für die ›Operation Floriansturm!‹ Ab jetzt kommt auch die H-Bombe zum Einsatz!« Bei der H-Bombe handelt es sich um unsere fürchterlichste Waffe im Kampf gegen unliebsamen Besuch. Dabei steht das ›H‹ nicht für Wasserstoff, sondern – ich bekenne mich zur Grausamkeit! – für Haare, genauer: Katzenhaare! Ihre Wirkung verdankt die Haar-Bombe der simplen Überlegung, daß jeder Mensch nur eine begrenzte Dosis an Katzenhaaren verträgt. Potenziert man nun die Dosis um ein Vielfaches, reagiert das Opfer wie bei Reizgas: Rötende und juckende Augen, ein andauerndes Niesbedürfnis und ein permanentes Fremdkörpergefühl im gesamten Mund- und Rachenraum sind die ersten Symptome, die die meisten Feinde umgehend zur Aufgabe bzw. zur Flucht zwingen. Unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg der H-Bombe ist die gezielte Präparation des feindlichen Objekts. Hierzu wird es schon beim Betreten der Wohnung mit einer baldrianhaltigen Tinktur beträufelt, die die Katzen zur Feindberührung in Form von unwiderstehlichen Schmuseattacken verleitet. Zur Verstärkung dieses Effekts reiche man großzügige Portionen frischgepflückter Katzenminze, die man dem Opfer möglichst unbemerkt in die Kleidertaschen gleiten läßt. Derart betröpfelt und parfümiert, befindet sich der Feind unablässig im Zentrum einer feinen, aber undurchdringlichen Haarwolke, die ihn aussehen läßt, als habe er eine Woche lang mit aufgerissenen Augen in chlorhaltigem Wasser getaucht. Auch bei Florian verfehlte die H-Bombe ihre Wirkung nicht, wenngleich er ausgesprochenes Stehvermögen zeigte und die anfänglichen Sehtrübungen zunächst mit einem Heuschnupfen verwechselte. Den entscheidenden Sieg feierten wir jedoch, als die ersten Haare ihren Weg unter Florians Kontaktlinsen fanden und ein blindes, rotäugiges Albinokaninchen aus ihm machten. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann sich der Feind aus 57
dem besetzten Gebiet zurückziehen würde, so daß wir darauf verzichten konnten, dem gegnerischen Hauptquartier anonyme Briefbomben mit ganzen Haarbüscheln der Rasse ›Europäisch Vielhaar‹ als letzte Drohung zuzuschicken. Mittlerweile ist die ›Operation Floriansturm‹ abgeschlossen, unser Haus ist wieder besucherfrei. Wie uns aber Florians Mutter mitteilt, will sich ihr Sohn nun selbst ein Tier anschaffen, im Gespräch sind eine Schlange oder eine Farm mit Nacktschnecken – auf jeden Fall nichts Haariges! Bis es soweit ist, meinen wir, soll er ruhig mal seine Eltern quälen.
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Hund und Katz Bei den streunenden Katzen der Umgebung hat sich inzwischen herumgesprochen, daß im Haus mit der gelben Fassade eine tierverrückte Ehefrau mit ausgeprägtem Fütterungstrieb lebt. Prall gefüllte Näpfe und Schüsseln türmen sich in unserem Garten, die O’Malleys der Gegend können täglich aus einem zehngängigen Menü wählen, und zwar ohne Ansehen der Rasse oder Fellfarbe. Das Freiluftrestaurant läuft prima, der Andrang ist so groß, daß wir demnächst Platzreservierungen vornehmen müssen. Manchmal denke ich, unser Garten gleicht einer Wassertränke im verbauten Dschungel der Vorstadt während einer Dürrezeit. Sozialarbeit nennt es die Unentbehrliche, eine Sozialhilfe für die Obdachlosen unter den Tieren, für die Verwaisten ohne Familienanschluß. In Wahrheit ist meine Ehefrau eine Asylaktivistin, die sich freimütig zum Slogan bekennt: »Mein Freund ist eine Katze!« Die Kanemanns von nebenan sind von unserer Asylpolitik nicht sonderlich begeistert. Grundsätzlich haben sie nichts gegen Katzen, sagen sie, aber wenn es so viele sind… Mit den Kanemanns können wir, offen gestanden, nicht besonders gut. Meine Frau und ich schwören eben mehr auf Katzen, während sich die Kanemanns lieber einen reinrassigen deutschen Schäferhund mit meterlanger Ahnentafel und Impfausweis halten. Angeblich wegen möglicher Einbrecher – als sei die Hausherrin nicht schon Abschreckung genug! Mir jedenfalls würde es nicht einfallen, zu nächtlicher Stunde bei ihnen einzubrechen, ich hätte viel zuviel Angst, auf Frau Kanemann im Negligé zu stoßen. Natürlich geht unsere gemeinsame Ablehnung nicht so weit, daß wir nicht miteinander kommunizieren, im Gegenteil. Unsere Gärten grenzen aneinander, und so kommt es gezwungenermaßen zu regelmäßigem Austausch von nachbarschaftlichen Nettigkeiten.
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»Diese Biester haben mir letzte Nacht ein ganzes Blumenbeet umgegraben!« kläffte Frau Kanemann eines Tages über den Zaun. »Es sind nicht unsere Katzen«, erwiderte ich freundlich, »wir füttern sie nur.« »Für mich sind das aber Ihre Katzen!« gab sie unbeeindruckt zurück und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, um irgendwelche imaginären Schweißtropfen abzuwischen. Es war ihre charmante Art, darauf hinzuweisen, daß ihr die Katzen zusätzlich Arbeit verursacht hätten. Nach dieser reizenden Einlage kam Frau Kanemann endlich zum Wesentlichen: »Was das wieder kostet!?« seufzte sie kopfschüttelnd und zerrieb die Luft zwischen Zeigefinger und Daumen. »Ich darf gar nicht daran denken, was ein Gärtner dafür verlangen würde!« Ich hatte die Wahl, entweder einer handfesten Erpressung nachzugeben oder aber mich auf eine längere Auseinandersetzung mit meiner Lieblingsnachbarin einzulassen. Mit zwanzig Mark kaufte ich mich von größerem Übel frei. Dachte ich – doch schon am nächsten Tag säuselte das katzenfeindliche Weib die nächsten Forderungen über den Zaun. Diesmal hatten sich die Streuner an ihrer Wäscheleine zu schaffen gemacht und die langen Unterhosen ihres Mannes zerfetzt. Vermutlich hatten die armen Viecher die Kanemannschen Feinrippsäcke für bedrohliche Dämonen gehalten und sie mit wütenden Prankenhieben zu verscheuchen versucht. Egal, die Teufelsaustreibung in Nachbars Garten kostete mich 240 Mark. In der Folgezeit fand meine Erpresserin offenbar Geschmack am einträglichen Geschäft mit den Katzen, so daß wir uns fast täglich zwecks einseitig lukrativen Geldtransfers am Zaun trafen. Begünstigt durch meine klaglose Zahlungsmoral konnten wir die Verhandlungen zunehmend professioneller abwickeln. Manchmal ging ich sogar dazu über, ihr erst das Geld zu überreichen und mich dann nach dem Zahlungsgrund zu erkundigen. Diese Vorgehensweise sparte uns viel Zeit und beflügelte meine Nachbarin zu immer phantasievolleren Forderungen. Daß die Katzen in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem rapiden Schwund an Goldfischen im Kanemannschen Gartenteich 60
standen (170 Mark), mochte ich noch glauben, und auch die Entschädigung für nächtliche Ruhestörungen (30 Mark pro Nacht) schien mir irgendwo vertretbar. Stutzig wurde ich aber, als mir eine Porenverstopfung des Rasens durch Katzenhaare in Rechnung gestellt wurde (145 Mark) sowie ein Schreckausgleich, weil Herrn Kanemann eine schwarze Streunerin von links nach rechts über den Weg gelaufen war (490 Mark). »Findest du, ich bin zu großzügig?« suchte ich eines Tages Rat bei meiner Frau. »Aber nein«, tröstete sie mich sanft. »Du weißt doch, daß ich an dir vor allem deine Großzügigkeit schätze.« Und nach einer kleinen Pause: »Aber im Falle dieser alten Schnepfe von nebenan bist du nicht großzügig, sondern ein Idiot!« »Dann schlag du etwas vor«, konterte ich. »Von einem Idioten wirst du doch wohl keine brauchbare Lösung des Problems erwarten, oder?« Idiotischerweise hatte ich jedoch nicht daran gedacht, daß die Unentbehrliche schon längst einen Schlachtplan ausgetüftelt hatte: »Schicke ihr doch einfach auch eine Rechnung. Du könntest zum Beispiel eine Mäusefreihaltungsgebühr erheben. Im Jahr bringt das sicherlich so an die 500 Mark.« Die folgenden Abende verbrachten die Schöne und der Idiot nicht mehr vor dem Fernseher, sondern vor der Schreibmaschine. Zunächst schickten wir der Nachbarin eine Abmahnung, weil ihr Schäferhund über keinen Gewerbeschein verfügte, obwohl er als Wachpersonal verköstigt wurde. Außerdem erbaten wir eine peinlich genaue Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Mittags- und Abendruhe und veranschlagten für jedwede Verletzung dieser Verordnung durch Bellen, Kläffen oder Winseln ein vorbehaltliches Bußgeld von jeweils 15 Mark. Als Beleg für die einzelnen Verstöße diente uns ein lückenloses Protokoll, das jeden hündischen Laut festhielt und für besonders grobe Verstöße eine nicht unerhebliche Multiplikation mit dem Störungsfaktor X berücksichtigte. Weitere Zahlungsaufforderungen ergingen für katzenspezifische Leistungen. Verdauungsprodukte stellten wir als Naturdüngung in Rechnung (60 Mark pro Behandlung), Beetverunstaltungen liefen unter Jätarbeiten (20 Mark) beziehungsweise unter Unkrautvernichtung (35 61
Mark), und selbst für die nächtlichen Katzengesänge berechneten wir Künstlergagen in Höhe von 250 Mark pro angefangene Stunde und Stimme, mit der Begründung, es handle sich um postmoderne Interpretationen der Nokturnen von Chopin. Nach einem mehrwöchigen Rechnungswettrüsten zeigten die Kanemanns eine erste Reaktion und verzichteten erstmals auf den sogenannten Schöne-Aussicht-Obolus, eine happige Sightseeing-Gebühr, die wir für den täglichen Anblick ihres Grundstücks entrichteten. Im Gegenzug erließen wir ihnen die nicht minder deftige Blumenbestandssicherungssteuer für nektartrunkene Bienen, die, aus unserem Garten kommend, zur Fremdbestäubung auf das Nachbargrundstück hinüberflogen. Allmählich registrierten die verfeindeten Buchhaltungen eine Pattsituation. Von einigen unerheblichen Preisnachlässen abgesehen hat sich am paritätischen Waffenpotential bis heute nichts geändert, auch wenn es bereits durch Unterhändler zu ersten Abrüstungsverhandlungen gekommen ist: Immer häufiger sehen wir die Katzen im einvernehmlichen Smalltalk mit Kanemanns Hund am Gartenzaun sitzen. Vielleicht sind das wirklich die ersten Anzeichen für eine friedliche Koexistenz. Wünschenswert wäre ein gegenseitiger Waffenverzicht auf jeden Fall – schon um des lieben Friedens willen. Vom verwaltungstechnischen Aspekt unseres Hundund-Katz-Verhältnisses möchte ich hier gar nicht erst sprechen.
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Katzenlatein Manchmal denke ich, daß meine Frau ganz anders ist als normale Frauen. Nicht nur, weil sie als einzige Frau der Welt mit mir verheiratet ist, auch sonst. Das übliche Wettrüsten der Nachbarinnen um die aktuellsten Kleider- und Frisurkreationen läßt sie kalt, Kaffeekränzchen zum Zwecke des Gerüchteaustauschs sind ihr zuwider. Sie trinkt lieber Tee. Selbst ein flottes Auto als wichtigster Neidfaktor im kalten nachbarlichen Wohlstandskrieg reizt sie nicht. Meine Frau fährt am liebsten Käfer oder Ente, Hauptsache, es hat irgend etwas mit Tieren zu tun. »Sind dir Statussymbole wirklich egal?« wagte ich einmal ihre Bescheidenheit zu hinterfragen, erntete aber nur ein generöses Lächeln. »Hätte ich denn sonst dich geheiratet?« entgegnete sie präzise. Ich hatte keine weiteren Fragen. Und trotzdem ist meine Frau natürlich unter ›normal‹ einzuordnen; nur eben ganz anders als die anderen, wie die folgende Episode beweisen soll. Bei einem unserer wöchentlichen Hamstereinkäufen für die Katzen räumte die Unentbehrliche gerade das Regal mit Seelachstöpfchen und Kaninchenragout leer, als sie mit einer Dame zusammenstieß, die sich mit ähnlicher Leidenschaft über Unmengen von saftigen Nierenstückchen hermachte. Ein normaler Zusammenstoß zweier Katzenverrückter, dachte ich und beobachtete still, wie sich zwei von Kratzern übersäte Hausfrauenhände zum Gruß begegneten. Schön, überlegte ich, wie friedlich Katzenhalter miteinander umgehen. Das ungeplante Treffen hatte etwas Geheimbündlerisches an sich… Plötzlich aber ward der Friede jählings gebrochen, als die unbekannte Dame sich geradezu brüstend an meine Frau wandte. »Wissen Sie«, sagte sie, sichtlich mit sich zufrieden, »ich habe fünf wunderhübsche Katzen zu Hause!« Irgend etwas war in ihrem Tonfall oder auch nur in ihrer Gestik oder Mimik – jedenfalls reagierte meine Frau ungewohnt gereizt.
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»Ach!« erwiderte sie unterkühlt. »Fünf Katzen, sagen Sie? Wir haben sechs! Alles preisüberhäufte Schönheiten.« Schnell rechnete ich durch, aber auch die kompliziertesten arithmetischen Überlegungen führten zu dem Schluß, daß meine Frau, sagen wir einmal: übertrieben hatte. Wir besitzen nur vier Katzen, die zugegebenermaßen sehr hübsch sind, aber noch nie an einem Schönheitswettbewerb teilgenommen haben und folglich auch nicht preisgekrönt sein können. Überrascht blickte ich auf meine Frau, die sich aber bereits fest im verbalen Clinch mit der plötzlichen Konkurrentin befand. »Selbstverständlich sind sie nicht nur schön, sondern auch ungewöhnlich intelligent«, hörte ich die Unentbehrliche schwärmen. »Es sind sicherlich die einzigen Katzen, die zum Fernsehen die Fernbedienung benutzen.« »Das ist gar nichts«, konterte nun die andere. »Meine Katzen können sogar mit dem Telefon umgehen!« »Können Sie auch die Türsprechanlage bedienen?« »Ja natürlich, aber sie haben den Auftrag, nur Bekannte hereinzulassen.« »Das ist ja normal. Unsere Katzen haben sogar gelernt, Einschreibebriefe und Nachnahmesendungen entgegenzunehmen.« »Das ist ja eine leichte Übung! Neulich war ich einkaufen, als meine neue Einbauküche geliefert wurde. Bis ich zu Hause war, hatten die Katzen bereits sämtliche Schränke installiert.« »Das ist ja ganz nett. Aber habe ich Ihnen schon erzählt, daß unsere Katzen die gesamte architektonische Planung unseres neuen Hauses übernommen haben, einschließlich des Gartens, versteht sich. Sogar mit einem kleinen Fischteich. Ein bißchen müssen die Katzen eben auch an sich denken, nicht wahr?« »Keineswegs. Unsere Katzen sind völlig selbstlos. Von ihrem Monatsgehalt als führende Wirtschaftsingenieure behalten sie keinen Pfennig. Sie wollen nicht einmal ein kleines Taschengeld.« Fassungslos folgte ich der unheimlichen Verwandlung der beiden vormals gesitteten Damen zu Hyänen, die sich gegenseitig allerschlimmstes Katzenlatein an den Kopf warfen. Schlichtend griff ich meiner Frau an den Arm und zog sie vom Ort des unglaublichen Geschehens fort. 64
»Ich glaube, wir müssen gehen«, sagte ich nicht ohne Strenge. »Die Katzen warten bestimmt schon mit dem Essen auf uns. Und du weißt ja, wie ungehalten sie sind, wenn wir das Essen kalt werden lassen.« Im Weggehen hörte ich noch die Konkurrentin hinterherrufen, daß ihre Katzen sie heute zum Essen ins Restaurant eingeladen hätten, aber mit Hilfe eines eisernen Polizeigriffs und eines Taschentuchs, das ich der Unentbehrlichen in den Mund stopfte, gelang es mir, das Gesprächsduell zu beenden. »Was ist denn nur in dich gefahren?« fragte ich meine Frau, als wir im Auto nach Hause fuhren. »Du reagierst doch sonst nicht so aggressiv?« »Ich und aggressiv?« gab sie zurück und trat dabei mit dem Fuß gegen das Armaturenbrett. »Ich kann es eben nicht leiden, wenn man meine Katzen kritisiert!« »Du hast recht!« erwiderte ich und strich ihr sanft durch das aufgewühlte Haar. »Laß uns schnell nach Hause fahren, bevor das Essen kalt wird.« »Ja«, nickte sie kurz und setzte ein bierernstes Gesicht auf. »Ich will nicht, daß die Katzen ungehalten werden.« Ich wunderte mich nicht mehr. Ich habe es ja gesagt: Meine Frau ist ganz normal – nur eben ganz anders als die anderen.
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Die Katze auf dem heißen Blechdach Im katzenverrückten England des frühen 20. Jahrhunderts lebte einst ein Schlosser, dem der Herrgott einen mächtigen Erfindergeist mitgegeben hatte. Tüftelnd verbrachte er seine Tage in einem alten Schuppen, aus dem auch zu später Nachtstunde noch der gedämpfte Schein seiner Arbeitslampe schimmerte; und selbst wenn er ermattet über seiner Werkbank einschlief, sah er sich im Traum von Tausenden Schräubchen, Hämmerchen und verzwickten Konstruktionsplänen verfolgt. Unser Schlosser ließ sich gerne verfolgen. Häufig rührte sich nämlich im Schlummer eine Stimme und raunte ihm neue Ideen zu, die er zuweilen noch in schlaftrunkener Beseeltheit zu Papier brachte, um sie anderen Tages ins Werk zu richten. Die Stimme, die ihm diese Eingebungen zuflüsterte, war ihm schon lange vertraut. Wie ein guter Geist schob sie sich in seinen Schlaf, nicht gebietend oder dämonisch treibend, eher zärtlich und fragend nahm sie so Anteil an seiner Arbeit und schien sie durch bloßes Interesse zu inspirieren. Er litt die Stimme gerne in seinem Traum und vermißte sie erst recht am Tage, wenn sie ihn verlassen hatte. In jenen Pioniertagen des Fortschritts, als die großen technischen Erfindungen noch in alten, staubigen Hinterzimmern von einsam darbenden Männern ersonnen wurden, war das Träumen noch statthaft. Als Eintrittskarte verlangte das Leben lediglich einen bescheidenen Lebenswandel und den Mut zu kargem Sold – Bedingungen, auf die sich nur die wahren Träumer einlassen mochten. So einer war auch unser Tüftler, dem es an Mut und Eigensinn gewiß nicht fehlte. Sein Traum war die Erfindung des perfekten Automobils. Nicht die schnöden Blechkisten, die mit der Zeit die Straßen bevölkerten und deren kantige Rohgestalt ihn schaudern machte, wann immer er ihrer ansichtig ward. Wo blieb da das Schöne, das Geschmeidige, ja, wo blieb die Schönheit der Form? Wäre er 2000 Jahre früher auf die Welt gekommen, wäre er
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bestimmt Bildhauer geworden und würde Skulpturen für das Forum Romanum erschaffen. Aber die Zeiten hatten sich geändert, Statuen waren nicht mehr gefragt; die Menschen riefen nach Maschinen, nach Technik und Fortschritt – und nach funktionstüchtigen Autos. Wen interessierte es, daß sich in seinen Händen Schraubenschlüssel und Blechschere in den Meißel Pygmalions verwandelten, als sei er selbst nur ein Werkzeug in den Händen einer höheren Macht? Wie am äußersten Rande der Welt machte seine Arbeit Fortschritte. Schon seit Monaten war die ›Venus in Blech‹ so gut wie fertig, allein sie glich einem Gemälde, dem der letzte Pinselstrich zur Vollendung fehlte. Aber wo den Pinsel ansetzen? An die Trittbretter, die sich wie nackte Nymphen an die Seiten des Gefährts schmiegten? Oder an das Dach, das einem von Aurora geküßten, fernen Horizont nachempfunden war? Oder an die Lampen, die den Glanz der helläugigen Minerva besaßen? Oder gar an den Motor, der auf die Menschen wirkte wie der Sirenengesang auf Odysseus? Solange er auch grübelte – er wußte es nicht. »Fahr aus!« flüsterte ihm die Stimme im Traum zu. »Fahr aus und denke nach!« Und so fuhr der Schlosser am nächsten Tag mit seinem Automobil übers Land und dachte nach. Aber es war, als stünde er vor einem Klumpen Lehm, dem er vergeblich den göttlichen Funken einzuverleiben versuchte. Dem Klumpen fehlte einfach jenes unbestimmte Etwas – so etwas wie Feuer, Odem oder auch das, was man schlicht das Leben nannte. »Fahr aus und denke nach!« hauchte die Stimme erneut, ohne daß dem Schlosser ein Licht aufging. Dennoch wollte er sich dem Rat fügen und wäre auch wieder ausgefahren, wenn ihn nicht eine Katze daran gehindert hätte. Wie eine majestätische Sphinx ruhte sie auf dem von der Fahrt noch heißen Autoblech und fuhr sich mit der Pfote über die Ohren. »Ein schönes Tier«, dachte der Schlosser und trat näher; die Katze legte eine kurze Putzpause ein, um ihn mit müdem Mißtrauen zu beäugen. 67
Ob sie sich wohl streicheln ließ? Er traute sich nicht, sie aufzuschrecken. »Soll sie es doch warm haben«, überlegte er und ließ das Tier in Frieden sitzen. »Ich kann auch morgen noch ausfahren.« Aber auch am nächsten Tag saß das Tier auf der Haube und genoß ihren von der Sonne aufgeheizten Platz. Und wieder brachte es der Schlosser nicht übers Herz, die Sphinx zu stören, und vertröstete die nächtliche Stimme, die ihm noch immer »Fahr aus!« zurief, auf später. Tage verstrichen, Wochen vergingen, die Zeit nahm ihren Lauf – und alles blieb unverändert: Die Katze saß auf dem Autoblech, der Schlosser kam mit seiner Arbeit nicht voran, und die Stimme raunte immer dringender: »Fahr aus! Fahr aus!« »Vielleicht sollte ich doch einmal versuchen, die Katze zu streicheln«, ging es dem Schlosser noch durch den Kopf, als er plötzlich, wie von unsichtbarer Hand geführt, auf die Katze zuschritt. Kaum aber streckte er seinen Arm aus, um seine Finger über das samtene Fell gleiten zu lassen, da setzte das Tier zu einem lautlosen Sprung an: Ohren, Barthaare und Vorderfüße gestreckt, den Schwanz mit einem leichten Zittern gerade aufgerichtet, den Körper wie eine geschmeidige Rute gedehnt, die Hinterbeine einer Ballerina gleich vollendet schön gestreckt – nur einen Wimpernschlag später war die Katze verschwunden. Der Schlosser aber fiel wie geblendet auf die Knie und erhob die Hände zum Gebet: »O Herr«, rief er, »du hast mir deinen göttlichen Funken geschickt! Ich habe den unverlöschlichen Odem gespürt.« Noch völlig ergriffen, stürzte er an seine Werkbank und holte das beste Metall hervor. Ohne Schlaf verbrachte er die folgenden Tage, um das Gesehene in Form zu gießen. Nach genau sechs Tagen war sein Werk vollendet: ein etwa handgroßes Abbild einer im Sprung befindlichen Katze, die er als Figur auf der Kühlerhaube seines Automobils anbrachte. Der letzte ›Pinselstrich‹ war getan; sein Traum war Wirklichkeit geworden. Tatsachlich meldete sich nun auch im Wachen die vertraute Stimme und flüsterte ihm hinterrücks zu: »Bitte, fahren wir aus?« Erschrocken fuhr der Schlosser herum und blickte in die 68
Augen einer wunderschönen Frau, die eine Katze in ihren Armen hielt. Es war jene Katze! »Ich nenne sie Jaguar«, sagte die Frau und wiederholte ihre vorherige Frage: »Fahren wir nun also aus?« »Ja«, antwortete der glückliche Schlosser und hielt ihr die Beifahrertür auf. »Ja, wir fahren aus.« Es waren seine letzten verbürgten Worte, ehe er mit Frau und Katze in einer winzigen Wolke am fernen Horizont für immer verschwand.
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Bitte lächeln Seit der Einführung des Kabelfernsehens bin ich entspannt und ausgeruht wie nie zuvor: Auf jedem Kanal ein Spielfilm oder eine Talkshow – manchmal weiß ich gar nicht, bei welchem Sender ich einschlafen soll. Kabelfernsehen ist einfach ein Segen. Wo früher ein langer Abendspaziergang oder ein alkoholischer Schlummertrunk nötig waren, um die angemessene Bettschwere zu erzielen, sagt heute meine Frau nur: »Schalte doch den Fernseher ein!« »Ja«, antworte ich dann, »schlaf du auch gut.« Auch unsere Katzen wissen den geheimnisvollen schwarzen Kasten zu schätzen und schauen oft stundenlang in die Röhre. Zu ihrem Lieblingsprogramm haben sie die Reihe ›Tiere vor der Kamera‹ auserkoren, insbesondere die lautintensiven, ornithologischen Beiträge über die spaßigen Schelmereien der neuseeländischen Bergpapageien. Aufgereiht, wie vier in Marmor gegossene Miniaturlöwen, sitzen sie regungslos und mit gespitzten Ohren vor der Glotze und folgen dem Ruf der Wildnis. Kaum ist die zwitschernde Beute vom Bildschirm verschwunden, lösen sie sich aus ihrer Versteinerung und fallen wie ausgehungerte Wilderer über ihre Freßnäpfe her. Offenbar wirken solche Filme nach den gleichen Verführungsmechanismen wie Werbespots; ein frisch gezapftes Bier in der Werbung läßt mich schließlich auch zum Kühlschrank pilgern. Das Schönste am Fernsehen ist allerdings eine besondere Art von Berichterstattung, die sich in den letzten Jahren epidemisch auf allen Kanälen ausgebreitet hat: ›Lustige Homevideos‹ oder ›Vergnügliche Mißgeschicke‹ heißen die Zauberformeln, nach denen die moderne Unterhaltung gebraut wird; zwerchfellerschütternde Sendungen wie ›Bitte lächeln‹ oder ›Pleiten, Pech und Pannen‹ erfreuen uns inzwischen täglich mit mißlungenen Faßanstichen, knochenbrechenden Skiabfahrten oder maroden Hängematten: Was Vati und Mutti im Urlaub an heiterem Unbill erlebten, wird nicht mehr beim obligatorischen Diaabend 70
vorgeführt, sondern im Fernsehen für ein Millionenpublikum gesendet – und zwar weltweit. Um den wachsenden Bedarf der Zuschauer an dieser Art Unterhaltung zu decken, pflegen die Sendeanstalten mittlerweile einen nationenübergreifenden Filmaustausch, der angeblich einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Völkerverständigung leistet. Ist es nicht beruhigend, daß auch im geheimnisumwitterten Fernen Osten Bräute über ihre Schleppen straucheln, tanzende Paare auf glattem Parkett ausrutschen und schlitzäugige Kleinkinder bei der Verabreichung gedünsteten Karottenpürees dem übermächtigen Schlaf anheimfallen? Unentbehrlicher Bestandteil dieses ungetrübten Videofrohsinns sind die possierlichen Drolligkeiten, mit denen uns die Tierwelt beglückt. Wenn der Hund mal wieder den Rasensprenger attackiert oder der Wellensittich eine Surfpartie auf dem rotierenden Plattenteller hinlegt oder das Kaninchen einen bunten Luftballon vergeblich zu begatten versucht – von solchen Aufnahmen kriegen die Fernsehmacher nicht genug und setzen dafür sogar Preisgelder aus: Je nach Anstalt gibt es pro Film zwischen 300 und 400 Mark, die ARD setzte für ›Deutschlands lustigstes Video‹ sogar 10.000 Mark aus. »Warum hast du nicht schon längst eine Videokamera«, fauchte mich eines Tages die Unentbehrliche an. »Bei den Preisen könnten wir mit unseren vier Katzen ein Vermögen verdienen! Schau doch nur, wie Baggi mit der Telefonschnur spielt – das sind glatte 300 Mark!« Um den Blutdruck meiner Frau nicht durch unnötige Widerrede zu belasten, machte ich mich augenblicklich auf den Weg in ein Elektrogeschäft und kaufte zunächst ein neues Telefonkabel. Mit der teuersten aller Hightech-Kameras, die ich später erstand, trat ich schließlich in einen neuen Lebensabschnitt ein: Fortan wollte ich als Steven Spielberg der Tierfilmer Furore machen. Furore machte auch gleich meine Frau, als sie die Rechnung sah: »Warum hast du nicht gleich ein Fernsehstudio gekauft?« zeterte sie und knirschte vielsagend mit den Backenzähnen. 71
»Schließlich wollen wir mit der Kamera Geld verdienen und nicht Bankrott anmelden.« »Ruhe! Aufnahme!« zischte ich zurück und richtete das Objektiv auf die Hauptdarsteller meines ersten Dokumentarstreifens: vier friedlich dösende Katzen, die offensichtlich der Filmgewerkschaft angehörten und in Streik getreten waren. Da es dem Film folglich an Heiterkeit auslösenden Höhepunkten fehlte, gab ich ihm den Titel ›Deutschlands lustigstes Stilleben‹. Der Film wurde ein Flop, die Fernsehsender schickten das Video zurück mit dem Kommentar, er beinhalte zu wenig Action. Steven Spielberg erlebte seine erste künstlerische Krise. Als gute Menschenkennerin wußte die Unentbehrliche Abhilfe. Mit einem scharfen »Laß mich das doch mal machen!« erklärte sie meine Regisseurskarriere und damit auch meine Krise schlicht für beendet. Von Stund an lag sie mit der Kamera auf der Lauer und schoß wie ein Paparazzo auf alles, was sich bewegte. Zuerst bissen die privaten Sender an: Für das Motiv ›Daumen betätigt die Türklinke zum Badezimmer‹ zahlte man uns 350 Mark und schickte das Video nach Übersee, wo der Streifen beim amerikanischen ›Home Video Award‹ den dritten Platz belegte und weitere 240 Dollar einspielte. Erfolgreicher noch war der Film ›Biene und Balou wechseln den Filter der Kaffeemaschine‹, der sich in Japan, Israel und Griechenland plazierte, was mit insgesamt 900 Mark belohnt wurde. Das große Geld aber bescherten uns die ›klassischen‹ Motive wie ›Biene angelt sich einen Goldfisch‹, oder ›Baggi klebt am Fliegengitter‹, oder ›Balou sticht im Seitwärtsgalopp durch die Wohnung‹ – durch globale Einsätze mit einem jeweiligen Grundhonorar von durchschnittlich 200 Mark verfügten wir bald über ansehnliche Einkünfte, die sich durch spektakuläre Einzelerfolge noch verbesserten. So brachte uns der Film ›Daumen ißt vom Teller mit der Pfote‹ beim ›Lustigsten Video der Nordmongolei‹ den ersten Platz (umgerechnet 6.000 Mark) sowie einen Werbevertrag mit einem namhaften Dosenfutterhersteller (10.000 Mark). 72
Inzwischen sind unsere Katzen die eigentlichen Brötchengeber in unserer Familie, meine Frau hat ihren Beruf längst aufgegeben und nennt sich auf ihrer Visitenkarte nur noch Stephanie Spielberg. Als große Regisseurin will sie jetzt auch meine schauspielerischen Fähigkeiten entdeckt haben und verfaßt fortwährend Drehbücher für vergnügliche Mißgeschicke, die mir widerfahren. Für 300 Mark stolpere ich nun also über den Rechen, rutsche auf Bananenschalen aus oder stoße mir den Kopf an der Deckenlampe und falle anschließend in einen kniehohen Kaktus. Leider stelle ich mich dabei meist so ungeschickt an, daß die Situationen gestellt wirken und zum wiederholten Male nachgedreht werden müssen. Frau Spielberg sitzt dann unter einem riesigen Scheinwerfer im Klappstuhl und brüllt mir durchs Megaphon ihre Anweisungen zu. Natürlich weiß ich, daß ich mit meinen bescheidenen mimischen Talenten nur ein Zubrot zum großen Geldsegen beisteuern kann, aber solange meine Frau mich zum Ausleben ihrer cineastischen Klischeevorstellungen als Regisseurin braucht, mache ich als Schauspieler weiter. Unsere Katzen haben es jedenfalls schon zu Ruhm gebracht. So hat bei uns jeder seine eigene Aufgabe. Aber auch als Familientrottel weiß ich unseren wissenschaftlichen Beitrag zur allgemeinen Katzenforschung zu würdigen, denn immerhin haben wir mit einem alten Vorurteil der Fachliteratur aufgeräumt: Katzen sind beileibe nicht die Haustiere mit dem geringsten wirtschaftlichen Nutzen. Das gebe ich jedem schriftlich – auf Wunsch auch auf Video.
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Eine verhängnisvolle Affäre Manchmal frage ich mich, ob ich noch normal bin. Mit meiner Frau streite ich so gut wie nie, mit unseren vier Katzen, zwei Igeln und einer geschwätzigen Gelbstirnamazone leben wir in einer geradezu arkadischen Idylle, ich übe sogar einen Beruf aus, der mir zuweilen ein bißchen Spaß macht, und selbst mit den Nachbarn verbindet uns ein gemeinsames Band: Wir pflegen eine einvernehmliche Feindschaft. Strenggenommen sind unsere Nachbarn nicht einmal grundsätzlich schlechte Menschen; bei genauerer Überlegung könnten viele regelrecht nett sein. Das Problem ist nur, daß sie so nahe bei uns wohnen – und wir bei ihnen. Was uns in den Augen der Nachbarn verdächtig macht, ist vor allem unsere dauerhafte Kinderlosigkeit. Hauptsächlich unter den Damen der Umgebung machen deshalb herzhafte Gerüchte über angebliche erektile Dysfunktionen meinerseits die Runde, schließlich gilt eine Familie ohne Kinder als makelbehaftet. Bislang hatte ich noch keine Gelegenheit, den Damen das Gegenteil zu beweisen. Dabei sind Kinder eine Garantie für eine Freifahrt in die Armut. Bis zum 18. Lebensjahr, haben Statistiker errechnet, verschlingt der Nachwuchs die unwiederbringliche Summe von durchschnittlich 500.000 Mark, bei zwei Kindern verzichtet jeder Familienvater also auf das glückliche Siechtum im Club der Millionäre. Selber schuld, sage ich da nur. Es ist die alte Geschichte, die davon handelt, wie man zu einem kleinen Vermögen kommt: indem man zuvor ein großes hatte. Nach reiflicher Überlegung sind meine Frau und ich zur Überzeugung gekommen, daß man auch ohne mitleidenden Pubertätsstreß und ohne endlose Nachhilfestunden bei Schulproblemen arm werden kann: zum Beispiel mit vier süßen Katzen. Es hat schon etwas für sich, das ganze Haus mit Zöglingen voll zu haben, ohne daß man wöchentliche Verhandlungen über eine Aufstockung des Taschengeldes führen muß. Zwar bieten Menschenkinder den unschätzbaren Vorteil, daß sie (und meist nur die männlichen Vertreter) erst im vorgerückten Alter haaren,
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dafür machen Katzen aber nicht so ein lautstarkes Gedöns beim Zahnwechsel. Und stubenrein sind sie auch schneller. Ungeachtet unserer wohlsortierten Argumente beglückt uns die Nachbarschaft des öfteren mit schiefen Blicken, was uns aber kalt läßt: Wer schief blickt, darf sich nicht wundern, wenn er halsstarrig wird. Teil dieser Halsstarrigkeit ist der oft verbreitete Unsinn, unsere Katzen seien nichts anderes als ein billiger Ersatz für nicht vorhandene Kinder. In Wahrheit freilich steckt hinter diesen fundamental psychologischen Erklärungen ein heimtückisches Ablenkungsmanöver der anderen. Oder kann mir jemand erklären, warum viele Männer ihre Frauen mit tierischen Kosenamen überschütten? »Möchtest du noch ein Gläschen Wein, mein Kätzchen?« heißt es dann. Oder: »Wie geht es denn heute meiner kleinen Mieze?« Sollte sich da etwa der Verdacht bestätigen, daß die Männer sich ihre Ehefrauen als Katzenersatz halten? Ich jedenfalls bin mit unseren vier Katzen sehr glücklich – glücklich vor allem, daß es nicht noch mehr sind; wenn es nämlich um Tiere geht, wird die Unentbehrliche schnell zur Unersättlichen. Ob ausgesetzte Hunde oder abgemagerte Eidechsen, ob hungernde Mäuse oder auch schuhgeplättete Regenwürmer – kein Tier in Not entgeht seinem Retter, der in Gestalt meiner Frau schon zu Hilfe eilt. Hölderlin hatte gewiß die Unentbehrliche vor Augen, als ihn die Erleuchtung heimsuchte: ›Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch!‹. Was Hölderlin allerdings nicht kannte, war die permanente Gefahr, die von den Anzeigen in der Zeitung ausgeht. Täglich betteln dort ganze Kompanien verstoßener Bellos oder ausgesetzter Mohrles um ein neues Zuhause, und täglich fragt die Unentbehrliche nach, ob wir nicht eines der armen Tiere aufnehmen könnten. »Wenigstens eines«, fügt sie fast schnurrend hinzu. Als stimmberechtigtes Pflegepersonal unseres Kleinzoos muß ich solchen Erweiterungsplänen meiner Frau stets mit einem entschiedenen Nein! entgegentreten. Ihre Tierliebe in allen Ehren, aber die Vorstellung, als untergeordneter Vizepräsident eines unablässig expandierenden Tierheims zu verarmen, ist nicht ganz nach meinem Geschmack. Die langsame Verelen75
dung mit unserem jetzigen Bestand genügt mir vollauf. Natürlich würde es meiner Frau niemals einfallen, über meine Wünsche einfach hinwegzugehen, infolgedessen arrangiert sie bestimmte Situationen, in denen meine Aufmerksamkeit herabgesetzt ist. Eines dieser Arrangements ist etwa das gemeinsame Frühstück, jenes alltägliche Ritual, bei dem sich Ehemänner vor dem schaurigen Anblick des noch ungeschminkten Gorgonenhauptes retten, indem sie die Zeitung vor das Gesicht halten. Erst seit der Emanzipation greifen nun auch die Frauen zur morgendlichen Zeitung, um sich ebenfalls vor visueller Belästigung am Frühstückstisch zu schützen. Das Ergebnis: Ganze Familien haben durch die regelmäßige Lektüre ihr Bildungsniveau angehoben, die Zeiten, in denen Frauen bei aktuellen politischen Diskussionen mit ihren Männern nicht mitreden konnten, sind vorbei. Zumindest theoretisch, denn welche Eheleute diskutieren noch miteinander – sie lesen doch lieber Zeitung. »Wenigstens eines«, schnurrte die Unentbehrliche also eines Morgens über meine Zeitung hinweg und verlas eine Anzeige: »Ich, älterer Siam-Kater, suche für mich und meine drollige Langhaar-Freundin dringend neues Herrchen und/oder Frauchen. Parterre und Gartenveranda erwünscht. Telefon…« Fatalerweise konzentrierte ich mich in diesem Augenblick mehr auf ein dickbestrichenes Marmeladenbrötchen denn auf die Worte meiner Frau, die mein abwesendes Brummen arglistig als Einverständniserklärung interpretierte. Als nächstes vernahm ich nur noch Fetzen eines Telefonats: »Ja, am Samstag ist uns recht… 20 Uhr ist prima… Wir werden ein paar Häppchen vorbereiten… Tschüs!« Sobald ich begriff, was ich durch meine eigene Nachlässigkeit angerichtet hatte, meldete sich das Marmeladenbrötchen. Prustend suchte es sich seinen Weg durch die Speiseröhre zurück, kollidierte auf halber Strecke mit einem in die entgegengesetzte Richtung fließenden Schluck gezuckerten Sahnekaffees und eruptierte als schwammig-braune Emission über den Frühstückstisch. Die Tischdecke war nachhaltig versaut, genauso wie meine Laune. »Was soll’s!« versuchte ich mich zu trösten. »Kommt es wirklich auf zwei Katzen mehr oder weniger an? Und außerdem: 76
Warum sollte es nicht auch für sechs Katzen reichen, wenn doch schon vier zu viel sind?« In den darauf folgenden Tagen bis zum Anlieferungstermin für die zwei neuen Haarschleudern verhielten sich meine Frau und ich wie die Figuren eines Wetterhäuschens. Das Gesicht der Unentbehrlichen glich einem apollinisch blauen Himmel, über den die Sonne lacht, ich hingegen gab das kleine verregnete Hutzelmännchen ab, das sich vor lauter Depression nicht aus dem Häuschen hinauswagt. Am Tage X war meine Psyche für die Apokalypse schließlich bereit. Pünktlich auf die Minute besuchten uns ein Mann und eine Frau, die eine auffallende Besonderheit aufwiesen: Sie hatten keine Katzen dabei! Bestimmt wollten sie erst die Wohnverhältnisse prüfen, bevor sie die Tierchen aus dem Auto holten, dachten wir und ließen sie eintreten. Im gleichen Augenblick durchzuckten vier schattige Blitze die Wohnung, die Katzen hatten sich zum spontanen Rückzug unter das Bett entschlossen. »Neuhaus!« stellte sich der Mann, ein prall genährter Mittfünfziger mit offenem Hemd und dichtem Gestrüpp auf der Brust, vor. »Hans Neuhaus«, wiederholte er und schüttelte unsere Hände, daß sein goldenes Armkettchen nur so klimperte. »Und das ist meine Frau Esther.« Auch bei Esther, einer Enddreißigerin, die im Kampf gegen die Zellulitis offenbar der plastischen Chirurgie vertraute, ließ das Oberteil freizügige Blicke zu, unter der pinkfarbenen Seidenbluse prangten zwei weiße Silikonberge aus einem schwarzen Bustier. »Angenehm«, log ich und fand ein paar artige Komplimente für die bezaubernd blonden Haare unserer Besucherin. Die nachwachsenden Brunett-Teile am Haaransatz ließ ich selbstverständlich unerwähnt. Immerhin handelte es sich bei Esther um die erste Wasserstoffbombe, die sprechen konnte: »Der Name meines Mannes ist natürlich ein Pseudonym«, kicherte sie und hakte sich ohne Vorwarnung bei mir unter, um aus unmittelbarer Nähe mit ihrem Fremdsprachenunterricht fortzufahren: »Der Name ist eine Übersetzung aus dem Italienischen. Hans heißt im Italienischen nämlich Giacomo und Neuhaus Casa nova.« Ihre anschmiegsame Haltung und der betörend 77
nahe Duft ihres Parfüms stimulierten mich ungemein – zur Flucht. Verwirrt rettete ich mich vorübergehend auf das Sofa, wohin mir die anderen aber folgten. In lasziver Langsamkeit setzte sich das üppige Silikonmonster jetzt neben mich und schlug ihre Beine übereinander. Ihr ohnehin zu kurzer Rock rutschte höher und gewährte einen unfreiwilligen Blick auf vereinzelte gespannte Gummistreifen, von denen ich gehört hatte, daß man sie Strapse nennt. Sie nahm meine Hand und legte sie auf ihr Knie, das von elektrisch aufgeladenen, schwarzen Nylonstrümpfen verhüllt war. Vor Aufregung zitternd, handelte ich in bester Katzenmanier und verpaßte ihr mit dem Fingernagel zunächst eine Laufmasche. Nur im äußersten Augenwinkel nahm ich wahr, wie sie sich anschickte, ihr Oberteil abzulegen, zu sehr quälte mich die Sorge um meine Frau. Zwei Plätze weiter nämlich kämpfte die Unentbehrliche mit ähnlichen Bedrängnissen wie ich. Auch Giacomo hatte es in der Wohnung offenbar zu warm gefunden und sich zu entkleiden begonnen. Zum Vorschein kam ein äußerst knapp sitzender Herrenslip, der nur mit Mühe verhüllte, was unseretwegen auch verhüllt bleiben durfte. Jetzt war die schnelle Tat gefordert. Mit einem Satz sprang ich meiner Frau zu Hilfe, zerrte sie in Richtung Küche und erklärte den verdutzten Gästen, daß wir nur kurz Getränke besorgen wollten. Für das normal übliche streittaktische Geplänkel zweier gemeinsam gealterter Eheleute blieb jetzt keine Zeit, mit einem frontalen Angriff ging ich zur Sache: »Zeige mir bitte diese Anzeige!« forderte ich streng. »Hier bitte«, reichte mir die Unentbehrliche verschüchtert die Zeitung. »Lies selbst: ›Ich, älterer Siam-Kater, suche für mich und meine drollige LanghaarFreundin dringend neues Herrchen und/oder Frauchen. Parterre und Gartenveranda erwünscht…‹« Ich riß ihr das Blatt aus der Hand und las selbst. Und erschrak! Die Unentbehrliche war der Metaphorik einer Kontaktanzeige auf den Leim gegangen, die gängigen Abkürzungen hatte sie eigenwillig ausgeschmückt und auf ihre Bedürfnisse übertragen. Aus ›SM‹ war ein Siamkater entstanden, aus einer rolligen Freundin mit langen Haaren eine drollige Langhaarkatze, nicht 78
Parterre und Gartenveranda waren erwünscht, sondern Partnertausch ›PT‹ und Geschlechtsverkehr ›GV‹. Der Fall war geklärt, aber lange nicht gelöst. Noch immer saßen Casanova und sein geliftetes Langhaarkätzchen bei uns im Wohnzimmer, vermutlich fläzten sie sich auf dem Sofa – splitterfasernackt wie der Chirurg sie geschaffen hatte. Wir entschlossen uns zur Offensive. Verlegen betraten wir das Sündenzimmer und wurden überrascht. Unsere Besucher hatten ihre edlen Teile wieder eingepackt und schickten sich an zu gehen. »Tut uns leid«, begrüßte uns Giacomo und hielt sich ein Taschentuch vor das seltsam gerötete Gesicht, »aber wir können nicht. Nicht, daß ihr uns nicht gefallt, aber wir leiden beide unter einer Katzenallergie. Und bei euch ist die ganze Wohnung voll mit Katzenhaaren. Nichts für ungut, ihr beiden.« »Nichts für ungut«, säuselten wir zurück und geleiteten sie zur Tür, die wir hinter ihnen fest verriegelten. Draußen zwitscherten ein paar Amseln ihr weithin hörbares Abendlied, die ersten Magnolien schlossen für die Nacht ihre Knospen, aus der Ferne kündete das Rauschen des Waldes von der keimenden Kraft des Frühlings. Er war eine schöne Jahreszeit. Unsere Igel hatten ihren Winterschlaf beendet, die Gelbstirnamazone beschallte bei nunmehr geöffneten Fenstern endlich wieder die gesamte Nachbarschaft, und unsere Katzen taten, was alle Katzen in dieser Jahreszeit tun: Sie haarten und haarten und haarten. Vielleicht ist ja wirklich was dran, daß der Frühling die schönste Jahreszeit ist.
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Aktenzeichen XY ungelöst In meinem gesamten Bekanntenkreis gibt es keinen fauleren, arbeitsscheueren und unzuverlässigeren Menschen als Martin. Alle Tugenden, die wir an unseren Zeitgenossen schätzen, gehen ihm ab, er kann froh sein, daß Zeittotschlagen kein gesetzlich verankerter Strafbestand ist und er nicht als Tagedieb verhaftet wird. Einen solchen Mistkerl kann man nicht mögen, man muß ihn lieben. Martin ist mein bester Freund. Manchmal höre ich wochenlang nichts von ihm. Unvermittelt verschwindet er einfach von der Bildfläche, um dann genauso unvermittelt wieder aufzutauchen. Einmal erhielt ich zum Beispiel von ihm Post, eine belanglose Ansichtskarte mit den üblichen Urlaubsgrüßen, aber unterschrieben mit: ›im Auftrag‹! »Toll, nicht wahr?« freute sich Martin, als ich ihn deswegen anrief. »Wenn ich ›im Auftrag‹ unterschreibe, nehmen die Leute an, ich hätte eine Sekretärin. Das solltest du auch machen. Du wirst sehen, die Leute nehmen dich plötzlich viel ernster, weil sie glauben, daß du der Chef bist.« Da ich gute Ratschläge gern befolge, probierte ich es aus und erhob als erstes unsere vier Katzen in den jeweiligen Rang eines Sachbearbeiters: Baggi übernahm die Verwaltung (Aktenzeichen bag), die Rechtsabteilung wurde dem Daumen (dau) zugesprochen. Personalbüro und Chefsekretariat legte ich in die vertrauensvollen Pfoten von Balou (bal) und Biene (bie). Mein Leben als Konzernchef konnte beginnen. Unter fremden Referenzzeichen gingen unangenehme und lange aufgeschobene Geschäftsbriefe plötzlich leicht von der Hand. Säumigen Kunden gegenüber schlugen meine Mitarbeiter (unser Zeichen: bag) einen Ton an, den ich mir persönlich auf jeden Fall verbeten hätte, der aber meine Einkünfte auf verblüffende Art und Weise in die Höhe trieb. Selbst im Falle hartnäckiger Schuldner, bei denen grobe Mahnungen nicht halfen, kam ich schneller als erträumt zu meinem Geld: Den schnippischen Drohungen meiner Chefsekretärin (bie) widerstand keiner.
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Im umgekehrten Falle konnte freilich dieselbe bie alle Gläubiger auf Distanz halten: Mit turtelnden Sonetten stimmte sie die Ungeduldigen gnädig und die Unverschämten mild, während ich wie der gute Mensch von Sezuan im Hintergrund blieb. Meine Ghostwriter wirkten wie eine chemische Geheimformel, die es mir erlaubte, gleichzeitig Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu sein. Der größte Vorteil meiner neugeordneten Firmenstruktur entfaltete sich jedoch bei der Behandlung lästiger Behördenschreiben. Briefe aus dem Ordnungsamt etwa leitete ich grundsätzlich zunächst an meine Personalabteilung weiter, wo Balou (unser Zeichen: bal) ganze Arbeit leistet: Sie schickt die Briefe regelmäßig mit dem Vermerk zurück: ›nicht zuständig!‹. Es kann lange dauern, bis sich zum Beispiel ein Bußgeldbescheid durch die Irrgänge der einzelnen Abteilungen gekämpft hat, meistens gibt das entsprechende Amt schon vorher auf oder stellt das Verfahren wegen Verjährung ein. Ich kann die Verzweiflung der Beamten verstehen: Ohne Ariadnes Faden hätte Theseus auch nicht aus dem Labyrinth herausgefunden. Nur ein scheinbarer Schwachpunkt meines Betriebssystems ist das Telefon. Natürlich rufen gelegentlich Leute an, die mit den einzelnen Sachbearbeiterinnen persönlich sprechen wollen und damit dem Versickern im Zuständigkeitssumpf der einzelnen Abteilungen entgehen zu können glauben. Solche Zudringlichkeiten schmettert man freilich mit gewöhnlicher und altbewährter Geschäftsrhetorik ab: »Tut mir leid, Frau Soundso ist gerade zu Tisch!« Oder in Urlaub. Oder krank. Oder in Kur. Oder gerade mal nicht an ihrem Platz. Auf jeden Fall genügt der Standardratschlag: »Versuchen Sie es doch noch einmal in 14 Tagen!«, was soviel heißt wie: »Verschwinde endlich aus der Leitung, und rufe hier nie wieder an!« Solche Euphemismen werden unter Geschäftsleuten auf Anhieb verstanden, so wie man das auch von der längst entzifferten Geheimsprache in Arbeitszeugnissen kennt. So haut der Chef einen abgehenden Mitarbeiter am nachträglichsten in die Pfanne, wenn er ihm attestiert, daß er sich ›stets bemüht‹ hat. Der nächste Arbeitgeber weiß dann sofort: Dieser Bewerber besitzt die Neigung, sich am Arbeitsplatz wundzuliegen. Solchen Kandidaten bleibt dann nur 81
noch eine Stelle im Rathaus oder bei der Post. Zu den unnachgiebigsten Briefeschreibern gehört selbstverständlich das Finanzamt, das jetzt um eine lückenlose Erklärung meiner Personalsituation gebeten hat. Offiziell weiß ich als Chef natürlich nichts von dieser Anfrage, da sie meiner Verwaltung (unser Zeichen: bag) noch nicht vorliegt; vorsichtshalber hat mir aber die Rechtsabteilung (unser Zeichen: dau) geraten, die Behörde mit Serienbriefen aus den verschiedenen Abteilungen einzudecken. Wenn dann vielleicht in zehn Jahren wirklich mal eine Betriebsprüfung droht, freue ich mich schon auf die langen Gesichter, wenn die Beamten hinter das Geheimnis der ungelösten Aktenzeichen kommen. Warum sollen nicht auch mal andere für die Katz gearbeitet haben? Bis dahin jedenfalls wartet genug Arbeit auf mich: Nächste Woche feiern wir zum Beispiel unser jährliches Betriebsfest, bei dem der Chef gleichberechtigt neben seinen Mitarbeitern sitzt. An den Katzentisch wird bei uns niemand abgedrängt.
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Das Geisterhaus Wie alle Männer gelüstet es mich hin und wieder nach einem Abend außerhalb der eigenen vier Wände. Einfach mal von einer anderen Tapete angeödet werden, sich über andere Familien als über die eigene aufregen, bei einem Glas Rotwein abschalten und irgendwo etwas essen, was einem zwar nicht schmeckt, dafür aber viel teurer ist als zu Hause. Da bin ich, wie gesagt, wie alle anderen Männer auch. Einziger Unterschied vielleicht: Bei solchen Anlässen habe ich meine Frau gern dabei. Seltsamerweise – und damit komme ich schon zum möglichen zweiten Unterschied – begleitet mich die Unentbehrliche sogar freiwillig – das heißt: würde mich begleiten, wenn sie nicht vier zwingende Gründe hätte, zu Hause zu bleiben. Die vier Gründe haben ein weiches Fell und scharfe Krallen, sie schnurren viel (zumindest bei sachgemäßer Berührung) und hören auf die Namen Daumen, Baggi, Balou und Biene. »Unsere Katzen«, sagt meine Frau mit einer Intonation, die Widerspruch nicht vorsieht, »unsere Katzen brauchen ständige Gesellschaft!« Das ist die 1. goldene Eheregel, die mit der Wucht einer gerichtlichen Verfügung ins Gespräch geworfen wird. Genauso könnte sie ausrufen, daß wir unter Hausarrest stehen, wenngleich dies einem Verzicht auf ihre geliebte Diplomatie gleichkäme. Nicht umsonst bescheinigt man meiner Frau ein diplomatisches Ingenium, abgekürzt ›Dipl. Ing.‹. Genialer Bestandteil dieser Diplomatie ist ihre generelle Bereitschaft, über ihre familiengerichteten Direktiven zu reden (wobei ich gestandenen Ehemännern gewiß nicht erklären muß, worin der Unterschied zwischen Reden und Widersprechen liegt). Es handelt sich hierbei nämlich um die 2. goldene Eheregel, nach der eine gute Ehe funktioniert: Viel miteinander reden, aber nie streiten. Oder wie es der Dichter sagt: Deine Frau tut Gutes, also rede davon. Im Falle unseres katzenbedingten Stubenarrests sieht das dann so aus: Meine Frau und ich sitzen abends zu Hause und lobpreisen das seelische Gleichgewicht, das den vier Samtpfoten durch unsere Anwesenheit zuteil wird. Wie zum Beweis hängen die 83
Viecher schlaff wie schlabberige Windhosen auf irgendwelchen Betten oder Sesseln herum. Eines Abends jedoch verführte mich der Anblick der müden und unkommunikativen Schlafmützen zu einer Dreistigkeit geradezu rebellischen Ausmaßes. »Laß uns doch ins Kino gehen«, schlug ich betont gelangweilt vor, als ob ich so die 1. goldene Eheregel einfach außer Kraft setzen könnte. Immerhin zeigte diese überfallartige Attacke eine seltene Wirkung und lähmte für kurze Zeit das Sprachzentrum im Gehirn der Unentbehrlichen. Geblendet durch den überraschenden Erfolg meines Blitzangriffes, beobachtete ich genüßlich, wie meine Frau eine Weile nach Luft und Worten schnappte, und holte zu einer weiteren Ungeheuerlichkeit aus. »Alles, was wir brauchen, ist ein Katzensitter. Ich könnte meine Mutter fragen, ob sie nicht…« Mit dem Hinweis auf meine unmittelbare Verwandtschaft erlangte meine Frau jedoch ihre Sprache sofort wieder und folgte damit einem ungeschriebenen Gesetz, wonach Ehefrauen und Schwiegermütter natürliche Feinde von Heirat an sind. »Deine Mutter?« giftete mich die Unentbehrliche an, als werfe sie mit scharfen Dolchen nach mir. »Deine Mutter soll auf meine Katzen aufpassen? Was deine Mutter mit ihrer Erziehung anrichtet, sieht man ja an dir!« Meine Mutter möge mir verzeihen, daß ich in diesem Augenblick keine Lanze für sie brach, aber im Kampf um die jeweils günstigste Kriegslist entschloß ich mich spontan zu einem virtuosen Damenopfer. »Du meinst also, es gibt einen besseren Katzensitter als meine Mutter«, eröffnete ich mein fintenreiches Damen-Gambit und löste eine wohlberechnete Reaktion aus. »Einen?« schnaubte es neben mir. »Es gibt tausend bessere!« »Beweise es mir!« entgegnete ich listig und lehnte mich zurück wie ein Feldherr, der sich in der Entscheidungsschlacht dicht vor dem Sieg weiß. Wohl oder übel mußte die Unentbehrliche nun der Suche nach einem Katzensitter zustimmen und ließ mich von einer baldigen Aufhebung der Ausgangssperre träumen. Selbstverständlich – und zur Ehrenrettung meiner Mutter – erwies sich die Suche nach einem geeigneten Aufpasser als schwierig, obwohl wir 84
eine Zeitungsanzeige aufgaben und die Finanzchefin 50 Mark pro Stunde in Aussicht stellte. Tatsächlich fanden sich einige verheißungsvolle Kandidaten ein, doch rätselhafterweise führten die CAT-Verhandlungen nie zu einem befriedigenden Abschluß. Das Scheitern glich vielmehr einem Ritual. Nach einem mehrstündigen Verhör, in denen die Bewerber gleichsam einer gnadenlosen Gehirnwäsche unterzogen wurden, durfte ich mich entfernen und den geschäftlichen Teil meiner Frau überlassen – und schon hatten wir einen Kandidaten weniger. »Woran liegt’s, daß uns alle abspringen?« intervenierte ich freundlich, nachdem auch die zehnte Geschäftsverhandlung geplatzt war. »Am Geld natürlich«, antwortete die Unentbehrliche mit hörbarer Verachtung in der Stimme. »Wie kann das sein?« brachte ich mein Erstaunen zum Ausdruck. »50 Mark sind eine fürstliche Summe, wenn man nur vier müden Fellkringeln beim Schlafen zuschauen muß!« »Ganz meine Meinung!« erwiderte Frau Direktorin gereizt. »Aber manche sind einfach unverschämt. Man will ihnen das Teuerste auf der Welt anvertrauen, und dann sind sie zu knausrig, um 30 Mark dafür zu bezahlen!« Ich schluckte. Und schluckte ein zweites Mal. Und faßte den Entschluß, den pekuniären Teil künftig selbst zu übernehmen. Zum Glück meldete sich noch eine Kandidatin, ein älteres Mädchen, das sich als Fräulein Walburg vorstellte und an dem die Ungerechtigkeit der Schöpfung festgemacht werden konnte. Sie war das erbarmungslose Gegenstück zu Claudia Schiffer. Groß und mit üppigen Reizen ausgestattet die eine, klein, hutzelig und von der Natur nicht gerade mit Schönheit gesegnet die andere. Fräulein Walburg besaß alle Attribute, die schnapsselige Männerrunden zu chauvinistischem Fachsimpeln anregen. Ob teigige Vegetarierin oder blutleere Englischlehrerin oder auch wadenbeißende Zwangsfeministin – Fräulein Walburg bediente allein äußerlich jede bösartige Männerphantasie. Die Unentbehrliche schien zu spüren, was mir beim Anblick des Fräuleins durch den Kopf schoß. »Siehst du jetzt, wie häßlich ein Dreitagebart ist?« flüsterte sie und zwang mich dazu, 85
ihr meinen spitzen Ellenbogen in die Rippen zu stoßen. Gemeinerweise hatte sie wohl nicht berücksichtigt, wie empfindlich haselnußgroße Gesichtswarzen auf Rasierklingen reagieren. Gleichwohl hatte die Sache mit Fräulein Walburg einen riesengroßen Haken. Der Haken befand sich mitten in ihrem Gesicht und würde in der nüchternen Sprache der Biologen als Nase bezeichnet werden. Ihre konvexe Krümmung ergänzte sich allerdings in einem harmonischen Parallelschwung mit der ausgeprägten Wölbung ihres buckligen Rückens, der sich unter ihrem wallenden schwarzen Kleid deutlich abzeichnete. »Hören Sie, Fräulein Walburg«, sprach die Unentbehrliche, während sie auf das stumpfe rote Haar des Mädchens starrte »Sie müssen verstehen, daß wir vorher klären müssen, ob Sie mit unseren Katzen auskommen.« Die Glöcknerin von Notre Dame lächelte so freundlich, wie es ihr schiefer Mund zuließ. »Machen Sie sich keine Sorgen, ich liebe Katzen.« Mißtrauisch suchte die Unentbehrliche mit mir Blickkontakt, als hätte das Fräulein gesagt: »Ich liebe Katzen – am liebsten in Himbeersoße!« »Unsere Katzen sind aber keine gewöhnlichen Katzen«, erwiderte ich in einer sanften Mischung aus Tadel und Stolz. »Sie sind zwar nicht gerade menschenfeindlich, aber grundsätzlich sind sie auf meine Frau und mich fixiert.« Wie zum Hohn tauchten nun am Schlafzimmerhorizont vier steil errichtete Schwanzsegel auf und kündeten von der nahen Ankunft unserer Katzenarmada. Wie seismographische Peilsender hatten sie ihre Barthaare nach vorn gestellt und steuerten ohne jedes Anzeichen der Angst auf Fräulein Walburg zu. Keine 30 Sekunden später strichen sie schnurrend um ihre Beine, als wären ihre gestrickten Kniestrümpfe mit irgendeinem kosmisch riechenden Katzenfutter eingerieben worden. »Okay!« jubelte ich, »Sie haben den Job! Sie können gleich heute anfangen?« »Gleich morgen!« verbesserte mich die Unentbehrliche. »Schließlich wollen wir Fräulein Walburg doch erst mit allem vertraut machen, nicht wahr?« Ich kannte ihre Art zu sagen, daß sie das Mädchen überwachen wollte. 86
In der ersten Woche besuchte uns Fräulein Walburg jeden Abend, ohne daß wir es wagten auszugehen. Erst peu à peu eroberten wir unsere neue Freiheit, indem wir versuchsweise für eine halbe Stunde das Zimmer verließen und das Mädchen mit den Katzen allein ließen. Aber egal, wie lange wir unsere Ausflüge ausdehnten, jedesmal fanden wir bei unserer Rückkehr Fräulein Walburg und unsere Viererbande im friedlichen und einvernehmlichen Spiel miteinander. Der große Schritt aus dem Haus konnte gewagt werden. Für den ersten freien Abend ohne Katzen bestellte ich Kinokarten für sämtliche Filme, die die Lichtspielhäuser anboten, einschließlich der Spätvorstellungen ab 23 Uhr. Den nötigen Schlaf konnten wir am nächsten Tag, dem Tag der Arbeit, nachholen. Mein Optimismus erwies sich bald als etwas voreilig, denn schon während der Kinowerbung nagten an meiner Frau hörbare Zweifel. »Findest du es nicht etwas seltsam, daß sie so gut mit unseren Katzen kann?«, fragte sie besorgt und erntete aus dem restlichen Auditorium ein scharfes ›Pssst!‹. »Bei jedem anderen Fremden«, fuhr die Unentbehrliche unbeirrt fort, »verkriechen sie sich doch sofort unter das Bett. Meinst du, mit Fräulein Walburg ist alles in Ordnung?« »Was soll mit ihr nicht in Ordnung sein?« antwortete ich eher beiläufig, um den Beginn des Hauptfilms nicht zu verpassen, die Unentbehrliche aber setzte nach: »Ich meine ihr Aussehen und die Art, wie sie sich kleidet. Hast du schon einmal ein Mädchen oder eine junge Frau gesehen, die so aussieht und sich so kleidet?« »Du weißt doch, daß ich andere Frauen nicht anschaue«, heuchelte ich flink, da ich eine Falle witterte, und starrte stur nach vorn zur Leinwand, wo sich die Hauptdarstellerin des Films gerade lasziv bückte und den Blick auf die formvollendete Arbeit ihres Schönheitschirurgen freigab. Perfiderweise mußte ich beim Stichwort Schönheitschirurg an das Fräulein Walburg denken: Mit ihr als Patientin hätte ein einzelner Nachfahre Dr. Frankensteins wohl sein Leben lang ausgesorgt…
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Mein geschmackloser Ausflug in die selbstherrliche Gedankenwelt der männlichen Vorurteile dauerte nicht lange, da die Unentbehrliche schamlos in meine Phantasien einbrach: »Meinst du, sie könnte unsere Katzen, äh, ich meine, äh…? Ach, du weißt schon, was ich denke!« Leider fuhr just in diesem Moment die Kamera mit einem nicht enden wollenden Schwenk über die Beine der Schauspielerin, so daß ich den Inhalt ihrer Frage nicht gleich begriff und mit einem ritualisierten Ablenkungsmanöver antwortete: »Aber ja, Schatz, ich bin ganz deiner Meinung.« Offenbar war diese in langen Ehejahren bewährte Form der Kommunikation gerade jetzt fehl am Platze, denn unter maßgeblicher Beteiligung meiner Frau erhöhte sich der Lärmpegel im Saal ebenso plötzlich wie drastisch. »Du glaubst es also auch!« schrie die Unentbehrliche auf und griff in der cineastischen Dunkelheit nach meinem Arm. »Sie hat unsere Katzen verhext! Sie hat unsere Katzen verhext! Und du hast es die ganze Zeit gewußt! Los! Schnell nach Hause, bevor dieses krummmbucklige Monster ihnen etwas antut.« Das scharfe ›Pssst!‹ von zuvor wich nun wesentlich deftigeren Ausdrücken, so daß eine gepflegte Unterhaltung zwischen meiner Frau und mir durch die erschwerten akustischen Verhältnisse unmöglich geworden war. Unter Beifall verließen wir den Raum. Auf der Heimfahrt im Auto wagte ich einen leisen Protest: »Warum glaubst du, daß Fräulein Walburg unsere Katzen verhext hat?« »Weil sie eine Hexe ist«, konterte die Unentbehrliche mit unwiderlegbarer Logik und nahm dabei die verzerrten Gesichtszüge eines geltungssüchtigen Mantafahrers an: »Drück drauf! Oder wartest du auf die rote Welle?« Im gleichen Augenblick verengten sich ihre Augen zu katzenkrallenscharfen Schlitzen, mit denen sie den Tacho fixierte, als könnte sie allein durch ihren Blick die Fahrgeschwindigkeit beeinflussen. Fest entschlossen, mich von den eifersüchtigen Eingebungen meiner Frau nicht verleiten zu lassen, lehnte ich mich lässig in den Sitz zurück und ließ die Person des Fräulein Walburg vor meinem geistigen Auge antreten: die seltene Häßlichkeit, die 88
zahlreichen Warzen im Gesicht, das eigentümlich rote Kopfhaar, der ausladende Buckel, die ungewöhnliche Nase, das gruftige Outfit. Nein, Fräulein Walburg war gewiß keine Hexe, und nur um meine Frau zu beruhigen, erhöhte ich ganz sachte das Tempo. »Kickdown«, forderte nun die Unentbehrliche, als wäre sie eine von Ehrgeiz zerfressene Beifahrerin auf der Schlußetappe der Rallye Monte Carlo. Plötzlich aber riß sie die Hände vor das Gesicht und stieß in höchster Exaltation einen Schrei aus. »Himmel hilf! Weißt du, was morgen für ein Tag ist?« »Der Tag der Arbeit«, antwortete ich nach bestem Wissen und Gewissen. »Morgen ist der 1.Mai, du Idiot! Und heute nacht ist Walpurgisnacht! Walpurgisnacht, verstehst du? Und unser Fräulein Walburg ist allein zu Hause mit den Katzen!« Nun fuhr auch mir ein leichter Schrecken in die Glieder, obwohl ich die Parallele zwischen Fräulein Walburg und Walpurgis allein dem Zufall anlastete. Daher ist es als reine Vorsichtsmaßnahme zu verstehen, daß ich Vollgas gab. Als wir in die Einfahrt einbogen, lag über dem Haus eine gespenstische Stille. Schon an der Haustür empfing uns ein ungewohnter Geruch, der uns an Myrrhe und Weihrauch erinnerte. Beunruhigt nahm die Unentbehrliche die Witterung auf und folgte ihrer Nase ins Wohnzimmer, wo wir Fräulein Walburg und die Kätzchen zunächst vergeblich suchten: Der Raum war völlig abgedunkelt. Mit göttlicher Allmacht ließ es die Unentbehrliche durch Betätigung des Wandschalters Licht werden und lüftete den nächtlichen Schleier, der sich über das Geschehen gebreitet hatte. Das Bild, das sich uns darbot, war seltsam genug. Fräulein Walburg saß im Schneidersitz auf dem Teppich und ließ ihre Hände wie ein buddhistischer Mönch auf den Knien ruhen. Vor ihr entdeckten wir vier kleine Kerzenständer, die abgebrannte Räucherstäbchen enthielten und eine Erklärung für die ungewöhnlichen Düfte abgaben. Und um Fräulein Walburg herum, wie auf den Eckpunkten eines magischen Vierecks, lagen unsere Katzen im wohligen Tiefschlaf – oder waren sie etwa… 89
Jetzt gab es kein Halten mehr. Gleichzeitig stürzten sich meine Frau und ich auf unsere Lieblinge und brachten sie mit wenigen kühnen Sprüngen nach nebenan ins rettende Schlafzimmer. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, daß man ihnen irgendwelches Leid angetan hatte. »Was machen wir denn jetzt mit Fräulein Walburg?« fragte ich nach dem ersten flüchtigen Gesundheitscheck, als sich vom Wohnzimmer her ein seltsames Geräusch erhob. Wie das Heulen des Windes, das sich zum Orkan aufbläht, schwoll das Geräusch zu einem schmerzhaften dunklen Pfeifen an, deutlich vernahmen wir, wie einige Bücher aus dem Regal fielen und auch andere Gegenstände des Zimmers wie von gewaltiger Zauberhand durcheinanderpurzelten. Plötzlich schien sich das ganze Haus zu bewegen, ein akustisches Inferno setzte ein, und wie im Stoßwind eines startenden Hubschraubers wurden wir an die Wand gedrückt. Immer heftiger kulminierte der Sturm, bis die Haustür mit tosendem Gepolter ins Schloß fiel und mit einem Schlage Ruhe einkehrte. Verstört eilten wir ins Wohnzimmer, wo aber alles völlig unverändert war. Mit einer Ausnahme: Das Fräulein Walburg war weg! Auf dem Platz, an dem wir sie im Schneidersitz vorgefunden hatten, entdeckten wir nur noch ein kleines Häuflein Asche – und ein Buch mit dem Titel: ›Wiedergeburt: In meinem früheren Leben war ich eine Katze‹. Beschämt und erleichtert zugleich schauten wir uns in die Augen. Die Geschichte, soviel verstanden wir auf Anhieb, sollte uns eine Lehre sein. Die Frage ist nur welche!
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Ein Bericht für eine Akademie Hohe Herren von der Akademie! Sie erweisen mir die Ehre, mich aufzufordern, der Akademie einen Bericht über mein menschliches Vorleben einzureichen. Eine Ehre, sage ich, und führe dennoch Klage. Gerade ein paar wenige Jahre ist es her, daß ich das Menschsein hinter mir ließ und meine empfindliche weiße Haut gegen dieses glänzende schwarze Fell eintauschte. Ein kurzer Zeitraum – selbst in Katzenjahren gemessen –, so kurz, daß es mich zweifeln machen sollte, ob denn meine Abkehr (oder Konvertierung, wie manche sagen) tatsächlich schon so vollendet ist, wie ich mir das wünsche. Zweifeln, sage ich, und bin dennoch mit mir im reinen. Ich jedenfalls habe für meinen Teil die Frage nach meinem wahren Wesen beantwortet und kann ohne Bedauern zurückblicken. Wäre dies nicht der Fall, dürfte ich Ihrer Forderung hier und heute nicht nachkommen. Lassen Sie sich jedoch von meiner vertrauten Gestalt nicht leichtfertig täuschen, hohe Herren, und pflegen Sie ein gesundes Mißtrauen gegen meine Worte. Urteilen Sie lieber selbst, ob hier wirklich ein Kater spricht oder ob ich nicht – in guter alter Katzenmanier – mit Ihnen Katz und Maus spiele. Schließlich gehört zu den weniger schmeichelhaften Eigenschaften, die Sie meiner Spezies nachsagen, auch die Falschheit. Aber das nur am Rande. Einige Jahre ist es also bereits her, daß ich als Mensch gefühlt und gedacht habe, so lange schon, daß mir die menschliche Sprache nahezu fremd geworden ist – ein bißchen wie eine handwerkliche Fertigkeit, die aufgrund fehlender Übung verkümmert. Da aber meine kätzische Eitelkeit unter Ihrer Kritik leiden könnte, muß ich Sie um wohlwollende Nachsicht ersuchen, falls mir eine Ungenauigkeit oder gar ein sprachlicher Fauxpas unterlaufen sollte. Ungewollte Mißverständnisse sind das letzte, worunter mein Bericht leiden soll. Offen gesprochen, hatte ich schon früh Bedenken gegen das Menschsein. Gewiß, auch ich erlebte schöne und gar ergreifende Momente der menschlichen Zufriedenheit, ich erinnere mich 91
noch sehr eindringlich an dieses satte Gefühl des Wohlbehagens, das einen in Gegenwart geliebter Mitmenschen befällt – aber es blieben doch Momente, vergängliche Augenblicke, die schon in ihrer Entstehung den tödlichen Keim der Vergänglichkeit in sich trugen. Vanitas, vanitatum, wie es in Ihrer Sprache heißt – auf nichts trifft dieses Bonmot mehr zu als auf jenes sonderbare Phantasiegebilde, dem die Menschen hassend und zerstörend hinterherlaufen und das Sie Menschlichkeit nennen. Dieses Gerede von der Menschlichkeit, irgendwann konnte ich es nicht mehr ertragen. Wäre sie greifbar gewesen wie die juckenden Flöhe in meinem Fell, glauben Sie mir, ich hätte es als Mensch noch eine Weile ausgehalten; das Menschsein gibt man schließlich nicht einfach mir nichts, dir nichts auf. Geduld! rief ich mir immer wieder zu, wenn ich auf die einfachsten aller Fragen keine Antwort fand. Ein tausendfaches Scheitern ist noch kein Beweis, daß etwas grundsätzlich unmöglich ist. Ich weiß nicht, wie Sie das Problem gelöst haben, hohe Herren, aber irgendwie müssen Sie einen Ausweg gefunden haben, sonst wären Sie nicht Menschen geblieben, und mein Bericht wäre überflüssig. Ich jedenfalls brauchte lange, um der Menschlichkeit auf die Schliche zu kommen, ihr gleichsam unter den Rock zu schielen, um zu sehen, welches Geheimnis sie vor mir, dem jungen, ehrgeizigen Menschen, verbarg. Aber um es deutlich zu sagen: Es lohnte sich nicht, das Kleid zu lüften; mir ging es wie einem unerfahrenen, aber neugierigen Knaben, dem man so lange den Floh vom kleinen Unterschied der Geschlechter ins Ohr gesetzt hatte, bis er schließlich selbst, von einem dunklen Drang ergriffen, nachschaute. Das soll alles sein? fragte ich mich dann nach einem kurzen, angewiderten Blick und wandte mich enttäuscht ab. Die Wirklichkeit versagt eben immer, wenn sie mit der Phantasie verglichen wird. Genauso verhält es sich mit der Menschlichkeit. Ihre wahre Gestalt versteckt sich unter keinem Rock und unter keiner Bettdecke – sie besteht allein in der Vorstellung oder, wie Sie zu sagen pflegen: als unerreichbares Ideal. Aber wie alle Ideale erlebt der Mensch auch die Menschlichkeit erst dann, wenn er gegen sie verstößt, denn Mensch92
lichkeit mißt sich am Grade des Betrugs, den man an ihr begeht. Verfehle sie, und du kommst ihr näher. Den menschlichen Menschen, mußte ich lernen, gibt es nicht, kann es nicht geben. Wozu aber Mensch bleiben, sagte ich mir, wenn das Ureigene, die Menschlichkeit, nicht erreichbar ist? In der Folge wandte ich mich immer stärker von den Menschen ab. Ich mied ihre Gesellschaft, ich beobachtete sie nicht einmal mehr von meinem Gassenfenster aus, ich las nichts mehr über sie, selbst gelegentliche Briefe ließ ich ungeöffnet liegen. Ich wurde zum Eremiten, der sich selbst genügen wollte. Und trotzdem begleitete mich der Mensch auf Schritt und Tritt. Keine Sekunde verging, in der der Einsiedler nicht der menschlichen Gesellschaft ausgeliefert war; wohin ich meinen Fuß auch setzte, immer war auch schon ein Mensch da: ich selbst! Ich störte mich, ich mußte mir aus dem Weg gehen, ich entschloß mich zur Askese. Wochenlang verzichtete ich auf Nahrung und befeuchtete nur zweimal am Tag meine Lippen mit einem Tropfen Wasser. Bald sah ich aus wie eine abgelegte Schlangenhaut, die in der Wüstensonne vor sich hindorrt, genauso häßlich wie nutzlos. Denn auch wenn ich gewissermaßen körperlich ›geschrumpft‹ war, blieb ich noch immer das entscheidende Hindernis, das mir den Eingang in die menschenfreie Welt versperrte. Ich beschloß daher, mich zu vernichten. Zunächst versuchte ich es mit Alkohol! Alltäglich ließ ich mir den betäubenden Saft im Übermaß durch die Kehle rinnen und wartete auf das erlösende Delirium. Wie erschrak ich aber, als sich im Rausch alles ins Gegenteil verkehrte. Je mehr ich trank, desto gleichgültiger wurde mir mein Ziel, desto mehr verlor ich es aus den Augen. In manchen Nächten zechte ich so lange, daß ich sogar menschliche Gesellschaft aufsuchte und in einer Kneipe des nächstliegenden Dorfes einkehrte. Der Alkohol war, wie ich erkannte, keine Lösung, er trieb mich zu den Menschen zurück. Wie aber mit dem Trinken aufhören, wenn man sich daran gewöhnt hat? Es kostete viele Jahre, mich von der Sucht zu befreien. In dieser Zeit geschah es, daß sich zu mir eine streunende Katze gesellte. Ich weiß nicht, woher sie kam und welches Schicksal sie erlebt hatte, ja, ich weiß nicht einmal, durch welche Luke sie in meine Hütte ge93
funden hatte. Eines Tages war sie einfach da und nistete sich bei mir ein. Zu meiner eigenen Überraschung störte mich ihre Gegenwart nicht im geringsten. Klaglos nahm ich es hin, daß sie sich auf mein Bett setzte und stundenlang ihr Fell in Ordnung brachte oder sich an meinen wenigen Vorräten gütlich tat. Heute, als ausgewachsener Kater, würde ich den Eindringling sicherlich mit einem gezielten Nackenbiß aus meinem Revier verjagt haben; als Mensch aber ließ ich das Tier gewähren. Die Katze blieb lange bei mir – wenn ich das überhaupt so sagen darf. Denn an mir persönlich lag es gewiß nicht, daß sie blieb. Zuneigung und Ablehnung schienen sie nicht zu interessieren; in ihrer Selbstzufriedenheit schien es, als ob ich Luft für sie sei. Was ich selbst mit Alkohol und Askese vergeblich versucht hatte, schenkte sie mir mit einer Leichtigkeit, die meine vorangegangenen qualvollen Bemühungen der Lächerlichkeit preisgab: Ich, das Hindernis vor mir selbst, war plötzlich kaum noch vorhanden. Und tatsächlich begann ich jetzt zu schrumpfen. Zunächst bildeten sich meine Geschlechtsteile zurück, der Penis erreichte bald nur noch die Größe eines kleinen Stachels, den zwei seitliche Knötchen zierten. Gleichzeitig wuchs aus dem Rumpf ein knorpeliges Gewebe, dessen Vorteile ich erst später schätzen lernte, das mir aber vorerst, vor allem beim Sitzen, noch arge Unbequemlichkeiten bescherte. Nacheinander schrumpften nun auch die übrigen Körperteile, erst die Arme, dann die Beine, die Brust, der Hals, die Schulterpartie – und schließlich der Kopf. Eines Morgens erwachte ich aus unruhigen Träumen und hatte einen pelzigen Geschmack im Mund. Ich fuhr mit der Zunge über die Lippen und wunderte mich, wie rauh sie sich dabei anfühlte – war das noch die Zunge eines Menschen? Wie in einem Reflex stieß ich einen kurzen Schrei aus, der mir aber völlig mißlang; bedingt durch die verengte Kieferstellung und dem insgesamt schmaler gewordenen Mundraum verkam der Schrei zu einem seltsamen Fiepen, das weder einem Menschen noch einem Tier zugerechnet werden konnte. Was war nur aus mir geworden? Die Verwandlung meiner Gestalt aber war vollkommen: Ich trug jetzt einen prächtigen schwarzen Pelz, von dem sich die 94
weißen Barthaare um so kräftiger abhoben; im Mund wuchsen mir spitze kleine Dolche, deren Nutzen ich freilich erst noch erproben mußte, anstelle ungelenker Finger und Zehen verfügte ich nun über samtene Pfoten, die die darunter verborgenen Klappmesser perfekt verdeckten. Wohlgefällig blickte ich auf meinen neuen Katzenkörper und war zufrieden – zum erstenmal in meinem Leben gefiel ich mir selbst! Aber noch urteilte in mir der Mensch, noch war es die Eitelkeit des Homo sapiens, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt. Meine Gestalt gefiel dem ästhetischen Bewußtsein, das, der Legende nach, mit der Scheidung von Gut und Böse in die Welt kam und den Menschen angeblich zum Menschen macht. Besorgt und nicht ohne Mühe stülpte ich meine Lippen nach vorn und versuchte wenigstens ein einziges Wort zu sprechen: »Mensch!« rief ich laut. – »Mensch!« – und noch einmal: »Mensch!«. Doch es war, als sei das Wort so lang, daß mir während des Sprechens die Puste ausging. Ganz gleich, wie oft ich das Wort übte, immer klang es in einem fauchenden »Menchchch« aus. Plötzlich aber fiel mein Blick auf einen gepolsterten Lehnstuhl, der nur einen Katzensprung vom Bett entfernt war. Sofort schoß mir das Blut in die Lenden, ich spürte, wie mein Körper sich dehnte und der Rachen sich zu einem nie gekannten Knurren öffnete. Die Pupillen weiteten sich, die Barthaare zuckten in wilder Entschlossenheit nach vorn, der Schwanz schlug wie eine Peitsche durch die Luft. Im nächsten Augenblick schoß ich wie im Flug über den Boden und setzte mit ausgefahrenen Krallen zur Landung an. Mein Angriff galt der Katze, die mir einst zugelaufen war und nun als Opfer im Lehnstuhl saß. Wie im Rausch rammte ich ihr die Eckzähne in den Nacken und hinderte sie so an der Flucht. Offenbar fehlte mir aber noch die rechte Erfahrung im Umgang mit meinem neuen Gebiß, da sie im Moment meines Zupackens heftiger aufschrie, als ich erwartet hatte. Ungeachtet ihrer Schmerzenslaute lockerte ich weder meinen Biß, noch scheute ich mich, meine Krallen gegen sie einzusetzen. Als ihr Widerstand endlich erlahmte und in eine wehrlose Starre überging, vollendete ich mein Werk und stieß 95
ihr die gesammelte Kraft meines Geschlechtes in den Leib. Abermals schrie sie auf und suchte, sich aus der Umklammerung zu winden, ich aber trieb meine Zähne noch tiefer in ihr Fleisch, während die zitternde Natur weiter in ihr Becken drang. Für einen winzigen Augenblick verfiel ich in eine Art Versteinerung, die ich mit ernsthaften und fast bleibenden körperlichen Schäden bezahlen mußte. Meine Schwäche bemerkend, befreite sich die Katzendame aus ihrer Lage und fuhr mir mit ihren Krallen quer über das Gesicht. Fauchend und kratzend hieb sie nun unablässig auf mich ein, bis ich keine andere Wahl hatte, als das Weite zu suchen. In dieser Weite, hohe Herren, lebe ich seither, das Streunen ist mein Leben, so wie Ihres die Häuslichkeit ist. Es ist der Preis dafür, daß ich das Menschsein völlig abgelegt habe – und ich zahle ihn gern. Ich komme viel herum und weiß daher viel zu berichten. Ohne Sehnsucht nach meinem früheren Leben kann ich mich jetzt auch wieder in menschliche Gesellschaft begeben; ich muß mich nur vor einer Sache hüten: dem Alkohol! Auch als Kater verspüre ich noch heute die Geister der Sucht, die ich als Mensch seinerzeit rief und als Tier nicht mehr loswerde. Ein kleiner Schluck – und ich wäre verloren – als Kater wie als Mensch. Im übrigen will ich keines Menschen Urteil, ich will nur Kenntnisse verbreiten, ich berichte nur, auch Ihnen, hohe Herren von der Akademie, habe ich nur berichtet.
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Wie kommt die Katze in die Talkshow? Als Talkshowkonsumenten sind wir heutzutage verwöhnt. Vorbei die Zeiten, in denen die Anwesenheit von ein paar halbwegs prominenten Pappnasen genügte, um sich in gepflegter Betroffenheit über die Krise des deutschen Humors auszutauschen. Heute gelten ungleich härtere Aufnahmebedingungen: Ein Talkshow-Teilnehmer muß schon bisexuell oder wenigstens der Sodomie zugetan sein und mindestens eine Geschlechtsumwandlung hinter sich haben. Hat er zudem gerade ein Buch veröffentlicht oder eine Platte besungen und darüber hinaus einen Film gedreht – dann steht seiner Karriere als TalkshowTourist im deutschen Fernsehen nichts mehr im Wege. Bei diesen Vorgaben kann jeder der glückliche sein. Da die Sender mittlerweile tägliche Shows anbieten, ist es nur eine Frage der Zeit, bis man selbst als Talkgast auf dem Bildschirm landet. Schließlich haben Statistiker errechnet, daß bereits in zehn Jahren jeder zweite Bundesbürger seinen Fernsehauftritt gehabt haben wird – Game- und Actionshows nicht mitgerechnet. Und zu Recht! Zu gewissen Themen hat eben jeder etwas zu sagen, wie zum Beispiel: ›Ein Seitensprung kommt bei mir nicht in Frage – ich bin Single‹. Oder ›Gewalt in der Familie – Wenn Kinder ihre Eltern schlagen!‹. Oder ›Ich habe nichts gegen Ausländerinnen – aber 300 Mark pro Nacht sind zuviel‹. Als bestaunenswerter Besitzer von vier Katzen konnte also auch ich geduldig und frohgemut warten, bis ein Fernsehredakteur mich zu einer öffentlichen Diskussion einlud. Und endlich war es soweit. »Sind Sie der Typ mit dem schwulen Kater?« fragte er mich zur Begrüßung. Ich verstand nicht. Der Redakteur fuhr fort: »Wir brauchen für die Talkrunde noch eine durchgeknallte Type mit einem schwulen Kater. Und da ich gehört habe, daß Sie viele Katzen haben, dachte ich, daß vielleicht ein schwuler Kater darunter ist.« »Tut mir leid«, erwiderte ich höflich enttäuscht. »Meine Kater sind alle weiblich und sterilisiert.«
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»Scheiße«, sagte der Redakteur und ließ eine Denkpause verstreichen. »Aber wie steht es mit Ihnen. Sie selbst sind nicht zufällig schwul, oder?« »Tut mir leid«, antwortete ich erneut, »ich bin mit meiner Frau glücklich verheiratet.« »Das macht nichts. Wir verkaufen Sie einfach als den Schwulen, der es ausschließlich mit Frauen treibt. Würde prima zum Thema passen.« »Ich treibe es nicht mit Frauen«, meldete ich vorsichtigen Protest an, stieß aber beim Redakteur nicht auf das erhoffte Verständnis: »Das ist schlecht, wenn Sie es nicht mit Frauen treiben. Aber die wenigsten Schwulen treiben es mit Frauen. Vielleicht sind Sie als Katzenbesitzer doch ergiebiger. Hat eine Ihrer Katzen schon einmal einen Schwulen gekratzt? Vielleicht einen Prominenten, von dem man noch nicht weiß, daß er schwul ist?« »Nicht, daß ich es wüßte«, gab ich wahrheitsgemäß zurück. »Aber die Biene hat mir schon mal den Rücken zerkratzt.« »Eine Sado-Maso-Katze also. So eine Art Domina! Das ist super! Würde prima zum Thema passen! Wurden Sie von Ihrer Katze schon einmal gefesselt?« »Gefesselt?« fragte ich irritiert und versuchte mir die Situation in der Praxis vorzustellen. Ich mußte seine Frage verneinen. »Scheiße«, sagte der Redakteur und entlockte mir damit eine gewisse Bewunderung für seine ausgefallene Wortwahl. »Das hätte prima zum Thema gepaßt. Aber vielleicht kommen wir mit Gruppensex weiter! Haben Sie schon mal daran gedacht, mit sich selbst oder mit anderen schwulen Katzen eine Orgie zu feiern?« »Gruppensex? Mit mir selbst? Wie soll das gehen?« »Super«, freute sich der Redakteur. »Ihrer Frage entnehme ich ein gewisses Interesse.« »Mein Interesse ist rein technischer Natur«, wandte ich korrigierend ein. Der Dialog spann sich fort: Redakteur: »Das ist gut. Technische Details hören die Zuschauer immer gern. Besonders wenn es um Schwule geht.« 98
Ich: »Entschuldigen Sie bitte, aber ich erinnere mich gesagt zu haben, daß ich glücklich verheiratet bin!« Redakteur: »Keine Sorge. Bis zur Sendung kriegen wir das schon hin. Was meinen Sie, wie ich den Job beim Fernsehen gekriegt habe?« Ich: »Ach, Sie sind homosexuell?« Redakteur: »Homosexuell ist kein Ausdruck! Ich bin schwul wie ein Stockfisch – hab ich wenigstens bei meiner Bewerbung als Redakteur gesagt.« Ich: »Dann sind doch Sie der ideale Teilnehmer für die Talkshow. Sie haben nicht zufällig einen schwulen Kater zu Hause? Würde prima zum Thema passen.« Redakteur: »Nee, bei uns daheim ist alles hetero, sogar meine Frau. Ich bringe halt nicht gern Arbeit mit nach Hause.« Ich: »Scheiße! Wo kriege ich denn jetzt einen schwulen Kater her?« Redakteur: »Probieren Sie es doch mal im gentechnischen Labor für Tierversuche, die haben immer was da. Schwule Hunde, schwule Kaninchen, schwule Mäuse – vielleicht haben die auch schwule Katzen.« Ich: »Tolle Idee. Würde auch prima zum Thema passen!« Redakteur: »Ja, bestimmt. – Um welches Thema handelt es sich eigentlich?« Ich: »Es geht um die Krise des deutschen Humors!« Redakteur: »Verstehe! Und ohne schwulen Kater geht da natürlich nichts.« Ich: »Sie sagen es.« Soweit also meine Erfahrungen als Kandidat für eine Fernsehtalkshow. Bleibt noch nachzutragen, um welche Sendung es sich handelte: Es war ›Der heiße Stuhl‹, benannt nach einem Lieblingswort des Redakteurs. Ich glaube allerdings nicht, daß er einen schwulen Kater gefunden hat: Die Sendung wurde unlängst aus dem Programm gekippt.
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Die Vertreibung aus dem Paradies Der größte Nachteil des Erwachsenwerdens liegt vielleicht darin, daß man seine Gutenachtgeschichten selber lesen muß. Niemand, den man damit erpressen könnte, daß man die ganze Nacht aufbleibt, niemand, der sich der kindlichen Erpressung unterwirft, sich auf den Bettrand setzt und so lange vorliest, bis er selbst eingeschlafen ist. Ach, wenn man noch einmal jung sein könnte! Meine Frau läßt sich leider nicht so leicht erpressen wie damals meine Eltern. Drohe ich ihr damit, die Nacht wachzubleiben, antwortet sie eher trocken und desinteressiert: »Vergiß nicht den Fernseher auszuschalten, bevor du ins Bett kommst.« Und dennoch habe ich mir ein Stückchen Jugend bewahren können. Wenn ich zum Beispiel krank bin oder starke Kopfschmerzen habe, dann läßt sich die Unentbehrliche schon mal erweichen und erzählt mir zum Trost eine Geschichte. Eigentlich könnte ich also rundum zufrieden sein, wenn meine Frau ihre Geschichten nicht jedesmal bei Adam und Eva beginnen lassen würde. Nicht, daß sie umständlich erzählt. Das mit Adam und Eva ist eher wörtlich zu verstehen: Ihre Geschichten handeln immer vom Paradies und vom Sündenfall – immer wieder und immer wieder. Und immer wieder in eigenwilliger Interpretation. »Die Bibel ist leider ein schlechtes Buch«, klärte mich die Unentbehrliche einmal auf. »Es handelt von der Schöpfung und von dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Aber warum kommt dann keine einzige Katze darin vor?« »Das stimmt nicht ganz«, intervenierte ich und verwies auf den Propheten Daniel, der sich, gefangen in einer Grube, mit hungrigen Löwen herumplagen mußte. Die Unentbehrliche winkte nur ab: »Ich meine richtige Katzen. Katzen, die Brekkies fressen oder ein Katzenklo benutzen. Wenn es nach der Bibel ginge, gäbe es weder Baggi, Balou, Biene noch den Daumen.« »Und woran liegt das, deiner Meinung nach?«
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»Die Schuld liegt ganz allein bei Noah! Hätte er eine Hauskatze auf seine Arche genommen, wäre alles in Ordnung! Aber Noah hatte nur seine Vorschriften im Kopf. Er war so eine Art Beamter in einem vorsintflutlichen Reisebüro. Heute würde er vermutlich bei der Post oder auf dem Rathaus arbeiten.« »Noah? Ein Beamter des Herrn?« »Ich erkläre es dir: Noah stand auf der Reling seiner Arche und registrierte die Passagiere. Mit Strichlisten, versteht sich, Computer hat es zu der Zeit ja noch nicht gegeben. Noah steht also da und hakt die einzelnen Namen ab, da kommt plötzlich die Katze und will auch auf das Schiff. ›Geht nicht‹, sagt Noah. ›Ich darf nur Paare aufnehmen‹. Das Tier protestiert und erzählt ihm, daß Katzen nie paarweise auftreten, weil sie Einzelgänger seien, Noah aber bleibt hart, brummelt irgend etwas von Vorschriften und paarweise, die Katze sagt, er könne sie kreuzweise, und das war’s.« »Und was hat die Katze dann gemacht? Schwimmen gelernt? Irgendwie muß sie ja die Flut überlebt haben.« »Sie hat sich einfach an Bord geschlichen. Oder hast du je von einer Katze gehört, die sich an Vorschriften hält?« Mit solch verwegenen Bibelauslegungen erfreut mich die Unentbehrliche auch dann, wenn sie glaubt, mir eine besondere Gutenachtgeschichte zu erzählen. So wie neulich, als ich mit Migräne danieder lag und sie mal wieder bei Adam und Eva anfing: »›Du darfst essen von allen Bäumen im Garten‹«, zitierte sie des Herrgotts mahnende Worte an Adam, »›aber wehe, du rührst die Katzenminze an!‹.« »Katzenminze?« fragte ich verblüfft. »Seit wann gab es im Paradies Katzenminze?« »Natürlich gab es Katzenminze! Woran sollten sich denn die Katzen sonst erfreuen?« »Welche Katzen denn? Du sagst doch selbst, daß in der gesamten Bibel keine Katze vorkommt! Und so wie ich die Paradiesgeschichte in Erinnerung habe…« »Natürlich gab es im Paradies Katzen! Ohne Katzen wäre es doch kein Paradies gewesen, oder?« Ich wußte nicht recht, wie ich ihr widersprechen sollte. 101
»›Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei‹«, fuhr sie in ihrer Exegese fort: »›Drum will ich ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei und die aufpaßt, daß er sich nicht an der Katzenminze vergreift!‹.« Trotz starker Kopfschmerzen richtete ich mich empört im Bett auf und protestierte gegen ihre Bibelfälschung, die Unentbehrliche drückte mich aber sanft in die Kissen zurück und sprach eine leise Drohung aus: »Willst du jetzt eine Geschichte hören oder lieber nicht?« In meinen Schläfen pochte das Blut und ließ meinen Widerstand erlahmen. Die Bibelstunde aber ging weiter, wir waren inzwischen beim Sündenfall angelangt. »›Und die Katze war lustiger denn alle Tiere auf dem Felde‹«, fabulierte die Unentbehrliche und reizte mich erneut zum Widerspruch: »In der Genesis ist es nicht die Katze, sondern die Schlange, und die war nicht lustiger, sondern listiger!«. Mein Kopf drohte bereits zu platzen. »Also gut, dann war es eben die Schlange!« erwiderte die Unentbehrliche, jetzt schon deutlich gereizter. »Und die Schlange sprach zum Manne: ›Du wirst mitnichten bestraft, wenn du von der Katzenminze essest. Im Gegenteil: Es werden deine Augen aufgetan, und du wirst sein wie dein Weib und wissen, was gut und böse ist.‹.« »Würdest du dich bitte an die Fakten halten«, brüllte ich nun dazwischen, aber der Redefluß der Unentbehrlichen war nicht mehr aufzuhalten: »›Und der Mann erkannte, daß von der Minze gut zu essen wäre und sie eine Lust für die Augen war, um so verlockender, da sie klug machte. Und er nahm von der Frucht und aß… Da aber hörte er sein Weib, wie es durch den Garten schritt und rief: Wo bist du, Adam? Und Adam versteckte sich vor ihrem Angesicht unter der Katzenminze und kam erst wieder hervor, als ihm sein Weib einen fürchterlichen Ehekrach androhte. Und das Weib sprach: Hast du nicht gegessen von der Minze, von der ich gebot, du solltest nicht davon essen? Weil du das getan hast, seist du verflucht und verstoßen von deinem faulen Lager. Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und den Katzen, bis du aufhörst, hier wehleidig im Bett herumzuliegen und zu jammern, daß du Kopfschmerzen hast und 102
eine Geschichte hören willst, an der du am Ende dann doch nur herummeckerst… Also steh endlich auf!‹.« Und sie trieb mich hinaus in die dunkle Welt und ließ lagern vor der Tür den Daumen mit flammenden, blitzenden Schneidezähnen, zu bewachen den Weg zum paradiesisch weichen Bette…
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Die Katzen von Venedig Müde und grau spiegelte sich in den Lagunen der Himmel, durch die Gassen zogen lange Schatten – es war Nacht in Venedig. Das Leben, einem schläfrigen Tier gleich, hatte seinen Pulsschlag herabgesetzt und schöpfte Kraft für die nächste Jagd, zu der die Morgensonne bald wieder rufen sollte. Auf dem Markusplatz, umgeben von matt schimmerndem Marmor, herrschte Stille. Wo vor Stunden noch das grelle Licht der Welt sich bündelte, kroch nun die Dunkelheit beschützend über das alte Gestein. Nur durch die Arkaden huschten graue Striche, die sich verstohlen wie Diebe an den Mauern entlangdrückten. Es waren Katzen, unzählige Katzen – schwarze Katzen, weiße Katzen, graue, bunte, gefleckte Katzen, Katzen jeder Farbe und Gestalt. Und alle teilten miteinander das eine Schicksal, in einer Stadt zu leben, die sie im Schatten ihres historischen Reichtums verkümmern ließ. Verstoßen und ungeliebt – so lebten die Vierbeiner im schönen Venedig. Hungernden Skeletten gleich, auf wunden Pfoten und mit verfilztem Fell sammelten sie sich unter den Bögen des Platzes, es hatte sich im Katzenvolk herumgesprochen, daß Tadzio, der alte Kater, eine Ansprache halten wollte. »Freunde«, eröffnete Tadzio seine Rede, »die Zeiten stehen schlecht. Wir alle leiden Hunger und Durst, die meisten von uns sind krank, die wenigsten haben ein fürsorgliches Zuhause. Während die Menschen in den Häusern an reich gedeckten Tischen sitzen, müssen wir von den ungenießbaren Abfällen leben, die uns die Touristen zurücklassen. Zum Leben ist das zu wenig, Freunde, aber zum schnellen Sterben reicht es ebenso nicht. In diesen Zeiten sind unsere neun Leben ein Fluch, der unsere Qualen nur neunfach verlängert. Ihr alle wißt, daß uns die Menschen einmal weit mehr gewogen waren. Als der schwarze Tod begann, die Plätze und Paläste dieser Stadt leerzufegen, waren wir als Mäuse- und Rattenjäger die Helden des Canal Grande. Glücklich, wer uns füttern durfte, glücklich, dessen Lager wir teilten. Und heute? Heute sind unsere Verdienste um die Menschheit längst vergessen, gestreichelt wer104
den wir jetzt mit Stöcken – statt unseren Durst zu lindern, ertränkt man uns unbemerkt in den Seitenkanälen, den Hunger treibt man uns mit Wurfgeschossen aus. Wir, die einstigen Retter der Menschen, sind heute selbst zur Plage geworden. Aber ich frage euch, Freunde. Haben wir die Menschheit gerettet, damit sie uns qualvoll ausrottet? Haben wir den schwarzen Tod verjagt, damit in den Menschen die Pest weiterlebt? Nein, halte ich euch entgegen, Venedig ist unser! Hier haben wir unsere Wurzeln, und hier werden wir in Ruhe sterben: nicht auf den Plätzen, nicht auf den Brücken und nicht auf den Denkmälern, wo man erschlagene Katzen gegen neue Touristen aufrechnet. Laßt uns sterben, wo den Menschen das Leben noch heilig ist. Katzen von Venedig! Folgt mir und stürmt in die Kirchen!« Bei dieser Rede schoß den versammelten Katzen ein warmer Strahl in die Herzen, Mut schlich sich in ihre ängstlichen Seelen, und für einen Augenblick vergaßen sie den plagenden Hunger, der eben noch ihre Mägen aufzufressen drohte. Behende, als hätte ein Wunder sie von ihren Gebrechen befreit, sammelten sie sich zu Hunderten in der angrenzenden Markuskirche. Nur das Flackern einiger Opferkerzen erleuchtete das Innere, und schwach, wie aus weiter Ferne, wies ihnen das ewige Licht den Weg durch das Gotteshaus. Bald glich das Gebäude einem Heerlager für vertriebene Katzen. Überall konnte man sie finden auf den Sitzbänken, auf der Orgel, auf der Kanzel, sogar im Beichtstuhl und auf dem Altar hatten sie Zuflucht gefunden, gleich einem lückenlosen Teppich bedeckten sie den Boden im Quer- und Seitenschiff. In der Stadt hatte es sich schnell herumgesprochen, was passiert war. Am nächsten Tag standen ungläubig die Touristen vor den Kirchentoren und begehrten Einlaß – vergebens. Keinen Fuß hätte man über die Schwelle setzen können, ohne einer Katze zu nahe zu treten, und das schien den Menschen angesichts des heiligen Ortes nicht angebracht. Vor einem blutigen Szenario in der Kirche schreckten sie zurück. Ob der neuen Lage gerieten die Stadtväter in Aufregung. Sitzungen wurden 105
einberufen, Ratlosigkeiten ausgetauscht und Beschlüsse, wo immer es ging, vermieden. Kammerjäger, die ein gutes Geschäft witterten, dienten sich an und entwarfen Pläne, wie man die Markuskirche säubern könne. Sie wurden zurückgewiesen – zu sehr fürchtete man das weltweite Echo auf ein ›venezianisches Gemetzel‹. Die Stadt, die bis dahin dem Siechtum ihrer Katzen leidenschaftslos zugeschaut hatte, bekam plötzlich Skrupel. Der Fremdenverkehr sah sich unvermutet in einer Krise. Ließ man die Katzen gewähren, blieb den Touristen das berühmteste Bauwerk zur Besichtigung versperrt, verjagen konnte man die Tiere aber auch nicht. Auf dem Wasser gründete Venedigs Ruhm, und kein Blut durfte die Lagunen der Stadt verfärben. Den Venezianern waren die Hände gebunden. In den Katakomben Venedigs hingegen mochte man sich mit der Situation nicht zufrieden geben. Dort nämlich hatte jenes Volk Zuflucht genommen, dessen Heimat durch die Katzeninvasion gefährdet schien – das Volk der Kirchenmäuse unter ihrem Führer Adolpho. Adolpho war ein stattlicher Mäuserich, dem man nachsagte, daß er auch Ratten zu seinen Ahnen zählen konnte. Zu seinen herausragenden Merkmalen rechnete man sein ausgeprägtes rhetorisches Geschick sowie seine nicht minder markanten Nagezähne, mit denen er, der Mäuselegende nach, schon mancher Katze die Halsschlagader geöffnet hatte. Adolpho also trat vor sein Volk und hielt eine Rede »Mäuse Venedigs«, hob er an und gestikulierte peitschend mit seinem langen, nackten Schwanz. »Dieses Mal ist das Katzenpack zu weit gegangen. Wir haben geduldet, daß sie das Bild unserer schönen Stadt verunstalten, wir haben ihnen erlaubt, tagsüber die Gassen zu bevölkern und nachts ihre heidnischen Gesänge zu pflegen. Wir haben weggeschaut, wenn sie sich in widerlicher Weise über unsere Mülltonnen hermachten. War aber die Katzenbrut damit zufrieden? Nein! Sie wollte mehr! Sie wollte unseren Reichtum und das Gold, das unsere Kirchen ziert. War aber das Katzengezücht jetzt vielleicht zufrieden? Nein! Es wollte unser Heiligstes, unsere Kultur, unsere Heimat. Sie trinken aus unserem Weihwasser und aus den Taufbecken, sie spie106
len mit dem Läutwerk unserer Glocken und springen auf die Tasten unserer heiligen Orgeln. Sollen wir warten, bis noch Schlimmeres passiert? Nein! So weit darf es nicht kommen! Mäuse von Venedig, ich befehle euch, geht hinaus auf die Gassen und verkündet meine Botschaft ›Venedig den Mäusen!‹.« Als hätten die Mäuse nur auf dieses Stichwort gewartet, strömten sie aus den Katakomben hinaus auf die Straßen. Und bald gehörte Venedig tatsächlich den Mäusen, in Scharen bedeckten sie die Gassen wie auslaufende Tinte ein durstiges Blatt Löschpapier. Sie fielen in Häuser ein, drangen vor zu den Vorratskammern und zernagten alles, was ihnen zwischen die Zähne geriet. Futtersäcke, Stromkabel, Gasleitungen, ja selbst die hölzernen Stützpfahle der Häuser blieben nicht verschont. Was der Zahn der Zeit nur allmählich vernichtete, drohten die Zähne der Mäuse in wenigen Tagen zu erledigen. Schneller noch als das Zerstörungswerk der Nager verlief die Flucht der Touristen. Im Nu waren die Hotels und Pensionen leergefegt, angewidert flohen die Menschen in andere, romantischere Winkel des Landes. Jetzt, in ihrer großen Not, ohne einen einzigen Besucher, entsannen sich die Stadtväter der Katzen – nur die Samtpfoten konnten Venedig von der ungeheuren Mäuseplage befreien. Sofort wurde ein Krisenprogramm erstellt, mit dessen Hilfe die Katzen aus ihrem Kirchenasyl gelockt und zur Mäusejagd eingeladen werden sollten. Die Frauen der Stadt erhielten den Auftrag, das Vertrauen der Tiere zurückzugewinnen, wärmende Decken wurden herbeigetragen, saftiges Futter in spiegelblanken Näpfen bereitgestellt, das Katzenparadies öffnete seine Pforten. Zögernd nur gingen die Katzen auf die menschlichen Werbungen ein, zu sehr brannte ihnen die erlittene Not noch unter dem Fell. Erst nach und nach genossen sie die Vorteile der neuen Situation, ohne sich aber ihren einstigen Peinigern völlig auszuliefern. Nur allzu gut erkannten sie, wie sehr ihr eigenes Schicksal mit dem des Mäusevolks verwoben war. »Nehmt das Futter und kuschelt euch in die warmen Decken«, warnte Tadzio seine Genossen, »aber schont mir die Mäuse und Ratten. Jagt sie in die Kanalisation und in die Katakomben zurück, setzt 107
ihnen nach, wenn sich auch nur ein Mauseschwänzchen auf der Straße zeigt, aber hütet euch, ihnen wirkliches Leid zuzufügen. Laßt sie leben, auf daß man uns leben läßt. Ans Werk, Freunde!« Der Auszug der Katzen aus den Kirchen bot ein überwältigendes Schauspiel. Wie eine langsam aufziehende Gewitterwolke quoll ein endloser Strom samtener Fellträger aus den hohen Toren und breitete sich über die Gassen der Stadt. Panik erfaßte die Mäuse Venedigs, aus Angst vor den scharfen Krallen und den tödlichen Bissen der Katzen suchten sie ihr Heil in der Flucht – sie ahnten nicht, daß ihnen keine Gefahr drohte. Schon nach wenigen Tagen war die Jagd beendet, die Katzen hatten die Mäuse in die Katakomben zurückgetrieben. Draußen aber, auf den Plätzen im hellen Tageslicht, hatte sich das Bild gewandelt. Überall dösten und rekelten sich wohlig zufriedene Katzen, die sich von der Sonne und den Touristen streicheln ließen. Statt sich in einer Gondel oder auf der Rialto-Brücke fotografieren zu lassen, gehörte es nun zur stolzen Touristenpflicht, mit den berühmten venezianischen Katzen zu posieren. Die ehemals Gejagten waren zur Hauptattraktion der Stadt geworden. Für die Kirchenmäuse indes hatte sich nichts geändert. Unbehelligt lebten sie in den reichverzierten Gotteshäusern und knabberten an der heiligen Hostie, die ihnen tierliebende Kirchendiener als Futter auslegten. Alle konnten zufrieden sein. Und doch gab es einen, der mit seinem Schicksal haderte. Adolpho lag unter dem Treppenabsatz der Markuskanzel und träumte. Er träumte von jenen vergangenen Tagen, in denen sein Volk Venedig fast erobert hatte. Und heimlich wünschte er, daß noch einmal die Pest über die Lagunenstadt hereinbrechen und ihn zum Herrscher über Leben und Tod machen möge – ein zweites Mal würde er sich den Katzen gewiß nicht geschlagen geben.
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Mit den Katzen heulen Ich weiß nicht, wer das Gerücht in die Welt gesetzt hat, aber es muß ein Schwindler gewesen sein: Es stimmt einfach nicht, daß Katzen miauen. Sie schreien – gut. Sie krächzen – auch gut. Sie fiepen – meinetwegen. Aber Miauen? Nein, Miauen tun sie nicht. Katzen sprechen keine gemeinsame Sprache so wie wir Menschen Englisch, Französisch, Deutsch oder Bayrisch; als Individualistin hat jede Katze ihren eigenen Idiolekt. Zum Beispiel der Daumen. Der Daumen ist an sich recht wortkarg und redet nur, wenn er etwas haben will. Da er freilich immer irgend etwas will, könnte er den ganzen Tag mit Plaudereien verbringen, das heißt, wenn meine Frau ihm nicht jeden Wunsch von den Barthaaren ablesen würde. Gelingt dies ausnahmsweise mal nicht, hilft der Daumen akustisch nach und beglückt seine Umgebung mit einem spitzen ›Mik‹. Nur in hartnäckigen Fällen sträflicher Begriffsstutzigkeit unsererseits verleiht der Daumen seinen Wünschen mit einem doppelten ›Mik‹ Nachdruck: ›Mik, mik‹ fiept es dann durch unsere Wohnung, und noch einmal ›Mik, mik‹, und dann fast ein drittes Mal ›Mik, mik‹ – aber soweit kommt es nie, denn längst ist meine Frau aufgesprungen und hat des Daumens Wünsche erfüllt. Zuweilen entspinnt sich zwischen den beiden ein regelrechtes Gespräch, etwa wenn meine Frau sich zum Schlafen niedergelegt hat. Der Dialog verläuft ungefähr so: Daumen: ›Mik?‹ (Übersetzt: ›Spiel mit mir!‹) Frau: »Mensch, Katze! Siehst du denn nicht, daß ich schlafe!« (Übersetzt: »Ich komme sofort, kleiner süßer Daumen!«) Daumen: ›Mik, mik!‹ (Übersetzt: ›Du schläfst doch gar nicht!‹) Frau: »Mist, jetzt bin ich wach!« (Übersetzt: »Fehlt meinem kleinen Süßling auch nichts?«) Daumen: ›Mik, mik!‹ (Übersetzt: ›Hab ich’s nicht gesagt, daß du nicht schläfst?!‹) Frau (springt auf): »Warum muß immer ich aufstehen?« (Übersetzt: »Gell, mein kleiner süßer Daumen? Mich liebst du doch mehr als diesen faulen Sack neben mir?«) 109
Der faule Sack neben ihr: »Ich glaube, der Daumen liebt nur dich!« (Übersetzt: »Hoffentlich gehen sie jetzt bald spielen und lassen mich weiterpennen!«) Den größten Wortschatz in unserer Familie (einschließlich meiner Frau und mir) hat freilich Baggi. Unablässig breitet sie vor uns ihre ungewöhnliche Sprachbegabung aus und läßt zwischen einem melodiös gegurrten ›brrt‹ und einem tremolando gequetschten ›mrrräh‹ keine phonetische Nuance aus. Aber Miauen? Fehlanzeige! Um keinen Deut besser steht es mit der schönen Balou. Ihr Vokabular beschränkt sich fast ausschließlich auf ein weinerliches ›määh‹, etwa wenn man sich wieder mal erdreistet hat, sie auf den Arm zu nehmen. Allerdings ist sie im Gebrauch dieses ›määh‹ sehr flexibel: Je nach Dehnung und Lautstärke ist man manchmal gut beraten, auf eine Fortsetzung des Gesprächs mit ihr zu verzichten – zumindest wenn man nicht gerade den Verbandskasten griffbereit hat. Am weitesten entfernt vom angeblich so katzentypischen Miauen ist jedoch unsere Biene. Sie mikt nicht wie der Daumen, sie gurrt nicht wie Baggi, und meckern wie Balou tut sie auch nicht. Die Biene hat sich vielmehr dem ausdauernden und markerweichenden Heulen verschrieben. Als hätte man ihr den Schwanz zwischen zwei Backsteine geklemmt, malträtiert sie jedes halbwegs musikalische Ohr und hört erst damit auf, wenn die erschöpfte Kehle nichts mehr hergibt. Ihr verzückter Gesichtsausdruck verrät indes nicht Qual noch Leiden, sondern die unmißverständliche Botschaft ›Ich nerve gern!‹. Wenn ihr der Sinn nach Jaulen steht, entwickelt die Biene ein untrügliches Gespür für effektvolle Inszenierungen. Der Balkon ist dann ihre Bühne, gleichsam von einer Empore herab genießt sie die hervorragende Akustik und beschallt die gesamte begeisterte Nachbarschaft. An guten Tagen erzielt sie RekordReichweiten von mehreren Kilometern, wie wir anhand der Absender der zahlreichen Beschwerdebriefe rekonstruieren konnten. Um der überhandnehmenden Fanpost Herr zu werden, spielen wir sogar mit dem Gedanken, Autogrammkarten mit Bienes 110
Konterfei drucken zu lassen. Rein akustisch betrachtet, hat Bienes Gejaule eine verführerische Ähnlichkeit mit einer Kreissäge oder einer Häckselmaschine. Es ist aber auch schon vorgekommen, daß man die Lautübungen mit einem Feuerwehralarm verwechselt hat. Eine Zeitlang tauchten sogar Leserbriefe in den lokalen Zeitungen auf, die die Behörden für die allzu häufigen Sireneneinsätze verantwortlich machten und zur Gründung einer Bürgerinitiative gegen den Sirenenmißbrauch aufriefen. Um in diesen Streit nicht hineingezogen zu werden, haben wir zu Lärmschutzmaßnahmen gegriffen und in der gesamten Wohnung Doppelglasfenster einbauen lassen. Jetzt kann die Biene nach Herzenslust jaulen, ohne daß es uns stört. Wir sperren sie einfach auf dem Balkon aus. Die bösen Leserbriefe zum vermeintlichen Sirenengeheule belasten uns im übrigen auch nicht mehr. Wir haben die Zeitung abbestellt. Entsprechend glimpflich verlief denn auch eine Anzeige wegen angeblicher Störung der Sonntagsruhe. Es kam zu einer polizeilichen Befragung, in deren Verlauf der Beamte das Beweismittel in Form eines Tonbandes auf den Tisch legte »Ist das Ihre Katze?« fragte er in inquisitorischem Ton und spielte uns das Band vor. Ein an Körperverletzung grenzendes Geheule drang aus dem Lautsprecher, es klang wie eine Toncollage aus Schiffssirene und Zahnarztbohrer. Erst später stellte es sich heraus, daß wir Ohrenzeugen eines kapitalen Bandsalats geworden waren – aus Mangel an Beweisen wurden wir freigesprochen. Völlig zu Recht, wie wir meinen. Schließlich leben in unserer Nachbarschaft auch viele Hunde, die auf Katzenmusik allergisch reagieren und den orchestralen Hintergrund zu Bienes Solovortrag liefern. Das ständige Gekläffe geht uns derart auf die Nerven, daß wir schon erwogen haben, die Hundehalter wegen fortgesetzter Ruhestörung anzuzeigen. Mit Doppelglasfenstern und sorgsam gehüteten Ohropax-Vorraten glaubten wir lange, die Sache im Griff zu haben. Vor ein paar Wochen allerdings flatterte uns ein Brief des Tierschutzverbandes ins Haus und drohte uns mit einem Ermittlungsverfahren wegen weithin hörbarer Tierquälerei! »Wir be111
halten uns vor, die artgerechte Haltung ihrer Tiere zu überprüfen.« »Die wollen mir die Biene wegnehmen«, wandte ich mich aufgelöst an meine Frau, die jedoch nur mit einem müden Achselzucken antwortete. Sie hatte sich gerade frische Stöpsel ins Ohr gestopft. Erst als ich ihr meine Verzweiflung ins Gesicht schrie, fand ich endlich Gehör. »Wer würde sich denn so etwas antun«, beruhigte sie mich, als die Nachricht endlich zu ihr vordrang, offenbar hielt sie die Gelegenheit für günstig, ihre Eifersucht wegen meiner ausgedehnten Knutschpartien mit der Biene an den Mann zu bringen. Ich mußte zur Keule greifen: »Wenn sie mir die Biene wegnehmen, hast du deinen Daumen auch gehabt!« Das saß! Hektisch gingen wir nun gemeinsam daran, die Wohnung nach katzenfeindlichen Ecken zu durchleuchten. »Der Fernseher muß raus!« bestimmte die Unentbehrliche und schlug vor, den neugewonnenen Raum mit katzengerechten Wolldecken auszuschmücken. Als nächstes verschwanden die Bücher aus den Regalen, die unseren Tieren fortan als Klettergerüst zur Verfügung standen. Noch am gleichen Tag erstanden wir vier zusätzliche Kratzbäume und trieben so den durchschnittlichen Baumbestand pro Quadratmeter bundesdeutschen Waldes gewaltig in die Höhe. In kleineren, bislang ungenutzten Winkeln richteten wir neue Schlaf- und Futterplätze ein, und selbst die ungemütlichen Kacheln im Bad wurden mit Samt und Seide drapiert. Was nicht ausschließlich dem Wohlbehagen unserer Katzen diente, wurde entfernt, mit feuchten Augen trennten wir uns von den letzten Reminiszenzen einer ehedem blühenden, menschlichen Wohnkultur. Der Tierschutzverband sollte mal sehen, was eine katzengerechte Wohnung ist! Mir die Biene wegnehmen? »Niemals!« sagte ich, und großzügig ergänzte meine Frau: »Nur über deine Leiche!« Als der D-Day endlich heranrückte, waren wir gerüstet; siegesgewiß öffneten wir einer naturgemäß unsympathischen und häßlichen Person die Tür zu unserem Katzenparadies. Stolz wie frischgebackene Hausherren führten wir das Fräulein durch die Räume und streuten gelegentliche Anekdoten über unsere Tiere 112
ins Gespräch. Wir spielten die Rolle der Katzeneltern perfekt: »Bitte betreten Sie nicht den Flokatiteppich, der ist ausschließlich Baggi vorbehalten!« Oder: »Wir würden Ihnen gern eine Kleinigkeit anbieten, aber wir haben nur Katzenfutter im Haus.« Oder: »Tut uns leid, daß wir flüstern müssen, aber Balou hat sich gerade zu einem Nickerchen niedergelassen!« Von Zimmer zu Zimmer wuchs ihr Erstaunen, dergleichen war der Dame bislang nicht untergekommen. Endlich war die Besichtigung beendet und die nun schon wesentlich sympathischer gewordene junge Frau zog das längst erwartete Resümee: »Ihre Tierhaltung ist absolut vorbildlich. Ich kann mir nicht erklären, warum man den Tierschutzverband eingeschaltet hat!« »Sicherlich handelt es sich um eine Verwechslung«, erwiderte ich freundlich und freute mich, einen solch hübschen und intelligenten Gast im Haus zu haben. »Das glaube ich auch«, sagte sie und machte sich beiläufig Notizen. »Es kann nur eine Verwechslung sein. Hier ist nämlich eher das Sozialamt zuständig! Die Wohnverhältnisse der Menschen sind ja geradezu skandalös!« Seit diesem Zeitpunkt warten meine Frau und ich verzweifelt auf Besuch vom Sozialamt. Was sollen wir nur tun, wenn man uns für unmündig erklärt und uns alles Hab und Gut wegnimmt? Wir können nur hoffen, daß unsere Katzen das Sorgerecht für uns bekommen. Bis dahin leiste ich meiner Biene am besten Gesellschaft auf dem Balkon. Schließlich ist mir seit neuestem ja auch zum Heulen zumute.
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Psychocat Mit schwerem Kopf saß ich am Frühstückstisch und versteckte mein übernächtigtes Gesicht hinter der Zeitung. »Würdest du deinen Kaffee bitte etwas leiser trinken!« bat ich meine Frau, auf meine ausgeprägte Geräuschempfindlichkeit Rücksicht zu nehmen. Ich war verkatert, oder vielmehr die weibliche Variante, also verkatzt! »Diese verfluchten Biester sind die ganze Nacht auf mir herumgetrampelt«, erklärte ich der Unentbehrlichen meinen angeschlagenen Zustand. »Ich fühle mich, als hätte ich unter einer Autobahnbrücke geschlafen.« »So siehst du auch aus!« sagte die Unbarmherzige und streckte sich wohlig wie eine ausgeschlafene Katze, um mir zu zeigen, wie ausgeruht sie war. »Aber was beschwerst du dich? Du weißt doch, daß Katzen nachtaktive Tiere sind!« »Und wann soll ich schlafen? Tagsüber? Am Schreibtisch vielleicht?« »Wenn es dir nicht paßt, gibt es nur eines: Abschaffen!« »Bist du verrückt? Wir können doch nicht die Katzen abschaffen?« »Doch nicht die Katzen! Ich meine dich!« Soweit unsere gemütliche Frühstücksunterhaltung, die ich dadurch beendete, daß ich mich wieder hinter die Zeitung zurückzog. Zornig irrten meine geröteten Augen über die Zeilen, bis sie plötzlich an einer eher unauffälligen Anzeige hängenblieben: »Ärger oder Eheprobleme wegen Ihrer Katzen? Rufen Sie uns an! Anonym!« Ich staunte. Eheprobleme wegen der Katzen? Da mußte ein Kenner dahinterstecken. Verstohlen lugte ich über den Zeitungsrand und schleuderte einige Blitze in Richtung jener Person, die mich eben noch zugunsten der Katzen hatte abschaffen wollen. Mein Entschluß stand fest. Schon kurz nach dem Frühstück zog sich meine Frau mit Balou zur Morgentoilette zurück – das konnte Stunden dauern. Leise ging ich zum Telefon und wählte die Nummer aus der Anzeige. Eine vertrauensvolle Frauenstimme meldete sich: »Institut Psychocat, guten Tag. 114
Probleme mit dem Partner wegen der Katzen? Dann sind Sie bei uns richtig. Hier können Sie mal richtig Dampf ablassen!« Wie es sich herausstellte, war das ›Institut Psychocat‹ kein Scherz. Im Grunde war es eine völlig normale und seriöse Einrichtung, genauso normal und seriös wie – sagen wir einmal – Telefonsex. Und ebenso schäbig kam ich mir vor. Aber es tat gut! Endlich hörte mir jemand zu, wenn ich nach Herzenslust über unsere Lieblinge schimpfte, ihre Schandtaten aufzählte und die damit verbundenen Leiden schilderte. Und das Schönste: Es nahm mir niemand übel! Keine Katze, die mich beleidigt mit tagelanger Mißachtung strafte, keine Ehefrau, die mir mit Sprüchen wie »Immer hackst du auf den armen kleinen Katzen herum« den natürlichen Abbau meiner angestauten Aggressivität verweigerte. Als Balou und meine Frau endlich vom Schminken zurückkamen, hatte ich meine Ausgeglichenheit längst wiedergefunden und mich gewissermaßen von allen Katzenaltlasten freigesprochen. Natürlich durfte ich meiner Frau von meinen ungewöhnlichen Telefonkontakten nicht erzählen, ich weiß ja, wie Frauen darauf reagieren, wenn sie hinter die Geheimnisse ihrer Männer kommen… Aber warum sollte ich andererseits mein Geheimnis auch preisgeben? Schließlich pflegte ich die Verbindung zu ›Psychocat‹ nur aus Liebe zu meiner Familie, gleichsam aus Liebe zum Frieden. Und der Frieden gedieh in den folgenden Wochen prächtig! Dank regelmäßiger Anrufe bei ›Psychocat‹ fühlte ich mich ausgeglichen und entspannt wie selten und leistete auf diese Weise meinen bescheidenen Beitrag zu unserem neuen, gemeinsamen Familienglück. Es war fast wie in den Flitterwochen – als wir noch keine Katzen hatten. Eines Abends trat jedoch eine unerwartete Wende ein, als Martin, mein bester Freund und Meister des gepflegten Müßiggangs, zu Besuch kam. Mit einem Strahlen im Gesicht und einer Flasche Sekt in der Hand ließ er sich auf das Sofa fallen und überschüttete uns mit einer blumigen Dankesrede: »Die Flasche Sekt habt ihr euch redlich verdient«, sagte er, während er zum Schrecken der Katzen den Korken an die Decke knallen ließ. »Ohne euch wäre ich nie auf die Idee gekommen!« 115
»Welche Idee?« fragte meine Frau brummig, da sie sich ärgerte, daß Martin nur eine Flasche ihres Lieblingsgetränks mitgebracht hatte. Martin hob zu einer Erklärung an: »Ich habe einfach beobachtet, wie es bei euch läuft: Katze hinten, Katze vorne, aber wehe, einer verliert mal die Nerven und wagt, die Viecher auch nur andeutungsweise zu kritisieren! Schon gibt es bei Euch den schönsten Ehekrach.« »Ja und?« fragte die Unentbehrliche beiläufig und warf mir einen rügenden Blick zu, offenbar störte es sie, daß ich mein Sektglas bis zum obersten Rand nachfüllte. »Ja und?!« griff Martin den Faden auf. »In der Bundesrepublik leben fast sechs Millionen Katzen. Da könnt ihr euch ausrechnen, wie viele katzenverrückte Ehepaare es gibt, denen es genauso geht wie euch. Ich also, nicht faul, wittere ein großes Geschäft und richte ein Sorgentelefon für Katzenhalter ein. Und was glaubt ihr, was passiert? Klar, ich kann mich vor Anrufen kaum retten. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie witzig das ist, wenn Ehepaare ohne Wissen des Partners anrufen und sich gegenseitig wegen der Katzen beschimpfen. Und ihr habt mich erst auf die Idee für ›Psychocat‹ gebracht! Toll, nicht wahr?« Der spontane Schock über meine plötzliche Entlarvung fand seinen Ausdruck in einer prustenden Sektfontäne, die wie ein ländlicher Sprühregen auf meine Gesprächspartner herabrieselte. Verlegen, Entschuldigungen stotternd, wischte ich meiner Frau mit dem Hemdsärmel die Sektspritzer aus dem Gesicht und machte wohl im großen und ganzen eine recht unglückliche und vor allem verräterische Figur. Jedenfalls drückte mich die Unentbehrliche in meinen Sessel zurück und fixierte mich mit einem Blick, den ich zunächst nicht einzuordnen wußte. Aufklärung heischend, beugte sie sich über mich und sagte: »Auch du!? Sollten wir etwa beide…?«. Die Katze war aus dem Sack, die drohende Ehekrise mit einemmal entschärft. In einer herzzerreißenden Szene legten wir ein doppeltes Geständnis ab. Jetzt bereute auch ich, daß unser Besuch nur eine Flasche Sekt mitgebracht hatte. »Wißt ihr, was wir machen sollten?« sagte Martin, als sich die Lage wieder normalisiert hatte: »Wir sollten Selbsthilfegruppen für Katzengeschädigte einrichten.« 116
»Gute Idee!« meinte ich und mußte an die Bekennungsformel der Anonymen Alkoholiker denken. Eine tolle Vorstellung: Man sitzt als anonymer Katzengeschädigter in ungemütlicher Runde beisammen und bekennt mit demutsvoll geneigtem Haupt: »Ich heiße X und bin Katzenhalter!«
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Der Philosoph und das Kätzchen Ein Philosoph hatte sich in den Kopf gesetzt, die Geheimnisse der Welt zu erforschen, und schaffte sich zu diesem Zweck eine Katze an. »Wenn ich hinter das Geheimnis der Katze komme«, ging seine Überlegung, »dann lüften sich alle anderen Geheimnisse dieser Welt wie von selbst.« Sprach’s und widmete diesem einen Ziel sein Leben. Fortan verbrachte er seine Tage in der stillen, sprachlosen Beobachtung seines Objekts. Stundenlang saß er auf dem Boden und schaute der Katze beim Schlafen zu. Jede Regung des Tieres, selbst das leichteste Zucken eines Schnurrhaares im Traum, registrierte und notierte er. Geduldig, wie die Katze vor dem Mäuseloch, harrte er bei seinen Beobachtungen aus, daß ihm auch nicht die kleinste Kleinigkeit entgehe. Was die Katze auch machte, es ward notiert: Er betrachtete sie beim Spiel, beim Fressen, beim Dösen, beim Schlafen, sogar beim Nichtstun. Aus den Notizen wurden Aktenordner, aus den Ordnern ganze Schränke, aus den Schränken ein komplettes Archiv. Die Jahre vergingen, die Katze wurde älter und ebenso der Philosoph, aber noch immer waren die entscheidenden Fragen unbeantwortet: Warum nur war die Katze der Liebling der Poeten? Warum hatte Lessing tatenlos zugesehen, als eine Katze das Originalmanuskript zu ›Nathan der Weise‹ in Fetzen riß? Warum hatte sich Kafka nicht zu entkleiden gewagt, als er eine Katze in seinem Zimmer entdeckte? Und warum glaubten die Menschen, daß die Katze im Haus den Philosophen erspart? Es gab nur eine Möglichkeit, das Geheimnis zu lüften, doch viel Zeit blieb dem Philosophen nicht mehr. In seinen Knochen nistete bereits das Ende, grau hing sein schütteres Haar über die Schläfen, und matt lagen die Augen in ihren tiefen dunklen Höhlen. Als müsse er sich vergewissern, daß er auch wirklich keine Studie ausgelassen hat, wirft er einen letzten trüben Blick auf seine Aufzeichnungen, beugt sich, von Schwäche geschüttelt, zur Katze hinab und tut etwas, das er in all den Jahren der Beobachtung nicht getan hat: Er spricht mit dem Tier. »Wer bist du?« haucht er mit dünnem Atem, »wer bist du?« Die Katze 118
aber schaut ihm nur in die erlöschenden Augen, zieht mit ihrem Schwanz einen magischen Bannkreis vor ihren Körper und sagt: »Hättest du geschwiegen, wären wir Philosophen geblieben!«.
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Brekkies auf Lebenszeit Hin und wieder frischen meine Frau und ich die eheliche Harmonie auf und leisten uns einen Ehekrach. Selten ist es etwas Ernstes, meist geht es nur um die Fortsetzung einer langerprobten Streitkultur, die sich am österreichischen Humoristen Hugo Wiener orientiert: Danach ist ein Streit nichts anderes als zwei Meinungen, die miteinander verheiratet sind. Abgesehen davon streiten meine Frau und ich nicht ungern – unsere Streitereien sind wie ein gemeinsames Hobby, das uns zusammenschweißt. Mit einem Fremden zu streiten wäre fast schon ein Vertrauensbruch, eine Affäre im Rang eines Seitensprungs. So aber pflegen wir einen regen Meinungsaustausch, was zur Folge hat, daß wir so gut wie keine Geheimnisse mehr voreinander haben. Damit das so bleibt, durchwühlt die Unentbehrliche schon mal meine Privatpost, um sicherzugehen, daß ich auch wirklich keine außereheliche Liaison pflege. Sie wird natürlich nichts finden, denn erstens bin ich treu, und zweitens läßt mich die Nachbarin von zwei Häusern weiter immer abblitzen. Ansonsten demonstriert meine Frau mit diesem Verhalten nur eine weitere Gemeinsamkeit mit mir. Auch ich stöbere nämlich gern in ihren Briefen, auch wenn ich noch nie irgend etwas Belastendes gefunden habe. Das heißt: bis vor kurzem. Ganz zufällig fiel mir diesmal ein Schriftstück in die Hände, das mir zu denken gibt. Es war ein handgeschriebenes Testament und trug die Überschrift: ›Mein letzter Wille‹. Folgendes war aufgeschrieben: »Ich, im weiteren Erblasser genannt, verfüge für den Fall meines vorzeitigen Ablebens folgenden letzten Willen: Haupterben sind meine süßen kleinen Katzen Daumen, Baggi, Balou und Biene. Sämtliche Wertsachen (auch die, die ich vor meinem Ehemann versteckt halten konnte) sind einzig zum Zwecke der Katzenversorgung einzulösen. Das Erbe ist dem vorrangigen Ziel unterstellt, daß meine Katzen ein garantiertes Futterrecht besitzen, jedes Zuwiderhandeln gegen das Brekkiesrecht auf Lebenszeit wird mit 120
Erbentzug und der Androhung eines nachträglichen Ehekrachs bestraft. Zum Erbverwalter und Wächter über die gereichten Futterportionen bestimme ich meinen kleinen süßen Daumen, dem der freie Zugang zu sämtlichen Futterplätzen gewährt werden muß. Außerdem ist mein Ehemann verpflichtet, ihm, dem Daumen, eine geistige Nahrung in einem Gespräch von täglich mindestens 60 Minuten zukommen zu lassen – und zwar unabhängig davon, ob er mit seiner Biene schon geknutscht hat oder nicht! Die vier hohen Kratzbäume sind an ihren strategisch wichtigen Positionen in der Wohnung zu belassen, ebenso der kleine Baum, der ausschließlich dem Daumen vorbehalten bleibt. Die Wahl der Rast- bzw. Schlafplätze obliegt ausschließlich dem freien Willen und dem unantastbaren Gutdünken der Katzen selbst. Schlafunterstützende Mittel wie Wolldecken oder Mohairpullover sind nur in einwandfrei gepflegtem Zustand anzubieten und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Baggi sich vornehmlich auf frischer Bettwäsche niederläßt. Ansonsten muß weiteren Eigenarten der einzelnen Katzen gebührend und ohne Widerspruch Rechnung getragen werden. Weiterhin steht das Badezimmer allen Katzen offen, allerdings mit einer Auflage: Die Benutzungsrechte für den Schminkkoffer liegen allein in der Pfote Balous. Meinen Mann schließlich bekommt die Nachbarin von zwei Häusern weiter, der er sowieso schon die ganze Zeit nachschielt und die einen Chaoten wie ihn längst verdient hätte. Natürlich ist es ihr verboten, den Daumen auch nur mit Handschuhen anzufassen. Dies gelobe ich im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte und damit basta!«
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Im ersten Moment hat mich das Schriftstück tatsächlich irritiert. Die Katzen als Haupterben und der Daumen als Verwalter? Aber damit kommt die Unvergleichliche nicht durch. Inzwischen habe ich nämlich mit Biene, Balou und Baggi gesprochen. Sie haben angekündigt, daß sie das Testament anfechten wollen.
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Der Maler und die Katze Als der reiche Florentiner Kaufmann Francesco Bartolommea del Giocondo das Porträt in Auftrag gab, war der Meister entsetzt. »Diese langweilige Dörrpflaume soll ich malen?« dachte er, behielt seine Meinung aber wohlweislich für sich. Schließlich war ›die Dörrpflaume‹ die Gemahlin des Auftraggebers, und dieser sah seine Frau sicherlich mit anderen Augen als der Künstler. »Was soll’s«, überlegte er. »Ob ich jetzt ein großes Schlachtengemälde, ein ödes Obstarrangement oder aber das leere Gesicht der Kaufmannsgattin male, ist doch einerlei. Hauptsache, die Kohle stimmt. Und bei dem Preis wäre ich doch Leo, wenn ich nein sagte.« Er nahm den Auftrag an. Tags darauf saß ihm das ›menschliche Stilleben‹ erstmals Modell. Schüchtern und linkisch plazierte es sich auf einen Stuhl und starrte verlegen in den Raum. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« fragte der Meister, um die peinliche Stille zu unterbrechen, die Dame aber schüttelte verneinend den Kopf; an einer Unterhaltung schien ihr nicht gelegen. Gleichgültig, welche Fragen der Meister an sie richtete, er bekam keine Antwort. »Das wird ja schlimmer, als ich dachte«, seufzte der Maler, den es schon reute, den Auftrag angenommen zu haben. »Ihr Gesicht ist so unbewegt wie eine leere Leinwand, jeder schwungvolle Pinselstrich wäre eine Übertreibung der Wirklichkeit. Aber für eine weiße Figur auf weißem Grund bekomme ich keinen Lohn.« Unzufrieden tauchte der Meister seinen Pinsel in die Palette und rührte ein bläuliches Grün an. In kleinen Tupfen trug er das Gemisch auf die Leinwand auf, rührte wieder und plazierte mal großzügig, mal sparsam erneut die Farbe, ohne auch nur ein einziges Mal zu seinem Modell aufzublicken. Als der Abend nahte, erhielt der Meister Besuch. Es war der Kaufmann, der die Fortschritte des Porträts seiner Gattin begutachten wollte. »Oje«, platzte er heraus, als er die Leinwand sah, und sein ›Oje‹ war berechtigt: Der Meister hatte lediglich den Hintergrund 123
skizziert, in der Mitte der Leinwand aber klaffte ein nahezu formatfüllendes weißes Nichts, das das Konterfei der Dame wie in einem Scherenschnitt nur als hellen Umriß erahnen ließ. »Es ist wie beim Essen«, mühte sich der Maler verlegen um eine Erklärung. »Das Beste hebt man sich für den Schluß auf.« Er konnte doch nicht verraten, daß er die Dame so wiedergegeben hatte, wie er sie sah: als weißen Schatten, der störend vor eine anmutige Kulisse getreten war! Doch auch in den folgenden Tagen und Wochen wandte der Meister mehr Liebe für den Hintergrund des Bildes auf als für das eigentliche Hauptmotiv. Was fand dieser Giocondo nur an seiner Frau, daß er sie porträtiert haben wollte? fragte er sich immer wieder. Verfügte sie über unbekannte Reichtümer, die die Armut ihres Ausdrucks wettmachten? Oder mochte er einfach blasse Gestalten, weil sie ihn über seine eigene Farblosigkeit hinwegtäuschten? War es ihre Schlichtheit, die ihn klug erscheinen ließ? Als nach Monaten der Bildhintergrund prächtig ausgeschmückt war, die Dame aber noch immer als Schattenriß vor sich hindarbte, wurden die ›Ojes‹ des Auftraggebers immer heftiger und des Meisters Ausflüchte immer fadenscheiniger. Der Versuch, die Schönheit der Gattin gewissermaßen aus dem Nichts und nur aus einer entsprechend konturierten Umgebung hervorspringen zu lassen, war fehlgeschlagen. Der Kaufmann setzte dem Künstler eine Frist. »Ist meine schöne Elisabeth bis dahin nicht fertig, gibt’s keine Kohle«, verkündete Giocondo forsch und schickte einen Blick hinterher, der Entschlossenheit verriet. »Elisabeth?« schoß es dem Meister durch den Kopf, während sich ein Lächeln auf seinem Mund ausbreitete. »Das könnte die Lösung sein! Warum bin ich nicht gleich daraufgekommen!?« Wie es der Zufall wollte, trug auch des Meisters geliebte Katze diesen Namen, benannt nach der Mutter des Heiligen Johannes, den sie trotz angeblicher Unfruchtbarkeit noch in hohem Alter gebar. Faul und in Ehren ergraut lag die Katze stets unter seiner Staffelei und lugte nur manchmal mit einem müden Seitenblick auf das Tun ihres Herrn. Der Meister brauchte sie zur schöpferischen Inspiration, ihre wohlige Gelassenheit gab ihm die notwendige Ruhe, wenn in seinem Innersten die künstleri124
schen Elemente wie im Sturm miteinander kämpften. Wo die Katze war, war das Auge des Taifuns, das ihn wütend und tobend zu zerreißen drohte. Wie von einer plötzlichen Eingebung gefesselt, nahm er seine geliebte Elisabeth auf den Arm und legte sie auf den Schoß des Modells gleichen Namens. Augenblicklich schlossen sich ihre Hände um das weiche Tier, das sich schnurrend und tretelnd an ihre Brust schmiegte und beiden eine Anmut verlieh, die zuvor nicht vorhanden war. Hurtig ging der Meister nun ans Werk; sein Pinsel flog über die Leinwand, als er die kräftig und doch zärtlich um die Katze verschränkten Arme, die sich auf einer Stuhllehne abstützten, ins Bild setzte. Wenn auch die eigentliche Wirkung des Motivs von der Katze ausging, durfte er sie nicht malen, ja nicht einmal ein paar Katzenhaare auf dem Kleid seines Modells durfte er andeuten – sofort wäre die Frau als Zentrum des Bildes verdrängt worden. Auf dem Bild ließ er das Tier einfach weg. Ausgehend von der imaginären Katze eroberte die Dame gleichsam von unten nach oben ihren Platz auf der Leinwand. Schon nach kurzer Zeit gelangte der Meister zu ihrem züchtig verdeckten Busen und malte sich über ihre sanften Rundungen hinauf bis zum Kopf, auf dem sich das wellige schwarze Haar scheitelte. Allein das Gesicht fehlte noch zur Vollendung des Bildes – doch auch hier zauderte der Meister keine Sekunde. Von der plötzlichen Inspiration überwältigt, rollten seine Augen in den Höhlen, bis der Meister, erschöpft und gestärkt zugleich, den Pinsel niedersinken ließ. Das Ergebnis war das rätselhafteste Antlitz, das die Welt je gesehen hatte. Entzücken und Erstaunen lagen in den Augen, Charme und kühle Unnahbarkeit formten den Mund. Der Meister hatte das geheimnisvolle Lächeln seiner Katze auf die Leinwand gebannt. Als Giocondo kurze Zeit später das Kunstwerk besah, war er begeistert. »Meine Elisabeth!« rief er aus. »Das ist meine Elisabeth – die wahre Schönheit schlechthin!« »Fürwahr, fürwahr!« dachte sich da der Meister und dankte dem Kaufmann für sein Lob: »So wollen wir dem Bild einen passenden Namen geben. Wie wäre es mit ›Mona Lisa‹?«
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Wenn zwei sich streiten, freut sich die Katze Wer unsere Biene nur aus Erzählungen kennt, könnte leicht den Eindruck gewinnen, daß sie eine absolute Teufelskatze sei. Wer sie hingegen persönlich kennengelernt hat, weiß: Die Biene ist eine absolute Teufelskatze! »Das ist ungerecht!« protestierte eines Tages meine Frau. »Immer schreibst du nur über dieses bunte Biest. Nur weil es deine alte Knutschbiene ist, bist du auch noch stolz auf ihre Schandtaten. Warum schreibst du nicht einmal über unsere immer freundliche Baggi?« »Über Baggi habe ich doch schon geschrieben«, wehrte ich mich und erinnerte sie an die Geschichte über Baggis Gewichtsprobleme. »Dann wird es Zeit, daß du eine neue Geschichte schreibst! Baggi hat nämlich in letzter Zeit ein bißchen abgenommen!« Also setzte ich mich an meinen Schreibtisch, spannte ein Blatt Papier in die Maschine und dachte an Baggi. Spontan fiel mir der passende Titel ein: ›Wenn zwei sich streiten, freut sich die Katze‹. Einen Anfang hatte ich auch schon: »Wer unsere Biene nur aus einzelnen Erzählungen kennt…« Aber halt! Da drängte sich diese Biene doch schon wieder in die Geschichte. Also beginnen wir noch einmal ganz von vorn:
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Wenn zwei sich streiten, freut sich die Katze Wer unsere Baggi lediglich aus einzelnen Erzählungen kennt, könnte leicht den Eindruck gewinnen, daß sie immerfort ihren Genuß im Kopf hat. Wer sie hingegen persönlich kennt, weiß: Baggi hat nur ihren Genuß im Kopf. Keine andere unserer Katzen ist so hedonistisch veranlagt wie sie: ob es ums Fressen, ums Spielen oder ums Faulenzen geht: Keine gibt sich den schönen Dingen des Lebens mit größerer Andacht hin als sie. Trotz ihres geringfügigen Übergewichts von maximal 500 Gramm (pro Kilo Körpergewicht, versteht sich) ist es eine Freude, ihr beim ballettösen Spiel mit einer Stoffmaus zuzuschauen. Graziler noch als jeder Seehund mit einem Ball jongliert sie mit der Maus und erinnert – fußballtechnisch gesprochen – an den argentinischen Ballzauberer Diego Maradona (der übrigens ebenfalls übergewichtig ist). Baggi ist eben eine Bewegungskünstlerin. Wenn sie nicht gerade unter konkurrenzbedingtem Streß bei der Nahrungsaufnahme leidet, schlägt Baggi im täglichen Leben lieber ein gemäßigtes Tempo an. Bewundernswert, wie elegant sie ihre exponierteste Körperpartie von einer Seite auf die andere wälzt und genüßlich alle viere von sich streckt. Baggi in Zeitlupe – da hätte man ein Standbild. Bisher habe ich zur fortgesetzten räumlichen Ausdehnung ihrer Figur stets geschwiegen. Neulich aber meinte ein Besucher, wir hätten statt vier fünf Katzen: Er hatte Baggi doppelt gezählt! Die Schuld an Baggis Figurproblemen trägt meine Frau, auch wenn sie alle Vorwürfe diesbezüglich scharf zurückweist: »Baggi hat kein Figurproblem! Sie hat nur einen gesegneten Appetit! Ich beweise es dir!« Und schon reicht sie eine Extraportion Brekkies, um den nie zu bezweifelnden Wahrheitsgehalt ihrer These zu unterstreichen. »Warum mußt du ihr denn immer noch zusätzlich Kalorien zuführen?« versuchte ich einmal, den Grund ihres Fütterungstriebes herauszufinden. »Dafür habe ich zwei Gründe«, sagte sie trocken. »Erstens, weil sie eine Belohnung verdient hat!« 127
»Belohnung? Wofür? Dafür, daß sie gerade ihren Teller leergefressen hat?« »Und zweitens«, antwortete sie apodiktisch und griff erneut zur Brekkiesschachtel, »aus Trotz!« Wenn zwei sich streiten, freut sich die Katze. Und wird dabei immer dicker. Gegen ihr ›Erstens‹ ist mir noch kein wirksames Mittel eingefallen, Anlässe zur Belohnung gibt es für meine Frau leider immer, meist eingeleitet durch Sätze wie: »Schau doch, wie hübsch Baggi daliegt!« Oder: »Ob sich Baggi wohl belohnen läßt?« Oder: »Baggi hat sich soo brav an die einstündige Diät gehalten!« – schon fräst sich der Dosenöffner, durch das Blech und fördert frische Sardinenstückchen zutage! Ihr trotziges ›Zweitens‹ dachte ich hingegen leichter aushebeln zu können: Ich durfte ihr nur keinen Grund mehr zum Trotzigsein liefern. Fortan, beschloß ich, würde ich nur noch lobende Worte für unsere gertenschlanke Akrobatin finden. Begeistert von meinem eigenen ›Anti-Trotz-Plan‹ wartete ich eine günstige Stimmungslage der Unentbehrlichen ab und sagte dann mit der Beiläufigkeit eines gewieften Lügners: »Schön, daß Baggi so toll abgenommen hat!« »Wie bitte?« sprang meine Frau entsetzt auf und sprintete in Rekordzeit zum Dosenschrank: »Nicht, daß sie mir noch vom Fleisch fällt!« Seitdem streiten wir uns nicht mehr über Baggis Figur – die Katze freut sich trotzdem.
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