Nachdenklich oder fröhlich ernst oder komisch Geschichten und Erinnerungen aus der
Lehrzeit Herausgegeben von Walter N...
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Nachdenklich oder fröhlich ernst oder komisch Geschichten und Erinnerungen aus der
Lehrzeit Herausgegeben von Walter Nowojski Illustriert von Uwe Häntsch 320 Seiten • Ganzleinen 11,40 M
Fünfzehn Autoren melden sich zu Wort. Sie erzählen, auf welchen Wegen und Umwegen sie selbst ihre Lebenslehre empfingen, sie erzählen Erfahrenes und Erfundenes. So verschieden wie die Autoren in Temperament und Handschrift sind ihre Geschichten. Sie wurden geschrieben von: Uwe Berger - Richard Christ Fritz Rudolf Fries-Helmut Hauptmann Jochen Hauser * Henryk Keisch - Jurij Koch - Eckart Krumbholz • Willi Meinck - Joachim Nowotny - Eberhard Panitz - Manfred Richter - Bernd Schirmer - Armin Stolper • Klaus Walther
Verlag Neues Leben Berlin DDR 0,25 M
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JanuszZajdel
Die Methode des Dr. Quin
Verlag Neu-es Leben Berlin
Titel des polnischen Originals: Przejscie przez lustro Ins Deutsche übertragen von Hubert Schumann Mit Illustrationen von Stephan Rosenthal
© Verlag Neues Leben, Berlin 1981 Lizenz Nr. 303 (305/56/81) LSV7713 Umschlag: Stephan Rosenthal Typografie: Walter Leipold Schrift: 8/9p Excelsior Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland Berlin Bestell-Nr. 643 161 5 DDR 0,25 M
Langsam erstarb das Dröhnen der Triebwerke, das Tragflächenboot sank schwer auf die wogende Fläche des Ozeans. Von der ansteigenden Flut gehoben, begann es sich zu wiegen. Sato manövrierte es so, daß es mit dem Bug zum Ufer stand. „Das reicht, Sato!" sagte ich, als der flache Bootskörper über Sand scheuerte. Ich zog die Schuhe aus, krempelte die Hosenbeine hoch und kletterte aus der Kabine. Mit einigen Sätzen war ich über Bord. Ich wandte mich um. Sato winkte mir zu und ließ die Schraube an. Rückwärts kroch das Tragflächenboot von der Sandbank, dann kehrte es langsam den Bug zum offenen Meer. Es machte einen Satz nach vorn und schoß, kaum das Wasser berührend, mit zunehmender Geschwindigkeit davon. Es war komisch: Ich fühlte mich einsam... Ausgerechnet hier auf diesem ablegenen, aber keineswegs menschenleeren Eiland im südlichen Pazifik. Nach vielen im Raumschiff verbrachten Jahren war alles andere hier angebracht, nur nicht das Gefühl der Einsamkeit... Auf dem Triton waren wir achtzehn gewesen - am Anfang. Nachher noch elf... Aber unsere Einsamkeit damals war eine andere als die meine jetzt. Dort in der endlosen Leere waren wir verlorene Atome denkender Substanz, entfremdete Individuen, eine zu kleine Zahl, um unter statistische Gesetze zu fallen. Jeder bedeutete etwas, jeder hatte seinen Platz... Hier jedoch, untergetaucht in einem Gewühl von Milliarden, waren wir unscheinbar, unbeholfen... Mehrere Jahrzehnte der Abwesenheit hatten uns in der Entwicklung zurückgeworfen, wir konnten nicht mehr Schritt halten... In den ersten Tagen waren wir eine Sensation von eher durchschnittlichem Ausmaß gewesen: Seht doch, da ist wieder eine der alten interstellaren Expeditionen zur Erde zurückgekehrt. Nicht die erste, nicht die letzte. Eine von vielen. Ich stand auf und klopfte mir die weißen Sandkörnchen vom Anzug. An die zwanzig Meter vom Wasser entfernt begann der Dschungel. Ich ging daran entlang, bis ich einen kaum erkennbaren Pfad ausmachte, der durch das Dickicht führte. Nachdem ich ihn eingeschlagen hatte, mußte ich immer wieder Äste zur Seite biegen, die mir ins Gesicht schlugen. Das Buschwerk lichtete sich plötzlich und ging in einen reichlich verwahrlosten Garten über, der dennoch Spuren einer Bearbeitung aufwies. Aus seiner Tiefe schien, von den schräg einfallenden Sonnenstrahlen beleuchtet, die Wand eines einstöckigen Gebäudes, das in einem seltsam archaischen Stil erbaut worden war: die Miniatur eines Palastes aus der Zeit Ende des zweiten Jahrtausends. In der Mitte der Vorderfront prangte ein Schmuckportal mit einer großen Flügeltür. Solche Häuser trifft man kaum noch an. Dieses machte auf mich allerdings den Eindruck, als sei es erst vor kurzem erbaut worden. 3
Mir war zwar gleich gesagt worden, ich werde hier nichts vorfinden, was an die moderne Technik und Zivilisation erinnere, aber ich hätte nie geglaubt, daß es gar so altmodisch sein würde! „Das ist eine ganz spezifische Anstalt, ein Sanatorium oder vielleicht eher eine Art ,psychischer Quarantäne'", hatte der Oberst gestern gesagt. „Du wirst Leute treffen, die dort von nervlichen und psychischen Störungen kuriert werden sollen, Störungen, wie sie bei längerem Aufenthalt im All, in Raumschiffen oder auf einsamen Satellitenstationen, durch schwer zu verkraftende Erlebnisse hervorgerufen werden. Die einzige Möglichkeit, diesen Opfern unserer Zivilisation zu Hilfe zu kommen, ist ihre Abschirmung von der Gegenwart, gekoppelt mit einer entsprechenden Therapie. Die Methode des Doktor Quin, der die Anstalt seit ihrer Entstehung leitet, besteht ebendann, den Patienten völlig von den Erscheinungen des heutigen Lebens und damit von dem Nährboden zu isolieren, aus dem die Störungen des-psychischen Gleichgewichts erwachsen. In sechzig Prozent der Fälle sind die Resultate zufriedenstellend. Seit die Anstalt besteht, sind viele Patienten als geheilt entlassen worden. Wenn eine Hoffnung auf Heilung nicht erkennbar ist, wird der Patient nach zwei oder drei Jahren in ein besonderes Pflegeheim überwiesen. Die Personen, die du jetzt dort antreffen wirst, gehören leider überwiegend zu diesen vierzig Prozent: Menschen, bei denen die psychischen Veränderungen die Schwelle überschritten haben, nicht mehr rückgängig zu machen sind." Diese Mitteilungen des Obersts ließ ich mir durch den Kopf gehen, während ich auf das Haus zuschritt. In mehreren Fenstern des Obergeschosses glaubte ich Gesichter zu sehen, die diskret zu mir herüberspähten. Der Lärm der Triebwerke war gewiß bis hierher gedrungen und hatte die Neugier der Kurgäste geweckt. Meine Vermutung erwies sich als zutreffend: Aus einer Seitenallee trat mir ein hochgewachsener, rotblonder Mann, höchstens dreißig Jahre alt, in den Weg. „Willkommen!" sagte er ungezwungen, als seien wir längst miteinander bekannt. „Sie wollen zu uns? Ganz allein? O h n e . . . Aufsicht?" Es war doch ein Fehler gewesen, fuhr es mir durch den Kopf. Sato hätte mich herbegleiten sollen. „Guten Tag", sagte ich, nicht gerade begeistert, und reichte ihm die Hand. „Sie sehen es ja selbst, ganz allein..." „Das heißt also, n u r . . . prophylaktisch, nicht wahr?" Er kniff ein Auge zu und faßte mich vertraulich beim Ellenbogen. „Genau wie ich. Entschuldigung, Lindgard ist mein Name, Ole Lindgard." „Igor Kreis", sagte ich widerwillig. Ole blieb wie angewurzelt stehen. „Kreis? Vom Triton? Ich freue mich wahnsinnig, dich kennenzulernen. Vor einer Woche ungefähr seid ihr gelandet, nicht wahr?" „Genau vor zehn Tagen." Ich war überrascht. „Woher weißt du das? Wie ich hörte, werdet ihr hier nicht gerade auf dem laufenden gehalten?" „Ach, nur keine Übertreibung, Kreis!" Ole blies die Lippen auf und grinste von oben herab. „Man darf nicht alles glauben, was draußen über diese Anstalt erzählt wird. Manches sickert schon durch bis hierher. Sonst würde m a n sich in dieser Einöde auch zu Tode langweilen! Bloß", setzte er hinzu 4
und blickte mich bedeutungsvoll an, „vor Quin darf man sich damit nicht verraten. Er meint, dadurch würde seine Behandlung gestört. Aber das ist ohnehin völlig bedeutungslos. Außer mir gibt es im Moment gar keine solchen ... prophylaktischen Fälle. Lauter Unheilbare, verstehst du? Sie sitzen hier die vorgeschriebene Frist ab, sind nicht mehr zu retten, völlig übergeschnappt ... Arme Schweine!" Nach kurzem Schweigen fuhr er fort: „Und du bist also mit dem Triton zurückgekommen. Großartig. Endlich erfahre ich aus erster Hand, was sich wirklich dort abgespielt hat. Na, das ist vielleicht ein Zufall! So einen... .Interstellaren' hatten wir lange nicht hier... Du warst der Zweite Pilot, nicht wahr?" Pausenlos schwatzte er auf mich ein, tanzte um mich herum, tauchte bald zu meiner Rechten, bald zu meiner Linken auf oder vertrat mir den Weg. Er hörte nicht einmal auf, als wir im Vestibül des Hauses standen. „Hier hat der Chef sein Kabinett." Diensteifrig wies er mir die erste Tür auf der linken Seite. „Komm doch in die Bibliothek, wenn er mit dir fertig ist. Dann reden wir ein bißchen, ich führe dich in unsere kleine Welt ein..." Erleichtert atmete ich auf. Ich klopfte leise und öffnete die Tür. Hinter einem großen antiken Schreibtisch erblickte ich einen Mann mit schütterem Haar. Auf seiner Nase saß eine Brille mit leicht verbogenem Drahtgestell. Er schaute über die Gläser hinweg, bedachte meinen Gruß mit einem Lächeln und wies auf einen Stuhl. „Ich begrüße Sie, Herr Kreis, auf der Insel Oor. Mein Name ist Quin", sagte er, während ich Platz nahm. 5
Genauso hatte ich ihn mir vorgestellt, obgleich m a n mir nur eine sehr knappe Beschreibung gegeben hatte: Ein biederes, braves Doktorchen aus einem alten Film... „Sie sind von 61 Cygni zurückgekehrt,..", sagte er, auf den vor ihm liegenden Bogen schielend. „Die Beobachtung des psychischen Zustands hat e r g e b e n . . . J a . . . Meine Kollegen vom Kosmischen Gesundheitsdienst halten diese Symptome für nichts Ernsthaftes. Man hat Sie ja darüber informiert ... Wiederholt sich das öfter?" „Auf dem Rückflug mehr als ein dutzendmal, immer in Abständen von sechs bis sieben Tagen. Auf der Erde ist es mir einmal passiert. Ein sehr unangenehmes Gefühl, Herr Doktor: Ich wache auf und weiß absolut nicht, wer ich bin und wo ich mich befinde. Manchmal hält das mehrere Stunden an." „Ja, ja...", murmelte Quin. „Das steht auch hier in Ihren Papieren. Bitte, kommen Sie." Er öffnete eine Tür und ließ mir den Vortritt. Wir betraten einen Raum, der offensichtlich als Ordinationszimmer diente. In der Mitte stand ein großer Tisch mit einer Unmenge von Gläsern, Fläschchen und medizinischen Instrumenten. Ein ziemlich grotesker Anblick, man fühlte sich in Fausts Studierzimmer versetzt. Hier konnte man überhaupt daran zweifeln, daß ein dreiundzwanzigstes Jahrhundert Realität w a r . . . Quin unterbrach meine Überlegungen. „Ich sehe Ihre Verblüffung", begann er jovial. „Das ist eine normale Reaktion. Sie wundern sich im stillen, auf welche Weise ich hier mehr bewirken kann als meine Kollegen vom Kosmischen Gesundheitsdienst. Es ist wahrhaftig keine Zauberei im Spiel. Ich verfüge über die modernste Ausrüstung, die ich allerdings dem Auge des Patienten sorgfältig verberge. Die Praxis hat gezeigt, daß der Anblick all dieser Zephalektoren, Konfliktografen'den Verlauf der Kur ungünstig beeinflußt. Alles muß harmonisch mit der Umwelt in Einklang stehen... Wie Sie sehen, haben wir hier einen ziemlichen Mischmasch von Stilen und Epochen, aber ich versuche dennoch, mich stets im Rahmen des neunzehnten Jahrhunderts zu halten. Ich meine, was den äußeren Effekt angeht..." Quin hatte mich inzwischen auf einen weichen Sessel plaziert und ein Netz von Elektroden und Strippen über meinen Kopf gestülpt. Er beobachtete einen Bildschirm, der meinen Augen verborgen blieb, trat dann vor mich hin und lächelte kaum merklich. „Eigentlich ist alles in Ordnung. Ich habe nicht einmal diese .Leerlaufrhythmusstörung" feststellen können, von der in der Diagnose die Rede ist. Hingegen finde ich etwas, was wohl passen dürfte, wer weiß? Als wären Sie sich Ihrer eigenen Persönlichkeit nicht sicher... Weitere Untersuchungen und Beobachtungen werden es an den Tag bringen. Jetzt gehen Sie bitte auf Zimmer fünfzehn, ich habe es für Sie vorbereiten lassen. Dort finden Sie auch den Tagesablauf und einen Plan unserer Anstalt. Wenn Sie sich langweilen, können Sie gern die Bibliothek benutzen. Nein, nein!" kam er lächelnd meiner Frage zuvor: „Es sind nicht nur Bücher aus dem neunzehnten und zwanzigsten J a h r h u n d e r t . . . Das Gelesene beeinflußt den Patienten anders als Gehörtes oder Gesehenes. Die Phantasie arbeitet auf der Grundlage inneren Erlebens... Entschuldigen Sie übrigens", er lächelte von 6
neuem. „Das sind sehr fachliche Probleme, mit denen ich Sie nicht langweilen will." Wir gingen wieder durch das Kabinett. Außer dem Schreibtisch bemerkte ich dort einige schwere, schnitzereiverzierte Regale voller Bücher und Aktenordner. Auf einem dieser Regale stand die mächtige Bronzestatue eines Athleten, auf einem anderen eine alte Stutzuhr. Der Doktor schien nicht nur ein Liebhaber, sondern auch ein Kenner von Antiquitäten zu sein. Für mich waren alle diese Gegenstände einfach nur alt, obgleich ich selbst vor nicht ganz hundert Jahren geboren war. Als ich die breite Holztreppe hinaufstieg, suchte ich zu erraten, welche der in diesem Hause befindlichen Gegenstände echt und welche nur Nachahmung waren. Das reichgeschnitzte Geländer, hier und da von den winzigen Löchern der Holzwürmer übersät, die von grauer Patina überzogenen Beschläge der Stufen, die an den Wänden hängenden Kopien - oder waren es gar Originale? - der Ölgemälde mit dem feinen Netz der gesprungenen Oberfläche... Das Gebäude steht doch erst seit knapp zehn Jahren? dachte ich verblüfft. Oder irrte ich mich da? Ich hatte bisher keine Zeit gehabt, mich in die Geschichte der hiesigen Anstalt zu vertiefen. Es war alles so plötzlich gekommen... ,.Kreis, der Himmel selbst schickt Sie zu uns!" sagte der Oberst, als ich mich nach den Kontrolluntersuchungen beim Oberkommando abmelden wollte. Diesen Offizier kannte ich zufällig noch von damals,, bevor ich ins All geflogen war. Als junger Milchbart hatte er im ersten J a h r der Pilotenausbildung gestanden. Jetzt konnte man ihn auf etwa sechzig Jahre schätzen. Er mußte also auch einen Raumflug hinter sich haben, aber keinen so fernen wie ich... Der Oberst sprach eine gute Stunde, aber selbst wenn er noch länger geredet hätte, wäre ich nicht gescheiter gewesen. „Der Fall ist kitzlig und nicht ungefährlich", hatte er gesagt. Und ich, soeben zurück von einer verteufelt langen und gefährlichen interstellaren Reise, hatte mich für die Aktion zur Verfügung gestellt. Eigentlich stand mir ein Ruhegehalt auf Kosten des Kosmozentrums zu, ich hatte meine Parallaxensekunden abgeflogen und abgeleistet, und die J a h r e bis zur Rente zählen nach der irdischen Zeitrechnung. Als ich mir mich jedoch in der Rolle eines vierzigjährigen Rentners vorzustellen suchte, wurde mir sehr komisch zumute. Ich verspürte die Schuld gegenüber meinen Altersgenossen, die auf der Erde geblieben waren und nun auf die Neunzig zugingen, es war mir nicht wohl bei dem Gedanken, daß ich die Zeit betrogen h a t t e . . . So beschloß ich, weiter im Kosmozentrum zu arbeiten. Das Zimmer im Obergeschoß hielt Kleidung und Hausschuhe für mich bereit. Während ich mich umzog, musterte ich den Raum. Er war groß und hatte zwei hohe Fenster. Die Eiririchtung fand ich fade: ah der Wand ein breites Bett, in der Mitte ein Tisch und zwei Stühle. Vervollständigt wurde die Möblierung durch einen riesigen Schrank, den m a n aus unerfindlichem Grund hier aufgestellt hatte. Schließlich brachte keiner der Kurgäste irgendwelche persönlichen Dinge mit hierher. Ich blickte zur Uhr. Es ging a u | fünf Uhr nachmittags zu, bis zum 7
Abendessen war es noch eine Weile hin. Ich seufzte resigniert und beschloß, die Bibliothek aufzusuchen. Nach den Angaben, die ich erhalten hatte, befanden sich zur Zeit nur fünf Kurgäste hier. Das erleichterte mir die Aufgabe beträchtlich. Aus diesem von der Welt isolierten Grüppchen hatte ich eine Person herauszufinden. Ich hatte einen Mikrofilm bei mir, mit den Namen der fünf plus kurzen Informationen über ihre Lebensläufe und Krankheitsgeschichten. Einer Empfehlung des Obersts folgend, wollte ich diese Notizen jedoch nicht eher zu Rate ziehen, bis ich mir über jeden einzelnen eine eigene Meinung gebildet hatte. Auf dem Flur im Parterre traf ich zwei große weißbekittelte Männer, Pfleger höchstwahrscheinlich. Sie wandten mir ihre stumpfen Gesichter zu und grüßten höflich. Die Bibliothek unterschied sich in ihrem Charakter nicht von den übrigen Räumen. Massive Regale, gedrängt voll von Büchern, liefen die Wände entlang. Mehrere Sessel mit hohen Lehnen, zwei kleine Tische, darauf elektrische Leuchten, Imitationen von Petroleumlampen. Alles zusammen schuf eine Atmosphäre der Sammlung, zugleich aber auch eines abgestandenen, dumpf igen Friedens... Ole saß mit dem Gesicht zur Tür. Außer ihm bemerkte ich drei weitere Männer: Einer, dessen Kinn sich in drei starke Wülste faltete, lehnte mit seinem massigen Leib in einem Rollstuhl, die beiden anderen steckten, von den Lehnen halb verdeckt, in Sesseln in der Ecke. Auf mein Eintreten reagierte nur Ole. Er stand auf, kam mir entgegen und führte mich vor den Dicken im Rollstuhl. 8
„Darf ich bekannt machen? Herr Igor Kreis. Herr Enor Asvitz." Nachdem ich mit dem Dicken einen Händedruck getauscht hatte, fügte er hinzu: „Igor ist soeben aus dem Sektor des Schwans zurückgekehrt!" Ole ließ sich nieder, in seinen Augen sah ich einen boshaften Glanz aufleuchten, als ahnte er, was sogleich folgen würde. Durch Asvitz, der bisher schläfrig und reglos dagesessen hatte, ging ein Ruck, er beugte sich rasch über die Armlehne seines Rollstuhls zu mir herüber. Dabei rutschte ihm die Decke herunter, und ich sah, daß er an beiden Beinen oberhalb der Knie amputiert war. „Von 61 Cygni sind Sie zurückgekehrt? Das trifft sich wunderbar! Gestatten Sie, daß ich Ihnen einige Fragen stelle? Das ist für mich außerordentlich wichtig. Bitte..." Mit fahrigen Bewegungen seiner quabbligen Hände drehte er die Räder des Stuhls so, daß er mir direkt gegenübersaß. „Sie werden sich vielleicht wundern..., aber ich möchte wissen..., haben Sie dort im All vielleicht irgendwelche Signale unbekannter Herkunft empfangen?" Asvitz redete immer hastiger. „Na, verstehen Sie? Signale, die nicht... von Menschen stammen?" Zum Glück fiel niemandem auf, welche Mühe es mich kostete, mein jäh erwachtes Interesse zu verbergen. „Was meinen Sie für Signale?" erkundigte ich mich und suchte meiner Stimme einen möglichst gleichgültigen Klang zu geben. „Denken Sie dabei an die Nebengeräusche im Funkverkehr?" „Nein, nein!" Ungeduldig wehrte er mit der Hand ab. „Es geht um echte Signale mit Merkmalen der Regelmäßigkeit... Sie können gestört oder stark entstellt sein, aber sie kommen regelmäßig, in Serien..." Nein, dachte ich. Das kann nicht derjenige sein, um den es geht. Unsinn! „Tut mir leid", sagte ich. „Da muß ich Sie enttäuschen. Weder unterwegs noch im System 61 haben wir dergleichen registrieren können. Sie interessieren sich dafür? Für den Kontakt mit fremden Zivilisationen? Ein faszinierendes, zugleich aber etwas hoffnungsloses Hobby, das werden Sie zugeben!" „Sie sind im Irrtum!" fiel Asvitz mir heftig in die Rede. „Ihr seid alle im Irrtum! Aber daran sind nicht die Observatorien und Forschungsstationen schuld..." Enor brach ab und schloß die Augen. Es schien, als sei er eingeschlafen. Geheimnisvolle Signale aus dem All... Auch ich hatte Grund, mich dafür zu interessieren... Freilich, es gab solche Signale. Ich hatte gelogen, als ich vorgab, nichts davon zu wissen. Nur waren sie nicht auf dem Triton oder einem anderen interstellaren Raumschiff empfangen worden. Ein unbemannter Satellit, eine automatische Meßstation für die Intensität der kosmischen Strahlung, hatte sie ganz zufällig aufgezeichnet. Es handelte sich um einen stark gebündelten Strom von Strahlenenergie, ausgesandt auf den Wellen der härtesten Gammastrahlung. Als gewöhnlicher Photonenstrom wäre er als Erscheinung galaktischer Strahlung eingestuft und als solche im Archiv des Kontrolldienstes für Radioaktivität registriert worden. Ein Mitarbeiter dieser Institution stellte jedoch fest, daß diese Strahlung alle Eigenschaften eines modulierten Wellenbündels auf-
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wies! Genaue Untersuchungen des Radiogramms bewiesen, daß es sich in der Tat um eine komplizierte Modulation nach unbekanntem Code handelte... Nach der Feststellung des Einfallswinkels wurde sogar die vermutliche Richtung des Strahleneinfalls bestimmt: Das Bündel, das die unentschlüsselbaren Signale trug, hatte seinen Brennpunkt im südlichen Atlantik, wo es auf der Erdoberfläche einen „Flecken" bildete, dessen Durchmesser nur einige Dutzend Kilometer betrug! Mühelos ließ sich weiterhin feststellen, d a ß in der fraglichen Zeit kein von der Erde stammendes Raumschiff diesen Sektor des Himmels durchmessen, kein künstlicher Satellit sich über dieser Ozeanregion befunden hatte. Dies zu belegen war ohnehin eine reine Formsache: Ein Objekt irdischer Herkunft konnte überhaupt nicht die Quelle einer solchen Strahlung sein. Wir waren bisher nicht imstande, ein Kernstrahlenbündel auf diese Weise zu modulieren! Es blieb also nur die eine Hypothese: Die Signale kamen aus der Tiefe des Alls. Der nächste Himmelskörper in der „verdächtigen" Richtung war ein kleiner roter Stern, katalogisiert als Lacaile 9352. Bei der Entfernung, die mehr als zehn Lichtjahre beträgt, ließ sich kaum eine Anlage vorstellen, die ein so konzentriertes Strahlungsbündel lieferte. Auf der Erde erzeugte man bestenfalls Laserstrahlen, deren Bündelung um mehrere Größenordnungen schlechter war. Außerdem durfte man nicht vergessen, daß es hier um Gammastrahlung ging! Wie m a n überdies seit der Lambschen Expedition wußte, fehlte im System dieses Sterns, der aus drei winzigen Planeten besteht, jegliche Vegetationsform lebendiger Organismen, ganz zu schweigen von zivilisierten Wesen. Der nächste Stern, der annähernd in dieser Richtung lag, war der große Fomalhaut. Irdische Expeditionen waren noch nie zu ihm gelangt - er war zu weit entfernt. Das wa'r auch der Grund, daß dieser Stern sich noch weniger als der vorhergenannte in die Hypothese fügte, die empfangenen Signale könnten kosmischen Ursprungs sein. Übrigens hätte es für das Kosmozentrum keinen Grund gegeben, solchen Trubel um die Angelegenheit zu machen, wenn die Strahlung nur auf einen Punkt im Südpazifik gerichtet gewesen wäre, wo es keine Insel gab - wenn dort nicht dieses eine einsame, winzige Eiland - gelegen hätte, auf dem sich das Rehabilitationszentrum des Doktor Quin befand... Die Tatsachen fügten sich wie von selbst zu einer verlockenden Hypothese: In Quins Anstalt weilten Leute zur Kur, die in ihrem bisherigen Leben diesen oder jenen Kontakt zum All gehabt hatten. Es war nicht auszuschließen, daß einer von ihnen außerhalb des Sonnensystems mit fremden Wesen in Berührung gekommen war, die ihn - unter bewußter oder unbewußter Beteiligung seinerseits - zu ihrem Spion und Diversanten gemacht oder ihm einfach befohlen hatten, für sie das Leben der menschlichen Gemeinschaft zu beobachten... F ü r denjenigen, der diese Hypothese akzeptierte, war das Wesen der Signale aufgeklärt: sie waren Informationen für diesen einen Menschen oder schlichtweg Impulse, mit denen seine Persönlichkeit ferngesteuert wurde. Ebendas war der Grund, weshalb ich mich auf der Insel befand. Meine 10
Mission (so hochgradig geheim, daß außer mir nur drei Personen davon wußten) hatte zum Ziel, diesen Mann ausfindig zu machen. Soeben von einem interstellaren Flug zurückgekehrt, konnte ich hierherkommen, ohne jemandes Verdacht zu wecken, als gewöhnlicher Kurgast, selbstverständlich mit einem entsprechend abgefaßten Gutachten der Psychiater vom Kosmisch-Medizinischen Dienst. Grundvoraussetzung für den Erfolg meiner Mission war natürlich äußerste Achtsamkeit; kein Unberufener durfte erfahren, daß die rätselhaften Signale nicht mehr nur Geheimnis von Sender und Empfänger waren. Allem Anschein zum Trotz war Asvitz doch nicht eingeschlafen. Bald schlug er die Augen wieder auf. „Ja...", brummte er. „Ich habe meine privaten Gründe, mich für Signale aus dem All zu interessieren." „Was sind das für Gründe?" fragte ich lässig. „Oh, das ist eine längere Geschichte", meinte er melancholisch. * Ich achtete nicht auf Lindgards ironisches Grinsen und tat, als sei ich lebhaft interessiert. „Wissen Sie, warum ich die Beine verloren habe?" begann Enor leise. „Nein, sicher wissen Sie es nicht, woher a u c h . . . Es war auf dem Mond. Basis Selen 2. Haben Sie davon gehört?" „Aber sagen Sie mal...", entfuhr es mir. „Die Station Selen 2 ist vor siebzig Jahren aufgelöst worden!" „Na und?" Enor blickte mich mit einem nachsichtigen Lächeln an. „Ich bin schon im J a h r e 2003 dort gewesen!" „Ach so, dann sind Sie später zu den Sternen geflogen?" 11
„Geflogen..." Ein unangenehmes Feixen brachte die drei Wülste des fetten Kinns zum Beben. „Kann man sagen! Gewissermaßen, gewissermaßen", wiederholte er, als erfreue ihn der Klang dieses Wortes. „Hör weiter zu, mein Freund. Ich war also von Anfang an auf der Station Selen dabei, als Chef des Nachrichtenverkehrs. Das war damals noch erschreckend primitiv. Die damaligen Radioteleskope, der reine Witz! Aber dann, im J a h r e 2003 wurde ich entführt! In unserem System befand sich damals ein Raumschiff vom Deneb, von Alpha Cygni!" „Daran kann ich mich nicht erinnern", bemerkte ich kühl. „Im J a h r e 2132 habe ich bei Cianti in Rom Kosmonautik studiert. Dabei ist ein solcher Besuch mit keiner Silbe erwähnt worden." „Ah, Herr Kreis!" Enor verzog mißbilligend das Gesicht. „Sie wissen doch, was das für Zeiten waren: diese lächerlichen Radioteleskope, denen der Gravivektor des gekoppelten Tripols völlig entging... Damit war nichts zu entdecken. Die anderen, das heißt die Denebiten, schickten einen Spätrupp auf den Mond, der mich kidnappte und verschleppte." „Und später? Hat man Sie zurückgebracht?" „Nicht ganz. Sie hatten auf dem Mond eine Rekonstruktionsanlage zurückgelassen, und auf diese wurde ich vom System des Deneb aus transmittiert. Verstehen Sie? Ich wurde in Impulse zerlegt, in Wellenschübe, die auf den Mond übermittelt wurden, wo der Empfänger mich wieder materialisierte. Nun können Sie ja selber sehen, daß es ein bißchen schiefging. Ein Teil der Wellen m u ß zerstreut oder reflektiert worden sein. Ich wurde zwar rekonstruiert, aber nicht ganz komplett... Meine Beine... Sie irren irgendwo durch das All. Wenn ich wenigstens auf den Mond fliegen könnte... Diese Anlage muß noch dort sein, ich habe sie in einer Felsspalte am Hang des Hipparch versteckt... Die werden bestimmt gleich Bescheid wissen und die fehlenden Teile meines Wellenschemas übermitteln. Sicher machen sie das, sie müssen es einfach!" Enors Gesicht war aufgedunsen, die Augen blutunterlaufen, als bekäme er keine Luft. „Gebettelt und gefleht habe ich überall", schrie er. „Paßt auf, registriert die Signale! Bestimmt kreisen sie durch das All, irren umher..., dann rekonstruieren ... Und ich könnte wieder laufen!" Das klang chaotisch und sinnlos. Anfangs hatte alles, was er sagte, durchaus den Anschein der Wahrscheinlichkeit gehabt, jetzt aber redete er offensichtlichen Unsinn. Ich blickte mich zu Ole um, aber dieser saß ganz gelassen da und nickte nur beschwichtigend. Es ging in der Tat nach einer Weile vorüber, Enor sackte kraftlos in sich zusammen, dann holte er ein paarmal tief Luft, und als er mich anschaute, war sein Blick nicht mehr so abwesend wie vorher. Dennoch sah er abstoßend aus mit seinem geschwollenen roten Gesicht, aber man konnte ihm sein Mitleid nicht versagen, diesem armen Kerl, den das Krüppeldasein in solch verrückte Wahnvorstellungen getrieben hatte. „Herr Asvitz!" sagte ich milde. „Haben Sie es nicht mal mit Prothesen versucht? Es gibt ja ganz vollkommene, die durch Bioströme gesteuert werden...'" „Quatsch!" fiel er mir heftig in die Rede. „Keine Prothese kann die Beine ersetzen!" 12
„Das stimmt schon!" gestand ich ihm zu. „Aber die plastische und regenerative Chirurgie..." „Mir die Beine zu rekonstruieren?" Er lachte krächzend. „Natürlich, das ist mir angeboten w o r d e n . . . Aber ich bin nicht darauf eingegangen." „Warum nicht?" „Denken Sie doch nur mal logisch: Nehmen wir an, ich mache das mit. Mir werden die Beine rekonstruiert. Und dann schicken die Denebiten meine eigenen zurück - früher oder später werden sie das ja tun. Denken Sie doch mal, Kreis: Ich lasse mir also die Beine rekonstruieren, und dann bekomme ich die eigenen zurück! Was dann?" Enor brach in schallendes Hohngelächter aus. „Was, zum Teufel, Kreis, soll ich mit vier Beinen!" Von der eisernen Logik des Verrückten besiegt, sah ich wortlos zu, wie er seinen Rollstuhl zum Ausgang bugsierte. Noch lange hallte sein irres Gelächter durch den leeren Korridor. Aus einem Sessel in der Ecke erhob sich ein kleiner unscheinbarer Mann. Er schritt zur Tür, machte aber, nachdem er an mir vorüber war, kehrt, als sei ihm etwas eingefallen. „Da hat er wieder mal seine Geschichten erzählt", sagte er mit gedämpfter Stimme zu mir. „Er gibt dieses Zeug öfter mal von sich, aber ich weiß am besten, d a ß alles Unsinn und Spinnerei ist... Im System des Deneb gibt es keinerlei vernunftbegabte Wesen, keine Zivilisation! Vier nackte Planeten, so groß wie erkaltete Sonnen, auf denen aHein die Schwerkraft den Menschen zum Eierkuchen machen w ü r d e . . . " „Und woher wissen Sie das alles?" fragte ich verwundert. „Ich weiß es." Fest und entschieden sagte er das. „Ansät IV Quandr", fügte er hinzu und streckte mir seine winzige Hand entgegen. „So heiße ich. Außerdem Scientor der Kosmogenese. Das ist mein wissenschaftlicher Titel. Wundern Sie sich darüber? Das nun wundert mich wiederum nicht. Ich werde Ihnen keine Erklärungen geben. Verzeihen Sie, aber es wäre zwecklos. Sie würden es doch nicht glauben... und nicht verstehen... Ihr habt einfach noch keinen Begriff dafür. Es ist etwa so, als wollten Sie«inem Troglodyten die Differentialrechnung erklären... Mit Verlaub also..," Er verbeugte sich herablassend und verließ die Bibliothek. „Mach dir keine Hoffnung, daß du um seine blödsinnige Geschichte herumkommst", sagte Ole genüßlich. „Früher oder später erzählt er sie jedem." „Und was hat er da zu berichten?" „Noch größeren Blödsinn als Enor. ,Ansat IV Quandr' - prima hat er sich das ausgedacht!" Ole prustete los. „Wie alles andere völlig aus den Fingern gesogen! Stell dir vor, was er behauptet: er habe sich aus der Zukunft hierherverirrt! Er will der Teilnehmer einer interstellaren Expedition sein, die im sechsundzwanzigsten Jahrhundert von der Erde gestartet ist! Also in dreihundert Jahren! Wie findest du-das? Dabei sei er in den Bereich einer .negativen Zeit' geraten... Nein, warte mal, er nennt das einen .isolierten Raum der Antizeit'. Klingt sehr gescheit, nicht wahr? Na, jedenfalls ist er also nicht wieder in seinem sechsundzwanzigsten Jahrhundert angekommen, es hat ihn zurückgeworfen, und so landete er im dreiundzwanzigsten Jahrhundert. Völlig absurd, wie?" „Und so..., in Wirklichkeit..., was ist er da?" „Ja...", sagte Ole zögernd, „das ist ein zwielichtiger Fall. Er kam mit einem 13
Raumschiff zur Erde, als einziger an Bord, und das Fahrzeug war in keinem Register aufzufinden. Es muß vor langer Zeit äusgesandt worden sein... Du weißt ja, wie das in früherer Zeit durcheinanderging. Jedes Forschungszentrum, jedes noch so kleine Ländchen rechnete es sich zur höchsten Ehre und zum höchsten Ziel an, eine eigene Besatzung ins All zu schicken. Die Akten dieses Falles müssen verlorengegangen sein, und an Bord des Raumschiffes fand man ebenfalls nichts, was die Identifikation ermöglicht hätte. Da hatte sicher dieser Wahnsinnige die Hand im Spiel. Seine Gefährten sind wohl irgendwann im All umgekommen, er hat im Tief schlaf eine Menge Zeit bewältigt, dann ist er aufgewacht und hat letztlich vor Langeweile eine Scheibe bekommen..." „Er behauptet also", nahm ich den Faden auf, „seine Expedition werde erst .in dreihundert Jahren aufbrechen?" „Genau. Dabei jammert er schrecklich, daß er in eine Zeitschleife geraten sei: Irgendwann in nächster Zeit werde er sterben und dann im sechsundzwanzigsten Jahrhundert wieder geboren werden, um erneut seine Reise anzutreten." „Man m u ß aber zugeben, daß der Einfall originell ist." „Natürlich. Sie alle haben phantastische Einfälle." „Und du, Ole?" fragte ich sacht. „Bist du auch geflogen?" „Ja, ein wenig. Aber nicht weit. Das Praktikum, die Prüfungsflüge. Mehr nicht. Damit war alles zu Ende. Aber meine Geschichte hat gar nichts Phantastisches... Ich erlitt einfach einen Schock, jetzt finde ich das Gleichgewicht wieder. Das ist alles... Die Ärzte sagen, ich könnte wieder im Patrouillendienst fliegen. Eine scheußlich langweilige Arbeit, aber was willst du machen, wenn die interstellaren Expeditionen so selten sind. Willst du wissen, wie ich hierher in die Anstalt geraten bin?" Ich sagte, daß ich gern zuhören wollte. Lindgard nickte, setzte sich im Sessel zurecht und erzählte: „Ich war in der dritten Ausbildungsstufe, als ich auf die Krabbe beordert wurde. Das ist ein zweisitziges kleines Patrouillenschiff mittlerer Reichweite. Ich sollte einige astronomische Einheiten anfliegen, anschließend Prüfung und Erwerb der Pilotenlizenz. Meinen Fluglehrer lernte ich erst in der Kabine der Krabbe kennen... Er saß auf dem rechten Pilotensitz. Auf meinen Gruß reichte er mir die Hand. Seine Stimme klang angenehm, gleichmäßig, sonor... Das ist alles, was ich nach dem ersten Flug von ihm sagen konnte. Der Skaphander und der Helm verbargen völlig seine Gestalt nicht anders übrigens als bei m i r . . . Er war ein perfekter Kommandant und ein Pilot von ungeahnter Begabung. Das fiel gleich bei den ersten schwierigeren Manövern selbst mir, dem Neuling, auf... Manchmal hatte ich den Eindruck, daß er meine Fehler vorausahnte und korrigierte, ehe ich sie begehen konnte. Das war geradezu unheimlich, und ich brauchte eine Weile, ehe ich mich wenigstens ein bißchen daran gewöhnen konnte. Seine Anwesenheit wirkte so stark, daß m a n sich während des Fluges hundertprozentig sicher fühlte. Selbst wenn er kraftlos im Sessel ruhte und zu schlafen schien, hatte ich das Gefühl,' daß absolut nichts passieren konnte. Ich weiß nicht, ob er schlief. Manchmal schien es mir, als tue er es nie oder als habe er zumindest einen sehr leichten Schlaf. Ein Beben der Kabine, ein Schnarren des Staubdetektors - und 14
sofort war er hellwach. Seine Hände legten sich auf die Steuerknüppel, jederzeit bereit, mir zu Hilfe zu kommen... Essen sah ich ihn nie. Ich glaubte, er nehme Nahrung zu sich, während ich schlief. In der zweiten Woche des Fluges drangen wir in den Planetoidengürtel ein - dort sollte ich meine navigatorischen Fähigkeiten beweisen. Das Prüfungsprogramm sah eine Landung auf der Ceres vor, wo ein Treibstoffbehälter demontiert werden sollte. Alles lief wider Erwarten gut. Die Anwesenheit des Kommandanten wirkte auf mich wie ein Beruhigungsmittel. Ich habe wohl keinen einzigen Fehler begangen. Als ich die Rakete auf den Rückkurs steuerte, meinte er nur: ,Du hast bestanden.' Ich war ihm dankbar, daß er bei Lob und Tadel stets die gleiche Zurückhaltung bewahrte. Nie sah ich ihn ohne Raumanzug oder außerhalb der Raketenkabine. Als ich nach dem Hinflug ausstieg, blieb er noch zurück, um einige Details im Logbuch zu überprüfen. Seine Gewissenhaftigkeit und sein Pflichtgefühl waren erstaunlich. Nach bestandener Prüfung, auf dem Rückflug, der über einen bekannten und vielbeflogenen Kurs ging, dachte ich bei mir, daß ich wohl nie imstande sein würde, einem solchen Piloten auch nur annähernd das Wasser zu reichen ... Eines Tages, als unser Raumschiff, wie von einer Schnur gezogen, auf die Erde zuschoß und eigentlich überhaupt nichts los war, schlug ich ihm wie immer in solchen Situationen eine Schachpartie vor. Er war einverstanden. Wir spielten aus dem Gedächtnis, ohne Schachbrett. Mir bereitete das keine geringe Mühe, aber ich wollte es mir nicht anmerken lassen. Er dagegen spielte großartig. Wie nebenbei behielt er zugleich das Kontrollpult im Auge und verfolgte selbst die Schäbigste Kleinigkeit auf den Monitoren. Um die Wahrheit zu sagen - ich habe nie gegen ihn gewinnen können, fand mich aber schnell damit ab. Sein Verstand war auch auf diesem Gebiet unschlagbar ... Ich hatte gezogen und wartete ab, wie er reagieren würde. So lange hatte er noch nie überlegt. Ich glaubte, er sei eingenickt oder in Gedanken versunken, deshalb störte ich ihn nicht in seinem Schweigen. Erst nach zwanzig Minuten sagte ich etwas. Keine Antwort. Besorgt beugte ich mich zu ihm hinüber, aber die Gurte hielten mich im Sitz, so daß ich nicht einmal seine Hand zu fassen bekam. Ich schnellte mich los, glitt hinüber und faßte nach der auf dem Steuerknüppel ruhenden Hand. Sie war völlig schlaff! Rasch wandte ich mich seinem Gesicht zu und blickte unter den Helm. Zum erstenmal sah ich sein Antlitz aus solcher Nähe. Er erschien mir unnatürlich, die Augen standen offen, blickten aber starr, ausdruckslos. Keine Regung trübte die Starre dieser entsetzlich unmenschlichen, wächsernen Maske... Plötzlich begann die bisher kraftlose Hand sich langsam um mein Handgelenk zu schließen. Harte Finger krampften sich in das Fleisch, daß ich vor Schmerzen aufschrie. Seine übrige Gestalt rührte sich nicht einmal, nur diese Hand lebte. Ich warf mich zurück und suchte meine Hand der schmerzhaften Umklammerung zu entwinden. Vergebens. In einem plötzlichen Anfall der Furcht griff ich mit der freien Hand nach dem Raumanzug auf der Brust des Kommandanten. Statt des Weichen ' 15
Futters spürten meine Finger ein steifes, metallisches Gewebe. Ich zerrte mit aller Kraft daran, der Verschluß gab nicht n a c h . . . Und d a n n . . . Dann erschien vor meinen Augen das Innere der Kombi. Statt der erwarteten menschlichen Gestalt sah ich Kabelknäuel, hydraulische Leitungen, Getriebe, elektronische Bauteile... Ich verlor jede Selbstbeherrschung, zermalmte die Puppe, die mein Kommandeur gewesen w a r . . . Eine Rohrleitung barst, die Fessel löste sich, die tote Hand ließ meinen Arm fahren... Ein Experiment sollte das werden, verstehst du? Diese Maschine hatte die Pilotenprüfung abzulegen gehabt, nicht i c h . . . Ich..., ich hatte mich verhalten sollen, als säße neben mir ein erfahrener Pilot. Dazu war die Puppe nötig, die einen Menschen simulierte! Darum hatte mich keiner vorgewarnt! Und dann hat ausgerechnet diese Puppe schlappgemacht! Ich war nur ihr Double für den Fall, daß so etwas passierte... Mir flatterten die Nerven bis zum letzten, aber ich schaffte es gerade noch, auf eine Umlaufbahn zu kommen. Dann holten sie mich mit einem anderen Patrouillenschiff h e r a u s . . . " "Öle brach ab und starrte auf einen Punkt an der Wand. Als er weitersprach, schwang Ironie in seiner Stimme. „Das war mein Patrouillenführer... Eigentlich hatte ich ihn doch sehr liebgewonnen. Für mich war er ein Vorbild, dem es nachzueifern galt, unerreichbares Ideal. Ich mochte ihn, und dann war er nur eine widerliche Puppe, ein Roboter..." Ole schaute mich an, prüfend musterte er mein Gesicht mit einem Ausdruck seltsamen Mißtrauens. Und ehe ich mich's versah, war er auf mich zugesprungen und zerrte an meinen Jackenaufschlägen. „Und du?" schrie er. „Du bist auch ein Roboter!" Er hatte offenbar völlig die Besinnung verloren, ich wollte ihn loswerden und griff automatisch nach seinem Handgelenk. „Weg, weg!" heulte er in höchstem Entsetzen. „Laß los, laß auf der Stelle los! Ekelhafter Automat! Schalte dich ab!" Er sprang zurück und riß dabei seine Hand aus der meinen. Hinter ihm wuchs urplötzlich ein riesiger schwarzhaariger Mann empor - er hatte bisher still in der Ecke gesessen. Er packte Ole und schleifte den Schreienden hinaus auf den Flur. Nach einer Weile kam der Schwarzhaarige wieder, verbeugte sich linkisch und sagte: „Mach dir nichts daraus, bei ihm ist das n o r m a l . . . Er macht das mit jedem Neuen... In einer Stunde weiß er nichts mehr davon. Ich heiße Conti", setzte er schließlich hinzu und streckte mir die Hand entgegen. Gleich darauf beugte er sich über mich und raunte: „Aber das ist gar nicht mein richtiger Name. Mich gibt es überhaupt nicht!" Als er meine schlecht verhehlte Schreckreaktion bemerkte, fügte er sogleich hinzu: „Das heißt..., es gibt mich schon, aber nicht als Menschen! Ich bin untergeschoben worden, verstehst du? Der richtige Conti sitzt auf dem sechsten Planeten des Systems der Wega. An seiner Stelle haben sie mich hergeschickt! Aber "kein Wort!" Er legte einen Finger vor den Mund. „Zu niemandem! Ich weiß, daß auch du..., daß du..., alles klar? Die Galaktiten, nicht wahr? Aber die hier merken das nicht, sie begreifen nichts... Wir müssen zusammenhalten!" sagte er und hieb mir auf die Schulter, daß ich zus ammenknickte. 16
Er machte eine unbestimmte Handbewegung, lächelte verschwörerisch, zwinkerte mir noch einmal zu und verließ das Zimmer. Ich war allein in der Bibliothek. Mein Blick glitt über Regale und Wände, ich überzeugte mich, daß keine der Sessellehnen noch jemanden verbarg, und trat zum Tisch, auf dem Bücher lagen. Sehr alte Bücher, wohl aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Natürlich Faksimiles der Originale, auf eine Folie gedruckt, die das alte Papier trefflich imitierte. Ich sah sie mir an. Stanislaw Lern, Sämtliche Werke. Der sechste Band... Die Klassik der wissenschaftlich-phantastischen Literatur. Enor hatte darin gelesen. Das Buch auf dem Tisch, an dem „Quandr, Scientor der Kosmogenese, der Mann aus der Zukunft", gesessen hatte, kannte ich auf den ersten Blick: Wells, „Die Zeitmaschine". Am Rand und zwischen den Zeilen gab es handschriftliche Bemerkungen und Zusätze: „Blödsinn! Völlig absurd!", an anderer Stelle wiederum: „Bravo! Geniale Intuition!" Und einige Zeilen weiter: „Hier hat er übertrieben, der Optimist!" Quin hätte seinen Patienten nicht erlauben sollen, Bücher zu lesen, aus denen sie Material zur Anreicherung ihrer eigenen Hirngespinste schöpfen konnten. Aber er hatte nun einmal seine Methode... Ich setzte mich bequem in eine Ecke und zog die Mikrofilme und die Lupe hervor. Zunächst wollte ich mir die Charakteristik der drei Leute anschauen, die ich bisher kennengelernt hatte. Den vierten, Quandr, konnte ich nicht finden, weil ich seinen richtigen Namen nicht wußte. In Ole Lindgards Fall war alles klar. Was von ihm mitgeteilt wurde, deckte sich völlig mit dem, was er von sich selbst erzählte. Sein Fall wurde als ein Assoziationstrauma bezeichnet, das hysterische Angstreaktionen hervorrief. Nach Quins Ansicht würden sich alle diese Symptome innerhalb eines Jahres verlieren. Bisher war immerhin erreicht worden, daß Lindgard nur solche Personen der „Künstlichkeit" verdächtigte, die er zum erstenmal sah. Anfangs war er --sogar mehrfach hintereinander - auch auf alte Bekannte losgegangen, sobald die Rede auf Dinge kam, die mit seinem Dienst im Kosmos zu tun hatten. Die Krankengeschichte Enors stimmte nur in geringem Grad mit seinem eigenen Bericht überein. Enor war nie weiter gekommen als bis zum Mond. Er hatte tatsächlich auf der Station Selen Dienst getan, allerdings nur kurze Zeit als junger Praktikant. Jetzt stand er in einem biologischen Alter von zweiundsechzig Jahren. Als sich die geheimnisumwitterte, legendenumwobene, nach wie vor in Dunkel gehüllte Katastrophe jener Station ereignet hatte, war er etwas über zwanzig gewesen. Bei der Explosion hatte er beide Beine verloren. Man fand ihn mehrere Dutzend Meter von den Trümmern der Station entfernt am F u ß des Hipparch, er befand sich im zweiten Stadium des klinischen Todes mit ersten Zerfallserscheinungen der Gehirnstruktur. Wiederholte Versuche der Transplantation und Rekonstruktion von Hirngewebe führten nicht zu befriedigenden Ergebnissen. Hätte man ihn in diesem Stadium aus der Bewußtlosigkeit geweckt, wäre er nicht lebensfähig gewesen. In der Anabiose, im Tiefschlaf, wartete er zwanzig Jahre die Fortschritte der Gehirnchirurgie ab, und die späteren Versuche brachten auch erheblich bessere Resultate. 17
Zum aktiven Leben erweckt, machte Enor einen völlig normalen Eindruck. Als man ihm jedoch die Regenerierung der verlorenen Gliedmaßen anbot, erhob er Protest. Seither erzählte er die unwahrscheinliche Geschichte von seinen Kontakten mit Bewohnern des Deneb-Systems. Eine Zeitlang arbeitete er noch im kosmischen Nachrichtendienst auf der Erde, dann forderte er immer häufiger die Entsendung auf den Mond. Schließlich verschlechterte sich sein Zustand, und man schickte ihn zur Beobachtung in Quins Institut. Fünf J a h r e der Behandlung mit Spezialmethoden brachten nicht die Spur einer Besserung. Zuletzt fand ich die Akte Contis. Ich las mit zunehmendem Interesse: „AI Conti, Teilnehmer der Expedition des Coral zum System Krüger 60. Planetologe. Auf dem dritten Planeten des Systems mit Lorant, dem Piloten des Rotoplans, zunächst verschollen. Nach Ablauf der vorgeschriebenen zweiundsiebzig Stunden wurde die Suche ergebnislos abgebrochen. Einige Stunden darauf erschien Conti unerwartet selbst, allein. Er verriet Anzeichen einer starken Erschöpfung, psychischer Zerrüttung und selektiven Gedächtnisschwunds. Nach dem Piloten und dem Rotoplan befragt, konnte er keinerlei Erklärung geben. Die Suche wurde in einem Umkreis wiederaufgenommen, dessen Radius das Zweifache der Entfernung betrug, die AI innerhalb von achtzig Stunden zu Fuß hätte zurücklegen können. Man fand keine Spuren des Rotoplans. Die zur Untersuchung berufene Kommission einigte sich auf die Version, daß Lorant seinen Gefährten in relativ geringer Entfernung von der Station abgesetzt hatte und allein weitergeflogen war. Auf dem Rückflug sollte er Conti wieder abholen, hatte sich infolge einer Havarie oder eines Unfalls jedoch nicht zur vereinbarten Zeit gemeldet. Es ist anzumerken, daß der Funkverkehr an diesem Tag stark beeinträchtigt war, atmosphärische Störungen (typische Erscheinungen im System Krüger 60) machten schon wenige Minuten nach dem Start des Rotoplans alle Versuche zunichte, mit ihm Verbindung aufzunehmen. Conti hat bisher keine befriedigenden Aussagen gemacht. Er hat seine Erklärungen mehrfach geändert, keine von ihnen hat indessen der Prüfung standgehalten. Kurz nach seiner Rückkehr ist er in die Anstalt des Doktor Quin eingeliefert worden, wo er sich nun seit einem reichlichen halben J a h r aufhält. Eine Besserung des Zustands seines Gedächtnisses ist bisher nicht eingetreten." Konnte einer von ihnen Agent einer fremden Zivilisation sein? Freilich, jeder einzelne ebensogut wie keiner! Wie sollte ich herausfinden, wer von den Patienten der oder die Empfänger jener geheimnisvollen Signale aus dem Universum, waren? War der Sender dieser Signale noch nicht im Bilde, daß seine Funksprüche entdeckt und abgefangen wurden? Handelte es sich dabei nur um einseitig übermittelte Instruktionen oder um einen regelmäßigen, beiderseitigen Informationsaustausch? Meine Gedanken wurden von einem Pfleger unterbrochen, der mich an die Vespermahlzeit erinnerte. Ich ließ mir auf dem Zimmer servieren. Neben dem Gedeck fand ich ein Kärtchen mit eilig hingeworfenen Zeilen: „Von der Kommandozentrale ist ein Funkspruch für Sie gekommen. Man 18
hat Ihnen die dritte Stufe der transstellaren Raumfahrt verliehen. Außerdem wurden Grüße von Frau Key übermittelt. Quin" Die Nachricht ließ mein Blut schneller kreisen, ich las sie zweimal. „Frau Key" waren die Signale, die „dritte Stufe" bedeutete den Zeitpunkt ihres Auftretens. Ich prüfte in meiner Chiffrentabelle nach - ja, es war die Zeit zwischen fünf und halb sechs... Die Bibliothek hatte ich genau um vier Uhr vierundfünfzig betreten. Von diesem Augenblick an hatte ich alle vier im Auge gehabt. Zehn Minuten später war Enor hinausgegangen, zwei Minuten nach ihm auch Quandr. (Wie, zum Teufel, hieß er in Wahrheit?) Es mochte zwanzig nach fünf gewesen sein, als Conti Ole hinausführte „. Verflucht noch mal! Keinen einzigen von ihnen hatte ich die ganze halbe Stunde im Auge gehabt! Ich klingelte nach dem Pfleger und bat ihn, sich im Kabinett des Doktors nach Einzelheiten meiner Beförderung zu erkundigen. Er kam zurück, während ich noch beim Essen war. „Die Zentrale teilt mit, Sie seien nach Paragraph 18 Absatz 4 eingestuft worden und erhielten alle daraus resultierenden Vergünstigungen. Quin" Ich schaute auf die Tabelle. Die Achtzehn - das waren die Minuten von zehn bis fünfzehn. Die Vier - das war die erste Minute... Genau also von siebzehn Uhr zehn bis siebzehn Uhr elf. Um diese Zeit wurden die Signale empfangen... Um diese Zeit sprach ich mit Ole... Er zumindest konnte nicht der Empfänger sein. Es klopfte an der Tür. Ich konnte gerade noch meine Zettel wegstecken, ehe sich Contis Strubbelkopf hereinschob. „Komm mal mit!" sagte er und zwinkerte. Ich folgte ihm, ohne eine Frage zu stellen. Er führte mich den Flur entlang, stieß endlich eine Tür auf und ließ mir den Vortritt. Mitten im Zimmer saß Enor in seinem Rollstuhl. Bei unserem Eintreten fuhr er erschrocken zusammen, eilig versuchte er etwas unter das Plaid zu stecken, das ihn einhüllte. „Keine Angst, Kumpel. Lauter eigene Leute", beschwichtigte ihn AI und schloß die Tür. Enor zog die Hand unter dem Plaid hervor. Er hielt darin einen primitiv zusammengebastelten Funkempfänger. „Enor ist Elektroniker", erläuterte AI. „Er hat den Empfänger gebaut. Fast aus nichts! Wir hören hier die Nachrichten. Eigentlich ist so was ja streng verboten... Der einzige Sender und Empfänger befindet sich beim Chef, noch dazu unter Verschluß... „Der Alte hat nur einen Fehler gemacht." Enor lachte. „Eines Tages bat er mich um eine Reparatur an seinem Empfänger. Ich änderte etwas am Schaltplan, und diese paar Elemente blieben ü b r i g . . . " „Welche Bänder empfängt das Gerät?" fragte ich, bemüht, einen gleichgültigen Ton zu wahren. „Welche hätten Sie denn gern?" Er grinste voller Stolz. „Keine besonderen... Ich frage nur so..'." „Bis fünfhundert Megahertz stehe ich Ihnen zu Diensten." 19
„Aber Ultrakurzwellen gelangen doch selbst von den nächstgelegenen Sendern nicht bis hierher auf die Insel Oor", bemerkte ich. Enor lächelte verschlagen. „Sie glauben, ich höre Radio zu meinem Vergnügen? Sie erinnern sich doch, was ich Ihnen von denen auf Deneb erzählt habe - die senden normalerweise auf kürzesten Frequenzen. Ich m u ß aufpassen, alles abhören ..." „Gut und schön!" fiel AI ihm in die Rede und stieß mich verständnisinnig mit dem Ellenbogen an. „Stell Neuseeland, ein, dort kommen gleich Nachrichten." In dem Empfänger knackte es, dann ertönte unerwartet deutlich die Stimme des Nachrichtensprechers. „Wird diese Informationsquelle von allen Kurgästen genutzt?" „Ja, von allen. Mit Ausnahme dieses verrückten Libner..." „Wer ist denn das?" „Na, der sich für Ansät IV Quandr ausgibt. Und außerdem ist da noch einer, dem wir nicht trauen", erklärte Enor. „Er ist erst seit vier Tagen hier. Du wirst ihn noch nicht gesehen haben. Er sitzt die ganze Zeit auf seinem Zimmer... Bert heißt er. Er soll einer der alten Expeditionen angehört haben, und erst jetzt ist in seinem Schädel etwas ausgeklinkt." „Ja, Bert Zahtl oder so ähnlich", meinte AI. Ich fuhr zusammen. Diesen Namen kannte ich! „Hat er nicht an der Brantschen Expedition im J a h r e 2108 teilgenommen?" „Richtig", meinte AI. Ja, das konnte dieser Bert sein, den ich kannte. Er war ein J a h r vor mir abgeflogen, allerdings in entgegengesetzter Richtung. Sein Flug war kürzer gewesen, er mochte viel früher zurückgekehrt sein. Ich mußte ihn sehen! „Auf welchem Zimmer wohnt dieser Zahtl?" fragte ich, nachdem ich geduldig die Rundfunknachrichten angehört hatte, die mich in diesem Augenblick völlig kalt ließen. „Nummer vierzehn, neben dir", erklärte AI. „Ich rate dir aber davon ab, ihn zu besuchen. Ein stinklangweiliger Bursche. Er scheint niemanden zu bemerken. Schwerer Fall von Melancholie." „Ist er schon lange zurück?" forschte ich weiter. „Ich habe noch nicht die letzten Jahrgänge des ,Bulletins' lesen können, ich weiß daher nicht, welche Expeditionen zurückgekehrt sind und wer ihre Teilnehmer waren... Dieser Bert scheint ein Bekannter aus dem Ausbildungszentrum zu sein. Wir haben zusammen studiert." „Die Brantsche Expedition ist vor drei Jahren zurückgekommen. Sie hatten große Verluste an Menschen", sagte Enor und versteckte sein Radio hinter der abgewetzten Armlehne seines Rollstuhls. Ich verabschiedete mich. AI begleitete mich bis an mein Zimmer. Merkwürdig, ich hatte das Gefühl, als überwache dieser Mann alle meine Schritte... Nach dem Abendbrot legte ich mich hin und mußte wohl sofort eingeschlafen sein. Ein Geräusch weckte mich. Etwas trippelte über den Fußboden, dicht an meinem Bett! Eine Ratte! fuhr es mir durch den Kopf. Blitzschnell fuhr meine Hand zum Lichtschalter. Das Licht flammte auf, geblendet schaute ich in alle Ecken. 20
Nichts. Wenn es eine Ratte war, mußte sie sich in einem Loch verkrochen haben. Ich prüfte die Reste des Abendessens, die noch nicht weggeräumt worden waren. Das Brot lag unberührt... Sicherlich eine Ratte! beschwichtigte ich mich und löschte das Licht. Im Dunkel phosphoreszierte das Zifferblatt der Wanduhr. Es war kurz vor dreiundzwanzig Uhr. Ich hatte kaum eine Stunde geschlafen. Vom Flur waren Schritte zu hören, dann knarrte die Tür des Nachbarzimmers. Deutlich vernahm ich die Worte des Pflegers: „Herr Zahtl, der Doktor läßt Sie in sein Kabinett bitten. Gehen Sie allein, oder soll ich Sie hinunterbringen?" Die Schritte des Pflegers entfernten sich über den Korridor - Zahtl mußte sich einverstanden erklärt haben, freiwillig zu kommen. Eine großartige Gelegenheit, ihn zu sehen! dachte ich. Im selben Moment trippelte es von neuem in einer Ecke. „Verdammt noch mal!" knurrte ich. Vom Flur her war jetzt das Schlurfen weicher Hausschuhe zu vernehmen. Zahtl ging zum Chef. Ich schlich, ohne Licht zu machen, zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Leider ging sie nach der falschen Seite auf, sie verbarg mir den Teil des Flurs, den Zahtl durchschritt. Die Tür von Nummer vierzehn stand offen. Drinnen brannte Licht. Unentschlossen verharrte ich auf der Schwelle meines Zimmers. Ich mußte Zahtl um jeden Preis sehen, wenn er zurückkehrte. Von der Treppe her kamen schwere Schritte. In meinem Blickfeld erschien zunächst ein Pfleger, dann eine Trage, dann ein weiterer Pfleger. Auf 21
der Trage lag ein Mann. Sein Profil zeichnete sich aber so kurz ab, daß ich nicht feststellen konnte, ob ich dieses Gesicht je im Leben gesehen hatte. Der erste Pfleger stieß mit dem Fuß die Tür von Nummer vierzehn auf. Sie schleppten die Trage hinein, dann kamen sie wieder heraus. Sie löschten das Lacht und schlössen die Tür. Nach einer Weile trat ich auf den Korridor. Einen Moment zögerte ich noch, dann ging ich entschlossen zur Tür von Nummer vierzehn und klinkte sie auf. In dem Raum war es dunkel. Vom Korridor fiel ein Lichtstreif über das Gesicht des im Bett liegenden Mannes. Das genügte mir. Dieser Mann war nicht Bert Zahtl von der Brantschen Expedition! Er hielt die Augen geschlossen, die Arme lagen ausgestreckt auf der Bettdecke. Das war bestimmt nicht jener Bert... Aber dieses Gesicht hatte ich schon gesehen. Daß er ein alter Bekannter aus der Zeit vor meinem Raumflug war, stand kaum zu vermuten, ich mußte ihn nach meiner Rückkehr gesehen h a b e n . . . Aber wo? Seltsam, dachte ich. Warum befindet er sich hier unter falschem Namen? Leise verließ ich den Raum und schritt zur Treppe. Als ich im Parterre an Quins Kabinett vorbeikam, glaubte ich zu hören, daß darin gesprochen wurde. Das Zimmer der Pfleger war leer. Ich klopfte an die Tür des Kabinetts und drückte, ohne eine Aufforderung abzuwarten, die Klinke nieder. Quin stand vor einem gewaltigen Schrankungetüm, das mit Aktenordnern vollgestopft war. Ein hochgewachsener Mann neben ihm langte nach dem höchsten Fach hinauf. Beide drehten sich gleichzeitig nach mir um. Quin schien etwas verwirrt, beim Anblick des anderen indessen wurde ich kaum meiner Verblüffung Herr: Vor mir stand derselbe angebliche Zahtl, den ich vor einer Minute im Zimmer vierzehn in festem Schlaf gesehen hatte! Es gibt nur eine Treppe, fuhr es mir durch den Kopf. Ausgeschlossen, daß er nach mir heruntergekommen ist! Quin zwang sich zu einem Lächeln. „Sie... schlafen nicht?" „Nein, ich kann nicht", sagte ich und suchte meiner Stimme einen etwas schläfrigen Klang zu geben. „In meinem Zimmer gehen die Ratten spazieren." „Ratten?" staunte der Doktor. „Haben Sie sie gesehen?" „Nein. Als ich Licht machte, waren sie weg." „Ach, das beruhigt mich! Ratten hätten mir hier gerade noch gefehlt!" Quin atmete auf, sichtlich erleichtert. „Wahrscheinlich haben Sie das Fenster offengelassen. Ich habe vergessen, Ihnen Bescheid zu geben, daß Sie es schließen oder wenigstens ein Netz einsetzen müssen. Sonst werden Sie jede Nacht Besuch bekommen. Es sind Koalas, eine Art kleiner Bären. Man hat sie von Australien hierhergebracht, sie haben sich akklimatisiert und vermehrt. Im Garten stehen eine Menge Eukalyptusbäume, von deren Blättern sie sich ernähren. Sie fressen sich voll bis zum Umfallen, geraten in einen Rauschzustand und hängen an den Ästen, so bewußtlos, daß man sie mit Händen pflücken kann. Erst gegen Abend werden sie wieder munter und streifen auf der Suche nach einer Mahlzeit u m h e r . . . Übrigens sind die 22
Koalas völlig harmlos." Quin drehte sich nach seinem Schreibtisch um und nahm aus einer Schublade einen kleinen Zerstäuber. „Sprühen Sie das in Ihrem Zimmer aus. Es riecht ein bißchen, der Mensch hält es aus, aber die Koalas haben es nicht gern." „Vielen Dank!" sagte ich und schielte zu dem falschen Zahtl hinüber. „Gute Nacht, meine Herren!" „Moment!" hielt mich Quin zurück. „Ich hatte da noch etwas für S i e . . . " Er wandte sich um, ging hinüber ins Laboratorium und schloß sorgfältig hinter sich die Tür. Ich war unter vier Augen mit einem Mann von verdächtiger Identität und der seltsamen Fähigkeit, sich an zwei Orten gleichzeitig aufzuhalten. „Entschuldigen Sie, sind Sie Bert Zahtl von der Brantschen Expedition?" fragte ich mit einem höflichen Lächeln. Er warf mir einen düsteren Blick zu und knurrte: „Ja. Und was ist damit?" „Erinnern Sie sich nicht an mich?" fragte ich.' „Nein. Erinnern Sie sich an mich?" „Auch nicht." „Dann ist ja alles in Ordnung...", sagte er grinsend. „Keineswegs. Ich kannte Bert Zahtl, bevor er zum Fomalhaut aufbrach." Ein böser Glanz glomm in seinen Augen, aber gerade in dem Moment kam der Doktor zurück. „Entschuldigen Sie, Herr Kreis. Wir werden es am besten morgen erledigen, jetzt kann ich den Schrankschlüssel nicht finden. Auch Sie können gehen, Herr Zahtl. Gute Nacht!" Er verneigte sich höflich und öffnete uns die Tür. Zahtl ging als erster hinaus. Ich eilte ihm nach. Als er an seine Zimmertür kam und schon die Hand auf die Klinke legte, erstarrte er plötzlich. Am Ende des Flurs befand sich eine Tür, die einzige an der Stirnseite des Korridors. Die Klinke dieser Tür hob sich langsam, als schließe sie jemand sachte von innen. Zahtl warf mir einen kurzen Blick zu, dann riß er seine Tür auf und verschwand in seinem Zimmer. Ich bemerkte, daß dort Licht b r a n n t e . . . Kaum hatte sich die Tür hinter Zahtl geschlossen, stürzte ich zu ihr und öffnete sie rasch. Er saß auf dem Bettrand und zog die Hausschuhe aus. Ehe er aufschauen konnte, hatte ich die Tür wieder zugemacht, ohne ein Wort gesagt zu haben. In meinem Zimmer hatte sich nichts verändert. Ich drückte auf das Spray und schnupperte. Die Flüssigkeit hatte einen sehr schwachen Geruch, der mich an nichts erinnerte. Ich sprühte etwas davon auf das Fensterbrett und in die Ecken. Ich warf mich auf das Bett und dachte nach. Zahtl war von allen der Verdächtigste Allerdings war er erst vier Tage hier, die ersten Signale indessen waren vor einer Woche aufgetaucht. Vielleicht war es mit seinen Auftraggebern so vereinbart gewesen... Wo hatte ich nur dieses Gesicht schon gesehen? Am Morgen wurde ich nur mit Mühe wach, es war schon zehn, und dennoch waren mir noch die Lider schwer. Das Frühstück wurde gewöhnlich um acht Uhr serviert, daher war ich verblüfft, daß der Kaffee in der Porzellankanne noch heiß war. 23
Eben erst gebracht, überlegte ich. Wie konnten sie wissen, daß ich so lange schlafe? Beim Essen vergegenwärtigte ich mir die Vorgänge des vergangenen Abends. Vor allem die Tür an der Stirnseite des Flurs ließ mir keine Ruhe. So weit hatte ich mich vorher orientieren können, daß ich wußte, wer auf dieser Etage wohnte: außer mir nur der Nachbar von Nummer vierzehn. Ich versuchte mir vorzustellen, was sich unmittelbar darunter im Erdgeschoß befinden mußte. Eine zusätzliche Treppe? Das wäre die Erklärung für Zahtls Erscheinen im Kabinett des Doktors... Doch das würde auch bedeuten, daß Zahtl mit Quin im Einvernehmen stand... Es begann alles zu verschwimmen, als ein Gedanke das Ganze blitzartig erhellte: Spielte dieser Zahtl vielleicht eine ähnliche Rolle wie ich? Hatte er von der Zentrale den Befehl, jemanden zu beobachten? Möglicherweise... mich? Sie hatten mich mit einer „Mission" hergeschickt. Ich sollte den Empfänger der rätselhaften Signale ausfindig machen. Aber es konnte sich ebensogut umgekehrt verhalten. Vielleicht hielten sie für diesen Empfänger keinen anderen als mich? In dieser Einöde war ich leicht unter Kontrolle zu halten. Diese ganze „geheime Mission" hatte man sich ausgedacht, um meine Wachsamkeit einzuschläfern. Oder... Oder war ich einfach geisteskrank? Ich beschloß, der Angelegenheit energisch nachzugehen. Die einzige Möglichkeit war eine Unterredung mit dem Oberst. Wir verfügten über ein ausgeklügeltes System der Verständigung und sogar über die Möglichkeit des persönlichen Kontakts, ohne daß dabei unnötiges Aufsehen erregt wurde. Ich ging hinunter zu Quin, zwang mich zu übertriebener Freundlichkeit und bat ihn, ein Telegramm mit Geburtstagsglückwünschen für eine Dame nach Europa zu übermitteln. Quin verzog das Gesicht zu einem schmerzlichen Lächeln und drohte mir mit dem Finger. „Sehen Sie, Herr Kreis!" sagte er jovial. „Meine Behandlungsmethode beruht darauf, daß der Patient völlig von der entsetzlichen Mühle der heutigen Zivilisation isoliert ist... Na, diesmal will ich es noch hingehen lassen..." Er nahm das Blatt mit meinem Funkspruch und verschwand hinter der Tür zum Nebenzimmer, wo sich die Station befand. Ich trat hinaus in den Garten. Es ging auf Mittag, die Sonne brannte. Auf einer Bank im Schatten der Büsche saß ein Mann, den Kopf in den Nacken gelegt, und döste. Als ich vorüberschritt, rührte er sich und blickte mich an. Es war Zahtl... Sein Blick folgte mir, bis ich von der kleinen Allee abbog. Ich umschritt das ganze Gebäude und stieß dabei auf die beiden Pfleger. Sie kamen aus der Tiefe des Gartens, auf der Schulter Spaten mit frischen Erdspuren. „Bitte, entfernen Sie sich nicht zu weit", rief mir einer von ihnen, Philipp, hinterher. „Im Wald gibt es Schlangen." Ich wandte mich um und nickte, denn ich hatte gar nicht die Absicht, mich zu entfernen — aus dem einfachen Grund, weil ich überzeugt war, der Oberst werde auf meinen Funkspruch sofort reagieren. 24
Hinter dem Haus ragte inmitten eines großen runden Blumenbeets eine Art Obelisk von schlanker Form und beträchtlichem Ausmaß auf. Diese mehrere Meter hohe, pfeilförmige Konstruktion, ausgeführt in Stein oder einem durch Spezialverfahren mit Patina versehenen Metall, ließ einen unweigerlich an kosmische Flüge denken. Bestimmt ein Denkmal zu Ehren der Raumfahrer, dachte ich. Ich lief den ganzen Garten ab. An den Ästen hingen tatsächlich die possierlichen Koalas, von denen der Doktor am Vorabend gesprochen.hatte. Als ich aber wieder auf das Haus zuschritt, hatte ich das seltsame Empfinden, im Garten etwas vermißt zu haben. Dieser Gedanke bohrte in mir, bis ich Philipp aus dem Haus treten sah. Da wußte ich, was mir dort im Garten gefehlt hatte: An keiner der Blumenrabatten waren frische Spuren zu bemerken, die die Arbeit des Spatens hinterlassen h ä t t e . . . Philipp kam auf mich zu, als ich die Treppe hinaufstieg. Mit vertraulich gesenkter Stimme sagte er: „Es gibt eine Inspektion vom Kosmischen Gesundheitsdienst. Der Doktor bittet Sie, sich in der Nähe des Hauses zu halten." Mein Telegramm hatte also den erhofften Effekt gehabt! Mit der im voraus vereinbarten Inspektion würde der Oberst erscheinen, es böte sich Gelegenheit, einige Worte zu wechseln. Dabei wußte ich noch nicht einmal, wie das geschehen u n d . . . was ich eigentlich sagen sollte. Daß dieser Zahtl gar nicht Zahtl war? Was wußte ich denn sonst von ihm? Nur dies eine, daß er auf unerklärliche Weise vom ersten Stock ins Erdgeschoß gekommen war... Ich lugte aus dem Zimmer, vergewisserte mich, daß niemand auf dem Flur war, und näherte mich, scheinbar auf und ab spazierend, allmählich jener rätselhaften Tür am Ende des Korridors. Rasch drückte ich auf die Klinke. Unerwartet gab sie nach. Der Raum war voller Kisten und Schränke, eine Rumpelkammer. Außer einem großen Fenster gab es weder einen anderen Ausgang noch die erhoffte Treppe ins Parterre. Ich verspürte Enttäuschung - wenn das Zimmer nicht verschlossen war, enthielt es auch nichts Ungewöhnliches. Wieso dann aber das merkwürdige Interesse, das Zahtl für diese Tür gezeigt hatte? Beinahe unabsichtlich öffnete ich einen der Schränke und blickte hinein. J ä h fuhr ich zurück und rammte mir die Schulter an einer Kistenecke. Ein menschliches Gesicht blickte mir aus dem Schrank entgegen. Mein Gesicht! Gleich darauf wurde mir klar, daß ich einen Spiegel vor mir hatte, aber der erste Eindruck war wie ein Schlag gewesen. Das grenzte an gezielte Bosheit. Wozu war im Innern des Schranks ein Spiegel angebracht worden? Der nächste Schrank enthielt nichts, der dritte erneut einen Spiegel. Ich hätte es dabei bewenden lassen sollen, aber mich ritt der Teufel, auch noch in den vierten zu schauen. Ein Gesicht blickte mich an, aber diesmal nicht meins. Es war Zahtl. Er stand im Schrank, hielt seinen Zeigefinger vor den Mund und starrte mich reglos an, als wolle er mir Schweigen gebieten. Ohne Besinnen schlug ich die Schranktür zu und trat rasch auf den Flur hinaus, denn von der Treppe her drang das Geräusch von Schritten. Sollte Zahtl gar mein Verbündeter sein? Oder tat er nur, als sei er es? Er wußte, daß ich allein das Geheimnis seiner Identität kannte, und es schien, er wolle mir zu verstehen geben, ihm keine Beachtung zu schenken... 25
Sorgfältig schloß ich die Tür und nahm meine Wanderung über den Flur wieder auf. Von der Treppe näherte sich ein Zug, bestehend aus fünf älteren Herren. Den Abschluß bildete Quin, der nervös seine Brille putzte. Teilnahmslos ging ich an der Gruppe vorbei, sorgfältig bemüht, den Oberst nicht anzusehen, der in Zivilkleidung inmitten der ehrenwerten Kommission einherschritt. Zu meinem Erstaunen blieb er auf einmal stehen und betrachtete mich prüfend. „Ich könnte es beschwören!" rief er und streckte mir beide Hände entgegen. „Das ist doch Kreis! Nein, ein Irrtum ist unmöglich!" Er drehte sich nach Quin um. „Ich hätte nie gedacht, daß ich hier einen alten Bekannten treffe! Ist es etwas Ernsthaftes, Herr Doktor?" Quin hörte auf, die Brille zu putzen, setzte sie auf die Nase und breitete die Arme aus. „Ich weiß es noch nicht... Herr Kreis ist erst gestern hier angekommen und steht unter Beobachtung. Wenn Sie miteinander sprechen möchten, bitte sehr..." „Aber ja, natürlich, selbstverständlich!" Der Oberst strahlte über das ganze Gesicht, drückte meine Hände und sah wirklich hocherfreut aus. Er packte mich bei den Schultern, rüttelte mich und sah mir in die Augen. „Na, Alter, wie geht es?" krähte er fröhlich. „Ich bin dienstlich hier. Eine Inspektion vom Kosmischen Gesundheitsdienst. Aber das schadet nichts. Die Kollegen werden auch ohne mich fertig. Schließlich trifft man nicht jeden Tag einen Mann, den man seit reichlich hundert Jahren nicht gesehen hat!" Quin suchte es zwar zu verbergen, aber er war sichtlich zufrieden, wenig26
stens einen der lästigen Inspektoren loszuwerden. Er mußte es mit den Vorschriften wohl nicht sehr genau halten, denn er war nervös und versuchte sich bei den Besuchern anzubiedern. Ich ging mit dem Oberst hinunter in den Garten. „Was ist los, Kreis? Faß dich kurz, wir können nicht lange plaudern." „Mir sind gewisse Zweifel gekommen." „Das ist noch kein Grund...", wandte er ein. „Ich weiß. Aber diese Zweifel sind besonderer Art. Den ersten haben Sie durch Ihre Ankunft zerstreut." „Das verstehe ich nicht." „Ich glaubte, auf der gleichen Grundlage wie die anderen Patienten hier zu sein. Oder gar noch schlimmer..." „Was ist das für Blödsinn? Denkst du, wir können uns idiotische Witze leisten? Wegen Hirngespinsten lasse ich mich von dir hierherschleifen, dabei dachte ich, du hättest wenigstens eine wichtige Spur entdeckt. Du weißt doch, daß wir den Trick mit der Kommission nicht wiederholen können! Nicht genug damit, daß ich den Chef des Gesundheitsdienstes zum Teil in unsere Angelegenheiten einweihen mußte, stiften wir auch noch Unruhe auf dieser Insel." Rasch erklärte ich, daß durchaus Spuren vorhanden seien. Ich sagte, was ich von Zahtl hielt. Der Oberst runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Lassen Sie doch alles auf dem Mond diskret überprüfen. Ich denke, daß er immer noch dort arbeitet, oder aber...", bat ich. „Ich verstehe. Du glaubst, er sei... verschwunden? Ein anderer bediene sich seiner Identität? Gut, ich prüfe es nach." Der Oberst war unzufrieden. Er schwieg und überdachte meine Meldungen. „Meine Mission kennt wirklich niemand außer uns und Sato?" fragte ich, von einem plötzlichen Einfall inspiriert. „Nein. Der Chef des Kosmischen Gesundheitsdienstes ist in Kenntnis gesetzt worden, weiß aber nichts Konkretes." „Und die Signale? Wer hat sie zuerst entdeckt?" „Das sagte ich bereits: Sie wurden von einem unbemannten Satelliten aufgezeichnet, dann interessierten sich dafür die Leute von der Überwachung der Radioaktivität. Gleich darauf wurde das gesamte Material von uns übernommen, vom Oberkommando des Kosmozentrums." „Die Signale sind also durch mehrere Hände gegangen, und man kann sie nicht als Geheimnis betrachten?" „Nun, nein... Das wohl nicht." „Die Brantsche Expedition, an der der echte Zahtl teilnahm, ist meines Wissens nicht zum Fomalhaut gelangt?" „Sie mußten aus technischen Gründen umkehren." „Nur noch eine Frage. Hat es früher derartige Signale gegeben? Ich denke an zufällige Beobachtungen, zum Beispiel durch Rotoplane, die diese Region des Pazifiks überflogen." „Nein. Seit einem J a h r gilt übrigens ein Verbot, diese Insel und ihre Umgebung zu überfliegen. Quin hat das verlangt, angeblich wirkt der Lärm schädlich auf die Patienten." 27
Der Oberst sprang unvermittelt auf und schritt auf das Haus zu. Ich folgte ihm. Die Unterredung war zu Ende. „Mach weiter, Kreis", sagte er halblaut. „Wenn du in einer Woche nichts auf stöberst, holen wir dich hier heraus. Um die Insel ist unbemerkt ein Netz von schwimmenden Stationen aufgezogen worden, von denen wir über das Auftreten der Gammasignale unterrichtet werden. Sie wiederholen sich täglich, stets um etwa die gleiche Zeit." „Was meinen Sie", fragte ich, „ist es möglich, d a ß aus einer Entfernung von mehr als zwanzig Lichtjahren jemand hier auf der Erde gesteuert wird? Diese Methode erscheint doch wenig effektiv, wenn man allein die Zeit bedenkt, die die Signale brauchen..." „Natürlich ziehen wir das in Betracht. Die Umgebung der Erde unterliegt einer präzisen Überwachung." „Glauben Sie, daß in unserem Sonnensystem ein fremdes interstellares Raumschiff kreist?" Mit einem Zischen brachte er mich zum Schweigen, denn wir näherten uns der Eingangstür. Ich zog eben den linken Schuh aus, als Philipp klopfte und mitteilte, der Doktor lasse mich zu sich bitten. Ich schaute auf die Uhr. Es war gegen zehn. Im Vorübergehen warf ich einen Blick auf Nummer vierzehn. Das Schlüsselloch war hell, Zahtl befand sich also auf seinem Zimmer. Laut schlurfend ging ich über Flur und Treppe, zog unten rasch die Schuhe aus, kehrte leise ins Obergeschoß zurück und sah gerade noch eine Gestalt in der Toilette verschwinden. Lauschend blieb ich stehen. Plötzlich öffnete sich die Tür an der Stirnseite des Korridors, und Philipp trat heraus. Mein Anblick schien ihn aus der Fassung zu bringen, er stand wie angewurzelt, dann schloß er die Rumpelkammer und kam auf mich zu. Mir schien, als hätte er etwas gemurmelt, bevor er die Tür einklinkte, aber ich war mir dessen nicht sicher. „Kommen Sie schon vom Doktor zurück?" fragte er. „Nein. Ich gehe gerade zu ihm." Er drehte sich gemächlich um und betrat das nächstgelegene Zimmer. Ich ging hinunter, wo ich Quin in seinem Kabinett antraf. „Verzeihen Sie, wenn ich Sie um diese Zeit belästige", sagte er, wie gewöhnlich lächelnd. „Ich möchte die Angaben zu Ihrer Person ergänzen..." Er trat zu einem Regal, stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte einen Aktenordner zu ergreifen. Doch er war zu klein und langte nicht hinauf. Ich stand auf, um ihm zu helfen. Sein Kopf befand sich jetzt in Höhe meines Armes. Ich reichte ihm die gewünschte Mappe. Er blätterte darin, bat um Entschuldigung und gab sie mir zurück. „Das ist die falsche, ich h a b e mich geirrt!" sagte er. „Die links davon..." Ich griff noch einmal hinauf und stellte gleichzeitig den ersten Ordner an seinen Platz. Im selben Moment rannte Quin mit dem ganzen Körper gegen das Regal. Es schwankte heftig t*nd schlug gegen die Wand, von der es etwas abgerückt stand. Automatisch stemmte ich mich gegen die Kante des Mö28
belstücks, sah aber zugleich, wie die auf dem obersten Brett stehende Athletenstatue herunterkippte. Instinktiv riß ich den A r m hoch, schützte meinen Kopf mit dem Ellenbogen und sprang zurück. Das mächtige Bronzestück streifte meine Hand, schlug voll auf den kahlen Schädel des Doktors und von dort laut krachend auf den Fußboden. Quin wankte und stürzte. Ich sprang hinzu, um ihn aufzuheben, doch er fuhr sich über den Kopf, als sei nichts gewesen, raffte sich auf und brummelte: „Schon gut, schon gut." Sein Kopf trug nicht die Spur einer Beule oder einer Schramme! Und dabei hatte ich genau gesehen, wo die schwere Statue gelandet war! Ein Schädelbruch war das mindeste, was er hätte haben müssen! Die Tür wurde aufgerissen. Auf der Schwelle stand Philipp, hinter ihm Rudi, der andere Pfleger, eine zusammengeklappte Trage unterm Arm. Sie musterten uns und die am Boden liegende Statue, dann traten sie unentschlossen ins Zimmer. Rudi suchte die Trage zu verbergen, endlich lehnte er sie im Flur an die Wand. Sie hatten das Krachen gehört und waren hergekommen. Aber was sollte die Trage? Ich war zunächst völlig konsterniert, dann liefen die Gedanken blitzartig in eine Richtung: die Spaten! Spaten - und keine Spur von Gartenarbeit! Sie hatten ein Grab ausgehoben! Ich nutzte die Verwirrung der Pfleger und die Unentschlossenheit Quins, der mit blödsinniger Miene sein „Schon gut, schon gut", wiederholte und Philipp heimlich Zeichen machte. Plötzlich bückte ich mich, packte Quin mit beiden Armen unterhalb der Knie und schleuderte ihn gegen die beiden anderen. Er war schwerer, als ich gedacht hatte, und fiel ihnen vor die Füße. 29
Philipp sprang auf mich los, ich empfing ihn mit einem Hieb, der ihn zurückwarf. Im Fallen riß er Rudi mit, beide stürzten auf Quin, der mitten im Zimmer lag. Rudi raffte sich als erster auf. In der Türöffnung stand plötzlich Zahtl. Aus! dachte ich. Vier gegen einen... Das Licht erlosch. Im schwachen Schein, der vom Fenster hereindrang, sah ich, wie Rudi von hinten einen Schlag erhielt und wieder auf Philipp sackte. Ein schriller Pfiff ertönte. Zahtl riß einen kurzen Flammenwerfer unter dem Schlafrock hervor, richtete ihn auf das unbeweglich am Boden liegende Knäuel von Körpern und stellte sich breitbeinig an die Tür. Im selben Augenblick huschten hinter ihm durch den dunklen Korridor drei weißliche Gestalten, riesigen Ratten gleichend. Zahtl fuhr herum und schoß, dann fluchte er schrecklich und rannte ihnen nach. Bevor ich etwas tun konnte, krochen aus den Körpern, die immer noch wie tot mitten im Zimmer lagen, drei weitere dieser hellen Knäuel und verschwanden draußen im Dunkel. Jetzt rannte auch ich aus dem Haus. Hinter den Büschen hörte ich Zahtl noch zweimal feuern, dann tauchte er selbst auf. „Verdammter Mist!" brüllte er und zerrte mich am Arm ins Haus. „Teufel, verfluchte Teufel!" Ein gewaltiges Donnern erfüllte die Luft, die Fensterscheiben fielen heraus, ein blendender Lichtschein brach sich wie ein gewaltiger Feuerbrand an den Hecken und am wolkenverhangenen Himmel. Das Dröhnen ging in ein durchdringendes, betäubendes Heulen über. Erst als es nachgelassen hatte, ließ Zahtl meinen Arm los und rannte hinaus. Ich eilte ihm nach und schaute, seinem Blick folgend, zum Himmel. Durch die niedrige Wolkendecke brach ein heller Lichtfleck.'als sei ein zweiter, hellerer Mond über der Insel aufgegangen. Der feurige Schein schwand jedoch zusehends. Zahtl schritt wortlos einmal um das Haus. Ich folgte ihm, ohne eine Frage zu stellen. Aus -seinem Verhalten schloß ich, daß es ohnehin zu spät war, noch das Geringste zu unternehmen. An der Stelle, wo ein prächtiges Blumenbeet das „Kosmonautendenkmal" umrahmt hatte, befand sich jetzt, von schwarzer, zu Schlacke verbrannter Erde umgeben, ein großer Krater von regelmäßiger kreisförmiger Gestalt. „Ich habe mich verrechnet!" sagte Zahtl. „Statt ihr Raumfahrzeug zu ver^ bergen, haben sie es mitten in ein Blumenbeet gestellt!" Im Korridor betätigte Zahtl den Hauptschalter, Licht flammte im gesamten Haus auf. Neben der Tür zum Kabinett lag Ole Lindgard. Ich drehte ihn auf den Rücken. Sein Bauch war aufgeschlitzt. Ich beugte mich nieder. Er war innen hohl. Eine Puppe, nichts weiter, von innen gesteuert... Im Kabinett lagen die Puppen Quins und der Pfleger, auf der Treppe die von Conti und Libner. Die Nachbildung von Asvitz saß verlassen auf dem Zimmer im Rollstuhl. Der Überzug der Puppen war eine phantastische Imitation der menschlichen Haut. Die Gesichter, auf denen zufällige Grimassen erstarrt waren, sahen sogar jetzt wie lebendig aus. „Selbst waren sie zu klein und zu schwach, um etwas ausrichten zu können!" knurrte Zahtl. „Sie verbargen sich in Gestalt von Menschen mit gestörter Psyche und mit Gedächtnislücken. Das entband sie zugleich davon, 30
,ihre' Vergangenheit zu k e n n e n . . . Wie viele mag .Doktor Quin' von hier aus in die Welt geschickt haben? Perfekte Arbeit!" sagte er anerkennend, packte den leeren Balg Libners wie einen alten Gehrock am Kragen und betrachtete ihn von allen Seiten. „Guck mal, hier drinnen ist ein ganzes Steuerzentrum und Platz für eine Katze." „So groß waren sie etwa auch", sagte ich nachdenklich. „Und du? Bist du von der Vierten Abteilung?" „Major Toox, zu Diensten!" Zahtl lächelte. „Und du? Von Oberst Krone, aus der Zweiten Abteilung, nicht wahr?" „Erraten. Jetzt weiß ich auch, wo ich dich schon gesehen habe: im Stab der Abwehr." „Da sieht man, wohin übertriebene Geheimhaltung führt. Und natürlich auch mangelhafte Koordinierung. Von allen auf dieser Insel waren wir beide einander am verdächtigsten..." „Du hast dich aber auch merkwürdig benommen. Außerdem dieser Name." „Das war Pech! Ich habe Zahtl gefragt, ob ihn hier einer kennen könnte. Er versicherte, daß alle seine Bekannten seit einem halben Jahrhundert tot sind." „Also ist er doch am Leben? Er ist von dieser mißlungenen Expedition Brants zurückgekommen?" fragte ich. „Jawohl." „Na, d a n n . . . schreiben wir gemeinsam unseren Bericht... Wir müssen dem Oberkommando Meldung erstatten." „Das hat keine Eile. Die sind sowieso nicht mehr zu kriegen. Sie überschreiten die Lichtgeschwindigkeit, dann kannst du sie suchen..." „Glaubst du, daß sie das können? Es ist doch unmöglich!" „Ach, richtig! Du weißt das nicht - gerade erst zurückgekehrt, wurdest du gleich auf diese widerwärtige Arbeit angesetzt!" Toox lachte. „Von der Theorie Zweisteins und dem Drillingsparadoxon kannst du noch gar nichts gehört haben! Vorläufig nur eine Theorie, die wir nicht praktisch anwenden können. Aber die..." „Der Teufel soll sie holen", sagte ich. „Sie werden die Sache wohl noch nicht so leicht verloren geben, wenn unsere Erde einmal zum Objekt ihrer Gelüste geworden ist." Langsam gingen wir den Flur im Obergeschoß entlang, als mir etwas einfiel. „Hör mal, Toox, jetzt kannst du mir vielleicht sagen, was du gestern dort im Schrank gemacht hast." „Wo?" Er stand wie angewurzelt. „Im Schrank, dort hinten in dem Raum!" Er stürzte davon. Als ich ihn einholte, stand er vor einem offenen Schrank. „Aber das ist ein Spiegel!" „Du meinst also, ich hätte dich als mein Spiegelbild angesehen?" fragte ich lachend. „Geh und öffne den vierten Schrank." Er tat es, eine Puppe fiel heraus. Sie trug sein Gesicht. „O verdammt!" rief er. „Es hat nicht viel gefehlt..." „Im Dschungel hinter dem Haus dürften sich zwei sorgfältig ausgehobene 31
Gruben befinden", sagte ich, während er seinen Doppelgänger untersuchte. „Man wird ein ganzes Stück Urwald umgraben müssen, um die anderen zu finden", murmelte er. Als ich an meinem Zimmer vorüberkam, öffnete ich die Tür und erstarrte. Im Bett lag, mit einem Plaid bedeckt, meine Puppe. Völlig unbenutzt und funkelnagelneu...
412 Conan Doyle
Sherlock Holmes und der Tiger von San Pedro „Unsere Farben, grün und weiß. Grün offen, weiß zu. Haupttreppe, grüner Vorhang. Gottbefohlen. D." Diesen verschlüsselten Brief findet der Privatdetektiv Sherlock Holmes hinter dem Kamin im Landhaus des Ermordeten. Er und sein Helfer Watson, die mit der Aufklärung des verworrenen und mysteriösen Falls beauftragt wurden, wissen die Chiffren zu deuten; die Fährte führt sie zu dem grausamen Diktator, dem Tiger von San Pedro.