Dem Al1de ]ll Unredliche, bei denen wir ,religiös' landen können ... Wenn wir das alles nicht wollen, wenn wir schließli...
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Dem Al1de ]<en Dietrich Bonho fftY's
I
DIE MÜNDIGE WELT
DIE MüNDIGE WELT DEM ANDENKEN DIETRICH BONHOEFFERS
Vorträge und Briefe
CHR.
KAISER
VERLAG
1959
MüNCHEN
3. Auflage Copyright 1955 by Chr. Kaiser Verlag München Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nadldrucks, der photornechanisdten
Wiedergabe und der übersetzung vorbehalten. - Printed in Germany Satz und Druck: Buchdruckerei Albert Sighart, Fürstenfeldbruck
Offset-NadJdrUlxherstellung Graphia-Drud< Hablitzel. Dachau
IN HALT
E. Be t hg e, Dietrich Bonhoeffer. Person und Werk .
7
H. ehr. von Ha se, Begriff und Wirklichkeit der Kirche in der Theologie Dietrich Bonhoeffers. .
26
O. H a m m eIs b eck, Zu Bonhoeffers Gedanken über die mündig gewordene Welt
46
R. G run 0 w, Dietrich Bonhoeffers Schriftauslegung
62
A. S c h Ö n her r , Bonhoeffers Gedanken über die. Kirche und ihre Predigt in der "mündig" gewordenen Welt . . . . . . . . . . . . ......
76
W. M a e chI er, Vom Pazifisten zum Widerstandskämpfer. Bonhoeffers Kampf für die Entrechteten..
89
H. SchI i n gen s iep e n, Zum Vermächtnis Dietrich BonhoElffers . . . . ........
96
D. Bonhoeffer und K. Barth. Ein Briefwechsel
106
D. Bon h 0 e f f er, Zur Fragp. nach der Kirchengemeinschaft
123
Fragen . .
139
Dietrich Bonhoeffer. Person und Werk Von Eberhard Bethge
I. Dietrich Bonhoeffer wußte zwei Dinge. Er wußte, daß einer die Schönheit dieser Welt genießen kann, indem er bereit ist, sie zu opfern: die Früchte der Erde, die Wärme der Sonn.e, Freundschaften, Humor und die Spiele des Geistes. Er hatte eine Schwäche für Menschen, die mit Geschmack aus einer Mahlzeit etwas zu machen verstanden. Er lehrte, wie man Feste feiert. Er konnte diese Dinge opfern, und als er sie opferte, liebte er, anderen zu zeigen, wie man mit den Schönheiten der Erde umgeht. "Genießt, was Euch noch VORBEMERKUNG: Im Folgenden wird der Versuch unternommen, in die von und durch D. Bonhoeffer gestellten und hinterlassenen Fragen einzuführen. Man kann an ihnen nicht oder nicht mehr länger vorübergehen, und wir meinen, daß auf diese Weise der Wiederkehr des Todestages vor zehn Jahren, am 9. April 1945 in Flossenbürg, gedacht werden sollte. Im einzelnen vereinigt dieses Heft Vorträge, die auf einem ersten Treffen der Freunde und Schüler Bonhoeffers im September 1954 in Bethel gehalten worden sind (von Hase, Hammelsbeck, Grunow, Schönherr, Maechler). Vorangestellt ist der Vortrag, den E. Bethge zur Einweihung des Dietrich Bonhoeffer-Hauses am 13. November 1954 in Bonn gehalten hat. Angefügt sind der Aufsatz von H. Schlingensiepen, Zum Vermächtnis Dietrich Bonhoef!ers (Ev. Theol. 1953), ein Briefwechsel zwischen Bonhoeffer und Karl Barth sowie ein Auszug aus einem Brief K. Barths über Bonhoeffer und die Aufsätze D. Bonhoeffers aus Ev. Theol. 1936: Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft. Fragen. Alle Beiträge dieses Heftes sind der Zeitschrift "Evangelische Theologie" entnommen und mit Ausnahme der aufgezählten angefügten Stücke in H. 4/5 des Jahrgangs XV. 1955 erschienen. E. Bethge E. Wolf Für die zahlreichen Zitate aus den Schriften Bonhoeffers werden folgende Sigla gebraucht: SC = Sanctorum Communio. 1930, Neudruck in Theol. Bücherei, Bd. 3, 1954. AS = Akt und. Sein. 1931. SchF = Schöpfung und Fall. 1933. 3. Auf!. 1955. N = Nachfolge. 1936, 4. Aufl. 1952. WE = Widerstand und Ergebung. 1952. E = Ethik. 1953. Durch Zeilenverdopplung sind im Neudruck der Sanctorum Communio leider zwei Zeilen ausgefallen. S. 133 lautet die 8. Zeile: alles mehr. Mose Haltung war heroisch, er will mit seinem - S. 172 lautet die 4. Zeile: entspringt die Kraft der Versammlung. Der neben mir ganz in
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begegnet" schrieb er mitten in Verhören und unter Bombenteppichen. Er war immer sehr großzügig. Zum anderen: Er wußte, daß Worte nur Gewicht haben, wenn sie die Ermächtigung der Situation und der Persönlichkeit mit sich tragen. Sein Werk war ständig begleitet von Experimenten und Wagnissen. Er war gequält von der Zungenfertigkeit und von der langweiligen Gedehntheit des christlichen Redens und Predigens, des Dreinredens und Darüberhinredens. Er h~t gemeinJ-L gaßmaIl eher . Gefahren der Mißyerständnisse eingenen und lieber vor den Kopf ~!oßen;ö~li; ~äls eu'e Kostbarkeit des Ev~~g~Ü~;;~ weitet aufs Spiel zu-setzen:------- - ---~-----~--~~MirscliemtTetzt, daß dieses Wissen um die Kostbarkeit des Wortes Jesus Christus das durchgehende Thema in Bonhoeffers Leben ist; die Sorge ob der lästerlichen Verschleuderung der geheime Antrieb durch alle drei Perioden seines Werkes und Seins. Die Partner und Adressaten seiner Arbeit haben gewechselt. Zunächst sind es die T h e 0 log engewesen, in deren Gespräch er sich souverän und präzis hineinarbeitet; ihnen sagt er wider alle vage Verfiüchtigung, daß Jesus Christus nirgends anders zu haben ist als in den konkreten und armselig konsistorial verfaßten Kirchen. Dann ist es die Kir ehe selber, in deren Kampf er von Beginn an in voller Parteinahme eintritt; ihr sagt er, daß sie mit der bindungslosen billigen Verschleuderung der Gnade die Welt um die Gnade Christi betrügt. Und am Ende sind es schuldbeladene Te i I hab er an dem rasenden Ablauf eines Weltabschnittes: Juristen, Soldaten, Wächter und Gefangene, Verschwörer und Atheisten; ihnen zeigt er, daß Jesus Christus keine Gestalt einer verdrängten religiösen Provinz ist, ein Stück aus dem religiösen Warenhaus zu herabgesetzten Preisen, sondern ein brüderlicher Herr dieser modernen Welt. Weil seine Sache so kostbar ist, muß Bonhoeffer soviel offen lassen. Nie ist er fertig, nie weiß er schon alles; nie wiederholt er, wenn er einmal seinen Beitrag gegeben hat. Das Kostbare kommt nicht auf das literarische Produktionsband. Jesus Christus bedeutet für ihn in jedem Abschnitt eine verwirrende Fülle neuer Entdeckungen, reich und herausfordernd, enthüllend und beschämend, er bindet und kommt daher mit lauter freundlichen Erlaubnissen. Ein Rabbiner schrieb mir nach dem Erscheinen von "Widerstand und Ergebung", durch Bonhoeffer sei ihm zum erstenmal verständlich geworden, daß einer zur Anbetung der Person J esu kommen könne.
II. Zweimal hatte Bonhoeffer eine folgenreiche Entscheidung zu treffen. Jedesmal brach sie ab, was er sich für seinen eigenen Weg gewünscht hatte. 1. Als er 1934 Pfarrer in London war, bekam er eine Einladung nach Indien, Gandhi zu treffen. Schon in New York war er 1930
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von den verschiedenen Formen des Pazifismus und von den Problemen des Stadtteiles Harlem angezogen. Zwar findet sich in seinem damaligen Amerikabericht die jugendlich-stolze Bemerkung: "Wir haben diesen amerikanischen Studenten und Professoren gegenüber eine ganze Dimension mehr", aber er war frei, Tatbestände zu entdecken, und neugierig, die wesentliche Stelle aufzuspüren, wo Christus sich ion anderen Breiten aufhalten könnte. Die non-violence mit eigenen Augen studieren zu können, reizte Bonhoeffer brennend. C. F. Andrews, Freund und Biograph Gandhis, war der Vermittler. Es war damals für einen jungen Deutschen noch eine Seltenheit, ein Stück Welt sehen zu sollen, das so völlig von der eigenen differierte. Mitten in die Vorbereitungen für Indien kam der Ruf, eines der neu einzurichtenden Predigerseminare der Bekennenden Kirche zu übernehmen. Die Bekennende Kirche war zu dem Entschluß gekommen, keinen ihrer Theologen mehr auf die Seminare der offiziellen Kirche zu schicken. Ein Aufschub konnte nicht riskiert werden. So fiel die Entscheidung im Frühjahr 1935: zurück in ein pommersches strohgedecktes Provisorium, in dem Humor und Kirchenkampfbegeisterung über vieles hinweghalfen. Diese Entscheidung Bonhoeffers bedeutete noch keine Lebensbedrohung. Trotz aller Ungewißheit und persönlicher Opfer war sie ein Teil der ersten Kirchenkampf jahre, die jetzt im Rückblick voller Optimismus erscheinen. Aber aus der gehorsamen Entscheidung resultierte eine neue Konzentration auf den Gehorsam der Kirche. Die erste Vorlesung des Seminars führte uns mitten in seine Auslegung der Bergpredigt. Es entstand die "Nachfolge", die ihn damals bekanntgemacht hat. Die Formel klang anstößig, aber sie blieb hängen: "Nur der Glaubende. ist gehorsam, und nur d~rG:el1()r~ame gtaubt" -. (N"T9r"Wü' protesÜerTeii-;" "Ul1"s, die Frage des Geho"'rsams in eigenem Gehorsam zu überprüfen, um zu erfahren, daß nur die teure Gnade Gnade ist, die billige aber aus der Kirche einen Kramladen macht. In dieser Zeit entstand das Bruderhaus in Finkenwalde, dessen Fama von einem düsteren klösterlichen Leben alsbald die Runde machte. So heißt es in dem Brief Bonhoeffers vom 6. 9. 1935 an den Bruderrat der APU:
ap-ei--eri"ehrte
,,1 . . . . Die Last der Verkündigung ist heute für den einzelnen Pfarrer, der nicht Prophet, sondern Amtsträger der Kirche ist, besonders groß. Sowohl in der Frage nach dem Inhalt der Verkündigung wie in der tatsächlichen Ausrichtung der Verkündigung bedarf er der brüderlichen Hilfe und Gemeinschaft ... Nicht nur Theologische Arbeitskollegien und gelegentliche gottesdienstliche Gemeinschaft, sondern eine fest geordnete und geregelte Gemeinschaft des Lebens tritt als neue Aufgabe auf. Eine Verkündigung, die aus praktischer, gelebter und erfahrener Bruderschaft kommt, wird sachlicher und unerschrockener sein können und weniger in der Gefahr der Versandung stehen ... 2. Die Frage nach demlchristlichen Leben! ist unter <Wr jungen Theo-
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logenschaft neu erwacht. Ihr ist heute nicht mehr glaubwürdig zu begegnen mit Schlagworten wie Schwarmgeisterei oder unlutherische Haltung. Das wird nur noch als Ausflucht empfunden. Die Antwort auf diese Frage aber wird nicht abstrakt, sondern nur durch ein konkretes, nüchternes Zusammenleben und gemeinsames Sich-Besinnen auf die Gebote gegeben werden können. Der vagen Empfindung, als sei im Leben des Pfarrerstandes etwas nicht in Ordnung, wird zur Klarheit verholfen allein durch den praktischen Versuch einer gemeinsamen übung im Gehorsam gegen die Gebote ... 3. Um in den gegenwärtigen und kommenden kirchlichen Kämpfen das Wort Gottes zur Entscheidung und zur Scheidung der Geister zu predigen, um in jeder neu erwachsenden Notlage sofort zum Dienst der Verkündigung bereit zu sein, bedarf es einer Gruppe völlig freier einsatzbereiter Pastoren. Sie müssen bereit sein, unter allen äußeren Umständen, unter Verzicht auf alle finanziellen und sonstigen Privilegien des Pfarrerstandes zur Stelle zu sein, wo der Dienst gefordert wird. Indem sie aus einer Bruderschaft herkommen und immer wieder in sie zurückkehren, finden sie dort die Heimat und die Gemeinschaft, die sie für ihren Dienst brauchen. Nicht klösterliche Abgeschiedenheit, sondern ~nnerste Konzentration für den Dienst nach außen ist das Ziel. 4. Der vereinzelt im Amt stehende Pfarrer braucht immer wieder ein . geistliches Refugium, in dem er sich in strenger, christlicher LebensfÜhrung, im Gebet, Meditation, Schriftstudium und brüderlicher Aussprache für sein Amt stärkt. Solche Zufluchtsstätten sollen geschaffen werden, wobei zugleich die Frage der Vertretung im Amt von der Bruderschaft aus leicht zu regeln ist. Auch Laien muß solche Zufluchtsstätte geboten werden. 5. In der Erkenntnis, daß jeder junge Pfarrer heute im Dienst der Gemeinde gebraucht wird, und bei aller Schwere des Entschlusses, sich diesem Dienst zeitweilig zu versagen, ist es dennoch unsere gewissenhaft geprüfte Meinung, daß der Dienst von einigen jungen Pfarrern an dieser über die Gemeinde hinausgehenden Arbeit unerläßlich ist. Die Entscheidung muß in jedem Einzelfall im Einverständnis mit dem Provinzialbruderrat gesucht werden ... " Bis zur Auflösung des Seminars durch einen Himmler-Erlaß im August 1937 lebte dieser Versuch eines Bruderhauses. So sind nicht Forderungen und Wünsche, sondern praktische Erfahrungen in das Büchlein "Gemeinsames Leben" eingegangen. Anstöße liegen schon in Bonhoeffers Zeit in England, wo er aufmerksam anglikanische evangelische Klöster besucht und manche Anregung für den praktischen Ablauf des Tages einer solchen Gemeinschaft empfangen hatte. 2. Die andere Entscheidung griff tiefer. Diesmal rührte sie an das Leben. Ende Mai 1939 ging er an Bord der Europa nach USA. Die Gründe für diese Reise sind ein ganzes Bündel und die Begründungen auch. Es lagen Einladungen vor vom Federal Council of Churches und vom Union Theological Seminary, wo Bonhoeffer 1930 studiert hatte. Niebuhr, der die Sache betrieb, hatte nicht ohne Grund gemeint, diesen Mann aus der kommenden Entscheidung heraushalten zu müssen, wenn es an ihn komme, den Dienst mit der Waffe zu
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tun. Bonhoeffer war tatsächlich in den Jahren seiner Beschäftigung mit dem christlichen Pazifismus so weit gekommen, daß er zu dieser Zeit die Kriegsdienstverweigerung für seine eigene Person in Betracht zog. Der Bruderrat der Bekennenden Kirche hatte nach langen Überlegungen endlich eingewilligt, den brennend benötigten Lehrer im Namen der wenigen noch existierenden ökumenischen Verbindungen gehen zu lassen. Kaum in USA, begann Bonhoeffer aber schon wieder, mit den Einladenden darüber zu verhandeln, wie er sich den Weg zurück offen halten könne. So steht in einem Tagebuch: "Ich begreife nicht, warum ich hier bin. . . Das kurze Gebet, in dem wir an die deutschen Brüder dachten, hat mich fast überwältigt. .. Wenn es jetzt unruhig wird, fahre ich bestimmt nach Deutschland... Ich will für den Kriegsfall nicht hier sein... " Und wenig später heißt es: "Seit ich auf dem Schiff bin, hat die innere Entzweiung über die Zukunft aufgehört." Paul Lehmann, Professor für Ethik in Princeton, war noch auf das Schiff gekommen, um ihn vielleicht doch noch herunterzuholen. Er ahnte wohl, was diese Reise bedeutete. 1935 war der Weg vom Westen nach Osten ein Schritt innerhalb des "Mandates der Kirche" und es wehten noch ganz lustig Kirchenfahnen. Diesmal war es bereits einer bewußt in den Mandaten der politischen Gemeinschaften, der eigenen und der anderen Nationen, freilich ganz ohne Fahnen. Es war kein Kreuzzug von West nach Ost: Kampf dem Tyrannen, befreit die Unterdrückten!, sondern es war die "Schuldübernahme", getrieben von Scham und Liebe. Er war in den Westen gegangen, um das Schwert nicht nehmen zu müssen, und er kehrte um, es zu nehmen. Er hat gewußt und ausgesprochen, daß, wer es nimmt, auch dadurch umkommen wird. Die Bereitschaft, diesen Richtspruch willig anzunehmen, war das innere Thema, das zunächst tastend und dann immer klarer die Jahre beherrschte. Als er damit spielte, sich herauszuhalten und seine reichlichen Möglichkeiten zu nutzen, wußte er doch, daß er zu zahlen hatte. Wie - das war nicht sofort deutlich. Aber nun ging er aus den "letzten" in die "vorletzten Dinge". Die letzten schienen klar und einfach, die vorletzten waren verwickelt und mußten es auf sich nehmen, nicht mehr eindeutig sein zu können und dennoch mit Blut bezahlt werden zu sollen. Gleichwohl begann jetzt nicht etwa eine Zeit der Düsternis und der Bedrücktheit; es erschien kein Glanz des Tragischen, des ungelösten Konfliktes über ihm, sondern eine neue Freiheit und Freude an Menschen, Spielen und Farben. In dieser Zeit hat er sich auch verlobt. 1935 begann er die "Nachfolge" zu schreiben, 1939 machte er sich an die "Ethik". Später hat er selbst gesagt, daß die Nachfolge einen Abschluß bedeute, von dem er freilich auch nicht zurücktreten wolle (WE 248). Es war lange keine Ethik mehr geschrieben worden, und er war der erste, der sich bewußt wieder an dieses eine zeitlang verpönte Fach der Theologie heranmachte. Er hätte sich damit freilich nicht antibarthisch ausnutzen lassen. Er hätte es überhaupt
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nicht erlaubt, ihn zu einem Schulhaupt wider Barth zu machen; wenn er Fragen an diesen hatte, so verstand er sie als eine Kritik innerhalb Barth's und nicht an diesem vorbei. 1939 hatte Professor John Baillie Bonhoeffer nach Edinburgh eingeladen, die CroalLectures zu halten. Sie kamen nicht mehr zustande, aber die Entwürfe dafür sind der Anfang seiner neuen Arbeit. Wieder ist es kein rein intellektuelles Arbeiten. Er hat zwar die abstrakte Luft der akademischen Tradition, in der er aufgewachsen war, niemals billig verlästert; aber Denken und Existenz durchdringen sich bei ihm unlöslich. Er kommt aus Amerika zurüCk und es entsteht eben ein 'KaplteCmit der Überschrift "Schuldübernahme" (E 186). Wie so oft, . ist es nicht zu entscheiden, ob die Gedanken seine neue Existenz und ihre Aktionen bestimmen, oder ob die spezifische Existenz und ihre Erfordernisse die Gedanken ins Leben riefen. Die Verantwortung, über die er schreibt und lehren will, kam mit jedem Tag kompakter auf ihn zu. Zum Verständnis dieser Jahre noch ein anderes. In der "Ethik" bestreitet er die absolute Ethik. Es komme alles darauf an, den eigenen relativen Standort zu erkennen und von diesem aus im Glauben zu handeln und zu gehorchen. Christus wird nicht im Absoluten, sondern in diesem Relativen nur ernsthaft angenommen. Darum hat jeder das Seine, die Verantwortung und Schuld der eigenen Sphäre anzunehmen. Bonhoeffer wurde es jetzt immer dringender, die Verantwortung seiner persönlichen Herkunft und ihr Gericht zu erkennen. Er wurde sich immer mehr seiner bürgerlichen Herkunft bewußt. Er konnte es jetzt weniger gut vertragen, wenn der Bürger verächtlich gemacht wurde. Er bekam eine neue Vorliebe für das 19. Jahrhundert. In der Finkenwalder Zeit hatte er versucht, uns aus den bürgerlichen Bindungen zu lösen: die großen Feste sollten nicht mehr der Familie, sondern den Brüdern gehören. Jetzt genoß er, was er nur immer von dem Elternhaus noch haben konnte - die Gestapo versuchte seit 1940, ihn davon abzuschneiden. Das Fragment des Romanes, den er in der Zelle begann, ist nichts anderes als eine Liebeserklärung an seine bürgerliche Heimat. Und in dem anderen, ebenso abgebrochenen Versuch eines Dramas läßt er den sehr gesunden, durch den Krieg freilich vom Tode gezeichneten Sohn eines bürgerlichen Hauses (eines Arzthauses) mit einem jungen Proletarier in einen Disput kommen: "Christoph: , ... Aber auch Du kennst meine Welt nicht. Ich stamme aus einem sogenannten guten Haus, d. h. aus einer alten angesehenen Bürgerfamilie, und ich gehöre nicht zu denen, die sich schämen, das auszusprechen. Im Gegenteil, ich weiß, was für eine stille Kraft in einem guten Bürgerhaus lebt. Das kann keiner wissen, der nicht hineingewachsen ist ... Aber eins mußt Du wissent Wir sind groß geworden in der Ehrfurcht vor dem Gewordenen und d~m Gegebenen und damit in der Achtung vor jedem Menschen. Mißtrauen gilt uns als gemein und niederträchtig. Das unbefangene Wort und die unbefangene Tat des anderen Menschen suchen wir und wollen wir ohne Argwohn hinnehmen ...' Heinrich: , . . . Wir wollen .I}twa,'t viel Einfacheres. Boden unter den 12
Füßen, um leben zu können. Das ist es, was ich das Fundament nannte. Spürst Du den Unterschied nicht? Ihr habt ein Fundament, Ihr habt Boden unter den Füßen, Ihr habt einen Platz in der Welt, für Euch gibt es Selbstverständlichkeiten, für die Ihr einsteht und für die Ihr Euch auch ruhig den Kopf abschlagen lassen könnt, weil Ihr wißt, daß Eure Wurzeln so tief liegen, daß sie wieder treiben werden . . . Diesen Boden haben wir nicht; ... darum haben wir nichts, wofür wir uns den Kopf abschlagen lassen können und wollen . . .' Christoph (nachdenklich geworden): ,Boden unter den Füßen. Ich habe das so nicht gewußt. Ich glaube, Du hast recht. Ich verstehe, Boden unter den Füßen - um leben und sterben zu können.' Heinrich: , . . . welche Schuld trifft die, die man ins Leben hineingestoßen hat, ohne ihnen Boden unter die Füße zu geben? Kannst Du an ihnen vorübergehen und vorbeireden? . . .''' Hier sind Bonhoeffers Erlebnisse mit den Konfirmanden aus dem Berliner Wedding 1929 und die Wohnlaube in Biesental, die er für sie einrichtete, wieder da - in dem Moment, als es für ihn darauf ankam, in Tegel das Vertrauen der Wächter und Zellennachbarn zu haben. "Ja, Boden unter den Füßen . . . ich habe das so nicht gewußt." Er wußte um das vage Existenzrecht des Bürgertums. Er war bereit, einzustehen für das auf dem Höhepunkt angelangte Aufgeben der Verantwortlichkeit für das Öffentliche und dem Namen des Bürgers wiederzugeben, was er verloren hatte. Ein Mensch wird so weit in das Gedächtnis der Menschen eingeschrieben, wie er seinen Ort wahrnimmt und an ihm tut, was auf ihn - und nicht auf seinen Nebenmann - zukommt. Er wird so wirksam, wie er seine spezifische - und nicht eine immer gleichbleibende - Aufgabe sieht und angreift. Vielleicht darf hier schon aus den Briefen zitiert werden: "Anfangs beschäftigte mich die Frage, ob es wirklich die Sache Christi sei, um derentwillen ich Euch allen solchen Kummer zufüge, aber bald schlug ich mir diese Frage als Anfechtung aus dem Kopf und wurde gewiß, daß gerade das Durchstehen eines solchen Grenzfalles mit aller seiner Problematik mein Auftrag sei, und wurde darüber ganz froh und bin es bis heute geblieben" ... "Du mußt wissen, daß ich noch keinen Augenblick meine Rückkehr 1939 bereut habe, noch auch irgend etwas von dem, was dann folgte. Das geschah in voller Klarheit und mit bestem Gewissen. :paß ich jetzt sitze, rechne ich auch zu dem Teilnehmen an dem Schick em 1 en ossen war (WE 92 u n Deutsch an Diese Zitate von der Grenzsituation gehören nun freilich auch in die spezifische Situation von Kenntnis und Beteiligung, in der Bonhoeffer durch seine engste Umgebung stand. Hans von Dohnanyi, Freund und Schwager, war einer der Hauptbeauftragten des Generals Beckj er hatte u. a. die Dokumente zu sammeln, die nach Gefangennahme oder Beseitigung Hitlers dem deutschen Volk die Hintergründe und Verbrechen des Regimes evident machten. Damit sollte das Entstehen einer Dolchstoßlegende verhindert werden. Ein gewisser Höhepunkt dieser Tätigkeit war mit der General-FritschKrise im Februar 1938 erreicht. Von nun an war Bonhoeffer ständig 13
über Fortschritt und Rückfall der Widerstandsarbeit unterrichtet. Etwa diese Zeit markiert den Wendepunkt. Er fand sich mehr und mehr aus der mittelbaren Mitverantwortlichkeit am deutschen Schicksal in die unmittelbare Mitschuld und Mitverhaftung hineingezogen. In der mittelbaren konnte man mit seinem Einsatz für die Kirche das Übrige ruhig Gott befehlen. In der unmittelbaren war es aber gerade dieses "Übrige", in dem Gott nach Leuten rief, die sich endlich bewährten. Wenn die Bürger in den verschiedenen Mandaten des Rechtes, der Verwaltung, des Heeres, der Forschung die ihnen befohlene Verantwortlichkeit Schritt um Schritt delegierten an einen, der jenseits der Verantwortung stand, wenn sie Würde gegen Würden eintauschten, dann konnte es unter den Sehenden eben auch an einen Pastor kommen: willst Du in dieser Notstands- und Grenzlage stellvertretend ein Stück der Verantwortlichkeiten mitübernehmen, die nicht genug Träger mehr finden? Als ein italienischer Mitgefangener beim Spaziergang auf dem Hof Bonhoeffer einmal fragte, wie er denn als Christ und Pfarrer sich an einem Komplott beteiligen könne - es war keine Zeit, lange zu argumentieren -, sagte er: "Wenn ein Wahnsinniger auf dem Kurfürstendamm sein Auto über den Gehweg steuert, so kann ich als Pastor nicht n1,lr die Toten beerdigen und die Angehörigen trösten; ich muß hinzuspringen und den Fahrer vom Steuer reißen, wenn ich eben gerade an dieser Stelle stehe." Der Gedanke findet sich übrigens schon sehr früh in einem Aufsatz "Die Kirche vor der Judenfrage": "Die dritte Möglichkeit (der Kirche) besteht darin, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen. . ." (Der Vormarsch, Juni 1933, S. 174). Wieviel Gedanken man sich gemacht hat, ob es denn erlaubt und recht sei, den Mann am Steuer abzuschießen oder ihn zu verhaften (lange Zeit der Plan Becks) und vor ein Gericht zu stellen, ist inzwischen genügend bekannt. Bonhoeffer, der mit Moltke 1942 eine längere gemeinsame Reise im Auftrag der Abwehr nach Norwegen machte, teilte dessen Ansicht nicht, daß man das Gericht am deutschen Volk bis zum Ende sich austoben lassen müsse. Er war an den überlegungen über die Art der Gewaltanwendung in vielen Stadien beteiligt. Er führte jetzt sein Leben zwischen den Aufträgen der Bekennenden Kirche und den durch das Amt Canaris ermöglichten Reisen u. a. nach Basel oder Stockholm; zwischen Visitationen, theologischer Arbeit an der "Ethik" im Kloster Ettal, auf dem Kleistschen Gut in Klein-Krössin und der zwielichtigen Beantragung von Pässen und Kurierausweisen mit dem Stempel der Abwehr - so zwielichtig, daß selbst Kar! Barth an Bonhoeffers Loyalität einmal zweifelte, als dieser allzu glatt bei ihm in Basel erschien. Deshalb war Dietrich Bonhoeffer die Zigarre so wichtig, die ihm Barth als einen sakramental-leiblich greifbaren Gruß der Gemeinschaft in die Zelle nach Tegel schickte (WE 106)! Bonhoeffer hat wohl unterschiedene Perioden der Ver antwort-
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lichkeit in seinem Leben gesehen, aber er hat keinen inneren Bruch zwischen der Zeit der "Nachfolge" und der Zeit der "Ethik" gespürt und anerkennen wollen. Er hat nicht gemeint, von dem klaren, freilich ganz anders gearteten Zeugnis Paul Schneiders aus Dickenschied getrennt zu sein. Wie es an ihn gekommen ist, wäre es ihm als eine unerlaubte Flucht erschienen, sich den ihm zugewachsenen Kontakten zu entziehen in einen sündlosen Raum. Das war ja gerade die Sünde seiner Klasse vor Gott und Menschen: die Flucht vor der Verantwortung, gleichgültig ob in einen frommen Raum oder in private Versicherungen oder in öffentliche Würden. IS",icht j~sler sollte so handeln wie er, aber jeder sollte den Ruf an... seinem Ort vernehmen und ihm nicht ausweichen. "Eine geschichtliche Entscheidung geht nicht in ethische Begriffe auf. Es bleibt ein Rest,~asWaghis des RandelnS7(E 268). Paul Schneider stand für das erste Gebot und die erste Tafel. Dietrich Bonhoeffer stand für die zweite Tafel, ja für das fünfte Gebot. Im Jahr 1934 in Fanö (s. Unterwegs, 1954, H. 3) unmittelbar, jetzt mittelbar und willig, das Gericht dieses fünften Gebotes auf sich fallen zu lassen. Beide sind darin vereint, daß sie mit keinem weltlichen Mittel und keiner paktierenden Klugheit die Kirche Christi schützen oder verteidigen wollten. Beide haben ihre Sorge ausgesprochen, daß selbst die Bekennende Kirche mit dem besorgten Kampf um Stempel und Finanzen ihre Vollmacht aufs Spiel setzte, statt sie mit dem Ruf für die Juden zu gewinnen. Die Kirche hat heute einen leichten Zugang zu Paul Schneider, aber sie fühlt sich in offiziellen Gremien unwohl bei der Herausforderung ihres Dieners Bonhoeffer. Vor der Einweihung einer Tafel in der Kirche des Todesortes gab es ein Zögern in einer Kirchenleitung: es müßte erst geprüft werden, ob Bonhoeffer wirklich für Christus den Tod erlitten habe. So sucht man sich den Bonhoeffer der "Nachfolge" oder des "Gemeinsamen Lebens" heraus. Aber er läßt keine Ruhe. Paul Schneider ruft die Welt zur Kirche! Dj~ Bonhoeffer mit die Kirche zur Welt. Paul Schneider predigt die Gottlosigkeit der Welt. Dietrich Bonhoeffer predigt die Gottlosigkeit der Kirche. 1946 schrieben Pastoren einer norddeutschen Stadt an Bonhoeffers Vater, daß der sozialistische Stadtrat neue Straßennamen beschließen und mitten unter den politischen und sozialistischen Opfern auch Dietrichs Namen anbringen wolle. Er möchte doch etwas tun, daß Dietrichs Name nicht in dieser Umgebung auftauche. Er antwortete kurz: sein Sohn sei mit lauter Verschwörern zusammen gestorben, er sähe nicht, warum er daran etwas verfälschen solle! Die Kirche sollte nicht Paul Schneider ohne Dietrich Bonhoeffer haben wollen - auch nicht Dietrich Bonhoeffer ohne Paul Schneider. Sie beide sind der volle Reichtum unserer gegenwärtigen Kirchengeschichte. Nur der Kirchengeschichte?
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ur. Dieser Mann hat nun ein Werk hinterlassen, das übersehbar ist. Kein sehr dicker Band ist unter den Büchern. Keine verbesserten und veränderten Neuauflagen sind zu vergleichen und zu studieren. Es beginnt mit sehr gerafften und geschlossenen Arbeiten und endet mit posthumen Fragmenten. Es fängt an mit einer souveränen Fähigkeit zu argumentieren und sich der Fülle der theologischen Gesprächspartner zu stellen und es schließt ab weit vorn bei der ungemütlichen, ungesicherten Vorhut. Es ist schwer, mit dem schwerfälligen Gros zu folgen und die Verbindung nach vorn intaktzuhalten. 1. Mit 21 Jahren schrieb er das eben wieder aufgelegte Buch "S an c tor u m Co m m uni 0", eine strenge dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche. Ernst Wolf, der es wieder herausgegeben hat, sagt davon: Diese Dissertation sei "fast unbekannt geblieben oder es geworden" aber sie sei "innerhalb der verhältnismäßig geringen Zahl neuerer Monographien zur Lehre von der Kirche wohl die scharfsinnigste und vielleicht tiefsinnigste Behandlung der Frage nach der wesenhaften Struktur der Kirche ... E. Brunner hätte seine Broschüre über das ,Mißverständnis der Kirche' (1952) vielleicht nicht so ungeschützt der von Bonhoeffer bereits (1927) vorweggenommenen theologischen Kritik ausgeliefert ... " (SC 5). Es folgte "A k tun d Sei n", die Habilitationsschrift 1930/31. Leider ist sie noch nicht wieder verfügbar. Mit einigen Aufsätzen, der Antrittsvorlesung und der sehr schönen Rede zu Harnacks Begräbnis im Namen von dessen Schülern (1930) bezeichnen diese zwei BüCher die erste Periode. Es sind strenge systematische Untersuchungen- so geschlossen wie schwer lesbar. Aber in bei den wird schon deutlich, wie es Bonhoeffer um die erdhafte, empirische ecclesia geht, die Gegenwart Christi in der damaligen konsistorialen Volkskirche. "Liebe und tiefer dogmatischer Einblick in den Sinn der Geschichtlichkeit der Kirche haben es Luther schwer gemacht, sich von der römischen Kirche loszureißen. Ressentiment und dogmatischer Leichtsinn sollen uns nicht kurzer Hand unsere geschichtliche evangelische Kirche nehmen können" (SC 166). - "Die Versammlung der Gläubigen bleibt unsere Mutter" (SC 171). Er fragt nach der Soziologie des Leibes Christi. "Christus als Gemeinde existierend" (so der ständig wiederkehrende Begriff) hat seine eigentümliche Gestalt mitten unter uns als eine Personengemeinschaft, als Kollektivperson und (leider auch) als ein Herrschaftsverband. Die Offenbarung Gottes ist nichts anderes als Christus mitten unter uns als Gemeinde existierend; diese ist eine Gemeinschaft, in der man stellvertretend für einander da ist. Einige der frühen Freunde Bonhoeffers meinen, Karl Barth sei von dem hier schon bei Bonhoeffer auftauchenden Begriff der "Mitmenschlichkeit" angeregt worden. Die zentralen Begriffe aus den letzten erregenden 16
Blättern der Gefängniszeit, die Stellvertretung und das Füreinanderdasein, sind hier schon voll entwickelt. Der dänische Theologe Glenthoj meint, er wisse niemanden unter den Modernen, der so durchgehend und tief in allen seinen Arbeiten über die Stellvertretung etwas zu sagen gewußt hat. Um die Gegenwärtigkeit geht es ihm ebenso, wenn er gegen ein Verschwinden Gottes in der damaligen dialektischen Terminologie in "Akt und Sein" festhält: Gott ist nicht Subjekt, frei vom Menschen, sondern für den Menschen; er ist nicht da in ewiger Nichtgegenständlichkeit, sondern habbar in der Kirche (AS 76). 2. So kreist sein Denken um die Gegenwärtigkeit Christi in der Kirche. Bisher hatte es sein Schwergewicht in der Herausarbeitung, daß Christus in der armseligen empirischen Kirche am Ort gegenwärtig sei. Später wird es sein Schwergewicht haben in der Verantwortung, daß es auch wirklich Christus sei, der da gegenwärtig ist und kein neuer oder zahmer Herr. Das verändert mit dem Wechsel d~r Atmosphäre für das Theologisieren um 1933 den ganzen Stil deor folgenden Periode. Das Predigen rückt in den Vordergrund. Die Schrift wird befragt. Bonhoeffer ist sich nicht mehr sicher, ob er bei der Systematik bleiben soll. Seine ganze Leidenschaft ist bei der Auslegung von Stücken des Neuen und vor allem auch des Alten Testaments. Reich und fruchtbar ist seine Exegese, und es ist zu hoffen, daß aus dieser Zeit noch dies und das zugänglich gemacht werden kann. Das Argumentieren tritt in den Hintergrund; die Stimme Christi zu vernehmen und das Gehörte weiterzugeben, bedarf aller Aufmerksamkeit; und wenn es ans Argumentieren kommt, hat es eine neue gefährliche Schärfe. Stellung beziehen ist kein Spiel mehr, sondern confessio und damnamus. Diese zweite Periode reicht von "S c h ö p fun gun d Fall" (1934) über die "N ach f 0 1 g e" (1937) bis etwa zum "G e m ein samen Leben" (1938). Die alte Frage ist geblieben, was der Leib Christi sei. Und es gibt immer neue Gelegenheiten und Herausforderungen, das zu verstehen und zu beschreiben. Wie er in der Form der Bekennenden Kirche unter den anderen Bekenntnissen der Oekumene existiert (Bonhoeffer trifft als Mitglied der Vorbereitungskommission der Bekennenden Kirche für Oxford 1937 auf die Delegation der Marahrens'schen Reichskirchenregierung). Wie der Leib Christi sich von seinen Verfälschungen im Kirchenkampf befreit. Was seine Lebensgesetze sind im täglichen Leben einer christlichen Gemeinschaft. "Z u r Fra gen ach der Kir c h eng e m ein s c h a f t" ist der Aufsatz in der Evangelischen Theologie 1936, der einen Sturm entfesselt hat, entzündet an dem wieder und wieder isoliert zitierten Satz: "Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche trennt, scheidet sich vom Heil" (Ev. Th. 1936, S.231). Gollwitzer stellte kritische Fragen und Bonhoeffer antwortete wieder mit "F rag e n" (Ev. Th. 1936, S. 405 ff.). Ich fürchte, er wäre uns heute ein unbe-
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quemer Zeitgenosse in der Auseinandersetzung um den Charakter der Evangelischen Kirche in Deutschland. "Ist die Bekenntnisunion mit den Reformierten für den Lutheraner ein definitiv verbotener Weg? Verbietet es das Wort Gottes ein für allemal, die nicht wegzuleugnenden Lehrdifferenzen zwischen Reformierten und Lutheranern in der Einen Bekennenden Kirche zu ertragen? Oder bleibt gerade für ein rechtes Verständnis der lutherischen Bekenntnisse auch diese Möglichkeit offen für das Wort Gottes selbst? Bleibt sie aber endgültig verschlossen, dann ist die Bekennende Kirche wirklich nicht Kirche, sondern eben eine der vielen genannten Größen, die der Unwahrheit und Verfälschung des Evangeliums Raum gibt ... " (Ev. Th. 1936, S. 409). Hatte es Bonhoeffer mit angesehen, das Wort "Union" unter die nicht mehr stubenreinen Begriffe fallen zu lassen? In dem anderen Aufsatz, "D i e B e k e n n end e Kir ehe und die 0 e ku m e n e" (Ev. Th. 1935, S. 245-261), trägt er seine Sorge vor, daß wir den Schritt Christi mit seinen zertrennten Kirchen verpassen könnten, im Zurückbleiben oder auch im Vorschnellen, mit Subtraktions- und Additionsverfahren. Nicht eine etwa endlich gefundene und zu beschließende -Lösung der alten Differenzen, die einmal unter ganz anderen Voraussetzungen entstanden sind, bringt die Einheit voran, sondern daß die Getrennten in einer gegenwärtigen Not und Herausforderung den Namen Christi gemeinsam aussprechen - und dieses dann allerdings dankbar wahrhaben wollen. "Die Bekennende Kirche ist die Kirche, die nicht aus ihrer Reinheit, sondern in ihrer Unreinheit lebt - die Kirche der Sünder, die Kirche der Buße und der Gnade, die Kirche, die allein durch Christus, allein durch die Gnade, allein durch den Glauben leben kann. Als solche Kirche, die täglich in der Buße steht, ist sie Kirche, die ihre Schuld an der Zerrissenheit der Christenheit bekennt . . . sie ist frei für das Hören auf den anderen, der sie zur Buße ruft ... Weil diese Kirche nicht aus sich selbst, sondern von außen her ihr Leben empfängt, darum existiert sie immer schon in jedem Wort, das sie sagt, von der Ökumene her. Das ist ihre innerste Nötigung zur ökumenischen Arbeit" (S. 260). Von Heinrich Vogel hörte ich kürzlich den Satz, daß man in die ökumenische Arbeit auch nicht mit einem bekenntnis-kapitalistischen habemus eintreten könne, sondern mit Luthers Satz: Wir sind Bettler, das ist wahr. 3. Die letzte Periode, die unter dem Veröffentlichungsverbot der Reichsschrifttumskammer stand und deren Manuskripte und Blätter im Schreibtisch verborgen, zeitweise bei der Gestapo lagen oder unter Dachziegeln geschoben überdauerten, hat nun posthum eine überraschende Wirkung hervorgerufen, zunächst durch die Briefe (es fehlen noch ganz die Briefe an seine Verlobte), dann durch die fragmentarische Ethik. Ich habe viermal einen kräftigen Rumor:.J um Bonhoeffer miterlebt. Da war der Rumor um den Satz vo~eil in der Bekennenden Kirche - man hielt Bonhoeffer für e(nen kompletten Schwärmer. Da war der aHder~ um die teure Gnade - man hielt ihn für
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die~eindkon
einen finsteren Pietisten. Da wad der Rumor um takte" - man~ä t ihn für einerfHoch- und Landesverräter. Und nun der um das~ eligionslose Christentum - auf einem Pfarrkonvent meinte e' wohlwollender Pfarrer: man dürfe doch hoffen, daß Bonhoeffer ganz am Ende zu seinem Glauben wieder zurückgefunden habe. Der erste Rumor hat einmal viel Druckerschwärze beansprucht, er ist eingeschlafen, es ließe sich manches wieder aufwecken. Der zweite ist durch die neueren überdeckt, aber es ist doch gut zu wis': sen, daß der letzten Periode dies vorangegangen ist, wie eben Luthers Entdeckung der puren Gnade der bittere Kampf um den gnädigen Gott voranging. Der dritte bedarf aufmerksamer Beobachtung; er könnte sich festsetzen, nachdem der Vorsitzende im Braunschweiger Remer-Prozeß sein Entsetzen über den konspirierenden Pfarrer mit breitem Presseecho geäußert hat und nachdem Huppenkothen und Thorbeck, zwei Standgerichtsmitglieder aus der Nacht zum 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg, zunächst haben freigesprochen werden können. Wenn eine Gemeinschaft ihr Haus mit dem Namen Bonhoeffers nennt, sollte sie dafür besonders bedankt sein, wenn das in Richtung gegen den dritten Rumor eine Stellungnahme sein darf. Der vierte ist nun in Gang gekommen und geht erst seiner vollen Stärke entgegen. Die einen spüren, daß ihnen eine große Befreiung ihres Glaubens an Christus durch Bonhoeffers Vorstoß widerfährt. Andere möchten ihm am liebsten einen Vorwurf machen, daß seine briefliche Meditation abbricht~ als es gerade verspricht, aufregend 'und konkret zu werden: "Ich freue mich . . . schon, das Positive schreiben zu können", ist sein letzter Satz zum Thema (WE 268). Ich habe lange Jahre gezögert, ehe ich den Mut fand, Auszüge aus den Briefen zu veröffentlichen. Zunächst dachte ich nur daran, die streng theologischen Entwürfe zugänglich zu machen. Aber ich merkte, daß es nötig war, sie in ihrer brieflichen Umgebung erscheinen zu lassen. Denn es sind Briefe, es sind nicht Diskussionsbeiträge. Das mag ihre Schwäche sein, es ist ebenso ihre Stärke. Diskussionsbeiträge kommen aus einem Lager und versuchen, Breschen in den Zaun des anderen Lagers zu reißen. Briefe aber reden von Person zu Person, und es ist schwerer, sich ihnen zu entziehen. Sie bitten und raten, sie drängen um Hilfe und suchen die Stelle, wo einer des neuen Wortes bedarf. Beiträge aber kommen mit der Diplomatie der Wissenschaft daher, die keine Blöße zeigen darf. Die Briefe sind unbekümmert um Sicherung und A'llgemeingültigkeit und suchen den Menschen am gegenwärtigen Ort, in der gegenwärtigen Zeit und in den gegenwärtigen Umständen. Ein Professor hat mir geschrieben, "Widerstand und Ergebung" läge als ein Brevier auf seinem Nachttisch. Das tut man nicht mit Dissertationen und kaum mit Episteln, aber mit Briefen, und sie setzen die Erkenntnis mächtiger in Bewegung als jene. Bonhoeffers Briefe gehen wohl einmal bis an die Grenze der Epistel, als er sich entschuldig-t, daß
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er unversehens in die unleserliche deutsche Handschrift verfallen sei, die er nut anwende, wenn er für sich allein arbeite (WE 185 und 268). Bonhoeffer hat nicht die Form der Epistel gewählt, um in ihr eine Abhandlung besonders geschickt einzukleiden. Er hat Briefe hinterlassen, die um Rat und Hilfe in einer sehr dringenden Sache bitten und die uns an einer gegenwärtigen, gebundenen Stelle frei machen wollen. Da ist kein Katheder zwischen ihm und den Lesern und auch kein Talar. Man kann nur sagen, der Brief ist mCht an mld'l geriChtet, er betrifft mich nicht - oder man hört seine Stimme und dann begleitet sie einen in den Aufgaben, die er schon gesehen hat, und denen zehn Jahre Restauration nichts an Dringlichkeit haben nehmen können. Wer Christus in einer religionslosen, mündigen Welt sei, diese Frage hat er zurückgelassen. Wie diese Frage wieder in seinen Lebensumständen, in dem Kontakt mit angespannt tätigen Menschen verwurzelt ist, zeigt ein Brief, der mir jetzt wieder in die Hände fiel: ,,25. 6. 42 (im D-Zug Berlin-München): ... Meine in der letzten Zeit doch stark auf dem weltlichen Sektor liegende Tätigkeit gibt mir immer wieder zu denken. Ich wundere mich, daß ich tagelang ohne die Bibel lebe und leben kann-" lCh wurde es dann mCht ais Gehorsam, sondern aTs Autosuggesnon empfinden, wenn ich mich dazu zwingen würde. Ich verstehe, daß solche Autosuggestion eine große Hilfe sein könnte und ist, aber ich fürchte auf diese Weise eine echte Erfahrung zu verfälschen und letzten Endes doch nicht die echte Hilfe zu erfahren. Wenn ich danJ;l wieder die Bibel aufschlage, ist sie mir neu und beglückend wie nie, und ich möchte einmal wieder predigen. Ich weiß, daß ich nur meine eigenen Bücher aufzuschlagen brauche, um zu hören, was sich gegen dies alles sagen läßt. Ich will mich auch nicht rechtfertigen, sondern ich erkenne, daß ich »geistlich« viel reichere Zeiten gehabt habe. Aber ich spüre, wie in mir der Widerstand gegen alles »Religiöse« wächst. Oft1iis zu einer instinktiven AbsCheu, - was slCher auch nicht gut ist. Ich bin keine religiöse Natur. Aber an Gott, an Christus muß ich immerfort denken; an Echtheit, an Leben, an Freiheit und Barmherzigkeit liegt mir sehr viel. Nur sind mir die religiösen Einkleidungen so unbehaglich. Verstehst Du? Das sind alles gar keine neuen Gedanken und Einsichten; aber da ich glaube, daß mir hier jetzt ein Knoten platzen soll, lasse ich den Dingen ihren Lauf und setze mich nicht zur Wehr. In diesem Sinne verstehe ich eben auch meine jetzige Tätigkeit auf dem weltlichen Sektor." Zum Thema selbst einige Hinweise. a) Zunächst sollte man den früheren Bonhoeffer nicht von dem letzten trennen und jenen etwa löschen, im Namen eines neuen Programmes: "Nicht-religiöse Interpretation". Das meiste, was er jetzt sagt, ist - wenn auch nicht so scharf erfaßt - in früheren Schriften schon angesetzt. Es geht dem Bonhoeffer dieser letzten Periode um die gleiche kostbare Gegenwärtigkeit Christi wie dem der ersten und zweiten. Es sind keine Sorgen der Exegese und der Interpretation zunächst, die einer am Schreibtisch hat, sondern Bonhoeffer ist von der brennenden Glaubens- und Lebensfrage getrie-
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ben, "wer Ch.ristus für uns heute eigentlich ist" (WE 178). Das bedeutet aber, daß man nicht darauf hoffen kann, die Forderung der "nicht-religiösen Interpretation biblischer Begriffe" (WE 233) am Schreibtisch zu erfüllen. Es wird kein Nachschlagewerk geben, in dem man alles Nötige auf "weltlich", auf "nicht-religiös" nachsucht, wenn man eine wirksamere Evangeliums-Crusade unter Modernen zu starten gedenkt. Zunächst wird mehr zu zahlen sein als ein monatlicher Subskriptionspreis. Bonhoeffer hat selbst deutlich genug gemacht, daß seine Frage eine an die Existenz der Kirche ist und erst dann eine an ihr "Gedächtnis", die Theologie (AS 124). Das allzu ungeduldige Fragen, was Bonhoeffer wohl- gemeint haben könnte, will es aber umgekehrt. Wir werden hier gewiß nicht w i s sen, was wir nicht tun. Rezepte werden erst aufgeschrieben, nachdem man das Kochen probiert hat. Es ist nicht ausgemacht, wer hier Kompetenteres zu sagen hat: das Katheder oder ein Versuch wie etwa Mainz-Kaste~________... b) Der Terminus (,die mündige Welt" hat Zweifel und Fragen hervorgerufen. Die Analyse stimme nieht zu unserer Umgebung und Bonhoeffer führe eine neue Anknüpfungstheologie herauf, nun mit einem negativen Anknüpfungspunkt, dem negativum absolutum. Bonhoeffer hätte sicher nicht bestritten, daß es noch einen zähen Bestand an "Religion" um ihn herum gab: auch ohne daß er die späteren Restaurierungen und die erstaunlich erwachten religiösen Geborgenheitsbedürfnisse noch miterlebte! Er weiß auch einiges über die ungeheuerlichen Entmündigungsversuche moderner Staaten zu sagen, wie man leicht in der "Ethik" feststellen kann. Ebenso hat er kaum die Selbstverständlichkeit übersehen, daß Christus auch Herr der Religiösen ist und sein wird. Er hat auch nicht lieblos Altes zerbrochen, wo es noch lebt. Welche Rolle spielen in den Briefen die Paul-Gerhardt-Lieder! Aber er möchte in der Mixtur und der Verzahnung der Zeitalter mit Christus offene Augen für die neuen Ströme haben. Und er meint eben, daß von Feuerbach und Marx her eine Welt schon heraufgekommen ist, der man im Namen Christi keine "religiösen Bedingungen" stellen und der man nicht mit der ausgesparten rehglOsen PrOVInZ kommen kann. Nicht um ihrer willen, sondern um Christi willen. Bonhoeffer hat sehr genau um die Gefahren des "Anknüpfungspunktes" gewußt und diese moderne Welt nicht ernster genommen, als ihr zukommt. Aber er wollte nachkommen, wie und wo Christus sie ernst nimmt und dahinter möglichst wenig zurückbleiben. Es scheint mir wichtig, zu beobachten, daß Bonhoeffer nie mehr das Wort "Säkularisierung" gebraucht. Er spürt in dem häufigen Gebrauch dieser Formel das Rückschauen der Kirche in eine goldene Zeit, das nur Schwäche ist. Darum redet er nur noch von der "Mündigkeit" der Welt. Mit Christus ist er fähig, ohne Romantik und Betäubung gegenwärtig zu sein. Und er ist schon darauf gespannt, wie Christus seinen merkwürdig ohnmächtigen Angriff auf die militant mündige Welt aus-
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zuführen beginnt. In den letzten Lebenstagen ließ er sich von einem Mitgefangenen, einem Neffen Molotows, Russisch beibringen und er lehrte diesen, was das Christentum sei! c) Was mag er diesem Manne gesagt haben? Ob es sich wohl ablesen läßt an den entscheidenden Stellen der Briefe? Ob dort nicht doch schon die Ansätze der nicht-religiösen Interpretation sichtbar sind? Da, wo er den großen Sprung vom Glauben an den Deus ex machina zu der Teilnahme an der Ohnmacht Gottes in der Welt vollzieht? An dem Gedicht "Christen und Heiden" hat ihm viel gelegen. Er meinte, daß es.in Kürze alles aussage: "Menschen gehen zu Gott in ihr er Not ... " - "Menschen gehen zu Gott in Sei n erN ot . . ." (WE 246 f.). Christ werden heißt nun nicht mehr, an die eigenen Fragen und Ängste denken, sondern sich mit Christus in die gottlose Welt hineinbegeben und ihre Gottferne teilen, "sich in den Weg Jesu Christi mit hineinreißen lassen" (WE 244). Das erst verwandelt die Oster-Repetition in ein OsterKerygma. Bonhoeffer gewinnt hier eine seltene, unorthodoxe Freiheit, mit neuen und zwingend einfachen Worten von der Person J esu zu reden, ohne einen Augenblick den Anschein zu erwecken, als wäre dieser etwa nicht sein Gott. "Bonhoeffer war einer der sehr wenigen Menschen, die ich jemals getroffen habe, für die Gott real und immer nahe war", erzählt Payne Best, ein englischer Genosse seiner letzten Tage, der vorher nichts von ihm gewußt hatte. Ob er seinem russischen Mitge.fangenen auch von seinem geliebten Alten Testament erzählt hat? Weil es das Buch derer ist, die in keinen frommen Raum fliehen können, sondern im Segen oder im Trotz, mit dem verspotteten Jahwe oder unter seinem herrlichen Namen auf dieser Erde leben müssen oder leben dürfen? Weil er dieses Buch für das große Zeugnis von der Überwindung des Religiösen hält? Denn Jahwe nimmt dieses volle irdische Leben in Anspruch in seinem Gericht und seinem Segen. Ob er seinem Mitgefangenen hat klarmachen können, daß seine Welt eine falsche Zahl in ihre Rechnung stellt, weil sie die Lehre Christi für eine Größe der Metaphysik und des Individuums hält, deren Zeit vorüber ist (WE 183)? Ob er schließlich eine Interpretation und ein Siegel auf die Worte Bonhoeffers in dem schweigenden Weg zum 9. April 1945 hat spüren können? d) Endlich noch eine Bemerkung zu dem wiederholten Hinweis Bonhoeffers auf die Arkandisziplin, die altkirchliChe Geheimhaltung des zentralen Gottesdienstes vor Außenstehenden (WE 180, 184). Sie gibt uns Rätsel auf und man kann sie leicht übersehen. Ich glaube aber, daß sie kein Feldweg neben der Hauptstraße ist. Hammelsbeck wendet dieser Komponente in Bonhoeffers Denken mit vollem Recht seine ganze Aufmerksamkeit zu (siehe S. 54). Es ist der Gedanke, der u. a. schon hinter der Formel von der billigen und te uren Gnade steckte (N 1). Es ist der Gedanke, daß die Kirche durch Zeiten des Schweigens zu gehen habe, da sie nur noch im Beten und Tun des Gerechten lebt (WE 207). ,Rosenstock sagt: dur~
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lange Zeiten des incognitum. "Arkandisziplin" könnte, wie Ham-· melsbeck vorschlägt (S. 56), der Untertitel der ·Schrift "Gemeinsames Leben" sein. Der Schutz des Zentralen vor der Profanierung im Arkanum heißt bei Bonhoeffer nicht die Errichtung einer unangreifbaren nun doch wieder religiösen Pr,!vinz. Das Bruderhaus in Finkenwalde war gerade kein refugium vor der Welt, sondern eine konzentriertere Ermöglichung eines Dienstes in und für die Welt. Bonhoeffer hatte keinen besonders 'ausgeprägten Sinn für Weihehandlungen. Nur "wer für die Juden schreit, darf auch re ori . singen", hat er mir in jenen aren emma gesagt. Und vergessen waren die Sätze nie, die in einem Vortrag 1933 stehen ("Dein Reich komme" aus: Das kommende Reich, Furche-Verlag 1933 S. 29): "Hinterweltlerisch sind wir, seit wir den bösen Kniff herausbekamen, religiös, ja sogar ,christlich' zu sein auf Kosten der Erde. Im Hinterweltlertum läßt es sich prächtig leben. Man springt immer dort, wo das Leben peinlich und zudringlich zu werden beginnt, mit kühnem Abstoß in die Luft und schwingt sich erleichtert und unbekümmert in sogenannte ewige Gefilde."
Nein, kein Rückzug, aber die Verantwortung, die kostbare Perle um der Welt willen nicht zu verschleudern. Die Verantwortung um den Zeitpunkt, um das "suum cuique!' (E 99) auch in der Verkündigung, um die Ermächtigung und die Besorgnis darum, daß nicht jedes Wort jederzeit in jeden Mund und vor jedes Ohr gehört (E 283 ff., 204). Jesus hat so oft geboten, zu schweigen, und an bestimmten Punkten nur drei Jüngern aus den vielen zugemutet, mit ihm zu sein. Wie der frühe und der späte Bonhoeffer nicht zertrennt werden dürfen, so darf man auch nicht die Dialektik auflösen zwischen dem Bonhoeffer der Arkandisziplin und dem, der sich an die Welt verschwendet. Wer den einen für sich in Anspruch nimmt, soll nachdrücklich an den anderen erinnert werden. Man hörte nicht das Christuszeugnis, das er gibt. Man würde nicht einmal seine Persönlichkeit in ihrer Wirkung verstehen können, wenn man nicht die Existenz eines Arkanum in diesem Leben annähme und spürte, das jedem Dozieren und jeder geschwätzigen Ausbreitung entzogen blieb. Eben darum war er ja der gute Lehrer, weil so wenig an ihm dozierte; deshalb der gute Überzeuger, ~eil er die eigene Entscheidung nicht jedem zumutete. Er konnte sehr eindringlICh sem, aber me zudfinghCh. DIe OffenheIt und die Fähigkeit, jedem Menschen zuzuhören, hatte ihre Kraft gerade aus einem sensiblen 'Gefühl für _ die Distanz. IV. Zu Beginn beschrieb ich den Cantus firmus in Bonhoeffers Leben als das Wissen um die Kostbarkeit des Wortes Jesus Christus. Das ist zugleich das Geheimnis seiner Konzentration wie seiner Offen-
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heit, seiner Unbeugsamkeit wie seiner Biegsamkeit. "Je ausschließlicher wir Christus als unseren Herrn erkennen und bekennen, desto mehr enthüllt sich uns die Weite seines Herrschaftsbereiches" (E 161). Die Konzentration machte ihn nicht einlinig, sondern ga5 ihm gerade die Wendigkeit. Und je enger und endgültiger ihn der Gehorsam in seiner Bewegungsfreiheit hemmte, um so freier und weiter schritt sein Geist hinaus in die Weite der Erde. Es hat etwas Verwirrendes, wie er in den verschiedenen Perioden Themen und ihren zugehörigen Stil aufnimmt und wieder verläßt. Wenn es erlaubt ist, zu vereinfachen, kann man sagen: Der Bonhoeffer der zwanziger Jahre hat den T h e 0 log engesagt: Euer Thema ist die Kir c h e! Der Bonhoeffer der dreißiger Jahre hat der Kir c he gesagt: Dein Thema ist die W e 1 t! Und der Bonhoeffer der vierziger Jahre hat der W e I t gesagt: Dein Thema, die Verlassenheit, ist Go t t e s Thema selbst; und mit seinem Thema betrügt er dich nicht um das volle Leben, sondern er schließt es dir auf! Bonhoeffer hatte die seltene Fähigkeit de Gegenwärtig-sein, das Thema der jeweiligen Zukunft aufzuspüren un seme ormel zu finden in einer zwingenden Einheit von Denken und Handeln. Leider gehört die Skizze, die er über das Phänomen der Zeit, des Vergangenen und des Kommenden, geschrieben hat, zu den verlorenen Papieren aus der Tegeler Zelle. Aber es gibt Stellen, die zeigen, wie er sich mit dem Zurücksinken und der Last des Vergangenen auseinandersetzt; die schöne Stelle, in der er bittet, doch das Gegenwärtige zu ergreifen und "Gott in dem zu finden und zu lieben, was er uns gerade gibt" (WE 123 f.); und es geht durch aas ganze V"ierk der Humor dessen, äer um Christi willen keinen letzten Feind und Gegensatz mehr anerkennt und den Raum des Teufels immer schon umstellt und verloren sieht, weil "alle Versuchung in Jesus Christus überwunden ist für alle Zeit bis ans Ende" (Versuchung S. 63), wie scharf und leidenschaftlich Bonhoeffer auch werden kann, wie unheimlich er auch den Anfall durch die acedia, die Traurigkeit, kannte. In diesem Leben und Werk sind Leib, Seele und Geist nicht unterernährt. Ihre Möglichkeiten sind reichlich ergriffen, wo Gottes Erlaubnisse sie freigeben; und sie werden unter echten Schmerzen vermißt, wo sie geschmälert und geopfert werden müssen. Die Vielfalt der Dimensionen dieses Lebens, seien sie genossen, seien sie erlitten, macht es zu einem Ganzen, .so stark er selbst auch von dem Fragment seines Lebens gesprochen hat (WE 80, 153). Fernstehende hat er leicht schockiert; sowie sie ihm näherkamen, stellte sich heraus, wie alles zueinander stimmte. Bonhoeffer hat den abschiednehmenden Moses an der Grenze des gelobten Landes besonders geliebt. Er versuchte sich an einem Gedicht 1), in dem es heißt: 1) Der Tod des Moses, in: Auf dem Wege zur Freiheit, Berlin, LettnerVlg. 1954.
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So erfüllst du, Herr, was du versprochen, niemals hast du mir dein Wort gebrochen, Deine Gnade rettet und erlöst und dein Zürnen züchtigt und verstößt, Treuer Herr, dein ungetreuer Knecht weiß es wohl: du bist allzeit gerecht. So vollstrecke heute deine Strafe, nimm mich hin zum langen Todesschlafe, Von des heilgen Landes voller Traube trinkt allein der unversehrte Glaube, Reich dem Zweifler drum den bittren Trank und der Glaube sagt dir Lob und Dank. Wunderbar hast du an mir gehandelt, Bitterkeit in Süße mir verwandelt, Sinkend, Gott, in deine Ewigkeiten seh mein Volk ich in die Freiheit schreiten, Der die Sünde straft und gern vergibt, Gott, ich habe dieses Volk geliebt. Daß ich seine Schmach und Lasten trug und sein Heil geschaut - das ist genug, Halte, fasse mich! Mir sinkt der Stab, treuer Gott, bereite mir mein Grab.
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Begriff und Wirklichkeit der Kirche in der Theologie Dietrich Bonhoeffers Von Hans Christoph von Hase
Der Kontrapunkt Aus der Haft schreibt Dietrich Bonhoeffer: "Immer mehr empfinden wir, daß unser Leben fragmentarischen Charakter hat. Wo gibt es heute noch ein geistiges Lebenswerk? Wo gibt es das Sammeln, Verarbeiten und Entfalten, aus dem ein solches entsteht? ... Es kommt wohl nur darauf an, ob man dem Fragment unseres Lebens noch ansieht, wie das Ganze eigentlich angelegt und gedacht war und aus welchem Material es besteht. Es gibt schließlich Fragmente ... , die bedeutsam sind auf Jahrhunderte hinaus, weil ihre Vollendung nur eine göttliche Sache sein kann ... , ich denke z. B. an die Kunst der Fuge ... , in der der große Kontrapunkt von Anfang bis Ende durchgehalten wird, so daß schließlich nach dem Abbrechen - höchstens noch der Choral: ,Vor deinen Thron tret ich allhier' - intoniert werden kann." 1) Das Thema "Kirche" hat Bonhoeffer in den zwei Jahrzehnten seines Wirkens wohl am intensivsten entfaltet und durchgeführt. Ähnlich einer Tripelfuge hat er es in den drei deutlich erkennbaren Abschnitten seines Denkens immer neu, nicht geradlinig, aber folgerichtig bearbeitet. Wir hahen zu unterscheiden: -1. den th'eologischen Ansatz, 1926-1932, .( 2. den Kirchenkampf, 1933-1939, . 3. Krieg und Haft, 1940-1945. '\
Durch seine Schriften und durch sein Leben für die Kirche geht jedoch geradlinig ein K 0 n t rap unk t hindurch, der den Schlüssel zu seinem Denken von der Kirche darstellt. Da er ihn selten zum Thema erhebt, sei es - zur Hilfe für den Leser wie den Darstellenden - erlaubt, ihn vorweg zu nennen: Die Kirche ist der Ort, an dem die Stellvertretung Christi für die Menschheit in der Stellvertretung der Glaubenden a n ein a n der und a n der W e 1 t voll zog e n wir d. Luthers Satz, daß einer dem anderen ein Christus werden müsse, gibt diesem Kontrapunkt den klarsten Ausdruck. Er bestimmte Bonhoeffers Denken wie sein Handeln. Er zeigte sich bei dem Privatdozenten Bonhoeffer, dessen Kolleg sich bis zum letzten Platz füllte, und der doch in ein möbliertes Zimmer in Ostberlin zog, nur um einer 1)
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Widerstand und Ergebung. München 1951
(=
WE), S. 153 f.
verwilderten" Konfirmandenklasse von Proletarierjungen, an der mehrere Pfarrer gescheitert waren, viel Zeit und Liebe zu widmen. Mit ihm rechtfertigte er, der Pazifist, seine aktive Mitarbeit in der Widerstandsbewegung: im äußersten Fall müsse der Christ zur Übernahme wirklicher Schuld um der Unterdrückten willen bereit sein 2). Weil es Bonhoeffer immer um die konkrete Kirche ging, über die er nicht denken konnte, ohne zugleich in ihr zu handeln, können biographische Hinweise zum Verständnis seiner Theologie nicht entbehrt werden. Die wirkliche Kirche Bonhoeffets Denken von der Kirche ist sehr selbständig gewachsen. Er ist der jüngste Sohn eines humanistisch weltoffenen Hauses, der Vater Psychiater,der älteste Bruder Physiker und Chemiker, beide mit ihrem naturwissenschaftlichen Denken in strenger Diesseitigkeit, der jüngere Bruder und die Schwäger Leibholz und von Dohnany leidenschaftliche Juristen. Daneben steht das christliche Erbe seiner Mutter, einer geborenen von Hase, und ihrer theologischen Vorfahren. Auch der stille Einfluß der Erzieherin aus der Brüdergemeine hat seine Kindheit bestimmt. Es ist jedoch wichtig, daß kein Pfarrhaus, keine pietistische Luft, keine lutherische Kirchlichkeit seine Entwicklung vorzeichneten. Das weltoffene Christentum d auses stand mitten in der kritischen Lu taler Fakultäten der Universitä lin. Dennoch entschied sIch der se ze njährige Abiturient, der den Konfirmandenunterricht sehr ernst genommen hatte, eindeutig für das Theologiestudium, wohl bestimmt durch die enge Freundschaft mit dem Harnackschen Hause und durch seinen Onkel, den Superintendenten von Hase, obgleich andere Gebiete, nicht zuletzt die Musik, seinen reichen Geist nicht wenig beschäftigten. Man kann sagen, daß Bonhoeffer auszog, die Kirche zu entdecken. Mit 21 'Jahren schrieb er die wissenschaftlich fest fundierte "Sanctorum Communio", die nun nach 25 Jahren neu erschienen ist 3). Dafür hatte er in Berlin keinen Lehrer im strengen Sinn, wie er auch nicht - wie die Jugend damals - Schüler Barths oder Gogartens geworden ist. Er ist nicht wie diese durch die Herrmannsche oder Troeltschsche Schule hindurchgegangen, hat diese Schule aber trotz aller ent.schiedenen Ablehnung mit einer für einen Studenten erstaunlichen Sachlichkeit beurteilt. Das gleiche gilt von seinen Berliner Lehrern, Harnack, Holl, Deißmann und vor allem Reinhold Seeberg, in dessen Dogmatik er Ansätze für seinen Weg fand. Luthers Theologie war sein Rückhalt, von Hegels Philosophie war ~r anfängliCh formal bestimmt wie sein Lehrer Seeberg. In Berlin war das Thema Kirche durch Troeltsch unüberhörbar gestellt, und der Student Bonhoeffer geht nun daran, mit allem philosophischen und soziologischen Rüst2) Ethik, hrsg. von E. Bethge, München 1949 (= E), S. 186 f. 3) Theol. Bücherei, Bd. 3. München 1954 = SC.
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zeug einen echt theologischen Begriff der Kirche von der Überfremdung durch das soziologische Denken des Berliner Systematikers freizumachen. So nennt er seine erste, 1930 drei Jahre nach der Abfassung gedruckte Schrift "Sanctorum Communio. Eine dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche". Nach dem Bann der dialektischen Theologie über das soziologische Denken Troeltsch's war das ein kühnes Unternehmen, das ihm bisher kaum jemand nachgemacht hat. Er läßt sich von den ihm wohl bewußten Gefahren der natürlichen Theologie und des Historismus nicht schrecken, sondern sieht in einem sauberen soziologischen Denken eine notwendige Hilfe, Kirche theologisch zu interpretieren. "Denn die gottesdienstliche Versammlung ist ein Wille Gottes, demgemäß sich Gott zur Verbreitung seiner Herrschaft des sozialen Zusammenhangs der Menschen bedient" (172). Die Kirche ist eine gesellschaftliche Größe in dieser Welt, eine Persongemeinschaft, kurz ein soziologisches Phänomen. Man muß deshalb von ihr in sozialphilosophisch geklärten Begriffen reden und sie als soziologischen Tatbestand darstellen können. Zu ver s te he n ist die Kirche freilich nicht als Exemplar in der Gattung der Sozialgebilde, auch nicht als eine historisch gewordene religiöse Sozialgestalt, sondern nur aus dem sie gestaltenden "Prinzip", aus der Offenbarung in Jesus Christus. Darum muß die Untersuchung eine dogmatische sein, welche die in der Offenbarung gesetzte Wirklichkeit Kirche nach ihren eigenen Gesetzen soziologisch darstellt. Damit scheidet sich Bonhoeffer von Troeltsch. Denn bei diesem "steht im Vordergrunde die Betrachtung der historisch zufällig gewordenen Sozialgebilde, nicht aber der sozialen Wesensstruktur christlicher Art" (14, Anm.). Person und Gemeinschaft Grundlage jedes Redens von Gemeinschaft ist der Personbegriff. Der Platonismus wie der Aristotelismus verstehen Person als Anteil am Allgemeinen, an der Gattungsvernunft. Darum bleibt auch ihr Gottesbegriff unpersönlich. Von hier führt kein Weg zum christlichen Person verständnis. Ebensowenig hilft der Ansatz Kants, der Person als Subjekt, als erkenntnistheoretisches Phänomen deutet. Damit aber wird die gesamte Wirklichkeit verobjektiviert. Es gibt keinen erkenntnistheoretischen Weg zum "anderen Subjekt", zum Du. "Aus dem Subjekt-Objekt-Schema (wird) nie der Weg zu einer soziologischen Kategorie gefunden" (22). Person entsteht und vergeht vielmehr im Angesprochenwerden, in der Zeit, in der Verantwortung, und zwar für "christliche Philosophie" in Relation zu der ihr transzendenten göttlichen Person. Nur so gibt es einen Zutritt zu den "sozialen ontisch-ethischen Grundbeziehungen der Personen" (27 f.). "Die soziale Grundkategorie ist das Ich-Du-Verhältnis ... Der Einzelne wird im ,Augenblick' immer wieder Person durch den anderen" (33). Indem Bonhoeffer hier Kierkegaard nahe-
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kommt, setzt er sich zugleich entschieden von ihm ab: "Auch Kierkegaards ethische Person besteht nur in der konkreten Situation, aber sie steht nicht in notwendiger Beziehung zu einem konkreten Du. Sie setzt" sich "selbst" in den ethischen Entscheidungszustand, "nicht wird sie gesetzt durch das Du." So bleibt ~ierkegaard letzten Endes im Idealismus stecken und begründet einen -;;extremen Individualism~' (34). So hat Bonhoeffer, der von Kierkegaard nicht weniger fasziniert war als seine theologischen Zeitgenossen, schon sehr früh erkannt, welche Gefahr dessen im Grunde geschichts- und gemeinschaftsfremdes Denken gerade für den Kirchenbegriff bedeutet, eine Gefahr, die aller irgendwie existentialistisch geprägten Theologie auch heute noch zu schaffen macht. Aus seinem Ansatz entwickelt Bonhoeffer den Gemeinschaftsbegriff, wobei das Hegelsche Grundschema formal zu erkennnen ist: 1. "Die Per s 0 n ist in ihrer konkreten Lebendigkeit, Ganzheit und Einzigartigkeit (und Geschiedenheit) als letzte Ein h e i t von Gott gewollt" (32). (Bonhoeffer ist dieser Gedanke theologisch wie im geistlichen Leben immer wichtig gewesen, er weist immer wieder auf das Alleinsein, die Scham u. a. hin.) 2. Die andere Seite der Person ist ihre "s t r u k t ure 11 e Off e n he i t". Sie ist auf Sozialität hin angelegt. Sie entsteht durch den anderen, hinter dem das Du Gottes steht. "Jedes menschliche Du ist Abbild des göttlichen Du" (32). "Mit der Gottesgemeinschaft ist soziale Gemeinschaft wesentlich mitgesetzt, nicht treibt jene erst zu dieser, sondern jene ist nicht ohne diese, wie diese nicht ohne jene" (37). Daß Person nicht ohne Gemeinschaft existiert, erweisen auch die sozialen Phänomene der Sprache, des Selbstbewußtseins, des Angelegtseins des Willens auf anderen Willen (39-43). 3. Die Per s 0 n gern ein s c ha f t abell ist "Willensgemeinschaft, konstituiert durch vizeverse Willensakte" (52 f., 56). Als "K 0 11 e kti v per s 0 n" hat sie die gleiche Struktur wie die Einzelperson (49). Sie ist ,,0 b je k t i ver Gei s t", der die Zeit- und Raumintention einer Gemeinschaft verknüpft. "Objektiver Geist ist wirksamer Wille über die Glieder der Gemeinschaft. Er hat individuelle Gestalt" (65/66).
Bonhoeffer arbeitet sich hier in Neuland vor. Darum kann sein Versuch, Gemeinschaft formal als "Kollektivperson" zu bestimmen, nicht voll befriedigen. Er weiß sich dem monadischen Bild Leibnizens nahe (51"), er übernimmt von R. Seeberg den Begriff der Willensgemeinschaft, der aber für seinen eigenen Personbegriff zu eng ist. Endlich findet er Hilfe bei Hegels Begriff "objektiver Geist", der das Folgende bestimmt, aber wiederum eine Anleihe bei einem ihm wesensfremden System darstellt. Die Entfaltung eines formalen Gemeinschaftsbegriffs im vorhinein wird denn auch für seine Aussagen über die Kirche eher eine Belastung sein.
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Christus als Gemeinde existierend Die Offenbarung kennt den Einzelnen wie die Menschheit als Gesamtperson nur in der Gestalt des gefallenen Adam, der in "gewollter Isolierung" von Gott und vom Du lebt. "Mit der Sünde tritt der ethische Atomismus in die Geschichte" (73). Dennoch bleibt auch in statu corruptionis die Struktur der "Gesamtperson", die Zusammengehörigkeit "in Adam" erhalten, wie die Erbsünde zeigt. "Die ,Menschheit der Sünde' ist eine ... und doch in sich unendlich oft zerrissen, sie ist Adam, wie jeder einzelne er selbst und Adam ist" (80). Zur Einheit kommt sie wieder in der sanctorum communio durch Christus, den zweiten Adam. Diese ist weder religiöse Gemeinschaft noch Reich Gottes (83). Die Kirche ist vielmehr Offenbarungsrealität, nicht erst abgeleitet aus dem persönlichen Glauben an Christus, sondern notwendig in jedem persönlichen Verhältnis zu ihm mitgesetzt. "Kirche setzt also logisch ihren Grund in sich selbst, sie kann nur durch sich selbst beurteilt werden, wie alle Offenbarungen überhaupt" (85). Hier macht sich Bonhoeffer frei von dem "unmöglichen Versuch" Troeltsch's, Max Schelers und Heinrich Scholz', aus einem allgemeinen Begriff der Religion die Notwendigkeit der religiösen Gemeinschaft zu entwickeln (86 f.). Die Kirche als Gesamtperson nennt Bonhoeffer "Christus als Gemeinde existierend", eine "Offenbarungsform", die er im NT in den paulinischen Stellen vom Leibe Christi (1. Kor. 3, 16; 6, 19; 12,27 usw.) und in der Gleichsetzung von Christus und Gemeinde (1. Kor. 12, 12; 6, 15; 1, 13 usw.) bezeugt findet. Indessen lehnt er die katholische Organismusidee zur Deutung des Leibes Christi ab. Paulus verstehe das Bild funktional: "wir werden von Christus regiert, wie ich meinen Leib regiere" (92 f.). "Christus ist die Gesamtperson der christlichen Gemeinde" (AS 102, SC 92, 145). "Die Kirche ist sichtbar als soziales Gemeinwesen im Kultus wie im Füreinanderwirken. Sie ist unsichtbar als eschatologische Größe, als ,Leib Christi'" (SC 92). Als reale geschichtliche Größe hat sie eine Raum- und eine Zeitintention. Sie nimmt ihren Anfang in der Geschichte, Christus ist historisch ihr Anfänger (105). Aber sie ist "schon in Christus vollendet, gleich wie in ihm ihr Anfang gesetzt ist" (94). Denn stellvertretend "stellt er in seinem geschichtlichen Leben die gesamte Geschichte der Menschheit dar" (99). Aktualisiert aber wird die Kirche am Pfingstfest: "Der Heilige Geist ist der Geist der Gemeinde Christi" (108 f.). Hier gewinnt sie ihre Dimension im Raume. Der Geist beruft den Einzelnen zur Gemeinschaft durch das Wo r t Christi selbst. Das Wort aber ist ursprunghaft wie zielhaft sozial bestimmt: es intendiert eine Mehrzahl von Hörern (108 f.). Der Geist schafft die Kir ehe als G e sam t per s 0 n. Dabei sind drei Elemente - nach Bonhoeffers sozialphilosophischem Schema - konstitutiv:
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Prädestinationslehre ihr Wahrheitsmoment, die, absolut genommen als "numerus electorum", den Kirchenbegriff auflösen würde. 2. pie Kirche ist@!Ts t g e m ein s c h an\ (114 f.), aktualisiert durch die Liebe Gottes, die der Gemeinde in J esus Christus geschenkt wird und die den "wirklichen Nächsten liebt". "Der Andere in der Gemeinde ist ihm nicht mehr wesentlich Anspruch, sondern Gabe, Offenbarung seiner Liebe, d. h. der Liebe Gottes" (115). "N ä c hs t e n 1 i e bei s t der Will e des M e n s c h e n zum V' i 11 e n Go t t e s mit dem an der e n M en sc h e n" (120) 4). Damit sind "neue Sozialbeziehungen geschaffen", "der Riß der Sünde geschlossen" (115), nämlich ,,1. Das gottgesetzte strukturelle Mit ein ander von Gemeinde und Gemeindeglied. 2. Das tätige Für ein a n der der Glieder und das Prinzip der S tell ver t r e tun g" (127). "Drei große positive Möglichkeiten des Füreinander tun sich auf: Die entsagungsvolle tätige A r bei t für den Nächsten, Da~ Fürbit t e g e b e t , schließlich das gegenseitige Spenden der S ü n den ver g e b u n g im Namen Gottes" (132). Hier stehen wir im Zentrum von Bonhoeffers Denken über die Kirche: weil er in der Stellvertretung ihre Wesens struktur sieht, bemüht er sich um die Klärung der soziologischen Begriffe. Die A r bei t fordert das Opfer und die Hingabe des Eigenen, ja "jeder Begabung" für die Gemeinde. Als Typos steht Bonhoeffer Paulus vor Augen, der um Israels willen von Gott verbannt zu sein wünscht (Röm. 9) aus der Liebe heraus, "die an die Stelle der Brüder tritt, wie Christus an unsere Stelle trat" (133), nach Lipsius eine "religiös-sittliche Unmöglichkeit". In seinen schönen Sätzen über die Für bit t e folgt Bonhoeffer dem griechisch-orthodoxen Denken, das überhaupt hinter seiner Schrift immer wieder spürbar wird, hier besonders Chomjakov: "Das Blut der Kirche ist das Gebet füreinander" (134). Weil Fürbitte "menschliches Tun und göttlicher Wille" ist, "kann der Mensch dem anderen in seiner Fürbitte ein Christus werden" (135). "Zerbricht das ethische Selbstbewußtsein Gott gegenüber zunächst an der stellvertretenden Liebe Christi am Kreuz, so stirbt es restlos unter der Betrachtung der Fürbitte, d. h. der Gemeinde" (136) 5). Das Höchste, was Menschen aneinander stellvertretend tun dürfen, ist die S ü n den ver g e b u n g in priesterlicher Vollmacht. "Sünden vergeben kann niemand, als der sie selbst auf sich nimmt, kann also nur Christus." Der Einzelne kann es nur kraft Sperrungen in den Zitaten von mir. Dieser Satz ist für Bonhoeffer, der selbst ein außerordentlich feines Gewissen besaß, sehr bezeichnend. Ethisches Selbstbewußtsein ist der "ethische Atomismus" des alten Adam. Durch die Vergebung in Christus wird es nicht restauriert, sondern im In-der-Gemeinde-Sein aufgehoben. Der Christ weiß sich als Glied am Leibe Christi in der Hingabe; das ist sein neues Selbstbewußtsein. Von hier wird Bonhoeffers Denken von der Kirche wie von der "Schuldübernahme" verständliCh, ebenso seine Ablehnung der Kantianer. 4) 5)
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seiner Gliedschaft an der Gemeinde. Die Gemeinde kann es, weil sie, vom Wort lebend, "Christus als Gemeinde existierend" ist (137-139). 3.. Die Kirche ist/G eis t ein h e iJ)(140 ff.). "Es heißt nicht: ,Eine Theologie und ein Ritus', sondern ,ein Leib und ein Geist, ein Herr. ein Glaube, eine Taufe' (Eph. 4, 4 ff.): Die Einheit .... gründet nicht auf menschlicher Geisteinigkeit, sondern auf göttlicher Geisteinheit." Objektiver Geist -
Heiliger Geist
"Die durch den heiligen Geist aktualisierte Kirche J esu Christi ist gegenwärtig wirklich Kirche." Als empirische Kirche ist sie zugleich "objektiver Geist", "der in bestimmten Formen Gestalt annimmt" (153). Als solcher ist die Kirche "in der Relativität ihrer Formen" "Leib Christi, Gegenwart Christi auf Erden, denn sie hat sein Wort". In seiner Zeit- und Raumintention ist der "objektive Geist der Gemeinde Träger der geschichtlichen Wirksamkeit Jesu Christi und der sozialen des heiligen Geistes" (154, 158 f.). Aber die Kirche ist zugleich "Gemeinschaft der Sünder", darum ist ihr objektiver Geist ni c h t der Heilige Geist. Nur als "die in ihrer Schuld Heilige ist sie ,Christus als Gemeinde existierend' " (158). Von hier aus zieht Bonhoeffer F 0 I ger u n gen, in denen er die Kirche in ihrer soziologischen Gegebenheit bejaht: Die Fr e i w i 1li g k e i t ski r eh e darf nicht gegen die V 0 I k ski reh e ausgespielt werden 6). "Die logische und soziologische Einheit (beider) ist durch das Wort gestiftet." Indessen "es gibt nun für die Kirche einen Zeitpunkt, an dem sie nicht mehr Volkskirche sein darf, und dieser Zeitpunkt ist dann gekommen, wenn die Kirche in ihrer volkskirchlich . ittel S'enen""kann, zur Freiwilli keitskirche durchzudringen" (164). Dieser Satz wir ur Bonhoeffer bald im ]{irchenkampfbedeutsam werden. Die Ein h e i t der Kirche ist die Einheit der Einzelgemeinden als Gesamtgemeinde. Aber "der Leib Christi ist Rom und Korinth, Wittenberg, Genf und Stockholm" (167) 7). Zu den so z i 0 log i se h e n Fun k t ion e,n der Kirche gehört der Go t t es die n s t: "die Predigt ist eine gottverordnete TätigkeiJ; der Gemeinde für die Gemeinde" (170); ebenso haben die S a kr ain e n t e eine soziale Bedeutsamkeit (178 ff.). Beide dienen dem "zusammenführenden Handeln" des Heiligen Geistes. Gott bedient sich hier "zur Verbreitung seiner Herrschaft des sozialen Zusammenhangs der Menschen". Das "A m t" (von Boehoeffer in Anführungszeichen gesetzt) wird von der sanetorum eommunio gestiftet und getragen (177). Die soziologische Struktur der A u tor i t ä.i in der Kirche ist 6) Die Unterscheidung von Kirche und Sekte, wie sie Max Weber und E. Troeltsch vollziehen, hält Bonhoeffer für soziologisch unhaltbar (204 ff.). 7) Dem Kenner der ökumenischen Arbeit wird auffallen, wie viele Fragen, zumal aus dem Bereich von "Faith and Order" hier von Bonhoeffer bereits 1927 aufgegriffen worden sind.
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weder die der "Gesellschaft" noch der "Anstalt" (Troeltsch), sondern, durch das Wort, die des "objektiven Herrschaftsverbandes" . Die Kirche ist darum weder Wer k z e u g (Mittel zum Zweck) noch SeI b s t z w eck allein, sondern stets beides zugleich (159). Bonhoeffers Erstlingsschrift ist ein bedeutsamer Alleingang auf einem sonst nicht betretenen Wege. Während die neue Theologie der zwanziger Jahre sich um die Frage "Glaube und Geschichte" müht, aus der Ablehnung Troeltsch's aber ein Tabu gegen jede soziologische Betrachtung der Kirche innerhalb ernsthafter Theologie errichtet, wagt sich Bonhoeffer eben an dieses heiße Eisen heran. Beiden geht es darum, die liberale Theologie des "religiös-sittlichen Bewußtseins" zu überwinden. Gibt die "dialektische" Theologie jener Jahre der Offenbarung ihre geschichtliche Gestalt - Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung Christi, das in der Schrift gegebene Wort - wieder zurück, so erkennt Bonhoeffer, daß zu dieser "Zeitkomponente" auch die "Raumkomponente" der Offenbarung, die wirkliche Kirche treten muß. Darum stellt er die Frage "Glaube und Gemeinschaft", die Frage nach der G e s tal t der Kirche. Er weicht Troeltsch nicht aus, sondern überwindet ihn. Dabei entdeckt er, daß das Denken in soziologischen Begriffen ebenso notwendig für die Theologie ist, wie das in geschichtlichen. Daß im Erlösungswerk Christi nicht nur der neue Mensch, sondern auch die neue Gemeinschaft ursprünglich und nicht erst al".Folge mitgesetzt ist, daß Wort, Stellvertretung, Liebe usw. soziologische Tatbestände darstellen, und daß darum von der Kir.che auch soziologisch geredet werden muß, hat er gezeigt. Er will die Theologie an der konkreten, irdischen Kirche festhalten und sie vor der Verftüchtigung ins "Nichtgegenständliche" bewahren. Er hat hier einen Weg betreten, auf dem wir heute, nach 25 Jahren, noch kaum einige der so notwendigen Schritte weiter getan haben. Für den kommenden Kirchenkampf hat Bonhoeffer von vornherein eine klare und starke Ausgangsposition. Es ist für ihn kein Zweifel, daß es nicht ausreicht, daß das Wort rein verkündigt wird, auch in ihrer Gestalt darf die Kirche den "Christus als Gemeinde existierend" nicht verleugnen. Stellvertretung vollzieht sich an konkreten Menschen, und die Kirche, die sich scheut für die entrechteten Brüder, insbesondere7Ie Juden zu leIden, 1st mCht gehorsame Kirche. - Indessen macht das systematische Gebäude, das Bonhoeffer auf-' richtet, dem Leser doch einige Not: Zunächst setzt er ungeschützt "Christus als Gemeinde existierend", Kirche als "Gesamtperson" mit dem "objektiven Geist", der jeweiligen geschichtlichen Gestalt der Kirche in eins. Soll das ein soziologisch faßbarer Tatbestand sein, dann wäre Christus selbst soziologisch faßbar geworden. Zum mindesten müßte Bonhoeffer den heute in der Ökumene umstrittenen Satz, daß die Kirche die Fortsetzung der Inkarnation sei, uneingeschränkt bejahen. Später schränkt er jedg'ch seine AUSS~ stark ein: Objektiver Geist ist nicht Heilige~eist, er dient hm erst im Eschaton fallen beide zusammen; die rche ist "Chris us als Gemeinde existü:irend" nur, so f ern sie g eiligt ist. Heiliger Geist und Heiligung
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sind aber keine soziologisch faßbaren Tatbestände mehr. So gelingt es Bonhoeffer nicht, die Kirche soziologisch als Gesamtperson überzeugend darzustellen, da deren Haupt nun einmal im Himmel ist. Der Versuch muß scheitern. Denn könnte man die Identität oder auch nur eine feste Relation von Heiligem Geist und "objektivem Geist" der Kirche systematisch oder gar soziologisch festlegen, wäre das Mysterium der Kirche unter dem Kreuz ja vor dem Jüngsten Tage enthüllt. Bonhoeffer läßt diese Anleihe bei Hegel denn auch später fallen. Er wird dann die Kirche den "Raum" (vgl. Nachfolge), den "Ort" nennen, "an dem Christus Gestalt gewinnt" (Ethik). Wir wollen Nachsicht zeigen mit dem Versuch des einundzwanzigjährigen Studenten, die Offenbarung soziologisch ins System zu bringen. Wir wollen seine Forderung aber um so ernster nehmen, das soziologische Denken für die Lehre von der Kirche als ein notwendiges Mittel anzuwenden. Theologisches Erkennen in der Kirche Bevor wir aber zu den Entscheidungen des Kirchenkampfes weitergehen, soll ein kurzer Blick einen weiteren Vorstoß Bonhoeffers auf das Problem der theologischen Erkenntnis streifen. In "Akt und Sein" (1931) zieht er die Folgerungen aus seiner ersten Schrift für das theologische Erkennen .. Er sieht die große theologische Diskussion der zwanziger Jahre (vgl. Barth-Przywara über die analogia entis) auf das Problem Akt unrl Sein zusteuern. - Barth, Gogarten, Bultmann wollen die Offenbarung von jeder "Verobjektivierung" und "Verfügbarkeit" befreien und verstehen sie darum als "r ein e nA k t" Gottes, der nur je und je in der Entscheidung des Glaubens ergriffen werden kann. Da Gott immer Subjekt bleibt, bleibt er "nichtgegenständlich". Bonhoeffer weist nach, daß sich dahinter der Kant'sche T r ans zen den tal i smus verberge. Der dann konsequente Versuch, "dialektisch" von Gott zu reden, sei aber nicht gläubiger als demütiges systematisches Denken. Denn "Gott ist nicht frei vom Menschen, sondern für den Menschen" (76). Christus ist das Wort der Freiheit Gottes, Gott ist da, d. h. nicht in ewiger Nichtgegenständlichkeit, sondern "habbar" , "faßbar in seinem Wort in der Kirche". Auf der anderen Seite wird die Offenbarung als "S ein" verstanden: 1. in der Form der L ehr e (Luthertum); 2. als Er 1 e b n i s des religiös-sittlichen Bewußtseins (so Seeberg, Holl, Hirsch im Gefolge Schleiermachers und Ritschls); 3. in der Ins t i tut ion der Kirche (Przywara). Jedesmal weiß der Mensch sich gesichert durch ein "Sein in" dem Bereich des objektiv Seienden. Aber seine Existenz wird im Glauben nicht betroffen. Beide, aktualistisches und ontologisches Denken, haben ihr Recht: hier die Existenzbetroffenheit, dort das Sein der Offenbarung zu betonen. Beide aber sind ihr nicht angemessen und machen theologisches Denken letztlich unmöglich.
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Die Kir ehe ist die Akt - Sei n sei n h e i t, sie ist der Ort, an dem der Mensch in das Offenbarungsgeschehen einbezogen wird, sie ist Gegenwart der Offenbarung in der Verkündigung, sie ist der gegenwärtige Christus selbst. Das ......Sein in der Kirche", in dieser "Gesamtperson" ist also Voraussetzung der Uifenbarungserkenntnis, die ja doch keine "Möglichkeit" eines menschlichen Subjekts 1st (102 bis 104). "Das Sein der Offenbarung ist das Sein der Gemeinschaft von Personen, die durch die Person Christi konstituiert ist" (111). In der Gemeinde ist die Dialektik von "Glaube an" und "Sein in" aufgehoben. In Christus kann der Einzelne sagen: "Ich werde getragen (pati), darum bin ich (esse), darum glaube ich (agere)." Weil die neue Menschheit, in der ich stehe und die ich auch selbst bin, für mich betet und mir die Sünden vergibt, darum bin ich hier in meiner Existentialität und Kontinuität erfaßt. "Meine Sünde ist keine Sünde, mein Tod ist kein Tod mehr, weil die Gemeinde mit mir ist" (vgl. Luthers Sermon "vom heiligen Leichnam") (115). Darum ist die 0 f f e n bar u n g s e r k e n n t n i s in der Kirche eine S 0 z i 0 log i s c h - t h e 0 log i s ehe Kat ego r i e, jenseits vom Subjekt - Objekt - Verhältnis, jenseits von gege.nständlich und nichtgegenständlich. Sie ist darum soziologisch differenziert (118), (entsprechend Bonhoeffers Schema von Vielheit, Gemeinschaft und Einheit in Sanctorum Communio): 1. Sie ist glaubendes Erkennen:["Mir ist vergeben", 2. sie ist p red i gen des E r k e n n e n: ,Dir ist vergeben". Christus, der Herr der Gemeinde, läßt sich hier als Subjekt des Redens verkündigen. "Ich predige, aber in der Kraft Christi, in der Kraft des Glaubens der Gemeinde" (122). Nur so geschieht die Predigt ohne Ungewißheit, ohne "Nichtwissen". Denn "der existentielle Satz (des Glaubens) ,mir ist vergeben' vermöchte den kirchlichen Satz ,dir ist vergeben' nicht zu tragen" (122). 3. Sie ist t h e 0 log i s c h e s Er k e n ne n: "Theologie ist eine Funktion der Kirche"; denn Kirche ist nicht ohne Gedächtnis, "Th e 0log i eis t das G e d ä c h t n i s der Kir ehe." Sie steht 'zwischen vergangener und zukünftiger Predigt, welch letzterer sie die Dogmen voranstellen soll. Theologie als Wissenschaft macht die Offenbarung notwendig zu etwas Seiendem. Die Gefahr, in die sie dadurch gerät, vermeidet sie nur durch ihren Bezug zur Predigt, sie vorbereitend und sich von ihr richten lassend (123-125). Die Theologie ist pos i t i v e W iss e n sc ha f t , denn sie hat ihren gegebenen, eigenen Gegenstand, nämlich das gesprochene Wort der Kirche. Sie ist "das bewahrende, ordnende Gedächtnis dieses Wortes". Darum kann sie nicht "schöpferisch" reden, wohl aber verfügt sie vom Wort aus über 'äTIgememe urteile, zielt sie auf das System, auf das Dogma. Dieser Einblick muß genügen. Bonhoeffers Sätze erinnern in vielem an den Weg, den Barth von der "Christlichen Dogmatik" zur "Kirchlichen Dogmatik" (I, 1, erschienen 1932) genommen hat. Die Frage nach der Bedeutung der Soziologie für die Lehre von der theologischen Erkenntnis ist jedoch noch nicht beantwortet. Sonst würde
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uns vielleicht die "Entmythologisierung" nicht solche Kopfschmerzen bereiten. Die Kirche der Nachfolge Der folgende Abschnitt in Bonhoeffers Leben von 1933-1940 ist gekennzeichnet durch seinen Eintritt in den kirchlichen Dienst: sein Vikariat in Barcelona (1929), das Studenten pfarramt an der Technischen Hochschule Berlin (1931/32); durch seine Begegnungen mit der Ökumene in Auslandsaufenthalten: Studium in Amerika (1930-31), Pfarramt in London (1933-35), Mitarbeit in der Jugendkommission der Ökumenischen Bewegung (Fanö 1934), vor allem aber durch den Kirchenkampf (seit 1933) und den Auftrag des Preußischen Bruderrats, die illegalen Vikare der Bekennenden Kirche im predigerseminar Finkenwalde und nach dessen Auflösung in Sammelvikariaten auszubilden (1935-37 bzw. 39). Daß der begabte junge Theologe, dem ein Harnack frühzeitig nahelegte, Kirchenhistoriker zu werden, und dessen Vorlesungen als Privatdozent in Berlin großen Zulauf fanden, in den Pfarrdienst trat, war in Betlin nicht selbstverständlich (zumal er keine "Pfründe" brauchte), aber um so bezeichnender für ihn. 1933 wurde die Kirche, die Bonhoeffer in voller Erkenntnis ihrer Fragwürdigkeit ganz bejahte, die er auch nicht mit der damals unter jungen Theologen üblichen Heftigkeit kritisierte, durch die "Machtübernahme" des Nationalsozialismus in ihrer Existenz bedroht. Bonhoeffer sah in diesem von Anfang an den Feind des Menschen und der Kirche. Nichts an ihm konnte ihn je blenden, nie versuchte er "Positives" von "Negativem" zu unterscheiden, wie es selbst in der Bekennenden Kirche im Anfang nicht selten der Fall war. Er hätte sich darum vielleicht über die Lächerlichkeiten der Irrlehre der "Deutschen Christen" hinweg rasch dem Feind direkt entgegengestellt, hätten diese nicht eben die Macht in der Kirche an sich gerissen und sie so für den bevorstehenden Kampf gelähmt. Weil es ihm um die konkrete Gestalt der Kirche ging, ist er mit aller Leidenschaft und Härte in den Kirchenkampf eingetreten. Sein Denken über die Kirche sieht sich jetzt vor drei Fragen gestellt:
Was ist das Bekenntnis? Bonhoeffer folgt in dieser Frage im Wesentlichen mit den Bruderräten der Linie der Theologischen Erklärung von Barmen (1934). So sei nur sein besonderer Beitrag herausgestellt 8). Die Kirche ist eine geschichtlich gewordene Gestalt. Sie ist frei, sich von ihrem Herrn richten zu lassen und diese ihre 0 r d nun g neu zu finden und zu 8)
Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft. Ev. Theol. 1936, 214-233'.
398-410.
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gestalten. Greift die Welt aber diese ihre Gestalt an, so muß sie dafür kämpfen wie für Christus selbst, denn Kirche ist "Christus als Gemeinde existierend". Kirche ist ferner nur in der Verkündigung und im Bekenntnis zu ihrem Herrn. Wo er gepredigt und geglaubt wird, ist wahre Kirche, - abseits davon nicht. Hieran· erweist sich auch ihre Einheit. Wo darum Lutheranern und Reformierten ein gern ein sam e s B e k e n n t n i s geschenkt wird, erweisen sie sich als ein e Kirche. Von da aus fordert er eine Revision der dieser Einheit entgegenstehenden Stellen der Bekenntnisschriften (408, 227). In dieser Sicht fragt Bonhoeffer: "Ist die Ökumene Kirche?" 9). Sie ist es nur, wenn sie sich der Wahrheits frage mit einem "confitemur" und "damnamus" stellt. Die Antwort, daß die getrennten Kirchen Zweige ein e s Baumes sind, hält nicht stand. Darum hofft er auf ein ökumenisches Konzil, das die Sünde der Kirchen bekennt, in Vollmacht die Wahrheit und die Einheit der Kirche bezeugt und das ein klares Zeugnis gegen die Feinde der Kirche, gegen Krieg, Rassenhaß und soziale Ausbeutung ablegt (261). Das Bekenntnis selbst aber ist keine Dogmatik. Das Augsburgische Bekenntnis wäre als solche schlecht geeignet. Die Theologie liefert die Waffen, die Kirche aber entscheidet über die Lehre, dort wo der Feind sie stellt. Das B e k e n n t n i s ist die E n t s ehe i dun g der Kir ehe übe r ihr e G ren zen (Ev. Th. 1936, S. 222). Sie sind vielgestaltig wie die Welt und nie apriori festzulegen. Irrlehren gibt es in der Kirche immer, aber erst die kir chI ich e E t s c h eid u n g zieht die Grenze. Denn "Kirchengemeinschaft ist etwas qualitativ Totales, keine Mehrheit von Konsenspunkten, sondern Glaubensentscheidung der Kirche" (220). So sind die Verwerfung der deutschchristlichen Lehre in Barmen und die Feststellung von Dahlem, daß die Reichskirchenregierung sich von der christlichen Kirche geschieden habe, Sprüche der Synode, Entscheidungen der Kirche, für die "G 0 t t seI b s t ver a n two r t 1 ich sei n will". Wir können hinter Gottes Wort nicht mehr zurück (225). Gegen diese, für BonhoeIfe'rSKlrdienbegnff so gennzelChnende identifizierung des Synodalbeschlusses mit dem Worte Gottes selbst haben seine Freunde, wie etwa Gollwitzer, Einspruch erhoben: die Synode, die Kirche könne nur für das Wort Gottes Zeugnis ablegen (398 f.).
n
Wo liegen die Grenzen der Kirche? Die Bekennende Kirche ist der Rest der wahren Kirche in der Deutschen Evangelischen Kirche. Diese Grenze zu ziehen, ist freilich eine sekundäre Aufgabe der Kirche, ein Werk des Gesetzes, nicht des Evangeliums - und doch ein letztes HeiIsangebot an die Irrenden: 9)
Die Bekennende Kirche und
di~
Ökume.ne. Ev. Theol.
~935,
245-261.
"Kommt herüber". Aber die Welt schließt sich aus - und die Kirche muß darum ihr gegenüber ihre Grenze je und je bestätigen. Sie kann diese nicht theoretisch objektiv vorher wissen, vielmehr ist die autoritäre Entscheidung der Kirche selbst das Ob j e k t i v e (218). Seit die Bekennende Kirche die Trennung der Deutschen Christen von der wahren Kirche "festgestellt" hat, hat sie nun selbst den Auftrag, die ein e, wahre Kirche Christi in Deutschland 10) zu sein. Darum: "Wer si c h w iss e n t 1 ich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, t ren n t si c h vom He i 1" (231), denn das Heil gibt es nur in der sichtbaren Kirche. ,;Wenn einer das Evangelium so lauter verkündete wie der Apostel Paulus, und er wäre dem Papst oder der Reichskirchenregierung gehorsam, so wäre er ein Irrlehrer und ein Verführer der Gemeinde" (232). So kann Bonhoeffer sogar fragen, ob nicht allein die DC-Pfarrer, sondern auch die DC-Laien, ja, die sog. "Neutralen" sich nicht sch.on endgültig von der Kirche Christi geschieden hätten (229-230). Daß diese schroffen Sätze Sturm erregten und Bonhoeffer in den Augen vieler als Außenseiter erscheinen ließen, ist nicht verwunderlich. Dennoch würde ihn völlig mißverstehen, wer ihn als fanatischen Richter und Rechthaber beurteilen würde. Bonhoeffer zieht in dieser Zeit die Grenze um die Kirche bewußt eng, weil sie zum Kampf gefordert ist, nicht um andere zu verurteilen. "Des Volkes ist zu viel", über diesen Text der Gideonsgeschichte hielt er 1933 eine seine Studenten sehr erregende Predigt. In der "Nachfolge" 11) zieht er dann anhand der paulinischen Stellen über die Heiligung und die Gemeindezucht diese Linie aus: Die Heiligung der Gemeinde durch das Siegel Gottes bedeutet ihre "k 1 are A b s 0 n der u n g von der We 1 t" 1199). In der Kraft dieses Siegels muß die Gemeinde Gottes Anspruch auf die ganze Welt geltend machen, muß sie zugleich einen bestimmten Raum in der Welt für sich beanspruchen und damit die Grenzen zwischen sich und der Welt klar ziehen. Es ist falsche geistliche Sucht, heilig sein zu wollen außerhalb der sichtbaren Gemeinde der Brüder. "Absonderung von der Welt ist der heilige Kampf der Kirche um das Heiligtum Gottes auf Erden" (201). "Ihre ,politische Ethik' hat ihren einzigen Grund in ihrer Heiligung, daß Welt Welt sei und Gemeinde Gemeinde" (200). Der Irrlehrer wie der zuchtlos nach den Werken des Fleisches Lebende (Gal. 3, 28) müssen darum ausgeschlossen werden. Das geschieht nicht, um eine Gemeinde der Vollkommenen zu schaffen, sondern es dient der Erbauung der Gemeinde "im Dienst der teuren Gnade Gottes" (208). Der Weg des Ausschlusses muß ein langer, bedachter, seelsorglicher sein. - Der Christ soll indessen in seinem Beruf bleiben, aber nicht weil die Welt reformbedürftig, sondern zum A b b ru ehr e i fist (182). 10) Vgl. den in Treysa festgelegten offiziellen Namen "Evangelische Kirche in Deutschland". 11) Nachfolge. 4. Aufl. München 1952.
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Wie lebt die Kirche? Bonhoeffer hat seine "Nachfolge" geschrieben und in seinem Predigerseminar echte Bruderschaft eingeübt, weil er sich klar war, daß die Kirche bei aller Bekenntnistreue ohne Gemeinschaft verloren gehen würde. Seine Gabe, Menschen verpflichtend zu binden, hat sich in diesen Jahren 1935-1939 besonders gezeigt, und es ist zu hoffen, daß Berichte über Finkenwalde veröffentlicht werden können. Er selbst hat seine Erfahrungen in der Schrift "Gemeinsames Leben" niedergelegt. Im zweiten Teii der "Nachfolge" stellt er dar, daß die Kirche nach Gottes Willen "R a u m" in der Welt beanspruche, und zwar 1. zur Ver k ü n d i gun g an Gläubige und Ungläubige, 2. für die Gestaltung ihrer Gern ein deo r d nun g, Ämter und Dienste, und 3. für die Leb e n s gern e in sc ha f t. Das dritte ist ihm besonders wichtig. "In der Jüngergemeinde spielt sich das ganze Leben des einzelnen ab." "Die leibliche Gegenwart des Sohnes Gottes fordert den leiblichen Einsatz für ihn und mit ihm im täglichen Leben." Die Koinonia der Jünger (Apg. 2,42; 4, 32) steht zwischen Predigt und Abendmahl. "Diese sichtbare Gemeinde der völligen Lebensgemeinschaft bricht herein in die Welt und entreißt ihr ihre Kinder" (177). ';,Es ist eine böse Verkürzung, wenn die Gabe der Taufe auf die Teilnahme an Predigt und Abendmahl ... beschränkt wird. Vielmehr ist mit der Taufe der Raum des gemeinschaftlichen Lebens . . . in sämtlichen Lebensbeziehungen jedem Getauften vorbehaltlos aufgetan. Wer einem getauften Bruder die Teilnahme am Gottesdienst gewährt, ihm aber im täglichen Leben die Gemeinschaft versagt, ihn mißbraucht oder verachtet, der macht sich am Leibe Christi selbst schuldig" (178). Daß Bonhoeffer hier die Christen jüdischer Herkunft, aber noch mehr darüber hinaus im Auge hat, ist deutlich. Wir müssen uns mit diesen Andeutungen über die bruderschaftliche Kirche begnügen, um zu der letzten Wendung in seiner Theologie zu kommen.
Kirche für die Welt Mit dem Bild der bekennenden und nachfolgenden Gemeinde, die scharf ihre Grenzen zieht, scheint Bonhoeffers Bild von der Kirche abgeschlossen. Dennoch nimmt sein Denken in den letzten, schwersten Jahren seines Lebens 1940-1945 eine neue überraschende Wendung. Als 1940 die letzten Vikare seiner illegalen Sammelvikariate zum Wehrdienst einrückten, kehrte Bonhoeffer nach Berlin zurück. Ein Reichsrede- und -publikationsverbot verhinderte seine öffentliche Tätigkeit. So konnte er an der ihm sehr wichtigen "Ethik" arbeiten. Zugleich aber trat er mit den Männern der Widerstandsbewegung in immer engere Berührung, insbesondere auch durch seinen Dienst in der "Abwehr" des Oberkommandos der Wehrmacht unter Admiral Canaris mit dem Auftrag, die Fühlung mit den Kirchen des Auslands
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zu halten. Am 5. 4. 1943 wurde er aus ungewissem Verdacht ohne hinreichende Gründe von der Gestapo verhaftet. Die Begegnung mit den Männern des Widerstands, einem Typ, der ihm auch vorher nicht fremd war, forderte ihn heraus, sein Denken von der Kirche zu überprüfen. Hier waren weithin säkulare Menschen - wie etwa Helmuth von Moltke - , die bereit waren, dem Unrecht entgegenzutreten, stellvertretend für die Entrechteten ihr Leben zu opfern und der Gewalt Widerstand zu leisten. Hinter den "Guter(, die ihn in der Ethik beschäftigen, hinter der "mündig gewordenen Welt" seiner letzten Briefe sind Männer dieser Art zu erkennen. Sind sie ohne Auftrag von Christus'? Wird die Kirche ihnen gerecht, wenn sie sie "bevormunden" will oder sie "unvornehm und unchristlich" an ihren schwachen Stellen zu überrumpeln und als Sünder in die Knie zu zwingen versucht, um ihnen dann doch nur eine religiöse Existenz am Rande ihres verantwortlichen Lebens bieten zu können? Ja, lebt der Nachfolger Jesu wirklich in einer so anderen Welt als sie? "Wer zu schnell und direkt neutestamentlich sein und empfinden will, ist m. E. kein Christ ... Wir leben im Vorletzten und glauben an das Let z te, ist es nicht so? Lutheraner (sogenannte) und Pietisten würden eine Gänsehaut bei diesem Gedanken kriegen, aber richtig ist er darum doch. In der ,Nachfolge' habe ich diesen Gedanken nur angedeutet (im ersten Kap.) und nachher nicht richtig durchgeführt. Das muß nun später geschehen. Die Konsequenzen sind aber weittragende u. a. für das katholische Problem, für den Amtsbegriff, für den Gebrauch der Bibel und vor allem eben für die Ethik" (WE 113). In der ersten Phase seines Denkens hatte Bonhoeffer den Kirchenbegriff mit dem Gedanken des "objektiven Geistes" weit gespannt, in der zweiten ihn um des Bekenntnisses willen eingeengt. In dieser dritten Phase sieht er ihn in neuer, gereifter Form in seiner ganzen Weite. Christus erhebt seinen G an z h e i t s - und seinen Aus s e h I i e ßliehkeitsanspruch (E. 160): "Wer nicht wider uns ist, der ist für uns" (Me. 9, 40), und "Wer nicht für uns ist, der ist wider uns" (Matth. 12, 30). Der Ausschließlichkeitsanspruch wurde im Kirchenkampf deutlich: !iel!!ralität bedeutete Zersetzung und Auflösung der Kirche. Wo sich aber die immer klemer werdende SChar der Fora:erungeines klaren Christusbekenntnisses stellte, "da empfing sie gerade durch diese Konzentration auf das Wesentliche eine innere Freiheit und Weite, die sie vor allen ängstlichen Grenzziehungen bewahrte, da sammelten sich um sie Menschen, die aus weiter Ferne kamen ... da fragte das verletzte Recht, die unterdrückte Wahrheit, die erniedrigte Menschlichkeit, die vergewaltigte Freiheit nach ihr oder vielmehr nach ihrem Herrn, Jesus Christus" (161). So trat der Ganzheitsanspruch Christi, "die Weite seines Herrschaftsbereichs", hervor: "te aus.s.chließlicher. desto freier" .. Denn Christus "ist die Mitte und die Kraft der Bibel, der Kirche, der Theologie, aber auch der Humanität, der Vernunft, des Rechts, der Bildung. Zu ihm muß alles zurück, nur in ihm kann es leben" (166).
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In dieser Sicht taucht die Kirche bei der Frage der "Ethik als Ges tal 1; u n g'" wieder auf. "Nicht christliche Menschen gestalten mit ihren Ideen die Welt, sondern Christus gestaltet die Menschen zur Gleichgestalt mit ihm." "Gestaltung gibt es allein als Hineingezogenwerden in die Gestalt Jesu Christi, als Gleichgestaltetwerden mit der einzigen Gestalt des Menschgewordenen, Gekreuzigten und Auferstandenen" (24). "Er, der die Gestalt des Menschen trug, kann nur in einer kleinen Schar Gestalt gewinnen: das ist sein Kirche", sein Leib. Aber "das Bild, nach dem sie gestaltet wird, ist das Bild der M e n s c h he i t. Was sich in ihr ereignet, geschieht vorbildlich und s tell vert r e t end für alle Menschen" (26). Sie hat keine eigene Gestalt neben Christus, sie hat es auch nicht zunächst wesentlich mit "Religion" zu tun, sondern mit dem Gestaltwerden Christi unter einer Schar von Menschen in ihrem ganzen Daseinsbereich (26). Dazu hat Christus einen Ausschnitt der Menschheitsgeschichte, das Abendland ausgewählt (39). Daß es eine Einheit darstellt, ist allein in Christus begründet (33). Die Kirche existiert also stellvertretend für die Menschheit, deren Herr Christus der Versöhner bereits ist. Sie ist darum 0 f f e n für die Welt. Dem Weitergehen auf diesem Wege steht aber "ein K 0.1 0 ß, ein Großteil des traditionellen christlichen Denkens" entgegen, das immer von "zwei Räumen" ausgeht: der eine "göttlich, heilig, übernatürlich, christlich", der andere "weltlich, profan, natürlich, unchristlich". So wird die Sache Christi zu einer "provinziellen Angelegenheit innerhalb des Wirklichkeitsganzen" . Qer Mensch "will Christus ohne die Welt oder die Welt ohne Chrjstu§" (61/62). Diesen ."Koloß" sucht Bonhoeffer zu sprengen.
Der Ganzheitsanspruch Christi und die Kirche "Jesus Christus, der ewige Sohn beim Vater in Ewigkeit, - das bedeutet, daß nichts Geschaffenes gedacht und in seinem Wesen begriffen und erkannt werden kann ohne Christus, den Mittler der Schöpfung. Durch ihn und zu ihm ist alles geschaffen, und alles hat seine Existenz nur in ihm" (231). Er ist Herr über Menschen und Dinge, Staat, Familie und Wirtschaft. "Dabei geht es nicht um den ,christlichen Staat' und die ,christliche Wirtschaft', sondern um den rechten Staat, die rechte Wirtschaft als weltliche Ordnung um Christi willen" (252). Darum empfängt die Welt von ihm ihre vi e r Mand a t e: die A r bei t, die Ehe, die 0 b r i g k e i t, die Kir c h e (70 ff.). Jedes Mandat gilt jedem Menschen, er muß allen gehorsam sein. Sie haben ihr Urbild in der himmlischen Welt: "Ehe - Christus und Gemeinde; Familie - Gott Vater und Sohn, Bruderschaft der Menschen mit Christus; Arbeit - der schöpferische Dienst Gottes und Christi an der Welt und der Menschen an Gott; Obrigkeit - Herrschaft Christi in Ewigkeit; Staat - Polis Gottes" (257). Es handelt sich "in den Mandaten nicht um Aufteilung und Zerreißung des Menschen,
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sondern um den ganzen Menschen vor Gott, dem Schöpfer, Versöhner und Erlöser". "Der Mensch ist nicht der Ort, an dem die Unvereinbarkeit dieser göttlichen Mandate sich erweisen soll" 12), sie werden vielmehr "im konkreten Leben" des Menschen unter Christus zur Einheit (73). Aber die Herrschaft Christi über alle Kreatur ist nicht gleichbedeutend mit einer Herrschaft der Kirche in der Welt. Christusherrschaft heißt für die weltlichen Ordnungen vielmehr "Befreiung zu echter Weltlichkeit" (256). Seltsamerweise zeigt sich auch bei guten Freunden Bonhoeffers ein gewisses Achselzucken angesichts seiner Sätze über die "Mandate". Indessen liegt eben in diesen, leider nur skizzenhaften Sätzen viel hilfreicher Sprengstoff, um aus altverhärteten Fragestellungen herauszukommen. - Es ist wohl nicht nötig zu betonen, daß es Bon.hoeffer nicht einfällt, eine Theologie der Schöpfungsordnungen zu vertreten, wie sie in jenen Jahren gelehrt wurde. Die weltlichen Mandate sind für Bonhoeffer wohl eigenständig, doch niemals im Sinn einer unmittelbaren Beauftragung der Welt durch einen Schöpfergott abseits von Christus. Vielmehr, weil Christus für ihn der Pantokrator ist, muß er das Verhältnis von Kirche und Welt neu sehen. Durch sein Schema der "Mandate" will Bonhoeffer e r s t e n s jenen "Koloß", den Gegensatz Kirche-Welt, geistlich-weltlich, bzw. die spätlutherische Form der Lehre von den beiden Reichen beseitigen 13). Die "Mandate" wie Ehe usw. sind der Welt gerade nicht als "Ordnungen" in eigene Regie gegeben, sondern sind Verantwortung fordernder "Auftrag", Mandat. Das bedeutet, daß sie ebenso wie die Kirche unter dem Gebot der Versöhnung, der Liebe, der Stellvertretung stehen, das von dem Versöhner Christus ausgeht. Z w e i t e n s rückt die Kirche in die Reihe der Mandate ein, es wird damit ihr beg ren z t e r Auftrag in dem Äon des "Vorletzten" unterstrichen. Die Kirche hat wohl das wichtigste Mandat, nämlich der Welt in all ihren Mandaten das richtende und versöhnende Wort Christi zu sagen, aber sie herrscht keineswegs überall dort, wo Christus herrscht, wie auch die Herrschaft Christi keineswegs auf den Bereich der Kirche eingeengt ist. Um ihr Mandat wahrzunehmen, muß die Kirche d r i t t e n s ein eigenes "G e m ein wes e n" sein. Dieses umschließt die "Menschen, die an sich geschehen lassen, was eigentlich von Gott her an allen Menschen geschehen sollte, Menschen also, die stellvertretend für die ganze Welt dastehen" (232). Die Kirche übt diese Stellvertretung in doppelter Weise aus: sie "steht an der Stelle, an der die ganze Welt stehen sollte, insofern die n t sie s tell ver t r e t end der W e 1 t". "Andererseits kommt die Welt dort zu ihrer Er füll u n g, wo die Gemeinde steht." So ist die Kirche einerseits (als Werkzeug ihres Herrn) auf die Welt, andererseits als "Stätte der Gegenwart Christi" in der Welt auf sich selbst (als Selbstzweck) ausgerichtet. So Bonhoeffer denkt dabei an die traditionelle Deutung der Bergpredigt. Vgl. die Kapitel "Die Lehre vom primus usus legis nach den lutherischen Bekenntnisschriften" und "Staat und Kirche" in der Ethik, S. 237 ff. und 259 ff. 12)
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bringt sie in ihrer "Umgrenztheit die Unbegrenztheit der Christusbotschaft zum Ausdruck" (233). Bonhoeffer geht es um ein Doppeltes: einmal, daß die Kirche in ihrer irdischen Gestalt wirklich Kirche sei, daß sie den Dienst der Stellvertretung in der Liebe, im Tragen des Kreuzes tue und nicht allein in der Predigt an andere ausrichte, zum anderen, daß die Kirche ihrem Herrn, dessen Wort sie der Welt zu sagen schuldig ist, seinen weiten Herrschaftsbereich zuerkenne, ihm zutraue, daß er durch sein Wort und auf verborgene Weise dort in Menschen sein Werk ausrichte, wo es ihr nicht gegeben ist, sie in die Gemeinde hineinzuführen. Von hier aus wird seine radikale Kritik an der Kirche verständlich, wie sie in den Gefangenschaftsbriefen leidenschaftlich hervorbricht. Sie ist auch Kritik an der Bekennenden Kirche, ja seiner eigenen·Position in der "Nachfolge". Er sieht die Kirche vor sich, die angesichts des ständig schrumpfenden Bereichs der Religiosität einen hoffnungslosen Kampf um ihre Selbsterhaltung kämpft. Angesichts der "mündig gewordenen Welt" versucht sie, "einen Raum für Religion in der Welt oder gegen die Welt auszusparen" (WE 218/19). Barth hat diesen Fehler aufgezeigt. "Die Bekennende Kirche nun hat weithin den Barthschen Ansatz überhaupt vergessen und ist . . . in die konservative Restauration geraten" (220). "Die Verdrängung Gottes ... aus der Öffentlichkeit der menschlichen Existenz" veranlaßt die Kirche dazu, den Menschen nun bei seinen persönlichen Schwächen zu behaften, ihn "religiös zu erpressen" (234), um seine "Innerlichkeit" zu retten. "Ich will also darauf hinaus, daß man Gott nicht noch an irgendeiner allerletzten heimlichen Stelle hineinschmuggelt, sondern daß man die Mündigkeit der Welt und des Menschen einfach anerkennt, daß man den Menschen in seiner Weltlichkeit nicht ,madig macht', sondern ihn an seiner stärksten Stelle mit Gott konfrontiert." "Dem Wort Gottes ist die Zudringlichkeit aller dieser Menschen viel zu unaristokratisch . . . es regiert" (236). Bonhoeffers Vorwurf geht dahin, daß auch die getreue Kirche jener Kampf jahre der Vollmacht ihres Herrn über alle Lebensbereiche nicht traut, sondern daß sie Seelen für den religiösen Bereich zu retten und damit ihre eigene Selbsterhaltung zu sichern sucht. Darum schreibt er in seinem testamentarischen Patenbrief für seinen Neffen Dietrich Bethge: "Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat, als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschheit und für die Welt zu sein. Darum müssen die früheren Worte kraftlos werden und verstummen, und unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im B e t e n und im Tun des Ger e c h t e n unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muß neugeboren werden aus diesem Beten und aus diesem Tun. Bis Du groß bist, wird sich die Gestalt der Kirche sehr verändert haben ... jeder Versuch, ihr vorzeitig zu neuer organisatorischer Machtentfaltung zu verhelfen, wird nur eine Verzögerung
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ihrer Umkehr und Läuterung sein ... der Tag wird kommen, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, daß sich die Welt darunter verändert und erneuert" (206/207). Mit diesen Gedanken verbindet Bonhoeffer in "Widerstand und Ergebung" eine scharfe Kritik am Pie t i s mus. Für die oft pietistisch geprägten Kerngemeinden der Bekennenden Kirche war ja die Scheidung von der Welt, wie sie im Kirchenkampf sachlich notwendig war, keine schmerzhafte Sache. Das Herausziehen der wahren Bekenner aus der massa perditionis der verweltlichten Landeskirchen, der Abschluß von der Welt entsprachja ihren eigensten Hoffnungen. Damit aber kam die Gefahr herauf, daß die Kirche aus der Welt ging, daß sie nicht für die Welt da war, daß sie eben für ihre Selbsterhaltung kämpfte, anstatt der Welt das "versöhnende und erlösende Wort" zu sagen. Hiervor ist Bonhoeffer zutiefst erschrocken: kämpfte man für eine vergehende Religion angesichts einer mündig gewordenen Welt? In einer letzten Skizze aus dem Gefängnis schreibt er: "Die evangelische Kirche: Pietismus als letzter Versuch, das evangelische Christentum als Religion zu erhalten; die lutherische Orthodoxie, der Versuch, die Kirche als Heilsanstalt zu retten; Bekennende Kirche: Offenbarungstheologie ... Entscheidend: Kirche in der Selbstverteidigung. Kein Wagnis für andere" (258/259). Stätte der Gegenwart Christi Die Kirche, die darin versagt, Kirche für andere zu sein, nimmt aber andererseits auch ihr Mandat nicht ernst, Stätte der Gegenwart Christi zu sein. Sie weiß nicht, wer sie selbst ist. "Man braucht nur an die liturgische Armut und Unsicherheit unserer heutigen evangelischen Gottesdienste, an die Schwäche der kirchlichen Ordnung und des kirchlichen Rechtes - an das fast vollständige Fehlen einer echten Kirchenzucht -, an die Unfähigkeit weitester evangelischer Kreise, die Bedeutung von Zuchtübungen - also etwa geistlicher Exerzitien, Askese, Meditation, Kontemplation - übe~haupt zu verstehen, an die Unklarheit über den ,geistlichen Stand' und seine besonderen Aufgaben, - aber schließlich auch an die erschreckende Ratlosigkeit oder Überheblichkeit unzähliger evangelischer Christen angesichts von christlichen Eidesverweigerern, Kriegsdienstverweigerern usw. zu denken und zu erinnern, um alsbald zu empfinden, wo der Mangel der evangelischen Kirche liegt . . . Unter diesem Mangel muß die Kraft, die Fülle, der Reichtum der Verkündigung selbst leiden, weil ihr der fruchtbare Boden fehlt" (Ethik 234) 14). Leider bricht dieses 14) In dieser neuen Sicht hat sich auch Bonhoeffers Amtsbegriff gewandelt. Hat er früher gesagt, daß die sanctorum communio das "Amt" (er setzt es in Anführungszeichen) "stifte" (SC 177), so heißt es jetzt: das Wort "setzt" "ein klares Gegenüber von Oben und Unten". "Der Prediger ist nicht der Exponent der Gemeinde, sondern . . . der Exponent Gottes
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Kapitel der Ethik hier unvollendet ab, und auch in den Briefen deutet Bonhoeffer nur an, daß er über die Bedeutung des Kultus schreiben wolle (WE 260). Bezeichnend ist der Satz: "Gewiß sind in diesen (großen theologischen) Begriffen" (der Bekennenden Kirche) die Elemente der e c h t e n Pro p h e t i e ... wie des e c h t e n Ku I t e s enthalten und insofern findet das Wort der B. K. überhaupt nur Aufmerksamkeit, Gehör und Ablehnung" (WE 220). Im Predigerseminar hat er einmal gesagt: "Wer für die Juden eingetreten ist, darf auch gregorianischen Choral singen." Es hieße also Bonhoeffers Forderung der "religionslosen Verkündigung" an die "mündig gewordene Welt" gründlich mißverstehen, wollte man daraus folgern, die Kirche dürfe nicht mehr sie selbst sein. Sie hat das Mandat, "Raum" nicht nur für ihre Verkündigung, sondern auch für die Anbetung und die brüderliche Gemeinschaft, ja für vorbildliches Leben (WE 262) zu beanspruchen und auszufüllen. Aber Bonhoeffer sieht diesen Raum nun nicht mehr von der Peripherie, von seinen Grenzen, sondern von seinem Zentrum, von der Gegenwart Christi bestimmt. Der pietistische Kirchenbegriff ist hier ebenso überwunden wie der liberale. Die Kirche, die sie selbst ist, ist zugleich weit offen für den ganzen Bereich der Herrschaft Christi. Darum kann er den erstaunlichen Satz schreiben: "Ob vielleicht der Begriff der Kirche es ist, von dem aus allein das Verständnis für den Spielraum der Freiheit (Kunst, Bildung, Freundschaft, Spiel) wiederzugewinnen ist, also die ,ästhetische Existenz' (Kierkegaard) gerade nicht aus dem Bereich der Kirche zu verweisen, sondern gerade in ihr zu begründen wäre?" (136). Indem Bonhoeffer die Kirche auf ihr besonderes Mandat begrenzt sieht, vermeidet er ihre Verwechslung mit dem Re ich eGo t t e s. Diesem müssen alle Mandate dienen. Es kommt jedoch nicht durch die Distanzierung der Kirche von der Welt. "Stehen wir nicht alle unter dem Eindruck, daß es wichtigere Dinge gibt als diese Frage (nach dem persönlichen Seelenheil) . . . Ist nicht die Gerechtigkeit und das Reich Gottes auf Erden der Mittelpunkt von allem? ... Nicht um das Jenseits, sondern um diese Welt, wie sie geschaffen, erhalten, in Gesetze gefaßt, versöhnt und erneuert wird, geht es doch. Was gegenüber der Gemeinde". "Dieses Amt ist unmittelbar von Jesus Christus gesetzt, es empfängt seine Legitimation nicht durch den Willen der Gemeinde, sondern durch den Willen Jesu Christi ... Es ist gleichzeitig mit der Gemeinde" (Ethik 227). Die Gemeinde soll es ehren, ihm dienen, es aber nicht in Abhängigkeit von sich zu bringen suchen (228). Dieser neue Amtsbegriff ist darin begründet, daß das Amt - im Unterschied von der Gemeinde - den Dienst der Verkündigung an die W e I tin allen ihren Mandaten auszurichten hat (259). Es dient dem Ganzheitsanspruch Christi. Das Wort dringt auch dorthin, wo die Gemeinde nicht regieren und ordnen kann. So hat dieser Amtsbegriff mit Hierarchie nichts zu tun. Das Amt greift mit dem Wort in die Welt hinaus, die Gemeinde aber wirkt in die Welt hinein durch ihren Dienst, ihre Offenheit, ihr stellvertretendes Sein, nicht aber durch ihre Herrschaft.
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über diese Welt hinaus ist, will im Evangelium für diese Welt da sein; ich meine das nicht in dem anthropozentrischen Sinne der liberalen, mystischen, pietistischen, ethischen Theologie, sondern in dem biblischen Sinne der Schöpfung und der Inkarnation, Kreuzigung und Auferstehung Jesu Christi" (184). Es ist besonders schmerzlich, daß Bonhoeffer uns seine letzte große Konzeption der Kirche nur in Bruchstücken angedeutet hat, ehe ihm der Tod die Feder aus der Hand nahm. Seine Ethik, zwischen den Kämpfen des Tages entworfen, und seine Briefe aus dem Gefängnis geben uns nur Andeutungen. Immer deutlicher ist der tragende Kontrapunkt vernehmbar geworden: Die Kirche, die aus der Stellvertretung Christi und darum in der Stellvertretung lebt, muß ganz für die Welt da - und muß zugleich ganz sie selbst sein. Nur das ist Stellvertretung. Die Folgerungen daraus zu ziehen, hat er uns als Aufgabe überlassen: Daß dieser Ansatz nicht vergessen ist, zeigt ein schlichtes Wort Reinold von Thaddens: "Wir müssen in der evangelischen Kirche viel geistlicher werden, als wir es oft gewohnt waren. Wir müssen in der evangelischen Kirche viel weltlicher werden, als wir uns in der Vergangenheit getrauten."
Zu Bonhoeffers Gedanken über die mündig gewordene Welt Von Oskar Hammelsbeck Zum Pro b I emd e r "M ü n d i g k e i t" Vorbemerkung. Fast am Schluß des Buches mit den Briefen aus der Haft (Widerstand und Ergebung S. 262) steht der "Entwurf einer Arbeit". Sie sollte ausführlich handeln von der "Religionslosigkeit des mündig gewordenen Menschen", von der "Weltlichkeit" und von der "Kirche". Die drei letzten Sätze lauten: "Es liegt mir daran, einmal den Versuch zu machen, einfach und klar gewisse Dinge auszusprechen, um die wir uns sonst herumdrücken. Ob es gelingt, ist eine andere Frage, zumal ohne die Hilfe des Gespräches. Ich hoffe damit für die Zukunft 'der Kirche einen Dienst tun zu können." Wir, Bonhoeffers Freunde und Gesprächspartner, nehmen diesen Dienst auf, mitten in einer Restaurationsepoche, in der wir uns weiterhin um diese Dinge herumdrücken. Die Verantwortung ist uns klar: Wir müssen die kaum eröffneten Einsichten erweitern, ohne uns von mancher billigen und modischen Zustimmung noch von mancher konfessionalistisch erstarrten Ablehnung beirren zu lassen. Das Wort von der "mündig gewordenen
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Welt" hat viel Aufmerken erregt. Es kann liberalistisch mißverstanden werden. Die knappe Form der Einfälle und Äußerungen, in den Gefängnisbriefen unv&'meidlich, mußte vieles beim Andeuten und beim Bedenklichen belassen. Aber wir können vom unmittelbaren Gedankenaustausch vor der Verhaftung her, in dem diese Probleme schon lebendig waren, den Zusammenhängen nachspüren, und wir können vom Vermächtnis des Nachlasses her das Gespräch fortsetzen. Es darf also keine einlinige Interpretation erwartet werden, sondern nur der Versuch, als Beteiligter mitzudenken, kritisch nachzuvollziehen und weiterzudenken. . Wir stellen zunächst fest: Das Wort von der "mündig gewordenen Welt" wird als eine Aussage über die geschichtliche Situation zur theologischen Frage erhoben, und zwar in den beiden Formulierungen: "Christus und die mündig gewordene Welt" (WE 218), sowie "die Inanspruchnahme der mündig gewordenen Welt durch Jesus Christus" (WE 231). Wir können theologisch nicht von der mündig gewordenen Welt sprechen, ohne danach zu fragen, wie der Herr Christus diese Welt annimmt oder verwirft. Gefragt ist, wie diese Welt dur c h Christus in Anspruch genommen wird. Nur im Aufsehen auf Christus kann die Apologetik abgewehrt werden (WE 216 f.), die "versucht, cler mündig gewordenen Welt zu beweisen, daß sie ohne den Vormund ,Gott' nicht leben könne". Es gilt, in der sprachlichen Verwendung radikal zu scheiden und den gefährlichen Schlendrian abzutun. Das Wort "Gott" ist nur eine religiöse Formel, eine Chiffre für Transzendenz (Jaspers), die herhalten muß, wo das menschliche Begriffs- und Anschauungsvermögen zu Ende ist, oder - wie Bonhoeffer (WE 210) sagt - "Lückenbüßer unserer unvollkommenen Erkenntnisse" oder (WE 259) "ein Stück prolongierter Welt". Er betont deshalb von seiner Liebe zum Alten Testament her (WE 112): "Nur wenn man die Unaussprechlichkeit des N amens Gottes kennt, darf man auch einmal den Namen J esus Christus aussprechen" und - fügen wir hinzu - dann von Gott als unserem Vater reden. Wenn es nun in der mündigen Welt keinen Vormund-Gott mehr gibt, so ist um so mehr zu fragen, "wer Christus heute für uns eigentlich ist" (WE 178). Dieser Zusammenhang muß besonders beachtet werden. Mündig gewordene Welt. das heißt: Qje Welt ist der religiösen Vormundschaft entwachsell. Für sie gilt in be:;;timmter Weise Nietzsches Satz "Gott ist tot"; aber in der christlichen Gemeinde gilt dennoch der Glaube: Christus lebt. Wir wollen uns kurz vergegenwärtigen, was in den Gefängnisbriefen hierzu geäußert wird.. Im Brief vom 8. 6. 44 (WE 215 f.) heißt es: "Der Mensch hat gelernt in 11 n w' tigen Fragen mit sich selbst fertig zu :;;e-: e 1 e der A eits 0 ese: . wegung "in der Richtung auf die menschliche Autonomie' e mnt im 13. Jahrhundert. Bonhoeffer versteht darunter "die Entdeckung der Gesetze, nach denen die Welt in Wissenschaft, Gesellschafts- und Staatsleben, Kunst, Ethik und Religion lebt und mit sich selber fertig wird." "Es zeigt sich, daß alles auch ohne ,Gott' geht und zwar ebensogut wie vorher." ",Gott' wird immer weiter aus dem Leben zurückgedrängt, er verliert an Boden." Diese Vorgänge "lösen die Attacke der chrlstli~:hen 4po.\ogp tik auf die
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mündig gewordene Welt" aus, die Bonhoeffer als sinnlos, unvornehm und unchristlich bezeichnet. "Sinnlos - weil sie mir wie der Versuch erscheint, einen zum Mann gewordenen Menschen in seine Pubertätszeit zurückzuversetzen, d. h. ihn von lauter Dingen abhängig zu machen, von denen er faktisch nicht mehr abhängig ist ... Unvornehm, weil hier ein Ausnützen der Schwäche eines Menschen zu ihm fremden, von ihm nicht frei bejahten Zwecken versucht wird. Unchristlich - weil Christus mit einer bestimmten Stufe der Religiosität des Menschen, d. h. mit einem menschlichen Gesetz verwechselt wird." "Zwar muß die Welt besser verstanden werden, als sie sich selber versteht!, aber eben nicht ,religiös"', heißt es an späterer Stelle. "Barth erkannte als erster den Fehler dieser Versuche darin, daß sie alle darauf ausgehen, einen Raum für Religion in der Welt oder gegen die Welt auszusparen. Er führte den Gott Jesu Christi gegen die Religion ins Feld." Die dagegen "nach ,religiöser Erneuerung' suchen (wie etwa die Oxforder oder die Berneuchener), haben das Problem überhaupt noch nicht erkannt und reden gänzlich an der Sache vorbeL" Neben solchen Äußerungen müssen wir die im Brief vom 30. 4. 44 (WE 178 f.) hören: "Was mich unablässig bewegt, ist die Frage, was das Christentum oder wer Christus heute für uns eigentlich ist. Die Zeit, in der man alles den Menschen durch Worte - seien es theologische oder fromme Worte - sagen konnte, ist vorüber; ebenso die Zeit der Innerlichkeit und des Gewissens, und das heißt eben die Zeit der Religion überhaupt. Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen ... ,Christentum' ist immer eine Form (vielleicht die wahre Form) der ,Religion' gewesen. Wenn nun aber eines Tages deutlich wird, daß dieses (religiöse) ,Apriori' gar nicht existiert, sondern daß es eine geschichtlich bedingte und vergängliche Ausdrucksform des Menschen gewesen ist, wenn also die Menschen wirklich radikal religionslos werden - und ich glaube, daß das mehr oder weniger bereits der Fall ist ... - was bedeutet dann für uns das ,Christentum'? Unserem ganzen bisherigen ,Christentum' wird das Fundament entzogen, und es sind nur noch einige ,letzte Ritter' oder ein paar intellektuE>ll Unredliche, bei denen wir ,religiös' landen können ... Wenn wir das alles nicht wollen, wenn wir schließlich auch die westliche Gestalt des Christentums nur als Vorstufe einer völligen Religionslosigkeit beurteilen müßten, was für eine Situation entsteht dann für uns, für die Kirche? Wie kann Christus der Herr auch der Religionslosen werden? Gibt es religioiislose"" Christen ? Wenn die Religion nur em Gewand des Christentums ist ... was ist dann ein religionsloses Christentum?"
Mit diesen und ähnlichen wenigen Sätzen, zum Widerspruch reizend, ungeschützt und ja auch nur ins Unreine geredet, müssen wir nun ins Reine zu kommen suchen. Wir spüren den Ernst und das Wagnis und nehmen mit eigenem Ernst und eigenem Wagnis daran teil. Um teilzunehmen, müssen wir uns freilich mit der neueren Theologie dafür entschieden haben, das Evangelium nicht mehr auf den Nenner Religion, auch nicht den einer christlichen Religion zu bringen. er Oberbegriff Religion ilt für das Evangelium nicht .!!!fh!:. Die Gleichse .zung war zuvor so allgemein gewesen, daß man wie Bonhoeffer so Widersprüchliches feststellen kann, das Christentum sei immer eine Form der Religion gewesen, wie auch von der Religion als Gewand des Christentums. Erst wenn wir zu scheiden und zu unterscheiden wissen zwischen Evangelium und Reli<
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gion, ja auch zwischen Evangelium und christlicher Religion, können wir sinnvoll daran weiterdenken, was mit den Sprichwörtern von der mündig gewordenen und religionslosen Welt aufgewiesen wird. Bonhoeffer hat sicher richtig empfunden, daß diese Erkenntnis keine bloß theologische ist, wenn sie auch gerade von der Theologie entfaltet werden muß. Wenn wir den Hinweis überdenken, daß das Christentum nur als eine Vorstufe der völligen Religionslosigkeit zu beurteilen sei, müssen wir hieran sehr genau weiterzudenken versuchen. Mir geht es dabei so, daß ich beim Weiterdenken einiges anders sehe als Bonhoeffer, - wie es aber nach unseren Gesprächserfahrungen mit ihm auch für sein Weiterdenken hätte hilfreich werden können. Die Frage nach einem "religionslosen Christentum" ist wichtiger als die ungeschützte Behauptung, die Menschen der mündig gewordenen Welt könntel\ gar nicht mehr "religiös" sein. Die abendländische Tradition ist damit jedoch an einem Scheideweg angelangt. Ihr bisheriger Weg war nur so denkbar, daß es eine christliche Religion gibt und diese Religion allgemein gilt. Dieser Tradition widersprechen zunächst nur einzelne Geister. Von den Zeiten der Französischen Revolution an wird der Widerspruch mehr und mehr in weitere Kreise getragen. Daß "Religion Opium für das Volk" sei, ist ein echter Widerspruch, der das Christentum in seiner religiösen Gewandung trifft. Das Christentum wird demgegenüber im 19. Jahrhundert restaurativ und reaktionär, weil es sich theologisch-reformatorisch noch nicht als Vorstufe der Religionslosigkeit im Bonhoefferschen Sinne verstehen kann. Es muß sich verschanzen und muß festzuhalten suchen, was nicht mehr gilt. Es kommt folgerichtig der für uns nicht mehr mögliche Satz auf, "dem Volke müsse die Religion erhalten bleiben". Die Kirche bemerkt das lange nicht, daß sie sich, aus der früheren allgemeinen religiösen Geltung verdrängt, auf die treubleibenden Kreise beschränkt, die am Christlich-Religiösen festhalten, - wie ja in fortschreitender Verminderung auch heute noch. Hier leben verschiedene Zeitalter übereinander und durcheinander. Deshalb müssen wir festhalten, daß auch in Zeiten religiöser Formen Menschen zu dem lebendigen Christus finden können, weil er es ja immer ist, der zu den Menschen findet. Vor Christus ist Religion oder Nichtreligion nicht entscheidend. Es wird im 20. Jahrhundert nur immer, aui.fälliger daß das Christentum als re orm ur le e "' zah der Menschen ein Hindernis wird, zu Christus zu fin ~n. DamIt geraten wir aber unter den Weheruf Christi über die Schriftgelehrten, die denim, die in das Reich Gottes hineinwollen, den Zugang versperren. Manchem von uns geht es so, daß er sich - wie Bonhoeffer auch sagt - den Religionslosen gegenüber freier und näher fühlt als den Religiösen. Er möchte auch selber nicht, und zwar als einer, der sich zu Christus bekennt, als "religiöser Mensch" verdächtigt werden. Das Religiöse steht uns je nachdEWl, eher hemmend :ys ebnend
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zwischen Gott und dem Leben in dieser Welt. Wir müssen aber sehen und beachten, daß es andererseits genug und vielleicht sogar wieder mehr Menschen gibt, die von den religiösen Formen angezogen werden und die eine religionslose Form des Christentums nicht verstehen und nicht wollen. Aber das ist für uns hier eine Frage am Rande. Nehmen wir das Wort vom Christentum als Vorstufe der Religionslosigkeit auf, so verstehen wir, daß Bonhoeffer auf die Entscheidungsfrage "Christus und die mündig gewordene Welt" zukommen mußte. Ich wage, dieser Einsicht von einer anderen her entgegenzukommen. Der von der Aufklärung her wach und kritisch gewordene Mensch, der mit der überlieferten christlichen Religion nichts mehr anzufangen weiß, der Kirche gleichgültig gegenübersteht oder ihr ehrlicherweise den Rücken kehrt, muß in einer merkwürdigen Parallele zu einer religionslosen Christlichkeit erkannt werden. In der reformatorischen Erneuerung der Theologie haben wir wieder gelernt, daß alle Religion Menschenwerk ist und vom Menschen her auf Gott hin denkt, statt uns auch im Denken von der Offenbarung in Christus her auf alles Menschliche und Weltliche zu beziehen. Schalten wir auf das religionslose Verhalten des modernen Menschen um, so hat auch er begonnen, nicht mehr von sich her auf das andere hinzudenken, sondern er denkt von einem anderen her, nämlich von der ihm begegnenden Welt her. Hier tun sich Perspektiven ganz neuer Art auf. Das Denken von Descartes bis zum Neukantianismus als ein Denken mit dem Vorrang des Subjekts auf das Weltobjektivum zu könnte als Säkularisation der entsprechenden subjektiven Religiosität angenommen werden. Der religionslose Weltbezug mit dem Vorrang der Welt vor dem Menschen wäre dann sozusagen die säkularisierte Weise entgegengesetzter Art. Der Göttinger Philosoph Wilhelm Kamlah hat ein in vielem großartig erhellendes Buch vom "Menschen in der Profanität" geschrieben. Ihm geht es schon 1949 wieder "um die Frage nach der Überwindung der Profanität" (15), und der erste Satz des Buches lautet (7): "Der Mensch in der Profanität ist der Mensch ohne Religion." Im Verlust von Religion oder in der Ablehnung von Religion steigert sich der profane Mensch in die Illusion der Selbstsicherung. "Der mythische Mensch lebt in der Scheu vor übermächten, die sein Dasein sowohl tragen und bergen wie auch bedrohen und vernichten" (12). "Profanität bedeutet die Illusion einer Weltverfügung, die das Leiden als Möglic:hkeit ausschließt" (18). "Der profane Mensch kann nicht ruhen, und eben darum kann er nicht leben. Eben darum kann er auch nicht sterben. Daß &f in der Selbstsicherheit nur scheinbar leben kann, erweist sich daran, daß er nicht ruhen kann" (19). Kamlah kommt dann in der weiteren kritischen Diagnose auf die Feststellung, die uns wieder in die Nähe der Bonhoefferschen weist (35): "Nur eine Welt, die einmal christlich war, kann so gottlos sein wie unsere moderne Welt." Haben wir noch genug Leidenschaft oder Impression oder Kraft des Entsetzens in uns, um das Ungeheure zu empfinden, das allein
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in dieser Paradoxie aussprechbar ist: Profanisierung und Gottlosigkeit ist eine geschichtlich notwendige Folge des Christentums, vielleicht sogar notwendige Folge der Verkündigung des Evangeliums! Wir müssen uns auch dessen erinnern, daß Leibniz die Atheisten als eine Sekte des europäischen Christentums bezeichnet hat. Wissenschaften und Technik müssen erkannt werden als legitime Folgerungen aus dem 1. Glaubensartikel, dessen Isolierung vom 2. und 3. zur "Profanität" im Sinne Kamlahs und zur erschrockenen Gottlosigkeit im Sinne Schellings führt. Schelling, der in seiner Erlanger Antrittsvorlesung gewagt hatte zu sagen, daß der Wissenschaftler nicht nur alle bürgerlichen Bindungen, sondern sogar Gott verlassen müsse, erscheint uns als einer der Vorläufer der Existenzphilosophie und des Existentialismus, wenn er sagt: "Nur derjenige ist auf den Grund seiner selbst gekommen und hat die ganze Tiefe des Lebens erkannt, der einmal alles verlassen hatte und selbst von allem verlassen war, dem alles versank und der mit dem Unendlichen sich all ein gesehen ... Wer wahrhaft philosophieren will, muß aller Hoffnung, alles Verlangens, aller Sehnsucht los sein, er muß nichts wollen, nichts wissen, sich ganz bloß und arm fühlen, alles dahingeben, um alles zu gewinnen. Schwer ist dieser Schritt, schwer, gleichsam vom letzten Ufer zu scheiden." Auch dieses Philosophieren ist nur als ein nachchristliches versteh bar bis hin zur radikalen Gottlosigkeit im Existentialismus, wie Nietzsche andererseits den Idealismus als Vorstufe des Nihilismus gesehen hat. Da steht uns der Verstand still oder auch das Herz, wenn wir diese Einsicht in der mündig gewordenen Welt auszukundschaften versuchen. Wenden wir uns von den Aussagen Kamlahs zu denen Bonhoeffers zurück, so erkennen wir, daß sie die radikaleren sind. Kamlahs kultur kritische Radikalität findet nur den Ausweg, daß es wieder Religion geben müsse. "Wenn nämlich der Zusammenbruch von Profanität sich verwandelt in Begründung von Religion . . . , dann kommt damit eben ans Licht, daß nicht das Nichts die Möglichkeit des Seins verschlingt, sondern daß wahrhaft Gott den Menschen ermöglicht... Freilich ist damit nichts mehr über ein ontisches ,Verhältnis Gottes zur Welt' ausgesagt, daß Gott also außerweltlich, jenseitig sei" (35). Daß hieran Wahres ist, brauchen wir nicht abzustreiten. Es ist gegen Bonhoeffer zu fragen, ob nicht immer der gottlose Mensch religiös bemüht oder statt dessen um Religionsersatz pemüht ist. "Religion" ist die soziologische Entsprechung zur Religiosität. Religiös ist der einzelne Mensch. In den Religionen werden Inhalte und Erscheinungsweisen für je eine Gruppe von religiösen Einzelnen oder religiös Ansprechbaren dargeboten. Das' kann es in christlicher und in andersartiger Form geben. Aber wir müssen dann auch sehen und sehr ernst nehmen, daß in Ablehnung von überkommener Religion, also in der "extremen Profanität" die verbliebene menschliche Konstitution als Flucht in die Masse und mit aller Glorifizierung der Masse erscheint. Wenn der Mensch seine Möglichkeit als einzelner vor dem persönlichen 51
Gott nicht mehr erfährt und wenn er weiterhin sie nicht einmal mehr in der Religion als Glied einer Gruppe erfährt, so verliert er sich an die Masse, über die sich Tyrannen an der Stelle Gottes die Herrschaft anmaßen. Von der Entartung zur Masse sind auch je und dann die Kirchen bedroht, wenn menschliche Obere sie als Institutionen mißbrauchen. Wir wenden uns nun Bonhoeffers Behauptung zu, daß die bisherigen Zeiten der Religion oder der Religionen zu Ende gehen. Die Frage wäre dann so zuzuspitzen, wie sich der Mensch mit seinem bleibenden religiösen Bedürfnis in der Situation der Religionslosigkeit verhält. Machen wir uns den Hergang noch einmal kurz klar: Zur Mündigkeit ist es gekommen, weil die Wissenschaften. besonders die Naturwissenschaften, legitime Folgerungen aus dem Glauben nach dem 1. Artikel sind. Aus dem Schöpfungsglauben und dem vernommenen Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, hat sich diese Entwicklung in das Abendland hinein vollzogen. In Wirtschaft und Gesellschaft, in Technik und Organisation ist die Welt "entzaubert" worden, wie es schon Max 'Weber ausgedrückt hat. Solange es noch nicht so weit war, wie es heute gediehen ist, hat das Christentum in der von ihm dargebotenen Religion die jeweiligen Ergänzungen geboten, die empfundenen Lücken ausgefüllt. Diese Vormundschaft ist nun nicht mehr nötig. Sie muß abtreten, oder sie wird gewaltsam abgeschüttelt. Der Materialismus und alle Erfolgserfahrungen auf Grund der alles "entdeckenden" Wissenschaft müssen die herkömmliche Religion als Hindernis und als erledigt Rückständiges ansehen. Die bisher gültige Religion, auch als christliche, ist nicht mehr gültig. Darum wird der moderne Mensch religionslos im Bonhoefferschen Sinne. Die ersten Wehen dieser Art hat es bei den Ketzern der Renaissance gegeben, bis endlich die Nachfahren von Descartes reinen Tiscl1 gemacht haben. Kamlah (25): "Die Profanität ist wesentlich Weltverfügung. Hier gilt allgemein von ,dem Menschen', daß er ,die Natur beherrscht', daß er sich die Welt durc..l-j Wissen und Macht unterworfen hat. Das Leiden ist hier nur als Krankheit vorgesehen, als nicht normale Ausnahme. In der Profanität muß man zu den Herrschenden gehören, zu den ,Gesunden', die sich auf das Leben verstehen, oder das Leben hat in der Tat ,keinen Sinn'." Was in dieser radikalen Verlegenheit als Weltanschauung geboten wird, um aufklärerisch triumphal den modernen Menschen zu bestimmen, ist darum - von unseren Kategorien aus - als Religionsersatz zu bezeichnen. Das ist weithin die Lage in der mündig gewordenen Welt: Dem religiösen Bedürfnis des unfrei in den Massenapparat eingespannten Menschen wird ein Religionsersatz nicht nur angeboten, sondern auferlegt. Wir haben es im weiteren 20. Jahrhundert, wenn wir ahnungsweise ähnlich wie Bonhoeffer die geistesgeschichtlich möglichen Alternativen erfragen, mit einer fortschreitenden Begegnung von Menschen verschiedener religionsmäßiger Herkunft zu tun. Die
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geographische Absonderung wird durch die wirtschaftliche, technische und politische Ergänzung und Durchdringung globalen Ausmaßes weithin aufgehoben. "Mündig gewordene Welt" ist durch die überallhin ausgebreitete Wissenschaft auch so zu verstehen, daß es ~ine techni r ständien Völker mehr gibt. Die Frage ist dann, o~b sich die Völker Europas mit denen mc t nur der beiden Amerikas und Australiens, sondern auch Asiens und Afrikas allein auf dem Gebiet von Wirtschaft, Technik und Politik, und das würde dann heißen, in der isolierten Profanität durchdringen, oder ob ihre traditionellen Religionen dabei gewichtig bleiben. An dieser Frage wird die entscheidende Alternative Religion oder Religionsersatz akut. Es könnte sich für die Weltreligionen eine weltgeschichtliche Reife ergeben, die ihre Isolierung als Verfall, ihre Durchdringung als Frucht einer geistigen Mündigkeit ergäbe. Radhakrishnan, der indische Gelehrte und stellv. Ministerpräsident, schreibt - in alle westlichen Sprachen übersetzt - von der "Gemeinschaft des Geistes" und was "Religion und Gesellschaft" in diesem Sinne bedeuten (deutsch im Holle-Verlag, Darmstadt). Toynbee meint, die seit 1600 Jahren unbeantwortet gebliebene Frage des edlen Quintus Aurelius Symmachus an den heiligen Ambrosius, ob es denn möglich sei, "das Herz eines so großen Mysteriums auf einem Wege nur zu erreichen", werde uns Christen heute noch einmal von den indischen Religionen gestellt. Vielleicht ist die Schwächung aller großen Religionen durch die Weltstunde so allgemein, daß sie sich in einem weiten, liebebedürftigen Verstehen zu einer una sancta vereinigen. Wohlverstanden, statt einer Nivellierung zur Profanität, zum Säkularismus und zum Religionsersatz durch tyrannische Weltanschauungen, ginge es dann um die eine Ebene aus Christentum und Buddhismus, Judentum, Mohammedanismus, Hinduismus und dem Erbe des Konfuzianismus. Nach dieser utopischen Zwischenbemerkung stellen wir uns wieder unserem vordergründigen Problem des religionslosen Menschen im Religionsersatz. Der Mensch duckt sich in seine Welterfahrung mit ihrem Religionsersatz politisch und gesellschaftlich gesetzter Ideologien, wie er sich früher - im Heidentum und Christentum in die Religion geduckt hat. Dabei geht der frühere Reichtum der christlichen Religion, aus dem sie den Menschen mit relativ viel Freiheit und Liebe beschenkt hat, verloren. Deshalb muß gerade auch dann, wenn wir die Einsicht in die mündig gewordene Welt bejahen, weil sich die Ergebnisse von Wissenschaft und Technik nicht leugnen lassen, ebenso scharf erkannt werden, daß der Mensch in der mündig gewordenen Welt von einer ungeheuerlichen Entmündigung bedroht l,md ereilt wird. Bonhoeffer (258): "Der Mensch wird wieder auf sich selbst gewiesen. M i t all e m ist er fe r t!:...& fLe w 0 r den, nur nicht mit sich selbsT." Dem ist nicht beIzukommen durch eine romantisierende Rücklockung unter frühere Formen christlicher Religion oder Religiosität. Das Evangelium gilt heilsgeschichtlich immer für die jeweilige geschichtliche Gegenwart.
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Heilsgeschichtliche Gegenwart heißt, daß das Heil Christi in der Menschwerdung Gottes, in seiner leidenden Hingabe an die gefallene Welt und als Herrschaft des Auferstandenen Ereignis ist für die geschichtliche und vergängliche Zeit von heute und morgen. Es geht dabei "Um das, was wir neutestamentlich als "erfüllte Zeit", theologiegeschichtlich als "Unableitbarkeit" des immer reformatorischen Ereignisses bei Paulus, bei Augustin, bei den Reformatoren, bei Pascal, bei Kierkegaard oder bei Barmen 1934 nennen. Das Evangelium ist unableitbar aus den geschichtlichen Vorgängen, etwa der Antike oder der jüdischen Religion. Im Alten Testament ist es in seiner Unableitbarkeit selber je und dann Ereignis gegenüber der jüdischen oder. heidnischen Religion. Das Evangelium ist ebensowenig ableitbar in dem Sinne, daß sich aus ihm die geschichtlichen Folgeerscheinungen erklären ließen. Die historischen Kategorien, die dafür gültig sind, reichen an das unmittelbare Ereignis des Evangeliums nicht heran. Diese dialektische Unterscheidung hindert jedoch nicht, das Vorletzte im Geschichtlichen zu erkennen und anzuerkennen, was die kulturelle Symbiose in Altertum und Mittelalter, in Aufklärung und Idealismus bis in alle sog. Säkularisierungen hinein betrifft. Die Geschichte des Christentums ist die Geschichte dieser Symbiosen; die Geschichte der Kirche ist dagegen im Grunde die Feststellung der reformatorischen Ereignisse als Durchbruch des Evangeliums durch die geschichtlichen Überlieferungsformen. Daß Gott immer wieder aus den geschichtlichen Bindungen dieser Welt herausruft und befreit, ist das Wunder der Kirche, der Ecclesia. Bonhoeffers Zeugnis ist hierin Zeugnis des Gerichts wider sich selbst und wider uns alle als Christen, die wir nicht evangelische Christen, sondern "deutsche" Christen, orthodoxe Christen, religiöse Christen sind. Auch "Bekennende Kirche", zur Religion gemacht, ist kaum weniger gottlos als die Religion der Moralischen Aufrüstung oder der Christengemeinschaft, das Luthertum oder der Calvinismus. Denn wir möchten damit Gott in nicht heilsgeschichtlichen Weltanschauungen, in Konfessionen und Konfessionalismus oder in irgendeiner religiösen Bedürfnisbefriedigung fixieren. Das ist im Grunde gottlos, ist Lebenslüge, ist unevangelisch und nicht Communio. sanctorum.
Zum Pro b I emd er "A r k an dis z i pli n" Für Bonhoeffer spielt merkwürdigerweise bei den wiederholten Hinweisen auf die mündig gewordene Welt und auf Weltlichkeit keine wesentliche Rolle, was wir mit Profanität (Kamlah) oder mit Säkularisierung bezeichnen. Es geht ihm nicht um Religiös und Profan, nicht um die säkularisierte im Unterschied von einer heiligen oder gar christlichen Welt. Es darf uns nicht überraschen, daß für ihn "an Stelle der Religion" bejahterweise die Kir c h e steht
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(WE 185). Was Kirche ist, darf nicht mit Religion verwechselt werden. Wir können das auch so ausdrücken, daß wir sagen: Die Kirche ist rechterweise immer der Katalysator für das Weltliche wie für das Religiöse. Sie hat mit beiden als ein drittes zu tun. Es gibt keine zwei Räume von hier Welt, dort Kirche, oder von hier Religiös, dort Profan. Es gibt immer nur Kirche als Einbruch des Evangeliums in diese und für diese Welt. Die an Christus glauben, sind nicht Herausgerufene aus der Welt in die Kirche, sondern Herausgerufene aus der Verkehrtheit aller solcher Trennungen zum liebenden Dienst für die Welt (WE 193): "Wo der cantus firmus klar und deutlich ist, kann sich der Kontrapunkt so gewaltig entfalten wie nur möglich." Nun sind wir an einer aufregenden und entscheidenden Markierung angelangt. Bonhoeffer gibt ihr mit dem zweimaligen Hinweis auf die "Arkandisziplin" Ausdruck. Dadurch werden alle bereitliegenden Mißverständnisse ausgeschlossen, daß Bonhoeffer einem Liberalismus oder einer Auflösung des Evangeliums im Weltlichen Vorschub leiste. Hier kommt vielmehr, die mögliche Gefahr abwehrend, einmal das Wort "Profanierung" vor (WE 185): "Es muß eine Arkandisziplin wiederhergestellt werden, durch die die Geh e i m ni s s e vor Profanierung geschützt werden." Bonhoeffer holt damit einen theologiegeschichtlichen Begriff, mit dem im 17. Jahrhundert ein bestimmter Kultus der Frühkirche bezeichnet wurde, aus dem Verborgenen und macht ihn für uns heute aktuell. Unter dem Einfluß der antiken Mysterien rückte die alte Kirche die heiligen Handlungen der Taufe und des Abendmahls in eine Geheimhaltung gegenüber allen "Uneingeweihten". Mit dem Verschwinden des antiken Heidentums tritt auch diese Arkandisziplin wieder zurück, wenn man nicht den geheimnishaften Kult der katholischen Kirche als ihr Erbe ansehen will. Während sie ehemals damit das Heidentum zu bannen gesucht hat, um die Lehre zugleich rein zu erhalten, wirkt er heute fast mehr wieder als Mysterienkult, der dem religiösen Bedürfnis des modernen Menschen wie einem Neuheiden entgegenkommt. Dieses Mysterium wirkt gerade auf den Uneingeweihten. Bonhoeffer meint etwas ganz anderes. Um was kann es sich in der reformatorischen Kirche bei Arkanum und bei der Arkandisziplin handeln? Es bleibt in ihr immer und unvermindert und nichts hinzugetan beim "Wort allein". Wir werden erkennen müssen, daß vielmehr die "echte Weltlichkeit" in der Freiheit eines Christenmenschen und die Bejahung der mündig gewordenen Welt unlöslich damit zusammenhängt. Wird das Weltliche nicht mehr religiös verbrämt, fällt das frühere religiöse Verhältnis zur Welt fort, so bleibt der Christ um so mehr dem ewigen Evangelium zugewandt. "B 1 e i be tin mir und ich in eu c h!" Das Bleiben Christi und das Bleiben bei Christus löst uns von allem Bleiben in religiösen Formen. Arkan ist unsere Gebundenheit an Christus, indem wir als Erwählte und Bevorzugte gerade daraus kein Privileg und keine
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religiöse Sonderexistenz machen. Daß ich mich zur Predigt, zu Taufe und Abendmahl halte, daß ich in der Gemeinde anbete, bekenne und lobpreise, gehört zu diesem Arkanum. Das ist und bleibt vor der Welt ein Geheimnis, dem ich durch die zuvorkommende Gnade Gottes anvertraut bin. Diesem Geheimnis gehöre ich dankbar an. Zuspruch und Anspruch Christi treffen mich, - das kann ich und darf ic» nicht verbergen. Aber ich habe der Welt, der ich aus diesem Arkanum heraus diene, keine religiösen Bedingungen zu stellen (2. Barmer These 1934). "Arkandisziplin" könnte in diesem Sinne Bonhoeffers Schrift "Gemeinsames Leben" im Untertitel heißen. Das "Bleiben in Christus" erfordert eine Disziplin, ein gehorsames Zuordnen. Disziplin meint unsere Verantwortung, die Geheimnisse nicht wie im Liberalismus im Weltlichen zu verschleudern, das Übersäkulare nicht mit dem Säkularen zu vermischen und zu profanieren. Sie dürfen weder in religiösen Vorbehalten noch im Symbolismus noch in der analogia entis mit dem Weltlichen verrechnet werden. Mit dem Arkanum darf also nicht eine religiöse Provinz gemeint sein, keine Sakristei der Weihehandlungen. Wir müssen radikal feststellen, daß keinerlei liturgische Vorbehalte maßgebend sein können. Keine priesterlichen Verrichtungen und Mysterien verbürgen seinen Gehalt. Die Arkandisziplin ist vielmehr so zu verstehen, daß sie eine Religiosierung hindert, daß sie dem Pathos und der Zeremonie absagt. (Adiaphora müssen Adiaphora bleiben.) Diese Radikalität soll nicht als Bilderstürmerei mißverstanden werden. Was wir im Weltlichen als schön, geschmackvoll, ver ehrlich, sauber und echt empfinden, gilt erst recht für das "disziplinäre~' Verhalten im Arkanum. Disziplin will keine Pose und Gestik, wohl aber die Zucht des Schönen. Das Lob Gottes ist nur im schönen und zuchtvollen Verhalten denkbar. "Lobe den Herrn, meine Seele" steht sozusagen über der Pforte des Arkanum und als Präambel der ungeschriebenen Arkandisziplin. Es geht aber dann wie mit dem ganzen Psalm 103 um die Niederlage und den Sieg der Sündenvergebung und der Errettung aus dem Verderben, um Leiden und Auferstehen Christi, - aber eben mitten in der Welt, auch der mündig gewordenen Welt. In der anderen Bemerkung Bonhoeffers (WE 180) wird die Arkandisziplin mit der in seiner "Ethik" (79 ff.) geklärten Unterscheidung von "Vorletztem" und "Letztem" in Zusammenhang gebracht. "Das Letzte ist im Kreuz wirklich geworden als das Gericht über alles Vorletzte, das sich dem Gericht des Letzten beugt" (E 84). Das christliche Leben ist "weder eine Zerstörung noch eine Sanktionierung des Vorletzten, so daß in Christus die Wirklichkeit Gottes der Wirklichkeit der Welt begegnet und uns an dieser Begegnung teilnehmen läßt" (E 85). Arkandisziplin ist die Zucht, alles Vorletzte, die Welt und unser Leben ip. der Welt vom Letzten her zu bedenken. Das Tiefste in diesem Geheimnis rührt Bonhoeffer an, wenn er (WE 168 f.) sagt: "Von der Auferstehung her leben!" ... "Von der Auferstehung Christi her kann ein neuer, reinigender Wind in die gegenwärtige Welt
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wehen" ... "Wenn ein paar Menschen dies wirklich glaubten und sich in ihrem irdischen Handeln davon bewegen ließen, würde vieles anders werden." So entfaltet sich die kurze Formel "Christus und die mündig gewordene Welt". Unser missionarisches Zeugnis, daß wir in der Arkandisziplin der Welt schuldig sind, darf frei sein von aller Apologetik und jeder religiösen Bedingung, die Art von Gemeinde, wie sie uns und wie sie in uns überliefert ist, zum Vorbild für das gegenwärtige Geschlecht zu machen. Es gibt einen klerikalen Positivismus gutmeinender kirchlicher Funktionäre, der an der Zwangsvorstellung festhält, die Zeitgenossen, die sie ansprechen, müßten "in die Kirche zurück". Müssen wir uns nicht statt dessen so verhalten: Wir treten aus unserem arkanen Gemeindebewußtsein in die gottlose Welt hinaus, uns selbst in ihrer Gottlosigkeit mitverstehend ("etsi Deus non daretur")? Es gibt keine Propaganda für eine kirchliche Institution, für welche auch immer, sondern nur das Angebot des Wortes und der Versuch unserer dankbar dienenden Liebe. Dem Menschen in der mündig gewordenen Welt helfen wir nicht mit den Dogmen, die dem Menschen in der unmündigen Welt geholfen haben. Die Dogmen sind Stationen in der Arkandisziplin. Damit treffen wir auf die Verlegenheit der Welt vor dem lebendigen Gott und auf die Verlegenheit der Kirche vor den Menschen in der Religionslosigkeit von heute. Was uns von Bonhoeffer her beunruhigt, ist die Größe unserer reformatorischen Aufgabe.
Die S pur der "n ich t r e I i g i öse n Ver k ü n d i g u ng" Ohne Christus droht die mündig gewordene Welt den Menschen zu entmündigen. Der Gott dieser Welt wirft diabolisch um, was in der säkularen Folge der christlichen Botschaft an "Entzauberung der Welt" durch Wissenschaft und Technik geschehen ist. Er wirft um, um den Menschen zum Sklaven seiner eigenen großen weltlichen Errungenschaften zu machen. Darum: C h r ist u s und die mündig gewordene Welt. Darum nicht Bekenntnisschule als religiös rückständige Sicherung kirchlicher Formen in der unmündigen Welt, sondern das Christuszeugnis der um die Arkandisziplin Wissenden in den Schulen und Hochschulen der mündigen Welt! Darum nicht das Christentum isolierende Parteien und Gewerkschaften und was sonst in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, sondern die mitverantwortliche Dienstbereitschaft der Christen mit den Nichtchristen gegen die drohende Entmündigung. Das kann nicht durch Revolution gebessert werden. Aber in den kirchlichen Arbeitskreisen, in der Inneren Mission und in den diakonischen Werken muß· die reformatorische Einsicht und Bereitschaft für den Dienst in der veränderten Situation wachsen. Diese Werke sind ihrem Herkommen nach im ganzen oder in ihren einzelnen Gliedern religiös ge-
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bunden und durchsetzt. Viele pflegen ihre psychisch bedingte private Frömmigkeit im religiösen Gemeinschaftsgeist. Sie wirken deshalb - was an der Nachwuchsfrage alarmierend deutlich wird - weithin ausschließend <:tuf die religionslos gewordene jüngere Generation in der mündigen Welt. Die Führungsverantwortlichen werden c:l
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Wir dürfen den Kollektivgruppen in der mündigen Welt vom Evangelium her nicht auch als Kollektivgruppen eines christlichen oder kirchlichen Geistes entgegenstehen. Die Gemeirtde umfaßt immer die Menschen als einzelne vor Gott. ;f.Iarum darf in der Gemeinde keine religiöse Satzung bestimmen,· Was ihr zusteht und was nicht. Bonhoeffer fragt (WE 136), "ob vielleicht ... der Begriff der Kir c h e es ist, von dem aus alles Verständnis für den Spielraum der Freiheit (Kunst, Bildung, Freundschaft, Spiel) wiederzugewinnen ist?, also die ,ästhetische Existenz' (Kierkegaard) gerade nicht aus dem Bereich der Kirche zu verweisen, sondern in ihr gerade neu zu begründen wäre?" Neu zu begründen! Was heißt das? Es heißt erstens, daß es alte, echte Begründungen in kirchlicher Verantwortung gegeben hat. Es hat sie gegeben, als die Kirche noch Vormund sein mußte in der eruditio barbarorum. Vielleicht würde eine kirchengeschichtliche Untersuchung feststellen, daß da, wo die Kirche im ursprünglich neutestamentlichen Sinn Kirche des ·Wortes war, immer auch eine echt erzieherische Führung zur Freiheit und nicht eine fortgesetzte religiöse Bevormundung gewollt war, wie schon also bei Paulus, bei Augustin, bei den Reformatoren. Bonhoeffer fragt (WE 156f.), wo die "christliche", aber antiklerikale Weltlichkeit, die auch im Mittelalter "vermutlich aus der Kai s e ri d e e" erwuchs und durch Walther und Wolfram wie im Naumburger und Magdeburger Dom gestaltet wurde, "diese von der Renaissance ganz wesensverschiedene ,Weltlichkeit' eigentlich abgebrochen" sei. Er findet Spuren noch bei Lessing, "in anderer Weise auch noch bei Goethe und später bei Stifter und Mörike (von Claudius und Gotthelf ganz zu schweigen), gar nicht aber bei Schiller und den Idealisten". Neu begründen, das heißt zweitens, angesichts der mündigen Welt nicht mehr bei der früheren Bevormundung und Vormundschaft zu bleiben. Eine konservativ-apologetische oder gar reaktionär-rückständige Kirche verliert, was ihr unter dem Evangelium für die Freiheit eines Christenmenschen verheißen ist. Mit vergangenen Formen bietet sie keinen Halt, sondern stößt den modernen Menschen erst recht in den Zentrifugalismus. Mußte z. B. in der Zeit des Patriarchalismus die Ehe von der Vormundschaft her kirchlich begründet werden, so· heute in der Mündigkeit, ohne damit in den Zeitgeist zu desertieren. Denn wir behalten ja die Erkenntnis: Christus und die mündig gewordene Welt! Die Kirche wird daher auch die Ehe von Mündigen in der biblischen Gehilfenschaft begründen und sehen lehren, daß sie ohne Gehilfenschaft in der Ehezerrüttung als Entmündigung endet. Neu begründen, wird immer heißen müssen, das Geschenk der Freiheit unter dem Evangelium in der mündigen Welt zu erweisen und für den Menschen in ihr bereitzuhalten, den Arbeiter, den Ingenieur, Arzt, Politiker, Lehrer, für die Frau, den Mann und das Kind. In all
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diesem weltlichen Tun und Mittun und Dienen ist uns nur immer geboten, "von der Auferstehung her zu leben". Die niemals aufgebbare Wahrheit in der echt frommen Aussage, daß Christus für mich gestorben ist wie auch für meinen Nächsten, hilft uns ja auch, alles Leiden an mir selber und mein Leiden an meinem Nächsten als ein tröstliches Leiden zu verstehen. Zu fragen ist, ob ich in Christus vom Ewigen her an der mündigen Welt leide, oder nur aus meiner bequemeren Vorliebe für meinen Pietismus oder meine Orthodoxie. So dürfen wir - sehr behutsam - an Bonhoeffers Satz rühren, daß in "Umkehrung von allem, was der religiöse Mensch von Gott erwartet, der Mensch aufgerufen wird, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt mitzuleiden" (WE 244). Niemand von uns leidet Christi Leiden, aber jeder von uns ist in seinen Tod getauft. Er trägt in Leiden und Auferstehung Christi mit am Erleiden der Welt und am Sieg der Versöhnung über die Welt, die ja erlittene Versöhnung ist. Petrus ermahnt als der Mitälteste (1. Petr. 5, 1) und Zeuge der Leiden, die in Christo si n d und auch teilhaftig der Herrlichkeit, die offenbart werden soll. Das Leiden Christi bewegt uns zu der Einsicht oder zu der mitleidenden Hinnahme, nicht böse zu urteilen über den, der uns leiden macht, indem uns der leidende Christus vom Leiden am andern erlöst. Die "weltliche Interpretation" wird nach Bonhoeffer einsetzen in der Hingabe an den in der Welt - d. h. ja erst recht: in der mündigen Welt - ohnmächtigen Christus. ' Das Wort von der nichtreligiösen oder von der weltlichen Interpretation gibt uns Rätsel auf, wie Bonhoeffer auch selber noch nicht über das Geheimnis dieses Rätsels hinausgekommen ist (WE 242). Wir können dazu vielleicht nur andeuten, daß es sich um mehr und anderes handelt als um eine erweiterte oder gar säkularisierte Auslegung des biblischen Wortes durch unser Wort. "Nichtreligiöse Interpretation" der Bibel ist jedenfalls radikal tiefer als jede religiöse Interpretation. Sie muß über den religiösen Gehorsam hinaus ein Leibhaftig-Weltliches meinen, das an anderer Stelle als Segen bezeichnet wird (WE 253): "Dieser Segen ist die Inanspruchnahme des irdischen Lebens für Gott und enthält alle Verheißung." Die nichtreligiöse Interpretation macht ernst mit der vollen Diesseitigkeit des irdischen Lebens. Die religiöse dagegen lockt den Menschen zu einer menschlichen Privilegierung des Jenseits als Flucht aus dem Vorletzten. Weisen die Paulusbriefe nicht schon vor auf nichtreligiöse Interpretation? Paulus kämpft gegen den Kurzschluß, mit der Bekehrung die heidnische Religion durch christliche Religion zu ersetzen. Das Arkanum ist kein hortus conclusus. Aus dem Arkanum von Loben und Danken in der Freudenhymne in Phil. 4 wird nicht nur die Lindigkeit gefolgert als Hinnahme des Leidens an der Welt, sondern die handfeste Bewährung in den Dingen dieser Welt, und zwar in ihrem heidnischen Aufbau. Nämlich, was "wahrhaftig, ehrbar, gerecht, keusch, lieblich, wohllautend, tugendhaft" ist: Recht, Sittlichkeit, Kunst, Musik, Philosophie, Politik, Wirtschaft, Technik,
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- das alles gibt es in der gefallenen Welt (etsi Deus non daretur). Aber davon sollen sich die Gemeindeglieder nicht religiös zurückziehen; im Gegenteil, Paulus folgert gerade aus dem Arkanum, daß sie sich dieses allen an n e h m e n sollen. In Christus wird es zur echten Weltlichkeit befreit, vor der Vergötzung in der heillosen Weltlichkeit bewahrt. Dieses Beispiel ist die Gemeinde der Welt schuldig. Aus der eschatologischen Gewißheit von der Vergänglichkeit alles Weltlichen und der zukünftigen Herrlichkeit erwächst die Verantwortung für die Welt im Jetzt und Hier. So ist Bonhoeffers Wort von unserer Verantwortung für die Kunst, für Freundschaft, Bildung und Spiel zu verstehen. Glauben dürfen, daß die gekreuzigte Welt erlöst ist (Gal. 6, 14), bewirkt unseren Verzicht auf die religiöse Interpretation und statt dessen die Darbietung der Lindigkeit. WE259: "Erfahrung, daß hier eine Umkehr alles menschlichen Seins gegeben ist, darin, daß J esus nur ,für andere da ist' ... G lau ben ist das T eil n e h m e n a n die sem Sei n J e s u (Menschwerdung, Kreuz, Auferstehung)." Müssen wir bei aller andeutenden und schamhaften Zurückhaltung fragen, ob nicht Bonhoeffers Sterben ein Stück "weltlicher Interpretation" des Evangeliums gewesen ist? Was er von der "Schuldübernahme" in der handelnden Liebe ausgesagt hat (E 186 ff.), läßt es uns ahnen. Das darf gewiß auch nur im Arkanum und in der Arkandisziplin so verstanden und zugleich im Geheimnis belassen werden. Die weltliche Interpretation bleibt in Schweigen verhüllt, im liebenden Dienst, in der leidenden Hinnahme des noch Unerlösten in der Welt, - aber immer unter und aus dem Wort. Das Arkanum in der mündigen Welt ist der stärkste Ausdruck einer nicht-religiösen Rückwendung zum "Heiligen" in einer uninterpretierbaren Form von Kult in geistlich-geistiger Freiheit. Diese Aufgabe beginnen wir erst langsam zu sehen, einen neuen Ansatz zum Philosophieren als Wagnis der kirchlichen Theologie für die Welt. Wer sie mit uns von Bonhoeffer her sieht, kann - wenn er nicht täuschen will - nicht me h r sagen, als daß sie im Vertrauen auf diesen Segen, der alle Verheißung enthält, in das mutuum colloquium und die consolatio fratrum gehört.
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Dietrich Bonhoefters Schriftauslegung Von . Richard Grunow Es kann in diesem Referat kaum um eine systematische und ausgeführte Übersicht und Erfassung der hermeneutischen Prinzipien, der Struktur und Methodik der Schriftauslegung Dietrich Bonhoeffers gehen. Dazu ist auf der einen Seite alles zu sehr im Ansatz und zu unfertig bei ihm. Auf der anderep. Seite ist dazu vom Standpunkt des untersuchenden Betrachters zu sagen: Es gehört zu der wesentlichen Wirkung des großen Lehrers, daß er den Ansatz gibt und den Mut macht zu eigenem Weiterarbeiten, daß sich eine bestimmte Sicht, daß sich bestimmte Fragestellungen so tief in das Unterbewußte des Schülers hineinsenken, daß sich nachher oft Gehörtes und Gelerntes mit dem Weitergearbeiteten und Weiterverarbeiteten ununterscheidbar vermischt. Manchmal kann man dann nur noch sagen: Ich glaube, Bonhoeffer hätte das so oder so verstanden und gesagt. Eine Bestandsaufnahme von Bonhoeffers Schriftauslegung müßte von seiner Interpretation von Gen. 1-3, "Schöpfung und Fall" 1) ausgehen, müßte sie verfolgen über die "Nachfolge" 2) und über die in der "Jungen Kirche" erschienenen Bibelarbeiten zu "König David" und "Esra und Nehemia" 3), und müßte hinführen bis zu .den Überlegungen über die weltliche Interpretation der biblischen Begriffe, die er in den Briefen aus der Haft 4) anstellt. Wenn man die Bibelarbeit "Versuchung" 5) noch dazunimmt, so ist das alles, was bisher zu dem Thema literarisch vorliegt. Ergänzt werden müßte das aus Erinnerungen angehörte Predigten und Auslegungen. Eine solche Bestandsaufnahme würde wie bei Bonhoeffers Lehre von der Kirche 6) ßTei Perioden unterscheiden müssen. In .,Schöpfung und Fall" ist dij/!~terl?retation noch stark philosophisch übermalt und geschieht unter Absehung von allen historischen und literarischen Fragen, die der Text aufgibt, in grundsätzlichen, systemati· schen, existenzphilosophischen und erkenntnistheoretischen Überlegungen. In)der "Nachfolge", in Auslegungen und Bibelarbeiten aus der Zeit de~irchenkampfes ist seine Schriftauslegung geladen von einer geradezu Qrophetischen Stoßkraft, die in exklusiv ,.kirchlicher" Haltung die Gemeinde Jesu in die Richtung eines neuen Gehorsams, eines neuen Ernstnehmens des Wortes der Schrift weisen möchte. In 1) Schöpfung und Fall (= SchF). München 1933, 3. Aufl. 1955 in Vorbereitung. 2) Nadüolge. 4. Auflage. München 1952. 3) Junge Kirche 1936, Hefte 2, 4, 5, 14. 4) Widerstand und Ergebung (= WE). München 1951. 5) Versuchung. München 1953. 6). Vgl. von Hase, S. 26 ff.
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den Briefen aus der Haft finden wir e1mge Sätze, in denen er sich etwas von qer "Nachfolge" distanziert, im Zusammenhang mit der Erwähnung eines Gespräches mit einem jungen französischen Pfarrer: "Ich dachte, ich könnte glauben lernen, indem ich selbst so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte. Als das Ende dieses Weges schrieb ich wohl die ,Nachfolge'. Heute sehe ich die Gefahren dieses Buches, zu dem ich allerdings nach wie vor stehe, deutlich." Bonhoeffer sieht in den erschienenen Bibelauslegungen der Kirchenkariipfzeit - gewiß nicht grundsätzlich, sondern faktisch! auch noch fast völlig ab von einer Auseinandersetzung mit der literarkritischen Forschung und der Entmythologisierungsfrage. Erst die Äußerungen aus der letzten Periode, aus der keine literarischen Auslegungen auf uns gekommen sind, gehen auf diese Fragestellung ein und erheben die Forderung, weiter zu gehen als Bultmann und alle Begriffe des Neuen Testaments "nicht-religiös" zu interpretieren, um eine mündig gewordene Welt in ihr Herz zu treffen. Dazu ein paar Sätze aus einem Brief: "Noch ein paar Worte zu den Gedanken über die ,Religionslosigkeit'. Du erinnerst Dich wohl des Bultmannschen Aufsatzes üb.er·· die ,Entmythologisierung' des Neuen Testaments? Meine Meinung würde heute die sein, daß er nicht ,zu weit', wie die meisten meinten, sondern zu wenig weit gegangen ist. Nicht nur ,mythologische' Begriffe wie Wunder, Himmelfahrt etc. (die sich ja doch nicht prinzipiell von den Begriffen Gott, Glauben etc. trennen lassen!), sondern die ,religiösen' Begriffe schlechthin sind problematisch. Man kann nicht Gott und Wunder voneinander trennen (wie Bultmann nlednt), aoeY·-maI1 IIiUß betUe IQl§1t-religiöp interpretieren und verkündigen können. Bultmanns Ansatz 1st eben im Grunde doch liberal (d. h. das Evangelium verkürzend), während ich theologisch denken will" (WE 183).-"Ich denke augenblicklich darüber nach, wie die Begriffe Buße, Glaube, Rechtfertigung, Wiedergeburt, Heiligung ,weltlich' - im alttestamentlichen Sinne und im Sinne von Joh. 1,14 - umzuinterpretieren sind" (WE 185). Zu dem vorliegenden Komplex Bonhoefferscher Schriftauslegung sollen nun einige grundsätzliche methodische Bemerkungen gemacht werden. Danach wollen wir uns Bonhoeffers Auslegung des Alten Testaments zuwenden, dem Zeit seines Lebens seine besondere Liebe gegolten hat. Eine Sonderbehandlung dieses Problems mag dadurch gerechtfertigt erscheinen, daß das Alte Testament innerhalb seiner gesamten Theologie einen besonderen und bemerkenswerten Platz einnimmt. Als spezielles Problem von Bonhoeffers Schriftauslegung soll uns dann noch sein Verständnis der Psalmen beschäftigen, weil es das einzige Problem der biblischen Hermeneutik ist, zu dem er - bisher zugänglich - Stellung genommen hat ). 7) Das Gebetbuch der Bibel (= Gebetbuch). Eine Einführung in die Psalmen. 2. Aufl. Bad Salzufien (MBK-Vlg.) 1946. Vgl. dazu J.Fichtner, Vom Psalmenbeten. Wort und Dienst, Jahrb. d. Theol. Schule Bethel, NF 3, 1952, S. 38 ff.
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I.
Bonhoeffer ist schulmäßig bestimmt von der historischen Forschung, durch die er in bewußter Selbständigkeit hindurchgegangen ist, und die ihm in seinen Lehrern an der Berliner Universität, Harnack und Troeltsch, gegenübergetreten war. Den entscheidenden Einfluß in der kirchlichen Auslegung der Heiligen Schrift hat zweifellos Karl Barth auf ihn ausgeübt. Keinesfalls dürfen wir aber dabei vergessen die Wirkung des Biblizismus eines Adolf Schlatter. Er hat uns immer wieder ermahnt, auf ihn zu hören und von ihm zu lernen. (Es ist mir dies so eindrücklich geblieben, 'weil ich selbst schwer ein Verhältnis zu Schlatter gewinnen konnte.) In vier Punkten möchte ich nun versuchen, methodisch etwas zum Ganzen der Schriftauslegung Dietrich Bonhoeffers zu sagen. Dabei muß einiges im Auge behalten und gesagt werden auch auf die Gefahr hin, daß es uns heute schon selbstverständlich geworden zu sein scheint! Die Heilige Schrift wird von Bonhoeffer interpretiert als das Buch der Kirche. "Theologische Auslegung nimmt die Bibel als das Buch der Kirche und legt es als solches aus. Ihre Methode ist diese Voraussetzung, ist fortwährendes Zurücklaufen vom Text (der mit allen Methoden philologischer und historischer Forschung zu ermitteln ist) zu dieser Voraussetzung. Das ist die Sachlichkeit der Methode der theologischen Auslegung. Und in dieser Sachlichkeit allein ist ihr Anspruch auf Wissenschaftlichkeit begründet. Wenn die Genesis ,Jahwe' sagt, so meint sie historisch-psychologisch gesehen nichts als Jahwe, sie redet aber theologisch, d. h. von der Kirche her gesehen, von Gott. Daß Gott der Eine Gott ist in der ganzen Heiligen Schrift, mit diesem Glauben steht und fällt die Kirche und die theologische Wissenschaft" (SchF 5).
Die allgemeine Anerkennung dieses Grundsatzes entbindet uns nicht davon, unser Auslegen immer wieder an dieser Forderung zu messen. Wir erheben für die Bibel den Anspruch, daß sie mehr ist als eine historische Urkunde, mehr auch als das Zeugnis von der Heilsgeschichte. Die Kirche lebt in ihrem Glauben und Handeln täglich von ihr, mit ihr und in ihr. Wenn die Theologie davon absehen wollte, nähme sie weder die Kirche noch die Bibel ernst. Im besonderen werden wir im letzten Teil darauf zu achten haben, was das für den Psalter als das Gebetbuch der Kirche zu bedeuten hat. 2. Die ganze Heilige Schrift wird interpretiert von der Person Jesu Christi her, der ihre Mitte, ihr Sinn und ihr Ziel ist. Die Worte des Neuen Testaments, namentlich die Worte der Evangelien können niemals verstanden werden abgelöst von der Person des Sprechenden. Jesus Christus ist nicht nur die Autorität aller neutestamentlichen Worte, sondern auch ihr Sinn. Sein Werk, sein Leben, Leiden und Auferstehen füllt jedes Wort bis zum Rande, läßt es verstehen und durchsichtig werden für ihn selber. Ohne ihn wäre es Moral,
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Lehre und Gesetz. Mit ihm als Sprecher und Träger ist es kat' exousian, ist es Kraft, ist es vollrnächtig und gültig. Bonhoeffer hat einmal gesagt, p.aß man alle Evangelientexte mit den beiden Fragen lesen und auslegen könnte: Wie erscheint darin Jesus als wahrer Mensch in seiner ganzen Niedrigkeit? Und: Wie ist darm Jesus als WäTirer.G:.Q.tt in' seiner ganzen' GöfITichkeit enthalten? Xüi" das Alte Testament fällt der Schatten der Gestalt und des Opfers Christi. In ihm ist er niCht nur der Verheissene, sondern im genauen Sinn der Vor-Gebildete. So ist das Alte Testament auszulegen von seinem Ziel und Ende her. Auch was dieser Punkt für die Psalmen als die Gebete Jesu Christi zu bedeuten hat, werden wir beachten müssen. 3. Die Heilige Schrift ist zu interpretieren mit allen Mitteln der historischen und literarischen Forschung und mit aller Hilfe der wissenschaftlichen Kritik. Sie macht uns erst ehrlich in unserem Bemühen, den Text für uns heute zu verstehen. Sie bewahrt uns vor orthodoxen und positivistischen Kurzschlüssen; auch nach der Seite der Allegorie im Verhältnis von Altem und Neuem Testament. Mit dieser dritten Forderung hat uns Bonhoeffer weithin allein gelassen, allein lassen müssen. Ein paar Hinweise zur gegenwärtigen Situation der Auslegung, deren Subjektivität verziehen werden möge, sollen die Linie andeuten, zu der nach meiner Meinung Dietrich Bonhoeffer ja gesagt hätte. Es ist ja die Aufgabe unserer Generation, diese dritte Forderung zu erfüllen. Wie schwer das ist, wird uns angesichts von Noths "Geschichte Israels", die zur verkündigenden Interpretation der biblischen Texte kein Wort sagt, deutlich! Wie weit der Weg von der historischen Forschung zur Verkündigung heute geworden ist, ist angesichts dieser Veröffentlichung besonders gut zu erkennen. Im Sinne Dietrich Bonhoeffers würde es für den Prediger des Evangeliums heute wohl darum gehen, einen Kurs zwischen Hellrnut Freys stark von der Dogmatik bestimmten, barock ausladenden Auslegung auf der einen und etwa BaumgärteIs re ligionsgeschichtlichem Verständnis auf der anderen Seite hindurchzusteuern. Hilfen in der angedeuteten Richtung gibt es heute mehr als vor zehn oder zwanzig Jahren. Zwar scheint, sicher zu unser aller Kummer, Wilhelm Vischer gänzlich verstummt. Aber die Studien und Predigten Gerhards von Rad und Hans Walter Wolffs gehen wohl den Weg der Schriftauslegung, den Bonhoeffer gemeint hat. Auf dem Gebiet der neutestamentlichen Auslegung ist diese Linie fast noch schwieriger zu entdecken. Der einzige Kontrahent und Partner Bultmanns, den dieser selbst ernst genommen hat, Julius Schniewind, lebt nicht mehr. Und was Lohmeyer hier bedeuten würde - wer vermag das zu sagen? - Doch genug der Seitenblicke! Auch bei diesem Punkt muß besonders beachtet werden, was die kult- und gattungsgeschichtliche Forschung für die Psalmen als Gebete des einzelnen Menschen oder der feiernden Gemeinde zu bedeuten hat. 4. Die Heilige Schrift ist nicht-religiös zu interpretieren für eine
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mündig gewordene Welt. Mit dieser Fürderung ist Bultmanns Entmythülügisierungsfürderung überhült, ja - dürfen wir es so. ausdrücken?! - geradezu veraltet 8). Dazu nüch eine Stelle aus den Briefen: "Bultmann scheint nun Barths Grenze" (sein ,Offenbarungspüsitivismus' ist gemeint) "irgendwie gespürt zu haben, aber er mißversteht sie im Sinne der liberalen Theologie, und fällt daher in das typisch liberale Reduktionsverfahren (die ,mythologischen' Elemente des Christentums werden abgezogen und das Christentum auf sein ,Wesen' reduziert). Ich bin nun der Auffassung, daß die vollen Inhalte einschließlich der ,mythologischen' Begriffe bestehen bleiben müssen - das Neue Testament 1st nicht eine mythologische Einkleidung einer allgemeinen Wahrheit!, sondern diese Mythologie (Auferstehung etc.) ist die Sache selbst! - aber daß diese Begriffe nun in einer Weise interpretiert werden müssen, die nicht die Religion als Bedingung des Glaubens (vgl. die ,Peritome' bei Paulus!) voraussetzt. Erst damit ist m. E. die liberale Theologie (durch welche auch Barth, wenn auch negativ, noch bestimmt ist) überwunden, zugleich ist ihre Frage wirklich aufgenommen und beantwortet (was im Offenbarungspositivismus der B. K. nicht der Fall ist!)" (WE 220).
Erst diese Haltung vermag uns vür einem in sich kreisenden Leerlauf und Autümatismus einer "reinen Lehre", einer musealen Rezitatiün der Bekenntnisschriften zu bewahren. Es sind nicht Bünhüeffers Würte, aber ich glaube, seine Meinung zu treffen, wenn ich mich einer Äußerung vün ihm über die mythülügische Fürm des Himmelfahrtsberichtes zu erinnern versuche: Wie sich der Christ die Himmelfahrt vürstellt, üb als "Fahrstuhlereignis" üder als Visiün, ist für seinen Glauben irrelevant. Glaube üder Unglaube ist grundsätzlich unabhängig vün der Vürstellung. In bei den Vürstellungsfürmen kann an Himmelfahrt und Weltregiment Christi geglaubt üder nicht geglaubt werden. Angesichts der Fürderung der nicht-religiösen Interpretatiün müßte nun vün Glauben und Vertrauen, vün Stellvertretung, Schuldübernahme, Dankbarkeit, Buße, Leiden usw. weltlich geredet werden. So., daß jeder sieht: Sein ganzes weltliches Leben kann nur vün diesen Begriffen her erfaßt, gedeutet, verstanden werden; süweit es überhaupt Leben ist, wird es vün diesen Wirklichkeiten getragen und ist vün ihnen umfaßt. Wenn die ganze Schöpfung durch Christus geschaffen ist und vün ihm erhalten wird, wenn er der Herr der Welt ist, dann heißt das, daß ühne diese Wirklichkeit auch ein güttentfremdetes Leben nicht gelebt werden kann, dann heißt das, alles Leid als Güttes Leiden in der Welt, alle Angst als die Angst Christi zu verstehen. Vüm Würt allein her wird das deutlich. Nur da wird die sündige Durchquerung der Schöpfung aufgehüben, die sündige Überlagerung der Schöpfung durchstüßen, die Perversiün der Welt gerade gerückt, 8) Es muß dazu allerdings einschränkend bemerkt werden, daß Bonhoeffer den Bultmann der Entmythologisierung nur in den Anfängen der Diskussion gekannt hat.
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ihre Zerissenheit geheilt. Dann heißt das, daß ohne einen Rest von Dankbarkeit, Treue und Liebe selbst der Gangster und die Dirne nicht leben Kann. Am deutlichsten scheint mir das im Sinne Bonhoeffers Martin Fischer in seinem Referat auf dem Hamburger Kirchentag "Was hält Eltern und Kinder zusammen" gemacht zu haben. Es ist dies nach meiner Erkenntnis eine der wenigen theologischen Äußerungen, die ganz konsequent mit einer weltlichen Interpretation der biblischen Botschaft ernst macht. Die Forderung der weltlichen Interpretation scheint aber nicht auf alle biblischen Begriffe anwendbar: Abendmahl - Anbetung (aber auch hier: in welchem Verhältnis steht das heidnische "Rühmen" R. M. Rilkes zum Lobe Gottes?!) - Wunder, um nur einige zu nennen. An dieser Stelle tritt nun in der Frage der Schriftauslegung Bonhoeffers die Forderung der "Arkandisziplin" auf, von der innerhalb einer Darstellung seiner Dogmatik und Ethik breit und aus':' führlich zu reden wäre, die aber in unserm Zusammenhang nur gestreift werden kann. "Was über diese Welt hinaus ist, will im Evangelium für diese Welt da sein." Im Offenbarungspositivismus sind nun alle biblischen Begriffe, Jungfrauengeburt, Trinität oder was immer, "ein gleichbedeutsames und -notwendiges Stück des Ganzen, das eben als Ganzes geschluckt werden muß oder gar nicht. Das ist nicht biblisch. Es gibt Stufen der Erkenntnis und Stufen der Bedeutsamkeit; d. h. es muß eine Arkandisziplin wiederhergestellt werden, durch die die Geh e i m n iss e des christlichen Glaubens vor Profanierung geschützt werden" (WE 184 f.). Auch in der Durchdenkung dieser Frage hat uns Bonhoeffer allein gelassen, allein lassen müssen. Auch hier ist es die Aufgabe der heutigen theologischen Generation, weiterzuarbeiten. Auch hier werden wir bedenken müssen, was die Psalmen im Munde des gottentfremdeten, auf sich selbst gestellten und auf sich selbst stehen wollenden Menschen von heute (Rachepsalmen!) zu bedeuten haben.
11. Wenden wir uns nach diesen vier, die ganze Heilige Schrift betreffenden Auslegungsgrundsätzen und -forderungen Bonhoeffers nun seiner Vorliebe für das Alte Testament zu! Auch diese Vorliebe hat grundsätzliche, theologische Relevanz. Bonhoeffer hat mit größtem Nachdruck uns immer wieder darauf hingewiesen, daß im Sprachgebrauch des Neuen Testaments die "Schrift" immer das Alte Testament ist, und er hat uns mit Luther verstehen gelehrt, daß das ganze Neue Testament eigentlich weiter nichts ist als das Zeugnis und die Verkündigung, das "fröhliche Geschrei" davon, daß "die Schrift erfüllet sei". Diese Liebe zum Alten Testament hängt nun bei Bonhoeffer mit seiner leidenschaftlichen Betonung der Diesseitigkeit des Christentums, seiner Unterscheidung von Vorletztem und Letztem,
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schließlich seiner immer deutlicher werdenden Abkehr vom Pietismus und jeder frommen Innerlichkeit zusammen. Die Rolle, die das Alte Testament in der Schriftauslegung Bonhoeffers immer gespielt hat, ist gewiß keinem, der ihn gekannt hat, verborgen geblieben. Aber ich muß gestehen, daß die theologische Begründung und Bedeutsamkeit dieser Rolle mir erst durch die Briefe klar geworden ist. Einige Stellen daraus sollen das deutlich machen. "Ich spüre immer wieder, wie alttestamentlich ich denke und empfinde; so habe ich in den vergangenen Monaten auch vielmehr Altes Testament als Neues Testament gelesen. Nur wenn man die Unaussprechlichkeit des Namens Gottes kennt, darf man auch einmal den Namen Jesus Christus aussprechen; nur wenn man das Leben und die Erde so liebt, daß mit ihr alles verloren und zu Ende zu sein scheint, darf man die Auferstehung der Toten und eine neue Welt glauben; nur wenn man das Gesetz Gottes über sich gelten läßt, darf man wohl auch einmal von der Gnade sprechen, und nur wenn der Zorn und die Rache Gottes über seine Feinde als gültige Wirklichkeit stehen bleiben, kann von Vergebung und von Feindesliebe etwas unser Herz berühren. Wer zu schnell und zu direkt neutestamentlich sein und empfinden will, ist m. E. kein Christ ... Man kann und darf das letzte Wort nicht vor dem vorletzten sprechen. Wir leben im Vorletzten und glauben das Letzte, ist es nicht so? Lutheraner (sogenannte!) und Pietisten würden eine Gänsehaut bei diesen Gedanken kriegen, aber richtig ist es darum doch. In der ,Nachfolge' habe ich diese Gedanken nur angedeutet (im ersten Kapitel) und nachher nicht richtig durchgeführt. Das muß nun später geschehen. Die Konsequenzen sind aber weitreichend, u. a. für das katholische Problem, für den Amtsbegriff, für den Gebrauch der Bibel etc., aber vor allem eben für die Ethik. Warum wird im Alten Testament kräftig und oft zur Ehre Gottes gelogen (ich habe die Stellen jetzt zusammengestellt), totgeschlagen, betrogen, geraubt, die Ehe geschieden, sogar gehurt (vgl. den Stammbaum Jesu), gezweifelt und gelästert und geflucht, während es im Neuen Testament dies alles nicht gibt? Religiöse ,Vorstufe'? Das ist eine sehr naive Auskunft; es ist ja ein und derselbe Gott" (WE 112 f.). "Noch etwas zu unseren Gedanken über das Alte Testament. Im Unterschied zu den anderen orientalischen Religionen ist der Glaube des Alten Testaments keine Erlösungsreligion. Nun wird doch aber das Christentum immer als Erlösungsreligion bezeichnet. Liegt darin nicht ein kardinaler Fehler, durch den Christus vom Alten Testament getrennt und von den Erlösungsmythen her interpretiert wird? Auf den Einwand, daß auch im Alten Testament die Erlösung (ausÄgypten und später aus BabyIon, vgl. Deuterojesaja) eine entscheidende Bedeutung habe, ist zu erwidern, daß es sich hier um ge s chi ch t I ich e Erlösungen handelt, d. h. die s sei t s der Todesgrenze, während überall sonst die Erlösungsmythen gerade die Überwindung der Todesgrenze zum Ziel haben. Israel wird aus Ägypten erlöst, damit es als Volk Gottes auf Erden vor Gott leben kann ... Der Christ hat nicht wie die Gläubigen der Erlösungsmythen aus den irdischen Aufgaben und Schwierigkeiten immer noch eine letzte Ausflucht ins Ewige, sondern er muß das irdische Leben wie Christus (,Mein Gott, warum hast du mich verlassen?') ganz auskosten
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und nur indem er das tut, ist der Gekreuzigte und Auferstandene bei ihm und ist er mit Christus gekreuzigt und auferstanden. Das Diesseits darf nicht vorzeitig aufgehoben werden. Darin bleiben Neues und Altes Testament verbunden. Erlösungsmythen entstehen aus den menschlichen Grenzerfahrungen. Christus aber faßt den Menschen in der Mitte des Lebens" (WE 225 ff.). Die Forderung und Notwendigkeit der Auslegung und Predigt des Alten Testaments ist also tief begründet in der Forderung und Notwendigkeit, nun vom Zweiten Artikel her den Ersten zurückzugewinnen, von der Dogmatik zur Ethik zu kommen, von Christus her, den wir als Anfang, Mitte und Ziel des Daseins glauben und erkennen gelernt haben, nun die ganze Fülle und Breite, die Polyphonie des Daseins zu verstehen, zu bejahen und zu lieben. Die "Diesseitigkeit des Christentums" ist im Alten Testament begründet. Das Alte Testament bekommt bei Bonhoeffer eine geradezu normierende Funktion. Das Alte Testament legt ebenso das Neue Testament aus wie umgekehrt. Es gibt ihm die Grundlage, von der allein her es verstanden werden kann (nicht historisch, sondern dogmatisch!); hier ist der Boden, auf dem das Neue Testament steht. Wir können ihn nicht verlassen, um uns nun unsererseits auf den Boden des Neuen Testaments zu stellen. Wir würden dann in der Luft stehen! In einem Jenseits, dem das Diesseits entzogen ist, in einer Zukunft, zu der es keine Gegenwart gäbe, bei einer Antwort, die wir nie erfragt, einer Erfüllung, die wir nie ersehnt hätten. Es wäre das die Welt einer selbstgenügsamen frommen Innerlichkeit, die keine Spannung zur Wirklichkeit hätte und einen Selbstbetrug und eine Illusion bedeuten würde. Und das, weil die Grenze zur Mitte gemacht worden wäre. "Ich möchte von Gott nicht an den Grenzen,. sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der 'Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen. An den Grenzen scheint es mir besser, zu schweigen und das Unlösbare ungelöst zu lassen . . . Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf. So ist es alttestamentlich und in diesem Sinne lesen wir das Neue Testament noch viel zu wenig vom Alten her" (WE 182). Das Alte Testament nun, wo Bonhoeffer es auslegt, versteht er andererseits nicht als in sich ruhend, in sich fertig, gültig oder vollendet. Sondern es ist ihm wie ein abgeschossener Pfeil, der ankommen muß; eine a-conto-Zahlung, die noch nicht abgerechnet ist; ein Wechsel auf ein Vermögen, das irdisch gesehen erst gedeckt ist und eingelöst wird durch Jesu Tod. Das Verhältnis von Altem und Neuem Testament ist nicht mit den Kategorien Weissagung und Erfüllung zu erfassen, als handle es sich um eine Voraussage, die wahr wird. Sondern alles Geschehen, Tun und Reden im Alten Testament ist wie mit Sprengstoff messianisch geladen, hat keinen Sinn in sich selber, sondern weist immer über sich selbst hinaus auf etwas anderes . hin. Das gilt nicht nur für die sogenannten "messianischen" Stellen des Alten Testaments, sondern alles: Königtum, Opfer, Salbung,
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Tempel, Landnahme ist vor-läufig. Das Alte Testament ist voller leerer Stellen, voller Fragen (auch wo nicht direkt gefragt wird!), voller Postulate, die auf Antwort warten und nach Erfüllung schreien. Gerade auch bei negativen Feststellungen: In Psalm 49 (" ... kann doch einen Bruder niemand erlösen noch ihn Gott versöhnen ... ") handelt es sich um den Schrei nach dem Bruder, der die Kosten bezahlt! Psalm 88 (" ... werden die Verstorbenen auferstehen ... ?"), der religionsgeschichtlich die Bestreitung des Auferstehungsglaubens darstellt, ist in Wirklichkeit ein Schrei nach der Auferstehung, die um Gottes Gottheit willen geschehen muß! Die Nichtaussprechbarkeit des göttlichen Namens (die ja Bonhoeffer im Gefängnis immer besser versteht!) ist die Stelle, die leer bleiben muß, bis der Name genannt wird, der über alle Namen ist (Phi!. 2, 9)! Das Verhältnis von Altem und Neuem Testament ist "auch nicht in der Kategorie der Heilsgeschichte, um deren Stufen es sich handelte, voll zu erfassen. Es geht bei der Offenbarung nicht im pädagogis$en Sinne Schritt um Schritt weiter bis zur vollen Klarheit. Sondern es ist immer der ganze Gott gewesen, der Gott Abrahams, Is.aaks und Jakobs, der sich - dem Wesen, nicht auch unbedingt immer dem Umfang nach! - ganz geoffenbart hat. Die Väter haben die Vergebung ganz gehabt, nicht nur einen Teil. Natürlich gibt es in Fragen der Erkenntnis, der Dogmatik und Ethik Stufen und Entwicklungen. Aber nicht in Fragen des Glauben, also der Heilsgewißheit, der Vergebung oder der Kindschaft! Allerdings: gültig und wahr, "erfüllt" ist das alles nur durch und in Christus. Spekulativ gesprochen: hätte .Jesus nicht der Versuchung des Teufels widerstanden, nicht Ja zum Kreuz gesagt, dann fiele das ganze Alte Testament zusammen wie ein Kartenhaus! Dann wäre alles Lüge, dann wären es alles ungedeckte Wechsel, dann wäre Gott der größte Bankrotteur der Weltgeschichte! Das Alte Testamen hat nur in Christus seinen Bestand und seine Wahrheit. Das muß bei aller Auslegung zum Ausdruck kommen. Es gibt aber keine "Methode" der Auslegung. Zur Frage der Allegorie hat er einmal Stellung genommen in einer unvollendeten Skizze über die "Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte": "Da die Schrift als ganze und in allen ihren Teilen als Zeugnis von Christus verstanden werden soll und da sich offenbar beim konkreten Nachweis dieser Behauptung Schwierigkeiten ergeben entsteht die Frage, ob es erlaubt sei, bei diesen Stellen der Schrift die a 11 ego r i s ehe Aus 1 e gun g anzuwenden. Dazu ist zu sagen: 1. Den Nachweis für den Zeugnis charakter der ganzen Schrift bringt weder eine wörtliche noch eine allegorische Auslegung, sondern Gott allein, der sich zu seinem Zeugnis zu seiner Stunde bekennt. Also diese Rechtfertigung der allegorischen Auslegung ist unmöglich. 2. Das Recht zur allegorischen Auslegung besteht in der Anerkennung der Möglichkeit, daß Gott sein Wort nicht in seinem grammatikalisch-logisch-eindeutigen Sinn erschöpft sein läßt, sondern daß das Wort noch andere Perspektiven hat und in den Dienst der besseren Erkenntnis gestellt werden kann. Luther hat mit
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großem Nachdruck auf dem ein d e u t i gen Sc h r i f t s in n gegenüber dem vier-, bzw. siebenfachen Schriftsinn bestanden Einhelligkeit, Wahrheit ... hat selbst allegorisiert in Psalmen aber wol:)l kein Recht, die andere Möglichkeit abzulehnen - warum soll das Wort nicht au c h symbolische oder allegorische Bedeutung haben können? Entscheidend ist nur, und das einzige Kriterium, ob hier nichts anderes entdeckt wird als eben Christus - also 1. auf das Was! auf den In haI t der allegorischen und symbolischen typologischen Auslegung kommt es an; 2. darauf, daß nur dem W 0 r t der S c h r i f t diese Kraft des allegorischen, symbolischen etc. Christuszeugnisses, diese Durchsichtigkeit zugemessen wird. Innerhalb dieser beiden Schranken scheint mir die a 11 ego r i s c h e e t c. Aus 1 e gun gin ihr e r Fr e i h e i t bl e i ben zum ü s sen und innerhalb dieser Schranken hat sie das Neue Testament selbst geübt. Wie dürften wir sie für unmöglich halten? Nicht als falsche Beweismittel, aber als Lobpreis auf die Fülle des Christuszeugnisses der Schrift bleibt die allegorische Auslegung eine schöne Freiheit der kirchlichen Auslegung der Schrift. Gern legt Bonhoeffer "typologisch" aus (wie es aUch der Hebräerbrief tut - nicht unbedingt und überall Paulus!), aber auch da gibt es bei ihm kein Schema. Es geht immer um einen Sinnzusammenhang, um einen Spannungsbogen vom konkreten alttestamentlichen Geschehen zum Werk und zur Person Jesu Christi, durch den erst der Sinn dieses Geschehens entschlüsselt, verständlich, gültig und wahr wird. Es hängt die Decke vor den Augen der Juden wie der Religionsgeschichtler (wobei er von beiden - sei es Martin Buber oder Hermann Gunkel! - gerne lernte), die nur durch das Wort Jesu entfernt wird. Der lange Weg vom alttestamentlichen Wort zu Jesus Christus kann nicht "vocabiliter", mit Hilfe der Vokabel, gegangen werden, so daß man das rote Seil der Rahab in Jericho mit dem Blut Jesu in Verbindung bringt, wie Wilhelm Vischer das einmal getan hat. Das Äußerste in dieser Hinsicht wagt Bonhoeffer im "König David", wo er 2. Sam. 15, 23 so auslegt: "David muß Jerusalem verlassen - der gestrafte David leidet außerhalb der Tore Jerusalems ... Er trägt den Fluch der Sünde, die Strafe seines Hauses. ,Und der König ging über den Bach Kidron', denselben Bach, über den der Sohn Davids in der Nacht vor seiner Kreuzigung ging, als er sich anschickte, die Strafe der Welt zu tragen draußen vor dem Tor (Hebr. 13, 12)" (Junge Kirche, 1936, S. 201).
Die Paralletität des inneren Weges bei David und Christus wird in der Parallelität auch des äußeren geographischen Weges sichtbar. Es muß sich im Sinnzusammenhang zwischen Altem Testament und Neuem Testament, beim Gang von diesem zu jenem um ein innerlich notwendiges Weitergehen handeln von der alttestamentlichen Frage, Hoffnung, Sehnsucht, von der Voraus-Darstellung, vom Angeld oder Hinweis bis hin zur Antwort, zum Opfer, zum Werk und zum Tode Jesu Christi. Dabei wird die Unfertigkeit, das Über-sich-Hinauswachsen des Alten Testaments desto klarer, je sauberer wir sachlich,
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dogmatisch unvoreingenommen, literarkritisch und relgionsgeschichtlich, menschlich und psychologisch auslegen. Je weniger fromm und je weltlicher wir hier interpretieren, je besser wir Wort und Situation historisch und literarisch verstehen, desto echter und innerlich notwendiger wird das Kreuz als Sinn und Antwort. J§.......s:~ht nicht darum, Christus ins Alte Testamen,t_ hineinzugeheimnissen. "Das Alte Testament legt sIch aus und verteidigt sich am besten selbst" hat Bonhoeffer einmal gesagt. Aber eben so, daß seine Vor-Läufigkeit, seine Unvollkommenheit, ja, seine Widersprüchlichkeit an den Tag kommt. Daß es klar wird, sein Sinn und sein Ziel liegt außerhalb seiner Grenzen. Dieses "Außerhalb" kennen wir nun. Deshalb konnten die Alten von "pneumatischer" Exegese reden. Es geht aber nicht um einen "doppelten" Sinn der Schrift, sondern um eine doppelte Beziehung des Wortes nach rückwärts zum Geschehen und nach vorwärts zur Ratifizierung eben dieses Geschehens, das in sich unfertig ist. Insofern wird die Auslegung immer zweilinig sein müssen. Der Text muß auf den darin zum Ausdruck kommenden, gemeinten Wortsinn befragt werden und - sehr viel vorsichtiger! - auf sein Telos hin abgehorcht werden. Das Telos aber - mag der Redaktor des alttestamentlichen Textes das wissen oder nicht - ist Wort und Kreuz J esu Christi. IH. Doch nun zu einem speziellen Teil und Beispiel der Bonhoefferschen Schriftauslegung, seiner Psalmenexegese! Bonhoeffer hat oft gesagt, daß wir die Lehre von der Schrift parallel zur Christologie verstehen müßten. Das prophetische und das priesterliche Amt Jesu Christi - wenn wir vom königlichen einmal absehen wollen - ist im Wort der Schrift enthalten. Wie Christus in Vollmacht und Autorität Gottes als "wahrer Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren" vom Himmel zu uns Menschen gekommen ist, so redet das Gebot, so reden die Propheten im Wort zu uns in der Vollmacht und Autorität Gottes. Wie Jesus als "wahrer Mensch, von der Jungfrau Maria geboren", beladen mit Sünde, Schuld und Schicksal der Menschen vor Gott steht und als unser stellvertretender Hohepriester Gebet und Schrei und Angst und Verzweiflung zu Gottes Thron bringt, so reden die Psalmen die Worte und Gebete der Menschen zu Gott. J esus Christus ist das fleischgewordene Wort Gottes, er vertritt Gott auf der Erde vor uns Menschen. Aber Jesus Christus ist auch das geistgewordene Menschenwort, er vertritt uns Menschen vor Gott im Himmel. Die Schrift ist Gottes Wort im Menschenmund. Der Psalter steht im Worte Gottes, er ist das Menschenwort vor Gottes Ohr. "Jesus Christus hat alle Not, alle Freude, allen Dank und alle Hoffnung der Menschen vor Gott gebracht. In seinem Munde wird das Menschenwort zum Gotteswort, und wenn wir sein Gebet mitbeten, wird wiederum das Gotteswort zum Menschenwort. So sind
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alle Gebete der Bibel solch' Gebete, in die er uns hineinnimmt und durch die er uns vor Gottes Angesicht trägt" (Gebetbuch 4). Das Wort der Psalmen kommt also nicht von Gott her auf uns zu, sondern will von uns Menschen zu Gott hin. Wir werden hier nicht angesprochen, sondern dürfen uns ausgesprochen fühlen; wir werden hier nicht angeredet, sondern werden mit den Redenden solidarisch; wir hören das Wort Gottes hier nicht nur als an uns gerichtet und dürfen es so weitersagen, sondern dürfen es als unser Wort sprechen; wir sind hier nicht "du" oder "ihr" genannt, sondern können mit dem Wort Gottes "ich" sagen und uns einschließen und einbeziehen lassen in ein großes "Wir". Wer ist nun dieses "Ich" und dieses "Wir"? Wir werden zuerst zu beachten haben, daß uns die Psalmen in und mit dem Namen Davids überliefert worden sind. Die Literarkritik hat uns erkennen lassen, daß der Name Davids bei den meisten Psalmen später darüber gesetzt worden ist. Aber was hat das zu bedeuten? Können wir das deshalb einfach streichen? Nein. Es hat einen tiefen Sinn. Die literarkritische Forschung hilft uns zu einer wesentlichen theologischen Erkenntnis. Die Psalmen werden deshalb in der Mehrzahl dem Namen Davids zugeschrieben, nicht weil er der Verfasser, sondern weil das der den Betern des Alten Bundes bekannte messianische Name war, mit dem sie ihre Gebete zeichneten und durch den sie ihre Gebete gedeckt wußten. David war ihnen der Vorläufer des Messias, in dessen Namen sie beteten. Das hat eine historische und eine theologische Seite. a) David hat eine Tradition des Betens und Singens in Israel begründet, so, wie Papst Gregor der Große den Gregorianischen Gesang begründet hat, ohne doch alle gregorianischen Choräle selbst gemacht zu haben. Diese Begründung der israelitischen Gebetstradition ist in seinen eigenen Gebeten und Psalmen zu suchen (Ps. 18, vgl. 2. Sam. 22), besonders in dem Gebet, in dem er auf die Messiasverkündigung des Nathan antwortet: 2. Sam. 7, 18 ff. b) David galt also seinem Volk als der Vorbeter Israels. Diese Geltung hängt zusammen damit, daß er das alttestamentliche Vorbild und der alttestamentliche Schatten (nach Hebr. 8, 5) des Messias ist. In seinem Namen also wurde in Israel gebetet, "um Davids und seines Leidens (!) willen" (Ps. 132) wurde Gott um Erhörung angefleht. So steht sein Name über den Gebeten Israels, wie der Name Jesu Christi über den Gebeten der Christenheit. Wenn wir im Namen Jesu beten und gewiß sein dürfen, daß er mit seinem Namen unsere Gebete zeichnet, so ist das dasselbe, als wenn ein Psalm die Überschrift trägt: "Ein Psalm Davids". In der theologischen Vorbemerkung über das "neutestamentliche und prophetische Zeugnis von David" zu der Bibelarbeit über König David heißt es bei Bonhoeffer: "So versteht es sich, daß das Neue Testament die Worte der Psalmen Davids als Christusworte hört: Hebr. 2, 12; 10, 5 heißt es sogar, daß Christus in den Psalmen Davids in die Welt gekommen sei.
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Christus war wirklich in den Worten Davids gegenwärtig. Christus betet am Kreuz Worte aus den davidischen Psalmen, macht sie zu seinen eigenen, bestätigt sie als die seinen ... Das einhellige Zeugnis der Propheten und des Neuen Testaments erkennt in David den im Alten Bund vorgebildeten Messias. Christus ist in ihm, und nur dadurch ist er, was er ist. Wie der Opferkult der Schatten war, der von dem Opfer Christi auf den Alten Bund fiel, aber nicht nur "Schatten", sondern zugleich "Vorbild" (Hebr. 8,5; 10, 1), so muß nun analog David als "Vorbild und Schatten" des Messias verstanden werden" (Junge Kirche, 1936, S. 65 f.). Noch einmal fragen wir: Wer ist nun dieses "Ich" und dieses "Wir"? Im Psalter erklingt die Stimme des Menschen schlechthin. Luther sagt: Hier siehst du allen Heiligen ins Herz. Es erklingt die Stimme des Menschen in Jubel und Freude, in Not und Elend, in Angst und Verzweiflung, in Dankbarkeit und Sehnsucht, in Lob und Anbetung, aus der Einsamkeit und in der Gemeinschaft. Gunkel hat bei den Psalmen nach dem "Sitz im Leben" - in der Fülle des Lebens! - gefragt. Über ihren Sitz im Leben der Gemeinde, des Kultus, hat uns sein Schüler Mowinckel und neuerdings H. J. Kraus in seiner Studie über das Herbstfest der Israeliten 9) viel zu erkennen gegeben. Aus diesem einsamen und gemeinsamen Leben erklingt also die Stimme de~ Menschen. Wer ist der Mensch? Ecce homo! Jesus Christus ist der Mensch, der Zugang hat zum Vater, dessen Stimme bei ihm und vor ihm gilt. Sein Geist ist es, der uns vertritt mit unaussprechlichem Seufzen, wenn wir nicht mehr beten können. Er vertritt unsere Sache, unser Anliegen vor Gott. Keine Menschenstimme wird von Gott gehört, erhört und aufgenommen, es sei denn durch Jesus Christus, ja, es sei denn die Stimme Jesu Christi selber, die sich mit der Menschenstimme verbindet und verbündet, die sie trägt, reinigt und vertritt. Wenn also der Psalter die Stimme des Menschen ist, die Gott gehört, erhört, aufgenommen hat in sein Wort, dann erklingt hier in sehr geheimnisvoller Weise im Chor der Psalmisten als führende, tragende Stimme, als cantus firmus gleichsam, die Stimme J esu Christi. "Wie ist es möglich, daß zugleich ein Mensch und Jesus Christus den Psalter beten? Es ist der menschgewordene Sohn Gottes, der alle menschliche Schwachheit an seinem eigenen Fleisch getragen hat, der hier das Herz der ganzen MeI1schheit vor Gott ausschüttet, der an unserer Stelle steht und für uns betet. Er hat Qual und Schmerz, Schuld und Tod tiefer gekannt als wir. Darum ist es das Gebet der von ihm angenommenen menschlichen Natur, das hier vor Gott kommt" (Gebetbuch 6). Jesus Christus ist das Ich des Psalters. Die Kirche, der Leib Jesu Christi ist das Wir des Psalters. Ein historischer Ausdruck dessen ist die Tatsache, daß Jesus die Psalmen gebetet hat. Matthäus berichtet uns (Matt. 26, 30), daß Jesus 9) H. J. Kraus, Gottesdienst in Israel. Beiträge z. Ev. Theol., Bd. 19, München 1954.
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mit seinen Jüngern nach dem Abendmahl das "Hallei" gebetet hat. Das sind die Psalmen 113-118. Wir müssen sie einmal lesen auf diese Situation Jesu hin, wie transparent sie dann werden! Wie Jesus durch sie auf seinem Wege bestätigt, bestärkt, geführt wurde - bis hin zum großen Sieges- und Osterjubel im Ps. 118! Die Psalmenauslegung Bonhoeffers ist nie allegorisch gewesen, sondern geschah immer in einem systematischen Sinnzusammenhang, man kann auch sagen: typologisch. j Ich erinnere mich an eine Predigt in Finkenwalde, in der er den 58. Psalm auslegte: "Der Gerechte wird sich freuen, wenn er solche Rache sieht, und wird seine Füße baden im Blut der Gottlosen, daß die Leute werden sagen: Der Gerechte wird ja seiner Frucht genießen; es ist ja noch Gott Richter auf Erden". Gott hat Gericht gehalten, aber über seinen eigenen Sohn. Das Blut des Gerechten ist geflossen statt des Blutes des Gottlosen. Aber es ist ihr Blut, was hätte fließen müssen, es ist das Blut, das sie verschuldet haben, es ist das Blut, was stellvertretend für ihr Blut geflossen ist. Dies Blut, diese Gerechtigkeit ist nun Schmuck und Ehrenkleid des Gottlosen, ist Frucht der Gerechtigkeit für die durch diese Gerechtigkeit Gerechtfertigten. - So erfüllt Jesus Christus auch die Rachepsalmen: "Das Gebet um die Rache Gottes ist das Gebet um die Vollstreckung seiner Gerechtigkeit im Gericht über die Sünde. Dieses Gericht muß ergehen, wenn Gott zu seinem Wort steht, es muß ergehen, wen es auch trifft; ich selbst' gehöre mit meiner Sünde mit unter dieses Gericht. Es muß erfüllt werden um Gottes willen, und es ist erfüllt worden, freilich in wunderbarer Weise. Gottes Rache traf nicht die Sünder, sondern den einzig Sündlosen, der an der Sünder Stelle getreten ist, den Sohn Gottes. Jesus Christus trug die Rache Gottes, um deren Vollstreckung der Psalm betete. Er stillte Gottes Zorn über die Sünde und betete in der Stunde der Vollstreckung des göttlichen Gerichtes: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!" Kein anderer als er, der den Zorn Gottes selbst trug, konnte so beten. Das war das Ende aller falschen Gedanken über die Liebe Gottes, der die Sünde nicht so ernst nimmt. Gott haßt und richtet seine Feinde an dem einzig Gerechten. und dieser bittet für die Feinde Gottes um Vergebung. Nur im Kreuz Jesu Christi ist die Liebe Gottes zu finden" (Gebetbuch 16).
Fassen wir zusammen. Bonhoeffer will die Kirche und damit uns lehren, die Psalmen recht zu beten. Das tut er, indem er sie, wie die Alte Kirche, Jesus Christus in den Mund legt und sie uns von der Erfüllung am Kreuz her verstehen lehrt. Denn alle Gebete der Psalmisten sind am Kreuz erfüllt. Die Leidenspsalmen: Denn alles Leid der Welt ist in der Passion zusammengefaßt. Die Unschuldspsalmen: Denn der einzig Schuldlose dieser Welt ist der Sohn Gottes. Die Bußpsalmen: Denn die Sünde der Menschen hat er auf sich genommen und ans Kreuz getragen. Die Psalmen des Lobes Gottes: Denn nur in ihm wird nicht der
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Mensch gerühmt und also die Kreatur zum Götzen gemacht, sondern der, der durch ihn als der Herr der Welt offenbar und rühmbar geworden ist, wird gepriesen - Gott. Jesus Christus ist das Ich des Psalters, weil er die Psalmen gebetet und vor Gott gebracht hat. Jesus Christus ist das Amen des Psalters, weil durch ihn die Psalmen erhört und erfüllt sind, weil er sie mit seinem Namen deckt und mit seinem Blut gezeichnet hat.
Bonhoeffers Gedanken über die Kirche und ihre Predigt in der "mündig" gewordenen Welt Von
Albrecht Schönherr
Eberhard Müller gibt uns in seiner kleinen Schrift "Die Welt ist anders geworden" 1) eine alarmierende Analyse unserer kirchlichen Situation. Im Mittelpunkt steht die Beobachtung, daß jede Schicht unseres Volkes, so wie sie in den Bann des Kollektiven gerät, sich der Verkündigung der Kirche in den bisher üblichen Bahnen mehr und mehr verschließe. Eine Gruppe nach der andern gehe verloren. Heute würden die Bauern, die doch bisher das Rückgrat der Kirchlichkeit bildeten, in den technischen Rationalisierungsprozeß hineingezogen und damit der Kirche entfremdet. Eberhard Müller empfiehlt, sich auf diese Entwicklung umzustellen und den Schwerpunkt der kirchlichen Arbeit weg von den Parochien in die Betriebe zu verlegen und den Menschen dort aufzusuchen. Dieser Weg ist im Osten so gut wie verschlossen. Auch im Westen dürfte er sehr schnell zu Ende sein, wenn etwa die christliche Betriebs gruppe, wie es Eberhard Müller vor Augen steht, ernsthaft mit den Kommunisten in entschlossener und wirksamer Vertretung der Arbeiterschaft wetteifern würde. Es ist nun aber die Frage zu stellen, ob der Schaden noch auf der Ebene von Met h 0 den und Ein f I u ß b e r e ich e n liegt. Wenn die Verkündigung der Kirche an die verschiedenen Schichten der Bevölkerung erst so mühsam herangetragen werden muß, wenn die Basis, auf der sie arbeiten kann, immer schmaler wird, so liegt die Erwägung nahe, ob denn hier in der Ver k ü n d i gun g seI b s t etwas nicht stimmt. Es wäre ernsthaft zu fragen, ob es nicht viel1)
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Hamburg, 1954, S. 5 ff.
leicht wesentlich t he 0 log i s ehe Gründe haben könnte, daß Bevölkerungsschichten, die in den Sog des Kollektiven geraten sind, von der Kirche kaum noch erreicht werden. Hier gibt Bonhoeffer seine Antwort. Wenn sie auch nur fragmentarisch und auch systematisch zum Teil noch unfertig vorliegt, so sind seine Gedanken in ihren Konturen doch deutlich genug, um sich Gehör zu verschaffen. Es ist" ja von ihnen tatsächlich, besonders von "Widerstand und Ergebung" 2), eine ungemein starke Wirkung ausgegangen. Warum versagt die Verkündigung der Kirche so weithin? Weil sie beherrscht ist vom "Gesetz" der Religion, weil sie ein "religiöses Apriori" voraussetzt. Wenn es sich aber herausstellen sollte, daß ein solches Apriori gar nicht vorhanden ist, daß die "Religion" nur eine zeitbedingte Form des Christentums war, dann ist der Mißerfolg der Verkündigung allerdings nur zu verständlich. Was heißt "religiöses Apriori?" Es ist die durch die Jahrhunderte hindurch weitergetragene, stillschweigende Voraussetzung, der Mensch b rau ehe den Gottesgedanken, um sich selbst zu verwirklichen, um seine Probleme zu lösen, um die Welt zu erkennen. Darauf baut die Verkündigung weithin auf und interpretiert ihre Texte demnach "religiös". Für das Kennzeichen solcher "religiöser" Interpretation hält Bonhoeffer, daß sie wesentlich individualistisch und metaphysisch bestimmt sei (WE 183 f.). Individualistisch: d. h. im Mittelpunkt stehen des Menschen persönliche Probleme, Not, Schuld, Geburt und Tod, SeelenheiL Methaphysisch: Gottes Tun ~rscheint als die Verlängerung unserer Fragen und Nöte ins Jenseits, Gott ist der Nothelfer, der "deus ex machina", die Lösung unserer "letzten Fragen". Dabei wird das Jenseits verstanden als das, was zeitlich und sachlich "dahinter" kommt. Es geht um den gleichen Begriff der "Religion", gegen den schon Karl Barths Römerbrief angeht. Der Mensch steht im Mittelpunkt, Gott ist Antwort auf sei n e Fragen, Helfer in sei n e r Not, Garant sei ne s Friedens, Wächter an der Grenze sei n e r Möglichkeiten. Der vollendete Gegensatz dazu dürfte die biblische Verkündigung des Reiches Gottes sein. Bonhoeffer zeigt, wie das religiöse, sogenannte "Apriori" sich tatsächlich als eine Arbeitshypothese erweist, die im Laufe der abendländischen Geistesgeschichte immer mehr abgebaut und widerlegt wird. In Politik, Wirtschaft und Kunst ist das längst geschehen (WE 215 ff.). Hier wird gedacht und gehandelt - "etsi Deus 'non daretur" (Hugo Grotius). Von den Naturwissenschaften ist gar nicht zu reden (WE 210 f., 240 f.). Es sei hinzugefügt: Die heutige Tiefenpsychologie, etwa bei C. G. Jung, hat uns gelehrt, auch über das Gebiet des' speziell Religiösen nachzudenken "etsi Deus non 2) Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hrsg. von E. Bethge. München 1951 = WE; die für unser Problem wichtigsten Abschnitte finden sich dort S. 178 ff. 183 ff. 206 ff. 210 ff. 215 ff. 229 ff. 233 ff. 239 ff. 244 ff. 247 ff. 253 f. 257 ff.
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daretur". Die VorsJellung "Gott" quillt aus dem. Bereich der "Archetypen", aus den Schichten des kollektiven Unbewußten. Weiter: Der heutige Volksmission ar macht die Erfahrung, daß er kein größeres Interesse mehr erweckt, wenn er seinen Hörer auf die ganz persönlichen Dinge des Lebens anspricht; der moderne Mensch wird mit Leiden, Schuld, ja selbst mit dem Problem des Todes fertig, "etsi Deus non daretur". Für den, der nicht mehr sein privates Leben leben kann, der nicht mehr im Schoß der Familie aufwächst und gehalten wird, sondern in zunehmendem Maße vom Kollektiv bestimmt wird, kann eine Verkündigung, die auf dem religiösen Apriori aufbaut, natürlich nichts mehr bedeuten. Das gleiche gilt für eine Welt, in der man nicht mehr den Begriff "Gott" zu bemühen braucht, um die ungelösten Probleme, die Dinge {ts'ta cpvaw anzugehen. So erklärt sich die von Eberhard Müller gezeichnete Entwicklung sehr einfach. Wie Karl Heim schon vor Jahren bemerkte 3), ist es für den heutigen Menschen typisch, daß er nicht mehr gegen die Religion a n k ä m p f t, wie das im 19. Jahrhundert im Namen der Wissenschaft geschah, sondern daß er völlig areligiös lebt. Dabei verzweifelt er nicht etwa, sondern es stellt sich heraus, daß er durchaus auch so leben kann. Zwar wird von wohlwollender, psychiatrischer Seite darauf hingewiesen, daß mit dem Schwund des religiösen Bewußtseins die Neurosen zugenommen hätten. Aber warum sollten nicht auch hier mit der Zeit Methoden gefunden werden, die die Fehlerquellen aufdecken und Fehlgriffe vermeiden können, "etsi Deus non daretur"? Außerdem wäre es vielleicht gar nicht so schwer, dieser Behauptung die Fülle der psychischen Belastungen entgegenzustellen, die gerade dur c h die Religion hervorgerufen werden und worden sind. Es ist dies die Entwicklung, die nun schon bis zum Überdruß unter dem Namen "Säkularismus" als die Wurzel alles Übels gebrandmarkt worden ist. Bei solchen Darstellungen spielt dann das Mittelalter, merkwürdigerweise oft auch auf protestantischer Seite, die Rolle des verlorenen Paradieses, das, in irgendeiner Form wieder zu gewinnen, angeblich die höchste Aufgabe ist (WE 216, 241). Bonhoeffer hat den Mut, nicht in die allgemeine Klage einzustimmen. Wenn er auch in der ~thik 4) im Kap. "Erbe und Verfall" den Weg des abendländischen Christentums zum Nihilismus deutlich sieht, so kann er doch die antichristliche Gottlosigkeit im Gegensatz zur christlichen Gottlosigkeit (die bezeichnet wird durch Schlagworte wie "christliches Abendland", "Verteidigung der christlichen Kultur", und die das Christentum als weltanschauliches Fundament der Staaten westlicher Prägung im Gegensatz zu den Weltanschauungsstaaten des Ostens, und d. h. eben als Mit tel zum Z w eck, 3) Karl Heim, Der christliche Gottesglaube und die Naturwissenschaft. Tübingen 1949. 4) München, 1949.
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benutzen möchte) durchaus positiv beurteilen: Es gibt "neben der religiös christlich verbrämten Gottlosigkeit, die wir eine hoffnungslose Gottlosigkeit nannten, eine verheißungsvolle Gottlosigkeit, die antireligiös und antikirchlich spricht. Sie ist der Protest gegen die fromme Gottlosigkeit, soweit sie die Kirchen verdorben hat, und wahrt damit in gewissem, wenn auch negativem Sinne das Erbe eines echten Gottesglaubens und einer echten Kirche. Hierher gehört der Satz Luthers, daß Gott ,das Fluchen der Gottlosen lieber hören könnte, als das Halleluja der Frommen'" (E 42). Bonhoeffer erkennt in der "Religion", die Gott abhängig macht von unseren Fragen und Nöten und ihm den entsprechenden, tatsächlich immer enger werdenden Raum zuteilt, die besonders gefährliche Form der menschlichen Hybris, die durch fromme Tarnung ihren Platz auf dem Thron behaupten will. In "Widerstand und Ergebung" 5) braucht B. für die Areligiosität unserer Zeit den sehr positiven Ausdruck "Mündigkeit". Die Welt hat sich frei gemacht von der Bevormundung durch die Kirche, ja. von dem Gesetz der Religion. Man "braucht" Gott nicht mehr, um mit der Welt und dem Leben fertig zu werden. Es muß sich die Frage aufdrängen, wie denn überhaupt noch in einer Welt, die nicht mehr nach Gott fragt, christliche Verkündigung ausgerichtet werden könne. Wo soll man anknüpfen? Wo ist noch Raum für die biblische Botschaft? (WE 241). Bezeichnender Weise wird diese Frage gar nicht gestellt. B. würde sie als falsch, ja, als ungläubig abweisen. Gott lebt nicht von dem Raum, den wir ihm lassen. Gott lebt nicht von den Fragen, die wir ihm stellen. Gott ist der Herr unseres Lebens, auch ohne daß bei uns für ihn das Gebiet des Religiösen ausgespart würde. Daß Gott die Menschheit in der Inkarnation seines Sohnes angenommen hat, daß Jesus Christus sie am Kreuz versöhnt hat, daß er zu Ostern ihr Herr geworden ist, daß er das Reich Gottes heraufführt, sind Tatsachen, die nicht erst dadurch wirklich werden, daß wir sie glauben. Daß aber eine Gemeinde da sein wird, die zum Glauben findet, mag ihre Zahl in der mündig gewordenen Welt auch klein sein, ist ohne Zweifel. Christus" will und er wird Gestalt gewinnen in Menschen, die sich seiner Herrschaft öffnen. Das Problem ist nur, wie die Kirche ihrem Auftrag, das Evangelium in einer mündig gewordenen Welt zu verkündi. gen, nachkommen wird. Die Kirche wird in der mündig gewordene:n W e I t n ich t p red i gen k ö n n e n, 0 h n e der e n M ü n d i g k e i t a n z u e r k e n n e n. Sie wir d die M ü n d i g keit der Welt im Sinne des Kreuzes Jesu Christi verstehen: Die Welt muß ohne Gott vor G 0 t t leb e n. Die Kirche wird die Mündigkeit des modernen Menschen als sein beherrschendes Selbstverständnis anerkennen müssen. Sie wird sie 5) Vom 8.
Juni 1944 an (S. 217).
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unerschütterlich anerkennen auch angesichts der großen Selbstsicherheit, mit der der moderne Mensch seinen Weg geht (WE 216). Sie wird das schon aus intellektueller Redlichkeit tun. Man kann nicht den Begriff "Gott" einfügen, wo man gelernt hat, ohne ihn zu denken. Ein erbaulich argumentierender Naturwissenschaftler ist ein Zwitter (WE 240 f.). Wir hätten uns also auch vor der allzu großen Unbekümmertheit zu hüten, mit der sich manche Theologen auf gewisse Ergebnisse der Atomphysik stürzen, um sie theologisch auszuschlachten. Der Spott der Materialisten ist ihnen ganz recht: Der Gott dieser Theologen habe seinen Platz in der Größenordnung des Planck'schen Wirkungs quants, also in Ausmaßen, die bei 10-27 liegen. Gott ist nicht der Lückenbüßer unserer unvollkommenen Erkenntnisse, noch gar der Anwalt unserer Denkfaulheit. Auf den Einwand, daß unser Zeitalter ja doch nicht so einseitig wissenschaftlich geprägt sei, daß in zunehmendem Maße irrationale, ja, magische Motive zur Geltung kämen, wäre im Sinne B.s. zu antworten, daß die Kirche sich nicht auf die Hintertreppen des Geisteslebens zu begeben hat. Sie soll sich der Welt stellen, wie diese sich selbst in ihren besten und freiesten Vertretern versteht und verstanden wissen will. Sie soll sich nicht auf Dinge festlegen, die nicht der Höhenlage der Starken, Tapferen und Klugen entsprechen. Die Kirche wird sich von allen Versuchen einer fehlgeleiteten Apologetik abkehren müssen, die einer ihr selbst bewußten Welt ihre Sicherheit nehmen und ihr anbeweisen möchte, daß sie ohne den Vormund "Gott" eben doch nicht auskomme. Dazu bedient sie sich gerne der "säkularisierten Ableger der christlichen Theologie" (WE 217), der Existenzphilosophie und der Psychotherapie, um dem sicheren und in seiner Weise gewiß auch glücklichen Menschen nachzuweisen, daß er im Grunde doch unglücklich sei, daß er sich in einer Not befinde, die er zwar nicht zu durchschauen vermöge, von der er sich aber befreien lassen müsse. Damit macht man vielleicht auf eine Schar von degenerierten Intellektuellen Eindruck. "Der einfache Mann, der sein tägliches Leben in Arbeit und Familie und gewiß auch mit allerlei Seitensprüngen zubringt, wird nicht getroffen. 'Er hat weder Zeit noch Lust, sich mit seiner existenziellen Verzweiflung zu befassen und sein vielleicht bescheidenes Glück unter dem Aspekt der ,Not', der ,Sorge', des ,Unheils' zu betrachten" (WE 217). B. verurteilt solche Attacken der christlichen Apologetik auf die mündig gewordene Welt als 1. sinnlos, weil man sich ja nicht intellektuell in ein früheres Stadium der geistigen Entwicklung zurückversetzen kann, - 2. als unvornehm, weil hier der Versuch gemacht wird, die Schwäche eines Menschen in pfäffischer Weise auszuspionieren und zu Zwecken auszunutzen, die nicht von ihm selbst bejaht werden, - 3. als unchristlich, weil Christus mit einer bestimmten Stufe menschlicher Religiosität gleichgesetzt wird (WE . 217 f.). Man spürt es Bonhoeffer ab, wie anrüchig, ja ekel erregend ihm ein Christentum ist, das es Gott zumutet, in den Abfalleimern und
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in Kellerräumen der Menschheit herumzustöbern. Gottes Wort regiert, aber es verbündet sich nicht mit dem Mißtrauen (WE 236). Mißtrauen und Argwohn sind für B., für den innere Vornehmheit ein besonders charakteristischer Wesenszug ist, nichts als der Aufruhr der Minderwertigen (WE 235). Mitten im Leben muß Gott erkannt werden und nicht erst an seinen Grenzen, im Leben, im Handeln, und nicht erst in der Sünde. Jesus Christus ist ja die Mitte unseres Lebens und faßt es in der Mitte. Er ist nicht dazu gekommen, unsere ungelösten Fragen zu beantworten. Von der Mitte aus fallen viele dieser Fragen weg oder werden ganz unwichtig. In Christus gibt es keine "christlichen Probleme" (WE 211). Warum, fragen wir, nimmt Bonhoeffer nun aber diese Mündigkeit der Welt nicht nur als ein Faktum hin, das die Kirche tapfer zu tragen hätte? Warum bejaht er es geradezu, daß diese Welt ohne Gott leben will und kann? Warum zieht es ihn oft gerade zu den Religionslosen mehr als zu den Frommen? 6). Die Antwort hierauf führt uns in die letzten Tiefen theologischer Aussagen. Die Mündigkeit der Welt gerade zwingt uns dazu, unsere wirkliche Lage vor Gott zu verstehen. Hören wir B. selbst: "Wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, daß wir in der Welt leben müssen - ,etsi Deus non daretur'. Und eben· dies erkennen wir - vor Gott! Gott selbst zwingt uns zu dieser Erkenntnis. So führt uns unser Mündigwerden zu einer wahrhaftigen Erkenntnis unserer Lage vor Gott. Gott gibt uns zu wissen, daß wir leben müssen als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden. Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verläßt (Mark. 15, 34)! Der Gott, der uns in der Welt leben läßt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns. Es ist Matth. 8, 17 ganz deutlich, daß Christus nicht hilft kraft seiner Allmacht, sondern kraft seiner Schwachheit, seines Leidens!" Die Mündigkeit der Welt wird bejaht, weil damit die Situation des Menschen vor Gott absolut klargestellt wird. Die Religion, "Gott" als Arbeitshypothese, d. h. der für uns ar bei t end e G ö tz e hat sie verdeckt. Es geht um den Menschen, der auch in seiner Frömmigkeit sein will wie Gott und darum Gott los sein will. Es geht um den Menschen, der Gott in Jesus Christus ans Kreuz bringt. Gerade so, als der Herausgedrängte, als der Ohnmächtige ist er der Erlöser und Versöhner der Gottlosen. Die Mündigkeit der Welt wird christologisch ernst genommen. Darum ist das Urteil Bonhoeffers so positiv. "Die mündig gewordene Welt ist gottloser und darum vielleicht gerade Gott näher als die unmündige Welt" (WE 246). Wir sollten, wenn wir B. zustimmen, uns nicht an einigen aktuellen Folgerungen vorbeidrücken, die von hier aus im Blick auf den 6) WE 181,
vgl. Ethik 42.
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Marxismus zu ziehen wären. Bonhoeffer war gewiß kein Marxist und seine kritischen Bemerkungen im 1. Kap. von" Widerstand und Ergebung" (WE 9 ff.) werden sich auch auf diese Lehre erstrecken. Eine solche Kritik schließt aber nicht aus, die geistige Leistung des Marxismus auch theologisch ins Auge zu fassen. Der auf uns zukommende historische und dialektische Materialismus ist ja nichts anderes als eine emphatische und militante Mündigkeitserklärung der Welt durch sich selbst. Es gehört zu den Axiomen des dialektischen Materialismus, daß die Welt erkennbar sei, und daß die Menschheit zu immer besserer Erkenntnis fortschreiten werde. Es werde ihr gelingen, auch die jetzt noch leeren Stellen zu erforschen und jetzt noch ungelöste Probleme zu meistern. Mag sein, daß der Fortschrittsglaube, der dahinter steht, für die heutige Naturwissenschaft allzu naiv ist. Wir sollten aber bei Bonhoeffer lernen, daß der Materialismus sich kaum getroffen fühlen wird, wenn wir ihm ungelöste Probleme entgegenhalten. Wir werden ihn als die konsequenteste Darstellung jener Gottlosigkeit ansehen müssen, die christologisch so überaus bedeutsam ist. Es spricht manches dafür, daß der konsequente und militante Materialismus im Gegensatz zu dem verdeckten und christlich verbrämten des Westens die Kirche in die Haltung zwingt, in der allein sie noch ihrem Herrn dienen kann, nämlich zu unbedingtem Glauben und Gehorsam. Es lohnte eine Untersuchung darüber anzustellen, welchen Gewinn an geistlichem Leben die Liebe, gewiß, die harte Liebe ihres Herrn seiner Kirche durch diese Begegnung bereits jetzt schon hat zukommen lassen. Es wäre in diesem Zusammenhang auch zu fragen, ob die "Säkularisierung" der Welt nicht auch die ganz positive Bedeutung hatte, die Verkündigung und das Tun der Kirche auf diese Erde zurückzuholen. Wir müssen uns daran gewöhnen, daß Gottes Arm über die Grenzen der Kirche reicht, und daß darum denen, die Gott lieben all e Dinge, auch die unangenehmen, ja, sogar die "feindlichen", zum Besten diene müssen. Die Kirche wird in der mündig gewordenen W e I t P red i gen k ö n n e n, weil die Wir k li c h k e i t die s er W e 1 t dur c h Me n s c h wer dun g, K r e u z und Auferstehung Jesu Christi bezeichnet ist. Christus ist für uns da. Das ist die Wirkli c h k ei tun s e res M e n s c h sei n s. Auch die mündig gewordene, gottlose Welt bleibt ja Welt vor Gott. Daß sie ihrem Gott entflieht, ändert nichts an der Tatsache, daß Gott sie geschaffen hat, daß Christus in sie eingegangen ist, daß er sie mit seinem Vater am Kreuz versöhnt hat, daß er ihr Herr ist. Bonhoeffers Theologie ist sehr stark objektiv geprägt. Der Zentralbegriff seiner Theologie ist der des "Leibes Christi". Indem Christus menschlicher Leib wurde, hat Gott diese Welt angenommen. Sie ist versöhnt, weil Christus sie an seinem Leibe hinaufgetragen
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hat an das Holz. Sie ist erlöst, weil sie mit Christus auferstanden ist. Die ganze Weltwirklichkeit ist darum "bereits in Christus hineingezogen, in ihm zusammengefaßt, und nur von dieser Mitte her und auf diese Mitte hin geht die Bewegung der Geschichte". Das Weltliche ist "immer schon in der Bewegung des Angenommenseins und Angenommenwerdens von Gott in Christus" 7). Und zwar die Welt als ganze. Von B.'s theologischen Voraussetzungen aus verbietet es sich, die Welt in zwei Räume oder zwei Wirklichkeiten, eine Christus- und eine Weltwirklichkeit, aufzuspalten. Wir haben in unserer Verkündigung alle solche Versuche, in Räumen zu denken und sich darin zu verschanzen, nicht ernst zu nehmen. Die Begriffspaare weltlich-christlich, natürlich-über:natürlich, profan-sakral, vernünftig-offenbarungsgemäß sind keine letzten, statischen Gegensätze. Die Verkündigung der Kirche hat nicht an diesen Grenzen haltzumachen (E 55 ff.). Indem die Kirche die Wirklichkeit Gottes über dieser Welt verkundet und glaubend lebt, ist sie Kirche Jesu Christi. Durch sie und in ihr will Jesus Christus auf dieser Erd e G e s tal t g e w i n n e n. Sie wir d als 0 nur Kir c h e J e s u C h r ist i sei n k ö n n e n, i n dem sie selbst ganz für andere da ist und darauf verz ich t e t, s ich seI b s t z u b e hau p t e n. Sie wir d darum auch ihr Leiden als notwendigen Bes t a n d teil ihr e s Leb e n s mit C h r ist u s b e j a h e n. Die Kirche hat also der Welt den Tatbestand zu verkündigen, der für beide bereits Wirklichkeit ist: daß sie im Leibe Jesu Christi angenommen ist. Christusverkündigung ist die Aufgabe der Kirche. Darin hat sie ihr Leben. Nur und ausschließlich in dieser ihrer Aufgabe hat sie ihre Existenzberechtigung. Die Kirche hat keinen Wert an sich, den es zu behaupten gilt. , Aber sie b e z e u g t nicht nur eine Wirklichkeit. Indem sie Kirche ist und ihren Auftrag erfüllt, gewinnt Jesus Christus in ihr Gestalt (Ethik 23 ff.). Es ist der Inhalt von Christi Leben, für uns da zu sein. Indem die Kirche sich im Glauben zu ihrem Herrn stellt, nimmt sie an diesem Leben für andere teil (WE 259). In ihrem Liebesdienst ereignet sich Christi Dienst an uns in unserer Zeit. Weil die Kirche nur dann ihre Aufgabe erfüllt, wenn sie sich für andere hingibt, nimmt sie teil an Jesu Ohnmacl:J.t. Wollte sie sich selbst behaupten und irgend eine Macht für sich beanspruchen, könnte das Leben ihres Herrn nicht Gestalt in ihr gewinnen (WE 261). 7) Ethik 63; es darf aber nicht übersehen werden, daß dasHauptinteresse Bonhoeffers an dem Begriff des Leibes Christi nicht im Spekulativen, sondern im Ethischen liegt. Christus will in den Gläubigen Gestalt gewinnen, um durch sie als seine Glieder seinen Dienst an der Welt zu tun. Es geht ihm um das Funktionieren des Leibes Christi.
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Wenn wir das ernst nehmen, werden wir es also nicht beklagen, sondern annehmen und bejahen müssen, wenn wir in weiten Teilen der Welt immer mehr zu einer ohnmächtigen Kirche werden. Wir werden die Hand nicht küssen, die uns mehr und mehr aus dem Raum zurückdrängt, ,in dem die Machthaber dieser Welt ihr Wesen haben. Aber wir werden in solchem Geschehen die gnädige Hand Gottes glauben, der seiner Kirche zurecht helfen will. Man wende nicht ein, wir seien ja keine Staatskirche mehr, wir könnten auch keine finanzielle und agrarische Macht darstellen. Immerhin ist uns noch die Macht der Zahl geblieben, die in den Statistiken und auch auf den Kirchentagen munter eingesetzt wird. Auch die Macht der öffentlichen Meinung spielt eine nicht unerhebliche Rolle. Geblieben ist auch die Macht der Feierlichkeit unserer Räume und Gottesdienste. Sie wird von den meisten Pastoren gern als Bundesgenosse angenommen. Wir werden uns darauf rüsten müssen, daß es mit all dieser Macht eines Tages zu Ende ist. Die öffentliche Meinung, die der Kirche heute noch ein gewisses Wohlwollen sichert, könnte sich sehr schnell wenden, wenn man sie etwa nicht mehr als Bundesgenossin offizieller oder unausgesprochener politischer Wünsche verstehen könnte. Die Ohnmacht der Kirche ist kein Programm, das man sich zum Ziel setzen könnte. Aber wenn wir auf 9.em Wege dazu sind, ohnmächtig zu werden, sollen wir darin kein Unglück, sondern die gnädige Führung unseres Herren sehen, der seine Kirche noch nicht verlassen hat. Dann verstehen wir die seltsame Aussage des Paulus: "Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen, da mit die überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht unser" (2. Kor. 4, 1 ff.). Dann lernten wir es, uns ausgerechnet der Schwachheit zu rühmen (2. Kor. 12, 9), weil nur so glaubhaft bezeugt werden kann, daß Gott allein mächtig ist, und daß Christus uns in den ,Dienst für andere berufen hat. Ist es so abwegig, wenn man den Verlauf der Kirchengeschichte überblickt, daß der Marxismus die Kirche im wesentlichen als einen politischen Machtfaktor ansieht? Daß er das tut, wird hier und da nicht einmal als unangenehm empfunden. Denn er sieht sich unter bestimmten politischen Aspekten veranlaßt, diese "Macht" zu respektieren. Aber die Botschaft der Kirche, um deretwillen sie eigentlich lebt, wird er und die mündig gewordene Welt so nicht hören können. "Nicht durch Begriffe" (die dann so biblisch gegründet und dogmatisch sauber sein mögen, wie sie wollen) "sondern durch ,Vorbild' bekommt ihr Wort Nachdruck und Kraft" (WE 262). Nicht ohne Grund geht der Hauptstoß der Kritik an der Kirche gerade in diese Richtung. Zu der Ohnmacht gehört dann ganz natürlich das Leiden mit Christus hinzu. B. kommt im Gefängnis zu der tiefen Erkenntnis, daß das Leiden nicht ein Feind ist, der zu fliehen wäre, nicht einmal nur Schickung Gottes, die wir geduldig zu tragen haben. Das Leiden des Christen ist etwas durchaus Aktives, ist Tat, Aufgabe,
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die uns gestellt ist und die wir zu erfüllen haben. Im Leiden wird der Christ ganz frei dafür, den Weg Christi in dieser Welt mitzugehen: "Christen stehen bei Gott in seinem Leiden" (WE 244). "Nicht nur die Tat, sondern auch das Leiden ist ein Weg zur Freiheit. Die Befreiung liegt im Leiden darin, daß man seine Sache aus den eigenen Händen geben und in die Hände Gottes legen darf. In diesem Sinne ist der Tod Krönung der menschlichen Freiheit. Ob die menschliche Tat eine Sache des Glaubens ist oder nicht, entscheidet sich darin, ob der Mensch sein Leiden als eine Fortsetzung einer Tat, als eine Vollendung der Freiheit versteht oder nicht. Das finde ich sehr wichtig und sehr tröstlich" (WE 254). Die Kirche, die so aus ihrem Herrn existiert, wird in ihrer Predigt nicht auf ein metaphysisches Jenseits, sondern auf den Nächsten als unser eigentliches Jenseits verweisen. Sie wird nicht einen religiösen Lebensraum pos t u I i e ren, s 0 n der n g a n z w e I t I ich sei n. Sie wird dazu helfen, an den Fragen, Nöten und Aufgaben der Welt teilnehmend nichts aus sich machen zu wollen, sondern sich ganz Gott in die Arme zu werfen. Frei von aller eigenen Macht, frei von dem WiÜen zur Selbstbehauptung, ist der Christ frei für Gott und für den anderen Menschen.Für andere da zu sein, ist sein Beruf. Nicht in einem Jenseits irgendwo nach dem Leben, sondern mitten in diesem Leben, diesseits, liegt seine Aufgabe. Gott ist nicht der "ganz Andere" im Sinne. einer philosophischen Transzendenz. Er ist es darin, daß er entgegen aller weltlichen Erfahrung in J esus Christus für andere da ist (WE 259). Transzendenz ist also bei B. kein formal erkenntnistheoretischer Begriff. Er ist ausschließlich theologisch qualifiziert. So kann er sagen: "Der jeweils gegebene, erreichbare Nächste ist das Transzendente" (WE 260). Die Diesseitigkeit, die "Weltlichkeit" des Christen und der Kirche, ist also bestimmt von dem Dienst, den sie für andere tut. B. stellt gegenüber: "Ich habe in den letzten Jahren mehr und mehr die tiefe Diesseitigkeit des Christentums kennen und verstehen gelernt. Nicht ein homo religiosus, sondern ein Mensch schlechthin ist der Christ, wie Jesus ... Mensch war. Nicht die platte und banale Diesseitigkeit der Aufgeklärten, der Betriebsamen, der Bequemen oder der Lasziven, sondern die tiefe Diesseitigkeit, die voller Zucht ist, und in der die Erkenntnis des Todes und der Auferstehung immer gegenwärtig ist, meine ich" (WE 247 f.). Und B. fährt dann fort: "Später erfuhr ich und ich erfahre es bis zur Stunde, daß man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen - sei es einen· Heiligen oder bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann (eine sogenannte priesterliche Gestalt!), einen Gerechten oder Ungerechten, einen Kranken oder einen Ge-
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sunden - und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Mißerfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten, leben - dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht nur die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist ,Metanoia'; und so wird man ein Mensch, ein Christ" (WE 248 f.). Wir wollen nicht überhören, daß B. eine "platte und banale Diesseitigkeit" ablehnt, in der die Kirche einfach zur Welt wird. Man darf seine Worte in dieser Sache nicht so verstehen, als wolle er die Kirche völlig aufgelöst wissen in ein "irgendwie" weltliches Handeln. Seine Diesseitigkeit ist schärfste Indienstnahme, nicht ein bequemes Drückebergertum, das einfach mitmacht, was die anderen tun. Die folgende These sei deshalb als Erläuterung daneben gesetzt. Indem die Kirche ganz ihrer Aufgabe lebt und nichts für sich selber begehrt, ist in ihr bereits neue Schöpfung verwirklicht. Sie steht im Mittelpunkt dessen, was Gott an die s e r W e 1 t tut. 0 b w 0 hIs i e g a n z für die W e 1 t d ais t, gib t sie s ich n ich t a n die W e 1 tau f. Sie wird die Fragen des Gottesdienstes, der Ordnung, der Kirchenzucht und der persönlichen Zurüstung zum Dienst (Meditation, gemeinsam e s Leben) um ihrer Ver k ü n d i gun gw i 11 e n ern s t n e h m e n. B. wirft es der evangelischen Kirche vor, daß sie, anders als Rom, eine gewisse Selbstzwecklichkeit völlig außer acht gelassen habe (WE 233 f.). Die Gemeinde ist das Ziel der Wege Gottes auf Erden, weil sie für die Welt eintritt und damit Gottes Willen an dieser Welt verwirklicht. Es ist ihr nicht gut, daß sie in vermeintlichem Diensteifer die Fragen der Ordnung und Zucht, der Liturgie und der persönlichen Zurüstung allzu wenig beachtet hat. Die Unsicherheit in all diesen Fragen ist ihrer Verkündigung durchaus -abträglich. Wer B. im Sinne eines christlichen Existentialismus mißversteht, möge nur an seine kleine Schrift "Gemeinsames Leben" denken und die Ausführungen in der Ethik über das Mandat der Kirche nachlesen (Ethik 227 f.). In diesen Zusammenhang gehören auch seine Hinweise auf die Arkandisziplin (WE 185). Es bleibt nun die Frage offen, wie denn die Predigt in der mündig gewordenen Welt konkret auszusehen habe. Es läge nahe, B.'s eigene Predigten als Beispiele dafür heranzuziehen. Aber das ist kaum möglich. Die uns bekannten hat er in einer Zeit gehalten, in der die Gedanken, die er in "Widerstand und Ergebung" anrührt rind die in der Ethik erst ganz leise anklingen, noch nicht bestimmend gewesen sind. Seine Predigten haben großen Eindruck gemacht. Sie waren sorgfältige Interpretationen der Texte, so sehr,
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daß sie dem Hörer die Texte über Jahrzehnte hinweg eingeprägt haben. Sie waren von großer Straffheit in den Gedanken, frei von Psychologismen, von Geschwätz und rhetorischem Beiwerk. Daß sie aber in dem oben besprochenen Sinne "diesseitig" gewesen seien, kann man nicht sagen. B. sieht die Aufgabe, die Verkündigung ganz neu zu orientieren. Die biblischen Grundbegriffe, die das christliche Leben bezeichnen, Buße, Glaube, Rechtfertigung, Wiedergeburt, Heiligung, müssen neu verstanden werden: Sie tragen ja die Predigt. An ihrem Verständnis hängt alles. Die Kirche wird sich die großen biblischen Beg r i f f e neu e rar bei t e n m ü s sen. Sie wir d i n ihn e n n ich t A n t w 0 r t e n auf uns e re Fra gen und Hilf e n für uns e reN 'ö t e s ehe n d ü r f e n. Sie wir d sie als Aussagen über die Wirklichkeit unseres· Menschseins, wie es durch Menschwerdung, Tod und Auferstehung Jesu Christi geprä g t ist, n e h m e n. Sie wir d sie s 0 ver s t ehe n , daß sie ein Leben für Gott und den Nächsten b e z e ich n e n. Sol c h eIn t e r p r eta t ion k a n n nur in einer zum Christusdienst befreiten Kirche gel eis t e t wer den. Die P red i g tab er, die s ich davon leiten läßt, wird gehört werden. Sie wir d die W e I t ver ä n der n. Über dieser Arbeit an der "nichtreligiösen Interpretation" der biblischen Begriffe liegt viel Tragik. Hier wird schmerzlich deutlich, daß ein Gefangener schreibt. Wie es seine Art ist, denkt und schreibt er sich langsam an die Dinge heran, deren Wichtigkeit er intuitiverfaßt hat. Aber da sind dann die Hindernisse: Er wird zum Verhör geholt, es kommt Luftalarm, an einem anderen Tage kann er sich nicht der Hitze erwehren, dann ist er zu müde. Obwohl er immer wieder neue Anläufe macht, bleibt er uns doch die eigentliche Ausführung seiner Gedanken über die biblischen Begriffe schuldig. Er hat erst in der letzten Zeit seiner Gefangenschaft über diese Dinge nachgedacht. Der gewaltsame Tod hat ihn daran gehindert, damit zu Ende zu kommen. Wie schmerzlich vermissen wir gerade hier seine Anleitung! Die Aufgabe bleibt. Wir dürfen sie nicht mißverstehen, als handele es sich hier lediglich um akademische Interpretationsfragen, als könne man also nach gewissen neuen Grundsätzen ein biblisches Begriffslexikon entwerfen. Wir hören schon in der "Nachfolge", daß es keine Erkenntnis gibt, abgesehen von der Existenz 8). Die Neuorientierung, die hier zu leisten ist, ist nicht allein Sache der Theologie, sondern ist eine Frage an die Existenz der Kirche. Die christlichen Grundbegriffe sollen nicht religiös interpretiert werden. D. h., wir sollen 8)
Nachfolge. München 1937, S. 8.
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sie nicht als Antworten auf unsere Fragen und Hilfen für unsere Nöte mißverstehen. Sie werden Aussagen sein über unsere Existenz in einer von Christus gerichteten und angenommenen Welt. Sie werden so verstanden werden müssen, daß sie das Verhältnis zum Anderen, zum Nächsten bezeichnen. So deutet B. selbst an, daß Buße diesen Verzicht, aus sich selbst etwas zu machen und ganz am Lei~ den Gottes in der Welt teilzunehmen, bedeutet (WE 244). Und an anderer Stelle sagt er ganz kurz: "Von der Auferstehung her leben, - d. h. doch Ostern" (WE 169). Es ist deutlich: B. meint, nur eine Kirche, die wirklich für andere da ist, kann hier auch richtig interpretieren. Es k ö n n e n hier also keine schnellen Rezepte gegeben werden, und wir dürfen nicht danach greifen wollen. Es kann sogar sein, daß das Wort der Kirche eine zeitlang verstummen muß, bis es wieder recht gehört werden kann. "Wie sprechen wir weltlich von Gott - aber vielleicht kann man gar nicht mehr von ihm sprechen" (WE 180). Wir sind noch ganz auf dem Wege. Gerade im deutschen Raum werden wir noch schwere Umwälzungen in unserer Kirche - und dann gewiß stellvertretend für die ganze Christenheit - durchzumachen haben. B. spürt es selbst, daß ein religionsloses Christentum wichtig sein müßte in der Mitte zwischen Ost und West (WE 182). Geschichtlich gesprochen wird sich die Frage, ob sich im Bereich des konsequenten Materialismus die Kirche Jesu Christi wird behaupten können, daran entscheiden, ob sie sich der Hülle, ja, der Fessel des Religiösen wird entledigen können. Daß er sie vor diese Entscheidungsfrage stellt, ist der Dienst, den ihr der militante Materialismus, providentia Dei, tun muß. Statt eigener Prognosen wollen wir uns mit B.'s überaus ernsten, aber durch den Glauben, der daraus spricht, so tröstenden Worten sagen lassen, wie er die Zukunft sieht. So heißt es in der Taufansprache, die er aus dem Gefängnis für sein Patenkind schreibt (WE 2061.): "Wir sind wieder ganz auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen. Was Versöhnung und Erlösung, was Wiedergeburt und Heiliger Geist, was Feindesliebe, Kreuz und Auferstehung, was Leben in Christus und Nachfolge Christi heißt, das alles ist so schwer und so fern, daß wir es kaum mehr wagen, davon zu sprechen. In den überlieferten Worten und Handlungen ahnen wir etwas ganz Neues und Umwälzendes, ohne es noch fassen und aussprechen zu können. Das ist unsere eigene Schuld. Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat, als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein. Darum müssen die früheren Worte kraftlos werden und verstummen. Und unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: Im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muß neu geboren werden aus diesem Beten und aus diesem Tun... Die Umschmelzung (der Kirche) ist noch nicht zu Ende, und jeder
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Versuch, ihr vorzeitig zu neuer, organisatorischer Machtentfaltung zu verhelfen, wird nur eine Verzögerung ihrer Umkehr und Läuterung sein. Es ist nicht unsere Sache, den Tag vorauszusagen - aber der Tag wird kommen - an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, daß sich die Welt darunter verändert und erneuert. Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache J esu, daß sich die Menschen über sie entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden, die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündet . . . bis dahin wird die Sache der Christen eine stille und verborgene sein; aber es wird Menschen geben, die beten und das Gerechte tun und auf Gottes Zeit warten."
Vom Pazifisten zum Widerstandskämpfer Bon ho e f f e r s Kam p f für die E n t r e c h te t e n 1) Von Winfried Maechler Bonhoeffer wird. langsam modern. Das gilt auch für den umstrittensten Teil seines Werkes, die Teilnahme an der Deutschen Widerstandsbewegung. Gerade hier besteht die Gefahr, daß diejenigen, die, kritiklos oder ängstlich dem Nationalsozialismus folgend, die Teilnahme am Widerstand ablehnten, heute, sozusagen umgekehrt proportional, allzu schnell Bonhoeffers Namen für einen kompakten und billigen Antikommunismus beschlagnahmen wollen. Die Zusammenstellung einiger Zitate aus Bonhoeffers Schriften, vor allem der "Ethik", soll der Erhellung der Hintergründe seines Tuns dienen und unsere eigene Besinnung klären helfen. Es wird dabei bequeme Passivität wie fanatischer Aktivismus auszuschließen und der Weg von der "Friedensmitte" in Jesus Christus bis hin zum äußersten Grenzgebiet der Revolution zu zeigen sein. Die äußeren Fakten von Bonhoeffers Entwicklung in dieser Frage sind bekannt: nie war dem evangelischen Pfarrer die fromme Erhaltung und Sicherung der Kirche Selbstzweck. Immer trat er für die Entrechteten, die Schwachen ein. Der Student und Vikar lud die 1) Vgl. dazu: Eberhard Bethge: Die Tat der freien Verantwortung, Unterwegs 1947, Heft 6.
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Jungen vom roten Wedding zum Wochenende in seine Laube, der Pfarrer der Bekennenden Kirche trat leidenschaftlich für getaufte und ungetaufte Juden ein, der Leiter des Finkenwalder Seminars warnte in der Zeit der Kirchenausschüsse die Pommern vor einem kampflosen Nachgeben zur eigenen Selbsterhaltung unter Preisgabe der Bedrängten, und der Delegierte in Fanö hielt vor Vertretern der ökumenischen Christenheit in Anwesenheit der Deutschen Christen aus dem eigenen Lande die unvergeßliche beschwörende Friedensrede: "Ach, daß ich hören sollte, was Gott, der Herr, redet, daß er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf daß sie nicht auf eine Torheit geraten (Ps. 85)." Der Schwager Hans von Dohnanyi und der Neffe Generals von Hase nahm seit der schmählichen Absetzung des Generalobersten von Fritsch Teil an der Widerstandsbewegung und schrieb über deren Fortschritte und Verzögerungen bisweilen seinen Freunden ins Feld, als seien es Vorbereitungen zur Aufführung der Kunst der Fuge, die er in Berlin erlebt hatte. Die folgenden Aussagengruppen kreisen zuerst um den Zusammenhang von Kirche und Welt und ihre gemeinsame Mitte in dem menschgewordenen J esus Christus. Sie behandeln sodann das Gegenüber von Gewaltlosigkeit und Widerstand.
1. Alles Leben in der Welt, alle Geschichte und alles einzelne Handeln ist im Grunde nichts anderes als ein Hineingezogenwerden in die Gestalt Jesu Christi, des Menschgewordenen, Gekreuzigten und Auferstandenen (Ethik, S. 24). Ich habe an der Wirklichkeit Gottes und der Welt in Jesus Christus teil, "so daß ich die Wirklichkeit Gottes nie ohne die Wirklichkeit der Welt und die Wirklichkeit der Welt nie ohne die Wirklichkeit Gottes erfahre" (S. 61). "Christusgemäßes Handeln ist demnach wirklichkeitsgemäßes Handeln" (S. 178). Der Christ lebt nicht im idealen Raum bestimmter formaler Prinzipien, auch teilt er das Leben nicht materialiter in bestimmte Fälle und Möglichkeiten ein, sondern er versucht, gläubig und kritisch im Diesseits der konkreten Situation, im "knorrigen Wuchs", "im Fluß des Lebens" (S. 219) das Gebot seines Herrn zu vernehmen, damit Christus unter uns heute und hier Gestalt gewinne (S. 28). In dem berühmten Gedicht "Stationen auf dem Wege zur Freiheit" lautet es im Vers über die Tat: "Nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen ... tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens, nur von Gottes Gebot und Deinem Glauben getragen" (S. 3). Die Freiheit des Menschen unter der Herrschaft Christi besteht gerade nicht in der Befreiung aus den Fesseln der Gegebenheiten in eine ideale himmlische Welt, sondern in dem Mittragen der Bürde im Diesseits unserer Erde. Der geschichtliche Raum dieser Erde ist nun gerade nicht be-
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grenzt auf den Raum der Kirche, denn die Welt kann nicht in zwei Räume geteilt werden: "Durch diese Auf teilung des Wirklichkeitsganzen in einen sakralen und profanen, einen christlichen und einen weltlichen Bezirk, wird nun die Möglichkeit der Existenz in nur einem dieser Bezirke geschaffen, einer geistlichen Existenz also, die nicht an der weltlichen Existenz teilhat, und einer weltlichen Existenz, die für sich eine Eigengesetzlichkeit in Anspruch nehmen kann und diese gegen den sakralen Bezirk zur Geltung bringt. Der Mönch und der Kulturprotestant des 19. Jahrhunderts repräsentieren diese beiden Möglichkeiten" (S. 62). "Wie in Christus die Gotteswirklichkeit in die Weltwirklichkeit einging, so gibt es das Christliche nicht anders als im Weltlichen, das Übernatürliche nur im Natürlichen, das Heilige nur im Profanen, das Offenbarungsmäßige nur im Vernünftigen" (S. 63). Es gibt nicht den Gegensatz zwischen Christusreich und Teufelsreich, sondern "der Teufel muß wider Will.en Christus dienen und als der das Böse Wollende immer wieder das Gute tun, so daß der Raum des Teufels immer nur unter den Füßen Jesu Christi ist . . . die Welt ist nicht zwischen Christus und dem Teufel aufgeteilt, sondern ganz und gar die Welt Christi, ob sie es erkennt oder nicht" (S. 67). In diesem einen Raum herrscht und gebietet Christus durch die vier Mandate Arbeit, Ehe, Obrigkeit, Kirche. "Gott will dieses alles durch Christus, auf Christus hin und in Christus, jedes in seiner Weise. Gott hat die Menschen unter all diese Mandate gestellt, nicht mir jeden einzelnen unter je eines derselben, sondern alle Menschen unter alle vier. Es gibt keinen Rückzug aus einem weltlichen in einen geistlichen Raum, sondern es gibt nur ein Einüben des christlichen Lebens unter jenen vier Mandaten Gottes. Es geht auch nicht an, die ersten drei Mandate als w~ltlich dem letzten Mandat gegenüber abzuwerten. Es handelt sich eben mitten in der Welt um göttliche Mandate" (S. 70). "Der Träger der Mandate handelt in Stellvertretung als Platzhalter des Auftraggebers" (S. 223). Bonhoeffer wählt den terminus "Mandat" statt der belasteten und mißverstandenen Begriffe "Ordnung", "Stand" oder "Amt" um seines funktionalen Charakters willen. Die Nähe zur Barthschen Zwei kreise-Lehre ist deutlich, ebenso wie die Ablehnung der lutherischen Zweireiche-Lehre. Gewahrt wird die Einheit der Welt, ebenso wie die Verschiedenheit ihrer Funktionen. Der Christ wird in allen vier Mandaten von der Gestalt und dem Gebot des einen Herrn ergriffen und zur Stellvertretung gerufen. "Weil Jesus, das Leben, unser Leben, als der menschgewordene Sohn Gottes stellvertretend für uns gelebt hat, darum ist alles menschliche Leben durch ihn wesentlich stellvertretendes Leben. Jesus war nicht der einzelne, der zu einer eigenen Vollkommenheit gelangen wollte, sondern er lebte nur als der, der in sich das Ich aller Menschen aufgenommen hat und trägt. Sein gesamtes Leben, Handeln und Sterben war Stellvertretung. Was die Menschen leb4:!n, handeln und leiden sollten, erfüllt sich an Ihm. In
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dieser realen Stellvertretung, die seine menschliche Existenz ausmacht, ist er der Verantwortliche schlechthin. Weil er das Leben ist, ist durch Ihn alles Leben zur Stellvertretung bestimmt. Ob es sich auch dagegen wehrt, so bleibt es doch stellvertretend, zum Leben oder zum Tode, wie der Vater Vater bleibt, zum Guten oder zum Bösen. Stellvertretung und also Verantwortlichkeit gibt es nur in der vollkommenen Hingabe des eigenen Lebens an den anderen Menschen. Nur der Selbstlose lebt verantwortlich, und das heißt, nur der Selbstlose lebt. Wo das göttliche Ja und Nein im Menschen eins werden, dort wird verantwortlich gelebt" (S. 175); Der erste Problemkreis zeigte uns das menschliche Handeln als Gestaltwerdung Christi in dem einen konkreten Raum der geistlich-profanen Welt mit ihren verschiedenen Bereichen als Stellvertretung, d. h. verantwortliche Preisgabe an den anderen Menschen. Wie sieht nun diese Stellvertretung, diese Preisgabe, diese Verantwortung inhaltlich aus? Davon handelt der zweite Problemkreis: Gewaltlosigkeit und Widerstand.
Ir. Der Widerstand und die Gewaltanwendung waren für Bonhoeffer nicht das Erste und nicht das Normale, sondern das Letzte und Außergewöhnliche. Er hat niemals die Zentralstellung der Bergpredigt für die christliche Ethik aufgegeben oder gar ausgehöhlt, wie das die protestantische Theologie so häufig tut. Die Gestalt Jesu Christi und seine Gestaltwerdung unter den Menschen ist ihm zentral abgebildet in der Bergpredigt. Deshalb war Bonhoeffer zwar kein absoluter und prinzipieller, wohl aber ein kräftiger relativer Pazifist. Denn er sah das Mühen um den Frieden und den Verzicht auf Gewalt als eines der Hauptkennzeichen des Christen an. Auf der oben erwähnten ökumenischen Konferenz von Fanö im September 1934 wurde er am Strande von einem Schweden gefragt: "Was würden Sie in einem Kriegsfalle tun, Herr Pastor?" Er ließ den Sand durch die Finger rinnen, sah vor sich hin und blickte dann den Frager ruhig an: "Ich bitte darum, daß Gott mir dann die Kraft geben wird, nicht zu den Waffen zu greifen." Was das damals bedeutete, verstand jeder. Immer wieder sah Bonhoeffer in dem Hindu Ghandi mehr Christliches als bei vielen Christen, immer wieder sagte er: "Das Böse läuft sich tot, wenn ihm nicht widerstanden wird, es verliert seine Nahrung und erlischt." Das schien keine Schwärmerei zu sein, sondern ein Ernstnehmen des Sieges Jesl1 Christi. In der "Nachfolge" legt er die 6. Seligpreisung folgendermaßen aus: "Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen. J esu Nachfolger sind zum Frieden berufen. Als Jesus sie rief, fanden sie ihren Frieden. Jesus ist ihr Friede. Nun sollen sie den Frieden nicht nur haben, sondern auch schaffen. Da-
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mit tun sie Verzicht auf Gewalt und Aufruhr. In der Sache Christi ist damit niemals etwas geholfen. Das Reich Christi ist ein Reich des Friedens und die Gemeinde Christi grüßt sich mit dem Friedensgruß. Die Jünger Jesu halten Frieden, indem sie lieber selbst leiden, als daß sie einem anderen Leid tun, sie bewahren Gemeinschaft, wo der andere sie bricht, sie verzichten auf Selbstbehauptung und halten in Haß und Unrecht stille. So überwinden sie Böses mit Gutem. So sind sie Stifter göttlichen Friedens mitten in einer Welt des Hasses und Krieges. Nirgends aber wird der Frieden größer sein als dort, wo sie den Bösen im Frieden begegnen und von ihnen zu leiden bereit sind. Die Friedfertigen werden mit ihrem Herrn das Kreuz tragen, denn am Kreuz wurde der Friede gemacht. Weil sie so in das Friedenswerk Christi hereingezogen sind, berufen zum Werk des Sohnes Gottes, darum werden sie selbst Söhne Got-. tes genannt werden" (Nachfolge, S. 62). Das hier Umrissene umschreibt keine pharisäerhafte Heiligkeit, die der Vergebung nicht bedarf. Bonhoeffer zitierte oft den Spruch des Paulus: "Ich bin mir nichts bewußt, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt, der Herr ists aber, der mich richtet" (1. Kor. 4, 4). Auch geht es hier nicht um Frieden um jeden Preis, sondern es wird die normale Haltung des Jüngers Jesu Christi verdeutlicht. Doch der Jünger Jesu untersteht ja auch dem Mandat des Staates, denn der Staat, der Aufhaltende (2. Thess. 2, 7), die Ordnungsmacht, sieht in der Kirche den Bundesgenossen, und alles, was an Elementen der Ordnung noch vorhanden ist, sucht die Nähe der Kirche. Recht, Wahrheit, Wissenschaft, Kunst, Bildung, Menschlichkeit, Freiheit, Vaterlandsliebe finden nach langen Irrwegen zu ihrem Ursprung zurück. Dabei erweist sich die Kirche je wirksamer, je zentraler ihre Botschaft ist, und ihr Leiden ist dem Geist der Zerstörung unendlich viel gefährlicher als die etwa noch verbliebene politische Macht. (Ethik S. 46). Mitten unter der Herrschaft des Nationaisozialismus wird deshalb keine billige Staats feindlichkeit empfohlen, sondern auch dem durch Unrecht zur Macht gekommenen Staat (und welcher Staat wäre davon frei?) wird die Möglichkeit zur Besserung, zur Vernarbung der geschlagenen Wunden offengelassen. "Die bestehende Obrigkeit usw. hat immer einen relativen Vorrang vor der noch nicht bestehenden. Einzelne Verfehlungen geben nicht das Recht, das Bestehende zu beseitigen, zu vernichten. Vielmehr kann es hier nur um die Rückkehr zu der echten Unterordnung unter das göttliche Mandat gehen, um die Wiederherstellung echter Verantwortung gegenüber dem göttlichen Auftrag" (S. 71). "Der Träger der Krone, der sie sich mit Unrecht erwarb, aber im Laufe der Zeit Recht, Ordnung und Frieden schuf, kann nicht einfach zum Verzicht auf die Krone, der Eroberer, der die unterworfenen Länder zum Frieden, Wohlstand und Glück geführt hat, nicht einfach zur Preisgabe seiner Eroberung genötigt werden. Durch den Verzicht auf die Krone, durch die Preisgabe der Eroberung könnten ja jetzt gerade um so größere Unordnung, um so größere Schuld entstehen ... Das Rad der
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Geschichte kann nicht mehr zurückgedreht werden. Nicht alle geschlagenen Wunden können geheilt werden, aber entscheidend ist, daß nicht weitere Wunden gerissen werden ... Voraussetzung für diese innergeschichtliche Vergebung bleibt, daß die Schuld vernarbt ist, indem aus Gewalt Recht, aus Willkür Ordnung, aus Krieg Frieden geworden ist. Wo das nicht der Fall ist, wo das Unglück ungebrochen herrscht und immer neue Wunden schlägt, dort kann freilich von solcher Vergebung keine Rede sein, vielmehr muß dort die erste Sorge sein, dem Unrecht zu wehren und die Schuldigen ihrer Schuld zu überführen" (S. 53/54). Man sieht, wie vorsichtig und verantwortlich hier die Frage des Widerstandes geprüft wird. Man erinnert sich vielleicht einer Bruderratssitzung der Bekennenden Kirche nach dem geglückten Frankreichfeldzug Hitlers, in welcher Bonhoeffer von der Möglichkeit eines Paktierens mit Hitler geredet hat. Wenn aber der Staat die Grenze überschritten und sein göttliches Mandat verwirkt hat, indem er zum Unrechtsstaat geworden ist, kann die Kirche nicht hämisch beiseite stehen und den Finger empört ausstrecken. Sondern sie nimmt teil an seiner Schuld, wie es ein schon 1941 formuliertes Schuldbekenntnis zeigt: "Die Kirche bekennt sich schuldig aller zehn Gebote, sie bekennt dadurch ihren Abfall von Christus. Sie hat die Wahrheit Gottes nicht so bezeugt, daß alles Wahrheitsforschen, alle Wissenschaft ihren Ursprung in dieser Wahrheit erkennen. Sie hat die Gerechtigkeit Gottes nicht so verkündet, daß alles wirkliche Recht in ihr die Quelle des eigenen Wesens sehen mußte. Sie hat die Fürsorge Gottes nicht so glaubhaft zu machen vermocht, daß alles menschliche Wirtschaften von ihr aus seine Aufgabe in Empfang genommen hätte. Durch ihr eigenes Verstummen ist die Kirche schuldig geworden an dem Verlust an verantwortlichem Handeln, an Tapferkeit des Einstehens und Bereitschaft, für das als Recht Erkannte zu leiden. Sie ist schuldig geworden an dem Abfall der Obrigkeit von Christus" (S. 51). Verstehen die ehemaligen Mitläufer des Nationalsozialismus wie die heutigen Kreuzzugsprediger vielleicht an dieseT Stelle, daß hier nicht fromme Überheblichkeit, sondern leidende Solidarität und stellvertretender Gehorsam am Werke waren? Hier, wo es um die Übernahme fremder Schuld geht, wird in der Tat der Pazifist zum Widerstandskämpfer. "In dem sündlos schuldigen Jesus Christus hat jedes stellvertretend verantwortliche Handeln seinen Ursprung. Gerade weil und wenn es verantwortlich ist, weil und wenn es in ihm ganz um den anderen Menschen geht, weil und wenn es aus selbstloser Liebe zum wirklichen menschlichen Bruder hervorgeht, kann es sich der Gemeinschaft der menschlichen Schuld nicht entziehen wollen. Weil Jesus die Schuld aller Menschen auf sich nahm, darum wird jeder verantwortlich Handelnde schuldig. Wer sich in der Verantwortung der Schuld entziehen will, löst sich aus der letzten Wirklichkeit des menschlichen Daseins, löst sich aber auch aus dem erlösenden Geheimnis des sündlo:sen Schuldtragens Jesu Christi und hat keinen Anteil an der göttlichen Rechtfertigung, die über diesem Ereignis liegt Er stellt seine persönliche
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Unschuld über die Verantwortung für die Menschen und er ist blind für die heillosere Schuld, die er gerade damit auf sich lädt, blind auch dafür, daß sich die wirkliche Unschuld gerade darin erweist, daß sie um der anderen Menschen willen in die Gemeinschaft seiner Schuld eingeht. Daß der Sündlose als selbstlos Liebender schuldig wird, gehört durch Jesus Christus zum Wesen verantwortlichen Handelns" (S. 187). So gibt es, erst als ultima ratio, nicht etwa als prima ratio, den von Macchiavelli bezeichneten Ausnahmefall der necessita, in dem um der Lebensnotwendigkeit der Brüder willen den Gesetzen des Staates oder der Familie widersprochen werden muß, und die Tat der freien Verantwortung nötig wird. "Die ultima ratio liegt jenseits der Gesetze der ratio, sie ist irrationales Handeln. Alles wird im tiefst Grunde verkehrt, wenn die ultima ratio selbst wieder zu einem, rationalen Gesetz gemacht wird, wenn aus dem Grenzfall das Normale, wenn aus der necessita eine Technik gemacht wird" (S. 185). "Es gibt angesichts dieser Situation nur den völligen Verzicht auf jedes Gesetz, verbunden mit dem Wissen darum, hier im freien Wagnis entscheiden zu müssen, verbunden auch mit dem offenen Eingeständnis, daß hier das Gesetz verletzt, durchbrochen wird, daß hier Not das Gebot bricht, verbunden also mit der gerade in dieser Durchbrechung anerkannten Gültigkeit des Gesetzes, und es gibt dann schließlich in diesem Verzicht auf jedes Gesetz, und so ganz allein, das Ausliefern der eigenen getroffenen Entscheidung und Tat an die göttliche Lenkung der Geschichte ... Die letzte Frage bleibt offen und muß offengehalten werden; denn so oder so wird der Mensch schuldig und so oder so, kann er allein von der göttlichen Gnade und von der Vergebung leben. Der ans Gesetz Gebundene muß wie der in freier Verantwortung Handelnde die Anklage des anderen vernehmen und gelten lassen. Keiner kann der Richter des anderen werden. Das Gericht bleibt bei Gott" (S. 186). Der an der Widerstandsbewegung Beteiligte schreibt als Verhafteter in "Widerstand und Ergebung" (S. 92): "Anfangs beschäftigte mich die Frage, ob es wirklich die Sache Christi sei, um deretwillen ich euch allen solchen Kummer zufüge; aber bald schlug ich mir diese Frage als Anfechtung aus dem Kopf und wurde gewiß, daß, gerade das Durchstehen eines solchen Grenzfalles mit aller seiner Problematik mein Auftrag sei, und wurde darüber ganz froh und bin es bis heute geblieben. 1. Petr. 2, 20; 3, 14". Was ergibt sich aus dem Gesagten für den widerspruchsvollen Weg Bonho,effers? 1. Es gibt nur die eine konkrete Wirklichkeit, in der Christus Gestalt gewinnt in verschiedenen Bereichen, im Glauben an den Sieg des Menschgewordenen, Gekreuzigten und Auferstandenen, und darum im Wagnis der selbstlosen Liebe zu den Brüdern, und darum in der verantwortlichen Teilnahme an den Bemühungen um weltliche Gerechtigkeit, und darum im äußersten Notfall in der Tat der freien Verantwortung auch gegen die bestehende Ordnung.
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2. Dabei ist Gewaltlosigkeit normaler als Gewalt, Gehorsam normaler als Widerstand, Friede normaler als Krieg, Verständigung normaler als Pochen auf eigene Kraft. 3. Jedes Tun, auch das des besten Gewissens, ist behaftet mit Schuld, bedarf der Vergebung und ist allein gerechtfertigt in seiner Beziehung auf die Gestalt Jesu Christi. Welche Gesichtspunkte sollten in Anwendung der Bonhoefferschen Gedanken heute bedacht werden? 1. Man sollte, solange wie noch möglich, versuchen, für Frieden, Ausgleich und Verständigung einzutreten. 2. Man sollte nicht übersehen, daß es in der heutigen Welt neben der Angst vor dem Kommunismus auch die Angst vor der Atombombe und in Asien die Angst vor dem weißen Mann, in Europa die Angst vor dem deutschen Militarismus gibt. 3. Man sollte den Mut haben, den Kommunismus auch als Folge der politisch sozialen Fehler der Vergangenheit anzusehen, deshalb die Schuld der Väter mittragen und sich durch die Gottlosen zuerst zur Buße rufen lassen, ehe man sie bekämpft.
Zum Vermächtnis Dietrich Bonhoeffers':·) Von Hermann Schlingensiepen Nur wenige christliche Stimmen der jüngsten Vergangenheit lassen Menschen auch jenseits des kirchlichen Raumes so aufhorchen wie die Stimme Dietrich Bonhoeffers. Auf dem Höhepunkt eines sehr bewegten Gespräches zwischen Juden und Christen äußerte vor kurzem ein hervorragender deutscher Rabbiner, daß ihn stärker als alles andere, was seit Kriegsende auf ihn zugekommen sei, die Entdeckung erschüttert habe, wie dieser Mann sich auf seinem schweren Wege von Jesus habe trösten lassen. Wir können dem Freunde und nächsten Vertrauten des willkürlich Hingerichteten nicht dankbar genug dafür sein, daß er uns an den Briefen und Aufzeichnungen, die während der letzten beiden Kriegsjahre aus dem Gefängnis Tegel heimlich an ihn gelangt sind 1), Anteil gegeben hat. Dieses Geschenk bedeutet eine überraschende Hilfe und eine Verlegenheit zugleich. Es gibt unter den Fragen, die uns gegenwärtig Erstmals: Evang. Theol. 13, 1953, S. 97 f .. Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Herausgegeben von Eberhard Bethge. München 1951. *) 1)
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umtreiben, kaum eine, die der in der Einsamkeit seiner Zelle bei Tag und Nacht um die Zukunft der Theologie und der Kirche Ringende nicht vorweggenommen hätte. Die Weite und Freiheit aber, in der er es tat, und die Wachheit seines Blicks ließen ihn zu Einsichten und Lösungen vorstoßen, die uns zu der Prüfung nötigen, ob wir selbst nach dem Zusammenbruch auf dem rechten Wege angetreten sind. Was diese Prüfung erschwert, ist die Tatsache, daß Bonhoeffers Äußerungen gerade da, wo sie Neuland zustreben, Fragment geblieben sind. Seine Antworten, die er andeutet, aber um deren Entfaltung er sich selbst erst müht, werden für uns, eben indem wir auf sie zugehen, zu neuen Fragen. Dennoch, oder gerade so, sind wir von dem, was hier vor uns ist, in hohem Maße gefordert. Wer Bonhoeffer vor seinen letzten Äußerungen kannte, wußte von ihm vor allem als dem Verfasser der "Nachfolge" 2) und des "Gemeinsamen Lebens" 3). In seinen Gefangenschaftsbriefen scheint das Pathos dieser beiden Bücher einem ganz anderen gewichen. Dort hatte er das Christliche in einer an Kierkegaard erinnernden Schärfe herauszuarbeiten gesucht gegenüber den tödlichen Vorbehalten, Halbheiten und Selbsttäuschungen, an denen er die Kirchen der Reformation kranken sah. In ihnen ist Gottes "teure Gnade", nachdem sie in ihrer den ganzen Menschen fordernden Hoheit neu aufgeleuchtet war, wie schon einmal in der alten Kirche, nur zu bald zu einem billigen "Allgemeingut einer christlichen Welt'~ 4) geworden. Die Verweltlichung der Kirche aber ist ihr großer Verderb. "Gnade" ist· "das Heiligtum Gottes, das vor der Welt gehütet werden muß, das nicht vor die Hunde geworfen werden darf" 5). "Nur wer in der Nachfolge Jesu steht, im Verzicht auf alles, was er hatte, darf sagen, daß er allein aus Gnaden gerecht werde" 6). Die Kirche Christi trägt den unaufhebbaren Charakter einer "Fremdlingsgemeinde" 7). Wer von Gott in eine christliche Bruderschaft hineingestellt wurde, ist in eine pneumatische, göttliche Wirklichkeit hineingestellt, die nach ihren eigenen Gesetzen lebt und nicht scharf genug von aller bloß psychisch-menschlichen Wirklichkeit unterschieden werden kann 8). Gehört der Christ dennoch in die Welt, so heißt das, daß er "mitten unter die Feinde" gehört 9). Der Verzicht 2) Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge, erschienen 1937, nachgedruckt auf Veranlassung der KriegsgefangenenhiIfe des Weltbundes der Christlichen Vereine Junger Männer, Genf, ohne Jahr. Ich gebe die Seitenzahlen dieser Ausgabe; 4. Auf!., Chr. Kaiser-Vlg., 1952. 3) Dietrich Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, zuerst erschienen i. J. 1938. Ich zitiere nach der fünften, unveränderten Ausgabe, München 1949. 4) Nachfolge, S. 4. Vgl. das ganze erste Kapitel. 5) A. a. 0., S. 3. 6) A. a. 0., S. 8. 7) A. a. 0., S. 59. 8) Gemeinsames Leben, S. 12. 9) A. a. 0., S. 1.
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auf das Kloster bedeutet reformatorisch gesehen den Verzicht auf einen Fluchtweg. "Die Absage, die der Mönch Luther der Welt gegeben hatte, war ein Kinderspiel gegenüber der Absage, die die Welt durch den Zurückgekehrten erfuhr. Nun kam der Angriff frontal" 10). Bonhoeffer hat die Frontstellung, die er mit diesen Sätzen bezog, bis zuletzt nicht aufgegeben. Aber die Briefe aus seiner Haftzeit und die Bruchstücke seiner hinterlassenen Ethik 11) zeigen deutlich, daß er sie je länger desto mehr von einer großen Gefahr umgeben sah, für die sich auch die wieder erwachende Kirche blind zeigte. Über den Erfahrungen des Kampfes um ihre Freiheit, der ihn persönlich bis tief in den politischen Widerstand hineingeführt hat und dessen Opfer er wurde, trat für ihn alles noch einmal in ein neues Licht. Zu seiner tiefen Beunruhigung erlebte er, daß die bekennende Kirche, die sich gegen die Vergewaltigung durch ein Regiment dES Schreckens und der Lüge zur Wehr setzte, die mit ihr Bedrohten irQ Stich ließ. Und das zu einer Zeit, in der zahllose Entfremdete wieder anfingen, auf ihre Stimme zu hören und in ihrem verachteten Herrn aufs neue den Ursprung und Hort aller Freiheit zu ahnen. Hier wartete ein anderer Verrat des Evangeliums 12). In dieser Lage war es für Bonhoeffer wie eine große Entdeckung, daß es in der Bibel nur ein der ganzen Welt zugewandtes Evangeiium gibt. Sie ist aut:h als feindliche oder Gott ferne die von Gott geliebte Welt. So kann es auch nur eine der Welt zugewandte Kirche geben. Eine Kirche, die nur für sich selber kämpft, gibt sich selbst auf. Hier ging es nicht um eine zusätzliche Einsicht oder Forderung, sondern - das wurde ihm bedrängend und befreiend zugleich deutlich - um den Nerv der Christuserkenntnis 13). Das Nein zur Welt, das Jesus fordert und das nichts anderes ist als die Übernahme des Urteils, das an seinem Kreuz erging, ist in seiner unabdingbaren Schärfe nur echt und rein, wo es aus dem tieferen Ja zur Welt fließt, das Gott als den eigentlichen Sinn von Golgatha in der Auferstehung Jesu enthüllt hat. Gott hat die Welt, diese unsere Welt, mit sich versöhnt. In Christus, dem Menschgewordenen, ist er ihr näher, als die Kirche zu glauben wagt und wahrhaben will. Auf diese Nähe hin gälte es die Welt anzusprechen. Im Vertrauen auf sie gälte es, in der Welt zu stehen und ihre Anliegen und Nöte zu denen der Kirche zu machen. Denn nicht ihre Weltlichkeit trennt die Welt von Gott, sondern allein ihre Blindheit für das, was ihr zu ihrem eigentlichen, Nachfolge, S. 6. Dietrich Bonhoeffer, Ethik. Zusammengestellt und herausgegeben von Eberhard Bethge. München 1949. Die in diesem Buch zugänglich gemachten Niederschriften sind zum Teil schon vollendete Kapitel, zum Teil Skizzen für ein geplantes umfassendes Werk. Zeitlich und sachlich gehören sie zwischen die "Nachfolge" und die Tegeler Briefe. 12) Ethik, S. 159 f.; Widerstand, S. 259. 13) Vgl. hier und zum Folgenden besonders Ethik, S. 179 ff .. 10)
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wahren Sein verhülfe 14). So kann es auch unmöglich die Aufgabe der Kirche sein, Welt und Menschen sich selbst zu entfremden, um sie erst so zu Gott zu führen 15). Das, wozu Christus uns befreit, ist ja gerade das wahre Menschsein 16 ). Die Folgerungen, die Bonhoeffer aus dieser Erkenntnis zieht, erscheinen kühn genug. Das Erste ist, daß er sich entschlossen weigert, noch länger in die Klage über die Säkularisation der modernen Welt einzustimmen. Sie hat ihr tiefes Recht gegenüber einer Kirche, die sich mit ihren scheinbar frommen Ansprüchen, Forderungen und Methoden zwischen Christus und die Welt geschoben hat. Es ist wahr, daß die Welt am Ende eines in Jahrhunderten konsequent durchgehaltenen Emanzipationsprozesses in unseren Tagen dabei ist, auch die letzten Fesseln religiöser Vormundschaft abzustreifen. Nachdem sie längst ihre Autonomie in den großen Bereichen des öffentlichen Lebens erkämpft hat, stellt sie sich nun auch in ihrer "Innerlichkeit" und in ihrem "Gewissen", diesen am längsten behaupteten klerikalen Domänen, auf sich selbst. "Wir gehen einem religionslosen Zeitalter entgegen", erklärt Bonhoeffer, und er bejaht diese Entwicklung mit einer Art grimmiger Genugtuung. Die Kirche hätte längst sehen sollen, daß ihr kein "religiöser" Auftrag gegeben ist. Hier hat Barth ihr das entscheidende kritische Wort gesagt 11). Es bleibt ihr nur noch Eins, nämlich daß sie sich nüchtern vor das Thema stellen läßt, das ihr heute offl"nkundig gegeben ist: "Christus und die mündiggewordene Welt". Sie kann aber die damit bezeichnete Aufgabe nicht anfassen, ohne sich um eine "religionslose Interpretation" des Christlichen zu mühen 18). Wer diese Losung verstehen will, wird zunächst der Kritik nachdenken müssen, durch die Bonhoeffer selbst sich den Weg nach vorne freizukämpfen sucht. Sie ist - gerade in ihrer Schonungslosigkeit, die auch vor den Kräften und Bewegungen innerhalb der Kirche, denen sich Bonhoeffer seinerseits am tiefsten verpflichtet weiß, nicht haltmacht - höchst positiv, weil sie sich in jedem Satz hellsichtig geworden erweist durch die Liebe zu den Alleingelassenen. Da ist zunächst die Orthodoxie 19), die nie das Feld ganz geräumt hat und die in den restaurativen Tendenzen der Gegenwart nach einer Erneuerung ihrer Herrschaft strebt. Mit ihrem geschlossenen Lehrsystem, für das sie Anerkennung fordert und das so wie ein 14) Diese Gedanken begegnen in den Briefen in immer neuer Zuspitzung. In zusammenfassender Darstellung erscheinen sie in dem schönen Kapitel der Ethik über Christus, Kirche und Welt, S. 55 ff. 15) Siehe etwa Widerstand, S. 236. 16) A. a. 0., S. 244. 17) A. a. 0., S. 219. 18) Zum ganzen Abschnitt vgl. besonders a. a. O. S. 178 ff., 183 ff., 215 ff. 19) Auf dem Hintergrund vieler zerstreuter Bemerkungen siehe vor allem das in der knapp skizzierten "Bestandsaufnahme des Christentums" Gesagte; a. a. 0., S. 257 f.
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Gesetz vor die Fragenden tritt, verdunkelt sie, daß es in und mit der Kirche zuerst und zuletzt um Jesus Christus selber geht. Da ist ferner der Pietismus. Bonhoeffer leugnet nicht, was in ihm lebendig ist, aber er wirft ihm vor, daß er seinerseits die Anerkennung seiner religiösen Erfahrungswelt, seiner Vorstellungen von dem, was ein Christ ist, und die Unterwerfung unter seine religiösen Methoden zur Vorbedingung für den Glauben macht 20). Ihn vor allem trifft wohl auch der Vorwurf, daß die christliche Verkündigung nur zu sehr die Schwäche des Menschen zu religiöser Erpressung ausnutze, daß sie es sich zu ihrer besonderen Aufgabe gemacht habe, diese Schwäche auszuspionieren und bloßzustellen, um so für Christus, wie sie ihn versteht, Raum zu gewinnen 21). Hier ist etwas gesehen, was nicht ernst genug bedacht werden kann. Bonhoeffer hat recht, wenn er urteilt, daß die christliche Vorliebe für die Verlegenheiten, Nöte und Ängste der Welt und die grundsätzliche Beargwöhnung alles Starken, Gesunden, Natürlichen und Guten dem Geiste des Evangeliums fremd ist, das nicht eigens nach Abgründen zu suchen braucht, um seine Unentbehrlichkeit zu zeigen, weil es Welt und Menschen in der Mitte ihres Lebens mit Gott konfrontiert. Es gibt eine christliche "Unvornehmheit", die sich selbst als missionarische Tugend versteht. Es sollte keinerlei noch so gut gemeinte Nötigung geben, die dem Evangelium vorangehen zu müssen meint. An diesem Punkte zeigt Bonhoeffer auch die Schwäche Karl Heims und Paul Tillichs auf. Die Apologetik Karl Heims hat das moderne Denken, vor allem die moderne Naturwissenschaft, bis in ihre letzten Wurzeln und Konsequenzen hinein zu verfolgen gesucht, aber nicht ohne die Absicht, die Menschen der Gegenwart vor die Alternative zu zwingen: Nihilismus oder Christus. Paul Tillich hat sein glänzendes analytisches Vermögen daran gewandt, zu erweisen, daß die Entwicklung des modernen Geistes in der Tiefe selbst eine religiöse Sinngebung fordere, wie sie in einem sehr weit und frei gefaßten Protestantismus zu finden sei. Die Welt, wie sie ist, schüttelt die in diesen Versuchen auf sie zukommende Zumutung ab, wenn' sie überhaupt von ihnen Notiz nimmt 22). Im Pietismus, mit dem ein Mann wie Tillich kaum noch etwas gemein zu haben scheint, tritt aber noch ein anderer Schade als der Zwang seiner Methode heraus, ein Schade, der im Grunde die christliche Verkündigung schon in einem sehr frühen Stadium verkürzt und verfälscht hat und der nur vorübergehend während der Reformation überwunden wurde 23). Unter dem Einfluß der spätantiken Erlösungsreligionen mit ihrer Weltflucht und Jenseitssehnsucht hat bereits die alte griechische Kirche wesentliche Stücke des Evange217 ff. a. 0., S. 227. Über "das Natürliche", Ethik, S. 93 ff.; über "Christus und die Guten" S. 162 ff. 22) Widerstand, S. 218 f. 23) Vgl. zum Folgenden a. a. O. besonders S. 225 ff. 20) A. a, 0., S.
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liums preisgegeben. Sie gab ihm das Maß und die Richtung der überkommenen außerchristlichen religiösen Bedürfnisse und Tendenzen, in denen sie Bundesgenossen für ihre Verkündigung zu finden meinte. Dabei löste sie die .christliche Wahrheit von ihrem eigenen Boden, dem Boden des Alten Testamentes. Im Alten Testament geht es um die Herrschaft Gottes auf Erden im ganzen Bereich des Menschlichen, das durch Gottes mächtige und gebietende Gegenwart nicht entrechtet wird, sondern erst recht Würde und Gewicht erhält, vom öffentlichen Leben bis hin zum Essen und Trinken vor Gott und bis zur Feier der irdischen Liebe, wie sie in ihrer unverkürzten Glut und Kraft im Hohenliede gepriesen wird 24). Es war ein verhängnisvolles Mißverständnis, das Kreuz Christi und das von ihm her neu bestimmte Leben des Christen im Sinne der Weltverachtung und der Weltflucht zu deuten, während es doch auch hier, ja hier erst recht, um den Einbruch Gottes in die gesamte Weltwirklichkeit geht. Das kommende Reich Gottes ist auf die Schöpfung bezogen, die Gott in Geduld getragen und nie preisgegeben hat. Auch Tod, Gericht und die kommende endgültige Aufrichtung der Herrschaft Christi haben ihre Erneuerung zum Ziel. So müßte an die Stelle einer Haltung, die das Christliche in der Temperierung der Leidenschaften, in der Beschränkung auf die Frage nach dem jenseitigen Seelenheil und in der ars moriendi sucht, eine andere treten, eine Haltung, der es in unverkürzter "tiefer Diesseitigkeit" um die Verwirklichung der Gerechtigkeit Gottes auf Erden zu tun ist 25). Selbstverleugnung, Verzicht und Leiden in der Nachfolge Jesu würden dann nicht mehr als asketisches Prinzip verstanden, wie noch bei Kierkegaard, sondern in der Kontingenz einer göttlichen Schickung als Fortsetzung der Tat und als Vollendung der in Christus geschenkten Freiheit 26). Was Bonhoeffer dazu sagt, gehört zu dem Bewegendsten und Mächtigsten in seinen Briefen; in seiner erstaunlichen Fülle und Tiefe hat es zugleich die Leuchtkraft einer umfassenden persönlichen Bewährung in "Widerstand und Ergebung" 27). 24) A. a. 0., S. 112 f., 192 f., 213. Der Stand des gegenwärtigen ökumenischen Gesprächs legt es nahe, darauf hinzuweisen, daß in dieser Stelle bei Bonhoeffer nachträglich auch noch einmal alles das theologisch fruchtbar geworden ist, was er als Gast bei den Kirchen Amerikas (und Englands) an Eindrücken und Impulsen gewonnen hat. Was ihm dort als überraschend lebendige christliche Wirklichkeit, aber in der ganzen Unbestimmtheit eines "Protestantismus ohne Reformation" entgegengetreten war, nämlich ein der Welt zugewandter, an ihrem politisch-sozialen Ringen höchst beteiligter, aber weithin unkritischer, kirchlicher Aktivismus, rückt bei ihm nun in das Licht einer zugleich klärenden und stärkenden evangelischen Grunderkenntnis. Es ist kein Zufall, daß Bonhoeffer heute in Amerika (und in England) auch dort gehört wird, wo man vor anderen "kontinentalen" Stimmen nach wie vor hilflos steht. 25) A. a. 0., S. 168 f., 222 (!), 247 ff. 26) A. a. 0.,8. 253 f., 192 f., 95, 123 f.; Ethik, S. 170 f. 27) Der Herausgeber wählte - treffend - als Überschrift für die Briefsammlung eine Formulierung von Bonhoeffer selbst; siehe a. a. 0., S. 150.
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Hier mag allerdings die Welt ahnen, daß sie durch den Ruf in die Nachfolge J esu nicht um das ihr geschenkte Leben betrogen werden soll, sondern daß sie es in ihr wirklich findet. Hier begegnet sie einem Menschen, der als Christ überraschend bei ihr und für sie da ist in einer schrankenlosen Liebe zu allem, was in ihr angelegt ist, und in einer unbesieglichen Hoffnung für den ihr aufgetragenen Lebenskampf. Was das echte Anliegen des Liberalismus war, worüber er jedoch das Evangelium an die Welt preiszugeben drohte, das kommt hier, ganz und gar nicht liberal, zu einer erstaunlichen Erfüllung. So selbständig aber Bonhoeffer in dem allen ist, so wenig leugnet er, wieviel er für sein Verständnis des Evangeliums nicht nur der Reformation, sondern auch der Theologie Karl Barths verdankt. Absicht und Reichweite seiner Kritik zeigen sich deshalb wohl am schärfsten darin, daß er auch ihn seinem Anliegen nicht genügen sieht. Er hat wie kein anderer die Offenbarung in ihrer schlechthinigen Andersartigkeit gegenüber der Religion aufgezeigt. Hier ist ein Durchbruch geschehen, der gar nicht genug gewürdigt werden kann. Aber anstatt nun "konkrete Wegweisung" zu geben in der "nichtreligiösen Interpretation" der biblischen und theologischen Begriffe, endet Barth selbst in seiner weiteren Arbeit bei einem "Offenbarungspositivismus" , der bei den Außenstehenden den Eindruck erweckt, als solle es auch hier doch wieder, nicht viel anders als in der Orthodoxie, nach der Regel zugehen: "Friß Vogel oder stirb." Der "Glaube der Kirche", in dem "Jungfrauengeburt, Trinität oder was immer ist", jedes als "ein gleichbedeutsames und notwendiges Stück des Ganzen" begegnen, "das eben als Ganzes g"eschluckt werden muß oder gar nicht", steht in einer zurückschreckenden, weil für sich bleibenden Geschlossenheit und Ferne vor der Welt, während es doch durch die Fleischwerdung Christi in allem, was von Gott zu s:lgen ist, um seine Gabe für die Welt geht 28). Diese Gabe als solche der religionslos gewordenen Welt nahezubringen in einer konkreten Entfaltung für sie, wäre die Aufgabe, an die die Kirche ihre ganze Kraft zu setzen hätte. Ginge sie an diese Aufgabe, so würde sie allerdings erkennen, daß sie ihr nur in einer ganz anderen Solidarität mit dieser Welt gerecht werden könnte, als sie· bisher bei ihr zu finden war. Sie müßte schon in der Gottlosigkeit der Welt ihre eigene wahre Lage vor Gott neu erkennen. Sie müßte sich schon von ihrem Herrn, der selbst an die Stelle der Gottlosen trat, neu sagen lassen, daß der Gott, der mit uns ist, der Gott ist, der uns verläßt (Markus 15, 34). Die Bibel weist den Menschen ja an die Ohnmacht und das Leiden Gottes, der sich selbst aus der Welt herausdrängen läßt ans Kreuz und gerade und nur so bei uns ist und hilft. Was die Kirche schreckt, sollte sie deshalb in Wahrheit an ihren Ursprung erinnern. Die "Entwicklung zur Mündigkeit der Welt, durch die mit einer falschen Gottesvorstellung 28)
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A. a. 0., S. 184 f., 219, 260 f.
• aufgeräumt wird", kann "den Blick freimachen für den Gatt der Bibel, der durch seine Ohnmacht in der Welt Macht und Raum gewinnt" 29). Salidarisch mit der gattlasen Welt, im Anblick eines ahnmächtigen, leidenden Gattes stehen wir allerdings var der Frage: "Was glauben wir wirklich?", und diese Frage erlaubt uns nicht mehr, uns "hinter dem Glauben der Kirche zu verschanzen" 30). Orthadaxie, kanfessianalistische Restauratian, aber auch die erneuerte Thealagie sind in der Gefahr, einer fides implicita Varschub zu leisten, in der die Welt nicht zu Unrecht eine "pfäffische Unaufrichtigkeit" argwöhnt. Weniger wäre hier mehr! Auch in der bekennenden Kirche gab es nach Banhaeffer mehr "Eintreten für die ,Sache' der Kirche als persönlichen Chr'istusglauben". ",Jesus' entschwindet dem Blick" 31). Dabei geht es dach zuerst und zuletzt um die Begegnung mit ihm, um die "Erfahrung, daß hier eine Umkehrung alles menschlichen Seins gegeben ist". "Das ,Für-andere-dasein' Jesu ist die Transzendenzerfahrung! Aus der Freiheit van sich selbst, aus dem ,Für-andere-da-sein' bis zum Tad entspringt erst die Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart." "Glaube" ist "das Teilnehmen an diesem Sein Jesu" , das "Hineingerissenwerden in das messianische Leiden Gattes" in ihm 32). Vielleicht haben wir in diesen Sätzen am deutlichsten vor uns, was Banhaeffer mit seiner nichtreligiösen Interpretatian der biblischen Wahrheit varschwebte. Er möchte sie um keinen Preis verkürzen. Im Blick auf Bultmann, dem bei seinem Versuch einer "Entmythalagisierung" des Neuen Testamentes ursprünglich etwas Ähnliches var Augen gestanden haben mag wie ihm selbst, urteilt er: "Man kann nicht Gatt und Wunder vaneinander trennen." "Diese Mythalagie (Auferstehung etc.) ist die Sache selbst!" 33). Aber er meint affenbar (meinte es Luther nicht auch zu seiner Zeit?), daß das Evangelium als salches eine Spitze habe, in der es dem Menschen van heute am nächsten kamme. Sie gelte es zu erkennen und aufzuzeigen, und an ihr müßte deutlich gemacht werden, was die graßen Themen des Credo und der Thealagie in Wahrheit umschließen. Dabei kann es dann nicht mehr um eine zurückgezagene Schau gehen, sandern auf Schritt und Tritt um die Verantwartung des Einzelnen und der Kirche. Var ihm steht als Zukunftshaffnung eine Thealagie, die "ganz im Dienst des Tuns" stehen wird, deren Träger nur das denken werden, was sie "handelnd zu verantwarten haben" 34). Es ist der Banhaeffer der "Nachfalge", der sich so. aufs neue zum Wart meldet. Bedeutet das, safern es sich kritisch auch gegen Kar! Barth wenden zu müssen meint, zugleich eine Abwendung van seinem Grundanliegen und van seinem Ausgangspunkt? Im Augustheft 1952 der "Neuen Furche" meint E. Müller-Ganglaff, BaallOeffer "in entschiedenem Gegensatz" zu ihm sehen zu dürfen. Während bei Barth 29) 30) 31)
A. a. 0., S. 241 f. A. a. 0., S. 260 f. A. a. 0., S. 258 f.
32)
33) 34)
A. a. O. u. S. 245. A. a. 0., S. 220 I. u. S. 183. A. a. 0., S. 203.
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"alles Denken auf Gott bezogen" sei, denke Bonhoeffer "in ganz betonter Weise vom Menschen her". Es wäre verhängnisvoll, wenn diese Deutung Platz griffe. Sie würde die Gegenwart gerade um das Befreiende der Erkenntnise Bonhoeffers betrügen. Wenn er einen Vorwurf gegen Barth erhebt 35), ist es ja gerade der, daß er von seinem eigensten Ansatz aUs nicht entschlossen genug weitergeschritten sei. Wer hinter diesen Ansatz, den Ansatz der Offenbarungstheologie, zurückgeht, ist ein "gefährlicher Reaktionär" 36). Wieder "vom Menschen her zu denken" - und geschähe es auf eine ganz neue, höchst aktuelle Weise - , das könnte nur zu einer weiteren Spielart jenes unseligen "Methodismus" führen, den Bonhoeffer gerade als den großen Verrat am Evangelium und darum auch am Menschen entlarvt hat. Oder geben die Tegeler Briefe jener anthropozentrischen Interpretation seiner Theologie doch ein gewisses Recht? Widerspricht Bonhoeffer sich selbst? Muß die pointierte, kategorische Formulierung seiner These von der autonomen, mündig gewordenen Welt vielleicht dahin verstanden werden, daß er - höchst paradox - in ihrer Gottlosigkeit, die keinen wie immer gearteten positiven Ansatzpunkt für die Verkündigung bei ihr mehr suchen läßt, nun so etwas wie einen negativen Einsatzpunkt gefunden zu haben meint, von dem alles sachgemäße Christuszeugnis fortan auszugehen habe? Aber hätte Bonhoeffer, wenn er es so meinte, seinen Vorwurf gegen Karl Heim, von dem oben die Rede war, erheben können? In Wirklichkeit wäre das, worum es ihm zu tun ist, mit einer solchen Deutung doch entscheidend verkannt. Es geht ihm weder um einen "Anknüpfungspunkt" noch um etwas Ähnliches wie das Bultmannsche "Vorverständnis". Er will allerdings die Welt sehen, wie sie ist, und er will, daß ihr ihr Recht gelassen werde, zu sein, was sie ist, aber nicht, weil er sie so doch noch in den Griff zu bekommen hofft, sondern weil er sich vom Evangelium für sie hat freimachen lassen 37). Im Grunde steckt in dem Bedürfnis, die göttliche Wahrheit so oder so im Menschen zu verankern, ein Stück Furcht vor der Welt. Das Evangelium öffnet die Augen für sie, indem es dieser Furcht ein Ende macht, und es vermag das, weil es für "Christen und Heiden" die gleiche Hoffnung hat 38). "Die mündige Welt ist gottloser und darum vielleicht (dieses "vielleicht" darf nicht übersehen werden!) gerade Gott-näher als die unmündige Welt" 39) - , so kann unmöglich "vom Menschen her" gesprochen werden, sondern nur von dem fleischgewordenen Sohn Gottes her, dem es gefallen hat und immer neu gefällt, den Fernsten am nächsten zu sein. Weil 35) Ob er an ihm fest gehalten haben würde, wenn er die Fortsetzung der Dogmatik, die "Schweizer Stimme" und die Predigten Karl Barths aus den letzten Jahren noch hätte kennen lernen können? 36) A. a. 0., S. 220. 37) 38) 39)
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A. a. 0., S. 221. A. a. 0., S. 246 f. A. a. 0., S. 246.
Bonhoeffer in einer großen, auf den lebendigen Herrn gerichteten Erwartung vor der Welt steht, kann er sie freigeben, kann er sich, auch im Leiden, freudig in ihr bewegen ohne einen anderen Vorbehalt als eben den des Glaubens, der sie mit um faßt. So möchte er auch die Kirche in der Welt sehen, ihren eigenen Raum, in dem sie um das Wort versammelt ist, immer schon durchbrechend zur Welt hin, auch in ihrem Hören, Beten und Loben immer schon für sie da 40). Von hier aus kommt er, wenn ich recht sehe, auch zur Forderung einer kirchlichen Arkandisziplin 41), die so großes Befremden erregt hat. Überall da, wo die Sichtbarmachung ihres eigenen Besitzes als ein Vorwurf wirken und die Außenstehenden entmutigen könnte, darf und soll die Kirche einen Schleier über ihn legen, nicht, um ihre Herkunft und ihren Beruf oder gar ihren Herrn selbst zu verleugnen, sondern um zu ihm einzuladen in der Selbstentäußerung, in der er ihr vorangegangen ist. Es ist - das dringt durch alles immer wieder hin'durch - das Bild Jesu selbst, das Bonhoeffer beunruhigt, ermutigt und vorwärts weist. Er meint, sich nicht lange, nicht ruhig und nicht tief genug in dieses Bild versenken zu können, wie es ihm vor allem in den drei ersten Evangelien entgegentritt. Sie zeigen uns wie nichts anderes den Messias der Gottlosen, der in ihrer Mitte gefunden wird, der ihre Verlorenheit zu seiner Verlorenheit macht, der weder mit offenem noch mit heimlichem Zwang zu ihnen kommt, der sie nicht erdrückt mit seinem Reichtum, sondern um ihretwillen arm wird bis hin zu dem Schrei des Ausgestoßenen und Verfluchten. Er offenbart seine Gottheit in seiner Niedrigkeit; eben so aber kommt es, wo die religiösen Meister es für unmöglich halten, zum Glauben. Dieser Glaube hat etwas unerhört Voraussetzungsloses. Jesus Christus selbst ist seine einzige Voraussetzung 42). Die Kirche hat auch aus der Sünderliebe Jesu eine Methode gemacht. Sie sah nicht mehr, daß er selbst Menschen noch ohne Sündenbekenntnis für immer an sich gezogen hat durch die Einzigartigkeit seines bloßen Helfens. Sie verstand nicht mehr, was es für sie bedeutete, daß sein göttliches Geheimnis sich auch da schon wirksam zeigte, wo seine Tiefe noch verhüllt blieb, wie es auch da noch mächtig war, wo er es nur noch schweigend bezeugte, an seinem Kreuz. Hier täte sich ein Weg auf gerade für die Kirche der Gegenwart. "Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist." "Um einen Anfang zu machen", meint Bonhoeffer im Blick auf das nahende Kriegsende, "muß sie alles Eigentum den Notleidenden schenken. Die Pfarrer müssen ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinde leben, evtl. einen weltlichen Beruf ausüben. Sie muß an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und 40)
41) 42)
Ethik, S. 67. Widerstand, S. 185. Siehe hierzu und zum Folgenden besonders S. 245 a. a. O.
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dienend. Sie muß den Menschen aller Berufe sagen, was ein Leben mit Christus ist, was es heißt, ,für andere dazusein' "43). Die Kirche hat diesen Weg, aufs Große gesehen, nicht gehen zu können gemeint, oder wo, sie es versuchte, war doch die Rangordnung der Dinge für sie eine andere. Und mußte ihr die Wiederaufrichtung zerstörter Kanzeln und die Erhaltung und Neugewinnung eines für seine Arbeit freien Pfarrerstandes mit allem, was dazu gehört, nicht vordringlich erscheinen, wenn sie die Kirche des Wortes bleiben wollte? Mancher mag in der Stille Bonhoeffer als einen Schwärmer abtun. Und doch hat gerade er an einen Verzicht auf das Wort nic,.l1t einen Augenblick gedacht. Allerdings, von den Worten versprach er sich wenig. Aber er war dessen gewiß, daß eine Kirche, die für die anderen da sein werde, auf ein starkes und echtes Verlangen nach dem Wort nicht lange zu wal'ten brauche und daß ihr dieses Wort zu seiner Stunde beistehen werde in der Fülle und Vollmacht eines neuen· Anfangs 44). Was immer unsere eigene Entscheidung sein mag, wir werden an der Stimme des Gefangenen von Tegel nicht vorüberkommen.
Dietrich Bonhoeffer und Karl Barth Ein Briefwechsel Berlin-Grunewald, den 24. Dezember 1932 Lieber Herr Professor! (Barth) Zum Ausgang des Jahres möchte ich Ihnen noch einmal danken für alles,. was ich im Laufe dieses Jahres von Ihnen empfangen habe. Der Abend hier in Berlin und dann die unvergleichlich schönen Stunden mit Ihnen auf dem Bergli gehören zu den Augenblicken in diesem Jahr, die bleiben. Wenn ich Ihnen im August damals durch mein vielleicht zu hartnäckiges und - wie Sie einmal sagten: -"gottloses" Fragen zur· Last gewesen bin, so bitte ich Sie das zu verzeihen. Aber, bitte, wissen Sie dann auch, daß ich niemanden weiß, der mich von diesem zählebigen Fragen zu befreien vermöchte als eben Sie und daß ich darum gerade zu Ihnen so reden muß, weil ich, es ist schwer zu sagen warum, bei Ihnen das ganz eigentümlich sichere Gefühl habe, daß so wie Sie die Dinge sehen, es einfach irgendwie richtig ist; ich werde einfach im Augenblick des Gesprächs mit Ihnen in die unmittelbare Nähe der Sache selbst gebracht, um die ich immer nur in der Ferne herumkreiste, und das ist für mich das ganz untrügliche Zeichen dafür, daß hier die Mitte irgendwie getroffen ist. Und weil nirgends sonst das Bewußtsein in auch nur ähnlicher Intensität aufkommt, darum werde ich Sie immer wieder bitten müssen, mir hin und wieder etwas von Ihrer Zeit zu schenken; und, bitte, verzeihen Sie das dann. Die. kurzen Stunden des Zusammenseins in diesem Jahr 43)
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A. a. 0., S. 261.
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A. a. 0., S. 206 f.
haben es fertig gebracht, meine immer wieder ins "gottlose" Fragen absinken wollenden Gedanken zu dirigieren und bei der Sache zu halten. Dafür möchte fch Ihnen danken. Das Semester hier war schön. Es sind viele Studenten da, und darunter doch auch einige, die wirklich mittun. Fürs neue Jahr wünsche ich Ihnen, daß der Fortgang Ihrer Arbeit an der Dogmatik, die uns durch Sie unsere Kirche schenkt und an deren Gelingen so sehr viel liegt, "Deo iu'vante et nostris orationibus" ein guter sei. In großer Dankbarkeit und Verehrung bin ich Ihr gez. Dietrich Bonhoeffer Bonn, 4. Februar 1933 Lieber Herr Kollege! (Bonhoeffer) Ihr freundlicher Weihnachtsbrief soll nicht länger unbeantwortet bleiben. Ich bin ja meinerseits so froh, um Ihre Existenz zu wissen, und freue mich immer wieder, wenn ich auf dem Umweg über Frau Staewen oder auch durch Studenten von der Art höre, wie Sie dort Ihren schwierigen Posten versehen. Haben Sie auch herzlichen Dank für die Zusendung Ihres Heimartikels und nicht zum wenigsten dafür, daß Sie sich darin meiner so tapfer und geschickt angenommen haben. Ich stehe seit Monaten immer intensiver unter dem Eindruck, daß sehr vieles von dem, was man in den letzten Jahren an theologischen Zusammengehörigkeiten auf dem deutschen Felde zu sehen meinte, Täuschung gewesen ist; und habe mich Althaus, Brunner und Gogarten gegenüber auch in diesem Sinne ausgesprochen. Ich kann mich in das, was ich gerade diese meine "Nächsten" gerade in den entscheidenden Punkten treiben sehe, weder formal noch sachlich finden, sondern es kommt mir vor, ich sei wieder so ziemlich in dieselbe Einsamkeit zurückgeworfen, aus der und in .der ich vor 12 Jahren in diese merkwürdige Arena eingeritten bin. Und es kommt mir jetzt unwahrscheinlicher vor als damals, daß dies jemals wieder anders werden könnte. Mit grimmigem Vergnügen hörte ich eben dieser Tage aus einem Brief von Frau Staewen einige Andeutungen über die Vorgänge in der Berliner Fakultät. Ich nehme an, daß es sich um "Fakultätsgeheimnisse" handelt, und werde also niemandem, am wenigsten meinem für dergleichen brennend interessierten neutestamentlichen Nachbarn etwas davon erzählen, sondern mich nur im Stillen daran freuen. Genau so müssen ja die Dinge laufen und es wäre fast ein Wunder, wenn sie anders liefen. Ich bin eben an der Lektüre von Lietzmanns Kirchengeschichte und weiß also aus frischester Quelle, was man dort immer noch für Theologie hält. In der Aera des Reichskanzlers Hitler wird sich ja gewiß Wobbermin auf dem Lehrstuhl Schleiermachers stilechter ausnehmen, als ich dies getan hätte. Ich höre, daß Sie sich meinetwegen exponiert haben dort. Auch dafür möchte ich Ihnen dankbar die Hand drücken, weil ich weiß, was Sie dabei gewollt und gemeint haben. Ich würde ohne Zweifel angenommen haben, aber wie sollte ich einem so großen und verdienten Forscher wie Wobbermin nicht gerne den Vortritt lassen und wie sollte ich nicht auch von Herzen gern hier in Bonn bleiben? Übrigens bin ich seit eineinhalb Wochen außer Gefecht. gesetzt durch die Grippe und ihre bzw. des genossenen Chinins üble NaChwirkungen. In der ersten
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Hälfte März fahre ich zu einem Vortrag nach Kopenhagen. Vielleicht, daß ich auf dem Rückweg auch kurz in Berlin Einkehr halte, zum Glück diesmal nicht zu einem Vortrag und also ohne Aussicht auf darauffolgende Beschimpfung durch das Protestantenblatt. Doch, wenn auch! Die Welt liegt im Argen, aber nicht wahr, wir wollen uns die Pfeife auf keinen Fall ausgehen lassen. Grüßen Sie Frau Staewen, Herrn Fricke und wer immer von guten Menschen Ihnen dort in den Weg kommen mag! (Sollte der Knabe Edelhoff noch dort sein? Er hat seit drei Jahren irgendwelche Bücher von mir. Wenn er noch dort und Ihnen bekannt ist, erinnern Sie ihn vielleicht gelegentlich sanftmütig an diese Tatsache.) Herzlichst Ihr gez. Karl Barth
Berlin-Grunewald, den 14. April 1933 Lieber Herr Professor! (Barth) Es geht hier die Rede um, Sie würden vielleicht im nächsten Semester nicht mehr nach Bonn zurückkehren können. Dies Gerücht versetzt hier viele in nicht geringe Bestürzung. Georg Merz, der vor ein paar Tagen hier war, hat mir persönlich Näheres erzählt. Nun haben einige theologische Freunde mit mir vor, in einem solchen Fall eine Eingabe einzuleiten, um hier einen verhängnisvollen Fehler zu verhüten. Ein solches Unternehmen hat freilich nur Sinn, wenn man schon etwas Genaues über den Ausgang Ihrer Sache weiß, d. h. darf ich Sie zugleich im Namen derer, die z. Zt. aufs höchste durch diese Nachrichten beunruhigt sind, bitten, mir kurz Bescheid zu geben, wie die Dinge stehen. Es dürfte gegebenenfalls ja kein Augenblick verloren werden. Die Stellung der Deutschen Christen zu Ihnen scheint übrigens doch noch nicht geklärt zu sein. Wenn doch diese fortwährende Beunruhigung es wenigstens nicht fertig brächte, die Stille Ihrer Ferienwochen und Arbeit gänzlich zu stören. Wir denken viel an Sie. Sehr danken möchte ich Ihnen auch noch einmal für den Abend in Berlin. Wenn so etwas nur alle Jahre einmal vorkäme, dann ließe es sich in Berlin noch eine Zeitlang trotz allem aushalten. Ich bin begierig auf den Semestel'beginn. In treuer Dankbarkeit und Verehrung bin ich Ihr gez. Dietrich Bonhoeffer
Bern-Wabern, 18. April 1933 Lieber Herr Kollege Bonhoeffer! Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Brief vom 14. und für Ihre ganze Teilnahme. Nach dem, was man bis jetzt wissen kann, scheint es eigentlich wahrscheinlicher, daß meine Arbeit in Bonn wie gewohnt weitergehen kann und wird. Ich habe dem Minister Rust einen Brief geschrieben und ihn (unter Mitteilung, daß ich aus der SPD nicht austreten werde) um Auskunft über meine Zukunft gebeten. Eine Antwort darauf erhielt ich bis jetzt nicht, doch vernahm ich auf Umwegen, daß diese ffipine Demarche
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Unter den Linden nicht einmal schlechten Eindruck gemacht habe und auf der ersten neulich veröffentlichten Proskriptionsliste ist mein Name denn auch wirklich nicht erschienen, obwohl es doch gewiß nrcht vergessen ist, daß ich mich kaum vor Jahresfrist mit Günther Dehn "persönlich und sachlich solidarisch" erklärt habe. Es scheint auch, daß längst alle möglichen Instanzen zugunsten meines Verbleibens am Werke sind. Für den Augenblick steht also alles so "gut" wie nach den Umständen möglich ist. Eine ganz andere Frage wird ja die sein, ob und wie ich mich in dem so anders gewordenen Deutschland innerlich werde zurechtfinden können. Auch und gerade in der Zoellnerschen "Evangelischen Kirche deutscher Nation". Schon der Name dieses verheißenen Kindleins ... ! Aber ich will auch in dieser Hinsicht so ruhig, als es eben geht, abwarten. Ich bin ja wirklich froh, so viele Zeichen wahrzunehmen, daß die Kirche diesmal doch ein wenig anders auf ihrem Posten ist als 1914. Seien Sie mit allen Freunden herzlichst gegrüßt von Ihrem gez. Karl Barth
Berlin, den 9. September 1933 Lieber Herr Professor! (Barth) In Ihrer Schrift 1) haben Sie gesagt, daß dort, wo eine Kirche den Arierparagraphen einführen würde, sie aufhört, christliche Kirche zu sein. In dieser Meinung ist sich ein großer Teil hiesiger Pfarrer mit Ihnen einig. Nun ist das zu Erwartende eingetreten, und ich bitte Sie im Namen vieler Freunde, Pfarrer und Studenten darum, uns wissen zu lassen, ob Sie es für eine Möglichkeit halten, in einer Kirche, die aufgehört hat, christliche Kirche zu sein, zu bleiben, beziehungsweise ein Pfarramt, das zu einem Privileg für Arier geworden ist, weiter zu verwalten. Wir haben zunächst eine Erklärung aufgesetzt, in der wir der Kirchenregierung mitteilen wollen, daß mit dem Arierparagraphen sich die Evangelische Kirche der altpreußischen Union von der Kirche Christi getrennt hat, und wollen die Antwort darauf abwarten, d. h. ob die unterzeichneten Pfarrer entlassen werden oder ob man sich etwas Derartiges unbekümmert sagen läßt. Mehreren unter uns liegt jetzt der Gedanke der Freikirche sehr nahe. Der Unterschied zwischen unserer heutigen Situation und der Luthers liegt doch wohl darin, daß die katholische Kirche Luther unter Bezeichnung der häretischen Sätze ausstieß, daß aber unser Kirchenregiment das nicht kann, weil ihm der Begriff des Häretischen überhaupt gänzlich fehlt. Darum läßt sich auch nicht einfach von Luthers Haltung her argumentieren. Ich weiß, daß jetzt viele auf Ihr Urteil warten, weiß auch, daß die meisten der Ansicht sind, Sie würden dazu raten zu bleiben, bis man herausgetan wird. Nun sind aber schon welche herausgetan, nämlich die Juden-Christen, und anderen wird sehr bald unter Angabe völlig unkirchlicher Gründe dasselbe geschehen. Was folgt daraus für uns, wenn die Kirche wirklich nicht nur jeweils einzelne Gemeinde ist, wie steht es mit der Solidarität der Pfarrer untereinander, wann gibt es überhaupt eine Möglichkeit des Austritts aus der Kirche? Daß der status confessionis da ist, daran kann ja nicht gezweifelt werden, aber worin sich die confessio 1) Theologische Existenz heute (H. 1).
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heute am sachgemäß esten ausdrückt, darüber sind wir uns riicht im klaren. Gleichzeitig erlaube ich mir, Ihnen einen Durchschlag eines Entwurfes einer Bekenntnisarbeit2) zu schicken, der in Bethel gemacht worden ist und demnächst im Druck erscheinen soll. Ich bin in Bethel ausdrücklich gebeten worden, Sie um Ihr Urteil und Ihre Korrektur sehr herzlich zu bitten. Verzeihen Sie bitte diese beiden Fragen, die in Ihre Zeit einigermaßen eingreifen. Aber das sind Dinge, die gegenwärtig bei uns Tausenden von Theologen nahegehen und denen sie und wir alle hier nicht gewachsen sind. Haben Sie vielen Dank für alle Hilfe. In großer Dankbarkeit und aufrichtiger Verehrung bin ich, lieber Herr Professor, Ihr Ihnen stets ergebener gez. Dietrich Bonhoeffer
Bergli, Oberrieden (Kt. Zurich), 11. September 1933 Lieber Herr
Kolleg~!
(Bonhoeffer)
Auf Ihren freundlichen Brief möchte ich Ihnen wenigstens gleich einen Gruß schicken. Der Bekenntnisentwurf, von dem Sie schreiben, lag Ihrem Briefe n ich t bei. Aber auch die Fragen, die Sie sonst stellen, sind ernst genug. Ich habe auch von hier aus alles verfolgt, was draußen geschehen ist. Soll man nicht fast dankbar sein dafür, daß alles so energisch einer Krisis entgegenzutreiben scheint? Aber freilich, bei der Frage: Was dann? kann es einem wohl heiß und kalt werden. Natürlich ist mit dem Beschluß der Generalsynode' jene von mir erwogene Möglichkeit wenigstens z. T. Wirklichkeit geworden. Bis zum Ausschluß der Nicht-Arier von der Kirchenmitgliedschaft scheint man ja nicht oder noch nicht gehen zu wollen. Aber auch die Verfügung hinsichtlich der Beamten und Pfarrer ist untragbar, und auch ich bin der Meinung, daß der status confessionis gegeben sei. Das wird aber in der Tat zunächst dies bedeuten, daß man es der Kirchenregierung bzw. der durch sie vertretenen angeblichen oder wirklichen Mehrheit der Kirchenmitglieder in direkter Eingabe, aber auch öffentlich sagt: "Ihr seid in diesem Stück nicht mehr Kirche Christi!" Und es ist klar, daß dieser Protest nicht nur ein einmaliger sein kann, sondern weiter und weitergehen muß, bis das Ärgernis beseitigt ist oder bis die Kirche mit einem Ausschluß oder mit einer Mundtotmachung der Protestierenden antwortet. Der von Ihnen beabsichtigte Schritt scheint mir also zunächst das Richtige zu sein. Er wird aber, was auch sein Erfolg sein möge, von weiteren entsprechenden Schritten gefolgt sein müssen. Im übrigen bin ich in der Tat für Abwarten. Das Schisma muß, wenn es kommt, von der an~eren Seite kommen. Vielleicht kommt es sofort in Form der Antwort auf den Protest wegen der judenchristlichen Pfarrer. Vielleicht muß sich die heillose Lehre, die nun in der Kirche regiert, zuerst noch in anderen und schlimmeren Abweichungen und Verfälschungen Luft machen; ich habe hier im Zusammenhang eine Menge deutschchristlicher Literatur zu mir genommen und kann nur sagen, daß ich nach 2) Das sog. Betheler Bekenntnis, bei K. D. Schmidt, Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1933. Göttingen 1934, S. 105 ff.
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allen Seiten auf das Schlimmste gefaßt bin. Es könnte dann wohl sein, daß der Zusammenstoß an einer noch zentraleren Stelle erfolgt. Jedenfalls muß man auch den jetzt ge faßten üblen Beschluß sich erst auswirken, das geschaffene Faktum sozusagen sprechend werden lassen. Wenn die Leute so fortfahren, wird die Freikirche eines Tages einfach da sein. Vorher sollte man wohl mit der Möglichkeit noch nicht einmal spielen. Die Sache ist zu verantwortlich, als daß man irgendwie damit umgehen dürfte, sie "starten" zu wollen. Ich vermute 'ja, daß man .sChon an tausend Ecken heimlich damit umgeht! Aber wir werden nur unter den Letzten sein dürfen, die das sinkende Schiff wirklich verlassen, wenn es so. weit kommen sollte, daß Wlr es nur noch als sinkendes Schiff betrachten können. Vielleicht darf man dann nicht unter allen Umständen darauf warten wollen, daß man ausgeschlossen oder abgesetzt wird. Vielleicht muß man dann wirklich "austreten". Aber das dürfte doch nur eine u 1 tim a ratio sein für uns. Wir haben uns durch viel, sehr viel andersartiges Ärgernis auch aus der Dibeliuskirche der Vergangenheit mit Recht nicht gleich hinausdrängen lassen, sondern haben in ihr selbst unseren Protest angemeldet. Dazu sind wir nun auch in der Hossenfelder-Kirche jedenfalls fürs Erste aufgerufen. Ein höchst aktives polemisches Warten wird uns auch hier später auf keinen Fall zu reuen brauchen. Ich denke natürlich daran, daß uns allerlei Unberufene mit dieser oder jener wilden Neugründung zuvorkommen können. Aber es wird sich lohnen, wenn wir uns vornehmen, jetzt auf keinen Fall taktisch, sondern so gut wir können und verstehen, geistlich zu denken. Ich bekomme immer wieder - und fast lauter zustimmende - Briefe zu meiner Broschüre, meist von mir gänzlich unbekannten Leuten, in der Regel Nicht-Theologen, die sehr oft im Namen "vieler anderer" reden. Daraus entnehme ich, daß von einer Einmütigkeit des "Kirchenvolkes" hinsichtlich der jetzt herrschenden Strömung doch gar keine Rede sein kann. Aber zum Kuckuck: nun nur ja nicht auf Rumor mit Rumor antworten! So gewiß es nicht aussichtslos wäre, schon jetzt einen solchen zu entfesseln. In dieser Schlacht werden es diejenigen gewinnen, die mit ihrer Munition zuerst am sparsamsten umgehen, dann aber auch am genauesten zu zielen und am rücksichtslosesten zu schießen wissen. Einmal, einmal, verlassen Sie sich darauf, wird sich die ganze Hossenfelderei unter Hinterlassung eines beträchtlichen Gestankes in ihre Atome auflösen ... Auch die "Junge Kirche" habe ich jetzt einmal im Zusammenhang gelesen, dankbar für allerhand Mitteilungen, aber sachlich einfach e n t set z t über die Leisetreterei und Leimsiederei, die da das Feld beherrscht. Sieht denn niemand, daß die D. ehr. über den so redenden und auftretenden Gegner nur lachen können? Gnad Gott der deutschen Kirche, wenn die jetzt so bitter nötige innerkirchliche Opposition nicht über andere Gesichtspunkte und Grundsätze und vor allem über eine ganz andere Sprache verfügt, als sie in diesem braven und doch so furchtsamen Durcheinanderreden vernehmbar werden. Ich bin ja neugierig auf das, was Herr Lilje gegen mich vorzubringen verheißen hat. Vorläufig reut mich kein scharfes Wort, das ich nach dieser Seite geschrieben habe. - Ich schreibe Ihnen dies, um Ihnen deutlich zu machen, daß ich allerdings nur die schärfste prinzipielle Haltung für gut genug halte, um jenes Abwarten zu rechtfertigen. Und nun erwarte ich also Ihren Bekenntnisentwurf mit Spannung. Der Name "Bethel" versetzt mich ja, wie ich Ihnen nicht verhehlen will, in
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leise Unruhe. Die mittlere Linie, die Georg Merz in der letzten Nummer von ZdZ innehalten wollte, war unerträglich. Ich könnte auch bei einer Freikirche der "mittleren Linie", wie ich sie von dorther im besten Fall erwarte, sicher nicht dabei sein. Vielleicht werde ich über kurz oder lang wieder etwas zu schreiben versuchen. Aber noch bin ich für mich selbst nicht so weit, deutlich zu sehen, was jetzt eigentlich passiert und passieren müßte. Sie würden mich zu großem Dank verpflichten, wenn Sie mich von Zeit zu Zeit über das, was Sie wissen und denken, unterrichten würden. Inzwischen lassen Sie sich herzlichst grüßen von Ihrem gez. Kar I Barth
London, den 24. Oktober 1933 Lieber Herr Professor! (Barth) Nun schreibe ich Ihnen den Brief, den ich schon vor 6 Wochen schreiben wollte und der vielleicht damals einen völlig anderen Lauf meines persönlichen Lebens zur Folge gehabt hätte. Warum ich ihn damals nicht schrieb, ist mir jet z t fast unverständlich. Ich weiß nur noch, daß zwei Dinge mitspielten. Ich wußte, daß Sie mit 1000 anderen Sachen beschäftigt waren und es schien mir in jenen erregten Wochen ein persönliches ,äußeres Schicksal so ungeheuer belanglos zu sein, daß ich ,es einfach nicht für wichtig genug halten konnte, uni an Sie zu schreiben. Zweitens aber glaube ich zu wissen, daß ein Stück Angst mit im Spiel war; ich wußte, daß ich doch hätte tun müssen, was Sie mir gesagt hätten und ich wollte frei bleiben; darum entzog ich mich wohl einfach. Ich weiß heute, daß das falsch war und daß ich Sie um Verzeihung bitten muß. Denn ich habe mich nun "frei" entschieden, ohne im Blick auf Sie frei sein zu können. Ich wollte Sie fragen, ob ich als Pfarrer nach London gehen sollte oder nicht. Ich hätte Ihnen einfach geglaubt, daß Sie mir das Richtige sagen würden, Ihnen allein, bis auf einen Menschen, der aber an meinem persönlichen Schicksal so fortwährend Anteil nimmt, daß er in meine Unsicherheit mit hineingerissen wurde. Ich wollte immer gern Pfarrer werden, das hatte ich Ihnen ja schon ein paarmal gesagt. Im Juli kam die Londoner Sache an mich heran. Ich sagte mit Vorbehalt zu, reiste für 2 Tage hierher, fand ziemlich verwahrloste Gemeindeverhältnisse und blieb unsicher. Als im September die Sache entschieden werden mußte, sagte ich zu. Die formelle Bindung ist leicht. Halbjährige Kündigung. Von der Universität nahm ich nur Urlaub. Wieweit die Bindung an die Gemeinde fester wird, ist heute noch nicht abzusehen. Es war mir gleichzeitig in Berlin ein Pfarramt im Osten angeboten worden, die Wahl war sicher. Da kam der Arierparagraph in Preußen und ich wußte, daß ich das Pfarramt, nach dem ich mich gesehnt hätte, gerade in dieser Gegend nicht annehmen durfte, wenn ich nicht die Haltung unbedingter Opposition gegen die s e Kirche aufgeben wollte, wenn ich mich nicht von vornherein meiner Gemeinde unglaubwürdig machen wollte, wenn ich nicht aus der Solidarität mit den judenchristlichen Pfarrern - mein nächster Freund gehört zu ihnen und steht gegenwärtig vor dem Nichts, er kommt jetzt zu mir nach England - heraustreten wollte. So blieb die Alternative Privatdozent 0 der Pfarrer, und Pfarrer jedenfalls nicht in Preußen. Ich kann Ihnen nun die Fülle
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der Für und Wider gar nicht aufzählen, obwohl ich sie noch längst nicht überwunden habe, vielleicht nie überwinden werde. Ich hoffe, daß ich nicht nur aus Verdruß über unsere kirchlichen Zustände und auch über die Haltung gerade unserer Gruppe gegangen bin. Es hätte allerdings wahrscheinlich nicht lange gedauert, bis ich mich von meinen Freunden förmlich hätte lossagen müssen - aber ich glaube wirklich, daß das alles viel stärker gegen London sprach als dafür. Wenn man überhaupt in solchen Entscheidungen nachher ganz bestimmte Gründe ausfindig machen will, so war, glaub ich, einer der stärksten, daß ich mich den Fragen und Ansprüchen, die an mich herantraten, einfach äußerlich nicht mehr gewachsen fühlte. Ich fühlte, daß ich miCh unbegreiflicherweise gegen alle meine Freunde in einer radikalen Opposition befände, ich geriet mit meinen Ansichten über· die Sache immer mehr in die Isolierung, obwohl ich persönlich in nächster Beziehung mit diesen Menschen stand und blieb - und das alles machte mir Angst, machte mich unsicher, ich fürchtete, daß ich mich aus Rechthaberei verrennen würde - und dabei sah ich gar keinen Grund dafür, daß ich jetzt gerade diese Dinge richtiger und besser sehen sollte, als so manche ganz tüchtige und gute Pfarrer, zu denen ich einfach aufsehe - und so dachte ich, es wäre wohl Zeit, für eine Weile in die Wüste zu gehen und einfach Pfarrarbeit zu tun, so anspruchslos wie irgendmöglich. Die Gefahr, in der gegenwärtigen Stunde eine Geste zu machen, schien mir größer als die, sich in die Stille zu begeben. So ist es dann gekommen. Ein Symptom war mir außerdem noch, daß für das Betheler Bekenntnis, an dem ich wirklich leidenschaftlich mitgearbeitet hatte, so fast gar kein Verständnis aufgebracht wurde. Daß mich das nicht persönlich verstimmt hat, glaube ich bestimmt zu wissen; dazu war auch wirklich nicht der geringste Anlaß. Ich wurde einfach seelisch unsicher. Dann kam noch 10 Tage vor meiner Abreise ein Anruf von der Kirchenkanzlei, meine Entsendung mache Schwierigkeiten wegen meiner oppositionellen Haltung den D. C. gegenüber. Ich kam zum Glück zu einer Unterredung mit Müller, dem ich sagte, ich könne selbstverständlich davon nicht zurück und ich bliebe viel lieber hier als unter falscher Flagge zu segeln, könne auch draußen die D. C. nicht vertreten. Das alles wurde auf meine Bitte zu den Akten genommen. M. machte einen unsäglich dürftigen Eindruck, sagte mir zur Beruhigung: "im übrigen habe ich bereits angeordnet, daß die bestehenden Gegensätze ausgeräumt werden". Er bÜeb aber in meiner Sache unsicher und ich hoffte, die Entscheidung komme nun einfach von außen und war sehr froh. Am nächsten Tag kam die Nachricht, ich solle ausreisen. Angst vor der Ökumene - widerwärtig. - Jetzt bin ich seit 8 Tagen hier, muß jeden Sonntag predigen und bekomme fast täglich Nachrichten aus Eerlin über den Stand der Dinge. Das zerreißt einen innerlich fast. Und nun sind Sie bald in Berlin und ich kann nicht da sein. Es kommt mir auch so vor, als sei ich Ihnen durch mein Weggehen persönlich untreu geworden. Sie werden das vielleicht nicht einmal verstehen. Mir ist das aber eine sehr große Realität. Und bei alledem freue ich mich unendlich, in einer Gemeinde zu sein, auch so ganz abseits. Und dann hoffe ich ja auch, daß sich mir hier nun die Fragen der Ökumene wirklich klären werden. Denn diese Arbeit will ich hier weitertreiben. Vielleicht kann man auf diesem Wege der deutschen Kirche noch einmal wirklich in etwas beistehen. Noch weiß ich nicht, wie lange es mich hier hält. Wenn ich wüßte, daß ich drüben wirklich gebraucht würde - es ist so unendlich schwer zu
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wissen, was wir tun sollen. "Wir wissen nicht, was wir tlin"[sic] sollen, aber ... " So, nun ist dieser Brief geschrieben. Es sind nur persönliche Dinge; aber solche, von denen ich gern wollte, daß Sie sie wüßten. Wenn ich je wieder ein Wort von Ihnen hören würde, wäre es sehr schön. Ich denke sehr viel an Sie und Ihre Arbeit und wo wir wären, wenn die nicht wäre. Würden Sie mir einmal ganz offen Ihre Meinung zu alldem schreiben? Ich wäre auch für ein scharfes Wort offen und dankbar, glaube ich. Zur Sache möchte ich Ihnen ein andermal schreiben, wenn meine Maschine da ist. So ist's zu mühsam für Sie. . In alter Dankbarkeit bin ich Ihr treu ergebener gez. Dietrich Bonhoeffer
(Bonn), 20. November 1933 Lieber Herr Kollege! (Bonhoeffer) Sie können schon aus dieser Anrede entnehmen, daß ich gar nicht daran denke, Ihren Abmarsch nach England anders denn als ein vielleicht persönlich notwendiges Zwischenspiel zu betrachten. Sie hatten, da Sie diese Sache nun einmal im Sinn hatten, sehr recht, meinen weisen Rat dazu nicht erst einzuholen. Denn ich würde Ihnen bedingungslos und wahrscheinlich unter Aufführung schwersten Geschützes davon abgeraten haben. Und da Sie mich nun nachträglich wegen dieser Sache anreden, kann ich Ihnen wahrlich nichts Anderes zurufen als: "Schleunigst zurück auf Ihren Berliner Posten!" Was heißt "Abseitsgehen", "Stille des Pfarramtes" usw. in einem Augenblick, wo Sie in Deutschland einfach gefordert sind? Sie, der Sie so genau wissen wie ich, daß die Berliner Opposition und die kirchliche Opposition in Deutschland überhaupt innerlich auf so schwachen Füßen steht! Daß jeder ehrliche Mann alle Hände voll damit zu tun haben müßte, sie scharf und klar und fest zu machen! Daß jetzt vielleicht alles kaputt geht nicht an der wahrlich nicht allzu großen Macht und List der D. C., wohl aber an der Sturheit und Dämlichkeit, an der heillosen Ungrundsätzlichkeit gerade der Anti-D. C.! Daß man jetzt unter keinen Umständen weder Elia unter dem Wacholder noch Jona unter dem Kürbis spielen darf, sondern aus allen Rohren schießen muß! Was soll das Lob, das Sie mir spenden - von der anderen Seite des Kanals her? Was sollte die Botschaft, die mir Ihr Schüler ausrichtete, als ich gerade mitten im Gemenge mit dem famosen "Brüderrat" des Notbundes war - statt daß Sie dagewesen und mir diesen Brüdern gegenüber beigestanden hätten? Sehen Sie, ich bin ja nun in den letzten Wochen zweimal in Berlin gewesen und glaube nun ziemlich genau zu wissen, was dort gespielt wird, habe mich auch redlich bemüht, das Steuer herumzureißen, habe wohl auch einige Teilerfolge gehabt, hätte aber, wenn die Dinge sich zum Guten wenden sollten, ganz, ganz andere Erfolge haben müssen und bin darum speziell das zweite Mal sehr deprimiert von jener Stätte weggegangen. Warum waren Sie nicht da, um mit am Seil zu ziehen, das ich fast allein ja wirklich kaum vom Fleck kriegen konnte? Warum sind Sie nicht dauernd dort, wo nun so viel darauf ankäme, daß ein paar beherzte Leute bei jedem großen oder kleinen Anlaß auf der' Wache wären und versuchten, zu retten, was zu retten ist?
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Warum, warum? Sehen Sie, ich unterstelle ja, wie schon gesagt, gerne, daß dieser Ihr Abmarsch für Sie persönlich notwendig war! Aber ich muß schon hinzufügen dürfen: Was heißt im gegenwärtigen Augenblick sogar "persönliche Notwendigkeit"! Ich meine aus .Illl'em Briefe zu sehen, daß Sie, wie wir alle - jawohl, wie wir all e! - leiden unter der ganz ungemeinen Schwierigkeit, in dem gegenwärtigen Chaos "gewisse Tritte" zu tun. Aber sollte es Ihnen nicht einleuchten, daß das kein Grund ist, sich diesem Chaos zu entziehen, daß wir vielmehr i nun d mit unserer Ungewißheit, und wenn wir zehnmal und hundertmal straucheln und irren sollten, gefordert sind, unseren Mann zu stellen, wie gut oder schlecht wir dann unsere Sache machen mögen. Mir will es einfach so gar nicht gefallen, daß Sie angesichts dessen, worum es für die deutsche Kirche heute geht, jetzt noch eine solche Privattragödie auf die Bühne stellen mögen, als ob nicht na c h her, wenn wir so Gott will aus dem Schlamassel wieder ein wenig heraus sind, zur Abreagierung der verschiedenen Komplexe und Hemmungen, an denen Sie leiden wie andere auch darunter zu leiden haben, Zeit genug wäre. Nein, ich kann und ich werde Ihnen auf alle Begründungen oder Entschuldigungen, die Sie mir vielleicht noch vortragen könnten, immer nur antworten: Und die deutsche Kirche? Und die deutschen Kirchen? - bis Sie wieder in Berlin sind, um treu und brav Ihr dort verlassenes Maschinengewehr zu bedienen. Merken Sie noch nicht, daß jetzt eine Zeit gänzlich u n dialektischer Theologie angebrochen ist, in der es auf keinen Fall angeht, sich mit "Vielleicht - vielleicht auch nicht!" in Reserve zu halten, sondern daß jetzt jeder beliebige Bibelspruch uns förmlich zuschreit, wir verlorenen und verdammten Sünder sollten jetzt einfach glauben, glauben, glauben?! Sollten Sie mit Ihrem schönen theologischen Rüstzeug, und dazu noch eine solche Germanengestalt wie Sie, sich nicht fast ein wenig genieren etwa vor einem Mann wie Heinrich Vogel, der verhutzelt und aufgeregt wie er ist, einfach immer wieder da ist, seine Arme kreisen läßt wie eine Windmühle und "Bekenntnis, Bekenntnis!" schreit und in seiner Weise - in Kraft oder Schwachheit, darauf kommt jetzt nicht so viel an - tatsächlich ablegt? Ich kann Ihnen ja wirklich nicht die Beteiligung an einem Triumph in Aussicht stellen, wenn ich Sie bitte, wieder nach Deutschland zurückzukommen. Es ist hier alles so mühselig und unerfreulich wie nur möglich, und so wie man sich auf ein taktisches oder geschichtsphilosophisches Denken auch nur ein bißchen einläßt, kann man sich jeden Augenblick klar machen, daß - es rast der See und will sein Opfer haben - alle Mühe doch umsonst, die deutsche Kirche doch verloren ist. Sie werden aus der Fortsetzung der neuen Schriftenreihe 1) - sie bringt auch in Heft 3 und 4 mehr oder weniger aktuelle Dinge von mir - sehen, wieviel Mühe ich selber habe, mich der Müdigkeit zu erwehren. Aber nicht wahr, man darf ja jetzt nicht müde werden. Und so darf man jetzt noch weniger nach England gehen! Was in aller Welt sollen und wollen Sie dort drüben? Seien Sie froh, daß ich Sie nicht persönlich hier habe, denn ich würde sonst noch ganz anders eindringlich auf Sie losgehen mit der Forderung, Sie müßten jetzt alle noch so interessanten denkerischen Schnörkel und Sondererwägungen fallen lassen und nur das Eine bedenken, daß Sie ein Deutscher sind, daß das Haus Ihrer Kirche brennt, daß Sie genug wissen und was Sie wissen gut genug zu sagen wissen, um zur Hilfe befähigt zu sein, und daß Sie im Grunde mit dem 1) Theologische Existenz heute.
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nächsten Schiff auf Ihren Posten zurückkehren müßten! Nun, sagen wir: mit dem übernächsten! Aber ich kann Ihnen schon nicht ausdrücklich und eindringlich genug aussprechen, daß Sie nach Berlin und nicht nach London gehören. Da auch Sie mir im Grunde nur dies geschrieben haben, daß Sie nun eben dort seien, will ich Ihnen für diesmal auch nichts anderes schreiben als dies, daß Sie in Berlin sein sollten. Leider muß ich mir Ihre Adresse erst durch G. St. schicken lassen, so daß Sie dieser Brief erst mit einiger Verspätung erreichen kann. Sie werden ihn so freundschaftlich verstehen wie er gemeint ist. Wenn mir nicht so an Ihnen gelegen wäre, würde ich Ihnen nicht so ans Portepee greifen. Mit herzlichem Gruß! Ihr gez. Karl Barth
Finkenwalde, den 19. September 1936 Hochverehrter, lieber Herr Professor! (Barth) Als ich neulich in der Schweiz war, wollte ich sehr gern nach langer Zeit Ihnen einen Besuch machen. Mein Freund Sutz hatte mich wohl auch schon angemeldet, leider zu einem Zeitpunkt, von dem ich ihm gar nichts geschrieben hatte. Ich habe nun gehört, daß Sie eines Sonntagnachmittags Sutz und mich vergeblich erwartet haben. Das tut mir furchtbar leid. Denn es ist mir schon immer eine Überwindung, zu denken, daß ich Ihnen durch einen Besuch viel von Ihrer Zeit nehme, die Ihnen schon von allen Seiten geraubt wird. Und wenn ich nichts unbedingt Wichtiges hätte, würde ich es auch gewiß nicht tun. Diesmal hätte ich es nun aber wirklich gern getan und da war es zu spät. Das war mir sehr schmerzlich. Nun muß ich Ihnen aber wenigstens schreiben; denn ich habe wirklich lange genug geschwiegen. Unsere letzte Begegnung war ein Telephongespräch, in dem ich Sie für Jacobi nach Berlin bitten sollte. - Seit Sie mir damals nach England schrieben, ich solle mit dem nächsten oder doch mit dem übernächsten Schiff zurückkommen, haben Sie wohl persönlich von mir nichts gehört. Ich muß dafür um Verzeihung bitten. Der Stachel hat übrigens damals gesessen. Ich glaube, es war wirklich das übernächste Schiff, mit dem ich kam. Nun bin ich seit anderthalb Jahren wieder hier und bin doch in vieler Hinsicht froh, daß ich drüben war, aber noch froher, daß ich wieder hier bin. Daß ich seitdem nicht schrieb, hat wohl allerlei Gründe gehabt. Ich dachte immer, wenn ich Ihnen schreibe, muß ich auch was Vernünftiges zu schreiben haben; und so etwas Vernünftiges ,hatte ich eben tatsächlich nie, jedenfalls nie so, daß ich meinte, ich dürfte Sie nun dafür schon in Anspruch nehmen. Und ich habe es nun auch heute noch nicht. Und dann war es wirklich so, daß ich mit den Fragen, die mir aus der Schrift erwachsen waren und die mich fortwährend beschäftigten, erst einmal zu einem gewissen Ziel kommen wollte, wobei ich dann freilich auch immer wieder erkannte, daß ich mich in manchem wohl von dem, was Sie selbst dazu sagen, entfernte. Im Grunde war die ganze Zeit eine andauernde, stillschweigende Auseinandersetzung mit Ihnen und darum mußte ich eine Weile schweigen. Es sind hauptsächlich die Fragen der Auslegung der Bergpredigt und der paulinischen Lehre
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von Rechtfertigung und Heiligung. Ich bin an einer Arbeit darüber' 2) und hätte jetzt allerdings sehr, sehr gern vieles von Ihnen erfragt und erfahren. Es geht ja wohl den meisten von uns immer wieder so, die meinen, sie müßten sich eine Weile' lang aus irgendwelchen theologischen Gründen von Ihnen entfernen, daß sie nachher bei einer persönlichen Besprechung erfahren, daß man wieder einmal alles viel zu primitiv gesehen hat. Nun hoffe ich jetzt ernstlich auf eine andere Gelegenheit, Sie einmal ausführlich sehen und sprechen zu dürfen. Schließlich muß ich wohl der Klarheit wegen sagen - ich habe es sonst zu keinem gesagt -, daß ich mich aus Ihrem Kreis dadurch etwas ausgeschlossen fühlte, daß ich an Ihrer Festschrift nicht beteiligt wurde. Ich hätte Ihnen sehr gern einen Beitrag geschrieben; bitte mißverstehen Sie das nicht. Ich habe es einfach für ein objektives Urteil genommen, daß ich nicht zu den Ihnen verbundenen Theologen gerechnet werde. Das tat mir leid, weil ich weiß, daß es nicht zutrifft. So, das waren wohl etwa die Gründe eines längeren Schweigens. Die Arbeit im Seminar macht mir Freude. Wissenschaftliche und praktische Arbeit sind schön miteinander verbunden. Ich finde, daß auf der ganzen Linie von den jungen Theologen, die ins Seminar kommen, dieselben Fragen gestellt werden, die mich in der letzten Zeit beschäftigt haben, und von dorther ist das gemeinsame Leben natürlich stark mitbestimmt. Ich bin fest davon überzeugt, daß die jungen Theologen sowohl im Blick auf das, was sie von der Universität her mitbringen, wie auch im Blick auf das, was in den Gemeinden - besonders hier im Osten - so an selbständiger Arbeit von ihnen gefordert wird, eine ganz andere Vorbildung brauchen, in die ein solches gemeinsames SeminarIeben unbedingt hineingehört. Man macht sich ja gar kein Bild davon, wie leer, wie völlig ausgebrannt die meisten der Brüder ins Seminar kommen. Leer sowohl in bezug auf theologische Erkenntnisse und erst recht biblisches Wissen, wie auch in bezug auf ihr persönliches Leben. Sie haben einmal, lieber Herr Professor, in einem offenen Abend - dem einzigen, den ich mitgemacht habe - sehr ernst zu den Studenten gesprochen, daß es Ihnen manchmal so zumute sei, als sollten Sie lieber einmal alle Vorlesungen lassen und statt dessen den einzelnen auf die Bude rücken und ihn stellen, wie der alte Tholuck: wie steht es mit Deiner Seele? Die Not ist seitdem nicht behoben, auch durch die Bekennende Kirche nicht. Aber es sind sehr wenige da, die diese Aufgabe an den jungen Theologen als kirchliche Aufgabe erkennen und ausführen. Im Grunde aber wartet jeder darauf. Ich kann es leider auch nicht richtig, aber ich weise die Brüder aneinander, und das scheint mir das Allerwichtigste. Daß aber sowohl theologische Arbeit wie auch wirkliche seelsorgerliche Gemeinschaft nur erwachsen kann in einem Leben, das durch morgendliche und abendliche Sammlung um das Wort, durch feste Gebetszeit bestimmt ist, ist gewiß, und ist wohl auch nur eine Folge von dem, was Sie an Anselm von Canterbury sehr klar gemacht haben. Der Vorwurf, das sei gesetzlich, trifft mich wir~lich gar nicht. Was soll danln wirklich gesetzlich sein, daß ein Christ sich anschickt zu lernen, was beten ist, und an dieses Lernen einen guten Teil seiner Zeit setzt? Wenn mir neulich ein führender Mann der B. K. gesagt hat: "für Meditation haben wir jetzt keine Zeit, die Kandidaten sollen lernen zu predigen und zu katechesieren", so .ist das entweder totale Unkenntnis dessen, was ein junger Theologe heute ist, oder es ist frevelhafte Unwissenheit darüber, 2)
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wie eine Predigt und Katechese entsteht. Die Fragen, die heute im Ernst von jungen Theologen an uns gestellt werden, heißen: Wie lerne ich beten? Wie lerne ich die Schrift lesen? Entweder wir können ihnen da helfen oder wir helfen ihnen überhaupt nicht. SeI b s t ver s t ä n d I ich ist da wirklich gar nichts. Und zu sagen: wenn einer das noch nicht weiß, soll er eben nicht Theologe sein!, schlösse die allermeisten von uns aus diesem Beruf aus. Daß alle diese Dinge nur ihr Recht haben, wenn daneben und dabei - ganz gleichzeitig! - wirklich ernsthafteste saubere theologische, exegetische und dogmatische Arbeit getan wird, ist mir ganz klar. Sonst bekommen alle diese Fragen einen falschen Akzent. Aber übe r hör e n will ich diese Fragen um alles in der Welt nicht, darum geht es mir! Und gerade diese Dinge wären es, üher die ich am allerliebsten mit Ihnen einmal gesprochen hätte. Leider bin ich zur Zeit in einen heftigen Streit über meinen Artikel über die Kirchengemeinschaft hineingezogen. Man regt sich furchtbar darüber auf. Und ich hatte gemeint, eigentlich etwas Selbstverständliches zu schreiben. Sehr gern hätte ich ja einmal von Ihnen ein Wort dazu gehört. Aber ich will Sie damit wirklich nicht belasten. Wir müssen uns da eben jetzt allein durchbeißen. Das ist wohl auch ganz gesund. Aber ich möchte Ihnen doch eine große Bitte vortragen. Ich glaube, es käme für die gegenwärtige Situation sehr viel darauf an, die inhaltlichen Fragen, die zwischen Luthertum und Reformierten stehen, aufzurollen und zu diskutieren. Es gibt aber in Deutschland m. E. keinen einzigen, der das könnte, denn die Argumente von Sasse sind ja immer gänzlich formal und alle unsere Gegenäußerungen ebenso. Es weiß einfach keiner genug Bescheid, Es fehlt der überblick und es fehlt erst recht die Zeit, ihn sich zu verschaffen. Das Schneckenburgersche Buch bedürfte eines würdigen Nachfolgers. Müßten Sie nicht hier das Gespräch wieder einmal in Gang bringen? Es ist in der gegenwärtigen Form wirklich Leerlauf. Das ist eine große Bitte. Aber ich glaube, es wäre auch ein großer Dienst. Ich will die Bedeutung der Theologischen Existenz heute ganz, gewiß nicht unterschätzen. Aber Sie kennen selbst die Gefahr, daß viele Theologen nun eben ihr ein und alles daraus beziehen. Da täte es dringend not, daß sie einmal vor eine- wirklich harte, schwere Kost gesetzt würden in 'Gestalt einer solchen Schrift. Nun will ich schließen. Vieles kann man eben nur persönlich besprechen. Darauf freue ich mich sehr. Mit vielen Grüßen und guten Wünschen bin ich in großer Dankbarkeit und Verehrung Ihr gez. Dietrich Bonhoeffer Bergli, Oberrieden (Kt. Zürich), 14. Oktober 1936 Lieber Herr Kollege Bonhoeffer! Nach der kurzen Empfangsbestätigung aus Ungarn sollen Sie nun doch aul±i noch eine etwas richtigere Antwort auf Ihren Brief vom 19. September von mir bekommen. Es war an jenem Sonntagnachmittag in der Tat so, daß ich Sie hier schon von einer Minute auf die andere erwartet hatte, bis dann ein Telephon mit Sutz die Sache aufklärte. Um so mehr hat es mich gefreut, nun brieflich so ausführlich von Ihnen zu hören. Sie hätten mir ruhig längst wieder sChreiben können, auch wenn Sie inzwischen einige theologische
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Kurven beschrieben haben sollten, die mit den memIgen nicht ganz parallel liefen. Welchen Anspruch sollte ich darauf haben, daß Sie mir irgend eine feierliche Rechenschaft schuldig wären? Wissen Sie, was damals nach jener Sache mit dem "übernächsten Schiff" lange Zeit das Einzige war, was ich von Ihnen wußte?' Die seltsame Nachricht, Sie beabsichtigten nach Indien zu gehen, um sich dort bei Gandhi oder einem anderen dortigen Gottesfreund irgend eine geistliche Technik anzueignen, von deren Anwendung im Westen Sie sich große Dinge versprächen! Aber dann war ja vor einem Jahr Ihr Inspektor Rott hier bei mir und sorgte dafür, daß das Bild etwas plastischer wurde. Gelt, Sie unterlassen es doch lieber, aus der Tatsache, daß man Sie nicht zur Beteiligung an der Festschrift aufgefordert hat, irgendwelche tragi-' schen Schlüsse ,zu ziehen! Ich bin ganz sicher, daß es Wolf völlig fern gelegen hat, bei den Anfragen, die er damals ausgehen ließ, irgend so etwas wie eine Zensur ausüben zu wollen. Sie befanden sich aus irgend einem Grunde gerade nicht in seinem Gesichtskreis; noch konkreter ausgedrückt: er hatte Sie wohl eben vergessen; ein "objektives Urteil" dagegen hat sicher in keiner Weise in der Luft gelegen. Ich glaube ja überhaupt nicht, daß man mit viel Grund von einem "Kreis" besonders mit mir verbundener Theologen sprechen kann. Denn wenn ich auf der einen Seite nur sehr undeutlich zu sagen wüßte, wo der (innerhalb der überhaupt in Betracht kommenden Möglichkeiten, also abgesehen von D. C., Papisten etc.) aufhören sollte, so wüßte ich auch nicht recht, wo er nun etwa in einem bestimmteren Sinn anfinge. Von mir aus gesehen, stehen Sie mir gewiß dann am nächsten, wenn Sie die Frage nach Ihrem "drinnen" oder "draußen" gar nicht zum Gegenstand von besonderen Reflexionen machen, sondern von Tag zu Tag fröhlich offen lassen. Und nun höre ich also auch von Ihnen selbst, daß Sie theoretisch und praktisch in besonderer Weise mit dem unerschöpflichen Thema Rechtfertigung und Heiligung beschäftigt sind. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Ergebnisse, sowohl hinsichtlich des beabsichtigten Buches wie auch hinsichtlich dessen, was Ihr Seminar an. neuen Möglichkeiten zutage fördern wird. Sie werden es nicht anders von mir erwarten, als daß ich der Sache offen, aber auch nicht ohne Sorge entgegensehe. Offen: weil es mir klar genug ist, daß hier in Lehre und Leben immer neue Fragen gestellt und Versuche gemacht werden müssen, weil wir wirklich nicht meinen können, in der kirchlichen Verkündigung und Lebensge~talt auch nur von ferne schon zu der Wahrheit vorgestoßen zu sein, die slch uns von Schrift und Bekenntnis her in einer fast ungreifbaren Fülle aufdrängt. Nicht ohne Sorge: weil ich nun seit 15 Jahren unter einem fast ununterbrochenen Trommelfeuer von Einwänden, "Anliegen", Ergänzungs- und überbietungsvorschlägen gerade hinsichtlich dieses Themas stehe, deren grundsätzliche Berechtigung ich niemals abstreiten konnte oder wollte, in deren konkreter Ausführung ich dann aber alsbald irgend elne'Rücl\':kehr Zu den Fleischtöpfen Ägyptens erblicken mußte. Ich denke an' die ReiigiQs'-S6zialen, an die Wuppertaler Pietisten im Jahrzehnt vor dem Kirchenka:n1.pf; zuletzt an die Oxforder samt Emil Brunner. Sie verstehen, daß sich mir hier allmählich die Anschauung eines gemeinsamen Nenners herausgebildet hat: Resignation gegenüber dem ursprünglichen christologfscheschatologischen Ansatz zugunsten irgendwelcher (faktisch immer abstrakter!) Verwirklichungen in einem dem Menschen eigenen Raum. Sie verstehen auch, daß ich nach dieser Richtung - ohne die prinzipielle Berechtigung der Frage leugnen zu können immer kritischer geworden bin, immer genauer hinsehe, ob es sich bei den immer erneu-
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ten Ankündigungen besserer Lösungen nicht doch aufs Neue darum handle, den Spatzen in der Hand zugunsten einer Taube auf dem Dach preiszugeben. Und nun sehe ich schon, daß wohl speziell unter der heutigen Jugend gerade der Bekenntniskirche eine weitere Welle dieser Art im Anzug ist, in der dann auch alles Frühere neue Aktualität gewinnen wird, und es kann auch wohl sein, daß gerade Sie berufen und befähigt sind, hier Sprecher und Führer zu sein. Ist es diesmal kein blinder Lärm, so hoffe ich noch nicht zu alt zu sein, um diesmal zu lernen, was zu lernen ist, und nötigenfalls meine Hefte zu korrigieren, wie ich es ja in anderer Hinsicht auch schon getan habe. Sie müssen aber ebenfalls verstehen, wenn ich zunächst abwarte. Es hatte eben seine Gründe, wenn ich wohl gelegentlich nic..ht ohne Nachdruck auf die Tholucksche Möglichkeit hinweisen konnte - die Sache hat damals für einen bestimmten Kreis meiner Studenten, auf den ich zielte, ziemlich viel bedeutet - wenn ich aber nun doch kein zweiter Tholuck geworden bin. Sie stehen nun, wenn ich recht sehe, im Begriff, sozusagen jene Äußerung in ein theoretisch-praktisches System zu bringen. Ich habe alle Teilnahme dafür. Ich kann nicht zum vornherein sagen, daß das unmöglich ist. Ich werde aber sehr genau sehen müssen, wie der Hase läuft, um Ihnen eventuell sagen zu können, daß es auch nach meiner Meinung so, wie Sie es sich denken, möglich ist. Wenn ich nicht irre, war es Rott, der mir diesen Sommer die in Ihrem Seminar eingeführte Anweisung zur Schriftmeditation 3) zugänglich gemacht hat. Ich habe sie aufmerksam gelesen, aber ich könnte Ihnen allerdings nicht sagen, daß ich bei dieser Sache sehr glücklich war. Ich kann eben schon die grundsätzliche Unterscheidung zwischen theologischer Arbeit und erbaulicher Betrachtung, wie sie in diesem Schriftstück sichtbar wird und wie ich sie auch in Ihrem Briefe wahrnehme, so nicht mitmachen. Und wiederum stört mich in jenem Schriftstück ein schwer zu definierender Geruch eines klösterlichen Eros und Pathos, das allerdings eine gegenüber den bisherigen Erfahrungen auf diesem Feld neue Möglichkeit darstellen würde, für das ich aber vorläufig no.ch nicht das positive Sensorium und auch noch keine Verwendung habe. Fassen Sie das noch nicht als eine Kritik Ihrer Bestrebungen auf, schon darum nicht, weil meine Unterlagen zu deren Erkenntnis und Verständnis bis jetzt viel zu schmal sind. Sie werden aber daraus wenigstens die Richtung verstehen, in der ich bei aller Teilnahme auch Ihnen fragend gegenüberstehe. Zu einer verbesserten Auflage des Schneckenburgerschen Unternehmens werde ich wohl in absehbarer Zeit schwerlich kommen. Würde es wohl überhaupt möglich sein, aus jenem von Ihnen mit Recht beklagten Formalismus der bisherigen Behandlung des konfessionellen Problems herauszukommen, wenn man sich dieses Problem als solches zum Thema machen wollte? Ich erwarte mehr davon, wenn von lutherischer wie von reformierter Seite auf Grund der "neuen", bzw. ganz alten Einsichten die Herausarbeitung des je Eigenen mit ganz neuem Ernst in Angriff genommen, die Entscheidung in der Konfessionsfrage aber nach der Barmer Formel Gott befohlen bzw. dem eigenen Gewicht dessen. was dabei herauskommt, überlassen wird. Daneben könnten schlichte historische Studien über die Aporieen des 16. und 17. Jahrhunderts gute hermeneutische Dienste tun. Für weitere "harte,.schwere Kost" wird übrigens nach der lan.gen Zeit der Theologischen Existenz heute der zweite Band meiner Dogmatik, der Ende des Winters D. b. v. herauskommen soll, einigermaßen sorgen. 3) Verfaßt von E. Bethge.
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Genug für heute. Seien Sie meiner freundschaftlichen Gesinnung und meiner ernsten Anteilnahme an Ihrer Arbeit versichert und empfangen Sie die besten Grüße von Ihrem gez. Karl Barth
Aus einem Briefe K. Barths an Landessuperintendent P. W. Herrenbrück, 21. Dezember 1952 ..... Die Briefe sind, was man auch von ihren einzelnen Sätzen denken möge (ich habe sie nach Eingang Ihres BBB noch einmal im Zusammenhang auf mich wirken lassen), ein einziger Stachel, von dem uns aufregen zu lassen uns allen - weil er im Unterschied zur "Entmythologisierung" geistlich beunruhigender Art ist - nur gut sein kann. Was für ein offener und reicher und zugleich tiefer und erschÜtterter Mensch steht da vor einem - "irgendwie" beschämend und tröstlich zugleich. So habe ich ihn auch persönlich in Erinnerung. Ein aristokratischer Christ, möchte man sagen, der einem in den verschiedensten Dimensionen voranzueilen schien. Ich habe darum schon seine früheren Darbietungen gerade auch in dem, wo er scheinbar oder wirklich Dinge sagte, die mir nicht ohne weiteres einleuchteten, immer mit der überlegung gelesen, ob er nicht - um irgend ein Eck herum gesehen - recht haben möchte. So nun auch diese Briefe mit ihren natürlich auch mich teilweise verwundernden Äußerungen. Man kann sie nicht lesen, ohne den Eindruck zu haben, daß "etwas dran" sein möchte. Sie haben darum sicher recht gehabt, sie Ihren Pastoren dringend ans Herz zu legen und ihnen auch gleich einige Vorschläge zu ihrer Deutung zu machen. Aber da stieß man nun bei Bonhoeffer von jeher und stößt man auch jetzt auf eine eigentümliche Schwierigkeit. Er war ein - wie soll ich sagen: impulsiver, visionärer Denker, dem plötzlich etwas aufging, dem er dann lebhaft Form gab, um nach einiger Zeit doch auch wieder, man wußte nicht: endgültig oder nur bis auf weiteres, Halt zu machen bei irgend einer vorläufig letzten These. War es nicht schon bei der "Nachfolge" so? Hat er nicht eine Zeitlang auch liturgische Anwandlungen gehabt? Und wie war es mit den "Mandaten" seiner Ethik, mit denen ich mich, als ich !II, 4 schrieb, auch weidlich herumgeschlagen habe? Mußte man ihm nicht immer vorgeben, daß er sich gewiß ein anderes Mal und in anderem Zusammenhang noch klarer und konziser äußern, evtl. sich zurücknehmen, evtl. weiter vorstoßen werde? Nun hat er uns mit den änigmatischen Äußerungen seiner Briefe allein gelassen - nach mehr als einer Stelle eigentlich deutlich verratend, daß er zwar ahnte, aber noch keineswegs. wußte, wie die story nun eigentlich weitergehen solle: z. B. was er mit dem bei mir wahrgenommenen "Offenbarungpositivismus" ganz genau meinte und erst recht: wie das Programm eines unreligiösen Redens zur Durchführung kommen sollte. Was das Erstere betrifft, so habe ich mich weder bei der Frage beruhigt, wann und wo ich wohl einem Vogel geboten haben sollte, die Jungfrauengeburt zu "fressen" oder zu "sterben" noch auCh bei der Frage, was wohl meine neocalvinistischen Gönner in Holland davon denken möchten, mich auf einmal als "Offenbarungspositivisten" vorgestellt zu bekommen, sondern ich bin ein bißchen errötet bei der Vorstellung, daß es immerhin m ö g li c h war, daß sich das Erinnerungsbild an meine Bücher (die er ja in seiner Gefängniszelle sicher nicht zur Hand gehabt hat) bei einem so gescheiten und wohlmeinenden Mann wie Bonhoeffer so gestalten k 0 n n t e,
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wie es in jenem änigmatischen Ausdruck zum Vorschein kommt. Die Hoffnung bleibt übrig, daß er im Himmel wenigstens nicht a 11 e n Engeln (samt Kirchenväter etc.) gerade unter Gebrauch dieses Ausdrucks über mi.ch Bericht erstattet hat. Aber vielleicht hab e ich mich tatsächlich gelegentlich "offenbarungspositivistisch" benommen und geäußert, und wenn dem so war, dann hat es die Sonne von Bonhoeffers Erinnerungsbild an den Tag gebracht. Ohne ihn selbst fragen zu können, werden wir uns damit abfinden müssen, etwas verwirrt zurückzubleiben. Ähnlich könnte es sich mit dem Postulat des unreligiösen Redens verhalten. Ich würde wohl meinen, daß Sie ihn mit etwas zu schwerer .Hand angefaßt haben, wenn Sie S. 9 in die Richtung Existenzialismus, Vorverständnis usw. gezeigt haben. Sie weisen ja andererseits mit Recht darauf hin, daß er selbst durchaus nicht Miene gemacht hat, etwa "andere Wörter" zur Umschreibung des Kerygmas einzusetzen, also das zu tun, auf was es bei Bultmann praktisch hinausläuft. Kann er eigentlich etwas anderes gemeint haben als eine Warnung vor allem christlichen Papperlapapp, vor allem unmeditierten Rezitieren biblischer und traditioneller Bilder, Redensarten, Begriffskombinationen, bei denen die "Welt" sich entscheidend darum nichts denken kann, weil der "religiöse" Redner oder Schreiber sich im Grunde selbst nichts oder doch nichts Ordentliches dabei denkt, sondern in der Meinung, das Zeug werde ja schon Gottes Wort sein, loslegt, wie es gerade jetzt wieder - ach, es ist nicht bös gemeint und wie viele haben denn schon die Zeit und auch die Fähigkeit zu ordentlichem Meditieren? unter Tausenden von Weihnachtsbäumen geschehen mag. Sicher hat uns Bonhoeffer auch in dieser Hinsicht nichts Greifbares hinterlassen, und ich möchte fast meinen, daß es ihm selbst nicht greifbar vor Augen stand. Was bleibt uns schon übrig, als uns von ihm irgend etwas "Bestes" - in der angedeuteten Richtung oder sonstwie - sagen zu lassen, ohne nach einem Tiefsinn zu forschen, den er nun eben selber nicht mehr vor uns ausgebreitet, vielleicht auch selber noch nicht zu Ende gedacht hat? Und was nun die Sache mit dem Mitleiden der Leiden Gottes usw. betrifft, so scheint es mir deutlich, daß es sich dabei um eine Variante des von ihm ja auch so .mit Recht so betonten Imitatio-Gedankens handelt. Wie sollte man sich das nicht einfach sagen lassen: von einem Mann, von dem es gefordert und dem es auch gegeben war, gerade das nicht nur zu denken und zu sagen, sondern auch zu leben? Mir ist es längst klar,daß ich dieser Sache in der KD an seinem Ort breiten Raum werde geben müssen. War Bonhoeffer der Meinung, die ganze Theologie müsse nun gerade auf diesen Boden gestellt werden? Es kann sein, daß er in seiner Zelle zu Zeiten eben dieser Meinung war. Wiederum hat er uns auch in dieser Hinsicht keine Aufschlüsse darüber hinterlassen, wie er sich das im Einzelnen - und wie ~r sich die Auseinandersetzung mit de, seiner These gegenüber naheliegenden Fragen gedacht hat. Gelt, Sie verstehen, daß ich ihn nicht loswerden will, wenn ich ihn "in etwa", wie man so schön sagt, dem zurechne, was ich die "schwermütige Theologie der norddeutschen Tiefebene" zu nennen pflege? Ich bin ja dankbar genug, daß ich selbst 15 Jahre dort gelebt und diese lutherische Schwermut ein gutes Stück auch in mich aufgenommen habe. Von dorther verstehe ich ja auch den Bultmann. Wiederum ist es noch nicht heraus und ist es auch weder von Bultmann noch auch von Bonhoeffer sieghaft herausgebracht worden, daß wir nun gerade in dieser Richtung das eine und das letzte Wort zu suchen hätten. Das alles soll keine Kritik an Ihren Bemühungen um Bonhoeffer sein. Alles, was Sie dazu gesagt haben, bleibt zu bedenken. Eine Abschwächung des Anstoßes, den er uns gegeben hat, wäre das Letzte, was ich wollte, .. "
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Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft 1) Von Die tri c h 'B 0 n h
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Die Reformation hat die Frage, was die Kirche sei, gelöst von der Frage, wer zur Kirche gehöre. Das war eine entsche~dende Tat. Der römische Katholizismus und die Vorreformatoren hatten gemeint, die Frage nach dem Wesen der Kirche durch die Bestimmung ihres Umfanges beantworten zu können. Der reformatorische und insbesondere der lutherische Begriff sagt zuerst, was die Kirche sei, und läßt die Frage nach den.Grenzen der Kirche offen. Es geht ihm nicht zuerst um die Aufdeckung des göttlichen Geheimnisses, wer zur Kirche gehöre und wer nicht, um die Frage nach Erwählung und Verwerfung, ihr Blick fiel nicht zuerst richtend und unterscheidend auf die Menschen, sondern vor allem sollte die offenbare Heilstat Gottes, der gegenwärtige Christus, sein Wort und sein Sakrament angeschaut und angebetet werden. Nicht theoretische Sätze über Gerettete und Verlorene, nicht das betrachtende Urteil: dieser gehört zur Kirche, jener nicht, vielmehr der Freudenruf derer, denen ein großes überraschendes Geschenk zuteil geworden ist: hier ist das Evangelium! hier sind die reinen Sakramente! hier ist die Kirche! kommt hierher! Was sich daraus für das Verhältnis zu anderen Kirchen, für die Grenze der Kirche ergibt, war durchaus eine zweite Frage. Das Wesen der Kirche wird nicht durch die bestimmt, die zu ihr gehören, sondern. durch Wort und Sakrament Jesu Christt, die, wo sie auch wirksam werden, sich nach der Verheißung einer Gemeinde sammeln. Daß immer solche da sein werden, die zur Kirche gehören, wenn nur Wort und Sakrament lauter verwaltet werden, war der feste, auf die . Verheißung gegründete Glaube. Wer diejenigen seien, das weiß der Herr, der ruft und sammelt. Das war genug. Es konnte gar nicht das erste Anliegen sein, diese nun bei Namen nennen und abzählen zu können, sie von denen zu unterscheiden, die nicht dazu gehörten oder sich nur den Schein der Zugehörigkeit gaben; die sind ja schon gerichtet. Der jüngste Tag wird es überdies ans Licht bringen. Was eifert der Glaube darum, hierin heute schon zu wissen, abzugrenzen, auszuscheiden? Weiß er nicht genug, wenn er die gnädige Heilstat Gottes wissen darf? Was liegt dem Glauben daran, Heuchler und Ketzer zu entlarven? Wie kann er danach begehren, .das furchtbare Geheimnis der Verwerfung vorzeitig zu enthüllen, bevor ihm noch die Freude des ewigen Lebens bei Christus den Schrecken und den Schmerz über den letzten Richterspruch Gottes überwinden hilft? Der Glaube weiß ja, was für ·Schr.ecken dieser sich so harmlos gebende Begriff des "Umfanges der Kirche" in sich 1)
Evang. Theol. 3,1936,214-233.
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birgt. Und er dankt es Gott täglich, wenn er hier noch blind ist, wenn er noch in der Fürbitte stehen darf, wenn er in der vollen Freude der Erkenntnis des Heils sich zu der Kirche des Heils halten darf mit der glaubenden Gemeinde. Der Glaube dankt Gott, daß er sein Wort und Sakrament wieder rein und lauter geschenkt bekommen hat, und daß er weiß, wo die Kirche Gottes ist. Warum soll er danach fragen, wo sie nicht ist, wenn er doch ganz von dieser Freude hingenommen ist? So tut das Urchristentum, so tut die Reformation nichts anderes, als hier ein um das andere Mal hochgemut zu rufen: Hier ist die Kirche!, die wahre Kirche Jesu Christi! Demut und Dank ist dieser Ruf. Nicht Eigenlob, sondern Lob Gottes. Wer denkt auch daran, wenn er das wirklich gehört und geglaubt hat, noch zu fragen, ob nicht vielleicht anderswo auch noch die Kirche zu finden sei? Wem liegt denn an solcher Frage noch etwas, als eben dem, der hier nicht hören und glauben will? Hörten und glaubten wir, es sei eine unermeßliche Goldquelle gefunden worden, die für alle Zeiten und für alle Menschen genug abwürfe, dann würde uns wohl die Frage wenig interessieren, ob nicht vielleicht auch anderswo noch hier oder da etwas Gold gefunden werden könnte. Es mag sein, oder es mag nicht so sein - was liegt daran angesichts der Tatsache, daß hier reichlich genug ist? Würden wir dann nicht auch all denen, die sich schwer abmühen, andere Quellen zu erschließen, diese Freudenbotschaft sagen, sie aufrufen, mitzukommen, all ihre Versuche fahren zu lassen und einfach zu laufen und zu holen, wo alles in reichstem Maße zu finden ist? Wir müßten an der Ernsthaftigkeit ihres Suchens zweifeln, wenn sie dann nicht kämen, wenn sie darauf bestünden, zu sagen: ich suche mein Gold selbst. Hier ist der Eigensinn stärker, als der Wunsch, Gold zu finden. Wir müßten sie mit großem Schmerz im Stiche lassen; denn wer weiß, ob sie nicht zuletzt doch leer ausgehen. Wir müßten dorthin laufen, wo das große Angebot gemacht ist. So ist es mit der reformatorischen Botschaft von der Kirche. Hier ist die wahre Kirche. Ob sie nicht auch noch wo anders zu finden ist? Das ist ja gar nicht die Frage. Hier hat sie Gott uns geschenkt. Willst du abseits stehen und eigensinnig suchen, ob Gott sie dir nicht auch wo anders schenken könnte? mag sein, - aber es mag wahrhaftig auch nicht sein. Wollen wir das qufs Spiel setzen? Wer dieses Spiel wagt, der hat im Grunde schon verloren, denn er hat nicht gehört und geglaubt, daß die wahre Kirche schon da ist. Sonst spielte er in solchem Augenblick nicht mehr. Hat er aber nicht gehört, so weiß er auch gar nicht, was die wahre Kirche sei, so weiß er auch nicht, was er eigentlich sucht, und darm wird er sie auch niemals finden. Dann ist das Suchen Selbstzweck und damit kein echtes Suchen mehr. Also immer ausgehend von der erkannten Wahrheit, was und wo die Kirche sei, ruft die Kirche nun in die Welt hinaus: Kommt hierher, hier ist die Kirche! Sie läßt sich darum gar nicht auf eine Diskussion ein, wo sonst noch Kirche sein könnte. Der Gewißheit gegenüber, daß hier die Kirche sei, 1st alles andere Ungewißheit, Nicht-
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Kirche. Natürlich Nicht-Kirche! Denn sonst wären jene anderen ja eben auch hier, wo Kirche ist. Weil sie aber nicht hier sind, noch auch herkommen wollen, müssen sie Nicht-Kirche sein. Aber was liegt daran, dies zu sagen? Nichts anderes als nun um so gewisser und jubelnder zu rufen: Gott hat uns die wahre Kirche wiedergeschenkt. Hier ist die Kirche! Niemals kann also die wahre Kirche von si c hau s feststellen wollen, wo die sind, die Jücht zu ihr gehören, niemals ist ihr Anspruch die Kirche.zu sein so gemeint, daß nun die Absonderung der Gerechten von den Ungerechten stattfinden soll. Vielmehr ist dieser Anspruch: Hier ist die Kirche, gerade selbst der Heilsruf, der an alle Welt geht. Er ist das Evangelium selbst. So und nicht anders muß es verkündigt werden. Wer ihn freilich nicht als Evangelium zu hören vermag, der hört ihn als Ge set z. Und als Gesetz verstanden schließt er nun die ganze Härte der Frage nach dem U m fan g der Kir c hein sich. Wer diesen Heilsruf der Kirche als Gesetz hört, der weiß sich von diesem Gesetz betroffen, begehrt dagegen auf und muß sich als einen solchen, dem dieser Ruf nicht gilt, erkennen. Hier entspringt die Frage nach dem Umfang der Kirche, nach den Grenzen, nach der Unterscheidung von Erwählten und Verworfenen. Wo der Heilsruf nicht vernommen wird, wird der Anspruch der Kirche zum Gericht, zur Scheidung derer, die dazu gehören, und derer, die nicht dazu gehören. Während diese Unterscheidung durch die Verkündigung des Evangeliums immer wieder aufgehoben wird, indem allen das Heil der Kirche angeboten und zugesprochen wird, wird sie in gesetzlichem Verständnis der Kirche verhärtet. Die Frage nach dem Umfang der Kirche muß nun konsequent ihr Wesen bestimmen. Dieses gesetzliche Verständnis ist aber der Kirche in ihrem Wesen fremd. Es ist nicht ihr Ziel und Auftrag, das Evangelium zählend zu begreifen. Das alttestamentliche Verbot der Volkszählung ist hier Warnung. Es ist genug zu wissen, daß das Heil da sei, und daß Gott sich seine Gemeinde immer schaffen werde. Der Umfang der Gemeinde bleibt dem Wissen Gottes vorbehalten. So ist unser bisheriges Ergebnis: Die Fra gen ach dem Umfan g der Kir c h e, d. h. n ach ihr enG ren zen, kom m t vom gesetzlichen· Verständnis des evangelischen Kir c h e n beg r i f f s her. Diese Frage wird also niemals aus dem Wesen der Kirche selbst heraus gestellt werden, sondern sie wird immer als ein fremdes Fragen der Kirche dort aufbrechen, wo der Anspruch der Kirche gesetzlich verstanden wird. Sie wird immer von außen an die Kirche gestellt werden, und nur im Wissen darum darf und muß dann die Kirche selbst diese Frage aufnehmen. Die Frage nach dem Umfang der Kirche ist die Frage nach der Kirchengemeinschaft. Wer gehört zur Kirche? Wer gehört nicht mehr zu ihr? Das ist die Frage. Die Kirche besinnt sich auf ihre Grenzen. Warum? Weil ihr Heilsruf nicht gehört und geglaubt wird, sondern auf Grenzen stößt. Die Kirche erfährt es, daß sich Menschen ihrem
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Ruf versagen. Nicht sie setzt also die Grenzen, sondern sie stößt auf ihre Grenzen, die ihr von außen gesetzt werden. Nun, .eriährt die Kirche ihren Heilsruf als das richtende Gesetz über~>Welt, als die unüberschreitbare Grenze. Nun muß sie sich dartiber Rechenschaft geben. Da es nun aber nicht die Kirche ist, die die Grenzen setzt, die ausschließt, sondern da die Welt diese Grenzen willkürlich setzt, sich aus der Kirche ausschließt, indem sie nicht hört und glaubt, kann die Kirche nicht apriori darüber bestimmen, wo ihre Grenzen laufen müssen, sondern sie wird immer nut die jeweils bereits vorhandene Grenze, dIe von~ußen gegen sie aufgerichtet ist, zur Kenntnis nehmen und bestätigen können. Nicht die Kirche verfügt darüber, in welcher Weise sich der Unglaube gegen sie abgrenzt. Die Kir ehe ver füg t n ich t übe r ihr e G ren zen und ihr e n U m fan g. Darum wird die Konstatierung der Grenze jeweils eine verschiedene sein. Weil das Wissen um den Umfang nicht theoretisch zur Verfügung steht, sondern jeweils gewonnen werden muß, darum gibt es keine theoretischen Maßstäbe, nach denen sie die Zugehörigkeit zur Kirche bestimmen könnte. Gäbe es solche, so hätte sich die Kirche selbst in ihrem Anspruch schon gesetzlich mißverstanden, wie im Katholizismus, in der Orthodoxie, im Pietismus. Das bringt in die Bestimmung der Grenzen der Kirche für den reformatorischen Kirchenbegriff das Moment der lebendigen Entscheidung. Wo die Grenzen der Kirche liegen, entscheidet sich immer nur in der Begegnung zwischen Kirche und Unglaube, ist also ein Akt der E n t sc h eid u n g der Kirche; wüßte sie es von vornherein, dann hätte sie sich selbst von der Welt geschieden und wäre dem Auftrag ihres Heilsrufes nicht getreu. Es muß ihre eigenste Entscheidung sein, eine von der Welt gezogene Grenze als solche zu erkennen und zu bestätigen. Sie muß entscheiden, ob und wo ihr Heilsruf auf eine letzte Grenze stößt. Darum kann die Frage nach der Kirchengemeinschaft nur in der autoritativen Entscheidung der Kirche konkret beantwortet werden. Dieser Entscheidungscharakter ist das schlechthin Objektive. Subjektivität und Willkür wäre es, wollte die Kirche von vornherein die Grenzen setzen und damit von sich aus die Scheidung vollziehen. Die scheinbare Objektivität eines theoretischen Wissens um die Grenzen der Kirche ist gerade die Auflösung der wahren Objektivität, die sich in der Entscheidung vollzieht. Allerdings ist die Kirche nicht ohne Maßstäbe gelassen, auf Grund deren sie dje Entscheidung allein treffen kann. Aber die Betrachtung derselben lehrt gerade die Unmöglichkeit, sie als gesetzlich eindeutige Kriterien für die Entscheidung anzuerkennen. In dem fortgesetzten.Prozeß der Entscheidungen hat die Kirche gelernt, die Tau f e als eine Bestimmung ihrer Grenzen zu verstehen. Aber zugleich bereitet diese Umfangsbestimmung die größten Schwierigkeiten. Sie ist einerseits nicht weit genug (daher alsbald die Lehre von der Begierdetaufe, Bluttaufe usw.). Sie ist andererseits nicht eng genug, denn unter den Getauften sind Irrlehrer und tote Glieder, die nicht
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zur Kirche gehören können. Wiederum ist die Taufe als das allen christlichen Kirchen gemeinsame Sakrament anerkannt; dessen Wiederholung beim Übertritt in eine andere christliche Kirche unerlaubt ist. Sie ist also das einende Band aller christlichen Kinnen und kann demnach nicht konstitutiv für die Kirchengemeinschaft sein. Zwar kann die wahre Kirche niemals den Anspruch aufgeben, daß alle Getauften in Wahrheit zu ihr gehören, aber sie muß zugleich zugeben, daß solche da sind, die nicht in ihrer Gemeinschaft stehen. So weiß die Kirche einerseits um eine relative äußere Grenze, die mit der Taufe gegeben ist, und zugleich um eine innere Grenze, die nur einen Teil der Getauften umschließt. Die Kirche hat gelernt, diese innere Grenze durch den Begriff der Lehre und des Bekenntnisses zu bestimmen. Das Bekenntnis der Kirche ist konstitutiv für die Kirchengemeinschaft. Aber welches Bekenntnis? Die altkirchlichen Symbole? Die Einigungsformel von Lausanne? Welches Recht haben dann noch die Unterscheidungslehren der einzelnen Kirchen? Die lutherischen Bekenntnisschriften waren der Meinung, es gebe ein gemeinsames Bekenntnisgut zwischen der lutherischen und der römischen Kirche. Luther hat in den Schmalkaldischen Artikeln zu der gemeinsamen Basis die Gotteslehre, Trinitätslehre, Christologie gezählt, und dennoch war es nicht möglich, auf Grund dieser Artikel zur Einigung zu kommen, weil ein Dissensus in der Rechtfertigungslehre vorlag. Könnte dieser Dissensus behoben werden, so wäre die Einigung möglich. Entsprechend war es in der Stellung zu den Reformierten die Abendmahlslehre, die die Kirchengemeinschaft aufhob. Sollten nun die Dogmatiker der Bekenntnisschriften nicht gewußt haben, daß ein Dissepsus in diesen Artikeln einen totalen Dissensus an jedem Artikel zVr Folge haben mußte, daß eine falsche Rechtfertigungslehre notwendig eine falsche Christologie, Trinitätslehre, Gotteslehre einschließt? Umgekehrt mußte ja ein echter Konsensus in der Christologie etwa auch einen Konsensus in der Rechtfertigungslehre einschließen und gerade die Kirchengemeinschaft wiederherstellen. Unsere Frage ist nun: was bedeutet es, wenn dennoch die s e K 0 n se q u e n z n ich t g e zog e n wir d, wen n ein e r seits an einem gemeinsamen Bekenntnisgut festgeh alt e n wir d, a n der e r sei t s übe r ein e n b e s tim m t e n Artikel die Kirchengemeinschaft auseinanderbricht? Es bedeutet er s t e n s, daß der Anspruch, der schon in Bezug auf die Getauften der anderen Kirchen erhoben wird, nunmehr auf die Bekennenden der andern Kirchen ausgedehnt wird. Sie haben das rechte Bekenntnis, aber sie sind davon abgefallen. In Wahrheit ist das Eine Bekenntnis da, wenn es auch von der andern Kirche entscheidend falsch verstanden wird. In dieser Bestätigung des Bekenntnisses ist der evangelische Heilsruf aufrechterhalten: es ist nur Ein Bekenntnis, hier ist das wahre Bekenntnis, kommt hierher! Es liegt
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also nichts an der Abgrenzung als solcher, d. h. als eines Gesetzes, sondern die durch die andern Kirchen gezogene Grenze wird zwar ernst genommen, aber doch nur, um nun den Heilsruf: ihr gehört ja in Wahrheit zu uns, hier ist das rechte Bekenntnis! um so vernehmlicher zu machen. Es bedeutet z w e i t e n s, daß die Kirchengemeinschaft immer etwas qualitativ totales ist. Sie ist nicht durch Aufzählung sämtlicher Gemeinsamkeiten, die offenb;3.r die Differenzen überwiegen, zu erreichen; solange an einem Punkt ein Dissensus bleibt, ist kein Konsensus möglich. Sie ist geschenkte totale Einheit. Diese Einheit ist das Apriori der Kirchengemeinschaft. Sie kann nicht durch Vergleich hergestellt werden, sie muß gegebene Einheit sein. Auf Grund dieser Einheit aber sind wieder alle möglichen Differenzen tragbar, die notwendig entstehen müssen, und denen die lutherischen Bekenntnisschriften weithin Rechnung tragen. Sie sind dann durch die vorhergegebene Einheit nicht mehr kirchenspaltende Gegensätze. Ob diese Einheit aber vo.rhanden ist, ist zwar durch den vollen Konsensus in den Bekenntnissen ausgedrückt, aber die Bereitwilligkeit, bei der Schaffung des Bekenntnisses die theologischen Differenzen nicht zu kirchenspaltenden Gegensätzen werden zu lassen, sondern es zu einer einigenden Bekenntnisformulierung kommen zu lassen, d. h. die Tatsache des Zustandekommens eines Konsensus in Bezug auf ein formuliertes Bekenntnis, ist selbst schon ein Akt der Entscheidung der Kirche und niemals logisch oder theologisch erzwingbar; d. h. die Bekenntniseinheit einer Kirche ist ein Akt d~r kirchlichen Entscheidung als Glaubensentscheidung, nicht der theologischen Formulierung. Es bedeutet d r i t t e n s, daß die Feststellung des Punktes, an dem der Dissensus zum kirchenspaltenäen Gegensatz wird, selbst ein Akt der kirchlichen Entscheidung ist. Warum ist von der Reformation nicht die Gotteslehre zum kirchenspaltenden Gegensatz herausgearbeitet worden? Die Entscheidung entsteht dadurch, daß die Kirche an einem bestimmten Ort den Einbruch des Feindes in besonderer Weise konstatiert und ihm daher an dieser Stelle Widerstand entgegensetzt. Ein Krieg entscheidet sich an einer begrenzten Schlacht. Wo diese Schlacht geschlagen wird, hängt davon ab, wo der Gegner steht. Hier muß eine Entscheidung getroffen werden. Es ist daher durchaus nicht so, als müsse ein und derselbe Ort im m e r der Ort der Entscheidung bleiben. Es kann durchaus sein, daß eine Situation, die heute gefährlich ist, morgen gar nicht mehr entscheidend die Kriegslage bestimmt. Es mag derselbe Artikel, der heute zur Kirchenspaltung führt, morgen nicht mehr kirchenspaltende Bedeutung haben. Das folgt gerade aus der freien Entscheidung der Reformation, ihren Gegensatz gegen Rom an einem einzigen Artikel auszutragen und alle anderen Gegensätze ruhen zu lassen. Nur wo die Kirche selbst ihre Grenzen von vornherein gesetzlich festlegt und sich damit selbst von ihrem Auftrag zum Heils-
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ruf lossagt, verhärtet sich der Gegensatz und bleibt auf einen Punkt festgelegt. Das führt zum letzten. Es bedeutet v i e r t e n s , daß ein klarer Unterschied gesehen wird zwischen der Aufgabe der Dogmatik und der des Bekenntnisses. Das Bekenntnis ist nicht eine Zusammenstellung dogmatischer Sätze, aus denen nun sämtliche Konsequenzen zu ziehen sind. Sonst wären" die CA und die Schmalkaldischen Artikel die schlechtesten aller Bekenntnisse. Denn die dogmatische Inkonsequenz einer Isolierung der Rechtfertigungslehre ist offenbar. Sonst müßte ferner jede Differenz an irgendeinem Lehrpunkt notwendig kirchenspaltend werden. Jede theologische Schule müßte zu einer eigenen Kirche werden. Daß dies nicht so ist, einfach die Tatsache als solche, ist ein Beweis für die Einsicht, daß die Frage der Kirchengemeinschaft nicht von der Theologie allein, sondern durch eine kirchliche Entscheidung beantwortet werden muß. Nicht um die Theologie scharen sich die Gläubigen, sondern um das Bekenntnis. Jede Verwechslung ist hier gefährlich. Die Theologie liefert der ganzen Armee die Waffen, damit sie jederzeit und an jedem etwaigen Ort schlagbereit ist. Der Kampf nach außen aber wird nicht mit der Theologie, sondern mit dem Bekenntnis geführt. Sonst verfiele man der Orthodoxie, man würde gesetzlich, man wüßte von vornherein um die Grenzen der Kirche und beraubte sich der Freiheit der kirchlichen Entscheidung. Das Bekenntnis ist die auf Grund der Theologie von der Kirche vollzogene Entscheidung über ihre Grenzen. Es ist nicht Darstellung des Lehrganzen, sondern auf Grund des Lehrganzen getroffene Entscheidung der Kirche, an einem bestimmten Ort den Kampf aufzunehmen. Im Bekenntnis wird die Theologie durch kirchliche Entscheidung aktuell. In der Beschränkung, die das Bekenntnis von dem Lehrganzen unterscheidet, liegt immer zugleich der Anspruch der Kirche auf die Bekenntniseinheit mit den Dissentierenden, zu der diese zurückgeworfen werden sollen, liegt die Bestätigung dessen, daß nicht die Kirche selbst die Grenzen zieht, sondern daß sie nur die ihr von außen gezogenen Grenzen anerkennt, liegt damit die Möglichkeit, den unbegrenzten Heilsruf der Kirche weiter zu verkündigen. Es ergibt sich also, daß auch das vorhandene Bekenntnis nicht geeignet ist, den Umfang der Kirche definitiv zu bestimmen. "Die Grenze zwischen schulspaltenden und kirchenspaltenden Gegensätzen ist grundsätzlich nicht festzulegen. So können die Tatsachen der Taufe, des gemeinsamen Bekenntnisgutes in den Symbolen, können die Artikel der Differenz immer nur als Material der jeweiligen kirchlichen Entscheidung über den Umfang der Kirche dienen. Die Grenze selbst aber liegt nicht in der Verfügung der Kirche, sondern muß in der Entscheidung bestätigt werden. In dieser letzten Offenheit der Entscheidung ist allein die Möglichkeit gewahrt, daß aus kirchenspaltenden Gegensätzen Schulgegensätze werden und umgekehrt. Da die Grenze der Kirche von außen gezogene Grenze ist, kann 129
sie so vielgestaltig sein, wie es die Feindschaft gegen das Evangelium ist. Es ist etwas anderes, ob die Welt oder ob eine antichristliche Kirche oder ob eine "andere Kirche" diese Grenze bildet. Nur theologischer Doktrinarismus kann diese Unterschiede leugnen. Die Reformation hat sie sehr deutlich anerkannt; man bedenke nur die verschiedene Stellung der Lutheraner zur römischen und zur griechisch-orthodoxen Kirche. Die Unterscheidung zwischen antichristlicher Kirche und "anderer Kirche" ist aber wiederum nicht eindeutig theologisch feststellbar, sondern Sache der kirchlichen Entscheidung. Es kann wohl sein, daß' sich theologisch dieselben Irrlehren hier wie dort nachweisen lassen, und daß dennoch die eine Kirche antichristlich und die andere eben nur "andere Kirche" ist. Dann muß mit der ersten jegliche Gemeinschaft abgebrochen werden, während mit der anderen das Gespräch noch fortgeht und eine Gemeinschaft auf Hoffnung erhalten bleibt. Daran wird deutlich, daß außer der Irrlehre noch ein anderer Faktor vorhanden ist, der die Entscheidung bestimmt. Ganz deutlich wird es dort, wo eine Kirche erklärt, das Bekenntnis anzuerkennen, sich keiner Irrlehre schuldig macht, um auf diesem unverdächtigen Wege den Kampf gegen die wahre Kirche nur um so zielbewußter zu betreiben. Die rechte Lehre wird in dem Augenblick Irrlehre, als sie im Kampf gegen die wahre Kirche gebraucht wird. Um nöch einmal im Bild zu reden: in solchem Falle desertieren die Offiziere mit ihren Waffen und Mannschaften und gehen ins feindliche Lager über. Sie haben nun dieselben Waffen wie die von ihnen verratene Armee, aber sie richten sie jetzt gegen ihre einstmaligen Freunde. Es ist ein 'entscheidender Unterschied, ob die Irrlehre der wahren Kirche mit offenem Vernichtungswillen gegenüber tritt, oder ob sie kampflos neben ihr steht. Im ersten Falle stehen sich wahre und falsche Kirche gegenüber mit dem beiderseitigen Willen, der Tod der andern zu sein. Hier ist Kampf um Leben und Tod. Hier gibt es keine Gemeinschaft. Hier erkennt die wahre Kirche den Antichristen. Im anderen Falle weiß die wahre Kirche um irrende Kirchen, die keineswegs den Vernichtungswillen gegen die wahre Kirche haben, die selbst mittragen an dem Geheimnis der Zerrissenheit der Kirche, mit denen die wahre Kirche also in gemeinsamem Schuldbekenntnis steht. Hier kann in Anknüpfung an das gemeinsame Bekenntnisgut die Einheit wieder gesucht werden. Dies etwa ist die Lage in der ökumenischen Arbeit. Wir lernen daraus, daß auch die Kirchengemeinschaft entsprechend den Grenzen der Kirche verschiedene Formen hat. Von der vollen Gemeinschaft an Wort und Sakrament, die im Bekenntnis-Konsensus Ausdruck findet zu einer Gemeinschaft, die auf Grund des gemeinsamen Besitzes im Glauben gesucht wird. Es wäre ebenso falsch, diese Gemeinschaft a limine abzulehnen und zu leugnen, wie sie der vollen Kirchengemeinschaft gleichzustellen. Sie ist einerseits kirchliches Faktum, andererseits Notstand, Übergang, der entweder zur vollen Gemeinschaft oder zur Trennung führen muß. Weil aber die Kirche. nicht
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apriori zu erklären vermag, wo solche Gemeinschaft oder definitive Trennung besteht, därummuß sie die jeweilige Situation ernst nehmen und es Gott anheim stellen, aus ihr zu machen, was ihm gefällt, und auf die Stunde der Entscheidung warten. Ist es klar, daß die Frage nach der Kirchengemeinschaft allein durch kirchliche Entscheidung beantwortet werden kann, so muß nun gesagt werden, daß diese kirchliche Entscheidung in keinem Fall ausbleiben darf. Sie wird Schritt für Schritt den Kampf der Kirche begleiten. Sie wird zwar immer das "fremde Werk" der Kirche bleiben. Aber es muß getan werden, weil sonst ihr eigentliches Werk nicht mehr getan werden kann. Die Entscheidung über ihre Grenze ist zuletzt ein barmherziger Akt der Kirche, sowohl an ihren Gliedern, wie an denen draußen. Es ist die letzte, die "fremde" Möglichkeit, den Heilsruf vernehmlich zu machen. II. Die Barmer Bekenntnissynode hat die Lehre der Deutschen Christen in ihren entscheidenden Punkten als Irrlehre verworfen. Diese Verwerfung bedeutet, deß diese Irrlehre in der Kirche Jesu Christi keinen Raum hat. Die Dahlemer Bekenntnissynode hat es auf ihre Verantwortung genommen, zu erklären, daß sich die Reichskirchenregierung durch Lehre und Tat selbst von der christlichen Kirche geschieden habe. Sie hat also nicht aus der Kirche ausgeschlossen, sondern eine vollzogene Tatsache festgestellt. Zugleich hat sie eine eigene Kirchenleitung gebildet und den Anspruch erhoben, die rechte Kirche Jesu Christi in Deutschland zu vertreten. Seitdem erkennt sich die Bekennende Kirche in der Verantwortung und dem Auftrag, die eine, wahre Kirche Jesu Christi in Deutschland zu sein. Das ist kirchengeschichtliches Faktum. Was bedeutet es? Was hat man damit gesagt? Um diese Frage dreht sich heute alles in der Bekennenden Kirche. Es genügt zur Beantwortung keinesfalls, den ohnehin vergeblichen und niemals zur Gewißheit führenden Versuch zu machen, nach der Meinung derjenigen zu fragen, die für diesen synodalen Beschluß verantwortlich waren. Nehmen wir diesen Spruch der Synode überhaupt ernst, so bekennen wir, daß Gott der Herr selbst dafür verantwortlich sein' will. Dann aber muß der Spruch genommen werden, wie er ergangen ist, und es muß nach dem Willen Gottes in ihm gefragt werden. Unter der Voraussetzung also, es sei hier in aller menschlichen Schwachheit und Meinungsverschiedenheit, durch allerlei menschliche Stimmungen, Ängstlichkeiten und Verwegenheiten hindurch das Wort des Herrn der Kirche laut geworden, als die Synode erklärte, die Reichskirchenregierung habe sich von qer Kirche Jesu Christi geschieden, müssen wir fragen, was dies Wort bedeutet. Wer diese Voraussetzung nicht teilt, redet nicht von Barmen und Dahlem als von christlichen Synoden, teilt nicht die Voraussetzungen der Bekennenden Kirche. Es steht wahrhaftig schlimm,
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wenn heute in weiten Kreisen der Bekennenden Kirche, mehr noch bei Pfarrern als bei Laien, hier eigenwillig und zuchtlos geredet wird. Hinter Barmen und Dahlem können wir nicht darum nicht mehr zurück, weil sie geschichtliche Tatsachen unserer Kirche sind, denen wir Pietät zu erweisen hätten, sondern weil wir hinter Gottes Wort nicht mehr zurückkönnen. Die Frage ist also: Was hat Gott über seine Kirche und ihren Weg gesagt, wenn er durch Barmen und Dahlem gesprochen hat? Die Reichskirchenregierung hat sich von der christlichen Kirche geschieden. Die Bekennende Kirche ist "die wahre Kirche J esu Christi in Deutschland. Was heißt das? Es heißt unzweifelhaft, daß eine definitive Grenze zwischen der Reichskirchenregierung und der wahren Kirche Christi erkannt und bestätigt worden ist. Die Reichskirchenregierung ist häretisch. Heißt das aber, daß damit der Amtsträger, der diesem verworfenen Kirchenregiment weiterhin Gehorsam leistet, demselben Urteil verfällt? Hat sich jeder deutsch-christliche Pfarrer von der Kirche Jesu geschieden? Weiter: Müssen wir auch die Deutschen Christen unter den Gemeindemitgliedern, müssen wir jede Gemeinde, die ihren deutsch-christlichen Pfarrer ohne Widerspruch trägt, als von der christlichen Kirche geschieden ansehen? Kann der Pfarrer der Bekenntniskirche die deutsch-christlichen Glieder der Gemeinde als seine Gemeindemitglieder ansprechen? Wird er Amtshandlungen ohne Unterschied an Gliedern der Bekenntniskirche und an Deutschen Christen ausüben dürfen? Wo laufen die Grenzen der Gemeinde für den Bekenntnispfarrer? Gibt es hier einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Kirchenleitung und Gemeinde? Und weiter: Wie steht es mit den sogenannten Neutralen? Schließlich: Macht sich jetzt jeder, der in gemeinsamer kirchlicher oder gar kirchenregimentlicher Arbeit mit den Deutschen Christen steht, an der kirchenzerstörenden Sünde derselben mitschuldig? Gilt das Dahlemer Urteil auch den Kirchenausschüssen? Gilt es all denen, die diesen gehorchen? Zusammenfassend: Muß die Scheidung, die zwischen Reichskirchenregierung und der Kirche eingetreten ist, sich nun konsequent auf all die genannten anderen ebenso erstrecken? Eine Antwort muß gegeben werden. Die Gemeinde muß wissen, wohin sie hören darf und wohin nicht. Der Pfarrer muß wissen, wie er sein Amt recht versehen soll. Pfarrer und Gemeinden wissen das heute weithin nicht und können es nicht 'wissen, weil es ihnen nicht gesagt wird. Es wäre gewiß der einfachste Weg, entweder in Bausch und Bogen all die genannten Konsequenzen zu ziehen, oder aber bei Dahlem stehen zu bleiben und keinerlei Konsequenzen daraus zu ziehen. Beide Wege sind nach allem Vorhergesagten gleich unkirchlich. Mit Konsequenzenmachen ist nichts geholfen, weil das Wort Gottes nicht Konsequenzen, sondern Gehorsam will. Keinerlei Konsequenzen ziehen aber kann bewußter Ungehorsam gegen das Wort sein. Es muß also jede einzelne Frage geprüft und Schritt für Schritt die Entscheidung gesucht werden. So ist z. B. eine gewisse Klärung
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erreicht hinsichtlich der del.l.tsch-christlichen Amtsträger. Die Bekenntniskirche hat in Gemeinden, in denen nur solche Amtsträger sind, dafür Sorge getragen, daß durch Vikare oder Pfarrer die rechte Verkündigung und das rechte Amt gewahrt bleibe. Sie hat Notpfarrämter eingerichtet und damit zum Ausdruck gebracht, daß der deutsch-christliche Amtsträger seines Amtes verlustig gegangen ist. Nicht ist etwas Derartiges geschehen gegenüber den Neutralen. Ganz anders ist auch die Stellung gegenüber den Gemeinden. Gerade mit der Einrichtung von Notpfarrämtern ist ja der volle Anspruch auf die Gemeinde durch die Bekennende Kirche ausgesprochen . .völlig unklar ist noch die Stellung zu den Ausschüssen und den der Bekenntniskirche zugehörenden Mitgliedern derselben, zu Pfarrern, die den Ausschüssen Gehorsam leisten. Diese Unklarheit ist verderblich. Bevor hierzu einiges gesagt werden soll, müssen wir die Lage noch von einer anderen Seite her betrachten. Während sich also auf der einen Seite ein fortgesetzter Trennungsprozeß vollzieht, ereignet sich auf der anderen Seite eine höchst bedeutsame Annäherung der Kirchen lutherischen und reformierten Bekenntnisses. Seit Barmen sprechen Lutheraner und Reformierte gemeinsam in synodalen Erklärungen. Einstmals kirchenspaltende Bekenntnisgegensätze machen es nicht mehr unmöglich, eine Bekenntnissynode zu bilden, freilich Synoden ohne gemeinsamen Abendmahlsgang. Das ist zunächst als Faktum zur Kenntnis zu nehmen. Natürlich erhebt sich Widerspruch von konfessioneller Seite. Aber das Faktum steht da, und es bleibt Gott anheim gestellt, was er daraus machen will. Es kann ja mit keinem Mittel des Bekenntnisses bestritten werden, daß mit diesem Faktum, mit der Anerkennung "gleichberechtigter Bekenntniskirchen" die Augustana bereits in entscheidender Weise verlassen ist. Vor dem Buchstaben der lutherischen Bekenntnisschriften kann die Bekenntnissynode nicht bestehen. Wie ist es zu begreifen, daß trotz fortgesetzter Belehrung hierüber die Bekenntnissynoderi zustande kamen, daß sich bewußt lutherische Theologen daran beteiligten? Es muß zunächst bei der Feststellung des Tatsächlichen bleiben, daß die Bekenntnissynode existiert, und es gibt angesichts derselben nur eine doppelte Haltung, entweder man verwirft a limine diese Synoden von der Augustana her oder man nimmt. sie staunend und demütig hin und stellt es Gott anheim, daraus zu machen, was ihm gefällt. Jedenfalls bleibt die gegenwärtige Situation für die Frage nach der Kirchengemeinschaft bedeutsam und lehrreich genug. Auf der einen Seite führt die unerbittlich konsequente Anwendung des Lehrbegriffs zur Kirchenspaltung, auf der andern Seite findet eine offenkundige Vernachlässigung des Lehrbegriffs statt, und eine Kirchengemeinschaft, die von entscheidenden bisher kirchenspaltenden Lehrgegensätzen absehen zu dürfen meint, hat sich bereits angebahnt. Dächten wir uns einmal die unerbittlich konsequente Anwendung des 'Lehrbegriffs, wie sie gegen die Deutschen Chri-
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sten geübt wird, etwa gegen die Reformierten gerichtet, so wäre theoretisch wohl denkbar, daß an der Abendmahlslehre oder der Christologie auch hier die alten kirchenspaltenden Gegensätze wieder aufbrächen. Analog könnte ein Nachlaß an Konsequenzen eine gemeinsame Basis mit den Deutschen Christen schaffen. So jedenfalls muß der konfessionellen Orthodoxie die Lage erscheinen. Was liegt dieser absurden Möglichkeit zugrunde? Wird hier mit der Kirchengemeinschaft unlauteres Spiel getrieben? Hierzu kommt eine weitere Verwicklung. Die Bekenntniskirche ist der Ökumene begegnet. Diese Begegnung hat bisher zwei charakteristische Ergebnisse gezeitigt. Die Ökumene hat in Anwesenheit von Vertretern der Bekennenden Kirche in Fanö 1934 die "Prinzipien und Methoden" des deutsch-christlichen Kirchenregiments als "mit dem Wesen der Kirche Christi unvereinbar" erklärt. Sie hat durch Wahl eines Vertreters der Bekennenden Kirche in den ökumenischen Rat die Mitarbeit derselben erbeten und hat deren Zusicherung bekommen. Jedoch hat bisher die Bekenneride Kirche noch auf keine ökumenische Konferenz offizielle Vertretungen entsandt. Der Grund hierfür muß in der Anwesenheit von Vertretern der Reichskirchenregierung liegen, mit denen für die Bekennende Kirche ein Gespräch auch auf neutralem Boden nicht mehr möglich ist. Während also ein Gespräch mit anderen, irrenden "Kirchen" möglich wäre, ist solche Möglichkeit zwischen Reichskirche und Bekenntniskirche nicht mehr gegeben. Es wäre unzweifelhaft unschwer, die Irrlehren der Deutschen . Christen in vielen anderen Kirchen ebenso nachzuweisen. Dennoch erkennt die Bekenntniskirche einen qualitativen Unterschied. Dies alles muß dem Orthodoxen wie dem grundsätzlich Bekenntnislosen gleich unbegreiflich und widerspruchsvoll erscheinen. Der Orthodoxe begreift nicht, wie es möglich sein soll, die Sätze des Bekenntnisses in verschiedener Weise zu handhaben. Er begreift nicht die Offenheit der Lutheraner der Bekenntniskirche gegen die Reformierten oder die Ökumene. Der Bekenntnislose, unter ihnen die große Zahl der vom Pietismus und der liberalen Theologie bestimmten Pfarrern, begreift umgekehrt nicht die Sturheit der Anwendung des Lehrbegriffs gegen die Deutschen Christen. Zwischen der Szylla der Orthodoxie und der Charybdis der Bekenntnislosigkeit hindurch geht die Bekennende Kirche ihren siche.ren Weg. Sie trägt die Last der Verantwortung, die wahre Kirche Jesu zu sein. Sie ruft: Hier ist die Kirche! kommt hierher! Indem sie das ruft, stößt sie auf Feinde und auf Freunde. Wo sie Feinde erkennt, dort bestätigt sie die ihr gezogenen Grenzen konsequent und kompromißlos. Wo sie Freunde erkennt, findet sie gemeinsamen Boden und wird bereit zum Gespräch in der Hoffnung auf Gemeinschaft. Ob Freund oder Feind wird die Kirche am Bekenntnis erkennen, aber das Bekenntnis ist nicht letzter, eindeutig zu handhabender Maßstab. Die Kirche muß entscheiden, an welchem Ort der Feind steht. Weil er einmal bei der Abendmahlslehre, ein anderes
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Mal bei der Rechtfertigungslehre, ein drittes Mal bei der Lehre von der Kirche stehen kann, darum muß die Kirche entscheiden. Und indem sie entscheidet, bekennt sie. Die Orthodoxie verwechselt theologisches System und Bekenntnis. Die Bekenntnislosen verwechseln das Bekenntnis der Kirche mit dem Zeugnis der Frömmigkeit. Es wäre sehr viel leichter, wenn die Bekenntniskirche hier einlinig denken könnte. Sie würde aber damit ihrem Auftrag untreu, den Heilsruf auszurichten, indem sie offen und begrenzt zugleich ist. Ist es damit klar, daß die Entscheidungen über die Grenzen der Kirche nur von Fall zu Fall getroffen werden können, so bedarf es noch einer kurzen Erwägung der vorher konkret gestellten Fragen. 1. Daß der deutschchristliche Amtsträger sich von der Kirche geschieden habe, ist eine Erkenntnis, die nur noch der synodalen Bestätigung bedurfte. Nur wenn eindeutig erklärt wird, daß er des Amtes tatsächlich verlustig gegangen ist, ist nach lutherischer Lehre die Möglichkeit gegeben, ein Notpfarramt einzurichten, das anderenfalls ein unerlaubter Eingriff in ein fremdes Amt wäre, wovor Luther nicht ernst genug warnen konnte. Hand in Hand damit müßte die Weisung an die Gemeinden gehen, sich um des Wortes Gottes und ihrer Seelen Seligkeit willen von allen Amtshandlungen eines Irrlehrers fernzuhalten und lieber ohne Predigt und Sakrament zu leben und zu sterben als zum Irrlehrer zu gehen. 2. Es muß in dieser Sache ein Unterschied gemacht werden zwischen Amtsträgern und Gemeindegliedern, Verführern und Verführten. Es ist unmöglich, mit dem Ausschluß d'es Amtsträgers schon den Ausschluß der Gemeinde zu konstatieren. Die lutherischen Bekenntnisschriften haben nicht den einzelnen Katholiken, sondern den Papst, d. h. das Kirchenregiment für den Antichristen erklärt. Dementsprechend hat die Dahlemer Synode gesprochen. Das Kirchenregiment ist häretisch geworden. Damit ist aber der Anspruch auf die Gemeinden keineswegs aufgegeben. Vielmehr muß den Gemeinden zu rechten Amtsträgern verholfen werden. Freilich ist auch die Gemeinde selbst dazu berufen, über falsche Lehre zu urteilen. Tut sie das nicht, beharrt sie trotz Warnung und Mahnung beim Irrlehrer, so wird auch hier nach einiger Zeit der Geduld eine Grenze konstatiert und die Kirchengemeinschaft als aufgehoben betrachtet werden, und dies mit allen Konsequenzen von Verweigerung von Amtshandlungen usw. Dies ist der letzte Akt der Barmherzigkeit der Kirche an der Gemeinde, der letzte Ruf zur Gemeinschaft, das "fremde Werk", durch das der Heilsruf ausgerichtet wird. Es ist aber auch eine Verpflichtung der Kirche gegenüber dem Amt, das durch die Verschleuderung des Sakraments sonst täglich schuldig wird. 3. Einer klaren Entscheidung kann sich die Bekennende Kirche auch nicht länger entziehen gegenüber den Kirchenausschüssen. Das Wort der Synode von Oeynhausen genügt nicht. Es ist nicht einzusehen, worin sich die Kirchenleitung der Ausschüsse von der Reichskirchenregierung unterscheidet. Es ist unzweifelhaft, daß sie der wahren Kirchenleitung gefährlicher ist, als die Reichskirchenregie-
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rung. Es ist von der Bekenntnissynode ausgesprochen worden, daß diese Kirchenleitung nicht anerkannt werden kann, aber es ist bisher das eindeutige Verbot, sich an ihr zu beteiligen, nicht ausgesprochen worden. Das schafft Verwirrung. Wo die Grenzen erkannt sind, müssen die praktischen Folgen gezogen werden. Wie sich ein Glied der Bekenntniskirche, das der Reichskirchenregierung beitreten würde, von der Kirche Jesu ausschlösse, so tut nach der in der Oeynhausener Synode ausgesprochenen grundsätzlichen Erkenntnis derjenige dasselbe, der an der kirchenleitenden Arbeit der Ausschüsse teilnimmt. Daraus folgt aber notwendig das Verbot solcher Teilnahme. Nichts anderes gilt für die Amtsträger, die sich den Ausschüssen unterstellen.Es ist auch nicht gut, an Kandidaten zu praktizieren, was man den Pfarrern durchgehen läßt. Je länger die Kirchenleitung sich den ihr aufgelegten Entscheidungen entzieht, je mehr verwirrt sie die Gemeinden, je unbarmherziger ist sie gegen die Pfarrer und je weniger kann sie ihren eigenen Ruf ausrichten. 4. Ein besonderes Problem sind die Neutralen. Zunächst ist zu sagen, daß es in Wirklichkeit keine Neutralen gibt. Sie gehören eben auf die andere Seite. Aber subjektiv, wollen sie neutral sein. Eine eindeutige Stellung zu ihnen ist darum nicht möglich, weil ihre eigene Stellung nicht eindeutig ist, weil die von ihnen gegen die wahre Kirche gezogene Grenze undeutlich ist. Jesus Christus hat über die Neutralen das doppelte Wort gesprochen: Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich (Matth. 12, 30) und: Wer nicht wider uns ist, der ist für uns (Mark. 9, 40). Weder können die Neutralen das zweite Wort allein für sich in Anspruch nehmen, noch kann die Kirche das erste allein gegen sie wenden. Aber es wird immer wieder bezeugt werden müssen, daß die Neutralen in eben dieser durch die beiden Worte bezeichneten fragwürdigen Situation sind. Wird freilich die Neutralität zum Prinzip erhoben, dann wird die Möglichkeit in Sicht kommen, das erste Wort allein zu sagen. Denn dort ist bereits eine eindeutige Stellung außerhalb der Kirche bezogen und die Grenze gegen den Anspruch der wahren Kirche deutlich aufgerichtet. Es kann nicht der Sinn dieser kurzen Bemerkungen sein, die Entscheidung der Kirche vO\I"wegzunehmen. Aber es muß der Sinn sein, die Kirchenleitung daran zu erinnern, daß sie diese Entscheidung treffen muß. Indem sie es Schritt für Schritt tut, wird sie das fremde Werk tun, um das eigentliche Werk recht treiben zu können. Die Aufhebung der Gemeinschaft ist das letzte Angebot der Gemeinschaft. IH. Extra ecclesiam nulla salus. Die Frage nach der Kirchengemeinschaft ist die Frage nach der Heilsgemeinschaft. Die Grenzen der Kirche sind die Grenzen des Heils. Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil. Das ist die Erkenntnis, die sich der wahren Kirche von jeher aufgezwungen hat. Das ist ihr demütiges Bekenntnis. Wer die Frage nach
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der Bekenntniskirche vün der Frage nach seinem Seelenheil trennt, begreift nicht, daß der Kampf der Bekennenden Kirche der Kampf um sein Seelenheil ist. Ist das nicht die römische Irrlehre vün der Kirche? Süfern die römische Lehre das Heil nicht ühne die Kirche und die Kirche nicht ühne das Heil denken kann, ist sie im Recht. So. fern für sie aber der Satz, daß es Heil nur in der Kirche gebe, etwas anderes bedeutet, als den Ruf zur sichtbaren Kirche, süfern also. dieser Satz nicht eine existenzielle Aussage des Glaubens der wahren Kirche, sündern eine theo.retische Wahrheit über Gerettete und Verlürene sein süll, süfern er etwas anderes ist als Gnadenangebüt, Heilsgut, ist er verwerflich. Dann ist er aus einem Glaubenssatz zu einem spekulativen Satz gewürden. Extra ecclesiam nulla salus ist im strengen Sinne eine Glaubensaussage. Der Glaube ist an die Heilsüffenbarung Güttes gebunden. Vün hier aus weiß er vün keinem anderen Heil in der sichtbaren Kirche. Vün hier aus ist er nicht frei, das Heil Güttes anderswo. zu suchen als dürt, wo. die Verheißung gegeben ist. Heil jenseits' der Kirche ist für ihn grundsätzlich nicht erkennbar und kann darum auch niemals ein Lehrpunkt werden. Das Heil wird allein an der Verheißung erkannt. Die Verheißung aber hat die Verkündigung des lauteren Evangeliums. Wie aber, wenn nun in einer einzelnen Gemeinde der römischen Kirche üder Reichskirche das Evangelium lauter verkündigt würde? Ist dann nicht auch dürt wahre Kirche? Es gibt keine lautere Verkündigung des Evangeliums unabhängig vün der Gesamtkirche. Und wenn einer das Evangelium so. lauter verkündigte wie der Apüstel Paulus und er wäre dem Papst üder der Reichskirchenregierung gehürsam, so. wäre er ein Irrlehrer und ein Verführer der Gemeinde. Wie aber, wenn in der anderen Kirche Menschen sind, deren Frömmigkeit und Christlichkeit unter Beweis gestellt würden ist? Wie steht es mit den guten Christen auf der anderen Seite? Ist es nicht unbarmherzig und unchristlich, über sie das Urteil zu sprechen? Ist es nicht unerträglich pharisäisch, ihnen gegenüber den Anspruch zu vertreten, allein die Kirche zu sein? Das ist Richtgeist, hören wir sagen. Es liegt etwas vün Empörung gegen den Anspruch der Kirche in dieser Frage, und sie ist mitten in der Bekennenden Kirche zu Haus. Sie ist es, die sie zur Zeit vün innen her zersetzt. Die Antwürt beginnt mit der Gegenfrage. 1. Warum sind diese christlichen Menschen bei den Deutschen Christen und nicht bei der wahren Versammlung der Gläubigen? Warum kümmen sie nicht dürthin, wo. der Ruf der wahren Kirche ergeht? Warum? Weil es nicht wichtig genug ist, Zu welcher Kirche sie gehören? Weil sie an ihrer Frömmigkeit und Heiligkeit genug haben? Heißt das ein guter Christ sein? 2. Wüher wissen wir denn, wer ein guter Christ sei und wer nicht? Bin ich Richter über die Christlichkeit der anderen? Ist nicht dies ein viel unerträglicherer Richtgeist, der sich anmaßt, dem anderen ins Herz zu sehen? Ist nicht diese angebliche Christenliebe, die keinen Frümmen vüm Heil ausschließen will, unerhörteste Hybris und tief-
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ster Menschenhaß, weil sie die verborgenen Gerichte Gottes über die Seele des Einzelnen vorwegnimmt? 3. Wer beruft eigentlich die Kirche? Der Heilige Geist durch sein Wort und Sakrament? Oder ich mit meinem Urteil über gute und schlechte Christen? Das ist die furchtbare Lästerung, die in der Frage dieser liebevollen Christen liegt, daß sie die Kirche Gottes selbst gründen, sammeln und begrenzen wollen, und damit die wahre Kirche des Wortes zerstören und verleugnen. Es muß immer wieder gesagt werden, daß es kein Werk der Barmherzigkeit der Kirche ist, ihre Grenze zu verleugnen. Die wahre Kirche stößt auf Grenzen. Indem sie sie anerkennt, tut sie das Werk der Liebe zu den Menschen, indem sie der Wahrheit die Ehre gibt. Extra ecclesiam nulla salus. Ist dieser Satz gewiß, dann muß der andere hinzugefügt werden, der in der Gotteslehre seine Analogie hat. Gott ist zwar überall, aber "er will nicht, daß du ihn überall tappest". Es ist ein Unterschied zwischen der Gegenwart Gottes und seiner Erkennbarkeit. So gewiß allein der erkannte Gott unser Gott ist, und der nicht erkannte Gott niemals unser Gott sein kann, so gewiß muß doch diese Unterscheidung erhalten bleiben, gerade als Aussage des Glaubens, der sich an den offenbarten Gott hält und darin die Einzigartigkeit und Wunderbarkeit der Offenbarung preist. So kann nun auch von der Kirche gesagt werden: Sie wird nirgends erkannt als dort, wo die Verheißung Gottes ruht, in der sichtbaren Kirche. Nur dort ist sie unsere Kirche. Aber der Glaube, der seines Heils in der sichtbaren Kirche allein gewiß geworden ist, preist die Wunderbarkeit dieses Heils gerade darin, daß er nun auch noch von einem Sein der Kirche jenseits der offenbaren Heilskirche zu reden wagt. Niemals kann er das tun, um das alleinige Heil durch die sichtbare Kirche aufzuheben, niemals auch um dieses oder jenes frommen Menschen willen, der abseits steht, niemals um nun selbst zu urteilen und zu erkennen, wo die "Kirche jenseits" ist. Sie bleibt unerkannt, geglaubt von der Heilskirche, um die Herrlichkeit der erkannten Heilsoffenbarung um so höher zu preisen. Wehe denen, die aus dieser letzten Glaubensmöglichkeit der Kirche, die aus dem Glauben lebt: Extra ecclesiam nulla salus, eine Voraussetzung ihrer frommen Spekulation über Gerettete und Verlorene machen. Nicht dies ist unser Auftrag. Vielmehr gilt es, 'Von der Anfechtung solcher Fragen zu fliehen zum offenbaren Heil Gottes in der wahren Kirche. Die Frage nach den Grenzen der Kirche kann dem Glauben zur Anfechtung werden. Sie soll ihm aber allein dienen zur Gewißheit. Es ist Sache der Kirche, dies immer deutlich zu machen und in jeder Entscheidung über ihre Grenze die Gemeinde ihres Heils gewisser werden zu lassen.
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Statt jetzt schon in eine Auseinandersetzung einzutreten mit all den Äußerungen und Angriffen, die mein Aufsatz über die Frage nach der Kirchengemeinschaft hervorgerufen hat, will ich vorerst nur einige weitere ganz einfache Fragen stellen. Soweit m~m sich bisher mit willkürlichen Verkürzungen und Entstellungen begnügt hat, kann ich dem nur die Bitte entgegensetzen, meinen Aufsatz einmal ganz zu lesen, und darf bis dahin alle. derartigen Äußerungen von den grünen Briefen des Herrn D. Eger an bis zu der reinen DC.Presse einfach übergehen. Soweit ernsthafte theologische Fragen und Bedenken ausgesprochen wurden, so von Gollwitzer, Künneth, Sasse u. a., sind sie in den folgenden Fragen vorläufig mit aufgenommen. Ich bin allerdings der Meinung, daß diese Fragen zwischen uns nicht unausgesprochen bleiben dürfen und auch ihre ganz klare Antwort fordern, wenn nirht Zweideutigkeit alle echte Gemeinschaft auflösen soll. Sie sind so einfach, daß jeder Laie sie versteht. Sie sind. so dringlich, daß sie ohne schweren Schaden für die Kirche nicht länger verschwiegen werden dürfen. Sie werden zuerst Gegenstand theologischer Arbeit werden, dann ihre Antwort durch eine Synode erhalten müssen. E r s t e n s: Was ist die B e k e n n end e Kir ehe? Ist sie die Kir ehe Je s u C h r ist i , in der das Wort Gottes lauter gepredigt und die Sakramente stiftungsgemäß verwaltet werden? In der brüderliche Liebe geübt wird, mit Verheißung gebetet wird, Sünden vergeben werden und um Christi willen gelitten wird? Ist sie die Stadt auf dem Berge, die nicht verborgen bleiben kann, deren gute Werke die Leute sehen und darüber den Vater im Himmel preisen? Ist die Bekennende Kirche im neutestamentlichen Sinne Kirche, der der Geist Gottes verheißen und geschenkt ist? Kirche, die die Gabe des Heils austeilt in der Kraft des Heiligen Geistes? Kirche, deren wahre Gemeinschaft uns des Heils teilhaftig und gewiß macht, sichtbare Kirche in der Welt, aber nicht von der Welt, sichtbarer Leib, dessen Glieder wir sind, solange wir an ihm bleiben, von dem wir uns nicht trennen dürfen um des Heiles uns·erer Seelen willen? Ist die Bekennende Kirche daher Leib Christi mit eigener Gliederung, mit rechtmäßiger Ordnung, rechtmäßigen Ämtern, rechtmäßiger Kirchenleitung? Steht die Leitung dieser Kirche im Auftrage Jesu Christi? Ist ihr die Sorge für das Heil der Seelen anbefohlen? Ist diese Kirchenleitung daher befugt zur Vornahme von theologischen Prüfungen, Ordinationen, Pfarreinführungen usw.? Ist sie um Christi willen verpflichtet, Pfarrer und Gemeinden an sich zu binden? Darf und muß sie erwarten, daß Pfarrer und Gemeinden für diese Bindung an die rechte Kirchenleitung Leiden und Verfolgung auf sich nehmen? Ist die Bekennende Kirche daher verpflichtet zur Lehr1)
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zucht und zur Kirchenzucht? An der Antwort auf diese Fragen liegt alles. Werden sie bejaht, dann ist der. Weg der Bekennenden Kirche von Barmen bis Oeynhausen folgerichtig und innerlich notwendig. dann ist ihr Kampf um die Leitung der Kirche ein Kampf um die wahre Kirche selbst, d. h. um das Heil der Seelen der Gläubigen, dann bedeutet ein Nachgeben an diesem Punkt als Adiaphoron die Verleugnimg des status confessionis und damit die Preisgabe der Kirche und der Gemeinden an ihre Feinde; dann wird die Bekennende Kirche freilich bei der freien Ausrichtung der frohen Botschaft des Evangeliums immer wieder auf Feinde stoßen, die sich von ihr trennen, um deren Gemeinschaft sie werben wird mit der Predigt des Evangeliums, mit Fürbitte und Hoffnung bis zu ihrem letzten Angebot der Gemeinschaft, das nur noch in der furchtlosen Aufdeckung der vollen Wahrheit bestehen kann, daß jene sich von der wahren Kirche Jesu Christi getrennt haben und ohne Verheißung sind. Werden jene Fragen aber verneint, dann ist der Kampf um das Kirchenregiment frevelhafter Eigensinn; dann wäre es allerdings nicht einzusehen, warum junge Theologen ihre Existenz aufs Spiel setzen sollen, um von der Bekennenden Kirche geprüft, ordiniert und ins Pfarramt gewiesen zu werden; dann wäre das Leiden der gefangenen und ausgewiesenen Brüder um dieser Sache willen nicht mehr Leiden um Christi und seiner Sache willen, dann wäre unsere Fürbitte für sie ohne Verheißung; dann wäre auch Zucht der Lehre und des Lebens nicht möglich, dann existierte in der Tat für die Bekennende Kirche die Frage der Kirchengemeinschaft als kirchliche Verantwortung und Entscheidung überhaupt nicht; dann kann die Bekennende Kirche keine Lehrentscheidung fällen; dann ist sie der Irrlehre ausgeliefert, dann ist sie ihren Feinden verfallen; der Heilige Geist müßte von ihr weichen. Oder ist die Bekennende Kirche ein B und von b e k e n n t ni s b e s tim m t e n B e k e n n t n i ski reh e n? Ist sie selbst also nicht Kirche, sondern organisatorischer Zusammenschluß, ein solcher Bund, in dem möglicherweise einander in Lehre und Verkündigung ausschließende Kirchen miteinander v.erbunden sind? Oder schließt ein solcher Bund die Gleichberechtigung der in ihm zusammengeschlossenen Kirchen ein? Wie ist dann diese Gleichberechtigung bekenntnismäßig legitimiert? Wo liegt das Kriterium dafür, welche Kirchen gleichberechtigt sind und welche nicht? Ist ein gemeinsames Handeln und Sprechen dieser Kirche möglich, und mit welcher bekenntnismäßigen Legitimation? Welchen Sinn hat eine gemeinsame Leitung eines solchen Bundes, die jedenfalls keinen kirchenregimentlichen Charakter haben kann? Oder ist die Bekennende Kirche eine Kam p f g e m ein s c h a f t , die zu gemeinsamem Bekennen und Handeln zusammengeschlossen ist? Soll darunter verstanden werden, daß angesichts des gemeinsamen Feindes eine gemeinsame F r 0 n t entstanden ist, eine "Be;.. kenntnisfront"? Oder ist in diesem Ausdruck nur angedeutet, daß die Existenz der Bekennenden Kirche noch in vieler Hinsicht so frag-
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würdig ist, daß einfach noch nicht m ehr gesagt werden kann oder darf? Oder ist die Bekennende Kirche in Wahrheit B e k e n nt n i s b e weg u n g, analog den mancherlei Glaubensbewegungen unserer Tage? Bekennende Kirche als die "Bekenntnisgemeinschaft" aller derer, die das "Bekenntnisanliegen" in einer "Bekenntnisbewegung" zur Geltung bringen wollen? Sie wäre also innerhalb oder neben der Kirche eine mehr oder weniger private Angelegenheit, die jedenfalls keine kirchliche Autorität hat, also auch niemals das Recht, Ausschließlichkeit zu beanspruchen. Sie würde als Bewegung, als Richtung neben anderen Richtungen bestehen und sich damit begnügen müssen; sie wäre eine kirchenpolitische G r u p p e. Sie würde zwar die DC. bekämpfen, aber ihnen niemals die Kirchengemeinschaft aufsagen können. Sie würde sich mit der Stärke ihres Einflusses begnügen und sich damit trösten, daß man mit den paar DC. schon fertig werde im freien Spiel der Kräfte; sie würde aber keinesfalls dieses begreifen, daß durch den einen einzigen, vielleicht ganz ehrlichen, ganz innerlichen, frommen DC., dem diese Kirche ein Amt einräumt, die Kirche ihrer Verheißung verlustig ginge, genau wie durch den einen einzigen nichtarischen Christen oder Pfarrer, den die Kirche wissend fallen ließe. Eine Bekenntnisbewegung würde niemals begreifen, daß die Kirche wahrhaftig nun und nimmer auf den neunundneunzig Bekenntnispfarrern ruht, die sich sChon gegen den einen DC. durchsetzen werden, sondern auf der Verheißung Gottes, die auch den neunundneunzig Bekenntnispfarrern genommen werden kann, wenn sie wissend dem einen Irr lehrer in der Kirche Raum geben. Auch eine Bekenntnisbewegung ist im Grunde deutsch-christlich. Zweitens: Was ist das Bekenntnis der Bekenn end e n Kir c h e? Ist die Barmer theologische Erklärung ein für sämtliche Glieder der Bekennenden Kirche verbindliches Bekenntnis, weil sie eine rechtmäßige, in der Heiligen Schrift begründete Auslegung der reformatorischen Bekenntnisse ist, so wie die Konkordienformel rechtmäßige Auslegung der Augustana ist? Steht die Barmer Erklärung in gleicher Würde neben den reformatorischen Bekenntnissen? Ist eine Verpflichtung auf die Barmer Erklärung für die Mitglieder der Prüfungskommission, für die Lehrer der Theologischen Schulen der Bekennenden Kirche oder gar bei der Ordination - wie es in der Rheinprovinz geübt wird - gerechtfertigt und notwendig? Kann ein Lutheraner der Barmer Erklärung deshalb ihren Bekenntnischarakter absprechen, weil sie sich selbst nur als "Erklärung" ausgibt, obwohl ja auch die Solida Declaratio der Konkordienformel, die "Erklärung etlicher Artikel Augsburgischer Confession ... " zu den lutherischen Bekenntnisschriften zählt? Sind die Synoden der Bekennenden Kirche echte Synoden der Kirche Jesu Christi, sofern sie an Schrift und Bekenntnis in der rechten Ordnung bleiben? Ist ihr Bekenntnis immer unter dieser Voraussetzung Zeugnis der wahren Kirche? Ist es dann nicht auch Zeugnis
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Gottes, des Heiligen Geistes selbst, das Gehorsam fordert? Entweder ist die Barmer Erklärung ein wahres Bekenntnis zu dem Herrn Jesus, das durch den Heiligen Geist gewirkt ist - dann hat es kirchenbildenden und kirchen spaltenden Charakter; oder es ist eine unverbindliche Meinungsäußerung etlicher Theologen, dann ist die Bekennende Kirche seitdem auf einem verhängnisvollen Irrweg. Ist nicht der relativen Autorität der Synoden gegenüber dem Wort der Schrift und ihrer Irrtumsfähigkeit damit voll Ausdruck verliehen, daß ihr Wort jedenfalls immer "unter dem Worte" bleibt, wenn es rechtes Wort sein soll? Oder ist es wahr, daß "natürlich Gott weder durch Barmen noch durch die Dahlemer Botschaft anders geredet hat, als er durch alle Ereignisse der Geschichte redet"? (Sasse). Soll hier wirklich Gottes Wort -in seiner Kirche und in der Welt - allzu deutsch-christlich! - gleichgesetzt werden? In welchem Sinne beruft sich die Bekennende Kirche auf die Bekenntnisschriften, berufen sich die Lutheraner der Bekennenden Kirche auf die lutherischen Bekenntnisschriften? Der Buchstabe der Bekenntnisschriften verwirft ·nicht nur die zwinglische, sondern auch die calvinistische Abendmahlslehre (F. C. sol. decl. VII, 2), ebenso die calvinistische Prädestinationslehre (F. C. XI), wie sie beide noch heute von den reformierten Brüdern gelehrt werden. Vor den lutherischen Bekenntnisschriften sind lutherische und reformierte Kirche niemals gleichberechtigte Bekenntniskirchen. Die Frage ist: Ist die Bekennende Kirche bereit, einzelne Urteile der lutherischen Bekenntnisse durch neue Erforschung und Erkenntnis der Heiligen Schrift zu revidieren? Ist sie bereit, die Heilige Schrift daraufhin überhaupt zu befragen? Ist sie ferner bereit, auf Grund neuer Belehrung durch die Heilige Schrift über Gegensätze von einstmals kirchenspaltender Bedeutung anders zu entscheiden als die Bekenntnisschriften? Ist sie willens, anzuerkennen, daß über Kirchengemeinschaft nicht ein für allemal, sondern auf Grund der Schrift und der Zeugnisse der Kirche jeweils neu entschieden werden muß? Oder aber gilt das Wort der Bekenntnisschriften als die unveränderliche Grundlage der Kirche? Ist entgegen der Meinung der Bekenntnisschriften selbst der Buchstabe derselben die einzige Regel und Norm der Auslegung der Schrift? Oder nimmt die Bekennende Kirche die lutherischen Bekenntnisse gerade dadurch ernst, daß sie sich von ihnen zurückweisen läßt auf die Schrift als einzige Regel und Norm? Ist die Bekennende Kirche bereit, von einer falschen lutherischen Orthodoxie den Vorwurf des Schwärmerturns zu ertragen, wie ihn jeder von dort her zu hören bekam, der die Schrift über die Bekenntnisschriften stellte? Ist sie dann auch willens, die konfessionellen Differenzen in neuer Prüfung der Schrift konkret aufzurollen, statt im Grundsätzlichen zu bleiben? Will sie bekennen, was sie vom Abendmahl, von der Prädestination, von der Persbn Christi lehrt? Ist die Bekenntnisunion mit den Reformierten für den Lutheraner ein definitiv verbotener Weg? Verbietet es das Wort Gottes ein für allemal, die nicht wegzuleugnenden Lehrdifferenzen zwischen Re-
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formierten und Lutheranern in der Einen Bekennenden Kirche zu ertragen? Oder bleibt gerade für ein rechtes Verständnis der lutherischen Bekenntnisse auch diese Möglichkeit offen für das Wort Gottes selbst? Bleibt sie aber endgültig verschlossen, dann ist die B e k e n ne n d e Kirche wirklich nicht Kirche, sondern eben eine der vielen genannten Größen, die der Unwahrheit und Verfälschung des Evangeliums Raum gibt. D r i t t e n s: Was ist Kir c h eng e m ein s c h a f t? Ist Kirchengemeinschaft vom Heiligen Geist geschaffene Einheit und Gemeinschaft am Wort und Sakrament, oder ist sie die Gemeinschaft aller gutgesinnten, ehrlichen, frommen Christen deutsch-christlicher, kirchenausschußmäßiger und bekenntnismäßiger Observanz? Ist die Kirchengemeinschaft begründet allein durch die Wahrheit des Evangeliums oder durch eine von der Wahrheitsfrage unkontrollierte Liebe? Doctrina est coelum, vita est terra (Luther). Ist die Kirchengemeinschaft eine Frage der Verkündigung und Sakramentsverwaltung oder eine Frage der persönlichen Heiligung? Hat die Gemeinschaft des Gebetes, der Fürbitte, der Vergebung, der Beichte und der Zucht noch Verheißung, wenn die Gemeinschaft des rechten Glaubens nicht geschenkt ist? Ist solche Gemeinschaft ohne dies letzte etwas anderes als frommes Menschenwerk? Ist die Bezeichnung "Irrlehrer" ein moralisches oder ein religiöses Werturteil, oder ist es das Urteil des Wortes Gottes über Wahrheit und Unwahrheit, Heil und Unheil, das wir nur mit Furcht und Zittern nachsprechen können? Ist der Irrlehrer noch unser christlicher Bruder? Besagt die neutestamentliche Unterscheidung zwischen dem irrenden Bruder und dem Irrlehrer etwas anderes, als daß der letztere trotz brüderlicher Warnung und Mahnung auf seinem Irrtum verharrt und sich damit selbst aus der Bruderschaft am Leibe Christi ausschließt? Gibt es echte christliche Gemeinschaft und Bruderschaft im neutestamentlichen Sinne ohne Zucht der Wahrheit und des Lebens? Gibt es Gemeinschaft im Heiligen Geist ohne daß der Heilige Geist zugleich die Kraft der Trennung und Scheidung hat? Ist man bereit zu hören, was im vorangegangenen Aufsatz ausführlich begründet wurde, daß Aufhebung der Gemeinschaft das "fremde" Werk der Kirche ist, das sie tut, um ihr eigentliches tun zu können, daß Aufhebung der Kirchengemeinschaft letztes Angebot der Gemeinschaft ist? Aber umgekehrt: was bedeutet eine Gemeinschaft am Wort, die nicht Gemeinschaft am Sakrament werden will? Was kann das Ziel der Gemeinschaft am Wort sein, wenn nicht die Sakramentsgemeinschaft? Was bedeutet eine Zucht, die nach außen geubt, aber nach innen vernachlässigt wird? Wie kann das Evangelium zur Scheidung stark genug sein, wenn es zur Gemeinschaft, zur consolatio fratrum, zur Vergebung, zur Buße und zur Beichte so schwach ist? Welcher bekenntnismäßige Unterschied besteht zwischen dem bekenntniswidrigen Kirchenregiment der DC. - Reichskirche und den Kirchenausschüssen? War nach dem Wort der Dahlemer Synode der Gehorsam gegen das bekenntniswidrige DC.-Kirchenregiment Unge-
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horsam gegen den Herrn Jesus, so ist zu fragen, inwiefern der Gehorsam gegen ein bekenntniswidriges Kirchenregiment der Ausschüsse auf einmal ein "Wagnis des Glaubens" sein soll; eine christliche Freiheit, eine freie Gewissensentscheidung? War die geforderte Scheidung von der DC.-Reichskirche nicht ein unerlaubtes Gesetz, das den einzelnen auferlegt wurde, warum soll dieselbe Forderung gegenüber den Ausschüssen auf einmal "unevangelische Gesetzlichkeit" sein? Zugegeben, daß wir uns einer veränderten Lage gegenüber sehen, was Personen, Sachkenntnis, guten Willen angeht, so ist die Lage im entscheidenden durchaus unverändert, nämlich in dem Tatbestand der Schrift- und Bekenntniswidrigkeit des kirchenregimentlichen Anspruches. Machte sich jeder, der trotz der Dahlemer Botschaft im Gehorsam der DC.-Reichskirche blieb, durch eben diesen Gehorsam gegen ein falsches Kirchenregiment der Zerstörung der wahren Kirche Christi schuldig, so ist nicht einzusehen, wie nicht auch der den Kirchenausschüssen Gehorsame demselben Urteil verfällt. Jede Unterscheidung, die hier aus begreiflichen persönlichen oder kirchenpolitischen Rücksichten vorgenommen wird ohne Begründung aus Schrift und Bekenntnis, gibt zuletzt der Irrlehre in der Kirche Christi Raum. Es ist ein schwer begreiflicher Wille Gottes, der uns in einer Stunde, in der gemeinsame Abwehr gegen den Feind von außen nötig wäre, im Innern so zerreißt. Wir können gegen diesen Willen nicht an. Es soll uns wohl nur eines bleiben, sein Wort, sein Sakrament, seine Verheißung. Wir fragen nach nichts anderem. Denn aus dieser Gabe entspringt das unvergleichliche Geschenk echter Gemeinschaft im Glauben, im Beten, in der Fürbitte, im brüderlichen Dienst, in der Vergebung, in der Beichte, in der Zucht und in der Erkenntnis der Sünden und der Barmherzigkeit J esu Christi. Hier liegt unsere eigentliche Arbeit, das eigentliche Werk der Kirche.