ebook by meTro Die Vorlage ist vermutlich das letzte existierende Exemplar
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ebook by meTro Die Vorlage ist vermutlich das letzte existierende Exemplar
Dieses eBook ist nicht zum Verkauf bestimmt!
Die schattenlose Nacht Grausame Geschichten von
Friedrich Gentz
Acheronta movebo!!
Inhalt Das große Unsichtbare ...................... 7
Die letzte Finsternis ....................... 33
Der Mann im schwarzen Mantel ... 77
In Memoriam .................................. 125
»Das große Unsichtbare«
I
ch pflege in stillen, aber deswegen gerade so beredten Stunden, an dem großen Kamine zu sitzen, der die Ostwand meines Arbeitszimmers einnimmt und träumend in das langsam verglühende Feuer zu starren. Bei den seltsam verschlungenen Raucharabesken meiner Zigarette bin ich dann Phantasien überlassen, deren wilder Duft, deren kalte Wollust mich in das Meer eines Genusses wirft, den die Menschen nur aus Büchern kennen. Oft erlebe ich da Augenblicke, die in jeder anderen Stunde mich abstoßen würden, hier aber eine Bedeutung für mich gewinnen, die in früheren Existenzen wurzelt. Dieses Wissen gab mir die Philosophie eines Mannes, von dem die Rede auf den folgenden Blättern sein wird. Wenn ich von ihm sprechen hörte, aus dem Munde meiner Freunde oder besser gesagt: meiner Bekannten, denn Freunde besitze ich Glücklicher nicht so geschah das stets in jenem höhnisch gereizten Tone, der den Pilgern des mittleren Weges eigen ist, wenn sie von denen schwatzen, die im Ungebahnten, streifen. So bin ich ganz allein. Auch das ist gut für mich. Es stellt mich vielleicht weit hinaus aus den Reihen jener, die zur Erzeugung höchster geistiger Genüsse einen zweiten, oft sogar noch dritten brauchen. -7-
Aber ich bin allein mit mir. Kenne Keinen, der mich auch nur ahnen könnte, habe Keinen, der mir jene geheimnisvollen, grauenhaft wollüstigen Stunden zu ersetzen überhaupt imstande wäre. Wenn ich nun meine letzten, sonderbaren Erkenntnisse, die auf den folgenden Blättern niedergelegt sind, der Öffentlichkeit übergebe, so geschieht das keineswegs aus literarischer oder gar poetischer Veranlassung! O nein! – Ich wüßte nicht, was mir entfernter, ja gleichgültiger wäre! Ein Schriftsteller zu sein, das erschien mir schon immer als etwas höchst Lächerliches. Ich pflegte solche Leute mit Lehrern zu vergleichen, die zu Kindern sprechen, denen es unmöglich ist, eine schwierige mathematische Aufgabe zu erfassen, ich habe das Leben und mit ihm die Menschen betrachtet, welche ich zu etwas entwikkelteren Tieren rechne und denke nicht im Entferntesten daran, die Rolle jenes verrückten Professors zu spielen, der die Sprache der Affen erforschen und damit selbst ein Affe werden wollte. Ich will nichts, als mathematisch genau feststellen, daß wir alle nur eine Emanation sind und uns verflüchtigen müssen im leeren Räume, damit jenes Wesen, das uns emanierte, aus Dunst und Nebel hervortritt und uns anschaut – mit unseren eigenen Augen. Oder unserem eigenen Auge. Wir haben alle nur ein Auge – die Seele – und unsichtbar muß sie werden, diese -8-
Seele und sich verflüchtigen, damit das eine Selbst sich sieht. Man nannte mich einen Wahnsinnigen, als ich so sprach! Gut! Furchtbar gut! Ich selbst weiß nicht was Wahnsinn ist. Ich weiß nichts! Und das ist meine stärkste Waffe! In den letzten Tagen bin ich verhaftet und in die Beobachtungsstation des Irrenhauses eingeliefert worden und schreibe nun diesen meinen letzten Bericht in dem Bewußtsein, das Licht des morgigen Tages nicht mehr zu erblicken. Das schwere Gift, für das es keine Gegengifte gibt, das ich genommen, tötet binnen vier Stunden. Es bleibt mir nunmehr nur noch eine kurze Frist, die letzte Warnung niederzuschreiben, die ich den lächerlich niedrigen Wesen, die sich Menschen zu nennen wagen, zukommen lasse. Ich weiß, daß man diese Warnung nicht beachten, vielmehr belachen wird. Daß ich, trotzdem ich dies weiß, meine Erkenntnisse den »Menschen« übergebe, ist vielleicht ein Beweis meines seltsamen … »Wahnsinns«, sicher aber eine Bestätigung meiner eigenen Ansicht, daß ich kein Mensch, sondern eine Phantasmagorie bin. Aber ich schreibe, weil ich muß. Ein Etwas ist stärker in mir, als meine Verachtung. Einen einzigen Freund hatte ich Navajo Connor. Vor Jahren wurde er aus demselben Irrenhause entlassen, in dem ich mich jetzt befinde. Seine »fixe Idee«, wie die Ärzte es nannten, war eine Erfindung, die eine Zeitlang überall großes Aufsehen erregte. Er behauptete nämlich, ein Mittel entdeckt zu haben, das. in größeren Mengen eingenommen, die Materie, aus welcher der Mensch besteht, vollkommen verflüchtige und eine vordem sichtbare Gestalt binnen weniger Minuten vollständig unsichtbar mache. Er ließ die Notiz von dieser Entdeckung durch alle -9-
************* ööhh, leider fehlt hier eine Seite … (d. Scanner)
… und so gehts weiter ******************************************** Ohr schlug: es war ganz so, als erhoben sich in meiner Seele wieder jene schwarzen Gestalten, die mich oft genug in entsetzlichste Stimmungen warfen. Überhaupt, da ich gerade von Stimmungen spreche: was ich in meinem ewig lustsuchenden Dasein an sogenannten Stimmungen getroffen habe, das war die kälteste, gemeinste Grausamkeit, die man sich denken kann. Ich hatte Augenblicke, die mir Erhabenes und Edles vorspiegelten, dem ich mich mit ganzer Seele hingeben wollte. Wenn aber die Stunde der Kritik kam, so sah ich: das, was ich verehrte, erwies sich nur als Schale, dünne, flatternde Haut über ekelerregenden Schwären. Augenblicke dann, die mir im Opferfest der Nacht die höchste und letzte Wollust zu bringen schienen, dann aber immer wieder mit gellendem Hohngelächter versicherten: Und es gibt noch eine wahnsinnigere Lust! Welche die Peitsche ist, wo du nur küßtest! Die Mord ist, wo du dich hingabst! Nun suche sie! Suche dir diese eine Lust! Es waren Augenblicke die Entsetzlich! Doch ich will mir nicht die letzten Stunden, die - 10 -
mir noch bleiben, mit der Erinnerung an das ekelerregende materielle Leben verpesten! Ich befand mich also bereits im Hausflure, hier schon wüsten Phantasien ausgesetzt, als jenes Gespräch mich weckte. In diesem Augenblicke brandete eine Erregung in mir auf, die sich unmöglich wiedergeben, noch nacherleben läßt. Ich fühlte in jener immer gesteigerteren Vibration meiner Nerven nicht, daß ich durch die leeren, kalten Zimmer schritt, immer dem sonderbaren Klange nach. Erst am Ende eines langen, vollständig finsteren Ganges blieb ich stehen, fast am Ende meiner geistigen Fähigkeiten angelangt. Von der schrecklichen Stimmung dieser Minuten war ich wie zerbrochen und wagte vor unerklärlicher, seelischer Furcht nicht zu atmen. Ich mußte das Fieber haben, denn im ganzen Gesichte brannte hohl und heiß das Blut, mir unsagbare Qualen bereitend. Vor mir erhob sich senkrecht, aus der schwarzen Wölbung des Ganges, ein schneeweißer, irgendwie schmerzend hell und grell erleuchteter Schacht, der kreisrund wohl hundert Meter in den Raum hinaufführte. Wie ich den Blick aber senkte, von der schmerzenden Helle geblendet, glaubte ich zu träumen. Auch unter mir in den Boden hinein, setzte sich dieser Schacht ebensoweit fort und im leeren Räume stand ich, ohne zu fallen. Wie der Mittelpunkt einer weißen Riesenachse stand ich und faßte es nicht, was ich sah. Noch nie hatte ich von diesem Schachte gehört, rätselhaft war es mir, wie er in dies Haus kam. Aber oben – am Ende des Schachtes – beugten sich drei Männer, die von hieraus wie dünne, zerbrechliche Spielereien aussahen, über eine schmale, schwarz eiserne Brüstung und starrten - 11 -
mit grauenhaft verzerrten Zügen zu mir hernieder. Wie diese Bestien aussahen, das ist mir unmöglich, hier wiederzugeben, denn im bloßen Gedanken an diesen gräßlichsten Augenblick aller Leben habe ich wieder eine schwere Ohnmacht erlitten. Ich überlasse es eben der Phantasie des Einzelnen, sich diese Gestalten auszumalen. Genau wie jetzt, im bloßen Gedanken an diese Minuten so erlitt ich auch damals eine längere Ohnmacht, in der ich wütenden Fieberphantasie ausgesetzt war. Mir war, als habe ich in das grausam weiße und kalte, das gänzlich Leere meines eigenen Geistes geblickt, aus dem mir die, drei unsinnigen Phantasien der Wollust, der Verachtung und des Lebenswillens um jeden Preis, die alle drei zusammen bei mir den Namen »Leben« führen, als ob diese Teufel, welche die Seele schon im Sein besitzen, in entsetzlich höhnischen Triumphieren mir entgegengrinsten. Als ich endlich erwachte und keinen Gedanken hatte, da lag ich in dem warmen, behaglichen Arbeitszimmer meines Bekannten auf dem Divan, und sah in dessen lächelnde Zuge, der sich fast besorgt über mich beugte. Ich wollte sprechen und ihn um eine Erklärung bitten, denn begreiflicherweise befand ich mich in einer ungeheuren Spannung, was jener sonderbare Schacht zu bedeuten hatte, kam aber nicht dazu. In eben diesem Augenblicke begann im Nebenzimmer ein Mensch zu reden und die ganz und gar sonderbare Stimme, welche dort sprach, fesselte mich derart, daß ich dies eben Erlebte sofort vergessen hatte. Es war eine Frauenstimme und zwar die einer jener merkwürdigen Frauen, deren Wesen weder mit dem Worte Frau, noch dem Geschlechtsnamen Weib - 12 -
bezeichnet ist. Diese Stimme klang so erdenfern so unnennbar unwissend lustsuchend, daß ich von der Kongruenz betroffen, die zwischen jener Frau und mir herrschen mußte nichts als eile lächerliche Frage »Wer ist das?« hervorzustottern wagte. Mein Freund sah mich erstaunt an. Fragend glitt sein Blick an mir nieder. »Was meinst du?« fragte er ruhig. Doch ich achtete nicht mehr auf ihn. Diese Sekunde war ich nicht mehr ich selber, jeder Wille, jeder eigene Gedanke war in mir mit brutaler Gewalt erstickt worden. Ich holte tief Atem und weitete die Lungen, wie noch nie, als nähme ich Abschied von der Atmosphäre dieses Planeten. Und vor mich hinaus sah ich mit den starren Blicken eines Meditierenden, ohne einen Gedanken zu haben. Meine Gedankenwelt hatte Einer von mir hinweggerissen und an ihrer Stelle war eine schattenlose Leere. Urplötzlich stand ich im Nebenzimmer und verneigte mich tief vor dem dort am Tische Sitzenden. Wie ich in das Zimmer gelangt, noch heute ist das mir ein unlösbares Rätsel. Es schien, als habe mich mein eigener unterbewußter Wunsch, die ganze verlangende, endlich verstehende Sehnsucht meines Ich’s hineingetragen. Jene Sehnsucht, die schon seit Jahren als ein fürchterlicher Brand in mir wütet und bis heute nicht auszurotten war. Nun freilich weiß ich, daß sie überhaupt nicht auszurotten ist weil ich sie selber bin. Sie stirbt erst, wenn ich sterbe und da das Sterben eine abendländische Einbildung ist habe ich ewig, ewig an ihr zu leiden. Und bin - 13 -
doch froh. Der Einzige bin ich, der leidet. Weil seine Lust zu groß ist. Ich sah mich nicht im Zimmer um, sah aber trotzdem, daß sich hier nur eine Person befand, von der allein die seltsame Stimme ausgegangen war. Ich hatte eine Frauenstimme gehört, eine unverkennbare, aber obgleich dieses Wissen noch in mir lebendig war, war ich nicht im Geringsten betroffen, als ich dort am Tische einen ältlichen, fast possenhaft gekleideten und doch unnennbar schrecklich wirkenden Mann sitzen sah. Er hatte sich bei meinem Eintritte nicht erhoben und blieb auch ferner unbeweglich sitzen. Starr, wie eine Statue. Ich habe überhaupt, während meiner ganzen Bekanntschaft mit ihm, nur einmal eine Bewegung beobachtet, die er in meiner Anwesenheit ausführte. Und diese war dann auch so unsäglich fürchterlich, daß ich …. »Navajo Connor« sagte der Mann am Tische, ohne die Lippen zu öffnen, mit hoher, rauher Stimme, die nichts von dem an sich hatte, was ich vorher hörte. Doch seltsam war es, hörte man Navajo in einem entfernten Zimmer sprechen, so erklang wieder deutlich die »Frauenstimme«, die jedoch bei jeder Annäherung in die hohe, rauhe Stimme umschlug. Jetzt fuhr er fort, da ich vergaß zu antworten: »Wer sind Sie?« Zitternd stellte ich mich vor. Da hoben sich die schweren, grauen Lider, die mit ekelhaften Schuppen besetzt waren, fast unmerklich von den Augen Connors, ein grüner, eisnadelspitzer, leuchtender Strahl durchglitzerte mich blieb endlich kalt und leer auf mir haften. Dann fuhr der Seltsame mit seiner - 14 -
knarrenden und doch so eigentümlich hohen Stimme lauernd fort: »Aha! Also auch solch eine Phantasmagorie …« Wie ein schneidender Dolchstoß durchschoß es mich, als ich diese Bezeichnung hörte, die ich mir oft genug selber zugelegt, »also auch keines jener eigenartigen Fabelwesen der Urzeit, die man Mensch nennt, welche jetzt als Bakterien unsere Atmosphäre verpesten! – Was wollen Sie von mir?« Da quoll es in mir empor, und ich wußte der Wahnsinn saß in meiner Kehle. Er hielt mich, war in mir, nahm mein ganzes Sein und vergewaltigte es in brünstiger Gier. Zitternd glitt ich in die schreckliche Sphäre dieses Menschen, der ja gar kein
Mensch war, über, wollte zu ihm reden und konnte – o konnte nicht. Auf meiner Brust lag es so schwer, so fürchterlich schwer, daß ich kaum zu atmen vermochte. Ich rang – und die Luft, die schien nicht mehr da zu sein. Aber es löste sich alles und zwar im Bruchteil einer einzigen Sekunde. Mein Tod schien eingetreten. Und qualvoll entrang es sich mir in einem unvermeßlichen, anklagenden Schreie hilfesuchend und doch nur Tod und Kälte findend. Schreiend und doch leise, so erbärmlich leise im Banne des kalten gläsern grünen Blickes: »Du! Glaubst du an Gott!?.« »Junger Mensch!« leuchtete es da frierend und bewegungslos - 15 -
zu mir herüber. »Was erdreisten Sie sich? Wen oder was meinen Sie eigentlich? Ich kann Sie nicht verstehen! Reden Sie! Deutlicher! Ich bin taub!!« So lernte ich Navajo Connor kennen, der, genau wie ich, nur eine wollustgewordene Phantasmagorie war. Es gab zwischen uns keine Redefloskeln, keine alltäglichen, gegenseitigen Versicherungen unserer Freundschaft wir w u ßten eben, im tiefsten, ungeheuersten Sonnenzentrum unseres Ich’s, daß wir zusammengehörten. Ja, mehr noch, daß wir beide nur ein Eines waren. Von diesem Tage an mied mich die Welt. Durch die Freundschaft mit Connor war ich gewissermaßen aus ihrer Mitte getreten, hatte sie damit verleugnet. Man mied mich sage ich, aber ich glaube, es wäre richtiger für mich, zu sagen: von diesem Tage an existierte für mich kein menschliches Wesen mehr. Wir schienen, obwohl körperlich leidet anwesend, in einem wahnsinndurchglühten Feuerstrudel in ganz ferne, erdenfreie Sphären zu steigen, von wo aus die Erde nur noch ein kleiner, erbärmlicher Schmutzfleck auf dem Sternenmantel eines ewig seelensonnigen Universums war. Stunden erlebten wir miteinander, welche ins Letzte verinnerlicht in die Wunder unseres Innenlebens eindrangen, sahen zusammen in teuflische und darum eben so wollüstige Träume unserer Seele. Eine Welt ging uns auf im Ursinne keine Welt , die den Wesen der Erde ewig verschlossen ist. Navajo bewegte sich nie, wenn wir miteinander in seiner - 16 -
grauenhaft phantastischen Stube saßen. Das einzige, was an ihm zu leben schien, war der kalte, grüne Glanz seiner Augen, mit dem er mich in all der gewaltigen Schöpfermacht seiner Seele umfangen hielt. Und auch, wenn er zu mir kam, konnte ich keine Bewegung an seinem häßlichen, krüppelhaft verkrümmten Körper wahrnehmen. Er saß dann ganz plötzlich neben mir, blickte mich lauernd an und sprach. Sprach aus dem finstergrünen Klange seiner Seele heraus fürchterliche Worte, die mich, ihrer beinahe sadistisch grausamen Eigenart wegen, stets so fesselten. In solchen Augenblicken waren wir eins. Und noch etwas war unverständlich an ihm: Saß ich allein und arbeitend in meinem Zimmer so kam ein furchtbar quälendes Etwas plötzlich und drang in mich ein. Zentnerlasten lagerten auf meinem Herzen und ich konnte nicht atmen nicht atmen. Dann gellte schrill, mich seelisch zerreißend wie nie, das Telephon. Ich eilte hin und wußte: Er! Und hielt ich dann den Hörer krampfhaft an mich gepreßt und stammelte ein fragendes: »Wer dort?« So raste in Sphärengewalt ein schrecklicher Ton durch das Zimmer, um mein Gehirn legte sich eiserner Zwang, wie von furchtbaren Worten. Und doch eines nur so klein, so gräßlich groß: »CONNOR« Und ich wußte: Er kam! Nach Sekunden fühlte ich schon vielleicht den grünen Glanz, der das ganze Zimmer flutend durch- 17 -
raste, sank in Unergründliches. Und dann saß er da. Und wir lebten wieder. So verging ein Jahr. Unter seiner Leitung hatte ich jene letzten, aufklärenden Werke geschrieben, die heute von der Welt verhöhnt und verlacht werden, Erfindungen, die das Seelenleben auf experimenteller Basis erforschten, so zum Beispiel jene Maschine, welche die Verbindung mit fremden Gehirnen herstellt aber trotz alledem war ein gewisses Gefühl in mir zurückgeblieben, wie etwa das einer Ahnung von Sturm. Einen Punkt gab es, über den wir noch nicht gesprochen hatten: das war seine Erfindung, von der ich auf den ersten Seiten berichtet habe. Er pflegte oft in verinnerlichten Stunden die Bemerkung fallen zu lassen, daß es noch ein Etwas in ihm gäbe, welches ich erst in der Stunde unseres Auseinandergehens kennen lernen sollte. Fragte ich dann, ob er ein solches überhaupt für möglich halte, so lächelte er in ganz grausam liebevoller Weise mit den Augen und meinte: »Möglich,? es ist nicht möglich, Freund, denn es ist ja selbstverständlich für jeden von uns ist es eine große Gefahr, den anderen zum Freund zu haben. Und warum? Wir sind einander kongruent, wir decken uns und nehmen so einander Licht und Luft. Wir müssen uns heftig abstoßen wir ganz gleichen Pole. Eben, weil wir uns gleich sind, müssen wir scheiden. Aneinander zerbrechen würden wir, wollten wir uns so ewig decken.« »Darum wird es in der Stunde unseres Abschieds heftige Qualen geben, die einer von uns nicht überstehen wird. Der Stärkere vielleicht. Denn der allein sieht nur die große Gefahr des Kampfes; der Schwächere, der unbewußt Kämpfende, wird vom Glück geleitet, das stets bei dem Schwachen steht. Wappne - 18 -
dich beizeiten für diesen Tag!!« Es ist begreiflich, daß sich in mir eine Welt von Fragen erhob, die ich jedoch, meiner Gewohnheit gemäß, nicht laut werden ließ. Ich pflege so wenig wie nur irgend möglich Fragen zu stellen, die mich der Mühe des Nachdenkens überheben; das Suchen, das ewige Suchen, hat mich gelehrt, daß kein Mensch von einem anderen auf eine Frage die richtige Antwort erhält, weil den tiefsten Untergrund einer Frage nur das Ich selbst zu erfassen imstande ist. Jeder ist sich selbst Fragender und Antwortender. So erhält er allein Kenntnis vom Ich, das Gott und die Schöpfung zugleich in ihm ist. Ich sprach auch jetzt nicht über diesen verfänglichen Gegenstand, wußte ich doch, daß er sein Problem damit meinte. Einmal mußte es sich ja entscheiden. Bereit war ich zu diesem Kampfe – das ist klar. Ich war entschlossen zu siegen, obgleich ich noch nicht die geringste Ahnung hatte, was mich denn eigentlich am Tage unseres Scheidens erwarte. Jetzt weiß ich, daß mich dies Unbewußte erst so stark machte. Den ungetrübten, unparteiischen Blick besaß ich noch, konnte das spätere Schlachtfeld übersehen in alle Zonen hinaus: Es war unser Gehirn, – das Schlachtfeld. Es mochte etwa ein Jahr unserer Bekanntschaft verflossen sein – ich saß an einem schweren, dumpfen Abend in meinem Zimmer, das ich genau so phantastisch wie das Navajos ausgestattet hatte, und arbeitete. Die Feder flog nur so, alle meine Gedanken lagen in dem ungeheuer sich spannenden Schaffen, dessen Verkörperung sich – Stein um Stein – ein gigantisches Monument meines Lebenstraumes, aus mir erhob. In diesem Werke legte ich mir selbst Rechenschaft ab über meine bisherigen inneren - 19 -
Fortschritte und bewies an Hand der überall gegebenen Tatsachen, daß ich selbst mir Mensch und Gott, mir selbst Universum, Makro und Mikrokosmos bin. Und in meinem Selbst das Höchste und einzigst Existierende bin, das des Lebens wert ist. Dieser Gedanke sollte den Menschen letzte Befreiung geben er wurde nicht verstanden! Wie es gänzlich unmöglich ist, als Seele in fremden Seelen Eintritt zu erhalten, so ist es gänzlich unmöglich, ein geschriebenes Werk bis in jene Urgründe hinein zu verstehen, wo Bewußtsein und despotische Diktatur geheimnisvoller dritter Mächte aufeinanderstoßen. Der Dichter ist der Allereinsamste. Er steht außerhalb aller Kasten und während die Menschen des mittleren Weges einander wenigstens sehen können, steht man ihm wie Einem gegenüber, der aus fernen Welten flüchtig nur. wie ein Komet, zu Besuche kam. Alle anderen bestehen aus einem Körper und vielleicht noch ein paar Gedankenreihen, in dem Dichtenden aber ist alles Existierende wie in einem Spiegel enthalten, der das All umfaßt. Und es ist das furchtbare Gesetz des Universums: Dem zweidimensionalen Lebewesen ist die Existenz einer dritten Dimension unfaßbar. So ist er der Allereinsamste. Und hat das größte Glück und das tiefste Leid. Vielleicht aber auch das Allerhöchste: Glück und Leidlosigkeit des »Sehenden«. So schrieb ich und schrieb und die Zeit verging. Es war schon tief in der Nacht, da durfte ich endlich das erlösende: »Finis« unter den letzten Bogen setzen und nun den Vers folgen lassen, der die Schlußreferenz meiner Beziehungen zu Connor ist. Oft hatten wir über das intuitive »innere Erleben« des Dichtenden gesprochen, daß der Pettalkraft gleicht, die alle seelischen Sphä- 20 -
ren in das Zentrum des Schaffenden reißt. Und ich schrieb mit der letzten Kraft, die ich nach der Erregung der letzten Stunden noch aufzubringen vermochte: »Erleben – nenn’ ich: weltvergess’nes Schreiten in meiner Seele heimlich froher Nacht. Ich selbst – mir selbst die wunderbarste Macht in meiner Leben träumendem Zergleiten –«
Urplötzlich klang ein gellender Schrei durch das Zimmer, wie ihn nur ein Wahnsinniger ausstoßen, nur ein Wahnsinniger hören kann. Ich fuhr auf, starrte mit glühenden Augen um mich, meine Nerven waren wund und wie bloßgelegt innerlich fühlte ich mich zu Eis erstarren. Und langsam – unendlich grausam – wie mit Krallenarmen in der wunden Masse meines Gehirnes wühlend, wuchs aus dem roten Dämmer meines Zimmers der weiße, kalte, hohe Schacht meiner Seele, leer in wahnsinniger Grausamkeit. Und teuflisch grinsend beugten sich oben über die schwarzeiserne Brüstung die drei phantastischen, fürchterlichen Gestalten und winkten mir mit gekrümmten Fingern: Komm’ komm herauf! Und wieder kam der wahnsinnige Schrei und alles versank. In meinem Gehirn zersprang mit lautem, knirschendem Schlage ein Etwas wie eine Fesselung ich war bei Connor. »Du bist da« sagte Navajo langsam und deutlich, mit einer wissenden, wollüstig grausamen Stimme, in der jener seltsame Ton mitschwang, der etwas ganz anderes in ihm vermuten ließ, als er eigentlich war: die Frau nämlich. Doch nun schoß wieder - 21 -
das grüne Licht über mich und Connor tu langsam und wie überlegend fort: »Du bist gekommen. Also hast du meine Botschaft erhalten. Wie danke ich dir! Ja, es ist ein Hochwichtiges, daß wir miteinander zu besprechen haben. Setze dich!« Ich folgte, an allen Nerven zitternd, dieser Aufforderung. Beruhigte mich allmählich bei dem leisen Aroma einer Zigarette und fand Zeit, seine Gedanken zu überlegen. Endlich antwortete ich: »Deine Botschaft sagtest du!« »Ja –« flüsterte der grüne Blick, kalt durch meine Nerven zukkend, »Du wunderst Dich?« »Gewiß. Ich habe keine Botschaft von dir empfangen.« Wieder lächelte der Blick grausam: »Du wirst dich irren!« »Kaum.« »So erzähle, was du in den letzten Sekunden fühltest.« Ich wollte erst nicht, wußte aber ganz genau, daß es, diesem Geiste gegenüber, keinen Willen gab. Sein Blick durchleuchtete mich in allen Winkeln meiner Seele und als ich nicht sofort antwortete, begann Navajo mit kalter Grausamkeit zu reden. Er erzählte mir wörtlich, was auf den vorigen Seiten beschrieben wurde, so daß ich, vom namenlosen Entsetzen überwältigt, nicht zu atmen wagte. Ich fühlte mich nicht mehr, als er nun schloß: »Ist das keine Botschaft? Mein Wille allein zwang Dich zweimal in jenen Schacht der Leere, in dem deine Seele wohnt. Die drei Männer oben fürchte nicht, es ist das Außen, das zu dir hereinstarrt, durch die Tiefe aber und jene eiserne Brüstung von - 22 -
dir auf ewig getrennt ist. Nur ein Schwächling zittert, wenn er in seine Seele blickt. Ich öffnete dir die Augen für dein Selbst. Ich gab dir alles, was du denkst und bist, und wenn du nun weißt, daß du leidest, so frage nicht nach dem Warum. Die Antwort steht hier!« Er schlug an seine Brust, oder ich vielmehr fühlte, daß er das innerlich tat, denn äußerlich war er bewegungslos. »Sie steht hier die Antwort. In mir. Du bist Ich. Nichts als Ich. Und ich bin vielleicht Dein Du!!« Da wurde es dunkel in meiner Seele. Taumelnd fühlte ich mich in mir versinken und die wahnsinnigsten Qualen und Martern durchkosten, die ein Ich nur kennt. Ich litt, weil er es so wollte. Es bäumte sich ein letztes, verzweifelt kleines Gefühl in mir auf und eine ganz ferne Stimme mahnte mich, zu widerstehen. Und diese Kraft sammelte sich, sie ging sogar einige Sehritte vor und schlug den fremden Einfluß in mir nieder. Es war ein Kampf verzweifelsten Wahnsinns, dessen Ende unmöglich zu ersehen war. Aber die neue Macht gewann kräftigen, eigenen Boden! Sie redete mahnend zu mir, mahnend. ob auch die andere tobte, heulte und schrie. Und dann ward es ganz licht!! Ich wußte plötzlich, daß dies allein die Stunde des Scheidens war, von der Navajo gesprochen hatte, die Stunde, die uns für ewig voneinander entfernte, damit wir, jeder für sich, sein selbständiges Ich würden. Ja, diese Stunde mußte ich freilich überstehen! Ob ich nun wollte oder nicht! Jetzt erst begann der wahre Kampf, da ich von ihm wußte! Die Qualen schwiegen und die Schmerzen und nur einer hob seinen stolzen Kopf, der Eine, der immer siegt, wenn ihn Freund und Feind sehen: das wahre Ich! Er hatte seine wahren, ewigen Waffen. Er wohnt in einem Jeden und ist uralt, wie alle Gedanken des Seins. Toren seid ihr alle, - 24 -
dumme, erbarmenswerte Toren, bei denen der »Mensch« vom einundzwanzigsten Lebensjahre anfängt, bei denen ein junger Mensch, der vielleicht sein Ich restlos hält, dem Älteren, der sein lebenlang Leder schnitt, Platz machen muß. Die weißen Haare sind oft keine Krone, die Bartlosigkeit oft kein Beweis für eine Jugend, die der »Erfahrung« mangelt. Die Seele in jedem ist alt, uralt, ob der Körper auch jung ist und die Seele in ihm sich nicht genug zeigen kann – dem Außen! Achtung vor der Seele in den Jungen und den Alten sollte jeder lernen, am allerehesten aber die Achtung vor sich selbst! Und ruhig wurde ich, so ruhig, daß ich kaum noch an das entsetzliche Leiden dachte, das nun endlich hinter mir lag. Es gelang mir sogar, mich zu sammeln, mein Kopf wurde frei und hell, ich atmete still und gleichmäßig. Und wie um die neugeschenkte Kraft meiner Seele zu prüfen, begann ich den wahnsinnigen, geistigen Kampf, der uns scheiden sollte: »Jetzt endlich verstehe ich dich ganz!« Da war es, als wüchsen Flammenmeere aus der Seele des schrecklich einsamen Mannes. Seine Blicke lächelten, aber ich wußte nicht, ob es ein trauriges oder höhnisches Lächeln war. Doch klang es mir unendlich überlegen, als er nun antwortete: »Du? – mich?? – Und doch wäre es entfernt möglich, denn du bist ja ein Atom Seele von mir. Der Gedanke, der mich durchzieht, durchleuchtet im gleichen Augenblicke auch dich schon vielleicht! Sag! Woran denkst du?!« Ausgebrannt da mein Hirn. Leere flammensuchende Leere in mir. Ich war nicht mehr ich selbst, nur der fleischgewordene Wille dieses Mannes. Und ein grüner Glanz jagte durch mich dahin, wie ein Sternensegler auf den Ätherwellen der Räume, - 25 -
jede Ganglie meines Gehirnes füllte er aus und war ein seltsamer Herrscher im ronsaale meines Geistes. »Ich denke an – an – –« Der Blick leuchtete kalt zitternd ja, wollustfordernd Welten auffordernd zum Tode der Sinne. Und Bilder rollten in mir vorbei, wie die Schatten auf einer Projektionsfläche. Bilder – die mich – »Du! denkst an –! an –!!!« »An den –« stammelte ich, in den Augen das flirrende Grün von Navajos Blicken. »An –! den –!!« Dann ein wahnwitziger Aufschrei aus meiner gefolterten Seele. Mein ganzes Leben jagte im Flammenstrome dieses entsetzlichsten Geistes an mir vorüber – wirres –– phantastisches Durcheinander –– und dann immer wieder – immer wieder im lohenden Sonnenhall das eine mich selbst zerfleischende Wort: Phantasmagorie!! Phantasmagorie!! Doch der Blick hält fest. Er läßt mich hinabtauchen in die grauenerfüllte, so wahnsinnig nach sich selbst lüsterne Seele dieses Mannes in der die Gestalten schöpfend rasen in unerhörtem Gottestaumel. Und der Blick hä lt fest! ! Dann ein zweiter Schrei – mein Körper schwindet! Langsam sinken die noch lebenden Atome wie feine, weiße Mondfäden in den Weltenraum hinaus, so fein – so silbern leuchtet der liebe Mond. Und – der Blick – hält fest!!!: »Ich denke!! denke!!! an den – – weißen Schacht!« Da ist es heraus. Habe ich etwas gesagt? Ich weiß es nicht. In entsetzlichen Seelenfoltern hält mich die Bestie vor mir fest. - 26 -
»Du dachtest an den weißen Schacht?! Den kenne ich nicht!! Hörst du? Der existiert wohl nur in deiner Einbildung! Lächerlich – hätte ich beinahe gesagt. – Aber weißt du auch, daß ich dich – unsichtbar machen kann?« »Nein – – nein – – ich«– »Ja– –ja– – du –!!« »Ich – habe –!« »Du hast davon gehört! Gewiß! Aber noch eins. Ehe wir scheiden. Die Prüfung, du – du hast sie bestanden!! Als erster!! Denn du allein bist der einzige Mensch, der mich in sich wußte. Wir waren Freunde, sehr tiefe Freunde –– nun werden wir scheiden, uns aber dennoch nicht trennen. Ich habe gesagt, daß du ein Atom Seele bist – von mir. Ich werde dir es jetzt beweisen!! Ihr alle glaubtet, wenn ich von meiner Erfindung sprach, dem Unsichtbarwerden eines Wesens, ich meinte damit die rohe Mißbildung – euren Körper. Ich sage: ihr alle irrtet euch!! Den Körper unsichtbar machen, das ist keine Kunst! Das tut der Tod viel besser, als ich! Ich aber habe deine Seele unsichtbar gemacht und nehme sie nun mit mir in die letzte Finsternis, in die ich nun eingehe, um nie zu dem Irrenhause Erde zurückzukehren. Und dort soll sie – unsichtbar euch erbärmlichen Tieren – leuchten, wie der größte Stern der Sonnenmeere. Dein Körper bleibt hier, um noch eine Reihe wollüstiger Foltern zu ertragen. Du aber wirst sie nicht fühlen, denn du bist ja – Ich!!« Und da geschah das Entsetzliche!! Zum erstenmale, so lange ich ihn kannte – – bewegte er sich. Er stand auf langsam – leuchtend, wie ein gewaltiges Sphärenmonument in die Him- 27 -
mel hineinragend. Der erbärmliche Planet, auf dem wir uns befanden, versank, die Sterne sanken vor dem Glanze seiner Seele zu Boden – und ferne – fern in den wahnsinnigsten Unendlichkeiten brannten ewige, fürchterlich herrliche Feuer! Und noch eine Veränderung ging mit Navajo Connor vor sich. Seine Kleider sanken zu Boden, er reckte und streckte sich in gewaltiger Kraft und zerriß den Ring seiner Phantasmagorien. Noch eine Sekunde schien es, als sei sein Körper noch da, noch wirklich, wie die anderer »Menschen«. Nur eine Sekunde schien es mir so – aber doch war diese Sekunde schon eine Gotteslästerung. Und wie zur Antwort auf meinen Zweifel geschah in den Fernen des Universums ein ungeheurer, erlösender Schrei. Der mein Freund gewesen ‘war Navajo Connor hatte sich verwandelt. Navajo das heißt Messer, hatte sich selbst getrennt und das Körperliche, das Werkzeug, in die Phantasmagorie hinabgeschleudert. Verwandelt war er, o, verwandelt vor sich selbst. Und vor mir stand Sie die Eine – die weißen drei Kreidestriche des Gottes Shiva, des Erdzerstörenden, auf der Stirn, Sie, die ich in meinen Träumen die eine Frau nannte. Das Endigen hatte sie begonnen und geendigt. Das Männliche, das Erdgefesselte, es war verwandelt in die Frau, die ich mein Tat tvam asi,
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das ich bin du, nannte. Ihr Schoß war geschlossen, sie zeugte nicht mehr und kein Außen drang mehr in Sie hinein. Und mit jener Stimme sprach sie nun zu mir, die ich nach meinem Erwachen aus der Ohnmacht gehört hatte, bevor ich Connor kennen lernte: »Du, Werkzeug nur in meiner Hand zum Meister bist du geworden! Von der Landstraße, die um den Äquator des Erdballes führt im Ringe deines Karma, wichest du ab und schrittest ins Dunkle! Nun ist für einen Augenblick dein Dunkel zur Strahlensonne geworden!« »Du Werkzeug nur in deiner Hand – mich ließest du, der dich führen wollte auf seinen Weg und wußtest: Der Weg bin ich! Weggewordener, dein Ziel ist in dir! Und wir lassen uns und schreiten weiter im Dunkel unserer unsichtbaren Seelen, bis auch das Unsichtbare sich selbst unsichtbar wurde!!« »Du, Werkzeugloser, Körperloser – lerne deinen Stolz! Um dich streift das Nichts, und das Nichts selbst ist nichts und nur dein Ich allein ist ewig, ausgeglüht und rein. Böse ist dein Außen und gut dein Innen! Gehe den weglosen Pfad!!« Da ging ich den weglosen Pfad. Um mich war ein dumpfes, allmächtiges Brausen, das durch die schwere, finstere Nacht dröhnte – immer näher schritt – mich in sich aufnahm – endlich mit mir versank. Und da – wußte ich, das Navajo Connor – der Gott selber war!! Ich pflege in stillen, aber deswegen gerade so beredten Stun- 29 -
den, an dem großen Kamine zu sitzen, der die Ostwand meines Zimmers einnimmt und träumend in das zerglühende Feuer zu starren – seltsame Phantasien steigen dabei in mir empor und ich fühle schmerzlich, daß ich in solchen Stunden nur das Werkzeug einer geheimnisvollen, dritten Macht bin. Solchen, für mich heiligen Augenblicken entstammt jenes eigenartig intuitive Erlebnis, das ich auf den vorliegenden Blättern aufgezeichnet habe. Ich gebe es der Öffentlichkeit, nicht, weil ich es auf eine Warnung der Menschheit abgesehen habe, sondern weil ich muß. Der Planet Erde steht im Zeichen fürchterlicher, kommender Geschehnisse, und ich bin der Mund des Rächers nur. Worin diese Geschehnisse bestehen und warum sie gerade jetzt auftreten werden, das ist zwischen den Zeilen dieser – »Novelle« – zu lesen, allerdings nur für die, welche sich warnen lassen wollen. Doch – so, oder – so! ich habe meine Schuldigkeit getan und schließe nur noch mit den beiden, so schwer bedeutsamen Worten: »Caveant moniti!«
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»Die letzte Finsternis«
A
ls der Arzt die letzten, chemischen Untersuchungen beendigt hatte, sah er lange Zeit mit starren, erloschenen Augen vor sich hin. Und mit kalter, unbarmherziger Schärfe drängte sich ihm immer deutlicher das Eine, das Furchtbare auf: Wenn du den letzten Strich unter deine Berechnungen gezogen hast, ist dein Lebensziel erreicht. Es bleibt dir nichts mehr. Die menschliche Maschine hat ihre Schuldigkeit getan. Das war entsetzlich. So grauenvoll alle Nerven zerschwingend, daß er stöhnend in dem großen Lehnstuhle niedersank, der am prasselnden Kaminfeuer stand, und die schmerzenden Augen mit der Hand bedeckte. »Mein Lebensziel –« wiederholte er dabei immer wieder mit gänzlich loser, toter Stimme. Und der matte, einförmige Ton, in dem er das sagte – es klang, als habe einer an weiches, zermürbtes Gehirn geklopft stachelte alle seine Nerven auf, daß er, schweratmend vor innerlichster Furcht, in die zerflatternde Glut des Kamins stierte. »Nun bleibt mir nichts mehr übrig als – zu sterben!« meinte er dann endlich dumpf und monoton, sich selber das Ungeheure, das Unfaßliche eines freiwilligen Todes suggerierend. Und der - 33 -
Gedanke klammerte sich in ihm fest – er saß, wie ein schrecklich aussehender, häßlicher kleiner Dämon auf dem losen Berge Hirn und hämmerte ununterbrochen ein einziges, herrliches Wort: »freiwilliger Tod freier williger Tod!!« »Aber nein –!« heulte da das wirklich Sterbliche in ihm auf, »sterben, – jetzt –? wo du am Ziele aller deiner Wünsche stehst? Sterben?! Feigling! Feigling!« Helle Flämmchen spritzten im Kamine, schienen sich zu heben zu ungeahnten Weltenfernen, wie die Protuberanzenfackeln einer Sonne an ferne, fremde Sterne streifend. Und der Arzt sah tief hinein in das brodelnde Zerlodern der Sonnen, die vor seinem Inneren kreisten: »Wenn Ihr zeugt, dann muß die Eine von Euch untergehen, um in der Anderen zu einem großen Sterne wiedergeboren zu werden! Wir sind wie die Sterne, selbst wir Menschen! Und aufgehen muß auch ich in der zweiten Macht, ganz verschwinden von der Erde, um mich im Unbekannten wiederzugebären. Ja, ihr starrt mich furchtsam an, mich, der ich euer Geheimnis ergründete. Ihr ahnt es schon, ich werde euer ›Ich‹ sein, in euch lebend, als euer Herrscher! Fürchtet nichts so ist das Gesetz des Alls!!« Aber die Sonnen winkten grell auflachend zurück und hüllten den leeren Raum, der zwischen ihnen und dem Arzte gähnte, in leere – tote Finsternis. In leeres Nichts … In der Nacht – als grelles, weißes Mondlicht auf das Gesicht des einsam Ruhenden fällt richtet sich dieser mit stammelndem Munde auf, greift irr tastend ins Leere, blickt mit unendlich gierenden Augen auf ein ungeheuer wollüstiges Wesen. Das kauert regungslos vor ihm – ein kleines, leeres Nichts – im toten - 34 -
Räume. Er atmet wild und erregt wie nie in seinem Leben eisig kalter Schweiß rieselt von seiner Stirn, die Augen glühen, wie zerwehte Sonnen im Raumnebel geballt. Aber der Mund stammelt immer noch o so sonderbare Worte – so ganz fremde, die der Herr über Leben und Tod oft die Menschen sprechen hört, in der einzigen Sekunde der letzten Lust. Und das kleine, leere Nichts im toten Räume lächelt, so grausam wollüstig, wie der Arzt noch niemals ein Wesen lächeln sah. Sein Körper wird zu einem einzigen, wehenden Zerzittern, – er fühlt nicht mehr den jagenden Tanz seiner Sinne, fühlt, weiß auch nicht die wahnsinnige Lust, die ihn gierig bis zum letzten Atome erfüllt: er sieht nur eins – das liebe kleine – leere Nichts im toten Räume. Plötzlich zerreißt das All vor ihm in zwei Hälften. Gelb wallt es auf ihn zu Sonnenferne Blitze zerlachen das Gemach, er sinkt in wohltätige Weiche und fühlt nun nur noch das Eine: »Mein Lebensziel ja, mein Lebensziel!« und dann: »Das ist ja gar kein Nichts! Bin ich nicht das Nichts oder ist das Nichts Ich?! Und vielleicht mein Ich und Nichts, ist das erst wahres Nichts?!! Wer kann das wohl wissen!« Und wie er leise ganz leise in die große Ferne hinüberdämmert, kommt es noch einmal so traumhaft schwer: »Ich habe dich ja so lieb, du große unbekannte – unsichtbare Ferne. Und du hast Du! Mein Lebensziel! O ja, ich möchte es wohl noch einmal ergründen, vielleicht in der großen, unsichtbaren Ferne! ja ergründen, mein Sohn!« Am anderen Morgen findet ihn der Student im Bette sitzend - 35 -
weiß und ernst, wie das Marmorstandbild des Kaisers Mnemos, der auf goldenem Stuhle sitzt, mitten in der Quelle des Nils auf dem höchsten Gipfel der Mondgebirge. Und der kommenden Zeiten wartet, da die Erde in den Sirius strömt … Lange Zeit stand der junge Mensch vor dem Toten, den er tiefer und heißer geliebt hatte, als man sonst seinen Vater zu lieben pflegt. In stummer Erstarrung stand er vor dem Manne mit den weißen, königlichen Zügen. Er weinte nicht – er trauerte nicht. Es war in ihm nur das Gefühl einer einzigen, tiefen, reinen Freude, der reinsten vielleicht, die das Leben birgt. Er sah in die Augen, welche groß und still in die seltsame Leere blickten und nicht gebrochen waren. Die ahnten schon, daß die Illusion im langsamen Versinken war daß die Phantasmagorie des ganzen Raumes der grausame Traum des schweren Dritten ist, der uns alle lodernd zerträumt uns. die wir doch er selbst sind! Aber noch eins sahen diese ungebrochenen Augen das. was für den Studenten das tiefste Problem war: welch ein tief berauschender Genuß doch eigentlich der Tod selbst. Irre Flammen brannten da vor dem Einsamen auf. der stundenlang versunken an der Leiche gestanden hatte. Den letzten Rest taumelnder Gedanken und Wünsche schüttelte er ab und trat in das Nebenzimmer. Das Laboratorium. Ein niedriger, phantastischer Raum, mittelalterlich fast. Gläser, Retorten, Bücher, Kochherde, Manuskripte. Instrumente überall. Hingestreut, wahllos fast. Und doch jene Ordnung, die das Chaos sammelt. Überall eine lauernde, gierige Stille ringsum, die frierend in die Gedanken des Einsamen wie eine Schlüpfrige, glatte Schlange züngelte. - 36 -
Er trat an den großen Tisch, an dem der Vater am Abend zuvor experimentiert hatte und sah über die Kolben und Flaschen die dicken, aufgeschlagenen Bande, die stillen Maschinen mit gleitenden Blicken hinweg. Sein Blick wollte nichts erfassen, nichts fühlen von dieser Welt, die der teure Tote geschaffen hatte und sah doch alles. Das war ein schrecklicher Schmerz für den stillen Mann. Die Augen schloß er und bedeckte sie zitternd mit der Hand. Aber die leere Dunkelheit, in die er nun sah, zeigte ihm dennoch mit brutaler, kalter Grausamkeit dasselbe Bild. Wild stöhnte er auf, beherrschte sich aber dann langsam wieder und zwang den Blick mit einer fast perversen Selbstzucht im Raume zu verweilen. Und die große, sanft plätschernde Stille schlug wie kaltes flüssiges Metall in sein Gehirn. Er trat an die Schränke, vollgepfropft mit Büchern und beschriebenen Blättern aller Art und begann wahllos zu lesen, nur, um die wie irre Meteore jagenden Gedanken zu betäuben, die sein Hirn restlos erfüllten. Die Buchstaben wurden vor seinen Augen zu Rauchschwaden, die langsam und still in ätherklare Höhen stiegen. Tiefer schweifte der Blick. Da lag auf weißem Marmor, gierig von Flammen umleckt, der teure Tote sah mit stillen Augen sich selbst verschwinden in der Unendlichkeit des Raumes. Nein! Auch damit war es nichts. So zwang man sich nur noch tiefer in den Wahnsinn der Gedanken. Er wollte rauchen aber die Rauchwolken formten immer wieder ein einziges, stilles Gesicht, daß er zitternd vor Erregung die Zigarette fortwarf, die er - 37 -
eben angezündet hatte und an den großen Tisch trat, um den Gedanken frei und losgelöst Raum zu geben. Da lag ein weißes Stück Papier, mit nur wenigen Zeilen beschrieben und auf demselben stand ein rundes, unscheinbares Fläschchen, das eine hellgrüne Flüssigkeit enthielt. Der Student hob es empor und hielt es gegen das Licht, daß die jungen Sonnenstrahlen ein Meer schimmernder Reflexe in sein Auge warfen. Und wie seltsam? War das wohl ein Zauberwasser? In diesem winzigen, grünen Meere rotierte das ganze lebende Weltall in flammenden Visionen um eine strahlende, seltsam flimmernde Zentralsonne, die einen süßen, geheimnisvollen Schmerz durch seine Nerven stach. Er sah länger und länger in die Unendlichkeit dieser schillernden Farben und fühlte eine so tiefe, wohltätige Wollust, wie er sie noch nie geahnt hatte. Doch plötzlich jäher Schreck. Weit – weit die starren Augen aufgerissen sah er in das lodernde Flammenmeer dieses Zentralgestirns, fühlte sein Blut, sein Leben zu Stein erstarren unbewußt in tiefe Meditation versetzt: Das war nun keine Sonne mehr, die warme Lust in sein Herz goß, war kein Zentralgestirn, das dem rollenden Weltall in ewig neu sich zeugender Alliebe die Waage hielt war ein kalter, weißer Totenschädel in der Faust Shivas, des Erdzerstörenden. Und zum erstenmal sprach es in ihm: Flieh’ aus der wahren, toten Existenz in die Leblosigkeit des Sich-selbst-nur-schauens, flieh’ aus der gehirnzermürbendcn Glut der Phantasmagorie in die reine Kälte der Endigung! Om! mani padme hum! sagte eine Stimme aus schmalen, farblosen Lippen, die zu einem faltenlosen Bronzegesicht gehörten, - 38 -
om, mani padme hum! sprach er es leise nach und fühlte im halben Dämmer seltsam wissend: Ich bin wach! Bebend versinkt sein Blick in sich selbst. Er selbst hat den Schleier zerrissen mit kühner, wagemutiger Hand – er muß nun leiden – leiden bis in die Wunschlosigkeit hinein. Und doch eins! Ist ihm nicht das Leiden der reinste Genuß? Er hält den zitternden Gedanken umkrampft, preßt sich an seine herbe, warme Brust. Jetzt – habe ich dich!! Ja! Jetzt habe ich dich!! Nun entrinne mir nicht mehr, du ungelöstes, und doch in dir selbst gelöstes Rätsel! Kleiner, erbärmlich kleiner Weltallsgedanke, der im Hirne meines Vaters entsprang – in mir wurzelst du jetzt, in mir, der dein Sklave werden sollte, dein Herr aber wurde im einen Om! mani padme hum! Mein bist du jetzt! Ewig ganz mein! Sprang auch deine Seele im zitternden Umfangen – ich halte dich klammernd in mir selbst umkrampft – und nie – nie sollst du mir mehr entrinnen. Die Flasche steht wieder auf dem Tische. Grinst tückisch in lauerndem Unterlegensein hinüber. Aber – er lacht! Ein lautes, befreites Lachen, das ihn durch ein nunmehr ganz befreites Eigenleben schwingt. Und dieses Lachen – entsprang es nicht mir? lacht die kleine Flasche –: das liebe, kleine, leere Nichts. - 39 -
Du selbst in mir –! in mir entsprangst du, leeres Nichts! lacht das neue Lachen stärker! Wehre dich! Wehre dich!! Zerrinnend loderst du in meinem Hirne und kein Sonnenzentrum schwingt seine Kreise von mir in dich hinüber. Du – wurdest zu mir selbst!! – Auf dem Tische liegt der weiße Bogen. Wenige Zeilen nur. Vielleicht zwingend. Gewaltiges kündend! Der Student tritt an den Tisch heran, nimmt das Blatt in die Hand. Hier: »Unfehlbares Mittel sich auf schnellstem, schmerzlosestem Wege in das Große Unsichtbare hinüber zu befördern. Wohl bekomm’s dem Gläubigen! Ich meinerseits erwähle einen anderen, besseren Weg!!« Langsam ganz langsam läßt der Student das Blatt mit den sonderbaren Worten sinken und starrt über die schwarze, koboldhaft grinsende Schrift in die Leere. Und der gespannte Blick ruht auf dem grünen, kleinen Fläschchen, das jetzt so ganz, ganz anders aussieht, als zuvor. Und seltsame Gedanken malen sich in seinem Hirne er sieht die Menschen eine lange, weiße, grell beleuchtete Straße hinabsteigen in die lachenden Täler – und seinen Vater über ihnen schwebend in eherner, bewegungsloser Majestät. Und aus den Klüften ringsherum klingt kicherndes, verhaltenes Lachen –, wie von – grünen – kleinen Flaschen. Er blickt wieder auf das Blatt. »Wohl bekomm’s dem Gläubigen! Ich meinerseits erwähle einen anderen, besseren Weg!!« - 40 -
Da überkommt ihn ein jäher plötzlicher Grimm. Er schleudert das Papier mit den koboldhaft grinsenden Buchstaben zur Erde und tritt mit den Füßen darauf herum, bis er sich seiner Jungenhaftigkeit schämt und ruhig wird. Wieder überlegt er – tief sinken seine Augenlider herab – seltsam starr wird sein Körper. Als er den Blick zu der Flasche hebt, tanzt das kleine, gläserne Ungetüm frohlockend auf dem Tische und zeigt zu dem Papier hernieder. Da lacht er schneidend auf: »Du willst also –?!« Halt –! Klang da nicht ein feines kicherndes: Ja?! Sonneschwärme tanzen vor seinen Augen und das Gefühl schrecklichsten Verlassenseins schnürt seine Kehle zu. Er wendet sich um und erblickt durch die offene Tür den Toten im Nebenzimmer. Groß und offen die erstarrten Augen. Da sammelt sich in ihm eine unnennbare Angst. Das Höllenungetüm auf dem Tische – die grüne Flasche reißt er an sich, daß Papier steckt er ein – dann mit flatternden Händen die Tür aufgerissen und auf den Gang hinaus. Aber mit leise tastenden Schritten kommt er in das Zimmer zurück und seine irr brennenden Augen scheinen den ganzen Raum zerfluten zu wollen. Er hebt die Flasche gegen den Toten hoch und sammelt all seine Kraft in dem letzten, stählernen Entschlüsse: - 41 -
Ja! Ich will! Aber nicht, weil du willst – – sondern – weil – ich will!! Ja – ja – so heißt es – weil ich will!!! Und dann kommt die Nacht. Aber der Schlaf, der sich sonst immer so weich auf ihn gesenkt hatte, wenn er unter schweren, seelischen Depressionen litt, – wollte nicht kommen, nicht kommen. Seine Sinne flogen taumelnd, wie irre nachtschwere Wolkenschatten über Hügelkronen in die schmerzende Unendlichkeit des Willenlosen – daß er verkrampft sich immer tiefer in sich selbst verirrte. Und er sah blutheiße, wilde Bilder in seinem Äther kreisen. Fahle Lichter warf die Nacht in sein Zimmer. Und alles wurde dunkler und schmerzlicher – nichts sah er mehr, als die große, leidvolle Stille, die in hämmernden Rhytmen fremd und feindlich an seine Sinne schlug. Er glaubte zu leben – doch er lebte nicht, zu träumen glaubte er wohl, aber das war kein Traum mehr. Sein Ich war in einer brausenden Leidenssymphonie zerflossen –– er empfand eine göttliche Gier nach fremden Wünschen, die er nie ganz ausfühlen konnte. In seinen Schläfen sang in grell zerrrissenem Zerfleischen ein wahnsinniges All hell und sehr einsam, wie das teuflische Lächeln der Sphinx von Gizeh im Bannkreise der schrecklichsten Sonne. Nichts ließ ihm dieses All von seinem Ich, es riß ihn tief hinab zu sich und lachte in kalten Strahlen: Jetzt – ja, jetzt bist du mein! Ichall geworden im versunkenen Ich–bin–Du! Ein letztes Wehren schrie verzweifelt in ihm auf. Bäumte sich, streckte sich gegen sein zerfleischtes Gelüst und war doch - 42 -
auch schon krank und seltsam. Aber stärker schwang – und zog die Angst in ihm. Ja Angst! Angst. Da hatte es ihn, das rechte, das schreckliche Wort. Kalt und frierend lag er und schämte sich vor seinem eigenen Leben. Doch abermals lachte es wild und grausam: Du halst die nackte Wahrheit! Angst ist deine Scham vor dir selber – Angst vor deiner eigenen Wahrheit. Scham – du TierMensch!! Das Dunkle, Schwere war nun ganz in Ihm. Hielt fest. Hielt mit klammernden, ehernen Fausten. Das Blut wallte brandend durch seine Adern bis es in einem plötzlichen Stillstande sich versammelte und ihn lodernd in den Taumel schlug. Urplötzlich wurde er still und o so kalt. Licht will ich! Licht!! schrie es verzweifelt. Und klar und dumpf fühlte er: dies ist das Schwerste. Nun mußte das Eine kommen, nach dem er durch all die tausend Leben hindurch vergebens schrie … Nordpolklar schlug der helle Schein in den hohen, ernsten Raum. Aber nur Sekunden lebte die Welle für ihn , die tastend in die fernsten Ecken – plätscherte dann versank alles andere vor seinen Augen in Nacht und nur der tanzende Lichtkreis stand in seinem Gehirn, das bis in die letzten Winkel vor sengender Qual ausgetrocknet schien. Und seine Augen schrien auf . Weit und gläsern starr rissen sie sich durch das brandende Weiß, versanken dann in verhüllter Schwere. Sein Gehirn brauste verzweifelt und wußte nun endlich ganz erwacht: »Das – ist das liebe, kleine – Nichts, das meinen Vater – –« - 43 -
Auf dem Tische stand – dicht neben dem Lichte ganz in weißes Lichtschweigen getaucht – die grüne Flasche. Stand grinsend auf dem weißen Bogen Papier, der mit wenigen Worten beschrieben war – – stand da und toste triumphierend: Das Tor bin ich. Das Tor bin ich! Da fühlte er: ich muß! Ruhig, ganz, ganz ruhig kleidete er sich an –– zündete mit eisigen, erstarrten Händen eine Zigarette an, deren Rauch er gierig und still verzweifelt verschlang. Ein großes Wissen war in sein Hirn geschrieben. Die Flasche grinste: ja! du!! mußt!!! Plötzlich lag sie in seiner Hand. Eine andere Hand kam leer und gefühllos hinzu drehte den Korken ab – ließ ihn hinabrollen in die Finsternis. Eine Stimme sprach: jetzt ist die Pforte geöffnet. Noch trat er nicht ein. Eine zweite Stimme sprach, hastig, übereilt, wie diese zweite Stimme immer spricht: Warum? Wozu der Gang durch diese Pforte? Vor dir liegt ein sonnenüberglänztes Leben! Vor dir liegt die Lust und der letze Genuß im Schöße der Tigerin! Und Gott will nicht, daß du stirbst! Nicht dir gehört dein Leben!! Es gehört der Menschheit! Der allumfassenden Menschheitsseele!! Kein Lachen! Der Schwache lacht! Aber ruhig, wie eine mathematisch sichere Feststellung: Die letzte Brücke ist einge- 44 -
stürzt, die noch ins Diesseits führte. – – »Wer ist Gott!!« Und der Raum schwieg. Der Student aber schien zu wachsen – er wuchs empor zu sich selbst, bis er den letzten Gipfel erreichte: »Wer ist Gott – wenn nicht ich!! In wessen Seele lebe ich, wenn nicht in meiner!! Wer ist der Schoß der Tigerin – wenn nicht die einmal nur offene Pforte?!! Du hast den Kampf verloren, fremde, nie mir verständliche Macht! Im Nirwana aber hat sich der Geist meines Vaters geregt und langsam töte ich sie ab, die fremden Wesen um mich her, und folge ihm! Dies ist die letzte Existenz!« Die Flasche grinste teuflisch – ein wahnsinniges Grinsen. Grün war ihr Klang, der taumelnd wie der leise zersprungene Duft von Opium in seine Nüstern gierte. Tief sog er ihn in die Lungen: es war der Duft der Heimat. Wenn es eine Antwort gab, auf die Frage der tausend Leben nach dem Grunde des Seins, dann konnte er sie sich selbst nur geben! Da lachte der Raum wild und befreit. Erlöst! endlich erlöst von unwürdigen Ketten! Du gabst mir rechte Antwort! Der Student nimmt das Papier vom Tische. Langsam liest er und klar: »Komm! und denke nicht. Dich ruft die jäh verschollene Wahrheit aus dem Leben der vierten und letzten Dimension. Sei der Erste und Einzigste, der mit wac hen Sinnen ihre Weisheit sieht. Lüge ist die Erde – Lüge ist der Gott der Erde. Dich aber - 45 -
adelte das Blut des Erkennenden, der dir vorauf ging. Komm! und denke nicht. Dich ruft dein einer Vater.« Jäh und blutheiß schlägt es über seine Züge. »Ja!« schreit er auf im ergründeten Verstehen, in der letzten Stufe der Extase stehend. Die Flasche hängt an seinem Munde, an allen Fasern bebend in ungeahnter Glut. Küßt ihn heiß und durstig. Beißt!! Zerfleischend!!! Leise tröpfelt warmes, wollüstiges Blut. Und – er trinkt – – Seltsame Klarheit durchleuchtet sein Leben. Alles ist wach und weich – und so still. Ist das denn Leben? fragte er sich träumend und greift nach der Stirn, aus der aller Schmerz entschwand. Doch selbst die unbekannten Stimmen schweigen. Und eine losgelöste Ruhe schwingt über ihm und endlich in ihm. So leicht – so – so – Langsam sinkt er in die weichen, weißen Kissen. Nur die Gedanken liegen lind und lose in seinem Hirne – fleckenlos, wie lachend enthüllte Schmetterlinge, schwingen sich auf zu fernen, nie gekannten Gestaden. Und er sieht – und sieht –. Plötzlich steht eine blutrote Schrift in fernen Räumen: - 46 -
»Hier beginnt das ureigentliche Leben erst. Der Star des ersten Auges ward gestochen und du siehst, selbst noch in der dritten, in die vierte Dimension hinein.« Wo habe ich das wohl gelesen?! Ruhe!! Berge und Schluchten. Dunkelheit ringsum. Schreie in der Ferne. Irgend ein rätselhaftes Leid schwingt in der Atmosphäre, ein unnennbares. Und Stimmen wälzen sich näher. Augen leuchten in die Nacht hinein. Aufgereckt, auf den Schneegipfel des Ghan–Tengri droht der starre, monumentale Kopf mit den leblos grausamen Zügen, wie ein graues Bergeshaupt. Feuer schlägt aus den Nüstern, wirft fahlen Schein über die Landschaft. Was das wohl sein – Blitze durchzucken die Schwärze. Die Stimmen immer näher und die schmerzenden Schreie aus der Ferne. Steinerne Wege führen gezickzackt zu dem Schneegebirge, auf dem der Kopf thront. Und die Wege sind das Riesenbild einer Swastika, welche die Formel umschließt: »Om! mani padme hum!« Alles ist so seltsam. Und die Menschen in den phantastischen, zerschlitzten, flatternden Gewändern heben die Arme empor und brechen in ein einziges, lautes Schreien aus, sinken in die Knie, blicken empor zu dem Haupte mit den bewegungslosen Zügen und den Augen, die in der Nacht leuchten. - 47 -
Warum schreien diese Menschen? Doch das Haupt schweigt. Das im Munde eingefrorene, ewige Lächeln sieht unverändert über die Menschen hinweg, die vor ihm knien, atemlos die Hälse gereckt, die vor Erregung flatternden Arme hoch erhoben: »Om! Wir nehmen unsere Zuflucht zu dem Vollendeten! Wir nehmen unsere Zuflucht zu dem, der antworte, den Fragenden! Om!« Doch es scheint – als wolle er nichts sehen. »Antwort! – Antwort!!« schreien die Menschen, ihre Gesichter werden zu häßlichen Fratzen, Schweiß läuft über ihre Gesichter und zieht schmutzige Bahnen. Stumm starrt das Monument über den Lärm hinweg. Wie der ewig lächelnde Goldbuddha in Osaka. Die Menschen stehen auf. Stumm vor vergehender, zitternder Scham. Stumm vor plötzlich aufspringender, nervenwunder Wut. Stumm vor zügelloser Vernichtungswut. Sie sammeln sich um Einen, dem ein dunkles Drittes die Worte gibt. Gierig horchen sie, wie er mit verzerrten Zügen brüllt: »Antwort? Antwort?!! Er kann ja garnicht antworten! Er ist ja stumm! Er ist taub! Taub und hört euch nicht und spricht nicht zu euch! Blind ist er und sieht nicht euer Leid –« Einen Augenblick scheint es, als lächle der Kopf auf dem höchsten Gipfel des Ghan–Tengri stärker. Doch es scheint nur so. Er ist bewegungslos wie ein Stein. Ein Stein – An ihm vorbei rollt der Lärm und der Sturm. An ihm vorbei - 48 -
heult das Leid und das Gebrüll der Feiglinge. Die Augen hat er restlos in sich selbst gesenkt und sieht und hört nichts vom Außen. Er ist der Stein, der ewig in seine eigene Tiefe stürzt.
Über ihm verbrandet die See, der Tummelplatz der Milliarden Wassertropfen.
Die Menschen stöhnen und heulen. Sie wollen den Gipfel des
Ghan–Tengri stürmen, aber der weiße Tod hält sie auf. Leblos lächelt über ihnen das Monument.
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Ich aber weiß eins: Wenn er auch antworten wollte – er darf es nicht. Vielleicht schließt ihm seine Seele den Mund. Vielleicht ist der Lärm des Außen zu stark für ihn, als daß er den Sinn der Frage bis in die Schneehöhen hinauf verstünde. Vielleicht. Wo habe ich das nur gelesen – –? Ruhe!!! Die Sonnenstrahlen lachten in das Zimmer, trieben den qualvollen Ernst der Nacht aus den schweigenden Räumen und leuchteten mit lieben Augen in alle Ecken, um die Schatten zur Ruhe zu jagen, die nur widerwillig weichen mochten. Nur über eine Stelle auf dem Fußboden glitten sie rasch und ängstlich hinweg, als fürchteten sie eine Berührung mit Mächten, die stärker waren als sie. Scheu und verstört huschten sie, in seltsamem Nicht–verstehenwollen. Auf dieser Stelle des Fußbodens lag eine grüne, zerbrochene Flasche. Und die Scherben lachten triumphierend – dämonisch – in unbegreiflich starrem Todestaumel. – – Heller Mittag war es, als der Student erwachte. »Bin ich tot?« war das erste, was er denken wagte, als er die Augen aufschlug und im Zimmer umherblickte. »Ich bin nicht tot!!« lachte seine Seele froh und schwang sich in goldene Sonnenströme, wie zu neuem Leben erwacht. Aber doch blieb ein geheimes Etwas in ihm zurück, das sich - 50 -
gegen dies unsagbar schmerzliche Erwachen zu neuen Lüsten und Leiden sträubte. Ein dumpfer Schmerz brannte in seinem Hirne, der von der vierten Dimension sprach – der von kleinen, grünen Flaschen erzählte – der an schwere Träume erinnerte, die noch immer in ihm ihre Dünung rollten. »Unsinn!« dachte er ärgerlich und nun wieder ganz in die »Wirklichkeit« zurückgekehrt. Er wollte dies befreiende Wort mit heller, klarer Stimme ausrufen, sein inneres Mahnen zu betäuben. Er öffnete den Mund – aber wie sonderbar! Kein Laut durchzitterte das Zimmer – und – er hatte doch gesprochen! Laut! Sich selbst zu sich selbst zurückzurufen. »Sonderbar –« dachte der Mann und sah in geheimer Angst mit weit geöffneten Augen in die flutende Helle. »Mein Ohr ist leer und vermag nichts zu fühlen. Ich bin noch betäubt vom schweren Schlafe.« Aber gleich darauf nahm er wahr, welche lähmende Stille im ganzen Zimmer herrschte. Und auch von der Straße, wo doch längst das Leben brandete, drang kein einziger, armer Laut. »Ich bin taub –« fühlte er unklar ein schmerzendes Dämmern in sich anwachsen. Aber gleich darauf schlug er die Gedanken in wütender Angst von sich fort: »Taub?! Gelähmt ist der Sinn durch den schweren Schlaf!!« Doch die Angst kroch wie ein ekelhaftes Reptil in sein Gehirn und hielt ihn in zerberstendem Wissen fest: »Du betrügt dich selbst! Wozu sich der Wahrheit verschließen? Früher oder später wird sie dich ja doch donnernd zerschlagen im Brandungsfeuer deines Gehirnes! Du bist taub! taub!!« - 51 -
Und nun nur noch Angst! Schreckliche, hirnzerfleischende Angst, die alles Leben vernichtet. Kein Mensch mehr! Leeres, totes Nichts, dem die eine Welt verschlossen ist. Unfähig, noch Musik zu hören, unfähig das Gestammel eines hingegebenen Weibes zu verstehen, unfähig, sich selbst zu hören und sei es im Gebet. Und der Tod warf ihn aus – zerschlug ihn in sich selbst! Er nahm den einen Sinn und bedroht vielleicht auch die anderen. Wild und verzweifelt schrie es in seinem Hirne auf doch abermals kein Laut, der die lastende Stille zerriß. Da fühlte er es ganz, das Unfaßliche. Es war eine Steinigung. Die Arme hob er hoch in verzweifelter, besinnungsloser Wut: dann zerschmettere ich mich selbst, wenn das Mittel versagte! Aber wie sein Blick auf die weißen langen Hände fiel, die verkrampft in atemloser Hetze auf seine Stirn zu rasten – – erstarrte er innerlich, ohne doch eigentlich zu wissen warum. Es war ein dumpfes, inhaltsloses Erstaunen. Er sah, wie das Licht durch seine Glieder schien ––– Das in Sekunden. Jetzt mußte der tödliche Schlag ihn treffen, die Stirn, zwischen den Augenbrauen. Die Lippen aufeinander gepreßt, die Augen geschlossen, dachte er dem Wahnsinn entgegen. Seine Bewußtseinsfähigkeit lähmte sich sekundenlang in krampfender Gier des Gehirnes. Jetzt mußte es kommen. - 52 -
Das leere, kleine Nichts – das liebe Nichts, das den Vater schon – Das unfaßliche Schöne das Ungeheuerliche – Doch es war ein Anderes da: Leicht, silberleicht ein unberührter Hauch – glitten die geschlossenen Fäuste durch seinen Kopf sanft fühlte er sie wie unaufhaltsam flutendes Wasser durch das Gehirn rinnen – aber es schmerzte nicht. Und auch der Tod, der so tief und heiß ersehnte, den er sich als bewußt– und bewegungslose Dunkelheit dachte, dieser trotzige Tod wollte nicht kommen. Irgend etwas in ihm war eine unübersteigbare Schranke für diesen Tod. Was, das wußte er freilich nicht. Aber irgend etwas – – ob – – vielleicht – – Ja! Vielleicht! Ja! Ja!! –: die grüne Flasche!! Der einzig erlösende Gedanke, der ihn nun so sonnig durchleuchtete – dieses einzige Gefühl, dem plötzlich und unverständlich weshalb alles zermarternd Schwüle fehlte. – – Die grüne Flasche war schuld!! Das mit nur wenigen Sätzen beschriebene Papier war schuld: »Der Star des ersten Auges ward gestochen, und du siehst, selbst noch in der dritten Dimension, in die vierte hinein.« Da wurde er ruhig. So ruhig, wie er noch nie in solchen tief und bedeutsam entscheidenden Augenblicken gefühlt hatte. Er dachte an seinen Vater, der ihm dieses neue, reine Leben geschenkt hatte – er dachte an die gestern noch so grausam grin- 53 -
sende grüne Flasche und unbewußt empfand er das Symbolum, das ihn gestern und heute begleitet hatte. Schien der Tod immer so brutal und grausam, bevor er wirklich da war? Den Gedanken auszubauen hatte er keine Zeit, denn schon war das Erinnern da, an die Träume, die ihn in seinem Verwandeln begleitet hatten –– nun ahnte er es wohl, daß ihn der berauschende Saft leise und sanft hinübergeflutet hatte in die vierte Dimension. In seinem Innern lachte ein geheimes Etwas. Aber die Glut unterdrückte er, die abermals in ihm aufkochen wollte, wild und zügellos. Er freute sich, daß er seine Glieder nicht fühlte – daß er so rein und so hell war, wie die Sonnenstrahlen, die auf dem Boden und in allen Winkeln lagen. Daß er sehen konnte – sich selbst und alles, und doch wahrscheinlich selbst nicht mehr gesehen wurde, weil er so fein, so ätherisch fein war, wie kein Wesen, das von der Erde lebte. Nun wollte er aufstehen und sich ankleiden. Aber da er dies dachte, stand er auch schon neben seinem Lager. Sah, wie die Kleider seinen Körper bedeckten, fühlte, wie eine ungebändigte Lebensfreude durch alle Glieder strömte. Seinen Sinnen so ganz wahrnehmbar, daß er einen Augenblick voll die seltsame Lust des Ausgeruhtseins empfand. Die nächste Sekunde gab ihm fassungslosen, noch unterbewußten Schreck. Er fühlte – und seine Sinne empfanden. – Wie früher. Feiner wohl und vergeistigter. Aber empfanden doch! Und heimliche Ahnungen kamen lautlos herbei, legten sich lauernd um ihn, wie Schakale um ein einsames Lager in lebloser Wüste. - 54 -
Als er den Kopf wandte, um zum Fenster hinauszublicken, überholte ihn plötzlich Einer und riß sein Herz wie einen Gummiball zusammen. Eisig. Der Blick wollte los von der fürchterlichen Stelle, an der er gebannt lag aber er konnte nicht los. Eine schreckliche Gravitationskraft zwang ihn fest. Sein ganzes Sein krystallisierte sich strahlenförmig um einen einzigen Punkt, in dem sein Gehirn gefesselt lag – leer und ausdruckslos – –
Auf dem Lager, das er eben erst verlassen hatte – lag Er selbst in stummer, marmorner Todesmajestät. Leichnam. Tot und kalt. Die Straße. Leuchtende Sonnenglut brandete auf den weißen Steinkolossen, die brütend im fahlen Grauen des Mittags liegen. Und eine fast unwirkliche Schwüle brennt die Gedanken aus den Hirnen aller Menschen, die bei der Arbeit sitzen und schaffen wollen, und nicht können. Der Student fühlt nichts von alledem. Er schreitet mit leichten Schritten durch die Straßen, schwebend fast. Und unsichtbar geworden – sieht er erst das wahre, wirkliche Leben. Ein Vorhang ist gesunken, der unzählige, grausame Leben lang vor seinen Sinnen lag. Er fühlte sich selbst schwingen im unendlichen Lichtäther, im Tanze der Planeten um ihr Zentralgestirn. Er selbst ist in der Sonne, im - 55 -
Universum. Und ist Gott und Leben zu gleicher Zeit. Dieses Wissen um das unnennbare Köstliche eines alleinigen Seins macht ihn so leicht und frei, daß er den seltsam unwirklichen Zustand, in dem er sich befindet, als eine Lust empfindet, wie sie die Sinne selbst niemals geben können. Keine Rätsel mehr! Kein Sinnen und Raten mehr! Wissen allein. – Wissen um das eigene Sein! Ja, es ist wahr für ihn: Mit diesem unendlichen Wissen darf er für die Menschheit nicht sichtbar werden. Warum, das ist in sich selbst beantwortet. Frei und leicht wandelt er dahin. Er fühlt sich nicht, aber er sieht in unnennbarer Lust, wie sich sein Leib mit dem schwingenden Äther vereinigt, sieht, daß er durch sein Bewußtsein nichts als manifestierter Äther ist. Kein Mensch ahnt seine Gegenwart, die in leuchtender Allmacht alles so scheinbar Permanente durchdringt. Und doch ruht ein heimlich grausamer Gedanke in ihm. Einer, der nur manchmal aufschwingt, dann aber grell brüllt, wie das Licht veränderlicher Sterne. Der Student ist dann ganz gekreuzigte Angst und in seinem Gehirne fackelt es eingehämmert: Deine Sinne leben noch, jetzt noch dämmern sie fern in ruhigem Schauen. Aber wehe, wenn sie aufbrausen und die wahnsinnig gewordene Forderung zur höchsten Lust in die Räume hinausschreien. Es gibt keine Erfüllung für ihre kehleerdrosselnde Gier. Denn sie können nicht mehr an anderen Sinnen haften. Sie können nicht rasend wie ein Feuerschwert sich einwühlen in das Tor unendlicher Sehnsüchte. Sie können nur in sich selbst verbrennen! Langsam wächst das Grauen in ihm auf; hebt sich fahl und dämonisch triumphierend in ihm: - 56 -
Wir haben dich! Ewig! Wir halten dich!! Du kannst nicht entrinnen!! Gequält vor sich hinstierend in den leeren Raum, bleibt er stehen. Der helle Mittag ist für ihn zur Nacht geworden – die Lebensfreude ist tot, nur das endlose Grauen blieb und brüllt im Wahnsinn. Seine Seele wimmert irr wie ein Kind und malt sich ein wundersüßes Frauenangesicht. Der Student eilt nach Hause. Hat kaum gedacht, so steht er in seinem Zimmer, in dem starr und kalt sein eigener Leichnam ruht. Könnte ich dich erwecken! denkt er, innerlich zitternd. Die dämonische Stille aber verschlingt den Wunsch und hält ihn mit Krallen, die nichts mehr hergeben, was sie einmal umfingen. Sie holt sich die Freunde herbei und nun beginnen die drei: die Todessehnsucht – die Angst, und sie selber, die grausamste aller Feindinnen für den jungen Geist, ihr finsteres, fürchterliches Werk. Sie rühren die Seele des einsamen Mannes tastend mit geilen, gelben Armen auf –– daß sie schreiend sich in das schon langsam dünende Meer der Sinne wühle, das schließlich im Orkane donnert und sich in einem einzigen, herrisch fordernden Sehnsuchtsschrei Bahn bricht. Dem Schrei unermeßlichster Gier, welche die Kehle zusammenschnürt, den Schoß wund und weh macht und um jeden Preis versinken will im eigenen Feuer. Ungehört verhallt dieser Ruf an die Ewigkeit. Wer erweckt das erstarrte Leben? Der das Zaubermittel schuf, ruht kalt und - 57 -
still im Nebenzimmer, weilt schon vielleicht in neuer Verkörperung in einer letzten Existenz – oder – Nun brennt der Ozean schäumend in ihm auf, rast mit grell fackelnden Fanfarenstößen durch sein Ich, zergierend in einem einzigen schrecklichen Gedanken. Der Feind hat den ersten Kampf gewonnen. Die Basis ist gelegt; leise und heimlich hat die Todessehnsucht sich in seine Seele eingeschlichen. Harrt nun auf den günstigen Augenblick, um furchtbar, wie ein Zerstörer, in überbrandender Raserei loszubrechen und die Sinne zum letzten Zertönen anzufachen … Aber es redet eine Stimme plötzlich in ihm. Heimlich zwar und gänzlich unhörbar für ihn, den abertausende wahnwitziger Gedanken bestürmen, doch seltsamerweise gelingt es ihr gerade, eine wohltätige Ruhe auf die fiebernden Gehirnvibrationen auszugießen. So steinern und kalt wird sein Ich, daß er sich selbst nicht mehr erkennt. Er geht hinüber in das Zimmer seines Vaters. Wie ein äthergewordener Gehirnbefehl dringt sein Körper durch die Wände, denn die Türen sind geschlossen. Plötzlich steht er am letzten Lager des großen Einsamen, der dort in marmorner Ruhe des Sohnes harrt. Lange starrt er in das unbewegte Antlitz, letzte, allerhöchste Rätsel enthüllen sich ihm. Die Seelen der Beiden schwingen umeinander, wie zwei gleich starke Sonnen sich die Wage haltend. Und doch der Sohn gehalten von dem Vater, ein Geschöpf nur, kein Schaffender. Ein Willenloser. Keiner kennt mehr den anderen und jeder sieht nur sich und sein All. Stundenlang dauert dieses schweigende - 58 -
Umeinanderschwingen. Zwei ferne Sterne sind sie, die durch unendliche leere Räume lang getrennt waren, sich nun wiederfanden in der Endlose und, um sich selbst rotierend, sich Zeichen geben, die keiner vom anderen versteht. Endlich erwacht der Student aus seiner Seelenstarre; er steht am Schreibtische des Vaters. Vor ihm ein großes, schwer eingebundenes Buch mit goldenen Lettern: »Das Unsichtbare« lautet der Titel. Schmerzlich lächelt der Student. Wer lesen dürfte! Wer den Deckel erheben dürfte! Er will es tun, aber seine Hand dringt durch flüssigen Nebel, der überall schwebt, wo er mit scheinbarer Permanenz in Berührung tritt. Er fühlt nichts. Und nun sieht er den ganzen, starren Trug dieses Daseins ein! Nichts läßt sich fühlen! Alles ist Illusion – eine alberne Phantasmagorie seiner selbst. – – Flammen brausen, die ihn hinübertragen in wollüstig zerflatternde Träume aus dem schrecklichen Sein, in dem er so leidet. Rote Schleier hüllen ihm nun Augen und Sinne ein, im Schöße ist ihm kühle Weiche, während die Hände irr tasten in das ewig unfühlbare Nichts der Illusion. Da schreit er einmal unermeßlich. Die Nerven zerflattern und sind zerriss‘ne Saiten im Instrumente der Seele. Im Gehirn aber stöhnt zu Tode getroffen die letzte Ader auf und öffnet sich zum wilden, anklagenden Heulen: »Nur noch einmal leben dürfen! Fühlen!! Fühlen!! Ein fürchterlicher Tod, der mir das Gefühl nahm!! Einmal noch –du! - 59 -
Herr – wenn du bist! Hilf! Erlöse! Gott – o Gott – einmal fühlen nur!! sterben dann gerne! fühlen–laß– fühlen!!« Hinausgetragen haben ihn die Wünsche, die jagenden. Auf nachtschwarzer Straße steht er fiebernd, der Körper brennt vor Qual und ist wie ein Ozean der Lust, die keinen Ausweg findet. Der unermeßlichen Gier zu zeugen, zu schaffen, das Feuer der Schöpfung zu strudeln in die Unendlichkeit des Weltenschoßes. Nun wartet er – wartet auf das Wunder. Hat er noch ein Gehirn? Es ist zerbrannt verwüstet. Schleimiges Blut quillt in der Kehle, scheint zu quellen – aber wieder ist es nur die Begierde und der Sonnenatem gewordene Wunsch der Wollust. Was er war ist tot. Nichts ist mehr zu finden in diesem verfluchten Hirn. Nur eins weiß er: Jeder, auch der Ärmste – kann – fühlen! Er allein ist ewig tot! tot!! Und das Wissen tötet ihn noch einmal! Denn was ist schrecklicher: Nicht fühlen oder dies zermarternde Wissen?! Nun sucht er – sucht – Durchrast die Straßen, die nachtschwarz stillen und leeren. Wie die Wüste ist diese Stadt – Gibt es denn kein – – – Hinter ihm her rennt der Wahnsinn und hat runde, frohe Augen. Und hat gierige, rote Hände, die ihn ab und zu mit Besitzerfreude streicheln. Und hat wildes Flirren der unermeßlichen Lust im Blick. Was er tausendmal gedacht in seinem Leben, wiederholt sich hunderttausendmal in ihm – irr und sinnlos. »§ so und so des - 60 -
Gesetzbuches, der Eigentümer verliert das Recht auf – der Eigentümer verliert das Recht – ganz recht, er verliert das Recht. Ein Reim, der holpert, ein holpriger, stolpernder Reim. Ein holprig stolpernder, ein stolprig holpernder § so und so des – –« Als ob ein Vorhang zerreißt, so reißt in seinem Hirn etwas mitten durch und verhallt wimmernd auf der Erde – die Augen werden weit, quellen aus den Höhlen, die Iris trübt sich, wird flackernd und irr. Das Herz fegt wie ein rotierender Lederriemen in unverhörtem Sechsachteltakt – – Jetzt sind die Sinne ein erwürgtes Schreien geworden, stieren zerkrampft in weltenrotem Zerbrennen in steiler Flamme auf das letzte Wunder aller Wunder, zerfleischen ganz den Geist, der taumelnd irgendwo versinkt – – denn dort – an der Straßenkreuzung – Dort!! Ein – Weib!! Das letzte Wunder der Wunder, aller tiefsten Sehnsüchte so warm und wollüstig verblutender Traum – – ein Weib – Geheilt! Gerettet!! singt seine Seele, für Augenblicke das Fieber überrasend – das sich in dieser Stille nun zum letzten Sturme sammelt. Was er sieht –– wie könnte er das wiedergeben – in ihm zittert ein unausgesprochenes Losgelöstsein von qualvoll kleinlichen Ketten. Der Wind treibt das weite Sammetkleid an den schlanken, reifen Körper, das matte, seidene Rot der Beine schreit ein ungeborenes Symphonion der Lust, flüstert von der Flut weißer Spitzen, die über alabasternes, weiches Fleisch rieseln – flüstert – - 61 -
Sein Krampf zwingt das Element. Der Sturm reißt an dem Kleide und fegt es für Sekunden hoch, und wie zwei Säulen stehen die Beine da, umflüstert von der Lust des Unsichtbaren. Roter, wollüstiger Sammet der Schuh, in weicher Linie schwingt sich darüber das lange, schlanke Bein, im roten Seidenstrumpf, durch den die Haut giert. Die Schenkel hat der Wind bloßgelegt. Sie sind unerhört weiß und man sieht ihre Weiche und spürt den Duft: heiß und sehr fremd. Darüber flirrt die Seide der Unterkleidung, eng an das Fleisch gepreßt. Und wie ein Planet, der seine Fugalkraft verloren, seine Sonne immer näher umkreist, so treibt den Studenten die zerkrampfende Gier näher um die Frau. Er sieht wie der Sammet eng anliegend den Leib umschließt, den Hals freilassend in tiefem Ausschnitt. Tizianrote, wirre Locken umhüllen den weißgeschminkten Kopf, der unbedeckt dem Winde preisgegeben ist. In dem tiefen Ausschnitt ahnt sich die wilde Süße der straffen Brust, die jetzt von Spitzen umhüllt ist, die aus dem Ausschnitt lugen. Ungeborene Küsse brennen auf diesem Leibe, die zerfleischenden Liebkosungen des Wahnsinns segeln um ihn und suchen irr schreiend den Hafen der höchsten Lust. Vergessen, versinken in dieser Frau – mit zitternden Händen diese sammetflüsternden Schenkel streicheln, vergehen, sich verbeißen in diesen Schultern, dieser Brust. Das ist das Einzige, was der maßlose Wahnsinn in ihm brüllt. Es zieht ihn näher und näher zu ihr – jetzt spürt er den Duft der Frau, der in seinem Gehirne wie eine Panzerung lastet – jetzt atmet er die Glut des Leibes – und dann – – dann – – Da!! - 63 -
Aufgereckt!! Grinsend! Kalt!! grünschillernd in grauenhafter Dämonie – –: Die – grüne Flasche!!! Betrogen! gräßlich betrogen um das Leben! Taumelnd zerflattert das letzte Gedenken an die Majestät des Alls – blutheiße Wünsche zittern in der Luft und überbrausen schließlich alles – sammeln sich leuchtend – fürchterliche Energie strömt in das zergierende Wünschen – – Ein Vorhang hebt sich und zeigt einen Laden. Waffen liegen da aller Art. Revolver, Gewehre, Messer, Dolche, Stilette. Es ist Nacht, der Laden geschlossen. Aber an der Hand eines seltsamen Wesens – – eines Mannes im schwarzen Mantel, dessen Gesicht durch den breitrandigen Hut stets im Schatten liegt und in dessen Schatten zwei grüne phosphorezierende Punkte leuchten, an der Hand dieses Unbekannten betritt der Student, durch die Wand gleitend, diesen Laden. Der Mann im schwarzen Mantel zeigt auf ein dreikantiges Stilett, er macht seltsame Zeichen darüber und der Dolch erhebt sich von selbst und gleitet in des Studenten Hand: »Beeile dich!« sagt der Mann im schwarzen Mantel, ohne zu sprechen, die Worte melden sich im Hirne des Studenten, »unsere Mittel dauern nicht lange an.« Dann verschwindet alles – – Jetzt flammen die Atmosphären ringsherum – jetzt zieht der - 64 -
Student seinen Kreis um die Frau immer enger – jetzt malt er sich Bilder, die unendlich berauschen. Die Kleider zerfetzen, die Nägel ins Fleisch krallen, bis sich die gekrümmten Finger im Fleische mit der Handfläche berühren, die Lippen zerbeißen und das Blut trinken. Blut! Das ist es!! Blut – und »Blut!« hetzt sein Gehirn, sein Leib, sein Schoß, in der Hand fühlt er den Dolch des Mannes im schwarzen Mantel – und wie ein einsamer Knabe, sich selbst überschäumend mit der Lust, bohrt er – Nun!! Schäumt das Blut aus der Herzwunde – der Körper sinkt – klirrend fällt der Dolch, zerschwimmt wie eine Vision – Kleider der Frau zerfetzt, nackt starren die Brüste wie die Kuppeln einer Moschee ins Firmament – nacktes Fleisch liegt blutüberströmt, in das die Flammen wahnwitziger Lüste rasen. Tot! Tot!! im schimmernden Blut, wie in Edelmetall. Eine tote Königin. Das ist Sieg! Z Sieg! Eine Waffe glüht im Hirne. Gute Waffe! dich schmiedete die Gottheit selbst. Manneskraft leuchtender Manneswille schuf den unerhörten Sieg. Dann quillt ein schleimiger Schrei durch die Nacht. Menschen, die herbeistürzen und sich mit entsetzten Gesichtern beugen – auf den einzig schönen Leib des Weibes. - 65 -
»Lustmörder«. Ein einziges Wort nur – aber es zerschlägt ihn, dumpf donnernd wie eine afrikanische Kriegstrommel. Im eigenen Ich sinkt er hin und ist nie ein Mann gewesen. Ist ein Kind, ein schluchzendes, wimmerndes Kind. Am Schreibtische steht er – blickt hinaus auf die Straße, wo die Menschen um den Leichnam stehen und heftig gestikulieren. Um ihn schwingt lähmende Stille. In seinem Gehirne ein Gedanke nur: »Es war doch so schön!« Dies Wort schließt ihm die fernsten Sonnen auf. Sie sind vermählt. Im Schlafe zerrt sich in ihm das große Unsichtbare: »Wo – habe ich das nur gelesen?« »Ruhe!!!« Unbeseelt –: unfühlend wäre das Weltall, wäre es nicht belebt vom Drange des noch nicht ganz gereiften Geistes: sich wieder zu verkörpern um jeden Preis. Und seine unsichtbaren Gewalten spielen mit der Liebe, Mann und Weib sind ihm nichts als Werkzeuge, das Tor zur neuen Existenz zu öffnen. Darum ist es so sehr verständlich, daß in den letzten Jahrhunderten, in denen der Mensch reifer wurde, der Wunsch der Zeugung vielfach verschwand. Der gereifte Mensch wollte den heimlichen Mächten verbieten, mit ihm zu spielen. Es gibt noch ein Gesetz, das die Abtötung der Keime verbietet. Es ist roh und despotisch, dies - 66 -
alberne Gesetz aus Menschenmund. Der Wille der neuen Geister aber singt: Ich zu sein! alleiniges Ich. Dem Willen zum Selbst ist ein neues Zeitalter gewidmet. »Einzige Waffe, die mir noch blieb!« denkt der Student, als er aus traumlosem Schlafe erwacht an das Fenster tritt, in die sternklare Nacht hinausschauend. »Unsichtbar – unfühlbar mein Leib, wie zerbrodelnder Weltenäther, so allein taumle ich durch die schrecklich leere vierte Dimension. Was wäre ich, ohne den Willen zu meinem Selbst, dem alles dient – der Mensch und seine Maschinen und die Lust!« »O mein Vater – « Tief hinein bohrt sich sein Auge in den Sternenabgrund. Licht dort oben. Licht und gesetzlose Liebe. Frei vom Menschengesetz. Doch beherrscht vom Gesetze des Selbst. Und er denkt an den großen Nebel im Kanalgetriebe der Milchstraße, dessen Mittelgestirn für menschliche Augen unsichtbar blieb, weil ihn ultraviolettes Licht verhüllte. Die Photographie allein gab ihn den Forschern. Ist ihm nicht jene Welt in innerster Seele verwandt? Und er sehnt sich ja – sehnt sich hinauf zu den wirbelnden Fluten. Dann schwebt er plötzlich im leeren Räume – in der Unendlichkeit der ewigen Nacht – in fernsten Sphären ruhig strahlende Sonnen. Und er weiß nun, wie sein ureigenes Ich in der Nacht die Nacht durchdringt – wie er selbst zum Weltall wird und sich leuchtend in oft schon geahnter Lust in das übermächtige Sphärenbrausen wirft: »Ich selbst bin das Weltall –! Ich selbst - 67 -
bin alles – alles. Und in mir ist alles: Ich und Gott. Ich–Gott.« Denkt er in stumm ahnendem unendlichem Wissen. In fernsten Kreisen glüht einer Sonne hellgelb leuchtendes Licht. Und eine Stimme spricht zu ihm: um diese Sonne jagt der Planet, der dich geboren für eine Zeitspanne mitten aus deiner Ewigkeit heraus. Und wieder eine zerquälende Sehnsucht: nach dem winzigen, seltsamen Planeten, der ihn gebar. Und er steht wieder auf der Erde. Und weiß, daß er sekundenlang ein wunderbares Leben erlebte. Alles Wunderbare ist nur Sekunden lang. Jahrhunderte, Jahrtausende, Jahrmillionen in dem kleinen Ticken: Se–kun–de! Manches weiß er nun – –. Langsam findet sich sein Blick in der Erde wieder. Die Brust hebt ein Gefühl unzerrissenen Stolzes. Lautlos weint er in heilig ernster Lust. Sein Leben ist ganz erlebt. Sein Lebensziel ist erreicht. Sein Lebensziel. Ein wundervolles Wort. Ein klingendes Wort, das ganz in einer Beethovenschen Sonate gesungen werden kann. Ein Wort, das braust und jubelt und ohne Nachhall versinkt. So klingt dies Wort. Lebensziel. - 68 -
Und wieder vor ihm das große, schwer eingebundene Buch mit der seltsamen Aufschrift:
»Das Unsichtbare«. Seine Sinne brennen auf zu einer unerhörten, steilen Flamme. Alle Seelen durchzieht sie in einem einzigen Zerfluten, ist der Faden der Ariadne, der hinausführt: ins Freie. Die Sehnsucht bricht sich brüllend Bahn in ihm: »Wer lesen dürfte! Dürfte!! Würde sich nicht alles enthüllen?!« »Vielleicht auch das große Unsichtbare?!« »In ihm vielleicht auch meine eigene Seele? – meines Vaters Seele? und mit ihr – der – Wille meines Vaters!!« Da steht das Wort, eine Klammerfaust, die das All umfängt. Wille! Wille allein!! Schmiede die Gedanken empor! Sammle das herrlich stürmende Wollen!! Beschwöre ihn herauf den letzten Orkan, welcher der Rätsel höchstes entschleiert! Gott bist du dann, – beschwöre ihn! Du kannst es, denn du bist unsic htba r! Ein ungeheuer gewaltiges Zittern durchdringt seine Nerven, sein Gehirn in unfaßbarem Grauen. Schaudernd fühlt er sich selbst am Rande eines Abgrundes stehend. Links die steile Wand des Weltalls, welche die höchsten Rätsel birgt, über alle lebenden Sterne hinausragend, rechts der schaudervolle, - 69 -
nachttiefe Abgrund, in dem ein knochendürres, zerfleischtes Phantom lauert, mit schrill grün glitzernden Augen. »Ist das der Wahnsinn?« fragt er sich selbst in bebendem Ahnen. Doch neue Gedanken zerflattern diese arme Frage. Schmieden ihn zusammen, schenken ihm ein Ungeheures. Sich selbst. Schenken ihm sein Ich, das nie mehr fragt, das nur enthüllt. Wenige Schritte von ihm entfernt grinst am Boden eine kleine, grüne Flasche. Eine leise lachende, geile Stimme flüstert fiebernd: »Wo habe ich das nur gelesen?!« Aber schaudernd in höchster, fürchterlichster Angst denkt ein kleines, liebes, leeres Nichts: »Ruhe! Ruhe!!« Und die Gedanken leuchten wie ein schmerzender Sonnenstrahl. Sie zwingen das Weltall nach ihrem Willen, das sich knirschend vor ohnmächtiger Wut unter die Geißel dieses Willens beugt. Die Welten schreien auf: Nicht zu ertragen mehr ist diese wahnwitzige Qual! Die Sonnen rasen zertaumelt, die Nacht starrt grauenvoll zerspannt – und nun – nun muß – – jetzt wird –– Ja–! Jetzt!! Hier!!! Antwort!! Eine zerkrachende, brüllende Antwort, fern aus den Raubtierhöhlen des dunklen Alls die Botschaft ihres Seins zurückheulend. Ein Brüllen zerreißt die Luft, daß die Geister der Erwachten wild aufschreien – im Nirvana. - 70 -
Ein unbeugsamer Wille zerknechtet das Ganze. Alles ist ihm jetzt versklavt. Der letzte Orkan schreit –: Ich – bin – da!! Das Fenster bricht von den krachenden Stößen, die das Draußen durchheulen, wilde Windstöße sausen hoch wimmernd ins Zimmer, zerschmettern die Türen, reißen die Vorhänge auseinander, zerwehen den ätherreinen Körper des Studenten. Und zitternd in qualvoller Lust entringt sich ihm der göttliche Schrei: »Ich fühle! Fühle wieder!! Lebe wieder – und lebe – allein durch meinen Willen!!« Und der Orkan heult in entfesselten Wolkenbrüchen durch die glanzlos starrende Nacht. Mit weit, weit offenen Augen und fieberhaft eintrinkenden Zügen steht der Student am Fenster, starrt im Scheine der fegenden Blitze auf die goldene Schrift des vor ihm liegenden Buches. Vor seinen Augen tanzt in seligen Wolkenschwaden ein jetzt ach nur zu gut verstandenes Wort: »Das Unsichtbare« Da wirft der Orkan den schweren Deckel des Buches beiseite, blättert fieberhaft und wild in den engbeschriebenen Seiten, läßt in grausamen Enthüllen Bild auf Bild vor ihm erstehen. Blatt um Blatt flattert fort – und Blatt um Blatt enthüllt sich ihm nun das ganze, große Geheimnis seines Vaters. Plötzlich ein gelöster, unhörbarer Aufschrei von seinen Lippen – sein Gehirn liest wund und zerrissen unter den taumeln- 71 -
den Windstößen bloß – ein ungeheuer Schmerzliches gräbt sich in seine Blicke. Auf der letzten Seite dies Buches das aller – allerletzte Rätsel gelöst. Nun zerflattert seine Seele im fliegenden, selbst entfachten Sturme. Der Orkan rast. Wahnsinnig zerpeitscht sich das Leben des Studenten unter den krachenden Schlägen, die ihn hinüberschleudern ins Große – Weiche – Dunkle. –:– Die vierte Dimension warf ihn aus.
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Auf der letzten Seite: Unfühlend – unsichtbar, wie die große Natur selbst, gelangst du nun zu jenem Abgrunde, über den nur der schreitet, der dem Lotos gleich auf dem gestillten Wasser seiner Sinne ruht der rein ist und still geworden, der nur noch sieht und nicht miterlebt. Links von dir ist die starre, schwere Wand des Weltalls, die noch über die Sterne hinausragende, rechts von dir der schaudervolle, nachttiefe Abgrund, in dem ein knochendürres, zerfleischtes Phantom lauert mit schrill grün glitzernden Augen. Das lacht dir das Große, Fürchterliche grinsend entgegen: Keine Rettung, als nur der Wahnsinn selbst! Denn so versinkt auch die vierte Dimension vor dir! Wahnsinn ist das Auslöschen und Endigen deiner Phantasmagorie und also einziger Eingang in das endgültige, vollendete Nirvâna.«
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Auf dem Bette liegt – marmorweiß – mit bewegungslos lächelnden Lippen, jetzt endlich sichtbar für die, welche sich Menschen zu nennen wagen – der Student. Die vierte Dimension warf ihn aus, weil ihm ein Et was fehlte. Er kehrte in die dritte zurück. – Während ich diese letzten Worte meiner Erzählung schreibe, durchzuckt mich plötzlich ein qualvoller Schmerz im Herzen. Sinnend lege ich die Hand darauf und frage mich selbst, mit einer seltsamen Ahnung in der Seele: »Wo – habe ich das nur gelesen?« Ein Etwas flüstert verhalten, den Finger auf den Lippen: »Ruhe!!«
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»Der Mann im schwarzen Mantel«
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er Schlüssel knirschte im Schlosse. Die Bügel kreischten unheilverkündend. Aber die Tür wollte nicht aufgehen.
»Sonderbar!« dachte der Professor und nahm einen neuen Schlüssel, aber auch dieser versagte. Die Tür blieb zu, wie zuvor. »Ist denn heute alles verhext?« lächelte der hochgewachsene, schlanke Mann im düffelblauen Anzüge ärgerlich und eine steile Falte zeichnete sich zwischen den zusammengewachsenen Augenbrauen ab. Er lächelte und wurde ärgerlich, um sich gegen eine heimliche Furcht zu wehren, die tastend in ihm emporkroch. Jeden Tag um dieselbe Zeit öffnete er die Tür dieses alten Hauses, in dem das Laboratorium lag. Öffnete sie mit stets demselben Schlüssel. Noch immer hatte dieser Schlüssel seine Schuldigkeit getan. Und nun –! sollte etwa – –? »Unsinn!« lachte der Mann in sich hinein, der keine Furcht kannte, »in ein Laboratorium dringt man nicht hinein. Das verfluchte Schloß hat seine Mucken! Also – los!!« Er wollte sich gegen die Tür stemmen, um sie aufzustoßen, kam aber nicht dazu. In diesem Augenblicke gab es einen lauten - 77 -
Krach, dessen Widerhall im Hause selbst noch lange nachdonnerte – das schwere Eisentor sprang auf. Ein eiskalter Luftzug raste dem verwundert Eintretenden entgegen, um sich draußen mit der sommerlich heißen Atmosphäre zu vereinigen. Der Professor blieb betroffen stehen und faßte sich an die Stirn, nicht wissend, ob er träumte oder wach war. Alte, längst vergessene Kindermärchen erwachten in ihm, – drohnende Fragen wälzten sich ihm entgegen – und er fühlte, wie eine eigentümliche Beklemmung in seinen Gliedern lag, die durch kein überlegenes Lachen hinwegzubringen war. Sein Geist, in der Schule des zwanzigsten Jahrhunderts gestählt, sah sich plötzlich gezwungen, in jähdunkle Tiefen hinabzusteigen. Er fühlte sich vom Schauer des fürchterlich Unbekannten gestreift. Fast übereilt riß er das Zigarettenetui heraus, setzte eine Zigarette in Brand, rauchte mit hastigen, tiefen Lungenzügen. O ja! Man wollte schon Macht über diese dummen, lächerlich kinderhaften Gedanken erlangen. Zum – Donnerwetter! War man ein Professor der Medizin und der Naturwissenschaften im zwanzigsten Jahrhundert – oder ein alter Weichling, der in rükkenmarkkranker Ekstase sich in Wahnvorstellungen spiegelt?! Heiliger Refraktor!! Ärgerlich riß er die Tür hinter sich zu, schloß ab, stieg die lange, dunkle Treppe hinauf, die zum Laboratorium führte. Aber unterwegs kam es wieder so seltsam beklemmend, so grausam innerlich verzehrend vor heimlicher Furcht über ihn, daß er sein Blut durch die Schläfen rasen hörte. Wenn – nun, wenn dort oben jemand –! – Lächerlich. –Aber wenn nun – wenn - 78 -
nun eben. Es konnte doch möglich sein, wider alle Grundsätze und Erfahrungen – Halt!! Da im Dunkeln! Dort an der Treppenbrüstung–! Waren das nicht Augen, die glühend durch die nachtschwarze, seelenlose Finsternis zu ihm hinüber …. Die Zigarette verlöschte. »Ich bin krank«, dachte der ernste Mann innerlich zitternd und tastete sich die nachtschwarzen Stiegen weiter empor. Nun hatte das Fürchterliche volle Gewalt über ihn gewonnen. Frierend rang er nach Atem, eiskalte Schauer rieselten über Brust und Rücken, und die Gedanken fraßen sich wie geile, geifernde Skorpione in der weichen Gehirnmasse fest. »Ich will fort – ich will nach Hause –« dachte er verängstigt und lehnte sich oben an die verschlossene Tür des Laboratoriums. Aber da war wieder jener seltsame Wille in ihm, der das auf keinen Fall zugeben durfte. Über diesen Blödsinn werden wir wohl noch Herr werden! sprach er in verzweifelter Selbstbetäubung, aufs neue alle Fibern spannend. Abermals knirschte der Schlüssel im Schlosse – diesmal war ihm kein Widerstand entgegengesetzt. Leicht und lautlos ging die Tür auf, beängstigend in dem Kontraste, den sie mit der Tür unten bildete. Der Professor stöhnte. Die qualvolle Angst schien seinen Körper wie in einem Krampfe zu zerfallen. Das war grausam. So schrecklich, daß er sekundenlang sich selbst verlor. Aber ihm war auch wieder wohl in der Dunkelheit, die ringsum lag. So sah man wenigstens nicht, wie sich langsam das Unge- 79 -
heuerliche näher schon und krallenartig verkrümmte Fangarme, wie die eines Polypen, nach ihm ausstreckte. Nur die Augen –! die Augen!! Die mußten irgendwo im Rücken auf ihn lauern! Diese Augen, die er sicherlich schon einmal gesehen hatte! Wo – nur aber–? Die er nicht mehr kannte. Irgend ein unnatürlich Gewaltiges hatte ihm die Erinnerung daran ausgelöscht – bis auf dieses winzige Bewußtsein. – »Wenn ich Licht mache, ist alles verloren«, er sprach es zu sich selber und versuchte sich Mut einzureden. Aber was dann verloren war, das wußte er selber nicht. Er fürchtete nicht den Tod – das Eine war ihm klar. Aber wenn er ihn nicht fürchtete, der doch wohl das einzig Grausame war, das ihn treffen konnte – was war es dann? Verzweifelt rang er in dieser lichtleeren Ferne – suchte – und durfte nicht finden! Nur das mochte unumstößlich feststehen: Es gab noch etwas außer dem Tod, – das ihn bedrohen konnte. Noch ein Etwas, ein grausam liebes Etwas, das dennoch wollüstig süß war in seiner schmerzlichen Qual. Aber dieses Etwas. Die Gedanken kreisen in seinem bewegungslosen Hirne, sie sind Nadelstiche, die unaufhörlich aus kalten Leeren in ihn hineinregnen, in dieses Hirn, in dem es klopft, als sei darin irgend ein Wundes, Schmerzliches. Doch – war da nicht eben dieses Etwas, das er schon immer so qualvoll suchte? Irgend einen Teil von ihm hat er gedacht – nein, nicht gedacht! Bilder waren aus dem Leeren gekommen, sprachen zu ihm – und – das Wort! – das Wort!! – Das war es! Und nun ist es wieder fort – – der Augenblick war verfehlt. - 80 -
Ganz klar und laut, seltsam erschwingt dabei der Raum, sagt da plötzlich eine metallene Stimme: Der Augenblick war verfehlt. Und diese Stimme macht Licht in ihrem harten Aufschlage. Sie weiß vielleicht ganz genau, wie man ein Gehirn anzufassen hat, das wund ist und nicht denken darf. Nicht der Bruchteil einer Sekunde war es, in welcher der Raum flammend erhellt stand.– – Der Professor ist ganz in sich zusammengekrochen – maßlose Wollust durchzuckt ihn in diesem Augenblicke – aber er fürchtet sich vor dieser Lust, die, schreiend wie ein wildes Tier, ihm sein wahres Gesicht zeigt. O die Bilder! die Bilder, die ihn in heimliche Fernen tragen. Er lallt, wie ein Kind. Man hat in ihm irgendetwas mit brutaler Gewalt zerschlagen, mit hellem Kling sprang ein buntes Altarfenster in dem Dome seiner Seele. Was er eigentlich sieht, das wiederzugeben ist ihm unmöglich. Er schwimmt in einem glühenden Sonnenstrome, dessen Anfang und Ende er nicht kennt, weil ihm das große, erlösende Geheimnis verschlossen ist, daß in diesem Strome jede Sekunde das neue, lebendige »Werde!« singt. Tönend verhallt die Stimme im Saale, die eben verkündete: der Augenblick war verfehlt. Und er erinnerte sich: Als Kind drückte er eine Muschel ans Ohr und hörte, wie es leise darin erklang, wie unendlich, fernes Meeresrauschen da hatte er die - 81 -
Muschel weit von sich geschleudert in namenloser Angst, weil ein unbekanntes Geschehen in sein Leben trat. So möchte er auch diese Sekunde von sich schleudern. Aber sie hält ihn fest. Seltsam starr und unerbittlich grausam. Nicht, weil sie will, sondern weil sie muß! »Licht! Licht!!« denkt er zittend. Will mit ausgestrecktem Arme den Schalter berühren. Doch – das – Gellender Schrei. Wer – stieß ihn aus?! Der Professor horcht keuchend mit springendem Atem, die Gedanken glühen durch die zeit– und raumlose Unendlichkeit. Er war es selbst, weiß er jetzt erst. Aber warum!! Weil! – weil!! Wie das Wunde in dem verfluchten Hirne schmerzt. Aber da ist noch eine heile Stelle, die weiß genau: Als er den Arm hob, den Schalter zu berühren, hat irgend ein Knöchernes in seinem Hirne gestochen. Und das tat so weh. So – so – »Nein! –– Nein!!« zwingt es übermenschlich. Die Gedanken kriechen bleich in fernste, rotdämmernde Winkel und zittern in frierender, blutleerer Nacktheit. Der Wille ist zurückgekehrt von seiner fernen Reise in das Ungenannte. Und er schmiedet eine gute Waffe. Die fällt klirrend aus der Leere hernieder und zerschlägt die kalten, blitzenden Kettchen, die jene Schatten an ihn fesselten. Und der Wille schreibt – ! –: »Licht!!« Sicher wie nur zuvor greift der Arm in das lastend Schwar- 82 -
ze. Er hat das Hebelchen erfaßt. Noch eine Sekunde in der ein Nichts ist. Dann flutende Helle in den Raum gegossen.– Und starrende Grausamkeit. Nordpolkälte füllt das Ich des übermenschlich gespannten Geistes. Toter Marmor spricht aus den überruhigen Mienen. Er lächelt. Und doch die kalte Grausamkeit ringsrum – denn dort am Tische – aufwachsend leuchtet es gläsern auf einem Nebel, der überall ist – und aus dem Nebel wächst ein Gesicht. Der Professor stiert. Bewegungslos. Das Gesicht mit den steinernen Zügen der Sphinx von Gizeh stiert zurück. Nun – ist es verschwunden. Ganz ruhig und kalt hat der Professor das Licht wieder ausgedreht. Er steigt die Treppe hinab, langsam, ohne einen einzigen Gedanken. Aber in der Mitte der Treppe befällt ihn ein plötzliches Aufspringen aller Sinne, klirrend springen die gespannten Sehnen – Nacht dann. – Nacht. Aber keine Nacht für die Augen, die sowieso herrscht – sondern das Gemeinste, Grausamste, was es gibt: Nacht für die Seele. Und dann übermächtig gellender, wahnwitziger Aufschrei – – – Der Schlüssel knirschte im Schlosse. Die Bügel kreischten unheilverkündend. Dann sprang die Tür mit lautem Knalle auf, Eiseskälte strömte der sommerheißen Atmosphäre entgegen, um sich mit ihr zu vereinigen. Der Professor tritt ein – schließt die Tür hinter sich – steigt die Treppe zum Laboratorium empor. »Ich glaube, jetzt bringen wir etwas Licht in diese seltsa- 83 -
me Affäre!« sagte plötzlich eine nachdenkliche Stimme vom Schreibtische her. Der Professor blickte etwas überrascht auf: »Du hier?« »Du sieht es ja!« antwortete der Detektive zerstreut und blätterte mit immer mehr gefurchter Stirn in dem uralten Folianten, der vor ihm lag. Minutenlang schwieg er. Dann ein schnelles Aufblicken, ein fast zerstreutes Zwinkern zu dem Freunde hinüber – »und jetzt: schweig!« »Das ist doch gut!« verwunderte sich der Professor, »in meinem eigenen Laboratorium werde ich zum Schweigen –« »Ruhe!!« schnitt ihm der Detektive kurz und abweisend das Wort ab, »störe mich jetzt nicht. Augenblicklich bin ich nicht hier. Wenn ich erst weiß, wie ich diese verdammte Sache anzufassen haben, kannst du reden so viel und was du willst!« Der Professor schüttelte, immer lächelnd, den Kopf und ging mit unruhigen Schritten im Zimmer auf und ab. Eine Zigarette nach der anderen rauchend versenkte er sich in ein phantastisches Hindämmern, wie er das so gerne tat. Obwohl er die schmerzlichen Gefahren gut genug kannte, die ihn bedrohten, wenn er sich in jene Tiefen wagte, die das berechnende Schicksal mit großer Weisheit vor dem gewöhnlichen Menschen verschlossen hält, – tat er es doch immer wieder und lebte so ein seltsames Doppelleben. Aber mitten in den eigenartigsten Gesichten wurde er plötzlich von einem Gedanken unterbrochen, der sich wie eine gefährliche, unbekannte Säure in ihn fraß. - 84 -
War das denn möglich? Konnte das wahr sein–? Nein! nein!! Es war eben nur ein Gedanke! Er war ja gesund! Ein Verweilen in diesen giftdurchwucherten Dämmerungen des Innenlebens war ja Wahnsinn – – – »Wieso weißt Du –?« stammelte der Andere erschreckt. »Allerdings!« bestätigte der Detektive vom Tische her kopfnickend seine Gedanken, »allerdings ist dieses Verweilen ›Wahnsinn‹!« »Weil Du laut gedacht hast, mein Junge – « lautete die trokkene Antwort, »so etwas tut der vernünftig denkende Mensch nicht. Monologe hat es nur auf dem eater zu geben. Du kannst Dich mit solchem Leichtsinn in blendende Gefahren hineinreiten.« Nach dieser Warnung ist für den Detektive für geraume Zeit wieder nichts vorhanden. Er blättert immer schneller, seine dikken, kurzen Finger können kaum seinem Wunsche nachkommen, immer wieder kleben sie an den schwierigen Seiten des Folianten fest. Aber hinter der breiten, ungefügen Stirn beben leise blitzende Gedankenwellen und formen immer neuere, seltsamere Bilder, bis endlich eine Welt von Phantasien sich zu einem Ganzen zusammengeschlossen hat. Und der Detektive lächelt ärgerlich. Und zwar, weil er das alles so schnell herausbekommen hat. Es hätte auch etwas verwickelter sein können –denkt er mit heimlichem Ärger und blättert immer schneller, um seinen Fingern, in denen jetzt seine Gedanken sitzen, etwas Beschäftigung zu geben. Der Professor geht immer noch auf und ab. Und raucht die - 85 -
zehnte Zigarette. Die Asche wirft er auf den Fußboden. Das bemerkt der Detektive und muß nun wieder warnen: »Zigarettenasche wirft man nicht auf den Fußboden. Ich habe daran einen Lustmörder entlarven können, der durch keine Polizei aufzutreiben war.« »Verzeihung!« lächelte der Professor unsicher und nimmt seine Gedanken wieder auf. Endlich, nachdem vier Stunden vergangen sind, hört der Detektive mit dem Blättern und der Professor mit dem Auf– und Niedergehen auf. Der Detektive klappt das Buch zusammen und der Professor steckt sich die dreißigste Zigarette an. Dann meinte der erstere in gelangweiltem Tone: »letzt kannst Du reden!« Der Professor sah auf. In seinen Augenwinkeln zuckte es, wie in heimlicher Erregung aber er fragte nur: »Was?!« »Ja, das mußt Du wissen –!« »Du wirst immer rätselhafter. Erst verdammst Du mich zu fünfstündigem Schweigen und nun soll ich Dir etwas erzählen. Natürlich bin ich es, der eine Auskunft erwartet!« »Du? Von wem!« meinte der Detektive mit einer Stimme, als habe er einen Verbrecher zu verhören. »Nun – von Dir selbstverständlich!« kam die kopfschüttelnde Antwort des Professors. »Von mir? Wüßte nicht was! Also –?« - 86 -
»Du bist fürchterlich! Was mit diesem Folianten da los ist, will ich wissen. Du beliebst wohl, mich auf die Folter zu spannen!« Da zog der Detektive die Brauen hoch und klagte mit weinerlicher Stimme: »Fürchterlich – Folianten beliebst – Folter spannen.« »Was soll das ein? Du bist heute ganz abwesend!« »Nicht ich, sondern Du bist abwesend! Doch das ist für mich nur eine Fußstapfe auf dieser interessanten Fährte mehr. Also – rede!« »Ja, von was denn aber, um des Himmelswillen!« rief der Professor ganz verzweifelt. »Nun – von deinem Erlebnis!!« kam es ärgerlich zurück. »Erlebnis–?« »Ja! An der Haustüre!!« Haustür! Da! Das ist es also! Kein Gedanke, keine Phantasie! Ein Erlebnis! Es ist wahrhaftig! Nun ist das fürchterlich Grausame wieder da und hält mit schrecklichen Krallen fest. Irgendwo im leeren Räume, in der grünen, singenden Finsternis liegt die Sphinx, zum Sprung bereit. Die Sphinx mit dem Löwenhaupt und der Mannesbrust, mit dem Leibe aber und den Füßen einer Frau. Die Ungenannte, Grausame, die das goldene Sternentor bewacht, durch das es in das Land Nirvana geht. Die dritte Dimension ist im Gang der Leiden verrauscht, nun schwebt es in dem leeren - 87 -
Leuchten der vierten – und dahinter dehnen sich bis in lichtkalte Leermilliarden die Myriadenschwärme neuer Leben. Und am Tore eines jeden lauert die Sphinx. Der Professor weiß nun im grauenhaftesten Inneren seiner Sinne, daß er, um in jedes neue Leben zu treten – verhör der leibliche und geistige Gatte jenes Fabelwesens werden muß. Die verbrennt im löschenden Lustzertaumeln seine Seele immer von neuem, und wieder muß er suchen – suchen gehen im neuen Leben, um die Asche der lieben, lieben Seele zu finden.– – »Ja, da ist es also!« antwortete ruhig der Detektive, der sekundenlang in des Professors Seele war, »Ja, das ist das Licht, von dem ich vor fünf Stunden sprach. Es ist hier in diesem Buche. Du wirst es niemals, niemals sehen, denn Dein Gehirn ist ja wund, nicht wahr?« er sprach es, höhnisch grinsend, und schritt zur Tür, das Buch mit beiden Händen an die Brust gepreßt. »Aber jetzt muß ich wirklich gehen! Ich danke Dir, daß Du mir so gut geholfen hat, diese seltsame Affäre so rasch zu entziffern.« »Und nun – noch eins!« Er trat ganz plötzlich an den Professor heran, der wie versteinert am Schreibtische stand und mit gänzlich leeren Augen in die unbekannte Ferne starrte, und raunte ihm hastig ins Ohr:
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»Noch eins, mein lieber, kluger Freund. Du Pro–fessor! Ein andermal –hörst Du –– ein andermal laß den ›Schlüssel‹ nicht so im ›Schlosse‹ knirschen und sorge dafür, daß die ›kalte Luft‹ nicht so unerwartet der ›sommerheißen‹ Atmosphäre entgegenströmt! Hörst Du, mein Alter?« Laut und höhnisch lachte er auf. Es klang, als habe ein sehr häßlicher alter Gorilla eine Flasche aus grünem Glase an seinem eigenen Schädel zerschlagen. Aber der Professor stand noch immer starr und still. Er war nicht da. Der Detektive ging langsam zur Tür und wollte hinaus. Da sprangen wie kreischende Nachtvögel in dem Hirn des leeren und stillen Mannes die Gedanken empor und setzten sich in die Augen, die in plötzlicher Angst hin und her glitten. Urplötzlich war der Professor neben dem Detektive und schrie den ganz Verdutzten mit gellend aufspringender Stimme an: »Du – Hyäne!! Antwort will ich jetzt! Hörst du, Hyäne?!« Der Detektive spielte den Tauben und Stummen. Aber schrecklich toste um ihn des Professors wildes Schreien: »Von wem hast du das Buch!« Der Detektive sah höhnisch lächelnd in das verzerrte Antlitz des Mannes, der ihn mit eiserner Faust gepackt hielt. Die Schreibtischlampe spiegelte sich in seinen Augen. Die wurden plötzlich klein und rund, wie die einer Schlange: »Vielleicht von Keinem –« murmelte er zynisch vor sich hin. Der Griff wurde wilder und grausamer. Die Haare des Professors klebten im Schweiß an seiner Stirn, geringelt wie Nattern, - 89 -
seine Augen brannten wie irre Tigerblumen, auf die der Mond scheint. Und immer wilder der Griff; Blut färbte das Hemd seines Gegenübers. Doch der Detektive lächelte nur. Noch ein wahnwitziges, bestialisches Brüllen: »Von wem das Buch, Hyäne! Von wem hat du – das Buch – das –« »Vielleicht von – dir? Und das ist doch Keiner, nicht wahr?« sagte der Detektive mit vollendeter Höflichkeit und der Geste eines Weltmannes – »Du bist doch Keiner – nicht? Oder bist du doch –Einer – und das Buch also von mir!« Starr stand der Professor da –– schlaff die Arme niedergesunken – Augen, wie gebrochen. Seine Zunge lallte Unverständliches. Langsam und höflich verbeugte sich der Detektive, immer lächelnd immer das Buch unter dem Arm. »Ad maiorem dei gloriam!« sagte er plötzlich – wie entschuldigend und schritt die Treppe hinab. Der Professor stand wie zuvor. Unten knirscht der Schlüssel im Schlosse. Die Bügel kreischen unheilverkündend. Dann ein langes, wildes Sausen – es ist die Luft, die – Man weiß! Ein Schlag. Die Tür fällt zu. - 90 -
Der Professor steht wie zuvor. Der Detektive geht durch nachtdunkle Straßen. Neben ihm ragen die Häuser gespenstisch hoch ins Ungewisse, am Himmel jagen die Wolken. Ab und zu blinke ein Stern hindurch, der eigenartig tückisch grinst, wenn er die Erde betrachtet. Der Detektive wird ärgerlich. Macht sich dieses dumme Ding über uns lustig? denkt er zerstreut. Neben ihm ruft etwas halblaut – Er bleibt stehen und sieht im Lichtkegel seiner Taschenlampe eine gutgewachsene Dirne in der Ecke eines Hausflures stehen. Irgend ein prickelndes Etwas rinnt durch seine Adern und benimmt ihm den Atem. Er entsinnt sich, daß auch er ein Mensch ist und zählt in Gedanken das Geld in seiner Brieftasche. Die Stimme wird ungeduldiger. Aber schon hat sich der Detektive forschend umgesehen, ob ihn auch niemand »beschattet« und nun steht er im Dunkel des Flures dicht neben ihr und läßt seine Hände tasten, bis sie in diesem Terrain Bescheid wissen. Etwas schnürt ihm die Kehle zu, er öffnet ihre Bluse, bis die volle Brust frei ist, und läßt die prallen Brüste in seinen Händen ruhen. Halblaut besprechen sie den geschäftlichen Teil. Dann geht er mit ihr hinauf. Aber hinter ihr die Treppe hinaufsteigend gewahrt er, in dem trüben Schimmer der Gasbeleuchtung, ein Stück Spitze, das aus ihrem Rocke hervorblinzelt und seine Sinne stachelt. Mit zwei Sätzen ist er hinter ihr und reißt ihren Rock hoch, mit seinem Kopfe sich in die Wäsche und das Fleisch wühlend. Aber gleich darauf steht er ernüchtert und enttäuscht auf - 91 -
und folgt ihr weiter. Als sie sich oben auszieht, zeigt er auf ihr Dessous, das zerrissen ist und dessen Spitzen jeden Augenblick abreißen müssen. Mit gerunzelten Brauen sagt er strafend: »So läuft kein logisch denkender Mensch herum. In meinem letzten Falle habe ich dadurch eine blendende Fährte entdeckt.« Die Bronzeuhr auf dem Schreibtische, welche die runden, geilen Kirschenaugen einer Bajadere trägt, verkündete mit hellem Schlage die sechste Morgenstunde. Aber dem Professor schien es, als habe nur sein Blut an die wunde Stelle im Gehirn geklopft. Er will nachdenken was denn nun eigentlich geschehen sei – aber irgend ein Etwas hält ihm eine Dynamitpatrone vor die Augen und sagt: die ist geladen! »Wirklich?« fragt der Professor verwundert und hört auf zu denken. Aber schon ist dieses Etwas, das ja eigentlich ein Nichts ist, verschwunden und statt dessen steht ein Mann mit weißem, indischen Turbane und mageren, dunklen Zügen vor ihm und lächelt mit höhnischer Stimme: Meinst du die Hyäne?! Augenblicklich kann der Professor nicht antworten. Ob ich im Lexikon nachsehe? denkt er müde, zu seltsam kommt mir doch dieses Wort vor. Hy–äne! Was mag das nur sein? Ein schwarzgekleidetes Etwas mit einem Folianten unter dem Arme, der aus meiner Bibliothek und also von Keinem stammt? Wieder einmal ist der Gedanke verschwunden und nun sieht der Professor nichts, als ein tiefschwarzes, wogendes Meer, an dessen fernsten Horizonten gelbe Leuchten brennen – – – Das ist mein Gehirn, denkt der Professor. So wund ist mein - 92 -
Gehirn. So sturmverwüstet und so wellenzerbraust. Ich will schlafen gehen vielleicht schläft dann das Wunde ein. – – Er sucht sein Bett und kann es sonderbarerweise nicht finden. Da kommt plötzlich ein ganz verwundertes, heimliches Kichern und meint: wie soll denn in einem Laboratorium ein Bett stehen? Zum erstenmale an diesem Morgen muß der Professor lächeln. Über sich selbst? Oder über das Bett? Aber das Wunde schmerzt so –. Er hat das Licht ausgedreht und liegt nun, weit zurückgelehnt, im Ledersessel und will schlafen. Und wie er schon leise hinüberdämmert in das Unfaßliche, muß er plötzlich noch einmal verwundert den Kopf schütteln. Worüber, das fällt ihm im Augenblick nicht ein. Aber er weiß, daß er schon einmal, ganz so wie eben, über irgend etwas den Kopf schütteln mußte. Wann – das nur war? Niemand weiß es. Und nun ist es still und dunkel. – Aber nicht lange, so füllt ein seltsam schwingendes, grünes Licht den Raum, zarte Wellen lachen durch das Dunkel – wogen auf – wogen nieder, formen sich – lösen sich. Von irgendwoher spricht eine Stimme: Ja – die Kraft ist noch nicht gesammelt. Als Antwort kommt ein Kichern. Woher willst Du das wissen? Grinst das grüne Licht tückisch. Du, der Du zehn Milliarden Lichtjahre von uns rotierst! Aber dieses Grinsen ist sehr unsicher. Weiß das grüne Licht vielleicht nicht ganz genau, was - 93 -
es eigentlich sagt und wen es meint? Denn die Stimme von irgendwoher spricht plötzlich lange und eindringlich in einer h ier nie gehörten, ganz fremden Sprache. Der Schlafende im Sessel dreht sich unruhig zur Seite. In seinem Gehirne kreischt ein Schloß – und Bügel knirschen unheilverkündend – Ganz laut und deutlich sagt die ferne Stimme: Es gibt keinen Schlaf. Wieder grinst das grüne Licht so tückisch. Aber es weiß plötzlich nicht, wie ihm geschieht, als es sich von unsichtbaren Krallenarmen ergriffen und in das fiebernde, wunde Gehirn des Schlafenden gezogen fühlt. Verzweifelt will es sich wehren. Aber gegen die fürchterlich grausame Macht, die es gepackt hält, gibt es keinen Widerstand. Es muß mit – es muß – und es fließt langsam in den Kopf des Professors hinein. Da kann es nun grinsen nach Herzenslust. Es füllt den ganzen Raum innerhalb der Ganglien mit grellen, schmerzenden Strahlen, es prüft die Kohäsion der Atome, indem es an ihren weichen, wollüstigen Wölbungen emporklettert und formt und löst. Und in diesem Durcheinanderwogen beginnt es sich langsam zu erhitzen – es will zwar kühl bleiben – aber jäh schlägt es in steiler Flamme hoch, füllt die Wölbungen mit verzehrendem Brand, rast in zertaumelter Ekstase durch ein rotierendes All von Gedanken. Alle Weltgesetze sind aufgelöst. Das Feuer schlingt alles. Und langsam, schrecklich grausam kommen die Krallenarme wieder, packen es zum zweitenmal, pressen es in tödlichem Umklammern zusammen. Aber es kann sonderbarerweise nicht - 94 -
verlöschen. Im Gegenteil! Seine Kraft wächst! Es verzehrt sich innerlich und weiß nun, daß es Radium geworden ist. Nun muß es alles verbrennen, was in den Bereich seiner Strahlen tritt. – – Neben dem Schlafenden, der sich verzweifelt ringend hin und her wälzt, steht plötzlich ein Mann im schwarzen Mantel; der spricht kein Wort. Aber nun sieht man, daß es seine Arme sind, die in das Gehirn des Professors greifen. Und sie greifen – und formen etwas. Sie lösen es wieder und formen dann von neuem. Und lange steht der Mann im schwarzen Mantel so und formt und löst, formt und löst – und es kommt endlich die Zeit, da er nur noch formt und nicht mehr löst – Da sagt die ferne, fremde Stimme – ohne jeden Triumph: Jetzt – ist die Kraft gesammelt! Urplötzlich fährt der Schlafende empor – seine Augen öffnen sich, starr und unergründlich in grausamer Hetze. Der Mann neben ihm ist verschwunden. Im selben Augenblicke springt – ein zusammengepreßter Feuerklumpen – das grüne Licht. Fährt knirschend auseinander. Mit vertausendfachter Lichtgeschwindigkeit prasseln die Atome in den Raum hinaus, alles zerfetzend, unerbittlich, was in ihren Weg tritt – – Aber plötzlich ist das grüne Licht wieder da! Es klingt! Es tönt! Es sammelt Fanfaren in fackelnd aufbrennendem Leuchten. Wabernde Klanglichter springen durch das sprühende Gedankenmeer –: Ein Zimmer ist da. Bücher vom Boden bis zur Decke. Auf ei- 95 -
nem Divan schläft der Detektive den gesunden Schlaf des Normalen, der ein Weib beschlafen hat. Er keucht im Nachgenuß. Um seine Augen sind dicke, schwarze Linien gezogen, die nur langsam mit der Länge des Schlafes weichen. Der Professor steht mitten im Zimmer, mit gänzlich leeren, erloschenen Augen, aber mit einer flackernden Unruhe in den Zügen, die sich fortwährend verändern. Bald grinst er blöde vor sich hin, bald stiert Verzweiflung, bald lächelt tückische Verschlagenheit. Kein Zweifel, er will hier – nein! sol l, soll hier bei dem Detektive etwas. Bei dem Detektive, der eine ganz phänomenale Ähnlichkeit mit jener Haustüre hat, deren Schloß immerzu kreischt, deren Bügel unheilverkündend .– – Das grüne Licht von vorhin, das selbst unsichtbar geführt wird, führt nach dem Gesetz von Ursache, Wirkung und Auswirkung die Hand des Professors, dem es schleierhaft ist, was er hier soll – führt die Hand durch den Bücherwust und läßt sie schließlich auf einem dickleibigen Folianten ruhen, dessen Blätter schon immer klebrig sind – Da erwacht der Professor. Irgendwie ist seine Seele von einer langen, langen Wanderung zurückgekehrt, und nun treibt es ihm, wie er verwundert um sich sieht und das Buch betrachtet, die Schamröte in die Wangen. Ich werde doch nicht stehlen sollen! muß er verwirrt denken und will das Buch weit von sich schleudern. – Da ist der Mann im schwarzen Mantel wieder hinter ihm und greift mit den Krallenarmen abermals in sein Gehirn. Erschreckt stürmt das grüne Licht in die weiten, wollüstigen Wöl- 96 -
bungen zurück und verkriecht sich schauernd. Die Krallenarme wühlen, formen – und bilden endlich aus den Lichtwellen das eine Wort: »Analyse!« Kenn’ ich nicht! denkt der Professor. Aber »Analyse!« klingt es noch einmal, wild herausfordernd – »Analyse!!« heult das Weltall von fern aus grünen Augenhöhlen. Analyse, lächelt der Professor skeptisch. Der Mann im schwarzen Mantel schiebt ihm das Buch unter den Arm und verschwindet. Der Professor blickt den schlafenden Detektive lange an und sagt endlich, wie entschuldigend: »Das Wort ›Analyse‹ ist sicher eine Sprachfälschung.« Dann packt ihn das grüne Licht und hebt ihn seltsam weit in den Raum hinaus. – – Hinter ihm schlug der Detektive die Augen auf, reckte und streckte sich. Plötzlich aber fuhr er jäh empor und sagte klar und deutlich, den Zeigefinger an der Stirn: »Wetten wir –?! Mit dem Buche hat es eine eigenartige Bewandtnis! Ich fand es zehn Meter tief im Gestein auf dem Grunde der Pyramiden von Gizeh! Wer den einen ganz besonderen Buchstaben zu entziffern weiß, der ist von nun ab ein Doppelmensch. Der gute Professor stahl mir heut in Gedanken das Buch. Schadet nichts, das ist für mich nur eine Fußstapfe auf - 97 -
dieser Fährte mehr! Wetten wir –?!« In diesem Augenblicke stöhnte der Schlafende im Laboratorium wild und verzweifelt auf und drehte den schmerzenden Kopf auf die andere Seite. Er hat von einem grünen Lichte, einem Detektive und einem Folianten geträumt, die aber alle – unsinnigerweise – einer Haustüre glichen. Wie er sich auf die andere Seite dreht, glaubt er, er sei wach. Das ist aber Lüge! Wer kann denn mit gutem Gewissen behaupten: Ich bin wach!? In der Tiefe, glaube ich, lacht man. Aber dieses Lachen gleicht seltsam einer Haustüre, deren Schloß knirscht, deren Bügel unheilverkündend kreischen. – – Vor wenigen Stunden war es noch Tag, nun aber ist die Sonne von einem grausam dunklen Tiere in die Tiefe hinabgezogen worden und die Sterne grinsen wieder tückisch als die flackernden Augen des großen Ungenannten hernieder. Sie denken bestimmt etwas, wie sie die kleine, arme Erde sehen, die sich am Äther berauscht hat und nun seit Jahrmillionen betrunken um sich selbst taumelt. Was sie aber denken, das kann keiner wissen
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als der, welcher ganz genau weiß, daß die Sterne seine eigenen Augen sind. Solche Menschen sind aber selten. Manche sagen da »leider«, wieder manche andere »Gott sei Dank!!« Der Mann im schwarzen Mantel geht hinter dem Professor durch die Straßen, der Professor hat den ganzen Tag über geschlafen, um die Wunde in seinem Gehirn heilen zu lassen, nun will er zu dem Detektive gehen. Er will ihn etwas fragen. Was, das hat der Professor längst wieder vergessen. Aber zur rechten Zeit wird es ihm schon noch einfallen. Ab und zu kann er auch wieder denken. Und wie er an einem Bücherladen vorbeigeht und, die ausgestellten Werke betrachtend, einen dickleibigen Band von Novalis liegen sieht, steht innerlich jener Foliant vor ihm, der, als er vor einer Stunde erwachte, auf seinen Knien lag. Wie er dahin gekommen ist, das ist wirklich schleierhaft. Der Professor weiß nur, daß er wüste Träume heute Nacht hatte, in welchen das Buch eine Charakterrolle spielte. Seltsam war bei der Darstellung dieser Rolle nur das Eine: Es glich zu sehr, dieses Buch, einer Haustüre mit kreischendem Bügel und knirschendem Schloße. Er hatte in dem Buche etwas geblättert, aber nichts Neues gefunden. Ein antikes Werk über den Osirisglauben, den Sirius, der die Flutwelle des Nils ankündigt und über prähistorische Astrologie. Nichts, das er nicht schon gewußt hätte. Nur merkwürdig, sehr, sehr merkwürdig war eine unbekannte Hieroglyphe in der genauen Mitte des Buches. Sie war - 99 -
violett und gehörte keiner der bekannten Hieroglyphenschriften an. Dieser Buchstabe glich zu sehr einem offenen Auge, als daß ihm das nicht aufgefallen wäre. Dieses Auge sah starr und wimpernlos, in sich selbst gefroren, wie kein menschliches Auge und in dem Strahlenringe der Pupille glänzte ein grünes Fragezeichen. – Der Mann im schwarzen Mantel, dessen Gesicht kein Vorübergehender erkennen könnte, weil es stets im tiefen Dunkel des mächtigen Schlapphutes liegt, hört seinen Gedanken zu. Und geht immer hinter ihm her, lautlos, leicht. Ein gleitender Schatten. Aus dem Dunkel, in dem sein Gesicht liegt, blicken zwei grüne, phosphoreszierende Punkte. Sind das Augen? Niemand kennt den Mann im schwarzen Mantel. Der Professor geht immer weiter, den Kopf gesenkt, die Augen vor sich auf das Steinpflaster gerichtet. Und jetzt springen seine Gedanken wie glitzernde Leuchtkugeln durch einen grenzenlos schwarzen, schweigenden Raum. Aber sie können den Raum hinter den Sternen nicht erreichen. Vielleicht weil die »Kraft« noch nicht »gesammelt« ist? Oder vielleicht, weil da ein Buchstabe ist, der wie ein offenes Auge aussieht und doch geschlossen in tiefem Schlafe ruht? Alles schläft ja. Auch die knallenden Leuchtkugeln können diesen Schlaf nicht stören. Und der Professor denkt, daß er vielleicht diesen Schlaf stören möchte. Daß er in die Rätsel dieses seit Urewigkeiten offenen und doch geschlossenen, für Menschen geschlossenen Auges hinabdringen möchte. Daß er das leuchtende Licht, das in der Tiefe ruht, hinaufreißen möchte in das Reich des Seelendunkels, - 100 -
das auf der Erde liegt. Aber er fühlt auch zu gleicher Zeit: noch, noch ist die »Kraft« nicht da, die ihm dieses Leben erschließt. Aber eine Stunde wird kommen. – – Hier brechen seine Gedanken ab. Der Detektive steht vor ihm und blickt ihn aus zerstreuten Augen an. Die aber doch nur Zerstreuung heucheln. Dieser Detektive weiß ganz genau, daß in dem anderen ein Wunsch glimmt, – der ihm selbst schon erfüllt wurde. »Guten Abend« sagt der Professor und reicht dem Detektive die Hand. Aber »Stören Sie mich nicht!!« meint dieser gleichgültig und blickt zu den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses empor, »ich bin im Dienst. Da stört einen kein logisch denkender Mensch, wenn er nicht verdächtig erscheinen will, wie in einem meiner früheren Fälle. Also – gehen Sie!« Der Professor blickt ihn aus armen, kranken Augen an. Etwas ringt in ihm. Dieser Mann war sein Freund. »Sie« hat er zu mir gesagt, lächelt er traurig. In seinem Gehirne beginnt das Wunde wieder zu pochen. Da zwingt er sich zu einigen zweifelnden Worten: »Gehen Sie?! Sie?! Seit wann sagst Du denn Sie zu mir?« Der Detektive muß mit einem raschen Blicke den vor ihm Stehenden streifen. Innerlich grinst er höhnisch. »Versuchsobjekt!« sagt dieses Grinsen. Aber er bemerkt den Mann im schwarzen Mantel und fühlt wie seine Seele als ein zu Eis erstarrter Planet durch das ewig finstere All seines Geistes rast. Wieder grinst er, und diesmal sichtbar. Aber es ist unsicher und verzerrt. - 101 -
»Seitdem ich einen Unterschied entdeckt habe!« sagt er zynisch, »und zwar den zwischen einem offenen und einem geschlossenen Auge.« »Äußerlich ist es offen, innerlich aber geschlossen. Zwischen äußerlich und innerlich liegt leider ein Drittes, das man Übergang nennt. Man nennt es auch Tod. Ich nenne es ganz gewiß einen Mann im schwarzen Mantel. Und da ich nicht Einer, sondern ›Zwei‹ bin, während Sie vorläufig noch Einer sind, weiß ich augenblicklich nicht ganz genau, welcher von meinen beiden Teilen Ihnen hier begegnete. Zur Vorsicht sagte ich also ›Sie‹! Verstanden?!« Der Mann im schwarzen Mantel war verschwunden. Der Professor lächelte. Aber innerlich sah er ein hohes, schwarzes Tor, das ihm soeben, als er vor ihm ankam, zugeschlagen wurde. Hinter dem Tore aber brüllte eine Stimme mit der Damaszenerklinge eines grünen Lichtstrahles, der sich durch weiche, wollüstige Wölbungen emportastet: Analyse! Seltsam, daß dies Wort einer Haustüre glich, in deren Schlosse ununterbrochen Schlüssel knirschen – seltsam – wirklich seltsam – Der Detektive trat näher. Es hat gewirkt! dachte er aus verquollenen, schuppenbesetzten Gehirnhöhlen, in denen schwammiges, weißes Blut schwamm, das in rote Streifen zerrissen war. Dann sagte er leise und unsicher: »Buchstaben sind doch etwas zu Merkwürdiges!!« Der Mann im schwarzen Mantel war urplötzlich wieder da. Und sah den Detektive mit glitzernden, grünen Punkten fest an. Der Detektive schwamm in einem schwarzen Meere, über dem - 103 -
ein greller, fahlgrüner Himmel lag, fühlte sich von knöchernen Krallenarmen an den Füßen gepackt und heruntergezogen. Und dachte: Jetzt muß ich ertrinken! – Da ging er ohne Gruß davon. Auch der Professor eilte weiter und ging hinter ihm, so dicht wie ein Schatten fällt, der Mann im schwarzen Mantel. Der hörte seinen Gedanken zu. – – Am schwarzen Himmel stand ein seltsamer Mond; eine schmale, zunehmende Sichel, deren Ränder, wie zitternde Atome, im Räume verschwanden. Ein Mond, der ernste, sehr, sehr ernste Züge hatte und fast vergrämt in die schreckliche Finsternis hinaussah. Gewiß, er wartete auf ein hellaufstrahlendes Licht, das versprochen hatte, recht, recht bald zu kommen – und immer noch nicht kam. War es im Weltenraume von großen, schwarzen Vögeln mit grünen Augen, deren Schein wie triefender Geifer in den Äther hinausfloß, aufgehalten worden? Das wußte der Mond gewiß nicht. Das wußte niemand. Vielleicht selbst Jener nicht, den die bronzene Erde den Ungenannten rief. Vor dem Laboratorium blieb der Professor sekundenlang stehen. Der Mann hinter ihm tat das Gleiche, hob die Arme und sank dann plötzlich wie ein zerfließendes Tuch in des Professors Gehirn. Der dachte: Die Wunde ist sicher wieder aufgegangen! Das hat der seltsame Mond getan. Es schmerzt so furchtbar. - 104 -
Der Mond dachte sicher: Natürlich! Jetzt bekommt wieder der, welcher sich nicht verteidigen kann und darf die Schuld. – Der Schlüssel knirschte im Schlosse. Die Bügel kreischten unheilverkündend. – Aber die Tür wollte nicht aufgehen. Wieder erlebte der Professor den gestrigen Abend. Aber wie er in sein Laboratorium trat, sprach kein Detektive zu ihm. Der war im Dienst. Sicherlich. Nur das alte Buch lag aufgeschlagen bei dem seltsamen Buchstaben, der vielleicht gar kein Buchstabe war, es lag auf dem Schreibtische und sah den Eintretenden mit den müden, glanzlosen Pharaonenaugen versunkener Jahrtausende an. Dem Professor war es im ersten Augenblick, als habe das Buch zu ihm etwas gesagt. Aber er war in ziemlich ruhiger Stimmung und achtete nicht weiter darauf. Wie hätte er auch auf etwas achten können, was ihm Dinge von Wichtigkeit zu sagen hatte. In diesem Punkte war er wie alle »Menschen«. Er setzte sich zu dem Buche an den Schreibtisch und wollte lesen. Aber sonderbar war es, daß er jetzt keines der doch sonst so deutlichen Zeichen entziffern konnte. Er wußte ganz genau, daß er ein antikes, ägyptisches Werk über den Osirisglauben vor sich hatte und konnte es nun doch nicht mehr lesen. Die schwarzen Buchstaben liefen alle wie sehr häßliche, kleine, schwarze Männer durcheinander und führten einen schrecklichen Krieg vor den entsetzten Augen des Professors. Augenscheinlich wußten sie alle nicht, wohin sie gehörten. Sie wollen mir etwas sagen! dachte der Professor angestrengt und versuchte gedanklich auf die kleinen, häßlichen Männer - 105 -
einzuwirken, aber die hatten entweder keine Gehirne – oder sie wollten nichts hören. Denn ihr Kampf wurde wilder und wilder, violettes Blut floß klebrig langsam aus ihren Leibern, sie ruhten nicht, bis sie sich alle gegenseitig vollständig zerfleischt hatten. Erschrocken sah der Professor auf die Myriaden kleiner, dunkler Leichen, die vor ihm auf den klebrigen Seiten des Folianten lagen und wußte nicht, was für einen Gedanken er in den nächsten Minuten fassen sollte. Es schien ihm plötzlich sehr schwer, überhaupt etwas zu denken. Plötzlich geschah etwas Unglaubliches. Die kleinen, schwarzen Leichen fingen nämlich zu gleicher Zeit alle an heftig zu zucken – es war ganz so, als habe sie die schwingende Gedankenwelle des Ungenannten getroffen. Dann erhoben sich alle, wie auf Kommando, und stürmten mit eingelegten Lanzen in atemlos hetzender Wut mit ihren dämonisch glühenden Augen auf das klare, weit, weit offene Auge zu. Und da konnte man sehen, daß alle die kleinen, schwarzen Männer lange Schweife und ein festes, kleines Horn mitten auf der Stirn hatten. Es war ein fürchterlicher Sturm, der mit ihnen herangebraust kam – in wenigen Sekunden mußte das glänzende Auge von Millionen von Spießen durchrannt werden. – – Doch es geschah nichts dergleichen. Nur in der Pupille des violettenen Auges, in der das grüne Fragezeichen stand, ging eine eigenartige Veränderung vor sich. Die Ränder des blinkenden Fragezeichens fingen an, leise erst, dann immer heftiger zu zittern, die ganze Masse schwamm endlich in einem gierig aufgequollenen Nebel davon – – in der Pupille stand sekundenlang die Gestalt des Mannes im schwarzen Mantel. - 106 -
Dann kam das grüne Licht langsam – o so langsam zurück und schlang alles. An Stelle des Fragezeichens stand jetzt ein grünes, silbern eingefaßtes Ausrufungszeichen, das mit den geilen, höhnischen Bronzeaugen einer Bajadere den Professor anblickte. Die kleinen Männer, welche die ganze Verwandlung in einem Zustande fürchterlichster Angst mit angesehen hatten, standen – wie erstarrt. Ihre grünen Augen zitterten angstvoll hin und her, das Horn auf ihren Stirnen wankte. Mit den langen Schweifen wütend die Erde peitschend, eilten sie endlich machtlos davon und reihten sich Glied in Glied, bis sie wieder langsam zu Buchstaben wurden. Aber der Professor konnte immer noch nicht lesen, was ihm die Buchstaben, alias kleinen Männer, aufgeschrieben hatten. Es war ganz bestimmt der Fall: der Detektive wol lte nicht, daß auch er die Augenschrift löste. Einer ist genug, der lesen kann! dachte dieser sicherlich. Darauf kam der Professor leider nicht und soviel ihm auch der Mann im schwarzen Mantel – dem er leid tat –ins Ohr flüsterte, er konnte nichts verstehen. Die ganze Welt sprach für ihn, den Philologen, eine fremde Sprache. Eine ganz unverständliche Sprache, die eigentlich nur der verstehen konnte, der sich ein Weib genommen hatte, das ein Kind jenes fernen, fremden, unverstandenen Landes war, in dem diese Sprache geredet wird. Er hatte überhaupt kein Weib, denn er war »Anti–Feminist«. Warum, das wußte er nicht. Aber er pflegte sich über seine Gefühle niemals Rechenschaft abzulegen. Darum verachtete ihn auch der Detektive, der solch ein Weib in einer Dirne gefunden hatte. Einer Dirne, die - 107 -
der »Mensch« verachtet, weil er sich »Gesetze« gemacht hat. Wer ihm die Erlaubnis gab, Gesetze zu machen, daß weiß der Mensch nicht. Aber der Mensch pflegt sich ja nie über seine eigenen Gefühle Rechenschaft abzulegen, da er viel zu viel damit zu tun hat, die Gefühle anderer zu kontrollieren. – Der Mann im schwarzen Mantel hatte ärgerlich das Zimmer verlassen, denn der Professor war aufgestanden, hatte gähnend das Buch zugeklappt und legte sich – das Licht ausdrehend – in den Sessel, um zu schlafen. Der Mann im schwarzen Mantel haßte schlafende Menschen, weil der Schlaf in dem fremden Lande, aus dem er kam, für unästhetisch und einer Seele unwürdig galt. Deshalb ging er zu dem Detektive, der in seiner Buchstube saß und fürchterliche Rauchwolken qualmte. – Leise, wie eine schrecklich emporwachsende Sphärenfanfare sank das grüne Licht, das stets dem Manne im schwarzen Mantel vorausging, in das Gehirn des Detektives, malte gierige, zitternde Bilder, in denen Wollusträusche kommender Jahrtausende lagen. Und zu gleicher Zeit stach ein lieber, tiefer Schmerz in die Seele des einsam sinnenden Mannes, ihn zum Schlafe zu erwecken. Der Detektive lächelte. Die Träume kamen wieder. Die Träume, die ihm die Herrschaft über alle Ichs des Weltalls gaben. In ihm spannte sich ein Ungeheures zusammen, die Nerven zitterten, flogen, die Augen glühten, wie nie zuvor, der Mann im schwarzen Mantel stand hinter ihm und sah ihn mit kalten, grünen Augen prüfend an. Der ist reif zur Tat! dachte in ihm das Weltall, schwang sich zu Flammenfanalen empor, ehern anwachsend in die Zeiten rufend. Gedanken kamen leise und lüstern mit straffen Brüsten und - 108 -
geil geschwellten Leibern, kamen auf zitternden Sohlen, rührten über die bloßgelegten Gehirnzellen des tiefversunkenen Mannes und schmiegten sich tief in das ungeheure Kuppelgewölbe des Observatoriums, das, in seinem Gehirne stehend, zum Blicke in fernste Rätsel diente. Der Detektive sprang empor, sah mit starren glänzenden Augen vor sich hinaus, mit krampfenden Gehirnreihen und zitternden Wünschen. Mit Wünschen, die auf pfadlosen, lichtleeren Ozeanen trieben, fast versunken in der fürchterlichen Glut des Seelenorkanes, der um sie brauste. Und die nur immer suchten – suchten. Heimliche Stimmen raunten mit lüsternen Blicken in sie hinein und mahnten ihn zur letzten ungeheuren Tat. »Soll ich wollen?« dachte der Detektive leise vor sich hin, das fieberhaft glühende Auge in die Fernen gebohrt, »soll ich das fürchterlich Erste wollen? Wer d ie Au g en h ierogly phe m it dem Fr a g e z eic hen i n der P upi l le so z u lösen versteht , d a ß d a r au s ei n Au sr u f u ng s z eic hen w i rd , der ist bereit s au f dem be sten Weg e z u m dopp elten L e ben. Wer aber in dem Manne im schwarzen Mantel den Ungenannten in sich selber sieht, der ist der erste, doppelte Mensch. Ich sah den Mann im schwarzen Mantel! Sah ihn ihm den Ungenannten und in mir selber!! Also Probe! Für die Behauptung der unendliche, tief wollüstig schmerzende Beweis! Ic h mu ß den Tod de s ei nen Ic h wol len, z u r Probe de s a nderen Ic h ! Habe ich den Buchstaben wirklich entziffert, so muß ich von der Todesstunde des einen Ich an im anderen weiterleben!« - 109 -
Jetzt krampfen sich die Blicke in den schrecklich leeren, schrecklich unwirklichen Raum und erfassen in klammerndem Durchdringen die ganze Leere des um ihn rotierenden Alls. Sie lassen ihn hinübersinken in ein gänzlich Unbekanntes und er muß erschrecken vor der tief schmerzlichen Macht dieser Sekunde. Nun ist er gesprungen! Nun führt kein Weg zurück in die Dunstenge der Erde. Irgend etwas hält er umkrampft in bannendem Ringen, er ist nahe daran, das Bewußtsein zu verlieren. Trance!! Eine Macht ist da, die ihn empor reißt und in ein brandendes Feuermeer blicken läßt. Aus diesem Feuermeer starrt ihn der Professor mit irren, armen Augen an. Kann den Blick nicht von ihm lassen, denn er wird umklammert von unsichtbaren, knöchernen Gigantenfäusten. Wird hinab gezogen in den ewig finsteren Schlund der Erde, ohne einen abschiednehmenden Blick in das Leben nehmen zu dürfen. Die Glutwellen einer Lust, die kein Planet jemals sah, schlagen über ihm zusammen und schlingen seine Seele. Die Augen des Detektive halten das Bild des Professors unerbittlich fest. Und der Mann im schwarzen Mantel zieht mit grünen, aalglatten Schlingen das Netz zu, in dem der Professor zitternd gefangen liegt. Ihn schlingt die Finsternis, die kein Ich mehr kennt. – – Urplötzlich steht der Professor in starrer, hypnotischer Haltung vor dem Detektive, wie ein Nachtwandler, den der Mond mit seinem Sinnengreifer lockte. Wie er hergekommen ist, weiß - 110 -
er nicht. Er zweifelt, ob er überhaupt da ist, alles erscheint ihm wie ein Traum. Aber sonderbar lächelt der Mann hinter ihm, der diese Gedanken wieder mit anhörte. »Wie ein Traum« ist nicht alles nur ein Traum? Der Professor kann den Gedanken nicht halten, er entwindet sich ihm wie ein winziger, goldglänzender Käfer, der in die Erde zurück kriecht. Der Detektive sieht ihn starr bannend minutenlang an, daß jeder Wille und alles Wünschen in des Professors Seele erstirbt. Ersterben muß, weil er weiß, daß ihn die große leere Dämmerung in das unerbittlich Kalte hinuntertaucht. Der Detektive aber lächelt mit verzerrten Lippen. In seinem Hirne ist ein tiefes Wühlen und Schaffen. Die Wünsche, die ihn bisher zitternd beherrscht hatten, fangen an, in tiefem Schmerz zu weinen, schreien gellend einige Male auf, weil sie von brutalen Fäusten gepackt und zerdrückt werden. An ihrer Stelle richtet sich der Wille mit erzernen Zügen, wie ein ungeheures Monument auf, unerbittlich ernste Machtfülle in den Augen und klingenden Schlachtendonner im Ohre. Da weiß der Detektive in langsam aufkeimender heißer Wollust, die ihn in sich selbst zerglühend zerschleudert, daß er für heute gesiegt hat. Der Professor ihm gegenüber ist nun kein Geist und keine Seele mehr, sondern nur noch ein ekelerregendes, kleines Ichlein, daß sich nicht einmal mehr gegen die Macht des Willens vor ihm aufbäumen kann. Und was ist ein Ich, gegen das Doppel–Ich des Detektives? Höhnisch grinst das Weltall, das dem Gladiatorenringen der beiden gespannt zusieht. So schlingt der Blick des Detektives langsam in letztem - 111 -
Genüsse das Wünschen des Mannes vor ihm, bis nichts mehr davon übrig ist, als ein zäher, klebriger Schleim, in den sich jeder Wille mit seinen rohen Eisenfausten leicht einpressen kann. Und der Detektive sagt langsam und höhnisch, jedes Wort tief auskostend, wie einen lange entbehrten Genuß: »Erwürgen Sie mich! Bitte!! Schnell! und ohne Zögern!!« Sicher will darauf der Professor ein paar entsetzte Worte erwidern, aber nun muß er sich über sich selbst wundern, wie er das so gar nicht kann. Es kommt ihm plötzlich alltäglich vor, einen Menschen zu erwürgen, daß er ruhig und ohne Zaudern die Finger um den Hals des Detektives legt, der ihm erwartungsvoll, mit grinsendem Triumpf in den Augen, den Kopf entgegenstreckt. Nach Sekunden liegt der Detektive tot auf der Erde. Der Professor auf seinem Sessel im Laboratorium. Einen zu seltsamen Traum hat er gehabt. Einen Traum, in dem ein Detektive den ersten Helden spielte und zwar mit so charakteristischen Akzenten, daß er immer und immer wieder einer Haustüre glich, deren Schloß immerfort knirschte, deren Bügel unheilverkündend kreischten. Blaue Dunstwolken steigen aus dem weit offenen Munde des Detektivs, der tot und starr auf dem weichen Teppich seiner Bücherstube liegt. Steigen langsam, wie der Rauch ägyptischer Sonnenaltäre ihrer Beherrscherin zuströmt. Hände greifen sicher in den blauen Nebel, der das ganze Zimmer ruhig flutend - 112 -
durchzieht, und formen in lautlosen Gedankenreihen heimliche, stille Bilder. Es ist nicht der Mann im schwarzen Mantel, der diese Hände führt, es ist auch nicht der Ungenannte selber, der herabstieg, sein fürchterlichstes Werk zu schauen, – es ist nur ein schrecklich finsteres Etwas mit unerkennbaren Zügen – unerkennbar, weil auf ihnen ein augenzerreißender Feuerschein liegt, der dem flüssigen Magma der Erde entstammt – ein Etwas, das selbst der Tote noch niemals sah, ist herbei gekommen auf den zitternden, lautlosen Sohlen einer Sphinx. Und grinst tückisch im furchtbaren Wissen seiner Stärke. Und die Hände formen heimliche, stille Bilder. Und der blaue Dunst steigt empor – langsam und ruhig aus dem weit offenen Munde des Toten, der nichts mehr weiß und nichts mehr will. Aber das schrecklich finstere Etwas ist da, weil dieser Tote noch in seinem Sterben etwas wol lte, als einzigster Mensch etwas ungeheuer Grausames wollte. Und die Sphinx ist da – den lautlosen Befehl stiller Gedankenmächte auszuführen.–– Drüben im Laboratorium liegt der Professor und schläft. Ohne etwas zu wollen. Und das macht ihn klein und verächtlich in den Augen des seltsam stillen Mannes, der immer neben ihm steht, den Mantel um die Gestalt geschlungen, die grünen, glänzenden Punkte auf das Buch gerichtet, das auf dem Schreibtische liegt. Aufgeschlagen. Und das weitoffene Auge mit dem grünen Fragezeichen in der Pupille, das zum Ausrufungszeichen wurde – – und die grünen, - 113 -
glitzernden Punkte im Gesicht des Mannes im schwarzen Mantel treffen sich heimlich grüßend. Sie kennen sich – seit Jahrtausenden. Die Dunstwolken, die das Zimmer des toten Detektives in wabernden Nebelschwaden erfüllen, haben durch die Macht der stillen Hände langsam Gestalt gewonnen und strömen jetzt, von fernen Willen gebannt zueinander, um sich gewaltig zu einem neuerschaffenen Körper zu verdichten. Ruhelos arbeitet das stille Etwas, das die lautlosen Sohlen einer Sphinx hat. Stunden sind vergangen. Jetzt stand der Detektive ruhig, aber immer zynisch lächelnd, in neuer Gestaltung neben dem Leichnam, in dem vor Stunden noch seine Seele wohnte. Bis sie auf eigenen Befehl erwürgt wurde. Ein langer Blick. Und ein Triumph in diesem Blick, wie ihn kein »Mensch« kennt. Die Augen heben sich und senden ihr frisches Feuer durch das Zimmer mit den vielen Büchern und lächeln, in aufkeimender, fürchterlicher Lust am Lächeln. Und
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auch der Mund nimmt dieses Lächeln auf und die erste Sprache, welche er redet, ist ein herausgebrülltes, unsinniges Lachen. »Das war die Probe!« denkt das Gehirn als Erstes, »wer – hat sie bestanden?« Und wieder das schrecklich wilde Lachen, um dessen willen nun das Weltall diesen Mann liebt in verzehrender Raserei der Wollust. Der Detektive stampft mit den Füßen auf dem Leichnam herum, der vor ihm liegt. Und sonderbar! In Sekunden zerfällt dieser Leichnam zu grünlichen Staub, der bald wie eine Wolke im Zimmer umhertreibt, einen tief berauschenden Wohlgeruch hinterlassend. Da stößt der Detektive den wahnsinnigen Schrei göttlichster Lust aus, stürzt zu den Bücherbrettern, reißt die Bände herunter, fieberhaft suchend, achtlos die kostbaren Werke mit den Füßen zerstampfend. Bis er endlich findet! Hin uraltes Papyros mit der verblaßten Hieroglyphenschrift versunkener Jahrtausende. In seinen Augen flackert der Irrsinn, er reißt das Blatt an sich, stopft es in seine Brusttasche, rast aus dem Hause, als stürmten Kometen hinter ihm her, sein Ich in die Räume zu zerstreuen. – In dem verlassenen Zimmer steht ein Mann, der auf der Stirn
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einen Diamanten trägt, der tief in die Knochen hineingemeißelt leuchtet. Um den Körper schlingt sich ein grünes Seidentuch, mit sonderbar fremder Hieroglyphenschrift bestickt. Der Mann blickt sich scheu in dem düsteren Räume um, läßt den flackernden Blick der unwirklich großen Augen hin und her gleiten und spricht dann in fremder, unverständlicher Sprache einige Worte: »So kehrt der Sohn des Mars der Erde zurück, der er Jahrmillionen fremd war, da die Atlantis in den Wellen versank. Und findet eine – neue – Erde! Aber ich sage es: Diese neue Erde wird zum alten Atlantis werden, wenn die Kraft in den Räumen voll und ganz sich sammelt! Eine Jahrmilliarde ist vergangen. Der Sohn des Mars steht hier! Und bringt mit sich den Gruß des Mannes im schwarzen Mantel, den a l le kennen! Schon hat das Tor zu eurer Seele verrostete Schlösser, in welchen die Schlüsse) kreischen, schon knirschen seine Bügel. Bald stürzt es ein und ihr tretet hinein! Freiwillig! Denn das Sein ward hinter Euch vermauert!« Er verschwand. Und in diesem Augenblick versank das Zimmer, wie ein Leben versinkt im Ringe der Phantasmagorien. Durch den Nebel aber, der auf den Städten lag, sah man einen Schatten reiten, der in den fernsten Sphären verschwand. Nun hat der Detektive das Haus des Professors erreicht. Und Sekunden lang bleibt er vor der Türe stehen, fernster Stunden gedenkend. In seinem Gehirne ballen sich drei finstere Fragen zu Nebeln zusammen, aus denen Sonnenschwärme werden sollen. Und doch kennt er keine dieser Fragen. Ein Etwas gab sie - 116 -
ihm ein, das der Erde zu fremd ist, als daß es Verstehen seiner selbst verlangen kann. Langsam steigt der Detektive die Treppen empor, tritt in das Laboratorium, wo der Freund in dem Sessel liegt und schläft. Der Mann im schwarzen Mantel winkt dem Detektive zu schweigen. Und er weiß, daß man diesen Schlaf nicht stören darf, es ist der letzte vor dem dann endgültigen, letzten Erwachen. Und er will dem Freunde Zeit lassen, bis die Wunde in seinem Gehirn einigermaßen heilte. Bis er sich selber wiedergefunden hat und dann endlich bestimmt weiß, wer er ist und was er will. Der Mann im schwarzen Mantel winkt dem Detektive wieder mit den Augen und dieser weiß plötzlich ganz genau, was der Fremde – der ihm seltsam bekannt und vertraut erscheint – damit sagen will. Er zieht das uralte Pergament hervor, das er zu Hause einsteckte, setzt sich an den hohen Schreibtisch, dreht die Lampen an. Und beginnt nun erst zu begreifen, was er eigentlich nur im ganz geheimsten Grunde seiner Seele ahnte. Da steht es in aufwachsender Flammenschrift vor seinen Blicken, – – und der Detektive sieht, wie er selbst in dem Sessel liegt und in des Professors Seele den urewigen Schlaf vor dem letzten Erwachen schläft und sieht sich auch neben dem Schlafenden stehen, – einen schwarzen Mantel um die Schultern geschlungen. Eine tiefe Ruhe leuchtet plötzlich in seine wissend gewordene Seele hinein. Er weiß, daß es alles so kommen mußte, auch ohne - 117 -
das Auge, das ewig offen und doch geschlossen ist, das ein grünes Fragezeichen in der Pupille hat, das doch immer wieder zum leuchtend aufschreienden Ausrufungszeichen werden muß. Wieder nimmt der Detektive das uralte Pergament zur Hand, das er vor Tagen aus dem alten Folianten riß, der da vor ihm liegt. Das er entfernte, damit der Professor nicht an dem Übermaße des Wissens vorzeitig sterben sollte. Und da steht es nun klar und gelöst vor ihm – in einer Sprache, die er eigentlich nicht kennen kann und doch kennen muß. Weil er selbst ein Teil ihrer Wesenseinheit ist. Ein Teil nur? Oder sie selbst. Restlos. Und beides ist fast dasselbe. »– und da kam der Tag, da der Prinz emporstieg in die ewigen Räume, die wir alle kennen. Denn der Mars hatte gesprochen. Er rief uns alle, Kinder der Erde und des Neptuns, zum Zusammenschlüsse in die Hauptstadt seines Reiches.« So gingen wir in den Raum, der wir selber sind. Und es ist wirklich so: Der Kaiser hatte beschlossen, daß fortan keine Götter mehr verehrt werden sollten, neben der Gottheit Unserer Seele. Es war aber gegen jene geheimnisvolle Nacht, da der Sirius zum erstenmale nach langer Zeit auf die Erde grüßt und der Prinz trat zu mir in die Kajüte und sprach also: »In den Sternen steht es geschrieben, wir werden nimmer den Mars erreichen! Eine Flutwelle wird auf Erden kommen, die unser Reich Atlantis schlingt und die Kraftzentralen zerstört, die uns durch - 118 -
den Raum treiben. Wir werden auf die Erde hinabsinken und zerschmettern«. So sprach er lange und ernst mit mir. Und in tiefe Gedanken versunken schritt ich in der Kajüte auf und ab und dachte über das Höchste nach: den scheinbaren Tod! Und wie ich noch in Gedanken versunken stand, trat, zu mir ein Mann im schwarzen Mantel, den ich noch niemals sah. Der sprach zu mir hochernste, heilige Worte. Und kündete mir das letzte Geheimnis der Nacht, das ich auf den folgenden Blättern aufzeichne. »Auf einer Seite siehst Du, o Herr, der diese Blätter vielleicht nach Jahrmillionen findet, ein weitgeöffnetes Auge mit einem grünen Fragezeichen in der Pupille. Gelingt es Dir, dieses Frage– in ein Ausrufezeichen zu verwandeln, und siehst Du dann in diesem den großen Ungenannten – und in Dir selber, so bist Du von nun an ein Doppel–Ich und lebst nach Deinem sogenannten Tode noch ein zweites Leben. Eins aber, eins nur hast Du streng zu befolgen, o Herr! Vergiß nicht den Mann im schwarzen Mantel, denn der –« Der Freund des Prinzen. Im Raumschiffe »Mars« des Kaiserreichs Atlantis. Im viertausendsten Jahre nach dem Erlöschen der zweiten Sonne. Wilder, gellender Schrei. Der Detektive fährt entsetzt auf, sieht in die angstvoll verzerrten Züge des Professors, der plötzlich neben ihm steht, mit flackernden Augen in die Schrift starrend. Irgend ein Etwas führt den Arm des Detektivs. Er reißt den - 119 -
– Revolver hoch, der vor ihm auf dem Tische liegt, drängt den Professor hastig zurück, richtet mit funkelnden Augen den Lauf auf das weitoffene Auge in dem buche. Eine flackernde Spannung schwingt im Saale. Das Gehirn des Professors ist zündende Elektrizität. Jagende Bilderfluten rasen an seiner Seele vorüber, und darunter immer und immer wieder ein Mann im schwarzen Mantel, der so seltsam, so schmerzend seltsam einer Haustüre gleicht, deren Schloß knirscht, deren Bügel unheilverkündend. – – Der Mann im schwarzen Mantel ist mit funkelnden, grünen Punkten nähergetreten und lächelt seltsam wissend, denn er hat –– Schuß! Blitz! Knall! Das Auge im Buche ist durchschossen und blutet. Blutet in schrecklich schmerzender Angst. Der Detektive hat den Revolver fortgeworfen und steht schneebleich und schweißtriefend da, den Blick vor sich in das Leere gerannt. Ein wahnsinniges Etwas lacht in gellenden Lauten in ihm. Neben ihm hat der Professor mit schmerzlich irrer Angst in den Augen nach dem Herzen gegriffen und sich müde auf den Schreibtisch gestützt. Er lächelt weh und matt vor sich hin und weiß plötzlich etwas seltsam Köstliches. Das vertreibt die Angst in seinen Augen. Ganz leise und still sinkt er auf den Teppich und flüstert in abgebrochenen Lauten: - 120 -
»Nicht wahr – – die Kugel – hier – im Herzen – ist doch ureigentlich ein offenes, aber – trotzdem – geschlossenes – Auge!« Dann nimmt ihn die große Leere auf. Im Laboratorium schwingt eine unausgesprochene, schreckliche Stille. Alle Uhren stehen, kein Laut wagt sich aus den verängstigten Höhlen. Der Detektive sieht vor sich hinaus. Nur der Mann im schwarzen Mantel muß leise lächeln, er tritt mit höflicher Verneigung an den Schreibtisch heran, nimmt das Buch und das Pergament und wickelt es in die Falten seine? Mantels. Dann geht er hinaus. Laut hallend schlägt irgendwo eine Tür ins Schloß und schneidet das ganze Schmerzliche ab. Der Mann im schwarzen Mantel ist in das grenzenlos Leere hinübergegangen, dahin, wo es weder Ichs, noch Doppel–Ichs, sondern nur Wesenseinheit gibt. Der Detektive steht starr. Wie ein erkaltetes Weltall.
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Sieht vor sich hinaus in das Öde und Leere und sieht sich selbst in der schamlos nackten Natur. Er hat den ersten Gedanken zu Ende gedacht.
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»In Memoriam«
E
iner schrieb ein Buch. Er war krank, zerrissen und einsam. Da schrieb er. Um sich zu erlösen, schrieb er. Aber als er die Feder hinlegte, sank sein Kopf auf die Blätter – er war tot. Er war gesund, ganz gesund und nicht mehr allein. Er hatte sich erlöst von sich selbst. War er wirklich tot? Heimlich lebte er sicher noch, aber in einer seltsamen, unbegreiflichen Gestalt. Ätherisch schön. Denn er hatte ja geschrieben. Manche sagten, ein Schriftsteller, ein armseliger – zu essen hatte er nicht, zu lieben hatte er nicht und in einer Kammer saß er und träumte. Nicht einmal eine Mutter hatte er – und doch konnte er sich erlösen.
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Ich habe meine Mutter nie gekannt. Und fühlte sie doch so in mir, als sei sie immer da, immer neben mir. Als blicke sie mich immer an und ihre blütenweißen, duftenden Hände streichelten mich. Und ihr knospengleicher Leib, mit dem ernsten Haupte und den wirren dunklen Haaren – die auch ich von ihr geerbt – dieser Leib – Ich schrieb Romane, Novellen und Erzählungen. Ich schrieb Gedichte und Dramen. Keiner las sie – von denen außen. Aber eine Feine war da, eine Stille, Gütige. Goldopalen glänzte das Auge, das bergsee–tiefe, das krystallen geschlossene. Blütenweiß und duftend die weichen Hände, die mich streichelten, wenn der Wahnsinn neben mir kauerte. Und ihr knospengleicher Leib – dieser Leib – Sie war wie meine Mutter. Herzlos und logisch, immer logisch, wie ich damals war, stellte ich fest: kongruente Dreiecke decken sich. Sie war meine Mutter. Nun schreibe ich ein Buch. Zehn oder hundert Seiten, das ist so gleichgültig. Aber wahr ist es, ich schreibe dieses Buch, damit ich meine Mutter nicht zu lieben brauche. So schreibe ich. In der Zelle sitzt Einer und lächelt. Grau ist die Wand rechts und links, grau ist die Luft, die von qualvoller Einsamkeit verpestete, grau ist die Nacht, die von draußen hereingrinst. Auf den Gängen geht es trapp–trapp, auf den Gängen flüstert’s und zischelt’s und Eisen klingt gegen Eisen. Ein brutales Schreien und Kreischen schlecht geölter Scharniere, durch das Fenster- 126 -
chen in der Tür – fünf Zentimeter hoch, fünf Zentimeter breit starrt ein dummes, graues, gleichgültiges Gesicht. Ein Menschengesicht. Was treibt der da drinnen? Et sitzt auf der Pritsche, grau ist sie und so hart wie Menschenhand, er sitzt, als säße er auf einer blühenden Wiese –ringsum Glockenblumen, Butterblümlein, blühendes Gras und Vogel sang. Irgendwo das Murmeln einer klaren Quelle, eines lieben Wässerchens. Ein Himmel darüber blau, tiefblau und unergründlich. Ein Weltenraum. So sitzt er da. lächelt immerfort und weiß es nicht. Er hat ein Angesicht. Er ist kein Mensch. Menschen haben Gesichter, die dumm sind und immer fragen und forschen. Die immer etwas wissen wollen. Er aber hat ein Angesicht. Da sind zwei Augen drin, in denen ist die Sonne, eine Stirn, die ist ewiger, kühler, reiner Schnee und eine Falte zwischen den Brauen, steil und eingekerbt bis zur Nasenwurzel: Die ist die Spur einer Lawine. Das Haar weiß, blendend weiß wie ein Nebelschwarm im Weltall. Ein Mund schmal und fein, wie der Schoß einer Orchidee. Keine Falten hat dieser Mund, dieser ewig lächelnde. Er ist geschlossen. Bald für ewig. Und hat das Küssen nicht gelernt. Wie der Mund eines Verdursteten – aber die Lippen sind nicht aufgesprungen, sondern glatt, weiß und unnatürlich schmal. Unnatürlich, wie es die Menschen nennen. Er weiß es besser - 127 -
dieser liebe Mund. Er ist in einem Angesichte, das ist wie die Natur, es plaudert nichts aus und lächelt ewig. Gütig ist es wie die Natur und menschenfremd. Weiße Haare hat dieser Kopf und der, dem er gehört, wird morgen schlag acht Uhr neunzehn Jahre alt.
Neunzehn Jahre alt. Schlag acht Uhr. Und schlag acht Uhr stirbt dieser Junge, mit den Sonnenaugen, mit der Schneestirne und ihrer Lawinenspur. Und dem Munde, der wie der Schoß einer Orchidee. Man hat ihn zum Tode verurteilt. Er fragt nicht: Gibt es einen Gott? Er fragt nicht: Ist das Gerechtigkeit? Er fragt nicht: Was kommt nach dem Tode? Die Antwort auf alle diese Fragen, auf alle Fragen überhaupt, welche die Menschen das Forschen nach der Wahrheit nennen, interessiert ihn nicht. Warum er morgen getötet wird, das weiß
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er nicht. Und wenn ihn der Priester heute fragte: warum hast du Menschenblut vergossen? so hatte er geantwortet: Ich weiß es nicht. Er kennt nicht das, was man Tod zu nennen pflegt, es ist ihm ganz unvorstellbar, daß er, durch Beschluß einer Generation von Idioten, die sich Wissenschaftler nennen, plötzlich aufhören müsse zu existieren und weil es ihm unvorstellbar ist, hat er nie seine Zeit damit verschwendet, es vorstellbar zu machen. Er weiß nur eins, er betet nur eins, er lächelt nur eins: Ich! Ich! Ich! Zum drittenmal hat ihn der Schließer gefragt: Hast du noch einen Wunsch? Doch der Junge lächelt immerfort: Nein! Und wieder fragte ihn der Schließer: Hast du keinen Menschen, kein Mädchen, das um dich weinen wird? Da werden die Sonnenaugen groß und weit. Sie verstehen das nicht. Es gibt doch keine Menschen. Und draußen auf dem Gange sagt der im Dienste ergraute Kriminalkommissar, der nun schon zum dreißigsten Male Einen dem Henker überliefert: Solch einen verstockten Menschen habe ich Zeit meines Lebens nicht gesehen. Dem geschieht sein Recht! Und gleich ihm legt der Priester fromm und gottergeben die Hände ineinander, und seine Augen suchen den Himmel, den hier graues Gestein verdeckt: Wahrlich, wahrlich ich sage Euch, wer Menschenblut vergießet des Blut soll wieder vergossen werden von Menschenhand. Ihm geschieht sein Recht. Ja, ihm geschieht sein Recht. Hast du geträumt, du weißer Knabe, in den duftenden Rosengärten der Erde? Hast du getrunken aus dem süßen Quell, Lethe nennt ihr ihn ja wohl, ihr - 129 -
Menschen? Und vergessen hast du, daß deine Füße an der Erde kleben. In der Zelle stampft es einmal auf. Eisen klingt dumpf gegen Stein. Der beschlagene Schuh hat auf die Erde geklopft. So stampfest du schon einmal heiß und zornig auf, du lieber Junge. Sieben Jahre warst du alt und hattest deine Sonnenaugen schon und dazu dunkles, lockiges Haar. Ja, einmal schon stampfest du so, wie ein Tier an der Kette. Da standet ihr beide auf der kleinen Felsenhöhe, die ringsrum von stillem, dunklem Tann umschlossen ist, einsam und ganz erdenfremd. Liegt im dichten Walde und keiner kennt sie, als du. Du und deine Mutter. Mütterli, wie du so gern kostest. Auf wilder Kletterfahrt hattest du sie entdeckt. Dunkel ist der Tann, durch den man muß, um auf sie zu gelangen, und ein scharfes Klettern gibt es auf zerbröckeltem Gestein, ein verwegenes Winden durch eng aneinander gedrängtes Knieholz. Aber oben scheint Tag für Tag die liebe Sonne. Und heiß ist es da, so heiß und still. In den Stein schriebst du: Sonnenwarte. Und warst ein Kind dabei und ein Mann. Wenn du sie betratest – so befahl dein Gesetz – mußtest du einen gewichtigen Stein in die Hand nehmen und ihn hoch in den Himmel hineinschleudern. Vielleicht fiel er dabei ins Bodenlose. Ins All. Aber dein Stein kam immer wieder zur Erde zurück. Er mußte wohl. So standet ihr einmal auf deiner Sonnenwarte und es war Nacht. - 130 -
Sternennacht. Dein Mütterli, dein junges, weiches, mit den opalenen Augen und dem knospenden Leibe saß auf dem Stein, auf dem es stand: »Sonnenwarte.« Beide saht ihr in die Sterne. Und sie sprach dir von den Sternen, den stillen, den leuchtenden. Du selbst wirst dereinst eine Sonne, lächelte sie, vor dem Eingange in die Erlöserin. Wer ist die Erlöserin, Mütterli, fragtest du. Das ist dein Du! antwortete sie und ihr opalenes Auge glänzte feucht. Sie war vierundzwanzig Jahre. Da sprangst du auf und warfest die Arme weit über deinen Kopf. Deine Sonnenaugen sehnten sich. Eine Sonne! eine Sonne! lachtest du! Mütterli, ich will schon jetzt eine Sonne sein. Warum wurden plötzlich die opalenen Augen so seltsam? Warum glänzte es so in ihnen, als gäben sie klare, feine Tropfen. Tränen vielleicht. Und warum war der Mund wohl so schmerzlich, der nur einmal im Leben geküßte! Mein kleiner Junge! Es ist so schwer, eine Sonne zu werden! Schmerzte der liebe Frauenmund, o so schwer! so leidend schwer. Sieh sie dir an, deine lieben Sterne, wie sie glänzen, wie sie leuchten, wie sie brennen! Mütterli, brennen die Sterne? Ganz in ihrer Tiefe, in ihrem Innen haben sie ein Feuer, diese Sterne. Ein ewig brennendes. Darum leuchten sie so. Weißt du nicht, wie Feuer schmerzt? Schmerz ist schön, Mütterli, man braucht keinem etwas da- 131 -
von abzugeben. Man hat ihn ganz für sich. Und leuchtet doch. Wie ein Lächeln. Nach außen wohl, mein kleiner Junge. Aber im Innen brennt es so und verzehrt sich selbst. Schwer ist es, furchtbar schwer eine Sonne zu sein. Aber das Feuer verbrennt doch die Erde, Mütterli? Warum fragst du? Weil die Erde so schwer ist. Schwer ist sie wohl, aber doch kühl. Die Planeten sind alle kühl und ausgeglüht und strahlen nur den Widerschein ihrer Sonne aus. In wohl gemessenen Bahnen wandeln sie um ihre Sonne und brauchen sich um nichts zu kümmern. Lange Zeit war es so still unter euch. Dein Mütterli sah in die Sterne und lächelte schmerzlich ernst, und du sahst in dich. Plötzlich aber brannten deine Sonnenaugen. Ich möchte doch lieber eine Sonne sein! Und warum? Sieh, der Sonnen sind weniger als der Planeten. Und wenn das eigene Feuer sie auch schmerzt, sie leuchten doch wenigstens
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und haben keine Erde in sich. Auf den Planeten aber wimmelt es von eklem Gewürm, von Tieren. Menschen und Luft. Ausrotten kannst du sie nicht. Schickst du deine Sündflut, so sind immer einige da, die sich Schiffe gebaut haben, und in kurzer Zeit schmarotzt es wieder auf ihr. Schickst du Feuer und Schwefel, so sind immer einige, die sich in die Erde verkriechen und dem Brande entgehen. Und dann: die Erde ist schwer, so schwer, sie hält alles so. Auch die Sonne zwar ist schwer, aber sie hat doch eigene Wege und ist schwer in sich. Nein, ich will doch lieber eine Sonne sein. Mein lieber, großer Junge! Wieder warfst du die Arme in die Luft und hobst den Fuß, als wolltest du von der Erde fort. Deine Sonnenaugen lächelten: Ihr Sterne! Dein Atem wehte: Du Raum! Dein Innen schrie: Feuer! Feuer verbrenne mich und schmerze! Die Menschen sind ohne Schmerz, deren Leben zwischen Geburt und Tod liegt. Die Menschen sind voll Sünde, weil sie denken! Ich denke nicht, ich bin Feuer und Schmerz, und Lächeln nach außen. Doch dem erhebener Fuß trat in leere Luft. Die Luft, welche die Erde umgibt wie ekler Raubtieratem. Du stürztest nieder zu den Füßen deiner Mutter. Heiß kam es plötzlich in deine Augen. Wie kam es, daß du aufsprangst und wild schriest, einmal, zweimal? Da trat dein Fuß die Erde und verwundete sie, deine Kette, die verfluchte! So stampfest du jetzt den Steinboden deiner Zelle. Aber immer blieb das ewige Lächeln um deinen Mund, diesen Schoß der heißesten Orchidee. - 133 -
Es sieht aus, als hätte er nie geküßt. Er hat auch nie geküßt, wie Menschen küssen. Schleimig, tierisch, aller Laster voll. Aber getrunken hat er von dem Wasser der heiligsten Quelle. Nun ist diese Quelle versiegt. Dein Feuer hat sie verzehrt. So hast du geküßt. Du hast gelebt. Es schlägt zwölf und es schlägt eins. Nacht ist es, Nacht. Das gemeine Tier Gewohnheit, das auf dem Planeten wohnt, hat befohlen, daß es zwölf Stunden Tag und zwölf Stunden Nacht sei. Im Weltenraum ist es anders. Da gibt es keine Zeit. Da gibt es keine Tiere. Ewig dunkel ist es dort, kein jäh aufflammendes Tageslicht schmerzt die Augen, die durch keine Lufthülle beengten. Kein jäh niedersinkendes Schwarz schmerzt die Augen. Nur die Sonnen sind, die lächelnden, die verbrennenden … In der Kerkerwand rieselt es … ries … ries –. Kalk tropft inwendig nieder und vermorscht das ganze Haus. Ja, vermorscht ist das Haus. Die Totenuhren klopfen – tick tack, die Gemeuchelten schleichen sich unsichtbar in die Zellen und hocken neben jedem, was er auch getan. Sie flüstern, sie zischeln, sie erzählen vom Menschen und seinem Haustiere Gewohnheit. In der Zelle links neben dir sitzt einer, der hat zwölf Frauen ermordet. Er sagte: aus Gewohnheit. In vierzehn Tagen stirbt er und hat Kinderaugen! In der Zelle rechts neben dir sitzt eine Frau, die hat gestohlen ihr Leben lang: aus Gewohnheit. Sie sitzt in dieser Zelle schon vier Jahre lang und muß noch vier darin bleiben. Und sie hat so sehnsüchtige Augen. Aber hast du - 134 -
den Richter nicht gesehen, der dich zum Tode sprach, mit so feiner, so ausgeklügelter Rede? Der so voll war von Unmut und Ekel gegen dich? Heute nacht geht er zu seiner Liebsten, denn ihr Mann, der große Künstler, ist verreist. Oder dein Priester, der von Gott und Christus sprach und von deiner Sünde, der fürchterlichen? In sich hat er ein Tier, ein ausgemergeltes. Das will fressen und fressen. Als ihm einer in der Beichte verriet, er habe seinen Vater erschlagen, da nahm er diesen Mann mit in seine Kammer, wo das Bett stand. Und der Mann tat ihm den Willen, damit ihm seine Sünden vergeben würden und er nicht vor den Staatsanwalt brauchte.
Lächele, mein Knabe, lächele. Das Tier Gewohnheit ist an dir vorübergegangen, als dein Mütterli von den Sternen sprach, den leuchtenden, den geschmerzten. Lächele, mein Knabe, lächele, denn morgen, Schlag acht Uhr, wirst du eine Sonne sein. Warum werden deine Augen plötzlich so weit, so froh … Du hast nicht gehört, daß es zwei Uhr schlug … - 135 -
Da ist dein Häuslein, in dem dein Mütterli wohnt, mit dir. Es steht am Waldesrand, hinter sich die Buchen, die goldgrünen mit dem weiten Geäst: den sehnend ausgebreiteten Armen. Wie oft lagst du in ihnen, wenn das Eichhorn über dir pfiff und dir von seiner Freude erzählte. Oder der Quell in der Nähe raunte: Vom Himmel komme ich, o vom weiten, lieben Himmel! Und einmal, wenn die Sonne sehr heiß, kehre ich wieder zu ihm. Und die Vöglein neugierig in der Nähe saßen und sangen, und eine Drossel ganz laut rief: Wahrhaftig! Dieser Junge hat Sonnenaugen. In der Nähe ist auch ein Wäldchen Birken. Seidene Haare haben sie und frischgewaschene Sommerkleider. Sie blinzeln und lachen, sind nie betrübt, und wenn er mit roten Wangen durch sie rennt, dann kichern sie fröhlich hinter ihm drein. Draußen aber vor dem Hause ist das allerschönste: die Wiese! Sie reicht bis ferne hin, wo Himmel und Erde sich berühren wollen, sie blüht und läutet und betet, ist erfüllt von Heben Düften. Hoch und seidig ist das Gras. Er rauscht und raunt, und man liegt so weich in ihm, wie im Schöße der liebsten Frau. Da ist es gut in den Himmel sehen. Ganz offen ist er, und zuerst hell, dann blau und immer tiefer blau, daß man den Weltenraum ahnt. Oft blinkt am Tage auch ein heller Stern, wenn die Sonne nicht so sehr nahe, und Mütterli sagt, das ist die Venus. Nur wer helle Augen hat und gerne in den Himmel sieht, kann sie auch am Erdentage schauen. Er lebt in Wald und Feld. Er geht in keine Schule, denn in meilenweitem Umkreise gibt es hier kein Haus und keine Menschen. Und doch weiß er so viel. Am meisten aber von den - 136 -
Sternen, die ihn immer so froh machen. Auch lesen kann er und schreiben, aber das Rechnen bringt ihm das Mütterli nicht bei, denn sie sagt, das verdirbt die Freude. Und man ist da, um sich zu freuen, alles kennen zu lernen, was froh und glücklich macht und einen geliebten Menschen zu erfreuen. Bisher hat er noch keinen Menschen gesehen. Wenn welche kamen, dann sagte ihm das Mütterli: Du! Die Tiere kommen! und er verkroch sich im Walde. Er will auch nichts sehen außer dem Mütterli, dem Himmel und dem Wald mit seinen lieben Tierlein. Er liest auch wenig nur, denn die schönsten Geschichten erzählt ihm ja die Natur. Und so bekommt er auch das Angesicht der Natur. Ist schön, groß und schlank, schreit mit dem Sturme um die Wette, singt mit den Vögeln, raunt mit dem Walde, dem Grase und der Quelle und lächelt mit dem Himmel. Und er ist schon fünfzehn Jahre alt. Wenn die Sonne kommt, dann steht er auf und nimmt ein heißes und nachher ein kaltes Bad. Läuft nackend durch die Zimmer, nackend durch Wald und Wiese und kommt ins Haus zurück. Er weiß nicht, daß sein Mütterli am Fenster steht und ihm nachschaut, wie er so, weiß und leuchtend wie ein Gott durch die Wiese läuft, und daß sie sehnsüchtige Augen bekommt, je größer er wird und schöner. Dann zieht er sich an und sie frühstücken. Und der Tag wird wieder wunderbar schön und es ist alles so, wie es immer wird. Am Abend aber wird der Horizont plötzlich fahl und gelb, die Sonne steht glühend rot, wie ein gieriger Mund, tief, fast auf der Erde, als wollte sie den ganzen Planeten einsaugen und ein pfeifendes Heulen jagt durch die Steppe. - 137 -
Die Halme singen laut und alle Vögel schreien ängstlich. Da kommt es aus der Steppe gestürzt und brüllt und heult ängstlich: Wölfe, Füchse und einmal selbst ein Leopard. Alles stürzt dem Walde zu mit seinem Buchengeäst, den hilfreichen, weiten Armen. Die Birken sind ängstlich, wie kleine Mädchen, und drängen sich aneinander, ihre Haare flattern zerfetzt im Winde. Auf der gelben Wolkenwand im Westen aber steht ein heller, grauer Trichter, der sich rasend um sich selbst dreht und immer näher schreitet. Wohin er aber kommt, reißt er die Erde mit sich in die Wolken hinauf. Eine weiße, wehende Straße hat er in das Gras gezeichnet und immer länger wird diese Straße und näher. Plötzlich bewegt sich die gelbe Wolkenwand. Vor das böse, rote Auge oder den Mund der Sonne hat sie sich geschoben, es wird finster auf der Erde. Und ein Schreien brüllt in den Lüften wie von hunderttausenden grimmiger Streiter. Es ist nachtschwarz. Und der Orkan kommt. Die Windhose rast dicht an dem Häuslein vorbei und in den Wald hinein. Tausendjährige Buchenstämme krachen wie Spreu zusammen oder fliegen in der Luft herum, hochgewirbelt – irgendwie – Dann gibt es brüllenden Donner und zischend aufflammende Blitze. Die ganze Nacht ist ein Blitz und Donner und draußen stürzt der Regen wie ein See zur Erde nieder. In dem Häuslein sitzen zwei auf dem Ruhebett. Das Mütterli weit nach hinten gelegt, die Augen geschlossen. Sie ist wundersam schön in diesen Stunden. Die dunklen, wirren Lockenhaare - 138 -
in die weiße Stirn gefallen, der Mund, eben halb erblüht und tiefrot, der Leib unsagbar duftend und knospenweich. Sie ist zweiunddreißig. Der Fünfzehnjährige kniet zwischen ihren Knien und hat den Kopf in ihren Schoß gelegt. Er fürchtet nicht den Sturm, und sie ihn auch nicht. Aber es ist so schön, so unsagbar schön, so zu liegen und zu fühlen. Und darum bleibt er so. Eine Uhr schlägt elf, schlägt zwölf. Sie liegen immer noch und sprechen kein Wort. Da greift die Hand der Frau nach der Schulter des Jungen. Streicheln will sie, streicheln. Aber was schüttelt plötzlich den Leib, diesen knospenden? Die Augen bleiben geschlossen. Der Mund fest zusammengepreßt. Aber beide Hände greifen nach den Schultern des Jungen und reißen das Hemd in Fetzen von dem Leib. Weiß liegt das Fleisch bloß, das volle, weiche. Die Augen der Frau öffnen sich blitzartig, als reiße ein Kampf die Lider hoch. Geradewegs sieht sie in die Sonnenaugen des lieben Jungen. Wie diese Augen lächeln, leuchten. Sie sieht den Mund und der duftende Schoß einer Orchidee ist dieser Mund. Halb geöffnet, ein Tor, frei zum Eintritt geöffnet. Der Mund einer Frau. Die Frau schreit auf und nun sieht sie diese weißen Schultern, sieht das Fleisch und empfindet den betäubenden Duft der Haut. Glockenblumen, Veilchen, Waldduft … Draußen und drinnen donnert der Gewittersturm. Gut sind die Frauenhände, wenn sie streicheln, lind wie Sammet, violettener, der sich an Goldbrokat schmiegt. Aber messerscharf, - 139 -
wenn der Blick in Blut getaucht. Er ist in Blut getaucht! An den Schultern des Jungen sind lange blutende Wunden. Das Blut rieselt über den Rücken. Es zeichnet lange Rubinspuren – niegesehene. Rubin auf Silber. Seine Augen sind geschlossen. Die Hände auf der Brust verkrampft. Er lächelt ein seltsames Lächeln. Er ist eine Sonne. Die Frau stürzt aus dem Zimmer und in die Schlafkammer. Da fährt der Junge auf und starrt ihr nach. Er sieht wie die Kleider in Fetzen fallen. Sieht den königlichen Glanz des befehlenden Blickes, den Wurf der Haare, deren dunkle Wellen rieseln über Nacken und Schultern. Sieht die Brüste, diese Schneehügel mit ihrer rubinen Spitze und die Mamorsäulen der Schenkel, die verfleischter Alabaster sind. Und der Schatten, der duftige, der das Tor des letzten Sinnes allen Seins umschließt. Die Schenkel der Frau und ihre Arme öffnen sich. Die Sonnenaugen lachen und er ist ganz klopfendes Herz und brausendes Hirn –. Was ist der Fuß so langsam und die Erde so schwer. Vorwärts, vorwärts, es sind ja nur zehn Schritte – zehn Schritte – zehn – Es splittert und kracht am anderen Ende des Zimmers. Der Sturm hat ein Fenster eingeschlagen und greift mit wilder Faust in das Zimmer hinein. Er nimmt die offene Tür des Schlafzimmers und schmettert sie donnernd zu. Drinnen zieht eine totenbleiche Frau mit plötzlich ganz - 140 -
glanzlosen Augen langsam – unendlich langsam – Stück für Stück ihrer Kleidung wieder an. Aus dem zersplitterten Fenster aber springt ein nackter, schöner Knabe und schreit zornig in den brüllenden Orkan. Der Morgen ist wieder schön und heiter.–Zwar hat der Orkan den Buchenwald furchtbar gelichtet und von dem Birkenwäldchen ist nicht viel übrig geblieben auch zieht sich durch die Steppe und noch weit durch den Wald die Spur der Windhose aber doch ist der Himmel derselbe geblieben. Blau und wolkenlos und tief. Die Vögel singen wieder und bauen langsam ihre zerstörten Nester auf, das Eichhörnchen besieht sich kopfschüttelnd die Zerstörung und alles ist, als wäre nichts gewesen. Im Häuslein am Waldesrande sitzen sich zwei beim Frühstück gegenüber und sehen sich an. Die Frau ist bleich und hat dunkle Ringe um die Augen. Der Junge ist derselbe geblieben. Seine Sonnenaugen werden plötzlich ernst und er fragt: Mutter – wo ist mein Vater?! Im Herzen der Frau krampft es sich urplötzlich jäh und wild. Sie ringt nach Atem und bedeckt die Augen mit der Hand. Diese Frage! Nun weiß er es; sie selbst hat den Schleier zerrissen, der das große Geheimnis verbarg. Seit heute nacht weiß er es! Er ist fort, als du wurdest, antwortet sie. Der Junge nickt versonnen und steht auf. Er war eifersüchtig auf mich, ich weiß es! lächelt er und dann geht er in den Tag. Er geht in den Tag. Er läuft nicht wie sonst, denn niemals war er mehr Mann, als in dieser Stunde. Und ein Kind doch. - 141 -
Ein Knabe, ein weißer. Er denkt nicht nach, dessen bedarf es nicht. Aber doch geht er so langsam und so selbstbewußt, als sei er ein König. Die Frau sieht ihm vom offenen Fenster aus nach. Auch sie kann heute nichts denken. Aber sie weiß, was mir der Orkan weigerte, wird mir die Stille geben. Menschen und Menschengesetze gibt es hier nicht. Ich bin eine Freistatt für die heimatlose Sehnsucht. So will ich ihr eine gute Freistatt sein. Im Walde ist er schon. Und er hört wieder seinen Freund, den Wind, mit den Blättern flüstern, sieht seine heimliche Liebe, die Sonnenstrahlen, die mit dem Moose scherzen. Es ist so warm. Er wirft die Kleider fort und schreitet weiß und nackt weiter. Nackt? ist er wirklich nackt? Warum sind diese seltsamen Augen so tief und leuchtend? Man sieht nur diese Augen, aus denen eine fleckenlose Seele blickt und vergißt den Körper, den königlichen. So schreitet er durch seinen Wald, bis der Weg hügelig wird. Durch kniehohes Farnkraut, mit dem die Sonne spielt. Da sind lange, seidene Fäden einer Spinne von Baum zu Baum gespannt. An seinen Schultern bleiben sie hängen und flattern im Weitergehen. Wie die Fransen eines Sonnenmantels sind sie, diese Silberfäden, denn der bronzene Glanz des Gestirns liegt nun auf seinem schneeweißen Rücken und läßt ihn wie ein Goldgewand erscheinen. Blätter sind in seine Haare gefallen und so, gekrönt, steigt er den Berg hinauf, wo der tote Wald beginnt. Hier stehen die Tannen so dicht, daß sie sich Luft und Leben - 142 -
nehmen. Gegenseitig. Ganz schwarz sehen sie aus und wie verbrannt. Der Boden ist besät mit gelbem, getrocknetem Nadelwerk und langbeinige Spinnen huschen von Baum zu Baum. Wie er weiter steigt ist er bald ganz im toten Walde. Einmal bleibt er stehen und sieht sich um. Da leuchtet es hinten ganz goldiggrün durch das schwarze Geäst und der liebe, weite Buchenwald ist es, der wie ein Schleier vor dem Tannengehölze weht. Höher! Die Tannen werden niedriger und enger. Alle sind vermorscht, die allzuvielen, allzudichten. Und schon ist Gestein überall und bald auch bemoostes. Da glänzt auch schon die erste, tiefrote Höhenblume und rechts ist eine kleine Lichtung ganz davon übersät. Jetzt gilt es Kopf und Hand zu regen. Hier ist ein winziger Spalt im Gestein. Dahinein den Fuß! Und der Blick erspäht bald eine Felsenkante vier Schuh höher. So geht es aufwärts, eine gefährliche Treppe! Und die Tiefe darunter ist fast unheimlich geworden, die in den toten Wald führende. Da liegt die Sonnenwarte. Das Gestein kocht und die Sohlen tun so weh auf ihm. Ein faustgroßer Stein liegt auch da. Den hinaufgeschleudert ins Blaue! Irgendwo stürzt er krachend in den toten Wald und der Lärm von fallendem und rutschendem Erdwerk poltert durch den Wald. Er setzt sich auf den Stein und zieht die Knie an die Brust. Legt die Hände darauf und starrt ins Blaue. Und sitzt so lange Zeit. Wie seltsam sein Leben ist – und wie schön! Ganz allein ist er, mit seinem Mütterli und es gibt keine Menschen! Der Him- 143 -
mel ist so hoch und blau und irgendwo im Weltall ein schönerer Stern. Wenn er einstmals für die Erde stirbt, dann wird er neben diesem Stern als Sonne erwachen. Wird diesen Stern in sich ziehen und mit ihm verbrennen. Zu einem einzigen. Und die Astronomen der Erde werden die Köpfe schütteln und sagen: Sieh da eine Nova! Eine Weltkatastrophe im Universum! War jener Stern bewohnt, so gab es ein schreckliches Ende für die dortige Menschheit. Was dann aber weiter wird, das kann und will er nicht wissen. Auch ein Sonnendasein hat ein Ende. Jeder Traum hat ein Ende. Er träumt ja dieses Leben nur, sagt das Mütterli. Auch hat ihm das Mütterli erzählt, daß die Menschen Gesetze haben. Wenn er das hörte, mußte er immer lustig lachen. Der Wald hat freilich auch seine Gesetze: Wo die Tannen zu dicht stehen müssen sie alle sterben. Wo aber eine einzelne Buche steht und ihre Äste und Wurzeln frei und unbeherrscht entfaltet, da wird ein schöner, o ein wunderschöner Baum. So ist auch er wunderschön und allein. Schön, weil er allein ist und ihm niemand das Wachstum seiner Wurzeln und Zweige hemmt. Aber er weiß es und lächelt dabei: wolle ihm einer seine Wurzeln zerstören, so wird er fallen und vieles um sich zerschmettern. Aber es gibt ja keine Menschen. Er sieht keine und darf mit Wind und Wald reden, wie er will. Beide hören ihm so geduldig zu und freuen sich an ihm. Und er freut sich an ihnen. Noch hat er nicht an den Orkan gedacht und das, was wäh- 144 -
rend des Orkans geschah. Warum auch? Es wird wieder geschehen, schöner und größer noch aber in der Stille. Er ahnt nicht, daß ihm sein Freund, der Wind, eine Türe verriegelt hat, um ihn sich zu erhalten. Denn in jenem Augenblicke, da er diese Tür durchschritten hätte, wären Wald und Wind nicht mehr gewesen. Für ihn nicht mehr. Und der Wind war eifersüchtig, denn die Natur ist immer eifersüchtig, auf den, der ihrer vergißt und seiner selbst dadurch vergißt. Er denkt: ich kenne meinen Vater nicht. Aber sicher war er ein schmutziges Tier. Er entblößte, vergewaltigte den Schoß der Frau, auf den ich alleiniges Recht besitze. Dieser Schoß ist mir zum Tor geworden für das Außen, ewig bleibt er mir geöffnet, daß ich durch ihn zu meinem Innen wiederfinde. Schmutzig ist die Schwelle, auf der ein Bettler lag. Ein Bettler ist mein Vater. Er ist gekommen und gegangen. Wäre er geblieben, so wäre er der König und Herr des Hauses, mein König und Herr! So – ist er fort! Wo ich ihn finde, will ich ihn jagen in seinen Lumpen, den armseligen. Und er steht auf und schreit: Wer einem Bettler gibt, nimmt sich selbst und beschmutzt seine Schwelle! Mit Peitschen soll man sie jagen, die Hunde, die von dem Brote ihres Herrn leben und heimatlos sind. Mutter! Mutter!! Warum hast du mein Tor beschmutzen lassen!! So fällt er auf den Stein und liegt in der glühenden Sonne. Zärtlich küßt diese Sonne ihn, den Weißen, der auch einmal eine Sonne sein wird. Und der Wind streichelt ihn, der Freund. Ein Flüstern jagt ihn empor. Die Frau steht vor ihm und - 145 -
atmet tief. Den ganzen Weg zu ihm ist sie gelaufen durch Unterholz und Dornen. Ihre Kleider sind zerfetzt. Arme und Brust bluten. Ganz weiß ist ihr Gesicht und die Augen tief wie Abgründe. Das Herz rast bis in den Hals hinauf und läßt die Adern flattern. Er steht und starrt sie an. Sie kam in seine Träume. Sie kam, um sie zu heiligen. Nicht als Büßerin, sondern als Erlöserin. Und er küßt ihr die Hände und trinkt das Blut aus ihren Wunden. Dann versinken ihre Blicke ineinander. Sie duftet so schwer und tief, daß es ihm im Halse würgt. Ihr Fleisch ist heiß wie kochende Lava und zittert von den Herzstößen. Durch den dünnen Stoff des Kleides leuchtet die Haut, die perlmutterne und duftet ihm entgegen und – streichelt. Er läßt seine Hände aus den ihren. Aber die Blicke bleiben ineinander. Da jagt der aufspringende Wind ihr Kleid hoch uns er sieht das Fleisch der Schenkel und das Weiß, das seidene, das sie umhüllt. Und nun sieht er nicht mehr, sondern weiß, es ist da ihr Schoß, aus dem stammt er und muß zu ihm zurück, ob er will oder nicht. Es ist geöffnet das Tor zum einen, letztenmal, bereit ihn aufzunehmen. Dann findet er sein Innen wieder. Seine Hände zerfetzen das Kleid. Der Mund wird durstig, halb geöffnet, eine trinkende Orchidee. Die Sonnenaugen sind der Wunder voll und brennen in letzter Heiligung. Es schmerzt furchtbar! Und die Hände reißen die letzte Hülle hinweg. Das Gesicht der Frau ist alabastern. Die Augen Fackeln. Die Nüstern Sturmsegel, die der Taifun flattern läßt. Der Mund, dieser Mund ein untergehendes All, in dem die Zähne blanke - 146 -
Schwerter sind. Sie sollen alle Erden zerfetzen, damit ein Ich, ein Du, ein Ich im Du, den Raum durchbrenne. Maßlos schreit die Frau auf. Ihr Herz will zerspringen, ihr Atem zerkochen. Die Brüste leuchten wie Blütenkelche, Blut brennt in ihrer Mitte – eine Schwertspitze mit Blut gekränzt. Sie muß hinein in das weiche Fleisch muß morden – muß rasen in einem Wahnsinn, dem alles untertan. Das Gehirn denkt nicht mehr. Es wirbelt wie ein Orkan. Es ist heiß. Es ist ungeheuer. Es schreit in maßloser Lust. Dann sieht es und weiß: Da kniet der Mann. Sein Leib blendet wie flüssiges Silber, seine Augen sengen, seine Haare sind Schlangen. Sie werden dich beißen, diese Nattern, mit giftigen, guten Küssen. Der Mund, der Orchideenmund, wird trinken. Sein Leib dich durchbohren! Durchbohren!! Aufwühlen den Schoß in fürchterlichem Wirbel! Zerfetzen! Trinken! Berauschen! Nicht mehr sein! Augen hat dieser Junge – dieser Mann – dieser Gott, sie sehen, ich weiß es! Sie sehen die Schenkel, die marmorne Säulen sind, sie sehen den Leib wieder und wieder – und dich, der du letzter Sinn des Seins und allen Lebens bist. Weich ist der Schleier, der dich deckt, du Tor der Auflöserin! Du einzige Pforte zum Nichts und All im Nichts. Der Mann sieht – er taumelt. Auch er schreit. Er springt auf. Seine Hände greifen und halten. Der Mund verbeißt sich im weichen Schulterfleische, und das Blut, das rubine, das heiße, strömt Nacken und Brust herab. Die Frau verkrampft sich an seinem Halse. - 147 -
Wahnsinnig geworden fallen sie auf den Stein der Sonnenwarte und der Junge tritt in das Tor der Auflöserin. Es brennt furchtbar! Es schmerzt! Schön ist der Schmerz! Wunderbar schön! Er ist eine Sonne. Sie liegen Nacht und Tag auf der Sonnenwarte. Sie kennen nicht mehr Nacht und Tag. Einmal kehren sie auch nach Hause zurück in das Häuschen am Waldrande. Aber Nacht und Tag sind sie eng umkrampft und können nicht voneinander los. Sie wollen es auch nicht.
Der Wald lockt nicht mehr und der Wind auch nicht. Sie rufen nicht nach ihm, sondern bleiben still, ganz still. Sie wissen, wer eine Sonne geworden, der hat nichts mehr mit ihnen zu tun. Auf einer Sonne gibt es nicht Wald und nicht Wind, nur noch die Glut, die unermeßliche. Es ist nicht wahr, daß die Sonnen erkalten können! Was wißt ihr denn, ihr Gelehrten! Die Sonne brennt ewig und verbrennt schließlich in sich selber. Letzter Schluß: die Auflöserin. Grübelt nicht. Senkt nicht das Senkblei in nie vorhanden gewesene Tiefen. Der Frauenschoß ist die letzte Lösung. Das eine - 148 -
Tor. Ihr Toren, die ihr von ihm ins Außen ginget, jeder muß doch zurück, zurück zu ihm, um sein Innen wieder zu erringen, auf dem Wege des Kreises, – die ihn nicht geben können oder nicht wollen, sind die Armen, die Toten. Sie sterben ganz gewiß. Aber warum zeugt ihr! Warum schleudert ihr neuen Irrwahn in die Leere der Erde hinaus, damit er neuen Kreislauf antrete? Bleibt im Heiligtum und verschließt die Pforte. Verriegelt sie! Die Erde ist wüst und leer und es ist finster auf der Tiefe. Der Geist, der spricht: Innen. Und es ist so: Der Zeugende ist ein Mörder! Doch der den Schoß Schließende, den eure alberne Erfindung Gesetz verfolgt, der wahre Lebensbringer. Es werde Licht, das Licht der Leere, das ist nur das Innen. Das im Gut ist es, daß ein Prophet sprach: Meine Wege sind nicht eure Wege, und eure Wege sind nicht meine Wege. Ich spreche hier, der Schreibende, nicht zu euch, ja nicht zu euch, das habe ich längst eingestellt. Ich spreche zu mir. Und jeder spreche zu sich. Und wie jener Pharisäer schlage ich an meine Brust, ich, der ich meine Mutter liebte, meine eine Frau, und spreche: Herr! ich danke dir, daß ich nicht bin, wie jener Zöllner! Ich danke mir! Mir Herr! Und lache eurer alle, die ihr die ersten Steine aufhebt, die ihr ohne Sünde seid, ihr Richter! Ein ekler Traum seid ihr mir, den ich jetzt im restlosen Erwachen abschüttele. Ein Tor, der für euch predigte! Ich predige nur mir selbst. Und das Geheimnis meiner Lehre ist mit Strahlenschrift in mein Auge geschrieben, das mir selbst - 149 -
leuchtet. Warum seid ihr so furchtsam vor meinem Blicke und stöhnt, euch bekreuzigend: ein Irrer? Weil eure Augen nach außen schauen und das meine nach innen. Das ist es, ich bin in das Tor getreten, das nun vermauert wurde. Und ich überdenke es noch einmal – da es sieben Uhr schlägt und die Zeit nahe ist –: Ich liebe meine Mutter. Die mich schuf, sie nahm mich auf, als ich aus der Heimatlosigkeit kam. Und da man mit Gewalt durch meine Tür dringen wollte – vermauerte ich diese Tür! Ich liebe meine Mutter. Es schlägt acht Uhr, und draußen im Hofe, dem grauen, dem hoch mit Mauern umschlossenen, klirrt das Fallbeil.
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Einer ist eine Sonne geworden. Seine Sonne. Er ist nicht mehr auf der Erde. Es kam einer in die Stadt gerannt, einer mit fürchterlichen Augen, die das lebende Entsetzen waren. Halb irr war er, als er nach der Polizei schrie. Nach Stunden erst verstand man ihn. Eine Mordkommission war zur Stelle und brauste auf Autos über die Steppe, bis der Wald von ferne dämmerte. Hier stand ein kleines Häuschen. Weit offen die Tür und auf der Schwelle zwei Menschen. Liegend. Umkrampft in irrem Liebestaumel, wie es schien. Der Mann nackt auf der Frau, die ihn umklammert hielt. Er lag auf ihr, wie ein Zeugender. Ein Zeugender. Der Mann lebte, aber die Frau war tot. Ihr feiner, weicher Hals hatte blutige, tief eingegrabene Striemen. Sie war erdrosselt worden. Der die Polizei hierher geführt hatte, raufte sich das Haar und schrie und weinte! Ich bin der Mann, stöhnte er, und das hier ist meine Frau, die Tote. Der Junge dort mein Sohn. Als er geboren wurde, ging ich ins Ausland. Heute kam ich zurück. Der Junge floh vor mir in den Wald. Am Abend aber, als ich mit meiner Frau zusammen schlafen gehen wollte, stürzte er wie ein Wahnsinniger ins Haus und schleifte mich hinaus. Wie ich zurückkam, sah ich ihn mit meiner Frau seiner Mutter! – auf der
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Schwelle liegen. Er nahm sie! Wie ein Tier! Erwürgte sie und ich konnte ihr nicht helfen. Mir waren die Glieder gelähmt, wie im Traume! Man führte den jungen Menschen gefesselt in die Stadt. Aber alles Volk staunte und entsetzte sich, als es ihn sah: der Junge, der Achtzehnjährige hatte ein königliches Antlitz. Sonnenaugen. Einen Mund, wie der Schoß einer Orchidee. Und die Stirn, eine Gletscherwand mit einer tiefen Falte zwischen den Brauen, die anzuschauen war wie die Spur einer Lawine. Aber sein Haar das des Achtzehnjährigen – war schneeweis. Greisenhaar. Das ist die Strafe für seine gottlose Sünde, sagte eine alte Frau, die es wußte. Und das Volk schmähte ihn und schlug ihn. Vor Gericht gab er als Motiv seiner Tat knapp und klar: wohlüberlegten und vorbereiteten Lustmord an. Er gab es an, um zu sterben. Er wurde zum Tode verurteilt. Sein Vater wurde fünfundneunzig Jahre alt. Requiescat in pace! So schrieb ich und lege nun die Feder fort. Ich bin erlöst. Die Pforte habe ich geschlossen, o du geliebte, du weiche Frau! Du meine mütterliche Frau! Nun nennen mich die Menschen einen Wahnsinnigen. Denen es immer an Arbeit mangelt, den Menschen will ich diese einzige Beschäftigung, die sie haben, wohl gönnen. Es macht ihnen Spaß, mich auf der Straße anzustarren und zu belächeln, es macht ihnen Freude und Vergnügen, mich - 152 -
einen Wahnsinnigen zu nennen, sie sollen diese ihre Beschäftigung behalten! Denn Arbeit ist heilig! Arbeit ist geheiligt, denn der Mensch hat sie erfunden, um die Zeit bis zum Tode damit totzuschlagen. Ich aber, der ich nie arbeiten gelernt, der ich nur Leiden kenne und Schmerzen, lege mein Lächeln an, mein frohes, das mir so wohl steht. Und ich danke dir! Ich bin erlöst.
- Ende der grausamen Geschichten -
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