M. V. Carey Die drei ???
Die schaurige Statue
revised by AnyBody
Kali, die grauenerweckende Statue der menschenfresse...
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M. V. Carey Die drei ???
Die schaurige Statue
revised by AnyBody
Kali, die grauenerweckende Statue der menschenfressenden Hindugöttin, galt vor Urzeiten als Idol eines Killerkultes und noch heute strahlt die Figur eine unheimliche Faszination aus. Kaum werden die Drei Detektive Zeugen der Entführung eines unliebsamen Nachbarjungen, wird klar, um was es den Kidnappern geht: die Figur der mehrarmigen Sinpur Kali ... Originaltitel: »The Three Investigators in the Case of the Savage Statue« Aus dem Amerikanischen übertragen von einem Übersetzerteam (Random House Inc., New York / 1987, ISBN 0-394-88225-3/pbk.) Schutzumschlag von Joshua Cameron jr.
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Vorbemerkung »The Three Investigators in the Case of the Savage Statue« erschien im Jahre 1987 als achter Band der vom amerikanischen Verlag Random House initiierten Serie »Find Your Fate«. Hierbei handelte es sich um eine kurzlebige Reihe von Abenteuerspielbüchern, die sich in den 1980er Jahren vor allen Dingen in den USA großer Beliebtheit, allerdings bei anderen Verlagen weitaus größerer Absätze erfreuten. Die »Find Your Fate«-Reihe umfaßte unterschiedliche Sujets und Serien. Eins von ihnen waren die drei ??? – auf diese Weise entstand ein Ableger der Originalserie »The Three Investigators«, die parallel zu »Find Your Fate« weiterhin veröffentlicht wurde, jedoch bereits zu schwächeln begann und mit sinkenden Absatzzahlen zu kämpfen hatte. Gleich die ersten beiden »Find Your Fate«-Bände waren den drei ??? gewidmet: »The Case of the Weeping Coffin” und »The Case of the Dancing Dinosaur”. Diese beiden Werke, verfaßt von neuen Autoren (Rose Estes, sowie Megan und H. William Stine) wurden in Deutschland veröffentlicht (»... und der weinende Sarg« & »... und das Volk der Winde«), wobei die Übersetzerin Leonore Puschert weit mehr als sonst zu tun hatte: sie formte den in mehrere Handlungsstränge aufgesplitteten und in diversen Sackgassen endenden Originaltext in einen linearen Handlungsablauf um. Spanien und Finnland waren neben Deutschland die einzigen Länder, in welchen man sich überhaupt der »Find Your Fate«-Bücher annahm, doch tastete man auf der iberischen Halbinsel die originale Struktur der Geschichten nicht an. In Finnland bediente man sich der deutschsprachigen Übersetzungen. Hierzulande verweigerte man sich den beiden anderen Bänden »The Case of the House of Horrors« und »The Case of the Savage Statue«, die in »Find Your Fate« Band 7 und 8, und somit auch den Abschluß der -2-
Reihe bildeten. Ob die Übersetzung und Bearbeitung zu mühselig oder zu unbefriedigend erschien, oder ob die beiden Vorlagen aufgrund mangelhafter Qualität abgelehnt wurden, ist nicht bekannt. Hat Leonore Puschert die »Find Your Fate«-Bände Nr. 7 und 8 bearbeitet und wurden sie dennoch nicht veröffentlicht? Statt dessen begnügte man sich mit der Veröffentlichung der letzten Episoden der »The Three Investigators«-Reihe und den sich anschließenden »Crimebusters«-Episoden. Somit war »Shoot the Works« nach den beiden Find Your Fate- Büchern »The Case of the House of Horrors« und »The Case of the Savage Statue« das dritte und letzte Drei ???-Buch, das nie in deutscher Sprache erschien. Nachdem im Spätsommer 2001 "Shoot the Works" in deutscher Übersetzung (»Die drei ??? – Kriegsspiele«) vorlag, wurde überlegt, welches der beiden verbleibenden, noch nicht übersetzten Bücher sich am ehesten für eine Bearbeitung eignen würde. Die Stines hatten im »House of Horrors« – ähnlich wie beim »Weeping Coffin« – mit der persönlichen Anrede des Lesers gearbeitet; dies hatte Leonore Puschert dazu gezwungen, in ihrer Übersetzung den Charakter eines die drei ??? begleitenden Jungen (Michael) zu schaffen. Wir geben der »Savage Statue« den Vorzug, weil dort die drei ??? begleitet werden, ohne daß der Leser direkt miteinbezogen wird – ihm wird lediglich eine Identifikationsfigur, Pinky Hainsworth, bereitgestellt. Wir konnten also die Geschichte übersetzen, ohne uns der persönliche Anrede durch Hinzudichtung einer Figur entledigen zu müssen. Außerdem stammt diese Geschichte von M. V. Carey, einer Autorin der alten Garde – allein dies rechtfertigte unserer Meinung nach den Vorzug gegenüber dem »House of Horrors«. Eine Änderung nahmen wir jedoch vor: Wir haben nicht das gesamte Buch übersetzt, sondern nur jenen ausführlichen Handlungsstrang, der in ein gutes Ende mündet. Dies bedeutet -3-
also, daß die »Find Your Fate«-Struktur durch einen linearen Ablauf ersetzt wurde. Das Übersetzerteam bestand aus zwei Personen, und die Aufgaben waren klar verteilt: Der erste legte den Weg durch das Kapitelwirrwarr fest und übersetzte die gesamte Geschichte. Der zweite lektorierte den Text. Im Gegensatz zu »Shoot the Works« wurde der Text nicht kapitelweise, sondern an einem Stück veröffentlicht. Diese Übersetzung ist ein Projekt von Fans für Fans. Unsere Intention war es, ein längst vergriffenes und auf Internetauktionen zu hohen Preisen gehandeltes Buch den deutschsprechenden Fans der drei ??? zu erschließen. Die Geschichte ist deshalb ausschließlich für den ‘Konsum am Bildschirm’ gedacht. Da wir den Text dieses Dokuments mit einem Kopierschutz versehen haben, kann er weder dupliziert und zweckentfremdet, noch ausgedruckt werden. Das Abspeichern und Bereitstellen der Datei auf anderen Internetservern bzw. seiten ist strengstens untersagt. Gesellt Euch nun zu Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews und löst das Rätsel der Schaurigen Statue... EUER ÜBERSETZERTEAM
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Wen Kalis Klauen ergreifen... Vor Urzeiten galt die grauenerweckende Statue der menschenfressenden Göttin Kali als Idol eines Killerkults. Nun droht ihr böser Einfluß von den drei ??? Besitz zu ergreifen! Die drei Jungen sind einer Entführung auf der Spur, und die Schaurige Statue steht im Mittelpunkt finsterer Machenschaften. Doch die drei Detektive benötigen Hilfe: Pinky, ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft, assistiert ihnen bei der Auflösung des Falles, damit sie nicht in die Fänge der gefährlichen Göttin geraten. Die vier müssen sich vorsehen! Mit der Statue ist nicht zu spaßen, und wer sich nicht vorsieht, wird von den telepathischen Kräften der grimmigen Göttin verführt und könnte – anstatt das Rätsel um Sinpur Kali zu lösen – auf einem Seelenfrachter nach Panama verschifft, von einer wütenden Horde gelyncht, in Feuersbrünsten geröstet oder in einer Nervenheilanstalt weggeschlossen werden. Die drei ??? und Pinky schmieden ihr Schicksal, doch sie sollten sich sputen: Die Schaurige Statue hat Hunger und wetzt bereits ihre Klauen... ALBERT HITFIELD
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Entführung! »Da ist er, diese schleimige Ratte!« Pinky Hainsworth deutete auf die Terrasse des Nachbarhauses. »Das ist Roy Jarrett. Er hat mich reingelegt und Lois’ Silberlöffel in meinen Rucksack geschmuggelt. Nun glaubt sie, ich hätte das Besteck klauen wollen. Ich will, daß die drei ??? ihn schnappen!« Das zehnjährige Mädchen namens Pinky hatte fe uerrotes Haar und eine Wesensart, mit der nicht jeder gut zurechtkam. Durchs Fenster funkelte sie den jungen Mann an, der auf der Terrasse des benachbarten Grundstücks stand: Er war sowohl gutaussehend, als auch gut angezogen: nicht nur seine aus Madras- Karo gefertigte Jacke, auch seine Schuhe schienen recht teuer gewesen zu sein. Pinky befand sich in Begleitung dreier Jungen, Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews, die Jarrett für einen Moment begutachteten. Justus kam rasch zu dem Entschluß, daß ihm jene fremde Person mißfiel, die sich hinter der großen Sonnenbrille zu verstecken schien, und deren Lächeln eine Spur zu schmierig wirkte. Eine junge Frau mit einer Hornbrille auf der Nase schritt nun aus dem Haus auf die Terrasse hinaus, begleitet von einem weißhaarigen Mann, der neben ihr hertrottete und aufgeregt auf sie einredete – mit starkem britischen Akzent. Hinter den beiden erschien eine zweite Frau in einem ausladenden Gewand, das große Teile des Fußbodens bedeckte. Ihre riesigen Ohrringe glitzerten in der Sonne. »Die hübsche Frau mit der Brille, das ist Lois«, sagte Pinky Hainsworth. »Lois Murchinson. Wir waren wirklich gut befreundet, bevor dieser lausige Roy kam und alles zerstörte.« Plötzlich raste ein lauter Wagen die Anhöhe hinab und bremste mit quietschenden Reifen genau vor der Terrasse des Nachbarhauses. »Hey, was ist das!?« schrie Peter. -6-
Bei dem Auto handelte es sich um einen Cadillac alter Bauart. Hinten waren die typischen Schwanzflossen montiert; auf dem lavendelfarbigen Lack prangten ge malte Flammen. Vorne auf der Motorhaube war ein Paar Ochsenhörner montiert. Der Motor rumorte im Stehen, während drei hochgewachsene, dunkelhäutige Männer hinaus hasteten. Es mußten Inder sein, denn jeder von ihnen trug einen Turban. Jeder hatte sich das Stoffende des Turbans vor das Gesicht gewickelt, so daß man nur ihre Augen sehen konnte. Der eine zog plötzlich einen Revolver hervor. Zunächst standen alle unter Schock, niemand bewegte sich oder brachte einen Ton heraus. Die vier Personen auf der Terrasse starrten die Männer bloß an. Der Inder mit dem Revolver brüllte einen Befehl, die anderen zwei rannten auf die Terrasse, packten den Jüngling in der Madrasjacke und zerrten ihn auf die Straße. »Unerhört!« schrie der weißhaarige Mann. »Was erlauben Sie sich?« Die drei Inder hörten nicht auf ihn. »Eine Entführung!« stellte Justus fest. Peter schnappte nach Luft. Pinky piepste nur leise wie ein Mäuschen. Die Kidnapper stopften ihr Opfer in das Auto, sprangen hintendrein. Der Fahrer trat das Gaspedal durch, und der Wagen raste den Hügel hinauf. Das Autokennzeichen war abmontiert worden, doch noch während der Wagen davonfuhr, ertönte die Hupe: es waren die ersten Takte von »Home On The Range«. Justus rannte zu einem Telefon. Er wählte den Notruf und berichtete, was geschehen war. Von der Terrasse drangen äußerst aufgebrachte Stimmen herüber. »Pfoten weg!« schrie eine Frau. »Ich werde schon nicht in Ohnmacht fallen!« Das war Lois Murchison, die junge Frau mit der Brille. Pinky -7-
hatte den drei Detektiven alles Wissenswerte über Lois erzählt. Von Beruf war sie Innenarchitektin. Ihr gehörte das Nachbarhaus, und Roy Jarrett, ihr Neffe, war vor nicht allzu langer Zeit bei seiner Tante eingezogen, um in Ruhe nach einem neuen Job zu suchen. »Ich rufe die Polizei«, stammelte die ältere Dame auf der Terrasse. »Wo ist hier das Telefon? Schnell!« »Alles in Ordnung«, rief Bob herüber. »Die Polizei ist schon verständigt.« Justus legte den Hörer auf und ging zum Fenster. »Sie sind unterwegs«, erklärte er Lois Murchison und ihren zwei Gästen. »Die genaue Beschreibung des Wagens der Entführer wurde weitergeleitet.« Er kletterte durch das Fenster. Auch wenn sie sich im Erdgeschoß befanden, so bereitete dies Justus einige Probleme. Peter und Bob konnten sich ein leichtes Grinsen hinter seinem Rücken nicht verkneifen. »Mein Name ist Justus Jonas«, sagte er zu Lois. »Ich bin Privatdetektiv. Mit mir sind meine Partner Peter Shaw und Bob Andrews.« Er reichte ihr die Visitenkarte der drei Fragezeichen. Bob, Peter und Pinky folgten dem ersten Detektiv durch das Fenster. »Miss Murchison, Pinky kennen Sie ja bereits«, sagte Justus. »Sie ist unsere Klientin. Sie nahm die Dienste der drei Detektive in Anspruch, damit wir beweisen, daß sie unschuldig ist und Ihre Teelöffel nicht zu stehlen versuchte.« Lois Murchison winkte nur ab »Die Sache mit den Löffeln kann warten.« Im Innern des Hauses klingelte das Telefon. Miss Murchison rannte sofort ins Haus und nahm ab. Von der Terrasse hörte man sie gut. »Hallo?« Kurz darauf erschrak sie: »Roy? Roy, bist du okay? Was hat das ganze –« -8-
Justus schaute auf seine Uhr. Fünf nach Zwölf. Nur wenige Minuten waren vergangen, seitdem der Cadillac auf dem Cresta Blanca Way aufgetaucht war. »Sie wollen Kali?« Lois’ Stimme schrillte. »Roy, was soll das? Roy... Roy, nicht auflegen!« Lois verstummte. Dann hörte man sie einen Augenblick später fluchen: »Mist!« Sie legte den Hörer auf und kam zurück auf die Terrasse. »Sie wollen die Göttin, nicht wahr?« fragte die ältere Frau. »Wer nicht begreift, den versetzt Kali in Angst und Schrecken!« Auf dem nahegelegenen Highway jaulten Sirenen; die Polizei war im Aufmarsch. Zu aller Überraschung trat hinter einem Strauch am Gartenzaun ein kleiner, dunkelhäutiger Mann hervor. Er sah aus wie die Inder, jedoch trug er keinen Turban auf dem Kopf, und auf seine Stirn waren drei rote, waagerechte Streifen gemalt. So schnell er erschienen war, so schnell wollte er auch verschwinden und wandte sich zur Rückseite von Lois’ Haus. »Hey!« rief Peter und nahm sofort die Verfolgung auf. Lois Murchinsons Hintergarten endete in einer kleinen Schlucht, deren Abhang von großen wilden Büschen und Sträuchern verdeckt wurde. Dem Betrachter bot sich eine schöne Aussicht; von hier aus konnte man meilenweit die schöne Landschaft Kaliforniens und den Pazifik bewundern. Für all dies hatte Peter keine Zeit. Er hatte den Inder vor sich fest im Visier und wähnte ihn in der Falle. Doch der mysteriöse Beobachter war mutiger, als Peter gedacht hatte. Denn ohne abzubremsen sprang er in die trockenen Büsche und verschwand aus Peters Blickfeld. Nun war der zweite Detektiv von Natur aus vorsichtig und ängstlich, so daß er sich schon öfters dumme Bemerkungen von Bob und Justus hatte gefallen lassen müssen, aber wenn es darauf ankam, war Peter kein Risiko zu groß: Er kämpfte sich -9-
ebenfalls durch die verwilderten Büsche und rannte den Abhang der Schlucht hinunter. Unten angekommen, schaute er sich um, doch von dem gesuchten Mann war weit und breit keine Spur. Peter versuchte, Herr der Lage zu bleiben. Rechts von ihm, nicht weit entfernt, befand sich eine Steilwand, die der Inder in so kurzer Zeit unmöglich hinaufgeklettert sein konnte. Linkerhand rauschte der Verkehr auf dem Pacific Coast Highway. Die Schlucht wurde immer schmaler und mündete in einen Strand. Kaum hatte sich Peter entschieden, zum Strand zu laufen, vernahm er plötzlich ein feines Rascheln hinter einem Busch auf der rechten Seite. Wie angewurzelt blieb er stehen: hinter den Blättern krabbelte ein kleines Stinktier hervor.
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Sinpur Kali Im Nachhinein erleichterte das Stinktier Peters Entscheidung – der Inder mußte zum Strand gelaufen sein. Da auch Peter auf solch eine Duftnote verzichten konnte, kehrte er dem Tier den Rücken und hastete hin zum Strand. War er zu spät? Hatte ihm der Kerl mit den drei Streifen auf der Stirn entwischen können? Er rannte, so schnell er konnte, und der Strand kam näher und näher, doch vom Mann mit den drei Streifen fehlte jede Spur. Peter hielt inne. Auf dem Küstenstreifen konnte er bereits mehrere Leute erkennen, aber der Verfolgte schien ihm entwischt zu sein. Er wollte sich schon geschlagen geben, als – wie aus dem Nichts – der Inder hinter einem nur wenige Meter entfernten Strauch hervorschoß und zum Meer lief. »Na, warte!« schrie Peter und rannte wieder los. Er ging an die Grenzen seine r Leistungsfähigkeiten. Auf dem Strand mußten beide im Laufen den Strandgästen ausweichen und sich heftigste Beschimpfungen anhören. Peter hatte den Inder fast eingeholt, und er war zum Greifen nahe, da schnappte der sich ein im Sand liegendes Handtuch und warf es ihm mitten ins Gesicht. Peter wollte das Tuch abstreifen, doch der Unbekannte nutzte die Verwirrung aus und warf sich auf ihn. Beide gingen zu Boden. Der Inder zog das Handtuch über Peters Kopf immer fester zusammen und würgte ihn. Der zweite Detektiv konnte nur noch ächzen, Widerstand war zwecklos. Doch auf einmal ließ der Inder locker und machte sich aus dem Staub. Peter holte erschöpft Luft, um wieder zu sich zu kommen. Er sammelte seine Kräfte und stand nach kurzer Zeit wieder auf. Der Inder war weg. »Du hast vielleicht Nerven!« schimpfte ein jüngeres Mädchen -11-
im Bikini, das auf Peter zugerannt kam. »Du und dein irrer Freund bedient euch wohl überall, wie?!« Sie riß Peter das Handtuch aus den Händen. Kichernd kam ein zweites Mädchen hinzu. Peter seufzte nur. Er versuchte nicht einmal etwas zu erklären; der Inder hatte sich aus dem Staub gemacht. Peter gab dem Mädchen keine Antwort; er war sauer und enttäuscht, noch dazu verschwitzt, so daß ihm eine Abkühlung im Wasser am liebsten gewesen wäre. Als Peter zu Lois Murchinsons Anwesen zurückkehrte, parkten zwei Polizeiwagen des Rocky Beach Police Department vor dem Haus. Kommissar Reynolds saß im Wohnzimmer und nahm die Entführung Roy Jarretts zu Protokoll. »Welch eine Frechheit!« sagte der weißhaarige Mann empört. »Miss Murchisons Statue der Kali sollte sich in meiner Sammlung im Institut befinden, aber nicht in den Händen von Kriminellen. Die schwarze Göttin ist ein seltenes Relikt aus einer Ära, als die Menschheit noch an sehr seltsame Götter glaubten.« Der Mann stellte sich vor. Sein Name war Sir Enoch Hilary, er war Direktor des One World Studies Institute. »Ich hatte gehofft, die Statue der Kali erwerben zu können«, meinte er. »Und nun verlangen diese indischen Schurken sie als Pfand für Mr. Jarretts Freiheit.« Auch die Dame in dem langen Gewand war gekommen, um die Statue zu kaufen. Ihr Name war Daphne Bariana. In den Bergen führte sie einen abgelegenen Zufluchtsort, den Garten der Hesperiden. »Dort lernen meine Schüler, wie man mit den Lebenskräft en des Universums eins wird«, erklärte sie. »Kali würde uns keinen Schaden zufügen. Sie stellt keine Gefahr für jene dar, die mit der Unendlichkeit harmonieren.« »Schaden zufügen?« wunderte sich der Kommissar. »Reden wir hier nicht über eine Statue? Wie könnte eine Statue jemandem schaden?« -12-
Die drei ??? waren nicht sonderlich überrascht, hatten sie doch schon einmal in ihrer Detektivlaufbahn die Erfahrung gemacht, wieviel Respekt manche Inder religiösen Kultgegenständen entgegenbringen konnten, da sie ihnen geheimnisvolle, unheilvolle Kräfte zutrauten. »Kali ist die Hindugöttin der Zerstörung«, klärte Lois Murchison ihn auf. »Sie bringt Tod und Verderben über die Menschheit. Ich habe meine Statue auf einer Zwangsversteigerung gekauft, und sie schaut ziemlich grausam aus. Sie ist mit roter Farbe übersät – es ist Blut, welches Kali trinkt.« »Prost Mahlzeit!« entfuhr es der angewiderten Pinky. »Und die Männer, die Ihren Neffen entführten, verlangen Kali als Lösegeld?« »Das hat mir Roy am Telefon mitgeteilt. Diese indischen Gangster können die Statue haben. Roy ist es womöglich nicht wert, aber er ist nun mal der Sohn meiner Schwester. Ich kann nicht zulassen, daß ihm etwas passiert.« Ein Kriminalbeamter erschien in der Tür. »Der Cadillac wurde in Santa Monica gesichtet«, berichtete er dem Kommissar. »Er streifte einen Lastwagen, der lebende Hühner geladen hatte, dann beschleunigte er. Der Truck kippte um.« Er grinste. »Verwirrte Hühner, wo man nur hinsieht.« Auch der Kommissar konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er schloß sein Notizblock und blickte die drei Detektive finster an. »Ich weiß nur zu gut, daß ihr Jungs eure Nase in Sachen steckt, die euch nichts angehen«, sagte er ernst. »Aber laßt die Finger von diesem Fall. Roys Leben könnte in Gefahr sein, hört ihr?« Justus nickte nur, und die Jungen zogen sich zurück zu Pinkys -13-
Haus, nahmen ihre Fahrräder und machten sich an die Heimfahrt. »Hey, wartet auf mich!« schrie Pinky. »Los, gebt Gas! Die hängen wir locker ab«, lachte Peter. Doch sein Vorschlag stieß auf Widerstand. »Laßt uns auf sie warten«, erwiderte Justus. »Immerhin ist sie unsere Klientin. Und wer weiß, was passiert, wenn wir sie in unserer Nähe behalten?« Die Jungen hielten an und warteten, bis Pinky sie eingeholt hatte. »Ratten!« fluchte sie. »Ihr wolltet abhauen!« »Keineswegs«, entgegnete Justus. »Es erschien uns lediglich ratsam, nicht länger am Ort der Entführung zu verweilen, sonst hätte uns Kommissar Reynolds noch vorgeworfen, daß wir uns doch in seine Ermittlungen einmischen.« »Genau das haben wir aber vor«, fügte Bob hinzu und warf Justus einen Blick zu. »Nicht wahr?« Pinky war aufgebracht. »Was soll das heißen? Heißt das... daß ihr mich und die Teelöffel fallen laßt und die Entführer finden wollt? Womöglich möchtet ihr auch noch Roy retten! Was soll das? Ich sage euch, der Kerl ist ein Spatzenhirn. Ohne ihn sind alle besser dran.« »Ist er nicht gerade derjenige, der dich reingelegt hatte?« erwiderte Justus. »Wie sollen wir das ohne ihn beweisen?« »Oh.« Pinky mußte kurz nachdenken. »Na gut, schnappen wir ihn uns!« »Das werden wir«, versicherte ihr Bob. »Und womit fangen wir an?« fragte Pinky aufgeregt. »Mit einer Besprechung«, entschied Justus. »Wir kehren zurück in unsere Zentrale auf dem Schrottplatz und fassen alle Fakten zusammen, die wir bisher haben. Danach entscheiden wir über die zukünftigen Schritte.« -14-
»Gut, worauf warten wir?« sagte Pinky. »Los!« »Eins verstehe ich nicht«, sagte Bob, als die drei ??? und Pinky in Justus’ Freiluftwerkstatt auf dem Schrottplatz saßen. »Lois Murchison macht keinen Hehl daraus, daß Roy Jarrett ihr nicht sonderlich am Herzen liegt. Wie kommt es aber, daß sie ihm sofort die Geschichte mit den Teelöffeln abnahm und nun überzeugt ist, du seiest die Diebin?« »Weil er es nie gesagt hat«, erklärte Pinky. »Er muß die Löffel irgendwann in meinen Rucksack gestopft haben. Dann hat er so getan, als würde er mir den Rucksack reichen wollen. Wie zufällig packte er den offenen Rucksack von unten, so daß alles herausfiel – und plötzlich lagen die Teelöffel auf dem Boden. Lois sah es und hielt mich für eine dreiste Diebin. Das war furchtbar!« »Wieso sollte Roy so etwas machen?« fragte Bob. »Was hätte er davon?« »Nun, er selbst hat sich bei Lois verdächtig gemacht. Hin und wieder verschwanden Sachen. Eine goldene Brosche, Scheine aus ihrem Geldbeutel und andere wertvolle Dinge. Lois sollte denken, ich sei die Diebin. Dabei müßte sie es besser wissen: Roy hat sich schon immer einfach genommen, was er brauchte. Wenn seine Mutter nicht ihre Schwester wäre, hätte Lois ihn bestimmt schon längst rausgeworfen.« »Wo lebt seine Mutter?« fragte Justus. »In Oregon. Sie scheint so etwas wie das schwarze Schaf der Familie zu sein, genauso wie Roy, aber sie gehören nun mal zur Familie: man wird sie so schnell nicht los. Solange Roy nicht endlich einen Job und eine eigene Bleibe gefunden hat, hat Lois ihn am Hals. Und Roy reißt sich auf der Suche nach Arbeit und Wohnung nun wirklich kein Bein aus.« -15-
»Okay«, sagte Justus, »laßt uns folgendermaßen vorgehen: Wir retten Roy und geben ihm die Chance, seine wahren Motive offenzulegen. Miss Murchison wirft ihn dann raus. Er mag zwar ein Verwandter sein, aber wenn sie begreift, daß er sie tatsächlich bestohlen hat, dürfte der Fall erledigt sein: Sobald Roy weg ist, dürfte zwischen dir und Lois wieder alles im Lot sein.« »Das hört sich gut an«, lobte Pinky. »Dachte ich mir«, lachte Justus. »Unsere Aufgabe ist es also, mehr über die Statue und die Kidnapper herauszufinden. Wieso ist Kali denen so wichtig? Immerhin riskieren die Entführer lange Haftstrafen.« »Der alte Mann aus dem Institut hat es doch schon angedeutet«, meldete Peter sich zu Wort. »Die Statue hat eine gruselige Vergangenheit. Manche Leute mögen solche Sachen.« »Kann man etwas so sehr mögen, daß man riskiert, dafür ins Gefängnis zu kommen?« sagte Bob. »Hast recht, die Statue ist mehr als nur gruselig. Eine Entführung ist ein schweres Verbrechen.« »Wir müssen Miss Murchison befragen. Sie dürfte wissen, was dieses Stück so wertvoll macht«, entschied Justus. »Das können wir nicht. Kommissar Reynold s ist vermutlich noch vor Ort. Wenn er uns dort sieht, laßt er uns köpfen!« sagte Bob. »Dann gehen wir morgen früh dorthin«, sagte Justus. »Gut, ich kann warten. Aber versucht nur nicht, mich noch einmal loszuwerden, sonst wird es euch leid tun«, warnte Pinky. Als die drei ??? am nächsten Morgen am Cresta Blanca Way ankamen, wartete Pinky bereits auf sie. »Lois’ Schwester ist zu Besuch«, sagte sie. »Ich konnte die halbe Nacht nicht schlafen, sie hat die ganze Zeit über Lois angeschrieen.« Sie ging hinüber zu Lois’ Haustür und klingelte. Miss -16-
Murchinson öffnete. »Lois, ich bin mit meinen Freunden gekommen, um zu helfen. Ganz ehrlich, Lois, deine Teelöffel habe ich nicht mitgehen lassen. Laß uns dir bitte helfen, vielleicht können die Jungs das auch beweisen. Vielleicht können wir sogar herausfinden, wo Roy ist.« Nachdem sie all dies gesagt hatte, begann Pinky zu weinen. Miss Murchison reagierte bestürzt und erschrocken. »Pinky, bitte nicht! Ich weiß doch, daß du keine Diebin bist.« Sie gab ihr eine aufmunternde Umarmung. »Weißt du, als ich die Löffel plötzlich aus deinem Rucksack fallen sah, war ich einfach... so durcheinander und verwirrt... Komm erst mal rein. Ihr Jungs auch!« Sie folgten Lois in ein Zimmer mit großen Fenstern; die weißen Vorhänge waren zurückgezogen, so daß sich ihnen ein fantastischer Ausblick auf den Pazifik bot. Die Wände waren weiß, ebenso wie der Teppich und auch der quadratische Marmortisch vor dem Sofa. Die einzige Dekoration im gesamten Zimmer bildete eine Glasschale in der Mitte des Tisches, verziert mit blauen, grünen und roten Streifen. Auf dem Sofa saß eine äußerst dünne Frau und starrte auf die bunte Vase. Lois stellte die drei Detektive vor. »Meine Schwester, Mrs. Jarrett.« Ihre Schwester warf den drei Jungen nur einen kurzen Blick zu. »Ihr habt hier nichts verloren«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Kinder haben hier jetzt nichts zu suchen. Die Männer, die meinen Sohn entführt haben, könnten jeden Augenblick anrufen.« »Wir sind Privatdetektive, Mrs. Jarrett«, erklärte Justus. »Wir vermochten in der Vergangenheit schon mehrere knifflige Fälle zu lösen. Vielleicht können wir Ihnen auch bei der Freilassung Ihres Sohnes behilflich sein. Wir würden es zumindest gern versuchen.« -17-
»Ein Haufen Jugendlicher, die alles nur noch schlimmer machen, können wir am allerwenigsten gebrauchen«, lautete die schroffe Antwort. »Constance!« rief Lois Murchison schockiert aus. »Wie unhöflich! Die Jungen sind vielleicht wirklich gute Detektive. Sie verfügen über eine gute Beobachtungsgabe, davon konnte ich mich gestern selbst überzeugen. Wenn sie uns helfen wollen, wieso sollten wir sie davon abhalten?« »Wie sollen diese Grünschnäbel uns helfen können!« fragte Mrs. Jarrett schrill. »Wenn wir nicht wollen, daß die Polizei uns unterstützt, dann sollten auch Detektive es nicht tun. Du gibst diesen Hindugangstern die Statue, sie lassen Roy frei, und damit hat es sich.« »Vielleicht will ich meine Statue aber nicht hergeben!« Lois war jetzt sehr sauer geworden. »Das ist nicht dein Ernst«, empörte sich Constance Jarrett. »Laß es nicht drauf ankommen!« warnte Lois ihre Schwester. Mrs. Jarrett erhob sich und verließ entrüstet das Zimmer. Lois setzte sich auf das Sofa. »Nein, das war nicht ernst gemeint«, sagte sie. »Roy ist zwar ein Schwachkopf, aber ich will nicht, daß ihm etwas zustößt. Aber auf der anderen Seite... es ist meine Statue.« »Und so viele Leute reißen sich um sie«, wunderte sich Justus. »Warum nur? Was ist an ihr nur so besonders?« »Verflixt, wenn ich das nur wüßte. Ich kaufte sie, weil ein paar meiner Klienten exotische Dinge mögen. Die Statue ist potthäßlich, aber das stört manche Leute überhaupt nicht. Manche lieben es sogar, wenn etwas dermaßen abstoßend wirkt. -18-
Als Sir Enoch und Madame Bariana begannen, Druck auf mich auszuüben, ich möge die Statue doch endlich verkaufen, kam in mir der Gedanke auf, hinter dieser Statue könne sich mehr verbergen. Also gab ich sie in ein Schließfach bei der Bank und wollte sie dort lassen, bis ich mehr über sie herausgefunden hätte.« »Also wissen Sie nicht, wieso die Kid napper solche Risiken eingehen, um die Statue zu bekommen?« »Nicht wirklich. Ich weiß, daß die Statue Sinpur Kali heißt. Es wäre wohl besser, Sir Enoch einen Besuch abzustatten. Er muß mehr darüber wissen als ich, denn er will sie unbedingt haben.« »Also stört es Sie nicht, wenn wir von nun an Forschungsarbeit leisten?« fragte Justus. »Betrachtet euch als engagiert!« antwortete sie. Pinky setzte ihr breitestes Lächeln auf. Kurze Zeit später verließen die drei ??? und Pinky Miss Murchisons Haus. »Das hätte für uns nicht besser laufen können«, strahlte sie. »Wir sind im Geschäft! Also, was tun wir als nächstes?« »Wir sollten zunächst möglichst viel Hintergrundwissen ansammeln«, verkündete Justus. »In der Bibliothek müßte es Bücher über den Hinduismus und seine Gottheiten geben.« Gesagt, getan. Kurze Zeit später fanden sich die drei Detektive und Pinky in der Stadtbibliothek von Rocky Beach ein. Bob begrüßte die Empfangsdame, die ihn noch aus jener Zeit kannte, als er hier stundenweise gearbeitet und ausgeholfen hatte. Doch alle möglichen Bücher über die indische Kultur waren entliehen. »Tja, wir hatten wohl einen Ansturm auf diese Bücher«, erklärte die Frau. »Schlagt doch mal in den Enzyklopädien nach, vielleicht findet Ihr dort, was Ihr sucht.« Doch in den Artikeln erfuhren sie nichts Neues – daß nämlich -19-
Kali auch die »Göttin der Zerstörung« genannt wurde. Eine Sinpur Kali wurde nirgends erwähnt. Justus blickte gedankenverloren vor sich hin. »Will da noch jemand mehr über Kali wissen?« fragte er in die Runde. »Bob, du als ehemaliger Angestellter hast noch Beziehungen zum Personal. Dir wäre es doch sicherlich ein Leichtes, herauszufinden, wer diese Bücher ausgeliehen hat, die wir –« »Halt, Justus Jonas! Das bringt uns doch nicht weiter«, unterbrach ihn Pinky schroff. »Sollen wir den ganzen Tag hier rumhängen, um Dinge in Erfahrung zu bringen, die uns nun gar nicht interessieren? Wir wissen, daß Sir Enoch die Statue haben möchte. Wir wissen, daß es bestimmte Gründe dafür geben muß. Laßt uns zu ihm gehen und ihm ein paar Fragen stellen. Danach sind wir bestimmt schlauer und schauen dann, was wir als nächstes unternehmen.« Peter warf Pinky einen bösen Blick zu. »Macht sich deine Mutter nicht allmählich Sorgen um dich?« »Sie ist einkaufen, in Beverly Hills«, antwortete sie. »Kommt schon Jungs, laßt uns zu Sir Enoch gehen, bitte.« »Okay«, erwiderte Justus. »Vielleicht hast du sogar recht. Wir rufen Morton an und fragen, ob er uns hinfährt.«
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Die drei ??? stochern im Nebel Morton, der britische Chauffeur, angestellt bei der Rent-’n’Ride Mietwagenagentur, stand den drei Detektiven oft zu Diensten, wenn sie einen Fall bearbeiteten. Justus rief ihn an, und Morton versprach, in einer halben Stunde vor Ort zu sein. »Auf jeden Fall gehe ich mit euch«, verkündete Pinky »Immerhin bin ich eure Klientin und möchte sehen, wie Ihr vorgeht.« Zwar waren die drei Jungen alles andere als erfreut darüber, aber sie wußten, daß Pinkys eiserner Wille nichts anderes zuließ. Als Morton zur versprochenen Zeit vorfuhr, sprang sie auf den Rücksitz und gab Morton den Auftrag, ins One World Studies Institute zu fahren. Morton lächelte und nickte. »Ich weiß, wo das liegt«, erklärte er. »Einige unserer Kunden haben dort schon einmal Wohltätigkeitsveranstaltungen besucht.« Sie fuhren auf dem Highway Richtung Süden, ließen Sunset hinter sich und erreichten den Cougar Canyon in den Hügeln oberhalb von Brentwood. Kurze Zeit später kam der Rolls-Royce vor einem prächtigen Anwesen zum Stehen. »Wow«, staunte Bob. »Was für ein Haus.« Gleichzeitig eilte Sir Enoch aus seinem Haus und strebte auf einen kastanienbraunen Ford Sedan zu, der in der Einfahrt parkte. »Oh verflixt! Er scheint wegfahren zu wollen«, entfuhr es Peter. »Wir werden wohl oder übel ein anderes Mal kommen müssen.« »Das werden wir nicht!« sagte Pink y. »Wir sind jetzt hier – und werden jetzt handeln!« -21-
Das kastanienbraune Auto verließ die Einfahrt und fuhr auf die Straße. Plötzlich riß Pinky die Tür des Rolls-Royce auf. »Pinky!« schrie Peter. »Paß doch auf!« Sie paßte nicht auf, sondern sprang dem Sedan direkt in den Weg. »Halt!« kreischte sie. Reifen quietschten, eine Hupe tönte. Der Sedan hielt nur wenige Zentimeter vor Pinkys Kniescheiben. Sir Enoch stürmte aus dem Wagen; mit seinem kreidebleichem Gesicht glich er einem Geist. »Wir müssen Sie unbedingt sprechen«, rief Pinky ihm zu. »Es ist sehr wichtig.« »Junge Dame, wenn Sie mit mir sprechen wollen, kommen Sie am Nachmittag noch einmal vorbei. Und sollten Sie es noch einmal wagen, vor mein Auto zu springen, lernen Sie seine Kühlerhaube kennen!« Er stieg wieder ein und brauste davon. »Schnell!« Pinky hüpfte wieder in den Rolls. »Hinterher, Morton! Er darf uns nicht entwischen!« Auf Morton war auch diesmal Verlaß. Sie folgten dem Sedan durch Beverly Hills und anschließend quer durch Hollywood. Die Verfo lgung endete am Griffith Park; Sir Enoch hielt auf dem Parkplatz des Zoos. Morton fuhr ebenfalls auf das Gelände und bremste nur wenige Autolängen entfernt. Pinky umklammerte den Türgriff und wollte aussteigen, doch Justus hinderte sie daran. »Warte einen Moment.« Er hielt Pinkys Arm fest. »Jetzt wird er bestimmt nicht mit uns reden. Schau doch, er trifft sich mit jemandem.« Genau neben dem Sedan parkte ein alter, heruntergekommener Chevy. Der Fahrer stieg aus und näherte sich Sir Enoch, der ausgestiegen war und neben seinem Auto wartete. -22-
Auf einmal bemerkte Sir Enoch jedoch den Rolls. Er schreckte zurück und wandte seinen Kopf ab. Der andere Mann zögerte für einen Moment lang und schaute sich um. Sein Gegenüber gestikulierte, sagte etwas und schüttelte den Kopf. Just in diesem Augenblick fuhr eine Polizeistreife auf den Parkplatz. Nun drehte sich auch der Mann aus dem Chevy und verbarg sein Gesicht, so daß ihn die Polizisten im Auto nicht erkennen konnten. Er wartete, bis der Wagen an ihnen vorbeigefahren war, sprang in seinen Chevy und zündete den Motor. »Was sagt ihr dazu?« rief Pinky. »Dieser Kerl wollte von der Polizei nicht gesehen werden. Und Sir Enoch freut sich sicherlich auch nicht, uns hier zu sehen. Das stinkt zum Himmel!« »Darauf kennst du wetten«, stimmte Peter ihm zu. Der kastanienbraune Sedan rollte bereits in Richtung Ausgang, und Sir Enoch starrte geradeaus, ohne den Rolls nur eines Blickes zu würdigen. »Was nun«, fragte Morton. »Sollen wir dem Sedan hinterher fahren?« »Wir könnten auch den Chevy verfolgen«, fügte Bob hinzu. »Wieso wollte sein Fahrer nicht von der Polizei entdeckt werden?« Innerhalb kürzester Zeit wurde entschieden, sich erneut Sir Enoch an die Fersen zu heften. Morton nahm die Verfolgung wieder auf. Sie verließen den Parkplatz – es ging durch die Stadt gen Süden. Auf dem Harbor Freeway konnte Morton es sich erlauben, den Rolls Royce etwas zurückfallen zu lassen. Als sie in San Pedro abfuhren, holte er wieder auf, um den Sedan im Straßenverkehr nicht aus den Augen zu verlieren. In dieser Gegend gab es sehr viele Lagerhäuser und kleinere Fabriken. Sie befanden sich nach wie vor in der Nähe des Pazifik; -23-
Nebelschwaden kamen auf. Die ihnen entgegenkommenden Autos schalteten ihre Lichter ein. »Wir werden ihn verlieren«, äußerte sich Bob besorgt. »Wir müssen wohl dichter dran, Morton.« Der Chauffeur beschleunigte und versuchte einen vor ihnen fahrenden Lastwagen zu überholen. Der Rolls scherte aus, doch plötzlich hörten sie ein schrilles Warnsignal. Ein rotes Licht blinkte. Vor ihnen befand sich ein Bahnübergang! Sir Enoch gelang es noch, die Gleise zu überqueren. Die Jungen sahen ihm hinterher, während der Sedan gemächlich im Nebel zu verschwinden drohte. »Worauf warten Sie, Morton?« schrie Pinky. »Schießen Sie los, den kriegen wir noch. Weit und breit kein Zug zu sehen, es ist noch genug Zeit!« »Nein! Anhalten!« kreischte Peter, und Morton trat das Bremspedal durch. Keine Sekunde später sauste ein Güterzug vorbei. Überrascht und erleichtert zugleich, ließen sie den Zug an sich vorüberrattern. Eine endlose Schlange von Güterwagen wand sich vor ihnen über die Schienen. »Sir Enoch können wir vergessen«, jammerte Pinky. Doch Morton verlor keine Zeit, und kaum hatte der Zug die Kreuzung freigegeben, fuhr er los und schaffte es tatsächlich, zum Sedan aufzuschließen. »Das ist er!« schrie Bob. »Vermutlich wurde er von den Ampeln aufgehalten.« Peter schaute sich um. Weit und breit waren nur schmutzige Gebäude zu sehen, bei manchen handelte es sich um aufgegebene und verlassene Geschäfte. Ein Mann wühlte in einem überfüllten Müllcontainer. »Dieser Kerl, den Sir Enoch im Zoo traf«, murmelte der zweite Detektiv, »der war mir irgendwie nicht ganz geheuer. -24-
Diese Gegend hier sieht recht übel aus. Ob Sir Enoch hier irgendein krummes Ding drehen will?« »Hafenviertel sind oftmals nicht gerade vornehme Stadtteile, Peter«, erklärte Morton. »Sir Enoch könnte dennoch einem ganz normalen Geschäft nachgehen.« »Ja, sicher...« kalauerte Pinky. Der Sedan bog in eine kleinere Nebenstraße ein und hielt vor einigen Lagerhäusern. Morton reagierte und fuhr an Sir Enoch vorbei, um erst in einiger Entfernung vor ihm ebenfalls zu parken. Justus beobachtete Sir Enoch. Der Engländer entstieg seinem Wagen und schaute prüfend die Straße auf und ab. »Es hat ganz den Anschein, als warte er wieder auf jemanden«, vermutete Justus. Ein Windstoß lockerte die Nebeldecke auf. Hinter Sir Enoch war ein schwarzer Koloß zu erkennen: ein Frachter lag nahebei an einem Pier vor Anker. Jemand näherte sich Sir Enoch. Es mußte ein Seemann sein, denn er trug eine Windjacke und eine Strickmütze. Die beiden begrüßten sich und begannen eine Unterhaltung. Dann zog der Seemann ein Päckchen unter seiner Jacke hervor. Sir Enoch händigte ihm einen Umschlag aus. Justus kurbelte ein Seitenfenster des Rolls Royce hinunter. »Wo legt ihr als nächstes an?« hörten sie Sir Enoch ganz deutlich. Der Seemann antwortete allerdings so undeutlich, daß niemand im Rolls es zu verstehen vermochte. Sir Enoch gab ein enttäuscht klingendes »Oh« von sich. »Na ja, wenn Ihr wieder ins Mittelmeer fahrt, laßt es mich wissen.« Er verabschiedete sich, stieg wieder in sein Auto und fuhr davon. Der Seemann öffnete den Umschlag, machte ein zufriedenes Gesicht und strebte einer Bar zu, über dessen Fassade ein -25-
kirschpinkfarbenes Neonschild angebracht war. Für Pinky war die Sache klar: »Schmuggel! Los, knöpfen wir uns Sir Enoch vor.« »Nein«, protestierte Bob. »Den können wir jederzeit besuchen. Vielleicht kann uns der Seemann etwas über Sir Enoch sagen, das wir sonst nicht in Erfahrung bringen.« Sein Vorschlag fand Zustimmung bei seinen zwei Kollegen, und Pinky fügte sich. Gemeinsam mit Morton folgten sie dem Seemann bis zur Türschwelle der Bar. Auf einem Schild lasen sie: »Ab 21 Jahren«. »Verflixt«, schimpfte Bob. »Endstation!« Morton lachte nur. »Nicht für mich, ich bin weitaus älter«, sagte der Chauffeur. »Vielleicht hat der Seemann Lust auf einen Plausch mit mir?« Justus lachte auf. »Prima Idee, Morton!« Um diese Uhrzeit war im Schankraum noch nichts los. Der Barkeeper und der Seemann waren die einzigen Personen, die sich hier aufhielten, als Morton die Bar betrat. Er setzte sich auf den Hocker neben dem Seemann und verwickelte ihn schnell in ein unverfängliches Gespräch. Morton bestellte ihm einen Drink nach dem anderen, und dieser fing an, Geschichten über seine Abenteuer auf hoher See zu erzählen. »Ich habe gehört, daß sich bei gewissen Abenteuern Geld nebenher verdienen läßt«, sagte Morton. »Indem man gewisse Dinge mit nach Hause bringt.« »Du meinst Drogen?« fragte der Seemann vorsichtig. »Nein nein, ich dachte eher an ältere Dinge.« »Oh ja, das kommt schon vor. Aber da mußt du verdammt aufpassen«, lallte der Seemann. »Da gibt es Tausende verschiedene Gesetze. Wie in Ägypten zum Beispiel. Die mögen -26-
es gar nicht, wenn man ihre Sachen aus dem Land schmuggelt. Aber wenn du Beziehungen hast, ist das alles kein Problem.« Er machte eine Pause, um einen großen Schluck zu nehmen, und fügte hinzu: »Aber ich sach’ dir was.« Er schwankte schon. »Da ist dieser reiche Tü-... Typ, der wohnt irgendwo außerhalb der Stadt. Der hat Beziehungen, der kennt die richtigen Leute. Für den bringe ich ab und zu was mit. Erst heute hab ich ihm so’n altes Gefäß mitgebracht. Mir hat’s nicht gefallen, war aber bestimmt uralt. Weißt du, so’n Ding aus den Gräbern war das.« »Ah«, sagte Morton, »die Schätze des Pharaos.« »Irgend so was inner Richtung, ja«, antwortete der Seemann. »War aber kein Gold und hatte keine Juwelen, einfach so’n komischer alter Pott.« Er hatte sein Glas geleert; Morton bezahlte ihm einen weiteren Drink, bevor er die Bar wieder verließ. Pinky und die drei Detektive umringten ihn. »Was haben Sie herausfinden können, Morton?« fragte Peter neugierig. »Daß Sir Enoch antike Kostbarkeiten aus Ägypten schmuggeln läßt, mehr nicht.« Kurz und bündig erzählte ihnen der Chauffeur von seiner Konversation mit dem Seemann. »Die ägyptischen Behörden würden Sir Enoch sicherlich gern zu fassen kriegen, aber wen außer ihnen interessiert’s?« fragte Bob in die Runde. Die Tür der Bar ging auf, und der Seemann torkelte hinaus. Beim Anblick Mortons und der Kinder blieb er stehen. »Hey«, schrie er, als ginge ihm ein Licht auf. »Heh, wass biss du eigentlich für einer? Bissu vom Zoll, oder wass?« »Ich bin Sammler«, erklärte Morton. »Dies sind meine Neffen. Die junge Dame ist mit uns befreundet. Ich hege großes Interesse an griechischen Antiquitäten, doch bislang hatte ich größte Schwierigkeiten, sie nach Amerika einzuführen.« -27-
Der Seemann grinste, scheinbar erleichtert. »Ich kenn da jemanden, der nach Griechenland fffährt. Er ist an Bord dieses Schiff-... Schiffes.« Er zeigte auf den Frachter, den sie vorher bereits bemerkt hatten. »Die meisten vonner Besatzung sinnu von Bord gegangen«, sagte er. »Kommt mit. Ich stell’ euch Hank vor, mit dem könnt Ihr alles betakeln.« Die drei ??? zögerten. »Wir verschwenden hier doch nur unsere Zeit«, zischte Pinky. »Das antike Zeug kann uns doch egal sein. Laßt uns zu Sir Enoch gehen, und ihn über die Statue befragen.« Diesmal waren sich alle einig. Keiner wollte das Schiff betreten und den Kerl namens Hank treffen.
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Der Killerkult Sir Enoch Hilary machte einen wohlwollenden Eindruck, als Pinky und die Jungen ihn am Spätnachmittag erneut besuchten. Er führte sie in sein Arbeitszimmer und bedeutete ihnen, sich zu setzen. »Es tut mir leid, daß ich heute Morgen keine Zeit für euch hatte«, meinte er. »Ich hatte einen wichtigen Termin und war spät dran. Was kann ich nun für euch tun?« »Wir möchten Roy Jarrett finden«, erklärte Justus. »Seine Entführer verlangen die Statue der Kali. Können Sie uns sagen, wieso diese Statue so bedeutend ist?« »Das liegt an ihrer Vergangenheit«, sagte Sir Enoch. »Es ist die berühmte – oder vielmehr berüchtigte Kali von Sinpur.« Justus, Peter, Bob und Pinky konnten mit diesem Begriff noch immer nichts anfangen und sahen dementsprechend ahnungslos drein. »Sinpur ist ein Dorf in Indien«, fuhr Sir Enoch fort. »All seine Einwohner waren vor langer Zeit ergebene Verehrer der Kali. Sie bauten der dunklen Göttin einen besonderen Tempel, und viele, die Kali anbeteten, waren Schläger.« »Schläger?« fragte Pinky nach. »So wie Gangster?« »Nicht ganz. In Indien gehörten Schläger einem brutalen Kult an. Schläger waren davon überzeugt, daß nur Menschenopfer Kali besänftigen könnten. Also lauerten sie Reisenden auf, raubten sie aus und erwürgten sie.« »Die fanatischen Mörder trieben in Indien bis Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ihr Unwesen; Sinpur wies eine erschreckend hohe Anzahl von ihnen auf, eben aufgrund dieser besonders devoten Beziehung zu Kali.« Bob mußte schlucken. »Gab es denn keine Polizei? Hat denn niemand versucht, den Morden Einhalt zu gebieten?« -29-
»Ja, die Briten haben dies letztendlich geschafft. Es wurden so viele Schläger festgenommen, wie es nur möglich war. Mindestens dreihundert wurden hingerichtet. Auf einmal war es sehr unvorteilhaft, ein Schläger zu sein. Der Kult starb aus, und bis heute wurde er nicht wieder zum Leben erweckt.« »Und was geschah mit der Statue von Kali, als die Schläger verschwanden? Hat man sich ihrer entledigt?« fragte Bob. »Nein. Man behielt Kali im Do rf, auch ihr Tempel wurde nicht zerstört. Allerdings gestaltete sich ihrer Verehrung eben nicht mehr auf solch wilde und brutale Weise. Nun ja, einige Jahre später ereignete sich nahe Sinpur ein Erdbeben. Das Dorf wurde teilweise zerstört, und für eine Weile war es vollkommen verlassen. Zu genau dieser Zeit besuchte ein Amerikaner namens Henry Matters dieses Gebiet. Er fand die Statue der Kali in dem verlassenen Tempel und war total von ihr fasziniert. Die Statue ist furchterregend mit ihren hervorstehenden Zähnen und der Halskette, an der sich Totenköpfe aneinanderreihen. Matters nahm sie mit und brachte sie in die Staaten. Nun wurde das Hab und Gut von Matters’ Enkelin erst kürzlich verkauft. Bis dahin war die Statue die ganze Zeit über im Besitz der Familie verblieben, obwohl viele Sammler versucht hatten, sie zu erwerben. Sie ist so hochgeschätzt, da sie eines der wenigen wirklich bemerkenswerten Zeugnisse ist, daß Fanatismus fatale Folgen mit sich bringen kann. Im Institut habe ich mehrere solcher Objekte, aber keines mit einer solch schillernden... blutrot schillernden Geschichte wie Kali.« »Was ist mit Madame Bariana?« wunderte sich Justus. »Wieso möchte sie die Statue haben?« Sir Enoch schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht beantworten. Mrs. Bariana ist eine seltsame Frau. Sie glaubt, man könne mit Hilfe von Pyramiden die Kräfte des Weltalls anzapfen. Des weiteren ist sie davon überzeugt, daß das verlorene Volk von -30-
Atlantis die ersten Kosmonauten waren. Für gewöhnlich versuche ich, Leute wie Mrs. Barbara zu meiden. Sie beunruhigen mich.« Justus dachte nach. »Könnten die Männer, die Roy Jarrett entführten, Schläger sein? Ich weiß, Sie sagten, diesen Kult gebe es nicht mehr, aber –« »Dennoch ist es merkwürdig, wie wichtig ihnen diese Statue ist, daß sie zu solchen Methoden greifen, nicht wahr?« sagte Sir Enoch. »Ich schätze die Möglichkeit als äußerst gering ein, daß sich jemand von solch alten Ideen beeinflussen lassen könnte, nur – « Das Telefon klingelte. Sir Enoch entschuldigte sich und nahm das Gespräch entgegen. »Ja?« Er runzelte die Stirn. »Zu Snug Haven? Jetzt? Nein, das ist derzeit nicht möglich. Ich rufe später zurück.« Er legte auf. »Wo waren wir stehengeblieben?« grübelte er. »Oh ja, ob die Entführer Schläger sein könnten? Nun, in den Köpfen einiger Menschen könnten die alten Glaubensmuster die Zeiten überdauert haben. Bei alten Gebräuchen kommt das schon mal vor. Denkt an das Einbalsamieren...« Sir Enoch nahm eine kleine Alabasterurne von einem Regal nahe seines Schreibtisches. »Das hier ist ein Kanopenkrug«, erklärte er. »Die alten Ägypter verwendeten ihn beim Einbalsamieren ihrer Toten. Die lebenswichtigen Organe der Verstorbenen wurden in solchen Behältern neben dem einbalsamierten Körper begraben. Das war von Bedeutung, denn ohne seinen Körper konnte niemand ein Leben nach dem Tode erfahren.« »Und dafür brauchte man auch all diese Ersatzteile?« scherzte Peter. »Ganz genau. An so was glauben wir nicht mehr, aber Menschen werden immer noch einbalsamiert. Der Brauch existiert weiterhin.« -31-
»Ist es eigentlich nicht schwer, solche Gegenstände wie dieses Gefäß zu bekommen?« Justus wechselte absichtlich das Thema. »Soweit ich weiß, sehen es die Ägypter gar nicht gern, wenn ihre Schätze außer Landes gebracht werden.« »Stimmt genau«, pflichtete ihm Sir Enoch bei. »Aber manchmal... manchmal lassen sich besondere Abmachungen treffen.« Er erhob sich. »Habe ich euch alle gewünschten Informationen gegeben? Ich muß noch ein paar Sachen erledigen.« Die drei Detektive und Pinky bedankten sich und verließen das Arbeitszimmer. Im Flur warteten sie auf Pinky, die sich beide Schuhe neu binden mußte. Gerade wollten sie die Haustür öffnen, da hörten sie Sir Enoch, wie er den Telefonhörer abnahm und eine Nummer wählte. Justus blickte über die Schulter. Die Tür des Arbeitszimmer hatten sie einen Spalt breit offengelassen. »Madame Bariana?« tönte Sir Enochs Stimme aus dem Büro. Pinky und die drei Fragezeichen erstarrten. »Tut mir leid, aber ich konnte vorhin nicht reden«, sagte der Engländer, ohne zu wissen, daß er belauscht wurde. »Diese Kinder waren bei mir – die Bengel, die gestern die Entführung gesehen haben. Sie wollten Informationen über Kali.« Eine Pause folgte. »Ach kommen Sie, das sind doch bloß Rotznasen, die’n bißchen Detektiv spielen. Kein Grund zur Aufregung. Und diesmal müssen wir wirklich nicht nach Snug Haven, übermäßiger Betrieb könnte dort Aufsehen erregen.« Der Telefonhörer wurde aufgelegt. Ein Stuhl rückte nach hinten. Schritte hallten durch das Arbeitszimmer. Pinky und die drei Detektive hasteten auf leisen Sohlen aus -32-
dem Haus. Pinky war ganz aufgeregt: »Er kann zwar so tun, als sei Madame Bariana eine Verrückte, aber ich wette, daß die beiden was aushecken. Und das wollen sie vor uns verheimlichen!« Justus grinste. »Was wiederum bedeutet, daß wir herausfinden müssen, worum genau es eigentlich geht.« »Nicht heute!« war Peters Einwand. »Wenn ich heute schon wieder zum Essen zu spät komme, kriege ich zehn Jahre Hausarrest.« »Geht ruhig«, meinte Justus. »Ich bleibe hier und werde Sir Enoch überwachen.« Justus schaute seinen Freunden nach, die mit Morton davonfuhren. Auf einmal fühlte er sich verlassen. Nebel kam auf und ergriff von Sir Enochs Garten Besitz, der nun mit seinen großen Pflanzen sehr unheimlich wirkte. Es wurde kühl, und Justus spürte den stärker werdenden Wind. Sein Herz schlug schneller. Die Blätter sahen im Nebel aus wie sich bewegende Gestalten. Oder war da doch noch jemand im Garten? Justus bewegte sich keinen Zentimeter von der Stelle. In diesem Moment wünschte er, daß zumindest Bob bei ihm geblieben wäre. Aber seine Kollegen waren weit weg. »Das sind alles Streiche deines Unterbewußtseins, Justus Jonas«, sprach er sich in Gedanken Mut zu. »Harmlose Blätter, harmloser Nebel, harmloser Wind.« Er versuchte, sich voll und ganz auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Als er zu dem Entschluß kam, daß außer ihm niemand sonst im Garten war, fiel ihm auf, daß er schon seit über einer Stunde auf der Lauer lag. Sein Magen knurrte wie wild. Zwar war sein Vorhaben gut durch- dacht gewesen, doch niemand hatte das Anwesen von Sir Enoch Hilary betreten oder verlassen. -33-
Justus richtete seine Gedanken auf den Fall und die Erzählung über den Killerkult. Es war fantastisch – nein, bizarr! Aber es war schon so lange her. Es konnte nichts mit der Entführung Roy Jarretts zu tun haben. Diese Schläger konnten ihr Unwesen heutzutage kaum mehr treiben. Und trotzdem verlangten die Entführer Kali als Lösegeld! Plötzlich fuhr Justus aus seinen Überlegungen hoch. Jemand war in den Garten eingedrungen! Diesmal war sich Justus definitiv sicher, es war keine Einbildung: Nicht weit von ihm entfernt bewegte sich ein Oleanderbusch. Jemand war dort – und beobachtete ihn. Ein abgestorbenes Blatt raschelte. Der ungebetene Gast hatte sich bewegt. Setzte er zum Sprung an? Wollte er sich auf Justus stürzen? Ihn auf den Boden werfen? Ihm an die Kehle gehen? Die Würgeprozedur der Schläger zelebrieren? Die unsichtbare Person nahm hörbar tief Luft. Jeden Augenblick, jede Sekunde würde sie springen! Justus fühlte sich nicht in der Verfassung, es mit diesem Unbekannten aufnehmen zu können. Wie von der Tarantel gestochen, raste er los und lief so schnell er konnte, die Straße hinab, ohne zu überlegen, in welche Richtung er stürzte. Er schaute sich um, konnte jedoch im Nebel niemanden erkennen. Plötzlich wäre er beinahe mit jemandem zusammengestoßen – mit jemanden, der ihm verblüffend bekannt vorkam. »Hey!« Das war Peter. Just hielt an und war total verwirrt. »Wo ist Tante Mathilda?« fragte Peter erstaunt. »Hast du sie nicht gesehen?« »Tante Mathilda? Hier?« Justus war nun total durcheinander und schaute zurück in den nebelverhangenen Garten. »Du meinst... das war Tante Mathilda? Ich dachte, mir wollte jemand...« -34-
Verlegen hielt Justus inne. Er hatte sich benommen wie ein Kind, das Monster unter seinem Bett wähnt. »Wir erhielten einen Anruf von Lois Murchison«, erklärte Peter. »Anscheinend schleicht jemand im Nebel um ihr Haus. Sie bat uns, die Nacht heute bei ihr zu verbringen. Deine Tante erklärte sich bereit, uns hinzufahren.« Nun sah Justus den Lastwage n des Gebrauchtwarencenters; er parkte nicht weit von ihnen entfernt am Straßenrand. Tante Mathilda kam aus dem Garten. »Justus, bist du das?« Sie klang leicht ungehalten. »Bist du da gerade eben vor mir davon gelaufen? Was ist denn in dich gefahren?« »Ich... ich konnte doch nicht ahnen, daß du das warst«, gab Justus offen zu. Sie gingen zu dem Lastwagen hinüber, in dem Bob bereits auf sie wartete. Tante Mathilda wendete das Gefährt, fuhr los, und bald erreichten sie Lois Murchisons Anwesen. »Vielen Dank, daß ihr noch gekommen seid«, entfuhr es Mrs. Murchinson, als sie den drei Detektiven die Tür öffnete. »Dieser Nebel da draußen ist furchteinflößend, aber ich wollte nicht schon wieder die Polizei rufen, ich käme mir vor wie eine überreagierende alte Jungfer. Darüber hinaus will meine Schwester die Polizei, so gut es geht, außen vor lassen. Sie meint, das sei in der derzeitigen Lage das Beste für Roy. Von den Entführern haben wir nichts mehr gehört – fragt mich nicht, worauf die warten. Kommissar Reynolds rie f jedoch an, um mir mitzuteilen, daß der gesuchte Cadillac einsam und verlassen in Long Beach aufgefunden wurde. Er ist inzwischen als gestohlen gemeldet und wurde aus einem Gebrauchtwagenladen entwendet. Die Polizei scheint anzunehmen, daß sich die Entführer immer noch in dieser Gegend aufhalten.« -35-
Constance Jarrett erschien im Flur. »Großartig!« sagte sie beim Anblick der Jungen. »Die drei Supermänner nahen zu unserer Errettung!« Lois ignorierte sie und bat die Jungen ins Wohnzimmer. Dort setzte sich auch Mrs. Jarrett und versank in tiefes Schweigen. Plötzlich nieste jemand! Miss Jarrett sprang auf. »Da ist es schon wieder!« Alle hatten es gehört. Irgend jemand hielt sich zwischen Lois’ und Pinkys Häusern auf. Dumpfe Schritte ertönten zur Straße hin. Im gleichen Moment klingelte das Telefon. Peter wollte zur Tür hinaus. »Diesmal entwischt der mir nicht.« »Warte, Peter«, hielt Justus ihn auf. »Der Anruf könnte von den Entführern stammen.«
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Im Garten der Hesperiden Miss Murchison wollte den Hörer abnehmen, doch ihre zitternde Hand machte dies unmöglich. Justus übernahm das Telefonat. »Miss Murchison?« fragte der Anrufer. »Sie ist im Moment nicht zu sprechen. Kann ich ihr etwas ausrichten?« erwiderte Justus. »Ja. Sage ihr, sie soll sich beeilen – stat –, sobald wir ihr mitteilen, daß es Zeit ist, uns die Statue zu bringen.« Mehr hatten die Kidnapper nicht zu sagen. Der Anrufer legte auf. »Das waren sie, nicht wahr?« rief Mrs. Jarrett verzweifelt. »Diese Schurken! Was haben sie gesagt?« »Nur, daß Lois sich beeilen muß, wenn die Übergabe der Statue naht.« »Und du hast sie nicht einmal im Haus!« Mrs. Jarrett schaute ihre Schwester böse an. »Ich hole sie gleich morgen«, versprach Lois. »Ich werde schnell sein, keine Bange.« Sie ging zum Fernseher und schaltete ihn ein. Es gab Nachrichten. »Der Bürgermeister lehnte es ab, sich mit dem Beschuldigten zu treffen«, verkündete ein Nachrichtensprecher. »Soeben erhielten wir eine Eilmeldung aus Long Beach. Vor wenigen Augenblicken explodierte dort ein mit Benzin gefüllter Vorratstank; die Explosion war in einem großen Umkreis zu spüren. Bislang wurden keine Verletzte gemeldet. Mehr Informationen folgen so schnell wie möglich.« »Long Beach?« schrie Mrs. Jarrett. »Lois, die Polizei fand -37-
den Wagen der Entführer in Long Beach. Glaubst du, Roy war in der Nähe dieser Explosion?« »Möglich, aber recht unwahrscheinlich«, entgegnete Lois. »Der Tank muß hochgegangen sein, während ich mit dem Entführer sprach«, überlegte Justus. »Ich konnte keine Explosion hören, und der Anrufer benahm sich auch nicht, als wäre in der Nähe irgend etwas Schlimmes passiert. Höchstwahrscheinlich befand sich Ihr Sohn nicht in der Nähe des Unglücksortes.« Das beruhigte Mrs. Jarrett ein wenig. Der Rest des Abends verlief ruhig. Um 23.00 Uhr machten es sich Justus, Peter und Bob auf Sofas und Stühlen bequem und stellten sich auf die Nacht ein. Am nächsten Morgen fuhr Lois zur Bank, um die Statue aus dem Schließfach zu holen. Peter half ihr, die steinerne Göttin aus dem Auto ins Haus zu tragen. »Ganz schön schwer«, keuchte er. »Und häßlich obendrein«, fügte Lois hinzu. Die Statue maß ungefähr einen halben Meter in der Höhe. Sie stand auf einem eigenartigen Podest, das die Form einer auf dem Boden liegenden Leiche hatte. Auf diesem Menschen schien die Killergöttin zu tanzen und dabei aus Schadenfreude zu lachen. Rotes Emaille entströmte ihrem Mund, als sei es Blut. Der Körper war von einer schwarzen Emailleschicht überzogen. Ihre aus Totenköpfen geflochtene Halskette reichte ihr bis zur Taille, um die sich ein Gürtel aus Schlangen wand. Pinky kam herein und blieb beim Anblick Kalis mit offenem Mund stehen. »Jetzt heißt es abwarten«, sagte Lois. »Und das alleine, wie ich doch hoffe«, beschwerte sich Mrs. Jarrett. »Wenn die Entführer uns beobachten und hier so viele Leute sehen, dann könnten sie... wer weiß, wie sie reagieren?« -38-
»Selbstverständlich, Mrs. Jarrett«, sagte Justus. »Wir wollten sowieso gerade gehen. Wir bleiben telefonisch in Kontakt.« Die drei ??? und Pinky fuhren zum Schrottplatz, wo sie eine Lagebesprechung abhielten. »Na ja, das hier ist immer noch besser, als um das Telefon herumzuhocken und aufs Klingeln zu warten«, sagte Pinky. »Vielleicht fällt uns ja etwas ein, mit dem wir Lois wirklich helfen können – aber womit fangen wir an?« Bob zückte sein Notizblock. Er hatte sich einige Sachen zum Fall aufgeschrieben. »Fangen wir mit dem an, was wir schon wissen, mag es auch nicht sonderlich viel sein. Sir Enoch ist vielleicht in Ordnung, wenngleich es ihm nichts auszumachen scheint, Schätze aus Ägypten zu schmuggeln...« »Ist das wirklich so schlimm?« fragte sich Peter. »Nicht unbedingt«, fügte Justus hinzu. »Wichtiger wäre es wohl, wenn wir wüßten, was genau Sir Enoch und Madame Bariana zu bereden hatten. Es scheint wichtig zu sein. Der gestrigen Kon- versation zufolge scheint Madame Bariana nicht allzu glücklich darüber sein, daß wir uns in diesen Fall einmischen.« »Sir Enoch und Madame Bariana hecken etwas aus«, verkündete Pinky. »Das ist wichtig – und davon sollen wir nichts erfahren.« Peter grinste. »Sie beauftragten einige Leute von der Schauspielschule, die sich Turbane aufsetzten und Roy entführten.« Justus schüttelte den Kopf. Er war nicht für Späße aufgelegt. »Sicherlich legt Sir Enoch viel Wert auf seine Sammlung ausländischer Schätze. Aber würde er sich auf eine kriminelle Verschwörung einlassen, um die Sammlung zu erweitern? Er könnte alles verlieren, würde man ihn erwischen!« »Madame Bariana hat einen schädlichen Einfluß auf ihn«, -39-
vermutete Bob. »Du meinst, sie ist seine Freundin?« fragte Pinky. »Das kann nicht dein Ernst sein. Aber egal, gehen wir zu ihr. Sie weiß etwas, und sie ist ziemlich durch den Wind. Vielleicht verplappert sie sich ja und verrät etwas, das für uns wichtig sein könnte.« Der Vorschlag fand bei allen Akzeptanz. Die vier verließen den Schrottplatz und radelten in die Berge oberhalb Rocky Beach, zum Garten der Hesperiden. Madame Barianas Anwesen war bei weitem größer als jenes von Sir Enoch und wirkte wohlhabender. Riesige Grasflächen und Gewässer bildeten einen fantastisch anmutenden Park, der von einzelnen Springbrunnen und Statuen bevölkert wurde. Das Haus ähnelte der Taj Mahal – jenes berühmte Mausoleum, welches ein Mogul für seine geliebte Frau hatte bauen lassen. »Onkel Titus würde bei diesem Anblick ausflippen«, sagte Justus fasziniert. Bob grinste. »Die Hesperiden waren griechischen Nymphen«, berichtete er. »Ich habe mich ein wenig erkundigt. In ihrem Garten wuchsen goldene Äpfel an den Bäumen. Fragt mich aber nicht, wie das mit indischen Grabkammern zusammenpaßt.« Als die drei ??? und Pinky ihre Fahrräder die Auffahrt hinauf schoben, vernahmen sie aus dem Inneren des Hauses Trommelmusik – Trommeln, bei deren Klang man sofort an Tempelritualen ferner Länder denken mußte. Eine Frau sang im Takt zum nicht endenden Rhythmus. »Und eins... und zwei... und drei...« gab sie vor. »Strecken... drehen... zum Rhythmus... der Musik... des Kosmos...« »Madame Bariana!« rief Pinky. »Wer denn sonst?« erwiderte Peter. Sie stiegen zwei Stufen hinauf und betraten das Haus durch ein Bogentor. Sie folgten der Musik, die sie in einen Saal führte. -40-
Mehrere in weiße Gewänder gehüllte Frauen tanzten dort zu den Schlägen der Trommeln. Aber es gab keinen Trommler: nur ein Paar Lautsprecher, die hoch oben an der Wand angebracht waren. Madame Bariana befand sich am anderen Ende des Raumes auf einer höhergelegenen Bühne, sie hüpfte und fuchtelte mit den Armen wie ein dicklicher Tempeltänzer. Sie trug ein lilafarbenes Gewand und hatte einen silbernen Turban auf dem Kopf. Sie entdeckte die Jungen und Pinky. »Freunde!« rief sie ihnen zu. »Macht mit! Hier gibt es keine Fremden.« Die in weiß gekleideten Damen hielten inne. Eine von ihnen schnappte sich Bob und zog ihn auf die Tanzfläche. Eine kleine, klobig wirkende Frau schoß auf Peter zu, der zurückwich, aber von ihr erwischt wurde. Ein hochgewachsene, dünne Frau versuchte, Justus zu fassen. »Nein!« flehte er. »Bitte! Ich tanze nicht.« Er versuchte ihr auszuweichen, trat ihr dabei jedoch mit dem linken Fuß auf das Gewand. Ein häßliches Reißgeräusch ertönte. Die Frau schrie und lief fort, wobei sie versuchte, ihr Gewand zusammenzuhalten. Madame Bariana klatschte in die Hände. »Elise! Übernimmst du bitte? Ich muß mich unseren Gästen widmen.« Elise ging, ohne zu antworten, auf das Podest und übernahm den anfeuernden Gesang. Der Tanz wurde fortgeführt. Madame Bariana führte Pinky und die Jungen in ihr Arbeitszimmer. Der Schreibtisch war vor lauter Schreibkram, Akten und sonstigen Blättern kaum zu sehen; Chaos herrschte, wo man nur hinsah. Das Zimmer war voller orientalischer und antiker Sachen aus Messing, Marmor und Sandelholz. Ein auf einem Schrank sitzender Buddha lachte Pinky und den drei ??? entgegen. Ein aus Bronze gearbeiteter Affe hockte auf einem -41-
Couchtisch. »Also«, Madame bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, sich zu setzen. »Ich erinnere mich an euch. Ihr wart im Hause von Lois Murchison.« Sie lachte Pinky an. »Du bist doch die kleine Nachbarstochter.« Pinky blickte pikiert drein. »Wir versuchen, Miss Murchison zu helfen.« Justus überreichte ihr eine ihrer Visitenkarten. »Wir dachten, Sie wüßten eventuell etwas über die Statue der Kali – etwas, das uns helfen könnte, die Kidnapper ausfindig zu machen. Sie wollten Sinpur Kali kaufen. Genauso wie Sir Enoch Hilary. Wer sonst könnte Interesse an dieser Statue haben? Und wer weiß überhaupt, daß sie sich im Besitz Miss Murchisons befindet?« Sie zuckte mit den Schultern. »Viele Leute waren bei der Versteigerung. Ganz gewöhnliche Leute. Ich habe sie nicht gekannt. Außer Sir Enoch natürlich, der sich mit seinem kleinen Museum und seinen Vorlesungen so wichtig vorkommt. So lebhaft und praktisch denkend, und doch absolut keine Verbindung zu kosmischen Vibrationen.« Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück. »Sir Enoch will die Göttin, weil sie eine Rarität ist – als sei sie ein außerirdischer kleiner Käfer. Ich möchte sie erwerben, weil sie Jahrhunderte lang vergöttert und angebetet wurde. Was für Energien muß diese Statue in sich aufgesogen haben, über welche Kräfte mag sie verfügen!« »Kräfte des Bösen?« hakte Justus nach. Sie lächelte. »Was ist böse? Ist der Tod böse? Kali bringt den Tod, aber jegliches Leben endet mit dem Tod, nicht wahr? Und jegliches Leben entspringt dem Tod. Das Böse existiert nicht. Es ist der Kreislauf des Universums. Wenn wir uns dessen bewußt werden, brauchen wir keine Angst zu haben. Die Hindus wissen das, und das seit Jahrhunderten.« »Wie die Kerle, die Lois’ Neffen kidnappten?« wollte Pinky -42-
wissen. »Vertreten die etwa auch die Meinung, daß es nichts Böses gibt? Junge, also fast wäre ich drauf reingefallen!« höhnte sie. »Oh, diese Männer?« Madame Bariana schüttelte den Kopf. »Sie zwingen andere, nach ihrem Willen zu handeln. Sie sind gewalttätig. Man neigt vielleicht dazu, ihre Denkweise mißzuverstehen. Ich jedenfalls bin da überfragt, ich weiß nicht, warum sie das tun. Womöglich sind das Anhänger der Göttin. Es gibt da einen Ort im Osten Los Angeles’, wo sich Inder treffen, um Tee zu trinken und miteinander zu reden. Ihr könntet dort vielleicht herausfinden, wer erst kürzlich aus Indien eingereist ist. Natürlich ist es möglich, daß Ihr auch nichts erfahrt.« »Wie heißt dieser Ort?« wollte Justus wissen. »Im Schatten des Mondes. Mir fällt die Adresse nicht ein, aber es müßte im Telefonbuch stehen.« Justus erinnerte sich an Sir Enochs Unterhaltung mit Madame Bariana, die sie belauscht hatten. Er hatte von einem Ort namens Snug Haven gesprochen. Sollte Justus Madame jetzt und hier über Snug Haven fragen? Besser nicht. Er hätte sich verdächtig gemacht und ihr verraten, daß er an eine Verschwörung glaubte, in die sie verwickelt sein mußte. Sie würde sich fragen, was die Jungen sonst noch wußten. Madame Bariana begleitete sie hinaus. Sie radelten los, doch sobald sie außer Sichtweite waren, hielten sie an. »Was für eine hinterhältige Person!« beschwerte sich Pinky. »Tut so, als wäre in ihren Augen Sir Enoch eine dumme Kröte, mit der sie nichts zu tun haben möchte. Ich glaube ihr kein einziges Wort! Aber was haltet ihr von diesem Ort, an dem sich lauter Inder treffen? Meint ihr, den gibt es wirklich?« »Das hat sie wohl nur erfunden, um uns auf den Holzweg zu führen«, mutmaßte Bob. -43-
»Wieso sollte sie das tun?« warf Peter ein. »Um ehrlich zu sein, wir haben nicht wirklich viele Alternativen.« »Du hast recht, Zweiter«, stimmte Justus zu. »Wir sollten uns diesen Laden angucken. Wir haben nichts zu verlieren.« Das Café Im Schatten des Mondes befand sich im Hinterhof einer kleinen Sackgasse. Um zu dem Treffpunkt zu gelangen, mußte man einen sehr schmalen Durchgang zwischen zwei Gebäuden passieren. Am Ende dieses Ganges lag ein vo n Mauern umsäumter Garten, und dahinter lag das Café. Es war leer; ein dunkelhäutiger Mann kam aus der Küche, als sie das Café betraten. »Wollt ihr Tee?« fragte er. »Für ein Mittagessen ist es schon zu spät, aber Tee haben wir immer.« »Wir benötigen lediglich einige Informationen«, antwortete Justus. »Wir haben gehört, daß sich hier viele Inder treffen.« Der Mann nickte stolz. »Meine Landsleute haben Gefallen an meinem Café.« »Wir versuchen, drei Inder zu finden, die aus dem Dorf Sinpur kommen«, begann Justus. »Sie sind recht jung und groß –« »Und waren wahrscheinlich schon länger nicht mehr hier«, unterbrach ihn Pinky. Der Inder zuckte die Achseln. »Nicht daß ich wüßte. Wie heißen die drei Leute? Ich könnte mich etwas umhören.« »Leider sind uns ihre Namen nicht bekannt«, gab Justus zu. »Dann habt ihr ein Problem«, erwiderte der Inder. Enttäuscht und entmutigt verließen sie das Café. Während sie die schmale Passage entlanggingen, winselte in ihrer Nähe plötzlich ein Hund. Das Tier schien in Schwierigkeiten zu sein. Sie schauten nach oben. In dem Gebäude neben dem Durchgang war ein Fenster geöffnet. Es war leider zu hoch, als daß sie sehen konnten, was im Zimmer vor sich ging. Als der Hund zum zweiten Mal aufjaulte, sagte Bob: »Los, hebt mich -44-
hoch. Ich möchte sehen, was sich dort oben abspielt.« Peter machte eine Räuberleiter, Bob kletterte hinauf und schaute durch das Fenster. Sein Herz machte einen Sprung, denn er konnte nicht glauben, was er sah: Ein Inder kniete vor der Statue einer tanzenden Frau. Vor ihr ausgestreckt lag ein Hund. Er winselte und schaute den Mann mit flehenden Augen an. Bob hüpfte wieder herunter. »Da drinnen ist ein Mann mit der Statue von Kali«, sagte er aufgeregt. »Er hat einen Hund. Und ich glaube, er opfert ihn Kali!« Ohne zu zögern, lief Justus zurück in das Café und rief den Tierschutzbund. Die Frau, die seinen Anruf entgegennahm, schickte sofort einen ihrer Leute. Er erschien in Rekordzeit und klopfte an der Haustür jener Wohnung, aus der das Jaulen des Hundes drang. Als der Inder öffnete, wies sich der Tierschützer aus und bestand darauf, den Hund zu sehen. Zuerst reagierte der Inder grimmig, holte dann jedoch seinen Hund herbei. Er war verletzt und trug an einem Bein eine Bandage. »Auf einer Straße lagen Glasscherben« sagte er. »Er hat sich verletzt, und ich habe ihm die Bandage umgelegt.« Der Hund drückte sich fest an sein Herrchen. »Sie... Sie haben doch die Statue der Kali«, suchte Bob eine Erklärung. Der Inder starte Bob an. »Kali? Ich habe keine Kali-Statue. Ich besitze die Statue von Sita, der Gattin von Rama. Aber was geht dich Bengel das eigentlich an?« Mit diesen Worten ging der Inder wieder in sein Haus und knallte die Tür zu. Den Jungen blieb nichts anderes übrig, als reumütig wieder nach Rocky Beach zu fahren. »Was für eine Zeitverschwendung«, klagte Justus. »Madame Bariana hätte sicherlich ihren Spaß, wenn sie den Ausgang unseres Besuchs im Schatten des Mondes erfahren würde. Inzwischen sind die Entführer womöglich mit Lois in Kontakt -45-
getreten.« Mit dem Bus fuhren sie wieder zu der Tankstelle am Coast Highway zurück, wo sie ihre Fahrräder abgestellt hatten. »Wir werden jetzt Lois anrufen«, sagte Justus und machte sich auf den Weg zur Telefonzelle am Rande der Tankstelle. Der Verkehr auf dem Highway war ohrenbetäubend. Man konnte kaum etwas verstehen, als der erste Detektiv nach Geldstücken in seiner Hosentasche suchte. Pinky schaute ungeduldig drein. »Kannst du überhaupt etwas verstehen, wenn Lois am Telefon ist?« Justus nickte nur. Er war fündig geworden, warf einige 10Cent- Stücke in den Apparat und wählte Lois’ Nummer. Schon bald klingelte das Telefon am anderen Ende der Leitung. In der Tat vermochte Justus kaum etwas zu hören. Frustriert drückte er sich mit einem Finger das freie Ohr zu. Mach dem vierten Klingeln nahm Mrs. Jarrett ab. »Ja, hallo?« sagte sie. »Wer ist da?« »Darf ich bitte Lois sprechen?« schrie Justus in den Hörer, um den Verkehrslärm zu übertönen. »Was?« »Lois! Ist sie da?« Ein lautes Poltern – Mrs. Jarrett hatte den Hörer beiseite gelegt. Nach wenigen Sekunden kam Lois ans Telefon. »Wer ist dran?« »Hier ist Justus! Justus Jonas.« »Jo- was?« »Jonas! Justus Jonas. Lois, haben Sie etwas von den Entführern gehört?« »Oh, Just! Du bist das. Ja, sie riefen an. Aber sie sagten bloß, ich solle vorbereitet sein. Ich glaube, sie versuchen nur, mich -46-
nervös zu machen. Als wenn ich nicht schon nervös genug wäre. Sie sagten ich möge schnell sein – stat!« »Haben Sie Kommissar Reynolds Bescheid gesagt?« »Nein, hat sie nicht!« Das war wieder Lois’ Schwester, die an einem zweiten Telefon mitzuhören schien. »Und sie wird es auch nicht tun. Diese Ungeheuer sagten, Roy werde für immer verschwinden, sobald wir die Polizei einschalten.« »Okay«, sagte Justus. »Wir sind bald bei Ihnen.« Danach legte er auf. »Und?« wollte Pinky wissen. »Die Entführer haben angerufen«, erzählte Justus, »aber sie gaben Lois keine konkreten Anweisungen. Sie soll nur vorbereitet und schnell sein – stat.« »Stat?« fragte Peter. »Was hat das eigentlich zu bedeuten?« »Es bedeutet ‚schnell’!« erklärte Pinky. »Das gehört zur Arztsprache. Wenn sich in einem Krankenhaus ein Notfall ereignet, rufen sie zum Beispiel: ‚Dr. Jonas, sie werden im Operationsraum verlangt – stat*!’ Sagt mal, schaut ihr überhaupt nicht fern?« »Stat?« wunderte sich Bob. »Und das haben Hindus gesagt?« »Anscheinend sehen diese Hindus öfters fern als ihr«, frotzelte Pinky. »Oder einen von ihnen arbeitet im Krankenhaus«, fügte Peter hinzu. »Oder... oder das sind gar keine Hindus!« schrie Justus auf. »Aber natürlich! Wie konnte ich nur so dumm sein? Das ganze Timing paßte überhaupt nicht – und das Auto sollte uns auf eine falsche Fährte locken!« Die anderen starrten ihn an. »Begreift ihr nicht?« sagte Justus. »Sie haben uns an der Nase herumgeführt. Erinnert ihr euch an den ersten Anruf bei Lois – -47-
kurz nach der Entführung? Da waren kaum einmal fünf Minuten vergangen, seitdem die Inder in dem Cadillac davon gesaust waren, richtig?« »So in etwa«, meinte Bob. * Leider ist die Floskel stat nicht ins Deutsche zu übersetzen. »Und keine zehn Minuten danach ereignete sich dieser Unfall in Santa Monica. Ein Truck fiel um und verstreute überall in der Stadt lebende Hühner. Das macht zusammen fünfzehn Minuten, allerhöchstens zwanzig. Konnten die Entführer es mit dem Wagen so schnell nach Santa Monica schaffen, wenn sie noch dazu irgendwo anhalten und warten mußten, während Roy den Anruf tätigte? Wohl kaum! Und nun zum Wagen. Wenn ihr ein Verbrechen plant, würdet ihr einen lavendelfarbigen Cadillac als Fluchtauto benutzen? Dazu noch eins mit Ochsenhörnern vorne drauf? Oder würdet ihr nicht vielmehr einen netten, unauffälligen Ford oder Chevy wählen?« Justus strahlte über das ganze Gesicht; seine Augen glänzten. »Geht ihr drei zu Lois nach Hause. Vielleicht braucht sie Hilfe. Auf keinen Fall darf sie die Statue ausliefern, bevor ich nicht zu euch stoße. Ich muß noch etwas überprüfen.« Pinky war von Justus’ Theorie nicht ganz überzeugt und wollte mehr wissen; Bob und Peter machten ihr indes klar, daß dies aussichtslos war: wenn Justus sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ sich nichts machen. Sie fuhren davon. Der erste Detektiv schaute seinen Freunden hinterher. Danach machte er sich auf den Weg zum Schrottplatz, wo er Patrick, einen der beiden Gehilfen von Onkel Titus und Tante Mathilda, dazu überredete, mit ihm in einem der Lastwagen eine Testfahrt zu unternehmen: auf dem Highway von Cresta Blanca Way in Richtung Santa Monica. »Wo genau fahren wir hin?« fragte Patrick, als sie losfuhren. -48-
»Daß weiß ich erst, wenn wir dort ankommen.« Justus hielt eine Stoppuhr in der Hand. Er schwieg, bis sie fünf Minuten hinter Cresta Blanca lagen. Dann bat er Patrick, den Highway zu verlassen und die nächste Parkmöglichkeit wahrzunehmen. Patrick brauchte gar nicht lange zu suchen, denn gleich nach der Ausfahrt befand sich ein großes Gebäude mit einem entsprechenden Parkplatz: die Ocean View-Notfallklinik. Am südlichen Ende war eine Imbißbude aufgebaut. »Gleich daneben steht eine Telefonzelle!« rief Justus. »Und schau dir das an, Patrick, eine medizinische Einrichtung. Volltreffer!« Aufgeregt entstieg Justus dem Truck. »Bitte warte hier«, sagte er zu Patrick, der die Aufregung nicht ganz verstand, und nur nickte. »Ich werde in diese Notfallklinik gehen und mit dem Personal sprechen.«
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Stat! Justus betrat die Klinik, die aus einem Wartezimmer, einem langen Flur und mehreren Zimmer zu bestehen schien. Seltsamerweise standen alle Türen offen, und in einem Zimmer am Ende des Flurs saß ein Arzt und las Zeitung. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte die Frau an der Rezeption nahe der Tür. »Ich suche einen... einen Arzt.« »Was ist denn das Problem?« »Oh, ich bin nicht krank. Ich suche einen bestimmten Arzt – ungefähr 1,85 Meter groß, dünn, eher dunkelhäutig. Ich traf ihn am Strand, wo er ein Notizbuch verlor.« Seine Beschreibung hätte zu allen drei Entführern passen können. Die Frau schüttelte den Kopf. »Und er hat dir gesagt, daß er hier arbeitet? Tut mir leid, unter unseren Ärzten ist er sicherlich nicht. Vielleicht ist es ja einer der Krankenwagenfahrer, die –« »Gift!« Von dem Parkplatz aus lief ein dünner Mann ins Innere der Klinik. In seiner Hand schwenkte er einen Beutel aus Papier. »Ich brauche ganz schnell einen Arzt. Ich wurde vergiftet!« »Okay, Mr. Begley...« Die Frau an der Rezeption klang, als hätte sie diesen Satz schon oft gehört. »Ein Arzt wird sich bald um sie kümmern. Setzen sie sich erst einmal hin.« »Sie hat es schon wieder getan!« sagte der verwirrte Mann. »Sie hat es auf mich abgesehen!« »Nun, das werden wir nicht zulassen.« Die Frau nahm ihm den Beutel ab, schob den Mann in einen der Untersuchungsräume und schloß die Tür. Der Spürsinn des Ersten Detektivs war geweckt. »Vergiftet?« fragte er, ohne ein einziges Wort zu glauben. -50-
Sie grinste nur. »Der steht hier ein paar Mal pro Woche auf der Matte. Behauptet, sein Hausmädchen wolle ihm an den Kragen. Immer bringt er eine Probe, in der das Gift angeblich steckt. Hin und wieder analysieren wir das, nur um sicher zu gehen. Aber bis jetzt war immer alles in Ordnung.« Der Arzt ließ nun seine Zeitung liegen, und näherte sich der Rezeption. Die Frau nickte zum Raum herüber, in dem der verängstigte Mann wartete. Achselzuckend ging der Arzt hinein. »Zu schade, daß Snug Haven geschlossen ist«, sagte die Frau. »Es wäre zu schön, wenn wir diejenigen mit lebhaften Wahnvorstellungen einfach dorthin überweisen könnten.« »Snug Haven?« sagte Justus laut. Sir Enoch hatte den Namen während seines Telefonats mit Madame Bariana fallen lassen. »Das ist die hiesige Nervenklinik.« Die Frau zeigte auf das Fenster hinter Justus. Der drehte sich um und schaute hinaus. Er sah den überfüllten Highway. Dahinter aber standen mehrere veraltete, heruntergekommene Gebäude. »Ist schon seit Jahren geschlossen«, erklärte die Frau. »Du bist zu jung und wirst dich wohl kaum erinnern können. Es war eine privat geführte Psychiatrie. Der Abhang, auf dem sie errichtet war, wurde instabil, da das Grundwasser durchsickerte. Das bedeutete für die Klinik das Ende. Es ist nach wie vor nicht auszuschließen, daß Teile davon einstürzen werden.« »Oh.« Justus hörte gespannt zu. »Ich verstehe. Vielen Dank für die Informationen!« Er machte sich schnell auf den Weg zurück zu Patrick. »Fahren wir los?« fragte der Ire, der es sich auf der Motorhaube des Trucks bequem gemacht hatte. Justus schüttelte den Kopf. Stat. Die Entführer hatten das Wort stat verwendet. Als Arzt schien keiner von ihnen hier zu arbeiten, aber die -51-
Empfangsdame hatte von Krankenwagenfahrern gesprochen. Ein solcher könnte tatsächlich das Wort stat benutzen, und er wüßte auch, daß sich hier nahe des Highways eine Telefonzelle befand, kaum fünf Minuten von Cresta Blanca Way entfernt. Ein Krankenhausfahrer konnte genausogut über Snug Haven Bescheid wissen: die verlassene psychiatrische Klinik – ein geeigneter Platz, um eine Geisel zu verstecken! Ein geeigneter Platz, um so ziemlich alles zu verstecken! »Just, alles okay?« Das war Patrick, der etwas verwirrt wirkte, weil Justus sich weder bewegte, noch etwas sagte. »Mit mir ist alles bestens«, antwortete Justus. »Patrick, würde es dir etwas ausmachen, noch ein bißchen länger zu warten? Ich gehe nur eben über die Straße in dieses Krankenhaus dort drüben.« Justus lief über den Highway. Der erste Detektiv durchschritt das Eingangstor, überquerte die Auffahrt und steuerte auf das nächstgelegene Klinikgebäude zu. Vor dessen Tür machte er Halt und lauschte. Stille. Weit und breit war nichts zu hören. Vergeblich versuchte er, die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen. Alle Fenster waren mit Eisenstäben vergittert. Justus umkreiste das gesamte Gebäude und probierte es an allen Türen, die ins Innere des Hauses führten. Aber erst beim fünften Versuch gab ein Türknauf nach. Er öffnete die Tür und schaute in einen düsteren Flur. Nichts rührte sich. Justus trat über die Schwelle und lies die Tür hinter sich ins Schloß fallen. Er ging den Flur entlang und blickte in leere, staubige Zimmer. Ungefähr auf halber Höhe angelangt, hörte Justus ein Lachen! Er erstarrte. Das Lachen hatte eher wie ein hochtöniges Kichern geklungen – und Justus eine Gänsehaut verpaßt. -52-
Wer sollte hier so lachen? War etwa ein Irrer zurück geblieben, als die Ärzte und Krankenschwestern das Haus verlassen hatten? Spukte er jetzt hier in den staubigen Zimmern? Da war es wieder, dieses Kichern. Es kam aus einem offenstehenden Zimmer am Ende des Flurs, es mußte gleich hinter der Tür gewesen sein. Justus schlich zu der Tür. Vorsichtig warf er einen Blick ins Innere, sah aber nur kaputte Möbel. Auf einmal vernahm er einen Atemzug hinter der Tür. Hinter ihr versteckte sich jemand. Wenn Justus einen großen Satz nach vorne machen würde, konnte er die Tür schnell zur Seite schwenken und nachsehen, wer der Unbekannte war. Sollte er es wagen? Justus begann zu zittern. Aber er mußte einfach wissen, wer das war. Ruckartig riß er die Tür zur Seite. Zum Vorschein kam eine Person mit glatter dunkler Haut. Drei horizontale, rote Streifen liefen über die Stirn des Mannes, der große dunkle Augen hatte, die Angst verrieten. »Nein, nicht!« Der Mann schreckte zurück. Mit den Händen wollte er sein Gesicht verbergen, doch Justus erkannte ihn. Es war der kleine Hindu, der die Entführung hinter dem neben Lois Murchinsons Terrasse gelegenen Busch beobachtet hatte. Und nun war er hier in dieser verlassenen Klinik und spielte erneut den stillen Beobachter. »Wer sind Sie?« fragte Justus. »Was tun Sie hier?« Plötzlich richtete sich der Mann auf. Seine Ängstlichkeit war gewichen. Die dunklen Augen blickten Justus scharf an. Dann bemerkte Justus den Schal. Blitzschnell schwenkte der Hindu ihn über seinen Kopf und warf ihn um Justus. Justus versuchte mit all seiner Kraft, ihn loszuwerden, aber der Schal lag wie eine Schlinge um seinen Hals, und den Hindu hatte er nun im Rücken – er zog den Schal immer stärker und enger und schnürte dem ersten Detektiv den Atem ab. Justus wurde erwürgt – also war es wahr! Der Killerkult hatte -53-
überlebt. Das hier war ein Schläger, und Justus fiel ihm zum Opfer! Das Blut hämmerte in Justus’ Ohren. Seine Augen quellten hervor. Luft! Er brauchte Luft! Seine Knie gaben nach. Der Kampf war verloren!
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Justus sieht klar Zunächst öffnete Justus seine Augen nicht. Er atmete nur und wußte, daß er noch lebte. Als er letztlich doch die Augen aufmachte, war er allein. Der mordlustige, kleine Hindu war verschwunden. Justus wollte aufzustehen, konnte sich jedoch nicht bewegen. Seine Füße waren an den Knöcheln zusammengebunden. Auch seine Hände waren, über seinem Bauch gekreuzt, mit weißen Stoffetzen gefesselt worden. Justus besah sich von oben nach unten. Er steckte in einer Zwangsjacke! Der Inder hatte ihn zurückgelassen, als sei er ein total verrückter Irrer! Was nun? dachte Justus. Selbst konnte er sich nicht befreien. Er konnte schreien, aber würde ihn bei dem Verkehrslärm jemand hören? Er schrie dennoch. Eine Stunde später fand Patrick ihn. »He, Just, siehst du bescheuert aus«, scherzte der Gehilfe. »Ich wußte ja schon immer, daß du einen leichten Sprung hast!« »Erspar’ mir das«, flehte Justus ihn an. »Befreie mich lieber!« Patrick half Justus aus der Zwangsjacke, und gemeinsam sahen sie sich nun die restlichen Räume der alten Klinik an. Die frühere psychiatrische Anstalt hatte sehr viele Zimmer, die meistens leer und verstaubt waren. In einigen fanden sie noch alte Bettgerüste, in anderen hatten Landstreicher ihre Spuren hinterlassen. Auf einem Korridor gelangten sie in einen Raum, der früher anscheinend als Büro gedient hatte. Es war mit Tischen, Stühlen und mehreren Aktenschränken möbliert. Justus und Patrick betraten das Zimmer. Durch ein Fenster in einer Wand sah man nicht nach draußen, sondern in ein Nebenzimmer: zusammengesunkene Sofas und Tische waren dort von einer dicken Staubschicht überdeckt. -55-
»Der Tagesraum«, murmelte Justus. Er hatte von solchen Tagesräumen schon gehört. Patienten, denen keine Bettruhe verordnet worden war, konnten hier Besucher empfangen, sich unterhalten, lesen oder fernsehen. Ohne Zweifel hatten die Betreuer und Angestellten sie vom Büro aus unerkannt beobachten und somit aufpassen können, daß alles ordentlich ablief und kein Ärger entstand. Justus dachte sich, daß das Fenster kein normales war, sondern daß es an der Wand des Nebenraums wie ein gewöhnlicher Spiegel wirkte. »Warte hier mal kurz«, sagte er zu Patrick. Er verließ das Büro und ging in den Tagesraum nebenan. Er schaute in das Fenster: Tatsächlich handelte es sich hier um einen einseitigen Spiegel. Justus sah sich selbst, doch Patrick im Büro war unsichtbar. Justus wollte das Zimmer wieder verlassen, als er ein paar verdreckte Plastikteller und Becher auf einem der Tische bemerkte. In den Bechern schwappten kleine Kaffeepfützen. Überreste von Hamburgern lagen auf einigen Tellern. Die Landstreicher? Allerdings hing eine Sportjacke über einer Stuhllehne; sie gehörte definitiv keinem Landstreicher. Die Baumwolljacke sah gut aus – sie war mit Madras-Karos gemustert! Roy Jarrett hatte eine Madrasjacke getragen, als er von den verschleierten Männer am Cresta Blanca Way verschleppt worden war. Roy Jarrett mußte hier gewesen sein! Womöglich hatten die Entführer und er hier an einem Tisch eine Mahlzeit geteilt. Wo war Roy jetzt? Wo hielten sich seine Entführer auf? Justus schnappte nach Luft. »Das ist es!« schrie er auf. »Das hätte ich von der ersten Minute an wissen müssen...! Laß uns gehen, Patrick«, rief er ihm zu und rannte hinaus, vorbei am -56-
leeren Schwimmbecken und die Abfahrt hinunter. Er hatte ein festes Ziel vor Augen und wußte, was nun zu tun war. Auf der anderen Seite des Highways betrat er abermals die Telefonzelle und wählte Lois’ Nummer. »Hier Justus!« rief er, als Lois den Hörer abnahm. »Haben Sie schon etwas Neues von den Entführern gehört?« »Ja, ich soll zu der Promenade in Ventura fahren und die Statue mitbringen«, sagte sie. »Um zwanzig Uhr. Ich muß sie auf einer Bank nahe des Hotels liegen lassen und dann schnell heimfahren.« »Ich weiß, wo Roy ist«, meinte Justus. »Zumindest weiß ich, wo er sein wird.« Lois zögerte. »Willst du damit sagen, daß ich die Statue nicht hergeben muß?« Plötzlich kroch in Justus eine Kälte hoch. Er war sich so gut wie sicher. Wenn er aber nicht Recht behalten sollte und Lois die Statue nicht ablieferte, könnte es Roy Jarrett an den Kragen gehen. Was sollte er tun? »Nein«, entschied er sich. »Die Statue muß übergeben werden, dann aber...« Justus überlegte, was möglich wäre. Er konnte bleiben, wo er derzeit war und den Entführern eine Falle stellen, wenn sie mit der erbeuteten Statue in ihr Versteck in Snug Haven zurückkämen. Was aber würde sein, wenn sie ihr Versteck nie wieder aufsuchten? Niemand würde sie fassen können. »Ich möchte Sie nach Ventura begleiten«, teilte Justus Lois mit. »Ich bin in wenigen Minuten bei Ihnen zu Hause.« Pinky und die Jungen saßen im Wohnzimmer und schmiedeten Pläne, wie nun zu verfahren sei. Mrs. Jarrett jedoch hatte an jedem ihrer Überlegungen etwas auszusetzen und redete -57-
alles klein. »Keiner von euch ruft die Polizei!« protestierte sie. »Keiner von euch wird für uns die Statue ausliefern. Und erst recht wird keiner von euch den Entführern zu ihrem Unterschlupf folgen. Ausgeschlossen! Wir werden jede Bedingung akzeptieren und allen Forderungen nachkommen. Lois hinterläßt die Statue auf der Promenade, und damit basta!« »Und wenn sich einer von uns verkleidet?« warf Pinky dazwischen. »Um acht Uhr wird es schon langsam dunkel. Wenn Bob oder Peter sich ein Kleid anziehen, könnte man sie für Lois halten – falls man uns dann überhaupt beobachtet. Oder ich mach’s. Oder Jus tus. Ach nein, der ist ja zu dick.« »Danke vielmals«, erwiderte Justus. »Und wenn die Schurken sich die Statue greifen, könnten wir beobachten, in welche Richtung sie –« »Nein!« schrie Mrs. Jarrett. »Nein! Nein! Nein!« Justus schüttelte den Kopf. »Pinky, damit könnten wir niemanden reinlegen. Ich schlage folgendes vor: Lois, ich gehe mit Ihnen und Ihrer Schwester – nur um sicherzugehen, daß die Entführer die Statue auch wirklich erhalten. Auf der Promenade sind sehr viele Leute unterwegs, und es wäre eine Katastrophe, wenn die Statue der falschen Person in die Hände fällt. Wenn wir erst mal sicher sein können, daß die Entführer die Göttin haben, fahren wir so schnell wie möglich südwärts zu Bob und Peter, die bereits bei der Ocean View-Notfallklinik auf uns warten.« »Aber was ist mit mir?« beschwerte sich Pinky. Justus nickte. »Ach ja, wir treffen dort Bob, Peter und Pinky.« »Schon besser!« sagte Pinky zufrieden. Mrs. Jarrett war der Plan nicht ganz geheuer. »Die Entführer forderten, daß ich alleine komme. Nach der Übergabe der Statue wollte ich sofort hierher zurückkehren. Roy ruft sicherlich an, -58-
sobald ihn diese Verbrecher freilassen.« Mrs. Murchison schaute böse. »Constance, ich übergebe die Statue. Deshalb steht es mir auch zu, jede mögliche Chance zu ergreifen, um herausfinden zu können, worum es hier eigentlich geht.« Sie wandte sich an Justus. »Wenn du versprichst, dich nicht einzumischen und dafür zu sorgen, daß dich niemand in unsere Nähe sieht, darfst du uns zur Promenade begleiten.« So geschah es. Um Viertel nach sieben verließen Bob und Peter gemeinsam mit Pinky das Haus und fuhren zur Klinik. Auch Justus, Lois und ihre Schwester brachen auf in Richtung Ventura. Die Promenade war eine breite Fußgängerzone, die parallel zum Strand verlief, und erstreckte sich über die Länge mehrerer Häuserblöcke; landeinwärts befanden sich ein großes Holiday Inn-Hotel und ein öffentliches Parkhaus. In dessen zweiter Etage bezog Justus Stellung; von hier aus bot sich ihm ein guter Überblick über den Küstenstreifen. Auf der Promenade bummelten Spaziergänger; einige führten ihre Hunde Gassi. Die Bank, die dem Hotel genau gegenüber stand, war unbesetzt. Justus schaute auf seine Uhr. Es waren noch nicht einmal mehr fünfzehn Minuten. Um exakt acht Uhr erschien Lois Murchison auf der Promenade. Justus beobachtete, wie ihr das Gewicht der in einem Bündel verpackten Statue schwer zu schaffen machte; fast sah es so aus, als könne sie jeden Moment stolpern. An der dem Holiday Inn nächstgelegenen Bank angekommen, konnte sie endlich die Statue abstellen. Sie schaute sich um, stellte das Paket mit Kali auf der Bank ab und entfernte sich rasch Richtung Parkhaus. Justus wartete. Zuerst schien nichts zu geschehen. Einige Leute liefen mit ihren Hunden vorbei, ohne sich für die Sitzbank oder dem Paket darauf zu interessieren. Dann jedoch tauchte in der Einfahrt zum -59-
Innenhof neben dem Hotel ein großer, dunkelhaariger, junger Mann in einer weißen Daunenjacke auf. Er schaute prüfend die Promenade auf und ab. Justus holte tief Luft. Das konnte er sein! Die Gestalt und Figur des Mannes paßten. Die Höhe stimmte auch überein. Jedoch handelte es sich nicht um einen Inder. Plötzlich ging der Mann direkt auf die Bank zu, schnappte sich das Bündel und raste wieder in den Innenhof. Schnell lief Justus zurück zu jenem Parkplatz, an dem Mrs. Jarrett und Lois bereits auf ihn warteten. Er riß die Tür des Autos auf: »Okay, es geht los!« rief er. »Aber schnell!« Es war schon recht dunkel, als Lois’ Wagen den Parkplatz der Klinik erreichte. Justus zeigte hinüber zum Eingangstor von Snug Haven. Daneben warteten Bob, Peter und Pinky. »Wir müssen rüber«, ordnete er an. »Beeilung!« »Nein, da gehe ich ganz bestimmt nicht hin!« Skeptisch schaute Mrs. Jarrett zu den verlassenen Gebäuden herüber, die man in der Abenddämmerung kaum noch erkennen konnte. »Ich möchte heim und dort auf Roy warten.« »Sie werden ihn vermutlich früher sehen, wenn Sie uns begleiten«, entgegnete Justus. Sie protestierte weiterhin, folgte jedoch Justus und Lois über die Straße. »Mir gefällt das nicht«, beschwerte sie sich. »Es ist so dunkel.« »Wir werden Licht machen, falls wir darauf angewiesen sein sollten«, sagte der erste Detektiv. Sie schritten die von Unkraut übersäte Einfahrt hinauf, vorbei an dem leeren Schwimmbecken. Ihr Ziel war jene Tür, die dem Tagesraum am nächsten lag. Sie betraten den Korridor, in dem es zu dieser Zeit schon stockdunkel war. »Könnten wir eventuell jetzt Licht haben?« fragte Mrs. Jarrett. -60-
»Halt!« warf Peter ein. »Hört doch mal!« Sie alle hörten es. In einem entlegenen Flügel des Gebäudes sang jemand, brach aber plötzlich ab. Jemand anders schrie: »Ich brech’ dir das Genick!« Justus schaute grimmig drein. »Das dürften Gammler sein«, mutmaßte er. »Das werde ich überprüfen, nur um ganz sicher zu sein«, entschloß sich Bob. »Ich geh’ mit dir«, schlug Peter vor. Die beiden entfernten sich von den anderen und folgten den Geräuschen. Hinter einer Ecke lag ein weiterer Korridor, der sie zu einem schwachen Licht führte, das aus dem dünnen Spalt einer Tür fiel. »Jetzt bin ich dran«, tönte eine rauhe Stimme. »Sauf’ nicht alles weg.« Die Jungen schlichen sich zur Tür und warfen vorsichtig einen Blick in den Raum. Auf dem Boden saß ungefähr ein Dutzend Landstreicher, die in der Runde eine Flasche wandern ließen. Die Lichtquelle war eine auf einem Karton befestigte Kerze. Die Männer bemerkten ihre Beobachter nicht. Bob und Peter wollten keine Zeit verschwenden und machten sich auf den Rückweg. Plötzlich blieb Bob stehen. Hatte er nicht etwas in einer der anderen Türöffnungen gesehen? Versteckte sich dort jemand, oder war es nur seine Einbildung? Langsam näherte er sich der Tür, streckte seine Hand in die Finsternis – und berührte ein Gesicht! »Was soll das?« zischte eine wütende Stimme. Es war Pinky! Bob atmete erleichtert auf. -61-
»Was hast du denn hier verloren?« fragte er. »Willst du uns in diesem Geisterhaus abhanden kommen?« Bob packte sie am Arm und schob sie vor sich her, während Peter und er zurück zum Hauptkorridor marschierten. Die drei schlossen zu den anderen auf. »Da drüben haben es sich ein paar Landstreicher bequem gemacht«, beruhigte Bob die anderen. »Die sollten uns kaum stören.« »Genauso wenig sollten wir sie stören«, fügte Justus hinzu. Er betrat den Tagesraum und leuchtete mit seiner Taschenlampe das gesamte Zimmer ab. Er zeigte auf den einseitigen Spiegel und erläuterte den anderen dessen Funktion. »Wir werden im Büro warten«, sagte er. »Wir müssen sehr leise sein. Dann werden wir sehr bald alle Antworten auf unsere Fragen erhalten.« »Antworten möchte ich jetzt! Auf der Stelle!« verlangte Mrs. Jarrett überlaut. »Dazu ist jetzt keine Zeit«, antwortete Justus. »Hören Sie doch!« Sie hörten es alle. Ein Auto fuhr die Einfahrt hinauf. »Schnell!« Justus führte sie in das Büro, wo sie sich direkt vor dem Spiegel zusammenkauerten. Die Taschenlampe erlosch. Autotüren wurden zugeschlagen. Kurz darauf öffnete sich die Tür am Ende des Flurs. »Was habe ich dir gesagt?« erklang eine Stimme. »Alles lief wie am Schnürchen!« In der Dunkelheit hielt Mrs. Jarrett den Atem an. »Aber das ist Roy!« Justus grinste in sich hinein. »Das dachte ich mir!«
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Das Geheimnis der grausamen Göttin Die Neuankömmlinge betraten den Tagesraum. Sie führten eine Lampe mit sich, in deren Licht Justus und die anderen vier junge Amerikaner erkannten. Kein einziger Inder war unter ihnen. Roy Jarrett trug einen verpackten, klobigen Gegenstand, wuchtete ihn auf den Tisch und begann, ihn auszupacken. »Das Ding wiegt fast eine Tonne!« stöhnte er. »Um so besser«, sagte einer der anderen. Die Verpackung flog zur Seite, und zum Vo rschein kam die abscheuliche Gestalt Kalis – die Göttin der Zerstörung. »Seht sie euch an!« schrie Roy begeistert auf. »Wunderbar, nicht wahr?« »Spiel hier nicht den oberflächlichen Kunstkenner«, winkte einer seiner Begleiter ab. »In diesem Fall geht die Schönheit weit unter die Haut!« Auf einmal hallten weitere Schritte im Flur. Sir Enoch Hilary erschien im Tagesraum. »Ah, hier seid ihr!« sagte er. »Wie ich sehe, ist die Dame sicher und unversehrt.« Er streckte Roy einen Umschlag entgegen. »Hier ist das Geld, wie vereinbart.« Neben Lois entfuhr Mrs. Jarrett ein leises Wimmern. Roy Jarrett nahm Sir Enochs Umschlag wortlos entgegen, öffnete ihn geschwind und begutachtete den Inhalt. »Das sind ja zehntausend!« Er warf seinen Freunden einen unzufriedenen Blick zu. »Wie vereinbart, ja«, wiederholte Sir Enoch. »Wo... wo liegt das Problem? Wir haben eine Abmachung.« »Wir hatten eine Abmachung, Alter!« erwiderte Roy. Auf seinem sonnengebräunten Gesicht glänzten einige Schweißperlen. -63-
Seine Hände zitterten leicht. Er versuchte, cool zu wirken, doch er war es ganz und gar nicht. Er wirkte äußerst angespannt. »Nachdem wir unsere Abmachung trafen, sind uns einige interessante Dinge über dieses Püppchen zu Ohren gekommen«, sagte er. »Sie wollten uns verarschen. Deshalb ist der Preis jetzt gestiegen. Wir könnten uns denken, daß ein Preis von zwanzigtausend Dollar angemessen ist – vielleicht entscheiden wir uns aber noch für weitaus mehr.« Er sah seine Freunde an, als erwarte er Applaus. »Du bist doch wahnsinnig!« schrie Sir Enoch. »Diese Statue ist nie und nimmer zwanzigtausend wert! Noch nicht einmal zehntausend, wenn man es genau nimmt. Halt bloß an dich, sonst mache ich auf dem Absatz kehrt, dann könnt ihr euch nach einem anderen Käufer umsehen. Viel Spaß bei der Suche!« »Die Suche würde nicht lange dauern«, entgegnete Roy. »Du wirst hier überhaupt nichts suchen!« schrie Lois auf. Sie stürmte aus dem Büro und polterte in den Tagesraum. »Roy, du dreckiger Dieb!« brüllte sie ihn an. »Du Gangster!« Mrs. Jarrett schluckte entsetzt und folgte ihrer Schwester. »Lois, bitte! Das muß ein Mißverständnis sein. Das ist ein Irrtum! Roy arbeitet bestimmt mit... mit der Polizei zusammen! Genau! Er arbeitet undercover, um die Entführer zu –« »Oh Mann!« seufzte einer der anderen. »Schnappt sie euch!« Pinky und die drei Detektive hatten durch den Spiegel hindurch alles beobachtet. »Ist das nicht klasse?« begeisterte sich Pinky. »Ich wußte schon immer, daß Roy Dreck am Stecken hat. Der hat seine eigene Entführung inszeniert!« In diesem Augenblick erschien eine weitere Person auf der Bühne des Geschehens: eine gedungene Gestalt schoß blitzartig in den Tagesraum. Es war der kleine geheimnisvolle Hindu, der Peter am Tag der Entführung entwischt war, und er nutzte die -64-
Unaufmerksamkeit aller Beteiligten aus. Er flitzte zum Tisch, auf dem Kali ruhte, und schnappte sich die Statue. »Hey!« Einer von Roys Freunden bemerkte, was da vor sich ging, und warf sich auf ihn, doch mit einem gezielten Schlag streckte der Hindu den Amerikaner zu Boden, der wie ein Sack liegenblieb. Der Hindu rannte zur Tür, stieß dort jedoch mit Madame Daphne Bariana zusammen. Sie hielt eine Waffe in der Hand – einen kleinen zierlichen Revolver. »So, jetzt mal ganz langsam! Das klären wir jetzt«, säuselte sie und zielte auf den Hindu. Der bewegte sich keinen Zentimeter. »Sofort gibst du die Statue Sir Enoch«, befahl sie. »Er wird sie zu meinem Wagen tragen.« Süßlich lächelte sie den Briten an. »Das werden Sie, nicht wahr, Sir Enoch?« »Ganz recht!« antwortete Sir Enoch. »Wenn Sie darauf bestehen.« Er nahm dem Hindu die Statue ab. »Schau mal...« Bob zupfte Justus am Ärmel. Das Licht, das durch den Spiegel fiel, war hell genug, so daß Pinky und die drei ??? eine kleine graue Maus erkennen konnten, die im Tagesraum an der Wand entlang huschte. »Vielleicht können wir Madame Bariana mit ihrer Hilfe für einen Moment verunsichern«, flüsterte Bob. »Sie könnte vor Schreck die Waffe fallen lassen. Wir heben sie schnell auf und übernehmen die Kontrolle.« »Nein, das ist viel zu gefährlich. Eine Maus wird Madame Bariana kaum aufhalten. Es bedarf schon etwas größerer Störenfriede, um sie zu überwältigen«, überlegte Justus. »Und ich habe da auch schon eine Idee.« Justus tastete sich durch die Dunkelheit, bis er das Zimmer erreichte, in dem die Landstreicher ihr Trinkfest veranstalteten. Höflich klopfte er am Türrahmen. »Entschuldigen Sie bitte«, -65-
sagte er. »Haben Sie den Mann gesehen, der hier das Geld verteilt?« »Der was?« wunderte sich einer von ihnen. »Geld verteilt?« fuhr ein anderer fort. »Du machs t Witze!« »Ach, Sie wissen gar nichts davon?« Justus versuchte, leicht einfältig dreinzuschauen. »Arnie Alvardo, der aus dem Fernsehen. In der letzten Show hat er behauptet, hier spuke es. Jedem, der sich heute nacht traut, ihn hier zu treffen, gibt er zwanzig Dollar.« Der eine Landstreicher konnte es kaum glauben. »Zwanzig Mäuse?« »Der Typ ist jetzt hier? Wir müssen ihn nur finden?« Bevor Justus etwas erwidern konnte, sprang der erste auf und rannte an ihm vorbei. Schnell folgten ihm alle anderen; jeder wollte der erste sein, und Justus mußte achtgeben, nicht von ihnen umgestoßen zu werden. »Schaut!« schrie einer. »Da hinten sehe ich Licht!« Wie die Weltmeister liefen sie nun direkt auf den Tagesraum zu. Beinahe warfen sie Sir Enoch und Madame Bariana um, die den Raum bereits verlassen und die Flucht über den Flur angetreten hatten. Sir Enoch trug die Statue der Kali und Madame Bariana hielt immer noch ihre Waffe in der Hand. »Okay, wir haben’s geschafft!« sagte einer der Tippelbrüder. »Wir haben euch gefunden. Was ist jetzt mit der Knete?« Ein zweiter versuchte, sich die Statue zu krallen. »Was habt ihr denn da?« »Finger weg, Kumpel!« warnte ihn Sir Enoch. Madame Bariana stand immer noch völlig perplex da. Ein dritter Landstreicher gab ihr aus Spaß einen leichten Stups. -66-
Erschrocken ließ sie den Revolver fallen. Diesen Moment nutzte der kleine Hindu: Er schoß aus dem dunklen Raum und trat die Pistole weit weg, die nun irgendwo im Dunkeln verschwand. »Hey, was ist denn nun los?« wollte einer der Landstreicher wissen und zog Sir Enoch am Arm. »Wo bleiben die zwanzig Mäuse? Der Junge hat zwanzig Mäuse gesagt, und wir haben euch gefunden, also?!« Sir Enoch klemmte sich die Statue unter den Arm und hastete in Richtung Ausgang. »Hey!« schrie der Hindu, der keinen Moment zögerte und ihm folgte. Beide verschwanden durch die Haustür. Sofort rannten Roy Jarrett und seine Kumpanen hintendrein, und wenig später waren sie alle draußen – Lois, Pinky, Mrs. Jarrett, die drei ??? und auch die Landstreicher. Sir Enoch flüchtete gerade in sein Auto und knallte die Autotür vor der Nase seines Verfolgers zu. Der Hindu schlug mit voller Kraft gegen die Scheibe des Wagens und brüllte, doch Sir Enoch ließ den Motor an. Das Auto jaulte auf, und ohne die Scheinwerfer eingeschaltet zu haben, beschleunigte der Wagen mit Vollgas – die Reifen schleuderten Kies in die Luft. »Haltet ihn auf!« schrie einer der Obdachlosen. »Der hat unser Geld noch nicht gezahlt.« Jetzt erst leuchteten die Scheinwerfer auf, doch es war zu spät. Sir Enoch bemerkte noch, daß er geradewegs auf das große, leere Schwimmbecken zuraste und trat auf die Bremse. Der Wagen hob von der Auffahrt ab und stürzte auf den düsteren Grund der Grube. »Juchuh!« freute sich Pinky. Peter und Justus hüpften in des Schwimmbecken, um Sir Enoch aus dem Wrack zu befreien. Er schien nicht verletzt, und -67-
preßte, selbst als er sich aus dem Schwimmbecken hoch rappelte, die Statue fest an sich. »Schnell!« warnte Peter »Da strömt Gas aus!« Kaum waren Justus, Peter und Sir Enoch an der Auffahrt angelangt, ging das Auto in Flammen auf. Die Obdachlosen schreckten zurück. Einer nach dem anderen machte sich aus dem Staub und verschwand im Gestrüpp. Auf dem Highway südlich der Klinik näherten sich Fahrzeuge mit Blaulicht. Martinshörner heulten. Roy Jarrett und seine Freunde verdrückten sich genauso schnell wie die Landstreicher. Sir Enoch und Madame Bariana jedoch rührten sich nicht vom Fleck; der Brite wirkte noch reichlich benommen. Auch der kleine Hindu blieb. Einige Feuerwehrwagen und eine Polizeistreife rollten die Auffahrt hinauf. »Sollen sie nur kommen!« murmelte Sir Enoch. »Ich habe nichts verbrochen.« Madame Bariana nickte selbstsicher. »Es gibt nichts zu befürchten«, sagte sie zu ihm. Als Kommissar Reynolds die verlassene Klinik erreichte, hielt Sir Enoch noch immer die Statue in den Händen und schien sich nicht von ihr lösen zu können. Erst der Kommissar nahm sie ihm ab. Der kleine Hindu stellte sich vor. Sein Name war Singh. Er erzählte nun, wie er bei der Versteigerung dabeigewesen war und Sir Enoch und Madame Bariana bei dem Aushecken eines Plans belauscht hatte, wie sie Lois Murchinson die Statue der Kali abjagen wollten. »Die beiden wollten die Göttin einschmelzen«, erzählte Singh. »Das wäre ein großer Fehler gewesen!« »Die Göttin einschmelzen?« wunderte sich der Kommissar. »Natürlich«, bestätigte Justus. »Kali, die Zerstörerin, ist sehr -68-
schwer. Unter der schwarzen Oberschicht ist reines Gold.« »Justus Jonas, ich habe euch ausdrücklich jegliches Einmischen untersagt!« brummte der Kommissar. »Ja, Mr. Reynolds. Zu dieser Einmischung wäre es gar nicht erst gekommen, wenn ich nur etwas schneller nachgedacht hätte. Schon vor zwei Tagen hätte ich wissen müssen, daß Roy Jarrett kein Entführungsopfer geworden war. Er war der Drahtzieher eines Komplotts.« Kommissar Reynolds machte kein glückliches Gesicht. »Ich hasse mich für diese Frage, aber wovon sprichst du überhaupt?« Justus strahlte. »Zu der Zeit, als die Kidnapper ihre Pläne schmiedeten, wußten sie ganz genau, daß sich die Statue wohlbehütet in einem Bankschließfach befand. Sie mußten das ganz einfach wissen, denn ansonsten hätten sie die Entführung nicht vorgetäuscht. Statt dessen hätten sie einen simplen, herkömmlichen Raubüberfall begangen, um der Statue habhaft zu werden. Tja, aber woher wußten sie das? Jemand mußte es ihnen verraten haben – und außer Lois war Roy Jarrett der einzige, die es ihnen hätte sagen können. Zwei Tage habe ich benötigt, um das herauszufinden. Ich schäme mich wirklich. – Wer hat das Verbrechen ausgeheckt? Roy ganz sicher nicht. Nein, es waren Sir Enoch und Madame Bariana. Sie wollten die Statue. Aber nicht aufgrund ihrer bizarren Vergangenheit. Ihr Motiv war absolut klassischer Natur: man erzählte sich, Sinpur Kali bestünde aus purem Gold. Sir Enoch und Madame Bariana nahmen also an der Versteigerung teil, in der Hoffnung, einen Schatz für den Bruchteil seines eigentlichen Wertes heben zu können. War die Göttin tatsächlich aus Gold, konnten sie sich eines Vermögens sicher sein. War sie es nicht, hätte einer dem anderen den Anteil bezahlt und die Statue der eigenen Sammlung einverleibt. Sie hatten nichts zu verlieren. Doch mit Lois hatten sie nicht gerechnet. Die war vor ihnen da und sicherte sich die Göttin. Enoch und Bariana versuchten -69-
daraufhin, Lois die Statue abzukaufen, und nun begingen sie einen Fehler: Sie verrieten ihre Gier, indem sie zuviel Geld boten. Das gab Lois natürlich zu denken, so daß sie sich entschied, die Statue in Sicherheit zu bringen: sie ließ Kali in einem Schließfach verschwinden. – Hier kam Roy Jarrett ins Spiel. Er bot Madame Bariana und Sir Enoch seine Hilfe an und wollte ihnen die Statue besorgen. Vielleicht kamen die beiden auch auf ihn zu. Wie dem auch sei, zu dritt erarbeiteten sie die Inszenierung seiner Entführung und Roy engagierte drei Kumpels, die sich als indische Kidnapper verkleideten. Vor zwei Tagen starteten Enoch und Bariana noch einen letzten Versuch, Lois die Statue auf legalem Wege abzukaufen, aber sie scheiterten erneut. Ab da sollten es Roys Kumpel richten. Die Entführung konnte beginnen! Es hätte klappen können, wenn sie die Beute wesentlich früher verlangt hätten. Sie zögerten die Übergabe jedoch hinaus, da sie hofften, Lois würde bereitwilliger sein, je länger sie sich Sorgen um ihren Neffen gemacht hätte – Pech für Enoch und Bariana, denn während die zwei Tage verstrichen, machten sich Roy und seine Freunde schlau und ermittelten den wahren Wert der Statue. Sie liehen sich Bücher aus der Stadtbibliothek von Rocky Beach aus und erkannten, daß sie einen wahren Schatz zu einem Spottpreis von zehntausend Dollar hergegeben hätten.« Justus sah Sir Enoch erheitert an. »Habe ich irgend etwas vergessen?« fragte er. »Du kleiner dummer Angeber! Kein Wort entspricht der Wahrheit!« konterte der Brite. »Wenn Sie meinen... ich bin sicher, daß Roy und seine Freunde nicht so zugeknöpft sind wie Sie. Ich halte sie auch nicht für besonders schlau. Die Polizei wird sie aufspüren, und sie werden auspacken. Sie werden meine Theorie bestätigen, und Sie können dann... einpacken.« »Ich möchte meinen Anwalt sprechen«, erklärte Sir Enoch. -70-
»Das wäre äußerst ratsam«, grinste der Kommissar und klärte ihn über seine Rechte auf.
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Noch Fragen, Mr. Hitfield? Einige Tage später traf sich Albert Hitfield, der Detektiv im Ruhestand, der sich nun als erfolgreicher Schriftsteller geheimnisvoller Geschichten betätigte, mit Justus, Peter und Bob in seinem Haus bei Malibu. Er war sehr gespannt darauf, vom Geheimnis der Schaurigen Statue zu hören. Die Zeitungen hatten lediglich einige winzige Berichte veröffentlicht, die noch dazu nicht ganz der Wahrheit entsprachen. »Was wäre das für ein Film!« schwärmte Hitfield, nachdem ihm die drei ??? das Abenteuer geschildert hatten. »Das gäbe eine tolle Besetzung«, pflichtete ihm Peter bei. »Inklusive eines unheimlichen Hindus, der überall herum schleicht.« »Was war denn jetzt nun mit ihm?« wollte Mr. Hitfield wissen. »Was hatte der vor?« »Er stammt aus Sinpur«, erklärte Justus, »hat aber hier gearbeitet. Kaum hatte er von der Versteigerung erfahren, beschloß er, der Göttin zur Rückkehr in ihre Heimat zu verhelfen. Auch er beabsichtigte den Kauf der Statue, doch Lois war eben schneller. Ganz zufällig hörte er das Gespräch zwischen Sir Enoch und Madame Bariana mit – er beschloß, fortan das Geschehen im Geheimen mitzuverfolgen und sich jedem an die Fersen zu heften. Am Ende war er in alle Pläne eingeweiht, ohne daß Roy, Madame Bariana und Sir Enoch es bemerkten. Erst nachdem die Übergabe der Statue stattgefunden hatte, wollte Singh zugreifen.« »Aber wir machten ihn nervös«, meldete sich Peter zu Wort. »Und wir hätten seinen Plan ganz schön durchkreuzen können. -72-
Singh geriet in Panik, als Justus ihn in der Klinik aufschreckte. Er hätte Just beinahe umgebracht.« »Sein Interesse an der Statue ist erloschen«, sagte Justus. »Er vermutet, Kali übe wirklich einen bösen Einfluß aus – fast hatte er für sie gemordet! Er fürchtet, daß wenn die Statue wieder nach Sinpur zurückkehrt, sich dort schlimme Sachen ereignen könnten, und er ist glücklich, daß Lois die Statue an das Asiatische Kulturzentrum verkaufen wird. Sie werden den wahren Preis für die goldene Göttin bezahlen, so daß Lois ein gutes Geschäft machen und ein beachtliches Vermögen erhalten wird. Sir Enoch und Madame Bariana wurden auf Bewährung freigelassen, sind jedoch wegen Betrugs und einigem mehr angeklagt.« »Und Mrs. Jarrett ist ausgezogen!« meinte Peter. »Sie wohnt jetzt in einem Hotelzimmer in Los Angeles, um in Roys Nähe zu sein. Denn der sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft. Seine drei Kumpel und er konnten gefaßt werden, als sie versuc hten, die Grenze nach Mexiko zu überqueren.« »Hat denn nun einer von ihnen im Krankenhaus gearbeitet?« fragte Hitfield. »Wurde deshalb das Wort stat benutzt?« »Fast«, antwortete Bob. »Einer von ihn arbeitete tatsächlich als Krankenwagenfahrer. Er wurde so nervös, daß er Wörter verwendete, die ihn und seine Komplizen verrieten und uns auf ihre Fährte setzen.« »Es ist schon peinlich, wie viele Hinweise uns die vermeintlichen Entführer gaben, ohne daß wir sie bemerkten«, gab Justus verlegen zu. »Ich meine, sie waren miese Schauspieler. Sie haben so getan, als seien sie die Verehrer einer Hindugöttin, dabei tragen Hindus normalerweise keine Turbane, und sie essen auch kein Fleisch. Niemals würden sie halbgegessene Hamburger zurücklassen, so wie sie es im Tagesraum von Snug Haven taten.« -73-
Mr. Hitfield lachte. »Manchmal ist es von Vorteil, mit den Gebräuche und Sitten fremder Völker vertraut zu sein. Aber was ist eigentlich mit eurer jungen Klientin? Ist sie mit euren Diensten zufrieden?« »Pinky? Aber sicher! Sie is t bei Lois wieder herzlich willkommen, und das war es ja, was sie ursprünglich wollte«, grinste Bob. »Eine Frage noch«, sagte Albert Hitfield. »Wie konntet ihr nur so sicher sein, daß Roy und seine Freunde nach der Übergabe der Statue wieder nach Snug Haven zurückkehren würden? Sie hätten sich doch danach aus dem Staub machen können, ohne jemals dort wieder aufzutauchen?« »Tja.« Justus lächelte. »Roy hatte seine Jacke dort vergessen. Und die meisten Leute holen sich ihre Kleidung, wenn sie wissen, wo sie vergessen wurde – ganz gleich, ob goldene Göttinnen auf dem Spiel stehen.«
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