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Liebe SF-Freunde! Am 24. August sendete der Deutschlandfunk im Anschluß an das SF-Hörspiel »Das Unternehmen der Wega« ein Gespräch mit Hans Kneifel, Autor der MOEWIG- und HEYNE-SF, zum Thema UNTERNEHMEN SCIENCE FICTION. Auf Wunsch vieler interessierter Leser, die die Rundfunksendung nicht empfangen konnten, bringen wir in ungekürzter Form das Gespräch zwischen Dr. Dieter Hasselblatt, dem Leiter der Abteilung Literatur/Hörspiel, und unserem Autor Hans Kneifel. DH: »Das Unternehmen der Wega«, dieses Hörspiel von Friedrich Dürrenmatt, ist jetzt ungefähr anderthalb Jahrzehnte alt. Herr Kneifel, Sie haben Taschenbücher geschrieben, die auch Science Fiction sind, – Science Fiction, was das ist, darüber sollten wir vielleicht nachher noch ein wenig sprechen; hält dieses Hörspiel von Dürrenmatt, das ja aus der Mitte der 50er Jahre stammt, aus der Sicht des Praktikers heute noch stand? Ist das gute Science Fiction? HK: Es ist gute Science Fiction, und die Qualität der Aufnahme ist durchaus geeignet, einige unwesentliche Mängel ausgeklammert, daß sie heute noch völlig klar und sehr, sehr wirksam ankommt. DH: Und auch das Konzept von Dürrenmatt …?
HK: Das Konzept ist für diese Zeit hervorragend, und das überdauert eben die Zeit. DH: Nun ist das Thema ein Science-Fiction-Thema, das auch von heutigen Autoren aufgegriffen wird. Ich entsinne mich eines Romans des deutschen Science-Fiction-Autors Clark Darlton, der kürzlich ein Taschenbuch veröffentlicht hat unter dem Titel »Hades – die Welt der Verdammten«, auch da ist das Konzept dieses, daß von der Erde die Strafgefangenen auf die Strafkolonie, wie früher die Leute nach Cayenne – das Land, wo der Pfeffer wächst – heute, bzw. in der Zukunft auf einen fernen Planeten geschickt werden, damit sie dort ein Leben führen können, das fernab von der Gesellschaft liegt. Und es zeigt sich dann, auch in dem Roman von Clark Darlton, daß, wie auch hier bei Dürrenmatt, diese Gesellschaftsform eine von der Erde abweichende und trotzdem interessante und möglicherweise humanere und freiheitlichere ist. Science Fiction, dieser Ausdruck wurde geprägt von Hugo Gemsback, nach dem auch der berühmteste Science-Fiction-Preis, der »Hugo«, genannt ist. Science Fiction ist, ich sage es mal so, die verwegenste Gattung der Gebrauchsliteratur, also die Literatur, die von der anerkannten, der Bücherschrankliteratur, ein wenig über die Schulter angesehen wird, die trotzdem die meisten Leser hat. Es ist eine Literatur, die gelesen wird, und nicht eine Literatur, die nur für wenige geschrieben ist. Nun, interessanterweise ist es so, daß auch einige anerkannte Literatur-Autoren Science Fiction geschrieben haben. Dieses Hörspiel von Friedrich Dürrenmatt ist ein Beispiel. Günter Eich hat eine Folge von Science-Fiction-Szenen unter dem Titel »Träume« zusammengefaßt. Mit diesem Hörspiel hat Eich seinen ersten großen über die Grenzen Deutschlands hinausreichenden Erfolg gehabt. Genau genommen steht in unseren Bücherschränken natürlich längst schon Science Fiction. Allerdings nicht unter dem. Titel Science Fiction: Jules Verne, Cyrano de Bergerac aus dem 17. Jahrhundert, Ardinghello, Swift, Poe.
HK: Ja, nun ist nicht jede Utopie gleich Science Fiction … DH: Können Sie als Science-Fiction-Autor sagen: Wann ist etwas Utopie und wann ist es Science Fiction? HK: Science Fiction ist eine – ich glaube doch in der Mehrzahl der Publikationen technisch aufgefaßte, also von der Technik abhängende Literatur; eine Utopie muß nicht unbedingt von Technik abhängig sein; wenn Sie den alten Thomas Morus lesen – so etwas ist keine Science Fiction, das ist Utopie. Wir können vielleicht für beide den Überbegriff utopische Literatur finden, aber Science Fiction ist nun doch heute etwas anderes. Nicht etwas anderes grundsätzlich, sondern etwas anderes. DH: Jedenfalls ist Science Fiction die jüngste Ausprägung der utopischen Literatur, die, wie Sie sagen, sich ganz bewußt an die technische Weiterentwicklungsmöglichkeiten hält, die man sich ausdenken kann. HK: Richtig, denn um Science Fiction zu sein, muß eine geschriebene Geschichte gewisse Voraussetzungen haben. Einen Raum, in dem sie angesiedelt ist. Dieser Raum wird, natürlich, durch, die Technik bzw. durch die Zivilisation ermöglicht. DH: Dann müssen wir, glaube ich, wenn wir Utopie und Science Fiction jetzt erwähnen, den dritten Bereich wohl auch erwähnen, nämlich Futurologie; das ist ja wieder etwas anderes. HK: Futurologie ist wieder etwas anderes, aber ohne Futurologie hätten wir als Autoren ja keine Informationen, nach denen wir uns richten können. DH: Man sollte vielleicht sagen, Futurologie wäre die versuchte …
HK: Der Versuch der Extrapolation. DH: Also die Ausziehung, die Weiterführung heute bereits erkennbarer Dinge in die allernächste Zukunft. HK: Genau das … DH: So daß man also sagen kann, nächstens wird es also … HK: Wenn Sie Jungk gelesen haben, er schildert das in seinem … DH: »Die Zukunft hat schon begonnen« HK: Richtig, sehr genau in einem ganzen Kapitel, wie in Amerika bereits Futurologie getrieben wird. Nämlich äußerst exakt, perfekt und mit fertigen Möglichkeiten: Computer usw. DH: Dazu muß man sagen, Utopien müssen nicht in der Form einer Erzählung geschehen, Futurologie auch nicht, aber Science Fiction muß erzählt sein. Das war’s für heute, liebe Freunde! In der nächsten Woche wollen wir den Abdruck der Rundfunkdiskussion fortsetzen. Bis dahin sind wir mit den besten Grüßen Die SF-Redaktion des Moewig-Verlages Günter M. Schelwokat
Deutsche Erstveröffentlichung
Die singenden Kugeln (THE SINGING SPHERES) von Jon J. Deegan 1. Vor uns lag ein beigefarbener Felsgrat – scharf wie eine Messerscheide; er war kahl und von der Sonne ausgeglüht wie fast alles auf diesem unwirtlichen Planeten. Über uns strahlte ein messingfarbener Himmel. Diese trostlosen Anblicke trugen nicht dazu bei, die lastende Atmosphäre angenehmer zu machen. Wir hatten fast zwanzig Kilometer im flachen Vorgebirge Cardoons zurückgelegt, als der Planet begann, sein rätselhaftes Eigenleben zu zeigen. »Ich weiß nicht, wie ihr dazu steht«, sagte Tubby Goss, der Fotograf, »ich werde jetzt zehn Minuten Pause einlegen.« Ich sah hinter der Moryniumscheibe seines Helmes sein Gesicht. Es war von Strapazen und Müdigkeit gezeichnet. Hartnell grinste sarkastisch. »Ich muß bitten«, sagte er leise. »Was würden die Kontrolloffiziere dazu sagen?« 7
»Diese Herren soll der Raumteufel holen – persönlich!« Wäre unser Schiff, die »Old Growler«, wegen der abartigen Düsengeräusche so genannt, in größerer Nähe gewesen, hätte Tubby kaum in einem derart vermessenen Stil geredet. Es kam oft genug vor, daß ein Schalter nicht umgelegt war und diese Offiziere mithörten. Der Groll einer dieser Herren ist nichts, was man herausfordern sollte. INTER-X-Leute sind in diesen Fragen empfindlich. »Schön«, sagte ich endlich, »machen wir also eine Pause.« In unserem Schiff, das uns hier abgesetzt hatte, gab es zehn Kontrolloffiziere, die sich in sechsstündigen Schichten ablösten. Niemand kannte sie genau, denn aus disziplinarischen Gründen lernen wir die Männer dieses verantwortungsvollen Amtes niemals kennen. Wir kennen nur ihre Stimmen aus Lautsprechern. Hier aber, und gerade jetzt, waren wir fernab aller Offiziere. Wir hatten freie Gewalt über unsere Entscheidungen, wenn auch hei der Einsatzbesprechung der Eindruck entstanden war, als passe dies unseren Vorgesetzten nicht besonders. Offiziere, die gewohnt waren, binnen Sekunden über Leben und Tod zu entscheiden, schätzten es nicht, wenn die einfachen Männer des Forschungskommandos zu viele Freiheiten hatten. Das Programm: Erforschung der Planetensysteme innerhalb eines kosmischen Großraums. Sonne: Eta Herculis – Planet Cardoon. Wir drei waren in einem Scoutschiff gelandet, Tubby Goss, der Fotograf; Hartnell, der Physiker und Geologe; und ich, Paps, als Botaniker. Das Schiff hielt einige Kilometer entfernt Ausschau nach interessanteren Welten als Cardoon. Tubby setzte sich in den kleinen Schatten einer Felsbrücke. »Schließlich können wir uns ja nicht den ganzen Tag lang hier abhetzen«, sagte Hartnell, dessen schmales Gesicht ebenfalls erschöpft wirkte. Er setzte sich neben Tubby. 8
Trotz der Klimaanlage des Bergmann-Mark-VIII-Anzuges war ich in Schweiß gebadet. Ich blickte über die glühenden Berghänge hinunter zu unserem Schiff, das in der Ebene nur noch undeutlich zu erkennen war. »Immerhin hat man uns Schrittzähler in die Anzüge einbauen lassen«, bemerkte ich. Jemand an Bord des Schiffes hatte seine Aufgabe zu ernst genommen, und dieser Gag war die Folge. Wir mußten genaue Rechenschaft über unsere Wege und Strecken geben – solange, wie diese unsinnige Verordnung gültig war. »Großartig, daß du dir den echten Humor noch bewahrt hast«, murmelte Hartnell, der es sich unter einem Felsvorsprung bequem gemacht hatte. Er gähnte ansteckend intensiv. »Natürlich«, erwiderte ich. »Dann wirst du sicher als Ausrede gebrauchen, daß wir heute weniger gerannt sind und dafür einige sehr interessante Spezimina gesammelt haben.« Hartnell machte den Eindruck eines verantwortungslosen jungen Burschen, der alles, was er erlebte, als komisches Abenteuer zu betrachten schien. In Wirklichkeit war er ein kühler Geist, der genau abwägend die Gefahren analysierte und sie durch sein großartiges Können meist bezwang. »Dann werden sie unsere Funde sehen wollen, denn diese Ausrede ist so alt wie die Pyramiden auf Terra.« Hartnell lachte nur und gähnte abermals. Tubby stimmte in das Gähnen ein. Ich war nicht so müde und sah zu, wie sich ihre Augen schlossen. Innerhalb von dreißig Sekunden waren beide eingeschlafen und begannen leicht zu schnarchen. Völlig unbeeinflußt von der Vorstellung, daß sie im Schatten einer fremden Sonne auf einer fremden Welt schliefen. Ich beneidete sie darum, daß sie auf einer Welt einschlafen konnten, den noch kein menschlicher Fuß betreten hatte. Ich starrte hinaus in die Ebene. 9
Ich konnte nicht einschlafen. Ich dachte nach – über all die vielen Abenteuer, die unsere kleine Gruppe schon erlebt hatte. Wir waren immer enger zusammengeschmiedet worden. In einem Zeitalter, in dem Raumfahrt etwas Alltägliches war, genossen nur wir von INTER-X die Illusion, Pioniere zu sein. Cardoon … Ein Planet in der großen Zahl der unbewohnten Welten. Wir hatten braune Wüsten überflogen und einige graue Meere. Hartnell war mit dem Scoutboot dann in der Nähe der Küste gelandet, und wir hatten feststellen müssen, daß das Wasser geradezu dampfte und mit Ammoniak angereichert war. Mesonenfilter-Untersuchungen ergaben, daß auf diesem Planeten nichts lebte. Keine Spuren pflanzlichen Lebens und nicht ein bißchen Protoplasma. Nach einigen weiteren Versuchen waren wir hier in Gebirgsnähe gelandet, um geologische Proben einzusammeln. Trotz der Klimaanlage der Anzüge war es bis hierher ein mühsamer Weg gewesen. Es gab indes einen Trost: Wir würden uns nicht überarbeiten und waren der Kontrolle der Schiffsoffiziere entzogen. Mit diesem Gedanken schlief auch ich endlich ein … Hundertzwanzig Minuten später wachte ich wieder auf. Stechende Kopfschmerzen marterten mich. Augenblicklich regulierte ich die Sauerstoffzufuhr ein, ich schraubte das Ventil weiter auf und testete die Isolierfilter. Alles funktionierte normal. Nach einer Weile vertrieb die erhöhte Sauerstoffzufuhr die Kopfschmerzen, und ich drehte mich um, um Tubby und Hartnell anzusehen. Beide wälzten sich im Schlaf unruhig herum. Ich wurde mißtrauisch. Mit summenden Ohren und einem Gefühl der Unruhe stand ich auf und schob mich aus dem Schutz des Schattens hervor. Noch immer war die Umgebung trostlos und gluterfüllt von der stechenden Sonne. 10
»Aufwachen, Tubby und Hartnell!« sagte ich laut. »Aufwachen!« Beide stöhnten gleichzeitig auf. Hartnell öffnete die Augen und schloß sie schlagartig wieder. Es war, als habe ihm jemand einen Schlag versetzt. Ich ging schnell hinüber und drehte an den Ventilen der Sauerstoffzuführung. »Ewiger Sirius!« brummte Hartnell; er schätzte diese kosmischen Flüche. »Was ist mit meinem Kopf los?« »Nichts – das ist es!« erwiderte ich ironisch. »Was hat das zu bedeuten?« fragte Tubby und setzte sich auf. »Haben wir etwas Verdorbenes gegessen?« Die letzte Mahlzeit innerhalb des Scoutschiffes war ohne Zweifel einwandfrei gewesen. Hartnell leckte nervös über die Lippen, als wolle er einen widerlichen Geschmack loswerden. »Das erinnert verdächtig an einen Morgen nach einem Besuch in einer Zeta-Bar … nicht, Paps?« Er meinte mich. Diese Etablissements wurden von jungen Raumfahrern zwischen den Sternenflügen frequentiert und kamen für mich als erfahrenen Botaniker nicht in Frage. »Keine Ahnung, Junge«, erwiderte ich kalt und wechselte das Thema. »Kann das nicht ein Bestandteil der Lufthülle sein, den die Filter nicht absorbieren können?« Hartnell stellte schnell einige Tests an, aber das war es nicht, wie er uns versicherte. »Hier ist die Luft nicht anders als über anderen Gegenden des Planeten. Sehr wenig Sauerstoff, eine Menge Argon und Spuren von Fluor und Ammoniak. Sonst bestimmt nichts anderes. Wenn nur mein Kopf nicht so toben würde …" »Das wird dein schlechtes Gewissen sein«, schränkte Tubby ein. »Schlimm ist nur, daß es mir nicht anders geht. Als ob ich in großer Höhe wäre, ohne Raumanzug.« Alle drei zeigten wir die gleichen Symptome. »Kann es eine Art von intensiver Strahlung sein?« fragte ich. 11
»Möglich!« sagte Hartnell. »Es ist wie ein schrilles Klingeln im obersten Schallbereich. Rund um 16.000 Hertz. Schmerzt in Ohren und Gehirn.« Tubby stöhnte. »Ich bin ganz benommen«, sagte er und klopfte mit der Faust gegen das Material des Raumhelms. »Könnten es Strahlungen sein?« fragte ich ungeduldig. »Es könnten. Ein hohes Schrillen. Wenigstens werden die Kopfschmerzen besser durch erhöhte Sauerstoffzufuhr. Obwohl – der Lärm bleibt unverändert.« »Versucht, einigemal zu schlucken!« Tubby machte einen Vorschlag: »Ob wir es wagen können, die Helme einen Augenblick zu öffnen?« »Keine Ahnung.« Ich wollte versuchen, mit Hilfe meiner Schalter das Klimagerät einzuregulieren, drehte mich um und schaltete die Helmfunkanlage aus. Im gleichen Augenblick hörte das Geräusch auf. Die Stille innerhalb des Helms war verblüffend, und dazu kam der Umstand, daß die Kopfschmerzen augenblicklich nachließen. Mein erleichtertes Gefühl überdeckte meine Verwunderung. Probeweise schaltete ich das Funkgerät wieder an. "… so schrill, daß man es kaum hören kann«, sagte Tubby gerade. Jetzt hörte auch ich das schrille Pfeifen wieder. Es bewegte sich am oberen Rand der Hörgrenze. Es verstummte, als ich die Funkanlage ausschaltete. Ich betätigte den Knopf abermals und sagte laut: »Wenn ihr zwei Hypochonder mir eine Sekunde lang zuhören würdet, könnte ich euch sagen, daß …" »Gar nicht laut«, meinte Hartnell. »Schwach und durchdringend, nicht wahr?« Sein Gesicht hinter der Helmscheibe war vor Schmerzen verzerrt. 12
»Ruhe!« schrie ich endlich. Das wirkte. Ich sah, wie sich Tubby zu mir umdrehte und wie Hartnell fragend die Brauen hob. »Wenn ihr mir endlich zuhört, kann ich euch den Grund nennen. Es ist jemand, dessen Interkom nicht richtig eingestellt ist. Eine Überlagerungswelle. Als wir einschliefen, waren unsere Geräte nicht ausgeschaltet, und daher haben wir die ganze Zeit lang das Pfeifen gehört. Kein Wunder, daß wir Kopfschmerzen haben.« Die beiden starrten sich verblüfft an, dann schalteten sie gleichzeitig ab. Ihr Gesichtsausdruck zeigte, daß sie die gleiche Erleichterung empfanden wie ich. Mein Gesicht mußte rot sein; ich fühlte den Blutandrang. Offenbar lag der Fehler in meinem Funkgerät. Hartnell kam zum gleichen Schluß und sagte: »Wir werden nachsehen, Paps. Sollte nicht lange dauern, das wieder in Ordnung zu bekommen.« Wir hatten unsere Geräte auf direkten Kontakt umgeschaltet. Unsere Außenmikrophone nahmen auf, was die Außenlautsprecher wiedergaben. »Hoffentlich!« sagte ich. Die Anzugsgeräte waren, abgesehen von den eingewobenen Leitungen, am Gürtel und in stahlverstärkten Taschen untergebracht, so daß man sie leicht auswechseln konnte. Ich zog das Batteriekabel heraus und wollte Hartnell das Gerät geben, aber sein Blick ließ mich innehalten. »Merkwürdig«, sagte er leise. »Jetzt ist dein Gerät ausgeschaltet – aber das Pfeifen hat nicht aufgehört. Meine Ohren klingeln noch.« Tubby grinste schmerzhaft. »Meine auch!« Ich sagte ihnen, daß ich das Geräusch auch über das Außenmikrophon gehört hatte, und wir starrten uns einige Sekunden 13
stumm an. Anschließend stellten wir auf unseren Funkgeräten sämtliche vorhandenen Frequenzen ein, wählten verschiedene Kanäle, aber das Geräusch hörte nicht auf. Es veränderte weder die Klangfarbe noch die Lautstärke. Hartnell atmete tief ein und aus. »Ich habe einen bestimmten Verdacht!« erklärte er. Ich ahnte undeutlich, worauf er hinauswollte. »Ich auch!« sagte Tubby lakonisch. Offensichtlich hatte auch er Verdacht geschöpft. »Wir hören hier eine Radiosendung«, stellte Hartnell ungerührt fest. »Hier?« fragte ich aufgebracht. »Niemand weiß, wieviel Millionen Meilen wir vom nächsten Posten entfernt sind.« Hartnell lächelte, und jedesmal, wenn wir seine weißen Zähne sehen konnten, wußten wir, daß es unangenehm zu werden begann. Hartnell deutete auf die staubige, sonnendurchglühte Ebene unter dem messingfarbenen Himmel hinaus. »Dort draußen haben wir nichts gehört, nicht wahr? Erst, nachdem wir diesen Grat überklettert haben, begannen diese Störungen.« Ich starrte auf die verlassenen goldbraunen Felsen, und ein unwillkürlicher Impuls trieb mir den Schweiß aus den Poren. Tubby zuckte hilflos in seinem Anzug die Schultern. Hartnell rieb sich die Hände in den schwarzen Handschuhen. »Wir werden einige Kilometer mehr auf unsere Schrittzähler bekommen, meine Freunde!« Wir sahen uns kurz um und begannen weiterzuklettern.
2. Hundertfünfzig Meter über uns lag eine Felsenmasse: eine dunkle, drohende Zusammenballung von einzelnen Blöcken, an 14
denen wir uns langsam in die Höhe quälten. Unsere Schwerkraftaggregate liefen auf Höchstlast. Wir redeten ununterbrochen miteinander, nur, um dieses lästige Pfeifen zu neutralisieren. Unsere Waffen steckten entsichert in den Taschen am Gürtel. Welcher Anblick auf uns hinter dem querliegenden Felsmassiv wartete, wagten wir uns nicht vorzustellen. »Diese Gurte, mit denen der Antigravgenerator befestigt ist, soll der Raumteufel holen«, sagte Tubby. »Sie schneiden mir glatt die Beine ab.« Hartnell erwiderte bissig: »So ist das, wenn man zuviel Fett mit sich herumschleppt. Eine zarte, schlanke Figur wie ich hat diese Sorgen nicht.« Ich sparte meinen Atem für eine besondere schwierige Passage auf. Unter dem Raumanzug trugen wir ein stählernes Netzwerk, mit Kunststofffäden umwoben. Legte man einen Hebel um und regulierte die Leistung des Generators, dann konnte man die Bewegungen unterstützen – fliegen konnten diese Geräte nicht. Leider. Es kam aber vor, daß dieses Netzwerk die Haut aufscheuerte. Minuten später waren wir nur noch einen Meter von dem Grat entfernt. Wir blieben stehen und griffen zu unseren Waffen. Dann tauchten unsere drei Helme über den Felsen hoch. Der Anblick war eine Enttäuschung. Wir blickten hinab auf ein weites, leeres Becken. Es hatte die gleiche Farbe wie alles hier: goldbraun und staubbedeckt. Ein ausgetrocknetes Flußbett, durch das vor Jahrtausenden einmal Wasser geflossen sein mochte, zog sich nach Osten hin. Acht Kilometer durchmaß das Becken mit dem Flußtal – nirgends waren Spuren von Leben oder Vegetation zu sehen. Tubby räusperte sich. »Was geschieht jetzt?« fragte er leise. »Du bist Fotograf. Mache einige Bilder!« Hartnell lachte 15
kurz. Ich sah, daß er sich auf die Lippen biß; ein Zeichen, daß er nachdachte. »Dieses widerliche Pfeifen … Wenn wir nur wüßten, woher es kommt!« Ich fragte knapp: »Findest du, daß es stärker wurde, als wir den Grat überwunden hatten?« »Ich weiß es nicht. Ich möchte mich noch nicht äußern.« Wir setzten uns wieder in Bewegung und strebten der Ebene zu. Wir stolperten, liefen und rutschten in Geröllmassen zwischen Felsbrocken hinunter und brauchten rund dreißig Minuten, bis wir schweißtriefend unten anlangten. Mit dumpfem Brummen arbeiteten die Feuchtigkeitsabsorber unserer Anzüge. Hartnell sagte in scharfem Ton: »Wir rasten noch einmal kurz.« Tubby wollte etwas entgegnen, besann sich aber und schloß den Mund wieder. Mir taten die Augen weh, und ich sagte es laut. »Das wird das grelle Licht sein«, meinte Tubby, und wir klappten die Filtersätze herunter. »Ich denke es auch«, sagte Hartnell abwesend, und wir blickten ihn unsicher von der Seite an. Schweigend gingen wir bis in die Nähe eines großen Felsens, um uns in seinem Schatten auszuruhen. Von der Stelle, an der ich saß, konnte ich gerade einen trichterförmigen Felseinschnitt sehen, der aus der Ebene zu uns hinaufführte. In perspektivischer Verkleinerung leuchtete in seiner Mitte, ziemlich weit entfernt, ein Felsvorsprung in eigenartigem Licht. Es sah aus, als schwebe vor dem Vorsprung eine Blase, eine riesige Seifenblase. Die flirrende Hitze schuf eigenartige Reflexe auf dieser runden Fläche, so daß es aussah, als bewege sich auf der gegenüberliegenden Klippe ein zweiter Lichtpunkt. Ich schloß die Augen. Da … Was war das? 16
Die zweite »Seifenblase« verschwand nicht. Ich blinzelte und versuchte dadurch, die Lichterscheinungen zum Verschwinden zu bringen, aber es gelang erst mit einiger Mühe. Ich fand, daß dies ein kindisches Spiel sei und schloß die Augen wieder, um etwas zu schlafen. Aber dieses Pfeifen schrillte noch immer in meinen Ohren; es kam mir lauter vor als zum Beginn. »Bei dem Lärm kann man ja nicht schlafen.« Tubby jammerte laut. »Außerdem wird unser Muskelkater nur noch größer, wenn wir jetzt schlafen.« Ich deutete nach vorn. »Sieh dir einmal dieses Stück Glimmer an, oder was immer es ist. Dort unten!« Ich lachte auf. »Wie es in allen Farben des Spektrums leuchtete – ein amüsantes Spiel zum Einschlafen.« Tubby spähte angestrengt nach unten. »Ich sehe es deutlich«, sagte er einige Sekunden später. »Es sind vier Stück.« Es stimmte. Jetzt waren es vier Lichter. Hartnell kicherte nervös, stand langsam auf und sagte halblaut: »Es sind nur noch zwei.« Er hatte recht. Es waren zwei schimmernde Punkte zu sehen, die ihre Farbe laufend veränderten. Sie wurden violett, dann orangefarben, dann grün und endlich gelb. Auf dem Braun der eintönigen Landschaft fielen sie stark auf. Und dann sagte Hartnell plötzlich: »Vier Stück! Da, seht!« Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare sträubten. Was hatten der Farbwechsel und die sich ständig verändernde Menge zu bedeuten? »Sind es Lichter? Gibt uns jemand Signale?« fragte ich. Und noch immer marterte uns dieser Pfeifton. Der Schweiß, der uns über den Rücken lief, schien eiskalt zu 17
sein. Hartnell faßte einen seiner verwegenen Entschlüsse und sagte: »Wir gehen hinüber und sehen uns die Lichter aus der Nähe an!« Niemand kann sagen, daß unsere Bezahlung nicht von einsamer Höhe ist. Aber in gewissen Situationen – so wie hier, als wir uns über die schräge Platte bewegten und erwarteten, jede Sekunde überfallen zu werden von etwas, das wir nicht kannten –, verzichtete ich lieber auf die Einsatzprämie und wünschte mich zurück in die Ereignislosigkeit der Kabine auf der Old Growler. »Beim Prokyon!« schrie Hartnell. »Habt ihr das gesehen?« Wir hatten es gesehen – Tubby hatte sogar seine Kamera in Position bringen und alles filmen können. In Farbe und dreidimensional. Neben dem Pfeifton hatte ich das Summen des Motors gehört. Die zurückgebliebenen Kugeln bewegten sich nicht. Wir sahen, daß unser erster Eindruck richtig gewesen war: Die Oberflächen der Kugeln wechselten ständig die Farben. Außerdem war die Substanz der Kugeln fast durchsichtig, und der braune Fels hinter ihnen schimmerte durch. Wir gingen noch näher, wachsam und mit zögernden Schritten. Hundert Meter … Eine der Kugeln löste sich von dem Felsen und schwebte direkt auf uns zu. Die Bewegung der Blase war nachlässig, fast elegant – nicht so schnell und abrupt wie die der zuerst Fliehenden. Ich blieb stehen und sah, wie die Kugel immer näher kam. »Was ist das, Freunde?« fragte Tubby leise und ängstlich. Das Ding machte eine plötzliche Bewegung, als wäre es erschrocken. Dann schwebte es ruhig weiter, aber nicht auf uns zu. Die Kugel bewegte sich nach links, in Richtung auf die Klippenwand. Sie schwebte etwa so schnell wie ein Fußgänger lief; also etwa sechs Stundenkilometer. Wir warteten, bis sie um 18
eine Felsenkante schwebte und verschwand. Als wir uns wieder umdrehten, standen insgesamt fünf Kugeln vor dem Felsvorsprung. »Nein«, sagte Hartnell scharf, »ich muß sagen, daß selbst mir dieser Anblick etwas neu ist.« »Glaubst du, daß sie gefährlich sind?« fragte ich ruhig. »Unsere Kugel dort drüben«, er deutete dorthin, wo die Kugel verschwunden war, »scheint deine Frage zu rechtfertigen. Das beweist immerhin, daß sie nicht so harmlos sind.« »Ja? Warum denn?« fragte Tubby naiv. »Habt ihr es nicht bemerkt? Der Lärm in unseren Lautsprechern … Daran sind die Blasen schuld. Es heulte förmlich auf, als das Ding uns umkreiste«, sagte Hartnell. »Ich hielt es für Einbildung«, gestand ich. Tubby hatte einen vernünftigen, aber gefährlichen Vorschlag. »Gehen wir hinüber, und versuchen wir, sie zu beruhigen. Dieses Pfeifen wird uns noch wahnsinnig machen.« »Und lauter wird es auch!« schloß Hartnell grimmig. Endlich sahen wir die fliegenden Objekte ganz aus der Nähe. Ihr Aussehen änderte sich nicht, aber wir konnten wenigstens ihre Größe genau abschätzen. Der Durchmesser der fünf Kugeln schwankte zwischen vierhundert und sechshundert Millimeter. Sah man von dem andauernden Farbspiel der Hülle ab, dann bewegten sie sich nicht. Ohne Zweifel aber waren sie für das pfeifende Geräusch in unseren Helmfunkanlagen verantwortlich. Und jetzt war dieser Lärm so intensiv geworden, daß ich mich fragte, wie lange ich es noch aushalten konnte. »Er kommt zurück.« Wir drehten uns um. Die Kugel, die uns entgegenschwebte und dann abgebogen war, kam jetzt zu der Klippe zurück. Sie blieb einige Sekunden vor uns in der Luft hängen und veränderte pausenlos ihre Farbe. 19
Dann schwebte sie wieder zurück zur Felsenspalte. Dort blieb sie kurz bewegungslos in der Luft stehen, bewegte sich einige Meter weiter, blieb wieder stehen. Bei jedem Manöver veränderte sich, die Tonhöhe des Pfeifens in den Helmlautsprechern. »Was hat das zu bedeuten?« fragte ich Hartnell. »Merkst du das nicht selbst? Die Kugel möchte, daß wir ihr folgen.« Er hielt inne und überlegte. Dann fuhr er bedächtig und mit dem Klang wissenschaftlicher Autorität fort: »Ich glaube aber nicht, daß wir damit unsere Zeit verschwenden sollten.« Wir waren mitten auf diesem sonnendurchglühten, toten Planeten auf Leben gestoßen, auf höchst gefährliches oder zumindest rätselhaftes Leben.
3. Hartnells Talent, im richtigen Augenblick die richtige Entscheidung zu treffen, hatte uns schon vor einigen schlimmen Überraschungen bewahrt. So kam es, daß wir seinen Überlegungen meist vertrauten, ohne uns sehr viele Gedanken zu machen. Auch jetzt warnte er uns, der Kugel nicht blindlings nachzurennen. Wir hatten die Chance, das Wissen der terranischen Kommandos zu vergrößern – um die Daten, die wir von hier mitbringen würden. »Ich habe einige Fragen«, sagte ich endlich. »Und ich hoffe, daß es darauf Antworten gibt.« »Nur zu!« »Warum bewachen die Kugeln den Felseingang so aufmerksam? Warum entfalteten sie derart hektische Betriebsamkeit, als wir uns dem Tal näherten? Warum lenkten sie uns nicht von dem ab, wenn sie schon annehmen durften, daß wir eine Gefahr darstellten. Und schließlich – was wartet in dem Tal auf uns?« 20
»Das alles werden wir sehen, sobald wir jenen Felsspalt dort betreten.« Hartnells Bemerkung klang so gleichgültig, als schlage er uns einen Weg in die Schiffsmesse vor. Tubby und ich folgten ihm langsam, aber nicht unschlüssig. Ich persönlich aber wünschte, wir wären der ersten Kugel gefolgt. Von irgendwo huschten andere Kugeln heran. Als wir schließlich den Spalt erreicht hatten, sahen wir uns einem Dutzend gegenüber. »Achtet nicht darauf. Ignoriert sie und geht weiter!« sagte Hartnell kühn. Er schien zu lachen. Die nächsten Kugeln waren etwa zehn Meter entfernt, und der Lärm in unseren Kopfhörern nahm von Sekunde zu Sekunde zu. »Ich muß abschalten!« sagte ich erstickt. »Ich halte es nicht mehr aus!« »Nein, Paps«, sagte Hartnell entschieden. »Wir müssen miteinander sprechen können.« Ehe ich antworten konnte, blieben wir stehen. Gleichzeitig. Eine unsichtbare Barriere, gegen die wir uns alle drei stemmten, versperrte den Felsspalt. Je mehr wir schoben, desto mehr erhöhte sich der Widerstand eines unbegreiflichen Kraftfeldes. Wir wichen zurück, denn es blieb uns nichts anderes übrig. Hartnell selbst schien beunruhigt und starrte zu Boden, als die erste Kugel wieder auftauchte. »Bubble« hatte sie Hartnell spontan getauft, und dieser Name wurde von uns sofort aufgegriffen. Man konnte diese Kugel leicht von den anderen unterscheiden; sie allein schwebte umher, während sich die anderen an den Felsen zu klammern schienen. Außerdem war das dunkle Rot ihres Außenspektrums tiefer als das der anderen Blasen. Die Kugel, also Bubble, kam ganz dicht an uns heran, als wolle sie unsere Aufmerksamkeit auf uns lenken. Dann begann sie sofort wieder, hin und her zu fliegen. Wir nahmen diese Einla21
dung nicht zur Kenntnis, sondern gingen einige Schritte zurück. Wir berieten, was geschehen sollte. »Nun«, meinte Tubby sarkastisch, »glaubst du, daß sich die Kontrolloffiziere beschweren, weil ich die durchsichtige Mauer nicht aufgenommen habe?« »Ich habe keine Angst«, sagte ich nicht besonders laut, »aber ich fühle mich sehr unbehaglich. So etwas habe ich noch nie erlebt.« »Ich weiß auch nicht recht, was ich davon zu halten habe«, sagte Hartnell und spielte gedankenlos mit seinem Strahler. Dann riß er seinen Kopf hoch, und ich bemerkte, wie seine Augen aufblitzten. Ich wartete und schwieg. Wenn es in Hartnells Augen aufblitzte, hatte er eine seiner verrückten, meistens gefährlichen Ideen. Er sagte langsam und nachdenklich: »Nur scheint mir das nicht der geeignete Fall, um nach den Paragraphen des HANDBUCHS vorzugehen.« »Welche?« fragte Tubby. »INTER-X. Abschnitt sechs, Kapitel acht.« Ich hätte daran denken müssen; aber die Hitze, das monotone Pfeifen und die schimmernden Kugeln wirkten zusammen und hielten mich vom. Denken ab. Jetzt begriff ich, da es Hartnell erwähnt hatte. Tubby verstand ebenso schnell. »Los Paps, nimm den Mattusstab.« »Das ist doch Fiktion«, sagte ich vorwurfsvoll. »Diese Kugeln sind unmöglich intelligent. Sie sind doch leer – man kann durch sie hindurchsehen.« Wieder grinste Hartnell. »Durch die Barriere konnten wir auch hindurchsehen, und dennoch hat sie uns aufgehalten. Und sie haben sie auch nicht aus reinem Spaß aufgebaut, so wie Kamerad Bubble uns nicht zur reinen Unterhaltung von hier fort und hinaus in die Wüste locken wollte.« 22
Die Kugeln wußten nicht, daß sie einen schweren taktischen Fehler gemacht hatten. Es gab nichts, womit man Hartnell mehr zum Handeln reizen konnte als erkennbarer Widerstand gegen seine Pläne. Das kannten wir zur Genüge. »Also sind sie offensichtlich intelligent«, sagte er und breitete in eine bedeutsamen Geste die Arme aus. »Das ist intelligentes Leben.« »Ich habe auf vielen Planten schon verrückte Dinge erlebt, aber das noch nicht«, sagte ich. Aber dann mußte ich ihm recht geben. In den Handlungen der Kugeln lag klar erkennbare Absicht; man mußte ihr Verhalten nur analysieren. »Nimm das Mattusgerät, Paps!« sagte Hartnell voller Ungeduld. »Verschwenden wir keine Zeit.« Der Mattus – eine Antenne, die mit Hand ausgerichtet wurde und durch ein Kabel mit dem Anzug verbunden war, funktionierte als elektronischer Telepathieverstärker. Nur … Dieses Gerät machte nichts einfacher. Es brachte den, der es bedienen mußte, an den Rand der Bewußtlosigkeit, besonders während schwerer Verhandlungen. Vier von den acht Wega-Planeten trugen intelligentes Leben, das hatten wir inzwischen festgestellt. Mit dreien der Rassen hatte ich bereits Kontakt aufgenommen und mit Hilfe des Gerätes verhandelt: mit den schildkrötenähnlichen Wesen von Krelling II, mit den Fünfbeinern von Zeton und den beweglichen Orchideen von Orbis. Eine dünne Kadmiumplatte preßte sich gegen meine Schläfen, wenn ich einen Schalter am Gürtel umlegte. Die Antenne war in größtmögliche Nähe des Gehirns des Gesprächspartners zu bringen. »Stehe nicht herum, und überlege«, drängte Hartnell, »ziehe die Antenne hervor und stecke sie Freund Bubble ins Gesicht.« Er redete leicht, schließlich brauchte er sich nicht der Tortur unterziehen, dieses Gerät bedienen zu müssen. Ich schauderte davor zurück, schaltete aber das Gerät ein. Die Kadmiumplatte 23
preßte sich an meine Schläfen. Dann trat ich vor und streckte die Antenne in die Richtung der Kugeln. Das lächerliche Gefühl, daß sie mit einem hellen »Plop« zerplatzen würden, wenn ich sie berührte, schwand nicht. Ich ignorierte das gräßliche Pfeifen. Ich versuchte mich zu konzentrieren. Erst wenn sich zwischen dem Mattus-Operateur und dem Partner ein geistiges Band entwickelt hatte, funktionierte die Übertragung der Gedanken einigermaßen. Die Gedanken waren zuerst Furcht, Feindschaft, Mißtrauen, vermischt mit Neugierde. »Sie kommt näher«, sagte Hartnell. Er hätte sich den Hinweis sparen können, ich sah es selbst. »Hörst du schon etwas?« Ich winkte ab. »Nein. Ich merke nichts.« Ich stand zwölf Meter von meinen Partnern entfernt und versuchte, mich zu konzentrieren. Die Nervenanspannung zu beschreiben, die es erforderte, um über einen riesigen Abgrund auf ein feines wisperndes Stimmchen zu warten ist unmöglich. Mein Arm begann zu schmerzen, weil ich die Antenne in der gleichen Lage halten mußte. Im Inneren des Anzugs wurde es unerträglich heiß. Es schien wirklich zwecklos zu sein … Und dann zuckte ich zusammen. Eine sterbende Welt … die letzten Bewohner … fremde Gedanken drangen auf mich ein. »Nun, hast du etwas?« fragte Hartnell. Er hatte meine plötzliche Bewegung gesehen. »Ja. Ich habe mich beinahe in die Zunge gebissen«, erklärte ich und winkte ab. Verzweiflung … Niedergeschlagenheit … gemischt mit: Mißtrauen. Aber keine Feindseligkeit. Eine sterbende Welt? 24
Ich konnte es begreifen; schließlich hatten wir weder auf den Ebenen noch in den Meeren außer Ammoniak etwas finden können. Dann spürte ich ausgeprägte Neugierde. Wieder starrte ich auf die purpurn schimmernde Sphäre; wie ein schwebender Kugelblitz, kaum mehr als acht Schritte von mir entfernt. Ich fragte mich, ob dieses Ding wirklich einen Verstand hatte. Ich versuchte, mich auf die Bilder der Reise nach Cardoon und auf die Landung zu konzentrieren. Wieder brach mir der Schweiß aus. Aber jetzt hörte ich es deutlich: »Kommt ihr von einer anderen Welt?« Ich spürte, wie mein Herz zu hämmern begann. Ich gab die entsprechende Antwort. »Und ihr kommt in Frieden?« »Ja«, dachte ich scharf und eindringlich. »Wir kommen in Frieden.« »Werdet ihr uns helfen können?« »Wenn es in unserer Macht liegt, gern.« Ich schaltete erschöpft ab. Der Mechanismus des Professors Mattus hatte es wieder einmal geschafft. Hartnell und Tubby sahen zu, wie ich die Antenne senkte. »Kein Glück, Paps?« »Doch. Es hat geklappt. Es scheint, daß wir dieses Volk hier retten müssen.« Hartnell lachte befreit auf. »Das ist direkt eine Abwechslung. Meistens sind die fremden Rassen froh, daß sie uns eines Tages nicht mehr sehen müssen.« Als sich meine aufgeregten Nerven etwas beruhigt hatten, versuchte ich es ein zweitesmal. Freund Bubble wartete geduldig. Jetzt schwebte er etwa einen Meter über dem Felsboden, während seine Artgenossen reglos an dem Felsen hingen. »Wie habt ihr es geschafft, uns den Zugang zu dem Felsen zu 25
versperren«, fragte ich in Gedanken. »Und aus welchen Gründen?« Die Antwort auf die Frage war undeutlich; ich erfuhr etwas von einem Kraftfeld. Der Rest war unbegreiflich fremd. Den Zutritt hatte man uns verwehrt, weil die Felsspalte der Zugang zu einem Gebiet war, den die Energieblase etwa folgendermaßen beschrieb: »Alles, was uns vom Ruhm der Vergangenheit geblieben ist, unser einziges Erbe, das die Weisen uns hinterließen, die in der Großen Katastrophe untergingen. Und dort liegt auch der einzige Kindergarten unserer Art.« Die geistige Stimme, die ich hörte und deren Aussage ich mehr oder weniger klar verstand, sagte: »Leider sind nur noch wenige Kinder in diesem Bezirk.« Ich senkte verwirrt die Antenne. »Kindergarten?« murmelte ich verwirrt und erschrocken.
4. Ich erklärte Tubby und Hartnell, was ich verstanden hatte. »Dann werden wir den Kindergarten besichtigen«, meinte Hartnell. »Wir folgen Freund Bubble.« Wir gingen auf die schmale Spalte zwischen den hohen Klippen zu. Ich sah, wie sich vier der wartenden Sphären vom Felsen lösten und vor uns herschwebten, während die purpurne Kugel und der Rest uns eskortierten. Dieses Mal kamen wir ungehindert über das Gelände, an dem uns vorher die Sperre aufgehalten hatte. Wir erreichten einen stark abschüssigen Pfad. Er war nicht leicht zu begehen, und jeder Schritt tyrannisierte unsere Muskeln. Eine Schlucht öffnete sich vor unseren Augen. Sie wurde auf allen Seiten von Felsen gesäumt, die so hoch 26
waren, daß es trotz der starken Sonnenbestrahlung dunkel wurde. Wir gingen langsam hindurch und gelangten an eine Ebene, die etwa sechs Kilometer durchmaß. Wir blieben stehen, weil wir nicht wußten, in welcher Richtung wir weitergehen sollten. Hartnell und Tubby mußten trotz des Pfeifens in den Hörern meinen erschrockenen Ausruf gehört haben, ehe sie selbst etwas bemerkten. Etwas packte mich sanft, aber unwiderstehlich und drehte mich nach rechts herum. Ich verlor beinahe das Gleichgewicht. Es war, als habe man mich wie eine Marionette mit zahllosen unsichtbaren Fäden bewegt. »Grüne Galaxis!« rief Hartnell aus. »Jetzt wissen wir, was die Kugeln mit Schwerkraftfeldern meinen.« »Wie stellen sie es an, diese Felder einzusetzen?« fragte Tubby erstaunt. Hartnell zuckte die Schultern. Offensichtlich nahm er alles weniger ernst als wir beide. »Du hast dieses Gerät. Warum fragst du sie nicht?« wandte er sich an mich. Tubby fügte gereizt hinzu: »Und wenn sie es sind, die dieses Pfeifen verursachen, dann sage ihnen mit besten Grüßen, sie möchten bitte schweigen.« Als ich die Antenne ausfuhr und sie auf die purpurne Kugel richtete, bestand für mich kein Zweifel mehr: Diese Kugeln waren intelligent. Die purpurne Kugel begriff augenblicklich, was ich von ihr wollte, und die Verbindung war schneller und leichter als bei den anderen Versuchen. »Kraftfelder? Sie sind für uns ganz natürlich. Wir wenden sie an, um unsere Arbeiten zu verrichten. Hier ein Beispiel.« Ich warnte die anderen über Helmfunk. »Jetzt will sie uns ein Beispiel des Kraftfeld-Einsatzes geben!« Ein kleiner Stein, rund drei Meter entfernt, erhob sich plötz27
lich und schwebte auf mich zu. Dann kam er ohne Erschütterung bei meinen Füßen zum Stillstand. »Bei der Beteigeuze«, stöhnte Hartnell. »Wie machte sie das?« Ein großer Felsbrocken krachte zur Seite und rollte in einer Staubwolke davon. »Da muß es einen Trick geben«, sagte Tubby. Seine Augen waren aufgerissen, und das Summen der Kamera ertönte. »Vermutlich machen sie es mit einem Spiegelsystem.« Wie auch immer es ging – wir waren beeindruckt. »Die Kraftfelder sind unsere Arme und Beine«, erklärte Bubble. »Auf welche Art sollten wir sonst etwas bewegen oder gar die wunderbare Maschine unserer Weisen bedienen?« Je mehr wir nachdachten, desto beschränkter kamen wir uns vor. Im gesamten Universum trafen wir zahllose Wesen, die uns um wenige Dinge beneideten, nur um eines beneideten sie uns stets. Um unsere Hände. Mit diesen Händen erschuf der Mensch eine Kultur, die ihn befähigte, sogar Raumschiffe zu bauen und mit ihnen hinaus ins All zu rasen. Und hier gab es glänzende Sphären, die ein natürliches Instrument besaßen, das noch weit anpassungsfähiger als Finger und gegengestellter Daumen war. Kraftfelder konnten in einen radioaktiven Hochofen greifen, konnten weißglühendes Beryllium unter einen elektronischen Hammer halten, und – was wie ein Wunder schien –, sie konnten chirurgische Operationen durchführen, ohne die Haut zu verletzen. Aber … Ein anderer Gedanke machte mich vor Sorge krank. Was geschah, wenn ein solches Kraftfeld die Mattusantenne berührte? Würde der Operateur in Wahnsinn verfallen? Und konnten diese Felder nicht ebenso Radioempfänger oder Antigravaggregate beeinflussen? Zum Glück erreichten wir in genau diesem Moment ein großes, kreisförmiges Loch in der Wand, und ich kam auf weniger 28
großartige Gedanken. Diese Öffnung war künstlich hergestellt, denn die trichterähnliche Wand war völlig glatt und verjüngte sich zu einem Loch hin, das rund drei Meter durchmaß. »Der Eingang zur großen Halle«, erklärte Bubble, ohne auf die entsprechende Frage zu warten. »Dahinter liegen die Versammlungsräume und der Kronsaal unseres geehrten Herrschers Makkub. Doch zuerst sollt ihr den Kindergarten sehen, den einzigen, den es noch auf Cardoon gibt. Er wird streng bewacht, denn darin liegt unsere einzige Hoffnung auf die Zukunft.« Wieder empfing ich diese eigenartige Trauer. Eine halbe Meile weiter hatten wir die Klippen hinter uns gelassen. Wir waren noch immer am Rand der kreisförmigen Ebene, bis wir zu einer anderen Felsspalte kamen. Dieses Mal blickten wir in ein unregelmäßig geformtes Becken hinunter. Ein Bild von faszinierender, fremdartiger Schönheit bot sich unseren Augen. Felsen und Steinbrocken, mit denen der Boden der Senke bedeckt war, waren von Sphären aller Größen und Farben übersät. Unter dem messingfarbenen Himmel glühten sie das Spektrum hinauf und herunter. Die Lichtfülle schmerzte die Augen. In unregelmäßigen Abständen erhob sich eine der Kugeln, schwebte zögernd in die Höhe und wurde dort von anderen Sphären erwartet. Sie schoben die ankommende Kugel vorsichtig in eine Tunnelöffnung an der anderen Seite des Beckens. »Das sind unsere Kinder!« Bubble glühte vor Stolz. »Seht, gerade wird eines geboren. Die Wächter bringen es zum Brutkasten, wo dem Jungen die Geschichte und das Wissen unseres ruhmreichen Volkes nahegebracht werden.« Hätten wir jetzt nicht gewußt, daß das gellende Pfeifen in unseren Lautsprechern von den Sphären stammte, so würden wir es nun gemerkt haben. Neben dem Pfeifen, das unsere Schädel zu sprengen drohte, war im Hintergrund ein feines Wispern und Zirpen zu hören. 29
Ich übersetzte meinen Freunden, was ich erfahren hatte. »Sie wachsen aus den nackten Felsen? Ist das möglich?« fragte Tubby mehr als erstaunt. Ich dachte fast wie er – wir kannten viele Lebensformen, aber sie alle benötigen Nahrungsmittel, um leben zu können. Aber konnten Wesen wie diese Sphären aus Steinen Nahrung ziehen? Wir wandten uns an Hartnell, dessen Erklärungen uns meist zuerst überraschten, sich später aber als sinnvoll erwiesen. »Es gibt autotrophe oder selbsternährende Bakterien, von denen man weiß, daß sie von anorganischen Stoffen leben können; sie existieren beispielsweise in der Umgebung von Vulkanen. Außerdem existieren auch Eisenablagerungen, die durch autotrophe Eisenbakterien erzeugt worden sind. Ich weiß das auch nicht so genau«, fuhr er in einer plötzlichen Anwandlung von Bescheidenheit fort, »aber wenn man davon ausgeht, gibt es eigentlich keinen Grund, warum nicht auch diese Sphären von einem Mineralstoff leben können. Vielleicht hat es etwas mit Radioaktivität zu tun?« Ich fragte über das Mattusgerät Bubble darüber aus. Er schien sehr beeindruckt davon, daß Fremde wie wir das Prinzip der Sphären begriffen hatten. Langsam stiegen wir in seiner Achtung. Er schien ebenfalls überzeugt, daß es uns gelingen konnte, Cardoon zu retten – er strahlte eine Flut telepathischer Eindrücke aus, um die Existenz seiner Rasse zu erklären. Die Sphären, wenn sie sich einmal von dem Kinderfelsen gelöst hatten, bedurften keiner Nahrung mehr: Sie existierten so lange, bis die Energie, aus der sie bestanden und entstanden waren, verbraucht war. Dann lösten sie sich einfach auf. »Dann kann man ihnen nicht einmal ein Denkmal setzen«, bemerkte Hartnell bissig. Ich war der Meinung, er sollte über dieses Thema seine Witze lassen und sagte es ihm auch. »Wann löst ihr euch auf?« fragte die Kugel. 30
Ich erklärte ihr in einfacher Form die Gebräuche, die wir anwendeten. »Es bleibt also am Ende der Tage eines Individuums ein Zeichen der Existenz zurück?« Ich schilderte Bubble den beachtenswerten Garten der Ruhe im Hauptquartier zu Zeta Sagittarii, in dem tote Raumfahrer beerdigt waren. »Dort werden also Name und Funktion und der Tag verzeichnet, an dem der Betreffende die Lebensenergie verlor?« Ich bejahte seine Frage. »Das ist ein großes Wunder«, dachte Bubble. »Für mich und meine Artgenossen gibt es nichts.« Ich stellte einen telepathischen Strom von Neidgefühlen fest. Dann blieb er stumm und schien darüber nachzudenken, was er erfahren hatte. Während wir unverwandt Zeugen von Geburten waren, schilderte ich Hartnell und Tubby, was ich vernommen hatte. Über dem Kindergarten schwebten in seltsamer Aufregung die Wächter. Unser Freund meldete sich wieder. »In den ruhmreichen Tagen der Weisen gab es viele Kindergärten auf Cardoon. Tausende meiner Rasse strömten aus dem Brutkessel von Meelon, aus den Bergtälern von Jammele und den fruchtbaren Feldern, die unsere Seen umgaben. Am Ufer des Paccelecar waren sie zahlreicher als die Sandkörner.« Wieder verstummte er eine Weile. »Jetzt sind es nur noch wenige. Der Zauber des Lebens verließ unseren Planeten. Hier ist der einzige Kindergarten, der uns noch blieb. Bald wird auch er eine Stätte des Todes sein, wenn ihr uns nicht helfen könnt.« Da ich nicht wußte, auf welche Weise wir helfen konnten, dachte ich eine undeutliche Art der Zustimmung. Das beunruhigte ihn, denn er erklärte, daß die Stunde der Au31
dienz sich genähert habe und wir jetzt zur großen Halle gehen würden. Dort würde er uns Makkub vorstellen. »Ich kann dieses pfeifende Geräusch nicht mehr aushalten!« rief Tubby. »Es reißt an meinen Nerven. Frage ihn, ob er damit aufhören kann!« Ich versuchte es und erklärte meinem Gesprächspartner, was uns störte. Er war abermals überrascht. »Dann könnt ihr uns also reden hören?« »Ja.« »Wir können eure Verständigung auch hören – wir nehmen die seltsamen Geräusche auf, sie sind natürlich völlig unverständlich.« »Natürlich.« Auf eine unbegreifliche Weise erzeugten die Sphären Radiowellen, mit denen sie miteinander »sprachen«. Unsere viel tieferen Frequenzen mußten ihnen natürlich als Brummtöne erscheinen. Nachdem ich ihm erklärt hatte, wie lästig dieses Pfeifen für uns sei, beruhigte er seine Rassegenossen. Aber die Geräusche der Sphären in der weiteren Umgebung blieben. Immerhin wurde das Pfeifen gedämpft. »So ist es schon viel besser«, sagte Hartnell. »Wie verhält es sich mit dem Weg zur Halle?« »Ich glaube, er meinte den Tunnel, an dem wir eben vorbeigekommen sind«, antwortete ich. »Hoffentlich ist es dort nicht zu eng und zu dunkel, sonst bekomme ich meine klaustrophobischen Anfälle«, witzelte Tubby. Es sollte sich in Kürze herausstellen, daß dies noch die geringste Sorge war. Ich war mißtrauisch, und ich begann ein schlechtes Gefühl zu bekommen … Wir kletterten zurück. 32
Vor dem trichterförmigen Eingang in der senkrechten Klippe blieben wir stehen und spähten vorsichtig ins Innere. Unser Begleiter und drei weitere Sphären schwebten voraus. In der Dunkelheit leuchteten ihre Farben viel intensiver, und die Schlieren, die sich über die Kugeln hinwegzogen, wirkten wie ein verwirrendes Muster. Sie schwebten ins Innere, und wir blieben am Rand stehen und sahen überhaupt nichts. Wie sollten wir uns verhalten? Hartnell schaltete die Helmlampe ein, richtete den Strahl in die Tiefe der Höhle. Tubby und ich spähten über seine Schultern, und – wir sahen in eine bodenlose Tiefe. Hartnell bewegte den Oberkörper, und wir sahen, daß der Schacht fast senkrecht in unbekannte Tiefen abfiel. »Für die Kugeln mag das bequem sein«, sagte Tubby und deutete auf die runden Leuchterscheinungen. »Aber wie sollen wir ihnen nachkommen können?« Hartnell öffnete ein Fach am Oberschenkel seines Raumanzugs. »Vermutlich mit Hilfe der Karlinleine«, sagte er. Ich zog eine Grimasse. »Du weißt genau, daß ich nicht schwindelfrei bin«, sagte ich vorwurfsvoll. Er schüttelte langsam den Kopf und meinte mißbilligend: »Einer bekommt Angstzustände, der andere wird schwindelig … Was soll noch aus INTER-X werden?« Er hatte den dünnen Stahlfaden aufgewickelt; dreitausend Meter lang und mit einem unbekannten Kunststoff beschichtet. Die Leine konnte ein Gewicht von mehr als zwei Tonnen aushalten. Er befestigte sie an einem Felsen, riß prüfend daran und ging dann, fast waagrecht in der Luft schwebend, ins Innere hinein. Tubbys Augen drückten aus, daß ihm dieser Sport ebensowenig wie mir gefiel. Aber er befestigte den Karabinerhaken an der Leine und sagte: 33
»Klettern wir also. Du fällst wenigstens weich, Paps, wenn dein Haken sich lösen sollte.« Hartnells Stimme wurde laut. »Alles in Ordnung, Partner. Ich bin vierzig Meter tief, und die Wand wird merklich flacher.« Zehn Meter hinter dem Trichter wurde es stockdunkel. Unter mir sah ich Tubbys Lampe, darunter das Licht von Hartnell, und über uns schwebten wie rätselhafte Monde an einem sternenlosen Himmel die Sphären. Ihr schrilles Pfeifen, mit dem sie vermutlich unsere Fortbewegung kommentierten, klang wie hämisches Gelächter. Ich konnte aber die Mattusantenne nicht ausfahren. »Ich gehe jetzt fast aufrecht, Paps«, sagte Hartnell. »Der Boden ist so gut wie eben.« »Danke.« Einige Minuten später hatten Tubby und ich ihn endgültig eingeholt. Wir orientierten uns mit Hilfe dreier Lampen und stellten fest, daß eine abschüssige Strecke kam. »Der Berg ist so hohl wie das Innere einer Kugel«, sagte ich. Hartnell grinste lautlos. »Sie scheinen etwas für Kugelformen übrig zu haben.« Es stellte sich heraus, daß meine Beschreibung falsch war. Die gekrümmte Wand auf der anderen Seite des Eingangs hob sich nur einige Meter, dann kamen wir einer kreisrunden Öffnung nahe. Sie führte in eine weitere Kaverne. Das Höhlensystem, dessen Teile wir erkennen konnten, sah aus wie eine Perlenschnur – jeweils ein Loch verband die Hohlräume. Die Löcher konnten wir ohne Schwierigkeiten erklettern. Während wir in dieses System eindrangen, schwebten ständig die Sphären über uns. In unseren Lautsprechern schwoll der Lärm an; sogar die Zähne schmerzten unter den Schwingungen. Wir ahnten, daß wir einer Versammlung von diskutierenden Kugeln näherkamen. 34
»Wenn sie den geringsten Rest von Anstand hätten, würden sie ihre Kraftfelder eingesetzt haben«, sagte Hartnell. »Wozu?« fragte Tubby knapp. »Um uns zu tragen, Freund!« sagte ich. Die purpurne Sphäre schob sich an mich heran; ich zog die Antenne aus und konzentrierte mich. Es war Bubble. »Ich muß euch verlassen«, sagte er. »Ich muß meinen Platz bei Makkub und seinen Beratern einnehmen. Meine Freunde werden euch zu ihm bringen, sobald er euch Audienz gewährt.« »Verstehe!« Ich schaltete ab und übersetzte. »Wie an einem mittelalterlichen Hof«, bemerkte Hartnell. »Hoffentlich sind sie ein wenig intelligenter als die Orchideen von Orbis!«
5. Wir standen in der undurchdringlichen Dunkelheit. Warten … Die schwebenden Sphären strahlten hell, aber ihr Licht reichte nicht aus, um die Kaverne zu erleuchten. Ich bekam starke Zweifel an der Art, in der wir vorgingen, und an dem Ausgang des Abenteuers, in das wir uns eingelassen hatten. Die Schwingungen, die mir Bubble zuletzt übermittelt hatte, klangen unecht. Er schien von jenem Makkub mit zuviel Respekt zu denken – und Herrscher, die von ihren Untertanen zuviel Respekt verlangten, waren zumeist Despoten. Der Lärm in den Lautsprechern wurde unerträglich. Wir zögerten, abzuschalten, weil wir miteinander in unproblematischer Verbindung bleiben mußten. Plötzlich aber wurde es fast schlagartig ruhig. Wohltuendes Schweigen hüllte uns ein. 35
»Macht euch fertig«, sagte Hartnell scharf, »jetzt ist es soweit.« Er wartete einige Sekunden, dann sprach er mit merkwürdig beschwörender Stimme weiter: »Ihr wißt, daß dort in diesem suspekten Thronsaal Freund Makkub eben seinen großen Auftritt hatte und alles in respektvolles Schweigen gesunken ist? Richtet euch danach!« »Ich weiß nicht, ob mich Makkub sonderlich interessiert …", sagte Tubby verdrossen. Mir ging es ähnlich. Es war nicht feststellbar, ob Bubble unsere Bemerkung verstanden hatte, jedenfalls ließ man uns nicht lange warten. Ein ganzes Rudel der Sphären tauchte auf, und wir hatten plötzlich das unangenehme Gefühl, durch die Luft zu schweben. Und … Wir schwebten auch. »Ewige Dunkelwolken!« stöhnte Hartnell. »Jetzt transportieren sie uns mit den Kraftfeldern.« Es war nicht angenehm, ohne den Kurs beeinflussen zu können, durch die Höhlen zu schweben. Wir wußten nicht, was vor uns lag, und wir ahnten nicht, an welcher Stelle unserer Körper die Kraftfelder ansetzten. Wir bewegten uns einfach schnell und mühelos. Offenbar war es für Tubby besonders unangenehm. Die Sphären, die ihn ergriffen hatten, ließen ihn mehrmals fallen, denn sie schienen sich nicht einig zu sein, wie sie ihn tragen sollten. Ich hörte seine erbitterten Flüche, aber Hartnell lachte nur. Dann waren wir angelangt. Zwei große, dunkelgrüne Kugeln schwebten wie Wächter vor einem Tor zur Seite, als wir herangeschwebt, kamen. Wir landeten inmitten einer Szene von einer exotischen Schönheit und Eigenart, daß wir alle drei vor Überraschung zu atmen vergaßen. Tubbys Kamera surrte. In einer großen, ellipsenförmigen Kaverne waren Tausende von Sphären versammelt; sie lagen in Schichten übereinander. 36
Ihre Farben leuchteten und wechselten wie Kaleidoskope. Wir schwebten durch die Menge hindurch, die sich vor uns teilte wie die Wasser vor Moses, und landeten endgültig. Wir standen auf einer freien Stelle. In der Mitte vor uns standen drei massive Obelisken; Stalagmiten, deren Hauptsäule etwa zwei Meter hoch war. Auf den Spitzen der drei Säulen lagen drei Kugeln, deren Größe schon unheimlich wirkte – fast einhundert Zentimeter. Eine Anordnung von halbkreisförmigen Steinelementen trug eine Reihe von purpurnen Sphären. Ich erkannte unseren alten Freund, als wir einige Schritte zurücktraten. Auf dem mittleren weißen Obelisk thronte eine rote Sphäre, die ich ansah. Mir verging ein Lächeln über die merkwürdige Ansammlung feuriger Kugeln. Irgendwie wirkte die Kugel wie ein Gesicht voller feindseliger Neugierde. Ich verstand jetzt etwas besser, warum das Erscheinen Makkubs die Versammlung zum Schweigen gebracht hatte. Keiner von uns Menschen hatte Lust zum Reden, nicht einmal Hartnell wagte eine sarkastische Bemerkung. Eigentlich spürten wir nichts Böses, nur eine verbitterte, zurückhaltende Feindseligkeit, eine ungeheuer starke Persönlichkeit. Schließlich schaltete ich ohne sonderlich große Begeisterung wieder das Mattusgerät ein. Ich bereitete mich auf ein erbittertes Psychoduell vor. Augenblicklich herrschte ein starker, klarer Kontakt. Neugierde … verbunden mit Ekel über unsere persönliche Erscheinung und vorsichtiges Abwarten. Bubble schwebte von seinem Platz auf, näherte sich uns und begann etwas wie einen rituellen Tanz vor dem Thron des Herrschers. Nach einer halben Minute begann mein Lautsprecher zu schrillen. »Mächtiger Makkub«, dachte er in die Richtung der roten Kugel. »Dies sind die fremden Kreaturen, die von einer anderen Welt kamen, und die ich dir zugeführt habe.« 37
Natürlich wurde kein Wort gewechselt; ich spürte dies alles nur in meinen Gedanken. Und noch etwas: Die Aufmerksamkeit von Tausenden von Augen, falls ich diese Analogie verwenden, konnte. »In vieler Hinsicht sind sie uns unterlegen«, fuhr die purpurne Kugel fort, »aber in dieser Krise, die unsere Welt Cardoon befallen hat, wäre es eine Pflichtverletzung als Berater für die Wissenschaft, wenn ich mich nicht vergewissern würde, ob ein Teil ihres kargen Wissens nicht auch für uns von Nutzen sein kann.« Bei dem Begriff »Krise« erhob sich ein allgemeines Murmeln. »Im Rahmen dieser Pflicht habe ich den Fremden gestattet, unseren Kindergarten zu besichtigen. Sie sollen die Art und Weise begreifen können, in der wir geboren werden. Ich darf sagen, daß die Geburt bei ihnen anders verläuft …" Die Sphären, die neben Makkub saßen, waren grün und orangerot. Die grüne Kugel sprang jetzt wütend – ich empfing einen deutlichen Impuls – auf und ab wie ein außerplanetarisches Jojo. »Wie konntest du das wagen?« dachte die Kugel ausdrucksstark. »Wie konntest du die zukünftigen Generationen dadurch gefährden, daß du diesen Tieren gestattetest, unser geheiligtes Geheimnis zu sehen? Ihre widerlichen Ausstrahlungen verbreiten vielleicht Gift!« Sofort kam die Antwort. »Nein!« Hastig redete Bubble weiter. »Das ist nicht so. Ich verbürge mich persönlich dafür, daß dies unmöglich ist.« Der Protest kam zu spät; der Schaden war bereits groß. Makkubs rote Haut vibrierte sichtlich. Makkub schrie: »Wenn die Kraftfelder dieser Kreaturen unsere einzige und letzte Brutstätte verseucht haben, dann werden sie sich vor mir, Makkub, zu verantworten haben.« 38
Bubble zitterte vor unverhüllter Angst. »Verzeihe mir, Makkub, aber diese Kreaturen verfügen über keine Kraftfelder. In dieser Hinsicht sind die Fremden primitiv und unbegreiflich …" Ich hatte inzwischen den Namen des grünen Wütenden herausgefunden. »Genau das!« brüllte Pakkan. »Du gibst zu, daß du sie nicht begreifst. Darin liegen die Gefahren. Habe ich es nicht dem Rat erklärt?« Er federte weiterhin auf und ab. »Ich habe Dinge in Erfahrung gebracht, die unser Rat wissen sollte«, sagte unser purpurner Freund. Hartnells Stimme störte mich in der Konzentration. »Was geht hier vor? Warum hüpfen die Bälle so merkwürdig?« Ich erklärte es Tubby und ihm hastig. »Nun – dann stehe nicht so passiv herum und sage etwas, lasse Bubble übersetzen … meinetwegen.« Mir war diese Überlegung bis jetzt nicht gekommen, dazu war die Auseinandersetzung zu hitzig verlaufen. »Alles zu seiner Zeit«, sagte ich und spürte undeutlich, was Bubble seinem Herrscher mitteilte. Die Vorstellung, daß wir uns bei unserem Tode nicht einfach in Nichts auflösten, schien ihn stark zu beschäftigen. Er erklärte seiner Versammlung: »Ich habe oft darüber nachgedacht, daß meine Untertanen nicht mehr in der Lage sind, ihre Dankbarkeit für meine Sorge auszudrücken, sobald die Stunde ihrer Auflösung nahe gekommen ist. Es ist bedauerlich, daß die Erinnerung an große Angehörige unserer Rasse im Lauf der Jahre verblaßt. Sollte es möglich sein, von diesen Fremden zu erfahren, wie ein bleibendes Denkmal zu meiner Ehre errichtet werden kann? Dann war ihr Besuch hier nicht völlig nutzlos.« 39
Ich dachte, ich hätte einen falschen Text erwischt, aber die grenzenlose Erleichterung Bubbles sagte mir, daß ich mich nicht verhört hatte. Ich schob die Übersetzung auf und dachte mir, daß Eitelkeit und Egoismus die Merkmale aller Intelligenzen zu sein scheinen. Die orangerote Sphäre neben Makkub meldete sich aufgeregt durch einen starken Gedankenstrom. »Ich, Zaccar, sage, daß das Wort unseres Herrschers einen langgehegten Wunsch von uns allen artikuliert hat. Deshalb empfehle ich dem Rat, daß die Fremden, die unverschämt genug waren, uns zu besuchen, selbst untersucht werden sollen.« Das Mattusgerät gab sein Gelächter wieder. Seine Ausdrucksweise mißfiel mir sehr. Makkub ging augenblicklich auf die Begriffe ein. »Fremde sind sie in der Tat«, sagte er. »Eben habe ich die unästhetischen Geräusche gehört, mit denen sie sich verständigen. Offenbar steht ihre Kultur weit unter uns, und ebenso scheint die Natur sie stiefmütterlich behandelt zu haben. Wir, die Abkömmlinge der Weisen, haben deren wunderbares Erbe bewahrt. Die Fremden übertreffen uns nur in der Fähigkeit, sich selbst ein bleibendes Denkmal zu setzen. Sie sollen gezwungen werden, uns dieses Wissen zu übertragen.« Er machte eine Pause, und die Versammlung wartete gierig auf seine nächsten Ausführungen. »Es gebührt mir, Makkub, diese Ehre zu erfahren. Wenn ich nicht mehr bin, gibt es einen Ort, an dem Pilgerströme meiner gedenken können.« Er war nicht gerade bescheiden, und ich wollte schon Hartnells Rat befolgen und mich selbst in die Diskussion einschalten. Bubble sprang aufgeregt hin und her und riskierte offensichtlich mit seinem folgenden Vorschlag seine Existenz. Ohne Grabstein. »Die ungeborenen Generationen … Sollten die Fremden uns 40
nicht beim Studium der lebensspendenden Felsen helfen? Mag sein, daß sie dumm sind, aber vielleicht finden wir Hilfe durch sie.« Pakkan dachte, und es war viel Unheil in seinen Gedanken: »Unser Herrscher hat entschieden. Wie kannst du es wagen, seine Worte zu bezweifeln?« Makkubs Eitelkeit stieß sich an der Unterbrechung, und die rote Sphäre schwoll förmlich vor Wut. »Das wäre ein noch größeres Denkmal«, sagte Bubble schnell. Ich hielt gespannt den Atem an. Zaccar dachte voller Nachsicht: »Makkub, der Vater seiner Rasse. Ein ewiger Tribut, in der Tat.« Es klang, als läse er eine Gedenktafel mit gotischen Lettern ab. Auch Makkub schien über diesen Einfall nachzudenken. Seine dünne Haut schimmerte wie ein kreisförmiger Regenbogen, in den man einen Knoten gemacht hatte, und dieser Zustand dauerte beinahe eine Minute an. Endlich traf er seine Entscheidung, und er schoß zwei Pfeile mit einem Bogen ab. »Hört alle zu: Keiner kann leugnen, daß die Krise über Cardoon eine ernste Entscheidung von uns fordert. Deshalb entscheide ich, Makkub, dank der mir verliehenen Vollmacht, daß der Tag der Enthüllung zwei Jahre vorgezogen werden soll. Die Zeremonien sollen bei der nächsten Dämmerung vorgenommen werden. Dann werden wir wissen, ob jene Fremden Cardoon helfen können oder nicht.« Eine stöhnende Bewegung ging durch die wartenden Sphären – ein Seufzen, das Furcht und Erstaunen beinhaltete. Ich hatte natürlich nicht die leiseste Ahnung, was hier geplant wurde. »Weiser Makkub!« rief Zaccar. »Wie groß sind deine einsa41
men Entschlüsse! Wie ungeheuer klug schwebt unser Herrscher auf den Pfaden der Weisen, die vor uns lebten.« Einschränkend wagte sich Pakkan vor. »Der Preis dafür …", sagte er unhörbar. Makkub winkte in Gedanken förmlich ab. »Eine Zeremonie von dieser Wichtigkeit geht über alles. Wir müssen wissen, was uns die Zukunft bringt: Es wird tausend Leben kosten – aber sie werden nicht umsonst geopfert werden.« Ich übersetzte, und wir starrten uns ungläubig an.
6. Die Versammlung in der Halle hatte sich aufgelöst. Sechs kleine blaue Sphären hoben Makkub von seinem Thron und schleppten ihn hinweg, gefolgt von Pakkan und Zaccar. Bald waren sie durch eine Wandöffnung der Kaverne verschwunden. Die Berater auf dem halbkreisförmigen Wall schwebten auf ähnliche Weise hinweg, und die große Masse drängte sich durch den Eingang, durch den wir die Halle betreten hatten. Das Kreischen der Unterhaltung machte uns beinahe wahnsinnig, und ich schaltete ab. Als ich Tubby und Hartnell anblickte, sah ich, daß sie Ähnliches gefühlt hatten. Der Lichtschein verblaßte schnell, und schließlich waren wir mit Bubble allein in der riesigen natürlichen Höhle. Ich schaltete das Helmfunkgerät wieder ein und registrierte verhältnismäßig große Ruhe. »Vielleicht hättest du die Güte, zu berichten, was wir eben alles erlebt haben?« erinnerte mich Hartnell grimmig. »Ich würde mir lieber eine Ecke suchen, um mich etwas bequemer setzen zu können«, warf Tubby ein. Zu meiner Überraschung war Bubble nicht erstaunt, als ich die Bitte übersetzte. 42
»Das ist begreiflich. Ich habe bereits veranlaßt, daß ihr allein sein könnt«, dachte er. Er schwebte vor uns her und umrundete den merkwürdigen weißen Thron. Dahinter zeigten uns die Lichtkegel der Helmlampen eine Anzahl von Tunneleingängen. Sie waren ebenfalls abgerundet und zwei bis drei Meter hoch. Wir betraten sie durch einen kreisförmigen Eingang und mußten uns bücken. »Nicht gerade einladend!« sagte Hartnell vorwurfsvoll, nachdem er sich gedreht und das Licht hatte wandern lassen. Die Lampen erweckten das besondere Interesse der Sphäre; sie selbst konnte im Dunkeln sehen, erkannte also auch künstliche Lichtquellen. Boden, Decke und Wände der Höhle waren wie poliert. »Immerhin etwas«, sagte, Tubby. »Ich bin mehr als todmüde.« »Immer diese Superlative«, murmelte Hartnell und setzte sich zu Tubby auf den Boden. »Mich interessiert dieser,Tag der Enthüllung’«, sagte ich zu der schillernden Kugel. Ehrfurcht flutete mir über das Mattusgerät entgegen. »Das ist das Erbe der Weisen – ein großes, schreckliches Geheimnis.« Wir setzten uns in einem Halbkreis hin, und ich richtete die Antenne aus. In einem Frage- und Antwortspiel erfuhr ich von der merkwürdigen Zivilisation, die vor einigen Jahrtausenden auf Cardoon entstanden war. Selbst damals war der Planet ohne Fauna und Flora gewesen, und die Sphären waren aus den sterilen Felsen entstanden. Auch damals schon war es so gewesen: Sobald sich die Kugeln vom Felsen gelöst hatten, brauchten sie bis zu ihrer Auflösung keinerlei Nahrung mehr. Keinen Schlaf und keine Bequemlichkeit. Sie bestellten das Land nicht, auf dem ohnehin nichts gewachsen wäre. 43
Wenn das Energiequantum erschöpft war, das sie bei der Geburt mitbekamen, verschwanden sie einfach. Ich hatte noch Fragen. »Werdet ihr dabei glücklich?« »Glücklich?« fragte die Kugel verblüfft. »Was ist das?« Ich erklärte es ihr kurz und fragte: »Wie werden die Herrscher gewählt? Wie ist Makkub euer Herrscher geworden?« Bubble war überrascht und gleichzeitig enttäuscht von meiner geringen Beobachtungsgabe. »Makkub ist natürlich eine rote Sphäre. Sie sind die naturgegebenen Herrscher. Wenn die Kinderpfleger feststellen, daß eine rote Sphäre entsteht – das geschieht alle siebzig Jahre –, wird sie sofort zu einem besonderen Ort gebracht. Dort wartet sie auf den Tag, an dem sie ihre Pflichten übernehmen muß.« Ich fragte: »Und das nimmt jeder von euch für gegeben? Existieren auf Cardoon keine Rebellen, keine Opposition?« Die Frage gefiel Bubble nicht. »Nein. Wir sind alle unter unserem geliebten Makkub vereint. Hin und wieder allerdings gibt es Unzufriedene. Da es nicht gut ist, wenn die Ordnung gestört wird, werden Rebellen und Verbrecher zu den Strafwüsten jenseits des großen Meeres gebracht.« Ich überlegte, wie sie dort enden würden. Wie bestrafte man Wesen, die weder Schmerzen noch Unbequemlichkeiten empfanden? Oder – wenn man eine Freiheit einschränkte, die es nicht wirklich gab? Gab es auf Cardoon ein Gesetz für solche Notstände? »Sie werden gezwungen, in Bergwerken als Transporter zu arbeiten. Es sind schwere Arbeiten, die an der Energie zehren und das Leben schnell beenden. Natürlich werden besonders schwere Fälle sofort vertilgt.« 44
»Vertilgt?« »Richtig. Wenn sie nicht gehorchen, obwohl sie das meist tun, werden sie Henkern übergeben. Diese dringen mit ihren Kraftfeldern durch die Hülle des Verbrechers und reißen ihn auseinander, so daß sofort der Tod eintritt.« »Das ist für die Henker sicher unangenehm«, sagte Hartnell, nachdem ich übersetzt hatte. »Sie müssen dazu immerhin ihre eigene Energie aufwenden.« »Dafür haben sie andere Privilegien. Sie sind vieler Pflichten ledig.« Langsam begann ich einige Zusammenhänge zu begreifen. Makkub brauchte seine Energie nicht einmal dazu verschwenden, um sich selbst zu bewegen. Dafür gab es die blauen herrscherlichen Träger. Jede Handlung einer dieser Sphären verbrauchte einen Teil ihrer unersetzlichen Lebensenergie und brachte sie dem Tag der Auflösung näher. Ich fragte weiter: »Aber in jenen vergangenen Jahrtausenden, als euer Volk noch den gesamten Planeten ausfüllte, welche Arbeiten leistetet ihr damals? Auf welches Ziel waren die Bemühungen von Milliarden Sphären ausgerichtet?« Niedergeschlagenheit klang aus der Antwort. »Dies weiß nur einer. Es kam die große Katastrophe, und dann war alles zu Ende.« Bubble konnte nicht mehr viel sagen, aber wir schlossen aus seiner Erklärung, daß Cardoon damals zu einem toten, unbewohnten Planeten geworden war. Die Brutstätten hatten damals ihre lebensspendenden Eigenschaften verloren, und die wenigen Kindergärten ließen in ihrer Wirkung nach; wir hatten es selbst gesehen. Das Schlimmste war, daß den Kindern niemand mehr das Wissen übermitteln konnte; sie mußten alle ihre Erfahrungen selbst machen, abgesehen von einigen Grundwerten. 45
Und eines Tages hatten die Sphären, die trotz des todgeweihten Planeten suchten, forschten und ein soziales Gefüge errichtet hatten, eine Sternstunde. »Bei Bauarbeiten stieß ein Ingenieur zufällig auf eine unbekannte Kaverne …" Ich unterbrach ihn. »Ich war überzeugt, daß ihr keine Wohnungen braucht?« »Ihr habt unsere Gebäude gesehen. Die Hallen und den Thronsaal; es gibt viele andere. Wir selbst brauchen nichts, aber wir müssen Laboratorien einrichten, weil sonst Stürme oder Staubverwehungen unsere Maschinen gefährden. Außerdem brauchen wir, wenn es sich ereignet, zu gewissen Zeiten Räume für die vielen Wesen, die sich um die Maschinen versammeln.« Mein Kopf schwirrte. Maschinen …? »Diese aufgefundene Maschine existiert noch heute«, fuhr unser purpurner Begleiter fort. »Sie ist das einzige Bindeglied zwischen uns und den Weisen. Viele Generationen lang war diese Maschine ein Rätsel für die Kugeln von Cardoon – jetzt haben wir gelernt, sie zu bedienen. Wenn auch nicht ganz zufriedenstellend. Wir nennen sie die,Maschine der Enthüllungen’.« »Hat das etwas mit dem Tag der Enthüllung zu tun?« fragte ich in Gedanken. »Ja. Das ist in zehnjährigem Rhythmus der Tag, an dem die Maschine benutzt wird.« »Und der nächste Zeitpunkt ist auf morgen abend vorgezogen worden?« »Ja.« Das Mattusgerät ist eine wunderbare Erfindung, aber es hat deutliche Grenzen. Während ich die sprachlichen Eindrücke zu sondieren versuchte, waren mir massenhaft verschwommene Bilder übermittelt worden, aber dennoch hatte ich keine Ah46
nung, wie diese Maschine funktionierte und welche Funktion sie überhaupt ausübte. Vielleicht wußte das mein purpurner Freund selbst nicht. Dann plötzlich begriff ich etwas mehr. Bubble hatte Angst. Nicht vor der Maschine, sondern vor etwas, das mit der Maschine zusammenhing. Wie funktionierte sie? Was produzierte sie? Und was war es, das die Sphären ängstigte? Ich fragte und hoffte nicht auf eine Erklärung. »Diese Maschine – was bewirkt sie denn?« Nach einer Weile kam eine undeutliche Erwiderung. »Sie gestattet uns einen Blick in die Zukunft«, sagte die Sphäre. Ich zögerte keine Sekunde mehr, Hartnell und Tubby zu wecken. Ich rief laut ihre Namen, und Tubby fuhr so schnell auf, daß er mit dem Schädel gegen die Decke rammte. »Bei den Weltraumgeistern!« sagte Hartnell, »was ist passiert?« »Ist Makkub geplatzt oder so?« erkundigte sich Tubby mißgelaunt. »Hört zu«, sagte ich, »der Tag der Enthüllung ist wirklich eine Enthüllung. Sie haben eine Maschine, mit der man in die Zukunft sehen kann.« Hartnell schaltete seine Helmlampe ein, und wir starrten uns verblüfft an. Dann lachte Hartnell spöttisch und sagte kurz: »Das glaube, wer will. Ich nicht.« Tubby kicherte nervös. »Ich werde einige nette Studioaufnahmen von übermorgen machen«, versprach er. »Koloriert und dreidimensional.« Ich antwortete leise und etwas beleidigt. »Ich dachte, es würde euch als Raumfahrer interessieren, die 47
Errungenschaften fremder Rassen kennenzulernen, auch wenn sie etwas merkwürdig sein sollten. Schade, daß ich mich getäuscht habe.« »Tut mir leid«, antwortete Hartnell versöhnlich. »Berichte uns noch einmal langsam, was du erfahren hast.« Ich tat es. Ich konnte ihren Wissensdurst nicht befriedigen, und so fragte ich den Purpurnen wieder. »Wie weit könnt ihr in die Zukunft sehen?« Offenbar hatte das Gerät in den Jahrtausenden etwas gelitten, jedenfalls entnahm ich den Ausführungen, daß es nicht zufriedenstellend funktionierte. »Manchmal einige Stunden, dann wieder einige Tage. Unbestimmt.« Hartnell runzelte die Stirn. »Diese Seifenblasen sind wirklich intelligent. Sie wissen nicht, ob wir ihnen helfen können. Also versuchen sie, die Maschine zu testen, während wir zugegen sind.« Sagte diese Maschine auch die Wahrheit? Wenn sie ein unangenehmes Ereignis voraussagte, konnte man dann Maßnahmen treffen, diesem Ereignis auszuweichen, oder stürzte man dennoch ins Unerwartete und Bekannte? »Das erinnert mich an den Mann, der sagte, wenn er wüßte, wo er sterben würde, könne er ja noch immer in eine andere Gegend ziehen …", meinte Hartnell ironisch. Bubble beteuerte, daß die Maschine immer stets genau die Wahrheit prophezeit habe. Als er sich anschickte, uns zu erklären, wie die Maschine funktionierte, kam mir der Irrsinn dieses Verfahrens zum Bewußtsein. »In den Tagen der Weisen«, erklärte er feierlich, »blickten wir einige Jahre in die Zukunft. Bei unserer geschrumpften Bevölkerung können wir das nicht mehr leisten. Deshalb wird die Zeremonie eingeschränkt. Tausend Leben sind das höchste, das wir aufwenden können.« 48
Wir schauderten. Das war es gewesen, was auch Makkub gesagt hatte. Unser Freund verstand die erschütterte Gefühlsempfindung und erklärte uns: »Es ist eine große Ehre, ausgewählt zu werden, um die Maschine der Enthüllungen bedienen zu dürfen. Wir haben keinen Mangel an Freiwilligen. Im Gegenteil, es werden viele enttäuscht sein, weil wir sie zurückweisen müssen. Selbst als die Weisen einige Millionen forderten, waren stets genügend da, um das nötige Opfer zu bringen.« Ich sagte etwas hilflos: »Wenn du es auf diese Weise darstellst …!« Dann versuchte ich, noch mehr über die Maschine zu erfahren. Ich bekam zu hören, daß die Scharfeinstellung der Maschine sehr kompliziert war. Offensichtlich zeigte sie die Zukunft in lose aneinandergereihten Bildern, die, um mit Hartnell zu sprechen, vor »Freude zitterten«. Das Fokussieren mußte in vier Bereichen stattfinden: Länge und Breite, um eine Ebene zu fixieren, Tiefe, um den Punkt auf der Oberfläche des Planeten zu justieren, und die jeweils gewünschte Zeit. Und während dieser Einstellübungen mußte dem Apparat die Lebensform des Planeten Cardoon zugeführt werden – schwebende Sphären. Schließlich sagte Bubble, er müsse uns verlassen. »Wann werden wir abgeholt?« »Morgen in der Morgendämmerung.« Er schwebte hoch und segelte davon; ich schaltete das Mattusgerät ab. »Wir können weiterschlafen«, sagte ich. »Es dauert nicht mehr lange, weil der Planet ja so ungewöhnlich schnell rotiert.« Ich blieb noch etwas wach. Wenn Hartnell mit seinem wissenschaftlichen Zynismus in diesem Augenblick gewußt hätte, welche Bilder wir in wenigen 49
Stunden sehen würden, er hätte weder schlafen noch schnarchen können. Eine Lichterscheinung weckte uns.
7. Unser kugelförmiger Begleiter schwebte einige Fuß über uns. Ich schaltete den Mattusapparat ein, fuhr die Antenne aus und kämpfte beharrlich gegen die Versuchung an, mir den Schlaf aus den Augen zu reiben. »Kommt!« übermittelte mir die Kugel, »es ist fast die Zeit.« Hartnell setzte sich auf und rieb sich die Hände. »Ich habe auch schon bequemer geschlafen als hier«, murmelte er. »Und länger …", sagte ich. »Hoffentlich stehen uns keine körperlichen Anstrengungen bevor«, sagte Tubby und erhob sich unter Stöhnen. »Mein Rücken ist steif wie ein Stück Stahl.« Wir hatten keine Zeit für lange Auseinandersetzungen, und ich sagte kurz: »Gehen wir!« Wir schritten langsam durch die stockdunklen, eiförmigen Tunnels. Das einzige Licht war das von Bubble; es reichte vollkommen aus. »Bald werden wir das Forschungslabor erreicht haben«, sagte er. Ich zuckte die Schultern und hörte Hartnells Stimme. »Das ist etwas Neues. Was erforschen sie denn, die Kugeln?« Die Antwort der Sphäre war entsprechend feierlich und voller Hochachtung für die eigene Kultur. »Es gibt nur ein Thema, das Herrscher und Volk von Cardoon interessiert – eine Methode, die Bevölkerung zu vergrö50
ßern und die Rasse dadurch vor dem Aussterben zu bewahren.« Ich wollte gerade einwenden, daß die Bevölkerung nicht gerade wuchs, wenn sie sich tausendfach wegen Makkubs Neugierde opferte, schwieg aber klug, um unseren Freund nicht zu beleidigen. Nach einer Weile sendete er: »Wir sind gleich da. Ich kann euch die Vorgänge nicht erklären; ich weiß nur, daß unsere Chemiker versuchen, das Geheimnis des Lebens zu lösen. Wir wollen wissen, warum unser Volk in einer bestimmten Felssenke entstehen kann, während es an anderen Orten des Planeten, die völlig gleich geartet sind, nicht entstehen kann. Sobald dieses Problem gelöst ist, sind unsere Schwierigkeiten beendet.« Im gesamten bekannten Universum hatten sich Wissenschaftler bemüht, diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Ihnen war es nicht anders gegangen als den Bewohnern von Cardoon. Wir stolperten weiter. Jetzt wurden die Kavernen geräumiger, und wir sahen, daß es außer gerundeten Wänden auch flache Strukturen gab. Ebene Flächen haben ihre eigenen Gesetze; auf ihnen rollte nichts herunter. Das wußten auch die Kugeln. Die Höhlen, durch die wir gingen, waren mit würfelförmigen Steinen gesäumt, auf denen die seltsamsten und kompliziertesten Geräte standen, die wir jemals gesehen hatten. Das einzige, das ich begriff, waren kantige Steinbrocken, die in schüsselförmigen Steinen lagen. Hier und dort waren kurze Blitze zu sehen, das Material war von Kraftfeldern zermahlen, erhitzt, geschmolzen oder gesintert worden. Über das eingeschaltete Telepathiegerät spürte ich, wenn der betreffende Arbeiter enttäuscht oder zufrieden war. Meist war er enttäuscht. Wir schalteten die Schwerkraftaggregate ein, um eine kleine Bodenerhebung zu überwinden, und kamen wieder in diese rie51
senhafte Halle. Hier warteten unzählige farbige Sphären. »Zu unserer Linken sind jene, die in Kürze geehrt werden sollen«, bemerkte unser Führer. Ich bedauerte die armen Opfer. Sie unterschieden sich nicht von den anderen Kugeln, und ich fragte mich, auf welche Weise sie wohl ausgesucht worden waren. »Zu unserer Rechten sind die, die wir für die Eskorte ausgesucht haben«, erklärte Bubble. »Wir müssen uns jetzt der Zeremonie des Tributs anschließen. Makkub naht!« Makkub nahte, auffällig wie schon einmal. Er kam, getragen von sechs blauen Sphären und begleitet von Pakkan und Zaccar, herein und begann sofort mit einer blumenreichen Rede, die die Wichtigkeit der folgenden Zeremonie für Cardoons Geschichte betonte. Wie unvergessen das edle Opfer der ausgesuchten Kugeln sei – und derlei mehr. Hartnells Bemerkungen blieben vorläufig aus. Dann schwebte Makkub weiter durch eine Öffnung am Hallenende, und die Versammlung brach in hysterischen Jubel aus. Bubble bedeutete mir, mit ihm zusammen der ersten Gruppe zu folgen. Der Lärm nahm mit der Entfernung vom Volk etwas ab, sonst hätten wir die Geräte wieder ausschalten müssen. Ein Gefühl, Zeuge eines gefährlichen und phantastischen Vorgangs zu sein, nahm von mir Besitz. Ich spürte, wie sich die Härchen auf meiner Haut aufrichteten – ein Frösteln überlief mich. Eine Atmosphäre angespannter Erwartung erfüllte die Unterwelt des Planeten und teilte sich mir über das Mattusgerät mit. Noch immer hatte ich keine Ahnung vom Aussehen und Funktionieren der Zukunftsmaschine. »Warum machen sie nicht schneller?« fragte Tubby, und ich hörte wieder die Kamera surren. »Keine Ahnung!« sagte ich kurz. 52
Wir krochen durch den runden Ausgang und stellten fest, daß nur eine kleine qualifizierte Minderheit ausgewählt war, an der Demonstration teilzunehmen. Makkub, Pakkan, Zaccar und die Berater, unser Begleiter und wir. Wir wandten uns um, und dann sahen wir das Erbe der Weisen. »Was soll denn das sein?« fragte Hartnell leise. Hier auf Cardoon stand eine unbegreifliche Maschine; allein ihr Anblick ließ uns erkennen, daß es wirklich schier unmöglich sein mußte, sie zu bedienen. Die Maschine der Enthüllung füllte die Hälfte einer Höhle aus. Sie maß an der Basis fünfzehn Meter, war ebenso hoch und erstreckte sich mindestens hundert Meter tief ins Innere der Höhle. Waagrechte und senkrechte weiße Röhren, die durch steinerne Schellen miteinander verbunden waren, standen auf steinernen Sockeln. Tausende dieser Röhren bildeten diese Maschine. Aus der Mitte schlängelten sich zwei armdicke Kabel, die in weißen Stäben von rund zwei Metern Höhe endeten. Die Stäbe waren zwei Meter voneinander entfernt und in Löchern von Steinsockeln verkeilt. Ein Rohr, das wie das Endstück einer stählernen Fanfare aussah, führte ins Innere der Maschine hinein wie in eine andere Welt. Eine rätselhafte Anhäufung von verschiedenen Materialien … Ich blickte auf den unbegreiflichen Apparat und spürte erneut einen eiskalten Schauder. Vier Sphären schwebten auf die Maschine zu … Eine weiße, eine orangerote und zwei gelbe. »Sie werden das Gerät bedienen. Es ist ihre heilige Pflicht«, erläuterte unser Führer. Ich nickte schweigend. »Sie müssen die Feineinstellungen vornehmen«, sagte Bubble und schwieg wieder. Ein Gefühl unerträglicher Anspannung erfüllte die kleine 53
Gruppe. Das Warten schmerzte fast. Wir hatten das Gefühl, als warteten wir auf den Beginn einer Hinrichtung. Makkub hielt eine seiner fürchterlichen Reden. Er erklärte geschraubt, weshalb wir hier wären, aus welchem Grund der Termin vorgezogen worden war und er hüpfte mit Hilfe der Kraftfelder auf und nieder. Die blauen Sphären warteten im Hintergrund. Dann schossen sie vor und brachten Makkub zu einem Punkt direkt vor uns, und er erklärte in der Nähe der Mattusantenne: »Ihr fremden, unerklärlichen Ungeheuer – jetzt werden wir sehen, ob Kräfte, die ihr vielleicht besitzt, zum Nutzen des Volkes angewendet werden können. Ob sich eure Ankunft auf Cardoon als gut oder böse erweist.« Offensichtlich hatte ihm Bubble erklärt, welche Funktionen die Mattusantenne hatte. Makkub trat mit seinem Gefolge zur Seite. »Jetzt kommt der Höhepunkt …", wisperte Bubble andächtig. Eine Sphäre schoß herein, bewegte sich wie verneigend vor Makkub und rief: »Wir Sterbenden grüßen die Weisen!« Dann flog sie mit einem Satz auf das fanfarenähnliche Rohr zu und verschwand darin. Ich dachte an Massenmord, und mir wurde fast schlecht. Wieder kam eine Sphäre, verneigte sich schnell und folgte der ersten … eine dritte, vierte … die Reihenfolge wurde schneller und kürzer. Wir warteten wie versteinert und wußten nicht, was kommen würde. Die Röhren der Maschine begannen leicht zu flimmern, glühten dann und veränderten ihre Farbe. Aus dem stechenden Weiß wurde ein gelber, pastellener Farbton, der nacheinander das gesamte Rohrgewirr erfaßte. Das Innere der Höhle erstrahlte in dieser Farbe, und die Illusion von großer Wärme entstand. Dann brannten die Rohre in einem hellen Rot. 54
Das gesamte Gehäuse pulsierte wie im Takt eines riesigen Motors. »Hübsch, sehr hübsch!« sagte Hartnell. »Aber was soll das Farbenspiel?« Ich wartete und hoffte, von Bubble etwas über die Operateure zu erfahren, aber die Sphären konzentrierten sich ausschließlich auf die Maschine vor ihnen. Die Sphären bedienten unsichtbar in dem Wirrwarr des Innern Hebel oder ähnliche Steuereinrichtungen. Dann begann die Maschine der Enthüllungen zu arbeiten. Ein purpurner Schimmer hüllte die beiden Stäbe ein. Die Strahlung verdichtete sich, weiße Dämpfe krochen wie Nebel aus den Röhren hervor und füllten schließlich den Abstand zwischen den beiden Stäben völlig aus. Innerhalb weniger Sekunden hatten wir den Eindruck, als entstehe hier ein Bildschirm von zwei Metern Kantenlänge. Und dann zeichneten sich auf diesem Schirm schwache, farblose Bilder ab. »Jetzt kommt der Augenblick der Wahrheit!« sagte unser Begleiter. Ehrfurcht und uneingeschränkte Hochachtung vor dem Prinzip der Maschine erfüllte ihn. Farbige Linien blitzten über den Schirm. »Es ist der zweite Tag …" Wir erkannten deutlich die Landschaft von Cardoon, die braunen, ausgedörrten Felsen; aber wir wußten nicht, auf welchem Punkt des Planeten die Handlung stattfand. Aus einem Spalt der schroffen Felsen jagten Hunderte Sphären wie in regloser Flucht. Dann verschwand das Bild. Hartnell atmete tief und sagte verbissen: »Das waren vermutlich Archivaufnahmen. Etwas verwackelt!« Tubby kicherte und verstummte, als Bubble sich der Antenne näherte. 55
»Das ist noch immer der zweite Tag, aber einige Stunden früher.« Wir erkannten auf dem Schirm die große Halle, die voll von Kugeln war. Sie lauschten auf eine Ansprache des stimmgewaltigen Herrschers – im nächsten Augenblick verschwand das Bild wieder. »Die Operateure haben Schwierigkeiten«, erklärte Bubble. »Aber bis jetzt haben sie den Film recht ordentlich gedreht«, spottete Hartnell. Da entstand die dritte Szene dieses merkwürdigen Programms. Diesmal jagten die Schwärme der Sphären zurück durch den Felsspalt. »Ein Trick, so alt wie das Kino der Vergangenheit«, erklärte Tubby mit dem Tonfall eines Regisseurs. »Sie spulen den Film rückwärts an uns vorbei.« Er gähnte demonstrativ und schob eine neue Filmkassette in seine Kamera. »Ich frage«, sagte ich und wandte mich an Bubble, aber auch er konnte mir keine Auskunft geben. Die Opfer warfen sich mit einer wahre Besessenheit in das Rohr und nahmen sich kaum mehr Zeit, sich vor Makkub zu verbeugen. Wie viele waren von den Tausend wohl noch übrig? Das nächste Bild ließ uns erstarren! Wir selbst! Wir rannten hinaus in einen Talkessel und blickten über die leere braune Fläche. Sieben oder acht Sphären hingen über uns an Felsen, und wir machten den Eindruck, als flöhen wir vor etwas. Die Szene zuckte, flimmerte und löste sich auf, eine neue entstand, und uns erfaßte das nackte Grauen, als wir sahen, was sich dort zwischen den beiden Stäben abspielte. Diesmal war es kein rückwärts laufender Film, und auch Hartnell wurde bleich. 56
Wir sahen hinaus auf eine unverkennbar deutliche Landschaft Cardoons. Dieses Mal von den Klippen weg. Die Ebene erstreckte sich unter dem widerlichen messingfarbenen Himmel bis zum Horizont. Im Vordergrund sahen wir drei Hügel, die zwei Meter lang und einen halben Meter breit waren. Am Kopfende eines jeden Hügels lag eine rechteckige Scheibe aus stählern schimmerndem Material. Der Bildschirm zeigte ein klares und für Sekunden gestochen scharfes Bild. Ich konnte deutlich die Worte entziffern, die auf diesen Tafeln, oder was immer es war, standen. Francis G. Hartnell INTER-X Auf der zweiten Tafel: Harold »Tubby« Goss INTER-X Und auf der dritten: Jon J. Deegan INTER-X Die verschwundenen Weisen von Cardoon hatten einen Apparat konstruiert, der noch nicht abgelaufene Szenen zeigen konnte; Dinge, die erst geschahen. Eine Maschine, die vermutlich des Betruges unfähig war, hatte sich durch den Opfertod von tausend Sphären in Bewegung gesetzt und uns drei Fremden unsere eigenen Gräber gezeigt. Mit perfekten, orthographisch exakten Namensschildern … Im gleichen Augenblick begannen die Lautsprecher unter dem Ansturm der Pfeiftöne zu erzittern, und wir drehten uns langsam um. Das Bild erlosch endgültig.
8. Wir hatten nur vage Erinnerungen an das, was nun geschah. Eine panische Furcht hielt uns umklammert. Die Versammlung schien 57
das gezeigte Bild augenblicklich verstanden zu haben; die Sphären waren intelligent genug. Dann begann ein so scheußliches Kreischen und Pfeifen, daß ich die Funksprechanlage abschalten mußte. Kraftfelder drängten uns aus der Höhle der Maschine, stießen uns durch Tunnels und ließen uns schließlich wieder los. Wir lagen in der kleinen Nebenhöhle, in der wir auch die Nacht zugebracht hatten, und sammelten unsere Gedanken. Schließlich setzte sich Hartnell auf und sagte halblaut: »Und was tun wir jetzt, um ihnen zu beweisen, daß ihre Maschine gelogen hat?« Ich war deprimiert und knurrte: »Hat sie das getan, Hart?« Tubbys Gesicht verzog sich im Schein meiner Helmlampe zu einer mörderischen Grimasse. »Ich will es ihr raten. Das hier ist wohl das höchste, das ich je gesehen habe!« »Ich könnte mir auch einen ansprechenderen Platz für mein Grab vorstellen«, erklärte Hartnell. »Aber – genau genommen habe ich keine Sehnsucht, irgendwo begraben zu werden; ich fühle mich im Moment sehr rüstig. Das Maschinenungeheuer hat irgendwie nicht die Wahrheit gesagt … Ob sie daran manipuliert haben?« »Und wenn ja, warum?« fragte Tubby. »Bubble behauptet, daß der Apparat stets die Wahrheit gesagt hat«, erinnerte ich hastig. »Und ich glaube es auch. Wie soll die Maschine Bilder von Vorgängen fälschen können, die nicht stattgefunden haben?« Hartnell blieb skeptisch. »Diese Geschichte ist ein großangelegter Schwindel, Paps. Nur wenige ausgewählte Mitglieder der Beratung haben Gelegenheit, die Maschine in Funktion zu erleben. Versuche dir vorzustellen, daß Makkub wartet, bis eines der Dinge wirklich passiert ist, seine Räte ausschickt und dem Volk erzählen läßt, 58
wie sich alles zugetragen hat. Eine bessere Maschine kann man sich nicht vorstellen!« Ich schüttelte in der Dunkelheit den Kopf, und der Lichtkegel wanderte hin und her. »Nein. Bubble hat wirklich an die Maschine geglaubt. In dieser Beziehung versagt das Mattusgerät nicht.« Hartnell hatte weitere Einwände. »Er sagte auch, daß die Maschine einige Tage in die Zukunft eingestellt war. In Wirklichkeit soll das, was hier passiert in den nächsten Stunden geschehen!« Soweit ich mich erinnerte, stimmte das nicht. Die Flucht der Sphären und die Versammlung in der Halle standen zweifellos unmittelbar bevor. »Wir wissen also nicht, ob wir nur einige Stunden oder einige Tage zu leben haben«, sagte ich. »Inzwischen sind wir seit sieben Stunden hier bei den Kugeln.« Hartnell sagte hoffnungsvoll: »Ich habe etwas gesehen, aber ich kann nicht sagen, was es war. Etwas an den drei Bildern hat mich gestört. Wahrscheinlich ist die alte Maschine Amok gelaufen, und diese drei Gräber gibt es erst in fünfzig Jahren?« »Wir reden hier dauernd von Vermutungen«, seufzte Tubby. »Sobald wir den verdammten langweiligen Planeten verlassen haben«, sagte ich ungehalten und sah das Magazin der Waffe nach, »werde ich dafür sorgen, daß ich hier nicht begraben werde. Weder in fünfzig noch in hundert Jahren.« Tubby unterbrach uns aufgeregt und schaltete seine Helmlampe aus. Es wurde dunkel, und in der Nähe des Eingangs sahen wir ein fahles Leuchten. »Vor dem Eingang hängen sechs dieser Blasen herum. Wenn ich versuche, den Kopf hinauszustrecken, schieben sie mich mit diesen abartigen Kraftfeldern wieder zurück. Was haben sie vor?« 59
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Wieder war das grelle Pfeifen in den Lautsprechern. Wir hatten kaum Zeit, aufzustehen oder etwas anderes zu unternehmen, als der mächtige Makkub persönlich, ohne Trägerparade, in den Raum schwebte. Sein tiefrotes Leuchten spiegelte sich an den glatten Wänden und hüllte die drei Bergmannanzüge in ein geisterhaftes Licht. »Nanu? Er verzichtet auf seinen Pomp?« fragte Hartnell laut. »Will er mit uns handeln oder sich nur an unserem Elend erfreuen?« Wir brauchten nicht lange zu warten, um es zu erfahren. Ich sah die runde Oberfläche des Herrschers, zog die Antenne aus und schaltete das Gerät ein. Die mächtige Kraft der starken Persönlichkeit traf mich wie ein Hammerschlag. »Mißgestaltete Wesen von jenseits der Sterne! Habt ihr euer Geschick in der Maschine der Enthüllung gesehen? Ihr werdet nie auf die häßliche Welt eures Ursprungs zurückkehren, sondern hier auf Cardoon werden die langen Hügel eure Ruhestätte verzieren. Denn das ist die Bedeutung der Bilder, die das wunderbare Gerät der Weisen gezeigt hat. So entschloß der Rat, und dagegen gibt es keine Auflehnung.« Hartnell und Tubby zerplatzten fast vor Neugierde, und ich nahm mir die Zeit, um ihnen zu erklären, was ich gehört hatte. »Diese Gräber …", begann ich. »Ja, Paps?« fragte Hartnell. »Es sind tatsächlich unsere.« »In diesem Fall wirst du dem dicken Burschen hier einige unangenehme Dinge sagen. Schließlich sind wir weder machtlos noch gesonnen, uns hier umbringen zu lassen. Sage ihm …" Wir mußten uns wehren, das war klar. Ich holte Luft, und dann dachte ich konzentriert: »Makkub! Wir sind keine Bewohner dieses Planeten. Aus diesem Grund ist es völlig unmöglich, daß die Bilder der Maschine der Enthüllung uns betreffen!« 61
Anstatt zu überlegen, begann er vor Wut anzuschwellen. Ein lauter Gedankenstrom drang auf mich ein. »Lästerung!« schrie er förmlich. »Eine Beleidigung für die Wunder der Weisen! Schweige, du Ungeheuer! Sonst erfüllt sich die Prophezeiung schon vor ihrer Zeit!« Dann beherrschte er sich wieder, und ich spürte noch einmal Neid und Neugierde, die seinen Besuch veranlaßt hatten. Ich hörte: »Wir wissen, daß die Maschine die Wahrheit gezeigt hat. Aber ehe ihr euch unter die Erde begebt, solltet ihr da nicht das Geheimnis eines Grabes enthüllen? Wenn Ungeheuer wie ihr einen ewigen Ruheplatz habt, dann geziemt es sich auch, daß ich, Makkub, ebenfalls einen Ort habe, an dem meine Auflösung verewigt wird. Alle Sphären sollen sich daran erinnern können – immer!« »Was ist los?« fragte Hartnell. »Er denkt an seinen eigenen Grabstein«, erklärte ich. »Sage ihm, wie das Leben bei uns funktioniert. Du hast es Bubble auch erklärt. Dann weiß Makkub Bescheid!« Ich versuchte, ihm die Erkenntnisse unserer Forschung und Wissenschaften zu vermitteln und mußte mich höllisch konzentrieren. Makkub war mir zweifellos sehr unsympathisch, aber ich mußte seine schnelle Auffassungsgabe bewundern. »Eure absurden Gestalten enthalten also zwei Elemente – den Körper und den Geist?« »Sicher, so ist es.« »Ein unsichtbares Element entflieht im Augenblick des Todes, und ihr wißt nicht wohin. Der Geist wird also mit den toten Hüllen begraben. Dieser,Geist’, ist das nicht der gleiche Stoff, aus dem auch unser eigenes Volk besteht?« Ich fühlte mich einer theologischen Argumentation nicht gewachsen, noch hatte ich Lust dazu. Aber Makkub wollte mehr wissen. Ich übersetzte schnell und richtete dann die Antenne wieder aus. 62
»Das beweist einwandfrei unseren höheren Rang, denn uns belasten, wie eure Körper, keine überflüssigen Gewichte.« Ich erklärte ihm den Unterschied zwischen verschiedenartigen Lebensformen. Makkub brütete über diesen Ausführungen eine Zeitlang, schwoll dann aber wieder zornig an. »Ungerechtigkeit!« tobte er. »Unmöglich, daß ich, Makkub, der größte und geschätzte meiner Art, einfach verschwinden soll. Was wird mein Volk denken, wenn ich nicht mehr bin? Was wird aus ihnen, wenn ihr Herrscher nicht mehr sichtbar ist?« Jetzt war es an der Zeit, einen neuen Gesichtspunkt anzubringen. »Es warten doch, wie jedermann weiß, andere rote Sphären, um Herrscher werden zu können. In ihren eigenen Quartieren. Wir wissen, wie sie sich verteilen, sobald sie die Felsen der Geburt verlassen haben.« Etwas wie ein bösartiges Kichern drang über die Mattusanlage. Makkub lachte. »Sie warten nicht lange«, stellte Makkub ungerührt fest. »Um zu vermeiden, daß sie ihre Ungeduld dazu treibt, den Thron anzustreben, ehe ihre Zeit gekommen ist, um sicherzugehen, daß ich, Makkub, als letzter Monarch in die Geschichte Cardoons eingehen werde, habe ich sie alle im geheimen vernichtet.« Der alte Wahnsinn jedes Wesens läßt sich weder durch Äonen noch durch Lichtjahre ausschalten. In allen Rassen brennt Sehnsucht nach Macht, unbegrenzter Macht. Moralische Grundsätze sind in diesem Zeichen sinnlos und offensichtlich leicht umzustoßen. Mich schauderte, als ich an den offenen Machthunger dieser Kugel vor mir dachte. Makkub. »Letzter Herrscher dieses Volkes.« 63
Natürlich beabsichtigte er, sich so spät wie möglich aufzulösen – das wußte er. Das war auch nicht unnatürlich. Aber jetzt, da wir gekommen waren, suchte er nach einer Möglichkeit, auch nach seinem Tode weiterzuherrschen. Diese Idee faszinierte seinen eitlen Geist. »Ich habe erklärt, warum es so ungeheuer wichtig ist, daß ich ein Denkmal bekomme«, erklärte er nach einigen Sekunden der Überlegung und des Schweigens. »Ihr werdet mir jetzt sagen, wie es geschehen kann.« Ich stöhnte verzweifelt auf. »Ohne einen materiellen, greifbaren Körper ist dies unmöglich. Allerdings sind Fälle bekannt, in denen Steine zum Gedenken errichtet wurden, aber an einer Stelle, wo die Leiche nicht begraben war.« Er verneinte energisch. »Das hätte ohne mein heiliges Wesen keinerlei Sinn.« Ich sagte brüsk und abschließend: »Dann geht es leider nicht. Ich bedaure, dir keinen anderen Bescheid geben zu können.« Hätte er Zähne besessen, hätte er zweifellos damit geknirscht. Aber er beherrschte sich meisterhaft. Ich vermutete, daß er noch einen Trumpf besaß, den er ausspielen konnte. »Was hat die Diskussion ergeben, Paps?« fragte Hartnell kühl. Ich erklärte es ihnen. Sie wußten, wie lästig es war, einen Mann während einer Mattus-Unterhaltung zu unterbrechen, aber ich konnte den Zustand der Erregung, in dem sie sich befanden, gut begreifen. Ich war ebenso erregt. »Ich glaube, jetzt kommt es zum gefährlichsten Teil der Unterhaltung.« Makkubs Oberfläche schimmerte unheildrohend. »Ihr habt gesagt, daß die Bilder der Maschine für euch nicht gelten können. Ich sage euch, daß sie sehr schnell stimmen 64
werden, wenn ihr meine Wünsche nicht befolgt. Dafür werde ich sorgen.« Mehr sagte er nicht. Mit dieser unangenehmen Drohung schwebte er wieder einmal im Kreis und verließ uns. Wir unterhielten uns noch eine Weile und machten einen Plan, wie wir uns schnell entfernen konnten. Dann schliefen wir, um Kräfte zu sammeln. Als mich etwas am Knöchel packte, sprang ich verwirrt und erschrocken auf. Ich sah mich schon als Spielball mehrerer Kraftfelder, die mich zerrissen … Es war unser purpurner Begleiter. Das Mattusgerät wurde eingeschaltet. »Kommt! Makkub hat eine große Versammlung einberufen. Und ihr müßt anwesend sein.« War es schon die offizielle Urteilsverkündung? »Im Thronsaal, wo wir schon waren?« fragte Hartnell. »Zuviel Aufmachung um drei INTER-X-Leute.« »Hast du etwas Bestimmtes vor, Hart?« fragte ich mißtrauisch. »Verstehst du denn nicht, Paps? Das ist das erste Bild der verdammten Maschine. Das erste in chronologischer Reihenfolge. Jetzt wird es wahr.« Hartnell begann plötzlich zu lachen. »Was ist denn?« »Schon gut. Ich hatte nur eine Idee!« »Deine Ideen fürchten wir alle«, erwiderte ich. »Ich frage mich nur, ob sich Freund Mattus nicht ein wenig übernommen hat. Was würde passieren, wenn du mitten in der Versammlung erklärst, daß Makkub die Anwärter auf seinen Thron heimlich ermordet hat?« Ich traute meinen Ohren nicht. »Ich soll ihnen das sagen?« »Wer sonst? Schließlich besitzt du das einzige Kommunikationsmittel, das wir haben.« Ich schüttelte den Kopf. 65
»Es gibt Gründe dagegen. Vermutlich würden sie mich sofort mit ihren Kraftfeldern bearbeiten, wenn ich ihnen die Wahrheit über den Herrscher sage. Außerdem gibt es Vorschriften, die wir beachten müssen.« Da wir keinen direkten Kontakt mit einem Kontrolloffizier hatten, wurden später unsere Berichte sehr genau begutachtet. Was ich meinte, bezog sich auf die Einmischung in innerpolitische Verhältnisse fremder Rassen. Unsere Pflicht bestand darin, zu forschen und nicht, eine Rasse auszurotten oder ihnen Dinge zu zeigen, die sie zur Zerstörung mißbrauchen konnten. INTER-X war hier sehr genau und gewissenhaft. »Wir sollen doch mit dem durch Forschung erworbenen Wissen zurückkehren, nicht wahr?« fragte Hartnell im unschuldigen Ton. »Das ist Pflicht eines jeden von uns. Wie kommen wir zurück, wenn uns dieser aufgeblasene Makkub daran hindert? Wenn wir tot – und begraben! – sind, hat uns Makkub zurückgehalten. Es ist reine Selbstverteidigung, wenn wir sorgen, daß er ausgeschaltet wird, so oder so. Eine kleine Modifizierung unseres Ziels kann nicht schaden.« Bubble hüpfte inzwischen, aufgeregt hin und her. »Wir gehen besser«, sagte ich. »Vielleicht hat sich Makkub etwas weniger Spektakuläres ausgedacht.« »Wie gut, daß wir einen berufsmäßigen Optimisten bei uns haben«, sagte Hartnell lachend. Wir stapften mit eingeschalteten Helmscheinwerfern, geleitet von einigen Kugeln, durch die Gänge. In den Lautsprechern war das bekannte Toben und Pfeifen zu hören. Als wir glaubten, den Höhepunkt des Lärms erreicht zu haben, wurde es plötzlich still. Wir wußten, daß eben Makkub erschienen war und auf seinem weißen Steinthron abgesetzt wurde. Wieder wurde er von Zuccar und Pakkan flankiert. Bubble schwebte zu seinem Platz zwischen den Beratern und ließ uns vor Makkub und seinen Adjutanten stehen. 66
Makkub stellte fest, daß das Übersetzungsgerät einsatzbereit war und verschwendete keine langen Worte an eine Einleitung. Er erklärte, daß sich eine höchst schwierige Lage ergeben hatte und daß daraufhin das Volk zusammengerufen worden war, um den Bericht des Archivverwalters zu hören. Eine große, gelbe Sphäre schob sich vor und erklärte nüchtern die vier Szenen, die uns von der Maschine gezeigt worden waren. Dann schwebte die Kugel wieder zurück. Ein Seufzen hallte durch die Riesenhöhle, die von dem vielfarbigen Leuchten erfüllt war. Es war, als hätte das versammelte Volk die Bedeutung der Bilder erkannt. Makkub hatte keine Zeit zu verlieren. Er berichtete zuerst von der erwiesenermaßen phantastisch großen Liebe zu seinem Volke, der Liebe seines Volkes zu ihm und sagte: »Ich bin, wie ihr sehen könnt, nicht so wie die anderen. Ich bin eine rote Sphäre, und zwar die mächtigste, die es je auf Cardoon gab.« Dieses üble Gewäsch erzählte er noch einige Minuten lang, und ich sagte mir, daß schon Körperenergie für wertvollere Dinge verschwendet worden war. Schließlich waren wieder wir Gegenstand seiner allerhöchsten Betrachtungsweise. »Mißgeleitete Angehörige von Cardoon, die es eigentlich besser wissen müßten, kamen auf die merkwürdige Idee, daß die drei scheußlichen Ungeheuer vielleicht Wissen über chemische Zusammenhänge besitzen würden, wodurch die Fruchtbarkeit der Geburtsfelsen erhöht werden könnte. Eine solche Meinung ist natürlich lächerlich im höchsten Grad. Geradezu eine Lästerung! Nicht einmal die alten Weisen hatten dieses Geheimnis lösen können.« »Heil den mächtigen Weisen!« schrie er plötzlich. Ein enthusiastischer Chor antwortete ihm mit gellenden Pfiffen in unseren gemarterten Ohren. 67
»Mit ihrem unendlichen Weitblick hatten die Weisen nicht gewünscht, daß ich, Makkub, der größte meiner Rasse, weniger lang in der Erinnerung lebe als diese drei merkwürdigen Figuren hier. Die Maschine der Enthüllung hat vorausgesagt, wie die drei Gräber aussehen werden, wenn wir die Fremden in wenigen Stunden getötet haben werden. Ich bin überzeugt, daß die Maschine uns auch sagen wird, wie wir es erreichen müssen, daß ich alle die folgenden Jahrhunderte in eurer liebenden Erinnerung bleiben werde. Dazu brauche ich aber genügend Ehrenhafte, die sich opfern können.« Jetzt begriff die Versammlung, was er wollte. Das Summen einer mächtigen Unterhaltung nahm zu. »Deshalb verlange ich nicht tausend, nicht zehntausend, sondern ich verlange Hunderttausende, die sich opfern sollen. Wir müssen erfahren, wie es zu tun ist, daß wir den Ungeheuern hier überlegen sein können.« Er schwoll an, so daß wir befürchteten, sein Ende in einer erinnerungswürdigen Explosion mitzuerleben. »Die Weisen hätten es so gewollt. Außerdem fordere ich es von euch jetzt und hier – ich, Makkub!« Ich schaltete vorsichtshalber das Funkgerät ab und bedeutete Tubby und Hartnell, das gleiche zu tun. Keine Zehntelsekunde zu früh, denn ich erwischte noch die ersten Schreie der Masse. Tubbys Gesichtsausdruck bewies, daß er sein Funkgerät zu spät ausgeschaltet hatte. Ich hörte weiter über das Mattusgerät mit. Die Feindschaft gegen uns wuchs, eine Folge von Makkubs aufputschender Rede. Einzelne Rufer, die Einwände hatten, wurden einfach niedergebrüllt. Man wünschte lautstark den Weisen und auch Makkub alles Heil dieses Planeten. Makkub wartete, bis der Lärm abgeklungen war. 68
»Deshalb sollen große Feiern zu Ehren unserer Freiwilligen abgehalten werden. Zuvor aber sollen alle Sphären sehen, wie diese Kreaturen einer fernen Welt zeremoniell in Fetzen gerissen werden. Anschließend werden die Überreste in Gräbern aufbewahrt, die mit kleinen Felsen zugedeckt werden. Denn wir sind ein Volk voller Würde. Außerdem hat es die Maschine vorausgesagt.« Die große Versammlung löste sich in gewohnter Weise auf.
9. Wir waren wieder in unserer kleinen Höhle und feilten weiter an unserem Fluchtplan. Die Kamerabeute von Tubby Goss war beträchtlich; wieder konnte die menschliche Wissenschaft neue Daten buchen. In unregelmäßigen Abständen tauchte eine der wachenden Sphären auf, schwebte wie ein bleicher, grüner Mond vor dem Eingang und verschwand wieder, nachdem sie festgestellt hatte, daß wir noch hier waren. »Hat jemand ein Konzept, wo wir ansetzen können?« fragte Hartnell, der bequem auf dem Rücken lag. Niemand antwortete. Wir dachten ständig an das Bild der drei Gräber. Auch mich störte etwas daran, aber ich wußte nicht, was es war. Offen gestanden – wir waren ratlos, denn zwei Dinge waren uns nicht bekannt: Schossen wir mit den Strahlern auf die Sphären, dann konnte es sein, daß die Energiezufuhr sie noch stärker machte. Wie stark waren aber diese Kraftfelder? Waren sie in der Lage, uns zu zerreißen, wie es Makkub wollte? Plötzlich tauchte unser purpurner Freund im Zustand höchster Erregung auf. Wir sollten erfahren, daß er die Bezeichnung »Freund« wirklich verdiente. 69
»Kommt schnell mit!« dachte er drängend, »ich habe die Wächter weggeschickt. Wir haben keine Zeit zu verlieren.« Wir stellten keine Fragen. Keuchend und stolpernd folgten wir ihm und rasten durch jenes eigenartige Labyrinth Cardoons. Wir hielten schließlich erschöpft nach etwa einer halben Stunde vor einem rohbehauenen Eingang an, der etwa einen halben Meter durchmaß. »Das ist eine alte Höhle der Weisen«, erklärte Bubble. »Nur wenige Kugeln kennen sie. Seid vorsichtig, denn der Weg ist steil.« Steil? Das war eine der klassischen Untertreibungen. Hartnell ließ sich Tubbys Karlinleine geben und wickelte sie auf. Wir folgten ihm in der bekannten Art mit der Karabinerbremse in die Tiefe, und niemand wagte es nach unten zu sehen. Neben uns schwebte beruhigend die Sphäre und leuchtete uns an. Eine schreckerregende, scheinbar endlose Tiefe. Hätten wir gewußt, wie groß die Höhle war, wären wir niemals hier hineingekrochen. Auf dem Markierungsstreifen der Leine las ich die Entfernung vom oberen Rand ab. 370,5 Meter … Hartnell schaltete sein Außenmikrophon und den Lautsprecher ein und schrie, aber die Höhle war zu groß, als daß wir ein Echo gehört hätten. Wir erreichten den Boden. Bubble schwebte uns voraus zu einem kleinen Loch, das den Zutritt zu einer winzigen Kammer mit ebenem Boden gestattete. Dieses Versteck schien einigermaßen sicher zu sein – vielleicht entdeckten uns hier die Henker nicht. Es schien nicht unwichtig, durch Warten zu beweisen, daß sich die Maschine geirrt hatte. »Die Lage ist so ernst, wie ich sie noch nie auf Cardoon erlebt habe«, bekannte Bubble. »Das brauchst du nicht laut zu sagen«, erwiderte ich. »Ich weiß: Es ist Makkub mit seiner Forderung nach Hunderttausen70
den von Freiwilligen. Die Bevölkerung dieses Planeten protestiert gegen den Notstand.« »Woher wißt ihr das?« »Eigene Erfahrungen. Schließlich haben wir das alles schon persönlich mitgemacht. Ob es Makkub selbst schon weiß?« Er wußte es nicht. Ich erfuhr, daß ein Teil der beratenden Sphären schon seit längerer Zeit mit der autokratischen Form Makkubs sehr unzufrieden war. Jetzt, da er die wahnsinnige Forderung gestellt hatte, die Bevölkerung zu dezimieren, hatte sie beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen. Hartnell lachte fast glücklich. »Die Sphären proben den Notstand!« schrie er. »Eine Verschwörung! Hochverrat, und wir profitieren davon. Patrouillenboot – wir kommen!« Ich hielt die Lage dennoch für nicht sehr erfreulich. Auch Hartnell erschrak tödlich, als in der nächsten Sekunde eine gelbe Sphäre mit großem Schwung in die Kammer hereinschwirrte und vor uns abbremste. Wir fürchteten, daß uns die Wächter eingeholt hätten. »Keine Sorge«, beruhigte uns Bubble. »Das ist Fanndar.« Ich erkannte selbst nach kurzer Zeit den Archivbeamten, der die Bilder der Maschine geschildert hatte. »Zweieinhalbtausend!« sagte Fanndar bestürzt. Tiefe Niedergeschlagenheit wurde mir übermittelt. »Man hat mir befohlen, diese Anzahl von Opfern aus meiner sehr schwach besetzten Abteilung herbeizuschaffen. Das ist ungeheuerlich!« Trotz der anfeuernden Ansprache des Herrschers hatten sich nicht genügend Freiwillige gemeldet, so daß Makkubs private Notstandsgesetzgebung angewendet wurde. Zwangserfassung von Energiequellen, würde Hartnell gesagt haben. »Unser wertvolles Archiv!« wimmerte Fanndar. »Wie können wir es retten?« 71
Cardoon, erfuhr ich jetzt, besaß keine Geschichte in geschriebener Form, sondern nur auswendig gelernte Fakten, die von Träger zu Träger weitergegeben wurden, so, wie man Bänder überspielte. Wie konnte die Geschichte weiter überliefert werden, wenn es keine lebenden »Bücher« gab? »Das ist genau der Mann, mit dem wir reden müssen«, sagte Hartnell befriedigt, als ich übersetzt hatte. »Er wird uns sagen, auf welche massenhypnotische Art die Bilder der Maschine zustande gekommen sind.« Tubby wies seine Theorie zurück. »Man kann hypnotische Bilder nicht fotografieren. Die Instrumente der Kamera sagten aus, daß ich reale Bilder filmte.« Das rührte Hartnell nicht besonders, und er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Eines aber sage ich«, erklärte Fanndar feierlich, »ich bin alt, und ich habe schon vor der Zeit, in der Makkub Herrscher wurde, mit der Maschine der Enthüllung gearbeitet. Alles was je abgebildet worden ist, geschah auch so.« »Ich berichtete es schon«, unterstrich Bubble. »Trotzdem zögern die Fremden, uns zu glauben. Sie können sich mit dem Gedanken nicht abfinden, hier ihre Gräber zu füllen.« »Da hat er sehr recht«, bemerkte Tubby. Hartnell schlug vor, einfach hierzubleiben und so versteckt die Maschine ad absurdum zu führen. »Wir können es hier sehr lange mit dem Wasser, dem Sauerstoff und den Konzentrattabletten aushalten«, sagte er. Ich hatte einen starken Einwand. »Ein Bild hat sich jedenfalls schon bestätigt. Und ich fürchte, das zweite wird gerade vorbereitet.« »Wie?« fragte Hartnell bestürzt. »Diese Sphären, die zwischen den Felsen hinausstürmten … Glaubt ihr nicht, daß wir bereits gesucht werden?« 72
Tubby pfiff leise durch die Zähne, und selbst Hartnell war beeindruckt. Ich sagte beschwörend: »Wenn sie das Schiff finden? Und wenn sie mit ihren Kraftfeldern aus Versehen den Steuermechanismus auslösen? Wir sehen die,Old Growler’ niemals wieder!« »Du bist ein alter Pessimist!« bemerkte Hartnell. Ich richtete die federnde Antenne der Mattusanlage wieder abwechselnd auf unseren Begleiter und auf Fanndar. »Wenn sich das Volk gegen Makkub erhebt, wie soll er abgesetzt werden? Hat er Wächter, die ihn verteidigen werden? Und – ist er nicht der rechtmäßige Herrscher?« »Das ist Angelegenheit des Rates«, sagte Fanndar. »Eine Mehrheit kann ihn zwingen, den Thron an einen neuen Monarchen abzugeben. So steht es in unseren geschichtlichen Überlieferungen.« Verbittert fügte er hinzu: »Makkub hat mir befohlen, gerade diese Abteilung vollständig für die Maschine zur Verfügung zu stellen.« Makkub war raffiniert, das war jetzt klarer denn je. »Ihr sollt noch eines wissen«, sagte ich deutlich. »Um sicherzugehen, daß er Herrscher mit uneingeschränkter Macht bleibt, hat er persönlich sämtliche neugeborenen roten Sphären ermordet.« Starke Schwingungen, gemischt mit Ekel, Schrecken und Angst, ließen die Verstärker des Mattusgerätes förmlich erzittern. »Gibt es in euren Archiven dafür eine Parallele?« fragte ich vorsichtig zurück. »Nein. Selbst zur Zeit der Weisen hatte man sich einen Zustand, in dem es keine roten Sphären mehr geben würde, nicht vorstellen können.« Fanndar dachte verzweifelt: 73
»Jetzt ist alles verloren. Ich muß eilen, um meine Freunde aufzuhalten.« Und Bubble meinte: »Der Aufstand ist sinnlos geworden. Cardoon muß einen Herrscher haben – und ohne Makkub haben wir keinen, denn es gibt keine andere rote Kugel mehr.« Ich begann ernsthaft zu zweifeln, ob sie wirklich so intelligent waren, wie ich es angenommen hatte, wie es durch eine Serie von Beobachtungen festgestellt worden war. »Die Berater«, sagte ich langsam, »haben Vollmachten. Sie können gegen den Herrscher beschließen. Warum sollen sie nicht auch andere Beschlüsse fassen können? Sie können doch sicherlich das Volk verwalten, bis eine neue rote Sphäre geboren wird!« Es dauerte einige Sekunden, bis sie die Tragweite dessen, was ich schon gesagt habe, begriffen hatten. Dann verstanden sie, und sie schienen tief beeindruckt. »Jetzt wissen wir, daß der Geist der Weisen aus euch spricht«, sagte Bubble fast hilflos vor Verwunderung. »Ein neuer, großer Entschluß der Berater!« Es war nichts Weises an dieser einfachen demokratischen Regelung. Hartnell fragte: »Was hast du ihnen denn gesagt, Paps? Sie sind vollkommen aufgeregt!« Ich erklärte es ihnen. Hartnell lachte, stellte sein Funkgerät etwas leiser und sagte dann: »Sie sollen in großer Eile diese Nachricht verbreiten und keine Zeit damit verschwenden, hier wie irrsinnige Jojos auf und nieder zu springen.« Bubble und Fanndar vernichteten ihre Hoffnung selbst und erklärten: »Eine edle Theorie. Geradezu erstaunlich … Aber das wird 74
nicht möglich sein. Es ist von allem Anfang der Zeiten vorgeschrieben, daß eine rote Sphäre Cardoon regieren muß.« Verzweiflung strömte durch die Leitungen des Mattusgerätes. Ich spürte, wie auch unsere Hoffnung sank. Ich glaubte, daß uns nichts mehr überraschen könnte, aber ich wurde eines Besseren belehrt. Als wir durch den engen Eingang blickten, sahen wir, daß draußen alle die Wächter schwebten und auf uns warteten. Wir waren gefangen.
10. Die Prophezeiung der Maschine sollte also richtig gewesen sein; ob Makkub mithalf oder nicht, war gleichgültig. Die Wächter schleppten uns nicht gerade sanft zur Oberfläche, also auf das Niveau der großen Halle, zurück. Das Schlimmste war der Aufstieg. Wir arbeiteten uns mit Hilfe der Schwerkraftgeneratoren und der Kraftfelder der Wächter die Karlinleine hinauf. Hartnell rutschte einmal sechs Meter tief ab, aber die Wächter reagierten sehr schnell. Sie zogen ihn wieder in die Höhe. Während wir länger als eine halbe Stunde brauchten, um wieder die Kante des Einstieges zu erreichen, schwebten die gefährlichen grünen Kugeln um uns herum und kreisten langsam. Endlich waren wir oben; in Schweiß gebadet und mit zitternden Armen. Ich hörte Hartnell in den Lautsprecher fluchen. »Was ist los?« fragte ich. »Diese merkwürdigen Seifenblasen lassen mich die Karlinleine nicht mehr aufspulen«, keuchte er. »Wir können sie noch brauchen!« »Ich habe noch eine«, sagte Tubby ruhig. 75
»Gut. Lassen wir den Widerstand.« »Sie werden schon sehen, was geschieht, wenn sie uns die letzte Klippe hochschleppen müssen«, fluchte Hartnell. »Ich sorge dafür, daß sie eine Jahresmenge an Körperenergie verbrauchen.« Wir wurden kurz nach diesen Worten Zeugen eines erschütternden Vorganges. Ein Wächter, der besonders oft hin und her geflogen war und uns häufig mit Stößen traktiert hatte, schwebte von unserer kleinen Gruppe weg, hing unschlüssig über einem Felsvorsprung, und sein grünlicher Schimmer wurde immer schwächer. Im nächsten Moment war die Sphäre verschwunden. Ohne Lärm, ohne »Plop«, so, als erlösche eine Glühbirne. »Um so mehr Arbeit für die anderen«, sagte Hartnell mit der Ruhe eines Philosophen. Die anderen Wächter schienen – ich hatte das Mattusgerät nicht eingeschaltet – den Zwischenfall nicht weiter zu beachten, schleppten uns hinauf zur Klippe und trieben uns schließlich durch einen Felsenspalt hinaus in die trostlose Landschaft von Cardoon. Nicht immer war der Himmel messingfarben, und die deprimierenden Farben der Felsen schienen unsere Gedanken nur noch hoffnungsloser zu machen. Wir wurden an den Klippen vorbeigeschleust, erreichten nach einigen Minuten eine lange, schmale Spalte, die in ein kleines Seitental führte. Senkrecht strebten die Wände Hunderte von Metern nach oben. Tubby brummte: »Jetzt weiß ich, weshalb wir die Karlinleine nicht mitnehmen durften.« Wir blieben in einer Gruppe nebeneinander stehen. Wir drei Terraner und die beiden Sphären. Unsere Wächter bauten sich in der Nähe des Spaltes auf und errichteten mit größter Sicherheit jene Art von Sperre, die uns schon einmal zurück76
gehalten hatte. Nur – diesmal sollten wir nicht hinausgelassen werden. Ich schaltete mich in die eigentümliche Geisteswelt der beiden Sphären ein und fragte in Gedanken: »Ist die Schlucht durch Kraftfelder abgeschlossen?« »Ja. Die Wächter bedienen sich ihrer Kraftfelder, um uns gefangenzuhalten.« Die Gedanken der Sphäre klangen verzweifelt. »Es ist unmöglich, von hier zu entkommen. Wir können nur das Ende erwarten.« Sobald eine der Sphären versuchen würde, senkrecht nach oben zu fliehen, würden zwei oder mehr Wächter sie mit den Kraftfeldern zu Boden schmettern. Wir konnten es ohnehin nicht, weil unsere Schwerkraftgeneratoren zu schwach waren. »Du meinst, daß andere Sphären ihre Kraftfelder konzentrieren müßten, um die Sperre der acht Wächter aufzubrechen?« fragte ich. »Wenn Rettung käme, was natürlich unmöglich ist, müßten die Sphären ihre Kraftfelder anwenden, um sich zu wehren. In diesem Fall würde die Sperre aufgelöst werden müssen«, erklärte Fanndar. Ich zweifelte erneut an der Intelligenz unserer Gastgeber. »Du brauchst dann doch nur deine Freunde zu rufen! Die Radiowellen dringen aus diesem Felsenkessel leicht hinaus!« Bubble rotierte traurig. »Das kann ich nicht, ohne sie an Makkub zu verraten. Außerdem läßt er sie sicher überwachen. Eine verdächtige Reaktion, und sie kämen auch auf den Hinrichtungsplatz.« »Hinrichtungsplatz?« fragte ich bestürzt. »Das hier ist der Platz der Hinrichtung!« teilte mir Fanndar mit. »Erinnert euch an die Bilder der Maschine.« Ich übersetzte es für Hartnell und Tubby. 77
»Das vierte Bild – hier ist es!« sagte ich. Sie blickten mit aufgerissenen Augen in die Runde und versuchten sich zu erinnern. Tubby keuchte erschrocken, und Hartnell preßte die Lippen zusammen. »Stimmt!« sagte er leise und düster, »aber Bubble und Fanndar? Ich habe sie nicht gesehen.« Ich gab die Frage weiter. »Doch – wir haben uns gesehen«, erklärte Fanndar, »vielleicht habt ihr euch auf andere Einzelheiten des Bildes konzentriert und uns nicht bemerkt.« Das stimmte. Wir waren vom Anblick unserer eigenen Gräber fasziniert gewesen. Das erklärte natürlich ihre resignierte Haltung und ihre Gedanken. Sie glaubten unverbrüchlich an die Bilder der Maschine, und wir zweifelten noch immer daran. Obwohl: Bis jetzt sprach die Wahrscheinlichkeit für die Maschine der Enthüllungen. »Wann wird man endlich die Geheimnisse der Zeit lüften?« murmelte ich verdrossen. »Das hat man längst, Paps«, sagte Hartnell mit fast angsterregender Gelassenheit. »Denke daran, Paps, daß du älter geworden bist. Das erinnert an die flüchtige Eigenschaft dieses Begriffes.« Wir diskutierten nicht lange, sondern sahen uns um und versuchten, eine ungefährliche Fluchtmöglichkeit zu entdecken. Die Wächter … acht Sphären, grünlich schimmernd. Man sah durch sie hindurch und auf die rauhen Felsen; es war, als hätten sie gleichzeitig mit der Anwendung ihrer Kraftfelder die Scheu, sich an den Felsen zu lehnen, um sich nicht an scharfen Flächen aufzureißen und dadurch zu sterben. Sie hielten stets einen Abstand von etwas weniger als einem Meter. Ich sagte dies Hartnell. 78
»Interessant«, meinte er. »Sie schweben also nicht an, sondern über oder neben den Felsen. Das ermöglicht eine neue Konzeption des Vorstoßes.« »An welchen Trick denkst du jetzt wieder?« fragte ich mißtrauisch. »An einen kleinen, bescheidenen Trick, der uns hier herausbringen wird.« »Soll oder wird?« fragte Tubby. »Wird. Hör zu, Paps! Frage unseren Freund, ob man die Hülle der Wächter perforieren kann, wenn man sie richtig anstößt.« »Was nützt uns das?« fragte ich widerstrebend, »sie lassen uns doch nicht näher als zehn Meter heran. Unsere Gammastrahler wirken nicht gegen anorganische Materie …" Er wischte den Einwand zur Seite. »Kein Widerspruch, Paps! Schnell!« Bubble war über die Frage verwundert, sagte uns aber: »Ein Riß der Hülle ist tödlich, deswegen auch die Hinrichtung durch Aufreißen der Hülle durch die Henker. Man braucht dazu so viel Kraft, wie eine erwachsene Sphäre gerade aufbringen kann.« »Willst du die Wächter mit Steinen bewerfen?« erkundigte ich mich bei unserem Freund Hartnell. »Sie werden in der Luft abgefangen.« Hartnell kicherte spöttisch. »Nicht so primitiv, Paps! Wir werden raffiniert vorgehen. Sage unseren zwei Partnern dieses merkwürdigen Kegelspiels, daß sie sich bereithalten sollen, uns zu folgen.« Ich dachte in das Mattusgerät und rief starke Verwunderung hervor. »Tubby und du, Paps, brauchen nichts anderes zu tun, als sich dicht hinter mir zu halten. Die beiden Kugeln sind herzlich eingeladen, das gleiche zu tun.« »Meinetwegen«, sagte ich und sah die drei Gräber sehr deutlich vor uns. 79
Hartnell drehte uns den Rücken zu und sagte kurz: »Hilf mir bitte, Tubby, den Schwerkraftgenerator abzuschrauben. Ich brauche ihn.« »Ewige Galaxis!« schrie Tubby. »Er hat einen Plan!« Wir schraubten widerspruchslos den Generator ab und überzeugten uns vorher, daß er abgeschaltet war. Lautlos drehten sich die Flügelmuttern. »Zieht die Leitung etwa einen Meter weit heraus, so daß ich den Generator in den Händen halten kann«, sagte Hartnell. Wir waren fertig. »Jetzt los! Wenn ich zu laufen beginne, lauft ihr mit mir.« Wir gingen etwa fünf Meter weit, dann begannen wir zu rennen. Natürlich sahen uns die Wächter kommen, und ich überlegte, wie sehr wir oder sie durchgeschüttelt werden würden, wenn wir gegen die unsichtbare Barriere stießen. Waren es die gleichen Eindrücke, als ob wir gegen eine Mauer prallen würden? Jetzt war ein aufgeregtes Kreischen aus der Funkanlage zu hören. Zweifellos hatten die Wächter ihre Kraftfelder auf höchste Leistung gebracht. Hartnell hielt den Schwerkraftgenerator in den Händen und hatte die Ellbogen gegen die Seiten gestemmt, wie um einen Stoß abzufangen. Ich rannte hinter ihm und hörte Tubbys Schritte. Vermutlich schwebten auch Bubble und Fanndar hinter uns. Die bösartig grün schimmernden Wächter jagten mir einen höllischen Schrecken ein. Wir erreichten die Barriere. Hartnell brummte wütend und warf sich zur Seite. Er bog sich wieder zurück, nahm einen kurzen Anlauf und wiederholte den Stoß. Dreimal, viermal. »Wir kommen tatsächlich durch!« stöhnte Tubby. Hartnell ächzte als träfen ihn heftige Schläge. Aber er rannte weiter. Ich sah, wie sich der letzte Wächter gegen den Felsen warf und verschwand. 80
Wir rannten weiter, bis wir die Ebene erreichten, und ließen uns dann einfach fallen. Im Funkgerät war nichts als Keuchen. Langsam richteten wir uns auf und blickten gegen den strahlenden Himmel. Wir wurden nicht verfolgt. Noch nicht. Hinter uns rotierten Fanndar und Bubble aufgeregt. Ich brachte es fertig, das Mattusgerät einzuschalten. »Solche Wunder sind unerhört … Selbst in den Tagen der Weisen hat es das nicht gegeben. Acht Wächter, von nur drei Fremden besiegt. Sie besitzen wirklich Zauberkräfte.« Ich blickte zurück zur Klippe: Keiner der Wächter war mehr zu sehen. Ich fragte mich, mit welchem Effekt uns Hartnell herausgebracht hatte. »Was jetzt?« fragte Tubby Goss und machte schnell einige Aufnahmen. »Da ich sicherlich zwei verstauchte Handgelenke habe«, erwiderte Hartnell erleichtert, »könnt ihr mir wenigstens den Generator wieder anschrauben.« »Spiel nicht den Märtyrer«, sagte ich und befestigte das Gerät wieder. »Jedenfalls vielen Dank für die Rettung. Wie ging das vor sich?« Er hüllte sich weiterhin in Schweigen. Irgendwann würde er uns schon alles erzählen. »Die Frage ist nun«, sagte er halblaut, »ob wir Cardoon verlassen, ehe wir unsere Arbeit getan haben. Was wird Makkub mit diesen beiden Sphären anstellen? Sollen wir sie, nachdem sie uns geholfen haben, im Stich lassen?« »Keine Politik, Hart!« warnte ich und meinte die Vorschriften des HANDBUCHS. Sein Kommentar war unbeschreiblich. »Verschwinden wir von hier«, schlug ich vor, »ehe sich das Bild der Maschine bestätigt. Ich meine unsere Gräber.« »Eine der beiden Kugeln kann die Lage erforschen«, ordnete Hartnell an. »Vielleicht haben sie etwas hören können?« 81
»Ich werde fragen.« Bubble antwortete augenblicklich. »Alle sollen sich in der großen Halle versammeln. Makkub hat eine Versammlung zu Ehren jener einberufen, die sich opfern sollen. Das Volk murrt, aber es ist hilflos.« Bedauernd machte Hartnell: »Ts, ts, ts … ein innerer Spannungsfall«, sagte er. »Das Volk murrt, so daß man es hier in den Lautsprechern merkt.« Wir hätten uns anschleichen können, aber eine Sphäre würde diesen Auftrag leichter und schneller erfüllen können. »Ich werde nach unten schweben und hören, was es gibt«, bemerkte Bubble. »Wir werden in der Nähe des Brutfelsens warten«, schlug Hartnell vor. »Bubble soll ein Zeichen geben, das du mit ihm vereinbaren mußt, Paps.« »Einverstanden.« Bubble schwebte davon, und wir strebten den Feldern zu, aus dem die jungen Sphären wuchsen. Über uns glänzte der messingfarbene Himmel von Cardoon. Und wir wußten nicht, ob unsere Gräber die Zukunft für uns darstellten oder nicht.
11. Wir mußten warten und hockten verborgen im Schatten, einige zwanzig Meter von einem natürlichen Pfad entfernt, der hinunterführte zu dem Brutfelsen. Bei uns war Fanndar, der sich verloren vorkam und selbst durch meine Gedanken nicht aufgeheitert wurde. Tubby brach nach einigen Minuten das Schweigen. »Wir könnten erfahren, was Hart mit dem Schwerkraftgenerator angestellt hat«, meinte er. »Ob Hart sein rätselhaftes Schweigen aufgeben wird?« 82
»Er wird«, sagte Hartnell verbindlich. »Ihr könnt euch bei Sir Isaak Newton bedanken.« »Newton hat eine Menge von Regeln aufgestellt«, sagte Hartnell und schien sich köstlich zu amüsieren. »Eine davon sagt, daß jede Wirkung eine entgegengesetzte gleichgroße Wirkung hat. Daraus sollte der Vorgang abgeleitet werden können.« »Höre mit deiner rätselhaften Diktion auf«, sagte Tubby. »Erkläre!« »Man kann nichts schieben oder ziehen, ohne einen festen Bezugspunkt zu haben. Ein Mann, der eine Tür öffnet, drückt mit den Händen dagegen und preßt die Füße stärker gegen den Boden. Und wenn die Tür plötzlich aufknallt, verliert er das Gleichgewicht.« Ich begriff. Als die Wächter ihre Kraftfelder zu der unsichtbaren Sperre zusammenfaßten, mußten sie sich mit gleich großen Kraftfeldern gegen die Felsen verankern. Dadurch, daß Hartnell einen Stoß gegen die Felder gerichtet hatte, wurden die Kugeln gegen die scharfkantigen Felsen geschlagen und lösten sich auf. »Du Narr hättest dir sämtliche Knochen brechen können«, sagte ich scharf. »Und? Hier sind wir, außerhalb der Hinrichtungsstätte und ohne gebrochene Knochen!« »Bis jetzt noch«, murmelte Tubby. »Ich möchte wissen, warum gerade hier oben diese Hinrichtungsstelle ist. Das hätten sie auch in den Kavernen haben können.« »Frage gelegentlich Fanndar.« Hartnell lehnte sich bequem gegen die Felswand, und der trügerische Eindruck einer Gruppe entstand, die guter Dinge hier auf etwas wartete, das keineswegs wichtig war. Ich fragte Fanndar und hörte zu meinem grenzenlosen Erstaunen: »Die alte Richtstätte war der Raum, in dem ihr zuerst gefangengehalten worden seid. Sie ist seit Jahren nicht mehr benutzt 83
worden, und freie Energie aus den Körpern der Hingerichteten hielt sich dort – seltsame Erscheinungen wurden dadurch hervorgerufen.« Ich schloß die Augen und schüttelte den Kopf. Geister auf Cardoon? Was hatten wir auf diesem öden Planeten verloren? Einer Welt, die weder ein einziges Moospolster noch einen Strohhalm je gesehen hatte. Und dazu auch noch Geistererscheinungen! »Horcht!« sagte Hartnell flüsternd. »Applaudieren sie Makkub – oder was ist das?« Ein schrilles Brausen drang aus den Lautsprechern. »Das ist Makkub«, erläuterte Fanndar. »Er hat die Stunde bekanntgegeben, in der die Maschine wieder aktiviert werden soll. Dreihunderttausend Leben sind als Opfer ausgesucht worden.« Schrecken flutete mir entgegen, und ich schauderte. »Das ist mehr als die Hälfte unseres Volkes. Was wir vorher als Ehre angesehen haben, sehen wir jetzt als Unheil. Das Volk murrt.« Hartnell brummte: »Sie sollen den dicken Makkub zum Teufel jagen – oder einfach zerreißen!« »Warum setzen die Berater den Herrscher nicht ab?« fragte ich drängend. »Das ist unmöglich«, übermittelte Fanndar voller Trauer. »Wir müssen einen Herrscher haben, und solange er die Autorität besitzt, gehorchen wir ihm.« Ein sinnloses Massaker. Die Frage, ob Makkub, wenn er gestorben war, einen Grabstein besaß, sollte ein halbes Volk mit dem Leben beantworten. Makkub war hoffnungslos wahnsinnig. Hartnell stand auf und sagte scharf: »Ich werde jetzt etwas unternehmen. Die Lage drängt nach einem Ausweg.« 84
»Wir können nicht in die Kavernen, denn wir würden uns das Genick brechen. Außerdem sind wir dort unten der Wut des Herrschers ausgeliefert.« »Ich sagte nichts vom Thronsaal«, meinte Hartnell. »Sondern?« »Ich meinte den Brutfelsen.« Ich schluckte. »Wir können es versuchen, aber du scheinst die Wächter vergessen zu haben«, erwiderte Tubby. Hartnell nickte grimmig und versicherte uns: »Wir werden sie mit unserem Schwerkraft-Trick überraschen. Wetten wir?« Von Fanndar hörte ich, daß bei der Versammlung das gesamte Volk anwesend war. Ausgenommen einige wenige, die eine besondere Genehmigung hatten. Er war überzeugt, daß unsere Wächter die einzigen waren, die nicht in der Versammlung zu sein brauchten. »Los! Sonst kommen wir noch zu spät«, sagte Hartnell. Wir ließen Fanndar zurück und näherten uns schnell und im Schutz vorspringender Felsen der Brutstelle. Nirgends wurden wir aufgehalten, wir sahen keinen der Wächter. Einige Sekunden lang starrten wir auf den Felsen hinunter. »Dort ist der Eingang – gleich an dem Pfad«, sagte Hartnell. Wir bewegten uns vorsichtig nach unten. Schwärme von winzigen Sphären bedeckten die Steine so dicht und schillernd, daß wir stehenbleiben mußten, um uns zu orientieren. Kleine Kugeln schwebten hilflos herum; nur wenige Zentimeter über dem Felsboden. Sie schienen sich ohne Helfer nicht richtig bewegen zu können. Einmal wäre Tubby beinahe auf eine der kleinen Sphären getreten; ein Schrei von mir ließ ihn ausweichen. Wahrscheinlich war es die Neugierde aller jungen Wesen, die sie in unsere Nähe trieb. Es schien ihnen geradezu Spaß zu ma85
chen, uns den Weg zu versperren. Ich hoffte, daß sie noch nichts mit ihren Kraftfeldern anzustellen verstanden. Wir blieben am Eingang stehen und spähten hinein. Hier war eine der Kammern, in die man die Neugeborenen brachte. Hartnell leuchtete mit seiner Helmlampe hinein. »Nichts! Nicht einmal wartende Kugeln. Es ist nicht zu steil, und wir kommen leicht hinein.« »Hier hinter uns ist auch alles ruhig«, sagte Tubby. »Und mich umschwirrt nur die kleine rote Sphäre, die Hartnell gefunden hat.« »Die, die du beinahe zertreten hättest?« fragte Hartnell zerstreut. Ich fuhr herum. ROT! Durch die Moryniumscheibe des Helms sah ich, wie Hartnell die Augen förmlich aus dem Kopf traten. Eine winzige rote Sphäre – abgesehen von Makkub die einzige Kugel der königlichen Farbe auf dieser Welt, nachdem der Autokrat alle Nachfolger ermordet hatte. Alle siebzig Jahre kam eine solche Kugel auf diese karge Welt, und ausgerechnet wir hatten sie entdeckt. »So. Jetzt werden wir es diesen Sphären aber zeigen«, knurrte Hartnell. »Sieh dich vor. Wir mischen uns in die Politik dieser Rasse. Das ist laut Handbuch verboten.« »Kommt«, erwiderte er. »Sonst verlieren wir sie. Wenn Sie sich zwischen den anderen versteckt, finden wir sie niemals.« Er begann zu laufen, und wir folgten ihm. Ein Wunder rettete unzählige Kugeln davon, von den schweren Raumstiefeln getroffen zu werden. Wir hatten nach einer halben Minute wieder die kleine rote Kugel vor uns, und die Neugierde trieb sie in Hartnells Richtung, so daß sie dicht vor dessen Füßen schwebte. »Wie können wir sie wegbekommen?« fragte sich Hartnell. Er überlegte eine Weile, dann sagte er zu mir: 86
»Natürlich mit dem Mattusgerät. Was gefällt unseren Kindern? Süßigkeiten und Märchen. Das gleiche Prinzip auf cardoonisch angewendet, müßte zum Erfolg führen. Die kleine Kugel wird uns folgen!« »Sie essen nichts, Hart!« gab ich zu bedenken. Er wehrte fast beleidigt ab. »Das weiß ich selbst, Paps. Ich wollte dir nur klarmachen, daß du Gedanken abstrahlen sollst, die sie interessieren. Einzelheiten weiß ich nicht – das ist deine Sache.« Über das Mattusgerät waren mir schon mehr als merkwürdige Gedankenstrukturen übermittelt worden, aber nichts von allem ließ sich mit dem vergleichen, was ich jetzt aufnahm. Konfus und durcheinandergewirbelt, aber durch diese unsprachlichen Eindrücke zog sich Hilflosigkeit wie ein dicker Faden. Und dann kam ganz deutlich eine Frage der kleinen roten Sphäre: »Was seid ihr?« Nicht wer, sondern was. Ich bemühte mich, es dem Kleinen klarzumachen, aber ohne allzuviel Erfolg. »Und wer ist das?« Er meinte Hartnell. »Das«, sagte ich mit sarkastischem Vorbedacht, »ist dein Onkel Hartnell.« Jetzt sah der Kleine in Hartnell bereits eine Respektsperson. »Und wer bin ich?« Ich konnte mir nicht denken, daß der Kleine eine vernünftige Analyse verstehen würde und antwortete: »Du bist ein Prinz von Cardoon.« »Was ist ein Prinz?« Die anderen zwei Männer standen schweigend auf dem Sand des Kessels und wurden langsam ungeduldig. »Schneller, Paps!« sagte Tubby. »Die Säuglingsschwestern werden jeden Moment zurückkommen. Ich höre keinen Lärm aus der Versammlung mehr. Wie steht es?« »Alles in bester Ordnung!« sagte ich. 87
»Wirklich? Hast du ihn bezaubert? Dann gehen wir – schnell!« Ich kümmerte mich wieder um den roten Prinzen. »Wir müssen jetzt hier weggehen. Wir sehen uns die großen Felder neben diesem Kessel an.« Ich stellte mir vor, wie neugierig ihn der Begriff machen würde. Aber ich spürte Zögern. »Warum?« »Willst du nicht mit Onkel Hartnell gehen?« Das gab den Ausschlag. Er schwebte gehorsam in Hüfthöhe neben uns her, während wir uns vorsichtig wieder zwischen den Felsen hindurcharbeiteten. Jetzt blieb uns nur noch übrig, den Prinzen Fanndar zu übergeben und zu fragen, ob Bubble schon zurückgekommen war. Unser Mattusgerät wurde heute immer wichtiger, und ich freute mich, eine solch ausgezeichnete Möglichkeit zu haben. Fanndar begann zu rotieren. »Ein Prinz für Cardoon!« flüsterten seine Gedanken. »Ihr begreift sicher, was das bedeutet, Freunde?« »Deswegen haben wir ihn hierhergebracht«, erwiderte ich. Wir wußten natürlich, daß jetzt kein Hindernis mehr zwischen der Absetzung des wahnsinnigen Makkub bestand, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, daß die große rote Sphäre kampflos den Thron räumen würde. Wir standen vor einem Problem der Taktik. Sollten wir den Kleinen geheimhalten oder ihn sofort dem Volk präsentieren, damit jede Möglichkeit eines erneuten Mordes für Makkub ausgeschlossen war? »Wir müssen erfahren, was dort in der Versammlung vor sich geht«, sagte Hartnell. »Wie wäre es, wenn wir durch die Brutstätte eindringen würden?« »Wir sollten auf Bubble warten«, gab Tubby zu bedenken. »Das kann Stunden dauern. Vielleicht haben sie ihn festgenommen?« war die Antwort. 88
Ich versuchte einen Kompromiß. »Warten wir noch zehn Minuten. Wenn er bis dahin nicht aufgetaucht ist …" Wir hatten keine Lust, uns von den Verfolgern überraschen zu lassen. Ich kletterte zu einer Stelle, von der aus ich einen hervorragenden Überblick hatte. Noch immer brannte der Himmel. Grausame Hitze herrschte. Die Felsen glühten und nichts ereignete sich. Nirgends eine Sphäre. Und dann kam aus dem Schatten einer bizarren Felsnadel eine Kugel herangeflogen – ich sah den purpurnen Schimmer und wußte, daß es Bubble war. Mit ausgefahrener Antenne rannte ich ihm entgegen. Er war erregt wie noch nie. »Ein Bürgerkrieg. Der innere Notstand ist ausgebrochen! Ausnahmezustand! In der Halle geschehen unerhörte Dinge … Gleich wird es zum Kampf kommen.« »Beruhige dich und berichte, was vorgefallen ist.« »Makkubs Befehl ist schuld. Seine Wächter haben die halbe Bevölkerung ausgesucht, und das gesamte Volk murrt. Die Ausgewählten verweigern die Annahme der Ehrungen. Andere wiederum sind froh, nicht ausgesucht worden zu sein und verlangen, daß man Makkub gehorche. Die zwei Parteien sind gleich stark. Ich fürchte, daß es einen Kampf mit vielen Toten geben wird.« Ich wollte ihm schon von unserem Prinzen berichten und sah mich kurz nach Hartnell und Tubby um und – erstarrte. Ungefähr fünfzehn der grünen Wächter hatten uns umzingelt. In seiner Angst hatte Bubble nicht aufgepaßt und nicht gemerkt, daß er verfolgt wurde. Ich hatte auch nichts gesehen. Wir waren abermals gefangen – diesmal wahrscheinlich endgültig.
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12. »Verdammt!« schrie ich laut. Der Rückweg zum Thronsaal war alles andere als angenehm. Vielleicht wußten die Wächter über das Schicksal ihrer Kameraden vom Richtplatz Bescheid und nahmen eine Art Rache. Jedenfalls hatte ich Mühe, die Antenne des Mattusgerätes gerade zu halten, als ich vor Makkub stand. Meine linke Seite war von der Schulter abwärts aufgeschrammt. Meine Beine hatten mir einigemal den Dienst versagt, und ich war in die Tiefe gerollt und hatte mich überschlagen. Ich schwor mir, niemals wieder einen Abstecher ins Unbekannte zu machen und an Bord der Old Growler zu bleiben. Makkub saß auf seinem blödsinnigen Thron, flankiert von Pakkan und Zaccar, und er fing, geschützt durch den Halbkreis der Berater, sofort zu toben an. »Du mißgestaltetes Ungeheuer! Erkennst du, daß es vor Makkub keine Flucht gibt? Hier, mein Volk, steht das Wesen, das so viel Unheil über Cardoon gebracht hat. Die Verstocktheit dieser Bestie zwingt mich, die Maschine der Enthüllung zu fragen … Dieses Ungeheuer ist dafür verantwortlich, daß jetzt dreihunderttausend Opfer gefordert werden müssen.« Das Geschrei, das sich jetzt erhob, war so laut, daß ich mein Helmfunkgerät abschaltete und mich völlig auf die Mattusanlage konzentrierte. Makkub war in der Tat eine hochintelligente Sphäre – er wälzte alles, was ihn betreffen konnte, auf mich ab. Wieder heulte Makkub auf. »Alles Volk von Cardoon ist Zeuge, wie ich das Ungeheuer noch einmal auffordere, mir, Makkub, zu sagen, wie ich zu einem großen Grab gelangen kann. Sprich, fremdes Scheusal!« Ich wiederholte, was ich schon einmal erklärt hatte. 90
»Es ist für dich unmöglich, ein Grab zu erhalten, Makkub. Dein Bild wird verschwinden wie ein Lufthauch!« Er rotierte vor Wut und sprang dabei auf und ab, so daß ich glaubte, er würde Funken sprühen. Die dichtgedrängten Sphären, eine Menge von rund sechshunderttausend Kugeln, schrie und pfiff mir ihre Feindschaft entgegen. Ich hörte nichts über das Funkgerät, aber um so mehr über die Mattusantenne. »Was hast du zu verlieren, Ungeheuer«, schrie Makkub. »Du und deine Gefährten. Ihr werdet auf Cardoon eure Gräber haben. Warum wollt ihr mir, Makkub, das Privileg verweigern?« Ich hatte eine scharfe Antwort bereit. »Manchmal sind Gräber kein Ort der Verehrung, sondern Vorübergehende spucken darauf. Das liegt nicht am Grab, sondern an dem, der darin liegt.« Das ließ ihn etwas nachdenken, aber er hatte beschlossen, sich nicht provozieren zu lassen. »Keine Beleidigungen mehr! Alle wissen, daß meine Herrschaft weise und voller Wohltaten war. Es ist eure letzte Chance, ehe wir euch den Henkern überlassen!« Ich redete mir ein, daß wir Zeit gewinnen mußten. Hartnell und Tubby hatte ich aus den Augen verloren. Vielleicht hatten sie inzwischen das Schiff erreicht und waren gestartet mit dem Wissen, das wir von Cardoon mitbrachten. Wir? Ich war zurückgeblieben, denn das Wissen war wichtiger als das Leben eines INTER-X-Mannes. Ich konnte es nicht glauben, daß mich meine Kameraden im Stich gelassen hatten … Vielleicht hatten sie nur den Prinzen in Sicherheit gebracht. »Sage es mir!« brüllte mir Makkub entgegen. »Sage das Geheimnis!« Ich hörte über den Außengerätesatz hinter mir ein Schlurfen. Ich drehte mich blitzartig um, und ich sah Hartnell und Tubby, die ebenfalls von einem dichten Kreis Wächter umgeben waren und vorwärts gestoßen wurden. Schmutzspuren an den Anzügen 91
bewiesen, daß sie sich gewehrt hatten. Natürlich grinste Hartnell in seiner unvermeidlichen Art. »Hallo, Paps! Ist Makkub noch immer am Leben?« »Wo ist der Prinz?« fragte ich besorgt. Längst war das Funkgerät wieder eingeschaltet. »Ich weiß es nicht. Wir hatten leider anderes zu tun. Was ist dir passiert?« Ich berichtete schnell. »Wir müssen Zeit gewinnen. Ich habe mir einiges überlegt, aber es scheint nicht das Richtige zu sein.« Hartnell lachte kurz. »Wir wäre es, wenn Bubble eine Ansprache hielte und ihnen sagte, daß der Prinz im Anmarsch ist?« Ich sah überrascht auf. »Ich weiß nicht, ob Bubble es uns glaubt. Soll ich es versuchen?« »Natürlich.« Ich erklärte Bubble, was geschehen war. Er blieb immer noch skeptisch und meinte: »Das würde ein großes Wunder bedeuten. Es ist unmöglich, denn unser Volk hat noch nie einen Prinzen übersehen. Nicht einmal die Pfleger …" »Fanndar hat mit ihm gesprochen!« Es beruhigte ihn, konnte seine Meinung aber nicht ändern. »Fanndar ist ein sehr guter Freund, aber sein Leben verläuft zwischen den Archivaren. Er versteht von diesen Dingen nichts.« »Wenn du es nicht willst«, eröffnete ich ihm, »dann werde ich es Makkub sagen.« Jetzt stellte er sich wieder auf unsere Seite. »Man könnte dadurch Zeit gewinnen. Wenn man Zweifel sät, kann dies einen Zeitgewinn bedeuten.« Wir säten Zweifel … 92
Nicht nur das, sondern eine ganze Anzahl anderer Reaktionen. Erstaunte Ausrufe, stürmischer Protest und hoffnungsvolles Flüstern. Selbst die Berater waren bestürzt. Einige schrien, daß Bubble lüge, andere, die ihn als ehrenwerte Persönlichkeit kannten, wurden in ihrer Opposition bestärkt und witterten neue Chancen, um Makkub abzusetzen. Stärkster Widerspruch kam natürlich vom Herrscher. »Ich dulde keine Zeitverschwendung wegen solchem Unsinn!« tobte er. »Seht euch, Volk von Cardoon, diesen Verräter an! Er verbündete sich mit den Ungeheuern gegen das eigene Volk. Er ist nicht mehr länger würdig, zu leben. Er lügt, um gegen seinen Herrscher aufzuwiegeln.« Ich trat vor und richtete die Mattusantenne auf Makkub. »Auch ich habe mit dem jungen Prinzen geredet«, sagte ich. Ich drehte die Antenne in die Richtung der ungeheuren Masse. »Makkub hat zwar die anderen Thronfolger ermordet, aber einen von ihnen haben wir in Sicherheit gebracht.« Ein Flüstern schwoll an. »Ermordet? Die anderen Prinzen sind tot?« Die Bestürzung war echt. Fast alle, unter ihnen auch Zaccar, hatten nichts gewußt. Pakkan zuckte zusammen und schimmerte in giftigem Grün, und ich war jetzt überzeugt, daß auch er an dem Mord beteiligt gewesen war. Makkub glühte vor Wut. »Laßt euch von den Verleumdern nicht irreführen! Achtet nicht auf die Worte der Kreaturen, die nur ihr Leben retten und Cardoon fürchterliches Unheil bringen wollen. Sie geben uns die Schuld an dem Schicksal, das ihrer harrt, aber wir sind völlig unschuldig. Nicht wir, sondern die Maschine hat entschieden. Oder will jemand sagen, daß die Wundermaschine Dinge zeigt, die nicht wahr sind?« Er wartete darauf, daß ich in seine Falle ging. »So zeige uns die roten Sphären«, schrie Bubble, »die nach 93
dem Wunsch der Weisen nach dir über Cardoon herrschen sollen. Bringe sie in die Halle, damit wir alle deine Unschuld erkennen.« Makkub versuchte sich geschickt aus der Schlinge zu ziehen. »Wenn die Prinzen tot sind, dann sind sie gestorben, weil die Fremden Unheil über sie gebracht haben. Du und die Ungeheuer haben sie getötet. Deshalb sollt ihr sterben.« Es war natürlich, daß die Untertanen lieber und eher ihrem Herrscher als den drei Fremden glaubten. Schrille Pfiffe drangen aus den Lautsprechern, so daß uns die Zähne schmerzten. »Wie geht es, Paps?« fragte Tubby. »Ahnst du das nicht?« fragte ich hoffnungslos zurück. Er zog eine Grimasse. »Nicht besonders gut, wie?« »Wenn er dem Prinzen etwas tut, dann werde ich aus diesem verdammten Grab kriechen und ihn mit bloßen Händen erwürgen!« keuchte Hartnell. Makkub setzte tatsächlich seine kostbare Energie ein und schwebte zwei Handbreit über seinem Thron. »So erfüllt sich die Prophezeiung der Weisen. Was sie getan haben, hat doppelten Einfluß auf das Geschick unserer Rasse. Das verbrecherische Tun der Ungeheuer führt sie nicht nur in ihre Gräber, sondern bestätigt auch meine Führerschaft. Wie undurchschaubar sind doch die Wege der Weisen. Und jetzt ruft die Henker – alle Versammelten sollen den Akt der Gerechtigkeit sehen.« Irgendwo aus dem Hintergrund löste sich eine Phalanx grünschimmernder Kugeln und schwebte auf uns zu. Unheilvolles Schweigen erfüllte die Halle. Alle warteten darauf, daß wir in Fetzen gerissen wurden. »Nun wird es kritisch, fürchte ich«, sagte Tubby. »Keine Sentimentalitäten«, brummte Hartnell. »War riesig nett, euch gekannt zu haben.« 94
Ich schluckte etwas hinunter. »Wir hatten eine Menge Spaß miteinander.« Ich sah ihre Gesichter durch die Helmscheiben bleich und gefaßt. Hartnell hatte das unvermeidliche Grinsen um den Mund. Die grünen Kugeln suchten sich Plätze aus, die ihnen erlaubten, die Kraftfelder in den Wänden zu verankern. Ich hoffte, daß alles schnell gehen würde. Ich spürte weniger Angst als Niedergeschlagenheit, es war traurig, daß unsere Karriere bei INTER-X von so kurzer Dauer gewesen war. Heimweh nach dem Zimmer in dem Bauch des Mutterschiffes überfiel mich wie ein Sturzbach. Wir würden Nachfolger haben …? Über die Funkanlage hörte ich ein einzelnes, fast quietschendes Geräusch. Dann ging ein erstauntes Raunen durch die Sechshunderttausend. Wahrscheinlich gab jetzt Makkub den Henkern das Zeichen. Einen Augenblick lang geschah nichts, dann erhob sich ein ungeheurer Tumult. Ich wußte, daß einer meiner Kameraden jetzt starb, aber ich hörte nichts, keinen Atemzug, keinen Schrei. Ich öffnete die Augen und sah mich um. Eine riesige Menge von Kugeln türmte sich am Eingang zu den Laboratorien auf. Hartnell schaltete seine Helmlampe wieder ein, blinzelte erstaunt und fragte kalt: »Was, bei allen Monden der Milchstraße, gibt es jetzt schon wieder? Ich hasse es, dauernd gestört zu werden.« Zu meiner Erleichterung kicherte Tubby. »Ich habe keine Ahnung. Aber es scheint ein Aufschub für uns zu sein.« Indessen achteten die Henker nicht mehr auf uns. Sie brauchten ihre Kraftfelder dazu, um in dem allgemeinen Wirrwarr nicht erdrückt zu werden. Und dann teilten sich die wildbeweg95
ten Kugelhaufen. Fanndar, gefolgt von vier gelben Kugeln, tauchte auf. In der Mitte der Gruppe, getragen durch die Kraftfelder, schwebte unser roter Prinz. Ich stöhnte vor Erleichterung auf. »Guter, alter Fanndar!« schrie Hartnell. »Er hat es doch noch geschafft.« Ich bin meist langsam, wenn es gilt, einen kühnen Entschluß zu fassen, aber jetzt schaltete ich augenblicklich. Ich richtete meine Antenne aus und dachte scharf und konzentriert: »Seht alle her! Ist dies nicht ein echter Kronprinz von Cardoon?« Beifall tobte durch die Halle, und einige Protestschreie der Makkub-Getreuen wurden niedergebrüllt. Die Sphären, die den Eingang versperrt hielten, waren Freunde von Bubble. »Seht selbst«, schrie Bubble. »Der Prinz nähert sich seinem Thron. Die Berater sollten ihn mit gebührender Ehrfurcht empfangen!« Makkub konnte nicht viel tun. Vermutlich war er niedergeschlagen. Jedenfalls ebbte der Lärm ab, die Ratsherren setzten sich wieder auf ihre Thronsäulen. Einige Sphären schickten sich an, etwas Ordnung zu schaffen. Der Prinz störte die Ordnung, indem er den Kraftfeldern der Träger entwischte, hinüber zu Hartnell in seinem gelben Raumanzug, schwirrte und hocherfreut schrie: »Onkel Hartnell!« Dann tanzte die kleine rote Kugel um Hartnells Helm und kam an seinem Kontrollgürtel zur Ruhe. Bubble holte den Prinzen vorsichtig zu den vier Trägern zurück und wandte sich an mich. »Wir sollten«, sagte er beschwörend, »uns nach den Krönungszeremonien zurückziehen.« »Mit großem Vergnügen und ebenso großer Schnelligkeit«, versicherte ich ihm. 96
»Makkub hat bei einigen noch einen starken Rückhalt«, sagte er. »Wegen seiner Absetzung wird es Schwierigkeiten geben.« »Können wir helfen?« »Wenn es zum Kampf kommt, werden vermutlich alle Kraftfelder eingesetzt. Ich kann euch dann nicht mehr schützen oder hinausbringen.« Ich sagte: »Du ziehst es also vor, daß wir uns zu unserem Schiff zurückziehen und Cardoon verlassen? Habe ich recht?« Zögernd antwortete er: »Wenn es möglich wäre, würden meine Freunde und ich sich freuen. Ihr würdet in glücklicheren Zeiten zu uns zurückkehren können. Vergeßt aber nicht, daß die Maschine geweissagt hat, daß ihr eure eigene Welt nie wiedersehen werdet. Es weiß niemand, wie sich diese Aussage erfüllen wird, aber ihr könnt glauben, daß sich die Maschine noch nie geirrt hat. Wie hätten wir sonst die seltsamen Zeichen auf den Gräbern erkennen können?« Er hatte recht. Das Bild war nicht gefälscht gewesen, denn wir hatten nicht nur die Namen, sondern auch die Ziffern sehen können. Es lief mir eiskalt über den Rücken. Die Krönungsfeierlichkeiten begannen nun. Ein prunkvolles und eindrucksvolles Bild, wie die schimmernden Sphären in allen Farben in würdevoller Prozession um die drei Throne schwebten, auf denen noch immer Makkub, Pakkan und Zaccar saßen. Dahinter drehten sich purpurne und gelbe Kugeln in Kreisen, verflochten die Formen ineinander und bildeten geometrische Formen. Der Prinz wurde von seiner Eskorte hochgehoben. Über den Mattusapparat konnte ich seine Belustigung fühlen. Er sah nur den Spaß, nicht aber den Ernst der kommenden Verantwortung. Hartnell gähnte demonstrativ. »Wie lange dauert das Theater noch?« Ich hatte keine Ahnung. 97
»Wir werden zum Schiff zurückgehen, wenn es vorbei ist. Bubble sagte, daß es vermutlich zum Kampf kommen wird.« Hartnell riß die Augen auf. »Und unser Prinz? Wir können ihn Makkub nicht auf Gnade oder Ungnade ausliefern!« »Bubble versprach, sich um ihn zu kümmern. Ihr müßt zugeben, daß wir gegen eine gute halbe Million von Sphären wenig ausrichten können, selbst mit deinem Trick nicht.« Hartnell überlegte; man sah es förmlich. »Es wird ihm nicht passen, seinen Onkel Hartnell zu verlieren.« »Du kannst ihm ein belehrendes Kinderbuch oder einen jener Romane schicken, die du in deiner Freizeit immer liest«, schlug Tubby sarkastisch vor. Jemand mußte dem Prinzen gesagt haben, daß die Schau vorbei sei, denn er kam auf uns zugesegelt, umschwirrte seinen Onkel und blieb in der Nähe der bunten Sicherheitsschalter des Gürtels schweben. Ich blieb wachsam. Niemand außer mir hatte eine Ahnung, was in Makkub vorging. Die anderen Sphären konnten nur hören, was er sagte – als Radiosendung. Ich fühlte aber, was er dachte. Das war der Vorteil der Mattusanlage. Makkub verriet seine Absicht durch keinerlei sichtbare Warnung. Ich spürte die Welle plötzlicher Bosheit, die ihn durchlief. Erschrocken blickte ich zuerst auf die große rote Sphäre, die noch immer über dem absurden Thron schwebte – rot, bösartig und voller Drohung. Dann sah ich den roten Prinzen: klein, unschuldig. In diesem Moment wußte ich, daß Makkub beschloß, seinen Rivalen auszuschalten. Ein weiterer Mord! Was konnte Makkub geschehen? Cardoon brauchte einen Herrscher, und er war unabsetzbar, selbst wenn er mordete – solange es keinen Nachfolger gab. Der Gedanke war so schnell, 98
so einzigartig sicher, daß ich zum Gürtel griff, den Schalter des Schwerkraftgenerators auf Voll drehte, eine Warnung schrie und mich mit dem Mut eines Verzweifelten in die Schußlinie warf. Ich überlegte nicht, sondern handelte. Mein Sprung führte mich an Hartnell vorbei. Unterstützt vom Schwerkraftgenerator flog ich fast waagrecht durch die Luft, und im gleichen Augenblick stieß Makkub einen scharfen Speer, geformt aus einem Kraftfeld, aus. Wäre ich nicht gewesen, hätte der Strahl den Prinzen gegen Hartnell geschmettert. So verschluckte mein Schwerkraftabsorber das unsichtbare Feld, auch wenn noch genügend Energie blieb, um mich herumzureißen und zu Boden zu werfen. Ich fing meinen Sturz mit den Händen ab und rollte mich ab. Mitten im Flug sah ich Makkub und erkannte die Folgen der beiden Handlungen. Makkub befand sich in der Lage jenes Mannes, der eine klemmende Tür zu öffnen versuchte. Er hielt sein Gleichgewicht mit Hilfe eines Ankerfeldes, das gegen den steinernen Hallenboden griff. Mein Generator störte dieses Feld, und Makkub wurde, ehe er reagieren konnte, mit aller Wucht nach unten geworfen. Er spießte sich an einer Kante seines Thrones auf und – verschwand. Eisiges Schweigen senkte sich über sechshunderttausend Sphären. Es war keine Freudenkundgebung. Als ich mich erhob, drangen feindliche und erbitterte Gefühlswellen auf mich ein, und das Pfeifen aus dem Lautsprecher war so laut, daß ich glauben mußte, hier sei der kollektive Irrsinn ausgebrochen. Bubble, der Hartnells Trick kannte, begriff, was geschehen war. Die Mehrzahl der Sphären aber mußte denken, sie sei Zeuge eines wohlbedachten Mordes gewesen, eines Tyrannenmordes. Unser purpurner Freund drängte: 99
»Schnell! Ihr müßt hier fliehen, sonst erfüllt sich die Prophezeiung der Weisen so früh …" »Wir können den Prinzen nicht hierlassen«, sagte Hartnell. »Sie reißen ihn in Stücke!« Er schien nicht zu begreifen, daß sein Neffe auf alle Fälle Herrscher von Cardoon war, gleichgültig, was jetzt geschah. Wenn es uns gelang, am Leben zu bleiben, bis er die Verpflichtung seiner Stellung begriffen hatte, war alles in Ordnung. »Fanndar wird die Kämpfer anführen«, sagte unser Begleiter. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.« Wir rasten zum Ausgang, verfolgt von den Schreien der Versammelten. Ich sah, daß die Gruppe gelber Sphären, die dem Prinzen Einlaß verschafft hatte, uns jetzt eine schmale Gasse freihielt. Durch den Aufruhr tönte eine sehr schwache Stimme, als ich mich noch einmal umdrehte. Von vier Helfern wurde vorsichtig, aber mit endgültiger Bestimmtheit eine kleine rote Sphäre auf den Mittelthron zwischen Pakkan und Zaccar gehoben. »Ich möchte zu Onkel Hartnell gehen!« Er war Diktator, aber dieser Wunsch wurde nicht befolgt. »Renne, Hart«, sagte ich schweratmend, »dein Neffe macht seine Karriere ganz allein.« Und dann schien in der Halle die Hölle los zu sein. Wir rannten durch die schwarzen eiförmigen Tunnel um unser Leben. Wir liefen hinaus in den Felsenkessel, in dem wir das Bild von drei Gräbern gesehen hatten.
13. Unsere Flucht war ein einziger Alptraum. Ich weiß nicht, wie wir es schafften, ans Sonnenlicht zu kommen. Es war später Nachmittag des zweiten Tages auf Cardoon. Insgesamt vierzig Stunden waren wir in der Nähe der Sphären gewesen. In der 100
Brutstätte war außer einigen Neugeborenen niemand zu sehen. Alle Pfleger waren in der Halle versammelt, deren Ausgänge hinter uns blockiert wurden. »Achtet auf den Himmel! Vielleicht werden wir von Wächtern verfolgt.« Wir blickten immer wieder in den harten, strahlenden Himmel hinauf und versuchten, eine der Kugeln auszumachen. Nichts … »Wenn er uns außen um das Bergmassiv herumführt«, sagte Hartnell, während wir rannten, keuchten, kletterten und rutschten, »dann haben wir ein riesiges Stück Weg vor uns.« Das war nicht das Richtige, um uns anzufeuern, und wir duckten uns in eine Spalte, als Bubble dachte: »Hört! Sie kommen. Ich kann schon die Anordnungen hören.« Ein überhängender Felsen bot uns genügend Deckung, und wir ließen uns fallen. Es war eine riesige Erleichterung. Ich drehte den Schalter der Sauerstoffanlage weiter auf und atmete tief. Die Ruhe dauerte nur eine halbe Minute. »Sie suchen uns hier. Geht weiter hinein in die Klippen«, sagte Bubble fast flüsternd. Ich verlor meine Orientierung völlig. Als sich endlich das Ende der Spalten zeigte, zogen wir uns mühsam in die Höhe und spähten hinaus. Cardoons vertraute, weil überall gleich öde Landschaft breitete sich vor uns aus. Es waren keine Landmarken zu sehen, die wir erkannten. Dann tauchte plötzlich zwischen Felsen eine Phalanx von Sphären auf und strebte auf uns zu. »Das ist die Hauptmacht der Wächter!« flüsterte unser Begleiter. Ich hörte das zischende Geräusch, mit dem Hartnell die Luft einsog und anhielt. 101
»Das Bild aus der Maschine!« hauchte Tubby. Das war es. Genau, wie wir es gesehen hatten. Rauhes Land und verlassene Felsen, darüber der wilde Himmel mit einer Schar von Sphären. »Die Prophezeiungen der Weisen erfüllen sich, wie es immer war«, bemerkte Bubble düster. »Sie kommen nicht in unsere Richtung!« rief Hartnell und packte meinen Arm. »Was soll das?« »Vielleicht blinder Alarm«, sagte ich matt und nicht überzeugt. »Vielleicht war für die Kugeln ein Stück Glimmer oder ein Reflex das, was sie für einen unserer Helme hielten.« »Vielleicht … Du kannst recht haben, Paps«, sagte Hartnell. Er konzentrierte sich wieder auf ein Problem, das ihn beschäftigte. »Ich habe eine Idee!« Mich erfüllte augenblicklich tiefster Argwohn. »Du und deine schwindelerregenden Ideen«, sagte ich verbittert. »Mache keinen Unsinn.« Er grinste, und ich befürchtete das Schlimmste. »Bleib hier bei Tubby und Bubble. Ich bin gleich wieder hier.« »Keine Tricks, Hart!« warnte ich. »Tricks? Ich?« fragte er gedehnt und verschwand blitzschnell und geduckt zwischen den Felsnadeln. Tubby fragte bestürzt: »Was hat er vor?« »Du kennst ihn, Tubby. Ich habe keine Ahnung.« Die Wächter waren wieder verschwunden. Nichts bewegte sich vor dem Hintergrund der Felsen. Es wurde immer heißer draußen, und plötzlich, mitten in unsere Unruhe hinein, sagte Bubble: »Die Wächter kommen zurück!« »Licht der Sonnen!« murmelte Tubby ängstlich, »wo bleibt Hart, dieser Witzbold?« Wir konnten nichts anderes tun, als versteckt zu bleiben, bis 102
sie davongeschwirrt waren. Sie bewegten sich schnell, aber es dauerte einige Zeit, bis ich es riskierte, den Kopf auszustrecken. Was ich sah, schien meinen Herzschlag anhalten zu wollen: Als ich hinausblickte, sah ich ein Geschwader von Kugeln – genau wie im Bild der phantastischen Maschine – die, wie Hartnell sich auszudrücken pflegte, vom »Feindflug« zurückkehrten. Sie flogen unbeirrbar über die Ebene und verschwanden so plötzlich, wie sie aufgetaucht waren. Ich blickte mich nach allen Seiten um. »Bleib in Deckung. Wo ist Hartnell – was hat der Narr vor?« In wenigen Minuten kamen die Beobachter zurück und stießen zu der unsichtbaren Streitmacht, flogen zu einem Ziel jenseits der Felsen. »Haben sie aufgegeben?« Und dann tauchte Hartnell wieder zwischen den Felsen auf. Er machte sich nicht einmal die Mühe, ganz zu uns herzukommen, sondern er winkte uns zu sich heran. Tubby und ich sahen uns fragend an. »Meinst du …" »Wie könnte er?« »Kommt her, ihr drei Scherzbolde!« rief Hartnell laut. »Gehen wir zum Schiff, solange sie noch unterwegs sind. Ich mache mir die Mühe, den ganzen Weg durch die Felsen zurückzulegen, um nicht das Funkgerät benützen zu müssen, und ihr redet wild durcheinander wie die Arcturusaffen.« Seine Augen funkelten. »Los, zum Schiff!« sagte er. Bubble folgte uns bis an den Rand der Ebene. Der Eingang zu diesem Talkessel lag drei Meilen von uns entfernt; ein dunkler Spalt in einer Klippenwand. Aber die Lichtpünktchen fehlten jetzt. »Ich werde euch verlassen«, sagte unser purpurner Freund. »Es gibt für mich noch viel zu tun. Ihr habt uns zwar nicht hel103
fen können, wie ich hoffte, aber ihr brachtet viel Gutes. Auf Cardoon wird eine neue Ära herrschen, und die Tausende, die vor Makkubs dunklem Ehrgeiz gerettet wurden, werden mithelfen, eine neue, stabile Existenz aufzubauen. Nur die Weisen wissen die Zukunft mit Bestimmtheit, aber wir werden sie niemals wieder befragen. Wir bleiben in Unwissenheit und werden warten, bis unser Volk wieder gewachsen ist.« »Und unser Prinz?« fragte Hartnell argwöhnisch, »wird Fanndar gut auf ihn achtgeben? Ich habe kein Vertrauen zu Pakkan und Zaccar.« »Der große Herrscher Cardoons ist in Sicherheit«, sagte Bubble würdevoll. »Nicht einmal die engsten Vertrauten des ehemaligen Herrschers werden ihn stören können, denn auch sie wissen, daß eine rote Sphäre herrschen muß. Es gibt keine andere – ihr Zorn richtet sich gegen euch, weil ihr beschuldigt werdet, Makkub getötet zu haben.« Ich wußte, daß er uns nahelegte, in einem geradezu olympischen Spurt den Ort des Schreckens zu verlassen. »Und jetzt, Freunde, geht eurer Wege. Bewegt euch im Schatten der Felsen, damit euch die Wächter nicht sehen. Zwischen hier und eurem unbegreiflichen Fahrzeug, dazwischen also, wird sich die Weissagung erfüllen. Wir werden uns niemals wiedersehen.« Feierlich schwebte er von einem zum anderen und senkte sich jedesmal etwas. Dann schwebte er sehr schnell hinweg und schrumpfte in der Ferne zu einem kleinen Lichtpünktchen zusammen. Schweigend trotteten wir am Rand der Ebene entlang und sahen immer wieder hinauf zum Himmel. Saß uns der Tod im Nacken? »Diese Ungewißheit macht mich halb wahnsinnig«, sagte Tubby. »Was wird jetzt passieren?« 104
»Nichts. Denkt an die Kontrolloffiziere. Sie werden uns, da wir einen Rekord an Fußmärschen zurückgelegt haben, alles verzeihen.« »Das werden sie können, nachdem sie unsere Raumanzüge mit uns vergraben haben«, sagte Tubby. Unter solchen und noch mehr erheiternden Dialogen näherten wir uns dem Schiff. Auf den letzten hundert Metern, nachdem wir zweimal das Pfeifen gehört und uns versteckt hatten, mußten wir Hartnell stützen; er war dem physischen Zusammenbruch nahe. »Dein Generator funktioniert nicht, sagst du?« fragte ich leise. »Das muß passiert sein, als du die Kraftfelder gesprengt hast.« Er schüttelte matt den Kopf. »Nein, Paps. Ich habe ihn auseinandergenommen.« Wir blieben stehen und ließen unseren Freund fast fallen. »Was hast du?« »Ihn zerlegt«, sagte er. Was war vorgefallen, als wir zwischen den Felsen gewartet hatten? Hartnell grinste nur und sagte, er würde uns alles erzählen, wenn wir einmal im Schiff waren. Dann hatten wir den letzten Gipfel erreicht und blickten hinunter auf das Beiboot. Noch siebzig Meter Abstieg, dann war es geschafft.
14. Der Kreis hatte sich geschlossen – unsere Reise durch die Unterwelt Cardoons war beendet. Wir kletterten ins Schiff, rissen die Helme herunter, legten Hebel um und verschlossen die Luken. Auf den Testbildschirmen waren auf der Ebene und darüber keinerlei Bewegungen zu sehen. 105
Hartnell zündete sich eine Zigarette an, rauchte sie schweigend zu Ende und begann dann, die Hebel seines Pultes zu bewegen. Zahlreiche Kontrollämpchen beleuchteten sein Gesicht. Nachdenklich sagte ich: »Wir sollten uns endlich melden.« Die anderen sahen mich erwartungsvoll an. Ich schälte mich mit schmerzenden Gliedern aus dem Raumanzug und beförderte das Modell mit Tritten in den Hintergrund der Kabine. »Es ist wegen dieser verdammten Weissagung«, meinte ich. Sie sahen zu, als ich das Rufzeichen ausstrahlte. Eineinhalb Minuten vergingen bis zur Erwiderung. »Kontrolloffizier«, sagte eine blecherne Stimme. »Vorläufiger Bericht vor der offiziellen Bandaufnahme«, sagte ich und schilderte innerhalb zehn Minuten, was wir erlebt hatten. Nur zwei Punkte erweckten das Interesse des anonymen Offiziers: die delikate innenpolitische Situation, in die wir verwickelt worden waren, und die Maschine der Enthüllung. Als ich unsere Beteiligung an dem Wechsel der Thronfolge zugestand, gaben mir Tubby und Hartnell Zeichen, mich nicht zu ärgern. Das war nicht überflüssig, denn der Offizier sprach mit großer Mißbilligung zu mir. »Sie meinen, daß der augenblickliche Herrscher Cardoons uns freundlich gesinnt ist?« fragte die Stimme aus dem All. Ich dachte an den Prinzen, der jetzt auf seinem Thron saß und zwischen seinen Beratern hockte. »Ja, eindeutig freundlich. Sie müssen wissen, Sir, er ist Hartnells Neffe.« Er verstand nicht, was ich meinte und wandte sein Interesse der Maschine zu. »Alle Prophezeiungen haben sich erfüllt, sagen Sie. Mit Ausnahme des Bildes mit den drei Gräbern?« Es freute mich unsagbar, feststellen zu müssen, daß auch Kontrolloffiziere mehr als naiv sein können. Vermutlich wür106
den wir aus dem Grab kaum Kontakt mit unserem Schiff aufgenommen haben können. »Das stimmt«, antwortete ich, »aus diesem Grund berichte ich jetzt. Sollte beim Startmanöver ein Unglück geschehen, dürfte dies zu einem Begräbnis unserer Gruppe führen.« Einen Moment lang klang die Stimme fast menschlich. »Sagen Sie damit, daß Sie an diese Maschinenbilder glauben?« »Wir sind nicht gerade begeistert, aber es bleibt uns nach Maßgabe der Dinge nichts anderes übrig.« »Abwarten, Männer!« In der Old Growler herrschte jetzt helle Aufregung. Ich fragte mich, welche Erklärung für die Maschine der Enthüllungen unsere klugen Köpfe wohl finden würden. Dann aber kam die Stimme wieder, gefühllos, und ich wußte, daß jetzt jedes Wort für unser ausgedehntes Archiv aufgenommen wurde. »Erstatten Sie sofort und mit genauen Einzelheiten Bericht!« Als ich ausgeredet hatte, sagte der Kontrolloffizier kurz: »Beim Start sind alle Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Stellen Sie genaue Untersuchungen über die einwandfreie Funktion sämtlicher Schaltkreise, Maschinenblöcke und Anlagen an. Sobald Sie Cardoons Schwerefeld verlassen haben, melden Sie sich sofort wieder.« Hartnell grinste. Ich hörte das scharfe Klicken der abgeschalteten Bandaufnahme. Er fügte hinzu: »Viel Glück!« Wir hatten es, fürchtete ich, sehr nötig. * Hartnell schaltete die Funkanlage ein, und wir legten die Gurte an. Ich begann wieder zu schwitzen. Bunte Lichter blinkten lustig am Schaltbrett, und die Sekunden vergingen. Dann blinkte 107
die große Warnlampe, der Zündanzeiger sprang auf Rotwert. Hartnell legte den Startschalter um und lehnte sich zurück. »Ich habe getan, was ich konnte. Ab jetzt liegt es am Schiff. Paßt gut auf!« Das Donnern der Düsen war in unseren Ohren. Das Beiboot begann zu zittern, und ich versuchte, jede einzelne Kontrollanzeige mitzulesen. Ich sah hinter allem ein Bild, dessen wesentliche Bestandteile drei Gräber waren. Im nächsten Augenblick bewies ein Ruck, daß wir den Boden verließen. Wir brachten es fertig, die nächsten Minuten zu überleben. Jeden Moment wartete ich darauf, daß der Druck abfiel, eine Düse zu spucken begann, ein Meteor das Dach durchschlagen würde … Nichts geschah. Das Schiff jagte röhrend durch Cardoons Ammoniakatmosphäre, und Hartnell ließ die Beschleunigung auf Höchstwert. Wir empfanden ein unbeschreibliches Gefühl der Erleichterung. Jetzt konnten wir nicht mehr auf Cardoon zurückfallen. Ich löste meine Gurte, atmete tief und sagte: »So! Dann ist es also nicht passiert.« Hartnell lachte verwegen. »Tut es dir leid, daß die Weisen recht und unrecht hatten?« »Jetzt wirkt alles lächerlich. Vor Minuten war es alles andere als das.« Hartnell wirkte ernst, als ich fragte: »Du glaubst nicht an die Wahrheit der Maschine?« »Doch. Ich glaube, daß sie die Zukunft zeigt. Etwas unwirklich und verschwommen, aber sie funktioniert, diese Maschine der Weisen.« Ich breitete hilflos die Arme aus. »Also …?« Ich sah das Glitzern in seinen Augen. »Du hast einen deiner Tricks angewendet«, sagte ich. »Aber welchen?« Er gab die Verstellung auf. 108
»Der Schwerkraftgenerator! Du hast ihn zerlegt! Warum?« Er grinste, und ich hätte ihm die Zähne einschlagen können. »Das solltet ihr wissen. Ihr habt ihn beide gesehen, Freunde.« »Wann?« fragte Tubby und kaute auf seinem Rationswürfel herum. »Wie können wir im Schiff und gleichzeitig in den Gräbern sein?« fragte Hartnell im Ton eines Pädagogen. »Wir …" Ich gab es auf. »Wer hat gesagt, daß wir in den Gräbern liegen sollen? Wir müssen einfach daran glauben, daß niemand seiner eigenen Zukunft entkommen kann. Unter dieser Voraussetzung sind alle Ereignisse vorausbestimmt, wenn sie auch nicht immer so ablaufen, wie sie von außen aussehen.« Ich zuckte resignierend die Achseln. »Der Apparat der Weisen zeigte, was er sah. Diese Gräber sah er. Ich kam darauf, als wir hierher flohen. Die Wächter, wußte ich, hatten eine genaue Vorstellung, wie unsere Gräber aussehen mußten – sie kannten die Bilder der Maschine. Ich holte also eine Menge von Steinen, schichtete sie entsprechend auf und zerlegte, um es realistischer zu gestalten, den Schwerkraftgenerator. Ich machte mit Hilfe der Waffe drei Grabsteine. Was nachher passierte, habt ihr miterlebt. Als die Wächter diese drei Gräber sahen, glaubten sie, daß wir tot wären und daß sich die Weissagung erfüllt habe und flogen wieder zurück in die Halle der Versammlung.« Ich schüttelte nichtbegreifend den Kopf. »Woher aber wußte die Maschine, daß du dies tun wolltest?« Er lachte wieder. Langsam ging mir dieses Gelächter auf die Nerven. »Sie wußte es nicht. Sie gab nur eine Szene wieder; an einem bestimmten Punkt, zu einer bestimmten Zeit.« Er grinste und schaltete den Antrieb aus. »Die Maschine hat sich also nicht geirrt.« 109
Ich schüttelte mich. »Alles, was wir gesehen haben, wurde post festum zur Wahrheit.« Tubby ballte drohend die Fäuste. »Hätte ich doch erkannt, daß die Grabplatten nichts anderes als die Teile eines Schwerkraftgenerator-Gehäuses sind!« Ich wußte es … Das war diese winzige Einzelheit gewesen, die mich gestört hatte. Jetzt kam die Überlegung. »Das Humorvolle daran ist, daß ich es erkannt hatte«, sagte Hartnell. Man sollte ihn zum Präsidenten von INTER-X machen. * Wir gaben einen offiziellen Bericht ab und erhielten Kursanweisungen. Jetzt lagen nur einige Tage langweiliger Fahrt vor uns, in der wir uns sattessen und ausschlafen konnten. »Ich bin gespannt, was die Kontrolloffiziere mit uns machen. Ob wir vor ein Gericht kommen? Schließlich haben wir intelligente Lebewesen getötet. So werden sie es bezeichnen.« Hartnell sagte: »Wir wollten sie nicht töten. Außerdem war der unbedeutende Zwischenfall mit Makkub reiner Zufall.« Ich zündete mir ebenfalls eine Zigarette an, um meine Nerven zu beruhigen. »Und er hat seinen Tod mehr als nur verdient, dieser Schuft!« Hartnell seufzte tief. »Unser armer kleiner Prinz. Er wird seinen Onkel mindestens für verschollen, wenn nicht für tot halten.« »Sicher«, sagte ich grimmig. »Wer vermißt dich nicht?« »Ich!« erwiderte Hartnell mit Nachdruck. Ich dachte noch immer an das Verhör, das uns bevorstand. »Sie sind sehr kleinlich, die Kontrolloffiziere, wenn es um 110
den Tod von intelligenten Wesen geht. Selbst wenn es nur diese vielfarbig schimmernden Luftballons waren.« Hartnell, unser Freund, Pilot und unsere Nervensäge vom Dienst, lachte schallend auf. »Intelligent? Diese größenwahnsinnigen Murmeln?« »Sie sind doch intelligent, oder nicht?« erkundigte ich mich überrascht. »Wenn sie wirklich intelligent wären, dann hätten sie sich mindestens eine Frage stellen müssen, als sie diese drei Gräber sahen.« »Welche Frage?« fragte Tubby Goss irritiert. Hartnell kicherte dämonisch. »Die Frage, wie wir drei, wenn wir tot waren, uns selbst begraben konnten.« Jetzt lachte ich laut. »Zumindest das ist problematisch.« Wir blickten uns an und begannen zusammen zu lachen. »Alles, was wir erleben, Freunde, ist problematisch. Aber es ist immer verteufelt spannend.« Ich blickte auf den Schirm, der den Kosmos vor uns zeigte. Weit vor uns, nur durch die Vergrößerung zu erkennen, tauchte die Old Growler auf. Wir waren gerettet. ENDE
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