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»Diese frühen Science Fiction-Erzählungen erforschten das Universum und revolutionierten die Technik; sie waren Sondierungen, Spekulationen darüber, wohin wir steuern und welche Möglichkeiten sich uns auftun könnten. Sie hatten einen Elan und eine Reichweite, eine Unbekümmertheit und einen Überschwang, der einmalig gewesen ist. Und sie machten Spaß...« John W. Campbell jr. »Ich habe diese Erzählungen in meiner Jugend innig geliebt – und ich liebe sie jedesmal von neuem, wenn ich sie lese. Und in den vierzig Jahren, die ich sie kenne, wäre ich ohne sie ein ärmerer Mensch gewesen. Es gibt nur sehr wenige Stücke Literatur, von denen ich das sagen kann.« Lester del Rey »Campbells ›Arcot, Wade und Morey‹-Stories sind Beispiel für die alten ›Super Science‹-Garne mit all den typischen Schwächen trivialen Erzählens – und doch sind und bleiben sie die besten ihrer Art, und sie zu lesen ist ein Erlebnis, das ungemein bereichert.« Isaac Asimov
JOHN W. CAMPBELL jr.
DIE TOTE SONNE Ein klassischer Science Fiction-Roman
Deutsche Erstveröffentlichung
eBook by »Menolly«
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN ISBN 3-453-30334-2
INHALT Einleitung ................................................
Seite 5
1. Buch Der Pirat (PIRACY PREFERRED) ..........................
Seite 9
2. Buch Solarius (SOLARITE) ............................................ Seite 92
3. Buch Die tote Sonne (THE BLACK STAR PASSES) ............... Seite 192
Einleitung Die drei Novellen, die in diesem Buch zu einem Roman vereint sind, wurden vor nahezu einem halben Jahrhundert für das alte Science-fiction-Magazin Amazing Stories geschrieben. Das Wesen eines Magazins ist nicht sein Name, sondern seine Philosophie, sein Zweck. Amazing Stories existiert schon lange nicht mehr in der alten Form; das heute erscheinende gleichnamige Magazin unterscheidet sich von ihm genauso, wie die heutige Zeit sich von der Welt um 1930 unterscheidet. 1930 war Science-fiction neu; die Atomenergie war ein Traum, an den wir glaubten, und Raumfahrt war etwas, das wir zu verstehen suchten und das unsere Fantasie beschäftigte. Heute ist Science-fiction zu einem weiten Feld geworden. Die Atomenergie ist – was viele der heutigen Erwachsenen bedauern! – kein Traum mehr. (Sie ist auch kein Alptraum; sie ist einfach eine Tatsache, und sie einen Alptraum zu nennen, ist auch nur ein Versuch, sie aus der Wirklichkeit zu verdrängen.) Um 1930 bestand die Science-fiction-Leserschaft nur aus jenen, die im Geist noch jung genug waren, eine neue und größere Zukunft zum Gegenstand ihrer Hoffnungen und Spekulationen zu machen – und um 1930 waren das fast nur Teenager. Genauer gesagt, es waren die wachesten und intelligentesten Teenager, junge Leute, die bereit waren, mit Ideen und Erkenntnissen der Physik, Chemie und Astronomie zu spielen, was die meisten ihrer Altersgenossen als zu mühsam und schwierig betrachteten. Ich wuchs mit diesen jungen Leuten auf; die
Erzählungen, die ich selbst schrieb, und die Erzählungen, die ich für Astounding Science Fiction kaufte, veränderten sich mit den Jahren, wurden sozusagen mit uns reifer. Astounding Science Fiction zählt noch immer viele zu seinen Lesern, die schon jene frühen Stories lasen; sie sind keine Studenten mehr, sondern stehen seit vielen Jahren als Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker im Berufsleben. Ihnen müssen wir selbstverständlich heute eine völlig andere Art von Erzählungen bieten. Indem ich mit ihnen wuchs, mußten ich und meine Arbeit viel von der enthusiastischen Weltsicht verlieren, die für die frühe Science-fiction-Literatur charakteristisch war. Die drei Erzählungen dieses Bandes stammen aus den frühesten Tagen der Science-fiction, und wenn ihnen die Finesse und die literarische Gewandtheit späterer Arbeiten auch fehlen mögen – sie haben den unbändigen Enthusiasmus, der zu einem neuen Gebiet gehört, entwickelt von jungen Menschen für junge Menschen. Die meisten Verfasser jener frühen Erzählungen waren, wie ich selbst, Collegestudenten. (Der Pirat wurde geschrieben, als ich im zweiten Jahr am M.I.T. studierte.) Für die alten Hasen der Science-fiction: Diese Erzählungen sind typisch für die Anfangsjahre des Genres; in ihnen spiegelt sich unsere jugendliche Begeisterungsfähigkeit. Für neue Science-fiction-Leser: Diese Erzählungen sind der Stoff, aus dem die Fundamente einer neuen Literaturgattung gemacht sind, sie waren für fantasievolle junge Leute bestimmt, die gern über eine Welt spekulierten, die sie in den kommenden Jahren erbauen mußten.
Zwischen sechzehn und neunzehn muß ein junger Mann sich für einen Beruf entscheiden. Wenn er mit Verständnis und Voraussicht wählt, wird er einen finden, der ihn nicht nur mit Geld, sondern auch mit Zufriedenheit belohnen wird. Kein anderer kann die Wahl für ihn treffen; er muß die Arbeit tun, die er für angemessen hält. Kristallkugeln kann man kaufen, aber sie funktionieren nicht zufriedenstellend. Geschichtsbücher kann man sogar preisgünstig kaufen, und sie sind einigermaßen verläßlich. (Wenn auch notwendigerweise vom Standort des Mannes geprägt, der sie schrieb.) Aber zur Voraussage künftiger Entwicklungen sind sie nicht besonders geeignet, weil die heutige Welt sich zu rasch verändert. Vor fünfzig Jahren war der Student der Ingenieurwissenschaften eine Art Mensch zweiter Klasse auf dem Campus eines College. Heute kämpfen die Geisteswissenschaften um die Rückgewinnung verlorener Positionen, nachdem das Pendel erheblich zu weit in die andere Richtung ausgeschlagen hatte. Science-fiction hat also eine sehr reale Funktion für die Angehörigen der nachwachsenden Generation; sie bietet ihnen eine Palette von Ideen und Projektionen zu Themenkreisen, die die Welt, in der sie ihr Leben als Erwachsene zubringen werden, interessieren wird. Die Generation unserer Kinder wird die Welt der Jahrtausendwende bestimmen. Würde jemand eine Wette eingehen, daß die Menschen zu dem Zeitpunkt in den gleichen allgemeinen Umständen leben werden? Daß die gleichen allgemeinen sozialen, materiellen und kulturellen Maßstäbe anwendbar sein werden? Ich habe das Gefühl, daß Geschichtsbücher heutzutage
ein ungeeignetes Mittel sind, Zukunftsprognosen zu stellen – und daß seriöse Science-fiction diesem Anspruch eher gerecht wird. Es gibt noch etwas Auffallendes an guten Sciencefiction-Geschichten; es ist so schwierig, die Bösewichter herauszufinden. Der geschichtliche Ablauf hätte vielleicht manch andere Wendung genommen, wenn die Balladen und Erzählungen der alten Zeiten nicht ganz so sicher gewesen wären, wer die Bösewichter waren. Viele abendländische Generationen lasen Ritterromane von Kreuzfahrern, die immer gut waren und recht hatten, und Sarazenen, die immer schlecht waren und unrecht hatten. (Dieselben Sarazenen, die die Christen die Philosophie der Griechen lehrten und sie mit den Grundvorstellungen des logischen Denkens bekannt machten!) Das Leben ist viel leichter zu durchschauen, wenn die einen allesamt edle Helden sind. Alles scheint auf einmal ganz einfach – aber ist es auch wahr? Diese frühen Science-fiction-Erzählungen erforschten das Universum und revolutionierten die Technik; sie waren Sondierungen, Spekulationen darüber, wohin wir steuern und welche Möglichkeiten sich uns auftun könnten. Sie hatten einen Elan und eine Reichweite, eine Unbekümmertheit und einen Überschwang, der einmalig gewesen ist. Und sie machten Spaß... John W. Campbell jr. Mountainside, N.J. April 1953
1. Buch Der Pirat Prolog Hoch im tiefen Blau des Nachmittagshimmels schwebte ein winziger Punkt gleißenden Metalls, kaum sichtbar im Glanz der Sonne. Der eine oder der andere von den Landarbeitern blickte kurz hinauf, dann kehrte seine kaum unterbrochene Aufmerksamkeit zur Arbeit zurück. Die leistungsfähigen automatischen Maschinen verlangten ständige Wachsamkeit und Konzentration von denen, die sie bedienten, und was war schon ein Flugzeug? Tagtäglich sah man die Kondensstreifen zu Dutzenden über den Himmel ziehen und sich allmählich auflösen, aber das waren Phänomene einer fremden Welt, mit der die Landarbeiter nichts zu tun und zu der sie keinen Zugang hatten. Diese endlosen Felder mit Sojabohnen mußten bestellt und geerntet werden, und auf jede Arbeitskraft entfielen mehr als achtzig Hektar Land. Die Passagiere der riesigen Maschine hoch über ihnen kümmerten sich ihrerseits wenig um das, was dort unten geschah, waren sie doch mit ihren Zeitungen oder Büchern beschäftigt, wenn sie nicht schliefen oder eine mehr oder weniger gelangweilte Konversation pflegten. Die meisten von ihnen waren Geschäftsleute, und für sie war diese monotone Flugreise wie eine lästige Plage, die man irgendwie hinter sich bringen mußte. Es schien eine
Vergeudung wertvoller Zeit, sieben gute Stunden für eine Strecke von fünftausend Kilometern aufzuwenden. Es gab nichts zu tun und außer langweiligen Filmen nichts zu sehen. Wer in der Nähe der Fenster saß, hatte es nicht viel besser, denn außer einer langsam vorbeiziehenden Landschaft zehn Kilometer unter ihnen und gelegentlichen Wolkenformationen gab es nichts. Keine Details waren auszumachen, und das gleichmäßige Vibrieren, Summen und Zischen von Triebwerken, Klimaanlage und vorbeischießender Luft verschmolz zu einem einschläfernden Singsang von Energie. Vergnügungsreisende und Urlauber mochten ihren Spaß daran haben, aber Geschäftsleute hatten es eilig. Der Pilot der Maschine überblickte die Instrumente, dann nickte er seinem Copiloten zu, stand auf und ging zum Chefingenieur im rückwärtigen Teil der Pilotenkabine. Sein Urlaub begann am ersten Juli, und weil dies der letzte Tag im Juni war, fragte er sich, was geschehen wäre, wenn er seiner Neigung nachgegeben hätte und an der Ostküste, wo er zu Hause war, geblieben wäre. Wahrscheinlich hätte es dem Copiloten keine Mühe gemacht, die Maschine allein zum Zielort zu bringen. Im wesentlichen kam es nur darauf an, die Bordsysteme zu überwachen; alles übrige lief mehr oder weniger mechanisch oder ferngesteuert. Der Autopilot hätte die Maschine auch ohne menschliche Hilfe auf dem Kurs gehalten; der von den Funkfeuern bestimmt wurde. Nur beim Start und bei der Landung hätte es zu Schwierigkeiten kommen können, obgleich die Automatik auch hier den größten Teil der Arbeit getan hätte. Immerhin, der Copilot hatte noch nie eine selbständige Landung gemacht, und
wenn die Automatik auch das meiste erledigte, ein unkalkulierbarer Rest wäre geblieben. Maschinen wie diese waren wiederholt automatisch gelandet, doch gab es wetterbedingte Unsicherheitsfaktoren, die weder vorausberechnet noch präzise genug von Instrumenten erfaßt und in Steuerimpulse umgewandelt werden konnten. Er gähnte und schlenderte zum Navigationsoffizier, um einen Blick auf seine Instrumente zu werfen. Als er sich zum Chefingenieur umwandte, gähnte er wieder und fragte sich, was ihn auf einmal so schläfrig machte. Einen Augenblick später fiel er schlaff wie ein Sack auf den Boden der Kabine und blieb liegen. Sein Atem verlangsamte sich zusehends. Die verantwortlichen Männer des Flughafens von San Francisco waren besorgt. Die Linienmaschine der Transcontinental Airways war fahrplanmäßig eingetroffen und kreiste tausend Meter über dem Flugplatz, während das automatische Notsignal einen Ersatzpiloten verlangte. Sie waren besorgt, und sie hatten gute Gründe dafür, denn dieser Flug beförderte nicht nur annähernd dreitausend Passagiere, sondern darüber hinaus Wertpapiere und Bargeld für mehr als eine Million Dollar. Aber wer oder was konnte eine von diesen riesigen Maschinen angreifen? Selbst eine größere Gangsterbande würde es kaum fertigbringen, die dreitausend Passagiere und siebzig Besatzungsmitglieder in mehreren Decks gleichzeitig in Schach zu halten. Der von einem Hubschrauber an Bord gebrachte Ersatzpilot brachte die Maschine jetzt vorsichtig herunter, setzte zur Landung an und ließ sie ausrollen. Polizeiwagen
rasten über die Betonfläche auf die schwerfällig von der Landebahn rollende Maschine zu. Die Gangway wurde heruntergelassen, und als die Wagen unter der ungeheuren Tragfläche anhielten, konnten ihre Insassen am oberen Ende der Gangway die winzige Gestalt des Ersatzpiloten stehen sehen, die ihnen zuwinkte. Sie liefen die Stufen hinauf und betraten das Flugzeug durch den Eingang der Pilotenkabine. Als sie in den Passagierraum des auf gleicher Höhe liegenden Decks kamen, bot sich ihnen ein seltsamer Anblick. Auf den ersten Blick schien es, als schliefen die Reisenden in ihren Sitzen. Bei näherer Untersuchung erwies sich dann, daß sie nicht atmeten! Das Ohr konnte keinen Herzschlag ausmachen. Die Besatzungsmitglieder waren auf ihren Posten, aber ebenso leblos wie die Passagiere. Der Chefpilot lag im rückwärtigen Teil der Kabine ausgestreckt am Boden, und es hatte den Anschein, als ob er zum Zeitpunkt des unheimlichen Ereignisses mit dem Chefingenieur konferiert hätte. Die Beamten durchsuchten das Riesenflugzeug von vom bis hinten und von oben bis unten, doch sie fanden nicht eine Person, die bei Bewußtsein – oder am Leben – war! »Tot! Mehr als dreitausend Menschen!« sagte der Flughafendirektor ungläubig und mit heiserer Stimme. »Es ist unmöglich – wie konnte es geschehen? Nirgendwo auch nur die Spur eines Kampfes. Vielleicht Gas, angesaugt durch die Ventilationspumpen und durch die Klimaanlage in alle Räume verteilt. Aber ich kann mir keinen Menschen vorstellen, der bereit wäre, selbst für eine Million Dollar dreitausend Menschen umzubringen! Haben Sie über Radio einen Arzt angefordert?«
»Ja, Sir«, sagte der Ersatzpilot. »Er ist unterwegs. Dort der Wagen – das muß er sein.« »Natürlich werden sie den Safe geknackt haben – aber sehen wir trotzdem nach. Ich kann mir nur denken, daß irgendein Verrückter dies getan hat; kein vernünftiger Mensch würde bereit sein, für was auch immer so viele Menschenleben zu opfern.« Der Direktor und sein Gefolge durchwanderten die Länge des Passagierraums und nahmen den Heckaufgang, der sie ein Deck tiefer an die Tür des Frachtraums brachte, wo der Safe stand. Die Tür war verschlossen, aber das Schloß fehlte. Ruß und Schmelzspuren verrieten, daß die Eindringlinge das Schloß mit einem Schweißbrenner herausgeschnitten hatten. Die Männer öffneten die Tür und betraten den Frachtraum. Alles schien in Ordnung. Das Gepäck der Passagiere stand unberührt in den gesicherten Leichtmetallgestellen. Die vier Gepäckmänner, die gleichzeitig den Safe zu bewachen hatten, lagen reglos wie alle anderen am Boden, zwischen sich einen kleinen Tisch mit einem unterbrochenen Kartenspiel darauf. Der Safe selbst war, wie sie bereits erwartet hatten, geöffnet worden. Die Luftpiraten hatten die sechszöllige Seitenwand aus gehärtetem Spezialstahl mit einem Schweißbrenner aufgeschnitten. Selbst diese unglaubliche Tatsache überraschte die Ermittler nicht länger. Nur flüchtig betrachteten sie das immer noch heiße Metall, dann leuchtete einer mit einer Taschenlampe ins Innere des Safes. Die Fächer waren ausgeräumt, Wertpapiere und Bargeld waren verschwunden. Aber dann bemerkten die Männer, daß auf dem Sortiertisch für die Post ein kleines Paket und ein Umschlag lagen, beide mit Klebstreifen an
der Tischplatte befestigt. Auf dem Briefumschlag stand in Druckbuchstaben: An die Direktion des Flughafens San Francisco Darin steckte ein gefaltetes Blatt mit einer kurzen Botschaft in den gleichen schwarzen Druckbuchstaben: Sehr geehrte Herren: Diese Maschine sollte sicher landen. Tut sie es nicht, so ist es Ihre Schuld und nicht die meine, denn die Instrumente wie auch die Wetterbedingungen erlauben eine Blindlandung. Die Passagiere sind NICHT tot! Sie wurden vorübergehend in einen scheintoten Zustand versetzt. Jeder Arzt kann sie mit einer Injektion von sieben Kubikzentimetern Kaliumjodidlösung auf je fünfzig Kilogramm Körpergewicht rasch wieder zum Leben erwecken. Verwenden Sie keine höheren Konzentrationen! Geringere Konzentrationen werden entsprechend langsamer wirken. Sie werden feststellen, daß alle etwaigen Tendenzen zu Lepra oder Krebs vernichtet sein werden. Vorhandene Krebserkrankungen werden zurückgehen und in etwa ein bis zwei Wochen ausheilen. Gleiches gilt für Lepra. Dieser Überfall kommt von außen. Belästigen Sie die Passagiere nicht mit Fragen und Verhören. Das verwendete Gas durchdringt jedes mir bekannte Material. Sie können es mit jeder Gasmaske ausprobieren, aber verwenden Sie nicht die C-32 L. Die Chemikalien ihres Filters reagieren mit dem Gas und bilden eine tödliche Verbindung. Ich würde Ihnen raten, es an einem Tier auszuprobieren, wenn Sie sich
überzeugen wollen. Als Ersatz für die Wertpapiere, die ich an mich genommen habe, hinterlasse ich Ihnen Aktien meiner neuen Gesellschaft. Die Piracy Inc. arbeitet nach meinen eigenen Gesetzen. DER PIRAT Das Päckchen auf dem Tisch enthielt einen Stoß Aktien im Nominalwert von $ 900000. Nach dem Aufdruck handelte es sich um ›Vorzugsaktien‹ einer Gesellschaft mit Namen ›Piracy Inc.‹. Der Flughafendirektor stieß ein gezwungenes, unnatürliches Lachen aus. »Nun, Luftpiraterie ist nicht neu, aber ein solches Maß an Frechheit hat es noch nicht gegeben! Gott sei Dank, daß er all diese Menschen nicht getötet hat. Doktor, Sie sehen bekümmert aus! Ermuntern Sie sich. Wenn wahr ist, was dieser Pirat schreibt, können wir die Passagiere wiederbeleben, und sie werden keine Nachteile von dem Erlebnis haben.« Der Arzt schüttelte bekümmert den Kopf. »Ich habe mehrere Passagiere untersucht. Ich fürchte, es wird nicht möglich sein, einen von ihnen wieder zum Leben zu erwecken, Sir. Selbst mit dem Verstärker kann ich keine Herztätigkeit feststellen. Normale Herztätigkeit klingt in diesem Instrument wie das Donnern eines Katarakts. Das Blut scheint dagegen in Ordnung zu sein, soweit ich das bisher feststellen konnte; es ist nicht geronnen, noch läßt sich bisher eine nennenswerte Hydrolyse konstatieren. Aber ich fürchte nichtsdestoweniger, daß ich für alle diese Leute Totenscheine werde ausstellen müssen.« »Ich hoffe und glaube, daß Sie sich irren, Doktor. Lesen
Sie diese Notiz!« Zwei Stunden vergingen, bevor man mit den Wiederbelebungsversuchen beginnen konnte. Entgegen allen Naturgesetzen war ihre Körpertemperatur konstant geblieben, nachdem sie auf 22° abgesunken war. Dies ließ darauf schließen, daß die Stoffwechselvorgänge in einer sehr verlangsamten Form weiterliefen. Die Patienten wurden mit Heizdecken zugedeckt, und jeder erhielt die angegebene Dosis der salzigen Lösung. Ärzte, Polizeioffiziere und die Männer vom Flughafen warteten besorgt und nervös auf Resultate – und zehn Minuten nach der Injektion hatten die ersten das Bewußtsein wiedererlangt! Die Arbeit nahm stetig und erfolgreich ihren Fortgang. Sämtliche Passagiere und Besatzungsmitglieder wurden wiederbelebt. Und der Pirat hatte die Wahrheit gesagt. Eine nachweislich krebskranke Frau, die zur Behandlung ihres Leidens nach San Francisco hatte fliegen wollen, war zum erstenmal seit Monaten schmerzfrei. Spätere sorgfältige Untersuchungen ergaben, daß sie geheilt war. Wenige Stunden nach der Landung des Riesenflugzeugs brachten die Zeitungen Sonderausgaben heraus, und Radio und Fernsehen nahmen sich der Sensation mit Begeisterung an. Der ganze Juni war ereignisarm gewesen, eine rechte Sauregurkenzeit für die Presse, und nun hatte der Juli mit einem Paukenschlag begonnen! Während Passagiere wiederbelebt wurden und Reporter über ihren Sensationsberichten saßen, durchsuchten Beamte der Kriminalpolizei und Spezialisten des Luftfahrtbundesamts der Regierung das in einem stillen
Winkel des Flughafens abgestellte, schwer bewachte Flugzeug. Es war bald offensichtlich, daß der Überfall von außen erfolgt war, wie der Pirat geschrieben hatte. Der Ersatzpilot bezeugte, daß er beim Betreten des Flugzeugs ein Stück Draht gefunden hatte, das von außen an der Luftschleuse befestigt gewesen war. Dies war offensichtlich geschehen, während die Maschine sich in der Luft befunden hatte, und das bedeutete, daß der Pirat mit einem Kleinflugzeug auf dem Rumpf der Maschine gelandet sein, es irgendwie verankert haben und dann in zehntausend Meter Höhe durch die Luftschleuse eingestiegen sein mußte. Wahrscheinlich hatte er kurz vor der Kaperung den Kurs der Passagiermaschine gekreuzt und aus Preßluftflaschen eine Gaswolke abgelassen, die von den Ventilationspumpen der Maschine angesaugt worden war. Dann war das Gas von der später angesaugten reinen Luft verdünnt und schließlich hinausgedrückt worden, denn der Ersatzpilot hatte nichts davon gemerkt und war nicht beeinträchtigt gewesen. Während die Untersuchungen noch andauerten, wurde bekannt, daß am übernächsten Tag eine weitere Wertsendung von der Ostküste nach San Francisco gehen sollte, und diesmal wollte man besser vorbereitet sein. Die Verantwortlichen der Luftlinie waren überzeugt, daß die Sendung unversehrt das Ziel erreichen würde, denn die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen schienen jede Wiederholung des kühnen Piratenakts unmöglich zu machen. Das Personal im Gepäckraum bestand bei diesem Flug aus sechs Polizisten, die mit Sauerstoffgeräten ausgerüstet und für die Dauer des Flugs von den Bordsystemen der Be- und Entlüftung unabhängig waren.
Darüber hinaus waren alle inneren Fenster des Gepäckabteils mit kugelsicherem Glas versehen worden. Von der Luftwaffe waren zwei Begleitmaschinen zur Verfügung gestellt worden, die während des gesamten Flugs in der Nähe des Passagierflugzeugs bleiben sollten. Es waren zahlreiche Krebsfälle an Bord, die die Reise mit der Hoffnung gebucht hatten, durch das Gas geheilt zu werden. Die Maschine erreichte den Luftraum über Kalifornien, ohne daß irgendwelche Anzeichen auf einen Angriff hingedeutet hätten. Vielleicht gab der Pirat sich mit der erbeuteten Million zufrieden, wenn er allein war, was der Fall zu sein schien; aber mehr sprach dafür, daß er in jedem Fall einen weiteren Angriff versuchen würde, nachdem der erste so spektakulär gelungen war. Nun, das bedeutete einfach, daß von nun an alle Langstreckenflüge überwacht werden mußten, eine gewaltige Aufgabe für die Luftwaffe. Die beiden Begleitmaschinen blieben ein wenig zurück, um das Landemanöver des schwerfälligen Großraumflugzeugs nicht zu behindern und über ihm zu kreisen, bis es sicher aufgesetzt haben würde, als ihre Bordfunkgeräte plötzlich ein unverkennbares und unerwartetes Geräusch auffingen: das Notsignal, mit dem die Passagiermaschine einen Ersatzpiloten anforderte! Das konnte nur bedeuten, daß die Maschine unter den Augen der Eskorte überfallen worden war! Wie sich herausstellte, war die Wertsendung spurlos verschwunden, waren die Passagiere mit Gas eingeschläfert und die Bewacher im Frachtraum – so unglaublich es klingen mochte – trotz ihrer Sauerstoffgeräte wie alle anderen ihrer Lebensfunktionen beraubt worden. Wieder
hatte der Pirat eine Botschaft hinterlassen. An die Flughafendirektion: Verfahren Sie wie das vorige Mal. Die Bewacher im Frachtraum bedürfen der gleichen Wiederbelebungstherapie. Ich betonte, das Gas würde jedes Material durchdringen. Gasmasken und Sauerstoffgeräte werden nichts bewirken. Versuchen Sie es nicht mit dieser C-32-L-Gasmaske, da ihr Gebrauch für den Träger tödlich sein würde. In Verbindung mit den Chemikalien in der C-32 L reagiert mein Gas so, daß ein lebensgefährliches Gift entsteht. DER PIRAT
1 Im neununddreißigsten Stockwerk eines eleganten Wohnhauses am New Yorker Central Park entspannten sich zwei junge Männer nach einer anstrengenden Tennispartie. Die blauen Rauchfäden aus ihren Pfeifen stiegen langsam empor, kräuselten sich und wurden dann vom Luftstrom der unablässig summenden Klimaanlage aufgesogen. Robert Morey, ein langer, schmalbrüstiger Mensch mit schlaksigen Bewegungen und einem offenen, sympathischen Gesicht, schien den größeren Teil der Unterhaltung zu bestreiten, während Richard Arcot, einen Kopf kleiner als sein Freund, den Eindruck eines mehr introvertierten und zum Grübeln neigenden Typs machte. Sie waren beide Physiker, die sich mit Grundlagenforschung beschäftigten, und auf diesem Gebiet
wurde Morey von seinem kürzeren Freund überragt; in Physik hatte Arcot nur einen Konkurrenten – seinen Vater. Robert Arcot genoß seit vielen Jahren den Ruf, der größte lebende amerikanische Physiker zu sein, und in letzter Zeit war er überdies als der Vater des bedeutendsten Physikers der Welt bekannt geworden. Arcot junior war wahrscheinlich einer der brillantesten und genialsten Männer, den die Welt je hervorgebracht hatte, und er genoß den beinahe unschätzbaren Vorteil, daß ihm in all seiner Arbeit zwei Männer zur Seite standen, deren Hilfe ihm die volle Entfaltung seiner außergewöhnlichen Verstandeskräfte erlaubte. Sein Vater und sein bester Freund, Morey, waren die Ergänzungen und Stützen seiner überragenden Intelligenz. Sein Vater hatte in vielen Jahren unermüdlicher Arbeit die einfachsten und besten Methoden zur Durchführung der vielen komplizierten Laboratoriumsexperimente gelernt. Morey konnte die mathematische Theorie einer Hypothese viel schneller entwickeln, als dies Arcot selbst möglich war. Moreys Verstand war methodischer und arbeitete exakter als Arcots, während Arcot die Bedingungen eines Problems rascher intuitiv erfassen und die allgemeine Methode seiner Lösung entwickeln konnte. Ein weiterer Faktor, der Arcots Arbeit so erstaunlich erfolgreich machte, war seine Fähigkeit, praktische Anwendungsmöglichkeiten zu sehen, eine Fähigkeit, die den meisten großen Physikern unglücklicherweise abgeht. Hätte er das kaufmännische Geschick besessen, die Patentrechte und Lizenzen seiner Erfindungen zu angemessenen Sätzen zu veräußern, wäre er schon mit fünfundzwanzig mehrfacher Millionär gewesen. Aber Geld
und die Lebensgenüsse, die er dafür kaufen konnte, bedeuteten ihm nicht viel. Er hatte Verträge auf der Basis abgeschlossen, daß seine Laboratorien unterhalten und finanziert würden, und daß er ein Gehalt bekäme, das seinen Bedürfnissen genügen würde, was immer sie sein mochten. Da er die Auswertung all seiner Erfindungen an die Transcontinental Airways verkauft hatte, war es ihm möglich gewesen, seine ganze Zeit und Arbeitskraft der Wissenschaft zu widmen, während andere seine Finanzen regelten. Er konnte das guten Gewissens tun, denn Präsident Arthur Morey, der Vorstandsvorsitzende der Transcontinental Airways, war der Vater seines guten Freundes und Helfers Robert. Die beiden arbeiteten, lebten und dachten miteinander. Eben jetzt sprachen sie über den Piraten. Sieben Tage waren seit seinem ersten Zuschlagen vergangen, und er war in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen. Fast jeden Tag kam es nun zu einem neuen Überfall, und meistens waren Maschinen der Transcontinental Airways betroffen. Allen Piratenakten aber war gemeinsam, daß nur Inlandsflüge angegriffen wurden, und daß die vergasten Passagiere ohne Schwierigkeiten wiederbelebt werden konnten. Die Begleitmaschinen der Luftwaffe schienen hilflos. Wieder und wieder gelang es dem Piraten, unbemerkt an seine Beute heranzukommen. Jedesmal überzeugte er die Ermittlungsbehörden, daß er von außen gekommen war, denn in jedem Fall war die Tür von der Außenseite verschlossen worden. »Dick, wie gelingt es ihm deiner Meinung nach, seine Aktionen direkt unter den Augen der Bewacher durchzuführen? Er muß irgendein System haben; die
Methode scheint jedesmal die gleiche zu sein, und jedesmal hat sie Erfolg.« »Ich habe da eine unbestimmte Idee«, antwortete Arcot. »Ich wollte dich heute schon fragen, ob dein Vater uns Passagen an Bord der nächsten Maschine besorgen könnte, die größere Geldsummen befördert. Ich weiß, daß die Versicherungsprämien derart angestiegen sind, daß es kaum noch Geldtransporte auf dem Luftweg gibt. Hast du eine Ahnung, ob ein Geldtransport in Sicht ist?« Morey schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich habe etwas, das für unseren Zweck genausogut ist, wenn nicht besser. Kürzlich kamen ein paar Leute zu Dad und wollten eine Maschine nach San Francisco chartern, und Dad wollte natürlich wissen, warum sie mit einer solchen Sache zu ihm kamen. Wie sich herausstellte, wollten sie das Flugzeug chartern, um sich von dem Piraten berauben zu lassen! Die Passagiere des Charterflugs sollen Krebskranke sein, die sich von der ›Behandlung‹ mit dem Gas Heilung versprechen. Jeder von den zweieinhalb- oder dreitausend Passagieren soll einhundert Dollar bezahlen. Das bedeutet eine Gesamteinnahme von einer Viertelmillion Dollar, die für den Piraten auf den Tisch gelegt wird. Natürlich verlangen die Veranstalter auch etwas, fünfzig Dollar pro Person, glaube ich, aber hundertfünfzig Dollar wäre noch immer ein niedriger Preis für eine Krebsheilung! Dad, Geschäftsmann der er ist, will die Maschine nicht verchartern, sondern hat den Initiatoren angeboten, einen Sonderflug der Transcontinental zum ermäßigten Tarif einzurichten. Übrigens bat er mich, dir zu sagen, daß er deine Hilfe bei der Jagd auf den Piraten begrüßen würde. Wenn du meinst, daß wir an dem Sonderflug teilnehmen
sollten, kannst du es Dad sagen, sobald du mit ihm zusammenkommst; er wird alles weitere veranlassen.« »Das werde ich machen. Weißt du, ob diese C-32-LGasmaske schon an einem Tier ausprobiert worden ist?« »Der Pirat hat die Wahrheit gesagt. Sie machten den Versuch mit einem Hund, und das Tier war nach zehn Minuten tot. Aber hast du irgendeine Vorstellung, wie dieses Gas wirkt und was es ist?« Arcot schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was für ein Gas es ist, aber ich habe eine Vorstellung davon, wie es arbeitet. Du weißt vielleicht, daß Kohlenmonoxyd durch eine rotglühende Eisenplatte sickern kann. Das ist seit dreihundert Jahren bekannt, und ich muß es diesem Piraten lassen, er hat verstanden, etwas aus diesem Prinzip zu machen. Selbst im Krieg von 2075 fand man keine praktische Anwendung. Dieser Mann hat ein Gas gefunden, das schon in sehr geringer Konzentration ohnmachtsähnliche Zustände hervorruft und zugleich imstande ist, Stoffe noch besser als Kohlenmonoxyd zu durchdringen.« »Ich frage mich nur, wie er das Zeug lagert«, bemerkte Morey. »Aber wahrscheinlich erzeugt er es so schnell wie er es verbraucht, indem er zwei oder mehr Bestandteile zur Reaktion zusammenbringt. Es könnte einfach genug sein, die Komponenten getrennt zu lagern und die Behälter erst bei Bedarf gleichzeitig zu öffnen.« »So hatte ich es mir ungefähr vorgestellt. Wenn ich an diesem Kranken-Sonderflug teilnehme, werde ich versuchen, ein paar Proben für die Analyse zu beschaffen.« »Nicht ganz einfach, würde ich sagen. Wie willst du das machen?« »Ganz einfach, soweit es das Entnehmen der Probe
betrifft. Ich habe bereits ein paar Spezialflaschen für Proben vorbereiten lassen. Eine von ihnen ist drüben im Labor – entschuldige mich einen Moment.« Arcot verließ den Raum, um einige Minuten später mit einer großen, fest verschlossenen Aluminiumflasche zurückzukehren. »Diese Flasche ist luftleer gepumpt worden. Dann haben wir sie mit Helium ausgeblasen und noch einmal ausgepumpt. Beim Öffnen wird das Gemisch von Luft und Gas in die Flasche eindringen – in der Konzentration, die an Bord existiert. Dann brauche ich die Flasche nur noch zu verschließen und für die spätere Analyse aufzubewahren.« »Hoffentlich klappt es so. Es würde helfen, wenn wir wüßten, womit wir es zu tun haben.« Am folgenden Morgen hatte Arcot ein langes Gespräch mit Präsident Morey. Als es beendet war, nahm er den Aufzug zum Dachgeschoß und bestieg seinen kleinen Hubschrauber, der dort auf dem Landeplatz wartete. Nach kurzem Flug landete er auf dem firmeneigenen Feld zwischen den Werkstätten der Transcontinental Airways. Er ließ den Hubschrauber stehen und ging zum Büro des Entwicklungsingenieurs John Fuller, der ein alter Schulkamerad von ihm war. Sie hatten einander schon öfter geholfen, denn Fuller hatte der theoretischen Physik weniger Aufmerksamkeit zugewandt als er es hätte tun können, obgleich er wahrscheinlich einer der hervorragendsten aeronautischen Konstrukteure war. So befragte er Arcot häufig, wenn er theoretische Details benötigte. Wahrscheinlich war Arcot derjenige, der von dieser Zusammenarbeit mehr profitierte, denn die Fähigkeiten des Konstrukteurs hatten seinen theoretischen Überlegungen schon oft den Weg zur praktischen
Verwirklichung gewiesen. Diesmal konsultierte er Fuller, weil die Maschine, die ihn nach San Francisco bringen sollte, für seine Zwecke geringfügig verändert werden sollte. Er blieb eine knappe Stunde in Fullers Büro, dann kehrte er zu seinem Hubschrauber und mit diesem nach Hause zurück, wo Morey junior ihn erwartete. »Hallo, Dick! Ich hörte vom Dad, daß es heute losgehen soll, und kam gleich hierher. Ich habe alles nach deinen Angaben vorbereitet. Die Maschine startet um eins, und jetzt ist es halb elf. Wir könnten miteinander essen gehen und dann zum Flughafen fahren.« Es war halb zwölf, als Moreys Wagen auf dem Flugfeld neben der Maschine hielt. Sie gingen sofort an Bord und zogen sich in das kleine Privatabteil zurück, das für sie reserviert worden war. Es befand sich neben dem Frachtraum im Heck des gigantischen Flugzeugs, und in die Zwischenwand war ein kleines Loch gebohrt worden. Unmittelbar unter diesem Loch stand ein Tisch, auf dem die beiden Männer nun eine kleine Filmkamera aufbauten. »Wie viele von den Flaschen für Gasproben hast du mitgebracht, Bob?« fragte Arcot. »Jackson hatte erst vier fertig. Also nahm ich erst die mit. Ich glaube, daß das genügen wird. Ist das Loch groß genug für das Kameraobjektiv?« »Alles in Ordnung, glaube ich. Jetzt brauchen wir nur noch abzuwarten.« Zeit verging. Nach einer Weile setzte ein leises Schwirren ein, und sie wußten, daß die Ventilatoren eingeschaltet worden waren. Diese Anlage saugte Luft von außen an und verdichtete sie mittels Pumpen zu dem an
Bord zweckmäßigen Luftdruck, der so vom äußeren Luftdruck unabhängig blieb. Beim Flug in großen Höhen konnten Sauerstoffbehälter an das System angeschlossen werden. Gleich darauf wurden die Triebwerke gestartet. Das dumpfe Aufbrüllen wurde, bevor es in rasch ansteigendes Pfeifen überging, von Vibrationen begleitet, die den mächtigen Flugzeugrumpf durchliefen. Die Türen wurden geschlossen, die beiden Gangways zurückgerollt. Schwerfällig setzte die Maschine sich in Bewegung und rollte träge zum Wendepunkt am Anfang der Startbahn. Arcot blickte auf die Uhr. »Eins. Ausnahmsweise ein pünktlicher Start.« Morey ließ sich in seinen bequemen Sessel zurücksinken. »Nun, jetzt haben wir eine hübsch lange Wartezeit vor uns, bis wir in San Francisco sind. Hoffen wir, daß es sich lohnen wird und daß wir auf dem Rückflug neuen Gesprächsstoff haben.« »Ja, hoffen wir das, Bob. Ich hatte vor, für die Rückreise die Mitternachtsmaschine von San Francisco zu nehmen; dann wären wir gegen neun Uhr früh New Yorker Zeit wieder zu Hause. Danach werden wir deinen Vater zu uns bitten und sehen, ob auch Fuller kommen kann. Ich glaube, wir werden diesen molekularen Detektor gut gebrauchen können; er ist beinahe fertig, und wenn er die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt, werden wir ihn einem Mann wie Fuller geben, damit er ihn in eine praktische Form bringt. Aber das kommt erst in zweiter Linie; wenn alles klappt, wird unsere kleine Filmvorführung der interessanteste Punkt der Tagesordnung sein.« Dumpf polternde Geräusche und Erschütterungen mischten sich in das anschwellende Heulen der riesigen
Propeller. Die Betonpiste begann schneller und schneller vorbeizurasen, dann hörten die Erschütterungen plötzlich auf. Sie hatten abgehoben. Wie ein gewaltiger Vogel stieg die Maschine steil in die Höhe, ein bei aller Masse anmutiges, beinahe lebendiges Wesen. Nach einer weiten Schleife über der Stadt schwenkte die Maschine auf ihren Kurs ein, während sie stetig weiter stieg. Allmählich ließ das Brüllen der Triebwerke nach und wurde zu einem gleichmäßigen Summen, als der abnehmende Luftdruck die Geräusche dämpfte. Während die Maschine ihre Schleife flog, konnten die Passagiere die Riesenstadt ausgebreitet sehen, ein von gelbgrauem Dunst magisch verschleiertes Labyrinth aus Straßenschluchten, reflektierendem Glas, ameisenartig wimmelndem Verkehr und dem bunten Farbenchaos der Fassadenverkleidungen, faszinierend funkelnd und schön. Dann blieb New York achteraus zurück, ein rasch schrumpfendes, weißlich graues Gebilde im grellen Mittagslicht, voll blinkender Reflexe, die in ständigem Wechsel durch die diesige Wolke der Dunstglocke stachen, ein Krebsgeschwür zwischen dem gleißenden Blau des Ozeans und dem stumpfen Grün von New Jerseys Hügeln, dessen Metastasen das ganze Land überzogen, untereinander durch ein Geflecht von Verkehrswegen verbunden. Dann blieb auch das zurück, und nur noch die graugründunstige Landoberfläche und das tiefe Blauschwarz des Himmels über ihnen waren zu sehen. Die Sonne flammte hoch im beinahe schwarzen Himmel, und in der verdünnten Luft gab es so wenig Diffusion, daß man die Korona durch ein berußtes Glas deutlich ausmachen konnte. Um die
Sonne schimmerte das Zodiakallicht wie in verblichenen Bannern. Da und dort blinkten einige von den helleren Sternen am dunklen Himmel. Selbst für die Männer, die diesen Flug schon Dutzende von Malen gemacht hatten, war der Anblick faszinierend und begeisternd. Schon konnten Arcot und Morey schräg voraus die riesige, gleißende Fläche des Michigan-Sees ausmachen, und an seinem südwestlichen Ufer den verschwommenen, dunstverhangenen Flecken, der Chicago war. Ihre Lage inmitten des nordamerikanischen Kontinents hatte die Stadt zu einem einzigartigen Verkehrsknotenpunkt gemacht. Der Schiffsverkehr auf den Großen Seen hatte an Bedeutung verloren, seit die Erzvorkommen von Minnesota erschöpft waren. Heutzutage waren die Seen Fischfang und Wassersport vorbehalten. Auch Chicago blieb zurück, und als die Maschine sich den grünen Ebenen von Nebraska näherte, überkamen Arcot und Morey zunehmend Unruhe und Spannung, denn über Nebraska pflegte der Pirat seine Aktionen einzuleiten. Die beiden Freunde saßen schweigend, warteten auf die ersten Anzeichen anormaler Schläfrigkeit und beobachteten einander. Zugleich lauschten sie angestrengt auf irgendwelche ungewohnte Geräusche, die sich gegen das Dröhnen und Pfeifen des Flugzeugs durchsetzen konnten. Plötzlich bemerkte Arcot, daß er plötzlich unerträglich schläfrig wurde. Er nahm mit einem letzten Aufflackern von Überraschung wahr, daß Morey sich bereits niedergelegt und die Augen geschlossen hatte. Es kostete ihn eine enorme Willensanstrengung, den Arm zu heben und den Schalter zu betätigen, der die Filmkamera in
Betrieb setzte. Er wußte nicht mehr, ob er den Arm zurückzog; er lag einfach da – und... Als er die Augen öffnete, stand ein weißgekleideter Mann über ihn gebeugt. Auf der anderen Seite sah er Morey, der zu ihm herablächelte. »Du bist ein feiner Wächter, Dick! Ich dachte, du würdest wach bleiben und sie beobachten.« »Oh nein, wie sollte ich? Meinst du, ich sei gegen dieses Gas immun? Aber ich habe einen tüchtigen Wächter zurückgelassen, und ich möchte wetten, daß er nicht eingeschlafen ist!« »Vielleicht hat er nicht geschlafen, aber der Arzt hier sagte mir, er sei verschwunden. Er wurde nicht in unserem Raum gefunden, als wir aufwachten. Ich vermute, daß der Pirat das Ding gefunden und konfisziert hat. Unser ganzes Gepäck, einschließlich der Flaschen mit den Gasproben, ist weg.« »Das ist in Ordnung. Ich hatte es schon vor Antritt der Reise veranlaßt. Die Maschine wurde von einem Ersatzpiloten gelandet, und er hatte Instruktionen von Vater. Er nahm sich des Gepäcks an, damit es kein Mitglied der Piratenbande nach der Landung stehlen konnte. Es besteht ja die Möglichkeit, daß der Pirat Komplizen unter der Mannschaft oder beim Bodenpersonal hat. Der Ersatzpilot wird uns die Sachen sofort aushändigen. Ich muß hier nicht länger liegen, nicht wahr, Doktor?« »Nein, Doktor Arcot, es fehlt Ihnen nichts. Ich würde aber vorschlagen, daß Sie sich in den nächsten Stunden keine körperlichen Anstrengungen zumuten, damit Ihr Herz
sich wieder ans Schlagen gewöhnen kann. Immerhin hat es einige Stunden stillgestanden, wissen Sie?«
2 Fünf Männer waren in Moreys Bibliothek zusammengekommen, um die Ergebnisse des letzten Piratenüberfalls zu diskutieren. Neben den beiden jungen Männern, die an dem Flug teilgenommen hatten, waren Fuller, Präsident Morey und Arcot senior anwesend. Bisher hatten sich die zwei Freunde beharrlich geweigert, über irgendwelche Ergebnisse ihrer Reise zu sprechen und sich auf die Auskunft beschränkt, daß an ihrer Stelle Bilder sprechen würden. So war die Aufmerksamkeit ungeteilt, als Arcot junior Leinwand und Filmprojektor aufbaute. Auf seine Anweisung hin wurde der Raum verdunkelt; und er ließ den Projektor anlaufen. Sofort sahen sie auf der Leinwand die holografisch-dreidimensionale Wiedergabe des Frachtraums der beraubten Maschine. »Ich habe aus diesem Film eine Menge nutzloses Material herausgeschnitten und den Film auf das eigentliche Geschehen reduziert«, kommentierte Arcot. »Wir werden den Piraten jetzt bei der Arbeit sehen.« Während er noch sprach, sahen sie die Tür zum Frachtraum aufgehen. Sie blieb einige Sekunden lang offenstehen, dann wurde sie zur allgemeinen Überraschung wieder geschlossen. Es sah aus, als ob sie jemanden eingelassen hätte, doch war niemand eingetreten! »Deine Demonstration scheint noch nicht viel zu zeigen, Junge. Tatsächlich zeigt sie viel weniger als ich erwartet
hatte«, sagte der ältere Arcot. »Aber die Tür schien sich leicht und ohne weiteres zu öffnen. Ich dachte, sie sei verschlossen gewesen!« »Das war sie, aber der Pirat hätte bloß das Schloß herausgebrannt, also schlossen wir sie lieber wieder auf, um unnötige Schäden zu vermeiden.« Plötzlich erschien eine Flamme in der Luft. Sie hing einen Augenblick lang über dem Safe, beschrieb dann eine Serie von seltsam komplizierten Bewegungen und wurde für einen Moment zu einer ellenlangen, wabernden Stichflamme. Sofort schrumpfte sie wieder zu einer scharfen, spitzen kleinen Flamme von brillanter karmesinroter Glut. Nachdem auch diese Flamme eine komplizierte Serie von Kreisbögen und Kurven beschrieben hatte, berührte sie die Oberseite des Safes. In unglaublich kurzer Zeit flammte der sechszöllige Wolframstahl gleißend hell auf und begann träge zu fließen. Ein großer Kreis von Rotglut umgab den grellweißen Schmelzpunkt in der Mitte, der langsam weiter wanderte, während Funkenkaskaden auf den Boden herabregneten. Binnen zwei Minuten hatte der Schweißbrenner eine große Metallscheibe so weit aus der Safedecke geschnitten, daß sie nur noch an einem dünnen Grat hing. Nun verließ die Flamme den Safe und zog sich wieder in sich selbst zurück. Klein, bläulich weiß und unauffällig hing sie eine Weile wie unschlüssig in der Luft. Die Wirkung auf die Zuschauer war unheimlich, denn es gab keine sichtbare Kraft, die die Flamme hielt, einstellte und mit Brennstoff versorgte. »Das nächste Stück werde ich in Zeitlupe ablaufen
lassen, damit wir die interessantesten Szenen etwas länger betrachten können. Tatsächlich sind sie von nur kurzer Dauer.« Arcot betätigte einen kleinen Schalter, und auf der Leinwand veränderte sich zunächst nichts. Die herausgeschnittene runde Platte in der Oberseite des Safes glühte nun nicht mehr. Die Flamme kam langsam wieder herunter und berührte das Metall, offensichtlich um den verbliebenen Metallgrat durchzuschneiden. Dann, so plötzlich wie das Erlöschen eines Lichts, war der ganze Safe verschwunden! Er schien sich auf einmal in Luft aufgelöst zu haben. Nur die Weißglut des Metalls und der Flamme selbst waren noch sichtbar. »Es scheint, als ob der Pirat das Geheimnis der Unsichtbarkeit gelöst hat«, rief Arcot senior aus. »Kein Wunder, daß die Begleitmaschinen nichts von ihm gesehen haben.« »Richtig, Dad«, sagte Richard Arcot, »aber achte gut auf das, was jetzt kommt!« Das Bild des Raums blieb praktisch unverändert, doch an der Stelle, wo vorher der Safe gestanden hatte und jetzt nichts mehr war, begann sich nun ein schattenhafter, halb sichtbarer Safe abzuzeichnen, dessen Metall zu glühen schien. Daneben war die ebenso vage Schattengestalt eines Mannes sichtbar, die den Safe mit einer Art Brechstange zu halten schien. Und durch beide Erscheinungen hindurch war der Fensterrahmen deutlich zu erkennen! »Es scheint, daß seine Unsichtbarkeit für einen Moment versagte. Wahrscheinlich war es der Kontakt mit dem Safe, der das Phänomen verursachte. Was meinst du, Dad?« fragte Arcot junior. »Wahrscheinlich hast du recht. Aber ich sehe nicht, wie
diese Unsichtbarkeit auch nur theoretisch möglich sein könnte. Hast du eine Idee?« »Nun, Dad, ich habe eine, aber ich möchte bis morgen abend warten, sie dir vorzutragen. Laß uns diese Zusammenkunft vertagen, wenn ihr alle morgen kommen könnt.« Am nächsten Abend sah es jedoch so aus, als sei es Arcot selbst, der nicht kommen konnte. Er bat seinen Freund Robert Morey, den anderen zu sagen, daß er später kommen würde, wenn er im Laboratorium fertig wäre. Das Abendessen war beendet, und die Anwesenden warteten ziemlich ungeduldig auf Arcots Ankunft. Sie hörten Geräusche im Korridor und blickten auf, doch niemand kam herein. »Bob«, sagte Fuller zu Robert Morey, »was hast du über dieses Gas in Erfahrung gebracht, das der Pirat verwendet? Ich erinnere mich, daß Dick sagte, er wolle ein paar Proben analysieren.« Morey zuckte die Achseln. »Dick fand nicht viel mehr heraus, als das, was wir bereits gewußt hatten. Es ist eine typisch organische Verbindung, eine vom Typ der metallischen Radikalen, und enthält freie Thoriumatome. Thorium ist ein wenig radioaktiv, wie du weißt, und Dick vermutet, daß dies zum Teil die Fähigkeit des Gases erklären könnte, einen scheintotähnlichen Zustand herbeizuführen. Da es aber unmöglich war, das Molekulargewicht zu bestimmen, konnte er nicht genau sagen, was das für ein Gas ist, außer daß die Formel C62 TH H39 O27 N5 lautet. Das Molekül brach bei einer Temperatur von nur 89° Celsius auseinander. Die
resultierenden Gase waren hauptsächlich Methan, Stickstoff und Methyläther. Was die eigentliche Beschaffenheit des Gases angeht, so tappt Dick noch immer im dunkeln.« Er hielt inne, dann rief er aus: »Seht mal, dort!« Die anderen wandten sich überrascht dem anderen Ende des Raums zu. Sie blickten hin, und da sie nichts Ungewöhnliches entdeckten, blickten sie ein wenig verdutzt zurück. Was sie dann sahen, oder vielmehr nicht sahen, verwirrte sie noch mehr. Morey war verschwunden! »Wieso – wo – ohhh! Das nenne ich schnelle Arbeit, Dick!« Der ältere Arcot begann herzlich zu lachen, und als seine verblüfften und neugierigen Gefährten ihn fragend anstarrten, rief er: »Komm schon, Dick! Wir wollen dich jetzt sehen. Und sag uns, wie es gemacht wird! Ich glaube, daß Mr. Morey – ich meine den sichtbaren – immer noch etwas verwirrt ist.« Aus der Luft antwortete ein kurzes Lachen – sicherlich konnte nichts anderes dort sein als Luft –, dann ein leises aber deutliches Klicken, und sowohl Morey wie auch Arcot waren wie durch ein Wunder gegenwärtig, tauchten augenblicklich aus dem Nichts auf, wenn man sich auf seine Sinne verlassen wollte. Arcot hatte ein Tragegestell angeschnallt, auf dem ein großer und ziemlich hastig verdrahteter elektronischer Mechanismus ruhte; ein langer, dünner Draht führte von ihm hinaus ins Laboratorium. In den Händen hielt Arcot ein zweites Gerät, das ähnlich kompliziert verdrahtet war. Morey stand neben ihm und berührte eine kurze Metallstange, die Arcot in der Hand hielt. »Es war eine Menge Arbeit, bis ich die letzten
Anschlüsse dieses tragbaren Apparats hergestellt hatte. Wie ihr gesehen habt – oder vielmehr nicht gesehen habt –, ist das Ding funktionsfähig. Aber dieses andere Gerät hier ist für uns bei weitem wichtiger. Es ist ein bißchen schwer, also werde ich es absetzen, wenn ihr einen Raum für mich freimachen könnt. Aber Vorsicht mit dem Kabel – die Spannung ist ziemlich hoch. Ich mußte das Gerät an das Kraftstromnetz des Laboratoriums anschließen und hatte keine Zeit, eine praktischere Lösung zu suchen, wie der Pirat sie gefunden haben muß. Ich habe sein Experiment wiederholt. Er hat einfach von einem Prinzip Gebrauch gemacht, das seit einiger Zeit bekannt war, aber niemals zur praktischen Anwendung kam, weil es anscheinend keinen Bedarf dafür gab. Schon im zwanzigsten Jahrhundert entdeckte man, daß sehr kurze Wellenlängen eigenartige Veränderungen bei Metallen bewirkten. So zeigte sich zum Beispiel, daß die Anoden von Röhren, die auf sehr kurzen Frequenzen arbeiteten, beinahe transparent wurden. Dieser Effekt wurde damals nicht weiter beachtet, da die Entdeckung der Ultrakurzwellen und Mikrowellen und ihre Anwendungsmöglichkeiten in der Kommunikationstechnik, der Medizin und so weiter das Denken beherrschten. Während des letzten Krieges griff man das Phänomen wieder auf und versuchte eine Anwendung zu entwickeln, die Flugzeuge unsichtbar machen würde, aber das Projekt scheiterte an den technischen Schwierigkeiten, die sich aus der notwendigen Verbindung aus hoher Spannungsenergie und empfindlichen Bauteilen ergaben. Mit dem Gerät, das ich jetzt entwickelt habe, ist es möglich, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Unser Freund, der Pirat,
hat diese Sache schon bis zu einem Punkt entwickelt, wo er sie in der Praxis erfolgreich einsetzen konnte. Jeder sieht auf den ersten Blick, daß Unsichtbarkeit zwar interessant und eine gute Sache für die Unterhaltungsindustrie ist, aber kein wirtschaftliches Bedürfnis darstellt. Niemand, der einen ehrlichen Beruf ausübt, möchte unsichtbar sein. Andererseits ist Unsichtbarkeit eine Waffe, die das Herz eines jeden Militärs höher schlagen läßt, und genau diese Bedeutung hat der Pirat erkannt, weshalb er einen kleinen privaten Krieg anfing, die einzige Art und Weise, mit seiner Erfindung Geld zu machen. Sein Gas machte die Methode noch attraktiver. Beide Faktoren zusammen ergaben eine vollkommene Kombination für kriminelle Operationen jeder Art. Dennoch scheint das ganze Unternehmen die Frucht eines etwas gestörten Geistes zu sein. Er ist nicht gewalttätig geisteskrank, sondern hat wahrscheinlich nur diese besondere Marotte. Seine wissenschaftlichtechnischen Fähigkeiten zeigen jedenfalls keine Schwäche. Vielleicht ist er sogar ein kleptomanischer Typ. Er stiehlt Dinge, und er hat bereits viel mehr gestohlen, als ein einzelner Mann jemals verbrauchen könnte, und er hinterläßt an Stelle des gestohlenen Gutes ›Aktien‹ seiner eigenen Fantasiegesellschaft. Daß er nicht gewalttätig ist, beweisen seine verantwortungsbewußten Warnungen vor dem Gebrauch der C-32-L-Gasmaske. Im gleichen Licht müssen wir seine sorgfältigen Anweisungen zur Wiederbelebung der Passagiere sehen. Er hat diese Unsichtbarkeitsmaschine entwickelt, und so kann er natürlich zwischen den Begleitmaschinen der Luftwaffe ein- und ausfliegen, ohne daß sie etwas von
seiner Gegenwart ahnen. Ich glaube, daß er sich eines Gleitflugzeugs irgendeiner Art bedient. Einen Verbrennungsmotor kann er nicht verwenden, denn die Explosionen in den Zylindern würden in der Luft sichtbar sein. Außerdem würden Kondensstreifen sein Flugzeug in der großen Höhe, in der er operieren muß, verraten. Aus dem gleichen Grund kann er kein Düsentriebwerk verwenden. Auch kann er keinen elektrischen Antrieb irgendwelcher Art in seinem Flugzeug haben, denn die Batteriezellen würden zuviel wiegen. Ich denke mir, daß er das Gleitflugzeug mit dem Schub eines Düsentriebwerks in die nötige Höhe und auf die erforderliche Geschwindigkeit bringt, das Triebwerk dann ausschaltet und auf die vorbeifliegende Passagiermaschine hinabgleitet. Zur Verankerung seines Piratenflugzeugs auf dem Rumpf des Opfers hat er ein sehr einfaches System, wie ich feststellen konnte. Es ist ein starker Elektromagnet, den er bei der Landung einschaltet. Die Stelle, wo sein Flugzeug in Kontakt mit der Passagiermaschine kam, war direkt über unserer Kabine an Bord, und ich entdeckte, daß meine Armbanduhr seitdem die seltsamsten Sprünge macht. Heute vormittag verlor sie eine Stunde, und am Nachmittag gewann sie zwei. Ich fand heraus, daß sie stark magnetisiert war – ich konnte Nadeln und kleine Nägel mit ihr aufheben. Seitdem ich sie entmagnetisiert habe, läuft sie wieder richtig. Aber um zu unserem Piraten zurückzukehren, er verankert seine Maschine auf der Rumpfoberseite, läßt sie unsichtbar zurück, klettert an einer Strickleiter zur Luftschleuse des Frachtraums hinunter, öffnet sie und geht hinein. Er trägt einen Druckanzug, und auf seinem Rücken
hat er ein tragbares Unsichtbarkeitsgerät sowie den Brennstoff für sein Schweißgerät. Das Gas hat bereits alle Leute an Bord eingeschläfert, also kann er ungestört den Frachtraum betreten und den Safe aufschweißen. Die Energieversorgung des Unsichtbarkeitsgeräts scheint ihm einige Schwierigkeiten zu bereiten, aber ich glaube, ich würde einen Zylinder mit verflüssigter Luft verwenden und anstelle des Auslaßventils eine kleine Luftturbine einsetzen, die einen voltstarken Generator betreiben kann. Vermutlich verwendet er das gleiche System in einem größeren Maßstab, um das größere Unsichtbarkeitsgerät an Bord seines Flugzeugs zu betreiben, denn die Triebwerke der Maschine kann er aus den vorhin erwähnten Gründen nicht dafür einsetzen. Auch sein Schweißbrenner ist außerordentlich interessant. Schweißgeräte, die mit Wasserstoff arbeiten, gibt es seit einiger Zeit; ein Gramm verflüssigter Wasserstoff ergibt einhunderttausend Kalorien. Aus der Farbe der Flamme und anderen Anhaltspunkten schließe ich, daß er für den Schmelzprozeß eine Wasserstoffflamme verwendet, die er zum Aufheizen mit einem zylindrischen Mantel aus einem Wasserstoff-Kohlenstoff-Gemisch umgibt. Die zentrale Flamme entwickelt so wahrscheinlich Temperaturen um 4000° Celsius. Kein Wunder, daß sie diesen Wolframstahl wie Butter schneidet. Was nun dieses Gerät hier angeht, so ist es, wie ich sagte, eine Maschine, die dem mit ihr verbundenen Körper sehr hohe Frequenzen mitteilt. Dies bringt die Moleküle in Vibrationen, deren Frequenz an diejenige des Lichts angenähert wird, und wenn das Licht darauf trifft, kann es den in solche Frequenzschwingungen versetzten Körper
ohne weiteres passieren. Der Effekt dieser übereinstimmenden Frequenzschwingungen des Lichts und eines beliebigen Körpers ist, daß der betreffende Körper völlig transparent wird. Nun, nachdem es die elektrisch erzeugten molekularen Schwingungen sind, die das Material lichtdurchlässig machen, müssen diese Frequenzen verändert werden, wenn wir die Maschine des Piraten sehen wollen. Offensichtlich ist es viel einfacher, mich hier zwischen den festen Gegenständen meiner Umgebung auszumachen, als in einem Flugzeug hoch am Himmel. Welche Chancen hat man, eine transparente Maschine auszumachen, wenn es rundherum nichts als transparente Luft gibt? Es ist eine komische Eigenschaft dieses Unsichtbarkeitssystems, daß der Refraktionsindex sehr niedrig liegt. Er ist nicht identisch mit demjenigen der Luft, aber der Unterschied ist so gering, daß er innerhalb der Grenzen von Beobachtungsfehlern liegt; der Unterschied ist so gering, daß es keinen ›Regenbogeneffekt‹ gibt. Nun, da diese Schwingungen durch Radioimpulse hervorgerufen werden, ist es nicht möglich, ihnen mit anderen, entgegengesetzten Radioimpulsen zu begegnen, die den Gleichklang der Frequenzen zerstören und das unsichtbare Objekt wieder sichtbar machen? Es ist so; und dieses Gerät hier wurde für genau diesen Zweck entwickelt. Es erzeugt einen Richtstrahl auf einer Wellenlänge, die geeignet ist, die Frequenz des Lichts zu stören. Es wird mich also sichtbar machen. Am besten probieren wir es einmal aus. Ich werde hier stehen, und Bob kann dieses Gerät bedienen.« Arcot trat in die Mitte des Raums, und Morey richtete den Reflektor des Impulssenders auf ihn. Es gab ein leises
Knacken, als Arcot sein Unsichtbarkeitsgerät einschaltete, dann war er so plötzlich verschwunden, daß man es nur mit dem Eintritt der Dunkelheit nach dem Ausschalten einer Zimmerbeleuchtung vergleichen konnte. Im Moment war er noch da, und im nächsten starrten sie alle den Stuhl hinter ihm an, wobei sie wußten, daß der Mann zwischen ihnen und dem Stuhl stand und daß sie durch seinen Körper hindurchblickten. Sie überkam ein sonderbares Gefühl, ein unbehagliches Prickeln. Dann rief die Stimme – sie schien aus der Luft zu kommen und gemahnte an einen körperlosen Geist – zu Morey hinüber: »In Ordnung, Bob, schalte langsam ein.« Es gab ein weiteres leises Knacken, als Robert Morey den Schalter des Störsenders betätigte. Sofort entstand deutlich erkennbarer Dunst in der Luft, wo Arcot gewesen war. Je stärker die Energie der Sendeimpulse wurde, desto deutlicher erschienen die Umrisse des Mannes, bis er sich voll aus der Luft materialisierte. Zuerst war er nur ein schattenhafter Umriß, der noch als Sinnestäuschung angesehen werden konnte. Dann verblaßten die Umrisse der Gegenstände hinter ihm nach und nach, während sein Körper dunkler wurde. Morey schaltete seine Maschine aus, und Arcot war wieder verschwunden. Eine weitere Schaltung, und er stand in seiner ganzen körperlichen Realität vor ihnen. Auch er hatte seinen Apparat ausgeschaltet. »Ihr seht jetzt, wie wir unseren unsichtbaren Piraten ausfindig machen wollen. Natürlich werden wir von Radiopeilungen und der Lokalisierung dabei auftretender Störungen abhängig sein, wenn wir die Richtung für den Strahl unseres Störsenders bestimmen wollen. Das ist ein
ziemlich umständliches Verfahren, und ich werde versuchen, für diesen Zweck ein modifiziertes Echogerät zu verwenden. Aber ihr wundert euch vielleicht über die Größe des Genies, das diesen Apparat an einem Tag entwickeln und konstruieren kann. Ich werde das Wunder erklären. Schon seit längerer Zeit arbeite ich an Phänomenen im Ultrakurz- und Mikrowellenbereich. Tatsächlich hatte ich bereits eine Unsichtbarkeitsmaschine, wie Bob hier bestätigen kann, aber das Gerät war zu leistungsschwach ausgelegt und erreichte den Unsichtbarkeitseffekt nicht ganz. Da ich die Bedeutung des Energiefaktors seinerzeit nicht richtig einschätzte, kam ich zu dem Schluß, daß eine völlige Angleichung der Frequenzschwingungen nicht möglich sei und gab das Projekt auf. Ich veröffentlichte im Journal der internationalen Gesellschaft für Physik einen Aufsatz über die theoretischen Grundlagen, der allerdings fast ohne Resonanz blieb. Trotzdem würde ich mich nicht wundern, wenn der Pirat seine Entwicklung auf meiner Theorie aufgebaut hätte. Ich arbeite noch immer an einem etwas anderen Apparat, der für diese Sache sehr bedeutsam werden könnte. Ich schlage vor, daß wir übermorgen abend wieder zusammenkommen; in der Zwischenzeit kann ich den Apparat fertigstellen. Es ist sehr wichtig, daß du anwesend bist, Fuller. Ich werde dich bei den folgenden Arbeiten brauchen. Wenn diese Sache sich nicht so entwickelt, wie ich hoffe, wird es wieder auf Probleme des technischen Entwurfs und der Konstruktion hinauslaufen.« »Wenn es so ist, werde ich den Abend natürlich dasein, Dick«, sagte Fuller.
»Ich kann dir ein ebenso schwieriges wie interessantes Problem versprechen«, sagte Arcot lächelnd. »Wenn meine Erwartungen sich erfüllen, dann hast du eine Arbeit vor dir, die dich berühmt machen wird. Außerdem wird sie eine Abwechslung für dich sein.« »Nun, mit diesem Anreiz werde ich ganz bestimmt hiersein. Aber ich denke, daß dieser Pirat uns einige Hinweise auf die Konstruktion geben könnte. Wie bringt er seinen Gleiter auf die notwendige Höhe von zwölftausend bis fünfzehntausend Metern? Dazu braucht er ein schubstarkes Düsentriebwerk, und das würde das Gewicht seines Gleiters so erhöhen, daß er mächtige Tragflächen haben müßte, die wiederum die Manövrierfähigkeit beeinträchtigen würden...« »Sicherlich braucht er eine Maschine dieser oder jener Art, um die nötige Höhe zu erreichen. Ich vermute aber, daß er einen relativ kleinen und leichten Antrieb verwendet, um Gewicht zu sparen und die Manövrierfähigkeit zu erhalten. Möglicherweise benötigt er einen halben Tag, um seine Einsatzhöhe zu erreichen, aber das braucht ihn nicht zu stören. Es ist richtig, daß eine PS-starke Maschine wegen ihres Gewichts kaum für ihn in Frage kommen dürfte. Ich stelle mir sein Flugzeug eher als eine Art Motorsegler vor, mit enormer Spannweite, damit er in dieser Höhe längere Zeit kreisen kann, sollte es notwendig sein.« Als man am übernächsten Abend erneut zusammenkam, gab es allerlei Spekulationen über die Natur der Entdeckung, die Arcot bekanntmachen wollte, denn selbst sein Vater wußte nicht, was es war. Daß die neue
Entdeckung auf dem Gebiet der Mikrowellen-Forschung geglückt war, schien so gut wie sicher, aber sie konnten sich nicht denken, in welcher Weise sie das vorliegende Problem tangierte. »Dad«, sagte Richard Arcot, als alles für die Demonstration vorbereitet war, »du hast dich lange mit der Entwicklung einer Maschine beschäftigt, die mit Sonnenenergie arbeiten sollte, einer Maschine, die in ein Flugzeug eingebaut werden kann und die nötige Antriebsenergie aus der Sonnenstrahlung bezieht, die von der Flugzeugoberfläche aufgefangen wird. Wir sprachen darüber, daß dies das Hauptproblem bei der Nutzung der Sonnenenergie ist, nicht wahr?« »Nun, je länger ich mich mit dieser Sache beschäftige, desto mehr frage ich mich, welches Problem das größte ist. Es gibt eine erstaunliche Zahl von lästigen Problemen, die überwunden werden müssen, wenn wir die Sonnenenergie wirtschaftlich nutzbar machen wollen. Immerhin läßt sich sagen, daß die Hauptschwierigkeit bei der Nutzung der Sonnenenergie – abgesehen von der Tatsache, daß sie nachts nicht möglich ist – in dem Umstand zu suchen ist, daß für die Absorption der Energie eine hinreichend große Fläche benötigt wird. Könnte ich das Problem der Absorptionsfläche rationell lösen, so würde ich selbst bei geringer Ausbeute und hohem Wärmeverlust billige Energie haben, denn sie würde kostenlos sein. Das Flächenproblem ist ohne Zweifel die größte Schwierigkeit.« »Nun«, sagte sein Sohn lächelnd, »ich glaube, ich habe wirklich eine sehr rationelle Sonnenmaschine entwickelt. Die Maschine selbst benötigt keine Absorptionsflächen; sie
nutzt die Tatsache aus, daß die Erde ungeheure Mengen Sonnenenergie absorbiert. Ich habe nur die Energie angezapft, die die Erde bereits für mich absorbiert hat. Komm mit.« Er ging durch den Korridor voran zu seinem Laboratorium und schaltete die Beleuchtung ein. Auf einem Montagetisch stand ein komplizierter Apparat mit zahlreichen Widerständen und Transistoren und ungewöhnlich dicken Verbindungskabeln. Von der Endstufe des Geräts führten zwei Kabel zu einer langen, röhrenförmigen Spule. Zur Linken dieser Spule waren ein großer Relaisschalter und eine Reglersteuerung angebracht. »Schalte ein, Dad, und dann bewege den Hebel am Flachbahnregler langsam nach links. Aber denk daran, daß ziemlich hohe Energien freigesetzt werden. Ich weiß, dies sieht nicht sehr nach einer Sonnenmaschine aus, und neun Uhr abends scheint keine sehr günstige Stunde zu sein, um Vorführungen damit zu veranstalten, doch ich kann Resultate garantieren – bessere Resultate als du erwartest.« Arcot senior trat näher und betätigte nach kurzem Zögern den Relaisschalter. Die Lampen im Labor flackerten ein wenig, gewannen aber sofort ihre Helligkeit zurück, und vom anderen Ende des Raums kam ein tiefes, gleichmäßiges Summen, als der große Transformator die Spannung aufnahm. »Nun, nach dem Geräusch dieses Zehn-KilowattTransformators zu urteilen, gibt diese Maschine eine beträchtliche Leistung ab.« Robert Arcot lächelte seinem Sohn zu. »Ich kann dieses Ding nicht gut steuern, es sei denn, ich bliebe direkt davor stehen, aber ich nehme an, du weißt, was du tust.«
Richard Arcot lachte. »Ach, mach dir keine Sorgen, Dad. Dies ist nur ein Modell, und ich hatte noch keine Zeit, es in eine vernünftige Form zu bringen. Aber ich glaube, die Gefahr einer Netzüberlastung ist gering. Sieh die Leiter an, die zur Spule führen; sie sind gewiß nicht mit zehn Kilowatt belastet.« Der alte Arcot bewegte langsam den Regler. Von der Spule kam ein schwaches Summen; dann war es verschwunden. Es schien kein weiteres Resultat zu geben. Vorsichtig schob er den Regler bis in die Mitte der Skala; im Raum entstand leichter Durchzug, als habe jemand Fenster und Tür zugleich geöffnet. Er wartete, und als nichts weiter geschah, stieß er den Hebel des Reglers mit einem Ruck bis in das letzte Viertel der Skala. Diesmal brauchte er nicht lange nach augenfälligen Resultaten Ausschau zu halten. Es war plötzlich ein Brüllen im Raum wie in einem Windkanal bei voller Windstärke, und eine mächtige Sturmbö kalter Luft fegte durch den Raum. Jedes lose herumliegende Stück Papier im Laboratorium wurde lebendig und wirbelte wie dürres Laub in einem Herbststurm durch die Luft. Eine Riesenhand stieß Arcot zurück; die Rückwärtsbewegung riß seine Hand vom Relaisschalter, der sofort in die Ruhestellung zurückschnappte. Augenblicklich verstummte das Brüllen des Sturms, und nur ein weiches Säuseln der Luft kündete noch von dem wütenden Ausbruch, der gerade stattgefunden hatte. Der Physiker betrachtete verblüfft das Gerät, während die anderen ihn stumm beobachteten. Schließlich wandte er sich zu seinem Sohn, der ihm lächelnd zuzwinkerte. »Dick, ich denke, du hast die Würfel in einer Weise
beschwert, die noch lukrativer ist als jede andere jemals erfundene Methode! Wenn das Prinzip dieser Maschine das ist, was ich vermute, dann hast du das Problem der hinreichenden Absorptionsfläche für eine mit Sonnenenergie betriebene Maschine blendend gelöst. »Nun«, bemerkte der ältere Morey, der in der plötzlichen Kühle fröstelte, »mit beschwerten Würfeln läßt sich eine Menge Geld gewinnen, das ist seit Jahrhunderten bekannt. Aber ich sehe nicht, wie dieses Laboratoriumsmodell einen Wintersturm verursachen kann. Ich glaube, man wird große Flächen für die Absorption der Sonnenwärme brauchen, denn diese Maschine bringt wahrhaftig die Hölle zum Gefrieren! Was ist das Geheimnis dabei?« »Das Prinzip ist einfach genug, aber die Anwendung bereitete mir erhebliche Schwierigkeiten. Trotzdem glaube ich, daß es eine ziemlich wichtige...« »Ziemlich wichtige!« unterbrach sein Vater ihn aufgeregt. »Es wird viel mehr als nur ziemlich wichtig sein! Das ist das größte Ding seit dem elektrischen Dynamo! Es befördert alle herkömmlichen Flugzeuge auf den Schrotthaufen! Es bedeutet den Beginn einer neuen Ära in der Energieerzeugung. Wir werden uns nie wieder wegen der natürlichen Energievorräte Sorgen machen müssen! Es ist die sauberste und schonendste Energieform, die es gibt. Sie wird interplanetarische Reisen nicht nur möglich, sondern wirtschaftlich lohnend machen.« Arcot junior grinste breit. »Dad scheint zu glauben, daß die Maschine Entwicklungschancen hat! Aber es ist wahr, auch ich glaube, daß dieses System alle Arten von Flugzeugen mit herkömmlichen Antriebsmethoden obsolet machen wird. Es ist eine direkte Nutzbarmachung der
Energie, die die Sonne so freigebig aussendet. Seit vielen Jahren haben die Kollegen versucht, die Atomenergie als Antriebskraft für Raumfahrzeuge einzusetzen oder gar die Kernfusion zum Ausgangspunkt eines solchen Antriebssystems zu machen. Aber warum das alles? Die Sonne tut es bereits, und in einem so ungeheuren Maßstab, daß wir niemals hoffen oder wünschen könnten, ähnliches zu bewerkstelligen. In jeder Sekunde verbrennt dieser kolossale Hochofen siebenhundert Millionen Tonnen Wasserstoff zu Helium, und jeder von uns kann sich vorstellen, welche Energiemengen dabei als Wärme abgestrahlt werden. Die Sonne ist eine praktisch unerschöpfliche Energiequelle, deren Größe menschliches Verstehen übersteigt. Warum sollten wir versuchen, mit großem Aufwand unsere Energie selbst herzustellen? Wir haben mehr als wir gebrauchen können; es geht nur darum, diesen ungeheuren Ozean von Energie anzuzapfen. Nun gibt es aber ein Hindernis, diese Energie nach Belieben nutzbar zu machen, und das ist das Wahrscheinlichkeitsgesetz. Darum erwähnte Dad beschwerte Würfel, denn Spielwürfel sind, wie wir alle wissen, das klassische Beispiel der Wahrscheinlichkeit – wenn sie nicht beschwert sind. Beschwert man sie, so gilt das Gesetz weiterhin, aber die Bedingungen sind nun derart verändert, daß sie das Problem ganz anders erscheinen lassen.« Arcot hielt inne, dann fuhr er halb entschuldigend fort: »Es hört sich an wie eine Vorlesung – aber ich weiß nicht, wie ich es anders deutlich machen könnte. Jedem von uns ist klar, was in einem Liter Heliumgas in einem Behälter vorgeht – eine ungeheure Zahl von Molekülen, die alle mit
Geschwindigkeiten von mehreren Kilometern in der Sekunde durcheinandersausen. Sie sind so dicht zusammengedrängt, daß keins von ihnen weit geradeaus fliegen kann, weil es mit einem anderen Molekül zusammenprallt und in einer neuen Richtung weiterfliegt. Wie groß ist nun die Chance, daß alle Moleküle zur gleichen Zeit in die gleiche Richtung fliegen? Einer der alten Physiker aus Einsteins Zeiten, ein Mann namens Eddington, drückte es sehr gut aus: ›Wenn eine Armee von Affen mit Schreibmaschinen spielte, könnten sie im Laufe der Zeit durch zufälliges Bedienen der Tasten alle Bücher im British Museum schreiben. Die Wahrscheinlichkeit, daß sie das zustande bringen, ist entschieden größer als die Wahrscheinlichkeit, daß alle Moleküle in einem Liter Gas sich zur gleichen Zeit in die gleiche Richtung bewegen.‹ Diese Unwahrscheinlichkeit der ganzen Sache ist es, was unser Problem unlösbar erscheinen läßt. Ebenso unwahrscheinlich – nach dem Gesetz des Zufalls sogar unmöglich – wäre es, beim Würfelspiel unaufhörlich Sechsen zu würfeln. Es ist tatsächlich unmöglich – es sei denn, eine andere Kraft beeinflußte das Geschehen. Bohrt man die der Sechs gegenüberliegende Eins im Spielwürfel aus und füllt man die Öffnung mit Blei, so wird man künftig lauter Sechsen würfeln. Das gleiche Gesetz macht es unmöglich, daß alle Gasmoleküle sich gleichzeitig in eine Richtung bewegen – es sei denn, wir helfen nach. Wenn wir eine Methode zur Beeinflussung der Gasmoleküle finden können, werden sie es vielleicht tun. Was würde nun mit einer Metallstange geschehen, wenn alle in ihr enthaltenen Moleküle beschlössen, sich
gleichzeitig in eine bestimmte Richtung zu bewegen? Ihre Hitzebewegung trägt sie normalerweise mit einer Geschwindigkeit von mehreren Kilometern pro Sekunde kreuz und quer herum, und wenn wir sie jetzt zwingen, alle in einer Richtung zu fliegen, dann muß sich die ganze Stange in diese Richtung bewegen, und sie wird dies mit einer Geschwindigkeit tun, die ebenso groß ist wie die Geschwindigkeit der individuellen Moleküle. Aber wenn wir die Metallstange nun an einem schweren Wagen befestigen, so wird sie versuchen, die beschriebene Bewegung auszuführen, jedoch gezwungen sein, den Wagen mit sich zu ziehen. Die Moleküle werden also nicht imstande sein, sich in der ihnen innewohnenden Geschwindigkeit zu bewegen. Die Masse des Wagens wird ihre Bewegung verlangsamen. Doch Moleküle, die sich langsam bewegen, haben einen spezifischen physikalischen Effekt. Moleküle bewegen sich durch Temperatur, ihre Bewegung ist Temperatur, und Mangel an Bewegung bedeutet Mangel an Wärme. Diese Moleküle, die verlangsamt wurden, sind dann kalt; sie werden Wärme aus der Luft ringsum absorbieren, und da das Wasserstoffmolekül bei Zimmertemperatur eine Geschwindigkeit von ungefähr zehn Kilometern pro Sekunde entwickelt, wird es durch die erzwungene Verlangsamung auf vielleicht hundert Grad unter Null abgekühlt und absorbiert entsprechend schnell Wärmeenergie, denn je größer die Temperaturdifferenz, desto größer die Rate der Wärmeabsorption. Ich glaube, es wird möglich sein, besagten Wagen sehr rasch auf eine Geschwindigkeit von mehreren Kilometern pro Sekunde zu beschleunigen. Das ist natürlich reine
Theorie, doch wenn wir uns statt des Wagens ein Flugzeug vorstellen, so ist tatsächlich vorstellbar, daß es in großer Höhe bei relativ geringem Luftwiderstand solche Geschwindigkeiten erreicht. Voraussetzung dazu ist ein technisch angepaßtes Flugzeug, das strömungsgünstig geformt ist und nur einen geringen Luftwiderstand erzeugt, in diesem Fall müßten sich sehr hohe Geschwindigkeiten erzielen lassen. Eine solche Maschine würde natürlich auf Tragflächen verzichten können, denn mit einer kleinen, vertikal angeordneten oder schwenkbaren Energieeinheit ließe es sich ohne weiteres in der Luft halten. Das Antriebssystem wird Flugkörper möglich machen, die rückwärts fliegen können und so durch eine einfache Umkehrung der Bewegungsrichtung in der Lage sind, hohe Fluggeschwindigkeiten rasch abzubremsen. Das System kann uns befördern, und es kann uns mit elektrischer Energie versorgen; wir brauchen bloß eine Serie von kleinen Metallstangen ringförmig um einen Generator anzuordnen und erhalten dadurch eine enorm leistungsfähige Anlage zur Erzeugung elektrischer Energie. Für unsere gegenwärtigen Bedürfnisse aber bedeutet es, daß wir über eine enorm starke Antriebsmaschine verfügen und darüber hinaus über eine, die wir unsichtbar machen können. Ich glaube, ihr könnt euch jetzt den Ursprung dieses Sturmwinds erklären, den wir vorhin hatten. Man sieht daran, daß dieses System auch eine großartige Kühlanlage abgeben würde.« »Dick Arcot«, begann Morey senior, und seine Stimme war undeutlich von unterdrückter Erregung, »ich möchte diese Erfindung auswerten. Ich verstehe genug von
Technik und von Wirtschaft, um zu wissen, daß dieser Apparat hier, wenn er all das leistet, was du eben sagtest, von unschätzbarem Wert ist. Ich könnte mir nicht leisten, die Patentrechte daran zu kaufen, aber wenn du nichts dagegen hast, möchte ich eine Produktionslizenz, um diese großartigste Erfindung seit der Dampfmaschine auszuwerten. Sie bedeutet den Beginn einer neuen Ära im Weltluftverkehr!« Er wandte sich zu Fuller. »Fuller, ich stelle Sie von allen anderen Aufgaben frei, damit Sie unserem Freund Arcot helfen können, eine Maschine nach dem neuen Prinzip zu bauen. Ich könnte mir denken, daß ein Prototyp schon bald starten kann; vielleicht noch rechtzeitig, um dem Piraten das Handwerk zu legen, bevor er sich aus dem Geschäft zurückzieht. Wenn das geschehen ist, erhalten Sie den Vertrag zur Entwicklung der neuen Flugzeuggeneration. Geld spielt keine Rolle. Die Kosten werden in die Milliarden gehen, aber dafür wird es keine Treibstoffund Ölrechnungen mehr geben, und die Betriebskosten werden minimal sein.« »Du kannst die Patentrechte für diese Entwicklung haben, wenn du sie willst«, sagte Arcot ruhig. »Du finanzierst diese Laboratorien für mich, und dein Sohn Robert hat mir bei der Ausarbeitung der theoretischen Grundlagen geholfen. Aber wenn Fuller morgen hierher übersiedeln kann, wird es uns ein gutes Stück weiterhelfen. Außerdem hätte ich gern einige von deinen besten Ingenieuren und Mechanikern, um die notwendigen Teile herzustellen und mit den Energieeinheiten anzufangen.« »Gemacht, mein Junge«, strahlte Morey.
3 Früh am nächsten Morgen bezog Fuller einen Nebenraum des Laboratoriums und richtete sich für die Arbeit ein. Arcot und Morey kamen zu ihm, sobald er damit fertig war, und die Konstruktion der neuen Maschine begann mit einer Konferenz – der ersten dieser Art, der noch viele weitere folgen sollten. »Zuerst müssen wir zu einer Vorstellung von der günstigsten Form kommen«, begann Fuller methodisch. »Da die Maschine vor allem strömungsgünstig sein muß, gehen wir am besten von einem einseitig spitz zulaufenden zylindrischen Körper aus, der für die besonderen Zwecke, denen er zu dienen hat, modifiziert werden muß. Aber du hast wahrscheinlich schon eine allgemeine Idee, Arcot. Kannst du uns eine Skizze machen?« Arcot nahm die Brille ab und runzelte nachdenklich die Stirn, während er die Gläser mit einem Zipfel seines Labormantels putzte. »Nun«, sagte er schließlich, »wir wissen noch nicht viel über dieses Ding, also werden wir es ausarbeiten müssen. Im Gefüge dieser Maschine werden gewaltige Spannungen auftreten, die zu berechnen du das Vergnügen haben wirst, darum sollten wir sichergehen und mit einem Sicherheitsfaktor von fünf arbeiten. Sehen wir uns einmal an, was wir brauchen werden. Für den Prototyp unserer Maschine ist es wichtig, daß er gegen das Gas des Piraten Sicherheit bietet, denn wenn wir ohnmächtig werden, haben wir keine Landeautomatik mit Instrumenten, die sich von den Signalen der Bodenstationen fernsteuern lassen. Ich habe mir über diesen Punkt Gedanken gemacht und glaube, das beste
System ist genau das, was wir in den Flaschen für die Proben verwendeten – ein Vakuum. Sein Gas läßt sich sozusagen durch nichts aufhalten, aber es gibt eine Nichtsubstanz, die es aufhalten wird! Wir müssen den Prototyp doppelwandig auslegen. Das Gas wird die äußere Hülle durchdringen, doch sobald es das Vakuum im Zwischenraum erreicht, wird es dazu neigen, sich dort zwischen der inneren und der äußeren Wandung anzusammeln, denn ob es hinein oder hinaus will, es wird gegen den Luftdruck angehen müssen. Der Luftdruck im Innern der Maschine wird es zurückdrängen, und der geringere Luftdruck draußen wird es nach innen drücken. Wenn wir es nicht auspumpen würden, würde es bald genügend eigenen Druck aufbauen, um die innere Wand zu durchdringen. Nun, nachdem das Zeug jedes Material durchdringen kann, was für eine Art von Pumpe sollen wir verwenden, um im Zwischenraum ein möglichst vollkommenes Vakuum aufrechtzuerhalten? Eine Kolbenpumpe wird nichts bewirken, denn das Gas würde entweder durch die Zylinderwandungen oder durch den Kolben selbst austreten. Eine Zentrifugalpumpe würde ebenso unwirksam sein. Eine Quecksilberdampfpumpe würde das Gas natürlich hinausschaffen und ein hohes Vakuum erhalten, aber das wäre ein aufwendiges und kompliziertes Verfahren. Unser neue Maschine liefert uns die Antwort. Wir brauchen die Außenhülle nur mit einer Anzahl Öffnungen zu versehen und einen von diesen Molekulargleichrichtern in jede Öffnung einzusetzen, worauf die Moleküle in den äußeren Luftraum gerichtet werden. Sie können nicht ins Flugzeuginnere eindringen und werden aus dem
Zwischenraum wieder entfernt.« »Aber das Vakuum«, wandte Morey ein, »das das Gas fernhält, wird auch Wärme fernhalten. Da unser Generator mit Wärmeenergie arbeiten soll, wird es an Bord ziemlich frostig sein, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Natürlich könnte man die Kraftanlage außen plazieren, wo sie von der vorbeistreichenden Luft gewärmt würde, aber die Maschine würde nicht mehr strömungsgünstig sein, wenn wir einen großen elektrischen Generator außen am Rumpf anbrächten.« »Daran habe ich auch schon gedacht, Bob«, antwortete Arcot. »Die Lösung kann nur die sein – wenn wir den Generator nicht an die Luft bringen können, müssen wir die Luft zum Generator bringen.« Er zog ein Stück Papier heran und begann zu skizzieren. »Angenommen, wir würden die gesamte Energieanlage hier in einem Heckraum unterbringen, während wir die Pilotenkabine nach vorn legen. Wir könnten die Arbeit der Kraftanlage elektronisch von unserer warmen, gasdichten Kabine aus überwachen und steuern. Wird es uns zu warm, können wir ein wenig von der Wärme für die Beschleunigung des Flugzeugs abgeben und die Kabine auf diese Weise abkühlen. Wenn es zu kalt wird, könnten wir eine vom Generator betriebene elektrische Heizung vorsehen. Die Luft für den Generator könnte durch kleine Einlaßöffnungen oben und unten hereingeführt und durch ähnliche Auslaßöffnungen im Heck wieder abgeblasen werden.« Seine Gedanken begannen seinen Worten vorauszueilen. »Wir brauchen einen Generator, der leistungsfähig genug ist, um allen Belastungstests standzuhalten. Wir werden kaum mehr als einhundert Kilowatt benötigen, aber ich bin
für einen Generator, der tausend Kilowatt leistet – natürlich Wechselstrom. Batterien, um den Generator zu starten... Aber zuerst müssen wir die Berechnungen dazu durchführen.« Den Rest des Tages arbeiteten die drei an dem allgemeinen Konstruktionsplan der neuen Maschine, berechneten die benötigten Materialstärken und ergänzten die Mathematik mit Experimenten, wo es ihnen angezeigt erschien. Die Rechenanlage war ständig in Betrieb, denn es gab wenige Regeln, die die Erfahrung ihnen geben konnte. Sie entwickelten etwas völlig Neues, und obwohl sie ein Team von führenden Mathematikern waren, stellte die Arbeit sie immer wieder vor Probleme, die ihrem Wissen und ihrem Einfallsreichtum alles abverlangten. Am Abend des ersten Tages war es ihnen immerhin möglich, den Ingenieuren die ersten Pläne für die Energieeinheiten zu übergeben. Die Bestellungen für die Batterie und die elektrische Standardausrüstung waren sofort hinausgegangen. Als sie die Pläne für die Rumpfkonstruktion fertiggestellt hatten, begannen die Bauteile und Materialien bereits den kleinen Hangar des abgelegenen Privatflugplatzes in den Hügeln von Vermont zu füllen, der dem älteren Morey gehörte und zur Flugzeugwerft ausersehen worden war. Die Maschinenbauer, Mechaniker und Ingenieure waren bereits in Vermont eingetroffen – offiziell auf Urlaub – und bewohnten die Bungalows am Rand des kleinen Sees, die sonst Präsident Moreys Sommergästen vorbehalten waren. So konnte das ganze Programm ausgeführt werden, ohne unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen. Eine Woche nach Fertigstellung der letzten
Detailzeichnungen trafen auch die letzten vorgefertigten und bestellten Einzelteile auf dem kleinen Flughafen ein. Im Innern des Hangars beherrschte das blendende, bläulichweiße Licht der Kathodenstrahl-Schweißgeräte die Szene, während das Skelett der Maschine unter den Händen der geschickten Spezialisten allmählich Gestalt annahm. Auf der anderen Seite des Hangars wartete der Generator auf seinen Einbau. Die vielen Energieeinheiten, deren Molekulargleichrichter die Maschine antreiben und manövrieren sollten, waren fertiggestellt und erwarteten den Einbau, bevor die zweite Woche um war. Die dicken Quarzfenster ruhten in ihren Lattenverschlägen entlang der Wand, um in die verschweißten Stahlplatten der Außenverkleidung eingelassen zu werden. Diese Platten waren einen Zentimeter dick, eine vielleicht unnötige Stärke, aber es war nicht nötig, am Gewicht zu sparen, und die Belastungen des Flugzeugrumpfs durch die abrupten Zugeinwirkungen der Molekulargleichrichter ließen eine äußerst stabile und widerstandsfähige Konstruktion angeraten erscheinen. Fuller, Arcot und Morey waren in der ersten Zeit fast ständig zwischen ihrem New Yorker Laboratorium und ihrer neuen Flugzeugwerft in Vermont hin und her gependelt. Nun, nachdem alle Einzelteile und Geräte beisammen waren und die Montage des Rumpfes sich dem Abschluß näherte, mußten auch sie in Vermont Quartier nehmen, um die komplizierten Arbeiten der Installation und des Ausbaus zu leiten und zu überwachen. »Allmählich sieht man schon, wie es werden soll, nicht wahr?« Arcot betrachtete den teilweise verkleideten Rumpf
mit kritischen Blicken. Unbehindert durch traditionelle Notwendigkeiten, hatten sie eine Maschine von einfachen, klaren Formen und hinreißender Schönheit entwerfen können. Der Flugkörper sollte seinen natürlichen Edelstahlglanz behalten; als einziger Schutz war ein durchsichtiger chemischer Überzug vorgesehen, der aufgesprüht werden konnte und das Metall gegen praktisch alle chemischen Einwirkungen unempfindlich machte. Die drei Freunde schlenderten um den rasch wachsenden Flugzeugrumpf und machten immer wieder halt, um die schweren geschweißten Verbindungen und die massiven Verstrebungen des Skeletts zu untersuchen. Schon jetzt war die Lage der Energieeinheiten deutlich zu erkennen, denn an jedem dieser Punkte führten vier oder fünf Träger und Strebepfeiler zusammen und bildeten massive geschweißte Stahlplatten mit eingelassenen schweren Bolzen aus Wolframstahl, die die Molekulargleichrichter zu halten hatten. Jeden dieser neuralgischen Punkte überprüften sie sorgfältig auf Materialfehler, wobei ihnen ein tragbares Röntgen-Fluoroskop gestattete, die innere Struktur des Metalls zu betrachten. Trotz der Eile, mit der die Arbeit vorangetrieben worden war, schienen alle Schweißstellen einwandfrei. Lange nach Anbruch der Dunkelheit zogen sie sich endlich zurück, zufrieden, daß alles für die Arbeit des nächsten Tages bereit war. Der Morgen begann mit Schwimmen im See und einem herzhaften Frühstück aus geräuchertem Schinken und Spiegeleiern. Dann begann die Arbeit von neuem, und an diesem Tag beaufsichtigten sie die Anbringung der Energieeinheiten. Jeder Molekulargleichrichter befand sich
im Zentrum eines elliptischen, konkav in die gerundete Wandung eingelassenen Kupferspiegels, um die Wärmeabsorption zu beschleunigen. Jeder Tag brachte die neue Maschine der Fertigstellung ein Stück näher, und der kopfstarken Mannschaft von hochqualifizierten Technikern und Ingenieuren gelang das Kunststück, die Maschine innerhalb von vier Wochen fertigzustellen. Nur die Elektronik und die Instrumente blieben zu installieren. Einige Tage später war auch das geschehen, und Arcot selbst, unterstützt von seinem Vater und Morey junior, hatte die letzten der vielen komplizierten Schaltkreise angeschlossen. »Mein lieber Junge«, bemerkte Arcot senior mit einem zweifelnden und kritischen Blick auf das riesige Armaturenbrett mit seinem Labyrinth von Kabelanschlüssen, Kontrolleuchten, Widerständen und integrierten Schaltungen dahinter, »kein Mensch kann all diese Instrumente im Auge behalten. Ich hoffe, du hast eine ausreichende Mannschaft an Bord, die all das bedient! Seit zwei Tagen kriechen wir jetzt zwischen diesen Verdrahtungen herum und löten Anschlüsse, und ich muß gestehen, daß ich längst die Übersicht verloren hätte, wäre unser Elektronikingenieur nicht dabeigewesen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie du all diese Instrumente überwachen und zugleich verfolgen willst, was draußen vorgeht.« »Oh«, lachte sein Sohn, »es ist halb so schlimm. Die meisten dieser Instrumente brauchen nicht ständig überwacht zu werden. Sie sind bloß Hilfen bei einer Anzahl von Versuchen, die ich machen möchte. Ich will diese Maschine als fliegendes Laboratorium verwenden,
damit ich die notwendigen Energien und die niedrigsten Sicherheitsfaktoren bestimmen kann, von denen wir dann beim Bau weiterer Maschinen ausgehen werden. Die Maschine ist jetzt beinahe fertig. Wir brauchen nur noch die Sitze – das werden besondere luftgepolsterte und gyroskopisch gelagerte Sitze sein, die wir bei den erwarteten Beschleunigungswerten und angesichts der Möglichkeit plötzlicher Kursänderungen und der damit verbundenen Belastungen des Körpers für notwendig halten. Natürlich wird die Maschine gyroskopisch ausbalanciert sein, aber darüber hinaus wird jeder Sitz eine separate gyroskopische Lagerung erhalten.« »Wann wirst du mit der Jagd auf den Piraten beginnen?« fragte Fuller. »Wenn alles komplett ist, habe ich vor, die Maschine wenigstens vier Tage lang zu erproben«, erwiderte Arcot, »bevor ich versuche, mich mit dem Piraten zu messen. Natürlich möchte ich nicht unnötig Zeit verlieren, denn der Mann hat schon an die zwei Millionen geraubt und ist immer noch dabei, noch mehr zusammenzuraffen. Das würde er nicht machen, wenn er bei klarem Verstand wäre. Ich nehme an, ihr habt gehört, daß Geheimdienst und Generalstab sein neues Gas für so wichtig halten, daß sie eine Amnestie für ihn erwirken wollen, vorausgesetzt, er verrät ihnen das Produktionsgeheimnis. Der Justizminister ist einverstanden, verlangt aber die Rückgabe der gestohlenen Gelder und Wertpapiere. Ich bin sicher, daß der Pirat das ganze Zeug noch hat; meiner Meinung nach ist er ein Kleptomane. Darum bezweifle ich auch, daß er seine Aktionen einstellen wird, bevor man ihn fängt. Wir können also ruhig abwarten, bis die Maschine erprobt ist
und wir sie gründlich kennen und beherrschen. Jede andere Verfahrensweise würde selbstmörderisch sein. Außerdem lasse ich von unseren Werkzeugmachern einen abgewandelten Molekulargleichrichter für den Gebrauch als Maschinengewehr bauen. Die Geschosse werden aus Stahl sein, ungefähr neun Zentimeter lang und so dick wie mein Daumen. Sie werden die herkömmliche Form haben, aber am Ende eine kleine Stabilisierungsflosse zur besseren Führung erhalten. Da sie im Gegensatz zu einer Gewehrkugel keinen Drall haben werden, ist diese Stabilisierungsflosse notwendig, damit sie während des Flugs die Spitze vorn behalten. Ich erwarte, daß diese Geschosse selbst dicke Panzerplatten durchschlagen werden, denn ihre Geschwindigkeit wird ungefähr bei sechs Kilometern pro Sekunde liegen. Sobald sie aus dem Magazin in den Lauf befördert werden, kommen sie in das Feld eines starken Molekulargleichrichters und werden geräuschlos und rückstoßfrei mit enormer Geschwindigkeit abgeschossen. Es wird die erste ballistische Waffe sein, deren Geschosse absolut geradeaus fliegen und keine Kurve beschreiben. Ich werde eine solche Waffe starr in den Bug einbauen und mit einem elektrischen Auslöser versehen lassen. Das heißt nicht, daß ich mit der Erprobung der Maschine warte, bis die Waffe eingebaut werden kann; das ist auch nachträglich noch möglich. Sobald wir die Elektronik und alles andere durchgeprüft haben, werde ich einen ersten Probeflug versuchen.« Zwei Tage später war es soweit. Das Maschinengewehr war noch nicht eingebaut, doch alle übrigen Bordsysteme waren überprüft, und die Maschine war nach
menschlichem Ermessen voll ausgerüstet und startbereit. »Dick«, sagte Morey, nachdem sie die gyroskopischen Sitze ausprobiert hatten, »es gibt keinen Grund, warum wir noch länger warten sollten. Es juckt mich in den Fingern! Stell dir vor, es ist erst halb vier, und wir können mit den Geschwindigkeiten, die diese Maschine entwickelt, ohne weiteres auf die Sonnenseite fliegen, wenn es hier dunkel wird! Laß uns den Testflug jetzt machen!« »Ich bin genauso ungeduldig wie du, Bob. Aber wir müssen warten, bis der Inspektor vom Bundesamt für Luftfahrt mit seiner Abnahmeuntersuchung fertig ist. Wenn er die Fluglizenz erteilt, werden wir die Nummer aufmalen, und dann kann es losgehen. Ich hoffe er wird den Testflug mit uns machen. An Bord ist Platz für vier Personen, und ich denke, du und Fuller und ich werden die Teilnehmer am Jungfernflug sein. Es sei denn, Dad hätte den Wunsch, mitzufliegen; in diesem Fall müßten wir Fuller vielleicht auf den nächsten Probeflug vertrösten.« Schon nach kurzer Zeit verließ der Inspektor das Innere der neuen Maschine und gab Anweisung, den Hangar zu öffnen und den Prototyp ins Freie zu rollen. Es war deutlich zu sehen, daß er nicht wußte, was er von der ganzen Sache halten sollte. Alle sahen zu, wie ein Schlepper das schimmernde Ungetüm behutsam aus dem Hangar und auf die neue Betonpiste bugsierte. Das mächtige Projektil war ein Ding von atemberaubender Schönheit, ein Symbol von Geschwindigkeit und verhaltener Kraft. Die blitzenden Quarzfenster im Bug und die flache, an ein Haifischmaul erinnernde Luftansaugöffnung für den Generator schienen die anmutige Eleganz der Linien nur noch zu betonen.
»Es ist schon eine Schönheit, das muß man sagen, Dick«, sagte der ältere Arcot. »Ich bin wirklich neugierig, ob die Maschine in der Luft erfüllt, was sie am Boden verspricht.« »Du möchtest mitfliegen, Dad?« »Aber selbstverständlich, mein Junge! Meinst du, ich würde mir dieses Ereignis entgehen lassen?« Richard Arcot lächelte, dann wandte er sich zur Seite und legte seinen Arm um Fullers Schultern. »Meinen Glückwunsch zu deinem Meisterstück!« sagte er. »Die Maschine sieht noch besser aus, als wir dachten, nicht wahr? Vor allem macht sie einen rasanten Eindruck. Ich wünschte, wir könnten dich bei diesem ersten Probeflug mitnehmen, aber du hast gehört, daß mein Vater darauf brennt. Beim nächsten Flug bist du dann dabei.« »Oh, das ist schon in Ordnung, Dick. Ich weiß, wie viele Überwachungsinstrumente da eingebaut sind und wieviel Arbeit es bei diesem ersten Flug für euch Physiker geben wird. Hoffen wir, daß ihr heil wieder herunterkommt.« Als der Inspektor zu ihnen herüberkam, nickte der ältere Arcot seinem Sohn zu. »Nun, Dick«, sagte er, »machen wir uns also auf. Das Ding sollte fliegen – aber wir wissen noch nicht, ob es das auch wirklich tun wird.« Die vier Männer gingen an Bord und schnallten sich in den gyroskopischen Sitzen an. »Mister Mason«, sagte Arcot zu dem Inspektor, »diese Sitze mögen Ihnen beweglicher erscheinen, als man es im allgemeinen von einem Sitz zu erwarten pflegt, aber in diesem experimentellen Prototyp baute ich alle Sicherheitsvorrichtungen ein, die mir zweckmäßig erschienen. Die Maschine selbst wird nicht abstürzen,
dessen bin ich sicher, aber die Antriebsenergie ist so gewaltig, daß die Beschleunigung sich als tödlich für uns erweisen könnte, wenn wir nicht in einer günstigen Position sind, den auftretenden Kräften zu widerstehen. Sie werden bemerkt haben, daß die wichtigsten Steuerungselemente und Instrumente in die Armlehne des Pilotensitzes integriert sind. Das erlaubt mir, zu jeder Zeit die volle Kontrolle zu behalten, während mein Sitz gleichzeitig senkrecht zu den auftretenden Kräften bleibt. Das Gyroskop hier in der Basis hält den Sitz absolut ruhig und stabil, wenn die Maschine schlingert oder rollt, dabei kann der Sitz aber ohne weiteres auf diesem Lager hier gedreht werden, damit wir nicht aus unseren Sitzen gerissen werden. Ich bin zuversichtlich, daß Sie die Maschine sicher genug finden werden, um ihr eine Lizenz zu erteilen. Dürfen wir jetzt starten?« »In Ordnung, Doktor Arcot«, antwortete der Inspektor. »Wenn Sie und Ihr Vater den Versuch machen wollen, ich bin bereit.« »Fertig, Ingenieur?« fragte Arcot. »Fertig, Pilot«, erwiderte Morey. »Gut – behalte du die Instrumente im Auge, Dad, während ich einschalte. Wenn du siehst, daß eine Anzeigenadel über die rote Markierung steigt, schaltest du einfach das Hauptrelais aus. Ich werde jedes Bordsystem aufrufen, während ich es einschalte, damit du weißt, welche Instrumentengruppe du beobachten mußt.« »Alles klar, Junge.« »Hauptgyroskope!« Es ertönte ein leises Knacken, ein Klicken von Relais in der Schaltzentrale hinter der Pilotenkabine, und dann ein leises Summen, das rasch die
Tonleiter durchlief. »Generator!« Wieder das Schnappen des Schalters, das Klicken der Relais, wieder das ansteigende Summen. »Sitz-Gyroskope.« Dem leisen Knacken des Schalters folgte ein schnelles, schrilles Geräusch, das sich innerhalb einer Sekunde über den Hörbereich erhob. »Frequenzumwandler!« Das tiefe Summen des Generators verstärkte sich momentan, als die Relais die Energie abnahmen. Arcot beobachtete die Anzeige der Energiefrequenz, die sich allmählich derjenigen des Lichts annäherte. »Alles scheint soweit ausgezeichnet zu funktionieren«, sagte Arcot senior. »Können wir jetzt starten, Junge?« Richard Arcot nickte. Ein Zittern durchlief den Rumpf der Maschine, als die Energie auf die Molekulargleichrichter übertragen wurde. Ein spezielles Instrument war neben Arcot angebracht, damit er die Schubkraft seiner Maschinen kontrollieren konnte; das Instrument registrierte das scheinbare Gewicht der Maschine. Die Nadel hatte bis zu diesem Augenblick einhundertzwanzig Tonnen angezeigt. Nun starrten alle vier Augenpaare wie gebannt auf die Skala, als die Anzeigenadel rasch fiel: 100 – 75 – 50 – 40 – 20 – 10 – dann blieb die Nadel auf Null, und die schwere Maschine schwebte in der Luft und bewegte sich langsam über die kurze Betonpiste, als eine Brise sie parallel zum Boden mit sich nahm. Es dauerte nur Sekunden, aber den Insassen der Maschine schien es, als verginge eine Ewigkeit. Die Zuschauer, die das Flugfeld umstanden, sahen die Maschine sich lautlos vom Boden abheben und zuerst langsam, dann mit zunehmender Beschleunigung zum
Himmel aufsteigen. Nach zwei oder drei Minuten verschwand sie im strahlenden Blau, ein winziger, glitzernder Lichtpunkt; dann war sie nicht mehr auszumachen. Die Steiggeschwindigkeit mußte fantastische Werte erreicht haben. Für die vier Männer an Bord hatte es eine rasche und beinahe unerträgliche Gewichtszunahme gegeben, die ihre Körper wie Bleiklumpen in die luftgepolsterten Sitze gepreßt hatte. Sie registrierten mit Verblüffung, wie rasch der Boden, der Hangar, der kleine See mit den Bungalows am Ufer unter ihnen zurückblieben und zusammenschrumpften. Als sie die betäubende Wirkung der starken Beschleunigung zu überwinden begannen, hatten sie eine enorme Höhe erreicht; der Höhenmesser zeigte über 32000 Meter an. Die Luft um sie herum war so dünn, daß der Himmel schwarz erschien und die Sterne in einem kalten, stetigen Glanz herunterbrannten; während die gewaltigen Feuer der Sonne wie mächtige Arme in den Raum hinauszureichen schienen, um die kreisenden Planeten wieder hereinzuholen und wieder dem Körper einzuverleiben, dem sie einst entrissen worden waren. Bekränzt wurde die Sonne von den weit ausgebreiteten Streifen des Zodiakallichts, einer titanischen Aurora von kaltem Feuer. Die Maschine schien ohne Bewegung in dieser Höhe zu hängen, und allmählich, nachdem sie sich von ihrer Überraschung erholt hatten, begannen die vier Männer an Bord die Instrumente abzulesen. Als Arcot sprach, war etwas wie ehrfürchtige Scheu in seiner Stimme. »Ich habe die vorhandene Energie nur zu einem kleinen Teil eingesetzt! Welch eine Maschine!
Wenn wir sie serienmäßig herstellen, werden wir viel kleinere Generatoren einbauen müssen, oder die Leute werden sich im Geschwindigkeitsrausch selbst umbringen.« Die Überprüfung der Instrumente ergab, daß die Werte, die Arcot und Morey aus ihren theoretischen Berechnungen gewonnen hatten, richtig waren. Die von der Maschine absorbierte Energie hatten sie gekannt und richtig berechnet – aber die ungeheure Kraftentfaltung der Molekulargleichrichter ging weit über ihre Erwartungen hinaus. »Nun, jetzt ist es Zeit, daß wir einige horizontale Manöver fliegen«, verkündete Arcot nach abgeschlossener Überprüfung. »Ich glaube, wir sind uns einig, daß die Maschine steigen und sich in der Luft halten kann. Die Luftdruckregelung scheint einwandfrei zu arbeiten. Nun werden wir die Geschwindigkeit im Horizontalflug testen.« Die Sitze schienen unter ihnen wegzukippen, und die Maschine schoß mit rasch zunehmender Geschwindigkeit vorwärts. Wieder war die Beschleunigung so groß, daß die vier Männer an Bord einer Ohnmacht nahe waren. Bevor sie wußten, wie ihnen geschah, schoß die Maschine mit einer Geschwindigkeit, die keine Gewehrkugel jemals erreicht hatte, über den Atlantik hinaus. Die Nadel des Radiotachometers wanderte weiter und weiter nach rechts, während die Geschwindigkeit unglaubliche Werte erreichte. Beim Überfliegen der Atlantikküste bewegten sie sich mit einer Geschwindigkeit von zwei Kilometern in der Sekunde. Sie waren in der Mitte des Atlantiks, bevor Arcot die Beschleunigung nach und nach wegnahm. Ein Stimmengewirr aufgeregter Kommentare erfüllte die
Kabine. Mit der vollen Erkenntnis der historischen Bedeutung dieses Flugs gerieten die Temperamente für einen Moment außer Kontrolle, und keiner kümmerte sich um die anderen. Schließlich erreichte eine Frage des Inspektors Arcots Ohren. »Welche Geschwindigkeit haben wir erreicht, Doktor Arcot? Sehen Sie – dort ist die Küste von Europa! Wie schnell sind wir jetzt?« »Wir waren bei fünf Kilometern pro Sekunde«, antwortete Arcot. »Nun ist die Geschwindigkeit auf dreieinhalb gefallen.« »Wir sollten sehen, wie hoch die Maschine steigen kann«, schlug Morey vor. »Da die Maschine vom Generator abhängt, der die Molekulargleichrichter mit Impulsen auf der Lichtfrequenz versorgt, muß es eine Obergrenze geben.« Arcot nickte. »Du hast recht. Die Steigfähigkeit hängt von der Lufttemperatur und der Sonneneinstrahlung ab. Gehen wir also höher!« Der Höhenmesser zeigte, daß die Maschine stetig stieg. Nicht lange jedoch, und der Generator begann langsamer zu werden. Die Instrumentenkontrolle ergab rasch fallende Werte. Die Temperatur der extrem verdünnten Atmosphäre außerhalb der Maschine war dem absoluten Nullpunkt so nahe, daß sie sehr wenig Energie lieferte. »Ich würde jetzt wieder ein wenig vorwärts beschleunigen«, schlug Morey vor. »Auf diese Weise saugt die Maschine mehr Luft an.« »Richtig, Bob.« Arcot folgte der Anregung, und das Flugzeug begann sich vorwärts zu bewegen. Die Zunahme an verfügbarer Energie war sofort an den Instrumenten
abzulesen, die ein neuerliches Steigen der Maschine anzeigten. Aber schließlich, in einer Höhe von mehr als siebzig Kilometern, war die Grenze der Steigfähigkeit erreicht. Die Kälte in der Kabine wurde unerträglich, denn alle Energie, die der Generator von außen beziehen konnte, wurde für den Betrieb der Molekulargleichrichter benötigt. Auch die Luft wurde verbraucht und schlecht, denn die Pumpen konnten sie aus dem annähernden Vakuum draußen nicht ergänzen. Sauerstoffbehälter waren für diesen ersten Probeflug nicht an Bord genommen worden. Als die Abgabeleistung des Generators zur Erwärmung der Kabine verwendet wurde, begannen sie zu fallen. Obgleich die Maschine von den Gyroskopen in ihrer Position stabilisiert wurde, fiel sie wie ein Stein; aber sie hatte siebzig Kilometer zu fallen, und als der Widerstand der dichteren Luft wuchs, begann das Gefühl von Schwerelosigkeit nachzulassen. »Ihre Maschine hat den Eignungstest bestanden, Doktor Arcot«, sagte der Inspektor. »Dazu wären diese letzten Manöver nicht mehr nötig gewesen. Die verlangte Steighöhe wurde längst überschritten – ich glaube, wir sind noch immer mehrere Kilometer darüber! Wie schnell fallen wir?« »Kann ich nicht sagen, es sei denn, ich richte die Nase der Maschine abwärts, denn der Radiotachometer arbeitet nur in der Richtung, in die der Bug zeigt. Aber wenn sie den Höhenmesser mit ihrer Uhr vergleichen, können Sie es selbst ausrechnen. Vorsicht, wir beginnen jetzt mit dem Abbremsmanöver.« Es war dunkel, als sie auf dem kleinen Flugplatz in
Vermont landeten. Sie hatten alle bestehenden Rekorde für Flugzeuge gebrochen – den Höhenrekord, den Geschwindigkeitsrekord, den Steigfähigkeitsrekord, den Beschleunigungsrekord... Nur nicht den Langstrecken- und Dauerflugrekord. Arcot wußte, daß er am nächsten Tag wieder fliegen würde. Schon jetzt fühlte er sich mit den Bedienungselementen hinreichend vertraut, um die Maschine sicher und fast unmerklich aufzusetzen. Die nächsten zwei Tage waren mit sorgfältigen Erprobungen der Energiefaktoren der Maschine, der besten Operationsfrequenz, der günstigsten Flughöhe und anderen Tests ausgefüllt. Die drei jüngeren Männer wechselten sich auf dem Pilotensitz ab, aber so groß waren die Belastungen der jähen Beschleunigung, daß Arcot senior entschied, daß es vernünftiger wäre, wenn er am Boden bliebe und die Manöver dort an den Kontrollgeräten verfolgte. In der Zwischenzeit waren Meldungen über den Piraten immer seltener geworden, weil kaum noch Geld oder Wertsachen auf dem Luftweg transportiert wurden. Arcot verbrachte vier Tage mit Flugmanövern und Erprobungen der Maschine, denn obwohl sie sich sehr viel leichter steuern ließ als jedes andere Flugzeug, das er je geflogen hatte, bestand immer die Gefahr, in der Anspannung oder bei plötzlicher Erregung zuviel Energie loszulassen. Am Abend zuvor war Arcot mit der Maschine zu Morey seniors Landsitz geflogen und hatte mit dem Präsidenten der Luftlinie die Frage eines Köders für den Piraten besprochen. »Mir liegt daran, daß die Zeitungen über Datum und Summe eines neuen Geldtransports berichten«, hatte er
erläutert. »Es sollte von mindestens einer Viertelmillion die Rede sein, und natürlich von starker Bewachung und so weiter. Der Pirat soll denken, daß es eine runde Sache sei, die sich für ihn lohnen werde. Ich werde die Linienmaschine in vielleicht einem halben Kilometer Abstand begleiten und versuchen, den Piraten mittels Radar ausfindig zu machen. Ich hoffe, daß er nicht mißtrauisch wird – aber nach seinem bisherigen Verhalten scheint er eher unbekümmert zu sein. Wie immer es ausgehen mag, der Versuch wird sich lohnen!«
4 Robert Morey und Richard Arcot schwebten fünfzehntausend Meter über dem Großflughafen von New York, ein winziger glitzernder Punkt hoch im tiefen Samt des dunkelblauen Himmels. Durch Feldstecher beobachteten sie, wie die Linienmaschine der Transcontinental Airways über die Startbahn kroch, schwerfällig abhob und nach einer weiten Schleife auf Westkurs ging. Das fliegende Ungetüm schien die Wolkenkratzer zu streifen, die sieben- und achthundert Meter hoch die Ufer von East River und Hudson säumten. Aus dieser Höhe sahen sie wie mattfarbene kristalline und schweflige Ausblühungen des Bodens aus, mattglänzend im Dunst des heißen, sonnigen Mittags. Sah man genauer hin, so entdeckte man zwischen ihnen Ströme von Hubschraubern, die sich in einem verwirrenden Tanz auf verschiedenen Ebenen durcheinanderbewegten wie ein Mückenschwarm.
»Sieh dir bloß diesen Verkehr an! Die einen fliegen zum Mittagessen nach Hause, die anderen sind schon wieder unterwegs in die Stadt – Zehntausende müssen es sein, und mit jedem Tag scheinen es mehr zu werden! Ich möchte nicht hier leben und arbeiten müssen. In der City sind der Lärm und der Wind von den Rotorblättern schon jetzt so unerträglich, daß du dich als Fußgänger nicht mehr auf die Straße wagen kannst, und es wird immer schlimmer. Und dann die Unfallgefahr! Jedesmal wenn ich in der Innenstadt zu tun habe, habe ich Angst, daß jemand mit einem ausgeleierten alten Kasten gegen eine Hauswand kracht oder mir auf den Kopf fällt.« Morey war ein guter Pilot, und er kannte wie wenige andere die Gefahren der von den zahllosen wirbelnden Rotorblättern verursachten Luftturbulenzen. Die großen Bürogebäude hatten jetzt fast alle doppelte Wände mit dicken Zwischenschichten aus geräuschdämmenden Materialien, die den zwölf Stunden am Tag fast unvermindert anhaltenden Höllenlärm fernhalten sollten. »Wenn du glaubst, Bob, daß es besser wird, wenn die Leute in ein paar Jahren ihre Hubschrauber wegschmeißen und Maschinen dieses Typs kaufen, dann täuschst du dich vielleicht«, erwiderte Arcot. »Dieses Ding hat einige Nachteile. Wäre die Luft über den inneren Stadtbezirken ständig von Maschinen wie dieser erfüllt, dann wäre es zwar mit Wind und Lärm vorbei, aber die Städte würden wahrscheinlich jahrein jahraus ein arktisches Klima haben.« Robert Morey nickte nachdenklich. »Sehr richtig, Dick. Aber denken wir einmal weiter. Wenn Tausende von Maschinen dieser Art in der Luft herumfliegen, wenn
riesige Kraftwerke nach diesem Prinzip Energie gewinnen, wenn es tausend andere Anwendungen gibt, in Industrie und Verkehr und sogar in den Haushalten, wird die enorme Energieentnahme aus der Luft dann nicht dazu führen, daß die Temperatur auf der ganzen Welt um einige Grade absinkt?« »Ich habe selbst schon darüber nachgedacht, Bob«, sagte Arcot. »Natürlich sind genaue Voraussagen unmöglich, aber ich bezweifle es. Denk daran, daß der größte Teil der Energie, die wir heute verbrauchen, als Wärme endet. Und denk an die ungeheueren Mengen Wärmeenergie, die die Sonne abgibt! Die gesamte Abwärme von zweihundertfünfzig Jahren energiefressender technischer Zivilisation hat die durchschnittlichen Jahrestemperaturen auf der Erde nicht nachweisbar beeinflussen können. Ich glaube, daß für den Kühleffekt dieser Art von Energiegewinnung das gleiche gelten wird. Gewiß, wir erhalten nur einen winzigen Bruchteil der abgestrahlten Sonnenenergie – aber was wir bekommen, ist mehr als genug für uns. Kraftwerke könnten zweckmäßigerweise in den heißen Trockengebieten der Erde errichtet werden, wo sie die Luft abkühlen würden. Die dort gewonnene Energie könnte dann für Industrieanlagen, Seewasserentsalzungsanlagen und Bewässerungssysteme verwendet werden. Die überschüssige Hitze der Tropen und Subtropen würde nutzbar gemacht. Und das wäre noch lange nicht alles. Durch die gezielte Veränderung der vorherrschenden Windrichtungen auf der Erde wäre es möglich, in weiten Gebieten das Klima zu verbessern. Man könnte auf Gebirgen riesige Rohre mit Molekulargleichrichtern installieren und die Winde in günstige Richtungen blasen.
Regenfronten könnten zum Abregnen über Trockengebiete gelenkt werden, und warme Südwinde würden in anderen Regionen den Winter mildern.« Nach längerem nachdenklichen Schweigen fuhr Arcot fort: »Und es gibt noch etwas, das durch diese Erfindung in Zukunft möglich sein könnte – etwas, das wir heute vielleicht noch als ein Hirngespinst abtun würden. Wir haben jetzt eine praktisch unerschöpfliche Energiequelle, aber wir haben keine Bodenschätze mehr, die uns über die nächsten fünfzig Jahre hinaus zur Verfügung stehen würden. Metalle wie Silber und Zink werden nicht mehr gewonnen, und Kupfer ist längst zu einer Rarität geworden. Wären im vorigen Jahrhundert nicht die großen Kupferfelder der Sahara entdeckt worden, würden wir heute kaum noch wissen, was Kupfer ist. Selbst Eisen wird immer wertvoller. Kurzum, wir sehen uns der zunehmenden Verknappung fast aller wichtigen Metalle gegenüber. Wir werden diese Zivilisation nicht in das nächste Jahrhundert hinüberretten, wenn es uns nicht gelingt, neue Quellen bestimmter grundlegender Rohmaterialien zu erschließen. Aber wir haben jetzt eine weitere Chance. Die Lösung ist, daß dieses Sonnensystem neun Planeten hat! Uranus und Neptun sind um ein Mehrfaches größer als die Erde; sie sind für Leben, wie wir es kennen, absolut unbewohnbar, aber die Errichtung kleiner, geschützter Kolonien zum Abbau und zur Verhüttung von Erzen für die ferne Erde wäre immerhin denkbar. Es könnte durchaus möglich sein, überkuppelte und künstlich klimatisierte Siedlungen zu gründen. Aber zuerst könnten wir es mit den näheren Planeten versuchen – Mars, Venus oder mit
Satelliten wie unserem Mond. Ich hoffe, daß diese Maschine solche Träume Wirklichkeit werden läßt.« Sie glitten lautlos durch den fast wolkenlosen Himmel, hoch über den grünen Ebenen von Indiana. Fünftausend Meter vor und unter ihnen schleppte sich die ungefüge Linienmaschine ihrem Ziel entgegen. Aus dieser Höhe hatte es den Anschein, als krieche sie über das Land, doch ein Blick auf den Tachometer zeigte, daß sie eine Reisegeschwindigkeit von knapp tausend Stundenkilometern hielt. »Du hast recht, Dick«, sagte Morey nach längerem Schweigen. »Eines Tages werden wir über die interplanetarischen Aspekte dieser Erfindung nachdenken müssen. Ah, da ist schon Chicago! Wir sollten lieber die Vakuumpumpe einschalten. Und das Radargerät. Wenn unser Freund angreift, wird er es bald tun.« Arcot rief Fuller, der die ganze Zeit im Generatorenraum Materialprüfungen gemacht hatte, und der Konstruktionsingenieur nahm seinen Sitz in der Kabine ein und legte die Gurte an. Wenn es zu einer Verfolgungsjagd mit plötzlichen Manövern und Beschleunigungen kam, wollte er den auftretenden Kräften nicht schutzlos ausgeliefert sein. Arcot nahm die Geschwindigkeit ein wenig zurück und vergrößerte den Abstand zu der Linienmaschine. Die Spannung nahm zu. Immer wieder gingen ihre Blicke zu dem Bildschirm zwischen den Reihen der Bordinstrumente. »Die Gegend sieht vertraut aus, Dick«, sagte Morey und zeigte zum Fenster hinaus. Am nordwestlichen Horizont war eine niedrige Kette von blauen Bergen zu sehen. »Ich glaube, hier war es, wo wir an Bord des ›fliegenden
Rollstuhls‹, wie die Zeitungen es nannten, unser Nickerchen machten. Es sollte mich nicht wundern, wenn unser Freund – da! Das muß er sein! Halte dich bereit, Fuller. Du übernimmst das Maschinengewehr. Ich werde mit dem Störsender arbeiten, um seine Unsichtbarkeit zu zerstören, und Dick wird die Maschine steuern. Endlich ist es soweit!« Im oberen Drittel des Bildschirms flackerte ein kleines rotes Licht, glühte kurz wie ein Stück erhitztes Eisen und erlosch plötzlich. Einen Moment später glühte es wieder auf, und diesmal nahm seine Leuchtkraft zu, bis es eine karmesinrote Linie bildete. Arcot senkte die Nase der Maschine ein wenig, und nun kam auch der dunkle Umriß der Linienmaschine auf den Schirm. Der Pirat flog unsichtbar ungefähr fünfhundert Meter vor dem großen Flugzeug und war offenbar gerade dabei, seine Gaswolken abzulassen. Oben, unten und zu beiden Seiten flogen die Jagdmaschinen der Luftwaffe Eskorte, ohne zu ahnen, daß der Feind so nahe war. Da der Richtstrahl des Störsenders eine Reichweite von nur etwa zwei Kilometern hatte, mußten sie näher herangehen. Arcot drückte die Nase der Maschine tiefer und beschleunigte; einen Moment später schien das große Passagierflugzeug unter ihnen mit enormer Geschwindigkeit aufwärts zu rasen. Als sie auf ungefähr zwei Kilometer herangekommen waren, begann der lautlose Kampf der entgegengesetzten Energien. Der Pirat suchte seine Unsichtbarkeit zu wahren, während der Verfolger bemüht war, diese Abwehr zu durchbrechen. Der mit dem Richtstrahl des Senders verbundene Amperemeter begann so rasch zu steigen, daß Morey ihn mit einiger Besorgnis beobachtete. Obgleich der
Sender eine Leistung von zehn Kilowatt entwickelte, hielt die Anlage des Piraten erstaunlich lange stand. Auf einmal sahen die drei in einiger Entfernung voraus eine rasch sich verfestigende Wolke. Die von Moreys Sender ausgehenden Störimpulse hatten begonnen, die molekulare Oszillation zu zerstören, die es dem Licht erlaubte, ungehindert die Piratenmaschine zu durchdringen. Plötzlich war die undeutliche Form von einem Kreis aus blauem Licht umgeben, und einen Augenblick später erreichte die ionisierte Luft wieder ihren Normalzustand, als die Anlage des Piraten unter der Sendeenergie des Verfolgers zusammenbrach. Morey schaltete den Sender aus, durch die plötzliche Veränderung überzeugt, daß die Anlage des Piraten kurzgeschlossen und ausgefallen war. Er blickte schnell auf, als Arcot ihm aufgeregt zurief: »Bob – sieh dir an, wie der abgeht!« Zu spät. Schon war das Flugzeug des Piraten mit ungeheurer Geschwindigkeit davongeschossen und in eine Aufwärtskurve gegangen. Mit einer Steiggeschwindigkeit, die unglaublich schien, zog es steil empor und gleichzeitig nach links – doch der Schweif aus glühendem Gas und Rauch verriet den Grund. Das Flugzeug wurde von Raketen angetrieben! Die enorme Beschleunigung trug es binnen Sekunden aus ihrem Sichtbereich, und als Arcot seine Maschine in eine Aufwärtskurve nach links zog, um den Piraten zu verfolgen, stockte ihnen der Atem, denn sie hatten Mühe, die zu einem winzigen Punkt geschrumpfte Piratenmaschine in der Weite des Himmels auszumachen. Es gab einen betäubenden Beschleunigungsstoß, als Arcot die Verfolgung aufnahm. Er erhöhte die Beschleunigung weiter, als die Männer sich an den Druck
gewöhnt hatten, der sie in ihre Sitze preßte. Vor ihnen raste der Pirat dahin, aber nun holten sie ihn rasch ein, denn seine Maschine hatte Tragflächen, die bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit viel Luftwiderstand erzeugten. Der Radiotachometer zeigte, daß sie der fliehenden Maschine mit einer Geschwindigkeit von mehr als fünftausend Stundenkilometern folgten. Schnell schmolz der Vorsprung des Piraten zusammen. Es schien nur noch eine Frage von Sekunden, bis er im Bereich ihres Maschinengewehrs sein würde. Plötzlich kippte er seitwärts ab und stieß im Sturzflug hinab zur Erde, die fünfzehn Kilometer unter ihnen in Dunst lag. Arcot reagierte mit einer weiten Abwärtskurve, die ihn rasch wieder hinter den Piraten brachte. Die schnellen Manöver bedeuteten bei diesen Geschwindigkeiten eine ungeheure Belastung für Menschen und Maschinen – die Beschleunigung schien sie mit dem Gewicht von acht Männern zu erdrücken, als Arcot dem seitwärts ausbrechenden Piraten in einer weiteren Abfangschleife folgte, die in einem fast senkrechten Steigflug endete. Über ihnen stand die Raketenmaschine auf einem donnernden Feuerstrahl von mehreren Metern Länge. Sie kletterte mit einer Geschwindigkeit, die jede andere Maschine, die die Welt je gesehen hatte, mit Leichtigkeit hinter sich gelassen hätte, aber der hartnäckige Verfolger ließ sich nicht abschütteln. Der Pirat entließ Wolken von seinem hochwirksamen Gas, aber das Projektil hinter ihm stieß zu seiner Überraschung unbekümmert durch diese Wolken und zeigte keine Anzeichen irgendeiner Wirkung auf seine Insassen. Er, der am meisten über das Gas wußte, war unfähig gewesen, ein undurchlässiges Material zu
finden, doch diesen Männern mußte es irgendwie gelungen sein! Und diese unglaublich schnelle, projektilförmige Maschine hinter ihm! Sie entwickelte eine Geschwindigkeit und Beschleunigung, denen nicht einmal sein unschlagbares Raketenflugzeug etwas entgegenzusetzen hatte. Und obwohl dieses Projektil weder Tragflächen noch Leitflächen besaß, war es so wendig, daß er es nicht abschütteln konnte. Wieder und wieder versuchte er komplizierte Manöver, die ihm und dem Flugzeug das Äußerste abverlangten, doch die fremde Maschine folgte ihm wie ein Schatten! Wie auch immer, er hatte noch eine Möglichkeit. Seine Raketenmotoren konnten ihn auch draußen im luftleeren Raum tragen, und er vermutete, daß der Verfolger ihm nicht dort hinaus folgen konnte. Steil schoß er aufwärts, der flammenden Sonne entgegen, hinaus in den Raum, während der Himmel um ihn her schwarz wurde und die Sterne in feierlicher Pracht auf ihn herabschienen. Aber er hatte Augen nur für das schimmernde Projektil, das mit mehr als gleicher Geschwindigkeit hinter ihm aufstieg. Er wußte, daß er mit dreifacher Schallgeschwindigkeit stieg, doch der Verfolger kam abermals näher. Wenn es so weiter ging, würden die Leute hinter ihm, wer immer sie sein mochten, in ein paar Minuten so nahe sein, daß er in Reichweite ihrer Bordkanonen oder Maschinengewehre geriet... Aber nein, das Projektil fiel zurück! Arcot, Morey und Fuller saßen bleich, gespannt und mit blassen Lippen, während die wilden Manöver ihre gyroskopischen Sitze wie Erbsen in einem rollenden Ball herumwirbelten. Die Maschine vor ihnen war unglaublich schnell und wendig und schwenkte immer wieder aufwärts,
abwärts, nach links und nach rechts. Dann, als alles nicht half, richtete die Raketenmaschine ihre Nase zur Sonne und schoß aufwärts, hinaus in den Raum. »Wenn er hinauskommt, verlieren wir ihn, Bob!« sagte Arcot. Die gewaltige Beschleunigung des Steigflugs drückte sie mit ungeheurer Gewalt in ihre Sitze. Das Sprechen, ja selbst das Atmen bereitete ihnen größte Mühe – Arcots Worte waren nicht mehr als ein abgehacktes Keuchen. Die Maschine vor ihnen schien langsam näher zu rücken. Vielleicht würden sie ihn doch noch einholen können. Nun, da die Geschwindigkeiten von der Schwerkraft maximal gedrosselt wurden, und der Luftwiderstand der Atmosphäre so gut wie verschwunden war, kam es nur darauf an, Beschleunigungswerte einzuhalten, die der menschliche Körper gerade noch ertragen konnte. Der Pirat vor ihnen trieb seine Maschine mit einer Beschleunigung in den Raum hinaus, die manchen anderen getötet haben würde. Langsam sank die Geschwindigkeit des Projektils. Arcot stieß den Regler bis zum Anschlag, um auch noch das letzte Ampere herauszuholen, und momentan fühlte er den leichten Vorwärtsschub, als größere Energie abgegeben wurde. Aber schon nach Sekunden war auch dieser Effekt verpufft, und die Drehzahl des Generators sank unaufhaltsam. Die Antriebskraft der atmosphärischen Wärme existierte nicht mehr. Fünfundsiebzig Kilometer unter ihnen lag die Erdoberfläche, grünlichbraun und leicht konvex, und weit im Osten konnten sie im Dunst die silbrige Linie des Ozeans ausmachen. Aber sie achteten kaum darauf; ihre Augen starrten wie gebannt auf die feuerspuckende Maschine des Piraten, die sich mit
unverminderter Geschwindigkeit von ihnen entfernte und im Nu zu einem rasch wandernden rötlichen Stern unter vielen weißen wurde. Dort draußen im Weltraum war er vor ihnen sicher. Mit einem enttäuschten Seufzer sah Arcot die Nadel des Höhenmessers stetig sinken. Er brachte die Maschine in eine horizontale Lage, parallel zur Erdoberfläche, und beobachtete den winzigen funkelnden Lichtpunkt, der das Piratenflugzeug war, durch das Dachfenster. Die Maschine sank bis auf achtundviertigtausend Meter, wo die Luftdichte gerade ausreichte, um die Höhe zu halten. »Nun, er hat uns geschlagen! Aber vielleicht erwischen wir ihn doch noch. Er kann nicht den ganzen Tag dort oben bleiben, während wir es in dieser Höhe lange aushalten können. Sollte die Energie zur Beheizung der Kabinen nicht ausreichen, gehen wir einfach ein paar Kilometer tiefer. Der Pirat da oben hat Wärme genug, dafür sorgen seine Raketen. Himmel, was für eine Maschine! Aber irgendwie werden seine Raketen ausbrennen, und dann wird er herunterkommen, wenn er nicht in einer Umlaufbahn verhungern will. Wir brauchen ihm nur in dieser Höhe zu folgen, und wenn er herunterkommt – wahrscheinlich im Gleitflug –, werden wir ihn uns kaufen. Ah, er versucht uns auszureißen, wie es scheint! Nun, wir können auf unserer Ebene mithalten!« »Dick, ich kenne kein Flugzeug, das die ungeheueren Zug- und Druckkräfte ausgehalten hätte, die bei Manövern mit diesen Geschwindigkeiten auftreten. Er steuerte mit konventionellen Höhen- und Seitenleitwerken, und was hatten die auszuhalten! Es muß eine extrem stabile Konstruktion sein. Und die Dreiecksform! Kennt ihr einen
gängigen Flugzeugtyp, der so aussieht?« »Früher hat es solche Typen gegeben«, sagte Fuller. »Vielleicht hat er sich davon inspirieren lassen. Schließlich ist auch das Raketenflugzeug keine Erfindung von ihm.« »Richtig«, sagte Arcot. »Das ändert jedoch nichts daran, daß er ein völlig neues Flugzeug entwickelt und gebaut hat. Ich hoffe wirklich, daß dieser Mann nur ein Kleptomane ist, denn davon kann er geheilt werden; und dann würden wir ihn als Partner gut gebrauchen können. Er hat einige außergewöhnliche Ideen!« Morey nickte. »Er ist ein einfallsreicher Kopf, aber ich wünschte, er hätte nicht soviel Raketentreibstoff an Bord. Es wird kalt hier drinnen, und wir können nicht tiefer gehen, wenn wir ihn nicht aus den Augen verlieren wollen. Er scheint da oben mehr und mehr zu beschleunigen.« Sie folgten dem Piraten, schneller und schneller, um mit den Raketenmotoren Schritt zu halten. »Dick, warum hat er seine Raketen nicht schon am Anfang voll aufgedreht, statt so allmählich zu beschleunigen?« »Wenn du die Maschine steuern würdest, Bob, würdest du verstehen. Wirf einen Blick auf den Tachometer, und du wirst selbst sehen, warum er es nicht getan hat.« »Hmm – sechs Kilometer pro Sekunde. Natürlich! Hätte er gleich auf dieses Tempo beschleunigt, wäre er nicht mehr am Leben. Aber wie wollen wir ihn bei dieser Geschwindigkeit kriegen?« »Ich habe noch keine Ahnung. Aber du hast etwas übersehen. Er macht jetzt sechs bis sechseinhalb Kilometer pro Sekunde. Wenn er mehr als neun Kilometer pro Sekunde erreicht, wird er in eine Umlaufbahn gelangen und
oben bleiben, selbst wenn er die Raketenmotoren ausschaltet. Er hat schon jetzt soviel Zentrifugalkraft, daß sein Gewicht sehr gering ist. Wir können nichts anderes machen als unter ihm bleiben. Nun, gleich wird er schnell genug sein. Wir bleiben rasch zurück – aber wir sind noch nicht am Ende, nein – wir halten sein Tempo! Und jetzt muß er es geschafft haben! Paßt auf!« Arcot zog seine Taschenuhr heraus und ließ sie los. Einen Moment lang schwebte sie ohne Bewegung in der Luft, dann trieb sie langsam in Richtung zur Rückwand ab. »In dieser Höhe muß ich zusätzlich beschleunigen, um den Effekt der Schwerelosigkeit zu bekommen, denn es gibt einen meßbaren Luftwiderstand. Aber der da oben kann seine Triebwerke jetzt ausschalten und sich schlafen legen. Ich weiß nicht, wie lange er es aushalten wird...« Es sah aus, als sollte seine Vermutung sich bewahrheiten. Eine knappe Stunde lang geschah nichts, und sie umkreisten die Erde parallel zu dem winzigen, metallisch glänzenden Punkt hoch oben im schwarzen Raum. Dann ertönte ein leises Summen, das zweimal wiederholt wurde. Morey machte sich sofort über den Empfangsteil des Radiosenders her, und wieder kam das Signal, diesmal lauter und klarer. Morey antwortete und schaltete auf Empfang zurück, und nach einem Moment kam eine Stimme aus dem Lautsprecher – leise und von knisternden Störungen überlagert, aber deutlich genug. »Ich bin Wade – der Pirat. Helfen Sie mir, wenn Sie können. Können Sie die Atmosphäre verlassen? Die Orbitalgeschwindigkeit überschreiten und die Maschine herausfallen lassen? Ich bin in einer Umlaufbahn und kann nicht heraus. Die Ventile für die Treibstoffreserve scheinen
eingefroren zu sein, und der übrige Treibstoff ist aufgebraucht. Ich kann nicht verlangsamen und fallen. Mit dem Sauerstoffvorrat sieht es auch schlecht aus – werden Sie mich bis in fünf oder sechs Stunden erreichen?« »Schnell, Bob – antworte, daß wir es schaffen werden.« »Wir werden es versuchen, Mister – äh – Wade. Ich glaube, wir können es schaffen.« »In Ordnung. Bitte beeilen Sie sich. Rufen Sie zurück, wenn Sie Ihren Versuch machen. Ich bleibe auf Empfang. Ende.« »Wir werden uns beeilen müssen, wenn wir in fünf Stunden wieder hier draußen sein wollen!« sagte Arcot. »Gib einen Funkspruch nach San Francisco durch, daß wir bald landen werden und einen großen Elektromagneten brauchen – einen, der mit ungefähr fünfhundert Volt Gleichstrom arbeitet. Dazu brauchen wir einige starke Batterien. Wie viele es sein werden, wird von dem Raum abhängen, den wir hier an Bord freimachen können. Ich werde jetzt abbremsen, damit wir in etwa einer Dreiviertelstunde in San Francisco landen werden. Nach meiner Schätzung sind wir irgendwo zwischen Guam und Hawaii.« Morey schaltete den Sender ein und versuchte, den Flughafen von San Francisco zu erreichen. Bald hatte er die Verbindung hergestellt, kündigte ihr Eintreffen an und übermittelte Arcots Anforderung. Man versprach ihm, daß die notwendigen Dinge bereitgestellt würden; sie wollten noch mehr über den Piraten und die Verfolgungsjagd wissen, aber Morey vertröstete sie auf später und brach das Gespräch ab. Eine gute Stunde danach ging die Maschine endlich über
dem internationalen Flughafen von San Francisco nieder. Sofort nach der Landung rollte sie zu den Werkstatthangars, wo ein Trupp von Mechanikern damit begann, einen großen Elektromagneten zwischen den Fahrwerken am Bauch der Maschine zu befestigen. Fuller wurde für diesen Flug in San Francisco zurückgelassen, und eine große Zahl von Batterien wurde an Bord gebracht. Kaum waren sie angeschlossen und so verankert, daß sie unter den auftretenden Beschleunigungskräften nicht verrutschen konnten, waren Arcot und Morey schon wieder gestartet. Die gesamte Operation hatte kaum vierzig Minuten erfordert. »Wie willst du ihn jetzt erreichen, Dick?« »Wir werden wieder auf Ostkurs gehen und auf die Höhe steigen, die wir vorhin hatten. Dieser Wade hatte die richtige Idee. Er sagte mir, ich solle die Orbitalgeschwindigkeit überschreiten und mich zu ihm hinausfallen lassen. Genauso werden wir es machen. Zuerst müssen wir ihn wiederfinden. Dann werden wir eine Position direkt unter ihm einnehmen und versuchen auf neun bis zehn Kilometer pro Sekunde zu kommen. Dann sind wir schneller als er, und die Maschine wird auf die ungefähr richtige Geschwindigkeit abgebremst, während sie zu ihm hinausfällt. Ich glaube, es läßt sich machen, Bob.« »Hoffen wir es. Trotzdem sollten wir die Spannung der Ersatzbatterien überprüfen. Wenn sie dort draußen nicht richtig funktionieren, fallen wir glatt in den Raum hinaus! Bei mehr als neun Kilometern pro Sekunde würden wir die Erde wahrscheinlich für immer verlassen!« Arcot beschleunigte die Maschine stetig, ohne sich und
Morey Belastungen auszusetzen, wie sie sie während der Verfolgungsjagd ertragen hatten. Als die Maschine eine Höhe von achtundvierzig Kilometern erreicht hatte, ging Arcot in den Horizontalflug über, ohne die Beschleunigung zurückzunehmen. In dieser Höhe hatten sie genug Luft für den Energiebedarf des Generators, ohne durch den Luftwiderstand allzusehr behindert zu werden. Während Morey die Kursangaben aus dem Rechner nahm und Arcot durchsagte, beobachtete dieser den Tachometer. Als sie die Nachtseite durchflogen, kam ihnen das Gefühl körperlicher Schwere mehr und mehr abhanden; sie erreichten Orbitalgeschwindigkeit. Dann, als die Maschine weiter beschleunigte, begann sich das Überwiegen der Fliehkraft bemerkbar zu machen, und Arcot fühlte, wie die Maschine hinausdrängte. Die Anzeigenadel des Tachometers kletterte bis auf 9,2 Kilometer pro Sekunde, dann blieb sie zitternd auf diesem Wert stehen. »Was meinst du, Dick?« fragte Morey. »Können wir es riskieren?« »Ich möchte noch etwas schneller werden, wenn es geht, denn der Pirat ist noch mehr als sechzig oder achtzig Kilometer über uns. Aber der Luftwiderstand ist zu groß; ich werde höher gehen müssen.« In einer Höhe von sechsundfünfzig Kilometern war der Tachometer auf 9,4 Kilometer pro Sekunde geklettert. Stunden schienen zu vergehen, bevor das Radargerät den Punkt registrierte, der die Maschine des Piraten sein mußte. Fünfzehn Minuten später konnten sie mit Hilfe ihrer Feldstecher den metallisch glänzenden Lichtpunkt im schwarzen Himmel ausmachen. Er war noch ein gutes Stück voraus und annähernd hundert Kilometer über ihnen.
»Nun, es geht los! Wenn deine Bahnberechnung stimmt, müßten wir in seine Nähe kommen, wenn wir uns jetzt hinausfallen lassen. Die Gravitation wird uns ein wenig verlangsamen, so daß unsere Geschwindigkeiten annähernd gleich sein müßten, wenn wir draußen sind. Für das Annäherungsmanöver können wir dann die Energiegleichrichter nehmen. Zwar haben wir keine Luft mehr, der wir Wärme als Antriebsenergie entnehmen könnten, aber wir haben die Sonnenwärme, die von den Kupferblechen absorbiert wird.« Nach endlos erscheinender Zeit war der winzige silbrige Punkt endlich so gewachsen, daß er als das Piratenflugzeug erkennbar wurde. Sie lagen auf dem richtigen Kurs, und langsam schoben sie sich näher heran, bis die kleine Maschine schließlich knappe fünfhundert Meter entfernt schräg unter ihnen war. Die Wärmeaufnahme durch die Außenhülle reichte nicht ganz aus, um die nötige Antriebsenergie zu erzeugen, und so mußten sie die Ersatzbatterien zu Hilfe nehmen. Schwerfällig ging die Maschine tiefer und kam dem Flugzeug näher. Nach längerem, vorsichtigem Manövrieren trennten sie nur noch etwa fünf Meter. Arcot nickte seinem Freund zu. »Jetzt muß es klappen, Bob. Schalte den Magneten ein.« Der provisorische Schalter schnappte, und der Strom aus den Hilfsbatterien floß in den Elektromagneten am Bauch der Maschine. Sie beobachteten durch das Bodenfenster, wie das Piratenflugzeug herankam, dann gab es einen kleinen Stoß, und die zwei Maschinen waren miteinander verbunden. »Wir haben ihn, Dick!« rief Morey aus. »Jetzt mußt du
abbremsen, damit die Maschine sich nicht losreißen kann, wenn wir in die Lufthülle eintreten. Bei mäßigen Geschwindigkeiten sollte es ein Kinderspiel sein, das Flugzeug hinunterzubringen; schließlich ist es ein Gleiter.« Arcot nutzte die geringe Wärme des einfallenden Sonnenlichts, um über den Generator abzubremsen. Sie beobachteten das langsame Sinken der Tachometernadel. Auch der Höhenmesser zeigte ein sehr allmähliches Absinken an. In fünfundsiebzig Kilometer Höhe begann die Reibungswärme der äußeren Lufthülle Energie zu liefern, und Arcot konnte den Abbremsvorgang allmählich verstärken, während sie in tiefere Luftschichten absanken. Der beherrschende Faktor war jetzt nur noch die Tendenz des Gleiters, sich vom Griff des Magneten loszureißen. Morey seufzte. »Mann, bin ich froh, daß wir wieder dichte Luft um uns haben! Ich habe es dir vorhin nicht gesagt, Dick, weil es nicht viel genützt hätte, aber die Batterien hätten die nötige Leistung nicht mehr lange gebracht. Wir hatten kaum noch was übrig. Aber jetzt haben wir wieder genug Energie, und ich kann den Magneten direkt am Generator anschließen.« »Ich wußte, daß die Batterien überlastet wurden, aber ich hätte nicht gedacht, daß sie so schnell am Ende sein würden! Ich bemerkte auch, daß der Magnet schwächer wurde, führte es aber auf den Luftwiderstand zurück, der ständig zunimmt. Das dumme ist, daß wir während des Rückflugs in den tieferen Luftschichten bleiben müssen, und da wir jetzt über dem asiatischen Festland sind, müssen wir uns auf eine hübsch lange Flugreise einrichten.« In einer Höhe von knapp viertausend Metern wurde der
Gleiter in der turbulenten Atmosphäre langsam nach Haus gebracht. Sie benötigten beinahe zwanzig Stunden für die Strecke bis San Francisco, wobei sie sich im Pilotensitz ablösten. Der Luftwiderstand des Gleiters und die begrenzte Tragkraft des Elektromagneten zwang sie zu niedriger Geschwindigkeit; im Durchschnitt brachten sie es kaum auf sechshundert Stundenkilometer. Endlich erschienen die Wolkenkratzer von San Francisco am Horizont, und bald darauf sahen sie sich von Hunderten Privatflugzeugen umschwärmt, die das Einbringen des berüchtigten Piraten sehen wollten. Kurz vor der Stadt erschienen endlich Hubschrauber der Küstenwache und drängten die Privatflugzeuge ab. Der große Flughafen erinnerte ein wenig an ein Fußballstadion bei einem Weltmeisterschaftsspiel, so viele Schaulustige hatten sich eingefunden, um die beiden sagenhaften Errungenschaften zu bestaunen, von denen noch vor wenigen Tagen niemand etwas gewußt hatte und die nun zu jäher Berühmtheit aufgestiegen waren: Arcots Molekulargleichrichter-Maschine und das sichtbar gemachte unsichtbare Raketenflugzeug des Luftpiraten. Arcot setzte die Maschine des Piraten behutsam in die Mitte einer abgesperrten Fläche. Als es Bodenberührung hatte, schaltete Morey den Elektromagneten aus, und Arcot lenkte den mächtigen zylindrischen Körper zwanzig Meter weiter und ließ ihn dort bewegungslos und geräuschlos in der Luft schweben. Kaum jemand achtete auf den Ambulanzwagen mit dem roten Kreuz, der über den abgesperrten Teil des Flugfelds gerollt kam und neben der Piratenmaschine hielt; aller Augen waren auf die schwebende Wundermaschine gerichtet. Eine Unruhe ging
durch die Menschenmenge; sie wollten eine Flugvorführung, wollten etwas von den fantastischen Flugeigenschaften dieser Maschine sehen, von denen die Massenmedien berichtet hatten. Zwei Wochen später betrat Arcot das Büro von Morey senior. »Beschäftigt?« »Komm nur rein; du weißt, daß ich immer beschäftigt bin – aber für dich niemals zu beschäftigt. Was hast du auf dem Herzen?« »Wade – ich meine, den Piraten.« »Ach ja, hmm. Ich habe die Berichte über seine Geheimwerkstatt in den Rocky Mountains gelesen, und ich kenne auch die psychomedizinischen Diagnosen. Und Bob erzählte mir, daß du ihn in deinem Laboratorium beschäftigen möchtest. Wie ist dein Eindruck von ihm? Du hast mit ihm gesprochen, nicht wahr?« Arcot runzelte die Stirn. »Als ich mit ihm sprach, litt er noch immer unter periodisch auftretenden Phasen von Bewußtseinsspaltung. Doktor Ridgely meint, der Patient komme jetzt allmählich zur Ruhe, und diese Perioden würden in Zukunft immer seltener auftreten, um schließlich ganz zu verschwinden. Ich glaube ihm. Ridgely versteht von seinem Fach soviel wie jeder von uns von dem seinen, und Ridgelys Fach ist das Heilen von psychischen Wunden. Du weißt, wir waren schon vor längerer Zeit zu dem Schluß gekommen, daß der Pirat geistesgestört sein müsse. Wir stimmten auch darin überein, daß er ein ungemein fähiger und kreativer Kopf ist. Ich möchte sogar sagen, daß
er ein Genie ist; er hat diese Maschine ganz allein und ohne fremde Hilfe konstruiert und gebaut. Andererseits hat er offensichtlich einen Dachschaden, soweit es seine Persönlichkeit und sein Verhältnis zur Außenwelt betrifft. Ridgely ist überzeugt, daß das reparabel ist. Nun, ich habe Ridgely erklärt, daß es nicht angeht, diesen Wade mit Psychopharmaka zu einer ruhigen und ordentlichen, aber reduzierten Persönlichkeit zu machen. Das könnte den Verlust der Kreativität bedeuten. Ridgely ist der Ansicht, daß er ihn mit Psychotherapie, Gesprächen und so weiter in einem halben bis einem Jahr heilen kann. Du weißt auch, Isaac Newton hatte für ungefähr zwei Jahre eine Schraube locker. Faraday vegetierte fast fünf Jahre lang nach einem vollständigen Zusammenbruch dahin – und erholte sich wieder und leistete monumentale Arbeit! Und diese Männer hatten nicht die Hilfe der modernen Tiefenpsychologie und ähnlicher Therapien. Ich glaube, wir wären große Dummköpfe, wenn wir die Gelegenheit vorbeigehen ließen, Wades Mitarbeit zu gewinnen. Der Mann – verrückt oder nicht – hat eine Methode ausgearbeitet, flüssigen Wasserstoff für seine Raketen zu stabilisieren, zu lagern und kontrolliert zu verbrennen. Wenn er das in der Verfassung fertigbrachte, in der er bisher war... Nun, ich würde sagen, daß wir gut daran täten, die Konkurrenz in der Familie zu halten.« Morey ließ sich in seinen Sessel zurücksinken und blickte lächelnd zu Arcot auf. »Du hast vollkommen recht, Junge. Nachdem ich mir seine Maschine angesehen hatte, dachte ich selbst daran, ihn in irgendeiner Weise an uns zu binden, sobald er wiederhergestellt wäre. Wenn Doktor
Ridgely also sagt, daß Wades Dachschaden repariert ist, dann biete ihm ruhig einen Posten in deinem Laboratorium an.« »In ein paar Wochen werde ich ihn wieder besuchen und ihm den Posten anbieten. Ich glaube, er wird darauf eingehen. Und nicht nur das, ich vermute, daß er innerhalb von sechs Monaten ein Gutteil vernünftiger sein wird als die meisten Leute, die frei herumlaufen. Es ist wie bei einem Mann, der mit Herzbeschwerden in ein Krankenhaus eingeliefert wird; in jeder anständigen Klinik wird bei der Gelegenheit sein ganzer Organismus überprüft und behandelt, und am Schluß kommt er gesünder heraus, als er ohne seine Herzbeschwerden gewesen wäre. Wade scheint eine Seele gehabt zu haben, die sich mit Molekülen anfreunden und ihre Sprache sprechen konnte. Nachdem Ridgely ihm gezeigt haben wird, wie man sich mit Menschen anfreundet, wird er genau der richtige Mann für unser Team sein!«
2. Buch Solarius 1 Tiefstrahler säumten die Ränder des Heimathafens der Transcontinental Airways und tauchten Abstellflächen, Tankanlagen, Hangars und Werkstätten in kaltes, grelles Licht. Draußen in der Mitte des breiten Flugfelds aber war es nahezu dunkel, und die zehn oder zwölf Männer, die dort beisammen standen und zum Himmel aufblickten, wo die Sterne kalt und klar aus der frostigen Nacht funkelten, hoben sich vor dem hellen Hintergrund dunkel ab wie Scherenschnitte. Ein matter Halbmond glomm rötlich über dem Westhorizont, ein trüber Lampion, überstrahlt vom Licht der fernen Sonnen. Ein Lichtpunkt bewegte sich über das starre Sternenmeer und näherte sich in einer weitgeschwungenen Kurve dem Flughafen. Die Männer auf dem Flugfeld tauschten Bemerkungen aus und beobachteten das Objekt, wie es in einer Spirale zur Landung ansetzte. Dann kam es in den Lichtkreis der Flugplatzbeleuchtung und wurde als ein schimmernder, stromlinienförmig zulaufender Zylinder erkennbar, umgeben von einem Hof aus blauem Feuer. Sekunden später setzte die Maschine sanft auf und rollte langsam über die Piste auf die wartende Gruppe zu. Vierundzwanzig Männer entstiegen dem mächtigen Schiffskörper, eilten fröstelnd durch den eiskalten Wind, der über das Feld fegte, sprachen kurz mit der wartenden
Gruppe und kletterten dann in die angenehme Wärme eines bereitstehenden Busses. Kurz darauf setzte sich der Bus in Bewegung und rollte über das Flugfeld zu den Lichtern des Verwaltungsgebäudes. Hinter ihnen zog das Schiff die teleskopische Gangway ein und rollte langsam und lautlos über die nun leere Fläche zu seinem Liegeplatz bei den Werkstattschuppen. Im Verwaltungsgebäude der Transcontinental Airways angelangt, lief die Gruppe der Reisenden nach wenigen Abschiedsworten auseinander. »Wir möchten Ihnen, Mister Morey, für ihre Demonstration des neuen Schiffs danken, und Ihnen, Doktor Arcot, für die geduldige Beantwortung unserer vielen Fragen. Ich bin sicher, daß alle meine Kollegen die Freundlichkeit zu schätzen wissen, die Sie der Presse erwiesen haben.« Danach gingen die Reporter auseinander, denn jeder war bestrebt, seine Geschichte in die nächste Ausgabe zu bringen, und es war bereits ein Uhr früh. Jeder erhielt ein Merkblatt mit den technischen Daten des Schiffs sowie eine offizielle Erklärung der Gesellschaft. Schließlich waren bis auf die sechs Männer, die für die neue Maschine verantwortlich waren, alle gegangen. Dieser Abend hatte die offizielle Vorführung des ersten der Arcot-Morey-Molekularenergie-Schiffe gesehen. So klein es im Vergleich mit jenen war, die ihm nachfolgen sollten, konnte es doch über zweitausend Passagiere befördern, und seine Geschwindigkeit war derjenigen aller konventionellen Flugzeuge turmhoch überlegen. Die Reise von der Ostküste zur Westküste des nordamerikanischen Kontinents hatte weniger als eine Stunde gedauert. Bei einer Flughöhe von vierzig Kilometern hatte das Schiff
eine Geschwindigkeit von fast zwei Kilometern pro Sekunde erreicht. In diesem Schiff konnte eine tonnenschwere Metallstange von einem Hochfrequenzgenerator beeinflußt werden, daß seine Moleküle sich gleichgerichtet vorwärts bewegten und das Schiff mit sich nahmen. Ein solches molekular angetriebenes Schiff konnte theoretisch die Lichtgeschwindigkeit erreichen. »Dick«, sagte der ältere Morey, als die Passagiere den Raum verlassen hatten, »als Präsident dieser Gesellschaft möchte ich dir bei dieser Gelegenheit noch einmal für dieses technische Wunderwerk danken, das du uns gegeben hast. Du hast uns diese Maschine ›verkauft‹ – aber wie können wir es dir wirklich zurückzahlen? Immer wieder hast du uns deine Erfindungen verkauft, die den Transcontinental Airways zu ihrer gegenwärtigen Vorrangstellung im Weltluftverkehr verholfen haben. Und alles, was du jemals dafür angenommen hast, sind das Laboratorium, seine laufenden Kosten und ein kleines jährliches Einkommen. Was können wir tun, um dir diesmal unsere Anerkennung zu zeigen?« »Das ist nicht ganz richtig«, antwortete Arcot lächelnd. »Tatsächlich habe ich ein großes, voll ausgerüstetes Laboratorium, in dem ich machen kann, was ich will, beliebig viel Zeit für meine privaten Vergnügungen und alles Geld, das ich will. Was könnte ich mehr verlangen?« »Das mag alles wahr sein – aber du hebst im Jahr nur ungefähr zwanzigtausend Dollar für deinen persönlichen Lebensunterhalt ab; das verdient jeder mittlere Angestellte unserer Firma. Und du, zugegebenermaßen der brillanteste Physiker dieses Landes, gibst dich damit zufrieden! Ich
habe nicht das Gefühl, daß wir dich angemessen entlohnen.« Richard Arcots Miene wurde plötzlich ernst. »Ihr könnt mich diesmal entschädigen«, sagte er, »denn diese letzte Entdeckung hat etwas Neues möglich gemacht. Ich hatte immer den Wunsch, eines Tages andere Planeten zu besuchen. Das ist ein Wunsch, den in den vergangenen drei Jahrhunderten wohl viele Wissenschaftler und Abenteurer gehegt haben. Nun, diese Maschine hat solche Träume in den Bereich des Möglichen gerückt. Wenn du bereit bist, eine Menge Geld zu investieren, könnten wir im Frühjahr 2117 starten. Ich meine es mit diesem Vorhaben wirklich ernst. Mit deiner Erlaubnis – und deiner finanziellen Unterstützung – möchte ich mit dem Bau des ersten interplanetarischen Schiffs beginnen. Natürlich werde ich Fullers Hilfe brauchen, wie ich überhaupt auf keinen der Männer verzichten kann, die mir bei der Konstruktion dieser Vorläufertypen geholfen haben. Die Entwicklungskosten werden alles in den Schatten stellen, was bisher für unsere Projekte aufgewendet wurde, aber ich denke, daß die Investition sich rentieren wird, denn auf den anderen Planeten unseres Sonnensystems wird es sicherlich kostbare Bodenschätze geben, deren Ausbeutung sich lohnen dürfte.« Sie waren zu dem Hangar hinausgegangen, wo Arcots molekular angetriebene Maschine stand, die erste, die die Sonnenwärme als Antriebsenergie nutzte. Morey betrachtete sie gedankenvoll. Sie war klein, verglichen mit dem Koloß von einem Schiff, der sie gerade vom anderen Ende des Kontinents herübergebracht hatte, aber die überragenden Eigenschaften, die die spätere Entwicklung
auszeichneten, waren auch hier schon vorhanden. Sie standen eine Weile schweigend, der jüngere Mann ungeduldig, das Urteil seines väterlichen Freundes und Finanziers zu hören. Morey, schon immer ein eher wortkarger Mann, dem nie ein unbedachtes Wort über die Lippen kam, ließ sich mit seiner Antwort diesmal ungewöhnlich viel Zeit. »Wenn es nur ums Geld ginge, Dick, würde ich mit Vergnügen die doppelte Summe bereitstellen, aber das ist nicht der Fall. Ich weiß sehr gut, daß, wenn du gehst, mein Junge mit dir gehen wird. Und Fuller und Wade werden natürlich auch gehen.« Er blickte jeden von ihnen der Reihe nach an. »Wie die Dinge sich entwickelt haben, bedeutet jeder von euch mir sehr viel. Du und Fuller, ihr seid seit der Universitätszeit mit meinem Jungen befreundet. Wade kenne ich noch nicht ein Jahr, aber mit jedem Tag gefällt er mir mehr. Wir können die Tatsache nicht leugnen, daß jede derartige Reise ein äußerst gefährliches Unternehmen mit ungewissem Ausgang ist. Jeder von euch kennt die Erfolge und Katastrophen in der Epoche der Raketenraumfahrt. Wenn ihr bei einem solchen Unternehmen verunglücktet, würde es mehr sein als nur mein persönlicher Verlust. Wir würden einige der brillantesten Köpfe verlieren, über die die Menschheit gegenwärtig verfügt. Du, Dick, wirst von vielen als der zur Zeit führende Physiker der Erde angesehen; Fuller ist ohne Zweifel einer der genialsten Konstrukteure unserer Zeit; Wade ist auf dem besten Weg, es als Chemiker und Physiker zu Prominenz zu bringen; und mein Sohn ist zweifellos ein guter Mathematiker.« Er hielt inne, seufzte, furchte die Stirn und versuchte die
Situation abzuwägen. »Andererseits sollten eure Kenntnisse euch um so besser befähigen, Schwierigkeiten und unvorhergesehene Gefahren zu meistern. Hinzu kommt, daß ihr euren Plan wahrscheinlich auch ohne meine Billigung ausführen würdet, so daß eine Verweigerung von Mitteln durch mich allenfalls eine Verzögerung des Projekts bedeuten würde. Also bleibt mir gar nichts anderes übrig, als euch zu helfen.« Arcot lächelte erleichtert. »Dann wirst du uns definitiv unterstützen und die nötigen Mittel bereitstellen?« »Ja, das werde ich«, antwortet der ältere Morey, dessen hölzernes Gesicht nun auch von einem Lächeln aufgelockert wurde. »Denn ich glaube, es wird sich lohnen.« Wenig später gingen die vier jüngeren Männer an Bord der kleinen Maschine, um hinüber nach Long Island zu fliegen, wo sie unweit von Arcots Laboratorium Quartier bezogen hatten. Arcot steuerte, und unter seiner sicheren Hand schoß die Maschine durch die kalte Nachtluft aufwärts, bis sie in vierzig Kilometern Höhe im oberen Randbereich der Atmosphäre schwebten. Schweigend blickten sie hinaus zu den Myriaden von ruhig strahlenden Sternen. Hier, wo es keine Verunreinigungen der Atmosphäre gab, die ihr Licht filterten und schwächten, schienen die Sterne still und klar, ohne jedes Flimmern, und die zarte Skala ihrer Farben belebte den feierlichen Glanz mit roten, gelben und blauen Tönen. Langsam ließ Arcot die Maschine über den verwaschenen Lichtfleck dahingleiten, der New York war. »Ich komme gern hier heraus und blicke in diese Unendlichkeit von kalten, fernen Lichtern; sie scheinen
mich anzuziehen – die Lockung anderer Welten. Ich hatte immer ein Gefühl von unerfüllbarer Sehnsucht, das Verlangen, dort hinauszugehen – und immer ist es so hoffnungslos gewesen. Und nun werden wir im nächsten Frühling schon hinausfliegen!« Arcot schwieg einen Moment lang und blickte zu der mächtigen, bestirnten Himmelskuppe auf, die sich samtschwarz über ihm wölbte. Eine wundervolle Nacht! »Was soll unser erstes Ziel sein, Dick?« fragte Wade mit gedämpfter Stimme, auch er war von der Großartigkeit des Schauspiels hingerissen. »Ich habe oft darüber nachgedacht, und nun, da wir die Reise tatsächlich machen werden, müssen wir uns entscheiden. Wenn man die Dinge realistisch sieht, kann eine Entscheidung nicht schwerfallen. Natürlich können wir das Sonnensystem nicht verlassen. Und die äußeren Planeten sind so weit entfernt, daß sie späteren Reisen vorbehalten bleiben müssen. Das engt die Wahl auf Mars, Venus und Merkur ein. Merkur kommt nicht in Frage, da er der Sonne zu nahe und zu heiß ist. Über den Mars wissen wir durch Fernrohrbeobachtungen relativ gut Bescheid, während die Venus, ständig eingehüllt in eine dichte Wolkenhülle, bis heute ein Geheimnis geblieben ist. Wofür stimmt ihr?« »Nun«, sagte Morey, »mir scheint, es würde interessanter und abenteuerlicher sein, einen völlig unbekannten Planeten zu erforschen, als einen, der schon kartografisch erfaßt worden ist. Ich stimme für Venus.« Auch die anderen stimmten mit Morey darin überein, daß Venus die logische Wahl sein müsse.
2 »Bei der Konstruktion dieses Schiffs«, begann Arcot am nächsten Morgen, »müssen wir sowohl ein Maximum an Sicherheit als auch die zu erwartenden Bedingungen berücksichtigen. Ich glaube, ich habe über diese Reise häufiger und länger nachgedacht als ihr, also werde ich zuerst meine Ideen vortragen. Anschließend kann dann jeder seine Vorschläge dazu machen. Die widersprüchlichen Ergebnisse und Meßdaten, die uns von den unbemannten Venussonden der Vergangenheit zur Verfügung stehen, haben bis heute keine definitive Klärung der Verhältnisse auf der Venus gebracht. Nach wie vor klaffen die Ansichten der Wissenschaftler weit auseinander, und es gibt eine Menge von Theorien und Hypothesen, von denen jede etwas für sich hat, aber insgesamt eher unwahrscheinlich ist. Tatsächlich wissen wir über die Bedingungen auf der Venus nichts, weil noch niemand dort gewesen ist. Immerhin läßt sich manches als ziemlich sicher annehmen, und einige wenige Tatsachen sind bekannt. So ist die Venus wahrscheinlich ein jüngerer Planet als die Erde. Sie ist der Sonne näher und erhält somit bedeutend mehr Sonnenwärme wie wir. In der Frühzeit der Erdgeschichte, als die Planetenkörper abkühlten, wird dieser Vorgang auf der Venus wesentlich länger gedauert haben als bei unserer Erde, denn der Aufheizeffekt der Sonne muß dort als eine starke Gegenkraft gewirkt haben. Die Oberflächentemperatur in den gemäßigten Zonen wird wahrscheinlich bei siebzig Grad Celsius liegen. Wenn man den Hypothesen folgt, die davon ausgehen,
daß die dichte Wolkenhülle der Venus im wesentlichen aus Wasserdampf besteht, ist die logische Folgerung, daß es große warme Ozeane und vergleichsweise wenig Festland gibt. Was sich unter solchen Bedingungen an Leben entwickelt haben mag, würde danach überwiegend im Wasser anzutreffen sein, während das Land in der Entwicklung wahrscheinlich weit hinter dem derzeitigen Stand der erdgeschichtlichen Evolution zurückbleibt. Ich könnte mir vorstellen, daß es ungefähr der Steinkohlenzeit auf der Erde gleichen würde. Aber hier begeben wir uns bereits auf das Feld reiner Spekulation – wir wissen nichts; wir können nur vermuten. Aber wir wissen, was wir für die Durchquerung des Weltraums brauchen werden. Die Hauptantriebskraft unseres Schiffs werden die Energieeinheiten sein. Diese werden ihre Energie ähnlich wie bei unserem Prototyp durch Absorption der Sonnenwärme gewinnen. Um die Absorptionsfläche in eine günstige Relation zur benötigten Wärmeenergie zu bringen, denke ich an kupferne Hohlspiegel von ungefähr vier Metern Durchmesser. Aus dem gleichen Grund wird wahrscheinlich günstiger sein, das Schiff statt in zylindrischer Form als eine Art Scheibe oder Diskus zu konstruieren. Denkbar wäre auch ein Ellipsoid. In diesem Fall würde ich fünfzig Meter Länge, zwanzig Meter Breite und etwa sechs Meter Dicke als die günstigsten Dimensionen betrachten. Die Energieeinheiten würden zweckmäßigerweise in zwei Reihen entlang der Schiffsoberseite angeordnet sein. Natürlich werden wir eine zusätzliche Energiequelle vorsehen müssen, um auch auf der Nachtseite des Planeten die Hochfrequenzenergie erzeugen zu können, die von den Molekulargleichrichtern
benötigt wird. Darum sollten wir einen Hilfsgenerator installieren, der seine Wärmeenergie aus der Bordatmosphäre bezieht. Diese wird natürlich mit Sonnenwärme beheizt, und auf diese Weise werden wir unsere gesamte Energie von der Sonne selbst beziehen. Da diese Energieabsorption dazu führen könnte, daß es an Bord des Schiffs zu kühl wird, vor allem durch die Kälte auf der sonnenabgewandten Seite, wird eine Isolierschicht notwendig sein, die Wärmeverluste durch Abstrahlung möglichst gering hält. Zum Manövrieren im interplanetaren Raum werden die Energieeinheiten nur beschränkt verwendbar sein, weil eine Hälfte des Schiffs und damit auch die dort befindlichen Absorber im Schatten liegen werden. Zum Steuern werden wir darum Raketentreibsätze verwenden, die mit verflüssigtem Wasserstoff arbeiten. Dieser kann nach Wades Methode in ausreichend dimensionierten Behältern mitgeführt werden. Selbstverständlich benötigen wir zum Starten der Generatoren und für Notfälle Batterien, die von den laufenden Generatoren auch wieder aufgeladen werden können. Zum Schutz gegen Meteore werden wir Radar einsetzen. Wenn irgendein Körper, und sei er nur so groß wie eine Walnuß, auf Kollisionskurs liegt und eine Gefahrengrenze von vielleicht fünfzig Kilometern Entfernung unterschreitet, wird die Radaranlage über den Bordrechner eine Automatik auslösen, und die Steuerraketen werden das Schiff aus der Meteorbahn schießen.« Dieser und der folgende Tag vergingen mit grundsätzlichen Diskussionen und ersten Berechnungen, und Fuller begann grobe Skizzen der verschiedenen
Maschinen und Anlagen anzufertigen, auf die man sich geeinigt hatte. Bis zum Wochenende hatten sie die grundlegende Ausstattung des Schiffs überschlägig bestimmt und mit der weit schwierigeren Aufgabe begonnen, Energiefaktoren und Statik zu berechnen. »Für den eigentlichen Raumflug brauchen wir keine überdurchschnittliche Stabilität«, meinte Arcot, »denn dort wird das Material außer temperaturbedingten Spannungen keinen nennenswerten Belastungen ausgesetzt sein, aber für die unerläßlichen Manöver in der Atmosphäre – und wir müssen davon ausgehen, daß die Venusatmosphäre dichter und stürmischer sein wird als diejenige der Erde – brauchen wir Festigkeit und Widerstandskraft.« Die Planungen gingen mit aufreizender Langsamkeit voran. Die Einzelheiten waren kompliziert, denn der größte Teil der Maschinen und Einrichtungen mußte neu konstruiert und berechnet werden. So vergingen mehrere Wochen, bevor die ersten Bestellungen hinausgehen konnten. Dann wurden die Konstruktionspläne für das Skelett und die Außenverkleidung des Schiffs fertig, und von da an verließen jeden Tag neue Materialbestellungen das Konstruktionsbüro. Dennoch ging das Jahr zur Neige, bevor die letzten Aufträge erteilt werden konnten. Unterdessen begannen die übrigen Vorbereitungen für die Expedition – bewegliche Ausrüstungen zu beschaffen, Lebensmittelvorräte anzulegen und dergleichen. Arcot hatte beschlossen, für den Gebrauch auf der Venus einen belüfteten Spezialanzug zu entwerfen. Nach seiner Idee sollte ein winziger Molekulargleichrichter die Luft kühlen und durch den Anzug zirkulieren lassen. Der Apparat
bestand aus einem kleinen batteriebetriebenen Generator, dem Molekulargleichrichter und einem Thermostat. Das Gerät konnte mit einem Gestell auf dem Rücken getragen werden und ließ sich mit wenigen Handgriffen um ein Sauerstoffgerät ergänzen, falls die Venusatmosphäre ein freies Atmen unmöglich machte. »Dick«, sagte Wade, als er den fertigen Probeapparat sah, »mir fällt auf, wie ähnlich dieses Ding dem tragbaren Unsichtbarkeitsgerät ist, das ich mir baute, als ich noch der Pirat war. Ich frage mich, ob es zuweilen nicht ganz nützlich sein würde, unsichtbar zu sein. Wir könnten ein solches Gerät mit auf dem Tragegestell unterbringen. Das Gewicht würde sich um fünf Kilo erhöhen, aber das sollten wir vielleicht in Kauf nehmen.« »Großartige Idee, Wade«, sagte Arcot. »Du hast recht, so etwas könnte sehr nützlich sein, zum Beispiel, wenn wir feindseligen Lebensformen von einiger Intelligenz begegnen. Für primitive Wesen könnte der Trick mit dem Verschwinden uns zu Göttern machen. Und nun, da du es erwähnst, denke ich, daß wir ein solches Gerät auch an Bord unseres Schiffs installieren sollten. Es benötigt nur wenig Energie und könnte eines Tages unsere Leben retten.« In der großen Flugzeugwerft der Transcontinental Airways, wo das Raumschiff gebaut wurde, ging die Arbeit ohne nennenswerte Verzögerungen voran. Das Projekt wurde nach Möglichkeit geheimgehalten, denn Arcot fürchtete Störungen durch neugierige Amtspersonen und Presseleute mindestens ebenso wie mögliche Anschläge von Verrückten. Außerdem lag die Flugzeugwerft direkt am Rand eines stark frequentierten Flughafens, und eine
öffentliche Bekanntgabe seiner Pläne könnte viele private Flugzeug- und Hubschrauberbesitzer dazu verleiten, über dem Gelände herumzukurven, was den kommerziellen Flugverkehr gefährden und die Arbeit in der Halle der Flugzeugwerft durch unnötigen Lärm erschweren würde. Diese Arbeit aber erforderte größte Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit, denn ein Defekt konnte den Tod der Besatzung bedeuten. Sie hatten sechs Wochen Reisezeit veranschlagt, und während dieser Zeit in der Leere des Weltraums konnte einem havarierten Schiff viel zustoßen. Die Expeditionsteilnehmer hatten zuwenig Zeit, um sich Gefühlen ungeduldiger Sehnsucht hinzugeben. Die Überwachung der Bauarbeiten, die Inneneinrichtung, die Installation der elektrischen Anlagen, der Einkauf des notwendigen Ersatzmaterials, der Lebensmittel, Kleider und aller anderen Dinge, die sich als nützlich erweisen mochten, nahmen fast jede Minute ihres Tageslaufs ein. Das Schiff war von Anfang an auf große Zuladekapazität angelegt worden, denn Arcot hoffte schon diese erste Reise zu einem finanziellen Erfolg machen zu können, etwa durch die Beschaffung seltener Metalle oder solcher Raritäten wie Asbest oder Quecksilber, die auf der Erde seit hundert Jahren praktisch verschwunden waren. Viele wichtige Elemente waren überaus knapp, und nicht immer war es möglich, zufriedenstellende Ersatzstoffe zu finden. Auf der Ausreise würde ein Teil dieses leerstehenden Raums mit den vielen Dingen angefüllt sein, die sie unterwegs benötigen mochten. Dies waren vor allem Ersatzteile für die zahlreichen Maschinen, Apparate, Anlagen und Bordsysteme. Arcot war der Meinung, daß jedes Gerät und jedes Einzelteil, das während der Reise
ausfallen mochte, durch Austausch oder Reparatur wiederherzustellen sein müsse. Endlich kam der Tag, an dem der letzte Kabelanschluß gelötet und die letzte Leitung verlegt war. Das Schiff war mit flüssigem Wasserstoff für die Raketen und mit Sauerstoff für das Luftzirkulationssystem aufgetankt, die Batterien waren geladen. Alles war bereit für einen ersten Testflug. Eine schwere Zugmaschine hatte die riesige Metallflunder aus der Werfthalle ins Freie gezogen, wo das Schiff nun in der blassen Frühlingssonne ruhte und auf den Start wartete. »He – kommt mal hierher!« rief Arcot den anderen Expeditionsteilnehmern zu. »Ich will euch was zeigen.« Die drei gingen schnell zum Bug, wo Arcot stand, und dann folgten sie mit ihren Augen seiner Blickrichtung und fragten sich, ob er irgendeinen verborgenen Mangel entdeckt haben mochte. Dann sahen sie staunend zu, wie er eine große, fest verschlossene Glasflasche aus seinem Arbeitsmantel zog. »Wozu soll die gut sein?« fragte Wade neugierig. »Wir sind im Begriff, zu unserem Jungfernflug zu starten, und ich habe mich gefragt, ob dies nicht der richtige Zeitpunkt sei, dem Schiff einen Namen zu geben.« »Großartig! Hast du schon einen?« »Nun«, sagte Arcot, »ich hatte an ›Alexander‹ gedacht. Er war ein Eroberer ferner Länder.« »Nicht schlecht«, bemerkte Morey. »Ich habe auch an einen Namen gedacht, aber natürlich an einen anderen: ›Santa Maria‹ – das erste Schiff, das die Neue Welt entdeckte.« »Auch nicht schlecht«, sagte Wade. »Bloß war die
›Santa Maria‹ nicht das erste Schiff, das von der Alten zur Neuen Welt gelangte. Und niemand weiß, wie Leif Erikson sein Wikingerboot nannte. Vielleicht sollten wir das Schiff nach seiner Heimat benennen. Wie wäre es mit ›Terrestrier‹?« »Nun, ich würde sagen, du solltest das letzte Wort dazu haben«, sagte Arcot zu Fuller. »Schließlich ist es dein Kind; du hast es konstruiert. Welchen Namen schlägst du für dein Meisterstück vor?« »Ich dachte auch an seine Heimat – aber an die Heimat, die es nie verlassen wird. Ich stelle mir gern vor, daß wir intelligente Wesen auf der Venus antreffen, und so würde ich dem Schiff gern einen Namen geben, der sich freundlicher und weniger ausländisch anhört. Warum nennen wir es nicht ›Solarius‹ – das ließe sich als ›Sohn der Sonne‹ übersetzen. Was meint ihr?« »Solarius – nun, ein Kind der Sonne wird dieses Schiff immer sein. Und wenn es seine Reisen macht, wird es eine Welt für sich sein, ein Mitglied des Sonnensystems. Mir gefällt der Name!« Arcot wandte sich zu den anderen. »Wie ist es mit euch?« Alle waren einverstanden. »Aber ich möchte doch wissen, was in dieser Flasche ist, die du so sorgfältig verschlossen hast«, sagte Morey mit neugierigem Lächeln. »Was ist darin? Irgendein Gas?« »Falsch – kein Gas. Genaugenommen nichts. Was könnte geeigneter sein als eine Flasche Vakuum, um ein Raumschiff zu taufen? Wir können dieses Schiff nicht von einem hübschen Mädchen taufen lassen, soviel ist klar. Eine fliegende
Junggesellenbude darf nicht von einer Frau getauft werden, niemals! Das würde vielleicht Unglück bringen. Wir werden die Flasche dem Vormann der Arbeiter geben, die das Schiff gebaut haben. Und weil wir es nicht ins Wasser lassen können, werden wir hineingehen und starten, wenn er die Flasche am Bug zerschlägt.«
3 Es war früh am Nachmittag, als der neugetaufte Solarius zu seinem ersten Probeflug startete. Die Sonne war ein riesiger Ball roten Feuers tief im Westen, als sie zurückkehrten und mit einem lang anhaltenden Kreischen verdrängter Luft, das von einem leisen Pfeifen in den äußeren Bereichen der Lufthülle allmählich zu einem ohrenbetäubenden Donnern anschwoll, in die Atmosphäre eintauchten. Dann, als es die unteren Luftschichten erreichte, wurde das Schiff langsamer, um schließlich sanft und lautlos auf dem Flugfeld zu landen. Es rollte langsam auf die offene Werfthalle zu, wo die versammelten Projektarbeiter in Triumphgebrüll ausbrachen. Sie näherten sich, als der vordere Einstieg geöffnet wurde. Fuller erschien in der Öffnung, und ein Blick in sein Gesicht genügte, um der Mannschaft draußen zu sagen, daß etwas nicht in Ordnung war. »He, Jackson«, rief Fuller, »sag dem Werksarzt, daß er sofort kommen soll! Arcot hatte draußen einen kleinen Unfall!« Minuten später kam der Angeredete mit dem Werksarzt zurück und führte ihn über die inzwischen ausgefahrene
Gangway an Bord des Solarius und zu Arcots Kajüte. Der Physiker hatte eine übel aussehende Platzwunde am Kopf, und sein Gesicht war blutüberströmt. Er war durch den Aufprall, bei dem er sich die Verletzung zugezogen hatte, bewußtlos geworden und noch nicht wieder zu sich gekommen. »Wie ist das passiert?« fragte der Arzt, während er das Blut abwusch, die Kopfhaut um die Wunde herum rasierte und einen Verband anlegte. »An Bord ist eine Automatik, die mit der Radaranlage gekoppelt ist und dafür zu sorgen hat, daß das Schiff Meteoriten rechtzeitig ausweicht«, erklärte Morey. »Arcot und ich tauschten eben die Plätze, damit jeder die Steuerelemente kennenlernt, und gerade als wir nicht angeschnallt waren, mußte irgendwo ein Meteor in den Reaktionsbereich kommen. Die Automatik zündete die Raketen, und die schossen das Schiff aus der Bahn des Meteoriten. Arcot und ich flogen Hals über Kopf durch den Raum, und Arcot landete unglücklich. Ich hatte es besser und konnte meinen Anprall mit den Händen abfangen. Aber es war auch so eine böse Sache. Der plötzliche Beschleunigungsstoß war so, als wäre ich aus vier Metern Höhe gefallen. Wir werden ein paar Veränderungen vornehmen müssen. Die Automatik funktioniert ausgezeichnet, aber wir brauchen eine kurze Vorwarnzeit, damit wir uns wenigstens festhalten können.« Der Arzt hatte den Kopfverband angelegt und begann seinen Patienten wiederzubeleben. Nicht lange, und Arcot regte sich und befühlte sich den Kopf. Zehn Minuten später sprach er mit seinen Freunden und schien die Folgen des Unfalls überwunden zu haben, abgesehen von starken
Kopfschmerzen. Der Arzt gab ihm ein Schlafmittel und verordnete Bettruhe bis zum nächsten Tag. Nach drei weiteren erfolgreichen Testflügen und Absolvierung eines umfangreichen Prüfungsprogramms wurde der endgültige Starttermin festgesetzt. In einer Woche sollte es losgehen. In der Zwischenzeit mußten große Lebensmittelvorräte an Bord gebracht und sorgfältig verstaut werden, damit kein Teil der Ladung unter der Einwirkung wechselnder Beschleunigungen losgerissen werden und Teile des Schiffsinneren beschädigen konnte. Am Morgen des vorgesehenen Tages stand das Schiff startbereit – das erste bemannte Raumfahrzeug, das die nähere Umgebung der Erde verlassen und einen Nachbarplaneten ansteuern würde! Sanft hob das schwerbeladene Schiff vom Flugfeld ab und schwebte langsam durch den hellen Sonnenschein höher. Begleitet wurde Solarius von der kleinen Maschine, die Arcot als Prototyp gebaut hatte. Sein Vater steuerte sie, und mit ihm waren der ältere Morey und ein Fernsehteam an Bord, das das historische Ereignis filmen sollte. Geräuschlos und vibrationsfrei stiegen sie durch die Atmosphäre empor, bis der Himmel um sie dunkel wurde. Schließlich war die maximale Steighöhe der kleinen Maschine erreicht, und sie verharrte dort, während der Solarius sie zum Abschied einmal umkreiste, um dann mit zunehmender Geschwindigkeit weiter zu steigen. Die Besatzung beobachtete die Anzeige des Radiotachometers, wie sie langsam über die Skala kroch, während die Beschleunigung sie in ihre Sitze zurückdrückte. Als sie den äußersten Bereich der Lufthülle
durchstießen und das gleichmäßige Summen des Generators unaufhaltsam absank, hatten sie eine Geschwindigkeit von fünfzehn Kilometern pro Sekunde erreicht mehr als genug, um antriebslos das Schwerefeld der Erde zu verlassen. Arcot nickte Wade zu, der die Luftansaugklappe für den Generator schloß und das Ansauggebläse ausschaltete. Dann schaltete er ihn auf Sonnenwärme als Energiequelle um. Allmählich kam der Generator wieder auf Touren, bis er nach knapp fünf Minuten seine alte Drehzahl erreichte. Arcot erhöhte die Geschwindigkeit weiter, bis sie zwanzig Sekundenkilometer überschritt. Sie blickten zurück und glaubten die Erde sichtbar schrumpfen zu sehen, eine prächtige, strahlende Welt aus blauem Wasser, weißen Wolkenwirbeln und bräunlichgrünen und gelben Kontinenten. Vor ihnen öffnete sich der Himmel, und sie konnten jetzt Sterne unmittelbar neben der Sonne selbst sehen, deren strahlendes Licht von keiner Atmosphäre gestreut wurde. Sie fühlten die Sonnenwärme heiß durch die dicken Quarzglasfenster, als sie den mächtigen Feuerball durch geschwärzte Gläser betrachteten. Die Arme der Korona griffen wie die Tentakel eines feurigen Kraken über Zehntausende von Kilometern in den Raum hinaus – ungeheuere Ausbrüche von flammendem Gas, die hinauszüngelten, als versuchten sie die Planeten zu erreichen und in den Mutterkörper zurückzuziehen. Arcot schaltete die Handsteuerung ab und überließ es der vom Navigationsrechner gesteuerten Automatik, das Schiff auf den berechneten Kurs zu bringen und dort zu halten. Von da an suchte es mit Hilfe der Steuerung seiner
Instrumente und des festgelegten Programms seinen Weg über eine Distanz von mehr als vierzig Millionen Kilometern durch die Leere, um mit unbeirrbarer Sicherheit jenen anderen winzigen Stützpunkt im All zu erreichen, der sein Ziel war. Die Arbeit wurde von diesem Zeitpunkt an zur bloßen Routine und beschränkte sich im wesentlichen auf die Überwachung der Instrumente und Bordsysteme. In der verbleibenden Zeit konnten die Männer ausruhen oder die Schönheiten des Sternhimmels betrachten. Ihr Bordteleskop war klein, verglichen jedenfalls mit den gigantischen Geräten, wie sie in modernen irdischen Sternwarten standen, aber dieser Mangel wurde durch das Fehlen einer Atmosphäre mehr als ausgeglichen. Doch obwohl sie sich viel mit astronomischen Beobachtungen der Sonne und ihren Planeten beschäftigten, zahlreiche Aufnahmen machten und mit dem Spektografen Spektralanalysen der Sonne und anderer Fixsterne anfertigten, verging die Zeit sehr langsam. Ihre Uhren und der gewohnheitsmäßige Rhythmus ihrer Körper unterrichtete sie über den Ablauf der Tage, doch sie fanden wenig Schlaf, denn sie verbrauchten praktisch keine körperliche Energie. Die Schwerelosigkeit ließ kaum Ermüdung aufkommen, und sie machten die gleiche Erfahrung, die schon den ersten Pionieren des bemannten Mondflugs nicht erspart geblieben war: An natürlichen Schlaf war nicht zu denken. Anfangs machten sie sich nichts daraus und blieben eben wach, wenn sie nicht schlafen konnten, doch dann wurde ihnen klar, daß sie mit ihrer Gesundheit spielten und daß sie frisch und ausgeruht sein sollten, wenn sie die Venus erreichten; von da an
schliefen immer zwei von ihnen schichtweise mit Hilfe von Schlafmitteln. So schliefen und wachten die beiden Paare Arcot/Morey und Wade/Fuller abwechselnd in einem Zwölfstundenrhythmus. Da die Überwachung der Instrumente und Anlagen nur einen geringen Teil der zwölfstündigen Wache beanspruchte, verbrachten sie viel Zeit mit Schachpartien und der Zubereitung ausgeklügelter Mahlzeiten in der Kombüse. Die winzige silbrige Scheibe, die ihr Ziel war, schien nach jeder Schlafperiode unverändert fern, als suchte der Planet sich ihnen zu entziehen. Dennoch kam schließlich der Tag, da sie sich dem Planeten sichtbar näherten, und auch die Instrumente verrieten, daß das Schwerefeld der Venus sich durch einen leichten Beschleunigungseffekt bemerkbar zu machen begann. Ihr Ziel hing wie eine mächtige Scheibe aus geschmolzenem Silber im schwarzen Himmel, groß wie der Mond, von der Erde aus gesehen, und ständig wachsend. Während der letzten vierundzwanzig Stunden hatten sie ihre Geschwindigkeit allmählich reduziert, um in eine Umlaufbahn um den Planeten einzutreten, anstatt auf einer parabolischen Bahn wieder in den Raum hinausgeschleudert zu werden. Ihre Geschwindigkeit war auf zehn Sekundenkilometer reduziert, doch die zunehmende Anziehungskraft des Planeten drängte sie vorwärts, und das Problem der zu hohen Geschwindigkeit wurde von Stunde zu Stunde akuter. »Hier draußen im Raum werden wir es mit den Energieeinheiten allein niemals schaffen«, sagte Arcot besorgt. »Wenn es so weitergeht, werden wir um den
Planeten herumschießen und nach einer halben Umkreisung von der Fliehkraft wieder hinausgedrückt. Wir müssen uns etwas anderes ausdenken. Ich dachte daran, im Anflug eine Tangente durch die äußersten Atmosphäreschichten der Tagseite zu legen. Dort könnten die Energieeinheiten Reibungswärme einfangen, und mit dieser Energie könnten wir entscheidend abbremsen.« Eine Alarmglocke schrillte, und jeder katapultierte sich zu einem festen Halt, um sich anzuklammern. Einen Augenblick später gab es einen furchtbaren Ruck, als die Raketenmotoren zündeten und das Schiff aus der Bahn eines Meteoriten stießen. »Man merkt, daß wir in die Nähe eines Planeten kommen. Dies ist schon der dritte auf der letzten Million Kilometer. Die großen Himmelskörper wirken alle wie riesenhafte Staubsauger, die allen kosmischen Staub und alle Gesteinsbrocken im Umkreis von Millionen Kilometern an sich ziehen.« Der Planet schwoll rasch unter ihnen an, wurde mit jedem Moment größer, wie ein Luftballon, der aufgeblasen wird. Längst war er von einer Scheibe zu einer Kugel geworden, und nun gerann das geschmolzene Silber zum schmutzigen Grauweiß billigen Zeitungspapiers, und sie sahen, daß sie eine ungeheure, gestaltlos-diesige Wolkendecke unter sich hatten. Der Solarius schoß auf die gekrümmte Horizontlinie des Planeten zu, und die Geschwindigkeit betrug noch immer zehn Kilometer pro Sekunde, mehr als genug, um sie wieder vom Planeten fortzutragen, wenn die Geschwindigkeit nicht abgebremst wurde. »Achtung, es geht los!« rief Arcot. »Wir sind noch zu
hoch!« Er drückte den großen roten Knopf, der die Steuerungstreibsätze der Oberseite zündete, und für einen Moment schien der Raum ringsum in gelbrote Flammen getaucht. Das Schiff taumelte unter dem plötzlichen Andruck, doch die schweren gyroskopischen Stabilisatoren hielten es in Position. Dann hörten die Männer plötzlich ein langgezogenes dünnes Pfeifen und Winseln, schwach und anfangs fast unhörbar, und die Anzeigenadel des Geschwindigkeitsmessers begann zu sinken. Solarius war in die Venusatmosphäre eingetreten – das erste bemannte Vehikel, das in die Lufthülle einer anderen Welt eindrang! Arcot hatte die Raketen sofort wieder ausgeschaltet und versuchte das Schiff in der dünnen äußeren Lufthülle zu halten, bis die sinkende Geschwindigkeit ein Eindringen in tiefere und dichtere Schichten gestatten würde. Nun konnten sie ihre Antriebsenergie aus der Luft beziehen, deren anschwellendes Pfeifen und Schrillen von zunehmender Dichte kündete. »Wade, du gehst in den Generatorenraum auf Posten. Bob, du setzt dich ans Schaltpult für die Bordsysteme. Und du, Fuller, beobachtest den Radarschirm, denn wir werden bald blind fliegen. Jeder schnallt sich an, denn es wird mächtige negative Beschleunigungen geben.« Die Männer eilten auf ihre Posten – oder besser gesagt, sie segelten auf ihre Posten, denn sie befanden sich noch immer im Zustand der Schwerelosigkeit. Als alle auf ihren Plätzen waren, schaltete Arcot den Generator um. Die Beleuchtung flackerte, trübte sich für einen Moment, und dann nahm das gewohnte Summen seinen Fortgang; der Generator arbeitete mit der
Venusatmosphäre. Sofort arbeiteten auch die Energieeinheiten mit erneuerter Kraft, und da die Reibungswärme mehr Energie lieferte, als der Generator aufnehmen konnte, wuchs die negative Beschleunigung so rasch an, daß die Männer in ihre Gurte gepreßt wurden, bis sie kaum noch atmen konnten. Die rasch zunehmende Luftdichte verstärkte das Kreischen und Heulen zu donnerndem Gebrüll. Langsam stieg die Temperatur im Innern des Schiffs, angewärmt von der Reibungshitze, obwohl die Außentemperaturen in dieser Höhe, mehr als hundert Kilometer über der Oberfläche des Planeten, noch immer extrem niedrig waren. Der Radiotachometer war von zehn auf sieben gesunken, und sie begannen jetzt rasch tieferzugehen. Bald hatten sie die Orbitalgeschwindigkeit um ein gutes Stück unterschritten und fielen unter den Einfluß der Anziehung des Planeten. Der Kampf war ausgestanden, die Besatzung konnte sich entspannen. Das Schiff glitt jetzt ruhig dahin, und das gleichmäßige Rauschen der Luft erfüllte angenehm gedämpft das Schiffsinnere, eine summende Melodie, das Lied einer neuen Welt.
4 Auf einmal war das grelle Sonnenlicht, dessen Allgegenwart ihnen im Lauf der Reise längst zur Selbstverständlichkeit geworden war, verblaßt, und sie schwebten in einer einförmig diesigen Welt wallender Nebel. Ein millionenfaches winziges Knistern und Ticken brachte den metallenen Schiffsrumpf wie einen
Resonanzboden zum Klingen. »Eis! – Eiswolken!« rief Morey. Arcot nickte. »Wir werden tiefergehen, und dann wird es Regen sein. Wahrscheinlich sind diese Wolken viele Kilometer dick. Da, es ändert sich bereits – Schneeflocken mischen sich in das Eis. Noch ein paar Kilometer tiefer, und es wird Wasser sein. Und irgendwann werden wir durch die Wolkendecke stoßen und die Venusoberfläche sehen!« »Diese Waschküche gefällt mir nicht«, sagte Morey. »Fuller, achte gut auf den Radarschirm; davon hängt jetzt alles ab.« Zwanzig Kilometer tief – eine endlose Distanz, wie es schien – sanken sie durch dichte, wattige, undurchdringliche Wolken. Dann begannen sie sich aufzulockern, und zwischen wehenden Fetzen erschienen da und dort Löcher, durch die man auf etwas Unbestimmtes, Dunkles hinuntersehen konnte. Als sie noch tiefer sanken, wichen die Wolken mehr und mehr zurück, und da und dort sahen sie verschwommene Einzelheiten, grünliche, verwaschene Flecken. War es Wasser – oder Land? Mit einer Plötzlichkeit, die sie verblüffte, hatten sie die niedrig hängende Wolkendecke hinter sich gelassen und überflogen eine eintönige Ebene. Sie schien sich endlos in alle Richtungen zu erstrecken, nur im Norden sahen sie eine niedrige Hügelkette blau und diesig am Horizont. »Venus! Wir haben es geschafft!« jubelte Morey. »Die ersten Menschen auf der Venus – ich werde sofort den Sender in Betrieb nehmen und eine Meldung durchgeben! Mann – sieh dir diese Ebene an!« Er sprang auf und ging durch den Raum zu seinem Sender. »Meine Güte – ich
komme mir vor, als ob ich aus Blei wäre! Nach all dieser Zeit in der Schwerelosigkeit habe ich einfach keine Kondition mehr!« Arcot hob die Hand. »Nicht so schnell! – Warte einen Augenblick, Bob! Kein Mensch wird jetzt deine Sendung empfangen, denn die Erde ist auf der anderen Seite der Venus. In ungefähr zwölf Stunden werden wir eine Botschaft schicken können, vorher nicht. Inzwischen könntest du die Steuerung übernehmen, während ich mich um die Luftproben und ihre Analysen kümmere. In Ordnung?« Nachdem Morey ihn abgelöst hatte, ging Arcot durch den schmalen Mittelgang zu dem kleinen Labor hinter der Steuerzentrale. Als er eintrat, hatte Wade bereits ein Dutzend Luftproben gesammelt und arbeitete mit ihnen. »Wie ist es – was hast du bisher herausgebracht?« fragte Arcot. »Sauerstoff und Kohlendioxyd. Der Sauerstoffanteil macht ungefähr vierundzwanzig Prozent aus, was bei Berücksichtigung des größeren Luftdrucks hier um einige Prozent höher liegt als auf der Erde. Das Kohlendioxyd bildet ein knappes Prozent der Atmosphäre. Sie ist anscheinend für irdisches Leben geeignet; diese Maus hier lebt ganz munter und vergnügt. Aus was die anderen fünfundsiebzig Prozent der Atmosphäre bestehen, habe ich noch nicht herausgebracht, aber es ist jedenfalls nicht Stickstoff.« Arcot und er arbeiteten weiter an den Analysen und einigten sich schließlich darauf, daß es Argon sein mußte. »Relativ wenig Stickstoff«, folgerte Wade. »Das bedeutet, daß es für das Leben hier schwierig sein wird, ihn
aus der Luft zu holen. Aber wo immer es Leben gibt, findet es Wege, sich anzupassen, selbst wenn die Bedingungen uns unmöglich erscheinen.« Sie vervollständigten die Analyse, und nach weniger als einer Stunde standen ihre Resultate bei 24 Prozent Sauerstoff, 0,9 Prozent Kohlendioxyd, 63 Prozent Argon, 6 Prozent Stickstoff, 2 Prozent Helium, 0,5 Prozent Neon, 0,5 Prozent Wasserstoff und einem Rest von verschiedenen Gasen, unter ihnen Krypton und Xenon. Die Analysen dieser nur in Spuren vorkommenden trägen Gase blieb in dieser kurzen Zeit etwas oberflächlich, aber sie reichte für ihre Zwecke aus. Sie kehrten zu den anderen zurück. »Nun, wir werden die Venusatmosphäre ohne weiteres atmen können, was eine große Erleichterung für uns bedeutet«, erklärte Arcot. »Ich glaube, wir können unseren Erkundungsflug jetzt fortsetzen. Es überrascht mich ein wenig, weit und breit kein Wasser zu sehen, aber wir sind ziemlich weit oben auf der Nordhalbkugel, und das Wasser ist eben woanders. Bob, ich schlage vor, daß du die Außenmikrofone einschaltest. Mich würde interessieren, ob es in diesen leeren Landstrichen irgendwelche Geräusche gibt.« Morey folgte der Aufforderung, und einen Augenblick später kam ein leises, an- und abschwellendes Summen aus dem Lautsprecher. Draußen wehte eine leichte Brise. Während sie noch lauschten, hörten sie aus der Ferne ein tiefes, dumpfes Grollen. »Das muß sehr weit entfernt sein«, sagte Arcot, verwundert die Stirn runzelnd. »Klingt beinahe wie ein Gewitter. Bob, dreh das Schiff langsam auf der Stelle, damit wir hören können, aus welcher Richtung das
Geräusch kommt.« Morey tat wie geheißen, und der breite Bug des Schiffs wanderte langsam über den Horizont. Der ferne Donner schien aus der Richtung der Hügel zu kommen. »Vielleicht ein Erdbeben?« meinte Fuller, während er zu den niedrigen Hügeln in der blauen Ferne hinüberstarrte. »Als wir vor acht Jahren das große kalifornische Erdbeben hatten, hörte es sich hundert Kilometer weiter ganz ähnlich an.« »Sehen wir also nach«, sagte Arcot. »Es ist ziemlich gleich, wo wir mit unserer Erforschung beginnen, warum also nicht in der Richtung?« Morey nahm Kurs auf die fernen Hügel, und das Schiff beschleunigte lautlos. Die öde Ebene raste unter ihnen vorbei, der Dunst löste sich auf, und die Hügel rückten rasch näher und zeigten sich als kahle, steinige Kuppen, ebenso kahl wie die tundrenartige Ebene davor. Als sie höher stiegen, sahen sie in kurzen Abständen helle Lichtblitze jenseits der Hügelkette. Die Außenmikrofone fingen dumpf krachende Geräusche auf. »Also doch ein Gewitter...«, begann Wade, doch Arcot unterbrach ihn. »Nicht so schnell, mein Lieber. Wenn mich nicht alles täuscht, ist dies kein Gewitter! Das klingt sehr nach dem einzigen Tier in der ganzen Schöpfung, das solche Geräusche machen kann! Hier, nimm den Feldstecher – siehst du diese Punkte, die dort über den Lichterscheinungen kreisen? Das einzige Tier, das solchen Lärm veranstalten kann, ist der Mensch! Das da sind Menschen – und sie sind nicht zum Scherzen aufgelegt! Los, Bob, schalten wir die Unsichtbarkeit ein, solange wir
können. Und dann sehen wir uns die Sache aus der Nähe an!« »Also paßt auf und erschreckt nicht, wenn ihr plötzlich glaubt, daß ihr in der Luft hängt. Es geht los!« Morey betätigte einen kleinen Schalter auf der Armlehne des Pilotensitzes. »Ich weiß nicht, Bob«, sagte eine Stimme aus dem Nichts, denn keiner von ihnen konnte das Schiff und die anderen sehen. »Je länger wir unterwegs sind, desto mehr Fehler sehe ich in unseren Vorausberechnungen. Ich erkenne jetzt, warum ich mich bei meiner Einschätzung der Intelligenz möglicher Lebensformen hier auf der Venus so schwer geirrt habe. Die Sonne versorgt den Planeten mit einer doppelten Dosis von Wärme – aber auch einer doppelten Dosis von anderen Strahlungen. Einige von ihnen scheinen die Evolution zu beschleunigen. Wie auch immer, vielleicht gelingt es uns, rascher Freunde unter den Bewohnern zu finden, wenn wir in dem Kampf, der dort vor sich geht, der einen oder der anderen Seite beistehen. Was meint ihr?« »Ich finde, das ist eine gute Idee«, sagte Fuller. »Aber auf welche Seite sollen wir uns schlagen – und was für Seiten sind es? Wir haben sie weder gesehen, noch wissen wir, worum es geht. Laßt uns erst einmal aus der Nähe betrachten, wer dort was spielt.« »Natürlich – aber werden wir uns danach auf die eine oder andere Seite schlagen und in den Kampf eingreifen?« »Nun, das wird sich zeigen, würde ich sagen«, erwiderte Wade. »Ich denke, wir sollten uns jedenfalls nicht in die Lage des Mannes begeben, der sich in einen Streit einmischt und dafür von beiden Kontrahenten gemeinsam
verprügelt wird.« Das unsichtbare Schiff glitt auf den Schauplatz der Kämpfe zu. Als sie die Barriere der Hügelkette hinter sich hatten, sahen sie sich wieder über einer weiten Ebene. Keine fünf Minuten später stoppte Morey mit einem erschrockenen Ausruf die Bewegung des Schiffs. Einige Kilometer voraus bedeckte eine großartige Stadt einen Teil der Ebene, und über ihr flog eine Maschine, wie kein Mensch sie je gesehen hatte. Es war ein gigantisches Flugzeug, monströs und unglaublich. Volle fünfhundert Meter maßen die enormen Tragflächen, soweit sie sich im stumpfen Licht des wolkigen venusischen Tages abschätzen ließen; selbst die ausgedehnte Stadt unter ihr wirkte im Vergleich zu der Maschine zwergenhaft und unbedeutend. Das Donnern der zahlreichen überdimensionalen Propellermotoren drang als donnerndes Brüllen aus dem Lautsprecher des unsichtbaren Schiffs. Dann bemerkten die Beobachter, daß das Riesenflugzeug von einem Schwarm kleiner Maschinen umkreist wurde, die wie Mücken aussahen. Und so vergeblich wie Mücken einen Adler angreifen, stürzten sie sich immer wieder auf dieses Schlachtschiff der Lüfte. Was immer sie an Waffen und Feuerkraft aufzubieten hatten, auf den Behemoth machte es keinen Eindruck. Dieser entließ einen stetigen Strom von Bomben, die auf das Land herabregneten, mit Lichtblitzen, Rauch und dumpfem Krachen explodierten und enorme Krater zurückließen. Dennoch schien der Riese unfähig, an die Stadt heranzukommen oder sie zu überfliegen, wie es doch offenbar seine Absicht war; oder verteidigte er sie? Nein,
denn die kleinen Maschinen, die sich mit dem Mut der Verzweiflung auf das Ungetüm stürzten, stiegen von der Stadt auf. Aber sicherlich waren nicht sie es, die das Monstrum in Schach hielten. Gespannt beobachteten die Männer den ungleichen Kampf. Der Bombenregen schien kein Ende nehmen zu wollen, obgleich alle auf freiem Feld vor der Stadt aufschlugen. Es schienen jedoch keine gewöhnlichen Sprengbomben zu sein, denn allmählich verwandelten sie den Boden rings um die Stadt in glühende, flüssige Lava, die sich wie überkochende Suppe brodelnd erhob und die Gebäude an der Peripherie unter sich zu begraben drohte. Plötzlich schwenkte das ungefüge Riesending von seiner Kreisbahn ab und unternahm einen Vorstoß in den Luftraum über der Stadt. Als hätten sie dieses Manöver erwartet, schossen zischende weiße Lichtstrahlen aus der Stadt aufwärts. Sie verfehlten eine der Riesentragflächen um ein geringes, aber dem Eindringling genügte diese Kostprobe; er legte sich schwerfällig auf die Seite und drehte mit aufbrüllenden Motoren ab. »Wem helfen wir nun?« fragte Arcot. »Ich würde sagen, der Stadt. Niemandem sollte erlaubt sein, etwas so Schönes zu zerstören.« Alle waren dieser Meinung, also sagte Arcot: »Bob, ich glaube, wir können noch näher herangehen.« »Aber was in aller Welt können wir gegen dieses ungeheure Ding ausrichten?« fragte Fullers Stimme unheimlich aus der Leere. »Schon seine Größe macht es praktisch unverwundbar.« Alle verstummten, als eine der kleinen Maschinen mit voller Geschwindigkeit selbstmörderisch auf eine der
Tragflächen des Riesen herabstieß. Jede dieser Tragflächen trug nahezu fünfzig Motorengondeln mit Propellern. Eine grelle Explosion erfolgte, ein furchtbares Krachen ertönte und zersplitterte Fetzen und Bruchstücke segelten flammend in die Tiefe. Aber nicht einer der Motoren war ausgefallen, und der Aufprall der kleinen Maschine schien nichts weiter bewirkt zu haben, als daß einige Platten der oberen Tragflächenverkleidung herausgerissen worden waren. »Habt ihr das gesehen?« sagte Morey verblüfft. »Was können wir gegen dieses Monstrum ausrichten?« Arcot tastete sich zum Pilotensitz und sagte: »Ich habe eine Idee. Laß mich ans Steuer.« Nachdem sie ihre Plätze getauscht hatten, zog Arcot das Schiff steil in den diesigen Himmel hinauf, bis es über dem Riesenflugzeug war. Ungefähr fünfhundert Meter mochten zwischen ihnen sein, als Arcot das Schiff fallen ließ, direkt auf das fliegende Schlachtschiff hinunter. Im freien Fall beschleunigten sie sehr rasch, und als Arcot das Gefühl hatte, daß ihn nur noch knappe fünfzig Meter von der breiten Tragfläche trennten, schaltete er die unteren Raketentreibsätze ein. Es gab einen betäubenden Ruck, und die vier Männer an Bord wurden fast ohnmächtig unter dem jähen Andruck, der sie tonnenschwer in die Sitze preßte. Dann, bevor sie die Besinnung verlieren konnten, wurde der Druck ebenso plötzlich von ihnen genommen. Unter ihnen waren Stichflammen, eine Hölle von glühenden Wasserstoffgasen, die brüllend aus den Schubrohren der Raketen schossen. Alle sechs Raketen in der Schiffsunterseite arbeiteten mit voller Kraft, um das fallende Gewicht des Solarius abzufangen und wieder
emporzutragen. Wo die Stichflammen mit einer Hitze von dreitausendfünfhundert Grad Celsius die breite Tragfläche des Riesenflugzeugs trafen, verglühte und schmolz das Metall. Als das Schiff wieder an Höhe gewonnen hatte, schaltete Arcot die Raketen aus. Dann zog er das Schiff in einem Halbkreis zur Seite, um etwaigen Abwehrwaffen des Flugzeugs zu entgehen. Aus sicherer Entfernung blickten sie zurück. In der Rumpfoberseite und der rechten Tragfläche des Flugzeugmonsters klafften sechs riesige rauchende Löcher, deren noch immer stumpfrot glühende Ränder einander fast berührten. Die Maschine selbst schwankte und taumelte, verlor an Höhe; aber lange bevor sie den Boden erreichte, gelang es der Besatzung, die Kontrolle zurückzugewinnen und die Maschine abzufangen. Trotz zahlreicher stehender Motoren drehte sie ab und floh nach Süden. Der Schwarm der kleinen Flugzeuge folgte und feuerte aus Bordwaffen durch die klaffenden Öffnungen ins Flugzeuginnere. Doch die Besatzung des Superbombers hatte den Schock des unerwarteten Angriffs überwunden und feuerte zurück. Gleichzeitig sprangen mehrere der stillstehenden Propeller wieder an, und der Koloß flog mit zunehmender Geschwindigkeit nach Süden davon, auf der Flucht vor seinem unsichtbaren Gegner. Arcot brachte das Schiff wieder in die Position, die es während des Angriffs eingenommen hatte, dann ließ er es aus dem Nichts sichtbar erscheinen. Sofort änderten zwei Dutzend der kleinen Jagdmaschinen ihren Kurs und hielten auf das Schiff zu. Um den Besatzungen zu zeigen, mit wem sie es zu tun hatten, zündete er noch einmal die unteren Raketentreibsätze und hob das Schiff einige hundert Meter
höher. Die typischen Stichflammen würden leicht wiederzuerkennen sein. Die kleinen, pfeilförmigen Flugzeuge bildeten nun eine lange Kette, die den Solarius langsam umkreiste und dann Kurs auf die Stadt nahm. Arcot folgte ihnen, und sofort erhöhten die Flugzeuge ihre Geschwindigkeit. Die Stadt, der sie sich nun näherten, bot einen eindrucksvollen Anblick. Stattliche Türme erhoben sich mit anmutigen, asymmetrischen Linien mehr als hundert Meter in die Luft, und ihre in Regenbogenfarben schimmernden Wände gaben der ganzen Stadt den Anschein eines großen Juwels – einer einzigen architektonischen Einheit. Jeder Gebäudekomplex der Stadt schien um einen Zentralbau gruppiert, der von einem dieser Türme überragt wurde, und sämtliche Baugruppen waren wiederum auf einen Mittelpunkt hin orientiert, wo sich ein mächtiger Gebäudekomplex mit einem schwarzgoldenen Turm erhob. Ein Ring von niedrigen Gebäuden – offenbar Wohnhäuser und Werkstätten – umgab die inneren Bezirke der Stadt, die sich nicht aus einem kleinen Kerngebiet allmählich und organisch zu ihrer Größe entwickelt zu haben schien, sondern mehr den Eindruck eines vorzüglich geplanten Ganzen machte.
5 Die Besucher von der Erde folgten ihrer Eskorte zu dem großen, zentralen Gebäudekomplex im Herzen der Stadt. Die kleinen Maschinen der Venusier schossen im Sturzflug hinab und landeten nacheinander auf einem ausgedehnten
Flachdach, ohne vorher wesentlich zu verlangsamen. »Wir können dort nicht landen. Dieses Ding wiegt soviel, daß wir wahrscheinlich das ganze Gebäude zum Einsturz bringen würden«, sagte Arcot. »Ich glaube, wir versuchen es auf der Straße. Sie sieht breit genug aus, und Verkehr in unserem Sinne scheint es hier nicht zu geben.« Arcot manövrierte das Schiff vorsichtig zwischen den Gebäuden hinab. Kurz bevor er es landete, hielt er es dicht über dem Boden in der Schwebe, um den neugierigen Einheimischen Gelegenheit zu geben, sich zurückzuziehen. Dann waren sie gelandet und starrten hinaus zu der ständig größer werdenden Menge von Venusiern, die bald die Straße füllte. Immer neue Bewohner strömten aus den Gebäuden, wo sie während des Angriffs wahrscheinlich Schutz gesucht hatten. »Na so was!« rief Fuller überrascht. »Sie sehen beinahe wie wir aus!« »Warum nicht?« lachte Morey. »Gibt es einen Grund, warum sie uns nicht ähnlich sehen sollten? Venus und Erde haben ziemlich die gleiche Größe und sind Planeten einer Sonne. Abgesehen von der Temperatur scheinen die physikalischen Bedingungen hier nicht allzu verschieden von denen auf der Erde zu sein, und wenn etwas an Svante Arrhenius' Theorie von Lebenssporen ist, die durch das Licht von Welt zu Welt getragen werden, dann gibt es keinen Grund, warum Parallelentwicklungen nicht überall im Universum möglich sein sollten. Natürlich bezieht sich dies auf Welten, die für solche Entwicklungen günstig sind.« »Seht euch nur die Größe an!« bemerkte Fuller. Die Größe der Einheimischen war tatsächlich
bemerkenswert, denn in der ganzen Menge waren nur die offensichtlich sehr jungen Venusier unter einen Meter achtzig groß. Die Durchschnittsgröße für Erwachsene schien ungefähr zwei Meter fünfzig zu sein, und es waren lauter wohlgebaute Männer und Frauen mit ungewöhnlich großen Brustkörben und langovalen Köpfen, die sehr humanoid gewirkt hätten, wäre nicht ihre leichenhaft bläuliche Hautfärbung gewesen. Selbst ihre Lippen waren so intensiv blau wie die eines Menschen rot sind. Ihre Zähne waren weiß und wie Pferdezähne lang; auch das Innere ihrer Münder schien blau zu sein. »Sie sehen alle aus, als ob sie Blaubeeren gegessen hätten«, sagte Wade schmunzelnd. »Ich frage mich, was ihr Blut blau macht? Ich habe zwar von blaublütigen Familien gehört, aber diese sind die ersten, die ich jemals gesehen habe!« »Ich denke, ich kann das beantworten«, sagte Morey. »Es erscheint uns seltsam, aber diese Leute haben offenbar Blut, bei dessen Zusammensetzung das Hämocyanin eine wichtige Rolle spielt. Bei uns besorgt eine Eisenverbindung, das Hämoglobin, den Transport des Sauerstoffs zu den Geweben und den Abtransport des Kohlendioxyds aus ihnen, aber bei verschiedenen Tieren auf der Erde wird die gleiche Funktion von einer Kupferverbindung, dem Hämocyanin, übernommen, und das ist von intensiv blauer Farbe. Ich bin ziemlich sicher, daß das die Erklärung für die Hautfarbe dieser seltsamen Leute ist. Habt ihr übrigens bemerkt, wie ihre Hände aussehen?« »Ah, ja. Haben sie nicht einen Finger zuviel? Da, sieh dir diesen Kerl an, der auf uns deutet – nein, seine Hand
hat nicht zu viele Finger, sondern zu viele Daumen! Er hat einen auf jeder Seite seiner Handfläche! Nun, das ist für viele Arbeiten sicherlich nützlich, meinst du nicht?« Plötzlich öffnete sich eine Gasse in der Menge, und aus dem großen schwarzen und goldenen Gebäude kam ein Trupp von Männern in enganliegenden grünen Uniformen, offenbar Soldaten irgendeiner bestimmten Waffengattung oder Angehörige einer Leibwache, denn in der Menge gab es eine Anzahl von Männern, die ganz ähnliche Uniformen von tiefblauer Farbe trugen. »Es ist anzunehmen, daß sie einen oder mehrere von uns in ihr Regierungsgebäude geleiten wollen, oder was immer es ist«, sagte Arcot. »Ich schlage vor, wir werfen eine Münze, um zu entscheiden, wer geht. Zwei sollten unbedingt an Bord bleiben. Wenn die beiden anderen nicht innerhalb angemessener Zeit zurückkommen, sollte einer der an Bord Zurückbleibenden Nachforschungen anstellen; der andere kann eine Botschaft zur Erde schicken und sich mit dem Schiff in Sicherheit bringen, bis Hilfe eintreffen kann. Aber ich denke mir, daß diese Leute uns freundlich gesonnen sind – andernfalls wäre ich nicht hier gelandet.« Der Anführer der Uniformierten nahm draußen unter der Luftschleuse Aufstellung, legte seine linke Hand auf die rechte Brustseite, was eine Art Ehrenbezeigung sein mochte, und wartete. An Bord wurde unterdessen eine Münze geworfen, die darüber entscheiden sollte, wer von ihnen den Vorzug genießen sollte, als erster Mensch den Boden der Venus zu betreten. Arcot und Morey gewannen, und sie legten die belüfteten Kühlanzüge an, die sie in der heißen Luft draußen benötigen würden – denn das Thermometer zeigte
70° Celsius an. Als sie fertig waren, traten sie in die Schleusenkammer, schlossen sie hinter sich und öffneten die äußere Tür. Der Vorgang wurde von einem matten Seufzen entweichender Luft begleitet, da der atmosphärische Druck im Freien etwas niedriger war als im Innern des Schiffs. Sie mußten einige Male schlucken, um den Druck in den Ohren auszugleichen. Die Wachen nahmen sie in die Mitte, sobald sie den Fuß der teleskopisch ausgefahrenen Gangway erreicht hatten, und der Offizier übernahm die Führung. Nach einem ersten staunend-erschrockenen Blick auf diese seltsamen Ankömmlinge hatte er seine Empfindungen mannhaft unterdrückt. Tatsächlich mußten Arcot und Morey einen merkwürdigen Anblick bieten. Nur ihre Hände waren sichtbar, denn die Kühlanzüge bedeckten sie vollkommen, doch durch die Gesichtsfenster mußte die sonderbare blaßrosa Farbe ihrer Haut deutlich genug zu sehen sein, und gemeinsam mit ihrer zwergenhaften Statur und den weiten, verhüllenden Anzügen mußten sie auf die Venusier einen je nach Gemütslage erschreckenden oder grotesken Eindruck machen. Dies wurde jedenfalls aus den Gesichtern der herandrängenden Menge deutlich, die von den Männern der Eskorte nur mit Mühe zurückgehalten werden konnte. Am überraschendsten von allem war vielleicht, daß den Fremden an jeder Hand der äußere Daumen fehlte! Aber bald hatten sie die Stufen vor dem Eingang des Gebäudes erreicht, und die Menge, von einem halben Dutzend der blauuniformierten Männer zurückgewinkt, hielt gehorsam Abstand.
»Eine Handvoll Polizisten würde niemals so eine Menge Menschen zurückhalten können, wenn Besucher von einem anderen Planeten auf der Erde landeten!« bemerkte Morey verwundert. »Woher sollten sie wissen, daß wir Besucher von einem anderen Planeten sind?« erwiderte Arcot. »Wir erschienen plötzlich aus dem Nichts – sie wissen nicht einmal, aus welcher Richtung wir kamen. In ihrer Vorstellung könnten wir ebensogut irgendeine fremde Pygmäenrasse von der anderen Seite der Venus sein.« Sie passierten den hohen Eingang, dessen Torflügel aus massivem Kupfer zu bestehen schienen. Selbst die riesenhaften Venusier wirkten zwischen diesen mächtigen Torflügeln zwergenhaft, und bei diesem Eindruck blieb es, als sie in eine enorme Halle kamen, einen ungeheuer hohen und weitläufigen Raum, der die vordere Hälfte des gesamten Gebäudes einzunehmen schien. Riesige, doch in ihrer Höhe zierlich und anmutig wirkende Säulen waren den Wänden vorgeblendet und verbargen die eigentlichen tragenden Elemente. Der Stein der Säulen war von einem angenehmen kühlen Grün, wie eine im Regendunst eines Sommertags liegende Aulandschaft. Auch der Boden war schachbrettartig mit Platten dieses grünen Steins belegt, abwechselnd mit solchen eines offenbar verwandten, aber blauen Steins. Umringt von ihrer Eskorte, marschierten sie durch die riesige Halle und hielten vor einem weiteren hohen Eingang. Der Offizier gab zweien seiner Männer ein Zeichen, und diese blieben, während die anderen sich rasch entfernten. Der Rest der Gruppe trat durch offene Torflügel in einen kleineren Raum, dessen Wände mit Kupferplatten
getäfelt waren. Dann drückte der Offizier auf einen Knopf, und mit einem Seufzen entweichender Luft schob sich ein kupfernes Gitter vor die Türöffnung. Er drückte einen weiteren Knopf, und ein vertrautes Gefühl im Magen verriet Arcot und Morey, daß der kupferverkleidete Raum ein Aufzug war – eine Aufzugkabine, in der mit Leichtigkeit fünfzig Menschen Platz gefunden hätten. Der Aufzug stieg rasch und legte eine beträchtliche Strecke zurück, während ein leises Summen, dessen Vibrationen ihre Fußsohlen kitzelten, durch den Boden drang. »Sie müssen verdammt starke Kabel haben, um Aufzüge dieser Größe so hoch hinaufzuziehen«, bemerkte Morey. »Ich weiß zufällig, mit welchen Schwierigkeiten die Aufzugbauer bei unseren Wolkenkratzern zu ringen haben. Wenn es wirklich hoch hinaufgeht, muß man immer noch von einem Aufzug in einen anderen umsteigen. Und wir müssen schon hoch in diesem Turm sein.« »Du hast recht, ich frage mich auch, wie sie es machen. Ich habe auf meine Uhr gesehen – wir steigen seit eineinhalb Minuten mit ziemlich hoher Geschwindigkeit... Ah, da sind wir; anscheinend ist das die Endstation.« Arcot betrachtete eingehend die Knöpfe und Schalter, mit denen der Aufzug gesteuert wurde, dann, als die Öffnung zum Aussteigen freigegeben wurde, spähte er in den Spalt zwischen Fahrkorb und Aufzugschacht. »Komm her, Bob – ein ganz einfaches System! Sieh mal, sie haben Schienen und ein doppeltes Zahnradsystem mit Zahnstangen neben den Schienen. Der Aufzug zieht sich selbst hoch! Ich wette, sie haben einen Motor unter dem Boden des Aufzugs, der die Zahnräder auf beiden
Seiten antreibt. Das haben sie bei uns deshalb nie gemacht, weil die Energiekosten zu hoch liegen würden. Aber ich glaube, ich sehe die Lösung – der Aufzug hat elektrodynamische Bremsen, und beim Sinken verlangsamt er seine Geschwindigkeit, indem er Energie abgibt, die vom benachbarten Aufzug zum Steigen aufgenommen wird. Eine sehr elegante Methode!« Als Arcot sich aufrichtete, fing er einen verwunderten Blick des Offiziers auf, der ihm bedeutete, ihm zu folgen. Morey und er wurden durch einen langen Korridor geführt, der zu beiden Seiten von zahlreichen repräsentativen Türen gesäumt war und an die Imponierarchitektur irgendeines irdischen Ministeriums oder Konzernsitzes gemahnte. Zuletzt landeten sie in einem großen Büro. Der begleitende Offizier wiederholte die Ehrenbezeigung, sprach schnell und kurz und ging mit seinen zwei Männern hinaus. Arcot und Morey standen vor einem offenbar alten Mann mit einem Gesicht, das trotz seiner Fremdartigkeit unverkennbar Wohlwollen ausstrahlte. Sein länglicheiförmiger Kopf war kahl, und die Züge trugen die eingegrabenen Linien und Falten des Alters, doch die lebhaften Augen und das offene Interesse verliehen seinem Antlitz ein jugendliches Aussehen. Trotz seiner irritierenden Hautfarbe war es ein gutes und freundliches Gesicht. Er blickte die beiden Männer neugierig und forschend an, und als er ihre Hände sah, trat für einen Moment ein Ausdruck ungläubigen Staunens in seine Augen. Schließlich kam er auf sie zu und hielt Arcot die Hand hin. Lächelnd streckte Arcot ihm die seine entgegen. Der Venusier ergriff sie – und sofort ließen sie einander mit
einem überraschten Ausruf wieder los, Arcot mit einem Gefühl unangenehmer Hitze, der Venusier mit dem Eindruck ebenso unangenehmer Kälte. Jeder starrte überrascht von seiner Hand zu der Hand des anderen, bis ein Lächeln die blauen Lippen des Venusiers verzog und er seine Hand senkte. Arcot erwiderte das Lächeln und sagte zu Morey: »Sie müssen eine Körpertemperatur von siebzig bis achtzig Grad Celsius haben. Ich dachte, er würde mir mit seinen Fingern die Hand verbrennen, aber es liegt nahe, daß ihre Körpertemperatur den allgemeinen Temperaturverhältnissen des Planeten angeglichen sein muß. Wunderbar, wie die Natur sich den physikalischen Bedingungen der Umgebung anzupassen vermag!« Morey schmunzelte. »Ich hoffe, Dick, diese Leute kennen kein Fieber. Sonst würden sie am Ende überkochen!« Der Venusier hatte eine kleine Tafel aus einem schwarzen Material aufgenommen und zeichnete darauf mit einem Stift, der aus Kupfer zu sein schien. Nach kurzer Zeit reichte er die Tafel Arcot, der den Arm danach ausstreckte, sich dann eines Besseren besann und durch Gebärden zu verstehen gab, daß er sich nicht die Finger verbrennen wolle. Darauf hielt der alte Venusier die Tafel so, daß Arcot sie sehen konnte. »Sieh mal, Bob – ich dachte nicht, daß diese Leute etwas von Astronomie wissen, mit dieser ständigen dichten Wolkendecke über sich, aber das war ein Irrtum. Er hat eine hübsche kleine Karte des Sonnensystems gezeichnet, mit Merkur, Venus, Erde, dem Mond, Mars und allen anderen Planeten darauf. Er hat sogar mehrere von den
Monden des Jupiters und des Saturns eingezeichnet.« Der Venusier zeigte mit seinem Kupferstift auf den Mars und blickte sie fragend an. Arcot schüttelte den Kopf und zeigte auf die Erde. Darauf schien der Venusier ein wenig überrascht, dann dachte er einen Moment nach und nickte befriedigt. Er sah Arcot unverwandt und konzentriert in die Augen. Als es Arcot unter diesem Blick unbehaglich zu werden begann, bemerkte er verblüfft, daß sich in seinem Verstand ein Gedanke zu bilden schien. Es war ein Gedanke, den nicht er dachte, und der zuerst vage und unklar erschien, doch rasch Gestalt annahm. »Mann der Erde«, schien er zu sagen, »wir danken euch – ihr habt unser Land gerettet. Wir danken euch für eure rasche Antwort auf unsere Signale. Wir hatten nicht erwartet, daß ihr uns so bald antworten könntet.« Der Venusier schien sich zu entspannen, als die Botschaft beendet war; offenbar hatte sie ihn große geistige Anstrengung gekostet. Arcot versuchte es ihm nachzutun und starrte konzentriert in seine Augen, während er eine Reihe von Gedanken formulierte. Obwohl er Übung darin hatte, sich auf Ideen und Zusammenhänge zu konzentrieren, war ihm der Prozeß der visuellen Vorstellung von Gedanken und Überlegungen neu und sehr schwierig. Aber die Miene des Alten sagte ihm, daß er einige Fortschritte machte. »Wir kamen nicht auf irgendwelche Signale hin. Wir sind nur auf einer Forschungsreise. Wir sahen den Kampf und halfen, weil eure Stadt zum Untergang verurteilt schien, und weil sie uns zu schön erschien, um zerstört zu werden.« »Was soll das alles, Dick?« fragte Morey verwundert,
als er die beiden einander anstarren sah. »Wir versuchen es mit Telepathie«, antwortete Arcot kurz. »Ich weiß nicht, ob er meine Gedanken lesen kann, aber ich erfuhr gerade, daß sie Signale zur Erde geschickt hatten – warum und wie, kann ich nicht sagen. Vielleicht bringe ich es noch heraus – wenn ich unter der Anstrengung nicht überschnappe.« Wieder wandte er sich dem alten Venusier zu. Dieser betrachtete ihn zweifelnd. Nach einer Weile wandte er sich ab, trat an ein Möbel, das an einen Schreibsekretär erinnerte, und zog einen kleinen Hebel. Darauf starrte er wieder in Arcots Augen. »Kommt mit mir – die Anstrengung dieses Gesprächs ist zu groß – ich sehe, ihr kennt auf eurer Welt keine unmittelbare Gedankenübertragung.« »Komm mit, Bob, wir gehen irgendwohin. Er sagt, diese Gedankenübertragung sei zuviel für uns. Ich frage mich nur, was er tun wird?« Wieder durchwanderten sie das Labyrinth der Korridore, diesmal angeführt von dem freundlichen, zweieinhalb Meter großen Venusier. Nach längerer Wanderung und einer kurzen Fahrt mit dem Aufzug erreichten sie ein großes Auditorium, auf dessen halbkreisförmig angeordneten Sitzen sich bereits hundert oder mehr blauhäutige Venusier niedergelassen hatten. Ihnen gegenüber standen zwei große, weichgepolsterte Stühle auf einer niedrigen Plattform. Zu diesen wurden Arcot und Morey geführt. »Wir werden versuchen, euch unsere Sprache telepathisch zu lehren. Wir können euch die Ideen und Gedanken geben – ihr müßt die Aussprache lernen, aber
dies wird sehr viel schneller zum Erfolg führen. Setzt euch auf diese Stühle und entspannt euch.« Die Sessel waren für die venusischen Riesen gemacht, doch als die beiden Männer sich wie Kinder in Großvaters Lehnstuhl in die Polster sinken ließen, bildeten sie sich ein, daß sie niemals so behaglich gesessen hätten. Irgendwie schien es diesen Venusiern gelungen zu sein, Sessel zu bauen, die jeden Muskel und jeden Nerv zur Ruhe kommen ließen. Arcot fühlte sich undeutlich von einer Schläfrigkeit übermannt, die er sich nicht recht erklären konnte, die aber so angenehm war, daß er sie auch nicht missen wollte. Er gähnte herzhaft. Es war ihm nicht bewußt, daß er einschlief. Irgendwann begannen Visionen seinen Geist zu beschäftigen – Visionen, die ihn in eine Traumwelt entführten. Er sah eine mächtige Luftflotte jener Riesenflugzeuge, deren dröhnendes Donnern den Himmel erfüllte. Dann waren sie plötzlich über ihm, und aus jedem der gigantischen Flugzeuge schossen breite, grelle Lichtstrahlen, die über das Land tasteten und die Stadt berührten. Furchtbare Erschütterungen und Explosionen betäubten ihn, und die ganze Welt kochte ringsum auf in einer unvorstellbaren Lichteruption; dann wurde es dunkel. Eine weitere Vision leuchtete vor seinem inneren Auge auf – eine Vision derselben Luftflotte, die über einem ungeheuren Krater aus geschmolzenem Gestein schwebte, einem Krater, der häßlich in einer Ebene zwischen niedrigen grünen Hügeln klaffte, zwischen denen eine Stadt gewesen war. Die Giganten der Luft kreisten, drehten ab und verschwanden hinter dem Horizont. Wieder sah er sie über einer Stadt auftauchen, die in einem jähen
Aufflammen von blendendem Licht verglühte. Das gleiche Bild wiederholte sich mit geringen Abweichungen mehrere Male, bis er überall auf dieser Welt die rauchenden Ruinen geschmolzener Städte sah, riesige Krater inmitten öder, verlassener Landschaften. Die Geschwader der gigantischen Bomber stiegen durch die Wolken aufwärts, und er war mit ihnen. Sie hoben sich aus den eisigen Nebeln der äußeren Atmosphäre, wo die Kälte des Weltraums ihre Flanken mit Eis und Rauhreif streifte und das Brüllen der mächtigen Propeller nur noch ein dünnes Singen war... Dann hörte das plötzlich auf, und aus weiten Hecköffnungen der Riesenflugzeuge schossen Feuerstrahlen, die meilenweit die diesige Atmosphäre erhellten, Raketentriebwerke, die die seltsamen Monstren in den Weltraum hinausschossen. Dann sah er sie im Anflug auf eine andere Welt, eine stumpfrot leuchtende Welt, von der er nichtsdestoweniger wußte, daß sie die Erde war, und nicht der Mars. Die Riesenflugzeuge tauchten mit enormer Geschwindigkeit in die Atmosphäre des Planeten ein, und die Glutstrahlen der Raketen erloschen. Wieder erfüllte das Dröhnen der großen Motoren die Luft, und die Flotte stieß auf die Oberfläche herab, und wieder regnete es Bomben. Die Visionen verblaßten, und er öffnete die Augen, blickte verwirrt umher. Er war immer noch in dem Hörsaal, er war immer noch auf der Venus – dann kam mit einem plötzlichen Schock das Verstehen. Er verstand die Bedeutung dieser Visionen. Die Venusier wollten ihm damit klarmachen, was nach ihrer Meinung geschehen würde. Sie versuchten ihm die Pläne der Besitzer und Erbauer jener gigantischen Flugzeuge vor Augen zu führen!
Erschrocken und verwirrt krabbelte er aus dem Sessel und erhob sich unsicher auf die Füße. Schreckliche Kopfschmerzen machten ihn benommen. Er blickte zu Morey hinüber und sah seinen Freund im Sessel liegen und schlafen, während ihm abgeschwächte Widerspiegelungen seiner Empfindungen über die Züge huschten. Anscheinend war er mit seiner Lektion noch nicht fertig. Der alte Mann, der sie hierher gebracht hatte, kam auf Arcot zu und sprach ihn in einer weichen, musikalischen Sprache an, die keine Zisch- und Nasallaute zu kennen schien; noch nie hatte Arcot eine so musikalische Sprache gehört, und nun, nach den ersten Worten, fuhr er erschrocken zusammen, denn er verstand jedes Wort, verstand diese Sprache, als habe er seit seiner Kindheit keine andere gesprochen. »Wir haben euch unsere Sprache so rasch wie möglich gelehrt – du magst jetzt Kopfschmerzen haben, aber du mußt so bald wie möglich wissen, was wir wissen. Es ist gut möglich, daß das Schicksal zweier Welten von euren Handlungen abhängt. Diese Männer, die du hier versammelt siehst, haben sich auf dich und deinen Gefährten konzentriert und euch sehr rasch mit der vereinten Kraft ihrer Telepathie gelehrt, was ihr wissen müßt. Wir wissen, daß die Dinge, die du gesehen hast, in Vorbereitung sind. Ihr müßt so rasch wie möglich zu eurem Schiff zurückkehren; aber ihr müßt auch wissen, was in den letzten Jahren hier auf unserer Welt geschehen ist. Komm mit mir in mein Büro, und wir werden sprechen. Wenn dein Freund gleichfalls gelernt hat, magst du es ihm sagen.« Arcot folgte dem Venusier den gleichen Weg zurück,
den sie gekommen waren, und sie setzten sich in dem Raum, wo Arcot den alten Mann zuerst begrüßt hatte. Stumm und aufmerksam hörte er die Geschichte, die der andere ihm erzählte – die Geschichte eines anderen Planeten. »Mein Name ist Tonlos«, sagte der Alte. »Ich bin ein Anführer meines Volkes – obgleich mein Titel und Rang unwichtig sind. Sie zu erklären würde eine längere Darlegung unserer Sozialstruktur notwendig machen, und dafür ist jetzt keine Zeit. Später vielleicht – aber nun zu unserer Geschichte. Vor zwanzig Jahrhunderten«, fuhr Tonlos fort, »gab es zwei große rivalisierende Nationen auf dieser Welt. Unser Planet Turo ist von Natur aus so geteilt, daß Tendenzen zu derartigen Spaltungen begünstigt werden. Es gibt zwei annähernd gleich große Kontinente auf unserem Planeten, einen auf der Nordhalbkugel, der unser Land ist, Lanor. Auf der Südhalbkugel liegt der zweite Kontinent mit dem Land Kaxor. Beide Länder sind seit vielen tausend Jahren unserer Zeitrechnung besiedelt, und durch die natürlichen Gegebenheiten bildeten sich frühzeitig zwei Nationen aus. Vor zweitausend Jahren kam es zu einer schweren Krise in den Angelegenheiten der Welt. Ein großer Krieg war im Begriff auszubrechen, doch ein Lanorer entwickelte eine Waffe, die einen Sieg Kaxors unmöglich machte, und so wurde der Krieg abgewendet. Die feindseligen Gefühle waren jedoch so stark, daß Gesetze erlassen wurden, die allen Handel und Verkehr zwischen den beiden Nationen zum Erliegen brachten. Dabei blieb es durch diese zwei Jahrtausende. Durch Mittel der Spionage erfuhren wir, daß man sich in Kaxor auf das Studium der Physik und Chemie
konzentrierte, vielleicht in der Hoffnung, eine Waffe zu finden, mit der sie uns abermals bedrohen könnten. In Lanor interessierte man sich mehr für die Geheimnisse des Geistes und des Körpers. Wir kennen hier keine Krankheiten mehr, auch nicht solche des Geistes. Wir haben die Chemie gefördert und studiert, doch die Physik wurde sehr vernachlässigt. Erst vor fünfundzwanzig Jahren begannen wir uns wieder intensiv mit dieser Wissenschaft zu beschäftigen, und in dieser kurzen Zeit konnte es uns natürlich nicht gelingen, den Vorsprung einzuholen, den die Kaxorer in zweitausend Jahren errungen haben. Das Geheimnis des Hitzestrahls, der Waffe, die den letzten großen Krieg verhütete, war fast in Vergessenheit geraten. Es bedurfte fleißiger Forschungen, um es wieder zum Leben zu erwecken, denn die Technik war fehlerhaft und unzuverlässig. Seit einer Anzahl von Jahren ist es uns jedoch gelungen, sie zu verbessern, und heute verwenden wir sie zur Erzverhüttung. Diese Waffe war es, die uns in die Lage versetzte, überhaupt Widerstand zu leisten, als der Feind uns angriff. Dennoch war unsere Lage hoffnungslos. Dies ist die Hauptstadt von Lanor, Sonor. Wärt ihr uns nicht zu Hilfe gekommen, wären wir – und die Nation – sicherlich zugrunde gegangen. Immerhin trafen diese Ereignisse uns nicht völlig unerwartet. Wir haben Spione in Kaxor, und als sie mit dem ersten ihrer Riesenflugzeuge über eine unserer Städte flogen und neuartige Bomben abwarfen, entdeckten wir bald das ganze Ausmaß ihrer Pläne. Darum versuchten wir euch wenigstens eine Warnung zu senden, wenn ihr uns schon nicht helfen konntet. Daß ihr gerade zu diesem Zeitpunkt hierher kamt, ist eine geradezu unwahrschein-
liche Koinzidenz – aber vielleicht steckt mehr als Zufall dahinter. Wer weiß?« Nach kurzer Pause fuhr er mit einem schweren Seufzen fort: »Da ihr dieses Flugzeug vertrieben habt, müssen wir jederzeit auf einen neuen Überfall gefaßt sein. Könnt ihr Signale zu eurem Planeten schicken?« »Ja – wir können uns leicht verständigen«, antwortete Arcot; er kämpfte noch mit der neuerworbenen Sprache. »Wir haben ein Nachrichtenmedium, das wir Radio nennen. Ich kenne das Wort in eurer Sprache nicht; es mag sein, daß es eine solche Einrichtung hier nicht gibt. Die Radiowellen sind ähnlich wie Licht, aber die Wellenlänge ist viel größer. Radiowellen werden elektrisch erzeugt und können wie Licht ausgestrahlt werden. Sie durchdringen alle Materialien außer Metall. Durch das Radio kann ich mit meinen Leuten auf der Erde sprechen, und ich werde es noch heute tun.« Nach einer Pause fuhr Arcot fort: »Ich weiß, daß Eile geboten ist, aber wir können nichts tun, bis Morey das gleiche Wissen erhalten hat, das ihr mir gegeben habt. Während wir hier warten, würde ich gern mehr über euren Planeten erfahren. Je mehr ich weiß, desto besser werde ich imstande sein, unsere Verteidigung zu planen.« In dem nun folgenden Gespräch gewann Arcot einige allgemeine Kenntnisse über die physikalische Beschaffenheit der Venus. Er erfuhr, daß Eisen ein außerordentlich seltenes Element war, während Platin und Gold relativ häufig vorkamen, jedoch für wenig wertvoll und nur beschränkt verwendbar gehalten wurden. Die meisten anderen Metalle waren in Quantitäten vorhanden, wie es sie auch auf der Erde gegeben hatte, bevor die
Bodenschätze durch den unkontrollierten Raubbau der Industriestaaten erschöpft worden waren. Die einzige Ausnahme war ein Element namens ›Morlus‹. Als Tonlos es erwähnte, sagte Arcot: »Morlus – ich habe das Wort in eurer Sprache, aber ich kenne das Element nicht. Was ist es?« »Was es ist? Nun, hier haben wir ein Stück!« Tonlos händigte Arcot einen kleinen Metallklotz aus, der als eine Art Briefbeschwerer auf einem Tisch in der Ecke des Raums gelegen hatte. Das Material schien ziemlich dicht zu sein, besaß ungefähr das Gewicht von Eisen, unterschied sich von diesem jedoch durch eine auffallende bläuliche Färbung. Offensichtlich war es das Element, aus dem das Riesenflugzeug konstruiert war, das sie angegriffen und vertrieben hatten. Arcot untersuchte das Metall sorgfältig, etwas behindert durch die Hitze, die der Klotz ausstrahlte. Er nahm einen Kupferstift in die Hand und versuchte eine Seitenfläche des Metallwürfels zu ritzen, aber er erzielte keinen sichtbaren Effekt. »Mit Kupfer kannst du es nicht ritzen«, sagte Tonlos. »Es ist das zweithärteste Metall, das wir kennen – es ist nicht so hart wie Chrom, aber bei weitem nicht so spröde. Es ist hämmerbar, leitfähig, sehr zugfest und zäh, besonders in der Legierung mit Eisen, aber solche Legierungen werden nur in ganz besonderen Fällen verwendet, weil das Eisen zu selten und teuer ist.« »Ich würde dieses Element gern identifizieren«, sagte Arcot. »Darf ich es mitnehmen und an Bord meines Schiffs untersuchen?« »Gewiß. Es wird allerdings schwierig sein, es zu lösen. Das Metall wird nur von kochender Selensäure
angegriffen, die, wie ihr wissen werdet, Platin auflösen kann. Der übliche Versuch zur Bestimmung des Elements besteht darin, daß man es auflöst, zu einer Säure oxydiert und dann mit Radiumselenat zusammenbringt. Wenn ein grünlichblaues Salz...« »Mit Radiumselenat?« sagte Arcot überrascht. »Wir haben auf der Erde keine Radiumsalze, die wir für diesen Zweck verwenden könnten. Radium ist außerordentlich selten!« »Auch hier kommt es nicht reichlich vor«, erwiderte Tonlos, »aber es ist nur selten notwendig, eine Bestimmungsanalyse für Morlus zu machen, und für diesen Zweck haben wir genug Radiumsalze. Es ist tatsächlich der einzige Verwendungszweck, den wir für Radium haben – es ist so aktiv, daß es sich wie Natrium mit Wasser verbindet; es ist überdies sehr weich – ein nutzloses Metall und gefährlich zu handhaben. Unsere Chemiker haben es nie ganz verstehen können – es befindet sich ständig in irgendeiner Art von Reaktion, gleichgültig was sie tun, und es scheint unmöglich, es in einen stabilen Zustand zu überführen. Stets gibt es das leichte Gas Helium und ein schweres Gas ab, das wir Niton nennen, dazu eine unerklärliche Hitze.« »Eure Welt unterscheidet sich sehr von der unsrigen«, bemerkte Arcot nachdenklich. Er erzählte Tonlos von den verschiedenen Metallen auf der Erde, von den Nichtmetallen und ihren Vorkommen, aber wie er sich auch bemühte, er konnte das Metall, das Tonlos ihm gegeben hatte, nicht identifizieren. Moreys Ankunft unterbrach ihr Gespräch. Er sah sehr müde und besorgt aus und klagte über Kopfschmerzen von
seiner ungewollten geistigen Überanstrengung. Arcot berichtete ihm, was er erfahren hatte, und schloß mit der Frage, wie Morey es sich erkläre, daß die zwei Planeten, beide Mitglieder derselben Sonnenfamilie, so verschieden sein sollten. »Ich habe eine Idee«, sagte Morey nach einigem Überlegen. »Vielleicht irre ich mich, aber sie scheint mir nicht allzu abwegig zu sein. Ich vermute, daß die Elemente in der Sonne zur Zeit der Planetenentstehung nicht gleichmäßig verteilt waren. Wenn die Theorie zutrifft, nach der die Planeten aus Materie bestehen, die einmal durch ein kosmisches Ereignis aus dem Sonnenkörper gerissen wurde, wäre damit auch das unterschiedliche Vorkommen von Elementen erklärt. Seit langem ist uns ein Element bekannt, das bisher nur im Sonnenspektrum nachgewiesen werden konnte und das den Namen Coronium erhalten hat. Wenn du mich fragst, so würde ich sagen, daß du ein Stück Coronium in der Hand hältst!« An diesem Punkt endete das Gespräch, denn Tonlos drängte zur Eile und draußen war der trübe Tag zu trüber Dämmerung geworden. Arcot und Morey wurden zum Aufzug gebracht, der sie zur großen Halle im Erdgeschoß hinuntertrug. Draußen waren noch immer zahllose Schaulustige, aber die Wächter bahnten ihnen einen Weg zurück zum Schiff. Als die beiden durch die Menge gingen, bemächtigte sich ihrer ein eigenartiges Gefühl, das halb eine Sinneswahrnehmung war. Es war ihnen, als ob jedermann in der Menge ihnen den größten Erfolg und alles Gute wünschte. »Hast du das eben auch gemerkt, Bob?« fragte Morey, als sie wieder in der Luftschleuse standen. »Ich hatte den
Eindruck, als ob sie uns applaudierten und uns alles Gute wünschten.« »Genau das empfand ich auch!« bestätigte Morey. »Das muß ihre Telepathie gewesen sein.« Erleichtert und mit einem Gefühl, nach Hause zurückgekehrt zu sein, zogen sie die unbequemen Kühlanzüge aus und gingen in die Zentrale, wo Wade und Fuller auf sie warteten. »Sagt mal – was habt ihr die ganze Zeit gemacht?« fragte Wade. »Wir machten uns schon Sorgen und waren nahe daran, Nachforschungen anzustellen!« »Ich weiß, wir waren lange aus – aber wenn du den Grund erfährst, wirst du zugeben, daß es sich lohnte. Sieh zu, ob du eine Radioverbindung mit der Erde bekommen kannst, Bob, während ich erzähle, was passiert ist. Wenn es dir gelingt, sag ihnen, sie sollen meinen und deinen Vater verständigen und ein Tonbandgerät bereitstellen. Unsere Sendung soll aufgezeichnet werden. Sag ihnen, daß sie auf Empfang bleiben sollen und daß wir in einer Stunde mit der Sendung beginnen werden. Bis dahin wird es unseren Vätern möglich sein, die Station zu erreichen.« Während Morey sich an den Sender setzte, die Einstellung des Richtstrahlers überprüfte und sein Rufsignal hinausschickte, berichtete Arcot den beiden anderen, was er und Morey gelernt hatten. Nach einiger Zeit gelang es Morey, die Verbindung herzustellen und seine Botschaft durchzugeben. Danach mußte er acht Minuten lang warten, bis die Antwort eintraf, weil die Radiowellen diese Zeit benötigten, um die Reise hin und zurück zu machen. »Fuller«, sagte Arcot, »ich habe schrecklichen Hunger,
und als Küchenchef bist du der richtige Mann, um ein festliches Abendessen auf den Tisch zu bringen. Wade und ich können uns unterdessen mit diesem Stück Coronium beschäftigen und sehen, was wir daraus lernen können.« Später, als sie gemeinsam speisten, berichteten Wade und Arcot den anderen von ihren Versuchen mit der Coroniumprobe. Der alte Venusier hatte die Wahrheit gesagt: Coronium löste sich in keiner Säure, ausgenommen kochender Selensäure, da es eine große Zahl von unlöslichen Salzen bildete. Selbst das Nitrat verstieß gegen die alte Regel »Alle Nitrate sind löslich« – es wollte sich nicht auflösen. Dennoch war es chemisch aktiver als Gold. Überraschender als diese Eigenschaften aber waren seine physikalischen Konstanten. Es schmolz erst bei 2800° Celsius, was ein außergewöhnlich hoher Schmelzpunkt war; sehr wenige Metalle sind bei dieser Temperatur noch fest. Aber die Zugfestigkeitsprüfung, die sie an einer mühsam mit Diamantwerkzeugen gedrehten stabförmigen Probe vornahmen, ergab eine Belastungsgrenze von mehr als zehntausend Kilo pro Quadratzentimeter! Dieses Coronium war damit weitaus stärker als Stahl – stärker noch als Wolfram, das stärkste bisher bekannte Metall! Fuller befühlte das Stück ehrfürchtig. »Kein Wunder, daß sie solche Flugzeuge bauen können, wenn ihnen ein derartiges Metall zur Verfügung steht«, sagte er mit einem Unterton von Neid. Der Konstrukteur in ihm hatte Visionen von einer Maschine nach seinem eigenen Herzen – einer, bei der nicht die Hälfte des Gewichts lediglich dazu diente, sie zusammenzuhalten! Ein wenig später nahmen sie erneut Verbindung mit der Erde auf, und trotz der Distanz von fast fünfzig Millionen
Kilometern gelang es Morey, eine Fernsehbrücke zustande zu bringen, obgleich das Bild gestört und unscharf blieb. Das erste, was sie mit einiger Deutlichkeit sahen, war Dr. Arcots Gesicht. Es zeigte Bestürzung und Besorgnis über die beunruhigenden Nachrichten, die ihn bereits erreicht hatten, so skizzenhaft sie auch waren. Nach kurzer und herzlicher Begrüßung erläuterte sein Sohn ihm die Situation auf der Venus und die Folgerungen, die sich aus ihren Entdeckungen möglicherweise für die Erde ergaben. »Dad, du solltest deinen ganzen Einfluß geltend machen, daß so schnell wie möglich mit dem Bau einer größeren Zahl dieser Molekulargleichrichter-Schiffe begonnen wird, damit die Erde einem etwaigen Angriff dieser Kaxorer möglichst schon im Weltraum begegnen kann. Außerdem sollte – und das wird viel einfacher sein – eine Menge von dem Gas hergestellt werden, das Wade entwickelt hat. Du weißt, wie es hergestellt wird, und ich glaube, daß es nützlich sein könnte, denn sie haben es nicht. Ich werde unterdessen versuchen, hier irgendein Abwehrmittel zu finden. Wenn einer von uns irgendwelche Fortschritte macht oder neue Lösungen findet, werden wir einander verständigen. Ich muß jetzt aufhören, denn eine Gruppe von Einheimischen kommt uns besuchen.« Nachdem er sich verabschiedet und Morey das Mikrofon überlassen hatte, ging Arcot zur Luftschleuse, um die Besucher zu empfangen. Seitdem er und Morey an Bord zurückgekehrt waren, hatte die Menge der Venusier sich womöglich noch vergrößert, obwohl es inzwischen Nacht war. Alle schienen begierig, einen Blick auf die rosahäutigen Zwerge zu erhaschen, denn inzwischen hatte sich die Neuigkeit, daß
dieses Schiff von der Erde kam, wie ein Lauffeuer verbreitet. Nun bildete die Menge eine schmale Gasse, um eine Gruppe von Männern durchzulassen, die gemessenen Schritts auf die Gangway zukam, und deren Mitglieder in lange schwere Mäntel gehüllt waren, die warm genug schienen, einen Aufenthalt in der arktischen Kälte irdischer Regionen zu ertragen. »Sind die verrückt geworden?« fragte Fuller verdutzt. »Was wollen sie mit der Polarausrüstung?« »Denk einen Moment nach – sie besuchen einen Ort, dessen Temperatur fünfzig Grad unter ihrer Zimmertemperatur liegt. Was würdest du anziehen, wenn du zu Leuten gingst, die sich zu Haus bei minus dreißig Grad wohlfühlen? Hinzu kommt, daß es hier kaum jahreszeitlich bedingte Temperaturschwankungen gibt. Die enorme Wolkendecke, die den Planeten einhüllt, sorgt für konstante Temperaturen. Die geringen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht werden wahrscheinlich nur von den nächtlichen Regenfällen bewirkt; du kannst sehen, daß die Menge sich aufzulösen beginnt. Es nieselt bereits, und bald wird es regnen. Aber die hohe Luftfeuchtigkeit wird einen Temperaturabfall von mehr als drei oder vier Grad verhindern. Diese Leute kennen keine krassen Temperaturunterschiede, wie wir sie haben; daher müssen sie sich sehr viel sorgfältiger schützen.« Drei Gestalten betraten nun die Luftschleuse, und ihre Größe wie auch die von ihrer Kleidung bewirkte Unförmigkeit zwangen sie, einzeln durch die Kammer zu passieren. Vieles von dem, was Arcot ihnen zeigte, war ihnen völlig neu. Manches konnte er ihnen nicht erklären, weil
ihre Physik und ihre Technologie den zum Verständnis nötigen hohen Stand noch nicht erreicht hatten. Aber etwas gab es, das er ihnen zeigen konnte. Und er tat es. Ihre Kenntnisse auf dem Gebiet der Chemie waren groß genug, daß er ihnen die notwendigen Daten geben konnte, und so erklärte er ihnen die Formel und die Wirkungsweise von Wades Gas. Seine Fähigkeit, schon bei gewöhnlichen Temperaturen jedes Material zu durchdringen, verbunden mit seinen anästhesierenden Eigenschaften, verlieh ihm offensichtliche Vorteile als Waffe zur Überwindung der gegnerischen Streitkräfte. Da das Gas alle Substanzen durchdringen konnte, gab es keine Möglichkeit, es zu lagern. Aus diesem Grund wurde es in Form von zwei Flüssigkeiten hergestellt, die beim Aufeinandertreffen spontan reagierten und das Gas erzeugten, das dann abgelassen werden konnte. Arcot bat nun darum, daß die venusischen Chemiker ihm einen Vorrat von diesen zwei Flüssigkeiten zubereiteten; und die drei Abgesandten versprachen ihm, sich unverzüglich für die Erfüllung seines Wunsches einzusetzen. Es gab nur eine Schwierigkeit – auf einer Stufe der Synthese wurde eine erhebliche Menge Chlor benötigt. Da Chlor auf der Venus selten war, waren die Männer gezwungen, den größten Teil ihres Salzvorrats zu opfern; aber das so erzeugte Chlor konnte immer wieder verwendet werden. Es war sehr spät, als die Venusier von Bord gingen, hinaus in den siedendheißen Regen, der ihnen vielleicht unangenehm kalt erscheinen mochte. Nachdem sie gegangen waren, legten die vier Männer von der Erde sich schlafen. Die bewaffneten Wächter draußen wußten, wo
das Außenmikrofon war, durch das sie im Notfall die Besatzung wecken konnten. Graues Tageslicht sickerte durch die Fenster, als die Männer erwachten. Für die Einwohner von Sonor hatte ein Tag etwa dreiundzwanzig Stunden, und die Uhren an Bord waren nutzlos, aber Morey hatte vom Bordrechner eine provisorische Umrechnungstabelle herstellen lassen, der sie nun entnahmen, daß es ungefähr zehn Uhr sein mußte. Arcot stieg in seinen Kühlanzug und ging hinaus, um mit dem Offizier der Wachmannschaft zu sprechen. »Wir brauchen reines Wasser«, erklärte er ihm. »Wasser, das frei von Kupfersalzen ist. Am besten wäre es, wenn wir destilliertes Wasser bekommen könnten. Wir benötigen es zur Ergänzung unseres Trinkwasservorrats. Außerdem brauchen wir ungefähr zwei Tonnen gewöhnliches Wasser – die Tanks müssen aufgefüllt werden. Von dem Trinkwasser hätte ich gern eine Tonne.« Er mußte die irdischen Maße in die entsprechenden einheimischen Begriffe übertragen, aber der Offizier zeigte sich gleichwohl verwundert. Der Transport solcher Wassermengen, antwortete er, schaffe ein schwieriges Problem. Nachdem er offenbar auf telepathischem Weg mit seinen Vorgesetzten konferiert hatte, fragte der Offizier, ob das Schiff nicht zu einem für die Wasserübernahme geeigneteren Ort bewegt werden könne. Nach einigem Hin und Her wurde beschlossen, das Schiff zu einem Punkt außerhalb der Stadt zu bringen, wo das Wasser direkt einem Flußlauf entnommen werden konnte. So steuerte Arcot den Solarius zum Ufer des kleinen
Flusses, und der elektrolytische Filterapparat wurde aufgestellt. Seit ihrer Landung auf der Venus hatten sie ihren gesamten Bedarf an elektrischer Energie aus den Batterien gedeckt, aber nun, da Pumpe und Elektrolyseapparat mit gleichmäßig hohem Stromverbrauch arbeiteten, setzte Arcot den Generator in Gang, um sowohl die Batterien aufzuladen als auch den für die Arbeit benötigten Strom zu liefern. Während des ganzen Tages mischten sich die Geräusche von Generator und Pumpe in das träge Glucksen und leise Plätschern des ruhig dahinziehenden Flusses. Arcot nutzte die Gelegenheit, aus dem Flußwasser auch die Bordvorräte an Sauerstoff und flüssigem Wasserstoff zu ergänzen. Der Spaltapparat, den sie verwendeten, erzeugte das Gas sehr rasch, doch bis die großen Tanks aufgefüllt waren, neigte der Tag sich seinem Ende zu. Endlich war die Arbeit getan, das Schiff startete wieder und schwebte zurück zur Stadt, wo es abermals an der Stelle niederging, die inzwischen für den Verkehr gesperrt und ihm als Liegeplatz zugewiesen worden war. Nicht lange nach ihrer Ankunft kam Tonlos in Begleitung von fünf Männern, die jeder zwei große Flaschen trugen. »Wir konnten nicht viel von den Materialien herstellen, die für dieses Gas benötigt werden, aber was wir gemacht haben, ist wirksam. Wir probierten es an einem Tier aus, dessen Blutzusammensetzung der unsrigen gleicht, und fanden, daß es die beschriebene Wirkung hat. Nur ist in unserem Fall das Kaliumjodid zur Wiederbelebung des Opfers weniger geeignet als das Sorlus. Ich weiß nicht, ob ihr Versuche mit Sorlus gemacht habt und die Reaktion irdischer Versuchstiere untersuchen konntet.
Glücklicherweise ist Sorlus das häufigste der Halogene; wir besitzen weit mehr davon als von Chlor, Brom oder Jod.« »Sorlus? Ich habe noch nie davon gehört; es muß zu den Elementen gehören, die wir auf der Erde nicht haben. Was hat es für Eigenschaften?« »Es ähnelt dem Jod, ist aber schwerer. Es ist ein schwarzes, metallisch aussehendes Element, dessen Schmelzpunkt bei fünfhundertsiebzig Grad liegt. Es besitzt eine geringe Leitfähigkeit, oxydiert an der Luft und bildet starke Sauerstoffsäuren. Es ist weit weniger aktiv als Jod, außer in Verbindung mit Sauerstoff, und es ist leicht wasserlöslich. Es reagiert nicht mit Wasserstoff und wenn es eine Säure bildet, ist es nicht so stark wie HI.« »Ich habe hier so viele neue Dinge gesehen, daß ich mich frage, ob es nicht das Element sein kann, das dem Radon vorangeht. Ist es schwerer?« »Nein«, erwiderte Tonlos, »es ist ein wenig leichter als dieses Element, das du Radon nennst. Ich denke, es kommt bei euch nicht vor.« »Dann«, sagte Arcot, »muß es das nächste Mitglied der Halogen-Gruppe sein, Bob. Ich wette, sie haben hier eine Anzahl von diesen schwereren Elementen.« Das Gas wurde an Bord gebracht, und als Wade die Flaschen sah und Arcot sagen hörte, daß die Menge »leider enttäuschend gering« sei, lachte er herzlich. »Gering! Das Zeug in diesen Flaschen reicht aus, um die ganze Stadt zu vergasen! Damit können wir jedes Flugzeug herunterholen. Aber sag ihnen, daß sie weitermachen sollen, denn wir werden für die anderen Maschinen auch noch etwas brauchen.«
Es war kurz vor Mitternacht venusischer Zeit, als sie sich zur Ruhe begaben. Für den kommenden Tag planten sie einen Erkundungsflug zur Flugzeugwerft der Kaxorer. Sie hatten von Tonlos erfahren, daß bisher erst fünf von den Riesenflugzeugen existierten, fünfzehn weitere aber in Bau seien. Die ersten dieser fünfzehn neuen Maschinen sollten in einer Woche in Dienst gestellt werden. Nach ihrer Fertigstellung stünden die Chancen des Solarius sehr schlecht. Darum galt es eins der Riesenflugzeuge zu erbeuten und seine Geheimnisse zu studieren, um die übrigen dann mit den Waffen und dem Wissen zweier Welten zu vernichten. Ein ehrgeiziges Vorhaben. Ihre Chance kam eher als sie erhofft hatten – und eher als ihnen lieb war. Es war früh am Morgen und noch dunkel, als sie über das Außenmikrofon gewarnt wurden. Patrouillenmaschinen im Grenzgebiet hatten den Einflug eines kaxorischen Riesenbombers gemeldet, und mit einem Angriff auf die Stadt mußte gerechnet werden. Die Nachricht trieb die kleine Besatzung des Solarius zu hektischer Aktivität. Sie hatten Aktion gewollt, aber außer ihrer Unsichtbarkeit und dem Anästhesiegas hatten sie keine wirksamen Waffen. Sie konnten nicht damit rechnen, einen dieser Luftgiganten abzuschießen. Sie konnten nur hoffen, die Besatzung kampfunfähig zu machen und so die drohende Gefahr abzuwenden.
6 Arcot hob das Schiff hoch in die Luft und nahm Kurs auf die südwestlichen Gebiete des Kontinents, wo die fremde
Maschine eingeflogen war. Nach einstündigem Flug mit hoher Geschwindigkeit machte Wade auf dem Radarschirm die unverkennbaren Umrisse des Riesenflugzeugs aus. Es kam ihnen entgegen und Sog zweitausend Meter höher, ein monströs aussehendes schwarzes Ding, dessen unscharfe Umrisse an eine Fledermaus erinnerten. Wie schnell diese fliegenden Kolosse waren, wurde Arcot erst klar, als das dumpfe Dröhnen von hundert Propellern die Luft erfüllte und das Flugzeug plötzlich und unerwartet früh aus dem diesig verhangenen Grau der Dämmerung auftauchte. Schon nach einem Moment war es wieder verschwunden. Seine Geschwindigkeit mußte mehr als eine Meile pro Sekunde betragen! Arcot zog das Schiff in eine steile Aufwärtskurve, wendete und nahm die Verfolgung auf. Er stieg über die Flughöhe des Gegners, und als dessen schemenhafter Umriß voraus und unter ihnen erkennbar wurde, machte er das Schiff unsichtbar. Während Wade und Fuller sich bereit hielten, das Gas abzulassen, überflog Arcot den Koloß, ging tiefer und gab das Signal zum Ablassen des Gases. Dann sahen er und Morey zu, wie das Gas als eine mattpurpurne Wolke aus dem unsichtbaren Ablaßrohr strömte und von den Luftturbulenzen hinter dem Schiffsheck rasch verbreitet und verteilt wurde. Die Besatzung des einen Kilometer zurückliegenden Großflugzeugs sah es längst nicht mehr, als sie durch die Gaswolke flog. Gespannt warteten die vier Männer. Kaum eine Minute war vergangen, als das Riesenflugzeug zu taumeln begann. Dann kippte es über die rechte Tragfläche ab und geriet ins Trudeln, allem Anschein nach dazu verurteilt, auf der
weiten Ebene sechstausend Meter tiefer zu zerschellen. Daß das Schiff abstürzte und am Boden zerschellte, entsprach ganz und gar nicht Arcots Plan, und er war sehr erleichtert, als irgendeine Automatik die stürzende Maschine abfing und in eine Art Gleitflug brachte. In einer allmählichen Abwärtsbewegung, die offenbar eine selbsttätige Notlandung einleiten sollte, glitt das Flugzeugmonster viele Kilometer weit, während es stetig an Höhe verlor. Die vorherrschenden Ebenen begünstigten ein solches Manöver, doch nun erhob sich voraus eine Kette schroffer Berge. Sie rückte näher und näher, während Arcot und die anderen mit atemloser Spannung die Annäherung des Riesenflugzeugs beobachteten. Es mochte noch hoch genug sein, um knapp über diese Barriere hinwegzukommen... Dann krümmten sie sich unwillkürlich zusammen, als die Maschine mit einer Geschwindigkeit von immer noch fünfhundert Stundenkilometern oder mehr in die felsige Bergflanke raste. Ein Blitz und eine Rauchwolke waren die ersten Signale dann folgte ein jähes, dumpfes Krachen, als die Druckwellen das Schiff erreichten. Das Flugzeug war ungefähr zwanzig Meter unter dem Gipfel eines Berges gegen einen schuttbedeckten felsigen Steilhang geprallt. Die Erschütterung war so stark, daß sie zweitausend Kilometer entfernt von Seismografen in Sonor registriert wurde. Der Tausende von Tonnen schwere Koloß bohrte sich wie ein Riesenmeteor in den Hang, zerrieb Felsen zu Staub und erschütterte den gesamten Berg. Bevor die mächtige Wolke von der Aufschlagstelle abziehen konnte, ereigneten sich Serien von Explosionen,
als Treibstofftanks und Motorengondeln in Flammen aufgingen. Plötzlich sahen die vier Beobachter, die aus weniger als drei Kilometern Entfernung auf das Inferno hinabstarrten, einen breiten Lichtstrahl von blendender Intensität hochschießen und über den Himmel fingern, dem gleich darauf ein furchtbares knisterndes Zischen folgte. Wo der scheinbar willkürlich hierhin und dorthin zuckende Strahl die Bergflanken berührte, entstand sofort ein weißglühender Fleck, der das Gestein zum Schmelzen brachte, so daß es träge als Lava talwärts floß. Arcot nahm das Schiff in eine sichere Entfernung zurück. Er war noch mit diesem Manöver beschäftigt, als der ziellos taumelnde Energiestrahl plötzlich erlosch. Im gleichen Augenblick gab es einen neuen, blendenden Explosionsblitz, wie ihn kein menschliches Auge je gesehen hatte und der bis in die Wolken zu reichen schien. Eine riesige, brodelnde Wolke, von Feuer durchzuckt, glühte durch das feuchte Grau des trüben Morgens, dann sahen die vier Männer vorübergehend nichts mehr, denn das Schiff wurde von der Druckwelle erfaßt und wie ein welkes Blatt durch die Luft gewirbelt. Selbst die großen Gyroskope konnten es nicht einen Augenblick halten, und sie waren fast zwanzig Kilometer vom Schauplatz der Explosion entfernt, bevor es ihnen endlich gelang, das Schiff wieder unter Kontrolle zu bringen. Arcot nahm wieder Kurs auf die Absturzstelle, wenn auch mit vorsichtig gedrosselter Geschwindigkeit, doch schon aus der Ferne konnten sie den Lichtschein und die Rauchentwicklung des glühenden Felsuntergrunds sehen. Sie gingen höher und umkreisten vorsichtig die Stelle, und wo der Berg und der zerschellte Rumpf des
Riesenflugzeugs gewesen waren, sahen sie nur noch einen See brodelnder Lava! Morey brach als erster das Schweigen. »Mein Gott – welche Energie! Kein Wunder, daß sich so etwas in der Luft halten kann! Zuletzt muß die ganze Bombenladung hochgegangen sein! Was für titanische Kräfte!« Arcot zog das Schiff allmählich höher und ging auf Südkurs. Seine Stimme klang mühsam beherrscht, als er sagte: »Ich frage mich, was für Kräfte das waren – sie sind größer als alles, was die Menschheit je gesehen hat. Ein ganzer Berg, Hunderte von Metern hoch, zu weißglühender Lava geschmolzen! Von den Tausenden Tonnen Metall des Flugzeugs gar nicht zu reden. Stellt euch vor, die Erde würde mit derartigen Waffen angegriffen!« Längere Zeit saßen sie schweigend und betrachteten das Panorama von Hügeln und Ebenen, das mit langsamen dreihundert Stundenkilometern unter ihnen vorbeiglitt. Schließlich sagte Arcot heftig: »Wir müssen ein solches Flugzeug erbeuten. Wir werden es noch einmal versuchen.« Ohne ein besonderes Ziel folgten sie ihrem Südkurs über eine riesige Ebene. Bisher hatten sie noch keine größeren Gebirgsketten entdeckt, die auf geologisch jüngere Faltungen zurückgingen. Jeder der Männer hing seinen Gedanken nach. Plötzlich hörten sie Wade aufspringen und fluchen. »Da ist wieder einer von den Teufeln! Und er hält direkt auf uns zu, Arcot! Entfernung höchstens zwanzig Kilometer!« Arcot nahm sich nicht die Zeit, auf das Dröhnen der hundert Propeller zu lauschen. Er versetzte das Schiff
wieder in den unsichtbaren Zustand und zog es nach rechts in eine Steigkurve. »Wieder einer! Das muß die zweite Angriffswelle sein; der Abstand beträgt nur ein paar Minuten. Nun, diesen werden wir kriegen!« Sie folgten dem gleichen Plan, der zuvor so erfolgreich gewesen war. Das unsichtbare Schiff setzte sich vor das Riesenflugzeug und ließ seine Gaswolke ab. Diesmal waren keine Hügel in Sicht, so weit das Auge reichte. In dem trüben Licht, das durch die graue Wolkendecke sickerte, konnten sie den fernen, ebenen Horizont sehen. Mehrere Minuten vergingen, bevor eine Wirkung erkennbar wurde. Die Männer von der Erde warteten, daß das Riesenflugzeug zu taumeln begänne oder vom Kurs abkäme, aber unerträglich lange geschah gar nichts. Plötzlich stieß Arcot einen überraschten Ausruf aus. Erschrecken und Verblüffung malten sich auf seinem Gesicht, als seine Gefährten sich umwandten und entdeckten, daß er teilweise sichtbar war. Das ganze Schiff um sie her war auf einmal in Umrissen erkennbar, wie eine blasse Geistererscheinung. Sie waren im Begriff, sichtbar zu werden! Einen Augenblick später war das Phänomen verschwunden – und sie sahen, daß der riesige schwarze Koloß hinter ihnen langsamer wurde und an Höhe verlor. Die Motoren liefen nur noch mit halber Kraft, und es war offensichtlich, daß er nicht mehr von seiner Besatzung gesteuert wurde, sondern von einer Notlandeautomatik. Das Riesenflugzeug näherte sich rasch dem Boden, und die Beobachter wagten kaum zu atmen. Würde auch diese Maschine zerschellen und explodieren? Sie kam in bedrohlich steilem Gleitflug herunter, und minutenlang sah es aus, als würde sie durchsacken und mit dem Heck zuerst
aufschlagen, doch die Automatik brachte die Motoren noch einmal für kurze Zeit auf Touren, und die gigantische Maschine machte eine vollkommene Landung auf Serien von rollenähnlichen Fahrgestellen. Ein kleiner Bach war im Weg, dazu einige Buschgruppen und ein Baum oder zwei, aber diese Hindernisse waren für die Riesenmaschine ohne Bedeutung. Mit langsam drehenden Propellern rollte sie aus und kam zum Stillstand. Arcot landete das Schiff im Schatten des ungeheuren Rumpfes. Er hatte Tonlos in Sonor vor dem Abflug einen kleinen Radioempfänger überlassen und das Gerät auf die Sendefrequenz des Solarius eingestellt. Nun ließ er ihm eine Botschaft zugehen, meldete, daß sie ein feindliches Flugzeug zur Landung veranlaßt hatten, gab die ungefähre Position an und bat um Entsendung einer Anzahl Flugzeuge. Wade und Arcot wurden ausgewählt, die erste Inspektion des kaxorischen Flugzeugs vorzunehmen. Gekleidet in ihre Kühlanzüge, gingen sie von Bord des Solarius, jeder mit einem kleinen Schweißbrenner ausgerüstet, um notfalls eine Öffnung in den Rumpf des metallenen Leviathans zu schneiden. Als sie an der mächtigen Rundung des Rumpfes hinaufblickten, schien es ihnen unmöglich, daß dieses Ding fliegen konnte; in ehrfürchtigem Schweigen ließen sie ihre Blicke über die ungeheure Masse wandern. Dann bewegten sie sich wie Ameisen neben einem umgestürzten Baum den fünfhundert Meter langen Rumpf entlang, um einen Zugang zu finden. Plötzlich blieb Wade stehen und sagte: »Arcot, so hat es keinen Zweck. Die Maschine ist so groß, daß wir eine Viertelstunde gehen müßten, um einmal
herumzukommen. Außerdem können wir die Unterseite des Rumpfes kaum mit den ausgestreckten Händen erreichen. Wie sollen wir ohne Leiter an irgendwelche Türen herankommen? Und auf gut Glück eine Leiter hier herumzuschleppen, ist auch nicht sinnvoll. Wir werden das Schiff verwenden, um einen Eingang zu finden.« Es war gut, daß sie Wades Plan befolgten, denn wie sie später feststellten, befand sich der einzige Eingang an der Oberseite. Dort, auf dem Rücken des Giganten, landete das Schiff, und sein enormes Gewicht schien die Stabilität des kaxorischen Flugzeuges nicht im mindesten zu beeinträchtigen. Nach einigem Herumsuchen fanden sie eine Falltür, die ins Innere hinabführte. Der Öffnungsmechanismus schien innen zu liegen, und sie mußten ein Loch in die Klappe schweißen, bevor sie hineinkamen. Was sie sahen, nachdem sie an einer Art Fallreep hinuntergeklettert waren, hatte keine Ähnlichkeit mit dem Innern eines Flugzeugs; es erinnerte mehr an ein großes Kraftwerk, in dem die Energie für eine Großstadt erzeugt wird. Sie sahen sich in einer enormen Halle, die zweihundert Meter lang sein mochte und die ganze Breite des Rumpfes einnahm. In regelmäßigen Abständen waren kugelförmige kleine Leuchtkörper angebracht, die ein intensives weißes Licht ausstrahlten und das Innere taghell erleuchteten. Die wenigen Fenster hatten die Form von Bullaugen und waren mit metallenen Schutzklappen verschlossen. Überall zwischen den Maschinen lagen Venusier. Sie schienen tot; eine Illusion, die durch ihre seltsam blaue Hautfarbe verstärkt wurde. Die beiden Männer wußten
jedoch, daß sie ziemlich einfach wieder zum Leben erweckt werden konnten. Die mächtigen Maschinen, die sie bedient und gewartet hatten, summten leise, fast unhörbar. Es waren zwei lange Reihen, die sich bis zum Ende der langen Halle erstreckten und an sechs oder sieben Meter hohe Generatoren erinnerten. Oben ragten dicke Zylinder aus massivem, geschmolzenem Quarz heraus. Von diesen führten starre Leitungen, die gleichfalls aus Quarz zu bestehen schienen, in den Boden. Die großen Generatoren – oder was immer es sein mochte – waren scheibenförmig. Die Maschinen in der anderen Reihe waren anders; die Hälfte von ihnen hatte die Rohrleitungen, die abwärts führten und im Boden verschwanden, doch fehlten ihnen die zylindrischen Aufsätze. Statt dessen besaßen sie eine Anzahl schlanker Stäbe, die durch Kabel mit einer enormen, wohl achtzig Meter langen Schalttafel verbunden waren. Wade meinte, die Quarzrohre, die allenthalben zu sehen waren und das Bild bestimmten, seien ein Kühlwassersystem. Die meisten von ihnen waren schwarz gestrichen, doch die Hauptrohre, die in größeren Abständen von der Decke herabführten, waren kristallklar und durchsichtig. Arcot und Wade sahen sich staunend um. Diese Maschinen schienen genauso unmöglich groß wie das Flugzeug selbst; es war den beiden Männern unvorstellbar, daß diese gigantische Anlage nichts weiter sein sollte als die Generatorenstation eines Flugzeugs. Wortlos stiegen sie eine Ebene tiefer. Trotz der überall umherliegenden Gestalten hatten sie keine Befürchtungen, auf Widerstand zu stoßen. Sie kannten die Wirksamkeit von Wades Anästhesiegas.
Die Halle, in die sie nun kamen, war ebenso lang wie die darüberliegende und ungefähr ebenso hoch, doch dieser ganze enorme Raum wurde von einer einzigen titanischen Spule eingenommen, die sich von Wand zu Wand erstreckte. Zwei mächtige Säulen aus Quarz, jede annähernd zwei Meter dick, verbanden die Spule mit einem Generator von der Art, die sie oben bereits gesehen hatten, nur noch größer und massiger. Sein Antriebsende oder Motor war ein gewaltiges zylindrisches Gehäuse, in das eine dreißig Zentimeter starke Quarzstange führte. Diese Stange war transparent und belebt von pulsierenden Feuern, die entlang der ganzen Oberfläche zuckten, tanzten und erloschen, nur um anderswo neu aufzuflammen. Von dem großen Motor ging ein stetiges leises Summen aus, ein tiefgestimmter Ton, der von ungeheueren Kräften kündete. An einer Seite des Generators entdeckte Arcot zwei Gegenstände, die seinen Kupferstangen ähnelten, die er bei den ersten Versuchen mit Energiegleichrichtern verwendet hatte. Aber diese Stangen waren meterdick! Die zahlreichen Quarzrohre, die durch die Decke aus der oberen Etage kamen, führten hier zusammen und in den riesigen Generator. Sie gingen wieder eine Ebene tiefer. Hier waren andere Quarzrohre, doch führten diese durch den Boden weiter abwärts, denn dieses Geschoß enthielt Schlafkojen und sanitäre Einrichtungen. Die meisten Betten waren unbezogen und offensichtlich nicht belegt, doch viele waren gemacht, Decken und Kissen in militärischer Ordnung wie mit dem Lineal ausgerichtet. Noch eine Ebene tiefer: wieder Schlafkojen, kleine individuelle Kabinen.
Schließlich erreichten sie die unterste Ebene, und hier endeten die Quarzrohre in vielen kleineren, die in eine Reihe von seltsamen Mechanismen führten. Arcot und Wade entdeckten Apparate, die sie als Entfernungsmesser und Visiergeräte identifizierten, und an mehreren Stellen waren große Doppelklappen im Boden, die geöffnet werden konnten. Dies war offensichtlich die Station der Bombenschützen; dafür sprach auch das komplizierte Fördersystem, das die Bomben aus irgendwelchen riesigen Magazinen im Heck zu den Abwurfschächten beförderte. Hie und da mit gedämpfter Stimme Bemerkungen austauschend, durchwanderten die beiden Männer das Flugzeug, dessen Inneres auf sie wie eine Totenstadt wirkte, übersät mit Hunderten von schlafenden Offizieren und Mannschaften. Auf der dritten Ebene war vorn im Bug die Kommandobrücke der Riesenmaschine. Hier waren Schalttafeln, Navigationsgeräte, Kommunikationseinrichtungen und lange Überwachungspulte mit unendlich vielen Lichtern, Knöpfen, Hebeln und Instrumenten. Zwei Dutzend Offiziere lagen bewußtlos zwischen ihren Arbeitsplätzen. Sie bemerkten einen Mann, der seinen Platz in einer geräumigen, kuppelförmig vorspringenden Kanzel aus panzerdickem Coronium und Quarzglas hatte. Diese Aussichtskanzel gewährte freien Ausblick in alle Richtungen. Dieser Mann war offenbar der Pilot der Maschine. Sie kehrten zur obersten Ebene zurück und betraten die langen Laufgänge, die durch das Innere der mächtigen Tragflächen führten. Auch hier war alles hell erleuchtet, zu beiden Seiten des langen Korridors gab es zahlreiche kleine Kabinen mit Schlafkojen; Wade vermutete, daß es die Quartiere der Mechaniker und Techniker waren, die für
Wartung und Reparatur der Propellermotoren verantwortlich waren. Schon nach wenigen Metern kamen sie an eine Tür, hinter der das tiefe Summen eines der Motoren hörbar war. Als sie hineingingen, fanden sie sich in einer Motorengondel, deren vierköpfige Mannschaft leblos um den Gegenstand ihrer Fürsorge lag. Der Motor drehte sich im Leerlauf, doch der ausgekuppelte Riesenpropeller, durch Beobachtungsschlitze im Gehäuse der Gondel sichtbar, stand still. »Lieber Himmel!« sagte Wade. »Sieh dir diesen Motor an, Arcot! Nicht größer als ein gewöhnlicher Schreibtisch. Und doch treibt eine Batterie von diesen Motoren diese Maschine mit doppelter oder dreifacher Schallgeschwindigkeit durch die Luft. Was für eine Kraft!« Langsam gingen sie weiter durch den Laufgang. In jeder der fünfzig Motorengondeln dieser Tragfläche zeigte sich das gleiche Bild. Nachdem sie alles gesehen hatten, kehrten sie in die Befehlszentrale zurück. Hier verbrachte Arcot längere Zeit mit der Untersuchung der vielen Instrumente und Bedienungshebel in der Pilotenkanzel. »Wade«, sagte er dann, »ich glaube zu verstehen, wie es gemacht wird. Ich werde die Maschinen stoppen, wieder starten und sie dann beschleunigen, bis die Maschine sich in Bewegung setzt.« Er stieg in die Kanzel, hob den schlafenden Piloten aus seinem Sitz und ließ sich an seiner Stelle darin nieder. »Nun gehst du an das Schaltpult dort, und wenn ich es sage, drehst du diesen Schalter – nein, den darunter – ja, das ist er. Den drehst du, aber langsam, nur jeweils eine Stufe.«
Wade betrachtete den Schalter, schüttelte zweifelnd den Kopf, ein schiefes Lächeln im Gesicht. »Na schön, Arcot – wie du meinst. Aber wenn ich an die Energien denke, mit denen du da spielst... weißt du, ein Fehler könnte ziemlich verheerend sein!« Arcot lächelte zurück. »Keine Angst, ich weiß, was ich tue«, sagt er. »Ich werde jetzt die Motoren ausschalten.« Seit sie an Bord gekommen waren, hatten sie überall das gleichmäßige, kaum hörbare dünne Summen der Motoren gehört. Nun verstummte es plötzlich, und das Riesenflugzeug schien sich mit einer Stille zu füllen, die beängstigend war. Arcots Stimme klang unnatürlich laut, als er sagte: »Siehst du, ich habe es geschafft, ohne das ganze Ding in die Luft zu jagen! Nun werden wir vorsichtig die Energie einschalten!« Das feine Singen ertönte von neuem und wurde rasch zu einem tiefen, kehligen Summen; dann, als Arcot den Hebel weiterschob, hörte er das allmähliche Erwachen von Zehntausenden von Pferdestärken, und das Summen wurde zu einem tiefen Dröhnen, in das sich ein ansteigendes Pfeifen mischte, als die gewaltigen Propeller draußen auf Touren kamen. Dann setzte die riesige Maschine sich mit majestätischer Langsamkeit in Bewegung! Arcot schaltete die Motoren aus und verließ den Pilotensitz mit einem breiten, erleichterten Lächeln. »Einfach!« sagte er. Sie gingen durch das Schiff zurück, passierten den Saal mit der gigantischen Spule und stiegen hinauf zum Generatorensaal. Nun war alles still, denn die Motoren arbeiteten nicht mehr. »Du hast den Hauptgenerator unten nicht ausgeschaltet«, bemerkte Wade. »Warum nicht?«
»Ich konnte nicht. Ich konnte keinen Schalter finden, und hätte ich ihn gefunden, würde ich ihn trotzdem nicht betätigt haben. Warum nicht, das werde ich dir sagen, wenn wir wieder an Bord unseres Schiffs sind.« Endlich verließen sie die mächtige Maschine und wanderten auf ihrem breiten Rücken zurück zum Schiff. Sie kletterten durch die Luftschleuse an Bord und entledigten sich der lästigen Isolieranzüge. So rasch wie möglich erläuterte Arcot den beiden an Bord zurückgebliebenen Freunden, was sie gesehen hatten. »Ich glaube, ich verstehe das Geheimnis all dieser enormen Energie. Dieses System unterscheidet sich nicht sehr von unserem. Auch das Flugzeug bezieht seine Antriebskraft von der Sonne, wenn auch in einer anderen Weise, und es speichert sie in seinem Innern, was wir nicht versucht haben. Licht ist natürlich Energie und hat darum Masse. Es übt Druck aus, die Einwirkungen seiner sich bewegenden Energiebausteine, der Photonen. Wir haben Elektronen und Protonen von Materie und Photonen von Licht. Nun wissen wir, daß die Masse von Protonen und Elektronen andere Elektronen und Protonen anziehen und in der Nähe halten wird – ob bei einem Stein oder in einem Sonnensystem, im Prinzip ist es dasselbe. Die neue Idee hier ist, daß die Photonen einander immer stärker anziehen, je näher sie sich kommen. Die Kaxorer haben eine Methode entwickelt, sie so eng zusammenzupacken, daß sie wenigstens für eine Weile in diesem Zustand verharren. Mit ein wenig äußerem Druck werden sie sogar für unbegrenzte Zeit so bleiben. In dieser riesigen Spule und dem angeschlossenen Zylinder sahen wir den Hauptenergiespeicher. Das Ganze
war voll von gasförmiger Lichtenergie, durch die eigene Anziehungskraft und ein elektrisches Feld des Generators zusammengehalten.« »Ich möchte wetten«, sagte Wade aufgeregt, »daß dieses Ding eine Million Pferdestärken in seinem Motor hat!« »Ja – aber ich möchte wetten, daß sie annähernd fünfzig Pfund Licht kondensiert haben«, erwiderte Arcot. »Warum also sich wegen einer Kleinigkeit wie einer Million Pferdestärken Gedanken machen? Wo die herkommen, haben sie noch viel mehr. Ich vermute, sie steigen über die Wolkendecke und sammeln dort die Sonnenenergie ein. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Venus davon zweimal soviel erhält wie die Erde. Mit den prismenartig geschliffenen Enden der Quarzrohre, die in das Dach der Maschine eingelassen sind, sammeln sie das Licht und leiten es durch die Quarzrohre hinunter in die Kondensatoren, wo es zuerst gesammelt wird. Von dort wird es anscheinend zu dem großen Kollektor eine Etage tiefer gebracht, wo das kondensierte Licht gelagert wird. Quarz leitet bekanntlich Licht, wie Kupfer Elektrizität leitet. Erinnert ihr euch an diesen zischenden Energiestrahl, den wir aus dem abgestürzten Flugzeug schießen sahen, kurz bevor es explodierte? Das war meines Erachtens die Kollektorverbindung, die zerbrochen war und freie Energie entließ. Diese Energie hätte normalerweise alle hundert Motoren mit Höchstgeschwindigkeit über eine ziemlich weite Distanz angetrieben. Als sie sich auf einen Schlag entlud, geschah das natürlich ziemlich heftig. Zweifellos war der Hauptgenerator beschädigt worden, so daß er nicht mehr arbeitete, und die Schwereanziehung
der Photonen reichte allein nicht aus, sie in der Bindung zu halten. Die gesamte Energie wurde schlagartig freigesetzt. Nun, da kommen endlich die Lanorer. Ich möchte nach Sonor zurückkehren und dieses Problem überdenken. Vielleicht können wir etwas finden, das zur Freisetzung all dieser Energie führen wird – obwohl ich es bezweifle.« Arcot schien deprimiert, vielleicht eingeschüchtert von der schieren Gewalt der Energie, die in dem kaxorischen Flugzeug gebunden lag. Es schien unvorstellbar, daß der vergleichsweise kleine Solarius in irgendeiner Weise wirksam gegen die unglaubliche Maschine eingesetzt werden konnte. Die kleinen lanorischen Flugzeuge landeten wie ein Schwarm Spatzen auf den Tragflächen, dem Rumpf und dem Boden rings um das gigantische Flugzeug. Arcot warf sich in einen Sessel, starrte verdrießlich ins Leere und beschäftigte sich in Gedanken mit dem Riesen, der gefällt unter ihm lag, aber nur schlief. In dessen mächtigem Rumpf waren Energien gespeichert, wie menschliche Intelligenz sie nie zuvor beherrscht hatte; die Macht der Sonne selbst war in seinem Innern verschlossen. Was konnte der Solarius dagegen ausrichten? »Oh, ich vergaß beinahe, es zu erwähnen«, sagte Arcot niedergeschlagen. »In der Hitze des Gefechts vorhin bemerkten wir es kaum. Unsere einzige Waffe neben dem Gas ist jetzt wirkungslos. Erinnert ihr euch, wie das Schiff für einen Augenblick seine Unsichtbarkeit zu verlieren schien? Als wir das Flugzeug untersuchten, erfuhr ich den Grund. Diese Kaxorer sind geniale Physiker. Wir müssen die furchtbare physische und geistige Herausforderung erkennen, der wir uns zu stellen haben. Die Kaxorer haben
das Geheimnis unserer Unsichtbarkeit gelöst, und nun können sie sie neutralisieren. Diesmal fingen sie ein bißchen zu spät damit an, aber sie hatten bereits die vom Unsichtbarkeitsapparat des Schiffs verursachten Radiostörungen geortet und uns mit dem Richtstrahl eines Störsenders angepeilt. Wir sind unsichtbar nur durch die Vibration der Moleküle mit Hilfe der von den Radiowellen erzeugten Oszillationen. Die Moleküle geraten in Vibrationen auf derselben Frequenz, und wenn diese Frequenz derjenigen des Lichts genau angeglichen ist, kann es ungehindert passieren. Was aber wird geschehen, wenn jemand die Frequenz und die Quelle der Radiowellen lokalisiert? Es wird einfach für ihn sein, einen Radiorichtstrahl auszusenden und unser unsichtbares Schiff damit zu berühren. Der Störsender arbeitet auf einer anderen Frequenz als der des Lichts, und die von ihm ausgelöste Störung der molekularen Vibrationen wird uns sofort sichtbar machen. Wir können sie nicht länger mit unseren Raketentriebwerken angreifen – ohnehin ein plumpes und nicht allzu effektives Mittel –, und das Gas als Waffe wird auch ausfallen. Seine Verwendung hängt davon ab, daß wir nahe an den Gegner herankommen können. Ohne den Schutz der Unsichtbarkeit ist das aber nicht möglich.« Arcot dachte angestrengt nach, hoffte auf eine Idee, die Kaxorer mit Aussicht auf Erfolg zu bekämpfen. Seine drei Gefährten waren ebenso deprimiert und ohne brauchbare Ideen. Plötzlich stand Arcot auf. »Ich werde mit dem Kommandeur dieser Fliegergruppe hier sprechen. Dann können wir nach Sonor zurückfliegen. Und vielleicht würden wir gut daran tun, die Heimreise
anzutreten. Es sieht leider so aus, als könnten wir hier sehr wenig tun.« Er ging hinaus und sprach mit dem Fliegeroffizier und erklärte ihm, was er über das Riesenflugzeug in Erfahrung gebracht hatte. Vielleicht könnten sie es nach Sonor fliegen; oder es könnte unzerstört hier zurückgelassen werden, wenn man vor dem Abflug ein bestimmtes plombiertes Rad drehte. Arcot ging mit ihm hinunter ins Flugzeuginnere und zeigte ihm, was er meinte. Das Drehen dieses plombierten Handrads würde die gespeicherte Energie aus dem Hauptkollektor kontrolliert abfließen lassen, worauf sie im Verlauf einiger Stunden harmlos zum Himmel abgestrahlt wurde. Danach konnten die Kaxorer die Maschine zerstören, wenn sie es wollten. Es würde jedenfalls unmöglich sein, diesen Koloß ohne die Energie, die in seinem Kollektor gespeichert war, von der Stelle zu bewegen.
7 Während des Rückflugs nach Sonor blieb Arcot in seine Grübeleien vertieft. Daß auch der Nordkontinent der Venus in die Hände der Kaxorer fallen würde, schien ihm längst eine ausgemachte Sache. Aber würden die Kaxorer danach in den Raum vordringen, zur Erde, zum Mars und zu anderen Welten, eine kosmische Bedrohung? Würden die Riesenflugzeuge für Raumflüge wirklich geeignet sein? Und wenn ja, würden sie bald die Erde umkreisen und ihre verheerenden Hitzebomben auf die Städte herabregnen zu lassen, um sie in Seen glühender Lava zu verwandeln?
Nun, ferngelenkte Raketen mit atomaren Sprengköpfen könnten sie wahrscheinlich vernichten, bevor sie in die Erdatmosphäre eintauchten, das schien so gut wie sicher. Auf alle Fälle würde es nötig sein, die Zahl der Raumstationen zur Beobachtung des Weltraums zu erhöhen oder Vorpostenschiffe zu bauen, die den Außenbereich um Erde und Mond bewachen und die Annäherung eines feindlichen Geschwaders rechtzeitig melden könnten. Aber was sollte aus Lanor und seinen Bewohnern werden? Gab es keine Alternative zu der eigennützigen und brutalen Haltung, sie einfach ihrem Schicksal zu überlassen? Arcot verließ die Zentrale und ging den Korridor entlang nach achtern. Das gleichmäßige Summen des Generators erfüllte das Schiff, aber das Geräusch erinnerte ihn nur an die unvergleichlich größeren Energien, die er an diesem Tag unter Kontrolle gesehen hatte. Die klickenden Relais im Generatorenraum erschienen ihm als eine schwächliche Parodie auf die ebenso ausgefeilte, aber gigantisch dimensionierte Technik des kaxorischen Flugzeugs. Er ging in den Generatorenraum, setzte sich und betrachtete die sauber und raumsparend angeordneten Geräte und Maschinen. Nun begann er endlich ruhiger zu denken. Er konzentrierte sich auf das, was er hatte. Auf die Energie, die sein Schiff antrieb. Weder er noch Morey hatten Zeit gehabt, eine Theorie der Lichtkompression mathematisch auszuarbeiten, eine Aufgabe, die – wie er nun wußte – Resultate erbringen würde. Es blieb nur der Molekulargleichrichter. Was konnte er damit anfangen, das er noch nicht getan hatte? Er zog ein kleines schwarzes Notizbuch heraus. Es war
voll von Formeln und komplizierten Berechnungen, die schließlich zur Zähmung dieser gewaltigen Energie geführt hatten, die ihn in diesem Augenblick dahintrug. Eine halbe Stunde später war er noch immer mit dem Notizbuch beschäftigt, bedeckte Seite um Seite mit hastig hingeworfenen Formeln, Symbolen und spekulativen Fragezeichen. Vor ihm war eine große Tabelle von vielfachen Integralen, die einzige, die seines Wissens existierte, denn die Rechnung damit war seine eigene Erfindung. Endlich fand er den Ausdruck, den er suchte, und begann seine Arbeit sorgfältig zu überprüfen, mit einer wachsenden inneren Erregung, die zu Hoffnung wurde, je länger er rechnete und nachrechnete. Es schien logisch – es schien korrekt... »He, Bob!« rief er, seine aufkommende Begeisterung bremsend. »Wenn du einen Moment kommen könntest – ich möchte, daß du eine Berechnung nachprüfst. Ich habe mir was ausgedacht und es durchgerechnet, und nun möchte ich sehen, ob du unabhängig davon zum gleichen Resultat kommst.« Morey war ein genauerer und sorgfältigerer Mathematiker als er, und Arcot hatte sich seit langem angewöhnt, jede Entdeckung zuerst von seinem Freund überprüfen und bestätigen zu lassen. Nach Arcots allgemeinen Hinweisen machte Morey sich an die lange Serie der Berechnungen – und kam zum gleichen Ergebnis! Überrascht blickte er von dem Endresultat auf. Es war nicht die Formel, die ihn verblüffte – es war ihre physikalische Bedeutung. »Dick – meinst du, wir könnten es schaffen?« »Ich hoffe es, Bob. Wenn wir es nicht schaffen, ist
Lanor auf jeden Fall verloren. Wade – komm einen Moment rüber, ja? Fuller kann die Steuerung übernehmen, und er soll sich beeilen! Wir müssen diese Sache in Angriff nehmen.« Eilig erklärte Arcot die Berechnungen – und den Beweis, den er bekommen hatte. »Unsere die molekularen Bewegungen gleichrichtenden Energiewellen zwingen alle Molekularbewegung in einen rechten Winkel zu ihnen. Die technische Vorrichtung bestand bisher aus einem Feld im Innern einer Spule, aber wenn diese Rechnung stimmt, bedeutet es, daß wir dieses Feld über beträchtliche Entfernungen projizieren können. In diesem Fall wird es ein Energiestrahl sein, der alle Moleküle in seiner Bahn veranlaßt, sich rechtwinklig zu ihm zu bewegen – oder in der Richtung, die wir wählen, indem wir die Energie im Projektor umkehren. Das heißt, daß wir jedes Ding in Stücke reißen können, gleichgültig wie groß es ist; wir können seine eigene Energie dazu verwenden, es auseinanderzureißen oder zu zermalmen. Stellen wir uns vor, was geschehen würde, wenn wir diese Projektion auf die Flanke eines Berges richten würden. Die gesamten Felsmassen würden augenblicklich in Bewegung kommen, auseinanderfliegen und ungeheuere Explosivkräfte freisetzen, wenn alle Moleküle sich plötzlich in derselben Richtung bewegten! Nichts im ganzen Universum könnte das Gestein gegen diese Einwirkung zusammenhalten! Es ist eine Art Desintegrator – ein Doppelstrahl aus zwei gegensätzlichen Frequenzen, denn wir können den Effekt nur erzielen, wenn wir eine Hälfte der anvisierten Materie veranlassen, sich von der anderen Hälfte fortzubewegen. Das Ganze ist im Grunde
nichts anderes als eine Kombination von zwei Molekulargleichrichtern, die die Moleküle in entgegengesetzte Richtungen zwingen. Es ist eine mächtige Waffe!« Arcot hielt inne und blickte erwartungsvoll in die Runde. »Die Frage ist«, wandte Morey ein, »wie weit können wir sie projizieren? Im Vakuum müßte sie theoretisch unbegrenzte Reichweite haben. In der Atmosphäre aber werden alle Luftmoleküle mitbetroffen sein, und das wird einen kräftigen kalten Windstoß verursachen, einen Sturm bei Temperaturen unter Null!« »Um so besser«, erklärte Arcot. »Die Wirkung wird hier auf der Venus noch eindrucksvoller sein. Aber wir müssen sofort mit den Vorbereitungen beginnen. Ich fürchte, wir haben eine schlaflose Nacht vor uns.« Der düstere venusische Morgen graute zwischen den schemenhaft aus dem Dunst aufragenden Türmen Sonors und wuchs allmählich zu hellem Tag. Als die Sonne über den Horizont stieg, unsichtbar hinter der Wolkenhülle, wurde der Himmel wie geschmolzenes Silber. Der Dunst, der von den nächtlichen Regenfällen zurückgeblieben war, löste sich auf und kondensierte zu Myriaden winziger Tröpfchen, die das Licht in Regenbogenfarben brachen. Diese Regenbogen umgaben die Position der unsichtbaren Sonne mit konzentrischen Ringen von Blau, Grün, Orange und allen übrigen Farbabstufungen in mehrfacher Wiederholung – ein wunderbares Schauspiel von Licht und Farbe, das nur die hier doppelt intensive Sonne erschaffen konnte. »Es lohnt sich beinahe, den ganzen Tag die Sonne zu vermissen, wenn man dafür diese Sonnenaufgänge und -
untergänge hat«, bemerkte Fuller. Trotz der Eile hatten die Männer ihre Arbeit unterbrochen, um das Schauspiel zu beobachten. Es war ein Anblick, wie menschliche Augen ihn noch nie zuvor gesehen hatten. Anschließend machten sie sich wieder an die komplizierte Berechnung der elektrischen Anlage zur Erzeugung der notwendigen Felder. Um den gewünschten Effekt zu erzielen, benötigten sie zwei getrennte Felder einander entgegengesetzt wirkender Molekulargleichrichter sowie ein drittes Feld, das die Projektion erleichtern und den Richtstrahl stabilisieren sollte. Die Arbeit ging rascher voran, als sie für möglich gehalten hatten, aber es gab allein im theoretischen Bereich noch viel zu tun, als die Straßen ringsumher sich zu füllen begannen. Eine Menschenmenge versammelte sich, die von allen Seiten ständig neuen Zulauf erhielt, und eineinhalb Stunden nachdem die ersten erschienen waren, waren der Platz und die angrenzenden Straßen völlig verstopft. »Nach dem Aussehen dieser Leute würde ich sagen, daß wir die Hauptfiguren in einer Art von Feier werden sollen«, sagte Morey. »Das hat uns noch gefehlt. Wenn sie uns in Ruhe ließen, könnten wir mit der Theorie heute fertig werden. Nun, wir können nichts dagegen tun. Wenn sie uns wollen, werden wir eben hinausgehen.« Die Wachen, die den Solarius ständig umgaben, waren verdoppelt worden und hielten eine Sicherheitszone um das Schiff frei. Nach einer weiteren Stunde sahen sie einen der hohen Beamten Lanors vom Regierungsgebäude herüberkommen, umringt von grünuniformierten Soldaten. »Zeit, daß wir uns zeigen«, sagte Arcot. »Und diesmal
wird es vielleicht besser sein, wenn wir uns alle miteinander blicken lassen. Anscheinend haben sie keine Mühe gescheut, diese Versammlung zusammenzubringen, also wollen wir ihnen den Spaß nicht verderben. Ich bin auch nicht froh über die Unterbrechung der Arbeit, aber wir werden versuchen, es kurz zu machen.« Die vier Männer stiegen in ihre Kühlanzüge und kletterten einer nach dem anderen über die schmale Gangway von Bord. Der lanorische Würdenträger ließ seine Eskorte zurück, näherte sich gemessenen Schritts dem Quartett von der Erde und machte vor ihnen halt. »Freunde von der Nachbarwelt«, begann er mit tiefer, klarer Stimme, »wir sind heute hier zusammengekommen, um euch zu grüßen und für den großartigen Dienst zu danken, den ihr uns erwiesen habt. Über den furchtbaren Abgrund leeren Raums seid ihr fünfzig Millionen Kilometer gereist, um uns zu besuchen, nur um die Entdeckung zu machen, daß Venusier einen Angriff auf eure Welt vorbereiteten. Zweimal hat euer Einsatz unsere Stadt gerettet. Es gibt natürlich keine hinreichende Belohnung für diesen Dienst; wir können euch die Schuld nicht gebührend zurückzahlen, aber wir wollen euch wenigstens in bescheidenem Maß unsere Anerkennung zeigen. Von dem größten Psychologen unserer Nation, Tonlos, haben wir erfahren, daß Gold und Platin auf eurer Welt selten sind, und daß Morlus sogar unbekannt ist. Unsere Gabe ist eine kleine Medaille, eine Scheibe aus Morlus, und auf ihr ist in Gold und Platin eine kleine Karte des Sonnensystems dargestellt. Auf der Rückseite ist eine Abbildung von
Venus und Erde nebeneinander. Wir möchten, daß jeder von euch eine solche Medaille annimmt. Es sind Symbole für euren großartigen Flug durch den Raum.« Der Beamte trat vor jeden der vier Männer hin und überreichte ihm eine kleine Metallscheibe. Arcot sprach für seine Leute. »Für mich und meine Freunde hier, von denen zwei keine Gelegenheit gehabt haben, eure Sprache zu erlernen, möchte ich euch für eure große Hilfe zu einem Zeitpunkt danken, zu dem wir sie sehr nötig hatten. Durch eure Warnung habt ihr vielleicht mehr als eine Stadt gerettet – durch euch mag es möglich geworden sein, eine Welt zu retten, unsere Erde. Aber der Kampf hier hat erst begonnen. In der kaxorischen Flugzeugwerft liegen jetzt zwölf Riesenmaschinen. In den drei Begegnungen, die sie mit uns hatten, wurden sie schwer geschlagen, doch inzwischen sind sie gegen unsere früheren Angriffsmethoden unverwundbar. Eure Spione berichten, daß das erste Flugzeug, das Sonor angriff und von uns vertrieben wurde, noch repariert wird. Diese Reparaturen sollen innerhalb einer Woche abgeschlossen sein, und bis dahin soll auch die Indienststellung mehrerer neuer Großflugzeuge erfolgen. Es ist anzunehmen, daß sie uns bald nach diesem Termin von neuem angreifen werden. Darüber hinaus werden sie mit einer neuen Waffe angreifen. Sie haben uns die Waffe der Unsichtbarkeit genommen und können sie jetzt selbst gegen uns verwenden. Wir müssen irgendeine neue, wirksame Abwehr ersinnen. Ich hoffe, wir sind jetzt auf dem richtigen Weg, aber jeder Augenblick ist kostbar, und wir müssen an die Arbeit zurückkehren. Diese
Ansprache muß kurz sein. Später, wenn wir unsere Vorbereitungen beendet haben werden, werden wir euch Pläne geben, nach denen ihr praktisch arbeiten könnt, denn uns fehlt es an Material. Mit dieser Hilfe könnten wir trotz unserer ungünstigen Ausgangslage Erfolg haben.« Damit war seine Ansprache beendet. Die Lanorer waren wahrscheinlich enttäuscht, aber sie begriffen die Notwendigkeit der Eile. »Ich wünschte, unsere Redner zu Hause faßten sich auch stets so kurz«, bemerkte Morey, als sie an Bord zurückkehrten. »Er sagte, was es zu sagen gab, aber er kleidete es nicht in stundenlange Phrasen.« Arcot nickte. »Leute, die was zu sagen haben, sprechen meistens kurz und zur Sache.« Der Rest der Woche verging, bevor die praktische Arbeit in Angriff genommen werden konnte, aber sie hatten nun Grund, zuversichtlich zu sein. Ihre Berechnungen hatten ergeben, daß ihr Desintegratorstrahl selbst in der Luft eine Reichweite von fünfunddreißig Kilometern haben würde, wenn man genug Energie einsetzte. Damit würden sie ein gutes Stück außerhalb der Gefahrenzone sein, wenn sie die Riesenflugzeuge von Kaxor angriffen. Morey, Wade und Arcot begannen unverzüglich mit der Konstruktion der elektrischen Kraftanlage, die ihnen die notwendige Energie liefern sollte. Nun beglückwünschten sie sich zu der vorausschauenden Klugheit, die sie bewogen hatte, eine so große Menge von Ersatzteilen mit auf die Reise zu nehmen. Sie hatten mehr als genug, um die elektrischen Anlagen herzustellen. Die Verstärker, die Spulen, die Kondensatoren – alles war da. Der Generator konnte die Ausgangsenergie mit Leichtigkeit abgeben,
denn die ungeheuren Kräfte, die die kaxorischen Flugzeuge zerstören sollten, wurden in ihnen selbst erzeugt. Die Idee war, daß die Riesenflugzeuge sich selbst zerstören sollten; der Solarius würde bloß der Zünder sein, der die Explosion auslöste! Während die Physiker damit beschäftigt waren, entwarf Fuller die mechanischen Einzelheiten des Projektors. Er mußte imstande sein, sich in einem Umkreis von einhundertachtzig Grad zu drehen, und war notwendigerweise elektrisch aus dem Schiffsinnern zu steuern. Fuller zeichnete die Pläne, besprach sie mit den anderen und trug sie dann zu den venusischen Maschinenwerkstätten, um Guß und Bearbeitung der zahlreichen Einzelteile zu überwachen. Eine Schwierigkeit nach der anderen ergab sich und wurde überwunden. Die Werkstätten in Sonor und die vier Männer an Bord arbeiteten in zwei Schichten fast rund um die Uhr. Trotzdem verging der größte Teil der zweiten Woche, bis alle Einzelteile angefertigt waren und mit dem Zusammenbau begonnen werden konnte. Dann sorgte Arcot eines Morgens für eine Überraschung, als er an der Spitze eines Trupps von sechs Venusiern aus der Stadt zurückkam. Jeder der sechs trug einen großen Metallzylinder auf der Schulter. Diese Zylinder wurden so am Fahrgestell des S o l a r i u s angebracht, daß das Durchschmelzen eines einzigen Kabels genügte, um das ganze Arrangement abzuwerfen. »Was hast du da ausgebrütet?« fragte Wade, als Arcot an Bord kam. »Was ist das?« »Bloß eine Sache, die ich ausprobieren möchte – und einstweilen soll sie mein tiefes, finsteres Geheimnis
bleiben. Ich glaube, es wird eine hübsche Überraschung geben, wenn ihr diese Bomben in Aktion sehen werdet! Die Mechaniker sind mit deinen Projektorteilen fertig, Fuller, und sie werden bald kommen, uns zu helfen. Diese sechs hier sind nur ein kleiner Voraustrupp; ich habe sie um ihre Mithilfe gebeten. Du kannst sie anleiten, dann geht es schneller.« Arcot hielt inne und zog sein Gesicht in verdrießliche Falten. »Es ist nicht zu umgehen. Wenn sie Löcher in die Außenwand bohren, werden wir das Vakuum zwischen den zwei Wandungen zerstören, und all diese heiße Luft wird hereinkommen. Bald wird es hier wie in einer Sauna sein. Wir haben zwar die Kühlung durch die Molekulargleichrichter, aber ich fürchte, sie werden uns nicht viel nützen. Wir können den Generator nicht gebrauchen – erstens wegen der Installationsarbeit, zweitens weil er von der Zentrale durch eine Vakuumwand getrennt ist. Sobald wir mit der Montage fertig sind, sollten wir die Gasbehälter und die Batterien aufladen. Dann, wenn alles reibungslos läuft, können wir noch heute abend oder morgen früh starten, um die Flugzeugwerft der Kaxorer anzugreifen. Ich erfuhr heute früh, daß seit Tagen keine Spionagemeldungen eingegangen sind, und ich fürchte, daß sie mit einer Überraschung aufwarten werden.« Etwas später ertönten die schrillen, ohrenbetäubenden Geräusche von Bohrern, dann das kurze Zischen, als die venusische Luft das Vakuum füllte. Während die Arbeiten weitergingen, wurde es unangenehm heiß, weil die Hitze nach Zerstörung des Vakuums von allen Seiten eindringen konnte. Die kleinen molekularen Kühler waren diesem Wärmestau nicht gewachsen, und bald stieg die
Temperatur im Schiffsinnern auf fünfundvierzig Grad. Es war nicht so schlimm wie die Venusatmosphäre selbst, denn die Luft im Schiff war trocken, und die Männer fanden es erträglich, ohne Kühlanzüge auszukommen, wenn sie nicht arbeiteten. Da nur Fuller kompetent war, diesen letzten Teil der Arbeiten zu überwachen, hatten die drei anderen wenig zu tun und nahmen es zum willkommenen Vorwand, sich auszuruhen. Es war beinahe dunkel, als die Lanorer ihre Arbeit beendet hatten und die Gasbehälter aufgefüllt waren. Arcot hatte den Nachmittag mit Tonlos verbracht, um die genaue Position der kaxorischen Flugzeugwerft zu bestimmen. Angaben von Spionen und alte Karten hatten geholfen, aber es war unmöglich, mit diesen Mitteln präzise Ortsbestimmungen zu machen. Schließlich einigten sie sich, daß die Flugzeugwerft ungefähr zwölftausendfünfhundert Kilometer in südwestlicher Richtung liegen mußte. Das Schiff sollte eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit starten. Bei einer Reisegeschwindigkeit von zwei Sekundenkilometern in südwestlicher Richtung hofften sie das Ziel nach Ortszeit noch bei Tag zu erreichen.
8 Das Schiff jagte dicht unter der Wolkendecke nach Südwesten. Allmählich, als der Uhrzeiger vorrückte, wurde der Himmel heller; sie holten die Sonne ein. Als der endlos erscheinende Ozean unter ihnen an einem langgezogenen Steilufer endete, hinter dem sich ein weites, nach Süden
absinkendes Tafelland erstreckte, wußten sie, daß sie über Kaxor waren. Sie blieben an der Wolkenuntergrenze, und da sie ohne Lichter und mit geräuschlosem Antrieb flogen und den Unsichtbarkeitsapparat nicht gebrauchten, waren sie kaum auszumachen es sei denn durch Radar. Nach einiger Zeit erschienen weit im Osten die Lichter einer großen Stadt. »Das ist Kanor, ihre Hauptstadt. Wir lassen sie im Osten liegen. Wir liegen also genau auf Kurs.« Arcot saß am Projektor, während Wade die Steuerung bediente. Morey überwachte Radar und Sendeanlage, während Fuller im Generatorenraum war. Wenige Augenblicke später war die Stadt hinter dem Horizont versunken. Zwei weitere Städte kamen in Sicht und blieben zurück. Wade verlegte den Kurs um einige Striche nach Süden, und sie überflogen eine Region niedriger Hügelketten, uralte Gebirgszüge, von ungezählten Jahrmillionen wolkenbruchartiger Regengüsse eingeebnet und gerundet. »Langsamer jetzt, Wade. Wir sind ganz in der Nähe.« Wade bremste, und einige Minuten lang krochen sie mit etwas weniger als Schallgeschwindigkeit über die Landschaft, die auf einmal stillzustehen schien. Dann sahen sie plötzlich weit voraus im Osten einen enormen Lichtschein, der von der Wolkendecke reflektiert wurde. »Dort muß es sein, Wade. Geh höher, gerade an die Wolkengrenze, und halte die Geschwindigkeit. So haben wir Zeit, uns mit der Situation vertraut zu machen.« Das Schiff stieg, bis es die Wolkendecke berührte und die Sicht durch tiefer hängende Wolkenfetzen immer wieder behindert wurde. So näherten sie sich ihrem Ziel,
ein lautlos dahingleitendes Phantom in einem Meer grauen Nebels. Unter ihnen war ein riesiges Flugfeld auf einer ausgedehnten Ebene zwischen den Hügeln. Aus dieser Höhe war es schwierig, ein Gefühl für die wahren Proportionen zu bekommen. Es schien nur ein gewöhnlicher Flugplatz zu sein, eingerahmt von weitläufigen Flachbauten, Fabrikanlagen und Schuppen. Zwölf gewöhnlich aussehende Flugzeuge standen auf der Fläche herum. Eins von diesen setzte sich gerade in Bewegung, rollte schwerfällig über die Betonpiste und hob an ihrem Ende ab. Aber nirgendwo auf dem ganzen Gelände war Personal zu sehen. Einzelne Menschen waren aus dieser Höhe nicht auszumachen. Als zwei weitere Flugzeuge auf die Piste einschwenkten und anrollten, stieß Arcot eine Verwünschung aus. »Sie müssen uns ausgemacht haben! Wenn all diese Maschinen aufsteigen, wird es für uns gefährlich! Jetzt kommt es darauf an, wer schneller ist! Wir müssen auf fünfhundert Meter runter, Wade, und nahe an das Feld heran!« Das Schiff stieß im Sturzflug hinab. Ein jähes, ungeheueres Gewicht schien sie zu zermalmen, als Wade kaum dreihundert Meter über dem Boden abfing und parallel zur Startbahn über das Feld jagte. Die Flugzeuge unter ihnen wirkten jetzt gigantisch, und die helle Beleuchtung zeigte klar ihre wahren Proportionen. Donner dröhnte aus den Lautsprechern, als die Ungeheuer über die lange Startbahn rasten und mit voller Motorenkraft vom Boden abhoben. Ein geisterhaft blasser Lichtstrahl schoß aus dem Projektor an Bord des Solarius, schwach grau, durchzogen von roten und grünen Tönen: die ionisierte Luft des
Strahls. Der Lichtstrahl beschrieb einen Halbkreis, und im nächsten Moment ging das Pfeifen und Dröhnen von Hunderten von riesigen Propellern im Brüllen eines unvermittelt losbrechenden Orkans unter. Die Luft füllte sich mit wirbelnden Schneeflocken, war in Sekundenschnelle weiß von den Kristallen gefrorenen Wasserdampfs. Ein ungeheures Krachen folgte, das den Planeten zu erschüttern schien. Eine mächtige Fontäne aus Erde und Gestein stieg himmelwärts und nahm zwei von den Riesenmaschinen mit sich, um sie wie nasse Lappen durch das Chaos zu schleudern. Für einen Moment trat bedrückende Stille ein, als der Strahl ausgeschaltet wurde. Dann brach der Höllenlärm erneut los, als eine Flut von Hunderttausenden von Tonnen Gestein, Erde und Metall wieder herabstürzten. Die brodelnde, alles einhüllende Staubwolke wurde vom heulenden Schneesturm mitgerissen, um gleich einem zerfetzten schwarzen Banner über Hügel und Ebene davonzuflattern. Während die grellen Explosionsblitze freigesetzter Energien und detonierender Bombenlasten aus den aufprallenden Schuttmassen zuckten und Wade das Schiff in steil aufsteigender Kurve aus der Gefahrenzone hob, kreisten acht dem Inferno entkommene Flugzeuge unschlüssig in der Höhe. Eins von ihnen geriet plötzlich außer Kontrolle, kippte über die linke Tragfläche ab und geriet ins Trudeln. Unaufhaltsam stürzte es in die Tiefe. Kurz nacheinander brachen beide Tragflächen ab, und der Rumpf fiel wie ein Stein; die Tragflächen folgten langsamer, drehten sich, neigten sich, kreiselten in makabren Arabesken.
Die Männer an Bord des Solarius sahen aus sicherer Entfernung einen neuen Lichtblitz über dem Flugfeld aufscheinen, so gewaltig, daß er die Wolkendecke erhellte und die ganze Landschaft im Umkreis von vielen Kilometern ins grelle Licht der freigesetzten Energie tauchte. Wo Landefeld und Flugzeugwerft gewesen waren, begann der Boden rötlich zu glühen und zu brodeln, ein böses rotes Auge wurde in der dunkelnden Ebene sichtbar, das sich allmählich von innen nach außen zu heller Weißglut erhitzte. Sieben Riesenflugzeuge kreisten in der Luft; dann, von einem Augenblick zum andern, waren sie verschwunden, unsichtbar. Ebenso schnell brachte Wade das Schiff in Sicherheit, fort aus dem Gefahrenbereich ihrer Waffen. In weitem Bogen kletterten sie über die unsichtbaren Kolosse, deren Bewegungen Morey auf dem Radarschirm verfolgen konnte. Sie verbargen sich in den Wolken und in der Dunkelheit und begannen sich wieder an ihre Beute heranzupirschen. Da der Projektor nicht mit dem Radargerät gekoppelt war, gab es keine Möglichkeit, die Waffe aus dieser sicheren Position einzusetzen. Sie schienen über einem der Großflugzeuge zu sein. Eben hatte es noch Moreys Radarschirm ausgefüllt, riesengroß und kaum einen Kilometer voraus. Jetzt war es verschwunden. Da das Radargerät den Raum unter dem Schiff nicht erfaßte, folgerte Morey, daß sie direkt über ihm sein mußten. Dann hörten sie alle das Dröhnen der unsichtbaren Propeller. »Nach links, Wade – noch ein wenig nach links – ja, so ist es richtig!« Arcot drückte auf einen provisorisch
installierten Knopf. Von einer ebenso provisorischen Halterung am eingezogenen Fahrgestell löste sich ein kleiner Kanister, eine der zylindrischen Bomben, die Arcot am Tag zuvor angebracht hatte. Eine Bombe auf ein unsichtbares Flugzeug zu werfen, das sich selbst mit beträchtlicher Geschwindigkeit durch die Luft bewegt, ist wegen der geringen Trefferwahrscheinlichkeit ein nahezu aussichtsloses Unterfangen, aber wenn dieses Flugzeug einen halben Kilometer lang und entsprechend breit ist, ist ein Treffer nicht allzu schwierig zu erzielen. Aber nun warteten Arcots Gefährten bang auf die Explosion. Was für eine Bombe war das, von der Arcot sich soviel Wirkung zu versprechen schien? Plötzlich sahen sie einen matten Lichtfleck, der sich mit verblüffender Schnelligkeit ausbreitete, einen Lichtfleck, der sich bewegte und floß. Das Licht, das von ihm ausging, war grün und geisterhaft, mehr ein Phosphoreszieren als ein Leuchten. Einen Augenblick lang starrten Morey und die anderen ihn wortlos an. Dann brach Morey in Gelächter aus. »He, Dick, du hast gewonnen! Das ist eine Möglichkeit, an die sie nicht gedacht hatten. Da wette ich! Ein Kanister mit Leuchtfarbe! Die werden sie so schnell nicht abwaschen!« Der große leuchtende Klecks markierte das gigantische Flugzeug wie eine Zielscheibe. Mochte der Rest auch unsichtbar bleiben, dieses Flugzeug war gezeichnet. Die getroffene Maschine drehte ab und versuchte sich mit schwerfälligen Manövern in Sicherheit zu bringen, aber vergeblich. Wieder fingerte der geisterhafte Strahl durch
die Nacht – und berührte das riesige Flugzeug. Ein viel größerer und ungleich mächtigerer Koloß schien plötzlich den Riesen zu packen. Ein Stoß warf die riesige Maschine zurück, Metall zerriß; Rumpf und Tragflächen barsten kreischend. Im nächsten Augenblick platzte der große Energiespeicher mit einer Explosion, die das Flugzeug in einem Sekundenbruchteil zerfetzte. Der Solarius wurde von einer Druckwelle zurückgeschleudert, die die Atome der Luft zu zerreißen schien, und obwohl sie weit vom Explosionsherd entfernt waren, sahen sie überall um sich eine Lichtflut, deren Intensität Hände und Gesichter zu versengen schien. Dann war es vorbei, so rasch, daß es niemals geschehen zu sein schien, und nur das ferne Dröhnen der anderen Flugzeugpropeller drang zu ihnen herauf. Aber die Kaxorer waren vorübergehend geblendet; sie konnten nur den Kurs beibehalten den sie gerade gehabt hatten, als es geschehen war. Und in diesen knappen Sekunden, während sie ihn nicht sehen konnten, warf Arcot in rascher Folge zwei weitere Bomben. Zwei grünlich phosphoreszierende Flecken bildeten sich in der schwarzen Nacht. Nicht länger fühlten die Besatzungen der betroffenen Maschinen sich unverwundbar, jedem Gegner überlegen. Kaum hatten sie bemerkt, was geschehen war, als sie schon mit aller Energie beschleunigten und mit aufbrüllenden Motoren nach Westen flohen, fort von ihrem unscheinbaren, aber so gefährlichen Gegner. Aber es war zwecklos. Das Schiff von der Erde konnte in der halben Zeit beschleunigen, und nur wenige Augenblicke später richtete Arcot seinen blassen Lichtstrahl wieder auf den grünlichen Flecken, der ein
fliehendes Flugzeug darstellte. Bevor die Besatzung ihre Bordkanonen und Raketen auf das Schiff richten konnte, war der geisterhafte Strahl aus der Dunkelheit auch schon wieder erloschen, begann der Koloß unter seiner Berührung zu zerreißen und aufzuplatzen. Eine Tragfläche brach los, wurde zurückgerissen und bohrte sich wie die Klinge eines gigantischen Messers in den Rumpf. Das große Flugzeug zerbrach in Stücke und stürzte ab, und wieder flammte in der Dunkelheit das grelle Licht der Explosion auf, fuhr die Druckwelle wie ein Gewitter durch die Wolken. Wieder und wieder fand und zerstörte das kleine Schiff die kaxorischen Riesenflugzeuge, geschützt durch seine geringere Größe und die überlegene Manövrierfähigkeit. Zwei entkamen. Sie schalteten ihre nutzlos gewordenen Unsichtbarkeitsgeräte aus und verschwanden in der Nacht. Als der Solarius die anderen zur Strecke gebracht hatte, waren sie schon so weit entfernt, daß sie vom Radargerät nicht mehr erfaßt wurden. Wade stoppte das Schiff, und für eine Zeitlang waren das Summen des Generators und das gedämpfte Kastagnettengeklapper der Relais die einzigen Geräusche an Bord. Wade lehnte sich seufzend im Pilotensitz zurück. »Nun, da wir ihn haben, was fangen wir damit an?« »Was meinst du?« fragte Morey. »Den Sieg. Den Hauptgewinn. Im Besitz der Wunderwaffe, die wir gerade demonstriert haben, sind wir die Herren über eine zutiefst beunruhigte Nation von mehreren Millionen Leuten geworden. Mit diesem Spielzeug hier könnten wir sie jahrein jahraus in Angst und
Schrecken halten. Aber ich persönlich habe das Gefühl, daß wir mit diesem Sieg den größten weißen Elefanten in der Geschichte gewonnen haben. Wir wollen ihn nicht, aber wir haben ihn. Unsere Freunde in Sonor werden auch nicht scharf auf das Problem sein; sie wollten bloß die Kaxorer vom Hals haben. Wie ich sagte, was wollen wir damit anfangen?« »Nun, im Grunde ist es nicht unser Problem, nicht wahr?« sagte Fuller. »Die Einheimischen sollten nun selbst zusehen, wie sie miteinander zurechtkommen.« Morey schaute verdutzt und ein wenig unglücklich drein. »Ich habe mir über diesen Aspekt noch kaum Gedanken gemacht; bis jetzt waren wir immer zu beschäftigt, uns am Leben zu erhalten. Das ist eine Frage, die wir nicht übers Knie brechen sollten.« Wade schüttelte den Kopf. »Sieh mal, Fuller – bisher war es auch immer ihr Problem, nicht wahr? Und wie sind sie damit zurechtgekommen? Was würden sie nach deiner Meinung diesmal aus dem Problem machen, wenn du sie einfach gewähren läßt?« »Es würde genauso weitergehen wie bisher«, sagte Arcot gähnend. »Ich bin müde. Laßt uns erst ein bißchen schlafen.« »Richtig, das ist eine gute Idee«, stimmte Wade zu. »Wir wollen es überschlafen, ja. Aber wir sollten es nicht auf die lange Bank schieben, denn genau das versuchten unsere nicht allzu klugen Freunde, die Sonorer. Die Kaxorer haben sicherlich einen hübschen, zweitausend Jahre alten Haß auf die Sonorer, die sie so hochnäsig ignorierten, isolierten und jeden Umgangs für unwürdig hielten. Die Sonorer andererseits sind jetzt
gründlich verängstigt und werden entsprechend rachsüchtige Empfindungen hegen. Diesmal haben sie durch einen glücklichen Zufall gewonnen – durch unser Kommen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, wie diese beiden Völker zusammenkommen und irgendeinen vernünftigen langfristigen Vertrag zur beiderseitigen Zusammenarbeit abschließen sollten!« Arcot und Morey nickten. »Das ist ebenso unerfreulich wie richtig«, sagte Morey. »Und du weißt ganz genau, daß keiner von uns schlafen wird, bis wir irgendeine Möglichkeit gefunden haben werden, uns diesen weißen Elefanten vom Hals zu schaffen. Hat jemand eine Idee?« Fuller blickte von einem zum anderen. »Wißt ihr, wenn zwei unverträgliche Materialien in der Konstruktion strukturell verbunden werden müssen, verbinden wir jedes der beiden mit einem dritten Material, das mit beiden verträglich ist. Sonor hat diesen Krieg nicht gewonnen. Kaxor auch nicht. Die Erde hat ihn gewonnen – in Gestalt des Solarius. Die Erde hat nichts gegen diesen oder jenen, ist von keiner der beiden Parteien geschädigt worden und hat weder einen Grund noch die Absicht, jemanden zu unterdrücken. Die Sonorer wollen in Ruhe gelassen werden; das wird nicht klappen, denn sie leben ja nicht allein auf dieser Welt. Man müßte ihnen klarmachen, daß niemand es sich leisten kann, wissentlich die Existenz einer hochintelligenten und fähigen Rasse zu ignorieren. Das kann nicht gutgehen, wie die Geschichte beweist – zu Hause auf der Erde und hier.« »Das ist ein bißchen mehr als ein Problem zum Überschlafen«, sagte Morey. »Ich werde Verbindung mit
Sonor aufnehmen und ihnen sagen, daß der Krieg aus ist und daß sie sich schlafen legen können. Es ist offensichtlich, daß in beiden Ländern gründliche Forschungen notwendig sind. Wir haben jeden Grund, die Geisteswissenschaften der Sonorer und die Lichtphysik der Kaxorer in gleicher Weise zu respektieren. Und wir – wie wir gerade gründlich demonstriert haben – haben unsere eigene Wissenschaft. Das Zusammenwirken der drei wird jedem zum Vorteil gereichen und zur Heilung des Bruches führen, der diese Welt bisher gespalten hat.« Arcot blickte auf und gähnte. »Ich bin dafür, daß wir auf zwanzig Kilometer Höhe gehen, den Autopiloten einschalten und gründlich ausschlafen. Schließlich können wir dieses Problem noch einen Monat lang herumwälzen – für mich ist dies nicht die Nacht, um damit anzufangen.« Wade grinste. »Einstimmig gebilligt«, sagte er.
3. Buch Die tote Sonne Prolog Taj Lamor blickte lange auf die düstere alte Stadt hinab, die sich unter ihm ausbreitete. Im schwachen Sternenlicht ragten ihre mächtigen Massen von aufgetürmten Metallgebäuden seltsam unwirklich aus der Dunkelheit, wie die Schalen irgendeiner längst ausgestorbenen Rasse von riesenhaften Krustazeen. Er drehte sich um und blickte über den weiten Platz hinaus, wo lange Reihen von schlanken Schiffen ruhten. Nachdenklich betrachtete er ihre sich im Halbdunkel abzeichnenden Silhouetten. Taj Lamor war nicht menschlich. Obgleich er humanoid war, hatte die Erde niemals Lebewesen seiner Art gesehen. Seine zweieinhalb Meter große Gestalt wirkte für irdische Verhältnisse ein wenig plump, und seine weiße, haarlose, merkwürdig teigige Haut verlieh ihm ein beinahe transparentes Aussehen. Seine Augen waren unverhältnismäßig groß, und der Kontrast zum umgebenden Weiß verstärkte die Intensität seiner schwarzen Pupillen. Doch vielleicht verdiente seine Rasse mehr als die Menschheit der Erde die Bezeichnung homo sapiens denn das überlieferte Wissen von unzähligen Äonen hatte sie weise gemacht. Er wandte sich zu dem anderen Mann in dem hohen, zylindrischen, matt erhellten Turmzimmer über der
dunklen Metropole, einem viel älteren Mann mit gebeugten Schultern und faltigen grauen Zügen. Sein schwarzer Überrock kennzeichnete ihn als ein Mitglied des Ältestenrats. Starke Empfindungen bebten in Taj Lamors Stimme, als er das Wort ergriff: »Tordos Gar, endlich sind wir bereit, eine neue Sonne zu suchen. Neues Leben für unsere Rasse!« Ein stilles, geduldiges Lächeln erschien auf dem faltigen Gesicht des Älteren, und die schweren Lider senkten sich über seine riesigen Augen. »Ja«, sagte er traurig, »aber um welchen Preis an Ruhe! Die Zwietracht, die Unruhe, das Erwachen unnatürlichen Ehrgeizes – das ist ein furchtbarer Preis, der für einen zweifelhaften Gewinn bezahlt werden muß. Ein zu hoher Preis, denke ich.« Seine Augen öffneten sich, und er hob seine dünne Hand, um der Entgegnung des Jüngeren zuvorzukommen. »Ich weiß, ich weiß – in diesem Punkt sind wir verschiedener Meinung. Doch vielleicht wirst du eines Tages wie ich lernen, daß Ruhe besser ist, als sich in endlosen Mühen und Kämpfen zu erschöpfen. Sonnen und Planeten sterben. Warum sollten Rassen versuchen dem Unausweichlichen zu entgehen?« Tordos Gar wandte sich langsam ab und blickte lange in den Nachthimmel auf. Taj Lamor unterdrückte eine ungeduldige Erwiderung und seufzte resigniert. Diese Haltung war es, die seine Aufgabe so schwierig gemacht hatte. Dekadenz. Eine Rasse, die sich bei aller Verfeinerung und Weiterentwicklung auf dem Abstieg von den Höhen philosophischer und wissenschaftlicher Gelehrsamkeit befand, die sie einmal besetzt gehalten hatte. Vor Jahrtausenden war ihr letzter äußerer Feind besiegt worden;
und durch den Mangel von Herausforderung und Gefahr war der Ehrgeiz gestorben. Abenteuer war zu einem bedeutungslosen Wort geworden. Während des letzten Jahrhunderts war es dann in einigen Männern zu neuen Regungen längst totgeglaubter Emotionen gekommen. Ein Schatten des alten Ehrgeizes und der Abenteuerlust ihrer Vorväter war in ihnen erwacht. Es war wie ein Rückfall in jene ferne Epoche, als die Alten diese Welt errichtet hatten. Ihre späten Nachfahren waren von dem unnatürlichen Ferment, das in ihren Hirnen gärte, zusammengeführt worden; und sie hatten Taj Lamor zu ihrem Wortführer gemacht. Unter ihm hatte ein mühsamer Kampf gegen die Trägheit und Müdigkeit einer überalterten und langsam verfallenden Kultur begonnen, verbunden mit einer Suche nach den verlorenen Geheimnissen einer Millionen Jahre alten Wissenschaft. Taj Lamor hob die Augen zum Horizont. Durch die Rundung des kristallklaren Dachs ihrer Welt glühte ein flammender Punkt gelben Feuers. Ein Stern – das hellste Objekt in einem Himmel, dessen Sonne ihren Schein verloren hatte. Ein Lichtpunkt, auf den die letzten Hoffnungen einer unglaublich alten Rasse gerichtet waren. Die ruhige Stimme von Tordos Gar drang durch das Halbdunkel des Raums, und sie klang nachdenklich, beinahe verträumt. »Du, Taj Lamor, und diese jungen Männer, die sich dir zu dieser vergeblichen Expedition angeschlossen haben, ihr denkt nicht tief genug. Eure Sicht ist eingeschränkt. Es mangelt euch an Weitblick. Eure Jugend hindert euch daran, in kosmischen Maßstäben zu denken.« Er hielt inne, wie um einem Gedanken nachzuspüren, und als er fortfuhr,
schien es beinahe, als spräche er zu sich selbst. »In ferner Vergangenheit kreisten fünfzehn Planeten um eine kleine rote Sonne. Sie waren tote Welten – oder, genauer gesagt, Welten, die noch nicht gelebt hatten. Vielleicht eine Milliarde Jahre verging, bevor sich auf dreien von ihnen die Anfänge von Leben regten. Dann vergingen hundert Millionen Jahre, und aus diesen ersten, winzig kleinen Protoplasmaklümpchen waren Tiere und Pflanzen und Zwischenformen geworden. Und sie kämpften ständig ums Überleben. Weitere Jahrmillionen vergingen, und es erschien ein Lebewesen, das allmählich die Vorherrschaft über alle anderen Lebensformen gewann, die um einen Platz unter den wärmenden Strahlen der heißen roten Sonne kämpften. Diese Sonne war alt gewesen, selbst nach den Maßstäben, mit denen das Alter eines Sterns gemessen wird, bevor ihre Planeten geboren worden waren, und viele, viele Millionen Jahre waren verstrichen, bevor diese Planeten abkühlten und Leben erscheinen konnte. Nun, als das Leben sich langsam ausbreitete und höherentwickelte, war die Sonne beinahe ausgebrannt. Die Tiere kämpften und badeten in der wohligen Wärme ihres Lichts, denn es bedurfte vieler Jahrtausende, um eine merkliche Veränderung der lebenspendenden Strahlung zu registrieren. Schließlich gewann eine Spezies die Vorherrschaft. Unsere Rasse. Aber obgleich sie nun herrschte, gab es keinen Frieden. Ein Zeitalter folgte auf das andere, während barbarische und halbbarbarische Völker untereinander kämpften. Doch während sie kämpften, lernten sie.
Aus den Höhlen der Jäger zogen sie in die Holzhütten und Steinhäuser der Bauern – und die Technik nahm ihren Anfang. Mit den Gebäuden kamen Mittel zu ihrer Zerstörung; die Kriegführung entwickelte sich. Dann kamen die ersten plumpen und langsamen Flugmaschinen mit ihren schwachen und ineffizienten Antriebsmitteln. Es waren chemische Maschinen primitiver Art, bei denen nur einige wenige Prozente der Energie in Antriebskraft umgesetzt wurden, der Rest ging durch überflüssige Wärmeentwicklung und Verschwendung verloren. Die Maschinen mußten so viel Treibstoff mit sich führen, daß sie mit dieser Last kaum den Boden verlassen konnten! Und die Kriegführung wurde ein weltweites Unternehmen. Neue Maschinen und andere Zeitalter kamen, neue Wissenschaftler begannen Visionen von den Bereichen jenseits der Welt zu entwickeln, und sie versuchten die ungeheuren Energievorräte der Natur anzuzapfen, sich die Energien der Materie nutzbar zu machen. Die folgenden Zeitalter erlebten die Erfüllung dieses Traums; einige tausend Jahre später wagte sich eine Maschine in den Raum hinaus, und fand ihren Weg durch die Leere zu einem anderen Planeten. Und die Rassen der drei lebenden Welten wurde wie eine – aber es gab keinen Frieden. Die Wissenschaft wuchs nun rasch und immer rascher, nährte sich aus sich selbst wie ein Kristall, das, hat es einmal damit angefangen, sich mit unglaublicher Geschwindigkeit formt. Und während diese Wissenschaft rasch größer und mächtiger wurde, fanden andere Veränderungen statt, Veränderungen in unserem Universum. Wohl eine halbe Million Jahre verging, bevor diese Veränderungen merkbar wurden. Langsam und stetig
verlor unsere Welt ihre Atmosphäre. Es war ein Prozeß, der sich erst langsam im Lauf der Jahrtausende abzeichnete. Unsere Welten verloren ihre Luft und ihr Wasser. Ein Planet, weniger begünstigt als die anderen, kämpfte um sein Überleben, und es begann eine Reihe von Kriegen, die die ganze Rasse an den Rand des Untergangs brachten. Wieder half uns die Wissenschaft. Vor Tausenden von Jahren hatten wir gelernt, Materie in Energie umzuwandeln, aber nun konnte der Prozeß auch umgekehrt werden, und unsere Vorfahren konnten Energie in Materie umwandeln, in jede Art von Materie, die sie wünschten. Sie nahmen Fels und verwandelten ihn in Energie, dann machten sie diese Energie zu Luft, zu Wasser, zu den notwendigen Materialien. Das Leben auf ihren Planeten hatte wieder eine Frist gewonnen. Aber selbst dies konnte nicht ewig währen. Sie mußten diesem Atmosphäreverlust Einhalt gebieten. Der Prozeß, den sie für die Materieumwandlung entwickelt hatten, mußte einem neuen Zweck nutzbar gemacht werden. Schöpfung! Sie waren nun in der Lage, neue Elemente zu machen, Elemente, die in der Natur niemals existiert hatten! Sie entwarfen Atome, wie ihre Vorväter Moleküle entworfen hatten. Und endlich war ihr Problem gelöst. Sie schufen eine neue Form von Materie, die klarer war als jeder Kristall und doch stärker und zäher als jedes bekannte Metall. Da dieses Material alle Strahlungen der Sonne durchließ, konnten sie ihre Welten damit überdachen und die Luft darin festhalten. Dies war eine Aufgabe, die nicht in einem Jahr gelöst werden konnte, auch nicht in einem Jahrzehnt, aber vor ihnen erstreckte sich nun alle Zeit ohne Ende. Einer nach
dem anderen wurden die drei Planeten überdacht. Nur der Umstand, daß sie das neue Element aus einfachem Gestein durch Umwandlung herstellen konnten, machte die Leistung möglich. Auch so benötigten sie gewaltige Maschinen und die Arbeit von Generationen, aber schließlich war es getan.« Tordos Gar verstummte. Taj Lamor, der amüsiert und ungeduldig zugleich der Rezitation einer Geschichte gelauscht hatte, die er ebensogut kannte wie der betagte Erzähler, wartete mit dem gebietenden Respekt ab, den jeder einem Mitglied des Ältestenrats entgegenbrachte. Schließlich, als der Alte nicht weitersprach, sagte er: »Ich sehe keinen Sinn...« »Aber du wirst, wenn ich fertig bin – jedenfalls hoffe ich es.« Tordos Gars Tonfall war mild tadelnd. Ruhig fuhr er fort: »Langsam gingen die Jahrhunderte und Jahrtausende dahin, jedes gekennzeichnet durch größere und größere Triumphe der Wissenschaft. Aber wieder und wieder gab es Kriege, und auch sie wurden größer und schrecklicher. Es gab einige, in denen die Bevölkerungszahl unserer Rasse halbiert wurde. Auf den drei Planeten wurden Energien freigesetzt, die ausreichten, selbst ihre gewaltigen Massen ins Taumeln zu bringen und aus ihren Umlaufbahnen zu drängen. Das schreckliche Spiel der entfesselten Naturkräfte schien den Raum selbst zu zerreißen. Stets folgte Friede auf den Krieg – stets ein vergeblicher Friede letztlich. Ein paar Jahrzehnte oder Jahrhunderte, und wieder flammte Krieg auf. Er endete, und das Leben nahm seinen Gang. Aber langsam und beinahe unbemerkt vollzog sich seit
Zehntausenden von Jahren eine Veränderung. Sie kam so allmählich daß nur die Aufzeichnungen von Instrumenten während einer Periode von tausend Jahren es zeigen konnten. Das Licht unserer Sonne hatte sich ganz allmählich von einem strahlenden Hellrot zu einem tiefen, bösen Karmesinrot verändert, und die Wärmeausstrahlung wurde schwächer und schwächer. Unsere Sonne war am Erlöschen! Als die Feuer des Lebens erstarben, taten die Völker der drei Welten sich zusammen, um der gemeinsamen Bedrohung zu begegnen, dem Tod in der Kälte des Weltraums. Es bestand keine Notwendigkeit zu großer Eile; eine Sonne stirbt langsam. Unsere Vorväter machten ihre Pläne und führten sie aus. Die fünfzehn Welten wurden mit Hüllen des kristallinen Elements umgeben. Diejenigen, die keine Atmosphäre hatten, erhielten eine. Gewaltige Wärmeanlagen wurden errichtet, die die Hitze tief im Innern der Planeten nutzten, die Atmosphäre zu erwärmen. Schließlich wurde ein Zustand von Stabilität erreicht, eine Unabhängigkeit von äußeren Bedingungen, die nun für alle Zeiten gesichert schien. Unter dem Eindruck der Anstrengungen, die während der Zeit der großen Veränderung unternommen wurden, hatte sich eine andere, kaum bemerkte und doch fast unglaubliche Wandlung vollzogen. Wir hatten gelernt, miteinander zu leben. Wir hatten gelernt, zu denken und am Denken Freude zu haben. Als Spezies waren wir von der Jugend in die Zeit der Reife eingetreten Die Weiterentwicklung hörte deshalb nicht auf; wir arbeiteten uns weiter vorwärts, dem Ziel allen Wissens entgegen. Zuerst gab es eine Hoffnung, daß es uns eines Tages
gelingen werde, diesen unseren dunkelnden künstlichen Welten zu entkommen, doch im Laufe der Jahrhunderte wurde diese Hoffnung blasser und geriet schließlich in Vergessenheit. Allmählich, als Jahrtausende dahingingen, geriet auch viel altes Wissen in Vergessenheit. Es wurde nicht mehr benötigt. Die Welt blieb unverändert, es gab keine Kriege mehr und keine Notwendigkeit zu Auseinandersetzungen. Die fünfzehn Welten boten Platz genug für alle, sie waren warm und angenehm und sicher. Ohne es ganz zu begreifen, waren wir in eine Periode der Ruhe eingetreten. Und so vergingen die Zeitalter; und es gab Museen und Bibliotheken und Laboratorien; und die Maschinen unserer Vorfahren verrichteten alle notwendigen Arbeiten. So war es bis vor weniger als einer Generation. Unser langes Leben war angenehm, und der Tod, wenn er kam, war ein Schlaf. Und dann...« »Und dann«, unterbrach ihn Taj Lamor ungeduldig, »erwachten einige von uns aus der allgemeinen Lethargie!« Der alte Mann seufzte resigniert. »Du kannst – oder du willst nicht sehen. Du würdest diesen Kampf von vorn beginnen!« Er sprach in einem Ton weiter, den Taj Lamor als seniles Gewäsch empfand, und der jüngere Mann schenkte ihm kaum noch Aufmerksamkeit. Seine Augen und Gedanken waren auf diesen hellen gelben Stern konzentriert, das hellste Objekt am Himmel. Dieser Stern war es gewesen, der durch die bloße Tatsache, daß er innerhalb weniger Jahrhunderte merklich heller geworden war, einige Männer aus ihrem geistigen Schlummer geweckt hatte.
Sie waren eigentlich biologische Rückschläge, Männer, die die göttliche Gabe der Neugierde hatten, und angetrieben von ihrer Wißbegier waren sie in die Museen gegangen und hatten die alten Anleitungen zum Gebrauch des Elektronenteleskops studiert, jener großartigen, elektrisch verstärkten Beobachtungsapparatur, und sie hatten durch sie Beobachtungen gemacht. Sie hatten eine gewaltige Sonne gesehen, die das ganze Gesichtsfeld des Teleskops mit flammendem Feuer zu füllen schien. Eine beneidenswerte Sonne! Eine junge Sonne! Weitere Beobachtungen hatten enthüllt, daß mehrere Planeten um diese Sonne kreisten. Fünf hatten sie mehrfach beobachtet; über die Existenz von zwei bis drei weiteren hatten sie sich nicht einigen können. Taj Lamor hatte dieser Gruppe angehört, damals ein junger Mann von kaum mehr als vierzig Jahren, und sie hatten in ihm einen Anführer gefunden und waren ihm gefolgt, als er sich daran gemacht hatte, die altertümlichen Bücher über Astronomie zu durchforschen. Wie viele Stunden hatte er diese alten Werke studiert! Wie viele Male war er an der selbstgestellten Aufgabe, ihre Wahrheiten zu begreifen, fast verzweifelt und auf das Dach des Museums hinausgegangen, um über die furchtbare Kluft des Raums zu der stetigen Flamme des gelben Sterns hinauszublicken! Dann war er ruhig an seine Arbeit zurückgekehrt. Mit ihm als Lehrer hatten andere gelernt, und bevor er siebzig war, gab es viele Männer, die zu Wissenschaftlern und Astronomen geworden waren. Vieles von dem alten Wissen konnten diese Männer nicht verstehen, denn die Wissenschaft von fünfhunderttausend Jahren läßt sich nicht
in wenigen Dekaden erlernen, aber sie beherrschten eine enorme Menge der vergessenen Überlieferung. Sie wußten jetzt, daß die junge, lebendige Sonne dort draußen im Raum auf sie zueilte und daß sie sich mit einer Geschwindigkeit von mehr als einhundertfünfzig Kilometern pro Sekunde aufeinander zubewegten. Und sie wußten, daß diese Sonne nicht von sieben oder acht, sondern von neun Planeten umkreist wurde. Es gab andere Tatsachen, die sie ausgruben; sie entdeckten, daß die neue Sonne viel größer war als die ihrige jemals gewesen war; tatsächlich war es eine in Größe und Leuchtkraft überdurchschnittliche Sonne. Es gab Planeten und eine heiße Sonne – eine neue Heimat! Konnten sie zu ihr gelangen? Als ihre Urahnen versucht hatten, das Problem der Flucht zu lösen, hatten sie sich viel mit der Frage beschäftigt, ob es möglich sei, Geschwindigkeiten zu erreichen, die über diejenige des Lichts hinausgingen. Dies wurde als physikalische Unmöglichkeit betrachtet, aber allein die Tatsache, daß die Alten die Frage gestellt und nach einer Antwort gesucht hatten, schien ihren Nachfahren Beweis genug, daß es möglich war, wenigstens in der Theorie. In der fernen Vergangenheit hätten sie Überlichtgeschwindigkeit benötigt, denn jede Flucht von den absterbenden Heimatwelten hätte die Überbrückung von Lichtjahren bedeutet. Aber nun kam diese Sonne auf sie zu, und die Entfernung betrug weniger als vierhundert Milliarden Kilometer! In ungefähr siebzig Jahren würden sie diesen Stern passieren. Das war kaum mehr als ein Drittel einer durchschnittlichen Lebensspanne. Sie mußten mit den
Vorbereitungen beginnen! Ihr Eintreten für das Unternehmen war auf harten Widerstand gestoßen. Alle Leute waren zufrieden; warum umziehen und alle Risiken des Unbekannten auf sich nehmen? Aber während einige Männer ihre Energie und ihre Zeit der Aufgabe gewidmet hatten, die Leute für das Projekt zu gewinnen, hatten andere begonnen, Arbeit zu leisten, die seit sehr langer Zeit niemand mehr getan hatte. Laboratorien wurden wieder geöffnet, und Werkstätten begannen wie einst von Maschinenlärm und Geschäftigkeit widerzuhallen. Sie kopierten nicht nur alte Entwürfe, sondern entwickelten auch eigene. Ihre Forschung war in Spezialgebiete unterteilt worden. So gab es Waffenforschung für den Fall, daß sie angegriffen wurden und sich verteidigen mußten, Grundlagenforschung zur Klärung der Prinzipien, nach denen ihre Raumschiffe operieren mußten, Systemforschung für die Aufrechterhaltung geeigneter Lebensbedingungen an Bord der Schiffe und andere mehr. Auf allen diesen Gebieten waren ihre Forschungen erfolgreich gewesen, nur auf einem Feld hatten sie keine entscheidenden Fortschritte machen können. Die Methoden, nach denen auch ihre Vorväter gesucht hatten, um die planetarischen Umlaufbahnen zu verändern und Welten nach ihrem Willen zu bewegen, waren auch ihnen verborgen geblieben. Sie hatten nicht nur ihre Raumschiffe zu der neuen Sonne steuern wollen, sondern auch ihre Planeten, doch die Suche nach diesem Geheimnis war fruchtlos geblieben. Die Konstruktionsgeheimnisse der Raumschiffe waren ihnen dagegen mit unzähligen anderen
alten Beschreibungen und Berechnungen praktisch in den Schoß gefallen, und mit ihrer Hilfe hatte Taj Lamor die Schiffe entworfen, die dort unten auf dem Platz standen. Auch ihre Suche nach geeigneten Waffen hatte zu befriedigenden Ergebnissen geführt; sie hatten eine überaus wirksame Waffe gefunden, eine von den tödlichsten, die ihre Urahnen jemals entwickelt hatten. Aber das Geheimnis, das sie am meisten interessierte, die gezielte Anwendung von Energien, um den Flug einer Welt durch den Raum zu beeinflussen, konnten sie nicht finden. Sie kannten die Prinzipien, nach denen die Antriebskräfte ihrer Schiffe arbeiteten, und möglicherweise war es nur eine Sache der quantitativen Vergrößerung, um einen Planeten wie ein Schiff anzutreiben, doch sie wußten, daß dies so einfach nicht war; die benötigten ungeheuren Kräfte konnten zwar erzeugt werden, aber es gab keine Möglichkeit, sie auf eine Welt anzuwenden. Setzte man sie an irgendeinem beliebigen Punkt an, so würde die unkalkulierbare Belastung die feste Kruste des Planeten aufbrechen. Es ging darum, die Kraft gleichmäßig über weite Teile der planetarischen Oberfläche zu verteilen. Ihr Problem betraf die Anwendung von Schubenergie. Die Rotation der Planeten machte es unmöglich, Serien von Triebwerken irgendwo in gewissen Abständen zu verankern. Die Aufgabe war so gewaltig, daß die schiere Größe sie unmöglich machte. Taj Lamor blickte zu den großen Schiffen hinab, die auf dem Platz aufgereiht standen. Sie waren sein – denn er hatte sie entworfen, und nun, da sie durch den Raum hinausfliegen sollten, den fernen hellen Stern aufzusuchen, würde er sie befehligen.
Bevor er ging, wandte er sich kurz dem alten Tordos Gar zu. »Bald brechen wir auf«, sagte er mit triumphierendem Unterton. »Wir werden beweisen, daß unser Weg der richtige ist.« Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Du wirst lernen...«, begann er, doch Taj Lamor wollte nicht hören. Er ließ den Alten stehen, entfernte sich durch einen Torbogen und stieg in die torpedoförmige kleine Maschine, die auf dem Metalldach ruhte. Einen Augenblick später hob er vom Dach ab und lenkte das kleine Luftfahrzeug schräg abwärts und direkt zu dem größten der Schiffe. Dies war sein Flaggschiff. Sein Durchmesser betrug fast dreißig Meter, die Länge seines schön proportionierten, schnittigen Metallkörpers zweihundert Meter. Diese Expedition sollte der Erkundung dienen. Sie waren auf alle nur denkbaren Bedingungen vorbereitet, die auf planetarischen Körpern herrschen konnten – keine Atmosphäre, kein Wasser, keine Wärme, ja sogar auf eine Atmosphäre giftiger Gase. Sie besaßen chemische Umwandler, die es ihnen erlauben würden, solche giftigen Mischungen zu verändern und atembar zu machen. Sie hatten die Mittel, Wärme zu erzeugen, aber sie wußten auch, daß diese Sonne einige von ihren Planeten hinreichend wärmen würde. Taj Lamor ließ seine kleine Maschine durch die große Luftschleuse in der Seite des großen interstellaren Schiffs schweben und sanft am Boden aufsetzen. Ein Mann eilte herbei, öffnete die Tür für den Kommandanten und salutierte, als Taj Lamor ausstieg. Dann wurde seine Maschine ins Magazin geschoben, wo Dutzende wie sie raumsparend in einer bienenwabenartigen Konstruktion
untergebracht waren. Jede dieser kleinen Maschinen sollte beim Erreichen jener anderen Welten einen Kundschafter zur Oberfläche des zu untersuchenden Planeten hinunterbringen. Taj Lamor öffnete eine Tür in einer Metallröhre, die die gesamte Länge des Schiffs durchlief. In der Röhre wartete eine kleine Aufzugkabine, die nach dem Schließen der Tür mit einem leisen Zischen des pneumatischen Antriebs davonschoß. Nach wenigen Augenblicken verlangsamte sie sanft und hielt in der gewählten Etage. Die beiden Türen öffneten sich selbsttätig, und Taj Lamor stieg aus, nun hoch oben in der Spitze des Kreuzers. Nach dem Verlassen der Aufzugkabine schlossen sich die äußeren und inneren Türen, und die Kabine blieb auf dieser Ebene, bereit für neue Rufsignale. In einem so langen Schiff waren schnellere Transportmittel als die Beine eines Mannes vonnöten. Dieser kleine pneumatische Schnellaufzug, der nach dem Prinzip der Rohrpost konstruiert war, stellte die optimale Lösung dar. Als Taj Lamor aus der Aufzugröhre kam, nahmen sechs oder sieben Männer, die zwanglos beisammengestanden und miteinander geredet hatten, Haltung an. Nach dem Vorbild der längst untergegangenen Armeen ihrer Vorväter waren die Teilnehmer an dieser Expedition zu strikter Disziplin ausgebildet. Taj Lamor war ihr technischer Leiter und der nominelle Oberkommandierende, obgleich ein anderer Mann, Kornal Sorul, ihr tatsächlicher Kommandant war. Taj Lamor ging sofort zur Stabskabine weiter. Davor war noch ein weiterer Raum, auf allen Seiten von dem klaren, glasartigen Material umgeben. Dort saß der Pilot,
der die Manöver des Raumschiffs steuerte, soweit sie nicht im berechneten Kurs vorprogrammiert waren. Taj Lamor drückte einen kleinen Knopf an seinem Schreibtisch, und eine graue Scheibe vor ihm leuchtete trübe auf, um im nächsten Moment in hellem Licht und natürlichen Farben zu erstrahlen. Als blicke er durch ein gläsernes Bullauge, sah Taj Lamor das Innere der Kommunikationszentrale. Der Nachrichtenoffizier blickte in eine ähnliche Scheibe, die Taj Lamors Züge zeigte. »Liegen die Meldungen von Ohmur, Lorsand und Throlus vor?« fragte der Kommandant. »Die Meldungen laufen eben ein, und wir werden in zweieinhalb Minuten bereit sein. Die Pläne sind unverändert; wir nehmen direkten Kurs auf den gelben Stern und treffen bei Punkt einundsiebzig mit den anderen Einheiten zusammen.« »Richtig. Die Pläne sind unverändert.« Das Licht im Bildschirm verblaßte, die Farben erstarben, und es war wieder grau. Taj Lamor zog einen kleinen Hebel, und die Scheibe veränderte sich, leuchtete auf und zeigte ein anderes Bild. Nun sah er die Startvorbereitungen, gesehen von der Spitze des großen Schiffs aus. Die letzten Besatzungen gingen eben an Bord ihrer Schiffe, wie sie es oft geübt hatten. Nach kurzer Zeit schlossen sich die letzten Türen, und das Bodenpersonal räumte den Platz. Ein leises, dumpfes Summen drang durch die Scheibe und verstärkte sich, bis es die ganze Welt zu erfüllen schien. Das Warnsignal! Der Start stand unmittelbar bevor. Plötzlich schien die Stadt ringsum in einer Orgie farbigen Lichts aufzuflammen. Die Fassadenflächen der metallenen Gebäude, die Fenster und Dächer der großen
Stadt reflektierten millionenfach das Lichterspiel in allen Farben des Spektrums, das von kleinen Maschinen in der Luft und am Boden über die ganze Stadt ausgestrahlt wurde, ein lautloses Feuerwerk fließender Farben. Dann ging ein Zittern durch den mächtigen Schiffsrumpf. Es verlor sich nach einem Moment, und die gewaltige Masse aus schimmerndem Metall hob rasch und leicht vom Boden ab und stieg mit zunehmender Beschleunigung lautlos empor zu dem großen Dach ihrer Welt. Der Boden und die funkelnde Stadt blieben zurück und schrumpften rasch, während die übrigen Schiffe in Kiellinie folgten. Sie steuerten die große Luftschleuse im transparenten Dach ihres Planeten an, die sie in den Weltraum entlassen würde. Es gab nur eine Schleuse, die groß genug war, das Flaggschiff aufzunehmen, und sie mußten ihre halbe Welt umkreisen, sie zu erreichen. Auf drei Schwesterwelten stiegen gleichzeitig andere Schiffe zum Himmel auf, um sich jenseits ihres Sonnensystems zu einer einzigen Flotte zu vereinen. Vierzig Schiffe kamen von jedem Planeten, zweihundert große interstellare Kreuzer bildeten diese Raumarmada. Ein Schiff nach dem anderen passierte langsam durch die Luftschleuse und glitt in den Raum hinaus. Hier formierten sie sich rasch zu einem mächtigen Keil mit Taj Lamors Flaggschiff an der Spitze. Dann beschleunigten sie zur Reisegeschwindigkeit. Die langgezogenen Keilformationen der anderen Flottenabteilungen stießen zu ihnen und nahmen ihre Positionen hinter dem Geschwader des Flaggschiffs ein. Einer kleinen Wolke von silbrigen Stäubchen gleich, bewegte die Flotte sich durch die unendliche Schwärze des Weltraums, ihrem strahlenden
Ziel entgegen. Stunde um Stunde, Tag um Tag schossen die Schiffe durch die ungeheure Leere, und nur die Kommunikationen zwischen ihnen und die langsam schwächer werdenden Kommunikationen von den fernen Heimatplaneten unterbrachen die Stille. Aber im gleichen Maße, wie diese Signale aus der Heimat schwächer wurden, wuchs die strahlende Sonne vor ihnen. Schließlich begannen die Männer die Hitze dieser Strahlen zu fühlen und zu begreifen, welche Energien diese mächtige Feuerkugel in den Raum abstrahlte. Dann kam der Tag, an dem sie deutlich die düstere Masse eines Planeten ausmachen konnten, und viele Stunden lang bremsten sie ab von der interstellaren Geschwindigkeit auf eine, die dem Manövrieren innerhalb eines Sonnensystems angemessen war. Sie hatten Sternkarten des Systems, dem sie sich näherten. Es hatte neun Planeten verschiedener Größen, einige vor, andere jenseits der Sonne. Nur drei von ihnen befanden sich zur Zeit diesseits ihres Zentralgestirns; ein sehr großer Planet, der zu den äußersten des Systems gehören mußte, war direkt auf ihrem Kurs, während die beiden anderen der Sonne viel näher standen. Diese zugänglicheren und einladenderen Welten waren die Nummern zwei und drei des Planetensystems. Es wurde beschlossen, die Expedition in zwei Gruppen aufzuteilen; die eine sollte den zweiten Planeten ansteuern, die andere den dritten. Taj Lamor leitete seine Gruppe von einhundert Schiffen zu dem dritten Planeten. Nach relativ kurzer Zeit näherten die Schiffe sich dem Planeten, der aus der Nähe gesehen wie eine mächtige Kugel aus Wasser erschien. Sie waren über dem nördlichen
Pazifik und waren in einem Winkel aus südlicher Richtung gekommen. Die Besatzungen hatten verwundert diese ungeheuren Weiten des Ozeans betrachtet und sich nicht vorstellen können, daß all dies Wasser sein sollte. Für sie war es eine kostbare Flüssigkeit, die künstlich hergestellt werden mußte und nur sparsam verwendet wurde, doch hier sahen sie solch gewaltige Mengen natürlichen Wassers, daß sie ihren Augen nicht trauten. Immerhin berichteten ihre alten Bücher von solchen Dingen, wie sie über viele andere Seltsamkeiten berichteten; doch diese Aufzeichnungen waren so alt, daß sie weitgehend als Mythen betrachtet wurden. Aber hier war der Beweis, daß es solche Dinge wirklich gab! Sie sahen große Massen von flockigem Wasserdampf, riesige Bäusche, die fest schienen, aber leicht vom Wind dahingetragen wurden. Und natürliche Luft! Die Atmosphäre reichte hundert Kilometer oder mehr in den Raum hinaus; und nun, als sie der Oberfläche dieser Welt näher kamen, war die Luft dicht, und der Himmel über ihnen war von einem schönen Blau, nicht schwarz. Die gewaltige Sonne, so hell und weißglühend, daß man sie nicht ansehen durfte, erfüllte die ganze Welt mit strahlender Helligkeit. Und als Land in Sicht kam, blickten sie verblüfft hinaus zu den gewaltigen Felsmassen, die ihre Zacken und Grate kilometerhoch über das umgebende Terrain erhoben, schneebedeckt und majestätisch. Welch ein Anblick für diese Männer einer Welt, die so alt war, daß die Erosion längst die letzten Spuren von Gebirgen abgetragen hatte. In ehrfürchtigem Schweigen blickten sie hinab zu den enormen Felswänden und Schluchten, den schimmernden
Gletscherströmen und der grünen, dichten Vegetation in den Tälern und an den Berghängen. Dies alles erschien ihnen so fremdartig wie wunderbar, denn seit unzähligen Generationen kannten sie nur Pilze und zellulosehaltige Pflanzen, die keines Tageslichts bedurften. Ihre Nahrung bestand fast ausschließlich aus diesen Pilzen und proteinhaltigen Algen, die in großen Behältern gezüchtet wurden. Dann kamen sie über einen kleinen Bergsee, ein Wasser, das kaum groß genug war, um eines ihrer Schiffe aufzunehmen, aber hoch in der klaren Luft der Berge gelegen und genährt vom Schmelzwasser des ewigen Schnees. Er war wie herrlicher Saphir, eingebettet in smaragdene Wiesen, ein funkelnder See aus klarem Wasser, hoch in einem unzugänglichen Kessel zwischen den Gipfeln. Fasziniert blickten die Teilnehmer der Expedition hinab zu diesen nie gesehenen Wundern. Welch eine köstliche neue Heimat! Schließlich wurden die Berge niedriger und gingen in waldiges Hügelland über, und dann blieb auch dieses zurück und machte einer weiten Ebene Platz. Aber diese Ebene war seltsam mit Vierecken markiert, dünnen Linien von einer Regelmäßigkeit, als ob sie an einem Reißbrett gezogen worden wären. Diese Welt mußte von intelligenten Wesen bewohnt sein! Plötzlich sah Taj Lamor dunkle Punkte über dem südlichen Horizont, Punkte, die rasch zu wachsen schienen. Dies mußten Schiffe sein, die Schiffe der Einheimischen, die nun kamen, ihre Heimat zu verteidigen. Grimmige Entschlossenheit trat in Taj Lamors blasse Züge. Dies war
der Augenblick, den er vorausgesehen und gefürchtet hatte. Sollte er sich zurückziehen und diese Leute unbehelligt lassen, oder sollte er sich stellen und um diese Welt kämpfen, diese schöne zukünftige Heimat, die seiner Rasse für Millionen Jahre das Überleben sichern würde? Er hatte sich diese Frage oft gestellt, und seine Entscheidung stand seit langem fest. Es würde für sein Volk niemals eine zweite Chance geben, eine neue Heimat zu gewinnen. Sie mußten kämpfen. Schnell gab er seine Befehle. Wenn man auf Widerstand stieße, wenn ein Angriff unternommen würde, sollte sofort zurückgeschlagen werden, mit allen verfügbaren Waffen. Die fremden Schiffe waren mit der Annäherung rasch größer geworden, doch obgleich sie inzwischen so nahe waren, daß man Einzelheiten erkennen konnte, schienen sie noch immer zu klein, um gefährlich zu sein. Die hundertfünfzig und zweihundert Meter langen interstellaren Kreuzer waren gegen die Waffen so kleiner Schiffe sicherlich unverwundbar; ihre schiere Größe würde sie schützen. Die größten der angreifenden Schiffe waren kaum vierzig Meter lang, und viele waren kleiner. Die Flotte verhielt und erwartete die Annäherung der kleinen einheimischen Schiffe. Schnell glitten sie heran und gingen auf Parallelkurs. Eine weißgestrichene kleine Maschine scherte aus, hielt auf das Flaggschiff zu und kam längsseits. Durchs Fenster konnte man sehen, daß drei Einheimische darin waren, seltsame Leute von zwergenhaftem Wuchs und mit bösartigen kleinen Augen in den seltsam rosigen Gesichtern. Mit raschen, ruckartigen Gebärden, die etwas sehr Aufgeregtes an sich hatten, bedeuteten sie den Ankömmlingen, daß sie landen sollten.
Taj Lamor überlegte, ob er mit den Einheimischen auf dieser Basis verhandeln solle oder nicht, als plötzlich ein weißer Lichtstrahl aus der kleinen Maschine schoß, kurz den Erdboden berührte und dann aufwärts schwenkte, das Flaggschiff zu treffen. Dieses antwortete sofort mit einer Breitseite von einem Dutzend blaßrot aufflammenden Energieentladungen, die das kleine Schiff ins Kreuzfeuer nahmen. Der weiße Strahl verschwand, und einen Augenblick lang hing das Schiff im Brennpunkt der Energiestrahlen; dann begann es zu qualmen und fiel wie ein Stein in die Tiefe. Viel später erst – die Konfrontation fand in siebentausend Metern Höhe statt – kündeten ein kurzes Aufblitzen und eine Rauchwolke vom Ende des Angreifers. Aber die Flotte gab sich mit diesem Ergebnis nicht zufrieden; ihre Energiestrahlen schossen hinaus und erfaßten die anderen Maschinen, um ihren unbekannten weißen Strahlen zuvorzukommen. Sie mußten diese hinterhältigen Einheimischen rasch besiegen. Jeder der Kreuzer besaß Dutzende von Projektoren, und bevor das Gefecht zwei Minuten gedauert hatte, waren fast zwanzig von den kleinen Schiffen qualmend abgestürzt. Die übrigen schossen wie ein aufgeregter Bienenschwarm auseinander, um der Gefahr auszuweichen. Wegen ihrer geringen Größe und ihrer hohen Geschwindigkeit gelang es den meisten, den Strahlen der Kreuzer zu entgehen, und als sie sich verteilt hatten, begannen sie aus verschiedenen Richtungen schnelle Angriffsvorstöße zu machen. Bald konnten sie dank ihrer Wendigkeit und Schnelligkeit den schwerfälligeren interstellaren Kreuzern die Initiative entreißen. Sie kamen
aus der Sonne und von unten, schossen aus weiter Distanz ihre weißen Strahlen ab und schwenkten in halsbrecherischer Fahrt ab, bevor sie von den tödlichen roten Strahlen erfaßt werden konnten. Und so geschickt ihre Piloten den Strahlwaffen des Feindes auswichen, so zielsicher plazierten die Bordschützen die ihrigen. Aber bei Zielen von dieser Größe war nicht sehr viel Geschicklichkeit nötig. Diese kleinen Maschinen waren die Schiffe der Erde. Die Leute vom dunklen Stern waren völlig unerwartet ins Sonnensystem eingedrungen, und nur durch Zufall waren sie beim Passieren der Marsumlaufbahn entdeckt worden, weil ein Schiff auf der Reise zum Neptun in der Region gewesen war. Die Flotte der interstellaren Kreuzer hatte den winzigen Wanderer im All nicht bemerkt, doch er hatte den blitzenden Schwarm ausgemacht und eine Warnung zur Erde gefunkt. Von dort war die Nachricht zur Venus weitergeleitet worden, und der zweite Flottenverband, der diesen Planeten angesteuert hatte, war ebenso warm empfangen worden. Das Gefecht endete so rasch wie es begonnen hatte, denn Taj Lamor erkannte, daß seine Kreuzer dem wendigeren Gegner unterlegen waren, und ordnete den sofortigen Rückzug an. Kaum fünfzehn Minuten waren seit Eröffnung der Feindseligkeiten verstrichen, doch sie hatten bereits zweiundzwanzig ihrer großen Schiffe verloren. Die Flottenabteilung, die zur Venus geflogen war, meldete eine ähnlich stürmische Begrüßung. Taj Lamor und Kornal Sorul beschlossen, die anderen Planeten aufzusuchen, um festzustellen, welche bewohnt waren und welche nicht, und um die chemischen und physikalischen
Verhältnisse zu untersuchen. Die Flotte passierte die Sonne und steuerte auf der anderen Seite den Merkur an. Nachdem sie auch die übrigen Planeten in dieser Hälfte des Sonnensystems aufgesucht hatten und ihre Beobachtungen und Untersuchungen ohne weiteres Mißgeschick abgeschlossen werden konnten, machten sie sich auf die Rückreise zu ihrer fernen Heimat. Ihre Zahl hatte sich um einundvierzig Schiffe verringert, denn neunzehn waren über der Venus abgeschossen worden.
1 Nach dem Angriff kamen die Regierungen von Erde und Venus wiederholt zu Fernsehkonferenzen zusammen, um über die entstandene Lage und die notwendigen Schritte zu beraten. Offensichtlich war dies nur ein Vorgeplänkel zu einem Krieg gewesen, dessen Strategie das gesamte Sonnensystem mit einbeziehen mußte. Eine Flotte von neuen Schiffen mit großer Reichweite, hoher Geschwindigkeit und starker Bewaffnung mußte konstruiert und gebaut werden – aber zuerst war es wichtig, die Reste der abgeschossenen feindlichen Schiffe zu untersuchen, die im mittleren Kanada und auf der Venus lagen; ihr Studium mochte den Konstrukteuren der neuen Schiffe wertvolle Hinweise liefern. Man rief die Wissenschaftler, deren Arbeit die erfolgreiche Abwehr der Invasion ermöglicht hatte: Arcot, Fuller, Morey und Wade. Arcot, Morey und Wade hielten sich in den Laboratorien auf und wurden sofort
verpflichtet. »Wade«, sagte Arcot mit gepreßter Stimme in die Sprechanlage, »sag Morey Bescheid und nimm ihn mit zum Landeplatz. Ich habe gerade einen Anruf aus Washington erhalten. Draußen bei der Maschine werde ich euch alles erklären.« Arcot verließ das Laboratorium und lief die fünfzig Meter hinüber zu dem kleinen Landeplatz, wo er eigenhändig die großen Türen des Hangars zurückrollte. Darin stand eine kleine fünfsitzige MolekulargleichrichterMaschine. Ihre glatte Stromlinienform verhieß Kraft und Schnelligkeit. Es war ein Forschungsmodell, das sie für ihre Experimente benutzten, und es hatte Apparate und Instrumente an Bord, die man in kommerziellen Maschinen nicht fand. Zu diesen Geräten gehörte eine kybernetische Steuerung, die vollautomatische Landungen, Starts und Manöver erlaubte und dazu höhere Geschwindigkeiten möglich machte. Die drei Männer benötigten wenig mehr als eine halbe Stunde für die dreitausend Kilometer von New York zu dem Kampfplatz im östlichen Alberta. Während sie in fünfzig Kilometern Höhe nordwestwärts jagten, erzählte Arcot den Freunden, was geschehen und zu tun war. Nach der Landung wurden die drei sofort durch die militärische Absperrung gelassen und schwebten mit ihrer kleinen Maschine in Bodennähe zu einem der mächtigen Schiffe, das sich zur Hälfte in den weichen Prärieboden gewühlt hatte. Durch die Gewalt des Aufpralls hatte sich um das Schiff ein frisch aufgeworfener Kraterrand aus lockerer Erde gebildet. Sie umkreisten das zweihundert Meter lange Ungetüm in geringer Höhe, und als sie diese oberflächliche
Inspektion beendet hatten, wandte Arcot sich seinen Freunden zu. »Bis auf die eingedrückte Bugpartie macht dieses Schiff noch einen erstaunlich intakten Eindruck«, sagte er, »und ich frage mich, ob da drinnen nicht noch Überlebende stecken. Wenn es sich so verhält, werden sie uns bald wissen lassen, daß sie da sind, denn bewegen können sie das Schiff nicht mehr. Wahrscheinlich sind ihre Bordwaffen unbrauchbar, aber wir sollten darauf gefaßt sein, daß sie auch eine Art von Handfeuerwaffe haben.« Wades Aufmerksamkeit wurde plötzlich von einem Aufflammen weit draußen in der endlosen Ebene abgelenkt. »Seht mal dort – dieses Schiff brennt immer noch. Die Flammen sind rötlich, aber beinahe farblos. Sehen wie Gasflammen aus, in denen ein bißchen Kalzium verbrennt. Beinahe so, als ob die Luft an Bord des Schiffs brennbar wäre. Wenn wir in dieses Ding hineingehen, schlage ich deshalb Raumanzüge vor – schaden können sie in keinem Fall, und andererseits ist es möglich, daß wir in Räume kommen, wo die Bordatmosphäre noch erhalten ist.« Drei oder vier von den großen Wracks, die mehr oder weniger zertrümmert über eine weite Fläche verstreut lagen, brannten noch immer und versprühten blasse, heiße Flammen. Verschiedene Schiffe waren weniger stark beschädigt und zeigten teilweise intakte Rumpfpartien. Einem Schiff war das gesamte Heck abgebrochen, wogegen der Bug in gutem Zustand zu sein schien. Anscheinend war diese Maschine nicht aus großer Höhe gefallen; vielleicht hatte der Pilot sie zu einer Notlandung heruntergebracht und erst kurz vor Erreichen des Bodens
die Kontrolle über sie verloren. Aber das betreffende Schiff lag etwas abseits von den anderen, und sie beschlossen, es später zu untersuchen. Das vordere Drittel des Schiffs, das sie vor sich hatten, war zerborsten, so daß es für die drei Männer nicht schwierig war, ins Innere einzudringen. Um sie her ragten mächtige Träger und Verstrebungen auf, zerbrochen und verbogen von der Wucht des Aufpralls, und bald wurde offenbar, daß sie von lebendigen Feinden wenig zu fürchten hatten. Nach einem Aufprall, der diese starken Stützen und Konstruktionsteile wie Streichhölzer geknickt hatte, konnte niemand mehr leben! »Mann«, sagte Arcot, als sie über einen mächtigen Träger kletterten, der ihren Weg versperrte, »die Leute scheinen für die Ewigkeit zu bauen. Seht euch diesen Träger an – welche Gewalt war nötig, ihn so zu verbiegen!« Vorsichtig arbeiteten sie sich weiter vor, Taschenlampen und Strahlpistolen immer in Bereitschaft, denn viele der inneren Räume waren dunkel, und die fremde Umgebung machte sie nervös. Wohin sie auch kamen, überall stießen sie auf furchtbare Zerstörungen. Das Schiff lag ein wenig auf der Seite, was das Vorankommen zusätzlich erschwerte, aber schließlich erreichten sie den großen Maschinenraum. Die Lichtkegel ihrer Taschenlampen huschten über den schräg aufragenden Boden, der an vielen Stellen aufgerissen war. Durch die Löcher konnte man massive Träger sehen, die nun wie Kabel verbogen und verdreht, während die schweren Metallplatten des Belags wie Folie zerknittert waren. Weite Teile des Raums schienen mit einem Überzug aus silbrigem Metall bedeckt,
und nach kurzer Untersuchung entschieden sie, daß es tatsächlich Silber sein müsse, das geschmolzen und durch den Raum verspritzt worden war. Plötzlich richtete Morey seinen Lichtkegel auf die Decke und rief: »Da könnt ihr sehen, wo das Silber herkommt!« Der Schein seiner Lampe beleuchtete ein Gitterwerk aus schweren Stangen, schenkelstark und aus massivem Silber. Eine dieser Stangen war durchgeschmolzen, und die Decke darüber zeigte ein gezacktes Loch, offensichtlich das Werk eines Desintegratorstrahls. Arcot blickte verblüfft zu den schimmernden Stangen auf. »Teufel noch mal! Was müssen die für Maschinen haben! Das Gitter muß viele Tonnen schwer sein.« Er war im Begriff, die ausgebrannten Generatoren zu untersuchen, als Wade seine und Moreys Aufmerksamkeit in eine andere Richtung lenkte. »Leichen!« Sie eilten zu ihm und sahen zum erstenmal die Eindringlinge aus dem Weltraum. Anatomische Details waren nicht zweifelsfrei zu bestimmen, da die Körper beim Aufprall zerschmettert und vom Regen der losgerissenen Metallteile zermalmt worden waren. Immerhin sahen sie, daß die Eindringlinge sich nicht allzusehr von den Menschen und den humanoiden Venusiern unterschieden – obgleich ihr Blut seltsam hell schien und ihre Haut von einer geisterhaften Blässe war. Offenbar waren sie vor einer Instrumententafel versammelt gewesen, als die Katastrophe eingetreten war. »Gut zu wissen, mit wem man es zu tun hat«, bemerkte Arcot. »Ich vermute, daß wir heute noch lebendige Vertreter dieser Gattung sehen werden – aber nicht in
diesem Schiff!« Sie wandten sich ab und fuhren mit ihrer Untersuchung der zerstörten Apparate fort. Eine sorgfältige Prüfung war unmöglich, da das Ausmaß der Zerstörungen zu groß war, aber Arcot konnte feststellen, daß es sich hauptsächlich um elektrische Anlagen herkömmlicher Art handelte, wenn auch von ungewöhnlicher Größe und Leistungsfähigkeit. Es gab große Mengen von Eisen und Silber, denn für diese Fremden schien Silber die Funktion von Kupfer zu erfüllen. »Anscheinend sind es bloß elektrische Anlagen, wie auch wir sie haben«, sagte Arcot schließlich. »Aber diese Massen von Silber! Für uns machen sie jedes dieser Schiffe zu einer Schatzkammer. Hast du etwas wirklich Revolutionierendes gesehen, Wade?« Wade blickte stirnrunzelnd auf und sagte: »Es gibt nur zwei Dinge, die mich stutzig machen. Komm mal her.« Als Arcot an seine Seite getreten war, richtete Wade den Lichtkegel seiner Taschenlampe auf eine kleine Maschine, die in einen Spalt zwischen zwei zerbrochene Riesengeneratoren gefallen war. Es war ein kleines Ding, offenbar in einer Glashülle. Es gab nur einen Einwand gegen diese Annahme: Die Grundplatte eines großen Generators lag halb darauf, dreißig Zentimeter dickes Metall, und dieses Metall war gesprungen, wo es auf der Glashülle ruhte, während diese, aus höchstens zwei Zentimeter dickem Material, weder Sprünge noch Verformungen zeigte! Morey pfiff durch die Zähne. »Das ist wirklich ein faszinierendes Glas«, bemerkte er. »Es würde sich lohnen,
so etwas zu haben. Auf alle Fälle würde ich gern ein Muster zur Untersuchung mitnehmen. Wartet mal – erinnert ihr euch an das Fenster, an dem wir vorhin vorbeigekommen sind? Es war unter unseren Füßen, halb in der Erde vergraben. Es muß aus demselben Zeug gemacht sein.« Die drei kehrten zu der Stelle zurück, wo sie das Fenster gesehen hatten. Der Rahmen schien aus Stahl oder einer ähnlichen Legierung zu sein und war unter dem Aufprall verbogen, denn dies war offensichtlich die äußere Wand, und der Aufschlag am Boden hatte die Rundung abgeplattet. Aber das Fenster war unbeschädigt! Als sie es von Trümmerteilen und eingedrungener Erde befreit hatten, fanden sie einen zusätzlichen Beweis: auf der Außenseite lag ein großer Granitblock an dem Fenster – oder was von ihm übrig war, denn der Aufprall hatte ihn zertrümmert. »Ein unglaubliches Material!« sagte Arcot, während er die Scheibe befühlte. »Seht euch bloß diesen Granitblock an – er ist praktisch pulverisiert worden! Doch das Fenster hat nicht mal einen Kratzer! Und hier, wie der Rahmen zerrissen und verbogen ist! Ich frage mich, ob wir das Fenster vielleicht ganz aus dem Rahmen lösen können.« Er zog seine Strahlpistole, wartete, bis die anderen beiseite getreten waren, ging näher und richtete den Strahl auf den Teil des Rahmens, der das Fenster noch halb umschlossen hielt. Es gab ein zerreißendes, metallisches Geräusch, dann spritzte eine Fontäne aus Erde und Sand und zerbrochenem Granit durch das Loch in der Stahlhülle. Nachdem der Staub sich gelegt hatte, gingen sie wieder näher heran und betrachteten das Fenster. Es lag jetzt ein wenig auf der Seite und war zur Hälfte unter Erde und Gesteinsschutt
begraben. Arcot bückte sich, um es noch ein wenig steiler aufzurichten und den Schutt abrutschen zu lassen. Er packte die Kante mit einer Hand und zog. Das Fenster blieb, wo es war. Er packte es mit beiden Händen und zog fester. Das Fenster blieb, wo es war. »Komm und hilf mir, Wade.« Die zwei Männer zogen gemeinsam, aber ohne Ergebnis. Das Fenster war ungefähr einen Meter lang, siebzig Zentimeter breit und zwei Zentimeter dick, und es war mächtig schwer. So sehr sie sich mühten, sie konnten es nicht bewegen. Eine Bleiplatte gleicher Größe hätte ungefähr vier Zentner gewogen, aber dieses Glas wog entschieden mehr als vier Zentner. Die vereinten Kräfte der drei Männer vermochten es kaum ein paar Zentimeter hin und her zu bewegen. »Nun, jedenfalls ist es keine Materie, die wir kennen«, erklärte Morey. »Osmium, das schwerste bekannte Metall, hat eine Dichte von zweiundzwanzigeinhalb, was bei dieser Platte ungefähr auf sieben Zentner hinauslaufen würde. Ich glaube, wir könnten eine sieben Zentner schwere Platte leichter aufstellen als dieses Ding, also ist es schwerer als alles, was wir kennen. Für mich ist das ein Beweis, daß unsere Freunde nicht aus dem Sonnensystem kommen. Auf Venus und Erde haben wir jedes Element gefunden, das in der Sonne vorkommt. Diese Leute müssen von einem anderen Stern sein!« »Entweder das«, erwiderte Arcot, »oder dies ist ein Beweis für einen erstaunlichen technologischen Entwicklungsstand. Es ist natürlich nur eine Vermutung, aber ich habe eine Idee, wo im Sonnensystem diese Art von Materie existiert. Ich glaube, wir haben sie bereits gesehen – in gasförmigem Zustand. Ihr erinnert euch doch, daß die
Kaxorer in ihren Riesenflugzeugen große Spulen zur Lagerung von Lichtenergie in gebundenem Zustand hatten. Sie hatten sie verdichtet und durch ein Schwerefeld zusammengehalten, aber was sie hatten, war einem Gas vergleichbar – gasförmigem Licht. Nehmen wir einmal an, daß jemand einen noch viel wirksameren Lichtverdichter baut, einen Verdichter, der das Licht zu einer solchen Dichte zwingt, daß die Photonen gleichsam zusammenbacken und die Substanz fest wird. Es würde Materie sein, aus Licht gemachte Materie – Lichtmaterie. Nun, warum sollte diese ›Lichtmaterie‹ nicht lichtleitend sein? Es wäre ein großartiges Material für Fenster.« »Aber nun kommt die Frage, wie wir es bewegen können«, warf Wade ein. »Wir können es nicht heben. Wir wollen es aber untersuchen, und das bedeutet, daß wir es ins Laboratorium bringen müssen. Abgesehen von dieser Platte sind wir hier fertig, würde ich sagen – die Zerstörungen sind so, daß genauere Untersuchungen nicht viel bringen. Wir sollten in unsere Maschine steigen und zu dem anderen Schiff fliegen, das weniger beschädigt zu sein scheint. Aber wie können wir dieses Ding hinausschaffen?« »Ein Strahl könnte es schaffen«, sagte Arcot. Er zog seine Pistole, trat ein paar Schritte zurück und hielt die Waffe so, daß der Strahl die Platte von schräg unten treffen mußte. Vorsichtig begann er mit der schwächsten Einstellung, und als er die Energie allmählich vermehrte, kam die Platte in Bewegung und hob sich aus dem Schutt. »Es klappt! Jetzt kannst du deine Pistole nehmen, Bob, und ein Loch in die Außenwand schneiden. Dann kann ich die Platte durch die Öffnung ins Freie bugsieren und fallen
lassen, wo wir sie später aufheben können.« Morey trat vor, und während Arcot die Platte mit seinem Strahl in der Luft hielt, brach Moreys Energiestrahl in Sekundenschnelle eine klaffende Öffnung in die Außenwand. Darauf verstärkte Arcot die Energie, und die Platte segelte durch die Öffnung hinaus. Nachdem Arcot die Energie auf Null zurückgedreht und die Pistole wieder eingesteckt hatte, kletterten sie durch die Öffnung hinaus. Um das wertvolle Beutegut an Bord ihrer Maschine zu verstauen, mußten sie sich mechanischer Hilfsmittel bedienen; ein Kranwagen der Armee wurde herbeigerufen und erledigte diese Arbeit innerhalb von Minuten. Die drei Männer stiegen ein und machten sich startfertig. Dann nahmen sie Kurs auf das Hauptquartier der Sicherungsstreitkräfte. Eine große Zahl von Wissenschaftlern und Militärs war bereits auf dem ehemaligen Fliegerhorst versammelt, der zum provisorischen Hauptquartier gemacht worden war, weil er nur zwanzig Kilometer von der Absturzstelle entfernt lag. Als Arcot und seine Freunde eintrafen, erfuhren sie, daß jedes der Wracks einer Wissenschaftlergruppe zur Untersuchung zugeteilt wurde. Sie erfuhren ferner, daß sie wegen ihrer wissenschaftlichen Bedeutung im allgemeinen und ihrer Vertrautheit mit der Konstruktion von Raumschiffen im besonderen ausersehen worden waren, das am besten erhaltene Schiff zu untersuchen, das abseits von den übrigen im Westen lag. Zwei Militärangehörige sollten sie aus Sicherheitsgründen begleiten. »Leutnant Wright und Leutnant Greer werden Sie
begleiten«, sagte der Chef der Sicherungsstreitkräfte, ein Oberst. »Sie werden Ihnen helfen, sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, daß Überlebende an Bord sind, die Ihnen Schwierigkeiten machen. Gibt es noch etwas, das wir für Sie tun können?« »Diese Herren sind mit den üblichen Dienstpistolen bewaffnet, nicht wahr?« fragte Arcot. »Ich denke, es wird im Interesse unser aller Sicherheit sein, wenn wir sie mit den neuen Strahlpistolen bewaffnen. Ich habe mehrere davon in meiner Maschine. Sie haben nichts dagegen?« »Gewiß nicht, Doktor Arcot. Leutnant Wright und Leutnant Greer werden Ihren Weisungen folgen.« Die Gruppe, nun fünfköpfig, kehrte zur Maschine zurück, wo Arcot den Sicherheitsoffizieren die Einzelheiten der Strahlpistolen erklärte. Die Einstellung der Energiestärke und des Streufaktors war bei diesen frühen Modellen ziemlich kompliziert und erforderte genaue Anleitung. Die Reichweite selbst dieser kleinen Handfeuerwaffen war im luftleeren Raum theoretisch unendlich, aber in der Atmosphäre wurde die Energie durch Ionisierung der Luft ziemlich rasch absorbiert; die Dispersion des Strahls machte die Waffe auch im Weltraum praktisch unwirksam, wenn die Distanz fünfunddreißig Kilometer überstieg. Bevor sie neben ihrem Ziel landeten, umkreisten sie es langsam und beobachteten es aus der Luft von allen Seiten, denn das Ungetüm war offensichtlich ohne den furchtbaren Aufprall gelandet, der seine Schwesterschiffe so gründlich zertrümmert hatte, und es bestand eine Möglichkeit, daß einige Mannschaftsmitglieder die Bruchlandung überlebt hatten. Das Heck des Schiffs war abgerissen, und es war
offensichtlich unfähig, wieder aufzusteigen, aber hinter den Bullaugen an der Seite brannte Licht, was darauf schließen ließ, daß die Energieerzeugung an Bord wenigstens teilweise noch funktionierte. »Ich glaube, wir sollten dieses Ungeheuer lieber mit Respekt behandeln«, bemerkte Wade, als sie näher an das Wrack heranglitten und durch die Fenster zu spähen versuchten. »Sie haben eine intakte Stromversorgung, und der Rumpf hat kaum eine Delle, abgesehen vom Heck, wo er von einem Strahl getroffen wurde. Ein Glück, daß wir diese Schiffe mit Strahlenprojektoren hatten! Die Luftwaffe hat sie erst vor einem halben Jahr in Dienst gestellt, nicht wahr, Leutnant?« »So ungefähr«, antwortete Greer. »Die Handfeuerwaffen sind bis jetzt noch nicht ausgegeben worden. Anscheinend gibt es Schwierigkeiten mit der Serienproduktion.« Morey starrte stirnrunzelnd hinaus zu dem gestrandeten Invasionsschiff. »Die Sache gefällt mir ganz und gar nicht« murrte er. »Ich würde mich nicht wundern, wenn sie uns plötzlich mit diesen Strahlen begrüßten.« »Daran dachte ich auch«, erwiderte Arcot. Er hatte ein unbehagliches Gefühl, einfach auf dieses Ding loszugehen. »Ich glaube, die Antwort ist, daß die Strahlenprojektoren entweder von einem separaten Energiesystem gespeist werden, das zerstört worden ist, oder daß die Besatzung tot ist.« Bei der Erforschung des Schiffs sollten sie später erfahren, daß die Strahlenprojektoren von einem separaten Generator gespeist wurden, der eine besondere Wechselstromfrequenz für sie erzeugte. Dieser Generator war unbrauchbar geworden.
Die kleine Maschine landete neben dem Heck des Schiffs, und sie stiegen aus, nachdem sie ihre Schutzanzüge angelegt hatten. Ihre beiden militärischen Begleiter trugen Sauerstoffgeräte und Gasmasken. Durch ein Gewirr von verbogenen Trägern, abgerissenen Verstrebungen, herabhängenden Kabeln, Rohrleitungen und zerfetzten Blechen kletterten sie vorsichtig ins dunkle Innere des Schiffsrumpfes. Die beiden Offiziere bestanden darauf, voranzugehen. Der Oberst habe sie zum Schutz der Wissenschaftler zugeteilt, also sei es ihre Pflicht, das Risiko auf sich zu nehmen. Nach kurzem Hin und Her gab Arcot nach. Das Schiff lag auf ebenem Kiel, und sobald sie die Zone der Zerstörungen hinter sich hatten, war das Vorankommen nicht schwierig; die Geschwindigkeit wurde allein von der Vorsicht diktiert. Der schmale Korridor, durch den sie sich nach vorn bewegten, endete an der Tür des Maschinenraums. Sie war verschlossen. Die Offiziere traten zur Seite und sprengten die Tür mit den Energiestrahlen ihrer Pistolen auf. Sie fiel auf die metallenen Bodenplatten, und das Geräusch hallte durch das ganze Schiff, aber nichts rührte sich, keine Todesstrahlen stachen durch die Öffnung. Vorsichtig spähten sie durch und sahen die massigen Rücken gewaltiger Maschinen, hörten das tiefe, gleichmäßige Summen. Aber es gab kein Zeichen von Leben. »Nun«, sagte Arcot leise, »bisher haben wir niemanden gesehen, und ich hoffe, niemand hat uns gesehen. Die Besatzung könnte im Vorschiff sein oder auch hinter diesen großen Maschinen, ohne zu wissen, wo wir sind. Wenn sie uns sehen, werden sie bestimmt kämpfen, denn
wären sie zur Kapitulation bereit, so hätten sie längst Zeichen gegeben. Vergegenwärtigen wir uns, bevor wir hineingehen, daß unsere Waffen alles zerreißen, was sie treffen. Wir tun also gut daran, vorsichtig damit umzugehen und nicht blindlings in die Gegend zu halten. Wenn diese Maschinen hochgehen, nehmen sie uns mit, und es wird nichts von uns übrigbleiben. Aber wir müssen die Augen offen halten und sie erwischen, wenn sie versuchen, uns abzuschießen.« Mit vorgehaltenen Pistolen traten sie in die große Maschinenhalle, wo sie einen Halbkreis bildeten. Nichts regte sich. Vorsichtig bewegten sie sich vorwärts, wachsam umherblickend, angespannt bis in die letzte Nervenfaser. Auf diese Weise gelangten sie ungefähr in die Mitte der Maschinenhalle, dann war es soweit – unvermittelt standen die Feinde einander gegenüber. Es waren sechs Invasoren, jeder weit über zwei Meter groß und überraschend humanoid. Sie hatten einige Ähnlichkeit mit Venusiern, nur ihre Hautfarbe war ein teigiges Grauweiß, das seltsam ungesund wirkte. Es schien Arcot, daß diese seltsamen, blassen Gestalten langsam gegen ihn vorgingen und daß er stillstand und sie beobachtete, als sie langsam wie in Zeitlupe fremdartige Handfeuerwaffen erhoben. Er schien jedes Detail zu bemerken: ihre enganliegenden Anzüge aus einem elastischen Material, das ihre Bewegungen nicht behinderte, ihre seltsame Haut, die beinahe durchsichtig wirkte, die unheimlich großen, eulenhaft wirkenden dunklen Augen. Danach wußte Arcot selbst nicht zu sagen, wer das Feuer
eröffnet hatte. Er sah, daß die Fremden ihre Waffen hoben, warf sich zur Seite und feuerte. Seine vier Gefährten reagierten praktisch simultan. Die weißen Energiestrahlen glühten hier seltsam rötlich, aber ihre Wirkung war unbeeinträchtigt. Die sechs fremden Wesen waren plötzlich verschwunden – doch nicht, bevor sie ihrerseits gefeuert und auch getroffen hatten. Leutnant Wright lag leblos am Boden. Die anderen hatten kaum Gelegenheit, dies zu bemerken, denn fast gleichzeitig mit dem Verschwinden der Gegner ertönte ein ohrenbetäubendes metallisches Bersten, und helles Tageslicht ergoß sich durch eine klaffende Öffnung in der Außenwand des Schiffs. Die fünf Desintegratorstrahlen waren von den Körpern der Gegner nicht aufgehalten worden und hatten die Wand hinter ihnen zerrissen. Nun gähnte dort eine Öffnung. Plötzlich gab es eine dumpfe Explosion; dann erfüllte eine Flammenwand die Öffnung – eine Wand aus brodelndem rötlichgelbem Feuer, die in die Maschinenhalle eindrang und sie in ein Inferno zu verwandeln drohte. Arcot riß seine Strahlpistole hoch, zielte auf die Masse brennenden Gases. Als er feuerte, fegte ein kalter Luftzug durch die Eingangstür, drängte das brennende Gas zurück, blies zur Öffnung hinaus und nahm die Flammen mit sich. Eine Wolke brennenden Gases schwebte draußen vor der Öffnung. »Leutnant«, sagte Arcot hastig, »richten Sie Ihren Strahl auf diese Öffnung und halten Sie ihn dort. Blasen Sie die Flammen damit hinaus. Sie werden das Feuer damit nicht löschen können, aber wenn Sie es dort draußen halten können, sind wir verhältnismäßig sicher.« Der Offizier
folgte seiner Aufforderung, und Arcot konnte sich anderen Dingen zuwenden. Wade und Morey beugten sich bereits über den Gefallenen. »Ich fürchte, für ihn kommt jede Hilfe zu spät«, sagte Morey. »Fahren wir mit unserer Untersuchung fort. Wenn wir gehen, können wir ihn mitnehmen.« Arcot nickte stumm, und sie wandten sich von dem Toten ab, um ihre Durchsuchung des Schiffs fortzusetzen. »Dick«, begann Morey nach einem Moment, »warum brennt dieses Gas so heftig? Können wir es nicht löschen?« »Laß uns zuerst mit dieser Sache fertig werden«, erwiderte Arcot knapp. »Die Diskussion kommt danach.« Arcot, Morey und Wade interessierten sich hauptsächlich für die technischen Anlagen und die Maschinen, gigantische Kolosse, die die große Halle beherrschten. Die Deckung durch die Maschinen mußte es gewesen sein, die es drei Mitgliedern der Besatzung erlaubte, so nahe an die Eindringlinge heranzukommen. Plötzlich nahmen diese einen schwachen rosafarbenen Dunst wahr, als sie um die Ecke einer Maschinenanlage bogen; und ein jähes Gefühl von Schwäche und Ohnmacht überkam sie. Sie taumelten zurück, außer Reichweite, und lauschten gespannt. Kein Geräusch war zu hören. Wade schob sich wieder zur Ecke vor und spähte. Hinter der nächsten Maschine kam eine blasse Hand zum Vorschein, die eine Strahlpistole hielt. Wade zielte hastig und drückte den Auslöser. Alle hörten ein jähes metallisches Krachen, ein langgezogenes Stöhnen, dann Stille. Zwei andere Fremde sprangen hinter der großen
Maschine hervor, als die Männer sich vorsichtig näherten. Bevor jemand das Feuer eröffnen konnte, waren sie in einer anderen Öffnung untergetaucht. Arcot hob seine Waffe und war im Begriff, den Auslöser zu drücken, der die Feinde unter der ganzen Masse der riesigen Maschine begraben hätte, als ihm seine eigene Warnung einfiel. Er dachte an die unbekannten Energien, die in der Maschine schlummern mochten, das unberechenbare Zerstörungspotential, und ließ die Hand wieder sinken. Vorsichtig spähte er um die Ecke und wartete auf eine Bewegung. Dann schoß der weiße Energiestrahl hinaus, und sie hörten einen Aufschrei und einen dumpfen Schlag, als der Strahl eine ausgestreckte Hand zerriß und ihren Besitzer gegen einen großen Transformator schleuderte. Einen Augenblick lang geriet das massige Gerät ins Wanken, doch mehr geschah nicht. Die niedrige Energiekonzentration, die Arcot eingestellt hatte, hatte die Molekularstruktur der dicken Transformatorenwand nur oberflächlich beeinflußt und nicht ausgereicht, das ganze Gerät zu zerreißen. Nur noch ein Feind blieb übrig, doch Arcot merkte rasch, daß der Kampf noch nicht vorbei war, denn bevor er sich in die Deckung zurückziehen konnte, kam der rosa Dunst wieder. Er erfaßte Arcots rechten Arm von der Schulter abwärts, und eine plötzliche Taubheit war die Folge. Seine Hand, die die Pistole hielt, schien augenblicklich alles Gefühl verloren zu haben. Der Arm war da, aber das wußte er nur, weil er ihn sehen und sein totes Gewicht fühlen konnte. Seine Reflexe sorgten dafür, daß er in die Deckung zurücksprang und seinen Arm aus dem Wirkungsbereich des Strahls brachte. Schon nach
Sekunden begann das Gefühl wiederzukehren, und in weniger als einer Minute waren Arm und Hand wieder normal bewegungsfähig. Er warf den anderen, die ihn besorgt beobachteten, ein schiefes Lächeln zu. »Puh – diesmal fehlte nicht viel! Ich muß sagen, ihr Strahl ist eine sehr ritterliche Waffe. Entweder tötet sie einen oder sie verletzt einen überhaupt nicht. Da kommt er wieder!« Ein kräftiger rosa Strahl tastete über die Ecke der Maschine und erlosch nach einem Moment. »Der Kerl nagelt uns fest!« brummte Wade. Tatsächlich war ihre Lage momentan ungünstig. Sie konnten nicht aus der Deckung, aber sie durften auch nicht sehr viel länger bleiben, wo sie waren. Verstärkungen aus dem Vorschiff konnten jeden Augenblick eintreffen. »Siehst du diese dicke Metallstange oben unter der Decke?« fragte Wade und deutete mit der Pistole hinauf. »Er muß direkt darunter sein. Wenn ich das Ding herunterhole, gibt es einen Riesenkrach, der ihn nervös machen und ins Freie scheuchen könnte.« Arcot fiel ihm in den Arm. »Bist du verrückt? Hier gibt es zuviel Gerät, über das wir nichts wissen. Die Gefahr ist zu groß, daß du uns mit ihm erledigst. Nein, ich werde auf der anderen Seite um diese Maschine herumgehen und sehen, was ich machen kann. Ihr beschäftigt ihn einstweilen.« Arcot verschwand hinter der Ecke des summenden schwarzen Giganten. Lange warteten die anderen, daß irgend etwas geschehe, dann schwenkte der rosa Strahl, der in unregelmäßigen Abständen immer wieder den Raum vor ihnen bestrich, schnell zur anderen Seite hinüber. Dabei berührte er die großen Isolatoren auf der Oberseite der
Maschine. Es kam zu einer blendenden, bläulichweißen elektrischen Entladung, und der rosa Strahl erlosch. Der Fremde besaß offenbar eine Ersatzwaffe, denn die Beobachter sahen ihn aus der Deckung springen und in einen Beutel greifen, den er am Gürtel trug. Sie richteten ihre Strahlen auf ihn, und als er seinen Projektor herauszog, wurde er von einem Strahl erfaßt, der ihm die linke Seite und den Arm aufriß und den Mann mit schrecklicher Gewalt gegen ein Motorengehäuse schleuderte. Der Projektor war aus seiner Hand geflogen und lag ein Stück abseits. Arcot lief hinüber und hob ihn auf, und dann hörten sie den Leutnant besorgt rufen. »Ich glaube, es ist jetzt alles in Ordnung«, antwortete Arcot. »Ich hoffe, daß nicht noch mehr da sind – aber bleiben Sie auf alle Fälle, wo Sie sind, und gebrauchen Sie sowenig Energie wie möglich, um diese Flamme ins Freie zu blasen. Sie nährt sich von der Atmosphäre des Schiffs, und obwohl wir sie nicht brauchen, sollten wir keine unnötigen Risiken eingehen. Rufen Sie uns, wenn Ihnen etwas komisch vorkommt.« Nachdem sie sich vergewissert hatten, daß keine weiteren Gegner in der Maschinenhalle waren, begannen die drei Wissenschaftler sich umzusehen. Überall ragten die mächtigen runden Rücken von Generatoren oder Elektromotoren irgendeiner Art auf. Unter der Decke befand sich ein Gitterwerk von gigantischen Metallstangen, anscheinend Konduktoren, aber so dimensioniert, daß sie eher wie schwere Träger aussahen. Die Maschinenanlagen ragten bis zu zehn Meter in die Luft, und eine Gruppe von vier Hauptmaschinen war volle dreißig Meter lang. An den Wänden standen kleinere Maschinen und Reihen von
Transformatoren, deren unterschiedliche Formen und Größen darauf hindeuteten, daß viele verschiedene Frequenzen benötigt wurden. Einige der Transformatoren versorgten Maschinen aus einem silbrigweißen Metall statt des üblichen Eisens. Diese erzeugten anscheinend Energien von extrem hoher Frequenz. »Nun«, kommentierte Morey, »an Energie sollte es ihnen nicht fehlen. Aber habt ihr bemerkt, daß die vier Hauptmaschinen Leiter haben, die in verschiedene Richtungen gehen? Ich denke, es könnte sich lohnen, dieser Besonderheit nachzugehen.« Arcot nickte. »Ich hatte die gleiche Idee. Ist euch übrigens aufgefallen, daß zwei von den Hauptanlagen noch arbeiten, daß die zwei anderen jedoch aufgehört haben? Wahrscheinlich haben die zwei stillgelegten Anlagen mit der Fortbewegung des Schiffs zu tun. Aber es gibt einen Punkt, der vielleicht von noch größerem Interesse ist. Alle Maschinen, die wir gesehen haben, jedenfalls alle die augenfällig sind, stellen sekundäre Energiequellen dar. Es sind keine primären Quellen erkennbar. Nun, ihr seht, daß diese zwei Hauptleitungen nach rechts hinüberführen und dann zum Vorschiff. Prüfen wir einmal nach, wo sie enden.« Sie folgten den dicken Leitungen aus der Maschinenhalle in einen benachbarten Raum mit vier weiteren großen Maschinen. In der Mitte eines Vierecks, das von diesen Maschinen gebildet wurden, sahen sie eine niedrige Plattform aus transparenter Lichtmaterie. Genau in der Mitte dieser Plattform, die einen Durchmesser von etwa sieben Metern hatte, erhob sich auf stabilen Beinen aus dem gleichen Material ein etwa eineinhalb Meter hoher
Tisch, auch er rund und vielleicht zwei Meter im Durchmesser. Auf diesem Tisch waren zwei große Würfel aus massivem Silber, und in diesen Würfeln endeten die Leitungen, denen sie gefolgt waren. In dem zwanzig Zentimeter breiten Zwischenraum zwischen den Metallwürfeln war ein kleiner Kasten aus einem seltsamen Material. Es hatte die vollkommenste reflektierende Oberfläche, die man sich denken konnte. Tatsächlich war das Ding ein so vollkommener Reflektor, daß sie ihn nicht sehen konnten und seine Anwesenheit nur durch die Spiegelbilder und die Tatsache ausmachen konnten, daß er Objekte im Hintergrund verdeckte. Nun bemerkten sie bei näherer Untersuchung, daß die zwei großen Metallwürfel von zwei kleinen Löchern durchbohrt waren und zwei dünne Drähte aus demselben reflektierenden Material in diese Löcher führten. Auf der anderen Seite wurden diese Drähte zur Decke hinaufgeleitet und dann an Trägern aus Lichtmaterie weiter zum Vorschiff. Könnte dies die Energiequelle für das ganze Schiff sein? Es schien unmöglich, doch es gab viele andere unmöglich erscheinende Dinge hier, unter ihnen diese sonderbare reflektierende Materie. Die zentrale Plattform war von einem niedrigen Geländer umgeben, anscheinend mit dem Zweck, Beobachter in sicherer Distanz zu halten. Dieses Geländer bewog sie, von einer gründlicheren Untersuchung abzusehen. Als sie mit der Diskussion über den ungewöhnlichen Fund beginnen wollten, rief der Leutnant über das Funksprechgerät, daß er unter seinen Füßen Geräusche höre.
Sofort eilten die drei zurück. Noch immer schoß das brennende Gas durch die Öffnung in der Schiffshülle ins Freie, und der starke Luftzug der nachströmenden Atmosphäre machte es schwierig, irgendwelche Geräusche zu hören. Arcot sagte: »Geben Sie Energie zu, Leutnant. Wir wollen sehen, ob wir den Feind nicht herausholen können. Wie das Gas hier abfließt, können sie nicht mehr viel von ihrer Atemluft haben.« Als der Offizier die Energieabstrahlung seiner Waffe verstärkte, wurde der Luftzug vom Heck zu einem heulenden Sturm, und sie konnten sich kaum auf den Füßen halten. Aber von den etwa noch in anderen Räumen des Schiffs verborgenen Besatzungsmitgliedern kam niemand zum Vorschein. Nachdem der Leutnant die Energie auf Arcots Signal hin wieder verringert hatte, sagte Arcot: »Ich glaube nicht, daß unsere Freunde sich so einfach mit dem Erstickungstod abfinden werden. Viel wahrscheinlicher ist, daß wir angegriffen werden, wenn wir noch viel länger hier verweilen. Es mag sein, daß der Angriff so sein wird, daß wir uns nicht mehr retten können. Leutnant, ich muß Sie bitten, hier noch eine Weile auszuhalten, während wir hinausgehen und die Maschine startbereit machen.« Er machte eine Pause und grinste, dann fuhr er fort: »Sorgen Sie dafür, daß diese Gasfackel draußen bleibt. Sie sind in der Position des Herkules, der das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern tragen mußte, nachdem Atlas ihn verlassen hatte. Sie können den Energiestrahl nicht für lange ausschalten, oder es wird sich eine vernichtende Explosion ereignen. Wenn wir fertig sind, geben wir ihnen
über Sprechfunk Bescheid, und Sie laufen zu uns hinaus, so schnell Sie können.« Arcots Miene wurde ernst. »Wir werden Leutnant Wright zur Maschine hinaustragen müssen. Er hat ein anständiges Begräbnis in seiner Heimat verdient. Und wir werden uns um seine Familie kümmern, Bob. Die Gesellschaft deines Vaters wird etwas für sie tun müssen, wenn sie Hilfe braucht.« Langsam mühten die drei sich zurück zu ihrer wartenden Maschine, behindert von der Last des Toten und dem scharfen Wind, der ihnen entgegenblies. Aber schließlich kamen sie ins Freie, bestiegen die Maschine und verstauten den Toten, so gut es ging. Dann gab Wade über Funk die vereinbarte Botschaft. Wenige Augenblicke später sahen sie Leutnant Greer hastig durch die Trümmer des zerstörten Schiffshecks rennen. Sobald er an Bord war, startete Arcot die Maschine. Eine unheilvolle Stille schien sich über das Schiff gesenkt zu haben. Aus der rasch steigenden Maschine konnten die Männer sehen, daß die Gasfackel erloschen war und sich nun offenbar im Innern ausbreitete. Ängstlich beobachteten sie den schimmernden Schiffsrumpf, als sie mit hoher Beschleunigung davonjagten. Auf Arcots Veranlassung hin warnte Morey die anderen Gruppen von Wissenschaftlern und das Hauptquartier der Sicherheitsstreitkräfte vor der bevorstehenden Explosion und riet ihnen, die Gefahrenzone so schnell wie möglich zu verlassen. Während die Sekunden vertickten, stieg die Spannung bis zur Unerträglichkeit. Alle starrten wie gebannt aus den Fenstern hinunter, und erst als das Schiff viele Kilometer hinter ihnen lag, begannen sie sich zu entspannen.
Nicht ein Wort wurde gesprochen, während sie beobachteten und warteten. Tatsächlich verging bis zur Explosion sehr wenig Zeit, doch für die Beobachter schleppten die Sekunden sich endlos dahin. Dann, als sie fast dreißig Kilometer von dem Schiff entfernt waren und es nur noch auf dem Radarschirm sehen konnten, flammte dieser in blendender Weißglut auf. Es folgte eine Zeitspanne, während der die unerträgliche Helligkeit auf dem Radarschirm nur allmählich nachließ, dann erfaßte eine ungeheure Druckwelle die Maschine, beutelte sie mit betäubenden Stößen – und verebbte so abrupt wie sie gekommen war. Allmählich wurden Einzelheiten sichtbar. Das Raumschiff schien in Fetzen zerrissen zu sein, die vom Explosionsdruck Hunderte von Metern durch die Luft geschleudert worden waren. Dann, weil die Explosionsenergie rasch nachließ, regneten sie wieder zur Erde herab und bohrten sich in den Boden. Sekundenlang schien es, als sei alles vorbei. Die Glut verblaßte zusehends, die Wolken aus Rauch und Staub begannen abzuziehen. Da schoß plötzlich ein Strahl von intensiv weißem Licht aus der Masse, die offenbar Teile des zerstörten Maschinenraums enthielt, und fingerte in weit ausholenden, erratischen Bogen über Himmel und Erde. Was immer er berührte, schmolz augenblicklich zu hell strahlender Weißglut. Unter seiner Wut verschmolzen Wrackteile und Erde, während der Strahl schneller und schneller hierhin und dorthin schwenkte, wie der Lichtkegel aus der Taschenlampe eines Betrunkenen. Dann schmolzen auch die tragenden Elemente dessen, das den Energiestrahl abgab, und er fiel in sich zusammen. Eine
zweite Explosion erfolgte, deren Helligkeit für Augenblicke die der Sonne zu erreichen schien, und die gesamte Umgebung des Landeplatzes verwandelte sich in einen Lavasee. Geblendet wandten die Männer sich vom Radarschirm ab. »Das wär's«, sagte Arcot kläglich. »Es scheint, als ob unsere Besucher ihre Geheimnisse nicht zu unserer Inspektion herumliegen lassen wollen. Ich habe den Verdacht, daß die anderen Wracks genau wie dieses enden werden.« Er blickte finster zum Radarschirm, wo der See von geschmolzener Erde und glühendem Metall zu einem matt leuchtenden kleinen Flecken geschrumpft war und sagte: »Wir müssen uns damit abfinden, daß wir tatsächlich nicht viel erfahren haben. Wir sollten nun das Hauptquartier rufen und um weitere Instruktionen bitten. Könnten Sie das übernehmen, Leutnant Greer?«
2 Noch am gleichen Abend kehrten Arcot, Morey und Wade nach New York zurück. Sie hatten den Leutnant zum Hauptquartier zurückgebracht, ihre Erlebnisse und Erfahrungen zu Protokoll gegeben und anschließend die Heimreise angetreten. Als die Flughöhe erreicht und der Autopilot eingeschaltet war, wandte sich Arcot zu den anderen um. »Nun, Kameraden, was denkt ihr über das, was wir gesehen haben? Wade, du bist Chemiker – sag uns, was du von der Explosion des Schiffs hältst und von der seltsamen Farbe unserer Molekularstrahlen in der Schiffsatmosphäre.«
Wade schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ich habe versucht, mir auf alles das einen Reim zu machen, und ich kann meinen Resultaten nicht recht glauben. Trotzdem, eine andere Erklärung sehe ich nicht. Dieses rötliche Glühen sah nach Wasserstoffionen in der Luft aus. Die Atmosphäre war jedenfalls brennbar, sobald sie mit der unsrigen zusammenkam. Sauerstoff und Wasserstoff bilden gemeinsam Knallgas, und der Feuerausbruch, den wir hatten, sah ganz danach aus. Daraus dürfen wir getrost folgern, daß die natürliche Atmosphäre dieser Leute keinen Sauerstoffanteil besitzt; alles, was über zwanzig Prozent Sauerstoff und sechzig Prozent Wasserstoff enthält, ist heftig explosiv. Anscheinend mußte das Gas sich ziemlich intensiv mit unserer Luft vermischen, um ein solches Mischungsverhältnis zu erreichen. Daß es nicht explodierte, als es ionisiert wurde, zeigt das Fehlen eines Wasserstoff-Sauerstoff-Gemischs. Alle beobachteten Tatsachen bis auf eine scheinen also auf eine Atmosphäre hinzudeuten, die größtenteils aus Wasserstoff besteht. Und es existieren menschenähnliche Lebewesen darin! Ich kann verstehen, wie die Venusier sich einem höllisch heißen Klima anpassen konnten, aber ich habe nicht die Fantasie, mir vorzustellen, wie intelligentes humanoides Leben in einer solchen Atmosphäre existieren kann.« Arcot nickte. »Du hast ganz recht. Aber ich halte den Gedanken, daß menschenähnliche Wesen in einer Wasserstoffatmosphäre leben können, nicht für so abwegig. Es ist alles eine Frage der organischen Chemie. Vergegenwärtigen wir uns, daß unsere Körper chemische Verbrennungsmaschinen sind. Wir nehmen Treibstoff zu
uns und verbrennen ihn, wobei wir die entstehende Wärme als Energiequelle verwenden. Die Invasoren leben in einer Wasserstoffatmosphäre. Sie nehmen brennbare Nahrung zu sich und atmen eine reduzierende Atmosphäre. Sie haben die beiden Brennstoffkomponenten ebenso wie wir, aber in einer Art und Weise, die sich von unserer Methode unterscheidet. Augenscheinlich ist sie genauso effektiv. Ich bin sicher, daß darin das Geheimnis der ganzen Sache liegt.« »Klingt einigermaßen logisch«, sagte Wade. »Man müßte die Theorie einmal durchrechnen. Aber nun habe ich eine Frage an dich, Arcot. Wo in aller Welt kommen diese Wesen her?« »Eine interessante Frage«, sagte Arcot. »Je mehr man darüber nachdenkt, desto weniger wahrscheinlich erscheint es einem, daß sie aus unserem Sonnensystem kommen. Unsere Planeten kommen als Heimat dieser Leute nicht in Betracht – soviel läßt sich mit Bestimmtheit sagen. Es ist völlig klar, daß diese Schiffe keineswegs die ersten primitiven Versuche dieser Rasse darstellen, durch den Weltraum zu fliegen. Wir haben es mit einer überaus fortgeschrittenen Technologie zu tun. Gäbe es solche Schiffe im Bereich unseres Sonnensystems, hätten wir ganz gewiß schon früher mit ihnen Bekanntschaft gemacht. Daher müssen wir uns im interstellaren Raum umsehen, wenn wir ihre Heimat finden wollen. Ich weiß, was ihr jetzt einwenden werdet: Es gibt keinen Fixstern, der so nahe ist, daß man die Reise in weniger als ein paar Generationen machen könnte. Nach aller Logik würde es so lange dauern; und während dieser Zeit würden sie in der Kälte des interstellaren Raums erfrieren. Das alles ist sicherlich
richtig. Es gibt keinen bekannten Stern, der nahe genug wäre – aber wie ist es mit unbekannten Sternen?« »Was sollen sie mit dem Stern gemacht haben?« schnaufte Morey. »Ihn hinter einem Sonnenschirm versteckt haben?« Arcot lachte. »Ja. Hinter einem Sonnenschirm aus Zeit. Ihr wißt, daß eine Sonne nicht ewig strahlen kann; irgendwann stirbt jeder Stern. Und es ist bekannt, daß eine tote Sonne dunkel ist.« »Und die Planeten, die sie umkreisen, werden dabei auch ein kleines bißchen kühl, weißt du.« »Zugegeben«, sagte Arcot, »und wir würden nicht viel dagegen tun können. Aber ich glaube, wir sollten diesen Wesen eine höhere Intelligenz zugestehen, als wir sie besitzen. Wir sahen in diesem Raumschiff Maschinen und Anlagen, die mit unserem geistigen Horizont ganz gewiß nicht erreichbar sind! Zweifellos beheizen sie ihre Planeten mit der gleichen Energie, mit der sie ihre Schiffe antreiben. Ich kann mich bei dieser Vermutung auf zwei Umstände stützen. Diese Leute sind absolut farblos; sie haben nicht mal eine undurchlässige weiße Haut. Jedes Lebewesen, das den Strahlen einer Sonne ausgesetzt ist, benötigt zum Schutz vor diesen Strahlen Hautpigmente. Die Weißen, die immer in Gegenden gelebt haben, wo das Sonnenlicht schwach und das Klima kühl und feucht ist, haben eine degenerierte Haut, die nur noch beschränkt Pigmente bilden kann. Die Orientalen, die in den Subtropen leben, sind etwas dunkelhäutiger, besitzen also von Natur aus entsprechend mehr Hautpigmente. In den eigentlichen Tropen fand die Natur es notwendig, zum Schutz gegen die Sonnenstrahlung sehr dunkle Hautfarben zu entwickeln.
Andersherum, wo es überhaupt keine ultravioletten und anderen Strahlen gibt, würden die Menschen im Laufe von Jahrtausenden allmählich zu einer völlig pigmentlosen Rasse werden. Da die meisten Proteine ziemlich durchscheinend sind, wenigstens in nassem Zustand, würden sie ungefähr so aussehen wie diese Wesen. Es gibt ja nur sehr wenige farbige Proteine. Hämoglobin, wie es in unserem Blut ist, und Hämocyanin, wie wir es im blauen Blut der Venusier antreffen, sind in dieser Hinsicht praktisch einzigartig. Zur Wasserstoffabsorption müßte das Blut dieser Geschöpfe einen hohen Anteil von irgendeiner stark gesättigten Verbindung enthalten, die das Element bereitwillig annimmt und später wieder abgibt. Aber darüber können wir uns im Labor Gedanken machen.« Vor dem Abflug nach New York hatte Arcot den kommandierenden General der Sicherheitsstreitkräfte überzeugt, daß es klug wäre, die besser erhaltenen Wracks der Invasionsschiffe sofort zu zerstören, um etwaigen unliebsamen Überraschungen vorzubeugen. Militärmaschinen hatten daraufhin die halbwegs intakten Rumpfpartien mit ihren Molekularstrahlen auseinandergerissen, und als die drei vom Hauptquartier gestartet waren, hatten sie an mehreren Stellen der dunkelnden Ebene die Feuer der verbrennenden Wasserstoffatmosphären gesehen. Nun fragte Morey seinen Freund Arcot, ob er glaube, daß sie von den Schiffen alles erfahren hatten, was es zu erfahren gab, und ob es nicht klüger gewesen wäre, sie nicht zu zerstören, um sie zu einem späteren Zeitpunkt gründlicher zu untersuchen. Schließlich könnte man das Gebiet längere Zeit von Sicherungsstreitkräften bewachen
lassen, und etwaige Überlebende würden früher oder später in den Wracks zugrunde gehen oder von selbst zum Vorschein kommen und sich ergeben. »Die Zerstörung der intakten Schiffsteile war sowieso unvermeidlich«, erwiderte Arcot. »Die Atmosphäre an Bord dieser Schiffe ist Wasserstoff, und je länger diese Schiffe dort liegen, desto größer wird die Explosionsgefahr durch das allmähliche Eindringen unserer Sauerstoffatmosphäre. Wenn wir sie nicht zerstört hätten, wären sie von allein detoniert. Ich glaube, wir haben richtig gehandelt. Das Risiko, beim Betreten der Wracks mit ihnen in die Luft zu fliegen, wäre bald zu groß geworden.« Als die drei auf dem kleinen Landeplatz neben Arcots Laboratorien eintrafen, wurden sie bereits von Arcot senior erwartet. Nachdem Vater und Sohn einander begrüßt hatten, zeigte Richard Arcot seinem Vater das wertvolle Beutestück, die Platte aus Lichtmaterie. »Um die herauszubringen, werden wir einen Gabelstapler brauchen. Ich werde ihn holen.« Er lief über den Platz und in den Maschinenschuppen. Kurz darauf kehrte er mit einem elektrischen Gabelstapler zurück, den er an die Maschine heranfuhr. Dann hob er die Profilträger in die Höhe des Einstiegs und manövrierte den Stapler so nahe heran, daß die schwere Platte auf die Träger geschoben werden konnte. Als die Platte sicher auflag, rollte er den Stapler vorsichtig rückwärts und fuhr die Platte ins Laboratorium. Die anderen folgten ihm hinein, und die nächste Stunde verging mit Erzählen und Diskutieren. Am Ende stimmten alle in einem überein: Wenn sie diesen Gegner erfolgreich bekämpfen wollten, mußten sie Schiffe haben, die genauso schnell waren wie
die der Invasoren, Schiffe mit einer unabhängigen Energiequelle. Während einer kurzen Gesprächspause bemerkte der ältere Arcot etwas sarkastisch: »Ich frage mich, Dick, ob du nun die Güte haben wirst, mir dein Phänomen des unsichtbaren Lichts beziehungsweise des erloschenen Sterns zu erklären? Ich sehe nicht, welchen Zusammenhang dies mit dem plötzlichen Angriff der Fremden hat. Wenn sie von einer solchen Welt kommen, dann müssen sie sich zu einer Zeit entwickelt haben, wo der Stern eine helle Sonne war, und da der Abkühlungsprozeß eines Sterns viele Millionen Jahre dauert, würde das bedeuten, daß diese Rasse ein entsprechend hohes Alter hat. Aber wie dem auch sei, ich verstehe nicht, wie sie plötzlich in unserem Sonnensystem auftauchen konnten.« Bevor er antwortete, griff Richard Arcot in seine Schreibtischschublade und nahm eine geschwärzte alte Pfeife heraus, die er bedächtig stopfte und in Gang setzte, nachdenklich die Stirn gerunzelt. Schließlich lehnte er sich zurück, paffte eine graublaue Wolke in die Luft und sagte: »Ganz recht, Dad. Diese Lebewesen müssen sich auf ihrem Planeten entwickelt haben, bevor die Sonne abkühlte. Daraus folgt, daß sie einer Spezies angehören, die wahrscheinlich viele Millionen Jahre alt ist. Das sind natürlich nur Annahmen, für die es einstweilen keine wissenschaftlichen Beweise gibt; aber ich halte es für eine brauchbare Hypothese. Ich habe das Gefühl, daß die Invasoren einer uralten Spezies angehören – alt sogar im erdgeschichtlichen Sinne. Die Saurier beherrschten annähernd hundert Millionen Jahre lang die Erde. Ich halte
es für durchaus denkbar, daß diese intelligenten Lebewesen seit vergleichbar langer Zeit existieren. Wenn ihr meiner Prämisse zustimmt, daß ein toter Stern sich dem Sonnensystem nähert, dann würde meine Theorie logischer erscheinen, nicht wahr?« Die anderen nickten, und Arcot fuhr fort: »Nun, ich hatte eine Idee, und als ich vorhin den Gabelstapler holte, rief ich einen befreundeten Astronomen an.« Er konnte ein triumphierendes Lächeln nicht ganz verbergen. »Wißt ihr, was er mir gesagt hat? Seit nahezu zwei Jahren beobachten Astronomen auf der ganzen Erde geringfügige Bahnabweichungen der äußeren Planeten. Manche meinen, diese Abweichungen seien auf Veränderungen des solaren Magnetfelds zurückzuführen, während andere vermuten, daß sich ein Himmelskörper von beträchtlicher Masse dem System nähert, obwohl er bisher noch nicht beobachtet werden konnte. Ich nehme an, das ist doch eine höchst interessante Bestätigung meiner Annahmen!« Eine erregte Diskussion folgte auf diese Enthüllung. Arcot beruhigte die Anwesenden mit erhobener Hand. »Der einzige Grund, daß ihr und die Welt noch nicht davon gehört habt, ist die Tatsache, daß die Bahnabweichungen äußerst geringfügig sind. Die Astronomen wollen sich nicht gern einer möglichen späteren Blamage aussetzen, indem sie jetzt sensationelle Hypothesen in die Öffentlichkeit tragen. Gegenwärtig läuft ein Programm, das den Zweck hat, neue Informationen und Erkenntnisse zu sammeln. Aber um zu meiner Vorstellung zurückzukehren: Es muß viele Millionen, ja Milliarden Jahre her sein, daß sich auf den Planeten der toten Sonne Leben entwickelte. Zu
der Zeit muß der Stern noch eine warme Sonne gewesen sein, obgleich man vermuten darf, daß es immer ein kleiner Stern war, vermutlich ein weißer Zwerg im HertzsprungRussell-Diagramm. Das würde sein relativ kurzes Leben und sein frühzeitiges Erlöschen erklären. Ich kann mir vorstellen, wie sich in diesen längst vergangenen Zeitaltern eine Spezies entwickelte, die der unsrigen sehr ähnlich war, obwohl sie sich in ihren biochemischen Prozessen der Wasserstoffatmosphäre anpassen mußte. Aber die Biochemie ist es nicht allein, was eine Spezies ausmacht, vor allem nicht eine intelligente Spezies, es ist der Gedankenprozeß. Während ihre Sonne trüber und düsterer wurde, entwickelten sie ihre Wissenschaft, bis der Zeitpunkt kam, wo ihr Planet natürliches Leben nicht mehr erhalten konnte. Dann mußten sie ihre Welt künstlich beheizen. Dazu mußten sie sich der Atomenergie bedienen, denn keine andere Energiequelle würde ausreichend genug sein, ein solches Riesenprojekt auszuführen. Es ist wahrscheinlich, daß ihre Wissenschaft sich schon lange vor dieser großen Notwendigkeit so weit entwickelt hatte. In dieser Zeit der natürlichen und technischen Umwälzungen muß auch der Prozeß der Lichtumwandlung entwickelt worden sein, ebenso das Verfahren, das sie für den Antrieb ihrer interstellaren Schiffe verwenden. Ich bin überzeugt davon, daß diese Maschinen von stofflicher Energie angetrieben werden. Aber schließlich war ihre Sonne tot, ein erloschener Stern, und ihr kalter Planet war für ewig dazu verurteilt, eine tote schwarze Sonne zu umkreisen! Sie schienen für alle Ewigkeit in der Falle gefangen, es sei denn, sie fänden
eine Möglichkeit zu einem anderen Sonnensystem zu entkommen. Sie konnten nicht mit der Geschwindigkeit des Lichts reisen, und sie konnten nur entkommen, wenn sie ein Sonnensystem in erreichbarer Nähe fanden. Ihr Stern war tot, schwarz. Nennen wir ihn Nigra – den Schwarzen –, weil er wie jeder andere Stern einen Namen haben sollte. Irgendwelche Einwände?« Es gab keine, und so fuhr er fort: »Nun kommen wir zu einem unglaublich seltenen Zufall. Daß zwei Sonnensysteme sich in ihrer Bewegung einander auf einige Milliarden Kilometer annähern, ist jenseits aller logischen Wahrscheinlichkeit. Daß beide Sonnen obendrein eine Familie von Planeten haben, auf denen sich intelligentes Leben entwickelt hat, bringt das Ganze fast in die Nähe des Lächerlichen, aber genau das ist der Sachverhalt, dem wir uns konfrontiert sehen. Und die Nigrer – wenn wir sie einmal so nennen wollen – sind fest entschlossen, diese unwahrscheinliche Koinzidenz zu ihrem Vorteil zu nutzen. Da sie unsere Sonne seit langem beobachten konnten und wahrscheinlich seit Jahrhunderten von der bevorstehenden Annäherung wissen, hatten sie Zeit genug, ihre Vorbereitungen zu treffen. Ich gehe davon aus, daß diese Expedition lediglich Erkundungszwecken diente; und wenn sie für eine bloße Erkundung so viele große Schiffe aufbieten können, wie groß muß dann ihre eigentliche Flotte sein?! Wir wissen wenig über ihre Waffen. Sie haben diesen Todesstrahl, aber er ist nicht ganz so tödlich, wie wir anfangs befürchtet hatten, und überdies konnten unsere kleinen Maschinen sie in der Atmosphäre ausmanövrieren. Logischerweise werden sie das nächste Mal mit einer
Flotte von kleinen und schnellen Schiffen herkommen, die sie in den Bäuchen dieser Raumgiganten mitführen, und dann wird die Sache anders aussehen. Für uns ergibt sich daraus die Notwendigkeit, einmal ihre Strategie zu antizipieren und zum anderen ein Bauprogramm zu entwickeln, das auf eine Umgehung dieser Strategie abzielt. Was ihre Todesstrahlen betrifft, so glaube ich eine Idee zu haben, wie sie funktionieren. Ihr alle seid mit den katalytischen Wirkungen von Licht vertraut. Wasserstoff und Chlor können lange Zeit ohne Gefahr in einem Glasbehälter aufbewahrt werden, stellt man ihn aber ins helle Sonnenlicht, so verbinden sie sich mit enormer Energieentwicklung. Es ist der katalytische Effekt einer Vibration, einer Wellenbewegung. Dann gibt es noch so etwas wie eine negative Katalyse. Wird ein drittes Element oder eine Verbindung eingeführt, können damit bestimmte Reaktionen zum Stillstand gebracht werden. Ich glaube, dies ist das Prinzip des nigrischen Todesstrahls; es ist ein Katalysator, der die chemischen Reaktionen eines lebenden Körpers einfach zum Stillstand bringt, und diese Reaktionen sind so fein ausbalanciert, daß der geringste Widerstand sie durcheinanderbringen kann.« Arcot hielt inne und paffte heftig an seiner fast ausgegangenen Pfeife. Endlich brachte er sie wieder in Gang und fuhr fort: »Welche anderen Waffen sie haben, können wir nicht sagen. Das Geheimnis der Unsichtbarkeit muß ihnen seit langem bekannt sein. Aber wir werden uns gegen die Möglichkeit schützen, indem wir unsere Schiffe entsprechend ausrüsten. Der einzige Grund, daß die
Patrouillenschiffe nicht schon damit ausgestattet sind, ist, daß Unsichtbarkeit bei moderner Kriminalität nichts hilft; alle kennen das Geheimnis und wissen, wie es unwirksam gemacht werden kann.« »Bob«, sagte Morey, »es ist offensichtlich, daß wir in den Raum hinausgehen müssen, um dem Feind zu begegnen, und wir werden dort Bewegungsfreiheit brauchen. Wie können wir dieses Problem lösen? Ich fragte mich, ob wir Wades System übernehmen und mit flüssigem Wasserstoff betriebene Raketenmotoren verwenden sollten. Das gibt eine gute Energieausbeute, und weil es überdies eine Methode ist, Wärmeenergie zu speichern, und dein Molekulargleichrichter eine Methode ist, Hitze mit hundertprozentiger Effizienz in mechanische Arbeit umzusetzen, könnte das ein brauchbares Rezept sein. Tatsächlich kommt es für uns nur darauf an, eine Methode zu finden, wie wir während des Aufenthalts im Raum Wärmeenergie speichern können.« Arcot blies eine Rauchwolke zur Decke und beobachtete, wie sie sich allmählich auflöste, bevor er antwortete. »Das ist richtig, Bob, aber ich habe über andere und möglichst billigere und schnellere Methoden nachgedacht, die notwendige Energie zu erzeugen. Die herkömmlichen Energiequellen, die seit Jahrhunderten genutzt werden, kommen sowieso nicht in Betracht. Die atomare Wasserstoffreaktion liefert mehr Energie pro Gramm als jede andere bekannte Reaktion. Dinge wie Batterien, elektrostatische Kondensatoren, Induktionsspulen oder einfache Wärmespeicher sind wertlos für uns. Die einzige andere, uns bekannte Methode zur Speicherung von
Energie ist die von den Kaxorern zum Antrieb ihrer Riesenflugzeuge verwendete Methode. Sie verwenden verdichtete Lichtenergie. Die ist von maximaler Effizienz und allen anderen Methoden überlegen. Doch werden zur Speicherung riesige Behälter benötigt. Das Resultat ist für unseren Zweck noch immer nicht effektiv genug; wir brauchen etwas, das wir auf kleinem Raum unterbringen können; wir müssen das Licht noch mehr verdichten. Das würde die ideale Form von Energiespeicherung sein, dann würden wir imstande sein, sie unmittelbar als Hitzestrahl freizusetzen und voll auszunutzen.« Ein versonnenes Lächeln erhellte Arcots Gesicht. »Vergessen wir nicht: Was wir brauchen, ist Licht in einer noch mehr verdichteten Form, einer Form, die natürlich stabil ist und nicht durch aufwendige Felder in einem gebundenen Zustand gehalten werden muß, sondern die im Gegenteil eines Anstoßes bedarf, um die Freisetzung von Energie in Gang zu bringen. Zum Beispiel...« Ein Ausruf von Wade unterbrach ihn. »Das ist wirklich ein Ding! Man muß es dir lassen, damit würdest du den Vogel abschießen!« Er lachte erfreut. Morey und der ältere Arcot schauten ihn verdutzt an, und dann wandten sich ihre Blicke Arcot junior zu, der breit zu grinsen begann. »Nun, wahrscheinlich muß es komisch sein«, begann Morey, dann zögerte er, »ach ja, ich verstehe... Wirklich, das ist gut!« Er wandte sich zum älteren Arcot. »Ich sehe jetzt, worauf Dick hinaus will. Wir haben es die ganze Zeit direkt hier unter der Nase gehabt. Die Fenster aus Lichtmaterie, die wir in den abgestürzten feindlichen Schiffen fanden, enthalten genug
gebundene Lichtenergie, um alle Maschinen anzutreiben, die wir in den nächsten zehn Jahren bauen könnten! Wir werden uns vom Feind mit Energie versorgen lassen, die wir nicht bekommen können. Ich weiß nicht, Dick, ob du einen Preis für deinen Einfallsreichtum verdient hast, oder ob wir für unsere Dummheit bestraft werden sollten.« Arcot senior lächelte, dann blickte er zweifelnd zu seinem Sohn. »Da gäbe es zweifellos eine Menge von der richtigen Energie – aber wie du sagtest, die Energie wird eines Anstoßes bedürfen, um wirksam zu werden. Hast du da eine Idee?« »Einige. Natürlich weiß ich nicht, wie sie sich in der Praxis ausnehmen werden, aber wir können Versuche machen.« »Wie verdichten sie diese Lichtenergie überhaupt«, fragte Wade, »und woher nehmen sie sie, nachdem ihre Sonne tot ist? Zurück zum Atom, vielleicht.« »Du weißt darüber soviel wie ich, und du hast sicherlich recht; um diese Lichtenergie zu gewinnen, müssen sie mit kontrollierter Atomenergie arbeiten. Was das Verdichtungsproblem betrifft, so habe ich auch dafür eine mögliche Lösung – es ist der Schlüssel zum Problem der Freisetzung. Es gibt eine Menge, wovon wir jetzt nichts wissen, aber bevor dieser Krieg um ist, werden wir einen viel größeren Wissensschatz haben. Wenn wir überhaupt noch etwas haben werden!« fügte er grimmig hinzu. »Es ist denkbar, daß der Mensch sein Leben, seine Planeten und seine Sonne verlieren wird – von seinem Wissen gar nicht zu reden –, aber es gibt noch immer viel Hoffnung. Wir sind noch nicht erledigt.«
»Wie, meinst du, haben sie ihre Energie freigesetzt?« fragte Wade. »Glaubst du, daß diese großen Würfel aus Silber mit der Freisetzung der Energie zu tun hatten?« »Ja, das glaube ich. Diese Würfel hatten wahrscheinlich die Aufgabe, die freigesetzte Energie weiterzuleiten. Wie die Energiefreisetzung selbst erfolgt, weiß ich allerdings nicht. Sie können meiner Meinung nach keine stofflichen Apparate verwenden, um die Freisetzung stofflicher Energie in Gang zu bringen; das Material des Apparats könnte dabei ebenfalls ›Feuer fangen‹. Sie müssen die zerfallende Materie von aller anderen Materie getrennt halten. Das ist nämlich ausgeschlossen, wenn du nicht mit Kraftfeldern arbeitest. Ich glaube aber nicht, daß sie das tun. Meine Vermutung ist die, daß eine enorme elektrische Spannung den Zweck erfüllen kann. Aber wie den elektrischen Strom zu der Materie bringen? Der Umwandlungsprozeß von Materie in Energie würde auf die Leiter übergreifen – außer in einem Fall. Wenn der Apparat aus einer anderen Art von Materie bestehen würde, bliebe er unbeeinflußt. Die Lösung ist offensichtlich. Man verwendet etwas von der Lichtmaterie. Was Lichtmaterie zerstören wird, wird Elektrizitätsmaterie nicht zerstören, und umgekehrt. Erinnert ihr euch an die Plattform aus Lichtmetall, klar wie Metall? Es muß eine Isolierplattform gewesen sein. Wir wissen, daß leitende Metalle Elektrizität leiten, also wird wohl auch Lichtmaterie Licht leiten. Nun wissen wir aber, daß es keine lichtdurchlässige Substanz gibt, die Elektrizität durch metallische Konduktion leitet. Gewiß, es gibt Natriumchloratlösungen in gewöhnlichem Wasser, die Elektrizität leiten, aber dabei handelt es sich um ionisierte
Konduktion. Selbst Glas leitet Elektrizität sehr gut, wenn es erhitzt wird; rotglühendes Glas leitet genug Elektrizität, um es sehr rasch zu schmelzen. Aber andererseits ist Glas in diesem Zustand eine viskose Flüssigkeit, und der Strom wird auch hier durch ionisierte Konduktion geleitet. Eisen, Kupfer, Natrium, Silber, Blei – alle Metalle leiten den Strom mittels Elektronenbewegung durch das feste Material. Solchen Beispielen können wir entnehmen, daß keine transparente Substanz Elektrizität leitet. Ebenso ist die Umkehrung des Satzes richtig. Keine Substanz, die Elektrizität durch metallische Konduktion leiten kann, ist transparent. Alle sind undurchsichtig. Gewiß, Gold ist transparent, wenn es als Blattgold dünn genug gehämmert ist – aber wenn es so dünn ist, leitet es nicht mehr gut! Der Zustand, den wir im Fall des unsichtbaren Schiffs erreichen, ist anders. Dort wird der Effekt durch die von Hochfrequenzimpulsen erzeugte molekulare Vibration herbeigeführt. Aber ihr versteht, was ich sagen will. Erinnert ihr euch an diese Drähte, die zu dem kleinen Kasten aus dem reflektierenden Material führten? Es reflektierte so vollkommen, daß wir es nicht sahen. Wir sahen nur, wo es sein mußte; weil wir das Licht sahen, das es reflektierte. Das war ohne Zweifel Lichtmaterie, ein Nichtmetall, und als solches für Licht nicht leitend. Wie Schwefel, ein elektrisches Nichtmetall, reflektierte es die Base, aus der es geformt war. Schwefel reflektiert Elektrizität und ist – in kristalliner Form – lichtdurchlässig. Dieses Licht-Nichtmetall leistete das gleiche; es reflektierte Licht und leitete Elektrizität. Es war ein Leiter. Nun haben wir die Dinge, die wir brauchen, die zu Energie zerfallende Materie, und die Materie, die sich als
Behälter für das zerfallende Material eignet. Wir haben zwei verschiedene Arten von Materie. Der Rest ist offensichtlich – aber entschieden nicht einfach. Immerhin haben sie das Problem gelöst; und wenn der Krieg vorbei ist, sollten viele von ihren Schiffen steuerlos im Raum treiben und darauf warten, ihre Geheimnisse preiszugeben.« Arcot senior nickte seinem Sohn anerkennend zu. »Immerhin eine gute Basis, von der auszugehen sich lohnen sollte. Aber ich glaube, es ist jetzt Zeit, daß wir uns an die Arbeit machen. Du hast dein Problem, und ich arbeite, wie du weißt, an einer Methode, Reichweite und Wirkung deines Projektors für Felder gleichgerichteter Moleküle zu vergrößern. Der junge Norris hilft mir, und er ist wirklich ein Mann mit Ideen. Wenn du später Zeit hast, werde ich dir unsere Berechnungen zeigen.«
3 Die drei gingen sofort ans Werk. Wade und Morey machten sich über die Platte her, um ein kleines Stück abzubrechen, mit dem sie arbeiten konnten. Arcot meldete unterdessen eine Verbindung mit dem TychoObservatorium auf dem Mond an. Diese Sternwarte existierte bereits seit dreißig Jahren, und ihr Sechsmeterspiegelteleskop, wenngleich nicht das größte oder modernste, war durch die atmosphärelose Klarheit, die sein Standort bot, für schwierige Beobachtungen besser geeignet als alle anderen. Die weite Entfernung erwies sich jedoch als ein
störendes Hindernis für Fernsehübertragungen und Gespräche, und in Perioden erhöhter Sonnenfleckenaktivität waren Bildübertragungen kaum möglich; dann mußten die Aufnahmen mit Kurierschiffen transportiert werden. Arcot wartete mehrere Minuten, während die Verbindung mit dem Mond über einen Fernmeldesatelliten geschaltet wurde. Dann sprach er längere Zeit sehr ernst und intensiv mit dem leitenden Astronomen der fernen Station, um schließlich befriedigt den Hörer aufzulegen. Er hatte dem Mann seine Gedanken über den schwarzen Stern vorgetragen und ihn gebeten, die Hypothese im Hinblick auf die Störungen der Umlaufbahnen von Pluto und Neptun zu überprüfen. Darüber hinaus hatte er angeregt, daß Versuche unternommen würden, den erloschenen Stern bei eventueller Bedeckung anderer Sterne zu orten. Als er zu Morey und Wade zurückkehrte, die an der transparenten Platte gearbeitet hatten, machte Wade ein mißmutiges und resigniertes Gesicht, während Morey ein breites Grinsen zur Schau trug. »Hallo, Dick – du hast einen großen Spaß verpaßt! Du hättest Wades Kampf mit dieser Platte sehen sollen!« Arcot sah, daß die Platte während seiner Abwesenheit verbogen worden war, ein Beweis, daß sie enormen Belastungen ausgesetzt gewesen war. Nun begann Wade die Eigenschaften der Platte mit kraftvollen Ausdrücken zu kommentieren, die keiner wissenschaftlichen Terminologie entstammten, ihm jedoch halfen, seinem angestauten Zorn Luft zu machen. »Aber Wade, du scheinst dieses Zeug nicht zu mögen.
Vielleicht liegt die Schwierigkeit in deiner Behandlung statt in dem Material selbst. Was hast du versucht?« »Alles! Ich nahm eine Handkreissäge aus Coronium, die Molybdänstahl wie Käse schneidet, und sie nutzte an dem Zeug nur ihre Zähne ab. Dann versuchte ich es mit einem von diesen Diamantsägeblättern, aber damit war es genau das gleiche. Das machte mich wütend, also versuchte ich es mit ein bißchen Gewalt. Ich spannte sie in die Maschine zur Messung von Zugfestigkeit und legte sie mit der Klammer fest. Die Klammer hatte eine Belastbarkeit von fünfzig Tonnen, aber sie begann sich zu verbiegen, also mußte ich aufhören. Dann hielt Morey sie mit einem Molekularstrahl in der Schwebe, und ich versuchte sie zu biegen. Glaub mir, es war mir eine echte Genugtuung zu sehen, wie dieses Ding unter dem Druck endlich nachgab. Aber es ist nicht genug spröde, es verbiegt sich bloß. Und ich kann es nicht schneiden oder auch nur ein paar Splitter von dem Ding herunterkriegen. Man würde nur ein winziges Stückchen benötigen, um das spezifische Gewicht zu bestimmen und andere Untersuchungen zu machen, aber es ist nichts zu machen.« Wade blickte verdrießlich die Platte an. Arcot lächelte mitfühlend; er konnte ihn verstehen, denn das Zeug war tatsächlich widerspenstig. »Es tut mir leid, daß ich euch nicht vor dem gewarnt habe, was euch da erwartete, aber ich hatte es so eilig, meine Verbindung mit dem Mondobservatorium zu kriegen, daß ich zu sagen vergaß, wie ich mir die Arbeit mit der Platte vorstellte. Nun, Wade, wenn du noch eins von diesen Kreissägeblättern mit Diamantzähnen einspannen würdest, könnte ich inzwischen etwas besorgen, das vielleicht von
Nutzen sein kann.« Wade blickte dem davoneilenden Arcot mit hochgezogenen Brauen nach, dann kratzte er sich am Kopf, wandte sich um und holte das Sägeblatt. Fünf Minuten später kehrte Arcot mit einem Gabelstapler und einem großen Elektromagneten von annähernd einer halben Tonne Gewicht zurück. Er schloß den Elektromagneten an die Starkstromleitung des Laboratoriums an, brachte den Gabelstapler in Position und hob die verbogene Platte mit Hilfe des Laufkrans an die Pole des Magneten. »Nun werden wir sehen!« Mit zuversichtlichem Lächeln setzte er den Elektromagneten unter Strom. Sofort wurde in dem Lichtmaterial ein starkes elektromagnetisches Feld erzeugt. Er nahm die kleine Handkreissäge und setzte sie an die transparente Platte. Ungläubig beobachtete Wade, wie das kleine Sägeblatt sich mit schrillem Kreischen langsam, aber stetig in die Platte fraß. Nach kaum einer halben Minute hatte es eine kleine Ecke der Lichtmaterie abgeschnitten, die mit einem harten Klicken auf den Magnetpol fiel. Arcot schaltete den Magneten aus, nahm eine Zange und hob das kleine Bruchstück auf. »Unglaublich – ich wette, dieses kleine Stück wiegt zehn Pfund! Wir werden es beträchtlich verkleinern müssen, bevor wir es gebrauchen können. Aber das sollte nicht zu schwierig sein.« Mit Hilfe des Magneten und der Diamantsäge gelang es ihnen, eine dünne Scheibe von dem kleinen Stück herunterzuschneiden; dann schnitten sie noch einige sehr kleine Fragmente, um mit diesen das spezifische Gewicht
zu bestimmen. »Arcot«, fragte Wade schließlich, »wie schafft es der Magnet, dieses Zeug fügsam zu machen? Ich bin nicht genug Physiker, um mir auszurechnen, was dabei im Innern des Materials vorgeht.« »Der Elektromagnet wirkte«, erklärte Arcot, »weil der Magnetismus jedes Photon in dieser Lichtmaterie beeinflußt und ihm neue Bewegungsimpulse gibt. Du weißt, dieses Zeug kann auf Lichtgeschwindigkeit gebracht werden. Mit Hilfe eines Molekulargleichrichterstrahls sollte es möglich sein, alle Photonen mit voller Lichtgeschwindigkeit in parallele Bahnen zu bringen. Die ungeheure Geschwindigkeit dieser individuellen Photonen ist es, die das Material so hart macht. Ihre kinetische Energie ist beträchtlich. Der Schlag kinetischer Energie, den die Moleküle eines Metalls austeilen, hindert anderes Metall daran, es zu durchdringen. Dieses Material hier teilt so mächtige kinetische Impulse aus, daß nicht einmal Diamanten es schneiden können. Du weißt, daß eine Eisensäge ohne weiteres Platin schneiden kann, doch wenn beide auf sagen wir eintausendsechshundert Grad erhitzt werden, ist das Eisen eine Flüssigkeit und das Platin sehr weich – aber nun schneidet das Platin das Eisen! Hitze wird wahrscheinlich keinen Einfluß auf dieses Zeug haben, aber die Einwirkung des Magnetfelds auf die individuellen Photonen ist der Einwirkung der Hitze auf die individuellen Atome und Moleküle vergleichbar. Die Masse wird erweicht, und wir können sie bearbeiten. Das ist wenigstens, wie ich es mir denke. Aber nun, Wade, solltest du sehen, ob du die Dichte des Materials
bestimmen kannst. Darin hast du mehr Erfahrung als wir. Und wenn du fertig bist, sind wir vielleicht soweit, daß wir auch einige interessante Resultate vorweisen können!« Wade nahm eine dünne kleine Scheibe der Lichtmaterie und ging in sein Laboratorium, wo er mit der Probe zu arbeiten begann. Seine Ergebnisse waren so verblüffend, daß er seine Arbeit wieder und wieder überprüfte, aber immer mit demselben Resultat. Zuletzt kehrte er zum Hauptlaboratorium zurück, wo Arcot und Morey an der Konstruktion eines großen und komplizierten elektrostatischen Apparats arbeiteten. »Was hast du herausgebracht?« rief Arcot, als er Wade hereinkommen sah. »Nein, warte einen Augenblick und hilf uns hier, ja? Dies ist ein kleiner Laborapparat des Typs, den die Kaxorer zur Speicherung des Lichts verwendeten. Sie haben gewußt, daß ihre Maschinen die Energie mit mehr als normaler Gewalt freisetzen würden, wenn in ihnen gewisse Veränderungen vorgenommen wurden. Das heißt, der Lichtverdichter, das Gerät, das die Photonen zusammendrängt, kann durch Umpolung dazu dienen, sie wieder auseinanderzureißen. Ich habe die notwendigen Veränderungen gemacht und werde jetzt versuchen, den Apparat mit fester Lichtmaterie arbeiten zu lassen. Dieser Typ wurde für gasförmiges Material entwickelt, es ist eine ziemlich heikle Sache, ihn anzupassen. Aber ich glaube, wir haben es fast geschafft. Wade, kannst du das hier an den HochfrequenzOszillator anschließen? Nein – durch diesen Kondensator. Vielleicht müssen wir die Frequenz des Oszillators verändern, und dazu brauchen wir einen variablen Kondensator.
Nun, was für ein Ergebnis hast du herausbekommen?« Wade schüttelte zweifelnd den Kopf. »Wir wissen alle, daß es ein unglaubliches Zeug ist – und natürlich muß es schwer sein. Aber trotzdem – ich bin auf eine Dichte von 103,5 gekommen!« Arcot pfiff laut durch die Zähne. »Puh – 103,5! Großer Gott! Das ist beinahe fünfmal so schwer wie das schwerste bekannte Metall. Das würde bedeuten, daß diese Platte ungefähr zwei Tonnen wiegt. Kein Wunder, daß wir sie nicht anheben konnten!« Sie unterbrachen ihre Arbeit an dem Apparat, um die verblüffenden Ergebnisse der Dichteprüfung zu diskutieren, aber dann machten sie sich wieder über das Gerät her, ungeduldig, das nächste Experiment zu beginnen. Als mit Ausnahme weniger Details alles fertig war, stand Arcot auf und betrachtete kritisch ihr gemeinsames Werk. »Ich glaube, wir werden genug Impuls haben, um den Zerfall zu bewirken«, sagte er, »aber ich möchte sichergehen, und deshalb sollten wir vielleicht den großen Magneten aufbauen, damit er notfalls die Desintegration erleichtern kann.« Endlich war der Apparat komplett, und das winzige Stückchen Lichtmaterie, mit dem sie arbeiteten, wurde auf die Platte eines starken Projektor-Mikroskops gelegt, dessen Blickfeld genau in der Mitte der Felder des Magneten und der Spule lag. Dann überprüften Arcot, Morey und Wade ihre Arbeit sorgfältig Schritt für Schritt, bis sie sicher waren, daß alles stimmte. »Nun, wir sind soweit«, sagte Arcot schließlich, als er die Projektionsleinwand in Position brachte und die
Beleuchtung dämpfte. Eine Schalterdrehung, und die Leinwand zeigte das winzige Stückchen Lichtmaterie in enormer Vergrößerung. »Ich will nicht sagen, daß es ohne jede Gefahr sei«, sagte Arcot zu den beiden anderen, »denn wir haben dies noch nie zuvor versucht; und wenn alle Energie auf einmal freigesetzt wird, könnte es passieren, daß uns das Dach über den Köpfen wegfliegt. Aber ich glaube, wir können mit einiger Sicherheit sagen, daß es kontrolliert ablaufen wird. Was meint ihr?« Wade schüttelte den Kopf, und Morey sagte: »Ich kann keine Fehler in unserer Arbeit entdecken.« Arcot nickte. Seine Muskeln spannten sich unwillkürlich, als er den Strom einschaltete. Der kleine Splitter auf dem Tisch des Mikroskops schien zu zucken, und seine Umrisse wurden unscharf; aber dann, als die volle Stromstärke eingeschaltet war, erfolgte die Freisetzung von Energie so langsam, daß sie kaum wahrnehmbar war. »Ich glaube, wir werden den Magneten doch noch brauchen; diesmal werde ich ihn einschalten.« Er schloß den Stromkreis des Magneten mit halber Spannung, dann verstärkte er die Stromzufuhr durch den Regler. Diesmal erbebte der kleine Splitter ziemlich heftig und nahm das Aussehen von Jod an. Dichte Dämpfe begannen aus ihm hervorzuquellen, und augenblicklich wurden diese Dämpfe zu einer blendend hellen Lichtflut. Arcot hatte die Stromzufuhr unterbrochen, als er den Prozeß beginnen sah, und in dem Augenblick, da der Stromkreis geöffnet war, hörte die Lichtentwicklung wieder auf. Aber selbst in diesem kurzen Moment war die
Abschirmung aus leichtem Aluminium plötzlich weich geworden und hing wie ein Lappen herab. Sie war angeschmolzen! Im Raum war es unerträglich heiß, und die Männer waren von der Intensität des Lichts noch immer halb geblendet. »Es klappt!« schrie Wade. »Es klappt! Merkt ihr, wie heiß es plötzlich geworden ist? Jetzt brauchen wir zuerst frische Luft.« Er ging hinüber und stieß ein Fenster auf. Arcot und Morey ergriffen einander bei den Händen, grinsten und schlugen sich auf die Schultern. Was sie beobachtet hatten, bedeutete, daß Erde und Venus Raumschiffe haben würden, mit denen man Raumschiffe bekämpfen konnte. Grund genug zur Freude. Trotz aller Fortschritte blieb noch eine Menge Entwicklungsarbeit zu leisten. Fuller wurde gebraucht, und als er am übernächsten Tag eintraf, fand er die drei Freunde bereits an der Arbeit, einen kompakteren Apparat als das Probemodell zu bauen, mit dem sie ihren Versuch gemacht hatten. »Du kannst sehen«, sagte Arcot, nachdem er Fuller einen Überblick über die bisher geleistete Arbeit gegeben hatte, »daß wir noch immer eine Menge vor uns haben. Wir versuchen jetzt, einige Daten zusammenzubringen, nach denen du arbeiten kannst, aber ich kann dir schon jetzt sagen, daß wir ein Schiff brauchen werden, das stark ist und jede Beschleunigung aushält. Es wird natürlich die übliche Energieerzeugung haben, die Generatoren und die elektromagnetischen Relais für die Molekulargleichrichter. Dann brauchen wir zusätzlich Einrichtungen für den Strahlenprojektor, obwohl das noch eine Weile warten
muß, denn mein Vater arbeitet an einer Methode, die Reichweite und Wirkung zu verbessern... Ja, und die Antriebseinheiten werden jetzt im Innern des Schiffs sein, denn unsere gesamte Energie wird von der Lichtmaterie kommen.« Es war die erste von vielen Stunden, die sie mit der Diskussion über die ungezählten Einzelheiten verbrachten, die bei der Konstruktion ihres Raumschiffs berücksichtigt werden mußten. Die Schiffe, so wurde beschlossen, mußten imstande sein, Geschwindigkeiten von acht- bis zehntausend Kilometern pro Sekunde zu erreichen. Drei Arten von Schiffen wurden benötigt: eine kleine Einmannmaschine ohne Schlafgelegenheiten oder Wohnkajüten, einfach ein kleines Kraftwerk und eine Waffe. Es sollte schnell und beweglich sein und durch seine Offensivkraft die Hauptwaffe darstellen. Dazu wurde eine Anzahl von Trägerschiffen benötigt, die diese Kampfmaschinen und ihre Piloten ins Zielgebiet bringen würden, und schließlich wurden Kreuzer gebraucht, die auch als Aufklärungsschiffe über weite Entfernungen eingesetzt werden konnten und gleichfalls einige Kampfmaschinen an Bord mitführen sollten. »Was die Abwehr betrifft«, schloß Arcot, »werden wir uns auf Beweglichkeit und Kampfkraft verlassen müssen, denn Panzerungen, wie sie nötig wären, um Strahlenwaffen abzuwehren, würden zuviel Masse und Gewicht haben. Und nun laßt uns wieder an die Arbeit gehen. Sobald die Regierung die Pläne gebilligt hat, solltest du vielleicht die Konstrukteure der großen Flugzeug- und Maschinenfabriken zusammenrufen und die Produktion koordinieren. Wir werden uns unterdessen mit den
venusischen Herstellern in Verbindung setzen, damit die Produktion der Erd-Venus-Flotte abgestimmt werden kann.«
4 Trotz ihrer unablässigen Bemühungen und der Anstrengungen zweier Welten verging fast ein Jahr, bis die Flotte zu einem Faktor von einiger Bedeutung gewachsen war. Die Probeflüge mit den kleinen Kampfmaschinen waren erfolgreich verlaufen, aber danach begann die zeitraubende Ausbildung der Piloten für diese bemannten Projektile. Allmählich bildete sich eine Astronautentruppe neuartigen Zuschnitts heraus, bestehend aus gesunden jungen Männern, die sich vor allem dadurch qualifizierten, daß sie hohe Beschleunigungswerte aushalten konnten. Alle Schiffe, die kleinen wie die großen, wurden mit Unsichtbarkeitsdetektoren ausgestattet, empfindlichen Mehrfachfrequenz-Richtungsempfängern, die dem Bordschützen erlaubten, seinen Strahl auf unsichtbare Ziele zu richten. Die Schiffe selbst konnten nicht unsichtbar gemacht werden, da sie nach ihrem Konstruktionsprinzip von der Absorption von Lichtenergie abhingen. Sie mußten sichtbar bleiben, aber sie konnten auch den Gegner zu Sichtbarkeit zwingen. Um dennoch die Ortung der Schiffe im Raum zu erschweren, wurden nur Pilotenkanzeln, Beobachtungsposten und Waffenstationen mit Sichtfenstern ausgestattet. Aus allen übrigen Teilen des Schiffs konnte kein Licht in den Raum abstrahlen. Um die Reflektion des Sternenlichts
auf ein Minimum zu reduzieren, wurden alle Schiffe mit einem mattschwarzen Überzug versehen, der 99 Prozent des einfallenden Lichts absorbieren konnte. Schwierigkeiten ergaben sich bei der Ausbildung an den Strahlenprojektoren. Die Regierung hatte verschiedene Artillerieschießplätze in abgelegenen und gebirgigen Gegenden für diese Übungen zur Verfügung gestellt, doch stellte sich bald heraus, daß Übungsschießen mit dieser Waffe auf der Erde nicht möglich waren. Die Strahlen zerstörten sehr schnell die aufgebauten Ziele und begannen anschließend mit der Zerstörung der Berge und Hügel. Das Problem wurde gelöst, indem man die Mondoberfläche zum Schießplatz auserkor und Übungsschießen auf bewegliche Ziele im Asteroidengürtel jenseits des Mars veranstaltete. Die Schiffe wurden in Dienst gestellt, sowie sie die Fabrikhallen verließen und die Besatzungen zusammengestellt werden konnten. Erste Einheiten wurden bereits in die Sektion des Sonnensystems entsandt, in dem die Nigrer zuerst erschienen waren. Arcot hatte mit anderen Wissenschaftlern und Astronomen an einer Konferenz auf der Venus teilgenommen, die der Auswertung der bei den Untersuchungen der abgestürzten feindlichen Schiffe gewonnenen Ergebnisse dienen und Antworten für die politische und militärische Führung finden sollte. Jeder der Wissenschaftler hatte seine Überlegungen und Vorschläge vorgetragen. Arcots Theorie der toten Sonne hatte keine sehr günstige Aufnahme gefunden. Wie er später Wade und Morey erzählte, gab es gute Gründe für die Einwände der Astronomen und Physikerkollegen. Obwohl man bereit war
zuzugeben, daß die Invasoren aus weiter Ferne gekommen sein mußten, und obwohl man übereinstimmte, daß sie in einer Wasserstoffatmosphäre lebten und, nach ihrer blassen Haut zu urteilen, nicht an die Strahlen einer Sonne gewöhnt waren, hielten sie an der Theorie fest, daß die Fremden Bewohner eines der äußeren Planeten des Sonnensystems sein müßten. »Ihr werdet euch erinnern«, erklärte Arcot, »daß in den vergangenen zweihundert Jahren immer wieder Spekulationen aufkamen, die die Existenz eines Planeten jenseits von Pluto zum Gegenstand hatten. Es ist bekannt, daß die Umlaufbahnen von Neptun und Pluto seit jeher gewisse Unregelmäßigkeiten aufweisen, die nicht von den inneren Planeten verursacht sein können, während ein äußerer Planet die notwendige Masse und Umlaufbahn haben könnte, die solche Unregelmäßigkeiten erklären würden. Dieser Angriff aus dem Weltraum wurde sofort als Beweis dieser Theorie angesehen und fand rasch die Unterstützung der Mehrheit aller versammelten Wissenschaftler. Mein Argument, daß diese Schiffe nicht in einem Jahrzehnt oder einem Jahrhundert entwickelt worden sind und daß die chemische Konstitution der Fremden so verschieden ist, konnte sie nicht für meine Hypothese erwärmen. Sie antworteten mit einem Argument, das von den Konferenzteilnehmern als gut genug betrachtet wurde, um meines zu entwerten. Ihr kennt natürlich die verschiedenen Theorien der Entstehung des Sonnensystems mit seinen Planeten, nicht wahr? Eine davon besagt, daß die Planeten Ergebnisse der Gezeitenwirkung von zwei einander passierenden Sonnen sind.
Man muß sich zwei gewaltige Sonnen vorstellen, die auf ihren Bahnen durch den Raum ziehen und sich allmählich annähern, bis sie schließlich bis auf einige Milliarden Kilometer aneinander herankommen. Die Schwerefelder ihrer gewaltigen Massen verbinden sich wie mit einer mächtigen Kette von Anziehungskraft. Die Sterne beginnen einander aus der Bahn zu drängen, und jeder versucht, seine Bahn um das Zentrum des galaktischen Systems weiterzuverfolgen. Aber in dem Maße, wie sie sich unter der Wirkung der Anziehungskraft annähern, werden die Bande zwischen ihnen stärker und stärker, und die ungeheure Zugwirkung des einen Feuerballs auf den anderen führt zu unvorstellbaren Gezeitenwirkungen. Riesige Gasfahnen schießen hinaus, und während ein Stern den anderen umkreist, wird dieser Gezeiteneffekt zunehmend stärker. Die riesigen Feuerkugeln, die in ihrer bisherigen Existenz praktisch keine Rotation um die eigene Achse kannten, beginnen nun unter dem Zug der Gezeitenwirkung zu rotieren. Ein sich selbst beschleunigender Prozeß beginnt, denn die Rotation erzeugt eine Zentrifugalkraft, die wiederum den Gezeiteneffekt verstärkt. Die gasförmige glühende Masse beginnt weiter und weiter in den Raum hinauszureichen und wird zu einem langen, rotierenden Schwanz aus flammendem Licht, der sich schließlich mit seinem Gegenstück vom anderen Stern vereinigt, die beide wie Stalaktiten und Stalagmiten zusammenwachsen. Über viele Millionen Kilometer hinweg verbindet ein Band aus glühender Materie die beiden Sonnen, die von den noch weit stärkeren Ketten der gegenseitigen Anziehung festgehalten werden.
Aber die ursprüngliche Eigengeschwindigkeit der beiden Sonnen behält schließlich die Oberhand, und sie beginnen sich wieder voneinander zu entfernen, und die glühende Säule wird gedehnt und zunehmend dünner. Schließlich trennen die Sterne sich voneinander, doch das Gas der nun zerrissenen Säule hat sich zu weit von der Sonne entfernt, als daß sie es wieder in sich einsaugen könnte. Wie eine ungeheure Zigarre reicht es in den Raum hinaus und verharrt in diesem Zustand, denn seine Rotationsgeschwindigkeit um die Sonne ist mittlerweile groß genug, daß es sich in einer Umlaufbahn stabilisieren kann. Die gewaltigen losgerissenen Gasmassen kühlen allmählich ab, sind zu kalt, um Materie in Energie zu verwandeln, weil sie der Sonnenatmosphäre entstammten. Sie kondensieren zu Körpern, die Planeten bilden sich. Der Prozeß erklärt auch, warum Jupiter und Saturn bei weitem größer sind als die anderen Planeten, weil die Gasmassen, aus denen sie sich bildeten, ein zigarrenförmiges Gebilde darstellen, deshalb ist die Erde größer als die Venus und diese wiederum größer als der Merkur, Uranus und Neptun kleiner als der Saturn und Pluto kleiner als diese. Mars dagegen tanzt aus der Reihe. Vielleicht verlor er einen Teil seiner Masse noch in gasförmigem Zustand, weil er der Sonne zu nahe kam. Und aus denselben Gründen wird es den fehlenden Planeten zwischen Mars und Jupiter zerrissen haben, wodurch sich der Asteroidengürtel bildete. Der andere Stern wanderte weiter, doch er hinterließ seine Spuren, denn heute sind Planeten, wo vorher keine existierten. Aber auch er muß jetzt Planeten haben. Alles dies geschah vor vielleicht zwei oder drei Milliarden Jahren. Aber daß es geschehen konnte,
erforderte, daß zwei Sterne einander innerhalb der relativ geringen Distanz von einigen wenigen Milliarden Kilometern passierten. Der Raum ist arm an Materie, wie ihr wißt. Man kann die Sternhäufigkeit im Raum etwa mit zwanzig Tennisbällen vergleichen, die in einer Hohlkugel von zwölftausend Kilometer Durchmesser umherziehen, die die Erde einnimmt. Wie groß ist da die Wahrscheinlichkeit, daß zwei von diesen Tennisbällen einander bis auf einige Meter nahe kommen? Sie ist minimal. Betrachten wir nun eine andere Möglichkeit. Die tote Sonne hat Planeten. Das bedeutet, daß auch sie in der beschriebenen Art und Weise einen anderen Stern passiert haben muß. Nun kommt er schon wieder einer Sonne in die Quere, die überdies ein ähnliches Schicksal hinter sich hat. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens ist unvorstellbar gering. Die Chance, daß eine solche Verkettung von Zufällen stattfindet, beträgt vielleicht eins zu einigen Milliarden. Also nannte man meine Theorie unmöglich. Ich weiß nicht, ob sie es ist. Dabei fiel mir ein Argument für die andere Seite ein, das sie vorzubringen vergaßen. Ich bin überrascht, daß sie es nicht vortrugen, denn es würde zeigen, daß die fremdartige biochemische Konstitution dieser Spezies nicht gegen ihre Entwicklung auf einem Planeten unseres Sonnensystems sprechen würde. Theoretisch wäre es nämlich möglich, daß sie auf einem Planeten leben, der um die Sonne kreist, nichtsdestoweniger aber ein Kind eines anderen Sterns ist. Ich kann mir vorstellen, daß die chemische Beschaffenheit des Planeten Pluto sich von derjenigen unserer anderen
Planeten unterscheidet. Warum sollte beim Zerreißen der Gasbrücke zwischen den beiden Sonnen nicht Materie vom anderen Stern im Anziehungsbereich der Sonne verblieben sein? Das wäre eine mögliche Erklärung für diese fremden Wesen. Meine anderen Überlegungen wurden dagegen akzeptiert.« Arcot paffte eine Weile nachdenklich seine Pfeife, dann stand er auf und reckte sich. »Ach – ich wünschte, sie würden mich zum aktiven Dienst bei der Flotte zulassen! Ein wissenschaftlicher Ruf kann manchmal ein schwerer Klotz am Bein sein.« Als er seinen Wunsch vorgetragen hatte, war er sehr entschieden zurückgewiesen worden. Die Regierung hatte ihm mitteilen lassen, daß er als Wissenschaftler zu wichtig sei, um an kriegerischen Auseinandersetzungen teilzunehmen. Die Raumfahrtindustrie auf Erde und Venus lief auf Hochtouren. Für die Dauer des Notstands war die zivile Produktion mit Ausnahme der lebensnotwendigen Güter zurückgestellt worden, und Raumschiffe verschiedener Typen verließen in ständig wachsender Zahl die Werkhallen. Jedes Schiff benötigte nur eine geringe Menge des Lichtmaterials, denn sein Energiegehalt war enorm. Schon war eine Flotte von Trägerschiffen und Kampfmaschinen draußen im Raum stationiert, und auf den Heimatplaneten verging kein Tag ohne neue Indienststellungen. Nun, da die Serienproduktion endlich angelaufen war, verließen so viele Schiffe die Montagehallen, daß die Ausbildung von Besatzungen zum vordringlichen Problem wurde. Frühzeitig war entschieden worden, daß neben den verschiedenen Typen von Kampfschiffen noch andere,
größere Schiffe benötigt wurden. Diese Riesen, vergleichbar den großen Kreuzern der Nigrer, denen sie nachgebaut waren, wurden auf der Venus hergestellt. Eins davon sollte als fliegendes Armeehauptquartier dienen, während die anderen für Nachschubtransporte benötigt wurden. Während der langen Wartezeit hatten die Raumstreitkräfte reichlich Gelegenheit, Erfahrungen in Navigation und Taktik zu sammeln. Der Bereich des Sonnensystems war in ein dreidimensionales Koordinatensystem unterteilt worden, und jedes Schiff besaß ein kleines Modell davon als Navigationshilfe und Sternkarte. Jedes dieser Modelle zeigte die Planeten in ihren derzeitigen Positionen zur Sonne, und der Raum zwischen ihnen war in eine Serie von cartesianischen Koordinaten aufgeteilt, wobei die Sonne den Ausgangspunkt darstellte und die Ebene der Ekliptik die XY-Ebene war. Die OX-Linie zeigte zu einem der hellsten Fixsterne, die über der Ebene der Ekliptik standen. So war das gesamte Sonnensystem in ein Schema von dreidimensionaler Länge und Breite eingeteilt. Dies war die Voraussetzung für zielsichere taktische und strategische Flottenbewegungen und überdies eine Notwendigkeit, um den Punkt des ersten Angriffs sicher zu bestimmen. Nur vorgeschobene Aufklärungsschiffe operierten außerhalb des so kartografierten Raums. Die Spannung wurde größer und größer, während die Bevölkerung zweier Welten von Tag zu Tag auf das Alarmsignal der weit vorgeschobenen Aufklärer wartete. Jeder dieser Aufklärer war mit empfindlichen Geräten
ausgerüstet, die jeden fremden Körper von relevanter Größe über hunderttausend Kilometer Entfernung orten konnten. Die kleine Insel des Sonnensystems war vorbereitet, Piraten aus dem weiten Ozean des Weltraums zurückzuschlagen.
5 Taj Lamor überblickte die Ebene vor der Stadt, wo die Flotte startbereit wartete, lange Reihen von schimmernden Raumkreuzern, die bald hinausziehen sollten, ein Sonnensystem zu erobern, eine neue Sonne, die ihnen für künftige Zeitalter Licht und Wärme spenden sollte. Für einen Moment wurde sein Blick von der sich entfernenden Gestalt des alten Tordos Gar angezogen; einer Gestalt mit gebeugten Schultern und geneigtem Kopf. Seine Abschiedsworte klangen noch in Taj Lamors Ohren nach: »Denk daran, was ich dir sage, Taj Lamor. Wenn du diesen schrecklichen Krieg gewinnst, wirst du verlieren. Nur wenn du ihn verlierst, wirst du gewinnen.« Stirnrunzelnd starrte Taj Lamor auf die mächtigen Metallrümpfe hinab, die im Licht ferner Sterne und der künstlichen Beleuchtung schimmerten. Aus der Ferne hörte er die hämmernden und summenden Geräusche von Maschinen, die letzte Wartungsarbeiten verrichteten. Er hob die Augen zum Horizont, wo ein heller gelber Stern aus dem schwarzen Samt des Raums strahlte. Er dachte an den Planeten, dessen Himmel blau gewesen war – mit einer Atmosphäre von solcher Dichte, daß sie den
Himmel färbte! Nachdenklich blickte er hinaus zu dem flammenden gelben Punkt. Er hatte viel zu überlegen. Sie hatten eine neue Rasse angetroffen, Barbaren in mancher Hinsicht, doch sie hatten die Lektionen, die sie gelernt hatten, nicht vergessen; sie waren nicht dekadent. Zwischen seinem uralten Volk und seiner neuen Heimat standen diese seltsamen Wesen, eine so junge Spezies, daß man ihr Alter in Jahrtausenden zählen konnte, doch insgesamt eine starke, intelligente Lebensform. Und für ein Volk, das seit langen Zeitaltern keinen Krieg gekannt hatte, war es schwierig, andere intelligente Lebewesen einfach zu töten, um selbst zu überleben. Es gab keine Notwendigkeit, umzuziehen, hatten Tordos Gar und viele andere argumentiert; sie könnten für immer bleiben, wo sie waren, und niemals würde irgendeine Notwendigkeit entstehen, den Planeten zu verlassen. Dies war die Stimme der Dekadenz, sagte sich Taj Lamor; und er hatte diese Stimme hassen gelernt. Es gab andere Männer, Männer, die zu diesem fremden Sonnensystem geflogen waren, Männer, die diese ungeheuren Ozeane glitzernden Wassers gesehen hatten, dessen unruhige Oberfläche das helle Licht einer großen, heißen Sonne vieltausendfach widerspiegelte. Sie hatten gewaltige Gebirgsmassive gesehen, die hoch in den blauen Himmel einer natürlichen Atmosphäre ragten, die mächtigen Flanken mit grüner Vegetation bekleidet, einem Überfluß natürlicher Pflanzen. Und was am besten von allem war, sie hatten gekämpft und den Kitzel der Tat erlebt, etwas, das kein Angehöriger
ihrer Rasse seit Urzeiten erlebt hatte. Sie hatten das Abenteuer kennengelernt, und sie hatten Dinge gesehen, von deren Vorhandensein niemand je etwas geahnt hatte. Sie hatten die Bedeutung von Fortschritt und Veränderung gelernt. Sie hatten eine neue Glut, eine neue Kraft, die sie vorantrieb, und jene, die sie zuerst hatten zurückhalten wollen, waren selbst mitgerissen worden. Die Begeisterung war ansteckend, und der Geist der Dekadenz versagte rasch vor diesem neuen Drang. Hier war ihre letzte Chance, und sie mußten sie wahrnehmen; sie würden sie wahrnehmen! In diesem Kampf auf der fremden Welt hatten sie viele Männer verloren, aber ihre Intelligenz war anpassungsfähig. Die kleinen Maschinen waren sehr schwierig zu treffende Ziele gewesen, während ihre großen Schiffe sich als zu verwundbar erwiesen hatten. Sie brauchten kleine Schiffe, mußten aber auch große Schiffe für Versorgungsgüter und die Maschinen des Hochgeschwindigkeitsantriebs haben. Die kleinen Schiffe waren nicht imstande, auf die benötigten ungeheuren Geschwindigkeiten zu beschleunigen. Sobald die gewünschte Geschwindigkeit erreicht war, konnte man sie leicht erhalten, denn die unendlich geringe Reibung des Weltraums war der einzige Bremsfaktor; drei oder vier Atome pro Kubikdezimeter waren alles, was ihnen entgegenstand. Es konnte sie nicht aufhalten oder verlangsamen, aber die Energieanlagen, die benötigt wurden, um bis zu der gewünschten Geschwindigkeit zu beschleunigen, konnten in kleinen Schiffen nicht untergebracht werden. Also war man auf die Lösung verfallen, die kleinen Schiffe in langen, schimmernden Reihen in den Laderäumen der großen Schiffe zu
verstauen. Winzig waren sie, aber sie konnten so schnell und wendig manövrieren wie die kleinen Maschinen, die sie auf jener Welt bekämpft hatten. Diese kleinen Schiffe würden jenen wild herumkurvenden Maschinen der gelben Sonne ebenbürtig sein. Und sie hatten auch neue Waffen entdeckt. Eine der mächtigsten war ein sehr alter Apparat, etwas, das seit undenklicher Zeit in Vergessenheit geraten war. Ein Modell davon existierte in irgendeinem Museum, und mit ihm uralte Bände, die alles über seine Prinzipien und seine Wirkungsweise sagten. Sie geboten jetzt über die Waffe der Unsichtbarkeit. Es war eine uralte Waffe, aber sie mochte außerordentlich wirksam und nützlich sein. Aber das war noch nicht alles. Sie hatten etwas Neues entwickelt! Sie hatten nichts in alten Büchern darüber erfahren, es war ihre Erfindung! Möglicherweise gab es ähnliches in den Museen, aber sie hatten die Idee selbst gehabt und entwickelt. Es war ein Strahl aus elektrisch erzeugten oszillierenden Wellen, der mit enormer Energie projiziert werden konnte. Dieser Strahl war imstande, binnen Sekunden ein Schiff einzuschmelzen! Und nun war die riesige Flotte bereit, beinahe ein halbes Tausend der Giganten des Weltraums! Und in jedem dieser mächtigen Kriegsschiffe ruhten mehr als hundert winzige Einmannmaschinen. Es war ein Anblick, der jedes Herz höher schlagen lassen mußte. Taj Lamor sah zu, wie die letzten Wartungstrupps mit ihren Maschinen das Feld verließen. Sie waren fertig. Die Besatzungen waren schon seit Stunden an Bord und warteten auf das Startsignal, erfüllt von einer Begeisterung, die es nie zuvor gegeben hatte. Sie
konnten es nicht erwarten, die lange Reise anzutreten und das gelobte Land, jenes System mit seinen fabelhaften und wunderbaren Welten, zu erblicken. Taj Lamor bestieg seine kleine Maschine und schwebte hinüber zu den langen Reihen der Kreuzer. In der Schleusenkammer verließ er sie und ging hinüber zu der Transportkabine, die ihn zum Bugraum des Kreuzers bringen sollte. Hinter ihm wurde die Maschine von den gepolsterten Greifern einer automatischen Förderanlage erfaßt und in den Laderaum befördert, wo ähnliche Maschinen in mehreren Reihen übereinander verstaut waren. Kurze Zeit später sahen diejenigen, die auf dem dunklen Planeten zurückblieben, die ersten der Schiffe langsam abheben und zum Himmel aufsteigen. Dann war die Flotte in der Luft und steuerte die große Luftschleuse auf der anderen Hälfte des Planeten an, die sie in den Weltraum hinauslassen würde. Einzeln passierten sie diese Schleuse; dann formierten sie sich und begannen den langen Flug durch die Leere des Raums. Wie durch Zauberei erschien zur Linken eine ähnliche Formation großer Schiffe, und bald danach auch zur Rechten und über ihnen, als die Schiffe der anderen Planeten in Sicht kamen. Rasch schlossen sich alle zu einer riesigen Kegelformation zusammen, das Flaggschiff an der Spitze. Endlos, so schien es, jagten sie durch die Dunkelheit dahin. Dann, als der gelbe Stern heller und heller vor ihnen flammte, verlangsamten sie ihre Geschwindigkeit und entließen einen Teil der kleinen Maschinen in den Raum. Wie ein Insektenschwarm, der eine Formation riesiger
Vögel umkreist, umgaben die kleinen Kampfmaschinen die großen Kreuzer mit einem schützenden Ring. Und so näherten sie sich dem Zielgebiet, eine mächtige, kegelförmig formierte Flotte mit einem langsam kreisenden Gürtel von kleinen Schiffen. Es war eine Flotte, wie das Sonnensystem nie eine gesehen hatte. Ein gutes Stück jenseits der Plutobahn machten die ersten Aufklärer die herannahende Invasionsflotte aus. Die Spannung, die Erde und Venus und die Flotte der Verteidiger so lange im Bann gehalten hatte, löste sich plötzlich; und wie ein riesiger Felsblock, der im labilen Gleichgewicht auf einem Bergvorsprung ruht, den letzten Anstoß erhält, der ihn mit zerstörerischer Gewalt zu Tal donnern läßt, setzte die Kriegsflotte von Erde und Venus sich in Bewegung. Es war nur ein einzelner Fernaufklärer, ein Schiff mit zehnköpfiger Besatzung, der die erste Nachricht vom Eintreffen des Gegners übermittelt. Dennoch erbat und erhielt der Kapitän die Erlaubnis des Hauptquartiers, den Feind anzugreifen. Einige Taktiker hatten die gesamte Flotte in Position bringen wollen, um dann einen kraftvollen Überraschungsangriff zu führen; doch andere fürchteten, daß dies ein Spiel mit zu vielen Unbekannten sei. Wichtiger, so entschieden sie, sei die Gelegenheit, zu erfahren, ob die Invasoren über neuartige Waffen verfügten. Die Nigrer waren unvorbereitet, denn hier draußen, noch jenseits der Grenzen des Sonnensystems, hatten sie keinen Angriff erwartet und ihre Unsichtbarkeitsvorrichtungen nicht eingeschaltet. Überdies hatten sie es versäumt, die Radaranlagen hinreichend zu überwachen, und so war es
dem Aufklärer möglich, ungesehen auf sichere Schußweite heranzukommen. So kam es, daß die Nigrer erst bemerkten, daß sie angegriffen wurden, als eines der Schiffe an der Spitze detonierte und in einer gewaltigen Glutwolke verschwand. Bevor die übrigen begriffen, was geschah, erfaßten die zerstörerischen Strahlen des Molekulargleichrichters ein zweites Schiff und bereiteten ihm das gleiche Schicksal. Nun hatten die begleitenden Kampfmaschinen die Situation erkannt und auch den Ausgangspunkt der vernichtenden Strahlen geortet. Während die großen Schiffe der Flotte ihre Formation auflockerten und sich zu einer Art Fächer umgruppierten, stürzten die kleinen Kampfschiffe sich auf den Gegner. Sekunden später starb die tapfere Besatzung des Aufklärers in einer grellen Lichtexplosion. Ein sich ausdehnender Ring aus leuchtendem Gas markierte die Stelle ihres Untergangs. Die angreifende Flotte kam nun in den Bereich der Vorpostenkette, deren Schiffe sofort den Kampf aufnahmen, während die Hauptmasse der Flotte nachgezogen wurde. Zwei kleinen Vorpostenschiffen gelang es gemeinsam, einen angreifenden Kreuzer durch plötzliche Veränderung der Molekularbewegung seiner Materie augenblicklich zum Stillstand zu bringen. Es gab eine weitere Explosion, und die sich plötzlich anhäufende Masse der Wrackteile glühte von der Aufprallenergie blutigrot auf. Im nächsten Augenblick schoß ein nachfolgendes Schiff, unfähig, dem Wrack auszuweichen, in die glühenden Trümmer und explodierte. Eine enorme Wolke leuchtenden Gases verbreitete sich rasch über einen Raum von fünfhundert oder mehr Kilometern, blendete die
Besatzungen der anderen Schiffe und störte die Radaranlagen. Aber nun hatten die Invasoren sich gefangen, und als die beiden Flotten Fühlung bekamen, entwickelte sich der Kampf zu einem lautlosen, geisterhaften Gefecht nahezu unsichtbarer Gegner. Während die Angreifer sich nur hin und wieder schemenhaft aus der Unsichtbarkeit materialisierten, wenn sie von Störsendern erfaßt wurden, sorgte die mattschwarze Färbung der Verteidiger dafür, daß sie in der dunklen Weite des Raums ungesehen blieben. Es war ein Kampf, der an Radarschirmen und Ortungsgeräten geführt wurde, an elektronisch gesteuerten Zielgeräten und Navigationsrechnern. Eine Stunde nach Beginn der ersten Kampfhandlungen hatte das Geschehen bereits einen Raum von sechzehntausend Kilometern Durchmesser erfaßt. Schon trieben mehr als dreißig Kreuzer der Nigrer als ausgeglühte Trümmerhaufen im Raum, aber auch viele Verteidiger ereilte das gleiche Schicksal. Die Hitzestrahlen der Nigrer waren außerordentlich wirkungsvoll, nur kam ihre Reichweite nicht an diejenige der Molekularstrahlen heran, und sie waren von den Unsichtbarkeitsdetektoren leicht auszumachen, was in vielen Fällen die sichere Zerstörung bedeutete, weil die elektronisch gesteuerten Molekularstrahlen innerhalb von Sekunden auf ein neues Ziel ausgerichtet werden konnten. Die Hauptstreitmacht der Verteidiger war bereits auf dem Weg, den Feind abzufangen, bevor er in den inneren Bereich des Sonnensystems vorstoßen konnte, und jeder Moment ließ diesen entscheidenden Zusammenstoß näherrücken, denn die Flotte der Nigrer bewegte sich für interplanetarische Verhältnisse noch immer mit sehr hoher
Geschwindigkeit. Bisher war der ganze Kampf ein Rückzugsgefecht zwischen den zwei Streitkräften gewesen. Die Vorposten der Verteidiger hatten wegen ihrer geringen Größe und weiten Verteilung über den Raum bei dem Treffen die größeren Erfolge erzielt, doch nun, da die kleinen Maschinen sie von allen Seiten angriffen, begann das Blatt sich zu wenden. Es würde noch Stunden dauern, bis die Hauptmacht der Flotte eingreifen konnte. Die dünne erste Linie, die sich aus Vorpostenschiffen und Aufklärern formiert hatte, konnte sich vor der Übermacht nicht zurückziehen und die Ankunft von Verstärkungen abwarten, denn sie mußte die Invasionsflotte so lange wie möglich hinhalten, um für die Hauptstreitmacht Zeit zu gewinnen. Es war eine Taktik, die auf die Opferung der Vorhut hinauslief und Fehler einer Gesamtstrategie offenbarte, die die Hauptmacht zu weit zurückgehalten hatte. Schließlich, als die erste Kampflinie längst zerfetzt war und die wenigen übriggebliebenen Schiffe ihr Heil in der Flucht gesucht hatten, näherte sich die Hauptmasse der Flotte, eine kaum sichtbare Wolke von schwarzen Schemen. Bisher war alles nur ein Vorgefecht gewesen. Nun verlangsamten die Riesenkreuzer der Nigrer und entließen den Rest ihrer Kampfmaschinen, die einen schützenden Schirm bilden sollten. Zugleich bliesen beide Flotten große Wolken von Metallspänen und Folienstreifen in den Raum, um die gegnerischen Radaranlagen unwirksam zu machen. Die Folge war, daß sich beider Flotten eine allgemeine Unsicherheit bemächtigte, die aus den zunehmenden Schwierigkeiten erwuchs, den Gegner zu orten. Durch ihre
optische Unsichtbarkeit waren die Nigrer theoretisch im Vorteil, doch die Verteidiger waren in einer Position, daß der Feind nur ihre ›Nachtseite‹ sehen konnte und überdies vom grellen Sonnenlicht geblendet wurde. Vereinzelt kam es zu Kollisionen, und für einige Zeit schienen Übersicht und taktischer Zusammenhalt der Verbände nicht mehr zu existieren. Beide Seiten erlitten schwere Verluste, als die Fronten sich vorübergehend ineinander verzahnten und die Strahlen das Kampfgebiet mit einem tödlichen und dichten Netzwerk durchwebten. Die Schlacht entwickelte sich in einer Weise, die für alle unerwartet kam, und obgleich die Verluste der Invasoren höher waren als die der Verteidiger, blieb ihre zahlenmäßige Übermacht bestehen, und statt einer raschen Entscheidung schien nun ein langer und kostspieliger Krieg vor ihnen zu liegen. Schließlich suchte die Führung der Verteidiger Zuflucht bei einer List, die, wie man hoffte, bei diesen fremden Lebewesen wirken würde; aber die Generäle, die noch nie einen Krieg im Raum hatten planen und führen müssen, trauten ihren Gegnern jede Erfahrung in dieser Kunst zu. Gewiß, bisher hatten die Nigrer keine bewunderungswürdigen taktischen und strategischen Fähigkeiten gezeigt – hatten tatsächlich einige unentschuldbare Schnitzer gemacht –, aber eine klare Einschätzung war nicht möglich. Obwohl sie es nicht wußten, hatten die Verteidiger des Sonnensystems in diesem Fall den fragwürdigen Vorteil einer langen kriegerischen Tradition ganz auf ihrer Seite. Dies erwies sich jetzt als hilfreich. Die Nigrer gewannen rasch neue Zuversicht. Zu ihrer
Überraschung schmolzen die Streitkräfte der Verteidiger zusammen, und gleichgültig, wie verzweifelt der Rest kämpfte, er konnte der Übermacht der nigrischen Flotte nicht standhalten. Endlich schien sich zu zeigen, daß die kleinen Kampfmaschinen nicht nur ihre Pendants von der anderen Seite in Schach halten, sondern darüber hinaus die ganze Flotte der Verteidiger in Bedrängnis bringen konnten. Rasch formierten die großen Kreuzer sich zu einem riesigen Angriffskeil, und auf ein Signal hin schossen die kleinen Maschinen für ihn eine Bresche durch den riesigen, diskusförmigen Abwehrschild der Verteidiger. Dann jagte die Flotte nach rascher Beschleunigung mit nahezu fünfhundert Sekundenkilometern und einem überlappenden, auf 180° ausfächernden Strahlensperrfeuer durch den Abwehrschild. Sie brach durch und war auf dem Weg zu den ungeschützten Planeten des inneren Systems! Hinter ihnen schlossen die Schiffe der Verteidiger die Lücke und nahmen die Verfolgung auf. Achtzehn der fremden Kreuzer explodierten, getroffen von vernichtenden Strahlen, doch dann mußte die Verfolgung abgebrochen werden, denn die kleinen Kampfmaschinen der Invasionsflotte waren zur Rückendeckung zurückgeblieben und verwickelten die Schiffe in ein verlustreiches Gefecht, dem mehr als siebzig Schiffe der Verteidiger zum Opfer fielen. Unterdessen flogen die Invasionskreuzer mit zunehmender Geschwindigkeit auf die inneren Planeten zu, die immer noch ungefähr zwei Milliarden Kilometer entfernt waren. Sie wußten, daß ihre Kampfmaschinen eine Verfolgung verhinderten und ihnen den Rücken freihielten. Sie hatten ihren Schutzschirm zurückgelassen, doch dieser
Schutzschirm hielt den Feind beschäftigt, während sie unbehelligt das Ziel ansteuern konnten! Dann kam wie aus dem Nichts der Gegenangriff. Mehr als fünfhundert Schiffe von Erde und Venus schoben sich von den Seiten an die Invasionsstreitmacht heran, setzten sich hinter sie und überschüttete sie mit ihren vernichtenden Strahlen. Von hinten angegriffen, ohne den Schutzschirm ihrer wendigen Kampfmaschinen, fielen die nahezu hilflosen Giganten den Angreifern zum Opfer. Rascher als sie zählen konnten, verloren sie ihre Streitmacht. Die List hatte sich ausgezahlt. Die Flotte der Nigrer war blindlings in den Hinterhalt geflogen. Den Nigrern blieb nur noch eins übrig. Sie waren geschlagen. Sie mußten zu ihrer fernen toten Sonne zurückkehren. Ihre großartige Streitmacht war größtenteils zerstört und nicht mehr in der Lage, den Kampf mit einiger Aussicht auf Erfolg weiterzuführen. Nur die Verbände der Kampfmaschinen waren noch intakt, und diese konnten in den Laderäumen der noch verbliebenen großen Kreuzer nicht länger untergebracht werden. In riskanten Wendemanövern gingen die verbliebenen Schiffe auf Gegenkurs, erreichten den Schwarm ihrer Einmannmaschinen und flohen in dessen Mitte vor der Flotte ihrer Feinde. Diese gaben sich jedoch mit ihrem Erfolg noch nicht zufrieden. Ihre Schiffe formierten sich zu einem enormen Hohlzylinder, und als die Nigrer die Flucht antraten, schob der Zylinder sich vorwärts, bis er sie außer Reichweite ihrer Hitzestrahlen umgab. So jagten die Gegner gemeinsam der fernen erloschenen Sonne zu. Das rückwärtige Ende des Zylinders wurde von einer Gruppe
großer Schiffe geschlossen, die an der Weltraumschlacht nicht sichtbar teilgenommen hatten. Die Nigrer hatten aufgehört, ihre Strahlen einzusetzen, und die Sieger geleiteten sie feuerbereit, ohne sie zu behelligen, solange sie selbst unbehelligt blieben. Viele Tage dauerte dieser seltsame Flug, bis die große gelbe Sonne endlich zu einem ungewöhnlich hellen Stern in weiter Ferne geschrumpft war. Dann erhob sich plötzlich eine seltsame schwarze Welt schemenhaft aus der Dunkelheit, und die nigrischen Schiffe gingen auf ihr nieder. Die Verfolger ließen sie gewähren und unternahmen nichts, solange sie nicht bedroht wurden, aber acht Monate lang hingen ihre Schiffe über den vier verkapselten Welten von Nigra und hielten Wache. Dann endlich entsandten die Astronomen von Erde und Venus über Milliarden von Kilometern hinweg ihre Botschaft. Die Bewachungsflotte sollte nach Hause zurückkehren, denn die tote Sonne, die sie bewacht hatten, würde sich sehr bald zu weit vom Sonnensystem entfernt haben, um weitere Angriffe noch sinnvoll erscheinen zu lassen. Trotzdem würde die Flotte auch noch während der nächsten Jahre die äußeren Bereiche des Systems bewachen, nur um Gewißheit zu schaffen; aber es schien, als ob die Sonnen aneinander vorbeigezogen wären, um sich niemals wieder zu begegnen. Während des Vorbeigangs der toten Sonne war ein ebenso seltenes wie seltsames Ereignis eingetreten. Pluto umkreiste nicht länger die Sonne; der kleine, sonnenfernste Planet war von Nigra eingefangen worden! Die Flotte kehrte in ein verändertes Sonnensystem zurück. Die Sonne war zwar noch immer im Mittelpunkt dieses Systems, aber
sie hatte jetzt zehn Planeten, darunter zwei neue, die die Sonne im Austausch für Pluto von Nigra eingefangen hatte; und alle übrigen Planeten hatten ihre Umlaufbahnen ein wenig verlagert. Welche Langzeitwirkungen der Vorübergang des schwarzen Sterns für die Planeten haben wird, läßt sich noch nicht mit Gewißheit sagen. Die bisher erkennbaren Veränderungen sind gewiß nicht sehr groß, obgleich das Klima auf Erden ein wenig wärmer geworden ist, während man auf der Venus eine leichte Abkühlung registriert. Die langfristigen Veränderungen werden jedoch außerordentlich interessant sein. Schon für die nächste Zeit erwarten Wissenschaftler vom Abschmelzen der polaren Eiskappen ein Ansteigen der Weltmeere um dreißig bis vierzig Meter. Sicher werden dadurch die Küsten ihre Gestalt verändern und Großstädte und Tiefländer vom Meer überflutet, während im hohen Norden und in der Antarktis weite jungfräuliche Landstriche bewohnbar werden dürften. Das Sonnensystem hat ein Erlebnis hinter sich gebracht, das in der ganzen Geschichte des mächtigen Spiralnebels, von dem unsere Sonne nur einen winzigen, bedeutungslosen Teil darstellt, vermutlich einzigartig ist. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein von einem Planetensystem begleiteter Stern einem anderen, ebenfalls von Planeten umgebenen Stern auf weniger als hundert Milliarden Kilometer nahe kommt, beträgt vielleicht eins zu vielen Milliarden. Daß beide Systeme aber von intelligenten Lebensformen bewohnt waren... Es ist leicht zu verstehen, warum die Wissenschaftler Arcots Theorie über einen Angriff von einem anderen Sonnensystem nicht glauben konnten, bis sie diese anderen
Welten selbst gesehen hatten. In diesem Krieg zwischen zwei Sonnensystemen hat die Menschheit viel gelernt und viel verloren. Doch gewann sie nach aller Wahrscheinlichkeit mehr als sie verlor, denn diese zwei neuen uralten Planeten werden von ungeheurer Bedeutung für sie und ihre weitere Geschichte sein. Schon arbeiten Wissenschaftler in den verfallenen alten Museen, Werkstätten und Laboratorien, die auf diesen Planeten gefunden wurden, und jeder Tag bringt neue Entdeckungen. Viele Menschenleben gingen verloren, aber die Erde blieb der Menschheit erhalten, und sie lernte viele unschätzbar wertvolle Geheimnisse von den Invasoren. Und sie hat erst an der Oberfläche einer Wissenschaft herumgekratzt, die vielleicht Dutzende von Millionen Jahre alt ist!
Epilog Taj Lamor blickte durch die Schwärze des Raums hinaus zu einem allmählich verblassenden Punkt gelben Lichts. Weit in der Ferne glühte er, und mit jeder Sekunde entfernte er sich viele weitere Kilometer von ihm. Sie hatten ihren Kampf um das Leben und eine neue Sonne verloren, hatte er gedacht, als er besiegt von jener fernen Sonne zurückgekehrt war. Aber diese Zeit hatte auch neue Hoffnung gebracht. Sie hatten in diesem Kampf viele Männer verloren, und ihre dahinschmelzenden Vorräte an wichtigen Bodenschätzen waren durch das Flottenbauprogramm schwer zur Ader gelassen worden; aber nun bestand Hoffnung, denn unter den Nigrern war ein neuer Geist geboren. Sie hatten gekämpft und verloren, aber sie hatten einen Abenteuergeist gewonnen, der seit Jahrmillionen ausgestorben schien. Er wußte, daß in der düsteren Masse der Stadt zu seinen Füßen viele Werkstätten und Laboratorien im vollen Schwung aktiver Arbeit waren. Das Wissen und seine Anwendung wurden entdeckt und wiederentdeckt. Für alte Dinge wurden neue Verwendungsmöglichkeiten gefunden, und ihr tägliches Leben veränderte sich. Sie waren eine wiedererwachte Rasse, vom Wandel verjüngt! Als die Riesenkugel gelben Feuers, die diese fremde Sonne war, hinter ihren flüchtenden Schiffen zu einem Stern unter vielen geschrumpft war, hatte er geglaubt, ihre letzte Chance sei vertan. Doch mit der Geburt neuer Ideen und neuer Methoden war die Hoffnung von neuem
erwacht. Tordos Gar hatte recht gehabt. Sie hatten verloren – aber im Verlieren hatten sie gewonnen! Taj Lamor richtete seinen Blick auf einen hell funkelnden Lichtpunkt im schwarzen Firmament, wo ein gewaltiger Stern mit einer Leuchtkraft und Intensität brannte, die trotz der weiteren Entfernung die ferne gelbe Sonne blaß und trübe erscheinen ließ. Das bläulich-weiße Licht berichtete von einem Riesenstern, einem viel größeren, heißeren und helleren Stern als demjenigen, den sie gerade verlassen hatten. Er war zum hellsten Stern in ihrem Himmel geworden. Auf ihren uralten Sternkarten war er als ein großer O-Stern aufgeführt und trug den Namen Tongsil 239-e, was bedeutete, daß er ein Stern fünfter Größe und sehr weit entfernt gewesen war. Aber in den Jahrmillionen, die seither vergangen waren, war er zu einer auffallenden Erscheinung am Himmel geworden. Wie sollten sie ihn erreichen? Er war achteinhalb Lichtjahre entfernt! Ihre Suche nach der Kraft, die eine Welt aus ihrer Umlaufbahn schwingen konnte, war endlich erfolgreich gewesen. Das Wissen war zu spät gekommen, um ihnen bei ihrem Kampf um die gelbe Sonne zu nützen, aber es mochte dennoch nicht vergebens sein. Es mochte sogar möglich sein, ihre Planeten aus ihren Umlaufbahnen zu reißen und sie als freie Körper durch den leeren Raum treiben zu lassen, der sie von dem Riesenstern trennte. Die Reise würde Jahrtausende dauern – aber Jahrzehntausende waren bereits vergangen, seit ihr Stern erloschen war. Welchen Unterschied machte es, ob sie von einer toten Sonne begleitet wurden oder nicht?
Gewiß, der Stern, der jetzt ihr Ziel war, war ein Doppelstern; ihre Planeten würden keine ungestörten Umlaufbahnen finden, aber dem ließe sich möglicherweise abhelfen – sie könnten den kleineren Begleiter des Riesensterns losreißen und in den Raum hinausschleudern und die verbleibende Sonne so für ihren Bedarf brauchbar machen. So oder so – sie würden dieser toten Sonne entkommen!