Hans-Jürgen Bieling Die Globalisierungs- und Weltordnungspolitik der Europäischen Union
Hans-Jürgen Bieling
Die Globa...
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Hans-Jürgen Bieling Die Globalisierungs- und Weltordnungspolitik der Europäischen Union
Hans-Jürgen Bieling
Die Globalisierungs- und Weltordnungspolitik der Europäischen Union
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. . 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Frank Schindler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17303-0
Inhalt 1
Einleitung: Konturen einer erweiterten Forschungsagenda
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Teil I Analyseraster und Interpretationsfolien 2
Analyse- und Interpretationsraster europäischer Globalisierungspolitik 2.1 Die EG/EU: Handlungsarena mit Akteurscharakter 2.2 Governance im europäischen und globalen Mehrebenensystem 2.3 Die Globalisierungspolitik der Europäischen Union: politökonomische Grundlagen und Prozesse der interaktiven Einbettung 2.3.1 Die interaktive Einbettung staatlicher Gestaltungsmöglichkeiten 2.3.2 Zum Verhältnis von Ökonomie, Staat und (Zivil-)Gesellschaft 2.3.3 Der Staats-Zivilgesellschafts-Komplex der Europäischen Union 2.3.4 Politökonomische und globale Kontextbedingungen europäischer Politik
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Teil II Die Europäischen Union als Arena und Akteur der Globalisierung 3
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Strukturdeterminanten und Entwicklungsphasen der europäischen Integration 3.1 Europäische Integration und Pax Americana 3.2 Globale Krisenprozesse, gesellschaftspolitische Konflikte und das Zeitalter der „Eurosklerose“ 3.3 Der neue Integrationsschub im Kontext weltökonomischer und weltpolitischer Umbrüche 3.4 Transformation des europäischen Regionalismus
57 58 68 73 81
Die Folgen des Integrationsschubs: politökonomische Dimensionen einer veränderten Funktionsweise europäischer Politik 4.1 Globalisierung und Europäisierung I: zur internen Reorganisation von Ökonomie, Politik und Gesellschaft 4.2 Globalisierung und Europäisierung II: zum externen Gestaltungspotential der Europäischen Union 4.3 Globalisierung und Europäisierung III: politökonomische Widersprüche und begrenzte Instrumente der EU
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Die Europäische Union in der Weltökonomie und Weltordnung 5.1 Internationale Handelsbeziehungen 5.1.1 Die interaktive Einbettung der europäischen Handelspolitik 5.1.2 Vom GATT zur WTO 5.1.3 Die Reorganisation der europäischen Handelspolitik 5.1.3.1 Die Ausweitung europäischer Liberalisierungskompetenzen 5.1.3.2 Foren und Netzwerke der transnationalen Liberalisierungslobby
108 108 110 113 122 123 126
85 86 95
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Inhalt 5.1.3.3 Die neue europäische Handelsstrategie 133 5.1.3.4 Widerstände und Konflikte im Liberalisierungsprozess 137 5.1.4 Das handelspolitische Gestaltungspotenzial der EU 142 5.2 Internationale Währungs- und Finanzbeziehungen 144 5.2.1 Die interaktive Einbettung der europäischen Währungs- und Finanzmarktpolitik 146 5.2.2 Vom Bretton Woods System zum Dollar-Wall Street Regime 149 5.2.3 Die Dynamik der europäischen Währungs- und Finanzmarktintegration 158 5.2.3.1 Politische Initiativen und Integrationsschritte 159 5.2.3.2 Europäische Institutionen, Netzwerke und Kooperationsstrukturen 164 5.2.3.3 Strategische Erwägungen und Verfahren der europäischen Währungsund Finanzmarktpolitik 170 5.2.3.4 Widersprüche, Krisen und Konflikte 174 5.2.4 Das währungs- und finanzmarktpolitische Gestaltungspotenzial der EU 178 5.3 Außen- und Sicherheitsbeziehungen 180 5.3.1 Die interaktive Einbettung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik 182 5.3.2 Vom Kalten Krieg zur neuen Welt(un)ordnung 188 5.3.3 Die Entwicklung der GASP und ESVP 193 5.3.3.1 Politische Initiativen und Institutionalisierungsprozesse 194 5.3.3.2 Das Netzwerk der Politisch-Militärisch-Industriellen Kooperation (NPMIK) und die Rolle der Zivilgesellschaft 200 5.3.3.3 Außen- und sicherheitspolitische Konzeptionen und Prioritäten 206 5.3.3.4 Grenzen und Widersprüche der GASP und ESVP 212 5.3.4 Geopolitische Erwägungen und zivil-militärische Interventionskapazitäten 216 Teil III Schlussfolgerungen und Perspektiven
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Die Europäische Union: vom Handelsblock zum Globalisierungsakteur mit imperialen Ambitionen? 6.1 Die EU – ein Imperium neuen Typs? 6.2 Geoökonomische und geopolitische Aspekte der europäischen Globalisierungsstrategie 6.3 Krisen und Konfliktfelder europäischer Globalisierungspolitik 6.3.1 Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft 6.3.2 Krisen und Konflikte im regionalen Umfeld 6.3.3 „Energiesicherheit“ 6.4 Grenzen und Widersprüche der europäischen Hegemonialstrategie
226 230 231 235 240 246
Literatur Abkürzungen
251 280
221 222
1 Einleitung: Konturen einer erweiterten Forschungsagenda
Der Europadiskurs hat sich seit Ende der 1990er Jahre erkennbar verlagert. Lange waren in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion vor allem die internen Dynamiken, d.h. die Ursachen, die politisch-institutionellen Organisationsformen und sozioökonomischen Effekte der europäischen Integration in den Blick genommen worden. Im Vordergrund standen die internen Interessenkonstellationen, Leitbilder, Instrumente und Kompromisse, die den Integrationsprozess maßgeblich geprägt haben. So ging es in den Römischen Verträgen von 1957 primär um die Institutionalisierung einer Zollunion, einer Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und einer Kooperation im Bereich der Atomenergiepolitik. Auch die Integrationsfortschritte der 1970er Jahre – so z.B. die Einrichtung der Forschungs- und Technologiepolitik (1974), ebenso der Regionalpolitik (1975), des Europäischen Rates (1975), des Europäischen Währungssystems (EWS, 1979) oder die ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament (EP, 1979) – verdeutlichen, dass sich die europäische Politik darauf konzentrierte, die internen Kooperationsformen und Entscheidungsverfahren zu verbessern. Durch den Integrationsschub der 1980er und 1990er Jahre änderte sich hieran zunächst nur wenig. So waren die wiederholten Vertragsrevisionen vornehmlich dadurch motiviert, die interne Operationsweise der Europäische Union durch transparentere und effektivere Entscheidungsverfahren zu stärken und durch eine umfassendere Partizipation nicht-staatlicher Akteure die Legitimationsbasis des EU-Systems auf eine breitere Grundlage zu stellen. Ob und in welchem Maße die propagierten Ziele realisiert wurden, ist eine strittige Frage. Einige Wissenschaftler verweisen auf die sukzessiven Fortschritte der Integration, d.h. die beständige Ausweitung europäischer Kompetenzen, vereinfachte Entscheidungsabläufe und größere Kontroll- und Partizipationsmöglichkeiten einer kritischen Öffentlichkeit (vgl. Trenz/Eder 2004). Andere kritisieren hingegen die noch immer bestehenden substanziellen Blockaden einer effektiven demokratischen Gestaltung und die Konstitutionalisierung einer neoliberal-monetaristischen Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik (vgl. Cafruny/Ryner 2007: 31ff). Diese Diskussionen verdeutlichen, dass sich die Frage nach den Triebkräften, Interessen und Motiven sowie politisch-institutionellen Organisationsformen der europäischen Integration keineswegs erübrigt hat. Gleichzeitig ist seit einiger Zeit aber auch ein Perspektivenwechsel, besser vielleicht: eine Perspektivenerweiterung in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion erkennbar. Politisch wird mit Verweis auf die Probleme der Krisen- und Kriegsvermeidung, der Friedenssicherung und der weltwirtschaftlichen Kooperation vermehrt über die Ziele, Instrumente und möglichen Vorteile eines intensivierten globalen Engagements der EU gestritten; und wissenschaftlich weist eine wachsende Zahl an Publikationen zu unterschiedlichen Teilaspekten der EU-Außen-
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1 Einleitung: Konturen einer erweiterten Forschungsagenda
beziehungen darauf hin, dass das intensivierte globale Engagement auch theoretisch und empirisch systematischer reflektiert wird.1 Um nicht missverstanden zu werden, die beobachtete Perspektivenerweiterung schließt keineswegs aus, dass bereits in der Vergangenheit die externen oder globalen Kontextbedingungen eine wichtige Rolle spielten. Im Gegenteil, ohne die Konstellation des Kalten Krieges und die Entwicklung der transatlantischen Beziehungen lässt sich der Prozess der europäischen Integration nur schwerlich verstehen (vgl. van der Pijl 1984; Winand 1993; Hoffmann 1995; Neuss 2000; Lundestad 2005). Neu ist jedoch, und dies begründet eigentlich erst die Rede von der Perspektivenerweiterung, dass nicht nur die EU-Außenbeziehungen verstärkt thematisiert und untersucht werden, sondern dass zugleich auch von einer veränderten internationalen Rolle und einem offensiveren Selbstverständnis der EU ausgegangen wird. In früheren Phasen ist die Europäische Gemeinschaft (EG) „nach außen“ nur sehr eingeschränkt als eigenständiger Akteur in Erscheinung getreten. Unter den Bedingungen der US-Hegemonie und mitgliedstaatlicher Souveränitätsvorbehalte gelang es nur in wenigen Bereichen – zumeist „defensiv“ ausgerichtete – gemeinschaftliche Handlungskompetenzen zu entwickeln. Seit den 1990er Jahren löst sich genau diese, vornehmlich defensive und binnenzentrierte Grundausrichtung der europäischen Integration nun aber allmählich auf. Gestützt auf die Vertiefung der Markt- und Währungsintegration und die geographische Erweiterung des politischen Einflussbereichs treten mehr und mehr auch die internationalen Macht- und Gestaltungsmöglichkeiten der Europäischen Union hervor. Für die wachsende internationale Gestaltungsmacht der EU sind vor allem zwei aufeinander bezogene strukturelle Umbrüche und Transformationsprozesse verantwortlich. Der eine Transformationsprozess besteht in der internen Beschleunigung und Intensivierung der Integration durch den EG-Binnenmarkt, die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), die Finanzmarktintegration und die vertragsrechtlich abgestützte politisch-institutionelle Vertiefung. Durch all diese Schritte haben sich die Voraussetzungen dafür verbessert, dass die EU auch nach außen als kollektiver Akteur mit einer gemeinsamen Interessenlage in Erscheinung treten kann. Dies gilt umso mehr, als sich zugleich auch die externen Kontextbedingungen europäischer Politik verändert haben. Neben dem Zusammenbruch des Realsozialismus und dem Ende der bipolaren Weltordnung sind vor allem die beschleunigte Globalisierung und der sich abzeichnende Wandel der internationalen Kräfteverhältnisse zu erwähnen. Letzterer manifestiert sich in der wachsenden (Selbst-)Überforderung der USA, in neuen regionalen Integrations- und Entwicklungsdynamiken und im wirtschaftlichen Aufstieg einiger Schwellenländer, unter denen insbesondere die sog. BRIC-Staaten, d.h. Brasilien, Russland, Indien und China, mittlerweile über einen beträchtlichen weltpolitischen Einfluss verfügen (vgl. Bieling 2007a: 221ff). Für die EU bringen diese Veränderungen des weltpolitischen Kontextes sowohl neue Unsicherheiten als auch neue wirtschafts- und geopolitische Chancen mit sich. Wie die EU auf die veränderten externen Kontextbedingungen reagiert, ob sie z.B. neue Strategien und Instrumente entwickelt und machtpolitische Ressourcen mobilisiert, ist keineswegs gewiss. In der wissenschaftlichen Diskussion wird entsprechend seit geraumer Zeit darauf hingewiesen, dass die EU-Politik, insbesondere in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und 1 Aus der Fülle der Literatur vgl. u.a. Ginsberg (2001); Kierzkowski (2002), Müller-Brandeck-Bocquet (2002), Beck/Grande (2004), Meunier (2005), Bretherton/Vogler (2006), Pflüger/Wagner (2006), Cafruny/Ryner (2007), Altvater/Mahnkopf (2007), Fröhlich (2008), Keukeleire/MacNaughtan (2008) oder Bendiek/Kramer (2009).
1 Einleitung: Konturen einer erweiterten Forschungsagenda
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Sicherheitspolitik (GASP) und der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), durch eine „Capability-Expectations Gap“ (Hill 1993) gekennzeichnet ist. Gesteigerten Anforderungen und Erwartungen stehen nur begrenzte gemeinsame Ressourcen und Kompetenzen gegenüber. Nicht wenige sehen in dieser fortbestehenden Diskrepanz einen Beleg dafür, dass die EU noch immer primär eine Zivil- oder Handelsmacht, nicht aber eine militärische Großmacht mit eigenständigen regionalen und globalen sicherheitspolitischen Gestaltungsoptionen darstellt (vgl. Kagan 2002; Manners 2002; Moravcsik 2003). Andere wenden demgegenüber ein, dass sich die EU nicht nur in der internationalen Handels-, Finanzmarkt- und Währungspolitik zu einem „global player“ entwickelt, sondern auch im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wichtige Schritte eingeleitet hat, um sich von den USA tendenziell zu emanzipieren und eigenständige militärische Interventionen durchführen zu können (vgl. Neuber 2003; Oberansmayer 2004; Pflüger/Wagner 2006). Zwischen diesen beiden Polen gibt es in der Diskussion noch eine ganze Reihe „mittlerer“ Positionen, die stärker zu differenzieren versuchen: einerseits zwischen den unterschiedlichen Feldern der Handels-, Entwicklungs-, Menschenrechts-, Währungs-, Sicherheits-, Energie- oder Umweltpolitik (vgl. Peters/Wagner 2005; Bretherton/Vogler 2006; Keukeleire/MacNaughtan 2008: 199ff); andererseits aber auch zwischen den jeweils spezifischen Beziehungen zu anderen Ländern und Regionen, d.h. zu den Beitrittskandidaten oder potenziellen EU-Mitgliedstaaten, zu den angrenzenden Nachbarstaaten ohne Beitrittsperspektive, zu den Großmächten in der Weltpolitik sowie zu anderen regionalen Integrationsverbünden in Südamerika, Afrika und Asien (vgl. Hettne/Söderbaum 2005). Die hier nur knapp angedeuteten regional- und politikfeldspezifischen Unterschiede machen deutlich, dass sich die vielfältigen (Außen-)Aktivitäten der EU nur schwer auf einen gemeinsamen Begriff bringen lassen. Was die Rolle und das Selbstverständnis der EU im Globalisierungsprozess betrifft, so hat sich jenseits aller Differenzen in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion jedoch eine dominante Analyseperspektive herauskristallisiert. In der Fortschreibung der Diskussionen der 1980er Jahre geht diese noch immer davon aus, dass die Globalisierung als ein „von außen“ auf die EU einwirkender Modernisierungs- und Anpassungsdruck zu interpretieren ist. Die Europäische Union selbst stellt demzufolge primär eine Antwort auf die externe Globalisierung dar. Das Europäische Sozialmodell (ESM), die gemeinsamen handels- und wirtschaftspolitischen Steuerungsmöglichkeiten, die Zusammenlegung nationalstaatlicher Souveränitätsansprüche und die Betonung ziviler gegenüber militärischen Strategien des Konfliktmanagements werden gemeinhin als Beleg dafür genommen, dass die EU ein politisches Projekt repräsentiert, das der marktliberalen Verengung der Globalisierung entgegenwirkt und deren negative Begleiterscheinungen tendenziell minimiert (vgl. u.a. Derrida/Habermas 2004; Rifkin 2004). Genau diese Annahme, dass die EU den Globalisierungsprozess sozial-, umwelt-, friedens- und demokratieverträglich korrigiert, ist jedoch revisionsbedürftig. Viele der flankierenden wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Maßnahmen zur internen wie externen Gestaltung der Globalisierung hatten bislang nur eine sehr begrenzte Reichweite. Einige Entwicklungen sprechen sogar dafür, dass die EU den marktliberalen Globalisierungsprozess weniger korrigiert und abfedert als vielmehr aktiv vorantreibt. In der vorliegenden Untersuchung wird daher der Frage nachgegangen, ob, in welcher Form und warum sich die EU zu einem global agierenden Akteur entwickelt hat und wie dessen Rolle zu charakterisieren ist. Im Gegensatz zur vorherrschenden Sicht auf die EU als einer progressivsozialintegrativen, umweltbewussten und antimilitaristischen Antwort auf die Globalisie-
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1 Einleitung: Konturen einer erweiterten Forschungsagenda
rungsdynamik wird dargelegt, dass sich der Prozess der europäischen Integration als spezifische Verlaufsform der Globalisierung entfaltet; und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen forciert die EU in dem Maße, wie sie die Vertiefung der Markt- und Währungsintegration vorantreibt, „nach innen“ den Druck zur Deregulierung und Flexibilisierung der (wohlfahrts-)staatlichen Regulationsmuster; und zum anderen treibt sie durch die Liberalisierung der Handels-, Produktions-, Währungs- und Finanzbeziehungen – sowie die Entwicklung einer flankierenden sicherheitspolitischen Strategie – die Globalisierung auch „nach außen“ aktiv voran. Die Globalisierungsstrategie der EU ist dabei primär ökonomisch definiert. Sie basiert in erster Linie auf dem Versuch, durch interne Strukturreformen und externe Liberalisierungsschritte für die europäischen Unternehmen, insbesondere für die Transnationalen Konzerne (TNKs), die Investitions- und Verwertungsbedingungen zu verbessern (vgl. Europäische Kommission 2006a). Über Fragen der ökonomischen Globalisierung hinausgehend prägen zunehmend aber auch sicherheits- und geopolitische Erwägungen die EUAußenbeziehungen. Im Vergleich zu den ökonomischen sind die sicherheits- und geopolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der EU allerdings stärker begrenzt: extern durch die North Atlantic Treaty Organization (NATO) und die militärische Dominanz der USA; und intern durch die institutionelle Fragmentierung politischer Entscheidungskompetenzen. So ist es in strittigen Fragen – wie z.B. in den Konflikten auf dem Balkan oder in der Irak-Politik – der EU wiederholt misslungen, sich auf dem Gebiet der Sicherheits- und Militärpolitik als ein kraftvoller internationaler Akteur zu profilieren (vgl. Cafruny 2003). Hieraus sollte jedoch nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die EU keine geo- und sicherheitspolitischen Ambitionen verfolgt und vollkommen kraftlos dahin treibt. Im Kontext der GASP und ESVP sowie der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) wurden durchaus Instrumente einer weichen Macht- und Geopolitik entwickelt, d.h. vornehmlich nichtmilitärische – ökonomische und diplomatische – Instrumente der territorialen Kontrolle, Gefahrenabwehr und strategischen Ressourcensicherung (vgl. Gritsch 2005: 9ff; Altvater/Mahnkopf 2007: 42ff).2 Die Reichweite und Effektivität dieser Instrumente sind sicherlich umstritten. Sie lassen sich jedoch unverkennbar als Ausdruck des allgemeinen Bestrebens interpretieren, die EU-Außenbeziehungen stärker (pro-)aktiv im eigenen Interesse zu gestalten. Das Argument, dass die EU über ein im Vergleich zu den Nachkriegsjahrzehnten deutlich gesteigertes Potenzial und auch vielfältige Instrumente verfügt, die externen Rahmenbedingungen, also die internationale politische Ökonomie, nach Maßgabe eigener Interessen und Ideale zu gestalten, soll nachfolgend systematisch entfaltet werden. Im zweiten Kapitel wird zunächst dargelegt, mit Hilfe welcher theoretischen Überlegungen und Analyseraster die externe Globalisierungsstrategie der EU angemessen zu erfassen ist. Es wird argumentiert, dass die institutionen- und akteurstheoretischen Konzepte der Integrationsforschung insofern aufschlussreich sind, als sie die institutionellen Kontextbedingungen und politischen Vermittlungsprozesse im europäischen und globalen Mehrebenensystem beleuchten. Sie sind jedoch nur sehr eingeschränkt dazu in der Lage, die Ursachen 2
Die Konzeption der „weichen“ Geopolitik ist gleichsam zwischen den beiden Polen der Geoökonomie, d.h. der ökonomischen Konkurrenz von Wirtschaftsräumen, und der „harten“ Geopolitik, d.h. der militärischen Kontrolle anderer Staaten und Territorien, angesiedelt. Sie beruht im Kern auf dem Versuch, die Ziele der „harten“ Geopolitik durch nicht-militärische Mittel zu erreichen.
1 Einleitung: Konturen einer erweiterten Forschungsagenda
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und Triebkräfte der europäischen Globalisierung zu identifizieren; und sie schrecken geradezu davor zurück, auch den politischen Inhalt und sozialen Charakter der EU zu bestimmen. Um diese Schranken des institutionalistischen Mainstreams zu überwinden, wird ein stärker gesellschaftstheoretisch fundiertes Analyse- und Interpretationsraster entwickelt. Die gesellschaftstheoretische Fundierung erfolgt dabei in zwei Schritten. Zunächst werden die zentralen Überlegungen der post-weberianischen Diskussion skizziert (vgl. u.a. Migdal/Schlichte 2005). Diese zeichnet sich durch eine gesellschaftszentrierte staatstheoretische Analyseperspektive aus, die mit Bezug auf institutionelle und diskursive Vermittlungsprozesse den Blick insbesondere auf die „interaktive Einbettung“ politischer Machtstrategien lenkt. Das Handeln relevanter politischer Akteure wird demzufolge zivilgesellschaftlich kontextualisiert. An Erklärungsgrenzen stoßen die post-weberianischen Ansätze jedoch dann, wenn sie die gesellschaftsstrukturell und politökonomisch definierten – also ungleich verteilten – Zugangsvoraussetzungen zum zivilgesellschaftlich-politischen Kommunikations- und Entscheidungsraum in die Analyse mit einbeziehen sollen. Um diese Grenzen zu überwinden, wird daher in einem zweiten Schritt auf die historisch-strukturalistische Heuristik neo-gramscianischer Ansätze zurückgegriffen (zum Überblick vgl. Bieling/Deppe 1996a; Bieler/Morton 2006). Diese Ansätze interessieren sich vor allem für die Reproduktion und den Wandel historischer Strukturen. Sie gehen davon aus, dass sich die weltökonomische und weltpolitische Position und Rolle eines politischen Machtgebildes über die Analyse dreier Strukturdimensionen erschließt: der sozialen Produktionsbeziehungen, der jeweiligen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe und der Strukturen der Weltordnung. Dieses heuristische Analyseraster lässt sich nicht nur auf einzelne Nationalstaaten anwenden, sondern auch auf politische Einheiten wie die Europäische Union. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, dass die sozialen Produktionsbeziehungen und der Staats-Zivilgesellschafts-Komplex der EU im Vergleich zur nationalen Ebene stärker fragmentiert sind. Nach der theoretischen Herleitung, Erläuterung und Begründung der gewählten Analyseperspektive wird im Hauptteil der Arbeit dargelegt, dass sich die EU in zentralen Politikbereichen inzwischen zu einem – intern wie extern – engagierten Globalisierungsakteur entwickelt hat. Um den Funktionswandel und veränderten Charakter europäischer Politik zu unterstreichen, werden im dritten Kapitel die unterschiedlichen Entwicklungsphasen der Integration rekonstruiert. Hierbei handelt es sich nicht um eine detaillierte ereignisgeschichtliche Aufarbeitung, sondern „nur“ um eine strukturgeschichtliche Skizze, die sich auf die Erläuterung der zentralen Determinanten, Funktionsbedingungen und Ziele des Integrationsprozesses beschränkt. Das vierte Kapitel schließt unmittelbar hieran an und diskutiert die strukturellen Implikationen des Integrationsschubs der 1980er und 1990er Jahre. So wird ausgeführt, dass die zentralen Projekte des Integrationsschubs – der EGBinnenmarkt, die WWU, die Finanzmarktintegration sowie die EU-Erweiterung – nicht nur dazu beigetragen haben, „nach innen“ die Globalisierung voranzutreiben. Sie haben gleichzeitig auch die sozioökonomischen und politisch-institutionellen Voraussetzungen und strategischen Prioritäten der EU-Außenbeziehungen verändert. Mit anderen Worten, auf der Grundlage einer intern globalisierten europäischen Ökonomie drängt der europäische Staats-Zivilgesellschafts-Komplex inzwischen auch „nach außen“ darauf, die Handels-, Produktions- und Finanzbeziehungen zu globalisieren. Die zentrale Bedeutung, die den politischen Integrationsprojekten beigemessen wird, macht bereits deutlich, dass der mehrdimensionale Strukturwandel der europäischen Inte-
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1 Einleitung: Konturen einer erweiterten Forschungsagenda
gration nicht durch eine System- und Sachzwanglogik vorgegeben, sondern politisch umkämpft ist und aktiv gestaltet wird. Im fünften Kapitel sollen die unterschiedlichen Dimensionen und Aspekte der politischen Gestaltung empirisch näher betrachtet werden. Der Blick richtet sich dabei nicht nur auf die sozioökonomischen Grundlagen der EUAußenbeziehungen, sondern auch auf die Entwicklung der Diskurse, politischen Strategien und Handlungsarenen, über die gesellschaftliche und staatliche Akteure die europäische Agenda beeinflussen.3 Die Qualität und interne Kohärenz des europäischen StaatsZivilgesellschafts-Komplexes unterscheidet sich freilich beträchtlich, je nachdem welcher Politikbereich untersucht wird. Um zu einer fundierten Gesamtcharakterisierung der EUPosition in der internationalen politischen Ökonomie zu gelangen, werden in dieser Arbeit diejenigen Politikfelder genauer betrachtet, die für die Entwicklung der globalen Machtstrukturen besonders aufschlussreich sind: die Außenhandelsbeziehungen, die Währungsund Finanzbeziehungen sowie die außen- und sicherheitspolitischen Kooperationsmuster. In all diesen Bereichen hat die EU seit den 1980er Jahren deutliche Anstrengungen unternommen, das eigene Profil zu schärfen: z.B. durch klarer und verbindlicher definierte gemeinsame strategische Zielvorgaben, durch die Stärkung der verfügbaren Handlungsressourcen oder durch zusätzliche politische Kompetenzen und Instrumente. Die Arbeit endet mit einer Schlussbetrachtung, in der unter Berücksichtigung der empirischen Bestandsaufnahme der vorangegangenen Kapitel die Tragfähigkeit gängiger Analyse- und Klassifikationsbegriffe diskutiert wird. Instruktiv, provokant und umstritten ist dabei der Vorschlag, die EU als Prototyp eines „postmodernen Imperiums“ (vgl. Cooper 2003: 71ff; Münkler 2005: 252ff) zu begreifen. Dem EU-Imperium sind danach nicht nur einige Merkmale klassischer Imperien eingeschrieben, so z.B. eine ausgeprägte institutionelle Fragmentierung, sehr komplexe interne Vermittlungsprozesse und unscharfe (Außen)Grenzen. Die EU repräsentiert zugleich auch die Prinzipien einer „post-westfälischen“ Staatenordnung, in der neben den nationalstaatlichen Akteuren in wachsendem Maße auch supranationale und zivilgesellschaftliche Akteure die Formen und Inhalte der (inter)nationalen politischen Regulation bestimmen. Nicht selten wird der Begriff des Imperiums jedoch affirmativ gewendet und – zum Teil sehr scharf – von dem des Imperialismus abgegrenzt. Während das Imperium durch das Bestreben gekennzeichnet ist, stabile externe Ordnungsstrukturen – auch zum Wohle peripherer Staaten und Regionen – zu etablieren, handelt es sich beim Imperialismus, so z.B. Münkler (2005: 20f), um eine bewusste politische Expansions- und Kontrollstrategie dominanter Mächte. Im Unterschied zu diesem ausschließlich politisch definierten Imperialismusbegriff, haben kritische politökonomische Ansätze zuletzt eine Imperialismuskonzeption entwickelt, die einerseits die relative Eigenlogik, andererseits aber auch die mitunter spezifische Artikulation von expansiven ökonomischen Akkumulationsstrategien und externen (geo-) politischen Kontrollstrategien hervor hebt (vgl. u.a. Harvey 2003; Hirsch 2005: 172ff). Dieses politökonomische Imperialismus-Verständnis ist strukturanalytisch grundsätzlich aufschlussreicher. Es richtet den Blick zudem darauf, dass neben den politischen Akteuren und Diskursen im engeren Sinne zugleich auch die „vorpolitischen“, d.h. sozioökonomi3
Die Diskurse, Strategien und Handlungsarenen sind einerseits maßgeblich durch den Integrationsschub, d.h. den EG-Binnenmarkt, die WWU sowie die Entwicklung der GASP und ESVP, geprägt worden; andererseits unterliegt die Definition der einzelnen Integrationsschritte immer auch dem Einfluss globaler Strukturveränderungen und den damit verbundenen Handlungsanforderungen.
1 Einleitung: Konturen einer erweiterten Forschungsagenda
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schen und zivilgesellschaftlichen Voraussetzungen (außen-)politischer Strategien und Entscheidungen zu berücksichtigen sind. Gleichwohl wird in dieser Arbeit davon Abstand genommen, die EU bereits als eine imperialistische Großmacht zu begreifen. Dies ist insbesondere dem spezifischen Charakter der externen Kontrollstrategie der EU geschuldet. Diese stützt sich primär auf zivile und handelspolitische Instrumente, versucht also, die Formen einer multilateral orientierten und rechtsbasierten Kooperation zu stärken. Angesichts fortbestehender Konflikte der europäischen Globalisierungs- und Weltordnungspolitik und veränderter sicherheitspolitischer Fragen – etwa mit Blick auf die transatlantische Kooperation, die Stabilisierung des regionalen Umfelds oder eine gesicherte Energieversorgung – könnten neben den „weichen“ perspektivisch aber auch die „harten“ Instrumente der europäischen Geopolitik deutlicher hervortreten.
Teil I Analyseraster und Interpretationsfolien
2 Analyse- und Interpretationsraster europäischer Globalisierungspolitik
Mittlerweile nehmen einige theoretische Ansätze für sich in Anspruch, ein aufschlussreiches Analyseraster für die EG/EU-Außenpolitik bereitzustellen. Zumeist orientieren sie sich an der herkömmlichen Außenpolitikanalyse, die den Blick in erster Linie auf die staatlichen Exekutivapparate, vor allem die Regierungen richtet (vgl. Peters/Wagner 2005). Gleichzeitig bemühen sich die Ansätze aber auch, die (national-)staatszentrierte Perspektive zu modifizieren. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Zum einen verfügt die EU in einigen außenpolitisch relevanten Politikfeldern – z.B. in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik – über keine dem klassischen Nationalstaat vergleichbaren Kompetenzen und Instrumente (vgl. Shaw 2000: 190f). Auch die internationale Rechtspersönlichkeit der EU, d.h. die Fähigkeit, eigenständig Verträge mit anderen Staaten und Organisationen abzuschließen, ist politikfeldspezifisch fragmentiert. Zum anderen unterstreicht die Vielzahl und Vielfalt der Akteure im Bereich der EU-Außenbeziehungen, dass es sich bei der EU noch weniger als bei den Nationalstaaten um ein homogenes Gebilde handelt. Nicht nur in Bezug auf die internen Entwicklungen, sondern auch auf dem Gebiet der Außenpolitik stellt die EU vielmehr ein komplexes Kräfte- und Akteursgeflecht mit zum Teil widersprüchlichen Interessen und Strategien dar. In den nachfolgenden Ausführungen wird dargelegt, wie die Eigenarten und spezifischen institutionellen Bedingungen der EU-Außenbeziehungen in der theoretischen Diskussion bislang konzeptualisiert wurden. Im Zentrum stehen zunächst die institutionalistischen Ansätze (2.1.), die sich – im Kontext der Debatten über Global und European Governance – weiter ausdifferenziert haben (2.2.). Die institutionalistischen Ansätze richten den Blick insbesondere auf formale Kompetenz- und Verfahrensfragen. Sie analysieren nicht nur das Zusammenspiel zwischen der nationalen und supranationalen Politikebene, also die Prozesse der politisch-institutionellen Vergemeinschaftung und Koordination, und die Funktionsweise von Policy-Netzwerken, d.h. die Interaktion von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. Sie thematisieren auch die Interessen, Diskurse und Instrumente – Rechtsakte, Sanktionen oder Kompensationen –, die im politischen Aushandlungs- und Kommunikationsprozess bedeutsam sind. Oft geht es dabei um die Frage, ob und inwiefern die etablierten Governance-Mechanismen hinreichend effektiv und demokratisch legitimiert sind, also unter normativen Gesichtspunkten überzeugen können. Indem die politischen Koordinations- und Kommunikationsprozesse ins Zentrum der Analyse gestellt werden, gelingt es den institutionalistischen Ansätzen zumeist sehr gut, einige Eigenheiten der EG/EU-Außenpolitik zu erfassen. Ungeachtet vieler neuer Erkenntnisse weisen die institutionalistischen Konzeptionen aber auch Schwächen auf. Zu kritisieren ist erstens ein machttheoretisches Defizit, da allein die formalen und prozeduralen Machtbeziehungen zwischen politischen Akteuren, mithin die Dimensionen einer unmittelbaren, relationalen Macht, zur Kenntnis genommen werden, nicht aber die Prozesse des Agenda-Settings in Verbindung mit den sozioökonomischen Grundlagen europäischer
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2 Analyse- und Interpretationsraster europäischer Globalisierungspolitik
Politik, d.h. die Dimensionen strukturaler Macht.1 Zweitens wird im Rahmen der Global und European Governance-Diskussion der (National-)Staat zu schematisch dargestellt, d.h. als ein nach innen wie außen souveräner und homogener Akteur. Tatsächlich handelt es sich hierbei jedoch um eine idealtypische Konstruktion, die – als Kontrastfolie verwendet – nur allzu leicht dazu führt, die Umbrüche in der internationalen Politik und die Eigenheiten der EU als ein nichtstaatliches System zu überzeichnen. Um das macht- und staatstheoretische Defizit der institutionalistischen Diskussion zu überwinden, wird mit Bezug auf postweberianische Ansätze, insbesondere die Konzeption der „interaktiven Einbettung“ der staatlichen Machtpolitik, und die Hegemoniekonzeption der neogramscianischen IPÖ ein stärker gesellschaftstheoretisch fundiertes Interpretations- und Analyseraster entwickelt (2.3.). Dies ist schon allein deswegen geboten, um über die – durchaus bedeutsamen – institutionellen und regulativen Aspekte der europäischen Globalisierungspolitik hinaus den Blick auch auf die politökonomischen Grundlagen und diskursiven Prozesse zu lenken, auf die sich die Gestaltungsmacht der EU maßgeblich stützt.
2.1 Die EG/EU: Handlungsarena mit Akteurscharakter In den „klassischen“ Paradigmen der europäischen Integration wurde der Europäischen Gemeinschaft (EG) noch keine aktive außenpolitische Rolle beigemessen. Diese „Leerstelle“ war einerseits historisch begründet. So gelang es der EG – nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) im Jahr 1954 – nur ganz allmählich, ein identifizierbares außenwirtschaftspolitisches Profil zu entwickeln, das allerdings, gestützt auf die Vergemeinschaftung der Handelspolitik, auf einen bestimmten Bereich begrenzt blieb. Andererseits reproduzierte sich in der Integrationsforschung die außenpolitische „Leerstelle“ aber auch deswegen, weil die konkurrierenden theoretischen Erklärungsansätze diese Dimension europäischer Politik konzeptionell mehr oder minder ausklammerten (vgl. Rosamond 2000; Wiener/Diez 2004; Bieling/Lerch 2006):
Für den Neo-Funktionalismus, der bis weit in den 1960er Jahre dominanten Integrationstheorie, stand zwar außer Frage, dass sich durch die expansive Logik sog. „Spillover“-Effekte, d.h. eine durch die sektorale ökonomische Integration angestoßene sukzessive Vergemeinschaftung immer neuer Politikfelder, auch neue supranationale Autoritätsstrukturen herausbilden (vgl. Haas 1970; Schmitter 2004; Wolf 2006: 73). Da dieser Prozess nur inkrementell voranschritt und primär durch interne Erfordernisse definiert war, wurden die externen Aspekte der entstehenden supranationalen Staatsform zugleich jedoch ausgeblendet. Dies galt umso mehr, als eigenständige au-
1 Die Unterscheidung von relationaler und strukturaler Macht ist vor allem durch Susan Strange (1994) prominent geworden. Eine ähnliche – dreigliedrige – Differenzierung von Machtbeziehungen, in der die Dimension der strukturalen Macht nochmals untergliedert wird in strategische und systemische Macht, hat in den 1970er Jahren bereits Steven Lukes (1974) vorgenommen. Inzwischen gibt es eine wachsende Zahl von Untersuchungen, die mit ähnlich differenzierten Machtkonzeptionen arbeiten. Mit dem Bedeutungsgewinn sozialkonstruktivistischer Ansätze wird die strategische zunehmend auch als diskursive Macht konzeptualisiert (vgl. u.a. Fuchs 2005). Dies geschieht zumeist mit dem Ziel, die politischen Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten nicht-staatlicher Akteure hervorzuheben.
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ßenpolitische Aktivitäten der supranationalen Behörden nicht als ein aktuelles, sondern allenfalls als ein mittel- und langfristig relevantes Zukunftsthema betrachtet wurden. Im Prinzip gelangten einige der älteren historisch-materialistischen Analysen zu einer ähnlichen, freilich kapitalismustheoretisch begründeten Schlussfolgerung. Danach sorgten die Prozesse einer intensivierten grenzüberschreitenden Handels- und Kapitalverflechtung dafür, dass sich in Westeuropa die Option einer supranationalen Staatsbildung abzeichnete (vgl. Mandel 1970; Beckmann 2006). Deren politische Realisierung wurde jedoch – anders als im neo-funktionalistischen Diskurs – nicht als ein stetig-inkrementeller, sondern als ein durch Krisen und gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen geprägter und damit prinzipiell offener Prozess betrachtet. Erst in der Wirtschaftskrise sollte sich zeigen, ob eher nationale oder aber gemeinsame europäische Strategien der Krisenüberwindung eingeschlagen und supranationale Institutionen, Ressourcen und Instrumente geschaffen werden (vgl. Mandel 1970: 84ff).2 Im Unterschied zum Neo-Funktionalismus und historischen Materialismus, die entweder einen inkrementellen oder krisenvermittelten supranationalen Staatsbildungsprozess in Europa diagnostizierten, betonte der Intergouvernementalismus die nationalstaatlichen Souveränitätsvorbehalte und Grenzen der europäischen Integration (vgl. Hoffmann 1966; Bieling 2006b). Die supranationalen Institutionen und Arrangements stellten demzufolge nur einen Handlungsrahmen für die nationalen Regierungen dar, entwickelten selbst jedoch keine von deren Interessen und Entscheidungen abgelöste Akteursqualität. Ungeachtet dieser Skepsis ging das intergouvernementale Paradigma zumindest in einer Hinsicht über den Neo-Funktionalismus aber auch hinaus. Ähnlich wie in der historisch-materialistischen Diskussion wurden die Strukturen der Weltordnung als externe Determinanten der – durch die nationalstaatliche Außenpolitik geprägten – europäischen Integration zur Kenntnis genommen und innerhalb des eigenen Analyse- und Interpretationsrasters entsprechend thematisiert.
Jenseits einzelner, zumeist sehr vager Ansatzpunkte gab es in der klassischen integrationstheoretischen Diskussion demzufolge keine systematische Reflexion der externen Handlungs- und Einflussmöglichkeiten supranationaler Institutionen. Mehr noch, es bestand sogar ein übergreifender Konsens, dass sich derartige Fragen aufgrund einer (noch) nicht ausgebildeten oder grundsätzlich ausgeschlossenen staatlichen Qualität der EG eigentlich erübrigten. Inzwischen hat sich der theoretische Diskurs jedoch verschoben. Sicherlich gibt es noch immer einige – insbesondere „harte“ realistische – Ansätze, die von einem Primat der zwischenstaatlichen Rivalität ausgehen und daher selbst der heutigen EU eine nennenswerte außenpolitische Relevanz tendenziell absprechen (vgl. z.B. Mearsheimer 1990; Hyde-Price 2006). Im Unterschied zu derartigen Außenseiterpositionen hat sich in der Europaforschung insgesamt jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass die EG/EU mittlerweile eine institutionell gefestigte Handlungsarena mit eigenständigen Organisationen und 2 Innerhalb der historisch-materialistischen Diskussion war die Analyse von Ernest Mandel keineswegs unumstritten (vgl. Bieling 2006a). Angesichts des Volumens und der Struktur US-amerikanischer Direktinvestitionen hatte z.B. Nicos Poulantzas (1975: 47ff) die These einer eigenständigen europäischen Verflechtung des Produktiv- und Finanzkapitals empirisch bestritten. Selbst im Fall einer intensiven europäischen Kapitalverflechtung war für ihn eine Supranationalisierung von Staatsfunktionen – aufgrund der primär national geprägten öffentlichen Reproduktionsaufgaben, sozialen Kohäsionserfordernisse und politischen Konflikte – nicht vorstellbar (vgl. ebd.: 70ff).
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Netzwerken darstellt, deren Akteursqualität sich auch in vielen Bereichen der Außen(wirtschafts)politik zunehmend klarer artikuliert. Auf dem Weg zu dieser Perspektivenerweiterung lassen sich sehr grob drei Phasen unterscheiden: 1) Die erste Phase war sehr stark durch den Integrationsschub geprägt, der Mitte der 1980er Jahre durch das EG-Binnenmarktprojekt eingeleitet worden war. Durch das Weißbuch zum EG-Binnenmarkt und die Einheitliche Europäische Akte (EEA) – d.h. die Ausweitung europäischer Kompetenzen, den Übergang zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen und die Verallgemeinerung des Prinzips der wechselseitigen Anerkennung nationaler Regulierungsstandards – beschleunigte sich nicht nur die wirtschaftliche Integration. Es entstanden auch neue Netzwerke und Kommunikationsforen unter Einschluss nicht-staatlicher Akteure, die auf eine deutlich veränderte politisch-institutionelle Qualität europäischer Entscheidungsabläufe verwiesen. In der wissenschaftlichen Theoriediskussion wurde der Akteurscharakter der EG/EU unterschiedlich gefasst. Noch eher vorsichtig waren diejenigen Ansätze, die neben der funktionalen Vergemeinschaftung auch die fortbestehenden politikfeldspezifischen Integrationshindernisse beleuchteten. Einige betrachteten das EG/EUSystem in diesem Sinne als ein Netzwerk sich überlappender Regime, als eine Form der geteilten Souveränitätsausübung (vgl. Keohane/Hoffmann 1990: 281f) oder als eine politisch-institutionelle Struktur fragmentierter Staatlichkeit (vgl. Dehousse 1997). Andere Konzeptionen gingen über die Feststellung einer gewissen politisch-institutionellen Eigenständigkeit sogar noch hinaus. Sie akzentuierten den Akteurscharakter der EG/EU dadurch, dass sie diese als „korporativen Akteur“ (Schneider/Werle 1989), als „policy maker“ (Tömmel 1992), oder – etwas vorsichtiger und systemischer – als „technokratisches Regime“ (Bach 1993) charakterisierten. 2) Die aufgeführten Begrifflichkeiten weisen bereits darauf hin, dass sich in der zweiten Phase der Perspektivenerweiterung – im Zuge der Verarbeitung polarisierender Theoriefolien und scharfer Kontroversen – neue, stärker synthetisierende Analysekonzeptionen herauskristallisierten. Eine erste Kontroverse entfaltete sich zwischen supranationalistischen Ansätzen, die die aktive Rolle der EG/EU-Institutionen betonten (vgl. Stone Sweet/Sandholtz 1997; Nölke 2006), und intergouvernementalistischen Erklärungsangeboten, die die Kontrollmacht der nationalen Regierungen hervorhoben (vgl. Moravcsik 1998; Steinhilber 2006a). Eine zweite Kontroverse vollzog sich zwischen rationalistischen Erklärungsangeboten, die den Integrationsprozess primär durch materielle Kalküle, mithin interessenbasierte Verhandlungen und Entscheidungen geprägt sahen, und diskurstheoretischen Konzeptionen, die die Wirkung von Werten, Normen und Ideen in den Mittelpunkt der eigenen Analysen stellten (vgl. Checkel/Moravcsik 2001). Eine dritte Kontroverse entwickelte sich schließlich zwischen akteurstheoretischen Paradigmen, die in erster Linie die Handlungsoptionen und Wahlalternativen einzelner Akteure fokussierten, sowie institutionen- und strukturtheoretischen Ansätzen, die vor allem die Handlungskontexte konzeptionell zu erfassen versuchten (vgl. Checkel 1999). In der synthetisierenden Vermittlung der erwähnten Kontroversen – zwischen supranationalistischen und intergouvernementalistischen Ansätzen, zwischen rationalistischen und diskurstheoretischen Konzeptionen sowie zwischen akteurs- und strukturanalytischen Perspektiven – profilierte sich ab Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre zunächst die Regimetheorie (vgl. Kohler-Koch 1989; Keoha-
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ne/Hoffmann 1990).3 Im Laufe der 1990er Jahre wurde die Regimetheorie dann mehr und mehr durch den Multi-Level-Governance-Ansatz (MLG) und einige mit diesem Ansatz korrespondierende theoretische Konzeptionen abgelöst, so z.B. durch den historischen Institutionalismus, moderat sozialkonstruktivistische Interpretationen oder netzwerktheoretische Modellanalysen (vgl. u.a. Marks et al. 1996; Kohler-Koch/Eising 1998; Hooghe/Marks 2001). 3) Die konzeptionellen Synthesen oder Brückenschläge waren primär darauf ausgerichtet, die Binnendynamik der europäischen Integration analytisch zu erfassen. Letztlich haben sie aber auch mit dazu beigetragen, die internationale Rolle der EG/EU verstärkt zur Kenntnis zu nehmen. Dies ist unter anderem dadurch bedingt, dass die synthetisierenden Vermittlungsangebote oft sehr viel näher bei den supranationalistischen, diskurstheoretischen sowie institutionen- und strukturtheoretischen Konzeptionen liegen, die – im Unterschied zu den intergouvernementalistischen, rationalistischen und akteurszentrierten Erklärungsansätzen – die relative Eigenständigkeit, den Modellcharakter und die normative Ausstrahlungskraft der EU hervorheben. Die theoretische Vorentscheidung, sich analytisch auf die Bedeutung von Werten, Normen und Diskursen zu konzentrieren, beeinflusst in hohem Maße die Fokussierung des Untersuchungsgegenstands. So konzentrieren sich viele Analysen der EU-Außenbeziehungen auf jene Politikfelder, die in besonderem Maße durch den Einsatz sog. „weicher“ Politikinstrumente – Entwicklungshilfe, Förderung von Menschenrechten, Umweltabkommen etc. – gekennzeichnet sind (vgl. Lerch 2004; Bretherton/Vogler 2006).4 Seit einiger Zeit richtet sich die Aufmerksamkeit aber auch auf jene Bereiche, die stärker durch Formen einer „harten“ Machtausübung geprägt sind (vgl. Wagner/Hellmann 2003; McCormick 2007). Eigentlich überrascht diese Erweiterung des Untersuchungsbereichs wenig. Schließlich ist die Aufwertung der EU in der internationalen Politik maßgeblich auf Entwicklungen und Umbrüche zurückzuführen – den EG-Binnenmarkt und die WWU, den Zusammenbruch des Realsozialismus und die EU-Osterweiterung sowie die zunehmende Fragilität der US-Hegemonie –, mit denen verstärkt die geoökonomischen und geopolitischen Dimensionen der EU-Außenbeziehungen in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussionen gerückt sind (vgl. Altvater/Mahnkopf 2007). Die skizzierten Diskussions- und Reflexionsphasen haben den derzeitigen Stand der integrationstheoretischen Debatte – gerade auch mit Bezug auf die außenpolitische Rolle der EU – maßgeblich strukturiert. Sie haben zu wichtigen Erkenntnissen geführt, hinter die auch die zukünftige Forschung nicht zurückfallen sollte:
3 Die Regimetheorie bot sich insofern als eine offene und zugleich synthetisierende Analysekonzeption an, als ihre Überlegungen zur Institutionalisierung internationaler Prinzipien, Normen und Verhaltensstandards sowie konkreter Regeln und Entscheidungsverfahren sowohl für realistische als auch für liberale Ansätze anschlussfähig waren. Von den realistischen Ansätzen wurde hervorgehoben, dass die Funktionsweise internationaler Regime maßgeblich durch die nationalen Interessenlagen und die gestalterische Kraft hegemonialer Staaten bestimmt ist. Die liberalen Ansätze lenkten die Aufmerksamkeit hingegen auf die – wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen – Kooperationsgewinne, also die Positiv-Summen-Logik internationaler Regime. 4 Der Begriff der „weichen Macht“ („soft power“) wurde von Joseph S. Nye bereits in den 1990er Jahren in die Diskussion eingebracht. Später hat er ihn konzeptuell systematischer bestimmt. Im Kern handelt es sich bei „soft power“ – im Unterschied zu „hard power“, d.h. Formen des Zwangs und der Verführung – um die Fähigkeit, die Präferenzen anderer Akteure durch kulturelle Ausstrahlung oder überzeugende Argumente zu beeinflussen, die eigene Position also konsensual abzustützen (vgl. Nye 2004).
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Eine erste Erkenntnis besteht darin, dass das EU-System eine spezifische Qualität und Bedeutung aufweist, die gleichsam zwischen den üblicherweise verwendeten Begrifflichkeiten des Staatenbundes oder Bundesstaats angesiedelt ist. Hierauf verweist auch eine Vielzahl neuerer Begriffsschöpfungen: so z.B. „Staatenverbund“ (vgl. BVerfG 1994), „fusionierter Föderalstaat“ (Wessels 1992: 40), „System sui generis“ (vgl. Jachtenfuchs 1997) oder „Kondominium“ (vgl. Schmitter 1996). Diese und andere Begriffe bringen zum Ausdruck, dass die EU eine relativ eigenständige, spezifisch institutionalisierte Handlungsarena darstellt, in der sich die Merkmale innen- und außenpolitischer Prozessabläufe überlagern. In den Bereichen, in denen mit (qualifizierter) Mehrheit entschieden wird und in denen dem Europäischen Parlament (EP) durch das Mitentscheidungsverfahren bereits seit längerem relativ umfassende Gestaltungsmöglichkeiten zukommen – dies betrifft vornehmlich die Entwicklung des EG-Binnenmarktes –, sind die innenpolitischen Merkmale des EU-Systems am stärksten ausgeprägt. Im Umkehrschluss gilt, dass jeweils dort, wo Einstimmigkeitsbeschlüsse erforderlich sind und das EP allenfalls schwache Informations-, Anhörungs- oder Beratungsrechte hat – so z.B. im Bereich der GASP und ESVP –, der intergouvernementale Charakter der EU-internen Kooperations- und Entscheidungsprozesse oft noch im Vordergrund steht. Es würde jedoch zu kurz greifen, in der EU nur eine Handlungsarena zu sehen. Im Zuge ihrer Institutionalisierung ist vielmehr auch – so eine zweite Erkenntnis – ihr Akteurscharakter stärker hervorgetreten. Noch weniger als die Nationalstaaten lässt sich die EU jedoch als ein monolitisch unitarischer Akteur, d.h. als eine in sich homogene, klar hierarchisierte und zentralisierte politische Organisation begreifen. Im Gegenteil, in die politischen Diskussions- und Entscheidungsprozesse sind zumeist sehr viele staatliche, nichtstaatliche und supranationale Akteure mit zum Teil widersprüchlichen Präferenzen involviert. Sofern es gelingt, die Widersprüche und Konflikte effektiv zu begrenzen, wird die EU-Politik durch die Partizipation und Einbindung unterschiedlicher (kollektiver) Akteure gestärkt. Gelingt die Konflikteinhegung jedoch nicht, ergeben sich im politischen Entscheidungsprozess mitunter beträchtliche (inhaltliche) Konsistenz- und (prozedurale) Kohärenzprobleme (vgl. hierzu Bretherton/Vogler 2006: 31f). Die sukzessive, allerdings ungleiche und politikfeldspezifische Stärkung der EU hat nicht nur deren interne, sondern auch deren externe Akteursqualität gefördert. Diese dritte Erkenntnis durchzieht seit einiger Zeit die wissenschaftliche Diskussion. Dass sich die internationale Rolle der EU zunehmend klarer konturiert, ist weitgehend unumstritten. Weniger konsensual ist hingegen, worauf sich die externe Akteursqualität maßgeblich stützt, wodurch sie inhaltlich definiert ist und wie sie sich präzise erfassen und charakterisieren lässt. Die Schwierigkeiten, diese Qualitätsmerkmale genauer zu bestimmen, sind nicht zuletzt dadurch bedingt, dass die Außenbeziehungen der EU einem komplex zusammengesetzten Mosaik gleichen. Es besteht mithin die Aufgabe, eine theoretische Konzeption zu entwickeln, die sich durch eine hinreichende und empirisch tragfähige analytische Differenzierung auszeichnet und zugleich ein gewisses Gespür dafür vermittelt, wie sich die Ergebnisse politikfeldspezifischer Untersuchungen im Gesamtzusammenhang darstellen, also im Sinne einer umfassend-integralen Analyseperspektive zu interpretieren sind.
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2.2 Governance im europäischen und globalen Mehrebenensystem Nicht wenige sehen im MLG-Ansatz eine derartige integrale Analyseperspektive, oder besser: einen relativ aufnahmefähigen Untersuchungsrahmen, auf den sich die unterschiedlichen empirischen Teilstudien und theoretisch-konzeptionellen Diskurse beziehen können. Die Attraktivität des MLG-Ansatzes erklärt sich daraus, dass er eine Kommunikationsplattform darstellt, die nach vielen Seiten offen und anschlussfähig ist. Entsprechend richtet sich der Blick oft sehr stark auf die Komplementarität, weniger auf die Konkurrenz und Unvereinbarkeit unterschiedlicher theoretischer Interpretationsfolien. Der MLG-Ansatz – hierauf wurde bereits hingewiesen – trägt auf diese Weise maßgeblich dazu bei, die Kontroversen zwischen intergouvernementalistischen und supranationalistischen, zwischen rationalistischen und diskurstheoretischen sowie struktur- und akteurszentrierten Konzeptionen zu entschärfen und produktiv nutzbar zu machen. Ungeachtet dieser wichtigen Funktion eines kommunikativen Brückenschlags wäre es jedoch verkürzt, den MLG-Ansatz als ein ausschließlich formales und vollkommen offenes Analyseraster zu betrachten. Im Gegenteil, es werden durchaus einige sehr deutliche Aussagen über die Beschaffenheit und die Funktionsweise des EU-Systems getroffen (vgl. Jachtenfuchs/Kohler-Koch 1996; Knodt/Große Hüttmann 2006). Diese ergeben sich bereits aus der verwendeten Begrifflichkeit, d.h. zum einen aus der Governance-Konzeption und zum anderen aus der dynamischen Mehrebenenkonzeption. Die dynamische Mehrebenenkonzeption thematisiert vor allem die Komplementarität und Überlappung unterschiedlicher politischer Handlungsebenen. Der MLG-Ansatz geht davon aus, dass nicht nur die nationalen Regierungen, sondern auch supranationale und subnationale Akteure – also die Europäische Kommission, das EP, der Europäische Gerichtshof (EuGH) oder auch die regionalen und kommunalen Körperschaften – die politischen Entscheidungsabläufe mitgestalten (vgl. Marks et al. 1996). Darüber hinaus wird angenommen, dass die unterschiedlichen Ebenen nicht voneinander getrennt agieren, sondern sich permanent aufeinander beziehen und überlappen. Die Koordination politischer Prozesse stützt sich dabei auf – politikfeldspezifische oder aber politikfeldübergreifende – Akteursnetzwerke, deren Interaktionsmuster die üblicherweise scharfe Trennung von nationaler und internationaler Politik hinfällig werden lassen (vgl. Hooghe/Marks 2001: 4). In Ergänzung zur Mehrebenen-Konzeption wird mit der Governance-Konzeption versucht, die Prozesse der Entgrenzung und Entnationalisierung des Staatshandelns, d.h. die räumliche und gesellschaftliche Diffusion politischer Autorität, genauer in den Blick zu nehmen. Hierin mit eingeschlossen sind auch politische Steuerungsvorstellungen. Doch im Unterschied zum Government-Begriff, der ein tendenziell hierarchisches Politikverständnis impliziert, wird mit der Verwendung des Governance-Begriffs – im Sinne eines weiten Verständnisses von Regieren – stets eine Beteiligung nicht-staatlicher Akteure unterstellt. Die Beteiligungsformen variieren dabei in Abhängigkeit von den konkreten Politikfeldern, also den jeweiligen institutionellen Kontextbedingungen. Sie bewegen sich zumeist zwischen zwei idealtypischen Modellen, die dem Staat sehr unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten zuweisen. In dem Modell korporatistischer Verhandlungssysteme verbleiben dem Staat – trotz oder gerade aufgrund der geregelten Einbeziehung gesellschaftlicher Organisationen – noch immer ganz zentrale Steuerungsaufgaben, so z.B. in der Sozial-, Bildungs- oder Arbeitsmarktpolitik. Demgegenüber weist das Modell „Governance without Government“ (Rosenau/Czempiel 1992) darauf hin, dass sich der Staat aus einigen – oft
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sehr stark globalisierten und administrativ komplexen – Politikfeldern nahezu gänzlich zurückgezogen hat. Es wäre nun etwas zu einfach, die mit den Begriffen „Mehrebenensystem“ und „Governance“ umschriebenen Veränderungen als ein ausschließlich (west-)europäisches Phänomen zu interpretieren. Die Karriere des Global Governance-Ansatzes weist vielmehr darauf hin, dass sich auch in anderen Weltregionen und auf der globalen Ebene, d.h. im Kontext internationaler Organisationen wie den Vereinten Nationen (UNO), dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank oder der World Trade Organization (WTO), ähnliche Muster der staatlich-privaten Netzwerkkooperation herausgebildet haben. So wurde die Governance-Konzeption in der Europaforschung eigentlich erst prominent, nachdem sich im Anschluss an mehrere internationale Kommissionen – wie die BrandtKommission zur Internationalen Entwicklung (1980), die Palme-Kommission zu Abrüstung und Sicherheit (1982), die Brundtland-Kommission zu Umwelt und Entwicklung (1987), die Stockholm-Initiative zu globaler Sicherheit und Weltordnung (1991) oder die übergreifend programmatische Commission on Global Governance (1995) (vgl. Soederberg 2006: 16f) –, ein neues Leitbild internationaler Politik herauskristallisiert hatte. Dieses Leitbild zielt vor allem darauf, jenseits der negativen Utopien einer fortbestehenden internationalen Anarchie und eines entstehenden Weltstaats die nicht-hierarchische Institutionalisierung und Verrechtlichung transnationaler Politik zu organisieren. Die auf diese Weise geförderten Governance-Formen sollen dem allgemein diagnostizierten Verlust nationalstaatlicher Handlungsfähigkeit entgegenwirken. Vor allem sollen mit ihnen angemessene, d.h. effiziente und weithin akzeptierte Institutionen, Verfahren und Instrumente entstehen, um den neuen, tendenziell globalen Problemlagen – in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte, Armut etc. – begegnen zu können. Die Grundgedanken des Global Governance-Diskurses bestehen darin, eine institutionelle und regulative Flankierung der Globalisierung zu fördern, eine problemadäquate Kooperation von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren zu bewerkstelligen, den Bedeutungsgewinn trans-, inter- und supranationaler Handlungsebenen anzuerkennen und die Legitimation der auf diesen Ebenen getroffenen Entscheidungen durch neue Formen partizipativer Demokratie zu stärken (vgl. Messner/Nuscheler 1996; kritisch Brand et al. 2000: 160ff). All diese Aspekte bestimmen auch maßgeblich den European Governance-Diskurs. Die Vertreter dieses Diskurses heben darüber hinaus hervor, dass die innere Homogenität der Gesellschaften, die Institutionalisierung und Verrechtlichung europäischer Politik sowie die grenzüberschreitende Kooperation und Vernetzung von staatlichen wie nichtstaatlichen Akteuren in der EU sehr viel stärker ausgeprägt sind als auf der globalen Ebene. Gleiches gilt auch für die Legitimationsabhängigkeit europäischer Politik durch die gegebenen – wenn auch begrenzten – Formen der öffentlichen Diskussion und Kontrolle. Jenseits dieser unbestrittenen Besonderheiten und „Vorteile“ des europäischen Regierens ist aber auch ein Nachteil nicht zu übersehen. Dieser besteht in erster Linie darin, dass die Reichweite der europäischen Governance-Formen räumlich begrenzt ist. Die mit ihnen verbundenen Ziele bleiben – zumindest im globalen Maßstab – hinter den Ambitionen des Global-Governance-Diskurses zurück. In der Governance-Forschung, oder weiter gefasst, in den verschiedenen institutionalistisch-akteurstheoretischen Spielarten einer erweiterten Mehrebenenanalyse ist zuletzt wiederholt die Frage gestellt worden, wie sich die europäischen und globalen GovernanceArenen zueinander verhalten, d.h. in welcher Form sie aneinander gekoppelt sind und wie
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sie sich wechselseitig beeinflussen. Stark vereinfacht können zwei Analyseperspektiven unterschieden werden. Die eine Perspektive richtet den Blick primär auf die interne Globalisierung der Europäischen Union. Die EU wird hierbei als eine Handlungsarena gesehen, die sich als „Regime-Taker“ in die Funktionsweise der Weltökonomie und Weltordnung einpasst. Dies heißt, die Governance-Formen des europäischen Mehrebenensystems werden vermittelt über die Muster ihrer ökonomischen und politisch-institutionellen Einbettung transformiert (vgl. Knodt 2005). Zumeist vollziehen sich diese Transformationsprozesse eher inkrementell und kontingent. Sie bleiben inkrementell, da die Anforderungen und Anreize der globalen Ebene durch die politisch-institutionellen Funktionsbedingungen des EU-Systems – nicht zuletzt durch beträchtliche Konsens- und Kooperationszwänge – gefiltert werden; und sie bleiben gleichzeitig kontigent, da innerhalb der Akteursnetzwerke in der EU permanent diskursiv darum gerungen wird, wie auf die globalen Vorgaben angemessen zu reagieren ist. Im Unterschied zu dieser „outside-in“-Perspektive thematisiert die „inside-out“-Perspektive – ebenfalls gestützt auf eine akteurstheoretisch-institutionalistische Fassung der europäischen Mehrebenenpolitik – in erster Linie diejenigen Prozesse und Mechanismen, über die die Europäische Union als „Regime-Shaper“ nach außen die Globalisierung aktiv vorantreibt. In den verschiedenen analytischen Konzeptionen werden dabei unterschiedliche Akzente gesetzt. Einige Betrachtungen thematisieren sehr stark den Modellcharakter der EU. Sie führen diesen darauf zurück, dass die internen institutionellen und regulativen Bedingungen der EU auf andere Regionen ausstrahlen oder für die Gestaltung internationaler ökonomischer Übereinkünfte – z.B. durch die wechselseitige Anerkennung nationaler Regulierungsstandards in Verbindung mit dem Ursprungslandprinzip – nutzbar gemacht werden können (vgl. Nicolaidis/Shaffer 2005: 310f). Andere betonen die diskursive und normative Dimension europäischer Politik, also den Einsatz von „soft power“, eine im Vergleich zu den USA und anderen Großmächten größere Konzessionsbereitschaft sowie den Willen, sich in multilaterale Strukturen einzubinden, wodurch es anderen Staaten leichter fällt, kooperative Beziehungen mit der EU aufzubauen (vgl. Manners 2002; Whitman 2002; Hellmann/Wagner 2003). Und wieder andere haben ein Interpretationsraster entwickelt, das nicht nur die externen Gelegenheiten europäischer Machtpolitik in den Blick nimmt, sondern auch die internen Fähigkeiten der EU, über die Mobilisierung materieller und diskursiver Ressourcen letztlich auch die internationalen politischinstitutionellen Kooperationsformen zu stärken (vgl. Bretherton/Vogler 2006: 24ff). In diesem Kontext wird vor allem die Frage diskutiert, inwiefern die Vielzahl der Akteure, die die europäischen Außenbeziehungen gestalten, inhaltlich übereinstimmen und sich verfahrenstechnisch koordinieren, um eine nach außen konsistente und kohärente EU-Position vertreten zu können. Diese zweite „inside-out“-Perspektive macht deutlich, dass die Formen des European Governance zwar räumlich begrenzt sind, zugleich jedoch der Akteurscharakter der EU im Vergleich zu den internationalen Regimen und Institutionen deutlich stärker ausgeprägt ist. So gibt es sicherlich gute Einwände gegen die These, dass die internationalen Institutionen bereits als Keimformen einer entstehenden – allerdings stark begrenzten und abgeleiteten – (Welt-)Staatlichkeit zu begreifen sind (vgl. z.B. Hirsch 2000: 332ff). Zumindest dann, wenn mit Bezug auf Nicos Poulantzas (1978: 119) Staatlichkeit als „materielle Verdichtung“ gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse gefasst wird, die ihrerseits wiederum ein Mindestmaß an sozialer Kohäsion voraussetzt und reproduziert, kann von einer nennenswerten
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Weltstaatlichkeit noch immer keine Rede sein. Für die EU stellt sich die Situation jedoch etwas anders dar. Hier ist der Prozess der Institutionalisierung und Verrechtlichung einer den Nationalstaat übergreifenden, d.h. vergemeinschafteten Politik inzwischen so weit vorangeschritten, dass die Annahme einer supranationalen – wenngleich vielfach beschränkten und fragmentierten – Staatlichkeit, die ansatzweise auch durch Formen einer transnationalen Zivilgesellschaft abgestützt wird, als durchaus gerechtfertigt erscheint. Im European Governance Diskurs werden diese Unterschiede zwischen der globalen und der europäischen Handlungsebene zumeist nur empirisch, weniger jedoch theoretischkonzeptionell reflektiert. Von einer europäischen Staatlichkeit ist zumeist nicht, und wenn doch, dann allenfalls deskriptiv die Rede. Konzeptionell fallen die Differenzen zwischen dem Global Governance und dem European Governance Ansatz demzufolge kaum ins Gewicht. Daher ist es auch gerechtfertigt, die Kritik am Global Governance-Diskurs (vgl. hierzu Brand 2005; Stickler 2005: 212ff; Soederberg 2006: 24ff) modifiziert auch auf die European Governance-Diskussion zu übertragen: 1) Ganz allgemein ist zunächst kritisch anzumerken, dass eine der zentralen Stärken des MLG-Diskurses, nämlich als eine Art synthetisierende Diskussionsplattform die konkurrierenden theoretischen Paradigmen miteinander ins Gespräch zu bringen, analytisch nicht besonders hilfreich ist. Im Gegenteil: „Multilevel governance [...] is often confusing in its eclecticism. Hence, although it perhaps represents and describes the complex empirical reality that is the European Union, compared to the traditional theories it suffers from a lack of analytical clarity and parsimony, and as a result it is often unclear about what actually is explained through this approach.“ (van Apeldoorn et al. 2003: 27)
Von einigen der Protagonisten des MLG-Ansatzes ist dessen Erklärungsanspruch daher explizit eingeschränkt und zurückgenommen worden. Die klassische „Warum“-Frage nach den Ursachen und Triebkräften der europäischen Integration spielt allenfalls noch eine nachgeordnete Rolle. Das Erkenntnisinteresse richtet sich stattdessen ganz auf das „Wie“ des europäischen Regierens, d.h. auf die prägenden – zumeist politikfeldspezifisch identifizierbaren – institutionellen und informellen Formen politischer Interaktion (vgl. Marks et al. 1996; Jachtenfuchs/Kohler-Koch 1996). Entsprechend dieser empirisch-deskriptiven Zurückhaltung sind auch die normativen Bewertungsmaßstäbe europäischer Politik eher bescheiden. Im Rahmen des MLG-Ansatzes wird primär darüber diskutiert, ob die Formen des europäischen Regierens als hinreichend demokratisch und effektiv bezeichnet werden können. Fragen, die den politischen Inhalt und sozialen Charakter der europäischen Politik berühren, bleiben hingegen eher ausgeklammert. Welche konkreten gesellschaftlichen Ziele durch die EU gefördert werden oder welche Strategien und Machtverhältnisse – jenseits des politischen Systems im engeren Sinne – mit den Regierungsformen verknüpft sind, interessiert zumeist nur am Rande. 2) Die Forschungsagenda des MLG-Ansatzes ist empirisch zwar weit und offen angelegt, gesellschaftstheoretisch jedoch sehr viel enger, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Dies zeigt nicht zuletzt die analytische Reflexion (trans-)nationaler Machtverhältnisse und Herrschaftsstrukturen. Wenn diese Aspekte in der Governance-Diskussion thematisiert werden, so geschieht dies zumeist im Rahmen eines gesellschaftstheoretischen Analyseund Interpretationsrasters, das durch zwei ontologische Annahmen geprägt ist: Die eine –
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eher implizite – Annahme besteht darin, dass der Fortgang der europäischen Integration durch Prozesse der funktionalen Differenzierung geleitet wird. Jenseits aller Interessenkonflikte ist die Entscheidungsfindung im EU-System demzufolge primär durch funktionale Kriterien, d.h. problembezogene und komplexitätsangemessene Erwägungen bestimmt. Dies schließt durchaus auch die Existenz von Machtverhältnissen mit ein; allerdings in dem Sinne, dass diese in erster Linie dazu dienen, die Logik der funktionalen Differenzierung abzusichern. Durch die andere Annahme, der zufolge sich in der EU pluralistisch-individualisierte Gesellschaften herausgebildet haben, wird der Eindruck diffuser und sehr beweglicher Machtverhältnisse nochmals verstärkt. So bleibt der Governance-Diskussion zwar nicht verborgen, dass wirtschaftsnahe Verbände, Wissenschaftler, Think Tanks und Journalisten über einen bevorzugten Zugang zu den politischen Entscheidungsträgern im EU-System verfügen und den politischen Diskurs maßgeblich beeinflussen (vgl. Hooghe/Marks 2001; Eising/Kohler-Koch 2005). Dies wird zumeist jedoch nur durch den Verweis auf finanzielle Ressourcen und kommunikatives Geschick erklärt. Die Frage, wie die kapitalistisch geprägten, sozioökonomischen Kontextbedingungen die Formen und Inhalte politischer Autorität strukturieren (vgl. van Apeldoorn et al. 2003: 28), wird hingegen tendenziell ausgeklammert. Entsprechend kommt auch nur unzureichend in den Blick, dass dem EU-System eine spezifische strukturelle oder strategische Selektivität eingeschrieben ist, die einige soziale Interessen und Diskurse privilegiert, andere hingegen marginalisiert. 3) Letztlich verdichten sich diese machttheoretischen Defizite – also die institutionalistische Fokussierung sozialer Macht bei gleichzeitiger Ausklammerung der sozioökonomischen Grundlagen – in einer formal-institutionalistischen Staatskonzeption, mit Hilfe derer der staatliche Charakter der EU allenfalls eingeschränkt zu erfassen ist. Zumeist bezieht sich die Governance-Diskussion theoretisch-konzeptionell noch immer auf das von Max Weber skizzierte Idealbild moderner Staatlichkeit, um sich von diesem zeitdiagnostisch aber zu verabschieden. Das heißt, auf der einen Seite wird der Staat – ganz im Sinne des Weber’schen Idealtypus – nach wie vor gedacht als ein rationaler und zentralisierter Anstaltsbetrieb, charakterisiert durch die Einheit von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt sowie das hiermit korrespondierende „Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit“ (Weber 1977: 8). Auf der anderen Seite wird jedoch zugleich darauf hingewiesen, dass genau diese – formal-juridischen – Bestimmungsmerkmale moderner Staatlichkeit unter den Bedingungen von Globalisierung und Global Governance erodieren. Der Nationalstaat befindet sich demzufolge – als Resultat ökonomischer, rechtlicher und institutioneller Denationalisierungs- und Entgrenzungsprozesse – in einem Auflösungsprozess, ohne dass sich Formen einer europäischen, geschweige denn globalen Staatlichkeit herausbilden. Das Problem besteht nun darin, dass dieser Analyseperspektive wichtige Aspekte europäischer (Staats-)Politik entgehen:
Erstens wird die kollektiv bindende Gestaltungsmacht einiger supranationaler Institutionen wie der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments (EP), des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) oder der Europäischen Zentralbank (EZB) unterschätzt. Im Rahmen einer spezifisch institutionalisierten Arbeitsteilung mit den nationalen Staatsapparaten verfügen die EU-Institutionen als Kristallisationspunkte eines anerkannten europäischen Allgemeininteresses über eine eigene politische Autorität, mithin Staatsqualität.
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2 Analyse- und Interpretationsraster europäischer Globalisierungspolitik Zweitens wird nur selten thematisiert, dass die Keimformen einer entstehenden supranationalen Staatlichkeit ihrerseits die Genese einer transnationalen Zivilgesellschaft fördern. In der wissenschaftlichen Diskussion dominiert noch immer die Auffassung, dass die Entstehung einer europäischen Zivilgesellschaft aufgrund eines nicht existierenden europäischen Demos und fehlender gemeinsamer Erinnerungen, Erfahrungen und Kommunikationsmedien strukturell unmöglich ist (vgl. u.a. Kielmannsegg 1996; Bach 2008: 12f).5 Da diese ersten beiden Aspekte in der Diskussion mehr oder minder ausgeklammert werden, richtet sich die Aufmerksamkeit drittens auch kaum auf jene Prozesse, durch die das erweiterte EU-System – also die Interaktion supranationaler staatlicher und transnationaler zivilgesellschaftlicher Akteure – die gesellschaftlichen Machtverhältnisse mit gestaltet. Die Frage, ob und wie die EU auch die nationale politische Agenda und die hierauf bezogenen Diskussions-, Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse aktiv strukturiert, wird im Kontext von „Europäisierungs“-Studien zumeist nur mit Bezug auf institutionelle und regulative Prozesse, kaum aber macht- und gesellschaftsanalytisch beantwortet (zum Überblick vgl. Eising 2003; Auel 2006).
Die aufgeführten Kritikpunkte an der Governance-Diskussion lassen sich zugleich als Kriterien interpretieren, denen eine alternative Konzeption zu genügen hat, um den Staatscharakter und die Gestaltungsmacht der EU erfassen zu können. Hierzu ist nicht zuletzt eine staatstheoretische Heuristik zu entwickeln, die den Staat als soziales Verhältnis konzeptualisiert und sich zugleich vom Modell des Nationalstaats als Maßstab für die Bestimmung der Staatsqualität politischer Organisationen verabschiedet. Nur wenn die Konzeptionen des Staates und der Staatlichkeit nicht an die spezifische historische Ausprägung des Nationalstaats gekoppelt werden, öffnet sich der Blick auf die veränderten Formen des Staates, auf das neuartige Zusammenspiel unterschiedlicher Handlungsebenen und auch auf die Fragmentierung und Neujustierung staatlicher Aufgabenbereiche (vgl. auch Jessop 2006). Die EU lässt sich dann auch als ein Ensemble eigenständiger Organisationen und Netzwerke, mithin als internationaler Akteur begreifen, dessen Operationsweise – geprägt durch einen transnationalen Staats-Zivilgesellschafts-Komplex und spezifische Muster der interaktiven Einbettung politischer Entscheidungsabläufe – systematischer zu analysieren ist.
2.3 Die Globalisierungspolitik der Europäischen Union: politökonomische Grundlagen und Prozesse der interaktiven Einbettung Die analytischen Begriffe des „Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes“ und der „interaktiven Einbettung“ entstammen zwei kritischen theoretischen Diskursen, die die noch immer dominante Konzeptualisierung des Staates als eines national zentralisierten politischen Kommunikations-, Entscheidungs-, Verwaltungs- und Gewaltapparates problematisieren und die politökonomischen Grundlagen und (zivil-)gesellschaftlichen Kontextbedingungen 5 Zuweilen werden durchaus Ansätze einer – allerdings sektoral begrenzten – transnationalen Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit identifiziert (vgl. Eder 2003). Oft wird hierbei jedoch angenommen, dass zivilgesellschaftliche Strukturen primär durch eine gegen die EU-Praxis gerichtete politische Mobilisierung erzeugt werden. Als eine komplementäre Kooperations- und Kommunikationsarena, die ihrerseits die bestehenden supranationalen Staatsformen abstützt, wird die transnationale Zivilgesellschaft somit kaum thematisiert (vgl. Bieling 2001).
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staatlichen Handelns hervorheben. Bei dem Konzept der „interaktiven Einbettung“ handelt es sich um eine alternative Lesart und Weiterentwicklung der von Max Weber (1966) entwickelten Staatssoziologie. Die dominante Weber-Rezeption, die in der „bringing the state back in“-Diskussion nochmals besonders akzentuiert wurde (vgl. Evans et al. 1985), geht einerseits von einer durch die anarchische Logik des internationalen Staatensystems bestimmten Autonomie des Staates aus, andererseits aber auch von einer sehr aktiven staatlichen Gestaltungsmacht, infolge derer die Gesellschaften politisch reorganisiert werden. Genau diese „realistische“ Konzeptualisierung des Staates als eines bürokratisch zentralisierten und autonomen Akteurs wird von neo- oder post-weberianischen Ansätzen6 jedoch in Frage gestellt (vgl. u.a. Hobson/Seabroke 2001; Migdal 2001; Migdal/Schlichte 2005). Diese gelangen – entsprechend dem Leitsatz „bringing state-society relations back in“ – zu einem offeneren Staatsverständnis, mit Hilfe dessen viele der aktuellen staatlichen Transformationsprozesse präziser entschlüsselt werden können, weil die Autonomie der staatlichen Handlungslogik nicht eindimensional als Entgegensetzung, sondern als komplementäres Spannungsverhältnis zu den gesellschaftlichen Verkehrsformen konzeptualisiert wird. Dabei liegt der Fokus insbesondere auf den Formen der „interaktiven Einbettung“ des Staatshandelns, also auf einer akteurs- und diskurszentrierten Analyse der StaatsZivilgesellschafts-Beziehungen.7 Der letztgenannte Begriff macht deutlich, dass sich die post-weberianische und die von Robert Cox (1981; 1987) entwickelte neo-gramscianische Analyseperspektive, insbesondere das Konzept des Staats-Zivilgesellschaft-Komplexes, gut ergänzen. Die post-weberianischen Arbeiten befassen sich vor allem mit den konkreten Interaktionsmustern von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren. In den neo-gramscianischen Analysen werden hingegen die strukturellen politökonomischen Kontextbedingungen stärker gewichtet. Dies bedeutet, dass die Analyse der Staats-ZivilgesellschaftsKomplexe stets in Beziehung gesetzt wird zu den sozialen Produktionsbeziehungen sowie den Strukturen der Weltordnung und Weltökonomie. Diese konzeptionelle Dreiecksbeziehung – zwischen den sozialen Produktionsbeziehungen, den Staats-Zivilgesellschafts-Komplexen und den Strukturen der Weltordnung und Weltökonomie – bildet nicht nur ein instruktives Analyseraster, um die nationalstaatlichen Strategien und Transformationsprozesse zu untersuchen. Sie scheint auch hilfreich zu sein, um die Weltordnungs- und Globalisierungspolitik der Europäischen Union genauer zu bestimmen. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der europäische StaatsZivilgesellschafts-Komplex „doppelt fragmentiert“ ist: einerseits gibt es vertikale nationals6 Die jüngere Diskussion, die teils in kritischer Abgrenzung von Weber, teils aber auch mit einer sehr positiven Bezugnahme, zu einem relativ ähnlichen Staatsverständnis gelangt, ist begrifflich nicht ganz leicht zu fassen. Für die Ansätze einer kritischen historischen Soziologie scheint eher das Adjektiv neo-weberianisch (so z.B. Hobson/Seabrooke 2001) zutreffend, während für andere, stärker (de-)konstruktivistisch akzentuierte Ansätze die Kennzeichnung als post-weberianisch (so z.B. Migdal/Schlichte 2005) angemessener erscheint. Ungeachtet aller Differenzen in der Weber-Rezeption werden beide Perspektiven nachfolgend als post-weberianisch bezeichnet, da der Begriff des Neo-Weberianismus bereits für die gemeinsame negative Kontrastfolie, d.h. die staatszentrierte Autonomie-Diskussion der 1980er Jahre reserviert ist. 7 Das Konzept der „interaktiven Einbettung“ ist sehr allgemein und umfassend angelegt. Es handelt sich um ein heuristisches Analyseraster, das sich auf die sozioökonomische, institutionelle und diskursive Umrahmung des politischen Handelns bezieht. Es unterscheidet sich daher von den Konzeptionen der gesellschaftlichen „Entbettung“ und „Wiedereinbettung“ von Karl Polanyi (1977) oder des „eingebetteten Liberalismus“ von John Gerard Ruggie (1982), die explizit den zeitdiagnostischen Charakter spezifischer historischer Entwicklungskonstellationen zu bestimmen versuchen.
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taatliche Segmentierungslinien, die in den einzelnen Politikfeldern freilich unterschiedlich stark ausgeprägt sind; andererseits ist auch eine funktionale Segmentierung, d.h. eine ungleichmäßige und ungleichzeitige Vergemeinschaftung von rechtsstaatlichen, politischadministrativen, demokratisch-partizipativen und wohlfahrtsstaatlichen Organisationsmustern, nicht zu übersehen. 2.3.1 Die interaktive Einbettung staatlicher Gestaltungsmöglichkeiten Ein Verständnis des Staates, das diesen als ein soziales Verhältnis und eine intern fragmentierte Handlungsarena begreift, ist in den Schriften Max Webers zum Teil sicherlich angelegt. In der Weber-Rezeption dominierte dennoch lange Zeit eine staatszentriert-akteurstheoretische Lesart, die in Übereinstimmung mit den Annahmen der sog. realistischen Schule der internationalen Beziehungen die Autonomie des staatlichen Handelns innerhalb einer grundsätzlich anarchischen Weltordnung hervor hob. Für diese Interpretation gibt es zweifelsohne eine Reihe von Indikatoren (vgl. Hobson/Seabroke 2001: 242; Guizzini 2007: 23ff). Zunächst kann darauf verwiesen werden, dass Weber (1966: 27ff) den rationalen Staat als „anstaltsmäßigen Herrschaftsverband“ beschrieb, der sich von der Gesellschaft gleichsam abgesondert hat, um ihr als autonome Agentur gegenüber zu treten. Besonders deutlich wurde dies, wenn Weber (2006: 994) zentrale Staatsaufgaben erläuterte: so z.B. die Ausübung des Monopols legitimer physischer Gewaltsamkeit; die Definition kollektiv bindender Rechtsvorgaben; die Organisation einer einheitlichen Geld- und Fiskalpolitik, d.h. das Steuermonopol und hiermit verknüpfte finanzpolitische Steuerungsinstrumente; oder auch die externe wie interne Kontrolle und Überwachung potenziell staatsgefährdender Kräfte und Prozesse. Für Weber hatte die Verselbständigung und Rationalisierung des Staates für die kapitalistische Entwicklung insgesamt eine grundlegende und fördernde Bedeutung. Vor allem aber entfaltete sie eine bürokratische Eigendynamik: „Am Ende sehen wir, daß in dem modernen Staat tatsächlich in einer einzigen Spitze die Verfügung über die gesamten politischen Betriebsmittel zusammenläuft, kein einziger Beamter mehr persönlicher Eigentümer des Geldes ist, das er verausgabt, oder der Gebäude, Vorräte, Werkzeuge, Kriegsmaschinen, über die er verfügt. (...) Für unsere Betrachtung ist also das rein Begriffliche festzustellen: daß der moderne Staat ein anstaltsmäßiger Herrschaftsverband ist, der innerhalb eines Gebietes die legitime physische Gewaltsamkeit als Mittel der Herrschaft zu monopolisieren mit Erfolg getrachtet hat und zu diesem Zweck die sachlichen Betriebsmittel in der Hand seiner Leiter vereinigt, die sämtlichen eigenberechtigten ständischen Funktionäre aber, die früher zu Eigenrecht darüber verfügten, enteignet und sich selbst in seiner höchsten Spitze an deren Stelle gesetzt hat.“ (Weber 1966: 31)
Jenseits dieser Konzeptualisierung des Staats als einer autonomen Herrschafts-, Verwaltungs- und Steuerungsagentur gibt es Hinweise darauf, dass Weber auch andere Prämissen der realistischen Analyseperspektive – zumindest implizit – geteilt hat. So wurde von ihm das Modell eines fortwährenden Kampfes um politische Macht, gleichsam die innere Logik innergesellschaftlicher, durch Verbände und Parteien vermittelter Auseinandersetzungen, letztlich auch auf den Bereich der internationalen Beziehungen übertragen. Staaten stellten für Weber (2006: 999f) auch „nach außen gewendete Gewaltgebilde“ dar, die angetrieben durch das „Prestige-Streben“ der Staatsbeamten und Politiker international eine „unvermeidliche ‚Machtdynamik’“ erzeugen. Etwas „nüchterner“ betrachtet, kam den Regie-
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rungspolitikern die Aufgabe zu, im Sinne einer verantwortungsbewussten Bestimmung des „nationalen Interesses“, das internationale Gewicht des von ihnen repräsentierten Nationalstaats zu mehren. Diese realistische Perspektive hat Max Weber nicht zuletzt dadurch akzentuiert, dass er – als politisch engagierter Mensch und Vertreter des deutschen Nationalliberalismus – wiederholt dafür plädierte, den deutschen Machtstaat zu stärken und zu festigen (vgl. Deppe 1999: 152ff).8 Um diese „historische Aufgabe“ zu realisieren, bedurfte es freilich einer zeitgemäßen – charismatischen – politischen Führung. Von dieser wurde nicht nur verlangt, auf die externen Herausforderungen national verantwortungs- und machtbewusst zu reagieren. Ebenso großes Gewicht maß Weber der Fähigkeit zu, durch Kompetenz, Entscheidungskraft und sozialen Ausgleich – sowie die Inkorporation der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie – die innergesellschaftlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche internationale Machtpolitik zu schaffen (vgl. Rehmann 1998). Der letztgenannte Aspekt, d.h. die gesellschaftlichen Voraussetzungen einer nach innen wie nach außen gestärkten nationalstaatlichen Machtpolitik, ist in der Weber-Rezeption zumeist eher vernachlässigt worden. Dies gilt in erster Linie für die (Teil-)Disziplin der Internationalen Beziehungen. Stefano Guizzini (2007: 26) führt entsprechend aus: „An IR (International Relations, H.-J.B.) taught scholar would expect to have Weber develop his theory of ‚power politics’ simply out of the particular setting of the international without overarching authority, the opposite to the monopoly of violence within the state. One needs a bit of Hobbes, or so the story goes, and then political ‚struggle’ will inevitably lead to the permanent state of (potential) war. Weber’s picture is however far more complicated. It includes by necessity an analysis of social classes and their link to government and a series of subjective factors those leading classes may share which are related, but not reducible, to power positions and perceptions. His vision is ,inside-out’ and clearly does not see international politics as different in kind from domestic politics.“
Im Vergleich zur Weber-Rezeption in den Internationalen Beziehungen verlief die Diskussion in der Vergleichenden Politischen Ökonomie, die maßgeblich durch das „bringing the state back in“-Programm der 1980er Jahre geprägt war (vgl. Evans et al. 1985), deutlich ambivalenter. Dies kam nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass zwei unterschiedliche Versionen einer an Weber orientierten Staatstheorie präsentiert wurden. Einerseits wurde in Abgrenzung gegen die sog. gesellschaftszentrierten, d.h. pluralistischen und neo-marxistischen Ansätze eine sehr „starke“ Autonomie-These formuliert, um die institutionellen Besonderheiten und auch die politischen Gestaltungsmöglichkeiten des Staates hervorzuheben. Die institutionelle Eigenständigkeit und Autonomie des Staates – vor allem gegenüber nicht-staatlichen Akteuren – wurde unter anderem durch geopolitische Erwägungen und die Dynamik des internationalen Staatensystems, durch allgemeine gesellschaftliche Regulationserfordernisse, durch spezifische Krisenprozesse und Bedrohungsszenarien sowie durch die institutionell-organisatorische Operationsweise der Staatsmanager erklärt (vgl. Skocpol 1985: 9f). Andererseits wurde im Kontext der neo-weberianischen Staatsdiskussion aber ebenso betont, dass sich die Inhalte und der Charakter des Staatshandelns nur dann erschließen, wenn zugleich auch die sozioökonomischen Strukturen und soziopolitischen Organisati8 Das in den Schriften Webers identifizierbare Bekenntnis zum deutschen Machtstaat ist in der praktischen Politik durch die freundschaftliche Beziehung zu Friedrich Naumann, einem anderen führenden Nationalliberalen seiner Zeit, nochmals unterstrichen worden (vgl. Deppe 1999: 153ff).
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onsmuster der jeweiligen Gesellschaften mit in den Blick genommen werden (vgl. ebd. 20ff). Diese „schwache“ Autonomiethese bestimmte in erster Linie die eigenen Forschungsarbeiten. Der Blick richtete sich dabei weniger auf die Genese, als vielmehr auf die spezifische Funktionsweise staatlicher Strukturen und Institutionen, d.h. auf die durch den Staat erzeugten gesellschaftlichen Effekte. Mit anderen Worten, die Analysen konzentrierten sich vornehmlich darauf, die für den jeweiligen Staat charakteristischen Strukturmerkmale – die ihn repräsentierenden Akteure und Institutionen sowie die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen und Instrumente – zu bestimmen, um dann die hiermit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten zu untersuchen (vgl. z.B. Gourevitch 1986; Hall 1986). Auf diese Weise wurden zwar auch die Staats-(Zivil-)Gesellschafts-Beziehungen thematisiert. Gleichzeitig reproduzierte sich jedoch in dem Maße, wie durch die stilisierte Kontrastierung von staats- und gesellschaftszentrierten Ansätzen die analytische Trennung von Staat und Gesellschaft reifiziert wurde, ein dichotomes Analyseraster (vgl. Jessop 1990: 288). Dieses versperrte nicht nur den Blick auf den gesellschaftlichen Charakter des Staates. Auch die staatliche Konstitution gesellschaftlicher Verhältnisse konnte zumeist nur sehr eng – im Rahmen akteurs- und institutionentheoretischer Analysemodelle – erfasst werden. Trotz einiger Ansatzpunkte gelang es letztlich daher nicht, die eigentlich spannenden und zumeist sehr aufschlussreichen Vermittlungsprozesse zwischen Staat und Gesellschaft – unter Einschluss hybrider Interaktionslogiken wie z.B. dem Korporatismus oder politischen Netzwerken – theoretisch und empirisch genauer zu bestimmen. Eine Perspektive, die genau diese wechselseitige Interaktion von Staat und Gesellschaft ins Zentrum der theoretisch-konzeptionellen Überlegungen stellt, liefert die post-weberianische Staatsdiskussion. Die Arbeiten, die sich dieser Forschungsrichtung zurechnen lassen, beziehen sich positiv auf die „schwache“ Autonomiethese, um zugleich die spannungsgeladene Komplementarität zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Kooperations- und Kommunikationsmustern genauer auszuleuchten. Grundlegend ist mithin, dass die staatszentriert-akteurstheoretische Lesart des von Weber entwickelten Staatsverständnisses zurückgewiesen wird. Schließlich hat Weber auch ethischen Fragen und sozialen Legitimationsaspekten außenpolitischen Handelns große Bedeutung beigemessen und die staatliche Machtpolitik im Rahmen eines weiter gefassten Staats-Gesellschafts-Komplexes diskutiert (vgl. Hobson/Seabrooke 2001: 245ff; ähnlich Guizzini 2007: 26). Zudem wird argumentiert, dass es sich um eine zu einseitige Weber-Interpretation handelt, wenn Weber – unter Absehung des ideal-typischen Charakters vieler Kategorien – ein Verständnis staatlicher Macht unterstellt wird, das deren Organisationsformen als autonom, zentralisiert und statisch beschreibt. „Drawing on Max Weber’s ideal-type of the modern rational state, scholars have generally assumed the coherence, integrity, and autonomy of the modern state, and some have made the study of autonomy a cottage industry. They have all started with the state having a fixed set of boundaries and a unified set of rules that circumscribe its realm.“ (Migdal/Schlichte 2005: 2)
Die jüngere post-weberianische Diskussion beschränkt sich keineswegs auf Fragen einer angemessenen Weber-Exegese. Ihr geht es auch darum, im Rahmen der Staats-Gesellschafts-Beziehungen die heteronomen, insbesondere die dezentralisierten und dynamischen Aspekte von Staatlichkeit stärker zu akzentuieren. Nachdem diese Aspekte in den staatszentrierten Arbeiten der 1980er Jahre nur punktuell, z.B. mit Blick auf gesellschaftliche Transformationsprozesse, reflektiert wurden, rücken sie in der post-weberianischen Dis-
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kussion in den Mittelpunkt der Betrachtung. Ihnen wird vor allem deswegen eine größere Aufmerksamkeit geschenkt, weil sich die Diskussion auf eine akteurs- und diskurstheoretische Analyseperspektive stützt, die über die Operationsweise der staatlichen Institutionen im engeren Sinne hinaus geht und auch deren (zivil-)gesellschaftliche Funktionsvoraussetzungen mit thematisiert. Für das Staatsverständnis ist dies vor allem in dreifacher Hinsicht folgenreich: 1) Während in der traditionellen Lesart von Webers Staatssoziologie und in der „bringing the state back in“-Diskussion die Autonomie des Staates hervorgehoben wurde, betont die post-weberianische Diskussion die gesellschaftliche Bedingtheit staatlichen Handelns. Die Gestaltungskraft der staatlichen Politik ergibt sich demzufolge nicht daraus, dass die Staatsapparate relativ losgelöst von gesellschaftlichen Interessengruppen und diesen übergeordnet ihre Entscheidungen treffen. Im Gegenteil, die Fähigkeit der Politik, die externen Kontextbedingungen – nicht zuletzt die Funktionsweise der internationalen politischen Ökonomie – im eigenen Interesse zu gestalten, ist vielmehr durch das kompetitiv-kooperative Zusammenspiel von Staat und (Zivil-)Gesellschaft, oder, in den Worten von Leonard Seabrooke (2001: 15ff), durch die Muster einer produktiven „interactive embeddedness“ des Staatshandelns bedingt. 2) Wie die Autonomie-These, so wird auch die herkömmliche Annahme einer zentralisierten Staatsmacht, die abgetrennt und jenseits gesellschaftlicher Interessengruppen und Verbände die politischen Entscheidungsabläufe kontrolliert, in Frage gestellt. Sicherlich gibt es offizielle Diskurse, Praktiken und Symbole, über die sich die Vorstellung eines einheitlichen und zentralisierten Staates fortwährend reproduziert: so z.B. Grenzkontrollen, Personalausweise, Landkarten, Schulbücher, Währungen, Verwaltungsprozesse oder Polizei und Armee. Oft wird genau dieses Selbstbild zentralisierter Staatsmacht durch gegenläufige gesellschaftliche Diskurse und Praktiken aber auch unterminiert, wenn z.B. staatliche Vorgaben und etablierte Regeln unterlaufen oder nicht mehr befolgt werden. Dies kann durch Proteste und Regelverstöße schwacher sozialer Gruppen geschehen, aber auch durch gezielte Strategien einflussreicher sozialer Klassen: „Strong groups in society and well-placed individuals in the state institutionalize new networks, coalitions, alliances, and partnerships that produce alternative sets of practices, ones that defy the existing territorial boundaries of the state as well as the barrier between state and society, private and public, and legal and illegal.“ (Migdal/Schlichte 2005: 25)
Das Zusammenspiel von staatlichen und gesellschaftlichen Diskursen und Praktiken verdeutlicht, dass der Staat keinen in sich geschlossenen, kohärenten und widerspruchsfreien Apparat darstellt. Er bildet vielmehr das komplexe Ensemble einer Vielzahl von Institutionen und Akteuren, deren Leitbilder und Interessen sich nicht nur wechselseitig stützen, sondern mitunter auch in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Als ein spezifisch institutionalisiertes Kräftefeld ragt der Staat einerseits weit in die Gesellschaft hinein; andererseits bleibt er zugleich auf die Zusammenarbeit mit einflussreichen sozialen Kräften angewiesen. Die vormals zentralisierte Staatskonzeption wird in der post-weberianischen Diskussion demzufolge durch eine Konzeption des dezentralisierten Staates ersetzt, die auch die Mechanismen der Diffusion staatlicher Macht – unter Einschluss der gesellschaftlichen Praktiken und Diskurse – berücksichtigt.
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3) Schließlich wird in den post-weberianischen Ansätzen das statische durch ein dynamisches Staatsverständnis ersetzt. Während die staatszentrierten Konzeptionen davon ausgehen, dass der Charakter, der Zweck und die Funktionsweise des Staates mehr oder minder gegeben sind und sich im Zeitablauf kaum verändern, betonen die post-weberianischen Schriften die Prozesse der fortlaufenden Rekonfiguration von Staatlichkeit (vgl. ebd.: 19ff). Der Staat stellt demnach keine fixe, ein für allemal definierte politische Einheit dar, sondern ein soziales Verhältnis dessen institutionelle Verfasstheit sich immer wieder verändert. Oft wandeln sich die Organisationsmuster, Operationsweisen und Instrumente staatlichen Handelns nur inkrementell. Zuweilen sind aber auch größere Brüche erkennbar. Letztere ereignen sich zumeist in Phasen tiefer gesellschaftlicher Krisen und Umbrüche, in deren Verlauf sich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zwischen den sozialen Klassen und Gruppen verschieben und das vorherrschende Selbstbild staatlicher Politik einer grundlegenden Revision unterworfen wird. Die skizzierte Heteronomisierung, Dezentralisierung und Dynamisierung des Staates ist nicht nur instruktiv, um ein Analyseraster für die komplexen Prozesse der nationalstaatlichen Reorganisation zu entwickeln. Sie lenkt den Blick ebenso darauf, dass sich die Formen und Organisationsmuster von Staatlichkeit über den nationalen Rahmen hinaus auch auf die regionale, europäische und potenziell auch globale Ebene erstrecken. Auf all diesen Ebenen lassen sich – freilich mit unterschiedlicher Qualität – einige Aspekte von Staatlichkeit identifizieren, d.h. spezifisch institutionalisierte Kräftefelder, im Rahmen derer kollektiv bindende Regeln definiert und in Kooperation mit der nationalstaatlichen Ebene garantiert und umgesetzt werden. Diese „Arbeitsteilung“ zwischen den Ebenen – z.B. in der Politikdefinition, Umsetzung und Kontrolle – ist auch in der Europäischen Union anzutreffen. Schließlich verfügt in der EU die supranationale Staatsebene zwar über weitreichende Gestaltungskompetenzen, aber über keinen eigenen administrativen Unterbau. Dies verdeutlicht, dass die unterschiedlichen Ebenen und Dimensionen von Staatlichkeit nicht unabhängig voneinander existieren, sondern in einem wechselseitigen, oft spannungsgeladenen Verweisungszusammenhang stehen. Über diese konzeptionelle Offenheit für die Analyse post-nationaler Staatlichkeit hinaus, sind die post-weberianischen Überlegungen aber auch noch aus einem weiteren Grund hilfreich. Sie machen nachdrücklich darauf aufmerksam, dass sich der soziale Charakter und die Gestaltungskraft staatlicher Institutionen und Akteure nur dann erschließen, wenn zugleich auch das Zusammenspiel mit (zivil-)gesellschaftlichen Akteuren und Diskursen analysiert wird. Der Konzeption der „interaktiven Einbettung“ des Staatshandelns kommt daher eine grundlegende Bedeutung zu. In den Worten von Leonard Seabrooke (2001: 3): „The interactive embeddedness within a state – that is, the degree of competition and cooperation between state and key social actors – is particularly important in understanding the sources of structural power within the international political economy. Interactive embeddedness generates state capacity, which provides the means for a state to create structural power.“
Im Unterschied zu „relationaler” Macht, mit der zumeist die Fähigkeit bezeichnet wird, das Verhalten anderer sozialer Akteure unmittelbar zu beeinflussen, handelt es sich bei der „strukturalen“ Macht um eine sehr weit ausgreifende Konzeption sozialer Macht. In den Worten von Susan Strange (1994: 24f):
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„Structural power […] is the power to shape and determine the structures of the global political economy within which other states, their political institutions, their economic enterprises and (not least) their scientiests and other professional people have to operate. […] Structural power […] confers the power to decide how things shall be done, the power to shape frameworks within which states relate to each other, relate to people, or relate to corporate enterprises.“
Unter strukturaler Macht ist nicht allein die unmittelbar politische Dimension der internationalen Beziehungen, also das Agenda-Setting und die Aushandlung internationaler Regime und Institutionen, zu verstehen. Strukturale Macht meint mehr. Sie umschließt auch die Kontrolle und Gestaltung der materiellen Reproduktion, d.h. der internationalen Produktions- und Handels-, Finanz- und Sicherheitsstrukturen, sowie die Organisation von Wissen, Informationen und Überzeugungen. Die Annahme, dass die Gestaltungsmacht staatlicher Institutionen, d.h. deren Fähigkeit, sich innerhalb der globalen oder transnationalen Machtstrukturen selbstbestimmt zu positionieren, maßgeblich durch die Muster der interaktiven Einbettung des Staates und die Beschaffenheit der Staats-Zivilgesellschaftsbeziehungen bestimmt ist, bedarf freilich einer konzeptionellen Spezifizierung. Denn auch staatszentrierte Ansätze thematisieren mitunter die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Interessenverbände; und politökonomisch wird von ihnen durchaus das Verhältnis von Staat und Markt in den Blick genommen. Im Unterschied zur post-weberianischen Perspektive tendieren die staatszentrierten Ansätze zumeist jedoch dazu, die Netzwerke der zivilgesellschaftlichen Kooperation wie auch die Marktverhältnisse als Hindernisse oder „Schranken“ einer starken staatlichen Gestaltungsmacht zu betrachten. Es wird damit eine gewisse Gegensätzlichkeit von Staat und Zivilgesellschaft oder von Staat und Markt angenommen, anstatt das Potenzial der manchmal spannungsvollen, oft jedoch komplementären Interaktionsmuster von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren zu untersuchen. In dem Maße, wie die post-weberianischen Ansätze die These staatlicher Autonomie relativieren und die komplementären Aspekte von Staat und Zivilgesellschaft betonen, gelangen sie letztlich zu einer differenzierteren – innen- und außenpolitischen – Bestimmung staatlicher Stärke und Gestaltungsmacht: „‚Strong’ state capacity [...] reflects a developed interactive embeddedness; competition and cooperation between a state and its key social actors. This dynamic minimizes the costs for a state, in the sense that coercion and repression to enforce participation is much more expensive than voluntary participation. Thus, a diffusion of power through society is less costly for a state than a centralization of power against society, and increases the ability of a state to reconstitute itself in response to or to enact international and domestic change.“ (Seabrooke 2001: 44)
Die Fähigkeit eines Staates, die nationalen und internationalen Beziehungen effektiv zu organisieren, stützt sich demzufolge maßgeblich darauf, die staatlichen Regulierungskapazitäten durch eine kontrollierte Diffusion politischer Macht zu ergänzen und abzusichern. Dies schließt mit ein, dass die Machtbeziehungen zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zumeist nicht der Logik eines „Null-Summen-Spiels“ folgen. Sie stellen vielmehr ein kompetitiv-kooperatives Arrangement dar, das eine gewisse Rivalität, ebenso aber auch das Potenzial einer produktiven Zusammenarbeit enthält. Die neo-weberianische Diskussion, insbesondere die Konzeption der interaktiven Einbettung, liefert nun allerdings nicht nur viele Einsichten und hilfreiche Anregungen für die Anlage empirischer Analysen. Sie ist auch durch Schwächen oder Engführungen gekenn-
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zeichnet. So werden einige Aspekte der Staat-Zivilgesellschaftsbeziehungen theoretischkonzeptionell – und in der Folge auch empirisch – nicht oder nur unzureichend erfasst: Erstens wird die transnationale Dimension der Staats-Zivilgesellschaftsbeziehungen unterschätzt, zumindest nicht explizit thematisiert. Im Zentrum der Diskussion steht vor allem die Frage, über welche materiellen und diskursiven Konkurrenz- und Kooperationsmuster sich die nationalen Staat-Zivilgesellschaftsbeziehungen transformieren. Dass im Prozess der interaktiven Einbettung auch inter- und transnationale Akteure, also andere Staaten, internationale Organisationen, Wirtschaftsnetzwerke, NGOs oder Think Tanks eine wichtige Rolle spielen, wird empirisch zwar zur Kenntnis genommen, konzeptionell bislang jedoch nicht systematisch reflektiert. Dabei sind die post-weberianischen Ansätze aufgrund der stärkeren Betonung der Aspekte einer heteronomen, dezentralisierten und dynamisch-flexiblen Staatlichkeit prinzipiell offen für Transnationalisierungsprozesse. Es liegt daher auf der Hand, diese Offenheit durch andere Ansätze, die explizit die Transnationalisierungsprozesse in den Blick nehmen, konzeptionell weiter auszubauen. Zweitens werden auch die produktiv-materiellen Aspekte der interaktiven Einbettung nur punktuell betrachtet – z.B. mit Bezug auf die Investitions- und Kreditbeziehungen im Finanzsystem (vgl. Seabrooke 2001) –, nicht jedoch systematisch und umfassend in die Analyse mit einbezogen. Der Fokus liegt zumeist sehr viel enger auf der institutionellen Vermittlung und diskursiven Umrahmung der Staats-Zivilgesellschafts-Beziehungen. Tatsächlich bilden die sozialen Produktionsbeziehungen in der internationalen Handels-, Finanzmarkt- und Sicherheitspolitik – ebenso wie in einer Reihe weiterer Politikfelder – jedoch eine strukturierende Grundlage der staatlich-zivilgesellschaftlichen Kooperation. Wie für den ersten Kritikpunkt, so gilt auch hier, dass diese Ausblendung innerhalb der post-weberianischen Diskussion möglicherweise korrigierbar ist. Für eine systematische Erweiterung und politökonomische Fundierung des Analyserasters ist es jedoch erforderlich, das Konzept der interaktiven Einbettung in den Kontext einer komplementären, weiter ausgreifenden theoretischen Diskussion zu stellen. Drittens schließlich gibt es die Tendenz, die Prozesse der interaktiven Einbettung des Staatshandelns primär unter funktionalen Aspekten zu beleuchten. Die soziale Selektivität dieser Prozesse, d.h. die herrschaftssoziologische Dimension öffentlicher Diskurse und politischer Kooperationsformen, tritt hingegen in den Hintergrund. Auch hier ist anzumerken, dass es sich bei dieser tendenziellen „Ausblendung“ keineswegs um einen „blinden Fleck“ handelt, der der post-weberianischen Perspektive notgedrungen eingeschrieben ist. Im Gegenteil, ihr ist die kritische Reflexion bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse durchaus ein wichtiges Anliegen. Dies kommt zuweilen allerdings nicht zum Tragen, da die herrschaftssoziologischen Dimensionen – im Kontext einer kritischen Modernisierungstheorie – oft nur sehr allgemein beschrieben werden. So gibt es in der post-weberianischen Diskussion zwar einige Anregungen, jedoch keine eigenen analytischen Konzepte, über die sich die strukturelle und strategische Selektivität der interaktiven Einbettung genauer bestimmen lässt. Auch hier liegt es daher nahe, durch die Rezeption komplementärer Ansätze die herrschaftssoziologische Perspektive zu stärken und zu schärfen. 2.3.2 Zum Verhältnis von Ökonomie, Staat und (Zivil-)Gesellschaft Einen solch komplementären Ansatz, durch den einige der struktur- und herrschaftsanalytischen Schwächen der post-weberianischen Diskussion überwunden werden können, stellt
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die neo-gramscianische Internationale Politische Ökonomie dar (zum Überblick vgl. Jacobitz 1991; Scherrer 1994; Bieling/Deppe 1996a; Bieler/Morton 2006). Inzwischen ist es üblich geworden, vom „Neo-Gramscianismus“ zu sprechen, wenngleich diese Bezeichnung in mancher Hinsicht zu eng ist. So sind in der kritischen IPÖ-Diskussion auch der Einfluss und die Anregungen anderer Theoretiker wie Karl Marx, Fernand Braudel, Karl Polanyi oder Max Weber nicht zu übersehen. Eigentlich scheint es daher zutreffender, die nachfolgend erläuterte Forschungsrichtung nicht als neo-gramscianische IPÖ, sondern als „Transnationalen Historischen Materialismus“ zu bezeichnen. Letztlich hat der Begriff des NeoGramscianismus jedoch insofern seine Berechtigung, als trotz der vielfältigen anderen Einflüsse den im Anschluss an Antonio Gramsci entwickelten Konzepten – wie z.B. dem der „Hegemonie“, des „historischen Blocks“, der „Zivilgesellschaft“ oder der „passiven Revolution – eine besondere Bedeutung zukommt. Sie bilden wichtige analytische Instrumente eines übergreifenden Forschungsprogramms, dessen theoretische Perspektive vor allem durch folgende (Unterscheidungs-)Merkmale gekennzeichnet ist: (1) Erstens stützt sich die neo-gramscianische IPÖ auf ein spezifisches Verständnis von inter- oder transnationaler Hegemonie. Sie unterscheidet sich damit von (neo-)realistischen Ansätzen, die Hegemonie mit der Dominanz eines ökonomisch und militärisch überlegenen Nationalstaats gleichsetzen und den hegemonialen Aufstieg und Niedergang durch eherne Gesetzmäßigkeiten zu erklären versuchen (vgl. Kennedy 1989). Im Kontrast hierzu ist der neo-gramscianische Hegemoniebegriff umfassender und historisch angelegt. Er ist umfassender angelegt, weil Hegemonie als ein konsensual abgestützter Modus transnationaler Vergesellschaftung, einschließlich der Klassenbeziehungen, ideologischen Verhältnisse sowie Herrschafts- und Konsensstrukturen, begriffen wird: „Hegemony at the international level is thus not merely an order among states. It is an order within a world economy with a dominant mode of production which penetrates into all countries and links into other subordinate modes of production. It is also a complex of international social relationships which connect the social classes of the different countries. World hegemony is describable as a social structure, an economic structure, and a political structure; and it cannot be simply one of these things but must be all three. World hegemony, furthermore, is expressed in universal norms, institutions and mechanisms which lay down general rules of behavior for states and for those forces of civil society that act across national boundaries – rules which support the dominant mode of production.“ (Cox 1983: 171f)
Darüber hinaus unterbreitet die neo-gramscianische IPÖ ein explizit historisches Verständnis von Hegemonie. Die Prozesse, über die sich hegemoniale Strukturen herausbilden, werden als grundsätzlich offen und historisch wandelbar konzeptualisiert. So mag Hegemonie in der Vergangenheit sehr stark durch die Führungskraft eines einzelnen Nationalstaats ausgeübt worden sein. Im Kontext der Globalisierungsdynamik liegt es nun jedoch nahe, die Kopplung von Hegemonie und Nationalstaat zu lockern und die transnationale Dimension hegemonialer Strukturen verstärkt in den Blick zu nehmen (vgl. Sklair 2001; Robinson 2004; Bieling 2007a). (2) Das Hegemonie-Konzept lässt bereits erkennen, dass die neo-gramscianische IPÖ im Unterschied zu realistisch-staatszentrierten Ansätzen durch ein soziologisch informiertes Verständnis des Staates gekennzeichnet ist. Der Staat bildet demzufolge nicht einfach einen autonomen „Macht-Container“, sondern vielmehr eine spezifisch institutionalisierte
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Arena sozialer (Klassen-)Kämpfe (vgl. Cox 1987: 19), deren Operationsweise ihrerseits an gesellschaftliche Macht- und Kräfteverhältnisse und die Strukturen der sozioökonomischen, kulturellen und ideologischen Reproduktion rückgebunden ist. Zwischen den Strukturen der inter- oder transnationalen Hegemonie und dem sozialen Alltagshandeln gibt es allerdings eine Vielzahl von Vermittlungsprozessen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Arenen der Zivilgesellschaft, die ihrerseits das Terrain bilden, auf dem unterschiedliche Kräfte um Deutungsmacht, d.h. moralische und intellektuelle Führung ringen. In der neogramscianischen IPÖ ist demzufolge von Staats-Zivilgesellschafts-Komplexen die Rede, die über die offiziellen Staatsapparate und die Regierungspraxis hinaus unter Berücksichtigung des Alltagshandelns und Alltagsbewusstseins auch die Prozesse der zivilgesellschaftlichen Konsensgenerierung und Kompromissfindung umschließen. (3) Ob sich tragfähige inter- und transnationale hegemoniale Strukturen heraus kristallisieren, ist jedoch nicht nur durch die Interaktion von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren bestimmt, sondern auch durch die allgemeinen sozioökonomischen (Re-) Produktionsbedingungen, d.h. die produktiven Potenziale eines spezifischen – international zumindest partiell verallgemeinerbaren – Entwicklungsmodells. In der neo-gramscianischen IPÖ wird ein solches Entwicklungsmodell zumeist als transnationaler „historischer Block“ bezeichnet. Ein solcher Block ist dann gegeben, wenn innerhalb einer historischen Konstellation ein – mehrere nationale Gesellschaftsräume übergreifendes – relativ kohärentes Zusammenspiel von ökonomischer Akkumulation, politisch-institutioneller Regulation und zivilgesellschaftlichen Diskursen erkennbar ist. (4) Die Herausbildung eines solchen „historischen Blocks“ folgt keinem Masterplan, sondern ist historisch kontingent. Sie beruht maßgeblich auf der Fähigkeit sozialer und politischer Akteure, ihre Interessen in der Form allgemein akzeptierter Ideen, Normen, Regeln und Institutionen zu universalisieren. In der neo-gramscianischen IPÖ wird dieser Prozess der Ausbreitung und Verallgemeinerung von Hegemonie als „passive Revolution“ beschrieben. Hierbei handelt es sich um eine „von außen“ und/oder „von oben“ eingeleitete Transformation gesellschaftlicher Strukturen, also um eine Umwälzung, die sich ohne eine wirkliche, „von unten“ realisierte Revolution vollzieht. Im Gegenteil, im Prozess der Verallgemeinerung hegemonialer Strukturen werden die sozialen Kräfte (semi-)peripherer Staaten von „außen“ oder „oben“ entweder – durch materielle Vorteile und Konzessionen sowie über weithin geteilte Leitbilder der gesellschaftlichen Modernisierung und internationalen Regulation – in den transnationalen hegemonialen Block eingebunden oder aber, sofern sie antagonistische Interessen und Projekte verfolgen, materiell und politischdiskursiv neutralisiert und marginalisiert. (5) Ob diese komplementären Strategien der transnationalen „Einbindung“ und „Marginalisierung“ erfolgreich sind, ist jedoch keineswegs gewiss. Die neo-gramscianische IPÖ geht vielmehr davon aus – und hierauf stützt sich im Kern ihr Selbstverständnis als „kritische Theorie“ in Abgrenzung zu „Problemlösungstheorien“ (vgl. Cox 1981: 128f) –, dass den gegebenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen jeweils spezifische Widersprüche eingeschrieben sind, die sich unter bestimmten Bedingungen auch politisch artikulieren. Hiermit ist nicht unterstellt, dass die inneren Widersprüche in Phasen gesellschaftlicher Umbrüche und Krisenprozesse eine notgedrungen progressive Dynamik entfalten. Eine derart optimistische Grundhaltung ist durch viele Gegenbeispiele einer autoritär-repressiven Bearbeitung von Hegemoniekrisen widerlegt worden. Gleichzeitig wäre es aber auch zu einseitig, die optimistische a priori durch eine pessimistische Grundhaltung zu ersetzen und die Chancen
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des Wandels, d.h. die emanzipatorischen Potenziale, die durch Widersprüche und Krisenprozesse freigelegt werden, von vornherein zu ignorieren. Die neo-gramscianische IPÖ will beiden Einseitigkeiten dadurch entgehen, dass sie die jeweils spezifischen historischen Bedingungen, unter denen sich Widersprüche und Krisenprozesse entfalten, einer genaueren Analyse unterzieht. Alles in allem stellt die neo-gramscianische IPÖ der institutionalistisch-staatszentrierten Sichtweise eine Analyseperspektive gegenüber, die – ähnlich wie die zuvor skizzierten post-weberianischen Ansätze – die zivilgesellschaftlichen und sozioökonomischen Einbettungs- und Interaktionsmuster des staatlichen Handelns hervorhebt. Den staatlichen Institutionen und Akteuren kommt nach wie vor eine zentrale Bedeutung zu; insbesondere wenn es darum geht, kollektiv verbindliche Regeln auszuhandeln und durchzusetzen. Um zu verstehen, warum und wie welche Regeln staatlich definiert und garantiert werden, ist es jedoch ebenso notwendig, auch die Produktionsverhältnisse und Klassenbeziehungen sowie die ideologisch-diskursiven Prozesse der zivilgesellschaftlichen Konsensgenerierung, d.h. die hegemonialen Interpretationsmuster und Leitbilder, in die Analyse mit einzubeziehen. Die ökonomischen und ideellen Grundlagen politischer (Institutionalisierungs-)Prozesse sind dabei auch im internationalen Handlungskontext zu thematisieren. So gelangt Robert W. Cox (1981; 1987) zu einem Analyseraster, in dessen Zentrum die Dreiecksbeziehung zwischen den sozialen Produktionsbeziehungen, dem Staats-Zivilgesellschafts-Komplex sowie den Strukturen der Weltordnung und Weltökonomie steht (vgl. Schaubild 1). Schaubild 1: Soziale Produktionsbeziehungen, Staats-Zivilgesellschafts-Komplex und Weltordnung/Weltökonomie nach Robert W. Cox
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Cox (1981: 138). Mit der Dreiecksbeziehung werden einige der zentralen Dimensionen angesprochen, die die Entwicklung „historischer Strukturen“ – im Sinne (trans-)nationaler und globaler Macht- und Herrschaftsverhältnisse – maßgeblich bestimmen. Die aufgeführten Dimensionen sind für die interaktive Einbettung der jeweiligen Politik- und Handlungsfelder, so auch der Handels-, Finanzmarkt- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, von grundlegender Bedeutung. Die materielle, diskursive und institutionelle Gestaltungsmacht (national-)staatlicher Gebilde wird in starkem Maße durch das Ensemble interaktiver Einbettungsprozesse geprägt. Um die Potenziale und Grenzen der Machtausübung zu erfassen, müssen jedoch nicht nur die Interaktionsprozesse, sondern auch die konstitutiven Elemente der Dreiecksbeziehung selbst genauer bestimmt werden. (1) Den sozialen Produktionsbeziehungen kommt innerhalb des Analyserasters insofern eine zentrale Bedeutung zu, als sie die Strukturen, Kräfte und Praktiken gesellschaftlicher
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Formationen wesentlich strukturieren. Das Adjektiv „sozial“ lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass die Produktion andere gesellschaftliche Bereiche nicht einfach ökonomisch determiniert. Sie stellt vielmehr selbst ein soziales Kräftefeld dar, d.h. ein Terrain der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, das durch politische, institutionelle und kulturelle Faktoren, also durch die Einflüsse anderer Handlungsarenen mit gestaltet wird. Der von Cox (1989: 39) verwendete Begriff der Produktion ist demzufolge umfassend-integral angelegt. Er beschränkt sich nicht auf die „production of physical goods used or consumed. It covers also the production and reproduction of knowledge and of the social relations, morals, and institutions that are prerequisites to the production of physical goods.“
Darüber hinaus ist das Verständnis von Produktion zugleich aber auch intern differenziert. Die von Cox verwendeten Begriffe der „Produktionsverhältnisse” (production relations), der „sozialen Produktionsbeziehungen“ (social relations of production) und der „Machtbeziehungen in der Produktion“ (power relations of production) beziehen sich alle auf den gleichen Gegenstandsbereich, heben zugleich aber spezifische Aspekte hervor: „Production relations is the broadest term, including the relationship between the people involved and the world of nature, i.e., technology, as well as the relations between the various groups of people and the legal and institutional forms to which these relations give rise and which structure them. The term social relations of production focuses attention more specifically on the pattern or configuration of social groups engaged in the process, and the term power relations of production focuses on the dominant-subordinate nature of this pattern of social relations.“ (Cox 1987: 12)
Alle drei Begriffe weisen darauf hin, dass der Prozess der kapitalistischen Produktion und Akkumulation durch ein umfassendes Set von sozialen Verhältnissen und Machtbeziehungen organisiert wird. Im engeren Sinne, d.h. sozioökonomisch, sind insbesondere die Beziehungen zwischen Managern, Angestellten und Arbeitern, zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen, zwischen Firmen und Haushalten oder zwischen Gläubigern und Schuldnern aufschlussreich. Etwas weiter gefasst, spielt aber ebenso eine Rolle, wie durch den Staat oder internationale Verträge die sozialen Produktionsbeziehungen rechtlich und institutionell geregelt werden oder wie über zivilgesellschaftliche Diskurse und Auseinandersetzungen die Transformation der politisch-institutionellen und rechtlichen Regulation herbeigeführt und legitimiert wird. Die ökonomischen, sozialen und (macht-)politischen Effekte von wirtschafts- und wettbewerbspolitischen sowie produktionsorganisatorischen Veränderungen können dabei sehr unterschiedlich sein. Sie können dazu beitragen, einen Wirtschaftsraum und dessen politische Institutionen zu stärken, wenn durch die Veränderungen signifikante Modernisierungsimpulse gesetzt werden und die tradierten Formen der sozialen Produktionsbeziehungen weitgehend intakt bleiben. Ebenso können die wirtschafts- und wettbewerbspolitischen oder produktionsorganisatorischen Veränderungen aber auch destabilisierend wirken, wenn durch sie die sozialen Voraussetzungen und produktiven Grundlagen der Akkumulation beeinträchtigt werden. (2) Trägt die Analyse der sozialen Produktionsbeziehungen vor allem dazu bei, die produktiven Potenziale eines Wirtschaftsraums und den Wandel gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse zu bestimmen, so wird durch die Untersuchung des Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes in den Blick genommen, wie sich die sozioökonomischen Potenziale im öffentlichen
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Diskurs und Staatshandeln politisch artikulieren. Der Begriff des Staats-ZivilgesellschaftsKomplexes schließt sehr direkt an die staatstheoretischen Überlegungen von Antonio Gramsci an (vgl. Cox 1981: 134). Dieser hatte in den 1920er Jahren die These aufgestellt, dass sich die politischen Organisationsformen entwickelter kapitalistischer Gesellschaften in zweifacher Hinsicht verändert hatten: Zum einen ließ sich eine Tendenz zur Durchstaatlichung der Gesellschaft beobachten, d.h. eine zunehmende staatliche Intervention in die Ökonomie und ein wachsender staatlicher Einfluss auf die zivilgesellschaftliche Kommunikation. Zum anderen expandierte zugleich aber auch die Zivilgesellschaft, und zwar als eine Arena, über die die staatlichen Kontrollansprüche institutionell, kulturell und diskursiv zusätzlich gefestigt werden. Diese Entwicklungen führten Gramsci (1991ff: 733, 783, 874) letztlich zur Konzeption des „erweiterten“ oder „integralen Staates“, der beides umschließt: die politische Gesellschaft und die zivile Gesellschaft. Unter der politischen Gesellschaft ist der Staat im engeren Sinne zu verstehen, also das Ensemble der gesetzgebenden, administrativen und juristischen Institutionen, die kollektiv bindende Regeln und Entscheidungen definieren und auch durchsetzen. Im Unterschied hierzu repräsentiert die Zivilgesellschaft den institutionalisierten Diskursraum, über den die bestehenden Herrschaftsverhältnisse konsensual abgesichert, zuweilen aber auch in Frage gestellt werden. Gemäß der Konzeption des „integralen Staates“ oder Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes ist die Zivilgesellschaft mithin als ein umkämpftes Terrain der gesellschaftlichen Konsensgenerierung zu begreifen. Beide Bereiche – der Staat im engeren Sinne und die Zivilgesellschaft – stehen in einem komplementär-kompetitiven Spannungsverhältnis. Im Unterschied zu den Ansätzen des zivilgesellschaftlichen Liberalismus und Republikanismus (vgl. Rödel et al. 1991; Habermas 1994: 443ff; Marchart 2001) stellt die Zivilgesellschaft nicht notgedrungen einen Gegenpol oder ein kritisches Korrektiv zu den etablierten politischen Machtzentren dar. Im Gegenteil, die staatlichen Institutionen strukturieren ihrerseits – finanziell, organisatorisch und politisch-diskursiv – das Feld der zivilgesellschaftlichen Deutungskämpfe, nutzen also die Arenen der Zivilgesellschaft, um die bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse ideologisch abzusichern. Der Erfolg dieser Bestrebungen ist allerdings keineswegs garantiert. Schließlich eröffnet die Zivilgesellschaft auch für andere – potenziell (system-)oppositionelle – Kräfte wie Parteien, Verbände, Gewerkschaften, Intellektuelle und soziale Bewegungen die Chance, gesellschaftliche Widersprüche, Krisen und Probleme öffentlich zu artikulieren, indirekt also die Richtung und die Inhalte politischer Diskussions- und Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Der Staat stellt demzufolge keine autonome Kraft, sondern vielmehr ein gesellschaftliches Kräftefeld dar. Die politische Gestaltungsmacht von staatlichen Akteuren wird durch die gegebenen materiellen Grundlagen und Voraussetzungen – d.h. die sozialen Produktionsbeziehungen, das ökonomische Entwicklungsniveau oder die verfügbaren Ressourcen – grundlegend strukturiert. Sie unterliegt darüber hinaus aber auch der zivilgesellschaftlichen Kontrolle und Einflussnahme. Dies unterstreichen die vielfältigen Formen der Kooperation von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren oder die öffentlichen Ideen, Diskurse und Auseinandersetzungen, die eine hinreichende oder fehlende öffentliche Unterstützung für die Regierungspolitik signalisieren können. Um die spezifische Wirkung von Diskursen und Ideen zu erfassen, unterscheidet Cox (1981: 136) zwischen intersubjektiven Bedeutungen und kollektiven Vorstellungen:
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In welchem Maße die Zivilgesellschaft auf der Grundlage intersubjektiv geteilter Wissensbestände oder konkurrierender Ideale und Überzeugungen die staatlichen Aushandlungsund Entscheidungsprozesse mitgestaltet und kontrolliert, stellt sich in den unterschiedlichen Politikfeldern spezifisch dar. Zumeist sind die öffentlichen Legitimationszwänge staatlicher Politik dann sehr groß, wenn – verteilungspolitisch hart umkämpfte – innenpolitische Themen verhandelt werden, die eine unmittelbare Auswirkung auf die Organisation der Lebensverhältnisse haben. Im Unterschied hierzu werden außen(wirtschafts)politische Fragen, vor allem dann, wenn sie mit vielen technisch-regulativen Details behaftet sind, in den öffentlichen Diskussionen weniger wahrgenommen. Seit den 1990er Jahren scheint sich diese klare Zuordnung jedoch aufzulösen. Inzwischen werden in den – mittlerweile transnationalisierten – Zivilgesellschaften viele der vormals technokratisch, von Experten und außenpolitischen Exekutivorganen, regulierten Fragen, zunehmend politisiert (vgl. Zürn 2006). Letzteres weist darauf hin, dass die strukturelle Selektivität des Staates, d.h. die institutionellen und diskursiven Filter, die die politischen Prozesse des Agenda-Settings und der Entscheidungsfindung strukturieren, ihrerseits einem Veränderungsprozess unterliegt und (zivil-)gesellschaftlich umkämpft ist. (3) Das dritte Element der Dreiecksbeziehung bilden schließlich die Strukturen der Weltordnung und Weltökonomie. Für Cox (1981: 138f) stellen diese Strukturen den globalen Rahmen dar, innerhalb dessen sich die jeweiligen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe politisch bewegen. Sie sind zugleich Ausdruck einer historisch spezifischen – gesellschaftlichen wie internationalen – Kräftekonfiguration, d.h. des Zusammenspiels von materiellen Machtverhältnissen, intersubjektiven Interpretationsmustern, konkurrierenden Leitbildern und internationalen Institutionen. Die Strukturen der Weltordnung und Weltökonomie sind demzufolge nicht einfach gegeben. Sie werden vielmehr aktiv erzeugt und reproduziert. Analytisch lassen sich hegemoniale und nicht-hegemoniale Weltordnungsstrukturen unterscheiden. Hegemoniale Strukturen sind immer dann gegeben, wenn eine Allianz sozialer Kräfte – bestehend aus sozialen Klassen, Staatsapparaten und Intellektuellen – in der Lage ist, hinreichende materielle, institutionelle und auch ideelle Fähigkeiten zu mobilisieren, um einen weithin akzeptierten globalen Handlungsrahmen zu errichten. Ein solcher Handlungsrahmen schließt informelle Praxen durchaus mit ein. Er stützt sich zumeist aber auf klar geregelte und fest institutionalisierte Kooperationsmuster. So kommt den internationalen Institutionen vor allem die Aufgabe zu, in einem unsicheren und unübersichtlichen Umfeld die Erwartungen zu stabilisieren und dem Anspruch nach universelle Normen zu verallgemeinern. Robert W. Cox (1983: 172) führt in diesem Sinne aus: „[...] international organisation functions as the process through which the institutions of hegemony and its ideology are developed. Among the features of international organisations which express its hegemonic rôle are the following: (1) they embody the rules which facilitate the expansion of hegemonic world orders; (2) they are themselves the product of the hegemonic world order; (3) they ideologically legitimate the norms of the world order; (4) they co-opt the elites from peripheral countries and (5) they absorb counter-hegemonic ideas.“
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Die Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe fügen sich in den – durch internationale Organisationen und Regime in wachsendem Maße regulierten – globalen Kontext jeweils spezifisch ein. Bedingt durch ihre begrenzte wirtschaftliche Leistungskraft und politische Gestaltungsmacht, nehmen kleinere und ökonomisch rückständige Staaten zumeist nur die Rolle eines „Regime-Takers“ ein. Ihnen bleibt häufig keine andere Wahl, als die von anderen definierten Vorgaben der internationalen Arrangements zu befolgen. Ganz anders stellt sich hingegen die Rolle der ökonomisch starken und politisch einflussreichen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe dar. Sie kommen in den internationalen Verhandlungen zwar oft nicht umhin, auch die Interessenlagen der schwächeren Akteure zu berücksichtigen, also gewisse Konzessionen zu machen. Von allen Konzessionen und Kompromisszwängen einmal abgesehen, agieren sie ansonsten jedoch häufig als „Regime-Shaper“. Das heißt, sie sind nicht nur bestrebt, sondern zumeist auch in der Lage, die Funktionsweise von internationalen Organisationen und Regimen hegemonial oder notfalls auch nicht-hegemonial, d.h. gegen den manifesten Widerstand anderer Staaten und zivilgesellschaftlicher Akteure, zu definieren. Die ungleiche Verteilung der internationalen Gestaltungsmacht zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die Entwicklung der Weltordnung und Weltökonomie in der Vergangenheit primär durch einzelne hegemoniale Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe geprägt wurde: im 16. Jahrhundert durch Spanien und Portugal, im 17. Jahrhundert durch die Niederlande, im 18. und 19. Jahrhundert durch Großbritannien und im 20. Jahrhundert durch die USA (vgl. Bieling 2007a: 55ff). Jenseits der unverkennbar hegemonialen Strukturierung waren und sind einzelne Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe jedoch nicht in der Lage, die Strukturen der Weltordnung und Weltökonomie vollständig zu kontrollieren. Die globalen Strukturen und internationalen Institutionen stellen vielmehr eine eigenständige und emergente Handlungsebene dar, deren Funktionsweise sich – nicht zuletzt aufgrund vielfältiger Institutionalisierungs- und Verrechtlichungsprozesse – gegenüber den nationalen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexen partiell verselbständigt hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind z.B. die Vereinten Nationen mit Unterstützung der USA gegründet worden, um zugleich – vor allem im Laufe der 1960er und 1970er Jahre – auch vielen oppositionellen Kräften die Gelegenheit zu geben, konkurrierende Interessen und Vorstellungen zu artikulieren (vgl. ebd: 118). Letztlich ist die Eigenständigkeit der globalen Strukturen jedoch begrenzt. Dies zeigt sich insbesondere in Krisen- und Umbruchperioden. Dann stellen einflussreiche Kräfte die alten institutionellen Arrangements mitunter offen zur Disposition oder setzen sie, z.B. durch gezielte Regelverletzungen, einem gewissen Anpassungsdruck aus. Innerhalb des skizzierten Analyserasters gibt es zwischen den aufgeführten Elementen vielfältige Abhängigkeiten und Verweisungszusammenhänge: „All three levels are interrelated. Changes in the organisation of production generate new social forces which, in turn, bring about changes in the structure of states; and the generalisation of changes in the structure of states alter the problematic of world order.“ (Cox 1981: 138)
Es wäre jedoch verkürzt und einseitig den Wandel allein von den sozialen Produktionsbeziehungen her zu konzeptualisieren. Auch die Strukturen der Weltordnung und Weltökonomie prägen ihrerseits die Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe, genauer: die staatlichen Strategien, durch die die politisch-institutionellen, rechtlichen und auch wirtschafts- und finanzpolitischen Regulationsformen und letztlich auch die sozialen Produktionsbeziehungen reorganisiert werden. Entsprechend werden mit dem skizzierten Analyseraster keine
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eindeutigen und eindimensionalen Kausalbeziehungen unterstellt. Es handelt sich bei der Dreiecksbeziehung nur um ein heuristisches Analyserater, innerhalb dessen die unterschiedlichen – materiellen, institutionellen und diskursiven – Prozesse, die das Zusammenspiel der Handlungssphären prägen, konkret zu untersuchen sind. 2.3.3 Der Staats-Zivilgesellschafts-Komplex der Europäischen Union Gewöhnlich bezieht sich die Analyse der interaktiven Einbettung des Staatshandelns im Kontext der konzeptionellen Dreiecksbeziehung – zwischen den sozialen Produktionsbeziehungen, den Staats-Zivilgesellschafts-Komplexen sowie den Strukturen der Weltordnung und Weltökonomie – auf einzelne Nationalstaaten. Dies ist dadurch begründet, dass die interaktive Einbettung politischer Prozesse in besonderem Maße durch die nationalen Kontext- und Rahmenbedingungen geprägt ist. Ebenso ist es aber auch möglich, das Analyseraster für die Globalisierungspolitik der Europäischen Union nutzbar zu machen. Die EU stellt inzwischen ebenfalls ein politisches Gebilde, d.h. einen institutionell-regulativen Komplex supranationaler Staatlichkeit dar, der durch besondere Muster der interaktiven Einbettung gekennzeichnet ist. Diese Sichtweise setzt freilich voraus, dass gewisse Elemente einer transnationalen europäischen Zivilgesellschaft existieren. In der wissenschaftlichen Diskussion ist eine solche Annahme noch immer sehr umstritten. Die Aussagen variieren, je nachdem, welches Verständnis von (Zivil-)Gesellschaft zugrunde gelegt wird. Auf der einen Seite stehen z.B. Wissenschaftler, die – in der Tradition konservativ-republikanischen Denkens – die Existenz einer europäischen Zivilgesellschaft in Frage stellen (vgl. z.B. Kielmansegg 1996). In dieser Perspektive gibt es ungeachtet aller Transnationalisierungstendenzen keinen öffentlichen Kommunikationsraum, über den sich – gestützt auf eine gemeinsame Erinnerungsund Erfahrungsgemeinschaft – ein europäischer Demos herausbilden könnte. Es wird argumentiert, dass zivilgesellschaftliche Strukturen letztlich Ausdruck einer auf ethnischen, kulturellen oder auch sprachlichen Bindungen beruhenden Gemeinschaftlichkeit sind, die sich nur im Nationalstaat, nicht aber in der Europäischen Union entwickeln kann. Im Vergleich zum konservativ-republikanischen Zivilgesellschaftskonzept ist das sozial-liberale Verständnis von Zivilgesellschaft offener angelegt (vgl. Offe 2001; Habermas 2008: 105ff). Danach sind es weniger „vorpolitisch“-homogene Gemeinschaften, als vielmehr gesellschaftliche Konflikte und Emanzipationsprozesse – in Verbindung mit spezifischen Einigungs- und Befreiungsmythen –, die die Entstehung einer Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit vorantreiben. Letztlich gehen aber auch in dieser Perspektive die (zivil-)gesellschaftlichen Dynamiken den staatlichen Organisationsformen voran. Wenn sich die sozialliberale Konzeption dem Komplex der Zivilgesellschaft zuwendet, gerät dieser in erster Linie als ein – öffentlich-demokratischer – Gegenpol zum Staat, kaum jedoch als dessen komplementäre Ergänzung in den Blick. Ungeachtet aller Unterschiede weisen das konservativ-republikanische und das sozialliberale Zivilgesellschaftskonzept demzufolge eine Gemeinsamkeit auf. Sie behaupten eine Vorgängigkeit der (Zivil-)Gesellschaft gegenüber dem (National-)Staat, die historisch und analytisch-konzeptionell fragwürdig ist (vgl. Showstack Sassoon 2005). Historisch betrachtet ist der Primat der (Zivil-)Gesellschaft deswegen problematisch, weil damit ignoriert wird, dass auch die nationalen zivilgesellschaftlichen Strukturen und der Raum der öffentlichen Kommunikation maßgeblich durch den Nationalstaat konstituiert worden sind (vgl.
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Anderson 1988); und analytisch-konzeptionell werden all jene Prozesse, über die staatliche Akteure ihrerseits in die Auseinandersetzungen um Hegemonie aktiv involviert sind, tendenziell ausgeklammert oder doch zumindest unterschätzt. Um die zivilgesellschaftliche Präsenz des Staates zu erfassen, bietet es sich daher an, auf die neo-gramscianische Konzeption zurückzugreifen, in der die Zivilgesellschaft eine zentrale Dimension des „erweiterten“ oder „integralen Staates“ darstellt (vgl. Buci-Glucksmann 1981; Priester 1981). In den Worten von Anne Showstack Sassoon (2005: 45): „An effective civil society requires an effective state, and with this relationship comes the ethical and strategic goal of creating or recreating democratic bonds between politics and the people. In turn, what policy-makers, law-makers and politicians do, and whom they represent, what is created, enacted and enforced, has an impact on civil society. The two spheres are tightly intertwined and cannot be separated even if they can be differentiated. If the state is not always beneficient, neither is civil society always benign. The organizations that operate on the terrain of civil society may be anything but ethical as conceived within certain discourses, or they may combine ethical claims while exhibiting criminal attributes – the examples are not hard to find.“
Das Zitat unterstreicht die Notwendigkeit, die normative Überhöhung der Zivilgesellschaft durch eine stärker analytische Sichtweise zu ersetzen und zugleich von einer komplementär-kompetitiven Ko-evolution staatlicher und zivilgesellschaftlicher Strukturen auszugehen. Dies gilt nicht nur für die nationale, sondern im Prinzip auch für die jüngere europäische Entwicklung. Auch diese repräsentiert einen sozioökonomisch und politisch-institutionell umkämpften Prozess, in dem sich schrittweise Konturen einer supranationalen (Rechts-)Staatlichkeit herausgebildet haben. Von zentraler Bedeutung war in diesem Zusammenhang die wiederholte Reform der vertraglich-konstitutionellen Grundlagen der europäischen Integration seit den 1980er Jahren. Durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA) von 1986 sowie die Verträge über die Europäische Union von Maastricht (1992), Amsterdam (1997) und Nizza (2000) sind viele Politikbereiche partiell oder vollständig vergemeinschaftet worden. Das heißt, es wurden politische Kompetenzen auf die europäische Ebene verlagert – z.B. im Bereich der Wettbewerbs- oder Geldpolitik –, und die supranationalen Institutionen durch die Ausweitung (qualifizierter) Mehrheitsentscheidungen sukzessive gestärkt. Zum Teil wurden auch neue supranationale Institutionen etabliert – so z.B. die Europäische Zentralbank (EZB) – oder im Rahmen des Komitologieverfahrens politisch-technokratische Entscheidungsprozesse an mit Experten besetzte Regulierungsausschüsse delegiert. All diese Entwicklungen lassen es als durchaus gerechtfertigt erscheinen, von einem System europäischer Staatlichkeit zu sprechen (vgl. Bieling/Deppe 2003: 516ff). In Anlehnung an Nicos Poulantzas (1978: 119) ist die europäische – wie die nationale – Staatlichkeit dabei „nicht als ein sich selbst begründendes Ganzes [zu begreifen], sondern [...] als ein Verhältnis, genauer als die materielle Verdichtung eines Kräfteverhältnisses zwischen Klassen und Klassenfraktionen [...].“
Was dies bedeutet, wird von Poulantzas (1978: 126) – allerdings allein auf den Nationalstaat bezogen – wie folgt weiter konkretisiert: „Den Staat als materielle Verdichtung eines Kräfteverhältnisses begreifen, heißt, ihn auch als strategisches Feld und strategischen Prozess zu fassen, in dem sich Machtknoten und Machtnet-
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2 Analyse- und Interpretationsraster europäischer Globalisierungspolitik ze kreuzen, die sich sowohl verbinden als auch Widersprüche und Abstufungen zeigen. Daraus ergeben sich bewegliche und widersprüchliche Taktiken, deren Allgemeinziel und institutionelle Kristallisierung in den Staatsapparaten Form annehmen. Dieses strategische Feld ist oft von durchaus expliziten Taktiken durchzogen und zwar auf der eingegrenzten Ebene, auf der sie sich in den Staat einschreiben; Taktiken, die sich kreuzen, sich bekämpfen, den Durchbruch zu bestimmten Apparaten finden, sich durch andere ‚kurzschließen’ lassen, und schließlich das umreißen, was man ‚die Politik’ des Staates nennt. Sicher bleibt auf dieser Ebene die Politik als strategisches Kalkül durchschaubar, aber mehr als Resultat einer konfliktuellen Koordinierung von expliziten und divergierenden Mikropolitiken, denn als rationale Formulierung eines globalen und kohärenten Projekts.“
Gerade die Betonung der Flexibilität und Wandelbarkeit von staatlichen Arenen, Institutionalisierungsformen und Praktiken erlaubt es, die von Poulantzas entwickelte Staatstheorie nicht nur auf den Nationalstaat, sondern auch auf die EU zu beziehen (vgl. Bieling 2006a). Eine einfache Übertragung wäre freilich insofern problematisch, als sich die Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse im transnationalen Raum aufgrund der nationalen Fragmentierung der zivilgesellschaftlichen Strukturen und Öffentlichkeiten als sehr komplex, äußerst selektiv und widersprüchlich darstellt. So lassen sich die internationalen Regulationskomplexe genau genommen nur als eine „Verdichtung zweiter Ordnung“ (Brand/Görg 2003: 222ff) oder als Strukturen einer „sekundären Verflechtung“ (Felder 2001: 93) begreifen. Eine offene Frage ist allerdings, wie sich diese Verflechtungs- und Verdichtungsprozesse konkret vollziehen. Während für einige die internationale Verdichtung durch das Nadelöhr der nationalstaatlichen Außen(wirtschafts-)politik hindurch muss und daher als das Ensemble nationaler Verdichtungsprozesse interpretiert wird (vgl. Hirsch 2005: 147f), heben Vertreter der neo-gramscianischen IPÖ hervor, dass im Zuge der allgemeinen „Privatisierung der Weltpolitik“ und der Entstehung von neuen Formen privater Autorität neben den Nationalstaaten auch transnationalen privaten Akteuren – so z.B. TNKs, Wirtschaftsverbänden, Rating-Agenturen etc. – eine zentrale Rolle im Verdichtungsprozess zukommt (vgl. Robinson 2004: 85ff). Die EU als „Verdichtung zweiter Ordnung“ zu begreifen, legt es freilich nahe, nicht den Begriff des „Staates“, sondern den der „Staatlichkeit“ zu verwenden. Schließlich stellt die EU keinen voll ausgebildeten Staatskomplex dar, der ähnlich wie die Nationalstaaten über weitreichende wirtschafts- und sozialpolitische Regulierungsfunktionen, über einen „eigenen“ administrativen Unterbau9 und über entwickelte demokratische Kontroll- und Partizipationsmechanismen verfügt. Im Kern handelt es sich bei dem EU-System nur um die Form einer fragmentierten supranationalen Rechtsstaatlichkeit, die sich primär auf die Gewährung bürgerlicher Freiheitsrechte konzentriert (vgl. Leibfried/Wolf 2005: 497f; Bieling 2007b: 155). Der Charakter und die institutionelle Struktur der europäischen Staatlichkeit sind nicht ausschließlich, so aber doch maßgeblich durch das Ziel bestimmt, den Prozess der europäischen Markt- und Währungsintegration zu fördern und abzusichern. Sie folgen in erster Linie der Funktionslogik eines „neuen Konstitutionalismus“, der sich, so die häufig zitierte Definition von Stephen Gill (1998: 5), an neoliberalen Zielsetzungen orientiert:
9 Entgegen der Kritik an der EU-Bürokratie ist deren Umfang sehr bescheiden. Dies liegt vor allem daran, dass sich die EU-Administration nahezu gänzlich auf die Prozesse der Politikformulierung konzentriert. Die Umsetzung europäischer Rechtsakte erfolgt hingegen durch die nationalen Verwaltungen.
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„It seeks to separate economic policies from broad political accountability in order to make governments more responsive to the discipline of market forces and correspondingly less responsive to popular-democratic forces and processes. New constitutionalism is the politico-legal dimension of the wider discourse of disciplinary neoliberalism. Central objectives in this discourse are security of property rights and investor freedoms, and market discipline on the state and on labour to secure ‘credibility’ in the eyes of private investors, e.g. those in both the global currency and capital markets.“
Der „neue Konstitutionalismus“ ist jedoch nicht nur durch diese allgemeinen Zielvorgaben, sondern auch durch eine besondere institutionelle Struktur geprägt. Als Ausdruck einer fragmentierten supranationalen Rechtsstaatlichkeit stützt sich das EU-System weitgehend auf einen entpolitisiert-technokratischen Modus der Kommunikation und Entscheidungsfindung. Thomas Hueglin (1997: 95) spricht in diesem Sinne von einem „komplex institutionalisierten Gefüge autonomisierter Regierungstätigkeit“. Die partielle Verselbständigung europäischer Akteursnetzwerke korrespondiert danach zum einen, insbesondere in der Markt- und Währungspolitik, mit einer sukzessiven Stärkung des europäischen Regulierungsregimes, zum anderen aber auch mit einer modifizierten Exekutivlastigkeit der europäischen Politik. Genau diese Modifikation, d.h. die erweiterte Einbeziehung von nichtstaatlichen Akteuren – Wissenschaftlern, Experten und (Wirtschafts-)Verbänden – in den politischen Entscheidungsprozess, macht darauf aufmerksam, dass sich im Zuge der Supranationalisierung zumindest Keimformen einer europäischen Zivilgesellschaft herausbilden (vgl. Knodt/Finke 2005). Etwas schematisch lassen sich hierbei drei Dimensionen unterscheiden: 1) Zunächst stützt sich auch in der EU die Herausbildung und Ausdifferenzierung der Zivilgesellschaft auf die Entwicklung eines europäischen Assoziationswesens. Dieses bildet gleichsam den institutionellen oder infrastrukturellen Kern der Zivilgesellschaft. Bei den meisten dieser Zusammenschlüsse handelt es sich um wirtschafts-, agrar-, regional-, sozialund umweltpolitisch ausgerichtete transnationale Verbände, deren Aktivitäten sich – im Spannungsfeld zwischen einem extensiven Lobbyismus und einer diskursiven Umrahmung politischer Strategien – sehr stark auf die Entscheidungsprozesse im EU-System beziehen. Bedingt durch die Vergemeinschaftung politischer Kompetenzen, hat sich das Spektrum europäischer Intereressengruppen seit den 1980er Jahren verbreitert und ausdifferenziert (vgl. Greenwood 2003; Eising/Kohler-Koch 2005). Die Datenlage über die europäische Verbände- und Lobbying-Landschaft ist zwar etwas verwirrend, in einer Studie des Europäischen Parlaments wurde jedoch festgestellt: „In 2000, about 2,600 interest groups had a permanent office downtown Brussels, of which European trade federations comprise about a third, commercial consultants a fifth, companies, European NGOs (e.g., in environment, health care or human rights) and national business or labour associations each about 10%, regional representations and international organisations each about 5%, and, finally, think tanks about 1%.“ (European Parliament 2003: iii)
Insgesamt sind demzufolge mehrere tausend Personen in europäischen LobbyingNetzwerken aktiv. Obwohl die Dominanz der Wirtschaftsinteressen nicht zu übersehen ist, sollten die vielfältigen Aktivitäten transnationaler NGOs – vor allem im Bereich der Ökologiepolitik oder des Verbraucherschutzes – nicht unterschätzt werden. Zusammen mit anderen sozialen Bewegungen und oppositionellen Netzwerken sorgen sie dafür, dass in
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der primär wirtschafts- und wettbewerbspolitisch dominierten europäischen Zivilgesellschaft begrenzt auch soziale und ökologische Themen diskutiert werden. 2) Über das Wachstum und die Ausdifferenzierung des europäischen Assoziationswesens hinaus zeugen auch weitere, zum Teil stärker breitenwirksam angelegte transnationale Kommunikationsprozesse von der Genese einer europäischen Zivilgesellschaft (vgl. Demirovic 2000: 68f). Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang politische Wahlen und Abstimmungen, die sich unmittelbar auf die EU beziehen oder zumindest EU-relevant sind10, europäische Fernsehkanäle und Printmedien – wie z.B. Arte, Sky News, Eurosport, diverse internationale Zeitschriften oder wissenschaftliche Journals –, transnationale Think Tanks und Expertenzirkel, d.h. die Herausbildung sog. „epistemic communities“, oder eine intensivierte grenzüberschreitende bildungs- und wissenschaftspolitische Kooperation, z.B. in Gestalt der Pisa-Studie, des Bologna-Prozesses oder universitärer Austauschprogramme (Erasmus und Sokrates). Auch europäische Städtepartnerschaften, der Massentourismus, medial vermittelte kulturelle und sportliche Großereignisse – vom Eurovision Song Contest über die Champions-League bis hin zu diversen Europameisterschaften – sowie die Entstehung eines europäischen Arbeitsmarktes für gering qualifizierte und flexibel einsetzbare Arbeitskräfte oder hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte fördern die transnationale Kommunikation. Nicht alle dieser Prozesse sind explizit auf die EU bezogen; und nicht alle Entwicklungen werden allein durch die europäische Integration stimuliert. Sie weisen jedoch insgesamt darauf hin, dass die EU in Ergänzung zur wirtschaftlichen Integrationsdynamik auch den Prozess einer zivilgesellschaftlichen Transnationalisierung vorantreibt. 3) Viele der breitenwirksam angelegten Prozesse verdeutlichen, dass es sich bei der europäischen Zivilgesellschaft nicht nur um ein institutionelles Netzwerk, sondern auch um einen diskursiv-symbolischen Interaktionsraum handelt. Gemeinschaftliche identitätsstiftende Diskurse und Symbole spielen demzufolge eine wichtige Rolle. Sie werden von den supranationalen Institutionen – der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament oder dem EuGH und der EZB – zum Teil bewusst entwickelt und gezielt eingesetzt, um die Idee einer europäischen Identität und eines übergreifenden europäischen Gemeinwohls zu fördern. Besonders deutlich wird dies im Zusammenhang der medial inszenierten europäischen Gipfeltreffen, vor allem wenn deren Ergebnisse – wie z.B. im Kontext der Lissabon-Strategie und dem Konzept der wissensbasierten Informationsgesellschaft – in breit diskutierte strategische Losungen münden. Aber auch die vertraglich verankerten Elemente einer „Unionsbürgerschaft“, diverse Hochglanzbroschüren, Unterrichtsmaterialien, EU-Karten, vereinheitlichte Personalausweise, Autoführerscheine und Nummernschilder, EU-Krankenkassenkarten und EU-Fahnen symbolisieren die Relevanz und allseitige Präsenz einer europäischen Staatlichkeit. Die Reichweite und Tiefenwirkung der symbolisch vermittelten Identitätsbildung ist sicherlich schwer zu bemessen. Vermutlich sind all jene symbolischen Effekte besonders nachhaltig, die durch die Verknüpfung mit Alltagserfahrungen materiell unterfüttert und fortlaufend bestätigt werden. Dies gilt z.B. für all jene EU-Fahnen, die eine finanzielle Förderung aus den Regional- und Strukturfondsmit10 In den letzten Jahren ist in der EU allgemein das Bewusstsein über die Relevanz von Wahlen oder Abstimmungen in anderen Mitgliedsstaaten gestiegen. Besonders deutlich wurde dies in den Diskussionen über den EUVerfassungsvertrag in Frankreich, die „von außen“ sehr intensiv beobachtet wurden, und in die sich auch viele nicht-französische Intellektuelle einschalteten. Einschränkend ist jedoch anzumerken, dass trotz der EUReferenden und trotz der Direktwahl des Europäischen Parlaments von europäischen Wahlkämpfen noch keine Rede sein kann (vgl. Hix 2003: 168ff).
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teln symbolisieren; für die Aufhebung von Personenkontrollen an den EU-Binnengrenzen; oder für die neue Gemeinschaftswährung, den Euro, über den in mittlerweile 16 Mitgliedstaaten die kommerziellen Tagesgeschäfte abgewickelt werden. Von den skizzierten Dimensionen der entstehenden europäischen Zivilgesellschaft ist für die hier verfolgte Fragestellung die institutionell-assoziative Dimension sicherlich von besonderer Bedeutung. Über sie lässt sich nicht nur das politisch-organisatorische Geflecht der interaktiven Einbettung, also die zivilgesellschaftliche Rückkopplung und legitimatorische Absicherung der europäischen (Außen-)Politik, genauer in den Blick nehmen. Die institutionell-assoziative Dimension weist auch besonders nachdrücklich auf die Muster der strukturellen und strategischen Selektivität hin11, die dem europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplex eingeschrieben sind. So handelt es sich bei den zivilgesellschaftlichen Assoziationen nicht einfach, wie aus der liberalen Perspektive gerne unterstellt wird, um nicht-staatliche und nicht-ökonomische Zusammenschlüsse, sondern um ein Ensemble von Vereinigungen, die in enger Kooperation und Verschränkung mit den nationalen und supranationalen Staatsapparaten operieren. Zum Teil werden die Assoziationen von den staatlichen Institutionen explizit ins Leben gerufen und ihre europäischen Aktivitäten (ko)finanziert. Außerdem gibt es eine unbestreitbare Dominanz der trans- und supranationalen Wirtschaftsverbände, die als „strategische Planungskörper“, so etwa der European Round Table of Industrialists (ERT), entweder die europäischen Richtungsentscheidungen maßgeblich bestimmen (vgl. van Apeldoorn 2002; Holman/van der Pijl 2003), oder aber, wie der europäische Arbeitgeberverband (UNICE) – seit Januar 2007 „Business Europe“ – und das EU Committee der American Chamber of Commerce, einen sehr großen Einfluss auf die Alltagsgeschäfte der EU ausüben (vgl. Balanya et al. 2000: 37ff). Die Dominanz der Wirtschaftsverbände ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass sie über umfangreichere finanzielle und personelle Ressourcen verfügen. Sie genießen auch den Vorteil eines relativ privilegierten Zugangs zu den Diskussionen und Verhandlungen im EU-System und werden durch die Arbeit einflussreicher Think Tanks wie dem European Policy Centre (EPC) oder dem Centre for European Policy Studies (CEPS) konzeptionell unterstützt. Das Ergebnis dieser teils formellen, teils aber auch sehr informellen Kooperation besteht darin, dass sich zentrale Struktur- und Selektivitätsmuster der europäischen Integration reproduzieren, mitunter sogar noch stärker ausprägen. Dies gilt erstens für die ausgeprägte Exekutivlastigkeit der europäischen Politik. Diese resultiert vor allem aus der engen Zusammenarbeit zwischen den supranationalen Exekutivapparaten – der Europäischen Kommission, der EZB und den politikfeldspezifischen Regulierungsausschüssen – mit den nationalen Regierungen, insbesondere dem Ministerrat. Letzterer übernimmt im EU-System zugleich auch wichtige Legislativaufgaben. Durch die zivilgesellschaftliche Öffnung, d.h. die verstetigte Kooperation mit transnationalen (Wirt-
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Das von Claus Offe (1972) entwickelte Konzept der „strukturellen Selektivität“ macht darauf aufmerksam, dass der Staat – entgegen weitverbreiteten Auffassungen – kein neutrales Instrument darstellt, das allen sozialen Kräften gleichermaßen zugänglich ist, sondern ein institutionelles Ensemble, das die kapitalistischen Verwertungsinteressen im Prozess der politischen Entscheidungsfindung strukturell privilegiert. Bob Jessop (1990: 148) greift diese Sichtweise auf, um zugleich zu betonen, dass die konkrete Ausformung der „strukturellen Selektivität“ nicht einfach gegeben ist, sondern fortwährend aktiv reproduziert werden muss. Um die institutionellen Dynamiken und den relationalen Charakter der staatlichen Operationsweise zu betonen, bevorzugt er den Begriff der „strategischen Selektivität“.
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schafts-)Verbänden, Experten und Wissenschaftlern, wird die Abschottung der europäischen Politik nur partiell aufgebrochen. Noch immer dominieren auf europäischer Ebene „die Mechanismen der Expertokratie und der intergouvernementalen Verhandlungen, und es fehlt die subsidiäre Interventionskompetenz einer vom Wähler majoritär legitimierten Legislative. [...] Weil das majoritäre Korrektiv fehlt, ist die formale Unabhängigkeit der supranationalen europäischen Instanzen also weit stärker gesichert, als dies in irgendeiner nationalen Verfassung möglich wäre. Paradoxerweise wird jedoch eben durch diese gesteigerte Unabhängigkeit die Legitimationskraft der Entscheidungen nicht-majoritärer Instanzen auf der europäischen Ebene erheblich geschwächt.“ (Scharpf 1999: 29f)
Ein zentrales Problem besteht demzufolge darin, dass dem Europäischen Parlament und den meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen vielfach nur schwache Kontroll- und Mitspracherechte gegeben sind. Eine kritische Opposition und Öffentlichkeit kann sich unter den gegebenen Bedingungen nur schwer entwickeln. Ungeachtet vieler kleiner Dispute fördert die zivilgesellschaftliche Öffnung bislang vor allem eine „Kumulation informeller Herrschaft“ (Brunkhorst 2007: 21). Gleichzeitig stellt sie ein wichtiges Element der offensichtlich verfolgten Strategie dar, die Exekutivlastigkeit der europäischen Politik nicht in Frage zu stellen, sondern durch selektive Partizipationsangebote zu legitimieren. Den zivilgesellschaftlichen Akteuren, die innerhalb der bestehenden Diskussions-, Verhandlungs- und Entscheidungsstrukturen über einen hinreichenden Einfluss verfügen, kann dies nur recht sein. Ein zweites Muster der Selektivität besteht in einer ausgeprägten Asymmetrie zwischen einer forcierten Markt- und Währungsintegration, aber blockierten wirtschafts- und (sozial-)politischen Integration (vgl. Holman 2004: 717ff). Diese Asymmetrie ist nicht nur das Ergebnis systemischer ökonomischer Entgrenzungsprozesse, sondern auch politisch ausgehandelter Vertragsbeziehungen. Gestützt auf (qualifizierte) Mehrheitsentscheidungen und das Prinzip der wechselseitigen Anerkennung von Regulierungsstandards werden in der EU demzufolge marktschaffende Maßnahmen einer „negativen Integration“, d.h. Übereinkommen zum nationalen Regulierungsverzicht, gezielt gefördert. Marktkorrigierende Maßnahmen einer „positiven Integration“, also gemeinsame wirtschafts-, sozial- oder umweltpolitische Regulierungs- und Interventionsvorgaben, sind hingegen aufgrund ihrer unmittelbar evidenten Verteilungseffekte nicht nur politisch umstrittener, sondern unterliegen oft auch einer einstimmigen Beschlussfassung (vgl. Scharpf 1999: 47ff). Verstärkt wird diese vertraglich verankerte Asymmetrie zudem dadurch, dass die transnationalen Konzerne und deren Verbände die nationalen Regierungen – mit Verweis auf grenzüberschreitende Standortverlagerungen – zu unilateralen Deregulierungsschritten drängen können, den Gewerkschaften oder Sozial- und Umweltverbänden zumeist aber die Druckmittel fehlen, dieser Tendenz durch arbeits-, sozial- und umweltpolitische Reregulierungsschritte entgegen zu wirken. In Ergänzung zu diesen allgemeinen Selektivitätsmustern gibt es weitere politikfeldspezifische Selektivitäten. Diese sind nicht nur durch die funktionale Differenzierung der europäischen Politik, sondern auch durch den politikfeldspezifischen Grad der Vergemeinschaftung, also die bestehenden supranationalen Kompetenzen, Instrumente und Abstimmungsmodalitäten geprägt. Ein hoher Vergemeinschaftungsgrad, wie z.B. im Bereich der Handelspolitik, korrespondiert dabei mit einer relativ entwickelten europäischen Zivilgesellschaft. Umgekehrt geht eine schwache Vergemeinschaftung, wie in vielen Bereichen
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der Außen- und Sicherheitspolitik, mit einer relativ ausgeprägten nationalstaatlichen Fragmentierung der europäischen Zivilgesellschaft einher. Innerhalb des EU-Mehrebenensystems variieren die Formen und Muster der interaktiven Einbettung politischer Diskussions-, Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse somit beträchtlich. In einigen Bereichen dominieren bereits die supra- und transnationalen Netzwerkbeziehungen, während in anderen Bereichen die nationalstaatlichen Selektionsfilter noch immer sehr wirksam sind, so dass eine gemeinsame europäische Politik sich nur im Ergebnis einer effektiven Kooperation zwischen den nationalen Interaktionsnetzwerken realisieren lässt. Die Strukturmerkmale und Entwicklungsdynamiken des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes lassen sich nun wie folgt zusammenfassen: In der Folge der beschleunigten Vertiefung der Integration seit den 1980er Jahren hat sich ein System der supranationalen (Rechts-)Staatlichkeit mit einer eigenen institutionellen Materialität herausgebildet. Letztere stützt sich nicht nur auf spezifisch definierte supranationale Staatsapparate, wie die Europäische Kommission, den EuGH, die EZB und diverse Regulierungsausschüsse, sondern auch auf ein umfassendes Regelwerk, das die Operationsweise der europäischen Institutionen unter Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien – die rechtliche Bindung politischer Macht, Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit, Gewaltenteilung und die Gewährung bürgerlicher Freiheitsrechte – organisiert. In Ergänzung zur (rechts-) staatlichen Organisation der EU sind zudem viele, zunehmend umfassender und dichter angelegte, transnationale Kommunikationsnetzwerke entstanden. Diese Netzwerke bilden eine wichtige Dimension der entstehenden europäischen Zivilgesellschaft. Darüber hinaus fördern sie die Prozesse einer interaktiven Einbettung europäischer Diskussions- und Entscheidungsprozesse. Diese Prozesse tragen aufgrund der ihnen eigenen sozialen und funktionalen Selektivität mit dazu bei, die programmatische Konsistenz europäischer Initiativen zu steigern. Ob hierdurch zugleich die – „interne“ wie „externe“ – politische Handlungsfähigkeit der EU gesteigert wird, ist allerdings nicht gewiss. Zum einen gibt es eine – in den einzelnen Politikfeldern unterschiedlich stark ausgeprägte – nationalstaatliche Fragmentierung des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes, die vielfältige Abstimmungsund Konsistenzprobleme bei der Ausarbeitung und Umsetzung europäischer Strategien mit sich bringt; und zum anderen erzeugt die funktionale und machtpolitische Selektivität des EU-Systems auch gesellschaftliche Legitimations- und Akzeptanzprobleme, da durch sie die relative Verselbständigung europäischer Politik – die Dominanz von Exekutiv-Kartellen und Expertengremien – nicht überwunden, sondern verstetigt wird (vgl. Brunkhorst 2007). 2.3.4 Politökonomische und globale Kontextbedingungen europäischer Politik Durch die nationalstaatliche Fragmentierung und die fortbestehenden Legitimationsprobleme des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes werden die weltpolitischen und weltökonomischen Gestaltungsmöglichkeiten der EU sicherlich gehemmt. Sie werden jedoch keineswegs blockiert. In der Folge interner politökonomischer Reorganisationsprozesse und in Reaktion auf veränderte externe Kontextbedingungen sind seit den 1980er Jahren viele Initiativen ergriffen worden, die globale Rolle der EU zu stärken. Einige dieser Initiativen zielten primär darauf, die „internen“ materiellen, institutionellen und instrumentellen Voraussetzungen für eine effektive EU-Außen(wirtschafts)politik zu verbessern. So wurden z.B. im Zuge der wiederholten Revision der vertraglichen Grundlagen die handels-
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politischen Kompetenzen ausgebaut oder neue Institutionen und Instrumente im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik geschaffen. Andere Initiativen waren unmittelbar „außenorientiert“, bestanden also darin, die bestehenden Kompetenzen und verfügbaren Instrumente anzuwenden, um auf das wirtschafts- und sicherheitspolitische Umfeld aktiv einzuwirken. Neben den Verhandlungen im Rahmen der WTO, bilateralen und interregionalen Handels- und Investitionsabkommen, der internationalen Währungs- und Finanzmarkt-Kooperation, entwicklungspolitischen Initiativen oder der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) sind in diesem Zusammenhang auch die Rolle der EU in der NATO und in der UNO zu nennen. Die Formen der interaktiven Einbettung der EU-Politik beschränken sich demzufolge nicht allein auf die Operationsweise des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes. Sie erstrecken sich ebenfalls auf die sozialen Produktionsbeziehungen sowie die Strukturen der Weltordnung und Weltökonomie. Auch hier haben sich spezifische Interaktionsmuster herausgebildet, die für das Verständnis der Formen und Inhalte der europäischen Globalisierungspolitik bedeutsam sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die produktiven Grundlagen und Kräfteverhältnisse in der EU seit den 1980er Jahren grundlegend gewandelt haben. So war die europäische Ökonomie bis weit in die 1970er Jahre hinein durch relativ große Unterschiede zwischen den nationalen kapitalistischen Entwicklungsmodellen gekennzeichnet. Fortschritte im Integrationsprozess erfolgten daher eher diskontinuierlich. Sie beruhten zumeist darauf, dass sich die EG-Mitgliedstaaten – nach dem Muster des sektoralen Interessenausgleichs – auf mühsam ausgehandelte Kompromisse verständigen konnten. Während sich Frankreich vor allem für den Schutz des Agrarsektors stark machte und seine „technokratische ‚Staats-Bourgeoisie’“ (Holman/van der Pijl 1992: 8f) darauf drängte, die eigenen Wettbewerbsnachteile wirtschafts- und währungspolitisch auszugleichen, forcierten Deutschland, die Benelux-Staaten und später auch Italien den wirtschaftlichen Liberalisierungsprozess, um die eigenen Konkurrenzvorteile zur Geltung zu bringen (vgl. Statz 1989: 18ff). Auch heute sind die Unterschiede zwischen den nationalen kapitalistischen Entwicklungsmodellen noch durchaus relevant (vgl. Schmidt 2002; Amable 2003). Durch die Erweiterung der EU auf inzwischen 27 Mitgliedstaaten sind sie – zumindest was das Entwicklungsniveau betrifft – sogar noch weiter angewachsen. Gleichzeitig sind im Zuge der beschleunigten Vertiefung der europäischen Integration, d.h. vor allem durch den EGBinnenmarkt und die WWU, jedoch zentrale Aspekte der Waren-, Kapital- und Kreditverhältnisse soweit angeglichen worden, dass es durchaus gerechtfertigt ist, von einer nicht mehr nur liberalisierten, sondern zunehmend integrierten „neuen europäischen Ökonomie“ zu sprechen (vgl. Tsoukalis 1997: 79ff; Bieling/Deppe 2003: 521ff). Dies manifestiert sich unter anderem in einer starken Zunahme grenzüberschreitender Transaktionen, d.h. von Waren und Dienstleistungen, Direkt- und Portfolioinvestitionen oder Krediten, sowie in der Herausbildung transnationaler Produktionsketten und auch Eigentumsstrukturen. Darüber hinaus haben sich im Reorganisations- und Transnationalisierungsprozess auch die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse gewandelt. Gestützt auf eine enge wirtschaftliche und personelle Kooperation transnationaler Konzerne und ein breites Spektrum verbandspolitischer Zusammenschlüsse und Aktivitäten hat sich inzwischen eine einflussreiche europäische kapitalistische Klasse formiert (vgl. Holman/van der Pijl 2003; van Apeldoorn 2002: 83ff). Im Kontrast hierzu sind die abhängig Beschäftigten und Gewerkschaften mit den Problemen des grenzüberschreitenden Standortwettbewerbs konfrontiert. In der Konse-
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quenz neigen sie oft dazu, im Rahmen von wettbewerbskorporatistischen Arrangements arbeits-, tarif- und sozialpolitische Konzessionen zu gewähren (vgl. Bieling/Schulten 2003). Offenbar stehen ihnen nur begrenzte Mittel und Instrumente zu Verfügung, um in die „interne“ Globalisierung – z.B. die europäisch koordinierte Reform der Arbeitsmarkt-, Sozial- oder Bildungspolitik – oder auch in die „externe“ Globalisierung im Rahmen der WTO-Verhandlungen oder bilateraler Handels- und Investitionsabkommen eigene Interessen einzubringen. Die Globalisierungspolitik der Europäischen Union ist jedoch nicht allein Ausdruck dieser Kräfteverschiebung. Sie reagiert auch auf die Krisen und Umbrüche in der Weltordnung und Weltökonomie. Diese stellen für die EU, je nach konkreter Problemlage, Herausforderungen oder Gelegenheitsfenster dar, um das eigene außenpolitische Profil zu schärfen und dem eigenen Gestaltungsanspruch Nachdruck zu verleihen. Dabei ist festzustellen, dass sich dieser Gestaltungsanspruch erst seit den 1990er Jahren klarer manifestiert. Unter den Bedingungen der US-Hegemonie und der Systemkonkurrenz konnte in den Nachkriegsjahrzehnten von einer eigenständigen europäischen Strategie keine Rede sein. Dies galt insbesondere für die Außen- und Sicherheitspolitik. Hier waren die EG-Staaten zunächst zwar bestrebt, mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) einen gemeinsamen außen- und sicherheitspolitischen Kooperationsrahmen zu errichten, doch nachdem dieses Vorhaben 1954 scheiterte, übernahm diese Aufgabe die von den USA politisch und militärisch geführte NATO (vgl. Lundestad 2005: 78ff; van der Pijl 2006: 51ff). Die Führungsrolle der USA beschränkte sich keineswegs auf sicherheitspolitische Aufgaben. Sie erstreckte sich – zumindest was die westliche Hemisphäre anbetraf – auch auf die Gestaltung der Weltökonomie. Bereits ab Mitte der 1940er Jahre ergriffen die USA die Initiative, eine liberale, aber politisch koordinierte Weltwirtschaftsordnung zu etablieren (vgl. Helleiner 1994: 26ff). Diese stützte sich vor allem auf das Bretton-WoodsSystem, d.h. auf ein internationales Währungs- und Finanzregime, das auf dem US-Dollar basierte und institutionell durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank flankiert wurde. Zudem wurde mit dem General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) ein regelbasiertes Handelsregime etabliert, das eine schrittweise Liberalisierung der Gütermärkte förderte. Der europäische Integrationsprozess fügte sich in diese Struktur relativ bruchlos ein (vgl. Kuttner 1991: 50ff). Aufgrund des Produktivitätsvorsprungs der USA blieb die globale Rolle der EG, obwohl mit der Realisierung der Zollunion gegen Ende der 1960er Jahre die gemeinsamen Kompetenzen in der Handelspolitik gestärkt wurden, jedoch insgesamt eher reaktiv. Dies änderte sich eigentlich erst in dem Maße, wie sich seit den 1980er Jahren die Strukturen der Weltökonomie und Weltordnung und mit ihnen der Charakter und die Funktionsweise der US-Hegemonie transformierten. Zum einen vollzog sich, nachdem bereits 1973 das Bretton-Woods-System zusammengebrochen war, der Übergang zum „DollarWall Street Regime“ (DWSR) (Gowan 1999), das gestützt auf die Finanzmacht der USA – d.h. den US-Dollar und die an der Wall Street tätigen Finanzmarktakteure – die weltweite Liberalisierung der Wirtschaftsbeziehungen beschleunigte; und zum anderen veränderte sich nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus und dem Ende des Kalten Krieges auch das Selbstverständnis der NATO. Inzwischen stellt die NATO nicht mehr nur ein Verteidigungsbündnis dar. Sie fungiert – mit Blick auf diverse Kriegsgebiete und Krisen-
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herde – zunehmend auch als ein globales Interventionsbündnis zur Sicherung transatlantischer Interessenlagen. Der Wandel der politökonomischen Grundlagen und die globalen Umbrüche legen es nahe, die Globalisierungspolitik der Europäischen Union in einem erweiterten Kontext zu verorten. Dabei sind – vor allem empirisch – die Formen und Prozesse zu bestimmen, über die die politischen Diskurse und Entscheidungsprozesse der EU nicht nur zivilgesellschaftlich, sondern auch politökonomisch und weltpolitisch eingebettet sind. Der Begriff der Einbettung ist nicht so zu interpretieren, dass sich die politökonomischen Grundlagen und Kräfteverhältnisse und auch die globalen Kontextbedingungen unmittelbar in einer europäischen Strategieformulierung niederschlagen. Diese ist vielmehr selbst erst das Ergebnis politischer Konflikte und Kompromisse, die innerhalb des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes ausgefochten werden. Der Kampf um die „innere“ wie „äußere“ Globalisierungspolitik wird durch die ausgeprägte Konsens- und Kompromisslogik des EU-Systems zwar kanalisiert und abgeschwächt, unterliegt jedoch einer gewissen Kontingenz, die sich analytisch recht gut mit dem Konzept der „politischen“, mitunter auch „hegemonialen Projekte“ erfassen lässt.12 Das neo-gramscianische Hegemonie-Verständnis, das sehr stark die strukturelle Komplementarität ökonomischer, sozialer, politischer und kultureller Vergesellschaftungsprozesse thematisiert, wird durch die Konzeption des politischen oder auch hegemonialen Projekts zugleich akzentuiert. Die Projekt-Dimension lenkt den Blick insbesondere darauf, dass sich hegemoniale Verhältnisse nicht nur strukturell, d.h. hinter dem Rücken gesellschaftlicher Akteure, reproduzieren, sondern über konkrete Initiativen aktiv bearbeitet werden. Zumeist handelt es sich bei den politischen Projekten – gerade im Fall der EU – um ausgehandelte Kompromisse, die ihrerseits maßgeblich durch die diskursiven Strategien staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure geprägt und beeinflusst werden. Sie lassen sich in diesem Sinne als die programmatische und politisch-operative Kristallisation unterschiedlicher Interessen und Diskurse definieren. Inhaltlich sind politische Projekte einerseits durch die Art und Weise bestimmt, wie aktuelle – interne wie externe – Probleme und Krisen in öffentlichen Debatten und Auseinandersetzungen verarbeitet werden. Andererseits wirken die Interpretationsraster und Lösungsvorschläge, die sich in ihnen artikulieren, auf die politökonomischen und globalen Reproduktionsbedingungen zurück. So werden unter der Anleitung politischer Projekte – zumindest dann, wenn sie relevant sind – die gegebenen institutionellen und regulativen Arrangements, die diesen eingelagerten Machtverhältnisse bzw. Kompromiss- und Konsensstrukturen stabilisiert oder aber transformiert.
12 Der hegemoniale Charakter politischer Projekte bezieht sich zunächst nur auf die EU-interne, nicht notgedrungen auf die äußere Wirkungsweise europäischer Initiativen, die durchaus sehr repressiv oder sogar imperial sein kann. Intern stützen sich europäische Projekte zumeist auf einen allgemeinen Konsens, der durch die starken Abstimmungs- und Kooperationszwänge innerhalb der Strukturen des europäischen Netzwerk-Regierens herbeigeführt wird. Wie die Legitimationskrise europäischer Politik verdeutlicht, ist die hegemoniale Basis der Projekte, die im Rahmen des zivilgesellschaftlich erweiterten europäischen Exekutiv-Kartells ausgehandelt werden, zum Teil aber auch recht schmal. Zudem kann die anfangs hegemoniale Ausstrahlung von politischen Projekten, durch negative Effekte, die oft erst mittel- und langfristig erkennbar sind, unterminiert werden.
Teil II Die Europäischen Union als Arena und Akteur der Globalisierung
3 Strukturdeterminanten und Entwicklungsphasen der europäischen Integration
Die Formen der sozioökonomischen, zivilgesellschaftlichen und globalen Einbettung der Europäischen Union haben sich seit den 1980er Jahren beträchtlich gewandelt; und mit ihnen auch die gesellschafts- und weltpolitischen Prioritäten. In den Nachkriegsjahrzehnten hatte sich die EG im Kontext des Kalten Krieges und der US-Hegemonie zumeist eher defensiv und reaktiv positioniert. Erst seit den 1990er Jahren wird erkennbar, dass sich die EU zu einer wichtigen Globalisierungsarena und in einigen Bereichen sogar zu einem einflussreichen Akteur der Globalisierung gewandelt hat. Die These eines qualitativen Wandels der europäischen Integration mag bereits auf den ersten Blick plausibel erscheinen. Klare Konturen gewinnt sie jedoch erst dann, wenn der Integrationsprozess im Kontext spezifischer – globaler und gesellschaftlicher – Entwicklungskonstellationen verortet wird. Strukturgeschichtlich betrachtet, lassen sich vor allem drei Phasen unterscheiden (vgl. Bieling/Deppe 1996b; Ziltener 1999):
Die erste Phase markiert den Zeitraum zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise gegen Mitte der 1970er Jahre. Sie ist durch eine zunächst sehr mühsame, in den 1950er und 1960er Jahren dann jedoch – zumindest was die wirtschaftliche Liberalisierung betrifft – forcierte Integration unter den Bedingungen der US-Hegemonie und des Kalten Krieges gekennzeichnet (3.1.). Die zweite Phase reicht von Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre. Sie wird häufig als Zeit der Stagnation und Eurosklerose betrachtet, also als eine Phase, in der sich weltökonomische Umbrüche und gesellschaftliche (Klassen-)Konflikte wechselseitig negativ verstärkten, mit der Folge, dass die Realisierung gemeinsamer europäischer Projekte sehr schwierig wurde (3.2.). Dies änderte sich im Übergang zur dritten Phase ab Mitte der 1980er Jahre, die durch einen neuen Integrationsschub gekennzeichnet war. Dieser stützte sich anfangs auf die Vertiefung der Markt- und Währungsintegration, bevor in Reaktion auf extern veränderte Handlungsparameter – die Transformation der US-Hegemonie und den Zusammenbruch des Realsozialismus – auch die außenpolitischen Kompetenzen und Gestaltungsmöglichkeiten der EU erweitert wurden (3.3.).
Die nachfolgende historische Rekonstruktionsskizze orientiert sich an dieser Phaseneinteilung. Dies geschieht vor allem mit dem Ziel, die zentralen Strukturdeterminanten und Motive der Integration, aber auch die Faktoren und Prozesse, die den qualitativen Wandel herbei geführt haben, herauszuarbeiten. Gleichzeitig sind aber auch die Kontinuitätsmomente und die vielfach inkrementelle Verlaufsform dieses Wandels zu berücksichtigen. Die Transformation des europäischen Regionalismus markiert demzufolge einen Strukturbruch, der durch institutionelle Pfadabhängigkeiten sowie politische Konzessionen und Kompromisse abgemildert wird (3.4.).
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3.1 Europäische Integration und Pax Americana Die Idee eines vereinten Europas hat eine lange Vorgeschichte. Seit Beginn der modernen Staatenbildung hat es immer wieder Vorschläge für eine stabile europäische Friedensordnung gegeben (vgl. Loth 1991: 9ff; Frevert 2003: 44ff). Die verschiedenen Vorschläge scheiterten jedoch wiederholt daran, dass sie entweder zu abstrakt und wirklichkeitsfern angelegt waren oder aber von einzelnen Nationalstaaten strategisch instrumentalisiert wurden. Politisch handlungswirksam wurde die Europa-Idee daher erst im Ausgang des Zweiten Weltkriegs. Bereits während des Krieges und der deutschen Besatzung hatten sich – getragen von dem Gedanken der (kon-)föderalen Kooperation – zwischen einigen Ländern neue Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit entwickelt; etwa zwischen Großbritannien und Frankreich oder zwischen Polen und der Tschechoslowakei. Anfangs stützte sich diese Zusammenarbeit vor allem auf die Repräsentanten der Regierungen oder Exilregierungen. Mit der Dauer des Krieges wurden dann die nationalen Widerstandsbewegungen zum Träger der neu auflebenden Europa-Idee. Aus den Aktionskernen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus entstand eine föderalistische, weitgehend sozialistisch orientierte Bewegung (vgl. Niess 2001). Diese wandte sich nicht nur gegen den totalitären Machtanspruch des Faschismus, sondern – sehr viel grundsätzlicher – auch gegen das nationalstaatliche Souveränitätsprinzip und die hiermit korrespondierende Logik der zwischenstaatlichen Rivalität. Sie plädierte entsprechend dafür, die zwischenstaatliche Rivalität durch die Gründung eines europäischen Bundesstaates zu überwinden. Diese Idee blieb nicht ohne gesellschaftlichen Widerhall. Schließlich waren die europäischen Gesellschaften wirtschaftlich zerstört und moralisch erschüttert. Ihre politische Organisationsform, der Nationalstaat, schien grundlegend desavouiert. Doch obwohl die föderalistische Bewegung – die unterschiedlichen Gruppen schlossen sich 1946 zur Union Européenne des Fédéralistes (UEF) zusammen – über eine beachtliche Massenbasis verfügte, blieb sie politisch relativ einflusslos. Dies lag nicht zuletzt an inneren Spannungen in der UEF, die darin zum Ausdruck kamen, dass man sich nicht auf ein gemeinsames Programm verständigen konnte. Wichtige Themen blieben umstritten: etwa die gesellschaftspolitische Ordnung und die geographischen Grenzen eines föderalen Europas, das Verhältnis zur Sowjetunion oder auch die zukünftige Rolle Deutschlands. Angesichts der veränderten machtpolitischen Realitäten der Nachkriegszeit – der US-Hegemonie, des aufkommenden Kalten Krieges und der Versuche, die tradierten nationalstaatlichen Organisationsmuster zu stabilisieren – konnten die föderalistischen Ideen daher vereinnahmt13 und in den Hintergrund gedrängt wurden. Eine zentrale machtpolitische Realität und Strukturdeterminante bestand darin, dass die USA als die ökonomisch, militärisch und politisch unumstritten führende Hegemonialmacht aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen waren. Schon nach dem Ersten Weltkrieg waren die USA zum größten internationalen Gläubiger aufgestiegen (vgl. Arrighi 1994: 281). Gestützt auf ihren großen Binnenmarkt und ihr technologisches know how hatten die USA die konkurrierenden Industriemächte wirtschaftlich überflügelt und ihren Vorsprung in der Zwischenkriegsperiode weiter ausgebaut (vgl. Schwartz 2000: 69f; Zie13
So hatte sich bereits im September 1946 Winston Churchill in Form einer „destruktiven Umarmung“ der föderalistischen Idee bemächtigt, d.h. sie explizit in Konfrontation zur Sowjetunion (re-)formuliert, ohne sie ansonsten weiter mit Substanz zu füllen (vgl. Niess 2001: 64ff).
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bura 1984: 44ff). Anders als nach dem Ersten Weltkrieg leiteten sie – angesichts der Erfahrungen der 1930er Jahre, d.h. der protektionistisch-nationalistischen Krisenverarbeitung und Desintegration der Weltwirtschaft – nach dem Zweiten Weltkrieg weitreichende Schritte ein, die Strukturen der Weltordnung und Weltökonomie durch internationale Institutionen und Kooperationsstrukturen abzusichern (vgl. Cox 1987: 211ff).
Dies geschah erstens durch ein internationales Währungs- und Finanzsystem, dessen Grundzüge bereits 1944 auf der Konferenz von Bretton Woods vereinbart worden waren. Im Kern handelte es sich hierbei um ein Dollar-zentriertes System fester Wechselkurse, dessen Funktionsweise durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank stabilisiert wurde. Dem IWF kam die Funktion zu, internationale Liquiditätsengpässe zu beseitigen, d.h. Ländern mit Zahlungsschwierigkeiten durch kurzfristige Kredite unter die Arme zu greifen, während sich die Weltbank zunächst auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas und langfristige entwicklungspolitische Aufgaben konzentrierte. Durch das Bretton Woods System sollte eine liberale Weltwirtschaftsordnung etabliert werden, ohne – dies ist ein wichtiger Unterschied zum alten System des Goldstandards – die nationalstaatlichen Möglichkeiten einer umfassenden wirtschaftspolitischen Intervention und wohlfahrtsstaatlichen Regulierung zu beschneiden (vgl. Helleiner 1994: 26ff). In Ergänzung zum internationalen Währungs- und Finanzsystem förderten die USA zweitens die Liberalisierung des Welthandels. Ursprünglich sollte dies durch die International Trade Organization (ITO) geschehen, deren Kompetenzbereich sehr umfassend angelegt war. Da der US-Kongress jedoch die ITO aus unterschiedlichen Gründen – neben protektionistischen und wirtschaftsliberalen Motiven spielten auch nationale Souveränitätsvorbehalte eine wichtige Rolle (vgl. Cohn 2003: 323; Tabb 2004: 291) – ablehnte, blieb nur das 1947 vereinbarte General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) bestehen (vgl. Jacobitz 1995: 48). Dieses bildete eigentlich nur ein regelbasiertes und verhaltensteuerndes Handelsregime mit eher schwachen formalen Kompetenzen, Ressourcen und Sanktionsinstrumenten. Für die USA stellte es in den Nachkriegsjahrzehnten jedoch einen recht effektiven Rahmen bereit, um die Prozesse der Handelsliberalisierung voranzutreiben. Drittens schließlich waren die USA die führende Macht innerhalb der 1949 gegründeten North Atlantic Treaty Organisation (NATO). Erste Initiativen für ein westliches Verteidigungsbündnis waren schon vorher von Großbritannien und Frankreich ausgegangen. Nach dem Vertrag von Dünkirchen (1947) schlossen sie mit den BeneluxStaaten den Brüsseler Pakt (1948). Die USA verhielten sich zunächst abwartend. In dem Maße, wie sich unter den Bedingungen des Kalten Krieges die Beziehungen zur Sowjetunion verschlechterten, zeigten sie sich dann aber zunehmend bereit, ein transatlantisches Verteidigungsbündnis zu etablieren. Mehr noch, die USA übernahmen, gestützt auf ihre ökonomische und militärtechnologische Überlegenheit, innerhalb der NATO eine klare Führungsrolle (vgl. Lundestad 2005: 67ff; Deppe 2006: 61). Diese wurde von den westeuropäischen NATO-Staaten grundsätzlich begrüßt, was unter anderem darin zum Ausdruck kam, dass beträchtliche US-amerikanische Truppenkontingente dauerhaft in Westeuropa stationiert und der NATO-Oberbefehl für Westeuropa einem US-amerikanischen General übertragen wurde. Selbst die von den USA ge-
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3 Strukturdeterminanten und Entwicklungsphasen der europäischen Integration förderte Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland wurde von den westeuropäischen Staaten akzeptiert (vgl. Loth 2002: 278ff).14
Der Kalte Krieg stellte eine zweite machtpolitische Strukturdeterminante der europäischen Integration dar. Er bildete gleichsam den spezifischen Modus der Konfliktaustragung, der im Ost-West-Gegensatz, d.h. der Konkurrenz gegensätzlicher Gesellschaftssysteme strukturell angelegt war. Der Beginn des Kalten Krieges ist nicht ganz leicht zu bestimmen. Er nahm konkrete Gestalt an, nachdem George Kennan im Februar 1946 in seinem „langen Telegramm“ aus Moskau die politisch-ideologisch expansive Kraft des Realsozialismus beschwor und sich in der Folge eine Abkehr von der Roosevelt’schen Verständigungspolitik vollzog (vgl. ebd.: 125ff; Deppe 2006: 99ff). Mit der Truman-Doktrin vom März 1947, gemäß der allen freien Staaten, die durch die Sowjetunion bedroht waren, Beistand gewährt werden sollte, wurde dieser Kurswechsel zur anti-kommunistischen Eindämmungspolitik programmatisch zugespitzt. Nur kurze Zeit später folgte im Juni 1947 mit dem European Recovery Program (ERP), dem sog. Marshallplan, eine Initiative, mit der die Blockkonfrontation auch wirtschafts- und gesellschaftspolitisch unterfüttert wurde. Kees van der Pijl (2006: 34) führt hierzu aus: „The plan was a bold forward projection of the American New Deal and its Fordist mass production economy. Democrats in the US, and Christian and Social Democrats in Europe, could now embrace anti-communism more easily, because the combination with mass consumption and the welfare state offered a progressive alternative.“
Durch weitere Entwicklungen und Weichenstellungen – die Währungsreform in Westdeutschland (1948) und die anschließende Berlin-Blockade, die Gründung zweier deutscher Staaten (1949), die Gründung der NATO (1949) und einige Zeit später des Warschauer Pakts (1955) sowie den Korea-Krieg (1950-53) – wurde die ökonomische und sicherheitspolitische Spaltung Europas in den Folgejahren weiter vertieft. Der Prozess der europäischen Integration fügte sich in diese Entwicklung ein. Er bildete nicht nur eine Antwort der westeuropäischen Staaten auf die Konstellation des Kalten Krieges, sondern trug auch selbst mit dazu bei, diese Konstellation zu verfestigen. Die deutsche Frage, genauer: die politische Kontrolle Deutschlands bildete eine dritte machtpolitische Strukturdeterminante der europäischen Integration. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt und dem Alliierten Kontrollrat als höchster Regierungsbehörde unterstellt. Im Postdamer Abkommen verständigten sich die Alliierten zudem auf eine Neufestlegung der deutschen Außengrenzen und die sog. „vier D“ der Deutschlandpolitik, d.h. die De-Nazifizierung, De-Militarisierung, Demokratisierung und (industrielle) Demontage. Mit dem Kalten Krieg und der Gründung der – begrenzt souveränen – Bundesrepublik Deutschland stellte sich, insbesondere aus französischer Perspektive, dann jedoch erneut die Frage, wie Deutschland politisch zu kontrollieren ist (vgl. Loth 1991: 81f). Das Problem wurde nicht nur durch die 14 Die USA unterstützten in der Nachkriegszeit auch in anderen Weltregionen die Etablierung von Verteidigungsbündnissen gegen die Sowjetunion (vgl. van der Pijl 2006: 78ff), so z.B. den 1952 gegründeten Pazifik-Pakt zwischen Australien, Neuseeland und USA (ANZUS), die 1954 ins Leben gerufene Southeast Asia Treaty Organization (SEATO) oder den 1955 etablierten „Bagdad-Pakt“, der 1959 in die Central Treaty Organization (CENTO) transformiert wurde. Doch innerhalb dieses Netzwerks anti-kommunistischer Pakte hatte die NATO für die Sicherung der US-Hegemonie zweifelsohne Priorität.
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US-amerikanische Präsenz auf dem europäischen Kontinent gelöst, sondern auch durch den Prozess der europäischen Integration. Während die europäischen Abkommen – vor allem die gemeinsame Kontrolle der Schwerindustrie im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die gescheiterte Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) oder auch der Euratom-Vertrag – für die westlichen Nachbarstaaten gewisse Sicherheitsgarantien darstellten, bot die Westintegration für die Bundesrepublik Deutschland die Gelegenheit, sich allmählich als ein anerkannter, gleichberechtigter und eingeschränkt souveräner außenpolitischer Akteur zu etablieren. Die Frage der zwischenstaatlichen Machtverhältnisse und Kooperationsbeziehungen weist darauf hin, dass eine weitere machtpolitische Strukturdeterminante der Nachkriegszeit in der „Rettung“ und Stärkung des Nationalstaats bestand (vgl. Milward 2000). Die westeuropäischen Mächte hatten zwar ökonomisch und militärisch ihre globale Führungsposition eingebüßt und mit gravierenden sozioökonomischen Problemen zu kämpfen. Zugleich wehrten sich die Regierungen jedoch dagegen, den Nationalstaat als politische Handlungseinheit einfach aufzugeben. Sie erblickten in der europäischen Integration vielmehr eine Chance, die Kräfte zu bündeln und die nationalstaatlichen Handlungsspielräume zu erweitern. In diesem Sinne handelte es sich bei der Integration weitgehend, anfangs jedenfalls, weniger um die Übertragung staatlicher Souveränitätsrechte auf die supranationale Ebene, als vielmehr um eine partielle, funktional definierte, d.h. auf Stabilität, Friedenssicherung und Wohlfahrtssteigerung hin ausgerichtete, Zusammenlegung („pooling“) nationalstaatlicher Souveränität (vgl. ebd. 18; ähnlich Hoffmann 1982: 21). Jenseits der Stabilisierung des Nationalstaats sollte jedoch nicht übersehen werden, dass sich durch die vertragliche und institutionelle Einbindung in einen vergemeinschafteten Handlungskontext auch die Formen der nationalstaatlichen Souveränitätsausübung veränderten. Die hier nur knapp skizzierten machtpolitischen Strukturdeterminanten haben den Beginn und weiteren Verlauf der europäischen Integration maßgeblich geprägt. Eine besondere Bedeutung kam dabei dem Marshallplan zu. Im Unterschied zu früheren Unterstützungsleistungen handelte es sich bei der Finanzhilfe von insgesamt 12,4 Mrd. US-Dollar vornehmlich um Subventionen, weniger um rückzahlbare Kredite. Letztlich waren es jedoch nicht so sehr die unmittelbaren ökonomischen Effekte – die Transfers kompensierten eigentlich „nur“ das Handelsbilanzdefizit und den Kapitalabfluss aus Westeuropa (vgl. Helleiner 1994: 58f) –, als vielmehr die mittelbaren, strukturellen Effekte, die das European Recovery Program (ERP) zu einer wichtigen, wenn nicht der zentralen Initiative der Nachkriegszeit machten. Geir Lundestad (2005: 58) beschreibt den spektakulären Erfolg der Marshallplan-Initiative wie folgt: „It helped achieve political stabilization in Western Europe, externally vis-à-vis the Soviet Union and internally vis-à-vis local Communists; it promoted some measure of European integration; it made the Western zones of Germany part of this stabilization and integration; it changed European perceptions of the United States dramatically for the better, from Washington’s point of view; it mobilized the American public around a comprehensive US role in Europe.“
Die hier angesprochenen weltpolitischen und gesellschaftsstrukturellen Aspekte erlangten eine nachhaltige Bedeutung, weil das ERP indirekt den Startschuss für den Prozess der europäischen Integration gab. So zielte die Marshallplan-Hilfe nicht nur darauf, die Zahlungsbilanzprobleme Westeuropas zu kompensieren und den Übergang zum fordistischen
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Entwicklungsmodell zu fördern.15 Die USA sahen im ERP auch einen Hebel, um den innereuropäischen Handel durch Liberalisierungsauflagen anzukurbeln (vgl. Schäfer 2003; Kuttner 1991: 50ff; Ambrosius 1996: 77ff). Die Economic Cooperation Administration (ECA), die im Rahmen des ERP für die Verwaltung und Mittelvergabe zuständig war, konnte diesen Prozess allerdings nur eingeschränkt organisieren. Um die ERP-Empfängerländer in den Liberalisierungsprozess aktiv einzubinden, wurde daher 1948 die Organization for European Economic Cooperation (OEEC) gegründet. Anfangs blieb die Kooperation zwischen der ECA und der OEEC spannungsgeladen. Die Handelsliberalisierung stockte, weil die europäischen Währungen noch immer nicht konvertibel und die nationalen Regierungen darauf bedacht waren, Handelsbilanzdefizite zu vermeiden, um ihre Goldund Dollar-Reserven nicht aufzuzehren.16 Erst nachdem, wiederum auf Initiative der USA, 1950 mit der Europäischen Zahlungsunion (EZU) ein multilaterales Verrechnungs- und Ausgleichssystem etabliert worden war, konnten effektive Liberalisierungsschritte realisiert werden. Der hegemonial-kooperative Charakter der ERP-Initiative lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein transatlantisches Eliten-Netzwerk formierte. Auf beiden Seiten des Atlantiks engagierte sich eine wachsende Zahl von Managern, Politikern und Politikberatern dafür, die Integration Europas voranzutreiben (vgl. van der Pijl 1984: 156ff; Winand 1993: 40ff; Ziltener 1999: 90ff; Haller 2009: 100ff). Zentrale politische Figuren dieses Netzwerks waren auf amerikanischer Seite Dwight D. Eisenhower, George C. Marshall und John Foster Dulles. Auf europäischer Seite zählten hierzu in erster Linie die „Gründungsväter“ der europäischen Integration wie Jean Monnet, Konrad Adenauer, Paul Henri Spaak oder Alcide de Gasperi. Auch britische Politiker wie Winston Churchill, Anthony Eden, Clement Attlee oder Ernest Bevin waren auf distanzierte Weise in dieses Netzwerk eingebunden (vgl. Lundestad 2005: 72f). Ergänzt wurden die transatlantischen Kommunikations- und Kooperationsstrukturen in den 1950er Jahren unter anderem durch die sog. Bilderberg-Konferenzen. Nach Kees van der Pijl (1998: 121) handelte es sich hierbei um einen „truly North Atlantic planning body“, der – unterstützt durch die Central Intelligence Agency (CIA), Unilever und die Rockefeller Foundation – in vertrauter Atmosphäre über wichtige Fragen der transatlantischen Beziehungen und europäischen Integration beratschlagte. Der Prozess der europäischen Integration war demzufolge von Beginn an in den globalen, insbesondere in den transatlantischen Kontext interaktiv eingebettet. Im Vergleich 15 Als Fordismus wird ein Entwicklungsmodell bezeichnet, das durch eine spezifische Verknüpfung von Massenproduktion und Massenkonsum gekennzeichnet war. Auf der Grundlage einer fließbandgetriebenen Zergliederung des Arbeitsprozesses konnten einerseits durch sog. economies of scale enorme Produktivitätssteigerungen realisiert werden. Andererseits ermöglichten diese Produktivitätseffekte auch beträchtliche Lohn- und Einkommenssteigerungen, so dass die massenhaft produzierten langlebiger Konsumgüter – Autos, Radios, Kühlschränke, Fernsehgeräte etc. – auch einen entsprechenden Absatz fanden. Die fordistische „Durchkapitalisierung“ der Gesellschaft (vgl. Lutz 1984; Hirsch/Roth 1986: 48ff) wurde demzufolge nachfrageseitig abgestützt. Sie wurde in Westeuropa nicht nur durch gewerkschaftlich erkämpfte Lohnzuwächse gefördert, sondern auch durch eine beträchtliche Ausweitung der Staatstätigkeit, d.h. durch öffentliche Investitionen und den Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen. 16 Dies lässt erkennen, dass das Bretton Woods System in den Nachkriegsjahren durch deutliche Funktionslücken gekennzeichnet war. Selbst in Westeuropa waren zusätzliche – von den USA bereit gestellte Instrumente – erforderlich, um den Problemen einer fehlenden Währungskonvertibilität und einer ungleichgewichtigen Leistungs- und Kapitalbilanz entgegenzutreten.
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zur pro-aktiven Politik der US-Administration verhielten sich die Regierungen Westeuropas allerdings eher reaktiv. Angesichts der eigenen Schwäche, d.h. der Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs und beträchtlicher ökonomischer und sozialer Konsolidierungsprobleme, konnten ihre Initiativen nur in Kooperation mit den USA eine gewisse Durchschlagskraft erlangen. Dies änderte sich allerdings in dem Maße, wie sich die nationalen Regierungen – gestützt auf die wirtschaftliche Belebung und Liberalisierung sowie den Kalten Krieg – europapolitisch annäherten. Der eigentliche Startpunkt der europäischen Integration wird gemeinhin in der 1951 gegründeten, oft auch als Montanunion bezeichneten EGKS gesehen. Hierbei handelte es sich um eine französische Initiative für eine gemeinsame Kontrolle des Kohle- und Stahlsektors (vgl. Ambrosius 1996: 80f). Dieser Vorstoß war zwar mit den USA abgestimmt, aber in Paris von Jean Monnet ausgearbeitet und nach dem französischen Außenminister Robert Schuman benannt worden. Auf den ersten Blick wirkt dieser sektorale Integrationsschritt sehr bescheiden. Genauer betrachtet kam dem Montanbereich damals jedoch eine gewichtige Schlüsselfunktion zu; schließlich handelte es sich um den Sektor, der sowohl für die fordistische Massenproduktion langlebiger Konsumgüter als auch für die Rüstungsindustrie von grundlegender Bedeutung war (vgl. Loth 1991: 81ff). Das Bestreben, sich auf eine gemeinsame Kontrolle der Kohle- und Stahlindustrie zu verständigen, signalisierte einen beträchtlichen sicherheits- und wirtschaftspolitischen Einstellungswandel. Dies galt umso mehr, als sich die Mitgliedstaaten der EGKS darauf einigten, supranationale Institutionen zu schaffen – eine finanziell und politisch weitgehend autonome Hohe Behörde, einen im Krisenfall weisungsbefugten Ministerrat, eine Versammlung mit gewissen Informations- und Kontrollrechten sowie einen beratenden Ausschuss der Interessengruppen und einen Gerichtshof –, um das politische Management dieses Sektors auf eine tragfähige Grundlage zu stellen. Politisch-konzeptionell war der EGKS-Vertrag interventionistisch ausgerichtet: „Er sah gemeinsame Investitionsplanungen, Preiskontrollen, Mengenregulierungen und eine Vielzahl weiterer verbindlicher Regulierungen für die Eisen- und Stahlindustrie vor. Er wurde auf 50 Jahre geschlossen und ist im Jahre 2002 ausgelaufen.“ (Huffschmid 2007a: 308)
Für Frankreich bestand das zentrale Motiv der EGKS darin, durch die gemeinsame – in erster Linie deutsch-französische – Kontrolle des Montanbereichs und die französische Mitverfügung über deutsche Kohlereserven einer drohenden Stahlkrise und zukünftigen Kriegsgefahren vorzubeugen. Die deutsche Regierung unter Adenauer sprach sich für die EGKS aus, um ihre Bereitschaft zur friedfertigen Kooperation zu unterstreichen und sich als noch nicht souveränes Land auf der internationalen Bühne Anerkennung zu verschaffen. Nach diesem erfolgreichen Start der europäischen Integration folgte kurz darauf mit dem Scheitern der EVG jedoch ein kräftiger Dämpfer. Die EVG-Initiative ging vom damaligen französischen Ministerpräsidenten René Pleven aus, der – gedrängt durch die USA – einen Vorschlag für ein europäisches Verteidigungsbündnis unter Einschluss der Bundesrepublik Deutschland ausarbeitete (vgl. Brunn 2002: 90ff). Der Pleven-Plan sah vor, eine gemeinsame europäische Armee zu etablieren und diese der Leitung eines europäischen Verteidigungsministers zu unterstellen. Zugleich enthielt er gegenüber Deutschland eine Reihe von Diskriminierungen, indessen eine klare Vormachtstellung Frankreichs eingefordert wurde (vgl. Loth 2002: 285). Unter Mitwirkung der USA gelang es schließlich zwar,
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eine Kompromisslösung herbeizuführen, so dass der EVG-Vertrag im Mai 1952 von den Vertretern der Mitgliedsstaaten unterzeichnet werden konnte. Letztlich scheiterte die EVG aber im August 1954, als die französische Nationalversammlung mit den Stimmen der Gaullisten und Kommunisten beschloss, das Thema nicht auf die Agenda zu setzen.17 Die ablehnende Haltung des französischen Parlaments war unterschiedlichen Faktoren geschuldet. So spielte sicherlich eine Rolle, dass durch den Niedergang des Mouvement Républicain Populaire (MRP) die Unterstützung für die EVG bröckelte, dass die Skepsis gegenüber einer Remilitarisierung Deutschlands nach wie vor groß war, dass Großbritannien nicht bereit war, sich an der EVG zu beteiligen, und dass der enorme US-amerikanische Druck gewisse Abwehrreaktionen provozierte, sich also kontraproduktiv auswirkte (vgl. Kaiser 2001: 82ff). Die Krise, die das Scheitern der EVG auslöste, war gravierend, blieb aber ohne nachhaltige Wirkung. Dies lag zum einen daran, dass die Frage der deutschen Remilitarisierung und sicherheitspolitischen Einbindung rasch anderweitig geregelt wurde. Nachdem durch die Pariser Verträge das Besatzungsstatut für Westdeutschland aufgehoben worden war, konnte die Bundesrepublik in die NATO und auch in die Westeuropäische Union (WEU), die Nachfolgeorganisation des Brüsseler Paktes, aufgenommen werden. Zum anderen wurden in Westeuropa bald schon neue, allerdings stärker ökonomisch ausgerichtete Integrationsinitiativen in Angriff genommen: so vor allem die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und auch die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom). Der Weg zur Realisierung dieser beiden Projekte war recht kompliziert. Die nationalen Interessen und Präferenzen waren sehr unterschiedlich, teilweise gegensätzlich, so dass eine gemeinsame Lösung zunächst nicht in Sicht war (vgl. Moravcsik 1998: 86ff; Brunn 2002: 100ff). Die französische Regierung und Jean Monnet, damals Präsident der Hohen Behörde der EGKS, drängten darauf, das sektorale Integrationsmodell auf die Atomenergie zu erweitern, um eine gewisse Kontrolle über die deutsche Atomwirtschaft zu erlangen. Die Benelux-Staaten plädierten hingegen dafür, den sektoralen zugunsten eines gesamtwirtschaftlichen Integrationsansatzes aufzugeben und eine Zollunion zu errichten. Dies entsprach der starken Exportorientierung der Benelux-Ökonomien, nicht aber den Interessen Frankreichs, das beträchtliche Wettbewerbsrisiken für seine protektionistisch geschützte und arbeits- und sozialpolitisch umfassender regulierte Wirtschaft befürchtete. Großbritannien, das anfangs auch in den Diskussionsprozess involviert war, erblickte im gemeinsamen Markt einen Schritt zum europäischen Dirigismus und zur regionalen Abschottung. Es zog sich daher zurück und gründete mit einigen anderen, sicherheitspolitisch neutralen Ländern im Jahr 1960 die European Free Trade Association (EFTA). Obwohl es in der Adenauer-Regierung ebenfalls wirtschafts- und verteidigungspolitische Vorbehalte gab,18 ließ sich Deutschland auf die EWG und auch auf die Euratom ein. Im Vergleich zu den anderen Ländern verhielt sich Italien, dem allgemein an einer vertieften politischen Integration gelegen war, insgesamt eher indifferent. 17
Mit der EVG scheiterte zugleich das Projekt der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG), das unmittelbar an die EVG gekoppelt war und über das die Institutionalisierung einer gemeinsamen Außenpolitik realisiert werden sollte. 18 Diese Vorbehalte wurden freilich weniger von Adenauer selbst, als vielmehr vom Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und vom Atomminister Franz Josef Strauß eingebracht. Erhard sah in der EWG ein Hindernis für den globalen Freihandel, während Strauß die Euratom als eine Fessel für die angestrebte Kooperation mit den technologisch fortgeschrittenen USA betrachtete (vgl. Brunn 2002: 103f).
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Im Juni 1955 verständigten sich die nationalen Regierungen auf der Konferenz in Messina darauf, beide Integrationsinitiativen in Angriff zu nehmen. Es wurde das SpaakKomitee gegründet – benannt nach dem damaligen belgischen Außenminister –, das entsprechende Pläne ausarbeitete, auf deren Grundlage dann weiter verhandelt wurde. Am Ende stand ein umfassendes Kompromisspaket, das letztlich auch die im März 1957 unterzeichneten Römischen Verträge kennzeichnete. Einige der zentralen Ergebnisse und Kompromisslinien sind von Patrick Ziltener (1999: 98f) wie folgt zusammengefasst worden: „Auf dem Gebiet der Zollpolitik setzt sich die BRD stärker durch als Frankreich. Der ausgehandelte gemeinsame Außenzoll entsprach etwa demjenigen Westdeutschlands und brachte für Frankreich und Italien eine Zollreduktion, für die Benelux-Staaten eine Erhöhung mit sich [...] Der geplante gemeinsame Agrarmarkt wurde vor allem im Interesse Frankreichs verbunden mit einer expliziten ,Gemeinschaftspräferenz’ mit protektionistischer Stoßrichtung und finanziellen Ausgleichsmechanismen. [...] Frankreich machte eine mit der Zollunion gleichlaufende Verwirklichung der Agrarpolitik zur Bedingung der Vertragserfüllung in den übrigen Bereichen. [...] Die vorgesehene Schaffung eines westeuropäischen Marktes für Arbeitskraft geht zurück auf das Projekt Italiens, das angesichts seines Arbeitskräfteüberschusses an einer westeuropäischen Öffnung interessiert war. Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs wurde auf den Druck Frankreichs hin strikt an die Bedingung geknüpft, dass sie nur gilt, ,soweit sie für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes’ notwendig war.“
Überdies gelang es Frankreich und Belgien, einen Sonderstatus für die (ehemaligen) Kolonialgebiete durchzusetzen (vgl. Hine 1985: 171ff). So wurden 1958 der Europäische Entwicklungsfonds (EEF) eingerichtet und mit vielen Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP) einige Zeit später Assoziierungsabkommen – 1963 und 1969 die Abkommen von Yaoundé und seit 1975 die Lomé-Abkommen – vereinbart. Zudem wurde auf Drängen Frankreichs die Euratom institutionalisiert, um eine gemeinsame Nuklearindustrie – unter Ausklammerung militärischer Aspekte – aufzubauen. Sie fristete in den nachfolgenden Jahrzehnten im Vergleich zur EWG jedoch ein Schattendasein, da durch die nationalen industriepolitischen Interessen – unterstützt durch die großen nationalen Energiekonzerne – eine effektive Vergemeinschaftung immer wieder blockiert wurde (vgl. Brunn 2002: 124ff). Der umfassende, gesamtwirtschaftliche Charakter der europäischen Integration ging nicht mit einer weitreichenden Supranationalisierung der Politik einher. Durch den EWGVertrag wurden nach dem Vorbild der EGKS zwar auch europäische Institutionen geschaffen19, diese konnten aber nur begrenzt eine von den nationalen Regierungen unabhängige Gestaltungskraft entwickeln. So war der Kommission – im Unterschied zur Hohen Behörde – nur das Initiativrecht, nicht aber die Entscheidungsbefugnis übertragen worden. Letztere lag stattdessen beim Ministerrat, dem eigentlichen Machtzentrum der EWG. Auch die parlamentarische Versammlung, das spätere Europäische Parlament (EP), verfügte anfangs nur über begrenzte Kontroll- und Budgetrechte. Ähnlich schwach war die Rolle des Wirtschafts- und Sozialausschusses (WSA), der sich aus Vertretern diverser Interessengruppen – Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und Repräsentanten von Berufsgruppen – zusammensetzte und allein beratende Funktionen wahrnahm. Etwas anders verhielt es sich mit 19 Gestützt auf den EG-Fusionsvertrag von 1965 wurden die verschiedenen Institutionen der Einzelverträge – EGKS, EWG und Euratom – 1967 zusammengeführt.
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dem EuGH, dessen Rechtssprechungspraxis sich allerdings erst etwas später, seit Mitte der 1960er Jahre, als eine wichtige Triebkraft der europäischen Integration erweisen sollte (vgl. Mattli 1999: 73ff; Haltern 2006: 401ff). Die vielfältigen Kompromisse und wechselseitigen Zugeständnisse weisen darauf hin, dass sich in der Nachkriegszeit eine Art Basiskonsens der europäischen Integration herausbildete. Zum einen wurden die europäischen Arrangements, insbesondere die EWG – in Kooperation mit den USA20 – als ein nach innen und außen stabilisierendes Element betrachtet, um die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung zu festigen und den Einfluss sozialistisch-kommunistischer Kräfte zurückzudrängen (vgl. Statz 1989: 13; van der Pijl 2006: 38). Zum anderen wurde die handelspolitische Öffnung und der Übergang zu einem gemeinsamen größeren Markt – vor allem von den weltmarktorientierten Kapitalfraktionen – als ein notwendiger Schritt gesehen, um die Produktionsstrukturen zu modernisieren, das Wirtschaftswachstum zu fördern, die Beschäftigung anzukurbeln und die europäischen Ökonomien in der Weltmarktkonkurrenz mit den USA zu stärken (vgl. Bieling/Deppe 1996b: 488ff). Die konkreten wirtschaftlichen Effekte des gemeinsamen Marktes lassen sich allerdings nur schwer quantifizieren (vgl. Ziltener 2001: 13ff). Die fordistische Restrukturierung der europäischen Ökonomien wurde durch ein ganzes Bündel weiterer Faktoren mit beeinflusst: so z.B. durch die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und eine relativ starke Arbeiterklasse, durch sozial-konservative und staatsinterventionistische Traditionen oder durch die Stärkung der Binnennachfrage und die wohlfahrtsstaatliche Expansion (vgl. Deppe 2006: 137ff). Mehr oder minder standen alle diese Dimensionen in einer positiven Wechselbeziehung mit der europäischen Integration. Es gibt zumindest gute Gründe anzunehmen, dass sich der gemeinsame Markt, auch in der Wahrnehmung der politischen Akteure, insgesamt positiv ausgewirkt hat (vgl. Cocks 1991: 42f; Tsoukalis 2003: 46). Die durch ihn erzeugten Wachstumsimpulse und Modernisierungsanreize förderten die Entwicklung der nationalen Kapitalismusmodelle und der diese prägenden Arbeits- und Sozialsysteme. Die wechselseitige Verstärkung von Handelsverflechtung, Wirtschaftswachstum und Produktivitätssteigerung generierte mithin zusätzliche Beschäftigungs- und Wohlfahrtseffekte, weshalb sich bei den nationalen Regierungen und Parteien eine proeuropäische Grundeinstellung herausbildete, die durch einen „permissiven Konsensus“, d.h. die stillschweigende Zustimmung der Bevölkerung zur Europapolitik der nationalen und supranationalen Entscheidungsträger, gestützt wurde. In der ersten Phase war die europäische Integration daher nicht nur in die Strukturen der Weltordnung, insbesondere in die US-Hegemonie, sondern ebenso sozioökonomisch und gesellschaftlich eingebettet. Angesichts der begrenzten supranationalen Kompetenzen bildeten die nationalen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe dabei die zentrale Interaktionsund Vermittlungsebene. Der dynamischen wirtschaftlichen Integration war dies nicht abträglich. So konnte bereits anderthalb Jahre vor Ablauf der Übergangsfrist, nämlich am 1. Juli 1968, mit dem Wegfall der Binnenzölle und der Einführung eines gemeinsamen Han-
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Die USA unterstützten einerseits die Gründung der EWG aus macht- und wirtschaftspolitischen Gründen, andererseits befürchteten sie aber auch, dass sich ein abgeschotteter Handelsblock herausbilden könnte. Entsprechend versuchten sie in den diversen Handelsrunden des GATT wiederholt, die protektionistischen Elemente der europäischen Wirtschafts- und Handelspolitik zu beseitigen oder zumindest abzuschwächen (vgl. Jacobitz 1995: 102f).
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delstarifs gegenüber Drittstaaten die Zollunion realisiert werden. In anderen Bereichen entfalteten sich jedoch wiederholt gravierende Konflikte und Krisenprozesse: Ein erster Konflikt entzündete sich an den Fouchet-Plänen, auf deren Grundlage de Gaulle in den Bereichen der Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts- und Kulturpolitik intergouvernmentale Kooperations- und Koordinationsmechanismen etablieren wollte (vgl. Brunn 2002: 142ff). Vor allem die kleineren Länder befürchteten, dass auf diese Weise die NATO und die EWG geschwächt würden. Das Vorhaben wurde daraufhin zurückgewiesen. In der Konsequenz intensivierte Frankreich die Kooperation mit Deutschland. Im Jahr 1963 wurde der „Französisch-Deutsche Freundschaftsvertrag“ unterzeichnet, der von den anderen Mitgliedstaaten und den USA als „Sonderbündnis“ beargwöhnt wurde. Auch die ordnungspolitischen Divergenzen in der Zeit zwischen 1962 und 1964 verweisen auf den konfliktiven Charakter der Integration. Damals hatte sich die Kommission mit Unterstützung der französischen Regierung für eine mehrjährige indikative Wirtschaftsplanung auf europäischer Ebene eingesetzt. Die deutsche Regierung, allen voran der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, beharrte jedoch auf einer liberalen, staatliche Planungselemente grundsätzlich negierenden Wettbewerbskonzeption (vgl. Huffschmid 1994a: 62ff; Ziltener 1999: 114ff). Letztlich konnte sich die deutsche Position durchsetzen. Über Absichtserklärungen und eine vage Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitik hinaus wurden keine verbindlichen Arrangements vereinbart. Einen weiteren Konfliktfall bildete die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). In diesem Bereich war auf Drängen Frankreichs in den Verhandlungen über die Römischen Verträge zwar eine sektorale Integration, d.h. eine gemeinschaftlich geregelte Preissubventionierung und Schutzzollpolitik vereinbart worden, die konkreten Modalitäten blieben jedoch unklar. Entsprechend nutzte de Gaulle in den 1960er Jahren jede Gelegenheit, ein dauerhaftes und für Frankreich akzeptables agrarpolitisches Finanzierungs- und Regulierungsregime zu etablieren (vgl. Moravcsik 1998: 182ff). So wurden von Frankreich die britischen Beitrittsanträge wiederholt abgelehnt (1963 und 1967) und Fortschritte bei der Zollunion von Fortschritten in der Agrarpolitik abhängig gemacht. Schließlich ist auch die Integrationskrise von 1965 zu nennen. Damals versuchte die französische Regierung unter Charles de Gaulle, sich mit einer „Politik des leeren Stuhls“ weitergehenden Integrationsschritten zu widersetzen. Der Widerstand richtete sich zum einen gegen das Bestreben der Kommission, eigene Finanzquellen zu erschließen, und zum anderen gegen den im EWG-Vertrag vorgesehenen Übergang zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen (vgl. Ziltener 1999: 117ff; Timmermann 2001: 115ff). Die französische Strategie war insofern erfolgreich, als der im Januar 1966 erzielte „Luxemburger Kompromiss“ in Fragen von besonderem nationalen Interesse ein Vetorecht garantierte, wodurch faktisch die Praxis einstimmiger Entscheidungen festgeschrieben wurde. Ungeachtet aller Konflikte stand der Integrationsprozess selbst jedoch nie ernsthaft zur Disposition. Dies lag zum einen an der globalen Konstellation des Kalten Krieges, innerhalb derer die „Westbindung“ zur Staatsräson avancierte und die (west-)europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe ihre sicherheitspolitischen Interessen komplementär zu
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den USA definierten. Zum anderen waren aber auch die wirtschaftlichen und sozialen Effekte der Integration zu bedeutsam, als dass man auf sie hätte verzichten wollen. Dies galt umso mehr, als der wirtschaftliche Modernisierungsdruck auf der europäischen Ebene mehrfach eingehegt war: Die sektorale Integration im Rahmen der EGKS, der Euratom und der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) blieb hochgradig reguliert; zudem waren mit dem Europäischen Sozialfonds, dem Agrarfonds, der Europäischen Investitionsbank und dem Europäischen Entwicklungsfonds zusätzliche finanzpolitische Steuerungsinstrumente geschaffen worden. Die Handelsliberalisierung beschränkte sich weitgehend auf den Abbau tarifärer Handelshemmnisse; der Dienstleistungssektor wurde allenfalls partiell dem grenzüberschreitenden Wettbewerb ausgesetzt; die Zollunion umschloss keine signifikante Liberalisierung der Kapital- und Kreditmärkte; und die nationalen Regierungen verfügten weiterhin über das Instrument der Wechselkursanpassung. Die europäischen Arrangements bildeten demzufolge eigentlich nur eine zusätzliche, allerdings sehr effektive – ökonomische und politische – Vermittlungsebene innerhalb der globalen Konstellation des „embedded liberalism“ (Ruggie 1982).21 Mehr noch, mit ihrer Hilfe konnte der außenwirtschaftliche Öffnungsprozess so gestaltet werden, dass die nationalen Strukturen der „mixed economy“ und die wohlfahrtsstaatlichen Regime nicht beeinträchtigt, sondern gestärkt wurden (vgl. Tsoukalis 1997: 15ff).
3.2 Globale Krisenprozesse, gesellschaftspolitische Konflikte und das Zeitalter der „Eurosklerose“ Die Synergieeffekte, die sich zwischen der Weltmarktöffnung, dem Voranschreiten der europäischen Integration und der Reproduktion der nationalen Wirtschafts- und Wohlfahrtsmodelle ergeben hatten, verloren in den 70er Jahren an Bedeutung. Die bis dahin gegebene Entwicklungskonstellation erodierte, da sich – auf der globalen, nationalen und europäischen Ebene – unterschiedliche Krisenprozesse überlagerten und wechselseitig verstärkten. Zunächst versagten alle Versuche, das internationale Währungssystem von Bretton Woods aufrecht zu erhalten. Im Jahr 1971 hatten die USA die Goldbindung des US-Dollars aufgegeben und diesen im Smithsonian Agreement, d.h. in Abstimmung mit den wichtigsten Handelspartnern, kräftig abgewertet. Doch nur kurze Zeit später waren sie erneut mit den Problemen eines steigenden Haushaltsdefizits und vermehrten Kapitalabflüssen konfrontiert. 1973 gaben sie daher den Wechselkurs frei und gingen zum Floaten über (vgl. Scherrer 1999: 185ff). Diese Entwicklung signalisiert, dass die USA ihre international exzeptionelle Stellung, vor allem gegenüber Japan und Westeuropa, partiell eingebüßt hatten. Zudem begann sich durch die Liberalisierung der internationalen Kapital- und Devisentransaktionen, so z.B. den Einfluss des Euro-Dollar-Marktes, die Funktionsweise des internationalen Finanz- und Währungssystems insgesamt zu verändern (vgl. Helleiner 1994: 81ff). Die USA waren weder in der Lage, die internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen hegemonial zu regulieren, noch waren sie bereit, den Übergang zu einem multilateralen kooperativen Währungs- und Finanzmarktregime zu vollziehen. Für die 21 Vgl. auch Gilpin (1987: 355), der mit Bezug auf James Mayall die tragende Kompromissstruktur der Nachkriegsjahrzehnte mit der Formel „Keynes at home and Smith abroad“ umschreibt.
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Ausrichtung der Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik in Westeuropa war dies insofern bedeutsam, als hierdurch die Handlungsspielräume der nationalen Regierungen erheblich eingeschränkt wurden. Unter den Bedingungen deregulierter Finanzmärkte verfügten sie, sobald sich die Leistungsbilanz verschlechterte und die Währungen unter Druck gerieten, oft nur noch über begrenzt wirksame und kostenträchtige Instrumente wie Devisenmarktinterventionen oder unilaterale Kapitalverkehrskontrollen. Die wachsenden Spannungen in der internationalen wirtschafts- und währungspolitischen Kooperation wurden noch dadurch verstärkt, dass die nationalen fordistischen Entwicklungsmodelle in den 1970er Jahren ebenfalls in die Krise gerieten. Der wachstumsorientierte Produktions-Konsum-Nexus, der sich auf die tayloristische Massenproduktion, hohe Produktivitäts- und Lohnsteigerungen und eine wohlfahrtsstaatliche Expansion stützte, war offensichtlich an seine Grenzen gestoßen. Hierbei handelte es sich im Kern um eine Rentabilitätskrise des investiven Kapitals (vgl. Lipietz 1985: 126f): Die Produktivitätsreserven der tayloristischen Rationalisierung waren erschöpft. In vielen Bereichen hatten sich Überkapazitäten angehäuft. Die Energiepreise stiegen sprunghaft an, und zudem verengten sich infolge hoher Lohnsteigerungen die Profitmargen. Lohnzuwächse, wohlfahrtsstaatliche Transferleistungen und Instrumente einer anti-zyklischen Krisenpolitik konnten den wirtschaftlichen Abwärtstrend zwar abbremsen, ihre Wirkung blieb jedoch begrenzt. In einigen Ländern wie Deutschland versuchten die Zentralbanken, durch hohe Leitzinsen die Inflation auf Kosten der Konjunktur einzudämmen, was wiederum die Regierungen veranlasste, ihre expansive Wirtschaftspolitik aufzugeben. Aber auch in den Ländern, in denen die Zentralbanken die expansive Wirtschaftspolitik unterstützten, traten gravierende Probleme auf. Hier zeigte sich, dass unter den Bedingungen einer Inflations-AbwertungsSpirale ebenfalls kein tragfähiger Aufschwung zu bewerkstelligen war. In der Konsequenz verschärften sich damit die tarif-, fiskal- und sozialpolitischen Verteilungskämpfe, zumal innerhalb einer depressiven internationalen Konstellation die internationale Wettbewerbsposition durch eine neo-protektionistische Außenwirtschaftspolitik – Währungsabwertungen oder nicht-tarifäre Handelshemmnisse – nicht nennenswert verbessert werden konnte. Dieses Auseinanderdriften der nationalen Strategien der Krisenbewältigung belastete schließlich auch den Fortgang der europäischen Integration (vgl. Tsoukalis 1997: 26ff). Dies war zunächst allerdings nicht unmittelbar evident. Noch zu Beginn der 1970er Jahre schien es, als könnte der Integrationsprozess weiter gestärkt und dynamisiert werden. Dies kam nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass einige – zum Teil sehr ambitionierte – Projekte in Angriff genommen worden waren:
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Das Projekt der „Norderweiterung“ machte deutlich, dass die wirtschaftliche Dynamik des EG-Raumes auch auf andere Länder ausstrahlte. Die Erweiterung um Großbritannien, Irland und Dänemark konnte 1973 erfolgreich zum Abschluss gebracht werden22, weil sich zwischen den Beitrittskandidaten und der EG, aber auch innerhalb der EG die Interessenlagen verschoben hatten. So war de Gaulle bereits 1969 zurückgetreten, die gemeinsame Agrarpolitik war inzwischen fest etabliert und die wirtschaftlichen Strukturen Großbritanniens wie auch Dänemarks fügten sich sehr gut in das Spezialisierungsprofil der EG-Ökonomie ein (vgl. Ambrosius 1996: 120ff). Zudem war Großbritannien – trotz des geringen Gewichts der britischen Landwirtschaft und der Nur in Norwegen scheiterte der EG-Beitritt in einem Referendum am Widerstand der Bevölkerung.
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3 Strukturdeterminanten und Entwicklungsphasen der europäischen Integration Sonderkonditionen im Rahmen des Commonwealth – bereit, die gemeinsame Agrarpolitik zu akzeptieren, einen beträchtlichen Finanzbeitrag zu leisten und – zumindest kurzfristig – Probleme in der Zahlungsbilanz hinzunehmen. Das Projekt einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) war bereits im Dezember 1969 auf dem Gipfel in Den Haag initiiert worden, um die Defizite einer unzureichenden wirtschafts- und währungspolitischen Koordination zu beseitigen. Diese Defizite waren in dem Maße hervorgetreten, wie die ökonomische Interdependenz zunahm, sich die Spannungen innerhalb des Bretton Woods System intensivierten und sich die verfügbaren Steuerungsinstrumente in der ersten ernsthaften Wirtschaftskrise (1966/67) nach dem Zweiten Weltkrieg als unzureichend erwiesen (vgl. Tsoukalis 1997: 138ff). Im Anschluss an den Gipfel in Den Haag wurde daher eine Expertengruppe unter der Leitung des Luxemburger Ministerpräsidenten Pierre Werner eingerichtet, um ein Konzept zur Umsetzung der Wirtschafts- und Währungsunion zu entwerfen (vgl. Verdun 2000: 56ff). Die Arbeit der Expertengruppe war geprägt durch den Disput zwischen den sog. „Monetaristen“ – vor allem Frankreich –, die für eine möglichst rasche Fixierung der Wechselkurse und eine nachfolgende Kooperation und Harmonisierung der Wirtschaftspolitik plädierten, und den sog. „Ökonomisten“ – in erster Linie Deutschland –, die sich für genau die umgekehrte Reihenfolge aussprachen, also erst die Konjunktur- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten harmonisieren wollten, um später die Wirtschaftsunion mit einer gemeinsamen Währung gleichsam zu krönen (vgl. Busch 1991: 20ff). Im Bericht der Werner-Gruppe einigte man sich schließlich auf einen Kompromiss, d.h. auf einen Drei-Stufen-Plan, den sog. „Werner-Plan“, der eine strenge Parallelität von wirtschafts- und währungspolitischer Integration vorsah.23 Im Frühjahr 1971 beschloss der Ministerrat auf Grundlage dieses Plans, bis 1980 die Wirtschafts- und Währungsunion zu realisieren, d.h. einen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen, eine Währungsunion mit einem einheitlichen Zentralbankensystem einzurichten sowie die Wirtschaftspolitik durch die schrittweise Übertragung von Kompetenzen auf die supranationale Ebene und die Entwicklung gemeinsamer Steuerungsinstrumente stärker zu vergemeinschaften. Ein anderes, ebenfalls sehr ambitioniertes Projekt bestand darin, durch die Ausweitung sozialer Rechte – vor allem im Bereich des Arbeitsrechts – die EG solidarischer gestalten zu wollen. Nachdem eine europäische Arbeits- und Sozialpolitik in den Nachkriegsjahrzehnten praktisch nicht existent war, hatten sich die Regierungen – vor dem Hintergrund des Aufschwungs der Arbeiterbewegung und Linksparteien (vgl. Deppe 2006: 192ff; van der Pijl 2006: 108ff) – auf dem Pariser Gipfel von 1972 darauf verständigt, ein soziales Aktionsprogramm in Auftrag zu geben. Dieses Aktionsprogramm, das 1974 offiziell verabschiedet wurde, war sehr umfangreich und sah eine ganze Reihe von arbeits- und sozialpolitischen Verordnungen und Richtlinien vor.
Im Unterschied zum erfolgreichen Abschluss der Norderweiterung konnten der WernerPlan und die „soziale Dimension“ europäischer Politik letztlich nicht oder nur unzurei23
Im Unterschied zur WWU-Konzeption des EU-Vertrags von Maastricht und Amsterdam war der „Werner-Plan“ insofern keynesianisch inspiriert, als er kein politisch unabhängiges europäisches Zentralbanksystem, sondern eine Parallelität von währungs- und wirtschaftspolitischer Integration, d.h. auch ein dem Europäischen Parlament verantwortliches wirtschaftspolitisches Entscheidungszentrum und eine supranationale Konzertierung der Sozialpartner vorsah (vgl. Dyson 2000a: 32).
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chend realisiert werden. Das Sozialpolitische Aktionsprogramm scheiterte insofern, als nur zu Beginn, noch getragen von der sozialen Reformeuphorie der 1970er Jahre, einige Programmpunkte – vor allem im Bereich der Gleichberechtigung von Männern und Frauen, des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und der sozialen Regulierung im Fall von Betriebsschließungen – umgesetzt wurden (vgl. Busch 1991: 261ff; Martin/Ross 1999: 316). Viele Vorhaben wurden jedoch verschleppt und großteils gar nicht verwirklicht. Dies lag nicht zuletzt daran, dass sich ab Mitte der 1970er Jahre unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise, einer steigenden Massenerwerbslosigkeit und verschärften gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen allmählich die politischen Kräfteverhältnisse verschoben. Die Initiativen für eine arbeits- und sozialpolitische Harmonisierung erwiesen sich als verteilungsund konjunkturpolitisch brisant und stießen zunehmend auf den geballten Widerstand der Unternehmen und Wirtschaftsverbände. Etwas anders, zugleich jedoch folgenreicher stellt sich das Scheitern des Werner-Plans dar. Anfangs konnte zwar noch die erste Stufe der WWU, d.h. die Einrichtung einer Währungsschlange, eingeleitet werden, doch schon bald waren Großbritannien, Frankreich, Italien und Irland nicht mehr in der Lage, die vorgesehenen Schwankungsbreiten einzuhalten. Der Währungsverbund verengte sich faktisch auf eine D-Mark-Zone unter Beteiligung der Benelux-Staaten und zeitweilig Dänemarks (vgl. McNamara 1998: 107ff). Im Scheitern der WWU verdichteten sich gleichsam die – globalen und gesellschaftlichen – Krisenphänomene der 1970er Jahre: Erstens hatte der Übergang vom Bretton Woods System zu einem System flexibler Wechselkurse zur Folge, dass sich die internationalen Währungsschwankungen auf den EG-Raum übertrugen. Durch die wiederholte Aufwertung der DMark gegenüber dem Dollar gerieten auch die anderen europäischen Währungen gegenüber der D-Mark unter Abwertungsdruck. Zweitens wurde durch die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen der 1970er Jahre – eine erstarkte Arbeiterbewegung, heftige Streikwellen und hohe Lohnforderungen – eine auf gemeinsame europäische Zielsetzungen ausgerichtete Koordination und Harmonisierung der nationalen Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik erschwert. Drittens schließlich wurden die Koordinationsprobleme noch dadurch verstärkt, dass alle Länder ab 1973 in eine tiefe ökonomische Rezession abglitten und diese durch divergente nationale Strategien der Krisenüberwindung zu bewältigen versuchten (vgl. Ziltener 1999: 125f; Ambrosius 1996: 132ff). Die Krise und Stagnation der europäischen Integration in den 1970er Jahren beschränkte sich nicht auf das Scheitern der angestrebten Vertiefungsschritte. Auch das bis dahin erreichte Integrationsniveau schien gefährdet, da die nationalen Regierungen unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise vielfach neo-protektionistische Strategien entwickelten. Nicht-tarifäre Handelshemmnisse – technische Normen, direkte und indirekte Subventionen, eine nationalistische öffentliche Beschaffungspolitik, währungspolitische Instrumente oder Kapitalverkehrskontrollen – wurden verstärkt strategisch eingesetzt, um einheimischen Unternehmen gegenüber europäischen, aber auch asiatischen und amerikanischen Konkurrenzunternehmen Vorteile zu verschaffen (vgl. Busch 1991: 25f). Dies beeinträchtigte nicht nur den Intra-EG-Handel, sondern auch die gemeinsame Handelspolitik. Die Handelspolitik „[…] was undermined by the increasing recourse to NTBs (Non-Tariff-Barriers, H.-J. B.) which fell largely outside the competence of EC institutions, while being progressively diluted by tariff reductions in the framework of GATT. National measures and bilateral agreements with Ja-
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3 Strukturdeterminanten und Entwicklungsphasen der europäischen Integration pan and Eastern Europe were the most obvious holes in the external armoury of the EC.” (Tsoukalis 1997: 28f)
Die Bilateralisierung der externen Wirtschaftsbeziehungen hatte zur Folge, dass auch im Verhältnis zu den USA die Spannungen zunahmen. So nutzte die deutsche Regierung – mit Unterstützung der Groß- und Schwerindustrie – die Entspannungspolitik und die globale Energiekrise der 1970er Jahre, um die Wirtschafts- und Handelskooperation mit den osteuropäischen Ländern, unter Einschluss der Sowjetunion zu intensivieren (vgl. van der Pijl 2006: 227ff); und komplementär hierzu drängte Frankreich mit Blick auf den Mittelmeerraum, den Nahen Osten und Afrika darauf, die zivilen – ökonomischen und diplomatischen – und auch die militärischen Einflussmöglichkeiten auszubauen (vgl. Piening 1997: 72ff). Letztlich gelang es den USA zwar, die EG- und ihre Mitgliedstaaten davon abzuhalten, eine eigenständige Politik gegenüber der Sowjetunion und der Organisation of Petroleum Exporting Countries (OPEC) zu entwickeln. Zugleich war aber nicht mehr zu übersehen, dass sich die interaktive Einbettung Westeuropas in die Strukturen der Weltordnung und Weltökonomie zu wandeln begann. Die „Erosion des transatlantischen Elitenpaktes“ (Ziltener 1999: 121) wurde bereits während des Zusammenbruchs des Bretton Woods Systems erkennbar, als die USA das globale währungspolitische Arrangement der Nachkriegsjahrzehnte unilateral aufkündigten. Anschließend setzte sich der Erosionsprozess in den 1970er Jahren weiter fort, da es auch innerhalb der 1973 gegründeten „Trilateralen Kommission“ – einem Koordinationsforum von Politikern und Managern aus den USA, Westeuropa und Japan (vgl. Gill 1990) – nicht gelang, das Konzept eines globalen Keynesianismus mit Leben zu füllen. Die von der Carter-Administration propagierte internationale wirtschafts- und währungspolitische Kooperation, insbesondere die „Lokomotivtheorie“ scheiterte kläglich. Gemäß dieser Theorie sollten „die Überschussländer, die den ersten Ölpreisschock durch restriktive Budgetpolitik und starke industrielle Wettbewerbsfähigkeit schnell überwunden hatten, die Weltwirtschaft bei einer allgemeinen Reflationierung anführen [...], also die Lokomotive für den weltweiten Wachstumszug spielen [...].“ (Scherrer 2000: 24)
Dies galt insbesondere für Japan und Deutschland, die jedoch erst spät, gegen Ende der 1970er Jahre, diesem Verlangen nachkamen und sich nach zwei externen Inflationsschüben – dem weiteren Verfall des Außenwerts des US-Dollars sowie dem erneuten Anstieg des Ölpreises – von der Reflationierung rasch wieder verabschiedeten (vgl. ebd.: 25). Doch nicht nur die globale Einbettung der europäischen Integration wandelte sich. Es transformierten sich auch die Formen ihrer sozioökonomischen Einbettung. Der eingeschlagene Integrationspfad wurde durch die wirtschaftlichen Krisen- und Umbruchprozesse und die hierauf bezogenen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen unterminiert. Dies lag nicht zuletzt daran, dass die Umbrüche und Konflikte in den nationalen Gesellschaften sehr unterschiedlich und ungleichzeitig verliefen. Zunächst jedenfalls wurde auf der Grundlage spezifischer nationaler Produktions- und Handelsprofile, unterschiedlicher wirtschafts- und sozialpolitischer Traditionen und besonderer Problemwahrnehmungen die Fordismuskrise innerhalb der nationalen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe sehr unterschiedlich interpretiert. Je nach Kräftekonstellation wurden zum Teil gegensätzliche, d.h. eher keynesianische oder austeritätspolitische, jedenfalls stark national orientierte Strategien der Krisenbewältigung gewählt, die eine gemeinsame europäische „Lösung“ struktu-
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rell blockierten. Mit anderen Worten, die Krisen- und Stagnationsphase der 1970er und frühen 1980er Jahre war tiefgreifenden globalen und sozioökonomischen Umbrüchen geschuldet, die ihrerseits nicht nur eine erhöhte gesellschaftliche, sondern auch intergouvernementale Konfliktintensität generierten. Jenseits der Konflikte und Krisenphänomene gab es jedoch auch in dieser Zeit einige Integrationsinitiativen. So wurden eigene Einnahmen zum EG-Haushalt eingeführt. Das Spektrum europäischer Kompetenzen wurde auf die Regional-, Umwelt-, Forschungs- und Technologiepolitik erweitert. 1970 war bereits die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ), gleichsam die Keimzelle der späteren GASP, geschaffen worden. Hinzu kam eine Differenzierung des EG-Systems; unter anderem durch die Institutionalisierung des Europäischen Rates (1975), die Direktwahl des EP (1979) und die Fortentwicklung der europäischen Ausschuss-, Beratungs- und Lobbying-Strukturen (vgl. Keohane/Hoffmann 1990: 285f). Nach dem offensichtlichen Scheitern der WWU verständigten sich Helmut Schmidt und Valerie Giscard d’Estaing zudem darauf, ab 1979 das Europäische Währungssystem (EWS), d.h. ein System fester, aber anpassungsfähiger Wechselkurse, zu institutionalisieren, um die Funktionsweise des gemeinsamen Marktes abzusichern und ihn für die transnational agierenden Wirtschaftsakteure transparenter und kalkulierbarer zu machen (vgl. Tsoukalis 1997: 143ff). Viele der aufgeführten Initiativen mögen relativ unbedeutend erscheinen. Mittel- und langfristig war ihre Wirkung jedoch relevant, da sie ein Mindestmaß an politischer Abstimmung sicherstellten. Mehr noch, sie förderten eine verstärkte transnationale Kooperation, die freilich erst in dem Maße zur Geltung kam, wie sich in den nationalen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexen die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verändert und angenähert hatten.
3.3 Der neue Integrationsschub im Kontext weltökonomischer und weltpolitischer Umbrüche Der neue Integrationsschub ab Mitte der 1980er Jahre wird in erster Linie mit dem EGBinnenmarktprojekt in Verbindung gebracht. Dessen Dynamik und die sich hieran anschließenden Integrationsschritte korrespondierten mit einem grundlegenden Wandel der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse (vgl. Bieling 2000: 207ff). Waren die abhängig Beschäftigten und Gewerkschaften in Kooperation mit den nationalen Regierungen in den Nachkriegsjahrzehnten noch in der Lage gewesen, die (transnationalen) Unternehmen und Wirtschaftsverbände innerhalb klassenübergreifender Allianzen auf die Expansion und Stabilisierung wohlfahrtsstaatlicher Regulationsmuster zu verpflichten, so lösten sich unter den Krisenbedingungen der 1970er Jahre die Strukturen des „sozial-liberalen“ fordistischen Klassenkompromisses sukzessive auf. Es formierten sich stattdessen weltmarktorientierte Allianzen, die sich unter Führung des transnationalen Industrie- und Finanzkapitals – bei selektiver Einbindung der hochqualifizierten Kernbelegschaften – verstärkt „marktliberalproduktivistischen“ Modernisierungskonzepten zuwendeten und die tradierten wohlfahrtsstaatlichen Regulationsmuster einem erhöhten Privatisierungs-, Deregulierungs- und Flexibilisierungsdruck aussetzten. Im europäischen Kontext wurde diese Reorientierung vor allem durch drei Entwicklungen verstärkt (vgl. Ziltener 1999: 132ff):
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3 Strukturdeterminanten und Entwicklungsphasen der europäischen Integration Erstens förderte das EWS eine strategische Gleichrichtung der nationalen wirtschaftspolitischen Strategien. Es stellte einen Hebel dar, um die teilnehmenden Länder auf eine an der deutschen Stabilitätskultur orientierte Geld- und Finanzpolitik zu verpflichten. Durch eine asymmetrische Verteilung der Anpassungslasten wurden die Schwachwährungsländer diszipliniert (vgl. McNamara 1998: 127ff). Grundsätzlich hatten sie zwar die Wahl, entweder eine durch hohe Inflationsraten geschwächte Wettbewerbsposition hinzunehmen und diese durch eine stetige Abwertung der eigenen Währung zu kompensieren, oder aber die austeritätspolitischen Vorgaben der deutschen Geld-, Wirtschafts- und Finanzpolitik nachzuvollziehen (vgl. Huffschmid 1994a: 105f). Die Entwicklung in Frankreich zu Beginn der 1980er Jahre illustriert jedoch sehr gut, dass die erste Option mittel- und langfristig nur dann realisierbar ist, wenn zugleich der Gefahr eines internationalen Kapitalabflusses vorgebeugt wird. Tatsächlich war es in der „Post Bretton Woods Ära“ – angesichts der fehlenden Unterstützung der USA – aber sehr schwierig, den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr effektiv zu kontrollieren (vgl. Smith 1998: 70ff; Helleiner 1994: 140ff; Steinhilber 2000: 12ff). Das Scheitern des sog. französischen Experiments, d.h. die Abkehr von der linkskeynesianischen Modernisierungsstrategie im Frühjahr 1983, wurde von vielen daher als Beleg dafür interpretiert, dass es zu den vorherrschenden angebotspolitischen Konzeptionen eigentlich keine Alternative mehr gab.24 Zweitens hatten sich in der Verarbeitung der sozioökonomischen Krisenprozesse die nationalen Problemwahrnehmungen und die damit korrespondierenden strategischen Orientierungen verändert und angeglichen (vgl. Middlemas 1995: 78). So richtete sich die Aufmerksamkeit in der politischen Öffentlichkeit mehr und mehr auf die Ziele der Inflationsbekämpfung und Haushaltskonsolidierung, während der Kampf gegen die Massenerwerbslosigkeit in den Hintergrund trat und allein einer veränderten Arbeitsmarktpolitik überantwortet wurde. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass in den frühen 1980er Jahren in vielen Ländern konservative und wirtschaftsliberale Parteien die Regierungsverantwortung übernommen hatten. In Großbritannien war bereits 1979 Margaret Thatcher gewählt worden; 1982 übernahmen in Deutschland Helmut Kohl, in den Niederlanden Ruud Lubbers und in Dänemark Poul Schlüter die Regierungsgeschäfte; und in Frankreich erfolgte 1983 die bereits erwähnte Kehrtwende der Linkskoalition unter Francois Mitterand. Nicht überall führten diese Entwicklungen zu einer offensiven monetaristischen und neo-liberalen Programmatik. Sie trugen aber dazu bei, dass auch auf der europäischen Ebene eine angebotsorientiert-marktliberale Agenda verfolgt wurde. Drittens kristallisierte sich in der EG ein neuer transnationaler Elitenpakt heraus (vgl. Cowles 1995; Bornschier 2000; van Apeldoorn 2002: 83ff). Schon in den 1970er Jahren hatten sich die Transnationalen Konzerne (TNKs) verstärkt zusammengeschlossen, um weiterreichende arbeits- und sozialpolitische Initiativen abzuwehren. Angeregt durch Etienne Davignon, den damaligen Kommissar für den Binnenmarkt, ergriff Pehr Gyllenhammar, damals Vorstandsvorsitzender von Volvo, 1982 die Initiative für
Das Scheitern war insofern erzwungen, als angesichts des großen Handels- und Leistungsbilanzdefizits, der vermehrten Kapitalflucht und einer steigenden Staatsverschuldung nur die Alternativoption unilateraler Kapitalverkehrskontrollen gegeben war. Ein solcher Schritt hätte die französische Ökonomie vermutlich jedoch weiter belastet, zumindest erschienen die Risiken als unkalkulierbar.
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die Gründung des European Round Table of Industrialists (ERT). In diesem Forum versammelten sich zunächst etwa 20, später zwischen 40 und 50 ausgewählte Repräsentanten führender europäischer Industriekonzerne, die in enger Kooperation mit der Europäischen Kommission und den nationalen Regierungen die europäische Agenda gestalteten (vgl. Middlemas 1995: 138ff). Als eine Art „strategischer Planungskörper“ (Holman/van der Pijl 2003) initiierte und unterstützte der ERT nicht nur das EGBinnenmarktprojekt und indirekt die WWU (vgl. Cowles 1995; Fielder 2000). Er stimulierte in den 1990er Jahren auch maßgeblich den Wettbewerbsfähigkeits-Diskurs – z.B. durch die Einrichtung der Competitiveness Advisory Group (CAG) – und forderte in diversen Positionspapieren immer wieder, den Prozess der EU-Osterweiterung zu beschleunigen (vgl. Nollert/Fielder 2000; Holman 2001). Die Funktionsweise des EWS, die Wahlerfolge konservativ-liberaler Parteien und die Formierung eines transnationalen Elitennetzwerkes haben dazu beigetragen, dass sich ein neuer europapolitischer Diskurs entfaltete, der vor allem durch zwei Überzeugungen geprägt war: Zum einen machte sich die Auffassung breit, dass Westeuropa seine Kräfte zu bündeln habe, wenn es gegenüber der hochproduktiven japanischen und US-amerikanischen Ökonomie nicht weiter zurückfallen wolle (vgl. Sandholtz/Zysman 1989: 102ff). Zum anderen mehrten sich die Stimmen, die diesem Unterfangen nur dann Aussicht auf Erfolg einräumten, wenn es gelinge, die „Eurosklerose“, d.h. die regulativen Rigiditäten und Verkrustungen der bestehenden Arbeitsmarkt-, Sozial- und Steuersysteme, zu überwinden und neue Investitionen, technologische Innovationen, Produktivitätssteigerungen, Wirtschaftswachstum und in der Folge auch Beschäftigung zu generieren (vgl. Tsoukalis 1997: 33ff). Mit dem Projekt des EG-Binnenmarktes wurde diese Problemsicht aufgegriffen. Dass es Mitte der 1980er Jahre auf die europäische Agenda gelangte, war nicht zuletzt dem Engagement von Jacques Delors geschuldet. Dieser hatte bereits im Vorfeld seiner Kommissionspräsidentschaft zu den Regierungschefs Kontakt aufgenommen und deren europapolitische Zielsetzungen anschließend geschickt auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen vermocht (vgl. Ross 1995).25 Das EG-Binnenmarktprojekt zielte darauf, durch die Beseitigung aller sog. nichttarifären technischen, administrativen und politischen Handelshemmnisse den Wettbewerb, technologische Innovationen und „economies of scale“ zu fördern, um das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung anzukurbeln und die Preisentwicklung zu begrenzen (vgl. Cecchini 1988). Politisch-operativ stützte es sich auf ein bereits 1985 vorgelegtes Kommissions-Weißbuch, in dem dargelegt wurde, wie durch etwa 270 Maßnahmen – zumeist Richtlinien – die bestehenden Hindernisse eines integrierten Marktes für Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräfte bis zum Jahr 1992 zu überwinden sind. Darüber hinaus wurde mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) von 1986, die den Übergang zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen und die Verankerung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung nationaler Standards festschrieb, ein Prozess der konstitutionellen Neuordnung eingeleitet. Mit der EEA wurden zudem weitere politische Kompetenzen – zumin25
Die konzeptionellen Vorstöße konnten erst wirksam werden, nachdem es den Regierungen gelungen war, einige finanzielle Probleme und Streitfragen zu bewältigen: die partielle Rückerstattung der Beiträge Großbritanniens, eine Steigerung des EG-Budgets und die Begrenzung der Agrarausgaben. Der Durchbruch gelang auf dem Europäischen Gipfel in Fontainebleau im Juni 1984 (vgl. Ziltener 2000: 50ff).
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dest ansatzweise – auf die supranationale Ebene übertragen: so z.B. im Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik, der Regionalpolitik, der Umwelt- und Kultur- wie auch der Arbeits- und Sozialpolitik. Hierbei handelte es sich zum Teil um sog. side-payments, mit denen die Zustimmung all jener Regierungen und Akteure gesichert werden sollte, die den Restrukturierungs- und Anpassungslasten, die mit dem Binnenmarkt-Projekt verbunden waren, eher skeptisch gegenüberstanden (vgl. Ziltener 2000). Im Vergleich zur angebotspolitisch-mikroökonomischen Stoßrichtung des EG-Binnenmarktes veränderten sich mit der WWU in erster Linie die geld- und währungspolitischen Parameter. Die Neuauflage der WWU erklärt sich zum einen daraus, dass einige Mitgliedstaaten, allen voran Frankreich und Italien, durch eine Vergemeinschaftung der Geldpolitik die asymmetrische Funktionsweise des EWS und die einseitige Abhängigkeit von der deutschen Geld- und Wirtschaftspolitik überwinden wollten. Zum anderen hatten mit dem EG-Binnenmarkt, d.h. durch den Wegfall von Kapitalverkehrskontrollen und die Liberalisierung der Kredit-, Versicherungs- und Wertpapiermärkte, grenzüberschreitende Geld- und Finanzströme an Bedeutung gewonnen. Die Funktionsweise des EWS wurde hierdurch größeren Belastungen ausgesetzt (vgl. Padoa-Schioppa 1988; McNamara 1998: 159). Bereits auf dem Gipfel in Hannover im Jahr 1988 verständigten sich die Regierungen daher darauf, ein Komitee unter der Leitung von Delors einzusetzen, das mehrheitlich aus den Notenbankchefs der Mitgliedstaaten bestand und die Perspektiven einer Währungsunion ausloten sollte (vgl. Verdun 2000: 82ff). Der im März 1989 vorgelegte Bericht enthielt ein Drei-Phasen-Modell – Vollendung des EG-Binnenmarktes und Teilnahme am EWS, Einrichtung eines Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB), die unwiderrufliche Festlegung der Wechselkurse oder die Schaffung einer gemeinsamen Währung –, das den Prozess der Währungsintegration nachfolgend anleitete. Wirklich in Angriff genommen wurde die WWU aber erst im Kontext der deutschen Vereinigung. Gegen den Widerstand des Finanzministeriums und der Deutschen Bundesbank hatte sich die Kohl-Regierung damals bereit erklärt, die deutsche Einbindung in Europa durch zwei parallele Regierungskonferenzen eine direkt zur WWU, die andere zur Politischen Union voranzutreiben. Für Tsoukalis (1997: 170) repräsentiert die WWU, selbst wenn die Interessen- und Verhandlungssituation im Vergleich zu früheren Übereinkünften etwas komplizierter war, letztlich daher einen typischen Gemeinschaftskompromiss: “The French secured a clear commitment enshrined in the treaty, as well as a specific date. The Germans made sure that the date would be distant, with little happening in between, and that the new European model would be as close as possible to their own. The British secured an ‚optout‘ for themselves, followed by the Danes, while the poor countries obtained a more or less explicit link with redistribution.”
Es wäre jedoch verkürzt, die WWU allein als das Ergebnis eines intergouvernementalen Package-Deals zu begreifen. Sicherlich wurde die konkrete Ausgestaltung der WWU in erster Linie zwischen den nationalen Regierungen und Zentralbanken ausgehandelt. Gerade in Krisenphasen sind aber auch transnationale Akteure, so vor allem die 1987 gegründete Association for the Monetary Union of Europe (AMUE), aktiv geworden, um durch Konferenzen und öffentliche Kampagnen auf die Realisierung der WWU hinzuwirken (vgl. Schwarzer/Collignon 2005). Den transnational operierenden Unternehmen war vor allem daran gelegen, durch niedrigere Transaktionskosten, eine größere Marktransparenz und klarere Kalkulationsbedingungen die Potenziale des EG-Binnenmarktes besser ausschöpfen
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zu können (vgl. Gill 1992: 167ff; Sandholtz 1993: 19ff; Frieden 1998). Sie unterstützten dabei auch das konkrete Design der WWU, insbesondere den autonomen Status der EZB, die Konvergenzkriterien und den Stabilitätspakt, um die Disziplinierungseffekte einer restriktiven Geld- und Finanzpolitik zu verstetigen (vgl. Gill 1998; Cafruny/Ryner 2007: 31ff). Vertraglich eingerahmt wurde die WWU durch die EU-Verträge von Maastricht und Amsterdam, die durch eine „Drei-Säulen-Struktur“ gekennzeichnet waren. Die erste, traditionelle EG-Säule wurde durch die WWU und eine Reihe flankierender Maßnahmen erweitert. Um die Befürchtungen der wirtschaftlich schwächeren Länder zu zerstreuen, dem intensivierten Wettbewerbsdruck nicht standhalten zu können, verständigten sich die Regierungen auf eine weitere Aufstockung der Regional- und Strukturfondsmittel. Darüber hinaus wurde in den EU-Verträgen von Maastricht und Amsterdam – als Konzession an die Gewerkschaften – die „soziale Dimension“ weiter entwickelt (vgl. Falkner 1998): durch die Institutionalisierung des „sozialen Dialogs“ zwischen den Sozialpartnern, die partielle Einführung qualitativer Mehrheitsentscheidungen sowie die Institutionalisierung einer europäischen Beschäftigungspolitik. Schließlich wurde auch die Rolle des Europäischen Parlaments dadurch gestärkt, dass das Mitentscheidungsverfahren auf eine Vielzahl von Politikfeldern ausgedehnt wurde, die eng mit der Funktionsweise des EG-Binnenmarktes verknüpft waren. Bei den beiden anderen „Säulen“ – der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie der Zusammenarbeit in der Justiz- und Innenpolitik (ZJI) – handelte es sich hingegen vornehmlich um intergouvernemental koordinierte Handlungsfelder, die im Zuge der Institutionalisierung der Politischen Union in den EU-Vertrag aufgenommen worden waren. Die GASP, die einige Zeit später mit dem EU-Vertrag von Nizza noch um eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) erweitert wurde, gewann seit ihrer Institutionalisierung stetig an Bedeutung (vgl. Bieling 2005a: 258ff). Hierin reflektiert sich nicht zuletzt, dass sich die globale Sicherheitsarchitektur nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus und dem Ende des Kalten Krieges deutlich verändert hatte. Die EU und ihre Mitgliedstaaten zeigten sich angesichts neuer Sicherheitsrisiken – regionaler Kriege und Krisenherde, des internationalen Terrorismus, des Klimawandels oder einer prekären Energieversorgung – in wachsendem Maße bestrebt, ihre außenpolitischen Instrumente zu stärken und ihre Aktivitäten auszuweiten. Doch auch nach der Realisierung des EG-Binnenmarktes und der WWU und der diese stützenden Vertragsrevisionen war der Integrationsschub noch längst nicht abgeschlossen. Stimuliert durch die Globalisierung der Finanzmärkte – seit den 1970er Jahren lässt sich ein weltweiter Prozess der kompetitiven Liberalisierung beobachten (vgl. Helleiner 1994: 123ff) – wurden auch in der EG/EU einige Initiativen ergriffen, um einen integrierten europäischen Finanzmarkt zu schaffen (vgl. Story/Walter 1997: 250ff; Bieling 2003; Mügge 2008). Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs und der Finanzdienstleistungen bildete zwar bereits ein Kernelement des Binnenmarktprogramms, blieb jedoch gerade im Wertpapiersektor unterentwickelt. Im Zuge der Realisierung der WWU und inspiriert durch die dynamische Entwicklung der US-Ökonomie wurden gegen Ende der 1990er Jahre daher weitere Schritte eingeleitet, die Finanzmarktintegration zu beschleunigen. Handlungsanleitend war dabei die Überzeugung, dass ein integrierter Finanzmarkt, d.h. EU-weit verbesserte Bedingungen der Kapitalbeschaffung für Unternehmen und erweiterte Anlagemöglichkeiten von Finanzdienstleistern, notwendig sind, um die Innovationsdynamik, die Investitionstätigkeit, das Wirtschaftswachstum und auch die Beschäftigung zu steigern. Dieses Ziel
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sollte einerseits durch den Financial Services Action Plan (FSAP) (vgl. Europäische Kommission 1998a; 1999a) mit 42 konkreten Maßnahmen – zumeist Richtlinien – realisiert werden; andererseits aber auch durch ein beschleunigtes Rechtssetzungsverfahren im Bereich der Wertpapiermärkte. Gemäß den Vorschlägen eines Expertengremiums unter der Leitung von Alexandre Lamfalussy (vgl. Ausschuss der Weisen 2001) verständigte man sich darauf, die direkte Einflussnahme der nationalen Regierungen und des EU Parlaments zu bescheiden und die technisch-administrativen Kompetenzen zwei neu eingerichteten Ausschüssen zu übertragen: dem EU-Wertpapierausschuss und dem Ausschuss der EUWertpapierregulierungsbehörden. Mit dem Prozess der Finanzmarktintegration wurden vor allem zwei Ziele verfolgt. Er sollte zum einen dazu beitragen, die Attraktivität des europäischen Finanzmarktes zu steigern, also ausländische Direktinvestitionen anzuziehen; zum anderen sollte durch ihn zugleich ein transnationales finanzgetriebenes Akkumulationsregime etabliert werden, das die nationalen Systeme der Corporate Governance und wohlfahrtsstaatlichen Regulation einem verstärkten Modernisierungs- und Disziplinierungsdruck unterwirft (vgl. Boyer 2000: 118ff; Bieling/Steinhilber 2002; Horn 2008). Beide Ziele verdeutlichen, dass die Finanzmarktintegration sehr eng mit der Lissabon-Strategie und deren hehrem Ziel verknüpft ist, die EU bis zum Jahr 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“ (Europäischer Rat 2000: 2). Dies unterstreicht auch die in Lissabon vereinbarte „Offene Methode der Koordinierung“ (OMK), in deren Kontext eine kapitalmarktbasierte Reform der Alterssicherungssysteme gefördert wird; und zwar nicht nur, um die „demographische Zeitbombe“ zu entschärfen, sondern auch, um die Kostenbelastung der Unternehmen zu reduzieren und den Finanzmärkten zusätzliche finanzielle Ressourcen zuzuleiten (vgl. Beckmann 2007: 191ff). Parallel zur Vertiefung und politischen Flankierung der europäischen Markt- und Währungsintegration wurde in den letzten Dekaden auch der Geltungsbereich der EG/EU sukzessive erweitert. Die Süderweiterung um Griechenland (1981) sowie Spanien und Portugal (jeweils 1986) erfolgte noch unter den Bedingungen der Systemkonkurrenz. Obwohl mit ihr ein beträchtliches wirtschaftliches Entwicklungsgefälle verbunden war, wurde sie durchgeführt, um die post-autoritären Systeme demokratisch zu stabilisieren und in den westlichen Machtblock einzubinden. Im Unterschied hierzu war die Erweiterungsrunde Mitte der 1990er Jahre bereits eine Konsequenz des Zusammenbruchs des Realsozialismus. Nach dem Ende der Blockkonfrontation traten mit Schweden, Finnland und Österreich ehemals neutrale, aber wirtschaftlich hoch entwickelte Länder der EU bei. Deren Aufnahme verlief relativ reibungslos und wurde von der EU angesichts der hiermit verbundenen Stärkung des gemeinsamen Wirtschaftsraumes rundherum begrüßt. Dies gilt freilich weniger für den Prozess der EU-Osterweiterung. Mit Blick auf die osteuropäischen Transformationsländer präsentierte sich die EU zunächst sehr zögerlich und widerwillig (vgl. Beichelt 2004: 37ff). Nur Großbritannien und Deutschland sprachen sich früh dafür aus, die Osterweiterung zügig voranzutreiben. Während Großbritannien – unterstützt durch die USA – in der Erweiterung eine Option sah, die Vertiefungsdynamik abzuschwächen, unterstützte Deutschland den Erweiterungsprozess vor allem aus wirtschaftlichen Motiven. Frankreich und die südeuropäischen Länder lehnten eine rasche Erweiterung hingegen ab, weil sie eine zu starke Stellung Deutschlands, eine aufgrund des ökonomischen Spezialisierungsprofils der Mittel- und Osteuropäischen Länder (MOEL) zusätzliche Konkurrenz sowie eine Umschichtung der regional- und agrarpolitischen Transferleistungen befürchteten.
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Die Zurückhaltung der EU kommt recht gut darin zum Ausdruck, dass der wirtschaftliche und politische Transformationsprozess anfangs in erster Linie durch die USA und internationale Foren und Organisationen – wie den IWF, die Weltbank und den Pariser Club – gefördert wurde. Die EU selbst beschränkte sich in diesem Kontext darauf, einige Koordinationsaufgaben zu übernehmen, mit den Transformationsländern auf bilateraler Basis Assoziierungsabkommen abzuschließen und über das Programm „Poland and Hungary: Aid for Restructuring of the Economies“ (PHARE) den Transformationsprozess administrativ und konsultativ zu unterstützen (vgl. Bohle 2000: 310ff). Erst allmählich setzte sich die Auffassung durch, dass weitergehende Angebote und Konditionalitäten erforderlich sind, um die – wirtschaftliche und politische – Transformationskrise in den MOEL zu überwinden und das „Machtvakuum“, das sich in dieser Region nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus ergeben hatte, zu füllen. Im Jahr 1993 wurde den MOEL auf dem Gipfel in Kopenhagen daher eine Beitrittsperspektive in Aussicht gestellt, die zugleich aber an die Erfüllung gewisser Auflagen, an die sog. Kopenhagen-Kriterien, geknüpft war (vgl. Beichelt 2004: 40f): d.h. an politische Kriterien wie die Garantie einer demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten; an wirtschaftliche Kriterien wie die Einrichtung einer funktionsfähigen Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck in der EU standhalten zu können; an die Verpflichtung auf die Ziele der Politischen Union und der WWU; sowie an die Übernahme des acquis communautaire, d.h. des gemeinschaftlichen Besitzstands an Verträgen und Rechtsakten. Im Anschluss an den Gipfel von Kopenhagen wurden diese Kriterien im Rahmen der sog. Heranführungsstrategie durch ein Kommissions-Weißbuch weiter konkretisiert, bevor seit 1997 mit dem Übergang zu einer intensivierten Heranführungsstrategie die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen angestrebt wurde. Eröffnet wurden die Verhandlungen schließlich im März 1998 zunächst mit den Ländern der sog. „Luxemburg-Gruppe“, d.h. Estland, Polen, Slowenien, der Tschechischen Republik, Ungarn und Zypern; und einige Zeit später, im Februar 2000 dann auch mit den Ländern der sog. „Helsinki-Gruppe“, d.h. Bulgarien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien und die Slowakei.26 Die relative Beschleunigung des Erweiterungsprozesses seit Mitte der 1990er Jahre erklärt sich nicht allein aus dem beharrlichen Drängen der Beitrittskandidaten. Sie wurde auch durch weitere Entwicklungen unterstützt und gefördert:
Erstens hatte die Investitionstätigkeit westeuropäischer TNKs in den MOEL im Laufe der 1990er Jahre nicht nur zugenommen, sondern sich auch verstärkt auf strategische Sektoren verlagert, aus denen kein rascher Kapitalabzug mehr möglich war. Entsprechend erhöhten die TNKs, nicht zuletzt die Konzerne des ERT, den Druck auf die Europäische Kommission und die EU-Regierungen, die wirtschaftliche Öffnung der Transformationsländer durch einen EU-Beitritt politisch abzusichern (vgl. Bohle 2006: 71f). Zweitens hatte sich die EU auf Drängen Frankreichs und der südeuropäischen Länder – gleichsam um die EU-Osterweiterung macht- und geopolitisch auszubalancieren – auf eine gemeinsame Strategie für die Länder des Mittelmeerraumes verständigt. Ge-
26 Die Bezeichnung „Luxemburg“- und „Helsinki“-Gruppe resultiert daraus, dass die Beitrittsverhandlungen jeweils während der Ratspräsidentschaft von Luxemburg und Finnland eingeleitet wurden.
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3 Strukturdeterminanten und Entwicklungsphasen der europäischen Integration stützt auf die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP), d.h. die Entwicklung und Intensivierung einer sicherheits-, wirtschafts- und finanz- sowie kulturpolitischen Kooperation, sollten im Rahmen des sog. Barcelona-Prozesses auch die Länder dieser Region stabilisiert und demokratisiert werden (vgl. Jünemann 2005). Und drittens drängten die USA hartnäckig darauf, den Erweiterungsprozess zu beschleunigen (vgl. van der Pijl 2006: 271ff; Cafruny/Ryner 2007: 113ff). Nachdem sie bereits unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus – über den IWF und die Weltbank – im Sinne der sog. „Schocktherapie“ auf einen sehr raschen Übergang zur kapitalistischen Marktwirtschaft hingewirkt hatten (vgl. Gowan 1999: 187ff), trieben sie ab Mitte der 1990er Jahre den Prozess der NATO-Osterweiterung voran (vgl. ebd.: 292ff). 1999 wurden zunächst Polen, Ungarn und Tschechien in die NATO aufgenommen; im Jahr 2004 folgten Bulgarien, Estland, Litauen, Lettland, Rumänien, Slowenien und die Slowakei.
Diese drei Entwicklungen hatten eine Katalysatorfunktion für den EU-Erweiterungsprozess. Trotz einer gewissen Beschleunigung verlief dieser jedoch auch danach keineswegs reibungslos. Auf der einen Seite resultierten viele Detailprobleme daraus, dass die EU in den Verhandlungen sehr strenge Maßstäbe anlegte. So wurden z.B. in den sog. Beitrittspartnerschaften zwischen der EU und den Beitrittskandidaten spezifische Konditionalitäten, d.h. konkrete Fortschrittsziele vereinbart und im Rahmen eines Screening-Verfahrens fortlaufend überprüft. Auf der anderen Seite waren die alten EU-Mitgliedstaaten lange nicht in der Lage, sich durch die institutionelle Reform der Entscheidungsverfahren und die Neuverteilung der Strukturfondsmittel – insbesondere der Regional- und Agrarfonds – selbst auf die Erweiterung angemessen vorzubereiten. Erst mit dem EU-Vertrag von Nizza, d.h. einer gewissen Vereinfachung der politischen Entscheidungsprozesse, und dem Finanzrahmen 2000-2006 rückte der Abschluss der EU-Osterweiterung in greifbare Nähe. Der Beitritt der meisten Länder erfolgte schließlich im Mai 2004; und nachdem – etwas verzögert – im Januar 2007 auch Bulgarien und Rumänien aufgenommen wurden, umfasst die EU inzwischen 27 Mitgliedstaaten.27 Durch den Abschluss der EU-Osterweiterung haben sich die Gestalt und der Charakter der Europäischen Union beträchtlich verändert; und zwar in mehrfacher Hinsicht (vgl. Bohle 2003: 158ff): Erstens ist angesichts der asymmetrisch gestalteten wirtschaftlichen Integration und einiger Übergangsregeln – z.B. im Bereich der Regional- und Agrarpolitik oder des freien Personenverkehrs – zumindest vorübergehend eine „Zwei-Klassen“-EU entstanden; zweitens hat das wirtschaftliche und soziale Entwicklungsgefälle in der EU sprunghaft zugenommen (vgl. Mau 2004), mit der Folge, dass die niedrigen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards sowie das geringe Steuerniveau in den MOEL auf die alten EUStaaten einen erheblichen Deregulierungsdruck ausüben; und drittens scheint sich nicht nur die große Heterogenität der wirtschafts- und sozialpolitischen, sondern auch der sicherheitspolitischen Interessenlagen – viele der neuen EU-Staaten pflegen sehr enge Beziehungen zu den USA – als ein ernsthaftes Hindernis für weitergehende Integrationsschritte zu erweisen. 27
Derzeit haben Kroatien, Mazedonien und die Türkei, mit der bereits Verhandlungen laufen, den Status von Beitrittskandidaten. Einige weitere Länder wie Island, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Serbien, die Ukraine oder Georgien könnten perspektivisch folgen.
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Der hier nur sehr knapp rekonstruierte Integrationsschub verdeutlicht, dass sich die interaktive Einbettung der europäischen Politik seit den 1980er Jahren grundlegend gewandelt hat. Zum einen veränderten sich in der Folge wirtschaftlicher Krisen, der Transnationalisierung von Wertschöpfungsketten, der Finanzialisierung ökonomischer Prozesse, der Umbrüche in der Arbeits- und Produktionsorganisation sowie des hierdurch erzeugten Wandels der Klassen- und Sozialbeziehungen überall in der EU die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. An die Stelle des alten fordistischen Klassenkompromisses ist inzwischen ein neuer, sozial allerdings sehr selektiver weltmarktorientierter Modernisierungskonsens getreten. Auf dessen Grundlage wird nicht nur die Verschlankung wohlfahrtsstaatlicher Strukturen angestrebt, sondern auch die europäische und globale Erschließung neuer Anlage- und Investitionssphären. Dies weist zugleich darauf hin, dass sich neben der gesellschaftlichen Einbettung zum anderen auch die globale Einbettung europäischer Politik verändert hat. Durch die Umbrüche in der Weltökonomie und Weltordnung – die wirtschaftliche Globalisierungsdynamik und das Ende des Kalten Krieges – haben sich die externen Handlungsparameter verschoben. Die tradierten – teils kooperativen, teils konfliktiven – Beziehungen zu anderen Staaten, Weltregionen und internationalen Organisationen wurden unter dem Einfluss neuer Krisen, Bedrohungen und Kriege neu definiert. Die Integrationsprojekte seit den 1980er Jahren – der EG-Binnenmarkt, die WWU, die Finanzmarktintegration und die EU-Osterweiterung – und die in ihrem Kontext entwickelten Kompetenzen, Instrumente und Strategien lassen sich vor allem als eine Reaktion auf die gewandelten Einbettungsvoraussetzungen interpretieren. Sie verweisen zudem aber auch auf ein verändertes regionalistisches Selbstverständnis der EU.
3.4 Transformation des europäischen Regionalismus In der wissenschaftlichen Diskussion über regionale Integrationsprozesse wird analytisch zumeist zwischen Regionalisierung und Regionalismus unterschieden (vgl. Hveen 2000: 72). Der Begriff der „Regionalisierung“ bezieht sich vornehmlich auf systemische Integrationsprozesse wie z.B. die Prozesse der wirtschaftlichen Verflechtung, der transnationalen Migration oder der interkulturellen Kommunikation. In den Worten von Manuela Spindler (2002: 6): „At the economic side, regionalisation means the almost autonomous, spontaneous empirical processes (processes of the market such as private trade and capital flows, strategies of firms such as mergers and acquisitions, the development of firm networks and strategic alliances) which within a specific geographical area lead to increasing regional economic interdependence and regionalised patterns of economic transactions. To put it concisely: regionalisation refers to those processes that actually build concrete patterns of economic transactions within an identified geographical space.”
Im Unterschied zum Begriff der Regionalisierung thematisiert der Begriff des „Regionalismus“ weniger die systemische als vor allem die politisch-strategische Dimension regionaler Integrationsprozesse. Dies heißt, unter Berücksichtigung der materiellen Voraussetzungen bezieht sich der Regionalismus auf ein spezifisches Leitbild, oder besser formuliert: eine spezifische Synthese von teils konkurrierenden, teils komplementären Leitbildern der regionalen Integration. Nach Heinrich Schneider (1992: 4f) repräsentieren Leitbilder ein
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dialektisch aufeinander bezogenes Ensemble von Zielvorstellungen sowie Wahrnehmungsund Deutungsmustern, die konkreten Situationen eine bestimmte „Relevanzstruktur“ zuschreiben. Sie haben eine historische, eine macht- und interessengeleitete wie auch eine kommunikativ vermittelte Sinndimension. Als Ziel- und Strategiekonzepte zur Fortentwicklung der europäischen Ordnungsstruktur, so vor allem der supranationalen Regime, Institutionen und Verfahren, entfalten sie zuweilen eine Eigendynamik, die sich sowohl als „Gerinnung von Macht- und Interessenkonstellationen“ wie auch als „Kristallisation von Sinnbezügen“ interpretieren lässt. Die Geschichte der europäischen Integration ist durch die Konkurrenz einer Vielzahl unterschiedlicher Leitbilder gekennzeichnet. So beziehen sich manche Leitbilder primär auf die politisch-institutionelle Form oder die angestrebte Finalität der regionalen Integration (z.B. Bundesstaat, Staatenbund etc.). Andere adressieren ein anstrebenswertes Niveau der Integration (z.B. Freihandelszone, Zollunion, Binnenmarkt, Währungsunion). Wieder andere bringen eine konkrete inhaltliche Ausrichtung der regionalen Integration zum Ausdruck, wenn z.B. von einer Wettbewerbsgemeinschaft, einer „Festung Europa“ oder Sozialunion die Rede ist. Grundsätzlich können Leitbilder auch durch nicht-ökonomische Erwägungen bestimmt sein und z.B. die Grundlagen und Perspektiven einer europäischen Sicherheitsgemeinschaft oder Wertegemeinschaft thematisieren. Historisch betrachtet, stellt der europäische Regionalismus jeweils eine Synthese oder einen Kompromiss unterschiedlicher Leitbilder dar. Er ist durch einige, nahezu konstante Strukturdeterminanten, aber auch durch zum Teil gewichtige Veränderungen gekennzeichnet. Was die konstanten Determinanten anbetrifft, so ergeben sich diese vor allem aus dem Doppelcharakter der europäischen Integration, d.h. der regionalen Verflechtung und Vergemeinschaftung nach innen und der gleichzeitigen wirtschaftlichen und politischen Abgrenzung und Positionsbestimmung nach außen. Auf einer sehr allgemeinen Ebene lässt sich politökonomisch – bei allen Veränderungen im Zeitablauf – der europäische Regionalismus, so Albert Statz (1989: 16), „als relative Lösung des Widerspruchs zwischen der Internationalisierung der Kapitalverwertung (Handel, Investitionen, Finanzbeziehungen) und der Enge nationaler Märkte und der Schranken des Nationalstaats begreifen.“
In diesem Sinne zielte der Integrationsprozess stets darauf, über die Errichtung des gemeinsamen Marktes und die partielle Vergemeinschaftung von Staatsfunktionen – z.B. im Bereich der Handels-, Wettbewerbs- und Geldpolitik – die unterschiedliche Reichweite des ökonomischen und des politischen Funktionsraumes zu überbrücken. Die Trennung zwischen „innen“ und „außen“ wurde dadurch allerdings nicht aufgehoben, sondern gegenüber Drittstaaten reproduziert (vgl. auch Statz 1979: 224ff). Dies galt in erster Linie für wirtschaftspolitische Fragen. Aber auch außen- und sicherheitspolitisch gab es wiederholt Bestrebungen, die EG/EU als eigenständigen Akteur zu profilieren. Hiervon zeugen nicht nur die Diskussionen über ein Europa der „Dritten Kraft“ in den 1950er und 1960er Jahren, sondern auch die diversen Vergemeinschaftungs- und Koordinationsprozesse: von der gemeinsamen Handelspolitik über verschiedene entwicklungspolitische Programme bis hin zu interregionalen Abkommen und die Herausbildung einer intensivierten außenpolitischen Kooperation. Im Laufe der Zeit hat sich die Struktur einer „zusammengesetzten Außenpolitik“ herauskristallisiert, die ebenfalls verdeutlicht, dass das EG/EU-System „nicht als Er-
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satz oder Alternative, sondern als Erweiterung nationaler Handlungsmöglichkeiten“ fungiert (vgl. Statz 1989: 17). Jenseits der allgemeinen Strukturdeterminanten hat sich der europäische Regionalismus im Zeitablauf aber auch erheblich gewandelt. In der ersten Phase bis Anfang der 1970er Jahre korrelierte die regionale Integration positiv mit der globalen Entwicklungskonstellation des „embedded liberalism“ (Ruggie 1982). Mit Blick auf den Kalten Krieg, die sicherheitspolitische Kontrolle und Einbindung Deutschlands, die politische Kooperation und Konkurrenz mit den USA sowie gesellschaftspolitische Kompromisserfordernisse hatte sich ein primär defensiver, binnenorientierter Regionalismus entwickelt, der durch eine relativ starke Institutionalisierung und politische Einhegung der – anfangs sektoralen, mit Gründung der EWG dann auch gesamtwirtschaftlichen – Liberalisierung gekennzeichnet war. Die Liberalisierung beschränkte sich dabei weitgehend auf die Warenmärkte. Zudem wurden auf der regionalen Ebene partiell – so vor allem in der Kohle-, Stahl- und Agrarpolitik – sogar marktkorrigierende Interventionsinstrumente geschaffen, um die Funktionsweise des gemeinsamen Marktes industriepolitisch zu gestalten und die bestehenden arbeits- und sozialpolitischen Regulations- und Distributionsformen im Rahmen keynesianisch orientierter Modernisierungsstrategien zu festigen und weiter auszubauen (vgl. Cocks 1991: 43). Durch den Integrationsschub seit den 1980er Jahre hat sich diese Komplementarität von Handelsliberalisierung und wohlfahrts- bzw. interventionsstaatlicher Regulation dann aber allmählich aufgelöst. Wie in anderen Weltregionen (vgl. Spindler 2005: 12) hat sich auch in Europa ein neuer Regionalismus durchgesetzt. Dieser zielt einerseits darauf, durch die Vertiefung der Markt- und Währungsintegration den grenzüberschreitenden Wettbewerb der Unternehmen wie auch der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialsysteme zu intensivieren, um die globale Wettbewerbsfähigkeit und Gestaltungskraft der EU zu steigern. Andererseits fügt sich der „neue“ bzw. „offene“ Regionalismus (vgl. Breslin/Higgott 2000; Hettne/Söderbaum 2000) zugleich in die Strukturen der globalisierten Weltökonomie ein. Die Rede von einem „offenen“ Regionalismus ist im Fall der EU allerdings nicht ganz unumstritten, da diese über vielfältige supranationale Kompetenzen, Institutionen und Instrumente verfügt, um sich der Globalisierungslogik zu entziehen. In der wissenschaftlichen und politischen Diskussion wurde in der Vergangenheit zuweilen sogar vor einer „Festung Europa“ gewarnt (vgl. Bhagwati 1991: 58ff; Thurow 1993).28 Mittlerweile sind diese Stimmen, zumindest was die Wirtschafts- und Handelspolitik der EU betrifft, allerdings weitgehend verstummt. Es wird zunehmend zur Kenntnis genommen, dass die EU – sieht man von einigen Bereichen wie dem Agrar- oder Textilsektor einmal ab – im Sinne des „offenen“ Regionalismus kaum noch einen Stolperstein („stumbling block“) für die Globalisierung darstellt. Sie fungiert in den meisten Bereichen vielmehr als ein Sprungbrett („stepping stone“), das die regionalen Wirtschaftsakteure in die Lage versetzt, sich aktiv in die globalisierte Weltwirtschaft zu integrieren (vgl. Spindler 2005: 14). Mit der Kennzeichnung der EU als „ruined fortress“ (Cafruny/Ryner 2003) wird die Transformation des europäischen Regionalismus zeitdiagnostisch treffend zum Ausdruck gebracht; allerdings mit der Einschränkung, dass der europäische Integrationsprozess nicht 28
Die „Festungs“-Metapher bezieht sich, je nach Argumentationskontext, auf unterschiedliche Bereiche: zum einen auf den Wirtschafts- und Handelsprotektionismus; und zum anderen auf die Abwehr „unerwünschter“ Migration im Rahmen des seit Mitte der 1980er Jahren entwickelten „Schengen-Systems.“
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durchgängig dem Ideal des „offenen“ Regionalismus entspricht. Er repräsentiert vielmehr eine modifizierte Erscheinungsform, die jenseits aller Liberalisierungstendenzen – gerade auch auf der supranationalen Ebene – nach wie vor spezifische staatliche Gestaltungskompetenzen umschließt. So wird in Gestalt des „neuen Konstitutionalismus“ (vgl. Gill 1998) nicht nur eine „nach innen“, sondern auch „nach außen“ wirksame supranationale Staatlichkeit generiert, mit der Folge, dass sich die EU von einer passiv und defensiv orientierten Globalisierungsarena zu einem engagierten Globalisierungsakteur entwickelt. Diese Tendenz zeigt sich in der zunehmend offensiven, teilweise sehr aggressiven Strategie einer globalen oder interregionalen Handelsliberalisierung, in einer – im Vergleich zu früheren Phasen – aktiveren Währungs- und internationalen Finanzmarktpolitik sowie in den vielfältigen Initiativen, neue außen-, sicherheits- und entwicklungspolitische Instrumente zu schaffen und auch anzuwenden.
4 Die Folgen des Integrationsschubs: politökonomische Dimensionen einer veränderten Funktionsweise europäischer Politik 4
Die Folgen des Integrationsschubs
Der Integrationsschub seit den 1980er Jahren ging mit einer Transformation des europäischen Regionalismus einher. Zugleich veränderte sich das Verhältnis von europäischer Integration und Globalisierung; und zwar dahingehend, dass die EU weniger eine Antwort auf die Globalisierung darstellt, als vielmehr diese in vielen Bereichen aktiv vorantreibt. In welchem Umfang dies der Fall ist, ist in der wissenschaftlichen Diskussion allerdings nach wie vor umstritten. Dies liegt unter anderem daran, dass sich die Prozesse der Globalisierung und europäischen Integration nicht leicht voneinander abgrenzen lassen. Auf einer abstrakten Ebene beziehen sich beide Prozesse auf sehr ähnliche Entwicklungen, nämlich auf die Verdichtung von Raum-Zeit-Beziehungen (vgl. Harvey 1990; Giddens 2001), d.h. die zunehmende Interdependenz vormals separater oder nur lose miteinander verknüpfter Handlungsräume. Um die Abgrenzung schärfer zu fassen, ist von einigen die Konzeption der „Europäisierung“ entwickelt worden (zum Überblick vgl. Eising 2003; Auel 2006). Im Unterschied zum Begriff der europäischen Integration, der sich im weitesten Sinne auf die Prozesse der Vergemeinschaftung bezieht, thematisiert die Europäisierung die Effekte, die das integrierte Ganze, also die EU, für die Funktionsweise der nationalen Wirtschafts-, Sozial- und Politikräume generiert. Zunächst kreiste die „Europäisierungs“-Diskussion um die Frage, ob Europäisierung angemessener „bottom up“ als Anpassungsprozess nationaler Organisationen an die veränderte europäische Umwelt (vgl. Ladrech 1994), als „Erweiterung des Wahrnehmungshorizonts und des politischen Handlungsraumes um die europäische Dimension“ (Kohler-Koch 2000) oder aber „top down“ als eine supranational geförderte Transformation der nationalen Regulationsformen zu fassen ist (vgl. Risse et al. 2001; Featherstone/Radaelli 2003). Seit einiger Zeit mehren sich zudem politökonomische „Europäisierungs“-Studien (vgl. Dyson 2002; Schmidt 2002), in denen auch das Verhältnis von Globalisierung und Europäisierung explizit thematisiert wird. Die Perspektive bleibt allerdings ambivalent: „As a set of economic pressures, Europeanization has acted both as a conduit for global forces and as a shield against them, opening member states to international competition in the capital and product markets at the same time as they protect them through monetary integration and the Single Market. As a set of institutional pressures, the European Union has gone way beyond any other international or regional economic authority with regard to the vast array of rules and rulings affecting its member states. And as a set of ideas, European integration has been driven by a common political project for economic liberalization which has been much more compelling than that of any other regional grouping of countries in the world, and which has served as a complement to the liberalizing ideas related to globalization.“ (Schmidt 2002: 14)
Das Problem einer unzureichend trennscharfen Abgrenzung zur Globalisierung besteht offenkundig darin, dass sich die Europäisierung – je nach Gegenstandsbereich – mal als
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Gegensatz, mal als Ergänzung zur Globalisierung präsentiert. Die Frage nach dem Verhältnis von Europäisierung und Globalisierung lässt sich demzufolge nicht abstrakt, sondern nur empirisch beantworten. Doch auch diese Verlagerung der Analyseebene hilft nicht notgedrungen weiter: zum einen, weil sich die Ursachen und Triebkräfte, die in der EU für die Verdichtung von Raum-Zeit-Beziehungen, d.h. den umfassenden Wandel sozioökonomischer Reproduktionsmuster und politisch-institutioneller Regulationsformen, verantwortlich sind, nicht immer eindeutig identifizieren lassen; und zum anderen, weil diese Herangehensweise implizit unterstellt, dass es sich bei der Globalisierung allein um einen outside-in, nicht aber auch um einen inside-out Prozess handelt (so z.B. Schmidt 2002: 41f).1 Angesichts dieser Abgrenzungsschwierigkeiten und der zuvor erläuterten Transformation des europäischen Regionalismus wird hier davon ausgegangen, dass es sich bei der Globalisierung und „Europäisierung“ partiell um gegensätzliche, zumeist aber um komplementäre Prozesse handelt. Sicherlich gibt es innerhalb der EU einige Dynamiken – z.B. die unterschiedlichen Formen der arbeits-, sozial-, umwelt-, regional- und industriepolitischen Flankierung –, die den Globalisierungsprozess modifizieren; und auch das institutionell-regulative System einer fragmentierten EU-Staatlichkeit trägt mit dazu bei, dass sich die Trennung von „innen“ und „außen“ reproduziert. Zugleich geht die Europäisierung aber auch über die Globalisierung hinaus. Ökonomisch betrachtet repräsentiert die Europäisierung sogar eine besonders „tiefe“ Form der Globalisierung. So treibt die EU durch diverse Europäisierungsmechanismen den Globalisierungsprozess zum einen „nach innen“ voran: unter anderem durch die Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse, die Liberalisierung der Kapitalmärkte, die (Teil-)Privatisierung und marktkonforme Reorganisation öffentlicher Dienstleistungen oder auch die Vergemeinschaftung der Geld- und Finanzpolitik (4.1.); und zum anderen profiliert sie sich auf der Grundlage der inneren Globalisierung, d.h. gestützt auf die Transformation der sozialen Produktionsbeziehungen und Regulationsformen, zunehmend auch „nach außen“ als eine wichtige Triebkraft der Globalisierung (4.2.). Obwohl die strukturelle Dimension dieses Wandels zunehmend auch strategisch ergänzt wird, bleibt die externe Globalisierungs- und Europäisierungspolitik jedoch widersprüchlich und instrumentell begrenzt (4.3.).
4.1 Globalisierung und Europäisierung I: zur internen Reorganisation von Ökonomie, Politik und Gesellschaft Die Beziehung von Globalisierungs- und Europäisierungsprozessen lässt sich nicht einfach nach einer Seite hin auflösen. Wenn Globalisierung aber als die konzeptionell und räumlich übergeordnete Begrifflichkeit angenommen wird, ist es durchaus möglich – zumindest mit Blick auf die politökonomischen Dynamiken und Widersprüche –, die „Europäisierung“ als spezifisch regionale Verlaufsform der Globalisierung zu betrachten (vgl. Röttger 1997: 145ff). Mit dieser Fokussierung müssen allerdings zwei nahe liegende Fehlinterpretationen ausgeräumt werden: erstens, dass keine „externen“ Globalisierungsprozesse wirksam werden, die EU also für alle Globalisierungseffekte in Europa verantwortlich ist; und zweitens, dass ihrem Handeln ein langfristiger Masterplan zugrunde liegt. Die unterschiedlichen 1 Diese Perspektive unterstellt zudem, dass die Globalisierung einen eindimensionalen, nicht aber widersprüchlichen Prozess der transnationalen Markt- und Wettbewerbsintegration darstellt.
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Initiativen – z.B. das EWS, der EG-Binnenmarkt, die WWU, die Finanzmarktintegration und die EU-Osterweiterung und auch die wiederholte Revision der vertraglichen Grundlagen – sind vielmehr so zu interpretieren, dass sich der Integrationsprozess als eine Abfolge ausgehandelter Arrangements vollzieht (vgl. Bieling/Steinhilber 2000: 106ff). Diese Arrangements reflektieren nicht nur die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und die mit diesen korrespondierenden Leitbilder und Strategien, sondern enthalten zugleich auch gewisse Zugeständnisse an die überlieferten politökonomischen und institutionellen Gegebenheiten. Sie stützen sich demzufolge auf spezifische Konsens- und Kompromissformeln, über die der Globalisierungsprozess in der EG/EU gefördert und gestaltet wird. In diesem Sinne argumentiert auch George Ross (1998: 179): „The renewal of European integration in the 1980s was caused less by globalization than by strategic choices by key European actors to accelerate integration rather than to continue [...] discrete national strategies. These choices were constructed around path-dependent constraints left by the earlier period of European integration before globalization was in the current vocabulary. The results, however, look today very much as if European leaders were trying to simulate globalization within the EU – whether or not it actually existed anywhere else. Whatever we make of this, it is clear that the largely unintended consequences of decisions to deepen European integration after 1985 have promoted globalization.“
Im Laufe der Zeit sind die strategisch geplanten im Verhältnis zu den nicht-intendierten Globalisierungseffekten stärker hervor getreten. Schließlich hat sich der Primat der „negativen Integration“, d.h. die Aufhebung grenzüberschreitender Handels-, Investitions- und Wettbewerbshindernisse und die gleichzeitige Abwehr gemeinschaftlicher Regulierungsund Interventionsinstrumente, nicht einfach naturwüchsig hinter dem Rücken der politischen Akteure durchgesetzt. Er wurde vielmehr gezielt gefördert, um den grenzüberschreitenden Wettbewerb als gesellschaftliche und politisch-institutionelle Modernisierungs- und Deregulierungstriebkraft zu nutzen (vgl. Gill 1992: 172ff). Dies belegen auch einige Äußerungen von politischen Akteuren, die die marktliberale Konstitutionalisierung der neuen europäischen Ökonomie aktiv vorangetrieben, d.h. den Vorrang einer intensivierten Wettbewerbsdynamik institutionalisiert haben. Mit Bezug auf den EG-Binnenmarkt hat z.B. der damals verantwortliche Kommissar, Lord Arthur Cockfield (1990: 8), unmissverständlich hervorgehoben, dass eine Verknüpfung von ökonomischen mit arbeits- und sozialpolitischen Fragen den Integrationsfortschritt gefährden und nur zu Verzögerungen und taktischen Manövern führen würde: „[...] one thing I would not accept, and I was supported by the Commission as a whole, was that progress on the Internal Market should be linked to progress on other policies, particularly regional and social policy. Linkage would simply be a recipe for delay and manoeuvre. If the Internal Market programme were allowed to go ahead unfettered it would in fact provide both the catalyst and the stimulus for progress elsewhere.“
Ähnliche Überlegungen haben auch die WWU mit beeinflusst. Denn auch dieses Projekt ist durch eine ausgeprägte Asymmetrie gekennzeichnet, d.h. durch eine strikte Vergemeinschaftung der Geldpolitik ohne die Bereitstellung gemeinsamer wirtschaftspolitischer
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Instrumente (vgl. Cafruny/Ryner 2007: 32). Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips2 im Maastrichter Vertrag hat diese Asymmetrie nochmals unterstrichen. In der Auswertung der Positionen der Zentralbanken, Finanzministerien, Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände sowie Gewerkschaften gelangt Amy Verdun (2000: 211) zu dem Ergebnis: „For two reasons all actors thought that the ‚asymmetrical EMU’ was the correct next phase of integration. First, EMU would not institutionalize much more than what was already happening in the context of the ERM (Exchange Rate Mechanism, H-J.B.), capital liberalization and the 1992 project. Second, except for the surrender of monetary policy-making to a supranational authority, no transfer of sovereignty would take place. Harmonization of fiscal, social and labour policies would have to come about market forces.“
Die Markt- und Währungsintegration wurde demzufolge nicht nur forciert, um ökonomische Wachstumseffekte zu erzeugen, sondern auch um – vermittelt über die Prozesse der Regime-Konkurrenz – die nationalen Kapitalismusmodelle einem intensivierten Disziplinierungs- und Wettbewerbsdruck auszusetzen. Frits Bolkestein (2001), von 1999 bis 2004 zuständiger Kommissar für den EG-Binnenmarkt, erklärte z.B. mit Blick auf die Finanzmarktintegration und die Lissabon-Strategie: „No-one is forcing the European Union to become more competitive than the United States in nine years time. But if that is what we really want, we must leave the comfortable surroundings of the Rhineland and move closer to the tougher conditions and colder climate of the AngloSaxon form of capitalism, where the rewards are greater but the risks also. If we spurn the means we must lower our sights lest we lose credibility and become ridiculous. So we must force ourselves to carry out those micro-economic supply side structural adjustments we decided upon in Lisbon.“
Die Liste vergleichbarer Statements ließe sich leicht verlängern. Sie sind politisch keineswegs unumstritten, doch im Grundsatz hegemonial. Nicht nur die nationalen Regierungen und die Europäische Kommission, auch viele zivilgesellschaftliche Akteure – vor allem die Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände – weisen darauf hin, dass es zur marktzentrierten Integrationslogik, insbesondere zur Entkopplung der ökonomischen Integration von sozialen Vorgaben und demokratischen Kontrollmechanismen, keine „realistische“ Alternative gibt.3 Die politökonomische Europäisierungsdynamik, d.h. die durch den EG-Binnenmarkt, die WWU und die Lissabon-Strategie geprägte, wettbewerbsorientierte Reorganisation der nationalen Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktregime scheint weitgehend akzeptiert. Sie trägt maßgeblich dazu bei, dass sich in der EU sowohl die tradierten Formen der politischen Regulation als auch die Strukturen der kapitalistischen Akkumulation, oder in den Begrifflichkeiten der französischen Regulationsschule: das Akkumulationsregime und die Regulationsweise transformieren. Nach Alain Lipietz (1985: 120) handelt es sich bei dem Akkumulationsregime um einen
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In diesem Kontext wird zugleich erkennbar, dass das aus der katholischen Soziallehre stammende Subsidiaritätsprinzip, gemäß dem staatliche Hilfe möglichst unterstützend für dezentrale Einheiten angelegt sein soll, in der EU zu einem neoliberalen Wettbewerbsprinzip umdefiniert worden ist. 3 Die Gewerkschaften und Umweltverbände haben diese strikte Trennung immer wieder kritisiert, ohne sie jedoch aufheben zu können. Ihnen ist es zwar gelungen, verschiedene Aspekte einer sozialen und ökologischen Dimension zu verankern. Doch bislang handelt es sich dabei nur um eine moderate Flankierung, nicht jedoch um eine arbeits-, sozial- und umweltpolitische Konditionalisierung der Markt- und Währungsintegration.
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„Modus systematischer Verteilung und Reallokation des gesellschaftlichen Produktes, der über eine längere Periode hinweg ein bestimmtes Entsprechungsverhältnis zwischen den Veränderungen der Produktionsbedingungen (dem Volumen des eingesetzten Kapitals, der Distribution zwischen den Branchen und den Produktionsnormen) und den veränderten Bedingungen des Endverbrauches (Konsumnorm der Lohnabhängigen und anderer sozialer Klassen, Kollektivausgaben, usw.) herstellt.“
Das Akkumulationsregime steht nicht für sich, sondern wird – angesichts innerer Krisen und Instabilitätsmomente – zugleich durch spezifische Formen der sozialen, institutionellen und politischen Regulation gestützt und gestaltet. Die Regulationsweise umschließt das Lohnverhältnis, das Kapitalverhältnis, das Geld- und Kreditverhältnis sowie die diversen Formen der wohlfahrts- und interventionsstaatlichen und auch internationalen Regulation (vgl. Hübner 1989: 173ff). Nachdem die nationalen fordistischen Akkumulationsregime durch die Formen der wohlfahrtsstaatlich-korporatistischen Regulation über einen langen Zeitraum stabilisiert worden waren, vollzog sich seit den 1980er Jahren ein markt- und wettbewerbszentrierter Umbau der Regulationsweise. Dieser Umbau ist über die europäische Ebene aktiv gestaltet worden, mit der Folge, dass in der EU inzwischen die Konturen eines transnationalisierten, finanzdominierten oder finanzgetriebenen Akkumulationsregimes erkennbar werden (vgl. Aglietta 2000; Chenais 2004). Um die strukturierende Bedeutung der EU zu erfassen, lohnt es sich, einige spezifische „Europäisierungs“-Mechanismen genauer in den Blick zu nehmen: Einen ersten „Europäisierungs“-Mechanismus bilden die Prozesse der unmittelbaren regulativen Angleichung, d.h. die vertraglichen und sekundärrechtlichen Bestimmungen – Verordnungen und Richtlinien – zur Förderung eines integrierten europäischen Wirtschaftsraums. Viele dieser Rechtsakte zielen darauf, im Sinne der „negativen Integration“ nationale Wettbewerbsschranken abzubauen und einheitliche, zumindest kompatible Produkt-, Kapital- und Kreditmärkte zu konstitutionalisieren. In der Folge der hierdurch ausgelösten (De-)Regulierung sind in der EU die Waren- und Kreditverhältnisse weitgehend harmonisiert worden; das Geldverhältnis wurde für die WWU-Staaten sogar vergemeinschaftet; und auch bezogen auf das Kapitalverhältnis lassen sich – mit Blick auf die Kriterien der Bilanzierung und Rechnungslegung – partielle Angleichungsprozesse beobachten. Einschränkend ist allerdings festzuhalten, dass die redistributiven Komponenten der makro-ökonomischen Reproduktion, insbesondere also das Lohnverhältnis und die hierauf bezogene Steuer-, Sozial- und Tarifpolitik noch immer primär nationalstaatlich definiert werden.4 Der rechtlich-regulative Angleichungsprozess materialisiert sich in einer forcierten ökonomischen Transnationalisierungsdynamik. Dies zeigt unter anderem die Entwicklung des Intra-EG/EU-Handels. Schon mit der Entwicklung der Zollunion war der Intra-EGHandel im Verhältnis zum gesamten Außenhandel der sechs Gründungsstaaten von 29,5% 4 Im Vergleich zur Arbeits- und Sozialpolitik ist die umweltpolitische Regulation in der EU recht entwickelt (vgl. McCormick 2001; Knill 2003). Dies ist erstens der Tatsache geschuldet, dass bis in die 1970er Jahre hinein die nationale Umweltpolitik noch kaum institutionalisiert war und es einen erheblichen Nachholbedarf gab. Zweitens wurden europäische Lösungen durch den grenzüberschreitenden Charakter ökologischer Gefahren gefördert. Drittens sind die Regierungen durch umweltpolitische Skandale unter einen verstärkten – europäischen – Handlungsdruck geraten; und schließlich sind viertens die Verteilungseffekte einer gemeinsamen umweltpolitischen Regulation weniger offensichtlich, so dass auch die Interessendivergenzen zwischen den nationalen Regierungen oft weniger stark ausgeprägt sind.
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(1950) auf 48,9% (1970) angestiegen. Durch die Süderweiterung und den Start des EGBinnenmarktprogramms erhöhte sich der Intra-EG/EU-Handel bis 1990 auf 60% (vgl. Ambrosius 1996: 34ff). Im Laufe der 1990er Jahre stieg er durch die weitere Vertiefung und Erweiterung nochmals an, um sich in den letzten Jahren bei etwa 65% einzupendeln (vgl. Eurostat 2007a: 201). Doch nicht nur der Waren- und Dienstleistungshandel, auch die Kapital- und Produktionsbeziehungen haben sich mit dem Fortgang der europäischen Integration stark transnationalisiert. In vielen Sektoren sind transnationale europäische Unternehmensverbünde entstanden, deren Produktionsketten unter Einschluss von Zuliefer- und Vertriebsunternehmen oft mehrere europäische Standorte miteinander vernetzen. Nachdem in den Nachkriegsjahrzehnten die transnationale Kapitalverflechtung in Westeuropa vor allem durch US-amerikanische TNKs organisiert worden war (vgl. Poulantzas 1974: 151ff; McCormick 2007: 102), bestimmten seit den 1980er Jahren die europäischen Konzerne zunehmend selbst die Prozesse der transnationalen Reorganisation. Dies belegt auch die Entwicklung der grenzüberschreitenden Direktinvestitionen – zumeist Fusionen und Übernahmen –, die in mehreren Wellen sprunghaft angestiegen sind: Die erste Welle in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre erfolgte im Vorgriff auf die Realisierung des EGBinnenmarktes, konzentrierte sich allerdings noch vornehmlich auf den industriellen Sektor (vgl. Huffschmid 1994b: 17ff). Nach einem Einbruch zu Beginn der 1990er Jahre entfaltete sich in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts eine weitere Fusions- und Übernahmewelle. Diese war zum einen durch den New Economy Boom in den USA, zum anderen aber auch durch die europäische Währungs- und Finanzmarktintegration sowie den Prozess der EUOsterweiterung stimuliert worden. Im Unterschied zu den 1980er Jahren erfasste die zweite Welle nun auch viele Dienstleistungsunternehmen, unter anderem in den Bereichen Banken, Versicherungen, Telekommunikation, Transport, Energie- und Wasserversorgung (vgl. Huffschmid 2002a: 81f; Clifton/Díaz-Fuentes 2007: 6ff).5 Durch das Zerplatzen der Dot-Com-Blase gingen die Fusionen und Übernahmen vorübergehend zurück. Seit 2005 folgte dann jedoch schon wieder eine dritte Welle (vgl. Eurostat 2007b: 106), die erneut durch die Finanzmarktdynamik und den Anstieg der Aktienkurse angetrieben wurde. Sieht man von diesen Schwankungen einmal ab, so fällt auf, dass sich der Bestand an Ausländischen Direktinvestitionen (ADIs) in der EU deutlich erhöht hat. In den letzten Jahren handelte es sich bei etwa 60 bis 80 Prozent der ADI-Zuflüsse um intra-EU Investitionen (vgl. ebd.). Die Intensivierung der Kapitalverflechtung in der EU sollte allerdings nicht im Sinne einer erneuten Abschottungsstrategie der europäischen TNKs interpretiert werden. Die Transformation der Corporate Governance Systeme und die Entstehung eines transnationalen Marktes der Unternehmenskontrolle vollzog sich wesentlich im transatlan5
Gefördert wurde diese Entwicklung einerseits durch die sektoralen Liberalisierungs- und (De-)Regulierungsvorgaben der EU, andererseits aber auch durch die Privatisierungsprogramme der nationalen Regierungen. Nachdem sich die Privatisierung in den 1980er Jahren noch weitgehend auf die staatlichen Industriebetriebe und Banken konzentriert hatte, wurden in den 1990er Jahren auch weite Bereiche der öffentlichen Infrastruktur – die Telekommunikations- und Postdienste, die Energie- und Wasserversorgung, die Müllabfuhr, der öffentliche Personenverkehr etc. – privatisiert (vgl. Bieling/Deckwirth 2008). Inzwischen erfasst der Privatisierungsprozess auch vermehrt die sozialen Sicherungssysteme und Teile des staatlichen Gewaltmonopols wie bestimmte Sicherheitsdienste, Militärtruppen, Gefängnisse etc. Durch die europäische Integration – die regulativen Vorgaben und die Wettbewerbspolitik im EG-Binnenmarkt sowie den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) der WWU – wird die materielle Privatisierung nicht erzwungen, so aber doch indirekt gefördert.
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tischen Kontext (vgl. van Apeldoorn/Horn 2007). So gingen die Fusions- und Übernahmewellen der letzten 20 Jahre zwar mit einer Europäisierung des Managements führender kontinentaleuropäischer TNKs einher (vgl. Holman/van der Pijl 2003: 85ff; van der Pijl 2006: 284f), ebenso ist aber auch nicht zu übersehen, dass sich eben diese TNKs seit Mitte der 1980er Jahre auch globalisiert, d.h. ihre Investitions- und Absatzstrategien auf nichteuropäische Märkte erweitert haben (vgl. van Apeldoorn 2002: 136ff). Die Entwicklung der Portfolioinvestitionen6 verlief ebenfalls sehr dynamisch, folgte jedoch einem etwas anderen Muster. Die meisten Portfolioinvestitionen wurden und werden von institutionellen Anlegern – Investmentfonds, Pensionsfonds und Versicherungen – getätigt, die zur Vermeidung größerer Risiken ihre Anlagen relativ breit streuen (vgl. Beckmann 2007: 59ff). Das von den institutionellen Anlegern verwaltete Vermögen und damit indirekt auch das Volumen der Portfolioinvestitionen ist seit den 1980er Jahren stark angewachsen (vgl. European Commission 2006a: 43ff). Im Unterschied zu den ADIs blieb die EU im Bereich der Portfolioinvestitionen jedoch ein Netto-Empfänger. Dies ist vor allem dadurch bedingt, dass institutionelle Anleger – von Großbritannien und den Niederlanden einmal abgesehen – in der EU traditionell eher eine nachrangige Rolle spielten, zugleich jedoch im Zuge der (Teil-)Privatisierung von öffentlichen Unternehmen und sozialen Sicherungsleistungen sowie eines beträchtlichen Aufholpotenzials bei der Marktkapitalisierung, d.h. des Gesamtwerts der an der Börse gehandelten Unternehmensaktien, viele Portfolioinvestitionen aus den USA angezogen wurden. Unterstützt wurde die Globalisierung und Europäisierung der Waren- und Kapitalverhältnisse insbesondere durch die Europäisierung der Geld- und Kreditverhältnisse, also den Prozess der Währungs- und Finanzmarktintegration. Nachdem mit der Realisierung der WWU bereits ein einheitlicher monetärer Handlungsrahmen geschaffen wurde, haben sich nachfolgend auch die Konditionen der Kreditvergabe sukzessive angeglichen. Diese Entwicklung war einerseits durch die regulative Harmonisierung der Banken- und Wertpapiermärkte gefördert worden, andererseits aber auch durch die europäische Wettbewerbspolitik, die sich über den Abbau von Subventionen und Beihilfen bestrebt zeigte, ein sog. „level playing field“ zu schaffen. Wie die Unterschiede zwischen den nationalen Bankensystemen – deren Struktur, funktionale Ausrichtung und Internationalisierung – belegen, blieb der Angleichungsprozess bislang unvollständig. Zudem materialisierte sich die Europäisierung in diesem Bereich nur sehr eingeschränkt in einem Anstieg der grenzüberschreitenden Kreditvergabe (vgl. BIZ 2007: 152ff). Diese wurde zumeist nur von den Banken selbst – in Form von Interbanken-Krediten –, einigen Großunternehmen und den öffentlichen Haushalten in Anspruch genommen. Das Gros der Privatkunden wendet sich bis heute hingegen an die lokal präsenten Anbieter von Finanzdienstleistungen. Der zweite „Europäisierungs“-Mechanismus besteht in der innereuropäischen RegimeKonkurrenz. Diese bezieht sich auf all jene Aspekte, die regulativ bislang nicht angeglichen wurden, also nach wie vor der nationalen Politikgestaltung unterliegen (Ziltener 1999: 195ff). Dies gilt in besonderem Maße für die redistributiven Komponenten der makroökonomischen Reproduktion, d.h. für die Steuer-, Sozial-, Arbeits- und Tarifpolitik und 6 Die Unterscheidung von Direkt- und Portfolioinvestitionen ist etwas willkürlich. Während es sich bei Portfolioinvestitionen nur um eine einfache Unternehmensbeteiligung handelt, die oft schon kurzfristig wieder aufgegeben wird, sind Direktinvestitionen mit einer strategischen Einflussnahme auf die Unternehmensführung verbunden. Letzteres ist immer dann der Fall, so die definitorische Abgrenzung, wenn sich der Aktienerwerb auf mindestens 10% des Unternehmenswertes beläuft.
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viele infrastrukturpolitische Aufgaben. Dass diese und andere Bereiche noch immer der nationalen Gestaltungskompetenz unterliegen, ist vor allem drei Ursachen geschuldet (vgl. Scharpf 1999: 70ff; Neyer 2007): Erstens sorgen die Unterschiede im wirtschaftlichen Entwicklungsniveau dafür, dass es den Regierungen – mit Blick auf die jeweilige Wettbewerbsfähigkeit – schwer fällt, sich auf ein für alle akzeptables sozial- oder umweltpolitisches Regulierungsniveau zu verständigen. Zweitens gibt es beträchtliche Differenzen in der institutionellen – steuer- oder beitragsfinanzierten – Organisation wohlfahrtsstaatlicher Leistungen und der nationalen Gestaltung der Bildungs-, Renten-, Gesundheits- oder Arbeitsmarktpolitik. Drittens bestehen zwischen den Regierungen abweichende normative Überzeugungen, die sich zum Teil aus unterschiedlichen parteipolitischen Präferenzen, zum Teil aber auch aus divergierenden nationalen Kulturen der wohlfahrtsstaatlichen Regulierung speisen. Zudem sind die nationalen Akteure – die Regierungen, Tarifparteien oder Wohlfahrtsverbände – oft sehr zögerlich, wohlfahrtsstaatliche Kompetenzen zu vergemeinschaften, weil sie sich in hohem Maße durch die Formen der redistributiven Leistungsvergabe legitimiert sehen. All dies ändert letztlich jedoch nichts daran, dass unter dem Druck der forcierten Waren-, Kapital- und Finanzmarktintegration auch die nichtvergemeinschafteten Politikbereiche insofern europäisiert werden, als sie sich im Kampf um Kapitalzuflüsse, Investitionen und Arbeitsplätze behaupten müssen.7 Die Europäisierung durch die Regime-Konkurrenz folgt damit einerseits der übergreifenden Logik einer kompetitiven Inwertsetzung und (De-)Regulierung. Diese bricht sich andererseits zugleich aber an den spezifischen nationalen – ökonomischen und institutionellen – Ausgangsbedingungen und Kräfteverhältnissen. Auf der nationalen Ebene verbleiben den Regierungen und gesellschaftspolitischen Akteuren noch immer gewisse Optionen in der Ausgestaltung des steuer-, sozial-, arbeits- und tarifpolitischen Gesamtarrangements. So gibt es nach wie vor beträchtliche Unterschiede zwischen den nationalen – mal stärker auf Produktivitätssteigerungen, mal stärker auf Kostensenkung ausgerichteten – Wettbewerbsstrategien wie auch zwischen den Schwerpunkten der strategischen Kostenreduktion. In einigen Ländern konzentrieren sich die Kürzungs- und Reorganisationsprozesse vor allem auf das Gesundheitssystem, in anderen auf das Rentensystem und in wieder anderen auf ausgewählte Bereiche der öffentlichen Infrastruktur. Ungeachtet all dieser Unterschiede kommt letztlich jedoch ein kompetitiver Reorganisationsprozess zum Tragen, der in einer – je nach Produktivitätsniveau – mehr oder minder ausgeprägten wettbewerbsorientierten Neudefinition der staatlichen und tarifpolitischen Umverteilungspolitik besteht. Einige Tendenzen mögen dies illustrieren:
In der EU ist die Fiskalpolitik vor allem dadurch gekennzeichnet, dass seit den 1980er Jahren in allen Mitgliedstaaten die indirekten Steuern und die Belastungen der abhängig Beschäftigten – Steuern und/oder Sozialversicherungsbeiträge – erhöht, die Steuersätze für Unternehmensgewinne und Kapitaleinkünfte hingegen abgesenkt wurden. In den meisten Ländern wurde dieser Prozess bereits in den 1980er Jahren eingeleitet, bevor in der EU-15 der durchschnittliche Unternehmenssteuersatz zwischen 1990 und
7 Marktanteile, Investitionen und Beschäftigung werden allerdings nicht nur durch die innereuropäische, sondern auch durch die außereuropäische Konkurrenz in Frage gestellt. Dies zeigt, dass sich Globalisierungs- und Europäisierungseffekte vielfach überschneiden.
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2005 von 40,4% auf 30,4% zurückging und in den zehn neuen Mitgliedstaaten sogar von 30,6% (1995) auf 18,2% (2005) herabgesetzt wurde (vgl. Nicodeme 2006: 18f). Die arbeitsmarkt- und sozialpolitische Entwicklung untergliedert sich grob in zwei Phasen. Die erste Phase von Mitte der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre war durch eine stetige, in manchen Ländern wie Spanien oder den Niederlanden sehr deutliche Ausweitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse wie Teilzeitarbeit, befristete Beschäftigung oder Leiharbeit gekennzeichnet, während die wohlfahrtsstaatlichen Reformprozesse zumeist im Rahmen der tradierten Regulierungsstrukturen verliefen (vgl. Bieling/Deppe 1997). In der zweiten Phase, seit Mitte der 1990er Jahre, ist dann jedoch eine gewisse Radikalisierung der sozialpolitischen Reformdynamik zu beobachten. Die Regierungen beschränken sich nicht mehr nur darauf, die nationale Wettbewerbsfähigkeit durch Strategien der Kostendämpfung zu verbessern, sondern verfolgen mit der (Teil-)Privatisierung sozialer Sicherungsleistungen – insbesondere im Bereich der Alterssicherung, aber auch in der Gesundheitspolitik – inzwischen eine sehr weitreichende marktliberale Reformagenda (vgl. Dräger 2004: 506ff; Hinrichs 2008). Die Entwicklung der industriellen Beziehungen stellt sich auf den ersten Blick sehr widersprüchlich dar. In den 1980er Jahren waren nicht nur starke Dezentralisierungsprozesse wie z.B. in Großbritannien, sondern auch moderate Zentralisierungstendenzen – etwa in den skandinavischen Ländern – erkennbar. In den 1990er Jahren wurde diese Widersprüchlichkeit zwar nicht aufgehoben, es kristallisierten sich jedoch fast überall neue wettbewerbskorporatistische Arrangements heraus (vgl. Bieling/Schulten 2003: 236ff). Diese basierten im Kern auf einem neuen Typus von Sozialpakten, in denen sich die Gewerkschaften zu spezifischen arbeits- und tarifpolitischen Konzessionen – Lohnzurückhaltung sowie längere und flexiblere Arbeitszeiten – bereit erklärten, um zur Sicherung von Arbeitsplätzen die nationalen Standort- und Investitionsbedingungen zu verbessern (vgl. Hassel 2009). In der Folge tarifpolitischer Abschlüsse unterhalb der Produktivitätssteigerung ist die Lohnquote in der EU von etwa 75% (1980) auf ca. 68% (2004) zurückgegangen (vgl. Schulten 2004: 183ff). Die Mittel- und Osteuropäischen Länder (MOEL) fügen sich in diesen Trend – bei allerdings größeren Schwankungen – bruchlos ein (vgl. Schulten 2008). Doch nicht nur die Verteilungsrelationen zwischen Kapital und Arbeit haben sich verschoben. Auch innerhalb der abhängig Beschäftigten sind durch die Deregulierungs- und Flexibilisierungspolitik die Unterschiede im Einkommensniveau und in der Arbeitsplatzsicherheit angewachsen (vgl. Schulten 2004: 201ff).
Seit den 1990er Jahren gewinnt mit der koordinierten Wettbewerbsmodernisierung schließlich noch ein dritter „Europäisierungs“-Mechanismus an Bedeutung, der die RegimeKonkurrenz überformt. Wie die Regime-Konkurrenz bezieht sich auch die koordinierende Wettbewerbsmodernisierung auf jene Bereiche, die nicht vergemeinschaftet wurden, aber für die Funktionsweise der integrierten europäischen Ökonomie relevant sind. Die Ausweitung der Koordination ist maßgeblich der WWU geschuldet.8 So wurde bereits mit dem 8 Schon in früheren Phasen der europäischen Integration gab es immer wieder Koordinations-Ansätze, so z.B. mit der wirtschaftspolitischen Koordination in den 1960er und 1970er Jahren, mit der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) ab Anfang der 1970er Jahre oder auch mit der steuerpolitischen Koordination im Kontext des
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EU-Vertrag von Maastricht das Koordinationsinstrument „Grundzüge der Wirtschaftspolitik“ geschaffen und durch die Aufnahme des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) in den Amsterdamer Vertrag weiter konkretisiert. Jenseits der Anhörungen, Diskussionen und Absprachen im Rahmen des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN) und der EURO-16-Gruppe9 werden bis heute die geldpolitischen Entscheidungen jedoch autonom durch die EZB getroffen. Kenneth Dyson (2000b: 657) kommt daher zu dem Ergebnis: „What emerges is a picture of an EMU policy community bound together by a sound money paradigm and of the privileged role of EU central bankers within the community as the bearers and beneficiaries of the paradigm. Just as the construction of the single European market centralized the regulatory function at the EU level, so EMU has centralized the economic stabilization function at the EU level. Seen in technocratic terms, the EU is no longer just a regulatory state. It is an emergent stabilization state, dedicated to improving the economic efficiency of Europe by establishing and safeguarding economic stability.“
Die austeritätspolitische Stabilisierung der neuen europäischen Ökonomie stützt sich nicht nur auf die „harten“, unmittelbar auf die WWU bezogenen Koordinationsverfahren. Seit Mitte der 1990er Jahre sind weitere, eher „weich“ angelegte Koordinierungsprozesse entwickelt worden, die ebenfalls mit dazu beitragen, die WWU makroökonomisch und politisch zu stabilisieren. Dabei waren es vor allem die Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien, die eine Erweiterung des Koordinationsansatzes erwirkten. Sie drängten zunächst – gleichsam als Kompensation für die Akzeptanz des SWP – darauf, eine „europäische Beschäftigungspolitik“ zu institutionalisieren, d.h. über gemeinsame Leitlinien, ein Benchmarking-Verfahren und die Identifikation sog. „best practices“ die nationalen arbeitsmarktpolitischen Strategien zu koordinieren (vgl. Tidow 1998). Die positive Resonanz, die dieser Schritt anfangs erhielt, sowie die Wahlerfolge sozialdemokratischer Parteien in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre (vgl. Aust 2000) führten schließlich dazu, dieses Koordinationsverfahren auf andere Politikfelder auszuweiten. Im Kontext der LissabonStrategie und der „offenen Methode der Koordination“ (OMK) – „offen“ bezieht sich hier auf die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen – erstreckt sich die Koordination inzwischen auch auf die Bildungs-, Ausbildungs- und Forschungspolitik, den Übergang in die Informationsgesellschaft sowie die Modernisierung des Sozialschutzes und den Kampf gegen soziale Ausgrenzung (vgl. Hodson/Maher 2001: 726). Die Zwischenbilanz all dieser Koordinationsverfahren fällt ambivalent aus. Einerseits sind die Effektivität und Verbindlichkeit der OMK, d.h. die Europäisierung durch Leitlinien und das „best practice“ Verfahren, recht gering; und auch die konkreten Ergebnisse der Koordination sind insgesamt – zumindest mit Blick auf das Wirtschaftswachstum, die Produktivitätsentwicklung, die Beschäftigungslage und die sozialen Ausgrenzungsprobleme – eher bescheiden und ernüchternd (vgl. Hochrangige Sachverständigengruppe 2004; Bieling 2005b; Altvater/Mahnkopf 2007: 126ff). Andererseits trägt die OMK im Sinne einer hegemonialen Gestaltungskonzeption, insbesondere als diskursiv-strategische Blockade alternativer Optionen, aber auch mit dazu bei, unerwünschte Überlegungen und Diskussionen von vornherein auszuschließen und die Grenzen des politisch Möglichen sehr EG-Binnenmarktes. All diese Bemühungen waren aufgrund ihres geringen Institutionalisierungs- und Verpflichtungsgrades zumeist jedoch wenig effektiv. 9 Malta und Zypern haben 2008 und die Slowakei 2009 den Euro eingeführt, wodurch sich die EURO-Gruppe auf 16 Teilnahmestaaten erweitert hat.
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eng zu definieren. In dem Maße, wie die Regierungen und gesellschaftspolitischen Akteure die Stabilitätsanforderungen der WWU und die marktliberale Reformagenda internalisieren, akzeptieren sie grundsätzlich die Funktionsweise der neuen europäischen Ökonomie und lenken ihre Aufmerksamkeit vornehmlich auf die wettbewerbsorientierte Modernisierung der nationalen Arbeitsmarkt-, Sozial- und Tarifsysteme (vgl. Haahr 2004). Die aufgeführten Europäisierungs-Mechanismen unterstützen den Übergang zu einem transnationalisierten, finanzgetriebenen Akkumulationsregime. Grundlegend waren dabei die Liberalisierung und (De-)Regulierung der Finanzmärkte und der Anstieg der grenzüberschreitenden Kapitalmobilität (vgl. Beckmann 2007: 44). Zudem wurden die seit den 1980er Jahren gestiegenen Unternehmensgewinne vermehrt auf den internationalen Finanzmärkten angelegt; und auch die Privatisierung ehemals staatlicher Industriebetriebe, öffentlicher Dienstleistungsunternehmen und sozialer Sicherungsleistungen stimulierte die Finanzmarktdynamik. Durch die wachsende Bedeutung von Fusionen und Übernahmen, die Shareholder Value-Orientierung vieler (Groß-)Unternehmen und den beschleunigten Wandel der Corporate Governance Systeme wurden all diese Prozesse nochmals akzentuiert (vgl. van Apeldoorn/Horn 2007). Ein wichtiges Merkmal des neuen Akkumulationsregimes – einige sprechen auch vom „Finanzmarkt-Kapitalismus“ (Windolf 2005) – besteht in der „Financialisation“ und „Securitarization“ des Wirtschaftsgeschehens, d.h. einer über die Wertpapiermärkte vermittelten Modernisierung der Unternehmensorganisation, aber auch der sozialen Sicherungs- und Reproduktionsdienstleistungen (vgl. Boyer 2000: 118ff). Ob das finanzgetriebene Akkumulationsregime einen dynamischen, produktivitätsund wachstumsorientierten Modus kapitalistischer Inwertsetzung darstellt, ist angesichts der konjunkturellen Makrodaten sowie der vielfältigen Instabilitäten und Krisenprozesse, denen die Wertpapier- und Kreditmärkte ausgesetzt sind, sehr zweifelhaft. Weniger zweifelhaft ist hingegen, dass über die Finanzmärkte eine neue Dynamik der kapitalistischen Durchdringung der Gesellschaft erfolgt. Im Unterschied zu den Nachkriegsjahrzehnten, in denen die „innere Landnahme“ vor allem durch die Absorption der im Agrarsektor und der Subsistenzproduktion Beschäftigten in den kapitalistischen Arbeitsmarkt bestimmt war (vgl. Lutz 1984: 186ff), werden durch die „neue Landnahme“ (Dörre 2007: 62ff) die kapitalistischen Beschäftigungs- und Reproduktionsverhältnisse nun selbst nach Maßgabe finanzmarkt-definierter Verwertungsimperative transformiert (vgl. van der Pijl 1998: 73ff).
4.2 Globalisierung und Europäisierung II: zum externen Gestaltungspotential der Europäischen Union Durch die Europäisierung wurden nicht nur die ökonomische Integration und die Prozesse der institutionell-regulativen Angleichung gefördert, sondern auch die Muster der interaktiven Einbettung der nationalen und europäischen Politik in die sozialen Produktionsbeziehungen verändert. Die Dynamik der finanzgetriebenen Akkumulation verstärkt und verstetigt den Wandel der Klassen- und Sozialbeziehungen und damit auch der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Über den Prozess der forcierten Markt- und Währungsintegration hat sich ein transnationaler hegemonialer Block formiert, in dem die zunehmend global orientierten TNKs in Kooperation mit der Europäischen Kommission und den nationalen Regierungen eine Führungsrolle einnehmen. Diese Führungsrolle kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass sich – in den einzelnen Politikfeldern freilich unterschiedlich entwickelte –
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Eliten-Netzwerke herausgebildet haben, die die strategische Ausrichtung der EU maßgeblich bestimmen. Diese Netzwerke sind einerseits darauf bedacht, die disziplinierenden Ungleichheits- und Unsicherheitseffekte der Marktintegration für die Verbesserung der wirtschaftlichen Investitionsbedingungen zu nutzen, also den Druck auf die Beschäftigten und Arbeitslosen zu erhöhen, andererseits aber auch große Teile der Mittelklassen und der Facharbeiterschaft – über die öffentlichen Diskurse und materiellen Partizipationschancen – hegemonial einzubinden. Die neuen europäischen Eliten-Netzwerke, oder gramscianisch gesprochen: der transnationale Block hegemonialer Kräfte, unterscheidet sich grundlegend von jener ElitenKooperation, die in den Nachkriegsjahrzehnten den Integrationsprozess organisiert hat. Damals waren die führenden nationalen Regierungspolitiker bestrebt gewesen, durch den „Aufbau enger wirtschaftlicher Austauschbeziehungen“ und friedenssichernde Maßnahmen eine stabile gesellschaftliche und europäische Ordnungsstruktur zu schaffen (vgl. Haller 2003: 338). Die Führungspersönlichkeiten waren dabei durch die Erfahrungen zweier Weltkriege und des Nationalsozialismus geprägt worden, vertraten zumeist katholischkonservative Grundüberzeugungen und waren zuweilen auch vor autoritär-obrigkeitsstaatlichen Neigungen nicht gefeit (vgl. ebd.: 352ff; Haller 2009: 100ff). Nicht zuletzt waren sie bereit, durch gewisse wirtschafts-, arbeits- und sozialpolitische Konzessionen möglichst viele Gruppen in ihre jeweiligen gesellschafts- und europapolitischen Konzeptionen einzubinden. Im Unterschied hierzu sind die neuen europäischen Eliten-Netzwerke dadurch gekennzeichnet, dass sie umfassender angelegt und primär wirtschaftsliberal ausgerichtet sind. Sie umschließen in stärkerem Maße Akteure, die im Kontext der 1970er und 1980er Jahre – also der Fordismuskrise und dem Übergang zur marktliberalen Restrukturierung – sowie des Zusammenbruchs des Realsozialismus und veränderter weltökonomischer und weltpolitischer Rahmenbedingungen politisch sozialisiert worden sind.10 Ein zentrales Ziel des neuen Machtblocks besteht zunehmend darin, die EU auf der Grundlage der internen Globalisierung und Europäisierung auch als „Global Player“ in der Weltpolitik profilieren zu wollen. Wie die Diskussionen über das Europa der „Dritten Kraft“ in den 1950er und 1960er Jahren, die Debatten über die „amerikanische Herausforderung“ (Servan-Schreiber 1968) oder der Diskurs über die Probleme Westeuropas in der sog. Triade-Konkurrenz mit den USA und Japan gegen Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahren zeigen (vgl. Seitz 1990), sind derartige Bestrebungen nicht gänzlich neu. Sie waren in der Vergangenheit zumeist jedoch recht defensiv ausgerichtet. Ein expliziter globaler Gestaltungsanspruch wurde selten formuliert. Genau diese Zurückhaltung gilt für die jüngeren Vorstöße nicht mehr. Schon mit dem Projekt der WWU war implizit die Erwartung verknüpft worden, den Euro als eine mit dem US-Dollar konkurrierende zweite Weltwährung zu etablieren; und auch die GASP enthielt bereits von Beginn an die Option, die EU zu einem – im Verhältnis zu den USA – eigenständigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur zu entwickeln. Vor dem Hintergrund der internen Globalisierung der europäischen Ökonomie und einer wachsenden Zahl externer Krisenprozesse gewinnt die anfangs nur zaghafte Globalstrategie der 10 Die wachsende transnationale Orientierung und Kooperation der Eliten ist in erster Linie ein Produkt dieser veränderten Kontextbedingungen. Sie ergibt sich nicht daraus, dass sich die Muster der sozialen Rekrutierung der Eliten transnationalisiert und europäisiert haben. Was die Rekrutierungsmuster betrifft, sind – ungeachtet aller Veränderungen – die Karrierepfade noch immer sehr stark durch die nationalen (Bildungs-)Institutionen und Selektionsfilter bestimmt (vgl. Hartmann 2007: 195ff).
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EU inzwischen klarere Konturen; zumindest wird sie selbstbewusster und offensiver artikuliert: offiziell in Dokumenten wie der Lissabon-Strategie (vgl. Europäischer Rat 2000), der handels- und investitionspolitisch ausgerichteten „Global Europe“-Strategie (vgl. Europäische Kommission 2006a) oder der von Javier Solana, dem Hohen Vertreter der GASP, ausgearbeiteten Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) (Europäischer Rat 2003); halboffiziell in den Reden und Artikeln diverser Kommissions- und Regierungsvertreter, die eine „Weltmacht“-Rolle der EU einfordern (vgl. Bury 2004; Verheugen 2005); und inoffiziell in den Stellungnahmen vieler Wissenschaftler und Politikberater (vgl. Cooper 2003; Münkler 2004), die im Zusammenspiel mit den Medien den Diskurs über die Unausweichlichkeit einer stärkeren globalpolitischen Profilierung der EU vorantreiben. Innerhalb des Diskurses über die Entwicklung einer europäischen Globalstrategie gibt es zweifelsohne kontroverse Einschätzungen, ebenso aber auch allseits geteilte Grundannahmen über den Charakter der EU-Außen(wirtschafts)politik. So gehen viele Wissenschaftler, Journalisten und politische Entscheidungsträger davon aus, dass die EU aufgrund der dezentral-fragmentierten Struktur der Außenbeziehungen keine herkömmliche Großmachtstrategie verfolgt; dass die geostrategische Reichweite der EU weitgehend auf das nähere regionale Wirkungsfeld, d.h. den Mittelmeerraum, den Südkaukasus, den Grenzraum zu Russland sowie den Nahen und Mittleren Osten, beschränkt ist; und dass die EUAußenpolitik in erster Linie durch wirtschaftliche Interessen und Instrumente, also die Handels-, Produktions- und Finanzbeziehungen – zum Teil in Verbindung mit demokratieund menschenrechtlichen Konditionalisierungsauflagen – bestimmt ist. Die EU fördert den Globalisierungsprozess demnach nicht nur über interne, sondern zum Teil auch durch externe Europäisierungs-Mechanismen. Die Wirkungen der externen Europäisierung sind zwar vornehmlich struktureller Art, d.h. im Vergleich zur internen Europäisierung weniger direkt und verbindlich, sollten angesichts der globalen Wirtschaftsmacht der EU aber auch nicht unterschätzt werden. Das wirtschaftliche Potenzial der EU ist in der Tat eindrucksvoll. Gestützt auf die Vertiefungs- und Erweiterungsprozesse der letzten 30 Jahre wird die EU nicht selten als ökonomischer „Koloss“ oder „Gigant“ tituliert und ruft vielfach Bewunderung hervor: „If there are questions about the EU’s military credentials, there can be few remaining doubts about its economic power. It is the world’s biggest capitalist marketplace, the world’s biggest trading power, and the world’s biggest magnet for – and source of – foreign direct investment. It is one of the world’s biggest market for mergers and acquisitions, and 12 (in the meantime 16, H-J.B.) of its member states now have the euro, which threatens to depose the US dollar as the world’s leading reserve currency. And if quantity alone is not a mark of power, then the EU also enjoys a qualitative advantage – it drives a hard bargain in trade negotiations, European corporations compete aggressively with their American and Japanese counterparts, every multinational worth its salt wants access to the European market, and their new wealth is helping Europeans live longer and healthier lives.“ (McCormick 2007: 84)
Diese beeindruckende Situationsbeschreibung speist sich zum Teil daraus, dass – zusätzlich zur aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise – wichtige Konkurrenten seit einiger Zeit mit gravierenden Problemen zu kämpfen haben: die USA mit ihrem großen Leistungsbilanzdefizit; und Japan mit einem sehr großen Haushaltsdefizit und einer langen ökonomischen Stagnationsphase. Zum Teil basieren die zumeist positiven Interpretationen der europä-
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ischen Wirtschaftsmacht aber auch darauf, dass einige ökonomische Makro-Daten der EU – allerdings keineswegs alle – durchaus beachtlich sind. Ein erster Indikator für die externe politökonomische Europäisierung ist die Entwicklung des Extra-EU-Handels. Angesichts der Tatsache, dass der Intra-EU-Handel etwa 65% des Außenhandels der EU-Mitgliedstaaten ausmacht, ist die Weltmarkteinbindung der EU mit einer Außenhandelsabhängigkeit – gemessen als Verhältnis der Exporte plus Importe im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) – von etwa 26,0% (2004) nicht besonders ausgeprägt (vgl. Brülhart/Matthews 2007: 472). Dies entspricht in etwa dem Internationalisierungsgrad vergleichbarer Wirtschaftsräume wie dem der USA. Insgesamt hat sich das Gewicht der EU in den internationalen Handelsbeziehungen seit den 1980er Jahren jedoch deutlich erhöht. Dies liegt nicht nur daran, dass die EU-27 mit inzwischen fast 490 Mio. Einwohnern und einem BIP von über 11.000 Mrd. Euro einen sehr großen, höchst attraktiven Binnenmarkt darstellt (vgl. Eurostat 2006a). Sie hat auch ihren Anteil am Welthandel auf einem hohen Niveau zu stabilisieren vermocht. So lag im Jahr 2006 der Anteil der EU am globalen Warenhandel bei etwa 17,5%, und der Anteil am globalen Dienstleistungshandel belief sich sogar auf 26% (vgl. European Commission 2006b). Die Vergleichsdaten für die USA waren 17,2% des globalen Waren- und 18,4% des globalen Dienstleistungshandels. Im Unterschied zu den USA, die sehr viel mehr importieren als exportieren, also mit dem Problem eines ausgeprägten Leistungsbilanzdefizits konfrontiert sind, weist die EU eine nahezu ausgeglichene Leistungsbilanz auf. Zugleich sind die USA für die EU mit etwa 23,5 % (2005) der Exporte, aber nur 13,8% der Importe noch immer der wichtigste Kooperationspartner. Die Vergleichszahlen für andere Länder bleiben dahinter deutlich zurück (vgl. Eurostat 2006b: 28ff): Legt man das Jahr 2005 zugrunde, so sind die EU-Exporte nach Japan auf 4,1% zurückgegangen; und auch die Importe haben sich auf 6,2% reduziert. Der Anteil der Schweiz und Norwegens ist mit 7,7% und 3,2% der EU-Exporte sowie 5,6% und 5,7% der EU-Importe nahezu unverändert. An Bedeutung gewinnen für die EU hingegen einige Transformations- und Schwellenländer. Die EU-Exporte nach Russland und nach China haben sich inzwischen auf 5,6% und 4,8% erhöht, indessen die EU-Importe aus diesen Ländern 9,2% und 13,4% der Gesamteinfuhren ausmachen. Im Vergleich zu den aufgeführten Ländern sind für die EU die Handelsbeziehungen zu anderen Wirtschaftsregionen in Lateinamerika, Afrika und Asien quantitativ bislang weniger relevant. Perspektivisch könnte sich dies allerdings ändern. Schließlich hat die EU in der jüngeren Vergangenheit eine Vielzahl von Initiativen gestartet, um den globalen Freihandel zu fördern. Über die WTO-Verhandlungen hinaus sind eine ganze Reihe interregionaler und bilateraler Handels- und Assoziationsabkommen abgeschlossen worden – oder werden noch angestrebt –, um die Öffnung und Weltmarktintegration anderer Wirtschaftsräume voranzutreiben (vgl. El-Agraa 2007: 4ff). Die Abkommen enthalten zwar oft ganz spezifische Vereinbarungen, orientieren sich insgesamt jedoch an einer sehr umfassenden Liberalisierungsagenda. In den Worten von Birgit Mahnkopf (2005: 128): „Alle Abkommen regeln einen unbeschränkten Kapitalverkehr, streben zum Schutz von Investitionen bilaterale Investitionsabkommen (Bilateral Investment Treaties, BITs) an und sehen auch eine graduelle Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen im Sinne des GATS vor.“
Die Prozesse der externen Europäisierung sind maßgeblich durch die Absatz- und Investitionsstrategien der führenden europäischen TNKs bestimmt. Deren strategische Orientie-
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rung hat sich infolge der EG-Binnenmarktintegration stark gewandelt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass durch die Liberalisierung der Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalmärkte stärker transnationalisierte Produktions- und Wertschöpfungsketten entstanden sind und sich – vermittelt über die grenzüberschreitenden Fusions- und Übernahmeaktivitäten – auch europäische Formen der Unternehmensverflechtung herausgebildet haben. Die Konsolidierung der europäischen Ökonomie, d.h. die Entstehung von großen, global wettbewerbsfähigen Unternehmen, beschränkt sich dabei keineswegs auf die traditionell führenden Exportbranchen wie die Automobil-, Elektro-, Chemie- und Pharmaindustrie sowie den Maschinenbau. Auch im Dienstleistungssektor – Tourismus, Transport, Telekommunikation, Postdienste, Banken, Versicherungen oder der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung – haben sich inzwischen global agierende Konzerne formiert. John McCormick (2007: 103f) führt in diesem Sinne aus: „The rise of the European corporate world is reflected in the statistics. In 1969, the Fortune list of the world’s biggest 400 corporations showed that 238 (nearly 60 per cent) were American while 108 (27 per cent) were European. By contrast the Fortune Global 500 list of the world’s 500 biggest corporations in 2005 showed the 176 (35 per cent) were American and 158 (32 per cent) were from the EU. […] The long list of American companies that have for so long been staples of the international corporate world – including Ford, IBM, Boeing, Exxon, and Time Warner – is now littered with European names, including Allianz, Volkswagen, ING, Siemens, Carrefour, Fortis, HSBC, Peugot, BNP Paribas, Tesco, and BMW. So active has been the European mergers market that companies that were once distinctly British or German or French have taken on identities that are increasingly European or international.“
Auch andere Listen, in denen die größten oder am stärksten internationalisierten TNKs geführt werden, lassen ähnliche Verschiebungen erkennen. Im Jahr 2004 stammten z.B. 53 TNKs in der Top 100 UNCTAD-Liste aus der EU (vgl. UNCTAD 2006: 31). Noch deutlicher wird der Bedeutungszuwachs der europäischen TNKs, wenn man sich die Entwicklung des weltweiten Bestands der Ausländischen Direktinvestitionen (ADIs) anschaut. Dieser hat sich zwischen 1982 bis 2005 exponentiell erhöht und ist von ca. 600 Mrd. auf über 10.000 Mrd. US-Dollar angestiegen (vgl. ebd.: 9). Fast 2.400 Mrd. Euro, d.h. über 25% der globalen Auslandsinvestitionen – die Intra-EU-Bestände von 3.800 Mrd. Euro nicht eingerechnet – entstammen dabei aus der EU (vgl. Eurostat 2007b: 21). Die EU hat damit die USA, die 1980 noch für 37,7%, 2005 aber nur noch für 19,2% der globalen ADIBestände verantwortlich waren (vgl. UNCTAD 2006: 7), als weltweit wichtigsten Investor abgelöst. Ähnlich wie für den Handel gilt aber auch für die ADIs, dass die USA für die EU noch immer den mit Abstand wichtigsten Investitionsraum darstellen. Etwa 39% (2004) der externen ADI-Bestände der EU sind in den USA platziert; und andersherum sind USUnternehmen für 52% der ADI-Bestände in der EU verantwortlich (vgl. Eurostat 2007b: 13ff). Dies belegt, dass sich die Aktivitäten der europäischen TNKs nach wie vor auf die sog. Triade, also auf die EU, die USA und Ostasien, und dabei insbesondere auf den transatlantischen Wirtschaftsraum konzentrieren (vgl. Hamilton/Quinlan 2005). Erst seit kurzem, d.h. dem Jahr 2004 ist eine gewisse regionale Verlagerung der ADIs erkennbar (vgl. UNCTAD 2006: 90). Offensichtlich engagieren sich die TNKs aus der EU verstärkt in einigen Schwellen- und Entwicklungsländern. Einiges spricht dafür, dass es sich hierbei
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nicht nur um eine vorübergehende Schwankung, sondern um einen – durch den Aufstieg der BRIC-Staaten stimulierten – Kurswechsel handelt. Im Unterschied zu den Handels- und Produktionsbeziehungen wird die globale Gestaltungskraft der EU im Bereich der Währungs- und Finanzbeziehungen zumeist deutlich schwächer eingeschätzt. Dies scheint insofern gerechtfertigt, als die Prozesse der Finanzmarktliberalisierung in der EU dem globalen Trend bislang eher folgten und eigene, global relevante Gestaltungsinitiativen kaum erkennbar waren. Gleichzeitig ist aber in Rechnung zu stellen, dass die Finanz- und Nicht-Finanzunternehmen aus der EU durchaus bestrebt und in der Lage sind – die ADIs und Portfolioinvestitionen unterstreichen dies –, die Finanzmarktliberalisierung für ihre jeweiligen Investitions- und Reorganisationsstrategien zu nutzen. Zudem erwachsen der EU durch die WWU und den Euro globale Einflussmöglichkeiten. Ob und in welchem Maße diese genutzt werden können, ist in der wissenschaftlichen Diskussion allerdings noch immer umstritten. Während einige davon ausgehen, dass der Euro – gestützt auf den großen Binnenmarkt und die starke Rolle der EU im Welthandel – perspektivisch eine bipolare Währungsarchitektur herbeiführt (vgl. Bergsten 1999), wird für andere die globale Führungsrolle des US Dollars durch den Euro nicht in Frage gestellt (vgl. Cohen 2003). Schaut man sich die jüngere Entwicklung an, so lassen sich Indikatoren für beide Interpretationen finden:
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Das im Umlauf befindliche Volumen der Banknoten hat sich zwischen 2003 und 2007 von etwa 350 Mrd. auf über 600 Mrd. Euro erhöht, während das Volumen des USDollars im gleichen Zeitraum von ca. 580 Mrd. auf 571 Mrd. Euro zurückging (vgl. Deutsche Bank 2007: 3). Diese Verschiebung reflektiert die relative Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar und die größere Bedeutung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs in den USA11, ebenso aber auch die gewachsene Attraktivität des Euro im näheren regionalen Umfeld der Eurozone. Was die Rolle des Euro als internationale Handels- und Vehikelwährung betrifft, so gibt es keine größeren Veränderungen. Hier liegt der Anteil des Euro bei etwa 40%, während der US-Dollar an über 90% der internationalen Transaktionen beteiligt ist (vgl. ECB 2007a: 32ff).12 Diese relative Konstanz erklärt sich daraus, dass für die Exporteure ein Wechsel der Transaktionswährung mit gewissen (Unsicherheits-)Kosten – einer möglichen Dämpfung der Nachfrage infolge einer unzureichenden Verfügbarkeit der Währung – verbunden ist (vgl. Belke/Geisslreither 2006: 137). Sollten jedoch insbesondere die Rohstoffexporteure dazu übergehen, ihre Produkte nicht mehr in US Dollar, sondern in Euro zu fakturieren, könnte sich ein rascher Wandel vollziehen (vgl. Altvater/Mahnkopf 2007: 243ff). Legt man die offiziellen Devisenreserven aller Notenbanken zugrunde, so hat sich der Anteil des Euro an den weltweiten Währungsreserven zwischen 1999 und 2006 leicht von 17,9% auf 25,8% erhöht. Der Anteil des US-Dollars ging im gleichen Zeitraum von 71% auf 64,7% zurück (vgl. Deutsche Bank 2007: 3). Da nicht alle Bestände sorgfältig ausgewiesen werden, wird vermutet, dass die tatsächliche Verschiebung etwas stärker ausgeprägt ist (Altvater/Mahnkopf 2007: 75). Die Deutsche Bank (2007:
Tatsächlich werden Schätzungen zufolge nur 10-20% der Euro-Noten extraterritorial verwendet, indessen durch die Dollarisierung ganzer Volkswirtschaften etwa 50-70% der Dollar-Noten außerhalb der USA genutzt werden. 12 Da immer zwei Währungen getauscht werden, summieren sich die Anteile auf insgesamt 200%.
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10ff) geht zudem davon aus, dass sich der Anteil des Euro an den weltweiten Devisenreserven – in Folge der Aufwertung und des hohen Drucks auf den US-Dollar sowie einer wachsenden Renditeorientierung und damit Devisenumschichtung vieler Zentralbanken – bis zum Jahr 2010 auf über 30% erhöhen dürfte. Diese Tendenzen lassen sich insgesamt so interpretieren, dass der Euro international nur allmählich und schrittweise an Terrain gewinnt. Die Funktion einer internationalen Transaktions-, Reserve- und Ankerwährung erfüllt er primär im näheren regionalen Umfeld. Inzwischen richten nicht nur viele Länder in Europa, Afrika und im Mittelmeerraum ihre Wechselkurspolitik auf den Euro aus. Auch wichtige Handelspartner wie China und Russland gehen allmählich dazu über, ihre Währungsreserven in Euro umzuschichten. Sollte sich der bislang eher begrenzte Bedeutungsgewinn des Euro fortsetzen oder sogar beschleunigen, erhöhen sich auch die politischen Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten der EU. Schließlich stellt Geld keineswegs, schon gar nicht in Form einer Weltwährung, ein neutrales Medium dar (vgl. Kirshner 2003). Es ist vielmehr Ausdruck und Instrument sozialer Machtbeziehungen. Die mit einer Währung verbundene politökonomische Macht stützt sich maßgeblich auf die Größe und Offenheit eines Wirtschaftsraumes, auf die Liquidität und Dynamik der Finanzmärkte sowie die interne (Inflation) und externe Stabilität (Wechselkurs) einer Währung und das hiermit verbundene Vertrauen internationaler Wirtschaftsakteure. In diesem Sinne umschließt eine Weltwährung wie der Euro immer auch die – zumindest indirekte – Kontrolle über jene Wirtschaftsräume, die im Rahmen einer asymmetrischen Kooperationsstruktur von europäischen Krediten, ADIs und Portfolioinvestitionen oder dem Zugang zum EG-Binnenmarkt abhängig sind. Mit anderen Worten, die EU – vor allem die EZB und die Länder der Eurozone – werden durch die regionale und globale Akzeptanz des Euro nicht nur in die Lage versetzt, die Geld- und Wechselkurspolitik relativ autonom im Interesse der eigenen Export- und Finanzindustrie zu betreiben. Sie üben auf die Kooperationspartner zudem einen starken Druck aus, deren jeweilige Währungs- und Handelspolitik in Übereinstimmung mit den Stabilisierungs- und Liberalisierungsvorgaben des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes zu definieren.13 Die Globalisierungs- und Europäisierungspolitik stützt sich in erster Linie auf die strukturelle Stärke des integrierten Wirtschaftsraums. Darüber hinaus vermittelt sie sich aber auch über die vielfältigen interregionalen und bilateralen Aktivitäten der EU sowie die Gestaltung der internationalen handels- und investitions- sowie währungs- und finanzmarktpolitischen Regime und Kooperationsstrukturen. Wie später genauer ausgeführt wird, ist die Gestaltungsmacht der EU im Bereich der handels- und investitionspolitischen Arrangements, also der WTO, relativ entwickelt. Dies liegt auch daran, dass hier die supranationalen Kompetenzen sehr ausgeprägt sind. Im Vergleich dazu sind die Diskussions- und Entscheidungsstrukturen der EU mit Blick auf die globale währungs- und finanzmarktpolitische Kooperation im Rahmen des IWF, der Weltbank oder der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) weniger kohärent. Zum Teil ist auch noch keine – so z.B. mit Blick auf die Wechselkurspolitik – explizit außengerichtete EU-Strategie erkennbar. Etwas 13 Dies gilt in erster Linie für all jene Länder, die wirtschaftlich sehr eng mit der EU verflochten sind, also sich in Euro verschuldet haben, stark von Exporten in die EU abhängig sind und den Euro als Ankerwährung zur Stabilisierung ihrer ansonsten eher schwachen Währungen verwenden. Unter den Bedingungen liberalisierter Devisenund Kapitalmärkte bleibt ihnen zumeist keine andere Wahl, als für Investitionen und Kreditzuflüsse günstige Bedingungen zu schaffen.
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anders stellt sich die Situation im Bereich der GASP und ESVP dar. Wenn es um konkrete Krisen- und Konfliktkonstellationen geht, manifestiert sich hier zwar oft das Problem heterogener nationaler Interessenlagen, gleichzeitig sind inzwischen aber auch die Grundmerkmale einer gemeinsamen außenpolitischen Strategie erkennbar. So setzt die EU in sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen zum einen nach wie vor auf die transatlantische Kooperation im Rahmen der NATO, versucht zugleich jedoch – durch die Intensivierung der innereuropäischen (GASP und ESVP) sowie der multilateralen Zusammenarbeit in der UNO – eine stärker selbstbestimmte regionale und zum Teil auch globale Rolle auszufüllen. Dies äußert sich unter anderem darin, dass sich die EU zunehmend auch jenseits der NATO, obgleich mit Zugriff auf deren operative Infrastruktur, in ausgewählten Krisen- und Konfliktregionen engagiert (vgl. Howorth 2007: 207ff). Zum anderen ist die EU bestrebt, ihre zivilen und militärischen Instrumente im internationalen Krisen- und Konfliktmanagement zu stärken und enger aufeinander abzustimmen. Ob dies in der Konsequenz auf eine Zivilisierung der internationalen Krisenpolitik oder aber auf eine Militarisierung der EU-Außenpolitik hinaus läuft, ist in der wissenschaftlichen Diskussion umstritten. Weniger umstritten ist jedoch, dass geoökonomische und geopolitische Interessen und Ziele die strategischen Prioritäten der EU zunehmend mitbestimmen (vgl. Europäischer Rat 2003; Altvater/Mahnkopf 2007: 27ff). Letzteres wird auch daran deutlich, dass sich die außen(wirtschafts)politischen Aktivitäten der EU vornehmlich auf die Länder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), auf Mittel- und Osteuropa und den Balkan sowie auf die angrenzenden (Krisen-)Regionen des Mittelmeerraums, des Südkaukasus und des Nahen und Mittleren Ostens konzentrieren. Die EU verfolgt mit Blick auf diese Regionen eine konzentrisch und selektiv angelegte Europäisierungsstrategie, die sich auf ein relativ umfassendes Set politischer Instrumente stützt. Am stärksten sind die Europäisierungseffekte für all jene Staaten, die im Zuge des EU-Beitritts den aquis communautaire vollständig übernommen haben oder bei noch laufenden Verhandlungen schrittweise übernehmen. Etwas begrenzter sind die Europäisierungseffekte für die EWR-Länder – inzwischen sind dies nur noch Island, Liechtenstein und Norwegen –, die ihre Teilnahme am EG-Binnenmarkt durch eine partielle Übernahme des acquis communautaire sicherstellen.14 Als nächstes folgt die Gruppe all jener Staaten, die über keine oder allenfalls eine ungewisse Beitrittsperspektive verfügen, d.h. die EMPStaaten des Barcelona-Prozesses sowie einige Staaten in Osteuropa – Weißrussland, Ukraine, Moldawien – und im Südkaukasus. Die Kooperation mit diesen Staaten wird von der EU – in Übereinstimmung mit der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) (vgl. Europäischer Rat 2003: 8) – unter ökonomischen und stabilitätspolitischen Gesichtspunkten als durchaus bedeutsam eingeschätzt: „Die Vision der Europäischen Nachbarschaftspolitik ist ein Ring aus Ländern, die die grundlegenden Werte und Ziele der EU teilen und in eine zunehmend engere Beziehung eingebunden werden, die über die Zusammenarbeit hinaus ein erhebliches Maß an wirtschaftlicher und politischer Integration beinhaltet.“ (Europäische Kommission 2004: 5)
14 Nachdem die Schweiz bereits 1992 in einem Referendum den Beitritt zum EWR abgelehnt hatte, sind seit Ende der 1990er Jahre eine Reihe sektorieller Wirtschaftsabkommen unterzeichnet worden, die bilateral zwischen der EU und der Schweiz ausgehandelt wurden.
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Doch ungeachtet der Heranführung an die EU sind die Europäisierungseffekte aufgrund der relativ schwachen ENP-Instrumente – in länderspezifischen Aktionsplänen definierte Kredite und Finanzhilfen, technische Unterstützungsleistungen, erleichterter Marktzugang etc. – begrenzt. Noch schwächer ist die Europäisierung schließlich für all jene Staaten und Regionen – so z.B. für die USA, Japan, Russland, China, Indien oder andere regionale Integrationsräume wie den Mercado Común del Cono Sur (MERCOSUR), die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) oder die Länder des Golf-Kooperationsrates –, mit denen zwar bilaterale Handels- und Kooperationsabkommen ausgehandelt oder angestrebt werden (vgl. Europäische Kommission 2006a: 10), die sich aufgrund ihrer wirtschaftlichen Eigenständigkeit und politischen Bedeutung dem europäischen Liberalisierungs- und Transformationsdruck aber weitgehend entziehen können.
4.3 Globalisierung und Europäisierung III: politökonomische Widersprüche und begrenzte Instrumente der EU Die aufgeführten Aspekte lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass in der Folge des Integrationsschubs die EU „nach innen“ wie „nach außen“ die Prozesse der Globalisierung und Europäisierung vorantreibt, dabei zugleich aber auch gewisse Widersprüche und Grenzen erkennbar werden. Zum Teil lassen sich die Widersprüche und Grenzen als Ausdruck der ungleichen Entwicklung und machtpolitischen Rivalität in der Weltökonomie und Weltordnung begreifen; zum Teil werden sie aber auch durch die politisch-strategischen Prioritäten der europäischen Integration selbst produziert. Wie dies zu verstehen ist, soll anhand einiger Widersprüche und Konfliktfelder knapp illustriert werden. Manche Widersprüche oder vorsichtiger formuliert: Instabilitäten in der Weltökonomie haben sich relativ unabhängig von der europäischen Wirtschafts-, Währungs- und Finanzpolitik entwickelt. Dies gilt erstens für das sog. „Zwillings-Defizit“ der USA, d.h. ein ausgeprägtes Haushaltsdefizit und eine gleichzeitig negative Leistungsbilanz (vgl. Bieling 2007a: 247f). Beide Defizite sind nicht unmittelbar miteinander verbunden, haben letztlich aber zur Folge, dass die USA auf ausländische Kapitalzuflüsse angewiesen sind. Seit den 1980er Jahren haben sich die USA daher zur weltweit größten Schuldnerökonomie entwickelt. Die bedeutendsten Gläubiger sind dabei die chinesische und japanische Zentralbank, die ihrerseits durch die Kredite an die USA und die Anhäufung von Devisenreserven den US-Dollar zu stützen versuchen, um die Absatzchancen der einheimischen Exportindustrie nicht zu gefährden (vgl. Murphy 2006). In der wissenschaftlichen Diskussion besteht Einigkeit darüber, dass diese Konstellation nicht dauerhaft tragfähig ist und – die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise bestätigt dies nachdrücklich – beträchtliche Risiken für die Stabilität der Weltwirtschaft in sich birgt. Für die EU sind diese Risiken aufgrund der starken Handels-, Produktions- und Finanzmarktverflechtung mit den USA besonders groß (vgl. Hamilton/Quinlan 2005). Ein beschleunigter Verfall des Dollar-Kurses würde zwar den Euro weiter stärken, zugleich aber die Absatzbedingungen der europäischen Exportindustrie substanziell beeinträchtigen. Eine zweite Widerspruchskonstellation ergibt sich daraus, dass sich seit den 1990er Jahren die Gewichte in der Weltökonomie verschieben. Dies ist nicht zuletzt dem Aufstieg der sog. BRIC-Staaten, vor allem Chinas und Indiens, geschuldet (vgl. Schmalz 2006; Bieling 2007a: 221ff). Gestützt auf eine große Bevölkerung, ein ausgesprochen hohes
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Wirtschaftswachstum und beträchtliche Produktivitätssteigerungen bilden diese Länder nicht nur eine treibende Kraft der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Sie haben – dies gilt insbesondere für China – auch vielfältige Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Entwicklungs- und Schwellenländern aufgebaut und verfolgen im Unterschied zu den Leitsätzen des sog. „Washington Consensus“ eine stärker pragmatisch ausgerichtete, die Prinzipien der nationalen Souveränität und Formen der staatsinterventionistischen Steuerung tolerierende Globalisierungskonzeption. Einige sprechen bereits von einem sog. „Beijing Consensus“, der in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern auf eine beträchtliche Zustimmung stößt, weil die chinesischen Kredite und Direktinvestitionen an weniger rigide Auflagen gekoppelt sind, also die Gestaltungsoptionen der Regierungen kaum beschnitten werden (vgl. Ramo 2004). Im Umkehrschluss bedeutet dies zugleich, dass die von den USA und der EU geförderte Globalisierungskonzeption, gemäß der Kredite, Direktinvestitionen und wirtschaftliche Unterstützungsleistungen durch marktliberale, menschenrechtliche und demokratiefördernde Auflagen konditionalisiert werden, zunehmend an Grenzen stößt. Drittens spitzen sich durch den Aufstieg der BRIC-Staaten und den zwischenzeitlichen Aufschwung der Weltwirtschaft die globalen Probleme der Energieversorgung zu (vgl. Altvater 2006: 151). Das ressourcenintensive Produktions- und Konsummodell, das für die EU gleichsam die Grundlage der externen Europäisierung und Globalisierung darstellt, wird demzufolge doppelt unterminiert: zum einen ökonomisch, da durch die Verknappung und Verteuerung der fossilen Energieträger – vor allem Öl und Gas – auch die Produktions- und Lebenshaltungskosten steigen, mit der Folge, dass auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Ökonomie beeinträchtigt wird; zum anderen aber auch ökologisch, da durch die extensive Nutzung der fossilen Energieträger weitreichende, mutmaßlich irreparable Folgekosten – Stichwort: Klimawandel – drohen. Die EU hat auf diese Probleme zwar mit einem Aktionsplan für eine europäische Energiepolitik reagiert (vgl. Europäische Kommission 2007). Danach sollen der Energie-Binnenmarkt realisiert, erneuerbare Energien gefördert und internationale Abkommen zur Sicherung der Energieversorgung und zur Reduktion von CO2-Emissionen abgeschlossen werden. Ob diese Strategie erfolgreich umgesetzt werden kann und den Umweltproblemen ausreichend Rechnung trägt, ist jedoch sehr umstritten. Dessen ungeachtet ist erkennbar, dass die internationale Gestaltungsmacht der EU durch die ausgeprägte Energieabhängigkeit strukturell begrenzt wird. Doch nicht nur im globalen Maßstab, auch innerhalb der EU gibt es einige Widersprüche oder zumindest ernsthafte politökonomische Probleme, die einer kohärenten und effektiven externen Globalisierungs- und Europäisierungsstrategie entgegenstehen. Schon ein Blick auf wichtige ökonomische Makro-Daten lässt erkennen, dass die EU trotz oder wegen der forcierten marktliberalen Restrukturierung seit den 1980er Jahren im globalen Vergleich eher unterdurchschnittliche ökonomische Kennziffern aufweist (vgl. European Commission 2007: 127ff). So hat sich das Wirtschaftswachstum seit den 1990er Jahren deutlich abgeschwächt; die Steigerung der Arbeitsproduktivität ist stark zurückgegangen; die Investitionstätigkeit und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind rückläufig; und die Erwerbslosenquote schwankt zwischen 8% und 10%, ist also noch immer sehr hoch ebenso wie die Armutsquote von über 15%. So mehren sich innerhalb der EU denn auch die sozialen und regionalen Ungleichgewichte. Durch die EU-Osterweiterung hat sich das Wohlfahrtsgefälle zwischen den EU-Mitgliedstaaten sprunghaft erhöht, indessen sich innerhalb der nationalen Wirtschaftsräume die regionalen Disparitäten zwischen den
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Wachstumszentren und rückständigen Gebieten stärker ausprägen. Überlagert werden diese Entwicklungen dadurch, dass einige Länder – allen voran die Bundesrepublik Deutschland, aber auch Schweden oder die Niederlande – sehr große Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaften, während die meisten anderen Volkswirtschaften – so vor allem Spanien, Großbritannien, Frankreich und Italien sowie die MOEL-Staaten – entsprechende Defizite aufweisen (vgl. Huffschmid 2007a: 314). Diese ungleichgewichtige Entwicklung ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass unter den Bedingungen der Regime-Konkurrenz – nicht zuletzt in Zeiten der wirtschaftlichen Rezession – einige Länder zu neo-merkantilistischen Strategien der Standortsicherung Zuflucht nehmen, d.h. sich durch Prozesse des Lohn-, Sozial- und Steuerdumpings Wettbewerbsvorteile erarbeiten, zugleich aber die Binnennachfrage beschneiden. Durch die Funktionsweise der WWU, insbesondere durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP), wird diese Entwicklung verstärkt. Entsprechend bildet die WWU bislang weniger ein Moment der externen, sondern primär der internen Globalisierungs- und Europäisierungsstrategie. Sie zielt vor allem darauf, die disziplinierenden Imperative globalisierter Finanzbeziehungen innerhalb der Eurozone zu übernehmen und durchzusetzen. Sehr zugespitzt formulierte vor einiger Zeit daher Andrea Boltho (2003: 20): „In many ways, Continental Europe has abdicated its responsibilities for macroeconomic policy, in sharp contrast to both American and Japanese practices. Seen from the outside, the Eurozone looks almost like a developing country on which the IMF has imposed one of those rigid stabilization programmes for which it is so famous: low inflation, fiscal rectitude, deregulation and privatization, all run by a bunch of non-elected officials (Duisenberg, Solbes, Monti and Bolkestein).“
Die Funktionsweise der neuen europäischen Ökonomie ist maßgeblich durch das Zusammenspiel von kompetitiver Deregulierung sowie kompetitiver (Nicht-Eurozone) oder verordneter Austerität (Eurozone) geprägt. Innerhalb des hierdurch abgesteckten Korridors verfügen die politischen Akteure durchaus über gewisse Handlungsspielräume. Zugleich fällt es ihnen aber schwer, sich auf eine selbstbestimmte, binnenzentrierte und sozialintegrativ orientierte Revitalisierung der europäischen Ökonomie zu verständigen. Die wettbewerbs- und austeritätspolitische Engführung der internen Globalisierung und Europäisierung korrespondiert mit einer ebenfalls sehr umfassend und marktliberal angelegten externen Europäisierungsstrategie, die in erster Linie durch die wirtschaftlichen Investitionsund Absatzinteressen der europäischen TNKs bestimmt ist. Die sicherheitspolitischen Grenzen europäischer Globalisierungspolitik werden durch die skizzierten politökonomischen Widersprüche und Konfliktpotenziale grundlegend strukturiert. Sie sind zugleich aber auch das Ergebnis der geopolitischen Macht- und (Un-) Sicherheitslogik des internationalen Staatensystems.15 In den sicherheitspolitischen Strategien der nationalen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe bzw. des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes überlagern sich demzufolge zwei Logiken: zum einen die expan15 Vermittelt über die Zusammenarbeit in der Justiz- und Innenpolitik (ZJI) lassen sich im Bereich der Grenzkontrollen, der Migrationspolitik, des Informationsaustausches der Polizeibehörden etc. zweifelsohne auch einige Aspekte einer Europäisierung der inneren Sicherheit identifizieren. Der interne Europäisierungsprozess wird durch globale Entwicklungen – z.B. den internationalen Terrorismus – stark beeinflusst. Da die internen sicherheitspolitischen Globalisierungs- und Europäisierungsprozesse für die externe EU-Strategie nur sehr indirekt von Bedeutung sind, wird hier nicht näher auf sie eingegangen (vgl. hierzu Wagner 2007).
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sive Logik der kapitalistischen Akkumulation, die in Gestalt einer asymmetrischen Interpenetration unterschiedlicher Wirtschaftsräume die grenzüberschreitende Kooperation, aber auch zwischenstaatliche Konflikte stimulieren kann; und zum anderen die territoriale oder geopolitische Logik der staatlichen Macht- und Sicherheitspolitik, die nicht nur darauf zielt, internationale Unsicherheiten und Risiken zu minimieren, sondern auch die eigenen geopolitischen Kontroll- und Einflussmöglichkeiten zu mehren (vgl. Arrighi 1994: 31ff; Harvey 2003: 33ff). In der Vermittlung und Verarbeitung dieser beiden Logiken können die konkreten Strategien der Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe eher kooperativ angelegt sein, d.h. auf dem Wege eines – hegemonial strukturierten – internationalen Interessenausgleichs und der Verregelung von Politikfeldern gemeinsame multilaterale Lösungen anstreben. Sie können aber auch konfliktiv angelegt sein und darauf setzen, durch die Androhung und Anwendung ökonomischer und diplomatischer Sanktionen oder sogar militärischer Gewalt internationale Bedrohungen und Gefahren zu minimieren und das Wohlverhalten anderer staatlicher wie nicht-staatlicher Akteure zu erzwingen. Welche Strategien und Instrumente konkret entwickelt und eingesetzt werden, ist durch die innergesellschaftlichen Reproduktionsmuster, Kräfteverhältnisse, politischen Werte und Präferenzen, zugleich aber auch durch die weltpolitische Ordnungskonstellation bestimmt. Unter Absehung von einigen langwierigen Kriegen mit vielen tausend Toten – z.B. in Korea (1950-53), Vietnam (1946-75), Algerien (1954-62), zwischen Israel und einigen arabischen Staaten (1948, 1967, 1973) oder zwischen dem Irak und Iran (1980-88) – oder weltpolitischer Spannungen wie den Berlin-Krisen (1948-49, 1958-63) und der Kubakrise (1962), stellt sich aus europäischer Sicht die Konstellation des Ost-WestKonflikts im Rückblick als relativ stabil und kalkulierbar dar. Militärisch erzeugte die Androhung einer wechselseitigen Vernichtung durch Atomwaffen eine globale Pattsituation; und gesellschaftspolitisch gelang es mit dem Verweis auf die äußere Bedrohung den Führungsmächten über einen langen Zeitraum, die Kohäsion und Solidarität in den jeweiligen Bündnissystemen zu festigen (vgl. Kaldor 1992: 117ff; Hobsbawm 1995: 286ff; Deppe 2006). Im Übergang von der bipolaren zur uni-, möglicherweise aber auch multipolaren Weltordnung hat sich diese relative Sicherheit inzwischen aufgelöst. So ist zwar die weltweite Zahl der Kriegstoten seit Anfang der 1990er Jahre zurückgegangen, indessen aber die Zahl der Kriegsherde und Aufsehen erregenden Terroranschläge anstieg (vgl. Human Security Centre 2005). Diese Entwicklungen und auch die tendenzielle Remilitarisierung der Weltpolitik (vgl. SIPRI 2006) sorgen jedenfalls dafür, dass die Diskussion über neue globale Unsicherheiten und Risiken in der europäischen Öffentlichkeit an Bedeutung gewonnen hat. Obwohl die verschiedenen Dimensionen einer veränderten (Un-)Sicherheitslage in der EU schon früh wahrgenommen wurden, gelang es den nationalen Regierungen nur ganz allmählich, sich auf ein gemeinsames militärisch-ziviles Sicherheitskonzept zu verständigen. Eigentlich geschah dies erst mit der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) aus dem Jahr 2003. Genauer betrachtet handelt es sich bei der ESS allerdings nur um ein allgemein gehaltenes Programmpapier, das die nach wie vor bestehenden internen Divergenzen nicht ausräumt, sondern nur überdeckt. Der in der EU geführte Diskurs über die neue Bedrohungslage ist dabei doppelt fragmentiert: einerseits zwischen den spezifisch nationalen Bedrohungsperzeptionen und strategischen Präferenzen, andererseits aber auch zwischen den rüstungs- und militarisierungsbereiten staatlichen Akteuren – den nationalen Regierungen und supranationalen Institutionen – und einer insgesamt doch eher militarisierungs-
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skeptischen Bevölkerung. Diese doppelte Fragmentierung ist sicherlich nicht der einzige Grund dafür, dass die gemeinschaftlichen Verteidigungs- und Interventionskapazitäten im Rahmen der GASP und ESVP bislang nur schrittweise gestärkt wurden. Nicht zu unterschätzen ist auch das Bestreben der USA, eine Schwächung der NATO durch den Aufbau einer eigenständigen europäischen Krisen- und Interventionsorganisation zu verhindern (vgl. Cafruny 2003; Meiksins Wood 2005: 158f). In der Konsequenz bleibt die sicherheitsund geopolitische Flankierung der externen Europäisierung und Globalisierung wenig profiliert. Sie erfolgt noch immer primär unter Führung der USA im Rahmen der NATO. Diese allgemeine Charakterisierung der Globalisierungs- und Europäisierungspolitik wird in den nachfolgenden Kapiteln eingehender erläutert. Doch schon an dieser Stelle lassen sich zwei Zwischenergebnisse festhalten: Erstens verlaufen – anders als bei der „internen“ Europäisierung und Globalisierung – die Prozesse der „externen“ Europäisierung und Globalisierung diffuser. Sie sind politisch-institutionell und regulativ weniger leicht zu fassen und schwieriger zu interpretieren. Darüber hinaus ist zweitens erkennbar geworden, dass die verfügbaren Kapazitäten und Instrumente der Europäischen Union innerhalb der verschiedenen Machtstrukturen noch immer sehr unterschiedlich entwickelt sind. Offenkundig gibt es strukturelle und instrumentelle Grenzen, die sich auch am Grad der „internen“ wie „externen“ Konditionalisierung von EU-Vorgaben ablesen lassen. So drängt die EU im Bereich der Handels- und Produktionsbeziehungen aufgrund ihres wirtschaftlichen Gewichts und der regen Handels- und Investitionstätigkeit der europäischen TNKs insgesamt auf sehr weitreichende wirtschaftliche, zum Teil auch politische Liberalisierungskonditionen. Gleiches gilt im Prinzip auch für die Währungs- und Finanzbeziehungen, wobei hier allerdings – vor allem was die Währungspolitik betrifft – der Gestaltungsanspruch regional begrenzt ist. Noch schwächer entwickelt sind die sicherheitspolitischen Konditionalisierungsinstrumente. Sie realisieren sich zumeist nur vermittelt über die UNO und NATO, wobei der europäische Staats-Zivilgesellschafts-Komplex allerdings an Bedeutung gewinnt.
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In den vorangegangenen Kapiteln wurde der Wandel der europäischen Integration auf einer allgemeinen, strukturellen Ebene dargelegt. Dabei wurde bereits erkennbar, dass sich die EU in den letzten Jahrzehnten nicht nur zu einer Handlungsarena, sondern auch zu einem Akteur der Globalisierung entwickelt hat. Ihre politischen Gestaltungsmöglichkeiten und Instrumente sind in den einzelnen Bereichen der Außenbeziehungen nach wie vor unterschiedlich entwickelt. Gleichwohl sollten die externen Globalisierungs- und Europäisierungseffekte europäischer Politik aus mehreren Gründen nicht unterschätzt werden: Erstens, weil sich hinter den statistischen Daten zum Handel, zu den Direktinvestitionen sowie zu den Währungs- und Finanztransaktionen transformative soziale Kräfte verbergen, durch die die Bedingungen der materiellen Reproduktion und politischen Organisation der transund internationalen Beziehungen tiefgreifend verändert werden; zweitens, weil die EU nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch-institutionell in anderen Weltregionen wie z.B. dem MERCOSUR oder der ASEAN als ein Modell wahrgenommen wird, an dem es sich zu orientieren gilt; und drittens, weil die EU die aufgeführten Widersprüche und instrumentellen Grenzen der externen Globalisierung und Europäisierung durchaus erkannt hat und – durch immer neue Initiativen und Koordinationsanstrengungen – aktiv bearbeitet. Entsprechend werden in den nachfolgenden Kapiteln wichtige Handlungsfelder, Strategien und Initiativen der europäischen Globalisierungs- und Weltordnungspolitik genauer betrachtet. Der Blick richtet sich insbesondere auf die Bereiche der Handels-, der Währungs- und Finanzmarkt- sowie der Außen- und Sicherheitspolitik. Im Zentrum der Analyse stehen dabei die veränderten Muster der interaktiven Einbettung europäischer Politik, d.h. die sozialen Produktionsbeziehungen, die zivilgesellschaftlichen Kooperationsmuster und die globalen Kooperations- und Konfliktstrukturen. Mit anderen Worten, es wird vor allem untersucht, über welche Auseinandersetzungen und Kompromisse – gleichsam im Spannungsfeld veränderter soziökonomischer Reproduktionsmuster und globaler Umbruchprozesse – die Kompetenzen, strategischen Prioritäten und Instrumente des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes neu definiert worden sind.
5.1 Internationale Handelsbeziehungen Vor einiger Zeit hat die Europäische Kommission ein offizielles Dokument publiziert, dessen englischer Titel bezeichnenderweise „Global Europe“ lautet. In dem Dokument werden diverse Aspekte und Erwägungen der europäischen Handelspolitik zusammengefasst und – in Übereinstimmung mit der sog. „Lissabon-Strategie“ – programmatisch pointiert zugespitzt. „Unser Hauptargument lautet, dass die Ablehnung des Protektionismus zu Hause von aktiven Bemühungen um offene Märkte und faire Handelsbedingungen außerhalb der EU begleitet sein muss. Das verbessert das globale Geschäftsumfeld und kann Wirtschaftsreformen in anderen
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Ländern beschleunigen. Es stärkt die Wettbewerbsposition der EU-Unternehmen in einer globalisierten Wirtschaft, und ist die Voraussetzung für die politische Unterstützung der Marktöffnung bei uns zu Hause. Die beiden wichtigsten Elemente solcher Bemühungen müssen sein: ein stärkeres Engagement in großen Schwellenländern und -regionen sowie eine stärkere Konzentration auf Handelsschranken hinter den Grenzen.“ (Europäische Kommission 2006a: 5)
Als Ausdruck einer zunehmend offensiven und aggressiven Handels- und Investitionspolitik markiert das Kommissions-Papier einen Strategie- und Rollenwechsel, den die EG/EU seit den 1980er Jahren – in mehreren Schritten – durchlaufen hat. Nachdem sie sich in den Nachkriegsjahrzehnten weitgehend darauf beschränkt hatte, dem Liberalisierungsdruck der USA nachzugeben, ergreift sie mittlerweile verstärkt selbst die Initiative, um den Abbau internationaler Handels- und Investitionshindernisse voranzutreiben. Die Ursachen und Dimensionen dieses Strategie- und Rollenwechsels sind vielschichtig. Vereinfacht lassen sich globale Entwicklungen auf der einen und innereuropäische Transformationsprozesse auf der anderen Seite unterscheiden. Durch die globalen Veränderungen, vor allem durch die forcierte Globalisierung seit den 1980er Jahren, den Zusammenbruch des Realsozialismus, den Übergang vom GATT zur WTO und die Regionalisierung der Weltökonomie, hat sich der räumliche und inhaltliche Gegenstandsbereich der gemeinsamen Außenhandelspolitik erweitert und ausdifferenziert. Die gewandelte Agenda impliziert nicht nur erhöhte Anforderungen an das außenhandelspolitische Management durch die EU, sondern zugleich auch vielfältige Chancen für die europäischen TNKs, sich neue Investitions- und Absatzmärkte zu erschließen. Die global orientierten Strategien der TNKs bilden dabei die materielle Grundlage einer zunehmend offensiven EU-Handelspolitik. Diese gewinnt in dem Maße klarere Konturen, wie sich die politökonomischen Interessen der TNKs innerhalb des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes privilegiert artikulieren und die Handelsagenda der EU definieren. Nachfolgend wird diese analytische Dreiecksbeziehung zwischen den globalen Umbrüchen, den gewandelten sozialen Produktionsbeziehungen und staatlich-zivilgesellschaftlichen Interaktionsmustern für den Bereich der Handelspolitik zunächst spezifiziert (5.1.1.). Danach richtet sich der Blick auf die politökonomischen, politisch-institutionellen und diskursiven Prozesse, die den Wandel der EU-Handelspolitik herbeigeführt haben. In einem ersten Schritt werden die allgemeinen globalen Kontextbedingungen sowie die Operationsweise des GATT und der Übergang zur WTO erläutert (5.1.2.), bevor dann ausführlicher die Reorganisation der europäischen Außenhandelspolitik betrachtet wird (5.1.3.). Der Fokus liegt dabei auf den politisch-institutionellen Vermittlungsprozessen, vor allem auf den transnationalen Kommunikationsnetzwerken, die neben den Regierungen und der Europäischen Kommission die strategischen Prioritäten der EU maßgeblich definieren. Die diskursiv-strategische Macht einiger Netzwerke wird freilich nur dann erklärbar, wenn zugleich auch die politökonomischen Grundlagen der von ihnen unterbreiteten Vorschläge und Initiativen berücksichtigt werden. In der EU stützt sich die offensive und sehr umfassend angelegte handelspolitische Globalisierungsstrategie auf einen relativ breiten Basiskonsens. Gleichwohl sieht sich die EU in der politischen Praxis mit vielfältigen Widerständen konfrontiert: Intern provoziert die Liberalisierungsbereitschaft der EU den Protest relativ geschützter Sektoren und Industriezweige, die international entweder nicht wettbewerbsfähig sind oder deren Organisation – dies gilt für große Teile des öffentlichen Sektors – anderen, vor allem sozialen Kriterien unterliegen (vgl. Bieling et al. 2008); und extern wird der Liberalisierungsdruck der
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EU von anderen Ländern nicht selten zurückgewiesen, weil diese in den weitreichenden Forderungen ihrerseits eine Gefährdung volkswirtschaftlich zentraler Produktions- und Dienstleistungszweige und oft auch eine Beschneidung der nationalstaatlichen Souveränität erkennen (vgl. Mahnkopf 2005). Diese doppelte Begrenzung der offensiven EU-Strategie ist in den Verhandlungen der sog. Doha-Entwicklungsrunde im Rahmen der WTO wiederholt deutlich geworden. Dessen ungeachtet ist das handelspolitische Gestaltungspotenzial der EU beträchtlich (5.1.4.), schließlich realisiert sie ihre Liberalisierungsagenda auch durch den Abschluss bilateraler oder interregionaler Handels- und Investitionsabkommen, die zum Teil durch entwicklungspolitische Elemente flankiert werden. 5.1.1 Die interaktive Einbettung der europäischen Handelspolitik In der wissenschaftlichen Diskussion ist es nahezu unbestritten, dass sich die Rolle der EG/EU in der internationalen Handelspolitik signifikant gewandelt hat. Nachdem in den Nachkriegsjahrzehnten eine primär binnenzentriert-defensive Handelsstrategie verfolgt wurde (vgl. Rode 2000: 49ff), mehren sich seit den 1980er Jahren die Anzeichen für eine zunehmend global orientierte und sehr aktive Liberalisierungspolitik der EG/EU. Die Gründe für diesen Strategiewechsel werden unterschiedlich bestimmt. Politik- und rechtswissenschaftliche Analysen nehmen vor allem den Wandel der Entscheidungsprozesse in den Blick, betonen also die institutionelle Stärkung der WTO und die Vergemeinschaftung von handelspolitischen Kompetenzen in der EU (vgl. Meunier 2005; Bretherton/Vogler 2006: 62ff). Im Unterschied hierzu sehen wirtschaftswissenschaftliche Analysen die Ursache für den Strategiewechsel in erster Linie darin, dass sich in der Folge der internen und globalen Liberalisierung nicht nur die Spezialisierungsprofile und Muster der wirtschaftlichen Verflechtung, sondern auch die handelspolitischen Präferenzen verändert haben (vgl. Brülhart/Matthews 2007). Die Erkenntnisse dieser – komplementären – Analyseperspektiven sollen hier keineswegs in Frage gestellt werden. Es geht nachfolgend vielmehr darum, sie zusammenzuführen und – gestützt auf die Konzeption der mehrdimensionalen interaktiven Einbettung – die Entwicklung und den Charakter der europäischen Handelspolitik genauer zu bestimmen. In einer ersten Annäherung ist dabei Susan Strange (1994: 165) zuzustimmen, die die internationalen Handelsbeziehungen nicht einfach als das Ergebnis von Marktprozessen begreift. Sie verweist vielmehr auf die zentrale Bedeutung komplexer – teils ökonomisch, teils politisch geprägter – Verhandlungsnetzwerke: „These bargains involve the trade-off for states of their security interests and their commercial interests. They involve the unequal access of trading partners to both finance and technology. They involve domestic political bargaining over the access to be granted to national markets, and corporate decision-making regarding secure as well as profitable sources of supply. In this interlocking set of bargaining relationships, there is no way in which the economic can be separated from the political, or that superior bargaining power can be described as either political or economic. Yet, the balance of bargaining power over trade will be found to be more decisive than the debates conducted in international organizations.“ (ebd.)
Die angesprochenen Verhandlungsnetzwerke weisen darauf hin, dass die Handelspolitik in besonderem Maße durch die sozialen Produktionsbeziehungen geprägt ist: Zum einen, weil die Produktionsbeziehungen vermittelt über die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse die
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handelspolitischen Präferenzen der politischen Entscheidungsträger beeinflussen; und zum anderen, weil handelspolitische Weichenstellungen wie z.B. die Öffnung oder aber protektionistische Schließung von Wirtschaftsräumen auf die Entwicklung der Produktionsbeziehungen – die Investitionsentscheidungen, Modernisierungsstrategien sowie produktionsund arbeitsorganisatorischen Konzeptionen von Unternehmen – transformatorisch zurückwirken (Murphy 1994: 34). Die wechselseitig konstitutive Bedeutung von Handel und Produktion wird nicht zuletzt daran erkennbar, dass Schätzungen zufolge der Intra-Firmenhandel inzwischen etwa ein Drittel des Welthandels ausmacht (vgl. Cohn 2003: 225). Ein Großteil des Handels wird demzufolge von TNKs abgewickelt, denen in der Organisation kapitalistischer Wertschöpfungsketten eine Schlüsselrolle zukommt. Ob durch die spezifischen Muster der interaktiven Einbettung des Handels in die Produktionsbeziehungen letztere gestärkt und dynamisiert oder aber geschwächt und beeinträchtigt werden, lässt sich a priori nicht bestimmen. Die handelspolitischen Rückwirkungen hängen auch davon ab, wie der Wettbewerbsdruck, der durch den grenzüberschreitenden Handel und ausländische Direktinvestitionen initiiert wird, von den jeweiligen Wirtschaftsräumen aufgenommen und verarbeitet werden kann (vgl. Bieling 2007a: 136f). Während die produktiven Strukturen vieler Entwicklungsländer – in Lateinamerika und Afrika – durch die Weltmarktintegration in Mitleidenschaft gezogen wurden, konnten andere Schwellenländer im südostasiatischen Raum durch eine entwicklungsstaatlich gesteuerte Weltmarkteinbindung beträchtliche Modernisierungseffekte realisieren. Letzteres gilt auch für die (west-)europäischen Kapitalismusmodelle. Auf der Grundlage eines bereits sehr hohen Entwicklungsniveaus gelang es diesen über einen langen Zeitraum recht gut, den handelspolitischen Liberalisierungsdruck – freilich mit unterschiedlichen Konsequenzen für die verschiedenen Wirtschaftszweige – produktiv aufzunehmen, industriepolitisch zu steuern und wohlfahrtsstaatlich zu flankieren. Die Handelspolitik ist jedoch nicht nur in die Produktionsbeziehungen, sondern auch zivilgesellschaftlich interaktiv eingebettet. Die handelspolitischen Strategien und Entscheidungen werden zwar von den staatlichen Institutionen, d.h. den Regierungen und ihren Verwaltungen, als Repräsentanten des gesellschaftlichen Allgemeininteresses definiert und nach außen vertreten, zugleich wirken aber auch zivilgesellschaftliche Akteure diskursiv auf das Agenda-Setting und die Politikformulierung ein. Die Interaktion von Staat und Zivilgesellschaft beruht dabei auf wechselseitigen Impulsen: Einerseits wird sie durch die staatlichen Akteure gefördert, sofern diese darauf bedacht sind, handelspolitische Strategien und Entscheidungen im Interesse relevanter Wirtschaftssektoren zu treffen; andererseits sind auch die zivilgesellschaftlichen Akteure, vor allem Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften, bestrebt, die staatlichen Akteure mit Informationen zu versorgen und handelspolitische Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Es bilden sich demzufolge spezifische Interaktions-Netzwerke heraus, die vermittelt über die Prozesse einer diskursiven Umrahmung die handelspolitischen Prioritäten und Kompromissformeln definieren. Im Vergleich zu anderen Bereichen – wie z.B. der Währungs- und Finanzmarktpolitik – werden Handelsfragen schon länger öffentlich politisiert (vgl. Helleiner 1994: 202ff). Entsprechend zielen die diskursiven Strategien der staatlichen Apparate und Verbände nicht allein darauf, die Kooperation und Koordination innerhalb der InteraktionsNetzwerke zu regulieren. Sie erstrecken sich auch auf die mediale Öffentlichkeit, um die handelspolitische Strategie legitimatorisch abzusichern oder aber in Frage zu stellen (vgl. Scherrer 1999: 40ff).
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In den Nachkriegsjahrzehnten war die europäische Handelspolitik noch primär durch die teils komplementären, teils widersprüchlichen Interessenlagen und handelspolitischen Diskurse innerhalb der nationalen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe definiert worden. Der Europäischen Kommission war zwar das Verhandlungsmandat übertragen worden, unter der Voraussetzung einstimmiger Entscheidungen ging dieses jedoch – trotz EWGinterner package deals – zumeist nicht über den kleinsten gemeinsamen Nenner hinaus. Durch den Übergang zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen und stimuliert durch die Liberalisierungseffekte des EG-Binnenmarktes hat sich bezogen auf die EU-Handelspolitik inzwischen jedoch ein europäischer Staats-Zivilgesellschafts-Komplex herausgebildet. Die trans- und supranationalen Netzwerkstrukturen überformen und strukturieren nicht nur die nationalen handelspolitischen Diskurse. Sie ermöglichen es der EU auch zugleich, die eigenen Interessen im Rahmen multilateraler sowie bi- und plurilateraler Handelsabkommen programmatisch klarer zu umreißen und offensiver nach außen zu vertreten (vgl. Meunier 2005: 2).1 Jenseits der sozialen Produktionsbeziehungen und Staats-Zivilgesellschaftskomplexe bezieht sich die interaktive Einbettung der Handelspolitik zudem auf die Strukturen der Weltökonomie. So zielen die staatlichen Strategien einerseits darauf, den globalen Handlungsrahmen gemäß den eigenen Interessen und Vorstellungen zu organisieren. Dies betrifft nicht nur die konkreten Liberalisierungs- und Regulierungsabkommen, sondern auch die Spielregeln – die Definition des Gegenstandsbereichs sowie die institutionellen Aushandlungs- und Entscheidungsmodalitäten –, die die internationalen Verhandlungen strukturieren. Andererseits werden die handelspolitischen Optionen durch die vertragsrechtlichen Spielregeln und die zuvor vereinbarten multilateralen, regionalen, inter-regionalen und bilateralen Arrangements aber auch selbst strukturiert (vgl. Chorev 2005: 325ff). Die internationalen Organisationen, Regime und Vertragswerke eröffnen den staatlichen Akteuren demzufolge spezifische Möglichkeiten, Liberalisierungs- und Regulierungsinitiativen zu starten oder auch abzuwehren. Innerhalb der Konstellation des „embedded liberalism“ wurden die Handelsbeziehungen multilateral vor allem durch das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) sowie spezifische regionale Handelsabkommen organisiert. Im Übergang von den 1980er zu den 1990er Jahren, d.h. mit der forcierten Globalisierungs- und Regionalisierungsdynamik, veränderten sich dann die Arenen der handelspolitischen Koordination und Regulierung: Zum einen wurde mit der Errichtung der World Trade Organization (WTO) das multilaterale Handelsregime institutionell gestärkt. Auch der Gegenstandsbereich internationaler Liberalisierungsabkommen wurde in diesem Kontext deutlich erweitert (vgl. Behrens 2005: 250ff). Zum anderen mehrten sich zugleich die Versuche, über regionale, interregionale und bilaterale Handelsabkommen die Liberalisierung der Wirtschaftsbeziehungen voranzutreiben. Die EU hat sich durch die Reorganisation der handelspolitischen Entscheidungsverfahren nicht nur auf das global veränderte Setting eingestellt (vgl. Knodt 2005: 54ff). Sie nutzt die verschiedenen Ebenen und Arenen der handelspolitischen Kooperation 1 Die Handelsvereinbarungen, die im Rahmen des GATT und der WTO entstehen, haben zumeist einen multilateralen Charakter, da sie unter Mitwirkung aller Vertragsteilnehmer ausgehandelt werden. Im Unterschied hierzu werden bilaterale Handelsabkommen nur mit einzelnen Drittländern oder Drittländergruppen und plurilaterale Verträge – etwa im Rahmen des GATS – mit einer heterogenen Gruppe liberalisierungswilliger Vorreiter abgeschlossen.
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– im Sinne einer Strategie des „Forum Shifting“ (vgl. Raza 2007: 83f) – inzwischen auch sehr offensiv, um die eigene Liberalisierungsagenda umzusetzen. 5.1.2 Vom GATT zur WTO Der veränderte Charakter der gemeinsamen Handelspolitik erschließt sich zum Teil aus dem Wandel der globalen Kontextbedingungen. In den Nachkriegsjahrzehnten waren die handelspolitischen Optionen wesentlich durch die Funktionsweise des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) definiert worden. Dieses bildete eigentlich nur ein Provisorium. Ursprünglich war geplant gewesen, das GATT in die International Trade Organization (ITO) zu überführen, die sich nicht nur mit Handelsfragen im engeren Sinne, sondern auch mit weiter gefassten Themen wie Rohstoffabkommen, Strategien der Vollbeschäftigung, Auslandsinvestitionen oder restriktiven Geschäftspraktiken befassen sollte (vgl. Rode 2006: 45ff). Obwohl sich mit der „Havanna Charta“ von 1948 bereits über 50 Regierungen auf die Gründung der ITO verständigt hatten, scheiterte deren Realisierung letztlich am Widerstand des US-Kongresses, genauer: an einer widersprüchlichen Allianz aus protektionistischen und freihändlerischen Kräften, die zum Teil einen Zustrom ausländischer Billigprodukte befürchtete, zum Teil aber auch mit den vielfältigen Umgehungsklauseln und Ausnahmebestimmungen der ITO unzufrieden war (vgl. Kuttner 1991: 41ff; Cohn 2003: 232; Rode 2006: 55). Zudem sahen einige Kongressabgeordnete die Gefahr, dass die ITO – als formal institutionalisierte UNO-Sonderorganisation – die nationale Souveränität zu stark beschneiden und perspektivisch von den Entwicklungsländern majorisiert werden könnte (vgl. Peet 2003: 150; Tabb 2004: 291).2 Nach dem Scheitern der ITO blieb das GATT, das bereits im Oktober 1947 ausgehandelt worden war, jedoch bestehen. Als einfaches Handelsabkommen konnte es ohne Ratifikation durch den US-Kongress per Protokoll übernommen werden. Es bildete fortan das zentrale handelspolitische Liberalisierungsregime der Nachkriegsjahrzehnte. Im Rahmen des GATT sollten die Zölle und andere Handelsbarrieren abgebaut und diskriminierende, d.h. ausländische Wettbewerber benachteiligende, staatliche Interventionen unterbunden werden, um über den grenzüberschreitenden Handel wohlfahrtssteigernde Effekte zu erzeugen. Gemessen an dieser ambitionierten Zielsetzung waren die Kompetenzen, Instrumente und Ressourcen relativ schwach entwickelt (vgl. Gilpin 2001: 218; Cohn 2003: 232f). Das GATT bildete eigentlich nur ein locker institutionalisiertes Gesprächs- und Verhandlungsforum. Es verfügte über keine Regeln setzende Autorität, über kein effektives Streitbeilegungsverfahren und nur über einen begrenzten Zuständigkeitsbereich. So wurde innerhalb des GATT nur über die Liberalisierung der Warenmärkte – unter Absehung von Agrar- und Textilprodukten – verhandelt, nicht jedoch über Dienstleistungen, geistige Eigentumsrechte oder Ausländische Direktinvestitionen (ADIs). Darüber hinaus verblieben den GATT-Vertragsstaaten weitreichende Möglichkeiten, spezifische Handelsabkommen mit Sonderkonditionen abzuschließen. Trotz der schwachen Institutionalisierung repräsentiert das GATT für die meisten Beobachter eine Erfolgsgeschichte. Diese Einschätzung basiert zum einen darauf, dass in der 2 Über den ITO-Vertrag wurde im Kongress nie formal abgestimmt. Der damalige Präsident Harry S. Truman zog die Abstimmungsvorlage aufgrund des manifesten Widerstands vieler Abgeordneter zurück (vgl. Behrens 2005: 249).
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Zeit von 1950 bis 1973 der Welthandel mit durchschnittlichen jährlichen Steigerungsraten von 7,2% deutlich schneller expandierte als das BIP, das „nur“ ein Wachstum von durchschnittlich 4,7% aufwies. Selbst in der Krisen- und Umbruchperiode von 1973 bis 1987 wuchs der Welthandel mit durchschnittlich 3,9% noch deutlich stärker als das BIP, das um 2,8% anstieg (vgl. Altvater/Mahnkopf 1996: 23; WTO 2005). “The period from 1947 to 1973 was one of unprecedented expansion for the world economy with output and trade growing faster than in any previously recorded period. Global output expanded at an annual average of five per cent while exports grew at seven per cent per annum. This provided an economic climate conducive to trade liberalization, and it was against this background that protectionism was reduced on manufactured products.“ (O’Brien/Williams 2004: 148)
Zum anderen wird das GATT aber auch deswegen als Erfolg eingeschätzt, weil seit seiner Gründung im Jahr 1947 insgesamt acht Verhandlungsrunden zum Abschluss gebracht werden konnten (vgl. Tabelle 1). Tabelle 1: GATT-Verhandlungsrunden Jahr
Ort/Name
Gegenstandsbereich
1947 1949 1951 1956 1960-61
Genf Annecy Torquay Genf Genf (DillonRunde) Genf (KennedyRunde) Genf (TokyoRunde)
Zölle Zölle Zölle Zölle Zölle
1964-67 1973-79
1986-93
Genf (UruguayRunde)
Zölle und Antidumpingmaßnahmen Zölle, nicht-tarifäre Handelshemmnisse, plurilaterale Vereinbarungen Zölle, nicht-tarifäre Handelshemmnisse, Verfahrensregeln, Dienstleistungen, intellektuelle Eigentumsrechte, Streitbeilegung, Textilien, landwirtschaftliche Produkte, Errichtung der WTO etc.
Teilnehmende Länder 23 13 38 26 26 62 102
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Quelle: WTO (1998: 2). Die Ergebnisse der Verhandlungsrunden sind in der Tat beeindruckend: Erstens konnte im Bereich der industriellen Fertigprodukte das sehr hohe Niveau der Zollsätze, das nach dem Zweiten Weltkrieg bei fast 40% lag, bis zum Jahr 1993 auf durchschnittlich unter 4% gesenkt werden (vgl. Senti 2000: 220). Zweitens gelang es in der Kennedy-Runde (1962-67) und der Tokio-Runde (1973-79), die Strategie eines linearen, d.h. prozentual gleichmäßigen Zollabbaus einzuführen und ansatzweise auch die Beseitigung sog. nicht-tarifärer Han-
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delshemmnisse in die Verhandlungen mit einzubeziehen.3 Drittens schließlich erhöhte sich die Zahl der dem GATT angeschlossenen Länder von knapp über 20 (1947) auf weit über 100 (1993) (vgl. Rode 2002: 81). Nachdem das GATT anfangs nur von den entwickelten kapitalistischen Ländern getragen wurde, schlossen sich seit den 1960er Jahren auch immer mehr Entwicklungs- und Schwellenländer dem global orientierten Freihandelsregime an. Der relative Erfolg und die Ausstrahlungskraft des GATT beruhten auch auf seinem spezifischen institutionellen und prozeduralen Setting. Formal mussten GATT-Vertragsstaaten aufgrund des vorherrschenden Einstimmigkeits- und Konsensprinzips zwar keine signifikante Souveränitätsbeschneidung befürchten, zugleich stellte das GATT aber ein regelbasiertes und verhaltensteuerndes Handelsregime dar, das die Vertragsstaaten auf die Einhaltung spezifischer Normen und Prinzipien verpflichtete. Die zentralen Prinzipien waren dabei (vgl. Jacobitz 1995: 91ff; Cohn 2003: 233ff):
das sehr allgemein gefasste Prinzip der Handelsliberalisierung, gemäß dem sich die GATT-Vertragsstaaten bereit erklärten, durch den Abbau von Zollschranken und nicht-tarifären Handelshemmnissen den internationalen Freihandel zu fördern; das Prinzip der Nichtdiskriminierung, das vor allem in Form der unbedingten Meistbegünstigung, d.h. der Verallgemeinerung von Liberalisierungsmaßnahmen, eine multilaterale Freihandelsordnung schaffen sollte;4 das Prinzip der Reziprozität, durch das einzelne Staaten nicht nur von der Öffnung anderer Wirtschaftsräume profitieren sollten, sondern mit Verweis auf die Wechselseitigkeit zugleich selbst unter Druck gesetzt wurden, die eigenen Zölle und Handelsschranken abzubauen; sowie das Prinzip der Transparenz, das eine Offenlegung von Handelsbeschränkungen einforderte und sich gegen eine willkürliche Errichtung nicht-tarifärer Handelshemmnisse wendete.
In der handelspolitischen Praxis wurden die aufgeführten Prinzipien – in Übereinstimmung mit gewissen Öffnungsklauseln des GATT-Vertrags – durch regionale Integrations- oder spezifische Präferenzabkommen einerseits unterlaufen.5 Andererseits wurden sie von den GATT-Vertragsstaaten aber allgemein akzeptiert. Gefördert wurde diese breite Akzeptanz vor allem durch zwei Prozesse: Zum einen trieben die USA als westliche Hegemonialmacht die handelspolitische Liberalisierung im GATT sehr aktiv voran. Sie waren aufgrund ihrer überlegenen Wirtschaftskraft – einem enormen Produktivitätsvorsprung und einem ausgeprägten Leistungsbilanzüberschuss – nicht nur bereit, gewisse Abweichungen von den GATT-Prinzipien zu tolerieren und ihren eigenen Wirtschaftsraum komparativ stärker zu öffnen. Sie übten auch einen gewissen Liberalisierungsdruck aus, da die anderen Handels3 Die Abkommen über nicht-tarifäre Handelshemmnisse basierten jedoch nicht auf multilateralen, sondern plurilateralen Vereinbarungen, die nicht für alle Länder verbindlich waren und von vielen Entwicklungsländern nicht unterzeichnet wurden (vgl. Cohn 2003: 235). 4 Neben der unbedingten Meistbegünstigung umschließt das Prinzip der Nichtdiskriminierung auch das Prinzip der Inländerbehandlung, gemäß dem ausländische wie inländische Produkte zu behandeln sind, also nicht durch steuerliche oder rechtliche Sonderkonditionen behindert werden dürfen. 5 Im Widerspruch zur GATT-Norm der Nichtdiskriminierung ist bis heute z.B. gemäß Art. 24 des GATT die Bildung einer Freihandelszone oder Zollunion dann erlaubt, wenn hierdurch die Zolltarife nicht erhöht, sondern gesenkt werden.
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partner ihrerseits auf den Zugang zum großen und dynamischen US-amerikanischen Wirtschaftsraum angewiesen waren. Darüber hinaus unterstützten und förderten die USA die wirtschaftliche Integration dadurch, dass sie den „überforderten“ kapitalistischen Partnerstaaten finanzielle Unterstützungsleistungen und Kredite gewährten und über die ADIs USamerikanischer TNKs wichtige Modernisierungsimpulse gaben. Zum anderen wurde das GATT-Regime auch deswegen – zumindest von den entwickelten kapitalistischen Ländern – akzeptiert, weil diese einen immensen wirtschaftlichen Aufholprozess durchliefen. Gestützt auf die Verallgemeinerung fordistischer Produktionsund Konsummuster (vgl. Hirsch/Roth 1986: 46ff) gelang es vielen Ländern, nicht zuletzt in Westeuropa, in den Nachkriegsjahrzehnten einen virtuous circle von Wirtschaftswachstum, Handelsliberalisierung und einer wohlfahrtsstaatlich flankierten Modernisierung zu etablieren. Für die einzelnen Wirtschaftszweige stellte sich dieser Prozess unterschiedlich dar. Die relative Bedeutung der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei oder auch des Bergbaus ging deutlich zurück. Zugleich entwickelten sich einige Leitsektoren – die Automobilindustrie, der Maschinenbau, die Chemie- und Pharmaindustrie, die Elektroindustrie oder das Baugewerbe – äußerst dynamisch (vgl. Deppe 2006: 130ff). Die Investitionstätigkeit, die Produktivitätsentwicklung und auch die Beschäftigungszuwächse waren in diesen Bereichen außergewöhnlich hoch und strahlten auf die gesamte Ökonomie aus. Vermittelt über die expansive Lohn- und Tarifpolitik der Gewerkschaften und den Ausbau der wohlfahrtsstaatlichen Regulation partizipierten auch die abhängig Beschäftigten und große Teile der nichterwerbstätigen Bevölkerung am Wirtschaftsboom (vgl. ebd.: 140ff). Entsprechend regte sich gegen die schrittweise Liberalisierung des Außenhandels kaum Widerstand. Im Gegenteil, die GATT-Handelsrunden eröffneten vielmehr die Chance, neue Markt- und Absatzsphären zu erschließen und den ökonomischen Wachstumsprozess zu verstetigen. Innerhalb des GATT kristallisierte sich eine eigenständige Rolle der EWG erst nach dem Inkrafttreten der Römischen Verträge heraus. Die gemeinsame Außenhandelspolitik war eng verbunden mit der Zielperspektive der Zollunion. Um den gemeinsamen Wirtschaftsraum nach außen abzusichern, hatten sich die EWG-Staaten darauf verständigt, die handelspolitischen Kompetenzen vollständig und unwiderruflich zu vergemeinschaften. Gemäß den vertraglichen Bestimmungen – zwischenzeitlich aktualisiert in Art. 131-134 des EU-Vertrags6 – wurde die handelspolitische Kompetenz auf die supranationale Ebene übertragen, d.h. an die Europäische Kommission delegiert. Deren handelspolitische Gestaltungsmacht war einerseits beträchtlich, da die Verhandlungsführung ausschließlich bei ihr lag. Andererseits war sie aber auch relativ eingeschränkt, da das Verhandlungsmandat der Kommission vom Rat, genauer: in einem vom Rat bestellten Ausschuss – vormals dem „113er“-, später dem sog. „133er Ausschuss“ (vgl. Kohler-Koch et al. 204: 262) – definiert wurde.7 Dieser Ausschuss war auch in den Verhandlungsprozess konsultativ eingebunden. Vor allem konnte er, nachdem durch die französische „Politik des leeren Stuhls“ und den „Luxemburger Kompromiss“ der Übergang zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen zwischenzeitlich abgewehrt worden war (vgl. Meunier 2005: 88ff), in Kooperation mit dem Rat eine autonome und flexible Verhandlungsführung der Kommission leicht unterbinden. 6
Nach Inkraftreten des EU-Reformvertrag von Lissabon, ist inzwischen der Art. 188 maßgeblich. Im „133er Ausschuss“ sitzen hochrangige nationale Beamte und Handelsexperten, aber auch Kommissionsvertreter, die zwar über kein Stimmrecht verfügen, aufgrund ihrer „Sachkenntnis“ die Diskussion jedoch erheblich beeinflussen (vgl. Koopmann 2004: 8; Knodt 2005: 57). 7
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Dass die Handelspolitik der EWG – und wenig später dann der EG – trotz der dynamischen Entwicklung der westeuropäischen Ökonomie in den Nachkriegsjahrzehnten primär defensiv orientiert war, erklärt sich allerdings nur zum Teil aus der institutionellen Begrenzung supranationaler Kompetenzen. Die institutionellen Schranken sind vielmehr selbst noch als Ausdruck interner Integrationskonflikte zu begreifen. Diese waren maßgeblich durch die politökonomischen Interessenlagen der EWG-Staaten bestimmt. Für Frankreich war die Realisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und für die anderen EWG-Staaten die Vollendung der Zollunion von zentraler Bedeutung. Um den ohnehin fragilen Kompromiss nicht zu gefährden, nahm die EWG – d.h. die Kommission in Kooperation mit den Mitgliedstaaten – während der 1960er Jahre in den GATT-Verhandlungen eine defensive Haltung ein. Ihr ging es vor allem darum, den Gemeinsamen Markt, also die Handels- und Wirtschaftsverflechtung innerhalb Westeuropas zu fördern. So wuchs denn auch der intra-regionale Handel in den Nachkriegsjahrzehnten sehr viel schneller als der Außenhandel (vgl. Brülhart/Matthews 2007: 475f), wenngleich sich auch der europäische Anteil am Welthandel schrittweise vergrößerte. Aufgrund dieser Binnenzentrierung kam der EWG handelspolitisch eigentlich nur eine passive Gestaltungsmacht zu; und zwar in dem Maße, wie sie die USA – gleichsam im Sinne eines negativen Katalysatoreffekts – dazu veranlasste, durch Liberalisierungsinitiativen der Gefahr regionaler Abschottungstendenzen entgegenzuwirken (vgl. Tsoukalis 2003: 68ff). So wurde z.B. die Kennedy-Runde im GATT von 1963-1967 von den USA initiiert, da diese erwarteten, dass sich ihre ohnehin bereits erkennbaren Zahlungsbilanzprobleme (vgl. Scherrer 1999: 167ff) durch die Perspektive der Zollunion noch verstärken würden. Mehr noch, sie befürchteten, dass durch die Herausbildung eines relativ geschlossenen europäischen Handelsblocks auch die multilaterale Struktur des internationalen Handelssystems Schaden nehmen könnte (vgl. Meunier 2005: 76f). Die EWG gab dem US-amerikanischen Liberalisierungsdruck zwar insofern nach, als sie eine signifikante, lineare Reduktion der Zollsätze um durchschnittlich 35% für etwa 60.000 Industrieprodukte, ein Anti-Dumping-Abkommen und Ernährungshilfen für notleidende Entwicklungsländer akzeptierte (vgl. Gilpin 1987: 192). Gleichzeitig widersetzte sie sich jedoch vehement den US-amerikanischen Bestrebungen, den Handel mit Agrarprodukten in die GATT-Vereinbarungen mit einzubeziehen (vgl. Meunier 2005: 80ff).8 Dass dieser Widerstand weitgehend erfolgreich war, erklärt sich paradoxerweise aus der institutionellen Schwäche und Fragilität der EWG-Handelspolitik. Auf der Grundlage fortbestehender Einstimmigkeitserfordernisse vermochten einzelne Mitgliedstaaten – vor allem Frankreich – immer wieder, den externen Liberalisierungsdruck abzuschwächen oder sogar abzuwehren (vgl. Moravcsik 1998: 206ff). Es wäre jedoch verkürzt, die EWG-Handelspolitik der 1960er und 1970er Jahre auf den Aspekt der defensiven Verhinderungsmacht zu reduzieren. Die EWG bzw. EG ergriff selbst auch die Initiative, eine Reihe handelspolitischer Präferenz- und Assoziierungsabkommen auszuhandeln. Diese bezogen sich einerseits auf einige Mittelmeerländer wie 8 Der Versuch der USA, den Agrarhandel im Rahmen des GATT zu liberalisieren, markiert eine Kehrtwende in der US-Handelspolitik. 1955 hatten die USA noch einen sog. „Waiver“ beantragt, durch den der Agrarhandel faktisch aus dem GATT ausgenommen wurde. Nachdem in den 1960er Jahren der Anteil der Agrarprodukte an den USamerikanischen Gesamtexporten in die EWG auf etwa 40% angestiegen war und befürchtet wurde, dass die Realisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) die Exporte perspektivisch beeinträchtigt, kam es zu einem strategischen Kurswechsel (vgl. Meunier 2005: 77).
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Griechenland, die Türkei, Tunesien, Marokko, den Libanon oder Israel (vgl. Hine 1985: 135),9 andererseits aber auch auf eine größere Gruppe von Entwicklungsländern, d.h. die Länder der Afrikanischen, Karibischen und Pazifischen Staatengruppe (AKP-Staaten). Vor allem den ehemaligen Kolonialmächten Frankreich, Belgien und später Großbritannien war aus wirtschaftlichen und – in der Zeit der Blockkonfrontation – auch aus geopolitischen Gründen daran gelegen, die Beziehungen zu den früheren Kolonialgebieten zu stabilisieren (vgl. Piening 1997: 171ff; Meyer 2005: 6ff). Im Anschluss an die Abkommen von Yaoundé (1963 und 1968) wurden seit 1975 durch die Lomé-Abkommen (I-IV) mit den AKPStaaten präferenzielle Handelskonditionen vereinbart, die einen privilegierten Zugang zum gemeinsamen Markt vorsahen. Zudem erklärte sich die EG bereit, spezifische Fonds zur finanziellen Stützung der Rohstoffexporterlöse einzurichten. Mit den selektiv gewährten Handelspräferenzen war freilich eine – vorübergehende – Außerkraftsetzung der GATTNormen der Reziprozität und Nichtdiskriminierung verbunden. Diese Ausnahmen wurden von den USA aufgrund des eigenen Überschusses im Agrarhandel und geopolitischer Erwägungen zunächst weitgehend toleriert, bevor im Laufe der Zeit das Ausmaß der EGPräferenzpolitik kritischer betrachtet wurde (vgl. Jacobitz 1995: 115). Nach der Liberalisierungsdynamik der 1950er und 1960er Jahre mehrten sich in den 1970er Jahren die handelspolitischen Konflikte. Dies lag vor allem daran, dass sich die internationale Konkurrenz verschärfte. Erstens hatte der intra-industrielle gegenüber dem inter-industriellen Handel an Bedeutung gewonnen, was implizierte, dass die Unternehmen der entwickelten kapitalistischen Länder vermehrt auf gleichen oder ähnlichen Produktmärkten konkurrierten (vgl. Gilpin 1987: 221); zweitens sorgten das Ende der fordistischen Wachstumsphase – verstärkt durch sprunghaft ansteigende Energiepreise – und der Übergang in eine Periode der wirtschaftlichen Stagnation in vielen Ländern dafür, dass die Erwerbslosenzahlen in die Höhe schnellten und sich die gesellschaftlichen Verteilungskämpfe zuspitzten (vgl. Hobsbawm 1995: 506ff); und drittens drängten Unternehmen aus Japan und einigen aufstrebenden südostasiatischen Schwellenländern – den sog. Newly Industrialised Countries (NICs) – in den Sektoren der Textil-, Stahl- und Elektroindustrie vermehrt auf den nordamerikanischen und westeuropäischen Markt (vgl. Gilpin 1987: 193f). All dies hatte zur Folge, dass sich der Prozess der Handelsliberalisierung für die USA und die EG nur noch sehr bedingt als Positivsummenspiel darstellte. Sie gingen daher einerseits vermehrt dazu über, die nationalen Märkte durch den Einsatz nicht-tarifärer Handelshemmnisse – z.B. technische Normen, Umwelt- und Verbraucherschutzbestimmungen, „freiwillige“ Exportbeschränkungen, Importquoten, Local Content Bestimmungen, Subventionen, steuerliche Vergünstigungen oder spezifische Kreditgarantien – zu schützen.10 Andererseits drängten die USA zugleich darauf, die nicht-tarifären Handelsschranken im Rahmen des GATT abzubauen, um US-amerikanischen Unternehmen den Zugang zu anderen Märkten zu erleichtern. Es waren nicht zuletzt diese Rahmenbedingungen, die die Tokio-Runde (1973-79) bestimmten. Im Vergleich zur Kennedy-Runde hatte sich die Interessenkonstellation kaum gewandelt. Erneut hatte die US-Regierung – unterstützt durch die exportorientierte Privat9 Die Handels- und Assoziationsabkommen waren GATT-konform, da sie als ein erster Schritt zur Errichtung einer Freihandelszone gerechtfertigt werden konnten (vgl. Hine 1985: 136). 10 Diese Formen des „neuen Protektionismus“ entwickelten sich bereits in den 1950er und 1960er Jahren vornehmlich in der Landwirtschaft und Textilindustrie (vgl. Hummel 2000: 133f). In den 1970er und 1980er Jahren wurden die neo-protektionistischen Praktiken vermehrt auf andere Sektoren ausgeweitet (vgl. Gilpin 1987: 204ff).
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wirtschaft (vgl. Scherrer 1999: 193) – die Initiative ergriffen, um durch den multilateralen Abbau tarifärer und nicht-tarifärer Handelsschranken und die Öffnung des europäischen Agrarmarktes dem Problem eines wachsenden Handelsbilanzdefizits entgegenzutreten; und wieder nahm die EG aufgrund intern divergierender Interessenlagen eine weitgehend defensive Position ein (vgl. Hine 1985:222). Mehr noch, sie versuchte in der Tokio-Runde sogar selektive Importrestriktionen für Produkte aus Japan und einigen NICs durchzusetzen, also das Nichtdiskriminierungsprinzip partiell zu umgehen (vgl. Gilpin 1987: 198). Angesichts der gegensätzlichen Interessenlagen und der defensiven Abwehrhaltung der EG war es wenig überraschend, dass sich die Verhandlungen lange hinzogen. Sie waren zwischenzeitlich festgefahren und konnten erst mit dem Wahlerfolg Jimmy Carters im Jahr 1976 neu belebt werden: Zum einen, weil die Carter-Administration der Öffnung des europäischen Agrarmarktes eine geringere Priorität beimaß; und zum anderen, weil ihr sehr daran gelegen war, durch einen erfolgreichen Abschluss der Tokio-Runde die multilaterale Struktur des GATT zu festigen (vgl. Scherrer 1999: 218f). Vor dem Hintergrund der schwierigen weltwirtschaftlichen Kontextbedingungen sind die Ergebnisse der TokioRunde – bei allen Abstrichen – durchaus beachtlich (vgl. Hine 1985: 222ff; Gilpin 1987: 197; Jacobitz 1995: 111ff): So wurde nicht nur das Zollniveau für Industrieprodukte im Schnitt nochmals um 33% bis 38% gesenkt.11 Die Verhandlungspartner verständigten sich, um den Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse zu fördern, auch auf eine Reihe von Verhaltenskodizes: unter anderem zu technischen Normen, Zollwerten, Importlizenzen, Subventionen und Ausgleichzöllen, Anti-Dumping-Maßnahmen oder der öffentlichen Auftragsvergabe. Die Wirksamkeit dieser Verhaltenskodizes blieb in der Folge jedoch begrenzt. Auch andere Ziele konnten nicht realisiert werden. Die USA mussten auf die angestrebte Liberalisierung im Agrarsektor verzichten, und der EG gelang es nicht, durch eine Modifikation der „Schutzklausel“, d.h. des Art. 19 des GATT-Vertrags, die selektiven Importrestriktionen rechtlich abzusichern (vgl. Hine 1985: 228). Dies hinderte sie anschließend allerdings nicht daran, durch die Aushandlung freiwilliger Exportbeschränkungen (Voluntary Export Restraints, VERs) und Marktordnungsabsprachen (Orderly Marketing Arrangements, OMAs) den gemeinsamen Markt zu schützen (vgl. Gilpin 1987: 198). Ungeachtet des erfolgreichen Abschlusses der Tokio-Runde traten die Grenzen und inneren Widersprüche des GATT-Regimes zunehmend hervor. Dies gilt umso mehr, als in den 1980er Jahren neo-protektionistische Praktiken weiter an Bedeutung gewannen und regionale Integrationsvorhaben lanciert wurden (vgl. Gilpin 2000: 40ff). So wurde 1985 mit dem EG-Binnenmarktprogramm eine Vertiefung der europäischen Integration eingeleitet, die – aus Sicht der USA – die Gefahr einer regionalistischen Abschottung in sich barg. Für die USA stellte sich diese Entwicklung besonders dramatisch dar, da sie – verstärkt durch den sog. „Volcker-Schock“ von 1979, d.h. die durch den Notenbank-Chef initiierte Hochzinspolitik und nachfolgende Überbewertung des US-Dollars – mit einem strukturellen Handels- und Leistungsbilanzdefizit konfrontiert war.12 Um dem entgegenzuwirken,
11 Da die meisten Zollsenkungen auf einen Zeitraum von 10 Jahren gestreckt wurden und sich auf Waren mit bereits sehr niedrigen Zöllen bezogen, werden die realen Effekte als deutlich geringer eingeschätzt als die nominalen Ergebnisse (vgl. Hine 1985: 223). 12 Grundsätzlich wäre es möglich gewesen, das Handels- und Leistungsbilanzdefizit durch eine Abwertung des US-Dollars zu korrigieren. In der Folge wären hierdurch jedoch die Interessen des sog. „Wall Street-TreasuryComplexes“ (Bhagwati 1998: 10f) beeinträchtigt worden. Für diesen bildete die Stärke des US-Dollars eine wich-
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entwickelte die Reagan-Administration eine Strategie, die vor allem drei Elemente umfasste: Erstens leitete sie – gestützt auf die finanzmarktvermittelte Restrukturierung der Unternehmen und die Förderung von High-Tech-Sektoren sowie weitreichende arbeits- und sozialpolitische Deregulierungsmaßnahmen – eine umfassende Reorganisation der sozialen Produktionsbeziehungen ein, um die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der USÖkonomie zu stärken (vgl. Panitch/Gindin 2003: 132ff). Zweitens setzte sie, unterstützt durch die industriellen Spitzenverbände, verstärkt darauf, den Zugang zum US-amerikanischen Markt als Druckmittel zur Öffnung anderer Wirtschaftsräume einzusetzen (vgl. Scherrer 1999: 236ff). Drittens drängten die USA wie auch Japan zudem darauf, durch eine weitere GATT-Runde die Liberalisierung der Agrar-, Dienstleistungs- und Hochtechnologiemärkte voranzutreiben, also den Geltungsbereich des GATT zu erweitern (vgl. Hine 1985: 246). Im Vergleich zu den vorangegangenen GATT-Runden war die Interessenkonstellation in der Uruguay-Runde, die 1986 in Punta del Este eröffnet und im Dezember 1993 in Marrakesch abgeschlossen wurde, deutlich komplexer. Die Zahl der GATT-Vertragsstaaten war weiter angewachsen; die diversen Ländergruppen hatten sich stärker organisiert; und die zur Diskussion stehenden Verhandlungsaspekte waren sehr umfassend. Zudem wurde erkennbar, dass sich die defensive Verhandlungsposition der EG allmählich zu wandeln begann.13 Doch zunächst hatten erneut die USA die Initiative ergriffen. Sie plädierten nicht nur erneut dafür, die Agrarmärkte zu liberalisieren, sondern drängten auch darauf, den Handel mit Dienstleistungen, geistige Eigentumsrechte und handelsrelevante Investitionsmaßnahmen in das GATT-Regime zu integrieren. Die Liberalisierung des Agrarsektors und des internationalen Dienstleistungsverkehrs, d.h. von Bereichen, in denen die USA mutmaßlich über komparative Kostenvorteile verfügten, sollte dazu dienen, das Leistungsbilanzdefizit zu reduzieren (vgl. Jacobitz 1995: 121ff; Gilpin 2001: 222f; Dicken 2004: 43ff). Unterstützt wurden diese Vorhaben nicht nur durch die exportorientierten US-amerikanischen Agrarbetriebe, sondern auch durch eine Vielzahl transnationaler Dienstleistungs-Konzerne, die – zusammengeschlossen in der US Coalition of Services Industries (USCSI) – ihrerseits großes Interesse daran hatten, die Investitions- und Absatzmärkte zu erweitern (vgl. Sell 2000: 177; Wesselius 2002: 6f; Tabb 2004: 305). Die Verhandlungen in der Uruguay-Runde waren sehr mühsam und zogen sich lange hin. Mehrfach schien es, als könnte die Handelsrunde zu keinem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Letztlich wurden die vielfältigen Blockaden jedoch überwunden. Dies lag zum einen daran, dass es den USA gelang, im Aushandlungsprozess spezifische Allianzen zu bilden und auch Konzessionen einzuräumen. So wurde z.B. das Ziel, den Agrarhandel in das GATT zu integrieren, durch viele Entwicklungsländer unterstützt. Vor allem die 1986 gebildete Cairns-Group – ein Zusammenschluss von zunächst 14, mittlerweile 19 agrarexportierenden Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern – drängte massiv darauf, den Agrarprotektionismus der EG aufzubrechen (vgl. Jacobitz 1995: 124; Ford 2002: 126ff;
tige Voraussetzung, um ausländisches Kapital anzuziehen und die internationalen Handels- und Finanzbeziehungen zu kontrollieren (vgl. Gowan 1999: 25ff). 13 Innerhalb der EG war es insbesondere die sog. „Viererbande“, bestehend aus den „handelspolitischen Generaldirektoren Großbritanniens, der Niederlande, Dänemarks und Deutschlands“, die sich diplomatisch-konspirativ für den Beginn und den Erfolg der Uruguay-Runde engagierten (vgl. Schomerus 2003: 7).
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O’Brien/Willams 2004: 158f).14 Im Unterschied zu den Agrarfragen kooperierten die USA bei den Themen Dienstleistungen, intellektuelle Eigentumsrechte und handelsrelevante Investitionsmaßnahmen vor allem mit Japan und der EG/EU. Die EG/EU war anfangs zwar skeptisch und wirkte darauf hin, das General Agreement on Trade in Services (GATS) deutlich abzuschwächen (vgl. Sell 2000: 176f), unterstützte letztlich aber die US-amerikanische Position, da sie ihrerseits ebenfalls über global wettbewerbsfähige Dienstleistungskonzerne verfügte (vgl. Winham 2000: 170). Sie plädierte zudem dafür, das internationale Handelsregime institutionell und vertragsrechtlich zu stärken. Nachdem das kanadische Handelsministerium 1990 den Vorschlag für eine neue multilaterale Handelsorganisation unterbreitet hatte, gelang es der EG/EU diese Initiative – auch gegen US-amerikanische Vorbehalte – durchzusetzen (vgl. Cohn 2003: 241). Jenseits des komplexen Verhandlungsmanagements bauten die USA zum anderen auch einen gewissen handelspolitischen Druck auf. Dies geschah erstens durch die strategische Handelspolitik der USA, im Rahmen derer – im Sinne einer strenger gefassten Reziprozität – der Zugang zum US-Markt von der Öffnung anderer Wirtschaftsräume abhängig gemacht wurde (vgl. Scherrer 1999: 258). Zweitens wurden die hochverschuldeten Schwellen- und Entwicklungsländer durch die Konditionalitäten der IWF- und Weltbankkredite dazu gedrängt, gemäß den „Empfehlungen“ des sog. „Washington Consensus“ ihre Wirtschaftsräume handels- und investitionspolitisch zu liberalisieren (vgl. Gowan 1999: 41ff; Ford 2002: 134).15 Drittens schließlich setzten die USA auch die EG/EU unter Druck, indem sie – gleichsam als Antwort auf den EG-Binnenmarkt und die Blockaden in der Uruguay-Runde – selbst regionale Integrationsprojekte lancierten (vgl. Gilpin 2000: 41; Schomerus 2003: 10): Bereits 1988 hatten sie das Canada United States Free Trade Agreement (CUFTA) abgeschlossen; 1989 folgte mit der Asia Pacific Economic Cooperation (APEC) der Versuch, eine sehr umfassende trans-regionale Freihandelszone zu errichten; und 1992 wurde mit dem North American Free Trade Agreement (NAFTA) ein handelspolitisches Arrangement vereinbart, dessen Aufbau und Funktionsweise bereits viele Aspekte der späteren WTO vorweg nahm (vgl. Bieling 2007a: 190f). All diese Aktivitäten trugen mit dazu bei, dass sich die Verhandlungspartner auf den WTO-Vertrag verständigen konnten, der am 1. Januar 1995 schließlich in Kraft trat. Die Gründung der WTO stellte nicht nur eine einfache, sondern eine qualitativ neuartige Fortentwicklung des alten GATT-Regimes dar. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es sich bei der WTO – im Unterschied zum GATT – um eine internationale Organisation mit festen Mitgliedschaften und verbindlicheren Regeln handelt (vgl. Gilpin 2000: 101). Durch regelmäßige Ministerkonferenzen (alle zwei Jahre), die Einrichtung eines Allgemeinen Rats, permanente Verhandlungsforen, einen Trade Policy Review Body und die Möglichkeit von Zweidrittel- oder Dreiviertel-Mehrheitsentscheidungen – de facto wird allerdings nach wie vor auf das Konsensprinzip gesetzt – ist die institutionelle Struktur des internationalen Handelsregimes deutlich gestärkt worden (vgl. Rode 2002: 89). Zudem wurde das Streit14
Ebenso wurde von vielen Schwellen- und Entwicklungsländern gefordert, das 1974 vereinbarte Multifaserabkommen (MFA) auslaufen zu lassen, das es den USA und der EG ermöglichte, Quotenregeln und andere Importschranken für Kleidungs- und Textilprodukte festzulegen. 15 Im Kern beruht der „Washington Consensus“ auf der Auffassung, dass Freihandel, offene Finanzmärkte, Währungskonvertibilität, nationale Maßnahmen der Strukturanpassung und neoliberale Reformprojekte ein erfolgversprechendes Programm darstellen, um wirtschaftliche Modernisierungsprozesse zu fördern (vgl. Williamson 1990).
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beilegungsverfahren gestärkt. Im GATT war es den beschuldigten Vertragspartnern durch eine Verweigerungshaltung noch leicht möglich gewesen, sich einem Anklageverfahren zu entziehen. Das Streitbeilegungsgremium der WTO fällt hingegen bindende Entscheidungen. Im Falle einer Verurteilung können die geschädigten Länder nun auch Entschädigungen einfordern oder Sanktionen verhängen. Darüber hinaus ist durch den WTO-Vertrag auch der Gegenstandbereich des internationalen Handelsregimes ausgeweitet worden (vgl. Peet 2003: 153ff). Nachdem das GATT den grenzüberschreitenden Handel von industriellen Erzeugnissen liberalisierte, basiert die WTO nunmehr auf drei Säulen (vgl. Gilpin 2000: 102; Tabb 2004: 318ff; Rode 2006: 163ff): Der Warenhandel wird weiter, nun allerdings unterstützt durch die veränderte institutionelle Struktur und Rechtsverbindlichkeit der WTO, im Rahmen des GATT liberalisiert; das General Agreement on Trade in Services (GATS) stellt den Rahmen dar, um – gemäß den Prinzipien der Meistbegünstigung und der Inländerbehandlung – die Regulierung und Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs zu fördern; und schließlich regelt das TRIPS (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) die handelsbezogenen Aspekte geistiger Eigentumsrechte – etwa Urheberrechte, Markenrechte und Patente –, wobei ausländische Bürger und Unternehmen nicht diskriminiert werden dürfen. Über diese drei Säulen hinaus wurden fast 30 sektorale und themenspezifische Abkommen ausgehandelt, die die globale Handelsagenda seitdem strukturieren. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Agreement on Agriculture (AoA), das den Abbau von nationalen Unterstützungsmaßnahmen für einheimische Produkte, von Marktzugangsbeschränkungen und Exportsubventionen vorsieht. 5.1.3 Die Reorganisation der europäischen Handelspolitik Seit Mitte der 1960er Jahre lag den verschiedenen Handelsrunden eine charakteristische Interessen- und Verhandlungskonstellation zugrunde. Während die EG bestrebt war, innerhalb Westeuropas die Integration der nationalen Wirtschaftsräume voranzutreiben – zunächst durch den Gemeinsamen Markt, die Agrarpolitik und die Zollunion, in den 1980er Jahren dann durch das EG-Binnenmarktprojekt –, drängten die USA darauf, einer regionalen Abschottung durch globale Liberalisierungsinitiativen entgegenzuwirken. Die EG gab diesem Liberalisierungsdruck partiell nach, nahm in den Verhandlungen allerdings eine vornehmlich defensiv-reaktive Grundhaltung ein (vgl. Cottier 2006: 121). Dies war dadurch begründet, dass sich die Investitions- und Absatzstrategien der europäischen Unternehmen vornehmlich auf Westeuropa konzentrierten. Außerdem konnte im Bereich der Handelspolitik von einem europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplex lange Zeit keine Rede sein. Seit den 1980er Jahren sind die politökonomischen und institutionellen Fesseln der EG/EU-Handelspolitik dann sukzessive abgebaut worden. Schon im Verlauf der UruguayRunde wurde erkennbar, dass die EG/EU bereit war, den Globalisierungsprozess voranzutreiben. Nach der Institutionalisierung der WTO und der Realisierung des EG-Binnenmarktes hatten sich dann die handelspolitischen Prioritäten der EG/EU weiter verschoben (vgl. Hanson 1998: 67ff). So traten die (neo-)protektionistischen Interessen einzelner Sektoren in den Hintergrund, während die Liberalisierungsbestrebungen global orientierter TNKs mehr und mehr den Diskurs und die strategische Ausrichtung der EU-Handelspolitik bestimmten. Der Kurswechsel hin zu einer offensiven und pro-aktiven Handelspolitik wur-
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de nicht nur durch die institutionelle Stärkung der Entscheidungsverfahren (vgl. Knodt 2005: 54ff) und die Genese eines Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes gefördert, sondern auch durch die interne Reorganisation – die Globalisierung und Europäisierung – der wirtschaftlichen Reproduktionsmuster unter Einschluss der sozialen Produktionsbeziehungen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. 5.1.3.1 Die Ausweitung europäischer Liberalisierungskompetenzen Im Bereich der Handelspolitik wurde seit den 1980er Jahren die Entwicklung des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes durch mehrere vertragsrechtliche Modifikationen gefördert. Die Modifikationen mögen auf den ersten Blick als relativ bescheiden erscheinen, da durch sie die Grundstruktur der gemeinsamen Handelspolitik nicht verändert wurde. Trotz ihres inkrementellen Charakters entfalteten sie letztlich jedoch eine weitreichende Wirkung: Zum einen hatten die vertraglichen und sekundärrechtlichen Änderungen zur Folge, dass Liberalisierungs- gegenüber Protektionsinteressen systematisch begünstigt wurden; und zum anderen lösten sie in der handelspolitischen Praxis einen beträchtlichen Vergemeinschaftungsschub aus. Den Anfang machte die Einheitliche Europäische Akte (EEA) von 1986. Mit dieser wurde das bis dahin geltende Einstimmigkeitsprinzip durch das Verfahren qualifizierter Mehrheitsentscheidungen abgelöst. In der Praxis hielten die EG-Mitgliedstaaten zwar daran fest, die handelspolitische Position der EG per Konsens zu definieren und abzusichern (vgl. Meunier 2005: 36). Gleichzeitig erhöhte sich durch die Option einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung im internen Diskussions- und Verhandlungsprozess aber der Druck, eine Konsens- oder zumindest Kompromisslösung zu finden. Dies hatte wiederum zur Folge, dass die Position der Europäischen Kommission deutlich gestärkt wurde. Sie konnte nun in der Phase des Agenda-Settings und der Politikformulierung ihre eigenen Vorschläge freier formulieren, ohne sich durch den Veto-Vorbehalt eines einzelnen Mitgliedsstaates von vornherein blockiert zu sehen.16 Noch wichtiger für den Übergang zu einer offensiven Liberalisierungsstrategie der EG war jedoch, dass die EEA für die (west-)europäischen Regierungen die Möglichkeit einer (neo-)protektionistischen Abwehrstrategie stark einschränkte. Nachdem die Zahl nichttarifärer Handelsbarrieren – freiwillige Exportbeschränkungen, Importquoten, Anti-Dumping Maßnahmen etc. – in den 1970er und frühen 1980er Jahren angestiegen war, wurden diese Instrumente seit Ende der 1980er Jahre deutlich seltener angewendet (vgl. Hanson 1998: 58ff; Koopmann 2004: 13f). Dies lag nicht zuletzt daran, dass die nationalstaatlich definierten internen Handelsbarrieren im Kontext der EG-Binnenmarktintegration weitgehend aufgehoben wurden, ohne zugleich – aufgrund qualifizierter Mehrheitserfordernisse – auf der supranationalen Ebene wieder errichtet werden zu können. In den Worten von Brian Hanson (1998: 67):
16 Zugleich besteht aber auch die Gefahr, dass die Kommission – in der Verhandlungsphase – ihr Mandat überdehnt, so z.B. geschehen durch den Abschluss des sog. „Blair House Agreement“ im Jahr 1992. Die in diesem Abkommen zwischen den USA und der EG ausgehandelte Reform und partielle Liberalisierung der Agrarmärkte galt zwar als ein wichtiger Durchbruch in der Uruguay-Runde, provozierte jedoch den massiven Widerstand Frankreichs und musste nur einige Monate später neu verhandelt werden (vgl. Meunier 2005: 112ff).
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5 Die Europäische Union in der Weltökonomie und Weltordnung „The completion of the single market initiated a two-step process that both liberalized existing trade policies and systematically disadvantaged interests seeking new trade protection. First, the completion of the internal market induced the liberalization of protected markets by severely eroding the effectiveness of national trade measures. Second, restoring protection lost at the national level required the establishment of new trade policy measures at the EU level, which was made difficult because of institutional arrangements that significantly advantaged those states wanting to block the expansion of EU protection. The result has been that industries have lost protection at the national level and have been unable to re-establish it at the EU level.“
Doch nicht nur die Liberalisierungsdynamik des EG-Binnenmarktes, auch die Etablierung der WTO sorgte dafür, dass die supranationalen Handelskompetenzen schrittweise gestärkt und erweitert wurden. Dieser Prozess zog sich allerdings recht lange hin. Nach der Gründung der WTO, d.h. der institutionellen Stärkung und inhaltlichen Erweiterung des globalen Handelsregimes, hätte es eigentlich nahegelegen, auch die Kompetenzen der Europäischen Kommission entsprechend auszuweiten. Tatsächlich wurden aber viele der neuen Handelsthemen – wie z.B. Dienstleistungen, geistige Eigentumsrechte oder Nahrungsmittelsicherheit – zunächst dem Bereich der gemischten Zuständigkeit zugeordnet, in dem, anders als auf dem Gebiet der ausschließlichen Gemeinschaftskompetenz, nicht qualifizierte, sondern einstimmige Ratsentscheidungen erforderlich waren. Für die Kommission war diese Rechtslage problematisch, weil in den Handelsrunden für gewöhnlich Verhandlungs-Pakete geschnürt werden.17 Nachdem sich der EU-Vertrag von Maastricht dieses Problems von teils mehrheitlichen, teils einstimmigen Entscheidungsmodalitäten nicht annahm, brachte die Kommission 1994 den Sachverhalt vor den EuGH. Für diesen stellte sich die Trennung in ausschließliche und gemischte Handelskompetenzen zwar ebenfalls als wenig sinnvoll dar, zugleich konnte er die Funktionalitätserwägungen der Kommission aufgrund der bestehenden vertragsrechtlichen Bestimmungen aber auch nicht bestätigen (vgl. Knodt 2005: 62ff; Billiet 2006: 902f). Auch die Vertragsrevision von Amsterdam brachte nur eine konditionale, einstimmig vom Rat zu beschließende Ausweitung der Kommissionskompetenzen mit sich. Erst mit dem Nizza-Vertrag von 2001 gelang es schließlich, die ausschließliche Kompetenz auch auf das GATS und TRIPSAbkommen zu erweitern. Allerdings wurden mit Rücksicht auf Frankreich zugleich einige Ausnahmebereiche – kulturelle und audiovisuelle Dienstleistungen sowie Dienstleistungen im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen – festgelegt, die nach wie vor der geteilten Zuständigkeit unterliegen.18 Diese Veränderungen signalisieren, dass die EU dem institutionell-regulativen Anpassungsdruck, den die Gründung der WTO mit sich brachte, nur zögerlich nachgab. Es wurde keine komplette Neudefinition des politisch-institutionellen Prozesses eingeleitet, sondern „nur“ eine sehr vorsichtige, intern hart umkämpfte Erweiterung supranationaler Kompetenzen vollzogen. Zusätzlich zur Anpassung der vertraglichen Grundlagen veränderte sich seit
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Durch die vertragsrechtlichen Bestimmungen der WTO wurde diese Praxis, die Handelsrunden als „single undertaking“, also als Gesamtpaket zum Abschluss zu bringen, nochmals bekräftigt. 18 Die Rolle des Europäischen Parlaments (EP) wurde durch die Vertragsrevisionen nur unwesentlich gestärkt. Es wird in der Handelspolitik inzwischen zwar konsultiert und unterrichtet, bleibt ansonsten jedoch einflusslos. Nur wenn sich der handelspolitische Gestaltungskontext ändert, z.B. durch die Gründung der WTO oder den Abschluss von Assoziationsverträgen, ist die Zustimmung des EP erforderlich (vgl. Kohler-Koch et al. 2003: 262f, Bretherton/Vogler 2006: 69).
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den 1990er Jahren zudem die handelspolitische Praxis der EU. Mehrere Entwicklungen verweisen auf signifikante Reorganisations- und Vergemeinschaftungsprozesse: Erstens sind die Zuständigkeiten der Kommission im Bereich der Außenbeziehungen neu zugeschnitten worden (vgl. Knodt 2005: 81ff). Nachdem in der Santer-Kommission (1995-99) die Aufteilung nach vornehmlich territorialen oder regionalen Gesichtspunkten vorgenommen worden war, setzte sich in der Prodi-Kommission (1999-2004) das Prinzip einer funktionalen Arbeitsteilung durch. „Bei den für WTO-Angelegenheiten zuständigen Direktionen richtet sich die Struktur erkennbar an den WTO-Abkommen (v.a. GATT, GATS, TRIPS), der WTO-Verhandlungsagenda sowie den Aktivitäten der EU in der WTO-Streitbeilegung und Marktzugang aus. Eine eigene Abteilung ist dabei für Streitbeilegung zuständig.“ (ebd.: 85)
Die funktionale Ausrichtung der Kommissionsarbeit impliziert eine zunehmende Spezialisierung. Beide Trends – die Funktionalisierung und Spezialisierung – sind in den letzten Jahren deutlicher hervorgetreten. Dies heißt jedoch keineswegs, dass geographische Erwägungen irrelevant geworden wären. Sie werden innerhalb der funktionalen Organisationsstruktur jedoch neu definiert und zugeordnet. Zweitens ist durch die institutionelle Stärkung des Streitbeilegungsverfahrens in der WTO auch die Rolle der Europäischen Kommission gestärkt worden (vgl. ebd.: 68ff; Shaffer 2006: 840ff). Wenn die Mitgliedstaaten, Wirtschaftsverbände oder einzelne Unternehmen in anderen Ländern Handelshemmnisse identifizieren, die dem WTO-Recht widersprechen, können sie sich an die Kommission wenden, die gestützt auf ein zeitlich gestrafftes innereuropäisches Konsultationsverfahren darüber befindet, ob ein Verfahren eingeleitet wird (vgl. Knodt 2005: 96). Kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass ein WTOVerfahren berechtigt ist, so versucht sie in Gesprächen mit den betroffenen Drittstaaten zunächst eine Verhandlungslösung zu erzielen. Wenn dies nicht gelingt, leitet sie ein Klage-Verfahren ein und vertritt die EU im Streitbeilegungsgremium der WTO. Die Entwicklung seit den 1990er Jahren zeigt, dass die EU die neuen Möglichkeiten mittlerweile extensiv zu nutzen weiß: „Von 313 Verfahren und 128 Panels für 158 Streitigkeiten (1995-Mai 2004) verlangten die USA 78 Konsultationen, die EG 63, Kanada 26, Brasilien 22 und Indien 16, Mexiko 13, Japan 11, Korea 11 und Thailand deren 10. Die EG trat als Klägerin am häufigsten auf den Plan. Sie führte 33 Panelverfahren in 35 Streitfällen, verglichen mit den USA (32/35), Kanada 16, Brasilien 12, Indien 9 und Japan 7.“ (Cottier 2006: 123f)
Darüber hinaus zeigte sich, dass es zwischen dem ausschließlichen und gemischten Kompetenzbereich keinerlei Unterschiede gibt. Gestützt auf ihren überlegenen Wissensstand19, ihre rechtlichen Erfahrungen und ihre diskursive Vernetzung ist es der Kommission z.B. auch im Bereich des TRIPS gelungen, ihren Alleinvertretungsanspruch in der Praxis durchzusetzen (vgl. Billiet 2006: 913ff). Die Handhabung des Streitbeilegungsverfahrens seitens der EU weist drittens schließlich darauf hin, dass die Kommission bestrebt ist, ihre handelspolitischen Aktivitäten durch 19
Dieser überlegene Wissensstand kommt unter anderem darin zum Ausdruck, dass die Europäische Kommission mit Unterstützung der Unternehmen und Wirtschaftsverbände eine umfassende Datenbank aufgebaut hat, in der – nach Ländern und Sektoren unterteilt – Informationen über die spezifischen Import- und Exportbestimmungen von Drittländern gesammelt werden (Knodt 2005: 94f; Shaffer 2006: 838).
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eine offensive Informations- und Konsultationskultur abzusichern. In diesem Sinne werden nicht nur die nationalen Regierungen und deren Repräsentanten, sondern auch zivilgesellschaftliche Akteure – insbesondere die Unternehmen und Wirtschaftsverbände – noch intensiver als zuvor in die Strategiediskussion der Kommission einbezogen: einerseits, um den Informationsaustausch zu fördern; andererseits aber auch, um die eigene „Position gegenüber den Mitgliedstaaten zu stärken“ (Knodt 2005: 96). 5.1.3.2 Foren und Netzwerke der transnationalen Liberalisierungslobby Die Ausweitung der formalen Kommissionskompetenzen, vor allem aber die alltagspraktischen Reorganisations- und Vergemeinschaftungsprozesse weisen darauf hin, dass sich die Formen der Interessenvermittlung seit den 1990er Jahren schrittweise verändert haben. So ist nicht nur die Rolle und Position der Europäischen Kommission gestärkt worden. Im Bereich der Handelspolitik haben sich in der EU auch neue Netzwerke und Kommunikationsforen herausgebildet, angesichts derer es durchaus gerechtfertigt ist, von einem europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplex zu sprechen. Dieser Wandel ist insofern signifikant, als zivilgesellschaftliche Akteure unter Einschluss der Wirtschaftsverbände die europäische Handelsagenda bis in die 1990er Jahre kaum aktiv, und wenn doch: primär defensiv-protektionistisch gestaltet haben. Dies lag in erster Linie daran, dass die nationalen und sektoralen Handelsinteressen in der EU sehr unterschiedlich, zum Teil gegensätzlich waren. Während die Agrar- und Textilindustrie ganz eindeutig und die Stahl-, Elektro- und Automobilindustrie überwiegend eine protektionistische Grundhaltung einnahmen, zeigten sich die Pharma- und Chemieindustrie sowie einige Dienstleistungssektoren – vor allem britische Finanzunternehmen – aufgeschlossener gegenüber globalen Liberalisierungsinitiativen. Eine klar konturierte europäische Handelsstrategie war demzufolge lange nicht zu erkennen: „The main elements of trade policy up to the Single European Act reflected the requirements of producers, backed by their governments, in a regime of managed trade wherever sectoral interests were threatened.“ (Middlemas 1995: 601f)
Im Verlauf der Uruguay-Runde beschränkte sich die (zivil-)gesellschaftliche Unterstützung der Europäischen Kommission und deren Liberalisierungsagenda vornehmlich auf UNICE, den europäischen Dachverband der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände (vgl. van den Hoven 2002: 10; Knodt 2005: 213)20, das EU Committee der American Chamber of Commerce (AmCham EU) (vgl. Middlemas 1995: 492f) und mit Einschränkungen – einige der europäischen TNKs befürchteten zu dieser Zeit vor allem die japanische Konkurrenz – auf den European Round Table of Industrialists (ERT) (vgl. ERT 1991: 52ff; Cowles 1997: 132). Mit der Realisierung des EG-Binnenmarktes und dem Abschluss der Uruguay-Runde verlagerten sich dann allerdings die Aktivitäten der Unternehmen und Wirtschaftsverbände zunehmend auf die supranationale Ebene. Mehr und mehr setzte sich die Auffassung durch, dass eine protektionistische Verteidigungsstrategie – aufgrund der Umgehung nationaler 20
Während sich UNICE im Interesse kostengünstiger Produktionsbedingungen für eine weitergehende Liberalisierung aussprach, waren die sektoralen europäischen Dachverbände – mit Rücksicht auf die international weniger wettbewerbsfähigen Unternehmen – oft stärker neo-protektionistischen Positionen zugeneigt (vgl. Middlemas 1995: 440ff).
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Handelsbarrieren im EG-Binnenmarkt – nicht mehr allein auf der Unterstützung durch die nationalen Regierungen basieren konnte, sondern sich insgesamt in die EU-Handelsstrategie einfügen und diskursiv als gesamteuropäisches Interesse artikulieren musste. So agierte die EU nicht mehr als Gruppe einzelner Nationalstaaten, sondern als eine relativ kohärente politische Einheit, die nach Maßgabe gesamteuropäischer Wirtschaftsinteressen die Außenzölle definierte (vgl. Costa Tavares 2003). In der politischen Praxis war die Position der EU dabei freilich zunehmend weniger protektionistisch orientiert. Offenbar wurde nicht nur die interne, sondern auch die externe europäische Liberalisierungsagenda verstärkt durch die politischen Diskurse und Lobbying-Aktivitäten transnationaler Wirtschaftsverbände gestützt. Dies galt umso mehr, als die Europäische Kommission nach dem Abschluss der Uruguay-Runde selbst darauf hingewirkt hat, die eigene – liberal orientierte – Verhandlungsposition durch die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure zu stärken. Diese Bestrebungen wurden dadurch erleichtert, dass sich die etablierten Wirtschaftsverbände nicht nur dafür aussprachen, die handelspolitischen Kompetenzen der Kommission auszuweiten (vgl. Balanyá et al. 2000: 66f). Sie engagierten sich auch nachdrücklich für die Liberalisierung der Waren- und Dienstleistungsmärkte sowie die Regulierung von Investitionen und geistigen Eigentumsrechten (vgl. Deckwirth 2009). Dem zunehmenden Engagement der führenden Verbände war dabei eine doppelte Transformation vorausgegangen: Zum einen wurde die ohnehin bereits ausgeprägte Liberalisierungsposition von UNICE dadurch gestärkt, dass auf Initiative der Confederation of British Industry (CBI) und der European Enterprise Group (EEG) – einem weitgehend informellen Zusammenschluss führender europäischer TNKs – die Organisation und Arbeitsweise von UNICE in den 1980er Jahren stärker auf die Interessen transnationaler Unternehmen zugeschnitten wurde (vgl. Cowles 1997: 123f; Cowles 2002: 68f). Im Jahr 1990 wurde zudem die UNICE Advisory and Support Group (UASG) gegründet, die den TNKs einen begrenzten, konzeptionell jedoch sehr effektiven Einfluss auf die strategische Position von UNICE ermöglichte (Greenwood/Webster 2000: 10). In den Worten von Cowles (1997: 132f): „Although the national business associations retain the right to determine the policy positions of UNICE, MNEs [Multinational Enterprises, H-J.B.] now play an important role in UNICE’s policy committees and working groups, and have helped to transform it into a more proactive organization. Until 1980, the primary function of UNICE was to co-ordinate the differing national associations’ views in order to produce collective position papers. Today MNE representatives on UNICE committees not only meet Commission officials to influence the early stages of legislation, they also draft the position papers. UASG members review position papers and, indeed, influence the UNICE policy-making process itself. The perceptions of Brussels-based policymakers provide an important indicator of the role of MNEs. According to a member of Delors’s cabinet, UNICE had become the ‚multinationals’ organization.“
Zum anderen transformierte sich nicht nur UNICE, sondern auch der ERT, der von vielen als ein sehr einflussreicher „strategischer Planungskörper“ europäischer TNKs betrachtet wird (vgl. Cowles 1995; Balanyá et al. 2000: 19ff). Noch in den 1980er Jahren war die handelspolitische Strategie des ERT relativ verschwommen, da intern die konkurrierenden Positionen einer global orientierten Liberalisierungsfraktion und einer primär europäisch orientierten Merkantilismusfraktion ausbalanciert werden mussten (vgl. van Apeldoorn 2002: 117ff). Im Übergang zu den 1990er Jahren verlagerte sich das Gewicht dann mehr und mehr zugunsten der global orientierten Liberalisierungsbefürworter. Dies war vor
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allem zwei Entwicklungen geschuldet (vgl. ebd.: 132ff): Erstens kam es im Jahr 1988 zum Zusammenschluss mit der Groupe de Présidents (GdP), einer bereits 1967 gegründeten, politisch bis dahin aber kaum in Erscheinung getretenen Organisation europäischer TNKs, die fast durchweg global orientiert waren; und zweitens globalisierten sich zugleich auch die Investitions- und Absatzstrategien der übrigen – vormals stärker – regionalistisch orientierten ERT-Mitglieder. Beides hatte zur Folge, dass in den politischen Strategieempfehlungen des ERT das Ziel einer globalen Liberalisierung der Handels- und Investitionsbeziehungen in den Vordergrund trat. So hatte sich der ERT schon in der Endphase der Uruguay-Runde dafür eingesetzt, die Verhandlungen zügig und erfolgreich zum Abschluss zu bringen (vgl. Balanyá et al. 2000: 24f; van Apeldoorn 2002: 165f); und auch nach der Errichtung der WTO hat er in Kooperation mit anderen Wirtschaftsverbänden – auch in anderen Weltregionen (vgl. z.B. World Business Leaders 2005) – die globale Liberalisierungsagenda aktiv unterstützt. Durch die Arbeit von AmCham EU werden diese Bestrebungen zweifelsohne verstärkt. Wichtige Ziele von AmCham EU bestehen darin, den europäischen Wirtschaftsraum für US-amerikanische Unternehmen offen zu gestalten und regulative Übereinkünfte, die der US-amerikanischen Managementkultur zuwider laufen, zu verhindern.21 Das offizielle Selbstverständnis dieser Organisation lautet (vgl. www.eucommittee.be): „AmCham EU is the voice of companies of American parentage committed to Europe towards the institutions and governments of the European Union on trade, investment and competitiveness issues. We facilitate the resolution of EU-US issues that impact business and play a role in creating better understanding of EU and US positions on business matters.“
Nachdem sich bereits 1978 in der US-amerikanischen Chamber of Commerce in Belgien eine europäische Vertretung von US-Konzernen entwickelt hatte, war AmCham EU als separate Organisation im Jahr 1985 offiziell gegründet worden. Seither hat sich die Zahl der Mitglieder auf rund 140 Unternehmen erhöht, etwa 40 davon zählen zu den Fortune 100 „Major US Industrial Corporations“. AmCham EU gilt allgemein als eine sehr effiziente Lobbying-Organisation, die gestützt auf ein umfassendes Informationssystem und sehr enge Kontakte zur Europäischen Kommission den legislativen Prozess in der EU stark beeinflusst (vgl. Balanyá 2000: 46ff). Zudem wurde von AmCham EU 1993 die Gründung des European-American Industrial Council (EAIC) initiiert, in dem nach dem Muster des ERT die Vorstandsvorsitzenden der europäischen Tochterunternehmen zusammen kommen, um den strategischen Einfluss der US-Konzerne auf die europäische Politik weiter zu steigern (vgl. Cowles 1997: 133). In Ergänzung zur verstärkten strategischen Einflussnahme von UNICE, dem ERT und AmCham EU haben sich zur Unterstützung der EU-Liberalisierungsagenda im Laufe der 1990er Jahre weitere handelspolitische Netzwerke herausgebildet. Zu erwähnen sind in diesem Kontext nicht zuletzt spezifische, transatlantisch oder global orientierte Kooperationsforen wie der Transatlantic Business Dialogue (TABD) oder der Global Business Dialogue on e-Commerce (GBDe). Der TABD wurde Ende 1994 von den USA mit Unterstützung von AmCham EU initiiert, um der erweiterten Liberalisierungsagenda der WTO 21
Einen wichtigen Anlass für die US-Konzerne, sich stärker in der europäischen Politik zu engagieren, bildeten die Diskussionen seit Ende der 1970er Jahre, Informations- und Anhörungsrechte der Arbeitnehmer in transnationalen Unternehmen zu etablieren (vgl. Cowles 2002: 67f). Diese Initiativen führten 1979 zur sog. VredelingRichtlinie, deren Annahme damals jedoch am Widerstand Großbritanniens scheiterte.
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Nachdruck zu verleihen und die politischen Entscheidungsträger aus der Perspektive der TNKs mit praktikablen Ideen zu versorgen (vgl. Cowles 2001). Im Unterschied hierzu handelt es sich bei dem 1998 ins Leben gerufenen GBDe primär um eine europäische, durch den damaligen Industriekommissar Martin Bangemann angeregte Kommunikationsplattform, die neben europäischen und US-amerikanischen Unternehmen auch die TNKs aus anderen Weltregionen – vornehmlich Japan – in die Beratungen mit einbezieht (vgl. Cowles 2002: 73ff). Wie bedeutsam diese, über die EU hinausweisenden Netzwerke und Kooperationsforen letztlich sind, lässt sich nur schwer ermessen. Einerseits konnten viele konkrete Vorschläge – so z.B. die Initiativen von 1995 für eine New Transatlantic Agenda (NTA) oder von 1998 für eine Transatlantic Economic Partnership (TEP)22 –, die eine weitergehende Liberalisierung der Wirtschaftsbeziehungen vorsahen, bislang nur partiell umgesetzt werden (vgl. Bretherton/Vogler 2006: 84). Auch die transatlantischen Konflikte der WTOHandelsagenda wurden durch diese Formen der Kooperation nur abgeschwächt, nicht aber ausgeräumt. Andererseits ist die intensivierte transatlantische Kooperation von TNKs und Wirtschaftsverbänden für die innereuropäische Entwicklung durchaus relevant gewesen. Inspiriert durch die enge Kooperation zwischen der Regierung, den Unternehmen und Wirtschaftsverbänden in den USA wurden auch in der EU – maßgeblich initiiert durch die Europäische Kommission – zusätzliche Foren und Netzwerke etabliert. Einige dieser Netzwerke bildeten sich bereits während der Uruguay-Runde oder in deren unmittelbarer Fortsetzung, d.h. der Aushandlung sektorspezifischer Liberalisierungsabkommen, heraus. Bezogen auf das Telekommunikationsabkommen, das im Frühjahr 1997 vereinbart wurde, formierte sich, angeregt durch den Industrie-Kommissar Martin Bangemann, z.B. ein transnationales Netzwerk, das neben den führenden Telekommunikationsunternehmen – diese hatten sich bereits 1992 in der Vereinigung der European Telecommunication Network Operators (ETNO) zusammengeschlossen – auch die Nutzerunternehmen mit einschloss (vgl. Woll 2007a: 26f). Eine etwas andere Struktur hatte das Netzwerk, durch das die Aushandlung des Finanzdienstleistungsabkommens in der WTO unterstützt wurde. Hier übernahm die EU eine wichtige Rolle, um mit Hilfe der europäischen und USamerikanischen Finanzindustrie, deren führende Unternehmen sich in der Financial Leaders Group (FLG) organisiert hatten (vgl. Wesselius 2002: 7f), die sehr kontroversen Verhandlungen Ende 1997 zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen (vgl. Sell 2000: 178; Balanyá et al. 2000: 130ff; Leroux 2002: 426ff). Die meisten dieser sektoralen Netzwerke waren auf sehr spezifische, kurzfristig erreichbare Ziele ausgerichtet. Im Vergleich hierzu war das European Services Network (ESN), das 1999 vom damaligen EU-Handelskommissar Sir Leon Brittan initiiert und wenig später zum European Services Forum (ESF) umbenannt worden war, unter strategischen Gesichtspunkten bedeutsamer (vgl. Wesselius 2002: 8f; Deckwirth 2004: 59ff). Ro-
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Ursprünglich war im Februar 1998 die vom damaligen Handelskommissar Sir Leon Brittan lancierte Initiative für einen New Transatlantic Marketplace (NTM), die sehr weitreichende und konkret definierte Liberalisierungsziele beinhaltete, am Widerstand einiger EU-Mitgliedstaaten, vor allem Frankreichs, gescheitert. Mit dem Aktionsplan für die TEP wurde im Prinzip das gleiche Ziel, nämlich der sukzessive Abbau von Handels- und Investitionshindernissen verfolgt, zugleich aber auf spezifische Umsetzungsvorgaben und politisch sensible Begriffe wie „Harmonisierung“, „gemeinsamer Markt“ oder „Freihandelszone“ verzichtet (vgl. Peterson 2001: 53ff; Balanyá 2000: 98f).
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bert Madelin (1999: 17), damals Direktor der Generaldirektion Handel, beschreibt die Motivation der Europäischen Kommission, das ESN zu gründen, wie folgt: „[…] the European Commission is convinced of the need to work not only with the member states’ experts but directly with European industry: not only the European level federations but also the national federations. We will try to build on the experience of the Financial Services Leaders Group. That is why, following an invitation from Sir Leon Brittan, Andrew Buxton took on the task of setting up the European Services Network. The ESN covers not only financial services but the whole range of the services economy. We are going to rely heavily on that Network.“
Die Hauptfunktion des ESN/ESF besteht demzufolge darin, die Interessen der europäischen Dienstleistungswirtschaft in das GATS einzubringen und die Europäische Kommission in den Verhandlungen zu unterstützen. Genauer betrachtet umfasst diese Unterstützung zwei Dimensionen (vgl. Deckwirth 2004: 60ff): Einerseits soll das ESF die Kommission mit den erforderlichen Informationen versorgen, damit diese in bilateralen Verhandlungen die sog. Offers und Requests der EU – also die eigenen Liberalisierungsangebote und -forderungen – formulieren kann. Darüber hinaus versucht das ESF andererseits aber auch, durch Stellungnahmen und mediale Kampagnen der Kritik von sozialen Bewegungen und diversen NGOs entgegenzutreten und für die handels- und investitionspolitischen Vorteile der GATS-Vereinbarungen öffentlich zu werben. Im Vergleich zur Liberalisierung des industriellen Waren- und Dienstleistungshandels stellt sich die Position der EU im Agrarsektor deutlich widersprüchlicher dar. Hier waren mit COPA-COGECA (Committee of Professional Agricultural Organisations in the European Union – General Confederation of Agricultural Co-operatives in the European Union) bereits seit Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre effektiv arbeitende Dachverbände etabliert worden, die sich bis heute – unterstützt durch die nationalen Landwirtschaftsministerien und die Generaldirektion Landwirtschaft in der Europäischen Kommission – einer weitgehenden Liberalisierung widersetzen (vgl. Potter/Tilzey 2005: 591f). In den letzten Jahren fällt es COPA-COGECA jedoch zunehmend schwerer, die bisherige Politik der (Export-)Subventionen zu verteidigen. Dies liegt nicht nur daran, dass sich innerhalb der WTO der Liberalisierungsdruck durch die agrarexportierenden Länder erhöht hat. Auch in der EU selbst mehren sich die Stimmen für eine weitergehende Liberalisierung des Agrarmarktes. Eine wichtige Rolle kommt dabei der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie zu, deren Unternehmen – unter anderen Unilever, Danone und Nestlé – auf europäischer Ebene durch die Confederation of Food and Drink Industries of the EU (CIAA) vertreten werden (vgl. Wiggerthale 2005: 11f). Die CIAA spricht sich zum einen dafür aus, durch den Abbau von Subventionen die Preise für Agrarprodukte abzusenken; zum anderen verlangt sie aber auch die stärkere Öffnung anderer Märkte, um das Exportgeschäft nicht zu gefährden. Die skizzierten Entwicklungen verdeutlichen, dass bezogen auf die internationale Handelspolitik nicht nur die supranationalen Kompetenzen gestärkt und ausgeweitet wurden. Es haben sich auch transnationale zivilgesellschaftliche Kooperations- und Kommunikationsstrukturen herausgebildet, die vor allem durch die global orientierten TNKs und deren Wirtschaftsverbände dominiert werden. Der europäische Staats-ZivilgesellschaftsKomplex ist darüber hinaus durch weitere Merkmale geprägt: Erstens ist eine handelspolitisch recht aktive, insgesamt sehr liberalisierungsfreundliche, durch starke Führungspersönlichkeiten – Sir Leon Brittan, Pascal Lamy oder Peter Mandelson – repräsentierte Kommis-
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sion (vgl. Bretherton/Vogler 2006: 67) darauf bedacht, ihre eigenen Kompetenzen durch die Einbeziehung der TNKs und Wirtschaftsverbände in wachsendem Maße offensiv auszufüllen.23 Zweitens wird die handelspolitische Strategie der EU zivilgesellschaftlich nicht nur durch innereuropäische, sondern auch durch transatlantische Foren und Netzwerke kommunikativ unterfüttert. Drittens schließlich gibt es einige Anzeichen dafür, dass im Rahmen eines handelspolitischen Dialogs die Einbindung der Zivilgesellschaft von Seiten der Europäischen Kommission zunehmend weiter gefasst wird. So werden seit Ende der 1990er Jahre nicht mehr nur die handelspolitischen Experten und Wirtschaftsverbände konsultiert, sondern auch einige NGOs, die der Liberalisierungsagenda der EU eher kritisch gegenüberstehen (vgl. Knodt 2005: 213ff). Die zuletzt genannte Entwicklung stellt nicht zuletzt eine Reaktion auf das Scheitern des Multilateral Agreement on Investment (MAI) und der WTO-Millennium-Runde dar, die Ende 1999 auf der Ministerkonferenz in Seattle hätte gestartet werden sollen. In beiden Kontexten spielte die EU eine zentrale, wenngleich unterschiedliche Rolle. Bezogen auf das MAI, das eine Liberalisierung von Investitionsbestimmungen, einen umfassenden Investitionsschutz und ein effektives Streitschlichtungsverfahren unter Einschluss von „Investor-to-state“ Verfahren vorsah, hatte die EU zunächst dafür plädiert, die Verhandlungen im Rahmen der WTO zu führen (vgl. Egan 2001: 87; Tabb 2004: 398ff). Auf Druck der USA wurden die Gespräche jedoch – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – in die Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) verlagert. Zwischen 1995 und 1997 schritten die Verhandlungen – von einigen Konflikten zwischen den nationalen Verhandlungsdelegationen einmal abgesehen – recht zügig voran. Nachdem ein Vertragsentwurf an die Öffentlichkeit durchsickerte, wurde der Prozess durch ein Netzwerk globalisierungskritischer NGOs jedoch politisiert. Das Europäische Parlament verabschiedete nahezu einstimmig eine Resolution, die das MAI in der vorliegenden Fassung ablehnte (vgl. MarkUngericht 2003: 41), bevor sich Frankreich aufgrund der im Vertragswerk vorgesehenen Souveränitätsbeschränkungen im Oktober 1998 aus den Verhandlungen zurück zog (vgl. Egan 2001: 88). In Reaktion auf das Scheitern des MAI plädierte die Europäische Kommission in Absprache mit dem sog. Investment Network (IN) – d.h. über 50 europäischen TNKs (vgl. Balanyá et al. 2000: 135) – einerseits dafür, die Gespräche im Rahmen der WTO fortzuführen. Andererseits wurde ein Konsultationsprozess eingeleitet, durch den auch die globalisierungskritischen NGOs stärker in den Verhandlungsprozess eingebunden werden sollten (vgl. Knodt 2005: 216ff). Durch das Scheitern der Millennium-Runde auf der Ministerkonferenz in Seattle wurde das Bestreben, die NGOs in die handelspolitische Diskussion mit einzubeziehen, nochmals verstärkt. Die Millennium-Runde – dieser Begriff war bereits 1996 von Sir Leon Brittan geprägt worden (vgl. Rode 2006: 172) – stellte eine gemeinsame Initiative der EU und der USA dar. Nachdem sich viele Schwellen- und Entwicklungsländer zunächst gegen eine neue Handelsrunde gesperrt hatten, da sie noch mit der Umsetzung der UruguayRunde beschäftigt waren und die Folgen der Währungs- und Finanzkrisen der 1990er Jahre verarbeiten mussten (vgl. Peterson 2001: 64), wurde im Februar 1999 auf dem Weltwirt23
Sicherlich gibt es auch in der Kommission, z.B. seitens der Generaldirektion Landwirtschaft, Widerstände gegen eine weitreichende Liberalisierung; und auch in anderen Branchen wie z.B. der Textilindustrie regen sich durchaus Proteste gegen die weitere Öffnung des europäischen Wirtschaftsraums. Bei der Kommission finden protektionistische Interessen jedoch nur dann Gehör, wenn sie vermittelt über die Mitgliedstaaten nachdrücklich eingefordert werden (vgl. Woll 2007a: 15ff).
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schaftsforum in Davos ein Basiskonsens über den Beginn der sog. Millennium-Runde erkennbar (vgl. Rode 2002: 96). Jenseits dieses Basiskonsenses traten auf der Ministerkonferenz in Seattle allerdings die Konflikte über die Agenda der neuen Handelsrunde hervor (vgl. Behrens 2005: 259f): Während sich die USA – ergänzt um Arbeitnehmerschutzfragen – auf die Liberalisierung des Agrar- und Dienstleistungssektors konzentrieren wollten, trat die EU für eine sehr umfassende Verhandlungsagenda ein, die auch die sog. SingapurThemen – Wettbewerbspolitik, Investitionsschutz, öffentliches Auftragswesen und administrative Handelserleichterungen24 – sowie Umweltschutz und Sozialstandards mit einschloss (vgl. Young/Peterson 2006: 803ff; Young 2007: 123ff). Diese umfassende Agenda wurde von verschiedenen Seiten scharf kritisiert: Auf der einen Seite sahen viele Schwellen- und Entwicklungsländer und auch die USA in der thematischen „Überfrachtung“ einen Versuch, die Liberalisierung und Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) hinauszuzögern (vgl. Peterson 2001: 65). Auf der anderen Seite provozierten die weitreichenden liberalisierungs-, wettbewerbs- und investitionspolitischen Ziele und die Beschränkung gesellschaftspolitischer Gestaltungsoptionen durch „behind the border“ Themen (vgl. Young/ Peterson 2006: 796) den Widerstand der Gewerkschaften und der globalisierungskritischen Bewegung (vgl. Gill 2003: 212ff). Nach dem Scheitern der Millennium-Runde war die Europäische Kommission bemüht, den Dialog mit der Zivilgesellschaft zu intensivieren. Die ad hoc Konsultationen der Jahre 1998 und 1999 wurden durch die Institutionalisierung eines Civil Society Dialogue (CSD) gleichsam verstetigt (vgl. Van den Hoven 2002: 11ff; Knodt 2005: 214ff), um die internen Widerstände, die sich gerade auch in den Mitgliedstaaten der EU gegen eine neue Handelsrunde artikuliert hatten, zu überwinden. Die Kommission ging zunächst allerdings nach wie vor davon aus, dass der zivilgesellschaftliche Protest weniger der europäischen Handelsstrategie als vielmehr einer unzureichenden Informationsgrundlage geschuldet war. Die WTO-Agenda und die EU-Position wurden selbst nicht in Frage gestellt. Stattdessen setzte die Kommission darauf, durch eine größere Transparenz und bessere Öffentlichkeitsarbeit eine hinreichend große zivilgesellschaftliche Unterstützung zu organisieren. Michéle Knodt (2005: 217) stellt daher fest: „Es geht nicht um eine verstärkte Einbindung von Vertretern der Zivilgesellschaft, um diesen die Möglichkeit der Eingabe von Argumenten bei der Definition von Problemen und der Formulierung von Lösungsansätzen zu geben, sondern um die bessere Kommunikation von bereits getroffenen Entscheidungen, gefassten Zielen und ausgewählten Strategien internationaler Verhandlungen in die Zivilgesellschaft hineinzutragen.“
Der instrumentelle und selektive Charakter der Einbindung reflektierte sich vor allem in der sehr ungleichen Kommunikation mit den Unternehmen und Wirtschaftsverbänden auf der einen und den globalisierungskritischen NGOs auf der anderen Seite. Nach der Eröffnung der Doha-Entwicklungsrunde, die die EU bereits unmittelbar nach dem Scheitern von Seattle eingefordert hatte (vgl. Bretherton/Vogler 2006: 85; Young 2007: 126ff), wurden die Formen der zivilgesellschaftlichen Einbindung dann allerdings stärker institutionalisiert und auch etwas offener gefasst. Dies hatte zur Folge, dass die selektiv-exklusiven Beteiligungs- und Kommunikationsmuster abgeschwächt wurden und sich ansatzweise auch für 24 Zu den sog. Singapur-Themen waren bereits 1996 auf der 1. WTO-Ministerkonferenz in Singapur Arbeitsgruppen eingerichtet worden, ohne dass deren Beratungen jedoch zu neuen Übereinkünften geführt hatten.
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NGOs – z.B. durch die Einrichtung „thematischer Gruppen“ – Möglichkeiten eröffneten, auf die EU-Verhandlungsposition prozedural und deliberativ einzuwirken (vgl. Knodt 2005: 230ff). Die NGOs haben hierauf unterschiedlich reagiert. Während sich einige NGOs im „European Trade Network“ koordinieren, um die EU-Handelsagenda im Austausch mit der Kommission zu gestalten, engagieren sich andere seit 1999 im „Seattle to Brussels Network“, um die EU-Handelspolitik durch öffentliche Kampagnen stärker zu politisieren. 5.1.3.3 Die neue europäische Handelsstrategie Die handelspolitische Globalisierungsstrategie der EU hat sich nicht linearentwickelt, sondern verlief widersprüchlich. Gestützt auf die interaktive zivilgesellschaftliche Einbettung der EU-Handelspolitik, insbesondere das enge Zusammenspiel von Kommission und Wirtschaftsverbänden, hat sich unter Pacal Lamy seit Ende der 1990er Jahre die Doktrin einer „managed globalization“ durchgesetzt (vgl. Meunier 2007: 911ff). Danach setzt sich die EU dafür ein, global bindende Regeln zu stärken, multilaterale Kooperationsformen zu fördern, die Verhandlungsagenda – unter Einschluss von Sozialklauseln und Umweltstandards – zu erweitern, die eigenen Normen und Verfahren zu verallgemeinern sowie spezifische Ausgleichsmechanismen für eine gerechte Verteilung von Anpassungslasten zu etablieren. Durch die im Herbst 2006 vom neuen Handelskommissar Peter Mandelson präsentierte Strategie des „Global Europe“ wurde die Konzeption der „managed globalization“ allerdings wettbewerbsstrategisch akzentuiert (vgl. Europäische Kommission 2006a). In der Handelspolitik geht es demzufolge zukünftig noch expliziter als bisher darum, die Aspekte der „internen“ durch die der „externen“ Wettbewerbsfähigkeit zu ergänzen. In Fortschreibung der 1996 verabschiedeten Marktöffnungsstrategie (vgl. Europäische Kommission 1996) werden in der „Global Europe“-Strategie denn auch sehr klar die außenwirtschaftspolitischen Prioritäten benannt, durch deren Verfolgung die EU – im Rahmen einer kohärenten Außenpolitik – ihre Position in der Welt zu stärken beabsichtigt. Handels- und außenwirtschaftspolitisch geht es vor allem darum, durch den Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse den Zugang zu anderen Märkten zu verbessern, durch spezifische Abkommen die Versorgung mit Energie und Rohstoffen zu sichern sowie durch die Regulierung von geistigem Eigentum, Dienstleistungen, Investitionen sowie der öffentlichen Auftragsvergabe und des Wettbewerbs – also die Umsetzung der sog. Singapur-Themen – neue Wachstumsmärkte zu erschließen (vgl. Europäische Kommission 2006a: 7). Die aufgeführten Prioritäten sollen in erster Linie in der WTO, also dem multilateralen Handelssystem, verfolgt werden. Sofern sich hier jedoch Hindernisse und Blockaden abzeichnen, werden spezifische bi- oder interregionale Handels- und Investitionsabkommen angestrebt. Derartige Abkommen sind für die EU keineswegs gänzlich neu.25 Die jüngeren Abkommen kennzeichnet jedoch eine veränderte politisch-strategische Ausrichtung. So wird in den neuen Handelsabkommen eine symmetrische, d.h. reziproke Liberalisierungsstruktur angestrebt, und auch geopolitische Aspekte spielen eine größere Rolle (vgl. Meunier/Nicolaidis 2006: 912ff). Nicht ohne Grund wird einigen Ländern und Regionen aufgrund ihres Marktpotenzials und ihrer sicherheitspolitischen Bedeutung besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Der Europäischen Kommission (2006: 10) erscheinen jedenfalls:
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Zur Übersicht vgl. http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2006/december/tradoc_111588.pdf.
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5 Die Europäische Union in der Weltökonomie und Weltordnung „die ASEAN-Staaten, Korea und der Mercosur (mit dem bereits Verhandlungen aufgenommen wurden) als vorrangige Partner. Sie haben starke Schutzmaßnahmen ergriffen, verfügen über ein großes Marktpotenzial und führen gegenwärtig Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Wettbewerbern der EU. Auch Indien, Russland und der Golf-Kooperationsrat (mit dem ebenfalls schon verhandelt wird) sind aufgrund ihrer Kombination aus Marktpotenzial und Schutzmaßnahmen für die EU von direktem Interesse. China erfüllt ebenfalls etliche der aufgeführten Kriterien, bedarf aber noch besonderer Aufmerksamkeit wegen der Chancen und Risiken, die das Land birgt.“
Das „Global Europe“ Strategiepapier äußert sich noch zu einigen anderen Aspekten, z.B. zur zentralen Bedeutung der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen. Vor allem wird jedoch die von der EU bereits seit Mitte der 1990er Jahre verfolgte „deep trade agenda“ (vgl. Young/Peterson 2006) programmatisch nochmals offensiv zugespitzt. Die Gründe für diese offensive Zuspitzung liegen unter anderem darin, dass sich die EU – gestützt auf die von ihr intern erfolgreich organisierte „behind the border“ Liberalisierung – als eine Art Modell für die Liberalisierung der Weltökonomie betrachtet (vgl. Lamy 2004). Zudem sind die Muster der EU-internen zivilgesellschaftlichen Interessenartikulation, Kompromissaushandlung und Entscheidungsfindung darauf ausgerichtet, die eigenen handelspolitischen Prioritäten in der WTO oder in den Verhandlungen mit anderen Ländern und regionalen Integrationsprojekten nachdrücklich zur Geltung zu bringen. Letztlich sind es jedoch nicht nur die institutionellen Kooperationsstrukturen, die die globale Gestaltungskraft der EU ausmachen. Die im Kontext des Wettbewerbsfähigkeits-Diskurses nochmals neu und offensiver formulierten Prioritäten weisen auch auf die politökonomischen Grundlagen und Motive der EU-Handelsstrategie hin. Peter Mandelson (2006: 4), seit dem Frühjahr 2005 EU-Handelskommissar, hat dies in einer Rede, die er im September 2006 in Berlin gehalten hat, sehr klar zum Ausdruck gebracht: „What do we mean by external aspects of competitiveness? We mean ensuring that competitive European companies, supported by the right internal policies, must be enabled to gain access to, and to operate securely in, world markets. That is our agenda. You have to have both the competitive edge and the markets to sell to.“
Die offensive Handelsstrategie ist demzufolge nicht nur der Weiterentwicklung des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes geschuldet. Sie ist ebenso das Ergebnis einer weitreichenden Transformation der sozialen Produktionsbeziehungen. In den Nachkriegsjahrzehnten waren diese auf der Grundlage der fordistischen Vergesellschaftung sehr stark durch die nationalstaatlichen Regulationsmuster geprägt gewesen (vgl. Cox 1987: 219ff). Unter den Krisenbedingungen der 1970er und 1980er Jahre kam es dann zu einer Abkehr von der vergleichsweise standardisierten und wohlfahrtsstaatlich vermittelten Organisation der sozialen Produktionsbeziehungen; und zwar in dem Maße, wie – unterstützt durch eine angebotspolitisch-marktliberal ausgerichtete Wirtschaftsstrategie und den Machtzuwachs transnationaler Finanzmarktakteure – neue Leitbilder und Konzepte der Unternehmensmodernisierung umgesetzt wurden (vgl. Dörre 2003). Jenseits vieler Unterschiede basierten diese Konzepte insbesondere auf zwei Komponenten: zum einen auf der Internationalisierung, zum anderen aber auch auf der Flexibilisierung der Produktionsorganisation. Die Internationalisierung beruhte auf einer erhöhten Kapitalmobilität, d.h. auf Produktionsverlagerungen, grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten und erweiterten Absatzmärkten. Komplementär hierzu sorgte die Intensivierung der – innerbetrieblichen wie gesamtwirt-
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schaftlichen – Markt- und Wettbewerbsbeziehungen dafür, dass die sozialen Strukturen sowie die Formen der Interessenaushandlung und Kompromissbildung weitgehend flexibilisiert wurden (vgl. Bieling/Schulten 2003). Dass die europäische Liberalisierungsagenda durch die beiden Komponenten der Internationalisierung und Flexibilisierung geprägt ist, kommt bereits darin zum Ausdruck, dass sich die Entwicklung des Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes der EU sehr stark auf das Zusammenspiel zwischen der Europäischen Kommission und den global orientierten TNKs stützt. Letztlich reichen die Prozesse der Internationalisierung und Flexibilisierung der sozialen Produktionsbeziehungen jedoch über diese unmittelbar akteursbezogenen Effekte hinaus. Sie sind schließlich nicht nur Ausdruck veränderter gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, d.h. einer wachsenden Macht des transnationalen Finanz- und Industriekapitals und einer schwindenden Organisations- und Gestaltungsmacht der abhängig Beschäftigten. Sie verweisen darüber hinaus auch auf einen neuartigen Modus der Durchkapitalisierung, d.h. der kapitalistischen Inwertsetzung vormals staatlich oder genossenschaftlich organisierter Aufgaben und Leistungen. In der kritischen Rezeption der krisentheoretischen Überlegungen von Rosa Luxemburg und Karl Marx hat der britischamerikanische Wissenschaftler David Harvey (2003: 137ff; vgl. auch Zeller 2004) hierfür den Begriff der „Akkumulation durch Enteignung“ geprägt. Er führt entsprechend aus: „The commodification of cultural forms, histories, and intellectual creativity entails wholesale dispossessions (the music industry is notorious of appropriation and exploitation of grassroots culture and creativity). The corporatization and privatization of hitherto public assets (such as universities), to say nothing of the wave of privatization (of water and public utilities of all kinds) that has swept the world, indicate a new wave of ‘enclosing the commons’. As in the past, the power of the state is frequently used to force such processes through even against popular will. The rolling back of regulatory frameworks designed to protect labour and the environment from degradation has entailed the loss of rights. The reversion of common property rights won through years of hard class struggle (the right to a state pension, to welfare, to national health care) to the private domain has been one of the most egregious of all policies of dispossession pursued in the name of neo-liberal orthodoxy.“ (Harvey 2003: 148)
Durch die europäische Integration wird genau diese Logik einer extensiven Kommodifizierung und kapitalistischen Inwertsetzung der gesellschaftlichen Reproduktionsbedingungen nicht nur intern, sondern auch extern gefördert. In der Folge des EG-Binnenmarktes, der WWU und der Finanzmarktintegration haben sich im Industrie- und Dienstleistungsbereich weltweit führende TNKs herausgebildet, deren Investitions- und Absatzinteressen sich auch in den Prioritäten der EU-Handelspolitik niederschlagen. Die veränderten politökonomischen Kontextbedingungen haben entscheidend dazu beigetragen, dass sich seit den 1990er Jahren eine neue europäische Handelsstrategie herauskristallisiert hat, die im Kern durch folgende Merkmale und Elemente gekennzeichnet ist: Erstens hat die EU seit der Uruguay-Runde – in Kooperation mit den USA – im Rahmen der WTO darauf hingewirkt, die globale Handelsagenda sukzessive zu erweitern. Sie hat nicht nur die diversen Teilabkommen der Uruguay-Runde, insbesondere das GATS, TRIPS und TRIMS, unterstützt, sondern auch danach in den sektoralen Liberalisierungsabkommen zu Telekommunikations- und Finanzdienstleistungen eine sehr aktive Rolle gespielt (vgl. Sell 2000; Young 2003; Woll 2007b). Anschließend avancierte die EU zu einem hartnäckigen Verfechter der sog. Singapur-Themen – Wettbewerbspolitik, Investitionsschutz, öffentliches Auftragswesen und administrative Handelserleichterungen – und
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verfolgte innerhalb des GATS sowie in Fragen des Non-Agricultural Market Access (NAMA) eine sehr umfassende Liberalisierungs- und Regulierungsagenda (vgl. Deckwirth 2009). Zwischenzeitlich war sie zudem dafür eingetreten, Umwelt- und Arbeitsstandards in der WTO zu verankern. Erst nachdem erkennbar wurde, dass sich viele dieser Ziele nicht oder nur zum Teil realisieren ließen, hat die EU ihren offensiven Gestaltungsanspruch zuletzt wieder etwas zurückgeschraubt.26 Dieser Rückzieher betrifft bislang jedoch nur die WTO, also die multilaterale, nicht aber die bilaterale Handelspolitik. Die EU verfolgt zweitens daher eine mehrdimensionale Strategie, um die Öffnung anderer Märkte für europäische Waren und Investitionen voranzutreiben. Schon früher waren bilaterale Abkommen für die EG/EU sehr bedeutsam. Sie enthielten allerdings nur eingeschränkte Liberalisierungsvorgaben, oft – wie z.B. in den Abkommen von Yaoundé und Lomé – in Kombination mit verteilungs- und entwicklungspolitischen Förderelementen. Im Unterschied hierzu sind die neuen bilateralen Abkommen, die von der EU seit den 1990er Jahren abgeschlossen wurden, durch eine WTO-plus Agenda gekennzeichnet (vgl. Deckwirth/Schmalz 2005: 78ff; Mahnkopf 2005: 127ff, Schilder et al. 2005: 18ff).27 Diese ist einerseits durch die Verknüpfung von Liberalisierungsschritten mit spezifischen Aspekten des „good governance“ – so z.B. der Realisierung von Menschenrechten und Demokratie, der Entwicklungsförderung oder Armutsbekämpfung – gekennzeichnet. Andererseits geht es in den bilateralen Abkommen im Kern aber nach wie vor darum, all jene Ziele zu realisieren – die Regulierung ausländischer Investitionen, die Liberalisierung der öffentlichen Auftragsvergabe, Wettbewerbsregeln und administrative Handelserleichterungen –, die in der WTO derzeit blockiert sind.28 Die Folgen dieser Mehrebenenstrategie werden sehr unterschiedlich eingeschätzt: Für einige untergraben die bilateralen Handelsabkommen, zumal dieses Vorgehen auch von anderen Handelsgroßmächten wie den USA nachgeahmt wird, den multilateralen Charakter der WTO (vgl. Dieter 2003: 608; Koopmann 2004: 27f; Adam 2006: 123ff). Von anderen wird der multilaterale Charakter der WTO hingegen selbst hinterfragt, und darauf hingewiesen, dass die bilateralen Vereinbarungen ein wichtiges Mittel darstellen, um widerspenstige WTO-Vertragsstaaten unter Druck zu setzen (vgl. Deckwirth/Schmalz 2005: 78f). Die zuletzt genannte Einschätzung wird dadurch unterstützt, dass die EU – ähnlich wie die USA oder Japan – drittens eine strategische Handelspolitik betreibt. Als strategische Handelspolitik wird allgemein eine Praxis bezeichnet, durch die im Zusammenspiel von industrie- und handelspolitischen Instrumenten eigene Branchen und Unternehmen im globalen Wettbewerb gezielt fördert werden (vgl. Gilpin 2000: 96ff). Für die EU trifft dies insofern zu, als ihre freihändlerische Position durch den Fortbestand (neo-)protektionistischer Strategieelemente – unter anderem im Agrarsektor und der Textilindustrie, 26
So beharrt die EU seit dem Sommer 2004 z.B. nicht mehr darauf, weiter über Arbeitsnormen und die SingapurThemen – bis auf administrative Handelserleichterungen – zu verhandeln (vgl. Young 2007: 124). 27 Zum Überblick vgl. die Handels-Webseite der Europäischen Kommission http://ec.europa.eu/trade/ issues/bilateral/regions/index_en.htm. 28 Die Regierungen der Schwellen- und Entwicklungsländer lassen sich auf die bilateralen Verhandlungen zumeist deswegen ein, weil sie sich erhoffen, in den Abkommen ein entwicklungsförderliches „special and different treatment“, d.h. spezifische Sonderkonditionen, Übergangsfristen, einen garantierten Zugang zum EG-Binnenmarkt etc. zu erzielen (vgl. Mahnkopf 2005: 126). Zugleich haben sie aber auch den exzessiven Bilateralismus der EU und der USA oft kritisiert. Um die Verhandlungen in der Doha-Runde nicht zusätzlich zu belasten, hatte die EU die bilateralen Aktivitäten bis zum vorläufigen Scheitern der Doha-Runde im Sommer 2006 vorübergehend ausgesetzt.
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zum Teil aber auch in den exportstarken Industrie- und Dienstleistungszweigen (vgl. Raza 2007: 79ff) – zwar nicht grundsätzlich in Frage gestellt, so aber doch modifiziert wird. Die Größe des EG-Binnenmarktes wird von der EU mithin strategisch genutzt: Nach außen drängt sie darauf, andere Märkte für europäische Waren, Dienstleistungen und Investitionen zu öffnen; und zugleich wehrt sie sich gegen Bestrebungen, die internen industriepolitischen Instrumente und Sonderkonditionen zum Schutz und zur Förderung einheimischer Industrie- und Dienstleistungsunternehmen sowie der Agrarbetriebe abzubauen. Ein viertes Merkmal der EU-Handelspolitik besteht schließlich darin, dass die handelspolitischen Instrumente auf die erweiterte Agenda, die veränderten Kontextbedingungen der WTO und die Erfordernisse der strategischen Handelspolitik neu zugeschnitten wurden. Dies betraf zum einen die defensiven neoprotektionistischen Abwehrinstrumente. Hier wurden z.B. freiwillige Exportbeschränkungen und Importquoten seit Ende der 1980er Jahre deutlich reduziert. Maßnahmen der ad hoc Protektion kommen jedoch nach wie vor zur Anwendung. Im Fall eines plötzlichen Importanstiegs bestimmter Produkte bedient sich die EU noch immer sog. „safeguard measures“; und auch Anti-Dumping Maßnahmen – vor allem Ausgleichszölle – werden von ihr sehr häufig eingesetzt, um Importprodukte aus Schwellen- und Entwicklungsländern abzuwehren, die unter den Inlandspreisen oder Herstellungskosten angeboten werden. Da Anti-Dumping Maßnahmen, die von der Europäischen Kommission vorgeschlagen werden, seit 2004 nur noch durch eine Mehrheit der Mitgliedstaaten zu verhindern sind, ist sogar zu erwarten, dass diese weiter an Gewicht gewinnen (vgl. Koopmann 2004: 20). In Ergänzung zu den defensiven Abwehrinstrumenten ist zum anderen aber auch das Arsenal offensiver Marktöffnungsinstrumente weiterentwickelt worden. Von zentraler Bedeutung sind die bereits diskutierten bilateralen WTO-plus Verhandlungen. Darüber hinaus ist aber auch das Neue Handelspolitische Instrument (NHI) von 1984 durch die Handelshemmnis-Verordnung (HHV) von 1994 ersetzt worden (vgl. Koopmann 2004: 21f; Knodt 2005: 69ff). Beide Instrumente zielen darauf, existierende Handelsbarrieren in anderen Ländern zu identifizieren und entsprechende Verfahren einzuleiten. Die HHV markiert dabei insofern eine Weiterentwicklung des NHI, als sie sich – gleichsam im Vorgriff auf die im Frühjahr 1996 vom damaligen Handelskommissar Sir Leon Brittan verkündete Marktöffnungsstrategie (vgl. Shaffer 2006: 835ff) – nicht nur auf den Güterhandel, sondern auf alle Bereiche erstreckt, die durch WTO Handelsregeln abgedeckt sind. Zudem erlaubt sie nicht nur ganzen Wirtschaftszweigen, sondern auch einzelnen Unternehmen – sofern sich die Europäische Kommission ihrer Sache annimmt – ein entsprechendes Verfahren einzuleiten. 5.1.3.4 Widerstände und Konflikte im Liberalisierungsprozess Die aufgeführten Strukturmerkmale und Elemente der neuen europäischen Handelsstrategie unterstreichen, dass sich die EU zu einem flexibel-offensiven und zugleich sehr konfliktfähigen Akteur in der internationalen Handelspolitik entwickelt hat. Überhaupt scheint seit dem Abschluss der Uruguay-Runde die Konfliktintensität im Bereich des internationalen Handels angewachsen zu sein. Einige Indikatoren verdeutlichen dies:
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5 Die Europäische Union in der Weltökonomie und Weltordnung Erstens wurde das Streitschlichtungsverfahren in den ersten 10 Jahren der WTO sehr bereitwillig, d.h. in 324 Fällen in Anspruch genommen; zumeist von den USA und der EU (vgl. Zimmermann 2005: 31ff). Zweitens konnte durch die WTO der Trend zu Regional Trade Agreements (RTAs) nicht gebremst werden. Im Gegenteil, seit Anfang der 1990er Jahre ist die Zahl der regionalen und bilateralen Übereinkünfte sogar sprunghaft angewachsen (vgl. Crawford/Fiorentino 2005: 2). Drittens gelang es auf den Ministerkonferenzen in Seattle (1999) und Cancún (2003) nicht, einen tragfähigen Abschluss zu erreichen. Es hatten sich vielmehr neue SüdSüd-Allianzen herausgebildet, um den Liberalisierungsdruck der OECD-Staaten abzuwehren (vgl. Narlikar 2004; Deckwirth 2006). Viertens schließlich scheinen die Legitimationsgrundlagen der WTO zu erodieren. Unter dem Druck der öffentlichen Aufmerksamkeit und der Kritik von sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Verbänden und NGOs sind die WTO-Verhandlungen wiederholt politisiert worden (vgl. Gill 2003: 212ff).
Diese Entwicklung ist einerseits überraschend, da durch die Gründung der WTO, d.h. die stärkere Institutionalisierung und größere Rechtsverbindlichkeit des Verhandlungsrahmens, der Erosion des internationalen Freihandelsregimes entgegengewirkt wurde. Auch das bis zur Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 recht hohe globale Wirtschaftswachstum und die weitere Zunahme des internationalen Handels (vgl. z.B. Goldberg 2007) legen eigentlich eine relativ kooperative und stetige Umsetzung von Liberalisierungsinitiativen nahe. Andererseits sind die zunehmenden handelspolitischen Konflikte aber auch wenig verwunderlich. Schließlich haben sich nicht nur die interne Struktur und Operationsweise der WTO gewandelt, sondern auch die Interessenkonstellationen und Machtverhältnisse, die der inzwischen sehr tiefen und umfassenden Verhandlungsagenda zugrunde liegen. Bezogen auf die seit Ende 2001 laufende Handelsrunde führt Erfried Adam (2006: 124) entsprechend aus: „In der Doha-Deklaration (DDA=Doha Development Agenda) vom November 2001 sind im Arbeitsprogramm allein 21 Verhandlungsthemen aufgelistet, die als ‚single undertaking’, als ein Paket und in gegenseitiger Abhängigkeit bis zum 1. Januar 2005 zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden sollten. Stellt man aber in Rechnung, dass auch die GATT-Verhandlungen in der „Uruguay-Runde“ – bei einer wesentlich kleineren und von Industriestaaten geprägten Mitgliedschaft – acht Jahre dauerten und von den bisherigen WTO-Ministerkonferenzen zwei scheiterten (Seattle 1999; Cancún 2003), bietet sich keine ungewöhnlich dramatische und angesichts der Komplexität der Verhandlungsthemen und der Heterogenität der ökonomischen Strukturen und Interessenlagen nicht nachvollziehbare Konstellation. Das Vorhaben kommt in vieler Hinsicht der Quadratur des Kreises nahe!“
Tatsächlich hat sich die WTO mit inzwischen 152 Mitgliedstaaten, die für weit über 90% des Welthandels verantwortlich sind, nicht nur zu einer quasi-universellen Organisation entwickelt. Durch die räumliche Expansion ist zugleich auch die die interne Heterogenität der Interessenlagen angewachsen (vgl. Manz 2007; Mildner 2009: 16ff). Auf der einen Seite stehen die Entwicklungsländer, die etwa zwei Drittel der WTO-Mitgliedstaaten umfassen und sich in der laufenden Verhandlungsrunde in der sog. G-90 – einem Bündnis aus AKP-Staaten, Ländern der African Union und anderen Least Developed Countries (LDCs)
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– zusammengeschlossen haben. Auf der anderen Seite befinden sich die entwickelten kapitalistischen Staaten in Nordamerika, Westeuropa und Ostasien, die zwar zahlenmäßig schwächer, aber wirtschaftlich und handelspolitisch ungleich einflussreicher sind. Viele Schwellenländer nehmen eine Zwischenrolle ein. Einige haben sich in der bereits erwähnten Cairns-Group oder der sog. G-20+29 – einem Zusammenschluss lateinamerikanischer, afrikanischer und asiatischer Staaten unter Führung Brasiliens, Indiens und Südafrikas – organisiert, um über die Definition einer gemeinsamen Verhandlungsposition die Dominanz der entwickelten kapitalistischen Staaten zu durchbrechen. Trotz einiger gemeinsamer strategischer Prioritäten sind die aufgeführten Ländergruppen in sich wiederum nicht homogen, sondern heterogen strukturiert. Seit den 1990er Jahren mehren sich daher die Schwierigkeiten, die heterogenen Interessenlagen und damit verbundenen Konfliktpotenziale innerhalb der WTO auszubalancieren. Aus EUPerspektive sind vor allem zwei Konfliktdimensionen von besonderer Bedeutung: Zum einen sind seit den 1990er Jahren – ungeachtet aller Kooperationsinitiativen – verstärkte Spannungen und Konflikte in den transatlantischen Beziehungen erkennbar. Der mühsam erzielte Abschluss der Uruguay-Runde markierte gewissermaßen den Höhepunkt einer durchsetzungsfähigen transatlantischen Allianz (vgl. Rode 2006: 127ff). Seither gelingt es den USA und der EU zunehmend weniger, durch ein gemeinsames, aufeinander abgestimmtes Vorgehen die WTO-Agenda vorzubereiten und umzusetzen. Das Scheitern der Ministerkonferenzen in Seattle und Cancún oder die dürftigen Ergebnisse des Ministertreffens in Hongkong im Dezember 2005 sowie das vorläufige Scheitern der Doha-Runde im Sommer 2006 in Genf sind zwar nicht allein auf divergierende transatlantische Interessen und Strategien zurückzuführen. Diese machen es jedoch zunehmend schwieriger, allseits akzeptable Kompromisslösungen zu definieren. Transatlantische Handelskonflikte prägen zudem die Praxis des WTO-Streitbeilegungsverfahrens. Einige Fälle, die auch in der breiteren Öffentlichkeit eine gewisse Aufmerksamkeit erregt haben, waren unter anderem (vgl. Meunier/Nicolaidis 2005: 261ff; McCormick 2007: 97ff): der Streit über das EUEinfuhrverbot für hormonbehandeltes Rindfleisch; die Vorzugsbehandlung von EUBananenimporten aus den AKP-Staaten; die Diskriminierung von EU-Unternehmen, die entgegen dem Helms-Burton- sowie dem D’Amato Gesetz, wirtschaftliche Beziehungen zu Kuba, Iran und Libyen pflegen; der Streit über genetisch veränderte Organismen, deren Import per EU-Verordnung untersagt wurde; die Byrd-Gesetzesnovelle, nach der die USA die Einnahmen aus Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen den klagenden Unternehmen zukommen lassen; die Schutzzölle für US-amerikanische Stahlproduzenten; die EU-Subventionen zum Aufbau einer europäischen Flugzeugindustrie (Airbus) oder die steuerliche Subventionierung US-amerikanischer Auslands-Vertriebsgesellschaften. In Ergänzung zu den transatlantischen Konflikten mehren sich in der WTO zum anderen die Konflikte zwischen den Ländern der sog. Quad – d.h. der EU, den USA, Japan und Kanada – und den Schwellen- und Entwicklungsländern. Nach dem Scheitern von Seattle war es im November 2001 auf der Ministerkonferenz in Doha – unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September – der EU und den USA zwar gelungen, eine neue 29
Um Verwechselungen zu vermeiden, wird zwischen der G-20+ und der G-20 unterschieden. Die G-20 war bereits 1999 gegründet worden, um nach den schweren Währungs- und Finanzkrisen der 1990er Jahre über die Reform der internationalen Finanzarchitektur zu beraten. Sie umfasst die G-8 Staaten, die EU und einige größere – damals krisengeschüttelte – Schwellenländer wie Argentinien, Brasilien, Südkorea oder die Türkei. Die G-20+ formierte sich hingegen im Jahr 2003 im Kontext der WTO-Verhandlungen in Cancún.
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Handelsrunde, die sog. Doha-Entwicklungsrunde, durchzusetzen. Diese beruhte jedoch auf keinem wirklich tragfähigen und verhandlungspolitisch operationalisierbaren Basiskonsens. Im Gegenteil, da sich im Rahmen der Konferenz-Regie oppositionelle Stimmen kaum artikulieren konnten und das Einverständnis vieler Schwellen- und Entwicklungsländer vielfach erzwungen war (vgl. Wade 2004: 149ff; Narlikar 2004: 421ff), brachen schon bald einige Konflikte wieder auf. Offenbar reichten die Angebote der EU und der USA – z.B. die Gewährung von Ausnahmen im TRIPs-Abkommen für eine bessere Versorgung mit pharmazeutischen Produkten oder der Verzicht auf eine Definition von Kernarbeitsnormen – nicht aus, um die eigenen Liberalisierungsziele realisieren zu können. Auch die bereits im Frühjahr 2001 von der EU gestartete „Everything But Arms“-Initiative (EBA), d.h. die Zollbefreiung sämtlicher Importe – außer Waffen – aus den Least Developed Countries (LDCs) und weitere Vergünstigungen im Allgemeinen Präferenzsystem, wurden von vielen Ländern des „Südens“ als unzureichend betrachtet, um die „Entwicklungs“-Agenda substanziell zu unterfüttern. Dies zeigte sich zunächst auf der Ministerkonferenz im mexikanischen Cancún im September 2003. Schon vor der Konferenz waren die Gespräche dadurch belastet worden, dass die USA Stahlimporte mit einem Schutzzoll belegt und die Agrarsubventionen angehoben hatten, während sich die EU nur mühsam auf eine Verhandlungsposition für den Agrar- und Dienstleistungssektor verständigen konnte (vgl. Young 2007: 128). In der Folge bestand das Angebot der EU primär darin, die Modalitäten der Agrarsubventionierung zu ändern, weniger jedoch deren Umfang zu reduzieren. Zudem beharrte sie – zusammen mit Japan und Südkorea – bis zum letzten Verhandlungstag darauf, die Singapur-Themen in die Verhandlungen mit einzubeziehen (vgl. Tabb 2004: 327). Beides war für die Entwicklungs- und Schwellenländer, die sich in der G-20+ und G-90 zusammengeschlossen hatten, nicht akzeptabel. Letztlich konnte man sich daher auf keine Kompromisslinie verständigen, so dass die Ministerkonferenz ergebnislos beendet werden musste. Trotz des Scheiterns schien es zunächst, als könnte die Doha Development Agenda (DDA) gerettet werden. Dies lag vor allem daran, dass sich die EU – im Anschluss an einen von der Kommission initiierten Konsultationsprozess mit den nationalen Regierungen, den Wirtschaftsverbänden und NGOs – bereit erklärt hatte, die Verhandlungsagenda weiter zu verschlanken. Im Sommer 2004 konnte sich der Allgemeine Rat unter Führung der sog. Five Interested Parties (FIPs), d.h. der USA, EU, Australiens, Indiens und Brasiliens, auf ein Rahmenabkommen verständigen, in dem Fragen des Agrar- und Dienstleistungshandels sowie des „Non-Agricultural Market Access“ (NAMA), also des Marktzugangs für Industriegüter, neu definiert wurden (vgl. Bullard/Chanyapate 2005: 24; Wilkinson/Lee 2007: 5f). Die EU und die USA signalisierten in diesem Abkommen ihre Bereitschaft, einige Agrarsubventionen zu streichen und auf drei der vier Singapurthemen – Investitionen, Wettbewerb und öffentliches Beschaffungswesen – zu verzichten. Im Gegenzug gelang es der EU, auf der Ministerkonferenz in Hongkong im Dezember 2005 in Fragen des NAMA die sog. „Schweizer Formel“ durchzusetzen, nach der hohe Zölle – diese gelten vor allem in den Entwicklungsländern – stärker gesenkt werden müssen als niedrige Zölle. Außerdem sollte das GATS-Verhandlungsverfahren, das bis dahin nur sehr stockend vorangekommen war30, durch die Option plurilateraler Abkommen – jenseits des „single undertaking“30
Die Stockungen im Verhandlungsprozess signalisieren, dass das sehr flexible, wenig zwingende Offer- und Request-Verfahren von vielen Ländern bislang nicht angenommen wird (vgl. Young 2003: 76ff; Adlung 2006).
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Ansatzes – beschleunigt werden (vgl. Eberhardt/Passadakis 2006; Hufbauer/Stephenson 2007: 621). Letztlich markierte der in Hongkong erzielte Kompromiss jedoch keinen Durchbruch in der Realisierung der DDA. Dies lag vor allem daran, dass nur die EU, nicht aber die USA ein konkretes Angebot zum Abbau der Agrarsubventionen unterbreiteten. Für die G20+ war dies aber eine Voraussetzung dafür, der EU-Forderung nach einer weiteren Absenkung der Industriezölle entgegenzukommen. Die Verhandlungen waren damit festgefahren und wurden von Pascal Lamy, seit 2005 Generaldirektor der WTO, zwischen Juli 2006 und Februar 2007 suspendiert. Auch danach verliefen die Gespräche sehr zäh, bis im Sommer 2008 die EU und die USA verbesserte Angebote zum landwirtschaftlichen Subventionsabbau vorlegten. Nicht nur das anschließend von Lamy geschnürte Kompromisspaket, auch der Washingtoner Finanzgipfel im November 2008 weckte zwischenzeitlich die Erwartung, als könnte die Doha-Runde nun doch noch zum Abschluss gebracht werden (vgl. Mildner 2009: 11f). Doch letztlich erwiesen sich einige Konflikte in spezifischen (Teil-)Sektoren als derart hartnäckig, dass die geplante Ministerkonferenz im Dezember 2008 abgesagt wurde. Mit Blick auf die – befürchteten - protektionistischen Folgen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise bekunden die führenden Verhandlungsparteien zwar nach wie vor die Absicht, die Doha-Runde erfolgreich beenden zu wollen, bislang ist aber nicht erkennbar, wie die bestehenden Verhandlungsblockaden überwunden werden können. Alles in allem sind nicht allein oder primär die schlechte Vorbereitung und das Missmanagement der WTO-Ministerkonferenzen (so z.B. Bhagwati 2004) für die Blockaden der globalen Handelsagenda verantwortlich. Das Grundproblem besteht vielmehr darin, dass die „alte“ transatlantische Kooperationsstruktur nicht mehr ausreicht, um tragfähige Kompromisslinien zu definieren. Mit Blick auf die aufstrebenden Schwellen- und Entwicklungsländer kann zumindest festgehalten werden: „Die neuen Allianzen des Südens sind offenkundig kein vorübergehendes Phänomen, sondern zeigen eine neue Phase in den Welthandelsrunden an, in der die Dominanz der westlichen Industriestaaten einer ausdifferenzierten Interessenlandschaft Platz gemacht hat. Entwicklungsund Schwellenländer haben an Verhandlungsmacht in der Welthandelsorganisation gewonnen. Die bislang dominierende Rollenverteilung zwischen den Regelsetzern des Nordens und den Regelnehmern des Südens ist grundlegend infrage gestellt.“ (Manz 2007: 30)
Ähnlich wie die USA scheint auch die EU diese veränderte weltpolitische Konstellation erst allmählich zu realisieren. Gestützt auf die Transnationalisierung der sozialen Produktionsbeziehungen und den europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplex hatte die EU zunächst versucht, die eigenen Liberalisierungsinteressen strategisch-offensiv umzusetzen. Inzwischen ist sie von der Frontal-Strategie jedoch etwas abgewichen: Zum einen signalisiert sie in den Verhandlungen – zumindest punktuell – eine größere Konzessionsbereitschaft; zum anderen konzentriert sie sich verstärkt auf die Aushandlung bilateraler Handelsabkommen, um – perspektivisch vielleicht auch wieder im multilateralen Rahmen – den eigenen Liberalisierungszielen Nachdruck zu verleihen.
Vorerst scheinen somit all jene Recht zu haben, die im GATS eher einen „Papiertiger“ als einen „versteckten Drachen“ sehen (vgl. Hufbauer/Stephenson 2007: 612ff).
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5.1.4 Das handelspolitische Gestaltungspotenzial der EU Eine abschließende Bewertung des handelspolitischen Gestaltungspotenzials der EU fällt nicht ganz leicht, da sich die innereuropäischen und globalen Entwicklungen gegenläufig darstellen. Einerseits hat sich die Rolle der EU in den internationalen Handelsbeziehungen stark gewandelt. Die vormals defensiv-passive Position in den Nachkriegsjahrzehnten ist seit den späten 1980er Jahren und beschleunigt seit Gründung der WTO durch eine offensive, zum Teil recht aggressive Liberalisierungsstrategie abgelöst worden. Diese erstreckt sich über den Warenhandel hinaus auch auf den Dienstleistungshandel und auch auf Investitions- und Wettbewerbsfragen. Die EU hat sich demzufolge als treibende Kraft einer umfassenden Handelsagenda – einer „deep trade agenda“ (vgl. Young/Peterson 2006) – profiliert, die sehr weit in die Organisationsweise anderer nationaler Wirtschaftsräume hineinreicht. Im Kern stützt sich die EU-Handelsstrategie auf die Europäisierung bzw. interne Globalisierung der sozialen Produktionsbeziehungen, die politisch vor allem durch das EG-Binnenmarktprogramm, die WWU, die Finanzmarktintegration sowie die EUOsterweiterung gefördert wurde. Zugleich sorgte die weitere Vergemeinschaftung von Handelskompetenzen und die Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure – in erster Linie TNKs und Wirtschaftsverbände, aber auch NGOs – dafür, dass der europäische StaatsZivilgesellschafts-Komplex gestärkt und die interaktive Einbettung der EU-Handelspolitik effektiviert wurde. Der vormalige Handelskommissar der EU, Pascal Lamy (2004: 16), stellte daher fest: „During my previous time in Brussels, it was evident that my predecessors as Trade Commissioner spent about two-thirds of their time negotiating with EU member governments, leaving only one-third for negotiating with the non-European world. […] I am convinced that increased European unity on trade policy (through no exceptional efforts on my part, by the way) meant that these percentages were reversed under my tenure.”
Trotz der intensivierten zivilgesellschaftlichen Einbettung und strategischen Profilierung der Handelspolitik ist andererseits aber auch nicht zu übersehen, dass die Liberalisierungsstrategie der EU vermehrt globale Widerstände provoziert. Offenkundig wird die von der EU – und den anderen OECD-Staaten – eingeforderte marktliberale Reorganisation anderer Wirtschaftsräume nicht mehr ohne weiteres akzeptiert. Nachdem in den 1980er und 1990er Jahren den hochverschuldeten Schwellen- und Entwicklungsländern oft keine andere Möglichkeit geblieben war, als den Vorgaben des sog. „Washington Konsensus“ zu folgen, haben sich durch den Wirtschaftsboom in einigen Weltregionen seit Ende der 1990er Jahre die Machtverhältnisse in den internationalen Handelsbeziehungen verschoben. Indikatoren hierfür sind der Aufstieg der BRIC-Staaten in der Weltökonomie und die diversen regionalen Integrationsprojekte in Lateinamerika (MERCOSUR), Afrika (ECOWAS, SADC, SACU) und Asien (ASEAN) (vgl. Crawford/Fiorentino 2005; Bieling 2007a: 180ff). Zudem haben sich die Schwellen- und Entwicklungsländer im Kontext der WTO-Verhandlungen politisch besser organisiert, d.h. spezifische Allianzen gebildet – z.B. die G-20+ oder die G-90 –, um die eigenen Interessen wirksamer zur Geltung zu bringen (vgl. Narklikar 2004; Manz 2007). Die EU reagiert auf die hierdurch gegebene Blockade der multilateralen Verhandlungen keineswegs damit, dass sie die bislang verfolgte Liberalisierungsstrategie aufgibt. Sie zeigt sich in einigen Punkten – Agrarsubventionen und Singapur-Themen – jedoch durch-
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aus konzessionsbereit und hat auch einige weitere Schritte – z.B. die Erhöhung der EUEntwicklungshilfe – eingeleitet, um den Entwicklungsanspruch der Doha-Runde mit Leben zu füllen.31 Zugleich intensiviert sie erneut ihre Anstrengungen, durch bilaterale Handelsabkommen eine WTO-plus Agenda zu realisieren, um diese perspektivisch auch multilateral verankern zu können. Ob dieses Kalkül aufgehen wird, ist freilich eine offene Frage. Einerseits dürften mit der Dauer der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise protektionistische Abwehrreaktionen und Instrumente an Bedeutung gewinnen; andererseits stehen aber mittelfristig die Chancen insofern nicht schlecht, als auch andere Staaten – z.B. die USA – eine ähnliche Strategie verfolgen und die EU aufgrund ihres großen Binnenmarktes innerhalb der internationalen Handelsbeziehungen über ein erhebliches Druck- und Drohpotenzial verfügt. Die beträchtliche Handelsmacht der EU, d.h. ihre Fähigkeit, in den multi-, pluri- und bilateralen Verhandlungsarenen eigene Wirtschaftsinteressen zu artikulieren und auch weitgehend durchzusetzen, ist grundsätzlich unbestritten. Weniger klar ist hingegen, wie diese Handelsmacht zu charakterisieren ist. Instruktiv ist in diesem Kontext die Unterscheidung zwischen „power in trade“ und „power through trade“, die von Sophie Meunier und Kalypso Nicolaidis (2006) in die Diskussion eingebracht wurde: „[...] we distinguish between power in trade, whereby access to the EU’s market is simply traded for increased export of the EU’s own goods, capital and services (through diffuse or specific reciprocity), and power through trade, whereby access to the EU’s market is after a more elusive prize, namely exporting the EU’s laws and standards, and ultimately its norms and ideas. “ (Meunier/Nicolaidis 2006: 910)
Diese Unterscheidung deutet darauf hin, dass die EU handelspolitisch nicht nur wirtschaftliche Ziele im engeren Sinne verfolgt, sich also auf die Erringung und Sicherung von Marktanteilen und Investitionssphären beschränkt, sondern auch andere politische Aspekte berücksichtigt. Dies ist insofern nicht ganz neu, als entwicklungs- und außenpolitische Fragen bereits den Abschluss früherer Handels- und Assoziierungsabkommen – z.B. die Verträge von Yaoundé und Lomé – mit geprägt haben. Durch den 1995 eingeleiteten Barcelona-Prozess, d.h. die Vereinbarung einer Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP), und die 2004 gestartete Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) wurde dieser Ansatz weiter entwickelt. In den bilateralen Abkommen drängt die EU verstärkt darauf, Handels-, Investitions-, Energie-, Entwicklungs- und Good Governance-Themen miteinander zu verknüpfen. Das „Global Europe“-Strategiepapier der Europäischen Kommission (2006: 2) postuliert in diesem Sinne: „Über unsere Handelspolitik versuchen wir auch einen Beitrag zu einer Reihe anderer außenpolitischer Ziele der Union zu leisten, insbesondere auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit und der Nachbarschaftsbeziehungen. Hier wird auch weiterhin eine wichtige Aufgabe der EU-Handelspolitik liegen. Eine kohärente Politik auf dem Gebiet der Außenbeziehungen ist entscheidend für die Stärkung der Rolle Europas in der Welt.“
31 Jenseits einiger flankierender Maßnahmen bleiben die Aktivitäten der EU jedoch grundsätzlich einem marktliberalen Ansatz verhaftet. Nach dem Ablauf einer Übergangsfrist wurden und werden – in Übereinstimmung mit dem WTO-Vertrag – mit den AKP-Staaten z.B. Economic Partnership Agreements (EPAs) ausgehandelt. Hierbei handelt es sich um Abkommen zur Etablierung von Freihandelszonen, die an die Stelle der alten nicht-reziproken Präferenzsysteme und Strukturbeihilfen treten (vgl. Faber/Orbie 2007; Stevens 2008).
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Die politischen Hebel und Instrumente, über die die EU ihre Handelsmacht für andere, nicht-ökonomische Ziele einsetzt, werden recht unterschiedlich eingeschätzt. Für nicht wenige stützt sich die Gestaltungsmacht der EU primär darauf, dass sie ein sehr attraktives Modell der Liberalisierung und Regulierung von Handelsbeziehungen repräsentiert, das von anderen Ländern oder Ländergruppen als nachahmenswert empfunden wird (vgl. Meunier/Nicolaidis 2006: 913ff). In Ergänzung hierzu erscheinen selbst noch die spezifischen Konditionalitäten, die mit den Handelspartnern vereinbart werden – Gewährleistung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit oder die Beachtung von Menschenrechten – als ein gleichsam zwangloses Instrumentarium, um die Diffusion europäischer Werte, Standards und Normen zu fördern (vgl. Manners 2002: 240ff). Andere sehen in diesen normativen Aspekten der EU-Außenbeziehungen hingegen nur eine notdürftige Verkleidung von Wirtschaftsinteressen und Machtansprüchen. Entsprechend wird betont, dass es nicht eigentlich darum geht, das europäische Entwicklungs- und Integrationsmodell zu verallgemeinern, sondern andere Märkte, Investitionssphären sowie Rohstoffe und Energiezuflüsse – in erster Linie im Interesse der europäischen TNKs – zu erschließen und abzusichern (vgl. Deckwirth/Schmalz 2005; Krüger 2006). Die eigentlich spannende Frage lautet jedoch nicht, ob sich die handelspolitische Gestaltungsmacht entweder auf den Modell-Charakter der EU oder auf die Wirtschaftskraft in Kombination mit politischen Druckmitteln – den Zugang zum EG-Binnenmarkt, ausländische Direktinvestitionen, Kredite und Entwicklungshilfe – stützt. Entscheidend ist letztlich vielmehr, ob es der EU handelsstrategisch gelingt, in den bi-, pluri- und multilateralen Verhandlungen die Konsens- und Zwangselemente so miteinander zu kombinieren, dass sie den Handelspartnern als vorteilhaft, zumindest akzeptabel erscheinen. Durch die interne Reorganisation der sozialen Produktionsbeziehungen und des europäischen StaatsZivilgesellschafts-Komplexes hat sie bislang nur die politökonomischen und politischorganisatorischen Voraussetzungen für eine handelspolitische Hegemonialstrategie geschaffen. Trotz aller Entwicklungs- und Demokratisierungsrhetorik steht deren praktische Realisierung aber noch aus. Das Problem besteht offenkundig darin, dass die EU noch immer daran festhält, eine sehr weitgehende Liberalisierungskonzeption zu verfolgen, während viele Schwellen- und Entwicklungsländer – inzwischen wirtschaftlich eigenständiger und politisch selbstbewusster geworden – genau diesem Ansinnen entgegentreten.
5.2 Internationale Währungs- und Finanzbeziehungen Während die zunehmend offensive Rolle der EU in den internationalen Handelsbeziehungen kaum bestritten wird, gehen die Einschätzungen der strategischen Gestaltungsmacht, über die die EU in den internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen verfügt, deutlich auseinander. Auf der einen Seite vertreten einige Wissenschaftler die These, dass durch die WWU mit dem Euro als Gemeinschaftswährung die bisherige Dominanz des US-Dollars perspektivisch in Frage gestellt wird. In der Konsequenz zeichne sich ein bipolar strukturiertes System der Währungs- und Finanzbeziehungen ab, das sich auf eine enge Kooperation zwischen den USA und der EU stützt (vgl. Bergsten 1999, 2005; Chinn/Frankel 2009). Auf der anderen Seite wird diese sehr optimistische Bewertung der internationalen währungs- und finanzmarktpolitischen Gestaltungsmacht der EU von vielen Beobachtern nicht geteilt. Der Gegeneinwand lautet, dass mehrere Faktoren – die wachstumsbremsende Anti-
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Inflationspolitik, verschärfte europäische Verteilungskonflikte und fortbestehende EUinterne Abstimmungsprobleme – einer effektiven internationalen Währungs- und Finanzmarktpolitik entgegenstehen (vgl. u.a. Cohen 2003; Posen 2008). Angesichts der Entwicklung zentraler wirtschaftlicher Indikatoren – wie des Euro-Anteils an internationalen Transaktionen (Handel- sowie Direkt- und Portfolioinvestitionen) und Devisenbeständen – ist es noch zu früh, eine eindeutige Bewertung vorzunehmen. Noch ist kein klarer Bruch und nachdrücklicher Bedeutungsgewinn der EU in den internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen erkennbar. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass die EU eine zunehmend eigenständige Währungs- und Finanzmarktpolitik betreibt. Die größere „Eigenständigkeit“ ist in erster Linie das Ergebnis einer reaktiven Anpassung an veränderte globale Kontextbedingungen. So hatten nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods Systems die globalen und innereuropäischen Wechselkursschwankungen zugenommen. Um die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu stabilisieren, verständigten sich die Regierungen und Zentralbanken der EG/EU im Jahr 1979 zunächst auf die Errichtung des Europäischen Währungssystems (EWS) und ab Anfang der 1990er Jahre auf das Projekt der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Parallel zur Vergemeinschaftung der Geldpolitik wurden jedoch die Kredit- und Kapitalmärkte – intern wie extern – weiter liberalisiert. Die internationale Währungs- und Finanzmarktpolitik der EU erfolgte demnach weitgehend in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Dollar-Wall Street Regimes (DWSR) (Gowan 1999), über das die USA weltweit die Öffnung der Kapitalmärkte und die internationale Währungskonkurrenz gefördert haben. Dies bestätigen auch die den Liberalisierungsprozess umrahmenden Diskurse, durch die seit Ende der 1990er Jahre die europäische Währungs- und Finanzmarktpolitik programmatisch fokussiert wurde (vgl. Bieling 2003). Die strategische Positionierung der EU in den internationalen Währungsund Finanzbeziehungen stellt sich damit insgesamt ambivalent dar. Einerseits werden von der EU die Spielregeln des DWSR grundsätzlich akzeptiert und intern umgesetzt; andererseits erzeugt der sich hieraus ergebende Modernisierungsdruck – insbesondere die Etablierung eines finanzgetriebenen Akkumulationsregimes – aber auch spezifische produktionsorganisatorische sowie arbeits- und sozialpolitische Probleme und Widersprüche. Um die Ambivalenz und Widersprüchlichkeit der europäischen Entwicklungen zu erfassen, wird nachfolgend zunächst die analytische Dreiecksbeziehung – von Weltökonomie, sozialen Produktionsbeziehungen und staatlich-zivilgesellschaftlichen Interaktionsmustern – für das Gebiet der Währungs- und Finanzmarktpolitik spezifiziert (5.2.1.). Danach wird der globale Strukturwandel, d.h. der Übergang vom Bretton Woods System zum DWSR, rekonstruiert (5.2.2.), um in diesem Kontext anschließend die vielfältigen Initiativen einer forcierten Währungs- und Finanzmarktintegration zu verorten (5.2.3.). Die verschiedenen Initiativen haben nicht nur zu einer Stärkung der supranationalen Staatlichkeit geführt, sondern auch diverse Netzwerke der diskursiv-strategischen Politikaushandlung entstehen lassen. Innerhalb des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes verfügen die Unternehmen und Verbände des global orientierten Finanz- und Industriekapitals über eine beträchtliche Definitionsmacht. Diese basiert nur zum Teil auf besonderen kommunikativen Fähigkeiten, d.h. einer geschickten Informations- und Lobbying-Kompetenz. Wichtiger ist das Eigeninteresse der politischen Entscheidungsträger, für das hochmobile Finanzkapital möglichst attraktive Anlage- und Investitionsbedingungen zu schaffen, um die wirtschaftliche Entwicklung und Beschäftigung innerhalb der EU zu fördern und sich – über die Finanzialisierung sozialer Sicherungsleistungen – politisch zu entlasten.
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Die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise unterstreicht allerdings, dass die neue Komplementarität von Finanzmarkt- und Staatsinteressen keineswegs frei von Widersprüchen ist. Zum einen erzeugt die finanzmarktgetriebene Akkumulationsdynamik vielfältige ökonomische Instabilitäten und reformpolitische Konflikte, aber keinen nachhaltigen Wachstumsschub, durch den „Verlierer“-Gruppen in den Reorganisationsprozess hegemonial eingebunden werden könnten; und zum anderen übersetzt sich die forcierte Integration bislang nicht in eine kohärente EU-Strategie in den Institutionen und Foren der internationalen Währungs- und Finanzarchitektur (5.2.4.). Noch immer sorgen nationale Souveränitätsvorbehalte und divergierende politökonomische Prioritäten dafür, dass das ökonomische Gestaltungspotenzial der EU nicht ausgeschöpft wird. 5.2.1 Die interaktive Einbettung der europäischen Währungs- und Finanzmarktpolitik Die internationale Finanzstruktur umschließt nach Susan Strange (1994: 90) zwei unterschiedliche, aber aufeinander bezogene Teilbereiche: zum einen die Finanzmärkte und die kreditvermittelten Prozesse der Geldschöpfung; und zum anderen die Wechselkursrelationen zwischen den (nationalen) Währungen. Genauer betrachtet differenzieren sich die Finanzbeziehungen noch weiter aus. Sie umfassen nicht nur den traditionellen, von den Banken kontrollierten Kreditmarkt, sondern auch den Devisenmarkt sowie die Wertpapierund Derivatemärkte (vgl. Huffschmid 2002a: 25ff; Lederer 2003: 65ff). Die interne Differenzierung der Finanzmärkte und deren komplexe Interaktion mit der Geld- und Währungspolitik macht es bereits sehr schwierig, eine Gesamteinschätzung der EU-Entwicklung vorzunehmen. Zudem ist die internationale Finanzarchitektur – verstärkt durch die Globalisierung der Finanzbeziehungen seit den 1980er Jahren (vgl. Huffschmid 2002a; Lütz 2002: 137ff) – durch vielfältige Instabilitätsmomente, Risiken und Krisen gekennzeichnet. Sie stellt also ein instabiles, sich fortwährend veränderndes Umfeld dar, auf das sich die EU durch jeweils spezifische Liberalisierungs-, Regulierungs- und Koordinationsinitiativen einzustellen versucht. Die diversen EU-Initiativen, etwa im Bereich der Kapitalmarkt- oder Bankenregulierung und der währungspolitischen Kooperation, folgen dabei keinem Masterplan. Es handelt sich bei ihnen vielmehr um inter- und transnational ausgehandelte Kompromisse, die darauf zielen, die Funktionsweise des EG-Binnenmarktes zu effektivieren und abzusichern. Über die EU-interne Stabilisierungs- und Modernisierungsfunktion hinaus haben die WWU und die Prozesse der finanzmarktpolitischen Liberalisierung und (De-)Regulierung dazu beigetragen, das europäische Gestaltungspotenzial in den internationalen Währungsund Finanzbeziehungen zu stärken. Der US-amerikanische Ökonomie Fred Bergsten (1997: 86ff) hat in diesem Kontext schon früh die perspektivische Entwicklung einiger Schlüsselindikatoren thematisiert: so z.B. die Größe der europäischen Ökonomie und deren Anteil am Welthandel; die hierdurch geförderte Nutzung des Euro als internationaler Transaktions- und Reservewährung; die relative Autonomie und geringe Schockempfindlichkeit des europäischen Wirtschaftsraumes; die grenzüberschreitende Dynamik und Vitalität des europäischen Kapitalmarktes; die wachsende Attraktivität für internationale (Finanz-)Investoren; sowie die Währungsstabilität und interne Reformdynamik. All diese Indikatoren sind zweifelsohne aufschlussreich, zugleich bleibt ihr Erklärungsgehalt jedoch begrenzt. Dies gilt zumindest dann, wenn sich die Argumentation – im Rahmen modelltheoretischer Analysen – primär an den Präferenzen globaler Finanzinvestoren und der Funktionsweise
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des US-Modells orientiert, nicht aber reflektiert, wie sich im Kontext der Währungs- und Finanzmarktintegration auch die produktiven Grundlagen und institutionellen Regulationsformen der neuen europäischen Ökonomie verändern. Um das Gestaltungspotenzial der EU zu bestimmen, sind genau diese Dimensionen, d.h. die verschiedenen Muster der interaktiven Einbettung der europäischen Währungs- und Finanzmarktpolitik – in die sozialen Produktionsbeziehungen, in zivilgesellschaftliche Kooperations- und Kommunikationsstrukturen sowie in die Operationsweise globaler Organisationen und Regime –, genauer in den Blick zu nehmen. Die interaktive Einbettung der Währungs- und Finanzmarktpolitik in die sozialen Produktionsbeziehungen ist grundlegend, da zwischen dem kapitalistischen Produktions- und Akkumulationsprozess auf der einen und den Formen der Kapital- und Kreditbeschaffung auf der anderen Seite ein wechselseitiger Verweisungszusammenhang besteht (vgl. Strange 1994: 90ff). So beeinflussen die Darlehens- und Investitionsgeschäfte von Finanzunternehmen wie Banken und institutionellen Anlegern nicht nur das verfügbare Kapitalvolumen, sondern vermittelt über spezifische Konditionalitäten und Kontrollmechanismen – Stichwort: Corporate Governance – indirekt auch die Art und Weise, wie die Produktion organisiert wird. Dies heißt keineswegs, dass die Finanzmärkte und Produktionsbeziehungen stets reibungslos ineinandergreifen. Im Gegenteil, die Finanzmarktakteure üben im Bestreben, eine möglichst günstige Kapitalverzinsung zu erzielen, auf die Unternehmen und abhängig Beschäftigten oft einen beträchtlichen Disziplinierungsdruck aus. Darüber hinaus besteht fortwährend die Gefahr, dass (internationale) Währungs- und Finanzkrisen eine stetige wirtschaftliche Entwicklung und kalkulierbare Investitions- und Konsumentscheidungen beeinträchtigen. Das Zusammenspiel zwischen den Finanzmärkten und Produktionsbeziehungen ist demzufolge ambivalent: „On the one hand credit flows are vital to productive investments and reallocations of capital from one line of production or location to another. They also play an important role in bringing consumption needs (for housing, for example) into a potentially balanced relationship with productive activities in a spatially disaggregated world marked by surpluses in one space and deficits in another. In all of these respects the financial system (with or without state involvement) is critical to co-ordinate the dynamics of capital accumulation. But finance capital also embraces a lot of unproductive activity in which money is simply used to make more money through speculation on commodity futures, currency values, debts, and the like. When huge quantities of capital become available for such purposes, then open capital markets become vehicles for speculative activity, some of which, as we saw during the 1990s with both the dot.com and the stock market ‚bubbles’, become self-fulfilling prophecies, just as the hedge funds, armed with trillions of dollars of leveraged money, could force Indonesia and even Korea into bankruptcy no matter what the strength of their underlying economies.“ (Harvey 2003: 131f)
Ungeachtet der prinzipiellen Komplementarität ist die Interaktion zwischen den Währungsund Finanzbeziehungen sowie den Produktionsbeziehungen mithin durch gewisse Spannungen geprägt. Diese Spannungen sind insofern unvermeidlich, als beide Sphären durch eine divergierende raum-zeitliche Einbettung und Kalkulationslogik gekennzeichnet sind: „Financial calculations take place in an instantaneous global electronic network in which fortunes are made and lost at the speed of electricity. Production takes time to plan, research, develop, install, train, and put into operation. Its efficacy is influenced by local cultures and the social climate.“ (Cox 1996a: 181)
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Eine zentrale politische Aufgabe besteht demzufolge nicht nur darin, die Entwicklung von dynamischen und stabilen Kapital- und Kreditmärkten zu fördern, sondern zugleich auch das Spannungsverhältnis zwischen der Finanz- und Produktionssphäre organisatorisch, d.h. institutionell und regulativ, so zu gestalten, dass die verfügbaren finanziellen Ressourcen produktiv nutzbar gemacht werden können. In der EU werden die konkreten institutionellen und regulativen Arrangements dabei – ähnlich wie im Fall der gemeinsamen Handelspolitik – zunehmend durch den europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplex definiert. Die Formen einer zivilgesellschaftlichen Einbettung der Währungs- und Finanzmarktpolitik sind allerdings sehr unterschiedlich entwickelt. Im Bereich der Geld- und Währungspolitik gibt es nur diffuse und punktuell schwach institutionalisierte zivilgesellschaftliche Kooperationsmuster, z.B. in der Form des makroökonomischen Dialogs (vgl. Koll 2004). Dies ist vor allem der autonomen Operationsweise der Europäischen Zentralbank (EZB) geschuldet, die laut EU-Vertrag eigentlich nur die geldpolitischen Entscheidungen trifft, faktisch aber – aufgrund der Inaktivität der nationalen Regierungen – auch die Wechselkurspolitik bestimmt. Im Vergleich zur Geld- und Währungspolitik lassen sich im Bereich der Finanzmarktpolitik inzwischen sehr entwickelte und vielfältig ausdifferenzierte Formen der zivilgesellschaftlichen Einbettung identifizieren. Die Interaktions-Netzwerke, die sich in der Folge des Integrationsschubs seit den 1980er Jahren herausgebildet haben, befassen sich vor allem mit der Liberalisierung und Regulierung spezifischer Finanzdienstleistungen wie Bankenkredite, Versicherungen oder Wertpapiergeschäfte. Darüber hinaus haben die Unternehmen und Verbände des Finanzsektors – in Abstimmung mit einflussreichen Industrie- und Dienstleistungsverbänden – auch sektorübergreifende Kooperationsformen entwickelt, um die europäische Währungs- und Finanzmarktintegration programmatisch und organisatorisch voranzutreiben. Der Prozess der Währungs- und Finanzmarktintegration verläuft damit keineswegs reibungslos und konfliktfrei. Im Gegenteil, zwischen den nationalen Regierungen und Staatsapparaten bestehen mitunter sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die konkreten Liberalisierungs- und Regulierungsformen mit den Erfordernissen einer prosperierenden Gesamtökonomie in Übereinstimmung zu bringen sind (vgl. hierzu Story/Walter 1997). Im Laufe der Zeit konnten die meisten dieser Konflikte – unter maßgeblicher Mitwirkung der transnationalen zivilgesellschaftlichen Kooperationsnetzwerke – entschärft und Kompromisslösungen zugeführt werden. Ähnlich wie im Bereich der Handelspolitik lässt sich daher auch im Bereich der Währungs- und Finanzmarktpolitik ein Institutionalisierungsprozess – also die Genese von Elementen einer supranationalen Staatlichkeit – beobachten, der durch die Entwicklung transnationaler zivilgesellschaftlicher Kooperationsmuster begleitet und vorangetrieben wird. Die Entwicklung des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes erfolgte im Kontext diverser Integrations-Initiativen. Von besonderer Bedeutung waren dabei das EGBinnenmarktprojekt, die WWU und der Financial Services Action Plan (FSAP). Diese Initiativen korrespondierten nicht nur mit dem Wandel der sozialen Produktionsbeziehungen, sondern zugleich auch mit einer tiefgreifenden Transformation der globalen Regulationsformen. In den Nachkriegsjahrzehnten waren die konkreten institutionellen und regulativen Arrangements, über die die Beziehungen zwischen der Finanz- und Produktionssphäre gestaltet wurden, noch nahezu ausschließlich durch die nationalen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe definiert worden. Dies betraf vor allem die Währungs- und Geldpolitik, für die allein die nationalen Regierungen und Zentralbanken verantwortlich waren.
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Ebenso unterlag aber auch die Finanzmarktpolitik – gestützt auf die national spezifische Regulierung der Kredit-, Wertpapier- und Versicherungsmärkte und die Option von Kapitalverkehrskontrollen – weitgehend der nationalen Kontrolle. Die nationale Währungs- und Finanzmarktpolitik war dabei – vermittelt über den IWF, die Weltbank oder die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) – eingefasst in die Operationsweise des Bretton Woods Systems (vgl. Helleiner 1994: 53ff); und sieht man von der Europäischen Zahlungsunion (EZU) von 1950-1958 einmal ab, so spielte die europäische Ebene lange kaum eine Rolle. Dies änderte sich eigentlich erst seit den 1970er Jahren. Nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods Systems, d.h. dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen, beschleunigte sich in den 1980er und 1990er Jahren im globalen Maßstab die Liberalisierung und (De)Regulierung der Finanzmärkte. Gefördert wurde dieser Prozess vor allem durch die USA. Gestützt auf die globale Rolle des US-Dollars und die Attraktivität des US-amerikanischen Finanzmarktes – daher die Bezeichnung Dollar-Wall Street Regime (DWSR) (Gowan 1999) –, übten sie auf andere Staaten einen beträchtlichen Druck aus, die (Finanz-)Märkte zu öffnen. In der EG/EU entfaltete sich – maßgeblich initiiert durch Großbritannien – im Bereich der Finanzmärkte zunächst ebenfalls eine Logik der kompetitiven Liberalisierung und Deregulierung (vgl. Helleiner 1994: 166ff). Darüber hinaus wurden aber auch Schritte einer stärkeren Vergemeinschaftung der Währungs- und Finanzmarktpolitik – von der Gründung des Europäischen Währungssystems (EWS), über den EG-Binnenmarkt und die WWU bis hin zum Financial Services Action Plan (FSAP), die Lissabon-Strategie und die Reform der Corporate Governance Systeme – eingeleitet, um diesen Prozess politisch aktiv zu gestalten. Trotz dieser Initiativen blieb der Gestaltungsanspruch der EU in den internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen allerdings beschränkt. Er konzentrierte sich bislang vornehmlich darauf, den Euro in der internationalen Währungskonkurrenz zu stärken, die Attraktivität des europäischen Finanzmarktes zu verbessern und eine wettbewerbsorientierte Reform der Arbeits- und Sozialsysteme zu fördern. Die EU orientierte sich dabei sehr stark am US-Modell, um die internationalen Finanzströme zu ihren eigenen Gunsten zu beeinflussen (vgl. Grahl 2004: 292ff). Die Funktionsweise und die Machtstrukturen des DWSR wurden von ihr demzufolge grundsätzlich akzeptiert, nicht aber offensiv herausgefordert. Bis zur globalen Wirtschafts- und Finanzkrise hat die EU die Diskussion über die Reform der internationalen Finanzarchitektur eher reaktiv begleitet, bevor seit kurzem auch eigene europäische Reformvorschläge zu vernehmen sind. Ob sich diese als relevant und nachhaltig erweisen, ist ungewiss. Schließlich ist die Repräsentation der EU in den internationalen Institutionen und Foren der Währungs- und Finanzmarktregulierung nach wie vor nationalstaatlich fragmentiert (vgl. McNamara/Meunier 2002; Bini Smaghi 2004; PisaniFerry et al. 2008: 88ff). 5.2.2 Vom Bretton Woods System zum Dollar-Wall Street Regime Ungeachtet dieser institutionellen und strategischen Selbstbeschränkung kann jedoch von einer strukturellen Aufwertung der EU in den internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen gesprochen werden. In den Nachkriegsjahrzehnten war das währungs- und finanzmarktpolitische Gewicht, über das die (west-)europäischen Staaten im Rahmen der globalen Konstellation des „embedded liberalism“ (Ruggie 1982) verfügten, sehr begrenzt. Die
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zentralen Institutionen und Regime, durch die diese Konstellation abgestützt wurde, waren primär von den USA – bei einer begrenzten Mitwirkung Großbritanniens – definiert worden (vgl. Kuttner 1991: 25ff; Hudson 2003: 137ff). Dies gilt insbesondere für die Funktionsweise des internationalen Währungs- und Finanzsystems, auf das sich die Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen bereits 1944 auf einer Konferenz in Bretton Woods verständigt hatten (vgl. Limbers 2001). Entsprechend wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein System fester, bei dauerhaften Ungleichgewichten aber auch anpassungsfähiger Wechselkurse eingerichtet. Der US-Dollar, in dem ein Großteil des internationalen Handels und Zahlungsverkehrs abgerechnet wurde, fungierte dabei als Leitwährung und war fest an das Gold gebunden. Zudem wurde die Funktionsweise des Bretton Woods Systems durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank institutionell stabilisiert.32 In beiden Institutionen waren die Stimmanteile der Mitgliedsstaaten vornehmlich durch die Kapitaleinlagen bestimmt, so dass in wichtigen Fragen die USA über eine Sperrminorität verfügten (vgl. Musil 2003: 259; Hudson 2003: 150). Das Bretton Woods System sollte eine liberale, zugleich aber auch stabile Weltwirtschaftsordnung ermöglichen. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise ab Ende der 1920er Jahre, der nachfolgenden Fragmentierung der Weltwirtschaft, dem aufkommenden Nationalismus und den relativen Erfolgen der staatsinterventionistischen „New Deal“Strategie hatte sich die Auffassung verallgemeinert, dass zwar die Liberalisierung des Handels gefördert, zugleich jedoch der internationale Kapitalverkehr politisch kontrolliert und reguliert werden sollte, um die nationalen Möglichkeiten der wirtschaftspolitischen Intervention und wohlfahrtsstaatlichen Regulierung nicht zu beeinträchtigen (vgl. Kuttner 1991: 25ff; Cohen 1991: 244ff; Helleiner 1994: 26ff).33 Diese Überlegungen kamen nicht nur in den Vorstellungen von Harry Dexter White und John Maynard Keynes zum Ausdruck, deren konzeptionelle Planungsentwürfe einer multilateralen Weltwirtschaftsordnung – bei allen Differenzen – die Funktionsweise des Bretton Woods System maßgeblich definierten (vgl. Limbers 2001; Musil 2003; Muchlinski 2005). Sie entsprachen auch den sozialen Produktionsbeziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg, die – auf beiden Seiten des Atlantiks – durch eine „doppelte Kompromissstruktur“ geprägt waren: Zum einen wurde das Bretton Woods System durch die „korporativ-liberale Synthese“ (van der Pijl 1984: 90ff) zwischen dem liberal-internationalistischen Finanzkapital und dem korporatistisch orientierten Industriekapital gestützt34; und in Ergänzung hierzu kristallisierten sich zum anderen 32 Dem IWF kam die Funktion zu, internationale Liquiditätsengpässe zu beseitigen, d.h. Ländern, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten waren, mit kurzfristigen Krediten beizustehen. Die Weltbank konzentrierte sich hingegen auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas und langfristige entwicklungspolitische Aufgaben. Zuweilen ist auch von der „Weltbank-Gruppe“ die Rede, da die 1946 gegründete International Bank for Reconstruction and Development (IBRD) durch einige Institutionen mit Spezialaufgaben sukzessive ergänzt wurde: 1956 durch die International Finance Corporation (IFC), 1960 durch die International Development Association (IDA), 1966 durch das International Center for the Settlement of Investment Disputes (ICSID) und 1985 durch die Multilateral Investment Guarantee Agency (MIGA). 33 Die Vorbehalte richteten sich in erster Linie gegen kurzfristige, spekulative internationale Kapitalbewegungen. Langfristige Kapitalbewegungen wurden hingegen begrüßt, sofern sie dazu beitrugen, Probleme in den nationalen Zahlungsbilanzen, z.B. starke Leistungsbilanzüberschüsse oder -defizite, auszugleichen. 34 Dass die Interessen beider Kapitalfraktionen keineswegs deckungsgleich waren, zeigte sich schon bald nach der Etablierung des Bretton Woods Systems. Nach 1945 wandte sich z.B. die New Yorker Finanzwelt wiederholt gegen die Option internationaler Kapitalverkehrskontrollen und die damit verbundene Möglichkeit der Regierungen und Industrieunternehmen, sich der Disziplinierung durch die Finanzmärkte zu entziehen (vgl. Helleiner 1994: 39ff).
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– vermittelt durch die Kooperation von Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden – national spezifisch ausgeprägte Klassenkompromisse heraus, im Rahmen derer die abhängig Beschäftigten am Wirtschaftswachstum und den demokratischen Entscheidungsprozessen beteiligt wurden (vgl. Hirsch/Roth 1986: 72ff; Deppe 1997: 77ff). Neben den Formen der wohlfahrtsstaatlichen Regulation, der demokratischen Partizipation und industriepolitischen Steuerung war auch die Organisation der Finanzmärkte durch spezifische nationale Strukturmerkmale geprägt (vgl. Story/Walter 1997: 136ff; Lütz 2002): In den USA war in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise mit dem Glass-Steagall Act von 1933 ein Trennbankensystem mit einer strikten Separierung von Kredit- und Wertpapiergeschäften etabliert worden; in Großbritannien hatte sich – gestützt auf Gewohnheiten und informelle Absprachen – eine vergleichbare Arbeitsteilung im Finanzsektor entwickelt; selbst in Frankreich existierte bis in die 1960er Jahre ein Trennbankensystem, wobei allerdings durch die Verstaatlichungswelle nach dem Zweiten Weltkrieg im Bankensektor umfassende staatliche Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten gegeben waren; und in Deutschland hatten sich bei Fortbestand des Universalbankprinzips, d.h. einer allseitig möglichen Geschäftstätigkeit von Privat-, Genossenschafts- und öffentlichen Banken, die Strukturen eines bankbasierten Finanzsystems reproduziert. Für die Funktionsweise der spezifischen nationalen Kapitalismusmodelle waren die institutionellen Besonderheiten des Finanzsektors zweifelsohne bedeutsam (vgl. Tsoukalis 1994: 95). Sie konnten sich vor allem deswegen behaupten, weil die Finanzmarktdynamik zweifach eingeschränkt war. Zum einen konnte sich im Rahmen des Bretton Woods Systems durch das System fester Wechselkurse und die Option von Kapitalverkehrskontrollen keine internationale Währungskonkurrenz entfalten. Die Geldpolitik der nationalen Zentralbanken blieb damit sehr stark auf die Binnenökonomie und das Wirtschaftswachstum ausgerichtet, was auch darin zum Ausdruck kam, dass bis in die 1970er Jahre hinein das reale Zinsniveau unterhalb der Wachstumsraten des Brutto-Inlands-Produktes (BIP) lag (vgl. Altvater 2004: 48f). Zum anderen war, in Ergänzung zur wechselseitigen Abschottung der nationalen Finanzmärkte, auch die nationale Konkurrenz relativ gering entwickelt. Was die Kreditmärkte betrifft, so wurde der Wettbewerb „entweder durch ein Trennbankensystem oder durch das in Deutschland vorherrschende Prinzip des Gruppenwettbewerbs [d.h. die Konzentration der unterschiedlichen Kreditinstitute auf spezifische Geschäftsfelder, beschränkt, H.-J.B.]. Mit dem Kapitalmarktsektor verhielt es sich ähnlich. Er war in allen Ländern weniger stark entwickelt als unter den heutigen Bedingungen, stark kartelliert – entweder durch rechtliche Trennungen zwischen Brokern und Jobbern (Großbritannien und USA) oder durch die Vorherrschaft des Regionalprinzips (Deutschland) – und funktionierte nach dem Prinzip der Selbstregulierung durch die Marktakteure.“ (Beckmann 2007: 35)
Auf den ersten Blick erscheint diese Komplementarität zwischen dem globalen Regulierungsrahmen des Bretton Woods Systems und der Reproduktion national spezifischer Modelle der wirtschafts- und finanzmarktpolitischen Steuerung als relativ stabil. Tatsächlich war die institutionelle Regulierung der internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen in den Nachkriegsjahrzehnten jedoch von Beginn an prekär. Die internen Widersprüche und Spannungen des Bretton Woods Systems stellten sich in den unterschiedlichen Entwicklungsphasen verschieden dar. In der Zeit von 1945 bis 1958 bestand das zentrale Problem darin, die Weltwirtschaft – zur Unterstützung des internationalen Handels- und Kapi-
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talverkehrs – hinreichend mit US-Dollar zu versorgen. Dies galt umso mehr, als die meisten Währungen, so auch diejenigen Westeuropas, vorerst nicht konvertibel waren. Um die Probleme der Dollar-Knappheit zu überwinden, lancierten die USA im Jahr 1947 nicht nur den Marshall-Plan. Sie unterstützten auch maßgeblich die Europäische Zahlungsunion (EZU), mit der seit 1950 ein innereuropäisches Verrechnungs- und Kreditsystem eingerichtet wurde (vgl. Kuttner 1991: 50ff; Schäfer 2003). Dies zeigt, dass sich hinter dem multilateralen Design des Bretton Woods Systems de facto ein stark zentralisierter, durch die Kredit- und Währungspolitik der USA definierter Regulierungsmechanismus verbarg (vgl. Cohen 1991: 247f). Nach der Auflösung der EZU und dem Übergang zur Währungskonvertibilität im Jahr 1958 verkehrte sich das Problem der Dollar-Knappheit in eines des Dollar-Überflusses. In dem Maße, wie die – westeuropäischen – Regierungen und Zentralbanken zur Abwicklung des grenzüberschreitenden Handels- und Kapitalverkehrs zunehmend weniger auf den USDollar angewiesen waren, reduzierten sie ihre Dollardevisen und tauschten diese zum Teil gegen Gold ein. Da sich hierdurch die Goldreserven der USA verminderten, wurde die Golddeckung des US-Dollars mehr und mehr in Frage gestellt. Um das Bretton Woods System funktionsfähig zu erhalten und den spekulativen Druck auf den US-Dollar abzuwehren, verständigten sich die USA in Kooperation mit den westeuropäischen Regierungen im Laufe der 1960er Jahre auf einige Stabilisierungsmaßnahmen (vgl. Jacobitz 1995: 156ff; Eichengreen 2000: 159ff): Diese reichten von kurzfristigen Kreditbeistandsabkommen zwischen den Zentralbanken, über die Ausweitung der Kreditvergabemöglichkeiten des IWF, die Einrichtung eines „Goldpools“, durch den die führenden Wirtschaftsmächte versuchten, den Goldpreis zu stabilisieren, bis hin zur Einführung von Sonderziehungsrechten (SZR), um den Vorrat der verfügbaren Währungsreserven besser regulieren zu können. Die diversen Stabilisierungsbestrebungen lassen sich als Versuch interpretieren, das sog. „Triffin-Dilemma“ – den Zielkonflikt zwischen einer stabilen, zugleich aber hinreichend verfügbaren Weltwährung – politisch zu entschärfen. Sie waren nur vorübergehend wirksam, da der US-Dollar seit Ende der 1960er Jahre durch drei Prozesse verstärkt unter Druck geriet:
Erstens hatte sich der wirtschaftliche Entwicklungsvorsprung der USA gegenüber Westeuropa und Japan deutlich verringert (vgl. Kennedy 1989: 620ff; Arrighi 1994: 300ff). Durch den Aufholprozess anderer Weltregionen reduzierte sich der USamerikanische Leistungsbilanzüberschuss – zum Teil verwandelte er sich sogar in ein Defizit –, indessen der Kapitalabfluss anhielt. Zweitens erodierte das Vertrauen in die Stabilität des US-Dollars dadurch, dass sich die USA in den 1960er Jahren militärisch und sozialpolitisch überforderten. Durch den Vietnam-Krieg und das „Great Society“-Programm von Lyndon B. Johnson stieg nicht nur das Haushaltsdefizit. Es wurde auch die Inflation angeheizt, was zur Folge hatte, dass – bei unveränderten Wechselkursen – die Wettbewerbsfähigkeit der USUnternehmen gegenüber den westeuropäischen und japanischen Konkurrenten beeinträchtigt wurde. Drittens wurde das Bretton Woods System schließlich auch durch die Liberalisierung der Finanzmärkte und das Wachstum grenzüberschreitender Kapitaltransaktionen unterminiert. Im Laufe der 1950er und 1960er Jahre hatte die Entstehung des sog. „Eurodollar-Marktes“, d.h. eines gering regulierten Kapitalmarktes, auf dem – mit Aus-
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sicht auf hohe Zinserträge – Devisen und Wertpapiere in fremder Währung gehandelt wurden, maßgeblich mit dazu beigetragen, dass die Regierungen die politische Kontrolle über die internationalen Kapitalströme Schritt für Schritt aufgaben (vgl. Helleiner 1994: 81ff; Burn 1999). Die aufgeführten Entwicklungen verdeutlichen, dass die Funktionsfähigkeit des Bretton Woods Systems nicht nur durch systemische Widersprüche, sondern letztlich auch durch politische Entscheidungen untergraben wurde. Selbst als sich die Krise Anfang der 1970er Jahre zuspitzte, hätte noch immer die Option bestanden, ein neues, multilateral und kooperativ organisiertes Regime der währungs- und finanzmarktpolitischen Regulierung zu etablieren. Letztlich waren die Regierungen und Notenbanken in Westeuropa und Japan jedoch nicht dazu bereit, sich an den Kosten des internationalen Währungsmanagements zu beteiligen; und die USA waren nicht gewillt, ihre währungs- und finanzmarktpolitische Kontrollmacht zu teilen. Sie praktizierten stattdessen eine nahezu ausschließlich auf innergesellschaftliche Prioritäten fokussierte Wirtschafts- und Finanzpolitik und hofften, durch den Übergang zu flexiblen Wechselkursen neue Gestaltungsspielräume zu gewinnen (vgl. Scherrer 1999: 194ff). Der Zusammenbruch des Bretton Woods Systems markiert zweifelsohne eine tiefe Zäsur in der Entwicklung der internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen. Dies gilt auch für die EG-Mitgliedstaaten, deren währungs- und finanzmarktpolitische Aktivitäten sich bis dahin weitgehend im Einklang mit den Zielen des Bretton Woods Systems entwickelt hatten. In den 1950er Jahren richteten sich ihre Anstrengungen vornehmlich darauf, im Rahmen der EZU die Konsolidierung der westeuropäischen Ökonomien zu fördern, um die EZU mit Erreichen der Währungskonvertibilität schließlich selbst überflüssig zu machen. Dies implizierte einerseits eine Renationalisierung der Währungs- und Kapitalmarktpolitik, da die EG-Staaten – in Übereinstimmung mit den USA – auf die Option verzichteten, ein regionales Währungssystem zu schaffen (vgl. Polster/Voy 1995: 41). Andererseits entsprach diese Entwicklung aber durchaus der Funktionsweise des Bretton Woods Systems und auch den Bestimmungen des EWG-Vertrags. In diesem war mit Rücksicht auf die geld- und finanzpolitische Autonomie der nationalen Regierungen und Zentralbanken bewusst darauf verzichtet worden, eine gemeinsame Wechselkurspolitik zu definieren. Auch die Liberalisierung des Kapitalverkehrs wurde nur insofern angestrebt, als sie „für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes“ erforderlich war (Art. 67, EWG-Vertrag).35 Innerhalb des Rahmens, der durch das Bretton Woods System und den EWG-Vertrag abgesteckt war, setzten die Regierungen Westeuropas allerdings unterschiedliche Akzente in der Währungs- und Finanzmarktpolitik. Vereinfacht lassen sich zwei Ländergruppen unterscheiden (vgl. Tsoukalis 1997: 94): Auf der einen Seite standen Frankreich und die südeuropäischen Länder, die durch die extensive Kontrolle des – kurzfristigen – Kapitalverkehrs die nationalen geld- und wirtschaftspolitischen Gestaltungsoptionen zu sichern versuchten; und auf der anderen Seite wurde von Großbritannien, Deutschland und den Niederlanden eine sehr rasche Liberalisierung des Kapitalverkehrs befürwortet und auch 35
Die Richtlinien zur Kapitalmarktliberalisierung, die 1960 und 1962 verabschiedet wurden, hatten in diesem Sinne einen explizit realwirtschaftlichen Bezug. Sie waren unmittelbar an den Warenhandel, Unternehmensgründungen, Direktinvestitionen oder den Erwerb börsennotierter Aktien geknüpft, wobei ihre Wirkung durch ein dichtes Netz von Kapitalverkehrskontrollen in den 1970er Jahren stark beschränkt wurde (vgl. Tsoukalis 1997: 93f; Lütz 2002: 140).
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praktiziert. Dieser Gegensatz manifestierte sich nicht erst in den 1970er Jahren. Die Bundesrepublik Deutschland hatte bereits Anfang der 1960er Jahre unilateral alle Kapitalverkehrsbeschränkungen aufgehoben, um den Druck zur Währungsaufwertung, der durch den massiven Leistungsbilanzüberschuss entstanden war, durch verstärkte Kapitalabflüsse abzumildern (vgl. Grahl 2003: 22); und Großbritannien hatte – sehr darauf bedacht, den eigenen Finanzplatz, d.h. die City of London zu stärken – ebenfalls in den 1960er Jahren die Entwicklung des weitgehend liberalisierten Eurodollar-Marktes gefördert (vgl. Helleiner 1994: 83f; Burns 1999; Lütz 2002: 138ff). Der zunehmende Liberalisierungsdruck unterminierte letztlich die Funktionsbedingungen des Bretton Woods Systems, dessen Zusammenbruch von den USA, der EG, Japan und den übrigen OECD-Staaten sehr unterschiedlich verarbeitet wurde. Die EG hatte sich – im Vorgriff auf die wachsenden Spannungen innerhalb der internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen – bereits Anfang der 1970er Jahre mit dem Werner-Plan auf das Projekt einer WWU verständigt (vgl. McNamara 1998: 104ff; Verdun 2000: 56ff). Die Umsetzung dieses Vorhabens scheiterte jedoch schon bald, weil unter den Krisenbedingungen der 1970er Jahre die nationalen wirtschafts-, geld- und finanzpolitischen Strategien der EGMitgliedstaaten auseinander drifteten (vgl. Ziltener 1999: 125f). Innerhalb der EG bildete sich eine stabilitätsorientierte D-Mark-Zone – mit Deutschland, den Benelux-Staaten und Dänemark – heraus, während die übrigen Staaten versuchten, ihre keynesianisch orientierte Wachstums- und Beschäftigungspolitik durch wiederholte Abwertungen und die Ausweitung von Kapitalverkehrskontrollen währungs- und finanzmarktpolitisch zu flankieren (vgl. McNamara 1998: 116ff). Letztlich sah sich diese zweite Strategie mit wachsenden Schwierigkeiten konfrontiert. Neben der allgemeinen Wachstumsschwäche, einer steigenden Staatsverschuldung und hohen Inflationsraten sorgte nicht zuletzt die zunehmende grenzüberschreitende Kapitalmobilität dafür, dass die nationale wirtschaftspolitische Autonomie eingeengt wurde. Die erhöhte Kapitalmobilität war dabei vor allem durch zwei Prozesse begünstigt worden (vgl. Helleiner 1994: 123ff; McNamara 1998: 112ff; Lütz 2002: 141ff): Erstens hatte das Recycling der sprunghaft angestiegenen Dollareinnahmen der OPEC-Staaten zu einer weiteren Ausdehnung der Eurodollar-Märkte und hiermit verbundener Bankgeschäfte geführt; und zweitens entfaltete sich, nachdem die USA Mitte der 1970er Jahre begonnen hatten, die bestehenden Kapitalverkehrskontrollen abzubauen, ein Prozess der kompetitiven (De-)Regulierung. Unter den Bedingungen der internationalen Währungskonkurrenz zeigten sich die Regierungen zunehmend bestrebt, durch die Lockerung oder Beseitigung restriktiver Regulationsformen die Attraktivität der nationalen Finanzmärkte zu verbessern, um über den Zustrom ausländischen Kapitals die eigene Ökonomie und Währung zu stärken (vgl. Goodman/Pauly 1993).36 Für die USA stellte sich die Situation in den 1970er Jahren zunächst jedoch noch etwas anders dar. Im Kampf gegen die Wachstumsschwäche und das Leistungsbilanzdefizit 36
In diesem Zusammenhangt wäre es freilich verkürzt, die Beseitigung von nationalen Barrieren für den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr allein als Deregulierung, also als Abbau staatlicher Kontroll- und Steuerungskompetenzen zu interpretieren. In mancher Hinsicht war sogar das Gegenteil der Fall (vgl. Moran 1994; Lütz 2002). Vor allem im Bereich der Wertpapiermärkte, die traditionell durch ein hohes Maß an Selbstregulierung gekennzeichnet waren, wurde die Liberalisierung durch die Ausweitung markt- und wettbewerbskonformer staatlicher Regulierungsaufgaben begleitet, um transparente Investitionsbedingungen zu gewährleisten. Auch im Bereich der Kreditmärkte nahmen die staatlichen Kontroll- und Stabilisierungsaufgaben im Zuge der Globalisierung zu.
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war der US-Regierung anfangs nicht an einer weiteren Stärkung des US-Dollars gelegen. Die Carter-Administration erhoffte sich vielmehr, durch die Aufwertung der konkurrierenden Währungen und eine expansive Wirtschaftspolitik in Westeuropa und Japan die eigenen Konjunktur- und Wettbewerbsperspektiven verbessern zu können. Nachdem sich die Handelspartner auf diese Strategie einer trilateralen wirtschaftspolitischen Kooperation nur halbherzig einließen (vgl. Scherrer 2000: 23ff) und das Vertrauen in den US-Dollar angesichts fortbestehender Leistungsbilanz- und Inflationsprobleme dahin schwand, kam es Ende der 1970er Jahre dann jedoch zu einem Kurswechsel in der US-amerikanischen Politik: „In November 1978, President Carter announced an anti-inflation program that included cutbacks in government spending and an increase in the interest rate. When these measures did not satisfy the financial markets or foreign governments, he became persuaded of the need for more decisive austerity measures to restore confidence in the dollar.” (Helleiner 1994: 133)
Von entscheidender Bedeutung war dabei die Ernennung von Paul Volcker zum Präsidenten des Federal Reserve Systems im August 1979. Die Fed ging anschließend abrupt – daher auch die Rede vom „Volcker-Schock“ – zu einer monetaristisch motivierten Hochzins-Hochdollar Politik über. Die Folgen dieses Kursschwenks waren sehr weitreichend (vgl. Panitch/Gindin 2003: 128ff): Erstens gelang es zwar, die Inflation in den Griff zu bekommen, zugleich sorgte die Dollar-Aufwertung aber dafür, dass sich die Exportkonditionen und damit auch die Leistungsbilanz weiter verschlechterten. Zweitens implizierte dies einen erhöhten Druck für die US-amerikanischen Unternehmen, sich zu restrukturieren. Dieser Prozess wurde durch die Arbeitsmarktflexibilisierung, die sozial- und steuerpolitische Kostenentlastung und das Deficit-Spending der Reagan-Administration begleitet. Drittens schließlich erzeugte die Hochzins-Hochdollar Politik einen enormen Kapitalzufluss in die USA, der nicht nur durch die Staatsverschuldung, sondern auch durch die Liberalisierung des US-Finanzmarktes zusätzlich stimuliert wurde. So betrachtet handelte es sich bei dem „Volcker-Schock“ um eine wichtige Weichenstellung für die Herausbildung und Festigung einer neuen internationalen Währungs- und Finanzarchitektur, die keineswegs ausschließlich37, so aber doch in besonderem Maße auf dem US-Dollar und der Finanzmarktdynamik in den USA basierte. In diesem Sinne kann von einem – tendenziell globalen – Dollar-Wall Street Regime (DWSR) gesprochen werden, dessen tragende Pfeiler sich wechselseitig ergänzten. In den Worten von Peter Gowan (1999: 24): „First we can see how the new centrality of the dollar turned people towards Wall Street for finance. Because the dollar has been the dominant world currency, the great majority of states would want to hold the great bulk of their foreign currency reserves in dollars, placing them within the American financial system (or in London). Similarly, because many central commodities in the world economy were priced in and traded for dollars, those trading in such commodities would wish to raise their trade finance in New York and London. Thus, the dollar’s role greatly boosted the size and turnover in the Anglo-American financial markets. At the 37 So ist zu berücksichtigen, dass auch andere Währungen wie die D-Mark oder der Yen partiell die Funktion einer Weltwährung ausfüllten; und auch die Bedeutung anderer Finanzplätze wie London, Tokyo, Frankfurt oder Paris sollte nicht aus dem Blick verloren werden. Im Zuge der finanziellen Globalisierung sind deren Funktionsweise und Wechselkursrelationen jedoch in besonderem Maße durch die US-amerikanische Währungs- und Finanzmarktpolitik beeinflusst worden.
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5 Die Europäische Union in der Weltökonomie und Weltordnung same time there was feedback the other way. The strength of Wall Street, as a financial centre, reinforced the dominance of the dollar: for anyone wanting to borrow or lend money, the size and strength of a financial system is a very important factor. The bigger a financial market’s resources and reach, the safer it is likely to be, and the more competitive its rates for borrowers. And the same is true of securities markets (for bonds or shares). For those seeking royalties from securities a big market with very high rates of buying and selling is safer because you can easily withdraw at any time by finding a buyer for your bonds or shares.“
Die Spielregeln – offene Kapitalmärkte, freie Wechselkurse und internationale Währungskonkurrenz – und die Funktionsweise des DWSR wurden vor allem durch das US-amerikanische Finanzministerium, die Zentralbank (Federal Reserve), die Securities and Exchange Commission (SEC) sowie die Finanzdienstleistungsunternehmen und andere TNKs bestimmt, die an der Wall Street oder auf anderen Weltfinanzplätzen ihre Geschäfte betreiben. Die Beziehungen zwischen diesen Akteuren sind durch Personalaustausch, enge Arbeitsbeziehungen und ähnlich gelagerte Interessen und Strategien charakterisiert. Das organisatorische Zentrum des DWSR, der „Wall Street-Treasury Complex“ (Bhagwati 1998: 10f), kooperiert zudem sehr eng mit internationalen Institutionen und Finanzforen wie dem IWF, der Weltbank, der WTO, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) oder der International Organisation of Securities Commissions (IOSCO). Die institutionalisierten globalen Machtbeziehungen tragen grundsätzlich dazu bei, das DWSR zu stabilisieren. Noch bedeutsamer sind die materiellen Vorteile, die den USA daraus erwachsen, dass sie mit dem Dollar als Weltgeld deutlich geringeren Restriktionen als andere Ökonomien ausgesetzt sind (vgl. Gowan 1999: 25). Im engeren Sinne besteht die Seigniorage (der Münzprägegewinn) darin, dass die USA ihre Währung nur drucken müssen, indessen andere Staaten gezwungen sind, ihre Dollarbestände durch Exporte oder die Kreditaufnahme im Ausland zu erwerben. Darüber hinaus ist es den USA möglich, alle Wirtschaftsaktivitäten – auch die im Ausland – in der eigenen Währung abzuwickeln. Dies gilt z.B. für die Direktoder Portfolioinvestitionen von US-Unternehmen oder auch für die Finanzierung des USamerikanischen Leistungs- und Haushaltsdefizits. Die strukturale Macht, über die die USA in den internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen verfügen, kommt bislang auch darin zum Ausdruck, dass die ausländischen Gläubiger – Banken, Investmentfonds oder nationale Zentralbanken – fortwährend Kredite nachschieben, um den US-Dollar stabil zu halten und eigene Verluste zu vermeiden. Den USA eröffnet dies die Option, „to create capital through credit and not simply or primarily through the accumulation of ressources“ (Cafruny/Ryner 2007: 24). Zudem nutzen die USA – im Sinne reziproker Liberalisierungsprozesse – den Zugang ausländischer (Finanz-)Unternehmen zum US-Markt als einen sehr effektiven Hebel, um andere Wirtschaftsräume und Finanzmärkte für das US-Kapital zu öffnen. In diesem Prozess werden, so Peter Gowan (1999: 27), drei zentrale Anliegen verknüpft: „first, to remove barriers to the free flow of funds in both directions between Wall Street and private operators within the target state; second, to give full rights to Wall Street operators to do business within the financial system and economies of the target states; and thirdly, to redesign the financial systems of target states to fit in with the business strategies of Wall Street operators and of their American clients (transnational corporations, money market mutual funds, etc.).“
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Die globalen Geld- und Kapitalmärkte werden hierdurch in gewisser Weise in den USamerikanischen Reproduktionskreislauf integriert und den wirtschaftspolitischen Prioritäten der USA unterworfen. Dies gilt in erster Linie für viele hochverschuldete oder durch schwere Währungs- und Finanzkrisen erschütterte Schwellen- und Entwicklungsländer, die – vermittelt über die Kreditkonditionalitäten von IWF und Weltbank – eine Reformpolitik im Sinne des „Washington Konsensus“ akzeptierten (vgl. Kellermann 2006). Etwas anders stellt sich die Situation für die Staaten (West-)Europas, insbesondere der Europäischen Union dar. Diese haben sich im Laufe der Zeit – weitgehend in Übereinstimmung mit den Prioritäten des DWSR – zwar auf die Logik der kompetitiven (De-)Regulierung eingelassen (vgl. Helleiner 1994: 166ff), zugleich aber auch eigenständige währungs- und finanzmarktpolitische Akzente gesetzt. Dies verdeutlichen zumindest folgende Entwicklungen: Erstens haben die EG-Staaten bereits seit Anfang der 1970er Jahre den globalen Prozess der Bankenregulierung mit gestaltet. Die 1972 eingerichtete „Groupe de Contact“ (GdC), ein informelles Gremium der nationalen Bankenaufsichtsbehörden, fungierte gleichsam als Modell für den kurze Zeit später, d.h. im Jahr 1974, im Rahmen der BIZ gegründeten Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (kurz: Basler Komitee) (vgl. Kapstein 1996: 133). Dem Basler Komitee kam die Aufgabe zu, zur Abwehr und Begrenzung internationaler Bankenkrisen die Koordination der Bankregulatoren zu fördern und allgemein akzeptierte Regulierungsstandards zu definieren. Der Koordinierungs- und Regulationsbedarf war vor allem dadurch entstanden, dass durch den Übergang zu flexiblen Wechselkursen und die Internationalisierung von Bankgeschäften zugleich das Risiko von Bankenzusammenbrüchen – so geschehen 1974 mit der deutschen Privatbank Herstatt oder der USamerikanischen Franklin National Bank – gestiegen war und dies wiederum mit beträchtlichen internationalen Auswirkungen verbunden war (vgl. Kapstein 1996: 44ff; Lütz 2002: 184). Angesichts der Differenzen in der Funktionsweise der nationalen Finanzmärkte und der fortbestehenden „lender of last resort“ Aufgabe der nationalen Zentralbanken, war es jedoch sehr schwer, einen übergreifenden Koordinations- und Regulierungsansatz zu entwickeln. Mit dem Basler Konkordat von 1975 verständigte sich das Basler Komitee schließlich darauf, das in der EG bereits seit 1972 diskutierte Konzept der Heimatlandkontrolle zu übernehmen, d.h. die Solvenz ausländischer Zweigstellen durch die Regulierungsbehörden des Hauptsitzlandes zu kontrollieren (vgl. Kapstein 1996: 133ff).38 Zweitens ging der Regulierungsansatz der EG über die Bestimmungen des Basler Konkordats hinaus. So wurde das Prinzip der Heimatlandkontrolle bereits in der Ersten Bankenkoordinierungsrichtlinie von 1977 durch das Prinzip einer allgemeinen Lizensierung (den sog. „Einheitlichen Pass“) ergänzt und das Banking Advisory Committee (BAC) – bestehend aus leitenden Repräsentanten der Zentralbanken, Finanzministerien sowie der nationalen Bankenaufsicht – geschaffen (vgl. ebd.: 137). Das BAC sollte in Zusammenarbeit mit der GdC nicht nur die Zusammenarbeit im Basler Komitee fördern, sondern auch die Europäische Kommission bei der Vorbereitung weiterer Richtlinien beraten. Im Vergleich zur Bankenregulierung waren die europäischen Aktivitäten im Bereich der Wertpapiermärkte deutlich schwächer ausgeprägt (vgl. Lütz 2002: 177f). Hier empfahl die Kom38
Das Heimatlandprinzip wurde im Basler Konkordat freilich noch durch eine Reihe weiterer Bestimmungen ergänzt: so z.B. durch das Prinzip einer allumfassenden Kontrolle, durch die Liquiditätskontrolle seitens der Überwachungsbehörden des Gastlandes und durch einen intensivierten Informationsaustausch zwischen den nationalen Überwachungsbehörden (vgl. Kapstein 1996: 48f).
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mission zwar Wohlverhaltensregeln für Wertpapiergeschäfte (1977) und verbesserte durch die Börsenzulassungs-, die Prospekt- und die Zwischenberichtslinie (1979-82) auch den Anlegerschutz. Letztlich blieben aber nicht nur im Wertpapier-, sondern auch im Bankensektor viele nationale Regulierungsbarrieren bestehen (vgl. Story/Walter 1997: 14ff). Zu einer signifikanten Vertiefung der Marktintegration kam es eigentlich erst, als im Kontext des EG-Binnenmarktprojektes die Prinzipien der Heimatlandkontrolle und der allgemeinen Lizensierung durch das Prinzip der wechselseitigen Anerkennung nationaler Regulierungsstandards ergänzt wurden. Doch auch ohne dies war die innereuropäische Kapitalmobilität im Laufe der 1970er so weit angestiegen, dass sich sehr starke Wechselkursschwankungen ergaben, durch die die Funktionsweise des gemeinsamen Marktes und der europäischen Agrarpolitik tendenziell gefährdet wurde (vgl. McNamara 1998: 122ff; Tsoukalis 203: 146). Um dem entgegenzuwirken, verständigten sich die nationalen Regierungen in der EG – zunächst die deutsche und französische Regierung – auf Initiative des damaligen Kommissionspräsidenten Roy Jenkins drittens darauf, im März 1979 das Europäische Währungssystem (EWS), eine Art „Mini-Bretton Woods-System“, zu starten (vgl. Tsoukalis 1997: 143; Story/Walter 1997: 48f). Die hierdurch angestrebte Stabilisierung der Wechselkurse sollte die grenzüberschreitenden Handelstransaktionen und Investitionen für TNKs und andere außenhandelsabhängige Unternehmen kalkulierbarer machen.39 Darüber hinaus reflektiert sich in der Etablierung des EWS aber auch die Unzufriedenheit der EG-Staaten mit der Entwicklung der globalen Währungsbeziehungen. Nachdem die USA dem Fall des US-Dollars in den 1970er Jahren nicht entgegengewirkt hatten und ein neues globales Währungsarrangement in weite Ferne gerückt war, konzentrierten sich die westeuropäischen Staaten verstärkt darauf, ein eigenständiges EG-zentriertes Stabilisierungsregime zu errichten. 5.2.3 Die Dynamik der europäischen Währungs- und Finanzmarktintegration Durch das EWS wurde der Trend zur Liberalisierung der Finanzmärkte jedoch keineswegs unterbunden, sondern eher noch gefördert. Aufgrund der asymmetrischen Funktionsweise des EWS, d.h. der ungleichen Interventionspflichten, blieb den Schwachwährungsländern kaum eine andere Wahl, als sich an den stabilitätspolitischen Vorgaben der deutschen Bundesbank zu orientieren (vgl. Tsoukalis 1997: 152ff). Im Laufe der 1980er Jahre verallgemeinerte sich in der EG daher der Kurswechsel hin zu einer angebotsorientierten Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik; und dieser bildete – zusammen mit der kompetitiven (De-)Regulierung der Finanzmärkte und der Revolutionierung der Finanzdienstleistungen (vgl. Moran 1994) – wiederum eine wichtige Voraussetzung dafür, dass weitere Schritte der europäischen Währungs- und Finanzmarktintegration eingeleitet und umgesetzt werden konnten. Die unterschiedlichen, sich wechselseitig stimulierenden Initiativen zielten in erster Linie darauf, die Attraktivität der europäischen Kredit- und Wertpapiermärkte zu steigern. Sie erfolgten damit einerseits in Übereinstimmung mit den Leitvorgaben des DWSR, d.h. offenen Kapitalmärkten, niedrigen Inflationsraten und hohen Realzinsen (vgl. Gowan 1999: 45). Andererseits wurde über die verschiedenen Initiativen zugleich aber auch der europäische Staats-Zivilgesellschafts-Komplex gestärkt, so dass sich die Mög39
Die Regierungen einiger Schwachwährungsländer sahen in der Anbindung ihrer Währungen an die D-Mark zudem einen externen Anker im Kampf gegen die Inflation (vgl. McNamara 1998: 130ff).
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lichkeiten, eine eigenständige europäische Währungs- und Finanzmarktpolitik zu entwickeln, grundsätzlich erweitert haben. 5.2.3.1 Politische Initiativen und Integrationsschritte Vermittelt über die kompetitive (De-)Regulierung der Finanzmärkte – vor allem in den USA und Großbritannien, später auch in anderen EG-Staaten (vgl. Moran 2002: 261ff) – entfaltete sich der Prozess der Währungs- und Finanzmarktintegration anfangs relativ unkoordiniert. Im Laufe der 1980er und 1990er Jahre beschleunigte er sich jedoch und wurde in wachsendem Maße durch originär europäische Initiativen strukturiert. Dies war vor allem der Tatsache geschuldet, dass die Liberalisierung und Globalisierung der Finanzmärkte – gefördert durch die öffentliche Verschuldung, die Privatisierung öffentlicher Unternehmen, die zunehmende Marktkapitalisierung von TNKs oder die Verbriefung von Handelstransaktionen und Devisengeschäften – den Gestaltungsspielraum der nationalen Regierungen stark einschränkte. Zunächst hatten diese zum Teil noch versucht, sich der Liberalisierungsdynamik entgegenzustemmen. Nachdem jedoch erkennbar wurde, dass sich die nationalstaatlichen Instrumente als zunehmend inadäquat erwiesen, sahen sich die Regierungen veranlasst, aus der Not eine Tugend zu machen (vgl. Tsoukalis 1997: 95ff). Die sukzessive Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs und der Finanzdienstleistungen wurde nicht mehr als unvermeidbare Notwendigkeit, sondern als neuartige Gestaltungsoption thematisiert. So bildete sich ein neuer Basiskonsens heraus, wonach ein gemeinsamer, intern liberalisierter Finanzmarkt dazu genutzt werden sollte, die Modernisierung der europäischen Ökonomie zu fördern und zugleich deren Gewicht in der Weltwirtschaft zu stärken. In diese Richtung weisen zumindest einige europäische Initiativen, die den Prozess der Finanzmarktintegration signifikant beschleunigten (vgl. Bieling 2003). Den Anfang machte das EG-Binnenmarktprogramm von 1985. In diesem ging es zwar auch um viele andere Bereiche der Marktintegration. Der Liberalisierung von Finanzdienstleistungen – in Bezug auf das Bankwesen, den Versicherungsbereich und den Wertpapierhandel – kam jedoch eine zentrale Bedeutung zu (vgl. Tsoukalis 1997: 93ff; Lütz 2002: 147ff; Mügge 2008: 98ff). Durch den grenzüberschreitenden Wettbewerb sollten die Kosten für die Kreditaufnahme gesenkt, die industrielle Restrukturierung gefördert und zusätzliche Investitionen stimuliert werden. Die EG konnte den Prozess der Finanzmarktliberalisierung intensiver vorantreiben, weil nach der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) im Jahr 1986 Entscheidungen nunmehr auf der Grundlage qualifizierter Mehrheitsentscheidungen getroffen wurden und der verfolgte Liberalisierungs- und (De-) Regulierungsansatz – bestehend aus dem Prinzip der wechselseitigen Anerkennung der nationalen Regulierungsformen, dem Prinzip der Heimatlandkontrolle und der Definition regulativer Mindeststandards – so besser umgesetzt werden konnte. Die Mindeststandards blieben allerdings in dem Maße umstritten, wie sie mit den tradierten nationalen Regulationsformen konfligierten und sehr essentielle Fragen betrafen, so z.B. die Zulassung, Aufsicht oder auch die Eigenkapitalausstattung und Solvenz von Finanzinstituten. Trotz fortbestehender Probleme und Konflikte waren die Impulse des EG-Binnenmarktprogramms unübersehbar: In den Jahren 1986 und 1988 wurden zwei Richtlinien verabschiedet, um innerhalb der EG die vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs herbeizuführen. Zugleich verständigten sich die Mitgliedstaaten – ebenfalls 1986 und 1988 – darauf, die Versicherungs-Richtlinien für Geschäftskunden neu zu fassen (vgl. Story/
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Walter 1997: 262f). Ein entscheidender Durchbruch gelang anschließend im Bankensektor. Die regulative Angleichung stützte sich hier auf eine ganze Reihe von Direktiven, die 1989 vereinbart wurden und 1993 in Kraft traten. Definiert wurden unter anderem Standards für die Eigenkapitalunterlegung und die Liquiditätsversorgung.40 Vor allem aber einigte man sich auf einen neuen regulativen Rahmen, innerhalb dessen – mit der zweiten BankenKoordinierungsrichtlinie – die Zulassung von Banken einheitlich geregelt werden konnte. Im Vergleich zum Bankensektor war die Liberalisierung und die Definition gemeinsamer europäischer Standards im Wertpapiersektor komplizierter, weil die nationalen, bank- oder kapitalmarktbasierten Finanzsysteme unterschiedlich funktionierten und die jeweils bestimmenden Akteursgruppen – Universalbanken, Investmentbanken und institutionelle Anleger – spezifische Wettbewerbsinteressen und Sicherheitsvorstellungen hatten (vgl. Story/Walter 1997: 266ff; Coleman/Underhill 1998). So wurde zwar bereits seit 1986 nach einer einheitlichen Regulierung gesucht, letztlich dauerte es jedoch bis zum Jahr 1993, bis man sich in Gestalt der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie und der KapitaladäquanzRichtlinie auf einen gemeinsamen regulativen Rahmen einigen konnte, der ab 1996 dann auch rechtlich wirksam war. Aufgrund der schwachen Mindestregulierung und fortbestehender nationaler Regulierungsdifferenzen blieb die Wirkung der Bank- und Kapitalmarktrichtlinien letztlich begrenzt. Sie trugen dazu bei, die Finanzmärkte zu liberalisieren, also nach außen zu öffnen, vermochten aber nicht, einen wirklich integrierten europäischen Finanzmarkt herbeizuführen. Um die materielle Integration der Finanzmärkte zu fördern, wurden daher weitere Initiativen ergriffen. Eine dieser Initiativen zielte darauf, einen einheitlichen Markt für den Wertpapierhandel von neuen Technologie-Unternehmen zu schaffen (vgl. Weber/Posner 2001: 155). Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Stagnation, der relativen Wettbewerbsschwäche und des technologischen Rückstands gegenüber den USA drängte die Europäische Kommission seit Mitte der 1990er Jahre darauf, einen europäischen Risikokapitalmarkt nach dem Vorbild des amerikanischen NASDAQ (National Association of Securities Dealers Automated Quotations) zu errichten, um Investitionen, insbesondere im Bereich der neuen Technologien, anzuregen (vgl. Posner 2005: 22ff). Sie wurde dabei unterstützt von einigen Klein- und Mittelbetrieben, der European Venture Capital Association (EVCA) und auch von transnationalen Konzernen, so z.B. dem European Round Table of Industrialists (ERT 1998: 20ff; Lederer 2003: 184ff). So bildete sich ein transnationales Netzwerk, das dem Diskurs über die Finanzmarktintegration neuen Schwung verlieh. In dem Risikokapitalmarkt sah man dabei ein Vehikel, um die Reform der nationalen Wertpapiermärkte voranzutreiben und für die Unternehmen die Bedingungen der Kreditaufnahme, d.h. die Finanzierung von Investitionen, zu verbessern (vgl. Weber/Posner 2001: 163). Auf den ersten Blick war das Ergebnis all dieser Bemühungen bescheiden. Der Kommission und der EVCA gelang es zwar, im Jahr 1996 mit dem EASDAQ (European Association of Security Dealers Automated Quotation) einen gemeinsamen Markt für neue Technologie-Unternehmen zu errichten, der von Brüssel aus gesamteuropäisch operierte. Diesem blieb aber die Unterstützung von Seiten der etablierten Märkte, größeren Investmentfirmen und nationalen Regierungen verwehrt (vgl. Posner 2005: 28ff). Während die Finanzzentren und die dort angesiedelten Investmentfirmen eine zu schnelle Liberalisie40 Bei der Definition der Eigenkapitalunterlegung setzte die EG eigentlich nur die Bestimmungen des Basler Accords von 1988 in EU-Recht um (vgl. Kapstein 1996: 103ff).
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rung und einen zu starken Wettbewerb befürchteten, sorgten sich die Regierungen darum, dass ihre bereits begrenzte politische Mitsprache in Fragen der Finanzmarktregulierung noch weiter eingeschränkt würde. Um dies zu verhindern, lancierten sie eine transgouvernementale Gegenstrategie, d.h. sie errichteten eigene nationale „neue Märkte“, die dann allerdings innerhalb eines umfassenderen europäischen Netzwerks neuer Märkte miteinander verbunden wurden. Hierdurch wurde zumindest vorübergehend der wettbewerbsinduzierte Liberalisierungsprozess, der auch auf die etablierten Wertpapiermärkte ausstrahlte (vgl. Weber/Possner 2001: 170ff), intensiviert.41 Im Vergleich zum EASDAQ war die Initiative der WWU zweifelsohne sehr grundlegend und von nachhaltiger Bedeutung. Obwohl die WWU nur indirekt den Prozess der Finanzmarktintegration adressierte, ist nicht zu bestreiten, dass sie diesen entscheidend vorangetrieben hat; schließlich sind mit ihr die allgemeinen monetären und finanzpolitischen Rahmenbedingungen in der Europäischen Union zum Teil vereinheitlicht (Geldpolitik) oder doch sehr stark angeglichen worden (Finanzpolitik). Der regulative Rahmen sowie die makroökonomischen und investitionspolitischen Bedingungen kapitalistischer Reproduktion haben sich hierdurch gravierend verändert (vgl. Gill 1998; Grahl 2001; Beckmann 2007): Dies gilt z.B. für die Spar- und Anlagestrategien privater Haushalte, für die Operationsweise der Banken und institutionellen Anleger und nicht zuletzt für die Finanzierungsformen und Investitionsstrategien transnationaler Konzerne. Für die institutionellen Anleger und TNKs stand bereits von Anbeginn der WWU außer Frage, dass der Euro über die Beseitigung interner Wechselkursschwankungen der Finanzmarktintegration einen kräftigen Schub geben würde (vgl. Bilefsky/Hall 1998: 195ff). So wurden mit der WWU die Märkte für staatliche Schuldverschreibungen weiter geöffnet und angeglichen, und für die Finanz- und Industrieunternehmen wurden relativ transparente Bedingungen geschaffen, um die eigenen Geld- und Wertpapieranlagen, Kredite und Investitionen verstärkt grenzüberschreitend, d.h. im europäischen Kontext zu organisieren. Die Geschäftstätigkeit der Unternehmen, Großbanken und institutionellen Anleger weist darauf hin, dass sich vermittelt über den EG-Binnenmarkt und die WWU eine zunehmend integrierte europäische Ökonomie mit gesamteuropäischen Eigentumsstrukturen herausbildet. Dieser Prozess ist sicherlich noch immer unvollständig und durch viele Hindernisse geprägt. Dessen ungeachtet hat die WWU durch die Förderung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs den Liberalisierungs- und regulativen Angleichungsdruck – dies gilt nicht zuletzt für die Organisation der Finanzmärkte –weiter verstärkt. Während die WWU als eine Art Katalysator der Finanzmarktintegration fungierte, steckte der Financial Services Action Plan (FSAP) inhaltlich-konkret den Rahmen ab, innerhalb dessen die Finanzmarktintegration beschleunigt werden sollte (vgl. Europäische Kommission 1998a; 1999a; Pearson 2001). Auf die europäische Agenda gelangte der Aktionsplan im Juni 1998 auf dem EU-Gipfel in Cardiff. Dieser Gipfel zeichnete sich durch den Beschluss aus, im Kontext der europäischen Beschäftigungsstrategie die strukturelle Reform der Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalmärkte zu fördern, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu steigern (vgl. Europäischer Rat 1998). Der Auftrag an die Kommission, einen Aktionsplan für Finanzdienstleistungen auszuarbeiten, stand ganz im Zei41 Nach dem Zerplatzen der Dotcom-Blase löste sich das Netzwerk allerdings auf. Der EASDAQ wurde von den Anteilseignern des NASDAQ übernommen und in „NASDAQ Europe“ umbenannt, bevor schließlich im November 2003 der Handel erfolglos eingestellt wurde.
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chen dieser Bemühungen. Die programmatische Vorarbeit leistete dabei die Competitiveness Advisory Group (CAG 1998), ein Expertengremium aus leitenden Managern, Gewerkschaftern und einigen Wirtschaftswissenschaftlern. Die CAG hatte in ihrem Bericht, in Übereinstimmung mit den Vorschlägen des ERT (1998: 20ff), dargelegt, dass Europa einen integrierten Wirtschafts- und Finanzraum benötigt, wenn es sich in der globalen Konkurrenz behaupten will. Die Finanzmarktintegration erschien für eine ganze Reihe von Vorhaben gewinnbringend: für eine kapitalmarktbasierte Reform der Altersicherung, für die Mobilisierung und Bereitstellung von zusätzlichem (Risiko-)Kapital (vgl. Europäische Kommission 1999a; 1999b), für eine effizientere Allokation von Investitionen, für Prozesse der Unternehmensreorganisation, für die Modernisierung der nationalen Regelsysteme, kurzum, für den Übergang in eine dynamische, finanzmarktgetriebene europäische Ökonomie. Die dem Projekt der Finanzmarktintegration zugrunde liegende Rationalität lag somit auf der Hand. Der Druck des integrierten Kapitalmarktes sollte mit dazu beitragen, wichtige Elemente des kapitalistischen Reproduktionsmodus – die nationalen Kredit- und Investitionssysteme, die Strukturen der Corporate Governance, die industriellen Beziehungen und die sozialen Sicherungssysteme, insbesondere Pensionen – im Sinne einer marktzentrierten Wettbewerbskonzeption zu modernisieren. Um dies auch praktisch zu erreichen, definierte der Aktionsplan 42 konkrete Maßnahmen. Hierbei handelte es sich zum einen um die Aktualisierung veralteter Richtlinien, vor allem der Wertpapierdienstleistungs- und der Kapitaladäquanzrichtlinie; zum anderen aber auch um eine Reihe neuer Regulierungen: z.B. zu Marktmissbrauch, Konsumentenschutz, Pensionsfonds, zu den Gründungs- und Organisationsmodalitäten einer Europäischen Aktiengesellschaft sowie zu Rechnungslegungsstandards oder feindlichen Übernahmen. Trotz vieler Konflikte konnte der Prozess zügig vorangetrieben und umgesetzt werden (vgl. European Commission 2006c). Er ist jedoch noch längst nicht abgeschlossen, da im Verlauf des FSAP weitere Initiativen gestartet wurden. So verständigten sich die politischen Entscheidungsträger nicht nur auf einen Aktionsplan zu Gesellschaftsrecht und Corporate Governance (vgl. Europäische Kommission 2003a), sondern auch auf ein Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik, auf dessen Grundlage die Maßnahmen des FSAP fortgeführt und weiterentwickelt werden sollen (vgl. Europäische Kommission 2005). In Ergänzung zu den Aktionsplänen und konkreten Schritten einer regulativen Angleichung der Finanzmarktregulation haben sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Frühjahr 2000 zudem auf die Lissabon-Strategie, d.h. die übergreifende Konzeption einer wettbewerbsorientierten Reorganisation der nationalen Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktregime verständigt (vgl. Europäischer Rat 2000). Die Lissabon-Strategie ist recht eng mit dem Prozess der Finanzmarktintegration verknüpft (vgl. van Apeldoorn/Horn 2007: 222ff). Sie basiert einerseits maßgeblich auf der Finanzmarktintegration – d.h. der WWU und den Aktionsplänen zu Finanzdienstleistungen und Risikokapital (vgl. Europäische Kommission 1999a; 1999b) –, was auch vom damaligen Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein (2002) hervorgehoben wurde: „Financial integration is a building-block of our single market. It is at the heart of the EU’s strategy to give the Union the most dynamic, competitive and inclusive knowledge-based economy in the world by 2010.“
Andererseits wird durch die Lissabon-Strategie aber auch der Prozess der Finanzmarktintegration selbst begünstigt. So erstreckt sich die „Offene Methode der Koordination“
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(OMK) auch auf die Gebiete der Arbeitsmarktpolitik und Unternehmensförderung sowie auf die Reform der sozialen Sicherungssysteme (vgl. Hodson/Maher 2001: 723ff). Das Ziel besteht nicht nur darin, eine der Finanzmarktdynamik entsprechende Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen und Beschäftigungsverhältnisse, sondern auch eine kapitalmarktbasierte Reorganisation der Alterssicherungssysteme zu fördern (vgl. Beckmann 2007: 191ff). Dies gilt umso mehr, als nach der Zwischenevaluation der Lissabon-Strategie wettbewerbsstrategische Erwägungen in den Vordergrund getreten sind (vgl. Hochrangige Sachverständigengruppe 2004; Dräger 2005). Hierin reflektiert sich auch die strukturale Macht der transnationalen Industrie- und Finanzunternehmen, die durch ihre finanziellen Anlage- und Investitionsentscheidungen die inhaltliche Ausrichtung der nationalen Modernisierungsstrategien maßgeblich definieren. Kurzum, die Lissabon-Strategie – vor allem die Methode der Koordination per Benchmarking – stellt einen politischen Hebel dar, um die nationale Wirtschafts- und Sozialpolitik einer mikroökonomisch ausgerichteten, angebotsorientierten Reformstrategie und der disziplinierenden Kontrolle der Finanzmärkte zu unterwerfen. Die verschiedenen Initiativen haben allesamt mit dazu beigetragen, dass sich der Prozess der Währungs- und Finanzmarktintegration seit den 1990er Jahren beschleunigt hat. Dabei haben die Wertpapiermärkte gegenüber den traditionellen Kreditmärkten deutlich an Bedeutung gewonnen. Dies unterstreichen vor allem folgende Entwicklungen:
Erstens hat sich im Laufe der 1990er Jahre die Marktkapitalisierung, d.h. der Wert der an der Börse gehandelten Unternehmensaktien, bis zum Jahr 2000 in der Eurozone – in der EU insgesamt ist sie noch etwas höher – von 21% auf fast 89% des BIP nahezu vervierfacht (vgl. ECB 2001: 10). Nach dem Zerplatzen der Aktienblase gab es dann einen leichten Einbruch, bevor die Werte anschließend wieder deutlich anstiegen (vgl. Huffschmid 2007b: 15). Auch in der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise scheint sich dieses Muster nun zu wiederholen. Noch dynamischer entwickelte sich zweitens der Aktienhandel. Nachdem Aktien in den 1980er Jahren noch durchschnittlich etwa 10 Jahre gehalten wurden, waren es Ende der 1990er Jahre nur noch sieben Monate (vgl. Huffschmid 2002b: 6f); und auch nach dem vorübergehenden Einbruch der Aktienkurse in den Jahren 2001 und 2002 änderte sich hieran nur wenig (vgl. Huffschmid 2007b: 15). Drittens hat sich die gewachsene Bedeutung der Wertpapiermärkte auch in den Investitionsstrategien von Unternehmen im Nichtfinanzsektor niedergeschlagen. Im Durchschnitt nehmen Unternehmen zur Finanzierung von Investitionen zunehmend weniger Bankenkredite auf und besorgen sich vermehrt Kapital – durch Aktienausgabe oder Anleihen – auf den Wertpapiermärkten (vgl. Huffschmid 2007b: 16). Dies impliziert wiederum viertens eine stärkere Shareholder Value Orientierung des Managements und eine wachsende Bedeutung von institutionellen Anlegern, d.h. Investment- und Pensionsfonds sowie Versicherungen (vgl. Beckmann 2007: 60ff). Das von diesen verwaltete Vermögen ist weltweit enorm angewachsen; in der EU von 0,7 Mrd. (1980) auf 15,6 Mrd. (2005) US-Dollar (vgl. Huffschmid 2007b: 29). Abgestützt wurden diese Entwicklungen fünftens schließlich durch einen weitreichenden Wandel der operativen Infrastruktur. In den 1990er Jahren haben sich die Börsen von ehemals klub-ähnlichen, durch das jeweilige nationale Umfeld politisch geschützten Räumen zu profitorientierten Unternehmen gewandelt, die sich im grenzüber-
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5 Die Europäische Union in der Weltökonomie und Weltordnung schreitenden Wettbewerb zwischen den Finanzplätzen behaupten müssen (vgl. Moran 2002: 267f; ECB 2007b: 61ff; Mügge 2008: 151ff).
5.2.3.2 Europäische Institutionen, Netzwerke und Kooperationsstrukturen Die vorangehend skizzierten Initiativen verdeutlichen, dass sich der Prozess der europäischen Währungs- und Finanzmarktintegration nicht naturwüchsig entwickelte, sondern durch politischen Entscheidungen und Weichenstellungen vorangetrieben und abgestützt wurde. Mehr noch, um die Geldpolitik zu vergemeinschaften und im Bereich der Kreditund Wertpapiermärkte ein marktliberales „level playing field“ zu schaffen, wurden neue Institutionen, Netzwerke und Kooperationsstrukturen etabliert. In Ergänzung zu den Initiativen der Währungs- und Finanzmarktintegration bildete sich demzufolge ein europäischer Staats-Zivilgesellschafts-Komplex heraus. Sieht man von der Gründung der EZB einmal ab, so handelt es sich bei der Institutionalisierung um einen weitgehend inkrementellen Prozess, der bereits in den 1970er Jahren begann und sich in den 1980er und 1990er Jahren beschleunigte. Noch immer ist die regulative Angleichung im Bereich der Kredit- und Wertpapiermärkte jedoch unvollständig; und auch die Aufgaben der Finanzaufsicht werden nach wie vor von den nationalen Behörden wahrgenommen. So verwundert es nicht, dass einige Probleme der intersektoralen und zwischenstaatlichen Koordination fortbestehen. Diese Schwierigkeiten sind keineswegs unerheblich. Gleichwohl lässt sich inzwischen ein relativ dichtes Geflecht der institutionellen Einbettung der europäischen Währungs- und Finanzmarktpolitik identifizieren (vgl. Bieling 2005c). Besonders ausgeprägt ist die supranationale Institutionalisierung dabei im Bereich der Währungspolitik. Nach der Phase der zwischenstaatlichen Kooperation im Rahmen des EWS wurde im Laufe der 1990er Jahre gemäß dem vom Delors-Komitee vorgeschlagenen Dreistufen-Plan die WWU realisiert (vgl. Scheller 2006: 23ff). Das heißt, nach einer ersten Phase – der Realisierung des EG-Binnenmarktes und einer verstärkten wirtschaftspolitischen Koordination bis 1993 – wurde 1994 das Europäische Währungsinstitut (EWI) als Vorläuferorganisation der EZB etabliert. Zudem wurden durch die Verankerung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) im Amsterdam-Vertrag von 1997 die ersten beiden der zuvor vereinbarten Konvergenzkriterien – stabiles Preisniveau, gesunde Staatsfinanzen, stabile Wechselkurse und ein niedriges Zinsniveau – auch für die Zeit nach dem WWUBeitritt auf Dauer gestellt. Schließlich erfolgte nach Gründung der EZB und der Einrichtung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) im Jahr 1999 der Übergang in die dritte Stufe. Diese bestand in der unwiderruflichen Festlegung der Wechselkurse, der Einführung des Euro und der Kompetenzzuweisung an die EZB, eine einheitliche Geldpolitik durchzuführen. Mit diesem Schritt wurde zweifelsohne ein europäischer, allerdings sehr autonomer Staatsapparat etabliert. Die ausgeprägte Unabhängigkeit der EZB ist in den Vertragsverhandlungen von Deutschland – d.h. von der Bundesbank und der Bundesregierung – nicht nur eingefordert, sondern auch erfolgreich durchgesetzt worden. Allgemein lassen sich die Dimensionen der politischen Unabhängigkeit, d.h. der Ziel- und Instrumentenunabhängigkeit, sowie der personellen und finanziellen Unabhängigkeit unterscheiden (vgl. Heine/Herr 2004: 44ff; Howarth/Loedel 2005: 127ff). Während das Ziel der Preisstabilität im Vertrag nur allgemein genannt, inhaltlich aber von der EZB definiert wird, hat der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN) in Bezug auf die externen Währungsbeziehun-
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gen die Möglichkeit, mit anderen Ländern Wechselkursvereinbarungen auszuhandeln. Auch bezogen auf die geldpolitischen Instrumente – die Offenmarkt-, Leitzins- sowie Mindestreservepolitik –, über die die EZB die Refinanzierungsbedingungen der Geschäftsbanken bestimmt, ist die EZB unabhängig. So werden die Instrumente in einer Satzung nur allgemein benannt, indessen es der EZB obliegt, diese autonom anzuwenden. Die personelle Unabhängigkeit der EZB wird vor allem dadurch sichergestellt, dass der Präsident und die Mitglieder des Direktoriums – wie auch die Gouverneure der nationalen Notenbanken – von verschiedenen Gremien vorgeschlagen und für einen recht langen Zeitraum, d.h. für acht bzw. fünf Jahre, ernannt werden. Schließlich ist die EZB auch insofern unabhängig, als sie sich durch ihre Geschäftstätigkeit komplett selbst finanziert und es ihr untersagt ist, Kredite an öffentliche Haushalte zu vergeben. Mit der EZB ist demzufolge eine sehr machtvolle europäische Staatsinstitution geschaffen worden, deren Funktionsweise weitgehend den marktliberal-disziplinierenden Zielvorgaben des „neuen Konstitutionalismus“ entspricht (vgl. Gill 1998). So repräsentiert die EZB eine der unmittelbaren demokratischen Kontrolle entzogene supranationale Institution, deren Entscheidungen sich primär daran orientieren, durch eine glaubwürdige und konsistente Geldpolitik das Vertrauen der – finanziellen – Investoren zu erlangen. Letzteres weist zugleich darauf hin, dass es verkürzt und zu einseitig wäre, in der EZB bereits die Keimform eines europäischen Superstaats oder Leviathans zu erblicken. Die geldpolitischen Entscheidungen sind vielmehr eingebettet in ein spezifisches ökonomisches, institutionelles und zivilgesellschaftliches Umfeld (vgl. auch McNamara 2006): Ökonomisch konzentriert sich die EZB auf das Ziel der Preisniveaustabilität, kann im Kontext der WWU aber auch andere makroökonomisch relevante Entwicklungen – so z.B. in der Wirtschafts- und Finanzpolitik oder der Arbeitsmarkt-, Tarif- und Sozialpolitik – nicht gänzlich außer Acht lassen (vgl. Dyson 2000b; Schürz 2000). Institutionell hat sich zudem ein politisches Koordinations- und Kommunikationsgeflecht entwickelt, das sich keineswegs auf das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) beschränkt, sondern auch eine gewisse Abstimmung mit der Europäischen Kommission, dem Banking Supervision Committee (BSC)42, dem ECOFIN, der Euro-Gruppe und – im Rahmen des makroökonomischen Dialogs – auch den Tarifpartnern einschließt (vgl. Howarth/Loedel 2005: 107ff); und zivilgesellschaftlich haben neben den Regierungen und Zentralbanken auch Wirtschaftsverbände – insbesondere die Association for the Monetary Union of Europe (AMUE), ein transnationaler Interessenverband von etwa 400 Großunternehmen und Banken – in Kooperation mit Think Tanks, Wissenschaftlern und Journalisten darauf hingewirkt, dass die WWU hartnäckig verfolgt und durch einen hegemonialen Diskurs über die Vorteile einer stabilitätsorientierten Geldpolitik und die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung öffentlich gestützt wurde (vgl. Schwarzer/Collignon 2005).43 42 Das Banking Supervision Committee (BSC) wurde 1998 im Rahmen des Europäischen Systems der Zentralbanken eingerichtet, um die EZB und das ESZB bei der Überwachung von Kreditinstitutionen und der Stabilisierung der Geld- und Finanzbeziehungen zu unterstützen (vgl. European Commission 2000). 43 Einschränkend ist allerdings anzumerken, dass die hegemoniale Qualität dieses Diskurses fragil geblieben ist. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftsschwäche und der hohen Erwerbslosigkeit wurde die auf das Preisniveau konzentrierte Geldpolitik der EZB von einzelnen Regierungsvertretern und vielen Gewerkschaften wiederholt öffentlich kritisiert. Gleiches gilt für den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP), dessen Vorgaben in der politischen Praxis von einigen Ländern – Deutschland, Frankreich und Griechenland – zudem nicht immer eingehalten werden konnten (Horwarth/Loedel 2005: 143ff).
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Im Vergleich zur Geld- und Währungspolitik ist der Staats-Zivilgesellschafts-Komplex im Bereich der Kredit- und Wertpapiermärkte weniger leicht zu fassen. Dies liegt vor allem daran, dass die supranationalen Elemente schwächer konturiert sind. Anders als in den USA gibt es keine zentralisierten Aufsichtsinstitutionen für den Banken- und Kapitalmarktsektor, sondern nur eine – inzwischen sehr intensive – Kooperation der nationalen Aufsichtsbehörden; und auch der Rechtssetzungsprozess stellt sich aufgrund spezifischer nationaler Interessen und Regulierungsstile oft sehr schwierig dar (vgl. Story/Walter 1997: 259ff). Trotz dieser Schwierigkeiten ist nicht zu übersehen, dass die grenzüberschreitende Integration und Regulation der Kredit- und Wertpapiermärkte in der EU Schritt für Schritt vorangetrieben wurde. Dieser Prozess wurde nicht nur durch den Übergang zum DWSR, sondern auch durch die veränderten Kontextbedingungen der regulativen Gestaltung der Finanzmarktliberalisierung gefördert:
So kristallisierte sich seit den 1970er Jahren – bei allen Unterschieden – auf der nationalstaatlichen Ebene ein allgemein akzeptierter Regulierungsansatz heraus, der auch eine Kompetenzausweitung der staatlichen Regulierungs- und Aufsichtsbehörden mit einschloss (vgl. Moran 1994; Lütz 2002: 305ff; Mügge 2006: 1009ff). Im Bankensektor kam es vor allem darauf an, die Sicherheitsrisiken, die sich durch die veränderte Geschäftstätigkeit der Großbanken – d.h. internationale Kredite sowie Devisen- und Wertpapiergeschäfte – erhöht hatten, durch verbindliche Vorgaben und effektive Überwachungsmechanismen zu begrenzen, während im Kapitalmarktsektor strengere regulative Bestimmungen und Kontrollmechanismen etabliert wurden, um ein Mindestmaß an Transparenz und Anlegerschutz sicherzustellen.44 Die Diffusion und Verallgemeinerung der Regulierungs- und Überwachungsstandards wurde zweitens dadurch erleichtert, dass in den 1970er Jahren internationale Organisationen und Ausschüsse – vor allem das Basler Komitee, die International Organization of Securities Commissions (IOSCO) oder das International Accounting Standards Committee bzw. Board (IASC/IASB) – geschaffen wurden, in denen sich die Regulierungs- und Aufsichtsbehörden koordinieren und verständigen konnten (vgl. Kapstein 1996: 44ff; Lütz 2002: 175ff; Scholte 2002: 10ff). Verstärkt wurde diese Abstimmung drittens schließlich noch dadurch, dass sich seit den späten 1970er Jahren auch die private Finanz- und Kreditindustrie verstärkt im transnationalen Kontext zu organisieren begann – so z.B. in der Group of Thirty oder dem Institute of International Finance (IIF) – und bestehende Regulierungslücken durch neue Formen der Selbstregulierung zu schließen versuchte (vgl. Lütz 2002: 193f).
Neben den funktionalen Erfordernissen der Marktintegration haben diese Entwicklungen mit dazu beigetragen, dass auch in der EG/EU eine wachsende Zahl an Ausschüssen und Koordinationsforen – unter Einschluss zivilgesellschaftlicher Akteure – etabliert wurde 44
Seit Ende der 1980er Jahre ist in den Mitgliedstaaten der EU zudem die Tendenz erkennbar, integrierte – den Banken-, Wertpapier- und Versicherungssektor umschließende – Aufsichtsbehörden im Finanzsektor einzurichten. Der Prozess begann in den skandinavischen Ländern, erfasste seit Ende der 1990er Jahre dann aber auch Großbritannien, Deutschland und Österreich sowie Belgien, Irland, Ungarn etc. (vgl. Lannoo 2002: 2ff). Mit der Integration der Aufsichtsbehörden reagieren die Länder nicht zuletzt darauf, dass viele Unternehmen inzwischen Finanzkonglomerate darstellen, die in mehreren Finanzmarktsektoren zugleich aktiv sind.
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(vgl. European Commission 2000; Lannoo 2002; Lederer 2003: 195ff; Dierick 2005). Für die Kreditmärkte war vor allem das bereits 1977 gegründete Banking Advisory Committee (BAC) von Bedeutung, das sich aus leitenden Repräsentanten der nationalen Bankenaufsicht, der Finanzministerien und der Zentralbanken zusammensetzte. Dem BAC kam die Aufgabe zu, sich mit den Aufsichtsbehörden aus dem Nicht-EU-Raum – z.B. dem Basler Komitee – zu koordinieren und die Europäische Kommission durch Stellungnahmen und Vorschläge – im Rahmen des Komitologie-Verfahrens – im regulativen Entscheidungsprozess zu beraten. Eine ähnliche Aufgabe übernahm das 1985 gegründete High Level Securities Supervisors Committee (HLSSC) für den Kapitalmarktsektor.45 Das skizzierte regulative und beratende Ausschusssystem hatte bis Ende der 1990er Jahre Bestand. Im Kontext des FSAP kam es dann zu einer umfassenden Neuordnung, nachdem eine Expertengruppe unter der Leitung von Alexandre Lamfalussy (vgl. Ausschuss der Weisen 2001: 6) zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Fragmentierung der europäischen Kapitalmärkte noch immer fortbesteht, weil der bis dahin bestehende „Rechtssetzungsrahmen der EU zu langsam, zu starr und zu komplex ist und dem raschen Wandel auf den weltweiten Finanzmärkten nicht gerecht wird“. Die Expertengruppe schlug daher vor, den Rechtssetzungsprozess im Wertpapiersektor zu beschleunigen und zwei neue Ausschüsse mit beratenden und regulativen Kompetenzen einzurichten: das European Securities Committee (ESC), das sich aus hochrangigen nationalen Vertretern (etwa auf der Ebene von Staatssekretären) zusammensetzt, und das Committee of European Securities Regulators (CESR), in das die Leiter der jeweiligen Wertpapierregulierungs- und – aufsichtsbehörden entsandt werden. Trotz einiger Vorbehalte des Europäischen Parlaments, das seine Kontroll- und Gestaltungskompetenzen durch die neuen Ausschüsse beschnitten sah (vgl. Lederer 2003: 200ff), haben beide Ausschüsse im Jahr 2002 ihre Arbeit aufgenommen. Im Vergleich zu den vorherigen Ausschüssen kommt ihnen innerhalb eines gestrafften, vierstufigen Rechtssetzungsverfahrens eine deutlich größere Bedeutung zu (vgl. Weber 2006: 124f). So werden im herkömmlichen Mitentscheidungsverfahren zwischen der Europäischen Kommission, dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament nur noch allgemeine Rahmenprinzipien definiert (Stufe 1), bevor die neu geschaffenen Ausschüsse im Komitologie-Verfahren – d.h. der regulativen Spezifizierung (Stufe 2) und Implementierung (Stufe 3) – in Zusammenarbeit mit der Kommission die konkrete Gestaltung von Richtlinien und Verordnungen übernehmen. In der vierten Stufe, in der die Einhaltung der Rechtsvorschriften überprüft wird, liegt die Kompetenz ausschließlich bei der Kommission. Ende 2002 verständigte sich der ECOFIN zudem darauf, das Lamfalussy-Regulierungsverfahren auf den gesamten Finanzsektor auszuweiten (vgl. Dierick 2005: 77f).46 45 Das HLSSC war allerdings nicht formell im Komitologie-Verfahren verankert und konnte daher nur schwache Beratungsaufgaben wahrnehmen. Eine begrenzte Komitologie-Funktion hatten hingegen das seit 1979 bestehende Securities Contact Committee und das 1985 etablierte UCITS Contact Committee (Undertakings for Collected Investment in Transferable Securities), die jedoch nicht an der Formulierung von Richtlinien beteiligt waren, sondern deren Umsetzung im Bereich des Wertpapier- bzw. des Investmentgeschäfts koordinierten. Im Versicherungssektor wurde erst 1992 das Insurance Committee (IC) mit vergleichbaren Beratungs- und Implementierungskompetenzen gegründet (vgl. Lannoo 2002: 19). 46 So sind neben dem ESC und CESR Ende 2003 für die Bankenregulierung das European Banking Committee (EBC) und das Committee of European Banking Supervisors (CEBS) sowie für den Versicherungs- und Pensionsfondssektor das European Insurance and Occupational Pensions Committee (EIOPC) und das Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors (CEIPOS) eingerichtet worden.
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Mit der Etablierung des neuen Ausschusssystems ist die regulative und institutionelle Einbettung der Finanzmarktintegration seit Ende der 1990er Jahre deutlich gestärkt worden. Zugleich machen die neuen Verfahren aber auch deutlich, dass sich die Mitgliedstaaten nicht dazu durchringen konnten, eine gemeinsame supranationale Regulierungs- und Aufsichtsbehörde, d.h. eine Art Mega-Regulator, zu etablieren (vgl. Lederer 2003: 204ff). Die Einrichtung einer solchen Behörde hätte die Integration zweifelsohne gefördert und zugleich die Komplexität der Regulierungs- und Aufsichtskompetenzen reduziert. Der Grund für den Verzicht hierauf bestand vor allem darin, dass mit Rücksicht auf die Konkurrenz zwischen den europäischen Finanzzentren und die Persistenz der nationalen Regulierungsstile nur der Weg einer „weichen“ – d.h. primär marktvermittelten, institutionell und regulativ jedoch zunehmend flankierten – Konvergenz möglich erschien (vgl. Weber 2006: 126ff; Mügge 2006: 1004ff). Die Einbettung der europäischen Finanzmarktintegration stützt sich jedoch nicht nur auf spezifische institutionelle und regulative Prozesse, sondern erstreckt sich auch vermehrt auf zivilgesellschaftliche Netzwerke und Kommunikationsstrukturen. Deren Entwicklung durchlief dabei mehrere Phasen: Zunächst wurden die diversen europäischen Verbände des Finanzsektors, die zum Teil bereits in den 1950er und 1960er Jahren gegründet worden waren47, durch die Richtlinien der 1970er Jahre für die zunehmende Relevanz der supranationalen Ebene verstärkt sensibilisiert (vgl. Kapstein 1996: 135). Nachfolgend setzten sich einige Großbanken, insbesondere britische und US-amerikanische Finanzunternehmen, sehr stark für die Liberalisierungs- und (De-)Regulierungsschritte des EG-Binnenmarktprogramms ein (vgl. Grahl/Teague 1990: 128ff). Insgesamt wäre es jedoch überzogen, bereits in den 1980er Jahren eine umfassende und aktive Rolle des Finanzsektors in der regulativen Gestaltung der Binnenmarktintegration zu unterstellen. Keith Middlemas (1995: 473) kommt jedenfalls zu einer eher zurückhaltenden Einschätzung: „The financial players across Europe, apart from central bankers, became aware surprisingly late in the day how the internal market was likely to affect them. With a handful of exceptions, banks, insurance companies and stock exchanges took little part in the agitation for the single market and in most member states: the time lag between the Act in 1986 and active awareness could be measured in years rather than months.“
Der qualitative Ausbau der zivilgesellschaftlichen Netzwerke und Kommunikationsstrukturen erfolgte daher erst in den 1990er Jahren (vgl. Mügge 2008: 166ff). Nachdem sich die Unternehmen und Verbände des Finanzsektors in der ersten Hälfte des Jahrzehnts bereits verstärkt in den Aushandlungsprozess der sektorspezifischen Liberalisierungsrichtlinien des EG-Binnenmarktprogramms eingeschaltet hatten, intensivierten sie ihre Anstrengungen seit Ende der 1990er Jahre im Kontext des FSAP (vgl. Bieling 2005c: 190ff). Es kristallisierten sich dabei auch neue Repräsentations- und Organisationsmuster heraus (Mügge 2006: 1011f): „Where earlier small and large players had joined forces through national organizations, Europe’s top firms created or reinvigorated pan-European associations with circumscribed 47 Um nur einige der wichtigsten Verbände zu nennen: Bereits 1953 wurde die CEA (Comité Européen des Assurances) gegründet; es folgten 1960 die European Banking Federation (FBE) und 1963 die European Savings Banks Group (ESBG); die Federation of European Securities Exchanges (FESE) gibt es hingegen erst seit 1970, die Fédération Européenne des Fonds et Sociétés d'Investissement (FEFSI) seit 1974 und die European Federation for Retirement Provision (EFRP) seit 1981.
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membership throughout the 1990s – think for example of the European Securitization Forum (22 members), the European Financial Services Roundtable (20 members), European Primary Dealers Association (20 members), or the Forum of European Asset Managers (14 members). Large firms have been heavily represented. ABN Amro, Fortis, UBS, BNP Paribas, Barclays, Allianz (partially via its Dresdner Bank subsidiary), Deutsche Bank and ING are all members of at least three of those four associations.“
Die intensivierte Einflussnahme der Finanzunternehmen war dadurch erleichtert worden, dass in dieser Zeit eine Reihe von Deliberations-Foren eingerichtet wurden, an denen die Experten, Unternehmen und Interessenverbände des Finanzsektors direkt oder indirekt beteiligt waren (vgl. Bouwen 2002: 91ff): so vor allem die 1999 eingerichteten ExpertenGruppen oder „Forum Groups“, die die Europäische Kommission darin unterstützen sollten, bestehende Mängel und praktische Hindernisse der Finanzmarktintegration zu identifizieren; das im gleichen Jahr gegründete European Parliamentary Financial Services Forum (EPFSF), über das sich die Parlamentarier mit Blick auf die Maßnahmen des FSAP von Experten – jeweils zur Hälfte etwa Verbände und Einzelunternehmen – beraten ließen; oder das ebenfalls 1999 geschaffene European Services Forum (ESF), durch das transnationale Finanzunternehmen und deren Verbände die Europäische Kommission bei deren handelspolitischen Aktivitäten beratend unterstützen. Schließlich haben auch die seit 2002 geschaffenen Regulierungsausschüsse im Wertpapier-, Banken- und Versicherungssektor mit dazu beigetragen, den transnationalen Kommunikations- und Beratungsprozess in der EU – unter Einschluss privater Finanzmarktakteure – weiter zu stärken (vgl. Mügge 2006: 1013ff; Weber 2006: 132ff). Doch nicht nur das gefestigte institutionelle Setting, auch die gesellschaftliche Diffusion des Finanzmarkt-Diskurses verweist auf eine umfassendere zivilgesellschaftliche Einbettung der Finanzmarktintegration. Das heißt, nicht mehr allein die Finanzmarktakteure und deren Organisationen, auch viele andere Akteure sprachen sich im Verlauf der 1990er Jahre nachdrücklich dafür aus, weitergehende Integrationsschritte in Angriff zu nehmen. Dies galt unter anderem für die Unternehmen und Verbände des Industrie- und Dienstleistungssektors wie z.B. UNICE, den europäischen Dachverband der Arbeitgeberverbände, für den ERT oder für die Competitiveness Advisory Group (CAG). Darüber hinaus forderten professionelle Lobbyisten und Consultants (z.B. Houston Consulting, PricewaterhouseCoopers oder KMPG), einige Think Tanks wie das Center for European Policy Studies (CEPS) oder der Federal Trust, viele Wirtschaftswissenschaftler und Juristen und auch die führenden Journalisten einflussreicher Tageszeitungen und Magazine – wie z.B. der Financial Times, des Wall Street Journals oder des Economist – eine Intensivierung der Finanzmarktintegration. Zur Halbzeitbilanz des FSAP im Februar 2002 war auf Initiative des European Round Table of Financial Services (ERFS)48 zudem ein sog. „Cecchini IIBericht“ über die ökonomischen Effekte eines integrierten Finanzmarktes (vgl. Heinemann/Jopp 2002) vorgelegt worden, um der Finanzmarktintegration weitere Impulse zu geben.
48
Im ERSF hatten sich im Frühjahr 2001 die Vorstandsvorsitzenden führender Banken und Versicherungen nach dem Vorbild des ERT zusammengeschlossen. Wie beim ERT ging die Initiative zur Gründung des ERFS von Pehr Gyllenhammar aus, der inzwischen allerdings den Vorstandsvorsitz bei Volvo aufgegeben hatte und ins Versicherungsgeschäft gewechselt war.
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5.2.3.3 Strategische Erwägungen und Verfahren der europäischen Währungs- und Finanzmarktpolitik Obwohl der Prozess der institutionellen, regulativen und zivilgesellschaftlichen Einbettung der Währungs- und Finanzmarktintegration nach wie vor unabgeschlossen ist, kann inzwischen von einem spezifischen – allerdings sehr komplexen und unübersichtlichen – europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplex gesprochen werden. Dessen Operationsweise ist durch einige allgemeine strategische Leitziele bestimmt. Diese Leitziele stehen in der Kontinuität des Binnenmarktprojektes, das einen wettbewerbsinduzierten Modernisierungsprozess anstoßen sollte, um die Position der EG in der globalen Standortkonkurrenz zu verbessern (vgl. Sandholtz/Zysman 1989). Die Währungs- und Finanzmarktintegration nimmt diese Zielvorgabe auf, setzt zugleich jedoch spezifische Akzente. In den Diskursen über die Vorteile der Währungs- und Finanzmarktintegration werden vor allem drei Aspekte hervorgehoben:
Erstens argumentiert insbesondere die Europäische Kommission (1998a: 2), dass die WWU nicht nur ein wichtiges Element der Finanzmarktintegration darstellt, sondern – auch andersherum – die Vorteile der WWU nur dann wirklich ausgeschöpft werden können, wenn es gelingt, einen integrierten Finanzmarkt zu schaffen. Durch diesen würde schließlich zusätzliches Kapital in die EU, so auch in die Eurozone strömen, was wiederum der Stabilisierung des Euro zugute käme. In den Worten des vormaligen EG-Binnenmarkt-Kommissars, Frits Bolkestein (2001): „Whoever wants the Euro to stand proud must (...) support structural reforms and in particular the European Commission’s Financial Services Action Plan.“ Zweitens ist mit dem Prozess der Währungs- und Finanzmarktintegration die Erwartung einer verbesserten europäischen Wettbewerbsfähigkeit verbunden. Dieser Effekt soll sich daraus ergeben, dass durch einen integrierten europäischen Kredit- und Kapitalmarkt die Finanzierungsoptionen vervielfältigt und zugleich die Kosten der Kapitalbeschaffung spürbar gesenkt werden können (vgl. CAG 1998; ERT 2002: 7). Die Finanzmarktintegration soll mithin dazu beitragen, genügend Ressourcen für technologische Innovationen bereitzustellen, Investitionen anzukurbeln und zusätzliche Beschäftigung zu schaffen. Drittens schließlich wird in der Finanzmarktintegration ein wichtiger Schritt gesehen, um die Reform der Corporate Governance, der Arbeitsmärkte und Sozialsysteme – vor allem der Alterssicherung – voranzutreiben und z.B. die sog. „demographische Zeitbombe“ zu entschärfen (vgl. McCreevy 2004; Beckmann 2007). Zunächst waren die europäischen Initiativen der Kapitalmarktliberalisierung und -regulierung dabei maßgeblich durch die US-amerikanische Entwicklungsdynamik – d.h. steigende Aktienkurse sowie hohe Investitionsquoten und wirtschaftliche Wachstumsraten – inspiriert. Dies kam auch darin zum Ausdruck, dass Kapitalmärkte im Vergleich zu den herkömmlichen Kreditmärkten als grundsätzlich effizienter eingeschätzt wurden.
Durch das Zerplatzen der Aktienblase in den Jahren 2001/02, die nachfolgenden Finanzskandale – gefälschte Bilanzen, Insidergeschäfte etc. – und die kritische Diskussion über die neue Macht der institutionellen Anleger erhielt der Diskurs über die Vorteile des USamerikanischen Kapitalismusmodells einen Dämpfer (vgl. Grahl/Teague 2005: 1016f). In
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der Folge wurden die ökonomischen und sozialen Erfordernisse einer effizienten Regulierung der Kapitalmärkte – z.B. Fragen des Anlegerschutzes oder der öffentlichen Kontrolle – partiell stärker berücksichtigt. Zugleich beteiligten sich die europäischen Finanzinstitute jedoch – zum Teil sogar verstärkt – an der Entstehung spekulativer Blasen, so auch am Handel mit Subprime-Krediten. Die materielle Integration in das globale DWSR bildete sicherlich einen wichtigen Grund dafür, dass sich die Modifikationen der bis dahin verfolgten Währungs- und Finanzmarktpolitik in Grenzen hielten. Selbst nach Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise im Sommer 2008 scheinen die Entscheidungsträger in der EU – die Kommission, der Ministerrat, die EZB und die diversen regulativen Ausschüsse – in der forcierten Finanzmarktintegration nach wie vor einen wichtigen Hebel zu sehen, um über die marktliberale Reorganisation der europäischen Ökonomie deren globale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Auf den ersten Blick sind die materiellen Voraussetzungen, diese Strategie zu realisieren,auch gar nicht so schlecht. Marco Becht und Luis Correia da Silva (2007: 200) stellen jedenfalls fest: „The European Union of 27 (EU 27) as an economic grouping has the largest banking sector, the largest insurance sector and the largest payments system in the world. […] It also has the largest private sector fixed income market. Its derivatives and equity markets are starting to rival or merge with those of the United States. The EU27 is a sleeping financial regulation giant. As financial integration deepens, the EU could become the world’s leading financial services regulator.“
Ob und wie sich das beeindruckende ökonomische Potenzial der EU in eine klar konturierte globale Währungs- und Finanzmarktstrategie übersetzt, bleibt jedoch eine offene Frage. Die Europäische Kommission und einige Mitgliedstaaten – insbesondere Frankreich – hatten zwar schon sehr früh das Ziel formuliert, mit der WWU und dem Euro ein Gegengewicht zur globalen Dominanz des US-Dollars zu schaffen (vgl. European Commission 1990: 194ff; Scharrer 2000: 232f). In der Folgezeit spielte diese Zielvorgabe zumeist jedoch nur eine implizite, bestenfalls nachrangige Rolle. Dies heißt, im Bereich der Währungs- und Finanzbeziehungen verfolgte die EU bislang keine explizit formulierte, klar konturierte Globalisierungsstrategie. Die Ursachen hierfür liegen unter anderem darin, dass ungeachtet der institutionellen Koordination und regulativen Angleichung in der EU noch immer unterschiedliche Kapitalismus- und Finanzmarktmodelle koexistieren (vgl. Amable 2003). Entsprechend variieren die politischen Präferenzen der nationalen Regierungen und Regulierungsbehörden. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass sich in der externen Repräsentanz der EU in internationalen Institutionen und Organisationen der Währungs- und Finanzmarktpolitik beträchtliche Defizite und Abstimmungsprobleme zeigen. Trotz der Diskussionen über einen effektiveren globalen Gestaltungsansatz und einer intern verbesserten Koordination (vgl. Bini Smaghi 2004), repräsentiert der europäische Staats-Zivilgesellschafts-Komplex nur bedingt ein institutionelles Gefüge, das die EU in der internationalen Währungs- und Finanzmarktpolitik als eine durch eine kohärente und klar vernehmbare Konzeption charakterisierte politische Kraft erfahrbar macht. Im Gegenteil, der globale europäische Gestaltungsansatz bleibt mehrdeutig. Kathleen McNamara und Sophie Meunier (2002: 850) vertreten jedenfalls die Position:
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5 Die Europäische Union in der Weltökonomie und Weltordnung „The nations participating in economic and monetary union in Europe (EMU) have made the dramatic step of giving up their national currencies, but they have not proved willing to relinquish their national sovereignty over its external face. Instead, the challenges of international monetary management in fora such as the G7 and IMF are met with a cacophony of voices on the part of European states that retain national policy representation despite their shared currency.“
Diese generelle Einschätzung hat im Prinzip bis heute Bestand. Zugleich ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich die Gestaltungsmacht der EU in den verschiedenen Teilbereichen der internationalen Währungs- und Finanzmarktpolitik spezifisch darstellt. Sehr grob kann zwischen dem Bereich der währungs- und finanzmarktpolitischen Intervention und dem Bereich der finanzmarktmarktpolitischen Regulierung und Überwachung unterschieden werden. Im Bereich der währungs- und finanzmarktpolitischen Intervention verfügt die EU, genauer: die Eurozone, zwar über eine gemeinsame Währung, d.h. eine einheitliche Geldpolitik und einen gemeinsamen Wechselkurs. Die Kriterien und Verfahren, durch die der Wechselkurs – z.B. durch internationale Arrangements, Absprachen oder Devisenmarktinterventionen – zu gestalten ist, sind jedoch nur vage und zum Teil widersprüchlich definiert. Laut EU-Vertrag hat der Rat – auf Empfehlung der EZB oder der Kommission – die Möglichkeit, mit anderen Staaten Wechselkursarrangements auszuhandeln oder währungspolitische Ziele zu formulieren, während Devisenmarktinterventionen in den Aufgabenbereich der EZB fallen (vgl. Howarth/Loedel 2005: 106ff; Henning 2007: 318ff). In der Praxis wurden die Gestaltungsoptionen des Rates bislang aber nur sporadisch genutzt, so dass die Währungspolitik fast ausschließlich durch die EZB definiert wurde, die sich ihrerseits für eine weitgehende wechselkurspolitische Zurückhaltung aussprach (Belke/Geisslreither 2006: 144ff; Henning 2007: 320ff). Da die Größe und Stärke der Eurozone einen relativen Schutz vor Wechselkursschwankungen impliziert, ist diese Passivität nachvollziehbar. Im Falle von Währungsturbulenzen könnte sie jedoch zum Problem werden (vgl. Ahearne/Eichengreen 2007: 133ff): zum einen, weil supranationale Institutionen wie die Kommission und die EZB in den Organisationen und Foren des globalen währungs- und finanzmarktpolitischen Managements – dem IWF, der Weltbank, der G-7 sowie der G-20 oder dem Financial Stability Forum (FSF), die beide im Anschluss an die Währungs- und Finanzkrisen der späten 1990er Jahre eingerichtet wurden – nur partiell repräsentiert sind; und zum anderen, weil die zwar quantitativ starke, zugleich aber vielstimmige EURepräsentanz durch die nationalen Regierungen und Zentralbanken eine kohärente und rasch umsetzungsfähige EU-Strategie zumindest erschwert. Das Vermögen der EU, die Agenda internationaler Organisationen wie z.B. des IWF zu gestalten, ist bislang jedenfalls recht begrenzt (vgl. Tsoukalis 2003: 165; Lamy 2004: 18; Bini Smaghi 2006: 271f). Durch eine engere Koordination und Abstimmung der EU-Vertretungen im IWF und in der Weltbank und die auf zweieinhalb Jahre verlängerte Amtszeit des Präsidenten der Eurogruppe werden diese Probleme partiell zwar abgeschwächt, nicht aber überwunden (vgl. Ahearne/Eichengreen 2007: 135ff). Die Diskussionen treten auf der Stelle: So sprechen sich einige Regierungen – z.B.diejenigen Frankreichs und Italiens – und auch das Europäische Parlament dafür aus, das Gewicht der EU oder der Eurozone durch eine gemeinsame Vertretung im IWF, in der Weltbank oder der G-7 zu erhöhen. Dies würde auch den Vorschlägen entgegenkommen, einigen aufstrebenden Schwellenländern wie China oder Indien in den internationalen Organisationen und Foren einen Platz einzuräumen (vgl.
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Mahieu et al. 2005: 495; Bini Smaghi 2006: 267). Zugleich sind aber andere Regierungen und Zentralbanken – z.B. in Deutschland oder Großbritannien – nicht bereit, ihre nationalen Vertretungsrechte aufzugeben und einer gemeinsamen Strategie der EU oder Eurozone unterzuordnen. Im Bereich der finanzmarktpolitischen Regulierung und Überwachung stellt sich die Situation noch komplizierter dar. Dies wird schon daran erkennbar, dass an den Prozessen der globalen Regulierung und Standardsetzung viele internationale Institutionen und Organisationen beteiligt sind: „While the International Monetary Fund (IMF) is responsible for the macro-standards, as one would expect, the World Bank has the lead on insolvency, the OECD on corporate governance, the International Accounting Standards Board (IASB) on accounting, the International Federation of Accountants (IFAC) on auditing, the Committee on Payment and Settlement Systems (CPSS) on payment and settlement and the CPSS and the International Organisation of Securities Commissions (IOSCO) jointly on market integrity. Banking supervision is dealt with by the Basel Committee on Banking Supervision (BCBS), securities regulation by IOSCO and insurance supervision by the International Association of Insurance Supervisors (IAIS).“ (Becht/da Silva 2007: 204f)
Die Kompetenzverteilung im globalen Regulierungssystem findet ihre Entsprechung im EU-System in den diversen Ausschüssen und Foren der Finanzmarktregulierung. Wie ausgeführt sind deren Gestaltungsbefugnisse seit den 1990er Jahren deutlich gestärkt, nicht jedoch supranationalisiert und im umfassenden Sinne vergemeinschaftet worden. Die politische Regulierung der Finanzmarktintegration bleibt daher hinter derjenigen der Währungsintegration zurück. Mehr noch, auch für die externe Repräsentanz im globalen Regulierungssystem sind fast ausschließlich die nationalen Regierungen, Zentralbanken und Regulierungsbehörden zuständig (vgl. Becht/da Silva 2007: 205ff; Pisani-Ferry et al. 2008: 88ff). So ist aufgrund der nationalen Fragmentierung eigentlich zu vermuten, dass das Gestaltungspotenzial der EU in der globalen Finanzmarktpolitik noch schwächer ist als in der Währungspolitik. Paradoxerweise ist jedoch das Gegenteil der Fall. Dies liegt erstens daran, dass die Definition von internationalen Standards der Finanzmarktregulierung und kontrolle ohnehin ein sehr schwieriger, oft hart umkämpfter Prozess ist, der sich unilateral – z.B. durch die USA – nur bedingt voranbringen lässt (vgl. Abdelal 2006: 6). Zweitens repräsentiert die EU, insbesondere der intern organisierte Angleichungsprozess, in gewisser Weise ein Modell, dessen Prinzipien und Verfahren partiell auf der globalen Ebene imitiert werden.49 Und drittens ist auch nicht zu unterschätzen, dass die EU-Mitgliedstaaten ungeachtet aller internen Differenzen mit Blick auf die internationalen Regulierungsstandards – z.B. in Fragen der Rechnungslegung (vgl. Donelly 2007; Becht/da Silva 2007: 209f) – durchaus in der Lage sind, gemeinsame Positionen zu definieren und diese dann in die internationalen Verhandlungen einzubringen. Auch wenn die strategische Macht der EU in den internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen bislang wenig greifbar ist, sollte ihre systemische Macht nicht unterschätzt werden. Letztere stützt sich zum einen auf das beträchtliche Gewicht, über das der europäische Wirtschaftsraum und der Euro in der internationalen politischen Ökonomie 49 Hierbei ist allerdings hervorzuheben, dass in der EU – in Gestalt von Richtlinien oder Verordnungen – oft recht präzise regulative Konditionen definiert werden, die über die allgemeinen Standards der internationalen Foren und Organisationen deutlich hinausgehen.
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verfügen. Zum anderen basiert sie aber auch auf der inkrementellen Diffusion des europäischen Regulierungsmodells, d.h. einer gegenstandspezifischen Kombination von Liberalisierung, Mindestharmonisierung und wechselseitiger Anerkennung von Regulierungsstandards. Im Unterschied zum US-amerikanischen Vorgehen, das durch eine uni- und bilaterale ad hoc Liberalisierung gekennzeichnet ist, scheint die EU – zumindest in einigen Teilbereichen – eher in der Lage zu sein, verbindliche multilaterale Regeln und allgemein akzeptierte Regulierungsstandards, d.h. global vergleichbare Investitions- und Wettbewerbsbedingungen zu fördern (vgl. Abdelal 2006).50 5.2.3.4 Widersprüche, Krisen und Konflikte Die Bestrebungen der EU, die eigene Rolle in der internationalen Währungs- und Finanzmarktgestaltung zu stärken, sind nicht zu übersehen. So wäre es viel zu einseitig in der EU nur einen „Regime-Taker“ zu sehen, der die extern vorgegebenen Regeln einfach akzeptiert. Sie agiert vielmehr auch als „Regime-Maker“, der die globalen Regeln maßgeblich mit gestaltet. Gleichzeitig sollten die bislang erzielten Fortschritte in der Stärkung der globalen Gestaltungsmacht aber auch nicht überschätzt werden. Schließlich steht der Liberalisierungs- und (De-)Regulierungsansatz der EU weitgehend im Einklang mit den – global dominanten – US-amerikanischen Zielsetzungen. Doch anders als für die USA, deren Kapitalismusmodell durch die Prozesse der Finanzmarktliberalisierung gestärkt wird, erzeugt der Übergang zu einem finanzgetriebenen Akkumulationsregime in der EU vielfältige Probleme. Dies ist insofern überraschend, als die EU und ihre Mitgliedstaaten die externe wie interne Liberalisierung selbst aktiv gefördert haben, um zusätzliche Investitionen, Innovationen und positive wirtschaftliche Wachstums- und Beschäftigungseffekte zu fördern. Die Lissabon-Strategie lässt sich in diesem Sinne als Versuch begreifen, die Vorteile des kontinentaleuropäischen Kapitalismusmodells, d.h. die Formen der politischen Kooperation und des sozialen Ausgleichs, mit denen des neo-amerikanischen Kapitalismusmodells, d.h. Flexibilität gepaart mit Risiko- und Innovationsbereitschaft, zu vereinen. Bislang haben sich diese Erwartungen jedoch nicht erfüllt (vgl. Bieling 2005b; Altvater/Mahnkopf 2007: 126ff). Es dominieren vielmehr die gegenteiligen Effekte. Durch die forcierte Finanzmarktintegration und die Aufwertung der Wertpapiermärkte verändert sich der Nexus zwischen den Finanz- und den sozialen Produktionsbeziehungen, mit der Folge, dass die traditionellen Stärken des kontinentaleuropäischen Kapitalismus beeinträchtigt werden (vgl. Bieling 2006c: 433ff). Diese Stärken bestanden nicht zuletzt darin, dass im Rahmen kooperativer Beziehungen zwischen Banken, Unternehmen und Belegschaften langfristig orientierte Modernisierungsstrategien und inkrementelle Innovationsprozesse gefördert wurden (vgl. Hall/Soskice 2001: 39ff; Amable 2003: 85ff). Gestützt auf relativ umfassende kooperative Arrangements konnten bis in die 1990er Jahre hinein in zentralen Produktionssektoren – wie z.B. der Automobilindustrie, dem Maschinenbau, der Elektrotechnik sowie der chemischen und pharmazeutischen Industrie oder zuletzt auch dem Bereich der erneuerbaren Energien – 50 Dies bestätigen unter anderem die Verhandlungen über das Finanzdienstleistungsabkommen in der WTO, die nur durch die moderat-vermittelnde Position der EU im Jahr 1997 zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden konnten (vgl. Sell 2000: 178).
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kontinuierliche Innovationen und Produktivitätssteigerungen generiert werden. Im Zuge der Finanzmarktintegration und des wachsenden Einflusses von Finanzinvestoren haben dann jedoch nicht nur die Banken und Großunternehmen, sondern auch die Zulieferbetriebe ihre strategischen Prioritäten neu definiert; mit der Folge, dass die tradierten Kooperations- und Innovationsnetzwerke erodieren. Mit dem Übergang von einer substanz- zur ertragsorientierten Unternehmensbewertung gewinnen kurzfristige Kostensenkungsstrategien an Bedeutung (vgl. van Apeldoorn/Horn 2007: 217ff). Konkret läuft dies darauf hinaus, weniger profitable Unternehmensteile zu veräußern und die Lohn- und Gehaltskosten zu reduzieren: unter anderem durch Entlassungen, Lohnsenkungen, unbezahlte Mehrarbeit und den Einsatz von gering entlohnten Arbeitskräften wie z.B. Leiharbeitern. Die beschleunigte Finanzialisierung51 des produktiven Kapitals und die wachsende Orientierung am Shareholder Value weisen darauf hin, dass sich viele transnationale Konzerne inzwischen auf die Spielregeln des finanzgetriebenen Akkumulationsregimes eingestellt haben. Doch nicht nur für die an der Börse notierten Aktiengesellschaften und transnational operierenden Konzerne, auch für viele mittlere und kleinere Unternehmen ergibt sich ein beträchtlicher finanzmarktinduzierter Anpassungsdruck:
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So verschlechtern sich erstens die komparativen Kreditvergabekonditionen der kleineren Geschäftsbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen, die sich primär im kooperativen Kreditgeschäft mit kleinen und mittleren Unternehmen engagieren. Schon jetzt ist absehbar, dass sie unter den veränderten Rahmenbedingungen des Basel II-Abkommens, durch das eine stärkere Risikogewichtung bei der Kreditvergabe umgesetzt wird, ihre Eigenkapitalrücklagen im Vergleich zu den global operierenden Banken erhöhen müssen (vgl. Bieling/Jäger 2009: 101f). Ihre Schuldnerqualität und damit die Konditionen der eigenen Liquiditätsversorgung und Kreditbeschaffung verschlechtern sich vor allem aus zwei Gründen: Zum einen sind die an mittelständische Unternehmen vergebenen Kredite in der Regel risikoreicher, zum anderen sind – dies gilt zumindest für Deutschland – bisherige staatliche Garantien (Anstaltslast und Gewährträgerhaftung) für die Landesbanken und öffentlichen Sparkassen abgeschafft worden (vgl. Lütz 2005). Zweitens spielen für viele Unternehmen des gehobenen Mittelstands – angesichts wachsender Probleme der Kapitalbeschaffung – sog. Finanzinvestoren, die sich ihr Kapital von institutionellen Anlegern beschaffen, eine zunehmend wichtigere Rolle (vgl. Huffschmid 2007b: 31ff). Die Finanzinvestoren, die ihrerseits Gewinnraten zwischen 15% und 40% anstreben, kaufen sich mit Hilfe von „Private Equity“ in die mittelständischen Unternehmen ein, um diese in einem Zeitraum von 3-5 Jahren so zu restrukturieren, dass sie danach zu einem wesentlich höheren Preis wieder verkauft oder aber an der Börse platziert werden können. In der Zwischenzeit werden die Produktionskosten durch Maßnahmen des Outsourcing, Entlassungen und Lohnsenkungen deutlich nach unten gefahren (vgl. Rügemer 2005).
Der Grad der Finanzialisierung, d.h. das Engagement von nicht-finanziellen Unternehmen auf den Finanzmärkten, bemisst sich am Anteil des Finanzeinkommens am gesamten Unternehmensgewinn. Er hat sich in den letzten Jahren auch in der EU beträchtlich erhöht, vor allem in Großbritannien und Frankreich, weniger hingegen in Deutschland und Italien.
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5 Die Europäische Union in der Weltökonomie und Weltordnung Drittens schließlich verändern sich dadurch, dass sich die Managementstrategien vieler transnationaler Konzerne am Konzept des Shareholder Value orientieren, auch die Beziehungen in der Produktionskette. Um die angestrebte Profitrate und die Erwartungen der Aktienmärkte zu erfüllen, erhöhen die Kern-Unternehmen vielfach den Druck auf die Zulieferbetriebe, die von diesen hergestellten Produktkomponenten kostengünstiger anzubieten. Langfristige Vertragsbeziehungen und vertrauensvolle Kooperationsformen weichen damit tendenziell einem kostenorientierten Wettbewerbsverfahren mit wesentlich kürzeren Zeithorizonten (vgl. Dörre/Brinkmann 2005).
Durch die Vermarktlichung der Finanz-, Produktions- und Arbeitsbeziehungen, insbesondere durch verkürzte strategische Zeithorizonte und den verschärften Kostensenkungswettbewerb, werden die produktiven und innovativen Kapazitäten des kontinentaleuropäischen Kapitalismus beeinträchtigt. Dies gilt zumindest dann, wenn man Innovationen nicht einfach nur als Leistung einzelner kreativer Unternehmer begreift, sondern als einen sozialen Prozess, an dem viele Akteure – öffentliche Institutionen, Wissenschaftler und Ingenieure, aber auch Arbeiter und Angestellte – beteiligt sind (vgl. Amable 2003: 85ff; Deutschmann 2002: 74ff). Damit diese ihre kreativen Ideen in die Entwicklung neuer Technologien und Produktionsabläufe, aber auch neuer Produkte und Vermarktungskonzepte einbringen, bedarf es eines kooperativen Umfelds. Auf Zusammenarbeit und Vertrauen beruhende Innovationsnetzwerke sind dabei voraussetzungsreich (vgl. Lazonick 2003: 27ff): Sie entstehen in der Regel nur dann, wenn sie mit hinreichenden finanziellen Ressourcen ausgestattet werden (financial commitment), wenn die beteiligten Akteure über die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen weitgehend autonom verfügen können, also vor externen Interventionen und Unsicherheiten relativ geschützt sind (strategic control), und wenn den Akteuren Zusagen gemacht werden, z.B. in Form sozialer Sicherheiten oder Aufstiegsperspektiven, an den Innovationseffekten selbst partizipieren zu können (organizational integration). Durch das finanzgetriebene Akkumulationsregime werden alle drei Voraussetzungen in Frage gestellt (vgl. Deutschmann 2005). Zumindest besteht die Gefahr, dass mit Rücksicht auf die Shareholder-Interessen die verfügbaren Ressourcen für langfristige und relativ risikoreiche Innovationsprozesse reduziert werden; dass durch den Druck auf das Management, kurzfristig die Unternehmensrendite zu steigern, die Autonomie und Kontrolle der Innovationsakteure beschnitten wird; und dass sich im Zuge der beschleunigten Unternehmensreorganisation die beruflichen Perspektiven für die Beschäftigten, so auch der Ingenieure und Entwickler, als ungewiss und unsicher darstellen, ihre organisationspolitische Einbindung also geschwächt wird. Mit anderen Worten, die kurzfristig ausgerichteten Kredite, Investitionen und Profiterwartungen der Finanzmarktakteure schwächen die sozialen Grundlagen kooperativer Innovationsnetzwerke. Die Frage, ob in der EU – von einigen neuen Produkten und Unternehmensgründungen einmal abgesehen – eine neue Innovationsdynamik entsteht, ist daher mit einiger Skepsis zu betrachten.52 52 Für den neo-amerikanischen Kapitalismus und sein marktbasiertes Innovationssystem stellt sich die Situation etwas anders dar. Hier korrespondiert die Entwicklung der Finanzmärkte mit deregulierten Arbeits- und Produktmärkten und einem strikten Patent-System. All diese Aspekte begünstigen individualistisch-risikofreundliche Innovationsstrategien, da einschneidende wissens- und technologieintensive Neuerungen besonders prämiert werden (vgl. Amable 2003: 86ff; Zeller 2003: 140ff).
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Einige der skizzierten Probleme sind von der EU, genauer: von einzelnen, vor allem den kontinentaleuropäischen Mitgliedstaaten, zum Teil antizipiert worden. In den Verhandlungen über das Basel II-Abkommen, durch das eine stärkere Risikogewichtung der Eigenkapitalunterlegung vorgenommen wird, oder die International Accounting Standards (IAS), denen zufolge sich die Unternehmensbilanzen nicht mehr am Wiederbeschaffungs-, sondern am zukünftigen Ertragswert orientieren, gab es durchaus einige Widerstände und Korrekturen seitens der EU-Mitgliedstaaten. So gelang es z.B. der deutschen Regierung – unterstützt durch Italien und Österreich – kleinere Modifikationen des Basel II-Abkommens durchzusetzen (vgl. Wood 2005: 141ff); und auch bei der Definition einzelner Aspekte der IAS, die insbesondere kleinere mittelständische Unternehmen benachteiligen, regte sich europäischer Widerstand (vgl. Nölke/Perry 2007). In der Aushandlung und Umsetzung der diversen Regulierungsstandards zeigte sich jedoch, dass die EU – vertreten durch die Kommission, die EZB oder europäische Regulierungsausschüsse – zumeist eine liberalisierungs- und wettbewerbsfreundliche Position einnahm und Korrekturen oft nur von einzelnen Mitgliedstaaten eingefordert wurden. Nach dem Ausbruch der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise im Sommer 2008 schien die EU ihre weitgehend reaktive und moderat abfedernde Währungs- und Finanzmarktpolitik allerdings aufzugeben. Um Liquiditätsengpässe zu vermeiden, ging die EZB zu einem aktiven geld- und währungspolitischen Management über (vgl. Pisani-Ferry/Sapir 2009: 75ff). Neben einer erleichterten Liquiditätsversorgung und deutlichen Absenkung des Leitzinses gehörte hierzu auch eine Stärkung des IWF, die Einrichtung eines mit 50 Mrd. Euro ausgestatteten Nothilfefonds für zahlungsunfähige EU-Staaten, die nicht der Eurozone angehören, sowie eine enge wechselkurspolitische Kooperation mit anderen Zentralbanken. In Ergänzung hierzu schufen die Regierungen nationale Krisenfonds, um durch den Ankauf schlechter Wertpapiere, durch Bürgschaften für Bankdarlehen oder die Rekapitalisierung und (Teil-)Verstaatlichung einzelner Banken das Finanzsystem zu stabilisieren. Darüber hinaus gingen sie in der zweiten Jahreshälfte 2008 dazu über, Konjunkturpakete aufzulegen und sich dabei auch untereinander abzustimmen, um den wirtschaftlichen Einbruch einigermaßen aufzufangen. Auf den ersten Blick markieren diese Maßnahmen eine Abkehr von der zuvor verfolgten, vornehmlich defensiven und durch einen Primat der regulativen Politik gekennzeichneten EU-Strategie. Genauer betrachtet ist die Rede von einem Strategiewechsel jedoch überzeichnet. Die meisten Schritte sind eigentlich nur Ausdruck eines reaktiven ad hoc Krisenmanagements, auf das sich die politischen Entscheidungsträger zum Teil nur widerwillig eingelassen haben. Hierfür spricht zumindest, dass die supranationalen Kompetenzen und Ressourcen kaum erweitert wurden53, indessen die EU-interne Lastenverteilung und die Koordination der nationalen Konjunkturprogramme hart umkämpft blieben (vgl. Schwarzer 2009: 103f). Außerdem scheint die EU eine zentrale, die finanzmarktinduzierten Instabilitäten verschärfende Dimension, d.h. die im globalen wie innereuropäischen Kontext sehr bedenklichen strukturellen Leistungsbilanzungleichgewichte (vgl. Huffschmid 2007a; UNCTAD 2009), zu verdrängen. Mit anderen Worten, selbst in der globalen Wirtschaftsund Finanzkrise präsentiert sich die EU konjunktur- und währungspolitisch sehr zurückhaltend. In Übereinstimmung mit dem bisherigen Primat regulativer Politik konzentriert sie 53 Eigentlich sind hier nur die aktive Liquiditätsversorgung der EZB und zusätzliche Kreditinstrumente der Europäischen Investitionsbank (EIB) zu nennen.
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sich – im europäischen wie globalen Maßstab wie z.B. in der G-20 – nach wie vor darauf, eine strengere Regulierung und Überwachung von Finanzmarktaktivitäten – insbesondere von Hedge Fonds, Rating-Agenturen oder Verbriefungsgeschäften – zu institutionalisieren. 5.2.4 Das währungs- und finanzmarktpolitische Gestaltungspotenzial der EU Wie sich die EU in der globalen Währungs- und Finanzordnung positioniert, wird vor allem durch drei Faktoren beeinflusst: erstens durch die zivilgesellschaftliche Einbettung der Währungs- und Finanzmarktpolitik, d.h. die programmatische, strategische und regulative Kohärenz des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes; zweitens durch die Einbettung der Währungs- und Finanzmarktpolitik in die sozialen Produktionsbeziehungen, d.h. die Implikationen für die wirtschaftliche Dynamik und Innovationsfähigkeit der europäischen Ökonomie; und drittens durch die globale Einbettung, d.h. die Fähigkeit, europäische Währungs- und Finanzmarktinteressen in internationalen Institutionen und Ausschüssen wirksam zu vertreten. Alle drei Faktoren haben sich seit den 1990er Jahren deutlich gewandelt. Die Veränderungen weisen jedoch in unterschiedliche Richtungen. Die programmatische, strategische und regulative Kohärenz des europäischen StaatsZivilgesellschafts-Komplexes ist zweifelsohne gestärkt worden. Die WWU, die Finanzmarktintegration und die Lissabon-Strategie lassen sich als Versuch interpretieren, der Dominanz der US-Ökonomie entgegenzuwirken. Der Anspruch, mit den USA auf gleicher Augenhöhe zu konkurrieren, legt nahe, dass sich die EU mit der Rolle des Juniorpartners nicht mehr zufrieden geben will. Die WWU und die Finanzmarktintegration zielen demzufolge nicht nur auf die Vollendung des EG-Binnenmarktes, sondern auch auf eine partielle Modifikation des Dollar Wall Street Regimes (DWSR). So hofft die EU, durch die Stärkung des Euro ebenfalls in den Genuss der Vorteile einer Weltwährung zu gelangen – Stichwort: Seigniorage – und durch die Senkung von Transaktionskosten die Attraktivität des europäischen Finanzmarktes zu steigern. In Ergänzung hierzu strebt sie danach, ihr Gewicht im Prozess der globalen Liberalisierung und Regulierung der Finanzmärkte zu erhöhen. Einige der dargestellten Initiativen und Institutionalisierungsprozesse verweisen demzufolge auf eine Abkehr von einer defensiv-reaktiven und Hinwendung zu einer stärker eigenständigen europäischen Währungs- und Finanzmarktpolitik. Sofern in diesem Kontext von einem Strategiewechsel überhaupt gesprochen werden kann, ist dieser aber deutlich schwächer ausgeprägt als in der Handelspolitik. Mehr noch, die anderen Dimensionen der interaktiven Einbettung zeigen vielmehr, dass die EU-Strategie begrenzt und widersprüchlich bleibt. Dies betrifft nicht zuletzt die Einbettung der europäischen Währungs- und Finanzmarktpolitik in die sozialen Produktionsbeziehungen, da die EU-Strategie grundsätzlich darauf zielt, ein finanzgetriebenes Akkumulationsregime zu etablieren, sich hierbei jedoch sehr stark an der Funktionsweise des US-Modells orientiert. Bis vor kurzem dominierte, so John Grahl (2004: 293), in der EU jedenfalls eine recht schlichte Reformkonzeption, gemäß der „Europe was to become ‚the cheapest and easiest place to do business in the world’. Not only financial reforms, but also labour market and social protection policies, liberalization and privatization of public services, the promotion of venture capital and other such measures were all put forward in a completely uncritical attempt to mimic the growth process of the US in the late’90s.“
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Die Erwartung, dass durch die kapitalmarktorientierte Reorganisation der europäischen Ökonomie eine neue Investitions-, Wachstums- und Beschäftigungsdynamik entsteht, hat sich bislang allerdings nicht erfüllt. Unter Missachtung der spezifischen Sonderkonditionen des US-Modells – und verstärkt durch die restriktive Geld- und Finanzpolitik der EZB und der nationalen Regierungen – ist eher das Gegenteil eingetreten. Alan Cafruny und Magnus Ryner (2007: 38) erklären dies wie folgt: „The European strategy disregards the entrenched position that US investors maintain in global markets, buttressed by the continuing seignorage status of the dollar. It also underestimates the degree to which US structural power is based on the social integration of global finance into the US financial market segmentation, transforming hitherto highly successful national systems of innovation, and commodifying institutions such as pension funds that reflect deeply embedded class compromises. Hence, whereas the United States has been able to draw on global finance and its ,interactive embeddedness’ with Washington, Wall Street, and ,Main Street’ to turn credit into capital, in Europe deregulation and neoliberal economic policies as entrenched in the EMU have progressively led to a self-limiting subordination to global finance.“
Das Problem, dass die europäischen Kapitalismusmodelle durch die Einpassung in die globalen Funktionsbedingungen des Dollar-Wall Street Regimes (DWSR) tendenziell geschwächt worden sind, wird noch dadurch verstärkt, dass sich die externen Gestaltungsmöglichkeiten der EU als relativ begrenzt darstellen. Auf der einen Seite sind die Mitgliedstaaten der EU – und partiell auch die supranationalen Institutionen wie die EZB und die Europäische Kommission – in den internationalen Institutionen und Foren der währungsund finanzmarktpolitischen Koordination zwar durchaus präsent. Mehr noch, sie haben den Prozess der regulativen Absicherung der Finanzmarktliberalisierung selbst mitbestimmt (vgl. Abdelal 2006). Doch trotz vieler kleinerer Initiativen und einer quantitativ starken internationalen Repräsentanz der EU-Mitgliedstaaten konnten auf der anderen Seite die Einflussmöglichkeiten der EU nicht ausgeschöpft werden. Vor allem die größeren Mitgliedstaaten waren nicht bereit, ihr nationales Vertretungsrecht zugunsten einer geschlossenen EU-Repräsentanz aufzugeben; und jenseits einer reaktiven ad hoc Kooperation wurden bislang keine Verfahren entwickelt, die ein effektives Agenda-Setting seitens der EU erlauben würden (vgl. Bini Smaghi 2004: 236). Noch immer ist in den internationalen Foren und Institutionen der Währungs- und Finanzmarktpolitik eine einheitliche und klar konturierte Position der EU daher kaum erkennbar. Ob sich dies in den kommenden Jahren – unter den Bedingungen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise – verändert, ist ungewiss. Dafür spricht, dass die (kontinental-)europäischen Regierungen Vorschläge für eine strengere Regulierung und Überwachung der Finanzmärkte unterbreitet haben und sich auch die Diskussion über die externen Repräsentationsprobleme der EU zuletzt intensiviert hat. Gegen eine sehr optimistische Sichtweise ist zugleich aber anzuführen, dass die (kontinental-)europäischen Vorschläge von den USA und Großbritannien bislang zurückgewiesen, abgeschwächt oder in der Praxis unterlaufen wurden und – jenseits verbesserter EU-interner Abstimmungsverfahren – keine grundlegende Reform der externen EU-Repräsentanz erkennbar ist. Durch den absehbaren Beitritt der neuen EU-Mitgliedstaaten zur Eurozone dürfte sich diese Konstellation weiter verfestigen. So ist einerseits davon auszugehen, dass durch die Ausweitung der Eurozone das Gewicht der EU in den internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen weiter zunimmt. Andererseits mehren sich in einer erweiterten Eurozone jedoch die Schwierigkeiten einer
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effektiven Entscheidungsfindung und Positionsbestimmung (vgl. Cohen 2007: 762ff). Die vergrößerte interne Heterogenität der Eurozone könnte die Transparenz des integrierten Finanzmarktes und – trotz der angestrebten Verschlankung – auch die Entscheidungsverfahren der EZB-Politik beeinträchtigen. Es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass eine politische kohärente und effektive Vertretung der EU in den internationalen Institutionen und Foren der Währungs- und Finanzmarktpolitik noch schwieriger wird. In Anbetracht der politökonomischen Implikationen der WWU und der Finanzmarktintegration sowie der fortbestehenden politisch-institutionellen Koordinations- und Repräsentationsprobleme spricht derzeit wenig dafür, dass die EU ihr beträchtliches – allerdings primär systemisches – Gestaltungspotenzial in den internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen schon bald auch strategisch ausschöpft. Auch nach dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise beschränkt sich die EU im Kern darauf, die Funktionsweise des globalen DWSR zu modifizieren, nicht aber dieses selbst in Frage zu stellen. Ob sich dies mittel- und langfristig ändert und die Position der EU in der internationalen Währungs- und Finanzmarktpolitik deutlich gestärkt wird, ist schwer vorherzusehen. Die Gründe hierfür liegen vermutlich allerdings weniger in der intern verbesserten Wettbewerbsposition der EU, als vielmehr in den strukturellen Ungleichgewichten der globalen Ökonomie. Schließlich ist es keineswegs ausgeschlossen, dass angesichts des fortbestehenden Leistungsbilanzdefizits der USA und des fallenden US-Dollars einige Länder mit großen Devisenreserven ihre Bestände in Euro umschichten und auch einige Ölexporteure dazu übergehen, ihre Ausfuhren in Euro zu fakturieren (vgl. Altvater/Mahnkopf 2007: 256ff).
5.3 Außen- und Sicherheitsbeziehungen Seit den 1990er Jahren hat die EU eine Vielzahl von Initiativen ergriffen, um die außen-, sicherheits- und militärpolitische Kooperation zu intensivieren (vgl. Varwick 2004; Bretherton/Vogler 2006: 162ff; Fröhlich 2008: 81ff; Mayer 2009: 121ff). Nach der Institutionalisierung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) im EU-Vertrag von Maastricht wurde bereits im Jahr 1992 – im Rahmen der Westeuropäischen Union (WEU) – durch die sog. Petersberger Aufgaben das Einsatzmandat europäischer Kriseninterventionskräfte festgelegt. 1997 wurden die Petersberger Aufgaben in den EU-Vertrag von Amsterdam übernommen und das Amt des „Hohen Vertreters für die GASP“ geschaffen. Im Anschluss an den EU-Gipfel in Helsinki im Dezember 1999 folgte die Etablierung diverser Koordinationsgremien, unter anderem eines Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK), eines EU Militärausschusses (EUMC) und eines EU Militärstabs (EUMS); außerdem wurde gemäß dem Helsinki Headline Goal der Aufbau einer ca. 50.000-60.000 Soldaten umfassenden EU-Eingreiftruppe eingeleitet. Die Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), die mit dem EU-Vertrag von Nizza auch vertraglich verankert wurde, lief letztlich darauf hinaus, die WEU, die bis dahin als westeuropäischer Arm der NATO fungierte, in das EU-System zu überführen. Zudem verständigte sich der Europäische Rat nach der Verabschiedung der Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) von 2003 darauf, durch die Einrichtung der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) die militärisch-industrielle Kooperation zu intensivieren und gemäß dem Headline Goal 2010 mobile und in Krisengebieten flexibel einsetzbare „Battle Groups“ zu schaffen. Durch den EU-Reformvertrag werden zukünftig zudem die Kompetenzen des Hohen Ver-
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treters – durch die Übernahme der Aufgaben des bisherigen Außenkommissars und die Funktion als Vize-Präsident der Europäischen Kommission – deutlich erweitert und gestärkt. Nicht nur die schrittweise Vertiefung der außen- und sicherheitspolitischen Kooperation, auch das verstärkte – zivile und militärische – Engagement in diversen Krisen- und Kriegsregionen – in Bosnien-Herzegowina, Mazedonien oder der Demokratischen Republik Kongo – verdeutlicht, dass sich die Europäische Union nach dem Ende des Ost-WestKonflikts außen- und sicherheitspolitisch neu positioniert (vgl. Kaldor/Salmon 2006; Howorth 2007: 207ff). Sie ist offenkundig bestrebt, die eigene weltpolitische Rolle aktiver auszufüllen. Ob, in welchem Maße und in welcher Form ihr dies gelingt, wird in der wissenschaftlichen Diskussion allerdings sehr unterschiedlich gesehen. Vereinfacht lassen sich zwei konträre Positionen identifizieren. Während sich die EU für einige bereits auf dem Weg zu einer imperialen Supermacht befindet (vgl. Neuber 2003; Oberansmayr 2004; Pflüger/Wagner 2006), sehen andere in ihr – aufgrund fortbestehender innereuropäischer Interessenkonflikte und der relativ unterentwickelten militärischen Kapazitäten – keinen wirklich handlungsfähigen weltpolitischen Akteur (vgl. Kagan 2002; Hyde-Price 2006). Schon auf den ersten Blick lassen sich gegen beide Positionen begründete Argumente ins Feld führen: Gegen die These einer imperialen Supermacht sprechen die politischinstitutionelle Fragmentierung des EU-Systems, die noch immer recht schwache Integration im Bereich der Sicherheits- und Militärpolitik sowie die politisch-strategische Zurückhaltung, d.h. die fehlende Proklamation weltpolitischer Ambitionen. Zugleich vermag aber auch die These eines handlungsunfähigen Europas nicht zu überzeugen. Ungeachtet fortbestehender Koordinationsprobleme hat die EU ihr äußeres Umfeld längst als politischstrategischen Handlungsraum entdeckt. Dies ist unter anderem daran erkennbar, dass sie inzwischen eine – operativ allerdings noch recht schwache – außen- und sicherheitspolitische Kontrollstrategie entwickelt hat, die vornehmlich darauf zielt, den europäischen Nahraum zu stabilisieren und den Zugang zu ökonomisch grundlegenden Ressourcen zu sichern. Die EU stützt sich dabei in erster Linie auf Instrumente einer weichen Macht- und Geopolitik, d.h. auf ein relativ umfassendes Netzwerk der wirtschaftspolitischen, diplomatischen, polizeilichen und rechtlich-administrativen Kooperation, versucht darüber hinaus aber auch zunehmend die eigenen militärischen Interventionskapazitäten zu stärken. Um die Dynamik und das Potenzial wie auch die Grenzen und inneren Widersprüche der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik einschätzen zu können, wird – wie in den vorangegangenen Kapiteln – die analytische Dreiecksbeziehung zwischen den Strukturen der Weltordnung, den staatlich-zivilgesellschaftlichen Interaktionsmustern und den sozialen Produktionsbeziehungen herangezogen. Bei der Spezifizierung ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Konturen des supranationalen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes noch relativ schwach entwickelt sind. Die interaktive Einbettung der Außen- und Sicherheitspolitik in die sozialen Produktionsbeziehungen ist sektoral, vor allem bezogen auf die Rüstungsindustrie, zum Teil sehr ausgeprägt, ansonsten jedoch – im Vergleich zu anderen Politikfeldern – deutlich weniger profiliert (5.3.1). Die Kooperation – und zum Teil auch Integration – im Bereich der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik wurde durch den weltpolitischen Umbruch von 1989/90, d.h. den Übergang vom Ost-West-Konflikt zur neuen Welt(un)ordnung, sicherlich forciert (5.3.2.). Zugleich gab es in der EG/EU aber nach wie vor recht unterschiedliche Auffassungen darüber, wie auf die neue Welt(un)ordnung angemessen zu reagieren ist. Dies schlug sich auch in der Entwicklung außen- und
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sicherheitspolitischer Institutionen, Verfahren und Konzeptionen nieder (5.3.3.). Die Konturen eines europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes bildeten sich nur sehr zögerlich heraus und sind trotz einer gewissen politökonomischen Unterfütterung nach wie vor nationalstaatlich fragmentiert. Jenseits divergierender Auffassungen über das Verhältnis der EU zur NATO und den USA haben sich die EU-Mitgliedstaaten jedoch insofern angenähert, als sie gegenüber den Nachbarstaaten und einigen Krisenregionen gemeinsame stabilisierungspolitische Konzepte und Instrumente entwickelt haben. Mehr noch, in der Verknüpfung von wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessenlagen ist inzwischen eine spezifische geopolitische EU-Strategie erkennbar, die sich vor allem auf zivile, zum Teil aber auch auf militärische Komponenten stützt (5.3.4.) 5.3.1 Die interaktive Einbettung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik In den verschiedenen Initiativen, die europäische Außen- und Verteidigungspolitik im Rahmen der GASP und ESVP zu stärken und eine gemeinsame „strategische Kultur“ zu entwickeln (vgl. Cornish/Edwards 2005), reflektieren sich vor allem zwei Sachverhalte. Zum einen hat der Verlust der kommunistischen Bedrohung, d.h. eines klaren gemeinsamen Feindbildes, dazu geführt, dass die Kooperationsstrukturen zwischen der EU und den USA neu austariert wurden. In diesem Kontext wurde zwischenzeitlich erkennbar, dass die globale Kontrollstrategie der USA (vgl. Gowan 2002; Barnett 2003), insbesondere der von ihr praktizierte Unilateralismus und militärische Interventionismus – nicht zuletzt im Fall des Irak-Krieges – in der EU nicht ohne Skepsis gesehen wird. Zum anderen hat sich in dem Maße, wie in Europa selbst, vor allem aber in den angrenzenden Nachbarregionen neue Unsicherheitslagen – (Bürger-)Kriege, Verfolgung und Ermordung ethnischer Minderheiten, terroristische Anschläge wie in London oder Madrid, eine prekäre Energieversorgung – entstanden sind, der sicherheitspolitische Diskurs der EU gewandelt; und zwar dahingehend, dass vermehrt eine eigenständige, von den USA partiell unabhängige außenpolitische Strategie und die Mobilisierung entsprechender ziviler und militärischer Instrumentarien eingefordert wird. Die EU passt sich außen- und sicherheitspolitisch demzufolge nicht nur reaktiv an die veränderten externen Kontextbedingungen an, sondern ist selbst auch bestrebt, auf die externen Kontextbedingungen pro-aktiv einzuwirken. Im Vergleich zu den Nachkriegsjahrzehnten, stützen sich die Aktivitäten der EU dabei auf ein deutlich erweitertes Sicherheitsverständnis, das über den polizeilichen und militärischen Schutz der Außengrenzen weit hinausgeht. Um den Wandel der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zu erfassen, ist es konzeptionell daher naheliegend, von einem umfassenden Verständnis der Sicherheitsstruktur auszugehen. In den Worten von Susan Strange (1994: 45): „The security structure [...] is the framework of power created by the provision of security by some human beings for others. The protectors – those who provide the security – acquire a certain kind of power which lets them determine, and perhaps limit, the range of choices, or opinions available to others. By exercising this power, the providers of security may incidentally acquire for themselves special advantages in the production, or consumption of wealth and special rights or privileges in social relations.“
Diese sehr allgemeine Definition von (Un-)Sicherheit ist hilfreich, muss allerdings weiter differenziert werden. So können sich politische Maßnahmen der Gefahrenabwehr sowohl
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auf natürliche Gefahren wie z.B. Umweltkatastrophen, als auch auf sozial und politisch produzierte Gefahren beziehen. Letztere stehen zumeist im Zentrum der Diskussion: „Most of the threats to individual security [...] are threats coming from some human agency. These range from threats coming from other individuals (whether criminals, lunatics, or carriers of serious diseases), to threats from organized crime, civil war or revolution, local or regional wars, up to threats of major nuclear war […]. The latter is perhaps the one major threat, affecting all mankind equally and indiscriminately. All other threats are unevenly distributed and unevenly coped by authority.“ (Strange 1994: 47f)
Beide Zitate verdeutlichen, dass die Organisation von Sicherheit immer auch durch spezifische Machtverhältnisse geprägt ist. Lange war dabei eine relativ strikte Trennung zwischen gesellschaftlichen und internationalen Macht- und Sicherheitsfragen gegeben. Während in den national verfassten Gesellschaften Sicherheit durch die (zivil-)gesellschaftlich eingebettete Rechtssetzungs- und Erzwingungskraft des Nationalstaats gewährt wurde, fielen internationale Sicherheitsfragen nahezu exklusiv in den Kompetenzbereich der exekutiven Staatsapparate. Durch die Entwicklungen seit den 1990er Jahren – die Prozesse des Staatszerfalls, die wachsende Bedeutung des internationalen Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder auch die internationalen Aktivitäten (zivil-)gesellschaftlicher Akteure – wird diese Abgrenzung zwar nicht hinfällig, aber doch zunehmend aufgebrochen. Dies zeigt auch die Genese der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Sie ist durch spezifische Muster der interaktiven Einbettung – in die Strukturen der Weltordnung, der Zivilgesellschaft und der sozialen Produktionsbeziehungen – gekennzeichnet, die über die herkömmlichen nationalstaatszentrierten Interpretationsraster zumindest partiell hinausweisen. In vielen Analysen wird der interaktiven Einbettung der Außen- und Sicherheitspolitik in die sozialen Produktionsbeziehungen keine größere Aufmerksamkeit geschenkt. Genauer betrachtet sind jedoch folgende Wirkungszusammenhänge von grundlegender Bedeutung: Erstens stellt die Organisation eines stabilen außen- und sicherheitspolitischen Arrangements eine wichtige Voraussetzung dafür dar, dass sich der Prozess der kapitalistischen Akkumulation – einschließlich der mit diesem korrespondierenden Sozialbeziehungen und Konsummuster – entfalten kann. Das heißt, nicht nur die Regierungen, auch die Unternehmen, die Beschäftigten und andere gesellschaftliche Gruppen sehen in der Kriegsvermeidung, der Abwehr von Terroranschlägen oder einem gesicherten Zugang zu Energiequellen eine zentrale, wenn nicht sogar vorrangige Aufgabe staatlicher Politik. Zweitens sind aber auch die sozialen Produktionsbeziehungen ihrerseits konstitutiv für die außen- und sicherheitspolitischen oder geopolitischen Strategien staatlicher Akteure. So ist die staatliche Geopolitik auch durch das Bestreben gekennzeichnet, die expansiven Investitions- und Absatzstrategien einheimischer TNKs abzusichern (vgl. Altvater/Mahnkopf 2007: 39ff). Drittens wird durch die sozialen Produktionsbeziehungen maßgeblich definiert, in welchem Maße eine Gesellschaft in der Lage ist, wirtschaftliche Ressourcen zu mobilisieren und technologische Entwicklungen zu stimulieren, um den Aufbau militärischer Verteidigungs- und Interventionskapazitäten voranzutreiben. Das Zusammenspiel von Rüstungspolitik und wirtschaftlicher Entwicklung ist freilich nicht immer eindeutig (vgl. Kaldor 1992: 220ff; Cox 1996b: 280ff). Einerseits sind Synergieeffekte zwischen der militärischen und zivilen Forschung nicht zu bestreiten. Andererseits birgt die Politik einer
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kostenintensiven Hochrüstung die Gefahr einer „imperialen Überdehnung“, d.h. einer Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Entwicklungspotenzials. Seit den 1980er Jahren hat sich die interaktive Einbettung der Außen- und Sicherheitspolitik in die sozialen Produktionsbeziehungen beträchtlich gewandelt. Im fordistischen Zeitalter hatte sich – gestützt auf das Fließband und die tayloristische Zergliederung des Arbeitsprozesses – eine Produktionsstruktur herausgebildet, die in Verbindung mit den interventions- und wohlfahrtsstaatlichen Organisationsmustern und der Inkorporierung der abhängig Beschäftigten und Gewerkschaften dazu beitrug, die staatlichen Macht- und Souveränitätsansprüche territorial zu konsolidieren (vgl. Cox 1996b: 276f). Der fordistischen Gesellschaftsformation war ein spezifischer „militärisch-technologischer Stil“ eingeschrieben, der primär auf der Produktion von „Waffen-Trägersystemen (Panzern, Flugzeugen, UBooten, Schiffen, Großraketen)“ und einem „intensiven Ölverbrauch“ basierte (vgl. Kaldor 1992: 117). Durch die immensen Rüstungsausgaben wurde die wirtschaftliche Entwicklung zum Teil belastet. Zum Teil gelang es aber auch, durch die industriepolitische Förderung des Rüstungssektors elektrotechnische Innovationen – wie z.B. die Entwicklung von Radar und Computern oder später in den 1970er Jahren von Laserstrahlen, Mikrowellen, Sonargeräten etc. – zu generieren. Diese „spin-off“-Effekte wurden vor allem in den USA, weniger hingegen in Westeuropa realisiert: „In Westeuropa hat allein die britische Rüstungsindustrie den Krieg überstanden. In anderen Ländern waren die Streitkräfte in der unmittelbaren Nachkriegszeit von US-Importen abhängig, und die Rüstungsindustrien wurden vor allem mit amerikanischer Hilfe nach und nach wiederaufgebaut. Die europäische Waffenproduktion basierte zu einem Großteil auf verschiedenen Formen des Transfers amerikanischer Technologie, insbesondere in Lizenzproduktion. Auch wenn wie in Großbritannien und Frankreich und bis zu einem gewissen Grad auch in Westdeutschland und Italien eigene Konstruktionskapazitäten bereitstanden, mussten sich diese einheimischen Anstrengungen gleichwohl an einem militärischen Nutzen orientieren, über den die Nato bestimmte.“ (Kaldor 1992: 229)
Im Vergleich zu den USA ist die europäische Rüstungsindustrie – durch die Enge der nationalen Beschaffungsmärkte in Verbindung mit einem relativ restriktiven rüstungspolitischen Kontrollregime54 – bis heute deutlich schwächer entwickelt. Im Kontext des EGBinnenmarktprogramms wurden gegen Ende der 1980er dann jedoch erste Schritte eingeleitet, die europäische Rüstungsindustrie zu stärken. Neben der allgemeinen Globalisierung der Produktions- und Finanzbeziehungen, kam dabei nicht zuletzt den Fusions- und Übernahmewellen im Industriesektor, (rüstungs-)technologischen Innovationsprozessen und der partiellen Öffnung der nationalen Beschaffungsmärkte eine zentrale Bedeutung zu (vgl. Hayward 2000). Dies implizierte zum einen ein engeres Kooperationsverhältnis zwischen dem Rüstungs- und Finanzkapital (vgl. Serfati 2004: 30ff). Zum anderen wurde das territorial basierte Souveränitätsverständnis nationalstaatlicher Politik zwar nicht einfach hinfällig, so aber doch relativiert. Die Mitgliedstaaten der EU nahmen diese Entwicklung nicht einfach passiv hin, sondern versuchten, den nationalstaatlichen Kontrollverlust auf europäischer Ebene zu kompensieren. Sie intensivierten seit den 1990er Jahren entsprechend ihre 54
In der Zeit des Kalten Krieges sorgte die sog. „CoCom-Liste“ – benannt nach dem 1949 gegründeten Coordinating Committee on Multilateral Export Controls – dafür, den Export entwickelter technologischer Produkte – vor allem in den Bereichen Rüstung, Kernenergie und Mikroelektronik – in den RGW (Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe) und China zu unterbinden.
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Anstrengungen, über den Prozess der Finanzmarktintegration die Konsolidierung der europäischen Rüstungsindustrie voranzutreiben, d.h. global konkurrenzfähige Konzerne zu schaffen und deren Entwicklung durch die Homogenisierung der rüstungsindustriellen und technologischen Basis sowie durch eine europäisch koordinierte Beschaffungspolitik zu unterstützen (vgl. Heidbrink 2005: 23f).55 Die interaktive Einbettung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik in die sozialen Produktionsbeziehungen hat sich jedoch nicht nur durch die Globalisierungsdynamik verändert, sondern auch durch das gewandelte Zusammenspiel von militärischer und ziviler Güterproduktion. Konnten bis in die 1970er Jahre hinein noch viele „spin-off“-Effekte zugunsten der zivilen Produktion erzielt werden, so haben sich die synergetischen Beziehungen inzwischen umgekehrt (vgl. Cox 1996b: 282f; Serfati 2004: 34f). Mittlerweile dominieren eher die „spin-in“-Effekte, d.h. die Prozesse einer militärischen Nutzung von zivilen Innovationen, die z.B. in der Flugzeugindustrie, der Satelliten-Technologie oder der Software-Produktion erzielt werden. Perspektivisch könnte sich diese Tendenz weiter verstärken. Nach Heiko Borchert und Reinhardt Rummel (2004: 264) ist es allgemein „[...] die Industrie, die die erforderlichen Fähigkeiten für den Sicherheitssektor zur Verfügung stellt und daher reibungslos in dessen Prozesse eingebunden werden muss. Das gilt nicht nur für die Rüstungsindustrie, sondern in verstärktem Maße auch für strategische Industrien aus den Bereichen der Bio-, der Gen-, der Nanotechnologie sowie der Lebenswissenschaften (Life Sciences), die bisher erst in Ansätzen unter dem Gesichtspunkt der nationalen bzw. europäischen Sicherheit betrachtet werden.“
Wie diese Verknüpfung von ziviler und militärischer Produktion in der EU politisch organisiert wird, ist gesellschaftlich und zwischenstaatlich umkämpft. Dies ist auch daran erkennbar, dass sich die außen- und sicherheitspolitischen Präferenzen der nationalen Regierungen – insbesondere mit Blick auf die transatlantischen Beziehungen – zum Teil erheblich unterscheiden. Die Frage nach dem staatlichen Charakter der institutionellen Arrangements der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ist daher nicht ganz leicht zu beantworten. Ungeachtet einiger zwischenstaatlicher Konflikte ist seit Ende der 1990er Jahre jedoch auch in diesem Politikbereich eine Integrationsdynamik beobachtbar, der sich bislang keine Regierung grundsätzlich entgegenstellt. Durch die schrittweise Institutionalisierung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sind zumindest, so die hier vertretene Perspektive, Keimformen einer fragilen europäischen Staatlichkeit – in Gestalt der Europäischen Kommission, des Hohen Vertreters oder der verschiedenen Koordinations- und Beratungsgremien (PSK, EUMC, EUMS oder EVA) – entstanden, deren Entscheidungsund Durchsetzungsfähigkeit nicht nur auf der nationalstaatlichen Unterstützung basiert, sondern sich auch aus der interaktiven Einbettung in eine transnationale europäische Zivilgesellschaft speist. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die zivilgesellschaftliche Einbettung der (national-)staatlichen Außen- und Sicherheitspolitik traditionell eher schwach ausgeprägt ist. So finden die außen- und sicherheitspolitischen Verhandlungen und Entscheidungen staatlicher Akteure oft hinter verschlossenen Türen statt und können daher nur sehr be55
Wie in den USA, so ist auch in der EU die Konsolidierung des Rüstungssektors durch die finanzmarktgetriebene Reorganisation beschleunigt worden. Doch während in den USA durch die Fusionen und Übernahmen sehr große Rüstungskonzerne entstanden sind, die sich verstärkt auf das sog. „Kerngeschäft“ konzentrieren (vgl. Serfati 2004: 33), ist die Trennung von ziviler und militärischer Produktion in der EU nach wie vor weniger stark ausgeprägt.
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grenzt durch eine gut informierte Öffentlichkeit kontrolliert werden. Das diplomatische Ritual verleiht den Regierungen mithin relativ große Handlungsfreiheiten, enthebt sie – in demokratisch verfassten Gesellschaften – letztlich aber nicht dem Zwang, die eigene Position öffentlich legitimieren und rechtfertigen zu müssen. Dies betrifft insbesondere Entscheidungen, die die Androhung oder den Einsatz militärischer Gewalt beinhalten. Sie können im Prinzip nur dadurch gerechtfertigt werden, dass sie zur Abwendung von gravierenden Menschenrechtsverletzungen – z.B. Völkermord – oder Sicherheitsgefährdungen als erforderlich und angemessen dargestellt werden. Michael Berndt (2007: 114) argumentiert in diesem Sinne: „[...] die diskursive hegemoniale (Re-)Produktion der Definition von Sicherheit [ist, H.-J.B.] ein zentraler Bestandteil der (Re-)Produktion von Legitimität militärischer Gewalt [...], die dem Ziel folgt, einen Konsens über legitimen Zwang herzustellen.“
Die diskursive Vorbereitung und legitimatorische Rückbindung oder Infragestellung außen- und sicherheitspolitischer Entscheidungen stellt zweifelsohne eine wichtige Dimension der zivilgesellschaftlichen Einbettung dar. Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, die außen- und sicherheitspolitischen Diskurse allein durch das Zusammenspiel von Regierungen und Medien bestimmt zu sehen. Die Diskurse werden auch durch andere Akteure wie z.B. die Industrie- und Rüstungsbetriebe, deren Verbände, die Gewerkschaften, das Militär, parteipolitische Diskussionsforen, diverse NGOs sowie Wissenschaftler, Intellektuelle und Think Tanks aktiv mit gestaltet (vgl. Oikonomou 2006: 10ff; Dembinski 2007: 91ff). Analytisch ist demzufolge zunächst von relativ umfassenden zivilgesellschaftlichen Interaktions-Netzwerken auszugehen, die entweder vermittelt über den öffentlichen Diskurs oder relativ direkt, d.h. durch institutionalisierte Kooperationsbeziehungen, auf die außen- und sicherheitspolitischen Strategien und Entscheidungen staatlicher Akteure Einfluss nehmen. Für das Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik stellt die Entwicklung einer transnationalen zivilgesellschaftlichen Infrastruktur freilich ein noch junges Phänomen dar. In den Nachkriegsjahrzehnten hatten sich im Kontext des Kalten Krieges in den westeuropäischen Gesellschaften zwar die außen- und sicherheitspolitischen Diskurse angeglichen, ein transnationales Kooperationsgeflecht – mit gemeinsamen Strategien und Aktionen – hatte sich aber nicht herausgebildet. Dies erklärt sich vor allem daraus, dass nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) im Jahr 1954 außen- und sicherheitspolitische Themen nicht auf europäischer Ebene, sondern ausschließlich in den einzelnen Nationalstaaten, in der NATO und in internationalen Institutionen wie der UNO diskutiert wurden. Erst mit der Etablierung der GASP und ESVP hat sich diese Situation inzwischen verändert. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass der Diskurs über das internationale zivile und militärische Krisenmanagement nicht nur durch ein entstehendes Netzwerk der Politisch-Militärisch-Industriellen Kooperation (NPMIK) (vgl. Oikonomou 2006)56, sondern auch durch diverse – entwicklungs- und friedenspolitisch ausgerichtete – NGO-Netzwerke aktiv gestützt wird (vgl. Dembinski 2007; Mayer 2009: 192ff). 56 Iraklis Oikonomou selbst spricht von einem Politisch-Industriellen-Militärischen Komplex (PMIK). Die von ihm skizzierte Komposition dieses Komplexes lässt sich aber auch vorsichtiger als Netzwerk der Politisch-MilitärischIndustriellen Kooperation (NPMIK) interpretieren. Dies hat den Vorteil, dass im Unterschied zum „Komplex“Begriff nicht ein klar umgrenztes und fest strukturiertes Akteursgeflechts suggeriert wird, sondern nur von der Existenz eines Kräftezentrums ausgegangen wird, das wandelbar und nach außen offen ist.
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Die zivilgesellschaftlichen Diskurse über neue externe (Un-)Sicherheiten, Risiken, Gefahren und Bedrohungen verweisen darauf, dass die staatliche Außen- und Sicherheitspolitik auch in die Strukturen der Weltordnung eingebettet ist. Einerseits stellen die weltpolitischen Kontextbedingungen – die internationalen Bündnissysteme, Organisationen und Kooperationsforenwie auch die ideologischen, geopolitischen oder wirtschaftlichen Konflikte bis hin zu ernsthaften zwischenstaatlichen Spannungen oder Kriegen – den zentralen Referenzrahmen dar, auf den sich die außen- und sicherheitspolitischen Strategien der Regierungen beziehen. Andererseits tragen die Strategien und Instrumente staatlicher Außen- und Sicherheitspolitik aber auch selbst dazu bei, die Strukturen der Weltordnung zu (re-)produzieren oder – durch neue institutionelle Arrangements, zivile Unterstützungsleistungen oder militärische Interventionen – zu transformieren. Die Gestaltungskraft der staatlichen Akteure unterscheidet sich beträchtlich. Staaten mit einer begrenzten Wirtschaftsund Militärmacht haben zumeist nur bescheidene Möglichkeiten, ihr Umfeld gemäß den eigenen Interessen und Vorstellungen zu formen. Im Unterschied hierzu verfügen mächtige Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe – gestützt auf eine überlegene Produktionsweise, einen großen Binnenmarkt, eine gewisse ideologische Ausstrahlungskraft, extensive diplomatische Beziehungen und umfassende militärische Kapazitäten – über vielfältige Optionen und Instrumente, andere Staaten kooperativ einzubinden und die Funktionsweise der Weltordnung hegemonial zu gestalten (vgl. Cox 1983: 171ff). Die Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg war zunächst durch einen beträchtlichen – wirtschaftlichen, militärischen und politischen – Machtverlust der westeuropäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexe gekennzeichnet (vgl. Deppe 2006: 44ff). Schon bald kristallisierte sich eine bipolare Weltordnung heraus, deren Funktionsweise in erster Linie durch die USA und die Sowjetunion bestimmt wurde. Gestützt auf den 1947 gegründeten Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und die Warschauer Vertragsorganisation (WVO) von 1955 errichtete die Sowjetunion ein „System von Tributar- oder Satellitenstaaten“ (Kaldor 1992: 38), während sich die USA durch die Förderung einer liberalen Weltwirtschaftsordnung, die Einbindung der meisten Staaten Westeuropas in die NATO und die Errichtung komplementärer Verteidigungsbündnisse im asiatischen Raum – so z.B. ANZUS, SEATO oder CENTO – als westlich-globale Hegemonialmacht profilierten (vgl. van der Pijl 2006: 78ff). Ungeachtet einiger Spannungen wurde die hegemoniale Führungsrolle der USA in der Konstellation des Kalten Krieges von den westeuropäischen Staaten begrüßt, zumindest akzeptiert (vgl. Lundestad 2005: 63ff). Nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus hat sich die Situation inzwischen allerdings gewandelt. Einige Mitgliedstaaten der EU fordern nun eine stärker eigenständige außen- und sicherheitspolitische Strategie ein. Die Entwicklung der GASP und ESVP und der Aufbau ziviler und militärischer Interventionskapazitäten deuten darauf hin, dass die bisherigen, hierarchisch strukturierten Kooperationsmuster nicht mehr fraglos akzeptiert werden. Dies ist zum Teil den veränderten weltpolitischen Risiken und Bedrohungen geschuldet. Zum Teil lassen sich die außen- und sicherheitspolitischen Kooperationsstrukturen in der EU aber auch als eine Reaktion auf den unilateralen Politikstil und die militärische Interventionspolitik der USA interpretieren.57 Es wäre sicherlich überzogen, in der Institutionalisierung der europäischen
57 Neben fehlenden Einfluss- und Mitsprachemöglichkeiten und der aggressiv-imperialen US-Politik wird nicht zuletzt das Droh- und Erpressungspotential, das die USA aufgrund der militärischen Kontrolle von Energiereser-
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Außen- und Sicherheitspolitik bereits eine Abkehr vom transatlantischen Bündnissystem zu sehen. Es mehren sich jedoch die Zeichen dafür, dass sich die EU als eine regionale Ordnungsmacht etablieren will, die stärker selbstbestimmt einen rechtsbasierten und multilateral ausgerichteten Gestaltungsansatz verfolgt und die militärische Abhängigkeit von den USA zu reduzieren bestrebt ist. 5.3.2 Vom Kalten Krieg zur neuen Welt(un)ordnung Die strategischen Prioritäten der (west-)europäischen Staaten haben sich im Zeitablauf beträchtlich gewandelt. In den Nachkriegsjahrzehnten hatten sich die Anstrengungen darauf gerichtet, enge sicherheitspolitische Kooperationsbeziehungen mit den USA zu etablieren: einerseits, um (West-)Deutschland politisch und militärisch unter Kontrolle zu halten; andererseits aber auch, um ein Bollwerk gegen die Sowjetunion und die mit ihr befreundeten Staaten in Mittel- und Osteuropa zu errichten. Für das Sicherheitsverständnis der westeuropäischen Staaten waren mithin die Erfahrungen der beiden Weltkriege, insbesondere jedoch der Ost-West-Konflikt, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Form des Kalten Krieges – d.h. einer harten wirtschaftlichen, rüstungspolitischen und propagandistischen Konfrontation unterhalb der Schwelle eines offenen Krieges – ausgetragen wurde, von grundlegender Bedeutung (vgl. von Bredow 2008: 79ff). Um Deutschland zu kontrollieren, und in Reaktion auf den sich aufschaukelnden Kalten Krieg gründeten Großbritannien, Frankreich und die Benelux-Staaten 1948 nicht nur den Brüsseler Pakt, sondern drängten auch darauf, ein atlantisches Verteidigungssystem zu etablieren. Geir Lundestad (2005: 51) führt hierzu aus: „The British and the French perspectives were somewhat at a variance, with London emphasizing the wider Atlantic structure and Paris primarily military assistance and a security guarantee directly to France. In any wider set-up Paris wanted a leadership role on par with Washington and London. […] Yet the result of London and Paris’s policies was the same: strong invitations to the United States to become more involved in Europe, even militarily.“
Nach anfänglichem Zögern nahmen die USA dieses Angebot bereitwillig an. Mehr noch, sie nutzten ihre unumstrittene wirtschaftliche und militärische, insbesondere waffentechnologische Überlegenheit und die sicherheitspolitische Abhängigkeit der westeuropäischen Staaten auch dazu, die Funktionsweise der NATO zu definieren (vgl. Hobsbawm 1995: 302ff). Sie errichteten in gewisser Weise ein Protektoratssystem, das ihnen eine umfassende Kontrolle der außen- und sicherheitspolitischen Strategien der Bündnispartner ermöglichte. „One important aspect of the system was its ‚hub-and-spokes’ character which applied also in the West European NATO states: each protectorate’s primary military-political relationship had to be with the United States. Attempts by the West European members of NATO, for example, to construct West European caucuses within NATO were slapped down by the United States. This rule against intra-protectorate regional caucusing did not apply to economic policies – hence the institutions of West European integration – but it did apply in military-political affairs.“ (Gowan 2002: 2)
ven prinzipiell auch gegen die Regierungen Westeuropas in Anschlag bringen können (vgl. Meiksins Wood 2005: 160f), von einigen EU-Staaten recht kritisch gesehen.
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Die USA prägten die konkrete Struktur und Funktionsweise der NATO in mehrfacher Hinsicht. Erstens drängten sie darauf, weitere Länder wie Kanada, Portugal, Italien, Island, Dänemark und Norwegen in die NATO einzubeziehen. Zweitens gestalteten und kontrollierten sie die institutionelle Struktur, die Entscheidungsverfahren und wechselseitigen Beistandsverpflichtungen des Verteidigungsbündnisses. Drittens setzten sie sich nach dem Scheitern der EVG dafür ein, die Bundesrepublik Deutschland zu remilitarisieren und sie in die NATO und die Westeuropäische Union (WEU) aufzunehmen. Und viertens bestimmten die USA schließlich auch die strategische Ausrichtung der atlantischen Allianz:58 „NATO was clearly dominated by the United States. The primary point in establishing NATO had been to commit the US to the defense of Europe. The combination of America’s atomic weapons and the American conventional trip-wire in Germany was to provide the deterrent against a Soviet attack. The Europeans wanted the American nuclear guarantee to be as firm as possible, so that the threat to unleash America’s atomic weapons would make the Soviets think twice about attacking Western Europe. Under such circumstances it was more or less inevitable that US strategy became NATO strategy.“ (Lundestad 2005: 67)
Zeitlich untergliedert sich die westliche Strategie-Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg in folgende Phasen: Auf die Phase der „Vorwärtsverteidigung“ (1950-57) folgte die Phase der „massiven Vergeltung“ (1957-67) und schließlich die Phase der „flexiblen Reaktion“ (1967-91). Die letzte Phase war zunächst durch die Entspannungspolitik bestimmt, d.h. durch Versuche einer blockübergreifenden rüstungspolitischen Kontrolle und politischen Kooperation, bevor der Rüstungswettlauf seit Ende der 1970er Jahre – mit der Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses und der Strategic Defence Initiative (SDI) – erneut in den Vordergrund trat. Jenseits aller Wendungen beruhten die aufgeführten Strategien allesamt auf der Annahme, „dass Westeuropa zu seiner Verteidigung gegen einen sowjetischen Blitzangriff, der über die norddeutsche Tiefebene vorgetragen wird, auf die technologische Überlegenheit der Vereinigten Staaten angewiesen ist“ (vgl. Kaldor 1992: 211).
In der Zeit des Kalten Krieges stellte die militärische, insbesondere nukleartechnologische Dominanz der USA gegenüber den westeuropäischen Staaten einen sehr effektiven machtpolitischen Hebel dar. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Versuche einer engeren außen- und sicherheitspolitischen Kooperation der westeuropäischen Staaten im Rahmen der EVG und EPG nicht als wirkliche Alternative, sondern nur als Ergänzung zur NATO konzipiert worden waren. Die Spannungen und Konflikte, durch die die Kooperation in der atlantischen Allianz nachfolgend immer wieder gestört wurde, stellten zumeist nur die konkrete Funktionsweise und die Machtverhältnisse innerhalb der NATO, nicht aber deren grundlegende Relevanz in Frage (vgl. Lundestad 2005: 111ff). Dies gilt unter anderem für die Kritik an der US-amerikanischen Atomwaffenstationierung in Westeuropa in den 1950er Jahren, für die intensivierte deutsch-französische Kooperation zu Beginn der 1960er Jahre, für den Rückzug Frankreichs aus der militärischen Kommando-Struktur der 58 Das System der militärisch-sicherheitspolitischen Protektion hatte zudem Auswirkungen auf den Prozess der wirtschaftlichen Integration Westeuropas. Die USA bemühten sich diplomatisch stets darum, mit der EWG- bzw. EG-Mitgliedschaft zugleich die NATO-Mitgliedschaft zu verbinden, um die atlantische Allianz nicht zu schwächen (vgl. Lundestad 2005: 100f). Von Irland einmal abgesehen ist ihnen dies bis in die 1990er Jahre auch gelungen (vgl. Howorth 2007: 9).
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NATO im Jahr 1966, für die wiederholte Ablehnung eines britischen EWG-Beitritts seitens der französischen Regierung oder auch für die Proteste gegen den Vietnam-Krieg und eine gewisse Distanzierung der westeuropäischen Regierungen von der Kriegs- und Interventionspolitik der USA. Zwischenzeitlich war es den westeuropäischen Staaten in der Phase der Entspannungspolitik durchaus gelungen – wenn auch in bescheidenem Maße –, ihr Gewicht in der atlantischen Allianz zu erhöhen. Nach den französischen Annäherungsversuchen an Moskau in den 1960er Jahren war die Entspannung zwischen den beiden Supermächten nicht zuletzt durch die neue Ostpolitik der sozialliberalen Koalition in Deutschland – das Gewaltverzichtsabkommen mit der Sowjetunion (1970), den Warschauer Vertrag mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze sowie das Viermächteabkommen über Berlin (1971) und den Grundlagenvertrag der beiden deutschen Staaten (1972) – gefördert worden. Mary Kaldor (1992: 188) hebt in diesem Kontext hervor: „Die Entspannungspolitik war [...] für Politiker wie Brandt und de Gaulle auch eine Art Rehabilitierung Europas. Auch die britische Regierung und die kleineren europäischen Regierungen haben sich für die Entspannung begeistert. Sie standen unter der Wirkung der ersten Nachkriegs-Protestwelle gegen die Atombewaffnung Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre, die in Großbritannien und Skandinavien besonders stark gewesen ist.“
Die Entspannungsinitiativen der (west)europäischen Regierungen stützten sich mithin einerseits auf die zivilgesellschaftlichen Protest-Diskurse, die eine Abkehr von der Hochrüstungs- und militärischen Interventionspolitik sowie eine blockübergreifende humanitäre Kooperation und kulturelle Verständigung einforderten. Darüber hinaus zielten die westeuropäischen Anstrengungen – dies gilt insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland – andererseits aber auch darauf, die wirtschaftlichen Kooperations- und Handelsbeziehungen zu fördern (vgl. van der Pijl 2006: 227ff). Die mehrschichtige Interessenstruktur schlug sich seit 1973 letztlich in den unterschiedlichen „Körben“ der Konferenz für Sicherheitund Zusammenarbeit in Europa (KSZE) nieder, in denen neben vertrauensbildenden Maßnahmen sowie völkerrechts- und sicherheitspolitischen Prinzipien (Korb 1) auch Fragen der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technologischen Kooperation (Korb 2), Aspekte einer verbesserten menschenrechtlichen und humanitären Zusammenarbeit (Korb 3) sowie Verfahrensfragen und Folgeschritte (Korb 4) geregelt wurden. Die führende Rolle der EG-Staaten im KSZE-Prozess war durch die seit 1970 eingeleitete Institutionalisierung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) sicherlich gefördert worden (vgl. Axt 1989: 190f). Noch wichtiger war jedoch, dass sich die USA im KSZE-Prozess anfangs kaum engagierten. Im Prinzip änderte sich hieran auch in der Folge nur wenig. Dennoch verblasste die aktive außen- und sicherheitspolitische Rolle der westeuropäischen Regierungen. Dies war vor allem dadurch bedingt, dass mit der erneuten Verschärfung des Kalten Krieges seit Ende der 1970er Jahre der KSZE-Prozess an Bedeutung verlor und die USA im Rahmen der NATO ihren weltpolitischen Führungsanspruch erneut bekräftigten. Die strategischen Wendungen seit den späten 1960er Jahren verdeutlichen dabei zweierlei. Sie zeigen zum einen, dass die westeuropäischen Staaten – trotz der vermehrten Koordinierungs- und Kooperationsanstrengungen – noch weit davon entfernt waren, eine eigenständige Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu entwickeln. Zum anderen wurde deutlich, dass ungeachtet aller transatlantischen Spannungen das Protektoratssystem, das die USA in der Konstellation des Kalten Krieges etabliert hatten, nach wie vor funktionsfähig war.
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In den 1980er Jahre wurde dieses System einerseits bekräftigt, andererseits aber auch unterminiert. Es wurde insofern bekräftigt, als sich die USA – nach der Niederlage in Vietnam, der Phase der sicherheitspolitischen Entspannung und der relativen wirtschaftlichen Schwächung – verstärkt darauf konzentrierten, ihre technologische Führungsposition zu festigen. Die Aufmerksamkeit der Reagan-Administration (1980-88) richtete sich nicht nur auf die Förderung neuer technologischer Leitsektoren wie der Informations-, Bio- und Gentechnologie, sondern auch auf rüstungstechnologische Innovationen, die durch neue sicherheitspolitische Projekte gezielt gefördert wurden (vgl. Gowan 2002: 6f). Um diese Ziele zu erreichen, setzte die US-Regierung auf eine Revitalisierungsstrategie, in der ein industrie- und rüstungspolitisch motiviertes deficit spending mit einer strikt angebotspolitisch ausgerichteten Wirtschaftspolitik – Senkung von Unternehmenssteuern, Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, Abbau sozialer Rechte etc. – sowie einer systematischen geld- und finanzmarktpolitischen Förderung des US-amerikanischen Kapitalmarktes verknüpft wurde. Mit der Realisierung dieser Strategieelemente ging zunächst ein tiefgreifender Wandel der sozialen Produktionsbeziehungen und Kräfteverhältnisse – ein Machtzuwachs des global orientierten Finanzkapitals und eine deutliche Schwächung der Gewerkschaften – einher (vgl. Panitch/Gindin 2003: 128ff). Zugleich wurde durch die Dynamisierung des Kapitalmarktes und die erneute Zuspitzung des Kalten Krieges aber auch die Konsolidierung und Expansion der US-amerikanischen Rüstungsindustrie gefördert. Obwohl es den USA gelang, ihre ökonomische und militärische Vormachtstellung zu festigen, mehrten sich in den 1980er Jahren die Zeichen dafür, dass das alte Protektoratssystem partiell erodierte. Nicht nur die unilateral ausgerichtete US-amerikanische Finanz-, Währungs- und Handelspolitik, auch die sog. „Reagan Doktrin“, d.h. die offensive Strategie der finanziellen und indirekt-militärischen Unterstützung anti-sozialistischer Kräfte in der „Dritten Welt“ – z.B. in Nicaragua, Angola, El Salvador oder Guatemala – sowie einige Interventionen und Militärschläge – in Grenada oder Libyen – wurden in Westeuropa mit einer gewissen Sorge und Skepsis betrachtet (vgl. van der Pijl 2006: 202ff). Nachdem bereits die Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses die zivilgesellschaftlichen Proteste der Friedensbewegung stimuliert hatte, wurde insbesondere die Strategic Defence Initiative (SDI), die die Reagan-Administration 1983 ohne vorherige Konsultation mit den europäischen Bündnispartnern verkündet hatte, zumeist kritisch-distanziert bis ablehnend kommentiert. Im Rückblick erwies sich die Befürchtung, dass das SDI-Projekt die USA zu einer atomaren Kriegsführung befähigt, Westeuropa aber schutzlos ausliefert, zwar als überzogen, entbehrte angesichts der martialischen Kriegsrhetorik der US-Regierung aber keineswegs jeglicher Grundlage (vgl. Hobsbawm 1995: 312ff). Alles in allem unterstreichen die Entwicklungen der 1980er Jahre den gewandelten Charakter der US-Hegemonie (vgl. Cafruny 1990: 105ff). In den Nachkriegsjahrzehnten konnte insofern von einer „integralen Hegemonie“ gesprochen werden, als die Führungsrolle der USA weithin akzeptiert und durch einen – auf wechselseitigen Kooperationsvorteilen beruhenden – transatlantischen Massenkonsens abgestützt wurde. In den 1970er und 1980er Jahren erodierten dann jedoch die konsensualen Momente der transatlantischen Kooperation, weil die USA ihre wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen und Präferenzen stärker unilateral zu realisieren versuchten. Sie waren zunehmend weniger in der Lage, zum Teil auch nicht bereit, ihre Führungsrolle durch politische und materielle Konzessionen an die Bündnispartner abzusichern. Es kristallisierte sich daher eine Struktur der „minimalen Hegemonie“ heraus. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die gesell-
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schaftliche Unzufriedenheit und auch die internationalen Konflikte zunehmen, zugleich aber die Machtverhältnisse und strategischen Prioritäten – mangels tragfähiger und realisierbarer Alternativen – nicht substanziell in Frage gestellt werden. So nutzen die USA ihre herausgehobene wirtschaftliche und militärische Position „to displace and externalize social contradictions into the international system, which in turn are, in part, internalized in Europe. Minimal hegemony implies that there is a substantial transatlantic accord among elites, albeit an unequal one.“ (Cafruny/Ryner 2007: 21)
Die westeuropäischen Regierungen haben diese machtpolitische Asymmetrie grundsätzlich akzeptiert, zugleich aber auch versucht, sie zu ihren Gunsten abzuschwächen. Dies kam unter anderem darin zum Ausdruck, dass trotz der US-amerikanischen Hochrüstung in den 1980er Jahren die Verteidigungsausgaben in Westeuropa zwischen 1970 und 1987 durchschnittlich stärker anstiegen als in den USA (vgl. Lundestad 2005: 211). Noch wichtiger war jedoch, dass die außenpolitische Koordination der EG-Staaten im Rahmen der EPZ seit den 1970er Jahren bis hin zur Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) von 1986 schrittweise institutionalisiert und verstetigt wurde (vgl. Axt 1989: 183f; Bretherton/Vogler 2006: 165ff).59 Auch sicherheitspolitische Fragen spielten dabei eine wachsende Rolle. Das organisatorische Zentrum der sicherheitspolitischen Kooperation bildete allerdings nicht die EPZ, sondern die WEU, die im Laufe der 1980er Jahre deutlich aufgewertet wurde.60 Die traditionelle Arbeitsteilung zwischen der NATO, der WEU und der EG blieb davon unberührt. Die EG befasste sich allenfalls am Rande mit sicherheitspolitischen und militärischen Themen. Indem durch die Binnenmarktintegration die industrie- und forschungspolitische Kooperation gefördert wurde, trug sie bestenfalls indirekt dazu bei, die rüstungs- und militärtechnologische Basis der EG-Mitgliedstaaten zu stärken (vgl. Böge 1989: 233ff). Trotz der Impulse einer verbesserten Kooperation war die EG in den 1980er Jahren noch weit davon entfernt, ein klar erkennbares außen- und sicherheitspolitisches Profil zu entwickeln. Dies lag zum einen daran, dass die sozialen Produktionsbeziehungen noch immer maßgeblich nationalstaatlich organisiert und auch die zivilgesellschaftliche Einbettung der außen- und sicherheitspolitischen Kooperations- und Kommunikationsstrukturen allenfalls durch schwache Elemente einer transnationalen Vernetzung gekennzeichnet waren. Zum anderen sorgte der fortbestehende Ost-West-Konflikt dafür, dass die von den USA kontrollierte NATO nach wie vor den sicherheitspolitischen Organisationsrahmen darstellte, auf den sich die EG-Mitgliedstaaten beziehen mussten. Durch den Zusammenbruch des Realsozialismus und das Ende des Kalten Krieges veränderten sich dann jedoch die weltpolitischen Koordinaten der europäischen Außenund Sicherheitspolitik. Das „neue Denken“, d.h. der Traum von einer friedvoll-kooperativen Neugestaltung eines gesamteuropäischen oder gar globalen sicherheitspolitischen Arrangements, der durch die Annäherung der beiden Supermächte in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre bereits vorbereitet worden war, währte nur kurze Zeit (vgl. Deppe 1991: 59
Im Kern blieb die EPZ jedoch ein formalisiertes zwischenstaatliches Koordinationsforum, das seit Mitte der 1970er Jahre durch die sog. Troika – d.h. die Zusammenarbeit der vergangenen, aktuellen und kommenden Ratspräsidentschaft – und dem diesem zuarbeitenden Politischen Komitee gesteuert wurde. Erst nach der Verabschiedung der EEA wurde das Sekretariat der EPZ zu einer eigenen Generaldirektion ausgebaut. 60 Die WEU war als sicherheitspolitisches Konsultationsforum allerdings nach wie vor der militärischen Kommandostruktur der NATO untergeordnet. Neben den EG-Mitgliedstaaten außer Irland waren Norwegen und Island, seit 1992 auch die Türkei, als assoziierte WEU-Mitgliedstaaten in den Konsultationsprozess eingebunden.
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141). Schon bald rückten mit den Prozessen des Staatszerfalls auf dem afrikanischen Kontinent wie auch in Europa – z.B. in der Sowjetunion oder in Jugoslawien – neue sicherheitspolitische Themen auf die Agenda. Aus Sicht der EU und der USA ging es nicht nur darum, die sicherheitspolitische Einbindung des vereinigten Deutschlands neu zu organisieren, sondern auch Antworten auf die potenzielle Destabilisierung Mittel- und Osteuropas, insbesondere auf den Verlauf des ethnisch-nationalistisch motivierten (Bürger-)Kriegs und Völkermords in Jugoslawien zu finden. Zudem wurde im sicherheitspolitischen Diskurs vermehrt darüber diskutiert, wie sich das Gefahrenpotenzial, das von den sog. „SchurkenStaaten“, der Verbreitung – atomarer und chemischer – Massenvernichtungswaffen und dem internationalen Terrorismus ausgeht, begrenzen und effektiv kontrollieren lässt. 5.3.3 Die Entwicklung der GASP und ESVP Zunächst scheint es, als habe sich die EU mit der Verankerung der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik (GASP) im EU-Vertrag von Maastricht bereits früh auf die veränderte Konstellation nach dem Ende des Kalten Krieges eingestellt. Hierfür spricht auch, dass mit den sog. Petersberger Aufgaben von 1992, d.h. humanitären, friedenserhaltenden und friedensschaffenden Aufgaben bis hin zu Kampfeinsätzen bei der Krisenbewältigung, das Spektrum europäischer Aktivitäten rasch ausgedehnt wurde. Genauer betrachtet konnte die EU aber nur sehr begrenzte Ressourcen und Instrumente mobilisieren, um die genannten Aufgaben praktisch zu erfüllen. Die von Christopher Hill (1993) vertretene These von der „Capability-Expectations Gap“ stieß entsprechend auf weitgehende Zustimmung. Die Diskrepanz zwischen den gehegten Erwartungen und den tatsächlichen Kapazitäten war vor allem den divergierenden sicherheitspolitischen Positionen der großen EU-Mitgliedstaaten geschuldet. Deren Aufmerksamkeit richtete sich nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus zwar übergreifend auf die Frage einer neuen gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur, ohne dass jedoch Einigkeit über die Funktionsweise und den konkreten Stellenwert der verfügbaren Organisationen und Koordinationsforen – d.h. der NATO, der EU und der KSZE oder OSZE61 – bestand. „Bis 1998 war das Bild relativ klar und einfach zu skizzieren: Frankreich wollte eine Stärkung der EU auch im militärischen Bereich, während Großbritannien im militärischen Bereich auf die NATO setzte. Dazwischen stand die Bundesrepublik Deutschland, die einmal mit Frankreich bezüglich der EU-Stärkung kooperierte, ein anderes Mal mit Großbritannien und den USA bezüglich der NATO. Alle vier versuchten allein oder zusammen, über die OSZE Einfluss auf Russland zu nehmen, welches wiederum dem Ziel folgte, über eine Stärkung der OSZE Einfluss auf die NATO zu nehmen.“ (Berndt 2007: 42)
Seit Ende der 1990er Jahre intensivierten die EU-Mitgliedstaaten ihre Anstrengungen, das außen- und sicherheitspolitisches Profil der EU durch weitergehende Koordinierungs- und Institutionalisierungsschritte zu schärfen. Die Beschleunigung der außen- und sicherheitspolitischen Kooperation vollzog sich vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Kosovo-Krieges. Sie wurde dadurch ermöglicht, dass der französische Staatspräsident Jacques 61
Die KSZE wurde im Jahr 1995 in die Organisation für Sicherheit- und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) überführt und damit zugleich stärker institutionalisiert. Ursprünglich hatten einige eine deutliche Aufwertung der KSZE nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus erwartet. Da jedoch die NATO in den 1990er Jahren interventionspolitisch gestärkt wurde, blieb die Rolle der KSZE/OSZE relativ bescheiden.
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Chirac und der britische Premierminister Tony Blair im Dezember 1998 auf dem bilateralen Gipfel in St. Malo übereinkamen, die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu stärken (vgl. Fröhlich 2008: 100ff). Die Initialzündung des Gipfels von St. Malo hatte insofern eine Langzeitwirkung, als auch danach weitere Ereignisse – so vor allem die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington, vom März 2004 in Madrid sowie vom Juli 2005 in London, aber auch die Kriege gegen Afghanistan und den Irak und die Diskussion über die Atomwaffenprogramme Nordkoreas oder des Irans – die Vernetzung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik begünstigten. Die nationalen Regierungen verständigten sich jedenfalls grundsätzlich darauf, die verfügbaren militärischen Kapazitäten zu stärken und eine gemeinsame strategische Kultur zu entwickeln. 5.3.3.1 Politische Initiativen und Institutionalisierungsprozesse Die Qualität und der Charakter der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sind nach wie vor schwer zu bestimmen. Unklar sind insbesondere zwei Dimensionen: die Geschäftsgrundlagen der transatlantischen Sicherheitskooperation sowie die Tiefe und Verbindlichkeit der europäischen Zusammenarbeit und Vergemeinschaftung. Was die transatlantische Dimension, d.h. den Stellenwert der NATO, betrifft, so hatte sich unter den Bedingungen des Ost-West-Konflikts eine Arbeitsteilung herausgebildet, „in der der europäische Integrationsprozess die militärische Sicherheit ausklammerte und faktisch der NATO überließ“ (Rühle 2006: 7). Obwohl sich diese Arbeitsteilung bereits in den 1990er Jahren transformierte, wird noch immer darüber diskutiert, wie die Konditionen einer „strategischen Partnerschaft“ zwischen der NATO und der EU inhaltlich und institutionell zu gestalten sind. Doch nicht nur die transatlantischen Kooperationsmuster, auch die Tiefe und Verbindlichkeit, d.h. die Qualitätsmerkmale der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik blieben mehrdeutig. So kann auf der einen Seite darauf verwiesen werden, dass das vertraglich festgeschriebene institutionelle Design der GASP und ESVP – die Kompetenzen und Entscheidungsmodalitäten – einen vornehmlich intergouvernementalen Charakter haben. Auf der anderen Seite zeugt die Fortentwicklung der GASP und ESVP jedoch von einer Dynamik, die über die intergouvernementale Struktur hinausweist. Stefan Fröhlich (2008: 94f; ähnlich Mayer 2009: 121ff) gelangt zu der Einschätzung, dass die Gemeinschaftsebene „zunehmend eine größere Rolle spielt, die sich nicht zuletzt in der Beteiligung der Kommission, der – wenn auch begrenzten – Kontrollfunktion des Parlaments, der Rolle des zuständigen Kommissars in der reformierten Troika sowie an der Aufgabenerweiterung des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees und der damit verbundenen stärkeren Vernetzung mit den nationalen Ministerien abzeichnet. In diesem Zusammenhang ist die Verbindlichkeit von ‚europäischen’ Entscheidungen gestiegen und hat insgesamt zu einem Prozess der ‚Brüsselisierung’ beigetragen, die – bei aller Beibehaltung des intergouvernementalen Grundprinzips – nationale Ansprüche in nahezu allen Facetten der Außen- und Sicherheitspolitik doch zunehmend einschränkt.“
Durch die Koordinierungs- und Institutionalisierungsprozesse werden die nationalstaatlichen Handlungsoptionen allerdings nicht nur eingeschränkt, sondern vielfach – dies gilt insbesondere für die außen- und sicherheitspolitisch weniger profilierten EU-Mitgliedstaaten – erst ermöglicht. Einiges spricht dafür, dass sich trotz fortbestehender zwischens-
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taatlicher Interessendivergenzen und der dominanten Rolle der NATO und der USA auch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik ansatzweise Keimformen einer supranationalen Staatlichkeit herausgebildet haben, durch die die externen Aktivitäten der EU zunehmend strukturiert werden. Die Entwicklung der EU zu einer regionalen, zum Teil sogar weltpolitischen Ordnungsmacht folgte freilich keinem Masterplan. Sie realisierte sich vielmehr in der Form, dass mit Bezug auf konkrete Probleme, Krisen und Bedrohungen jeweils spezifische politische Initiativen und Projekte ausgehandelt wurden. (1) Das erste Projekt bestand darin, im Rahmen des EU-Vertrags von Maastricht, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zu institutionalisieren. In der Vorbereitung dieses Schrittes war von den EG-Mitgliedstaaten – nicht zuletzt auf Drängen Deutschlands – 1990 eine Regierungskonferenz zur „Politischen Union“ einberufen worden, um die Funktionsweise der EPZ mit Blick auf die Risiken und Gefahren, die der veränderten weltpolitischen Konstellation nach dem Ende des Kalten Krieges eingeschrieben waren, weiter zu entwickeln (vgl. Bretherton/Vogler 2006: 166f). Die Dringlichkeit dieses Vorhabens wurde bereits im Verlauf der Regierungskonferenz durch den Irak-Krieg von 1991 und die militärischen Konflikte im auseinanderbrechenden Jugoslawien, die durch die widersprüchliche und konzeptionslose Politik der EG-Mitgliedstaaten begünstigt worden waren, offensichtlich. Diese Ereignisse steigerten in der EG/EU den öffentlichen Erwartungsdruck, eine kohärente Außen- und Sicherheitspolitik zu entwickeln. So kamen die Regierungen überein, einige allgemeine Ziele – wie die Förderung von Frieden, Sicherheit, internationaler Kooperation, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten – zu formulieren. Sie verständigten sich zudem darauf, durch die engere Kooperation zwischen dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission die Verfahren des außenpolitischen Interessenabgleichs zu effektivieren. In diesem Kontext wurden auch neue Instrumente – „Gemeinsame Strategien“, „Gemeinsame Standpunkte“ und „Gemeinsame Aktionen“ – entwickelt, um operativ handlungsfähig zu werden; und schließlich eröffnete die engere institutionelle Anbindung der WEU an die EU die Option, im Rahmen der GASP auch militärische und verteidigungspolitische Aspekte zu diskutieren. Ungeachtet all dieser Übereinkünfte blieben die Ergebnisse der Verhandlungen jedoch hinter den Erwartungen zurück (vgl. Fröhlich 2008: 85ff). Mehr noch, die mit dem EU-Vertrag von Maastricht definierte institutionelle Struktur und Funktionsweise der GASP wurde von vielen Beobachtern sogar als enttäuschend bewertet. Dies lag zum Teil daran, dass innerhalb der „Drei-Säulen-Struktur“ des Maastricht-Vertrags die Außen- und Sicherheitspolitik gesondert definiert wurde und primär durch intergouvernementale Entscheidungsmodalitäten, d.h. schwache supranationale Kompetenzen und einstimmige Beschlussverfahren, gekennzeichnet war. Darüber hinaus erschienen die verfügbaren finanziellen Ressourcen und Instrumente der EU als unzureichend, um auf die Krisen- und Kriegsherde, insbesondere auf dem Balkan, bereits in den 1990er Jahren effektiv reagieren zu können. (2) Diese praktisch-operativen Einschränkungen sollten keineswegs ignoriert werden. Gleichwohl markierte die GASP aufgrund der institutionellen Kooperation mit der WEU eine Abkehr von dem bis dato vorherrschenden Selbstbild der EU als einer allein auf nichtmilitärische Instrumente setzenden Zivilmacht. Die zunächst noch recht vorsichtige Neuorientierung wurde dadurch akzentuiert, dass sich die WEU-Staaten 1992 bereit erklärten, im Rahmen der sog. „Petersberger Aufgaben“ – humanitäre Aktionen oder Evakuierungs-
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maßnahmen, friedenserhaltende Maßnahmen sowie der Einsatz von Kampftruppen im Krisenmanagement – militärische Truppenkontingente zur Verfügung zu stellen. Im Kern handelte es sich bei den „Petersberger Aufgaben“ um eine europäische Spezifizierung der strategischen Reorientierung der NATO, die bereits im November 1991 in Rom eingeleitet worden war (vgl. Cremer 2002: 184; 2009: 24ff). Das dort beschlossene neue strategische Konzept (vgl. NATO 1991) bestand darin, das Operationsfeld der NATO geographisch zu erweitern, was unter anderem durch die Einrichtung des NATO Kooperationsrates (NAKR), d.h. den Dialog mit den mittel- und osteuropäischen Ländern auch organisatorisch in Angriff genommen wurde. Darüber hinaus wurde mit Blick auf die veränderte sicherheitspolitische Konstellation und die neuen Prioritäten der Krisenbewältigung und Risikovorsorge eine deutlich offensivere militärische Ausrichtung der NATO – unter Einschluss von „out of area“-Einsätzen – proklamiert. (3) Trotz der Institutionalisierung der GASP, der Aufwertung und strategischen Neuorientierung der WEU sowie der Formierung einiger multinationaler Truppenverbände wie dem Eurokorps (1992), EUROFOR (1995), EUROMAFOR (1995) oder dem deutsch-niederländischen Korps (vgl. Oberansmayr 2004: 40f) werden die Jahre bis 1996 zumeist als eine Phase der außen- und sicherheitspolitischen Stagnation betrachtet. Die neuen Möglichkeiten der GASP wurden aufgrund der intergouvernementalen Entscheidungsstruktur und vielfältiger nationaler Widerstände nur sehr zögerlich und sporadisch genutzt. In den Verhandlungen über den EU-Vertrag von Amsterdam drängten entsprechend vor allem Frankreich und Deutschland mit Unterstützung der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments darauf, die Effektivität, Kohärenz und Sichtbarkeit der GASP weiter zu stärken. Sie stießen allerdings auf die abwehrende Haltung der verteidigungspolitisch „neutralen“ Mitgliedsstaaten Irland, Schweden, Finnland und Österreich, die zum Teil erst 1995 in die EU aufgenommen worden waren. Zudem waren die atlantisch orientierten Regierungen Großbritanniens und Portugals nicht bereit, eine Vertiefung der Außen- und Sicherheitspolitik zu Lasten der NATO zu akzeptieren. Trotz dieser Widerstände beinhaltete der letztlich erzielte Kompromiss einige Elemente, die auf eine deutlich klarer konturierte und stärker pro-aktive Ausrichtung der GASP verweisen:
So wurde erstens nicht nur der Posten eines „Hohen Vertreters für die GASP“ geschaffen, sondern diesem zugleich auch eine politische Strategieplanungs- und Frühwarneinheit – zusammengesetzt aus diplomatischen Vertretern der Mitgliedstaaten, des Ratssekretariats sowie Beamten der Kommission – beiseite gestellt. Zweitens wurde das alte Troika-System insofern modifiziert, als fortan neben der aktuellen und zukünftigen Ratspräsidentschaft nun auch der Hohe Vertreter der GASP und ein EU-Kommissar für die außenpolitische Repräsentanz der EU mit verantwortlich waren. Darüber hinaus sind drittens die Petersberger Aufgaben in das EU-Vertragswerk aufgenommen worden. Ebenso wurde das Ziel formuliert, perspektivisch eine gemeinsame Verteidigungspolitik zu entwickeln und diese durch eine verbesserte rüstungspolitische Zusammenarbeit zu unterstützen.
Die Schritte der vertraglichen Fortentwicklung der GASP sind nicht zu unterschätzen (vgl. Regelsberger/Jopp 1997). Zugleich konnte die angestrebte Effektivierung und Stärkung der GASP in wichtigen Punkten aber nicht realisiert werden. Dies betraf zum einen die Ab-
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stimmungsmodalitäten. Das Einstimmigkeitsprinzip blieb im Kern erhalten. Es wurde nur insofern abgeschwächt, als sich gemäß dem Prinzip der „konstruktiven Enthaltung“ fortan bis zu einem Drittel der Mitgliedstaaten den Aktivitäten der EU entziehen konnten, und für Durchführungsbeschlüsse gemeinhin nur noch qualifizierte Mehrheiten erforderlich waren. Zum anderen wurde die Integration der Verteidigungspolitik in die GASP zeitlich verschoben. Die WEU blieb damit vorerst als eigenständige Organisation bestehen. Allerdings wurde in Aussicht gestellt, sie durch einen einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates perspektivisch aufzulösen und institutionell in die Strukturen der EU einzugliedern. (4) Tatsächlich wurde dieser Prozess schon kurz nach Verabschiedung des EU-Vertrags von Amsterdam und noch vor dessen Inkrafttreten eingeleitet. Grundlegend war hierfür ein strategischer Kurswechsel Großbritanniens. Nachdem die britischen Regierungen von Margaret Thatcher über John Major bis hin zu Tony Blair zuvor – mit Sorge um die Funktionsfähigkeit der NATO – immer wieder versucht hatten, die Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu verzögern und abzuschwächen, sprach sich Blair im Oktober 1998 auf einem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs im österreichischen Pörtschach dafür aus, die europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität zu stärken. Kurze Zeit später, im Dezember 1998, wurde diese Position auf dem britisch-französischen Gipfel in St. Malo nochmals bekräftigt und präzisiert: „Im Mittelpunkt der Erklärung von Saint Malo stand die Forderung nach der Fähigkeit der EU zu selbständigem, auf glaubwürdige militärische Kräfte gestütztem Handeln, den Mitteln zur Entscheidung über den Einsatz dieser Kräfte und der Bereitschaft dazu, um auf internationale Krisen reagieren zu können. Dies schloss die Verantwortung des Europäischen Rates mit ein, über die schrittweise Verwirklichung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik im Rahmen der GASP nachzudenken.“ (vgl. Fröhlich 2008: 101)
Der Kurswechsel der britischen Regierung war vor allem zwei Entwicklungen geschuldet (vgl. Holworth 2007: 53). Zum einen hatte die US-Regierung signalisiert, dass angesichts der wachsenden Kosten der militärischen Präsenz in anderen Weltregionen – insbesondere im Nahen und Mittleren Osten sowie in Ostasien – eine gewisse Stärkung der sicherheitsund verteidigungspolitischen Dimension der Europäischen Union wünschenswert ist. Wie die damalige US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright nur drei Tage nach dem Gipfel in St. Malo mit den sog. drei „Ds“ – no dimunition, no duplication and no discrimination – hervor hob, sollte mit der Entwicklung der ESVP allerdings eine Abkopplung von der NATO, eine Verdopplung der bestehenden Verteidigungsstrukturen sowie eine Diskriminierung der europäischen NATO-Staaten, die nicht der EU angehören, vermieden werden (vgl. Dembinski 2005: 74; Lundestad 2005: 261). Zum anderen erklärte sich die britische Regierung aber auch deswegen zur Unterstützung der ESVP bereit, um auf die sich zuspitzende Kosovo-Krise eine gemeinsame europäische Antwort finden und umsetzen zu können. Nachdem die USA im Krieg gegen das sog. Rest-Jugoslawien der EU noch einmal den militärischen Primat der NATO vor Augen geführt hatten (vgl. Cafruny 2003: 104ff; Heidbrink 2005: 30ff), wurde seit 1999 die Institutionalisierung der ESVP konkret in Angriff genommen. Dies geschah in mehreren, aufeinander bezogenen Schritten:
Zunächst verständigten sich die Regierungen im Juni 1999 auf dem EU-Gipfel in Köln darauf, die ESVP als integralen Bestandteil der GASP zu etablieren. Dies bedeutete,
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5 Die Europäische Union in der Weltökonomie und Weltordnung dass zur Umsetzung der sog. Petersberger Aufgaben der Konfliktbewältigung und Krisenintervention eine militärisch handlungsfähige Struktur geschaffen und die WEU bis zum Ende des Jahres 2000 in die ESVP überführt werden sollte. Auf dem EUGipfel in Helsinki im Dezember 1999 wurde dieser Prozess weiter konkretisiert. So wurde der Beschluss gefasst, bis zum Jahr 2003 eine „EU-Eingreiftruppe“ von 50.000 bis 60.000 Soldaten einzurichten. Zudem kamen die Regierungen überein, neue politische und militärische Ausschüsse zur effektiven Realisierung sicherheitspolitischer Operationen zu errichten. Mit dem EU-Vertrag von Nizza verständigten sich die Regierungen Ende 2000 schließlich auf eine neue politisch-militärische Kooperations- und Entscheidungsstruktur. So wurden vor allem drei neue Ausschüsse gebildet (vgl. Cameron 2007: 45ff; Holworth 2007: 67ff): erstens das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK), das sich aus hohen nationalen Beamten oder Botschaftern zusammensetzt, die permanent in Brüssel präsent sind, sich mehrfach in der Woche austauschen und den Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen unterstützen, indem sie die internationale Situation und die Implementierung beschlossener Aktivitäten beobachten und zivile wie militärische Einsätze kontrollieren; zweitens der EU-Militärausschuss (EUMC), in dem sich die Generalstabschefs der Mitgliedstaaten oder – in den wöchentlichen Sitzungen – ranghohe Offiziere versammeln, um das PSK in Fragen des militärischen Krisenmanagements sowie der Entwicklung militärischer Fähigkeiten zu beraten;62 und drittens der EU-Militärstab (EUMS), der als ein separates Generalsekretariat des Rates etwa 150 höhere Offiziere umfasst, die durch Expertisen die Arbeit des PSK, des EUMC sowie des Hohen Vertreters der GASP militärstrategisch fundieren sollen. In Ergänzung zu den neu geschaffenen Ausschüssen eröffnete der EU-Vertrag von Nizza mit dem Verfahren einer „verstärkten Zusammenarbeit“ darüber hinaus die Option, dass sich einige Mitgliedstaaten – mindestens acht – auch im Bereich der GASP, allerdings unter Ausklammerung militärischer und verteidigungspolitischer Aspekte, enger zusammenschließen können. Mit dem Vertrag über eine Verfassung für Europa (VVE) sollte die institutionalisierte Kooperation im Bereich der GASP und ESVP weiter gestärkt werden. Dies war insofern überraschend, als sich die EU noch kurz zuvor, d.h. während des Irak-Krieges, tief gespalten gezeigt hatte und der sog. „Pralinen-Gipfel“ von Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg im April 2003 von den anderen Mitgliedstaaten ablehnend kommentiert worden war. In den Verhandlungen des VVE – im Konvent wie in der anschließenden Regierungskonferenz – überwog letztlich jedoch das Bestreben, die fortbestehenden Funktionsdefizite der GASP und ESVP weiter zu minimieren (vgl. Holworth 2007: 76ff). So sollte im Bereich der ESVP nicht nur das Verfahren der „strukturierten Zusammenarbeit“ als einer leicht modifizierten, d.h. ungleichzeitigen Sonderform der „verstärkten Zusammenarbeit“ etabliert werden. Der VVE sah auch vor, durch die neuen Ämter eines Präsidenten des Europäischen Rates sowie des Außenministers der Union – jeweils gewählt mit qualifizierter Mehrheit für zweieinhalb und fünf Jahre – die Effektivität, Kohärenz und Sichtbarkeit der GASP und ESVP zu verbessern. Insbesondere der EU-Außenminister sollte durch die umfassen-
62 Analog zum EUMC wurde zudem – bestehend aus Diplomaten und diversen Spezialisten – ein Ausschuss für zivile Aspekte des Krisenmanagements (CIVCOM) geschaffen, der das PSK ebenfalls beratend unterstützt.
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den Kompetenzen der sog. „Doppelhut“-Konstruktion – d.h. durch den ständigen Vorsitz im Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen sowie die gleichzeitige Übernahme der Aufgaben des Kommissars für die Außenbeziehungen und der Vizepräsidentschaft in der Europäischen Kommission63 – mit dazu beitragen, die Reibungen und Abstimmungsprobleme zwischen dem Rat und der Kommission zu minimieren. Außerdem sollte er den Vorsitz der ebenfalls neu einzurichtenden Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) übernehmen, deren Aufgabe darin gesehen wurde, durch eine europäisch abgestimmte Rüstungs- und Beschaffungsplanung die industrielle und technologische Basis sowie die operativen militärischen Fähigkeiten der EU schrittweise zu stärken. Durch das Scheitern des VVE wurde die weitere Institutionalisierung der GASP und ESVP zum Teil verzögert und in ihrer symbolischen Wirkung abgeschwächt, nicht aber grundsätzlich blockiert. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die zentralen Bestimmungen des VVE Eingang in das Vertragswerk von Lissabon, d.h. den sog. Grundlagen- oder Reformvertrag, gefunden haben, wenngleich darin nicht mehr vom Außenminister, sondern nur noch vom „Hohen Repräsentanten für Außen- und Sicherheitspolitik“ die Rede ist. Überdies ist die europäische Außen- und Sicherheitspolitik seit Ende der 1990er Jahre – jenseits der vertraglichen Bestimmungen – durch weitere Kooperations- und Integrationsinitiativen vorangetrieben worden (vgl. Ehrhart/Schmitt 2004; Neuber 2006; Holworth 2007: 92ff): so z.B. durch den Aufbau einer EU-Eingreiftruppe mit 50.000 bis 60.000 Soldaten gemäß dem Helsinki Headline Goal von 1999; durch die Einrichtung eines EU Instituts für Sicherheitsstudien (EU-ISS) sowie eines EU Satellitenzentrums in Torrejón (Spanien) im Jahr 2001; durch den 2002 beschlossenen European Capabilities Action Plan (ECAP); durch die 2003 formulierte Europäische Sicherheitsstrategie (ESS); durch das 2004 beschlossene Headline Goal 2010, das die Schaffung sog. „Battle Groups“ von etwa 1.500 Einsatzkräften vorsieht, die rasch verfügbar und flexibel einsetzbar sein sollen; durch die im Vorgriff auf den VVE bereits im Jahr 2004 eingerichtete Europäische Verteidigungsagentur (EVA); sowie durch die 2005 im EUMS etablierte zivil-militärische Planungszelle zur strategisch-operativen Unterstützung autonomer Kriseninterventionen der EU. Durch all diese Initiativen ist der intergouvernementale Charakter der GASP und ESVP zwar nicht aufgehoben, so aber doch abgeschwächt worden. Dies ist nicht so sehr dem gestiegenen Einfluss der etablierten supranationalen Institutionen geschuldet. Schließlich hat der EuGH in der Außen- und Sicherheitspolitik keinerlei Kompetenzen, und auch das Europäische Parlament verfügt nur über gewisse Informations- und Anhörungsrechte (vgl. Wagner 2006). Allein die Kommission hat insofern an Gewicht gewonnen, als die Verknüpfung von außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen mit wirtschafts-, handels- und entwicklungspolitischen Themen einen beträchtlichen Koordinierungs- und Abstimmungsbedarf erforderlich macht. Neben dem Europäischen Rat prägen jedoch vor allem der „Hohe Vertreter für die GASP“ und perspektivisch der „Hohe Repräsentant für die Außen- und Sicherheitspolitik“, das neue Ausschusssystem von PSK, EU Militärausschuss, EU Militärstab, CIVCOM oder auch das EU-ISS sowie die Europäische Verteidigungsagentur (EVA) die Funktionsweise der GASP und ESVP. Einige dieser Institutionen und Ausschüsse lassen sich partiell auch als Keimformen einer supranationalen europä63
Die Rolle als Kommissionsmitglied impliziert ein Initiativrecht im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik.
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ischen Staatlichkeit interpretieren. Insgesamt stützt sich die GASP und ESVP jedoch vornehmlich auf Prozesse einer intensiven transgouvernementalen Vergemeinschaftung (vgl. Wallace 2005: 87ff; Mayer 2009: 145), d.h. auf dichte Interaktionsnetzwerke von nationalstaatlichen Repräsentanten – Ministern, Beamten und Botschaftern, Offizieren und Wissenschaftlern –, deren enge Kooperationsbeziehungen über die Logik des intergouvernementalen Interessenabgleichs hinausweisen. 5.3.3.2 Das Netzwerk der Politisch-Militärisch-Industriellen Kooperation (NPMIK) und die Rolle der Zivilgesellschaft Die hybriden Formen einer primär transgouvernementalen, partiell aber auch supranationalen Gestaltung korrespondieren mit entsprechenden Mustern der interaktiven Einbettung der GASP und ESVP in die Zivilgesellschaft wie auch in die sozialen Produktionsbeziehungen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Herausbildung eines europäischen Netzwerks der Politisch-Militärisch-Industriellen Kooperation (NPMIK), in dem wichtige Aspekte dieser doppelten – politökonomischen und strategisch-diskursiven – Einbettung zusammenlaufen. Zuweilen wird sogar davon ausgegangen, dass in der EU ein MilitärischIndustrieller Komplex entsteht. Diese Annahme ist allerdings empirisch und konzeptionell nicht unproblematisch. Dies liegt unter anderem daran, dass die Konzeption des Militärisch-Industriellen Komplexes analytisch zum Teil recht unterschiedlich, d.h. eliten- oder bürokratietheoretisch, pluralistisch oder historisch-materialistisch gefüllt wurde und – bedingt durch den historischen Kontext des Kalten Krieges – normativ und ideologisch sehr aufgeladen war. Joycelyn Mawdsley (2002: 18) zufolge weist die Konzeption insofern analytische Schwächen auf, als sie zu verschwörungstheoretischen und funktionalistischen Erklärungen neigt und die Komposition wie auch das Machtpotenzial des Komplexes unklar bleibt. Darüber hinaus war die Konzeption des Militärisch-Industriellen Komplexes vornehmlich auf die USA bezogen und in einer spezifischen historischen Konstellation entstanden, die durch den Ost-West-Konflikt und die Vorherrschaft keynesianischer Wirtschaftsstrategien bestimmt war. Die aufgeführten Kritikpunkte sind keinesfalls unbegründet. Sie sprechen gegen eine unreflektierte Bezugnahme auf die alten Konzeptionen des Militärisch-Industriellen Komplexes, insbesondere gegen deren einfache Übertragung auf die heutige EU. Zugleich wäre es jedoch überzogen, die kritischen Einwände zum Anlass zu nehmen, die außen- und sicherheitspolitische Relevanz der rüstungsindustriell-militärischen Kooperation gänzlich abzustreiten. Schließlich haben sich auch in der EU staatlich-zivilgesellschaftliche Organisations- und Kommunikationsnetzwerke herausgebildet, die – gestützt auf Prozesse der ökonomischen Kooperation – die institutionelle, strategische und operative Entwicklung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik maßgeblich gestalten (vgl. auch Manners 2006: 193). Im Unterschied zu den alten Konzeptionen des Militärisch-Industriellen Komplexes, die eine strategische Dominanz der militärischen und rüstungsindustriellen Akteure unterstellen, berücksichtigt die Konzeption eines NPMIK in der EU sehr viel stärker die Initiativrolle der nationalen und supranationalen politischen Entscheidungsträger. Obwohl sich das europäische NPMIK erst seit Ende der 1990er Jahre herauskristallisiert, also ein noch recht junges Phänomen darstellt, lassen sich inzwischen einige seiner Konturen umreißen. Das NPMIK umfasst dabei
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„a) large internationalised European arms firms and the AeroSpace and Defence Industries Association of Europe (ASD) (the Industrialists); b) the EDA [European Defence Agency, H.-J.B.] (the Agents); c) the European Commission and especially DG Enterprise (the Commissioners); d) the POLARM [European Armaments Policy Council Working Group, H.-J.B.] and DG Politico-military affairs in the Council (the Councillors); e) the EUMC and EUMS (the Generals); f) members of the European Parliament and especially of the Subcommittee on Security and Defence (the Parliamentarians) g) the EUISS, private research organisations and the academics linked to them (the Experts); h) organised labour, such as the European Federation of Metalworkers (the Workers).“ (Oikonomou 2006: 9)
Die Formierung des NPMIK schlägt sich einerseits in neuen – trans- oder supranationalisierten – Formen der außen- und sicherheitspolitischen Kooperation nieder, andererseits aber auch in einer veränderten Einbettung der Außen- und Sicherheitspolitik in die sozialen Produktionsbeziehungen. Noch bis weit in die 1990er Jahre hinein waren die Strukturen der Rüstungsindustrie und die Beschaffungsmärkte in der EU – dies betraf insbesondere die größeren Mitgliedstaaten64 – nationalstaatlich stark fragmentiert. Für die Rüstungsindustrie stellte sich diese Situation aus einer Reihe von Gründen als problematisch dar (vgl. Küchle 2003: 7ff; Heidbrink 2005: 37ff): Erstens war durch das Ende des Kalten Krieges und das Bestreben, die sog. „Friedensdividende“ zu realisieren, die öffentliche Nachfrage nach Rüstungsgütern stark rückläufig. Zweitens wurde der Konversionsprozess im Laufe der 1990er Jahre durch die Konditionalitäten der WWU weiter verstärkt. Drittens war in den USA bereits seit Beginn der 1990er Jahre eine kapitalmarktvermittelte Konsolidierung der Rüstungsindustrie gefördert worden; mit der Folge, dass die US-Konzerne verstärkt auf den europäischen Markt drängten. Und viertens machten die neuen Formen der Kriegsführung hochtechnologische Waffensysteme, mithin steigende Forschungs- und Entwicklungsausgaben erforderlich, die von den nationalen Rüstungsfirmen allein kaum aufzubringen waren. Um die Wettbewerbsposition der europäischen Rüstungsindustrie zu verbessern, hatten die führenden Unternehmen – zusammengeschlossen in der European Defence Industry Groups (EDIG) und European Association of Aerospace Industries (ACEMA) – bereits Anfang der 1990er Jahre versucht, die rüstungswirtschaftliche Integration voranzutreiben. Dies gelang zunächst jedoch nur in einem sehr bescheidenen Maße (vgl. Mawdsley 2002: 6ff; Liikanen 2003). So verhinderten die fortbestehenden nationalen Kontrollen, dass sich ein europäischer Binnenmarkt für Rüstungsgüter ausbilden konnte. Auch nachdem im Rahmen der WEU die Westeuropäische Rüstungsgruppe bzw. Rüstungsorganisation (WERG/WERO)65 gegründet worden war, gelang es aufgrund fortbestehender Konsenszwänge und Verteilungskonflikte zunächst kaum, die Koordination der militärischen Forschung und Entwicklung wie auch der nationalen Beschaffungsprogramme zu verbessern. Erst in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurde die Blockade in der Rüstungskooperation allmählich aufgebrochen: Zum einen verständigten sich im Vorfeld der ESVPDiskussionen nicht nur Frankreich und Deutschland, sondern auch Großbritannien und Italien darauf, außerhalb der WEU-Strukturen die Organisation Conjointe de Coopération 64
Im Unterschied zu den größeren Ländern, die über eine relevante eigene Rüstungsindustrie verfügten und eine breite Palette von Waffensystemen selbst herstellen konnten, waren die Märkte der kleineren Länder zumeist sehr viel offener organisiert (vgl. Küchle 2003: 41). 65 Die WERG war aus der Independent European Programme Group (IEPG) der NATO hervorgegangen. Sie wurde im Jahr 1993 etabliert und 1996 in die WERO umbenannt.
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en Matière d’Armement (OCCAR) zu gründen und „einen Teil ihrer militärischen Beschaffungsentscheidungen an ein multilaterales Koordinationsgremium zu delegieren“ (vgl. Steinmetz 2005: 3); und zum anderen entfaltete der rüstungsindustrielle Konsolidierungsprozess, der sich zuvor primär im nationalen Rahmen vollzogen hatte, nun auch eine europäische Dimension (vgl. Küchle 2003: 20ff; Mawsley 2003: 11ff). Die Aktivitäten konzentrierten sich dabei vor allem auf den strategischen Leitsektor der Luft- und Raumfahrtindustrie. Nachdem die Regierungen Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs zunächst noch eine Megafusion der nationalen Rüstungschampions befürwortet hatten, wurde die rüstungsindustrielle Landschaft in der EU in den Jahren 1999 und 2000 durch eine Vielzahl an Fusionen und Übernahmen tiefgreifend restrukturiert. So kaufte die British Aerospace (BAe) die Verteidigungselektronik von GEC-Marconi und nannte sich fortan BAe Systems, während die deutsche DASA, die französische Aérospatiale sowie die spanische Construcciónes Aeronauticas S.A. (CASA) zur European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) fusionierten: In Europa wird der Luft- und Raumfahrtsektor nun von einem Duopol aus dem drittgrößten (BAe Systems) und siebtgrößten (EADS) Rüstungskonzern der Welt beherrscht. EADS und BAe Systems sind über eine ganze Reihe von joint ventures miteinander verbunden: so etwa bei ziviler Flugzeugproduktion (durch Airbus), in der Raketenproduktion (durch MBD), in der Raumfahrt (durch Astrium) und bei Kampfflugzeugen (durch Eurofighter). [...] Die verbleibenden großen nationalen Konzerne gruppieren sich um diese beiden Giganten. [...] Der europäische Spitzenreiter im Bereich der Verteidigungselektronik Thompson-CSF (seit Dezember 2000: Thales) ist ausgesprochen widersprüchlich in den europäischen Komplex eingebunden: Er ist Partner (von EADS bei TDA und Eurosam, von BAe Systems bei Thomson Marconi Solar), wichtiger Zulieferer (für Eurocopter, Airbus und Dassault) und auch Konkurrent (z.B. in der Raketenentwicklung).“ (Heidbrink 2005: 48)
Die Transnationalisierung der Luft- und Raumfahrtindustrie ist für die veränderte interaktive Einbettung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik in die Produktionsbeziehungen zweifelsohne signifikant. Der rüstungsindustrielle Reorganisationsprozess erstreckt sich darüber hinaus auf andere Waffensysteme, wobei die klassischen Bereiche der Schiff-, U-Boot- und Panzerproduktion allerdings noch immer sehr stark nationalstaatlich organisiert und kontrolliert werden. Die Beschäftigten und Gewerkschaften des Rüstungssektors reagieren auf diese Entwicklung ambivalent. Während eine neue europäische Hochrüstung aus politischen Motiven eher abgelehnt wird, stößt der Ansatz einer europäischen rüstungspolitischen Kooperation grundsätzlich auf Zustimmung. Dies betrifft nicht zuletzt die Ziele, die Rüstungsmärkte zu harmonisieren, die Beschaffungsprogramme mit Hilfe einer europäischen Agentur zu koordinieren sowie die Qualität und das technologische Niveau der militärischen Ausrüstung zu verbessern, um die internationale Konkurrenzfähigkeit der europäischen Rüstungsunternehmen zu steigern und die eigenen Arbeitsplätze zu erhalten (vgl. Küchle 2003: 96f; Oikonomou 2006: 24f). Obwohl die Perspektive einer koordinierten europäischen Rüstungspolitik in der EU weithin Zustimmung findet, verlief der Koordinierungsprozess angesichts fortbestehender industrie- und verteilungspolitischer Konflikte keineswegs widerspruchsfrei. Um der Gefahr erneuter Blockaden vorzubeugen, kamen die Regierungen – gedrängt und unterstützt von den führenden europäischen Rüstungskonzernen (vgl. Slijper 2005: 10) – daher im Jahr 2004 überein, bereits im Vorgriff auf den EU-Verfassungsvertrag die Europäische Verteidigungsagentur (EVA) zu institutionalisieren (vgl. Mayer 2009: 236f). Die zentralen
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Aufgaben der EVA bestehen darin, die militärischen Fähigkeiten der EU-Staaten zu bestimmen und mit Blick auf Interventionseinsätze zu verbessern, die nationalen rüstungspolitischen Prioritäten und Beschaffungsprogramme effektiver aufeinander abzustimmen und im Bedarfsfall sogar einzelne Rüstungsprojekte zu managen. Die rüstungspolitische Kooperation gewinnt durch die EVA insofern eine neue Qualität, als nun sämtliche rüstungspolitische Aspekte „von Planung & Beschaffung über Forschung & Entwicklung bis hin zur Industriepolitik von einer Institution abgedeckt“ werden (vgl. Steinmetz 2005: 6). Die Leitlinien der EVA werden dabei von den nationalen Verteidigungsministern definiert, die unter dem Vorsitz des „Hohen Vertreters“ der GASP zusammen mit der Europäischen Kommission – diese verfügt allerdings über kein Stimmrecht – im Lenkungsausschuss vertreten sind. In der EVA können Entscheidungen auch mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden und kleinere Staatengruppen in den einzelnen Unterausschüssen – relativ exklusiv – zusammenarbeiten. Die institutionalisierten Kooperationsforen der entstehenden europäischen Verteidigungs- und Rüstungspolitik sind nicht nur sozioökonomisch, sondern auch zivilgesellschaftlich eingebettet. Stimuliert durch die Konsolidierung der europäischen Rüstungsindustrie haben sich die alten industriepolitischen Organisationen der European Defence Industries Group (EDIG), der European Association of Aerospace Industries (ACEMA) sowie der Association of European Space Industry (EUROSPACE) im Frühjahr 2004 zur AeroSpace and Defence Industries Association (ASD) zusammengeschlossen (vgl. Dembinski/Joachim 2008: 371). Als Vertretung von über 30 Wirtschaftsverbänden und mehr als 800 Unternehmen des Rüstungssektors fungiert die ASD als ein privilegierter Ansprechpartner der Kommission und der EVA.66 Das heißt, die Entscheidungen über die rüstungsindustriellen Schwerpunkte und Programme werden in der EU maßgeblich unter Mitwirkung der ASD und der führenden europäischen Rüstungsfirmen – EADS, BAe Systems, Thales und Finmeccanica – getroffen (vgl. Mawdsley 2003: 13f; Slijper 2005; Oikonomou 2006: 11f). Die Formen der privaten Einflussnahme beschränken sich dabei nicht nur auf die Verfahren der formalisierten Konsultation, sondern erstrecken sich auch auf eine Reihe spezifischer, rüstungspolitisch relevanter Beratungs- und Programmgruppen wie z.B. die LeaderSHIP 2015 und STAR 21 Initiative, die „Group of Personalities“ sowie das European Security Research Advisory Board (ESRAB), in denen die privaten Rüstungsfirmen direkt vertreten sind (vgl. Hayes 2006). Die Frage, wie die militärischen Fähigkeiten der EU durch eine intensivere forschungs-, rüstungs- und beschaffungspolitische Kooperation zu verbessern sind, beschäftigt auch den EU Militärausschuss (EUMC) und den EU Militärstab (EUMS), die Kangaroo Group des Europäischen Parlaments sowie einige Expertennetzwerke und Think Tanks, so z.B. das EU Institut für Sicherheitsstudien (EU-ISS), das europäische Netzwerk der Security and Defence Agenda (SDA), das Centre for European Policy Studies (CEPS), das 66 Die EVA stellt inzwischen das zentrale Kooperations- und Entscheidungszentrum der europäischen Rüstungsund Sicherheitspolitik dar. Zugleich sollte aber nicht unterschätzt werden, dass auch die Kommission – ungeachtet ihrer randständigen Rolle in der ESVP – durch den EG-Binnenmarkt und die Wettbewerbspolitik die ökonomischen Aspekte der Rüstungs- und Verteidigungspolitik ebenfalls mit gestaltet (vgl. Liikanen 2003). Nachdem die von ihr in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre lancierten Initiativen, d.h. zwei Mitteilungen und ein Aktionsplan für die Verteidigungsindustrie, relativ wirkungslos verpufft waren, hat die Kommission – in erster Linie die Generaldirektion Unternehmen und Industrie – in den letzten Jahren den Dialog mit dem Rüstungssektor intensiviert, um die Konflikte und Blockaden auf dem Weg zu einem europäischen Rüstungsgütermarkt zu minimieren.
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European Policy Centre (EPC), das Centre for European Reform (CER), das Royal Institute for International Affairs (RIIA) oder die Bertelsmann-Stiftung (vgl. Oikonomou 2006: 17ff; Dembinski/Joachim 2008: 371). Im Oktober 2007 haben 50 prominente Personen zudem das „European Council on Foreign Relations“ (ECFR) gegründet, um die europäische Außen- und Sicherheitspolitik durch die Entwicklung einer neuen strategischen Kultur zu festigen (vgl. Financial Times, 2.10.08). Die Analysen und Diskurse, die von den genannten Institutionen und Netzwerken gefördert werden, beschränken sich keineswegs auf rüstungsindustrielle Themen. Sie thematisieren ebenso die veränderten außen- und sicherheitspolitischen Kontextbedingungen, d.h. die neuen Risiken, Gefahren und Bedrohungen, auf die die EU – in Kooperation mit anderen Organisationen wie der NATO, UNO oder OSZE – durch die Reorganisation und strategische Neuausrichtung der militärischen und zivilen Interventionskräfte reagieren soll. Die Expertennetzwerke versorgen die EUInstitutionen dabei nicht einfach nur mit fundiertem Wissen. Ihnen kommt auch die Funktion zu, durch das zur Verfügung gestellte Expertenwissen die außen- und sicherheitspolitischen Konzepte der EU zu legitimieren. Dies gilt zum Teil selbst für die außen- und sicherheitspolitischen NGO-Netzwerke. Nachdem sich die Aktivitäten der meisten NGOs zunächst auf das Gebiet der Entwicklungspolitik konzentriert hatten, befassen sich inzwischen sehr viele Organisationen auch mit sicherheits- und friedenspolitischen Themen (vgl. Dembinski 2007: 99f). In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurden unter anderem das European Network for Civil Peace Services (EN.CPS), die European Platform for Conflict Prevention sowie das International Action Network on Small Arms (IANSA) gegründet. Diese Netzwerke umschließen eine Vielzahl von NGOs, die zum Teil noch in friedenspolitischen Basisgruppen verankert sind. Zum Teil haben sich die NGOs aber auch sehr stark professionalisiert und nehmen inzwischen eine etablierte Position im europäischen Konsultationsverfahren ein. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass einige Netzwerke – wie z.B. das Conflict Prevention Network (CPN), International Alert, die International Crisis Group (ICG) oder das European Peacebuilding Liaison Office (EPLO) – von der Europäischen Kommission finanziell unterstützt werden. Die Funktionsweise der NGO-Netzwerke ist daher widersprüchlich. Auf der einen Seite versuchen sie durch die enge Kooperation mit der Kommission und dem Hohen Vertreter der GASP sowie öffentlichkeitswirksame Stellungnahmen, die zivilen und friedenspolitischen Instrumente der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken. Gleichzeitig laufen sie auf der anderen Seite aber auch Gefahr, sich von ihrer sozialen Basis zu lösen und als professionalisierte Servicebetriebe von Seiten der außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungsträger instrumentalisiert zu werden (vgl. ebd.: 105ff). Die NGO-Netzwerke verdeutlichen, dass sich die Institutionalisierung und zivilgesellschaftliche Einbettung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik nicht allein auf das entstehende NPMIK beschränkt. Auch andere Akteure wie Friedensbewegungen, kritische Friedensforscher, politische Parteien und Verbände oder Journalisten versuchen, durch öffentlichkeitswirksame Statements, Kampagnen und Demonstrationen die außen- und sicherheitspolitischen Prioritäten der EU zu beeinflussen. Die Proteste gegen den IrakKrieg und die Diskussionen über die militärischen Komponenten des VVE verdeutlichen, dass die Fortentwicklung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik umkämpft bleibt. Dies gilt umso mehr, als die Einbettung der Außen- und Sicherheitspolitik in die sozialen Produktionsbeziehungen und zivilgesellschaftlichen Kommunikationsstrukturen nicht nur
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durch signifikante Fortschritte, sondern auch durch fortbestehende Widersprüche, Grenzen und Probleme gekennzeichnet ist. Was die sozialen Produktionsbeziehungen betrifft, so bestehen nach wie vor beträchtliche Zweifel, ob mit der EVA der nationale Rüstungsprotektionismus überwunden und die angestrebte Stärkung der rüstungsindustriellen Basis realisiert werden kann (vgl. Wulf 2007). Vor allem im Vergleich mit den USA treten die begrenzten militärischen Möglichkeiten der EU deutlich hervor: So machen die kumulierten Verteidigungsausgaben der EUMitgliedstaaten nur etwa die Hälfte des US-amerikanischen Verteidigungsbudgets aus; die rüstungspolitisch relevanten Forschungs- und Entwicklungsausgaben belaufen sich sogar nur auf ein Sechstel der US-amerikanischen Investitionen; und in einzelnen Bereichen wie dem strategischen Lufttransport und der Luftbetankung, der Aufklärung und Raketenabwehr sowie militärischen Präzisionswaffen werden deutliche Defizite und Rückstände identifiziert (vgl. Küchle 2003: 73f; Howorth 2007: 112ff). Angesichts der konjunktur- und haushaltspolitischen Restriktionen der WWU ist nicht damit zu rechnen, dass sich an diesen Relationen kurzfristig etwas ändern wird. Lässt man den Vergleich mit den USA einmal beiseite, so sind das rüstungstechnologische Potenzial und die militärischen Fähigkeiten der EU aber auch nicht zu unterschätzen. Schließlich übertreffen die Verteidigungsausgaben der EU-Mitgliedstaaten die Gesamtausgaben der sechs nachfolgenden Militärmächte China, Russland, Japan, Saudi Arabien, Indien und Südkorea (vgl. Howorth 2007: 117); außerdem ist die EU in wichtigen Bereichen wie der Produktion von Militärjets, Kampfhubschraubern, Artilleriesystemen, Panzern oder Lenkraketen bereits jetzt technologisch führend; und sollte es der EU gelingen, einige ihrer zentralen, militärisch relevanten Technologieprojekte – z.B. das Satelliten-Navigationsprojekt Galileo, das Raketenprogramm Ariane oder den Großraumtransporter Airbus A-400 M – erfolgreich zu realisieren, so dürfte sich ihre militärische Eigenständigkeit – innerhalb der NATO – weiter erhöhen. Für viele Militärfachleute, Politikberater und politische Entscheidungsträger liegt das Kernproblem jedoch nach wie vor darin, dass das vorhandene Potenzial nicht ausgeschöpft wird, da die nationalen – militärischen wie rüstungsindustriellen – Parallelstrukturen fortbestehen und nur unzureichend aufeinander abgestimmt sind. Mit Blick auf die veränderte Operationsweise der Streitkräfte – die Revolution in Military Affairs (RMA), die Professionalisierung des Personals, die neuen Aufgaben des „Nation Building“ und der Friedenssicherung sowie die Formen der netzwerkorientierten Kriegsführung (vgl. Edmunds 2006: 1061ff) – wird daher ein weitergehender Modernisierungs- und Rationalisierungsprozess angemahnt. Was dies bedeutet, ist von Javier Solana (2007: 3) auf einer EVA-Konferenz im Februar 2007 programmatisch zusammengefasst worden: „First, the bottom-line we should never forget is that we need to increase what we invest in defence – that is, increase spending on research, development and equipment procurement: either by increasing overall defence budgets, or by moving money out of running costs into investment within defence budgets, or both. Second, we must pull together the demand side – aligning national requirements into consolidated orders. […] Third, we must exploit all the resources available in the enlarged Union. […] There is a wealth of human capital newly available to Europe, whether in the university or the laboratory, or on the factory floor, which we can and must involve more effectively. This aspect and the role of Small and Medium Size enterprises have yet to be fully exploited in the development of the European DTIB [Defence Industrial and Technological Base, H.-J.B.]. And fourth, I suggest, we must be very clear what we want.“
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Die proklamierten Zielsetzungen sind ambitioniert. Doch ob der sicherheits- und militärpolitische Integrationsschub, der sich im Anschluss an die Etablierung der ESVP entfaltet hat, fortgesetzt wird, ist keineswegs gewiss. Dies liegt nicht nur an den bestehenden finanziellen Restriktionen, den Verteilungskämpfen um Rüstungsinvestitionen und den konkurrierenden strategischen Prioritäten der nationalen Regierungen, sondern auch daran, dass in der europäischen Öffentlichkeit militärische Interventionen eher kritisch gesehen werden. Die hohe Zustimmung von weit über 70%, die die ESVP seitens der Bevölkerung genießt (vgl. Howorth 2007: 58f), ist daher in zweifacher Hinsicht einzuschränken. Zum einen wird die ESVP noch immer recht unterschiedlich interpretiert (vgl. Cafruny 2003: 110ff; Kirchner 2007: 118ff; Kaim 2007: 237ff): in Frankreich als ein Instrument zur Stärkung der nationalen Machtstrategien; in Großbritannien als Ergänzung der NATO; in Deutschland als ein Arrangement zur Förderung multilateraler und humanitärer friedenspolitischer Prinzipien; und in den kleineren Ländern als Möglichkeit, die eigenen außen- und sicherheitspolitischen Interessen gemeinsam wirksamer vertreten zu können. Zum anderen trifft die ESVP zumeist nur dann auf eine breite Zustimmung, wenn sie sich auf das Spektrum der Aktivitäten konzentriert, die mit den Petersberger Aufgaben umrissen worden sind. Im Fall von militärischen Interventionen, die weder humanitär noch völkerrechtlich legitimiert sind, geraten die Regierungen und das Militär – die Proteste und Demonstrationen gegen den Irak-Krieg haben dies deutlich gemacht – hingegen in das Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik (vgl. Derrida/Habermas 2004). 5.3.3.3 Außen- und sicherheitspolitische Konzeptionen und Prioritäten Die Kriege und Kriseninterventionen verdeutlichen, dass die europäische Außen- und Sicherheitspolitik fortbestehenden Legitimationszwängen ausgesetzt bleibt. Zugleich wird dieser Legitimationsdruck von den Regierungen und supranationalen Institutionen wie auch von den – transnationalen – zivilgesellschaftlichen Interaktionsnetzwerken aktiv bearbeitet. Hiervon zeugen unter anderem die Versicherheitlichungs-Diskurse, die den Institutionalisierungsprozess der GASP und ESVP flankiert und gefördert haben. Unter Versicherheitlichung (securitization) wird gemeinhin die intersubjekt generierte Identifikation von drängenden oder sogar existenziellen Risiken, Gefahren und Bedrohungen verstanden. In den Worten von Ole Waever (1996: 106): „Security is a practice, a specific way of framing an issue. Security discourse is characterized by dramatizing an issue as having absolute priority. Something is presented as an existential threat: if we do not tackle this, everything else will be irrelevant (because we will not be free to deal with future challenges in our own way). And by labelling this a security issue, the actor has claimed the right to deal with it by extraordinary means, to break the normal political rules of the game (for example, in the form of secrecy, levying taxes or conscripts, limitations on otherwise inviolable rights).“
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts adressierten die außen- und sicherheitspolitischen Diskurse eine Reihe neuer Themenfelder: so z.B. die Existenz neuer „Schurkenstaaten“, die mangelnde Kontrolle von Massenvernichtungswaffen, Prozesse des Staatszerfalls oder neue Formen des internationalen Terrorismus. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre wurde das Sicherheitsverständnis der EG/EU – vor dem Hintergrund des Irak-Krieges und der Balkan-Konflikte – zunächst im Kontext des Strategiediskurses der NATO neu definiert.
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Die sicherheitspolitische Konzeption von 1991 legte dabei einen Sicherheitsbegriff zugrunde, der weniger von klar erkennbaren „Bedrohungen“ ausging, sondern von vielfältigen, nur schwer vorherzusehenden und einschätzbaren „Risiken“ (vgl. Cremer 2002: 184ff; Berndt 2007: 152ff). Dies hatte zur Folge, dass das Sicherheitsverständnis – flankiert durch entsprechende Versicherheitlichungs-Diskurse – inhaltlich und geographisch erweitert wurde. Der Blick richtete sich fortan nicht mehr allein auf die unmittelbare militärische Gefährdung des eigenen Territoriums, sondern gleichsam antizipativ und weit über die eigenen Grenzlinien hinausgreifend auf all jene Krisen- und Kriegsherde, die die Sicherheitsinteressen der NATO-Staaten potenziell beeinträchtigen könnten. In der Konsequenz lief dies auf eine stärker pro-aktive Verteidigungs- und Interventionsstrategie hinaus, die durch die Doktrin für Friedensunterstützungs-Operationen von 1996 und das neue strategische Konzept der NATO von 1999 weiterentwickelt wurde. Die veränderte sicherheitspolitische Perspektive wurde jedoch nicht nur von der NATO und den USA, sondern auch von den westeuropäischen Staaten selbst gefördert. So hatte sich die WEU bereits früh – mit Blick auf die Zerfallskonflikte in Jugoslawien und der Sowjetunion – für eine pro-aktive, militärisch flankierte Sicherheitsstrategie ausgesprochen (vgl. Berndt 2007: 155ff) und diese Position durch eine operative Fokussierung, d.h. die Petersberger Aufgaben, ergänzt. Anschließend konzentrierte sich die EU allerdings vornehmlich darauf, das tradierte Profil einer kooperativen Zivilmacht über die Effektivierung der außenpolitischen Diplomatie zu schärfen. Durch gemeinsame Standpunkte und Stellungnahmen, die Stärkung multilateraler Organisationen, die Institutionalisierung von Dialogen sowie die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Good Governance – ergänzt durch wirtschaftliche Förderprogramme – sollte das externe Umfeld stabilisiert werden (vgl. Wagner/Hellmann 2003: 574ff). Auch in diesem Kontext spielten Versicherheitlichungs-Diskurse durchaus eine Rolle. Die EU und ihre Mitgliedstaaten thematisierten dabei nicht nur die neuen externen Risiken und Bedrohungen, sondern – im Sinne des „Human Security“ Konzeptes (vgl. Debiel/Werthes 2005; Kaldor et al. 2007) – auch die Verletzung und Missachtung von rechtsstaatlichen Prinzipien und Menschenrechten. Während des Kosovo-Konfliktes wurde die Auffassung, dass sich Sicherheit nicht nur auf den Schutz von Staaten vor externen Übergriffen bezieht, sondern auch am Schutz und der Entwicklung von Individuen zu bemessen hat, durch die Regierungen der EU spezifisch akzentuiert. Neben der Clinton-Administration verwiesen vor allem die Mitte-LinksRegierungen in der EU auf die Notwendigkeit einer „humanitären Intervention“, um der Unterdrückung ethnischer Minderheiten und den Prozessen der ethnischen Säuberung entgegenzutreten. Der nachfolgende Krieg gegen Rest-Jugoslawien wurde in diesem Sinne durch den Anspruch legitimiert, die sich abzeichnende humanitäre Katastrophe abzuwenden. Abstrakt berief sich die EU – deren Regierungen und einflussreiche Intellektuelle – zum Teil auf kommunitaristische Prinzipien, d.h. den Schutz bedrohter Gemeinschaften und Bevölkerungsgruppen, zum Teil aber auch auf kosmopolitische Prinzipien, d.h. auf ein entstehendes Weltbürgerrecht, das das Völkerrecht gleichsam transzendiert (vgl. Anderson 2002: 10f). Schon kurze Zeit später trat der humanitäre und universalistische Anspruch der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 jedoch wieder in den Hintergrund. Erneut richtete sich der Blick der USA und auch der EU auf die Frage, ob einzelne Staaten wie Afghanistan und der Irak – gefolgt von Iran, Syrien oder Nordkorea – durch die Unterstützung des internationalen Terrorismus oder den
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Besitz von Massenvernichtungswaffen ein ernsthaftes sicherheitspolitisches Risiko darstellten und wie diesem effektiv zu begegnen sei. In den Diskussionen über den Irak-Krieg präsentierte sich die EU tief gespalten. Die Spaltung betraf in erster Linie das Verhältnis zu den USA, indirekt aber auch den Stellenwert multilateraler Organisationen wie der UNO und den Umgang mit neuen Risiken wie dem internationalen Terrorismus und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Die Regierungen zogen hieraus den Schluss, dass in Ergänzung zur ESVP, d.h. dem Aufbau außen- und sicherheitspolitischer Kooperationsstrukturen sowie ziviler und militärischer Interventionskapazitäten, auch die Entwicklung einer gemeinsamen strategischen (Sicherheits-)Kultur erforderlich ist (vgl. Fischer 2004). Um auf diesem Weg voranzukommen, wurde Javier Solana als Hoher Vertreter der GASP bereits im Mai 2003 von den nationalen Regierungen beauftragt, einen Entwurf für eine Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) zu erstellen, der nach intensiven Beratungen und kleineren Modifikationen schließlich im Dezember 2003 vom Europäischen Rat angenommen wurde (vgl. Europäischer Rat 2003).67 Eine wichtige Referenzfolie und Inspirationsquelle für die ESS bildete die Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) der USA, die bereits im September 2002 verkündet worden war (vgl. The White House 2002). So identifiziert die ESS im Kern die gleichen zentralen Hauptbedrohungen – den internationalen Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, das Scheitern von Staaten und Formen der organisierten Kriminalität – wie die NSS (vgl. Europäischer Rat 2003: 3ff), setzt bei der Bestimmung der strategischen Ziele und politischen Instrumente aber auch eigene Akzente (vgl. Reiter 2003; Gareis 2005). Diese bestehen erstens in der regionalen Fokussierung auf einige angrenzende Krisengebiete wie den Mittelmeerraum, den Balkan, den Nahen Osten oder den Südkaukasus; zweitens in der nachdrücklichen Hervorhebung eines effektiven Multilateralismus; und drittens in einem Gestaltungskonzept, das nicht primär militärisch ausgerichtet ist, sondern im Sinne eines präventiven Krisen- und Konfliktmanagements auch die zivilen Komponenten der europäischen Sicherheitspolitik zu stärken bekundet. Trotz dieser spezifischen Akzente sollten die Unterschiede zwischen der ESS und der US-amerikanischen NSS aber nicht zu stark betont werden (vgl. Cremer 2009: 122ff). Im Gegenteil, in den zentralen Punkten – der Bedrohungsanalyse oder dem erweiterten Sicherheitsverständnis – stimmen die beiden Strategien grundsätzlich überein; und bezogen auf die militärischen und zivilen Komponenten der Gefahrenabwehr und Risikovermeidung verhalten sich die ESS und NSS weitgehend komplementär zueinander. Der Eindruck der Komplementarität ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass die ESS in Bezug auf ihre operative Umsetzung sehr vage bleibt. Zugleich ist sie programmatisch jedoch hinreichend präzise, um zu erkennen, dass mit der Entwicklung der GASP und ESVP ein außen- und sicherheitspolitischer Paradigmenwechsel einhergeht. Die weitgehend defensiv-reaktive Sicherheitspolitik, die durch die Erfahrungen zweier Weltkriege und den Ost-West-Konflikt geprägt war und sich im Leitbild der Zivilmacht manifestierte (zum Überblick vgl. Orbie 2006), wird schrittweise durch eine offensiv-pro-aktive, zum 67 Der erste Entwurf für die ESS, der von Javier Solana eingebracht und daher auch als „Solana-Papier“ bezeichnet wurde, geht maßgeblich auf seinen Büroleiter Robert Cooper zurück (vgl. Foley 2007: 10ff). Dieser hat sich in mehreren Publikationen (vgl. z.B. Cooper 2002; 2003) auch konzeptionell dazu geäußert, wie die EU unter den veränderten Bedingungen des 21. Jahrhunderts als eine Art „postmodernes Imperium“ die Strukturen der Weltpolitik aktiv beeinflussen kann.
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Teil auch geopolitisch motivierte Sicherheitspolitik abgelöst (vgl. Bonacker/Bernhardt 2006: 234ff). Genauer betrachtet setzt sich der Paradigmenwechsel aus zwei Komponenten zusammen. Die eine Komponente besteht darin, dass sich die EU vom Selbstbild der Zivilmacht verabschiedet (vgl. Manners 2006: 188ff). Sie stützt sich nicht mehr nur auf die NATO, sondern versucht auch eigene militärische Kapazitäten zu entwickeln und anzuwenden. So heißt es in der ESS (2003: 11): „Es bedarf einer aktiveren Politik, um den neuen, ständig wechselnden Bedrohungen entgegenzuwirken. Wir müssen eine Strategie-Kultur entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen fördert.“
Die andere Komponente des Paradigmenwechsels wird in diesem Zitat ebenfalls angesprochen. Sie besteht in einem erweiterten, durch neue Gefahren, Bedrohungen und diffuse Risiken geprägten Sicherheitsverständnis, das wiederum Maßnahmen eines vorausschauend-präventiven und extra-territorialen – zivilen und militärischen – Engagements nahe legt: „Unser herkömmliches Konzept der Selbstverteidigung, das bis zum Ende des Kalten Krieges galt, ging von der Gefahr einer Invasion aus. Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen. Die neuen Bedrohungen sind dynamischer Art. Die Proliferationsrisiken nehmen immer mehr zu; ohne Gegenmaßnahmen werden terroristische Netze immer gefährlicher. Staatlicher Zusammenbruch und organisierte Kriminalität breiten sich aus, wenn ihnen nicht entgegengewirkt wird – wie in Westafrika zu sehen war. Daher müssen wir bereit sein, vor Ausbruch einer Krise zu handeln. Konflikten und Bedrohungen kann nicht früh genug vorgebeugt werden.“ (ESS 2003: 7)
Sicherlich ist der in der ESS umrissene Paradigmenwechsel noch nicht abgeschlossen, sondern nach wie vor umkämpft. So hat sich zwar ein allgemeiner Konsens herausgebildet, gemäß dem die EU einen integrierten zivil-militärischen Gestaltungsansatz verfolgt.68 Doch wie dieser Ansatz konkret auszufüllen ist, wird von Politikern, Think Tanks, Wissenschaftlern und NGOs noch immer kontrovers diskutiert. Sehr grob lassen sich zwei Positionen unterscheiden: Auf der einen Seite drängen Friedensforscher und viele NGOs darauf, sich an einem weiten Sicherheitsverständnis im Sinne des „human security“-Konzeptes zu orientieren, d.h. langfristige entwicklungspolitische Förderprogramme und Maßnahmen eines pro-aktiven zivilen Krisenmanagements in den Vordergrund zu stellen (vgl. Kaldor et al. 2007). Im Kontrast hierzu wird auf der anderen Seite von Vertretern des entstehenden NPMIK betont, dass für eine erfolgreiche Gefahrenabwehr und Krisenintervention vor allem die militärisch-industriellen Voraussetzungen zu stärken sind. Der ESS kommt dabei insofern eine zentrale Bedeutung zu, als durch sie die Prozesse der militärisch-industriellen Integration strategisch-diskursiv umrahmt und gestützt werden: „The Strategy has become a powerful weapon in the hands of those forces that wish to see a higher engagement of the EU in European military affairs. ESS is crucial because it a) represents the first coherent and clear articulation of the security perceptions of the EU as a whole; b) involves an element of urgency, since the threats are ready to undermine EU security; c) broadens the missions, tasks and general orientation of ESDP [European Security and Defence Pol68 Die Vertreter der Zivilmacht-These sehen in dem integrierten zivil-militärischen Gestaltungsansatz den Beleg dafür, dass die EU „nur“ ihre Instrumente erweitert, ohne jedoch ihre grundsätzlich zivile Orientierung in Frage zu stellen (vgl. Maull 2006).
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5 Die Europäische Union in der Weltökonomie und Weltordnung icy, H.-J.B.] towards power projection; and d) offers legitimacy and a flair of technocratic ‚common sense’ to practices that are deeply political and may generate negative popular reaction.“ (Oikonomou 2007: 10)
Im Spagat zwischen einer primär zivil und entwicklungspolitisch oder aber stärker militärisch ausgerichteten Profilierung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sind seit Ende der 1990er Jahre die militärischen Komponenten zweifelsohne gestärkt worden (vgl. Bono 2006: 153ff; Manners 2006). Dies bringt nicht nur die ESS (2003: 11) mit ihrer Forderung zum Ausdruck, „frühzeitig“ und „robust“ intervenieren zu können. Auch die vielfältigen Initiativen, die militärische Infrastruktur der EU zu reorganisieren – der European Capabilities Action Plan (ECAP) und der Capabilities Development Mechanism (CDM), die Einrichtung der EVA, die Aufstellung von „battle groups“ oder die Einrichtung einer zivil-militärischen Planungszelle –, verweisen auf eine partielle Militarisierung der EUAußenpolitik. Zudem hat die EU in den letzten Jahren einige Operationen durchgeführt, in denen militärische Aspekte deutlich im Vordergrund standen (vgl. Reinhardt 2006; Howorth 2007: 231ff): Mit der Operation „Condordia“ löste sie im März 2003 die in Mazedonien stationierten NATO-Truppen ab; im Juni des gleichen Jahres folgte in der DR Kongo mit „Artemis“ die erste eigenständig durchgeführte ESVP-Operation, in der nicht auf Kapazitäten der NATO zurückgegriffen wurde; im Dezember 2004 wurde in BosnienHerzegowina mit Rückgriff auf NATO-Kapazitäten die mit anfangs über 7.000 Soldaten bislang größte Operation „Althea“ gestartet; und vom Juli bis November 2006 erfolgte eine weitere Operation in der DR Kongo zur Absicherung der dortigen Wahlen. Die aufgeführten Operationen sind für die Schärfung des militärischen Profils der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik nicht zu vernachlässigen, ihre Bedeutung muss jedoch in zweifacher Hinsicht relativiert werden: Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass sich viele EU-Staaten im Rahmen der NATO zwar auch an den „großen“ militärischen Interventionen – im Irak oder in Afghanistan – beteiligen, die ESVP hierbei aber kaum eine Rolle spielt; und zum anderen sollte auch nicht übersehen werden, dass sich das Gros der bislang knapp über 20 ESVP-Operationen nach wie vor auf Aufgaben des zivilen Krisenmanagements konzentriert, d.h. auf Maßnahmen des Katastrophenschutzes, auf die Entwicklung tragfähiger staatlicher Strukturen sowie auf die Ausbildung von Polizeikräften, Juristen und Verwaltungsfachleuten (vgl. Cornish/Edwards 2005: 805ff; Howorth 2007: 92ff; Menon 2009: 229ff). Mit anderen Worten, ungeachtet aller Anstrengungen, das militärische Interventionspotenzial der EU zu stärken, stehen im Vordergrund der ESVP bislang noch immer die zivilen Aspekte des Krisen- und Konfliktmanagements. Das Profil der GASP und ESVP erschließt sich aber nicht allein über den Charakter der verfügbaren Instrumente, sondern auch über deren räumliche Reichweite und prozedurale Legitimation. Was die räumliche Reichweite betrifft, so weisen einige Operationen – im Kongo, in Dafur oder Afghanistan – über den regionalen Nahbereich hinaus; und auch in der ESS (2003: 14) wird explizit das Ziel formuliert, „strategische Partnerschaften mit Japan, China, Kanada und Indien“ zu entwickeln. Ungeachtet dieser globalen Aspekte, sind für die EU grundsätzlich jedoch die angrenzenden Regionen sehr viel bedeutsamer. Die ESS (2003: 7f) hebt hervor: „Selbst im Zeitalter der Globalisierung spielen die geografischen Aspekte noch immer eine wichtige Rolle. [...] Wir müssen darauf hinarbeiten, dass östlich der Europäischen Union und an
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den Mittelmeergrenzen ein Ring verantwortungsvoll regierter Staaten entsteht, mit denen wir enge, auf Zusammenarbeit gegründete Beziehungen pflegen können.“
Angesprochen auf die Entwicklungsperspektiven der GASP und ESVP, formulierte in diesem Sinne wenig später auch der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer (2004): „Wir müssen nichts völlig Neues aufbauen, sondern eine Dynamik nutzen, die im europäischen Einigungsprozess und in der positiven Gestaltung der Globalisierung liegt. Da bekommt der Nahe und Mittlere Osten eine neue Bedeutung, weil von dieser Region die Bedrohung ausgeht. [...] Das meine ich mit der strategischen Dimension. Weißrussland, Moldova, der Balkan, die Türkei – mit all diesen Fragen hat die europäische Politik zu tun. Dort wird auch über unsere Sicherheit, Frieden und Stabilität für uns mitentschieden.“
Das zentrale Instrument, über das die Stabilisierung des regionalen Nahraumes erfolgen soll, bildet die im Jahr 2004 beschlossene Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) (vgl. Europäische Kommission 2004). Neben den Staaten der südlichen Mittelmeerregion, d.h. Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, den Palästinensischen Autonomiegebieten und Israel sowie Jordanien, Libanon und Syrien, mit denen bereits seit 1995 im Rahmen des sog. Barcelona-Prozesses die wirtschaftliche, politische und kulturelle Zusammenarbeit intensiviert wurde (vgl. Jünemann 2005), umschließt die ENP inzwischen auch einige Staaten in Osteuropa – die Ukraine, Weißrussland und Moldawien – sowie die Länder des Südkaukasus, d.h. Armenien, Aserbaidschan und Georgien (vgl. Soghomonyan 2007: 167ff). Mit der ENP verfolgt die EU das Ziel, die demokratischen, rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen Strukturen sowie die Achtung der Menschenrechte zu fördern und zugleich den Prozessen der gesellschaftlichen Konflikteskalation, den Problemen der illegalen Migration und auch terroristischen Netzwerken präventiv entgegenzuwirken (vgl. Streb 2008: 51ff). Der politische Hebel, über den diese Vorgaben realisiert werden sollen, besteht vor allem in einem verbesserten Zugang zum EG-Binnenmarkt. Darüber hinaus werden durch das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI), das die vorangegangenen Förderprogramme zusammenfasst, die Reformprozesse in den ENP-Staaten finanziell gezielt unterstützt. Jenseits der nachbarschaftlichen Kooperation sind die Legitimationsgrundlagen der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik weniger eindeutig. Die Versicherheitlichungsund humanitären Interventionsdiskurse machen deutlich, dass die Legitimation für den Aufbau und die Anwendung militärischer Kapazitäten fortwährend aktiv erzeugt und reproduziert werden muss. Sie bleibt entsprechend prekär, wenn der existenzgefährdende Charakter externer Risiken und Gefahren nicht unmittelbar evident ist oder wenn zur Abwehr von „neuen Bedrohungen [...] die erste Verteidigungslinie [...] im Ausland“ gesehen wird (vgl. ESS 7). Um das zuletzt genannte Legitimationsproblem abzuschwächen, wird von der EU die Einbindung in einen „wirksamen Multilateralismus“ hervorgehoben. Sie sieht dabei in der UNO, insbesondere dem Sicherheitsrat, die zentrale Institution für die „Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ (vgl. ebd.: 9). Zugleich verzichtet sie allerdings darauf, ihr internationales – ziviles und militärisches – Engagement von einem UNO-Mandat, dies heißt auch von einem potenziellen Veto einiger Mitglieder des Sicherheitsrates, abhängig zu machen. Dies ist unter pragmatischen Gesichtspunkten nachvollziehbar. Letztlich bleibt die Legitimation militärischer Gewaltanwendung durch multilaterale Institutionen hierdurch jedoch begrenzt (vgl. Heintze 2008: 172ff).
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Grundsätzlich ist die Kooperation zwischen der UNO und der EU durch eine inhaltliche und normative Kongruenz sowie eine voranschreitende institutionelle Verzahnung gekennzeichnet (vgl. Fröhlich 2008: 171ff). Inzwischen ist eine spezifische Arbeitsteilung entstanden, der zufolge sich die UNO primär auf humanitäre und technische Hilfsprogramme konzentriert, indessen das Krisen- und Konfliktmanagement in der Hand anderer Organisationen, insbesondere der NATO oder auch der EU, liegt. Trotz dieser Arbeitsteilung und intensivierten Kontaktpflege – vor allem zwischen dem UNO-Generalsekretär und der EU-Ratspräsidentschaft sowie dem Hohen Vertreter der GASP – zeigen sich in der politischen Praxis vielfältige Organisations- und Abstimmungsprobleme. Diese sind zum Teil der Tatsache geschuldet, dass die Staaten, die im Sicherheitsrat der UNO vertreten sind, in konkreten Konfliktsituationen oft uneins sind und sich zu keiner klaren Entscheidung durchringen können (vgl. Heintze 2008: 170f). Darüber hinaus ist die EU im Sicherheitsrat nicht einheitlich repräsentiert. Die mit einem ständigen Sitz ausgestatteten Länder, d.h. Frankreich und Großbritannien, sind ebenso wie die Staaten mit einem Rotationsmandat zwar gehalten, sich mit den anderen EU-Staaten abzustimmen, neigen zuweilen aber dazu, ihre eigenen nationalen Interessen gegenüber Gemeinschaftsinteressen in den Vordergrund zu stellen. In der Folge der EU-Erweiterung bleiben derartige Interessenkonflikte und Abstimmungsprobleme sicherlich virulent. Nach der Spaltung der EU während des Irak-Kriegs zeigten auch die Diskussionen über die Reform des Sicherheitsrates und einen permanenten Sitz für Deutschland, dass von einer kohärenten UNO-Politik der EU noch keine Rede sein kann (vgl. de Jonge Qudraat 2005: 250ff). Ob sich dies durch den Reformvertrag ändern wird, d.h. durch die erweiterten Kompetenzen des Hohen Vertreters, das neu geschaffene Amt des EU-Ratspräsidenten und die außen- und sicherheitspolitisch gestärkte Rechtspersönlichkeit der EU, bleibt abzuwarten. Einiges wird auch davon abhängen, wie sich die Beziehungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten zu den anderen, im Sicherheitsrat permanent vertretenen Großmächten USA, Russland und China entwickeln. 5.3.3.4 Grenzen und Widersprüche der GASP und ESVP Die EU hat ihr außen- und sicherheitspolitisches Profil seit den 1990er Jahren nicht nur geschärft, sondern sich auch zu einem wichtigen Machtfaktor in der Gestaltung der Weltordnung entwickelt. Schon vor der Institutionalisierung der ESVP war es ihr gelungen, durch die interne Koordination außenpolitischer Aktivitäten, durch wirtschaftliche Kooperationsanreize – von Liberalisierungs- und Assoziationsabkommen bis hin zur Perspektive einer Vollmitgliedschaft – und durch die „soft skills“ einer umfassenden sicherheits- und friedenspolitischen Diplomatie auf die Regierungen und zivilgesellschaftlichen Akteure anderer Staaten einzuwirken (vgl. Ginsberg 2001). Durch die Einrichtung und Implementierung der ESVP sind die Instrumente des außen- und sicherheitspolitischen Krisenmanagements – die zivilen und militärischen Operationen unterstreichen dies – weiter gestärkt und die „capability-expectations-gap“ (Hill 1993) zumindest teilweise geschlossen worden. Gleichwohl bleibt das eigenständige internationale Gestaltungspotenzial der EU aufgrund äußerer Faktoren und fortbestehender innerer Widersprüche und Konflikte vorerst begrenzt. Dies wird bereits daran erkennbar, dass die Strukturen der Weltordnung und europäischen Sicherheit noch immer maßgeblich durch die USA und die NATO gestaltet werden. Während der Warschauer Pakt bereits kurz nach dem Ende des Realsozialismus aufgelöst
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wurde, blieben die NATO-Strukturen grundsätzlich intakt. Schon zu Beginn der 1990er Jahre sah die US-Regierung unter George Bush Senior in der NATO ein wichtiges Instrument, um den US-amerikanischen Einfluss auf dem europäischen Kontinent zu erhalten; und auch die nachfolgende Clinton-Administration hielt daran fest, durch die Erweiterung und strategische Neuausrichtung der NATO den US-amerikanischen Führungsanspruch zu festigen. Die damalige US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright (1997: 1f) führte entsprechend aus: „NATO is still the anchor of our engagement in Europe, the only organization in Europe with real military might, the only one capable of providing the confidence and security upon which our other goals depend. The debate about NATO enlargement is really a debate about NATO itself. It is about the value of maintaining alliances in times of peace and the value of our partnership with Europe. […] Clearly, if an institution such as NATO did not exist today, we would want to create one. We would want to build the strongest possible partnership with those European nations that share our values and our interests.“
In den offiziellen Dokumenten und Stellungnahmen ist zwar stets von einer transatlantischen Partnerschaft und einer Komplementarität von NATO und ESVP die Rede,69 tatsächlich sind die Kooperationsstrukturen aufgrund des überlegenen militärischen Potenzials und der strategischen Definitionsmacht der USA jedoch noch immer asymmetrisch strukturiert. So agieren die USA, auch nach der Auflösung der bipolaren Weltordnung, nach wie vor als eine europäische Ordnungs- oder Hegemonialmacht (vgl. Layne 2003; Meiksins Wood 2005: 159). Dies zeigte sich zum einen in den militärischen Konflikten auf dem Balkan, d.h. in Bosnien und Serbien, zum anderen aber auch im Prozess der NATOErweiterung, in dem sich die westeuropäischen Verbündeten den US-amerikanischen Vorgaben letztlich anschlossen (vgl. Lundestad 2005: 250ff). Doch nicht nur der Erweiterungsprozess, auch die Entwicklung der GASP und ESVP lassen erkennen, dass der von den USA postulierte Vorrang der NATO seitens der EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich akzeptiert wird. Dies gilt auch für das „Berlin Plus“-Abkommen von 2003 (vgl. Dembinski 2005). Hierdurch wurde die außen- und sicherheitspolitische Rolle der EU zwar aufgewertet, indem ein geregeltes Verfahren des Informationsaustausches zwischen der NATO und der EU etabliert wurde und die EU das Zugriffsrecht auf NATO-Kapazitäten erhielt. Gleichzeitig blieb das Zugriffsrecht jedoch konditionalisiert, da die militärischen Operationen der EU das Einverständnis der NATO voraussetzen.70 Auch andere Prozesse zeigen, dass die Ansätze einer eigenständigen europäischen Machtprojektion von Seiten der USA immer wieder begrenzt und unterlaufen werden. So verfolgte die im Jahr 2000 gewählte Bush-Administration eine stärker unilateral konzipierte Außen- und Sicherheitsstrategie. Diese manifestierte sich unter anderem darin, dass das Kyoto-Protokoll und die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs offensiv abgelehnt und das Abkommen über ein Landminenverbot nicht unterzeichnet wurde. Außerdem wurde auf Drängen der USA auf dem NATO-Gipfel in Prag der Beschluss gefasst, eine „NATO Response Force“ zu etablieren. Dieser Vorstoß zielte zwar darauf, die europä69 Die enge Verzahnung von NATO und ESVP stützt sich nicht zuletzt darauf, dass von den 26 Mitgliedstaaten der NATO nur fünf Staaten (USA, Kanada, Island, Norwegen und die Türkei) nicht der EU angehören und nur sechs EU-Staaten (Schweden, Finnland, Österreich, Irland, Malta und Zypern) kein Mitglied der NATO sind. 70 Eine vergleichbare Konditionalisierung von US-amerikanischen Militärinterventionen gibt es hingegen faktisch nicht.
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ischen Staaten stärker an den militärischen und finanziellen Lasten zu beteiligen, stand zugleich aber auch in Konkurrenz zum Helsinki Headline Goal und dem Aufbau einer schnellen EU-Eingreiftruppe. Nach Ellen Meiksins Wood (2005: 158) sind die USA „prepared to encourage the development of European military forces up to a point, if their nature and use can be confined to serving its purposes – for instance, European peace-keeping forces can play a useful role in cleaning up the mess left by US military action, or specialized forces of various kinds can be deployed in the ,war on terror’. But every care is being taken to prevent the emergence of any truly independent military rival in Europe.“
Die Kriege gegen Afghanistan und den Irak demonstrierten nicht nur die militärische Übermacht der USA. Sie zeigten auch, dass die USA im Zweifelsfall nicht nur die UNO, sondern auch die NATO zu umgehen und zu schwächen, d.h. durch eine sog. „Koalition der Willigen“ zu ersetzen bereit sind. Der vormalige deutsche Bundeskanzler, Gerhard Schröder (2005: 3), kam zwischenzeitlich daher zu dem Schluss, dass die NATO „nicht mehr der primäre Ort [ist], an dem die transatlantischen Partner ihre strategischen Vorstellungen konsultieren und koordinieren“. Angesichts der Kosten und sicherheitspolitischen Risiken eines „gespaltenen Westens“ sind die Regierungen beiderseits des Atlantiks zuletzt aber wieder stärker aufeinander zugegangen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind dabei bestrebt, durch eine stärkere „Europäisierung“ der NATO ihren Einfluss auf die USamerikanische Außen- und Sicherheitspolitik zu erhöhen. Ob ihnen dies gelingt, ist angesichts der fortbestehenden militärischen und strategischen Machtasymmetrien jedoch ungewiss. Neben dem globalen US-amerikanischen Kontrollanspruch werden die Möglichkeiten einer externen europäischen Machtprojektion auch durch die unterschiedlichen außen- und sicherheitspolitischen Prioritäten der EU-Mitgliedstaaten begrenzt (Haine 2005: 75). Zum Teil sind die Prioritäten komplementär, wenn sich etwa die Aufmerksamkeit der südeuropäischen Staaten auf den Mittelmeerraum, die der übrigen Staaten hingegen stärker auf die östliche Nachbarregion richtet. Zum Teil implizieren die strategischen Prioritäten aber auch unterschiedliche Vorstellungen über die Funktionsweise der GASP und ESVP. So unterstützen die ehemals neutralen Staaten (Schweden, Finnland, Österreich und Irland) zwar inzwischen die Weiterentwicklung der ESVP und sind auch bereit, vorausgesetzt es gibt ein UNO-Mandat, sich an den gemeinsamen Operationen der Krisenbewältigung und Friedenssicherung zu beteiligen. Zugleich schrecken sie aber noch immer davor zurück, sich einem verteidigungspolitischen Bündnis – ob nun der NATO oder perspektivisch der EU – anzuschließen (vgl. Howorth 2007: 149ff). Den übrigen EU-Mitgliedstaaten – mit Ausnahme Dänemarks71 – sind derartige Vorbehalte hingegen fremd. Sie betrachten eine UNOMandatierung internationaler Krisen- und Kriegseinsätze nicht als zwingend und treten als NATO-Staaten auch für verteidigungspolitische Allianzen ein, wobei allerdings die Option, die EU ebenfalls zu einem Verteidigungsbündnis weiterzuentwickeln, sehr kontrovers gesehen wird. Dies zeigen auch die unterschiedlichen Vorstellungen über die Perspektiven der ESVP (vgl. Müller 2003: 173f): Während Großbritannien die ESVP eher als einen Bestandteil der NATO betrachtet, wird sie von Frankreich zuweilen als ein Gegenmachtprojekt zum US-amerikanischen Führungsanspruch in der NATO ins Spiel gebracht. 71 Trotz der NATO-Mitgliedschaft hat sich Dänemark nach dem gescheiterten Referendum zum MaastrichtVertrag durch ein „opt out“ grundsätzlich aus der GASP und ESVP ausgeklinkt.
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Deutschland nimmt eine Zwischenposition ein und sieht in der ESVP eher eine Art Scharnier, um die transatlantische Drift auszubalancieren. Sehr eindeutig ist die Haltung der neuen Mitgliedstaaten in Mittel- und Osteuropa, die – besorgt um ihren Schutz vor Russland – die britische und amerikanische Perspektive unterstützen (vgl. Cafruny/Ryner 2007: 113ff).72 Angesichts dieser divergierenden Positionen ist es wenig verwunderlich, dass die Institutionalisierung außen- und sicherheitspolitischer Kommunikations- und Kooperationsstrukturen in der EU wiederholt blockiert und abgeschwächt wurde. Die Funktionsweise des entstehenden europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes bleibt entsprechend fragil und steht vor allem dann, wenn bezogen auf spezifische Krisen- und Konfliktfälle kein transatlantischer Basiskonsens erkennbar ist, zumeist im Schatten rivalisierender nationalstaatlicher Interessen. Doch nicht nur die globale Dominanz der USA und die zwischenstaatlichen Konflikte in der EU, auch die politökonomische Einbettung der GASP und ESVP macht darauf aufmerksam, dass der europäische machtpolitische Gestaltungsanspruch begrenzt bleibt. Durch die Transnationalisierung der Rüstungskonzerne und die durch die EVA forcierte Rüstungskooperation sind zwar wichtige Voraussetzungen geschaffen worden, um die militärischen Interventionskapazitäten der EU zu stärken. Es wäre jedoch voreilig, hieraus bereits den Schluss zu ziehen, dass sich damit das militärisch-industrielle Potenzial der EU schon sehr bald deutlich erhöhen wird. Einige Aspekte sprechen zumindest gegen derartige Erwartungen: Erstens wird der rüstungsindustrielle Konsolidierungsprozess in der EU durch die transatlantische Konkurrenz und Kooperation – dies gilt insbesondere für BAe Systems – überlagert und noch immer durch Formen des nationalen Protektionismus gebremst (vgl. Serfati 2004: 40ff). Zweitens ist eine rasche Erhöhung der Rüstungs- und Militärausgaben in der EU wenig wahrscheinlich. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die wirtschaftliche Entwicklung und Innovationskraft durch die disziplinierenden und restriktiven Effekte der neuen europäischen Ökonomie tendenziell gehemmt werden (vgl. Bieling 2006d; Cafruny/Ryner 2007: 54ff). Vor allem die Staaten der Eurozone verfügen angesichts der vertraglich definierten geld- und finanzpolitischen Vorgaben nur über begrenzte Möglichkeiten, ihre Verteidigungsbudgets zu erhöhen. Neben dem begrenzten Volumen besteht ein drittes Problem schließlich auch in der ineffektiven Verwendung der Militärausgaben. Die fortbestehenden nationalen Parallelstrukturen und die Verteilung der Militärausgaben – die hohen Personalausgaben und relativ geringen Mittel für Forschung und Entwicklung und damit für hochtechnologische Rüstungsgüter – zeugen davon, dass die nationalen Armeen nur allmählich reorganisiert werden, um der von der EU vorgesehenen extraterritorialen Interventionsfähigkeit zu genügen (vgl. Howorth 2007: 98ff). Letztlich wäre es jedoch verkürzt, die Diskussion über die Grenzen und Widersprüche der außen- und sicherheitspolitischen Gestaltungsmacht der EU auf die Dimensionen der militärischen Kriegsführung oder militärisch abgestützten Krisenintervention zu beschränken. Auch die Instrumente der sog. „soft power“, d.h. die wirtschafts-, (menschen-)rechtsund demokratiepolitischen Einflussmöglichkeiten, sind oft weniger wirksam als von der EU unterstellt wird. Ein konditionalisiertes „Wohlverhalten“ anderer Staaten und Regionen 72
Besonders deutlich wurde dies im Vorfeld des Irak-Krieges. Nachdem am 30. Januar 2003 bereits die polnische, ungarische und tschechische Regierung durch die Beteiligung am „Brief der Acht“ ihre Solidarität mit den USA bekundet hatten, folgte eine Woche später die Erklärung der sog. „Vilnius-Gruppe“, der unter anderem auch die baltischen Staaten, die Slowakei und Slowenien angehörten.
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ist dann wahrscheinlich, wenn – wie im Falle vieler osteuropäischer Staaten – die konkrete Perspektive eines EU-Beitritts besteht. Sobald diese jedoch fragwürdig ist, muss die Effektivität der Anreizmechanismen der EU – ein Indiz hierfür sind die wachsenden Reformwiderstände in der Türkei – als relativ bescheiden eingeschätzt werden. Noch deutlicher machen dies die Erfahrungen mit der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) und dem Barcelona-Prozess (vgl. Amin/Kenz 2005: 74ff; Bank 2006; El Masry 2008: 394ff). Hier hat sich gezeigt, dass sich die sozioökonomischen Strukturen, gesellschaftlichen Machtverhältnisse sowie die Formen der politischen Organisation unter Einschluss tradierter politischkultureller Präferenzen nicht ohne weiteres „von außen“ gemäß europäischer Normen und Leitbilder reorganisieren lassen. 5.3.4 Geopolitische Erwägungen und zivil-militärische Interventionskapazitäten Die aufgeführten Grenzen und Widersprüche stützen auf den ersten Blick die noch vielfach vorherrschende Auffassung, dass die Außen- und Sicherheitspolitik der EU als militärtechnologisch rückständig, ineffizient und reaktionsschwach zu bewerten ist. Genauer betrachtet wird eine derartige Einschätzung der Dynamisierung der außen- und sicherheitspolitischen Kooperation und der Modernisierung der militärisch-industriellen Infrastruktur jedoch nicht gerecht. Die Genese des Netzwerks der Politisch-Militärisch-Industriellen Kooperation (NPMIK) weist vielmehr darauf hin, dass sich auch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik Keimformen eines europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes herausbilden. Die eingeleitete Konsolidierung der Rüstungsindustrie lässt vermuten, dass die militärische Interventionsfähigkeit der EU trotz fortbestehender finanzieller Restriktionen schrittweise gestärkt wird. Zudem nähren auch die globalen Umbruchprozesse – die absehbare finanzielle und militärische Überforderung der USA oder der Aufstieg regionaler Großmächte wie China, Indien und Russland (vgl. Bieling 2007a: 221ff) – die Erwartung, dass sich die EU als außen- und sicherheitspolitischer Akteur weiter profilieren wird. Wie die EU ihre außen- und sicherheitspolitische Rolle konkret ausfüllen wird, ist in der wissenschaftlichen Diskussion allerdings umstritten. Die zuweilen provokativ in die Diskussion eingebrachte Vision einer kommenden „Supermacht“ (vgl. Oberansmayr 2004; Schnabel 2005; McCormick 2007) ist angesichts der bestehenden Grenzen und Widersprüche der europäischen Machtprojektion wenig realistisch. Ähnliches gilt umgekehrt für das Selbstbild einer „Zivilmacht“ (vgl. Derrida/Habermas 2003; Rifkin 2004; Maull 2005), da dieses der europäischen Bereitschaft und Fähigkeit zur militärischen Intervention und Gewaltanwendung nur unzureichend Rechnung trägt. Der vielfach angestrengte Vergleich mit den USA ist dabei instruktiv wie irreführend zugleich. Er ist insofern instruktiv, als die EU in mancher Hinsicht durchaus ein Alternativmodell darstellt und einen spezifischen außen- und sicherheitspolitischen Gestaltungsansatz verfolgt. Die US-amerikanische Politik setzt vielfach auf eine unilaterale Politik der mitunter aggressiven und gewaltsam-militärischen Machtdemonstration. Ihr scheint es vor allem darauf anzukommen, die tradierten Hierarchien des internationalen Systems fortzuschreiben und – gestützt auf einen expansiven nationalen Souveränitätsanspruch – die Rolle einer globalen, insbesondere eurasischen Kontrollmacht zu festigen (vgl. Brzezinski 1999: 277ff; Gowan 2002; Barnett 2003). Im Unterschied hierzu setzt die EU in erster Linie darauf, durch die Stärkung des Völkerrechts und der UNO – d.h. des UNO-
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Sicherheitsrats, nicht jedoch der Generalversammlung73 – die globale Kontrollmacht der USA institutionell und rechtlich zu begrenzen und einzubinden (vgl. Müller 2004). Diese Strategie leitet sich zum einen aus den positiven Erfahrungen der eigenen Integrationsgeschichte, der Funktionsweise dezentral-gepoolter Souveränitätsstrukturen und einer multilateralen Kooperationspraxis her (vgl. Keohane 2002; Leonard 2005), zum anderen aber auch aus den im Vergleich zu den USA militärisch begrenzten Kapazitäten (vgl. Kagan 2002; Howorth 2007: 112ff). Zudem dominiert in der Bevölkerung – die Demonstrationen gegen den Irak-Krieg lassen sich in diesem Sinne interpretieren – nach wie vor die Überzeugung, dass die Sicherung des Weltfriedens nicht in erster Linie durch militärische Gewalt, sondern vor allem durch funktionsfähige internationale Institutionen, völkerrechtliche Abkommen und zivile Formen der Krisenbewältigung zu gewährleisten ist. Diese Differenzen zwischen den USA und der EU sind zweifelsohne bedeutsam. Sie prägen maßgeblich das außen- und sicherheitspolitische Selbstverständnis und die Operationsweise der Europäischen Union. Dennoch ist der Vergleich mit den USA aber auch insofern irreführend, als hierdurch die idealtypisch übersteigerte Identitätsbeschreibung der EU als einer global ausstrahlungsfähigen Zivilmacht genährt wird. Tatsächlich lässt sich dieses Selbstbild ohne die Kontrastfolie der US-Politik jedoch nur schwerlich aufrecht erhalten. Schließlich sind die militärischen Interventionskapazitäten der EU seit Ende der 1990er Jahre nicht nur gestärkt, sondern zuletzt auch vermehrt im praktischen Einsatz erprobt worden (vgl. Pflüger/Wagner 2005; Roithner 2007). Neben den offiziellen ESVP-Operationen ist zu berücksichtigen, dass einige der EU-Mitgliedstaaten ihre militärischen Potenziale in den Kriegen auf dem Balkan, in Afghanistan oder im Irak wiederholt genutzt haben. Wenn dies nur begrenzt geschah und die zivile Orientierung der EU – vor, während oder im Anschluss an die Kriegshandlungen – wieder in den Vordergrund trat, so ist dies nicht zuletzt der spezifischen transatlantischen Kooperationsstruktur in der Außen- und Sicherheitspolitik geschuldet. Mit anderen Worten, das weltordnungspolitische Alternativprojekt der Europäischen Union profiliert sich im Rahmen einer konfliktiv-kooperativen Arbeitsteilung mit den USA. Dies schließt keineswegs aus, dass auch die EU vermehrt dazu bereit ist, ihre außen- und sicherheitspolitischen Interessen – ob nun stärker eigenständig im Rahmen der GASP und ESVP oder aber unter Führung der USA in der NATO – durch die Androhung oder den Einsatz militärischer Gewalt nachdrücklich zu vertreten. Die Aufwertung der militärischen Dimension korrespondiert letztlich mit einer geopolitischen Akzentuierung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Ganz allgemein sind unter Geopolitik die territorialen Kontrollstrategien politischer Akteure zu verstehen.74 Nachdem diese in Westeuropa während der Nachkriegsjahrzehnte kaum eine Rolle gespielt hatten – der Prozess der europäischen Integration lief vielmehr auf eine Verdrängung geopolitischer durch geoökonomische Überlegungen hinaus –, rücken sie seit den 1990er Jahren wieder vermehrt auf die politische Agenda. Die Renaissance der Geopolitik ist vor allem globalen Entwicklungen geschuldet, also den Prozessen der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Globalisierung und Entgrenzung sowie den territorialen Neuordnungs73
Dies macht deutlich, dass sich der Multilateralismus der EU primär auf die OECD-Welt bezieht und machtbewusst-realistische Politikoptionen keineswegs ausschließt. Ursprünglich meinte Geopolitik „die primäre Bestimmung des Politischen durch den geographischen Raum“ (vgl. Teschke 2001: 321). Doch nicht nur der konzeptionelle Naturalismus und die Verknüpfung des Begriffs mit der (Lebens-)Raumideologie des deutschen Imperialismus, auch die relativ starre globale Konstellation des Kalten Krieges sorgten dafür, dass von Geopolitik lange keine Rede war. 74
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prozessen nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes (vgl. Albert et al. 2006), die sich in den Nachbarregionen der EU zugleich spezifisch artikulieren, d.h. instabile wirtschaftliche und politische Kontextbedingungen, Sicherheitsrisiken und potenzielle Bedrohungen generieren (vgl. Guérot/Witt 2004: 6ff). Die EU hat in der jüngeren Vergangenheit einige Instrumente und Konzeptionen entwickelt, um diesen Instabilitäten, Risiken und Bedrohungen entgegenzutreten. So beeinflussten geopolitische Erwägungen z.B. nicht nur die Erweiterungsstrategie, den Barcelona-Prozesses und die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP), sondern auch die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) oder die Überlegungen zur Europäischen Energiepolitik (vgl. Europäische Kommission 2007). Die Diskurse und Aktivitäten der EU zeigen dabei, dass sich die Forderung nach einer effektiven europäischen Geostrategie nicht auf Maßnahmen einer reaktiven Gefahrenabwehr beschränkt, sondern auch eine präventive politische Kontrolle strategisch relevanter externer Wirtschafts-, Sozial- und auch Sicherheitsräume umschließt. Wie die EU diese Kontrolle realisiert, ist von Robert Cooper (2002) oder Herfried Münkler (2005: 245ff) konzeptionell recht anschaulich dargelegt worden. Für beide repräsentiert die EU den Prototyp eines „postmodernen Imperiums“, das jenseits der traditionalen Politik der Machtbalance und Souveränitätssicherung territoriale Grenzlinien – nach innen wie nach außen – aufbricht, durchdringt und rechtsförmig reorganisiert, um eine zivile Politik der Friedenssicherung und Wohlfahrtssteigerung voran zu bringen. Dies heißt, die weichen Strategiekomponenten einer politisch und wirtschaftlich vorteilhaften Zusammenarbeit sind für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik nach wie vor grundlegend. In Ergänzung hierzu wird jedoch ebenso eine machtpolitisch selbstbewusste Strategie eingefordert, die der Rolle der EU als eines neuen Imperiums entspricht, d.h. sich an externen (geo-)politischen Stabilisierungs- und Kontrollerfordernissen orientiert und durch rasche Entscheidungsverfahren und effektive militärische Kapazitäten die Glaubwürdigkeit einer möglichen Gewaltanwendung zu steigern vermag. Die Entwicklungen der letzten Jahre – die Institutionalisierung und Weiterentwicklung der GASP und ESVP, der Aufbau militärischer Interventionskapazitäten wie auch die diskursive Vorbereitung einer strategischen (Sicherheits-)Kultur – zeugen davon, dass ungeachtet der skizzierten Grenzen und Widersprüche der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik dieses Postulat bereits zunehmend in die Tat umgesetzt wird.
Teil III Schlussfolgerungen und Perspektiven
6 Die Europäische Union: vom Handelsblock zum Globalisierungsakteur mit imperialen Ambitionen? 6
Die Europäische Union: vom Handelsblock zum Globalisierungsakteur
In den vorangegangenen Kapiteln wurde dargelegt, dass sich die inhaltliche Ausrichtung und Gestaltungskraft der europäischen Außenpolitik maßgeblich über deren interaktive Einbettung in die sozialen Produktionsbeziehungen, die zivilgesellschaftlichen Kooperations- und Kommunikationsmuster sowie die Strukturen der Weltordnung und Weltökonomie erschließt. Die Formen und die Qualität der interaktiven Einbettung haben sich seit den 1980er Jahren gravierend verändert. Zum einen sind im Kontext des Integrationsschubs, d.h. der Prozesse der ökonomischen und institutionellen Vertiefung und Erweiterung, nicht nur die sozialen Produktionsbeziehungen umgewälzt und mit Blick auf den intensivierten europäischen wie globalen Wettbewerb restrukturiert worden. Es haben sich auch neue europäische Netzwerke und Formen der transnationalen Kooperation herausgebildet, die auf eine engere zivilgesellschaftliche Rückkopplung von politischen Strategien und Entscheidungsabläufen verweisen. Zum anderen haben sich die Prioritäten in der Handels-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik der EU aber nicht nur in der Folge interner Reorganisationsprozesse, sondern auch aufgrund weltpolitischer und weltökonomischer Umbrüche gewandelt. Der relativ stabile globale Ordnungsrahmen, der noch die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg gekennzeichnet hatte, ist inzwischen einer unübersichtlichen Entwicklungskonstellation gewichen (vgl. Bieling 2007a: 221ff). Hierauf verweisen unter anderem die beschleunigte Globalisierungsdynamik, das Ende des Ost-West-Konflikts, der Aufstieg neuer Großmächte wie China, Indien und Russland und eine Vielzahl neuer – ökonomischer wie sicherheitspolitischer – Krisenprozesse und Bedrohungsszenarien. Die Europäische Union nimmt diese Entwicklungen nicht einfach passiv hin, sondern versucht die externen Kontextbedingungen selbst auch aktiv zu gestalten. Ihre Gestaltungskraft stellt sich in denjenigen Machtstrukturen, die die Funktionsweise der Weltordnung und Weltökonomie maßgeblich bestimmen, d.h. den Handelsbeziehungen, den Währungsund Finanzbeziehungen sowie den sicherheits- und militärpolitischen Kooperationsformen, unterschiedlich dar. Am stärksten profiliert ist die Rolle der EU zweifelsohne in der internationalen Handelspolitik. Hier hat sich inzwischen ein relativ effektiv organisierter StaatsZivilgesellschafts-Komplex herausgebildet, der getragen von der intern globalisierten europäischen Ökonomie auch nach außen – d.h. im multilateralen Rahmen der WTO sowie durch eine Vielzahl bilateraler Handels- und Investitionsabkommen – die Globalisierung der Produktions- und Handelsbeziehungen vorantreibt. Etwas anders stellt sich die Situation in den internationalen Währungs- und Finanzmarktbeziehungen dar. In diesem Bereich ist die globale Rolle des europäischen Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes ambivalent: zum einen, weil durch die EU-interne Förderung eines finanzmarktgetriebenen Akkumulationsregimes die produktionsorganisatorischen Stärken der kontinentaleuropäischen Kapitalismusmodelle tendenziell unterminiert werden; und zum anderen, weil die EU in den internationalen Organisationen und Foren der Währungs- und Finanzmarktpolitik bislang noch nicht einheitlich repräsentiert ist und auch keine kohärente Strategiekonzeption verfolgt. Noch schwächer ist die Gestaltungskraft der EU im Bereich der Außen- und Sicher-
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heitspolitik. Die Prozesse des intergouvernementalen Interessenausgleichs werden hier zwar ebenfalls durch transgouvernementale Institutionen und transnationale Netzwerke, d.h. Keimformen eines entstehenden Staats-Zivilgesellschafts-Komplexes, die Intensivierung der rüstungsindustriellen Kooperation sowie die Herausbildung einer strategischen (Sicherheits-)Kultur, überformt. Sofern kein transatlantischer Konsens existiert, gelingt es in internationalen Organisationen wie der NATO oder UNO oft jedoch nicht, eine gemeinsame EU-Position zu entwickeln und durchzusetzen. Obwohl vereinzelt auch Kriseninterventionen in entlegenen Gebieten durchgeführt werden, konzentrieren sich die außen- und sicherheitspolitischen Aktivitäten der EU zudem noch immer primär auf den regionalen Nahbereich, d.h. auf Osteuropa, den Mittelmeerraum, den Nahen und Mittleren Osten, den Südkaukasus und die kaspische Region. Die zum Teil widersprüchlichen Befunde lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass sich die EU nicht nur vom Handelsblock zu einer Globalisierungsarena, sondern inzwischen auch zu einem Akteur entwickelt, der die Globalisierung extern – im umfassenden Sinne – zu organisieren bestrebt ist. Noch nicht beantwortet ist damit die Frage, wie die globale Rolle und Akteursqualität der EU sowie die von ihr verfolgten wirtschafts-, außenund sicherheitspolitischen Strategien übergreifend zu charakterisieren sind. In den letzten Jahren ist wiederholt der Vorschlag in die Diskussion eingebracht worden, die EU als ein Imperium neuen Typs zu betrachten (vgl. Cooper 2002; 2003: 26ff; Münkler 2005: 245ff). Diese These ist mit Blick auf die politisch-institutionelle wie territoriale Organisationslogik zweifelsohne instruktiv. Sie greift allerdings insofern zu kurz, als die politökonomischen Grundlagen und Triebkräfte der europäischen Globalisierungspolitik nicht hinreichend berücksichtigt werden (6.1.). Daher liegt es nahe, über die Imperium-Diskussion hinausgehend zu reflektieren, wie das Verhältnis von Geoökonomie und Geopolitik in den jüngeren imperialismustheoretischen Debatten konzeptionell bestimmt wird (vgl. Harvey 2003; Altvater/Mahnkopf 2007: 27ff). Hierbei zeigt sich, dass die Unterscheidung von (geo-)ökonomischen und geopolitischen Prozessen zwar sinnvoll ist, zugleich jedoch die Frage unbeantwortet bleibt, wie sich diese Prozesse – unter Einschluss weiterer Handlungskalküle – gesellschaftlich vermitteln und zu hegemonialen politischen Strategien verdichten (6.2.). Dies gilt auch für einige der zentralen Handlungs- und Konfliktfelder – so z.B. das Ausbalancieren weltwirtschaftlicher Ungleichgewichte, die Stabilisierung des regionalen Umfelds oder die Sicherung von Energiezuflüssen –, in denen die EU versucht, ein für das europäische Entwicklungsmodell vorteilhaftes externes Umfeld zu schaffen (6.3.). Ob ihr dies gelingen wird, ist keineswegs gewiss. Schließlich bestehen nicht nur begründete Zweifel an der machtpolitischen Durchsetzbarkeit europäischer Interessen, sondern auch an der hegemonialen Ausstrahlungsfähigkeit und Verallgemeinerbarkeit des europäischen Entwicklungsmodells (6.4.).
6.1 Die EU – ein Imperium neuen Typs? Die Diskussion über Imperien und Imperialismus hat seit einiger Zeit wieder Konjunktur. Zunächst richtete sich der Blick auf die USA, die im Zuge der weltpolitischen Neuordnungsprozesse nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes die Rolle einer globalen Kontroll- und Interventionsmacht übernahmen. Zuletzt ist aber auch wiederholt die These vertreten worden, dass der Begriff des „Empire“ oder „Imperiums“ noch sehr viel besser auf
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die EU zutrifft, da sich deren politisch-institutionelle Organisationsformen und Handlungslogiken vom herkömmlichen Typus des (National-)Staats deutlich unterscheiden (vgl. Beck/Grande 2004: 89ff; Münkler 2005: 16ff; Zielonka 2006: 143ff). Während (National)Staaten gemeinhin durch ein klar definiertes Territorium, eine übergreifende und einheitliche Ordnungsstruktur, die Zentralisierung politischer Gewalt und Souveränität, ein Mindestmaß an soziokultureller Homogenität sowie die grundsätzliche Akzeptanz von gleichberechtigten und souveränen Nachbarstaaten gekennzeichnet sind, stellen Imperien genau diese Merkmale in Frage. Die Grenzen von Imperien sind demzufolge unscharf, fließend und variabel. Intern gibt es keine einheitliche Ordnungsstruktur, sondern ein Macht- und Integrationsgefälle, das seine Entsprechung in einer ausgeprägten soziokulturellen Diversität findet. Die Souveränitäts- und Machtbefugnisse sind ausgehandelt, flexibel und wandelbar; und die angrenzenden Staaten werden oft nicht als gleichberechtigt akzeptiert. Ungeachtet dieser idealtypischen Gegenüberstellung von (National-)Staaten und Imperien schließen sich beide Organisationsformen jedoch keineswegs wechselseitig aus. Häufig ergänzen und überlappen sie sich vielmehr: „Imperiale Strukturen überlagern die Ordnung von Staaten, aber sie stehen nicht mehr an deren Stelle. Das macht es mitunter so schwer, Imperien zu identifizieren. Wer Imperialität lediglich als Alternative zur Staatlichkeit denkt, wird zu dem Ergebnis kommen, dass es heute keine Imperien mehr gibt. Wer dagegen von einer Überlagerung der Staaten durch imperiale Strukturen ausgeht, wird auf Macht- und Einflussgefüge stoßen, die nicht mit der Ordnung von Staaten identisch sind.“ (Münkler 2005: 18)
Die These, dass die EU und die in ihr entstehenden Formen einer fragmentierten europäischen Staatlichkeit (vgl. Bieling 2006a) ein solches, imperiales Macht- und Einflussgefüge darstellen, ist nicht einfach von der Hand zu weisen. Im Gegenteil, durch die Vertiefung der Integration, d.h. die Herausbildung eines integrierten Wirtschaftsraumes, die schrittweise Stärkung supranationaler Kompetenzen und die transnationale Vernetzung, sind in Verbindung mit den verschiedenen Erweiterungsrunden seit den 1980er Jahren politischinstitutionelle Strukturen und Mechanismen entstanden, die den skizzierten Merkmalen eines Imperiums weitgehend entsprechen. Allerdings handelt es sich bei der EU um ein ganz spezifisches Imperium, das sich von den Groß- und Weltreichen der Antike, des Mittelalters wie auch der Neuzeit deutlich unterscheidet (vgl. Beck/Grande 2004: 98ff). Der zentrale Unterschied zu den vormodernen, d.h. vorstaatlichen Imperien der Antike und des Mittelalters besteht vor allem darin, dass die EU selbst auf nationalstaatlichen Organisationsformen basiert und diese zwar transformiert, aber keineswegs auflöst; und von den modernen Imperien der letzten Jahrhunderte – etwa dem britischen, dem sowjetischen oder US-amerikanischen Imperium – unterscheidet sich die EU dadurch, dass der imperiale Expansionsprozess nicht durch ein nationalstaatliches Zentrum, sondern durch eine supranational koordinierte und transnational vernetzte Mehrzahl von – formal gleichberechtigten, faktisch aber mit ungleichen Machtpotenzialen ausgestatteten – Mitgliedstaaten organisiert wird.1 Die EU repräsentiert in diesem Sinne den Prototyp eines „postmodernen“ (Cooper 2002), „posthegemonialen“ (Beck/Grande 2004: 85f), „post-westfälischen“
1 Die imperiale Rolle der EU bleibt dabei allerdings ambivalent. Einerseits wird in ihr ein eigenständiges Imperium, andererseits aber auch eine Art „Subzentrum“ des US-amerikanischen Empires gesehen (vgl. Münkler 2005: 246f).
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(Schneckener 2005) oder auch „neu-mittelalterlichen“ Imperiums (Zielonka 2006)2, das durch die regionale Stabilisierungspolitik und die Förderung kosmopolitischer Werte, d.h. die Verallgemeinerung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten, einen auf Konsens beruhenden globalen Gestaltungsansatz verfolgt. In den Worten von Robert Cooper (2002): „The postmodern EU offers a vision of cooperative empire, a common liberty and a common security without the ethnic domination and centralised absolutism to which past empires have been subject, but also without the ethnic exclusiveness that is the hallmark of the nation state – inappropriate in an era without borders and unworkable in regions such as the Balkans. A cooperative empire might be the domestic political framework that best matches the altered substance of the postmodern state: a framework in which each has a share in the government, in which no single country dominates and in which the governing principles are not ethnic but legal.“
Mittlerweile stellt das kooperative, kosmopolitisch orientierte Imperium für einige nicht nur eine Vision, sondern bereits eine – zumindest ansatzweise – durch die EU realisierte Gegebenheit dar. Auffällig ist dabei, dass die externe Rolle der EU nicht selten mit einem ausgeprägten Hang zur Idealisierung beschrieben wird. Zumeist wird nur punktuell und am Rande eingeräumt, dass die europäischen Strategien und Aktivitäten auch Aspekte des – ökonomischen und militärischen – Zwangs enthalten, dass dieser Zwang für die Entwicklung anderer Staaten und Gesellschaften keineswegs immer förderlich ist und dass die Eigeninteressen der EU zum Teil auch in Widerspruch zu multilateralen Entscheidungsverfahren und kosmopolitischen Werten stehen, mithin eine Politik der „doppelten Standards“ praktiziert wird. Für die Ausblendung oder Geringschätzung dieser Aspekte sind in den unterschiedlichen theoretischen Konzeptionen des EU-Imperiums zum Teil spezifische Interpretationsraster und Bewertungskriterien, zum Teil aber auch einige übergreifende Grundannahmen verantwortlich, von denen sich insbesondere drei als problematisch und revisionsbedürftig erweisen.
Die erste Annahme besteht darin, dass die internationalen Kontrollstrategien imperialer Gebilde nicht so sehr durch die wirtschaftlichen Interessen transnational operierender Unternehmen und die innergesellschaftlichen Machtverhältnisse und Diskurse in den Zentren bedingt sind, sondern durch die Instabilität der imperialen Peripherie oder angrenzender Regionen (vgl. Münkler 2005: 39ff; Posener 2006: 67). Dies mag im Einzelfall durchaus zutreffen. Grundsätzlich ist jedoch anzumerken, dass die Entscheidung darüber, wann eine Destabilisierung oder Bedrohung vorliegt, stets durch das Imperium selbst – mit Blick auf die eigenen sozioökonomischen Reproduktionserfordernisse sowie geo- und sicherheitspolitischen Interessen – getroffen wird. Außerdem werden durch die wirtschaftlichen Expansionsprozesse und Liberalisierungszwänge oft erst jene Krisen und Instabilitäten erzeugt, auf die nachfolgend imperial reagiert wird. In diesem Sinne ist auch eine zweite Annahme, der zufolge durch die wirtschaftliche Expansion neue, zivilisierende und friedensförderliche Interdependenzen entstehen
2 Der Vorschlag, die EU als ein „neu-mittelalterliches Imperium“ zu betrachten, ist insofern irreführend, als die politisch-institutionellen Organisationsformen und der soziale Charakter der EU eher über das Modell des klassischen Nationalstaats hinausweisen als hinter dieses historisch zurückfallen.
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(vgl. Beck/Grande 2004: 125ff), voraussetzungsvoll. Sie trifft eigentlich nur dann zu, wenn die Prozesse der wirtschaftlichen Liberalisierung und Verflechtung – wie in der Geschichte der europäischen Integration selbst – durch Mechanismen der sozialen Kohäsion flankiert und sozial eingebettet werden. Fehlen derartige Ausgleichsmechanismen, besteht hingegen die Gefahr, dass die Prozesse der Liberalisierung und Marktöffnung sozioökonomische und soziokulturelle Krisen erzeugen und – wie in einigen Gesellschaften Osteuropas, Afrikas oder des Nahen und Mittleren Ostens – nationale und auch internationale Konfliktdynamiken begünstigen. Schließlich sollte auch eine dritte Annahme nicht fraglos akzeptiert werden, gemäß der die übergeordnete „Mission“, auf die sich Imperien zur Rechtfertigung ihrer Kontrollstrategie berufen – z.B. die Durchsetzung von Menschenrechten, die Förderung von Demokratie und andere zivilisatorische Fortschritte –, ihrerseits eine Selbstbindung und Selbstverpflichtung der imperialen Akteure beinhaltet (vgl. Münkler 2005: 127ff). Mit diesem Einwand soll keineswegs in Abrede gestellt werden, dass die kosmopolitischen und zivilisatorischen Motive des Imperiums ernstgemeint sein können und in anderen Gesellschaften auf eine positive Resonanz stoßen. Sie stehen jedoch nicht selten im Schatten geoökonomischer und geopolitischer Motive3, die sich im Fall von Zielkonflikten häufig als durchsetzungsfähiger erweisen. Zudem ist zu bedenken, dass periphere Staaten und Gesellschaften die Prozesse der ökonomischen Durchdringung und politischen Kontrolle oft weniger als zivilisatorischen Fortschritt, sondern vielmehr als Beschneidung nationaler Souveränitäts- und Selbstbestimmungsrechte wahrnehmen.
Die aufgeführten Einwände richten sich allgemein gegen die einseitig positive Interpretation imperialer Logiken. Sie thematisieren dabei insbesondere die Operationsweise des neuen EU-Imperiums. Dessen Charakterisierung als „postmodern“, „post-westfälisch“ oder kosmopolitisch ist angesichts der spezifischen politisch-institutionellen und rechtlichen Organisationsformen und Leitbilder zwar zutreffend. Zugleich werden hierdurch jedoch weder die geoökonomischen und geopolitischen Logiken imperialer Machtausübung außer Kraft gesetzt, noch verzichtet die EU darauf – die Selbstbilder der Zivilmacht oder „Normative Power“ und die Verweise auf den eigenen Modell-Charakter bringen dies zum Ausdruck –, einen gewissen Überlegenheitsanspruch zu formulieren. Kurzum, die EU lässt sich als ein Imperium neuen Typs interpretieren, das in der Kombination von „weichen“ und „harten“ Machtinstrumenten, d.h. einerseits durch die Stärkung kosmopolitischer Prinzipien und Governance-Strukturen, andererseits aber auch durch marktliberale Konditionalisierungsvorgaben und zivil-militärische Interventionskapazitäten spezifische geoökonomische und geopolitische Interessen verfolgt. 3 Während sich geopolitische Interessen in den – formellen und informellen – territorialen Kontrollstrategien staatlicher Akteure artikulieren, richten sich geoökonomische Interessen auf die inkrementell-molekulare Durchdringung und Modernisierung von Wirtschaftsräumen. Sie stützen sich nicht nur auf die räumlichen Investitionsund Reorganisationsstrategien transnationaler Unternehmen, sondern auch auf wirtschaftspolitische Konzepte und Aktivitäten, durch die staatliche Akteure die nationale oder regionale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern oder zu steigern versuchen. Die staatliche Dimension der Geoökonomie ist von Maria Gritsch (2005: 2f) auch als Form einer „weichen Geopolitik“ bezeichnet worden. Schließlich wird durch die aktive, für die einheimischen Unternehmen vorteilhafte Gestaltung internationaler Wirtschaftsorganisationen oder durch den Abschluss von Handelsund Investitionsabkommen die wirtschaftspolitische Souveränität anderer Staaten oftmals beschnitten.
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6.2 Geoökonomische und geopolitische Aspekte der europäischen Globalisierungsstrategie Der Verweis auf die Relevanz geoökonomischer und geopolitischer Dynamiken und Interessen wirft allerdings einige Fragen auf, über die in der wissenschaftlichen Diskussion nach wie vor gestritten wird. Offen ist insbesondere, wodurch die beiden Dynamiken bestimmt sind, wie sie sich zueinander verhalten und wie sie sich in der politischen Praxis artikulieren. In den klassischen imperialismustheoretischen Diskussionen war – ungeachtet vieler Unterschiede – noch davon ausgegangen worden, dass geoökonomische und geopolitische Interessen eng miteinander verknüpft sind und sich ökonomische Krisenprozesse und Akkumulationsstrategien relativ unvermittelt in eine internationale militärische Konfrontationsstrategie übersetzen (vgl. Kößler 2003: 522ff; Deppe et al. 2004: 21ff, ten Brink 2008: 17ff). In der jüngeren imperialismustheoretischen Diskussion wird diese enge Verknüpfung von ökonomischen Krisenprozessen, kapitalistischem Expansionsdrang und internationaler Gewaltanwendung hingegen aufgegeben. Die meisten Konzeptionen sind grundsätzlich offener und flexibler angelegt (vgl. u.a. Harvey 2003; Hirsch 2005: 162ff). Sie halten zwar daran fest, den expansiven Drang des Kapitals und die kooperative, mitunter aber auch gewaltsame Erschließung neuer Investitions- und Absatzsphären als besondere Formen einer „Akkumulation durch Enteignung“ (vgl. u.a. Harvey 2003: 137ff; Zeller 2004) zu interpretieren, ohne die geopolitischen Strategien staatlicher Akteure hierdurch jedoch einseitig determiniert zu sehen. Im Gegenteil, die kapitalistische oder geoökonomische und die territoriale oder geopolitische Logik unterscheiden sich grundlegend. Das heißt, sie repräsentieren jeweils besondere Machtverhältnisse, die einer eigenen Rationalität gehorchen, was allerdings keineswegs ausschließt, dass sich beide Logiken historisch spezifisch artikulieren.4 Giovanni Arrighi (1994: 33) beschreibt in diesem Sinne den „Kapitalismus“ und den „Territorialismus“ als zwei eigenständige Herrschaftsformen und Machtlogiken: „Territorialist rulers identify power with the extent and populousness of their domains, and conceive of wealth/capital as a means or a by-product of the pursuit of territorial expansion. Capitalist rulers, in contrast, identify power with the extent of their command over scarce resources and consider territorial acquisitions as a means and a by-product of the accumulation of capital.“
Diese Unterscheidung ist später von anderen Wissenschaftlern aufgegriffen und weiter ausgearbeitet worden. So argumentieren einige Theoretiker, dass die Herausbildung des internationalen Staatensystems der kapitalistischen Entwicklung historisch vorangegangen ist und die Logik der territorialen oder geopolitischen Konkurrenz nicht auf die kapitalistische Expansionsdynamik reduziert werden kann (vgl. Lacher 2005; Teschke 2007; Callini-
4 Der Begriff der „Artikulation“ wendet sich gegen einen reduktionistischen Marxismus, in dem die Gesellschaft als „expressive Totalität“ gedacht wird, gemäß der die ökonomischen Verhältnisse die gesamte Gesellschaft nach Maßgabe einer „transitiven Kausalität“ vereinnahmen. So beziehen sich die unterschiedliche Sphären und Logiken zwar aufeinander, haben aber keine unmittelbar determinierende Wirkung. Die Charakteristika der ökonomischen Sphäre, d.h. die kapitalistischen Verwertungsimperative, stellen sich in der Sphäre der staatlichen Territorial- oder Geopolitik vielmehr notgedrungen gebrochen dar. Umgekehrt gilt ähnlich, dass die staatliche Territorial- oder Geopolitik sich im Prozess der kapitalistischen Akkumulation nur artikuliert, nicht aber notgedrungen deren Funktionsprinzipien außer Kraft setzt.
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cos 2007).5 Das geopolitische Staatshandeln wird durch die kapitalistische Logik inzwischen zwar überformt und punktuell angetrieben, nicht jedoch einseitig determiniert. David Harvey (2003: 27) hat zudem darauf hingewiesen, dass das politische Staatshandeln und die kapitalistische Verwertungslogik in jeweils unterschiedliche räumlich-zeitliche Kontextbedingungen eingelassen sind: „The capitalist operates in continuous space and time, whereas the politician operates in territorialized space, and at least in democracies, in a temporality dictated by an electoral cycle. On the other hand, capitalist firms come and go, shift locations, merge, or go out of business, but states are long-lived entities, cannot migrate, and are, except under exceptional circumstances of geographical conquest, confined within fixed territorial boundaries.“
Die unterschiedlichen räumlich-zeitlichen Kontextbedingungen schließen keineswegs aus, dass sich die geopolitische Staatsräson und die kapitalistischen Investitions- und Absatzstrategien wechselseitig bestärken. Ebenso können die territoriale und die kapitalistische Logik aber auch in Widerspruch zueinander geraten, etwa wenn durch Standortverlagerungen und Kapitalabzug die materiellen Kapazitäten von Staaten oder Imperien beeinträchtigt werden oder wenn durch geopolitische Abenteuer – wie den Vietnam- oder Irak-Krieg – ökonomische Kosten entstehen, die der wirtschaftlichen Entwicklung abträglich sind. Die relative Eigenständigkeit von Geopolitik und kapitalistischer Entwicklung hat Alex Callinicos (2007: 542) zu der Einsicht geführt, dass auch historisch-materialistische Ansätze nicht umhin kommen, ein „realistisches Moment“ in der Analyse der internationalen Beziehungen und weltpolitischen Konjunkturen zu akzeptieren: einerseits, um den Strategien, Erwägungen und Handlungen rivalisierender staatlicher Akteure hinreichend Rechnung zu tragen; und andererseits, um sich unvoreingenommen mit den wandelbaren, aber historisch spezifischen Mustern des Zusammenspiels von geoökonomischer und geopolitischer Konkurrenz auseinanderzusetzen. Dieser Vorstoß hat unterschiedliche Reaktionen provoziert. Von marxistischer Seite wurde eingewendet, dass der Realismus-Begriff unscharf bleibt und das „realistische Moment“ die Gefahr in sich birgt, die Struktur und Funktionsweise des bestehenden Staatensystems nicht zu hinterfragen, sondern zu reifizieren (vgl. Pozo-Martin 2007); und aus neo- bzw. post-weberianischer Perspektive wurde problematisiert, dass die Einführung einer eigenständigen zweiten – geopolitischen – Logik den ökonomischen Reduktionismus nur abschwächt, nicht aber überwindet, zumal weitere politisch relevante Logiken – etwa geschlechterspezifische, rassistische oder umweltpolitische Konflikte – ausgeblendet bleiben und die Rolle von Normen, Ideen und Diskursen ignoriert wird (vgl. Hobson 2007). Die Einwände führen auf den ersten Blick zu unterschiedlichen Konsequenzen. Letztlich verweisen sie jedoch beide auf die übergreifende Frage, wie die Vermittlung von geoökonomischen und geopolitischen Aspekten theoretisch-konzeptionell gedacht und auf die Außenpolitik der EU bezogen werden kann. Im Rahmen des Analyserasters einer postweberianisch akzentuierte neo-gramscianischen IPÖ liegt es nahe, zwischen unterschiedlichen Abstraktionsniveaus und Operationsfeldern zu differenzieren. Ganz allgemein ist 5 Hiermit ist allerdings nicht gesagt, dass sich die geopolitische Konkurrenz vollkommen autonom entfaltet. Bereits die außenpolitische Räson vorkapitalistischer Staaten und Imperien definierte sich nicht ohne Bezugnahme auf die bestehenden sozioökonomischen Reproduktionsmuster und gesellschaftlichen Kommunikationsformen und Machtverhältnisse. Angesichts fehlender oder bestenfalls schwach ausgebildeter Mechanismen einer interaktiven gesellschaftlichen Einbettung war dieser Rückbezug allerdings primär instrumentell-strategischer Natur.
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zunächst davon auszugehen, dass die geoökonomischen und geopolitischen Interessen und Strategien durch relativ eigenständige Handlungsrationalitäten bestimmt sind, sich mithin kontingent zueinander verhalten. Hierbei handelt es sich freilich nicht um eine vollkommen offene, sondern gesellschaftlich strukturierte Kontingenz. Dies heißt erstens, dass die Ausformung und Artikulation von geoökonomischen und geopolitischen Strategien stets als das Produkt politischer Auseinandersetzungen zu begreifen sind, in denen eine Vielzahl von Akteuren – mit Blick auf die sozialen Produktionsbeziehungen, die staatlich-zivilgesellschaftlichen Organisationsformen sowie die Strukturen der Weltökonomie und Weltordnung – um Einfluss und Deutungsmacht ringen. Die geoökonomischen und geopolitischen Projekte von Staaten und Imperien sind demzufolge fortwährend umkämpft. Dabei reflektieren sich in ihnen, wie von John Hobson (2007: 588ff) argumentiert wird, nicht nur kapitalistische Verwertungsimperative und – informelle – territoriale Kontrollansprüche, sondern auch die Prozesse des sozialstrukturellen Wandels sowie die institutionellen, kulturellen und diskursiven Verfahren der gesellschaftlichen Reproduktion und politischen Identitätsbildung. Über diese sehr allgemeine Bestimmung hinaus impliziert die Annahme einer gesellschaftlich strukturierten Kontingenz zweitens aber auch, dass sich das Zusammenspiel von geoökonomischen und geopolitischen Interessen und Strategien in unterschiedlichen historischen Entwicklungskonstellationen jeweils spezifisch darstellt. Im Rückblick lassen sich folgende Phasen unterscheiden (vgl. Bieling 2007a: 55ff; Callinicos 2007: 545f): Zunächst hatten sich von den Anfängen des Kolonialismus bis hin zum imperialen Zeitalter und den zwei Weltkriegen die geoökonomischen und geopolitischen Konkurrenzprozesse wechselseitig verstärkt. In der Periode des atlantischen Fordismus und des Ost-West-Konfliktes kam es dann – dies gilt zumindest für die westeuropäischen Staaten und Gesellschaften – zu einer gewissen Entkopplung von ökonomischen und geopolitischen Interessen und Strategien. Dies war nicht nur der relativen Einhegung geopolitischer Prozesse durch die sicherheitspolitische Klammer des Kalten Krieges (vgl. Hobsbawm 1995: 286ff) und der fordistischen Akkumulation mit dem Primat der „inneren Landnahme“ geschuldet (vgl. Lutz 1984). Auch die Erfahrungen zweier Weltkriege und die nach 1945 einsetzenden Entkolonialisierungswellen hatten mit dazu beigetragen, offensive geopolitische Erwägungen und Ambitionen zu marginalisieren (vgl. Altvater/Mahnkopf 2007: 29f). Inzwischen zeugen die politischen und wissenschaftlichen Diskussionen seit den 1990er Jahren jedoch von einer Renaissance der Geopolitik. Die Ursachen hierfür liegen sicherlich in den Prozessen der ökonomischen Globalisierung und den Umbrüchen in den weltpolitischen Ordnungsstrukturen, darüber hinaus aber auch in der Transformation gesellschaftsstruktureller Reproduktionsmuster, d.h. unter anderem in der diskursiven Verarbeitung und Produktion von sozioökonomischen Krisenprozessen, politisch-kulturellen Bedrohungsgefühlen und normativen Ordnungsentwürfen. Die meisten Analysen, die die erneut recht enge Artikulation und Verknüpfung von geoökonomischen und geopolitischen Interessen und Strategien thematisieren, richten den Blick vornehmlich auf die USA (vgl. Panitch 2000; Gowan 2002; Meiksins Wood 2005). Dieser Fokus ist naheliegend, da die USA den Globalisierungsprozess in den 1980er und 1990er Jahren maßgeblich vorangetrieben haben und seit dem Ende des Ost-WestKonfliktes – gestützt auf ihre globale Präsenz und militärische Übermacht – die Weltordnungsstrukturen weitgehend kontrollieren. Genauer betrachtet beschränkt sich die Verknüpfung von geoökonomischen und geopolitischen Strategieelementen jedoch keineswegs
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auf die USA. Sie kennzeichnet in wachsendem Maße auch die Aktivitäten anderer weltpolitisch einflussreicher Staaten wie Russland oder China und auch die des EU-Imperiums. Die Rekonstruktion der europäischen Handels-, Währungs- und Finanzmarkt- sowie Sicherheitspolitik und einige der zentralen Strategiepapiere – so z.B. die Lissabon-Strategie (Europäischer Rat 2000), die Europäische Sicherheitsstrategie (Europäischer Rat 2003), das Konzept der Europäischen Nachbarschaftspolitik (Europäische Kommission 2004), die „Global Europe“-Strategie (Europäische Kommission 2006a) oder die Energiestrategie (Europäische Kommission 2006b; 2007) – lassen sich dahingehend interpretieren, dass geopolitische Aspekte in der Globalisierungsstrategie der EU inzwischen eine bedeutsame Rolle spielen. In den Worten von Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf (2007: 52): „Die EU wird im Zuge der Erweiterung und infolge ihres Gewichts in der Weltwirtschaft zu einer imperialen Macht, allerdings in anderer Weise als im Imperialismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und auch in klarer Differenz zu den USA. Im Empire verschwinden die Netzwerke der politischen und ökonomischen Macht nicht und sie diffundieren nicht im Raum ohne imperialistische Zentren der Macht. Geoökonomie und Geopolitik gehen eine Symbiose der territorialen Ausdehnung von Kapitalexport, Arbeitsmigration und politischer Regulation zu deren ‚Filterung’ [...] ein. Auf diese Weise wird auch die Grenze zwischen formellem und informellem Imperialismus, zwischen formeller und informeller Ökonomie und Politik gesteuert. Dies geschieht in den USA ebenso wie in der EU und in den aufkommenden neuen Mächten.“
So wichtig der Hinweis darauf ist, dass die Netzwerke ökonomischer und politischer Macht auch die Funktionsweise des EU-Imperiums prägen, so wenig ist damit bereits die Frage beantwortet, wie sich die geoökonomischen und geopolitischen Interessen und Strategien in der EU konkret artikulieren. Die These, dass sich die EU angesichts der innergesellschaftlichen wie globalen Widersprüche der kapitalistischen Reproduktion und der zunehmenden Bedeutung geopolitischer Themen – wie z.B. der Kontrolle von internationalen Transportwegen, Waren- und Kapitelströmen sowie Rohstoff- und Energiezuflüssen – bereits auf den Weg gemacht hat, eine imperialistische Kontrollstrategie zu entwickeln (vgl. Pflüger/Wagner 2005; Altvater/Mahnkopf 2007: 42ff), ist nicht unbegründet, zeitdiagnostisch aber etwas voreilig und analytisch wenig trennscharf. Schließlich liegt ihr ein sehr weiter, struktureller Imperialismus-Begriff zugrunde, der durch einzelne Adjektive und Konkretisierungen zwar differenziert und spezifiziert, nicht jedoch hinreichend von anderen internationalen Herrschaftsformen abgegrenzt werden kann. Um den besonderen Charakter der europäischen Globalisierungspolitik zu erfassen, wird hier daher der Vorschlag unterbreitet, mit einem enger definierten ImperialismusBegriff zu arbeiten und idealtypisch zwischen zwei Artikulationsformen von geoökonomischen und geopolitischen Interessen – einer hegemonialen und einer imperialistischen – zu unterscheiden (vgl. Bieling 2005a: 250).6 Die imperialistische Artikulationsform von geoökonomischen und geopolitischen Interessen schließt die Möglichkeit und Bereitschaft mit ein, im Konfliktfall auch jenseits der eigenen Grenzen Instrumente der militärischen Repression und Kontrolle einzusetzen. Sie repräsentiert gegenüber anderen Staaten und Gesellschaften daher eine unmissverständliche Gewaltstrategie. Im Unterschied hierzu verzichtet die hegemoniale Artikulationsform von geoökonomischen und geopolitischen Interessen 6 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich diese Unterscheidung auf die externen Strategien und Aktivitäten von Staaten und Imperien bezieht. Grundsätzlich können auch imperialistische Kontrollstrategien intern hegemonial abgestützt sein.
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auf eine gewaltsam-militärische territoriale Kontrolle. Sie repräsentiert vielmehr eine kooperativ-konsensuale Herrschaftsstrategie, die den Prozess der geoökonomischen Expansion allenfalls durch Instrumente einer „weichen Geopolitik“ wie z.B. internationale Handelsund Investitionsabkommen oder die politischen Konditionalitäten des „Good Governance“ – d.h. die Förderung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten – ergänzt. Auf der Grundlage ihrer fragmentierten institutionellen Struktur, der begrenzten militärischen Fähigkeiten sowie der tradierten historischen Erfahrungen und Werte entsprechen die außen(wirtschafts)politischen Strategien und Aktivitäten der EU bislang eher dem zweiten Politikansatz einer kooperativen und rechtsbasierten Hegemonialstrategie. Eine eindeutige Zuordnung fällt allerdings nicht leicht, da der hegemoniale Charakter des europäischen Gestaltungsanspruchs in dreifacher Hinsicht zu relativieren ist: So stellt sich erstens das Mischungsverhältnis von Repressions- und Konsenselementen für die EU nur dann sehr positiv dar, wenn ausgeblendet wird, dass die außenpolitischen Konzepte und Aktivitäten der EU – im Rahmen der transatlantischen Kooperation – durchaus die Androhung und den Einsatz militärischer Gewalt mit einschließen. Zweitens verfolgt die EU keinen einheitlichen außen(wirtschafts)politischen Ansatz, sondern eine Strategie, die zwischen unterschiedlichen Staaten(gruppen) und Regionen differenziert (vgl. Hettne/Söderbaum 2005: 540ff): Während gegenüber den Beitrittsländern in Mittelund Osteuropa eine geoökonomisch und geopolitisch motivierte Stabilisierungspolitik betrieben wurde, die im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) ihre Fortsetzung findet, sind die bilateralen Beziehungen zu anderen Großmächten sowohl durch machtpolitische Rivalitäten als auch durch zivile – primär handelspolitische – Kooperationsmuster bestimmt. Darüber hinaus verfolgt die EU gegenüber den regionalen Integrationsprojekten in Asien, Afrika und Lateinamerika einen asymmetrisch strukturierten Partnerschaftsansatz, um die eigenen Ideale von wirtschaftlicher Liberalisierung und „Good Governance“ global zu verallgemeinern. Drittens schließlich formuliert die EU in all diesen Kontexten zwar grundsätzlich einen hegemonialen Gestaltungsanspruch, ohne diesen jedoch immer realisieren zu können. Nicht alle Staaten und Regionen, zu denen enge wirtschaftliche und diplomatische Kooperationsstrukturen aufgebaut werden, lassen sich konsensual einbinden. Doch nicht nur regionale Widerstände und Krisenprozesse, auch globale weltwirtschaftliche und weltpolitische Instabilitäten könnten die EU perspektivisch dazu veranlassen, imperialistische Strategieelemente stärker zu gewichten.
6.3 Krisen und Konfliktfelder europäischer Globalisierungspolitik Wie ausgeführt, repräsentiert die EU ein Imperium neuen Typs, das eine kooperative, multilateral orientierte und rechtsbasierte, kurzum hegemoniale Globalisierungsstrategie verfolgt. Diese Globalisierungsstrategie verzichtet keineswegs gänzlich auf Instrumente der militärischen Gewaltanwendung, stützt sich bislang jedoch vornehmlich auf ein weitausgreifendes Netzwerk der Wirtschafts- und Sicherheitsdiplomatie sowie auf Konzepte und Elemente einer „weichen Geopolitik“. Ob dies auch zukünftig so bleibt, oder aber die Elemente einer imperialistischen, d.h. gewaltsamen Kontrolle angrenzender und entlegener Territorien stärker in den Vordergrund treten, ist derzeit nur schwer absehbar. Dagegen spricht, dass die fragmentierte Souveränitätsstruktur des EU-Systems und die spezifischen Muster der interaktiven Einbettung der europäischen Globalisierungspolitik die Realisie-
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rung einer imperialistischen Strategie erschweren. Letztlich ist jedoch keineswegs ausgeschlossen, dass sich im Zuge der politisch-strategischen Bearbeitung von zentralen Krisen und Konfliktfeldern der europäischen Globalisierungspolitik – weltwirtschaftlichen Instabilitäten und Machtverschiebungen, Konflikten in der europäischen Nachbarschaft oder der Energiepolitik – die Muster der interaktiven Einbettung transformieren und imperialistische Elemente stärker in den Vordergrund treten. 6.3.1 Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft Ein erstes Konfliktfeld bilden die strukturellen Umbrüche, Machtverschiebungen und Instabilitäten der globalen Ökonomie. Diese standen lange im Schatten einer relativ dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung. Im globalen Maßstab konnten zumindest recht hohe Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von durchschnittlich über 3% in den 1980er und 1990er Jahren sowie 4,4% für den Zeitraum 1999-2008 erzielt werden (vgl. IMF 1998: 171; 2007: 215). In Verbindung mit der forcierten Globalisierungsdynamik sind die Voraussetzungen für die internationale wirtschaftliche und politische Kooperation seit den 1980er Jahren somit grundsätzlich gestärkt worden. Zum Teil mehrten sich aber auch die internationalen Konflikte. Einiges spricht dafür, dass auch zukünftig die Institutionen und Arenen der Kooperation durch wiederkehrende Krisenprozesse, strukturelle Instabilitäten und die ungleichgewichtige Entwicklung der Weltwirtschaft belastet und beeinträchtigt werden. Ein erstes Indiz für die wachsende Instabilität und Krisenanfälligkeit der Weltwirtschaft sind die Währungs- und Finanzkrisen seit Mitte der 1990er Jahre. Diese hatten sich zunächst noch auf die sog. „emerging markets“ einiger aufstrebender Schwellenländer – Mexiko (1994/95), Südostasien (1997), Russland (1998), Brasilien (1998/99), Argentinien (2001/02) – konzentriert (vgl. Boris et al. 2000). In den Jahren 2001/02 platzte dann jedoch auch die Aktienblase in den USA und Westeuropa und erschütterte die Erwartung, dass der Übergang zu einem finanzgetriebenen Akkumulationsregime – im Sinne der „New Economy“-Euphorie – einen stetigen und dynamischen Wachstumsprozess ermöglichen würde. Auf den Einbruch folgte zwar eine vorübergehende Erholung der Aktienkurse, bevor mit der sog. „Subprime“-Krise7 von 2007/08, die nachfolgend in eine globale Wirtschafts- und Finanzkrise überging, die Fragilität und Krisenanfälligkeit global liberalisierter Finanzmarktbeziehungen erneut offenkundig geworden ist (vgl. Bieling 2009). Doch nicht nur die Finanzkrisen, auch politische Konflikte und Entscheidungen signalisieren, dass sich der Globalisierungsprozess nicht einfach linear fortschreibt. Schon die Reaktionen der US-Regierung auf die Terroranschläge vom 11. September 2001, d.h. die verstärkte Kontrolle von internationalen Finanztransaktionen, und auch die Tendenzen einer protektionistischen Industriepolitik haben deutlich gemacht, dass die USA die Globalisierung nicht mehr so nachdrücklich fördern, wie noch in den vorangegangenen Dekaden 7
Als „Subprime“-Krise wird die Beeinträchtigung des Kreditgeschäfts durch den rapiden Verfall von Wertpapieren bezeichnet, die sich auf zweitklassige, äußerst risikoreiche US-amerikanische Hypothekenkredite bezogen. Diese Wertpapiere bildeten so lange, wie die Immobilienpreise in den USA anstiegen und die Verschuldung der privaten Haushalte absicherten, auch für nicht-amerikanische Banken eine attraktive Anlageoption. Als jedoch viele Hypothekenkredite nicht mehr bedient werden konnten und die Immobilienblase platzte, mehrten sich die Liquiditäts- und Solvenzprobleme all jener Banken, die sich beim Handel mit den verbrieften Kreditpaketen verspekuliert hatten.
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(vgl. Gowan 1999; Lütz 2002: 137ff; Tabb 2004: 302ff). Dies gilt umso mehr, als die Doha-Runde in der WTO festgefahren zu sein scheint und die multilaterale Struktur des globalen Handelsregimes durch eine Vielzahl bilateraler Handels- und Investitionsabkommen in Frage gestellt wird. Mit anderen Worten, der Globalisierungsprozess ist ins Stocken geraten (vgl. Ferguson 2005), da ihn die westlichen Regierungen, insbesondere die USRegierung, mit Blick auf sicherheitspolitische Risiken und negative wirtschafts-, arbeitsund sozialpolitische Effekte zunehmend skeptischer betrachten und nicht mehr vorbehaltlos zu unterstützen bereit sind. Diese Abwehrhaltung verweist auf einige grundlegende Probleme, die der Transformation der internationalen politischen Ökonomie strukturell eingeschrieben sind. Von besonderer Bedeutung sind dabei drei Entwicklungen:
Die erste Entwicklung besteht darin, dass es für die USA zunehmend schwieriger wird, ihre währungs- und finanzmarktpolitische sowie militär- und sicherheitspolitische Überlegenheit aufrecht zu erhalten. In den letzten Jahrzehnten war es ihr aufgrund der Stärke des US-Dollars und der Attraktivität des US-Finanzmarktes gelungen, durch einen immensen Kapitalzufluss die defizitäre Leistungsbilanz auszugleichen und sehr kostspielige Rüstungsprogramme und militärische Interventionen zu finanzieren (vgl. Glyn 2005: 9ff). Ob dies auch weiterhin so bleibt, ist zumindest ungewiss. Die erneute Finanzkrise, der Fall der Aktienkurse und ein möglicher Abwertungsdruck auf den US-Dollar könnten die Fähigkeit der USA beeinträchtigen, ihr Leistungsbilanzdefizit durch externe Kapitalzuflüsse – Direkt- und Portfolioinvestitionen sowie ausländische Kredite – auszubalancieren (vgl. Priewe 2008). Noch haben viele der Kreditgeber, insbesondere die Regierungen und Zentralbanken Japans, Chinas oder Russlands ein großes Interesse daran, den US-Dollar zu stabilisieren, um die Exporte der eigenen Unternehmen in die USA zu fördern. In dem Maße, wie andere Märkte – in Asien, Europa, Lateinamerika oder Afrika – an Bedeutung gewinnen und das Vertrauen in die Stärke des US-Dollars abnimmt, könnte sich dies jedoch schon bald ändern (vgl. Cafruny/Ryner 2007: 121ff). Zweitens haben seit den späten 1980er Jahren Regionalisierungstendenzen in der Weltwirtschaft an Bedeutung gewonnen (vgl. Bieling 2007a: 180ff). Die regionale Verflechtung der nationalen Wirtschaftsräume stützt sich nicht nur auf relativ geringe Transaktionskosten, sondern oft auch auf spezifische politische Projekte und Leitbilder der regionalen Integration. Die regionalen Integrationsabkommen in Asien, Lateinamerika und Afrika repräsentieren zumeist eine Form des „neuen“ oder „offenen“ Regionalismus (vgl. Spindler 2005: 12ff). Das Ziel der regionalen Integration besteht entsprechend darin, die Stärkung des regionalen Wirtschaftsraumes zu nutzen, um sich aktiv in die Weltökonomie zu integrieren. Nachdem diese Zielsetzung in vielen Regionen lange in Übereinstimmung mit den Vorgaben des sog. „Washington Consensus“ erfolgte, ist seit einigen Jahren nun allerdings eine Modifikation der regionalen Integrationsstrategien erkennbar: Zum einen sind viele Staaten in Ostasien und Lateinamerika – in der Folge der Währungs- und Finanzkrisen – bestrebt, sich von IWFKrediten unabhängiger zu machen und unter Ausnutzung beträchtlicher Devisenreserven regionale Beistandsabkommen und Interventionsinstrumente zu entwickeln (vgl. Dieter 2008). Zum anderen sind aber auch dadurch, dass sich in einigen Regionen –
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etwa dem MERCOSUR oder der ASEAN+38 – die gesellschaftlichen und zwischenstaatlichen Kräfteverhältnisse gewandelt haben, die Strategien der handelspolitischen Liberalisierung durch industrie- und sozialpolitische Ziele und Instrumente flankiert und modifiziert worden. Drittens schließlich haben sich durch den Aufstieg der sog. BRIC-Staaten – Brasilien, Russland, Indien und China – die Gewichte in der Weltökonomie verschoben. Der BRIC-Begriff, der von der US-amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs in die Diskussion eingebracht worden war, stellt keine analytische Kategorie dar, verweist aber sehr nachdrücklich darauf, dass die weltwirtschaftliche Dynamik maßgeblich von China und Indien – und anderen mit diesen Wachstumspolen kooperierenden Entwicklungs- und Schwellenländern – getragen wird (vgl. Bieling 2007a: 221ff). Die entwickelten Wirtschaftsräume und Transnationalen Konzerne (TNKs) der sog. Triade – Nordamerika, Europa und Japan – partizipieren zwar ebenfalls an der Investitionsund Wachstumsdynamik in diesen aufstrebenden Ländern des „Südens“. In dem Maße jedoch, wie neue Formen der Süd-Süd-Kooperation an Bedeutung gewinnen, dürfte sich nicht nur die exzeptionelle Position des entwickelten kapitalistischen „Westens“ (vgl. Hummel 2000) relativieren. Es ist auch zu erwarten, dass sich die institutionellen Formen und inhaltlichen Kriterien der globalen Regulierung und Kooperation verändern. Schon jetzt gewinnt der wirtschaftspolitische Kooperationsansatz Chinas, der von einer harten Konditionalisierung von Kredit-, Investitions- und Handelsgeschäften absieht und dem Prinzip der nationalen Souveränität und Selbstbestimmung größere Beachtung schenkt, in vielen Ländern und Regionen an Einfluss. Zuweilen ist bereits von einem sog. „Bejing Consensus“ die Rede (vgl. Ramo 2004: 11f), der die Politik des „Washington Consensus“ und die von der EU unterstützte Konzeption des „Good Governance“ perspektivisch marginalisieren könnte.
Die EU reagiert auf die skizzierten Entwicklungen mit unterschiedlichen Strategien und Instrumenten. Was die strukturelle Instabilität der internationalen Währungs- und Wirtschaftsbeziehungen betrifft, so geht die EU davon aus, dass dieses Problem in erster Linie von den USA und den anderen Überschussländern – z.B. durch eine Anpassung des DollarYuan Wechselkurses – zu lösen ist, indessen die marktvermittelte Aufwertung des Euro dem US-amerikanischen Leistungsbilanzdefizit bereits hinreichend Rechnung trägt. Selbst unter den Bedingungen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise ist nicht erkennbar, dass sich die EU von ihrer bislang eher passiven Währungs- und Wechselkurspolitik verabschiedet. Rückblickend war diese nur 1999 vorübergehend in Frage gestellt worden, als das deutsche und das französische Finanzministerium den Vorschlag unterbreiteten, zwischen den globalen Leitwährungen Wechselkurszielzonen zu definieren (vgl. Henning 2007: 320ff); und in der tagespolitischen Praxis gab es bisher nur wenige Situationen, in denen die EZB interventionistisch agierte: Im September und November 2000 intervenierte sie gemeinsam mit der US-amerikanischen und japanischen Zentralbank auf den Devisenmärkten, um dem Fall des Euro entgegen zu steuern; nach den Terroranschlägen vom 11. Sep8 Im Fall des MERCOSUR haben sich die gesellschaftlichen und zwischenstaatlichen Kräfteverhältnisse durch die Wahlerfolge von Lula in Brasilien und von Kirchner in Argentinien sowie durch den anstehenden Beitritt Venezuelas gewandelt (vgl. Schmalz 2005); und im Fall der ASEAN ist durch die Kooperation mit China, Japan und Südkorea – daher ASEAN+3 – das weltwirtschaftliche Gewicht der Region deutlich gestärkt worden (vgl. Cai 2003).
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tember 2001 stellte sie – ebenfalls in Kooperation mit anderen Zentralbanken – günstige kurzfristige Kredite bereit, um die internationalen Finanzmärkte zu stabilisieren und einen drohenden Liquiditätsengpass zu vermeiden; und seit dem Spätsommer 2007 hat die EZB in Reaktion auf die „Subprime“-Krise wiederholt Geld in den Markt „gepumpt“, um einer potenziellen Kreditklemme vorzubeugen. Diese Ereignisse signalisieren, dass die EU zwar prinzipiell fähig ist, auf akute Krisen ad hoc zu reagieren, zugleich aber darauf verzichtet, die strukturellen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft durch die Stärkung globaler währungs- und wirtschaftspolitischer Kooperationsmuster auszubalancieren. Bislang konzentriert sich die EU ganz darauf, die regulativen Arrangements der globalen Handels- und Finanzmarktbeziehungen zu gestalten. Sie befürwortet dabei grundsätzlich einen marktliberalen Regulierungsansatz, der insbesondere auf der globalen Ebene – d.h. im Rahmen der WTO, der BIZ, der IOSCO oder der G-20 – ausgehandelt und umgesetzt werden soll. Ergänzt werden diese globalen Aktivitäten durch eine Vielzahl bilateraler und interregionaler Kooperationsabkommen, in denen über Handels- und Investitionsfragen hinaus auch diverse Aspekte des „Good Governance“, wie die Förderung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten, Berücksichtigung finden. Ein zentrales Strategieelement, mit der die EU auf die Regionalisierung der Weltwirtschaft reagiert, bilden die Formen der interregionalen Kooperation (vgl. Söderbaum et al. 2005). Schon vor der neuen „Welle“ regionaler Integrationsprojekte seit den 1980er Jahren hatte die EU interregionale Kooperationsbeziehungen mit einigen anderen Ländergruppen aufgebaut: etwa in Form der handels- und entwicklungspolitischen Abkommen mit den AKP-Staaten, des Euro-Arabischen-Dialogs oder des Dialogs mit der ASEAN-Staatengruppe. Seit den 1990er Jahren hat sie ihre Anstrengungen dann weiter intensiviert. Im Vergleich zu den früheren Abkommen ist die neue interregionale Kooperationsstrategie grundsätzlich marktliberal ausgerichtet, zugleich aber auch stärker institutionalisiert und inhaltlich umfangreicher angelegt, unter Einschluss von sicherheits-, kultur-, umwelt- und demokratiepolitischen Themen. Sie erstreckt sich – mit Blick auf Asien, Lateinamerika und Afrika – dabei auf eine wachsende Zahl regionaler Integrationsprojekte und einen geographisch erweiterten Handlungsraum. Die interregionalen Kooperationsformen repräsentieren für die EU – nicht zuletzt aufgrund ihres asymmetrischen Charakters9 – ein Instrumentarium, um in der globalen Wirtschaftskonkurrenz die Investitionsräume und Absatzmärkte für europäische Unternehmen zu erweitern und den politischen Einfluss der EU in anderen Weltregionen zu steigern. Die vielfältigen Aktivitäten der EU sind durchaus beeindruckend. Zugleich zeigen die bisherigen Erfahrungen – etwa mit der EU-MERCOSUR Partnerschaft (vgl. Malcher 2005: 207ff; Schmalz 2008: 171ff) oder der Aushandlung von Economic Partnership Agreements (EPAs) mit den AKP-Staaten und anderen Regionalorganisationen in Afrika (vgl. Robles 2008; Stephens 2008) – aber auch, dass sich die konkreten Konditionen der interregionalen Kooperation nicht einfach diktieren lassen, sondern angesichts der wirtschaftlichen und politischen Kosten und Verteilungseffekte umkämpft bleiben.
9 Der asymmetrische Charakter besteht darin, dass die EU über wichtige Hebel und Anreizmechanismen – den Zugang zum europäischen Wirtschaftsraum und zum Teil auch entwicklungspolitische Unterstützungsleistungen – verfügt, um die Konditionen der interregionalen Kooperation zu definieren.
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Die Formen der interregionalen Kooperation erstrecken sich zum Teil auch auf die BRIC-Staaten und andere aufstrebende Wirtschaftsmächte, sofern sich diese – wie z.B. Brasilien im MERCOSUR oder Japan und China in der ASEAN+3 – regionalpolitisch engagieren. Ansonsten sind die Beziehungen der EU zu anderen einflussreichen Staaten jedoch primär durch bilaterale Kooperationsbeziehungen geprägt. Inzwischen werden mit einer ganzen Reihe von Ländern – unter anderem mit den USA, Kanada, Russland, China, Indien, Südafrika und Brasilien – spezifisch definierte strategische Partnerschaften ausgehandelt. Im Umgang mit den aufstrebenden Wirtschaftsmächten, so auch mit Russland oder China, vertraut die EU tendenziell darauf, diese kooperativ in die multilateralen Strukturen der weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Regulierung einbinden zu können. Sie unterscheidet sich damit von den USA, die durch die neuen Großmächte ihre globale Vormachtstellung gefährdet sieht und daher eher eine sicherheits- und machtpolitisch motivierte Abwehrhaltung einnimmt (vgl. von Scherpenberg 2005). Ob und in welcher Form die europäische Einbindungsstrategie erfolgreich sein wird, ist nicht nur aufgrund der USamerikanischen Widerstände schwer absehbar. Ungeachtet aller Kooperationsrhetorik sind auch die strategischen Partnerschaften mit Russland und China durch eine Vielzahl von Spannungen gekennzeichnet (vgl. Gu 2006: 4f; Spranger 2007). Diese werden nicht selten dadurch akzentuiert, dass die Sonderinteressen und bilateralen Aktivitäten einzelner Mitgliedstaaten die Entwicklung und Umsetzung einer gemeinsamen EU-Strategie unterminieren. Die verschiedenen Handlungsfelder machen deutlich, dass die EU auf den Strukturwandel und die Ungleichgewichte der Weltökonomie durchaus reagiert, ihre politischen Gestaltungsmöglichkeiten jedoch begrenzt bleiben. Dies ist zum einen dem wachsenden politökonomischen Gewicht der anderen regionalen Integrationsräume und aufstrebenden Wirtschaftsmächte geschuldet, deren spezifische Interessen sich nur zum Teil mit denen der EU decken. Zum anderen sind aber auch die strategischen Konzepte und Instrumente der EU selbst begrenzt. Die EU konzentriert sich primär darauf, den Globalisierungsprozess durch handels- und investitionspolitische Liberalisierungsabkommen zu verstetigen, unternimmt bislang jedoch – von einigen Beispielen der ad hoc Krisenintervention einmal abgesehen – keinerlei Anstrengungen, durch ein kooperatives währungspolitisches Management die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte zu korrigieren. Insgesamt sind die externen wirtschaftspolitischen Strategien der EU zudem durch einen Primat geoökonomischer Interessen geprägt. So ist die EU vornehmlich daran interessiert, durch den Einsatz „weicher“ geopolitischer Instrumente, z.B. durch multilaterale und bilaterale Handelsverträge, Investitionsabkommen oder spezifische Partnerschaften, für die europäischen Unternehmen vorteilhafte und stabile Absatz- und Investitionsbedingungen zu schaffen. 6.3.2 Krisen und Konflikte im regionalen Umfeld Geoökonomische Interessen prägen auch die Beziehungen der EU zu ihren Nachbarstaaten. Ebenso spielen aufgrund der ökonomisch und politisch instabilen Situation in der europäischen Nachbarschaft auch sicherheits- und geopolitische Überlegungen eine Rolle. Einige der Konflikte, so vor allem der Nahost-Konflikt und der Zypern-Konflikt, haben eine längere Vorgeschichte; andere Krisenprozesse im südlichen Mittelmeerraum haben sich eher schleichend entwickelt und bergen ein schwer einschätzbares Konfliktpotenzial; und wieder andere Konflikte wie etwa der staatliche Zerfallsprozess Jugoslawiens oder die Grenz-
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und Minderheitenkonflikte im ehemaligen Einflussgebiet der Sowjetunion haben sich erst nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes entfaltet. Die EU hat auf diese Konflikte und Destabilisierungspotenziale sehr unterschiedlich reagiert. Im Nahost-Konflikt hat sich die EU eigentlich erst in den 1990er Jahren als friedens- und sicherheitspolitischer Akteur profiliert. Im Rahmen des 1993 in Oslo eingeleiteten Friedensprozesses hat sie sich konkret für eine Zweistaatenlösung und den Bestand der Grenzen von 1967 ausgesprochen sowie durch die Finanzierung der palästinensischen Regierungs- und Verwaltungsinstitutionen und diverser Infrastrukturprojekte die Annäherung der beiden Konfliktparteien zu fördern versucht (vgl. Johannsen 2006: 117ff). Nach dem Jahr 2000 wurde das Engagement der EU weiter gestärkt: zum einen, weil sich die Bush-Administration partiell aus dem Friedensprozess zurückzog; und zum anderen, weil die EU über den Hohen Vertreter der GASP und die nationalen Außenminister die Verhandlungen aktiver als zuvor beeinflusste. Zusammen mit den USA, Russland und der UNO bildet sie seit 2002 das sog. „Nahost-Quartett“, das 2003 mit der „Road Map“ einen drei-stufigen Friedensplan vorlegte, dessen Realisierung durch die zeitliche Verschiebung zentraler Konfliktthemen – d.h. der Grenzverläufe, der Auflösung jüdischer Siedlungsgebiete oder der „Jerusalem-Frage“ – sowie der erneuten Gewalteskalation inzwischen jedoch sehr fragwürdig geworden ist. Etwas anders stellt sich die Rolle der EU im Zypern-Konflikt dar. Auch hier wurde sie im Laufe der 1990er Jahre zunehmend aktiv, nachdem zuvor der Konflikt in erster Linie zwischen den griechisch- und türkisch-zypriotischen Bevölkerungsgruppen sowie der griechischen und türkischen Regierung unter Vermittlung Großbritanniens, der USA und der UNO ausgetragen worden war. Die Spaltung der Insel schien dabei festgeschrieben, bis sich die EU 1994 schließlich – auf Drängen Griechenlands – bereit erklärte, die Republik Zypern in die Verhandlungen über die EU-Erweiterung einzubeziehen. Die Beitrittsperspektive des gesamten Inselgebietes ermöglichte es anschließend der UNO, erneut die Initiative zu ergreifen. So erarbeitete der UNO-Generalsekretär Kofi Annan einen Friedensplan, „der eine lose Konföderation aus zwei Bundesstaaten und auf gesamtstaatlicher Ebene ein Modell mit einem Ober- und Unterhaus vorsah“ (vgl. Lätt/Öztürk 2007: 36). Dieser Plan wurde von der EU mitgetragen. Zugleich verzichtete sie aber darauf, den EU-Beitritt der Republik Zypern von der Annahme des Annan-Plans abhängig zu machen. Dies hatte zur Folge, dass die Bevölkerung in der Republik Zypern den Friedensplan aus einer Reihe von Gründen, die den politischen Status der Volksgruppen sowie territoriale Kontroll- und wirtschaftliche Eigentumsfragen betrafen, am 24. April 2004 ablehnen konnte, ohne hierdurch den EU-Beitritt zu gefährden. Damit besteht der Zypern-Konflikt nicht nur weiterhin fort. Er ist von der EU sogar insofern „internalisiert“ worden, als durch die Spannungen zwischen den zyprischen Teilrepubliken die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei belastet werden. Nachdem sich die EU in den 1990er Jahren noch unfähig gezeigt hatte, den Konflikten im Zerfallsprozess Jugoslawiens wirksam entgegenzutreten, und 1999 die gegen Serbien gerichtete NATO-Intervention im Kosovokonflikt unterstützt hatte, setzt sie gegenüber den Ländern des westlichen Balkans, d.h. Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro, Mazedonien, Albanien sowie dem Kosovo, inzwischen auf eine Politik der Stabilisierung und Konfliktprävention (vgl. Axt 2003). Den Startpunkt bildete der 1999 vereinbarte Stabilitätspakt für Südosteuropa. Obwohl an diesem Pakt auch viele Nicht-EUStaaten beteiligt sind, ist die zentrale Rolle der EU unübersehbar. In Ergänzung des Paktes
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hat die EU einen Kooperationsprozess eingeleitet, der durch eine Reihe bilateraler Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) bzw. Partnerschaftsabkommen, einen präferenziellen Zugang zum EG-Binnenmarkt sowie finanzielle und administrative Unterstützungsleistungen konkretisiert wird. Darüber hinaus ist den Staaten des westlichen Balkans im Jahr 2003 in Aussicht gestellt worden, perspektivisch der EU beitreten zu können. Für die meisten Länder liegt die Beitrittsperspektive noch in weiter Ferne. Bislang sind nur mit Kroatien Beitrittsverhandlungen eröffnet worden, und die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien hat seit Ende 2005 den Status eines offiziellen EU-Beitrittskandidaten. Die Beitrittsoption stellt für die EU einen wichtigen Hebel dar, die politische Stabilisierung und gesellschaftliche Reorganisation des westlichen Balkan voranzutreiben. Maßgeblich sind dabei die sog. Kopenhagener Kriterien – eine stabile Demokratie und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte und Minderheitenschutz, Etablierung einer funktions- und wettbewerbsfähigen Marktwirtschaft, Übernahme des acquis communautaire sowie Unterstützung der WWU und der Politischen Union –, die bereits den Prozess der EU-Osterweiterung angeleitet haben. Darüber hinaus verlangt die EU, dass die Staaten des westlichen Balkans die Verfolgung von Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) aktiv unterstützen. Zur Stabilisierung Südosteuropas setzt die EU demzufolge primär auf Instrumente einer „weichen“ Geopolitik, sie beschränkt sich aber keineswegs hierauf. Die im Rahmen der ESVP durchgeführten Operationen – etwa die Operation „Concordia“ in Mazedonien oder die Operation „Althea“ in Bosnien-Herzegowina (vgl. Howorth 2007: 231ff) – zeigen jedenfalls, dass die EU inzwischen durchaus fähig und bereit ist, ihre zivile Stabilisierungs- und Modernisierungspolitik durch polizeiliche und militärische Instrumente abzusichern. Die skizzierten Beispiele illustrieren, dass das europäische Stabilisierungs- und Konfliktmanagement fallbezogen variiert und sich jeweils spezifischer – mehr oder weniger erfolgreicher – Strategien und Instrumente bedient. Einige dieser Instrumente, insbesondere der Anreiz einer EU-Mitgliedschaft, sind jedoch nur begrenzt einsetzbar (vgl. Vobruba 2005: 113). Um sich nach der EU-Osterweiterung nicht zu übernehmen und durch die Aufnahme immer neuer Mitgliedstaaten selbst handlungsunfähig zu machen, hat die EU daher mit Blick auf die sozioökonomisch und politisch instabilen Gesellschaften in Osteuropa, den Südkaukasus und den südlichen Mittelmeerraum seit dem Jahr 2003 die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) entwickelt (vgl. Europäische Kommission 2004). Die ENP soll durch eine Intensivierung der wirtschaftlichen, politischen und kulturell-normativen Kooperation die Nachbarstaaten enger an die EU heranführen, ohne zugleich die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft anzubieten. Um die Nachbarstaaten politisch zu stabilisieren und sozioökonomisch zu modernisieren, offeriert die EU im Rahmen der ENP eine Art „privilegierte Partnerschaft“, die sich allgemein an den Kopenhagener Beitrittskriterien orientiert, in der praktischen Umsetzung jedoch durch eine Strategie des „differenzierten Bilateralismus“ bestimmt ist (vgl. Smith 2005; Zorob 2007: 1). Obwohl die mit den einzelnen Nachbarstaaten bestehenden Assoziierungsabkommen oder Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKAs) durch die ENP nicht ersetzt, sondern nur ergänzt werden, markiert die ENP eine gewisse Abkehr vom Barcelona-Prozess. Dessen multilaterale Dimension, d.h. die horizontale Kooperation der südlichen Mittelmeerländer, die die Gestaltung der Nachbarschaftsbeziehungen zum Teil blockierte10, wird fortan vernachlässigt (vgl. Fröhlich 10
Der multilaterale Charakter der EMP und die horizontale Kooperation der Nachbarstaaten stellte vor allem
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2008: 248f). Im Vergleich zur Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) ist die ENP demzufolge flexibler und – aus Sicht der EU – machtpolitisch effektiver angelegt. Dies zeigen auch die auf drei bis fünf Jahre angelegten Aktionspläne, die das zentrale Steuerungsinstrument der ENP darstellen. Sie werden ebenfalls bilateral ausgehandelt und – mit dem Ziel, „Europäische Nachbarschaftsabkommen“ vorzubereiten – auf die einzelnen Nachbarstaaten spezifisch zugeschnitten. Darüber hinaus bilden die Aktionspläne die Grundlage für das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI), in dem Anfang 2007 die vorherigen finanziellen Förderprogramme TACIS (für die östlichen Staaten) und MEDA (für die Mittelmeerländer) zusammengeführt wurden. Der ENP liegt somit ein Programm der „positiven Konditionalität“ zugrunde, das den Partnerstaaten, sofern diese die von der EU eingeforderten Reformschritte umsetzen, finanzielle Unterstützungsleistungen und partiell einen privilegierten Zugang zum EG-Binnenmarkt offeriert.11 Die ENP ist demnach vornehmlich durch geoökonomische und „weiche“ geopolitische Erwägungen bestimmt. In Übereinstimmung mit den Zielvorgaben des European Round Table of Industrialists (ERT 2004) geht es der EU einerseits darum, die globale Wettbewerbsposition der europäischen Ökonomie durch die Erweiterung der Investitions- und Absatzmärkte zu stärken. Andererseits soll durch die wirtschaftliche Verflechtung zugleich die sozioökonomische Modernisierung und politische Stabilisierung der Nachbarstaaten gefördert werden. Die normativen politischen Konditionalitäten, d.h. die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sowie die Gewährung von Menschenrechten und Minderheitenschutz, werden in den diversen Positionspapieren zwar immer wieder erwähnt, haben in der praktischen Umsetzung der ENP oft aber nur eine nachrangige Bedeutung (vgl. Pace 2007). Die bisherigen Erfahrungen mit der EMP und ENP zeigen jedenfalls, dass die Verallgemeinerung von europäischen Werten und Normen und die geoökonomischen wie geopolitischen Interessen der EU, die nicht selten die Kooperation mit autoritären politischen Regimes erforderlich machen, zuweilen im Widerspruch zueinander stehen. Im Rahmen der ENP konnte die EU ihre handels- und wirtschaftspolitischen Interessen bislang weitaus effektiver realisieren als ihre politisch-normativen Ziele. Allerdings stößt auch die ökonomische Liberalisierungs- und Reformagenda an gewisse Grenzen. Die rechtliche und wirtschaftspolitische Annäherung an den EG-Binnenmarkt Acquis ist in den Nachbarstaaten angesichts der beträchtlichen Anpassungskosten keinesfalls durchgängig akzeptiert. Vor allem fehlt ein starker externer Anreizmechanismus, der es den Regierungen in den Nachbarstaaten erlauben würde, die Anpassungskosten mit Blick auf langfristige Vorteile – z.B. in Form einer perspektivischen EU-Mitgliedschaft – in Kauf zu nehmen (vgl. Streb 2008: 51ff). Es wäre sicherlich verfehlt, die vielfältigen Schwierigkeiten und Widerstände bereits als Indiz für ein Scheitern der ENP zu interpretieren. Sie machen jedeswegen ein Hindernis dar, weil durch die Beteiligung von Israel und der palästinensischen Autonomiebehörde der Nahost-Konflikt gleichsam importiert wurde (vgl. Schäfer 2005). 11 Für die verschiedenen Ländergruppen stellen sich die handelspolitischen Beziehungen unterschiedlich dar. Die Assoziierungsabkommen mit den Ländern des südlichen Mittelmeerraumes schließen zum Teil spezifische Handelspräferenzen mit ein. Außerdem soll im Rahmen der EMP bis zum Jahr 2010 eine gemeinsame Freihandelszone errichtet werden. Die PKAs mit den Staaten Osteuropas und des Südkaukasus sehen ebenfalls die – durch infrastrukturpolitische Programme ergänzte – Aushandlung von Freihandelsabkommen vor, offerieren perspektivisch aber auch die Teilnahme am EG-Binnenmarkt und die Beteiligung an der gemeinsamen Verkehrs-, Energie-, Umwelt-, Forschungs-, Kultur- und Bildungspolitik.
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doch darauf aufmerksam, dass die ENP weniger ergebnisorientiert, als vielmehr prozedural angelegt ist. Die nachbarschaftlichen Strategien und Instrumente werden fortwährend differenziert, modifiziert und an die veränderten Kontextbedingungen angepasst. Ein Ausdruck der pragmatisch-realistischen EU-Strategie ist die erneute Entkopplung der östlichen und südlichen ENP-Komponente. Auf der einen Seite wurde unter der deutschen Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2007 die Konzeption einer „neuen Ostpolitik“ der EU präsentiert. Diese umfasst im Kern drei Elemente (vgl. Kempe 2007: 2f): erstens die Entwicklung einer ENP Plus Agenda, die sich auf einige osteuropäische Staaten – die Ukraine, Moldawien und unter Vorbehalt Weißrussland sowie den Südkaukasus – konzentriert und durch eine intensivierte Kooperation und einen effektiveren Mitteleinsatz gekennzeichnet ist; zweitens die Entwicklung einer strategischen Partnerschaft mit Russland; sowie drittens die Formulierung einer Zentralasienstrategie, die durch eine engere wirtschafts- und außenpolitische Kooperation mit dazu beitragen will, die Region sicherheitspolitisch zu stabilisieren und energiepolitisch zu erschließen. Auf der anderen Seite wurde Anfang 2008 – als Ausgleich zur neuen Ostpolitik – auf Initiative Frankreichs das Projekt einer Mittelmeerunion verkündet, das den Barcelona-Prozess weiterentwickelt, d.h. durch die Einrichtung eines gemeinsamen Direktoriums und Sekretariats stärker institutionalisiert. Alles in allem bilden die handels- und wirtschaftspolitischen Instrumente nach wie vor die Grundlage der EU-Nachbarschaftspolitik. Darüber hinaus schenkt die EU geopolitischen Aspekten eine wachsende Aufmerksamkeit. Hierbei handelt es sich um eine Tendenz, die bereits in der Entwicklung der EMP und ENP angelegt war, durch die ESS in den letzten Jahren aber nochmals akzentuiert wurde. Die parallele Entwicklung und die programmatisch nahezu gleichlautenden Zielvorgaben der ESS und ENP machen deutlich, dass die Nachbarschaftspolitik der EU durch geopolitische Überlegungen überformt wird (vgl. Marchetti 2006: 13ff). Die Formulierungen der ENP sind im Vergleich zur ESS zwar stärker durch den Gedanken einer formal gleichberechtigten Kooperation und Partnerschaft geprägt, ansonsten jedoch bedeutungsgleich. So plädiert die ESS dafür, sich mit einem „Ring verantwortungsvoll regierter Staaten“ zu umgeben (vgl. Europäischer Rat 2003: 8), während im ursprünglichen Entwurf der Europäischen Kommission (2003b: 4) für das ENP-Strategiepapier von einem „Ring befreundeter Staaten“ die Rede ist, „mit denen die EU enge, friedliche und kooperative Beziehungen unterhält.“ Durch die Betonung des Kooperations- und Partnerschaftsgedankens und die Verknüpfung von „Stabilität“, „Sicherheit“ und „Wohlstand“ setzt die geopolitische Strategie der EU zweifelsohne einen gewissen Kontrapunkt zur stärker interventionistischen Geopolitik der USA. Mehr noch, es ist ihr ansatzweise sogar gelungen, die US-Regierung davon zu überzeugen, den konfrontativ-interventionistischen Ansatz durch eine größere Konsultations- und Kooperationsbereitschaft gegenüber den Regierungen im Nahen- und Mittleren Osten abzuschwächen (vgl. Fröhlich 2008: 250ff).12 Ob der EU hieraus ein Sympathiebonus erwächst, der sich geopolitisch nutzen lässt, bleibt allerdings ungewiss: zum einen, weil die Strategie der Wohlstandsmehrung durch wirtschaftsliberale Reformprogramme in vie12 Angesichts der Folgeprobleme des Irak-Kriegs hat die US-Regierung versucht, im Jahr 2004 mit der „Greater Middle East“ Initiative – wenig später umbenannt in „Broader Middle East“ – eine umfassender und kooperativer angelegte Gestaltungskonzeption für die Region des Nahen und Mittleren Ostens zu entwickeln. Die Initiative markiert sicherlich einen Wandel des außenpolitischen Stils, bleibt ansonsten jedoch der Vorstellung verhaftet, die Region durch eine Kombination von ökonomischer Modernisierung und militärischer Präsenz – unter Einschluss extern erzwungener Regime-Wechsel – demokratisieren zu können (vgl. Perthes 2004).
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len Ländern – im südlichen Mittelmeerraum wie in der Region des Nahen und Mittleren Ostens – nicht aufgeht und zum Teil sogar gesellschaftliche Abwehrreaktionen hervorruft; und zum anderen, weil die „harten“ geopolitischen Instrumente anderer Staaten – vor allem der USA und Russlands – die Reichweite und Effektivität der EU-Strategie begrenzen und potenziell unterminieren. 6.3.3
„Energiesicherheit“
Das Thema „Energiesicherheit“ ist in den letzten Jahren nach ganz oben auf die europäische Agenda gerückt. Hiervon zeugen nicht nur die Aktivitäten der Europäischen Kommission, die im Jahr 2006 ein Grünbuch für eine europäische Energiestrategie und wenig später einen hierauf bezogenen Aktionsplan vorgelegt hat (vgl. Europäische Kommission 2006b; 2007)13, sondern auch die Reden und Statements von Regierungschefs, Außen- und Wirtschaftsministern sowie führenden EU-Repräsentanten, die allesamt unterstreichen, dass Fragen der Energiesicherheit ein überaus wichtiges Querschnittsthema darstellen. Vor dem Hintergrund der stark gestiegenen Öl- und Gaspreise, der öffentlichen Auseinandersetzungen über die Organisation der Ölproduktion in Venezuela, der Zerschlagung des Yukos-Konzerns und der monopolistischen Position von Gazprom in Russland sowie der wiederholten Gaspreis-Konflikte zwischen Russland und den für die EU wichtigen Transitstaaten Ukraine und Weißrussland wird die energiepolitische Diskussion zuweilen recht aufgeregt geführt. Der reale Kern dieser Aufregung besteht in der bereits sehr hohen und perspektivisch weiter ansteigenden externen Energieabhängigkeit der EU. So geht die Europäische Kommission (2007: 4) davon aus, dass sich „die Abhängigkeit von Gasimporten [...] bis 2030 voraussichtlich von 57% auf 84%“ und „die Abhängigkeit von Ölimporten von 82% auf 93%“ erhöhen wird. Der Grund hierfür besteht weniger in einem weiter steigenden Energieverbrauch als vielmehr in der Erschöpfung der ohnehin recht bescheidenen europäischen Öl- und Gasvorräte (vgl. Bahgat 2006: 963f). Die ausgeprägte Energieabhängigkeit allein ist freilich noch nicht besorgniserregend, schließlich war der Gas- und Ölimport in der Vergangenheit – auch bei steigenden Preisen – nie ernsthaft in Frage gestellt. Angesichts der globalen Verknappung der Energievorräte, der Begrenzung der Fördermengen und potenziell gefährdeter Lieferbeziehungen könnte sich dies perspektivisch jedoch ändern. Die genannten Aspekte deuten darauf hin, dass sich das Problem der „Energiesicherheit“ aus unterschiedlichen Dimensionen zusammensetzt:
Geologische Grenzen: Eine erste Dimension besteht in der prinzipiellen Endlichkeit und zunehmenden Verknappung der fossilen Energieträger. Die genauen Daten über die vorhandenen und förderbaren Öl- und Gasvorräte sind allerdings umstritten (vgl. Zündorf 2008: 71ff; Foster 2008: 18ff). Optimistische Prognosen, wie die der Internationalen Energieagentur (IEA 2006: 85) gehen davon aus, dass bei ausreichenden Investitionen die nachgewiesenen Reserven ausreichen, das derzeitige Niveau der Ölund Gasförderung über mehrere Jahrzehnte aufrecht zu erhalten oder sogar noch deutlich zu steigern. Im Kontrast hierzu sehen Skeptiker in der zögerlichen Investitionsbe-
13 Bereits im Jahr 2000 hatte die Europäische Kommission (2000) ein Grünbuch mit dem Titel „Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit“ vorgelegt, dessen Impulse zunächst jedoch recht bescheiden blieben.
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reitschaft der transnationalen Energiekonzerne bereits ein Indiz dafür, dass der globale Förderhöhepunkt („Peak“) von Erdöl schon recht bald und der von Gas in etwa zwei Jahrzehnten überschritten werden dürfte (vgl. Altvater 2005: 141; Ritz/Wiesmann 2007). Diese Skepsis speist sich nicht nur aus den geologischen Schwierigkeiten, neue Vorräte zu entdecken und zu erschließen, sondern auch aus der rapide steigenden Energienachfrage in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern, allen voran China und Indien. Unzureichende Investitionen: Eine zweite Dimension besteht in den Problemen, die Fördermengen kurz- und mittelfristig auszuweiten, d.h. an die steigende globale Nachfrage anzupassen. Das Verfahren einer kooperativen Regulierung des Energieangebots und Preisniveaus, auf das sich die Produktions- und Verbraucherstaaten – unter Einschluss der transnationalen Energiekonzerne – in Reaktion auf die Ölpreisschocks von 1973 und 1979 verständigt hatten, scheint nicht mehr so recht zu funktionieren. Schließlich sind für eine Ausweitung der Fördermengen vor allem beträchtliche Upstream-Investitionen, d.h. Investitionen in Explorations- und Produktionsanlagen, erforderlich, die nach Einschätzung vieler Experten jedoch nur unzureichend getätigt werden (vgl. IEA 2006: 315ff). Die Gründe hierfür sind unterschiedlich. Zum Teil zögern die Energiekonzerne angesichts der schwierigen Explorations- und Förderbedingungen, sehr kostenintensive und nur mittel- und langfristig rentable Investitionen zu tätigen. Nicht selten wird diese Zurückhaltung durch die unsicheren wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen in einigen Ländern noch verstärkt. Außerdem haben einige ressourcenreiche Länder – z.B. Russland oder Venezuela –, für die die nationale Kontrolle des Energiesektors von zentraler politischer Bedeutung ist, derzeit nur ein geringes Interesse, die Öl- bzw. Gasförderung durch ausländische Direktinvestitionen zu steigern. Lieferausfälle: Eine dritte Problemdimension besteht schließlich darin, dass mit der Verknappung zugleich die Kontrolle über fossile Energieträger macht- und geopolitisch instrumentalisiert werden kann. In den tagespolitischen Diskussionen werden derartige Gefahren häufig überzeichnet (vgl. Goldthau/Geden 2007): Zum einen wird ausgeblendet, dass auch die erdöl- und gasexportierenden Staaten und deren Energiekonzerne an einem geregelten Absatz in den Verbraucherländern angewiesen sind; und zum anderen wird unterschätzt, dass die importierenden Staaten – dies gilt primär für den globalen Ölmarkt – über einige Optionen verfügen, etwaige Lieferboykotte zu umgehen. Aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeit von Produzenten- und Verbraucherstaaten bestehen somit nach wie vor vielfältige Kooperationsanreize. Dennoch werden die energiepolitischen Strategien der Regierungen – wie auch der EU – durch sicherheits- und geopolitische Überlegungen überlagert. Dies ist nicht zuletzt der geographischen Konzentration der globalen Energievorräte geschuldet. So liegen Schätzungen zufolge knapp 70% der Erdöl- und Erdgasreserven in der sog. „strategischen Ellipse“, die von Westsibirien, über die kaspische Region bis hin zur arabischen Halbinsel reicht (vgl. Westphal 2006: 48f; Bothe/Seeliger 2006: 4). Darüber hinaus weisen insbesondere die Gasmärkte aufgrund ihrer leitungsgebundenen Lieferstruktu-
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6 Die Europäische Union: vom Handelsblock zum Globalisierungsakteur ren14 einen ausgeprägten regionalen Charakter auf, was es für die Verbraucherländer sehr schwierig macht, ihre externe Energieabhängigkeit per Diversifizierung zu reduzieren.
Für die Europäische Union sind die hier skizzierten Probleme der „Energiesicherheit“ keineswegs neu (vgl. Europäische Kommission 2000). Doch erst in den letzten Jahren lassen sich allmählich die Umrisse einer gemeinsamen Energiestrategie identifizieren. Der im Frühjahr 2007 verabschiedete Aktionsplan (vgl. Europäische Kommission 2007) setzt dabei erstens auf die Weiterentwicklung des Energiebinnenmarktes, d.h. die Liberalisierung und infrastrukturelle Vernetzung der nationalen Strom- und Gasmärkte; zweitens auf eine größere Energieeffizienz und die Förderung erneuerbarer Energien; sowie drittens auf ein Bündel von Maßnahmen, um die europäische Energieversorgungssicherheit zu verbessern. Der zuletzt genannte Aspekt der Energiesicherheit untergliedert sich wiederum in zwei Handlungsfelder15, denen in der EU-Gesamtstrategie jeweils eine unterschiedlich große Bedeutung beigemessen wird. Oberste Priorität haben zunächst die Anstrengungen, die mittel- und langfristigen Kooperations- und Lieferbeziehungen mit den Gas- und Ölförderländern durch ein stabiles vertragliches Rahmenwerk abzusichern. Im Prinzip ist ein solcher Rechtsrahmen bereits vorhanden. Schließlich hatte die EU schon in den 1990er Jahren die Initiative ergriffen, eine Europäische Energiecharta auszuhandeln, die zugleich die Grundlage für den Energiecharta Vertrag (ECV) bildete, der im Dezember 1994 von etwa 50 Staaten – darunter die EU und ihre Mitgliedstaaten, die mittel- und osteuropäischen Transitländer, die ehemaligen Republiken der Sowjetunion sowie Japan, Australien, Norwegen, die Türkei und die Schweiz – unterzeichnet wurde (vgl. Westphal 2006: 53f). Der Vertrag umfasst Bestimmungen zu Fragen des Investitionsschutzes, zum Handel mit Energieträgern (Öl- und Gas) und Energieerzeugnissen, zu den Transitkonditionen sowie – im Fall von Konflikten – ein internationales Streitbeilegungsverfahren. Obwohl der ECV bereits im April 1998 in Kraft getreten ist, bleibt seine Wirkung angesichts der fehlenden Verbindlichkeit für einige Staaten bislang allerdings begrenzt. So haben die USA und Kanada den Vertrag nicht unterzeichnet; China und Saudi-Arabien begnügen sich mit einer Beobachterrolle; und Norwegen, Australien, Island, Weißrussland und Russland haben den ECV zwar unterzeichnet, nachfolgend jedoch nicht ratifiziert. Die Gründe für diese Nichtteilnahme bzw. Nicht-Ratifizierung sind unterschiedlich. Russland, der für die EU bedeutendste Öl- und Gaslieferant, hat die Ratifizierung vor allem deswegen verweigert, weil durch den ECV der russischen Nuklearindustrie der Zugang zum europäischen Markt verwehrt wird und die multilateralen Transitbestimmungen des Vertrags an den EU-Außengrenzen enden, indessen nichtrussische Produzenten den Zugang zur Pipeline-Struktur von Gazprom beanspruchen könnten (vgl. Goldthau/Geden 2007: 67f). Da die EU bislang kein Entgegenkommen signalisiert, werden von Russland 14
Grundsätzlich ist es technologisch inzwischen zwar möglich, durch die Umwandlung in komprimiertes Flüssiggas den Transport auch per Schiff zu organisieren. Da dieses Verfahren sehr aufwendig und kostenintensiv ist, wird hiervon bislang aber kaum Gebrauch gemacht. 15 Ein drittes Handlungsfeld, der solidarische Beistand der EU-Staaten im Fall von Versorgungsengpässen, soll hier nicht weiter betrachtet werden. In diesem Handlungsfeld geht es um den Aufbau strategischer Reserven, also eine verbesserte Vorratshaltung, den weiteren Ausbau grenzüberschreitender Infrastrukturnetze sowie wechselseitige Beistandsgarantien.
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vorerst nur einige Teile des ECV provisorisch angewendet. Angesicht der konträren Interessenlagen ist nicht absehbar, dass diese festgefahrene Konstellation schon bald überwunden wird. So hat auch der EU-Russland-Energiedialog, der bereits im Jahr 2000 eingerichtet worden war, bisher kaum verbindliche Resultate hervorgebracht (vgl. Westphal 2006: 56); und selbst, wenn es gelingen sollte, in das neu auszuhandelnde Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) energiepolitische Aspekte zu integrieren, dürfte deren Geltungskraft und Verbindlichkeit deutlich hinter den Bestimmungen des ECV zurückbleiben. Die Weiterentwicklung der energiepolitischen Arrangements mit Russland sind für die EU – ungeachtet aller Schwierigkeiten – sicherlich von zentraler Bedeutung. Darüber hinaus hat sie sich seit einiger Zeit aber auch verstärkt darum bemüht, die energiepolitische Kooperation mit den Staaten anderer ressourcenreicher Regionen zu intensivieren. Die Aufmerksamkeit richtet sich dabei erstens auf die kaspischen und zentralasiatischen Staaten (vgl. Bahgat 2006: 970ff), mit denen bereits 1995 durch die Institutionalisierung von Interstate Oil and Gas Transport to Europe (INOGATE) ein Kooperationsrahmen geschaffen wurde, der in etwa dem EU-Russland-Energiedialog entspricht.16 Zweitens hat die EU ihre Beziehungen zu Algerien, dem nach Russland zweitgrößten Gaslieferanten, weiterentwickelt und im Juli 2007 die vertraglichen Beschränkungen, die für die südeuropäischen Länder den Weiterverkauf von Gas unattraktiv machten, aufheben können. Und drittens ist der Energiedialog mit dem Golfkooperationsrat (GKR) – Bahrain, Kuwait, Oman, Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate – durch den Abschluss bilateraler Kooperationsabkommen und die perspektivische Realisierung eines Freihandelsabkommens deutlich gestärkt worden. Der Ausbau des Systems der Energiedialoge und -partnerschaften weist zugleich auf ein zweites zentrales Handlungsfeld der Energiesicherheit hin: die regionale Diversifizierung der externen Energieversorgung. Angesichts der geographischen Konzentration der Energievorräte ist dies jedoch ein sehr schwieriges Unterfangen. Insbesondere die regionale Begrenzung der Gasmärkte und die eher langfristige Realisierung von Pipeline-Projekten schränken die Handlungsoptionen der EU deutlich ein. Mit Algerien konnten zwar verbesserte vertragliche Konditionen ausgehandelt und der Bau einer neuen Pipeline vereinbart werden. Gleichwohl ändert dies grundsätzlich nichts daran, dass die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen weiter ansteigen wird. Mehr noch, der russischen Regierung und Gazprom ist es bisher recht erfolgreich gelungen, das Leitungsmonopol zu behaupten, dieses durch den Aufkauf von Pipelines in Nachbarstaaten sogar noch auszuweiten und die Diversifizierungspläne der EU zu durchkreuzen. Dies zeigen nicht zuletzt die Schwierigkeiten, die Nabucco-Pipeline zu realisieren, die von vielen als das wichtigste Energieprojekt Europas betrachtet wird. Konkret handelt es sich bei dem Nabucco-Projekt um eine 3.300 km lange Pipeline von Aserbaidschan bis nach Österreich, die bis zum Jahr 2013 fertig gestellt sein soll, um kaspisches Gas jenseits russischer Kontrollmöglichkeiten direkt in die EU zu leiten. Obwohl dieses Vorhaben von der EU und ihren Mitgliedstaaten wie auch von den USA massiv unterstützt wird, scheint 16 Den Kern der Kooperation bildet ein Rahmenvertrag, der durch westliche Investitionen die Förderung und den Transport der zentralasiatischen Öl- und Gasvorräte unterstützen soll. Die Kooperation wird allerdings dadurch blockiert, dass die Kontrolle über die Energievorräte, die unter dem kaspischen Meer lagern, zwischen den Anrainerstaaten nach wie vor umstritten ist. Darüber hinaus kann das kaspische Gas bislang nur durch russische Pipelines nach Europa geleitet werden.
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seine Realisierung inzwischen sehr ungewiss (vgl. Wagner 2007: 12f): Nachdem Gazprom Anteile an MOL, dem ungarischen Mitglied im Nabucco-Konsortium, erworben und der ungarischen und türkischen Regierung verbilligte Gaslieferungen angeboten hatte, stand zunächst die Beteiligung von zwei wichtigen Transitländern zur Disposition. Anschließend vereinbarte die russische mit der turkmenischen und kasachischen Regierung den Bau einer neuen Pipeline entlang des kaspischen Meeres, wodurch der Zugriff auf die Gasreserven der zentralasiatischen Region deutlich eingeschränkt wird.17 Darüber hinaus konkretisieren sich die Planungen für das russische Konkurrenzprojekt der Southstream-Pipeline, die von Russland über den Grund des Schwarzen Meeres verlaufen soll und sich in Bulgarien in eine nach Italien führende südwestliche sowie eine nördliche Leitung über Ungarn verzweigt. Letztlich verdeutlichen die Konflikte über den Verlauf und die Kontrolle der Pipelines, dass sich mit der geopolitischen Aufladung von Energiefragen das machtpolitische Gewicht tendenziell zu den Produzentenstaaten verschiebt. Diese bleiben bei der Öl- und Gasförderung und dem Ausbau der Versorgungsnetzwerke zwar nach wie vor auf die Investitionen und das technologische Know How von US-amerikanischen und europäischen Energiekonzernen angewiesen, bemühen sich zugleich jedoch verstärkt darum, den externen Zugriff auf die verfügbaren Ressourcen politisch zu kontrollieren. Im Prinzip stellte die konzertierte Aktion der Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) in den 1970er Jahren, d.h. die Drosselung der Ölförderung und die Erhöhung der Preise, bereits einen ersten Versuch dar, den eigenen Ressourcenreichtum ökonomisch und machtpolitisch zu nutzen (vgl. Zündorf 2008: 258ff).18 Für Westeuropa war der Preiseffekt durch den Fall des US-Dollars, d.h. der Währung, in der das Öl fakturiert wurde, zwar gedämpft worden. Dennoch verständigte sich eine Gruppe führender OECD-Staaten bereits während der ersten Ölkrise darauf, mit der Internationalen Energieagentur (IEA) ein Konsumentenkartel zu bilden, um sich im Fall von Versorgungsengpässen untereinander zu koordinieren. Durch die Erschließung alternativer Energiequellen, eine verbesserte Energieeffizienz und die weltwirtschaftlichen Rezessionen Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre konnte der globale Ölverbrauch vorübergehend reduziert und – gestützt auf die Vermarktlichung der Energiebeziehungen (vgl. Zündorf 2008: 261ff) – die Kontrollmacht der OPEC begrenzt werden. Inzwischen hat sich die Situation jedoch wieder deutlich gewandelt (vgl. Geden et al. 2007: 6f). Die OPEC scheint ihre Krisen- und Schwächeperiode der 1980er und 1990er Jahre überwunden zu haben. Sie profitiert strukturell davon, dass in den OPEC-Staaten etwa drei Viertel der weltweiten Ölreserven lagern und mit der Zunahme des globalen Ölverbrauchs – bedingt durch den Aufholprozess einiger großer Schwellenländer wie China und Indien – die Preise ansteigen. Da die Mehrzahl der Schwellenländer nicht in der IEA organisiert ist, sind Absprachen zwischen den Verbraucherstaaten nur schwer zu reali17
Der hierauf von OMV, dem österreichischen Vertreter im Nabucco-Konsortium, eingebrachte Vorschlag, die Leitung bis zum Iran zu verlängern, provozierte heftige Abwehrreaktionen der USA. 18 Zunächst war dieser Prozess von einigen großen westlichen, vornehmlich US-amerikanischen und britischen Ölfirmen mit initiiert und von der US-Regierung, da die USA weniger als Japan und Westeuropa auf arabische Öllieferungen angewiesen war, toleriert worden (vgl. van der Pijl 2006: 117ff). Dies änderte sich freilich, nachdem im Kontext des Jom-Kippur-Krieges, in dem Israel durch US-amerikanische Waffenlieferungen unterstützt worden war, einige arabische Staaten ein Ölembargo gegen die USA, die Niederlande sowie Portugal, Südafrika und Rhodesien verhängten.
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sieren. Mehr noch, die chinesische Strategie, sich durch langfristige Kontrakte mit einigen ölreichen Staaten exklusive Förder- und Lieferrechte für chinesische Firmen zu sichern (vgl. Steinhilber 2006b), steht offenkundig im Gegensatz zu den Energiesicherungsinteressen der OECD-Staaten. Schließlich verliert für einzelne OPEC-Staaten und andere Ölförderländer die Kooperation mit US-amerikanischen und westeuropäischen Energiekonzernen hierdurch an Bedeutung. Zudem sind nicht wenige Länder – wie z.B. Venezuela, Bolivien, Nigeria, Dubai oder Russland – bemüht, die nationale Souveränität und Kontrolle über die Förderung und die Verteilung von Erdöl und Gas durch Renationalisierungsmaßnahmen zurückzugewinnen (vgl. Altvater/Mahnkopf 2007: 197).19 Ob dieser Trend zum „Energie-Nationalismus“ anhält, lässt sich nur schwer prognostizieren. Er signalisiert jedoch, dass die Energiesicherheitsstrategie der EU, die vor allem auf – in einen multilateralen Vertragsrahmen eingebettete – langfristige Vertragsbeziehungen und eine Diversifizierung der Lieferbeziehungen setzt, an klare Grenzen stößt. Diese Grenzen ergeben sich freilich nicht nur aus den geopolitischen Strategien der Energielieferanten – allen voran Russland – und konkurrierender Verbraucherstaaten wie den USA und China, sondern auch aus der nur schwachen Vergemeinschaftung der europäischen Energieaußenpolitik (van der Linde 2007). Bisher kann die Europäische Kommission nur die allgemeinen rechtlichen Rahmenbedingungen für europäische Energieimporte gestalten, indessen die Planung und Durchführung konkreter Kontrakte und Projekte nahezu uneingeschränkt den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Die Pipeline-Diplomatie hat sehr deutlich vor Augen geführt, dass diese Kompetenzaufteilung den Energieexporteuren – insbesondere Gazprom und der russischen Regierung – die Gelegenheit bietet, eine geschlossene EUPosition zu unterminieren. So hatte bereits die deutsche Regierung bei der Ostsee-Pipeline darauf verzichtet, sich mit den anderen EU-Mitgliedstaaten abzustimmen; und im Fall der Nabucco-Pipeline unterstützen die Regierungen Italiens, Bulgariens und Ungarns das Konkurrenzprojekt der Southstream-Pipeline. Noch ist nicht erkennbar, wie die doppelte – extern wie intern bedingte – Begrenzung der EU-Energieaußenpolitik politisch bearbeitet wird. Mit Blick auf potenzielle regionale geopolitische Krisen wie Terroranschläge, kriegerische Auseinandersetzungen und politische Lieferkonflikte, die kurzfristig die Energieversorgung beeinträchtigen könnten, waren vor einiger Zeit zwei Konzepte in die Diskussion eingebracht worden (vgl. Geden et al. 2007: 4f): Die Konzeption einer sog. „Energie-NATO“, für die sich die polnische Regierung von Lech Kaczynski ausgesprochen hatte, sah vor, ein System der Energiesicherheit zu etablieren, das sich an den Prinzipien der kollektiven Verteidigung orientiert. Hierzu sollten politische Lieferverpflichtungen und eine gemeinsame Pipeline-Planung gehören, ebenso aber auch der Ausbau der infrastrukturellen Versorgungswege und ein System der Vorratshaltung. Im Kern handelte es sich hierbei um einen gegen Russland gerichteten Vorschlag, da der „Energie-NATO“ nur die Mitgliedstaaten der EU und der Nato angehören sollten. Das von der deutschen Regierung daraufhin in die Diskussion eingebrachte Konzept einer „Energie-KSZE“ zielte hingegen darauf, den Ausschluss Russlands zu verhindern. Stattdessen sollten die Mechanismen einer dialogorientierten Vertrauensbildung zwischen den Förder-, Transit- und Verbraucherländern unter Einschluss der Energiekonzerne gestärkt werden. 19
In einigen anderen Staaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien sind US-amerikanische und westeuropäische Energiekonzerne ohnehin kaum präsent.
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In der nachfolgenden Diskussion wurde recht schnell klar, dass das Konzept der „Energie-NATO“ ungeeignet ist, um der geopolitischen Kontrollmacht und dem EnergieNationalismus der Gas- und Ölförderländer wirksam entgegentreten zu können. Aber auch das Konzept der „Energie-KSZE“ stieß nur auf geringen Widerhall, da hierdurch nur Parallelstrukturen zum Internationalen Energie Forum (IEF) und zum Energiecharta-Vertrag (ECV) geschaffen würden. Für die unmittelbare politische Praxis blieben beide Vorschläge demzufolge bedeutungslos. Politisch-diskursiv trugen sie jedoch mit dazu bei, den Prozess einer zunehmenden Versicherheitlichung der europäischen Energieaußenpolitik zu stärken. Dieser Prozess ist bereits seit längerem beobachtbar. So werden nicht nur in der USamerikanischen Strategie-Debatte (vgl. Foster 2008), sondern auch in offiziellen EUDokumenten wie z.B. der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) die Themen der Energie- und Sicherheitspolitik zum Teil explizit verknüpft; zudem ist auch die militärische Stützpunkt- und Interventionspolitik der NATO und USA nicht unwesentlich durch energiepolitische Überlegungen bestimmt (vgl. Gowan 2002). Auch für die EU scheint der Einsatz von militärischen Mitteln, um in Krisensituationen – z.B. im Falle terroristischer Anschläge – die Transportwege zu sichern, keineswegs ausgeschlossen zu sein. Bislang konzentrieren sich ihre Aktivitäten allerdings primär darauf, durch die „weichen“ geopolitischen Instrumente der Energiedialoge und Vertragsabsprachen kalkulierbare externe Rahmenbedingungen zu schaffen.
6.4 Grenzen und Widersprüche der europäischen Hegemonialstrategie Die skizzierten Krisen- und Konfliktfelder verdeutlichen zweierlei: Sie weisen zum einen darauf hin, dass in der europäischen Globalisierungspolitik geoökonomische durch geopolitische Strategieelemente zunehmend ergänzt und überlagert werden; zum anderen zeigen sie aber auch, dass die Möglichkeiten der EU, das regionale und globale Umfeld zu gestalten, nach wie vor begrenzt sind. Beide Befunde unterstreichen, dass die europäische Globalisierungs- und Weltordnungspolitik ihrem programmatischen Anspruch nach zwar hegemonial ist, in der Praxis zugleich aber vielfältige – interne wie externe – Schwierigkeiten erkennbar sind, diesen Anspruch zu realisieren. Der hegemoniale Gestaltungsanspruch der EU setzt sich aus mehreren Programmelementen zusammen. Im Zentrum steht das Bestreben, die Liberalisierung der Märkte und die Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen voranzutreiben, um ökonomische Wachstums-, Innovations- und Wohlfahrtseffekte zu fördern. Mit Verweis auf die einschlägigen Schlüsseldokumente der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates gelangen Jürgen Gerhards und Philipp Hessel (2008: 9f) zu dem Ergebnis: „Die EU verfolgt mit ihren Wirtschaftsvorstellungen vor allem ein zentrales ‚Megaziel’. Sie möchte Wachstum, Fortschritt und Prosperität für alle Bürger der Mitgliedsländer, dann aber auch für alle Weltbürger erzeugen. Dieses Ziel sieht die EU am besten erreichbar, wenn Wettbewerb, Marktbedingungen und die Liberalisierung wettbewerbsbehindernder Reglementierungen institutionalisiert werden. Dabei transportiert sie ihre Vorstellungen und Erfahrungen, die im Kontext der Herstellung eines europäischen Wirtschaftsraumes entwickelt wurden, auf die Weltgesellschaft insgesamt.“
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Die Globalisierungskonzeption der EU ist im Kern marktliberal, wird aber durch eine Reihe flankierender Programmelemente ergänzt. Hierzu zählen unter anderem die Unterstützung globaler Umwelt- und Sozialstandards sowie die Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Die EU tritt in diesem Sinne – vor allem in der Entwicklungs- und Nachbarschaftspolitik – für ein relativ umfassendes Verständnis von „good governance“ ein. Der Art. 21 des EU-Reformvertrags stellt in diesem Sinne heraus: „Die Union lässt sich bei ihrem Handeln auf internationaler Ebene von den Grundsätzen leiten, die für ihre eigene Entstehung, Entwicklung und Erweiterung maßgebend waren und denen sie auch weltweit zu stärkerer Geltung verhelfen will: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die universelle Gültigkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Achtung der Menschenwürde, der Grundsatz der Gleichheit und der Grundsatz der Solidarität sowie die Achtung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts.“
Die Verallgemeinerung dieser normativen Prinzipien stützt sich auf verschiedene Diffusionsmechanismen: unter anderem auf den Modell-Charakter und die Ausstrahlung der EU als regionales Integrationsprojekt; auf die unterschiedlichen Formen der bilateralen oder interregionalen Kooperation; und nicht zuletzt auf die rechtliche Fixierung normativer Verhaltensstandards in internationalen Vertragswerken und Institutionen. Mit anderen Worten, die europäische Hegemonialstrategie besteht vornehmlich darin, über kooperativ ausgehandelte internationale Institutionalisierungs- und Verrechtlichungsprozesse die globale Liberalisierungs- und „good governance“-Agenda zu konstitutionalisieren und durch eine möglichst breite Zustimmung anderer Staaten und Gesellschaften legitimatorisch abzusichern. EU-intern wird diese Strategie grundsätzlich befürwortet. So haben nicht nur die forcierte ökonomische Integration, sondern auch neue politische Instrumente, gestraffte institutionelle Entscheidungsverfahren und strategische Diskurse – etwa über die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, die Vorteile der Globalisierung oder die Stabilisierung des externen Umfelds – mit dazu beigetragen, die externe Gestaltungsmacht der EU zu stärken. Zugleich stellt sich diese Gestaltungsmacht in zentralen Handlungsfeldern allerdings nach wie vor sehr unterschiedlich dar:
Im Bereich der Handelspolitik hat sich im Zuge der Integration und Globalisierung der europäischen Ökonomie sowie der Vergemeinschaftung politischer Kompetenzen ein relativ effektiv organisierter europäischer Staats-Zivilgesellschafts-Komplex herausgebildet. Dieser verfolgt – abgesehen vom Agrar- und Textilsektor – inzwischen eine offensive Liberalisierungsstrategie. Die Aktivitäten der EU entfalten sich dabei vornehmlich im multilateralen Rahmen der WTO. Sie reichen aber auch insofern darüber hinaus, als durch den Abschluss bilateraler und interregionaler Handels- und Investitionsabkommen eine WTO-plus Agenda realisiert werden soll. Die europäische Liberalisierungsstrategie ist demzufolge operativ sehr flexibel angelegt und wird – ungeachtet fortbestehender internationaler Widerstände und Blockaden – relativ zielstrebig vorangetrieben. Im Unterschied hierzu ist das strategische Profil der EU in den internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen schwächer konturiert. Durch die WWU, die Finanzmarktintegration und den Prozess der politisch-institutionellen Vergemeinschaftung sind in diesem Bereich zwar ebenfalls Elemente eines europäischen Staats-Zivil-
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6 Die Europäische Union: vom Handelsblock zum Globalisierungsakteur gesellschafts-Komplexes entstanden; und auch das währungs- und finanzmarktpolitische Gewicht, d.h. die systemische Macht der EU, ist keineswegs zu unterschätzen. Letztlich bleiben die politisch-strategischen Aktivitäten der EU jedoch widersprüchlich und begrenzt. Sie bleiben widersprüchlich, weil die EU vornehmlich darauf setzt, durch die interne Liberalisierung und Integration der Finanzmärkte, die Modernisierung der Wirtschafts- und Sozialsysteme zu fördern und die europäische Position in der internationalen Währungskonkurrenz zu stärken, dieses Ziel durch die finanzmarktinduzierte Beeinträchtigung der sozialen Produktionsbeziehungen jedoch praktisch unterläuft; und sie bleiben begrenzt, weil die EU selbst in der globalen Wirtschafts- und Finanzmarktkrise in erster Linie Fragen der Finanzmarktregulation – strengere Regeln und eine verbesserte Finanzaufsicht – thematisiert und sich allenfalls auf ein geld- und finanzmarktpolitisches ad hoc Krisenmanagement einlässt, nicht aber bereit ist, durch ein globales wirtschafts- und währungspolitisches Management die weltökonomischen Ungleichgewichte zu korrigieren. Sofern mit Blick auf die internationalen Koordinations-Foren, Netzwerke und Organisationen ein eigenständiger europäischer Gestaltungsansatz zu erkennen ist, weist dieser bislang nicht über die Spielregeln des von den USA dominierten Dollar Wall Street Regimes (DWSR) hinaus. Noch ausgeprägter ist die US-amerikanische Dominanz in der Außen- und Sicherheitspolitik. Doch auch in diesem Bereich hat sich die europäische Kooperation und Integration seit den 1990er Jahren intensiviert. Die interaktive Einbettung der Außenund Sicherheitspolitik in die sozialen Produktionsbeziehungen und die Zivilgesellschaft vermittelt sich dabei über ein Netzwerk der Politisch-Militärisch-Industriellen Kooperation (NPMIK), dessen Operationsweise durch Keimformen einer supranationalen Staatlichkeit – die Europäische Kommission, den Hohen Repräsentanten für die Außen- und Sicherheitspolitik und diverse Koordinations- und Beratungsgremien – strukturiert wird. Durch die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) und andere, auf spezifische Regionen oder Gegenstandsbereiche konzentrierte Positionspapiere wird in der EU zudem eine „strategische Kultur“ gefördert. Die politischen Instrumente einer operativen Umsetzung der strategischen Leitvorgaben sind allerdings nur schwach entwickelt. Obwohl die transatlantischen Spannungen nach dem Ende des Kalten Krieges angewachsen sind, vollzieht sich die Entwicklung der GASP und ESVP daher nach wie vor innerhalb des asymmetrisch strukturierten, d.h. von den USA weitgehend kontrollierten, Kooperationsrahmens der NATO.
Die europäische Hegemonialstrategie wird durch die globale Vormachtrolle der USA – insbesondere in den Bereichen der Währungs-, Finanzmarkt- und Sicherheitspolitik – einerseits ermöglicht und unterstützt, andererseits aber auch zugleich begrenzt. Die Unterstützung basiert auf der engen wirtschaftlichen Verflechtung und (sicherheits-)politischen Kooperation zwischen der EU und den USA (vgl. Hamilton/Quinlan 2005; Varwick 2005), was impliziert, dass sich die strategischen Prioritäten – die Marktöffnung anderer Wirtschaftsräume, die politische Stabilisierung von Krisen- und Konfliktregionen, die Bekämpfung des internationalen Terrorismus oder die Sicherung der Energieversorgung – vielfach überlappen und ergänzen. Zugleich wird die europäische Hegemonialstrategie durch die USA aber auch insofern begrenzt, als diese noch immer primär die globalen Spielregeln in der Währungs-, Finanzmarkt-, Handels- und Sicherheitspolitik definieren.
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Im Unterschied zu den Nachkriegsjahrzehnten, in denen die USA im Kontext des Kalten Krieges gegenüber Westeuropa einen kooperativ-konsensualen Führungsstil praktizierten, mehren sich seit einiger Zeit die transatlantischen Spannungen (vgl. Müller 2004; Noetzel/Schreer 2009). Dies liegt zum Teil daran, dass die Liberalisierung und Regulierung der Weltwirtschaft durch die EU inzwischen offensiver mitgestaltet wird und sich die Konkurrenz um Absatzmärkte, Investitionsräume und geoökonomische wie geopolitische Einflusssphären verschärft hat. Zum Teil nehmen die Spannungen aber auch deswegen zu, weil die USA und die EU unterschiedliche globale Kontrollstrategien präferieren. Während die USA dazu neigen, durch eine unilaterale Politik der gewaltsam-militärischen Machtdemonstration die tradierten Hierarchien in der internationalen Politik fortzuschreiben, setzt die EU eher darauf, durch multilaterale und rechtsverbindliche – und allenfalls im „Notfall“ militärisch erzwungene – Kooperationsmuster, den Konsens der Beherrschten zu organisieren. Nicht selten wird die Vermutung geäußert, dass genau diese Strategie einer rechtsbasierten – Konsens oder zumindest Akzeptanz generierenden – Hegemonialpolitik den Anforderungen der globalisierten Weltordnung eher entspricht als die unilateral und interventionistisch orientierte Übermachtstrategie der USA (vgl. Leonard 2005; Schnabel 2005; McCormick 2007). Sie scheint weniger legitimationsverzehrend und kostenintensiv zu sein, läuft also nicht so leicht Gefahr, sich imperial zu übernehmen. Diese Einschätzung mag grundsätzlich zutreffen. Wie die oben skizzierten Krisenund Konfliktfelder europäischer Globalisierungspolitik verdeutlichen, bleibt die Hegemonialstrategie der EU jedoch doppelt begrenzt. Die eine Grenze besteht in darin, dass europäische Interessen machtpolitisch oft nicht durchsetzbar sind, da eine einheitliche EUPosition und effektive außenpolitische Instrumente durch fortbestehende Konflikte zwischen den Mitgliedstaaten verhindert werden. Durch weitere Vergemeinschaftungsschritte lässt sich diese Grenze zumindest partiell überwinden. Im Fall der anderen Grenze, der beschränkten hegemonialen Ausstrahlungsfähigkeit und Verallgemeinerbarkeit des europäischen Entwicklungsmodells, stellt sich die Situation hingegen komplizierter dar. Diese Grenze ergibt sich vor allem daraus, dass die von der EU propagierten Normen und geförderten Transformationsdynamiken in anderen Weltregionen – und deren staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren – zum Teil sehr kritisch bis abwehrend betrachtet werden. Dies gilt nicht nur für einige Großmächte wie Russland oder China, sondern auch für viele arabische Länder und eine ganze Reihe von Staaten in Asien und Afrika. Nicht selten sind die dortigen wirtschaftlichen Strukturen, politischen Institutionen und die gesellschaftlichen Organisationsmuster durch Prinzipien und Ideale geprägt, die sich mit den Normen und Leitbildern der EU nur schwer in Einklang bringen lassen. Hiermit ist nicht gesagt, dass die EU durch die Förderung von wirtschaftlicher Liberalisierung und „good governance“ keine Wirkung erzielt. Sie provoziert jedoch in dem Maße, wie hierdurch die Prinzipien der nationalen Souveränität und ökonomischen Entwicklung beeinträchtigt werden, auch gesellschaftliche Gegenreaktionen, die die eigenen Zielsetzungen unterlaufen. In der politischen Bearbeitung dieser doppelten Grenze der europäischen Hegemonialstrategie konzentriert sich die EU darauf, die institutionellen Entscheidungsverfahren zu straffen und zusätzliche Ressourcen und Instrumente zu entwickeln, um die eigene machtpolitische Durchsetzungsfähigkeit zu steigern. Dies hat zur Folge, dass die Prozesse der geoökonomischen Globalisierung nicht nur durch Formen einer „weichen“, sondern auch durch Formen einer „harten“ Geopolitik flankiert werden. Durch die sicherheitspolitische Kooperation mit den USA wird die europäische Globalisierungs- und Weltordnungspolitik
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bereits jetzt schon ansatzweise imperialistisch akzentuiert. Mit Blick auf einige der externen Krisen- und Konfliktfelder – insbesondere die Probleme der Energiesicherheit – könnte diese Tendenz perspektivisch an Bedeutung gewinnen. Dies gilt zumindest dann, wenn die im öffentlichen Diskurs bislang nur sporadisch vertretene Position der „neuen Imperialisten“ handlungsanleitend wird. Besonders deutlich macht dies die Zukunftsvision von Alan Posener (2007: 223f): „Europa muss sich seiner imperialen Ordnungsfunktion stellen, ob es das will oder nicht. [...] So darf man hoffen, dass wir Europäer die kleinmütige Angst vor Entgrenzung verlieren und Europa als Abenteuer begreifen und begrüßen; dass wir erkennen, dass wir Teil des Westens sind, den kulturellen Relativismus überwinden und die Universalität der Menschenrechte und der Aufklärung begreifen; dass wir nationale Egoismen überwinden, um durch Schaffung eines wirklich freien Marktes vom Schwarzen Meer bis zum Atlantik das Potenzial des Kontinents voll zu entfalten und durch Schaffung gemeinsamer Streitkräfte Europas Rohstoffreserven und Menschen vor dem Zugriff seiner imperialen Rivalen und chaotischer Glaubenskrieger sichern; und dass wir möglichst viele Regionen in die Sphäre demokratischer Zivilisation einbeziehen, die Europa als Imperium der Zukunft verkörpert. Europamüdigkeit war gestern. Asabiya20 ist heute. Recht verstanden könnte die imperiale Aufgabe als Verjüngungskur für den alten Kontinent wirken.“
Derartige Überlegungen tragen sicherlich mit dazu bei, das Selbstverständnis der EU als hegemoniale Ordnungsmacht diskursiv zu untergraben. Doch selbst, wenn der imperialistische Diskurs abgewehrt wird, bleibt der hegemoniale Anspruch der EU fragil. Mittel- und langfristig wird er sich vermutlich nur dann aufrecht erhalten lassen, wenn die EU einerseits ihr eigenes Entwicklungsmodell unter ökonomischen, sozialen und ökologischen Gesichtspunkten so transformiert, dass es sich global verallgemeinern lässt; und wenn sie sich andererseits zugleich für einen internationalen Handlungsrahmen – Institutionen, Regeln und Verfahren – einsetzt, der diesen Verallgemeinerungsprozess ermöglicht, nicht aber erzwingt.
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Das arabische Wort „Asabiya“ lässt sich am besten mit „Bindung“ oder „Zusammengehörigkeitsgefühl“ übersetzen. Posener bezieht sich dabei auf die Überlegungen des arabischen Universalhistorikers Abd al-Rahman Ibn Khaldun (1332-1406), in dessen Studien das Zusammengehörigkeits- oder Gemeinschaftsgefühl als eine wichtige Ressource in kriegerischen Auseinandersetzungen analysiert wurde.
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8 Abkürzungen
ACEMA ADIs ASD AKP AmCham EU AMUE ANZUS AoA APEC ASD ASEAN BAC BIP BITs BIZ BRIC BSC CAG CBI CDM CEA CEBS CEIPOS CENTO CEPS CER CESR CIA CIAA CIVCOM CoCom COPA COGECA CPN CSD CSI CUFTA
European Association of Aerospace Industries Ausländische Direktinvestitionen AeroSpace and Defence Industries Association of Europe Afrikanische, Karibische und Pazifische Staatengruppe EU Committee der American Chamber of Commerce Association for the Monetary Union of Europe Australia, New Zealand, United States Agreement on Agriculture Asia Pacific Economic Cooperation AeroSpace and Defence Industries Association Association of Southeast Asian Nations Banking Advisory Committees Bruttoinlandsprodukt Bilateral Investment Treaties Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Brasilien, Russland, Indien und China Banking Supervision Committee Competitiveness Advisory Group Confederation of British Industry Capabilities Development Mechanism Comité Européen des Assurances Committee of European Banking Supervisors Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors Central Treaty Organization Centre for European Policy Studies Centre for European Reform Committee of European Securities Regulators Central Intelligence Agency Confederation of Food and Drink Industries of the EU Committee for Civilian Aspects of Crisis Management Coordinating Committee on Multilateral Export Controls Committee of Professional Agricultural Organisations in the European Union General Confederation of Agricultural Co-operatives in the European Union Conflict Prevention Network Civil Society Dialogue Coalition of Services Industries Canada-US Free Trade Agreement
8 Abkürzungen DDA DWSR EAIC EASDAQ EBA EBC ECA ECAP ECFR ECOFIN ECOWAS EDIG EEA EEF EEG EFRP EFTA EG EGKS EIB EIOPC EMP EN.CPS ENP ENPI EP EPAs EPC EPLO EPZ ERFS ERT ESBG ESC ESF ESM ESN ESRAB ESS ESVP ESZB ETNO EU EuGH EU-ISS EUMC
281 Doha Development Agenda Dollar-Wall Street Regime European-American Industrial Council European Association of Security Dealers Automated Quotation Everything But Arms European Banking Committee Economic Cooperation Administration European Capabilities Action Plan European Council on Foreign Relations Economic and Financial Council Economic Community of West African States European Defence Industries Group Einheitliche Europäische Akte Europäischer Entwicklungsfonds European Enterprise Group European Federation for Retirement Provision European Free Trade Association Europäische Gemeinschaft Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäische Investitionsbank European Insurance and Occupational Pensions Committee Euro-Mediterrane Partnerschaft European Network for Civil Peace Services Europäische Nachbarschaftspolitik Europäisches Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument Europäischen Parlament Economic Partnership Agreements European Policy Centre European Peacebuilding Liaison Office Europäische Politische Zusammenarbeit European Round Table of Financial Services European Round Table of Industrialists European Savings Banks Group European Securities Committee European Services Forum Europäisches Sozialmodell European Services Network European Security Research Advisory Board Europäische Sicherheitsstrategie Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europäisches System der Zentralbanken European Telecommunication Network Operators Europäische Union Europäischer Gerichtshof EU Institut für Sicherheitsstudien European Union Military Committee
282 EUMS Euratom EUROSPACE EVA ECV EVCA EVG EWI EWG EWR EWS EZB EZU FBE FEFSI FESE FIPs FLG FSAP GAP GASP GATS GATT GBDe GdC GdP HLSSC IANSA IASB IASC IBRD IC ICG ICSID ICTY IDA IEA IEF IEPG IFC IIF IN INOGATE IOSCO ITO IWF
8 Abkürzungen European Union Military Staff Europäische Atomgemeinschaft Association of European Space Industry Europäische Verteidigungsagentur Energiecharta Vertrag European Venture Capital Association Europäische Verteidigungsgemeinschaft Europäisches Währungsinstitut Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäischer Wirtschaftsraum Europäischen Währungssystems Europäische Zentralbank Europäische Zahlungsunion European Banking Federation Fédération Européenne des Fonds et Sociétés d'Investissement Federation of European Securities Exchanges Five Interested Parties Financial Leaders Group Financial Services Action Plan Gemeinsame Agrarpolitik Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik General Agreement on Trade in Services General Agreement on Tariffs and Trade Global Business Dialogue on e-Commerce Groupe de Contact Groupe de Présidents High Level Securities Supervisors Committee International Action Network on Small Arms International Accounting Standards Board International Accounting Standards Committee International Bank for Reconstruction and Development Insurance Committee International Crisis Group International Center for the Settlement of Investment Disputes Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien International Development Association Internationalen Energieagentur Internationales Energie Forum Independent European Programme Group International Finance Corporation Institute of International Finance Investment Network Interstate Oil and Gas Transport to Europe International Organization of Securities Commissions International Trade Organization Internationaler Währungsfonds
8 Abkürzungen KSZE LDCs MERCOSUR MFA MIGA MLG MOEL MRP NAFTA NAKR NAMA NASDAQ NATO NPMIK NTA NTM OCCAR OEEC OMAs OPEC OSZE PHARE PMIK POLARM PSK RGW RIIA RMA SAA SACU SADC SDA SDI SEATO SEC SWP TABD TEP TNKs TRIMS TRIPS UASG UCITS UEF UNICE UNO
283 Konferenz für Sicherheit- und Zusammenarbeit in Europa Least Developed Countries Mercado Común del Cono Sur Multifaserabkommen Multilateral Investment Guarantee Agency Multi-Level-Governance Mittel- und Osteuropäische Länder Mouvement Républicain Populaire Nord American Free Trade Agreement NATO Kooperationsrat Non-Agricultural Market Access National Association of Securities Dealers Automated Quotations North Atlantic Treaty Organization Netzwerk der Politisch-Militärisch-Industriellen Kooperation New Transatlantic Agenda New Transatlantic Marketplace Conjointe de Coopération en Matière d’Armement Organization for European Economic Cooperation Orderly Marketing Arrangements Organization of the Petroleum Exporting Countries Organisation für Sicherheit- und Zusammenarbeit in Europa Poland and Hungary: Aid for Restructuring of the Economies Politisch-Militärisch-Industrieller Komplex European Armaments Policy Council Working Group Politisches und Sicherheitspolitische Komitee Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe Royal Institute for International Affairs Revolution in Military Affairs Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen Southern African Customs Union Southern African Development Community Security and Defence Agenda Strategic Defence Initiative Southeast Asia Treaty Organization Securities and Exchange Commission Stabilitäts- und Wachstumspakt Transatlantic Business Dialogue Transatlantic Economic Partnership Transnationale Konzerne Trade Related Investment Measures Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights UNICE Advisory and Support Group Undertakings for Collected Investment in Transferable Securities Union Européenne des Fédéralistes Union of Industrial and Employers’ Confederations of Europe United Nations Organization
284 VERs VVE WERG WERO WEU WSA WTO WVO WWU ZJI
8 Abkürzungen Voluntary Export Restraints Vertrag über eine Verfassung für Europa Westeuropäische Rüstungsgruppe Westeuropäische Rüstungsorganisation Westeuropäische Union Wirtschafts- und Sozialausschusses World Trade Organization Warschauer Vertragsorganisation Wirtschafts- und Währungsunion Zusammenarbeit in der Justiz- und Innenpolitik